Fachtagung für Prüfstandsbau und Prüfstandsbetrieb (TestRig)
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expert Verlag Tübingen
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Messtechnik zur Verschleißerkennung an Gleichlaufgelenkwellen in Verspannungsprüfständen
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Andreas Zörnig
Christian Daniel
Hendrik Schmidt
Elmar Woschke
Zur mechanischen Prüfung von Kugelgleichlaufgelenkwellen werden Verspannungsprüfstände genutzt. Das Institut für Kompetenz in AutoMobilität (IKAM), das sich auf die Untersuchung von Fahrzeugteilen wie Gelenkwellen spezialisiert hat, und der Lehrstuhl für Technische Dynamik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg entwickeln derzeit eine Methode, bei der mittels Dehnungsmessstreifen (DMS) der Verschleißzustand zerstörungsfrei im Betrieb erfasst werden kann. Die DMS sind dabei am Außenteil des Gelenks appliziert, sodass eine Änderung der Kontaktkraft der Kugeln aufgrund einer Materialabtragung zu einer messbaren Änderung der Dehnung führt. Die entsprechenden Messdaten werden über ein Telemetriesystem direkt aus dem rotierenden System übertragen. Ein Prüfprogramm dient der diskontinuierlichen Ermittlung des Schadensausmaßes. Nach einer Auswertung unter Nutzung statistischer Kenngrößen kann auf die Größe und den Ort des Schadens geschlossen werden, wodurch Lebensdauertests im Bewusstsein des Beginns eines Schadens frühzeitig beendet und daher Prüfkosten und Ressourcen eingespart werden können.
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1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 53 Messtechnik zur Verschleißerkennung an Gleichlaufgelenkwellen in Verspannungsprüfständen Andreas Zörnig Institut für Mechanik, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Christian Daniel Institut für Mechanik, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Hendrik Schmidt IKAM GmbH, Magdeburg Elmar Woschke Institut für Mechanik, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Zusammenfassung Zur mechanischen Prüfung von Kugelgleichlaufgelenkwellen werden Verspannungsprüfstände genutzt. Das Institut für Kompetenz in AutoMobilität (IKAM), das sich auf die Untersuchung von Fahrzeugteilen wie Gelenkwellen spezialisiert hat, und der Lehrstuhl für Technische Dynamik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg entwickeln derzeit eine Methode, bei der mittels Dehnungsmessstreifen (DMS) der Verschleißzustand zerstörungsfrei im Betrieb erfasst werden kann. Die DMS sind dabei am Außenteil des Gelenks appliziert, sodass eine Änderung der Kontaktkraft der Kugeln aufgrund einer Materialabtragung zu einer messbaren Änderung der Dehnung führt. Die entsprechenden Messdaten werden über ein Telemetriesystem direkt aus dem rotierenden System übertragen. Ein Prüfprogramm dient der diskontinuierlichen Ermittlung des Schadensausmaßes. Nach einer Auswertung unter Nutzung statistischer Kenngrößen kann auf die Größe und den Ort des Schadens geschlossen werden, wodurch Lebensdauertests im Bewusstsein des Beginns eines Schadens frühzeitig beendet und daher Prüfkosten und Ressourcen eingespart werden können. 