eJournals

Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2016
3876 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott
Inhalt Editorial: Italienische Esskultur (Christine Ott) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Il poeta che canta l’amore e il mare: A colloquio con Corrado Calabrò A cura di Valeria Marzoli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Corrado Calabrò, Poesie inedite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Moshe Kahn, Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo: Bemerkungen zur Übersetzung ins Deutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Beiträge zu Literatur, Linguistik und Landeskunde Angela Oster/ Stefanie Römer, «post(tra)uma gratitudine» - Anmerkungen anlässlich der deutschen Erstübersetzung von Luigi Capuanas Giacinta . . . . . . 24 Helmut Meter, Luigi Capuanas Il marchese di Roccaverdina . Möglichkeiten und Grenzen veristischen Erzählens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Ornella Fendt, Gespenster? Capuana und der Spiritismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Julia Gerlach, Helden als Verräter - Die Zersetzung des antifaschistischen Narrativs in Bertoluccis Strategia del ragno (1970) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Biblioteca poetica «nel fresco orinatoio alla stazione»: Sandro Penna und die dichterische Sublimierung des Alltäglichen (Carolina Pini) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Zur Praxis des Italienischunterrichts Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi, Come migliorare la produzione orale in L2: metodi innovativi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Michaela Banzhaf, Differenzierung im Italienischunterricht: Eine Kurzgeschichte - unterschiedliche Möglichkeiten ihrer Bearbeitung auf der Kursstufe (Simona Vinci, In viaggio con le scarpe rosse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Sprachecke Italienisch Ué guagliò! Stereotypes Dialektsprechen im Interview und darüber hinaus (Sara Matrisciano) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Buchbesprechungen Annick Paternoster, Cortesi e scortesi (Gudrun Held) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 150 Jahre Italien . Themen, Wege, offene Fragen (Robert Lukenda) . . . . . . . . . . . . 133 Kurzrezensionen Paolo Soddu (a cura di), Giulio Einaudi nell’editoria di cultura del Novecento italiano (Mariagrazia Farina) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Alice Malzacher, «Il nodo che…mi ritenne…» . Riflessi intertestuali della ‘Vita Nuova’ di Dante nei ‘Rerum vulgarium fragmenta’ di Petrarca (Hermann H . Wetzel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Judith Kasper/ Cornelia Wild (Hrsg .), Rom rückwärts (Carlo Mathieu) . . . . . . . . . 146 Donatella Brioschi/ Mariella Martini-Merschmann, L’italiano nell’aria 1 e 2 (Antonella Lavagno/ Beatrice Guidi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Italo Calvino e gli anni delle canzoni (Ruedi Ankli) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Italienische Themen an den Hochschulen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz im Wintersemester 2016/ 2017 (Caroline Lüderssen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2_IH_Italienisch_76.indd 1 23.12.16 09: 52 Vorschau auf Italienisch Nr. 77 - Mai 2017 Catharina Thekla Meier, Der Gefährte des Fürsten Zur Figur des Hundes Bendicò in Giuseppe Tomasi di Lampedusas «Il Gattopardo» Valeria Bongiovanni, La Weltanschauung di Nietzsche nei «Dialoghi con Leucò» di Cesare Pavese 2_IH_Italienisch_76.indd 2 23.12.16 09: 52 1 Italienische Esskultur Italien ist seit Jahrzehnten eines der weltweit beliebtesten Ziele nicht nur des Kultur-, sondern auch des Gastro-Tourismus - das weiß man hierzulande nur zu gut Die Pasta- und Cappuccino-Kultur hat ihrerseits derart in den deutschen Alltag Einzug gehalten, dass so mancher Bundesbürger von sich behauptet, in der Küche ein Italiener zu sein Auch die Slow-Food-Bewegung kommt ursprünglich aus Italien Weniger bekannt ist, dass die Ursprünge von Slow Food eng mit der kommunistischen Partei in Italien zusammenhängen In den 1980er Jahren begann die kommunistische Zeitschrift Manifesto, eine Beilage namens Il Gambero Rosso zu publizieren Deren auch selbstironischer Titel spielt auf eine Episode in Carlo Collodis Pinocchio an Der Holzbengel gelangt hier in die Osteria del gambero rosso (also das Wirtshaus zum roten Krebs), wo er einem betrügerischen Wirt auf den Leim geht, der mit seinen Gegenspielern unter einer Decke steckt Vor ähnlichen Erfahrungen im Bereich der Gastronomie möchte die Zeitschrift ihre Leser schützen: durch Restaurant-Kritiken und einen Weinführer 1987 fing Il Gambero Rosso an, mit Carlo Petrini, dem Begründer von Slow Food, zusammenzuarbeiten Zwei Jahre später wurde Slow Food offiziell gegründet - zu den Unterzeichnern des Manifests gehören unter anderem Dario Fo und Gerardo Chiaromonte, Direktor der kommunistischen Zeitung Unità Es ging der Bewegung, die eine Schnecke zu ihrem Symbol erhob, nicht nur darum, billigem und schlechtem Fast Food eine Rückbesinnung auf gutes Essen entgegenzusetzen Vielmehr übte Slow Food im Zeichen einer neuen Langsamkeit Kritik am schnellebigen Geist des Kapitalismus Seitdem hat sich viel getan, die kleine Schnecke ist zum Label geworden, unter dem regionale Produkte vermarktet werden - zu teuer vermarktet, sagen kritische Stimmen Nicht nur unter dem Label von Slow Food hat sich in Italien ein Authentizitätsdiskurs entwickelt, der gutes Essen gleichsam zum italienischen Vorrecht erklärt und bisweilen nicht frei von nationalistischen Implikationen ist Die Emphase, mit der Italiener zuweilen die Authentizität ihrer Esskultur und ihrer Produkte behaupten, ist aber wohl auch eine Reaktion auf die Folgen des EU- Lebensmittelmarktes sowie auf die Globalisierung überhaupt Viele italienische Lebensmittelhersteller sehen sich aufgrund der EU-Lebensmittelgesetze einer Diskriminierung von Inlandsprodukten ausgesetzt Wenn nämlich für Importwaren niedrigere Standards gelten als für die heimischen Produkte, wird der Markt von billigen Importprodukten überschwemmt; andererseits können italienische Exportprodukte kaum mehr mit den kostengünstigeren Imitaten mithalten Als Reaktion auf die Problematik des falschen Made in Italy, das freilich nicht nur den Lebensmittelsektor, diesen aber doch in einem hohen Maß betrifft, haben der italienische Landwirtschaftsverband Confagricoltura und die beiden italienischen Handelskammern in Deutschland unter der Leitung von Emanuele Gatti 2015 die Initiative Italian Sounding ins Leben gerufen Ihr Ziel ist es, in Deutschland hergestellte und fälschlicherweise eine italienische Herkunft suggerierende Produkte zu sanktionieren Auch wenn Italian Sounding in Italien berechtigte Sorgen um den Erhalt des Marktwerts italienischer Produkte hervorruft, ist es ein eindrucksvoller Beleg für den hohen Stellenwert, den die italienische Gastronomie in Deutschland genießt (Das gleiche gilt für Mode und Design ) Wenn die Deutschen lernen sollen, die Kopie vom Original zu unterscheiden, dürfen sie also in der Küche weiterhin ‘Italiener’ bleiben - und nicht nur in der Küche Schließlich bedeuten nationale Küchen nichts ohne das historische, kulturelle, ökonomische Substrat, aus dem sie erwachsen sind Italienische Küche lieben sollte deshalb immer auch bedeuten, italienische Kultur zu lieben 2_IH_Italienisch_76.indd 1 23.12.16 09: 52 2 Il poeta che canta l’amore e il mare: A colloquio con Corrado Calabrò A cura di Valeria Marzoli L’universo poetico di Corrado Calabrò riesce a fondere la realtà in una sintesi lirica volta a raggiungere un pregiato livello di perfezione e di efficacia espressiva tale da renderlo una delle voci più apprezzate nel panorama culturale nazionale e internazionale contemporaneo . Gli archetipi su cui si fondano le liriche di Calabrò, intessute di colori e di echi della sua terra, sono l’Amore e il Mare che ci permettono di esplorare-godere l’essenza della sua creatività e di essere, anche solo per un attimo, avvolti nella luce della sua poesia Nato a Reggio Calabria, nel 1935 . Si laureò in giurisprudenza a soli 22 anni anche se avrebbe desiderato dedicarsi allo studio della fisica . Tra i suoi lavori ricordiamo: Vuoto d‘aria (1980), Parma: Guanda; Presente anteriore (1981), Milano: Vanni Scheiwiller; Mittente sconosciuta (1984), Fontanellato: Franco Maria Ricci; Rosso d’Alicudi (1992) Milano: Mondadori; Lo stesso rischio (Le mêmerisque) (2000), Milano: Crocetti; Le ancore infeconde (2001), Roma: Pagine; Una vita per il suo verso (2002) Milano: Mondadori; Mi manca il mare (2013)Torino: Genesi Editrice; e Ricorda di dimenticarlo (1999), Soveria Mannelli: Rubbettino, finalista al premio Strega . Ha ricevuto numerosi premi e riconoscimenti nazionali e internazionali . Calabrò è stato tra i poeti ospiti della nona edizione del Festival della poesia europea di Francoforte sul Meno, svoltasi dal 19 al 21 maggio 2016 Domanda: Aristotele affermava che il fine della poesia è «dire l’universale» invece che cosa rappresenta per Lei la poesia? Corrado Calabrò La poesia non si esprime con concetti, proposizioni astratte, come la filosofia La poesia coglie aspetti particolari della realtà, ma rivelandocene risvolti che guardavamo con gli occhi dell’abitudine senza vederli È così che essa dà una valenza universale al particolare Si pensi alla madeleine di Proust: racconta l’esperienza personalissima dell’assaggio di un biscotto inzuppato nel tè ma ci rivela la potenza evocatrice della memoria involontaria che fin allora ci sfuggiva Più la realtà ci sfugge, più sentiamo il bisogno di preservare l’unicità del nostro vissuto, la suggestione di un’alba sul mare, l’emozione del primo amore, il dolore per la morte del nostro cane, il rimorso per un abbandono Emozioni, percezioni provate e perdute; forse rimosse I veri pensieri nei veri poeti avanzano tutti velati, come le egiziane», ha scritto Nietzsche Il valore medianico della parola poetica non sta in quello che dice, sta in quello che suscita La parola poetica è quello che in termini neurobiologici, di funzionamento del cervello, si chiama un precursore (ad esempio, l’elledopa rispetto alla dopamina): non c’impronta di sé 2_IH_Italienisch_76.indd 2 23.12.16 09: 52 A colloquio con Corrado Calabrò 3 ma di quello che induce Il non detto che scaturisce dal detto, l’evocazione nell’udito interiore generata da un ascolto insostituibile e indeterminato ad un tempo La poesia comunica come i segnali di fumo degli indiani, come le bandierine sventolate secondo l’alfabeto Morse dai marinai di una volta Un messaggio criptato, ma decifrabile da chi ne ha in comune il codice E’ tutto un gioco di dire e non dire; sì, come un gioco di sponda nel biliardo Un gioco di senso-ultrasenso, il gioco dell’analogia, dell’allusione attraverso cui si dispiega la funzione della parola poetica, che - come dicevo - non è una funzione di comunicazione diretta, è una funzione evocativa L’analogia, la metafora, reprimono, rendono recessivo il significato usuale, corrente, convenzionale dell’espressione per farne intravedere un ulteriore La pseudoverità poetica (possiamo dire, parafrasando ancora Nietzsche) è un mobile esercito di metafore; si sposta sempre un po’ più in là ( μεταρω ) del punto di contatto che stavamo per raggiungere La poesia è un andar oltre, un oltrepassare la soglia del già detto E siccome noi conosciamo attraverso le parole (che conformano addirittura il nostro cervello mediante la strutturazione delle sinapsi), la poesia è metafisica Ma come il volto di Minerva non poteva essere guardato direttamente né mostrato allo scoperto senza restare pietrificati, così la poesia deve dissimulare «il valore in sé» della sua rivelazione (secondo l’originaria accezione ambivalente della parola re-velatio, nella quale il re può avere tanto significato di reiterazione quanto di ritrazione, dell’infittirsi o della caduta del velo, dello svelarsi di ciò ch’è nascosto o dello sfocarsi di ciò ch’è noto) Ma non ci deve essere elucubrazione, cerebralità in questo gioco di copri-scopri D.: Nella sua poesia Lei pone l’accento sui grandi interrogativi dell’esistenza ma sono l’Amore e il Mare le sue principali fonti d’ispirazione Ci parli del suo mondo poetico Calabrò L’amore è forse la principale porta della poesia Rompe la scorza del nostro ego, ci spinge a uscire dall’incomunicabilità e, al tempo stesso, nel momento cioè in cui avvertiamo un’immagine nuova di bellezza - un’immagine che vediamo noi soli -, ci spinge ad usare un’espressione inedita, tutta nostra, forse indicibile, per esprimerla Ci spinge, quindi, alla creatività È talmente forte la spinta dell’amore che, dopo aver cercato di fare di noi carne e anima dell’altro-da-sé e dell’altro carne e anima nostra, ci induce all’oltre da entrambi noi stessi L’amore ci rivela la nostra incompletezza e il bisogno d’integrarci nel rapporto con l’altro L’altra-da-sé ci manca perché e finchè non si realizza l’incontro, l’incastro Ci manca quando l’intesa non c’è più Ma ci manca, 2_IH_Italienisch_76.indd 3 23.12.16 09: 52 A colloquio con Corrado Calabrò 4 comunque, nella misura del divario intercorrente tra la nostra aspettazione e la realizzazione del rapporto, di qualsiasi rapporto L’amore, insomma, ci manca sempre, in qualche misura C’è una potenzialità enorme nel sentimento d’amore in incubazione Ma è proprio l’impossibilità di far coincidere la potenzialità con la realizzazione a far scattare e ad alimentare l’amore, come tentativo - irrinunciabile (a pena di rinunciare, ci sembra, alla ragion d’essere della nostra stessa vita) e inattuabile - d’immedesimarci con l’altro-da-sé In realtà più che la persona amata amiamo l’amore Solo che è la persona amata a farci provare la terribile intensità del sentimento d’amore Accade un po’ come nella poesia: l’interazione emotiva e intellettiva poetica non nasce in sé dalla parola versificata, nasce - come dicevo - dal non detto Ma - qui sta il punto -, da quello specifico detto L’amore si manifesta col bisogno della parte mancante al senso-non senso della nostra vita Senza amore non si conosce appieno la nostra realtà esistenziale Eppure l’amore è un’ultrarealtà, è un protendersi oltre l’effimera concretezza del nostro quotidiano; esprime la tendenza al prolungamento, alla procreazione (ch’è una forma di creatività), nella rigenerazione dell’essenza fuggevole del nostro passaggio su questa terra Ma l’immedesimazione con l’altro-da-sé è una scommessa sfuggente Come la poesia, appunto Senza l’amore la nostra conoscenza della vita sarebbe gravemente menomata; senza la poesia la nostra visione del mondo sarebbe ottusa, banale, ripiegata sul dejà vecu Sì, la poesia è un interruttore, un commutatore di banda, che fa sì che appaia sul nostro schermo interiore qualcosa che avevamo sotto gli occhi e che guardavamo senza vedere Un trasalimento dell’anima che sposta un po’ più in là il nostro orizzonte mentale, o così ci piace credere A volte - in un momento felice che ha del magico - un’immagine, una percezione, un’intuizione si stacca dal film travolgente del quotidiano e s’impone all’attenzione con una suggestione imprecisabile, condensando in sé un significato che ci conquista come una rivelazione, tanto da diventare un’immagine, una percezione, un’intuizione sovradeterminata: un orizzonte di significato è stato superato È come il fiammifero di Prévert Ricordate quella poesia di Prévert, «Tre fiammiferi accesi nella notte»? Un innamorato, al buio su un ponte sulla Senna, accende tre fiammiferi: uno per vedere gli occhi, uno per vedere la bocca, un terzo per vedere il volto tutto intero della sua ragazza Un altro elemento ispiratore della mia poesia è indubbiamente il mare Sono nato sulla riva del mare; certi autunni le mareggiate giungevano fino alla soglia della nostra casa di campagna ai bordi della spiaggia Per me è difficile capire come qualcuno possa non nuotare, così come non ci passa 2_IH_Italienisch_76.indd 4 23.12.16 09: 52 A colloquio con Corrado Calabrò 5 per la mente che uno non sappia camminare Il mare è stato il mio imprinting; lo Stretto di Messina il calco di bellezza primigenia con cui ha dovuto poi confrontarsi qualsiasi emozione paesaggistica L’estate era il mio ambito di libertà «Con un tocco alla barra ed alla vela / si schiudeva alla prua un’altra rotta» («Subway», Una vita per il suo verso) Seguivo con lo sguardo le navi che, lasciato lo Stretto, rimpicciolivano sempre più fino a venire inglobate nella distesa liquida Pure, mi sembrava di continuare a vederne una parvenza, come il sorriso del gatto sparito di Lewis Carrol Avrei voluto seguirle a nuoto o in barca a vela spingendomi fino alla soglia che segna il limitare a un nuovo giorno A diciott’anni ho attraversato a nuoto lo Stretto di Messina E prima ancora, da ragazzo, sempre in Calabria, ho costeggiato per anni a nuoto, estate dopo estate, le spiagge di Riace, senza sospettare minimamente che sotto pochi metri d’acqua - quell’acqua che portavo a me una bracciata dopo l’altra - ci fosse un’altra presenza, sdraiata su un letto di sabbia, le statue dei guerrieri greci, alzatesi in piedi per noi, ai nostri giorni, dopo millenni Solo a chi non l’ama il mare appare sempre uguale: per chi l’ama, per chi ce l’ha dentro, il mare è cangiante, mutevole, mutante, stabilisce un rapporto sempre diverso con chi lo mette alla prova Ancora adesso posso nuotare per sette-otto chilometri senza che il battito del polso si acceleri di una pulsazione È una condizione di affidamento: al mare io m’affido e ne vengo cullato, anche dalle onde più alte Per parlare del mare mi vengono spontanee parole e movenze metriche come se parlassi dell’amore, della madre, della sorte, dell’oltre Un oltre di cui non ho paura Di notte uscivo coi pescatori, a vela, a motore, a remi A volte incappavamo in burrascate tremende: l’onda passava sopra la barca No, in mare non ho mai avuto paura Addirittura avverto una sorta d’attrazione a finire la mia vita in mare: «Sarebbe bello addormentarsi in mare / con l’acqua in gola che disseta e nutre / e, volteggiando, planare sul fondo / dove s’addensa l’ombra degli assenti» («Il vento di Myconos», Una vita per il suo verso) Ma non è solo un rapporto fisico Credo che abbia ragione Carlo Bo: nella mia poesia il mare (insieme al vento) svolge la funzione di organo, di sottofondo, di contrappunto, d’ampliamento del tema, come il coro nella tragedia greca Il mare fa da specchio, da pantografo, da lenimento ai miei sentimenti, e soprattutto al mio sentimento del tempo A nuoto, in barca a vela, al timone, disteso, fluitante, risoluto ad affrontare le onde tumultuanti e la pioggia a raffiche e abbandonato al tempo e allo spazio: il mare è anche una mimesi dei miei stati d’animo Il mare è inafferrabile come l’amore «Se non sognassi non avrei un passato/ / Non appartiene al navigante il mare/ che ha solcato/ / Non trattiene chi nuota/ altro che il sogno/ del mare che ha abbracciato .» 2_IH_Italienisch_76.indd 5 23.12.16 09: 52 A colloquio con Corrado Calabrò 6 Ma sono anche molti altri i temi ispiratori, propizi alla mia poesia Uno che affiora improvvisamente e mi trasporta nell’ultrarealtà come i sogni, è l’astrofisica D.: Non solo poeta ma anche uomo di diritto come convivono in lei queste diverse anime? Calabrò Il rigore dell’uomo di legge e la sensibilità del poeta sono due attitudini che difficilmente coesistono Posso capire quindi la diffidenza manifestata per la mia poesia in Italia - in un primo momento accolta con vivi apprezzamenti - quando si è venuto a sapere che il giurista Calabrò e il poeta erano le stessa persona Il giurista deve dare una motivazione delle sue decisioni secondo una logica serrata, se vuole che siano inconfutabili Ed è anche vero che il diritto è una materia che può apparire arida, anche se in definitiva non lo è perché ha un sostrato di grande umanità Il giurista deve comunque restare sempre con i piedi ben piantati sul terreno della realtà giuridica e di fatto La poesia, invece, è qualcosa di medianico, che viene da un altro strato dell’essere, da un livello subliminale In certi momenti le stanze della poesia sono attraversate da palpiti lievi, e quando ti sfiorano devi saperli cogliere in un soffio, sentire il colpo d’ala che trasforma le parole in messaggi Come diceva Paul Valery, «il primo verso è sempre un dono degli dei» Rigore logico e immaginazione sono in me come due gemelli siamesi uniti dalla schiena che tirano in direzioni opposte; quando uno prevale l’altro deve seguirlo, benché riluttante Ma è una prevalenza alterna Nella mia infanzia e nella mia prima adolescenza ho vissuto come una doppia vita D’inverno studio, orari da rispettare, impegni da onorare, applicazione funzionale ai programmi impostimi Non si scherzava con lo studio a casa mia Mi veniva continuamente portato a raffronto (dai professori ancor più che da mio padre) l’esempio dei miei fratelli: una mia sorella aveva conseguito la maturità classica a quindici anni; mio fratello a sedici Pur essendo sulla media dell’otto, io - che ho preso la maturità a diciott’anni - ero il ritardato della famiglia L’estate, l’estate era un’altra cosa L’estate era vacanza, vacatio da qualsiasi imposizione Da giugno a ottobre vivevo - spesso solo - nella casa di campagna dalla soglia sempre insabbiata per le onde lunghe che giungevano a lambirla, con una decina di cani da caccia (sette-otto di mio zio) che la notte circolavano liberamente per casa Non c’era illuminazione pubblica nei paraggi; quando annottava, calava sulla casa un buio nero come un secchio di pece Ma nelle notti di luna un chiarore innaturale filtrava dagli infissi e i cani raschiavano la porta per uscire Vivevo una vita alternativa, 2_IH_Italienisch_76.indd 6 23.12.16 09: 52 A colloquio con Corrado Calabrò 7 in due mondi completamente separati: d’inverno scuola e città; d’estate mare, terra bruciata, libertà trasgressiva Quel mondo venne spazzato via quando avevo sedici anni: la terra passò di mano e io non ci rimisi più piede, come se all’improvviso non esistesse più Cosa m’è rimasto dentro? Rigorosa osservanza dei doveri di stato e libertà di saggiare all’estremo le mie forze in assoluta autodeterminazione: questo, questo m’è rimasto dentro D.: Cosa significa essere poeta oggi in Italia? E quale futuro lei vede per la poesia italiana? Calabrò «Non c’è che la razza dei poeti ad essere libera» ha scritto Demostene Ma viviamo in tempi di pensiero debole, di destrutturazione della conoscenza Il guaio è aggravato dal fatto che il vuoto generato dalle crisi dei valori è stato riempito dalla cultura dell’effimero, dalla soggezione alla moda (la moda dell’imperatore nudo), la moda usa e getta (essa sì duratura) di tendenze che durano un giorno L’opposto della poesia, che dopo millenni (penso ai lirici greci) è come se scaturisse adesso, come se fosse scritta per noi Si dice che la poesia è inutile? Quale poesia? Qui è il serpente che si morde la coda «La società vuole che gli artisti siano sul podio, o in testa ai cortei, e in coda ai girotondi, in modo da rassicurarci che la letteratura non esiste, che la fantasia non esiste», osserva Pietro Citati Su questa sostituzione di valenze aggreganti a valori esigenti, il gruppo di intellettuali dominanti ha fatto leva per l’affermazione del proprio circuito di potere È andato così smarrito il senso profondo dell’arte, della poesia; e con esso la capacità stessa di percepirlo Accanendosi nel loro solipsismo, i controllori del traffico delle mosche negano la bellezza, come i metafisici di Tlön (Borges: «Tlön, Uqbar, Orbis Tertius») negavano lo spazio e il tempo Le pseudopoesie imperanti (per riconoscimento autoreferente, non per eterolettura) sono come i giocattoli rotti dai bambini nevrotici, che li smontano perché vorrebbero essere loro a ricostruirli, a farli funzionare Solo che non ne sono capaci e non vogliono ammetterlo (c’è della magia anche nel montaggio); e allora dicono che il giocattolo non gli interessa, che è démodé (parola terribile, condanna senz’appello) Assistiamo a una versificazione che non trae alimento da una vena profonda (troppo isolata, come i pozzi nel deserto, per fare proseliti, movimento culturale) ma dalla preletteratura e dall’ideologia (anche l’anti-ideologia è un’ideologia se non è sostenuta dall’ispirazione) Un’incapacità di rappresentazione propria che ha bisogno di essere mediata dalla rappresentazione altrui, non quale arricchimento della nostra capacità di esprimerci ma come omologazione della nostra iden- 2_IH_Italienisch_76.indd 7 23.12.16 09: 52 A colloquio con Corrado Calabrò 8 tità Come nella pittura bizantina, gli stilemi si susseguono nell’imitazione gli uni degli altri, depotenziandosi sempre più della capacità di raffigurazione diretta Possono solo essere riprodotti, in forma omologata, i modelli e le maniere proposti Un’esperienza mancata, una scelta che altri hanno fatto per noi, un’informazione di seconda, terza, ennesima mano, passata attraverso innumerevoli filtri, che non sono i filtri della cultura, sono gli alambicchi in fondo ai quali si rinviene, al postutto, solo un’espressione residuale, inerte, deprivata della capacità di suscitare qualsiasi reazione, qualsiasi interazione Se questa è la poesia, certo ch’è inutile; non ne sentiamo proprio