Fachtagung für Prüfstandsbau und Prüfstandsbetrieb (TestRig)
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expert Verlag Tübingen
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2022
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The „Big Vibration“
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2022
Peter-Johann Sikora
Michael Sauer
Nicht selten erreichen Prüflinge eine Größe, welche auf den herkömmlichen Tischen eines Shakers nicht mehr komplett aufgespannt werden können. Die so überstehenden Anteile des zu prüfenden Objektes müssen mit einer aufwändigen Fixtur „gefangen“ werden, um so unerwünschte Effekte zu eliminieren.
Diese Fixturen bringen meistens ein sehr hohes Gewicht mit sich, sind nur für den Prüfling konzipiert. Zudem sind sie oftmals noch größer, als die überstehenden Prüfteile und erzeugen darüber hinaus unerwünschte Interferenzen.
Die neuen Entwicklungen der Shaker Hersteller zeigen den Trend zur Konstruktion von Vibrationstischen mit externen Auflagen, s.g. Extension. Die Idee dahinter ist simpel, wie auch tückisch. Externe, lagergeführte Extension ermöglichen ein Aufspannen über eine sehr große Fläche, so zumindest die Theorie. Wie ist die Praxis?
Mit dieser Veröffentlichung werden Informationen vermittelt, um
• mechanische Grenzen zu respektieren
• die notwendigen Anforderungen an das Test-Haus stellen zu können
• das Lastenheft besser definieren zu können
• Korrektheit der Messaussage beurteilen zu können
• Fehlinterpretationen erkennen und definieren zu können
Diese und reichlich andere Fragen zu Sinn oder Unsinn solcher Konstruktionen sollen Klarheit bei der Vorbereitung einer Testsequenz erklären:
• Welchen Nutzen liefern solche Systeme?
• Wie geht das Labor mit den neuen Technologien um?
• Sind alle Labormitarbeiter in der Lage die Problematik zu erkennen?
• Wie geht man mit erhöhten translatorischen Kräften um?
• Sind solche Prüfungen sinnvoll, wenn große Querkräfte detektiert werden?
• Welche Auswirkungen haben diese Effekte auf die Vorgabe aus der IEC 60068-2-6/27/64?
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1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 19 The „Big Vibration“ Große Prüflinge - hohe Massen - ein Shaker … … und was dann? Dipl.-Ing. Peter-Johann Sikora TIRA Academie - Environmental Simulation Expert, Schalkau, Thüringen/ Deutschland Prof. Dr.-Ing. Michael Sauer M.Sc. TIRA Academie - htw saar, Saarbrücken, Saarland/ Deutschland Zusammenfassung Nicht selten erreichen Prüflinge eine Größe, welche auf den herkömmlichen Tischen eines Shakers nicht mehr komplett aufgespannt werden können. Die so überstehenden Anteile des zu prüfenden Objektes müssen mit einer aufwändigen Fixtur „gefangen“ werden, um so unerwünschte Effekte zu eliminieren. Diese Fixturen bringen meistens ein sehr hohes Gewicht mit sich, sind nur für den Prüfling konzipiert. Zudem sind sie oftmals noch größer, als die überstehenden Prüfteile und erzeugen darüber hinaus unerwünschte Interferenzen. Die neuen Entwicklungen der Shaker Hersteller zeigen den Trend zur Konstruktion von Vibrationstischen mit externen Auflagen, s.g. Extension. Die Idee dahinter ist simpel, wie auch tückisch. Externe, lagergeführte Extension ermöglichen ein Aufspannen über eine sehr große Fläche, so zumindest die Theorie. Wie ist die Praxis? Mit dieser Veröffentlichung werden Informationen vermittelt, um • mechanische Grenzen zu respektieren • die notwendigen Anforderungen an das Test-Haus stellen zu können • das Lastenheft besser definieren zu können • Korrektheit der Messaussage beurteilen zu können • Fehlinterpretationen erkennen und definieren zu können Diese und reichlich andere Fragen zu Sinn oder Unsinn solcher Konstruktionen sollen Klarheit bei der Vorbereitung einer Testsequenz erklären: • Welchen Nutzen liefern solche Systeme? • Wie geht das Labor mit den neuen Technologien um? • Sind alle Labormitarbeiter in der Lage die Problematik zu erkennen? • Wie geht man mit erhöhten translatorischen Kräften um? • Sind solche Prüfungen sinnvoll, wenn große Querkräfte detektiert werden? • Welche Auswirkungen haben diese Effekte auf die Vorgabe aus der IEC 60068-2-6/ 27/ 64? 1. Mechanische Dynamik - Geißel oder Pflicht? 1.1 Tests mit großen Prüflingen am Beispiel des Standards IEC 60068-2-6 [1] Die Anforderungen aus den Standards und der Normung werden bei Prüfungen mit großen Massen und Dimensionen auf den Prüfstand gestellt. Die Labors und die Gremien haben den Anspruch möglichst immer replizierbare Prüfungen leisten zu können, um für eine flächendeckende Konformitätsaussage zu sorgen. Der Anspruch ist hoch. Key Points aus dem Standard: • Cross axis motion Clause 4.1.2.1 • Rotational motion Clause 4.1.2.2 • Reference Points Clause 4.1.4.1 • Check Points Clause 4.1.4.2 20 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 The „Big Vibration“ Man muss die Mechanik verstehen Abb. 2 Wie in der Abbildung 2 dargestellt, beeinflussen Exzentrisch zu Anregungsachse liegende Schwerpunkte das dynamische Verhalten des Testsystems. Trägheit und deren Folgen werden im Satz von Steiner, [3] (auch Steinersche Satz, Steiner-Regel oder Parallelachsen-Theorem) beschrieben und dienen zur Berechnung des Trägheitsmomentes eines starren Körpers, dessen Drehachse parallel verschoben wurde. Durch die Verschiebung, weg vom Schwerpunkt, verändert sich das Trägheitsmoment eines Körpers. Wenn jedoch das Trägheitsmoment durch eine Drehachse bekannt ist, kann man es für alle Drehachsen berechnen, die parallel zu dieser sind. Der Satz von Steiner [4] J2 = J1 + m • d² ist prinzipiell, auch wenn das Thema vielen immer wieder Bauchschmerzen bereitet, eigentlich nicht schwierig zu berechnen bzw. ihn anzuwenden. Es muss bekannt sein, dass es notwendig wird sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Missverständliche Spezifikationen machen Ergebnisse verschieden und nicht rückführbar. Aber genau das muss vermieden werden, wenn man den Anspruch auf hohe • Control Strategy Clause 4.2 • Mounting Clause 4.3 • Check Point Clause 8.2 Die Anforderungen sind klar definiert. Sind sie bei den neuen Entwicklungen noch zeitgemäß, oder bedarf es einer Zäsur? Will man nur den Passierschein A38 bekommen, oder will man das dynamische Verhalten des Prüflings verstehen? Schauen wir uns die möglichen Problematiken Schritt für Schritt an. Die vorliegenden Messergebnisse wurden in Messungen bei einem Testaufbau, wie in Abbildung 1 dargestellt. Abb. 1 1.2 Mechanische Grenzen Je nach technischen Ausführung des Vibrationsprüfstandes, rücken die mechanischen Grenzen bei Prüfungen mit großen Massen und Dimensionen zunehmend in den Fokus. Sei es, weil der Kraftvektor zu gering wird, oder die Aufspannfläche zu klein ist oder aber das mechanische Verständnis nicht vorhanden ist. Was führt wirklich zur Überschreitung des Möglichen? Betrachtet man die Dynamik der Testkörper [2], so wird relativ schnell klar, dass gerade sehr große und starke Vibrationsprüfstände in Grenzbereiche und