eJournals Forum Modernes Theater 26/1-2

Forum Modernes Theater
fmth
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2196-3517
Narr Verlag Tübingen
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2011
261-2 Balme

Sigrid Bekmeier-Feuerhahn, Karen van den Berg, Steffen Höhne, Rolf Keller, Birgit Mandel, Martin Tröndle, Tasos Zembylas (Hrsg.). Zukunft Publikum. Jahrbuch für Kulturmanagement 2012, Bielefeld: Transcript, 2012, 428 Seiten.

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2011
Katharina Keim
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und mit Behinderung als ‘ enfreakment ’ herleitet. Philip Schulte weist sehr überzeugend auf die Behinderung als eine darstellungstheoretische Größe hin, die ihre ästhetische Provokation erst aus der Verfremdung und Verschiebung von (Körper)Normen gewinnen kann. Benjamin Wihstutz schließlich analysiert detailreich die Verdrehung der Rollen und Formate im Back to Back Theatre als einen politischen Akt, mit der die Funktionalisierung oder Dysfunktion behinderter Körper unterlaufen wird. Der Band Ästhetik versus Authentizität stellt die Reflexion über die Darstellung von und mit Behinderung als ein aktuelles und politisches Phänomen dar und bietet in seiner klugen Zusammenstellung eine gute Einführung in die Debatte. Bayreuth W OLF -D IETER E RNST Sigrid Bekmeier-Feuerhahn, Karen van den Berg, Steffen Höhne, Rolf Keller, Birgit Mandel, Martin Tröndle, Tasos Zembylas (Hrsg.). Zukunft Publikum. Jahrbuch für Kulturmanagement 2012, Bielefeld: Transcript, 2012, 428 Seiten. Die empirische Publikumsforschung hat mittlerweile auch in die Kunst- und Kulturwissenschaften Eingang gefunden. Das aktuelle Jahrbuch Kulturmanagement widmet sich nun dieser Thematik aus historisch-theoretischer und methodischer Perspektive sowie anhand einer Reihe von Fallbeispielen. Ein Großteil der Beiträge basiert dabei auf der 6. Jahrestagung des Fachverbands für Kulturmanagement an der Universität Lüneburg im Januar 2012. Im Vordergrund stehen Untersuchungen zur Hochkultur im Non-Profit- Bereich in den deutschsprachigen Ländern. In ihrem einleitenden Überblick zum ‘ Audience Development ’ fasst Birgit Mandel zunächst die wesentlichen aktuellen kulturpolitischen Bedingungen (wie Internationalisierung, Legitimationsdruck der öffentlichen Kulturfinanzierung etc.) zusammen, die die Basis für die Kulturnutzungsforschung bilden. Im Hinblick auf den Leitgedanken einer verstärkten Publikums- Partizipation und dem derzeitigen Wandel des Kulturnutzers vom eher passiven Konsumenten bzw. Rezipienten hin zum ‘ Prosumer ’ zeigt Steffen Höhne anhand der Analyse von Anstandsbüchern seit dem 18. Jh. die historische Genese des disziplinierten, passiven Theaterbesuchers auf. Hierbei wird deutlich, dass erst die Autonomieästhetik den Wandel von der realen, affektiven Teilnahme des Publikums hin zu einer imaginären Teilhabe mit sich brachte. Für eine Erweiterung des kulturwirtschaftlichen ‘ Audience Development ’ hin zu einem künstlerischen ‘ Dialogue Development ’ plädieren hingegen Verena Teissl und Gernot Wolfram. In Anlehnung an Albrecht Koschorkes Konzept der “ Figur des Dritten ” 1 verstehen sie hierunter eine Neuordnung des bestehenden Machtgefüges zwischen den Kulturbetrieben (mit ihren das Programm gestaltenden Intendanten bzw. Kuratoren) und dem Publikum durch innovative Partizipations- und Interventionsstrategien. Dabei sei ‘ das ’ Publikum nicht länger als Masse zu denken, sondern als ausdifferenzierte Gruppen (wie etwa Fach-, Folge-, Traditions-, Zufallspublikum oder unsichtbares, virtuelles Internet-Publikum). Der Wirkungsbereich der “ Figur des Dritten ” wäre somit zwischen dem Dargebotenen und seiner Rezeption bzw. den Folgereaktionen der unterschiedlichen Publikumstypen zu verorten. Durch unkonventionelle, gerade nicht am Fach- und Traditionspublikum orientierte kulturmanageriale Strategien könne, wie anhand einer Fallstudie zum experimentellen Wiener Publikumsfilmfestival “ Viennale ” dargelegt wird, ein kreativer Dialog zwischen Veranstaltern und Publikum hergestellt und neue Besuchergruppen gewonnen werden. Dieter Haselbach und Corinna Vosse schlagen in ihrem Beitrag “ Kann ich hier mitmachen? ” eine Neudefinition des Begriffs kultureller Partizipation vor, wie sie bereits in der umstrittenen Studie Der Kulturinfarkt angedacht wurde, an deren Herausgabe Haselbach 2012 mitwirkte. Statt das in den 1970er Jahren geprägte Profil von “ Kultur für alle ” weiterhin als Teilhabe breiterer Bevölkerungsschichten an von Kulturinstitutionen