eJournals Forum Modernes Theater 26/1-2

Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/0601
2011
261-2 Balme

Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung

0601
2011
Wilfried Floeck
fmth261-20053
Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater Wilfried Floeck (Universität Gießen) Shoah und Globalisierung Die Erinnerung an die Shoah hat sich erst spät durchgesetzt. In den beiden ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte die Haltung des Vergessens und der Verdrängung. Das galt nicht nur aus leicht erklärlichen Gründen für die Täter, sondern auch für die überlebenden Opfer und für die große Masse der Mitläufer. Das ist keineswegs unnatürlich. Erst jüngst hat Christian Meier darauf hingewiesen, dass der Wunsch nach Vergessen schwerer Untaten in der Geschichte stets größer war als das Bedürfnis nach Erinnern. 1 Die zeitlich begrenzte Verdrängung traumatischer Erlebnisse scheint geradezu die Voraussetzung für eine spätere Aufarbeitung und gelungene Vergangenheitsbewältigung zu sein. Für nicht unmittelbar als Täter und Opfer Betroffene ist der Akt des Erinnerns dagegen leichter. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich der spanische Bürgerkrieg schon seit den späten dreißiger Jahren nicht in Spanien selbst, aber sehr wohl in Europa und unter den Linksintellektuellen der westlichen Welt zu dem Erinnerungsereignis schlechthin entwickelte, das erst drei Jahrzehnte später durch die Erinnerung an die Shoah abgelöst wurde. 2 Beide Erinnerungsorte stehen in enger Beziehung zueinander, nicht zuletzt weil der Spanische Bürgerkrieg als Vorläufer und Versuchsfeld des Zweiten Weltkriegs angesehen wird. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Erinnerung an den Holocaust zunächst von den USA ausging, bis sie sich dann in den siebziger Jahren schließlich auch in Deutschland durchsetzte und sich damit die Vergangenheitsbewältigung zu einem der wichtigsten Gebote zumindest in der Bundesrepublik entwickelte. Die Einzigartigkeit der Shoah drängte dabei zunächst alle anderen Erinnerungsorte in den Hintergrund und ließ Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren zu einem privilegierten und zugleich exemplarischen Ort der Vergangenheitsbewältigung und der kollektiven Erinnerungskultur werden. Im Zeitalter der Globalisierung lässt sich seit den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Universalisierung der Erinnerung an den Holocaust beobachten, wobei diese sich nicht nur auf den außerdeutschen Raum ausdehnt, sondern zugleich mehr und mehr in Bezug zu anderen Bereichen mit ähnlichen Erfahrungen in Bezug gesetzt wird. “ Im Zeitalter der Globalisierung ” , schreiben Daniel Levy und Natan Sznaider, “ kann kollektive Erinnerung nicht mehr auf einen territorial oder national fixierten Ansatz reduziert werden. ” 3 Die Verweise auf Stalinismus, Vietnam, Kambodscha, den Irak- oder Kosovokrieg, ethnische Säuberung und Vernichtung auf dem Balkan oder in Afrika ebenso wie die Konquista und in deren Gefolge die Kolonialismus- und Imperialismuserfahrung mit all ihren schlimmen Folgen in der “ Dritten Welt ” müssen dabei die Einzigartigkeit der Shoah nicht unbedingt in Frage stellen. Die Erinnerung an den Holocaust behält auch in dieser Entwicklung ihre Sonderstellung. “ Die Grundlagen für ein kosmopolitisches Gedächtnis in Europa entwickelten sich [ja gerade] aus der andauernden Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung ” (ebda.). 4 Jedenfalls scheint sich im Zuge der Globalisierung eine wachsende nationale Entgren- Forum Modernes Theater, 26 (2011 [2014]), 53 - 72. Gunter Narr Verlag Tübingen zung des Identitäts- und Erinnerungsbegriffs durchzusetzen, wobei sich Universalismus und Partikularismus nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Sinne von Roland Robertsons “ Glokalisierung ” eine dialektische Beziehung eingehen. In den 1990er Jahren greift die Universalisierung der Holocaustthematik auch auf Spanien über, dessen kollektive Erinnerungskultur infolge der langen Francodiktatur und der Versöhnungsstrategie der Jahre des Übergangs erst spät einsetzte. Im Prinzip erlebte die spanische Erinnerungskultur eine ähnliche Entwicklung wie die deutsche: Auf ein Jahrzehnt des Vergessens und Beschweigens folgte seit den späten 1980er Jahren eine intensive Verarbeitung der traumatischen Jahre des Bürgerkriegs und des Francoregimes und seit Ende des vergangenen Jahrhunderts auch eine Auseinandersetzung mit der Holocaustthematik, zunächst in Poesie und Roman. 5 Die erste Auseinandersetzung im Theater erfolgte durch Juan Mayorga, dessen beide Holocaustdramen im Zentrum dieses Beitrags stehen. 6 Juan Mayorga und das spanische Gegenwartstheater Im spanischen Gegenwartstheater lassen sich grundsätzlich zwei unterschiedliche Tendenzen erkennen, die allerdings nicht in jedem Fall klar voneinander abzugrenzen sind: auf der einen Seite ein literarisches Text- und Autorentheater, in dessen Zentrum die sprachliche Vermittlung einer dramatischen Geschichte und einer subjektiven oder kollektiven Erfahrung steht, und auf der anderen Seite ein Bildtheater, in dem die nicht sprachlichen Zeichen im Vordergrund des theatralen Spektakels stehen. Der 1965 geborene Juan Mayorga ist zweifellos der bedeutendste und erfolgreichste Vertreter eines literarischen Texttheaters innerhalb der jüngeren Dramatikergeneration, der unmittelbar an Dramatiker wie José Sanchis Sinisterra anknüpft, der das Autorentheater in Spanien in den 1980er Jahren gegenüber dem Boom des Regietheaters der 1960/ 70er Jahre wieder hoffähig gemacht hat. Mayorga gehört zu den wenigen Dramatikern seiner Generation, die in den letzten Jahren den Sprung von den kleinen Alternativtheatern auf die großen öffentlichen Bühnen Madrids geschafft haben. Von Walter Benjamin, über dessen Geschichtsphilosophie er promoviert hat, übernahm er die Auffassung von der zwiespältigen Macht der Sprache, die die Wirklichkeit gleichermaßen verschleiern wie aufschließen und die damit zugleich Instrument der Gewalt wie der Emanzipation sein könne. 7 Mayorga will die Sprache seines Theaters natürlich ausschließlich im Dienst der Wahrheitserhellung einsetzen; seine Erforschung der Sprache und die Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten sollen allein der Erforschung einer durch Konventionen und Ideologien verdeckten komplexen Wirklichkeit dienen. Mayorgas lange Beschäftigung mit Benjamin hat seinen Hang zur Philosophie und deren gesellschaftlichen Implikationen gefördert. Seine Figuren reflektieren gerne über philosophische und gesellschaftspolitische Themen, wobei er mit Vorliebe auch tierische Figuren in dieser Funktion auf die Bühne bringt. 8 In Últimas palabras de Copito de Nieve, 2004 (Die letzten Worte Copito de Nieves) lässt er den weißen Gorilla “ Copito de Nieve ” aus dem Zoo von Barcelona, der den Spaniern durch eine beliebte Fernsehsendung bestens vertraut war, mit Michel de Montaigne über den Tod diskutieren. In La paz perpetua, 2007 (Zum ewigen Frieden) werden drei Hunde einem Selektionsprozess zur Aufnahme in eine antiterroristische Eliteeinheit unterzogen, wobei der Schäferhund Emanuel das Kantsche Konzept einer Ethik vertritt, in der die Folter als Waffe gegen den Terrorismus und zur Rettung unschuldiger Menschenleben ausgeschlossen wird. In La 54 Wilfried Floeck tortuga de Darwin, 2008 (Darwins Schildkröte) erzählt die Titelheldin ihre Flucht aus dem Garten des englischen Verhaltensforschers und ihre lange Reise von London durch ganz Europa bis zum Fall der Berliner Mauer, wobei sie über die wichtigsten politischen Ereignisse des 19. und 20. Jahrhunderts reflektiert, mit denen sie unmittelbar in Berührung kommt. Ethische, politische und soziale Probleme stehen im Zentrum von Mayorgas Theaterstücken. Die Darstellung komplexer Identitäten bis hin zu schweren Identitätsstörungen sowie die Versuchung der Macht und Machtmissbrauch sind häufig in seinem dramatischen Werk gestaltete Themen. In Cartas de amor a Stalin (1999) (Liebesbriefe an Stalin) modelliert er die konfliktive Beziehung zwischen Schriftsteller und Diktatur und die Zerstörung der Identität Bulgakows in dessen politisch-psychologischer Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Diktator. In Hamelin, 2005 (Der Rattenfänger von Hameln) gibt er Einblick in die komplexe Psyche eines Pädophilen und die ebenso komplexe Situation des Opfers und seiner Familie. Hier wie in allen seinen Stücken hütet Mayorga sich vor schlichter Schwarz-Weiß-Malerei und einfachen Urteilen. Vielmehr besteht sein Ziel darin, den Zuschauer an einer problematischen Erfahrung teilnehmen zu lassen und ihm verstörende Fragen zu stellen, die ihn zugleich verunsichern und bereichern und einen Prozess eigener Reflexion und Urteilsbildung in Gang setzen sollen. Wie die meisten seiner dramatischen Zeitgenossen sieht auch Mayorga in der Gewalt das Merkmal, das den Menschen seiner Zeit wie der Vergangenheit prägt. 