darüber hinaus gebracht werden können. Test-Slots sind knapp und teuer. Jede Vibrationstestanlage hat Tragzahlen, die eine Sicherheit und Lebensdauer der Testeinheit garantiert. Die Kenntnis über diese Tragzahlen rückt aber in den Hintergrund, vor allem, um einen Testlauf durchführen zu können. Die mögliche Unkenntnis über die Folgen der Überschreitung mechanischer Grenzen führt zu Ergebnissen, die entweder nicht gewünscht sind, oder aber nicht erwartet werden. Im Hinblick auf die Rückführbarkeit und Replizierbarkeit der Testsequenzen folgen entweder Fehlmessungen, oder falsche Resultate. Je größer also die Dimension oder Masse des Testkörpers wird, umso wichtiger wird es, die Mechanik und die Ursachen der Dynamik zu kennen. 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 21 The „Big Vibration“ Replizierbarkeit der Ergebnisse erwartet. Betrachtet man die Anforderungen aus der ISO/ IEC 17025 [5], so wird sehr klar, dass die Anforderungen nicht nur angewendet werden, sondern auch verstanden werden müssen. Das Labor muss verifizieren, dass es ein Verfahren ordnungsgemäß durchführen kann (ISO/ IEC 17025 7.2.1.5). Hier dürfte bei vielen Laboren ein nicht unerheblicher Nachholbedarf bestehen. Wenn große Bewegung die mechanischen Bewegungsgrenzen des Prüfsystems überschreiten können, kann keine Anbindung von großen Massen und Prüfdimensionen auf der Z-Achse erlaubt sein. Als Ausgleich muss eine entsprechende Anbindung an geeignete Ausgleichslager vorgesehen werden. Hier ist die Steifigkeit der Spule alleine nicht mehr ausreichend, so dass weitere Lagerpunkte benötigt werden. Die Auswirkungen der transversalen Verschiebungen können ebenfalls zu einer extrem überhöhten Antwort führen, die zu Überlastungen der Schwingeinheit führen können. Durch die übermäßige mechanische Belastung kann es zu einer Berührung von Stator und Spule kommen, welche zu einem Kurzschluss führen kann. Ferner kann es zu unerwartet Ereignisse am Prüfling führen wie z.B. dem Lösen von internen Komponenten. Mechanisch-dynamische Bewegungen aus dem Testaufbau sind kein Indiz für die Shaker Beschaffenheit oder dessen Leistungsfähigkeit. Der pure Glaube daran, dass Testsystem werde es schon richten, ist falsch. Die Tragzahlen eines jeden Shaker beschreiben die Grenzen der Bewegungen, die zulässig sind. Insbesondere hier kommt es auf das Verständnis von Dynamik und mechanischer Integrität eines Körpers an. Bei exzentrischen Schwerpunktlagen im Shock Testfall braucht es eine Versteifung des Dynamik Körpers (Testaufbau) an zusätzliche Lager, z.B. Extension, um die Struktursteifigkeit des Testsystems zu erhalten. Um das Verhalten auf der Testfläche ableiten zu können, muss das Testsystem untersucht werden und seine Eigenschaften müssen bekannt sein! Ein Testaufbau verstärkt (Fixtur, DUT, etc.) im ungünstigen Fall die negativen Effekte des Testsystems und führt u.U. zu fehlerhaften Konformitätsaussagen. 1.3 Regel Grenzen Eine Vibrations-Test-Sequenz erfordert ebenso die Grundlagen für das Verständnis des Regelverhaltens, wie das Verständnis für die Einhaltung gewisser Grenzen (siehe Key Points 1.1). Die Regel-Grenzen bilden aber Effekte aus der Mechanik ab, die in visuellen und einsetzbaren Regel-Algorithmen eingestellt und umgesetzt werden müssen. Ist also das Verständnis für die Regelung in Korrelation zur Mechanik nicht die gleiche, oder erfordert es Ausnahmen, weil die Teststände es nicht anders erlauben, dann entstehen Effekte, die mechanisch unterschiedliche