1. Prüftechnik für Gelenkwellen Kugelgleichlaufgelenkwellen werden in Verspannungsprüfständen Lebensdauertests unterzogen. Eine grobe Bestimmung des Verschleißes erfolgt üblicherweise über die Erfassung des Verdrehspiels mittels Drehwinkelsensoren an der Einspannstelle. Bild 1: AC-Festgelenk (Angular-Contact) von GKN Löbro, 1988 [10] Feste Kugelgleichlaufgelenke ermöglichen einen Versatzausgleich des Beugewinkels ohne Kardanfehler, Verschiebegelenke erlauben darüber hinaus den axialen Ausgleich. In Bild 1 ist ein Festgelenk dargestellt. Dieses besteht aus einer Welle, auf der eine Nabe befestigt ist. Das Außenteil als auch die Nabe besitzen 6 Laufbahnen, auf denen sich Kugeln befinden und das Drehmoment übertragen. Durch die Relativbewegung der Kugeln in Form einer kinematischen Kette wird der Winkelausgleich ermöglicht. Der Käfig dient der Steuerung der Kugelbewegung. Die Gelenke sind mit Fett versehen, um eine Lebensdauerschmierung zu gewährleisten [1], [2], [10]. 1.1 Lebensdauerprüfstände für Gelenkwellen Neben einfachen Torsionswechsellastaktuatoren gibt es zur Durchführung von Lebensdauerprüfungen Teststände, welche die Gelenkwelle vorspannen und einer kontinuierlich umlaufenden Beugung unterziehen. Beim Glaenzer-Prüfstand steht die Welle und das Gelenk wird umlaufend gebeugt [6]. Der Vorteil liegt darin, dass aufgrund der nicht rotierenden Teile keine rotierende Daten- und Energieübertragung notwendig ist. Heutzutage werden üblicherweise Vierquadrantenprüfstände genutzt 54 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 Messtechnik zur Verschleißerkennung an Gleichlaufgelenkwellen in Verspannungsprüfständen (siehe Bild 2). Hierbei drehen sich die durch ein Getriebe vorgespannten Gelenkwellen, sodass der Einfluss der Fliehkraft und der Schwerkraft besser berücksichtigt wird. Während der Tests können das Drehmoment, die Drehzahl, der Beugewinkel und die Länge eingestellt werden. Damit können real auftretende Lastzyklen, wie in einem Fahrzeug gefahren werden. Diese Tests werden an einer Maschine des Instituts für Kompetenz in Auto- Mobilität (IKAM), einen Aninstitut der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg durchgeführt. Bild 2: Vierquadrantenprüfstand für Gelenkwellen mit Telemetrie, Dehnungsmessstreifen, Beschleunigungs-, pyroelektrischen-, Drehmoment-, Axialkraft- und Winkelgeschwindigkeitssensoren am IKAM 1.2 Messverfahren zur Bestimmung des Verschleißes an Gelenkwellen Die Erkennung von Schäden in Wälzlagern ist in Wissenschaft und Technik ein viel betrachtetes Thema. Dabei werden häufig Beschleunigungssensoren appliziert und unter Nutzung mathematischer Methoden im Zeit- und Frequenzbereich kann auf den Schaden geschlossen werden [5], [8], [11], [15]. Auf dem Außenteil eines Gelenks befestigt, kann eine globale Aussage über Vorgänge im Inneren erfolgen. Eine grobe Aussage über den Verschleißzustand eines Gelenks lässt sich mit Drehmoment-, Drehwinkel- und pyroelektrischen Sensoren bewerkstelligen, wobei mit letzteren unterschiedlich erwärmte Laufbahnen sichtbar werden. Um hingegen Detailanalysen zu ermöglichen und den Verschleißzustand der einzelnen Bauteile eines Kugelgleichlaufgelenks zu bestimmen, ist es zielführend, so dicht wie möglich an den Kontaktstellen zu messen. Zu den möglichen Messverfahren, die eine selektive Kugelposition bestimmen könnten, gehören der Wirbelstromsensor, welcher in die Bauteile eingelassen werden müsste. Das Ultraschall Resonanzverfahren wäre für die komplizierte Geometrie des Außenteils wenig geeignet [12]. Die Signalqualität