Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
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2013
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BalmeKontrasexuelle Performativität des Sex
1201
2013
Noa Winter
Seit den 1990er-Jahren herrscht in den Sozial- und Kulturwissenschaften weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Geschlechtsidentität eines Menschen auf Konstruktion beruht. Folgt man jedoch den Ausführungen der für diesen Umstand meist zitierten Theoretikerin Judith Butler, zeigt sich, dass nicht nur die Geschlechtsidentität einer Person (gender), sondern auch deren anatomisches Geschlecht (sex) erst in medizinischen, juristischen und sozialen Diskursen hergestellt werden muss. Während sich jedoch etwa die in zeitgenössischen Theaterproduktionen fast schon standardisierten Inszenierungspraktiken des Cross-Dressings und Cross-Gender-Actings einer breiten theaterwissenschaftlichen Rezeption erfreuen, bleiben das anatomische Geschlecht und damit auch das queerende Potenzial der Körperlichkeit der Darsteller*innen im deutschsprachigen Raum weitestgehend unbeachtet. Am Beispiel der Inszenierung MDLSX der italienischen Kompagnie Motus wird dieser Beitrag zeigen, wie ein solches dem Körper selbst innewohnendes Potenzial aus queertheoretischer Sicht erschlossen werden kann. Hierzu wird die Solo-Performance Silvia Calderonis, die in ihrem Spiel die herkömmlichen Thematisierungen von Sex und Gender auf der Theaterbühne gekonnt unterläuft, mittels der plural-queeren Perspektive der Philosophin Gudrun Perko betrachtet. Einweiterer wichtiger Bezugspunkt der Analyse ist das Kontrasexuelle Manifest von Paul B. Preciado, welches im Rahmen der Performance in Auszügen zitiert wird. Dabei entwickelt der Beitrag die Hypothese, dass es sich bei der Inszenierungum eine (Kontra-)Sex-Performance handelt, welche sich queere Strategien zunutze macht, um die Blicke der Zuschauer*innen auf den performenden Körper zu irritieren. In dieser Konfrontation mit dem eigenen (Nicht-)Wissen eröffnet sich eine für queertheoretische Forschungsansätze charakteristische, selbstreflexive Perspektive der Betrachtung.
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Kontrasexuelle Performativität des Sex. Das Spiel mit dem anatomischen Geschlecht in MDLSX Noa Winter (Mainz) Seit den 1990er-Jahren herrscht in den Sozial- und Kulturwissenschaften weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Geschlechtsidentität eines Menschen auf Konstruktion beruht. Folgt man jedoch den Ausführungen der für diesen Umstand meist zitierten Theoretikerin Judith Butler, zeigt sich, dass nicht nur die Geschlechtsidentität einer Person (gender), sondern auch deren anatomisches Geschlecht (sex) erst in medizinischen, juristischen und sozialen Diskursen hergestellt werden muss. Während sich jedoch etwa die in zeitgenössischen Theaterproduktionen fast schon standardisierten Inszenierungspraktiken des Cross-Dressings und Cross-Gender-Actings einer breiten theaterwissenschaftlichen Rezeption erfreuen, bleiben das anatomische Geschlecht und damit auch das queerende Potenzial der Körperlichkeit der Darsteller*innen im deutschsprachigen Raum weitestgehend unbeachtet. Am Beispiel der Inszenierung MDLSX der italienischen Kompagnie Motus wird dieser Beitrag zeigen, wie ein solches dem Körper selbst innewohnendes Potenzial aus queertheoretischer Sicht erschlossen werden kann. Hierzu wird die Solo-Performance Silvia Calderonis, die in ihrem Spiel die herkömmlichen Thematisierungen von Sex und Gender auf der Theaterbühne gekonnt unterläuft, mittels der plural-queeren Perspektive der Philosophin Gudrun Perko betrachtet. Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt der Analyse ist das Kontrasexuelle Manifest von Paul B. Preciado, welches im Rahmen der Performance in Auszügen zitiert wird. Dabei entwickelt der Beitrag die Hypothese, dass es sich bei der Inszenierung um eine (Kontra-)Sex- Performance handelt, welche sich queere Strategien zunutze macht, um die Blicke der Zuschauer*innen auf den performenden Körper zu irritieren. In dieser Konfrontation mit dem eigenen (Nicht-)Wissen eröffnet sich eine für queertheoretische Forschungsansätze charakteristische, selbstreflexive Perspektive der Betrachtung. Der Körper ist der Nullpunkt der Welt, der Ort, an dem Wege und Räume sich kreuzen. Der Körper selbst ist nirgendwo. Er ist der kleine utopische Kern im Mittelpunkt der Welt, von dem ich ausgehe, von dem aus ich träume, spreche, fantasiere, die Dinge an ihrem Ort wahrnehme und auch durch die grenzenlose Macht der von mir erdachten Utopien negiere. 1 Der Körper als Mittelpunkt der Welt, wie er von Michel Foucault 1966 geradezu paradigmatisch bestimmt wird, ist seit den 1990er-Jahren zum Dreh- und Angelpunkt zahlreicher sozial- und kulturwissenschaftlicher Veröffentlichungen avanciert. Diese Hinwendung zum Körper als Gegenstand der Forschung - der sogenannte Body-Turn 2 - ermöglicht auch neue Formen der Beschäftigung mit Geschlecht und Sexualität, wie sie sich insbesondere in gender- und queertheoretischen Ansätzen widerspiegelt, deren zumeist dekonstruktivistischer Gestus dabei von der Lektüre der einschlägigen Schriften Judith Butlers geprägt ist. 3 Wie jedoch der spanische Philosoph Paul B. Preciado in seinem 2000 publizierten Kontrasexuellen Manifest 4 mit und gegen die dominante queertheoretische Rezeption Butlers argumentiert, birgt die (implizite) Präferenz der theatralen Performanz für das Forum Modernes Theater, 28/ 2 (2013 [2018]), 160 - 175. Gunter Narr Verlag Tübingen Unterlaufen von Geschlechtergrenzen die Gefahr, das volle (Widerstands-)Potenzial des Körpers und seiner Praktiken aus dem Blick zu verlieren, denn: Tatsächlich könnte man sagen, dass die Bedrohung des Sex/ Gender-Systems sich weniger ‚ auf der Bühne ‘ transgeschlechtlicher Performanz ereigne, sondern eher in den physischen, sozialen und politischen Transformationen der Körper und der sexuellen Praktiken ‚ außerhalb der Bühne ‘ , oder besser noch, auf der politisch-sexuellen ‚ Bühne ‘ des Alltagslebens. 5 Vergleichbare Tendenzen lassen sich im theaterwissenschaftlichen Diskurs feststellen: Wie Franziska Bergmann in ihrer Dissertation Die Möglichkeit, dass alles auch ganz anders sein könnte. Geschlechterverfremdungen in zeitgenössischen Theatertexten 2015 mit Blick auf die einschlägige deutschsprachige und angloamerikanische Forschung konstatiert, befasst sich die Analyse von Genderperformances im deutschsprachigen Raum primär mit Inszenierungspraktiken der Geschlechtertransgression. 6 Dabei tritt - etwa bei den weit verbreiteten Praktiken des Cross-Dressings oder Cross- Gender-Actings - die äußerliche Ausstattung (z. B. in Form geschlechtlich codierter Kleidung) beziehungsweise schlicht die gegengeschlechtliche Besetzung des Körpers in den Vordergrund; eine eingehendere Betrachtung der Körperlichkeit selbst wird in der Regel vernachlässigt. Neben Bergmanns Buch stellt nur eine weitere deutschsprachige Monografie queertheoretische Ansätze in den Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung: Gini Müllers 2008 veröffentlichte Possen des Performativen. Theater, Aktivismus und queere Politiken 7 . Während Müller eine Untersuchung performativer Praktiken im Rahmen sozialer Bewegungen vornimmt, liegt der Fokus bei Bergmann - wie der literaturwissenschaftliche Fachkontext nahelegt - auf der Beschäftigung mit Theatertexten und nicht etwa mit denen aus jenen Materialien erwachsenden Inszenierungen. Dahingegen widmet sich dieser Beitrag mit der Solo- Performance MDLSX der italienischen Kompagnie Motus dezidiert einer Bühneninszenierung, welche sich kaum treffender als ein Spiel mit einem dem Körper selbst innewohnenden queerenden Potenzial zur Geschlechter(verw)irrung beschreiben lässt. Mit Blick auf queertheoretische Ansätze sowie das Kontrasexuelle Manifest Preciados wendet sich meine Analyse der Frage zu, auf welche Weise die Performerin Silvia Calderoni gerade durch den Einsatz ihrer Körperlichkeit in MDLSX mit herkömmlichen Thematisierungen von Sex und Gender auf der Theaterbühne spielt und diese zugleich gekonnt unterläuft. 