Fachtagung für Prüfstandsbau und Prüfstandsbetrieb (TestRig)
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expert Verlag Tübingen
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Planung und Errichtung eines multiaxialen Schwingtisches für Motorradkomponenten
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Felix Rehberger
Benjamin Riemer
Aufgrund der Erweiterung des Entwicklungszentrums der KTM AG wurde ein neues Prüfzentrum für Motoren, Komponenten und Baugruppen von Motorrädern errichtet. Dabei wurden eine vollständig neue Hydraulikanlage und zahlreiche neue Prüffelder und Prüfstände eingerichtet. Eine der fundamentalen Neuerungen des Prüfzentrums für Komponenten und Baugruppenversuche sollte der multiaxiale Schwingtisch (MAST) darstellen.
Im Zuge der Planungen und in weiterer Folge der Errichtung des MAST wurden bisherige Erfahrungen an ähnlichen Prüfstanden von externen Dienstleistern analysiert und für die Anwendung an Motorradkomponenten adaptiert bzw. optimiert. Dabei stellten hohe vertikaldynamische Bewegungen die größte Herausforderung dar, die mit sportlich orientierten Motorrädern in entsprechenden Einsatzgebieten erreicht werden können. Um diese Anforderungen zu erfüllen, bedurfte es einer umfangreichen Planungsphase sowie entsprechenden Anpassungen an die baulichen Fortschritte und Gegebenheiten.
Doch auch zum Betrieb des MAST mussten einige Dinge berücksichtigt werden. Dazu zählen primär Arbeitserleichterungen als auch sicherheitsrelevante Anpassungen um Schäden aber auch Verletzungsrisiken zu minimieren, denn beim Betrieb können Bauteile der Prüflinge Schäden erleiden. Dadurch können Bruchstücke zur Gefahr werden. Deshalb sollten hier Vorkehrungen getroffen werden um die Arbeit zu erleichtern, wie einer Plattform zur erleichterten Montage der Prüflinge. Zur Erhöhung der Sicherheit wurden Bleche eingesetzt, die den Prüfstand vor Schäden durch Prüflingsteile schützt. Insbesondere abgeschlagene Druckbehälter an den Zylindern stellen eine ernste Gefahr dar. Zusätzlich zu den Blechen wird eine Sicherung der Komponenten eingesetzt, welche über einen Schwenkkran realisiert wird.
In den nachfolgenden Abschnitten werden die oben angeführten Punkte im Detail beschrieben und erläutert. Dabei wird auf die Anforderungen des Prüfstands, als auch die tatsächliche Realisierung und eventuelle Probleme eingegangen.
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1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 33 Planung und Errichtung eines multiaxialen Schwingtisches für Motorradkomponenten Felix Rehberger KTM AG, Mattighofen, Österreich DI (FH) Benjamin Riemer KTM AG, Mattighofen, Österreich Zusammenfassung Aufgrund der Erweiterung des Entwicklungszentrums der KTM AG wurde ein neues Prüfzentrum für Motoren, Komponenten und Baugruppen von Motorrädern errichtet. Dabei wurden eine vollständig neue Hydraulikanlage und zahlreiche neue Prüffelder und Prüfstände eingerichtet. Eine der fundamentalen Neuerungen des Prüfzentrums für Komponenten- und Baugruppenversuche sollte der multiaxiale Schwingtisch (MAST) darstellen. Im Zuge der Planungen und in weiterer Folge der Errichtung des MAST wurden bisherige Erfahrungen an ähnlichen Prüfstanden von externen Dienstleistern analysiert und für die Anwendung an Motorradkomponenten adaptiert bzw. optimiert. Dabei stellten hohe vertikaldynamische Bewegungen die größte Herausforderung dar, die mit sportlich orientierten Motorrädern in entsprechenden Einsatzgebieten erreicht werden können. Um diese Anforderungen zu erfüllen, bedurfte es einer umfangreichen Planungsphase sowie entsprechenden Anpassungen an die baulichen Fortschritte und Gegebenheiten. Doch auch zum