il bisogno Ma la poesia è l’opposto, è scoperta che zampilla sempre nuova e gioia improvvisa di quella scoperta Con questo non voglio negare che dai tempi di Omero, di Dante, di Shakespeare, la parola abbia subíto un irrecuperabile processo di designificazione E’ difficile, improbabile il ritorno a un’epoca antecedente la separazione tra le parole e le cose; tanti, troppi anni di schematismo mentale, di sterili esercitazioni a vuoto, di Cábala, di uso ed abuso corrente della parola, hanno artefatto, devitalizzato i nostri sensori La fiducia nella parola rivelatrice è scossa irreparabilmente Così per le idee, per la verità trascendente come per l’intuizione estetica Oggi l’insicurezza, il senso di precarietà, lo scadimento della religiosità (nel senso di relazione con l’ultraterreno: religio est relatio), il sospetto dell’insignificanza di ogni cosa, dell’impossibilità di cogliere l’essenziale di una realtà cosmica che ci nullifica e di una vicenda umana dissociata, dispersiva, consumata nel consumismo, ci fanno sentire in balia della casualità Ed è contro l’esperienza del nostro vissuto come di quella della religione, della filosofia e della scienza dei nostri tempi, sia la presunzione teologica della diretta spiegazione del divino sia l’ambizione laica di un’intellezione esplicabile in cui l’ideale e il reale, l’intuizione e la percezione, l’assoluto e la storia giungano a identificarsi Platone considerava la natura un’imitazione delle idee Noi dovremo considerare il mondo esterno una proiezione di quello informatizzato? Dobbiamo accostumarci alla marmellata verbale, alla comunicazione banale, insignificante? Non ci resta che rassegnarci alla dequalificazione della parola, a un’epifania televisiva, o altrimenti al silenzio rinunciatario, all’afasia? Io credo, io sento di no La poesia, la musica, la pittura non possono e non devono dire tutto; devono suggerirci qualcosa che noi integriamo nel nostro udito interiore «L’incompiuto è spesso più efficace della compiutezza L’incompiuto come mezzo di seduzione artistica…» (Nietzsche) L’ αλήθεια resta sempre a metà Le frasi col punto finale - osservava Musil - non riescono nel loro tentativo di espressione Poeta è colui per il quale ogni parola non è la fine ma l’inizio di un pensiero Ecco che la condizione espres- 2_IH_Italienisch_76.indd 8 23.12.16 09: 52 A colloquio con Corrado Calabrò 9 siva potenzialmente più evocativa, più creativa, è quella aurorale, precorritrice, di preludio Nel momento in cui si schiude, anche il fiore del cardo è bello L’attacco della Quinta (quelle quattro insostituibili note in cinque battute - anziché quattro come le regole avrebbero voluto) sono un accordo di tonica incompleto, nel quale Beethoven stabilisce una tonalità senza darcene i punti chiave, senza cioè le basi Do e Sol È da lì che nasce quel tremendo senso di sospensione L’incompiutezza, ancora una volta Il non detto che scaturisce dal detto, da quello specifico detto, l’evocazione nell’udito interiore generata da un ascolto insostituibile e indeterminato ad un tempo La poesia è come un sogno che dica e non dica, ma che (come certi sogni in prossimità del risveglio) ci lasci l’impressione di una rivelazione imminente Rivelazione di che cosa? Di qualcosa che avevamo perduto o dimenticato; che forse, inconfessatamente, avevamo rinnegato Conoscere vuol dire ritrovare Si perviene a intendere quello che eravamo predisposti a fare nostro Per essere percepite, la poesia, l’arte, devono suscitare empatia, cioè il piacere di condividere come proprio il messaggio dell’autore, di riconoscere in esso il messaggio che inconsapevolmente attendevamo Quando non c’è più bisogno di parole per percepire quel messaggio recondito, quando la parola poetica, pur così parca, risulta inadeguata per eccesso, allora essa ha conseguito la sua revelatio Il paradosso s’invera: il poeta - per assurdo e ridicolo che sembri - crea il mondo con le sue parole, con quelle parole No, non è (o non è solo) un’illusione, come non è illusione che il bambino cresca, scopra il mondo Per ciascuno di noi il mondo esiste solo in quanto entra nell’orizzonte della propria mente La poesia realizza un superamento di significato Ecco perché sembra che magicamente crei per noi un nuovo spicchio di realtà; perché ce la fa scoprire «La vera arte, non va dimenticato, estende la nostra conoscenza del mondo non meno che la scienza» (Maria Corti) Nel momento in cui questo avviene, la poesia, l’arte, consentono uno scambio profondo, un’interazione di personalità simile a quella che si realizza tra due innamorati che si compenetrano Il contatto è giunto a segno; decodificato, è stato ricodificato e ricomposto, altrui e nostro nell’atto in cui ne godiamo: lo schermo interiore s’illumina e noi vediamo Mittente e destinatario, sconosciuti l’uno all’altro, sono qui, adesso, compresenti - magari a distanza di secoli - in un’interazione che estrinseca l’uno e interiorizza l’altro D.: Può regalare dei suoi componimenti inediti alla rivista Italienisch? Calabrò Con piacere 2_IH_Italienisch_76.indd 9 23.12.16 09: 52 A colloquio con Corrado Calabrò 10 Bibliografia Opere di Corrado Calabrò Prima attesa, Milano: Guianda 1960 Agavi in fiore, Napoli: SEN 1976 Vuoto d’Aria, Napoli: SEN 1979 Presente anteriore, Milano: Scheiwiller 1981 Mittente sconosciuto, Milano: Ricci 1984 Fil d’Ariana, Paris: FMR 1987 Deriva, Messina: Il Gabbiano 1989 Vento d’altura, Roma: BM Italiana 1991 Rosso d’Alicudi . Poesie dal 1960 al 1991, 2 ed ., Milano: Mondadori 1992 La ùltima luna de junio, Milano: Ricci 1995 Le ancora infeconde . Introduzione di Elio Pecora, Roma: Pagine 2000 Lo stesso rischio, Milano: Crocetti 2000 Blu moratea, Roma: Tielle Media 2002 A luna spenta, Reggio Calabria: Iriti 2003 Una vita per il suo verso . Poesie 1960-2002, Milano: Mondadori 2002 Poesie d’Amore, Roma: Newton Compton 2004 Ricorda di dimenticarla, Roma: Rubbettino 2006 La stella promessa, Milano: Mondadori 2009 Rete Italia, la Tv e i nuovi scenari della comunicazione, Roma: Rubbettino 2009 T’amo di due amori, Milano: Vallardi 2010 Dimmelo per sms . 112+1 poesie d’amore, Milano: Vallardi 2011 Wie ein Messer im Honig . 33 Gedichte über die Liebe und anderes . Zweisprachige Ausgabe Italienisch-Deutsch . Übersetzung von Renate Lunzer . Wien: Löcker 2010 «Un magico predatore della parola: Corrado Calabrò» (Desirée Flegel, Paolo Lazzara, Antonietta Menga, Christine Ott), in: Italienisch 68 / November 2012, p . 106-117 [Traduzione in tedesco delle poesie «Sotto le palpebre», «Password», «Dilemma», «Coppe carnose di camelie», «Retrogusto», «Il ‘2’»] Su Corrado Calabrò «La disciplina della consulenza in materia del lavoro», in: Rassegna di lavoro, Bd . 3, 1960, S . 197-224 «Corrado Calabrò e la sua poetica . Intervista di Oxana Pachlovska», in: Cultura e prospettive, 11 (aprile-giugno 2001), S . 3-23 «Un magico predatore della parola perduta, a caccia proustiana della memoria» (Guido Gerosa), in: «Antologia critica su Corrado Calabrò», in: Cultura e prospettiva 11 (aprile - giugno 2001), S . 44-60 «Un magico predatore della parola: Corrado Calabrò» (Desirée Flegel, Paolo Lazzara, Antonietta Menga, Christine Ott), in: Italienisch 68 / November 2012, p . 106-117 2_IH_Italienisch_76.indd 10 23.12.16 09: 52 11 C OrrA D O C AlA Brò Poesie inedite Accorre improvvisa - Accorre improvvisa al mio petto la tua giovinezza e- lo gonfia come la terra a primavera - Con due boccioli turgidi di rosa e l’iPod nelle orecchie trasognate resti appoggiata sul gomito nel letto Disinformazione - Che ne è della stella che si è spenta? - Della cometa che doveva cingerla? - E dell’angelo che ha dimenticato chi e perché l’ha mandato? - - Entanglement - Fredda la tua guancia e struccata sul traghetto, di prima mattina Un gabbiano ci segue come un drone senza un battito d’ali Si poserà su Reggio o su Messina? - Quanto sono vicine le due sponde! Si può scorgere forse la casa con tante stanze in cui mia madre è morta Quello ad angolo sembra un suo balcone To leave or not to live? Così vicina e non ci son tornato - 2_IH_Italienisch_76.indd 11 23.12.16 09: 52 Poesie inedite Corrado Calabrò 12 Fosforescenza - Notti d’estate calde come il giorno sulle grandi spiagge dello Ionio - Nudi nell’acqua nera come pece ci allontanammo tanto dalla riva da non sentire più alcun rumore - Ardevano i contorni del tuo corpo schizzavano come traccianti i pesci che cercavi d’acchiappare ardevano i miei baci sul tuo collo sul seno sui fianchi sulle braccia sulle gambe guizzanti Gonfio e obbediente a un segreto richiamo ci sollevava il mare nell’attesa del sorgere imminente della luna - - La scala di Jacob - - Siamo portati su una scala mobile, ne scorriamo i gradini stando fermi fino a che rientra- l’ultimo scalino - Ti lascio, figlio, una scala di legno; è una scala a pioli fatta a mano eretta in verticale verso il cielo: devi scalarla come un sesto grado - Ogni gradiente ne genera un altro perché è una scala che non può finire - finché senti il bisogno di salire Luna blu (Perth, 2001)- - - - - - - - - - - - - - - - - - No, non dirò: Attimo fermati ! solo rallenta un poco rallenta un poco i battiti 2_IH_Italienisch_76.indd 12 23.12.16 09: 52 Corrado Calabrò Poesie inedite 13 Enorme, blu, non capita due volte nella vita di vederla sospesa in mezzo al cielo; di vederla e non crederla un miraggio - No, non dirò stanotte come Faust: Attimo, oh! Sei troppo bello,- fermati! ma prenderò ad occhi aperti un Dilatrend per rallentare questa notte i battiti - - - - - - - - - - Dov’è tuo fratello ? Dov’è tuo fratello ? E che ne so ? Sono io il suo tutore ? - Dov’è tuo fratello ? Eeh, non siamo gemelli siamesi La vita è come la fortuna: è strabica Ognun per sé e un qualche Dio per tutti - - - - - - - - Dov’è tuo fratello ? L’ho visto incamminarsi giorni addietro con un figlio per mano e l’altro in braccio - Dov’è tuo fratello ? Pioveva e c’era nevischio nell’aria Si sarà rifugiato in qualche ostello - Dov’è tuo fratello ? Perché lo chiedi a me? Io cosa c’entro ? S’era fermato e parlava ai suoi figli sottovoce e tenendo gli occhi bassi Qui, lo sai, - s’adora il Dio Mammona; per chi non se l’intende con quel Dio qui, mi dispiace, per lui non c’è posto - Rispondimi! - - Dov’è tuo fratello ? Non ricordo nemmeno la sua faccia… .- - - - Ah, non ricordi com’è la sua faccia? Alza gli occhi e guardami in volto ! - 2_IH_Italienisch_76.indd 13 23.12.16 09: 52 14 M O S h E K A h N Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo: Bemerkungen zur Übersetzung ins Deutsche Auf Einladung des Freien Deutschen Hochstifts in Zusammenarbeit mit der Deutsch- Italienischen Vereinigung e .V . sprach Moshe Kahn am 29 . Juni 2016 im Frankfurter Goethehaus in der Veranstaltungsreihe «Weltliteratur in Übersetzung» über den Roman Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo und seine Übersetzung ins Deutsche . Der Roman erschien 1975 im Verlag Mondadori, Mailand, die deutsche Übertragung 2015 im Fischer Verlag, Frankfurt am Main . Der Vortrag wurde ergänzt durch deutsche Passagen aus dem Roman . Es las Bernt Hahn . Wir veröffentlichen eine gekürzte Fassung des Vortrags, in der der Charakter der gesprochenen Sprache weitgehend beibehalten wurde Moshe Kahn wurde 1942 in Deutschland geboren . Studium der Altorientalistik, Philosophie und Rabbinischer Theologie in Deutschland, Italien und Israel . Promotion in Altorientalistik . Regieassistent an der Deutschen Oper am Rhein, Düsseldorf, später in Italien bei Luchino Visconti u .a . Lektor für Hebräisch und Deutsch in Rom und Catania 1973 Gründung einer eigenen Dokumentarfilmproduktion mit Victor von Hagen . 1976 veröffentlichte Moshe Kahn zusammen mit Marcella Bagnasco die erste Übersetzung von Gedichten Paul Celans ins Italienische, seit 1987 zahlreiche Übersetzungen ins Deutsche, aus dem Anglo-Amerikanischen, Französischen und Italienischen, z .B . Stefano Benni, Andrea Camilleri, Oriana Fallaci, Beppe Fenoglio, Mario Fortunato, Israel Horovittz, Luigi Malerba, Dacia Maraini, Martin Page, Primo Levi, Pier Paolo Pasolini, Paul Steinberg und Federico Tozzi . Für die Übersetzung des Horcynus Orca erhielt er 2015 den Deutsch-italienischen Übersetzerpreis und den Jane Scatcherd-Preis . Im selben Jahr erhielt er für sein Lebenswerk den Paul-Celan-Preis Gleich vorab sei gesagt, dass der Roman meiner Meinung nach das Bedeutendste ist, was seit Torquato Tassos Befreites Jerusalem in Italien erschienen ist Damit übergehe ich ganz elegant etwa Manzoni und große Schriftsteller des 20 Jahrhunderts, aber das tue ich auch sehr bewusst und das zeigt, dass ich mich damit an eine Werk gemacht habe, von dem ich immer überzeugt war, dass es nicht verloren gehen sollte Ganz im Gegensatz zu dem, was man erwarten würde, ist dieser Roman in Italien bei seiner Veröffentlichung 1975 ein großer Verkaufserfolg gewesen, aber die meisten, die ich gesprochen habe, haben mir gestanden, dass sie nach 20 Seiten das Buch zugemacht und nie mehr angerührt haben Aber das zeigt wohl eher, in welchen Zeiten wir leben, ziemlich verkommenden Zeiten, was große Literatur angeht und dass wir nicht mehr so ohne weiteres bereit sind, auf die Vergnüglichkeiten seichterer Literatur zu verzichten Und uns leider auch prägen lassen von dieser Art von Literatur Man hat Horcynus Orca bezeichnet als eine moderne Odyssee, die so ganz anders ist als die von James Joyce vorgestellte von Mr Bloom Hier 2_IH_Italienisch_76.indd 14 23.12.16 09: 52 Moshe Kahn Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo 15 geht es um die Geschichte eines jungen Matrosen der ehemaligen königlichen Marine Wir befinden uns zu Beginn dieses Romans Anfang Oktober 1943 Der zeitliche Rahmen macht eigentlich schon die historische Situation deutlich Italien hat am 8 September 1943 den Waffenstillstandsvertrag mit den Alliierten geschlossen, so dass wir uns hier knapp einen Monat nach diesem Waffenstillstand befinden Es geht um das ewige, aber große Thema der Heimkehr, das Thema vom Leben, das Thema vom Tod, das Thema der Liebe Der Tod ist der Grundton dieses Romans, über den sich dann aber das Leben und die Farbigkeit des Lebens in all seinen Schattierungen entwickelt Es geht zu Beginn des Romans um die «Feminoten» Es handelt sich um ein Matriarchat in der Stadt Bagnara, das damals ein Fischerdorf war, das der Insel Sizilien direkt gegenüberliegt Es verschwindet wahrscheinlich in dieser Zeit, in der so vieles verschwindet, aber es hat sich erhalten immerhin bis in die 70er Jahre hinein, und durch den Einfluss moderner Zeiten wird auch das sich allmählich auflösen, obwohl sich Traditionen im südlichen Kalabrien und in Sizilien sehr viel langsamer auflösen als anderswo in Italien Das hat etwas mit der anderen Struktur der Bevölkerung zu tun, und damit, dass der Süden viel mehr ländlich geprägt ist als die Mitte und der Norden Italiens Die Feminoten hat d’Arrigo so erfunden, «il paese delle femmine», sagt er, ich musste das aber als Landstrich der Feminoten übersetzen, weil auch das Adjektiv von «femmine», feminotisch, italienisch ist und deshalb dachte ich, das mit Feminoten ausreichend deutlich zu machen Es gibt im weiteren Verlauf des Romans natürlich noch einige andere Wörter, die Sie nicht so ohne weiteres verstehen würden, innerhalb des Romans aber werden sie alle im Kontext klar oder sie werden sogar erklärt, durch kurze Appositionen Etwa das Wort «bastardelle», die Bastardellen: die Fischer und die Menschen, die am Meer da unten leben, nennen «bastarde» die Strudel, die besonders gefährlich sind Nun sind die Strömungsverhältnisse an der Straße von Messina besonders kompliziert und gefährlich und bestehen zu einem großen Teil aus Strudeln Es ist so, dass das tyrrhenische Meer alle vier Stunden nach Süden fließt, ins ionische, das ionische nach vier Stunden dann rauf ins tyrrhenische Meer fließt Diese Aufwärts- und Abwärtsbewegung der Meere verursacht die Gefährlichkeit der Strömung Sporn bedeutet hier im Zusammenhang des Romans diese Stelle auf Sizilien, wo die Insel sozusagen wie ein Vogelschnabel rüberreicht aufs Festland Und diese Stelle ist im Roman immer bedeutend, da finden auch nicht nur Klatsch und Tratsch statt, und der Strandaufseher hat da sein Häuschen, sein kubisches Häuschen, sondern da finden später im Roman auch noch Versammlungen der Männer von Charybdis statt Die italienischen Wörter oder Benennungen der geographischen Orte wie Cariddi und Scilla habe ich nicht beibehalten, 2_IH_Italienisch_76.indd 15 23.12.16 09: 52 Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo Moshe Kahn 16 sondern durch Charybdis und Skylla ersetzt, weil für den Italiener natürlich mit Cariddi und Scilla sofort auch der mythologische Bezug deutlich wird Für den deutschen Leser wäre das aber nicht deutlich geworden Also habe ich mich entschieden, um eine sozusagen mythologische Tiefenschärfe herzustellen, die deutschen Bezeichnungen zu verwenden für diese geographischen Orte Diese Feminotinnen sind ganz besondere Frauen, sie leben im südlichen Kalabrien und, verdienen sich wie Männer ihren Lebensunterhalt Das heißt, sie sind nach Sizilien gefahren, meistens nachts, auf ihren Booten, über diese sehr komplizierten Stromschnellen und Strömungswirbel hinweg, nach Sizilien, um dort Salz zu holen . . .auf dieses Salz musste eigentlich Steuer bezahlt werden, wenn es rüber verschifft wurde aufs Festland Weil sie das aber nicht konnten, und auch nicht wollten, haben sie diesen Verkehr bei Nacht betrieben und dann dieses Salz auf dem Festland verkauft Die Hauptfigur, Andrea Cambria, wandert von Neapel aus nach Süden, und irgendwo im nördlichen Kalabrien hängen sich vier Soldaten des Landheeres an ihn und verfolgen ihn Er will zwar immer allein bleiben, aber sie folgen ihm auf Schritt und Tritt in einiger Entfernung, lassen ihn nicht aus den Augen, bis sie schließlich alle da unten ankommen, von wo sie hoffen, übergesetzt zu werden Dies war schwierig, weil die Alliierten sämtliche Fährschiffe versenkt hatten Verboten war auch die Fischerei mit normalen Fischerbooten, weil darauf möglicherweise schnell Feuergewehre installiert werden konnten Die einzige Möglichkeit, auf die Insel überzusetzen, war mithilfe der Engländer Wie bei der sizilianischen Vesper haben die Engländer beschlossen, diejenigen, die übersetzen wollen, zu prüfen, ob sie Sizilianer sind Sie fragten sie z .B nach dem Wort für Kichererbse auf Sizilianisch, und wenn das nicht überzeugend klang, konnte der Betreffende nicht hinüberfahren, obwohl er schon die Desinfektionsräume durchschritten hatte Das war sozusagen der Ausweis für die Sizilianer, um über die Meerenge gebracht zu werden von den Briten, die mit Landungsbooten diesen Transport übernommen haben, nicht nur von Personen, sondern auch von Gütern zwischen Sizilien und dem Festland In der nächsten Episode machen wir die Bekanntschaft eben dieser drei, bzw vier Soldaten, die sich Andrea Cambria anschließen auf dem Weg in den Süden, nachdem er sie in einem kleinen orangenen Bergamotte-Garten kennengelernt hat, wo sie ihn sozusagen aufgegabelt haben Wie bin ich überhaupt auf den Roman aufmerksam geworden? Ich war befreundet mit einem Mann und dessen Familie in Rom, die einen wunderbaren Landsitz hatten außerhalb Roms am Bracciano-See, und ich war sehr oft dort draußen vor allem in der Jahreszeit, in der Pflanzen aus einem herrlichen Garten eingepflanzt und umgetopft werden mussten und wir fanden uns morgens, es war im Jahre 1975, immer im Gewächshaus Er hatte 2_IH_Italienisch_76.indd 16 23.12.16 09: 52 Moshe Kahn Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo 17 gerade diesen Roman gekauft, las abends lange Partien darin, erzählte mir dann darüber und bestand darauf, dass ich diesen Roman unbedingt lesen müsse und mir auch überlegen sollte, ob ich diesen Roman nicht irgendwann mal ins Deutsche übersetzen sollte Das Italienisch, das der Autor verwendet, empfand ich als sehr fremd; es braucht sehr viel mehr, als mal eben ein Überlesen des Textes Was war denn das Eigentümliche an diesem Italienisch? Es war natürlich Italienisch, der Roman ist insgesamt Italienisch geschrieben; viele Kritiker haben gesagt, auch Sizilianisch, aber das ist nicht der Fall Er macht Gebrauch von sizilianischen Wörtern, die er aber so bearbeitet, dass man den Eindruck hat, sie sind italienisch, nur findet man sie in keinem Wörterbuch und man findet sie auch nicht mehr im sizilianischen Wörterbuch, und das macht diesen eigentümlichen Reiz dieser Sprache aus Um das zu verstehen, habe ich aber sehr lange gebraucht Ich bin dann in der zweiten Hälfte der 70er Jahre von Rom aufs Land gezogen, etwa 60 km entfernt, östlich, schon an die ersten Ausläufer der Abruzzen und habe mich dann dort ab 1979 wirklich sehr intensiv mit der Lektüre beschäftigt Der Freund, der mich zuerst auf dieses Buch aufmerksam gemacht hatte, war inzwischen verstorben Ich habe dann ungefähr zwei Jahre gebraucht, um mich durch dieses Buch durchzuarbeiten, was für mich keine Besonderheit darstellt, ich habe auch bei Musil zwei Jahre gebraucht, als ich den Mann ohne Eigenschaften zum ersten Mal gelesen habe, bei einigen Romanen Kafkas habe ich mindestens so lange gebraucht, das liegt daran, dass ich immer wieder lese, was ich schon gelesen habe, wenn ich fasziniert bin von bestimmten Seiten oder Kapiteln, um die Sprache und diese Sprachwelt in mich eindringen zu lassen 1981 war ich dann soweit und dachte, als ich das Buch zuklappte, dass ich einen ganz großen Roman der europäischen Literatur in Händen hielt Ich wusste, dass der Autor noch lebte und habe den Mondadori Verlag gebeten, mir eine Begegnung mit ihm zu ermöglichen Als ich im römischen Büro des Verlags auftauchte und mich vorstellte, wurde ich mit großer Ehrfurcht behandelt, und die Sekretärin fragte mich: «Haben Sie diesen Roman wirklich gelesen? », und ich sagte: «Ich stehe hier vor Ihnen, weil ich es getan habe», und sie haben mich beglückwünscht, weil sie sagten, nach 15 oder 20 Seiten hätten sie es aufgeben Sie fanden das faszinierend, dass da ein Ausländer vor ihnen stand, der eine Arbeit verrichtet hatte, die sie nicht imstande waren, zu verrichten Es kam dann zu einer Begegnung zwischen Stefano d’Arrigo und mir, was für mich auch heute noch im Nachhinein sehr bewegend war Er wohnte weit außerhalb des Zentrums, ich hingegen wohnte im unmittelbaren Zentrum von Rom und musste eine lange Autobusfahrt auf mich nehmen um dahin zu gelangen, wo er wohnte Dann klingelte ich an seiner Schelle unten, er machte auf und ich fuhr drei Etagen hoch Und dort 2_IH_Italienisch_76.indd 17 23.12.16 09: 52 Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo Moshe Kahn 18 öffnete er mir die Tür und vor mir stand ein sehr viel kleinerer Mann als ich, mit ausgebreiteten Armen und sagte: «Willkommen bei Dir zuhause .» Das fand ich außerordentlich Und von dem Augenblick, als wir uns über den Roman und eine tatsächlich mögliche Übersetzung ins Deutsche unterhalten haben, begann eine wunderbare Freundschaft zwischen ihm und mir, die bis zu seinem Tod 1992 dauerte Er war schon damals sehr krank, er ist 1992 im Alter von 73 Jahren gestorben, und wenn ich denke, das sich jetzt 75 bin, dann können Sie sich vorstellen, wie mich das bewegt Als das Projekt der Übersetzung Gestalt annahm, habe ich Siegfried Unseld, dem langjährigen Verleger des Suhrkamp Verlags, geschrieben und ihm von diesem Roman berichtet, in der Anlage schickte ich ihm ca 50 Seiten aus zwei verschiedenen Teilen des Romans in Übersetzung, um ihm eine Vorstellung zu geben, was dieser Roman ist, wie dieser Roman sich anhören könnte auf Deutsch Er ließ mir durch seinen Cheflektor mitteilen, dass eine Übersetzung für ihn überhaupt nicht in Frage käme, der Autor sei ja völlig unbekannt, auch in Italien habe man nur in der Zeit der Veröffentlichung des Buches über den Autor geschrieben (was stimmte, in den ersten zwei, drei Jahren war er ständig Thema in den Zeitungen), und Unseld hielt es für ein nicht zu kalkulierendes kaufmännisches Risiko, diesen Roman zu übernehmen Der Hanser Verlag hat es ebenfalls abgelehnt, allerdings verlagerte sich da die Argumentation etwas, die damalige Lektorin hat mich wissen lassen: «Hören Sie mal, der Roman ist ja so schlecht besprochen worden, also das muss ich Ihnen ja nicht alles erklären» Und ich habe gesagt, Ich finde es sehr interessant, dass Sie vor allem die schlechten Kritiken in Erinnerung haben, ich dagegen habe nur die positiven Kritiken in Erinnerung von den Leuten, die mich interessieren, das war Pasolini, und das war Primo Levi und das waren einige andere sehr große, George Steiner kam dann später dazu, Andrea Camilleri hat diesen Roman sehr gepriesen und hoch geschätzt und alle, die diesen Roman sehr geschätzt haben, haben sich die schlechten Kritiken damit erklärt, dass es eben mittelmäßige Schriftsteller waren, die über einen Kollegen zu urteilen gehabt hatten, die ihrerseits gerne diesen Roman geschrieben hätten, den sie nicht in der Lage waren zu schreiben So war das ganze Projekt erstmal für Deutschland unmöglich geworden Der Wagenbach Verlag kam nicht in Frage, weil er das Projekt finanziell nicht stemmen konnte, und dann blieb es lange in der Schublade liegen, bis ich 2004 den Schweizer Verleger Egon Ammann traf und die Gelegenheit hatte, über dieses Buch mit ihm zu sprechen Er hat sich das sehr aufmerksam angehört und mich gebeten, doch