Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
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BalmeConstanze Schuler. Der Altar als Bühne – Die Kollegienkirche als Aufführungsort der Salzburger Festspiele. Mainzer Forschungen zu Drama und Theater. 37. Tübingen: Francke Verlag, 2007, 279 Seiten.
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Regina Wohlfarth
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suchungszeitraum in Meiningen (S. 87) und Wien ( “ Die meisten Darsteller der heiteren Vorstadtstücke konnten Fähigkeiten im Gesang vorweisen, oft auch im Tanz ” , S. 60) von den sängerischen Fähigkeiten der Schauspieler. Fraglich erscheint daher die in der Einführung des Bandes formulierte These, der Einsatz des Melodrams im Schauspiel sei eine Reaktion auf die mangelnden sängerischen Fähigkeiten der Schauspieler: “ Das Melodram ist [. . .] jene [. . .] Struktur, in der sich gerade die Trennung von Schauspiel und Musik niederschlägt, denn es ist für Schauspieler gedacht, die nicht mehr singen können ” (S. 10). Das Melodram war nicht erst im 19. Jahrhundert in spezifischen Szenentypen aus ästhetischen und dramaturgischen Gründen (neben gesungenen Liedern) ein zentraler Teil fast jeder Schauspielmusik. In den essayistisch formulierten Beiträgen der Studierenden im zweiten Teil des Bandes werden einzelne Inszenierungen von ausgewählten Dramen des 19. Jahrhunderts reflektiert: Hebbels Judith und Maria Magdalena sowie Grillparzers Das goldene Vließ. Einen Bezug zum ersten Teil des Bandes schafft Lene Grösch, indem sie das Thema Schauspielmusik in ihrem Text “ Die Stille hat einen Körper - mit Grillparzer in der Karaoke- Bar ” aufgreift. Sie interpretiert heutige Bühnenmusikszenen anhand der Leierszene in Medea, in der Kreusa der Ausländerin Medea ein Stück griechischer Kultur durch ein Lied zur Leier beibringen will. Roger Vontobel gestaltete in seiner Essener Inszenierung von 2007 diese Szene als Karaoke-Lied. Der Medienwechsel, so Grösch, sei hier hervorgehoben in dem Medium Karaoke, in dem durch die Zusammenführung von Konservenmusik und Live-Stimme “ das Spiel mit der eigenen Kultur als Folie bereits inhärent ” und die Frage der Authentizität eingeschrieben sei. Der Essay “ Von der Gleichzeitigkeit der Künste ” des Schauspielkomponisten Fred Kerkmann aus der Sicht des in der Theaterpraxis arbeitenden Künstlers bestätigt viele der Annahmen für die Gegenwart, die in der Schauspielmusikforschung auch für das 19. Jahrhundert erarbeitet wurden. Kerkmann beschreibt seine Musik als Teil der Inszenierung im multimedialen Verband der Künste: “ Meine Kunst ist ein Teil einer anderen Kunst, sie wird von ihr absorbiert, zu etwas Neuem ” (S. 163). Der Band hat der akademischen Öffentlichkeit sehr lesenswerte Erkenntnisse zum Thema Schauspielmusik zugänglich gemacht. Eine willkommene Ergänzung wäre die musikgeschichtliche Einordnung und ästhetische Beurteilung der jeweiligen Musiken als Teil des gesamten Bühnenereignisses. So ruft der Band zu einem noch intensiveren Dialog aller der am Nachdenken über das Phänomen Musik und Bühne beteiligten Disziplinen auf - zu einem Thema, dessen Erforschung für das 19. Jahrhundert gerade erst begonnen hat. Heidelberg A NTJE T UMAT Constanze Schuler. Der Altar als Bühne - Die Kollegienkirche als Aufführungsort der Salzburger Festspiele. Mainzer Forschungen zu Drama und Theater. 