9 In zahlreichen Interviews hat er das Thema der Gewalt in all seinen Schattierungen - als kollektiver wie individueller Konflikt - als zentrales Anliegen seines Theaters bezeichnet, wobei er mehr noch als die physische die moralische und psychologische Vernichtung des Menschen im Blickpunkt hat. In ihrer Denunzierung sieht er eine der wichtigsten Aufgaben seines Theaters. 10 In formaler Hinsicht ist das Theater Mayorgas durchaus auf der Höhe seiner Zeit. Die Rückkehr zum Text bedeutet keineswegs die Rückkehr zu dem konventionellen, realistischen Theatermodell der 1950/ 60er Jahre. Mayorga experimentiert vor allem mit dem theatralischen Potential der Sprache. Er versteht seine Dramentexte nicht als literarische Texte im traditionellen Sinn, sondern als Texte, denen eine unmittelbare Theatralität eingeschrieben ist. Für ihn ist das Wort Ursprung und Quelle von theatralen Bildern, Gesten und Körpern. Desgleichen experimentiert der Autor mit den Erfahrungen von Raum und Zeit, die in gleicher Weise wie das Wort zur Wahrheitsfindung und Sinnkonstruktion eingesetzt werden. Neben fragmentierten Strukturen stehen die Verfahren der Intertextualität und Metatheatralität, die Mayorgas Theater in direkte Beziehung zur Ästhetik der Postmoderne setzen. In die gleiche Richtung verweisen die Techniken, die den Zuschauer zur Partizipation an der Sinnkonstruktion der Stücke anregen sollen, sowie die offene Struktur seiner Stücke, die weniger Lösungen anbieten als den Zuschauer mit Fragen konfrontieren, mit denen er sich selbst auseinandersetzen soll. Mayorga sieht nicht nur die Gesellschaft der Gegenwart von der Gewalt geprägt. Für ihn ist die Gewalt ein Phänomen, das die gesamte Geschichte der Menschheit durchzieht, die Darwins Schildkröte als ein einziges “ Gemetzel ” bezeichnet. 11 Wie er in seinem Essay “ El dramaturgo como historiador ” bemerkt, war die Darstellung der Geschichte schon immer ein zentrales Thema des spanischen Theaters bis in die Gegenwart hinein. 12 Ähnlich wie schon Antonio Buero Vallejo, der Begründer des modernen historischen Dramas im Spanien der 1950er Jahre, betont auch er, dass er nicht an einer historizistischen Rekonstruktion der Ver- 55 Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater gangenheit interessiert ist, sondern dass er die Vergangenheit aus der Perspektive der Gegenwart konstruiert und deutet. Die Absicht, das offizielle Geschichtsbild kritisch zu hinterfragen, teilt er mit seiner gesamten Generation. Mayorga widmet sich in erster Linie der kritischen Aufarbeitung nationaler Geschichtskonstruktionen, wie der Dekonstruktion des triumphalistischen Konquistadiskurses, der die spanische Literatur bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein beherrscht hatte. In dem Einakter Primera noticia de la catástrofe, 2006 (Erste Nachricht über die Katastrophe) bringt er im Stil einer dramatischen Chronik die Kritik der Benediktiner Antonio Montesinos und Bartolomé de las Casas an der Behandlung der Eingeborenen durch die spanischen Konquistadoren auf die Bühne. Mit besonderem Nachdruck aber widmet er sich der Aufarbeitung der traumatischen Jahre des Bürgerkriegs und des Francoregimes, ein Thema, dessen Behandlung unter Franco verboten und in den Jahren des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie (1975 - 1982) erfolgreich verdrängt worden war. José Sanchis Sinisterra war es, der mit Stücken wie ¡Ay, Carmela! (1987) und Terror y miseria en el primer franquismo 13 (Furcht und Elend im frühen Franquismus) als einer der ersten Dramatiker dieses Tabu durchbrach und in den 1990er Jahren auch im Theater einen wahren Boom der Erinnerung an die Ereignisse der jüngsten spanischen Zeitgeschichte in Gang setzte. Mayorga knüpfte unmittelbar an sein Konzept eines Erinnerungstheaters ( “ teatro de la memoria ” ) an: Sanchis schafft Erinnerung, überzeugt davon, dass es ohne sie keine Zukunft gibt. [. . .]. Nur wenn wir das Vergessen bekämpfen - sagt er - können wir die Gegenwart verstehen und eine Zukunft konzipieren. Daraus erwächst der Imperativ “ Vergessen verboten! ” . Daraus entsteht die Notwendigkeit eines Theaters der Erinnerung. 14 In Stücken wie Siete hombres buenos, 1990 (Sieben gute Menschen) und El jardín quemado, 2001 (Der verbrannte Garten) setzte er das Konzept eines “ teatro de la memoria ” selbst in die Praxis um. 15 Mayorga und die Shoah Im Zuge der erwähnten Universalisierung der Erinnerung an die Shoah wird dieses Thema Ende des vergangenen Jahrhunderts auch in der spanischen Literatur aufgegriffen, wobei dort die Verbindung mit der traumatischen Bürgerkriegserfahrung stets bewusst bleibt. Juan Mayorga hat der Shoah als erster spanischer Dramatiker zwei Stücke gewidmet: Himmelweg (Camino del cielo), 2003 und El cartógrafo - Varsovia, 1: 400.000 (Der Kartograph - Warschau, 1: 400.000), 2010. Für Mayorga stellt die Judenvernichtung den absoluten Höhepunkt in der Verwirklichung von Gewalt und barbarischer Entmenschlichung in der Menschheitsgeschichte dar. Er ist sich der Einzigartigkeit dieses Ereignisses stets bewusst. Der Autor hat sich auch intensiv mit der Problematik der literarischen Repräsentation dieser Thematik auseinandergesetzt. Gegenüber Adornos bekannter Aussage, dass es barbarisch sei, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, hält er es eher mit Enzensbergers Erwiderung, dass sich die Dichtung gerade gegen jenes Verdikt behaupten müsse. 16 Besonders beeindruckt zeigt sich der Autor von den Schriften Primo Levis, die zu den ersten dokumentarischen Zeugnissen eines der Überlebenden gehören. Mit Levi teilt Mayorga die Auffassung von der Notwendigkeit der Erinnerung an die Shoah, da sie die beste Waffe im Widerstand gegen alte und neue Formen der Erniedrigung des Menschen durch den Menschen darstelle. 17 In seinem Drama La tortuga de Darwin lässt er die Schildkröte, die in einen der berüchtigten Gefangenentransporte in die Vernichtungs- 56 Wilfried Floeck lager gerät, angesichts dieser Erfahrung über ihre Angst vor und zugleich ihr Bedürfnis nach der Erinnerung an diese Barbarei reflektieren: Ich trage so viele Katastrophen, so viele Toten in mir. Um zu leben, muss man vergessen, und wenn man viel gelebt hat, muss man viel vergessen. Mein Gedächtnis ist widerstandsfähig wie ein zweiter Panzer und wiegt schwer, die Vergangenheit erdrückt mich. Plötzlich spüre ich die Last der vielen schrecklichen Erinnerungen, der vielen Toten. Aber ich erkenne auch, dass ich ihnen etwas schuldig bin, dass ich sie nicht vergessen darf, weil sie dann ein zweites Mal sterben müssten. Man muss ihrer gedenken, so weh es tut. 18 Gegen Levi ist Mayorga freilich der Überzeugung, dass eine authentische Erinnerung an die Shoah nicht nur über die dokumentarische Darstellung von Augenzeugen, sondern auch über eine fiktionale Gestaltung möglich sei. Dabei komme gerade seiner Generation, die nicht mehr zu den Augenzeugen gehöre und in der Zeit des Übergangs vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis lebe, die Aufgabe zu, die Erinnerung an diese Zeit mit Hilfe der Literatur für die Zukunft zu bewahren. Im Theater sieht er infolge von dessen öffentlichem Charakter, dadurch dass es sich vor einer Versammlung von Menschen abspiele, ein privilegiertes Medium, kollektive Erinnerungen zum Ausdruck zu bringen. Mayorga reflektiert auch immer wieder über die Gefahren der Erinnerung an die Shoah, die er vor allem in drei Aspekten sieht: in der sentimentalen Manipulation des Leidens, in der obszönen Ausstellung von Gewalt sowie in der Ausbeutung eines verhängnisvollen “ Lagerglamours ” . 