Geduld zu haben, er würde sich das genau überlegen, er müsse noch einige Auskünfte einholen und er müsse noch dieses und jenes bedenken, kurz und gut: Ich sollte nicht den Mut verlieren, er werde mir in absehbarer Zeit eine Antwort zukommen lassen 2_IH_Italienisch_76.indd 18 23.12.16 09: 52 Moshe Kahn Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo 19 Als ich nach vier Monaten noch keine Antwort von ihm hatte, dachte ich, auch dieses Projekt ist stillschweigend untergegangen Aber kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, kam seine Antwort: Er teilte mir mit, wir würden das gemeinsam machen Und das haben wir über die Jahre auch gemacht, bis 2010, als er aus gesundheitlichen Gründen seinen Verlag nicht mehr weiterführen konnte; er hat sich wunderbar auf dieses Abenteuer eingelassen und war sehr neugierig auf jede Teillieferung, die ich ihm habe zukommen lassen, immer mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass das nur die erste Version sei, das ganze müsse überarbeitet werden, ich wollte ihn nur wissen lassen, wie es weiter geht und dass es weiter geht 2006 habe ich mit der Arbeit an der Übersetzung begonnen, die 50 Seiten, die ich Siegfried Unseld Anfang der 80er Jahre zugeschickt hatte, wurden noch einmal gründlich überarbeitet, 2012 war die Arbeit schließlich abgeschlossen, in einer ersten Version, und wie das so ist - vor allem bei so umfangreichen Projekten wie diesem - ist am Ende die Sprache der letzten Seite eine andere als die, mit der man begonnen hat So musste dieses ganze Manuskript, das 2240 Seiten umfasste, überarbeitet werden, und das habe ich dann also mehrmals getan, zweimal, bevor ich überhaupt Egon Ammann an meinen Schreibtisch ließ, um mit ihm gemeinsam dann eine endgültige Version zu erarbeiten Nachdem auch diese abgeschlossen war, sagen wir, es war die dritte, war ich immer noch von Skrupeln geplagt und habe noch eine vierte, eine fünfte, eine sechste, schließlich eine neunte Überarbeitung der Übersetzung gemacht Der Verlag wartete, er hatte das ja alles programmiert und kalkuliert, aber ich dachte, ich müsste mich noch an eine zehnte Fassung machen Eines Tages kam Egon Ammann zufällig bei mir vorbei in Berlin, klingelte und fragte, ob ich ihm einen Kaffee machen würde Das habe ich natürlich gerne getan, und er fragte «Woran arbeitest Du denn? » Und ich sagte, «An der zehnten Überarbeitung des Horcynus», und da sagte er zu mir: «Pack jetzt mal Deinen Koffer, nimm ganz wenige Dinge mit, und dann fahr ich Dich in die Psychiatrie .» Das war vielleicht das Signal, dass ich aufhören muss; es kommt nicht selten vor bei Übersetzern, dass sie immer noch nicht zufrieden sind und es geradezu eine Psychose wird, einen Text noch einmal und noch einmal vorzunehmen Ich habe dann gedacht: Vielleicht hat er Recht und neun Fassungen sind auch ausreichend Und so ist dann die neunte Version an den Verlag gegangen, und schließlich 2015 im Februar - das fällt genau zusammen mit 40 Jahren Horcynus Orca im Italienischen - ist dann auch die deutsche Übersetzung veröffentlicht worden und hat sehr viel günstige Aufnahme bei der Kritik gefunden und auch bei den Käufern Das Buch ist umfangreich, es eignet sich kaum zur Abendlektüre, denn wenn man im Bett liegt und sich das Ding auf den Bauch stellt, dann stehen da 1229 Gramm Buch, und das merkt der Bauch nach einiger 2_IH_Italienisch_76.indd 19 23.12.16 09: 52 Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo Moshe Kahn 20 Zeit Ich weiß, dass auch eine Übersetzung ins Französische entsteht, die Ende des nächsten Jahres vorgelegt wird, ich bin mit den beiden Übersetzern in reger Verbindung, ich weiß auch, dass es eine spanische Übersetzung geben wird, auch da ist ein wunderbarer Lyriker am Werk, und eine englische, amerikanische Übersetzung ist schon in den 80er Jahren unternommen worden, aber sie musste leider abgebrochen werden, der Verlag ist bankrott gegangen auf der Wegstrecke, nicht weil der Übersetzer zu viel Honorar verlangt hat, was ja wohl selten vorkommt, sondern weil er sich mit anderen Sachen völlig verkalkuliert hatte So ist auch dieses amerikanische Projekt in die Tisch-Schublade gewandert, aber ich kenne ihn, denn auch er ist ein Lyriker, der das übersetzt hat, und er wird auch, wenn das dann für den amerikanisch-englischen Markt wieder aufgenommen wird, derjenige sein, der seine alte Übersetzung aufnimmt, überarbeitet und fortführt Als ich Anfang der 80er Jahre den Plan hatte, den Horcynus Orca zu übersetzen, sagte mir der italienische Verleger, es war inzwischen nicht mehr der alte Arnoldo Mondadori, sondern sein Sohn, Leonardo, wenn ich das täte, dann würde er die Übersetzung finanzieren Das habe ich auch Unseld mitgeteilt, aber er hat sich trotzdem nicht dazu entschließen können, den Roman zu übernehmen Es ist absolut ungewöhnlich, dass der Heimatverlag die Übersetzungskosten übernimmt Etwas Ähnliches ist nämlich in den 60er Jahren passiert, als d’Arrigo diesen Roman schrieb Er hatte seit Mitte der 50er Jahre daran gearbeitet, 100 Seiten sind in einer literarischen Zeitschrift erschienen, die von Italo Calvino und Elio Vittorini geleitet wurde, die Zeitschrift hieß Il Menabò, und dadurch wurden die Verleger in Italien auf den Roman aufmerksam Viele haben versucht, ihn dann zu bekommen, aber d’Arrigo hat sich für Arnoldo Mondadori entschieden, der ihm das Angebot machte, ihm bis zur Fertigstellung des Romans ein monatliches Gehalt auszusetzen Der hat natürlich kalkuliert: Jetzt sind schon 600 Seiten entstanden, dann wird das nicht mehr so lange sein, bis wir das endgültige Manuskript haben D’Arrigo hat dann die Fahnen bekommen von den 600 Seiten, die entstanden waren und versicherte dem Verleger, er werde die überarbeiteten Fahnen innerhalb von spätestens vier Wochen zurückschicken können Aus diesen vier Wochen sind dann aber 14 Jahre geworden, für Mondadori war das nicht unbedingt ein tolles Geschäft Aber der Autor hatte zumindest eine Zeit der Ruhe und konnte ohne Sorgen weiter arbeiten Mondadori war im übrigen auch deshalb sehr großzügig mit d’Arrigo, weil er felsenfest davon überzeugt war, dass hier ein ganz außergewöhnlicher Roman entsteht D’Arrigo war immer etwas kränklich, und sein Arzt hatte ihm einen Aufenthalt in Bergluft verordnet, also hatte d’Arrigo sich entschlossen, in die Berge in der Provinz von Frosinone zu ziehen Da geht es rauf bis 1000, 1100 Meter Er hat sich in dem Ort Trevi niedergelassen in einem schönen kleinen 2_IH_Italienisch_76.indd 20 23.12.16 09: 52 Moshe Kahn Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo 21 Hotel, alles auf Kosten von Mondadori, und das dauerte sechs Jahre Und dann zeigte sich, dass die Bergluft schädlich war und es ging wieder runter in die Stadt Unter allen diesen Widrigkeiten entstand dieser Roman Für die Übersetzung kam es nicht zu dieser wunderbaren Lösung, die Leonardo Mondadori mir angeboten hatte, weil er Mondadori verließ und einen eigenen Verlag gründete, und damit war auch die Möglichkeit einer Finanzierung einer Übersetzung vom Tisch Eine Übersetzung dieser eigenwilligen Sprache von d’Arrigo im landläufigen Sinn war überhaupt nicht möglich, hier musste etwas nachgeschaffen werden Und das habe ich versucht D’Arrigo erzählte mir, dass er in diesem Roman etwa 2000 Neologismen in der italienischen Sprache geschaffen habe Ich habe sicher keine 2000 nachgeschaffen, aber immer da, wo es mir möglich schien, habe ich es getan, allerdings nicht so, dass das irgendwelche erfundenen Worte aus der hoheitsfreien Sprachzone waren, sondern natürlich manchmal nur Zusammenstellungen von Worten Diese Neologismen erklären sich auch alle aus sich selbst, man muss gar nichts Großartiges erkennen Zusätzlich habe ich Rückgriffe auf althochdeutsche und auf gotische Wurzeln gemacht und diese dann in einem ähnlichen Vorgang bearbeitet wie d’Arrigo das gemacht hat mit seinen sizilianischen Sprachwurzeln, um dadurch dem Roman an Stellen, wo es sinnvoll schien, eine bestimmte Färbung zu geben Aber auch diese Rückgriffe auf alte Sprachschichten sind nicht so, dass man sie nicht verstehen könnte Es erklärt sich alles - das war auch das Wesentliche bei d’Arrigo - aus dem Kontext, aus der Sprache selbst Wichtig war für d’Arrigo die Musikalität in seinem Roman, die ich als Übersetzer und die jeder Übersetzer unbedingt nachgestalten musste Natürlich sind unsere Sprachen so unterschiedlich von ihren Strukturen her, dass man das nicht 1: 1 umsetzen kann Aber man kann es 1: 3 umsetzen Ich habe mal gesagt, des Deutschen liebster Vokal ist das ‘e’, und das kann mitunter entsetzlich monoton sein - das galt es beispielsweise auch zu durchbrechen: die e-Ketten im Deutschen Manchmal sind sie nicht zu vermeiden und nicht aufzubrechen, aber da, wo es möglich war durch Synonyme, habe ich es mit großer Leidenschaft getan Den Rhythmus habe ich ebenfalls nachgestaltet und in diesem Zusammenhang war mir Gustav Mahler ganz wichtig Ich habe immer gesagt, wenn man d’Arrigo übersetzen will, dann muss man sich vorstellen, dass ein gewaltiges Orchester eine Mahler-Sinfonie vor offenem Meer spielt Ich kann ihnen nur dieses Bild geben, und das musste sich dann in dem Roman in der Sprache widerspiegeln Es musste so sein, dass man diese gewaltigen Satzketten, die d’Arrigo konstruiert hat, nachgestaltet Manchmal tendieren Übersetzer dazu, sie zu unterbrechen durch Punkte Ich habe versucht, das nicht zu tun, nur vielleicht an zwei Stellen, wo es mir dann zu unübersichtlich zu werden schien, habe ich Punkte gesetzt um den 2_IH_Italienisch_76.indd 21 23.12.16 09: 52 Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo Moshe Kahn 22 Leser nicht unnötig in Katastrophen zu jagen Aber ich habe durchweg versucht, die großen Satzketten von d’Arrigo beizubehalten Das Schwierige dabei war, dass es keine italienischen Satzketten sind, keine italienische Syntax ist, sondern die Syntax des Dialekts von Messina Und da habe ich mich natürlich auch lange gefragt, «O Gott, was mache ich denn hier? » Mitunter schien es mir, dass ein Satz in der Luft hing, weil ich das Verb nicht finden konnte, das den Satz zum Abschluss brachte Ich habe mich der Hilfe eines wunderbaren Mannes in Florenz versichert, der aus Messina stammt und Professor an der Universität in Florenz ist, und immer wenn ich Schwierigkeiten dieser Art hatte, habe ich ihn gebeten mir den Satz auf Italienisch aufzuschreiben, damit ich ihn dann anhand dieser Geschichte nachbilden konnte Der Grundduktus bei der Übersetzung dieses Romans ist das Sizilianische Es ist eine Sprache, die aus vielen Spracheinflüssen besteht, aus ältesten Schichten, es gibt noch Wörter der Ureinwohner, der Sikuler im Sizilianischen, und dann kamen die Griechen, und dann kamen die Phönizier, und dann kamen die Römer, und dann kamen die Byzantiner, und dann kamen die Araber, und sie alle haben Einflüsse in der Sprache hinterlassen Und ich dachte mir, um diese merkwürdige Farbe bei d’Arrigo im Deutschen wiederzugeben, muss die Sprache einerseits etwas Archaisches haben und andererseits modern sein Also dieses Gemisch herzustellen aus Sprache war für mich ganz wesentlich Und ich dachte mir dann, dass ich mit daktylischen und jambischen Versmaßen, mit Trochäen, mit Odenversmaßen einen Rhythmus schaffen konnte, der diesem Wunsch und dieser Vorstellung entsprach Ich habe manchmal im Deutschen dann z .B nicht ‘Osten’ oder ‘Westen’ gesagt, sondern ‘Morgen’ und ‘Abend’, wie es bei Adalbert Stifter vorkommt, um das italienische levante - ponente in einer anderen Form zu übersetzen als ‘Osten’ und ‘Westen’, was mir im Zusammenhang des ganzen Klangs und Gefüges der Sprache als zu banal erschienen wäre Ein paar Dinge im Sizilianischen sind auch heute noch für unsere Ohren schrecklich pompös, das Sizilianische selber klingt auch von der Syntax und vom Gebrauch der Verben her eigentlich, als ob man es mit Opern- Texten zu tun hätte, und auch das war irgendwie zu berücksichtigen gegenüber der reinen italienischen Sprache Ich habe versucht, das alles einzubringen in die deutsche Übersetzung und es ist ein schönes Gemisch, ein schöner Sprachpalast entstanden, das glaube ich jedenfalls Als ich von den 2240 Manuskriptseiten vielleicht 2000 fertig hatte, brach bei mir eine Krise aus, und ich habe voller Verzweiflung da gesessen und mich gefragt, wie geht es jetzt weiter, ich weiß nicht wie es weiter geht, der Kopf war leer Richtig leer Und die Faust im Nacken war ja der Verlag, der Termine gesetzt hatte, Abgabefristen und ich selber habe mich auch unter Druck gesetzt Ich habe drei Monate nichts gemacht, die letzten Seiten habe ich nicht mehr schaffen 2_IH_Italienisch_76.indd 22 23.12.16 09: 52 Moshe Kahn Horcynus Orca von Stefano d’Arrigo 23 können, drei Monate lang Und dann habe ich einfach die Koffer gepackt, bin nach Rom gefahren und war dann 14 Tage in Rom mit meinen Freunden, habe nicht über das Problem gesprochen, das mich belastet hat, sondern habe mich einfach der Freude überlassen, wieder mit meinen Freunden zusammen zu sein, und dann bin ich nach Hause gekommen, habe mich hingesetzt und habe gearbeitet, als wäre nie etwas gewesen, und der Schluss ging dann sehr schnell So problemlos, dass ich fast die Befürchtung hatte, ich habe alles falsch gemacht Aber dann habe ich es jemandem zu lesen gegeben, und der sagte, «Nein, nein, es ist alles richtig, mach Dir keine Sorgen .» 2_IH_Italienisch_76.indd 23 23.12.16 09: 52 24 A Ng ElA O StEr / StEfA N I E röM Er «post(tra)uma gratitudine» - Anmerkungen anlässlich der deutschen Erstübersetzung von luigi Capuanas Giacinta Zur Editionsgeschichte von Giacinta Luigi Capuana ist in der deutschsprachigen Italianistik kein gänzlich unbekannter Autor Gleichwohl ist es erstaunlich, dass ausgerechnet eines seiner Meisterwerke, Giacinta, bislang in keiner deutschsprachigen Übersetzung vorlag Übersetzt wurden in Deutschland Il marchese di Roccaverdina (Der Marchese von Roccaverdina) oder seine Fiabe italiane (Italienische Märchen) und auch ein immerhin interessanter Beitrag zu Das heutige Sizilien (bereits 1893) . 1 Insofern stellt es sich als Glücksfall heraus, dass der renommierte Verlag Manesse sich bereit erklärt hat, im Frühjahr 2017 die Erstübersetzung des Auftaktromans Giacinta von Luigi Capuana zu veröffentlichen . 2 Die Übersetzung stammt von Stefanie Römer, der Kommentar von Angela Oster - sie hat bereits im Vorfeld die Masterarbeit der Übersetzerin zum Thema betreut . 3 Die erste Fassung von Giacinta ist in zwölf mit römischen Ziffern überschriebene Kapitel untergliedert und hat im Original von 1879 einen Umfang von insgesamt 372 Seiten Die erzählte Zeit umfasst die gesamte Lebensdauer der Protagonistin Giacinta von ihrer Geburt bis zum gewaltsamen Tod, wobei im gesamten Roman keinerlei konkrete Datumsangaben zu finden sind Als die erste Fassung von Giacinta im Jahr 1879 bei Brigola in Mailand erscheint, reagiert die Kritik einhellig empört und verurteilt den Roman als unmoralisch und skandalös Doch ausgerechnet dieses Urteil weckt das Interesse der Leser, und die erste Auflage ist innerhalb von sechs Monaten vergriffen Capuana plant nach einigen geringfügigen Überarbeitungen eine zweite Auflage, die jedoch nicht in Druck gelang Erst im Jahr 1886 erscheint bei Giannotta, Catania, die zweite Auflage, die Capuana vollständig überarbeitet hat (Eine mögliche vorherige Version aus dem Jahr 1885, von der in der Literatur immer wieder gesprochen wurde, ist bis heute unauffindbar .) Schließlich folgt 1889 eine dritte und letzte Auflage, die bis auf kleinere grammatikalische und sprachliche Korrekturen die überarbeitete Version von 1886 übernimmt . 4 Der große Publikumserfolg, den die erste Ausgabe erzielen konnte, bleibt den späteren Auflagen indes verwehrt Im Jahr 1914 legen Cervieri, Mailand und Madella, Sesto San Giovanni, sowie 1930 Treves, Mailand, und 1940, Garzanti, Mailand, den Roman - jeweils in der zweiten, überarbeiteten und gekürzten Fassung - neu auf 2_IH_Italienisch_76.indd 24 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 25 Nachdem der Roman längere Zeit keine verlegerische Beachtung mehr findet, nimmt sich Vallecchi, Florenz, im Jahr 1972 seiner an und veröffentlicht ihn zusammen mit anderen Erzählungen Capuanas unter dem Titel Giacinta ed altri racconti Ebenfalls 1972 erscheint der Roman unter dem gleichen Titel bei Edizione per il Club del libro, Novara Im Jahr 1980 finden sich gleichzeitig vier Neuauflagen: einmal bei Mursia, Mailand, weiterhin bei Riuniti, Rom, bei Giannotta, Catania, sowie bei Mondadori, Mailand Auf die genannte Neuauflage bei Mondadori unter dem Titel Giacinta secondo la 1a edizione del 1879 ist hier gesondert zu verweisen, da sie sich auf die erste Fassung stützt und auch eben diese Originalvorlage für die bei Manesse erscheinende Übersetzung den Ausgangstext bildet Bis heute stellt dies in Italien die letzte Auflage dar, die mehrfach nachgedruckt wurde und derzeit als einzige aktuelle Ausgabe als Taschenbuch bei Oscar Mondadori erhältlich ist . 5 Im Ausland erfährt Giacinta wenig bis gar keine Resonanz, einzig das Verlagshaus Impr de Henrich y Ca Editores, Barcelona, bringt im Jahr 1907 eine spanische Übersetzung durch Miguel Domenge Mir unter dem gleich lautenden Titel Jacinta heraus Vergleichsweise aktuell ist die Wiederentdekkung von Capuanas Roman durch den französischen Verlag Farrago, Tours (Indre-et-Loire), der die zweite Fassung des Romans von 1886 unter dem Titel Giacinta in der Übersetzung von Olivier Favier im Jahr 2006 in Frankreich veröffentlicht hat Vor dem Beginn des Übersetzungsprojektes für den Manesse-Verlag musste eine grundsätzliche Entscheidung getroffen werden: Welche der drei Auflagen von Giacinta sollte als Grundlage der deutschen Übersetzung dienen? War hier eher der verlegerischen Tradition zu folgen, die in der Vergangenheit vorwiegend die dritte oder die zweite Version präferierte? Oder sollte das ‘Wagnis’ eingegangen werden, die womöglich in den Augen der Kritik weniger ausgereifte erste Version zu wählen? Die Entscheidung fiel schließlich zu Gunsten der ersten Version aus dem Jahr 1879 aus Wenn diese Fassung auch länger ist und ihr teilweise die narrative Stringenz der späteren, überarbeiteten Versionen fehlen mag, überzeugt sie zum einen durch eine größere, ja grandiose deskriptive Fülle Gerade detaillierte Schlüsselszenen wie Beppes Annäherungsversuche an Giacinta und deren Vergewaltigung, die ja auch einen nicht unbeträchtlichen Teil zur Rezeptionsgeschichte und Kritik beigetragen haben, werden in der späteren Fassung stark gekürzt, was dem Roman die eigentliche Pointe und Luzidität genommen hat Und auch aus literaturgeschichtlicher Sicht fiel die Entscheidung zugunsten der ersten Version, markiert sie doch den Übergang von einer am Vorbild des französischen Naturalismus orientierten italienischen Literatur hin zu der eigenständigen italienischen Form des Verismus - die Capuana darüber hinaus mit einer äußerst individuellen Note versieht Diesbezüglich bezeichnende Merk- 2_IH_Italienisch_76.indd 25 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 26 male der ersten Version, die unter literaturhistorischen Aspekten interessant sind, gehen in den nachfolgenden Versionen verloren, welche Capuana verfasste, als sich schon bestimmte, übergreifende Ausdrucksformen des literarischen Verismus manifestiert hatten Die Besonderheit an Capuanas erster Romanfassung hingegen, nämlich abweichend von den naturalistischen bzw veristischen Vorgaben nicht nur im Sprachgestus der impersonalità einen wissenschaftlich-analytischen Ist-Zustand darstellen zu wollen, sondern einen eigenständigen literarischen Weg zu gehen und andere Akzente zu setzen: alles dies kommt in der ersten Version sehr viel deutlicher und überzeugender als in den späteren Fassungen zum Ausdruck «la forma (coll’effe maiuscolo)» - Capuanas 'Verismus' Luigi Capuana gilt, gemeinsam mit Giovanni Verga und Federico de Roberto, als einer der wichtigsten Vertreter des Verismus, wobei in der Forschung herausgearbeitet worden ist, dass sich unter dem Rubrum des Verismus, anders als dem des Naturalismus Frankreichs, in Italien keine homogene Theorie entwickelt hat, die als Basis einer über ganz Italien hinweg einheitlichen neuen Literaturströmung gedient hätte . 6 Vielmehr weist die italienische Variante naturalistischen Erzählens eine Vielzahl von regionalspezifischen Facetten auf, was sich in Capuanas Giacinta besonders eindringlich zeigt, und was in der von Gerhard Regn an der LMU in München initiierten Giacinta-Rezeption bereits in mehreren Beiträgen mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen analysiert worden ist . 7 Des Weiteren hat bereits Helmut Meter auf die Verbindungen des Verismus mit dem Risorgimento hingewiesen . 8 Capuana setzt sich bewusst vom ‘idealismo romantico’ ab, welcher der Fantasie und der Subjektivität in seinen Augen zu großen Freiraum lasse und fordert einen neuen kritischen Ansatz, nämlich die Suche nach den ‘wahren’ Gefühlen und gleichzeitig (! ) nach einer objektiven Beobachtung der Gesellschaft seiner Zeit In der literarischen Erzähltradition Italiens markiert Giacinta definitiv einen Wendepunkt Obschon Capuana seinen großen literarischen Vorbildern des Naturalismus - namentlich Dumas, Balzac, den Gebrüdern Goncourt und insbesondere Émile Zola, dem Capuana explizit seinen Roman Giacinta widmet - verbunden ist, stellt sein erster Roman doch einen durchaus neuen literarischen Ansatz dar, den er bereits in seiner ersten Novelle Il dottor Cymbalus erprobt hatte Wie bei Madrignani ausführlich dargelegt, erfährt Capuanas literarisch-theoretische Überzeugung ab dem Jahr 1868 eine signifikante Prägung durch die eingehende Beschäftigung mit den Ideen des Positivismus, der Hegelschen Philosophie und den Theorien De Sanctis‘ sowie durch den intensiven Austausch mit Camillo de Meis . 9 2_IH_Italienisch_76.indd 26 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 27 Das Verhältnis Capuanas zu seinem Vorbild Zola wird mit der Zeit allerdings getrübt, da sich Capuana insbesondere nach Erscheinen von Zolas Le roman expérimental als Manifest des Naturalismus von dessen Ideen distanziert und einen eigenen Weg einschlägt Wie Romboli in seinem Aufsatz darlegt, interessiert sich Capuana, anders als Zola oder Verga, zunehmend weniger für soziale Fragen und die Mechanismen von milieu und hérédité (eredità), als für die bestimmenden Faktoren gesellschaftlicher Effekte Capuana, dies kann gar nicht zur Genüge hervorgehoben werden, interessiert sich zudem für die Form als künstlerisches Gestaltungsprinzip: «La Forma (coll’effe maiuscolo) ha più genio, è più divina di tutti i divini genii del mondo presi insieme; cresce, si sviluppa, fiorisce; […] Fidate nella divina onnipotenza della Forma (coll’effe maiuscolo) e il nuovo Boccaccio arriverà […] .» 10 Nur die ‘Form’, so weiter Capuana, führe zum ‘wahren Kunstwerk’, und alle anderen Wege leiteten in die Irre Bereits 1885 schreibt Capuana diesbezüglich in dem Essayband mit dem programmatischen Titel Per l’arte: «Se un romanzo, una novella vi fa esclamare: Questo è impossibile! Questo non è vero! State sicuri che, novantanove volte fra cento, la colpa è tutta dello scrittore I romanzi più impossibili sono quelli che accadono ogni giorno sotto i nostri occhi, attorno a noi, in alto e in basso Non ci sarà mai né un romanziere naturalista, né un romanziere verista il quale abbia tanto coraggio da inventar nulla che rassomigli, da lontano, alle continue e terribili assurdità della vita reale E se il romanziere e il novelliere rispondono alla vostra esclamazione col mettervi dinanzi i documenti, per provarvi così che essi han narrato un fatto vero, replicate che la difesa diventa peggior dell’accusa .» 11 Gerade an seinen eigenen poetologischen Ausführungen gemessen erscheint nun Giacinta allerdings manchen Interpreten als Roman, in welchem Capuana noch nicht zu seinem eigenen Stil und Konzept gefunden habe Dies scheint dem Motto des Romans zu entsprechen, in dem der Autor selbst der eigenen Skepsis freien Lauf zu lassen scheint: «Ho la coscienza di avere scritto un libro né ipocrita né immorale Così fossi egualmente sicuro di aver fatto, com’era mia intenzione, una vera opera d’arte! » 12 Der Roman reiche demnach an den Naturalismus nicht heran, und er sei erst eine Vorstufe zum ‘richtigen’ Verismus (wie ihn später der Marchese di Roccarverdina dann meisterhaft ins Wort setze) Vielleicht waren diese 2_IH_Italienisch_76.indd 27 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 28 Einwände mit ein Grund dafür, dass der Roman bislang noch nicht ins Deutsche übersetzt worden ist Das überrascht aufgrund der Qualität des Textes allerdings sehr, der vielleicht lange Zeit gerade auch deshalb verkannt wurde, weil er in der Tat in manchen Teilen quer zu den naturalistischen oder veristischen Vorgaben des ausgehenden Ottocento stand und damit durch das Raster der folgenden Rezeptionen fällt Gleichwohl entfachte der Roman hingegen bei seinem Erscheinen 1879 einen wahren Skandal: Was war nun aber das eigentlich Skandalträchtige an dem Text? Eine italienische Madame Bovary? Vergewaltigung, tragik und trauma in Giacinta Die gleichnamige Protagonistin des Romans ist für den Kontext der Zeit bereits deshalb provokativ, weil sie eine auffällig selbstbewusste Frau ist und sehr viel eigenwilliger agiert als ihre europäischen Kolleginnen Emma Bovary, Effi Briest oder Anna Karenina Was das Schema des Ehebruchromans angeht, in den sich Giacinta mit den soeben genannten Namen einreiht, so ist auch hier die Geschichte sehr viel abgründiger, als bei den Pendants in Frankreich, Deutschland oder Russland Capuana erzählt die Hintergründe eines Traumas - ohne dass er sich bereits explizit auf Freud oder gar die folgenden Psychologien hätte beziehen können -, und zwar mit einem psychographischen Feingespür avant la lettre, das erstaunlich ist Giacinta ist als kleines Mädchen vergewaltigt worden, wird in der Folge für dieses Geschehnis geächtet und gesellschaftlich isoliert Sie setzt sich gegen diese Stigmatisierung auf ihre Weise zur Wehr, indem sie eine lieblose Zweckehe forciert und sich am Tag der Eheschließung einen Liebhaber nimmt - was dann aber geradewegs deshalb in die Katastrophe führt, weil Giacinta den erlittenen Schock des stupro nie verarbeitet hat und ihn zum Großteil unbewusst, teilweise aber auch reflektiert in alle neuen Lebenskonstellationen weiterträgt In der Forschung zu Giacinta wurde deshalb bislang, und dies völlig zu Recht, ein Fokus auf die Protagonistin als «caso di patologia morale» gelegt . 