Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/1201
2018
291-2
BalmeClemens Risi: Oper in performance – Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen (Reihe Recherchen 133). Berlin: Theater der Zeit 2017, 230 Seiten.
1201
2018
T. Sofie Taubert
fmth291-20120
wenn nicht vollzogen, so doch eingeleitet hat, und man kann davon ausgehen, dass die baldige Publikation des Folgebandes Theater als Kritik die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges bestätigen wird. Köln L UTZ E LLRICH Clemens Risi: Oper in performance - Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen (Reihe Recherchen 133). Berlin: Theater der Zeit 2017, 230 Seiten. Trotz ihrer 400-jährigen Geschichte und der prägenden Bedeutung für das europäische Kulturleben, nimmt die Aufführungsdimension der Oper in der wissenschaftlichen Besprechung bis heute eine nachgeordnete Rolle ein. Bis heute laufen musikhistorischer Diskurs und theaterwissenschaftliche Ansätze seltsam parallel. Auf dieses Desiderat reagiert Risi mit seiner Studie, die klar dem Paradigma des Performativen - wie es von Berlin aus für die Theaterwissenschaft der vergangenen Jahrzehnte formuliert wurde - verpflichtet ist. Mit Oper in performance entwickelt Risi Begriffe und Blickwinkel für ein generelles Vorgehen der Opernanalyse, konkretisiert diese anhand umfangreicher Beispiele und unter Kenntlichmachung seiner eigenen Rezeptionserfahrung. Das Buch gliedert sich in die drei Abschnitte Einleitung - theoretische Grundlagen - Aspekte der Analyse. Ein abschließendes Resümee führt die aufgespannten Fäden zusammen. Vornehmlich widmet sich Risi Inszenierungen des Regie- Theaters und legt einen besonderen Fokus auf die Bekanntheit der Werke, und die daran geknüpften Erwartungshaltungen, die in jedem Zuschauer, jeder Zuschauerin stets einen Abgleich mit einem Vorbild hervorruft, indem sich die Abweichung von der Rezeptionserwartung als Genuss oder Missfallen äußert. Anders als die Opernforschung, die häufig aus musikwissenschaftlicher Perspektive nach der Kompositionsgeschichte fragt, schlägt Risi eine neue Balance des Verhältnisses von Text (Libretto und Notentext) und Aufführung vor, wenn er die Partitur als „ Material zur Hervorbringung einer Aufführung “ beschreibt (S. 41). In der Einleitung verortet Risi zunächst die Oper innerhalb der Paradigmen ephemerer theatraler Ereignisse. Er zeigt auf, wie neben den hoch planbaren Parametern, die in der Oper durch die Musik und die Kanonizität der Werke so dominant erscheint, emergente Elemente wirken: Stimm- und Körperlichkeit der Sängerdarstellerinnen und -darsteller sowie das Publikum, das mit seinen je spezifischen Stimmungen und Erwartungen einer Aufführung beiwohnt, sind der Tagesform unterworfen, mehr noch als Sprache, bannt Gesang die Rezipierenden in seinen (Atem-)rhythmus. Stets ist Musiktheater ein Phänomen, in dem die Präsenz der Teilnehmenden die Repräsentation durchdringt. Das zweite Kapitel widmet sich den theoretischen Grundlagen, definiert Begrifflichkeiten von Kunstwerk über Aufführungstradition zu Werktreue und Mythos. Davon ausgehend lotet Risi das Verhältnis von Vorlage und Ausführung aus. Er nimmt in den Blick, welche Rolle die Wiederholung von Werken, Stoffen und Aufführungen einnehmen und leitet aus dem Präsentischen der Oper - das Angewiesensein auf die Gegenwart so vieler Beteiligter - die Notwendigkeit einer Aktualisierung von Oper ab. Risi hat dabei keineswegs die Transformation der Visualität in eine wie auch immer geartete Gegenwart im Sinne, vielmehr fordert er das Kollektive der Opernerfahrung in der Analyse ernst zu nehmen. So entzieht sich im Blick auf semantische Strukturen und im Fokus auf die Differenzen zwischen Erwartung und Gegenwart, gerade