Betrieb des MAST mussten einige Dinge berücksichtigt werden. Dazu zählen primär Arbeitserleichterungen als auch sicherheitsrelevante Anpassungen um Schäden aber auch Verletzungsrisiken zu minimieren, denn beim Betrieb können Bauteile der Prüflinge Schäden erleiden. Dadurch können Bruchstücke zur Gefahr werden. Deshalb sollten hier Vorkehrungen getroffen werden um die Arbeit zu erleichtern, wie einer Plattform zur erleichterten Montage der Prüflinge. Zur Erhöhung der Sicherheit wurden Bleche eingesetzt, die den Prüfstand vor Schäden durch Prüflingsteile schützt. Insbesondere abgeschlagene Druckbehälter an den Zylindern stellen eine ernste Gefahr dar. Zusätzlich zu den Blechen wird eine Sicherung der Komponenten eingesetzt, welche über einen Schwenkkran realisiert wird. In den nachfolgenden Abschnitten werden die oben angeführten Punkte im Detail beschrieben und erläutert. Dabei wird auf die Anforderungen des Prüfstands, als auch die tatsächliche Realisierung und eventuelle Probleme eingegangen. 1. Anforderungen an den Prüfstand Um einen Prüfstand in diesem Ausmaß in Betrieb zu nehmen, müssen zuerst ein paar Eckdaten festgelegt werden, die der Prüfstand erfüllen soll. Für KTM war es erforderlich, Motorradkomponenten und Baugruppen zu Prüfen. Dabei sollten sechs Freiheitsgrade darstellbar sein. Somit konnte nur ein Hexapod oder ein Orthogonalsystem herangezogen werden um diese Anforderungen zu erfüllen. Als Lösung wurde hier ein Orthogonalsystem gewählt, da ein Hexapod die hochdynamischen Bewegungen eines sportlich orientierten Motorrads nicht abbilden konnte bzw. unterschiedliche Anforderungen an die jeweiligen Freiheitsgrade hatte. 1.1 Abgrenzung der Anforderungen Die Abgrenzung der Anforderungen an die zukünftige Aufgabe des Prüfstands ist für die Planung ebenfalls sehr wichtig, da mit diesen Eckdaten, die Dimensionierung entsprechend stattfinden kann. Nachfolgend sind die Eckdaten für den multiaxialen Schwingtisch angeführt: - Abbildung aller sechs Freiheitsgrade - Beladung des Tischs mit bis zu 500kg - Translatorische Wege von bis zu 150mm in longitudinaler Richtung, bis zu 100mm in lateraler Richtung, sowie bis zu 300mm in vertikaler Richtung - Rotatorische Winkel von bis zu 14 Grad um die Roll- und Gierachse, sowie bis zu 34 Grad um die Nickachse 34 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 Planung und Errichtung eines multiaxialen Schwingtisches für Motorradkomponenten Manche der zuvor angeführten Werte scheinen für den Motorradbetrieb recht hoch, werden aber bei entsprechenden Modellen durchaus erreicht oder sogar überschritten, da bei manchen Manövern z.B. beim Überfahren eines Bahnübergangs hohe Beschleunigen am Fahrgestell auftreten, die nur mit entsprechenden Hüben erreicht werden können. 1.2 Konzeptauswahl Prüfstandsbauweise Anhand der zuvor beschriebenen Grenzwerte müssen Überlegungen zur Auswahl des richtigen Prüfstands getroffen werden. Im Falle der KTM AG standen anfangs zwei Bauweisen zur Diskussion. Zum einen wurde ein 6 DOF Hexapod und zum anderen ein 6 DOF Orthogonalsystem überlegt. Während der Planungsphase wurden beide Konzepte als weitgehend möglich erachtet. Es stellte sich später jedoch heraus, dass ein Hexapod die Anforderungen nicht erfüllen konnte. Die Planungen erfolgten Anfangs jedoch trotzdem für beide Bauweisen, da die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststand. Während der Planung wurden dabei verschiedene Konzepte der späteren grundsätzlichen Bauweise (Orthogonalsystem) in Betracht gezogen. Abb. 1 schematische Darstellung - Orthogonalsystem Je nach Bauweise wird außerdem eine seismische Masse zur Schwingungsdämpfung in entsprechender Größe benötigt. Die Form der seismischen Masse muss ebenfalls an den zukünftigen Prüfstand angepasst sein, sodass diese Masse ihre Funktion auch erfüllen kann. Die seismische Masse wird auf Luftfedern gelagert und entkoppelt so den Prüfstand vom Fundament des Gebäudes. Ohne diese Entkopplung könnten die vom Prüfstand verursachten Schwingungen auf das Gebäude übertragen werden und die Bausubstanz beschädigen. Dabei sollten Schwingungen unter 2 Hz entkoppelt werden. Die seismische Masse wird in Abschnitt 2.1 näher erläutert. 