8 Queertheoretische Perspektive(n) Der Queer-Begriff wurde 1991 maßgeblich von Teresa de Lauretis in ihrer Verantwortlichkeit als Herausgeberin der Sonderausgabe Queer Theory: Lesbian and Gay Sexuality der Zeitschrift differences. A Journal of Feminist Cultural Studies geprägt. Durch dessen Einführung erhoffte sie sich eine selbstreflexive Forschungsperspektive, welche zu identitätsorientierten Kategorisierungen - wie sie etwa mit den Termini ‚ lesbisch ‘ und ‚ schwul ‘ einhergehen - in kritische Distanz tritt. 9 Ähnlich wird dies von Sabine Hark formuliert, die bereits 1993 versucht, Queer-Theorie im deutschsprachigen Raum als „ eine politische und theoretisch-konzeptionelle Idee für eine kategoriale Rekonzeptualisierung von Geschlecht und Sexualität, mit der problematisch gewordenen Identitätspolitiken überwunden werden sollen “ 10 , zu etablieren. Für den alltagspraktischen wie akademischen Sprachgebrauch haben sich, wie die Philosophin und Sozialarbeiterin Gudrun Perko in Queer-Theorien. Ethische, politische 161 Kontrasexuelle Performativität des Sex. Das Spiel mit dem anatomischen Geschlecht in MDLSX und soziale Dimensionen queer-pluralen Denkens erläutert, drei unterschiedliche Konnotationen des Begriffs durchgesetzt: 11 Die ersten beiden verwenden den Begriff entweder lediglich als Synonym für ‚ lesbisch ‘ beziehungsweise ‚ schwul ‘ oder in einer leicht erweiterten Version auch für die Phänomene Bisexualität und Transgender, wobei letztere Ausprägung dahingehend variiert, inwiefern der Transgender-Begriff weiterhin einem dichotomen Geschlechterdenken verhaftet bleibt. 12 Sie selbst vertritt in ihrer theoretischen wie praktischen Arbeit mit dem (titelgebenden) plural-queeren Denkansatz eine dritte Variante, welche „ Queer als politisch-strategische[n] Überbegriff für alle Menschen [. . .], die der gesellschaftlich herrschenden Norm nicht entsprechen oder nicht entsprechen wollen “ 13 , betrachtet und sich „ grundsätzlich gegen eindeutige Kategorisierungen und Identitätspolitiken “ 14 wendet. Einfacher ausgedrückt, entspricht dies der „ Anerkennung, dass sich alle Menschen definieren können, wie sie und so sie es wollen “ 15 . Dies impliziert, dass Personen, die sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, von dieser Pluralität ebenso mitgemeint sind wie Menschen, die eine binäre oder sogar jegliche Identifizierung für sich persönlich ablehnen. Im Anschluss an Judith Butler betont Perko die Kontingenz des Queer-Begriffs, der „ zwar Ausdruck für Zugehörigkeit ist, aber als Begriff erstens diejenigen, die er repräsentiert, niemals vollständig beschreibt, und zweitens immer mehr an Beschreibungsmöglichkeiten beinhaltet als bislang vorgestellt “ 16 . Somit kann der Terminus Queer in Form von Selbst- oder Fremdbeschreibungen zwar als Kategorie fungieren, zugleich widersetzt er sich jedoch - so meine These - der binären Logik anderer Kategorisierungen wie weiblich vs. männlich oder transgender vs. cisgender. Der Hinweis vonseiten Perkos, dass [g]emäß der praktischen Umsetzung [. . .] Queer-Theorien in ihrer pluralen Form am schwierigsten [erscheinen], weil sie die jeweiligen (Gruppen-)Identitätsmarkierungen aufs Äußerste in Frage stellen, fließende Übergänge und Uneindeutigkeiten bestehen lassen und darüber hinaus keine Existenzform, keine Lebensweise und Selbstdefinition als unmöglich annehmen[,] 17 ist sicherlich berechtigt. Zugleich eröffnet der Queer-Begriff aber ganz im Sinne der von de Lauretis geforderten selbstreflexiven Wissensproduktion eine interwie anti-kategoriale Analyseperspektive. 18 Ein Indiz für die Tragfähigkeit einer solchen Perspektive ist, dass die von Perko 2005 zu Recht bemängelte Fokussierung auf den Komplex Sex/ Gender/ Begehren abnimmt und es gerade in queerfeministischen Theorien und Praktiken zu einer zunehmenden Reflexion der Verschränkungen dieser mit anderen Machtverhältnissen wie race, class und disability kommt. Dabei geht es mitnichten um das Auslöschen von Differenzen, 19 sondern um die Anerkennung von Pluralität auf der Basis der jeweiligen Selbstdefinition(en). So schlussfolgert Perko, dass „ eine eindeutige Zuschreibung die Bedeutung des Terminus Queer und insgesamt die Denkrichtung Queer grundlegend missverstehen “ 20 würde. Doch mit welcher Methode kann dieser (wissenschaftlichen) Herausforderung begegnet werden? Im Anschluss an Jacques Derrida und dessen Rezeption durch Judith Butler führt Perko an dieser Stelle das Verfahren der Dekonstruktion an: als eine „ Strategie, um die Struktur innerer Konstruktionen [. . .] zu verschieben, zu verrücken, zu transformieren und schließlich aufzubrechen und einen neuen Zustand herbeizuführen “ 21 . Ziel ist hierbei „ die Aufhebung aller eindeutigen und vermeintlich natürlichen Identitäten - auch der homogenen Gruppenidentität(en) “ 22 . So gilt es auch in (theater)wissenschaftlichen Ana- 162 Noa Winter lysen, den Künstler*innen mit einer - das eigene Schreiben zunächst verunsichernden - Offenheit zu begegnen, die sie nicht anhand von (Körper-)Kategorien eindeutig zu bestimmen versucht, insbesondere wenn die Künstler*innen selbst oder deren Arbeiten sich (formal und/ oder inhaltlich) ebendiesen Kategorisierungen zu widersetzen scheinen. 23 Denn das dekonstruktivistische Verfahren fordert auch - oder gerade - von Wissenschaftler*innen, in ihren Analysen „ alle Gewissheiten in Bezug auf andere Menschen als vermeintliche Gewissheiten in Frage zu stellen “ 24 . Bei Butler tritt dies insbesondere in Gestalt der performativ inszenierten Bedeutung des anatomischen Geschlechts in Erscheinung, welche den „ gesellschaftlich verankerte[n] und von den jeweiligen Menschen internalisierte[n] Vorstellungen von (vermeintlichen) Gewissheiten “ 25 arbiträr gegenübersteht. 26 Denn „ dieses Wissen erscheint lediglich als Wahrheit, insofern es auf biologische bzw. genetische Ursachen zurückgeführt, naturalisiert und ideologisch abgesichert wird “ 27 . Mit Blick auf das für die Performance MDLSX titelgebende und zentrale Phänomen der Intersexualität wird hier eine deutliche Kluft zwischen den zumeist gendertheoretisch zu verortenden, wissenschaftlichen Diskursen und der Alltagswirklichkeit sichtbar, da eine gesellschaftliche beziehungsweise juristische Anerkennung von Intersexualität als eigenständiger Lebensform - auch an dieser Stelle ist Perkos Forschungsstand von 2005 noch heute aktuell - weitestgehend ausbleibt. So sieht etwa das italienische Recht keine dritte Geschlechtsoption vor und die Regierung wurde vonseiten der UN-Behindertenrechtskonvention 2016 für den mangelnden Schutz der persönlichen Integrität intersexueller Kinder gerügt. 