die leibliche Ko-Präsenz und der Reiz der sich aus der fragilen Beschaffenheit der menschlichen Stimme schöpft. In einem weiteren Schritt widmet sich Risi der Verschränkung der Sinne in der Opernrezeption und der damit einhergehenden Schulung von Wahrnehmungsmodi. Im dritten Teil - Aspekte der Analyse - schlägt Risi Blickwinkel der Aufführungsanalyse vor. Zunächst entfaltet er Beschreibungsmöglichkeiten für das Zusammenwirken von auditiven und visuellen Parametern, von szenischer Bewegung und musikalischen Strukturen und der Legitimierung und Konkurrenz, die sich Szene und 120 Rezensionen Musik verleihen können. Der zweite Schritt fokussiert das Verhältnis von Repräsentation und Präsenz, in dem gerade der Akt des Singens in seiner Artistik Aufmerksamkeit einnimmt. In die Analyse eingebunden wird anschließend, wie die Stimmlichkeit und Körperlichkeit der Sängerdarstellerinnen auch die Rezipierenden affizieren, so zum Beispiel in dem „ Vorweg “ -Hören bekannter Musik ( „ Protention “ , S. 157), in der Rhythmisierung des Körpers oder in spontanem Applaus. Risi füllt mit dem vorgelegten Band ein empfindliches Desiderat. Die aufführungsanalytische Auseinandersetzung mit dem Repertoirebetrieb der Oper - statistisch betrachtet immer noch der häufigste Fall - fand bislang zu wenig Niederschlag in der theaterwissenschaftlichen Diskussion. Oftmals - so legte Stephanie Großmann 2013 nahe - liegt der Grund darin, dass plurale Kompetenzen, die szenischen Künste, die Textkritik, die kulturhistorischen und musikalischen Analysefähigkeiten umfassend, erforderlich sind. Hinzuzufügen ist der Breite der geforderten Analyseparameter jedoch, dass bis in die jüngste Vergangenheit die Anleitung zur Opernanalyse jeweils auf wenige Zeilen im Rahmen allgemeiner Handreichungen beschränkt blieb. So fehlte es bisher nicht nur an Studien, die sich der Oper in ihrer Plurimedialität widmen, sondern auch an einer systematischen Erschließung ihrer Zeichensysteme. In dem in Oper in performance entworfenen Analysedesign liefert Risi nun nicht nur diese Anleitung, sondern schließt das Musiktheater auch für den Diskurs des Performativen auf, der für die wissenschaftliche Analyse theatraler Praktiken, von Sprechtheater und Performance in der deutschen Theaterwissenschaft in den letzten Jahrzehnten so prägend ist. Gerade weil Risi einen so prononciert theoretisch-analytischen Ansatz entwickelt, wäre es wünschenswert gewesen, er hätte auf alternative Modelle hingewiesen, wie sie etwa von Stephanie Großmann (Inszenierungsanalyse von Opern, 2013) oder Daniele Daude (Oper als Aufführung, 2014) vorgelegt wurden. Zum zweiten fällt auf, dass Risi einen versierten Opernbesucher, bzw. -besucherin voraussetzt, der bzw. die so in Theater und unter der Studierendenschaft - und somit den potenziellen Leser und Leserinnen des Bandes - kaum noch als Regelfall angenommen werden kann. Diese Einwände können aber den insgesamt sehr überzeugenden Eindruck nicht trüben. So entwickelt Risi in Oper in performance grundlegende Beschreibungskategorien für die Analyse von Operninszenierungen des klassischen Repertoires, die Kenner wie Neulinge bereichern kann. In ihrer wohltuenden Anwendungsbezogenheit erschließt die Studie die Oper für die in der Theaterwissenschaft prägenden Paradigmen und weist den Weg zu der systematischen Erschließung einer Gattung, die aufgrund ihrer plurimedialen Verfassung bisher nur zögerlich systematisch der Aufführungsanalyse unterzogen worden ist: Sicherlich wird sich das Buch bald zu einer Standardreferenz entwickeln und damit hoffentlich dazu beitragen, der Oper auch in der theaterwissenschaftlichen Diskussion mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Köln T. S OFIE T AUBERT 121 Rezensionen