1.3 Infrastruktur für einen MAST Abschließend muss für einen Prüfstand in dieser Größe auch die Betriebsmittelinfrastruktur berücksichtigt werden. Dabei sollte der Öldurchfluss mit entsprechender Reserve eingeplant werden. Bei Verwendung von pneumatischen Komponenten am Prüfstand, muss außerdem ausreichend aufbereitete Druckluft zur Verfügung stehen. Im Falle des MAST bei der KTM AG musste eine Ölflussreserve von nominal etwa 1236 l/ min realisiert werden. Der durchschnittlich erwartete Öldurchfluss im Betrieb war mit etwa 400 l/ min geschätzt. Dies wurde bereits im neuen Aggregatekonzept berücksichtigt, weshalb hier keine Engpässe zu erwarten waren. Für die Leckölabsaugung wurden neue Absaugeinheiten eingeführt, welche mit Druckluft betrieben werden. Auch hier muss für ausreichende Reserven gesorgt werden. Dafür wurde eine eigene Luftaufbereitung vorgesehen, welche für die gesamte Prüfhalle herangezogen wird. Daher wird diese hier nicht näher erläutert. 2. Planung und Errichtung des Prüfstands Nach der anfänglichen Abgrenzung der Prüfstandsanforderungen, wurde mit der Dimensionierung und Planung des zukünftigen MAST begonnen. Die Planungen zu diesem Prüfstand begannen bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Bauphase der Erweiterung des Entwicklungszentrums. Um einen Prüfstand in der Größe auch sinnvoll unterzubringen muss dementsprechend Platz zur Verfügung stehen. 2.1 Herstellung der seismischen Masse Im Falle der KTM AG wurde dies bereits in der Architekturplanung berücksichtigt, sodass auch die seismische Masse während des Baus errichtet werden kann. Die Vorbereitung zu diesem Prüfstand begannen im Jahr 2016 um die baulichen Maßnahmen dafür rechtzeitig vorzusehen. Das Gießen der über 128 Tonnen schweren Masse musste in der frühen Bauphase erfolgen. Etwa ein Jahr nach Beginn der Planungen wurden, während dem Rohbau, die Armierungen der Massen im Hallenfundament vorbereitet (siehe Abb. 2). Abb. 2 Anker und Ankerschablone der seismischen Masse Im weiteren Verlauf wurden die Außenwände als fertige Elemente angeliefert und mit den Armierungen und Ankern verschraubt. Damit war die Außenhülle vorbereitet und die Masse konnte entsprechend mit Beton ausgegossen werden. Um ein Abheben der Masse vom Kellerfundament zu ermöglichen wurde eine Folie ausgelegt, auf der die Masse nicht haften bleibt. Die fertige Masse war, mit Aushärtung des Betons, etwa drei Monate nach dem Gießen fertig ge- 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 35 Planung und Errichtung eines multiaxialen Schwingtisches für Motorradkomponenten stellt. Eine Abbildung der fertigen Masse, noch ohne Aufbauten oder anbauten, ist in Abbildung 3 ersichtlich. Abb. 3 Fertiggestellte seismische Masse Für die Fertigstellung der seismischen Masse muss der Beton einige Wochen aushärten. Danach wurde eine T- Nuten-Platte montiert. In der ursprünglichen Variante sollte der Prüfstand direkt mit den Ankern in der seismischen Masse verbunden werden. Später fiel die Wahl auf eine T-Nuten-Platte, da dadurch eine flexiblere Montage von Prüfstand und Erweiterungen möglich ist. Zur weitestgehenden Entkopplung des Prüfstands von der restlichen Bausubstanz sah das Konzept