13 Daneben ist es evident, dass Capuana mit seinem Text Anschluss an die bereits genannte Tradition der europäischen Ehebruchsromane wie Madame Bovary oder Effi Briest sucht Dabei sind jedoch vor allem die Differenzen markant, die der Autor zu dieser Tradition setzt Anders als ihre ‘Romankolleginnen’ versucht Giacinta nicht, die Fesseln ihrer Ehe und ihres einengenden, langweiligen Lebens abzustreifen, indem sie ihr Heil im Ehebruch und in der gesellschaftlichen Extravaganz sucht Sie agiert im Vergleich zu den Vorbildern deutlich selbstbestimmter und entscheidet sich - was in dieser Prägnanz ein Novum ist - bewusst für ein außereheliches 2_IH_Italienisch_76.indd 28 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 29 Verhältnis: und zwar bereits vor ihrer Eheschließung, die für sie nicht mehr als eine kühl erwogene Kalkulation ist Giacinta wählt aus einer Vielzahl von Verehrern mit Absicht den schwächlichen‚ nachgerade degenerierten Conte Giulio Grippa di San Celso («il prodotto degenerato di una magnifica razza») 14 als Ehegatten, dem sie keinerlei Gefühle entgegenbringt, der ihr aber durch seinen Adelstitel eine gesellschaftliche Aufwertung verschafft Bezeichnenderweise gibt sich Giacinta noch am Tag ihrer Hochzeit, während der Feierlichkeiten, ehebrecherisch Andrea Gerace, ihrer großen Liebe, hin und verweigert sich im Anschluss in der Hochzeitsnacht so wie auch längere Zeit danach ihrem rechtlich angetrauten Ehemann So nimmt eine jahrelange, vom Grafen und auch von der Gesellschaft geduldete ménage à trois ihren Anfang, die dann allerdings in einer Tragödie enden wird Andrea, eine der auffällig vielen männlichen Charaktere im Roman, die als schwach, egoistisch und wankelmütig beschrieben werden, wird des Liebesverhältnisses überdrüssig und zieht sich sukzessive daraus zurück Giacinta kann diesen Verlust nicht verwinden und beschließt, ihrer beiden Leben mit Hilfe des Pfeilgiftes Curare ein Ende zu setzen . 15 Sie bittet Andrea ein letztes Mal zu sich, in der Absicht, einen inszenierten gemeinsamen Liebestod zu fingieren Andrea jedoch, kleinmütig und feige, möchte einer letzten Konfrontation ausweichen und folgt ihrer Aufforderung nicht Am nächsten Tag - dies erfährt der Leser kurz und knapp, ja beinahe lapidar, aus der Perspektive Andreas - wird Giacinta tot aufgefunden, wobei ein direkter Hinweis auf einen Selbstmord im Roman fehlt . 16 Vielmehr kommt im letzten Abschnitt des Textes die Erleichterung Andreas über diesen für ihn günstigen Ausgang der Verhältnisse zur Sprache, und der Roman endet mit dem kommentierenden Satz des Erzählers: «Triste a confessarsi: vi sono anche delle infamie che vengono proprio dal cuore! » 17 Obschon dieser skandalträchtige Handlungsstrang des ‘gleichgültigen, ja niederträchtigen Herzens’ ebenfalls in den Fokus der Kritik geriet und nicht unerheblich dazu beitrug, dass der Roman bei seinem Erscheinen einen Sturm der Entrüstung hervorrief, handelt es sich hierbei doch nicht um den Kern des narrativen Diskurses Dieser kommt gerade in der Übersetzungsarbeit besonders deutlich zum Vorschein, zwingt doch die Übertragung von einem Idiom in ein anderes zur sehr genauen Reflexion der Textvorgaben In der Übersetzungswerkstatt wird der tragische Verlauf des Krankheitsbildes Giacintas, ihr in der Forschung viel beschworener «caso di patologia morale», 18 zum äußeren Symptom einer sehr viel ‘tiefer’ liegenden Ursache, nämlich dem eigentlichen Skandal des Romans: der Vergewaltigung der elfjährigen Giacinta und der daraus resultierenden gesellschaftlichen und traumatisierenden Verachtung erst des kleinen Mädchens und später der jungen Frau Die Fallgeschichte der Protagonistin Giacinta greift dabei vordergrün- 2_IH_Italienisch_76.indd 29 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 30 dig sämtliche Register des zeitgenössisch reüssierenden Hysteriediskurses auf . 19 Daneben erweist sich Capuana jedoch vor allem als Tiefenpsychologe und Genderspezialist Aus übersetzerischer Sicht wird dies besonders deutlich, denn die medizinische (Fach)Sprache, derer Capuana sich bedient, wird ergänzt durch eine ingeniöse Empathie des männlichen Autors mit der weiblichen Psyche des Vergewaltigungsopfers Der Spagat zwischen wissenschaftlicher Sprachfindung und poetischer Spracherfindung Capuanas ist zusätzlich eine der Hauptherausforderungen, der sich die aktuelle deutsche Übersetzung des Romans Giacinta zu stellen hatte Capuana erprobt die Rekonstruktion der Vergangenheit eines Vergewaltigungstraumas, das ausführlich in einer über drei Kapitel reichenden Analepse im Text vorgeführt wird In eine bürgerliche Familie hineingeboren, in der insbesondere die Mutter, Signora Marulli, nach ökonomischem und gesellschaftlichem Aufstieg strebt, ist Giacinta bereits bei der Geburt unerwünscht und wird bis zu ihrem fünften Lebensjahr zu einer Amme aufs Land gegeben Von der Amme wie von ihrer Mutter vernachlässigt und sich selbst überlassen, erfährt das Kind bereits in diesen prägenden ersten Jahren keinerlei emotionale Zuwendung Hieran ändert sich auch nichts, nachdem sie in den Schoß der Familie zurückgeholt wird Ihre Mutter, entgegen den zeitgenössischen Gender-Normen in Bankgeschäften aktiv und vor allem am gesellschaftlichen Aufstieg interessiert, verhält sich Giacinta gegenüber äußerst lieblos, empfindet sie als Last, und auch der schwache und antriebslose Vater weiß nichts mit dem Mädchen anzufangen, die somit innerhalb des familiären Umfelds ein einsames Leben ohne Bezugspersonen fristet Bereits diese Vereinsamung des Kindes Giacinta, das - modern formuliert - in seinen Spielen eindeutig zu autistischem Verhalten neigt, weist Elemente des Tragischen auf Giacintas Schicksal wendet sich vermeintlich zum Guten, als der 14jährige Hausbursche Beppe eingestellt wird, der sich in kürzester Zeit zu ihrem Spielkameraden und Vertrauten entwickelt Doch bald schon erweist sich Beppe als ein von Natur aus verdorbener Charakter, dessen sexuelle Begierden schließlich im Missbrauch der gerade einmal elfjährigen Giacinta münden Die Mutter, in deren Augen die Vermeidung eines gesellschaftlichen Skandals Vorrang vor der Fürsorge der lädierten Psyche der Tochter hat, schickt diese für drei Jahre in ein Mädchenpensionat In dieser Zeit versucht Giacinta, die traumatischen Geschehnisse zu verarbeiten und beginnt die Vergangenheit dahingehend zu verklären, dass sie Beppes Handeln aus einer vermeintlichen ‘Liebe’ zu ihr vor sich selbst und ihrer schamhaft empfundenen Erniedrigung zu rechtfertigen sucht Mit 17 Jahren kehrt Giacinta nach Hause zurück und wird in die Gesellschaft eingeführt Hier allerdings zeigt sich schnell, dass ihr weiterhin 2_IH_Italienisch_76.indd 30 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 31 der Makel des sich bereits vor Jahren rasend als Klatschsujet verbreiteten stupro anhaftet, und es sind schließlich diese gesellschaftliche Verachtung (und das unverarbeitete Trauma der Vergewaltigung selbst) und damit ein erneuter - und lebenslang als solcher anhaltender - Entzug von Anerkennung und Zuwendung, die Giacinta zu ihrem weiteren Verhalten geradezu - so die eindringliche und luzide Schilderung Capuanas - zwingen Ihr Verhältnis mit Andrea und die Selbstverleugnung ihrer Gefühle bei der Eheschließung mit dem Grafen, sind letztendlich nichts anderes als ihr trotziger, ja verzweifelter Selbstbehauptungsversuch einem sozialen Umfeld gegenüber, durch dessen Verhalten sie dauerhaft und tiefgreifend traumatisiert wird Aus heutiger psychoanalytischer Sicht scheint es kaum mehr verwunderlich, dass Giacinta aufgrund dieser Prädisposition psychisch zerbricht Aus der Sicht einer sich im 21 Jahrhundert derzeit rapide wandelnden oder sich erweiternden Methodik der Psychoanalyse sind allerdings nicht mehr so sehr die präfreudianischen Merkmale des Romans Capuanas beeindruckend (die gleichfalls weiterhin anachronistisch bahnbrechend waren) oder seine (ebenfalls fulminante! ) Rezeption der Pathologien Lombrosos (Atavismus Beppes u .ä .), 20 sondern seine ‘spirituale Behandlung’ der menschlichen Seele . 21 Capuanas metaphorische Anspielungen und lexikalische Elemente bergen über den positivistischen Diskurs hinaus weitere Deutungsmöglichkeiten, die es bei der für den Manesse-Verlag angefertigten Übersetzung zu erfassen und zu beachten galt Dies gilt u .a für den Mythos vom verlorenen Paradies, der durch ausgewählte metaphorische Elemente evoziert wird: Da ist zum einen der abgelegene Teil des Gartens («un recinto»), der in seiner paradiesischen Schönheit und sinnlichen Üppigkeit geschildert wird Beppe dient diese vermeintliche ‘Einfriedung’ als Rückzugsort, an den er sich nach seinem erotisch aufgeladenen Spiel mit Giacinta zurückzieht und dabei, während er sich auf einem Stuhl räkelt, seinen sündigen, «krankhaften Gedanken» nachhängt, «die sich gleich einem Nest voller Vipern, in das man versehentlich getreten ist, in seiner Brust regten .» Im Original ist von einem «groviglio di vipere» die Rede . 22 Wenn auch im Deutschen der idiomatische Ausdruck «Schlangennest» im ersten Moment treffender erscheinen mag, hat sich die Übersetzung für die Beibehaltung der wörtlichen Translation (und damit für die verfremdende Methode) entschieden Zum einen liegt die Symbolik der Schlange auch der Viper implizit zugrunde; außerdem konnotiert die Viper die eklatante Bösartigkeit, Gefährlichkeit und Giftigkeit der Gedanken, die Beppes Organismus förmlich infiltrieren - eine spezifische Bedeutungsebene, die in der Übertragung erhalten bleiben muss Wenige Zeilen später im Text findet sich das Symbol der Erbsünde - die Schlange - geradezu plakativ wieder, als die «serpicina» beschrieben 2_IH_Italienisch_76.indd 31 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 32 wird, die sich auf einem Stein sonnt . 23 Regn zufolge wendet sich Capuana mit diesem Rekurs auf den Mythos von der rein positivistischen Deutungshoheit ab, die aus seiner Sicht als Erklärungsmodell allein nicht ausreicht . 24 An diese Beobachtung schließen die folgenden Ausführungen an Ganz subtil schafft nämlich Capuana über die parallele Verwendung des Verbs «sdraiarsi» eine unmittelbare Verbindung zwischen der Schlange und Beppe Anders als in der biblischen Geschichte ist es hier in einer bemerkenswerten Gender-Pointe Capuanas nicht mehr die Frau, die der Versuchung des Bösen erliegt und den Mann als Verführerin zur Sünde anstiftet Hier gestaltet sich der Fall vielmehr genau entgegengesetzt: In einer gleichsam gespiegelten Bewegung wird Beppe mit der Schlange, der Verführerin, gleichgesetzt, wenn es heißt «Beppe andò a sdraiarsi sur un sedile del ricinto» und gleich darauf die Schlange sich analog verhält: «Una serpicina si sdraiava al sole» Die biblischen Gender-Verhältnisse von Gut und Böse kehren sich mithin um, indem nicht mehr die Frau die Urheberin der Erbsünde ist, sondern der Mann als der Verführer ihr die Unschuld nimmt und sie so ins Verderben stürzt . Es dürfte hinlänglich deutlich geworden sein, dass die Sexualität in Capuanas Giacinta zentrale Steuerungsfunktionen übernimmt Nun mögen zwar, mit Foucault gesprochen, bereits die freudianischen Diskursformen zur Sexualität in der Episteme des Secondo Ottocento virulent gewesen sein, gleichwohl gibt es zur Sexualität nur Schreibformen, die wenig explizit sind, derer Capuana sich vorbildhaft hätte bedienen können Dass seine aus der heutigen Sicht durchaus dezenten Formulierungen hingegen zeitgenössisch bereits einen Skandal entfachten, zeigt, in welchen Schwierigkeiten sich Capuana mit dem, was er vermitteln wollte, sprachlich befunden hatte Und so sympathisch der die Forschung viel beschäftigende Doktor Follini im Roman auch geschildert wird: Er befindet sich, daran lässt Capuana keinen Zweifel, letztendlich auf dem ‘Holzweg’, wenn er glaubt, den Problemen seiner Patientin dadurch beikommen zu können, dass er sie medizinisch ‘studiert’ und ‘observiert’ Es dürfte tatsächlich eine nicht zu unterschätzende Ironie anzeigen, wenn der Erzähler über Follini schreibt: «Vedeva il fondo delle cose e non si lasciava illudere dalla superficie» . 25 Follini lässt sich zwar nicht von der Oberfläche täuschen, hingegen aber: von der Tiefe Er taucht nämlich mit männlichem Blick zum Teil auch in die falsche Tiefen der weiblichen Psyche ein, was die Wahl des Terminus «illudere» indiziert Capuana wählt hier gerade nicht den gängigeren Terminus illusionare, sondern die etymologische ‘Tiefe’ dieses Begriffs in der Variante des illudere, was hinter der ersten ‘Tiefe’ noch weitere tiefe Abgründe anzeigt Der Terminus illudere verdankt sich der Zusammensetzung des Verbs ludere für ‘spielen’ mit der lokalen Präposition ‘in’ Die Bedeutungsskala dieses Begriffs ist schillernd, 2_IH_Italienisch_76.indd 32 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 3 3 und reicht von ‘spielend hinwerfen’, oder ‘ins Spiel werfen’ über ‘verspotten’ und ‘verhöhnen’ bis hin zu ‘täuschen’ und ‘betrügen’ Dass der männliche medizinische Blick hinsichtlich des Dramas Giacintas limitiert ist, wird im Verlauf des Romans kontinuierlich weiter durchgespielt bis hin zum unrühmlichen Ende der Protagonistin, die den klugen Doktor am Schluss des Romans als tatsächlich gescheiterten Mediziner vorführt Zum eigentlichen «caso di patologia» werden in Capuanas Text damit letztlich die Giacinta umgebenden Männer, die allesamt in ihrem jeweils spezifischen Narzissmus befangen sind, angefangen vom debilen Ehemann über den eitlen Geliebten Andrea bis hin zum netten Doktor Follini, der zwar sensibel ist, aber ebenfalls letzten Endes nur zum Teil versteht, wer und was Giacinta eigentlich ist Giacinta, die in ihrer Trauma(Nicht)bewältigung der follia zwischen konvulsiven und kataleptischen Zuständen haltlos schwankt, wird in der männlichen Figurensicht des Romans als Hysterikerin interpretiert Die Hysterie erschien und erscheint noch heute gerne als typisch weibliche Krankheit, weil sie neben dem zentralen Nervensystem an die weibliche Sexualität gekoppelt sei Capuana stellt nun auch dieses Stereotyp gründlich auf den Kopf Dabei ist es keineswegs schlichtweg so, dass nur ein Rollentausch vorhanden wäre Dies trifft zwar ohne Zweifel zu: Giacinta und auch ihre Mutter tragen virile Züge, während die Männer von einer ‚unmännlichen‘ Schwächlichkeit gekennzeichnet sind Die ‘legge dell’eredità naturale’ spielt eine tragende Rolle im Roman, doch Capuana interessiert gerade bei seiner Protagonistin - die alle anderen Charaktere im Roman wie ein Leuchtturm an Vielschichtigkeit überragt - nicht in erster Linie eine ‘patologia’, sondern ihn faszinieren die Energien, welche Giacinta trotz der unentwegten Attacken ihrer Umwelt lange Zeit unerschütterlich mobilisieren kann, weil sie ihre Wesensart jenseits aller Biologismen kennzeichnen: «Quella lunga malattia aveva abbattuto il suo corpo, ma nella sua coscienza si erano invece sviluppate energie che non sapeva di avere .» 26 Hier geht es nicht einfach um Abhärtungen, die Giacinta entwickelt, um sich gegen üble Unterstellungen zur Wehr zu setzen (die Isotopie des Kalten, Glazialen, Abgehärteten, Edelsteinhaften zieht sich allerdings in der Tat als roter Faden durch den gesamten Romantext) Denn genau dies würde die Giacinta umgebende Gesellschaft ja gerade noch in ihrer Bigotterie akzeptieren, nämlich dass das Kataleptische sich durchsetzen würde und die als bedrohlich empfundene, hochattraktive Giacinta damit buchstäblich ‘kalt gestellt’ würde Dass aber genau das Gegenteil eintritt, nämlich dass Giacinta aus allen Kalamitäten zunächst gestärkt, ja mit Energie erfüllt und immer wieder voll ungebrochener «fierezza» («stolz») hervortritt: «i suoi gesti, la sua parola avevano ora un che di nervoso, di brusco, di secco, d’imperioso, come se il carattere si 2_IH_Italienisch_76.indd 33 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 3 4 fosse temperato in un bagno ristoratore e avesse prese qualcosa della natura di acciaio .» 27 Genau das wird gesellschaftlich als unerträglich empfunden, und der Hass, der sich nun gegen Giacinta wendet, kennt keine Grenzen mehr und zielt auf die pure Vernichtung der jungen Frau, was sich im Roman zunächst langsam, dann aber unaufhaltsam Bahn bricht Denn Giacintas Kräfte, sich gegen die Perfiditäten zu wehren, lassen langsam nach Dass Capuana Giacintas Transformation zur ‘Dame aus Edelstahl’ in einem, anachronistisch formuliert, gender-kritischen Fokus sieht, dafür ist gerade die Skandalgeschichte der Vergewaltigung das schlagendste Beispiel In der späteren Erinnerung des Mädchens Giacinta scheint es nämlich eine salvierende Annäherung an Beppe zu geben, ja nahezu eine Dekulpation des Vergewaltigers Jedenfalls wird dies in der Forschung in der Regel so gelesen: Giacinta - so scheint der Text schwarz auf weiß zu vermitteln - hat ihren Peiniger durch aufreizendes Gebaren unbewusst provoziert, und dessen gewaltsame Entjungferung des Mädchens werde von dieser als das identifiziert, was sie doch womöglich tatsächlich war: ein zwar unbeholfener oder gar brutaler Ausdruck der Passion des Vergewaltigers, aber eben ein Ausdruck von Liebe Diese Lesart ist nicht einfach nur (‘männlich’) unsensibel; sie ist (in der Logik des Textes) schlichtweg grundfalsch Denn der weibliche stream of consciousness, der durch den impliziten Erzähler hier vermittelt wird, ist tatsächlich als eine enorme Brechung in verschiedenste Facetten dargestellt Nur um das erlittene Trauma irgendwie überleben zu können, ist die Psyche Giacintas auf nahezu perverse Weise gezwungen, der Erinnerung an ihre Vergewaltigung irgendetwas nicht gänzlich Grauenhaftes abzugewinnen «La Giacinta provava solo ora, dopo più di tre anni, il vero fascino di quegli occhi verdastri ombreggiati .» 28 Dass Vergewaltigungsopfer ihren grauenhaft erlittenen Verbrechen irgendwie doch etwas Angenehmes abgewönnen oder die Tat gar provoziert hätten - die kleine Giacinta spielt ja gerne mit dem Kameraden Beppe -, ist schlicht und ergreifend nichts anderes als das, was Theweleit eine gewaltbereite «Männerphantasie» genannt hat . 29 Das Mädchen - der Text ist hier hinlänglich deutlich - hatte die erlittene Vergewaltigung sicherlich auch nicht im Ansatz goutiert Schließlich wird sie direkt im Anschluss an die Vergewaltigung tränenüberströmt und im Schockzustand vom Hauspersonal aufgelesen Auch wenn Capuana selbstredend mit Theweleits Buch zum virilen Faschismus keine Berührungen hatte, so bietet sein Roman gleichwohl ein beeindruckendes Panorama an neurotischen, von Capuana als solchen klug entlarvten Männerphantasien Deshalb sei die soeben zitierte Textpassage noch einmal genauer analysiert: So könnte man «solo ora» übersetzen mit «erst jetzt» - was auch die der deutschen Sprache adäquateste Übertragung darstellt Gleichwohl gilt es in der Interpretation, die Konnotationen des Begriffs und damit weitere 2_IH_Italienisch_76.indd 34 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 35 Pointen der Sprache Capuanas zu berücksichtigen ‘Solo ora’ kann nämlich auch bedeuten: ‘nur jetzt’ Und zwar als sozusagen instantane Strategie der Protagonistin, das ansonsten für sie Unerträgliche irgendwie erträglich zu empfinden Und: Das «solo ora» wird in der besagten Textpassage insofern hervorgehoben, als es mehrfach und damit insistierend wiederholt und durch weitere Vokabeln der Suggestion und Quasi-Überredung ‘in der Psyche’ des Mädchens verstärkt wird: «ecco», «infine» Der «potentissimo effetto», den die Vergewaltigung bei der kleinen Giacinta hinterlässt, ist in seiner ‘Potenz’ ganz und gar nichts Erfreuliches - auch wenn der Text diese Fährte der Deutung durchaus auslegt und damit nichts anderes vollzieht, als Giacintas authentischen Ekel kunstvoll - aber eben auch ‘künstlich’- mit der auch im Roman gesellschaftlich dominanten, männlichen Manipulation zu überblenden Und Letztere wird es schließlich sein, die sich perfide durchsetzen und Giacinta vernichten wird Wenn es im Text heißt: «tornavano a vibrarle nettissime entro l’orecchio molte parole» 30 dann ist dies nicht Giacintas Stimme, die sich hier zu Wort meldet, sondern es ist das phallische Vibrieren der erlittenen Gewalt, welche zunächst mit Beppe und in der Folge mit Giacintas gesamtem Milieu - inklusive der die Männerphantasien ihrerseits bekräftigenden, scheinheiligen Frauenwelt - die Heranwachsende zwingt, das Erlittene zu leugnen und zu verdrängen Und dass Vergewaltigungsopfer sich einreden oder vielmehr ihnen eingeredet wird, dass der Vergewaltiger sie ja tatsächlich liebe und die Gesellschaft in ihrer Leugnung der Geschehnisse immer Recht habe, ist ein in der modernen Psychologie bestens bekanntes Muster, das hier nicht näher ausgeführt zu werden braucht Gesellschaftlich hat dieses Muster, dies ist ebenfalls bekannt, lange Zeit gegriffen Um so bemerkenswerter ist es, dass Giacinta bei Capuana sich diesem Muster - eine Vergewaltigung hat stattgefunden, aber die Umwelt zielt geschlossen darauf, dass dies unter den Teppich gekehrt wird - widersetzt Sie widersetzt sich damit nichts Geringerem als der weiter andauernden sozialen Vergewaltigung, die als gesellschaftlicher Konsens darauf zielt, dass das Opfer sich mundtot für das Erlittene schämen soll Allerdings geben auch Giacintas Bewältigungsstrategien ihrerseits die erlittenen Perversitäten weiter und setzen diese damit personenübergreifend fort Sie rächt sich für das Erlittene, indem auch sie das illudere aufgreift und mit den Männern spielt: «E questo le ispirava un sentimento di postuma gratitudine .» 31 Die «postuma gratitudine» ist hingegen eine «post(tra)uma gratitudine», eine post-traumatische Genugtuung - und als solche hochgradig labil In einem bemerkenswerten Aufbegehren erhält sich Giacinta dabei jene «sensualità della donna», die bereits Beppe als Legitimation missbrauchte, um die Begehrte zu vergewaltigen Und Beppes ‘brutale istinto’, den Capuana auf der medizinischen Folie Cesare Lombrosos zunächst als individuellen Primitivismus schildert, 2_IH_Italienisch_76.indd 35 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 36 wächst sich im Verlauf des Romans in einen Atavismus des kollektiven Hasses aus - in dem im Übrigen, wie bereits erwähnt, die die Männersicht adaptierenden Frauen Giacinta genauso übel mitspielen wie die Männer selbst . 32 Der Text bleibt also in Hinblick auf die Genese des eigentlichen Vergewaltigungs-Traumas weniger stumm, als die Forschung es bislang sehen wollte Denn auch wenn die eigentliche Vergewaltigung im Text gemäß der Konventionen der Zeit nicht geschildert werden kann, scheint sie doch indirekt im Text auf und ist kein ‘blinder Fleck’ Die Schlange, die sich im paradiesischen, biblisch konnotierten Garten der Vergewaltigungsszene räkelt («sdraiava al sole»), wird nämlich Beppe zugeschoben, der analog zur Schlange in einem phallisch konnotierten Akt «allungava le gambe» . 