28 In Deutschland ist es seit November 2013 zwar erlaubt, bei einem neugeborenen Kind, das nicht (vermeintlich) eindeutig weibliche oder männliche Geschlechtsmerkmale aufweist, den Geschlechtseintrag im Geburtsregister offenzulassen, jedoch wird diese Praktik von intersexuellen Personen wie auch seitens des Deutschen Ethikrats aufs Schärfste kritisiert: Aus rechtlicher Sicht spricht nichts dagegen, die binäre Geschlechterstruktur aufzubrechen, um Menschen mit Intersexualität die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu ermöglichen. Die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG spricht dafür, eine Kategorisierung gar nicht erst vorzunehmen. Das rechtliche Erfassen eines potenziellen dritten Geschlechts als ‚ weder-noch ‘ erscheint nicht vertretbar. Eine solche Bezeichnung suggeriert ein rechtliches Nullum und spiegelt nicht ein Ergebnis des Prozesses der freien Entfaltung der Persönlichkeit wider. 29 So argumentierte auch das Bundesverfassungsgericht, als es am 8. November 2017 die derzeitige Rechtslage für verfassungswidrig befand und von der Legislative bis zum Jahresende 2018 eine entsprechende Gesetzesänderung forderte. 30 Dass die Befürchtungen der vorherigen Instanzen gegenüber einer freieren Handhabung des Personenstandes - des juristischen Geschlechts - weit über die Angst vor Rechtsunsicherheiten hinausgeht, zeigt etwa die Debatte um Lann Hornscheidt. 31 Noch problematischer gestaltet sich jedoch die gesellschaftlich-soziale Akzeptanz intersexueller Identitäten und die damit aufs Engste verknüpfte anhaltende Dominanz medizinischbiologischer 32 Paradigmen in der Lebenswirklichkeit intersexueller Personen. So ist es noch immer gängige Praxis, das vermeintlich nicht eindeutige anatomische Geschlecht nach der Geburt unverzüglich zu ‚ korrigieren ‘ , ohne dass eine medizinische Indikation - im Sinne einer lebenserhaltenden Notwendigkeit - gegeben ist. Der pluralqueere Diskurs bezieht hierbei explizit Stellung „ gegen die (zwangsweise) Herstellung 163 Kontrasexuelle Performativität des Sex. Das Spiel mit dem anatomischen Geschlecht in MDLSX des eindeutigen Geschlechts männlich oder weiblich durch medizinisch-biologischen Diskurs (und seine juristische Verankerung), in dem zwischen biologischem und psychosozialen Geschlecht differenziert wird “ 33 . In seiner 2014 veröffentlichten Dissertation Nicht Frosch - nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild fokussiert der Kunst- und Kulturwissenschaftler Josch Hoenes mit der Transsexualität ein weiteres Phänomen, das besonders von juristischen wie medizinischen Diskursen betroffen ist. Diese sind Hoenes zufolge von Vorurteilen durchzogen, welche er jedoch nicht primär als moralische Kategorien, sondern „ als ein dem Prozess des Fragens und Verstehens zu Grunde liegenden vorgängiges Urteil - , dass das Geschlecht eines Menschen an dessen Körper sichtbar und ablesbar sei “ 34 - versteht. Durch die Aufnahme in das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) 1980 verfestigte sich die Vorstellung von Transsexualität „ als ein Problem, das sich als Spannungsverhältnis von Identität und anatomischem Geschlecht formuliert[,] [. . .] [sowie] eine Naturalisierung der als angeboren und nicht veränderbar gedachten Geschlechtsidentität “ 35 . Bis heute wird Transsexualität als psychische Erkrankung eingestuft, muss - nach deutschem Recht - für Namens- und Personenstandsänderungen von zwei Gutachter*innen bestätigt werden und ist somit gleichermaßen in medizinisch-therapeutische wie juristische Diskurse eingebunden. Mit der in den 1990er-Jahren aufkommenden Kritik an der Vorstellung natürlicher Zweigeschlechtlichkeit sowie einheitlicher Identität setzte sich - zumindest in der Eigenbezeichnung - vermehrt der Terminus Transgender durch. Dieser dient als Oberbegriff für Personen mit nicht-heteronormativer Geschlechtsidentität[,] [. . .] [womit] die Festschreibung von fixen Identitäten und Kategorien vermieden und stattdessen eine kritische Haltung gegenüber heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit als vergemeinschaftendes Kriterium etabliert werden [soll]. 36 Dies ändert allerdings nichts an den (notwendigen) individuellen Bemühungen bei einer Begutachtung den binären Rollenklischees zu entsprechen, denn noch immer gilt „ als Kriterium für die Echtheit und Glaubwürdigkeit für Transsexualität [. . .] die Narration einer möglichst frühen und dauerhaften gegengeschlechtlichen Identifizierung “ 37 . Hierzu zählt auch, dass die Narration vermeintlich glaubwürdiger erscheint, wenn sie sich in heterosexuelle Strukturen einfügt, sodass das geäußerte Begehren mit der Personenstandsänderung nicht mehr als ‚ unnatürlich ‘ homosexuell, sondern nun als ‚ natürlich ‘ heterosexuell gelesen werden kann. So konstatiert Hoenes treffend: Diese verschwiegene und doch so wirksame Norm der heterosexuellen Einehe strukturiert die Geständnisse, die Transsexuelle in Begutachtungsverfahren, aber auch gegenüber großen Teilen ihrer Umwelt ablegen müssen [. . .]. 38 Auf diese Weise bringt die „ sexuelle Konnotation [. . .], neben dem Wissen um die Anatomie des Körpers, den Sex als zweites zentrales Wahrheitsregime in Bezug auf Identität ins Spiel “ 39 . Damit zeigt sich, dass die „ Frage der geschlechtlichen Identität aufs engste mit dem Dispositiv der Sexualität verschränkt und in dieses eingebettet “ 40 ist. In seinem 2000 publizierten Kontrasexuellen Manifest thematisiert Paul B. Preciado jene Verschränkung von Geschlechter- und Sexualitätsdispositiv. Diese theoretische Rahmung der Analyse ist bereits in der Inszenierung selbst angelegt, da in MDLSX - das primär auf ausgewählte Textfragmente 164 Noa Winter des namensgebenden Romans Middlesex von Jeffrey Eugenides beruht - sowohl das Kontrasexuelle Manifest mehrfach zitiert als auch ein Ausschnitt aus einem Interview mit Preciado eingespielt wird. Als Aufgabe der Kontrasexualität - ein Neologismus in Anlehnung an Foucaults Kontra-Produktivität - benennt er die „ systematische[ ] Dekonstruktion sowohl der Naturalisierung der sexuellen Praktiken als auch der Geschlechterordnung “ 41 mit dem Ziel, „ den Sozialvertrag, den man Natur nennt, durch einen kontrasexuellen Vertrag zu ersetzen[,] [welcher] [. . .] die Körper nicht als Mann oder als Frau, sondern als Subjekte “ 42 begreift. Im Sinne eines plural-queeren Denkens wird dabei „ die Gleichwertigkeit (und nicht die Gleichheit) aller sprechenden Körper-Subjekte “ 43 proklamiert. Kontrasexualität wird demnach wie folgt bestimmt: Kontra-Sexualität ist eine Theorie des Körpers, die sich außerhalb der Oppositionen maskulin/ feminin, Männchen/ Weibchen, heterosexuell/ homosexuell stellt. Sie definiert Sexualität als Technologie und betrachtet die unterschiedlichen Elemente des Systems Sex/ Gender [. . .] als Maschinen, Produkte, Werkzeuge, Apparate, Gadgets, Prothesen, Netze, Anwendungen, Programme, Verbindungen, Energie- und Informationsströme [. . .]. 