37. Tübingen: Francke Verlag, 2007, 279 Seiten. Der Theatermacher und Festspielgründer Max Reinhardt bezeichnete das Bayreuther Festspielhaus als “ vielleicht das Genialste ” der Werke Richard Wagners. Er selbst ging jedoch in Salzburg einen anderen Weg. Stand am Beginn des Festspielprojektes 1876 in Bayreuth der Bau des Festspielhauses auf dem Grünen Hügel, so sollte in Salzburg indessen die ganze Stadt zur Szene werden. Dazu wurden mehrere bereits vorhandene Örtlichkeiten, geschlossene Räume wie auch offene Plätze zu Spielstätten erkoren. Erst fünf Jahre nach Festspielgründung wurde durch Umbau des Marstalls das erste Salzburger Festspielhaus eröffnet. Das Gründerkollektiv der Salzburger Festspiele setzte von Beginn an auf ein mehrere Sparten umfassendes Repertoire mit Schauspiel und Oper - “ Beides und von beiden das Höchste ” 1 . Zudem sprachen nach dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen die materiellen Rahmenbedingungen zunächst gegen ein großes Bauprojekt. Begonnen hatten die Salzburger Festspiele 1920 auf dem Domplatz mit sechs Vorstellungen von Hofmannsthals Jedermann. 1921 wurde das Festspiel auf Stadttheater, Reitschule, Naturthea- Forum Modernes Theater, 25/ 2 (2010), 221 - 223. Gunter Narr Verlag Tübingen 221 Rezensionen ter Mirabellgarten sowie das Mozarteum ausgedehnt. Im Jahr 1922 wurde schließlich die mächtige Kollegienkirche bespielt, die nach dem Dom zweitgrößte Kirche der Stadt Salzburg. Für den Regisseur, Theaterleiter und Festspielgründer Max Reinhardt war das Theater ein aus dem Alltag herausgenommener und gleichzeitig in ihm wurzelnder Bereich des Lebens. Auf dieser Grundlage bemühte er sich, auch bei den Salzburger Festspielen, um Erneuerung traditioneller Theaterformen, Erweiterung des Repertoires, Stärkung der Regiearbeit. Die Einbeziehung neuer Räume und Szenen wie der Domfassade und dem Domplatz war ein wesentlicher Aspekt dieser Strategie. Erbaut in den Jahren 1694 - 1707 von Johann Bernhard Fischer von Erlach, dem späteren kaiserlichen Hofbaumeister, wurde die Kollegienkirche für Professoren und Studenten der 1623 eröffneten Universität, die bisher Gottesdienste in der Aula abgehalten hatten, wo auch die “ Comoedien und andere prophana ” aufgeführt wurden, zum würdigen Gotteshaus. 1810 - 1918 war die Kollegienkirche Garnisonskirche, seit 1962 ist sie wieder Pfarrkirche der wiedereröffneten Universität. Der Kollegienkirche als Spielstätte der Salzburger Festspiele hat die Theaterwissenschaftlerin Constanze Schuler ihre Dissertation gewidmet, die im Rahmen des von der DFG geförderten Graduiertenkollegs “ Raum und Ritual: Funktion, Bedeutung und Nutzung sakral bestimmter Räume und Orte ” an der Universität Mainz entstanden ist. Während einer studienbegleitenden mehrjährigen Mitarbeit in der Dramaturgie der Salzburger Festspiele, in der sie umfassend in den Festspielbetrieb wie auch die Festspielgeschichte eintauchen konnte, stieß die Autorin dort auf diese reizvolle und bisher wissenschaftlich noch nicht detailliert beleuchtete und reflektierte Themenstellung. Die Arbeit ist logisch aufgebaut, klar strukturiert und in drei große Teile mit insgesamt zwölf Kapiteln gegliedert und geht den in der Theaterwissenschaft bisher weitgehend vernachlässigten Wechselbeziehungen zwischen Raum und Ritual nach. Im Zentrum der Studie steht die Untersuchung zum Verhältnis von Raum und Ritual an der Schnittstelle von Theater und Festspiel und die Klärung der zunehmenden Bedeutung sakraler Räume als Bezugspunkt für zeitgenössisches Theater in der säkularisierten Welt des 20. Jahrhunderts. Es wird der Frage der Konstruktion eines sakralen Raums im Rahmen von Festspielen nachgegangen und die Konsequenzen der Nutzung des Kirchengebäudes als Theaterraum, die Adaption ritueller Handlungssequenzen sowie die Ritualisierung des Theaterereignisses untersucht. Im ersten Teil werden grundlegende theoretische und