Forum Modernes Theater
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2011
261-2
BalmeJanusz Głowackis Antigone in New York international
0601
2011
Brigitte Schultze
Beata Weinhagen
AmBeispiel von JanuszGłowackis ‘problemdichter’, international erfolgreicher zweiaktiger Tragikomödie Antygona w Nowym Jorku (Antigone in New York; 1992) werden hier – wahrscheinlich exemplarisch für weitere länderübergreifend angenommene neuere Dramen – Vorgänge der Selektion wie auch der Ersetzung undHervorhebung von Sinnangeboten ermittelt. Es geht vor allem um geänderte Bedeutungsbildung in einer Reihe von Textvorlagen (Übersetzungen, Bearbeitungen), daneben auch um spezifische Akzentsetzungen in Inszenierungsvorhaben mehrerer Länder. Es zeigt sich, dass zur Attraktivität dieser Antigone mit ihren teilweise unterschätzten Bezügen zur Tragödie des Sophokles, ihren Kontaktstellen zu Becketts En attendant Godot und weiteren Dramen derGegenwart, gleichermaßenAussagen zur existentiellen Situation des Menschen und Erkundungen aktueller, ggf. brennender Probleme sowie Spannung und Wechsel zwischen Komik und tiefem Ernst bis zur Tragödie gehören. An polnischen, englischen, deutschen und französischen Übersetzungen und Spielvorlagen wird gezeigt, dass Głowackis Stück ein Fall von work in progress ist: Für eine immer neue Mischung aus einerseits gleichbleibendem, andererseits gewandelten Deutungsangebot sorgen neben Besonderheiten der einzelnen Länder und Theaterkulturen vor allem Veränderungen in der Lebenswelt sowie erfahrener, kompetenter Umgang mit dem Medium Theater.
fmth261-20207
Janusz G ł owackis Antigone in New York international: Selektion, Substitution und Exponierung von Sinnangebot Brigitte Schultze (Mainz/ Göttingen) - Beata Weinhagen (Göttingen) Am Beispiel von Janusz G ł owackis ‘ problemdichter ’ , international erfolgreicher zweiaktiger Tragikomödie Antygona w Nowym Jorku (Antigone in New York; 1992) werden hier - wahrscheinlich exemplarisch für weitere länderübergreifend angenommene neuere Dramen - Vorgänge der Selektion wie auch der Ersetzung und Hervorhebung von Sinnangeboten ermittelt. Es geht vor allem um geänderte Bedeutungsbildung in einer Reihe von Textvorlagen (Übersetzungen, Bearbeitungen), daneben auch um spezifische Akzentsetzungen in Inszenierungsvorhaben mehrerer Länder. Es zeigt sich, dass zur Attraktivität dieser Antigone mit ihren teilweise unterschätzten Bezügen zur Tragödie des Sophokles, ihren Kontaktstellen zu Becketts En attendant Godot und weiteren Dramen der Gegenwart, gleichermaßen Aussagen zur existentiellen Situation des Menschen und Erkundungen aktueller, ggf. brennender Probleme sowie Spannung und Wechsel zwischen Komik und tiefem Ernst bis zur Tragödie gehören. An polnischen, englischen, deutschen und französischen Übersetzungen und Spielvorlagen wird gezeigt, dass G ł owackis Stück ein Fall von work in progress ist: Für eine immer neue Mischung aus einerseits gleichbleibendem, andererseits gewandelten Deutungsangebot sorgen neben Besonderheiten der einzelnen Länder und Theaterkulturen vor allem Veränderungen in der Lebenswelt sowie erfahrener, kompetenter Umgang mit dem Medium Theater. 1. Facetten einer Erfolgsgeschichte Diese Untersuchung versteht sich als Beitrag zur vergleichenden Analyse von Drama und Theater. 1 Auf zwei vorangehende Forschungen gestützt, 2 bringt sie Licht in ein wenig bekanntes Kapitel länderübergreifender Theatergeschichte zwischen 1992 und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Hier sind zusätzliche Quellen in der Art von Übersetzungen und Bearbeitungen, Aufsatzliteratur und Rezensionen erschlossen. Die Erfolgsgeschichte beginnt mit der - allem Anschein nach - nirgends wirklich transparent dargestellten Genese dieser neuen Modellierung der Antigone im Jahre 1992: In einer Reihe von Quellen findet sich der Hinweis, die Antigone sei G ł owackis erstes Stück in englischer Sprache gewesen. Der Autor habe “ zugegeben ” , zu diesem Zeitpunkt das Englische noch so wenig beherrscht zu haben, dass er das Manuskript gemeinsam mit Joan Torres “ Satz für Satz verbessert ” habe. 3 Diese englische Urfassung von 1992 scheint nicht zugänglich zu sein. Sie ist zumindest als gedruckte Quelle nicht nachgewiesen. Die polnische Erstfassung lag im Oktober ’ 92 in der Zeitschrift Dialog vor. 4 In manchen Übersetzungen, etwa der deutschen, lässt sich ein englischer Paralleltext zu dem polnischen ahnen, doch fehlen entsprechende Nachweise. Angesichts der Nichterreichbarkeit einer als kanonisch ausgewiesenen ersten englischen Stückfassung - G ł owacki selbst hat sich, wie zu zeigen ist, an der Herstellung weiterer Versionen seiner Antigone beteiligt - wird der Anfang dieses Kapitels der neueren Theatergeschichte ganz unterschiedlich wahrgenommen. Diejeni- Forum Modernes Theater, 26 (2011 [2014]), 207 - 222. Gunter Narr Verlag Tübingen gen, denen das Polnische zugänglich ist, beziehen sich vor allem auf die Druckfassung des Jahres 1992; diejenigen, die mit dem Englischen vertraut sind, nennen die amerikanische Uraufführung der Arena Stage in Washington (im Frühjahr 1993) als Initialmoment. 5 Die gleichsam kanonisch gewordene englischsprachige Stückfassung stammt sogar erst aus dem Jahr 1997. Es geht um eine Bühnenbearbeitung, die von dem Autor Janusz G ł owacki und der Übersetzerin Joan Torres gemeinsam erstellt wurde. 6 Zum Profil der Text- und Aufführungsgeschichte gehört denn auch, dass Angaben zum Ausgangstext, d. h. einer englischsprachigen oder aber einer polnischen Vorlage, entweder völlig fehlen oder höchst ungenau sind. Somit sind in vielen Fällen sorgfältige vergleichende Textanalysen der einzige Weg, die eklektische (aus mehreren Quellen gewonnene) Entstehung einer Spielvorlage zu ermitteln. 7 Die Erfolgsgeschichte des Zweiakters Antigone in New York beginnt deutlich greifbar im Februar/ März des Jahres 1993: mit der polnischen Uraufführung im Warschauer Teatr Ateneum (13.2.) und etwa 14 Tage später mit der englischen Premiere an der Washingtoner Arena Stage - der Bühne, die das Stück bei G ł owacki bestellt hatte. 8 Beide Aufführungen, auf die vorab mit Nachdruck hingewiesen worden war, 9 fanden umgehend lebhaftes Echo in der Presse. Neben positiv lautenden Besprechungen der Inszenierungen selbst gab es klassifizierende Urteile für das neue Stück. Time Magazine sah hier “ eines der besten zehn Stücke des Jahres 1993 ” . 10 In einer Reihe von Ländern wurden Inszenierungen mit besonderem Lob bedacht, auch preisgekrönt. Eine französische Inszenierung des Jahres 1997 wurde in Paris zum “ besten Schauspiel der kleinen Bühnen ” gekürt. 11 Bereits in den 1990er Jahren folgten Übersetzungen in eine Reihe europäischer Sprachen rasch aufeinander. Der oft wiederholte Hinweis auf “ mehr als zwanzig Sprachen ” 12 dürfte dabei längst überholt sein. Das lassen Einstudierungen des Stücks in beiden Amerikas und in vielen Ländern Europas, 13 sogar in Asien, 14 annehmen. Zur Erfolgsgeschichte von G ł owackis Stück gehört z. B. auch die Einbeziehung in Theaterprojekte unterschiedlichen Zuschnitts. So wurde eine - auf die Spieldauer von einer Stunde gekürzte - Inszenierung dieser Antigone im November 2010 in Monpellier an der Esplanade de l ’ Europe gezeigt. Neben der Tragödie des Sophokles waren die Antigone-Modellierungen von Brecht, Anouilh und Baucha berücksichtigt. 