33 Nicht die Frau ist die Eva-Verführerin; es ist der Mann, der sein Begehren mit Gewalt durchsetzt fallbeispiele aus der Übersetzung von Giacinta Für konkrete Übersetzungsentscheidungen sind nicht zuletzt Beobachtungen auf der mikrostilistischen Ebene von Bedeutung, die auch die soeben angeführten Interpretationen und Analysen anlässlich der Erstübersetzung von Giacinta maßgeblich beeinflusst haben Hier sind zum einen die jeweiligen Phänomene adäquat in ihrer Denotation zu erfassen, zum anderen ist in einem zweiten Schritt jeweils eine Entscheidung zu treffen, welcher in der Übersetzungswissenschaft grundlegenden Invarianzforderungen im Einzelfall Vorrang gegeben werden soll, um eine wirkungsäquivalente Lösung zu erzielen Wie im Folgenden deutlich werden wird, stehen die jeweiligen Invarianzforderungen teilweise auch im Widerstreit mit der letztendlich höchsten Invarianzforderung, die hier als Primat der praxisorientierten Pragmatik bezeichnet wird: So sehr eine originalgetreue, alle formalen und inhaltlichen Bestandteile berücksichtigende Übertragung im Bestreben einer Übersetzung auch liegen muss, so ist schließlich doch ein Text zu erstellen, der den Ansprüchen und Zielen des Auftraggebers entspricht Somit steht über allen Einzelentscheidungen stets die Forderung nach einem gut lesbaren, flüssigen, den Normen der deutschen Sprache entsprechenden Text: einem Text in einem ‘guten Stil’ Oftmals ist diese Forderung mit anderen Forderungen kompatibel, manchmal muss eine Kompromisslösung gefunden werden Was dies im Einzelnen bedeutet, soll abschließend an einer Auswahl von Beispielen aus der Übersetzerwerkstatt von Giacinta demonstriert werden: 2_IH_Italienisch_76.indd 36 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 37 A) Motto Wie bereits erwähnt, widmet Capuana seinen ersten Roman Giacinta dem großen Vertreter des französischen Naturalismus, «A Emilio Zola» - «Für Émile Zola», um dann sogleich auf der darauffolgenden Seite eine persönliche, an den Leser gerichtete Stellungnahme abzugeben, in der sowohl (kalkulierte) Rechtfertigung als auch die (fingierte) Bescheidenheit des Künstlers anklingen, und die auf seinen literarischen Ansatz verweist, indem er erklärt, ein ‘wahres’ Kunstwerk schaffen zu wollen: «Ho la coscienza di avere scritto un libro né ipocrita né immorale Così fossi egualmente sicuro di aver fatto, com’era mia intenzione, una vera opera d’arte! » 34 Diese prägnante Stelle des Romans kann nun verschiedentlich übersetzt werden: (1) Ich bin mir gewiss, ein Buch geschrieben zu haben, das weder scheinheilig noch unmoralisch ist Wäre ich doch ebenso sicher, wie es in meiner Absicht stand, ein wahres Kunstwerk geschaffen zu haben! (2) Ich bin mir gewiss, ein Buch geschrieben zu haben, das weder scheinheilig noch unmoralisch ist Wäre ich doch ebenso sicher, geschaffen zu haben, was in meiner Absicht stand, ein wahres Kunstwerk! (3) Ich bin mir gewiss, ein Buch geschrieben zu haben, das weder scheinheilig noch unmoralisch ist Wäre ich doch ebenso sicher, ein wahres Kunstwerk geschaffen zu haben, wie es in meiner Absicht stand Bereits bei diesem kurzen Passus stehen mehrere Entscheidungen in Hinblick auf eine Übersetzung an Wie soll nun die Übersetzung verfahren, um diesen Text wirkungsäquivalent zu transponieren? Aufgrund der Endstellung von «una vera opera d’arte» wird die Bedeutung dieses Begriffes im Original intensiviert und ist als Schlüsselbegriff zu werten Gleichzeitig ist die parallele syntaktische Struktur von «di avere scritto un libro» und «di aver fatto […] una vera opera d’arte» in Betracht zu ziehen, die die Verbindung zwischen dem Roman, dem «libro» und seiner Einordnung als «opera d’arte» betont (vgl dazu unsere vorangegangenen Ausführungen zur poetologisch bedeutsamen «forma» bei Capuana) Weiterhin stellt sich eine lexikalisch- 2_IH_Italienisch_76.indd 37 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 3 8 semantische Schwierigkeit bezüglich der Begriffe «coscienza» und «intenzione», die sich ebenfalls gegenseitig bedingen Für die Übersetzung wurde in diesem Fall die Version (2) gewählt, da so anhand der Endstellung des Schlüsselbegriffes eine besondere Hervorhebung erfolgt Hierfür wurde eine geringfügige semantische Modifikation in Kauf genommen Der Bezug von «Buch» und «Kunstwerk» bleibt - auch im Rhythmus und in der Intonation - in der gewählten Version ebenfalls erhalten In der ersten Version vermindert hingegen die Stellung des eingeschobenen Nebensatzes den Textfluss, gleichzeitig wird, auch durch Intonation, die «Absicht» hervorgehoben Eine Betonung von «opera d’arte» durch die Endstellung kann durch die Verbstellung im Deutschen hier nicht erzielt werden Die dritte Version entspricht wiederum zwar grundsätzlich den o .g Anforderungen, allerdings ist hier die Hervorhebung des Schlüsselbegriffes nicht besonders ausgeprägt B) Die Erzählerinstanz Die Erzählerinstanz in Giacinta ist diejenige des heterodiegetischen Erzählers, der den narrativen Diskurs lenkt Der extradiegetische Erzähler ist nicht Teil der Geschichte, sondern außenstehender Beobachter Entgegen der Forderung nach veristischer impersonalità tritt der Erzähler jedoch immer wieder - teils wertend oder kommentierend - mit einem auktorialen Gestus in den Vordergrund Die auktoriale Präsenz spielt zudem eine Rolle in Hinblick auf den Zeitpunkt der Narration und dessen Einordnung durch den Leser: Wann genau der Akt des Erzählens von Giacinta stattfindet, ist nicht genauer spezifiziert und letztendlich auch unbedeutend Durch die Wahl verschiedener Tempusformen der Vergangenheit lässt sich jedoch implizit ableiten, dass es sich um eine rückblickende Erzählung handelt Gerade an den Stellen hingegen, an denen der Erzähler unmittelbar in Erscheinung tritt, findet auch eine Verwendung des Präsens statt, wodurch sich die zeitliche Distanz zum Leser verringert Stellvertretend sei hier auf eine Stelle aus Kapitel I verwiesen: «Era, credo, la ventesima volta che Andrea Gerace lanciava a traverso il leggìo della musica le sue occhiate di fuoco .» 35 Die Übersetzung hat darauf zu achten, dass die in der Tempuswahl verankerten impliziten Informationen auch in der Übertragung gleichwertig zum Ausdruck kommen So wurde beispielsweise der Erzählereinschub «credo» als Verb übernommen und am Original nachgebildet: «Wohl zum zwanzigsten Mal, glaube ich, schleuderte Andrea seine flammenden Blicke über das Notenpult hinweg […] .» 2_IH_Italienisch_76.indd 38 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 39 Die Übersetzungsstrategie der Transposition, wie z .B «meiner Meinung nach», wäre dagegen in diesem Fall aus den eben genannten Gründen nicht akzeptabel Wer sieht? Wer spricht? - Diese beiden einfachen und doch elementaren Fragen sind es insbesondere, die während des gesamten Translationsprozesses von Giacinta stets im Auge zu behalten waren, um eventuell vorhandene Polyphonien zu erkennen und adäquat zu übersetzen Indem z .B der Erzähler oft hinter seinen Figuren verschwindet und die Handlung sich aus deren Innensicht heraus weiter entspinnt, fokussiert Capuana insbesondere im ersten Kapitel eine geringe Leserdistanz Durch den Einsatz von direkter Figurenrede (mit flankierender Inquit-Formel) sowie autonomer Figurenrede dominiert eine starke szenische Darstellung Ebenso finden sich Stellen mit erlebter Rede, wobei allerdings die später für den Verismus bezeichnenden Passagen im discorso indiretto libero eher wenig vertreten sind . 36 Unmittelbar mit dem Incipit zieht der Autor den Leser durch die direkte Figurenrede als direkten Zuschauer in medias res, da er im Einstieg auf jegliche Erzählerinstanz sowie auf nähere situative oder lokale Einordnung verzichtet, und er lässt stattdessen direkt die Protagonistin mit der prägnanten Anrede «Colonnello! » zu Wort kommen Bei dem sich in der Folge entwickelnden lebhaften Dialog zwischen ihr und Oberst Ranzelli sowie dem umfangreichen Dialog zwischen Giacinta und Andrea im zweiten Teil des ersten Kapitels nimmt der Leser, einer Theaterszene gleich, ohne vermittelnde Erzählerinstanz an der Handlung direkt aus der Sicht der Akteure teil Anders als in der späteren dritten Fassung von Giacinta, die dem veristischen Objektivitätsprinzip folgend weitaus mehr direkte Figurenrede enthält als die erste Version des Romans, finden sich im Originaltext von 1879 im Wechsel mit der szenischen Darstellung und ihrer geringen Leserdistanz längere narrative Passagen, in denen eine allwissende, auktoriale Instanz eingeschaltet wird, die annähernd die Funktion eines Regisseurs übernimmt Neben genauen objektiven Schilderungen des Ambientes und der äußeren Gegebenheiten werden hier insbesondere Gesten, Verhaltensweisen, der individuelle Habitus und Charaktereigenschaften der anwesenden Akteure ausführlich und minuziös geschildert Durch die ausgedehnten beschreibenden Passagen entsteht Schritt für Schritt eine immer plastischere und farbigere Szenerie vor den Augen des Lesers, der gegen Ende des Kapitels wie ein Zuschauer ein Bühnenbild vor Augen hat, in dessen Rahmen sich die Handlung vollzieht, die über die Figurenrede vermittelt wird Bemerkenswert ist dabei gerade in Hinblick auf die programmatische Forderung der impersonalità, dass in Giacinta oftmals ein fließender Perspektivenwechsel von der Innensicht einzelner Figuren, in der Gedanken und Gefühle wieder- 2_IH_Italienisch_76.indd 39 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 4 0 gegeben werden, hin zum auktorial-kommentierenden bzw wertenden Erzähler stattfindet So finden sich im Text auch ironische oder sarkastische Personenbeschreibungen oder direkte Meinungsäußerungen des Erzählers Gekonnt baut Capuana im ersten Kapitel insbesondere über die Dialoge einen Spannungsbogen auf, in dessen Verlauf die einzelnen Protagonisten immer mehr an Substanz gewinnen und der Diskurs andeutungsweise sowohl auf zukünftige als auch auf vorherige Ereignisse verweist, ohne diese genauer zu bestimmen Der Leser wird so bewusst sowohl für die kommende Katastrophe sensibilisiert, als auch in der Spannung des zu Erwartenden belassen, und er kann nur erahnen, dass unter der Oberfläche dieser auf den ersten Blick harmlosen, gutbürgerlichen und konventionellen Gesellschaft, die sich im Salon der Signora Marulli zusammengefunden hat, etwas Unausgesprochenes, Unheilvolles schwelt C) Syntax, rhythmus, rhetorik, lexik Auf syntaktischer Ebene kennzeichnend für Giacinta ist der häufig parataktische, stark rhythmisierte, gewissermaßen ‘impressionistische’ Satzbau mit seinen Reihungen und adjektivischen wie nominalen Aufzählungen, wie ihn Caliri bereits für Profili di Donne als charakteristisch für Capuanas Schreibweise herausgearbeitet hat . 37 Inwieweit dieser ‘stile spezzato’ mit der ihm eigenen Satzmelodie und Rhythmus sowie andere (morpho-) syntaktischen Strukturen wie Partizipial- und Gerundialkonstruktionen als Invarianten in der Übersetzung erhalten bleiben sollen, war eine weitere gewichtige Grundsatzentscheidung in der Übersetzung des italienischen Romans Der kompakte und knappe parataktische Satzbau von Giacinta erzeugt einen schnellen, rhythmischen Textfluss, dem in der Übersetzung Rechnung zu tragen ist Immer wieder erhöht Capuana über kurze, prägnante, teilweise elliptische Sätze das Erzähltempo oder bringt gezielt durch syntaktische Konstruktionen Gemütsstimmungen zum Ausdruck, was in dem vorher analysierten Trauma der Vergewaltigung besonders eindringlich zum Ausdruck kommt Capuana bedient sich bevorzugt verschiedener Positionsfiguren auf syntaktischer Ebene, deren Übertragung meist kein allzu großes Problem darstellt Neben relativ kurzer Syntax finden sich gerade im narrativen Teil auch (teilweise über mehrere Zeilen) lange asyndetische Konstruktionen (oft adjektivischen Reihungen), für deren Beibehaltung die Übersetzung sich im Regelfall entschieden hat In der Übersetzung sind weiterhin parallele Strukturen gleichermaßen auf ihre rhetorische als auch ihre rhythmische Funktion hin zu betrachten Neben den parallelen Strukturen findet sich wiederum die Tendenz zu langen Satzperioden durch Reihungen und Aufzählungen, wozu auch die Interpunktion beiträgt, so das von Capuana im Original häufig verwendete Semikolon Im deutschen Text wird den Gepflogenheiten der 2_IH_Italienisch_76.indd 40 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 41 deutschen Zeichensetzung folgend das Semikolon sparsamer eingesetzt und stattdessen beispielsweise ein Doppelpunkt gesetzt, welcher signalisiert, dass eine genauere Spezifizierung folgt An anderen Stellen wurden sehr umfangreiche, durch Semikolon verbundene Perioden auch in einzelnen Sätze getrennt Bei der Frage nach dem Umgang mit Realienbezeichnungen und der Onomastik hat sich die Manesse-Übersetzung im Sinne der «kulturell verfremdenden Übersetzung», 38 soweit möglich, für den Erhalt des ausgangssprachlichen Lexems (Entlehnung) entschieden, andernfalls für die wörtliche (denotative) Übersetzung und somit das Primat der Bezeichnung Insbesondere im ersten Kapitel von Giacinta kommt den verschiedenen Kulturspezifika eine wichtige Bedeutung als Indikatoren für Milieu, gesellschaftliches Umfeld und Figurencharakterisierung zu (und gibt dem heutigen Leser auch Aufschluss über historisch bedingte Inhalte) . 39 Indem den Mitgliedern der Salongesellschaft im Verlauf des Romans detailliert gehobene (berufliche) Funktionen («procuratore del re», «ricevitore del registro», «colonnello», «avvocato») sowie Titel und Rangkennzeichnungen («conte», «commendatore») zugeschrieben werden, entsteht vor den Augen des Lesers ein klar umrissenes Gesellschaftsporträt des italienischen Ottocento Es ist die Welt der Borghesia, deren Gastgeberin (Giacintas Mutter) sich wohl auch ein wenig mit fremden Federn zu schmücken versucht, indem sie sich mit den Honoratioren der Stadt umgibt Diese Informationen werden zudem subtil über die Erwähnung von bestimmten Gegenständen der Saloneinrichtung, über Gepflogenheiten, Aussehen oder Verhaltensweisen verstärkt Ebenso wurden Lexeme wie Tresette und Briscola im ersten Kapitel wegen des Lokal- und Milieukolorits in ihrer ursprünglichen Form ohne erklärenden Zusätze übernommen, da aus dem Kontext klar hervorgeht, dass es sich hierbei um Kartenspiele handelt Eine genauere Spezifizierung der Begriffe findet sich, den Gepflogenheiten von Manesse folgend, in dem erläuternden Anhang Im Fall des Commendatore (ebenfalls Kap 1) gestaltet sich die Lage etwas schwieriger, da der italienische Begriff dem deutschsprachigen Leser nicht unmittelbar geläufig sein dürfte Die inhaltlich entscheidende, konnotative Information allerdings kann der Rezipient auch der italienischen Form entnehmen: Es handelt sich um eine (ehrenvolle) Bezeichnung, um einen ‚Titel‘ Die Alternative einer wörtlichen Übersetzung als «Komtur» wäre (im Sinne von «geistlicher Ordensritter») nicht überzeugend gewesen Dem italienischen Leser damals wie heute dürfte der Begriff als Ehrentitel für den Träger eines Ordens hingegen geläufig sein Es dürfte sich im Falle des hier betitelten Commendatore Savani um einen Verdienstorden 3 Grades, das Kommandeurskreuz handeln, das als Ordine della Corona d’Italia (Ver- 2_IH_Italienisch_76.indd 41 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 42 dienstorden der Krone Italiens) ab 1868 verliehen wurde . 40 Die Übersetzung hat sich also für die Option der Entlehnung mit einer ergänzenden Erklärung entschieden, nicht zuletzt auch, um auf der Hand liegenden Assoziationen des deutschsprachigen Lesers mit dem «Komtur» aus Mozarts Don Giovanni aus dem Weg zu gehen Ein letztes Beispiel sei abschließend angeführt Wie schon weiter oben erwähnt, tritt in Giacinta immer wieder eine auktoriale Erzählerstimme auf, die kommentierende oder auch wertende Akzente setzt Dies geschieht zum einen über affektiv gefärbte Adjektive wie «la povera bimba», 41 gerne benutzt Capuana aber auch Diminutive oder Pejorative, die den beschriebenen Sachverhalten eine subjektiv-emotionale Färbung verleihen und den Text darüber hinaus literaturwissenschaftlich mit besonderen Akzenten versehen Dies ist etwa der Fall bei der kleinen Giacinta, die völlig sich selbst überlassen aufwächst, Tag für Tag über das Land streift und völlig verwildert Gerade zu Beginn von Giacinta finden sich leitmotivische Metaphern aus dem Bereich ‘Wildheit’, ‘Natur’ sowie ‘Flora und Fauna’ Die Übersetzung ist angehalten, diese hintergründigen metaphorischen Verweise auch im zielsprachlichen Text zu erhalten Im vorliegenden Fall gerät die Übersetzung durch die Polysemie des Begriffes orso in einen Konflikt zwischen zwei Extremen: einer möglichst dem Wortlaut entsprechenden Version und einer sinnerhaltenden Adaptation In einem ersten Schritt evoziert Capuana durch die metaphorische Ersetzung von «Giacinta» durch «orsacchina» (= Bärenjunges) die Symbolik der wilden, ungezähmten Natur und beschreibt Giacintas Verhalten (eine Mischung aus Trotz, Scheu und Angst) beim sporadischen Pflichtbesuch der Mutter als abweisend und verstockt Das Lexem orsacchina, das in gängigen Lexika nicht zu finden ist, 42 offenbart zudem ein Problem auf diachroner Ebene, da es sich um einen veralteten bzw ungebräuchlichen Begriff handelt Kurz darauf bedient sich Signora Marulli einer alltagssprachlich verankerten metaphorischen Redewendung, als ihr wenig schmeichelhaft der Ausruf «Ma è un orsa! » entfährt, 43 mit dem sie Giacinta als ‘bockig’ charakterisiert, und der ihre nicht allzu mütterlichen Gefühle verrät Den schroffen Aussagecharakter dieser feststehenden Redewendung (im Sinne von ‘Eigenbrötler’, ‘komischer Kauz’, ‘sturer Bock’) versucht die Mutter direkt im Anschluss durch das Diminutiv «un’orsacchina» zu relativieren, 44 das hier nun eben, anders als weiter oben, einen anderen konnotativen Charakter erhält, indem durch die Verniedlichung der erfolgte Fauxpas ausgeglichen und in eine scheinbar herzliche Äußerung umgewandelt werden soll . Als Strategien der Übersetzung stehen hier nun zwei mögliche Verfahren zur Auswahl: Version 1 stellt den Versuch einer möglichst eng am Original orientierten Übertragung durch den Erhalt der Denotation (orso=Bär) 2_IH_Italienisch_76.indd 42 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 4 3 dar, die sich durch den im Deutschen verankerten Begriff des ‘Brummbären’ auch auf idiomatischer Ebene durchführen lässt Allerdings stellt sich hier ein Problem: Während das Bild des Bären im Original als Metapher für Wildheit, Ungezähmtheit sowie abwehrendes Verhalten versteht, überlagern in der deutschen Version andere Konnotationen das Bild des Bären (kuschelig, tapsig, niedlich, selbst ‘Brummbär’ wird tendenziell positiv konnotiert) und sind so in der Übersetzung kontraproduktiv Auch auf morphologischer Ebene ist die Lösung nicht zufriedenstellend, da hier die weibliche Genusmarkierung nicht nur verloren geht, sondern im Falle des ‘Brummbären’ sogar durch eine im Grunde inhaltlich nicht angebrachte Maskulinform ersetzt werden muss Als Lösung hat sich die Übersetzung deshalb für eine zweite, andere Version entschieden Diese Variante nutzt die Übersetzungsstrategie der inhaltlichen Perspektivenverschiebung (Adaptation), indem eine andere Tiermetapher gewählt wird, die im kulturellen Raum der Zielsprache die intendierten Konnotationen repräsentiert Auch wenn keine vollständige semantische Übereinstimmung gefunden werden konnte, sieht die Übersetzung in dem Bild der Wildkatze eine wirkungsäquivalente Lösung Die der Wildkatze zugeschriebenen Eigenschaften wie ‘nichtdomestiziert’, ‘eigensinnig’, ‘scheu’, aber auch das Bild der fauchenden Katze, die ihre Krallen zeigt, kommen dem Original in der deutschen Übertragung deutlich näher als die Bärenmetapher Die intendierte Verniedlichung von «un’orsacchina addirrittura» wird im Deutschen subtil durch eine leichte Bedeutungsverschiebung erzielt: im «wilden Kätzchen» schwingt eben nicht nur die ‘Wildkatze’ mit, sondern die Konnotation ‘junges (Haus-)Kätzchen, verspielt und niedlich’ Zudem birgt diese Lösung im Gegensatz zur ersten Version auf morphologischer Ebene den Vorteil, dass die Genusmarkierung durchweg analog beibehalten werden kann Und dass Giacinta kein harmloses (männliches) ‘Bärchen’ in Capuanas Text vorstellt, sondern eine spezifisch weibliche Figur, deren Wildheit und Stolz im Text eine tragende Funktion übernehmen, ist im Vorangegangenen detailliert analysiert worden In diesem Beispiel fusionieren Übersetzung und Interpretation auf das Engste miteinander und machen Giacinta nicht zuletzt aus diesem Grund zu einem Roman, der im 21 Jahrhundert dem nicht des Italienischen mächtigen Lesepublikum in deutschsprachigen Ländern nicht länger verschlossen bleiben sollte Die Erstausgabe der deutschen Übersetzung im Manesse-Verlag verschafft hier künftig Abhilfe Abstract. Sebbene le opere più mature di Luigi Capuana come Il marchese di Roccaverdina o le sue Fiabe italiane siano disponibili in una traduzione tedesca, il pubblico tedesco finora ha dovuto rinunciare al suo primo romanzo Giacinta In primavera del 2017 però, la casa editrice Manesse, 2_IH_Italienisch_76.indd 43 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 4 4 Monaco, pubblicherà questa «vera opera d’arte» dimenticata in una traduzione di Stefanie Römer, postfazione di Angela Oster Il saggio presente ricapitolerà alcuni degli aspetti, ragionamenti e risultati scientifici più interessanti, che hanno accompagnato e influenzato il processo della traduzione Contrariamente alla tradizione editoriale italiana, la traduzione tedesca si fonda sulla prima edizione del 1879, la cui pubblicazione provocò uno scandalo letterario E infatti il Capuana, che dichiarò «di aver scritto un libro né ipocrita né immorale», scelse un soggetto allora tutto nuovo, un ‘vero’ «caso di patologia morale» (discorso narrativo, che è rimasto fino ad oggi nel focus del interesse scientifico) Benché la prima Giacinta non mostri ancora chiaro e tondo tutte le tipiche caratteristiche «veriste» come la impersonalità, il romanzo rivela già le idee artistiche del Capuana, ed è ricco di una lucidità nonché di sfumature ed effetti, che si perderanno nelle future edizioni rivedute dall’autore del 1886 e del 1889 Pur essendo in fondo un grande sostenitore del naturalismo francese, Capuana comincia ben presto a sviluppare una sua teoria dell’arte concentrandosi sulla «forma» e sul «vero» (comprese tutte le faccette emozionali, per non dire psicologiche dei sui personaggi), che lo allontanerà sempre di più dal suo idolo Zola (cioè dal concetto di milieu e hérédité) e lo renderà uno dei più importanti rappresentanti del verismo con un suo stile individuale Capuana, abile giocatore di parole, dà a tutto quello un significato affatto nuovo e sorprendente, e fa capire al lettore attento che ci sono anche delle verità scritte tra le righe Fu proprio questa politonalità su diversi livelli linguistici, semantici e simbolici una delle grandi sfide per la traduzione, che perciò scelse un approccio ermeneutico per soddisfare le esigenze dell’originale anche nella versione tedesca, di cui alcuni processi e decisioni verranno discussi nel presente saggio Anmerkungen 1 Vgl . zu diesem Text: Oster 2016 2 Luigi Capuana, Giacinta, übers . von Stefanie Römer, Nachwort von Angela Oster, München: Manesse 2017 3 Der vorliegende Aufsatz verdankt sich einer äußerst produktiven Kooperation beider Autorinnen und fusioniert viele gemeinsame Gespräche und Notizen zum Thema, sowie die von Angela Oster betreute Masterarbeit von Stefanie Römer im Rahmen des Studiengangs «Literarisches Übersetzen» an der LMU München («Luigi Capuana: Giacinta Erstübersetzung und Kommentar») sowie die beiden Vorträge der Autorinnen an der Universität Hamburg/ Italienisches Kulturinstitut am 3 . Juli 2015 zum Thema: «Eine italienische Madame Bovary? Zum Übersetzungsprojekt Giacinta» (im Rahmen der Tagung «Luigi Capuana . Zwischen Realismus und Spiritismus») . Die Anmerkungen zur literaturwissenschaftlichen Interpretation stammen hauptsächlich von Angela Oster 2_IH_Italienisch_76.indd 44 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 4 5 (und greifen in diesem Aufsatz Passagen aus dem Manesse-Nachwort auf; vgl . Anm . 2); diejenigen zur Übersetzung des Romans weitgehend von Stefanie Römer 4 Vgl . Madrignani 1970, S . 288 5 Für das Manesse-Projekt wurde eines der wenigen noch existierenden Exemplare der ersten Auflage von 1879 in der Bayerischen Staatsbibliothek München (Heyse-Archiv) konsultiert; im vorliegenden Aufsatz wird aus praktischen Gründen die Ausgabe von Mondadori (im Folgenden als Sigle: Capuana 14 1980) herangezogen: Luigi Capuana, Giacinta secondo la 1a edizione del 1879, a cura di Marina Paglieri (1 . ed ., 5 . rist . ed .), Milano: Mondadori 1980 . Um die Verlässlichkeit der Mondadori-Ausgabe zu garantieren, wurde ein stichprobenartiger Vergleich mit dem Original vorgenommen, der folgende Schlüsse zulässt: Die Mondadori-Ausgabe hält sich bis auf wenige, minimale Abweichungen (Beispiele für Modifikationen: Präposition sur ➝ sul, Akzente perchè ➝ perché) akribisch an das Original aus dem Jahr 1879 6 Vgl . dazu Meter 1986, S . 2 7 Regn hat seine Überlegungen zusammengefasst in: Regn 2011 . Daran anschließend vgl . die Beiträge von Nelting 2008 sowie Scholler 2014 8 Vgl . Meter: 1986, S . 4 . Vgl . ähnlich Romboli: 2007, dort S . 86 9 Vgl . Madrignani, passim . Die Bewunderung für seine intellektuellen ‚Ziehväter‘ findet ihren Niederschlag auch in Capuanas Giacinta, wo in der zweiten Hälfte des Romans die Figur des Doktor Follini in ihrer wissenschaftlichen Orientierung in Hinblick auf die genannten prominenten Namen charakterisiert wird (vgl . Capuana: 14 1980, S . 160 f .) 10 Capuana 1994, S . 47 f 11 Ebd ., S . 36 12 Capuana 14 1980, S . 2 13 Capuana 14 1980, S . 161 . So ordnet Regn Giacinta dem Dekadenzdiskurs (des französischen Naturalismus) im Sinne eines wissenschaftlichen Begriffes zu, der den Verfall und den «biologischen Niedergang» (Regn 2011, S . 217) umfasst . Dieser «medizinanthropologische Diskurs» (ebd .) stößt nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen auf reges Interesse, sondern findet auch beim Laienpublikum im Ottocento großen Anklang und wird von den zeitgenössischen literarischen Strömungen aufgegriffen . Neue Entdeckungen und Ideen wie Darwins Evolutionstheorie, die medizinischen Ansätze eines Claude Bernard, Jean-Martin Charcots neurologische Studien oder Cesare Lombrosos atavistische Gedankenkonstrukte, um nur einige zu nennen, bringen gesellschaftliche und anthropologische Diskussionen in Gang, die ihren Niederschlag auch in der Literatur finden 14 Capuana 14 1980, S . 49 15 Vgl . hierzu Nelting 2009, S . 