19 Ferner bemüht er sich - wie in allen seinen Stücken - , jegliche simplistische Schwarz-Weiß-Malerei zu umgehen. Was ihn in erster Linie fasziniert, ist jene “ Grauzone ” , wie Primo Levi sie vor allem in seinem Buch Die Untergegangenen und die Geretteten eindrücklich beschrieben hat, die Zone der deutschen Mitläufer und der zwangsweisen jüdischen Helfershelfer in den KZs, in der die “ Gerechten ” und die “ Verdammten ” nicht mehr ohne weiteres unterschieden werden können. 20 Himmelweg (Camino del cielo) Himmelweg gestaltet eine Episode aus dem Lager Theresienstadt, das 1941 von den Nazis als Ghetto für die Juden aus dem Protektorat Böhmen und Mähren eingerichtet worden war, dann als eine Art Alterswohnsitz und Vorzeigeghetto für deutsche Juden propagiert wurde, in Wirklichkeit aber als Durchgangslager und Umschlagplatz für Juden aus Deutschland und ganz Europa diente, die zu Tausenden in den berüchtigten Todeszügen in die Vernichtungslager transportiert wurden. 21 Theresienstadt gehörte zu den Lagern, die vor allem auf ausländischen Druck von Delegationen des Internationalen Roten Kreuzes besucht wurden, denen von der nationalsozialistischen Lagerkommandatur eine geschönte Wirklichkeit vorgeführt wurde, die die Besucher in der Regel erfolgreich zu täuschen vermochte. Mayorga hatte in einem Vortrag von dem Besuch einer Delegation in Theresienstadt erfahren, die am 23. Juni 1944 stattgefunden hatte und an der neben zwei dänischen Regierungsvertretern der Delegierte des IRK in Berlin, der Schweizer Dr. Maurice Rossel, teilgenommen hatte. Die Delegation ließ sich offensichtlich von dem von den Nazis inszenierten Spektakel täuschen. Dieses war aus Anlass des Besuchs sowie eines geplanten Propagandafilms über das Vorzeigelager durch eine über Monate dauernde “ Stadtverschönerung ” vorbereitet worden, in deren Verlauf ausgewählte Stadtviertel hergerichtet, Läden, Kindergärten, Spielplätze, Cafés, ein Kino und Blumenbeete angelegt wurden. Zugleich 57 Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater wurden die Transporte in die Vernichtungslager intensiviert, um für die restlichen Bewohner mehr Platz und geräumigeren Wohnraum zu schaffen. Die Besucher wurden von dem Lagerkommandanten sowie dem Judenältesten, d. h. dem Leiter der jüdischen Selbstverwaltung, durch das Lager geführt. 22 Die Unsichtbarkeit des Horrors und die Manipulation der Opfer Im Zentrum des Stücks steht der Besuch der Delegation, die auf die Person des Vertreters des Roten Kreuzes reduziert wird. Der Besuch selbst aber wird nicht auf der Bühne vorgeführt; vielmehr besteht das Stück aus fünf sehr unterschiedlichen Teilen: einem langen an das Publikum gerichteten Monolog des Delegierten aus der Perspektive der Gegenwart, verschiedenen Szenen aus dem Judenalltag, die der Delegierte in seinem Monolog erwähnt hatte, einem längeren an die Delegation adressierten Monolog des Kommandanten, dem Hauptteil, in dem der Kommandant mit dem Judenältesten Gershom Gottfried die Vorbereitung und Durchführung der für den Besuch vorgesehenen Theaterszenen diskutiert, sowie einigen kurzen Probenszenen, in denen Gottfried das “ Spiel im Spiel ” mit seinen jüdischen Schauspielern einstudiert. Die Zeit des Stückes ist also zwischen der Gegenwart des Eingangsmonologs und den Monaten vor dem Lagerbesuch der Delegation situiert. Die Wirklichkeit des Ghettos wird nie unmittelbar vorgeführt, der Horror bleibt im Hintergrund, im Bewusstsein des Zuschauers, der die inszenierte Theaterwirklichkeit im Verlauf des Stückes allmählich erkennt und die “ wahre Wirklichkeit ” hinter der Theaterkulisse immer stärker wahrnimmt. Mayorga hat seine Vorgehensweise in einem Interview mit der elektronischen Zeitschrift Cultura BigBang selbst erläutert: Die Vorgehensweise des “ Theaters im Theater ” will nicht von der Tatsache der Judenvernichtung ablenken, sondern sich ihr vielmehr über eine Darstellung ohne jede physische Gewalt nähern. Eines der großen Themen von Himmelweg - das andere ist die Unsichtbarkeit des Horrors - ist das jener zweiten Form von Gewalt, die auf die Opfer ausgeübt wird, indem sie gezwungen werden, die Darstellung der Henker zu verteidigen. Himmelweg führt uns nicht das Leben der Opfer vor [. . .], sondern das falsche Leben, das der Kommandant für sie geschrieben hat. 23 In der Unsichtbarkeit des Horrors und der Manipulation der Opfer sieht der Autor demnach selbst die beiden entscheidenden Themen seines Dramas. In der Tat werden weder das Elend des Lagerlebens noch die Gewalt der Täter gegen die Opfer oder der Opfer untereinander gezeigt oder erwähnt. Sie werden nur symbolisch angedeutet, etwa im Pfeifen des Zuges, der jeden Morgen pünktlich um sechs die Opfer in die Vernichtung führt, in der von der SS zynisch als “ Himmelweg ” bezeichneten Rampe, die die Opfer angeblich zur Krankenstation, in Wirklichkeit aber in die Gaskammern leitet, oder in dem Rauch des Krematoriums, der über dem Lager liegt. 24 Sie werden evoziert, wenn der Kommandant in kurzen Andeutungen über die Endlösung philosophiert oder wenn Gottfried dem Kommandanten berichtet, dass die Angst angesichts des morgendlichen Pfeifens des Zuges und angesichts des beißenden Geruchs seine Schauspieler lähmt und ihr Spiel zu verhindern droht. Die Ausklammerung des unmittelbaren Horrors erfolgt nicht nur, weil die Gewalt der Shoah nicht darstellbar ist, sondern auch weil sie von der perfekten Inszenierung des Kommandanten verdeckt wird. Selbst im Nachhinein, Jahre nach Kriegsende, als der Delegierte des IRK längst um die Wirklichkeit des Ghettos weiß, besteht er noch darauf, dass der Horror für ihn damals nicht ersichtlich war. Aus der Per- 58 Wilfried Floeck spektive der Gegenwart versucht der Delegierte verzweifelt, sich vor sich selbst und dem Zuschauer zu rechtfertigen, obwohl er sich eingestehen muss, dass mehrere Anzeichen ihn hätten stutzig werden lassen müssen: so die abweisend anmutende Zurückhaltung der Ghettoinsassen ihm gegenüber, die fast automatischen Erläuterungen des Judenältesten, das künstliche Verhalten der Personen, die er auf dem Weg durch das Ghetto antrifft, oder ihr seltsamer Blick. Bei seinem Besuch im Ghettomuseum der Gegenwart empfindet er angesichts der Wahrheit Horror vor seinem damaligen positiven Bericht, doch einen Fehler will er sich nicht eingestehen: “ Heute fühle ich mich schrecklich hier zu sein, aber ich werde nicht um Verzeihung für das bitten, was ich geschrieben habe. Ich würde es wieder so schreiben, wie ich es geschrieben habe, Wort für Wort ” . 25 Der Autor selbst fällt in dem Stück kein Urteil über die Figur des Delegierten. Er stellt ihn als einen freundlichen, sozial engagierten Mann dar, der sich für das Schicksal der Gefangenen interessiert und ihnen helfen möchte, indem er dem Lager eine Sendung Medikamente zukommen lässt, zugleich aber auch als einen Mann, der nicht nachfragt, der eher dazu neigt wegzusehen, der nicht die Kraft hat, hinter die Kulissen der gespielten Wirklichkeit zu schauen, und der nur allzu leicht dazu neigt, sich der schönen Illusion einer vorgetäuschten Wirklichkeit hinzugeben. Mayorga interessierte sich für die Gestalt des Delegierten vor allem deshalb, weil er seiner Meinung nach repräsentativ für die große Mehrzahl der Zeitgenossen war, die die Gewalt der Nazis ablehnten, zugleich aber vor einer unvorstellbaren Wirklichkeit nur allzu gern die Augen verschlossen. In den folgenden Szenen wird das theatrale Spiel vorgeführt, doch der Zuschauer hat es leichter als der Delegierte, die Maskerade zu durchschauen, da er durch die Rückschau des Delegierten bereits über ein Vorwissen verfügt, das diesem anlässlich seines Besuchs nicht zur Verfügung stand. Dieses Vorwissen setzt ihn von Anfang an in die Lage, die Wirklichkeit hinter dem Spiel zu erkennen und den Horror zu imaginieren, der seinem physischen Auge vorenthalten wird. Dadurch wird der Horror keineswegs geringer, wohl aber erträglicher, da er in seiner Intensität und seiner konkreten Praxis von jedem nach seinem Belieben und seiner psychischen Belastbarkeit evoziert werden kann. Insbesondere wird der Zuschauer nicht von physischer Gewalt überrollt, sondern er wird zu eigener Imagination und Reflexion gezwungen. Mehr noch als der Delegierte interessierte Mayorga der jüdische Lagerverwalter, Gershom Gottfried, der als einziger in dem Stück einen Namen erhält. Gottfried ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Manipulation der Opfer, die das Repressionssystem der SS innerhalb des Lagers umsetzen mussten, dafür aber zugleich gegenüber den anderen Häftlingen eine privilegierte Stellung und einen gewissen Spielraum und Macht erhielten. Er gehört zu jener Grauzone, die Primo Levi in seinem Buch Die Untergegangenen und die Geretteten so eindrücklich beschrieben hat: Die hybride Klasse der Häftlinge als Vollzugspersonen bildet das Knochengerüst und weist gleichzeitig die am stärksten beunruhigenden Züge auf. Sie ist eine Grauzone mit unscharfen Konturen, die die beiden Bereiche von Herren und Knechten voneinander trennt und zugleich miteinander verbindet. Sie besitzt eine unvorstellbar komplizierte Struktur und enthält in sich soviel, wie ausreicht, um unser Bedürfnis nach einem Urteil durcheinanderzubringen. 