vor, Luft- Feder-Dämpfer-Systeme einzusetzen, um die niederfrequenten Schwingungen auf ein Minimum auf das Gebäude zu reduzieren. In Abbildung 4 ist die fertige Plattform, also die seismische Masse mit der T-Nuten-Platte und den Luftfedern zu sehen. Von der Vorbereitung im Rohbau bis zu Fertigstellung, wie sie unten zu sehen ist, verstrichen so etwa sechs Monate. Abb. 4 Seismische Masse mit Luftfedern und T-Nuten- Platte ohne Rinnen Abschließend wurden noch Auffangrinnen rund um die Plattform vorgesehen, um kleinere Flüssigkeitsmengen von z.B. Öl oder Wasser aufzufangen. Dabei ist darauf zu achten, dass entsprechende Überwachungssysteme berücksichtigt werden, um ein Überlaufen zu vermeiden. Dieses wurde bei der KTM AG in Form eines Füllstandsensors im Auffangbehälter realisiert. 2.2 Planung des MAST Parallel zur Errichtung der seismischen Masse verlief die Planung des eigentlichen Prüfstands. Die Planungen des MAST starteten gemeinsam mit der Entscheidung der Erweiterung des Prüfzentrums im Herbst 2016. Dabei war das erste Konzept noch mit einer direkten Montage auf die seismische Masse geplant. Eine direkte Verschraubung in die Anker hätte aber den Nachteil gebracht, dass keine Zusatzaufbauten für den normalen Betrieb montiert werden können. Abb. 5 Fertig konstruierter Orthogonalprüfstand Das erste Konzept des Prüfstands war bereits im Frühling 2017 durch die inova GmbH vorgestellt worden, welches dann als Orthogonalsystem ausgelegt wurde. Wie bereits beschrieben, wäre ein Hexapod für den Anwendungsfall bei der KTM AG nur bedingt geeignet. In weiterer Folge wurden mehrere Änderungen des Prüfstands vorgenommen, bis er im Sommer 2018 zur technischen Abnahme und Fertigungsfreigabe kam. Während diesem Planungszeitraum wurde für den Prüfstand eine Tischfläche von 600x1200mm mit einem M20-Lochraster von 100x100mm definiert. Das ermöglicht eine flexible und sichere Montage der Prüflinge. Weiters wurde für die vertikalen Aktuatoren ein Hebelsystem mit zweistufiger Übersetzung eingebunden (Abb. 5). Dadurch können Geschwindigkeit, Hub, Beschleunigungen und Kräfte an den vertikalen Aktuatoren angepasst werden. Abb. 6 Anbindung der Gelenkstäbe an den Umlenkhebeln, für zweistufige Übersetzungen Außerdem wurden im Zuge der Planungen eine Sicherung des Tischs vorgesehen, um ein unerwünschtes Kippen bzw. Bewegen des Tischs während etwaiger Rüst- 36 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 Planung und Errichtung eines multiaxialen Schwingtisches für Motorradkomponenten tätigkeiten und bei drucklosen Zylindern zu vermeiden. Diese Sicherung ist auch in den Regelkreis eingebunden und verhindert z.B. den Zutritt zum Prüfstand, wenn der Sicherungsstift nicht ordnungsgemäß einrastet. Zur weiteren Erhöhung der Sicherheit muss eine Einzäunung berücksichtigt werden und so gegen unbefugtes Betreten abzusichern. Um hier ein ausreichendes Maß an Sicherheit zu gewährleisten, muss die Einzäunung dementsprechend gewählt werden. Dabei wählte die inova GmbH den geeigneten Schutz und dessen Höhe der Einzäunung aus. Als Resultat wurde eine entsprechende Umzäunung aus Plexiglas mit einer automatisch verriegelbaren Tür gewählt, welche über die Steuerungselektronik geschlossen wird, bevor Druck ins System aufgeschaltet wird. Mit all diesen Änderungen innerhalb der Planungsphase, wurde die Dimensionierung der Aktuatoren und Aufnahmen derer durch die inova GmbH fertiggestellt. Im Zuge der gesamten Planungs- und Konstruktionsphase wurden die verschiedenen Prüfstandskomponenten auf deren Festigkeit und Schwingungsstabilität mithilfe von FEM- Simulationen geprüft. Dadurch konnten bereits erste Abschätzungen auf dessen Eigenresonanzen getroffen werden