254, demzufolge Curare im narrative Kontext als Indiz für den zentralgestellten positivistisch-szientistischen Bezug als «Darstellungsgegenstand der Narration» steht 16 Dass Capuana ohne Zweifel einen Selbstmord im Sinn hatte, ist seinem Vorwort zur dritten Fassung explizit zu entnehmen, wo er schreibt: «E quando Giacinta, visto crollato ogni suo sogno di felicità, si punse disperatamente con lo spillo intinto nel curare, e Andrea esalò il suo egoismo d’amante in un triste respiro di sollievo […] .» (Luigi Capuana, Giacinta . 3a edizione riveduta con prefazione dell’ autore, Catania: Giannotta 1889, S . XII) . - Allerdings kommt Giacintas Todeskampf in Capuanas ‚scrittura‘ indirekt meisterhaft zur Sprache, nämlich im parallel stattfindenden Abendspaziergang Andreas, dessen Weg von einer Isotopie des Agonalen, Sterbenden, Funebren begleitet wird: «Quando si trovò innanzi […] come qualcosa di funebre»; «i scarsi fanali agonizzavano», «lanterna così smorta»; «come qualcosa di funebre»; «Era inzuppato di umido»; «già cominciava a piovigginare» (Capuana 14 1980, S . 211 f .) 2_IH_Italienisch_76.indd 45 23.12.16 09: 52 Luigi Capuanas Giacinta Angela Oster / Stefanie Römer 4 6 17 Capuana 14 1980, S . 211 18 Capuana 14 1980, S . 157 19 Vgl . dazu Regn 2011, S . 222 f 20 Vgl . hierzu Regn 2011, S . 229 f 21 Vgl . zum ‚Spiritismus‘ Capuanas den Beitrag von Ornella Fendt in diesem Heft 22 Vgl . im Originaltext Capuana 14 1980, S . 32 23 Capuana 14 1980, S . 32 24 Vgl . die überzeugenden Ausführungen bei: Regn 2011, S . 235 ff 25 Capuana 14 1980, S . 171 26 Capuana 14 1980, S . 52 27 Capuana 14 1980, S . 58 28 Capuana 14 1980, S . 39 29 Vgl . Theweleit 2000, passim 30 Capuana 14 1980, S . 39 31 Capuana 14 1980, S . 40 32 Deshalb sind ‘Mann’ und ‘Frau’ im Sinne der modernen Gender-Theorien hier auch nicht als moralisierende, sondern ideologisierende Kategorien zu verstehen, d .h . in Capuanas Romanwelt gibt es keine ‘bösen’ Männer, denen ‘unschuldige’ Frauen gegenüberstünden, sondern es handelt sich um soziale Mechanismen von Macht und Ohnmacht 33 Capuana 14 1980, S . 32 34 Capuana 14 1980, S . 2 35 Capuana 14 1980, S . 6 36 Capuana 14 1980, S . 48 . Ein Beispiel hierfür findet sich auch in Kapitel III, wo sich Capuana des discorso indiretto libero bedient, als er Camillas ununterbrochenen Redefluss darstellt 37 Vgl . Caliri 1980, S . 17, 19 38 Vgl . Schreiber 1993, S . 183 39 Weiterführende Informationen zu den gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Gegebenheiten Ende des Ottocento sind zu finden in: Ferraboschi 2003 und Bruni 2011 40 Vgl . Cartone 1984, S . 47 41 Capuana 14 1980, S . 27, 33 42 Vgl . Zingarelli 11 1986, S . 1293): «orso (fig .) persona burbera e poco socievole: è un orso e non esce quasi mai di casa; non fare l’orso e cerca d’essere un po’ gentile! » 43 Capuana 14 1980, S . 20 44 Ebd Bibliographie Capuana, Luigi: Giacinta, übers . von Stefanie Römer, Nachwort von Angela Oster, München: Manesse 2017 Capuana, Luigi: Per l’arte, Napoli u .a .: Ed . Scientifiche Italiane 1994 Capuana, Luigi: Giacinta . 3a edizione riveduta con prefazione dell’ autore, Catania: Giannotta 1889 Capuana, Luigi: Giacinta secondo la 1a edizione del 1879, a cura di Marina Paglieri (1 . ed ., 5 . rist . ed .), Milano: Mondadori 1980 Bruni, Emanuela: La donna in Italia 1848-1914, Milano: Silvana 2011 2_IH_Italienisch_76.indd 46 23.12.16 09: 52 Angela Oster / Stefanie Römer Luigi Capuanas Giacinta 47 Caliri, Francesco: Il primo Capuana . La prosa narrativa: aspetti e problemi linguistici, Roma: Editrice Herder 1980 Cartone, Massimo: Ordini Cavallereschi del regno d’Italia, Milano: Federico Motta 1984 Ferraboschi, Alberto: Borghesia e potere civico a Reggio Emilia nella seconda metà dell’Ottocento 1859 - 1889, Soveria Mannelli (Catanzaro): Rubbettino 2003 Gadebusch Bondio, Mariacarla: «La vita oltre la morte: spiritismo, ipnotismo ed esperienze metapsichiche nei romanzi e nelle novelle di Capuana», in: Italienisch Nr . 38/ November 1997, S . 38-50 Madrignani, Carlo A .: Capuana e il naturalismo, Bari: Laterza 1970 Meter, Helmut: Figur und Erzählauffassung im veristischen Roman . Studien zu Verga, De Roberto und Capuana vor dem Hintergrund der französischen Realisten und Naturalisten, Frankfurt am Main: Klostermann 1986 Nelting, David: «Positivismus und Poetik . Überlegungen zur doppelten Wirklichkeitsmodellierung in Germinie Lacerteux und Giacinta», in: Romanistisches Jahrbuch 59 (2008), S . 238-261 Oster, Angela: «Novecento nord/ sud . Verità e punti cardinali nello specchio d’Europa (Luigi Capuana, Leopoldo Franchetti e Sidney Sonnino)», in: Localisations de l‘EuropeSémiotiques culturelles des points cardinaux (=Babel . Littératures plurielles 32/ 2016), hrsg . von Sebastian Neumeister und Stefanie Wodianka; abrufbar unter: http: / / babel .revues .org/ 4314 Regn, Gerhard: «Genealogie der Dekadenz: Moralpathologie und Mythos in Capuanas Giacinta», in: Romanistisches Jahrbuch 62 (2011), S . 215-239 Romboli, Floriano: «L’arte ‘impersonale’ e l’opera romanzesca di Luigi Capuana», in: Il verismo italiano fra naturalismo francese e cultura europea, a cura di Luperini, Romano, San Cesario di Lecce: Manni 2007, S . 83-118 Scholler, Dietrich: «Verismus und Diskurskritik . Anmerkungen zu Luigi Capuanas Giacinta», in: Anfänge vom Ende . Schreibweisen des Naturalismus in der Romania, hrsg . von Lars Schneider und Jing Xuan, Paderborn: Fink 2014, S . 285-302 Schreiber, Michael: Übersetzung und Bearbeitung . Zur Differenzierung und Abgrenzung des Übersetzungsbegriffs, Tübingen: Gunter Narr Verlag 1993 Theweleit, Klaus: Männerphantasien 1 + 2, München: Piper 2000 Zingarelli, Nicola: Lo Zingarelli vocabolario della lingua italiana, Bologna: Zanichelli 11 1986 2_IH_Italienisch_76.indd 47 23.12.16 09: 52 4 8 h ElMut M EtEr luigi Capuanas Il marchese di Roccaverdina Möglichkeiten und grenzen veristischen Erzählens 1. Capuanas kulturelle Vielseitigkeit und die exponierte rolle des Marchese di Roccaverdina Luigi Capuanas später Roman Il Marchese di Roccaverdina (1901) gilt den Literaturhistorikern seit langem als sein bester und bedeutendster Dies ist nachdrücklich zu betonen im Hinblick auf die sich abzeichnende Wiederentdeckung eines Schriftstellers, der an der Wende zum 20 Jahrhundert Italiens meistgelesener literarischer Autor war . 1 Verdankte er diesen Erfolg seiner erstaunlichen Vielseitigkeit als sachkundiger Theoretiker, Kulturvermittler, Schreiber in unterschiedlichen Genres und als Propagator aktueller Wissenschaftskonzepte, so hat wahrscheinlich gerade diese Breite seines Wirkens auch dazu beigetragen, dass er längere Zeit in Vergessenheit geriet Verbindet sich mit seinem Namen nicht zuletzt die Kategorie veristischen Erzählens, so stand er allmählich dennoch im Schatten Giovanni Vergas, der sich nach einer Zeit relativen Misserfolgs am Ende eines kontinuierlichen Zuspruchs seitens des Publikums erfreuen konnte und immer noch kann Denkt man an Capuana, hat man die Vermittlung der kulturellen und wissenschaftlichen Diskurse, aber auch der Moden aus Paris im Sinn; man sieht ihn als Vertreter der Kinderliteratur auf den Spuren der Erzählung Scurpiddu; man hat ihn in Erinnerung als Experten der volkstümlichen Traditionen Siziliens, als versierten Literaturkritiker, als Experten und Propagator neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Theorien, als markanten Interessenten am Phänomen des Spiritismus, kurzum: als multitalentierten homme de lettres . 2 So zählt er zum kleinen Kreis solcher Autoren, die trotz umfassender Anerkennung zu Lebzeiten keine bleibende Resonanz gefunden haben, nicht weil sich ihr Œuvre historisch als inkonsistent erwiesen hätte, sondern weil sich aus einem weiten Tätigkeitsfeld keine dominante kulturelle Formel hat ableiten lassen, die sich als dauerhaftes Qualitätszeichen hätte etablieren können . 3 Doch eine Renaissance des Interesses an Capuana ist bereits in Gang, und sie betrifft nicht zuletzt seine beiden seinerzeit Aufsehen erregenden Romane, die Émile Zola zugeeignete Giacinta (1879), den ersten veristischen Roman Italiens, sowie Il marchese di Roccaverdina, in dem mit einigem Recht eine Art Summe von Capuanas Erzählerkarriere gesehen werden darf 2_IH_Italienisch_76.indd 48 23.12.16 09: 52 Helmut Meter Il marchese di Roccaverdina 4 9 Dieser Text soll im Folgenden näher betrachtet werden, wobei seine paradigmatische Etikettierung als veristisch durch die Forschungsliteratur den Leitfaden, aber auch den Anlass zu kritischer Überprüfung bieten soll . 4 2. Die Erzählfabel des romans und das Problem seiner veristischen gestaltung Die Grundzüge der im fiktiven sizilianischen Ràbbato angesiedelten Erzählfabel sind rasch skizziert . 5 Nach zehn Jahren gemeinschaftlichen Lebens hat sich Antonio Schirardi di Roccaverdina, einem altaristokratischen Geschlecht entstammend, von seiner Geliebten Agrippina Solmo getrennt, der Tochter einer Olivenpflückerin Den überkommenen Machtverhältnissen entsprechend, hat er die seinerzeit Sechzehnjährige zum Konkubinat genötigt, was diese widerspruchslos hinnahm, eingedenk von jeher unabänderlicher Machtstrukturen Da der Marchese Agrippina nicht in den Armen eines anderen Mannes wissen möchte, nötigt er sie und Neli Casaccio, einen seiner Getreuen, zu einer Eheschließung, die ein geheimes Keuschheitsgelöbnis beinhaltet Doch die Eifersucht lässt ihn alsbald Neli erschießen, ohne dass er in Mordverdacht geriete Ein Unschuldiger wird verurteilt, und der Marchese sieht sich durch seine Gewissensbisse und weitere psychische Probleme in zunehmender seelischer Bedrängnis Hierzu zählt auch die der Familientradition geschuldete Heirat mit Zòsima Mugnos, einer verarmten Altaristokratin, die sein Desinteresse an ihr zu spät bemerkt und die nach wie vor bestehende emotionale Bindung an die frühere Geliebte erkennt Antonio di Roccaverdina aber sieht sich immer mehr inneren Problemen ausgesetzt, eine seelische Verfassung, die sich schließlich zu einer gravierenden Krankheit verdichtet, in deren Verlauf seine Mordtat zutage tritt und er am Ende im Krankheitsbild des ebetismo den Verstand verliert und dem Tode geweiht ist Agrippina Solmo eilt herbei, um ihm unterwürfig dienstbar zu sein, seine Ehefrau hingegen verlässt ihn und nimmt ihr vorheriges Leben in Armut wieder auf Kann angesichts dieser Geschehenselemente - so ist zu fragen - der Verismo noch Fluchtpunkt oder Integrationsrahmen des Erzählten sein? Der Verismo ist grundsätzlich geeignet, eine im Prinzip statische Welt zu fixieren, ganz so, als sei jede mögliche Weiterentwicklung durchaus aufgehoben innerhalb der Koordinaten des positivistischen Erklärungsmodells . 6 Der Wandel von Welt und Gesellschaft wäre demnach ein nur äußerlicher, der Hypothese entsprechend, allem Geschehen liege ein panchronisches Ordnungsprinzip zugrunde, das letzten Endes mit dem Linné’schen Leitsatz von Natura non facit saltus essentiell umschrieben wäre Ein Verismo, der sich für die literarische Modellierung beobachtbarer oder imaginativer Welt diese Position in 2_IH_Italienisch_76.indd 49 23.12.16 09: 52 Il marchese di Roccaverdina Helmut Meter 50 aller Strenge zu eigen machte, würde sich freilich alsbald als epistemologisches Fehlverhalten erweisen Es darf mithin unterstellt werden, dass Capuana einen anderen Weg beschreitet Sein ausgeprägtes und über Jahrzehnte hinweg belegbares Interesse an allen kulturellen Neuorientierungen, seine kontinuierliche Beobachtung der literarischen Szene nicht zuletzt Frankreichs, sein sehr privilegierter Einblick in das Schaffen befreundeter Autoren wie Verga und De Roberto, 7 durften ihn sicherlich nicht an der Historizität erzählerischer Verfahren zweifeln lassen So ist es plausibel, dass sein 1901 erschienener Roman mehr als eine konzeptionell erweiterte oder perfektionierte Version des Erzählhabitus von Giacinta sein musste Dafür sprechen auch eine nahezu zwanzigjährige Befassung mit dem Roman, dessen stetiges Wiederaufgreifen nach Phasen der Distanz und eine fast leitmotivische Unzufriedenheit mit dem jeweils Erreichten . 8 Dementsprechend musste der Roman auch eine differentia specifica gegenüber den zwischenzeitlich erschienenen Erzählwerken weiterer Veristen aufweisen, musste er eine sizilianische Welt ins Blickfeld rücken, die zumindest andere Facetten bereithält als die gewichtigen Texte der übrigen hervorstechenden Ostsizilianer - ohne diese indessen ob ihrer Errungenschaften zu dementieren Anders gesagt: Ein sizilianischer Erzähler der Jahrhundertwende, der sich in einem Spätwerk der sizilianischen Provinz zuwendet, 9 baut unwillkürlich einen Erwartungshorizont auf, dem er sich nicht ganz entziehen kann Getragen wird die Romankonstruktion von einer ebenso elementaren wie effektvollen Figurenkonstellation: Die Titelfigur steht zwischen zwei Frauen Agrippina Solmo ist hierbei die insgesamt interessantere, weil semantisch gesehen eine bipolare Figur . 10 Einerseits verkörpert sie das archaische Prinzip des uneingeschränkten Aufgehens in der angestammten Rolle servilen Selbstverständnisses Dementsprechend schreiben sich die Kategorien ihres Tuns in eine zeitlose Tradition des sozialen Verzichts ein und sind folglich überindividuell begründete, schichtspezifische Verhaltensmuster Andererseits keimen in dieser Figur sporadische Anwandlungen sozialer Veränderbarkeit auf So sieht sie sich rückblickend als «vera padrona» (S 26) des Roccaverdina-Palasts und ist auch nahe daran, das Keuschheitsgelöbnis zu brechen Insbesondere aber ist ihre abschließende Genugtuung hervorzuheben, von dem Marchese geliebt worden zu sein Solcherart stellt sich Agrippina als Symbolfigur potentieller sizilianischer Alterität dar bei gleichzeitiger Bestätigung des Paradigmas eines semper idem der gesellschaftlichen Hierarchie und somit auch als Musterexemplar eines würdevollen Menschentypus, dessen zeitenthobene Daseinsform eine geradezu uranfängliche Idealität ins Bild setzt 2_IH_Italienisch_76.indd 50 23.12.16 09: 52 Helmut Meter Il marchese di Roccaverdina 51 Demgegenüber lebt Zòsima Mugnos in einem gebrochenen Selbstverständnis Das Bewusstsein altaristokratischer Größe ihrer Familie paart sich mit dem Erleben ökonomischer Dekadenz Über die topische Resignationsformel von «ormai» 11 zeichnet sich eine substantielle Verzichtshaltung ab, deren als schicksalhaft begriffene Notwendigkeit durchaus ein Pendant zu der über viele Generationen eingeübten Unterwürfigkeit der bäuerlichen Unterschicht darstellt In diesem Sinne weisen die Entwicklungslinien der zentralen Frauengestalten des Romans in konvergierende, aber auch in konträre Richtungen Virtuell gesehen, liegt sogar ein sozialer Aufstieg der Agrippina durchaus nahe, während die salvierende Reintegration der Zòsima in die - mittelfristig verlorene - Lebensführung der Aristokratie von Anbeginn unter einem Unstern steht Parallelität und Opposition der Frauenfiguren kommen indes essentiell in den Bewusstseinsvorgängen des Protagonisten zum Tragen, sind wechselnde Funktionen seiner unsteten psychischen Disposition Auf diese Weise verlagert Capuana den Aspekt sozialer Entwicklungsparameter beträchtlich auf die Ebene des geistig Virtuellen So entscheidet sich in der Innenwelt des Marchese, welche Konturen die soziale Außenwelt hypothetisch anzunehmen vermöchte Die Verfestigung der alten Tradition ist hierbei eine gleichberechtigte Option im Verhältnis zur eventuellen Markierung eines gesellschaftlichen Wandels Damit zeigen sich freilich beide Frauengestalten nicht unerheblich als sekundäre mentale Gebilde, insofern ihr unmittelbarer Status als Erzählfiguren sich ihrer Funktion als psychischer Konstruktionen einer in der narrativen Hierarchie höher angesiedelten Figur verbindet 3. Verismo und introspektiv angelegtes Erzählen: der experimentelle Charakter von Capuanas Verismo Im Hinblick auf das Prinzip unpersönlichen Erzählens, wie es Verga seit seinen sizilianischen Novellen zur Norm erhoben hatte, lässt sich dieses Vorgehen offenbar nur bedingt als veristisch bezeichnen Eine impassibilità, eine Objektivität des Erzählens steht letztlich in Frage, da die Referenz auf psychische Vorgänge - auf Reflexionen, Emotionen und unwillkürliche innere Regungen - ein ungleich höheres Potential an spekulativer Erzählorganisation erfordert denn die Modellierung von Figuren und Ereignissen, die als in strikter Außensicht wahrgenommen gelten sollen So tritt deutlich zutage, dass der introspektive Habitus zumal des Marchese in manchem seine Nähe zur Technik der traditionellen Auktorialität nicht verbergen kann, wiewohl die Artikulationsmodi des discorso indiretto libero wie des inneren Monologs und folglich die Suggestion unmittelbarer subjektiver Sicht ausgiebig Verwendung finden 2_IH_Italienisch_76.indd 51 23.12.16 09: 52 Il marchese di Roccaverdina Helmut Meter 52 Die demnach eingeschränkte Objektivität der Narration ist der Preis, den Capuana für das ambitionierte Ziel entrichten muss, einen vollständigeren Wirklichkeitseffekt hervorzubringen, der eben auch der geistig-seelischen Dimension der Figuren Rechnung tragen will Kategorial gesehen, darf dies jedoch immer noch als veristisch bzw naturalistisch gelten, sofern man sich die Postulate von Hippolyte Taine in De l’intelligence zu eigen macht, der letztlich als Komplement des wissenschaftsanalogen Erzählens, wie es Zola in seinem Roman expérimental (1880) darlegt, gerade die Berücksichtigung auch der «âme humaine», 12 mithin der Innenseite des Menschen einfordert Demzufolge gestaltet sich das Vorhaben Capuanas als zweifellos umfassender und letzten Endes komplexer, als man es etwa bei den prominenten Veristen Verga und De Roberto vorfinden kann, wenn man als Maßstab die Anforderungen des narrativen Profils vor Augen hat Dies macht den Marchese di Roccaverdina denn auch zu einem bedeutenden Roman, 13 wobei sich in diesem obendrein eine zukunftsträchtige Dimension ansatzweise abzeichnet: Der Erzähltext offenbart seinen experimentellen Charakter im Hinblick auf das Konzipieren psychischer Prozesse Ein solches Erzählen als Such- und Erprobungsform des noch nicht oder erst kaum Etablierten ist im Grunde als eine unmittelbare Folge von Capuanas spekulativ-unkonventioneller Einstellung zu betrachten, die sich im Übrigen immer wieder in seinen kritischen Schriften bemerkbar macht . 14 Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Frage, ob und inwieweit Il Marchese di Roccaverdina als ein veristisches Erzählwerk zu bewerten ist, auch anders gestellt werden kann Aussagekräftiger lautet sie nämlich, in welchem Ausmaß der Autor die Grenzen des Verismo gezielt verschiebt, um dadurch am Ende eine vollständigere Konzeption veristischen Erzählens zu erreichen Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass der Begriff des vero, der semantische Kern von Verismo, in der zeitgenössischen Aktualität seiner Verwendung vielfach nur einen approximativen Aussagewert hatte Die psychologische Komponente des Terminus erwies sich nur in Umrissen als objektivierbar Bei einer Begegnung von Émile Zola und Giovanni Verga in Rom trat dies beispielhaft in Erscheinung So lobte Zola anschließend seinen Gesprächspartner, den Hauptvertreter des Verismo, als interessante Person, bemängelte aber zugleich, ihm fehle es an «théories bien arrêtées», an klar umrissenen Konzepten . 15 Die Ausrichtung am Prinzip des vero musste offenbar als unzulänglich empfunden worden sein Daraus ist zu schließen, dass der Spielraum des Möglichen im Rahmen des Verismo nicht knapp bemessen ist 2_IH_Italienisch_76.indd 52 23.12.16 09: 52 Helmut Meter Il marchese di Roccaverdina 53 4. Die unbestimmte Ätiologie im Krankheitsbild des Protagonisten als grundlage für ein elastisches veristisches Erzählmodell Dies konnte sich Capuana denn auch zunutze machen Dabei bietet sich besonders die Figurenpsychologie als ein geeigneter Sektor für die Entfaltung neuer Ideen, Konzepte und Versuchsformen an . 16 Anders gewendet: Ein elastisches veristisches Erzählmodell ist partiell aufnahmefähig für Inhalte, die im strikten Sinne mit einer positivistischen Denkungsart, sprich: der wissenschaftstheoretischen Basis des Verismo, schwer kompatibel sind Hier ist in erster Linie zu denken an die Ätiologie im Krankheitsbild des Antonio di Roccaverdina Die sich anbietenden Lesarten im Hinblick auf Herausbildung, Entfaltung und Verdichtung seiner Krankheit sind offenkundig verschiedenartig Keine einzelne von ihnen erweist sich in ihrer Singularität als hinreichend plausibel, den Entwicklungsverlauf zum Endpunkt des ebetismo, des pathologischen Stumpfsinns mit Todesfolge, erklärbar zu machen Demgegenüber liegt es nahe, die Gesamtheit der widerstreitenden Anforderungen, denen sich der Protagonist innerlich ausgesetzt sieht, für seinen progressiven geistigen Verfall zu vereinnahmen So ist das Prinzip einer über Recht und sozialer Rücksichtnahme stehenden Familientradition nicht länger aufrecht zu erhalten Die Maluomini, die ihr Wollen und Tun nach subjektivem Belieben und in uneingeschränkter Willkür zu praktizieren vermochten, haben abgedankt Die christliche Moral vermag zwar ernsthafte Gewissensqualen bei dem altaristokratischen Marquis und Mörder hervorzurufen, erweist sich aber nicht mehr in der Lage, ihre Prinzipien dauerhaft durchzusetzen Der freigeistige Rationalismus und Materialismus, vertreten von cavalier Pergola, des Marcheses Vetter, kann zwar eine kurzfristige Versuchung darstellen und ein neues seelisches Gleichgewicht der Zentralfigur in Aussicht stellen, doch der Rückfall seines Exponenten in eine vorrationale, kirchlich geleitete Gottgläubigkeit im Zuge einer schweren Krankheit lässt auch diese Form der Lebensausrichtung unglaubwürdig erscheinen . 17 Des Weiteren kommt einer eventuellen degenerativen Krankheit des Roccaverdina-Geschlechts - man denke an die irreversible pazzia der zia Mariangela 18 - kein hinreichendes Gewicht zu, um die Krankheit des Antonio im Grundsätzlichen verständlich zu machen Das Motiv des «cervello bacato» (S 22), des wurmstichigen Hirns der Roccaverdina, vorgebracht von der alten Baronessa di Lagomorto, bleibt im erzählerischen Gesamtduktus sekundär Da nehmen sich die psychischen Anstöße, die von dem Advokaten und Spiritisten Don Aquilante ausgehen und den Marchese zusehends verunsichern, schon gewichtiger aus, zumal der juristische Berater der Familie dem von Antonio gehüteten Geheimnis seines Mordes gefährlich nahe zu kom- 2_IH_Italienisch_76.indd 53 23.12.16 09: 52 Il marchese di Roccaverdina Helmut Meter 5 4 men scheint Indessen bleibt unklar, ob des Advokaten wachsende Erkenntnis tatsächlich seinen spiritistischen Praktiken zu verdanken ist Der allseits mit Distanz betrachtete, hoch gebildete Don Aquilante hat nämlich zugleich als die klarsichtigste Gestalt im Ambiente von Ràbbato zu gelten . 19 Im Wirrwarr der Vermutungen, Meinungen und Handlungsweisen sticht letzten Endes seine Vernunft hervor, so auch im Diagnostizieren der unterschätzten Gefahr bei der allzu sorglosen Kreditaufnahme beim Banco di Sicilia zwecks Aufbaus und Ausstattung einer Società Agraria durch eine Gruppe lokaler Interessenten unter der Ägide des Marchese . 20 Freilich ist auch der Ansatzpunkt spiritistischer Versuchung unzulänglich, um die finale Befindlichkeit der Titelfigur ursächlich zu erklären Die Befürchtungen der Ärzte schließlich - beide, dottor Meccio und dottor La Greca, sind allerdings in der provinziellen Enge beheimatet -, dass eine Anleitung zu spiritistischen Experimenten die gravierende Krankheit bewirkt haben könnte, finden im Erzählkontinuum keine Entsprechung, wiewohl auf eklatante Krankheitsfälle in den Metropolen der Welt verwiesen wird . 21 Sind die bislang genannten Phänomene und Einflussfaktoren, die das Bewusstsein, aber auch das Unbewusste von Antonio di Roccaverdina affizieren, Belastungsformen heterogener Art, so fehlt indessen noch der Hinweis auf einen grundlegenden Aspekt von höchst krankheitsrelevantem Gewicht: des Protagonisten ungeklärtes Verhältnis zu seiner sozial inferioren Geliebten Die Unfähigkeit, eine definitive Entscheidung für ein im Endeffekt eheliches Leben mit ihr oder aber für die unwiderrufliche Lossagung von ihr zu treffen, manifestiert sich schließlich als Dauersymptom tiefer Unzufriedenheit und kontinuierlichen Unwohlseins Es erhebt sich sogar die Frage, ob die Mordtat des eifersüchtigen Aristokraten für seine Psyche nicht weniger gravierend ist als die ihr zugrunde liegende innere Zerrissenheit im ungeklärten und offenbar nicht zu klärenden Verhältnis zu der früheren Lebensgefährtin Es sind demnach multifaktorielle Bedingungen, die Antonio di Roccaverdinas Existenz unterminieren Dies lässt den gesamten Krankheitsverlauf durchaus ein wenig mysteriös erscheinen Im Sinne dieser offenbar gezielten narrativen Intention fehlt dem Roman denn auch ein argumentativer Fluchtpunkt, der zur Lösung des Rätsels beitragen könnte . 22 Weder eine exponierte Figur noch eine verlässliche Erzählinstanz sind verfügbar, um einen überzeugenden Weg aus dem Dilemma der multiplen seelischen Bedrängungsmuster zu weisen, das am Ende «certe intermittenze di pensiero» (S 233), eine «densa nebbia» (S 233) der Orientierungslosigkeit und das «delirio febbrile» (S 252) der Demenz zur Folge hat Gerade diese diffuse Situation macht indessen Reiz und Spannung der bemerkenswerten Erzählkonstruktion aus 2_IH_Italienisch_76.indd 54 23.12.16 09: 52 Helmut Meter Il marchese di Roccaverdina 55 5. Das Problem der nicht fixierbaren «verità» und die konstitutive Willensschwäche des Protagonisten Will man einen erzählimmanenten sprachlichen Zugang zur mehrschichtigen Problematik der Zentralfigur finden, so bietet sich der Terminus der «verità» nebst seinem Wortfeld an . 