26 Mayorga hegt eine ausgesprochene Abneigung gegenüber jeglicher Schwarz-Weiß- Malerei; er bevorzugt stets die Komplexität einer Wirklichkeit, in der sich das Böse nicht einfach vom Guten trennen lässt, in der es 59 Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater nicht “ hier die Gerechten und dort die Verdammten ” gibt, wie Levi sich ausdrückt. 27 Gottfried wird von dem Kommandanten gezwungen, aus seinen jüdischen Mitgefangenen Personen auszuwählen, die in dem für die Delegation konzipierten Theaterstück mitwirken und mehrere alltägliche Begebenheiten spielen, die der Delegation eine heile Wirklichkeit vorgaukeln sollen: das Spiel zweier pubertierender Jungen mit einem Kreisel, den Streit eines Liebespaares auf einer Parkbank, die rührenden Versuche eines kleinen Mädchens, seiner Puppe in einem Bach das Schwimmen beizubringen, das alltägliche Treiben auf einem belebten Platz. Als Belohnung wird den Beteiligten in Aussicht gestellt, dass sie den Zug, dessen morgendliches Pfeifen sie alle traumatisiert, nicht besteigen müssen. Wer sich weigert, das Spiel nach den Vorgaben des Kommandanten zu spielen und “ falsch ” spielt, geht unweigerlich den Weg zum Zug und zur Rampe. Gottfried hat die Macht auszuwählen, die Macht über Leben und Tod; er wählt möglichst viele und wird vom Kommandanten aufgefordert, die Liste der Erwählten ständig zu kürzen. Zugleich ist er gezwungen, die Spielanweisungen des Kommandanten gegenüber den Schauspielern durchzusetzen, da dies die einzige Möglichkeit ist, sein eigenes Leben und das seiner Mitspieler möglicherweise zu retten. Die Diskussionen zwischen Gottfried und dem Kommandanten über die Inszenierung des Spiels sowie die Gespräche Gottfrieds mit seinen “ Schauspielern ” zeigen die ganze Unmenschlichkeit eines Systems, das die Opfer in Täterrollen zwingt und sie unweigerlich dazu bringt, ihrer eigenen Menschlichkeit verlustig zu werden. Auch hier wird der Horror nicht offen gezeigt, doch der Zuschauer empfindet ihn in ähnlicher Weise wie der jüdische Lagerverwalter. Gottfried spielt mit, doch nicht ganz ohne vorsichtigen Widerstand. Er versucht immer wieder, seine “ Schauspieler ” vor den Vorwürfen des Kommandanten in Schutz zu nehmen, indem er beispielsweise ihr unkonzentriertes Spiel mit ihrer Angst vor dem Geruch des Rauchs und mit ihrer Traumatisierung durch das Pfeifen des Zuges entschuldigt. Sein eindrücklichster Widerstand gegen seinen Unterdrücker aber besteht nicht in Worten, sondern in deren Verweigerung, im hartnäckigen Schweigen. In dem zentralen vierten Teil, in dem der Kommandant mit Gottfried über die Inszenierung der einzelnen Szenen diskutiert, gibt dieser sich wortkarg. Nur wenn es darum geht, seine Leute zu verteidigen, kommen ihm zusammenhängende Sätze über die Lippen. Ansonsten äußert er sich lediglich durch bejahende und vor allem durch verneinende Kopfbewegungen; meistens aber durch trotziges, viel sagendes Schweigen. “ Silencio ” wird in den Bühnenanweisungen dieses Teils zu dem am häufigsten verwendeten Begriff. Stummes und zugleich doch beredtes Schweigen als ohnmächtige Waffe im Kampf gegen einen ungleichen Gegner, dem mit keiner Waffe beizukommen ist. In diesem System scheint offener Widerstand unmöglich, doch der Autor will den Zuschauer offensichtlich nicht ganz ohne einen Hoffnungsschimmer aus dem Theater entlassen. Er inszeniert eine Sekunde des offenen Widerstandes, so kurz und unscheinbar freilich, dass der ausländische Besucher, der ja, wie wir bereits wissen, gerne wegschaut oder weghört, sie gar nicht registriert zu haben scheint. Der Widerstand kommt von ganz unerwarteter Seite, nicht von Gottfried oder einem der erwachsenen Schauspieler, sondern von dem kleinen Mädchen, das die Rolle mit dem Puppenspiel am Bach spielen soll. Der Widerstand wird auch nicht auf der Bühne gezeigt, sondern lediglich von dem Kommandanten nach der Beendigung des Besuchs im Gespräch mit Gottfried verärgert kommentiert. Die Kleine fällt in der Aufführung aus der Rolle. Anstatt der Puppe beim Vorbeigehen der Delegation 60 Wilfried Floeck zuzurufen “ Sei höflich, Walter. Sag ’ diesem Herrn guten Tag ” , wirft sie sie ins Wasser und ruft: “ Flieh ’ , Rebecca, der Deutsche kommt. ” 28 Die Rolle des Widerstands fällt im Werk Mayorgas häufig den Frauen zu. In einem Interview bemerkte der Autor einmal: “ Im Theater wie im wirklichen Leben habe ich mehr Hoffnung in die Frauen als in die Männer. ” 29 In Himmelweg ist es gar ein kleines Mädchen, das aus der ihm aufgezwungenen Rolle fällt und dabei ihre männliche Puppe selbst in eine weibliche verwandelt. Sie ist der einzige Hoffnungsschimmer in einem von auswegloser Verzweiflung geprägten Drama. Mehrere Teile von Himmelweg sind Theater im Theater, Darstellungen von Probeszenen des geplanten Spiels. Selbst in den elf Szenen des zentralen vierten Teils dominiert der metatheatrale Charakter, da der Hauptteil der Szenen aus Diskussionen des Kommandanten über das zu inszenierende Spektakel besteht. Himmelweg ist eine Art von “ Großem Welttheater ” , indem allerdings nicht Gott, sondern der Teufel in der Gestalt des Lagerkommandanten der Spielleiter ist. Hier werden am Ende daher auch nicht diejenigen belohnt, die die Rolle ihres Lebens, ihrer Wirklichkeit spielen, sondern die Rolle eines trügerischen, falschen Spiels, das die Wirklichkeit verdeckt. Theater ist hier nicht Repräsentation des Menschen, der über einen freien Willen verfügt, sondern erzwungenes Spiel eines Unterdrückten, dem jede Verletzung der erzwungenen Spielregeln zum Tod gereicht. Die Welt des Ghettos ist eine Welt, in der nicht Gott, sondern in der allein der Teufel das Sagen hat. Interessant ist auch das Täterprofil, das Mayorga von dem Lagerkommandanten zeichnet. Der Kommandant entspricht in keiner Weise dem Klischee des unkultivierten, barbarischen SS-Mannes, der sich sadistisch an der von ihm verursachten Gewalt und dem Leiden der Opfer weidet, er ist vielmehr die Verkörperung des freundlichen, höflichen und hoch gebildeten Schreibtischtäters, der sich an der Lektüre der europäischen Klassiker und an seinem Traum einer einheitlichen, freien Welt der Zukunft erfreut. Die schmutzige Arbeit lässt er die anderen verrichten. Während er Gottfried beauftragt, sein “ Ensemble ” weiter zu reduzieren, sitzt er an seinem Schreibtisch und liest genüsslich in seinen geliebten Klassikern. “ Die Vorstellung, dass Kultur vor Barbarei schütze, ist spätestens seit Auschwitz dahin ” , schreibt Brigitta Elisa Simbürger. 30 Schon zehn Jahre vorher bekräftigt Mayorga dies in einem kurzen Beitrag für die Zeitschrift Primer Acto wie folgt: Nach der Erfahrung des Holocaust ist es eine gefährliche Naivität, Barbarei und Kultur einander entgegenzustellen. Man kann morgens die beste Musik hören und abends foltern. Man kann angesichts eines gemalten Körpers oder einer Skulptur vor Emotion weinen und völlig gleichgültig das Leiden eines Menschen betrachten. Eine Gesellschaft von Lesern sowie Museums- und Theaterbesuchern kann den Genozid befürworten. 