44 Mit dem Terminus der Technologie eröffnet Preciado hier eine neue, scharfsinnige Perspektive auf gesellschaftliche Herrschaftssysteme wie auch das anatomische Geschlecht: „ Sex ist kein präziser biologischer Ort und kein natürlicher Trieb, weder als Organ noch als Praktik[,] [. . .] sondern eine Technologie heterosozialer Herrschaft, die den Körper auf erogene Zonen reduziert. “ 45 Seine im weiteren Verlauf des Buches vorgenommene Verhandlung des technologischen Charakters des Sexes ist dabei nicht nur philosophischer, sondern vor allem auch sexualgeschichtlicher Natur, da er unterschiedliche Instrumente wie Keuschheitsgürtel, Fesseln oder Peitschen und ihre ambivalenten Verwendung - einerseits zur Unterdrückung sexueller Erregung entwickelt, andererseits bis heute zur Steigerung der Lust im Rahmen von BDSM- Praktiken genutzt - thematisiert. Dabei wendet sich Preciado explizit der weiblichen Sexualität und ihrer historischen Medikalisierung als ‚ Hysterie ‘ 46 zu und umgeht damit die von Hoenes konstatierte einseitige Fokussierung sexualwissenschaftlicher Diskurse auf die männliche Sexualität. 47 Zentrale Technologie des Kontrasexuellen Manifests ist der - wie es Andrea B. Braidt pointiert zusammenfasst - „ abstrakte (philosophische) und zugleich konkrete (sexuelle) Einsatz des Dildos “ 48 . Im Anschluss an die Philosophie Jacques Derridas versteht dessen ehemaliger Student Preciado „ den Dildo als Supplement, der produziert, was er vervollständigt “ 49 , und dessen Einsatz auf praktischer wie theoretischer Ebene die transzendentale Möglichkeit [bietet], einem arbiträrem Organ die Macht zuzusprechen, die sexuelle und geschlechtliche Differenz zu begründen. Dass man gerade das Organ, das den Körper als maskulin institutionalisiert, in Form eines Dildos hervorhebt, muss als struktureller und historisch einschneidender Akt im Prozess der Dekonstruktion der natürlichen Heterosexualität betrachtet werden. 50 Nicht nur das hier bereits angesprochene (heterosexuelle) Begehren, auch jegliche Form sexueller Erregung bis hin zum Orgasmus werden auf diese Weise geschickt als Produkte spezifischer Technologien entlarvt. Zudem argumentiert Preciado in diesem Sinne am konkreten Beispiel der Intersexualität von Neugeborenen gegen die dominante phallogozentristische Logik, die sich für ihn erst durch die symbolische Aufladung einer bestimmten körperlichen Anatomie ergibt anstelle dieser vorauszugehen: 165 Kontrasexuelle Performativität des Sex. Das Spiel mit dem anatomischen Geschlecht in MDLSX Der Dildo ist nicht der Phallus, und er repräsentiert nicht den Phallus, weil der Phallus nicht existiert. Der Phallus ist nur eine Hypostasierung des Penis. Wie bei der Geschlechterfeststellung intersexueller Babies deutlich wird, ist in der symbolischen heterosexuellen Ordnung der Signifikant par excellence nicht der Phallus, sondern der Penis. 51 Trotz dieser und ähnlicher Ansätze zur Dekonstruktion des anatomischen Geschlechts scheint selbst in der Geschlechterforschung die Performativität weiterhin primär der Geschlechtsidentität vorbehalten zu sein, während Untersuchungen zur Konstruktion des anatomischen Geschlechts auch im kultur- und sozialwissenschaftlichen Diskurs lediglich eine marginalisierte Stellung einnehmen: 52 Als wäre der Sex und die Geschlechterdifferenz [. . .] in einem essentialistischen Rahmen verständlicher, wohingegen das Geschlecht, die soziale Konstruktion der Geschlechterdifferenz [. . .], besser in konstruktivistischen Modellen erfasst werden könnte. 53 Aus diesem Grund baut Preciados Argumentation auf den Dildo, der in seinem Bruch mit dem Körper die Sexualität - und damit auch das anatomische Geschlecht - als von Herrschaftspraktiken durchzogenen Ideologie entlarvt, denn: „ Wo befindet sich das Geschlecht eines Körpers, der einen Dildo trägt? “ 54 Doch nicht nur in wissenschaftlichen Diskursen, sondern auch in der Alltagswirklichkeit ist das Sprechen über Sexualität in einem hohen Maße von essentialistischen Annahmen in Bezug auf die körperliche Anatomie von Menschen geprägt. So kennt vermutlich jede Person, die sich als ‚ lesbische Frau ‘ identifiziert, die Frage, wie das mit der lesbischen Sexualität denn funktionieren würde. Mit diesen und ähnlichen (indiskreten) Fragen, die einer heterosexuellen Person - wenn überhaupt - nur von engen Bezugspersonen gestellt werden würde, sehen sich homosexuelle, aber auch inter- und transsexuelle Menschen regelmäßig konfrontiert. Hoenes schlussfolgert diesbezüglich: Das Wissen um das Nicht-Wissen [. . .] lässt soziale Beziehungen und Sexualität fragwürdig - im buchstäblichen Sinne als des Fragens würdig - werden und zeigt damit auf, in welch hohem Ausmaß körperliche Anatomien üblicherweise soziale und sexuelle Beziehungen, Verwandtschaft, Sexualität und Fantasie strukturieren. 55 Damit zeigt sich, dass „ die Naturalisierung des anatomischen Geschlechts eine der wirksamsten Strategien ist, herrschende Ordnungsmuster und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten “ 56 . Es wird jedoch auch deutlich, dass queerenden Körperlichkeiten gerade durch ihre von der binären Norm abweichende Anatomie auf der alltäglichen wie künstlerischen Bühne das Potenzial innewohnt, ebendiese Kategorisierungen zu unterlaufen und dadurch die dominanten Machtregime infrage zu stellen. (Kontra-)Sex-Performance wider die Medikalisierung der Anatomie Die 2015 im Rahmen des italienischen Santarcangelo-Festivals uraufgeführte Produktion MDLSX wurde von der italienischen Kompagnie Motus in kollektiver Praxis entwickelt. Es handelt sich um die erste Solo- Performance Silvia Calderonis 57 , die bereits seit mehr als zehn Jahren mit den beiden Regisseur*innen und Gründer*innen der Kompagnie - Enrico Casagrande und Daniela Nicolò - zusammenarbeitet und gemeinsam mit letzterer für die Dramaturgie des Stücks verantwortlich ist. Zudem tritt Calderoni hier nicht nur - wie im alltäglichen Leben neben ihrer Theatertätigkeit - als DJane, sondern zugleich auch als VJane 166 Noa Winter in Erscheinung, wobei mit einer kleinen, beweglichen Live-Kamera gefilmte Vorgänge auf eine an der Bühnenrückwand befestigte, kreisrunde Fläche projiziert werden. Abb. 1: Blick in den Bühnenraum aus der Zentralperspektive © Simone Stanislai Wie die Performerin Silvia Calderoni in einem Publikumsgespräch am 16. 02. 2017 im Studio Я des Maxim Gorki Theaters in Berlin selbst erläutert, sind alle von ihr im Rahmen der Performance gesprochenen Texte Zitate. 58 Dabei handelt es sich primär - abgesehen von wenigen anderen Quellen wie Paul B. Preciado, Judith Butler oder Donna Haraway, die jedoch nicht als solche benannt werden - um ein 20-seitiges Extrakt aus dem 736-seitigen, titelgebenden Roman Middlesex von Jeffrey Eugenides. Da jedoch in der Aufführung keine kohärente Erzählung, sondern lediglich eine lose Collage von Textfragmenten hervorgebracht wird, behält die Performance einen stark autobiografischen Charakter. Immer wieder stellen sich Momente ein, in denen der*die individuelle Zuhörer*in sich selbst bei Kenntnis der Buchvorlage nicht sicher ist, ob es sich bei dem gerade gesprochenen Text nun um ein Zitat handelt oder nicht. Dies wird dadurch verstärkt, dass Calderoni zwar teilweise Namen und Daten aus der Vorlage beibehält, um jedoch im nächsten Moment mit ihrem eigenen Namen sowie Datum und Ort der jeweiligen Aufführung einen kontrasexuellen Vertrag einzugehen. Im Gespräch erläutert sie, dass sie jene Romanfragmente für die Performance ausgewählt hat, die (zumindest emotional) ihrer eigenen Lebenswirklichkeit entsprechen. So seien es zwar „ keine eigenen Worte, trotzdem fühlt es sich biografisch an “ 59 - eine Selbstreflexion, die sich auch auf das Publikum und die Kritiken überträgt: Die krasseste, nein, aber eine sehr, sehr krasse Form der autobiografischen Selbstenthüllung betreibt die italienische Truppe Motus in dem Stück ‚ MDLSX ‘ . Darstellerin Silvia Calderoni ist von der Figur auf der Bühne des Malsaals im Staatstheater Wiesbaden [. . .] nicht zu unterscheiden. Sie legt offenbar auch überhaupt keinen Wert darauf. 