Aussagen liefern. Bei großen Massen und Dimensionen ergeben sich auch bei kleinsten Verschiebungen sehr große Effekte. Hier stellt sich die Frage, ist diese Diversität für die Prüfung von Relevanz und insbesondere, ist die Prüfaussage dann die gleiche, wenn die Konstellation des Testhauses eine andere wird? Die Regel-Grenzen beinhalten das tiefe Verständnis für Sensorik und wie sie funktioniert, genauso wie die Kenntnis für die Regelsoftware und deren Einstellmöglichkeiten. Das Verständnis für das mechanische Verhalten, sollte bei Prüfer und Auftraggeber das gleiche sein, um die Regelverhalten einer Testanlage gleich zu stellen. Die Rolle der Spezifikation wird damit nicht nur auf den Prüfling beschränkt, sondern muss auf die des Labors und der mechanischen Möglichkeiten der Testanlage ausgeweitet werden. Betrachtet man hier die unterschiedlichen Ausführungen der Systemhersteller, so wird sehr schnell klar, dass dies keine einfache Aufgabe ist, die zum Ziel der Replizierbarkeit harmonisiert werden muss. 1.4 Physikalische Grenzen Die physikalischen Gesetzmäßigkeiten sind Axiome, die als absolut richtig erkannte Grundsätze gelten und gültige Wahrheit liefern. Diese Axiome bedürfen keines weiteren Beweises, denn eines ist klar: Die Physik ist unverhandelbar Zumindest auf der Erde! Würden die Aspekte der mechanischen Dynamik außer Acht gelassen, oder angenommen, dass die statische Klemmvorrichtung einer großen Masse für den dynamischen Testfall nicht relevant sind, würden diese Annahmen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Taumeln und rotieren wird initiiert, wenn große, exzentrische Gewichte auf einem starken Vibrationsprüfstand ausschließlich auf dem Head Expander aufgeschnallt und dynamisch beaufschlagt werden! Abb.3 22 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 The „Big Vibration“ Abb.4 Im Vergleich - In Abbildung 3 sieht man ein Kippen bei einem Shock-Puls mit einem nicht ausbalancierten Prüfaufbau, während in Abbildung 4 die Kippung ausbalanciert ist, obwohl der verrichtete Weg größer ist. Es ist ein Irrglaube, dass der Hersteller eines Vibrationsprüfstandes die Physik überlisten und dazu noch einen Autopiloten für den Betrieb bereitstellt. In der ISO IEC 17025 wird das Regelwerk beschrieben, nachdem der Kunde verpflichtet ist die Maschinen für den Testzweck so zu beherrschen, dass eine Testkonformität gemäß IEC 60068-2-6/ 27/ 64 etc. herbeigeführt wird! Für große Massen und Dimensionen wird damit recht schnell klar: Es reicht nicht nur Grundlagenwissen zu haben, sondern auch das tiefe Verständnis für alle Faktoren der mechanischen Vibration, insbesondere der dynamischen Mechanik ist notwendig. Für Anlagenbetreiber liegt der Fokus auf der eigenen Testeinrichtung. Der Auftraggeber muss jedoch über die Konsequenzen einer Aufspannvorrichtung (Fixtur) genauso tiefes Verständnis für mechanische Dynamik liefern. Die Abhängigkeiten dieser Komponente werden unter Kapitel 2.1.2 behandelt. Hier widmen wir uns der Frage, was widerfährt dem Prüfling wirklich? 2. Anforderungen an das Test Haus Genauso wie ein Pilot einer A380 das Wissen um den Umgang mit dem Flugzeug verinnerlichen und ebenso in allen Lagen des Flugzustandes anwenden muss, sollte ein Test-Haus dafür sorgen, dass die Anlage, die für eine Testsequenz zur Verfügung gestellt wird, den physikalischen Gesetzten folgt und entsprechend bedient werden kann. Das Fachpersonal ist in der Pflicht Das prüfende Fachpersonal sorgt für die Validität, nicht die Maschine! Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass alle Operatoren die eine und gleiche Ausbildung haben, oder Erlerntes gleich wirksam umsetzen. 2.1 Systemverhalten Für die Bestimmung des Systemverhaltens müssen, wie bereits im Kapitel 1.2 beschrieben, die Drehachsen des System bekannt sein. Durch große Massen und Dimensionen werden Kippmomente verstärkt. Ist das Trägheitsmoment der Drehachse bekannt, kann man bereits im Vorfeld die Wirkung für alle Drehachsen berechnen, die parallel zu dieser sind. Abb. 5 Wie in Abbildung 5 zu sehen, können Kippbewegung zur Verformung des Systems führen. Liegen diese eigenfrequenzabhängigen Kippbewegungen (Eigenmoden) im Frequenzbereich sehr dicht beieinander, ist ein Taumeln mit dem Testaufbau die Folge. Jeder Teststand bringt seine Eigenheiten in Form von Eigenfrequenzen und Eigenmoden mit. Keine Spule, keine Wicklung nach mechanischer Bearbeitung hat die gleichen Eigenschaften. Diese müssen bekannt sein, um im Bereich der zu untersuchenden Frequenzspektren keine Wechselwirkungen durch Frequenzüberlagerung zu initiieren und damit unerwünschte Ergebnisse / Fehlinterpretation zu verhindern. Darüber hinaus müssen auch die Eigenformen des Prüfsystems in Kombination mit dem Prüfling bekannt sein. Das Verhalten des Prüflings auf das Prüfsystem ist ausschlaggebend für die Prüfung selbst. Wie in Abbildung 5 beispielhaft dargestellt ist, können insbesondere bei Shock Prüfungen [6] sehr hohe Bewegungsdynamiken entstehen, die entweder den Prüfling ungewollt übertesten, oder das Testsystem überlasten. Abb.6 Durch fehlende Balance des Prüfsystems, wie in Abbildung 6 zu sehen ist, kam es in diesem Testfall zu einer erheblichen Über- / Untertestung am Ende des Schockpulses. Diese ungleiche Belastung wurde durch eine überlagerte Taumelbewegung verursacht 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 23 The „Big Vibration“ 2.1.1 Regelstrategien - Vorgabe und Anspruch Die Regelstrategie wird oft durch den Kunden vorgegeben, ohne dass dieser das eigentliche Testsystem in seine Berechnungen mit einbezieht. Hier wird davon ausgegangen, dass sich das Testsystem als ideale Prüfeinrichtung verhält und nicht mit dem Prüfling interagiert. Wird dann ein Test mit diesen Vorgaben durchgeführt, kann es wie beispielhaft in Abbildung 7. zu extremen Überhöhungen. Erst durch Anpassung der Regelstrategie in Bezug auf Anzahl und Position der Regelsensoren bei gleichzeitiger Adaption des mechanischen Aufbaus kann der gewünschte Prüfablauf, wie in Abbildung 8 dargestellt, realisiert werden. So gilt es nicht nur die mechanische/ dynamischen Eigenschaften des Prüfsystems zu kennen, sondern es muss gleichzeitig auch noch ein tiefes Verständnis der Regelung vorhanden sein, um replizierbare Testergebnisse ableiten zu können. Gerade beim Arbeiten mit großen und schweren Prüfsystemen muss die Regelung so angepasst werden, dass mechanische Überlastungen und Grenzüberschreitungen vermieden werden. Dies kann auf der einen Seite zu Übertestungen führen oder auf der anderen Seite den Prüfling oder das Prüfsystem unbeabsichtigt zerstören. Abb. 7 2.1.2 Bestimmung des Systemverhaltens Der Prüfling ist der Leidtragende aller Wirkungen! Um die Ursachen besser bewerten und eingrenzen zu können, muss das System in seinen Eigenschaften bekannt sein. Das System beeinflusst sich selbst und wird gleichsam von der System Peripherie und dem Testaufbau beeinflusst. Abb.8 Die Kette sieht wie folgt aus: Ebene 1: Systemverhalten -> Eigenmoden der Schwingspule -> Eigenmoden des Head Expanders -> Einfluss der Thermo-Barriere -> Querkraft Komponenten -> Wirkweise der Extension 2.1.3 Extension - Funktion und Idee Extension erweitern zwar die Aufspannfläche, sind aber in der Bewegung als „Fremdkörper“ zu betrachten. Grundsätzlich wird nur die Anregungsrichtung in den Freiheitsgraden unterstützt. Die Unterstützungspunkte erlauben dabei nur translatorische Bewegungen. D.h. der rotatorische Anteil (Drehbewegung um die Anregungsachse und Kippmoden um die Queranregungsachsen) wird nun von den Lagern aufgenommen. Bei der Bewegung muss die passive Zusatzmasse (Eigenmasse der bewegten Anteile) mit entsprechenden Trägheitsmomenten betrachtet und beachtet werden. Die so zusätzlich träge, bewegte Masse senkt die Eigenfrequenz des Systems ab, wird aber durch die Momenten Versteifung teilweise kompensiert. D.h. umso steifer die Testfläche ist, umso geringer ist der Anteil der Versteifung durch die Extension erforderlich. Bewegte Masse ist zeitgleich der größte Dämpfer für die Leistungsfähigkeit eines jeden Shakers, auch wenn der Vektor 300 kN beträgt. Hier ist die Kreativität des Konstrukteurs gefragt, die mechanische Integrität zu erfüllen, aber den Materialeinsatz hierbei möglichst klein zu halten. Damit ist es Fluch und Segen zugleich. Wird ein großer Headexpander verwendet, steigt die bewegte Masse um 24 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 The „Big Vibration“ ein Vielfaches an. Werden Extension verwendet, ist die Dynamik der Extension zu beachten. Da es zurzeit keine technischen Vorgaben für die Herstellung solcher Systeme gibt, sind bei Testungen auf verschiedenen Systemen, verschiedene Resultate/ Ergebnisse zu erwarten, da jedes System seine Besonderheiten und Eigenschaften mitbringt. Erst wenn diese harmonisiert und normalisiert sind, können Testdiversität und Konformität solcher Anlagen in Betracht gezogen werden. 3. Anforderungen an den Kunden Erst wenn die 1. Ebene bekannt ist, insbesondere mit der weitreichenden Betrachtung und der Wirkweise der Extension, kann die 2. Ebene betrachtet werden. Ebene 2: Prüflingsverhalten -> Design der Fixtur -> Eigenmoden der Fixtur -> Freiheitsgerade der Fixtur -> Schwerpunkt der Fixtur -> Prüfling Der Alltag eines Testhauses erlaubt es nicht die Eigenschaften der 2. Ebene zu untersuchen. Einerseits, weil die Konformitätsaussage beeinflusst werden würde und andererseits, weil ein Labor nicht für die Eigenschaften des Prüflings verantwortlich gemacht werden kann. Hier steht der Kunde in der Pflicht die erforderlichen Werte und Erfahrungen zu liefern, so dass eine „saubere“ Messung erfolgen kann. Dabei wären entsprechende Vortests als Maßnahme zu treffen und die Ergebnisse aus der 2. Ebene sollten dem Lastenheft beigefügt werden. So könnten etwaige Symmetriefehler bei der Platzierung auf dem Prüftisch bereits im Vorfeld geklärt werden. Mit solchen Voruntersuchungen würden unnötige oder unerwartete Ereignisse bei starken Resonanzüberlagerungen beider Ebenen erkannt und minimalisiert werden. 