eJournals Forum Modernes Theater 26/1-2

Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/0601
2011
261-2 Balme

Stefanie Watzka. Die ‘Persona’ der Virtuosin Eleonora Duse im Kulturwandel Berlins in den 1890er-Jahren. “Italienischer Typus” oder “Heimathloser Zugvogel”? Tübingen: Francke, 2012, 349 Seiten.

0601
2011
Berenika Szymanski-Düll
fmth261-20230
Ballett-Laien Einblick in die Entwicklung einer von der Forschung vernachlässigten musikalischen Gattung zu geben. Bamberg A LBERT G IER Stefanie Watzka. Die ‘ Persona ’ der Virtuosin Eleonora Duse im Kulturwandel Berlins in den 1890er-Jahren. “ Italienischer Typus ” oder “ Heimathloser Zugvogel ” ? Tübingen: Francke, 2012, 349 Seiten. Während im 18. Jahrhundert vor allem überdurchschnittlich talentierte Künstler des Musiktheaters als Virtuosen bezeichnet wurden, werden seit dem 19. Jahrhundert auch begabte und beim Publikum besonders beliebte Akteure des Sprechtheaters, die durch ihre hochwertige, jedoch auch effektvolle Spielweise den Hauptfokus einer Inszenierung bilden, mit einer solchen Bezeichnung versehen. Doch nicht mehr nur die Leistungen auf, sondern auch die Performance außerhalb der Bühne ist in diesem Kontext von Bedeutung. Dabei verstehen es Virtuosen, sich öffentlichkeitswirksam zu vermarkten, um Zuschauer ins Theater zu locken und so neben künstlerischem Erfolg auch einen finanziellen Gewinn zu erzielen. Die Schauspielerinnen Sarah Bernhardt (1844 - 1923) und Eleonora Duse (1858 - 1924) gelten als Musterbeispiele des Virtuosentums. Durch ihre international erfolgreichen Gastspiele wurden sie von Zuschauern auf der ganzen Welt geliebt und bewundert und von zahlreichen Mitstreiterinnen kopiert. So überrascht es nicht, dass beiden Schauspielerinnen eine kaum zu überblickende Anzahl an Publikationen, insbesondere biographischer Art, gewidmet worden ist. Auch Stephanie Watzka stellt eine der beiden Ausnahmekünstlerinnen - Eleonora Duse - in den Mittelpunkt ihrer Dissertationsschrift Die ‘ Persona ’ der Virtuosin Eleonora Duse im Kulturwandel Berlins in den 1890er-Jahren. “ Italienischer Typus ” oder “ Heimathloser Zugvogel ” ? Dabei sieht sie klugerweise von einer Lebensbeschreibung der italienischen Schauspielerin ab und legt ihren Fokus auf die Gastspieltätigkeit der Duse im Deutschen Reich: Watzka konzentriert sich auf ausgewählte Gastspiele der Virtuosin in Berlin der 1890er Jahre, die die Italienerin 1892 am Lessing- Theater begründete, sowie exemplarisch für die Theaterprovinz auf ihre Auftritte in Mainz im Jahr 1895. Ihr Ziel ist es, aufzuzeigen, welche Folgen die Gastspieltätigkeit der Duse für die deutsche bzw. Berliner Gesellschaft in kultureller, sozialer wie auch national und transnationaler Hinsicht hatte. Hierbei stellt sie die These auf, dass das Gastspiel der Eleonora Duse die Funktion eines Katalysators der nationalisierend und gleichzeitig transnationalisierend wirkenden Strömungen innerhalb der deutschen Gesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert übernimmt. In ihrer Schrift greift die Autorin auf schriftliche Quellen zurück, welche vorwiegend aus Zeitschriften- und Zeitungsartikeln bestehen, die im geläufig zitierten Textkorpus um Eleonora Duse bis dato keine Berücksichtigung fanden. Den ersten Teil ihrer Abhandlung widmet Watzka der Frage nach nationalen Stereotypen und ihrer Funktion innerhalb kollektiver Vorstellungen, wobei sie ihren Schwerpunkt auf die Herausarbeitung der Stereotypisierung einer ‘ typisch italienischen ’ Schauspielkunst legt. In diesem Zusammenhang stellt sie im Analyseteil heraus, dass Eleonora Duse während ihres ersten Berliner Gastspiels von deutschen Rezensenten als Symbolfigur einer solchen Schauspielkunst betrachtet wurde. Expressive Gestik und Mimik, ein hoher Grad an Natürlichkeit, Einfühlung sowie Authentizität galten deutschen Kritikern als typisch italienisch und wurden als nachahmenswert für die Bühnenkünstler des Deutschen Reiches deklariert. Diesbezüglich legt Watzka dar, dass Eleonora Duse von deutschen Kritikern zwar ein herausragendes Talent zugesprochen wurde, man dieses jedoch als Teil ihres für die Schauspielkunst prädestinierten italienischen Naturells ansah und somit nicht als originär bewertete, was die eigene Kunstfertigkeit der Schauspielerin erheblich reduzierte. Im Mittelpunkt der von Watzka fokussierten Quellen findet sich also nicht die Individualität der Duse, sondern vielmehr die Projektionsfläche als die sie fungierte: zum einen von nationalen Stereotypen, anhand derer sich die Eigengruppe abgrenzen konnte und sich in diesem Prozess selbst Forum Modernes Theater, 26 (2011 [2014]), 230 - 231. Gunter Narr Verlag Tübingen 230 Rezensionen definierte, zum anderen von bürgerlichen Begehrensstrukturen, die von dem Wunsch nach dem Autochthonen und dem Exotismus geprägt waren [. . .]