60 Durch die Vorlage werden auf inhaltlicher Ebene die Intersexualität Cal(liope)s - Protagonist*in des Romans - und die damit verbundenen Geschlechterdiskurse wachgerufen. Dass dabei sprachliche Festschreibungen von Geschlecht oder jeglicher Form von Identität immer mit einer Komplexitätsreduktion einhergehen, die das Gesprochene in eine patriarchale Logik einfügt, wird bereits zu Beginn der Aufführung als Hypothese in den Raum gestellt: „ Maybe the best proof that the language is patriarchal is that it oversimplifies feeling. “ 61 Ebenso wenig wie die Sprache es vermag, unseren Gefühlen adäquat zu entsprechen, fehlt es ihr auch - gerade im alltäglichen, nichtwissenschaftlichen Sprachgebrauch - an Worten für Phänomene wie „ a girl who ’ s always been taken for a boy “ 62 . Gerade Personen mit vermeintlich devianten Körperlichkeiten sehen sich in diesem heteronormativen (Sprach-)System - von einigen Trans*-Aktivist*innen umgangssprachlich auch als Cistem bezeichnet - vermehrt mit „ Fragen als Praktiken der Selbsterkennung, des Geständnisses und der Kontrolle “ 63 konfrontiert: „ Are you gay, Cal? [. . .] Are you tranny? [. . .] What are you anyway? “ 64 167 Kontrasexuelle Performativität des Sex. Das Spiel mit dem anatomischen Geschlecht in MDLSX Der Prozess der Geschlechterkonstruktion, welcher Butler zufolge auf eine Reihe stilisierter Wiederholungen basiert, 65 wird in MDLSX einerseits durch zahlreiche offene Umzüge verdeutlicht. Das Geschlecht wird hier im wahrsten Sinne des Wortes ‚ ausgestattet ‘ : Im spielerischen Umgang mit der binären Geschlechterdifferenz werden Slips gegen Boxershorts und mit Erdbeeren bedruckte T-Shirts gegen Hemd oder Jackett getauscht, BHs ausgestopft und Bärte angelegt. Die ausgestellte Performativität dieser Vorgänge, bei denen jegliche ‚ Verwandlung ‘ , jeder Kostümwechsel vor den Augen der Zuschauer*innen vollzogen wird, verweist darauf, dass die „ Gestaltung von Geschlecht eine ritualisierte Produktion ist “ 66 , welche gesellschaftlich kodiert und medial reproduziert Geschlechterdiskurse dominiert. Andererseits - und hier geht die Inszenierung über das fast schon standardisierte Repertoire zahlreicher Gender-Performances hinaus - wird die Macht der Diskurse vor allem in den Sequenzen offenkundig, die die Medikalisierung von Intersexualität thematisieren. „ At birth it was established [by the doctor] that I am F, without involving me in any way “ 67 , beginnt die fragmentarische Erzählung von Cal(liope). Bruchstückhaft haben wir Teil an der Selbstfindung einer Person, deren Intersexualität bei der Geburt zunächst unentdeckt bleibt, die sich mit dem Einsetzen der Pubertät jedoch anders entwickelt als ihre Mitschülerinnen, welche einer anderen Spezies anzugehören scheinen. Als zentraler Schauplatz dieser (Selbst-)Erkenntnis dient die Sportumkleide, die - insbesondere für Menschen, die körperlichen Normvorstellungen nicht entsprechen - als Sinnbild gesellschaftlich wirksamer Machtdiskurse entlarvt wird. Dennoch wird die Anatomie, die im medizinischen Jargon wohl als Mikrophallus definiert werden würde, hier - fast liebevoll - als Krokus bezeichnet und beschrieben: „ The crocus sometimes felt soft and slippery, like the flesh of a worm. At other times it was hard as a root. . . The crocus was part of my body, after all. There was no reason to ask questions. “ 68 Doch wird die Selbstfindung Calliopes vehement von medizinischen Diskursen durchkreuzt, als sie mit 14 Jahren durch einen Zufall zum neuen ‚ Forschungsobjekt ‘ eines Sexualforschers wird. Die Macht der Normen ist so gewaltig, dass der Arzt es sich erlauben kann, die Eltern, welche seiner Ansicht nach mit der Geschlechtsambiguität ihres Kindes überfordert wären - eine Ansicht, die unter Mediziner*innen bis heute verbreitet ist - 69 , nur unzureichend über seine Erkenntnisse aufzuklären. Seine dokumentierte Entscheidung für die Durchführung einer geschlechtsangleichenden Operation an der nichtsahnenden Calliope beruht nicht auf einer medizinischen Indikation, sondern auf gesellschaftlichen Regulierungsmechanismen wie der heterosexuellen Einehe: Though it is possible that the surgery may result in partial or total loss of erotosexual sensation, sexual pleasure is only one factor in a happy life. The ability to marry and pass as a normal woman in society are even more important goals. 70 Noch 2014 konstatiert Hoenes diesbezüglich: Funktionsweisen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit beruhen nach wie vor darauf, alles, was sich nicht in die Ordnung der zwei Geschlechter einfügen lässt, hartnäckig unsichtbar zu machen und/ oder zumindest in einen Raum des Fiktionalen, Monströsen und/ oder Fantastischen zu verbannen. 71 Neben Anspielungen auf die griechische Mythologie (Teiresias, Hermaphroditos 72 ) kommt dem Monströsen im dramaturgischen Verlauf eine besondere Funktion zu. Die Macht der Wissensdiskurse - hier re- 168 Noa Winter präsentiert durch ein (altes) Lexikon, das Calliope von dem Eintrag ‚ Hermaphrodit ‘ auf den Eintrag ‚ Monster ‘ verweist - verkörpert die gefürchtete Butler ’ sche Verwerfung der eigenen Subjektposition durch die Gesellschaft, die Calliope dazu bringt, ihre Familie zu verlassen, um fortan als Cal zu leben: There it was, MONSTER, in black and white, in a battered dictionary in a great city library. The dictionary contained every word in our language, the synonym was official, authoritative; it was the verdict that the culture gave on a person like me. MONSTER. That was what I was. [. . .] This fucking word persecutes me! 73 Mit der Entscheidung, auch medizinischtechnische Details zum Phänomen der Intersexualität in die Performance zu integrieren, eröffnet MDLSX Einblicke in machtvolle gesellschaftliche Mechanismen, die weniger auf die Konformität hinsichtlich bestimmter Geschlechterrollen als vielmehr auf die Naturalisierung des anatomischen Geschlechts (sex) basieren. Damit kommt es zu einer Fokusverschiebung von der Genderzur Sex-Thematik, sodass MDLSX konsequenterweise nicht nur als Gender-Performance, sondern vor allem als (Kontra-) Sex-Performance zu beschreiben ist. Denn in ihr erfüllt sich die von Paul B. Preciado propagierte Aufgabe der Kontrasexualität - fehlerhafte Räume aufzufinden, Beispiele für das Scheitern von Textstrukturen (intersexuell, hermaphroditisch [. . .]) und damit die Macht der Abweichungen, der Abschweifungen vom heterozentristischen System zu verstärken 74 - durch die gewählte künstlerische Form im doppelten Sinne: einerseits auf der inhaltlichen Ebene des Textes, andererseits in der körperlichen Dimension der Performance. Auf diese Weise wird auch die an Butler gerichtete Kritik einer „ Bevorzugung der Performativität gegenüber dem Narrativ “ 75 implizit unterlaufen. 