23 Stets ist die «verità» für die Figuren das Ziel allen Bemühens, doch die jeweiligen, letztlich individuellen Formen von «verità» weisen kaum in eine einheitliche Richtung So sie überhaupt vorhanden sind, zeigen sie sich brüchig Was schließlich den Marchese betrifft, verbleibt das Bemühen um «Wahrheit» im Stadium einer steten, doch vergeblichen Suche Mit anderen Worten: Es ist keine «verità» als Orientierung oder Sicherheit gewährende Bezugsnorm verfügbar Das fällt insofern ins Gewicht, als veristisches Erzählen sich ja elementar der Kategorie des «vero» verpflichtet weiß Wo aber keine übergreifende «Wahrheit» mehr zu Gebote steht, kann Verismo am Ende nur noch die Wahrheit festhalten, die besagt, dass es keine solche gibt So bewegt sich Capuana hier auf eine pirandellianische Position zu und somit zu einer relativistischen Auffassung hin . 24 Wenn es für den Marchese nur kurzfristig gültige Formen von «verità» gibt, so resultiert das entscheidend aus seiner konstitutiven Willensschwäche, aus einer «strana fiacchezza di volontà» (S 46) Es gelingt ihm nicht, einem jeweiligen Willensimpuls dauerhaft stattzugeben und sich auf einer gesicherten Willensbasis einzurichten Das religiöse Paradigma, die Orientierung an den «Maluomini» 25 , die rationalistische Fährte, das spiritistische Angebot und Weiteres sind nur vergängliche Anwandlungen Offenbar leidet der Protagonist unter einer markanten Willensinsuffizienz, die ihn, bedrängt von der relativen Fülle des Möglichen, den Verstand verlieren lässt Dies kündigt sich in wachsender Verdichtung an, wobei von dem Betroffenen des Öfteren das Bild des brüchigen Bodens verwendet wird, auf dem er sich zu bewegen scheint: «[…] egli provava la strana sensazione di camminare su un terreno poco solido, che avrebbe potuto sprofondarglisi sotto i piedi .» (S 147) . Die Thematik der Willensschwäche zeigt deutlich Capuanas Bemühen um einen engen Nexus zwischen Erzählen und Fragestellungen der zeitgenössischen Wissenschaft Im späten 19 Jahrhundert wurde das Genre des Romans ja oft als genuin wissenschaftliches Instrument begriffen, nicht nur als Medium, in dem Forschungsergebnisse nachträglich und zur Verbreitung eingebracht werden konnten, sondern ebenso sehr auch als eine selbstständige Form der Erkenntnis, die Forschungsresultate kraft eigenen Urteilsvermögens sogar vorwegzunehmen vermochte Für den Erzähler und Physiologen Paolo Mantegazza und den Psychiater Cesare Lombroso bestand deshalb tendenziell kein Unterschied zwischen narrativer Exploration und 2_IH_Italienisch_76.indd 55 23.12.16 09: 52 Il marchese di Roccaverdina Helmut Meter 56 wissenschaftlicher Investigation Offenbar wurde das neue Wissen zudem bereitwilliger akzeptiert, wenn es die Romanautoren, nicht aber die zuständigen Forscher vermittelten, denn das «Bewusstsein der Wahrheit» konnte, etwa Lombroso zufolge, gerade durch den künstlerischen Ausdruck am ehesten geweckt werden . 26 Zeittypisch fiel der Medizin und der Psychiatrie im Hinblick auf das Ergründen der menschlichen Innenwelt eine besondere Rolle zu Die sich nun herausbildenden Fragestellungen gingen in ihrem Novitätscharakter über die positivistischen Methoden hinaus und ließen sie mitunter sogar obsolet erscheinen Somit kam, literarisch gesehen, der «immaginazione creativa» 27 laut Capuana große Bedeutung zu Was den Roccaverdina-Roman betrifft, ist dies mit zu veranschlagen, darf aber nicht überbewertet werden Entschieden mehr denn andernorts verzichtet Capuana hier, explizit auf bestimmte Forschungsrichtungen zu rekurrieren Implizit aber zeigt sich zweifellos eine Affinität zu den Arbeiten von Théodule Ribot über die Krankheitsformen der Persönlichkeit, insbesondere in Bezug auf dessen einflussreiche Abhandlung über die Willenskrankheiten, Les Maladies de la volonté . 28 Sicherlich folgt Capuana nicht den verschiedenen Ausprägungen des pathologischen Spektrums gemäß Ribot Allerdings ist bei Antonio di Roccaverdina die grundlegende Doppelheit mangelnder und verlorener Willensimpulse im Prinzip zu beobachten, mehr noch indessen das Muster der «folie du doute», der Entscheidungsunfähigkeit . 29 Der Willensproblematik benachbart sind schließlich Alfred Binets damalige Studien über die Persönlichkeitsveränderungen in seinem groß angelegten Werk Les altérations de la personnalité . 30 Wenn der menschliche «esprit», die «intelligence», als «eine Anordnung sehr zahlreicher und verschiedenartiger Ereignisse» betrachtet wird und die «Einheit unseres psychischen Seins», unseres «être psychique» nur in der «Synthese», der «Koordination» all dieser «Ereignisse» gesucht werden dürfe, 31 so berührt das die seelische Problematik von Capuanas Marchese-Gestalt in hohem Ausmaß Der Roman ist mithin, vom Wissenschaftsbezug her gesehen, auf die Zukunft, auf neue anthropologische Einsichten ausgerichtet . 32 Die veristische Erzählhaltung muss sich dem im Rahmen des Möglichen anpassen 6. Capuanas fiktionswelt im Verhältnis zum Erzählen von Verga und De roberto Wie man sieht, geht Capuana in der Modellierung seiner Erzählwelt in manchem über das hinaus, was Verga und De Roberto an fiktional relevanten Mitteln einsetzen . 33 Zugleich darf dennoch nicht übersehen werden, was ihn im Entwerfen eines repräsentativen Lebensausschnitts, eines documento 2_IH_Italienisch_76.indd 56 23.12.16 09: 52 Helmut Meter Il marchese di Roccaverdina 57 umano aus der sizilianischen Provinz, mit den beiden anderen Autoren am Ende wieder eint Zweifellos ist Il Marchese di Roccaverdina ein Roman der vinti, des Scheiterns der in Szene gesetzten Figuren an ihren historischen Lebensumständen wie an ihrer psycho-physischen Konstitution Vergas literarisches Sizilienbild, wenn nicht gar seine in der Vorrede zu den Malavoglia entfaltete Geschichtsauffassung negativer Anthropologie, 34 findet sich dadurch im Prinzip bestätigt Ein Ausweg aus der panchronischen Situation gesellschaftlicher Stagnation ist nicht in Sicht Will man indes einen signifikanten Unterschied zu Vergas Fiktionswelt hervorheben, so lässt sich sagen, dass der Roman vom geisteskranken Marchese zumindest einen minimalen Aspekt virtueller Veränderung der archaischen sozialen Verhältnisse aufweist Das eventuelle Festhalten des Protagonisten an Agrippina Solmo, ja die insgesamt noch kühne Perspektive einer Eheschließung mit der Geliebten, ist der Erzählpsychologie zufolge sicher nicht ausgeschlossen Nicht allein dem Marchese ist dies kurzzeitig bewusst, auch die alte Baronessa, seine Tante, erkennt diese Möglichkeit, wenngleich als zu bannende Gefahr . 35 Besondere Erwähnung verdient jedoch, dass selbst seitens der lokalen Bevölkerung eine solche Entwicklung als möglich erachtet wird Damit scheint ein markanter Einschnitt im starren Sozialgefüge keineswegs aussichtslos zu sein Das vermeintlich zeitlose Prinzip der Trennung der gesellschaftlichen Schichten, wie es im alten Diktum des «Pares cum paribus» (S 18) aufscheint, büßt demnach etwas an Gültigkeit ein Trotzdem muss betont werden, dass der Erzählausgang schließlich und endlich die Verga’sche Vinti-Ideologie wiederum bestätigt Deren Negativität erfährt bei Capuana jedoch eine signifikante Abwandlung, die uns zur introspektiven Ausrichtung seines Verismo zurückführt Eine potentielle, einschneidende Veränderung der Verhältnisse ist - in letzter Konsequenz - im Inneren der Hauptfigur aufgehoben, ist einer personalen Spezifität unterstellt, 36 nicht aber - wie bei Verga - von dem von vornherein illusorischen Aufbrechen eines homogenen und äußerst resistenten sozialen Gefüges abhängig In Bezug auf Capuanas Romanwelt mag man das als Hoffnungsschimmer begreifen oder aber, ganz im Gegenteil, sogar als zugespitzte Form der fortwährenden Wiederkehr des Gleichen Vergessen wir in diesem Zusammenhang auch nicht, dass in Vergas Mastro-don Gesualdo die Altaristokratin Bianca Trao und der reiche Don Gesualdo, eine der Unterschicht entstammende Gestalt, sich ehelich binden und sogleich ebenso distanziert voneinander leben, wie dies ohne Bindung der Fall war, einer Bindung, die sich ohnehin nur der dramatischen Armut der standesbewussten Frau verdankt . 37 Die soziale Mischehe ist, veristisch gesehen, bereits negativ denotiert 2_IH_Italienisch_76.indd 57 23.12.16 09: 52 Il marchese di Roccaverdina Helmut Meter 5 8 Betrachtet man hingegen den destruktiven Aspekt der gestörten Persönlichkeit von Antonio di Roccaverdina, so ist ein vergleichender Blick auf De Robertos Vicerè von Interesse Aus dem breiten Spektrum der hocharistokratischen Familie der Vizekönige, der Uzeda, das viele groteske Seiten der Sippenangehörigen sarkastisch veranschaulicht, ragt der junge Principe Consalvo hervor Dessen krankhafte hysterische Persönlichkeit 38 ist seiner sozialen Gruppe insofern von Vorteil, als sie in destruktivem Wirken entscheidend dazu beiträgt, die sozialen Unterschiede auch über die nationalstaatliche Einheit hinaus zu perpetuieren Die Ärmsten der Armen wählen den ebenso bizarren wie nicht anfechtbaren Jungaristokraten als ihren vermeintlichen Interessenvertreter ins römische Parlament Liegt hier eine nur scheinbare Veränderung der Gesellschaft, ein bloßer trasformismo vor, so bleibt im Kern offensichtlich die alte Macht- und Rollenverteilung unverändert Ebendies entspricht in der Substanz der narrativ vermittelten Schlussfolgerung Capuanas, wenn er sich auch, anders als De Roberto, der zynischen Inszenierung des nicht stattfindenden Strukturwandels enthält Auch bei Capuana behält folglich Sizilien als literarischer Vorwurf seine eigentümliche Sonderstellung einer archaisch anmutenden Lebenswelt bei Es wäre sicherlich zu einfach, hierin einen schieren Reflex realhistorischer Verhältnisse sehen zu wollen Der Anteil der literarischen Stilisierung der Insel zu einem fiktionalen Gebilde sui generis mit festen Merkmalen ist nicht zu übersehen Sizilien als Projektionsraum des Unvergänglichen, selbst in seiner sozialen Unveränderbarkeit, erwirbt im Zuge mannigfachen Erzählens eine fast mythische Dimension, bis hin zu Lampedusas Gattopardo und Brancatis Texten im Zeichen des gallismo 7. Die psychologische Konzeption des Verhältnisses von Antonio di roccaverdina und Agrippina Solmo Unter dem Aspekt des Verismo bleibt indes noch näher zu erörtern, wie es um die psychologische Konzeption des Verhältnisses von Antonio di Roccaverdina und Agrippina Solmo bestellt ist Einem Topos naturalistischer Gesellschaftsauffassung zufolge erweist sich die Emotionalität von Personen niederer sozialer Herkunft als rudimentär, wenig intensiv und fern einer Raffinesse, wie sie in den höheren Sphären der Gesellschaft anzutreffen sei Entspricht dies etwa dem Denken der Brüder Goncourt und Champfleurys, 39 so hat sich auch Verga von dieser Idee leiten lassen für sein Projekt des Vinti- Zyklus, das bekanntlich die Gesellschaft in der fortschreitenden Betrachtung von unten nach oben, vom Einfachen zum Komplexen hinsichtlich der passioni umane, literarisch abbilden sollte 2_IH_Italienisch_76.indd 58 23.12.16 09: 52 Helmut Meter Il marchese di Roccaverdina 59 Dies scheint sich zunächst auch in Capuanas Paraderoman niederzuschlagen, obgleich man sich von den sehr unterschiedlichen introspektiven Anteilen, die dem Marchese und seiner Geliebten vorbehalten sind, nicht täuschen lassen darf So zeigt sich am Ende, dass die Quantität der emotionsgeprägten Selbstvergewisserungsversuche des Aristokraten kaum einen qualitativen Unterschied zu der mit Gefühlsattributen weniger reich bedachten Landarbeiterin bewirkt Zwar steht die Intensität der Leidenschaft des Antonio für Agrippina außer Frage . 40 Doch beruht diese fast ausschließlich auf den Faktoren der Physiologie und des Auskostens sozialer Macht Dass hiermit subtilere Gefühlsmerkmale einhergehen könnten, wird allenfalls suggeriert, doch nicht expliziert Letztlich liegt sogar eine Permutation der Gefühlsäußerungen im Hinblick auf die Geliebte vor: «Non amava più, odiava Agrippina Solmo, ma l’odio gliela teneva radicata nell’animo più assai dell’amore! » (S 47) Mit diesem Paradoxon muss der Marchese leben So ist dem folgenden Aufblitzen von Erinnerung das Maximum an emotionaler Bindung an die Geliebte zu entnehmen, bezeichnenderweise im Modus anfänglicher Abwehr Sind die gemeinten «ricordi del passato» (S 96) doch nicht zu vertreiben, eines «passato, che gli faceva risentire il contatto delle verginali carni di lei, come la prima volta, a Margitello, quando egli le aveva giurato: ‘Non avrò altra donna! ’ Era un fiore allora! … E dopo … anche! » (S 96) Wie das Zitat offenbart, wirkt die Vergangenheit bis in die aktuelle Gegenwart hinein, was denn auch begreiflich macht, dass Agrippina zu den Gestalten zählt, die dem Marchese immer wieder unvermittelt als psychisch generiertes «fantasma» 41 vor Augen treten und ihn tief verunsichern Offenkundig gelingt es dem Protagonisten nicht, die unmittelbar-existentielle Bindung an die Geliebte mit seinen sozialen Selbstansprüchen in Einklang zu bringen Die Anwandlungen widerstreitender Wahlmöglichkeiten offenbaren sich mithin auch auf der Ebene des Liebesregisters: «Non dovevo, non potevo sposarla io, e la volevo sempre mia» (S 65) - «O tutta mia, o né mia né di altri! » (S 67) Der gegenüber der potentiell dauerhaften Gefährtin ausgeübte Zwang ist als die Ultima Ratio des unlösbaren Gegensatzes von aktueller Affektivität und traditionellem Kastendenken zu verstehen Innerhalb der kargen Einblicke in die Emotionalität von Agrippina Solmo herrscht erwartungsgemäß die Norm der sozialen humilitas vor Das verleiht ihren Bewusstseinsabläufen einen Zug ins Repetitive, abgesehen von ihrem Stolz, Herrin im Palast der Roccaverdina gewesen zu sein Freilich 2_IH_Italienisch_76.indd 59 23.12.16 09: 52 Il marchese di Roccaverdina Helmut Meter 6 0 sticht insgesamt ihre abschließende Genugtuung hervor, vom Marchese di Roccaverdina geliebt worden zu sein: «Ella […] sfuggì per baciare quelle mani quasi inerti che avevano ammazzato per gelosia di lei; e pareva volesse lasciarvi tutta l’anima sua grata e orgogliosa di essere stata amata fino a quel punto dal marchese di Roccaverdina .» (S 268) Diese subjektive Gewissheit engster Verbundenheit kommt sinnfälliger Weise gerade in dem Augenblick zum Ausdruck, als Agrippina definitiv von Antonio getrennt wird - als sozialer Störfaktor Die alten Verhältnisse dominieren endgültig im Moment ihres Innewerdens, authentische Zuneigung erhalten zu haben Doch im Sinne von Capuanas Erzählstrategie ist es nur konsequent, dass dieses höchste Glücksempfinden in seinem ursächlichen Anlass zugleich die trennende Tradition wieder beschwört Erweist sich der Mord als Liebesbeweis, so muss er seitens der Frau rückblickend gerechtfertigt sein Das aber legitimiert mental die alten, immer gleichen Lebensumstände So offenbart auch das Romanende Capuanas teils konsequenten, teils unorthodoxen Verismo Aus der Gefühlswelt der abschließend fokussierten Frauenfigur - einer Apotheose elementarer Humanität - erwächst sowohl die Hoffnung auf das gänzlich andere als auch die Gewissheit des immer Gleichen Das Seelenleben hat eigene Normen, die zwar aufgezeigt werden, sich aber in ihrer Eigengesetzlichkeit einer klaren Kausalität zu entziehen scheinen Abstract Il contributo esamina le caratteristiche della scrittura veristica di Luigi Capuana ne Il Marchese di Roccaverdina (1901), il suo ultimo e più importante romanzo La sua lunga elaborazione è senz’altro un segno dei problemi che risultano dall’ormai ridotta validità del paradigma veristico ancora in atto nel peculiare modello della Giacinta (1879) Nel Marchese, Capuana si dedica più che in altre opere alla psiche del personaggio protagonista, ma suggerisce al contempo una etiologia indeterminata della sua malattia mentale La tecnica veristica della narrazione non serve quindi più a circoscrivere dei fenomeni classificabili secondo categorie strettamente positivistiche Si dimostra, invece, necessaria una scrittura veristica più elastica e contrassegnata da compromessi Il romanzo, infatti, non offre più un’idea di verità oggettivabile, anche se certe teorie contemporanee in ambito medico-psicologico formano uno strato nascosto per l’eventuale ma incerta spiegazione della malattia di Antonio di Roccaverdina 2_IH_Italienisch_76.indd 60 23.12.16 09: 52 Helmut Meter Il marchese di Roccaverdina 61 Anmerkungen 1 Zur Biographie sowie zur persönlichen und kulturellen Entwicklung Capuanas siehe Pietro Vetro, Luigi Capuana, Catania: Studio Editoriale 1923 und Corrado Di Blasi, Luigi Capuana . Vita, amicizie, relazioni letterarie, Mineo: Biblioteca Capuana 1954 2 Näheren Aufschluss über Capuanas Verortung im kulturellen Spektrum seiner Zeit gibt Giorgio Luti, «Capuana e la cultura del suo tempo», in: La rassegna della letteratura italiana 97, n . 3 (sett .-dic .)/ 1993, S . 24-34 3 Indessen kam selbst B . Croce schon 1904 zu einem positiven Urteil über Capuanas komplexes Œuvre, wiewohl ihm Manches darin angesichts seines normativen Ästhetik- Verständnisses zweifellos nicht zusagen konnte . So spricht er der «opera nel suo complesso» eine «non piccola importanza nella moderna cultura italiana» zu in ihrem Bemühen, gegen «pregiudizi e convenzionalismi» anzukämpfen, einer «opera costantemente sincera ed onesta» . Vgl . Benedetto Croce, La letteratura della Nuova Italia . Saggi critici, vol . III, Bari: Laterza 1973 [ 1 1915], S . 110 u . 113 4 Auszugehen ist nach wie vor von Carlo A . Madrignani, Capuana e il naturalismo, Bari: Laterza 1970 . Als empfehlenswert erweist sich weiterhin: Anna Storti Abate, Introduzione a Capuana, Bari: Laterza 1989 . Zum literarischen Vorschein von Realität bei Capuana siehe die Beiträge in L’illusione della realtà . Studi su Luigi Capuana . Atti del Convegno di Montréal (16-18 marzo 1989), a cura di Michelangelo Picone e Enrica Rosetti, Roma: Salerno Ed . 1990 . Als summarische Einführung ist hilfreich: Angelo Piero Cappello, Invito alla lettura di Luigi Capuana, Milano: Mursia 1994 5 Als Textausgabe wird verwendet: Luigi Capuana, Il marchese di Roccaverdina, Milano: Garzanti 1974 (I Garzanti . I Grandi Libri) . Alle nicht weiter spezifizierten Seitenangaben im laufenden Text und in den Anmerkungen folgen dieser Edition . Eine textkritische Ausgabe des Romans liegt bislang nicht vor . Die Edizione nazionale delle opere di Luigi Capuana (2009 ff .) bei Salerno in Rom bleibt bislang auf die beiden ersten - theaterbezogenen und von Gianni Oliva herausgegebenen - Bände begrenzt Zwar liegen mehrere unkommentierte neuere Ausgaben des Marchese di Roccaverdina vor, doch bieten diese keinen qualitativen Vorteil gegenüber der hier herangezogenen 6 Zur Herausbildung des Verismo als Erzählprinzip vgl . Marina Musitelli Paladini, Nascita di una poetica: il verismo, Palermo: Palumbo 1974 7 Siehe hierzu u .a . den Briefwechsel mit beiden: Capuana e De Roberto [Carteggio], a cura di Sarah Zappulla Muscarà, Caltanissetta: S . Sciascia 1984; Carteggio Verga- Capuana, a cura di Gino Raya, Roma: Edizioni dell’Ateneo 1984 8 Capuana selbst spricht von einem unablässigen «flaubertianismo», der ihn geplagt habe, von einer steten «incontentabilità della frase» im Zuge seines Schreibens . So brieflich an Édouard Rod (1884) laut Alfredo Stussi, «L’amalgama imperfetto del ‘Marchese di Roccaverdina’», in: «Le donne, i cavalier, l’arme, gli amori» . Poema e romanzo: la narrativa lunga in Italia, a cura di Francesco Bruni, Venezia: Marsilio 2001, S . 301-313: S . 310 9 Zu Aspekten der Sizilianität in Capuanas Erzählen siehe Alberico Guarneri, Sulla narrativa siciliana di Luigi Capuana, Cosenza: Pellegrini 2012 . Der Herausbildung narrativer Modernität aus einer spezifischen Sizilienbindung widmet sich Carlo A . Madrignani, Effetto Sicilia: genesi del romanzo moderno, Macerata: Quodlibet 2007 10 Agrippina ist auch der Name der «martire santa protettrice» von Mineo, Capuanas Geburtsort . Siehe Giuseppe Paolo Samonà, «Luigi Capuana . La Vita . Profilo storicocritico dell’autore e dell’opera . Guida bibliografica», in: Capuana, Il marchese, op . cit ., S . VII-XXIII: S . XVIII 2_IH_Italienisch_76.indd 61 23.12.16 09: 52 Il marchese di Roccaverdina Helmut Meter 62 11 Vgl . etwa - z .T . mit mehrmaliger Okkurrenz - S . 87, 88, 90, 151, 259 12 Hippolyte Taine, De l’intelligence, Paris: Hachette 6 1892 [ 11 870], T . 1, S . 352 13 Dessen zukunftsträchtige Qualität hat schon früh Pirandello erkannt, wenn er meint: «Questo romanzo, così denso e vivo e forte, resterà senza dubbio tra le maggiori opere della letteratura contemporanea .» Luigi Pirandello, L’Umorismo e altri saggi, a cura di Enrico Ghidetti, Firenze: Giunti 1994, S . 273 14 Dazu zählt nicht zuletzt seine Absage an alle engeren kunst- und literaturtheoretischen Kategorisierungen im Zeichen der zeitgenössisch wuchernden Ismen . So meint er: «Io, caso mai, sono naturalista, verista, quanto sono idealista e simbolista: cioè tutti i concetti o tutti i soggetti mi sembrano indifferenti per l’artista ed ugualmente interessanti, se da essi egli riesce a trar fuori un’opera d’arte sincera .» Luigi Capuana, Cronache letterarie, Catania: Giannotta 1899, S . 250 15 Zu diesem, vom Augenzeugen L . D’Ambra in seinem Bericht wiedergegebenen Urteil vgl . Enrico Ghidetti, Verga . Guida storico-critica, Roma: Editori Riuniti 1979, S . 29 f 16 Zur zentralen Funktion der Figur an sich im Erzählen Capuanas vgl . Cinzia Falabella, Le statut du personnage chez Luigi Capuana . Thèse Université de Nice (UFR de Lettres, Arts et Sciences Humaines) 2012 17 Zum für das Ambiente unkonventionellen Weltbild des cavalier Pergola vgl . S . 74-75 u . S . 78-81 . Zu dessen krankheitsbedingter Rückkehr zur traditionellen Religiosität vgl . S . 174, 176 u . 180 f 18 Zu den Verwünschungen der «povera pazza» an die Adresse der Roccaverdina vgl S . 82 19 Hinsichtlich Don Aquilantes antipositivistischer und antimaterialistischer Einstellung siehe vor allem S . 123-126 20 Zu Plan und sich abzeichnendem Scheitern der Società Agraria vgl . S . 129-133 u . 249 21 Siehe S . 260 22 Zur Gestaltung des Romans in textphilologischer Hinsicht siehe Alfredo Stussi, «Aspetti dell’elaborazione del ‘Marchese di Roccaverdina’», in: Giornale storico della letteratura italiana CLXXII/ 1995, S . 400-414 23 Siehe insbesondere die Belege auf den Seiten 55, 80, 218, 224, 242 u . 251 . Die Formulierungen «la verità più vera» (S . 174) sowie «la vera verità» (S . 232) dokumentieren die fehlende Verlässlichkeit des Konzepts schlechthin . Solcher Ungewissheit entsprechen denn auch des Marcheses Auffassung «Non v’è certezza di niente! » (S . 183) sowie der kontinuierliche Rekurs auf das Verbum «sembrare» in den Reflexionen und Äußerungen unterschiedlicher Figuren . 24 Besonders anschaulich kommt dies zum Ausdruck in Pirandellos Novelle La signora Frola e il signor Ponza, suo genero . Siehe Luigi Pirandello, Novelle per un anno, Milano: Mondadori 12 1980, II, S . 891-898 25 Zur Tradition des Gewaltmonopols, das für die Vorfahren des Marchese in ihrem Selbstverständnis als «Maluomini» noch maßgeblich war, vgl . S . 135 26 Vgl . hierzu Delia Frigessi, «Scienza e letteratura: Cesare Lombroso e alcuni scrittori di fine secolo», in: Publif@rum 1/ 2005: Cesare Lombroso e la fine del secolo: la verità dei corpi . Atti del Convegno di Genova (24-25 sett . 2004) . Sous la direction de Bertrand Marquer, S . 1-6: S . 2 27 Luigi Capuana, Gli «ismi contemporanei», Catania: Giannotta 1898, S . 67 28 Paris: Germer-Baillière 1882 29 Siehe hierzu vor allem Théodule Ribot, Psychologie des sentiments, Paris: Alcan 1896, S 366-368, wo «la folie du doute» als «maladie chronique de l’esprit» begriffen ist 2_IH_Italienisch_76.indd 62 23.12.16 09: 52 Helmut Meter Il marchese di Roccaverdina 6 3 30 Paris: Alcan 1892 31 Vgl . ebenda, S . 317-318 32 Ein schöner Überblick über psychopathologische Phänomene in der italienischen Erzählliteratur an der Wende vom 19 . zum 20 . Jahrhundert findet sich bei Federica Adriano, Alienazione, nevrosi e follia: esiti della ricerca scientifica nella narrativa italiana tra Otto e Novecento . Tesi di dottorato in Scienze dei Sistemi Culturali, Università degli studi di Sassari, Anno Accademico 2008-2009 33 Zu einer umfassenderen vergleichenden Betrachtung der jeweiligen narrativen Spezifität vgl . Helmut Meter, Figur und Erzählauffassung im veristischen Roman . Studien zu Verga, De Roberto und Capuana vor dem Hintergrund der französischen Realisten und Naturalisten, Frankfurt a .M .: Klostermann 1986 34 Siehe hierzu Helmut Meter, «Weder autonom noch fremdbestimmt . Die Literatur als anthropologische Kategorie bei G . Verga und A . Camus», in: Literatur als Herausforderung . Zwischen ästhetischem Autonomiestreben, kontextueller Fremdbestimmung und dem Gestaltungsanspruch gesellschaftlicher Zukunft, hrsg . von Henning Hufnagel und Barbara Ventarola, Würzburg: Königshausen & Neumann 2015, S . 73-91 35 Vgl . S . 18, 21 u . 