15 Gar nicht zu zählen sind gewiss die Konferenzen und konferenzähnlichen Veranstaltungen, auf denen G ł owackis Stück Gegenstand von Vorträgen war. 16 Aus dem Zusammenhang von Konferenzen und darüber hinaus gibt es Forschungsliteratur in mehreren Ländern. Diese sucht in der Regel andere Zugänge zu diesem Stück als die vorliegende Forschung. 17 2. Transkulturalität und Hybridität: Vorgang und Horizonte der Bedeutungsbildung in der polnischen Erstfassung (1992) G ł owackis Antigone steht sehr deutlich im Zeichen von Transkulturalität und Hybridität. Dies betrifft das Verhältnis zur Tragödie des Sophokles, die Anlage der Rollenfiguren, das gattungspoetische Profil und teilweise auch sprachlich-stilistische Signalsetzungen im Stück. Als Wechsel von kultureller Einheit zu Transkulturalität und Hybridität dürfte für viele Rezipienten der Austausch des Handlungsortes erscheinen: von dem antiken Theben in das New York am Ende des 20. Jahrhunderts - ein Sinnbild für die Mischung von Völkern und Kulturen. Dass Griechenland selbst, zunächst ein kulturelles Nehmerland, auf singuläre Art transkulturell 208 Brigitte Schultze / Beata Weinhagen und hybrid beschaffen war, wird, so ist anzunehmen, eher nicht nachvollzogen. Als ethnisch-kulturell hybride lässt sich fraglos das Herkunftsland der einzigen weiblichen Rolle des Stücks, Anita (Antigone) identifizieren: der mit den USA assoziierte Inselstaat Puerto Rico. Von Immigranten aus Spanien, den Kanarischen Inseln und Afrika besiedelt, gibt Puerto Rico als solches das Thema der Migration vor. Dieser Hintergrund scheint als hochgradige Hybridität im sprachlichen und außersprachlichen Verhalten der Anita durch: Ständig sind katholischchristliche Traditionen mit dem Brauchtum von Naturreligionen (Schadenszauber, Magie), vor allem aber mit Aberglauben verbunden. Unter den Bedingungen des späten 20. Jahrhunderts steht die etwa 35jährige Anita, deren personal tag ein gefüllter Einkaufswagen (Ersatz für einen ganzen Haushalt) ist, für das globale Schicksal von Wirtschaftsimmigranten. Anita ist von ihrem Lebensentwurf her keine Asylsuchende. Schon einmal mit dem in den USA verdienten Geld nach Hause zurückgekehrt, macht sie einen zweiten Versuch, die Grundlagen für eine Existenzgründung daheim zu schaffen. Bei den männlichen Rollenfiguren ist aus unterschiedlichen Gründen eine ähnlich planende Einstellung nicht gegeben. Ethnisch-kulturelle Hybridität repräsentiert dabei gleichfalls der russische Jude Sasza - ein bildender Künstler und Intellektueller. Einst im Dissens zu den kommunistischen Machthabern zur Emigration gezwungen, steht er zugleich für transnationales Schicksal im Jahrhundert der Diktaturen. Ein Wirtschaftsemigrant bzw. Asylsuchender ohne politische Zwangssituation ist hingegen der Pole Pche ł ka (Floh). Er hat vor allem damit Probleme, seine Vorstellungen von einem wünschenswerten Dasein durch kontinuierliche eigene Arbeit Wirklichkeit werden zu lassen. Dass den Russen Sasza und den Polen Pche ł ka - durch die historische Vergangenheit begründet - eine ‘ Beziehungsgeschichte ’ mit Asylsuche und Emigrationsgeschehen verbindet, ist in G ł owackis Drama angesprochen, steht jedoch nicht im Vordergrund. Gleichsam als Spuren tradierter und habitualisierter Identitätsvergewisserung gibt es in den Repliken des polnischen Asylanten eine Fülle sowohl gegen die Puerto-Ricanerin als auch gegen den Juden gerichteter Stereotypen. Die Schicksalsgemeinschaft von Immigranten schützt somit nicht vor Mechanismen der Ausgrenzung. Das ‘ gelobte Land ’ , dessen Mythos in diesem Stück schon nicht mehr abgearbeitet und entzaubert werden muss, 18 wird von einer einzigen Figur mit eigenem Text, dem Polizisten Jim Murphy (G, S. 5) repräsentiert. Der Regie ist hier die Wahl gelassen, ob ein weißer oder ein farbiger Schauspieler die Rolle des Polizisten ausagieren soll. Mit dem nur einmal am Stückeingang genannten Namen “ Murphy ” ist ohne Frage ein Deutungsimpuls gegeben. Der Name führt zu einem Roman von Samuel Beckett, 19 d. h. einem der wesentlichen intertextuellen Referenzautoren des Stücks. 20 Eindeutig ist das weiße Amerika nur durch einen Toten repräsentiert - den Leichnam des an Unterkühlung gestorbenen Obdachlosen John. Dem Amerikaner war das eigene Land fremd geworden. Aus Berichten der Rollenfiguren geht hervor, dass er sich bereits Jahre vor seinem Tode in sich selbst zurückgezogen, mit niemandem mehr kommuniziert hatte. 21 In der Text- und Inszenierungsgeschichte wird der Rollenname John auf unterschiedliche Weise verändert, 22 wohingegen die übrigen Rollennamen allenfalls den jeweiligen Zielsprachen angepasst werden. Hybridität ist auch darin realisiert, wie sich zwei von G ł owackis Figuren, Anita und der Polizist, auf das Personal in der Tragödie des Sophokles beziehen. Anita ist gewissermaßen eine aus der kompromisslosen Antigone 23 und deren auf Ausgleich und den Erhalt familiärer Bindungen bedachte Schwester Ismene zusammengesetzte Figur: 209 Janusz G ł owackis Antigone in New York international Auch wenn Anita - ähnlich der antiken Antigone - im Gedanken an persönliche Würde und um des Seelenheils des Toten willen auf einer traditionsgemäßen Bestattung des Amerikaners John besteht, kann und will sie sich ein Dasein ohne persönliche Bindung nicht vorstellen. 24 In die Rollenfigur des Polizisten mit seinen Mitteilungen, Kommentaren, Warnungen und Vorhersagen sind, darauf ist in der Forschung wiederholt hingewiesen worden, mehrere Gestalten der antiken Tragödie eingegangen: der Chor, der Wächter, der Bote, der Seher Teiresias und sogar Kreon. 25 Analogie und Differenz, somit Hybridität, ließe sich auch in dem Verhältnis zwischen Antigones als Brudermörder umgekommenen Bruder Polyneikes und dem unschuldig zu Tode gekommenen Obdachlosen John aufzeigen. 26 Gestützt auf die beschriebenen Rollenbilder sieht der Vorgangskern 27 der ersten Fassung von G ł owackis Antygona, d. h. die Binnenhandlung ohne die eingeschalteten Auftritte des Polizisten mit seinen Ansprachen an das Publikum im Theatersaal, nun so aus: Obwohl die mit ihrem Einkaufswagen im Park umherziehende Anita von einem Indianer, danach auch von Sasza und Pche ł ka erfahren hat, dass der von ihr als Verlobter und “ Familie ” (G, S. 19) erwählte Amerikaner John gestorben und zur Bestattung auf die Bronx verbracht worden ist, wehrt sie sich dagegen, dies zu akzeptieren. Sasza, der Anita in die Wirklichkeit zu holen versucht, schirmt sich selbst mit Musik aus einem defekten Kassettenrekorder (Frank Sinatras “ Strangers in the Night ” ) gegen die Kälte und die Situation der Hoffnungslosigkeit ab. Den umtriebigen Polen Pche ł ka (er hat für die Reise ins ‘ gelobte Land ’ eine seiner Nieren geopfert) konfrontiert Sasza mit dessen ständigen Lügengebäuden und Betrügereien. Sich an Sasza als gleichsam letzte menschliche Bindung klammernd, warnt Pche ł ka Sasza vor einer Rückkehr in das postkommunistische, freie Russland. Anita, nunmehr von Johns Tod überzeugt, bittet ihre beiden Mitbewohner auf der Parkbank, den Leichnam des Amerikaners gegen ein Honorar von der Bronx in den Park zurückzuschaffen, wo eine