76 Zugleich bewahrt die Aufführung gerade durch die Fokussierung auf die Körperlichkeit der Performerin, wie wir sie während der Aufführung sowohl leiblich als auch auf der Videoebene medial reproduziert vor uns sehen, trotz ihrer Zitathaftigkeit ihren stark autobiografisch anmutenden Charakter. Der Körper, der sich jeglicher Eindeutigkeit entzieht Der erste Verweis auf eine queerende Körperlichkeit ergibt sich aus der Beobachtung, dass Silvia Calderoni immer wieder mit nacktem Oberkörper performt. Oder genauer: Dass sie mit nacktem Oberkörper performen kann, ohne dass diesem Umstand beständig Bedeutung zugeschrieben wird. 77 In MDLSX geschieht dies immer wieder mit einer unaufdringlichen Selbstverständlichkeit, wenn Calderoni etwa erst noch den nächsten Track auflegt und ein Textfragment spricht, bevor sie sich einer neuen ‚ Verkleidung ‘ zuwendet. Nur in einem Moment wird ihre individuelle (Ober-)Körperlichkeit thematisiert: Während sie einen Text der pubertierenden Calliope spricht, die bei jedem Ziehen ihrer Brustwarzen (vergeblich) auf ein ‚ Erblühen ‘ ihrer Brüste wartet, malträtiert sie ihren eigenen Körper, indem sie die Haut um ihre Brustwarzen - zumindest für das Publikum schmerzhaft anzusehen - nach vorne zieht und sich mehrfach mit hörbarer Intensität auf den Brustkorb schlägt. Hierbei kommt ihr ihre eigene physische Erscheinung zugute, da ihr Oberkörper selbst für eine Person mit ihrer Figur (wenn überhaupt) nur über einen kaum sichtbaren weiblich konnotierten Brustansatz verfügt. Dies wird in der Aufführung dadurch unterstrichen, dass der von Calliope ungeachtet des rein theoretischen Nutzens erstrittene BH in Größe 0 von 169 Kontrasexuelle Performativität des Sex. Das Spiel mit dem anatomischen Geschlecht in MDLSX der Performerin nicht nur als Requisit präsentiert, sondern tatsächlich getragen werden kann, da er ‚ passt ‘ . Auf analytischer Ebene lässt sich nun fragen, ob die Anatomie der Performerin nicht primär deswegen als kleine, aber dennoch vorhandene (weibliche) Brüste gedeutet werden, da bereits durch den Namen automatisch scheinbare Gewissheiten über den Deutungsrahmen und damit ein implizites, aber machtvolles Wissensregime aktiviert wird. Wie wäre diese Analyse ausgefallen, wäre uns ein Performer mit dem Namen Silvio angekündigt gewesen? Dies verdeutlicht, dass wir uns - auch oder gerade in wissenschaftlich-analytischen Zusammenhängen - in einem „ Spannungsfeld zwischen ‚ Objektivität ‘ und ‚ Subjektivität ‘ [bewegen], das dazu auffordert, zu reflektieren, was für ein Wissen produziert werden kann und wie dies möglich ist “ 78 . Hierbei ist zu beachten, „ dass sich die Generierung von Wissen über Geschlecht nicht auf scheinbar wissenschaftlich-theoretisches Wissen reduzieren lässt, sondern grundsätzlich durchzogen ist von einem praktischen Alltagswissen und popularisierten Bildern “ 79 . Den visuellen Repräsentationen queerer Körperlichkeiten - wie dem unbekleideten Oberkörper Silvia Calderonis - kommt damit bei der Modifizierung von Wissensregimen „ als wirkmächtiges Medium der Produktion und Reproduktion von Wirklichkeit und als zentrale[r] Bestandteil unserer Wissensformationen zu Geschlecht und Sexualität “ 80 eine wichtige Funktion zu. Denn sie erweitern nicht nur unseren bisherigen Horizont ästhetischer Wahrnehmung, sondern beeinflussen überdies auch die Produktion wissenschaftlichen wie alltagspraktischen Geschlechterwissens. Während in MDLSX oberhalb der Gürtellinie das beiläufige Zeigen der Körperlichkeit die Darstellung bestimmt, wird unterhalb der Gürtellinie offensiv mit dem (scheinbaren) Zeigen und Verstecken der Anatomie gespielt. Dies kündigt sich bereits zu Beginn der Aufführung an, wenn Calderoni frontal zum Publikum in einer solchen Intensität auf und ab hüpft, dass sie ihre Hose verliert und die Unterwäsche (hier: ein leuchtend blauer Slip) sichtbar wird. In einer späteren Sequenz schmückt sie den Slip nur eine Armlänge von der ersten Stuhlreihe entfernt mit Intimbehaarung in Form einer Perücke aus - aber was die Blicke bewusst auf sich zieht, wird an dieser Stelle nicht enttarnt. Doch selbst in jenen Szenen, in denen sich die Performerin gänzlich entkleidet, kann auch die schärfste Beobachtung keine vermeintlichen Gewissheiten erzielen: So lässt sich lediglich die Abwesenheit einer Anatomie, die in Form eines Penis den normierenden Vorstellungen einer männlichen Körperlichkeit entsprechen würde, feststellen. Denn gleichzeitig erfolgt explizit keine Ausstellung einer intersexuellen Anatomie, wie sie auf der Ebene des gesprochenen Textes beschrieben und damit gedanklich auf den Körper der Darstellerin projiziert wird. Zentral für das Spiel mit ebendieser Erwartungshaltung des Publikums ist das in Abbildung 2 sichtbare Posieren mit offen ausgebreiteten Armen und - hier wird es interessant - leicht verschränkten Beinen. Um in diese Pose zu gelangen, vollführt Calderoni nach dem Herunterstreifen der Hose eine Handbewegung, die Abb. 2: Ausstellung der bloßen Körperlichkeit © Simone Stanislai 170 Noa Winter dem Platzieren eines Penis für das Abklemmen mit den Oberschenkeln entspricht, wie es von Katharina Pewny als wichtiger Bestandteil des Repertoires zeitgenössischer Inszenierungen von Männlichkeit beschrieben wird. 81 Ob es hier tatsächlich etwas zu verbergen gibt, bleibt uns aufgrund der räumlichen Distanz zum Publikum und der Lichtregie - der Bühnenraum ist nur gedämpft in pulsierendes Licht getaucht - verborgen. Auf diese Weise wird das Publikum mit der eigenen Ohnmacht des Nicht- Wissens konfrontiert. Spielerisch wird hier die Forderung nach Selbstidentifizierung ausgesetzt, denn „ [u]m die Grenzen der Anerkennung [des Anderen] zu wissen, heißt, selbst dies nur begrenzt zu wissen, und ist damit eine Erfahrung der Grenzen des Wissens selbst “ 82 . Eine weitere Verunsicherung der Zuschauer*innen wird durch die technische Dimension der Videoprojektionen erzeugt: Indem die mehr oder weniger bekleidete, aber dennoch durchgehend sichtbare Körperlichkeit der Performerin mittels der von ihr bedienten Live-Kamera in der Projektion eine Dopplung erfährt, wird die Fokussierung auf die Beschaffenheit des Körpers verstärkt. Durch die Kamerabewegung werden - etwa in Nahaufnahmen einzelner Körperpartien - vermeintliche Gewissheiten evoziert, nur um im nächsten Moment der Bewegung ihre Deutlichkeit zu verlieren und damit relativiert zu werden. Des Weiteren kommt es immer wieder zu Überblendungen der Live-Aufnahmen mit eingespielten Videosequenzen, die wie Geister der Vergangenheit erscheinen: Dramaturgisch wird die auf der Ebene des gesprochenen Textes fortschreitende Adoleszenz Cal(liope)s durch Körperbilder aus dem Familienarchiv der Calderonis ergänzt, die die Performerin in ihrer Kindheit und Jugend zeigen. Durch diese Dokumente wird die biografische Nähe beider Erzählungen zugleich hergestellt, aber auch - mangels Differenzierung - verwischt. In einem Interview spricht Calderoni über ihre persönlichen Erfahrungen mit ihrer geschlechtsambiguiden Erscheinung: I ’ m tired of being asked if I ’ m a man or a woman. [. . .] This should never be the first question. There are other questions. [. . .] I ’ ve had the question all my life. Some days it is painful. Other days it ’ s not a problem. It is my life. I don ’ t want to define me. Sometimes I dress like a man, sometimes like a woman. I don ’ t want a label or a classification. 