Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
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2016
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttInhalt Editorial: Serialität (Ludwig Fesenmeier) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Thomas Stauder, Persönliche Erinnerungen an Umberto Eco (1932-2016) . . . . . . . . . . . . 2 «Non una sinfonia di Mahler, ma un’improvvisazione di Charlie Parker»: Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero . A cura di Thomas Stauder 6 Beiträge zu Literatur, Linguistik und Landeskunde Christine Ott, Abjekte Fetische . Elena Ferrantes Schreiben im Zeichen des vréel . . . . . . . . 32 Roger Schöntag, Der Gebrauch der lokalen Präpositionen a und in im Italienischen . Eine empirische Untersuchung in Ancona . . . . . . . . . . . . . 60 Noemi Piredda, L’italiano in Sardegna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Renate Lunzer, Dem Krieg einen Sinn geben? 1915 und die Intellektuellen in Italien . . . . 98 Biblioteca poetica Pier Paolo Pasolini: « La ricerca di una casa » - oder wo vermag eine rastlose Seele ihren Frieden zu finden? (Sabina Spezzano) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Zur Praxis des Italienischunterrichts Vittorio Prada, Il lessico familiare come strategia comunicativa in politica . Il leader sfodera la sua arma segreta: la famiglia «scende in campo» . . . . . . . . . . . . . . 123 Christine Michler, Familien- und Freundschaftsbeziehungen in Paolo Giordano, La solitudine dei numeri primi als Gegenstand im Italienischunterricht für Fortgeschrittene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Buchbesprechungen Andrea Grewe/ Giovanni di Stefano (Hrsg .): Italienische Filme des 20. Jahrhunderts in Einzeldarstellungen (Monica Biasiolo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Claudio Magris: Non luogo a procedere (Renate Lunzer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Kurzrezensionen Cecilia Gibellini: Giovan Battista Casti tra Boccaccio e Voltaire (Alessandro Scarsella) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Italo Svevo: Una burla riuscita. (Luca Mendrino) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Claudia Crocco: La poesia italiana del Novecento. Il canone e le interpretazioni (Mariagrazia Farina) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Sandra Abderhalden/ Michael Dallapiazza/ Lorenzo Macharis/ Annette Simonis (Hrsg .): Schöne Kunst und reiche Tafel: über die Bilder der Speisen in Literatur und Kunst (Christoph Oliver Mayer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Italienische Themen an den Hochschulen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz im Sommersemester 2016 (Caroline Lüderssen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2_IH_Italienisch_75.indd 1 30.06.16 17: 10 Vorschau auf Italienisch Nr. 76 - November 2016 Schwerpunkt Luigi Capuana 2_IH_Italienisch_75.indd 2 30.06.16 17: 10 1 Serialität Serialität bedeutet nicht einfach die Rekurrenz gleicher Strukturbildungselemente und -prinzipien, sondern auch deren Entfaltung in der Variation. In diesem Sinne stand auch der diesjährige Italianistentag in Halle unter dem bewusst affirmativ gewählten Motto Serialità - collane, continuazioni, puntate, und an der Saale wurden die längst traditionell gewordenen Sektionen zur Sprach- und Literaturwissenschaft sowie zur Fachdidaktik erstmals um eine kulturwissenschaftliche Sektion ergänzt. «Italianistentage [stiften] Kontinuität und Zusammenhalt» war 2014 an dieser Stelle zu lesen, aber diese beiden Seiten einer Medaille gelten natürlich nicht nur für Tagungen, sondern auch für den Deutschen Italianistenverband - Fachverband Italienisch in Wissenschaft und Unterricht selbst und, über institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit hinaus, ganz generell für diese beiden namengebenden Wirkungsbereiche von ItalianistInnen. In Italienisch als dem Verbandsorgan darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, das Interesse am Italienischen sowohl an den Schulen als auch an den Universitäten gerade vor dem Hintergrund des symbiotischen Verhältnisses zwischen diesen Bereichen wach zu halten und nach Kräften zu fördern, mag überflüssig scheinen, gilt es doch kaum, die Leserinnen und Leser dieser Zeitschrift davon zu überzeugen. Die eigentlichen Adressaten dieses Hinweises sind vielmehr diejenigen, die, mit dem Lehrer Wampl aus Nestroys Die schlimmen Buben in der Schule gesprochen, «nicht da sind»: alle diejenigen, die an der einen oder anderen Stelle direkt oder indirekt wesentlichen Einfluss darauf haben, ob SchülerInnen oder Studieninteressierte sich im Rahmen der je vorhandenen Optionen für Italienisch entscheiden. Die Argumente, die zugunsten des Italienischen sprechen, sind vielfältiger Natur und reichen weit über Cappuccino & Co hinaus: Wie man ohne Weiteres den entsprechenden Länderinformationen des Auswärtigen Amtes entnehmen kann, bestehen zwischen Deutschland und Italien nicht nur seit langer Zeit engste kulturelle Beziehungen (man denke nur an sehnsuchtsvolle Beinamen wie ‘Neu-’/ ’Klein-Venedig’ oder Epitheta wie ‘Venedig des Nordens’), vielmehr sind sie in ihrer aktuellen Dichte weltweit einzigartig; Deutschland ist mit Abstand Italiens wichtigster Handelspartner und auch für Deutschland ist Italien von größter wirtschaftlicher Relevanz. Es ist hier nicht der Ort, diese exemplarischen und grundsätzlichen Argumente auf konkrete, für individuelle oder institutionelle Entscheidungen relevante Anreize herunterzubrechen. Entscheidend ist vielmehr, um diese Zusammenhänge zu wissen, sich ggf. mit den Details - auch das gerade in Neuauflage erschienene Italien-Lexikon mag hier helfen - auseinanderzusetzen und sie dann, wieder und wieder, vorzutragen, wenn die relevanten AdressatInnen da sind. 2_IH_Italienisch_75.indd 1 30.06.16 17: 10 2 T homaS STaud er Persönliche erinnerungen an umberto eco (1932-2016) Als ich Umberto Eco zum nachfolgend abgedruckten Interview im September 2015 in Mailand traf, wirkte er bereits ein wenig resigniert und melancholisch, wie jemand, der langsam Abschied vom Leben nimmt; er wusste zweifellos schon, dass ihm nicht mehr allzu viel Zeit verbleiben würde, und sprach konsequenterweise davon, keine Verpflichtungen mehr für das Jahr 2016 zu übernehmen. Da Ecos akademisches und literarisches Wirken in den Tagen nach seinem Tod weltweit wohl schon hinreichend gewürdigt wurde und die meisten Leser und Leserinnen von Italienisch ihn vermutlich vor allem über seine Schriften kennen, will ich mich hier im Folgenden auf einige persönliche Erinnerungen an den Menschen Umberto Eco konzentrieren. Ich hatte gerade meine Zulassungs- und Magisterarbeit über Il nome della rosa geschrieben und schickte diese an Eco, als er seinen zweiten Roman, Il pendolo di Foucault veröffentlichte; er lud mich daraufhin Anfang 1989 zu sich nach Bologna ein, wo er damals am DAMS unterrichtete. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch Student - wenngleich schon promovierend - und Eco nicht nur der Inhaber des ersten Lehrstuhls für Semiotik in Italien (und in diesem Fachgebiet international führend), sondern als Erzähler auch der Autor eines bereits in zahlreiche Sprachen übersetzten und alle Auflagenrekorde anderer Romane schlagenden Megasellers, der überdies bereits mit Sean Connery in der Hauptrolle verfilmt worden war. Eine gewisse ’Fallhöhe‘ zwischen uns war also vorhanden und ich bemerkte auch, dass der Zugang zu Ecos universitärem Büro streng kontrolliert wurde, um ihn vor unliebsamen Besuchen damals schon massenhaft existierender Fans abzuschirmen. Obwohl ich Eco also mit Ehrfurcht begegnete - ich wusste bereits von der Vielfalt seiner Interessen und Kenntnisse und sah in ihm einen der letzten Universalgelehrten unserer Epoche -, erwies er sich als frei von jeglichem Dünkel; im Gespräch mit ihm fiel mir schon damals seine besondere Fähigkeit auf, schwierige Sachverhalte auf verständliche und unterhaltsame Weise darzustellen, was aus heutiger Sicht nicht nur den Erfolg seiner Romane erklärt, sondern auch seine Beliebtheit als Hochschullehrer bei den Studierenden. Seine unprätentiöse Aufgeschlossenheit gegenüber der Jugend zeigte sich darin, dass er für mich im Anschluss an dieses erste Treffen das Typoskript seiner im Studienjahr 1986/ 87 gehaltenen Vorlesung über «Aspetti della semiosi ermetica» kopieren und mir nach Deutschland nachschicken ließ, weil mir dies das Verständnis der Darstellung der Esoteriker im Foucaultschen Pendel erleichtern werde. 2_IH_Italienisch_75.indd 2 30.06.16 17: 10 Thomas Stauder Persönliche Erinnerungen an Umberto Eco 3 In den darauffolgenden Jahren und bis zu seinem Tod traf ich Eco regelmäßig nach der Veröffentlichung von jedem seiner Romane; einmal, 2002, auch außerplanmäßig, um mit ihm ein langes Gespräch über seine Biographie zu führen, die eine so wichtige Stelle im italienischen Geistesleben der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einnimmt. Außerdem sah ich ihn bei einigen seinem Werk gewidmeten Tagungen wieder, u.a. 1996 in Frankreich und 1997 in Spanien. In der Normandie - die «décades» von Cerisy sind bekannt für ihre exzessive Länge und ihren geselligen Rahmen - konnte ich so zehn Tage in Folge mit Eco verbringen, wobei die Abende ebenso interessant waren wie die wissenschaftlichen Referate am Tage (u.a. gab Eco Kostproben seiner Flötenspielkunst, mischte sich aber auch - damals immerhin schon über 60 - unter das tanzende junge Volk im Schlosskeller). In Ciudad Real durfte ich mit dabei sein, wie die Universidad de Castilla - La Mancha Eco mit großem akademischem Gepränge eine seiner internationalen Ehrendoktorwürden verlieh; bis zu seinem Tod sollte er um die 40 davon ansammeln (zwei weitere waren ihm noch für 2016 versprochen, wie auf seiner Beerdigung von Mario Andreose berichtet wurde). Bei diesen Tagungen - auch später noch, z.B. in Toronto - pflegte Eco allen Vorträgen beizuwohnen, diese jeweils kurz zu kommentieren, um am Ende dann die Ergebnisse von mehreren Tagen in einer brillanten Synthese zusammenzufassen und durch eigene Überlegungen zu ergänzen; ein ’normaler‘ Schriftsteller wäre hierzu in dieser Form nicht fähig gewesen. Auffällig war für mich auch, dass Eco, obwohl er bei solchen Anlässen immer von zahlreichen Honoratioren umringt war, von sich aus stets das Gespräch mit jüngeren, noch ’unbedeutenden‘ Wissenschaftlern suchte; er erkundigte sich rührend nach unserem Wohlbefinden (ob wir gut untergebracht seien, etc.), für das er sich in gewissem Maße - da er ja der Anlass der Tagung war - verantwortlich fühlte. Umberto Eco war nicht nur als Semiotiker und Romanautor von Bedeutung, sondern auch als gesellschaftlich engagierter Intellektueller. Im Rahmen dieses kurzen Nachrufs kann ich nicht die gesamte Genese und Entwicklung seines politischen Engagements nachzeichnen, will aber zumindest an seine führende Rolle bei der 2002 erfolgten Gründung der Bürgerrechtsbewegung Libertà e Giustizia erinnern, welche vor den Gefahren für die italienische Demokratie durch die uneingeschränkte Medienmacht Berlusconis warnte. Eco hat in mehreren Aufsätzen seine Auffassung von der Rolle der Intellektuellen in der modernen Gesellschaft dargelegt; sich über eine Parteiliste in ein Parlament wählen zu lassen, um dort seine Stimme zu Gehör zu bringen - was beispielsweise Leonardo Sciascia und Claudio Magris versuchten -, lehnte er als wenig effektiv ab. Sinnvoller sei es für den Intellektuellen, sein außerhalb der Politik erworbenes «symbolisches Kapital» (wie Bourdieu es nannte) für punktuelle Interventionen aus der Position 2_IH_Italienisch_75.indd 3 30.06.16 17: 10 Persönliche Erinnerungen an Umberto Eco Thomas Stauder 4 eines Beobachters mit moralischer Autorität zu nutzen; Ecos explizites Vorbild war hierbei Émile Zola mit seinem «J’accuse» in der Dreyfus-Affäre. Als ich zusammen mit Angela Barwig 2007 einen Band zu den Intellettuali italiani del secondo Novecento herausgab, war darin selbstverständlich auch ein Beitrag über Umberto Eco enthalten. Als laizistischer Philosoph - seinen jahrelang inbrünstigen katholischen Glauben hatte er bereits gegen Ende seines Studiums verloren - hielt Eco es für eine seiner wichtigsten Aufgaben, sich mit dem für alle Menschen unvermeidlichen Tod frühzeitig und rational auseinanderzusetzen. In seinem dritten Roman, L’isola del giorno prima, hatte er den Protagonisten Roberto analoge Überlegungen anstellen lassen: «Solo il filosofo sa pensare alla morte come a un dovere, da compiere di buon grado, e senza timore. […] Perché avrei speso tanto tempo a conversare di filosofia se ora non fossi capace a far della mia morte il capolavoro della mia vita? » Als ich Eco beim Gespräch über diesen Roman auf die auffällige Präsenz des Todesmotivs in diesem Werk hinwies, war seine Antwort, in der Tat sei dies nicht allein durch die Ansiedlung der Handlung in der im Zeichen der Vanitas stehenden Barockepoche zu erklären, sondern hänge auch damit zusammen, dass er immer älter werde und der Reflexion über den Tod deshalb immer mehr Bedeutung zumesse. Bei dieser Gelegenheit verriet er mir auch, er habe sich bereits ein aus Tommaso Campanellas Città del sole stammendes Zitat als Grabinschrift ausgesucht und diese in sein Testament aufgenommen: «Aspetta, aspetta. - Non posso, non posso.» Als wir nach dem Gespräch über Numero zero auf dem Weg zu den «Quattro Mori» waren, einem von Ecos Mailänder Stammlokalen in der Nähe seiner Wohnung an der Piazza Castello, verspürte ich das Bedürfnis, ihn durch den Hinweis auf die Unsterblichkeit, die er sich durch seine Werke erworben habe, von den trüben Gedanken an den wohl nicht mehr allzu lange auf sich warten lassenden Abschied von der irdischen Materialität abzulenken. Seine lakonische Antwort klang wenig begeistert: «Bah, l’immortalità…». Wichtiger waren ihm am Lebensende wohl seine Familie und besonders seine Enkel, mit denen er gerne viel Zeit verbrachte und von denen er mir bei dieser Gelegenheit auch einige Anekdoten erzählte; dieses Festhalten an einfachen, aber essentiellen privaten Werten - keineswegs selbstverständlich bei einer derartigen Geistesgröße, deren Prioritäten man normalerweise orientiert an anderen Parametern vermuten würde - findet sich präfiguriert bereits in Il pendolo di Foucault. Darin verkörpert Lia, die Gefährtin Casaubons, nicht nur eine Art von bodenständiger Vernunft, indem sie den angeblichen Geheimplan der Templer als Fälschung entlarvt und damit den darauf fußenden esoterischen Spekulationen, die im Zentrum dieses Romans stehen, den Boden entzieht; als sie schwanger wird, steht sie 2_IH_Italienisch_75.indd 4 30.06.16 17: 10 Thomas Stauder Persönliche Erinnerungen an Umberto Eco 5 auch für den Fortbestand des Lebens, und Casaubon erkennt am Ende im Angesicht des Todes, dass es sein Kind ist, das ihm in seiner Existenz am meisten bedeutet hat: «Mi fa male pensare che non vedrò più Lia e il bambino, la Cosa, Giulio, la mia Pietra Filosofale. Ma le pietre sopravvivono da sole. […] Merda. Eppure fa male. Pazienza, appena sono morto me lo dimentico.» Umberto Eco liebte es keineswegs nur, seine enzyklopädischen Kenntnisse auszubreiten, sondern war auch ein aufmerksamer Zuhörer, der mich am Rande der Interviews zu seinen Romanen gerne danach fragte, womit ich mich sonst gerade wissenschaftlich beschäftigte; so hielten wir uns beim Essen nach dem Gespräch über Numero zero noch lange beim Thema des Ersten Weltkriegs auf, zu dessen kultureller Rezeption ich 2014 einen Sammelband herausgegeben hatte. Auch hatte er stets ein Wort des Trostes für mich bereit, wenn ich ihm erzählte, dass ich trotz mehrerer Gastprofessuren und nicht weniger Publikationen immer noch keinen Ruf erhalten hatte; er äußerte dann, auch in Italien sei die Stellenlage nicht einfacher und einigen seiner Schüler ergehe es derzeit ähnlich. Meinen letzten Kontakt zu Eco - wenngleich aus der Ferne - hatte ich Anfang Februar 2016: Ich weilte zu diesem Zeitpunkt gerade in Frankreich als Jury-Mitglied bei der Soutenance einer an der Universität Clermont- Ferrand verfassten Dissertation über Ecos Romane. In Charroux, im Haus des Directeur de thèse Michael Nerlich (Verfasser einer brillanten Eco-Biographie), beschlossen wir zusammen mit Jean Petitot, Eco einen gemeinsamen Gruß von diesem Ereignis nach Italien zu schicken. Ich bin sicher, dass er unseren Brief noch erhalten und gelesen hat, da er, wie aus seinem familiären Umfeld berichtet wurde, noch bis wenige Tage vor seinem Tod am 19. Februar zuhause am Schreibtisch weiter gearbeitet hat. Umberto Eco war für viele Menschen ein intellektuelles und moralisches Vorbild; die etwas abgegriffen wirkende Formel, sein Tod bedeute einen großen Verlust, trifft in seinem Fall tatsächlich zu. Besonders schmerzlich empfinden seine Abwesenheit all jene Personen, die ihm auf seinem außergewöhnlichen Lebensweg stellenweise etwas nahe sein durften; ich schätze mich glücklich, seine Bekanntschaft gemacht zu haben und dass mich Eco sogar 2011 in einer Veröffentlichung seinen Freund nannte. 2_IH_Italienisch_75.indd 5 30.06.16 17: 10 6 «Non una sinfonia di mahler, ma un’improvvisazione di Charlie Parker»: un colloquio con umberto eco intorno a Numero zero a cura di Thomas Stauder domanda: Se Lei è d’accordo, vorrei cominciare 1 con una domanda riguardante il motto del Suo nuovo romanzo, ossia l’«Only connect! » 2 ripreso da E.M. Forster. Questa citazione viene qui utilizzata col suo significato originale, che aveva nel contesto di Howards End, 3 o con un significato nuovo, che si riferisce alla confusione mentale di Braggadocio, che farnetica su un mondo di complotti? La seconda spiegazione mi sembra più probabile. Se il motto di Numero zero allude alla semiosi ermetica di Braggadocio, sarebbe allora una citazione ironica, un impiego di queste due parole assai lontano dalle intenzioni di Forster. umberto eco Certamente non ho seguito le intenzioni di Forster. È che nella traduzione inglese del Pendolo, per una mia espressione sulla capacità paranoica di mettere in contatto le cose, il traduttore, William Weaver, ha scritto: «Only connect! » È dunque lui che per primo ha fatto la citazione da Forster. Da quel momento, «Only connect! » è diventato per me un po’ come un proverbio, indipendente dal contesto del romanzo di Forster, e mi piaceva metterlo lì, all’inizio di Numero zero. d.: Allora si può dire che è più un’allusione al Pendolo di Foucault che a Howards End? eco Sì, mettiamola così. Infatti, molti hanno detto che Numero zero era una ripresa del Pendolo di Foucault. Sì, questo vale almeno per Braggadocio e la sua paranoia del complotto, che è un tema che mi ha sempre affascinato, e ho anche tenuto delle conferenze su questo tema, recentemente, per esempio, a Torino. 4 In questo libro, dove tutti i fatti narrati sono veri, gli unici falsi sono quelli costruiti dalla mente paranoica di Braggadocio. Mi piaceva inventare questa storia falsa su Mussolini e mostrare come, data una paranoia del complotto, tutti i fatti storici - anche quelli veri, menzionati nella trasmissione della BBC alla fine di Numero zero - possono essere messi insieme, «be connected», per arrivare a delle conclusioni sbagliate. Io ho sempre fatto una distinzione tra i complotti veri e i complotti paranoici. Dei complotti veri ce ne sono, ogni giorno. Può darsi che in questo momento ci sia qualcuno che sta facendo la scalata alle azioni della 2_IH_Italienisch_75.indd 6 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 7 Chrysler o di un’altra società, e non lo sa nessuno. Ma di solito i complotti vengono poi alla luce, sia che riescano - come nel caso dell’assassinio di Giulio Cesare -, sia che falliscano - come nel caso della congiura di Catilina, che viene immediatamente denunciata. Tutti i fatti veri che ci sono nel mio libro, se anche nascevano da complotti, sono stati poi portati alla luce: il tentativo di colpo di stato di Junio Valerio Borghese è venuto fuori due giorni dopo. 5 Invece i complotti inventati dalla paranoia non sono mai scoperti. Per esempio, quando c’erano le Brigate Rosse, si pensava che ci fosse «il Grande Vecchio». 6 d.: So che Lei è un bibliofilo; probabilmente ha collezionato molte prime edizioni sul tema dei complotti. eco La mia collezione di libri antichi si chiama «Bibliotheca semiologica curiosa, lunatica, magica et pneumatica», un termine che veniva usato nei cataloghi antiquari. Colleziono in genere solo libri che dicono cose false. Non ho Galileo; però ho Tolomeo, che si era sbagliato. Quindi, dai complotti rosacrociani e massonici sino ai testi sull’antisemitismo - che ho usato abbondantemente per Il cimitero di Praga -, ho una buona collezione di libri sui complotti. Ho pochissimi libri che non c’entrano con questa idea del falso. Sono libri che hanno contato per la mia vita e ho voluto averne le prime edizioni. Ho la prima edizione dei Promessi sposi, la prima edizione dell’Ulisse di Joyce, la prima edizione di À rebours di Huysmans, la prima edizione dei Tre moschettieri di Dumas. Sono però in uno scaffale a parte. d.: Probabilmente ha allora anche quella di Le confessioni d’un italiano di Ippolito Nievo, per via dei riferimenti presenti in Il cimitero di Praga? 7 eco No, quel romanzo, no. Quello che ho raccontato su Ippolito Nievo non riguarda Nievo come scrittore; riguarda tutto quello che si è detto dopo, sulle circostanze della sua morte. Ovviamente ho consultato tutta la bibliografia su questo argomento, e questo mi ha permesso in quel caso - quello del Cimitero di Praga - di inventare un falso complotto, più o meno compatibile con i fatti veri. d.: Come i Suoi romanzi precedenti, Numero zero si distingue per un gran numero di rimandi intertestuali e anche intermediali. In un brano alla fine del primo capitolo, che si potrebbe classificare come momento di autoriflessività o con André Gide come mise en abyme, 8 Colonna, che ha lavorato 2_IH_Italienisch_75.indd 7 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 8 come ghostwriter di gialli, parla del suo «vizio della citazione» (p. 19) e dice: «[…] mi sono accorto che per descrivere qualcuno o qualcosa rinviavo a situazioni letterarie: non ero capace di dire che un tale passeggiava in un pomeriggio terso e chiaro, ma dicevo che andava ‘sotto un cielo da Canaletto’. Mi sono poi reso conto che così faceva anche D’Annunzio: […] Andrea Sperelli ricordava il ritratto del gentiluomo incognito della Galleria Borghese. E così per leggere un romanzo si sarebbe dovuto andare a sfogliare le dispense di qualche storia dell’arte in vendita nelle edicole.» (Numero zero, pp. 18-19) So che bisogna tener conto delle differenze fra il personaggio e l’autore, ma ciononostante la domanda che s’impone è se qui, e in alcuni altri passaggi simili a questo, 9 non si tratti di una autocritica di Umberto Eco, 10 e se quell’autocritica sia poi solo scherzosa o forse anche un po’ seria. eco Io mi sono occupato due volte del modo dannunziano di vedere le cose attraverso opere d’arte («il cielo del Canaletto»). La prima volta era nel saggio su «L’uso pratico del personaggio» contenuto in Apocalittici e integrati. 11 Lì analizzavo non solo D’Annunzio, ma persino un brano di Françoise Sagan, tratto da Dans un moi dans un an. 12 E la seconda volta nel saggio sul Kitsch. 13 Io credo però che questo… - come possiamo chiamarlo? chiamiamolo ‘il vizio di Colonna’ 14 - …questa impossibilità di descrivere la realtà se non passando attraverso il richiamo all’opera d’arte, non ha niente a che fare col citazionismo (nel senso postmoderno del termine, dove la citazione può essere ironica). Non è lo stesso. ‘Il vizio di Colonna’ è l’incapacità di dire che c’è quella luce in quel momento; allora dice: «Come avrebbe detto…» Mentre il citazionismo è che io descrivo questa stanza mentre sto parlando con Lei, e ad un certo momento introduco: «Mehr Licht! » È un gioco ironico con una citazione letteraria, 15 ma non è perché io non sia capace di descrivere la luce. d.: Senza dubbio; si può dire che D’Annunzio col suo estetismo decadente prendeva quelle citazioni sul serio, mentre che Lei mostra sempre un atteggiamento postmoderno con una certa dose d’ironia. eco Per D’Annunzio l’arte è più importante della vita, atteggiamento, questo, che è tipico del decadentismo. 2_IH_Italienisch_75.indd 8 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 9 d.: Lei aveva parlato per la prima volta di scrittura postmoderna già nel 1983 nelle Postille al «Nome della rosa», riferendosi in quell’occasione al saggio «The Literature of Exhaustion» di John Barth. Come Leslie Fiedler e altri teorici del postmoderno hanno notato, la letteratura postmoderna si distingue per la mescolanza indifferenziata di ‘highbrow and lowbrow culture’; i lettori impliciti di un romanzo postmoderno possono appartenere sia a una élite intellettuale sia a un pubblico di massa. Esempi di rimandi alla ‘cultura alta’ in Numero zero sono le allusioni un po’ nascoste a George Sand (attraverso il convento di Valldemossa, p. 9), Herman Melville («chiamatemi Ismaele», p. 13, da Moby Dick) e Shakespeare («ci sono più cose in cielo e in terra», p.- 187, da Hamlet), mentre sono nominati esplicitamente Stendhal (p. 81), Balzac (p. 85), Ariosto (p. 101), Beethoven (p. 191) e Böcklin (p. 206). La cultura popolare è spesso rappresentata dal cinema o dalla televisione, per esempio attraverso gli attori Erich von Stroheim e Telly Savalas (p. 35), la menzione di lungometraggi come I pirati della Tortuga (p. 167) e Il ponte sul fiume Kway (p. 171) e delle allusioni a film come L’eterna armonia (p. 193) e Via col vento (p. 218). Lei ha concepito questa mescolanza di differenti livelli culturali come contrasto intenzionale o semplicemente perché Lei è abituato (sia come semiologo - cioè nei Suoi studi della cultura di massa -, sia come romanziere postmoderno) ad avere la stessa dimestichezza con la cultura alta come con la cultura popolare? eco Io non so bene cosa sia il postmoderno. Ma quel poco che so, l’ho imparato leggendo John Barth e Leslie Fiedler. Quindi concordo con le loro analisi. Qualcuno ha scritto che col Nome della rosa rompevo la distinzione tra ‘high-brow and low-brow culture’, mescolando le due cose. Certamente: mi sono sempre interessato con uguale intensità sia di Dante Alighieri sia di Mickey Mouse, e quindi per me questo era naturale. Infine, tutta la discussione sul postmoderno, iniziata dai teorici americani e poi legata ai miei romanzi, è stata in verità sul problema del ‘double coding’. Ne ha parlato quella studiosa canadese, Linda… d.: Linda Hutcheon. 16 eco Sì. Nella mescolanza tra ‘alto’ e ‘basso’ si può realizzare quello che Hutcheon ha definito - ed io mi sono pienamente riconosciuto - ‘double coding’. Nel romanzo postmoderno è possibile una lettura ingenua come è possibile una 2_IH_Italienisch_75.indd 9 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 10 lettura più sofisticata. Nel ‘double coding’, un lettore ingenuo e incolto può anche riconoscere un rimando a Dante Alighieri. Cioè, anche un lettore di primo livello può riconoscere elementi ‘alti’. Talora può essere soltanto il lettore di secondo livello che riconosce l’allusione alla letteratura popolare. Faccio un esempio. Un mio amico dell’Università di Bologna, che ha scritto sempre sulla letteratura infantile e sulla letteratura popolare, 17 ha riconosciuto nel Pendolo delle allusioni sottilissime a Walt Disney, che il lettore ingenuo di primo livello non aveva trovato. d.: Sì, capisco che non c’è un nesso automatico fra livello di cultura del lettore e tipo di lettura. eco Quindi, c’è ‘alto e basso’ e c’è il ‘double coding’, che sono due cose diverse. Ci può essere una mescolanza dei due fenomeni, ma essi non sono strettamente legati. Facciamo un esempio di ‘double coding’ non voluto. Nel romanzo di Agatha Christie The Murder of Roger Ackroyd, il lettore di primo livello rimane sorpreso e affascinato dal fatto che si scopre che l’omicida è il narratore. È solo il lettore di secondo livello che si accorge come Agatha Christie aveva disseminato elementi di sospetto lungo tutto il romanzo. Quindi lui legge The Murder of Roger Ackroyd in modo metanarrativo, mentre il lettore ingenuo si gode il suo mistero e la sua soluzione. d.: Certo, un lettore più sofisticato vede delle cose che un lettore più ‘semplice’ non può notare. eco E questo è successo molto, evidentemente, col Nome della rosa, che ha avuto successo perché un mucchio di lettori si è accontentato del mistero. E quando poi ne hanno fatto un film, 18 tutto è stato ridotto fatalmente a quel mistero, e si sono persi gli altri significati del romanzo. d.: A questo proposito vorrei citare un brano dalla Sua opera Apocalittici e integrati, pubblicata per la prima volta nel 1964, dove scrisse, con ammirabile lungimiranza, molti anni prima dell’auge della narrativa postmoderna: «[…] tra il consumatore di poesia di Pound e il consumatore di un romanzo giallo, in linea di diritto, non esiste alcuna differenza di classe sociale o di livello intellettuale. Ciascuno di noi può essere l’uno e l’altro in diversi momenti della propria giornata […].» (loc. cit., ed. 1984, p. 55) 2_IH_Italienisch_75.indd 10 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 11 eco Salvo che nel caso del romanzo di Agatha Christie, ottanta milioni sono stati i lettori di primo livello e solo centomila i lettori di secondo livello. La doppia lettura può succedere nella stessa persona, ma non è detto che questa sia consentita a tutti. d.: Bene. Adesso, se Lei è d’accordo, vorrei ancora parlare di un altro aspetto. Alla fine del suo libro Semiotica e filosofia del linguaggio, apparso nel 1984, Lei sosteneva, commentando S/ Z di Roland Barthes, che la diffusione di una nuova nozione di intertestualità (secondo la concezione p.es. di Julia Kristeva) avrebbe condotto anche a un nuovo concetto di codice: «Il codice è una prospettiva di citazioni, un miraggio di strutture… sono altrettanti barbagli di quel qualcosa che è sempre stato già letto, visto, fatto, vissuto: il codice è il solco di questo già.» (loc. cit., p. 300) Secondo lei, il risultato di questo cambio di paradigma era il seguente: «La vita culturale non è più stata vista come creazione libera, prodotto e oggetto di intuizioni mistiche, luogo dell’ineffabile, pura emanazione di energia creatrice, teatro di rappresentazione dionisiaca retta da forze che la precedono e su cui l’analisi non ha presa. La vita della cultura è vita di testi retti da leggi intertestuali dove ogni ‹già detto› agisce come regola possibile. Il già detto costituisce il tesoro dell’enciclopedia.» (loc. cit.) Lei sarebbe d’accordo nell’applicare queste riflessioni teoriche ai Suoi romanzi e in particolare a Numero zero? eco Quel saggio lì sul codice si riferiva al fenomeno europeo dell’esplosione della sémiologie. Si tratta di un saggio, scritto inizialmente per l’Enciclopedia Einaudi, che voleva contribuire alla chiarificazione del concetto di ‘codice’. Fa vedere come il concetto si fosse poi frantumato in una serie di visioni diverse, per cui la mia conclusione che quello che molti chiamavano codice, era invece diventato una specie di enciclopedia. Quindi si può dire che quell’articolo è stato scritto per ‘ammazzare il codice’. Non è che io condividevo le varie opinioni lì citate; le mettevo solo in scena. Dicevo: «Siamo arrivati fino a questo punto.» 2_IH_Italienisch_75.indd 11 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 12 d.: Parlando ancora del postmoderno, che non è solo un problema letterario o artistico, ma anche filosofico, potremmo riferirci a Il pensiero debole di Gianni Vattimo (allievo come Lei di Luigi Pareyson all’Università di Torino 19 ), un volume per il quale Lei nel 1983 scrisse il saggio «L’Antiporfirio». Alla fine di quell’articolo, Lei diceva allora: «Quando si parla della crisi della ragione si pensa alla ragione globalizzante che voleva provvedere una immagine ‘fortemente’ definitiva dell’universo su cui si applicava (dato o posto che esso fosse). Il pensiero del labirinto, o dell’enciclopedia, è debole in quanto congetturale e contestuale, ma è ragionevole perché consente un controllo intersoggettivo, non sfocia né nella rinuncia né nel solipsismo.» (loc. cit., p.-79) eco È ragionevolezza contro ragione. d.: Sì. Quindi, se Colonna dice in Numero zero che «il piacere dell’erudizione è riservato ai perdenti» (p. 17) e cita la «cultura mostruosa» di Paolo Villaggio, 20 questo si riferisce alle vecchie forme del sapere, diventate obsolete nel mondo moderno? eco Questo va preso come un paradosso. Ho conosciuto molti correttori di bozze nelle case editrici che sapevano tutto, mentre un professore di sanscrito sa solo il sanscrito. [Ride.] È la differenza fra l’autodidatta e lo specializzato. L’invenzione di questo tipo di personaggio per il mio romanzo è più legata alle mie esperienze in casa editrice che al problema delle forme del sapere. Per le mie posizioni sul «pensiero debole», fa testo il capitolo che ho pubblicato in Dall’albero al labirinto, 21 dove regolo i conti con quel concetto. Quel saggio lì, che Lei cita, cioè «L’Antiporfirio», mi ha sempre dato imbarazzo. Uno dei miei allievi, che sta scrivendo molto su di me, dice: «È uno dei saggi più belli che hai scritto, ma è apparso nel libro sbagliato.» Perché Vattimo e Rovatti 22 erano stati molto onesti: «Visto che noi parliamo di pensiero debole, e c’è una discussione, chiediamo a vari autori di dire la loro.» Ma molti autori non si sono presentati, per cui il libro è stato fatto quasi solo da ‘debolisti’. L’unico che diceva una cosa diversa ero io. E, infatti, un recensore molto intelligente, che era il germanista Cesare Cases, ha detto: «In questo libro stona un poco il saggio di Umberto Eco, perché è più legato all’illuminismo che al pensiero debole.» Però per tutti era come se io condi- 2_IH_Italienisch_75.indd 12 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 13 videssi le idee di questo libro. Perciò volevo chiarire la mia posizione, e l’ho fatto in un contributo al volume in onore di Gianni Vattimo, 23 che è quello che appare poi anche in Dall’albero al labirinto. Un altro caso dove sono finito forse nel libro sbagliato è tutta quell’operazione di Maurizio Ferraris sul neorealismo, 24 che ovviamente lui ha fatto in lotta col suo maestro Vattimo e contro il pensiero debole. Vi ho partecipato anch’io con la mia idea di realismo ‘negativo’, che è venuto fuori da Kant e l’ornitorinco. 25 Anche lì è vero che non bisognerebbe mai apparire in certi libri, perché si viene poi identificati con certe posizioni radicali (in questo caso, quella di un realismo ‘totale’). d.: Senza dubbio. In Germania, il fatto che Lei abbia partecipato al volume Il pensiero debole è stato interpretato alcune volte erroneamente come un’adesione da parte Sua alle idee principali di quel libro. Se Lei è d’accordo, vorrei ancora approfondire un po’ il tema dell’intertestualità nel Suo nuovo romanzo e parlare di alcuni rimandi che mi sembrano particolarmente importanti. In Numero zero, come nella maggior parte dei Suoi romanzi precedenti, 26 si trovano molte allusioni al genere del giallo: qui gli autori di referimento sono Edgar Allan Poe (p. 10), Arthur Conan Doyle (ivi), Raymond Chandler (p. 18), Mickey Spillane (ivi) e Georges Simenon (p. 205). Questo è solo in parte la conseguenza del fatto che nel mondo fittizio del Suo romanzo, il protagonista Colonna ha scribacchiato alcuni gialli di dubbia qualità; più importante mi sembra la constatazione che le teorie cospirative di Braggadocio comportino la ricerca di un segreto e che lui si senta dunque come un detective o un investigatore. eco Sono due problemi diversi: l’uno riguarda il motivo del perché ho scelto il genere poliziesco, l’altro del perché ho fatto di Braggadocio un investigatore. Io ho sempre pensato che il romanzo poliziesco sia il romanzo nella sua quintessenza. Anche quando è scritto male, si attiene - senza saperlo - alle regole della poetica di Aristotele. Racconta sempre una storia metafisica, anche se solo al livello minimale: «Chi è colpevole? Chi ha fatto tutto questo? » Questa è la ragione per cui il romanzo poliziesco mi piace. Ma in Italia c’è stata per lungo tempo un’assenza del romanzo. Manzoni, Nievo, Verga… Poi, mentre nel mondo anglosassone, russo e tedesco trionfava il romanzo, da noi non c’era niente di comparabile. Perciò all’inizio non c’erano molti romanzi polizieschi in Italia. Solo più tardi ci si è accorti che già durante il ventennio fascista c’erano alcuni autori di gialli bravissimi, come De Angelis. 27 Ancora negli anni Quaranta i romanzi polizieschi non 2_IH_Italienisch_75.indd 13 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 14 godevano di grande stima in Italia; erano considerati ‘five dime novels’, romanzi di intrattenimento senza valore letterario. Questo era dovuto in parte al crocianesimo, all’identificazione della letteratura con la poesia. d.: Sì, la lunga ombra di Benedetto Croce. eco Ma a partire dalla metà del secolo scorso, anche gli autori italiani hanno finalmente scoperto e valorizzato la struttura del romanzo, ed adesso abbiamo dei romanzi in abbondanza. Alla base di tutto questo c’è il romanzo poliziesco, il modello minimo di narratività. La storia di Braggadocio è un’altra. Lui è un paranoico che costruisce complotti e agisce come un investigatore. Con una piccola differenza: l’investigatore agisce su un omicidio vero, mentre il paranoico fa un’investigazione in cui non c’è cadavere. [Ride.] O sta cercando cadaveri dappertutto, per farli rientrare nel suo quadro paranoico. d.: Bene. E poi ci sono anche le analogie fra la ricerca di indizi e di prove da parte del detective e l’interpretazione dei segni da parte del semiologo. eco Sì, ovviamente. d.: Su questo tema, Lei ha pubblicato nel 1981 l’articolo «Guessing: From Aristotle to Sherlock Holmes», 28 ristampato poi due anni più tardi nel libro The Sign of Three: Dupin, Holmes, Peirce, da Lei curato insieme a Thomas A. Sebeok. 29 Dall’altro lato, il genere poliziesco, grazie alla sua popolarità e diffusione, costituisce un’ottima base per la scrittura postmoderna: i rimandi a questo genere non saranno solo riconosciuti dall’élite culturale, ma anche dal ‘lettore modello comune’. Nel 1969, Lei scrisse nell’articolo «Le strutture narrative in Fleming» 30 : «In realtà […] tipico del romanzo giallo, sia di inchiesta che di azione, non è la variazione dei fatti, quanto piuttosto il ritorno di uno schema abituale nel quale il lettore possa riconoscere qualcosa di già visto cui si era affezionato. […] Il piacere del lettore consiste nel trovarsi immerso in un gioco di cui conosce i pezzi e le regole […].» (loc. cit., p. 146) 2_IH_Italienisch_75.indd 14 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 15 eco Certo, nel giallo c’è sempre uno schema invariabile. Prendiamo Rex Stout, col suo detective Nero Wolfe: il lettore ci vuole sempre ritrovare lo schema di base, con solo qualche piccola variazione (cambia il tipo di omicidio, ecc.). Io avevo osservato questo anche in Fleming 31 : c’erano delle invariabili, e poi c’era sempre qualche dettaglio nuovo. Ma Fleming aveva certe pretese letterarie, raggiungeva un livello più alto rispetto ad altri autori di gialli. d.: Un altro genere importante, non solo per Numero zero, ma per tutta la Sua narrativa, è il romanzo d’appendice dell’Ottocento. Durante il nostro colloquio del 2002, il cui tema era la Sua biografia, 32 Lei mi raccontò che uno dei Suoi nonni era stato tipografo e rilegatore, e che dopo la sua morte, quando Lei aveva dieci anni, scoprì in cantina una cassapanca con molti libri da lui lasciati, tra i quali c’erano dei romanzi storici di autori ottocenteschi come Alexandre Dumas. Secondo quello che Lei mi disse, le esperienze di lettura rese possibili da questo tesoro fecero nascere in Lei l’amore per la letteratura e hanno costituito la base per la Sua decisione, avvenuta molti anni più tardi, di scrivere anche Lei un romanzo. 33 eco È vero. d.: Tra le Sue opere, Numero zero non è certamente quella più strettamente correlata al romanzo d’appendice; ma ciononostante vi si trovano alcuni rimandi espliciti a questo genere. Per esempio, quando Braggadocio descrive a Colonna l’autopsia di Mussolini, il protagonista e narratore del romanzo commenta in questo modo la sua reazione: «Ero disgustato ma, non posso negarlo, affascinato, da lui e dal corpo martoriato su cui esultava, così come nei romanzi dell’Ottocento si era ipnotizzati dallo sguardo del serpente.» (p.-145) Questo fa pensare ai romanzi e racconti di Emilio Salgari, per esempio a testi come I misteri della giungla nera o Il serpente marino. Può dirmi qualcosa sull’importanza che il romanzo dell’Ottocento ha avuto per Lei in generale, e in particolare per Numero zero? eco Questo ha a che fare con la mia tendenza, della quale abbiamo già parlato oggi, a eliminare la distinzione tra ‘alto’ e ‘basso’. Quindi anche un romanzo che ha delle pretese letterarie deve attenersi a delle strutture che assomigliano a quelle del romanzo d’appendice. Tuttavia, non bisogna fare di ogni erba un fascio. Ci sono grandi differenze fra le opere di questo tipo di lette- 2_IH_Italienisch_75.indd 15 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 16 ratura: I tre moschettieri sono un capolavoro di stile e rapidità, mentre Il conte di Montecristo è scritto malissimo! 34 Però bisogna fare un’altra distinzione, tra narrativa e mitografia. Sulla narrativa dobbiamo dare un giudizio estetico sull’opera nel suo insieme. La mitografia può anche prendere la forma di un libro bruttissimo che, senza saperlo, crea un mito. Il conte di Montecristo è scritto male, ma è un mito. Edipo sarebbe stato un mito, anche se Sofocle non avesse scritto quella grande tragedia. Quindi, a livello della letteratura d’appendice, potremmo distinguere almeno tre casi: il primo, in cui essa diventa vera e propria arte: I tre moschettieri; il secondo, in cui è scritta male artisticamente, ma è ‘mitopoietica’: Il conte di Montecristo; il terzo, che si verifica nel momento in cui non mostra nessun valore artistico e non crea un mito, ma in un certo periodo diventa un successo di massa: I misteri di Parigi. 35 Lei non saprà citarmi nessuna figura da I misteri di Parigi che sia rimasta come modello di vita. Per quanto riguarda il romanzo d’appendice dell’Ottocento, prima era socialista e libertario per diventare poi, nell’ultima parte di quel secolo, reazionario. d.: In questo contesto non vorrei tacere che ho visitato pochi mesi fa la casa di Maurice Leblanc, il creatore del ‘ladro gentiluomo’ Arsène Lupin. Questa casa - oggi un museo - si trova a Étretat, sulla costa della Normandia, vicino alla formazione rocciosa chiamata «L’Aiguille creuse», 36 che riveste un ruolo importante anche nel Suo romanzo Il pendolo di Foucault. eco Ah sì, «L’Aiguille creuse»! Mi hanno invitato ad andarci. Ma da dove era partita la Sua domanda? Numero zero, bene. Vorrei dire una cosa: io ho sempre sostenuto che, mentre la narrativa segue il modello di Catone «rem tene, verba sequentur», per la poesia vale «verba tene, res sequentur». La narrativa parla di un mondo, e lo stile deve adeguarsi a quel mondo. Il nome della rosa è scritto nello stile del cronista medievale. L’isola del giorno prima è scritta nello stile del poeta barocco. Numero zero doveva avere la secchezza e il linguaggio comune del giornale. Tutti i miei romanzi precedenti erano una sinfonia di Mahler, mentre questo è un brano di Charlie Parker. Ma ciò è dovuto proprio al ritmo della notizia giornalistica. Nello stile di Numero zero c’entra anche il modello del romanzo d’appendice, ma mi sembra secondario. d.: Comunque, ho trovato alcuni passaggi del Suo nuovo romanzo che si riferiscono a quel modello. Per esempio, quando Colonna parla delle storie del suo collega: «Non capivo se Braggadocio fosse un portentoso narratore d’appendice, che mi dosava il suo romanzo a puntate, con la dovuta sus- 2_IH_Italienisch_75.indd 16 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 17 pense a ogni ‘continua’, o se davvero stesse ancora ricostruendo la sua trama pezzo per pezzo.» (p.- 161) eco Luigi Pareyson 37 diceva che molto importante nell’opera d’arte è la «zeppa». Una zeppa è una roba che metto qui sotto, se il tavolo o l’armadio balla. 38 Dunque non bisogna dire: «Questa cosa non c’entra niente con l’opera d’arte.» Perché se non l’aiuta a tenere su, tutta la struttura non funziona. Io avevo la preoccupazione strutturale di dare le rivelazioni di Braggadocio non tutte di seguito in un solo capitolo, ma distribuite nel romanzo. Per giustificare questa distribuzione, ecco la «zeppa» di Colonna, che dice: «Mi sembri un narratore d’appendice.» d.: Un altro brano che mi piacerebbe ancora citare a questo proposito si trova verso la fine del Suo romanzo, dove viene detto dei membri dell’organizzazione secreta Gladio (chiamati ironicamente «gladiatori») che «potevano andare a prelevare quello di cui avevano bisogno esibendo (storia da romanzo d’appendice) la metà di un biglietto da mille lire come segno di riconoscimento.» (p. 212) eco È un dettaglio storico; è veramente stato detto che avevano questo segno di riconoscimento. Dunque, anche i servizi segreti imitano i romanzi d’appendice. [Ride.] d.: «La vita imita l’arte più di quanto l’arte non imiti la vita.» 39 [Risata condivisa.] eco I casi di questo tipo sono infiniti. Proprio ieri sera in televisione, rievocavano la tragedia del Titanic, che è del 1912, ma già nel 1898 un signore aveva scritto un romanzo, in cui un transatlantico chiamato Titan naufragava contro un iceberg. 40 Aveva raccontato la vera storia del Titanic quindici anni prima. L’arte può anticipare sia le cose belle che le cose brutte. Allora la domanda potrebbe essere: se uno commette adulterio oggi, è perché ha letto Madame Bovary? No. L’adulterio è una costante dell’animo umano. Per quanto riguarda la metà di un biglietto come segno di riconoscimento, si deve ricondurre questo modo di procedere al concetto del simbolo. Da dove nasce il simbolo? È l’idea di una moneta spezzata; una metà la tiene Lei, l’altra metà la tengo io, e quindi ci riconosciamo. È una vecchia idea che esisteva prima dei romanzi d’appendice, dai quali veniva usata, come 2_IH_Italienisch_75.indd 17 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 18 veniva poi usata dai servizi segreti reali. È il σύμβολον degli antichi greci, il mettere insieme delle cose separate. Vada a vedere il capitolo sul simbolo nel mio libro Semiotica e filosofia del linguaggio, dove racconto tutto questo dettagliatamente. 41 d.: Bene. Mi piacerebbe parlare anche un po’ della gothic novel, perché credo che certi ambienti tetri di Numero zero ricordino l’atmosfera tenebrosa di questo genere di romanzo. Soprattutto via Bagnera, «la strada più stretta di Milano», della quale Braggadocio dice: «Se fossi una donna, di qui non passerei, specie quando è buio. Ti potrebbero accoltellare come niente.» (p. 36) E l’assassino seriale dell’Ottocento Antonio Boggia, personaggio storico che trovò le sue vittime in quella strada, è paragonato esplicitamente a Jack the Ripper (p. 37). Quando più tardi Braggadocio racconta a Colonna come, secondo lui, è stato trafugato il cadavere del Duce dal cimitero di Musocco, lo fa appunto in via Bagnera, «come se la cupezza del luogo si confacesse alla natura mortuaria del suo racconto.» (p. 156) 42 eco Via Bagnera esiste. L’assassinio seriale c’è stato. Però cosa è successo? Prima di iniziare questo romanzo, siccome volevo parlare della redazione di un giornale, ho cercato di situarla. E mi sono chiesto se ci sia una Milano misteriosa. Mi sono comprato tre o quattro guide; prima conoscevo solo una parte dei luoghi dove poi si sarebbe svolta l’azione del romanzo. 43 Mi sono dunque ricostruito questa Milano poca nota, e se Lei vuole chiamarla gothic, mi va benissimo. Mi divertiva andare a trovare in una città moderna le rimanenze di un Castello di Otranto di Walpole. 44 d.: Anche già nel Suo primo romanzo, Il nome della rosa, si trovavano delle citazioni della gothic novel, fra l’altro nella descrizione di certi personaggi. 45 eco Sì, era una gothic novel che era andata a rivisitare il Medioevo. [Ride.] Nella prima edizione del Nome della rosa c’era una descrizione di uno dei monaci che era una citazione da Lewis .46 Nella nuova edizione corretta di questo romanzo, che è uscita trent’anni dopo la prima 47 - tutti hanno detto che ho riscritto Il nome della rosa per i bambini, ma non è vero: sono stati fatti piccoli aggiustamenti stilistici, sono state usate alcune abbreviazioni di citazioni latine troppo lunghe, insomma sono state modificate poche cose - ho tolto quella descrizione del monaco di Lewis. 2_IH_Italienisch_75.indd 18 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 19 d.: Perché? Non Le piaceva più? eco Faceva troppo citazione. Così come, se avessi potuto - ma ormai non era più possibile - avrei cambiato il nome di Guglielmo da Baskerville. d.: Pensava che fosse troppo ovvio? 48 eco Sì. Vabbè, siccome sono partito così, pazienza. d.: Vorrei ancora menzionare che della gothic novel Lei aveva già parlato nell’Almanacco Bompiani 1972 intitolato Il ritorno dell’intreccio. Questo volume non conteneva solo il Suo articolo «L’industria aristotelica» e un bel saggio di Renato Barilli, «La narrativa alla seconda», ma anche - fra l’altro - brani da romanzi di Matthew Lewis, Ann Radcliffe, Charles Maturin e Bram Stoker. eco Era molto prima che si parlasse di postmoderno. d.: Con questo almanacco, Lei prefigurava la svolta verso il nuovo paradigma letterario del postmoderno e lo faceva con un’antologia di brani del romanzo d’appendice 49 e del romanzo gotico. eco Era la sensazione che mentre l’avanguardia era arrivata ormai alla pagina bianca, al quadro bianco, al silenzio di John Cage, non si poteva andare più in là. E Barilli aveva una buona intuizione; già nel 1965 aveva detto durante un incontro del Gruppo 63 50 che era necessario un ritorno a forme più tradizionali della narrativa. Non parlavamo esplicitamente di postmoderno, ma si trattava di rivisitare tutto quel materiale che si trovava nei miei scaffali. L’Almanacco Bompiani 1972 è stato fatto fotocopiando tutti quei vecchi romanzi nei miei scaffali! Sì, ritengo che quell’antologia lì abbia anticipato gran parte della successiva discussione intorno al postmoderno, ma oggi nessuno tranne Lei se ne ricorda. d.: Continuando ancora con l’intertestualità, vorrei gettare uno sguardo sui personaggi del Suo romanzo. Davanti a Simei, il direttore del nuovo (e mai realizzato) giornale, Colonna dice: «entrambi siamo uomini senza qualità» (p. 27). Questa è senza dubbio un’allusione al famoso romanzo di Robert 2_IH_Italienisch_75.indd 19 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 20 Musil Der Mann ohne Eigenschaften, la cui prima frase Lei aveva già citato nel Pendolo di Foucault: «Sull’Atlantico un minimo barometrico avanzava in direzione orientale incontro a un massimo incombente sulla Russia.» 51 eco Ecco un caso di ‘double coding’; non me ne importa se il lettore capisce quell’allusione, ma Lei evidentemente la capisce. d.: Infatti ci sono molte analogie fra il carattere di Colonna, il protagonista di Numero zero, e il carattere di Ulrich, il protagonista dell’Uomo senza qualità. Colonna descrive se stesso ripetutamente come «fallito» (p. 18) e «perdente» (p. 84); anche l’Ulrich di Musil non sa far fronte al mondo moderno, fallisce con i suoi tentativi di scegliere una professione che darebbe un senso alla sua vita e rimane da allora in poi in una strana passività, mero osservatore del mondo e della sua propria esistenza, che è incapace di gestire. Lei è d’accordo con questo parallelo? eco Non ci ho pensato quando ho scritto il romanzo; la mia lettura di Musil è di cinquant’anni fa. d.: Tenendo conto di tutti i fallimenti di Colonna in Numero zero - non solo nella sua vita professionale, ma anche nelle sue relazioni amorose -, lo si potrebbe paragonare ad alcuni famosi inetti della letteratura italiana, cioè ai protagonisti dei romanzi di Italo Svevo. 52 Lei aveva presente il modello degli antieroi sveviani quando ha pensato al carattere di Colonna? eco No. Ma ci sono dei perdenti nella vita reale, e non c’è da meravigliarsi che ci siano ugualmente dei perdenti nella letteratura: per esempio Lucien de Rubempré nelle Illusioni perdute di Balzac, o Julien Sorel in Il rosso e il nero di Stendhal. I romanzi parlano spesso di perdenti - anche Dostoevskij lo fa, per citare ancora un altro autore -, e solo l’epica parla di vincitori. Quindi si può dire che è un topos della letteratura mondiale. Se avessi voluto alludere a Svevo, avrei potuto scrivere che Colonna aveva sposato la sorella sbagliata. 53 [Ride.] d.: Certo. Accanto a Colonna, il secondo personaggio più importante di Numero zero è Braggadocio, il cui nome 54 sembra celare un’allusione intertestuale. Nel romanzo, questo personaggio dice a proposito del suo nome: «Pare che in inglese abbia un brutto significato, ma per fortuna nelle altre 2_IH_Italienisch_75.indd 20 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 21 lingue no.» (p. 32) Consultando il dizionario Merriam-Webster, si apprende infatti che oggi in inglese «braggadocio» è sinonimo di «boasting», cioè di vanteria o iattanza. Ma l’origine di questa designazione si trova nell’epopea The Fairy Queen di Edmund Spenser, composta alla fine del Cinquecento, dove un personaggio chiamato «Braggadocchio» (con la doppia c e una acca) è l’incarnazione allegorica della vanagloria. 55 Cioè, il nome di Braggadocio in Numero zero avrebbe la funzione di ridicolizzare le teorie cospirative sviluppate da chi ne porta il nome. Lei è d’accordo? eco Sa come sono stati scelti i nomi dei personaggi di Numero zero? Dai fonts - cioè dai caratteri tipografici - del programma Word. Quando Lei va a cercare su Word l’assortimento di caratteri proposto in questo programma, troverà accanto a caratteri molto noti come Times, Cambria e Palatino anche altri meno spesso usati come Colonna, Costanza, Freesia, Lucida, Maya, Simhei, ecc. 56 E c’era - nella versione attuale del programma non c’è più - un carattere chiamato appunto Braggadocio. Così ho scelto il nome per il personaggio del mio romanzo, semplicemente perché mi piaceva. Poi mi sono informato sull’origine di questo nome e ho appreso tutte le cose che Lei mi ha detto; per me andava benissimo, ma il significato del nome è stato casuale. d.: Capisco. I personaggi che portano questi nomi nel Suo romanzo sono tutti dei giornalisti, pertanto Le doveva sembrare opportuno battezzarli con nomi tipografici. Si era permesso un gioco di questo tipo già nel Pendolo di Foucault, dove c’era un Signor Garamond, proprietario di due case editrici. eco Quando avevo pubblicato Il nome della rosa, qualcuno mi ha detto che il nome di Guglielmo da Baskerville non contiene solo un’allusione a Sherlock Holmes, ma è anche quello di un carattere tipografico. Allora nel mio secondo romanzo, Il pendolo di Foucault, ci ho messo il Signor Garamond, che si chiama così anche perché è un editore. E in La misteriosa fiamma delle regina Loana c’è un personaggio chiamato Bodoni. Tutti dei caratteri tipografici! [Ride.] Sono delle strizzate d’occhio al lettore, ma non è necessario accorgersene. d.: Uno dei due temi centrali di Numero zero è senza dubbio la paranoia di vedere delle cospirazioni ovunque, accanto a quello del cattivo giornalismo, su cui mi vorrei soffermare più tardi. La ricerca ossessiva di presunti segreti è un tema che Lei ha già esaminato in varie occasioni come semiologo, p.es. 2_IH_Italienisch_75.indd 21 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 22 nel 1990 nel Suo libro I- limiti dell’interpretazione, oppure nelle Sue Tanner Lectures, pubblicate nel 1992 con il titolo Interpretation and Overinterpretation. La semiosi ermetica è anche un argomento ricorrente dei Suoi romanzi, soprattutto nel Pendolo di Foucault, ma anche in Baudolino e nel Cimitero di Praga. eco Sì, è un tema che mi ha sempre affascinato. Ma non è solo un passatempo come un altro, c’è una radice più profonda. Sono un filosofo. La cosa di cui un filosofo non può non interessarsi è il problema della verità. Siccome è un problema enormemente complesso, io ho sempre pensato di doverci arrivare attraverso la scoperta del falso. È più facile scoprire che qualcosa è falso che dire che qualcosa è vero. Il tema del complotto potrebbe essere chiamato un capitolo di quel libro sul falso che io continuo a scrivere. Se Lei va su internet, vedrà che ci si trovano molte pagine con delle teorie cospiratorie, è un fatto socialmente rilevante. d.: La visione del mondo di Braggadocio potrebbe essere riassunta con alcune delle sue frasi: «Avevo perduto ogni certezza, salvo la sicurezza che c’è sempre qualcuno alle nostre spalle che ci inganna.» (p. 12) «Sospettare, sospettare sempre, così trovi la verità.» (p. 47) «Vedi come tutto si lega? » (p. 48) «Tutto c’entra sempre con tutto […].» (p. 152) La reazione di Colonna alle farneticazioni di Braggadocio - «cercavo di riportarlo al senso comune» (p. 47) - mi sembra paragonabile all’attitudine di Lia davanti a Casaubon nel Pendolo di Foucault, quando gli dimostra che il presunto messaggio dei Templari è in verità solo una nota della lavandaia. Lia dice che «le spiegazioni più semplici sono sempre le più vere» (p. 419) e questo principio - che corrisponde anche al famoso «rasoio di Ockham» 57 - potrebbe essere assimilato a quello che Lei come semiologo ha chiamato «l’economia dell’interpretazione». 58 eco Sì, ritorno ogni tanto alla donna come portatrice del senso comune. Questo vale per Lia nel Pendolo di Foucault, come vale per Maia in Numero zero. Anche Colonna è più ragionevole di Braggadocio. L’unico fatto vero su cui Braggadocio si basa è che quando Mussolini è andato a Como non ha voluto incontrare la famiglia. È un fatto abbastanza strano, ma insufficiente per spiegare tutto il complotto. L’economia dell’interpretazione vorrebbe che si cercasse di interpretare questo fatto in un altro modo: doveva incontrarsi con la sua amante, pensava di vedere la moglie più tardi, ecc. Solo violando il principio dell’economia dell’interpretazione, si può pensare che non era 2_IH_Italienisch_75.indd 22 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 23 lui, che era un sosia. È un enorme dispendio interpretativo per spiegare un fatto che probabilmente si poteva spiegare in modo più economico. d.: Qui si potrebbe menzionare che il motivo del sosia, di una certa importanza per le teorie cospiratorie di Numero zero, 59 aveva già assunto un ruolo non trascurabile nell’Isola del giorno prima, sebbene per altre ragioni. 60 Anche il protagonista del Cimitero di Praga, Simonini, aveva un sosia. 61 eco La storia della letteratura è piena di sosia, a partire dai Menecmi di Plauto. È vero che nell’estetica del barocco si insisteva sull’esistenza del sosia, e perciò l’ho messo nell’Isola del giorno prima, mentre nel Medioevo non se ne parlava, e perciò non c’è nessun sosia nel Nome della rosa. [Ride.] In Numero zero, il sosia era lo strumento più elementare per poter spiegare la sostituzione di Mussolini. d.: Per quanto riguarda Maia, la giovane giornalista che diventa l’amante di Colonna, ella si distingue per uno stato mentale assai particolare, che non è facile decifrare. Secondo Braggadocio, a Maia «manca la capacità di mettersi dal punto di vista dell’altro, pensa che tutti pensino quel che pensa lei» (p. 103). 62 Questo è infatti quello che si può osservare in varie scene del romanzo, ma non sono certo che la diagnosi di Braggadocio, che afferma che Maia è autistica (p. 102), sia adeguata. Che ne dice Lei? eco Conosco alcune persone con una mentalità paragonabile a quella di Maia; volevo disegnare il ritratto di questo tipo di carattere assai particolare, ma non ne posso elaborare una diagnosi completa, considerando anche che non ha una funzione specifica nella struttura del romanzo. d.: L’altro grande tema di Numero zero, accanto a quello della mania dei complotti, è la critica del cattivo giornalismo, quello che si lascia guidare dagli interessi personali del proprietario del giornale 63 e non rifugge da menzogne e ricatti. eco Sì, è quello che io chiamo «la macchina del fango» e che mi sembra una specificità del giornalismo italiano. Da noi, un certo tipo di stampa utilizza spesso delle insinuazioni calunniose per attaccare qualcuno che non si è reso colpevole di niente ma che, per delle ragioni politiche o personali, è considerato dal giornale in questione come un nemico, cioè come qualcuno la cui 2_IH_Italienisch_75.indd 23 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 24 reputazione si vuole distruggere. C’è nel mio romanzo il caso di quel magistrato di Rimini che conduce un’inchiesta che rischia di rivelare anche certi affari dell’editore del giornale. Si cerca dunque di delegittimare quel giudice agli occhi dell’opinione pubblica, rivelandone alcune abitudini private un po’ strane ma per niente censurabili. 