31 Der Kommandant stellt sich der Delegation als überzeugter Europäer und Weltbürger vor, der jeden freien Augenblick nutzt, um die Texte seiner Lieblingsautoren Shakespeare, Calderón und Corneille zu lesen, oder der über die Ethik eines Spinoza meditiert und von der allumfassenden Liebe und dem ewigen Weltfrieden träumt. Wenn ihn der bürokratische Alltag des Lagers zu ersticken droht, setzt er sich ins Auto und fährt nach Berlin, um ins Theater zugehen. Doch der Weg in eine friedliche Zukunft sei lang und dornenreich und erfordere die gewaltsame Lösung einiger Probleme, die sich der Zukunftsutopie in den Weg stellten. Dazu gehöre auch die Lösung der Judenfrage, da die Juden die Hauptschuld an der Unzulänglichkeit der heutigen Welt trügen. Ein erster Schritt zur Lösung dieses Problems sei die Zusammenfassung aller europäischen 61 Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater Juden in Lagern wie Theresienstadt. Doch rasch wird deutlich, dass dies nur die Vorstufe für eine “ Endlösung ” ist, die sich heute noch niemand vorstellen könne: “ Das unmittelbare Ziel ist es, alle Hebräer Europas hierher umzugruppieren. Aber unser Endziel ist viel höher. Unser Endziel ist es zu beweisen, dass alles möglich ist. Alles ist möglich. Alles was wir uns erträumen können, wird geschehen. Hier, in dieser Welt. Sogar das, was wir uns nicht vorzustellen gewagt hätten. ” 32 Mehr wird nicht gesagt, doch dies genügt, um in der Phantasie der Zuschauer den Horror der Gaskammern aufleben zu lassen. Besser als in vorgeführter Gewalt kommt der Horror in der kalten, objektivierten technischen Terminologie des Kommandanten zum Ausdruck, der im Transportproblem die wichtigste Hürde zu einer raschen Endlösung sieht. Doch dieses Problem hält er mittlerweile durch die Effektivität eines Transportsystems für gelöst, das die Juden rasch und zuverlässig in hervorragend durchorganisierten und mit preußischer Pünktlichkeit ablaufenden Eisenbahntransporten in speziell eingerichtete Lager verfrachtet. Dabei ist sich der Zuschauer natürlich aufgrund einiger vorangegangener Szenen bewusst, dass die Züge ihre Insassen direkt zu der berüchtigten Himmelsrampe führen. In der metadramatischen Diskussion mit Gottfried offenbart der Kommandant seinen ganzen Zynismus, wenn er seinen Gesprächspartner einerseits über die Gesetze der aristotelischen Poetik und die Regeln des Theaters belehrt, und ihn andererseits zwingt, die Liste der Schauspieler zu kürzen, und ihn zugleich wissen lässt, dass er die Absicht hat, die von der Liste Gestrichenen auf den “ Himmelweg ” zu schicken, von dem alle wissen, dass er nicht zur Krankenstation, sondern in die Gaskammern führt. Gleichzeitig betont er, dass es dabei nicht um die Umsetzung seines eigenen Willens gehe, sondern dass sie alle auserwählte Glieder eines politischen und ideologischen Systems seien, dessen Befehle sie ausführen dürften: “ Meine Wünsche? Denkst du, dass ich Wünsche habe, Gershom? Berlin hat mich ausgesucht. Genauso wie dich. Berlin hat uns ausgesucht. ” 33 Wie bereits erwähnt, gliedert sich das Stück in fünf sehr unterschiedliche Teile, die im Wesentlichen aus Monologen und metadramatischen Darstellungen bestehen. Beide Verfahren schaffen Distanz zum Geschehen, das nicht unmittelbar vorgeführt wird, sondern lediglich über den Monolog berichtet oder auf einer zweiten Ebene als “ Spiel im Spiel ” dargestellt wird. Die komplexe Zeitstruktur und die fragmentierte Aufspaltung der Geschichte zwingen den Zuschauer, aktiv an der Konstruktion einer kohärenten Gesamtgeschichte mitzuwirken. Ferner ist er dazu aufgerufen, die Diskrepanz zwischen gespielter und historischer Wirklichkeit und hinter dem Theaterspiel die “ wahre ” Wirklichkeit zu erkennen und zu imaginieren. Die erwähnten Verfahren, einschließlich der Partizipation des Zuschauers an der Sinnkonstruktion des Stückes, sind typisch für die Ästhetik des postmodernen Theaters und prägen auch das spanische Gegenwartstheater allgemein. 34 Der Autor hat die genannten Verfahren auch in seinem zweiten Stück zur Shoah verwendet; dabei hat er dem Stück aber zugleich eine andere Fokussierung gegeben. Der Kartograph - Warschau, 1: 400.000 und das Erinnerungstheater Im Zentrum von Mayorgas Theater steht häufig eine spannende Geschichte. Der Autor erzählt aber nicht eine Geschichte um ihrer selbst willen, sondern um dem Zuschauer über die dramatische Intrige eine nachdrückliche persönliche Erfahrung zu vermitteln. Mayorga bietet freilich in der Regel keine einfach konstruierten, leicht zu 62 Wilfried Floeck durchschauenden Geschichten mit einem linearen Handlungsablauf; seine Stücke bestehen vielmehr aus zeitlich versetzten Handlungssträngen und -fragmenten, die der Leser/ Zuschauer im Verlauf der Lektüre oder Aufführung zu einem sinnvollen Ganzen zusammenführen muss. In dem 2010 entstandenen Stück El cartógrafo entfaltet er in 31 kurzen Sequenzen aus unterschiedlichen zeitlichen Perspektiven und zwei ungleichen Personengruppen eine geradezu kriminalistische Intrige, die der Zuschauer erst im Verlauf des Stückes allmählich durchschaut. Ort der Handlung ist Warschau. Ein Teil der Sequenzen spielt im Warschau der Gegenwart; ihre Protagonisten sind ein spanisches Ehepaar. Der Ehemann Raúl ist ein Angestellter der spanischen Botschaft; die sensible und zu Depressionen neigende Ehefrau Blanca gerät auf einem Spaziergang durch die Stadt in eine Ausstellung über das Warschauer Ghetto aus der Zeit der deutschen Besatzung und erfährt dort von der nicht autorisierten Geschichte eines jüdischen Karthographen, der sich in einem Wohnungsverschlag versteckte, um nicht den Zug nach Auschwitz besteigen zu müssen, und der von seiner kleinen Enkelin versorgt wurde. Sein letzter und einziger Wunsch besteht darin, eine detaillierte Karte des Ghettos herzustellen, um auf diese Weise der Nachwelt das Zeugnis einer barbarischen Wirklichkeit zu hinterlassen: Warschau im Maßstab 1: 400.000, wie es im Untertitel heißt. Das Mädchen, das sich mit ihren neun bis zwölf Jahren noch relativ frei und unverdächtig in der Stadt bewegen kann, soll ihm dazu die erforderlichen Informationen beschaffen. Blanca ist von der Geschichte des Ghettos so gepackt, dass sie fortan ihre ganze Zeit der Erkundung des Ghettos und vor allem der Aufklärung der Legende des Kartographen und seiner Enkelin widmet. Der zweite Hauptteil der Sequenzen spielt im Ghetto in den Jahren 1940 bis 1943 und zeigt Szenen aus dem Leben eines alten Karthographen, der in einem Versteck eine Karte des Ghettos zu skizzieren versucht, wobei ihm seine kleine Enkelin die notwendigen Informationen verschafft. Dass diese Szenen das Geheimnis der Legende, auf die Blanca in der Gegenwart stößt, lösen könnten, wird dem Zuschauer erst ganz allmählich im Verlauf des Stückes bewusst; aber das Geheimnis wird nicht gänzlich gelüftet; es bleibt bis zum Schluss unklar, ob die beiden jüdischen Protagonisten wirklich existiert haben, was aus ihnen und vor allem was aus der geheimnisvollen Ghettokarte geworden ist. Zu den 31 Sequenzen hinzu kommen acht Standbilder, in denen zunächst der Alte und das Mädchen und schließlich die beiden jeweils allein oder gemeinsam mit Blanca bzw. mit Blanca und Raúl in eingefrorenen Posen zu sehen sind. In diesen Bildern mit einer höchst poetischen Ausstrahlung werden Vergangenheit und Gegenwart und werden die Protagonisten beider Zeitebenen von Anfang an eng miteinander verknüpft. Am Ende ihrer intensiven Erkundungen gelingt es Blanca, die jüdische Karthographin Deborah ausfindig zu machen, die einzige ihres Fachs, die das Ghetto überlebt hat. Sie erzählt ihr ihre Lebensgeschichte, die mit derjenigen des kleinen Mädchens aus den Szenen der vierziger Jahre übereinstimmt, bestreitet aber energisch, mit der Kleinen identisch zu sein, deren Geschichte sie in das Reich der Legende verweist. Doch die Hinweise auf die Identität der beiden Figuren sind so eindeutig, dass der Zuschauer ihr kaum Glauben schenken dürfte. Hauptthema des Dramas ist die Erinnerung an eine Zeit, deren Spuren nach der Niederschlagung des Ghettoaufstandes 1943 so stark verwischt wurden, dass sie in der Gegenwart nur noch mühsam rekonstruiert werden können. Die Erinnerung erfolgt aus einer doppelten Perspektive: aus der Zeitzeugenschaft zweier Betroffener sowie aus der Gegenwart einer Generation, die die Zeit des Nationalsozialismus selbst nicht erlebt 63 Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater hat. Einziges Ziel des Alten und seiner kleinen