eines Mikrophons wäre von Maschinengeräuschen beeinträchtigt. Der Lasertriangulationssensor, das Laservibrometer, der konfokale Lichtsensor und das Ultraschalldickenmessgerät müssten für jede einzelne Bahn im System mit rotieren und daher einen erhöhten baulichen Aufwand bedeuten. Die Erfassung der Kugelbewegung per Kamera könnte nur ohne Dichtmanschette erfolgen. Eine Stromdurchgangsmessung an den Kugelkontaktstellen wäre nicht möglich, da Nabe, Käfig und Außenteil ständig in Kontakt sind und den Strom leiten. Für die Erfassung von Verschleißpartikeln im Fett wären Bohrlöcher an den Bahnen im Außenteil notwendig. Die favorisierten Dehnungsmessstreifen können direkt auf dem Außenteil auf der gegenüberliegenden Fläche des Kugel-Bahn-Kontakts appliziert werden [4]. Die Dehnung gibt indirekt Aufschluss über die Kontaktkraft. Jedoch wird ein Telemetriesystem benötigt. Dieses wird ebenfalls bei Beschleunigungssensoren benötigt. Generell ist die Signalerfassung aufgrund der begrenzten Übertragungsrate der Telemetrie eingeschränkt, sodass Hochfrequenzphänomene, wie die Entstehung und die Überrollung von Rissen, nicht erfasst werden. 2. Messungen Zur Erfassung der Dehnungen an den Kontaktstellen der Kugeln, werden am Außenteil Dehnungsmessstreifen angebracht. Ein kurzes Prüfprogramm mit verschiedenartigen Lasten dient dabei der gezielten Schadenserfassung. 2.1 Aufbringung der Dehnungsmessstreifen Die Dehnungsmessstreifen sollten in der Nähe des Kugel-Laufbahnkontakts appliziert werden. Die Anbringung an der Nabe oder am Käfig gestaltet sich schwierig, da hierzu entweder Platz durch Materialentfernung geschaffen oder der DMS weit entfernt angebracht werden muss. Weiterhin muss dazu der Dichtungsbalg entfernt werden. Am Außenteil bzw. an der Glocke können sie jedoch auf der Rückseite der Laufbahn angebracht werden. Die genaue Position befindet sich ungefähr dort, wo die Kugel sich im ungebeugten Zustand befindet. Es können DMS für alle sechs Laufbahnen appliziert werden. Die Dehnung ist aufgrund der komplexen Geometrie der Bauteile und der variierenden Kugelposition in der Laufbahn nicht proportional zur Kugelkontaktkraft. Die Dehnungen der sechs DMS unterscheiden sich auch ohne Verschleiß, denn Fertigungsabweichungen, wie der Laufbahnteilungsfehler, oder Messabweichungen, wie eine ungenaue Platzierung, beeinflussen die gemessene Dehnung. An der Oberfläche des Außenteils entsteht unter Last ein multiaxialer Spannungszustand, zu dessen Erfassung drei DMS in Form einer Rosette notwendig wären. Es wird jedoch nur die tangentiale Komponente mittels einer Viertelbrücke erfasst, damit das Telemetriesystem mit möglichst wenig Datenkanälen auskommt. In Bild 3 wird ein Außenteil mit DMS gezeigt, welche mit tempe- 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 55 Messtechnik zur Verschleißerkennung an Gleichlaufgelenkwellen in Verspannungsprüfständen raturbeständigem Klebstoff befestigt und an den Ausdehnungskoeffizienten von Stahl des Außenteils angepasst sind. Die Datenübertragung erfolgt per Telemetriesystem auf Bild 2, welches aus einem Modul mit Batterie und Verstärker besteht, das auf der Welle befestigt ist. Das Signal wird über eine Bluetooth Schnittstelle mit einer Übertragungsrate von 600 Hz pro Kanal übertragen. Bild 3: Dehnungsmessstreifen am Außenteil eines UF- Kugelgleichlaufgelenks (Undercut-Free) 2.2 Vorbereitung des Prüflings Typische Verschleißschäden eines Kugelgleichlaufgelenks lassen sich in verschiedene Schweregrade unterteilen. Weiterhin ist der Ort des Schadens relevant. Hauptsächlich entstehen diese auf den Kontaktflächen von Kugel und Außenteil, Kugel und Nabe sowie Kugel und Käfig. In Bild 4 ist eine Nabe mit einem Pitting auf der Laufbahn dargestellt, was eine Folge der Materialermüdung in Form einer oberflächlichen Abbröckelung darstellt. Dieser Schaden kann nach Größe der Fläche und Position unterteilt werden. Üblicherweise beginnt dieser an der Stelle, wo die Kugel sich im ungebeugten Zustand befindet. Bild 4: Nabe mit Pitting Zur reproduzierbaren Bestimmung der Position und Größe des Schadens müssen Messungen mit unterschiedlichen natürlichen oder künstlichen Schäden durchgeführt werden [15]. Um Gelenke mit natürlichen Schäden zu erhalten, müssen entweder gebrauchte Teile verwendet oder verkürzte Lebensdauertests gefahren werden. Da mit einem Lebensdauertest aber kaum definierte Schäden erzeugt werden können und die Kosten sehr hoch sind, ist es naheliegend, künstliche Schäden durch Materialentfernung zu erzeugen. Diese können in ihrer Form, Länge, Breite, Tiefe und Laufbahnnummer variiert werden. Nachteilig ist die nicht ideale Übereinstimmung mit der Geometrie und Oberflächenformation eines Pittings. Bei den beschriebenen Versuchen wird die Variation der Breite und Position auf der Nabe untersucht. In Bild 5 ist ein rillenförmiger Einschnitt in Bahn zwei zu sehen, der quer zur Laufrichtung der Kugel verläuft, welcher von 1,5 mm bis 4,5 Breite variiert wird. Er befindet sich nur bei positiven Drehmomenten in Kontakt. Bild 5: Nabe mit künstlicher Rille 2.3 Testprogramm Unter der Voraussetzung, dass übliche Fertigungsabweichungen vorliegen und kein signifikanter Verschleiß auftritt, liegen die Kontaktstellen von Kugel und Außenteil sowie Kugel und Nabe bei einem Drehmoment von 100 bis 200 Nm an. Der Kontakt liegt dabei näher zur Mitte der Laufbahn. Bei 800 Nm Drehmoment wird die Laufbahn mehr im Bereich der Kante belastet. Mit steigendem Drehmoment werden die Laufbahnen gleichmäßiger belastet. Die maximale Dehnung aufgrund der maximalen Kontaktkraft tritt nicht am Umkehrpunkt der Kugel in der Laufbahn auf. Die Lage des Maximums bezüglich des Drehwinkels und die Höhe verändern sich mit dem Beugewinkel. Die Drehzahl von 100 U/ min wurde gewählt, um möglichst geringe Einflüsse durch Fliehkraft, Vibrationen, Massenkräfte und durch hohe Verlustleistung verursachte starke Ausdehnung der Bauteile und veränderte Reibungsbedingungen zu gewährleisten. Darüber hinaus kann so eine akzeptable Abtastrate pro Umdrehung erzielt werden. Ein weitere Reduktion der Drehzahl ist aufgrund der ungenauen Drehzahlregelung unter ho- 56 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 Messtechnik zur Verschleißerkennung an Gleichlaufgelenkwellen in Verspannungsprüfständen her Last bei sehr kleiner Drehzahl nicht ratsam. Mit einem Beugewinkel von 6 and 12 ° können verschiedene Stellen der Laufbahn belastet werden. Bild 6: Dehnung auf Bahn zwei bei verschiedenen Lastschritten eines neuen Gelenks Zur Reduktion zusätzlicher Kosten und des Einflusses auf den Lebensdauertest selbst, ist es notwendig, dass die Verschleißcharakterisierung während des Lebensdauertests oder in Form eines kurzen