64 Quell’episodio è basato su un caso reale, e anche a me è successo qualcosa di simile: un giornale di proprietà della famiglia di Berlusconi pubblicò una volta un articolo nel quale si poteva leggere che ero stato osservato in un ristorante cinese mentre mangiavo con le bacchette 65 in compagnia «di un ignoto» (che era un amico francese). Non c’è niente di più innocuo, ma probabilmente si voleva insinuare che frequentavo ambienti esotici e dunque - negli occhi di un lettore conservatore e piccolo borghese, che mangia solo piatti italiani - poco raccomandabili. Per me è diventato una specie di running gag: certi amici, ai quali ho raccontato quell’esperienza, da allora mi mettono sempre le bacchette fra le posate quando mi invitano a mangiare! [Ride.] d.: È una domanda un po’ ovvia, ma inevitabile: può dirmi quale grado di somiglianza c’è fra il commendator Vimercate nel Suo romanzo - che possiede non solo dei giornali e delle riviste, ma anche dei canali di televisione (p. 24) - e Silvio Berlusconi? So che Numero zero non è un romanzo a chiave e che esistono anche delle differenze fra le due personalità, ma la loro influenza sui media mi sembra paragonabile. eco Non ho voluto riferirmi solo a Berlusconi e perciò ho evitato che Vimercate gli rassomigliasse troppo; Lei avrà notato che ci sono molti dettagli che li distinguono. Ci sono dei casi analoghi di troppo potere mediatico concentrato in una sola mano anche in altri paesi, dei magnati come Rupert Murdoch o Donald Trump. Ma è vero che ho combattuto per molti anni il populismo mediatico di Berlusconi, 66 che mi sembrava un pericolo per la democrazia in Italia; per questo motivo sono stato anche uno dei fondatori del movimento Libertà e Giustizia, che oggi - grazie alla riduzione dell’influenza politica di Berlusconi - non è più tanto necessario come alcuni anni fa. d.: Per Lei era importante situare l’azione del romanzo nel 1992 e non nell’Italia di oggi? Cioè, la situazione dei media e del giornalismo è cambiata da allora o è sempre la stessa? eco Non è molto cambiata, ma c’è una grande differenza nei mezzi di diffusione 2_IH_Italienisch_75.indd 24 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 25 del giornalismo: in quell’epoca lì, internet era ancora agli esordi; solo alcuni anni più tardi sarebbe diventato un fenomeno di massa. Comunque, volevo situare la trama del mio romanzo all’epoca di Tangentopoli e Mani pulite, perché in quegli anni lì il giornalismo investigativo svolgeva un ruolo importante nella società italiana, scoprendo molti scandali dei politici. d.: Alla fine del romanzo, dopo l’uccisione di Braggadocio, Colonna e Maia parlano dello stato di cose in Italia e il loro giudizio è molto negativo, senza un barlume di speranza per il futuro: «avresti voglia di vivere ancora in questo paese, dove le cose continueranno ad andare come sono andate […]? » (p. 216) Stanno considerando di emigrare in America Latina, dove in certi paesi i criminali non agiscono in segreto come in Italia, ma apertamente. 67 Finalmente decidono che possono restare in Italia, perché la loro patria - come spiega Colonna a Maia con una forte dose di sarcasmo - sta diventando sempre più simile a un paese del terzo mondo. 68 Lei, che è abituato a commentare regolarmente lo stato della nazione, fra l’altro nelle Sue Bustine di Minerva, cosa ne pensa? eco Io penso che si può affermare che il Risorgimento è fallito, che non c’è una vera Unità d’Italia, malgrado le celebrazioni del 150° anniversario nel 2011. La prova ne è il razzismo profondamente radicato dei settentrionali verso i meridionali. In Numero zero c’è un brano che dimostra come questa spaccatura influenza anche il lavoro dei giornalisti, che tendono a rinforzare i pregiudizi dei loro lettori. 69 Cioè, se si tratta di cattivo giornalismo, com’è il caso di quel giornale nuovo, il cui numero zero stanno preparando nella redazione milanese. d.: Il paradiso terrestre, del quale sognano alla fine del romanzo Colonna e Maia, ha la forma di un’isola, più esattamente un’«isola dei mari del Sud.» (p. 217) Dato che Maia chiama Colonna due volte «Tusitala» (p. 128 e 217), è permesso pensare alle Isole Samoa, perché così fu chiamato il romanziere Robert Louis Stevenson (l’autore di Treasure Island) dagli aborigeni di quel luogo. Ma per Maia e Colonna è chiaro che la posizione geografica dell’isola non ha nessuna importanza, perché si tratta di un simbolo. Perciò il protagonista parla «dei mari del Sud, dovunque fossero. Anche solo a Loano». 70 (p. 137) Nel Suo terzo romanzo, L’isola del giorno prima, l’isola aveva un significato simbolico; 71 a questo tema Lei ha anche dedicato un saggio dal titolo «Perché l’isola non viene mai trovata» (in Costruire il nemico), dove definisce questo tipo d’isola immaginaria «un non-luogo, irraggiungibile» (loc. cit., p. 295), 72 un paese dell’Utopia. 73 Ho l’impressione che in Numero 2_IH_Italienisch_75.indd 25 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 26 zero non ci sia questa dimensione metafisica dell’isola; Colonna e Maia sembrano accontentarsi di una modesta felicità materiale. 74 Ho ragione? eco Senz’altro. Non c’è nessun segno di trascendenza in Numero zero, perché Colonna e Maia sono dei falliti, che non sanno liberarsi dalle condizioni materiali della loro esistenza. d.: Con ciò abbiamo trattato tutti i punti più importanti che volevo affrontare in questo colloquio. Lascio da parte un certo numero di dettagli minori, interessanti ma non indispensabili per la comprensione globale del Suo romanzo. Ho evitato deliberatamente di porLe una domanda riguardante gli elementi autobiografici 75 di Numero zero, perché non volevo seguire i consigli di Simei, che spiega a Maia come deve condurre le interviste: «non bisogna parlare troppo del libro ma far venire fuori lo scrittore o la scrittrice, magari anche con i suoi tic e le sue debolezze. […] se la storia è d’amore strappi all’autore o all’autrice una rievocazione del suo primo amore.» (p.- 69) eco E quali sarebbero stati questi elementi autobiografici che Lei ha trovato in Numero zero? d.: Soprattutto la descrizione meticolosa ed ironica dell’ambiente universitario intorno al professor Di Samis (p. 13 e seguenti). eco È vero, ho potuto osservare personalmente tutte quelle stravaganze della vita accademica che nel romanzo sono riferite da Colonna. [Ride.] d.: La ringrazio di aver dedicato un po’ di tempo a questo incontro, avvenuto pressoché trent’anni dopo il nostro primo colloquio. Il colloquio ha avuto luogo a Milano il 19 settembre 2015. 2_IH_Italienisch_75.indd 26 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 27 Note 1 Questo colloquio è la continuazione di una serie di interviste cominciata negli anni Ottanta e pubblicata in tedesco con il titolo Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten (Münster [LIT Verlag] 2012). 2 Umberto Eco, Numero zero, Milano: Bompiani 2015, p. 7. 3 «Only connect! That was the whole of her sermon. Only connect the prose and the passion, and both will be exalted, and human love will be seen at its height. Live in fragments no longer. Only connect, and the beast and the monk, robbed of the isolation that is life to either, will die.» E.M. Forster, Howards End, New York: Random House 1991 (first edition London 1910), p. 195. 4 Eco si riferisce al convegno «The Meaning of Conspiracy - Plot and Mystery in Communication», che si è svolto all’Università di Torino dall’ 8 al 10 giugno 2015. 5 Il colpo di stato di Junio Valerio Borghese fu avviato (e poi subito interrotto) nel dicembre 1970; in Numero zero questo complotto realmente accaduto viene raccontato da p. 173 a p. 179 (arricchito con alcuni dettagli inventati sul presunto ritorno di Mussolini). 6 Che fu identificato con Corrado Simioni, accusato negli anni Ottanta da Silvano Larini di «muovere i fili delle Brigate rosse». Si veda a questo proposito p.es. l’articolo di Ulderico Munzi, «Corrado Simioni: ‘Macché Grande Vecchio delle Br, io sono buddista’ (Intervista)», in Corriere della Sera, 16 marzo 1993, p.-3. 7 In questo romanzo, Nievo era stato uno dei molti personaggi storici coinvolti nella trama. Eco aveva utilizzato il mistero che circonda fino ad oggi la morte dello scrittore, fervente sostenitore di Garibaldi, avvenuta a bordo della nave Ercole nel marzo 1861, per costruire una connessione con le cospirazioni che sono al centro del Cimitero di Praga (si veda soprattutto il capitolo ottavo, da p. 167 a p. 188). 8 Il concetto della mise en abyme fu coniato da André Gide nel 1893 nel suo Journal; con questo termine, si riferiva a un certo tipo di rispecchiamento interno di un’opera d’arte (un testo letterario, ma anche un quadro, ecc.). Questo concetto fu poi sviluppato a livello teorico da Lucien Dällenbach in Le Récit spéculaire. Essai sur la mise en abyme, Paris: Seuil 1977. 9 Per esempio alla fine del romanzo: «altra citazione, lo so, ma ho rinunciato a parlare in prima persona e lascio parlare solo gli altri» (p. 218). 10 «Se D’Annunzio era un cattivo scrittore, non voleva dire che dovessi esserlo anch’io.» (Numero zero, p. 19) 11 In questa opera di Eco sulle teorie della cultura di massa, pubblicata per la prima volta nel 1964, c’è una sezione (interna al capitolo menzionato da Eco) intitolata «Ricorso al topico e sensibilità decadente»; lì Eco scrive fra l’altro di D’Annunzio: «Non c’è pagina de Il piacere dove l’esperienza dell’istante non sia rapportata da Andrea Sperelli al ‘luogo artistico’.» (Apocalittici e integrati, edizione Milano: Bompiani 1984, p. 213). 12 Nel romanzo della Sagan, uno dei personaggi viene caratterizzato attraverso un’allusione a Proust, come spiega Eco: «‘Se volete sapere cosa Bernard provasse udendo quella frase musicale - pare suggerirci - ricordatevi le emozioni e i pensieri di Swann all’udire la famosa frase della sonata di Vinteuil, come Proust ce li narra nel primo volume della Recherche.’ L’autrice ha dimostrato una mancanza di vitalità formativa, ha rinunciato a produrre una situazione e un carattere prendendo a prestito situazione e carattere da un’altra opera.» (loc. cit., p. 215) 13 Non è chiaro a quale saggio Eco qui si riferisca; ha scritto sul Kitsch (si usa in italiano l’espressione tedesca) varie volte, fra l’altro nella sezione «Kitsch, Kitsch, Kitsch: Urrah! » inclusa nel volume Il costume di casa, Milano: Bompiani 1973, pp. 197-221. 2_IH_Italienisch_75.indd 27 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 28 14 Colonna è il nome del protagonista di Numero zero. 15 Sono le famose (e leggendarie, cioè forse solo inventate) ultime parole di Goethe. (Si veda p.es.: Goethe - Leben und Welt in Briefen, zusammengestellt von Friedrich Kemp, München: dtv 1978, p.-798.) 16 Su questo tema, Hutcheon ha pubblicato fra l’altro A Poetics of Postmodernism (1988) e The Politics of Postmodernism (1989). 17 Eco si riferisce probabilmente ad Antonio Faeti, primo ordinario della cattedra di Letteratura per l’infanzia all’Università di Bologna e fondatore del Centro di Ricerca di Letteratura per l’infanzia. Fra le sue pubblicazioni: Letteratura per l’infanzia (1977); I tesori e le isole. Infanzia, immaginario, libri e altri media (1986); L’illustrazione nel romanzo popolare (1988); Pictures. Illustratori inglesi per bambini (1991); I diamanti in cantina. Come leggere la letteratura per ragazzi (1995). 18 Il film Il nome della rosa (1986), tratto dall’omonimo romanzo, fu diretto da Jean- Jacques Annaud. 19 Per il percorso biografico di Umberto Eco - in questo caso, i suoi anni di formazione all’università -, si veda il capitolo quinto del già citato libro Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten (vedi nota 1). 20 Nel suo romanzo, Eco allude al libro umoristico Come farsi una cultura mostruosa, pubblicato nel 1972. 21 Si tratta di una collezione di saggi del 2007 dal sottotitolo Studi storici sul segno e l’interpretazione. 22 Pier Aldo Rovatti aveva curato insieme a Gianni Vattimo il summenzionato volume Il pensiero debole. 23 Interpretazione ed emancipazione. Studi in onore di Gianni Vattimo. A cura di Gianni Carchia e Maurizio Ferraris, Milano: Raffaello Cortina Editore 1996. 24 ‘Neorealismo’ è qui un concetto della storia della filosofia, non della storia della letteratura (dove il termine ha un altro significato). Maurizio Ferraris ha pubblicato nel 2012 prima la monografia Manifesto del nuovo realismo e poi curato (con Mario De Caro) il volume Bentornata realtà. Il nuovo realismo in discussione (nel quale c’è un contributo di Umberto Eco). 25 Così si chiama un volume di saggi semiotici pubblicato da Umberto Eco nel 1997. 26 Si veda: Thomas Stauder, «Arsène Lupin meets Sam Spade and Phil Marlowe: Citations from the Tradition of the Detective Novel in the Works of Umberto Eco», in: Mirna Ciccioni / Nicoletta Di Ciolla (eds.), Differences, Deceits and Desires. Murder and Mayhem in Italian Crime Fiction, Newark: University of Delaware Press 2008, pp. 27-48. 27 Augusto De Angelis (1888-1944) creò il commissario De Vincenzi, protagonista di molti romanzi polizieschi pubblicati negli anni Trenta. 28 Nella rivista Versus, n° 30, 1981, pp. 3-19. 29 Bloomington: Indiana University Press 1983. 30 In L’analisi del racconto, Milano: Bompiani 1969, pp. 123-162. 31 Ian Fleming è stato l’inventore della figura di James Bond - in romanzi come Casino Royale (1953), Live and Let Die (1954), Moonraker (1955), Diamonds Are Forever (1956), From Russia, with Love (1957) ecc. - resa poi popolare anche attraverso le versioni cinematografiche. 32 Si veda: Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten (loc. cit.), pp. 153-202. 33 Delle sue prime esperienze di lettura quando era ragazzo e dell’importanza che il genere del romanzo d’appendice ebbe per lui, Eco ha parlato anche nell’articolo «Io sono Edmond Dantès! », pubblicato prima nel 2008 nell’Almanacco del bibliofilo e 2_IH_Italienisch_75.indd 28 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 29 poi ripubblicato nel 2011 nel volume Costruire il nemico e altri scritti occasionali (pp. 265-283). Ne cito un brano particolarmente significativo: «Eppure solo leggendo il romanzo d’appendice, e da piccoli, si imparano i meccanismi classici della narrativa - quali si manifestano allo stato puro, spesso svergognatamente, ma con una travolgente energia mitopoietica.» (loc. cit., Milano: Bompiani 2011, p. 266) 34 Ambedue sono romans de feuilleton (romanzi d’appendice) di Alexandre Dumas; il primo fu pubblicato nel 1844, il secondo tra il 1844 e il 1846. 35 Les Mystères de Paris è un romanzo d’appendice di Eugène Sue, pubblicato tra il 1842 e il 1843. Eco l’ha analizzato fra l’altro nel saggio «Eugène Sue: il socialismo e la consolazione», in: Il superuomo di massa. Studi sul romanzo popolare, Milano: Cooperativa Scrittori 1976, pp. 35-77. 36 L’Aiguille creuse è anche il titolo di uno dei migliori romanzi d’appendice di Maurice Leblanc (pubblicato tra il 1908 e il 1909), al quale lo scoglio omonimo deve oggi in gran parte la sua notorietà. Eco ne parla in un altro saggio del Superuomo di massa, dedicato appunto ad Arsène Lupin (loc. cit., pp. 118-124). 37 Il filosofo Luigi Pareyson fu uno dei maestri di Eco all’Università di Torino; Pareyson fu anche il supervisore della sua tesi di dottorato su Tommaso d’Aquino. (Si veda: Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten, loc. cit., pp. 173-176.) 38 Ma qui da intendersi non nel senso concreto di un «pezzetto di legno per rincalzare mobili che non posano bene in piano o chiudere qualche fessura», ma piuttosto in senso figurato: «rimedio, espediente per correggere una cosa mal detta», «frase o parola che funge da riempitivo insignificante.» (Zingarelli, Vocabolario della lingua italiana) 39 Da Oscar Wilde; la citazione originale in inglese si trova in The Decay of Lying (1889, versione riveduta 1891). 40 Futility, or The Wreck of the Titan, romanzo in inglese dello scrittore statunitense Morgan Robertson. 41 Il capitolo si chiama «Il modo simbolico» (loc. cit., Torino: Einaudi 1984, pp. 199-254). 42 Lo stesso vale per la chiesa San Bernardino alle Ossa (p. 166), i cui «scheletrucci puliti» vengono paragonati con irriverenza livellatrice (ed ironia tipicamente postmoderna) a «i denti che si vedono nelle pubblicità della Pasta del Capitano» (p. 168). 43 Eco cominciò a vivere nel capoluogo lombardo negli anni Cinquanta, quando, dopo aver terminato i suoi studi all’Università di Torino, trovò un posto di lavoro alla RAI. (Si veda il capitolo «Stationen von Ecos Biographie» in: Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten, loc. cit., pp. 153-202, qui p. 178.) 44 The Castle of Otranto, pubblicato nel 1764, è considerato il primo romanzo gotico. 45 Si potrebbe citare la descrizione della fisionomia di Malachia da Hildesheim (Il nome della rosa, Primo giorno, Dopo nona), che segue il modello della descrizione di Schedoni nel romanzo The Italian di Ann Radcliffe (1797). Per un confronto dei due brani si veda: Thomas Stauder, Umberto Ecos «Der Name der Rose»: Forschungsbericht und Interpretation, Erlangen: Palm & Enke 1988, p. 91. 46 Matthew Gregory Lewis, autore del romanzo gotico The Monk (1796). 47 La prima edizione del Nome della rosa è del 1980, la versione «corretta e riveduta» è uscita nel gennaio 2012. 48 The Hound of the Baskervilles (1902) è uno dei più noti romanzi di Arthur Conan Doyle intorno alla figura di Sherlock Holmes. Per le analogie fra il famoso detective inglese e il protagonista del Nome della rosa si veda: Stauder 2008 (loc. cit.), pp. 27-28. 49 In questo almanacco si trovano infatti tutti gli autori di romanzi d’appendice già menzionati nel corso di questo colloquio (e molti altri): Alexandre Dumas, Eugène Sue, Emilio Salgari, ecc. 2_IH_Italienisch_75.indd 29 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 30 50 Per la partecipazione di Umberto Eco (ed anche di Renato Barilli) al Gruppo 63 si veda: Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten (loc. cit.), in particolare pp. 185-198. 51 Il pendolo di Foucault, Milano: Bompiani 1988, p. 327. Lo stesso brano nell’originale tedesco: «Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu […].» Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, herausgegeben von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg: Rowohl 1952, p. 9. 52 Lo stesso tipo di inetto appare in vari romanzi di Svevo, in La coscienza di Zeno, ma anche in Una vita o in Senilità. 53 Qui Eco si riferisce alla trama di La coscienza di Zeno (1923), dove il protagonista Zeno Cosini non sposa la bella Ada, di cui si è innamorato, ma la sorella di questa, la meno attraente Augusta. 54 In forma di nota marginale sia menzionato che i nomi di alcuni personaggi secondari di Numero zero corrispondono a diversi caratteri tipografici (Cambria, Palatino, ecc.), una scelta giustificata dalla relazione della loro professione (il giornalismo) con la scrittura. Eco aveva inserito una trovata simile già nel Pendolo di Foucault, dove il signor Garamond era un direttore editoriale. 55 Si veda per esempio l’inizio del terzo canto del secondo libro di The Fairy Queen: «Vaine Braggadocchio getting Guyons / horse is made the scorne / of knighthood trew […]» (Edmund Spenser, Poetical Works, Oxford: Oxford University Press 1983, p. 81) 56 Nel suo romanzo, Eco ha leggermente modificato alcuni di questi nomi per renderli più plausibili: Constanza > Costanza, Freesia > Fresia, Lucida > Lucidi, Maya > Maia, Simhei > Simei, ecc. 57 «Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem.» Il francescano William of Ockham (ca. 1287-1347), sommo rappresentante della filosofia nominalista del Medioevo, è uno dei ‘padri spirituali’ del personaggio di Guglielmo da Baskerville nel Nome della rosa. (Si veda: Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten, loc. cit., pp. 41-42.) 58 Nella sezione «Criteri di economia» (p. 103 e seguenti) del libro I limiti dell’interpretazione (Milano: Bompiani 1990). 59 Qui sempre riferito a Mussolini: «Un dittatore dovrebbe avere un sosia» (p. 118). 60 Roberto, il protagonista dell’Isola del giorno prima, aveva un sosia chiamato Ferrante, una scelta, questa, spiegabile in gran parte con il fatto che il terzo romanzo di Eco era situato nel Seicento e imitava lo stile di quel periodo. (Si veda: Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten, loc. cit., pp. 113-114.) 61 Nel caso di Simonini, l’invenzione di un sosia era dovuta da un lato al problema della ‘doppia personalità’, descritta da Charcot, e dall’altra parte al fatto che Simonini era un falsario. (Si veda: Gespräche mit Umberto Eco aus drei Jahrzehnten, loc. cit., pp. 273-275). 62 Quello che Colonna dice più tardi di Maia è molto simile: «Sentivo Maia indifesa, al punto da rifugiarsi in un proprio mondo interiore, senza voler vedere ciò che accadeva in quello degli altri, che forse l’aveva ferita.» (p. 127) Anche lui parla di autismo (p. 192). 63 «‘Lei dice che per ogni articolo dovremmo controllare se fa piacere al Commendatore? ’ aveva chiesto Cambria, come al solito specializzato in domande stupide. ‘Per forza,’ aveva risposto Simei, ‘è il nostro azionista di riferimento, come si suol dire.’» (p. 76) 64 «Tre giorni dopo Palatino era tornato con delle notizie assai ghiotte. Aveva fotografato il magistrato mentre, seduto sulla panchina di un giardinetto, fumava nervosamente una sigaretta dopo l’altra, con una decina di cicche ai suoi piedi. Palatino non 2_IH_Italienisch_75.indd 30 30.06.16 17: 10 Un colloquio con Umberto Eco intorno a Numero zero 31 sapeva se la cosa poteva essere interessante, ma Simei aveva detto di sì, un uomo da cui ci attendiamo ponderazione e obiettività dava l’impressione di essere un nevrotico, e oltretutto un ozioso che invece di sudare sui documenti se ne stava a perdere tempo per vialetti.» (Numero zero, p. 130) 65 Nel romanzo, anche questo ‘vizio’ è attribuito al giudice che si vuole discreditare. 66 A questo proposito, si vedano fra l’altro gli articoli di Eco riuniti nel volume A passo di gambero. Guerre calde e populismo mediatico, Milano: Bompiani 2006. 67 «[…] tutto avviene alla luce del sole, la polizia pretende di essere corrotta per regolamento, governo e malavita coincidono per dettato costituzionale, le banche campano sul riciclo di denaro sporco […], si ammazzano ma solo l’uno con l’altro e lasciano in pace i turisti.» (Numero zero, p. 216) 68 «[…] ci stiamo abituando a perdere il senso della vergogna. […] Niente più chiaroscuri in barocco, cose da Controriforma, i traffici emergeranno en plein air […]: corruzione autorizzata, il mafioso ufficialmente in parlamento, l’evasore al governo, e in galera solo i ladri di pollame albanesi. […] Basta solo aspettare: una volta diventato definitivamente terzo mondo, il nostro paese sarà pienamente vivibile.» (Numero zero, p. 218 e seguente) 69 «Lo so che si è sdottorato sul fatto che i giornali scrivono sempre operaio calabrese assale il compagno di lavoro e mai operaio cuneese assale il compagno di lavoro, va bene, si tratta di razzismo, ma immaginate una pagina in cui si dicesse operaio cuneese eccetera eccetera, pensionato di Mestre uccide la moglie, edicolante di Bologna commette suicidio, muratore genovese firma un assegno a vuoto, che cosa gliene importa al lettore dove sono nati questi tizi? Mentre se stiamo parlando di un operaio calabrese, di un pensionato di Matera, di un edicolante di Foggia e di un muratore palermitano, allora si crea preoccupazione intorno alla malavita meridionale e questo fa notizia…» (Numero zero, pp. 58-59) 70 Loano è una città ligure sulla costa della Riviera delle Palme e viene chiamata anche «l’Isola del Ponente». 71 Per un approfondimento di questo tema si veda la mia introduzione a Thomas Stauder (Hrsg.), «Staunen über das Sein». Internationale Beiträge zu Umberto Ecos «Insel des vorigen Tages», Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997, pp. 1-22. 72 Costruire il nemico e altri scritti occasionali, Milano: Bompiani 2011, pp. 295-325, qui p. 295. 73 Qui si potrebbe anche citare il volume Storia delle terre e dei luoghi leggendari, pubblicato da Umberto Eco nel 2013, il cui capitolo 11 si chiama «Le isole dell’Utopia» (pp. 304-325). 74 Colonna dice: «io mi rimetto a tradurre dal tedesco e tu torni alla tua rivista per coiffeurs pour dames e sale d’aspetto dei dentisti.» (Numero zero, p. 218) 75 Quando Braggadocio spiega l’origine del suo nome («Mio nonno era un trovatello e come sa il cognome in questi casi era inventato da un impiegato comunale», p. 32), questo dettaglio è ripreso dalla biografia dell’autore: «Il suo cognome è un acronimo. Eco sono le inziali di ‘ex caelis oblatus’, che in latino vuol dire ‘donato dai cieli’. Così, spiega lo scrittore, un colto funzionario pubblico chiamò suo nonno, un trovatello senza nome.» (Corriere della Sera, 29 novembre 1995, p. 33) 2_IH_Italienisch_75.indd 31 30.06.16 17: 10 32 C hri ST i N e oTT abjekte Fetische elena Ferrantes Schreiben im Zeichen des vréel für Dora Ott-Mangini (10.8.1947-21.4.2015) 1. elena Ferrante - eine literarische Sensation, die niemand kennt Eine gestohlene Puppe; ein Männerschuh, der zur falschen Zeit am falschen Ort erscheint; ein Koffer mit Luxuswäsche als letzte Botschaft der verschwundenen Mutter: Diese und weitere Fetische, in denen sich entscheidende Momente exemplarischer Frauenschicksale verdichten, machen den unergründlichen Reiz der Romane Elena Ferrantes aus. Wer ist Elena Ferrante - wer ist diese Autorin, von der weder Fotos noch biographische Details bekannt sind und deren jüngster Roman von der New York Times unter die Top Ten des Jahres 2015 aufgenommen wurde? Von ihrem Namen weiß man nur, dass er ein Pseudonym ist, aus schriftlich gegebenen Interviews geht hervor, dass der Verzicht auf mediale Präsenz Kern ihres Autorschaftskonzeptes ist - ein Konzept, das sich heute gängigen autofiktionalen oder automedialen Selbstinszenierungen von Schriftstellern radikal widersetzt. 1 Ferrante möchte allein durch das, was sie schreibt, wahrgenommen werden. So ist es nur konsequent, dass sie ihr gesamtes Werk bei dem unabhängigen Römer Verlag Edizioni E/ O veröffentlicht hat. Eine umfassende Reflexion über das Verhältnis von Autorschaft und ‘Tod des Autors’, von Fiktion und Realität und über die Spezifik weiblichen Schreibens hat Ferrante in ihrer Tetralogie L’amica geniale vorgelegt. Ihr Gesamtwerk ist zugleich eine der bedeutendsten gegenwärtigen Stellungnahmen zur condition féminine des 20. und 21. Jahrhunderts. Ferrantes Schreiben ist, ihren eigenen Angaben zufolge, vom Denken Melanie Kleins und Luce Irigarays beeinflusst; es lässt sich, mit einem Begriff von Marianne Hirsch, der feminist family romance zuordnen, jener Literatur also, die ausgehend von einer Revision Freudscher Theoreme die Spezifik des Frau-Seins ausgehend von der Mutter-Tochter-Beziehung her zu begreifen sucht. 2 Zwar legt Ferrante Wert darauf, ihre Romane nicht als ein bloßes Ausbuchstabieren psychoanalytischer Theorien verstanden zu wissen. 3 Andererseits hat sie jedoch in Briefen und schriftlichen Interviews selbst Deutungen für ihr Werk vorgeschlagen, durch die sie sich unmissverständlich als 2_IH_Italienisch_75.indd 32 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 3 3 Vertreterin einer feministischen Freud-Revision positioniert. So kann man Ferrantes erste drei Romane L’amore molesto, I giorni dell’abbandono und La figlia oscura als eine systematische Erforschung weiblicher Rollenidentitäten und -konflikte - als Tochter, Ehefrau, Mutter - lesen. Die Protagonistinnen der Romane kämpfen um Autonomie in einer männlich dominierten Welt; sie kämpfen zugleich um die Abnabelung von der eigenen Mutter, die sie ebenso verworfen haben wie ihren Geburtsort Neapel und den dortigen Dialekt. Die unvermeidliche Wiederkehr der verdrängten Mutter gestaltet sich als eine Erfahrung der körperlichen Ohnmacht, ja ‘Auflösung’, die den Töchtern ihre Autonomie und individuelle Identität zu nehmen scheint und auf die sie typischerweise mit heftigen Ekelgefühlen reagieren; ferner als eine Regression in den mütterlichen Dialekt. Wie Stiliana Milkova besonders anhand von L’amore molesto und La figlia oscura gezeigt hat, legt die in Ferrantes Romanen omnipräsente Erfahrung des Ekels eine Analogie zu Julia Kristevas Theorie der abjection nahe. Ich folge Milkova in dieser Hinsicht und möchte diesen Ansatz hier auch auf die Tetralogie L’amica geniale ausweiten. Allerdings scheint mir Milkovas These, wonach der Ekel Ferrantes Frauen einen «space for transgression and liberation» (aus patriarchalischen Rollenmustern) 4 eröffne, ein wenig zu optimistisch. Die Thesen, die ich im Folgenden entwickeln möchte, sind vielmehr folgende: 1) Auch wenn es Ferrante darum geht, eine spezifisch weibliche Realitätserfahrung zu beschreiben, verfällt sie keinem feministischen Essenzialismus im Sinne einer Glorifizierung des Mutter- oder Frauseins. Ihre Identitäten als Mütter oder Töchter ermöglichen den Protagonistinnen zwar, ihr individuelles Bewusstsein zu überschreiten; diese Erfahrung führt jedoch nicht automatisch zur ‘Befreiung’. 2) Ferrantes Schreiben kreist um den Versuch, einen präsymbolischen Ort der Artikulation und der Sinnbildung zu erreichen, der vor der Individuierung und Abspaltung von der Mutter liegt. Dabei inszeniert insbesondere L’amore molesto die psychische Regression der Protagonistin in diesen Raum. Sie verläuft über eine De-Strukturierung der Raum-, Zeit- und Selbstwahrnehmung der Protagonistin. Dagegen ist die Struktur der Tetralogie stärker von einer Subjekt-Objekt-Logik geprägt, in der die Erzählerin das Präsymbolische aus der Warte der symbolischen Ordnung heraus einzufangen sucht und die Erfahrung des Präsymbolischen auf eine andere weibliche Figur verlagert wird. 3) Auch wenn Ferrantes Entmystifizierung der Mutter (eines patriarchalen Mutterideals) einem zeitgenössischen Trend entspricht, dessen Berechtigung hier keineswegs in Frage gestellt werden soll, äußert sich in ihrem Schreiben zugleich eine Konzeption weiblicher Subjektivität, die sich deutlich 2_IH_Italienisch_75.indd 33 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 3 4 vom heute dominanten Ideal individueller Selbstverwirklichung unterscheidet. Die damit in äußerster Knappheit skizzierte Entwicklung von Ferrantes Schreiben soll in einer größeren Arbeit ausführlich behandelt werden. Für den vorliegenden Beitrag beschränke ich mich auf eine Untersuchung, die Ferrantes Konzepte von Autorschaft, Mutterschaft, Abjektion und condition féminine insbesondere anhand von L’amore molesto und L’amica geniale darlegt. 2. ursprünge Der Name jener Autorin, die Mutter-Tochter-Beziehungen zum Zentrum eines unvergleichlichen Romanwerks gemacht hat, scheint selbst eine literarische Filiation zu einer der wichtigsten Autorinnen des Dopoguerra nahelegen zu wollen: Elsa Morante. 5 So wie Morante in Menzogna e sortilegio ausgehend von Freuds Der Familienroman der Neurotiker ihre eigenen Thesen zur Rolle der Imagination für die unbewusste Auseinandersetzung mit elterlichen Figuren entwickelt, lässt sich auch Elena Ferrantes romaneske Reflexion über Mutter-Tochter-Beziehungen als von Freud ausgehende, letztlich aber gegen diesen argumentierende Narration lesen, die nicht die von Freud ins Zentrum seiner Theorie gestellte ödipale Liebe zum Vater, sondern die (gleichfalls von Freud theoretisierte) präödipale Liebe der Tochter zur Mutter als «unico grande tremendo amore originario, la matrice inabolibile di tutti gli amori» (Frant. 158) im Medium des Romans umkreist. Tatsächlich sei der Titel ihres ersten Romans, L’amore molesto, der Lektüre von Freuds Schrift Über weibliche Sexualität (1931) geschuldet, in der der Vater an einer Stelle als «rivale molesto» (lästiger Rivale) der Tochter bezeichnet wird (Frant. 157). Auf den ersten Blick scheinen auch Ferrantes Erzählerinnen in ähnlicher Weise unzuverlässig wie Morantes Elisa in Menzogna e sortilegio. Wie diese scheinen sie sich selbst nicht vollständig zu kennen, wie deren Erzählung zeugen ihre Worte von einer prekären «stabilità mentale» - eine Verfassung, die zugleich bisher verdrängte Wahrheiten aufblitzen lässt. 6 Anders als Morantes Elisa erzählen Ferrantes Figuren jedoch in einem Moment, in dem sie die destabilisierende Erfahrung, die Ferrante selbst einmal als eine «destrutturazione» bezeichnet hat, bereits überwunden haben. Und anders als die Protagonistinnen Flauberts, Tolstojs oder auch Beauvoirs handle es sich, so Ferrante, um keine hilflos an ihren Illusionen gescheiterten, gebrochenen Frauen, sondern um Frauen von heute, die zwar am Ende nicht als Siegerinnen dastehen, aber als - mit jenen intellektuellen Waffen, die Frauen von heute zur Verfügung stehen, bedachte - Kämpferinnen (Frant. 130 ff.). 2_IH_Italienisch_75.indd 34 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 35 3. Verwerfung und annahme der mutter-imago in L’amore molesto L’amore molesto ist gleichsam der Urtext, aus dem sich alle folgenden Romane Ferrantes heraus verstehen lassen. Die 40jährige Delia, deren Mutter auf rätselhafte Weise umgekommen ist, begibt sich in ihrer Herkunftsstadt Neapel auf eine kriminalistische Suche nach den Ursachen. Dabei fehlt es ihr gänzlich an jener Luzidität, die Ermittler klassischer Detektivgeschichten üblicherweise auszeichnet. Vielmehr gerät Delia während ihrer Spurensuche in Neapel - der verhassten Stadt ihrer Kindheit, in der ihre Mutter ihr gesamtes Leben zugebracht hat - in einen psychischen Zustand, den Ferrante in einem Kommentar zum Buch als De-Strukturierung («destrutturazione») bezeichnet hat. Diese äußert sich, wie ich im Folgenden zeigen möchte, als eine raumzeitliche, sprachliche und affektive Destabilisierung. In Delias Wahrnehmung der Gegenwart drängen sich Szenen aus der Vergangenheit, die jedoch mehr den Charakter von Halluzinationen als von Erinnerungen annehmen. So etwa die Szene, in der Delia sich daran erinnert, wie sie ihre Mutter einmal dazu genötigt hat, sich von ihr die Beine mit Warmwachs enthaaren zu lassen. Delia befindet sich in der Wohnung der verstorbenen Mutter, deren Erscheinung sich mehrmals unvermittelt an der Zimmerdecke, in der Küche schwebend und im Flur ‘materialisiert’: «[...] l’intera stanza da bagno mi scavalcò e si ricompose davanti a me, nel corridoio: Amalia ora sedeva sulla tazza e mi guardava con attenzione mentre mi depilavo. [...] Le imposi la mia ceretta sebbene si schermisse. [...] Poi la scortecciai mentre lei mi osservava senza battere ciglio. Lo feci senza cautela, come se volessi sottoporla a una prova del dolore, e lei mi lasciò fare senza fiatare come se avesse accettato la prova. Ma la pelle non resistette. [...] Me ne rammaricavo più intensamente adesso [...].» (AM 45 f.) Die Ambiguität der Wahrnehmung (Erinnerung oder Halluzination? ) wird durch eine subtile Regie der Erzählzeiten hergestellt. Während das passato remoto («scavalcò») zunächst die Gegenwart der Erzählerin anzeigt, scheint das imperfetto eine erneute (die zweite) Vision der verstorbenen Mutter anzukündigen. Dadurch scheint es so, als würde Delia gleichsam dem Phantom der toten Mutter die «Haut abziehen» («la scortecciai»). Doch die rückblickende Reue («Me ne rammaricavo») weist die gesamte Szene als eine Erinnerung aus. Die Surrealität der Szene - der zahlreiche ähnliche Szenen folgen - wird auch durch die Ambiguität der Sprache verstärkt, die es erlaubt, die ohne Zartgefühl vorgenommene Epilation als eine buchstäbliche Häutung Amalias zu verstehen: Delia zieht der Mutter die Haut wie eine Hülle ab, die keinen Widerstand aufweist («non resistette»). Das Abziehen 2_IH_Italienisch_75.indd 35 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 36 der Haut, wie später auch das Aus- und Anziehen von Kleidungsstücken, die Amalia der Tochter hinterlassen hat, bedeutet aber, wie im Lauf der Erzählung immer deutlicher wird, nichts anderes die Suche nach der Identität der Mutter - und nach der eigenen. Auch Delias Erfahrung der Gegenwart scheint von ambivalenten, halluzinatorischen Wahrnehmungen geprägt. So erscheint ihr Caserta - der Mann, dem sie als Kind eine heimliche Liebesbeziehung mit ihrer Mutter angedichtet hatte und den sie nicht erkennt - zunächst als ein höflicher Herr von angenehmer Erscheinung (AM 34). Sobald sie ihm jedoch den Rücken gekehrt hat, beginnt seine Stimme sich zu verändern und sie zu verfolgen: «Lui mi inseguì con la voce, che modificò da cortese in un sibilo incalzante e sempre più sguaiato. Fui raggiunta da un fiotto di oscenità in dialetto, un morbido rivolo di suoni che coinvolse in un frullato di seme, saliva, feci, orina, dentro orifizi d’ogni genere, me, le mie sorelle, mia madre. Mi girai di scatto […] ma l’uomo non c’era più.» (AM 35) Es ist hier die Dissoziation der visiven und der akustischen Wahrnehmung, die das Halluzinatorische der Begegnung mit Caserta ausmacht. Zugleich zeigt sich hier ein weiterer Aspekt, der für Ferrantes Gesamtwerk charakteristisch ist. Jenes arme, schmutzige, vulgäre Neapel, dem Ferrantes Protagonistinnen zu entkommen suchen, dessen Eindrücke sie jedoch in Situationen der psychischen Instabilität regelmäßig heimsuchen, manifestiert sich nicht nur durch seinen architektonischen Verfall, die Aggressivität seiner Bewohner und die Allgegenwart mafiöser Machtbeziehungen, sondern auch durch seinen vulgären, von obszönen Ausdrücken durchsetzten Dialekt. Dieser setzt Ferrantes Frauenfiguren, wie hier, einer gleichsam körperlichen Aggression und Beschmutzung aus; doch auch die Protagonistinnen fallen in Situationen psychischer «Destrukturierung» (Ferrante) in ihn zurück. So reagiert Delia auf eine plumpe Avance «urlando con mia meraviglia insulti dialettali» (AM 91). Insbesondere Olga, die Protagonistin von I giorni dell’abbandono, empfindet diesen Kontrollverlust als eine gefährliche Regression, der mit einer zunehmenden Vernachlässigung der eigenen physischen und psychischen Person einhergeht (GA 198). Das erste Zeichen von «Auflösung», das Delia jedoch an sich wahrnimmt, kommt aus ihrem Körper. Während des Begräbnisses verspürt sie plötzlich eine schuldbewusste Erleichterung («sollievo colpevole», AM 32) - zugleich setzt ihre Menstruationsblutung ein, wie ein fremdes Signal, das sich ihrer Kontrolle entzieht. 7 Schweiß, zerlaufende Schminke, schmutzige Kleidung sind weitere Zeichen dieser Ich-Auflösung. Delia reagiert, indem sie 2_IH_Italienisch_75.indd 36 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 37 sich wäscht, schminkt und umzieht - bis sie zuletzt in das alte Sonntagskostüm ihrer Mutter schlüpft. Der Auflösungszustand, in dem sich Delia befindet, erscheint jedoch auch als Pendant und zugleich als unvermeidlicher Effekt ihres Aufenthaltes in einem lärmenden, schmutzigen, klebrigen, ekelerregenden Neapel. Er lässt sich somit auf einen Begriff bringen, den Walter Benjamin in seinen Reiseimpressionen auf die Stadt Neapel gemünzt hat: Porosität. 8 Es ist diese ‘Durchlässigkeit’ Neapels, die in Delia ein nahezu konstantes Ekelgefühl auslöst. Ohne dass dies jemals explizit formuliert würde, sieht sie in der Porosität der Stadt ein Abbild ihrer eigenen psychischen Unabgeschlossenheit. Durch diese Konzeption des Ekels weist die in Ferrantes Werk omnipräsente Erfahrung von «nausea», «repulsione» und «disgusto» frappierende Parallelen zu Julia Kristevas kulturtheoretischer Interpretation des Ekels auf. In Pouvoirs de l’horreur knüpft Kristeva an Mary Douglas’ Studien zum Rätsel der religiösen Nahrungstabus an, um sie im Sinne ihrer Theorie des Abjekten weiterzuentwickeln. Jene gemeinschaftsstiftende Funktion der Inklusion und Exklusion, die Douglas den Speisegeboten zuschreibt, deutet Kristeva feministisch als einen Ausschlussmechanismus, der in erster Linie auf eine Tabuisierung des fruchtbaren weiblichen Körpers abzielt. Mit dem Hinweis, dass die im Buch Leviticus vorgenommene Klassifikation aller Tiere in «rein» und «unrein» zugleich auch menstruierende Frauen und Wöchnerinnen für unrein erklärt (Pouvoirs 118), stellt Kristeva fest, dass folglich der fruchtbare weibliche Körper als ein die Integrität der Gesellschaft bedrohendes Element wahrgenommen werde. Die Sorge vor Verunreinigung durch den weiblichen Körper sei aber besonders in jenen Gesellschaften stark, in denen das Prinzip der matrilinearen Abstammung noch präsent oder erst seit kurzem durch Patrilinearität ersetzt worden sei (Pouvoirs 92 f.). Folglich diene die Tabuisierung des fruchtbaren Körpers einer Festigung des Patriarchats. Aus dieser Sicht zeugen alle Speisetabus der Weltreligionen letztlich von nichts anderen als dem Versuch, die unheimliche Macht eines im kollektiven Unbewussten verankerten Phantasmas zu begrenzen: des Phantoms der übermächtigen, fruchtbaren Urmutter. Diese Angst sieht Kristeva auf individualpsychologischer Ebene in dem Versuch des Kindes, sich von der Mutter abzugrenzen. Wie Melanie Klein wendet sich Kristeva gegen eine allzu idyllische Konzeption der Mutter-Kind-Dyade. Die von Kristeva konzipierte abjekte Mutter, die «horreur» ausstrahlt, weil sie (zuallererst über die nutritive Funktion) Macht über Leben und Tod (des Kindes) hat, ist als weibliche Analogie zum Lacanschen Vater gedacht. Sie ist somit eine Funktion, keine reale Person. Die Mutter ist für das Kind ein Ab-jekt, weil dieses noch keine Subjekt-Objekt-Relationen zu konzipieren vermag. Der Bedeutungs-Raum, den die abjekte Mutter konstituiert, ist der Raum des Semiotischen; ein 2_IH_Italienisch_75.indd 37 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 3 8 Raum, in dem es Kristeva zufolge noch keine klaren Trennungen zwischen Innen und Außen, Ich und Anderem, sondern vielmehr «Rhythmen», fließende Bedeutungen gibt. Aus der Ordnung des Symbolischen ausgegrenzt, lässt sich die Stimme der «Mutter» jedoch in der Literatur, so wie auch in der ‘halluzinatorischen’ Rede psychotischer Subjekte vernehmen. Diesen Durchbruch des unsagbaren Semiotischen (oder auch, in Analogie zum Lacanschen Realitätsbegriff, des «réel») in die symbolische Ordnung bezeichnet Kristeva als das «vréel» (aus «vrai» und «réel»). 9 Um sich als eigenständiges Subjekt zu konstituieren, um in die kulturelle, symbolische Ordnung der Zeichen einzutreten, muss das Kind (insbesondere die Tochter) die abjekte Mutter «ermorden». 10 Die Auslöschung der Mutter und die Auseinandersetzung mit ihrem ambivalenten Bild wird in L’amore molesto über die leitmotivische Rekurrenz von Passfotos und gemalten Frauenkörpern thematisiert. Entscheidend ist die Szene, in der Delia verblüfft feststellen muss, dass das Foto auf dem Personalausweis ihrer Mutter so bearbeitet wurde, dass es ihre eigenen, die Züge Delias trägt: «[...] lanciai uno sguardo alla foto-tessera di mia madre. I lunghi capelli baroccamente architettati sulla fronte erano stati accuratamente raschiati via. Il bianco emerso intorno alla testa era stato mutato con una matita in un grigio nebuloso. Con la stessa matita qualcuno aveva lievemente indurito i lineamenti del viso. La donna della foto non era Amalia: ero io.» (AM 83 f.) Die charakteristischen Erscheinungsmerkmale Amalias - insbesondere ihr langes schwarzes Haar, das sie auf ihrem Kopf zu einer barocken Frisur auftürmte - wurden hier ausgelöscht, um den Gesichtszügen Delias Platz zu machen. Diese Auslöschung der Mutter löst bei Delia eine Serie von Erinnerungen aus - Erinnerungen an die Zeit, in der sie als Kind den Körper der Mutter heftig begehrte und so sein wollte wie sie. Doch da sie sich in ihrem Begehren abgewiesen fühlte, hatte sich ihre Liebe in Aggression verwandelt, hatte sie versucht, ganz anders zu werden: «Ciò che di lei non mi era stato concesso volevo cancellarglielo dal corpo. [...] Ora che era morta, qualcuno le aveva raschiato via i capelli e le aveva deformato il viso per ridurla al mio corpo. Accadeva dopo che negli anni, per odio, per paura, avevo desiderato di perdere ogni radice in lei, fino alle più profonde: i suoi gesti, le sue inflessioni di voce, il modo di prendere un bicchiere [...] Tutto rifatto, per diventare io e staccarmi da lei.» (AM 87 f.) 2_IH_Italienisch_75.indd 38 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 39 Jetzt, nach dem Tod ihrer Mutter, erscheint Delia dieser lebenslange Fluchtversuch als eine dürftige, naive Schminke - eine inkonsistente Maske: «Non ero alcun io». 11 Auch ihre Unfähigkeit oder Weigerung, Kinder zu haben (ebd.), scheint ihr jetzt als Konsequenz ihrer gescheiterten Beziehung («attaccarmi») zur Mutter. 12 Delias missglückter Abnabelungsversuch, der sie zu einem unfertigen «Ich» macht, lässt sich somit als eine abjection, eine Verwerfung der Mutter im Sinne Kristevas lesen. Aus Delias Aufarbeitung der Vergangenheit lässt sich nämlich entnehmen, dass ihre ambivalente Beziehung zur Mutter die Folge eines ambivalenten «Bildes» ist, das der Vater von der Mutter gezeichnet hat. Dieser ist ein gescheiterter Kunstmaler, der sich mit der Herstellung kitschiger Genrebilder über Wasser hält. Der Attraktivität seiner Frau nicht gewachsen - sie lässt sich gerne von Männern, insbesondere von Caserta, dem Geschäftspartner des Vaters, hofieren - misshandelt er sie aus unmotivierter Eifersucht heraus. Um sie den Blicken der anderen Männer zu entziehen, zwingt er sie, sich unauffällig anzuziehen und zu verhalten. Zugleich jedoch benutzt er Amalias Körper als Modell für das Bild einer nackten Zigeunerin, das er in Serienarbeit herstellt. Bereits als Kind ist Delia der Widerspruch dieses Umgangs des Vaters mit dem Mutter-Bild ein Rätsel: «Com’era possibile che mio padre consegnasse in forme audaci e seducenti, a uomini volgari, quel corpo che all’occorrenza difendeva con rabbia assassina? » (AM 145) Amalias sexuelle Zügellosigkeit entpuppt sich somit als ein Phantasma des Vaters. Zum Klischeebild nackter Sinnlichkeit gemacht, wird das Bild der Mutter objektifiziert und kommerzialisiert. Zugleich gibt der Vater dieses Zerrbild der Mutter an die kleine Delia weiter. Denn diese war es, die dem Vater eine angebliche sexuelle Beziehung zwischen der Mutter und Caserta zugetragen hatte. In Wirklichkeit hatte sie - dies geht aus Delias Erinnerungsstrom hervor - einen sexuellen Missbrauch, den sie selbst erfahren hatte, auf das imaginäre Liebespaar Amalia-Caserta übertragen. Es ist demnach männliche Gewalt, die bei Delia eine Verwerfung nicht des Männlichen, sondern der Mutter auslöst. Erfährt die kleine Delia Amalia als Objekt männlicher Phantasien, so eröffnet ihr doch zugleich die Tätigkeit der Mutter - sie ist Schneiderin - den Blick einerseits für den ökonomischen Beitrag, den diese für den Lebensunterhalt der Familie leistet, andererseits auf deren Möglichkeit der aktiven Gestaltung des eigenen «Bildes». Aus einem Text, den Ferrante anlässlich der Verleihung des Premio Procida, Isola di Arturo - Elsa Morante an ihren Debütroman schrieb, geht hervor, dass das Symbol der «Schneiderin» durch eine Passage aus Elsa Morantes Lo scialle andaluso inspiriert wurde. Wie Ferrante erklärt, gehe es in dieser Passage um die «smaterializzazione del 2_IH_Italienisch_75.indd 39 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 4 0 corpo della madre a opera del maschio meridionale» (Frant. 13). Diese Entmaterialisierung der Mutter bewirkt (so Morante), dass dieser, unweigerlich in dunkle, unförmige Stoffe gehüllt, niemals anders als «vecchia e santa» wahrgenommen werden kann: «I loro abiti sono informi giacchè nessuno, a cominciare dalle sarte delle madri, va a pensare che una madre abbia un corpo di donna.» (Frant. 14). In ihrem Kommentar schreibt Ferrante: «Mi sembra molto significativo quel ‘nessuno va a pensare’. Vuol dire che l’informe è così potente, nel condizionare la parola ‘madre’, che il pensiero di figli e figlie, quando pensa il corpo a cui la parola dovrebbe rimandare, non riesce a dargli forme che gli spettano se non con repulsione. Non ci riescono nemmeno le sarte delle madri, che pure sono femmine, figlie, madri. Esse anzi, per abitudine, in modo irriflessivo, tagliano addosso alla madre panni che cancellano la donna, come se la seconda fosse una lebbra per la prima.» (Frant. 16) Die «sarte delle madri» selbst arbeiten folglich an der Auslöschung der beunruhigenden Mutter-Imago - der Mutter als sexuelles Wesen - mit. Doch Ferrante stellt sich vor, wie diese Schneiderinnen lernen könnten, den Müttern ihren Frauenkörper wiederzugeben - eine Metapher, aus der sie später, in einem Brief von 1995, eine Metapher für ein feministisch engagiertes Schreiben macht: «D’altronde - credo - deve pur venire il momento in cui riusciremo a scrivere davvero fuori di lui [...]. Le sarte delle madri mi immagino che stiano studiando da tempo. Presto o tardi impareremo tutte a non infagottare, a non infagottarci.» (Frant. 75) Auch für die erwachsene Delia, die sich rückblickend den Tod der Mutter zu erklären sucht, wird die Tätigkeit Amalias als Schneiderin zum Anhaltspunkt für eine Trostphantasie. Die Mutter hatte, wie Delia von einer Nachbarin erfährt, sich auf ein seltsames Tauschgeschäft eingelassen. Gegen einen Koffer mit teurer Kleidung und Wäsche, den sie Delia zum Geschenk machen wollte, hatte sie Caserta ihre alte Unterwäsche überlassen. Bedeutet dies nicht, dass sie auch ihren eigenen Tod souverän inszeniert hat - dass sie am Ende ihres Lebens glücklich war? «Mi piacque insperatamente, con sorpresa, quella donna che in qualche modo s’era inventata fino alla fine la sua storia giocando per conto suo con stoffe vuote. Mi immaginai che non fosse morta insoddisfatta e sospirai di soddisfazione inattesa.» (AM 133) 2_IH_Italienisch_75.indd 40 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 41 Bald darauf gewinnt jedoch eine gegenteilige Gewissheit die Oberhand. Obwohl sich Amalia, von Delia bestärkt, schon vor vielen Jahren vom Vater getrennt hat und nun allein lebt, fühlt sie sich bis zuletzt von dessen hasserfüllter Eifersucht verfolgt. Die Entsexualisierung, die der Vater ihr auferlegt, jene «smaterializzazione del corpo della madre» prägt Amalias Umgang mit ihrem Körper weiterhin. Und selbst wenn sie, wenige Monate vor ihrem Tod, ihre alte Freundschaftsbeziehung mit Caserta wieder aufnimmt, fühlt sie sich zuletzt auch von ihm verfolgt. Amalia ist - wie Delia am Ende des Romans zu rekonstruieren vermag - mit ihrem Geschenk in den Zug gestiegen, um die Tochter in Rom zu besuchen. Während der Fahrt hat sie dann offenbar ihre Pläne geändert. Sie hat mit Caserta einen Abend in Formia, einem Badeort zwischen Neapel und Rom verbracht. Auf dem Strand hat sie die Wäsche und den Morgenmantel, die sie Delia schenken wollte, angezogen und ist ins Meer gegangen. Delia ist sich sicher, dass die Mutter Selbstmord begangen hat, weil sie sich in einer ausweglosen Situation sah - weil sie sich zuletzt auch vom Blick Casertas enteignet fühlte: «Doveva aver percepito che qualcosa s’era sgranato per sempre: con mio padre, con Caserta, forse anche con me, quando aveva deciso di cambiare itinerario. [...] Certamente quando era entrata in acqua nuda, lo aveva fatto per sua scelta. La sentivo che si immaginava stretta tra quattro pupille, espropriata da due sguardi.» (AM 162) So ist es am Ende nicht Amalia, sondern Delia, die zu sich selbst findet - indem sie sich die Geschichte ihrer Hassliebe zur Mutter in ihrer ganzen Wahrheit erzählt und indem sie begreift, dass die Geschichte der Mutter nun ein Teil von ihr selbst ist. Indem Delia schließlich in das Kostüm ihrer Mutter schlüpft, gibt sie ihrer destrukturierten Identität nicht nur neue Konturen. Vielmehr symbolisiert ihre Geste, sich den Rock mit einer Sicherheitsnadel enger zu machen, exakt jenes «tagliare i panni addosso», das in Ferrantes Vokabular auch eine Schreibweise bezeichnet, die die Weiblichkeit der Mutter ‘nicht versteckt’ (AM 169). Und wenn sie zuletzt ihr eigenes Foto übermalt, um sich der Mutter gleich zu machen, und ihre Erzählung mit den Worten endet: «Amalia c’era stata. Io ero Amalia.» (AM 176), so bedeutet dies, wie Ferrante in einem Kommentar präzisiert, keinen wahnhaften Selbstverlust (Frant. 82). Denn erst nachdem sie die Geschichte ihres kindlichen Konfliktes mit der Mutter aufgearbeitet hat, vermag die Tochter jenes Zugehörigkeitsgefühl, das «attaccamento» zu empfinden, das ihr durch die Verwerfung der Mutter unmöglich gemacht worden war («non ero riuscita mai ad attaccarmi a lei 2_IH_Italienisch_75.indd 41 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 42 definitivamente», AM 88): Erst dieses macht sie aber zu einem vollständigen «Ich». Die Ich-Werdung verläuft also nicht über den Muttermord, sondern durch ein Aufnehmen der Geschichte der Mutter in das eigene Ich. Ferrante möchte dadurch ein allzu einfaches Fortschrittsnarrativ, in dem das Rollenmodell der Müttergeneration als definitiv überholt verabschiedet würde, vermeiden. 13 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Aufarbeitung der Beziehung zur Mutter in L’amore molesto als eine Destrukturierung des weiblichen Ichs gestaltet, die mit der Vorstellung eines porösen, durchlässigen weiblichen Körpers arbeitet. Während die kleine Delia, dem Beispiel des Vaters folgend, eine Verwerfung der beunruhigenden Mutter-Imago vornimmt, vermag die Erwachsene ihr durch diese Verwerfung lädiertes, unvollständiges Ich zu re-konturieren, indem sie die Geschichte der Mutter in sich aufnimmt. Weibliche Identitätsfindung verläuft - so will Ferrante es verstanden wissen - nicht als emanzipatorisches Überschreiten («superato») des älteren Rollenmodells, sondern als dessen Integration («riscattato») im Sinne einer Etappe der weiblichen Geschichte. Indem Ferrante bereits in L’amore molesto die Tätigkeit der Schneiderin zu einer Metapher für das Schreiben macht, deutet sie zugleich eine metapoetische Reflexion an. Diese wird jedoch erst in der Tetralogie L’amica geniale zu einem zentralen Thema. 4. Beste Feindinnen - L’amica geniale als Geschichte einer weiblichen rivalität Um das Verständnis der folgenden Interpretationen zu erleichtern, sei zunächst die Handlung der Tetralogie resümiert. Sie erstreckt sich über einen Zeitraum von über 60 Jahren (1944-2010); das Schicksal zweier Frauen wird vor dem Hintergrund der jüngeren und jüngsten italienischen Geschichte erzählt. Hauptschauplatz der Handlungen ist Neapel. Die Erzählerin der Tetralogie ist die 66jährige Elena Greco, einst erfolgreiche Romanautorin, die sich nun aber am Ende ihrer Karriere sieht. Als ihre Jugendfreundin spurlos verschwindet, beschließt Elena, die Geschichte ihrer Hassliebe zu Raffaella Cerullo - wer von beiden die «amica geniale» ist, bleibt offen - schreibend noch einmal Revue passieren zu lassen. Elena und Raffaella sind 1944 in einem ärmlichen Vorort von Neapel geboren. Die Mädchen kennen sich seit der Grundschule, wo sich Raffaella durch ihre «Bosheit» hervortut (AG I, 27). Der Tag, der die Freundschaft der Mädchen endgültig besiegelt ist jener, an dem Raffaella Elenas Puppe Tina spurlos verschwinden lässt. Während alle anderen sie Lina nennen und in ihr vor allem ein außerordentlich böses Kind sehen, erkennt Elena ihre Einzigartigkeit, der sie huldigt, indem sie ihr den Namen Lila gibt (AG I, 43). 2_IH_Italienisch_75.indd 42 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 4 3 Dabei bedeutet Lilas Hochbegabtheit eine permanente Bedrohung für die weniger intelligente Elena, der es nur durch extremen Fleiß und Anpassungsfähigkeit gelingt, ihren Platz als Zweitbeste in der Klasse zu halten. Das Blatt wendet sich, als sich Lilas Vater, ein armer Schuhmacher, weigert, seine Tochter auf die weiterführende Schule zu schicken. Lila, die sich eine Zeitlang als Autodidaktin weitergebildet hatte, verliert schließlich das Interesse an Büchern; statt dessen entwickelt sie in der Werkstatt ihres Vaters, der Schuhe repariert, das ambitiöse Projekt, Luxusschuhe herzustellen. Stefano, Sohn eines ermordeten camorrista und Inhaber eines Fleischerladens, ist bereit, Geld in das Projekt zu investieren, wenn Lila ihn heiratet. Lila willigt ein - nicht zuletzt um der aggressiven Werbung Marcello Solaras zu entgehen, dessen Familie durch ihren Reichtum (und Geldverleih) das gesamte Viertel von sich abhängig gemacht hat. Die Hochzeit der 16jährigen Lila mit Stefano erscheint Elena und den übrigen Bewohnern des rione wie ein triumphaler Aufstieg aus der Misere ihres Elternhauses. Zugleich müssen selbst die Solara-Brüder die innere Stärkere des schmächtigen Mädchens anerkennen, das den Mut hat, sich gegen ihre Präpotenz aufzulehnen. Doch schon während der Hochzeitsfeier muss Lila entdecken, dass Stefano die ersten, von ihr selbst angefertigten Schuhe der Marke Cerullo an Marcello Solara verkauft hat - mit dieser bitteren Erkenntnis endet der erste Band. Der zweite Band, Storia del nuovo cognome, erzählt von Lilas Eheleben und Elenas Aufbruch nach Norditalien. Auch der friedfertige Stefano hat sich als eine Schachfigur der Solara - und als ein Sohn seines Vaters - erwiesen. Bereits in der Hochzeitsnacht wird Lila von Stefano vergewaltigt; einige Jahre später geht sie eine Liaison mit Nino Sarratore ein und verlässt ihren Ehemann, um allerdings bald darauf selbst von Nino verlassen zu werden. Für Elena, die seit ihrer Kindheit in Nino verliebt war, bedeutet Lilas Liebschaft mit Nino eine Demütigung. Doch dann erhält sie ein Universitätsstipendium in Pisa. Sie verlobt sich mit dem jungen Universitätsprofessor Pietro Airota und kann so Neapel entkommen. Währenddessen zieht Lila ihren Sohn Gennaro alleine groß und ruiniert ihre Gesundheit als Arbeiterin in einer Mortadella-Fabrik. Der dritte Band, Storia di chi fugge e di chi resta, erzählt von Lilas Rebellion gegen die Ausbeutung der Fabrikarbeiter vor dem Hintergrund der 68er-Unruhen und von Elenas Aufstieg in die bürgerliche Klasse. Während Lila dem körperlichen und psychischen Zusammenbruch nahe ist, veröffentlicht Elena mit Hilfe ihrer Schwiegermutter, die für einen Mailänder Verlag arbeitet, ihren ersten Roman. Obwohl Elenas Mann Pietro aus einer Familie von Linksintellektuellen stammt, vertritt er, insbesondere sein Familienleben betreffend, sehr konservative Ansichten. Elena gebiert Pietro zwei Töchter, Adele (genannt Dede) und Elsa. Von ihrer Hausfrauenexistenz frustriert, lässt 2_IH_Italienisch_75.indd 43 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 4 4 sie sich von Nino, der unversehens wieder in ihrem Leben auftaucht, verführen. Der vierte Band, Storia della bambina perduta, setzt hier ein. Elena trennt sich von ihrem Mann und zieht mit den Töchtern zurück nach Neapel, wo sie Nino eine Tochter gebiert. Doch Nino entpuppt sich als Opportunist. Er lebt weiterhin mit seiner Ehefrau Eleonora zusammen, weil deren einflussreiche Familie seine Universitätskarriere fördert, und hat daneben zahlreiche andere Liebschaften. Elena trennt sich von Nino, bleibt jedoch in Neapel und nähert sich Lila wieder an, die wenige Wochen nach Elena ebenfalls Mutter einer Tochter wird. Damit scheint im Leben beider Frauen eine von Rivalität und Sorgen freie Zeit anzubrechen. Lila hat mit ihrem neuen Lebensgefährten Enzo eine kleine Computerfirma und einen relativen Wohlstand aufgebaut; sie kann als Arbeitgeberin in Konkurrenz zu den Solara treten und unterstützt Verwandte und Freunde. Elena hat ein gutes Verhältnis zu Pietro, der seine Töchter regelmäßig besucht, sie treibt ihre Schriftstellerkarriere voran und lässt die drei Mädchen, wenn sie auf Lesereisen geht, in der fürsorglichen Obhut von «zia Lina». Die beiden gleichaltrigen Mädchen Imma und Tina, die jeweils die Namen von Elenas und Lilas Müttern tragen, werden enge Freundinnen, auch wenn Imma im Schatten der hochintelligenten Tina steht, die ihrer Mutter aufs Haar gleicht. Doch eines Tages verschwindet die vierjährige Tina spurlos. Lilas Verdacht, die Solara-Brüder hätten sie geraubt, lässt sich nicht erhärten. Lila lebt weiter, ohne den Tod ihrer Tochter je zu akzeptieren (AG IV, 322). Einige Jahre später verkauft sie ihre Computerfirma, Enzo verlässt sie und geht nach Mailand, ihr immer schon schwieriges Verhältnis zu dem Sohn Gennaro, der sich zu einem Taugenichts entwickelt, verschlechtert sich noch mehr. Sie, die im Viertel einst als Respektsperson und Hoffnungsträgerin galt, wird nun gefürchtet. In der Beschäftigung mit der wechselvollen Geschichte Neapels findet Lila einen Weg, ihrer verschwundenen Tochter nahe zu sein. 1995, zehn Jahre nach der Tragödie, zieht Elena mit Imma nach Turin. Ihre zwei älteren Töchter sind Pietro in die USA gefolgt, auch Imma wird sie für ein Studium in Frankreich verlassen. Obwohl sie sich als Mutter und Großmutter erfüllt fühlt, beginnt Elena, am Sinn und Erfolg ihres Lebens zu zweifeln. Immer mehr gewinnt der Verdacht Raum, dass nicht sie, sondern Lila die «geniale» von beiden ist, imstande, einen Roman zu schreiben, der alle ihre Werke in den Schatten stellen würde. Nachdem sie die Nachricht, dass Lila spurlos verschwunden ist, erreicht hat, schreibt sie «ogni dettaglio della nostra storia» (AG I, 19), die gesamte Geschichte ihrer schwierigen Beziehung zu Lila auf - und erhält so etwas wie eine Antwort von Lila: ein Päckchen, das die verschwundenen Puppen enthält. 