vorfabrizierten Werken zu definieren, plädieren die Autoren für eine verstärkte öffentliche Förderung der künstlerischen Eigenbetätigung des Publikums selbst. Kulturvermittlung solle nicht allein eine Steigerung des “ Kunstkonsums ” Forum Modernes Theater, 26 (2011 [2014]), 225 - 226. Gunter Narr Verlag Tübingen 225 Rezensionen (S. 150) sondern die Erfahrungen künstlerischer Produktionstätigkeit auch jenseits des Künstlerberufs ermöglichen. Insbesondere für neuere kulturpädagogische Konzepte könnte Haselbachs These durchaus gewinnbringend sein. Der Partizipation des Publikums in den Freundesbzw. Förderkreisen kultureller Institutionen widmen sich Carsten Baumgarth und Marina Kaluza. Ausgangspunkt der Autoren ist dabei die Analogie zu ‘ Brand Communities ’ im Konsumgüterbereich. Der Artikel bietet in tabellarischer Form einen recht guten Überblick zur aktuellen Brand-Community- und Freundeskreis-Forschungsliteratur und einen brauchbaren vergleichenden Kriterienkatalog. Obwohl der derzeitige kulturelle Umbruch wesentlich durch die neueren Medientechnologien forciert wird, ist lediglich ein einziger Beitrag diesem Thema gewidmet. Allerdings berücksichtigt Helge Kaul in diesen Überlegungen zu “ Neue[n] Beteiligungsformen im Kulturmarketing ” jedoch den Non-Profit-Kulturbereich kaum, auch theoretisch vermögen seine Ausführungen wenig Neues zu bieten. Hier hätte man sich eingehendere Untersuchungen zu den Online- Partizipationsangeboten öffentlich geförderter Kulturinstitutionen erhofft. Spannende Impulse vermitteln hingegen die Beiträge zur Methodenreflexion. So gibt der Hildesheimer Kulturwissenschaftler Thomas Renz einen detaillierten und kenntnisreichen historisch-methodischen Abriss der Kulturnutzerforschung. Neben den dominierenden Methoden der empirischen Sozialforschung kommen erst in jüngster Zeit auch künstlerische Forschung und experimentelle Methoden zum Einsatz. Ein Beispiel für letztere ist das von Martin Tröndle am Kunstmuseum St. Gallen durchgeführte Forschungsprojekt “ e-motion ” zum Besucherverhalten, dessen überraschende Ergebnisse in Kurzform bereits in der Wochenzeitschrift Die Zeit (Nr. 17 vom 19. 04. 2012) präsentiert wurden. Tröndle u. a. dokumentieren, wie sich das ästhetische Empfinden des Publikums in messbarem körperlichen Reaktionen und der Verweildauer vor Einzelobjekten niederschlägt. Dabei erweist sich die Kontemplation als ein dominierender Faktor des ästhetischen Erlebens. Die latente Skepsis gegenüber bisherigen, auf Besucherbefragungen basierenden Statistiken im Hochkulturbereich untermauert Sigrid Bekmeier- Feuerhahn ebenfalls mit einer empirischen Untersuchung. Durch Kombination der Selbsteinschätzung der Testpersonen mit einem (nicht willentlich steuerbaren) impliziten Assoziationstest gelangt sie zu dem Ergebnis, dass vor allem weniger gebildete Befragte zu einem sozial erwünschten Antwortverhalten tendieren. Die bisherigen Befragungsmethoden seien daher teilweise revisionsbedürftig. Ebenfalls aufschlussreich ist Karl-Heinz Reubands Langzeitvergleich zur kulturellen Partizipation zwischen 1991 und 2010 am Beispiel der Stadt Köln. Neben einer komplexen, an dieser Stelle nicht im Detail referierbaren Kritik statistischer Methoden zieht er insb. die neuere kultursoziologische “ Individualisierungsthese ” (nach Ulrich Beck, Die Risikogesellschaft und Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft) in Zweifel. Aufgrund der ermittelten Daten “ sei vielmehr die These einer zunehmenden Entkopplung der ästhetischen Präferenzen von den sozialen Merkmalen [für den Untersuchungszeitraum] zu problematisieren. ” (S. 246) Gerade in derlei Hinterfragungen gängiger Theorien wie in der wissenschaftlichen Reflexion des eigenen methodischen Instrumentariums (bspw. statistische Auswertung, quantitative Besucherbefragung etc.) liegt die besondere Stärke dieses Bandes. Durchweg lesenswert sind auch die vorwiegend aus dem Museumsbereich stammenden Fallbeispiele. Obgleich Theater- und Opernbesucher in diesem Band nicht unbedingt den Schwerpunkt bilden, bieten die hier versammelten Überlegungen und Analysen gerade auch Theaterwissenschaftler/ -innen sowie Theaterschaffenden vielfältige grundlegende Anregungen zur Erkundung des, ja auch für die theatrale Aufführung konstitutiven Publikums. München K ATHARINA K EIM Anmerkungen 1 Siehe hierzu: Albrecht Koschorke. “ Ein neues Paradigma der Kulturwissenschaften ” . In: Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Hg. von Eva Esslinger [u. a.]. Frankfurt/ Main, 2010, S. 9 - 35. 226 Rezensionen