individuelle Bestattung erfolgen soll (I, Szenen 2 - 4 und 6 - 7). In der Bronx eingetroffen, finden Sasza und Pche ł ka in den zu einer anonymen Massenbestattung vorbereiteten Särgen einen Toten, der John gewesen sein könnte. Sie schaffen den Leichnam in den Park. Anita, der die Identität des Toten nun nicht mehr wichtig ist, bestattet den Leichnam unter Mitwirkung von Sasza. Als Sasza dann in einem beiderseitigen Lebensbericht zweimal das Personalpronomen “ uns ” (G, S. 36) artikuliert, sieht Anita sich für die individuelle Bestattung eines Toten von Gott belohnt: Sie hat eine neue Familie, will Sasza nach Russland folgen. Mit Hilfe der Schätze in ihrem Einkaufswagen kleidet sie Sasza für seinen Gang zum russischen Konsulat ein. Eine kurze Abwesenheit Anitas nutzend, hintertreibt Pche ł ka den Plan seiner Mitasylanten: Von Pche ł ka mit einem Alkoholgemisch betrunken gemacht, kann Sasza nicht zur Hilfe eilen, als Anita von zwei Männern vergewaltigt wird. Am Schluss erhängt sich Anita - wie der Polizist in seinem letzten Bericht an das Publikum mitteilt (G, S. 40) - am Haupteingang zum Park (II, Szenen 8, 10 - 11, 13 - 15). Der dargestellte Vorgang lässt bereits wesentliche Themen und Horizonte der Bedeutungsbildung und damit die internationale Anschlussfähigkeit dieses Stücks im Sinne des tua res agitur erkennen. Zu den umfassenden Angeboten zur Bedeutungsbildung gehören das weltweite Schicksal von politisch, religiös und anders motivierten Asylanten sowie von Wirtschaftsflüchtlingen, individuelle und kollektive Obdachlosigkeit, das fundamentale Problem eines aufrichtigen Umgangs mit der eigenen Person und den Mitmenschen, die Einstellung zu zwischenmenschlicher Bindung, das Ver- 210 Brigitte Schultze / Beata Weinhagen ständnis von Solidarität in gemeinsamen Notsituationen, das Begreifen von menschlicher Würde als einem Grundrecht u. v. m. Hinter den lebensweltlichen Notsituationen werden fundamentale existentielle Fragen sichtbar: nach der existentiellen Unbehaustheit des Menschen, 28 nach der Möglichkeit oder auch Vergeblichkeit, dem eigenen Dasein eine ersehnte Richtung, Erfüllung zu geben. Weitere Anschlussstellen, die fraglos transkulturell funktionieren, ließen sich nennen. Der internationale Erfolg von G ł owackis Tragikomödie ist selbstverständlich nicht allein mit den aktuell und universell bewegenden Fragestellungen zu erklären. Er beruht ebenso auf dem spannungsreichen Wechsel von Registern des Komischen (einschließlich Slapstick und scharfer Satire) zu Ernst und sogar Tragik, teilweise auch auf der Gleichzeitigkeit von Komik und Ernst. Slapstick-Szenen, 29 und damit comic relief besonderer Art, gibt es vor allem, als Sasza und Pche ł ka auf der Bronx ‘ Särge knacken ’ und später versuchen, den Leichnam als sitzende Figur auf der Parkbank zu justieren. Zu den Verfahren komischer Normabweichung, die offensichtlich in den einzelnen Zielkulturen auf unterschiedliche Akzeptanz stoßen, gehört obszöne Sprache - in den Repliken des Polen Pche ł ka, auch des Polizisten. In manchen Auftritten des Polizisten wird, um ein Beispiel zu geben, obszöne Phraseologie zitierend vorgetragen. Darum bemüht, in eigener Person untadelige Rede (wie auch political correctness - “ ich habe nichts gegen die Obdachlosen ” , G, S. 5) im Munde zu führen, legt der Polizist einer Zuschauerin im Saal, einer “ eleganten Dame ” , obszöne Phraseologie und obszönes Vokabular ( “ hurensöhnisch ” - “ skurwysy ń ski ” , G, S. 18) in den Mund. Hinter der auf Anstand getrimmten Fassade (sie wird im Verlauf des Geschehens zunehmend löchriger) erscheint eine weitere Seite dieses Vertreters der amerikanischen Obrigkeit. Es bleibt festzuhalten, dass G ł owacki mit seiner Tragikomödie Antygona ein besonders anschlussfähiges und für theatrale Deutungen offenes Stück geschaffen hat. 3. Neue Impulse für das internationale Übersetzungs- und Inszenierungsgeschehen: die englischsprachige Bearbeitung (1997) Die auf eine Inszenierung des Vine Yard Theatre in New York (April 1996, G/ T, S. 4) zurückgehende Bearbeitung der Antigone reduziert einige offensichtliche Längen der polnischen Erstfassung, wie sie z. B. in der Vorstellungsrede des Polizisten gegeben sind. 30 So ist insgesamt eine straffer angelegte Inszenierungsvorlage entstanden, die zum einen Spielzeit spart, zum anderen Raum für das nunmehr verstärkte Verfahren der stummen Szene gibt. Die Segmentierung des Stückes ist signifikant geändert. Aus 16 fortlaufend gezählten Szenen (I/ 1 - 7, II/ 8 - 16) werden vier relativ lange Szenen im ersten (I/ 1 - 4) und zehn teilweise auffallend kurze Szenen im zweiten Akt (II/ 1 - 10). Das dargestellte Geschehen eilt somit beschleunigt auf das Ende zu. Aus dem konkreten Tompkins Square Park ist “ ein Park ” - “ a typical New York park ” (G/ T, S. 7) - geworden. Das zielt, wie andere geringfügige Umformulierungen auch, auf eine universellere Aussage. Diese Bühnenfassung verstärkt den Bezug zur Tragödie des Sophokles u. a. dadurch, dass zusätzliche Kontaktstellen geschaffen sind. Der Name des toten Amerikaners, John, ist z. B. durch “ Paulie ” ersetzt. 31 Damit ist - phonetisch - eine Verbindung zum Namen von Antigones Bruder, Polyneikes, angezeigt; überdies ist auf ein familiäres Verhältnis der Obdachlosen untereinander - und sei dies nur eine behauptete Nähe - hingewiesen. Der Bezug zur Tragödie des Sophokles ist auch dadurch verstärkt, dass nicht der Polizist, 211 Janusz G ł owackis Antigone in New York international sondern Anita-Antigone das Stück eröffnet - in einer stummen Szene: “ She crosses the stage quickly, obviously looking desperately for someone ” (G/ T, S. 7). Das in der polnischen Erstfassung und wohl auch in der englischen Parallelversion präzise angelegte Verhältnis von Rahmen- und Binnenhandlung bzw. von Außen- und Innenperspektive ist nun gelockert. Dies wiederholt sich in der dritten Szene des ersten Aktes. Während der Polizist der Erstfassung kein einziges Mal mit den Obdachlosen im Park kommuniziert, gibt es hier, von Anita initiiert, einen Wortwechsel zwischen der Parkbewohnerin Anita und dem Polizisten: Der Zugang zu einem Vertreter der Obrigkeit ist also möglich, wie ja auch Antigone direkt mit Kreon (als dem Herrscher, nicht dem Onkel) spricht. Dass Anita, Antigone vergleichbar, in Sorge um das Seelenheil des Amerikaners Pauli die Bestattung im Park betreibt, wird durch Einfügungen verdeutlicht. Während der russische Jude Sasza (Sasha) die Vorschriften der Behörden zur Bestattung anonymer Toter zu respektieren bereit ist ( “ This is a crime ” ), hält Anita ihm entgegen: “ It is a crime to bury people there ” (G/ T, S. 42 f.). Das Verfahren der stummen Szene, das einen deutlichen Kontrast zu sprachlichen und außersprachlichen Inszenierungen, insbesondere der Rollenfigur Pche ł ka schafft, 32 ist nochmals in der vorletzten Szene (II/ 9) der Darstellung von Anitas kurzer Rückkehr in den Park nach der Vergewaltigung, genutzt. Von sieben Repliken in der Erstfassung bleibt allein eine Äußerung des polnischen Asylanten erhalten: “ I need a drink ” (G/ T, S. 79). Der wortlose Bewegungsablauf ist dieser: “ SASHA and FLEA are sitting on the same bench. ANITA enters. [. . .] She doesn ’ t look at SASHA or FLEA. She goes straight to the bench and slumps down on it. For a moment they all sit in silence ” (ebd.). Diese ‘ Momentaufnahme ’ ist in einer Reihe von Übersetzungen und Bearbeitungen, auch in Inszenierungen, impulsgebend. Es ließe sich zeigen, dass durch Kürzungen und Umstellungen einzelner Sequenzen, auch durch Verschiebung von Sequenzen aus einem Akt in den anderen, eine weitergehende Verdichtung der Spielvorlage gewonnen wird. 33 Daneben gibt es auch ein punktuelles Ersetzen von Wortmaterial, das recht deutlich auf unterschiedliche Seh- und Hörgewohnheiten polnischer Theaterbesucher einerseits, 34 und amerikanischer Zuschauer andererseits schließen lässt. Es geht vor allem um unterschiedliche Akzeptanz von scharfer Satire und manchen Formen von Groteskkomik. 