2_IH_Italienisch_75.indd 44 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 4 5 5. Puppen als Symbole für mutterschaft und Kreativität Puppen werden von Ferrantes Romanprotagonistinnen wie Fetische behandelt, sie fungieren als Stellvertreter für Personen, für Sehnsüchte und für Konzepte. Dies gilt ganz besonders für La figlia oscura, in dem die Identitätskrise der 48jährigen Protagonistin Leda von der «Begegnung» mit einer Puppe ausgelöst wird. Für Leda, die bisher in dem Glauben gelebt hatte, ihre professionelle Identität - wenn auch mit vielen Opfern - mit ihrer Rolle als Mutter in Einklang gebracht zu haben, symbolisiert die Puppe die Wiederkehr eines verdrängten Konfliktes. Die Erzählung setzt ein, als Leda, nachdem ihre mittlerweile erwachsenen Töchter Italien verlassen haben, um in der Nähe des Vaters in Kanada zu studieren, für einige Wochen ans Meer fährt. Am Strand wird sie zur Zeugin einer außergewöhnlichen Mutter-Kind- Beziehung: Die Mutter ist eine bildschöne junge Frau namens Nina, die vierjährige Tochter heißt Elena. Durch die Intensität, mit der sie sich auf die Spiele mit ihrer kleinen Tochter einlässt, zieht Nina Ledas Aufmerksamkeit auf sich: «pareva non aver voglia d’altro che della bambina» (FO 389). Doch in Ledas Faszination mischt sich eine unerklärliche Irritation angesichts der besonderen Weise, in der Mutter und Tochter mit Elenas Puppe spielen: «Una volta le davano parole a turno, una volta insieme, accavallando il tono fintobambino dell’adulta a quello fintoadulto della bambina. Si immaginavano che fosse la stessa unica voce che parlava dalla stessa gola di cosa in realtà muta. Ma evidentemente io non riuscivo a entrare nella loro illusione, provavo per quella doppia voce una repulsione crescente. [...] sentivo un disagio crescente come di fronte a una cosa malfatta, come se una parte di me pretendesse assurdamente che si decidessero e dessero alla bambola una voce stabile, costante, o quella della madre o quella della figlia, basta fingere che fossero la stessa cosa.» (FO 392) Im Spiel der Stimmen, die Nina und Elena abwechselnd der Puppe leihen, verschmelzen die distinkten Rollen von Mutter und Tochter. Leda empfindet dies als eine lästige Fiktion - und reagiert in einer Weise, die sie sich selbst nicht erklären kann: Sie nimmt Elenas Puppe mit. Trotz zunehmender Schuldgefühle behält sie die Puppe, badet sie, kleidet sie neu ein. Dabei wird sie immer mehr von Erinnerungen eingeholt. Es sind insbesondere drei Szenen bzw. Erinnerungen aus der Vergangenheit, die Leda (und der Leserin) helfen, die Motive ihrer irrationalen Geste zu verstehen: 2_IH_Italienisch_75.indd 45 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 4 6 1) Als sie selbst Kind war, war ihr ein spielerischer Rollentausch mit ihrer Mutter verwehrt geblieben - deshalb hatte Leda ihrer ersten Tochter Bianca erlaubt, sie im Spiel wie eine große Puppe zu behandeln, denn: «volevo essere una buona madre» (FO 416). Für die Töchter musste Leda aber ihre Universitätskarriere aufgeben, während ihr Mann diese fortführte. Ihre Frustration kulminiert in einer Szene, in der gleichfalls eine Puppe im Mittelpunkt steht: Mina, die Puppe aus Kindertagen, die Leda Bianca geschenkt hatte. Bianca zieht Mina eine «hässliche» Puppe vor, die der Vater ihr von einer Reise («von wer weiß woher», FO 417) mitgebracht hat. Als Leda eines Tages entdeckt, dass Bianca die verachtete Mina entkleidet und mit Filzstiften beschmiert hat, macht sich ihre angestaute Aggressivität gegen die Töchter, die sie ans Haus fesseln, in einer gewaltsamen Geste Luft: Sie packt die verunstaltete Puppe und schleudert sie auf die Straße (FO 417). 2) Die zweite Szene ist die Erinnerung an einen Strandausflug von Ledas junger Familie mit einem befreundeten, kinderlosen Ehepaar. Lucilla, die als «donna molto istruita» charakterisiert wird, gefällt sich darin, bei ihren sporadischen Besuchen Ledas Töchter für sich einzunehmen: «Compariva e metteva in scena la madre sensibile, fantasiosa, sempre allegra, sempre disponibile: la madre buona. Maledetta.» (FO 444) Leda, die versucht, ihre Töchter zu selbständigen Beschäftigungen anzuhalten, um Zeit für ihre eigene Arbeit zu finden, findet sich so unweigerlich in die Rolle der «madre cattiva» gedrängt (ebd.). Was sie freilich Lucillas perfider Intention zuschreibt, resultiert in erster Linie aus einem gesellschaftlich induzierten Schuldgefühl. Leda hat es selbst derart verinnerlicht, dass sie gar nicht anders kann, als sich als schlechte Mutter zu fühlen. Ferrante zeigt hier auf subtile Weise, wie das Dogma der «heiligen», sich selbst aufgebenden Mutter (ein Konstrukt der patriarchalen Gesellschaft) gerade durch jene bestärkt wird, die diese Rolle nur temporär «spielen»: Lucilla hat selbst keine Kinder, sie kann ihre Mutterrolle nach Belieben wieder ablegen. Die Konsequenz für Leda ist eine Verunsicherung in ihrem Rollenverständnis: «mi aiutò a credere che avevo sbagliato tutto […] che non ero fatta per essere madre» (FO 445). 3) Die zentrale Erinnerungssequenz aber betrifft jenes Unsägliche, das die junge Mutter Leda wagte, als sie ihre vier- und die sechsjährige Tochter verließ, um eine berufliche Chance wahrzunehmen. Abermals ist es Leda selbst, die dieses Verlassen unsäglich, unsagbar findet - auch wenn die perplexe Reaktion ihrer beiden Gesprächspartnerinnen diese Selbstverurteilung bestätigt (FO 437). Was bedeutet vor diesem Hintergrund der Diebstahl der Puppe? Er kann zunächst als Ausdruck eines (egoistischen) Kompensationswunsches gedeutet werden. Elenas Puppe symbolisiert in Ledas Augen eine unbeschwerte, glückliche Mutterschaft: «Custodiva l’amore di Nina e di Elena, il loro vincolo, la loro reciproca passione. Era il testimone lucente di 2_IH_Italienisch_75.indd 46 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 47 una maternità serena» (FO 431). Was sie selbst nicht hatte, was verunstaltet und weggeworfen wurde, wie die Puppe Mina, sucht Leda sich unrechtmäßig anzueignen. Zugleich scheint es Leda um eine obskure Wiedergutmachung ihres «Verlassens» der Töchter zu gehen. Eine Art der Wiedergutmachung scheint Leda in der Tat anzustreben, als sie eine Freundschaft mit der jungen Mutter Nina eingeht. Für einen Moment sieht es so aus, als könnte Leda für Nina eine Mutterrolle annehmen - nach dem Modell des von italienischen Feministinnen geprägten affidamento. Doch als Nina in Ledas Wohnung die vermisste Puppe entdeckt, reagiert sie gewalttätig und fügt Leda mit einer Haarnadel einen Stich zu - eine Verletzung, die den doppeldeutigen Schlusssatz des Romans motiviert. «Sono morta, ma sto bene», sagt Leda über sich; «sterben» bedeute hier aber, erklärt Ferrante, «cancellare per sempre da sé qualcosa» (Frant. 294). Diese Art der Auslöschung bedeute, so Ferrante, für alle ihre Romanprotagonistinnen zugleich eine Befreiung wie auch eine unheilbare Selbstverstümmelung. In der gestohlenen Puppe, die ihr zunächst als Symbol einer idealen Mutter-Tochter-Beziehung erschien, erkennt Leda später ein beunruhigendes, «schmutziges», ekelerregendes Bild von Mutterschaft. So «erbricht» die Puppe nassen Sand und beschmutzt damit Ledas T-Shirt. Und es stellt sich heraus, dass die kleine Elena der Puppe, um eine Schwangerschaft zu simulieren, einen Regenwurm in den Plastikkörper gesteckt hat. Die unheimliche, abjekte Puppe wird so zum Symbol für Ferrantes Entmystifizierung der Mutterschaft. Vielschichtiger sind die Bedeutungen der Puppe in L’amica geniale. Die Szene, in der Lila Elenas Puppe in ein Kellerloch wirft, enthält in nuce die gesamte Thematik des Romans. Obwohl beide Mädchen aus einem armen Elternhaus kommen, nennt Elena eine «wunderschöne» Puppe namens Tina ihr eigen. 14 Lilas Puppe, die «Nu» heißt, findet sie dagegen «hässlich und schmutzig». Nachdem die Mädchen beschlossen haben, ihre Puppen zu tauschen, wirft Lila Elenas Puppe ohne zu zögern in ein Kellerloch. Elena verbirgt ihre Verzweiflung - «un’arte in cui poi sono diventata molto brava» (AG I, 50) - und wirft Lilas Puppe hinterher. Daraufhin suchen die beiden ihre Puppen zuerst im Keller, dann bei dem allseits gefürchteten don Achille, dem camorristische Machenschaften nachgesagt werden. Über die Nachfrage der Mädchen verblüfft, gibt don Achille den beiden Geld für neue Puppen. Die Mädchen aber kaufen sich, wieder auf Anstiften Lilas, einen Roman. Dieser Roman, meint Elena, habe bei beiden den Wunsch geweckt, Schriftstellerin und durch das Schreiben «reich» zu werden, was letztlich bedeutet, dem Armenviertel mit seinen täglichen Manifestationen von Gewalt (gegenüber den sozial Schwächsten und gegenüber Frauen) zu entkommen. 2_IH_Italienisch_75.indd 47 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 4 8 Die Szene der Puppen enthüllt für Elena also Lilas «Bosheit»; doch letztlich ist es Lila, deren «Bosheit» Elena die Möglichkeit einer bisher ungeahnten Existenzweise eröffnet. Es ist nicht nur die Möglichkeit der Schriftstellerei - ein in dem kaum alphabetisierten Milieu des rione wahrhaft unerhörter Beruf - sondern auch die Möglichkeit, die atavistischen Ängste vor der durch don Achille verkörperten patriarchalen und camorristischen Präpotenz zu überwinden. Bedeutsam ist aber auch, dass es dann ausgerechnet don Achilles Geld ist, das Elena über den Traum der Schriftstellerei einen Weg aus dem rione eröffnet. In dem Schicksal der Puppen scheint zugleich, auf eine unheimliche Weise, das Schicksal von Lilas verschwundener Tochter Tina vorgezeichnet. Lila hat ihrer Tochter den Namen der eigenen Mutter, Annunziata (genannt Nunzia), gegeben; das Kind wird mit «Tina» (von «Annunziatina») gerufen: «‘Lo sai’ dissi un giorno divertita ‘che le hai dato il nome della mia bambola? ’»(AG IV, 203) Auch wenn Elenas Erzählung keinerlei Zweifel über die Katastrophe aufkommen lässt, die Tinas Verschwinden für Lila bedeutet, legt sie doch in mehrfacher Hinsicht eine obskure Schuld Lilas an Tinas Verschwinden nahe. Dass die Tragik von Lilas Schicksal daher kommt, dass sie sich zu wenig um ihre eigenen Interessen kümmert, legt auch die Aussage eines gemeinsamen Bekannten nahe. Er behauptet, diese habe ihre Tochter aus Mangel an Eitelkeit verloren: «Se sei vanitoso stai attento a te e alle tue cose. Lina è senza vanità, perciò s’è persa la figlia.» (AG IV, 326) In der Tat wird Lilas Verhältnis zur Mutterschaft über die gesamte Tetralogie hinweg als ein problematisches charakterisiert. Auch im Umgang mit Schwangerschaft und Geburt scheint sich Lila gemäß der ihr nachgesagten «Bosheit» zu verhalten. Als junge Ehefrau wird sie erst monatelang nicht schwanger, später äußert sie Elena gegenüber geradezu Hass gegenüber dem Ungeborenen (AG II, 112). Als sie Jahre später von Elenas Schwangerschaft erfährt, beharrt Lila auf ihrer negativen Sichtweise, die Mutterschaft als eine Enteignung begreift: «La vita di un altro, disse, prima ti si attacca nella pancia e quando finalmente viene fuori, ti fa prigioniera, ti tiene al guinzaglio, non sei più padrona di te» (AG III, 210). Später, während der Schwangerschaft mit Tina, wird Lila die Fragilität mütterlicher Gefühle jedoch als individuelles Los darstellen und der eigenen «Bosheit» zuschreiben. 15 Jahre später meint auch Elena, die sich selbst als «brava madre» wahrnimmt, dass Lila mit ihren negativen Aussagen («noi non siamo fatte per i figli») lediglich ihre eigene mangelnde Mutterliebe für normal erklären wolle (AG IV, 408). Elenas Erfahrung von Mutterschaft scheint der Lilas von vornherein diametral entgegengesetzt. Ihre Schwangerschaften erfährt sie ganz anders als Lila nicht als unerhörte körperliche Qual und beim Anblick ihrer Erstge- 2_IH_Italienisch_75.indd 48 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 4 9 borenen empfindet sie ein nie dagewesenes Glücksgefühl (AG III, 214). Zwar findet dieses Glück wenige Tage später ein jähes Ende, als Elena das Stillen nicht gelingt. Lila gegenüber hält sie jedoch weiterhin am Märchen ihres Familienglücks fest, was von Lila mit dem trockenen Kommentar quittiert wird: «Ognuno si racconta la vita come gli fa comodo» (AG III, 214). In der Tat scheinen sich Lilas und Elenas Erfahrungen der Mutterschaft weniger im faktischen Erleben zu unterscheiden als in der Art, in der sie von den Freundinnen erzählt werden. Lilas drastische Schilderungen ihrer Schwangerschaften mögen dem ihr von Elena bescheinigten Hang zur Übertreibung entsprechen. Dabei hat sie jedoch den Mut, nicht nur die weniger angenehmen Aspekte des Mutterseins zu benennen, sondern auch die ambivalenten Gefühle, die eine Mutter ihrem Kind gegenüber verspürt. Elena dagegen, die den Erzählungen ihrer Freundin nicht glauben will, tut, was sie immer getan hat - sie sucht ihren Rat in Büchern: «Comprai qualche libro su come si diventa madri perfette e mi preparai con la consueta diligenza» (AG III, 211). Als die Bücher angesichts der Realität versagen, weigert sich Elena, dies einzugestehen. Gegen Ende ihrer Erzählung empfindet Elena sich selbst als eine Mutter, der es gelungen ist, ihre Karriere voranzutreiben, ohne dafür die Töchter zu vernachlässigen (AG IV, 408). Zugleich hatte der Text jedoch genug Hinweise gegeben, die Elena als (zumindest zeitweise) recht egoistische Mutter darstellten. Ähnlich Leda hatte sie ihre kleinen Töchter wochenlang alleingelassen, um mit ihrem Liebhaber zusammenzusein. Indem Ferrante Elenas Sichtweise auf (das eigene und Lilas) Muttersein somit als unzuverlässig darstellt, führt sie ihren Leserinnen die Inkonsistenzen sowohl des durch Lila als auch des durch Elena verkörperten Mutterschaftskonzepts vor Augen. Dabei verkörpert Lila die unsentimentale (aber nicht: distanzierte) Perspektive einer Mutter aus der arbeitenden Klasse. Für sie ist totale Hingabe zum Kind selbstverständlich; ebenso selbstverständlich ist es jedoch, das Kind in Obhut zu geben, wenn die Umstände (die Arbeit) es erfordern. Elena, die nicht arbeiten muss und sich überdies eine Kinderfrau leisten kann, fühlt sich dagegen zwischen einem Ideal von Hingabe und dem (ihr von der bourgeoisen Klasse, der sie nun angehört, gleichfalls zur Pflicht gemachten) Drang zur Selbstverwirklichung hin- und hergerissen. Den Unterschied zwischen Lilas und Elenas Art, das Muttersein zu leben, könnte man so auf den Punkt bringen: Lila erlebt und erleidet ihre Mutterschaft; für Elena ist Mutterschaft auch eine diskursive Performanz. So, wie sie die gesellschaftliche Realität, in der sie lebt, mehr durch den Filter der Literatur als aus direkter Erfahrung wahrnimmt, scheint sie ihre Erfahrung als Mutter nicht beschreiben zu können, ohne die gängigen Klischees zu bemühen. Obwohl Ferrante das in der Mutterschaft angelegte 2_IH_Italienisch_75.indd 49 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 50 Potenzial zur empathischen Selbstüberschreitung aufzeigt, warnt sie zugleich vor idealisierenden Vereinfachungen. 6. «Smarginatura» als existenzielle erfahrung Lilas ungeschönter Blick auf das Muttersein hängt mit einer ihr eigenen Sensibilität zusammen, die sie dazu befähigt, hinter dem vertrauten Anblick von Menschen und Dingen gleichsam deren dunkle, fragile, vergängliche Seite wahrzunehmen. Sie selbst bezeichnet diese Erfahrung als «smarginatura», also als einen Verlust von Grenzen, von Konturen («margini»). Ihre erste Erfahrung der «smarginatura» macht Lila mit 14 Jahren, als sie Wut und Aggression hinter den Zügen ihres geliebten Bruders Rino hervorbrechen sieht, der ihr nunmehr als eine «forma animale tozza [...] feroce [...] avida [...] meschina» erscheint (AG I, 86). Lilas Erfahrungen der smarginatura rufen in ihr heftigen Ekel (ebd.) hervor und werden von ihr als Episoden körperlicher, organischer Auflösung erfahren: So, als müssten die aggressiven Emotionen der Männer («spinte interne delle voglie e delle rabbie», AG II, 355) zu einer «Explosion» der Körpergrenzen führen. Während ihres Zusammenlebens mit Stefano leidet sie nachts unter Horrorvisionen, die ihr den Mann buchstäblich als einen schmutzigen Ausfluss von Körpermaterie darstellen: «Specialmente di notte temeva di svegliarsi e trovarlo sformato nel letto, ridotto a escrescenze che scoppiavano per troppo umore, la carne che colava disciolta, e con essa ogni cosa intorno, i mobili, l’intero appartamento e lei stessa, sua moglie, spaccata, risucchiata in quel flusso sporco di materia viva.» (AG II, 355) Die smarginatura betrifft jedoch auch die Körper der Frauen. Lilas Gespür für die Leiden der Frauen des rione ermöglicht ihr, Dinge wahrzunehmen, die Elena niemals gesehen hatte. Sie beschreibt Elena die körperlichen und seelischen Deformationen dieser Frauen, als ob es ihre eigenen wären (AG II, 98). Dadurch verändert sich Elenas Blick. Sie, die bisher nur die Körper gleichaltriger Mädchen wahrgenommen hatte, bemerkt nun, wie Frauen, die nicht viel älter sind als sie, unter dem Druck des Überlebenskampfes im rione männliche Züge angenommen haben (AG II, 102). Tatsächlich kann auch Elenas Erfahrung der eigenen Weiblichkeit, insbesondere ihre konfliktuelle Beziehung zur Mutter, in gewisser Hinsicht mit Lilas smarginatura-Episoden verglichen werden. Der Körper ihrer Mutter stößt Elena ab, weil diese hinkt und schielt (AG I, 40); ihre Abneigung gegenüber diesen körperlichen Gebrechen lässt sich abermals im Sinne von Kristevas abjection deuten. Denn in ihr konkretisiert sich Elenas Wille, sich 2_IH_Italienisch_75.indd 50 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 51 aus der durch die Mutter vorgelebten Beschränkung zu befreien. Die Furcht, sich ähnlich wie diese in einer Hausfrauenexistenz wiederzufinden, wird deutlich, als Elena sich fragt «Che cosa mi prende? Voglio fare la mamma, voglio allattare e ninnare? [...] E se mia madre sbucherà dalla mia pancia proprio quando credo di essere ormai al sicuro? » (AG III, 64). Während Elenas erster Schwangerschaft scheint die verworfene Mutter tatsächlich von ihrem Körper Besitz zu ergreifen, denn Elena beginnt gleichfalls zu hinken. Erst viel später, als sie die krebskranke Mutter pflegt, wird Elena sich mit ihr versöhnen. Und nach ihrem Tod gelingt Elena die Trauerarbeit, indem sie das Hinken der Verlorenen gleichsam in ihrem Körper beherbergt - wie Lila konstatiert: «A te persino i dolori fanno bene. Ti è bastato zoppicare un pochino e ora tua madre se ne sta quieta dentro di te. La sua gamba è contenta che zoppichi e perciò sei contenta anche tu.» (AG IV, 351) Es ist vor allem die Angst, selbst an Kontur zu verlieren, sich in «Klumpen von Menstruationsblut, in Krebsgeschwüre, in gelbliche Faserstücke» aufzulösen («in grumi sanguigni di mestruo, in polipi sarcomatosi, in pezzi di fibra giallastra» AG IV, 163), die Lila keine Ruhe lässt und sie dazu treibt, rastlos Liebesbindungen, Tätigkeiten, Werke zu formieren und wieder aufzulösen. 16 Zugleich erscheint Lilas Fähigkeit, für sich selbst immer wieder neue Existenzformen zu erfinden, als Teil der Faszination, die von ihr ausgeht: «La guardavo dalla finestra, sentivo che la sua forma precedente s’era rotta [...]. Sapevo - forse speravo - che nessuna forma avrebbe mai potuto contenere Lila e che presto o tardi avrebbe spaccato tutto un’altra volta.» (AG I, 261) Jenes Zerspringen fester Konturen, das Lila so Angst macht, erscheint so zugleich als Bedingung für ihre Befreiung. Denn sobald sie sich in einer festen Form niedergelassen hat, die sie vor Auflösung schützen soll, erscheint ihr diese wiederum als bedrohlich: wie in dieser Passage, in der die zum ersten Mal schwangere Lila die Zeit ihrer Gegenwart als zähflüssige, ekelhafte Masse definiert: «Quante cose Lila aveva fatto succedere nel giro di pochi anni. Eppure ora che di anni ne avevamo diciassette pareva che la sostanza del tempo non fosse più fluida, ma avesse preso un aspetto colloso e ci girasse intorno come una crema gialla dentro una macchina di pasticciere. Lo constatò Lila stessa con astio [...].» (AG II, 111) Smarginatura im Sinne einer ständigen Auflösung und Auslöschung von Formen scheint gewissermaßen Lilas Existenzprinzip zu sein - und zugleich die treibende Kraft ihrer Kreativität. 2_IH_Italienisch_75.indd 51 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 52 7. Kreativität als auslöschung Lilas «destruktiver» Umgang mit Mutterschaft scheint - zumindest legt Elenas Erzählung dies nahe - der gleichen Fatalität zu gehorchen wie ihr Umgang mit der ihr eigenen außerordentlichen Kreativität. Alle schöpferischen und intellektuellen Leistungen Lilas bleiben vereinzelte Episoden in ihrem Leben, von denen allenfalls andere profitieren. So werden die Entwürfe für die eleganten Schuhe, die sie als zwölfjähriges Mädchen gezeichnet hat, letztlich von den Brüdern Solara benutzt, um eine eigene Schuhlinie zu lancieren. Lilas geniale Ideen - meint Elena zu verstehen - sind Eingebungen des Zufalls, die sich keinem rationalen Kalkül unterordnen lassen: «Lila era fatta a quel modo? Non aveva la mia cocciuta diligenza? Tirava fuori da sé pensieri, scarpe, parole scritte e orali, piani complicati, furie e invenzioni, solo per mostrare a me qualcosa di se stessa? […] Tutto, di lei, era frutto del disordine delle occasioni? » (AG II, 143) So wie Lila im Lauf ihres Lebens ihre intellektuelle Begabung verkümmern lässt, scheint sie auch ihre eigenen Werke über kurz oder lang wieder zurücknehmen oder zerstören zu wollen. Eine Episode aus Band 2 führt dies besonders deutlich vor Augen. Gegen Lilas Willen schmücken die Brüder Solara ihren Schuhladen mit einem überdimensionalen Foto, das Lila als Braut zeigt, an ihren Füßen die selbst fabrizierten Damenschuhe, die nun von den Solara vermarktet werden. Unter der Bedingung, das Foto bearbeiten zu können, willigt Lila schließlich ein. Mit Papier und Farben verwandelt sie das Bild in ein avantgardistisches Porträt: «Il corpo in immagine di Lila sposa appariva crudelmente trinciato. Gran parte della testa era scomparsa, così la pancia. Restava un occhio, la mano su cui poggiava il mento, la macchia splendente della bocca, strisce in diagonale del busto, delle gambe accavallate, le scarpe.» (AG II, 119) Mit diesem Selbstporträt bringt Lila nicht nur die gewaltsame Verwandlung zum Ausdruck, die sie seit ihrer Hochzeit mit Stefano erlitten hat. Vielmehr sieht Elena darin einen ersten Ausdruck jenes Bedürfnisses, das Lila viel später in die Tat umsetzen wird: das Bedürfnis, sich selbst zu zerstören, sich auszulöschen (AG II, 122). 2_IH_Italienisch_75.indd 52 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 53 Elena erscheint auch auf der intellektuell-kreativen Ebene als das perfekte Gegenbild zu Lila. Weniger begabt als diese, hat sie es durch die Kontinuität und Hartnäckigkeit ihrer Anstrengungen geschafft, die Universität zu besuchen und dann Schriftstellerin zu werden. So wie Lilas Leistungen offenbar durch die Rivalität mit Elena inspiriert werden, ist Lila eine ständige Quelle der Inspiration für Elena. Nicht nur bildet Lilas Leben den Stoff, aus dem große Teile ihrer Romane gemacht sind. Auch entscheidende schulische und universitäre Erfolge sind auf Gespräche mit Lila zurückzuführen. Zeitungsreportagen über soziale Missstände, für die Lila das Material gesammelt hat, werden unter Elenas Namen veröffentlicht. Schließlich drängt sich der Leserin sogar der Verdacht auf, dass Elena Lilas Tagebuchaufzeichnungen (sie lernt sie auswendig, bevor sie sie vernichtet) für ihre Werke benutzt hat. Es scheint jedoch auch Lilas Wille zu sein, dass ihr Name hinter dem Elenas verschwindet. Als die Freundinnen gemeinsam einen Artikel über die Machenschaften der Solara schreiben, ist es Lila, die ihre Unterschrift wegnimmt und den Text dann an die Zeitung schickt (AG IV, 297). Sowohl das Schicksal von Lilas Schuhen als auch das ihrer Tochter Tina scheinen somit in symbolhafter Verdichtung vor Augen zu führen, wie Lilas Recht auf Autorschaft/ auf Mutterschaft von anderen usurpiert wird - die Schuhe tragen bald den Namen Solara, Tina wird in der Zeitung als Elenas Tochter ausgegeben und verschwindet kurz darauf. Lila reagiert, indem sie die Auslöschung zu der ihr einzig möglichen Form von Autorschaft macht. Trägt man alle besprochenen Bedeutungen der «Schuhe» und der «Puppen» zusammen, so lassen sich beide als Motive einer Enteignung lesen. Lilas Schuhe, von den Brüdern Solara vermarktet, symbolisieren die Ausbeutung von Lilas Kreativität, aber auch die mafiöse Ausbeutung, der am Ende Stefanos gesamte Familie zum Opfer fällt. 17 Zugleich fungiert der Schuh, in dem an Lilas Hochzeitstag unvermutet der Fuß von Marcello Solara steckt, als offenkundige sexuelle Anspielung: Es ist, als würde Stefanos Rivale um die Gunst Lilas auf diese Weise ein symbolisches ius primae noctis affirmieren. Das Motiv der weggeworfenen Puppe wird in L’amica geniale zwar nicht unmittelbar auf Lilas schwangeren Körper gemünzt, es lässt sich aber dennoch als Motiv einer enteigneten Mutterschaft lesen. 18 Mutterschaft aber ist für Lila selbst schon eine Enteignung: «diventi una scatola di carne con un pupazzo vivo dentro. Ce l’ho, sta qui e mi fa ribrezzo» (AG II, 112). Die Puppe aus La figlia oscura, deren leerer Bauch mit einem Regenwurm «geschwängert» wurde, bietet ein Bild, das dieser Selbstwahrnehmung Lilas entspricht: der schwangere Körper als Behälter, reduziert auf seine aufnehmende und nutritive Funktion. 2_IH_Italienisch_75.indd 53 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 5 4 Es läge nun nahe, das Thema von Lilas enteigneter Kunst (die Schuhe, das Brautfoto) als Denunziation einer patriarchalischen Ausbeutung und Unterdrückung von weiblicher Kreativität zu lesen. Doch auch Elena benutzt Lilas Texte für ihre eigenen Publikationen. Soll die Erzählerin der Tetralogie damit als Plagiatorin ihrer «genialen Freundin» entlarvt werden? Oder verkörpert Lila eine Art Inspirationsprinzip, das Elenas Schreiben anleitet? Oder sollte es darum gehen, durch Lila ein Konzept von (weiblicher) Autorschaft zu affirmieren, das auf den Anspruch alleiniger Urheberschaft verzichtet? Sicher ist, dass Ferrante durch ihre gegensätzlichen und komplementären Frauenfiguren auch einen schriftstellerischen Konflikt inszeniert. 8. Lila-elena als Selbstporträt elena Ferrantes Die in den Romanzyklus eingeschriebene Selbstreflexivität legt es nahe, die Freundinnen Lila und Elena als ein janusköpfiges Selbstporträt der Autorin Elena Ferrante zu lesen. Zwar erscheint Elena - aufgrund ihres Vornamens, als fiktive Autorin der Tetralogie und auch aufgrund von Ähnlichkeiten ihrer übrigen (fiktiven) Romane zu Themen aus Ferrantes Werk - als das primäre alter ego der Autorin. Doch Ferrantes Text macht sehr deutlich, dass «Lila» nicht nur für eine Figur des Romans einsteht, sondern zugleich für ein Konzept. Genauer: «Lila» verkörpert eine kritische, vermutlich auch selbstkritische Haltung Ferrantes gegenüber einer als artifiziell und realitätsfern empfundenen Erzählweise und zugleich ein Autorschaftsideal. Elena hat den Dialekt ihres Elternhauses gegen ein literarisches Italienisch eingetauscht, dessen Künstlichkeit nicht nur von Lila, sondern auch von Pietro wahrgenommen wird, der ihr eine klischeehafte Ausdruckweise vorwirft («parli per frasi fatte» [AG III, 226]). Jene Selbstdisziplin, die für Elena zum notwendigen Instrument ihres sozialen Aufstiegs wird, tritt am deutlichsten in ihrer sprachlichen Selbstzensur zutage, die sie mit anderen Romanfiguren Ferrantes, insbesondere Olga aus I giorni dell’abbandono, teilt. Zwar fällt Elena in ihren (seltenen) emotionalen Ausbrüchen in die dialektale und obszöne Sprache zurück, die ihre Kindheit wie selbstverständlich prägte. Doch die Erzählerin Elena evoziert diese Sprache meist nur indirekt, als «parole grevi», «insulti terribili». Dagegen besitzt Lila, obwohl Autodidaktin, eine «flüssige und mitreißende Schreibweise» («scrittura fluida e trascinante», AG I, 272), eine fesselnde «naturalezza» (AG II, 17), der Elena nacheifert. Lila, von Elena als «Spiegel der eigenen Unfähigkeit» wahrgenommen, findet Elenas zweiten Roman, der den rione mit seinen camorristischen Machenschaften zum Gegenstand hat, «hässlich»: «Disse che la faccia schifosa delle cose non bastava a scrivere un romanzo: senza fantasia non 2_IH_Italienisch_75.indd 54 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 55 pareva una faccia vera, ma una maschera.» (AG III, 248) Erst später, als sie gemeinsam mit Lila einen Zeitungsartikel über denselben Gegenstand verfasst, und dabei das berüchtigte Schuldenregister der Wucherin Manuela Solara betrachtet, das Lila an sich genommen hat, begreift Elena, was Lila mit ihrer Kritik meinte: «Mi resi conto in un lampo che la memoria era già letteratura e che forse Lila aveva ragione: il mio libro - che pure stava avendo tanto successo - era davvero brutto, e lo era perché ben organizzato, perché scritto con una cura ossessiva, perché non avevo saputo mimare la banalità scoordinata, antiestetica, illogica, sformata, delle cose.» (AG IV, 292) Gerade aufgrund seiner sorgsam konstruierten, künstlichen Ordnung kann Elenas Roman nicht mit den «banalissimi quaderni luridi» (AG IV, 292), die sie jetzt vor sich sieht, konkurrieren. Zugleich ist sie jedoch überzeugt, dass Lila, schriebe sie einmal einen Roman, das eigene Werk - und Leben - derart in den Schatten stellen würde, dass es am Ende nur noch als «una battaglia meschina per cambiare classe sociale» erscheinen würde (AG IV, 440). Was ihren eigenen Büchern fehlt, glaubt Elena in der Schlussszene der Tetralogie zu erkennen. Nach Lilas Verschwinden erhält sie unversehens ein Päckchen mit den verschwundenen Puppen - sie deutet es als letzte Botschaft Lilas: «Ho esaminato le due bambole con cura, ne ho sentito l’odore di muffa, le ho disposte contro il dorso dei miei libri. Nel constatare che erano povere e brutte mi sono sentita confusa. A differenza che nei racconti, la vita vera, quando è passata, si sporge non sulla chiarezza ma sull’oscurità. Ho pensato: ora che Lila si è fatta vedere così nitidamente, devo rassegnarmi a non vederla più.» (AG IV, 451) In der Szene zu Beginn des Romanzyklus fand Elena die eigene Puppe «bellissima», die Lilas dagegen hässlich. Nun muss sie feststellen, dass beide armselig und hässlich sind. Die armseligen Puppen der Kindheit werden ihr zum Symbol für die Realität selbst, die sie der Fiktion - ihrer eigenen Fiktion («le ho disposte contro il dorso dei miei libri») entgegensetzt. Denn die Fiktion vermag «chiarezza» zu schaffen - oder vorzutäuschen - während das wahre Leben «am Ende nur auf Dunkelheit hinausblickt». In dem Aussehen der Puppen enthüllt sich folglich die irreduzible Obskurität der Realität - und zugleich das irreduzibel geheimnisvolle Wesen Lilas. Lila, die Elena 2_IH_Italienisch_75.indd 55 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 56 durch ihre letzte Erzählung einzufangen sucht - «io che ho scritto mesi e mesi per darle una forma che non si smargini, e batterla, e calmarla, e così a mia volta calmarmi» (AG IV, 444) - ist, wie jetzt klar wird, eine Allegorie der Realität selbst. Der Koffer, der Herrenschuh und die Puppe: Abjekte Fetische, die in Ferrantes Romanen jeweils die Hinterlassenschaft der Müttergeneration, die patriarchalische Ausbeutung und Unterdrückung von weiblicher Kreativität, das Problem von Mutterschaft und Autorschaft symbolisieren. Ferrantes Frauenfiguren erleben Zustände der Regression in einen präsymbolischen Zustand, den Ferrante mit den Begriffen frantumaglia oder smarginatura umschreibt. Die Auflösung der Ich-Konturen ermöglicht auch eine empathische Überschreitung des individuellen Bewusstseins. Sie wird als eine spezifisch weibliche Erfahrung dargstellt und mit der Schwangerschaft analogisiert. Die in der Mutterschaft angelegte Möglichkeit der empathischen Ich- Überschreitung wird jedoch nicht biologistisch-essenzialistisch verherrlicht. Durch die Gegenüberstellung verschiedener Mutterschaftskonzepte (das von Leda und Elena verinnerlichte bürgerlich-patriarchalische Ideal, Lilas «instinktive» Erfahrung, die aber ihrerseits nicht als die authentischere Wahrheit dargestellt wird) sucht Ferrante vielmehr zu einem differenzierten Blick auf Mutterschaft zu gelangen. Die über die smarginatura eröffnete Intuition einer Seinsweise, in der die individuelle Existenz in einer größeren Kette von Mutter-Tochter-Beziehungen aufgehoben ist, lässt sich sprachlich nicht artikulieren. Sie verdichtet sich dagegen in symbolischen Handlungen und in abjekten Fetischen. Diese Fetische - insbesondere die beiden hässlichen Puppen, die gegen die artikulierte Sprache der Literatur gestellt werden, ermöglichen Erfahrungen dessen, was Julia Kristeva als vréel bezeichnet hat, indem sie «im Bruch der Wirklichkeitskonstruktionen das Reale selbst durchschlagen» lassen. 19 abstract. L’opera di Elena Ferrante appartiene alla corrente della feminist family romance (Marianne Hirsch), ovvero a quella letteratura che partendo da una revisione della teoria freudiana cerca di capire la specificità dell’essere donna esplorando innanzitutto il rapporto madre-figlia. Il saggio propone di esplorare tale tematica attraverso l’attenzione ai feticci (scarpe, indumenti e soprattutto bambole) che Ferrante mette in scena. L’abiezione della condizione femminile, efficacemente messa in scena da tali feticci, può essere avvicinata all’abiezione teorizzata da Julia Kristeva. Allo stesso tempo, le bambole che appaiono alla fine della tetralogia L’amica geniale esprimono il fallimento della finzione di fronte al ‘reale’. Ma pur teorizzando la ‘smarginatura’ come esperienza specificamente femminile di ‘regressione’ in una 2_IH_Italienisch_75.indd 56 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 57 sfera prelogica e prelinguistica - esperienza cui si accede in particolare attraverso la maternità - Ferrante non cede alla tentazione di una celebrazione ‘essenzialista’ della donna/ madre. anmerkungen Für die Zitierweise der Werke Elena Ferrantes s. Bibliographie. 1 Während Ferrante in Deutschland noch relativ unbekannt ist, gilt sie in den USA bereits seit einigen Jahren als eine literarische Sensation. In der italienischen Literaturszene ist die Diskussion über das Phänomen Ferrante - nach wie vor - von Spekulationen über ihre wahre Identität beherrscht (man vermutet hinter ihrem Namen verschiedene bekannte italienische Schriftsteller). Als Storia della bambina perduta 2015 für den Premio Strega vorgeschlagen wurde, verlangten einige, die Schriftstellerin müsse ihre «Unsichtbarkeit» aufgeben, um teilnehmen zu können - das Interesse am Medienspektakel scheint demnach weiterhin größer als das Interesse am Buch. 2 «What I call the «feminist family romance» appears in psychoanalytic re-visions of Freudian paradigms, which highlight mother-daughter bonding as a basis for vision of gender difference and female specificity.» (Hirsch 1989: 15) 3 Elena Ferrante, La frantumaglia 159. 4 Milkova 2013: 92. 5 In einer Antwort an eine Leserin, die eine entsprechende Vermutung äußert, gibt Ferrante die änigmatische Antwort: «Amo moltissimo Elsa Morante e, se le fa piacere, coltivi pure la sua ipotesi. [...] La mia bisnonna, della quale porto il nome e che è morta da così tanto tempo da essere ormai un personaggio di invenzione, non se ne avrà a male.» (Frant. 273 f.) Die Programmatik der weiblichen Vornamen (Elsa, Elisa, Elena), die Ferrantes Werk durchzieht und auf die die Autorin mitunter selbst hinweist, lässt die These dennoch plausibel erscheinen. 6 Dobry 2012: 12. 7 «Il liquido caldo che usciva da me senza che lo volessi mi diede l’impressione di un segnale convenuto tra estranei dentro il mio corpo» (AM 32). 8 Benjamin meint damit nicht nur die anarchische Architektur einer Stadt, die in ihrer «Leidenschaft für Improvisieren» das «Definitive, Geprägte» meidet (Benjamin 1974: 10, 9), sondern auch einen Lebensstil, der ob seiner wechselseitigen Durchdringung des privaten und öffentlichen Raums so fremd scheint, dass es Benjamin an den «Hottentottenkral» als Inbegriff der Zivilisationsferne denken lässt. 9 «vréel [...] l’irruption du réel trouant la trame symbolique du discours hystérique»; «Dans ce vréel, bien entendu, elle est toute présente. La mère dite archaique, pré-oedipienne: faisant surface lorsqu’elle chancelle la métaphore paternelle, elle réclame ses droits au langage» (Kristeva 1979: 24, 31). 10 «Le matricide est notre nécessité vitale, condition sine qua non de notre individuation.» (Kristeva 1987: 38). 11 «Che fare ingenuo e sbadato era stato cercar di definire «io» questa fuga obbligata da un corpo di donna, sebbene ne avessi portato via meno che niente! Non ero alcun io.» (AM 88) 2_IH_Italienisch_75.indd 57 30.06.16 17: 10 Abjekte Fetische Christine Ott 5 8 12 «Nessun essere umano si sarebbe staccato mai da me con l’angoscia con cui io mi ero staccata da mia madre soltanto perché non ero riuscita mai ad attaccarmi a lei definitivamente» (AM 88). 13 «[...] temevo che vi fosse un taglio tra il prima - modelli e miti archaici, appunto - e il dopo - Olga, la donna nuova - e che Olga apparisse come l’espressione delle sorti progressive del genere femminile. [...] Volevo che il passato non fosse superato, ma riscattato proprio in quanto deposito di sofferenze, modi rifiutati d’essere.» (Frant. 135 f.) Wie Ferrante präzisiert, gilt diese Beobachtung sowohl für Olga (Protagonistin ihres zweiten Romans) wie für Delia. 14 «Indossava un vestitino blu che le aveva cucito mia madre un in raro momento felice, ed era bellissima. La bambola di Lila, invece, aveva un corpo di pezza gialliccia pieno di segatura, mi pareva brutta e lercia» (AG I, 26). 15 «Non resiste l’amore per un uomo, non resiste nemmeno l’amore per i figli, presto si buca. [...] Gennaro mi fa sentire in colpa, questo coso qui dentro la pancia è una responsabilità che mi taglia, mi graffia.» (AG IV, 164) 16 «L’unico problema è sempre stato l’agitazione della testa. Non la posso fermare, devo sempre fare, rifare, coprire, scoprire, rinforzare, e poi all’improvviso disfare, spaccare.» (AG IV, 163) 17 Nachdem die Solara Stefanos Geschäfte anfangs durch Darlehen unterstützt haben, entziehen sie ihm nach und nach ihren Beistand, so dass Stefano schließlich sein gesamtes Vermögen verliert. Im Gegenzug für die finanzielle Unterstützung musste Stefano den Solara-Brüdern den von Lila entworfenen Schuh überlassen und zudem den Vater der Brüder als Ehrengast zur Hochzeit einladen. 18 Inwiefern Lila eine «enteignete» Mutter ist kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht mehr ausgeführt werden; es wäre hierzu eine Vielzahl von Belegstellen aus sämtlichen vier Bänden der Tetralogie zu besprechen. 19 So bringt Winfried Menninghaus Kristevas «vréel» auf eine Formel. (Menninghaus 2002: 546) Bibliographie Primärliteratur: Ferrante, Elena, L’amore molesto [Roma: Edizioni E/ O 1992]-AM; I giorni dell’abbandono [Roma: Edizioni E/ O 2002]-GA; La figlia oscura [Roma: Edizioni E/ O 2006]-FO, in: E.F., Cronache del mal d’amore, Roma: Edizioni E/ O 2012. La frantumaglia. In appendice: Tessere 2003-2007, Roma: Edizioni E/ O 2007.[Frant.] L’amica geniale, Roma: Edizioni E/ O: 2011. [AG I] Storia del nuovo cognome (L’amica geniale II), Roma: Edizioni E/ O 2012. [AG II] Storia di chi fugge e chi resta (L’amica geniale III), Roma: Edizioni E/ O 2013. [AG III] Storia della bambina perduta (L’amica geniale IV), Roma: Edizioni E/ O 2014. [AG IV] Sekundärliteratur: Benjamin, Walter/ Lacis, Asja: «Neapel», in W.B., Denkbilder, Frankfurt: Suhrkamp 1974, S. 7-16. Dobry, Edgardo, «L’enigma Ferrante», in: E. F., Cronache del mal d’amore, Roma: Edizioni E/ O 2012, S. 9-17. 2_IH_Italienisch_75.indd 58 30.06.16 17: 10 Christine Ott Abjekte Fetische 59 Hirsch, Marianne, The Mother/ Daughter Plot. Narrative, Psychoanalysis, Feminism, University of Indiana Press 1989. Kristeva, Julia, «Le vréel», in: J. K. / Jean-Michel Ribettes (Hg.), Folle vérité. Vérité et vraisemblance du texte psychotique, Paris: Seuil 1979, S. 11-35. Kristeva, Julia, Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection, Paris: Seuil 1980. Kristeva, Julia, Soleil noir. Dépression et mélancolie, Paris: Gallimard 1987. Menninghaus, Winfried, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung. Frankfurt: Suhrkamp 2002. Milkova, Stiliana, «Mothers, Daughters, Dolls: On Disgust in Elena Ferrante’s La figlia oscura», in: Italian Culture 2013; 31(2), S. 91-109. 2_IH_Italienisch_75.indd 59 30.06.16 17: 10 6 0 ro G er S C höN TaG der Gebrauch der lokalen Präpositionen a und in im italienischen eine empirische untersuchung in ancona 1. einleitung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die kritische Beschäftigung mit den verschiedenen lokalen Verwendungsweisen der Präpositionen in und a im Standard-Italienischen. Der Fokus soll dabei auf diejenigen Fälle gelegt werden, in denen die beiden Präpositionen potentiell in Konkurrenz zueinander treten. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach einer möglichen Ausweitung des Gebrauchs der Präposition in auf Kosten der Präposition a. Ziel der Untersuchung ist es dabei auch die Adäquatheit der Darstellung dieses Gebrauchs in den einschlägigen Grammatiken des Italienischen zu untersuchen und in diesem Kontext die Frage nach einer didaktisch sinnvollen Repräsentation der vielfältigen Verwendungsweisen aufzuwerfen. Nicht im Zentrum des Interesses, aber davon nicht unberührt, soll die allgemeine Problematik einer wissenschaftlichen Erfassbarkeit und Darstellbarkeit eines schwankenden Sprachgebrauchs angesprochen werden. Empirische Basis der Untersuchung bildet ein Korpus von Fragebögen, mit Hilfe derer der Sprachgebrauch italienischer Muttersprachler aus Ancona bezüglich ihrer Verwendungsweise der Präpositionen a und in versucht wurde zu erfassen. Die aus der Erhebung gewonnenen Daten sollen dann mit einer ähnlichen älteren Untersuchung abgeglichen und vor dem Hintergrund der Behandlung dieser Problemstellung in der wissenschaftlichen Sekundärliteratur sowie in den einschlägigen Grammatiken interpretiert werden. 2. der Gebrauch der beiden Präpositionen und ihre Problematik 2.1. die darstellung in den Grammatiken Am ehesten Ansatzpunkte einer Beschreibung des Präpositionengebrauchs liefern traditionell ausgerichtete Grammatiken, während Grammatiken, die nach modernen sprachwissenschaftlichen Ansätzen konzipiert wurden, wie z.B. Renzi (1991) bzw. Renzi/ Salvi/ Cardinaletti (2001) oder Salvi/ Vanelli (2004), nur wenige Informationen bereitstellen, die zudem aufgrund anderer 2_IH_Italienisch_75.indd 60 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 61 Aufteilungskriterien - eben nicht nach Wortarten (z.B. Präpositionen) - oftmals nur mühsam zu erschließen sind. Die traditionell (nach Wortarten) konzipierten italienischen Wissenschaftsund/ oder Referenzgrammatiken von Battaglia/ Pernicione (1969: 250-252), von Lepschy/ Lepschy (1981: 95-96), von Dardano/ Trifone (1985: 286), von Sensini (1988: 213; 1997: 370-371), von Patota (2006: 60-63, 69) und von Serianni (2006: 342-344) listen nur die einzelnen Präpositionen nacheinander auf und geben jeweils eine Art Grundbedeutung an, einige prinzipielle Verwendungsweisen - nicht immer klar gegliedert 1 - sowie unter Umständen einige Beispiele zur Illustrierung. 2 Für die hier relevante Präposition in definiert dies Sensini (1988: 213) beispielsweise folgendermaßen: «La preposizione in indica, fondamentalmente, un’idea di posizione, reale o figurata, nello spazio e nel tempo, ma può assumere vari altri significati.» Bezüglich der lokalen Verwendungsweisen werden dann in der Regel folgende Arten unterschieden: - stato in luogo: z.B. abita in Italia da anni. - moto a luogo: z.B. L’anno prossimo andremo in Sardegna. - moto per luogo: z.B. passeggiava in giardino. Die Präposition in gehört dabei zu den preposizioni semplici (di, a, da, in, con, su, per, tra), die sich wie andere einfache Präpositionen mit dem bestimmten Artikel zu preposizioni articolate (nel, nello, nella, negli, nei, nelle, nell’) verbinden kann. Diese werden zu den preposizioni proprie gerechnet im Gegensatz zu den preposizioni improprie (davanti, dietro, dopo etc.) und den locuzioni prepositive (lontano da, fuori di, vicino a) (cf. Battaglia/ Pernicione 1969: 250-252; Sensini 1988: 213). Zu dem hier im Zentrum des Interesses stehenden Konflikt beim lokalen Gebrauch von in und a ist aus diesen Grammatiken so gut wie nichts Verwertbares herauszulesen. Die Tatsache, daß die Distribution von preposizioni semplici und preposizioni articolate, insbesondere beim lokativen Gebrauch von in, relativ komplex ist, wird in der korpusbasierten Wissenschaftsgrammatik von Brunet (2011: 121) herausgestellt: «Ici encore, c’est l’emploi de l’article défini qui pose un problème. Nous avions cru trouver une piste en distinguant les cas où l’on avait un moto in luogo et un moto a luogo - ce qui aurait 2_IH_Italienisch_75.indd 61 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 62 permis d’expliquer, par example: aspettare in cucina (ex. 729) et scendere nella cucina (ex. 725). Mais de nombreuses phrases nous ont montré qu’avec un même verbe de mouvement on pouvait avoir un substantif sans article (ex. 721, 722) et le même substantif avec article (ex. 726, 727).» Im Weiteren liefert Brunet (2011: 121-136) vor allem zahlreiche Beispiele für den Gebrauch der Präposition in mit wertvollen Präzisierungen; so entfällt beispielsweise bei Flüssen häufig der Artikel in Zusammenhang mit in, z.B. andavo in Po, sarà cascato in Arno (Brunet 2011: 128). Der Überschneidung im Gebrauch von Präpositionen wird in einem eigenen Kapitel Rechnung getragen (prépositions en concurrence), allerdings finden sich zum Konflikt von a und in nur wenige Ausführungen unter der Rubrik Les noms de ville und zu dem Einzelfall in/ a casa mit eher dürftigen Erklärungen (Brunet 2011: 250-253). 3 In der deutschen Wissenschaftsgrammatik von Schwarze (1995: 292; 2009: 211-212) werden die Präpositionen zunächst allgemein als indeklinable Formen charakterisiert, die syntaktisch als Kopf einer Präpositionalphrase (PP) fungieren. Im Weiteren wird der Ansatz verfolgt die verschiedenen Präpositionen nach semantischen und formalen Kriterien zu gliedern. Semantisch wiederum wird zwischen lexikalischen und grammatischen Präpositionen unterschieden, formal zwischen einfachen und sekundären. Nach Schwarze ist demgemäß in eine einfache, lexikalische Präposition und a eine einfache grammatische Präposition. 4 Auf die hier relevante Frage nach einer möglichen Überschneidung im Gebrauch von a und in wird jedoch bei Schwarze (1995, 2009) nicht eingegangen. In der englischen Wissenschaftsgrammatik von Maiden/ Robustelli (2007: 174-175) findet sich ein kurzes Kapitel (11.6), welches sich dem für einen englischen Muttersprachler potentiellen Konflikt von a vs. in vs. dentro widmet. Dabei wird der allgemeine semantische Unterschied zwischen a und in folgendermaßen charakterisiert: «Location (both in space and time) is normally expressed by a where the location is viewed as a ‘point‘, and in when the location is viewed as an ‘area‘ […].» (Maiden/ Robustelli 2007: 174) Dabei ist jedoch weder der Unterschied im Gebrauch mit bzw. ohne Artikel erklärt (z.B. Lo trovai nell’aula und Lo persi in mare) noch sind Zweifelsfälle bzw. alternative Verwendungsweisen von a und in aufgeführt, sondern 2_IH_Italienisch_75.indd 62 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 6 3 es wird hauptsächlich auf die konventionalisierten Verwendungsweisen Bezug genommen (z.B. a Torino vs. in Italia). In den deutschsprachigen Lernergrammatiken zum Italienischen, vor allem bei Reumuth/ Winkelmann (1996: 251-270), Krenn (1996: 613-665) und Esposito (2003: 196-205), werden solche Unterscheidungen meist nicht gemacht oder sind gröber (z.B. Ortsangabe vs. Richtungsangabe, cf. Reumuth/ Winkelmann 1996: 264-265). Allerdings werden, wohl auch unter einem didaktischen Gesichtspunkt, spezifische Verwendungsweisen angegeben, also z.B. bei Verkehrsmitteln (andiamo in treno), bei Ländern und Regionen (sono in Italia, vanno in Toscana) - nicht jedoch bei Dörfern, Städten und Inseln (hier a, z.B. sono/ vado a Milano bzw. a Capri/ all’isola d’Elba) - oder bei weiteren allgemeinen, unspezifizierten Ortsangaben (z.B. in ufficio, in centro). Zusätzlich wird in diesen Grammatiken meist noch die Regel aufgeführt, dass bei näherer Bestimmung in mit dem bestimmtem Artikel angegeben wird, also nell’Italia settentrionale oder nel centro di Milano (cf. Esposito 2003: 198). In anderen Fällen tritt in einem solchen Fall der näheren Bestimmung die Präposition »a + bestimmter Artikel« ein, z.B. Vado subito in albergo vs. all’albergo ‘Foro Romano’. Im Plural wiederum tritt »in + bestimmter Artikel« auf, z.B. Negli alberghi romani ci si sente bene (Krenn 1996: 639). Bei näherer Bestimmung des Verkehrsmittel wird in hingegen durch con ersetzt, z.B. con il treno delle sette. Der bestimmte Artikel wird auch ergänzt, wenn die Ortsangabe im Plural steht, z.B. nei dintorni. Auf die hier zu untersuchende Problematik wird in diesen Grammatiken jedoch nicht eingegangen, allenfalls kann man diese durch implizite Hinweise erschließen. So ist die potentielle Überschneidung im lokalen Gebrauch von a und in bei Reumuth/ Winkelmann (1996: 253, 264; § 323, 329) zum einen dadurch abzulesen, dass für beide Präpositionen die Verwendungsweisen zur Ortsangabe (wo? ) und zur Richtungsangabe (wohin? ) angegeben werden (allerdings ohne Erklärung) und zum anderen dadurch, dass in einigen wenigen Beispielen mit Hilfe von Schrägstrichen ein alternativer Gebrauch angedeutet wird, jedoch ohne erklärende Kommentierung (z.B. essere a/ in casa §323.1; alla/ in spiaggia §323.3; uscire in/ sulla terrazza § 329.2). In den Grammatiken von Krenn (1996) und Esposito (2003) werden bis auf die bereits beschriebenen Fälle (Substitution von in durch a + Art. bei näherer Bestimmung, im Pl. »in + Art.«; cf. supra), keine weiteren Überschneidungen oder Zweifelsfälle bzw. Schwankungen im Gebrauch thematisiert. Zusammenfassend kann man konstatieren, daß die Angaben und Erklärungen in den Grammatiken zur konkurrierenden Verwendung von a 2_IH_Italienisch_75.indd 63 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 6 4 und in eher dürftig sind bzw. das Problem gar nicht behandelt wird, wobei sich am ehesten noch Hinweise in fremdsprachlichen Lernergrammatiken finden; Wissenschaftsgrammatiken und vor allem Grammatiken für Italophone übergehen diese Problematik in der Regel komplett. 2.2. ansätze in der Forschung Die Behandlung der Präpositionen in Bezug auf ihre lokale Verwendungsweise fand in der Forschung bisher keine übermäßige Resonanz. Im Gegensatz zu den meist eher kurzen Andeutungen eines adäquaten Gebrauchs in den Grammatiken gibt es hier jedoch zumindest einige Ansätze und Erklärungsmuster, die auch der Frage nach einer gegenseitigen Abgrenzung nachgehen. 5 Für die vorliegende Problemstellung des konkurrierenden Gebrauchs von lokalem a und in sei hier in erster Linie auf die Ausführungen von Hottenroth (1983) zurückgegriffen. Ausgangspunkt einer möglichen Abgrenzung von a und in ist dabei zunächst eine Bestimmung der Extension von in, da a wohl die Präposition ist, mit der im Italienischen (und den anderen romanischen Sprachen) die meisten Relationen ausgedrückt werden können. Die deshalb auftretenden Schwierigkeiten in der Bestimmung der Verwendung von a erklärt Hottenroth folgendermaßen: «Das liegt einerseits daran, daß a verwendet werden kann, wenn in der Objektwelt ganz unterschiedliche räumliche Beziehungen vorliegen, daß es aber dennoch nicht für jede beliebige räumliche Beziehung verwendet werden kann, sondern nur unter bestimmten weiteren Bedingungen, die seine Verwendung restringieren. Andererseits liegt es daran, daß nicht alle Verwendungen und Restriktionen semantisch erklärt werden können. Gerade bei den von a bezeichneten Relationen ist mit vielen phraseologischen Festlegungen zu rechnen, bei denen für bestimmte Verhältnisse a mit dem bestimmten Artikel, bei anderen a ohne den Artikel und bei wieder anderen in ohne Artikel festgelegt ist oder zumindest vorzugsweise verwendet wird.» (Hottenroth 1983: 88) Während es also für die Präposition a kaum möglich ist eine allgemeine Aussage bezüglich ihrer lokalen Verwendungsweise zu formulieren, sondern eher einzelne Arten des Gebrauchs zu untersuchen sind, aus denen dann bestimmte räumliche Relationen abzuleiten wären, ist es für die Präposition in schon eher möglich einen semantischen Grundgehalt zu konstatieren. 2_IH_Italienisch_75.indd 64 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 6 5 «Die Präposition in ist dafür spezifiziert, die Lage im Inneren des Raumes oder Areals anzugeben, den das Bezugsobjekt einnimmt.» (Hottenroth 1983: 102) Dies deckt sich zunächst prinzipiell mit dem Behälterkonzept von Heinemann (2001: 204-223): z.B. in cucina (von vier Seiten umschlossen), in corridoio (etwas offener), nella sua poltrona (dreiseitig), nel suo letto (einseitig mit Vertiefung) und in tavola (einseitig) - Konkurrenz mit su. 6 Für Hottenroth (1983: 99) ist hingegen ein wesentliches Element bei der Erklärung für den Gebrauch einer (lokalen) Präposition ein zugrundeliegendes «typisches menschliches Handlungsmuster», welches die durch eine Präposition ausgedrückte Relation determiniert. In der konkreten Frage nach der Abgrenzung von a und in sei zum einen hervorzuheben, dass die beiden Präpositionen nur in Konkurrenz zueinander stehen, wenn in ohne Artikel gebraucht wird, zum anderen, dass a nur allgemein eine räumliche Beziehung anzeige, in hingegen die «Befindlichkeit innerhalb eines Bezugsobjektes»: «Wenn in ohne den Artikel verwendet wird, bezeichnet in wie a keine bestimmte individuelle Befindlichkeit, sondern eine prototypische Relation, zu der die Vorstellung von einem bestimmten menschlichen Handlungszusammenhang gehört. Auch in diesem Fall wird das Bezugsobjekt nur abstrakt als Träger bestimmter Eigenschaften und Aktant in einem typischen Handlungsmuster, i.e. nicht referentiell, benannt und nicht auf ein bestimmtes Individuum referiert. In ohne Artikel behält aber seine räumliche Spezifiziertheit, d.h. es kann im Unterschied zu a nur verwendet werden, wenn die räumliche Relation zum Bezugsobjekt eine Relation ist, bei der das zu lokalisierende Objekt sich innerhalb der Grenzen des Bezugsobjekts befindet.» (Hottenroth 1983: 102) Gemäß Hottenroth (1983: 102-108) kann die Präposition in (ohne Artikel) vor allem dann alternativ für a auftreten, wenn es sich bei den Bezugsobjekten um Institutionen oder öffentliche Gebäude handelt 7 : z.B. dormiamo all’albergo vs. dormiamo in albergo oder da molto tempo già si trova all’ospedale vs. da molto tempo già si trova in ospedale oder di solito non mangiamo al ristorante vs. di solito non mangiamo in ristorante. Zu dieser Gruppe gehören auch weitere Substantive wie teatro, officina, negozio, istituto, comune. Bei der Verbindung mit scuola hingegen ist a scuola, alla scuola und in scuola möglich. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen in (ohne Artikel) nicht anstelle der Präposition a stehen kann, obwohl die ausge- 2_IH_Italienisch_75.indd 65 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 66 drückte semantische Relation (‘Befindlichkeit in einem Bezugsobjekt’) dies nahe legen würde. In solchen Fällen spricht Hottenroth von phraseologischer Festlegung der Präposition, z.B.: al bar, al cinema, all’università, all’istituto, al caffè, alla stazione, all’aeroporto, alla banca, alla posta, al municipio, al museo. Der umgekehrte Fall existiert jedoch genauso, d.h. das zugrundeliegende Kriterium ist wiederum die phraseologische Fixierung, und zwar diesmal mit in: z.B. in chiesa, in fabbrica, in caserma, in prigione, in laboratorio, in camera, in cucina, in bagno, in cantina. Hinzu kommen weitere spezifische Verwendungsweisen (cf. Hottenroth 1983: 105-106), in denen die Präposition festgelegt ist, wie z.B. Städtenamen mit a (z.B. sono a Roma, sono ad Amsterdam; vive a Milano; allerdings: in città), Ländernamen mit in (z.B. in Germania, in Francia, in Lombardia; allerdings: all’estero), kleine Inseln mit a (z.B. a Capri), große Inseln mit in (z.B. in Sardegna) oder andere phraseologische Spezialfälle wie vivere in terra straniera, essere al settimo cielo, sentirsi in paradiso (cf. supra Kap. 2.1). Ein weiterer wichtiger Bereich bei Hottenroth (1983: 107-108), in dem prinzipiell die Präpositionen a und in alternativ verwendet werden, ist der der Fortbewegungsmittel. Hier tritt neben die lokale Komponente eine instrumentale, so dass man von einem Übergangsbereich sprechen kann. Dabei erscheinen mit a Angaben wie a piedi, a cavallo, während die Fahrzeuge prinzipiell mit in konstruiert werden (z.B. andare in autobus, in tram, in macchina, in treno, in aereo, in barca, in bicicletta, etc.) (cf. supra Kap. 2.1). 9 Einen anderen Aspekt führt Farkas (1988) an, nämlich, dass die Konstruktion mit in eine bestimmte Vertrautheit und Kenntnis oder Gewohnheit bezüglich des Ortes signalisieren kann. «Questi esempi ci testimoniano molto chiaramente la frequenza della preposizione in per esprimere dove? Per indicare verso dove? in viene usata soprattutto nei casi in cui si vuole accentuare che il moto termina dentro in casa.» (Farkas 1988: 156) Wichtig bei der Suche nach den Gründen für die Verwendung einer bestimmten Präposition ist die Tatsache, daß der Gebrauch auch von der syntagmatischen Verknüpfung mit dem vorausgehenden Verb abhängt, d.h. das Verb und seine Semantik den bestimmenden Faktor darstellen kann. Cordin (2011: 32-34) nennt bezüglich der räumlichen Verortung verschiedene, häufig auftretende feste Wendungen wie andare avanti, entrare dentro, tirare su, venire via (verbi sintagmatici). Auch wenn dies hauptsächlich für die avverbi locativi gilt (am häufigsten giù, via, fuori, addosso) und nur vereinzelt die 2_IH_Italienisch_75.indd 66 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 67 preposizioni semplici betrifft (z.B. tirare su, venire su), erscheint es sinnvoll aus diesen Ergebnissen von Cordin abzuleiten, dass ganz allgemein bei der Frage nach der Wahl einer bestimmten Präposition auch der Grad der Bindung zwischen Verb und Präposition zu berücksichtigen sei sowie, damit korrelierend, die semantische Determination der Präposition durch das Verb. Versucht man nun die in der Forschung erarbeiteten Kriterien bezüglich der Verwendungsweisen der beiden Präpositionen zu synthetisieren, so ergeben sich prinzipiell zum einen inhaltliche Kriterien, wie sie im Zuge des Behälterkonzeptes erarbeitet wurden oder traditionell bezüglich der direktionalen Verortung dargestellt werden (stato in luogo, moto a luogo, moto per luogo) und zum anderen Kriterien eher formaler Art wie die Frage nach dem Wechselspiel zwischen den preposizioni semplici und articolate, konventionalisierten Distributionen (in Bezug auf Städte, Inseln, Ländernamen etc.) und phraseologischen oder zumindest kollokatorischen Fügungen. 