und auf die Anforderungen hin optimiert werden. Die tatsächlichen Eigenmoden der Komponenten müssen aber trotzdem bei der Inbetriebnahme ermittelt werden. Abb. 7 Eigenmodenanalyse des Tischs 2.3 Errichtung des MAST Nach der technischen Abnahme im Frühjahr 2018 wurde bei der inova GmbH mit der Fertigung des MAST begonnen. Bis zur Lieferung und Montage ab November desselben Jahres, mussten ebenfalls einige Tätigkeiten berücksichtigt werden. Dazu zählten die Vormontage bei der inova GmbH am Fertigungsstandort in Prag, wo ein Funktionstest, die Sichtkontrolle auf mögliche Mängel und die Vorabnahme erfolgte. Eventuelle Nacharbeiten müssen dann ebenfalls innerhalb des geplanten Zeitraums erledigt werden. Aufgrund etwaiger Nacharbeiten können Verzögerungen im Zeitplan die Folge sein. Die Einbringung der verschiedenen Bauteile in die Prüfhalle und auf die noch nicht angehobene seismische Masse war ebenfalls mit Herausforderungen verbunden. Da die Prüfhalle noch nicht fertiggestellt war und damit die Böden noch nicht vollständig aufgebaut waren, konnten nicht alle Bereiche ungehindert befahren werden. Viele Bauteile wurden daher mit Stapler und Hallenkran kombiniert über das vorhandene Rolltor eingebracht und positioniert. Als anspruchsvoll stellte sich dabei das Gewicht des Hauptsockels der drei lateralen Aktuatoren dar, denn mit einem Gewicht von etwa fünf Tonnen war dieser Sockel für den Hallenkran alleine zu schwer. Deshalb musste mit Hilfe von Schwerlastrollen und hydraulischen Hebern der Sockel platziert werden. Nach etwa vier Wochen konnte der MAST zum ersten Mal in Betrieb genommen werden. Bis zur Übergabe an die KTM AG vergingen jedoch noch weitere Monate, in denen die Elektronik mit ihren Sensoren und Steuerungen programmiert wurden. Während der Fertigstellung der Elektronik wurden die Funktionalität und dessen Leistungsfähigkeit geprüft. Sollte sich während dieser Phase herausstellen, dass etwaige Vorgaben an die Performance nicht erreicht werden, ist hier Nachbesserungsbedarf gegeben, bevor der Prüfstand in den Betrieb übergeben wird. Abb. 8 Fertiggestellter MAST nach Erstinbetriebnahme Nachdem alle Anforderungen erfüllt waren, konnte der MAST im Mai 2018 durch die inova GmbH an die KTM AG übergeben werden. Mit diesem Datum wurde der Betrieb des Prüfstands für die Entwicklungstätigkeiten der verschiedenen Motorradmodelle aufgenommen. 3. Erweiterungen des MAST Obwohl der Betrieb bereits mit der Übergabe im Mai 2018 anlief, waren einige Erweiterungen für den Betrieb noch nicht installiert. Für den reibungslosen Rüstbetrieb am Prüfstand empfiehlt sich eine Arbeitsplattform, welche rund um den Prüfstand errichtet werden sollte. Voraussetzung dafür ist, dass entsprechend Platz zur Verfügung steht, wie es bei der KTM AG der Fall war. Bei der Plattform muss die Arbeitssicherheit gewährleistet sein, da die Plattform überhöht ist und somit einige Risiken mit sich bringt. Folglich muss also gewährleistet sein, dass eine Absturzsicherung vorhanden ist und der Zugang erleichtert wird. Hierfür wurden ein Geländer und eine Treppe vorgesehen. Die Aussparung für die Koppelstangen der vertikalen Krafteinleitungen im Boden der Plattform kann aufgrund der Tischbewegungen 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 37 Planung und Errichtung eines multiaxialen Schwingtisches für Motorradkomponenten nicht mit einem Geländer gesichert werden. Deshalb wurde hier eine möglichst kleine Öffnung eingeplant, um die Absturzgefahr auch beim Tisch möglichst gering zu halten, ohne die Funktion des Prüfstands einzuschränken. Weiters wurden im Zuge der Plattformkonstruktion mehrere Schutzbleche für die Zylinder angebracht. Diese schützen die