. (S. 188) Watzka arbeitet sehr präzise heraus, dass es Eleonora Duse in den folgenden Jahren, insbesondere seit ihren Auftritten in Mainz 1895 und endgütig mit der Darbietung der Kameliendame 1899, jedoch gelungen ist, die ihr im deutschen Diskurs während der ersten Gastspiele zugeschriebene Rolle als Repräsentantin der typisch italienischen Schauspielkunst zu minimieren und ihre individuelle Kunstfertigkeit mehr in den Vordergrund zu rücken. Vor allem aufgrund ihres zu diesem Zeitpunkt bereits großen internationalen Erfolges wurde sie von deutschen Kritikern zunehmend als eine universale Künstlerin anerkannt. Der “ italienische Typus ” wurde so, wie aus einer Rezension der Vossischen Zeitung im Titel des Buches zitiert wird, zum “ heimathlosen Zugvogel ” . Dennoch, so betont die Autorin, wurde Eleonora Duse im deutschen Diskurs weiterhin als eine Fremde stereotypisiert. Eine solche Diversifizierung der Perspektiven lässt Watzka den Rückschluss auf die deutsche Wir- Gruppe ziehen, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert einerseits zunehmend für kosmopolitisches Denken öffnete, andererseits aber eine klar definierte deutsche Kultur wünschte: Kosmopolitismus beziehungsweise Transnationalitismus sowie Metropolitanismus (wie im Falle Berlins) auf der einen Seite und ein sich modifizierender Nationalismus auf der anderen Seite schlossen sich um 1900 also nicht aus, sondern existierten als in der Gesellschaft gleichzeitig vorhandene Strömungen. (S. 314) Stefanie Watzkas Arbeit überzeugt durch eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit historischen Quellen. Immer wieder gibt die Autorin wichtige theatergeschichtliche Zusatzinformationen und wertvolle Exkurse, die die deutsche Rezeption um Eleonora Duse bereichern. Auch gelingt es ihr, insbesondere im zweiten Teil der Abhandlung, die mononationale Perspektive auf das 19. Jahrhundert zu erweitern. Allerdings wäre es diesbezüglich wünschenswert gewesen, wenn Watzka den Transnationalismusbegriff nicht limitiert aus dem deutschen Diskurs heraus angewandt, sondern seine methodischen Vorteile gerade in Hinblick einer vergleichenden Untersuchung ausgenutzt hätte. So wäre es in diesem Zusammenhang z. B. nicht uninteressant gewesen, einen Blick in die ausländische Presse zu werfen, um nachzugehen, ob vor dem Hintergrund des Nation-Building-Prozesses hier ebenfalls Tendenzen einer ähnlichen Stereotypisierung der Schauspielerin auszumachen seien und somit etwa als transnationale Phänomene betrachtet werden können, oder ob die Rezeption der Virtuosin vielmehr als eine deutsche und somit lokale Besonderheit aufzufassen sei. Dies stellt nicht in Abrede, dass die Dissertationsschrift von Stefanie Watzka sehr lesenswert ist. Die Autorin arbeitet einleuchtend an den Gastspielen der Schauspielerin Eleonora Duse heraus, wie sich Tradition und Moderne im Deutschen Reich des ausgehenden 19. Jahrhunderts brechen und wie stark die Institution des Gastspiels in dieser Zeit Politisierungen ausgesetzt war. So ist die Publikation nicht nur für Eleonora Duse Fans, sondern gerade auch für all diejenigen zu empfehlen, die sich mit dem Theater, vor allem aber mit dem Gastspielwesen des Deutschen Reiches im 19. Jahrhundert befassen. München B ERENIKA S ZYMANSKI -D ÜLL Wolf-Dieter Ernst. Der affektive Schauspieler. Die Energetik des postdramatischen Theaters. Berlin: Theater der Zeit, 2012, 256 Seiten. Seit einigen Jahren häufen sich Konferenzen und Tagungen zu den zentralen Fragen, wie sich die Ausbildung für den Schauspieler im Hinblick auf das zeitgenössische Theater verändern müsse. Dass der Schauspieler heute nicht mehr nur ein Rollenbild zu erfüllen habe, dass die gängigen Spielweisen aus der Schule Stanislawskis oder Brechts den vielfältigen Theaterformen bei weitem nicht mehr Rechnung tragen und sich die Position des Schauspielers im Probenprozess ver- Forum Modernes Theater, 26 (2011 [2014]), 231 - 233. Gunter Narr Verlag Tübingen 231 Rezensionen