3. die empirische untersuchung in ancona Ausgangspunkt für die hier vorliegende Untersuchung ist eine nicht publizierte Erhebung zum Gebrauch der Präpositionen von Klöden (1992) in Bologna, die wiederum selbst Verwendungsweisen und Beispiele, die bei Hottenroth (1983) angeführt sind, zur Grundlage ihrer Überprüfung gemacht hat. Die von Klöden verwendeten Beispielsätze sind jedoch auch gleichzeitig typischerweise solche, die in dieser oder ähnlicher Form in Grammatiken, insbesonders in Lernergrammatiken Verwendung finden. Dies gab den Anlass zum einen die bei Klöden eher schmale Datenbasis auf eine erneute Probe zu stellen, und zwar durch eine Erhebung mit dem gleichen Fragebogen an einem anderen Ort (Ancona anstatt Bologna) sowie zum anderen die Gelegenheit zu nutzen, um mittels eines zweiten Fragebogens direkt Beispielsätze aus einer Lernergrammatik abzufragen, um die dort angegebenen Verwendungsweisen empirisch zu verifizieren. Auf diese Weise sollte sowohl die Adäquatheit des in der Grammatik angezeigten Gebrauchs einer Präposition (in vs. a) als auch eventuelle Schwankungen in der Verwendung überprüft werden. 3.1. die Fragebögen und ihre Problemstellung Die Erhebung von Klöden (1992: 165-175) wurde anhand eines Fragebogens durchgeführt, der aus einem Lückentext bestand, mittels dessen die entsprechenden Präpositionen abgefragt wurden (z.B. andare…teatro oder mangiare…quel ristorante; cf. Anhang, Erhebung Klöden 1992). Probanden waren dabei 85 Studenten, vorwiegend weiblich und vorwiegend Jahrgang 1971, die alle aus Brescia oder der Region stammten. 2_IH_Italienisch_75.indd 67 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 6 8 Um einen direkten Vergleich zu bekommen, wurde für die vorliegende Untersuchung zunächst mit dem gleichen Fragebogen wie bei Klöden (1992: 166) gearbeitet und zusätzlich noch ein zweiter Fragebogen entworfen, der auf typischen Beispielsätzen aus der Grammatik von Reumuth/ Winkelmann (1996: 251-270) basiert (cf. Anhang, Erhebungen Schöntag 2001, Schöntag 2001a). Dabei wurden neben in und a auch andere Präpositionen abgefragt und die entsprechenden Beispielsätze so distribuiert, dass keine Regelmäßigkeit in der Abfolge der erwarteten «Lösungen» auftreten konnte. Befragt wurden 38 Schüler aus dem Istituto Professionale Francesco Podesti in Ancona; vorwiegend weiblich und alle zwischen 1980 und 1986 geboren. Die Schüler selbst kamen ausschließlich aus Ancona oder den Marken. 10 Das Kriterium der lokalen Verortung der Sprecher ist in diesem Kontext ein wesentlicher Faktor. Sowohl bei Klöden (1992) als auch in vorliegender Arbeit ist der Sprachgebrauch der Standardsprache Gegenstand der Untersuchung, nichtsdestoweniger ist der Frage einer potentiellen regionalen Beeinflussung gerade im Italienischen immer ein großes Gewicht zuzumessen. 11 Die Sprecher aus Ancona sind diatopisch dem Gebiet der dialetti centro-meridionali zuzuordnen (das anconetano gehört zum marchigiano), 12 im Gegensatz zu den Probanden von Klöden, die in der Region der dialetti settentrionali ansässig waren, wozu der Raum Brescia gehört (das bresciano gehört zum lombardo). Die für die vorliegende Erhebung gewählte Stadt Ancona liegt außerdem noch südlich der wichtigen romanischen und inneritalienischen Sprachgrenze La Spezia - Rimini, so dass hierbei dialektal ein völlig anderes Gebiet ins Visier genommen wurde. Indem bei dieser Erhebung im Vergleich zur Untersuchung von Klöden bewusst ein anderes regionales Umfeld gewählt wurde, soll es möglich gemacht werden eine eventuelle diatopische Beeinflussung im Sprachgebrauch deutlicher hervortreten zu lassen oder auszuschließen. Durch diese direkte Überprüfung der Erstergebnisse von Klöden soll sich zeigen, ob sich die Verwendung der Präpositionen in beiden Erhebungen deckt, und ob dabei Tendenzen der Veränderung im Präpositionengebrauch festzustellen sind, oder ob die jeweiligen Erhebungen eine nur sehr begrenzte, evtl. regional oder gruppenspezifische Aussagekraft haben. Zudem sollen die zahlreichen abgefragten Beispielsätze die Möglichkeit eröffnen, eventuelle Schwankungen im Gebrauch der Präpositionen deutlicher herauszupräparieren, woran sich die Frage anschließt, wie eine solche Schwankung adäquat in einer (Lerner-)Grammatik darzustellen sei. 2_IH_Italienisch_75.indd 68 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 69 3.2. die ergebnisse aus der erhebung Bereits Klöden (1992: 167-168) stellt fest, dass die einzige Grammatik, die etwas stärker das lexikalische Umfeld berücksichtigt, die didaktisch ausgerichtete von Reumuth/ Winkelmann (1996) ist, weshalb sie neben den Beispielen aus Hottenroth (1983) auch auf solche aus dieser Grammatik zurückgreift. 13 Aus diesem Grund gibt es bei Klöden (1992) analog zum Beispiel andare alla posta aus Reumuth/ Winkelmann (1996: 253, § 323) den Beispielsatz per comprare francobolli bisogna andare…posta (21). Hier wurde in ihrem Fragebogen deutlich in präferiert, während bei der Erhebung von Schöntag (2001: Nr. 21) analog zu Reumuth/ Winkelmann alla bevorzugt wird (cf. Anhang). Bei dem Satz andare a teatro (1) liefern beide Fragebögen gleiche Ergebnisse, d.h. a ist sehr stabil in dieser Verbindung. Man vergleiche allerdings die Abweichung mit vado…teatro (9a) bei der vorliegenden zweiten Erhebung (Schöntag 2001a: Nr. 1a/ 2a; cf. Anhang). Ohne andare, also bei oggi presentano un pezzo moderno…teatro (9) wird in bevorzugt. Man beachte dabei auch die Umkehrung der Verhältnisse von a und al in der Erhebung Schöntag (2001). Bezüglich der Konstruktion andare…bar (31) ist das Ergebnis beide Male zu 100% al, was bemerkenswert ist, denn eine absolute Übereinstimmung bei allen Probanden ist äußerst selten (cf. infra). Was die Beispiele mit discoteca (36/ 20) und piscina (16) anbelangt, so ergab sich bei beiden Erhebungen ganz konform zu den Beispielen der Grammatik ausschließlich in. Nach Hottenroth (1983: 102) kann, wie bereits erwähnt (cf. supra), in ohne Artikel nur dann als Variante von a auftreten, wenn die gegebene räumliche Relation einer Befindlichkeit im Bezugsobjekt entspricht. Dies ist vor allem bei Bezugsobjekten wie Institutionen und öffentlichen Gebäuden der Fall: 14 all’/ in albergo, all’/ in ospedale, al/ in ristorante (teatro, officina, negozio, istituto, scuola). Beide Fragebögen (Klöden 1992 und Schöntag 2001) zeigen allerdings bei der Behandlung von dormire...albergo (29) und Franco è…albergo (4) fast ausschließlich den Gebrauch von in. In Verbindung mit ospedale, also è…ospedale (10), ist ebenfalls vorwiegend in verwendet worden, allerdings ebenfalls mitunter all’, und zwar bei beiden Fragebögen in ähnlicher zahlenmäßiger Distribution. 15 Bei ristorante ist die Verteilung von in und a abhängig vom beigefügten unbestimmten Artikel bzw. Demonstrativum, 16 also mangiare al ristorante (2) vs. mangiare in un ristorante (33) und mangiare in quel ristorante (3). Auch hier ist die Verteilung bei beiden Fragebögen weitgehend analog, aber keinesfalls homogen, d.h. das eigentliche Paradebeispiel vieler Grammatiken für die Verteilung der Präpositionen in und a, nämlich »in + Det + N« vs. »a + Art. + N«, zeitigt weder bei Klöden (1992) noch bei Schöntag (2001) 2_IH_Italienisch_75.indd 69 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 70 zu 100% eindeutige Ergebnisse. Die Tendenz entsprechend der standardsprachlichen Norm ist zwar gegeben, aber die alternativen Verwendungen sind zu zahlreich als dass man sie ignorieren könnte. Nach Hottenroth (1983: 102) ist auch teatro und negozio genauso wie die anderen vorher genannten Substantive zu behandeln (albergo, ospedale, ristorante) (cf. supra). Tatsächlich zeigt sich aber bei teatro (1) eine eindeutige Präferenz für a, während bei negozio (14) die Präposition in vorherrschend ist (beide Fragebögen haben hier die gleiche Distribution), wobei das räumliche Verhältnis von negozio und teatro (beides Gebäude) im Verhältnis zum Bezugsobjekt weitgehend identisch ist und die abgefragten syntagmatischen Kontexte ebenfalls (beide Beispielsätze sind mit dem Verb andare konstruiert). Bei folgenden Substantiven sieht Hottenroth (1983: 103) eine phraseologische Festlegung: al bar, al cinema, all’università, all’istituto, al caffè, alla stazione, all’aeroporto, alla banca, alla posta, al municipio, al museo. Bei bar wird dies von beiden Fragebögen bestätigt, und zwar zu 100% (domani non vado…bar [31]); ebenso fast einstimmig bei museo (non ha voglia di andare…museo [35]). Bei anderen als phraseologisch postulierten Konstruktionen ist dies jedoch weniger klar. Bei vado…banca (8) ist in beiden Fragebögen (Klöden 1992, Schöntag 2001) fast ausschließlich in gebraucht worden. Bei devo andare…municipio (6) konstatiert Klöden ein klares Mehrheitsverhältnis für in, während in der Untersuchung von Schöntag (2001) der Gebrauch zwischen in und al schwankt und keine eindeutige Präferenz feststellbar ist. Anhand der Ergebnisse von Klöden könnte man also höchstens eine phraseologische Festlegung von in municipio annehmen, was der parallel konstruierte Kontrollsatz devo andare…municipio per chiedere un’informazione (12) decken würde. Da allerdings im Vergleichssatz von Schöntag (2001) in beiden Fällen ein fast 50: 50 Verhältnis von in und al vorliegt, relativiert das sowohl die Annahme von Klöden als auch die von Hottenroth. Bei den Beispielsätzen mit stazione (andiamo...stazione per prendere il treno [19] und vado…stazione per comprare un giornale [15]) gibt es erneut Divergenzen zwischen den Fragebögen. Während bei Klöden deutlich in dominiert (allerdings mit erheblichen Anteil von alla), ist es bei Schöntag (2001) gerade umgekehrt, wobei der Gebrauch von alla noch deutlicher den von in überwiegt. Möchte man jedoch alla stazione als phraseologisch ansehen, müsste wohl in jedem Falle das Ergebnis noch deutlicher ausfallen, wie etwa bei den Sätzen mit bar (31) oder museo (35). Bezüglich der Konstruktion mit stazione scheint eher ein alternativer Gebrauch von in und »a + Artikel« vorzuliegen, womöglich mit einer gewissen regionalen Präferenz für in oder a. 2_IH_Italienisch_75.indd 70 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 71 Bei den Sätzen zu posta widersprechen sich die Fragebögen allerdings geradezu. Klöden hat mehrheitlich bei per comprare francobolli bisogna andare…posta (21) die Präposition in festgestellt (mit ca. 1/ 3 Anteil von alla), während bei Schöntag (2001) fast ausnahmslos alla eingesetzt wurde. Letzteres würde die Vermutung von Hottenroth (1983: 103), dass hier eine phraseologische Fixierung vorläge, bezüglich der Konstruktion alla posta bestätigen; die Frage nach der vorherrschenden Präsenz von in bei Klöden bliebe damit allerdings ungelöst. Klöden (1992: 171) stellt folgende Überlegung aus ihren Ergebnissen an: Es sei nicht ganz eindeutig, wie sich die Divergenzen zwischen Hottenroth (1992) und ihrem Fragbogen erklären lassen, unwahrscheinlich sei es jedoch, dass in den Jahren zwischen den Untersuchungen so starke Veränderungen stattgefunden hätten wie sie hier dokumentiert wurden, d.h. entweder seien bei Hottenroth nur Belege einzelner Personen zugrundegelegt und keine statistischen Aussagen gemacht worden oder ihre eigenen Ergebnisse seien durch potentielles dialektales Substrat beeinflusst worden. Dies erscheint insofern möglich, da in dem betreffenden oberitalienischen Dialekt eher in als a bei diesen Sätzen gebraucht werden könnte (cf. infra Kap. 3.4). Falls die divergierenden Ergebnisse aber doch eine allgemeinere sprachliche Realität widerspiegeln sollten, so Klöden (1992: 171) weiter, dann müsste man feststellen, dass tendenziell die Verbindung »in + Substantiv« die Konstruktion »a + best. Artikel« zurückdrängt. Die Präposition in würde demnach mehr und mehr seine spezifisch räumliche Bedeutung verlieren, wobei diese den Zusammenhang mit dem Bezugssubstantiv noch impliziert, aber immer stärker in den Hintergrund tritt. In würde sich demzufolge im Italienischen, wie auch à und de im Französischen, zu einem sehr abstrakten Relationselement entwickeln. Mehr oder weniger rein relationale Funktion hat nach Klöden (1992: 172) die Präposition in im Satz non mi piace viaggiare…aereo (27), bei dem ausnahmslos in eingesetzt wurde, und zwar bei ihrem Fragebogen genauso wie bei Schöntag (2001). In einem konkretisierenden Kontext, wie in der Konstruktion …aereo c’erano molti passeggeri (24), sind bei Klöden ebenfalls eine beachtliche Anzahl von Belegen für in zu verzeichnen; dominierend ist hier allerdings die Präposition »su + Artikel«, also sull’. In der Erhebung Schöntag (2001) wiederum spielt die alternative Option mit sull’ (gemäß der Grammatik möglich) eine eher untergeordnete Rolle und es herrscht in vor, wobei jedoch eine Schwankung zwischen in und nell’ zu verzeichnen ist. Dies könnte womöglich mit der näheren Explikation des Zustandes des Flugzeuges zusammenhängen (c’erano molti passeggeri), wobei keine direkte Ergänzung des Nomens (aereo) vorliegt, was entsprechend der Grammatik den 2_IH_Italienisch_75.indd 71 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 72 Gebrauch der preposizione articolata rechtfertigen würde, wie z.B. bei nel centro di Milano oder nei ristoranti di questa zona (cf. Esposito 2003: 197). Sogar in Sätzen wie siamo…albergo Garibaldi (32), bei denen der Eigenname die Verwendung von »a + bestimmten Artikel« fordern würde - zumindest nach Hottenroth (1983: 103), die Gaststätten und Hotels (z.B. Al Leon d’Oro, Al Cavallino Bianco) aufführt - kommt bei dem Fragebogen von Klöden 3x in vor. In der Erhebung von Schöntag (2001) ist »in + bestimmter Artikel« sogar vorherrschend und »in ohne Artikel« ebenfalls zahlreich, was eigentlich dem üblichen Erklärungsmuster widerspricht. Bei Provinznamen, also im Beispielsatz …Veneto c’è molto turismo, steht in häufiger ohne als mit Artikel (bei beiden Fragebögen). Allerdings zeigt die fast identisch hohe Anzahl von Belegen mit nel bei Klöden (eher marginal bei Schöntag 2001), dass diese Art der Verwendungsweise von in ohne Artikel mitnichten so eindeutig und paradigmatisch ist, wie es in den Grammatiken oft dargestellt wird. Bei sono...casa (7) ist ebenfalls eine beträchtliche Anzahl von in zu konstatieren - allerdings eher bei Klöden als bei Schöntag (2001: Nr. 7) und Schöntag (2001a: Nr. 2a). In kommt auch in festen Wendungen wie dem abgefragten l’ho incontrato…strada (eigentlich mit per) vor, und zwar in beiden Fragebögen. Es scheint, als ob in zumindest in diesen Verwendungen in den Rang eines generellen Bezugselementes, ähnlich wie a, aufsteigt. Vorab kann bereits als Zwischenresultat konstatiert werden, dass der Sprachgebrauch in bestimmten Fällen erheblich schwankt, in vielen Fällen immerhin eine gewisse Varianz aufweist und nur in sehr wenigen Fällen einheitlich und stabil ist. Die Darstellung in den (Lerner-)Grammatiken suggeriert hingegen zum größten Teil einen homogenen Sprachgebrauch. Dies ist einerseits verständlich, da nicht alles problematisiert werden kann und in einer didaktischen Ausrichtung eine Vereinfachung im Sinne einer angestrebten Erlernbarkeit der Sprache notwendig ist, andererseits erscheint eine Ignorierung derartiger Schwankungen in der Verwendung, wie sie hier mitunter zu Tage tritt, eine Verzerrung der abzubildenden Sprachrealität - einer Sprachrealität, dem sich auch der Lerner eines Tages ausgesetzt sieht. 3.3. die einordnung der ergebnisse und die Frage nach möglichen Grammatikalisierungstendenzen Aufgrund der Ergebnisse ihres Fragebogens, glaubt Klöden (1992: 172-175) Tendenzen einer zunehmenden Grammatikalisierung bei in festzustellen und damit verbunden eines weiteren Einsatzbereiches der Präposition aufgrund des damit zusammenhängenden semantischen Ausbleichens (bleaching). 2_IH_Italienisch_75.indd 72 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 73 Folgt man dieser Argumentation, so ist von einer Auffassung von Grammatikalisierung auszugehen, wie sie z.B. von Heine/ Kuteva (2002) und vor allem von Di Meola (2000) vertreten wird, der die Frequenzänderung in den Vordergrund rückt; d.h. syntaktische Veränderungen sind dabei nicht als zwingend notwendig anzusehen. 17 «Technically, grammaticalization involves four main interrelated mechanisms. a) desemanticization (or ‘semantic bleaching’) - loss in meaning content b) extension (or context generalization) - use in new contexts, c) decategorialization - loss in morphosyntactic properties characteristic of lexical or other less grammaticalized forms, and d) erosion (or ‘phonetic reduction’) - loss in phonetic substance.» (Heine/ Kuteva 2002: 2) «Die Präpositionen mit der höchsten Frequenz sind allesamt höhergradig grammatikalisiert. […] Niedrigfrequente Präpositionen können demgegenüber sowohl niedriggradig als auch höhergradig grammatikalisiert sein.» (Di Meola 2000: 173) Prinzipiell ist sicherlich von einer Tendenz zur Grammatikalisierung auszugehen, insofern - wie aus den Erhebungen ersichtlich - die Funktions- und Anwendungsbereiche der Präposition in ausgeweitet werden, was auf Kosten ihres semantischen Gehalts geht, zumindest wenn man die Entwicklung von in vom Lateinischen über das Altitalienische zum Neuitalienischen betrachtet, also den Sprachwandel über eine größere zeitliche Distanz. Dies legen auch die Beobachtungen von Heinemann (2001) nahe, die insbesondere die Verwendung im Alt- und Neuitalienischen bearbeitet hat: «Im Gegensatz zu den Gebrauchsweisen von in im Altitalienischen, die eine enge Verknüpfung mit der grundlegenden lokalen Relationierung zeigen und eine Erklärung mithilfe des Behälterkonzepts zulassen, ist für die Verwendung von in im modernen Standarditalienischen eine weitere semantische Ausdifferenzierung bzw. eine Ausdehnung von in im Sinne einer Anwendung auf abweichende Kontexte zu berücksichtigten.» (Heinemann 2001: 204) Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine anzunehmende Grammatikalisierung keineswegs linear verläuft, d.h. es gibt Funktionsweisen im Lateinischen von in, die es später nicht mehr gab, genauso wie solche im Altitalienischen, die das Neuitalienische nicht mehr aufweist. Nichtsdestoweniger ist in der 2_IH_Italienisch_75.indd 73 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 74 Gesamtheit aller Verwendungen von einer Zunahme der Einsatzmöglichkeiten auszugehen, was zum semantischen Ausbleichen beiträgt und damit zu einer zunehmenden Grammatikalisierung führt. Für eine weiter fortschreitende Grammatikalisierung im heutigen Italienisch sprechen sicherlich einige Verwendungsweisen in den vorliegenden Fragebögen, in denen in sich allmählich auf Kosten von a auszubreiten scheint, vor allem in Fällen, wo eigentlich entsprechend den Grammatiken a stehen sollte (z.B. alla posta, al municipio, alla stazione) oder es in mit anderen Präpositionen besetzten Kollokationen eindringt (z.B. l’ho incontrato per strada), womöglich als reines relationales Element (wie eben a). Durch den Vergleich mit der Erhebung Schöntag (2001) scheint allerdings eine gewisse Relativierung nötig. Die Vermutung von Klöden (1992: 171), dass das vermehrte Auftreten von in auch indirekt dialektal beeinflusst sein könnte, erscheint durchaus als plausibel, wird von ihr aber nicht weiter verfolgt. Trotz dieser berechtigten Ahnung einer möglichen Beeinflussung ihrer empirischen Ergebnisse durch einen zugrunde liegenden Dialekt führt sie im Weiteren dann zusätzliche Belegbeispiele für einen zunehmenden Gebrauch von in ausgerechnet von einem oberitalienischen Autor an, nämlich von Gianni Celati (cf. Klöden 1992: 172). Bei genauerer Überprüfung einer möglichen dialektalen Interferenz bezüglich der Probanden aus Brescia gilt es zunächst die zugrunde liegende regionale Varietät in Augenschein zu nehmen, d.h. in diesem Fall das bresciano bzw. großräumiger, das lombardo. Im Lombardischen 18 gibt es neben der Präposition in auch noch die Präposition int bzw. ind (< lat. intus), ebenfalls mit der Bedeutung ›in‹, d.h. zunächst erst einmal eine größere Präsenz von relationalen Elementen mit der Lautgestalt in (oder ähnlichen Präpositionen), die womöglich auch im Standarditalienischen fortwirken könnte (z.B. altlombard. int’ una casa). Int’ tritt allerdings im Lombardischen nur mit bestimmtem oder unbestimmtem Artikel auf. In anderen Fällen wird einfaches in verwendet. 19 «Was die Bedeutung von int betrifft, so entspricht es zum Teil der Bedeutung von a. Es wird hie und da auch im Sinne von a (frz. chez) gebraucht.» (Rohlfs 1954: 114, § 858) Hinzu kommt ein ind, das in Nord- und Mittelitalien nicht direkt aus lat. intus stammt (lucchesisch inn’el > in d’el) und das gelegentlich parallel zu int’ auftreten kann, mit z.T. nicht klarer Differenzierung in der Verwendung (z.B. mailänd. ind’ i cà oder ind’ un di), auch ind’ in der Verwendung von it. da (frz. chez), z.B. ind’ el sart (›beim Schneider‹) (cf. Rohlfs 1954: 113- 116, §§ 858-859; Dauses 1992: 54). 2_IH_Italienisch_75.indd 74 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 75 Einen anderen Hinweis auf eine mögliche Einflussnahme des Lombardischen liefert die Grammatica Milanese von Nicoli (1983: 258): «La preposizione in viene spesso premessa ad altre preposizioni (oltre alla de, come s’è già visto all’inizio di questo capitolo.» Dies könnte allerdings auch mit einer allgemein parallel mit dem italiano standard verlaufenden Funktionsausweitung zusammenhängen, so dass hier die Gefahr eines Zirkelschlusses besteht bzw. Dialekt und Standard eine parallele Entwicklung nehmen und sich dabei wahrscheinlich gegenseitig beeinflussen. 20 Es gibt jedoch auch noch andere Probleme bei den zum Beweis angeführten Beispielsätzen (24, 27). So ist wohl der Verlust der lokalen Komponente und die relationale Funktion von in bezüglich der beiden Beispiele nicht gegeben (2x aereo). Vielmehr scheint es, da auch im Fragebogen Schöntag (2001) vermehrt in auftaucht, dass dies auf eine Betonung der räumlichen Komponente zurückzuführen ist, also auf Expressivität (oder eine andere Sichtweise ›zu‹ vs. ›innerhalb‹). Besseres Beispiel dazu wäre demzufolge in bicicletta, wo definitiv das Behälterkonzept bzw. die Räumlichkeit nicht mehr greift, denn hier liegt eine reine Analogiekonstruktion zu treno, macchina etc. vor (cf. Heinemann 2001: 205, die in diesem Fall eine Loslösung vom Behälterkonzept postuliert; cf. außerdem die Beispiele Schöntag 2001a: Nr. 18a, 25a). Diese Art der Verwendung könnte durch den Verlust der Räumlichkeit zur semantischen Aushöhlung von in beitragen. Denn erst, wenn die Expressivität verlorengeht und die Präposition auf Syntagmen angewandt wird, bei denen keine lokale Komponente mehr sinnvoll anzunehmen ist, wäre eine zunehmende Grammatikalisierung zu konstatieren. Klöden (2001: 66) selbst bringt dafür in einer anderen Untersuchung zum Französischen ein entsprechendes Beispiel: Demain, je vais sur Nancy. Hier ist zwar die lokale Komponente noch vorhanden, aber sur wird in einem Zusammenhang gebraucht, der für das Standardfranzösische sonst nicht üblich ist (à Paris), d.h. der Funktionsbereich der Präposition wird hier erweitert, es übernimmt hier die Aufgabe des Relationselementes à. 21 Für das Italienische könnte man ähnliche Beispiele anführen. So wäre bei Luca è andato in spiaggia oder possiamo andare in Costa Azzurra die Präposition in eher relational zu verstehen (cf. auch sulla costa). Nach Heinemann (2001: 65) wäre hier zwar ein zweidimensionales Behälterkonzept anzunehmen, aber nach üblichem Verständnis liegt hier eigentlich kein Behälter mehr vor, sondern nur noch eine reine Ortsangabe, was nicht mehr zwingend in nach sich ziehen müsste. 2_IH_Italienisch_75.indd 75 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 76 Durch in erfolgt eine Konkretisierung im Vergleich zu der viel allgemeineren und semantisch leereren, eher relationalen Präposition a (un pezzo moderno in teatro vs. andare al teatro). Auch dem Argument von Hottenroth (1983: 103), es gäbe phraseologische Fügungen, die nicht weiter erklärbar sind, liegt eine gewisse Plausibilität zugrunde, auch wenn ihre angeführten Fälle nicht immer mit den Erhebungen übereinstimmen, denn es gibt wohl kaum eine semantische Erklärung, warum es al bar und in discoteca heißt, und zwar gemäß beiden Erhebungen zu jeweils 100%. 22 Was die Frage nach der Grammatikalisierung angeht, so erscheint es, aufgrund der vorliegenden Ergebnisse, als durchaus sinnvoll, hier eine zunehmende Tendenz bei der Präposition in zu konstatieren, auch wenn der Nachweis schwierig zu führen ist, da nicht immer eindeutig zu klären ist, ab wann eine Verwendungsweise noch ins ursprüngliche Konzept passt bzw. mit einer postulierten zugrundeliegenden Semantik konform ist oder eben eine dezidierte Funktionserweiterung vorliegt. Als auffälligstes Ergebnis der Erhebungen in Ancona mit den beiden Fragebögen (Schöntag 2001, Schöntag 2001a) ist vorab festzuhalten, dass in Bezug auf die konkurrierende Verwendung der Präpositionen a und in der Sprachgebrauch insofern schwankend ist, als in bestimmten Kontexten die Verwendung relativ einheitlich ist, in anderen hingegen äußerst heterogen und außerdem in manchen Fällen der Gebrauch nicht dem in den Grammatiken indizierten entspricht. 4. Fazit Die in Ancona durchgeführte Erhebung mittels zweier Fragebögen (Schöntag 2001, Schöntag 2001a) hatte zum Ziel, Überschneidungen im Gebrauch der lokal verwendeten Präposition a und in näher zu beleuchten, ihre Darstellung in der Sekundärliteratur aufzuzeigen und dabei der Frage nach einer möglichen Tendenz zur Grammatikalisierung nachzugehen sowie die adäquate Abbildung dieses konkurrierenden Gebrauchs in (Lerner-)Grammatiken zu diskutieren. Was die vermehrte Verwendung der Präposition in im Standarditalienischen und eine damit verbundene Tendenz zur Grammatikalisierung dieser Präposition anbelangt, so kann man konstatieren, dass es tatsächlich starke Hinweise darauf gibt, dass die Präposition auf dem Wege ist, ein überwiegend relationales Element zu werden (ähnlich wie a), allerdings womöglich nicht so unzweifelhaft wie Klöden (1992) es annimmt, da die Faktoren, die den Gebrauch bestimmen, zahlreich und komplex sind. Die Ergebnisse der Fragebögen legen eine gewisse Vorsicht bei der Interpretation der zugrundeliegenden Gründe für eine bestimmte Art der 2_IH_Italienisch_75.indd 76 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 77 Verwendung nahe. Warum ein Sprecher in einem spezifischen Kontext sich für den Gebrauch einer Präposition entscheidet, vor allem in Fällen, in denen nicht formale oder konventionalisierte Verwendungsweisen eine ‘freie’ Wahl blockieren, also eher semantische Kriterien eine Rolle spielen, lässt sich nicht ohne Weiteres bestimmen. Die Erschließung von inhaltlichen Kriterien (Art der Verortung, cf. Farkas 1988, Reumuth/ Winkelmann 1996; Behälterkonzept, cf. Hottenroth 1983, Heinemann 2001; Semantik des zugehörigen Verbs, cf. Cordin 2010) wird erschwert durch die Überlagerung der Problematik bezüglich der Distribution von preposizioni semplici und preposizioni articolate. Entsprechend schwierig sind auch ganzheitliche Erklärungsansätze zu leisten, wie der Überblick zur Forschungsliteratur gezeigt hat. Ein Parameter zur Bestimmung der Verwendung von a oder in, der bei der Auswertung der Fragebögen deutlich zu Tage tritt, ist der Grad der phraseologischen Fügung (cf. Hottenroth 1983). Dabei sei zu postulieren, dass hierbei auch die Frequenz der Kollokation, in der die Präposition auftaucht (vado al bar, vado in discoteca) eine entscheidende Rolle spielt, insofern es tendenziell gerade die hochfrequenten Wendungen in den Fragebögen sind, die einen homogenen Sprachgebrauch zeitigen, d.h. bei denen nahezu 100% der Sprecher die gleiche Präposition verwenden. Das wichtigste und auffälligste Ergebnis der Erhebung sind jedoch die zum Teil enormen Schwankungen im Gebrauch der Präpositionen und dies, obwohl die untersuchte Sprechergruppe bezüglich der einschlägigen diasystematischen Parameter sehr homogen ist. Dies bedeutet, dass im Italienischen auch jenseits der bekannten diatopischen, diastratischen und diaphasischen Variation eine sehr große Variationsbreite möglich ist (cf. vor allem Fälle wie a casa vs. in casa und in teatro vs. al teatro). Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das (gesprochene) Standarditalienische potentiell immer auch dialektalen (und anderen) Einflüsse unterliegt, bleibt die festgestellte Varianz bemerkenswert. Aus didaktischer Perspektive stellt sich abschließend die Frage, wie eine solche Variationsbreite im Gebrauch adäquat in einer (Lerner-)Grammatik repräsentiert werden könnte. Unter der Berücksichtigung einer notwendigen Vereinfachung und der Präferenz für lernerorientierte Regeln sei hier doch die Anregung gegeben, dass man in bestimmten Fällen durchaus zwischen einer eher phraseologischen Verwendungsweise der Präposition (bei nahezu 100% der Sprecher nachgewiesen) und der Wahlmöglichkeiten in anderen Fällen unterscheiden könnte und dies entsprechend auch durch kurze Erklärungen oder Anmerkungen kennzeichnet. Auf diese Weise würde der Lerner die reale Vielfalt besser einzuschätzen wissen. Letztlich ist es ja nicht nur in Bezug auf die Abbildung der Sprachrealität in einer Grammatik von Relevanz wie hoch die Akzeptanz und Variabilität einer bestimmten 2_IH_Italienisch_75.indd 77 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 78 Verwendungsweise ist, sondern auch aus didaktischer Perspektive, insofern ein ‘Fehler’ eines Lerners in einer relativ festen Fügung wie vado al bar um einiges schwerer wiegt als in Kontexten, in denen der Sprachgebrauch hochgradig schwankt. abstract. L’uso delle preposizioni nell’italiano standard non è solo complesso a causa della differenziazione tra preposizioni semplici e preposizioni articolate e del possibile influsso dei dialetti, ma anche perché lo standard mostra una variazione non trascurabile in sé, che è raramente oggetto di studi linguistici. Il presente contributo cerca proprio di evidenziare questa variazione dell’uso nello standard tramite un’indagine empirica svolta presso l’Istituto Professionale Francesco Podesti ad Ancona. Tale ricerca si focalizza soprattutto sull’uso delle preposizioni a e in, intercambiabili in certi contesti. Il risultato del confronto tra le grammatiche usuali (scientifiche e didattiche), lo stato attuale della ricerca (si vedano per es. Hottenroth, Klöden, Heinemann) e i risultati dell’indagine empirica ad Ancona mostrano due tendenze: da una parte la preposizione in sembra conquistare una portata funzionale più ampia, nel senso di una grammaticalizzazione più avanzata (simile alla prep. a) e dall’altra l’uso di in e a permette una variazione maggiore rispetto a quello che la grammatica e la linguistica suggerisce, senza che però i criteri possano sempre essere evidenziati chiaramente. Risulta chiaro infine quanto l’aspetto variazionale sia importante, e come purtroppo spesso sia stato trascurato dalla didattica nelle rispettive grammatiche. anmerkungen 1 Serianni (2006: 342-344) beispielsweise listet zur Präposition in unter den Gliederungspunkten 70.-88. verschiedene Arten des Gebrauchs auf, ohne dass die unterschiedlichen Anwendungsbereiche (lokal, temporal, instrumental, etc.) wirklich deutlich würden. So folgt unter 70., der Definition (nucleo semantico di ‘inclusione stativa’), Punkt 71. stato in luogo, 72. complementi retti da verbi etc., und erst Punkt 84. ist dann moto a luogo; d.h. der Rezipient muss letztendlich selbst systematisieren. 2 Die Belegstellen referieren auf die Behandlung der Präposition in. 3 Im Wesentlichen wird a casa mit chez lui wiedergegeben und in casa mit dans sa maison (Brunet 2011: 252). 4 Auf die Unterscheidung «semantische Präposition» vs. «lexikalische Präposition» wird bei Schwarze (1995) jedoch im Weiteren nicht eingegangen, d.h. es wird keine exhaustive Liste geliefert, welche Präposition welcher Kategorie zuzurechnen wäre und auch eventuelle Grenzfälle werden nicht diskutiert. Größeren Raum nimmt nur die formale Differenzierung der Präpositionen ein, d.h. die Unterscheidung nach einfachen (z.B. a, con, da), sekundären (z.B. fra, di, sotto), komplexen (z.B. a causa di) und solchen, die aus einem Partizip entstanden sind (z.B. concernente, rispetto a) (cf. Schwarze 1995: 293-299). 2_IH_Italienisch_75.indd 78 30.06.16 17: 10 Roger Schöntag Der Gebrauch der lokalen Präpositionen 79 5 Für eine ausführliche Darstellung zur Präpositionenforschung cf. das einleitende Kapitel bei Heinemann (2011: 19-61); zu wichtigen Einzelaspekten cf. Morgan (1987), Hottenroth (1991, 1993) und Heinemann (2002). 6 Mit einer ähnlichen Methode arbeitet auch Lang für die französischen Präpositionen. Zur Klassifizierung der verschiedenen räumlichen Relationen von frz. en cf. Lang (1991: 412-432). Für das Portugiesische cf. die dreidimensionale Darstellung der räumlichen Relationen von ptg. em bei Schöntag (2006: 265-268). 7 Die von Hottenroth (1983) postulierte Dreidimensionalität als Voraussetzung für die Verwendung der Präposition in greift in Bezug auf manche Verwendungsweisen allerdings zu kurz (z.B. in spiaggia; cf. infra), so dass es als angemessener erscheint, von einer Lokalisierung in zwei- oder dreidimensionaler Umgebung zu sprechen. 8 Bei manchen Ländern oder Regionen steht auch der bestimmte Artikel, z.B. nel Veneto, nel Molise, nel Lazio, nel Kenia, nel Kuwait, nel Laos, negli Stati Uniti, nei Paesi Bassi, nei Balcani. Der bestimmte Artikel erscheint auch immer bei näherer Bestimmung, d.h. es wird eine preposizione articolata vorangestellt, z.B. trasferirsi nell’Italia settentrionale, rimanere nell’Arabia saudita (Reumuth/ Winkelmann 1996: 46, § 48.3-5). 9 Alternativ ist auch eine Konstruktion mit »con + Artikel« möglich, z.B. con l’aereo oder con la macchina, jedoch immer con la nave. Ist das Transportmittel näher bestimmt, dann steht immer »con + bestimmter Artikel«, z.B. Sono andato a Milano con la macchina di mio fratello (Reumuth/ Winkelmann 1996: 54, § 50.8) (cf. supra). 10 Bei der Erhebung wurden die Probanden explizit darauf hingewiesen, dass es beim Ausfüllen des Lückentextes nicht um ‘richtig’ oder ‘falsch’ gehe, sondern allein darum wie sie sprächen (allerdings nicht im Dialekt). Inwieweit sie sich dabei von einer Präskriptivität lösen konnten, sei dahingestellt. Die Ergebnisse sind somit zwar medial schriftlich erhoben worden, Ziel war es jedoch einen konzeptionell eher mündlichen Sprachgebrauch abzufragen, d.h. es ging vorrangig um die unmarkierte Nähesprache. Realiter werden die Ergebnisse aber zwischen unmarkierter Nähe- und Distanzsprache anzusiedeln sein, da allein die medial schriftliche Form Distanz bei den Probanden suggeriert (zur Nähe- und Distanzsprache innerhalb des Diasystems cf. Koch/ Oesterreicher 2011: 13, 17). 11 Zur Frage des Standards im Italienischen cf. beispielsweise Muljacˇ ic´ (1988), Berruto (1998: 62-65), D’Agostino (2007: 75-76, 121-123) oder Krefeld (2011). 12 Nimmt man wie beispielsweise Dardano/ Trifone (1985: 35) im Zuge einer überregionalen Dialektgrenze (dialetti mediani vs. dialetti meridionali intermedi) eine Zweiteilung der Marken in ein marchigiano settentrionale und ein marchigiano meridionale an, dann wäre das anconetano im nördlichen Teil verankert (cf. auch Grassi/ Sobrero/ Telmon 2008: 51, 63-70). Allgemein zur dialektalen Gliederung Italiens und den einzelnen Varietäten cf. Cortelazzo (1972-2003), Cortelazzo (1988), Marcato (2007) und Clivio/ Danesi/ Maida-Nicol (2010). 13 Inzwischen ist diesbezüglich auch die Grammatik von Krenn (1996) und eingeschränkt die von Esposito (2003) zu nennen. 14 Zur Kritik der Verwendung von in bei allein dreidimensionaler Lokalisierung cf. supra. 15 Bezüglich scuola weist der Fragebogen Schöntag (2001a) ausschließlich a auf (sono andato...scuola [16a]). 16 Die Tatsache, dass der bestimmte Artikel nicht gesetzt wird, wenn ein Demonstrativum oder Indefinitum vor der Ortsangabe steht, wird in den deutschen Lernergrammatiken nur bei Esposito (2003: 41) thematisiert, nicht jedoch bei Reumuth/ Winkelmann (1996) oder Krenn (1996). 2_IH_Italienisch_75.indd 79 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 8 0 17 Cf. dazu auch Claudi/ Heine/ Hünnemeyer (1991: 2), Lehman (1995: 127), Bybee/ Perkins/ Pagliuca (1994: 17) und Diewald (1997: 65). 18 Zur Verwendung von avverbi locali im Lombardischen bzw. in Norditalien cf. die entsprechenden Karten des AIS (Jaberg/ Jud 1929: Karte Nr. 351-359). 19 Cf. dazu die Variationsbreite in den Karten nel muro (Nr. 853) und nella casa (Nr. 903) im AIS (Jaberg/ Jud 1933). 20 Für das italiano popolare konstatiert Cortelazzo (1972: 113) vor allem eine Funktionsausweitung der Präposition a. Dies muss jedoch prinzipiell nicht einer gleichzeitigen Veränderung des Gebrauchs von in widersprechen, da es auf Kosten von je unterschiedlichen anderen Präpositionen oder Konstruktionen gehen kann. 21 «Dabei dehnt sich das Anwendungsgebiet von sur schier unaufhaltsam aus: Es kann mittlerweile auch für dans, avec und andere Formen eintreten [...].» Klöden (2001: 66). 22 Cf. dazu auch die Ergebnisse von Fraunholz (1993: 16-35), der in seinen Erhebungen ebenfalls Schwankungen im Gebrauch von in und a festgestellt hat, wenn auch anhand z.T. anderer Beispielsätze. Literatur Battaglia, Salvatore/ Pernicone, Vincenzo (²1969): Grammatica italiana. La metrica, la stilistica, esercizi e letture lessicali (nuova edizione), Torino: Loescher [Original: Torino: Chiantore 1951]. Berruto, Gaetano (1998): Sociolinguistica dell’italiano contemporaneo, Roma: Carocci (= Università, 6; Linguistica) [Original: Roma: La Nuova Italia Scientifica 1987]. 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( 4 2003): Langenscheidts Standardgrammatik Italienisch (unter Mitarbeit von Wolfgang Ressler), Berlin/ München/ Wien/ Zürich/ New York: Langenscheidt. Farkas, Maria (1988): «L’intercambiabilità delle preposizioni locative a ed in nell’uso moderno», in: Fábián, Zsuzsanna (Hrsg.): Scritti in onore di Miklós Fogarasi, Szeged (= Acta Universitatis Szegedinensis de Attila József Nominatae, Acta Romanica, 12), 133-167. Fraunholz, Axel (1993): Zum Gebrauch der italienischen Präpositionen in, a und su: Entwicklungen und Strukturen, Erlangen: Universität Erlangen [Magisterarbeit]. Grassi, Corrado/ Sobrero, Alberto A./ Telmon, Tullio ( 4 2008): Introduzione alla dialettologia italiana, Roma/ Bari: Laterza (= Manuali di base, 2). Heine, Bernd/ Claudi, Ulrike/ Hünnemeyer, Friederike (1991): Grammaticalization. A Conceptual Framework, Chicago/ London: The University of Chicago Press. Heinemann, Sabine (2001): Bedeutungswandel bei italienischen Präpositionen. 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Italiano comune e lingua letteraria (con la collaborazione di Alberto Castelvecchi), Novara: De Agostini Scuola [Original: 1988 Torino: UTET]. Anhang Der Fettdruck markiert Sätze mit Präpositionen, bei denen die Abweichung zwischen den Untersuchungsergebnissen besonders signifikant ist. Tabelle 1: Beispielsätze und Ergebnisse des Fragebogens von Klöden (1992) sowie deren Ergebnisse in Schöntag (2001) Beispielsätze Klöden (1992) Schöntag (2001) 1 Andare.....teatro 78x a, 6x al, 1x in 29x a, 7x al, 1x in, 1x al/ a 2 Mangiare.....ristorante 77x al, 5x nel, 2x in, 2x in/ al 36x al, 1x in, 1x nel 3 Mangiamo.....quel ristorante 79x in, 6x a 37x in, 1x 0 4 Franco è.....albergo 83x in, 1x nell‘, 1x all‘ 38x in 5 Il bicchiere sta.....tavolo 84x sul, 1x nel 32x sul, 4x nel, 1x sul, nel 6 Devo andare.....municipio 68x in, 14x al, 3x in/ al 19x al, 17x in, 2x in/ al 7 Sono.....casa 53x a, 19x in, 10x a/ in 34x a, 3x in, 1x a/ in 8 Vado.....banca 83x in, 2x in/ alla 37x in, 1x in/ alla 9 Oggi presentano un pezzo moderno.....teatro 53x a, 15x in, 10x al, 2x in/ al 14x al, 13x a, 9x in, 2x a/ al 10 È.....ospedale 67x in, 9x all‘/ in, 7x all‘ 30x in, 4x all‘, 2x un, 1x da, 1x 0 11 Il treno parte.....due minuti 40x tra, 37x fra 22x tra, 13x fra, 3x tra/ fra 12 Devo andare.....municipio per chiedere un‘informazione 72x in, 11x al 17x in, 16x al, 3x in/ al, 2x nel 13 I bambini giocano.....albergo 34x in, 3x nell‘, 1x 0 14 Vado.....negozio 65x in, 20x al, 3x nel 28x in, 7x al, 2x in/ al, 1x nel 15 Vado.....stazione per comprare un giornale 58x in, 23x alla, 5x in/ alla 27x alla, 8x in, 2x alla/ in, 1x 0 16 Vieni.....piscina con me? 85x in 38x in 17 Metti il bicchiere.....tavolo 84x sul, 1x nel 32x sul, 5x nel, 1x in 18 Il gabbiano vive.....mare 48x sul, 31x al 18x al, 12x in, 4x nel, 3x sul, 1x in/ nel 19 Andiamo.....stazione per prendere il treno 57x in, 27x a+best.Art. 28x alla, 6x in, 2x alla/ in, 1x nella, 1x al 20 Stasera ci ritroviamo.....discoteca 37x in, 1x nella 21 Per comprare francobolli bisogna andare.....posta 62x in, 20x alla, 3x in/ alla 37x alla, 1x in 22 L‘albergo è proprio.....mare 68x sul, 11x al 26x sul, 8x al, 2x nel, 1x vicino al, 1x 0 23 La lampada pende.....tavolo 58x su, 4x sopra, 3x su/ sopra 20x sul, 15x dal, 3x nel 24 .....aereo c‘erano molti passageri 48x sull‘, 28x in, 5x nell‘ 21x in, 11x nell‘, 4x sull‘, 1x sull‘/ nell‘, 1x sull‘/ in 25 .....questa montagna c‘è un albergo 77x su, 3x sopra 21x in, 16x su, 1x su/ in 26 Gianni possiede una casa.....mare 74x al, 9x su+best.Art. 31x al, 5x sul, 2x al/ sul 27 Non mi piace viaggiare.....aereo 84x in 38x in 28 Serviamo il pranzo solo.....ristorante 34x al, 4x nel 29 Dormire.....albergo 84x in, 1x all‘ 38x in 30 Lui è.....casa 26x a, 11x in, 1x a/ in 31 Domani non vado......bar 85x al 38x al 32 Siamo.....albergo Garibaldi 82x a+best.Art.? , 3x in 15x nell‘, 11x all‘, 11x in, 1x su 33 Mangiano.....un ristorante 80x in, 5x a 30x in, 6x al, 1x ad, 1x 0 34 L‘ho incontrato.....strada 69x per, 5x in, 3x per/ in 32x per, 3x in, 2x sulla, 1x in/ per 35 Non ho voglia di andare.....museo 79x al 37x al, 1x a 36 Oggi non vai.....discoteca? 85x in 38x in 37 Il pane si compra.....panetteria 35x in, 1x nella, 1x alla, 1x dal 38 Verrà.....due anni 51x tra, 33x fra 19x fra, 14x tra, 4x tra/ fra, 1x 0 39 .....me c‘è una nuvola 22x sopra di, 12x su di, 11x sopra, 1x su 22x per, 5x 0, 3x sopra di, 2x sopra, 2x in, 2x da, 1x su di, 1x su 40 .....Veneto c‘è molto turismo 44x in, 39x nel, 1x in/ nel 24x in, 3x nel, 1x in/ sul 2_IH_Italienisch_75.indd 83 30.06.16 17: 10 Der Gebrauch der lokalen Präpositionen Roger Schöntag 8 4 Tabelle 2: Beispielsätze aus Reumuth/ Winkelmann (1996) und deren Ergebnisse in Schöntag (2001a) Beispielsätze Reumuth/ Winkelmann (1996) Schöntag (2001a) 1a Lo vedremo.....quindici giorni fra 25x tra, 16x fra, 1x per, 1x tra/ fra 2a Tu non sei.....casa? a/ in 29x a, 7x in, 2x a/ in 3a .....momento sono stanco al/ per il 22x al, 12x un, 2x in questo, 2x questo 4a Si può vendere tutto.....prezzo ridotto a (un) 33x a, 3x al, 1x ad un, 1x 0 5a Un bicchiere è caduto.....terra per 20x a, 12x per, 2x a/ per, 2x in, 2x in/ per 6a Vivo.....campagna in 38x in 7a Viaggio.....Italia per l‘ 30x in, 2x per l‘, 1x verso, 1x per, 1x per/ in, 1x l‘, 1x in/ per, 1x 0 8a Lavoro.....la Fiat alla 24x alla, 12x per, 1x nella, 1x con 9a Vado.....teatro a 24x a, 8x al, 5x in, 1x a/ al 10a .....fratelli non si deve discutere tra 23x tra, 5x fra, 2x die, 2x ai, 2x coi, 1x con i, 1x con, 1x fra/ tra, 1x 0 11a Siamo arrivati.....appuntamento su/ dietro 32x all‘, 3x in, 2x per l‘, 1x sull‘ 12a Questa casa è fuori.....mano (di) 21x 0, 10x di, 1x? , 1x di/ 0 13a Si può uscire.....terrazza in/ sulla 26x in, 6x dalla, 4x sulla, 1x dalla/ sulla, 1x 0 14a .....stesso tempo ero alla stazione nello/ allo 21x allo, 13x nello, 4x 0 15a .....le lacrime mi ha detto tutto tra 25x con, 3x dalle, 3x tra, 3x 0, 2x quelle, 2x per, 1x? 16a Sono andato.....scuola a 38x a 17a Il treno arriva.....tre ore fra 25x fra, 9x tra, 1x in, 1x alle, 1x dopo, 1x fra/ tra 18a Vado.....autobus in 34x in, 2x sull‘, 2x con l‘ 19a Ieri Patricia è andata.....spiaggia in 34x in, 2x sulla, 1x alla, 1x nella 20a Possiamo andare.....Costa azzurra sulla 31x in, 4x nella, 2x alla, 1x a 21a Andavamo.....ristorante e dopo.....bar al/ al 23x al/ al, 2x in/ al, 1x al/ in un, 1x a/ al, 1x nel/ al 22a .....le due case c‘è un cortile fra 28x tra, 6x fra, 2x tra/ fra, 2x nelle 23a Martha è andata.....casa a 36x a, 2x in 24a Vado.....macchina in 36x in, 2x nella 25a Possiamo viaggiare.....treno col/ in 37x in, 1x sul 26a Ogni giorno vado.....liceo al 36x al, 1x a, 1x all‘ 27a Si può partire.....Francia per la 16x per la, 11x dalla, 9x in, 1x per, 1x 0 28a Lavoro.....fabbrica in 36x in, 2x nella 29a Abito fuori.....città (di) 15x dalla, 15x 0, 7x della, 1x dalla/ 0 30a Vado.....farmacia in 38x in 31a Sono andato.....bicicletta in 37x in, 1x nella 32a Questo è un tavolo.....marmo di 31x di, 5x in, 2x in/ di 33a Adesso sono.....centro di Torino nel 28x al, 8x nel, 2x in 34a Ogni giorno andiamo.....montagna in 38x in 35a Abito.....Via Isonzo in 37x in, 1x ? 36a Patricia non può scendere....cantina in 36x in, 1x in/ nella, 1x nella 37a Vado.....Toscana in 38x in 38a Sono.....ufficio in 37x in, 1x 0 39a L‘anno scorso era.....Spagna in 35x in, 2x la, 1x nella 40a Vado.....Francia in 38x in 41a Il piatto fu buttato.....terra per 24x a, 12x per, 1x a/ per, 1x in 2_IH_Italienisch_75.indd 84 30.06.16 17: 11 85 Noe m i P ire dda L’italiano in Sardegna 1. introduzione Osservando la storia della Sardegna, si nota subito come questa sia sempre stata caratterizzata da un notevole pluralismo linguistico. Tanti sono stati i conquistatori conosciuti dal suolo sardo: i fenici, i punici, i romani, i bizantini, i saraceni, i pisani e i genovesi, a seguire gli aragonesi, gli spagnoli, i Savoia e, infine, gli italiani. Proprio con gli italiani, tramite l’Unità d’Italia, si sigilla il rapporto dei sardi con la lingua italiana (nazionale); rapporto che in qualche modo già esisteva da molti secoli, sebbene né con la stessa fisionomia, né con la stessa intensità e ufficialità. In effetti, l’uso del termine italiano per descrivere le varietà italoromanze (toscano, genovese) risulta in epoca preunitaria storicamente improprio, visto che tali varietà precedono di diversi secoli il concetto stesso di italiano e di lingua italiana (Cf. Krefeld 2013, 1-10). Le lingue dei vari conquistatori hanno sempre avuto in Sardegna una forte rilevanza, dato che l’uso del sardo era limitato a contesti sociali ben delineati (Bolognesi/ Heeringa 2005, 20) mentre per le funzioni più autorevoli venivano utilizzate, appunto, lingue esogene quali il catalano, lo spagnolo, l’italiano e così via. «Si può constatare che in territorio sardo il pluralismo linguistico di tipo verticale, transclassista, è una costante storica fin dall’antichità ed è dovuto alle vicissitudini politiche dell’isola che l’hanno collocata nei tempi storici in una situazione assimilabile a quella di una colonia esposta alle mire espansionistiche delle talassocrazie mediterranee.» (Lörinczi 1999, 386) Tra le lingue esogene che hanno avuto un ruolo importante in Sardegna, l’impatto delle varietà che, per quanto concerne il periodo preunitario, possiamo chiamare impropriamente e per comodità italiane, rimane senza precedenti. I primi contatti si hanno già nel medioevo, grazie alla presenza delle Repubbliche marinare di Pisa e Genova in Sardegna. Per un lungo periodo, sotto la dominazione del regno di Aragona, questo rapporto, con l’incalzare prima del catalano e poi, dopo la creazione del regno di Spagna, dello spagnolo, si inclina, sebbene non si deteriori del tutto. In seguito, sotto i Savoia, si dà inizio ad una seconda fase, in cui questa relazione si rivitalizza, portando poi nel Novecento all’italofonia diffusa. 2_IH_Italienisch_75.indd 85 30.06.16 17: 11 L’Italiano in Sardegna Noemi Piredda 86 2.Periodo preunitario 2.1. italianizzazione primaria Come sottolineato da Castellaccio (2009, 1), la Sardegna è sempre stata particolarmente ambita da coloro che avevano mire espansionistiche nel Mediterraneo, sia per la sua posizione geografica atta al commercio, sia per la sua ricchezza di prodotti derivanti dalle attività agro-pastorali e dalle risorse minerarie. 1 In questa prospettiva va inserito quindi l’avvento delle Repubbliche di Pisa e Genova sul suolo sardo. Chiamate a intervenire dalla Chiesa sotto insistente richiesta dei nativi contro l’emiro Mugâhid, stabilitosi in una non precisata area della Sardegna (Ortu 2011, 24), Pisa e Genova intravedettero subito i profitti economici che ne avrebbero potuto ricavare: «[…] al di là delle pressioni esercitate dal Papa e dall’imperatore e delle insistenti richieste di intervento da parte dei giudici sardi preoccupati per le incursioni arabe, gli storici non escludono che anche le mire di espansionismo commerciale possano aver avuto un ruolo, se non decisivo, per lo meno fondamentale.» (Loi Corvetto 1993, 14) Nel 1016 la flotta Araba viene sconfitta dalle due potenze marinare, che diedero così inizio ad una relazione particolarmente intensa con la Sardegna, tanto da poter parlare comunemente (sebbene l’espressione sia in realtà inadatta) di periodo genovese oppure di periodo pisano, con riferimento ad una o all’altra Repubblica a seconda di quale tra le due avesse il predominio nel territorio in quel momento (Castellaccio 2009, 3). Infatti, i conflitti tra Pisa e Genova per ottenere l’egemonia sul Mediterraneo si evidenziarono chiaramente anche nel caso della Sardegna. All’inizio la contesa tra le due riguardava principalmente il controllo delle rotte mercantili e dello sfruttamento delle risorse dell’isola, fino a giungere poi al tentativo di predominio nei diversi giudicati, condizionandone la politica, a tal punto da sobbarcarsene, in alcuni casi, la guida costituzionale. È interessante notare come Genova, nonostante il possedimento di beni di vario genere, che a vario titolo finirono nelle mani di potenti famiglie liguri, di fatto, non possedesse in Sardegna nessun terreno (Castellaccio 2009, 2). La presenza genovese nell’isola era improntata soprattutto su di una rete sociale di rapporti creatisi con il ceto dirigente giudicale, grazie ad un’astuta politica diplomatica e matrimoniale, che gli permise, gradualmente, di avere una forte influenza sui giudicati e di ottenere così privilegi commerciali di vario tipo (Artizzu 1985, 37-49). Già verso la fine del XII secolo i Giudicati di Logudoro, Gallura e Cagliari erano sotto il controllo di Pisa e Genova 2 ; due secoli più tardi essi 2_IH_Italienisch_75.indd 86 30.06.16 17: 11 Noemi Piredda L’Italiano in Sardegna 87 caddero completamente e si ebbe così la totale supremazia delle due Repubbliche, che durò fino all’avvento degli aragonesi. 3 Durante questi tre secoli, quindi, la presenza pisana e genovese si manifesta anche linguisticamente, permettendo al toscano (pisano) e, in minor misura, anche al ligure (genovese) (Lörinczi 1999, 397) di diffondersi. Un ruolo preminente in tutto ciò va riconosciuto alla Chiesa e alle diverse comunità religiose che furono create (grazie alle donazioni e alle concessioni dei giudici in favore dello Stato Pontificio). I monaci appartenenti a queste comunità avevano il compito di supportare la latinizzazione della Chiesa sarda. 4 Allo stesso tempo, però, il loro apporto linguistico fu rilevante anche per la diffusione del volgare non sardo. Mentre a livello grafico l’influsso delle varietà italiane risulta evidente tramite l’utilizzo della ‘gotica documentaria’ di tipo italiano (Casula 1978, 41, 83), tale influsso non è invece così chiaro sul piano prettamente linguistico. Alcuni autori 5 sostengono che l’impatto linguistico del toscano sia stato tale da comportare una chiara differenziazione diatopica della lingua sarda, quindi un influsso linguistico particolarmente forte; il che però fa presupporre che la presenza del toscano in Sardegna sia stata massiccia e che abbia riguardato quindi tutti i ceti sociali. Altri autori, 6 invece, dubitano fortemente sul ruolo cardine attribuito al toscano, visto semplicemente come lingua di superstrato, il cui utilizzo era esclusivamente elitario. Sabatini (1980, 14, 15) descrive il toscano usato in Sardegna soprattutto come lingua colta dei conquistatori, che ben si confaceva all’uso scritto; tuttavia, sempre lo stesso autore non vuole con ciò sminuire la portata del fenomeno sottolineando come la toscanizzazione avvenuta in Sardegna nel medioevo sia un fatto unico nel suo genere (Sabatini 1980, 15). Una prova indelebile della presenza e del forte impatto linguistico che le due Repubbliche ebbero in Sardegna ci viene fornita, invece, nella zona nord occidentale, dal sassarese, una varietà nata appunto dal contatto tra genovese, pisano, corso e logudorese, il cui scopo principale in origine era quello di permettere la comunicazione appunto tra sardi, pisani e genovesi così da agevolarne gli scambi commerciali 7 (Sanna 1957, 210). In seguito ad uno spopolamento, dovuto a pestilenze ed incendi, si deve invece la nascita nella zona nord orientale dell’isola della varietà gallurese, 8 nata dal contatto tra i corsi meridionali che ripopolarono quelle zone e che, portando con sé la loro lingua, la affermarono là dove in precedenza si parlava il sardo logudorese (Wagner 1951, 394). Proprio per la loro origine storica, tali varietà sono state ritenute da vari autori come appartenenti a pieno titolo al repertorio dialettale italiano. 9 La zona nord della Sardegna è così segnata da una forte toscanità, che ancora oggi la caratterizza. Le testimonianze scritte giunte fino a noi che risalgono a questo periodo (tra il secolo XI e il XII) mostrano una notevole variazione linguistica. 2_IH_Italienisch_75.indd 87 30.06.16 17: 11 L’Italiano in Sardegna Noemi Piredda 8 8 Sono stati rinvenuti documenti scritti in latino, in volgare sardo e toscano in una quantità sorprendente, benché lo stupore non riguardi tanto la produzione in toscano, considerato il fatto che quest’ultima non fu particolarmente cospicua 10 (Lörinczi 1999, 401). Il periodo pisano-genovese costituisce il primo rilevante contatto della Sardegna con la lingua italiana, gettando le basi per la costruzione di un rapporto linguistico che sfocerà, poi, nel Novecento, nella piena diffusione dell’italiano come lingua nazionale. A tal proposito, Loi Corvetto (1993, 14) parla in questa fase di italianizzazione primaria. Questo periodo si conclude nel 1297 con la nascita del Regnum Sardiniae et Corsicae per mano di Papa Bonifacio VIII, che, operando nel tentativo di far cessare i conflitti in Sicilia e diminuire i motivi di scontro tra le due Repubbliche marinare, infeudò il suddetto regno a Giacomo II d’Aragona, in cambio di una sua rinuncia al trono di Sicilia. Di fatto, il passaggio della Sardegna dalle mani dei pisani e dei liguri agli aragonesi non fu semplice; il regno di Sardegna fu concretamente e completamente (compreso il Giudicato di Arborea) conquistato dalla Corona d’Aragona nel 1421, data che segna inoltre la convocazione del secondo Parlamento del regno a Castell de Càller 11 . I nuovi conquistatori portano con se la loro lingua imponendola sul suolo sardo. Sulla base della documentazione scritta giunta fino a noi, il nuovo assetto linguistico isolano può essere riassunto in breve: tra il sardo e il catalano si instaura un rapporto di diglossia senza bilinguismo o con bilinguismo passivo 12 . A questo punto ci si chiede quale sia stato quindi, in questo contesto, il ruolo dell’italiano. Come testimoniato dal Wagner, l’influenza italiana fu scarsa, ma non cessò mai completamente (Wagner 1951, 245). Esistono ben poche testimonianze della sua presenza durante il dominio aragonese e spagnolo. 13 Ciò probabilmente si deve alla forte repressione linguistica esercitata dagli aragonesi e poi dagli spagnoli, a discapito, appunto, del toscano. 14 Proprio questa politica linguistica antitoscana, però, testimonia come questo idioma debba aver avuto all’epoca un ruolo di rilievo. Una testimonianza diretta di ciò ci viene fornita inoltre dalla corrispondenza dei collegi gesuiti in Sardegna con le autorità spagnole. Tra i vari problemi affrontati dai Gesuiti in queste lettere, una delle principali questioni da risolvere era proprio quella inerente alla lingua; ossia la scelta dell’idioma più adatto per predicare, per confessare, per interagire al meglio con i nativi, vista l’eterogeneità linguistica che caratterizzava l’isola. Da questa corrispondenza si evince come, al di là del sardo, del catalano e del corso, anche il toscano fosse lingua parlata in Sardegna, in particolare nella città di Sassari (Turtas 1981, 61-63). Un’ulteriore prova, secondo Loi Corvetto, non solo della presenza ma anche del prestigio del toscano in Sardegna viene fornita dalla preferenza dei sardi a frequentare le università italiane al 2_IH_Italienisch_75.indd 88 30.06.16 17: 11 Noemi Piredda L’Italiano in Sardegna 8 9 posto di quelle spagnole: «[…]; una vasta zona della Sardegna conobbe quindi l’insediamento pisano e la cultura italiana penetrò ovviamente in buona parte del territorio, influenzando la cultura sarda anche quando il potere politico era prerogativa degli spagnoli; un’influenza non imposta ma ricercata tanto da spingere i sardi a frequentare le università italiane nonostante i divieti dei re spagnoli, divieti che ci fanno capire che il fenomeno aveva ormai assunto dimensioni tanto macroscopiche da destare preoccupazioni presso i regnanti.» (Loi Corvetto 1983, 17) Una preferenza, quindi, che palesa come l’apporto culturale e linguistico delle due Repubbliche fosse ancora vigente in Sardegna anche sotto l’egemonia spagnola. 15 In tutto ciò, alle varietà d’italiano si ritrova accomunato il sardo nel ruolo di lingua subordinata alle lingue dominanti, ovvero lo spagnolo quale lingua ‘politica’e il latino quale lingua di cultura. 2.2 italianizzazione secondaria Un secondo processo di italianizzazione ha inizio con l’annessione della Sardegna allo stato sabaudo. Dopo i quattro secoli di dominazione spagnola, la scomparsa senza eredi diretti di Carlo II nel 1700 scatena l’inizio della guerra di Successione spagnola, durante la quale la Sardegna cade in più mani; in un primo momento, con il trattato di Utrecht nel 1713, passa sotto la sovranità austriaca, che si conclude ben presto, nel 1717, quando una flotta spagnola si insedia di nuovo nel capoluogo. Un anno dopo, con il trattato di Londra, la Sardegna viene assegnata ai Savoia in cambio della Sicilia. L’annessione della Sardegna al Piemonte comporta forti mutamenti sia economici che linguistici. All’arrivo dei Savoia il quadro linguistico che caratterizza l’isola è particolarmente eterogeneo: «Is dominaduras a primu de sa sabauda fiant stètias diferentis s’una de s’atra e donniuna iat fatu mudai sa lìngua. Cust’ereu linguìstigu si fiat cumbinau de medas maneras finsas a nasci, a su tempus de s’arribu de is Savoyas, unu cuadru mudonju meda, ki una lìngua binciat s’atra segundu su logu, sa crassi sotziali e s’ocasioni.» (Cardia 2006, 3) In questo quadro di plurilinguismo non è semplice comprendere la relazione esistente tra i vari idiomi, considerando la complessità derivante dal contatto linguistico allora vigente e dalla forte variazione diatopica, diastratica e 2_IH_Italienisch_75.indd 89 30.06.16 17: 11 L’Italiano in Sardegna Noemi Piredda 9 0 diafasica dei singoli idiomi e del sistema linguistico che risulta proprio da questo contatto. 16 Nel tentativo di ristabilire un ordine linguistico, i Savoia applicarono una politica di unificazione 17 che mirava alla diffusione dell’italiano nell’isola. In un primo momento questi propositi rimasero molto blandi. Le ragioni furono essenzialmente due: la prima per via dei patti di cessione che prevedevano il mantenimento degli ordini vigenti e la seconda a causa della volontà iniziale dei Savoia di utilizzare la Sardegna come merce di scambio per cercare di riavere indietro la Sicilia (Cardia 2006, 87; Loi Corvetto 1993, 59). In questa prima fase, che va dal 1720 al 1758, per esplicito volere dei regnanti sabaudi, non avvengono appunto grandi modifiche al sistema amministrativo spagnolo precedentemente vigente, tanto che il mutamento politico viene avvertito in maniera marginale dalla popolazione sarda (Cf. Blasco Ferrer 2009, 104). Lo stesso atteggiamento viene mantenuto dai Savoia anche a livello linguistico; infatti, nei primi sei anni del dominio sabaudo in Sardegna, il sovrano Vittorio Amedeo II si dimostra contrario a qualsiasi imposizione effettiva dell’italiano. Fatto che in parte muta nel 1726, quando si evidenzia la necessità di introdurre una lingua accessibile soprattutto ai funzionari provenienti dal Piemonte. Così al viceré viene dato l’ordine di studiare un piano, insieme al gesuita Falletti, per la divulgazione dell’italiano. Con ciò si voleva, come detto, agevolare la presenza dei funzionari piemontesi nell’isola e allo stesso tempo, però, cercare di spezzare gradualmente il forte legame con la nazione spagnola (Cardia 2006, 85). Al principio, quindi, il sardo e lo spagnolo vengono strategicamente e momentaneamente tollerati, così da diffondere l’italiano nel modo meno invasivo possibile (Sole 1984, 45). Quando, nel 1759, grazie al ministro Bogino, l’uso della lingua italiana diventa obbligatorio negli uffici pubblici e nella scuola, la situazione muta a discapito soprattutto dello spagnolo, 18 lingua ormai ufficialmente indesiderata. 