35 Hier fallen manche textuelle Lösungen der Bühnenbearbeitung deutlich schwächer aus. Auf der anderen Seite erzeugt diese Bühnenfassung aber auch zusätzliches Sinnangebot, das auf eine Steigerung von Komik, wenn nicht von Satire, hinausläuft. Der englische Text bietet einen etwas größeren Ausschnitt der ‘ Wohnlandschaft ’ im Park: “ a mountain of rags, newspapers ” usw. (G/ T, S. 7). Dabei wird besonders augenfällig, dass auch die Obdachlosen Unmengen von Wohlstandsmüll ansammeln. Mit Hilfe von Requisiten und Dekoration, von denen manche Elemente auch zur polnischen Textversion gehören, macht diese Bühnenfassung nochmals ein eigenständiges Deutungsangebot. Dieses lässt sich am ehesten unter das Stichwort consumerism stellen: Die Textausgabe enthält einen Anhang, in dem für beide Akte eigenständige “ plots ” - Handlungen, Aktionen - der gegenständlichen Welt aufgeführt sind. Es gibt einen “ property plot ” , zu dem Anitas Einkaufswagen mit einem rosa Telefon gehört, einen “ personal plot ” , somit personenbezogene Requisiten, und einen “ costum plot ” . Insgesamt werden fast 60 solcher Requisiten aufgeführt (G/ T, S. 81 - 86). Die Gegenstände der amerikanischen Zivilisation, und jeder ‘ global ’ orientierten Lebenswelt, führen geradezu ein Eigenleben. Die Dinge generieren eigene “ plots ” . 212 Brigitte Schultze / Beata Weinhagen So setzt diese Bühnenbearbeitung einen weiteren komischen, wenn nicht satirischen Akzent. Manchen Rezipienten (auch Lesern) der englischen Stückfassung von 1997 mag noch ein Deutungshorizont bewusst werden: dass hinter der Wohnlandschaft im Park und all den Zivilisationsikonen, mit denen sich auch die Obdachlosen umgeben, Umweltzerstörung - ein Endpunkt unserer Zivilisation - aufscheint. Neben G ł owackis polnischer Erstfassung und der englischen Parallelversion hat, wie gesagt, diese Bühnenbearbeitung von 1997 in Übersetzungstexten wie auch in Inszenierungen greifbare Spuren hinterlassen. Der Autor selbst konnte, wie zu zeigen ist, Impulse für die weitere Arbeit an seinem Text gewinnen. Manche Übersetzer, die eine Beziehung zur Theaterarbeit haben, greifen nachweislich auf diese straffere Stückfassung zurück. 4. Im Einfluss der Bühnenpraxis: weitere polnische Stückfassungen (1996, 2007) Soweit erkennbar, hat G ł owacki im Laufe der mehr als fünfzehnjährigen Inszenierungsgeschichte noch zwei veränderte polnische Versionen seiner Antygona herausgebracht: 1996 und 2007. In beiden Fällen wird das Stück als Teil eines Werkzusammenhangs vorgestellt. 36 In der makrostrukturellen Anlage, d. h. der Gliederung in Akte und Szenen, sind die drei Fassungen identisch. Immer ist der Handlungsort der konkrete Tompkins Square Park, heißt der verstorbene Amerikaner im Personenverzeichnis John. Die Änderungen betreffen in erster Linie die Figurenrede, in einigen Fällen auch schauspielerbezogene Spielanleitungen. Bei den Fällen von Eliminierung und Substitution sind vor allem zwei Kontexte zu erkennen: das Theater mit seinen Konventionen ökonomischer Rede, authentischer Mündlichkeit bzw. deren Stilisierung (gerade in einem Gegenwartsdrama), rhythmischer Signalsetzungen u. a. m. sowie der Problemkreis von political correctness und Fremdheitsbzw. Identitätsdiskurs. Die meisten Eingriffe in das Wortmaterial - Eliminierungen kürzerer Replikenfolgen und einzelner Wörter - finden sich bereits in der Fassung von 1996; sie sind mit wenigen Ausnahmen in die Dramenausgabe von 2007 übernommen. Diese letzte Ausgabe ist mit besonderer editorischphilologischer Sorgfalt erstellt, geht in der Tilgung von Wortmaterial auch noch weiter als die Stückversion von 1996. Überdies wird hier Einblick in die mehr als zehnjährige internationale Theaterarbeit an der Antygona geboten. Die Aufführungsgeschichte ist auf zweifache Art veranschaulicht: durch 17 Szenenfotos von Inszenierungen in insgesamt acht Ländern 37 sowie durch eine Collage von Rezensionen zum länderübergreifenden Bühnengeschehen. 38 Einige wenige, für die Bedeutungsbildung besonders wichtige Änderungen seien hier herausgegriffen. Ein Ersetzen von Rede durch Körpersprache ist darin gegeben, dass stereotype Aussagen, mit denen der Polizist sich wiederholt vom Publikum im Saal verabschiedet, durch eine stumme Geste artikuliert sind. Die Wendung “ Verzeihung, ich muss eilen [wörtlich: fliegen]. Aber ich werde noch hierher zurückkehren ” (G, S. 18; G/ 2, S. 37) ist in der letzten Version des Stücks mehrfach so ausgebracht: “ Der Polizist macht eine entschuldigende Geste und geht ab ” (G/ 3, S. 57). Das für G ł owackis Stück charakteristische rhythmische Element ist als solches erhalten, doch schafft die Geste eine Öffnung von Deutungsangebot: Dass sich der Polizist im Kreis bewegt, wie das gesamte menschliche Dasein in dieser Bühnenparabel, wird für das Publikum erst mit den Wiederholungen der Geste einsehbar. Bei den Änderungen in der Figurenrede mutet G ł owacki seinen Landsleuten in den Fassungen von 1996 und 2007 teilweise noch 213 Janusz G ł owackis Antigone in New York international mehr zu als im Erstdruck des Stücks. Dort teilt der Polizist in einem der ersten Sätze seiner Begrüßungsrede (I/ 1) mit: “ Sie [d. h. die Immigranten] lieben auch ihre Wahlheimat Amerika [przybran ą ojczyzn ę Ameryk ę ] ” (G, S. 5). In den folgenden Fassungen erklärt der Polizist: “ Sie lieben auch ihre Wahlmutter Amerika [przybran ą matk ę Ameryk ę ] ” (G/ 2, S. 14; G/ 3, S. 31). Während zunächst die eher amtliche Bezeichnung “ Vaterland ” gewählt ist, rührt die Kollokation “ Mutter Amerika ” sozusagen an einen ‘ historischen Nerv ’ der Polen: “ Mutter Polin ” (Matka Polka) war in der Zeit der Teilungen, insbesondere nach dem Novemberaufstand (1830/ 31), das Ideal einer Mutter, die ihre Kinder zu guten Patrioten macht. 