Enkelin ist es, eine Landkarte des Ghettos und seiner unmenschlichen Zustände zu erstellen, um auf diese Weise der Nachwelt die Wirklichkeit dieser Zeit zu vermitteln und ihr die Erinnerung an die Vergangenheit zu ermöglichen. Der Kleinen gelingt es, eine Kopie der fast fertigen Karte durch die geheimen Wege der Kanalisation in den freien Teil der Stadt zu bringen und in sichere Verwahrung zu geben. Als die Situation nach dem Aufstand immer bedrohlicher wird, bitte der Alte das Mädchen, sich selbst über die geheimen Fluchtwege zu retten, nicht zuletzt auch deshalb, um der Nachwelt gegenüber Zeugnis ablegen zu können: “ Wenn es dir gelingt, dich zu retten, musst du der Welt erzählen, was du gesehen hast. ” 35 Doch die Kleine lehnt jede Flucht ab; sie ist wie besessen, die unmenschliche Wirklichkeit zu erkunden und dem Großvater zu übermitteln, damit er alle Details in seine Karte aufnehmen kann. Die gleiche Besessenheit wie das Mädchen treibt auch Blanca, die Protagonistin der Gegenwart, an. Ihr ganzes Lebensziel scheint darin zu bestehen, die Erinnerung an die Zeit des Ghettos, an dessen Schauplatz sie selbst im modernen Warschau - zunächst ohne es zu wissen - eine Wohnung bezogen hat, wiederzubeleben und wach zu halten. In Raúl und Blanca hat Mayorga die beiden Reaktionsmöglichkeiten angesichts einer traumatischen Vergangenheit verkörpert: hier Vergessen und Verdrängen, dort Erinnern und Zeugnis ablegen. Es sind die Reaktionen, die der Autor in seinem eigenen Land angesichts der Erfahrung des Bürgerkrieges erlebt hat: Erinnerungsverbot unter Franco, der “ Pakt des Schweigens ” in den Jahren des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie sowie die ersten Bemühungen um die Vergangenheitsbewältigung seit den späten 1980er Jahren, die er seit den späten 1990er Jahren mit seinen eigenen Stücken zum Bürgerkrieg nachhaltig unterstützt hat. Raúl versucht alles, um seine Frau von ihrem Vorhaben abzubringen: “ Das einzig Wichtige ist, nichts zu tun, was belästigen könnte. Wir sind weder Polen, noch Juden, noch Deutsche. Welche Stadt hat nicht ihre Wunden, ihre Schattenseiten? ” 36 Raúl ist der Vertreter jenes “ pacto de silencio ” , den manche Spanier noch heute gegenüber ihrer eigenen Vergangenheit vertreten. Blanca dagegen kämpft entschlossen für die Aufdeckung der vergangenen Unmenschlichkeit und die Bewahrung der Erinnerung an diese Zeit, damit sie sich in der Gegenwart oder Zukunft nicht wiederhole. Es ist bezeichnend, dass auch hier wieder zwei Frauen die Vertreter jener Rebellen sind, die gegen die Unmenschlichkeit und ihre Verdrängung ankämpfen: ein kleines Mädchen - wie in Himmelweg - und eine hoch sensible junge Frau. El cartógrafo ist ein Modellfall jenes “ teatro de la memoria ” , für das José Sanchis Sinisterra seit seinem ersten Bürgerkriegsstück ¡Ay, Carmela! unermüdlich kämpft und das Mayorga ebenso hartnäckig vertritt und zugleich auf nichtspanische Themen und Zeiten ausdehnt. Mayorgas Imperativ “ Vergessen verboten! ” könnte auch als Motto über dem Stück El cartógrafo stehen. Auch in diesem Stück wird der Horror des Ghettos nicht auf der Bühne vorgeführt. Auch hier gilt Mayorgas Diktum von der “ invisibilidad del horror ” . Allerdings wird die Ghettowirklichkeit in El cartógrafo intensiv aus der Perspektive der Augenzeugen beschrieben. Nach ihren Streifzügen durch die Straßen berichtet die Kleine dem Großvater ausführlich von den Zuständen im Ghetto, von der Gewalt der Besatzer genauso wie von dem nicht minder gewalttätigen Lebenskampf der Opfer: Zwei kämpfen um ein Päckchen. Ein Junge stiehlt einer Frau ein Brot, die Leute verfolgen ihn, doch er steckt es sich in den Mund, bevor sie ihn ergreifen. Mancherorts gibt es keinen Strom, mancherorts kein Wasser. Es fehlt Wasser, um die brennenden Häuser zu 64 Wilfried Floeck löschen. Seit Wochen schon kommt keine Kohle mehr an; die Leute versuchen ein Zimmer zu heizen, in dem sie alle zusammen schlafen. Die Ärzte haben nichts, um die Schmerzen der Kranken zu lindern. In der Schule gibt es keine Kreide. [. . .]. Von hier kommen morgens diejenigen, die die Toten auf den Gehsteigen einsammeln. Es treffen weiter Menschen ein. Im ganzen Ghetto Gerüchte. Man kann sie nicht glauben. Ein Mann, dem die Flucht aus Lodz gelang, erzählt, dass dort . . . 37 Doch der Großvater unterbricht sie. Er will keine Gerüchte, sondern Tatsachen hören; und die Kleine erzählt vom Hunger, von der Ohnmacht der Bewohner, von den Verhaftungen und vor allem von den Deportationen, die vom Umschlagplatz ausgehen und nach Auschwitz führen. Sie erzählt vom Aufstand des Lagers und ihrer Angst vor der bevorstehenden Repression der Nazis. Dabei ist ihr Berichtsstil knapp, sachlich und nüchtern, geradezu emotionslos und distanziert, was den Horror beim Zuschauer nicht über die Sinne, sondern über den Intellekt und durch die Reflexion über den Inhalt der Mitteilung hervorruft. Besonders eindrücklich erscheint der Horror in einzelnen Standbildern, in denen Großvater und Enkelin atemlos und starr vor Schreck auf dem Boden ihres Verstecks liegen und dem bedrohlichen Geräuschen der nahen Razzien oder dem durchdringenden Pfeifen der Lokomotive lauschen. Solche Szenen sprechen auch die Sinne des Zuschauers an und zwingen ihn zugleich, sich die Wirklichkeit des Horrors mit Hilfe seiner Einbildungskraft vorzustellen. Wir hatten zu Beginn von dem jüngsten Phänomen der Universalisierung der Horrorerfahrung der Shoah gesprochen. Diese besteht nicht nur darin, dass die Erinnerung an die Schrecken der Shoah in internationalem Rahmen literarisch oder kinematographisch gestaltet wird, sondern dass sie auch auf andere Erfahrungen politischer Gewalt ausgedehnt wird. Dies ist auch in El cartógrafo deutlich zu erkennen, und zwar vor allem über die Gestalt Deborahs, die wohl mit der Kleinen aus dem Ghetto identisch ist. Mayorga hat noch weitere Zeitebenen in sein Stück eingeführt. Drei Sequenzen zeigen Deborah als Kartographin in der Zeit nach der Befreiung des Ghettos. Ende der 1960er Jahre (Sequenz 27) stellt sie Karten für ein staatliches Institut her. Doch sie will kündigen, da sie nicht länger ertragen kann, dass ihre Karten von der Staatssicherheit umgeschrieben werden, um mit ihrer Hilfe ausländische Staatsfeinde zu täuschen. Ihr Chef macht ihr unmissverständlich klar, dass eine Kündigung unangenehme Folgen für sie und ihre Familie hätte. Deborah ist vom Regen in die Traufe geraten. Die Zustände unter dem Kommunismus sind kaum besser als unter den Nazis. Sequenz 30 zeigt sie Anfang der 1980er Jahre. Sie wird von der Staatssicherheit verhört, die sie verdächtigt, dass sie Karten für die ausländischen Staatsfeinde zeichnet, was sie bestreitet. Mitte der 1990er Jahre (Sequenz 34) stellt sie bei der Ausländerbehörde ein Gesuch, nach Sarajevo reisen zu dürfen, um dort Informationen zu sammeln, die es ihr ermöglichen würden, eine Karte vom unterirdischen Kanalsystem der Stadt zu zeichnen, um den Bewohnern Fluchtwege aus der vom Bürgerkrieg heimgesuchten Stadt zu ermöglichen. Ihr Gesuch wird mit Hinweis auf ihr fortgeschrittenes Alter abgelehnt. In ihrer Begegnung mit Blanca, die in der Gegenwart stattfindet, erfährt der Zuschauer, dass sie unter der kommunistischen Herrschaft mehrere Jahre im Gefängnis saß. Er erfährt ferner, dass sie Landkarten und Pläne zum Exil spanischer Republikaner, zu Treblinka und Sarajevo oder europäische Landkarten zeichnete, die den nordafrikanischen Emigranten Wege zur Einreise aufzeigten: Deborah: Dies ist das Lager von Treblinka, Maßstab 1: 1000. Fietkau-Route: mit diesem Plan in der Hand gelang 65 Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater es einigen, rechtzeitig die Pyrenäen zu überschreiten. Es gibt Pläne, die töten, und Pläne, die retten. Sehen Sie sich diese beiden an. Blanca: Sarajevo. Und Sarajevo! Deborah: Dies ist der Plan der Heckenschützen. Glücklicherweise zeichnete jemand anders diesen anderen: die unterirdische Stadt. Blanca: Zwei Kartographen: ein Teufel und ein Engel . . . Und dieser? Deborah: Europäische Landkarte für Afrikaner. Seit ich im Ruhestand bin, zeichne ich nur noch nützliche Karten. Wie in ein Land kommen, wo man Hilfe erhält . . . Karten für Menschen auf der Flucht. Ich betrachte die Welt aus der Perspektive des Ghettos. 