Testprogramms erfolgt. Dieses kann beispielsweise für ein paar Sekunden nach einigen Stunden innerhalb des Lebensdauertests erfolgen. Derzeit benötigt das Programm noch mehrere Minuten. In Bild 6 und Tabelle 1 ist das Programm, welches aus einer Matrix von jeweils konstanten kinematischen- und mechanischen Lastgrößen besteht, dargestellt. Mit der Aufnahme von periodischen Dehnungssignalen über einige Umdrehungen kann beispielsweise eine Mittelung vorgenommen oder eine Veränderung über mehrere Umdrehungen erkannt werden. Tabelle 1: Konstante Lasten verschiedener Programmschritte Programm Winkelgeschwindigkeit [U/ min] Drehmoment [Nm] Beugewinkel [°] 1 100 200 6 2 100 -200 6 3 -100 -200 6 4 -100 200 6 5 100 800 6 6 100 -800 6 7 -100 -800 6 8 -100 800 6 9 100 200 12 10 100 -200 12 11 -100 -200 12 12 -100 200 12 13 100 800 12 14 100 -800 12 15 -100 -800 12 16 -100 800 12 2.4 Zeitsignal der Dehnungen Die Umdrehungsfrequenz der Gelenkwelle beträgt 1,67 Hz bei 100 U/ min. Die dominierende Frequenz des Dehnungssignals liegt bei 3,33 Hz, da das Dehnungssignal pro Umdrehung zwei Maxima enthält, was mit der Kinematik des Gelenks und der Position der Dehnungsmessstreifen begründet werden kann (siehe Bild 7). Bild 7: Signal eines DMS auf Laufbahn zwei eines neuen Gelenks bei Programm 13 Wie in Bild 8 zu erkennen, ändert sich die Form signifikant mit der Last- und Drehrichtung. Bei veränderlicher Last ändert sich die Position und die Größe der Kontaktstellen. Die Drehrichtungsumkehr verursacht veränderte Bewegungsabläufe der Bauteile, welche von Reibung, Elastizität, Spiel und Fertigungsabweichungen geprägt sind. Bild 8: Dehnung bei einer Umdrehung auf Bahn zwei eines neuen Gelenks des Programms 13, 14, 15, 16 (von links oben nach rechts unten) Bild 9: Dehnung aller sechs DMS bei einer Umdrehung auf Bahn zwei des künstlich geschädigten Gelenks mit 2,3 mm Rillenbreite des Programms 13 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 57 Messtechnik zur Verschleißerkennung an Gleichlaufgelenkwellen in Verspannungsprüfständen Bild 10: Dehnung bei einer Umdrehung auf Bahn zwei des künstlich geschädigten Gelenks des Programms 13 mit einer Rillenbreite von 1,5 mm (oben links), 2,3 mm (oben rechts), 4,5 mm (unten) In Bild 9 sind die Dehnungen aller sechs Messstreifen eines mit einem künstlichen Schaden auf der Nabe versehenen Gelenks dargestellt. Dabei macht sich die Überrollung des Schadens auf allen Dehnungssignalen zur selben Zeit in Form einer Abweichung vom sinusähnlichen Signal bemerkbar. Bild 10 zeigt Dehnungssignale von verschieden stark beschädigten Naben. Je breiter die Rille ist, desto stärker weicht das Signal von dem des neuen Gelenks ab. 3. Verarbeitung der Messergebnisse Die Existenz eines künstlichen Schadens lässt zusätzliche Maxima und Minima im periodischen Verlauf der Dehnung entstehen. Die Erfassung dieser Ereignisse kann mittels statistischer Formulierungen im Zeit- und Frequenzbereich erfolgen. Dazu gehören beispielsweise der arithmetische Mittelwert, die Momente der Ordnung beliebigen Grades und die Kurtosis. Ergänzend können fraktale Ableitungen und Filter angewendet werden [3], [5], [9], [11], [13], [14], [15]. 