39 Polnische Rezipienten, denen in der Rollenfigur des Pche ł ka ohnehin viel zugemutet wird, 40 sind nochmals an ein historisches Stereotyp mit seinem Anteil an Selbstlüge erinnert. In der Stückfassung von 2007 gibt es eine konsequente Änderung im Bereich der Beziehungsdefinition. Der tote Amerikaner wird von den anderen Rollenfiguren zum Teil nicht mit dem im Personenverzeichnis aufgeführten offiziellen Namen, John, sondern mit der vertraulichen Form “ Johnny ” bezeichnet. (G/ 3, S. 37, 44, 47 usw.) Damit ist zum einen die persönliche Nähe nachvollzogen, die Anita zwischen sich und dem Verstorbenen sehen möchte, zum anderen ist eine familiäre, zumindest vertraute gegenseitige Beziehung der Obdachlosen im Park signalisiert. Selbst der weiße Amerikaner, der sich schweigend in sich selbst zurückgezogen hatte, wird nicht ausgegrenzt. In der Textausgabe von 2007 gibt es überdies markante Änderungen in der vorletzten Szene des Stücks (II/ 15), der Darstellung von Anitas Rückkehr auf die Parkbank nach der Vergewaltigung. Während die Fassungen von 1992 und 1996 sieben Repliken enthalten, haben Sasza und Anita in der letzten Stückfassung buchstäblich die Sprache verloren. Allein Pche ł ka artikuliert den einen Satz: “ Ich könnte was zu trinken gebrauchen ” (G/ 3, S. 110). Hier ist die Bearbeitung von G ł owacki und Torres als Vorlage erkennbar. Flea meldet sich mit den Worten: “ I need a drink ” (G/ T, S. 79). Die Szene endet mit einem Tableau: Gemeinsam auf der Bank sitzend, “ erstarren ” “ Anita, Sasza und Pche ł ka in Bewegungslosigkeit ” (G/ 3, S. 110). Dieses Bild, das den Text der Vorlage (1997) verdichtet und präzisiert (vgl. Abschnitt 3) und an den Stückeingang (I/ 2) anschließt, schafft wiederum eine Kreisform - eine der Signalsetzungen für Perspektivlosigkeit in dem Stück. Im erkennbaren Einfluss der Theaterpraxis und in dem Bemühen, die Sensibilität von Rezipienten für Selbstlügen und Mechanismen der Ausgrenzung nochmals zu schärfen, ist somit in den polnischen Fassungen zwischen 1992 und 2007 ein dichteres Lektüreangebot und eine bühnengeeignetere Spielvorlage entstanden. 5. Am Anfang des Übersetzungsgeschehens: die deutsche Fassung (1994) Die als Bühnenmanuskript ausgewiesene deutsche Übersetzung von G ł owackis Antigone stammt von der Romanschriftstellerin und Übersetzerin Alissa Walser. 41 Der Übersetzungsvergleich lässt vermuten, dass Alissa Walser als wesentliche Vorlage eine frühe englische Fassung des Stücks hatte, vielleicht die nicht nachgewiesene Parallelversion des Jahres 1992. Dabei gibt es einige Unterschiede zwischen G ł owackis gedrucktem Text von 1992 und der frühen englischsprachigen ‘ Langfassung ’ - Unterschiede, die möglicherweise von Anfang an bestanden haben. Der tote Amerikaner heißt z. B. Paulie, wie bei G ł owacki und Torres, nicht John. Manche übersetzerische Lösungen lassen annehmen, dass Walser auch diese oder jene Hilfestel- 214 Brigitte Schultze / Beata Weinhagen lung eines polnischen Muttersprachlers hatte. Deutlich ist aber auch, dass viele Impulse der Bühnenbearbeitung von 1997 noch nicht genutzt werden konnten: Es gibt fortlaufend gezählte Szenen, wie in der polnischen Erstfassung (I/ 1 - 6; II/ 7 - 15); der Polizist eröffnet das Stück und tritt ähnlich fabulierfreudig auf wie im polnischen Erstdruck; es findet keine direkte Kommunikation zwischen Anita und dem Polizisten statt. Die Tatsache, dass manche der Straffungen noch nicht stattgefunden haben, ist bei einer lesenden Rezeption spürbar. Ungekürzt inszeniert, dürfte diese Vorlage zu einer erkennbar längeren Spielzeit führen als die Fassung von 1997. 42 Der Verzicht auf nur illustrierendes Textmaterial ist, daran sei erinnert, gerade bei Bühnenübersetzungen ins Deutsche durchaus relevant: Sowohl bei Übertragungen aus dem Polnischen wie aus dem Englischen ist mit Expansion, d. h. einer Zunahme von Wort- und Silbenvolumen, 43 zu rechnen. In der englischen Bearbeitung von 1997 gibt es z. B. diese Sätze von Sasza und Anita zum Abtransport von Paulies Leichnam: SASHA. They took him. ANITA. Who took him. The police? (G/ T, S. 19) Die deutsche Fassung lautet: SASCHA: Die haben ihn mitgenommen. ANITA: Wer hat ihn mitgenommen? Die Polizei? (GW, S. 7) 44 Ein deutscher Übersetzer, der in solchen Fällen einen Zuwachs an Wortmenge vermeiden will, könnte Anita einfach zurückfragen lassen: ‘ Wer? Polizei? ’ 45 Während die amerikanische Zielkultur offensichtlich mit G ł owackis Formen von Komik Probleme hat, könnte Alissa Walser beim deutschsprachigen Publikum eine geringere Akzeptanz von obszöner Rede und Phraseologie vermutet haben. Diesem Signalsystem in G ł owackis Stück wird jedenfalls durch eine gewisse Entschärfung und Homogenisierung entgegengearbeitet. Zugleich gibt es in dem deutschen Text eine - erkennbar absichtsvolle - Nutzung aktueller Umgangssprache ( “ jemanden nerven ” , GW, S. 19, “ sauer sein ” , ebd., S. 6, 14). Solche sprachliche Aktualisierung führt zu einer gewissen Akkulturierung, kann jedoch den Übersetzungstext ggf. auch rascher veraltern lassen, so dass bei der Theaterarbeit Änderungen, d. h. Anpassungen an wiederum neue Redemuster, nötig werden. 6. Theater für Leser: die französische Version (1997) Ähnlich der bearbeitenden Übersetzung von G ł owacki und Torres, die sich auf eine Inszenierung des Jahres 1996 stützt, geht die im Druck verfügbare französische Fassung der Antigone auf eine Inszenierung zurück - eine Einstudierung der Regisseurin und Übersetzerin Urszula Mikos und des Dramatikers und Theaterpraktikers Olivier Cohen. 46 Der Hinweis auf eine “ Übersetzung aus dem Polnischen ” 47 ist sicher mit Vorbehalt aufzunehmen: Hier sind, das zeigt der Übersetzungsvergleich, eine polnische Stückfassung in der Art derjenigen von 1996 und die englische Bühnenbearbeitung von 1997 zusammengeführt. Die Entscheidungen zwischen einer Direktübertragung dieser oder jener Vorlage und nochmaligen bearbeitenden Eingriffen lassen - mehr als die übrigen hier eingesehenen Fassungen von G ł owackis Tragikomödie - erfahrene Theaterleute und intensive, das Publikum bedenkende Theaterarbeit erkennen. 48 Die drei zentralen Rollenfiguren sind im Personenverzeichnis als Obdachlose ausgewiesen. Damit ist in dem breiten Spektrum von Deutungsangeboten bereits ein Akzent gesetzt. Während der Name des russischen 215 Janusz G ł owackis Antigone in New York international Juden in der französischem Schreibweise gegeben ist, Sache, lautet der Rufbzw. Spottname des polnischen Asylanten nicht etwa ‘ Puce ’ (Floh), sondern Flea - wie in der englischen Bühnenfassung und in den englischsprachigen Inszenierungen. Damit ist nicht nur ein Hinweis auf die englische Tradierungslinie (neben der polnischen) gegeben. Damit wird auch, verfahrensanalog, der ohnehin transkulturelle und hybride Text nochmals hybrider. Wie in der englischen Bühnenfassung, trägt der obdachlose Amerikaner den Namen Paulie. Er ist als Toter ausgewiesen. Allein die beiden Männer, die Anita vergewaltigen, d. h. die Stimmen aus dem OFF, sind noch nicht genauer identifiziert (Erster Mann, Zweiter Mann, GCM, S. 8). Ähnlich der Bühnenbearbeitung von G ł owacki und Torres zielt auch dieser französische Text auf eine universellere Aussage: Der Ort des Geschehens ist ganz allgemein “ Un parc new-yorkais ” (GCM, S. 9). Die Segmentierung zeigt eine eigenständige Lösung sowohl gegenüber den von G ł owacki publizierten Fassungen der Jahre 1992 und 1996 als auch gegenüber der englischen Bühnenbearbeitung von 1997. Das Verständnis von einer kontrastreichen und rhythmisch organisierten Spielvorlage liegt dabei der englischsprachigen Bearbeitung recht nahe. In der Segmentierung ist das Grundkonzept eines insgesamt langsamer vor sich gehenden Geschehens im ersten und einer deutlichen Beschleunigung im zweiten Akt zu erkennen: Prolog, I/ 1 - 4; II/ 5 - 14. In Übereinstimmung mit der englischen Fassung von 1997, trifft zunächst Anita in einer stummen Szene auf (GCM, S. 9), gibt es einen