38 Die Botschaft ist klar: Horror und Ghetto sind allgegenwärtig, heute wie gestern, in Europa wie in Afrika. Der Kampf gegen Gewalt und um Erinnerung geht weiter. Mit seiner geradezu kriminalistischen Inszenierung der dramatischen Intrige, mit der Fragmentierung der Handlung, mit einer komplexen Zeitstruktur, mit den poetischen, stets unmittelbar auf die Handlung bezogenen Standbildern, mit seiner komplexen Figurenzeichnung und den metahistoriographischen Reflexionen über die Möglichkeit einer (Re-)konstruktion der Vergangenheit ist Juan Mayorga ein eindrückliches Drama gegen das Vergessen und Verdrängen und für das Hinsehen und Erinnern gelungen, das von der Shoah ausgeht und bei den Horrorszenarien der Gegenwart landet. Theater zwischen Postmoderne und Engagement Die Analyse der beiden Stücke Mayorgas hat gezeigt, dass seine entschiedene Rückkehr zu einem Texttheater sowie zu einer nacherzählbaren Geschichte keineswegs eine Rückkehr zum konventionellen realistischen Theater der 1950er und 1960er Jahre bedeutet. Das postfranquistische Theater eines Mayorga - und darin ist es durchaus repräsentativ für das spanische Gegenwartstheater 39 - arbeitet mit Techniken, die eher für die Ästhetik der Postmoderne charakteristisch sind. Mit seiner offenen Struktur, seiner Ablehnung jeglicher simplistischer Schwarz-Weiß-Malerei und seiner Aufforderung an die Zuschauer, an der Sinnkonstruktion mitzuwirken, steht es auch in deutlicher Nähe zu einer postmodernen Mentalität, der allzu sichere Wahrheiten und Überzeugungen abhanden gekommen sind. Allerdings vertrat das spanische Theater nie einen radikalen Postmodernismus, wie er in einigen Ländern des Westens ausgeprägt war, in dem epistemologischer Relativismus, die Haltung des “ any thing goes ” sowie ästhetizistische Spielerei und literarische Selbstreferenz dominierten. Dem spanischen Theater der Postmoderne war ein ethischer Anspruch stets inhärent. 40 Unter dem Eindruck neuerlicher Kriege und terroristischer Katastrophen kann man nicht nur in der spanischen Literatur der beiden vergangenen Jahrzehnte eine verstärkte Rückkehr zu ethischem und politischem Engagement beobachten. Der “ ethical return ” wird in den Kulturwissenschaften allenthalben registriert. 41 Dies gilt auch für das spanische Gegenwartstheater und in besonderer Weise für Juan Mayorga. Der Autor betont immer wieder, dass das Theater für ihn schon aufgrund seiner Aufführungssituation politisch ist. In einem persönlichen Manifest, das er zum Welttheatertag am 27. März 2003 unter dem Titel “ El teatro es un arte político ” veröffentlich hat, schreibt er: Das Theater ist eine politische Kunst. Theater geschieht vor einer Versammlung. Das Theater versammelt die Polis und tritt in einen Dialog mit ihr ein. Allein in der Begegnung von Schauspielern und Stadt, und nur dann 66 Wilfried Floeck findet Theater statt. Es ist nicht möglich, Theater zu machen, ohne Politik zu machen. 42 Allerdings ist politisches Engagement für Mayorga nicht gleichbedeutend mit der Verkündung einer politischen Botschaft oder mit der selbstgewissen Überzeugung, eine Lösung für die großen Probleme dieser Welt zu besitzen. Das Theater Mayorgas ist ein Theater der Fragen, nicht der sicheren Antworten und einfachen Lösungen. Er will dem Zuschauer mit seinem Theater eine Erfahrung vermitteln, mit der er sich selbst aktiv auseinandersetzen soll. Zudem spricht Mayorga lieber von Verantwortung als von Engagement. 43 In der Tat sieht er sich als Dramatiker in der Verantwortung, vor der Polis die drängenden Fragen der Gegenwart zu verhandeln. Die Probleme der Gegenwart haben nur allzu oft ihren Ursprung in der Vergangenheit. Daher sieht er sich auch in der Pflicht, die Erinnerung an die traumatischen Ereignisse vor allem der jüngsten Vergangenheit in seinem Theater wach zu halten. Politisches Theater und Erinnerungstheater sind für ihn nicht zu trennen. So heißt es konsequent in seinem Manifest weiter: Wir werden nicht schweigen, weil wir über die Erinnerung verfügen. Das Theater ist eine Kunst der Erinnerung. [. . .]. Wir werden nicht schweigen. Heute weniger als je zuvor werden wir schweigen. Nein. 44 Zur Rezeption von Mayorgas Theater in Deutschland Juan Mayorga ist in Spanien wohl der erfolgreichste Dramatiker der jüngeren Generation. Neben Sergi Belbel ist er der einzige, der sich auch international allmählich durchzusetzen beginnt. Ein Großteil seiner Stücke ist ins Englische, Französische, Italienische, Portugiesische und Griechische übersetzt, einige wenige liegen in rumänischer, russischer, bulgarischer, kroatischer, arabischer, dänischer und norwegischer Übertragung vor. Himmelweg wurde 2005 im Londoner Royal Court Theatre in der Regie von Ramin Gray, 2006 in Irland, 2007 im Teatro San Martín von Buenos Aires in der Regie von Jorge Eines, im Théâtre de la Tempête in Paris in der Regie von Jorge Lavelli und in Oslo, 2009 in New York und Kopenhagen sowie 2010 in Montevideo und Sidney aufgeführt. In Deutschland sind lediglich Darwins Schildkröte (La tortuga de Darwin) und Der Junge in der Tür (El chico de la ultima fila) von Stefanie Gerhold sowie Himmelweg von Herbert Fritz übersetzt. 45 Keines der Stücke erlebte bislang eine deutsche Erstaufführung. 46 Dieser Befund deckt sich mit der Situation des spanischen Gegenwartstheaters in Deutschland, um die es äußerst schlecht bestellt ist. Mit der großen Ausnahme von García Lorca wird kaum ein Autor des 20. Jahrhunderts auf deutschsprachigen Bühnen aufgeführt. Von den lebenden Dramatikern wird allein Sergi Belbel relativ regelmäßig gespielt. Ganz vereinzelt kann man das ein oder andere Stück von José Sanchis Sinisterra, Josep Maria Benet i Jornet, Javier Tomeo oder Jordi Galcerán sehen. Es scheint, als müsse man spektakuläres Bild- und Musiktheater im Stil von katalanischen Gruppen wie Els Comediants und La Fura des Baus oder provozierendes Bild- und Regietheater im Stil von Rodrigo García und Angélica Liddell bieten, um wenigstens auf Theaterfestivals präsent zu sein. Von den Regisseuren hat sich allein Calixto Bieito mit seinen provokanten Inszenierungen durchgesetzt. Doch in seiner jüngsten Inszenierung eines Spaniers in Mannheim ist auch ihm wieder einmal nur García Lorca eingefallen - und das noch in einer höchst konventionellen Aufführung. Als ob Spanien nicht mehr als Bernarda Albas Haus zu bieten hätte! Im Gegensatz zum Roman konnte sich das spanische Theater in Deutschland in der Tat nicht etablieren. Die Ursachen hierfür 67 Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater dürften vielfältiger Natur sein. 47 Die Kritik hat dies lange Zeit mit der allgemeinen politischen und kulturellen Isolierung Spaniens in Europa in Zusammenhang gebracht. Doch ist dieses Argument zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr gültig. Spanien unterscheidet sich heute nur noch wenig von Mitteleuropa. Wichtiger für die geringe Akzeptanz des spanischen Theaters scheint mir zu sein, dass die deutsche Bühne in Bezug auf das ausländische Theater in den letzten Jahrzehnten vor allem von einer angelsächsischen Tradition geprägt ist. Diese Situation hat natürlich auch etwas mit den Sprachbarrieren zu tun. In der deutschen Theaterlandschaft spricht und versteht man im Allgemeinen kein Spanisch. Dies gilt auch für die Theateragenturen als die zentralen Vermittler zwischen den Autoren und den Theatern und die verantwortlichen Auftraggeber für deutsche Übersetzungen. Diese Situation ist unbefriedigend, zumal innerhalb einer Europäischen Union, die sich die Überwindung politischer, kultureller und sprachlicher Barrieren auf ihre Fahnen geschrieben hat. Hier bleibt den Kulturvermittlern auf beiden Seiten der Pyrenäen noch viel zu tun. In Deutschland müsste es vor allem die Aufgabe von Theateragenten, Verlegern, Übersetzern, Hispanisten sowie Intendanten und Dramaturgen sein, die Hürden abzubauen und auch dem spanischen Gegenwartstheater mehr Gehör auf deutschen Bühnen zu verschaffen. Gute Autoren und Texte sind zur Genüge vorhanden. Juan Mayorgas Dramen zur Shoah hätten eine deutsche Aufführung mehr als verdient. Bibliographie Adler, Hans Günther (²1960). Theresienstadt 1941 - 1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Tübingen. Agamben, Giorgio (2007). Was von Auschwitz bleibt: Das Archiv und der Zeuge. Frankfurt am Main. Bachmann-Medick, Doris (²2007). Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kuturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg. 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Madrid, 2010; Gómez López-Quiñones/ Zepp 2010. 6 Zwar schrieb bereits Max Aub 1942/ 43 im mexikanischen Exil mit San Juan ein Stück über das Schicksal der Juden unter dem Nationalsozialismus, allerdings erfolgte dies noch ohne jede Kenntnis der Politik der Judenvernichtung in den Konzentrationslagern, wie der Autor später selbst betonte (vgl. Zepp, in: Gómez López-Quiñones/ Zepp 2010, 173). Für die Erinnerungskultur Spaniens ist bezeichnend, dass das Stück erst 1998 seine Premiere in Spanien erlebte. Am 3. März 2011 wurde im Madrider Teatro Español im Rahmen eines Triptychons über das Thema der Heiligkeit mit dem Titel Santo ein Stück von Ernesto Caballero mit dem Titel Oratorio para Edith Stein aufgeführt. Protagonistin des Dramas ist die zum Katholizismus konvertierte Jüdin Edith Stein kurz vor ihrer Ermordung in Auschwitz. Im Zentrum stehen vor allem ihre fiktiven Dialoge mit einem intellektuellen, agnostischen Nazi-Offizier, der im Gespräch mit dem Häftling Nr. 44075 sich vergeblich Themen wie Glaube, ewiges Leben oder Wahrheit zu nähern versucht. Das Thema des Holocaust spielt dabei nur sehr am Rande eine Rolle. Die beiden anderen Dramen von Ignacio del Moral und Ignacio García May haben mit der Holocaustthematik gar nichts zu tun. 7 Gabriele, John P. “ Juan Mayorga: una voz del teatro español actual. ” Estreno, 26.2 (2000), 9. 8 Gutiérrez Carbajo, Franciso. “ El animal no humano en algunas obras teatrales actuales. ” Anales de la Literatura Española Contemporánea. 34.2 (2009), 453 - 478. 9 Stehlik, Eva Maria. Thematisierung und Ästhetisierung von Gewalt im spanischen Gegenwartstheater. Hildesheim, 2011. 10 Als Beleg sei nur eine Stelle aus einem Interview mit John P. Gabriele zitiert: “ Ich glaube, dass es ein Thema gibt, das mein Werk beherrscht. Es handelt sich um die Analyse der Gewalt. Die Gewalt ist ein Thema, das mich sehr beschäftigt und das in irgendeiner Weise alle meine Texte durchzieht. Dabei verstehe ich unter Gewalt die Herrschaft eines Menschen über den anderen oder einer Wirklichkeit über ein menschliches Wesen, gleich ob Mann oder Frau. [. . .]. Die Gewalt ist das große Übel. Gewalt ist der Versuch, einen anderen zu vernichten, aber nicht durch den physischen Tod, sondern durch etwas, was viel perverser ist: der moralische Tod, die Erniedrigung, die moralische Vernichtung eines menschlichen Wesens ” (Gabriele, John P. “ Entrevista con Juan Mayorga. ” Anales de la Literatura Española Contemporánea, 25.3 (2000), 1097.) Soweit nichts anderes vermerkt ist, stammt die deutsche Übersetzung jeweils von mir. 11 Mayorga, Juan. La tortuga de Darwin. Ciudad Real, 2008. Zit. wird nach der deutschen Übersetzung von Stefanie Gerhold, Darwins Schildkröte. Berlin, 2008 (Bühnenmanuskript), 20. 12 Mayorga, Juan. “ El dramaturgo como historiador. ” Primer Acto, 280 (1999), 8. 13 Das Stück wurde zwar erst 2002 uraufgeführt und 2003 veröffentlicht, der Autor hatte es am zum Teil bereits 1979/ 80 verfasst. 14 Mayorga, Juan. “ Sanchis y la memoria común. ” Las Puertas del Drama. Revista de la Asociación de Autores de Teatro. 20 (2004), 36. 15 Zur spanischen Vergangenheitsbewältigung und zum Erinnerungstheater sowie der zu diesem Themenkomplex mittlerweile reichhaltigen Literatur vgl. Floeck, Wilfried. “ Del drama histórico al teatro de la memoria. Lucha contra el olvido y búsqueda de identidad en el teatro español reciente. ” Tendencias escénicas al inicio del siglo XXI. Ed. José Romera Castillo. Madrid, 2006, 185 - 209, und Floeck, Wilfried und García Martínez, Ana. “ Memoria y olvido entre bastidores: Guerra Civil y franquismo en el teatro español después de 1975. ” Escribir después de la dictadura. La producción literaria y cultural en las posdictaduras de Europa e Hispanoamérica. Ed. Janett Reinstädler. Frankfurt am Main/ Madrid, 2011, 97 - 119. 16 Zu der Diskussion um die Möglichkeit einer literarischen Repräsentation der Shoah vgl. etwa Simbürger, Brigitta Elisa. Faktizität und 70 Wilfried Floeck Fiktionalität: Autobiografische Schriften zur Shoah. Berlin, 2009, 29ff und 37 ff. 17 Mayorga, Juan. “ La representación teatral del Holocausto. ” Raíces, 73 (2007), 27 - 30. 18 Mayorga 2008, 41. 19 “ La manipulación sentimental del sufrimiento, la exhibición obscena de la violencia, la explotación del siniestro ‘ glamour ’ del Lager. . . ” (Mayorga 2007, 30). 20 Levi, Primo. Die Untergegangenen und die Geretteten. München, 1990, 33 - 68. Ferner: Agamben, Giorgio. Was von Auschwitz bleibt: Das Archiv und der Zeuge. Frankfurt am Main, 2007, 18 ff. 21 Vgl. die monumentale Arbeit von Adler, Hans Günther. Theresienstadt 1941 - 1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Tübingen, ²1960; ferner Jäckel, Eberhard; Longerich, Peter and Schoeps, Julius H. (Eds.). Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. 3 Bde. Berlin, 1993, III, 1403 - 1407; Benz, Wolfgang. Der Holocaust. München, 1995, 81 - 92. 22 Zu dem Besuch dieser Delegation vgl. Adler 1960: 150 - 184. 23 Der Text des Interviews wurde mir freundlicherweise vom Autor zur Verfügung gestellt. 24 In der historischen Wirklichkeit war Theresienstadt kein Vernichtungslager. Von hier gingen die Transporte vielmehr in die Gaskammern von Auschwitz. Mayorga hat in seinem Stück Theresienstadt und Auschwitz miteinander verbunden. 25 Ich zitiere das Stück nach der deutschen Übersetzung von Herbert Fritz. Da diese nicht publiziert ist, gebe ich in den Klammern jeweils die Seitenzahl der spanischen Ausgabe in der Zeitschrift Primer Acto (2004) an. 26 Levi 1990, 34. 27 Levi 1990, 34. 28 Mayorga 2004, 54. 29 Henríquez, José. “ Entrevista con Juan Mayorga: El autor debe escribir textos para los que todavía no hay autores. ” Primer Acto, 305 (2004), 20 - 24. 30 Simbürger, Brigitta Elisa. Faktizität und Fiktionalität: Autobiografische Schriften zur Shoah. Berlin, 2009, 20. 31 Mayorga, Juan. “ Cultura global y barbarie global. ” Primer Acto, 280 (1999), 61. 32 Mayorga 2004, 43. 33 Mayorga 2004, 52. 34 Allgemein: Floeck, Wilfried. “ Das spanische Theater am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert. ” Spanien heute. Ed. Walther L. Bernecker. Frankfurt am Main, 2008, 454 ff. 35 Mayorga, Juan. “ El cartógrafo - Varsovia 1: 400.000. ” Sucasas/ Zamora 2010, 384. 36 Mayorga 2010, 358. 37 Mayorga 2010, 366. 38 Mayorga 2010, 388 f. 39 Floeck 2008. 40 Floeck, Wilfried. “ ¿Entre postmodernidad y compromiso social? El teatro español a finales del siglo XX. “ Teatro y Sociedad en la España actual. Eds. Wilfried Floeck und Ma. Francisca Vilches de Frutos. Madrid/ Frankfurt am Main, 2004, 189 - 207. 41 Vgl. jüngst: Bachmann-Medick, Doris. Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kuturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg, ²2007, 381; Pewny, Katharina. Das Drama des Prekären. Über die Wiederkehr der Ethik in Theater und Performance. Bielefeld, 2011, 7 - 22; Waldow, Stephanie (Ed.). Ethik im Gespräch. Autorinnen und Autoren über das Verhältnis von Literatur und Ethik heute. Bielefeld, 2011, 7 - 19. 42 Zit. nach Paco, Mariano de. “ Juan Mayorga: Teatro, historia y compromiso. ” Monteagudo, 11 (2006), 59. 43 Paco 2006, 57. 44 Paco 2006, 60. 45 Darwins Schildkröte liegt als Bühnenmanuskript im Berliner Pegasus Theater- und Medienverlag, Der Junge in der Tür bei Hartmann und Stauffacher in Köln vor. Himmelweg wurde von Herbert Fritz gemeinsam mit einer Studentengruppe im Rahmen eines Seminars an der Universität Gießen übersetzt und liegt als Manuskript beim Übersetzer vor. 46 Das Staatstheater Wiesbaden kündigt für November 2014 die deutschsprachige Erstaufführung von Der Junge in der Tür an. 47 Floeck, Wilfried. “ Die Rezeption des spanischen Theaters des 20. Jahrhunderts im 71 Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater deutschsprachigen Raum. ” “ Die ganze Welt ist Bühne. ” “ Todo el mundo es teatro. ” Festschr. für Klaus Pörtl zum 65. Geburtstag. Eds. Matthias Perl/ Wolfgang Pöckl. Frankfurt am Main, 2003, 245 - 266. 72 Wilfried Floeck