3.1 Einfluss der Fixtur auf das System Die Prüflingsfixtur kann aufgrund der für die Montage notwendigen Spannkräfte die Eigenschaften des Testsystems verändern. Durch Verspannungen und zusätzliche Massen können sich zuvor ermittelte Eigenformen und Eigenfrequenzen ändern und auf den Prüfablauf auswirken. Deswegen ist es notwendig diese Einflüsse zu kennen bzw. zu bestimmen, um einheitliche und konforme Testsequenzen erzeugen zu können 3.2 System Simulation als Werkzeug für die Systemoptimierung Eine digitale Simulation (FEM) erlaubt sowohl dem Betreiber als auch dem Kunden die schnelle und kostengünstige Einsicht für die Eingrenzung etwaiger Probleme. Der „Digitale Shaker-Zwilling“ könnte bei wachsenden Rohstoffpreisen und rasant ansteigenden Energiekosten einen weiteren Anreiz für die Art der Untersuchung bieten, um bereits im Vorfeld die Systemeigenschaften besser beschreiben und begreifen zu können. Allerdings erfordert die FEM auch eine einheitliche Vorgehensweise, um Fehlinterpretationen zu verhindern. Der digitale Weg wird aber den Modalversuch nicht ersetzen können. Der Prüfling muss real getestet werden, um ein reales Ergebnis zu bestimmen. 4. Messunsicherheitsbetrachtung Das Testsystem in Betrieb mit Extension liefert weitere Fehlerquellen und sorgt für die Erweiterung der Faktoren, die in der Messunsicherheitsbetrachtung erfasst und berücksichtigt werden müssen. Bei Konformitätsaussagen nach ISO/ IEC 17025 [5] wird die sogenannte Entscheidungsregel zu einem undefinierten Bereich, wenn nicht alle Faktoren bekannt und definiert sind. Um eine solche Entscheidung treffen zu können, kommt es auf das Verständnis und die Wirkweise/ Funktion des Gesamtsystems an. Besondere Beachtung bekommt die Konformitätsaussage bei pass/ fail Entscheidungen, da diese dabei berücksichtigt werden muss. Somit muss klar und bekannt sein, ob der Fehler systemisch oder unerwartet ist. 5. Fazit Das Testsystem in Betrieb mit Extension bietet durch die geringere Masse im Verhältnis zu einem großen Head Expander eine größere Testvarianz mit mehr Prüfmasse, benötigt aber tiefe Kenntnisse der mechanischen Dynamik. Es ist unabdingbar tiefes Wissen aus der Schwingungslehre mitzubringen, um die Messsignale interpretieren und bewerten zu können. Ein Mangel dieses Wissens kann ein strukturelles Versagen der Shaker-Spule nach sich ziehen, beziehungsweise Testobjekte übertesten / zerstören. Es ist absolut notwendig die Regelsystematik zu verstehen und bedienen zu können, da sonst das Testsystem den zu prüfenden Körper beeinflusst, wie auch die mechanische Integrität an die Grenzen führt. Bei richtigen Einsatz ermöglichen Extension eine „saubere“ Messung. Schwingungssysteme sind nicht einfach und auch nicht homogen. Eine ungleichförmige Amplitudenverteilung ist natürlich und frequenzabhängig. Ein mangelndes Systemverständnis führt leicht zum Unterbzw. Übertesten der Prüflinge und kann im Worst Case das Prüfsystem oder den Prüfling zerstören! Der Kunde ist sich oft dieser Tragweite nicht bewusst - Hier muss Aufklärung erfolgen! 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 25 The „Big Vibration“ Dipl.-Ing. Peter-J. SIKORA Prof. Dr.-Ing. Michael SAUER M.Sc. Literatur [1] Umgebungseinflüsse - Teil 2-6: Prüfverfahren - Prüfung Fc: Schwingen (sinusförmig) (IEC 60068- 2-6: 2007); Deutsche Fassung EN 60068-2-6: 2008 [2] Technische Mechanik: Dynamik: Bd 3 von Peter Hagedorn ISBN: 9783817118359 [3] https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Steinerscher_Satz [4] Alfred Böge: Technische Mechanik: Statik - Dynamik - Fluidmechanik - Festigkeitslehre. Springer DE, ISBN 978-3-8348-8107-6 [5] Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien (ISO/ IEC 17025: 2017); Deutsche und Englische Fassung EN ISO/ IEC 17025: 2017 [6] Umgebungseinflüsse - Teil 2-27: Prüfverfahren - Prüfung Ea und Leitfaden: Schocken (IEC 60068- 2-27: 2008); Deutsche Fassung EN 60068-2- 27: 2009