Wortwechsel zwischen Anita und dem Polizisten (GCM, S. 31 f.), ist in der vorletzten Szene das Tableau deutlicher identifizierbar als z. B. in der polnischen Stückfassung von 1992. Ein einziger Satz von Flea unterbricht das Schweigen: “ J ’ ai besoin d ‘ un coup à boire ” (GCM, S. 72). Der Gegensatz zwischen Stumm-Sein (Verstummen) und Reden, zwischen langen und kurzen Szenen oder auch Sequenzen ist insgesamt verstärkt. Eine nur als Bild gegebene erste Szene (I/ 1), in der Sasza (Sache) mit seinem Kassettenrekorder hantiert, wird durch eine wortreiche zweite Szene abgelöst. Dadurch, dass nun sowohl Anita als auch Sasza in einer stummen Szene eingeführt werden, ist von Anfang an eine besondere Beziehung zwischen beiden angedeutet. Ein aussagekräftiger Unterschied zwischen allen polnischen Stückfassungen einerseits und der englischen und französischen Version andererseits liegt darin, dass Anita in den polnischen Texten bereits am Stückbeginn durch Sasza vom Tod des Amerikaners erfährt (G, S. 8), in den Bühnenbearbeitungen von 1997 jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt (G/ T, S. 19; GCM, S. 20) informiert wird. Es bleibt offen, ob Sasza diese Nachricht zunächst aus Mitgefühl Anita gegenüber zurückhält. Der erste Auftritt des Polizisten in einem gegenüber den polnischen Fassungen stark gekürzten Prolog beginnt wie die englische Version mit einer Erklärung zur political correctness: “ J ’ aime autant vous dire tout de suite que je n ’ ai rien contre les SDF. . . ” (GCM, S. 9). Dabei nimmt der französische Text eine Reihe markanter Ersetzungen und Akzentuierungen von Wortmaterial vor. Während der Polizist sowohl in den polnischen Fassungen (z. B. G, S. 6) als auch in der englischen Bühnenbearbeitung von “ Missverständnissen ” ( “ misunderstandings ” , G/ T, S. 8) zwischen den amerikanischen Behörden und den Obdachlosen spricht, nennt der Polizist der französischen Bearbeitung das Wort “ Konflikt ” ( “ conflit ” , GCM, S. 9). In dieser Weise sind im ganzen Stück Wörter und Wendungen durch andere ersetzt. Das führt teilweise zu Akkulturierung, teilweise - wie im Falle des Hinweises auf “ Konflikte ” zwischen Behörden bzw. Regierung und Zuwanderern - zu Aktualisierung. Um Akkulturierung geht es z. B., wenn Flea seine hohen Sprünge während eines 216 Brigitte Schultze / Beata Weinhagen epileptischen Anfalls in den polnischen Fassungen und auch in der englischen Bearbeitung voller Stolz mit den Sprüngen des Baletttänzers Baryshnikov (Bary š nikov, G, S. 25; G/ T, S. 50) vergleicht, in der französischen Bühnenfassung jedoch der in Paris erfolgreiche Noureev (Nureev, GCM, S. 48) gewählt ist. Von Aktualisierung ist dort zu sprechen, wo durch Verfahren des Ersetzens, der Verdeutlichung usw. eine Beziehung zu den französischen Staatsbürgern aus Nordafrika hergestellt ist. In der englischen Bühnenbearbeitung stellt Anita zur rechtlichen Situation des toten Amerikaners fest: “ but he was a WASP [White Anglo-Saxon Protestant, B. S./ B. W.] so he belonged in America. It shouldn ’ t be this way ” (G/ T, S. 21). 49 Im französischen Text sagt Anita: “ mais lui, il avait la nationalité, il faisait partie de l ’ Amérique. Un vrai Américain. Ça ne devrait pas se passer comme ça ” (GCM, S. 21). Diese Form der Fortschreibung der englischen Bühnenbearbeitung dürfte im Sinne des tua res agitur gewirkt haben. Während die französische Fassung die Akzentuierung von consumerism wie auch von Wohlstandsmüll nicht aufnimmt, macht sie sich eine andere Akzentverschiebung der englischen Bühnenbearbeitung gegenüber den polnischen Versionen des Stücks zu eigen: die Herausstellung der Rolle persönlicher Bindung. Wie in der englischen Stückfassung von 1997, verwendet auch die Anita der französischen Antigone mehrfach das Personalpronomen, wenn sie von Paulie spricht: “ near my Paulie ” (G/ T, S. 10) - “ près de mon Paulie ” (GCM,S. 12). Einige Gesten sind in der französischen Stückfassung noch etwas intensiver. In der sprachlichen Textur der Übersetzung sind stellenweise Mündlichkeit und Kolloquialität hervorgehoben - “ T ‘ as vu Paulie? / C ‘ est pas une montre ” (GCM, S. 12 f.) - , wodurch das in der Makrotextur deutliche Bemühen um Kürzung auch in der Figurenrede verwirklicht ist. Angesichts dieser vielfältigen Strategien der Straffung, rhythmischen Verstärkung, Akkulturierung und Aktualisierung ist nachvollziehbar, dass der französischen Version von G ł owackis Tragikomödie deutlicher Bühnenerfolg beschieden war. 7. Akzentsetzungen in den Druckfassungen - im Spiegel von Inszenierungsbesprechungen Der Vergleich von sechs Textfassungen der Tragikomödie Antigone hat eine Ausdifferenzierung von Deutungsangebot erbracht, von der nur wenige Leser und Theaterleute wissen dürften. Für den hier betrachteten Ausschnitt einer Übersetzungs- und Bearbeitungsgeschichte von 1992 bis 2007 sind diese Akzentsetzungen festzuhalten: G ł owacki selbst schafft in seinen fortlaufenden Texteditionen einen strafferen, die Bedingungen des Theaters mehr bedenkenden Text. Das teilweise in den späteren Fassungen verschärfte Bild eines polnischen Emigrantenschicksals reicht bis zu einer parabelhaften Darstellung menschlichen Scheiterns. Die deutlich ökonomischer angelegte Bühnenbearbeitung von G ł owacki und Torres mit ihrer veränderten Segmentierung und veränderten inneren Kommunikation tauscht manche polnische Kontexte und satirische Signalsetzungen gegen amerikanische Kontexte und ‘ mildere ’ Formen von Komik aus; mit der Exponierung der gegenständlichen Welt der amerikanischen wie auch globalen Zivilisation baut sie ein Deutungsangebot aus, das in anderen Stückfassungen (wie auch Inszenierungen) weniger akzentuiert ist. Die deutsche bearbeitende Übersetzung, die unter den spezifischen Bedingungen der Expansion beim übersetzerischen Transfer steht, kann die Impulse aus der Theaterarbeit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre noch nicht nutzen. Hier sind keine rezeptions- 217 Janusz G ł owackis Antigone in New York international lenkenden Verfahren des Ersetzens, der Ergänzung usw. zu entdecken. Es ist vorstellbar, dass eine ungekürzte szenische Umsetzung dieser Fassung der Antigone zu einem gedehnten Spielablauf führt, der für Rezipienten spürbar ist. Die französische Bühnenbearbeitung, die wesentliche Verfahren der englischen Bearbeitung aufgreift und systemhaft weiterentwickelt, setzt einen erkennbaren Akzent bei den Zugewanderten, den Obdachlosen, sowie beim Thema zwischenmenschlicher Beziehungen - Liebe, Solidarität. Durch insgesamt geringfügige Eingriffe in den Text wird das Stück an die französische Lebenswelt angeschlossen, wird aktualisiert. Viele der von uns eingesehenen Besprechungen zu Inszenierungsvorhaben - in denen die jeweilige Spielvorlage, wie das üblich ist, unerwähnt bleibt - lassen eine zustimmende, wenn nicht begeisterte Aufnahme von G ł owackis Tragikomödie erkennen. Dabei werden vor allem vier Akzente des Theatererlebnisses genannt: Nahezu ohne Ausnahme ist die Kopräsenz von Komik und Tragik, die Ermöglichung von so viel Tragik durch Komik, hervorgehoben. 50 Ähnlich zentral ist das Ausloten des Problems der Obdachlosigkeit mit seiner existentiellen Dimension gesehen. 