methodische Prämissen formuliert, die Kategorien Raum und Ritual im gegenwärtigen Diskurs der Theaterwissenschaft reflektiert und schließlich der sich nicht auf das theaterwissenschaftliche Methodenrepertoire beschränkende kulturwissenschaftliche und interdisziplinär orientierte Forschungsansatz kommentiert und begründet. Der zweite Teil gibt einen Überblick zur Konstellation “ Salzburger Festspiele und sakraler Aufführungsort ” auf der Grundlage der Festspielkonzeption von Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal. Der dritte Teil ist den großen bislang in der Kollegienkirche gezeigten Inszenierungen gewidmet und in Werkbeschreibungen wie Inszenierungsanalysen ausgeführt: - 1922 Hugo von Hofmannsthal: Salzburger Großes Welttheater (UA, Inszenierung: Max Reinhardt) - 1969 Emilio de' Cavalieri: Rappresentatione di Anima e di Corpo, geistliche Oper (Inszenierung: Hans Graf) - 1987 Franz Schmidt: Das Buch mit sieben Siegeln, Oratorium (Inszenierung: George Tabori) Schließlich gibt die Autorin einen Ausblick auf die neuerliche Integration der Kollegienkirche in das Festspielprogramm durch die Leiter des Zeitfluss- Festivals Markus Hinterhäuser und Tomas Zierhofer-Kin in Hinblick auf die Produktion von Luigi Nono: Prometeo (1993) und Morton Feldman: Neither (1997). In ihrer modellhaften Untersuchung der Festspielinszenierungen in der Kollegienkirche macht Constanze Schuler die Bedeutung dieses Kirchenraums als Aufführungsort für Musiktheater und Schauspiel der Salzburger Festspiele deutlich. Aufschlussreich ist die Darstellung der Irritationen, die durch die von Generalsekretär Franz Willnauer 1987 programmierte Aufführung des Oratoriums Das Buch mit sieben Siegeln von Franz 222 Rezensionen Schmidt in einer Inszenierung von Georges Tabori ausgelöst wurden. Der von dieser Produktion ausgelöste Skandal, der in ein erzbischöfliches Verbot szenischer Aufführungen in der Kollegienkirche mündete, kann heute als ein erster Baustein für die Neuausrichtung und Öffnung der Festspiele durch Gérard Mortier und Hans Landesmann in den Jahren 1992 - 2001 gewertet werden. Im Rahmen des von Mortier und Landesmann geförderten Zeitfluss-Festivals gelang Markus Hinterhäuser und Tomas Zierhofer-Kin mit einem programmatisch mutigen und szenisch sensiblen Kurs ein Neuanfang in der Kollegienkirche. Mit der von Hinterhäuser verantworteten Produktion von Salvatore Sciarrinos Oper Luci mie traditrici (2008) in der Inszenierung von Rebecca Horn kam erst jüngst ein neuer Stein in der Perlenkette der szenischen Aufführungen in der Kollegienkirche hinzu. Constanze Schulers Verdienst ist es, ein wichtiges Kapitel Salzburger Festspielgeschichte aufgearbeitet und dem wissenschaftlichen Fachpublikum sowie auch allen am (Musik-)Theater und den Salzburger Festspielen Interessierten näher gebracht zu haben. Ihre Arbeit ermöglicht einen Blick auf die Geschichte der Festspiele und die Entwicklung ihrer Programmatik aus der spezifischen Perspektive einer der Spielstätten heraus, wobei die Inszenierungsanalyse geschickt in den Kontext von Spielstättenrealität, Festspielstruktur und -geschichte eingebettet ist. Die Arbeit legt offen, welch wesentliche Rolle die Verknüpfung von Theater, Kirche und Ritual am Beginn der Festspiele einnahm und wie das Oszillieren von Sakralisierung des Theaters und Theatralisierung von Kirchenraum zu immer wieder neuen Weichenstellungen für das Festspielkonzept führte. München R EGINA W OHLFARTH Anmerkungen 1 Hofmannsthal, Hugo v. “ Die Salzburger Festspiele (1919) ” Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze II. Ed. Bernd Schoeller. Frankfurt a. M., 1979, 258. 223 Rezensionen