83 Mit Blick auf die Rezeptionssituation wird deutlich, dass bereits die Wahl eines konkreten Aufführungsortes unsere Sicht auf den Körper der Performerin und deren (anatomisches) Geschlecht zu determinieren scheint. Denn was wir sehen (wollen), ob Frau, ob Mann, ob Mensch, kann von der Inszenierung nur bedingt gesteuert werden, fällt aber im Studio Я des Maxim Gorki Theaters mit seinen geschlechtsneutral umgestalteten Toiletten sicherlich anders aus als in binär strukturierten Theaterräumlichkeiten. Dies liegt in der offensichtlichen Korrespondenz von Raum- und Wissensordnungen begründet, deren Einfluss auf die Rezeption von Theateraufführungen eine eingehendere Untersuchung wert wäre. Ungeachtet dessen bietet die Inszenierung für jedwedes Publikum einen Raum der Erfahrung queerer Perspektiven, so vertraut oder unbekannt sie den Zuschauer*innen auch sein mögen. Fazit, das eigentlich nur ein Ausblick sein kann Preciado konstatierte 2014: „ The change that is necessary is so profound that it will be said to be impossible. So profound that it will be said to be unimaginable. But the impossible is to come. And the imaginary is due. “ 84 Dies betrifft jedoch nicht nur 171 Kontrasexuelle Performativität des Sex. Das Spiel mit dem anatomischen Geschlecht in MDLSX den alltäglichen Umgang mit Geschlechternormen sowie die noch immer vorherrschende Dominanz der Naturalisierung des anatomischen Geschlechts, sondern auch die universitäre Wissensproduktion - auch (oder vielleicht sogar besonders) in der Theaterwissenschaft. Denn wie Jenny Schrödl als Leiterin der AG Gender der Gesellschaft für Theaterwissenschaft im selben Jahr treffend feststellt, spielen trotz der anhaltenden Rezeption Judith Butlers queertheoretische Perspektiven hierzulande für theaterwissenschaftliche Analysen kaum eine Rolle. 85 Demgegenüber stehen beispielhafte Inszenierungen wie MDLSX, in denen nicht Frau, nicht Mann, sondern ganz explizit der Körper sich jeglicher Bedeutung(szuweisung) widersetzt. Es sind Arbeiten, die gerade in der Konfrontation von künstlerischer Praxis und medizinischen Wissensregimes neue Sichtweisen eröffnen, indem sie sich bewusst Strategien der „ VerUneindeutigung “ 86 zunutze machen, um einen Körper in den Blick zu nehmen, der jene Ordnungsstrukturen unterläuft, ohne jedoch außerhalb dieser existieren zu können. Während es das Anliegen dieses Beitrags war, nah am Material das grundlegende Potenzial für die Verquickung der Aufführungsanalyse mit queeren Theorieansätzen aufzuzeigen, gilt es nun in einem weiteren Schritt auch für die deutschsprachige Theaterwissenschaft bereits bestehende Theorien aus dem angloamerikanischen Raum - etwa von Sue-Ellen Case oder Jack Halberstam - fruchtbar zu machen und zu erweitern. Einen weiteren vielversprechenden Ansatzpunkt für phänomenologisch ausgerichtete Überlegungen bietet das von Sara Ahmed eröffnete Feld der Queer Phenomenology 87 . Die hier mit Gudrun Perko vorgeschlagene plural-queere Perspektive erlaubt die gleichzeitige Existenz eines Neben-, Mit- und Gegeneinander binärer und nicht-binärer (Selbst-)Definitionen in der Analyse beizubehalten - was auch die vielleicht radikalste Definition einschließt, sich selbst oder andere nicht (abschließend) identifizieren zu wollen. Oder um Silvia Calderoni ein letztes Mal selbst sprechen zu lassen: „ Wenn es ein Wort gäbe, das alle zehn Minuten die Bedeutung wechseln würde, gäbe es vielleicht ein Wort für das, was ich bin. “ 88 Anmerkungen 1 Michel Foucault, Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge, Frankfurt am Main 2005 [1966], S. 33 f. 2 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Body-Turns siehe Robert Gugutzer (Hg.), body turn. Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports, Bielefeld 2006. 3 Dies gilt insbesondere für ihr bereits 1991 in deutscher Übersetzung erschienenes Buch Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, vgl. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991 [1990]. 4 Das Kontrasexuelle Manifest wurde unter dem Namen Beatriz Preciado veröffentlicht und ist in dieser Form in den Endnoten aufgeführt. Da Preciado jedoch 2014 seine Transition bekannt gab und seitdem den Namen Paul sowie männliche Pronomen führt, wurde dies beim Verfassen des Textes berücksichtigt. 5 Beatriz Preciado, Kontrasexuelles Manifest, Berlin 2003 [2000], S. 71. 6 Vgl. Franziska Bergmann, Die Möglichkeit, dass alles auch ganz anders sein könnte. Geschlechterverfremdungen in zeitgenössischen Theatertexten, Würzburg 2015, S. 12 - 17 sowie S. 317. 7 Gini Müller, Possen des Performativen. Theater, Aktivismus und queere Politiken, Wien 2008. 8 Der Begriff ‚ Sex ‘ wird in diesem Text ausschließlich für die im angloamerikanischen Sprachraum geprägte theoretische Unterscheidung von anatomischem und sozialem Geschlecht (gender) und nicht in Bezug auf 172 Noa Winter sexuelles Begehren oder Sexualpraktiken verwendet. 9 Vgl. Teresa de Lauretis, „ Queer Theory. Lesbian and Gay Sexualities: An Introduction “ , in: differences. A Journal of Feminist Cultural Studies 3: 2 (1991), S. iii-xviii. 10 Sabine Hark, „ Queer Interventionen “ , in: Feministische Studien 11: 2 (1993), S. 103 - 109, hier S. 103. 11 Perkos Ansatz wird sich für die Aufführungsanalyse in doppelter Hinsicht als zielführend erweisen, weil dieser zum einen den an das Individuum herangetragenen Anspruch der Eindeutigkeit, zum anderen die scharfe Trennung von (alltags-)politischer Praxis und theoretischen Überlegungen konsequent zurückweist. 12 Vgl. Gudrun Perko, Queer-Theorien. Ethische, politische und logische Dimensionen plural-queeren Denkens, Köln 2005, S. 17 - 19. 13 Ebd., S. 19. 14 Ebd. 15 Ebd., S. 20. [Hervorhebung N. W.] 16 Ebd., vgl. hierzu Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt am Main 1995 [1993], S. 316. 17 Perko, Queer-Theorien, S. 21. 18 Die Unterscheidung von inter-, intra- und antikategorialen Zugängen wurde von der US-amerikanischen Soziologin Leslie McCall zur Klassifizierung intersektionaler Herangehensweisen formuliert, vgl. Leslie McCall, „ The Complexity of Intersectionality “ , in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 30: 3 (2005), S. 1771 - 1800. 19 Die von Seiten des Differenzfeminismus gegen queertheoretische Ansätze vorgebrachte Befürchtung eines „ Feminismus ohne Frauen “ (Müller, Possen des Performativen, S. 128) führte Hark zufolge zur sogenannten „ Butler-Debatte “ , einem spezifisch Konflikt zwischen verschiedenen Generationen beziehungsweise Gruppierungen des deutschsprachigen Feminismus, vgl. hierzu ausführlich Sabine Hark, „ Disputed Territory: Feminist Studiens in Germany and Its Queer Discontents “ , in: Amerikastudien/ American Studies 46: 1 (2001), S. 87 - 103. 20 Perko, Queer-Theorien, S. 27. 21 Ebd., S. 29. 22 Ebd., S. 30. 23 Ein paradigmatisches Beispiel hierfür bilden die Arbeiten von Sue-Ellen Case, vgl. Sue- Ellen Case, Feminist and Queer Performance. Critical Strategies, Basingstoke u. a. 2009. 24 Perko, Quer-Theorien, S. 32. 25 Ebd., S. 32. 26 Vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 60. 27 Perko, Queer-Theorien, S. 32. [Hervorhebung im Original] 28 Ausführliche Informationen über die rechtliche und soziale Lage intersexueller Menschen in Italien bietet die Interessensvertretung Intersexioni unter http: / / www.inter sexioni.it/ [zuletzt abgerufen 29. 10. 2017]. 29 Silja Vöneky, Hans Christian Wilms, „ Zur Situation von Menschen mit Intersexualität in Deutschland. Stellungnahme herausgegeben vom Deutschen Ethikrat “ , in: http: / / www.ethikrat.org/ sachverstaendigenbefragung-intersexualitaet (2011), S. 3. [zuletzt aufgerufen am 29. 10. 2017] 30 Ausführliche Informationen zu dieser Entscheidung finden sich auf der Homepage der für das Verfahren federführenden Initiative Dritte Option, vgl. http: / / www.dritteoption.de. [zuletzt aufgerufen am 17. 