19 Risulta così evidente la rilevanza che l’italiano va assumendo sotto lo stato sabaudo; rilevanza che si evince inoltre dalla diffusione, nella seconda metà del Settecento, di opere bilingui italianosardo. 20 Questo ‘bilinguismo didascalico’, così come lo definisce Cardia, mostra chiaramente l’avanzare dell’italiano e, allo stesso tempo, conferma ulteriormente l’atteggiamento di tolleranza nei confronti del sardo, visto come codice linguistico minore: «Dunque non stupisce la transigenza del governo sabaudo, che sapeva bene che il sardo a quelle condizioni, con quel lessico e con quella grafia, sebbene scritto, era ben lungi dal rappresentare un pericolo per l’autorità dell’italiano, ma anzi lo rafforzava, 2_IH_Italienisch_75.indd 90 30.06.16 17: 11 Noemi Piredda L’Italiano in Sardegna 91 offrendo la sua candidatura a dialetto dell’italiano.» (Cardia 2006, 97) La strategia linguistica sabauda non riguardava direttamente le masse popolari, ma si rivolgeva soprattutto alla classe dirigente. Lo scopo era proprio quello di formare in loco un gruppo amministrativo italofono, che eseguisse le direttive governative. Fu così che nel ceto borghese la conoscenza dell’italiano si diffuse notevolmente, mentre nel basso clero rimase scarsa (Cardia 2006, 93; Wagner 1951, 260). La Sardegna presenta, almeno nella prima metà del Settecento «un crogiolo di culture e lingue», in cui le lingue iberiche sono ancora vitali. Nella seconda metà del secolo si avverte però una sempre più massiccia presenza dell’italiano che sostituisce lentamente il castigliano (Blasco Ferrer 2009, 107, 109). Il plurilinguismo, che caratterizzava l’isola da secoli, permane anche nel Settecento. Un’ulteriore fatto storico particolarmente rilevante per l’italianizzazione dell’isola fu la colonizzazione di Carloforte (1738) e, in seguito, di Calasetta (1770) da parte di famiglie di origine ligure che provenivano dall’isola di Tabarka (Tunisia) e che portarono con sé la loro lingua e cultura. È a questo punto importante notare come la politica linguistica sabauda applicata alla Sardegna venisse, quasi contemporaneamente, applicata anche in Piemonte. Infatti, in Piemonte la classe dirigente utilizzava il francese come varietà alta, mentre l’uso dell’italiano era relativamente scarso (Cardia 2006, 86). «La Sardegna partecipa in questo modo a un avanzato e consapevole processo di diffusione dell’italiano comune, processo che caratterizza, ancor prima della Sardegna, il Piemonte.» (Lörinczi 1999, 397) Ciò ci conduce a riflettere sul tipo di italiano che si andava diffondendo in Sardegna. Alcuni autori parlano di toscana favella, sebbene, come sottolineato da Lörinczi (1999, 397) essa era ben lontana dall’essere esclusivamente toscana, poiché in essa fluivano diversi elementi del piemontese parlato; 21 inoltre questo italiano era da intendersi come italiano scritto per l’insegnamento nelle scuole. 3. Periodo postunitario Con l’Unità d’Italia nel 1861, la lingua italiana diviene lingua ufficiale dello stato, tra le cui priorità c’è proprio quella di creare un’unità linguistica in tutto il territorio italiano, isole comprese. In un primo momento, però, questa nuova prospettiva politico-linguistica imposta dallo stato si avverte ben 2_IH_Italienisch_75.indd 91 30.06.16 17: 11 L’Italiano in Sardegna Noemi Piredda 92 poco in Sardegna. Nei primi dieci anni dell’unione nazionale, il quadro linguistico della Sardegna non mostra segni di acceleramento nel processo di espansione dell’italofonia. Infatti la maggioranza dei sardi mostrava all’epoca una conoscenza abbastanza limitata della lingua nazionale (Loi Corvetto 1993, 83). In questa prima fase la lingua italiana in Sardegna rimane chiaramente subordinata al sardo. L’italiano rimane almeno inizialmente prerogativa di pochi, mentre le varietà sarde sono accessibili alla maggioranza dei sardi. Con l’obbligo dell’istruzione primaria 22 la situazione si modifica a favore della diffusione dell’italiano, sebbene con i dovuti limiti. Infatti la frequenza scolastica, spesso saltuaria e discontinua non permetteva un buon apprendimento della lingua italiana e, inoltre, le condizioni di insegnamento non erano ottimali, a partire dalla poca competenza in italiano degli stessi maestri (Blasco Ferrer 1984, 172; Koch/ Oesterreicher 2007, 329). Dalla seconda metà dell’Ottocento si assiste a un incremento massiccio dell’uso dell’italiano, che comportò la sua affermazione in diversi ambiti comunicativi. L’italiano diviene lingua degli atti amministrativi e della letteratura, inoltre nella prassi scrittoria il suo uso non è più limitato, come in precedenza, solamente a coloro che avevano un alto livello d’istruzione, bensì viene utilizzato anche dai«semicolti» (Loi Corvetto 1993, 85). Il fenomeno diviene poi nel Novecento di grande portata in tutta Italia, soprattutto grazie ai mezzi di comunicazione di massa. 23 Infatti, i giornali e in particolare la radio, il cinema e la televisione permisero una diffusione capillare di un codice comune a tutta l’Italia, che permetteva di frantumare le barriere locali e regionali. Per quanto riguarda i giornali, il loro ruolo come strumento di diffusione linguistica fu rilevante, ma in misura minore rispetto agli altri mezzi di comunicazione di massa. I confini della stampa erano segnati dall’alto tasso di analfabetismo 24 , che caratterizzava tutta la nazione ed era particolarmente alto nel sud. Più che strumenti di diffusione della lingua, i giornali divennero mezzi per veicolare e manipolare le masse popolari. Mentre inizialmente le tematiche trattate dai periodici erano prevalentemente di tipo scientifico o letterario e avevano spesso finalità pedagogiche, col passare del tempo assunsero un forte carattere politico 25 (Loi Corvetto 1993, 84). Nel caso della radio, del cinema e soprattutto della televisione, il loro supporto fu determinante per l’ingresso dell’italiano in ambiti comunicativi che gli erano stati precedentemente preclusi: «Riuscendo a rendere normale e quasi quotidiana la presenza di modelli linguistici italiani in ambienti regionali e sociali in cui il dialetto aveva prima dominato senza contrasti» (De Mauro 1963, 119) 2_IH_Italienisch_75.indd 92 30.06.16 17: 11 Noemi Piredda L’Italiano in Sardegna 93 Oltre ai mezzi di comunicazione di massa, altri fattori contribuirono all’assimilazione dell’italiano, quali la mobilità derivante dalle migrazioni esterne e interne e dal servizio militare. Infatti, l’evoluzione economica e industriale comportò forti cambiamenti nell’assetto sociale della Sardegna che dovette confrontarsi con il resto dell’Italia. La mancanza di mano d’opera specializzata nelle industrie 26 in loco provocò l’arrivo dalla penisola di tecnici specializzati; allo stesso tempo, le scarse possibilità di lavoro a disposizione dei nativi, li indussero a migrare verso l’estero. Questa forte mobilità aiutò a ridurre notevolmente l’isolamento socio-economico della Sardegna e favorì ulteriormente la diffusione dell’italiano. 27 Allo stesso modo, anche il servizio militare ebbe un grande valore per l’aggregazione linguistica; già durante la prima guerra mondiale si creò un contatto tra soldati italiani provenienti da diverse regioni, che, comunicando tra di loro, diedero origine a quell’italiano comunemente noto come popolare 28 (De Mauro 1970, 50-52). Basandosi sullo stesso principio, il servizio di leva creava le condizioni ottimali per uno scambio linguistico, visto che le reclute provenienti da due regioni formavano un reggimento, che veniva poi stanziato in una terza regione (Mengaldo 1994, 87). Anche le migrazioni interne all’isola dovute all’urbanesimo riscossero lo stesso effetto. 29 All’affermazione dell’italiano corrisponde un indebolimento dei dialetti sardi. Riassumendo, il periodo postunitario fu contrassegnato dalla totale scomparsa dello spagnolo e dall’affermazione dell’italiano scritto e poi parlato, a discapito delle parlate sarde (Blasco Ferrer 2009, 141). La lingua nazionale acquisì sempre più un forte prestigio e iniziò a essere percepita sia come unica lingua di cultura che come codice linguistico adatto all’uso in ambito tecnico, lavorativo o semplicemente nella conversazione quotidiana. In Sardegna si passò, così, da una situazione di plurilinguismo ad un rapporto tra sardo e italiano di bilinguismo con diglossia 30 , in cui la lingua italiana ha assunto un ruolo cardine nello spazio comunicativo sardo, divenendo sia lingua della distanza che dell’immediatezza comunicativa. 31 abstract. Das Verhältnis der Sarden zur italienischen Sprache ist alt, es reicht bis viele Jahrhunderte vor der Einigung Italiens zurück und weist einige Besonderheiten auf. Ziel dieses Beitrags ist es, die historischen Ereignisse aufzuzeigen, die in irgendeiner Weise auf die Entwicklung dieses Verhältnisses und damit auf die Etablierung des Italienischen in Sardinien eingewirkt haben. Es werden deshalb alle Phasen dieser Beziehung berücksichtigt, auch die Zeit, bevor man von einer Nationalsprache oder auch von italienischen Varietäten sprechen konnte. Schon im Mittelalter nämlich kennzeichneten dank der Seerepubliken Pisa und Genua die Kontakte zu den 2_IH_Italienisch_75.indd 93 30.06.16 17: 11 L’Italiano in Sardegna Noemi Piredda 9 4 Pisaner und Genueser Varietäten die sardische Sprachlandschaft, auch wenn deren Einfluss auf die Entwicklung des Italienischen in der Folge weniger klar und nur in einigen Gebieten der Insel hervortritt. Mit der Annektierung Sardiniens an Savoyen gewinnt das Italienische (das während der Aragonesischen Herrschaft fast vollständig verschwunden war) zunehmend an Bedeutung, vor allem dank einer von den Savoyern forcierten Politik der sprachlichen Einheit Italiens. Mit der vollzogenen staatlichen Einheit Italiens verbreitet sich das als Nationalsprache offiziell anerkannte Italienische auch auf sardischem Boden, wenn auch nur zögerlich. Erst später, als Italienisch in der Grundschule obligatorisch wird, und vor allem im 20. Jahrhundert, mit Hilfe der Massenmedien, wird die Verbreitung des Italienischen verzweigter und verändert die sprachliche Ordnung in Sardinien in entscheidender Funktion für den sardischen Kommunikationsraum. Note 1 L’isola, infatti, vantava ricche miniere d’argento, fiorenti saline, una ricca produzione di cereali, pellami, formaggi, carni, olio e così via. Ciò significò un dinamismo commerciale che fu fortemente supportato dai pisani e dai liguri che sì, furono colonialisti, ma allo stesso tempo diedero un grande contributo per lo sviluppo dell’isola non solo a livello economico ma anche a livello architettonico e culturale. Tale prosperità finì purtroppo durante il Trecento. Cf. Artizzu 1985, 21, 22; Schena/ Tognetti 2011, 52, 84-93, 101. 2 In particolare la zona sud e nord orientale dell’isola si trovava sotto l’egemonia dei pisani, mentre la zona nord-occidentale sotto quella dei genovesi. Cf. Loi Corvetto 1983, 13. 3 Un caso a parte rappresenta il giudicato di Arborea; esso infatti rimane politicamente e linguisticamente indipendente dai pisani e sopravvive anche in seguito, sotto la dominazione aragonese fino al 1409. Cf. Blasco Ferrer 1984, 132; Lörinczi 1999, 401. 4 Ciò rientrava nel progetto di Papa Gregorio VII a favore di una latinizzazione della Chiesa sarda di culto orientale, in seguito alla divisione avvenuta appunto tra Chiesa orientale e occidentale nel secolo XI. La maggior parte dei monaci che giunsero nei monasteri sardi erano benedettini e vittorini. Cf. Artizzu 1985, 27-35; Blasco Ferrer 1984, 130. 5 Quali Wagner (1951, 251-257), Loi Corvetto (1983, 13, 17) e Blasco Ferrer (1984, 132-139). 6 Per una più approfondita disamina sul ruolo da attribuire all’italiano pisano nel medioevo in Sardegna cf. Lörinczi (1999, 402-405); Bolognesi 2001, 20. 7 Infatti il comune di Sassari rappresenta nel tardo medioevo il più popolato centro urbano della Sardegna con un numero di abitanti che si aggirava tra i quindici e i sedici mila. Cf. Schena/ Tognetti 2011, 91. 8 Sui dialetti sardo-corsi e sulla loro collocazione temporale si rimanda a Maxia 2005, 523. 2_IH_Italienisch_75.indd 94 30.06.16 17: 11 Noemi Piredda L’Italiano in Sardegna 95 9 Wagner, in particolare, sostiene come le affinità tra il sassarese, il gallurese e il sardo non siano sufficienti, se confrontate alle differenze morfologiche esistenti tra i due sistemi, per definirle come varietà sarde. Cf. Wagner 1943, 243-267. 10 Per un’analisi delle testimonianze scritte in italiano rinvenute in Sardegna si rimanda a Loi Corvetto 1993, 113-237. 11 Per un dettagliato riassunto cronologico dei fatti storici che hanno caratterizzato la Sardegna dal 500 fino al 1421 si veda Schena/ Tognetti 2011, 147-151. 12 Così viene sintetizzato da Blasco Ferrer il rapporto tra i due idiomi, secondo cui i parlanti del sardo avevano una competenza esclusivamente passiva del catalano; erano, quindi, in grado di comprenderlo ma non di utilizzarlo attivamente. Cf. Blasco Ferrer 1984, 147. 13 Come osservato da Ambrosch-Baroua nel suo lavoro sul plurilinguismo nell’Italia spagnola, in Sardegna furono stampate durante la dominazione spagnola solo due opere in toscano: un libretto intitolato il Catechismo o Summa della religion christiana, una traduzione dallo spagnolo stampata nel 1569 a Cagliari e la raccolta di poesie di Pietro Delitala Rime diverse (1595, Cagliari). Sulla base delle stampe rinvenute si può sostenere che la lingua italiana fosse da considerarsi, almeno in proporzione alla produzione a stampa negli altri idiomi presenti nell’isola, e rispetto al suo uso in registri linguistici alti, come una sorta di Fremdsprache. Cf. Ambrosch-Baroua in stampa, 112, 113; 122, Anatra 1982, 237, 242. 14 Lo Stamento militare del 1565, infatti, prevedeva la traduzione in catalano degli statuti comunali delle città di Iglesias e Bosa, originariamente scritti in pisano e imponeva inoltre il divieto dell’uso della lingua italiana. Cf. Loi Corvetto 1983, 16. Oltre a ciò furono tradotti in catalano anche diversi atti e cronache antiche. Cf. Sanna 1957, 197. 15 A tal proposito, Loi Corvetto parla di un periodo di mistilinguismo, in cui l’uso del toscano in Sardegna perdura nonostante il forte impatto ibero-romanzo; un esempio di ciò viene fornito dal Condaghe di Santa Chiara di Oristano in cui si evidenziano diverse forme derivanti appunto dall’interferenza con il toscano. Cf. Loi Corvetto 1993, 136-138. 16 Per un quadro esaustivo sugli usi linguistici nell’isola all’inizio del periodo sabaudo si rimanda a Cardia 2006, 80-84. 17 L’atteggiamento politico sabaudo nei confronti della Sardegna rientrava in un quadro politico più esteso. Infatti i duchi sabaudi, nel tentativo di costruire uno stato moderno, cercarono di supportare il più possibile nei loro possedimenti, in cui vigeva un forte plurilinguismo, un’unificazione linguistica che favorisse anche l’idea di un’unica nazione. Cf. Cardia 2006, 80. 18 A tal proposito Wagner (1951, 193) riporta alcune sostituzioni lessicali nel sardo, in cui la derivazione di origine spagnola viene appunto rimpiazzata dal corrispondente italianismo. L’influenza dell’italiano sul sardo non si limita all’ambito lessicale, ma sempre secondo Wagner, è evidente anche a livello sintattico. Jvi., 260. 19 Continua invece a essere tollerato il sardo, che assume il ruolo di lingua veicolare per l’apprendimento dell’italiano. Cf. Marazzini 1984, 184; Bolognesi 2005, 25. Cosicché nelle scuole gli insegnanti di italiano dovevano tener conto della realtà linguistica sarda. Cf. Sole 1984, 95. 20 Si trattava principalmente di opere religiose, di manuali sull’agricoltura o trattati di medicina. Cf. Cardia 2006, 94, 96. 21 Per quanto concerne l’influsso degli elementi piemontesi sul sardo, a riprova della loro presenza nell’italiano, si rimanda a Loi Corvetto 1993, 67. Si rimanda inoltre alla 2_IH_Italienisch_75.indd 95 30.06.16 17: 11 L’Italiano in Sardegna Noemi Piredda 9 6 stessa autrice per una breve sintesi delle particolarità dell’italiano nelle opere a stampa e nelle scritture del Settecento e del primo Ottocento. (Jvi., 73, 74) 22 Nel 1859 la legge Casati di Torino imponeva tre anni di scuola obbligatoria; nel 1877 con la legge Capino l’obbligo scolastico fu esteso a tutta l’Italia. 23 Per una rassegna esaustiva dei mezzi di comunicazione di massa e della loro importanza per l’unificazione linguistica italiana si veda De Mauro 1963. 24 La percentuale di analfabetismo all’Unità d’Italia era del 75%; nel 1911 si ridusse al 40%, mostrando però forti differenze tra il sud, in cui la percentuale era maggiore e il nord dove invece era particolarmente scarsa. Cf. Bonomi et al. 2003, 253. In Sardegna nel 1871 gli analfabeti rappresentano l’87% della popolazione totale. Cf. Loi Corvetto 1993, 89. 25 Questo diviene palese per tutti i mezzi di comunicazione di massa sotto il fascismo, in cui si assiste inoltre ad un assolutismo dell’italiano e ad una politica antidialettale molto marcata, in quanto i dialetti potevano rappresentare uno strumento per rivendicazioni autonomistiche Cf. Bonomi et al. 2003, 254. 26 Sull’importanza dell’industrializzazione e del miracolo economico sull’assetto linguistico si vedano Blasco Ferrer 1984, 173; Loi Corvetto 1993, 96. 27 Di fatto, questi flussi migratori provocavano uno scambio socio-linguistico molto forte e imponevano ancor più nettamente un codice linguistico unico per tutti gli italiani. Cf. De Mauro 1963, 27. 28 In riferimento alla situazione sarda, è interessante notare come, all’inizio di questa fase, per la popolazione dialettofona, l’uso dell’italiano, quando questo avveniva, si manifestava come un’italianizzazione delle varietà sarde, soprattutto in campo lessicale e sintattico. Cf. Loi Corvetto 1993, 88. 29 Sulle differenze di competenza dell’italiano tra centri urbani e piccoli centri nell’isola si rimanda a Loi Corvetto 1993, 88. 30 Tale rapporto di bilinguismo si caratterizza come ‘diglossico instabile e penalizzante’ a favore dell’italiano. Cf. Rindler Schjerve 1997, 1379. 31 Sul concetto di distanza e immediatezza comunicativa si rimanda a Koch/ Oesterreicher 2007, 20-42. Bibliografia Anatra, Bruno (1982): «Editoria e pubblico in Sardegna tra Cinquecento e Seicento», in: Cerina, Giovanna/ Lavinio, Cristina/ Mulas, Luisa (edd.), Oralità e scrittura nel sistema letterario. Atti del Convegno di Cagliari, 14-16 aprile 1980, 233-243. Ambrosch Baroua (in stampa): Mehrsprachigkeit im Spiegel des Buchdrucks: das «spanische Italien» (16./ 17. Jh.). Artizzu, Francesco (1985): La Sardegna pisana e genovese, Sassari: Chiarella. Blasco Ferrer, Eduardo (1984): Storia linguistica della Sardegna, Tübingen: Niemeyer. 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Wagner, Max Leopold (1951): La lingua sarda - Storia, spirito e forma, Bern: Francke. 2_IH_Italienisch_75.indd 97 30.06.16 17: 11 9 8 re N aT e LuN Z er dem Krieg einen Sinn geben? 1915 und die intellektuellen in italien 1. Präliminarien zur Sinnfrage Die Frage nach dem Sinn der Teilnahme Italiens am Ersten Weltkrieg, der Grande Guerra von 1915-1918, hat seit jeher leidenschaftliche Debatten entfacht. Als die Verfasserin dieses Artikels im Rahmen eines internationalen Enzyklopädieprojekts mit dieser Frage nach dem sense of the war konfrontiert war, verspürte sie insofern Unbehagen, als ihrer Überzeugung nach die Begriffe ‘Krieg’ und ‘Sinn’ einander weitgehend ausschließen. ‘Sinn’ ist freilich nicht ‘Zweck’, und einen (mehr oder minder gerechtfertigten) Zweck haben wohl alle Kriege. ‘Sinn’ lässt sich am ehesten jener Form der bewaffneten Auseinandersetzung zubilligen, die man als notwendigen Verteidigungskrieg bei existenzieller Bedrohung bezeichnen könnte, wobei der Verfasserin bewusst ist, wie viel Missbrauch mit dem Terminus Verteidigungskrieg schon getrieben wurde. Die Teilnahme Italiens am Ersten Weltkrieg diente jedenfalls nicht der Verteidigung, vielmehr konnte sich das Land nach der Julikrise 1914 und der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, die den bekannten Mechanismus weiterer Kriegserklärungen auslöste, noch volle zehn Monate Zeit nehmen für die Entscheidung, ob und auf wessen Seite es in das laufende, zu einem großen europäischen Konflikt angewachsene Kriegsgeschehen eintreten wollte. Auf Seiten der Entente oder der Mittelmächte, seiner Bündnispartner seit 1882. Nach dem abwartenden Rückzug auf eine neutrale Position und komplizierten Verhandlungen mit beiden Blöcken optierte die Regierung des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Salandra (1853-1931) schließlich für den intervento und erklärte im Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg (die Kriegserklärung an das Deutsche Reich erfolgte erst im August 1916), den es unter gewaltigen Menschenopfern an der Seite der Entente ausfocht. Es fielen weit über 600.000 regnicoli (‘Reichsitaliener’), was ungefähr der Bevölkerungszahl der noch von Österreich beherrschten ‘unerlösten’ Gebiete gleichkam. Im (geheimen) Londoner Abkommen vom April 1915 waren Italien unter anderem die Territorien Trentino, Südtirol (deutschsprachig), Triest, Görz-Gradisca, Istrien und Dalmatien (alles multiethnische, gemischtsprachige Gebiete) zugesichert worden. Damit konnten sich die mit Österreich auf diplomatischem Wege bereits ausgehandelten beträchtlichen («parecchio» 1 ) Landgewinne nicht messen 2_IH_Italienisch_75.indd 98 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 99 und die pragmatische Politik des linksliberalen Ex-Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti (1842-1928), der das Land aus dem Krieg heraushalten wollte, war gescheitert. Die dynamische Minderheit der Kriegsbefürworter, der sogenannten Interventionisten (Nationalisten, risorgimental inspirierte Demokraten, Konservative, Anarchosyndikalisten u.a.) hatte der nicht koordinierten Mehrheit der Kriegsgegner (giolittiani, Sozialisten, Katholiken u.a.) in einer eskalierenden Kampagne, die im römischen «strahlenden Mai» und den Hasstiraden des vaterländischen Großdichters D’Annunzio gegen Giolitti und die Neutralisten gipfelte, ihren Willen aufgezwungen. Zwar hat ein Historiker vom Rang Rudolf Lills den italienisch-österreichischen Krieg von 1915-1918 «den sinnlosesten des ganzen Weltkrieges» 2 genannt, die Leidenschaftlichkeit der Agitation, die das Land spaltete, und die gefährlich steigende Gewaltbereitschaft, mit der die Interventionisten den öffentlichen Raum eroberten - die ‘rote’ Piazza der Arbeitskämpfe wurde zur grün-weißroten der Nationalfahne 3 - zeigt allerdings, welch enormes Potential an Sinn die Befürworter dem sogenannten ‘Erlösungskrieg’ zumaßen oder seine Gegner ihm absprachen. Wir fragen also nach den verschiedenen Dimensionen von Sinnhaftigkeit oder als Sinnhaftigkeit verbrämter strategischer Zweckmäßigkeit, von denen sich die Kontrahenten leiten ließen, ferner, wie dieses Ringen endete und über sich hinauswies. 2. intellektuelle und Krieg in europa Einen wesentlichen Beitrag zur Einstimmung auf den Konflikt, zur Mobilisierung der Straße und zum Kriegseintritt leisteten die Intellektuellen. Dies ist kein auf Italien beschränktes Phänomen. Der Krieg wurde von geistigen Eliten auf allen Seiten als «große Gelegenheit» zur Zerschlagung bürgerlicher, als morsch und abgelebt empfundener (oder diffamierter) Ordnungen und Institutionen begrüßt, ja euphorisch willkommen geheißen als «heiliges Brandopfer» (D’Annunzio 4 ), als «Hammerschmiede», der im Zuge der Umwertung aller Werte ein «neuer Mensch» (E. Jünger 5 ), eine Stahlgestalt, entsteigen sollte. Es war die Dialektik von Gegenwartskritik und Kriegsapologetik, die führende Geister Europas umtrieb und sie Befreiung aus einer tiefreichenden Sinnkrise, Selbstverwirklichung, Erlösung suchen ließ in der Destruktion, im Zusammenbruch «einer Friedenswelt, die [der Künstler, der Soldat im Künstler] so überaus satt hatte» (Th. Mann 6 ). Unnötig zu sagen, dass sie damit einer Realpolitik in die Hände spielten, die, frei von utopischen Sehnsüchten, nach Ausweitung ihrer Machtsphären strebte. 2_IH_Italienisch_75.indd 99 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 10 0 3. Sonderfall italien: «L’italia, così com’è, non ci piace» Dennoch ist Italien ein Sonderfall. In keinem anderen Land scheint die Entfremdung der jungen Kulturträger von der Realität der bürgerlich organisierten Gesellschaft und ihrer Führungsschicht so tief, die Bereitschaft zur moralischen Erneuerung so groß gewesen zu sein, nirgendwo konnten Kräfte jenseits von Regierung und Parlament so erheblichen Einfluss auf den Weltkriegseintritt nehmen wie hier. Nicht so sehr ökonomischer und politischer Druck, sondern Intellektuelle verschiedenster Provenienz fungierten als ‘Bagger’ bei der Demontage des prekären Gleichgewichts im liberalen Staat des Integrationspolitikers Giolitti. Warum distanzierten sich die Kulturschaffenden von der eigenen bürgerlich-liberalen Gesellschaft auf dem Höhepunkt ihrer Expansion, warum bekämpften sie wütend und verachtungsvoll die leidlich prosperierende ‘Italietta’ des schlau taktierenden, nach Einbindung der Opposition strebenden alten Hexenmeisters? Warum waren sie nicht bereit, ihr Unbehagen alternativ im Kräftefeld der parlamentarischen Demokratie zu instrumentalisieren? In einem epochemachenden Werk, Il mito della grande guerra, hat Mario Isnenghi ein umfassendes Corpus an literarischen Zeugnissen aus der Inkubationszeit des Großen Krieges auf die soziopolitischen, vor allem aber die psychologischen Motive hin untersucht, die sanfte und radikale Rebellen nach dem Allheilmittel des Krieges greifen ließen. Des Krieges als Pharmakon für die individuellen und kollektiven Ängste, Mängel und Übel. Seit diesem Schlüsseltext wissen wir besser Bescheid über die Erlösungssehnsüchte oder den Nihilismus, der diese ‘vor-politischen’ Dichter und Denker 7 das ‘Stirb und werde! ’ privilegieren ließ, die fatale Leitidee einer ‘Wiedergeburt’, die sich aus der Vernichtung des Bestehenden ableitete. «L’Italia, così com’è, non ci piace» (G. Amendola) kann als Sinnspruch einer Generation (auf oder ab) von öffentlichen Meinungsmachern gelten, zwischen D’Annunzios revanchistischer ‘Mare nostrum’-Lyrik um die Jahrhundertwende, Marinettis Gründungsmanifest des «großen brandstiftenden» Futurismus von 1909 und dem malthusianischen Blutrausch, den Giovanni Papini (1881-1956) und Ardengo Soffici (1879-1964) 1915 als Willkommensgruß für den Großen Krieg in ihrer Zeitschrift Lacerba entfesselten. ‘Stirb! ’ folgte darauf im Überfluss, das ‘Werde! ’ mündete in den totalitären Staat der Faschisten. 4. Nationalismus und interventionismus Ein monochromer Begriff der Nation, der diese mit einem Territorialstaat zusammenfallen lässt, ethnische und linguistisch-kulturelle Homogenität postuliert und somit konstituierend für den Nationalismus wird, hat im 2_IH_Italienisch_75.indd 100 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 101 europäischen 19. und 20. Jahrhundert unendliches Übel angerichtet. Für den Nationalismus musste ein übernationaler Staat wie das Habsburgerreich als Feindbild schlechthin dienen. Es mag daher erstaunen, dass gerade die ‘eigentlichen’ Nationalisten der 1910 von einem Literaten, dem dannunzianeggiante Enrico Corradini (1865-1931,) gegründeten Associazione Nazionalista Italiana zunächst für den intervento im Rahmen des Dreibunds eintraten. Ihm gehörte bekanntlich nicht nur das wilhelminische Deutschland an, das sie wegen seines Militarismus und seiner antidemokratischen Tendenzen bewunderten, sondern auch Österreich, ‘Erbfeind’ und Oppressor der ‘unerlösten’ Italiener von ‘Trento und Triest’ 8 . Doch Corradini und seinen Mitstreitern (Luigi Federzoni, Mastermind Alfredo Rocco) galt der Krieg gegen eine äußere Macht gleich einem Krieg gegen den inneren Feind (das heißt, die Linke, soweit friedenswillig, die progressiven Liberalen, den ‘impotenten Staat’ überhaupt), sie begrüßten ihn als ein die Nation einigendes und reinigendes Blutbad 9 , das den inneren Klassenkampf durch den äußeren ersetzen (und der Rüstungsindustrie auf die Sprünge helfen) würde. ‘Proletarische Nationen’ wie Italien hatten nach Corradinis Theorie das Recht, sich gegenüber den ‘plutokratischen’ wie Großbritannien und Frankreich durch Expansion ihren ‘Platz an der Sonne’ zu erobern. Kriegsziele der A.N.I. waren die Vormachtstellung im Adriaraum und im östlichen Mittelmeer, im Inneren die Eliminierung des Parlamentarismus und der demokratischen Ordnung. Dieser reaktionäre Nationalismus, der dann 1923 die Fusion mit dem ‘großen Bruder’ Faschismus vollzog, bot im Jahr 1914 ein Auffangbekken für viele irredentistische Intellektuelle aus den ‘unerlösten’ Gebieten, so etwa den Triestiner Ruggero Timeus (1892-1915), der den rassistischen Mythos der adriatischen Superitalianität in den Diskurs einbrachte, oder für den Trentiner Ettore Tolomei (1865-1952), einen fanatischen, vor systematischen Fälschungen nicht zurückschreckenden Verfechter der Brennergrenze und der Italianisierung Südtirols, der dann 1919 der italienischen Friedensdelegation bei den Verhandlungen in Paris als Experte (! ) beigegeben war. Die nationalistische Rechte bediente sich zwar der Erlösungsmythen des Irredentismus als Deckmantel für ihren sozialdarwinistischen Imperialismus, verachtete sie aber in Wahrheit zynisch als ‘nützliche Täuschung’ 10 , ebenso wie die humanitären und libertären Ideale der demokratischen Interventionisten, mit denen sie - wie diese mit ihnen - nolens volens an einem Strang zog. Wortgewaltiger Prophet dieses imperialistischen Nationalismus war Gabriele D’Annunzio (1863-1938), seit jeher einflussreichster poetischer Begleiter der adriatischen und afrikanischen Expansionsgelüste Italiens. Dabei wurde ihm großzügig das Forum des Corriere della Sera zur Verfügung gestellt, dessen Direktor Luigi Albertini ein entschiedener Kriegsbefürworter war. 2_IH_Italienisch_75.indd 101 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 102 Während die Propagandisten der A.N.I. durchaus auf das mazzinianische Ideal des ‘Dritten Rom’ rekurrierten, verfochten die ‘modernistischen Nationalisten’ 11 den Konsens zum Kriegseintritt mit rabiat kulturrevolutionären und ikonoklastischen Programmen. Die Futuristen genauso wie die Gruppen, die sich um die Zeitschriften Leonardo (1903-1907), Lacerba (1911-1915) und die berühmteste von allen, La Voce (1908-1916), sammelten, oder der vom Neutralisten zu einem der umtriebigsten Agitatoren für den Krieg gewandelte sozialistische Maximalist Mussolini wurzelten im gemeinsamen Terrain eines Nationalismus, der sich im Mythos des ‘neuen Italieners’ manifestierte. Der gewaltige Umbruch der Moderne, der Dynamismus der vom Konkurrenzkampf dominierten industriellen Massengesellschaft verlangten eine anthropologische Transformation. Nur die Konzentration der nationalen Kräfte auf den Kampf, die Schaffung eines martialischen, aggressiven Italieners, die Liquidierung der Demokratie und der Traditionen eines aufklärerischen Liberalismus konnten demnach der Nation zur Regeneration und zur Ankunft in der Moderne verhelfen. Dieses explosive Gemisch aus historischen Minderwertigkeitskomplexen und ‘futuristischen’ Überwertigkeitsansprüchen - ihm entsprang der Wunsch nach dem ‘Entsühnungskrieg’, der guerra espiazione 12 - lässt sich teils aus der kontroversiellen, bisweilen unter militärischen Niederlagen und diplomatischen Siegen vorangeschrittenen Einheitswerdung Italiens sowie dem Vergleich mit den großen imperialistischen Mächten der Epoche erklären, teils spukten die Philosopheme der Irrationalisten, Gewaltprediger und Elitentheoretiker (Nietzsche, Bergson, Sorel, Pareto) in den Köpfen. Futuristen und Lacerbianer, aber auch revolutionäre Syndikalisten und radikale Republikaner priesen Gewalt und Krieg im Sinne von Georges Sorel (1847-1922) als pädagogische Elemente zur Herausbildung einer neuen Ethik des Mannesmutes. «Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt - den Militarismus, den Patriotismus […] und die schönen Ideen, für die man stirbt» - dieses «entmenschlichte Übermenschentum» 13 , programmatisch festgehalten in den Hauptthesen von Marinettis Gründungsmanifest, fand seinen vielleicht widerwärtigsten Ausdruck in der ‘nekrophilen’ 14 Kriegsliteratur des Futuristenpapstes selbst und in Giovanni Papinis provokatorischen Verbalorgien am Vorabend des italienischen Kriegseintritts: «Das Blut ist der Wein der starken Völker; das Blut ist das Öl zum Schmieren der Räder dieser riesigen Maschine, die aus der Vergangenheit in die Zukunft eilt [...]. Das Zeitalter der Industrie und des Krieges nährt sich von Leichen. Futter für Kanonen und Maschinen…». (Lacerba, 15.10.1913) 2_IH_Italienisch_75.indd 102 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 103 Verständlich, dass ein Neutralist und Paladin der bürgerlichen Ordnung wie der damals bedeutendste italienische Philosoph, der germanophile Neoidealist Benedetto Croce (1866-1952), angesichts dieser blutrünstigen Rülpser die moralische Verkommenheit der intellektuellen rowdies konstatierte, die allerdings als ‘Rammböcke’ 15 gegen den Positivismus unter seinen Augen gewachsen waren. Von den Seiten seiner einflussreichen Zeitschrift Critica tadelte er zwar den Irrationalismus und die Verantwortungslosigkeit des aktivistischen Interventionismus, verhielt sich jedoch, als Rechtfertigungslehrer der Geschichte vom Sieg der Vernunft überzeugt, systemkonform und engagierte sich nicht in pazifistischen Initiativen wie der ungefähr gleichaltrige Bertrand Russell (1872-1970) oder wie Romain Rolland (1866-1944), der mit seinem Appell Au-dessus de la mêlée verzweifelt die gemeineuropäischen Werte zu verteidigen suchte. Das damalige Italien war kein guter Boden für die Entwicklung eines authentischen Pazifismus. Der geniale (Massen-)Kommunikator Marinetti übernahm von D’Annunzio und anderen mit dem ‘Übermenschen’-Virus infizierten Autoren, wie Mario Morasso, vorgebildete Denk- und Gefühlsmuster (lateinischer Rassismus und antidemokratischer Elitarismus, Kult des kriegstüchtigen männlichen Körpers und rauschhafte, depolitisierende Ästhetik der Gewalt), vermengte sie mit genuin futuristischen Mythen wie der pseudoreligiösen Verherrlichung der Geschwindigkeit und des modernen Maschinismus und setze sie mit allen Mitteln damaliger Reklametechnik in Umlauf. Die ästhetische Stilisierung des modernen Maschinenkriegs als orgiastisches Fest der Technik und der Sinne, der lustvolle Genuß des Krieges als Selbstzweck und Privatvergnügen («Marciare, non marcire! » «Osare l’inosabile! ») wie bei D’Annunzio und Marinetti, den prominentesten Barden der intellektuellen Hilfstruppe, hat immer wieder die Frage aufgeworfen, wie sehr diese «Gasmasken-Ästhetik» 16 zum Prozess der Zivilisation quersteht. 5. die Galaxie des demokratischen interventionismus Im Verlangen nach der Palingenese Italiens konnten rechte und linke, demokratische und paternalistische Kriegsbefürworter trotz verschiedener Ziele und Methoden konvergieren. In den sogenannten «demokratischen Interventionismus» flossen verschiedene Strömungen ein. Die von Mazzinis Ideen inspirierten Republikaner sahen im Weltkrieg den vierten italienischen Unabhängigkeitskrieg und somit die Vollendung des Risorgimento: die Heimkehr der noch zur Doppelmonarchie gehörenden terre irredente - Schlachtruf «Trento e Trieste! »- ins Mutterland. Nationale Selbstbestimmung forderten sie aber nicht nur für Italien, sondern im europäistischen Geist ihres ideologischen Übervaters für alle ‘unterdrückten’ Nationen. Ihre Sinnvorgaben 2_IH_Italienisch_75.indd 103 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 10 4 waren die Zerschlagung des ‘Völkerkerkers’ Österreich-Ungarn, die Ausschaltung des ‘preußischen Militarismus’ und die Gründung demokratisch organisierter europäischer Nationalstaaten, die sich in einem Vereinten Europa sammeln sollten. Der spätrisorgimentale Patriotismus der Republikaner diente allerdings, wie schon gesagt, als willkommene Camouflage für das nackte Großmachtstreben der Imperialisten, das über Trento und Triest, «die siamesischen Zwillinge der nationalen Rhetorik» 17 , weit hinausging. Integrationsfiguren des demokratischen Interventionismus waren der Rechtssozialist und Ex-Chefredakteur des Avanti Leonida Bissolati (1857-1920), der unabhängige linke Historiker und Herausgeber der Unità, Gaetano Salvemini (1873-1957), und Cesare Battisti (1875-1916), ehemaliger sozialistischer Abgeordneter zum Wiener Reichstag aus Trento. Salvemini, ein geschworener Feind Giolittis (dem er das Epitheton «il ministro della malavita» 18 anhängte), versuchte als Meinungsbildner, wie Giuseppe Prezzolini (1882- 1982) über La Voce, Kader zu schaffen, die den Diskurs der moralischen Erneuerung Italiens steuern sollten. Mit der national und international ausgegebenen Parole «Delenda Austria! » hat er die Außenpolitik der Regierung im letzten Kriegsjahr nicht unerheblich in Richtung einer Liquidierung des habsburgischen Vielvölkerstaats beeinflusst. Das Schicksal Cesare Battistis ist prototypisch für die tragische Konfliktsituation, in welche die Austroitaliener - wie viele andere Bewohner europäischer Grenzregionen - durch den Ausbruch des Krieges geraten konnten, wenn sich ihre mehrfachen Zugehörigkeiten als nicht mehr kompatibel erwiesen. Battisti, unermüdlicher, von den österreichischen Hinhaltetaktiken frustrierter Vorkämpfer für die Autonomie des Trentino und die Errichtung einer Universität in den terre irredente, wurde als italienischer Patriot zum österreichischen Hochverräter und als solcher nach seiner Gefangennahme hingerichtet. Die Wandlung dieses überzeugten Demokraten vom internationalistischen (? ) Sozialisten zu einem Spitzenexponenten des Interventionismus, der in peinliche Tuchfühlung mit Volkstribunen wie Tolomei, Corradini und D’Annunzio geriet 19 , und schließlich der heroische Einsatz seines Lebens an der Front sind weniger als Stationen eines Transformismus erklärbar denn als Rückkehr zur tiefsten Prägung: Italien. Battistis katholischer Landsmann und Wiener Reichstagskollege Alcide De Gasperi (1881-1954), nach dem Zweiten Weltkrieg langjähriger italienischer Premier, Parteichef der Christdemokraten und Promotor einer europäischen Einigung, ging den umgekehrten Weg: nachdem sich seine neutralistische Vermittlertätigkeit im Rahmen der vatikanischen Diplomatie als vergeblich herausgestellt hatte, kehrte er nach Österreich zurück und blieb dort bis 1918. Im intervento dürfte er, wohl repräsentativ für die Mehrheit der Trentiner, keinen Sinn gesehen haben. 2_IH_Italienisch_75.indd 104 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 105 6. Grenzintellektuelle: Volontariat und enttäuschung Zu den demokratischen Interventionisten gehörten auch zwei bedeutende triestinische Autoren, Scipio Slataper (1888-1915) und Giani Stuparich (1891-1961, höchstdekorierter Weltkriegsoffizier), die in der Vorkriegszeit das Thema der nationalen Frage bei friedlicher Koexistenz in einem übernationalen Staatsgebilde in die Diskussion des führenden Intellektuellenforums La Voce innovierend eingebracht hatten. Sie stellten dem intransigenten politisch-militärischen Irredentismus der Nationalisten ihr Projekt eines ‘kulturellen Irredentismus’ gegenüber, indem sie einen dritten Weg zwischen austriacantismo und überspannter italianità anpeilten: die autonome Dimension der national-kulturellen Identität, die nicht notwendigerweise mit der staatlich-politischen konvergieren müsse. Diese vom Nationalitätenprogramm der österreichischen Sozialdemokratie inspirierte interkulturelle Öffnung hielt jedoch der Probe des Kriegs nicht stand. Der charismatische Slataper, der nicht nur die literarische Landschaft von Triest (Il mio Carso, 1912), sondern auch eine pluralistische Identitätsfindung im Grenzraum vorgezeichnet hatte, mutierte mit verstörender Eile zu einem militanten Interventionisten, dessen publizistischer Aktionismus sich mit den Thesen der imperialistischen Rechten, insbesondere hinsichtlich der ‘Grenzen im Osten’ 20 traf. Die Widersprüchlichkeit seines politischen Denkens und seine letzten Entscheidungen bis hin zum Heldentod in ‘seinem’ Karst ließen sich - suchte man wie bei Battisti nach Gründen - als Drama eines dynamischen Willens und ‘monistische’, national-irredentistische Lösung multipolarer Spannungen deuten. Nicht zum Tod, aber zu lebenslanger - letztlich aporetischer - schriftstellerischer Trauerarbeit eines Überlebenden bestimmte das Kriegsvolontariat Slatapers brüderlichen Freund Stuparich. Sein lakonisches Tagebuch aus den ersten Monaten des Krieges am Isonzo, Guerra del ’15, zeigt uns exemplarisch die Desillusion: das Verblassen der risorgimentalen Träume eines republikanischen Interventionisten in den Schützengräben eines ebenso sinnlosen wie mörderischen Stellungskriegs. Dass Stuparich bald das rote Garibaldiner-Hemd ablegt, das er anfänglich unter der Uniform trug, ist beredtes Symbol einer ideologischen Krise. Entpersönlichung und Abstumpfung des Bewusstseins bis zur Apathie, Aufgeriebenwerden zwischen den Befehlen vorgesetzter Offiziere, die - wie der Oberkommandierende, General Cadorna von ‘intelligenten Bajonetten’ nichts halten, und den scheelen Blicken vieler Kameraden, die den Kampf um ‘Trento e Trieste’ keineswegs ‘wollten’ wie der irredente Freiwillige, lassen in ihm schließlich auch das Ideal des ‘gerechten Krieges’ erodieren. In gänzlich anderer Weise als der introvertierte Triestiner und zu einem viel späteren Zeitpunkt thematisiert ein anderer Intellektueller von der 2_IH_Italienisch_75.indd 105 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 106 Grenze in einem highlight der Kriegsliteratur ähnliche Fragen. Emilio Lussu (1890-1975), sardischer Interventionist, unverwundbarer Offizier in voller Solidarität mit den ihm anvertrauten Bauern und Hirten der Brigata Sassari, Gründer der autonomistischen Sardischen Aktionspartei, Theoretiker der Insurrektion und führender Kopf des organisierten Widerstands gegen das faschistische Regime, beschreibt mit aller Bitterkeit seiner souveränen Ironie Ein Jahr auf der Hochebene (von Asiago, 1916): eine radikale Polemik gegen die italienische Kriegsführung, gegen die Menschenverachtung und Inkompetenz des Generalstabs und der hohen Offiziere, die in Soldaten nichts anderes sehen als ‘Kanonenfutter’, aber nicht einmal fähig sind, dieses zweckmäßig einzusetzen. Diese arrogante Kriegshierarchie ist aber nichts anderes als Spiegel der herrschenden Klasse jenes Italien, das Lussu als «Fiktion eines liberalen Staates» bezeichnet hat. Der Sarde schreibt gegen die völlige Erniedrigung und Entmenschlichung einer zum Denken und zur Verantwortlichkeit begabten Menschheit an, gegen die Zerstörung der Vernunft, die 1939, ein Jahr nach dem Erscheinen seines Buches, einen neuen, den Zweiten Weltkrieg hervorbringen sollte. Der schmale Band aus der Feder eines Exilanten ist ein Zeugnis von europäischer Tragweite über die wahre Natur des Krieges von 1915-1918, vergleichbar mit Le Feu von Barbusse oder Im Westen nichts Neues von Remarque. 7. Gespaltene Linke In der heterogenen Galaxie des Interventionismus finden wir extrem links den Anführer der revolutionären Syndikalisten Alceste de Ambris (1874- 1934). Inspiriert von Georges Sorels Konsakration der Gewalt sah er im Krieg eine historische Chance zur Entbindung des revolutionären Potentials des italienischen Proletariats. Die Hoffnung auf einen neuen, gerechteren Staat der Produktionskräfte scheint ihn auch später bewogen zu haben, als Kabinettschef D’Annunzios die Verfassung für dessen kurzlebige Republik von Fiume auszuarbeiten. Zu den Protagonisten des interventismo rivoluzionario stieß, wie gesagt, auch der Maximalist Benito Mussolini (1883-1945). Nach seiner brüsken Wendung pro Krieg, die seine Entlassung als Chefredakteur des sozialistischen Zentralorgans Avanti und den Parteiausschluss zur Folge hatte, gründete er (mit französischem und dem Geld interessierter Industrie-Lobbies) die Zeitung Popolo d’Italia und löste damit einen Erdrutsch im Meinungsspektrum aus, wie überhaupt in den langen Monaten gespannter Erwartung nicht wenige Kriegsgegner von der Gegenseite absorbiert wurden (darunter vor allem die Katholiken) oder resignierten. Leonida Bissolatis Reformsozialisten (PSRI), 1912 vom PSI ausgeschlossen, verstärkten die Reihen des interventismo democratico, während der PSI unter Sekre- 2_IH_Italienisch_75.indd 106 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 107 tär Costantino Lazzari in seiner pazifistischen und neutralistischen Position verharrte. Angesichts des schmählichen Versagens der sozialistischen Internationale bei Kriegsausbruch - in Deutschland, Österreich und Frankreich triumphierte nicht das proletarische Klassenbewusstsein, sondern das Vaterland - , machte die große sozialistische Partei Italiens durch ihr Beharren auf absoluter Neutralität eine respektable Ausnahme. Freilich konnte sie ihre ursprüngliche Strategie, aktiven Widerstand gegen die Mobilisierung zu leisten, nicht aufrechterhalten und musste vor einer Konfrontation mit dem kriegswilligen Patriotismus zurückscheuen: né aderire né sabotare. 21 In der entscheidenden Parlamentssitzung vom 20. Mai, die sich unter dem Terror der von den interventionistischen Volkstribunen (Rädelsführer D’Annunzio) aufgehetzten Straße vollzog, stimmten einzig die Sozialisten gegen den Krieg. Die dabei ausgesprochene Prophezeiung ihres Leaders Filippo Turati (1857- 1932) sollte sich für ganz Europa aufs schlimmste bewahrheiten: in diesem Krieg würde es keine Sieger geben, denn alle würden Besiegte sein. 8. Guerra festa und allegria di naufragi «Das Blut beginnt aus dem Leib des Vaterlandes zu quellen. Spürt ihr es? Das Töten, die Zerstörung beginnt», so huldigte D’Annunzio 22 todessüchtig am Tag des offiziellen Kriegseintritts der von ihm erfundenen 10. Muse Energeia. Mit einer Zugangserlaubnis zu sämtlichen Kriegsschauplätzen ausgestattet, begann er als Privatkrieger, Überflieger und Propagandatechniker seine Devise «vivere pericolosamente» glanzvoll umzusetzen. Auch Marinetti schickte sich an, die «blutroten Ferien des Genius» zunächst als Angehöriger einer Radfahrertruppe zu konsumieren. Der Sinn, mit dem mehr oder weniger narzisstische Intellektuelle ihre Kriegsteilnahme existentiell aufluden, kann hier nicht in all seiner Vielfalt verfolgt werden. Den Krieg als festliches Abenteuer der Sinne preisen jedenfalls auch die Romane von Ardengo Soffici oder Giovanni Comisso (1895-1969); Piero Jahiers (1884-1966) Con me e con gli alpini ist nicht nur ein literarisch gelungenes Experiment von Poesie und Prosa, sondern auch exemplarisch für die glückhafte Verankerung des einzelnen in der neuen Wertegemeinschaft der Kampfgefährten. Solchen konstruktiven Integrationsmechanismen eines entfremdeten Intellektuellen stehen die regressiven gegenüber wie im Esame di coscienza di un letterato von Renato Serra (1884-1915): jenseits der Stimulantien eines aktivistischen Interventionismus gibt er sich fatalistisch der Auflösung des Ich in der Gruppe hin. Der Krieg erlöst niemanden und nichts, der Mensch macht nicht die Geschichte, nur eines zählt: Andare insieme. Serras cupio dissolvi - man assoziiert Giuseppe Ungarettis Allegria di naufragi - ist die andere, ebenso 2_IH_Italienisch_75.indd 107 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 108 irrationale Seite des triumphierenden Aggressionspotentials der selbsternannten Übermenschen und vitalistischen Brandstifter. Doch selbst ein kühler Beobachter wie Prezzolini wollte die «unwiederbringliche Gelegenheit» zur Subversion des Status quo - des Individuums wie der Gemeinschaft - um keinen Preis versäumen. 9. ein Krieg ohne Sieger Eine vorläufige Bilanz am 23. Mai 1915, dem Tag der Kriegserklärung an Österreich-Ungarn, hätte folgendes ergeben: die ästhetischen Steuerungsmechanismen der Gewaltbereitschaft durch die intellektuellen Hilfstruppen hatten funktioniert; die Mobilisierung der Massen durch die Interventionisten hatten die Regierung des sacro egoismo (Ministerpräsident Salandra/ Außenminister Sonnino) zur Beschleunigung ihrer Entscheidung, d.h. zur Unterzeichnung des Abkommens mit der Entente bewogen; von einem kurzen, siegreichen Krieg konnte sich die classe dirigente im Inneren die Ruhigstellung der subversiven Kräfte und die Überwindung der Systemkrise erwarten. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Nach einem über alles Erwarten langen und kostspieligen Krieg hatte das Land nicht nur die eingangs erwähnten Hekatomben von Gefallenen und unzählige Invaliden zu beklagen, sondern auch den wirtschaftlichen und finanziellen Bankrott sowie die unaufhaltsame Verschärfung der sozialen und politischen Gegensätze, was die Schleusen für die totalitären Entwicklungen der Nachkriegszeit öffnete. Bei den Pariser Friedensverhandlungen 1919 wurden Italien nicht alle beanspruchten Gebiete zuerkannt. Ein Protagonist des daraus resultierenden Revisionismus war wieder einmal D’Annunzio, der die herrschenden Ressentiments in der griffigen Parole des «verstümmelten Sieges» (vittoria mutilata) bündelte, die - Italien im Londoner Geheimvertrag von 1915 überhaupt nicht zugesprochene - Stadt Fiume, heute Rijeka, besetzte und dort einen korporativen Freistaat mit teils sozialrevolutionären Zügen errichtete. Giolitti setzte diesem spektakulären Abenteuer, das Rechte und Linke - Frontkämpfer, Nationalisten, Futuristen, ehemalige demokratische Interventionisten - vereinte, im Dezember 1920 ein Ende, aber die Schwäche oder auch die Konnivenz eines Teils der alten liberalen Eliten mit den Usurpatoren hatte sich deutlich gezeigt. Insofern ist die Interpretation von Fiume als ‘Generalprobe’ für Mussolinis ‘Marsch auf Rom’ zutreffend. Jedenfalls konnte der liberale Staat die seit Anfang der zwanziger Jahre auf einen Bürgerkrieg zusteuernde Krise nicht mehr beherrschen und die Herstellung eines ordine nuovo fiel, unter den bekannten Umständen, Mussolini zu. Ohnehin hatten manche Formen des subversiven antiparlamentarischen Interventionismus von 1915 Elemente der faschistischen Ideologie vorweggenommen, 2_IH_Italienisch_75.indd 108 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 109 so wie die gewalttätigen Tumulte des «strahlenden Mai» der Kriegsbefürworter von damals die Taktiken von Mussolinis Kampfgruppen (squadre). In diesem Sinne sprach Luigi Salvatorelli (1886-1974) vom Interventionismus als Protofaschismus. 23 10. Schluss: offene Fragen Ist es sinnvoll, aus der Retrospektive von hundert Jahren zu fragen, ob auch ein anderer - unblutiger - Verlauf der Dinge möglich gewesen wäre? «Wieviel Quadratkilometern entsprechen 600.000 Tote? ». 24 Über persönliche und kollektive Verantwortung der damals Handelnden zu urteilen oder nach dem ‘Verrat der Intellektuellen’ zu fragen ist - die Verfasserin weiß es wohl - problematisch. Sie lässt abschließend das Wort einem der sensibelsten Autoren aus der Generation der Kriegsteilnehmer, der, gleich fern von ‘dannunzianischem’ Größenwahn und moralischer Zerknirschung, trotz fortgesetzter Reflexion innerhalb seines Werks die beunruhigende Frage nach der Sinnhaftigkeit der Grande Guerra niemals endgültig zu beantworten wagte. Der Kontrast zwischen dem Grauen des Krieges und dem eigenen ethischen Voluntarismus blieb für den ‘erlösten’ und dennoch ‘unerlösten’ Triestiner Giani Stuparich quälend offen: «Avevo partecipato alla guerra che sconvolge gli animi, riapre il caos, scatena i bassi istinti; eppure vi avevo partecipato per un senso e per un principio di giustizia, e dagli orrori della guerra e dall’odio volevo trarre un fondamentale insegnamento d’amore. Come risolvere una così profonda contraddizione? » (Trieste nei miei ricordi, 1948) «Ich hatte am Krieg teilgenommen, der den Sinn verstört, das Chaos wieder aufreißt und die niedrigen Instinkte entfesselt: und dennoch hatte ich aus einem wohlbegründeten Gerechtigkeitssinn an ihm teilgenommen, wollte dem Schrecken des Kriegs und dem Hass eine grundsätzliche Hinwendung zur Liebe abgewinnen. Wie lässt sich ein so tiefer Widerspruch auflösen? » abstract. Analisi del senso che gli intellettuali italiani attribuirono alla ‘Guerra di liberazione’ del 1915-16, e delle critiche. In primo piano vi è la dialettica della critica contemporanea e l’apologia bellica, che spinsero i diversi attori ideologici, quali Nazionalisti, Futuristi e gli ispirati Democratici tardo-rinascimentali verso l’interventismo. Desiderano la Palingenesi italiana proveniente dal crogiolo della guerra, destra e sinistra si trovarono 2_IH_Italienisch_75.indd 109 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 110 a convergere nel sostenere la guerra, e i volontari dalle terre irridente poterono reprimere le loro multiple identità a favore della Italianità. Le tipiche testimonianze letterarie illustrarono il presunto senso del conflitto come ‘grande occasione’ per sovvertire lo status quo dell’Individuo e della Società, così come la critica radicale, e la disillusione etica, la crisi post-bellica e l’annullamento dello stato liberale. anmerkungen 1 In einem am 24.1.1915 in La Tribuna veröffentlichten Brief äußerte Giolitti seine Überzeugung, man könne von den Mittelmächten «viel [molto] ohne Krieg erreichen». Dieses «viel» wurde im Zeitungstext durch «ziemlich viel» [parecchio] ersetzt und so ging der Brief als «lettera del parecchio» in die Geschichte ein. 2 Geschichte Italiens vom 16. Jahrhundert bis zu den Anfängen des Faschismus, Darmstadt 1980, p. 276. 3 Mario Isnenghi hat den Gemeinplatz der ‘roten’ Prädominanz auf der piazza korrigiert und auf ihre mit der Interventionismuskampagne einsetzende (rechtslastige) Wandlung hingewiesen, vgl. Mario Isnenghi, L’Italia in piazza. I luoghi della vita pubblica dal 1848 ai nostri giorni, Bologna 2004 (insbesondere das 3. Kapitel: «La piazza che ha vinto la piazza»). 4 «sacro incendio»: La sagra dei mille (4.5.1915), in: Gabriele D’Annunzio, Tutte le opere, a cura di E. Bianchetti. Prose di ricerca, di lotta, di comando, vol. I, Milano 1947, S. 21. 5 Der Kampf als inneres Erlebnis, Berlin 1922, S. 74-75. 6 «Gedanken im Kriege», in: Die Neue Rundschau, Jg. 25 (1914), S. 1471-1484, hier: S. 1475. 7 Zum «prepartito degli intellettuali» vgl. auch Mario Isnenghi / Giorgio Rochat, La Grande Guerra. 1914-1918, Scandicci 2000, S. 101. 8 ‘Trento e Trieste’ waren die Symbolstädte und zugleich die Kriegsparolen des italienischen Irredentismus und Interventionismus. 9 Vgl. das Kapitel «War as Civil War» in MacGregor Knox‘ komparatistischer Studie To the Threshold of Power, 1922/ 33. Origins and Dynamics of the Fascist and National Socialist Dictatorships, vol. 1, Cambridge 2007, S. 174-182, insbesondere S. 175-176 mit dem Hinweis auf die Vorreiterrolle Alfredo Orianis. 10 Der Begriff des fecondo inganno taucht häufig in den Artikeln von Enrico Corradini, Francesco Coppola und anderen Beiträgern der nationalistischen ‘Idea nazionale’ des Jahres 1915 auf. 11 Mit dem Phänomen des nazionalismo modernista hat sich seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts immer wieder der renommierte Zeithistoriker Emilio Gentile beschäftigt, von «The Conquest of Modernity: From Modernist Nationalism to Fascism», in: Modernism/ modernity, vol. 1, n. 3, 1994, S. 55-87 bis zu «La nostra sfida alle stelle». Futuristi in politica, Bari 2009. 12 «Only war could refute the wounding taunt that les Italiens ne se battent pas» fasst Knox, To the Threshold of power, S. 175, den Wunsch nach kollektiver ‘Entsühnung’ zusammen. 13 Gentile, «La nostra sfida alle stelle», S. 27. 2_IH_Italienisch_75.indd 110 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 111 14 Vgl. Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, Stuttgart 1974, S. 311-319. 15 Vgl. Isnenghi / Rochat, La Grande Guerra, S. 107. 16 Ingeborg Bachmann, Werke. Hrsg. v. Ch. Koschel u. I. v. Weidenbaum, 4. Bd., München 1978, S. 206. 17 Angelo Vivante, Irredentismo adriatico, Trieste 1984, S. 1 (Erstausgabe: Firenze, Libreria della Voce, 1912) 18 In einem Pamphlet dieses Titels von 1910 kritisierte Salvemini den piemontesischen Staatsmann vor allem wegen seiner bei Wahlen eingesetzten Methoden, vgl. G. Salvemini, Il ministro della malavita e altri scritti sull’Italia giolittiana, a cura di E. Apih, Milano 1962. 19 «Violence both verbal and physical against Giolitti, his parliamentary followers, the Socialists he had sought as allies, and parliament itself had thus by mid-May became the thread that bound the disparate strands of interventismo together» konstatiert Knox, To the Threshold of power, S. 177. 20 Vgl. Scipio Slataper, Confini orientali. Hrsg. v. E. Guagnini, Trieste 1986. 21 Die Formel (‘weder Anschluss noch Sabotage’) prägte Parteisekretär Costantino Lazzari beim Kriegseintritt Italiens. Sie bewahrte die Partei einerseits nicht vor nationalistischen Anschuldigungen wegen «Defaitismus», erlaubte ihr aber andererseits nicht, sich an revolutionären Bewegungen wie dem Turiner Aufstand von 1917 zu beteiligen. 22 Tacitum robur. Parole dette in una cena di compagni all’alba del XXV maggio MCMXV. Die gesamte Rede ist nachzulesen in Gabriele D’Annunzio, Prose di ricerca, di lotta, di comando, di conquista, di tormento, di indovinamento, di celebrazione, di rivendicazione, di liberazione, di favole, di giochi, di baleni, vol. I, Milano 1947, S. 69. 23 Vgl. Luigi Salvatorelli, Nazionalfascismo, Torino 1923. Das Werk erschien in Piero Gobettis «Biblioteca de la rivoluzione liberale». 24 «A quanti chilometri quadrati corrispondono 600.000 morti? », Isnenghi / Rochat, La Grande Guerra, S. 130. auswahlbibliographie Adamson, Walter L.: Embattled Avant-Gardes. Modernism’s Resistance to Commodity Culture in Europe, Berkeley 2007. Benda, Julien: La trahison des clercs, Paris 1977 (Erstausgabe: Paris 1927). D’Annunzio, Gabriele: Prose di ricerca, di lotta, di comando, di conquista, di tormento, di indovinamento, di celebrazione, di rivendicazione, di liberazione, di favole, di giochi, di baleni, vol. I, Milano 1947. Fromm, Erich: Anatomie der menschlichen Destruktivität, Stuttgart 1974. Gatterer, Claus: Erbfeindschaft. Italien-Österreich, Wien et al. 1972. Gentile, Emilio: «The Conquest of Modernity. From Modernist Nationalism to Fascism», in: Modernism/ modernity, vol.1, n.3, 1994, S. 55-87. Gentile, Emilio: «La nostra sfida alle stelle». Futuristi in politica, Roma et al. 2009. Isnenghi, Mario: Il mito della Grande Guerra, Bari 1 1970 (Bologna 6 2007). Isnenghi, Mario / Rochat, Giorgio: La Grande Guerra 1914-1918, Scandicci 2000. Knox, MacGregor: To the Threshold of Power, 1922/ 33. Origins and Dynamics of the Fascist and National Socialist Dictatorships, vol. 1, Cambridge 2007. 2_IH_Italienisch_75.indd 111 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 112 Lill, Rudolf: Geschichte Italiens vom 16. Jahrhundert bis zur Neuzeit, Darmstadt 1980. Lussu, Emilio: Un anno sull’Altipiano, Torino 1945 (Erstausgabe: Paris 1938). Mondini, Marco: La guerra italiana. Partire, raccontare, tornare. 1914-1918, Bologna 2014. Stuparich, Giani: Guerra del ’15, Milano 1931. Vivante, Angelo: Irredentismo adriatico, Trieste 1984 (Erstausgabe: Firenze 1912). 2_IH_Italienisch_75.indd 112 30.06.16 17: 11 113 B i B L ioT e C a P oe T i C a Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» - oder wo vermag eine rastlose Seele ihren Frieden zu finden? La ricerca di una casa Ricerco la casa della mia sepoltura: in giro per la città come il ricoverato di un ospizio o di una casa di cura in libera uscita, col viso sfornato dalla Febbre, pelle bianca secca e barba. Oh dio, sì, altri è incaricato della scelta. Ma questa giornata scialba e sconvolgente di vita proibita con un tramonto più nero dell’alba, mi butta per le strade d’una città nemica, a cercare la casa che non voglio più. L’operazione dell’angoscia è riuscita. Se quest’ultima reazione di gioventù ha senso: mettere il cuore in carta - vediamo: cosa c’è oggi che non fu ieri? Ogni giorno l’ansia è più alta, ogni giorno il dolore più mortale, oggi più di ieri il terrore mi esalta… Mi era sembrata sempre allegra questa zona dell’Eur, che ora è orrore e basta. Mi pareva abbastanza popolare, buona per deambularci ignoto, e vasta tanto da parere città del futuro. Ed ecco un «Tabacchi», ecco un »Pane e pasta»… ecco la faccia del borghesuccio scuro di pelo e tutto bianco d’anima, come pelle d’uovo, né tenero né duro… Folle! , lui e i suoi padri, vani arrivati del generone, servi grassocci dei secchi avventurieri padani. Die Wohnungssuche Ich suche eine Wohnung, mich darin zu vergraben, und zieh durch die Stadt gleich einem Insassen des Armenspitals, des Pflegeheims, dem man Ausgang gegeben, das Gesicht noch vom Fieber verdorrt und gebleicht unterm Bart. Aber, mein Gott, eine Wahl habe ich nicht. Dieser fahle, verwirrende Tag voll verbotenen Lebens in der Dämmrung des Abends, die düsterer ist als die Frühe, wirft mich in die Straßen einer feindlichen Stadt, um die Bleibe zu suchen, die ich gar nicht mehr will. Die Manöver der Angst sind geglückt. Wenn diese letzte Regung der Jugend noch Sinn hat: das Herz aufs Papier zu bannen - laß sehen: was ist heute, das nicht gestern schon war? Jeden Tag wächst die angstvolle Enge, alltäglich tödlicher wird der Schmerz, heute schlimmer als gestern befällt mich der Schrecken… Einst schien er mir heiter, dieser Stadtteil von EUR, jetzt ist er nur scheußlich, sonst nichts. Er schien leidlich freundlich, geeignet für sorglose Gänge, großzügig genug, um als Stadt der Zukunft zu gelten. Und da ein «Tabak»-Schild, dort eins mit «Backwaren»… da sind sie, die finsteren Bürgergesichter mit dem schneeweißen Gewissen, fein sauber verpackt wie ein Ei in der Schale, nicht hart und nicht zart… Verrückt! wie vergeblich sie samt ihren Söhnen sich zum Wohlstand hin dienten, verfettete Sklaven der geizigen Geldmacher im Norden. 