Aktuatoren vor möglichen Prüflingsteilen, sollten Schäden am Prüfling auftreten. Dadurch ist sichergestellt, dass die Pufferspeicher der Aktuatoren, sowie Servoventile und Kolbenstangen geschützt werden. Abb. 9 MAST mit Arbeitsplattform und Schutzblechen Zur weiteren Vermeidung von Schäden oder Gefahren durch Prüflingsteile, ist es sinnvoll einen Objektfang bzw. -sicherung vorzusehen. Dies kann mit fest installierten Systemen wie Balken oder Trägern realisiert werden, oder im Falle der KTM AG mithilfe eines Schwenkkrans. Dieser ermöglicht mit einfachen Laufkatzen und entsprechenden Gurten die Sicherung der gefährdetsten Teile, aber auch die einfachere Montage von Prüflingen mithilfe des Hallenkrans, da die Sicherungseinrichtung einfach zur Seite geschwenkt werden kann. Abb. 10 MAST mit allen Erweiterungen Abschließend sollte auch für entsprechenden Schallschutz gesorgt werden. Da es sich um hochdynamische Bewegungen handelt und die meisten Komponenten zu Baugruppen verschraubt werden, können hier Schwingungen und Schallemissionen entstehen, die in unmittelbarer Nähe bis zu 100dB(A) und mehr erreichen. Bei der KTM AG wurde dieses Problem mit entsprechenden Schallschutzplatten in der gesamten Halle verwirklicht. Dadurch wurde das Lärmniveau, als auch der Hall stark reduziert. 4. Für den Betrieb wichtige Themen Als wichtiger Punkt für den Betrieb sollten mögliche Datenerfassungssysteme betrachtet werden. Dabei muss berücksichtigt werden, was wo gemessen werden soll. Hier stellen sich folgende Fragen: - Was soll gemessen werden? Dehnungen, Beschleunigungen, Kräfte, … - Werden Steuersignale für elektronische bzw. elektrische Komponenten benötigt? - Sollen Bus-Signale ausgewertet werden können? - … Abb. 11 Ansicht auf den aktuellen Zustand des MAST mit Prüfling Anhand dieser Fragen können viele Anforderungen ermittelt und Vorentscheidungen bezüglich der zu verwendenden Messysteme getroffen werden. Als sinnvolle Messdaten haben sich bei Freimassenprüfständen diverse Dehnungen an den Fahrzeugkomponenten sowie Beschleunigungen etabliert. Für Dehnungsmessungen werden üblicherweise DMS verwendet. Daher muss für diese Messstellen eine entsprechende Messkette für analoge Signale vorgesehen werden. Bei KTM werden dafür analoge Eingänge mit einem Spannungsbereich von ±10V bereitgestellt. Damit werden die DMS-Messstellen über einen separaten Messverstärker ausgelesen und dann von der Steuerungssoftware in einen Dehnungsmesswert umgerechnet. 38 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 Planung und Errichtung eines multiaxialen Schwingtisches für Motorradkomponenten Beschleunigungen können auf unterschiedliche Weisen gemessen werden. Für diese Signale haben sich bei der KTM AG kapazitive Beschleunigungssensoren etabliert. Außerdem können piezoresistive und piezoelektrische Sensoren verwendet werden. Für Beschleunigungsaufnehmer ohne analogem Ausgangssignal wird jedoch zusätzliche Hardware zur Datenauswertung benötigt. Für die einzelnen Messysteme wurde eine zentrale Anschlussbox mit individuellen Stecksystemen eingerichtet. Dabei lag der Fokus auf einfach zu steckende Systemstecker, welche für jeden Messsystemtyp einen separaten Stecker vorsehen. Dadurch kann ein Anschließen an einen falschen Eingang bzw. Ausgang und Schäden an der Elektronik unterbunden werden. Als Stecksystem wurden weitgehend LEMO®-Stecker verwendet, da diese mit Ihrem Push-Pull-Mechanismus die Anforderungen erfüllten. In Abbildung 12 ist die Anschlussbox abgebildet. Abb. 12 Anschlussbox MAST 5. Zeitlinie Im Nachfolgenden wird die Zeitlinie von Beginn der Planungen bis zur vollständigen Inbetriebnahme des multiaxialen Schwingtischs in Orthogonalbauweise