51 Sehr oft sind Liebe und Solidarität als Fokus angesprochen, 52 schließlich ist immer wieder, teilweise im Rekurs auf Beckett, das Vorstoßen bis zur existentiellen Situation des Menschen angesprochen. 53 Unter den in Europa gezeigten Inszenierungen der Antigone sind die in Österreich, Deutschland und Polen aufgeführten Einstudierungen des Wiener Regisseurs Szalsza mit auffallend geteiltem Echo aufgenommen worden. Hier scheint die als solche problematische Vorlage von Alissa Walser ungekürzt gespielt worden zu sein - “ alle Szenen waren für den Regisseur gleich wichtig ” , “ das zweieinhalbstündige Schauspiel schleppt sich monoton dahin ” . 54 Ein Beispiel wie dieses zeigt, dass der internationale Erfolg von G ł owackis Antigone in nicht geringem Umfang den Theaterleuten und Bühnen zu verdanken ist, die fortlaufend Bühnenfassungen erstellt und Inszenierungen im Kontext der eigenen Theatertradition und politisch-sozialen Situation gewagt haben. Angesichts der teilweise radikal veränderten Kontexte für G ł owackis Stück, d. h. der Folgen der Finanzkrise in den USA mit gewachsener Obdachlosigkeit im amerikanischen Mittelstand, der Rückwanderung von ehemaligen Asylsuchenden in ihre Heimatländer 55 könnte es lohnend sein, das weitere Bühnenschicksal dieser Tragikomödie zu beobachten. Anmerkungen 1 Vgl. den beim Lang Verlag erschienenen Sammelband zu “ comparative analysis of theatre across national and linguistic boundaries ” : Figueira, Dorothy/ Maufort, Marc, Hg. Theatre in the Round. Multi-ethnic, Indigenous and Intertextual Dialogues in Drama, Bruxelles [etc.], 2011. 2 Schultze, Brigitte. “ Antygona w Nowym Jorku Janusza G ł owackiego po polsku, po angielsku i po niemiecku, czyli: o jakiej sztuce scenicznej mówimy? ” [Antigone in New York von Janusz G ł owacki polnisch, englisch und deutsch, oder: von welchem Bühnenstück sprechen wir? ] OderÜbersetzen 2 (2011), 132 - 145; dies. “ Bedeutungsbildung zwischen textuellem Angebot und individuellem Rezeptionshorizont: Janusz G ł owackis Antygona w Nowym Jorku (Antigone in New York) - polnisch, englisch, deutsch. ” Convivium (2011), Bonn, 2011, 321 - 343. [2011 a] 3 “ Teatr TV: Antygona w Nowym Jorku. ” http/ / www.osiol.com.pl/ topic/ 7761-teatr-tvantygona-w-nowym-jorku-1995/ . Vgl. Stobierska, Agnieszka. “ Antigone des ‘ homeless ’ dans la ‘ comédie désespoir ’ de Janusz G ł owacki. ” Les Antigones contemporaines (de 1945 à nos jours) [Aufsatzsammlung zu 218 Brigitte Schultze / Beata Weinhagen zwei Konferenzen]. Hg. Rose Duroux/ Stéphanie Urdician, Clermont-Ferrand, 2010, S. 229. 4 G ł owacki, Janusz. “ Antygona w Nowym Jorku. ” Dialog 37.10 (1992): 5 - 40. Im Haupttext zitiert als G. 5 Vgl. den Ausschnitt der Inszenierungsbesprechung von Hap Erstein in The Washington Times (12. 3. 1993), nachgedruckt in: G ł owacki, Janusz. 5½. Dramaty. Warszawa, 2007, S. 118; siehe auch Wilmer, Stephen E. “ Performing Antigone in the Twenty-First Century. ” Interrogating Antigone in Postmodern Philosophy and Criticism. Hg. Stephen E. Wilmer/ Audron ė Ž ukauskait ė , Oxford, 2010, S. 379 - 392, hier S. 382. 6 G ł owacki, Janusz. Antigone in New York. Translated by Janusz G ł owacki and Joan Torres. New York [etc.], 1997. Im Haupttext zitiert als G/ T. 7 Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass in einigen Ländern auch Spielvorlagen verwendet werden, die auf einen bestimmten Ausgangstext, z. B. den polnischen Erstdruck von 1992, zurückgehen. Viele der von uns eingesehenen Angaben zu Inszenierungsvorhaben, etwa Stückanzeigen im Internet, lassen auf Inspirationen aus mehreren Quellen schließen. Obwohl wiederholt von Inszenierungen der Antigone G ł owackis ( “ mit großer Akzeptanz ” ) in Russland und in der Tschechischen Republik berichtet wird (s. die Ausschnitte von Inszenierungsbesprechungen in G ł owacki 2007, S. 118), konnten die Übersetzungen ins Russische und ins Tschechische nicht beschafft werden. 8 “ Teatr TV, Antygona w Nowym Jorku ” ; Godlewska, Joanna. Najnowsza historia teatru polskiego - wprowadzenie [Neueste Geschichte des polnischen Theaters - Einführung]. Wroc ł aw, 2001, S. 328. 9 Der Erstdruck in Dialog 10 (1992) trägt z. B. den Hinweis, dass die Uraufführung im Teatr Ateneum stattfinden wird (G, S. 40); das gleiche Heft der Zeitschrift enthält einen in das Stück einführenden Aufsatz von Kott, Jan. “ Antygona powiesi ł a si ę w Tompkins Square Park ” [Antigone hat sich im Tompkins Square Park erhängt]. Dialog 10 (1992): 153 - 155. 10 Vgl. die Informationen zu G ł owacki in: Glowacki, Janusz. Antigone à New York. Traduit du polonais par Olivier Cohen et Urszula Mikos. Montreuil-sous-Bois, 2005, S. 5. 11 Ebd. 12 Vgl. Wilmer 2010, S. 382; “ Teatr im. Stefana Jaracza w Ł odzi - Antygona w Nowym Jorku (marzec 2004). ” http: / / www.teatr-jaracza. lodz.pl/ przedstawienia.php? idp.=3. 13 Vgl. Hinweise zu Quellenmaterial in den Abschnitten 4 und 7. Besonderen Erfolg feierte das Stück u. a. in Moskau, wo es 1996 uraufgeführt und danach am selben Theater fünf Jahre lang ununterbrochen gespielt wurde. Vgl. dazu G ł owacki, Janusz. Z g ł owy. Warszawa, 2004, S. 243. 14 Das Stück wurde auch im Iran und in Dagestan gespielt. Vgl. dazu ein von Janusz R. Kowalczyk mit dem Autor geführtes Interview (24. 2. 2004): “ Jestem onie ś mielony ” [Ich bin in Verlegenheit gebracht]. http: / / www. teatry.art.pl/ : rozmowy/ jestemo.htm. Vgl. Trepte, Hans-Christian. “ Der Amerika- Mythos in der polnischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. ” Geschichtliche Mythen in den Literaturen und Kulturen Ostmittel- und Südosteuropas. Hg. Eva Behling [et. al.], Stuttgart, 1998, S. 151. 15 “ ZAT Monpellier - Antigone à New York de Glowacki. ” http/ / www.zat.monpellier.fr/ agenda/ show/ id/ 330/ timestamp/ 1289678400 (23. 03. 2011). 16 Vgl. Anm. 3. 17 Z. B. Meyer-Fraatz, Andrea. “ Trzy Antygony XX wieku: Bertolda Brechta, Dominika Smolego, Janusza G ł owackiego ” [Dreimal Antigone des 20. Jahrhunderts: von Bertold Brecht, Dominik Smoly, Janusz G ł owacki]. Mity. Mitologie. Mityzacje. Nie tylko w literaturze [Mythen. Mythologien. Mythisierungen. Nicht nur in der Literatur]. Hg. Lidia Wi ś niewska, Bydgoszcz, 2005, S. 75 - 84; Wilmer 2010. 18 Vgl. Schultze 2011a, S. 329, 340 f.; Trepte 1998, S. 151. 19 Fischer-Seidel, Therese/ Fries-Dieckmann, Marion. “ Murphy. ” Kindlers Literatur Lexi- 219 Janusz G ł owackis Antigone in New York international kon 2. Hg. Heinz Ludwig Arnold, 3. Aufl., Stuttgart/ Weimar, 2009, S. 239 f. 20 Vgl. Hap Ersteins Besprechung der englischsprachigen Erstaufführung von G ł owackis Stück (Anm. 5); Kott 1992, S. 153. 21 Zum Verstummen des amerikanischen Obdachlosen gibt der Autor eine Verstehenshilfe in seiner autobiographischen Textsammlung. Darin berichtet er von der Entstehungsgeschichte des Dramas und beschreibt diejenigen Obdachlosen, “ die noch sprechen, und diejenigen, die nicht mehr sprechen wollen, weil sie alles, was sie zu sagen hatten, bereits gesagt haben ” (G ł owacki 2004, S. 211). 22 Vgl. die Abschnitte 3 und 4. 