2_IH_Italienisch_75.indd 113 30.06.16 17: 11 Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» Sabrina Spezzano 114 E chi siete, vorrei proprio vedervi, progettisti di queste catapecchie per l’Egoismo, per gente senza nervi, che v’installa i suoi bimbi e le sue vecchie come per una segreta consacrazione: niente occhi, niente bocche, niente orecchie, solo quella ammiccante benedizione: ed ecco i fortilizi fascisti, fatti col cemento dei piasciatoi, ecco le mille sinonime palazzine «di lusso» per dirigenti transustanziati in frontoni di marmo, loro duri simboli, solidità equivalenti. E dove, allora, trovarlo il mio studio, calmo e vivace, il «sognato nido dei miei poemi» che curo in cuore come un pascoliano salmo? ……………………………………………… Uno a cui la Questura non concede il passaporto - e, nello stesso tempo il giornale che dovrebbe essere la sede della sua vita vera, non dà credito a dei suoi versi e glieli censura - è quello che si dice un uomo senza fede, che non si conforma e non abiura: giusto quindi che non trovi dove vivere. La vita si stanca di chi dura. Ah, le mie passioni recidive costrette a non avere residenza! Volando a terre eternamente estive scriverò nei moduli del mondo: «senza fissa dimora». È la Verità che si fa strada: ne sento la pazienza sconfinata sotto la mia atroce ansietà. Ma io potrei fare anche il pazzo, l’arrabbiato… pur di vivere! la forza di conservazione ha finzioni da cui è confermato ogni atto dell’Esserci… La casa che cerco sarà, perché no? , uno scantinato, Und wer seid ihr, möchte ich wissen, ihr Erfinder von diesen Behausungsschachteln, vom Egoismus bewohnt und von Nervenlosen, die ihr eure Kinder und eure Alten in Zellen einschließt wie in geheimer Verschwörung: nicht Augen, nicht Münder, nicht Ohren, nur dieses zwinkernde Einverständnis: da die faschistischen Bunker, vom Zement der Pissoirs gegossen, da die tausend eintönigen Wohlstandskasernchen der Direktoren, die selbst schon zu Marmorklötzen geworden, ihren harten Symbolen und Status und Dauer. Wo also soll ich sie finden, meine Stube, die «stille, lebendige Brutstatt meiner Verse», die ich mir, gleich Pascolis Psalmen, im Herzen erträumt? …………………………………………………………… Einer, dem die Quästur keinen Paß geben will - dem zugleich die Presse, die der Ort seines wahren Zuhauses sein sollte, seine Verse zensiert und ihm keinen Kredit gibt, das ist‘s, was man einen Mann ohne Glauben nennt, weil er weder sich anpaßt noch abschwört: ganz recht, daß keine Bleibe er findet. das Leben kehrt dem, der standhält, den Rücken. Immer rückfällig werd’ ich in meinen Passionen, verdammt dazu, ohne Wohnstatt zu bleiben! Fliegen will ich in den ewigen Sommer und überall schreiben ins Formular: «Ohne festen Wohnsitz». Das ist die Wahrheit, sie sucht sich ihren Weg: ich fühl‘s an der Geduld, die sich grenzenlos weitet unter der grausamen Angst. Wohl könnte ich auch tollwütig werden und böse… nur um zu leben! Die Selbsterhaltung schafft Bilder, die jede Handlung des Daseins bestätigen… meine Bleibe, die ich suche, wird sein, warum nicht? ein Kellergewölbe, 2_IH_Italienisch_75.indd 114 30.06.16 17: 11 Sabrina Spezzano Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» 115 o una soffitta, o un tugurio a Mombasa, o un atelier a Parigi… Potrei anche tornare alla stupenda fase della pittura… Sento già i cinque o sei miei colori amati profumare acuti tra la ragia e la colla dei telai appena pronti… Sento già i muti spasimi della pancia, nella gola, delle intuizioni tecniche, rifiuti stupendamente rinnovati di vecchia scuola… E, nella cornea, il rosso, sopra il rosso, su altri rossi, in un supremo involucro, dove la fiamma è un dosso dell’Apennino, o un calore di giovani in Friuli, che orinano su un fosso cantando nei crepuscoli dei poveri… Dovrò forse un giorno esservi grato per questa vergognosa forza che mi rinnova, conformisti, dal cuore deformato non dalla brutalità del vostro capitale, ma dal cuore stesso in quanto è stato in altra storia violentato al male. Cuore degli uomini: che io non so più, da uomo, né amare né giudicare, costretto come sono quaggiù, in fondo al mondo, a sentirmi diverso, perso ad ogni amore di gioventù. 1 Kaum ein anderer Intellektueller des 20. Jahrhunderts genießt vierzig Jahre nach seinem Tod eine so herausragende Stellung im öffentlichen italienischen Diskurs wie Pier Paolo Pasolini. 3 Sein breit angelegtes Werk - sei es hinsichtlich des Genres oder des Sujets - sucht seinesgleichen, exemplarisch lässt sich dies an dem Gedicht Ricerca di una casa aufzeigen. Ricerca di una casa erscheint im Gedichtzyklus Poesia in forma di rosa 4 , im Mai 1964 und weist die Form eines lyrischen Tagebuchs auf. 5 Der symbolträchtige Titel erlaubt eine behutsame Prognose des Inhalts. Wie vermag Lyrik zu sein, die sich in Form der Königin der Blume offenbart? Der ein Speicher, eine elende Hütte in Mombasa, ein Atelier in Paris… ich könnte zurück in die herrliche Zeit der Malkunst… Schon sehe ich meine paar Lieblingsfarben, rieche den Harz und den Kleister neben der fertigen Leinwand… Schon fühl ich das Ziehen im Bauch, in der Kehle bei der Inspiration, beim Versuch, die vergessene Technik der alten Schulen neu zu beleben… In der Hornhaut spiegelt sich Rot über Rot, nochmals ein Rot, in der äußersten Hülle, wo die Flamme des Apenninengebirges erscheint, und die Glut von jungen friulanischen Burschen, die singend in einen Graben pinkeln, in den Dämmerlichtern der Armen… Vielleicht werde ich einst euch danken müssen für diese schändliche Kraft, die mich läutert, ihr Konformisten mit den verdorbenen Herzen, nicht durch die böse Macht eures Geldes, im Herzen selbst seid ihr schon verdorben, das zu anderen Zeiten gewaltsam verbildet wurde. Menschliches Herz: das ich, als ein Mensch, nicht mehr zu lieben weiß, nicht mehr zu richten, da ich hier am Abgrund der Welt, verdammt dazu bin, als ein Andrer zu gelten, an alle junge Liebe verloren. 2 2_IH_Italienisch_75.indd 115 30.06.16 17: 11 Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» Sabrina Spezzano 116 Blume der jugendlichen Frische, der Liebe, der dantesken und mystischen Tradition 6 - aber auch jener, die wie keine zweite mit unsagbarem Stolz und Schmerz verbunden ist. «Die Rose steht also für das dichterische Wort, wie dies schon seit Ciceros ‘flos orationis’ (De Orat. III, 96) möglich ist. Das Pflücken der Rose verweist zusätzlich auf den erotisch konnotierten ‘Collige, virgo, rosas’-Topos, so dass die für Pasolinis Oeuvre besonders typische Verschränkung von Sexualität und Poetologie hergestellt wird. Beide Bereiche verbindet zudem ihre narzißstische Grundstruktur.» 7 Sicher kein Zufall, dass er die Blume der Mater dolorosa wählt, verband ihn doch mit seiner Mutter, die er als seine Madonna bezeichnete 8 , eine besondere Nähe, wenn die Beziehung auch auf eine liebevolle Art quälend 9 war. 10 Ambivalent wie Pasolini selbst, auch die Bedeutung der Rose, steht sie doch für göttliche Gnade, Vollkommenheit und selbstgenügsame Schönheit, aber eben auch irdische Leidenschaft sowie Vergänglichkeit und Tod. 11 In diesem Gedichtzyklus offenbaren sich innere Widersprüche, schmerzvolle Kämpfe, die er mit sich, aber auch der italienischen Gesellschaft durchleiden musste, eine besondere Liebe zur Sprache und Literatur sowie eine Idealisierung des Vergangenen. Dies zeigt sich in einer stilistischen Experimentierfreudigkeit, von Gedichten, die an einen stream-of-consciousness erinnern, über fiktive Interviews bis zu lyrischen Reisetagebüchern. 12 Ricerca di una casa [dt: Die Wohnungssuche] befindet sich im ersten, mit LA REALTÀ überschriebenen Kapitel, des achtteiligen Gedichtzyklus und folgt auf das bekannte Gedicht Supplica a mia madre. Obgleich das Gedicht eine Vielzahl intertextuelle, intermediale aber auch biographische Einblicke in das Leben Pasolinis sowie historische und soziologische Eindrücke in das Italien der 60er Jahre vermittelt, fand es bisher kaum Beachtung in der literaturwissenschaftlichen Analyse. Auch wenn Pasolini stark geprägt wurde von der klassischen italienischen Lyrik, so erkennt man in Ricerca di una casa gleichermaßen ganz eigene - sicherlich bewusst gesetzte -Abgrenzungen zu dieser. Das Gedicht besteht aus 31 Terzetten, die in einem zunehmend sich auflösenden Kettenreimschema verfasst sind. Anders als in der dantesken terza rima verbleibt Pasolini jedoch nicht ausschließlich in der Metrik des endecasillabo. In diesem Gedicht erscheint seine Abkehr von der klassischen Gedichtstruktur jedoch noch relativ gemäßigt, ruft er doch an anderer Stelle des Gedichtzyklus aus: «VERSI NON PIÙ IN TERZINE! » 13 Auch sprachlich treffen traditionelle Einflüsse auf die zeitgenössische moderne Gesellschaft. Wirken 2_IH_Italienisch_75.indd 116 30.06.16 17: 11 Sabrina Spezzano Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» 117 manche Strophen stark geprägt von der melancholischen Romantik eines Giacomo Leopardi («Ma questa giornata scialba […] con un tramonto più nero dell’alba», 3. Strophe), in dessen Tradition eines (linken) poeta civile Pasolini sich verstand, 14 spiegeln andere erbarmungslos eine kalte, substanzielle Realität wider («mi butta per le strade d’una città nemica», 4. Str., 1. V.). Das Gedicht weist nach der 15. Strophe eine zentrale - formale wie inhaltliche - Zäsur auf. Das lyrische Ich stellt in einer zunächst beinahe repetitiv erscheinenden Form in beiden Abschnitten seine Suche nach einer casa dar, setzt sich mit der Gesellschaft auseinander und kommt dann zu seinen Rückschlüssen. Wirkt die Sprachfärbung des Gedichtes in der ersten Hälfte noch vorrangig verzweifelt, melancholisch, so steigert sie sich jedoch in der zweiten ins verbittert Wütende. Unterstützt wird dies durch die dunkle Lautfärbung, welche das Gedicht charakterisiert. Durch den vielfachen Gebrauch von Enjambements kann sich der Leser dieser bedrückenden Wirkung kaum entziehen, welche das gesamte Gedicht beinahe leitmotivisch prägt (z.B.: «vediamo: cosa c’è oggi che non fu / ieri? », 5. Str., 3. V. - 6. Str., 1. V.). Auffallend auch der repetitive Gebrauch von Anaphern (z.B.: «niente occhi, niente bocche, niente orecchie», 12. Str., 1. V.) und Apostrophen («E chi siete, vorrei proprio vedervi», 11. Str., 1. V.), die die omnipräsente Ausweglosigkeit unterstreichen. Markant ist die Großschreibung folgender Substantive: Febbre, Folle, Egoismo / Questura, Verità, Esserci. In den Schilderungen des lyrischen Ichs spiegeln sich Aspekte wider, die sich durchaus mit dem realen Leben Pasolinis in Verbindung bringen lassen, befand er sich doch in der Schaffensphase des Gedichtes in einer menschlichen und künstlerischen Krise, an den Pranger gestellt von einer für ihn erbarmungslos wirkenden Gesellschaft: «Tu sai bene in che condizioni ero ridotto. Rileggiti […] La persecuzione e tanti altri passi della Poesia in forma di rosa [...]. Ero ridotto a un reietto, a cui tutti potevano fare tutto». 15 Das lyrische Ich scheint wie ein Fiebernder durch das nächtliche Rom zu streifen, dessen Verzweiflung durch die Exklamation «Oh dio» (2. Str., 3. V.) noch unterstrichen wird. Durch Febbre drückt das lyrische Ich seine persönlichen Unzulänglichkeiten aus, über die er sich zwar bewusst ist, die ihn aber physisch und psychisch in Mitleidenschaft ziehen und derer er sich nicht erwehren kann. Unweigerlich fühlt sich der Leser an eine danteske Liebeskrankheit im Sinne der Vita Nova erinnert z.B.: «io mi movea quasi discolorito tutto». 16 Auffallend erscheint auch der Kontrast zwischen dem durch Krankheit erbleichten lyrischen Ich («col viso sfornato […] pelle bianca secca e barba», 2. Str., 1.-2. V.) und dem dunkelhaarigen Bürgerlichen, welcher abfällig als Spießbürger bezeichnet und ironisch kontrastierend mit einer weißen Seele versehen wird: «ecco la faccia del borghesuccio 2_IH_Italienisch_75.indd 117 30.06.16 17: 11 Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» Sabrina Spezzano 118 scuro di pelo e tutto bianco d’anima» (9. Str., 1.-2. V.). Hier offenbart sich auch Pasolinis ambivalentes Verhältnis zum Bürgertum. Obgleich er sich seines bourgeoisen Erbes seitens seines Vaters bewusst war, lehnte er dies jedoch stets ab. Seinen ödipalen Konflikt dürfte dieses Wissen jedoch noch verstärkt haben. «Es bestand ein Zwiespalt, ein tiefsitzender Konflikt zwischen Pasolinis narzisstischem bürgerlichen Ich und dem Ich, das sich danach sehnt, aus der Falle der Bürgerlichkeit auszubrechen und sich in eine Welt hineinzustürzen, die er als heilig betrachtete. Auf diesem Widerspruch gründet im Grunde Pasolinis gesamte Poetik.» 17 Vergleicht man dies mit Pasolini, so waren sein nächtliches, risikoreiches Umherstreifen bis in die frühen Morgenstunden, die Anonymität käuflicher Liebe und die enge Verbindung von Wagnis und Erotik wichtige Faktoren, die seinem sonst bürgerlich anmutenden Leben anachronistisch gegenüberstanden. 18 Er war ein Getriebener der Gesellschaft - aber auch seiner selbst, was ihn zwar zu Perfektionismus anregte, aber seine tief verwurzelte Einsamkeit nicht mindern konnte. 19 Das zweite hervorgehobene Substantiv lautet Folle, was sowohl ‘die Menge’, ‘verrückt’ / ‘sinnlos’, aber auch ‘Narr’ bedeuten kann. Eine Bedeutungsvielfalt, die Pasolini sicherlich nicht zufällig wählte, zumal er sich selbst als «Hofnarr der Bourgeoisie» 20 bezeichnete. Voller Wehmut und Groll erkennt das lyrische Ich, wie sich die Bourgeoisie innerhalb aller sozialen Schichten und geographischer Regionen ausbreitet («lui e i suoi padri, […] servi grassocci dei secchi avventurieri padani» [10. Str.]). Hier zeigt sich der spätere Verfasser der Scritti corsari: «[...] e la vecchia borghesia paleoindustriale sta cedendo il posto a una borghesia nuova che si comprende sempre di più e più profondamente anche le classi operaie, tendendo finalmente alla identificazione di borghesia con umanità.» 21 Verbittert stellt das lyrische Ich die Omnipräsenz des Egoismo fest und kritisiert die gleichförmigen, seelenlosen Wohnsiedlungen, welche pejorativ als catapecchie (11. Str., 2. V.) bezeichnet werden, die zweifelsfrei eine konformistische Gesellschaft hervorbringen mussten. Wenige Jahre später wird Pasolini dies so beschreiben: 2_IH_Italienisch_75.indd 118 30.06.16 17: 11 Sabrina Spezzano Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» 119 «Die ‘Zentren’ mit den Mietskasernen sind dagegen enorm gewachsen, wobei keine Rede mehr sein kann von einem auch nur teilweisen Überleben der antiken oder bäuerlichen Welt. [...] Das Anrecht der Armen auf eine bessere Zukunft hat eine Scheinlösung gefunden, die letztlich nichts anderes ist als Erniedrigung.» 22 Diesen subproletarischen Siedlungen stellt das lyrische Ich die kalten fortilizi fascisti und marmornen palazzine «di lusso» (13.-14. Str.) gegenüber, und so schließt der erste Teil des Gedichts, wie er begann, mit der sehnsuchtsvollen Suche nach einem in Anlehnung an Pascoli persönlichem «‘sognato nido dei poemi’»(15. Str., 2. V.), einem schützenden, inspirierenden Nest, einem Zuhause. Bereits im ersten Vers des zweiten Teils wird das Wort Questura - im Sinne der polizeilichen, staatlichen Gewalt - hervorgehoben, dicht gefolgt von der Weigerung der Presse ihn (unzensiert) zu drucken. Prägnant ist in diesen Zusammenhang folgender in eine Anapher mündende Zeilensprung: «è quello che si dice un uomo senza fede, / che non si conforma e non abiura», (17. Str., 3. V. - 18. Str., 1. V.) vermittelt dies doch den Eindruck, dass das lyrische Ich sich auch nicht einfach der Gesellschaft anpassen wolle. Auffallend auch hier die Parallele zu Pasolinis Vita. Die frühen sechziger Jahre sind durch eine Vielzahl von Prozessen, Angriffen der Presse sowie dem stetigen Kampf gegen die Filmzensur gekennzeichnet. 23 Während der Prozesstage im März 1963 schreibt er Pietro II, neun Texte eines Tagebuchs in Versen sowie das vorliegende Gedicht. 24 Bisweilen mögen ihm Zweifel gekommen sein, ob diese Prozesse - bizarr zum Teil die Anschuldigungen - tatsächlich noch der Wahrheitsfindung dienen sollten. So überrascht es nicht, dass er der Verità eine besondere Rolle einräumt. Immer mehr verschwimmen die Grenzen zwischen der künstlerischen Adaption und der realen Vita Pasolinis. ‘Pasolinisch’ wird zum Adjektiv, welches in der Presse für alles gebraucht wird, was mit dem römischen Subproletariat, allgemein mit der Unterwelt oder mit Homosexuellen zu tun habe. 25 Offenbart bereits der 1. Vers «Ricerco la casa della mia sepoltura […]», dass es sich nicht nur um eine Wohnungssuche des lyrischen Ichs handeln kann, so wird dies durch folgendes Enjambement der zweiten Hälfte nochmals unterstrichen: «Scriverò nei moduli del mondo: ‘senza / fissa dimora.’» (20. Str., 1.-2. V.). Das lyrische Ich offenbart ein ‘Nicht-Angekommen-Sein’ in der Welt, eine existentielle Heimatlosigkeit, so verwundert es nicht, dass das nächste akzentuierte Wort Esserci lautet. Im Sinne der diarischen Poesie - auch wenn diese immer kritisch zu analysieren ist - kann in 2_IH_Italienisch_75.indd 119 30.06.16 17: 11 Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» Sabrina Spezzano 120 diesem Zusammenhang auf Pasolinis Lebenssituation hingewiesen werden. Wobei hier differenziert werden muss, zwischen seiner gesellschaftlichen Enttäuschung, die sich vorrangig im ersten Teil des Gedichtes zeigt und seiner persönlichen, die er verstärkt im zweiten darlegt. Das Anders-Sein nimmt einen großen Bereich ein. Um dieses für sich ertragbarer zu gestalten, greift er auf Autoren ähnlicher Schicksale zurück. Eine besondere Wichtigkeit kommt seinem Alter Ego, des Anderen per se, Rimbaud zu. 26 Mit ihm teilt er die Homosexualität und die damit verbundenen Repressionen, die Liebe zu Lyrik - aber auch den Wunsch nach poetischer Innovation, der sich besonders in Rimbauds Opus Ce qu’on dit au poète à propos de fleurs offenbart. Hier fällt die Analogie zum Titel des vorliegenden Zyklus auf und der Schluss verstärkt diese Assoziation: «[...] quaggiù, in fondo al mondo, a sentirmi diverso.» (31. Str., 2. V.) Auch die Konnotation des Flanierens - «buona per deambularci» (8. Str., 1. V.) sowie «un atelier a Parigi» (23. Str., 2. V.) - lassen an Rimbaud, vielleicht sogar verstärkt an Baudelaire erinnern. In seinem Gedichtzyklus Fleurs du Mal, auch hier fällt eine symbolische Nähe des Titels auf, leidet Baudelaire unter der Veränderung seiner Stadt Paris und der aufkeimenden Moderne, in der er sich nicht (mehr) zu Hause fühlt. Auch Baudelaire sucht nach einer beschaulicheren Welt außerhalb Europas. Nachdem das lyrische Ich erkennen muss, dass seine Italietta nicht mehr existiert, hält es hoffnungsvoll Ausschau nach der dritten Welt 27 («un tugurio a Mombasa», 23. Str., 1. V.). Seine Suche nach einem Zuhause, welches sogar ein Kellergeschoss («uno scantinato», 22. Str., 3. V.) sein könne, erinnert an Dostojewskis Aufzeichnungen aus dem Kellerloch und unterstreicht das Gefühl in einer - nicht nur für das lyrische Ich desperaten Gesellschaft gefangen zu sein. Neben den bereits erwähnten Pascoli fällt ein enger Bezug zu Cesare Pavese auf; zu offensichtlich ist die Anlehnung an dessen Sprachduktus: «La vita si stanca di chi dura» (18. Str., 3. V.). Unverkennbar lässt sich in der Metaphorik der letzten Strophen - im Sinne einer für diesen Gedichtzyklus charakteristischen bukolisch-paradiesischen Retrospektive 28 - Pasolinis rurale Jugend in Casarsa, seiner «kleinen Heimat» 29 erkennen: «d’ove la fiamma è un dosso / dell’Apennino, o un calore di giovani in Friuli […] ( 27. Str., 1.-3. V.).» Selbst dies vermag ihn aber angesichts seiner Lebensrealität nicht zu trösten: «Cuore degli uomini: che io non so più, da uomo nè amare nè giudicare [ …] (30. Str., 2.-3. V.).» So verbleibt - auch 40 Jahre nach seinem Tod - die Frage offen: wo hätte seine rastlose Seele in dieser Welt noch Frieden finden mögen? 2_IH_Italienisch_75.indd 120 30.06.16 17: 11 Sabrina Spezzano Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» 121 anmerkungen 1 Pier Paolo Pasolini, Poesia in forma di rosa, Milano: Garzanti Libri 1964. 2 Pier Paolo Pasolini, Unter freiem Himmel. Aus dem Italienischen von Toni und Sabina Kienlechner, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1982, S. 119-121. 3 Vgl. Johannes Hösle, Die italienische Literatur der Gegenwart - von Cesare Pavese bis Dario Fo, München: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 1999, S. 99. 4 Der Gedichtzyklus beinhaltet die Schaffensjahre 1961-64, vgl. Klaus Semsch, Literatur und Ideologie - Marxistisches Weltbild und dichterische Kreativität im lyrischen Werk Pier Paolo Pasolinis, Essen: Die Blaue Eule Verlag 1989, S. 106. 5 Vgl. Nico Naldini, Pier Paolo Pasolini - Eine Biographie, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1991, S. 239. 6 Vgl. Marco Antonio Bazzocchi, Pier Paolo Pasolini, Biblioteca degli scrittori, Milano: Bruno Mondadori 1998, S. 155. 7 Ulrich Prill, «Pier Paolo Pasolini - Il Narciso e la rosa», S. 185-195, in: Manfred Lentzen (Hrsg.): Die italienische Lyrik des 20. Jahrhunderts in Einzelinterpretationen, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2000, S. 190. 8 Burkhart Kroeber, «Nachwort: Wer war Pasolini? », in: Burkhart Kroeber (Hrsg.), Pier Paolo Pasolini - das Herz der Vernunft - Gedichte, Geschichten, Polemiken, Bilder, Berlin: Klaus Wagenbach Verlag 1986, S. 215. 9 Vgl. Enzo Siciliano, Pasolini - Leben und Werk, München: List Taschenbuch Verlag 2000, S. 46. 10 Vgl. «[…] sei mia madre e il tuo amore è la mia schiavitù […]», aus: «Supplica a mia madre», in: Pier Paolo Pasolini, Poesia in forma di rosa, S. 25. 11 Mehr zur Rose vgl. Günter Butzer/ Joachim Jacob (Hrsg.), Metzler Lexikon literarischer Symbole, 2. Auflage, Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 2012, S. 350 ff. 12 Vgl. Semsch, S. 113. 13 Pasolini, Poesia in forma di rosa, S. 129. 14 Vgl.: Kroeber (Hrsg.), S. 5. 15 Brief an Mario Alicata, Rom, Oktober 1964, in: Nico Naldini (Hrsg.), Pier Paolo Pasolini: Vita attraverso le lettere, Torino: Giulio Einaudi Editore 1994, S. 257 f. 16 Dante Alighieri, Vita Nuova, Milano: Biblioteca Universale Rizzoli 2001, S. 148. 17 Alain Bergala im Gespräch mit Vincenzo Cerami, Januar 2013, in: Jordi Balló (Hrsg.), Pasolini Roma, Berliner Festspiele Martin-Gropius-Bau, München/ London/ New York: Prestel Verlag 2014, S. 47. 18 Vgl. Siciliano, S. 365. 19 Mehr dazu: ebd., S. 304. 20 Kroeber (Hrsg.), S. 130. 21 Pier Paolo Pasolini, Scritti corsari, gli interventi più discussi di un testimone provocatorio, Milano: Garzanti 1975, S. 25 f. 22 Kroeber (Hrsg.), S. 21. 23 Mehr dazu in: Siciliano, S. 310 ff. 24 Naldini, S. 230. 25 Siciliano, S. 314. 26 Z.B. ebd., S. 212. 27 Vgl. Balló (Hrsg.), S. 159. 28 Vgl. Semsch, S. 113. 29 Alain Bergala im Gespräch mit Vincenzo Cerami, Januar 2013, in: Balló (Hrsg.), S. 46. 2_IH_Italienisch_75.indd 121 30.06.16 17: 11 Pier Paolo Pasolini: «La ricerca di una casa» Sabrina Spezzano 122 Bibliographie Primärliteratur Pasolini, Pier Paolo: Poesia in forma di rosa, Milano: Garzanti 1964. Pasolini, Pier Paolo: Scritti corsari, gli interventi più discussi di un testimone provocatorio, Milano: Garzanti 1975. Pier Paolo Pasolini: Unter freiem Himmel. Aus dem Italienischen von Toni und Sabina Kienlechner, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1982. Sekundärliteratur Alighieri, Dante: Vita Nuova, Milano: Biblioteca Universale Rizzoli 2001 (Settima Edizione). Balló, Jordi (Hrsg.): Pasolini Roma, Berliner Festspiele Martin-Gropius-Bau, München, London, New York: Prestel Verlag 2014. Bazzocchi, Marco Antonio: Pier Paolo Pasolini, Milano: Bruno Mondadori 1998 (Biblioteca degli scrittori). Cooper, J.C.: Das große Lexikon traditioneller Symbole, 2. Auflage, München: Wilhelm Goldmann Verlag 2004. Hösle, Johannes: Die italienische Literatur der Gegenwart - von Cesare Pavese bis Dario Fo, München: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 1999. Kroeber, Burkhart (Hrsg.): Pier Paolo Pasolini - das Herz der Vernunft - Gedichte, Geschichten, Polemiken, Bilder, Berlin: Klaus Wagenbach Verlag 1986. Lentzen, Manfred (Hrsg.): Die italienische Lyrik des 20. Jahrhunderts in Einzelinterpretationen, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2000. Naldini, Nico: Pier Paolo Pasolini - Eine Biographie, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1991. Naldini, Nico (Hrsg.): Pier Paolo Pasolini: Vita attraverso le lettere, Torino: Giulio Einaudi Editore 1994. Oster, Angela: «Poesia in forma di rosa - Pier Paolo Pasolini: ‘Supplica a mia madre’, in: Italienisch Nr. 55, 2006, S. 88-93. Semsch, Klaus: Literatur und Ideologie - Marxistisches Weltbild und dichterische Kreativität im lyrischen Werk Pier Paolo Pasolinis, Essen: Die Blaue Eule Verlag 1989. Siciliano, Enzo: Pasolini - Leben und Werk, München: List Taschenbuch Verlag 2000. 2_IH_Italienisch_75.indd 122 30.06.16 17: 11 123 V i TTorio Prada il lessico familiare come strategia comunicativa in politica il leader sfodera la sua arma segreta: la famiglia «scende in campo» Il presente contributo è incentrato su alcuni aspetti relativi alla strategia comunicativa adottata agli inizi degli anni Novanta dal leader politico Silvio Berlusconi allo scopo di ottenere il consenso dell’italiano medio. Il fondatore di Forza Italia sa chiaramente a chi rivolgere il proprio messaggio e soprattutto il modo in cui farlo. Consapevole della diffidenza con la quale spesso i cittadini guardano ai rappresentanti dello Stato e al loro modo di esprimersi, che faticano a comprendere o non comprendono per nulla, Berlusconi forgia un linguaggio politico totalmente innovativo: il cosiddetto ‘gentese’, ovvero il gergo utilizzato dalla gente comune e in famiglia tra le mura domestiche. La lingua del Cavaliere si distanzia da un lessico ermetico e fumoso, diventando improvvisamente più empirica, concreta e diretta, tanto da apparire sfacciatamente elementare. L’intento di Berlusconi è quello di accattivarsi i cittadini che si mostrano normalmente piuttosto indifferenti alla politica, provano scarso interesse per la cultura in generale e infine non possiedono gli strumenti adeguati per orientarsi all’interno delle formule verbali astratte e volutamente complesse, tipiche del ‘politichese’ tradizionale in voga nella ‘Prima Repubblica’. Il fatto che Berlusconi intenda rivolgersi principalmente a un elettorato popolare è riscontrabile sin dal suo primo atto politico ufficiale. Invece di esporre le linee programmatiche del partito da lui appena fondato, il Cavaliere preferisce parlare in prima persona del suo amore per il Paese, delle sue radici, di suo padre e della sua carriera di imprenditore. Berlusconi decide di annunciare il suo ingresso in politica tramite un discorso televisivo che può essere definito un autentico proclama alla nazione. Il messaggio del Cavaliere viene trasmesso il 26 gennaio 1994 da Rete 4, un’emittente del gruppo Fininvest di sua proprietà. L’intera ambientazione in cui viene registrato il monologo è attentamente studiata, in modo da risultare particolarmente accogliente. Berlusconi è seduto a quella che dovrebbe essere la scrivania dello studio di casa. Alle sue spalle fanno bella mostra una libreria colma di volumi e alcune cornici di argento con le foto di famiglia in cui si riconoscono i volti sorridenti della moglie e dei figli. Grazie a una luce particolarmente calda e vagamente soffusa, l’atmosfera appare rilassata e prelude a un discorso più ‘intimo’ che istituzionale. 2_IH_Italienisch_75.indd 123 30.06.16 17: 11 Il lessico familiare Vittorio Prada 124 Il modo in cui Berlusconi ufficializza la nascita di una nuova forza politica, da lui guidata in prima persona, modifica radicalmente il lessico e le strategie comunicative in campo politico. Il leader di Forza Italia elenca una serie di valori tradizionali a cui fare riferimento, come la libertà, la patria, la famiglia e il lavoro. Pur riconoscendo il prestigio indiscusso del personaggio pubblico, il telespettatore deve anche convincersi che Silvio Berlusconi è persona retta e ricca di bontà d’animo e che le sue intenzioni in ambito politico sono sincere. A dimostrazione del proprio spessore morale, il Cavaliere apre il proprio ‘tele-comizio’ con una vera e propria dichiarazione d’amore verso il Paese che gli ha dato i natali. Memorabile è l’incipit del suo messaggio: «L’Italia è il Paese che amo. Qui ho le mie radici, le mie speranze, i miei orizzonti. Qui ho imparato, da mio padre e dalla vita, il mio mestiere di imprenditore. Qui ho appreso la passione per la libertà». 1 È stato fatto notare come Berlusconi esprima «buoni sentimenti condivisibili da qualunque buon padre di famiglia» e voglia passare per un soggetto moralmente impeccabile. 2 È interessante inoltre notare la ripetizione, quasi ossessiva all’interno del messaggio, di campi semantici legati alla sfera dell’emotività e della passionalità. Il riferimento un poco struggente alla figura del padre defunto, il quale è riuscito a fornire al figlio i giusti insegnamenti affinché questo potesse svolgere al meglio il suo ‘mestiere’ di imprenditore, ha il chiaro intento di rassicurare il pubblico a casa sui sani principi che animano l’oratore. Il tono è particolarmente enfatico. Anche la scelta della parola ‘mestiere’ è perfettamente studiata: essa viene infatti preferita al termine più ricercato ‘professione’ o a quello più generico ‘lavoro’ per creare un sottile richiamo a un’arte complessa, e spesso umile, che viene tramandata di padre in figlio. La strategia di Berlusconi e del suo entourage di impostare la propaganda elettorale sulla sfera personale, intima e familiare, appare chiaramente alla vigilia delle elezioni politiche del 13 maggio 2001 quando lo staff del Cavaliere fa recapitare gratuitamente nelle case di ben venti milioni di italiani una biografia del leader di Forza Italia, pubblicata dalla casa editrice Mondadori di sua proprietà e tirata in dodici milioni di copie. Il fascicolo, il cui formato ricorda apertamente un settimanale di cronaca rosa, si intitola Una Storia Italiana e racconta in modo del tutto elementare e accessibile la biografia di Berlusconi, di cui vengono citati svariati aneddoti riguardo all’infanzia, agli studi, agli interessi personali, al rapporto con i genitori, ai successi sul lavoro e agli incontri con i leader politici più influenti del mondo. La rivista contiene un numero esorbitante di fotografie, le quali raffigurano il fondatore di Forza Italia in diversi momenti della sua 2_IH_Italienisch_75.indd 124 30.06.16 17: 11 Vittorio Prada Il lessico familiare 125 vita. Una Storia Italiana non è stata ideata con l’intento di illustrare un programma politico agli elettori in procinto di presentarsi alle urne, ma al solo scopo di rendere partecipi milioni di cittadini di aspetti intimi che riguardano la persona del leader. All’interno di un capitolo intitolato «I piccoli segreti di Silvio», le immagini a colori ritraggono Berlusconi mentre accarezza le chiome dorate dei suoi bambini e sorride alla moglie durante una visita ufficiale. Nelle pagine successive lo si vede abbracciare affettuosamente la madre anziana, tenere per mano con atteggiamento protettivo i figlioletti, mentre attraversa con loro il prato all’inglese di una tenuta di sua proprietà e fare jogging insieme al figlio Pier Silvio ormai adulto. Nelle foto in bianco e nero si riconosce Berlusconi neonato in braccio al padre, poi scolaro in posa per una foto di classe e infine ragazzo mentre suona la chitarra insieme alla sua band. Alle immagini in cui il Cavaliere viene ritratto nelle vesti istituzionali di leader politico si vanno a sommare quelle apparentemente spontanee e non protocollari pubblicate dai giornali di famiglia che lo raffigurano nel suo privato. Il ritratto del candidato di centrodestra che emerge da Una storia italiana è quello di un personaggio dalle capacità eccelse e soprattutto di un padre di famiglia modello, il quale ha sempre avuto un vero e proprio culto per la famiglia e ha dedicato ogni momento del suo tempo libero ai suoi cari. La biografia di Berlusconi viene narrata in modo romantico ed esageratamente elogiativo, con toni idilliaci riguardo all’atmosfera che si respira nell’intimità degli affetti familiari: dal matrimonio con la prima moglie Carla, alla nascita dei due figli Marina e Pier Silvio, soprannominato Dudi, agli aneddoti sdolcinati raccontati dai congiunti. «I due ragazzi crescono felici a Milano, nella casa ad Arcore. Il padre sta diventando rapidamente un personaggio pubblico, un imprenditore di successo. Ma la vita della famiglia non cambia. Racconta Pier Silvio: ‘Papà anche quando veniva a casa per rilassarsi, era sempre a nostra disposizione e il suo tempo libero lo impegnava a farci divertire: ci raccontava indovinelli, storie, faceva l’imitazione del vecchietto del West…’. La vita professionale di Berlusconi si fa sempre più fitta di impegni, giornate e notti dedicate al lavoro. La famiglia è serena, ma qualcosa nel rapporto con Carla cambia agli inizi degli anni Ottanta. L’amore si trasforma in sincera amicizia. Silvio e Carla, di comune accordo, decidono di continuare la loro vita seguendo ognuno le proprie aspirazioni. Ma molte cose continuano a unirli; innanzitutto Marina e Dudi. La vita continua. Una sera Berlusconi, al Teatro Manzoni di Milano, vede recitare Veronica Lario. È subito amore. Qualche anno dopo si sposano e nascono Barbara (1984), Eleonora (1986) e Luigi (1988) che porta il nome del nonno». 3 2_IH_Italienisch_75.indd 125 30.06.16 17: 11 Il lessico familiare Vittorio Prada 126 Il racconto della vita di Berlusconi può rasentare il ridicolo agli occhi di una parte specifica del Paese, ma è concepito per fare breccia in una fetta di popolazione molto più larga, che reagisce meglio a messaggi semplici e di facile comprensione. Il lessico utilizzato in Una Storia italiana è quello che «il linguista Tullio De Mauro definisce il vocabolario di base: scelto tra 3000-5000 parole che la maggior parte dei cittadini sono in grado di capire». 4 Il lettore si imbatte in numerosi termini colloquiali ed espressioni assolutamente spontanee, tipiche del linguaggio comune e apprende che da giovane Berlusconi scriveva poesie «per far colpo» sulle ragazze, che una forte emozione provocava in lui «un tonfo al cuore», che ancora oggi «detesta l’aglio e la cipolla», ma «non resiste alla torta di mele, la specialità di mamma Rosella». 5 Il Cavaliere rievoca episodi della sua infanzia: «Andavo a prendere le viole per mia madre, aspettavo che tornasse dalla corriera e d’estate con la nonna andavamo a raccogliere l’insalata insieme». Il ritratto di Rosella Berlusconi, che emerge dai ricordi familiari più intimi, è quello di una donna severa, determinata, battagliera e al tempo stesso madre affettuosa, protettiva e tenerissima. Affinché aumenti il consenso verso Berlusconi all’interno del Paese, i suoi uomini di fiducia adottano a più riprese nel corso degli anni la medesima strategia: quella di «usare la famiglia» come carta vincente per la costruzione dell’immagine del leader, consapevoli dell’importanza che essa riveste all’interno della società italiana, azionando meccanismi psicologici che toccano corde profonde dell’inconscio collettivo. Il 12 gennaio 2011 la rivista scandalistica Chi, di proprietà di Silvio Berlusconi, pubblica un intero servizio sul Natale in casa del Presidente del Consiglio. All’interno dell’articolo il premier parla dei doni fatti e di quelli ricevuti e delle sue speranze per il nuovo anno che sta per iniziare. Nelle diverse immagini pubblicate dal giornale, Berlusconi è circondato amorevolmente dai figli e dai nipoti, verso cui si mostra attento e premuroso. Per il pubblico a cui è rivolto il servizio giornalistico, esso rappresenta un’occasione irripetibile per condividere alcuni ‘segreti’ dell’uomo più famoso del Paese. Al lettore ingenuo parrà un privilegio poter venire a conoscenza di piccole indiscrezioni sui componenti della famiglia Berlusconi e sulle loro abitudini. Le domande poste dalla redazione del settimanale sono infatti mirate a ‘strappare’ al Presidente del Consiglio alcune confidenze riguardo alla sua vita privata. Le risposte di Silvio Berlusconi sono altrettanto calcolate: da un lato tendono a soddisfare la curiosità di una precisa categoria di lettori, dall’altro a rassicurarli riguardo alla sua fedeltà ai valori cattolici e al suo amore per il nucleo familiare: «Quando sono stanco faccio un’immersione totale nell’amore della mia famiglia». 6 Anche Elsa Antonioli, moglie dell’ex Presidente del Consiglio Mario 2_IH_Italienisch_75.indd 126 30.06.16 17: 11 Vittorio Prada Il lessico familiare 127 Monti, ha deciso di aprire le porte dell’appartamento privato di Palazzo Chigi al direttore della rivista nazionalpopolare Chi. Nell’intervista esclusiva apparsa sul rotocalco il 27 marzo 2012, la nuova first lady italiana descrive il carattere schivo del marito (che chiama bonariamente «il mio Mario»), rivela ai lettori il momento in cui ha deciso di chiedergli di sposarla e svela di essere lei a scegliere le cravatte che indossa il marito. Poi, come se stesse chiacchierando con un’amica, parla approfonditamente del rapporto che Mario Monti ha con i figli. La ragione per cui Elsa Antonioli ha ritenuto opportuno rilasciare un’intervista dal tono così leggero e informale, che si addentra però anche nell’intimità familiare, appare evidente. Consapevole del fatto che i cittadini vedono nel marito un uomo austero, compassato e dall’aria vagamente aristocratica, si è sentita in dovere di ‘umanizzare’ il suo personaggio e di renderlo più vicino al ‘popolo’ attraverso il racconto pubblico di particolari attinenti alla sua sfera intima. Nel tentativo di ridurre la distanza tra il Presidente del Consiglio e la collettività, ha scelto di dare in pasto agli italiani una lunga serie di dettagli inediti in grado di saziare la loro morbosa curiosità nei confronti dei personaggi pubblici. 7 Avviene sempre più di frequente che i media, quando sono chiamati a trattare argomenti di politica, si concentrino ormai più sui pettegolezzi e le indiscrezioni legate al mondo privato dei suoi protagonisti, ai loro costumi sociali e perfino sessuali, che sugli avvenimenti davvero degni di nota, a discapito dell’informazione politica. Seguendo uno dei tanti programmi televisivi in onda nel pomeriggio, gli spettatori apprenderanno dagli esperti di costume e spettacolo che un noto politico ha divorziato dalla moglie e convive con una nuova compagna molto più giovane di lui, che il figlio di un famoso rappresentante di partito ha trascorso la luna di miele alle isole Maldive o che la madre di un deputato è affetta da una grave malattia. Il sociologo Vincenzo Susca sottolinea che «quando il corpo del politico non basta più ad attrarre l’attenzione del pubblico distratto, si fanno scientificamente muovere quelli dei suoi familiari, che fungono così da protesi e da dispositivi tramite cui continuare la messa in scena della vita ordinaria del capo, dei suoi affetti e delle sue storie di vita molto simili a quelle dell’uomo medio». 8 Per accrescere la propria popolarità sono spesso i politici in persona a svelare i propri segreti e a rivelare pubblicamente momenti delicati della propria vita sentimentale. I rappresentanti dello Stato si confessano davanti alle telecamere senza più alcun pudore, ammettono candidamente le proprie debolezze e raccontano vicende particolarmente intime che li riguardano, spingendosi a chiedere perdono per il dolore arrecato alle famiglie in quanto fedifraghi. In realtà, ammettendo apertamente le proprie colpe, essi cercano l’assoluzione dei cittadini potenziali elettori. 2_IH_Italienisch_75.indd 127 30.06.16 17: 11 Il lessico familiare Vittorio Prada 128 Durante una puntata del talk show Che tempo che fa, trasmessa nel 2011 su Rai 3, il deputato Italo Bocchino, intervistato dal presentatore Fabio Fazio, coglie l’occasione per fare ammenda della relazione extraconiugale avuta con il ministro Mara Carfagna. «Se mia moglie soffre, io come marito e come padre ho il dovere di chiedere scusa». 9 Un caso analogo ha visto come protagonista l’ex Presidente della regione Lazio Piero Marrazzo, il quale, nel corso di un’intervista concessa a La Repubblica il 15 agosto 2011, torna a parlare dello scandalo a sfondo sessuale che lo ha travolto due anni prima. Egli recita il mea culpa per aver consumato rapporti erotici a pagamento con un transessuale in possesso di cocaina e chiede perdono alla moglie, alla figlia e ai propri elettori: «Ho sbagliato. Ho fatto un errore. Di questo errore voglio chiedere scusa. Ho sbagliato, scusatemi». Poi aggiunge: «Una mia fragilità di fondo, un bisogno privato e così difficile da spiegare, una mia debolezza». 10 Quelli appena descritti sono solo alcuni esempi di un vasto repertorio fatto di episodi analoghi, i quali evidenziano la differenza abissale in termini di ‘immagine pubblica’ tra la classe politica italiana di ieri e quella di oggi. Il giornalista della Frankfurter Allgemeine Zeitung Dirk Schümer descrive con grande stupore il grado di spettacolarizzazione cui è giunta nell’arco di pochi decenni la politica italiana. Ciò che lo colpisce maggiormente è constatare come rispetto alla classe dirigente del passato, per cui il mantenimento delle apparenze era considerato di vitale importanza, i fatti privati degli attuali rappresentanti delle istituzioni siano ormai diventati di assoluto dominio pubblico. «Wie anders war da doch das Klima zu Zeiten der seligen Christdemokratie! Da saßen unscheinbare katholische Familienväter, die ein Leben lang mit derselben Matrone verheiratet blieben, an den Schalthebeln der Macht. Und was sie sonst noch hinter verschlossenen Türen und unter schmutzigen Laken anstellten, wäre niemals von einer Zeitung oder gar im Fernsehen beleuchtet worden, denn darin bestand ihre Macht. Doch das ist Geschichte. Heute ist das Private die eigentliche Öffentlichkeit». 11 Il cambiamento a cui si è assistito negli ultimi decenni in seno alla politica italiana è epocale. Consapevoli del fatto che per restare saldi al potere oggi diventa obbligatorio aumentare la propria visibilità (e di conseguenza la notorietà), gli attuali protagonisti della classe dirigente rinunciano strategicamente alla loro riservatezza e rendono accessibile la propria dimensione privata: lo spessore istituzionale si crea infatti necessariamente attraverso il raggiungimento delle prime pagine dei giornali e la presenza costante in televisione. 2_IH_Italienisch_75.indd 128 30.06.16 17: 11 Vittorio Prada Il lessico familiare 129 Note 1 La versione integrale del discorso della ‘discesa in campo’ di Silvio Berlusconi è consultabile in rete. Da YouTube: http: / / www.youtube.com/ watch? v=B8uIYqnk5A&feature=related. 2 Michela Deni e Francesco Marsciani (1995), «Analisi del primo discorso di Berlusconi. Indagine semiotica sul funzionamento discorsivo», in: Marino Livolsi e Ugo Volli (a c. di), La comunicazione politica tra prima e seconda Repubblica. Milano: Angeli, p. 240. 3 AA.VV. (2001), Una storia italiana, Milano: Mondadori, pp. 11-12. 4 Amadori, Alessandro (2002), Mi consenta. Metafore, messaggi e simboli. Come Silvio Berlusconi ha conquistato il consenso degli italiani, Milano: Libri Scheiwiller, p. 22. 5 AA.VV. (2001), Una storia italiana. Milano: Mondadori, pp. 31-33. 6 Sergio Rizzo e Gian Antonio Stella (2011), Così parlò il Cavaliere, Milano: Biblioteca Universale Rizzoli, p. 68. 7 Vittorio Prada (2014), Videocrazia e teatralizzazione della politica nell’era berlusconiana. Potere dell’immagine e nuove strategie comunicative (1994-2012),-Berlin: Frank & Timme, pp. 283-284. 8 Vincenzo Susca e Derrick de Kerckhove (2008), Transpolitica: nuovi rapporti di potere e di sapere, Milano: Apogeo Saggi, p. 82. Dello stesso avviso è anche il giornalista tedesco Axel Veiel, il quale si diceva convinto che ormai soltanto la maternità della first lady francese avrebbe potuto risollevare le sorti del marito Sarkozy alle elezioni presidenziali del 2012: «Mit 24 Prozent Zustimmung ist Sarkozy zurzeit der unbeliebteste französische Präsident aller Zeiten. Aber wenn die Gattin als Mustermama, als Mutter der Nation in die Bresche springt, ist noch nicht alles verloren». Axel Veiel (2011), «Papa muss leider schnell die Welt retten», in: Stuttgarter Zeitung 244 (21 ottobre), p. 9. 9 Da YouTube: https: / / www.youtube.com/ watch? v=DFQ8ZK2HvBM. 10 Concita De Gregorio (2011), «Le confessioni di Marrazzo: ‘Perché andavo in via Gradoli’», in: http: / / www.repubblica.it (15 agosto). 11 Dirk Schümer (2009), «Das Imperium und das Herz», in: http: / / www.faz.net (19 maggio). Bibliografia AA.VV. (2001): Una storia italiana. Milano: Mondadori. Amadori, Alessandro (2002): Mi consenta. Metafore, messaggi e simboli. Come Silvio Berlusconi ha conquistato il consenso degli italiani. Milano: Libri Scheiwiller. Deni, Michela e Francesco Marsciani (1995), «Analisi del primo discorso di Berlusconi. Indagine semiotica sul funzionamento discorsivo», in: Marino Livolsi e Ugo Volli (a c. di), La comunicazione politica tra prima e seconda Repubblica. Milano: Angeli. Prada, Vittorio (2014), Videocrazia e teatralizzazione della politica nell’era berlusconiana. Potere dell’immagine e nuove strategie comunicative (1994-2012).-Berlin: Frank & Timme. Rizzo, Sergio e Gian Antonio Stella (2011), Così parlò il Cavaliere. Milano: Biblioteca Universale Rizzoli. Susca, Vincenzo e Derrick de Kerckhove (2008), Transpolitica: nuovi rapporti di potere e di sapere. Milano: Apogeo Saggi. Veiel, Axel (2011), «Papa muss leider schnell die Welt retten», in: Stuttgarter Zeitung 244 (21 ottobre). 2_IH_Italienisch_75.indd 129 30.06.16 17: 11 Il lessico familiare Vittorio Prada 130 Fonti internet De Gregorio, Concita (2011), Le confessioni di Marrazzo: ‘Perché andavo in via Gradoli’, in: http: / / www.repubblica.it/ politica/ 2011/ 08/ 15/ news/ intervista_marrazzo-20450866/ (15 agosto). Schümer, Dirk (2009), «Das Imperium und das Herz», in: http: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ italiens-politik-und-die-liebe-das-imperium-und-das-herz-1803262. html (19 maggio). https: / / www.youtube.com/ watch? v=DFQ8ZK2HvBM. http: / / www.youtube.com/ watch? v=B8-uIYqnk5A&feature=related. 2_IH_Italienisch_75.indd 130 30.06.16 17: 11 131 C hri ST i N e m i C h L er Familien- und Freundschaftsbeziehungen in Paolo Giordano, La solitudine dei numeri primi als Gegenstand im italienischunterricht für Fortgeschrittene 1. einleitung Fast unmittelbar am Anfang des mit dem Premio Strega ausgezeichneten Romans La solitudine dei numeri primi lässt der Autor Paolo Giordano die weibliche Protagonistin Alice eine Grundfrage der Menschheit stellen, die schon zahlreiche Philosophen und Schriftsteller beschäftigte: «E chi sono? » (Giordano 2008, p. 11). Alices Suche nach sich selbst eröffnet im Verlauf des Romans Einblicke in komplizierte familiäre Strukturen und diffizile menschliche Beziehungen, vor allem zwischen den Hauptfiguren Alice und Mattia. Für Jugendliche sind Identitäts-, Familien- und Freundschaftsprobleme von so großem Interesse, dass sie zum Lesen des Buchs, auch in der Fremdsprache, anregen. Der Roman erzählt Episoden aus dem Leben von Alice Della Rocca und Mattia Balossino, die beide, von traumatischen Erlebnissen in ihrer Kindheit gezeichnet, Außenseiter und Einzelgänger sind. Als sie auf einer Party miteinander ins Gespräch kommen, entwickelt sich zwischen ihnen eine Freundschaft, die sie über die Schulzeit hinaus verbindet, obwohl sie ganz verschiedene Berufswege einschlagen. Alice wird Fotografin, Mattia studiert Mathematik. Dabei wird ihm die Ähnlichkeit seines Verhältnisses zu Alice und den Primzahlen bzw. Primzahlzwillingen bewusst: «I numeri primi sono divisibili soltanto per 1 e per se stessi. Se ne stanno al loro posto nell’infinita serie dei numeri naturali,… ma un passo in là rispetto agli altri. Sono numeri sospettosi e solitari … tra i numeri primi ce ne sono alcuni ancora più speciali…. primi gemelli: sono coppie di numeri primi che se ne stanno vicini, anzi quasi vicini, perché fra di loro vi è sempre un numero pari che gli impedisce di toccarsi per davvero.» (S. 129; Hervorh. C.M.) Mattia erkennt, «che lui e Alice erano così, due primi gemelli, soli e perduti, vicini ma non abbastanza per sfiorarsi davvero.» (S. 130; Hervorh. C.M.), und dem Leser wird klar, dass beiden eine körperliche Nähe aus Angst und 2_IH_Italienisch_75.indd 131 30.06.16 17: 11 132 Hemmungen nicht möglich ist, obwohl sie emotional stark verbunden sind. Auch als sie sich nach Jahren der Trennung wieder treffen, können sie nicht zueinander finden. 2. Überblick über den roman mit dem Schwerpunkt Familie und Freundschaft Die vollständige Lektüre des Romans ist aufgrund des Umfangs (304 S.) ein unrealistisches Vorhaben. Ein Überblick über die Gesamthandlung kann durch beschleunigende Verfahren wie Referate, Lernen-durch-Lehren-Phasen oder Expertengruppen erfolgen. Die Arbeit im Klassenverband muss sich auf wenige Kapitel konzentrieren, deren i.F. vorgeschlagene Auswahl sich an der Bedeutung der Episoden für das Leben der beiden Hauptfiguren orientiert und die Nähe der Romanstruktur zum Aufbauprinzip des klassischen Dramas - Exposition, Progression, Höhepunkt, retardierendes Moment, Katastrophe - deutlich macht. exposition: Traumatische erlebnisse (1983, 1984) Alices Unfall beim Skifahren (Kap. 1, S. 11-20): Alice muss der Forderung ihres Vaters, einen Skikurs zu besuchen, nachkommen, obwohl sie alles, was mit dem Skifahren zusammenhängt, verabscheut. Sie entfernt sich kurz vor der gemeinsamen Abfahrt von der Gruppe, da sie ihren Skianzug eingekotet hat, und will im Nebel allein die Abfahrt wagen. Dabei stürzt sie und verletzt sich so schwer, dass sie in Zukunft leicht hinkt. Tod von Mattias Zwillingsschwester Michela (Kap. 2, S. 23-35): Michela wurde mit einer geistigen Behinderung geboren. Der Vater vermutet - sicher nicht ernst gemeint und ohne sich die Tragweite seiner Worte zu überlegen - als Ursache den Kampf, den Mattia mit Michela im Mutterleib ausgefochten hat: «Chissà che avete combinato dentro quella pancia» diceva. «Mi sa che a forza di dare calci a tua sorella le hai procurato qualche danno serio.» (S. 23; Hervorh. C.M.) Obwohl das Kind Mattia die Worte nicht versteht, spürt es einen impliziten Vorwurf. In der Schule wird Michela für Mattia zu einer Belastung und verhindert, dass er Freundschaften schließt. Als er endlich einmal zu einem Kindergeburtstag eingeladen wird, muss Mattia gegen seinen Willen seine Schwester mitnehmen. Da er befürchtet, sich wegen ihres Benehmens schämen zu müssen, befiehlt er ihr, im Park auf ihn zu warten. Er bleibt länger als gedacht auf der Feier, und als er endlich zurückkommt, ist sie verschwunden. P. Giordano, La solitudine dei numeri primi Christine Michler 2_IH_Italienisch_75.indd 132 30.06.16 17: 11 13 3 Schwerpunkt der Exposition sind familiäre Strukturen, v.a. die Rolle der Väter: Der Vater von Alice zwingt dem Kind seinen Willen auf und nimmt dessen Abscheu vor dem Skifahren nicht zur Kenntnis. Der Vater von Mattia belastet den Jungen mit seiner gedankenlosen Bemerkung, die Mutter erkennt die Nöte ihres Sohnes nicht und lässt ihn nicht allein zu der Feier gehen. Infolge dieses Erlebnisses verletzt Mattia sich ständig selbst, so dass er schließlich mit Narben übersäte Arme und Hände hat. Alice, die sich dick und hässlich findet, verweigert Nahrung und wird magersüchtig. Spannungssteigerung (1991): annäherung Erste Annäherung (Kap. 12-16, S. 82-102): Alice soll nach dem Willen einer Klassenkameradin bei deren Geburtstagsparty einen Jungen verführen. Da Alice unbedingt zur tonangebenden Clique gehören will, geht sie widerwillig auf das Ansinnen ein und wählt Mattia aus. Auf der Party ist sie aber zur Ausführung des Plans nicht in der Lage. Eine mühsame Unterhaltung zwischen Mattia und Alice mündet indes in eine geistige Annäherung. Dabei macht Mattia eine bezeichnende Selbstaussage. Auf die Frage «Ma ti piace davvero studiare? » antwortet er: «È l’unica cosa che so fare.» (S. 91). Ihre Seelenverwandtschaft erkennen die beiden selbst nicht, für andere ist sie jedoch sichtbar: «Furono gli altri ad accorgersi per primi di quello che Alice e Mattia avrebbero capito solo molti anni più avanti. Entrarono nella stanza tenendosi per mano. Non sorridevano e i loro sguardi seguivano traiettorie divergenti, ma era come se i loro corpi fluissero con continuità l’uno nell’altro, attraverso le braccia e le dita a contatto.» (S. 97; Hervorh. C.M.) In diesem Abschnitt steht das Thema Freundschaft im Mittelpunkt. Alice will um jeden Preis zur Peergroup der Klasse gehören, erniedrigt sich deshalb und verleugnet ihren Charakter. Das Experiment ‘Verführung’ scheitert, stattdessen kommen sich die Außenseiter Mattia und Alice näher. höhe- und Wendepunkt (1995 - 1998) Vertiefung der Beziehung (Kap. 23, S. 145-154): Nachdem Mattia Alice die Geschichte seiner Zwillingsschwester erzählt hat, küsst sie ihn. Denis, der selbst in Mattia verliebt ist, kommentiert dies: «Alleluja», commentò poi, cercando di apparire contento. «Ce l’avete fatta» (S. 168). Wendepunkt (Kap. 27, S. 170-179): Bevor die Liebesgeschichte sich entwikkeln kann, ist sie schon wieder zu Ende, weil Mattia das Angebot zu einem Christine Michler P. Giordano, La solitudine dei numeri primi 2_IH_Italienisch_75.indd 133 30.06.16 17: 11 13 4 mehrjährigen Auslandsaufenthalt annehmen will und Alice seine Aufforderung, mit ihm zu kommen, ablehnt. Im Fokus steht die Unfähigkeit der ‚Primzahlen’, sich auf eine Beziehung einzulassen und sich einander zu erklären, obwohl beide spüren, dass sie füreinander bestimmt sind. retardierendes element (2007) Alices Aufforderung zur Rückkehr (Kap. 40, S. 258-264): Jahre später geht Alice auf Anraten eines väterlichen Freundes wegen ihrer Essstörungen ins Krankenhaus. Dort meint sie, aufgrund der Ähnlichkeit mit Mattia dessen totgeglaubte Zwillingsschwester zu sehen (S. 262 ff.), und schreibt ihm «Devi venire qui. Ali» (S. 266). Mattia kommt tatsächlich sofort zurück nach Italien, so dass unverkennbar ist, wie eng die beiden über die Jahre und die Entfernung hinweg verbunden geblieben sind. Obwohl beide Verbindungen mit anderen Partnern eingegangen sind, sind sie nicht glücklich geworden und trennen sich wieder von ihnen, so dass nun auf ein Happy End gehofft werden kann. Katastrophe (2007) Rückkehr Mattias (Kap. 45, S. 280-298): Alice kann sich nicht überwinden, Mattia von ihrem Erlebnis im Krankenhaus zu berichten, da sie inzwischen an ihrer Entdeckung zweifelt. Sie unternehmen zusammen eine Autofahrt, und sie überredet ihn, sich ans Steuer zu setzen, obwohl er weder Führerschein noch Fahrpraxis hat. Ein Unfall kann gerade noch vermieden werden. Als die beiden in Alices Wohnung zurückkehren, kommt es zu einem langen Kuss. Doch als Mattia ins Bad geht und dort zurückgelassene Gegenstände von Alices Mann bemerkt, bringt er es nicht über sich, die Zärtlichkeiten weiter gehen zu lassen. Er verlässt die Wohnung mit den Worten «Adesso devo andare» (S. 297). Alice weiß, welche Bedeutung Mattia für ihr Leben hat: «l’aveva cercato perché ne aveva bisogno, … Mattia era l’estremità di quel groviglio che lei si portava dentro, attorcigliato dagli anni. Se c’era ancora una possibilità di scioglierlo, un modo per allentarlo, era tirando quel capo che adesso stringeva tra le dita.» (S. 293 f.) Dennoch hält sie ihn nicht zurück, sondern antwortet nur mit «Sì» (S. 297). P. Giordano, La solitudine dei numeri primi Christine Michler 2_IH_Italienisch_75.indd 134 30.06.16 17: 11 135 3. methodisches Vorgehen im unterricht Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler auf der Basis der ausgewählten Textstellen in Anlehnung an die im Fremdsprachenunterricht seit geraumer Zeit weithin üblichen kreativen Verfahren, die schüler- und handlungsorientiert sind, Positionen zu den zentralen Themen ‚Ansprüche der Eltern vs. Empfindungen der Kinder’ und ‚Freundschaften’ herausarbeiten und zum Verhalten von Alice und Mattia Stellung beziehen. Dies geschieht nach der Einteilung in prima, durante und dopo la lettura. Arbeitsaufträge, die sich auf die mündliche und schriftliche Sprachverwendung beziehen, regen die Schüler an, ihre individuelle Sicht auf die Ereignisse im Roman zu erläutern, die evozierten Emotionen zu beschreiben und ausgehend vom literarischen Text eigene Produkte zu erstellen. Prima della lettura Zur Vorbereitung auf die Lektüre des Romans sollen die Schüler Wissen über den mathematischen Begriff Primzahlen aktivieren bzw. erwerben. Indem sie Hypothesen zu Titel und Inhalt des Romans formulieren, wird die mündliche Sprachproduktion gefördert. Als lexikalische Vorentlastung sind Wörternetze/ Mind Maps beispielsweise zu solitudine, genitori, infanzia, amore zweckmäßig. Außerdem soll während der Lektüre immer wieder die methodische Kompetenz der Benutzung des zweisprachigen Wörterbuchs trainiert werden, denn auch bei der Zielgruppe ‘fortgeschrittene Lerner’ sind sprachliche Hürden zu erwarten. Zusätzlich werden die Schüler durch den Trailer des Films auf den Roman eingestimmt und aufgefordert, darüber zu diskutieren, ob er einen Anreiz zur Lektüre bietet. Domande: 1. Che cosa sapete dei numeri primi? Pensate al corso di matematica. 2. Immaginate: Quale potrebbe essere la storia di un romanzo intitolato La solitudine dei numeri primi? 3. Preparate una rete di parole per ‘solitudine’, ‘genitori’, ‘infanzia’, ‘amore’. Paragonate le parole che avete trovato e discutetene con il vostro vicino/ la vostra vicina. 4. Il trailer del film vi invoglia a vedere il film o a leggere il libro? Perché? durante la lettura Die eigentliche Arbeit mit dem Roman beginnt mit dem Lesen der Kapitel zur Exposition im Klassenverband. Die Inhalte der übrigen ausgewählten Kapitel erarbeiten sich die Schüler dann selbständig so, dass über sie im Unterricht gemeinsam gesprochen werden kann. Christine Michler P. Giordano, La solitudine dei numeri primi 2_IH_Italienisch_75.indd 135 30.06.16 17: 11 136 Am Beginn stehen zur Verständnissicherung vero-falso-Fragen. Zusätzlich können auseinander geschnittene Gesprächsteile in die richtige Reihenfolge gebracht werden und Fragen bestimmten Aussagen zugeordnet werden. Rollenspiele treiben die mündliche Sprachverwendung voran. Mögliche Szenarien sind Gespräche zwischen Alice und ihrem Vater über die Teilnahme am Skikurs bzw. zwischen Mattia und seiner Mutter, als diese ihm befiehlt, Michela zum Kindergeburtstag mitzunehmen, oder eine fiktive Auseinandersetzung zwischen den Eltern von Mattia über die Worte des Vaters «Chissà che avete combinato dentro quella pancia» diceva. «Mi sa che a forza di dare calci a tua sorella le hai procurato qualche danno serio.» (p. 23). Domande: 1. vero / falso: a, il padre di Alice è orgoglioso di sua figlia: sì - no b, la madre di Mattia si interessa dei problemi del figlio: sì - no c, Alice odia la scuola di sci: sì - no d, Mattia si occupa volentieri di sua sorella: sì - no e, I gemelli Balossino sono integrati bene nella loro classe: sì - no 2. Gioco: 2.1 Alice discute con il padre poiché non vuole fare la scuola di sci. 2.2 Mattia discute con la madre poiché non vuole andare alla festa con Michela. 2.3 La signora Balossino parla con suo marito delle sue parole «Chissà che avete combinato dentro quella pancia» (diceva). «Mi sa che a forza di dare calci a tua sorella le hai procurato qualche danno serio.» (p. 23). 