3.1 Zeitbereich Die statistischen Kennwerte werden vom Signal, das ein paar Umdrehungen bei unveränderter Last umfasst, gebildet. In Bild 11 wird beispielhaft der arithmetische Mittelwert für veränderliche Lasten und variierende Rillenbreiten dargestellt. Die 16 Schritte der Abszisse stellen die Lastart dar, wobei Beugewinkel von 6 und 12 °, Drehzahlen von +- 100 U/ min sowie Drehmomente von +-200 und +-800 Nm aufgebracht werden. Dabei symbolisiert + ein positives Drehmoment. Bei allen positives Drehmomenten unterscheidet sich die Nabe mit der 2,3 mm und 4,5 mm tiefen Rille signifikant von der neuen Nabe. Die Nabe mit der 1,5 mm tiefen Rille unterscheidet sich kaum von der neuen. Im Gegensatz zu vielen anderen statistischen Kennwerten ist der arithmetische Mittelwert der Aussagekräftigste. Bild 11: ´ Mittelwert der Dehnung der Bahn zwei bei verschiedenen Lasten und Rillenbreiten Bild 12: Ableitungen der Dehnung auf Bahn zwei einer Nabe mit 1,5 mm Rillenbreite des Programms 13 Eine weitere Möglichkeit der Erkennung von Diskontinuitäten besteht in der Nutzung der Ableitung, um steile Anstiege und Krümmungen hervorzuheben. In Bild 12 sind die Dehnung sowie die erste und zweite Ableitung einer Nabe mit einer 1,5 mm breiten Rille und in Bild 13 mit einer 2,3 mm breiten Rille zu sehen. Nur bei der 2,3 mm breiten Rille deuten die Ableitungen auf einen Schaden hin, sodass die Sensitivität bei geringen Rillenbreiten nicht gegeben ist. Bild 13: Ableitungen der Dehnung auf Bahn zwei einer Nabe mit 2,3 mm Rillenbreite des Programms 13 58 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 Messtechnik zur Verschleißerkennung an Gleichlaufgelenkwellen in Verspannungsprüfständen Bild 14: Schadenserkennung durch Produkt aller Bahnen der Hüllkurve des Absolutwerts des hochpassgefilterten Signals auf Bahn zwei einer Nabe mit 1,5 mm Rillenbreite des Programms 13 Bild 15: Schadenserkennung durch Produkt aller Bahnen der Hüllkurve des Absolutwerts des hochpassgefilterten Signals auf Bahn zwei einer Nabe mit 2,3 mm Rillenbreite des Programms 13 Diskontinuitäten können auch mit einem Hochpassfilter ausfindig gemacht werden (siehe Bild 14 und 15). Die größten Amplituden eines neuen Gelenks liegen bei Frequenzen von unter 12 Hz, sodass der Hochpassfilter hauptsächlich impulsartige Störungen verstärkt. Somit besteht das hochpassgefilterte Signal hauptsächlich aus Maxima, die sich an den Stellen der Schadensüberrollung befinden. Um die Wahrscheinlichkeit der Erkennung zu erhöhen, wird nach der Bildung der Hüllkurve des Absolutwerts das Produkt aller sechs Bahnen gebildet. Somit kann der sehr kleine Schaden von 1,5 mm Breite erkannt werden. Darüber hinaus eröffnet sich die Möglichkeit die geschädigte Bahn ausfindig zu machen, welche die höchsten Spitzenwerte besitzt. Mittels Drehwinkelsensor könnte eine Zuordnung zur Position des Schadens auf der Laufbahn hergestellt werden. Die Korrelation ist ebenso eine adäquate Methode zur Detektion eines Schadens. Dazu muss die Dehnungskurve des neuen Gelenks möglichst exakt über die Kurve eines Schadgelenks gelegt werden (siehe Bild 16 und 17). Dazu kann ein Suchalgorithmus oder ein Drehwinkelgeber genutzt werden. Bei positiven Drehmomenten ist die Antikorrelation der breitesten Rille am größten (siehe Bild 18 und 19). Außerdem ist sie bei der geschädigten Bahn zwei am höchsten. Bild 16: Kurven des neuen und geschädigten Gelenks des Programms 13 Bild 17: Kurven des neuen und geschädigten Gelenks des Programms 14 Bild 18: Kreuzkorrelation der sechs