11. 2017]. 31 Lann Hornscheidt machte 2014 - eine Professur für Gender Studies und Sprachanalyse am Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin innehabend - mit dem Vorschlag einer geschlechtsneutralen Ergänzungsform (x- Form, z. B. Professx) auf sich aufmerksam und erhielt daraufhin sogar Morddrohungen. 32 Mit dem Kompositum „ medizinisch-biologische Paradigmen “ alludiert Perko einen biologistisch argumentierenden medizinischen Diskurs, welcher zwischen biologischem und psychosozialem Geschlecht unterscheidet. Während die psychosoziale Dimension Geschlechtsidentität, Geschlechterrolle und sexuelle Orientierung umfasst, spielen für die Bestimmung eines biologi- 173 Kontrasexuelle Performativität des Sex. Das Spiel mit dem anatomischen Geschlecht in MDLSX schen Geschlechts genetische, gonadale, hormonelle und phänotypische Faktoren eine Rolle. 33 Perko, Queer-Theorien, S. 37 f. 34 Josch Hoenes, Nicht Frosch - nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild. Eine kunst- und kulturwissenschaftliche Analyse visueller Politiken, Bielefeld 2014, S. 29 f. 35 Ebd., S. 72. 36 Ebd., S. 75. 37 Ebd., S. 25. 38 Ebd., S. 26. 39 Ebd., S. 22. 40 Ebd., S. 23. 41 Preciado, Kontrasexuelles Manifest, S. 11. 42 Ebd., S. 10. 43 Ebd., S. 11. 44 Ebd.[Hervorhebung im Original] 45 Ebd., S. 14. 46 Vgl. ebd., S. 78 - 86. 47 Vgl. Hoenes, Nicht Frosch - nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild, S. 70. 48 Andrea B. Braidt, „‘ This is the way that we live. . . and love ‘ - Zur Konstruktion von Liebesverhältnissen in der seriellen Erzählung von The L Word “ , in: Doris Guth, Heide Hammer (Hg.): Love me or leave me. Liebeskonstrukte in der Populärkultur. Frankfurt u. a. 2009, S. 89 - 106, hier: S. 94. 49 Preciado, Kontrasexuelles Manifest, S. 12. 50 Ebd., S. 60. 51 Ebd., S. 59. 52 Vgl. Hoenes, Nicht Frosch - nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild, S. 107. 53 Preciado, Kontrasexuelles Manifest, S. 117. 54 Ebd., S. 53. 55 Hoenes, Nicht Frosch - nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild, S. 27. 56 Ebd., S. 107. 57 Auch wenn die Performerin sich explizit keinem Geschlecht zuordnen (lassen) möchte, führt sie durchgängig ihren Geburtsnamen sowie weibliche Pronomen. 58 Das Gespräch von Silvia Calderoni mit Sasha Marianna Salzmann und Tucké Royale fand am 16. 02. 2017 im Maxim Gorki Theater in Berlin statt. Die hier verwendeten Zitate sind wörtliche Mitschriften der Simultanübersetzung. 59 Calderoni im Gespräch mit Sasha Marianna Salzmann und Tucké Royale, 16. 02. 2017. 60 Judith von Sternburg, „ Das Mädchen, das fast wie ein Junge aussah. Eine bestürzende Selbstfindungsgeschichte: Die italienische Schauspielerin Silvia Calderoni in ‚ MDLSX ‘ bei der Wiesbaden Biennale “ , in: http: / / www.fr.de/ kultur/ theater/ wiesbaden-biennale-das-maedchen-das-fast-wie-ein-junge-aus sah-a-312787 (2016). [zuletzt abgerufen 29. 10. 2017] 61 Jeffrey Eugenides, Middlesex, New York 2002 zitiert nach MDLSX 2015. Dieses Zitat sowie alle weiteren Verweise auf den im Rahmen der Performance gesprochenen Text sind den englischsprachigen Übertiteln entnommen. 62 Eugenides, Middlesex zitiert nach MDLSX 2015. Dieses Phänomen könnte aus wissenschaftlicher Perspektive als Gender Blending beschrieben werden, vgl. hierzu Holly Devor, Gender Blending. Confronting the Limits of Duality, Bloomington 1989. Im Ankündigungstext der Inszenierung findet die Schreibweise gender b(l)ending Verwendung, welche auf das Wechselspiel zwischen unbewusst-alltäglichem Blending und bewusstaktivistischem Bending binärer Geschlechterkodierungen verweist, vgl. http: / / www. motusonline.com/ en/ mdlsx/ . [zuletzt abgerufen 29. 10. 2017] 63 Hoenes, Nicht Frosch - nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild, S. 23. 64 Eugenides, Middlesex zitiert nach MDLSX 2015. 65 Vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 206. 66 Perko, Queer-Theorien, S. 33. [Hervorhebung N. W.] 67 Eugenides, Middlesex zitiert nach MDLSX 2015. 68 Ebd. 69 Dies legt etwa eine 2016 veröffentlichte empirische Studie des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin nahe, welche eine relative Konstanz der Anzahl der geschlechtsangleichenden Operationen an Kindern unter 10 Jahren zwischen 2005 und 2014 nachweist, vgl. Ulrike Klöppel, 174 Noa Winter „ Zur Aktualität kosmetischer Operationen ‚ uneindeutiger ‘ Genitalien im Kindesalter “ , in: https: / / www.gender.hu-berlin.de/ de/ publikationen/ gender-bulletins (2016). [zuletzt aufgerufen am 29. 10. 2017] 70 Eugenides, Middlesex zitiert nach MDLSX 2015. 71 Hoenes, Nicht Frosch - nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild, S. 109. 72 Auch Gini Müller erkennt das queerende Potenzial dieses Narrativs und begreift die Erzählung von Hermaphroditos als eine „ besondere ‚ queere ‘ Posse zwischen Theater und Politik “ (Müller, Possen des Performativen, S. 120). 73 Eugenides, Middlesex zitiert nach MDLSX 2015. 74 Preciado, Kontrasexuelles Manifest, S. 15. 75 Müller, Possen des Performativen, S. 129. 76 Vgl. hierzu exemplarisch Judith Halberstam, In a Queer Time and Place: Transgender Bodies, Subcultural Lives, New York 2005. 77 Auch in dem Film La leggenda di Kaspar Hauser, der in einer der eingespielten Videosequenzen aufgegriffen wird, agiert Calderoni mit nacktem Oberkörper. In beiden Fällen beschränken sich die Kritiken auf einen kurzen Verweis hinsichtlich des ‚ androgynen ‘ Erscheinungsbildes der Performerin, ohne sich jedoch in ausführlichen Interpretationen zu verlieren. 78 Hoenes, Nicht Frosch - nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild, S. 44. [Hervorhebung im Original] 79 Ebd., S. 32. 80 Ebd., S. 33. 81 Vgl. Katharina Pewny, „ Der Penis als Dildo oder: Das letzte Spektakel der Männlichkeit (in der Performancekunst) “ , in: Gaby Pailer, Franziska Schößler (Hg.), GeschlechterSpiel- Räume. Dramatik, Theater, Performance und Gender, Amsterdam/ New York 2011, S. 329 - 339, hier: S. 329. 82 Judith Butler, Kritik der ethischen Gewalt, Frankfurt am Main 2007 [2002], S. 59. 83 Elisabeth Blake, „ Carriageworks: Post-punk show on gender identity is like a dance party “ , in: http: / / www.smh.com.au/ entertainment/ stage/ sydney-stage/ carriageworkspostpunk-show-on-gender-identity-is-like-a -dance-party-20170315-guyg1 r.html (2017). [zuletzt aufgerufen am 29. 10. 2017] 84 Paul B. Preciado, „ Feminism is not a humanism “ , in: http: / / autonomies.org/ it/ 2015/ 07/ paul-beatriz-preciado-feminism-beyond-humanism-ecology-beyond-the-environment/ (2015) [2014]. [zuletzt abgerufen 29. 10. 2017] 85 Vgl. Jenny Schrödl, „ Die Kategorie ‚ Gender ‘ in der Theaterwissenschaft und im Gegenwartstheater “ , in: http: / / www.academia.edu/ 15343805/ Die_Kategorie_Gender_in_der_T heaterwissenschaft_und_im_Gegenwartsthe ater (2014), S. 1. [zuletzt aufgerufen am 29. 10. 2017] 86 Zu VerUneindeutigung als queerer Repräsentationsstrategie siehe Antke Engel, Wider der Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik der Repräsentation, Frankfurt/ New York 2002, S. 224 - 229. 87 Sara Ahmed, Queer Phenomenology. Orientations, Objects, Others, Durham u. a. 2006. 88 Calderoni im Gespräch mit Sasha Marianna Salzmann und Tucké Royale, 16. 02. 2017. 175 Kontrasexuelle Performativität des Sex. Das Spiel mit dem anatomischen Geschlecht in MDLSX