3. Discutete in coppie queste affermazioni. Secondo voi, è per colpa del padre che Mattia si sente responsabile del danno di sua sorella? Das Thema der Annäherung von Mattia und Alice wird von dem schriftlich oder mündlich durchführbaren Auftrag eingeleitet, die Ereignisse in der Kindheit in ihren Konsequenzen zu reflektieren. Das Nachdenken in der Lerngruppe über die Gründe, weshalb Mattia so gern lernt, über die Ursachen von Alices Essstörungen und Mattias Selbstverletzungen stärken die Empathie der Schüler genauso wie der Entwurf eines Dialogs zwischen Alice und der Gastgeberin der Party, die Alice befiehlt, Mattia zu verführen. Domande: 1. Lavorate in coppie e motivate le vostre risposte: Quali sono le conseguenze degli eventi accaduti nell’ infanzia di Mattia ed Alice? Perché studiare P. Giordano, La solitudine dei numeri primi Christine Michler 2_IH_Italienisch_75.indd 136 30.06.16 17: 11 137 piace tanto a Mattia? Perché Mattia si ferisce tante volte? Quali sono i motivi dell’anoressia di Alice? 2. Preparate un gioco di ruolo: Alice e la figlia che fa la festa parlano insieme. La figlia dà l’ordine di sedurre Mattia ad Alice. 3. Riflettete: Perché si sviluppa un’amicizia fra Alice e Mattia? Im Hinblick auf den Höhe- und Wendepunkt kann über die Figur des Denis, eventuell verbunden mit der Reflexion über Probleme, die Homosexuelle mit ihren outcoming haben, und seine Bedeutung für Mattias Leben diskutiert werden. Sprachverwendung und Perspektivenwechsel werden weiter gefördert, wenn die Schüler die Episode, in der Mattia Alice vom Verschwinden seiner Schwester erzählt, mit eigenen Worten ausdrücken und Argumente finden sollen, mit denen Mattia versucht, Alice zum Mitkommen ins Ausland zu überreden, bzw. Argumente, die Alice ins Feld führt, um in Italien zu bleiben. Das laute Vorlesen des Gesprächs zwischen beiden führt zum Bewusstsein, wie stark die Stimme den Sinn einer geschriebenen Textpassage beeinflussen kann. Nicht zuletzt sollen die Schüler die Parallele kommentieren, die Mattia zwischen den Primzahlen, Alice und sich selbst konstruiert. Domande: 1. Descrivete il ruolo che Denis ha assunto nell’infanzia e nella gioventù di Mattia. 2. Leggete il brano in cui Mattia racconta ad Alice cosa è successo a sua sorella. Raccontate con le vostre parole quest’episodio provando ad esprimere i sentimenti di Mattia. 3. Trovate argomentazioni che a, aiutino Mattia a persuadere Alice ad andare con lui all’estero b, convincano Alice a restare in Italia. Fate una discussione e provate ad esprimere con la voce i sentimenti. 4. Commentate il paragone che Mattia fa tra il suo rapporto con Alice e quello che lega i numeri primi. In Bezug auf den vierten Teil (retardierendes Moment, Hoffnung auf ein Happy End) empfiehlt sich das Formulieren von Gründen für das Scheitern von Alices Ehe, von Gedanken, die Mattia nach Erhalt von Alices Botschaft haben könnte und das Entwerfen eines fiktiven Gesprächs mit Kollegen, in denen Mattia seine dringend notwendige Abreise erklärt. Domande: 1. Secondo voi, perché il matrimonio di Alice non può essere felice? Christine Michler P. Giordano, La solitudine dei numeri primi 2_IH_Italienisch_75.indd 137 30.06.16 17: 11 13 8 2. Immaginate i pensieri di Mattia dopo aver ricevuto il messaggio di Alice. 3. Inventate una conversazione: Come motiva Mattia ai suoi colleghi la sua partenza immediata per l’Italia? Für den letzten Teil, die ‘Katastrophe’, eignet sich z.B ein Standbild, das die Gefühle der beiden beim Wiedersehen ausdrücken soll, das Verfassen eines inneren Monologs von Mattia oder die Formulierung von Alices Gedanken. Domande: 1. Disegnate una statua che rappresenti l’incontro di Mattia ed Alice dopo anni e che esprima i loro sentimenti. 2. Inventate il monologo interiore di Mattia nel momento in cui si trova nel bagno di Alice. 3. A che cosa pensa Alice aspettando che Mattia ritorni? dopo la lettura Nach Abschluss der Lektüre werden die Schüler beauftragt, Überlegungen anzustellen, wie Alice Mattia am Ende doch halten könnte bzw. welche Ratschläge für beide sinnvoll wären. Die narrative Kompetenz wird gefördert, wenn beispielsweise die Party-Episode aus der Sicht von Denis erzählt wird oder ein individueller Alternativvorschlag für ein Ende gemacht und dieser mit dem tatsächlichen Romanende verglichen wird. Eine Podiumsdiskussion oder eine Art Talkshow-Debatte über Erziehungsgrundsätze fördern die Reflexion und damit die Selbstkompetenz der Schüler. Sprachdidaktisch sinnvoll sind Mediationsaufgaben, bei denen die Schüler einen Überblick über die Romanhandlung mit einer abschließenden persönlichen Stellungnahme (Empfehlung, Ablehnung), beispielsweise für einen Kaufinteressenten in einer Buchhandlung oder für eine Schülerzeitung, geben sollen. Szenen aus Buch und Film können herangezogen werden, um durch den Vergleich von literarischer Darstellung und filmischer Umsetzung die Medienkompetenz zu stärken. Einen guten Beitrag dazu leistet die Charakterisierung von Alice und Mattia in Roman bzw. Film. Damit werden die veränderten Rezeptionsgewohnheiten vieler Jugendlichen, die Filme oder Hörbücher der Lektüre vorziehen, berücksichtigt. Der Versuch, eine Antwort auf die Frage «E chi sono? » zu finden, und eventuell sogar eine Diskussion über Ursachen von Magersucht können die Unterrichtssequenz beschließen. Domande: 1. Lavorate in due: Quale consiglio potreste dare ad Alice e Mattia? È utile dare consigli? 2. Parlate in classe dei capitoli che non avete ancora letto. P. Giordano, La solitudine dei numeri primi Christine Michler 2_IH_Italienisch_75.indd 138 30.06.16 17: 11 139 3. Raccontate l’episodio della festa dal punto di vista di Denis. 4. Siete contenti della fine del libro? Perché sì, perché no? 5. Inventate un altro finale al libro. 6. In una libreria c’è una donna / un uomo che guarda il libro. Ti chiede se sarebbe interessante per un giovane / una ragazza di circa 16 anni. Rispondendo alla domanda spieghi il contenuto del libro. 7. Lavorate in coppie: Scrivete una recensione del romanzo per il vostro giornale studentesco che termini con un consiglio. 8. Paragonate come avviene l’ultimo incontro tra Mattia e Alice nel film e nel libro. Secondo voi, il regista ha bene interpretato i sentimenti dei personaggi? 9. Quali sentimenti suscita la scena? 10. Gli attori corrispondono all’idea che vi siete fatti dei personaggi dopo aver letto il libro? 11. Discutete in gruppo: L’anoressia è un fenomeno abbastanza frequente soprattutto tra le ragazze. Perché? 12. Cercate una risposta alla domanda «E chi sono? » del punto di vista sia di Alice che di Mattia. 4. Zusammenfassung und ausblick La solitudine dei numeri primi entspricht den Kriterien, denen die Auswahl eines literarischen Textes für den Italienischunterricht folgen soll. Der Roman erfüllt die Merkmale Länge, Preis, didaktische Strukturierbarkeit, bietet vielfältige Möglichkeiten zur Textarbeit und ist thematisch an die Interessen jugendlicher Leser angepasst. Auch der Aufbau von Kompetenzen, die den modernen Italienischunterricht bestimmen, ist gewährleistet: Erweiterung der sprachlich-kommunikativen Fertigkeiten durch zahlreiche Anlässe, sich mündlich oder schriftlich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen, methodische Kompetenzen z.B. durch Lesestrategien, Textrezeption und Wörterbuchbenutzung, Reflexion über die Beeinflussung des Rezipienten durch unterschiedliche mediale Darbietungsformen, Stärkung des sozialen Verhaltens durch Partner- und Gruppenarbeiten, Aufbau interkultureller Kompetenzen durch affektive Öffnung, durch Perspektivenwechsel und Empathie sowie durch den Vergleich von eigenen Lebensentwürfen und denen der Romanfiguren. Auch dass La solitudine dei numeri primi Themen aufgreift, deren öffentliche Debatte oftmals in Bezug auf die Situation von Jugendlichen geführt wird (Magersucht, Behinderung/ Inklusion, Homosexualität) ermöglicht einen multiperspektivischen Ansatz. Einen wesentlichen Beitrag leistet der Roman als Unterrichtsgegenstand hinsichtlich der Bildungsrelevanz von Literatur sowie der ästhetischen Christine Michler P. Giordano, La solitudine dei numeri primi 2_IH_Italienisch_75.indd 139 30.06.16 17: 11 14 0 Kompetenz - Faktoren, denen im nachschulischen Leben Bedeutung zukommen kann. Ein unterrichtspraktisches Problem ist indes am Ende zu erwähnen: Immer noch fehlen konkrete Deskriptoren für die Bewertung der interkulturellen, persönlichkeitsbezogenen und ästhetischen Kompetenzen im institutinalisierten Italienischunterricht. Ihre Entwicklung ist ein Desiderat fachdidaktischer Arbeit. anmerkung 1 Während der Trailer am 31.1.2014 noch problemlos im Internet verfügbar war, (http: / / www.youtube.com/ watch? v=57dMXwPc5MI) ist er nun aufgrund eines „urheberrechtlichen Anspruchs seitens Medusa Film S.p.a and RTI. Sp.A“ gesperrt (05.02.2015). Es empfiehlt sich also die Verwendung der DVD des Films von Saverio Costanzo (2010), obwohl er für eine Zusammenfassung der Handlung wegen der zahlreichen Rückblenden nur bedingt geeignet und inhaltlich nicht völlig deckungsgleich mit dem Buch ist. Literatur Primärliteratur Giordano, Paolo: La solitudine dei numeri primi. Mailand: Mondadori 2008. Costanzo, Saverio: La solitudine dei numeri primi (Film). 2010. Sekundärliteratur ISB Bayern: http: / / www.isb.bayern.de/ download/ 1555/ broschuere-der-lehrplanim-ueberblick.pdf (06.02.2015). KMK 2004: Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache Englisch/ Französisch für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss vom 4.12.2003. München. (http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ .../ 2003_12_04-BSerste-Fremdsprache.pdf; 05.02.2015) KMK 2012: Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012. (http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2012/ 2012_10_18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf; 06.02.2015). Niedersächsisches Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung - Portal Medienbildung: Bildungsstandards und medienbezogene Kompetenzanforderungen (http: / / www.nibis.de/ nibis.php? menid=3276; 05.02.2015). Rössler, Andrea: «’Es gibt Dinge, die gibt es gar nicht’. Zur Förderung der Fiktionalitätskompetenz im Fremdsprachenunterricht», in: Altmayer, Claus et.al. (Hrsg.): Grenzen überschreiten: sprachlich, fachlich, kulturell. Hohengehren: Schneider 2010, S. 167-177. P. Giordano, La solitudine dei numeri primi Christine Michler 2_IH_Italienisch_75.indd 140 30.06.16 17: 11 141 Schreier, Margit/ Appel, Markus: «Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen als Aspekt einer kritisch konstruktiven Mediennutzungskompetenz», in: Groeben, Norbert & Hurrelmann, Bettina (Hrsg.): Medienkompetenz, Voraussetzungen, Dimensionen, Funktionen. Weinheim, München: Juventa 2002, S. 231-254. Surkamp, Carola: «Literaturdidaktik», in: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank. G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Stuttgart: Klett Kallmeyer 2010, S. 137-141. Surkamp, Carola: «Literarische Texte im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht», in: Hallet, Wolfgang/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele, Stuttgart: Klett Kallmeyer 2012, S. 77-90. Vollmer, Helmut J.: «Interkulturelles Lernen - interkulturelles Kommunizieren: Vom Wissen zum sprachlichen Handeln», in: Bausch, Karl-Richard et al. (Hrsg.): Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht: Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, Tübingen: Narr 1994, S. 172-185. Christine Michler P. Giordano, La solitudine dei numeri primi 2_IH_Italienisch_75.indd 141 30.06.16 17: 11 142 Buchbesprechungen andrea Grewe / Giovanni di Stefano (hrsg.): Italienische Filme des 20.-Jahrhunderts in Einzeldarstellungen. Berlin: erich Schmidt Verlag 2015, 479 Seiten, mit s/ w-abb., € 39,80 26 Filme, welche die Geschichte der italienischen Kinematografie zwischen 1933 und 2008 geprägt haben, 75 Jahre italienisches Kino und 26 zentrale Regisseure der italienischen Filmkunst: 1 Dies sind die Eckdaten des hier anzuzeigenden Bandes. Die Publikation ist jedoch deutlich mehr als die Summe der Erörterung von 26-Filmen. Dies gilt umso mehr, als ein Streifzug durch die italienische Filmkunst - wie auch in der dem Band vorangestellten Einführung korrekt bemerkt wird - eine echte Entdeckungsreise durch die Städte und Landschaften der italienischen Halbinsel ist, Einblicke in die Mentalität ihrer Bewohner, deren vielfältige sprachliche Facetten und ihre Sicht auf das Leben sowie die Möglichkeiten, aber auch in die Probleme des Landes erlaubt und damit einen Diskurs über die Nation und die Selbstwahrnehmung der Individuen, aus denen diese zusammengesetzt ist, anregt. Interdisziplinäre Verknüpfungen und interbzw. intramediale Verweise, die nicht unmittelbar zugängliche Verbindungen zutage treten lassen, bereichern die von den Herausgebern gewählte Konstellation und bieten eine genaue Kontextualisierung der Beispiele nicht nur in Leben und Werk des jeweiligen Regisseurs, sondern auch in der Geschichte des Mediums Film. Filmemacher können als aufmerksame Leser und Zuschauer in die Geschichte eingehen, als Verräter an einem literarischen Werk auftreten oder als Retter, die dieses vor der Vergessenheit bewahren. So kommt es nicht selten vor, dass Dichter sich während oder nach der Zusammenarbeit öffentlich von der Verfilmung ihres Werkes distanzieren. In anderen Fällen sind diese einander häufig widersprechenden Rollen in Personalunion vertreten, was unter anderem bei Pier Paolo Pasolini der Fall ist. Wurzeln in gleich mehreren Kunstfeldern können viele der für eine der für den Band ausgewählten Produktionen verantwortlichen Regisseure für sich verzeichnen. Stellvertretend hierfür soll Roberto Benigni genannt sein, dessen Darstellungsweise - in unterschiedlichem Grad bei allen seinen Werken - oft in der «Traditionslinie des dialektalen Volkstheaters, […] der Kneipen- und Festrezitation und des Varieté- und Revuetheaters» steht (S. 410), wofür der italienische Regisseur auf die Ursprünge seiner Karriere als Improvisationsdichter zurückgreift. Tatsächlich sind Bühnenerfahrung sowie Fachwissen aus dem Bereich der bildenden Kunst und der Filmgeschichte für die Tätigkeit eines Filmema- 2_IH_Italienisch_75.indd 142 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 14 3 chers ebenso unverzichtbar wie kameratechnische und musikalische Kenntnisse. Wiederaufnahmen von Ideen etablierter Regisseure und deren technischen Umsetzungen sowie die vor allem im Beitrag von Thomas Bremer zu Ettore Scolas C’eravamo tanti amati hervorgehobenen intermedialen Zitate (S.- 291-292) können nur auf diese Weise bewusst als Hommage oder als Mittel, das den eigenen Film in eine bestimmte Tradition der Filmgeschichte einreiht, eingesetzt werden oder alternativ zum Aufbau ironischer Anspielungen an andere Arbeiten oder Fakten der Gegenwart dienen. Eine Betrachtung des italienischen Films wäre unvollständig ohne eine Rückbesinnung auf dessen Wurzeln, die 1895 mit der Patentierung des Kinematografen des Ingenieurs, Erfinders und Filmemachers Filoteo Alberini beginnen, jenem Jahr, in dem die Brüder Lumière im Grand Café am Boulevard des Capucines in Paris die erste öffentliche Filmvorführung Frankreichs mit zehn selbstgedrehten Kurzfilmen durchführten. Der in der Einführung des Bandes erwähnte Alberini ist 1905 mit La presa di Roma. XX settembre 1870 auch einer der ersten Pioniere, die die Form des langen Kinofilms erprobten. Zu seinen Nachfolgern in der Behandlung wichtiger Aspekte des Weges zur nationalen Einheit zählt die im Band von Marijana Erstic´ besprochene Verfilmung Il Gattopardo (1963) von Luchino Visconti nach dem gleichnamigen Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, die sich durch die authentische Rekonstruktion des historischen Ambientes auszeichnet, sowie Mario Martones Noi credevamo (2010), das die Schaffung der nationalen Einheit Italiens in bewegte Bilder umsetzt und in den einführenden Worten des Bandes als letztes hervorstechendes Werk aus diesem Kreis Erwähnung findet (S.- 11). Neben diesen Filmen, welche die historischen Ereignisse des Risorgimento aufarbeiten, greifen andere - ein Beispiel dafür ist der Monumentalfilm Quo vadis? (1913) von Enrico Guazzoni - Stoffe aus der Antike auf. Das beginnende 20.- Jahrhundert, in dem sich die italienische Filmindustrie entwickelte, die aufwändige und massenwirksame Werke hervorbrachte, ist jedoch auch die Zeit, in der die Futuristen, die sich seit den 1910er Jahren mit dem neuen Medium Kino in theoretischen Schriften und Filmrezensionen beschäftigen, mit ihren experimentellen Filmproduktionen ihre Vorsätze in die Praxis umsetzen. Das Manifest zum futurischen Kino von Filippo Tommaso Marinetti, Bruno Corra, Emilio Settimelli, Arnaldo Ginna, Giacomo Balla und Remo Chiti definiert die Vorgaben hierfür über die Attribute «antigrazioso, deformatore, impressionista, sintetico, dinamico, parolibero». Fast parallel dazu versuchen andere Regisseure wie Nino Martoglio und Gustavo Serena, der mit Francesca Bertini zusammenarbeitet, im Gefolge der Poetik der Veristen neue Wege zu erkunden. Die Resonanz beim Publikum auf diese beiden Strömungen blieb allerdings gering, wenn auch 2_IH_Italienisch_75.indd 143 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 14 4 die Ziele und Mittel des veristischen Films im Rahmen der Erneuerungsversuche der Kinematografie mit dem Neorealismus später wieder aufgenommen werden sollten. Nach der durch den Ersten Weltkrieg ausgelösten (sich auch auf die Filmkunst erstreckenden) Krise wurde das Medium durch den Faschismus Benito Mussolinis (das Istituto Luce wurde 1924 in Rom gegründet) in eines der bevorzugten Propagandainstrumente umgewandelt. Der Film und die nationale Identität standen also erneut in engem Zusammenhang, vorwiegend im Rahmen der Internalisierung des vorbestimmten Glaubenssystems durch die Neukodifizierung nationaler Mythen über konkrete Repräsentationsästhetiken. Als Barometer für die Veränderungen in der Entstehungszeit der Werke wird das italienische Kino auch durch den Gründer der Filmzeitschrift Cinematografo, Alessandro Blasetti, erkannt, der die Stunde Null des Mediums deklariert und sich für eine Wiedergeburt der italienischen Filmproduktion, die «durch die amerikanische Konkurrenz fast zum Verschwinden gebracht worden war» (S. 33), einsetzt. Zu den Regisseuren, die zum Wiedererstarken des italienischen Kinos in jener Zeit beitragen, zählt u.a. Mario Camerini, der mit Gli uomini, che mascalzoni... (1932) den Prototyp dessen vorlegt, was später als commedia all’italiana in Werken wie Il Sorpasso (1962) von Dino Risi (im Band werden sein Inhalt sowie seine Struktur von Ulrich Döge eingehend untersucht) einen seiner Höhepunkte finden wird. Der nicht nur filmischen Produktion von Alessandro Blasetti widmet sich Elisabeth Fraller im ersten Beitrag des Bandes, in dem der Historienfilm 1860 (1933) analysiert wird, dessen politische Ausrichtung bereits anhand der beiden hier zu lesenden Jahreszahlen erahnbar ist. Bei der in diesem Sammelband in allen Beiträgen praktizierten umfassenden Analyse von Kontext und Auswirkungen geht auch Fraller akkurat und kontextbezogen vor, was beispielsweise daran erkennbar ist, dass sie auch Bezüge zu den Debatten über die Notwendigkeit und mögliche Modi einer Erneuerung des italienischen Kinos anstellt. Es sollte allerdings bis 1943 dauern, bis Ossessione von Luchino Visconti als Antwort auf die geschminkte Wirklichkeit der faschistischen Ära den Weg in die neorealistische Ästhetik weisen würde, in deren Zuge später Roberto Rossellini und Vittorio De Sica operieren werden. Jede (euphemistische) Rhetorik wird entsprechend abgelehnt. Ähnliche Abneigung wird dem cinema dei telefoni bianchi zuteil, dem Unterhaltungsfilm schlechthin, ebenfalls ein im Italien des Faschismus entstandenes Produkt. Vom Neorealismus, der Roland Barthes Worten folgend «genau das als Wirklichkeit darstellt, was die bürgerliche Gesellschaft sich bemüht zu verbergen», handeln im Band die Besprechungen der Filme Roma città aperta (1945) und Ladri di biciclette (1948), die von Margherita Siegmund, 2_IH_Italienisch_75.indd 144 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 14 5 die die hybride Filmsprache Rossellinis hervorhebt, und Franco Sepe untersucht werden. Letzterer berichtet neben Sujet, Merkmalen, Funktion und Rezeption des nach dem gleichnamigen Roman von Luigi Bartolini entstandenen Kunstwerkes De Sicas auch über die bei seiner Realisierung zu überwindenden finanziellen Probleme sowie über die zwischen Regisseur und Drehbuchautor auf der einen und dem Schriftsteller auf der anderen Seite ausgebrochene Querelle, in deren Zuge die filmische Adaption als ein Verrat bezeichnet wird. Ein Rückgriff auf die erzählende Literatur (als literarische Quellen sind hierbei neben Carlo Salsas Trincee - Confidenze di un fante (1924) und Emilio Lussus Un anno sull’Altipiano (1938) Edmondo De Amicis’ La vita militare (1868) und Giani Stuparichs Guerra del ’15 (Dal taccuino di un volontario) (1931) zu nennen) wird - wie Giovanni de Leva in seinem Beitrag belegt - auch mit La Grande Guerra von Mario Monicelli aus dem Jahre 1959 unternommen, welches ein ungeschöntes Bild des Krieges aus «den Augen der ‘soliti ignoti’» (S. 94) bieten will. Monicelli, der selbst ein Kriegskind war, will die Geschehnisse in realistischer Darstellung erzählen, um Kontinuitätslinien zwischen den beiden Kriegstraumata Italiens zu ziehen. Ein zentrales Anliegen Monicellis ist daher, die auf Zeugnisse und Bilder gestützten Lügen der Propaganda, die beide Weltkriege begleiteten, vorbereiteten und ihnen folgten, aufzudecken. Zudem wird jenes in den Schützengräben geschmiedete Gefühl der Zusammengehörigkeit jenseits der geografischen und sozialen Herkunft des Einzelnen betont, das die Rolle eines konstitutiven Elements für die Festigung der nationalen Identität innehatte. Wie der Film Monicellis, eine Mischung zwischen Drama und Komödie, dem Genie von Schauspielern wie Alberto Sordi und Vittorio Gassman Raum zur Entfaltung gibt, macht der in Rimini geborene Federico Fellini Marcello Mastroianni zu einer der Ikonen des Kinos überhaupt und nicht zuletzt zu seinem künstlerischen Alter Ego. International bekannt wurde Mastroianni mit der Rolle des Marcello Rubini in dem vieldiskutierten Film La dolce vita aus dem Jahre 1960, welcher in serieller Struktur und im Gegensatz zu dem, was der Titel suggerierte, nicht das rauschhafte Leben im Rom der 1950er Jahre, sondern ein Fresko moderner Dekadenz der wohlhabenden Gesellschaft schilderte. Dies wird auch von Uta Felten in ihrer aufschlussreichen Untersuchung beschrieben, die dieses Meisterwerk des Maestro Fellini «als ironische Demontage des christlichen Rom-Mythos im Zeichen der Melancholie und der karnevalesken Anthropologie» deutet (S. 112). Einen Umbruch im Werk Fellinis, dessen Filme bis dahin «auf eine christliche Narrativik [rekurrieren] und mit einem ‘optischen Drama’ [enden]» (S.-107), bedeutet nicht nur La dolce vita, sondern auch 8½ (1963), in dem Fellini anhand der Schaffenskrise seines Protagonisten, des Filmregis- 2_IH_Italienisch_75.indd 145 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 14 6 seurs Guido Anselmi, «viele inhaltliche sowie strukturelle Schwerpunkte seines Kinos» reflektiert (S.- 177). Leonarda Trapassi setzt sich mit einem Kinokonzept des Maestro aus Rimini auseinander, das eine vollständige Abkehr vom Neorealismus bedeutet (S.- 170) und Spuren von Fellinis Beschäftigung mit den Theorien von Carl Gustav Jung enthält (S.- 178). Von einer anders gearteten Lebensleere spricht Michelangelo Antonioni in L’eclisse (1962), dem dritten Teil seiner Anfang der 1960er Jahre entstandenen Trilogie, die mit L’avventura (1960) und La notte (1961) begonnen hatte. In dem Film L’eclisse - Beate Ochsner rekurriert in ihrer Analyse auf den vom Regisseur selbst geprägten Begriff ‘la malattia dei sentimenti’ (S.- 123) - sieht sich der Zuschauer mit einer neuen Bildsprache konfrontiert: Rein optische und rein akustische Situationen, das Ausbleiben von Reaktionen, affektionslose Räume sowie Synergien zwischen allen diesen Aspekten, beispielsweise in der Parallele zwischen dem Ende einer Nacht und dem Ende einer Beziehung dargestellt, aber auch Formen der Dezentrierung von Objekten schaffen eine neue Ästhetik, von der aus neben einer Verbindungslinie zu Raumtheorien eine ebensolche zu Jean-Paul Sartres néantisation aufgestellt werden kann, wie von Ochsner beschrieben wird (S. 127-129). Der Aufbruch einer neuen Generation von Autoren und Filmemachern bereichert jene Jahre sowohl künstlerisch als auch politisch: Das vielleicht herausragendste und paradigmatischste Beispiel hierfür ist Pier Paolo Pasolini, der sich Anfang der 1960er Jahre auf die Lage des Subproletariats konzentriert und aus seinen Beobachtungen und Erfahrungen in den borgate romane, die er als eine andere Art von Heimat entdeckt, mit Accattone (1961) und Mamma Roma (1962) entsprechende Werke entwickelte. Die Parabel des multitalentierten Pasolini, insbesondere jene Stelle, die den Regisseur an der Arbeit an Uccellacci e uccellini (1966), «un’operazione poetica nel linguaggio della prosa», als die Pasolini den Film selbst beschrieb, 2 beschäftigt sieht, untersucht im Band Giovanni di Stefano, der das genannte Werk «an der Schnittschnelle zwischen den frühen im subproletarischen bzw. kleinbürgerlichen Milieu angesiedelten Filmen und der folgenden Schaffensphase [einordnet], die durch die unerbittliche Auseinandersetzung mit der Bourgeoisie und nostalgische Evokation antiker Mythen gekennzeichnet ist» (S.-216). Di Stefano geht auf die erheblichen Abweichungen zwischen der schriftlichen Version des Drehbuchs und dem endgültigen Werk und auf die im Film realisierte Synthese von Ideologie und Komik ein (S.- 218). Pasolini bildet einen wichtigen Referenzpunkt für später geborene Regisseure, wie am Beispiel von Nanni Moretti gesehen werden kann, der in seinem Film Caro diario (1993) am Ende seiner Fahrt quer durch Rom auf 2_IH_Italienisch_75.indd 146 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 147 seiner Vespa den Ort der Ermordung des aus Bologna stammenden Dichters, Intellektuellen und Regisseurs besucht und damit eine Hommage an ihn und zugleich «an das politisch engagierte, moralische Kino Pasolinis» (S.- 384) schafft. Wie Sabine Schrader in ihrem Beitrag erläutert, gehört Moretti zu den jungen Filmemachern, die auf der Szene erscheinen, als das italienische Kino eine starke Krise durchläuft, die auch dadurch bedingt ist, dass eine mächtige Konkurrenz in Form des Fernsehens und der auf Videokassetten erhältlichen Blockbuster auftritt. In sein Werk Caro diario, das sich deutlich von der «schnelle[n], postmoderne[n] Film- und Videoästhetik» (ebd.) abhebt, fließen viele persönliche Erfahrungen und Ansichten ein. Dies gilt u.a. für seine Präsentation der architektonischen Vielfalt der Stadtränder Roms, in deren Rahmen auch die Hochhäuser eine Identität und Geschichte gewinnen. Gänzlich anders fällt die Auseinandersetzung von Francesco Rosi in Le mani sulla città (1963) mit in Billigbauweise errichteten palazzoni aus, der als echter Pionier im Genre des engagierten politischen Kinos die Korrumpierbarkeit der Politiker und die Vernetzungen zwischen Politik und Wirtschaft in einem Neapel anklagt, an dem stellvertretend die Mechanismen der Bodenspekulation durchgespielt werden. Die Bezugnahmen auf diesen Film nicht zuletzt durch Marco Tullio Giordanas I cento passi (2000), Mimmo Caloprestis La seconda volta (1995) und Giuseppe Tornatores Baarìa (2009) (S. 187) bleiben von Roberto Ubbidiente, der seinen Beitrag diesem capolavoro des Maestro Rosi widmet, nicht unerwähnt. Im Zeichen des Engagements steht auch das Gesamtwerk von Marco Bellocchio, hier anhand seines Kinoerstlings I pugni in tasca (1965) von Daniel Illger präsentiert, der neben dem Genrereichtum des Kinos des in Bobbio (Piacenza) geborenen Regisseurs dessen thematische Kohärenz erkennt, die, wie der Filmemacher selbst zugibt, darin besteht, «vehemente Frontalangriffe auf die bürgerlichen Institutionen Familie, Staat und Kirche» zu führen (S.- 199). In diesem Sinne ist auch Nel nome del padre (1971) zu verstehen. Ähnliches gilt für u.a. Salto nel vuoto (1979), Buongiorno, notte (2003) und I pugni in tasca, eine kompromisslose Abrechnung Bellocchios mit der italienischen Nachkriegsgesellschaft, insbesondere ihren Moralvorstellungen und Konventionen, die das Individuum erdrücken, zugleich jedoch auch ein Psychodrama mit «einem gothischen Gepräge» (S.- 211). Das italienische Kino der 1960er Jahre entwickelt neben Filmen wie denjenigen von Fellini, Visconti und Antonioni auch Genrefilme, deren Einfluss bis ins Ausland reichen wird. Es handelt sich neben dem Genre Horror, das «in jenem Jahrzehnt vor allem in der Gewandung des Gothic daherkam» (S.- 210), um den Italowestern, hier dargestellt am Beispiel von C’era una volta il West (1968) von Sergio Leone, das zu den wichtigsten und populär- 2_IH_Italienisch_75.indd 147 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 14 8 sten Beispielen dieser Subgattung zählt. Dem so genannten ‘Spaghettiwestern’, der über Jahre hinweg große Kassenerfolge in Italien feiern konnte, widmet sich im vorliegenden Band Ralf Junkerjürgen, welcher den Blick des Lesers sowohl auf den Kontext der Entstehung dieses Subgenres als auch auf dessen besondere Stilmerkmale sowie auf die bei Leone bestehende Koexistenz zwischen zeitlicher Desorientierung und räumlicher Orientierung und auf die Wirkung der von Leone inszenierten Ästhetik der Gewalt auch über die Gattung hinaus, etwa deren Einfluss auf Stanley Kubricks A- Clockwork Orange (1971), lenkt. Als ebenso interessant stellen sich auch die Anmerkungen des Verfassers bezüglich der bestehenden Diskrepanz zwischen dem italienischen Original und der deutschen Synchronfassung heraus, deren möglichen Grund Junkerjürgen mangels Zugang zu den Dokumenten der deutschen Synchronregie in einer Re-Italianisierung des Werkes findet. In der Schilderung der Bedeutungslosigkeit des modernen Lebens im Zeichen der Kritik der Zeit mit Bellocchios Werk vergleichbar ist der Film Dillinger è morto (1969), mit dem sich Anna Masecchia in ihrem Beitrag befasst. Masecchia bezeichnet diesen Film von Marco Ferreri, der das Hollywood-Genrekino bereits im Titel mittels einer Anspielung auf den USamerikanischen Kriminellen John Dillinger für tot erklärt, als «eine singuläre Erscheinung», deren Einordnung in eine bestehende Kategorie scheitern müsse (S.- 254). Das Werk erlaube jedoch durch seine Darstellung einer Obsession das Zeichnen einer Kontinuitätslinie mit anderen Filmen des Regisseurs, beispielsweise mit La grande abbuffata (1973). Bei Dillinger è morto handle es sich um ein Kino, von dem gesagt wurde, dass es jegliche Identifikation des Zuschauers mit den Protagonisten verhindere oder diese zumindest erschwere, dabei jedoch auf die Aktivierung des Betrachters abziele. Theoretische Reflexionen über die damalige Gegenwart, etwa wie diejenigen in Guy Debords Schrift La société du spectacle (1967), bieten wichtige Einblicke in die Kunst dieses vieldeutigen Werkes (S. 264-266). Provokationen gegen die etablierte bürgerliche Ordnung sind auch an anderen Stellen vorhanden. So tritt im Beitrag von Rada Bieberstein die italienische Regisseurin Lina Wertmüller, deren Werk viele Stilmittel mit der commedia all’italiana teilt, sich aber nicht auf dieses Genre beschränkt, mit ihren Originalschöpfungen über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jener Zeit der Revolten, Proteste und Streiks hervor. Frauen, die Filme drehen, sind zur Zeit der ersten Dreharbeiten von Wertmüller, die erst 1972 mit einer Serie von vier Filmen mit dem italienischen Schauspieler Giancarlo Giannini in der Hauptrolle ihren Durchbruch schafft, wenn überhaupt, nur selten anzutreffen, auch wenn das erste Vorbild auf italienischem Boden sich mit Elvira Notari bereits auf Anfang des 20.-Jahrhunderts datieren lässt. Im Kern des filmischen Œuvres Wertmüllers, aus deren Werk Bieberstein für ihre 2_IH_Italienisch_75.indd 148 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 14 9 Analyse Mimì metallurgico ferito nell’onore (1972) ausgewählt hat, stehen Machtverhältnisse in der Politik sowie in den Geschlechterbeziehungen ebenso wie der Süden des Landes und seine Menschen. Auch die Thematisierung der Mafia und ihrer Mechanismen wird nicht ausgespart. Die Tatsache, dass sich die italienische Filmlandschaft mit brennenden Themen der Geschichte Italiens befasst und diese zur Bewusstseinsbildung ihrer Zuschauer inszeniert, impliziert, dass die Rekonstruktion der Geschichte Italiens auch über die Geschichte der italienischen Filmkunst erfolgen kann. Ettore Scola operiert in C’eravamo tanto amati (1974), einer Hommage an Vittorio De Sica, auf genau diese Weise, indem er auf den ersten Blick über drei Jahrzehnte des Lebens dreier Männer und der zwischen ihnen stehenden Frau berichtet. Seine intermedialen Zitate, welche die Geschichtsschreibung des italienischen Kinos der Nachkriegszeit explizit mit einschließen, werden von Thomas Bremer kenntnisreich untersucht. Drei Jahrzehnte, also zwei Drittel der Jahre, die Bernardo Bertolucci, der als Regieassistent bei Pasolinis Erstling Accattone mitwirkte, am Beispiel des Lebens zweier am selben Tag in der Emilia-Romagna geborener Jungen in seinem Monumentalfilm Novecento (1976) umspannt. 3 Die detaillierte und tief gehende Analyse von Gerhild Fuchs ist sicher eine der besten Auslegungen dieses Films, dessen Laufzeit, ursprünglich mehr als fünf Stunden, zwar abschrecken mag, dessen Inhalt aber - wie der Regisseur 2006 in einem Brief an einen Kritiker erklärt - «poesia» ist. Die Skandale, die dieser Film von Bertolucci auslöste, wiederholen sich im Fall von Ermanno Olmi nicht, dessen Werk L’albero degli zoccoli (1978), eine Chronik des einfachen Lebens und der Herrschaftsverhältnisse der dort erzählten Zeit (einer «Vergangenheit eines Landes wie Italien, das bis Anfang der 1960er Jahre wirtschaftlich noch stark von landwirtschaftlichen Strukturen geprägt war», S.-322), im Fokus des Beitrags von Livia Novi steht. Vom Werk, das mit vielen seiner stilistischen Entscheidungen Merkmale des Neorealismus aufgreift und Bilder, «die der Handlung eine Ordnung geben und oft mehr sagen als Worte» (S. 328), als primäres strukturelles Element nutzt, hebt Novi die Arbeit Olmis an der Umwandlung seiner «memoria personale» in eine «memoria collettiva» hervor (S. 330). Der Beginn der 1980er Jahre steht in gesellschaftspolitischer Hinsicht im Zeichen der Krise: Im Zeitraum zwischen 1978, dem Jahr der Entführung und Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro, der zwischen 1974 und 1976 als Ministerpräsident amtiert hatte, und 1980, dem Jahr des Bombenanschlags auf den Hauptbahnhof in Bologna, erreichen die anni di piombo ihren Höhenpunkt. Zudem verstärkt sich in den genannten drei Jahren auch jene schwere Wirtschaftskrise, die erst ab Mitte der 1980er Jahre überwunden werden kann. Die technischen Innovationen dieser Jahre auf dem Gebiet der Kinematografie erleichtern zwar viele Produktionspro- 2_IH_Italienisch_75.indd 149 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 150 zesse, das italienische Kino wird jedoch durch die politischen und wirtschaftlichen Unruhen und durch die ständig stärker werdende Konkurrenz aus Übersee bedroht. Nichtdestotrotz treten einzelne junge neue Schauspieler sowie Regisseure, die in ihren Filmen häufig auf die frühen Erfahrungen des Neorealismus rekurrieren, auf die Bühne. In vielen Fällen, wie beispielsweise bei Massimo Troisi, dessen Erstling Ricomincio da tre aus dem Jahre 1981 ins Zentrum der Aufmerksamkeit des Lesers des Beitrags von Andrea Palermo gerückt wird, und dem aus der Toskana stammenden Oscarpreisträger Roberto Benigni, dessen über die Grenzen Italiens hinaus bekanntester Film La vita è bella (1997) von Irmbert Schenk analysiert wird, übernehmen sie sogar beide Rollen gleichzeitig: Erfahrungen als Künstler haben beide Regisseure bereits hinter sich, die 1980er Jahre kennzeichnen jedoch ihr Debüt hinter der Kamera. Als Themen wählt diese neue Generation von Filmemachern neben dem Alltag der einfachen Menschen brennende Punkte der Geschichte, deren Gedächtnis sie als Kinder der Kriegsgeneration bewahren wollen und mit deren Hypotheken sie sich konfrontiert sehen. Beide thematischen Hauptkerne, nämlich der Alltag und das Paar Geschichte und Gedächtnis, das mit der Selbstreflexion über das Medium Film um einen dritten Themenbereich zu ergänzen ist, treten nicht zuletzt aus autobiografischen Gründen in die Werke ein. Beispielsweise geschieht dies bei dem bereits genannten Film von Troisi, in dem der Protagonist Gaetano häufig auch Anmerkungen über die physische Gesundheit macht, die Andrea Palermo in seinem Beitrag in Bezug auf den bereits in der Zeit der Dreharbeiten des betreffenden Films stark herzkranken Regisseur, der kurz nach dem Ende seiner Interpretation in Il Postino (1994) von Michael Radford an einem Herzinfarkt verstarb, für «durchaus als autobiografisch» interpretierbar hält (S. 344). Während Gaetano, da «er immer vom Krieg träumen würde», (S.-343) lediglich an Schlaflosigkeit leidet, findet der Zweite Weltkrieg in La notte di San Lorenzo (1982) der Brüder Taviani eine ausführliche Darstellung in Form des «im Dom von San Miniato […] am 22. Juni 1944 begangene[n] Massaker[s], das [bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts offiziell, M.B.] als Vergeltungsmaßnahme der deutschen Soldaten auf der Flucht betrachtet» (S.- 354), eigentlich jedoch von einer amerikanischen Granate verursacht wurde (S. 355). Präsentiert wird dieser Film dem Leser von Emiliano Morreale, der in der dort spürbaren «starke[n] Betonung der Mechanismen der Erinnerung» (S. 356) eine ähnliche wie die u.a. in Olmis L’albero degli zoccoli und in Francesco Rosis Cristo si è fermato a Eboli (1979) angewendete Strategie erkennt. Der Film bewege sich sogar «[i]m Großen und Ganzen […] ganz im bewusst dialektischen Spannungsfeld zwischen Geschichte und Erinnerung, zwischen Erbe des Historismus und Zeit des Mythos, zwischen Ereigniszeit und Jahreszeit» (S.- 359). 2_IH_Italienisch_75.indd 150 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 151 In Giuseppe Tornatores Arbeit Nuovo Cinema Paradiso (1988) werden die Kindheitserinnerungen des Protagonisten, des Filmregisseures Salvatore Di Vita, hingegen erst in den späten 1940er Jahren angesiedelt. Der Film ist eine Liebeserklärung Tornatores an das Kino, insbesondere an die Klassiker der Filmgeschichte, so etwa «Viscontis La Terra Trema, Lustspiele mit dem Kino-Clown Totò [und] Melodramen mit Jean Gabin» (S. 370), die Tornatore durch die eingebauten Filmvorführungen zitiert, wie Thomas Koebner in dem entsprechenden Aufsatz bemerkt (ebd.), in dem auch die Geschichte des Kinos als Erlebnisort und Ort der Träume hervortritt. Träume wie jene, die das Kino seinen Zuschauern schenkt, sind in erster Linie auch die Hoffnung auf ein besseres Leben. Dies erzählt dem Zuschauer Lamerica (1994) von Gianni Amelio, der sich auf das Albanien der Ära nach Enver Hodscha bezieht; auf ein Land, das Opfer von Spekulationen wurde und das Millionen von Flüchtlingen verlassen haben, jedoch auch auf ein Albanien, das dabei ist, von den Italienern besetzt zu werden. Amelio zieht Parallelen zwischen der Gegenwart und den Einwanderern aus jener Zeit, als Albanien 1939 zur Kolonie des Königreichs Italien wurde und der albanische Präsident Ahmet Zogu dringend Geldgeber brauchte, um die notwendigen Investitionen vornehmen, seine Herrschaft stabilisieren und die Staatsausgaben bestreiten zu können: Er beschreibt die Geschichte der vielen, die in den Händen von skrupellosen Schleppern Italien erreichen, das für sie ebenso ein Traumland ist, wie es Amerika Ende des 19.-Jahrhunderts für die emigranti italiani war, und der ebenso vielen, die Profite auf Kosten der ärmsten Länder machen wollen. Eine fortdauernde Aktualität ist dem Film Amelios, in dem - wie Daniel Winkler in seiner Analyse betont - auch auf neorealistische Verfahren und Anleihen rekurriert wird, zu bescheinigen, wenn man an die heute wieder alltäglichen Bilder und Berichte zu Flüchtlingen denkt. Ein cinema impegnato fordert (und schafft) ebenfalls Marco Tullio Giordana mit dem Historienfilm La meglio gioventù (2003), der im Unterschied etwa zu dem Werk der Brüder Taviani oder Benignis nicht in der Kriegszeit, sondern 1966 seinen Ausgang und 2003 seinen Endpunkt findet und der bereits dem Titel nach eine Hommage an Pasolini darstellt. Dessen Erzählstrategien, Struktur, Bezugspunkte und Rezeption werden in dem umfassenden Beitrag von Andrea Grewe eröffnet, die auch auf die folgenden Worte einer der dort dargestellten Figuren zurückkommt: «L’Italia è […] un posto bello», ma «[…] destinato a morire» (dt.: S. 439). Machtmissbrauch: Dies ist eine der Krankheiten Italiens, die Giordana wie der Schriftsteller und Journalist Roberto Saviano und auch Matteo Garrone, der Regisseur des aus dem Bestseller Savianos Gomorra hervorgegangenen gleichnamigen Films (2008), behandeln. Wie stark sich das Buch vom Film unterscheidet, zeigt Birgit Wagner, welche die Unterschiede in den 2_IH_Italienisch_75.indd 151 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 152 Darstellungsmodi des einen und des anderen Werks erklärt und den Filmspielort als «neo-neorealistisch […] gezeichnet» beschreibt (S. 458). Auch eine Analyse von Kontaktpunkten zwischen signifikanten Stellen im Film sowie der Unmöglichkeit der Einstufung des Werkes in ein einziges Genre lässt dieser Beitrag nicht vermissen. Zu lang wäre die Liste aller der im Band zitierten Namen von Werken, Regisseuren, Drehbuchautoren (der in Luzzara (Reggio Emilia) geborene Cesare Zavattini bildet hierbei durch seine vielfältigen Projekte einen der roten Fäden des Sammelbandes), Produzenten, Schauspieler und Schauspielerinnen. Eine Auswahl ist im Fall eines Sammelbandes über ein so reiches Thema wie das des italienischen Kinos stets schwer zu treffen. Die Kriterien, die der notwendigerweise gemachten Auswahl zugrunde liegen, werden jedoch in der den einzelnen Beiträgen vorangestellten kurzen Einführung, in welcher die Kontinuitätslinie sowie Abweichungen und Umbrüche der italienischen Filmgeschichte bis 2013 besprochen werden, ausführlich dargelegt. Der Sammelband setzt darüber hinaus konkrete thematische Schwerpunkte, denen er konsequent folgt. Sehr nutzbringend ist die zum Ende jeder Untersuchung hinzugefügte Bibliografie sowie die allgemeine Bibliografie zur italienischen Filmgeschichte am Ende der von Grewe und di Stefano verfassten Einführung. Die Beiträge sind eine lohnende Lektüre für den Kultur-, Medien- und Literaturwissenschaftler sowie für alle Interessenten und Liebhaber der Filmkunst und Filmgeschichte - vor allem, wenn man sich für die italienische Kultur in all ihren Schattierungen interessiert, eine Kultur, die das Auge der Kamera in ein auf Italien sowie auf die Welt gerichtetes Auge transformiert. Monica Biasiolo anmerkungen 1 Federico Fellini ist im Band zweimal vertreten, jedoch wurde an einer anderen Stelle mit den Brüdern Taviani die Zusammenarbeit zweier Regisseure behandelt. 2 Pier Paolo Pasolini, «Confessioni tecniche», in ders., Per il cinema, a cura di Walter Siti e Franco Zabagli, con due scritti di Bernardo Bertolucci e Mario Martone e un saggio introduttivo di Vincenzo Cerami. Cronologia a cura di Nico Naldini, 2 voll. [hier vol. II], Milano: Mondadori 2001, S. 2768-2781, hier S. 2779. Die Kursivierung wurde vom Original übernommen. 3 Die in einer nicht näher spezifizierten Zukunft spielende Schlusssequenz wird für diese Betrachtung bewusst außer Acht gelassen. 2_IH_Italienisch_75.indd 152 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 153 Claudio magris: Non luogo a procedere. milano: Garzanti 2015, 362 Seiten, € 20,00 Für die Erkenntnis, dass das Leben häufig bizarrer und phantastischer ist als jede Fiktion, führt Claudio Magris gerne illustre Zeugen wie Italo Svevo an. Auch er selbst schöpft mit Bedacht aus der Quelle der Wirklichkeit und so kommt es, dass sein neuester, unerhörter Erzähltext ein historischer Roman «und darüber hinaus» geworden ist, ein Produkt von Phantasie und Historiographie. Non luogo a procedere (auf Deutsch: Einstellung des Verfahrens) ist der von hoher ziviler Verantwortung und leidenschaftlicher Teilnahme getragene Versuch, gegen die kollektive Verdrängung anzuschreiben, gegen die omertà, mit der eine Gesellschaft ihre Verbrechen, ihre Mitwisserschaft und die Leiden der Opfer verschweigen wollte. «Wir scheinen wirklich die Stimme der unterdrückten Gerechtigkeit zu hören, nach siebzig Jahren zahlt eine Stadt endlich ihre Schuld», schrieb Corrado Stajano im Corriere. Ein Mitbürger, zur Zeit jener Verbrechen ein kleines Kind, «nun ein großer Schriftsteller geworden, fordert uns auf nicht zu vergessen.» Der Guerillakampf gegen das Vergessen - für Magris seit jeher eine zentrale Aufgabe der Literatur - und gegen das «Übertünchen» des (Schuld-) Bewusstseins macht aber nicht bei einer, bei seiner Stadt, Triest, halt, das weitverzweigte, weltläufige, intrikate Gewebe dieses Erzählens umfasst viele Räume, vom Paraguay der Chamacocos über das Mitteleuropa der Nazis bis zum Afrika der Kolonialherren. Zwei historische Gegebenheiten bilden die Grundelemente dieser kunstvoll verstrebten Konstruktion: das unvollendete Unternehmen eines genialen Besessenen, des mysteriösen triestinischen Waffensammlers und polyglotten Privatgelehrten Diego de Henriquez, ein Kriegsmuseum der besonderen Art zu begründen, das «Universalmuseum des Krieges zur Herbeiführung des Friedens und zur Deaktivierung der Geschichte» (S. 13; Übers. R.L.); andererseits die Schrecken der Risiera di San Sabba, einer aufgelassenen Reismühle an der Peripherie von Triest, die nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten vom September 1943 unter der Leitung des berüchtigten SS-Führers Odilo Globocˇ nik («Aktion Reinhardt») in ein «Polizeihaftlager» umgewandelt wurde. Zehntausende wurden von dort in die Vernichtungslager der Nazis deportiert, dort wurden aber auch viele Tausende von italienischen und jugoslawischen Partisanen, Juden, Widerstandskämpfern und anderen politischen Gefangenen gefoltert, erschossen, erschlagen oder in Gaswagen ermordet. Ab 1944 verbreitete das dort installierte Krematorium seinen pestilenten Gestank über die Hafenstadt. Die Risiera diente auch als Lager für beschlagnahmte und geraubte Wertgegenstände. Beim Rückzug Ende April 1945 sprengten die Nazis zwecks Spurenverwi- 2_IH_Italienisch_75.indd 153 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 15 4 schung das Krematorium und andere Teile ihrer Mordfabrik. Während der anglo-amerikanischen Verwaltung von Triest, die bis 1954 andauerte, legte sich - unter tätiger Mitwirkung der alliierten Militärregierung - rasch der Mantel des Schweigens über den Ort, wo die «Generalprobe der Hölle» (S. 332) stattgefunden hatte. Allzu viele Kollaborateure, Salò-Faschisten, Denunzianten, willfährige Behördenvertreter und Nutznießer verschiedener Art konnten unter diesem Schutzmantel ungestört weiterleben. Prozesse wurden verhindert, Beweismittel verschwanden, 1954 schafften die Briten beim Abzug Dokumente weg, die bis heute geheim gehalten werden. Erst in den siebziger Jahren gelang es einem mutigen Untersuchungsrichter einen Prozess über die «Operation Risiera» einzuleiten. Er endete jedoch aus vielfältigen Gründen, die man in Ferruccio Fölkels umfassender Darstellung La Risiera di San Sabba (1979) nachlesen kann, wie ein Schlag ins Wasser. Von den namentlich bekannten Schlächtern und ihren Kommandanten waren viele schon gestorben oder ungreifbar, einzig der Lagerverantwortliche Oberhauser, nun Bierbrauer in München, wurde - in Abwesenheit - zu lebenslanger Haft verurteilt. Niemand von denen, die in der «Operationszone Adriatisches Küstenland» den Schergen zugearbeitet, die, selbst ohne blutige Hände, «während der nationalsozialistischen Besetzung so oft und herzlich blutige Hände geschüttelt hatten» (S. 21 f.), wurde zur Verantwortung gezogen. Die Manipulation des Erinnerungsdiskurses - dies sei hinausgehend über die erzählte Zeit des besprochenen Werks angemerkt - begünstigte auch in den folgenden Jahrzehnten die «funzionari del Male». Die «Einstellung des Verfahrens» überhaupt, «das große Schweigen der Welt über den Schmerz und die Schande» ist (wie auch in Alla cieca von 2005) die zentrale Frage des Buches: der Verzicht auf die Ortung des «üblen Geruchs», den die Geschichte verströmt. Weit davon entfernt, magistra vitae zu sein, manifestiert sie sich als «blind», «zerstörerischer Tumor», «Mistablagerungsstätte», «Blutkruste» und «Elektroschock, der alle wahnsinnig macht». An diesem Punkt gewinnt in der Vorstellung des Autors Diego de Henriquez Raum, jener unbeugsame und peinliche Exzentriker, der fanatisch, bis zum Ruin seiner bürgerlichen Existenz, nicht nur Kriegsgerät aller Art - von der Streitaxt bis zum U-Boot -, sondern auch eine Unzahl kleiner «Tagebücher» mit historischen Zeugnissen verschiedenster Herkunft anhäufte. Darunter die Abschriften von Graffiti und Kritzeleien, aus öffentlichen Toiletten, aber auch von den Wänden der Risiera, wo die Todgeweihten Botschaften (und Namen! ) hinterlassen hatten. Botschaften, die de Henriquez mühsam kopiert hatte, bevor man sie eilig unter Kalktünche verschwinden ließ. Der unbequeme Zeuge einer nicht offiziellen Geschichte von Triest und Umgebung kam 1974 bei einem (gelegten) Brand in seinem Magazin um, wo er, verarmt und heruntergekommen, mitten unter seinen 2_IH_Italienisch_75.indd 154 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 155 archaischen Dreckschleudern, Panzern, Raketenabschussvorrichtungen und Yataganschwertern hauste und eine eigenartige ars moriendi exerzierte: Er schlief in einem Sarg mit einem Stahlhelm auf dem Kopf und einer Samuraimaske auf dem Gesicht. In der Nacht des Brandes ging auch ein Teil seines Archivs in Flammen auf. Außerdem waren - angeblich - aus dem Tresor verschiedene Dokumente verschwunden, darunter ein brisantes Heft (Hefte? ) mit Kopien der Graffiti von San Sabba sowie kompromittierende Fotos. Soviel zur ‘Realität’. Magris hat die reale Figur des lebenslang von Waffen faszinierten Sammlers, der doch ihren Gebrauch, den Krieg und das Übel aus der Menschheit exorzieren wollte, grandios überschrieben. Die Geschichte von Henriquez‘ tragisch unterbrochenem palingenetischem Traum «Kriegswaffen für den Frieden» wird durch die in sieben Kapiteln artikulierte Geschichte einer gänzlich erfundenen weiblichen Figur kontrapunktisch begleitet und kommentiert, wobei die beiden Hauptstimmen - der mit Lui, manchmal auch Io 1 , nie mit Namen bezeichnete Protagonist-Dux und die Projektantin seines Museums, Luisa-Comes - mit ihren Überlegungen, Erinnerungen, Gedankensprüngen eine überwältigende Vielfalt von komplementären oder gegensätzlichen Nebenstimmen und Motiven generieren, die wiederkehren (die schwarze «Prinzessin» Luisa de Navarrete, der Indio Cˇ erwuiš) oder verschwinden (der «brave Soldat» Schimek) sowie den verschiedensten zeitlichen und räumlichen Dimensionen angehören können. Die beharrliche, oft modulierte Wiederkehr des Hauptthemas sichert die vollendete Durchführung der großen Fuge, die mit der Todesszene des Protagonisten endet, leitmotivisch erfüllt von erstickendem Rauch und apokalyptischen Bildern aus der Risiera. Seiten, die mit ihrer atemberaubenden Dynamik und visionären Darstellungskunst zum Besten gehören, das Magris geschrieben hat. «Er hatte die Flammen sicher nicht gefürchtet, Schmetterling ohne Angst vor dem Licht, in das er sich stürzt, um im Verbrennen wiedergeboren zu werden» (S. 19), war doch auch sein Museum als «Umkehr» geplant: Stirb - die Säbel, die Bajonette, die Kanonen - und Werde - die Abschaffung des Übels und des Todes. In seinem Definitivem Universal-Lexikon (DUD - Dizionario Universale Definitivo) wäre «Tod» durch «Umkehrer» (invertitore) ersetzt worden. «Den Tod gibt es nicht, erklärte er; er ist nur ein Umkehrer, eine Maschine, die das Leben einfach umstülpt wie einen Handschuh, man muss die Zeit nur umgekehrt laufen lassen und gewinnt alles wieder. Wiedergefundene Zeit, Triumph der Liebe» (S. 18). Flamme und Rauch der Seligen Sehnsucht, Flamme und Rauch der Risiera - Himmel und Hölle: dieses Buch steht im Zeichen von Feuer und Flamme. «Und ich gehe auf die Suche nach diesem Rauch», lässt Magris den Protagonisten sagen, 2_IH_Italienisch_75.indd 155 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 156 «nach diesen Namen, die man zu Asche gemacht hat. Ich kämpfe nicht gegen das Vergessen, ich kämpfe gegen das Vergessen des Vergessens, gegen die Bewusstlosigkeit, gegen die Schuld vergessen zu haben, willentlich vergessen zu haben, nicht wissen wollen und können, dass es ein Grauen gibt, das man vergessen wollte - sollte? In Triest sehe ich in jeder Straße den Rauch, den man nicht sehen wollte» (S. 321). Feuer ist nicht das Element der sanften Luisa, die den Auftrag hat, das «Museum zur Abschaffung der Kriege» zu planen. Mit gedankenvoller Empathie versucht sie auch die Archive des Toten - Briefe, hingeworfene Notizen, unleserliche fliegende Blätter, Tagebücher - in die Präsentation der Militaria zu integrieren: «Er hat immer alles aufgezeichnet, er machte nichts anderes als Notizen; das einzige, was er machte in seinem ganzen Leben…» (S. 26). Luisa, Tochter einer Triester Jüdin und eines afroamerikanischen Soldaten der TRUST (Trieste United States Troops), hat gelernt, wie man erträglich mit den unerreichbaren Dingen zusammenlebt. Auf ihr lastet nicht nur die Tara der jahrhundertelangen Verfolgung, Unterdrückung und unseligen Verstrickung ihrer Ahnen, sondern auch die vollkommen geglückte Liebe ihrer Eltern: sie weiß im Rückblick auf dieses Paar, «dass das Gelobte Land existiert, es ist hier, man kann drin leben und man kann es doch nicht, du kannst es nicht. Das Land Kanaan, Eden, Madinina, alles wahr, alles möglich, aber nicht für dich» (S. 228). Während die resignierte Humanität dieser schönen «Tochter des Galut und des versklavten Afrika» (S. 267) in ihrer psychologischen Feinzeichnung perfekt gelungen und von einnehmender Lebensnähe ist (Luisa sei die Gestalt des Romans, die er am meisten liebe, sagte Magris in einem Interview), so erscheint das paradigmatische Elternpaar ideologisch konstruiert und die insistierende Phänomenologie der «seligen Insel» (S. 228) ihrer absoluten Liebe überfordert bisweilen den Leser. Was Non luogo a prodecere aber, über den potenten Eingriff in den Erinnerungsdiskurs von Triest und Umgebung (im weitesten Sinn) hinaus, zu einem Meisterwerk macht sind seine sprachlich-stilistischen Qualitäten. Ich erwähnte schon das dichte Gewebe von Leitmotiven, Analogien, Parallelführungen, die zahllose lokale und universale Panoramen aufreißen - von den Schiffbrüchen der Sklavenhändler und dem Untergang des Habsburgers Maximilian, in Mexico «Conquistador troppo nobilmente illuso» (S. 211), bis zum Attentat auf das Monster Heydrich und den Einmarsch von Titos Armee in Triest. Historische Ereignisse und private Erinnerungsfetzen, die durch den «obsessiven» Indikativ Präsens der Erzählzeit und den Einsatz einer «sublime paratassi» (E. Pellegrini) unmittelbares Leben gewinnen. Magris hat nunmehr, in seinem siebenten Jahrzehnt, eine Macht und Präzi- 2_IH_Italienisch_75.indd 156 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 157 sion der Sprache, eine souveräne Herrschaft über sein schon immer kostbares Handwerkszeug erreicht, die man - ohne jede Übertreibung - als überwältigend bezeichnen muss. Alles ist visible speech, sinnliche Anschaulichkeit, mit einer Unbefangenheit und Geschicklichkeit sondergleichen bewegt er sich zwischen direkten und indirekten Redeformen, zwischen seinem königlichen Italienisch und den bunten, der Polyphonie seiner Gestalten angepassten Varietäten und Registern: Triestiner Dialekt, Deutsch, Englisch, Kroatisch, Kreolisch, ja sogar die Grammatik paraguyanischer Indios wird, wie deren Götterwelt, sinnfällig in diesem Buch. Wie alle Texte des Autors zeugt auch Non luogo a procedere von seiner enzyklopädischen Ader: «Früher hatte ich nicht bemerkt, wie barock Magris eigentlich ist», schrieb ein anonymer Leser nicht ohne Grund. Man lese etwa das Kapitel «Cactus marcescens Hitler» (S. 125 ff.): in den Delirien des berühmten Botanikers und Anthropologen Vojteˇ ch Fricˇ , den mitten unter seinen vertrockneten Kakteen der Tetanus aufzehrt, vermischen sich die fleischfressenden Dämonen aus aller Herren Länder, Anerto, Tobüc´-Kimtë, Mengele und Heydrich, während die tschechischen Partisanen in der Krypta der Heiligen Cyrill und Method in Prag ersäuft werden - ein Untergangsszenario, das einen Gryphius erblassen ließe. Von Gryphius oder Lohenstein trennt Magris allerdings die Ironie des Spätgeborenen: «Gott sei Dank, dass Hus schon verbrannt ist, jetzt würde ihm Ärgeres blühen» denkt der sterbende Fricˇ , während SS und Gestapo in Prag wüten (S. 129). «Zehn Tage genügen, um das Imperium des Zaren zu stürzen und die Sowjet-Union entstehen zu lassen, aber nicht um eine Ischias-Attacke zu kurieren» heißt es an anderer Stelle (S. 241). Beeindruckendes Beispiel einer «scrittura notturna» mit all ihren düsteren Farben und giftsüßen Gerüchen, schneidender Sarkasmus ohne Rücksicht auf political correctness ist das Kapitel 37 (S. 208 ff.): die Feier von Hitlers Geburtstag in Miramare am 20. April 1945. Das Glas heben nicht nur der Oberste Kommissar des Adriatischen Küstenlands, Gauleiter Friedrich Rainer, und Generalleutnant Globocˇ nik, der Herr der Risiera, sondern auch Präfekt Coceani, Podestà Pagnini, hohe Vertreter der Triester Industrie und der Republik von Salò, der Krasnow-Kosaken, der serbischen Cˇ etniks, der kroatischen Ustaša und der slowenischen Domobranzen - «das neue Europa der Völker» (S. 215). Abwesend anwesend unter dem ausgestopften Doppeladler der Erbauer des weißen Schlosses, Maximilian, «nobile uomo e ridicolo imperatore» (S. 212), gefallen unter den Kugeln von Queretaro. Ein Bacchanal im Wetterleuchten der Götterdämmerung, Ströme von Champagner, noch ein Brindisi, Prosit, Heil Hitler. Ströme von Angstschweiß und anderen Körperflüssigkeiten, eiliger Eros, dem Thanatos auf den Fersen ist, Ejaculatio praecox unter dem Gingko biloba in Maximilians Park, letzte 2_IH_Italienisch_75.indd 157 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 15 8 Salbung für Todeskandidaten. Zehn Tage später: Rainer und Globocˇ nik sind geflüchtet, die Collotti-Bande foltert bis zuletzt, Titos Neunte Armee und die Zweite Neuseeländische Division marschieren um die Wette nach Triest. Bald werden dort die Kugeln pfeifen, Er aber, de Henriquez, wird unerschrocken umhergehen… Gespräche mit den einen und mit den anderen suchen, aufschreiben, was er sieht, was geschieht. Beschriebene Blätter…Geschoßsplitter jener in Stücke gegangenen Geschichte, durch die er spaziert wie ein flâneur» (S. 241). Renate Lunzer 1 «Er» plädiert für Redimensionierung des Ich: «Aber vor allem der Krieg, eine ernste Angelegenheit, soll so wenig wie möglich mit dem Ich zu tun haben, denn es ist renitent und anmaßend bei der Einberufung, und auf dem Schlachtfeld dann fahnenflüchtig», S. 24. 