Bahnen des neuen und geschädigten Gelenks des Programms 13 Bild 19: Kreuzkorrelation der sechs Bahnen des neuen und geschädigten Gelenks des Programms 14 1. Fachtagung TestRig - Juni 2022 59 Messtechnik zur Verschleißerkennung an Gleichlaufgelenkwellen in Verspannungsprüfständen 3.2 Frequenzbereich Bei Wälzlagern ist eine Erkennung der geschädigten Bauteile anhand der kinematischen Überrollfrequenzen möglich [11]. Bei Kugelgleichlaufgelenken ist die Unterscheidung von Außenteil und Nabe nicht gegeben, denn das Gelenk vollführt eine Schwenkbewegung. In Bild 20 wird gezeigt, dass typische Frequenzen Vielfache der Drehfrequenz sind. Je breiter die Rille ist, desto größer ist der Unterschied der Spitzen des Frequenzbandes der Fouriertransformation (FFT) [7]. Zudem unterscheidet sich die geschädigte Bahn zwei am meisten von den anderen (siehe Bild 21). Bild 20: Spitzen der FFT der Dehnung aller Bahnen eines neuen Gelenks von Programm 13 Bild 21: Spitzen der FFT der Dehnung aller Bahnen einer Nabe mit 4,5 mm Rillenbreite von Programm 13 4. Schlussfolgerung Es konnte mit dieser Arbeit aufgezeigt werden, dass prinzipiell die Größe und der Ort eines Schadens innerhalb eines Kugelgleichlaufgelenks erfasst werden kann. Dabei ist die Aufbringung von Dehnungsmessstreifen auf dem Außenteil und der Einsatz von Telemetrie eine praktikable Technik. Für die Schadensdetektion ist die Nutzung eines kleinen Testprogramms mit variierendem Beugewinkel, Drehrichtung und Drehmoment hilfreich. Ein Schaden zeigt seinen Charakter in Form schroffer Änderungen des Signals, welches pro Umdrehung zwei Maxima hat. Diese Ereignisse können durch statistische Formulierungen, zu denen der arithmetische Mittelwert und die Kreuzkorrelation gehören, ausfindig gemacht werden. Darüber hinaus sind die Ableitung und der Hochpassfilter ein brauchbares Mittel. Im Frequenzbereich können die Maxima zur Unterscheidung der Größe und Lage eines Schadens genutzt werden. In Weiterführung der Arbeit können überlagerte Schäden an unterschiedlichen Bauteilen untersucht werden. Dabei kann auch die künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Außerdem wird ein Vergleich von Messung und Berechnung mittels Mehrkörpersystems im aktuellen Projekt durchgeführt. Literaturverzeichnis [1] Bastert, C.-C.: Bewegungs- und Belastungszustand der Kugeln im Gleichlaufgelenk. Technische Universität Darmstadt, Dissertation, 1972 [2] Bauer, C.: Untersuchungen zu Beanspruchung, Fertigungstechnik, tribologischem Verhalten und Verschleißprüftechnik von Kugel-Gleichlaufverschiebegelenken. 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Journal of Physics: Conference Series, Band 628, 2015 [14] Wang, X., Zheng, Y., Zhao, Z., Wang, J.: Bearing Fault Diagnosis Based on Statistical Locally Linear Embedding. Sensors, Band 15, 16225-16247, 2015 [15] Westphal, C.: Untersuchung über Verfahren der Schadensfrüherkennung bei Wälzlagern. Technische Universität Braunschweig, Dissertation, 1989 Danksagung Diese Ergebnisse sind im Rahmen des Projekts „MECH- KROG“, Messtechnische Erfassung der Wälzkörper im Kugelgelenk bzgl. Roll- und Gleitverhalten, durch eine Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie im Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) mit der Firma aixACCT mechatronics GmbH und dem Institut für Kompetenz in AutoMobilität (IKAM) entstanden.