23 Egidius Schmalzried und Heinz-Günther Nesselrath ( “ Sophokles. Antigone. ” Kindlers Literatur Lexikon 15. Hg. Heinz Ludwig Arnold, 3. Aufl., Stuttgart, 2009, S. 393) heben Antigones schroffe Zurückweisung ihrer Schwester und eine wesentliche Ähnlichkeit zwischen Antigone und Kreon hervor: “ Diese Tragik der einseitigen Unbedingtheit enthüllt sich sowohl in Kreon wie in Antigone. ” 24 Es sei an die Klage der Ismene erinnert: “ Was ist mein Leben, wenn du mich verlässt? ” (Sophokles. Antigone. Tragödie. Übersetzt von Wilhelm Kuchenmüller. Stuttgart, 2000, S. 27, vgl. S. 28). 25 Vgl. Schultze 2011 a, S. 326. 26 Vgl. Schultze 2011. 27 Wenn Hans-Christian Trepte (Trepte 1998, S. 151) darauf hinweist, dass “ die erzählte Geschichte des antiken Textes adaptiert ” werde, so lässt das noch nicht erkennen, in welchem Umfang im Rekurs auf die Tragödie des Sophokles Bedeutungsbildung geschaffen wird. Um das angemessen darzustellen, wäre ein eigenständiger Beitrag erforderlich. Dann müsste auch das Problem der antiken Tragödie und ihrer Anschlussstellen in der zeitgenössischen Tragikomödie eingehender untersucht werden. 28 Aus The New York Post wird der Rezensent Clive Barnes mit der Aussage zitiert: “ Homelessness Glowacki seems to be saying, is more than just the lack of a roof. It ’ s a condition of the soul. ” http/ / www.januszglowacki.com/ in_Polish/ About/ recenzje-Antygona.htm (7. 4. 2011). 29 Vgl. Meyer-Fraatz, Andrea. “ Janusz G ł owacki. ” Kindlers Literatur Lexikon 3. Hg. Heinz Ludwig Arnold, 3. Aufl., Stuttgart/ Weimar, 2009, S. 295. 30 Der in seinem Vorstellungsmonolog besonders fabulierfreudige Polizist reiht mehrere Erlebnisse mit Immigranten und Obdachlosen aneinander, die ohne Beeinträchtigungen der Bedeutungsbildung des Stückganzen auf einige wenige Beispiele begrenzt werden können. Einige Besprechungen der englischen Erstaufführung des Jahres 1993 lassen vermuten, dass es auch dort, wie in der polnischen Erstfassung des Stücks, einzelne Längen gab. 31 Einige Rezensionen und einzelne frühe Übersetzungen von G ł owackis Stück lassen vermuten, dass der Name Paulie bereits in der nicht zugänglichen ersten englischen Textversion (1992) vorkommt. 32 Durch Clownerien, z. B. Nachahmung der Diktatoren Hitler und Stalin, sucht Pche ł ka - um die Aufmerksamkeit und Gunst des verschlosseneren Sasha werbend - jenen aufzuheitern. 33 Vgl. Schultze 2011 a; Schultze 2011, S. 331 - 335. 34 Dass G ł owacki einem polnischen Theaterpublikum viel zumutet, insbesondere durch den Spiegel, der den Polen in der Figur des Pche ł ka vorgehalten wird, ist an etlichen Stellen des Textes sehr deutlich. 35 Auf unterschiedliche Akzeptanz von Komik beim amerikanischen Publikum weist Tamara Trojanowska ( “ Janusz G ł owacki and his Exile Experience. ” Living in Translation. Polish Writers in America. Hg. Halina Stephan, Amsterdam, 2003, S. 280) nachdrücklich hin: einige Amerikaner fühlten sich “ gekränkt ” , es gäbe ein unterschiedliches Verständnis von Ironie. 36 G ł owacki, Janusz. “ Antygona w Nowym Jorku. ” Ś cieki, skrzeki, karaluchy. Utwory prawie wszystkie [Abwässer, Froschlaich, Kakerlaken. Werke beinah alle]. Warszawa, 1996, S. 12 - 83 (im Haupttext zitiert als G/ 2), sowie in: G ł owacki 2007, S. 27 - 111. Im Haupttext zitiert als G/ 3. 220 Brigitte Schultze / Beata Weinhagen 37 Es geht um Bühnenhäuser in den USA, Polen, Deutschland, Litauen, Russland, der Tschechischen Republik, Montenegro und Frankreich. 38 Vgl. Anm. 5. 39 Die Stilisierung der Frau als “ Mutter Polin ” gehört selbstverständlich in den größeren Zusammenhang nationaler Selbstinszenierungen. Vgl. dazu: Szymanski, Berenike. “‘ Noch ist Polen nicht verloren. . . ’ . Der Danziger Auguststreik 1980 als Aufführung des Religiösen und Nationalen. ” Forum Modernes Theater 24.2 (2009): 123 - 134. 40 In den Fassungen von 1996 und 2007 wird die ohnehin schon negative Rollenfigur noch schonungsloser dargestellt. Zu den Veränderungen gegenüber der Erstfassung gehört neben der Verstärkung des Hangs zu historischen Stereotypen die Häufung von vulgären Ausdrücken in Pche ł kas Figurenrede sowie von Hinweisen auf dessen mangelnde Bildung. 41 Glowacki, Janusz. Antigone in New York. Deutsch von Alissa Walser. Hamburg, 1994. Im Haupttext zitiert als GW. 42 Ob bei der deutschen Erstaufführung in Bonn 1995 (vgl. Spiegel online), bei Lis Verhoevens Einstudierung in Stuttgart 1997 (Programmheft) usw. Einstreichungen vorgenommen worden sind, muss hier offenbleiben. 43 Vgl. Totzeva, Sophia. “ Zum Umgang mit Expansion bei der Übertragung dramatischer Texte. ” Zeitschrift für Slawistik 39.1 (1994): 23 - 33. 44 Vgl. Schultze 2011 a, S. 338. 45 G ł owackis Erstfassung bietet eine ganz kurze Replik: “ Kto? Policja? ” (G, S. 8). 46 Glowacki 2005, S. 8. Diese Stückfassung wird als GCM zitiert. 47 Für diese Übersetzung ist (ebd., S. 4) eine polnische Vorlage von 1994 genannt, die hier nicht ermittelt und eingesehen werden konnte. 48 Die französische Stückfassung realisiert das Programm der Reihe “ Editions Théatrâles ” , in der diese Antigone erschienen ist: Es geht um Bühnentexte für das “ Interesse von Leser und Theaterpraktiker [. . .] ” . In Übereinstimmung “ mit dem Geist des Hauses Antoine Vitez, haben die Übersetzer nicht den Auftrag, dem Text des Originals buchstabengemäß treu zu sein ” (ebd., S. 4). 49 Im polnischen Text ist John ein Amerikaner aus Boston, aus guter Familie: “ A John by ł Amerykaninem i pochodzi ł z dobrej rodziny. By ł arystokrat ą z Bostonu. ” [Aber John war Amerikaner und kam aus einer guten Familie. Er war ein Aristokrat aus Boston.] (G, S. 9 bzw. G/ 2, S. 19). Hier wird die Akkulturierung in der englischen Bühnenfassung sehr deutlich. 50 Vgl. die Aussagen von Amy Reiter und Shaheena Ahmad in: G ł owacki, Janusz. “ Recenzje. ” http/ / www.januszglowacki.com/ in_Polis h/ About/ recenzje-Antygona.htm (7. 4. 2011); Urba ń ska, Magda. “ Raj utracony ” [Verlorenes Paradies]. http/ / www.teatry.art.pl/ ! recen zje/ antygonawnj-sza/ rutr.htm (14. 9. 2010). In seiner Rezension zu G ł owackis autobiographischer Textsammlung Z g ł owy (2004) weist Henryk Dasko darauf hin, dass der weltweite Erfolg G ł owackis Bühnenwerke gerade in dem universellen Aufbau der “ Tragkomödie, die unter jedem geographischen Breitengrad gleich gut lesbar ist ” , begründet liegt. Vgl. http/ / www.wyborcza. pl/ 1,75517,2322075.html. 51 Erstein, Hap. [Rez.] in: The Washington Times (12. 3. 1993). Nachgedruckt in: G ł owacki 2007; Bruckner, D. J. R. “ Escapades With a Hilarious Corpse. ” http/ / www.heater.nytimes.com/ mem/ theater/ trevie.html? pa gewanted=print&res=9f04e0d81f39f937a157 57c0a960958260 (4. 8. 2011). 52 Vgl. Rezension in The New York Post. Nachgedruckt in: G ł owacki 2007, S. 119; vgl. die französische Besprechung “ Une tragédie urbaine. . . ” http/ / www.compagnie-ksandco. org/ article_antigone-a-new-york-124.html (23. 3. 2011). 53 Vgl. die Rezension von Clive Barnes in The New York Post (s. Anm. 28); “ Une tragédie urbaine. . . ” 54 Targo ń , Joanna. “ Przyzwoite, ale nie ekscytuj ą ce ” [Ordentlich, aber nicht aufregend]. http/ / www.teatry.art.pl/ ! recenzje/ an tygonawnj-sza/ przyzwoitea.htm (14. 9. 2010). 221 Janusz G ł owackis Antigone in New York international 55 Vgl. Puhl, Jan. “ Gescheiterte Klempner. Global Village: Wie die Polen versuchen, ihren in England gestrandeten Landsleuten zu helfen. ” Der Spiegel 32 (8. 8. 2011): 98; Schultze 2011 a, S. 340 f.. 222 Brigitte Schultze / Beata Weinhagen