2_IH_Italienisch_75.indd 158 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 159 Kurzrezensionen Cecilia Gibellini: Giovan Battista Casti tra Boccaccio e Voltaire. Lettura intertestuale delle «Novelle galanti». Lanciano: Carabba 2015, pp. 300, € 18,- Le Novelle galanti dell’abate libertino Giovan Battista Casti (1724-1803), pubblicate parzialmente a partire dal 1790 (spesso in raccolte arbitrarie con pezzi apocrifi) e poi, nella forma voluta dall’autore, a Parigi nel 1804, subito messe all’Indice e proibite dalle censure dei vari stati, furono però premiate da un’enorme fortuna editoriale, che ne fece un best-seller per tutto l’Ottocento. Dei quarantotto racconti in ottave, ammirati da Goethe, Byron, Stendhal e Apollinaire, manca peraltro un’edizione integrale da quasi cinquant’anni (cioè dal testo sobriamente annotato da Edo Bellingeri nel 1967); un vuoto colmato solo parzialmente dall’antologia curata in anni più recenti (2001) da Lucia Rodler. Per trovare uno studio monografico su Casti occorre altresì arretrare agli anni Settanta, con le monografie, di Gabriele Muresu (Le occasioni di un libertino, 1973) e di Antonino Fallico (Giovanni Battista Casti e l’utopia di una intellettualità non subalterna, 1978); indirizzate a indagare soprattutto sul versante ideologico dell’autore, e nei decenni da allora trascorsi anche i contributi in riviste o volumi miscellanei si contano sulle dita. A ragione, dunque, Raffaella Bertazzoli ha già segnalato l’originalità di questo libro: «Nel panorama degli studi castiani, il lavoro di Cecilia Gibellini sulle Novelle galanti si impone per un’impostazione largamente innovativa. Il percorso critico adottato dalla studiosa si snoda in un’ampia prospettiva diacronica e sovranazionale, toccando la vicenda culturale e la valutazione critica, l’analisi intertestuale e la storia delle idee, fino alla metamorfosi dei generi e all’analisi dei temi. La Gibellini si è avvalsa con sicura padronanza del fecondo intreccio di discipline e metodi che mettono a frutto gli strumenti della comparatistica e della traduttologia, della stilistica e della variantistica.» Il saggio si apre con una Introduzione metodologica, che traccia un profilo storico e critico del passaggio dalla ottocentesca ricerca delle fonti alla nozione novecentesca di intertestualità. Tracciato poi un profilo dell’abate Casti, «libertino d’Europa» passato dalla Vienna asburgica alla Parigi napoleonica, dopo aver soggiornato alla corte della zarina Caterina II da lui 2_IH_Italienisch_75.indd 159 30.06.16 17: 11 Buchbesprechungen 16 0 satireggiata nel Poema tartaro, Cecilia Gibellini ricorda i pochi e scarni cenni alle fonti delle Galanti presenti negli studi precedenti, accingendosi ad aggiungerne molte altre e a una rilettura del loro complesso nell’ambito di un’«ermeneutica intertestuale». Nelle sue Novelle, indirizzate al pubblico femminile dei salotti, primo destinatario e anteriore alla loro stampa, Casti nomina i suoi modelli con estrema parsimonia, dichiarando di aver attinto a due novelle di Boccaccio (dal quale ne ricava ben sette); una terza presso un autore non identificato (ma che risulta poi essere Masuccio Salernitano); altre da un fantasioso «Gianfico» che però, come rivela più avanti la Gibellini, scopre una fonte autentica, oltre a inesistenti manoscritti antichissimi. «Peraltro - osserva l’autrice - nel confessare i suoi debiti, Casti respinge preventivamente l’accusa di scarsa originalità […] garantita se non altro dall’aver voltato in versi novelle nate in prosa, e inoltre dal fatto che ogni storia è in fondo ricreazione di storie più antiche, la cui ricerca lascia agli illusi e noiosi eruditi di cui si prende gioco». Nei capitoli seguenti si individuano le fonti di ben 22 novelle, quasi metà della raccolta, esaminandone le modalità di riscrittura con occhio attento sia al plot narrativo che ai dettagli microtestuali. La trattazione non ordina le novelle in base alla successione che esse hanno nell’edizione, da I a XLVIII, bensì secondo i quattro grandi bacini cui attingono: quello del Decameron, dei novellieri del Quattro e del Cinquecento, dei libertini francesi del Seicento e infine quello di Voltaire. Il capitolo 2, Boccaccio e dintorni, prende in esame sette novelle attinte al Decameron, per due delle quali si valuta però anche la possibile incidenza aggiuntiva di Masuccio e di Bandello; per altre tre, che avevano dato spunto ad altrettanti concisi e deliziosi contes en vers di La Fontaine, citato da Casti come autore «purgatissimo», la Gibellini mostra che la suggestione agisce nella scelta del soggetto e nell’esempio di trascrizione in versi di originali in prosa, ma che l’ipotesto di riferimento resta il Decameron: nei confronti del quale, nota la studiosa, la differenza essenziale è d’ordine linguistico, poiché alla sintassi ciceroniana del Certaldese, Casti oppone un parlato fluido, non ostacolato dal metro, corrispondente alla lingua conversevole cara al Settecento e che, aggiungiamo, Gianfranco Folena aveva a suo tempo colto nella cifra goldoniana. Nel solco di Boccaccio è il titolo del capitolo 3, dove sono esaminate sei Galanti, e in cui sono convocati novellieri italiani da Masuccio ad Agnolo Firenzuola, passando per Sabadino degli Arienti e Matteo Bandello. Qui si accentua il problema, sfiorato già nel capitolo precedente, delle fonti mul- 2_IH_Italienisch_75.indd 160 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 161 tiple e del relativo incrocio di echi: se taluni ipotesti non mostrano una forte incidenza (Sacchetti e Poggio Bracciolini trattano lo stesso tema delle Brache di san Griffone, che Casti attinge direttamente a Masuccio, da cui ricava pure la storia del Quinto Evangelista). Nell’Apoteosi, in cui Casti narra la vicenda della dissoluta Faustina divinizzata dopo la morte dal marito, l’imperatore Marco Aurelio, l’autore combina spunti di Boccaccio, Bandello e altri, aggiungendo però molto del suo, denunciando l’alleanza tra potere e religione a spese del popolo credulo. Nella Sposa cucita lo scrittore ricalca il racconto di Firenzuola combinandolo con quello di Pietro Fortini, mentre, a giudizio dell’autrice, le varianti narrative di altri novellieri non avrebbero giocato alcun ruolo. Con il capitolo successivo, Libertini e illuministi, si cambiano secolo, genere e territorio. Cinque novelle infatti conducono alle storie di scrittori francesi del Sei-Settecento (Vergier, Grécourt, Moncrif, il marchese d’Argens), mentre la sesta, Il berretto magico, contamina il romanzo licenzioso e satirico d’ambientazione orientale di Diderot (Les bijoux indiscrets) con una novelletta di Gasparo Gozzi. Ultima miniera per le reinvenzioni di Casti è Voltaire, a cui è dedicato il capitolo 5. Era già noto che La fata Urgella rimaneggiava i versi di Ce qui plaît aux dames (ma ne mancava una vera analisi comparativa tra i due testi). Il volume segnala che altre due novelle, Casti le derivò dall’illuminista francese: la rivisitazione maliziosa del mito di Prometeo e Pandora, che spiega i diversi caratteri umani in base ai facili amori della progenitrice, e la storia di Geltrude ed Isabella, la vicenda di una madre in apparenza bigotta che amoreggia con un frate e che, scoperta dalla figlia che intrattiene anch’essa un legame amoroso, decide di abbandonare la finzione e godersi la vita (ma per quest’ultima novella la Gibellini dimostra che il Casti ebbe presente anche l’analoga novella di Agnolo Firenzuola). Nel capitolo 6 (Digressioni e irraggiamenti), la studiosa integra l’esame delle varianti intertestuali delle singole novelle, con un’analisi sincronica e sistematica. Vengono così indagati alcuni motivi cruciali della mentalità e delle convinzioni dell’autore, considerandoli nel quadro complessivo delle quarantotto novelle, in modo che ogni singola tessera testuale concorra a tracciare un disegno nel mosaico complessivo. I dieci paragrafi in cui si articola il capitolo vertono sulla poetica del piacevole e del lieto fine, sugli appelli alle lettrici, sull’emancipazione femminile, sull’educazione sessuale e le vocazioni immature, sull’aldilà, sulla metafisica, sull’immaginazione, sull’irriverenza, sulla guerra e sulla pace, e, infine sull’imagologia. Nel loro complesso, valgono da soli a candidarsi come un aggiornato sondaggio critico dell’opera novellistica di Casti. Chiarendo il valore pregnante del titolo, Tra Boccaccio e Voltaire, infatti, l’autrice non indica solo gli estremi crono- 2_IH_Italienisch_75.indd 161 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 162 logici del ventaglio di autori cui Casti si ispirò per le sue riscritture, ma anche i due poli entro cui si colloca la sua opera, oscillante tra ripresa di modelli licenziosi ma convenzionali e aggiornamento ideologico, tra edonismo e engagement illuministico, tra divertimento letterario e provocazione ideologica. Questo si ricava dalla Conclusione, detta «provvisoria» per la possibilità che anche altre novelle possano dipendere da ipotesti ancora da rintracciare: ma che difficilmente potrebbero mutare il quadro critico tracciato dal ricco e denso volume. Le osservazioni analitiche disseminate nei capitoli precedenti vengono interpretate, indicando le linee-guida delle rielaborazioni di Casti, più o meno vincolato al suo ipotesto in base alla variante autorevolezza degli auctores esemplati o dalla crescente maturità della sua perizia letteraria e autonomia intellettuale. Casti varia soprattutto dilatando, immaginando particolari omessi dalle fonti, dipingendo con gusto pittorico i protagonisti (come sottolinea l’autrice che ha al suo attivo molti studi sul rapporto arte-letteratura), indugiando sui momenti scabrosi senza mai usare un lessico volgare (a differenza di Giorgio Baffo, verso cui Casti lancia uno strale), introducendo note psicologiche tipicamente settecentesche, rendendo piano e scorrevole il dettato, inserendo tra le parti diegetiche riflessioni ironiche e taglienti. «Se il lettore concorderà che le Novelle galanti di Casti meritano un posto non indegno nella stagione che va dallo splendore al tramonto dei Lumi, accanto ai testi di Goldoni e Gozzi, di Casanova e Da Ponte, avremo raggiunto il nostro scopo». Questa persuasione di fondo della studiosa, così espressa nelle ultime righe, risulta del tutto condivisibile, confermando come le Novelle galanti siano l’opera più vitale del Casti e meritino questa più attenta riconsiderazione. Alessandro Scarsella 2_IH_Italienisch_75.indd 162 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 16 3 italo Svevo: Una burla riuscita. edizione critica sulla base di un nuovo testimone, a cura di Beatrice Stasi. Lecce/ rovato: Pensa multimedia 2014, pp. 224, € 19,00 Risale al 2011 la scoperta a Parigi del Fondo Paul-Henri Michel e il conseguente ritrovamento di testimoni sconosciuti di opere sveviane, fra cui quello della novella Una burla riuscita sul quale è stata allestita questa meritoria edizione critica. La scoperta si deve alla perseveranza di Beatrice Stasi, che già durante la preparazione dell’edizione critica della Coscienza di Zeno (Roma: Storia e Letteratura 2008) aveva tentato di stabilire un contatto con Olivier Michel, secondogenito di Paul-Henri, bibliotecario, ma anzitutto traduttore di Svevo e in rapporto epistolare con altri importanti intellettuali italiani del primo Novecento (numerose le traduzioni di Papini). Nell’archivio di famiglia, inesplorato per quasi un secolo, era stata diligentemente conservata la corrispondenza di Paul-Henri - vi sono anche lettere di Ungaretti - in cui spiccano delle lettere inedite di Svevo, della moglie Livia (ancora in contatto con il traduttore dopo la morte del marito) e soprattutto copie dattiloscritte e manoscritte di opere dell’autore triestino. L’archivio è stato poi scisso fra il Museo Sveviano di Trieste, a cui l’erede ha donato i testimoni sveviani, e la Bibliothèque Nationale di Parigi, che ne possiede tutto il resto, e inserito in un Progetto di Rilevante Interesse Nazionale (PRIN 2010-2011) finanziato dal Ministero italiano: «Carte d’autore online: archivi e biblioteche digitali della modernità letteraria italiana» (www.cartedautore.it). Due dei testimoni ritrovati a Parigi costituiscono certamente delle novità di grande rilievo nel campo della filologia sveviana: oltre al nuovo testimone di Una burla riuscita, era infatti presente una copia con interventi d’autore della prima edizione della Coscienza di Zeno (1923), che registra alcuni tagli nei capitoli centrali voluti da Svevo, seguendo un suggerimento di Benjamin Crémieux, per la traduzione in francese di Paul-Henri Michel (cfr. della stessa studiosa Svevo e Zéno. Tagli e varianti d’autore per l’edizione francese della Coscienza, Roma: Storia e Letteratura 2012). Vi era poi un raccoglitore contenente sei fascicoli con copie dattiloscritte con varianti delle commedie: Un marito, L’avventura di Maria, Inferiorità, Il ladro in casa, Le teorie del conte Alberto, Le ire di Giuliano; un ritrovamento certamente sorprendente ma sul quale non è possibile esprimere (almeno per il momento) delle valutazioni aggiuntive a quelle fornite dalla studiosa: non vi sono correzioni manoscritte, non dovrebbero essere state battute a macchina da Svevo, né inviate a Parigi dalla moglie. Infine nell’archivio era conservata una copia manoscritta (ma di mano di Livia) della novella Una madre. 2_IH_Italienisch_75.indd 163 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 16 4 Il nuovo testimone di Una burla riuscita è un dattiloscritto (abbreviato con la sigla BRP) composto da trenta fogli, con correzioni dattiloscritte e manoscritte di mano dell’autore. I fogli 11-13 sono leggermente più lunghi e battuti con un inchiostro di colore rosso, mentre il resto presenta un inchiostro blu (alla fine del volume è presente un Appendice iconografica purtroppo non a colori). Il testo porta in calce la data del 14 ottobre 1926, la stessa che accompagna la novella nella prima edizione apparsa su «Solaria» (S). Del processo di elaborazione di questo testo restano un dattiloscritto triestino con correzioni autografe datato 4 ottobre 1926 (BR1) e due frammenti manoscritti, il primo contenente una stesura del primo capitolo (A), il secondo un frammento del quinto (B). A partire dal 1993, dall’edizione curata da Bruno Maier, fino all’edizione critica più recente curata per Mondadori da Clotilde Bertoni nel 2004, è sempre stato assunto il testo di Solaria come quello di riferimento: perché dunque allestire un’edizione critica su di un testimone inviato in forma privata a un traduttore francese, preferendolo alla prima edizione del testo pubblicata vivente l’autore? Per rispondere nel modo più esaustivo a tale legittima domanda, la studiosa stende un saggio introduttivo composto da ben 123 densissime pagine a fronte delle 224 totali: un lavoro minuzioso, del quale tenteremo di dare un’idea solo pallida e approssimativa, privilegiando quelle acquisizioni che fanno luce su alcuni nodi della filologia sveviana ancora irrisolti. Preliminarmente va detto che il discorso impostato dalla Stasi mira esplicitamente a ridimensionare il peso di S attraverso l’analisi comparativa delle lezioni presenti nei vari testimoni e le peculiarità dell’idioletto sveviano, e, allo stesso tempo, a sostenere (attraverso le medesime ‘armi’) lo stretto rapporto esistente fra BRP e l’antigrafo di S, in assenza del quale (salvo un improbabile ritrovamento del testo consegnato da Svevo alla rivista) il dattiloscritto parigino - si ricordi, un testo pur sempre licenziato dall’autore per la pubblicazione - appare il testimone con le caratteristiche più vicine a quelle dell’autografo. Dopo aver ricostruito il percorso di BRP prima di giungere nelle mani di Paul-Henri Michel e le vicissitudini della pubblicazione italiana del racconto, la studiosa dedica molti paragrafi all’individuazione delle macchine da scrivere di Svevo: il nuovo testimone è stato infatti battuto con due (indicate con le sigle mcs1 e mcs3), come provano la differenza di dimensione dei caratteri, il diverso colore dell’inchiostro e altri tratti distintivi, tutti ampiamente descritti, anche grazie alla consulenza di un esperto. Ne vengono individuate sei - o set di caratteri diversi come suggerisce l’esperto - ma non tutte furono utilizzate dall’autore, come proverebbero le particolarità ortografiche di Svevo dattilografo, analizzate a fondo nel paragrafo 4 - segnaliamo almeno la tendenza a utilizzare correttamente l’accento (tranne per la 2_IH_Italienisch_75.indd 164 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 16 5 parola caffé) - che suggeriscono la natura non autografa del testimone triestino BR1. Fra le acquisizioni e le ipotesi originali ricordiamo almeno: 1) la macchina con cui furono battuti i fogli 11-13 di BRP (mcs1) è la stessa utilizzata per poche righe nel primo testimone di Corto viaggio sentimentale e per alcune pagine del principale testimone del saggio Sulla teoria della pace; 2) l’individuazione di due macchine da scrivere diverse per il testimone più autorevole di Inferiorità consente di formulare una nuova ipotesi sulla datazione della commedia; 3) un carattere difettoso dovuto all’usura di mcs1 si rivela un colpo di fortuna che permette di datare i dattiloscritti battuti con essa e induce la studiosa a negare il carattere autografo di uno dei testimoni de La novella del buon vecchio e della bella fanciulla; 4) non sarebbe autografo neppure un dattiloscritto della Conferenza su James Joyce ritenuto tale; 5) il racconto La morte andrebbe collocato nell’ultima fase della scrittura sveviana, come sostenuto da Livia, ma negato dalla critica. I paragrafi conclusivi mirano a dimostrare «l’importanza di BRP per una ricostruzione testuale il più possibile rispettosa della lingua di Svevo» (p. 64) attraverso un duplice proposito che può essere così sintetizzato: sostenere il carattere solo idiografo di BR1 e la presenza di interventi normalizzatori in S operati da un revisore linguistico della rivista (forse incaricato dallo stesso autore). Da questo punto di vista il caso di strumento - ma gli esempi forniti dalla studiosa sono numerosissimi - appare esemplare. Nel dattiloscritto parigino compare infatti tale forma ricercata, assente in tutti gli altri testimoni, tranne che nel frammento manoscritto A: e allora è evidente come lo strumento che lo sostituisce sia in BR1 sia in S possa essere interpretato come un indizio del carattere idiografo del primo e della revisione linguistica del testo nel secondo. Il testimone prescelto per l’edizione critica (pp. 127-210) è dunque BRP, dal quale la studiosa si discosta solo per mettere a testo le varianti autografe presenti in BR1, che si ritengono successive a quelle presenti nel testimone parigino. Nel corpo del testo, tra parentesi quadre, sono riportati i numeri di pagina del dattiloscritto. Luca Mendrino 2_IH_Italienisch_75.indd 165 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 166 Claudia Crocco: La poesia italiana del Novecento. Il canone e le interpretazioni. roma: Carocci 2015, pp. 222, € 18,- Questa prima monografia di Claudia Crocco vuole essere un tentativo di ricostruzione del canone della poesia novecentesca, con la speranza che tale operazione stimoli la riflessione sul cambiamento cui la lirica italiana è soggetta da circa quarant’anni. L’autrice, una dottoranda dell’Università di Trento, prova anche ad illustrare i motivi per i quali alcuni autori non hanno trovato subito un posto all’interno del canone. Di molti di questi, poi, si accoglie solo una parte della produzione letteraria. L’esempio più emblematico di questa situazione è costituito dalla sorte toccata a Franco Fortini, il quale viene ricordato soprattutto per gli alti esiti raggiunti con la prosa, a scapito dunque della produzione in versi. Il percorso analitico intrapreso da Crocco è di natura diacronica: l’autrice comincia infatti la sua disamina dal Modernismo per giungere fino agli anni Novanta del secolo scorso. Divisa in otto capitoli, a loro volta preceduti da un’introduzione, la monografia prende le mosse dalla definizione stessa di canone. In greco antico il Kανών designava uno strumento di misurazione. Per quanto riguarda il suo significato odierno, si fa qui riferimento a Luperini il quale, dopo aver riflettuto sull’intrinseca ambiguità semantica del termine ‘canone’, lo definisce come l’insieme di norme che fonda una tradizione, senza dimenticare l’accezione legata alla ricezione dei testi. Ciononostante, attualmente i due sensi tendono a sovrapporsi. È inoltre innegabile, a detta dell’autrice, che il concetto di ‘classico’ abbia subìto un duro colpo dopo l’affermazione del post-strutturalismo e degli studi coloniali. Al momento, dunque, non esiste più una sola tradizione, ma tante proposte concorrenti. Un punto cruciale dell’introduzione è la riflessione che Crocco fa sulla situazione italiana, messa a confronto con quella statunitense. Mentre, infatti, in America il dibattito sul canone ha assunto ampio respiro per vari motivi, non ultimo il ruolo per nulla marginale dei cultural studies, nel nostro paese la situazione appare completamente diversa. Soprattutto per ragioni storiche, infatti, in Italia si è diffuso un modello di canone definito da Croce ‘monolitico o binario’, fatto, questo, che reca in sé una conseguenza negativa, ossia il tardivo riconoscimento del valore di scrittori non appartenenti ad una corrente dominante. Tutto ciò fa sì che si debba attendere fino agli anni Novanta per assistere, anche in Italia, alla messa in discussione di concetti come quelli di ‘classico’, di ‘tradizione’ e di ‘canone’. Ovviamente, come ben sottolinea Crocco, tale evento porta alla crisi della tradizione della poesia, che è visibile soprattutto nelle raccolte. Sarà proprio l’antologia, tra l’altro, il genere privilegiato dall’autrice per la sua indagine, proprio perché essa, alla stregua del concetto di canone, appare ambigua, 2_IH_Italienisch_75.indd 166 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 167 giacché vuol trasmettere un testo prescindendo dalle coordinate storiche, pur basandosi su una scelta condizionata dal momento in cui l’opera viene allestita. A questo punto, Claudia Crocco si sofferma sulla problematicità della ricostruzione di un canone condiviso, soprattutto per quanto riguarda l’ultimo quarto di secolo. Il pregio principale di questo lavoro sta nell’aver dato spazio anche a correnti e categorie che, almeno fino ad oggi, non hanno avuto grande risonanza presso la critica. La prima di queste è il Modernismo, di cui si inizia a parlare tardi in Italia rispetto al resto d’Europa. A tal proposito, emerge la volontà dell’autrice di considerare il Modernismo non tanto come un movimento, quanto come una categoria interpretativa, sulla quale tuttavia appare ancora aperto il dibattito critico. Uno studioso che si è cimentato nella sua periodizzazione è Luperini, il quale lo suddivide in due fasi diverse, affermando che alcune tracce di esso si riscontrano in autori temporalmente successivi. Ciò che è certo è che la corrente in questione prevede una presa di distanza dall’idea di poesia moderna affermatasi durante il periodo romantico. I poeti modernisti fanno addirittura fatica a riconoscersi un valore pubblico, come avviene nel caso di Palazzeschi e Gozzano. Prende piede, poi, un nuovo modo di rappresentare il mondo contemporaneo, che è ben lontano dall’esaltazione della modernità tanto cara ai futuristi. Prevale inoltre una dimensione cronologica frammentaria e non c’è proiezione verso il futuro. Secondo l’autrice, i primi quindici anni del Novecento rappresentano un momento cruciale per la poesia contemporanea, che alimenta il dibattito critico sulle riviste, molte delle quali, come La critica di Croce, Leonardo e La voce, vengono fondate proprio in questi anni. In particolare, La voce diventerà una delle principali sedi di discussione del canone letterario. Nella sezione successiva, l’autrice si occupa del Crepuscolarismo, citando excerpta di poesie di diversi scrittori. Tale modus operandi connota l’intera monografia e si rivela un procedimento molto utile per la comprensione pratica delle diverse poetiche considerate. L’inutilità della scrittura sembra costituire un Leitmotiv di questi paragrafi. Dopo essersi soffermata su Corazzini e Gozzano, Claudia Crocco si occupa di Dino Campana, uno dei poeti più controversi nel canone della prima metà del Novecento, Clemente Rebora, che pure inizialmente non ha avuto grande fortuna presso i contemporanei, e Camillo Sbarbaro, il cui merito è quello di aver introdotto il primo esempio di autobiografia psicologica in senso moderno nella poesia. Il secondo capitolo si apre con una panoramica sulla poesia dell’Italia fascista. Viene dato particolare rilievo alla rivista Solaria ed agli intellettuali che ne fanno parte. Evento cruciale degli anni Trenta è la pubblicazione di Sentimento del tempo (1933) di Ungaretti, raccolta che diventa fondamentale per il dibattito italiano sulla poesia. Altrettanto decisiva è l’uscita di La 2_IH_Italienisch_75.indd 167 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 16 8 poesia ermetica di Francesco Flora, primo testo in cui si parla sistematicamente dell’ermetismo, la cui importanza sarà ribadita da Luciano Anceschi in Lirici nuovi diversi anni dopo. L’autrice si concentra, a questo punto, sulla ricezione della corrente suddetta fino ai giorni nostri. Si passa poi alla disamina della poetica di Pavese, Noventa e Penna. Per ciò che concerne Pavese, viene dato risalto alla tiepida accoglienza iniziale di Lavorare stanca e, al contempo, al consenso di pubblico ottenuto con La luna e i falò e La casa in collina, il cui successo apre la strada ad una rivalutazione della produzione lirica pavesiana. Ampio spazio viene dedicato a Giuseppe Ungaretti, il cui peso è indiscusso, dal momento che, anche quando non è accolta positivamente, la sua opera è ineludibile per definire la poesia degli anni Venti. Per di più, pur perdendo di centralità a partire dagli anni Sessanta, Ungaretti sarà capitale per le ricostruzioni del canone di Mengaldo, Fortini e Sanguineti. Segue un’accurata focalizzazione sulle opere e sulle diverse poetiche del periodo, sempre con l’ausilio di citazioni tratte dai testi primari. L’ultima sezione del capitolo è dedicata a Saba, di cui viene messa in evidenza la sensibilità moderna. Il terzo capitolo è interamente dedicato a Montale. La scelta appare molto felice, poiché si tratta dello scrittore che più di tutti incide sul canone novecentesco italiano. Merito di Montale è quello di rielaborare la tradizione precedente tenendo conto delle esperienze contemporanee del Modernismo europeo. La parte successiva è incentrata sulle opere e gli autori degli anni Quaranta. Il periodo, oltre ad essere critico per la tragicità degli eventi storici, si rivela portatore di un mutamento radicale anche nell’ambito della poesia. Nel dopoguerra cambiano la rappresentazione del tempo, il rapporto col mondo e la percezione di sé. Inoltre, le posizioni di ermetici e rondisti non appaiono più attuali, quindi si inizia a ricercare altri modelli e nascono nuove correnti critiche. Fondamentale in questo lasso di tempo è l’antologia Linea lombarda di Anceschi, che mette in risalto l’operato di alcuni poeti padani degli anni Cinquanta. Altro dettaglio considerevole, su cui l’autrice indugia con insistenza, è l’attenzione data alla poesia dialettale (basti pensare alla pubblicazione, nel 1952, di Poesia dialettale del Novecento, a cura di Pier Paolo Pasolini). Nella parte finale viene messo l’accento sulla figura di Fortini, i cui contributi hanno inciso profondamente sulla definizione del canone letterario del ventesimo secolo. Ciononostante, la sua produzione poetica è ancora difficile da reperire, se si pensa che un’editio princeps delle sue poesie è uscita soltanto da un anno. L’autrice riprende poi la sua indagine a partire dal 1956, anno importante perché vedono la luce contemporaneamente Laborintus di Sanguineti, La bufera e altro di Montale e la rivista culturale Il Verri. Inoltre, le opere 2_IH_Italienisch_75.indd 168 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 169 dei dieci anni successivi costituiscono una vera e propria rottura con la tradizione precedente. Benché non si possa parlare della presenza di un movimento definito in questo periodo, l’autrice segnala alcune tendenze generali. In primis, si comincia a parlare di un avvicinamento della poesia alla prosa. In secondo luogo, si assiste ad un ritorno della tendenza modernista e della decomposizione della forma. Un’antologia fondamentale in questi anni è Novissimi, manifesto della Neoavanguardia. Vi sono compresi autori come Pagliarani, Sanguineti, Porta, Balestrini e Giuliani, in altre parole gli stessi che, dopo due anni, daranno vita al Gruppo 63. Questi scrittori vogliono lasciarsi alle spalle la lirica del passato e rompere con la tradizione. Ci si focalizza poi su Sanguineti, autore ormai canonico della letteratura italiana, e su Pagliarani, che, con il romanzo in versi La ragazza Carla, diventerà un modello per altri scrittori. Di una vicinanza al Gruppo 63 si è parlato anche per Amelia Rosselli, per quanto il suo ruolo nel canone rimanga controverso ancora oggi. Di particolare rilievo è la presenza, a partire dagli anni Sessanta, dell’incremento della scrittura femminile, di cui Rosselli rappresenta il caso più emblematico. Sono poi analizzate le poesie di autori come Vittorio Sereni e Franco Fortini. In particolare, la poesia di quest’ultimo si arricchisce di riferimenti a fatti contemporanei o appartenenti ad un passato recente. Costante di questi anni, oltre allo sfumarsi della poesia nella prosa, è la tendenza alla teatralizzazione, riscontrata, per esempio, in Giovanni Giudici. Ovviamente in questa sezione trova ampio spazio anche la poetica di Pier Paolo Pasolini. Si arriva così agli anni Settanta. Il titolo del settimo capitolo, «Il pubblico della poesia», riecheggia quello dell’antologia curata da Alfonso Berardinelli e Franco Cordelli, in cui si documenta per la prima volta la presenza di una nuova generazione di poeti. Berardinelli, all’inizio, parla di «deriva» per definire i libri di poesia pubblicati dopo il 1968. Da questo momento in poi prenderà piede l’idea dell’impossibilità di analizzare la nuova poesia, se non in maniera frammentaria e priva di sistematicità. Infatti, anche i numerosi tentativi di ricostruzione del canone che vengono fatti tra gli anni Settanta e Novanta si caratterizzano spesso per la mancanza di coerenza e si comincia a parlare di poesia postcontemporanea. Si ha dunque una grande frattura nella tradizione lirica del Novecento, preparata dalle vicende politiche e sociali degli anni Sessanta. Anche le antologie sembrano percepire questa crisi, dal momento che fino a Poeti italiani del Novecento di Mengaldo esse sono state uno strumento per fissare il canone poetico e dopo l’uscita di questa antologia perderanno questo ruolo. Gli autori verranno messi tutti sullo stesso piano, come accade in Poesia degli anni Settanta di Antonio Porta, in cui gli scrittori sono antologizzati per annate. 2_IH_Italienisch_75.indd 169 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 170 A metà degli anni Settanta, Milo De Angelis e Valerio Magrelli sono considerati portatori di novità. Nuove sono altresì le riviste romane degli anni Ottanta come Prato pagano e Braci, che auspicano il recupero della poesia come attività irrazionale. Contemporaneamente, si riscontra la difficoltà di fissare un canone per la fine del Novecento che sia conforme a quello relativo ai decenni precedenti. Verso la fine del secolo si registra anche un aumento dei gruppi poetici, che però non godono dello stesso prestigio del passato, per cui essi si pongono in forte competizione. L’ultima parte del libro di Claudia Crocco è dedicata agli anni Novanta, periodo in cui si registrano tendenze opposte. Se si tenta infatti di ridiscutere il canone inerente alla poesia, è altrettanto vero che si diventa consapevoli dell’inattuabilità di una sua analisi. Le antologie di questi anni, pur intenzionate a fornire un canone di tutto il secolo, in realtà presentano un quadro già accettato e sono pochissime le integrazioni relative alla poesia nata dopo il ’68. Segue una panoramica dei poeti e delle antologie più importanti e si arriva fino alla produzione degli anni Zero. Mesa, Buffoni, Pusterla, Fiori e Anedda sono gli scrittori qui considerati. La presenza di autori poco studiati perché recentissimi, come quelli presentati in questa sezione, costituisce un altro punto di forza della monografia presa in esame. Infatti, l’inserimento di scrittori meno noti, ma non per questo minori, fa riflettere su quanto sarebbe importante elaborare un concetto mobile di canone, cioè aperto a nuovi inserimenti futuri. Mariagrazia Farina 2_IH_Italienisch_75.indd 170 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 171 Sandra abderhalden / michael dallapiazza / Lorenzo macharis / annette Simonis (hrsg.): Schöne Kunst und reiche Tafel: über die Bilder der Speisen in Literatur und Kunst. Belle arti e buona tavola: sul significato delle pietanze nell’arte e nella letteratura. Beiträge der Tagungen Gießen (11./ 12. oktober 2014) und urbino (14./ 15. oktober 2014), Bern: Peter Lang Verlag 2015, 420 Seiten, 12 s/ w-abb., 1 Tab., 1 Graf., € 97,90 (= Jahrbuch für internationale Germanistik reihe a - Band 123); auch als e-book erhältlich. Zweifelsohne ist Italien der einschlägige Ort für den kulinarischen Kulturtransfer und Deutschland auch im Bereich Essen und Trinken ein wichtiges Rezeptionsland inklusive aller interkulturellen An- und Verwandlungsprozesse. Dies haben Studien in vielfältiger Form bereits herausgearbeitet und dabei weitere Fragen aufgeworfen, die die sogenannten Food Studies bis dato nicht alle beantworten konnten. In diesem, in der Kultursoziologie (Elias, Lévi-Strauss) und verstärkt in Italien seit den 1970er Jahren (Pellegrino Arrusi, Gian Paolo Biasin, Paolo Camperesi, Massimo Montanari) diskutierten Kontext wäre nun auch der Sammelband anzusiedeln, der auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Studien aus dem deutschen und italienischen akademischen Umfeld vereint, die allesamt den Fokus auf das Thema Essen legen. Folgt man allerdings der Einleitung des hier zu besprechenden Sammelbandes, so wird diese Vorerwartung enttäuscht: Die disparaten Artikel präsentieren die Ergebnisse zweier deutsch-italienischer Tagungen an den Universitäten Gießen und Urbino «zur symbolischen und kulturellen Bedeutung des Essens und Trinkens in Literatur und Kunst» in deutscher, englischer und italienischer Sprache. Wie schon die Einleitung und der komplexe Titel ist der ganze Band sehr heterogen angelegt und bietet Beiträge zu Musik, Literatur, Kulturgeschichte und Philosophie, aber auch zur Fremdsprachendidaktik quer durch die Jahrhunderte hindurch, jedoch, entgegen der durch den Titel erweckten Erwartungshaltung, fast nichts zur Bildenden Kunst. Diesbezüglich fragt sich also der geneigte Leser, ob mit «Bilder der Speisen», das sich auffallend von der italienischen Variante und deren Titel («significato») unterscheidet, ein bestimmtes Konzept verbunden ist. Die Einleitung der Herausgeber weist zunächst die Spur hin zur Soziologie der Mahlzeit im Anschluss an Simmel und Cassirer, benennt aber auch kulturelle Identitätskonstruktionen und motiviert sich im Gefolge der seit den 1980er Jahren vermehrt hervortretenden Food Studies. Die weiteren Beiträge fächern dieses Panorama allerdings ohne erkennbaren Leitfaden aus, gerieren sich 2_IH_Italienisch_75.indd 171 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 172 teils als zitatenlastige Materialsammlung, teils als interessante Textinterpretationen, verlieren dabei aber zu oft die Fixierung auf eine wissenschaftliche Erschließung von Essen (und das im Titel nicht explizit genannte, aber damit einhergehende Trinken) aus dem Auge. Das große Manko des Sammelbandes besteht allerdings in einer desaströsen Lektorierung, die diesbezüglich genauso wie hinsichtlich der interpretatorischen Überzeugungskraft die Beiträge in zwei unterschiedliche, gut lektorierte und professionell erstellte auf der einen Seite, sprachlich defizitäre, scheinbar gar nicht von deutschen Muttersprachlern lektorierte und auch inhaltlich sehr magere Studien auf der anderen Seite zerfallen lässt. Das Stückwerk, das schon in der Einleitung auf der Makro- (‘roter Faden’) wie der Mikroebene (mal werden Texte im Original, mal in der Übersetzung konsultiert: Sekundärliteratur wird nur eingeschränkt wahrgenommen) zu erkennen ist, zieht sich durch den ganzen Band. Falsches und stilistisch ungehobeltes Deutsch (Montironi, Bravi, beide Beiträge von Abderhalden, Hinsken) mit Interpunktionsschwächen, fehlenden Satzgliedern (Einleitung, S. 14 oben) und idiomatischen Fehlleistungen paart sich in einigen Beiträgen mit naiven Aussagen («Das Thema scheint nicht so verbreitet zu sein, wie vielfach angenommen», S. 20), Verknappungen (Rückführung der Romantik auf den Roman, S. 53), überlangen Zitaten (Muth) und Fehlperzeptionen (Émile wird als französischer Frauenname wahrgenommen, S. 43). Andere argumentieren gewohnt professionell (Klotz, Zaiser, Dallapiazza, Simonis), jedoch erscheint der deutsch-italienische Dialog auf sprachlicher Ebene auf wackligen Beinen zu stehen, was auch die interessante, aber interpretatorisch noch nicht durchdachte phraseologische Studie von Anna Lombardi nicht kompensieren kann. Inhaltlich interessant, da sie einen bis dato wenig begangenen Weg nachgehen, könnten die Beiträge von Francesca Bravi und Michael Schwarte zur Musik sein. Bravi arbeitet in ihrer komparatistischen Studie zu italienischen und deutschen Liedermachern überzeugend heraus, dass kulinarische Stereotypen von den Spaghetti (Bongusto) bis zur Currywurst (Grönemeyer), vom Wein bis zum Kaffee bevorzugt in Verbindung zur Liebesthematik eingesetzt werden, wobei sie schlüssig die Speisen als Surrogate für die Abwesenheit von Liebe interpretiert. Schwarte thematisiert analog hierzu das Essen in der Oper, das im Falle von Don Giovanni in Verbindung zur Erotik, aber auch zur Vergänglichkeit (Totenmahl) steht. Dass er zudem auf ein von Bernstein in einem Liederzyklus vertontes Kochbuch rekurriert, würde eine Entwicklung unterstreichen, die die Literatur ebenso erfasst hat wie die anderen Künste, und zwar die Analogie von Kochkunst und Ästhetik. Dies hätte wiederum eine organische Anbindung der folgenden Studien, die sich vor allem auf die Literatur kaprizieren, leichthin ermöglicht. 2_IH_Italienisch_75.indd 172 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 173 Diese literarischen Fallstudien reichen von Goethe und Hölderlin (Lorenzo Macharis), die als Paten der romantischen Polysemie des Geschmacks eingeführt werden, über Shakespeare und Brecht (in zwei Beiträgen von Maria Elisa Montironi, die auch zusammengefasst werden könnten), deren stilbildende Metaphorik untersucht wird, bis hin zur mittelalterlichen Narrativierung von Körperlichkeit (Michael Dallapiazza). Dallapiazzas überzeugendes Resümee «Offenbar ist der kreatürliche Vorgang von Essen (und Verdauen) besonders gut dazu geeignet, sich des realen (wenn auch oft ironisch verzerrten) Körpers narrativ zu bedienen» (S. 95) gilt daher ebenso im Umkehrschluss für den Grobianismus (Elisa Pontini) und den hierzu geradezu als Paradeautor zu benennenden Rabelais, dem weiter hinten im Band ein Beitrag (Cheti Traini) gewidmet ist. Während die Studie von Rainer Zaiser («L’etica del mangiare e golosità e astinenza come metafore morali nella letteratura italiana del Medioevo») den Zusammenhang herstellt zwischen der antiken Diätetik, den Tre Corone und medizinalen Diskursen bei Molière, fällt bei den meisten anderen Studien eine fahrlässige Eindimensionalität auf, die darauf beruht, dass fremdsprachige Sekundärliteratur und interkulturelle Momente gänzlich ausgeblendet werden. Über Rabelais zu schreiben, ohne französische Forschung wahrzunehmen, mutet genauso einseitig an wie die Rezeption vieler Werke romanistischer Provenienz in Übersetzungen. Zahlreiche Beiträge widmen sich der Interpretation von Gegenwartsliteratur - Peter Kurzeck (Sandra Abderhalden), Rafik Schami (Shilan Fuad Hussain), Tina de Rosa (Silvia Barocci) und Herta Müller (Alexandra Müller) - wobei die Texte mal stark biographisch, mal eher textimmanent gedeutet werden. Die Kulinarik hält in allen genannten Beispielen den Roman zusammen und kann auch im interkulturellen Dialog eine Mittlerfunktion übernehmen, auch wenn grundsätzlich zu fragen wäre, ob nicht angesichts der Globalisierung transkulturelle und individuelle Ernährungsgewohnheiten Unterschiede im Konsumverhalten längst nivelliert haben und die genannten Romane diesbezüglich allesamt als stereotyp ausweisen. Während eine solche Perspektive auch angesichts eines veralteten Forschungsstands ausbleibt, ist die Studie über ‘verbotene Speisen’ im Märchen (Laura Muth) deutlich analytischer angelegt und zeigt auf, wie Speisen in den Kontext der Gehorsamkeit, der Versuchung, der Macht und Moral eingebettet werden. Diese Übersichtlichkeit der These fehlt hingegen etwas den sehr gelehrten Beiträgen von Annette Simonis («Das Gastmahl der Götter. Mythologische Konzepte des Speisens und Trinkens in der Literatur») und Volker Klotz («Schmeckts? Menschenfraß + Dynamik in Bühnenstücken der Weltliteratur»). Gestörte Gastmähler und pervertierte Opferrituale auf der einen Seite sowie mythologische und märchenhafte Anthropophagen auf der anderen Seite konturie- 2_IH_Italienisch_75.indd 173 30.06.16 17: 11 Kurzrezensionen 174 ren eine interessante Materialsammlung, die aber ohne These bleibt, es sei denn die Störanfälligkeit von Gastmählern und Appetit kann als solche gewertet werden. Dass Essen kommunikationsstiftend bzw. gesellschaftsbildend und im letzten Moment auch stilbildend bzw. ästhetisierend ist, zeigen schließlich so unterschiedliche Beispielfälle wie Gogol (Aletta Hinsken), De Filippo (Graziana Coco), Carmine Abate (Francesca Bravi) und Anna Achmatova (Rozaliia Yakobets). Hiermit betreten wir ein Terrain, das der philosophische Beitrag von Lorenz Macharis («Il gusto dell’arte: la metafora alimentare nell’estetica») theoretisiert und das anhand des Beispiels der englischen Italienreisenden im frühen 19. Jahrhundert (Sandra Abderhalden) nochmals illustriert wird, ohne aber einen besonderen Eindruck zu hinterlassen . Die innovativsten Studien scheinen nach der Lektüre des Bandes in der Tatauf den Gebieten der Phraseologie und der Fachdidaktik zu entstehen. Während der Beitrag von Anna Lombardi («Das ist mir Wurst - Non me ne importa un fico secco: il valore del cibo nella fraseologia italiana e tedesca») insbesondere auf zukünftige Studien mit interpretatorischen Antworten hoffen lässt, die etwa den unterschiedlich häufigen Gebrauch von Butter in Redewendungen der deutschen und italienischen Sprache erklären, weisen die beiden didaktischen Studien von Susanna Pigliapochi und Gloria Gabbianelli, letztere mit Referenz auf das Chinesische als erste Fremdsprache, großes Innovationspotential auf. Vielleicht auch weil sich jedem deutschen Leser sofort eingehend erschließt, dass die Präsenz des italienischen Essens in Deutschland eine unerschöpfliche Fülle von Welt- und Sprachwissen garantiert, das bisher im Sprachunterricht nicht hinreichend genutzt wird. Während Pigliapochi allerdings mit Hilfe von Speisen interkulturelles Bewusstsein und Differenz wecken möchte und auch bei Gabbianelli der Zugang über die Küche den Eintritt in eine fremde Kultur erleichtern soll, wäre grundsätzlich noch stärker nach den Gemeinsamkeiten in der transkulturellen Welt zu fragen, was zudem einen Gewinn an Selbsterkenntnis verspricht. In der Tat trifft zu, was der Klappentext des Bandes auch ankündigt: «Der […] Tagungsband spiegelt die Vielfältigkeit des kulinarischen Themas in literarischen und künstlerischen Werken auf umfassende Weise wider». Darüber hinausreichende Erkenntnisse stellen sich allerdings nach der Lektüre nicht ein, vielmehr das Unbehagen darüber, ob die den Lesefluss störende schlechte Qualität des Lektorats auf die Schwierigkeiten des deutschitalienischen Dialogs oder doch auf Umwälzungen im Verlagswesen zurückzuführen ist. Christoph Oliver Mayer 2_IH_Italienisch_75.indd 174 30.06.16 17: 11 175 italienische Themen an den hochschulen deutschlands, österreichs und der Schweiz im Sommersemester 2016 Zusammengestellt von Caroline Lüderssen Unter Mitarbeit von Benedetta Rossi Diese Aufstellung, die seit 1982 regelmäßig in der Zeitschrift Italienisch erschienen ist, liegt seit Mai 2012 aus Kostengründen nurmehr online vor. Auf der Homepage des Italianistenverbandes: www.italianistenverband.de wird sie in der Rubrik «Zeitschrift Italienisch» als pdf zum Download zur Verfügung gestellt. Es werden alle Lehrveranstaltungen gelistet, die von den Instituten für Romanistik (Italianistik) in den Fächern Italienische Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft sowie Fachdidaktik angeboten werden. Sprachpraktische (auch fachsprachliche) Veranstaltungen werden nicht aufgeführt. Die Redaktion dankt allen denjenigen, die durch Zusendung von Kopien, Verzeichnissen oder Dateien die Recherche erleichtert haben. Sie bittet weiterhin darum, die entsprechenden Informationen zu schicken an: Redaktion Italienisch, Arndtstraße 12, D-60325 Frankfurt am Main, E-Mail: italienisch@div-web.de, Fax: +49/ (0)69/ 7411453. Im Bereich der Literatur gibt es eine zunehmende Tendenz zu beobachten, den Schwerpunkt auf die ‘Tre corone’ und einige wenige andere Klassiker zu legen: «Ariosts ‘Orlando furioso’ und die europäische Ritterepik zwischen Mittelalter und Renaissance», »Francesco Petrarca und der Petrarkismus I», «Dante, Paradiso», «Dante Alighieris Divina Commedia: Das Werk im Kontext seiner Epoche», «Giovanni Boccaccios ‘Decameron’ und die (Legitimation der) Gattung», «Lectura Dantis, Paradiso», «Göttliche Gerechtigkeit und das Böse bei Dante», «Lectura Dantis, Inferno», «Dante, Divina Commedia (Purgatorio)», «‘Das Epos der Kaufleute’. Sprache und Kommerz in Boccaccios Decameron», «Lectura Dantis: La Divina Commedia di Dante Alighieri», «Francesco Petrarca», «Francesco Petrarca, ‘Canzoniere’ e ‘Secretum’», «Dante, Kleine Schriften (Vita Nova, Convivio, De Vulgari Eloquentia)», «Dante Alighieris ‘Paradiese’». In diesem Semester ist bei den Literatur-Themen außerdem eine gewisse Vorliebe für ‘letteratura al femminile’ zu beobachten: «‘E le scrittrici, le poetesse? ‘ Autrici italiane tra la fine del 19 o secolo e la prima guerra mondiale», «Frauen im Diskurs», «Narratrici italiane contemporanee», «‘Essere donna oggi’ - zeitgenössische Autorinnen Italiens und ihr Frauenbild», «Donne e scrittura tra Cinquecento e Seicento». Auch die postkolonialen Studien erkämpfen sich einen Platz in der Italianistik: «L’Italia coloniale e i suoi riflessi su cultura e società oggi», «Schlüsselkonzepte der Postcolonial studies und ihre Anwendbarkeit für Literatur- und Filmanalyse». Ein Schwerpunkt der Linguisten ist das «italiano parlato e contemporaneo»: «Italiano parlato», «Segnali discorsivi nell’italiano parlato contemporaneo», «L’italiano recente: storia esterna e interna dall’Unità al presente», «Lingua e dialetto oggi: la variazione diatopica nell’Italia contemporanea», «Tendenze recenti dell’italiano contemporaneo», «Das italiano parlato». Auffallend auch eine Tendenz zur Betrachtung von Musik in kulturhistorischer Sicht: «Grandi italiani nell’arte, nella musica e nella scienza», «L’Italia e la canzone: una nazione si racconta in musica», «‘Napoli che canta’: Straße, Bühne, Leinwand». Auch der Film ist hier eine wichtige Vergleichsgröße: «Mehrsprachigkeit im Film», «Mezzogiorno in Film und Literatur des 20. Jahrhunderts», «Formen der Entfremdung im italienischen Film», «Il panorama cinematografico italiano contemporaneo», «Cinema e letteratura», «Il neorealismo cinematografico», «Stadt und Weiblichkeit: Zu Inszenierungsstrategien im italienischen Nachkriegskino», «Il cinema di Luchino Visconti», «Nanni Moretti», «Der italienische Film - gendertheoretische Analysen», Filmeinsatz im Unterricht», «La città nel cinema italiano. Palermo - Roma - Milano», «Napoli: letteratura e cinema», «Sardinien - Geschichte, Literatur, Film», «Repräsentationen der Migration im italienischen Film der Gegenwart». 2_IH_Italienisch_75.indd 175 30.06.16 17: 11 176 mitteilungen PaSoLiNi-aLPhaBeT - ein multimediales, zweisprachiges internetprojekt über Pier Paolo Pasolini mit Studentinnen der Ludwig-maximiliansuniversität münchen von Cornelia Wild Mit der Modularisierung der Studiengänge wurden Fragen nach dem Praxisbezug der Lehre verstärkt in den Blick gerückt . Dies stellt die Geisteswissenschaften vor neue Herausforderungen, die mit einer studentischen Forschergruppe und einem «Pasolini-Alphabet» angegangen worden sind Jeder Beitrag der Website nimmt sich einen Oberbegriff aus dem Werk Pasolinis vor . Ziel war es, Bilder oder Figuren auszuwählen, die bei Pasolini vorkommen und von diesen ausgehend, kurze Texte zu verfassen . In alphabetischer Reihenfolge sind das: Analfabetismo, Borghesia, Comunista, Crocifissione, Denti, Disgraziato, Dizionario, Genocidio, Humile, Lucciola, Macchina, Mamma, Mimesis, Palazzo, Periferia, Reliquia, Ricotta, Rivelazione, Sacer, Sesso, Stoffa, Televisione . Die von den Studentinnen geschriebenen Einträge des «Alphabets» haben wir ins Italienische übersetzt und durch Hörbeispiele und Filmausschnitte ergänzt Entstanden ist eine «Mikrosite», d .h . eine eigenständige Internetseite, die wie ein Magazin funktioniert und zu individuellen «Mikrolektüren» einlädt Der netzartige Aufbau der Begriffe folgt dabei nicht wie in einem Wörterbuch hintereinander, sondern als «Cluster»: Die Begriffe wachsen aus dem Namen des Autors «PASOLINI» heraus und verzweigen sich untereinander . Das Alphabet gibt damit keine Reihung vor wie das ABC, sondern ermöglicht Verknüpfungen: aus P (von Pasolini) wird Palazzo, von Palazzo wiederum zweigen Lucciole und Dizionario ab . Beeindruckend ist die Vielzahl an Themen, die über das Seminar hinaus von den Studierenden in ihren Beiträgen eingebracht wurden . Besonders hervorzuheben sind Interessen für nahezu ausgestorbene Dialekte wie das Friaulische oder die Dokumentation Comizi d‘amore , in der Pasolini die «Stimme des Volkes» über die Sexualität registriert hat Entscheidend war die Transferleistung der Studierenden, das Gelernte anzuwenden: Wie schreibt man einen solchen «Mikrotext» und wie lassen sich Ideen im Web realisieren, welches Material ist auszuwählen und wie dieses darzustellen? Zugleich spielerisch und originell, gewitzt und informativ, multimedial und zweisprachig - das Pasolini-Alphabet zeigt, wie man in den Geisteswissenschaften praxisnah arbeiten kann und zudem neue und wichtige Impulse für die Lehre gibt . Das Projekt konnte die Studierenden in hohem Maße fordern und fördern: es hat Anforderungen an Lesekompetenzen und Schreibfähigkeit, an redaktionelle Tätigkeiten, Zusammenarbeit und Kreativität gestellt . Nicht zuletzt 2_IH_Italienisch_75.indd 176 30.06.16 17: 11 Mitteilungen 177 ist die Arbeit an den Texten für das Alphabet in die Seminararbeit und die Hausarbeiten eingegangen . Wir hoffen, damit viele Folgeprojekte nach uns zu ziehen . Website: www .pasolinialphabet .com Cornelia Wild Studentische Forschergruppe: Annette Antoniol, Debora Francione, Stefanie Gorzolka, Eva Kaesbauer, Anne Faßbender, Pia Scheiblhuber, Sandra Stickler, Stephanie Wagner; mit zusätzlichen Beiträgen von Hanna Sohns (Uni Erfurt), Rebekka Schnell (LMU München) und Cornelia Wild (LMU München); Leitung: PD Dr . Cornelia Wild; Gestaltung: Kathrin Schäfer Gefördert von Lehre@LMU Centro di dialettologia e di etnografia: Corsi estivi 2016 Vom 29 . August bis 3 . September 2016 finden am «Centro di dialettologia e di etnografia CDE» in Bellinzona wieder die Sommerkurse statt . Dozenten sind Giovanna Alfonzetti, Daniele Baglioni, Sandro Bianconi, Roberto Sottile, Lorenzo Tomasin . Die Anmeldung ist bis 22 . Juli möglich . Information: Segreteria del Centro di dialettologia e di etnografia, Viale Stefano Franscini 30a, CH-6500 Bellinzona, telefono +41 91 814 14 50, fax +41 91 814 14 59, e-mail: decs-cde@ti .ch 2_IH_Italienisch_75.indd 177 30.06.16 17: 11 Mitteilungen 178 Neuer master-Studiengang «iTaLieNSTudieN» an der Goethe-universität Ab dem Wintersemester 2016/ 2017 beginnt an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main der neue Master-Studiengang ITALIENSTUDIEN . Der viersemestrige Studiengang wird von der Goethe-Universität und der Università Ca’ Foscari in Venedig getragen und schließt mit einem Double Degree (Master of Arts/ Laurea Magistrale) ab . Das erste und das vierte Semester werden von den in Frankfurt eingeschriebenen Studierenden in Frankfurt, das zweite und dritte Semester in Venedig studiert . (Für in Venedig eingeschrieben Studierende umgekehrt .) Die italienische Literatur, Sprache und Kultur machen den Kernbereich des am Institut für Romanische Sprachen und Literaturen der Goethe-Universität angesiedelten Studiengangs aus . Innerhalb eines interdisziplinären Moduls wird die Perspektive jedoch auf italienbezogene Veranstaltungen aus der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und Religionsgeschichte ausgeweitet Zugangsvoraussetzungen sind neben einem abgeschlossenen Bachelor-Studium (oder vergleichbarem Anschluss) Italienischkenntnisse auf Niveau B2 (GER) und Lesekompetenz im Englischen und Französischen auf dem Niveau B1 (GER) . Weitere Informationen auf der Homepage der Goethe-Universität Frankfurt www .uni-frankfurt .de . Studienfachberatung: Prof .Dr . Christine Ott, c .ott@em .unifrankfurt .de . (Red .) Neuer Vorstand des deutschen italianistenverbandes Im Rahmen der Mitgliederversammlung des Deutschen Italianistenverbandes, die während des Deutschen Italianistentages am 4 . März 2016 an der Universität Halle stattfand, ist ein neuer Vorstand gewählt worden . Zum Ersten Vorsitzenden wurde Prof .Dr . Ludwig Fesenmeier (Universität Erlangen-Nürnberg, bislang Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit) gewählt . Das Amt der Stellvertretenden Vorsitzenden versehen Prof .Dr . Barbara Kuhn (Universität Eichstätt, bislang 2 . Stellvertretende Vorsitzende) und Prof .Dr . Sarah Dessì Schmid (Universität Tübingen) . Zum Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit wählte die Versammlung Prof .Dr . Christian Rivoletti (Universität Erlangen-Nürnberg) . In ihrem Amt als Schatzmeisterin bestätigt wurde Ornella Fendt (Universität München) . Zur neuen Schriftführerin wurde Andrea Klinkner (Studienseminar Trier) bestimmt Der neue Vorsitzende dankte den scheidenden Mitgliedern des Vorstandes, Herrn Prof .Dr Marc Föcking, Herrn Prof .Dr . Martin Becker und Sabine E . Paffenholz sowie dem kooptierten Mitglied Dr . Ruedi Ankli für ihr Engagement für die Italianistik an Schule und Hochschule 2_IH_Italienisch_75.indd 178 30.06.16 17: 11 Mitteilungen 179 In seinen Antrittsworten hob er ferner zum einen hervor, wie wichtig die Kooperation von Schule und Hochschule für die Konsolidierung des Faches Italianistik sei und erinnerte zum anderen daran, dass eine fruchtbare Vorstandsarbeit wesentlich auch vom Kommunikationsfluss mit den Mitgliedern abhänge ( Red .) eingegangene Bücher Bruss, Dagmar: Zwischen Geschwistern und Geschwisterlichkeit . Giovanni Verga und Robert Walser: Vom Umschlagen des Genealogischen in die Horizontale um 1900 . Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2016 (Studia Romanica, Band 198) De Michele, Fausto: Phänomene einer Rezeption. Luigi Pirandello zwischen Intertextualität und Intermedialität . Berlin: Weidler Buchverlag 2015 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, 179) Giulio Einaudi nell’editoria di cultura del Novecento italiano . Atti del convegno della Fondazione Giulio Einaudi e della Fondazione Luigi Einadui onlus (Torino, 25-26 ottobre 2012), a cura di Paolo Soddu . Firenze: Leo S . Olschki editore 2015 (Fondazione Luigi Einaudi onlus , Studi, 52) Essere italiani nel mondo globale oggi. Riscoprire l’appartenenza . A cura di Raffaella Bombi e Vincenzo Orioles . Udine: Forum Editrice Universitaria Udinese 2014 (Valorie identitari e imprenditorialità, 2) Kasper, Judith/ Wild, Cornelia (Hrsg .): Rom rückwärts. Europäische Übertragungsschicksale . München: Wilhelm Fink Verlag 2015 Kindler Kompakt. Italienische Literatur 20. Jahrhundert . Ausgewählt von Gerhard Wild Stuttgart: J .B . Metzler Verlag 2016 Mittermeier, Carl Joseph Anton: Über den gegenwärtigen Stand der Rechtswissenschaft in Italien (1851-1852) . Mit einer Einführung von Martin Gebauer . Herausgegeben von Thomas Vormbaum . Münster: LIT-Verlag 2016 (Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen - Italien, Band 11) Nuovi valori dell‘italianità nel mondo. Tra identità e imprenditorialità . A cura di Raffaella Bombi e Vincenzo Orioles . Udine: Forum Editrice Universitaria Udinese 2011 Petrarca, Proust et al. Reden und Schriften Dr . Speck Literaturstiftung . II . I . Giornata Petrarchesca, Köln, 21 . Juli 2012, II . Giornata Petrarchesca, Köln, 13 . April 2013 Piccolomini, Alessandro: I Cento Sonetti . A cura di Franco Tomasi . Genève: Librairie Droz 2015 (Travaux d‘Humanisme et Renaissance, No DLIII, Textes et Travaix de la Fondation Barbier-Mueller pour l‘Etude de la poésie italienne de la Renaissance, No 3) Sereni, Vittorio: Il dubbio delle forme. Scritture per artisti. A cura e con un saggio di Gianni Contessi . Torino: Nino Aragne Editore 2015 Wuthenow, Ralph-Rainer: Wahrheiten über den Menschen. Moralistik und Aphorismus in Europa. Herausgegeben und mit einem Geleitwort versehen von Friedrich Wolfzettel . Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2016 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik, Band 56) 2_IH_Italienisch_75.indd 179 30.06.16 17: 11 Mitteilungen 18 0 austauschzeitschriften Babylonia . Rivista per l‘insegnamento e l‘apprendimento delle lingue . Fondazione Lingue e Culture, Comano (CH) . Nr . 3/ 2015 («Zweitsprachendidaktik: Fokus Schweiz») Bibliographische Informationen zur neuesten Geschichte Italiens . Begründet von Jens Petersen/ Informazioni bibliografiche sulla storia contemporanea italiana Fondate da Jens Petersen . Deutsches Historisches Institut in Rom/ Arbeitsgemeinschaft für die neueste Geschichte Italiens . Nr . 147, März 2015; Nr . 148, Juli 2015; Nr . 149, November 2015 Bollettino del C.I.R.V.I. Centro Interuniversitario di Ricerche sul «Viaggio in Italia», Moncalieri . Anno XXXV, fascicolo I, gennaio-giugno 2014 Esperienze letterarie . Rivista trimestrale di critica e di cultura . Pisa/ Roma: Fabrizio Serra Editore . Anno XL, 2015, n . 4; Anno XLI, 2016, n . 1 Italique . Poésie italienne de la Renaissance . Genève: Fondation Barbier-Mueller/ Droz . XVIII, 2015 autorinnen und autoren dieser Nummer Monica Biasiolo, Dr ., Universität Erlangen-Nürnberg Umberto Eco, Prof .Dr Mariagrazia Farina, Dott .ssa, Università di Salerno Ludwig Fesenmeier, Prof .Dr ., Universität Erlangen-Nürnberg Caroline Lüderssen, Priv .-Doz . Dr ., Goethe-Universität Frankfurt am Main Renate Lunzer, Prof .Dr ., Universität Wien Christoph Oliver Mayer, Priv .-Doz . Dr ., Technische Universität Dresden Christine Ott, Prof .Dr ., Goethe-Universität Frankfurt am Main Luca Mendrino, Dott ., Università del Salento Christine Michler, Prof .Dr ., Universität Bamberg Noemi Piredda, Dr ., Universität München Vittorio Prada, Universität Stuttgart Alessandro Scarsella, Prof .Dr ., Universität Ca’ Foscari, Venedig Roger Schöntag, Priv .-Doz . Dr ., Universität Erlangen-Nürnberg Sabina Spezzano, Frankfurt am Main Thomas Stauder, Prof .Dr ., Universität Augsburg Cornelia Wild, Priv .-Doz . Dr ., Universität München 2_IH_Italienisch_75.indd 180 30.06.16 17: 11 Stauffenburg Verlag GmbH Postfach 25 25 D-72015 Tübingen www.stauffenburg.de Zibaldone Zeitschrift für italienische Kultur der Gegenwart Herausgegeben von Thomas Bremer (Halle) ZiBalDone ist ein Forum für kritische Debatten mit Streifzügen ins Kulinarische, Historische und Künstlerische. eine Zeitschrift, die Heft für Heft überraschende Perspektiven wagt. Geschrieben von Schriftstellern, Journalisten, Wissenschaftlern, fotografiert, gezeichnet und illustriert für alle, die nie genug haben können von iTalien. ZiBalDoNE erscheint zweimal jährlich à ca. 160 Seiten. Jahresabonnement: € 20,- einzelheft: € 12,- (zzgl. Versandkosten) Das aktuelle Heft: Heft 60 / Herbst 2015 Friaul iSBn 978-3-95809-703-2 Italien pur im Stauffenburg Verlag Simona Brunetti / Josephine Klingebeil-Schieke / Chiara Maria Pedron / Marie-Christin Piotrowski / antonella Ruggieri / Rebecca Schreiber (Hrsg.) Versprachlichung von Welt - Il mondo in parole Festschrift zum 60. Geburtstag von Maria Lieber Diese Festschrift ist anlässlich des 60. Geburtstags von Maria lieber entstanden. ihre idee der„Versprachlichung von Welt“ als „die erschließung und die Herausgabe von Texten, das Übersetzen und die Übersetzung, die analyse und Beschreibung textkonstitutiver elemente und Parameter, die Bewußtmachung kulturhistorischer Rahmenbedingungen zur Beförderung der Textrezeption und initiativen des Verortens und erfassens bislang ausgeblendeter Textbestände sind Kernpunkte ihres Schaffens“ (Richard Baum). ihre wissenschaftlichen Wegbegleiter zeichnen aus verschieden Perspektiven neue Wege der Wahrnehmung, der Produktion und Rezeption des „Versprachlichten“. 2016, Vii, 666 Seiten, geb. iSBn 978-3-95809-441-3 € 89,80