gezeigt. Die Zeitlinie zeigt eindeutig den hohen Zeitaufwand, um einen Prüfstand dieser Dimension in Betrieb zu nehmen. Auch nach Inbetriebnahme beanspruchen die einzelnen Erweiterungen entsprechend Zeit zur Planung und Errichtung. Grob kann damit ein Zeitraum von Planungsbeginn bis Fertigstellung mit etwa drei Jahren angenommen werden. Abb. 13 Zeitachse „MAST“ 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 39 Planung und Errichtung eines multiaxialen Schwingtisches für Motorradkomponenten 6. Fazit Die Planung und Inbetriebnahme eines Prüfstands dieser Dimension bedarf einer langen Vorbereitungszeit. Zu Beginn der Überlegungen muss festlegt werden, welche Anforderungen der Prüfstand erfüllen soll. Im Falle der KTM AG wurde festgelegt, dass mit dem multiaxialen Schwingtisch Motorradkomponenten und -baugruppen geprüft werden sollen. Danach kann mit der Konzeption begonnen werden, um die Eckdaten zu definieren. Mithilfe der Eckdaten zeigt sich, ob ein Hexapod oder ein Orthogonalsystem als MAST geeignet ist. Bei der KTM AG fiel die Entscheidung auf einen orthogonalen MAST. Herausforderung hierbei sind die resultierenden Beschleunigungen, welche mit einem Sportmotorrad erreicht werden können. Insbesondere müssen hierfür die verschiedenen Freiheitsgrade separat betrachtet werden. Die vertikalen Bewegungen stellen dabei die Hauptbelastung dar. Nachdem die Entscheidung auf eine geeignete Bauweise als MAST getroffen wurde, kann mit der Auslegung des Prüfstands begonnen werden. Bei der Auslegung müssen parallel zur Konstruktion mithilfe von FEM-Methoden die Festigkeit und Frequenzstabilität geprüft werden. Dies ermöglicht bereits in frühen Phasen ein Optimieren des Prüfstands auf seinen zukünftigen Einsatzzweck. Sind alle Parameter erfüllt und freigegeben, kann mit der Produktion begonnen werden. Parallel zur Planung und Auslegung des Prüfstands muss die Infrastruktur zur Errichtung und zum Betreiben näher betrachtet werden. Aus baulicher Sicht muss dafür ausreichend Platz zur Verfügung stehen. Die Entkoppelung und Schwingungsdämpfung zur Bausubstanz sind dabei ebenfalls nicht zu vernachlässigen. Bei der KTM AG erfolgte dieser Aspekt während der Erweiterung des Entwicklungszentrums bereits in der frühen Bauphase. Für den Betrieb muss eine eventuell bestehende Hydraulikanlage und Luftaufbereitung erweitert werden. Wichtig ist dabei, dass ausreichende Reserven zur Verfügung stehen. Für die Montage und Positionierung der Prüfstandsbauteile können Kräne und Stapler verwendet werden. Auch kleinere Werkzeuge wie Schwerlastrollen oder hydraulische Heber können dafür herangezogen werden. Durch die Wahl einer T-Nuten-Platte als Montageelement, konnte bei der KTM AG die Positionierung flexibel gestaltet werden. Ist der Prüfstand in Betrieb genommen, können Erweiterungen für den reibungslosen Betrieb geplant werden. Sinnvolle Hilfen wie eine Montageplattform oder ein Objektfang erhöhen die Sicherheit und den Arbeitskomfort. Die Montageplattform und der Objektfang dürfen die Tischbewegungen nicht einschränken. Für den Objektfang bei der KTM AG fiel die Wahl auf einen Schwenkkran. Dadurch ist das Rüsten des Prüfstands mit dem Hallenkran nicht eingeschränkt. Ist noch kein Schallschutz vorgesehen, muss dieser ebenfalls berücksichtigt werden. Durch die hohe Dynamik des Prüfstands kann es zu hohen Lärmbelastungen kommen. Für den gesamten Planungs- und Errichtungsaufwand kann ein grober Zeitrahmen von etwa 3-4 Jahren eingeplant werden. Aufgrund der komplexen Bauform des Prüfstands sollte für Fertigungsbzw. Bauzeiten ausreichend Zeit berücksichtigt werden. Im Falle der KTM AG war der Prüfstand nach etwa dreieinhalb Jahren vollständig fertiggestellt.