22 36 Zum Problem der Ich-Spaltung als einer angeblichen Folgeerscheinung der dialektisch zurückwirkenden Machtausübung des Protagonisten gegenüber seinen sklavenartigen Abhängigen vgl . Christina Petraglia, «‘Il marchese contadino’: the divided self and the other in Luigi Capuana’s ‘Il marchese di Roccaverdina’», in: Romance Studies, vol . 28, 4/ 2010, S . 235-245 37 Man denke z .B . an die beeindruckende Szene am Ende der «Parte Prima» des Romans, die die frisch Vermählten in signifikanter Kommunikationsunfähigkeit miteinander vereint . Siehe Giovanni Verga, Mastro-don Gesualdo, Milano: Mondadori 1976 (XI ristampa Oscar Mondadori), S . 167-170 38 Vgl . hierzu und zum skrupellosen Opportunismus des Consalvo die längeren Ausführungen aus Erzählersicht am Ende von Kapitel III der «Parte Terza» des Romans Federico De Roberto, I Vicerè, Milano: Garzanti 1976, S . 510-512 39 Vgl . etwa die Auffassung der «réalité élégante» im Vorwort der Erstauflage von E . de Goncourts Chérie (1884), wiedergegeben in: Edmond et Jules de Goncourt, Préfaces et manifestes littéraires . Présenté par H . Juin, Paris-Genève: Slatkine 1980 (Neudruck der Pariser Ausg . von 1926), S . 61-72: S . 62 . Siehe auch Champfleury, Le réalisme, Genève: Slatkine 1967 [ 1 1857], S . 10 40 Zur Kategorie der «Leidenschaft» als einem hervorstechenden Merkmal naturalistischen Erzählens vgl . die Beiträge in La scrittura delle passioni: scienza e narrazione nel naturalismo europeo: Francia, Italia, Spagna . Atti del Convegno Internazionale di studi (Napoli 30 e 31 gennaio 2004), a cura di Maria Rosaria Alfani, Patricia Bianchi et al ., Grumo Nevano: Marchese 2009 41 Zur Dauerpräsenz des Phänomens vgl . insbesondere S . 197, 199 u . 210 Bibliographie Primärliteratur Capuana, Luigi: Cronache letterarie, Catania: Giannotta 1899 Capuana, Luigi: Gli «ismi contemporanei», Catania: Giannotta 1898 Capuana, Luigi: Il marchese di Roccaverdina, Milano: Garzanti 1974 (I Garzanti I Grandi Libri) 2_IH_Italienisch_76.indd 63 23.12.16 09: 52 Il marchese di Roccaverdina Helmut Meter 6 4 De Roberto, Federico: I Vicerè, Milano: Garzanti 1976 (I Garzanti . I Grandi Libri) Pirandello, Luigi: Novelle per un anno, Milano: Mondadori 12 1980, II (I Classici contemporanei italiani) Pirandello, Luigi: L’umorismo e altri saggi, a cura di Enrico Ghidetti, Firenze: Giunti 1994 (Classici Giunti) Raya, Gino (a cura di): Carteggio Verga-Capuana, Roma: Edizioni dell’Ateneo 1984 (Collana di cultura, 40) Verga, Giovanni: Mastro-don Gesualdo, Milano: Mondadori 1976 (XI ristampa Oscar Mondadori) Zappulla Muscarà, Sarah (a cura di): Capuana e De Roberto [Carteggio], Caltanissetta, S . Sciascia 1984 (L’Aretusa, 40) Sekundärliteratur Adriano, Federica: Alienazione, nevrosi e follia: esiti della ricerca scientifica nella narrativa italiana tra Otto e Novecento . Tesi di dottorato in Scienze dei Sistemi Culturali, Università degli studi di Sassari, Anno Accademico 2008- 2009 Alfani, Maria Rosaria / Bianchi, Patricia et al . (a cura di): La scrittura delle passioni: scienza e narrazione nel naturalismo europeo: Francia, Italia, Spagna . Atti del Convegno Internazionale di studi (Napoli 30-31 gennaio 2004), Grumo Nevano: Marchese 2009 (Testimonianze, 1) Binet, Alfred: Les Altérations de la personnalité, Paris: Alcan 1892 Cappello, Angelo Piero: Invito alla lettura di Luigi Capuana, Milano: Mursia 1994 (Invito alla lettura . Sezione italiana, 105) Champfleury [Fleury-Husson, Jules]: Le réalisme, Genève: Slatkine 1967 [ 1 1857] Croce, Benedetto: La letteratura della Nuova Italia . Saggi critici, vol . III, Bari: Laterza 1973 [ 1 1915] Di Blasi, Corrado: Luigi Capuana . Vita, amicizie, relazioni letterarie, Mineo: Biblioteca Capuana 1954 Falabella, Cinzia: Le statut du personnage chez Luigi Capuana, Thèse Université de Nice (UFR de Lettres, Arts et Sciences Humaines) 2012 Frigessi, Delia-: «Scienza e letteratura: Cesare Lombroso e alcuni scrittori di fine secolo», in: Publif@rum 1/ 2005: Cesare Lombroso e la fine del secolo: la verità dei corpi . Atti del Convegno di Genova (24-25 sett . 2004) . Sous la direction de Bertrand Marquer, S . 1-6 Ghidetti, Enrico: Verga . Guida storico-critica, Roma: Editori Riuniti 1979 Goncourt, Edmond et Jules de: Préfaces et manifestes littéraires . Présenté par H . Juin, Paris-Genève: Slatkine 1980 [Neudruck der Pariser Edition von 1926] Guarneri, Alberico: Sulla narrativa siciliana di Luigi Capuana, Cosenza: Pellegrini 2012 (Crocevia) Luti, Giorgio: «Capuana e la cultura del suo tempo», in: La Rassegna della letteratura italiana 97, n . 3 (sett .-dic .)/ 1993, S . 24-34 Madrignani, Carlo A .: Capuana e il naturalismo, Bari: Laterza 1970 (Biblioteca di cultura moderna, 687) Madrignani, Carlo A .: Effetto Sicilia: genesi del romanzo moderno, Macerata: Quodlibet 2007 (Quodlibet Studio . Lettere) Meter, Helmut: Figur und Erzählauffassung im veristischen Roman . Studien zu Verga, De Roberto und Capuana vor dem Hintergrund der französischen Realisten und Naturalisten, Frankfurt a .M .: Klostermann 1986 (Analecta Romanica, 51) 2_IH_Italienisch_76.indd 64 23.12.16 09: 52 Helmut Meter Il marchese di Roccaverdina 6 5 Meter, Helmut: «Weder autonom noch fremdbestimmt . Die Literatur als anthropologische Kategorie bei G . Verga und A . Camus», in: Literatur als Herausforderung . Zwischen ästhetischem Autonomiestreben, kontextueller Fremdbestimmung und dem Geltungsanspruch gesellschaftlicher Zukunft, hrsg . von Henning Hufnagel und Barbara Ventarola, Würzburg: Königshausen & Neumann 2015 (Saarbrücker Beiträge zur Vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft, 71), S . 73-91 Musitelli Paladini, Marina: Nascita di una poetica: il verismo, Palermo: Palumbo 1974 Petraglia, Christina: «‘Il marchese contadino’: the divided self and the other in Luigi Capuana’s ‘Il marchese di Roccaverdina’», in: Romance Studies, vol . 28, 4/ 2010, S . 235-245 Picone, Michelangelo / Rosetti, Enrica (a cura di): L’illusione della realtà . Studi su Luigi Capuana . Atti del Convegno di Montréal (16-18 marzo 1989), Roma: Salerno Ed . 1990 Ribot, Théodule: Les Maladies de la volonté, Paris: Germer-Baillière 1882 Ribot, Théodule: Psychologie des sentiments, Paris: Alcan 1896 Samonà, Giuseppe Paolo: «Luigi Capuana . La Vita . Profilo storico-critico dell’autore e dell’opera . Guida bibliografica», in: Luigi Capuana, Il marchese di Roccaverdina, Milano: Garzanti 1974, S . VII-XIII Storti Abate, Anna: Introduzione a Capuana, Bari: Laterza 1989 Stussi, Alfredo: «Aspetti dell’elaborazione del ‘Marchese di Roccaverdina’», in: Giornale storico della letteratura italiana CLXXII/ 1995, p . 400-414 Stussi, Alfredo: «L’amalgama imperfetto del ‘Marchese di Roccaverdina’», in: «Le donne, i cavalier, l’arme, gli amori» . Poema e romanzo: la narrativa lunga in Italia, a cura di Francesco Bruni, Venezia: Marsilio 2001 (Presente storico, 18), S . 301-313 Taine, Hippolyte: De l’intelligence, Paris: Hachette 6 1892 ( 1 1870), T . 1 Vetro, Pietro: Luigi Capuana, Catania: Studio Editoriale 1923 2_IH_Italienisch_76.indd 65 23.12.16 09: 52 66 OrN EllA fE N Dt gespenster? Capuana und der Spiritismus Einleitung Luigi Capuana wird häufig im Zusammenhang mit dem Verismo genannt, gilt er doch als einer der wichtigsten Vertreter dieser Strömung Darüber hinaus hat er sich nicht zuletzt als Literaturkritiker einen Namen gemacht Dass Capuanas Werk allerdings noch viele weitere Beschäftigungsfelder umfasste, bleibt in der Forschung häufig unbeachtet Capuana trat unter anderem (sehr erfolgreich) als Kinderbuchautor, Theaterautor und Autor folkloristischer Studien in Erscheinung Darüber hinaus war er ein passionierter Fotograf So unterschiedlich die Interessensfelder des Sizilianers auch anmuten mögen, so gibt es ein weiteres Steckenpferd des Autors, das zumindest einige der genannten Felder zu vereinen scheint: den Spiritismus In vielen seiner Märchen für Kinder und in zahlreichen Novellen spielen fantastische, übersinnliche Elemente eine wichtige Rolle . 1 Seine folkloristischen Schriften sind besonders unter dem Gesichtspunkt von Aberglauben und alten Traditionen im ländlichen Raum relevant, gerade auch weil die Grenzen zwischen diesen und dem neu entstehenden Spiritismus fließend sind Seine Fotografien sind zum einen Zeitzeugen einer äußerst interessanten Vita, dienen allerdings in bestimmten Fällen auch - wie so häufig sogenannte ‘Geisterfotografien’ in jener Zeit - als Beweise für spiritistische Phänomene und die Existenz eines aldilà Bekannt sind hierbei vor allem die Bilder von Beppina Poggi, einer Jugendlichen, die Capuana während ihrer Hypnose fotografiert hat, und Selbstporträts, auf denen er vorgibt, tot zu sein - ein makabres Schauspiel, das im Kontext der Zeit durchaus in Mode war Der folgende Beitrag 2 veranschaulicht anhand ausgewählter Beispiele (Spiritismo? und Profumo) die Bandbreite von Capuanas Schaffen hinsichtlich des Spiritismus - jenseits der Etikettierung als verista, die ihm selbst zeitlebens widerstrebte . 3 Definition und Kontextualisierung des Spiritismus Unter dem Begriff ‘Spiritismus’ wurde im 19 Jahrhundert eine Vielzahl von Phänomenen subsumiert, die sich mit okkulten Thematiken befasste Weltweit hatte diese Strömung Millionen von Anhängern Ihr Siegeszug begann im Jahre 1848 mit den Fox-Schwestern in der Kleinstadt Hydesville in den 2_IH_Italienisch_76.indd 66 23.12.16 09: 52 Ornella Fendt Gespenster? Capuana und der Spiritismus 67 USA Den Mädchen war es angeblich gelungen, durch Klopfzeichen mit einem sich in ihrem Haus befindlichen Poltergeist zu kommunizieren, was in der Folge weltweite Beachtung fand . 4 Das Interesse an der Kommunikation mit dem Jenseits ist allerdings zu jenem Zeitpunkt nichts Neues, sondern stellt durchaus eine Konstante in der menschlichen Zivilisationsgeschichte dar Neu ist allerdings das große öffentliche Interesse, das den Spiritismus im 19 Jahrhundert begleitet Zu einer Zeit, in der einerseits die fantastische Literatur, andererseits der Mesmerismus und Swedenborgs theosophische Lehren viele Anhänger fanden, scheint die Beschäftigung mit dem Okkulten ein virulentes Thema gewesen zu sein Es waren vornehmlich Personen der Mittel- und Oberschicht, die sich für die neuen Theorien interessierten Unter den prominentesten Vertretern finden sich Namen wie Abraham Lincoln, Pierre und Marie Curie, William Crookes, Arthur Conan Doyle und Charles Dickens - um nur einige zu nennen Ausgehend von den USA und den Fox-Sisters war der Spiritismus schließlich nach Europa gelangt, wo er weitere Blüten trieb Nicht zuletzt der französische Pädagoge und Gelehrte Hippolyte Léon Denizard Rivail (alias Allan Kardec) entwickelte die spiritistische Lehre weiter und gilt bis heute als einer ihrer Gründungsväter Sein 1857 erschienenes Le Livre des Esprits gilt als Grundlagenwerk des Spiritismus und konnte bereits kurz nach seinem Erscheinen mit hohen Auflagenzahlen und Übersetzungen in zahlreiche Sprachen aufwarten Das Buch der Geister besteht aus über 1000 Fragen, die Kardec mittels verschiedener Medien an diverse Geister stellte, und den von diesen gegebenen Antworten In der Folge von Kardecs Werken entstanden unzählige spiritistische Zirkel, die mit mehr oder minder ernstzunehmenden Absichten versuchten, Kontakt zu Geistern aufzunehmen Da dies nur mittels eines Mediums geschehen konnte, erlangten in der Folge einige der Medien weltweite Berühmtheit, wie bspw Eusapia Pal(l)adino 5 aus Italien, der es sogar gelang, den bekanntesten Anthropologen und Psychiater Italiens, Cesare Lombroso, von ihren Fähigkeiten zu überzeugen . 6 Lombroso ist unter anderem deshalb von Belang, weil ihn Luigi Capuana, der sich Zeit seines Lebens mit dem Studium des Spiritismus beschäftigte, in seinem Werk Mondo Occulto (1896) zitiert und ihm schließlich sogar eine seiner bekanntesten spiritistisch geprägten Erzählungen, Un vampiro (1906), widmet Gegen Ende der 1880er Jahre gelangten die spiritistischen Medien (besonders auch Palladino) zunehmend in Verruf, da den meisten von ihnen Betrug vorgeworfen und teilweise auch nachgewiesen wurde Endgültig aufgedeckt wurden viele ihrer Tricks schließlich durch den Zauberer und Magier Harry Houdini, der sich der Überführung von spiritistischen Betrü- 2_IH_Italienisch_76.indd 67 23.12.16 09: 52 Gespenster? Capuana und der Spiritismus Ornella Fendt 6 8 gern widmete 7 - was seine Freundschaft mit Conan Doyle immer wieder auf harte Proben stellte . 8 Sollte man versucht sein, die Beschäftigung mit dem Spiritismus vorschnell als Scharlatanerie, bloßen Zeitvertreib oder Mode-Erscheinung des ausgehenden 19 Jahrhunderts zu bewerten, so würde man dem Phänomen in seiner Gesamtheit allerdings nicht gerecht Obwohl es vereinzelt Zirkel gegeben haben mag, welche die Kommunikation mit Geistern mithilfe des Tischrückens, Gläserrückens, des Ouja-Bretts oder des automatischen Schreibens eher als Amüsement verstanden, entwickelte sich parallel dazu auch ein Verständnis des Spiritismus als ernstzunehmende wissenschaftliche Praktik Es gab in Europa und den USA zahlreiche Gesellschaften, die sich dem Phänomen wissenschaftlich zu nähern versuchten und Fachzeitschriften herausgaben In Deutschland erschienen bspw zwischen 1875 und 1925 die Psychischen Studien, die national bedeutendste ‘okkulte’ Zeitschrift In Großbritannien entstand 1882 die Society for Psychical Research, die auch heute noch existiert Deren italienischer Ableger Società di Studi Psichici zählte unter anderen Cesare Lombroso, Antonio Fogazzaro, Luigi Capuana und Salvatore Farina zu seinen Mitgliedern Ihre Fachzeitschrift Luce e Ombra erscheint auch im Jahr 2016 noch . 9 Ebendort erschien posthum vor knapp hundert Jahren, 1916, Capuanas Diario spiritico ossia comunicazioni ricevute dagli spiriti per medianità intuitiva, der allerdings bereits 1870 verfasst worden war Er enthält 26 comunicazioni Capuanas mit der Geisterwelt, die zwischen Oktober und Dezember 1870 in Mineo stattgefunden haben sollen Capuana und der Spiritismus Diese wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geister- und Jenseitswelt, wie sie in den diversen società gepflegt wurde, scheint auch Capuana geprägt zu haben Es lässt sich nachträglich nicht eindeutig klären, inwiefern Capuana tatsächlich ein orthodoxer Anhänger des (wissenschaftlichen) Spiritismus gewesen sein mag, bzw ob es verschiedene Phasen in seinem Leben gab, die unterschiedlich stark spiritistisch geprägt waren Anhand seiner reichen schriftstellerischen Tätigkeit lässt sich allerdings feststellen, dass die Beschäftigung mit dem Okkulten sein Œuvre über viele Jahrzehnte hinweg und bis an sein Lebensende geprägt hat Schon 1862 findet sich in einem Brief an seinen Freund Giuseppe Costanzo folgende Aussage Capuanas: «Vuoi sapere che fo io? Leggo libri francesi sullo spiritismo, e forse ne scriverò qualche cosa se mi salta il grillo .» 10 In der Forschung wird sein 1865 erschienenes Werk Un caso di sonnambulismo häufig als erstes Werk genannt, das sich mit einer okkulten 2_IH_Italienisch_76.indd 68 23.12.16 09: 52 Ornella Fendt Gespenster? Capuana und der Spiritismus 69 Thematik auseinandersetzt Das Interesse für selbige zieht sich wie ein roter Faden durch Capuanas Schaffen, und so wundert es kaum, dass auch zwei Jahre vor seinem Tod (1913) die Novelle inverosimili erscheinen, die sich ebenfalls mit übersinnlichen Phänomenen befassen Benedetto Croces Aussage, Capuanas «curiosità pel meraviglioso, per le forze occulte» 11 sei oberflächlicher und dilettantischer Natur gewesen, ist unter diesem Vorzeichen eher als problematisch anzusehen Capuana war überzeugt, dass psychologische Phänomene wie bspw unbewusste mentale Vorgänge - und hier ist besonders die creazione letteraria zu nennen - mithilfe positivistischer Methoden erklärt werden können, wobei gerade auch der Spiritismus relevant sei Die Inspiration, die jedem Künstler (und Autor) zu eigen ist, versteht Capuana durchaus wörtlich als Präsenz eines Geistwesens (fantasma artistico individuale 12 ), das dem Künstler Ideen vermittelt Ähnliches hatte zuvor bereits Hippolyte Taine in seinem 1870 erschienenen De l’intelligence vertreten Auch Taine geht von einem Zusammenhang zwischen künstlerischer Produktion (von Bildern) und Stadien der psychischen Alteration aus . 13 Dass diese hochsensiblen Zustände stets auch die Veranlagung zu Krankheiten wie bspw der Hysterie bergen, ist im 19 Jahrhundert ein vieldiskutiertes Thema, das u .a von Lombroso aufgegriffen wurde . 14 Für Capuana ist die Frage nach der Natur des Spiritismus vornehmlich ein psychologisch-literarisches Problem, da das Standardwerkzeug der spiritistischen Sitzung das automatische Schreiben ist Er sieht darin eine Parallele zum schöpferischen Prozess des literarischen Schaffens Dies ist für ihn auch der Bereich, an dem die (traditionellen) Naturwissenschaften keinen Einblick mehr haben und somit keine Erklärungsansätze bieten können: «Quando la semplice sensazione magnetica invade l’immaginazione, è diventata quasi un’altra cosa; quando il fenomeno passa il limite dell’immaginazione e si accampa nelle facoltà più elevate dell’intelligenza è penetrato in una regione dove nessun fisiologo può ridurlo ad una special forma di movimento molecolare senza sconfinare dalla propria giurisdizione veramente scientifica […] Io aspetterò, fiducioso, come te e tutti i nostri pari, i responsi della nuova psicologia .» 15 Einzig die moderne Psychologie - die nicht mit der heutigen modernen Psychologie gleichzusetzen ist - vermag, Capuana zufolge, in Zukunft Einsichten in die noch unbekannten mentalen Vorgänge zu geben 2_IH_Italienisch_76.indd 69 23.12.16 09: 52 Gespenster? Capuana und der Spiritismus Ornella Fendt 70 Non-fiktionale literatur: Spiritismo? Spätestens mit Erscheinen seines Werkes Spiritismo? im Jahre 1884 wird deutlich, dass Capuana sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt hat - und er ist zugleich der erste Autor in Italien, der eine Monographie dazu vorlegt In diesem Werk beruft Capuana sich nicht nur auf Werke von Taine, auch der spätere Medizin-Nobelpreisträger Charles Richet - eine Autorität auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Spiritismus - und dessen Theorien finden mehrfach Erwähnung, besonders hinsichtlich des damals populären fluido magnetico, von dem angenommen wurde, es sei ein wichtiges Mittel bei Séancen, und dessen Existenz Richet schließlich widerlegt hatte Richet stellte dagegen die Theorie des somnambulisme provoqué auf, die auch Capuana aufgriff . 16 Interessant ist, dass Capuana Spiritismo? ein Shakespeare Zitat voranstellt, auf das in der Folge häufig rekurriert wurde, wenn es um den Spiritismus ging Dass Capuana in diesem Zusammenhang ausgerechnet einen der größten Schriftsteller aller Zeiten zitiert, ist eine eindeutige Positionierung Capuanas im Literaturkanon und spricht für sich «There are more things in heaven and earth, Horatio, / Than are dreamt of in your philosophy .» 17 Spiritismo? ist in Form eines offenen Briefes an seinen Freund und Kollegen Salvatore Farina verfasst Ein zentrales Thema sind Capuanas spiritistische Sitzungen mit Beppina Poggi, der Tochter seiner Vermieter während eines Aufenthalts in Florenz im Jahr 1864 Ganz im Stile des Positivismus geriert Capuana sich hier als osservatore, der bestimmte fatti untersuchen möchte und diese in Form von documenti festhält Ausgangspunkt der in Spiritismo? beschriebenen Episoden ist Capuanas Wunsch, sich mit dem verstorbenen Autor Ugo Foscolo zu unterhalten, um Informationen über dessen Leben zu erhalten, da er plant, eine Biographie über den Autor zu schreiben Er bittet also die von ihm hypnotisierte Beppina, die sich aufgrund ihres Geschlechts und ihrer damit einhergehenden Disposition besonders gut als Medium eignet, sich mit Foscolos Geist in Verbindung zu setzen Der spirito, der daraufhin erscheint und im Folgenden auch weiterhin nur als spirito und nicht bspw als spirito di Ugo Foscolo bezeichnet wird, ist allerdings äußerst unfreundlich und nicht kooperativ An den folgenden fünf Tagen finden weitere Séancen statt, wobei Beppina stets erfolglos versucht, etwas über das Leben Foscolos zu erfahren Der spirito ist zunehmend irritiert und erlangt schließlich die Kontrolle über Beppina, wobei er sie sadistisch demütigt, auf dem Boden knien lässt, zum Weinen bringt u .a .m Der Ich-Erzähler (der aufgrund der Unterschrift am Ende des Briefes durchaus mit Capuana zu identifizieren ist) und magnetizzatore (‘Hypnoti- 2_IH_Italienisch_76.indd 70 23.12.16 09: 52 Ornella Fendt Gespenster? Capuana und der Spiritismus 71 seur’) schreitet schließlich ein und weckt die arme Beppina aus ihrer Trance Allerdings verfolgt der spirito sie in der Folge über mehrere Monate (einen ganzen Sommer lang), ohne dass ihm Einhalt geboten werden könnte Er möchte Beppina heiraten, und als diese ablehnt, verursacht der Geist ihr Schwindel, Selbstmordgedanken und ähnliche unangenehme Empfindungen Dass die beschriebenen Episoden nicht frei erfundene Schauermärchen sind, versucht Capuana bspw in folgender Passage zu zeigen: «Senti, caro Farina; io ti racconto l’impressione schiettissima del fatto, come fu allora provata; non l’analizzo, non la commento; e mentirei se ti dicessi di esser proprio sicuro che in quel momento non fossimo, anche noi, sovraeccitati in sommo grado e mezzi colpiti di allucinazione . . A un tratto, dunque, ecco Aneppe, il piccolo cane nero, che comincia ad uggiolare sordamente, quasi provasse la sensazione di qualcosa d’ insolito per aria .» 18 Es ist also nicht nur die ‘überspannte’ junge Frau, die spürt, was den Umstehenden entgeht, sondern auch ein Hund, der, wie heutzutage wissenschaftlich erwiesen ist, andere Frequenzen und Schwingungen wahrnehmen kann als ein Mensch Die Episode findet, zumindest vorübergehend, ein Ende, als Beppina zusammenbricht: «La Beppina cadde, mezzo svenuta, sulla poltrona accosto . . E così la crisi finì! Cioè, finì còlla sua forma acuta […]» 19 Endgültig endet der böse Spuk erst, als Beppina einige Wochen später auf Klopfzeichen an der Wand antwortet, nachdem sich zunächst alle anderen Bewohner des Hauses erfolglos daran versucht haben «E così ebbe fine quella crisi, magnetica, isterica o spiritica, della Beppina che ci avea tenuti in tanta angoscia Finalmente! Respirammo .» 20 Auffällig ist an dieser Stelle, dass Capuana terminologisch äußerst unscharf zu arbeiten scheint Die crisi könne sowohl eine magnetica als auch eine isterica oder spiritica gewesen sein Diese Varianz ist ungewöhnlich, denn in der medizinischen Terminologie der Zeit gilt nur die crisi isterica als eindeutig erwiesenes Phänomen, das auch vielfach beschrieben wurde (besonders Charcots Studien zur Grande Hystérie waren damals international bekannt) Es findet hier also, so hat es zumindest den Anschein, eine Vermischung der Referenz-Ebenen statt Capuana selbst geht allerdings, basierend auf seinen Erfahrungen mit dem sonnambulismo provocato, von einer großen Ähnlichkeit bzw Verwandtschaft dieser Zustände aus Die Übersensibilität, die nötig ist, um eine Person in Trance versetzen zu können, findet sich auch bei hysterischen Personen Seine ausführlichen Experimente mit Beppina Poggi verhalfen ihm zur Erkenntnis, dass Beppina während 2_IH_Italienisch_76.indd 71 23.12.16 09: 52 Gespenster? Capuana und der Spiritismus Ornella Fendt 72 ihrer hypnotisierten Phasen ähnlich reizbar war wie Hysterikerinnen während eines Anfalls Außerdem lässt sich - und das hatte bereits der große Hysterie-Forscher Charcot festgestellt - in beiden Fällen eine, wie Capuana es nennt, sdoppiamento dello spirito (‘Bewusstseinsspaltung’) beobachten, die bewirkt, dass sich sowohl Hysterikerinnen als auch Hypnotisierte nach diesen psychisch alternierten Zuständen an nichts mehr erinnern Dieses Phänomen birgt für Capuana aber auch poetologisches Potential, denn er verflicht es mit seinem impersonalità-Postulat Das völlige Zurücktreten des Erzählers (impersonalità) zugunsten einer möglichst unvermittelten Erzählweise ist ein entscheidendes Element der veristischen Poetik Analog dazu stellt für Capuana auch das fantasma artistico individuale einen Zustand des (erzählenden) Ich dar, in dem kein Bewusstsein über Vor- und Nachzeitigkeit und somit keine Verbindung zum schreibenden Ich möglich ist Die Unvermitteltheit mit der bei der scrittura automatica geschrieben wird, ist somit ein Paradebeispiel der impersonalità Medium und Autor eint also die Gemeinsamkeit sich in einem Raum zu befinden, in dem durch das Zurücktreten des Ego eine Kommunikation mit autonomen (Geister-)Wesen möglich ist; in der Sprache von Autoren werden diese Wesen ‹Charaktere› genannt, Medien sprechen von ‘Geistern’ . 21 Sollte man anhand der soeben besprochenen Passagen aus Spiritismo? Glauben eine Antwort auf die Frage nach Capuanas Haltung zum Spiritismus gefunden zu haben, so wird man enttäuscht, denn das Werk endet mit den Worten: «Ma appunto per esser cauti e non mettere il piede in fallo, anche accordando un valore reale a questo confronto di fatti di ordine diverso, non dobbiamo trarne conseguenze che sorpassino la sfera di essi fatti Con fenomeni come quelli dello spiritismo, se non risulta avverato che si tratti di fenomeni sovrumani, non risulta neanco avverato che si tratti soltanto di fenomeni assolutamente naturali ed umani, nel ristrettissimo senso che noi sogliamo dare a queste parole […] Ed ecco, caro Farina, perché la mia lettera intestata con una timida interrogazione di curioso, può, senza contraddirsi, finire allo stesso modo, domandando: SPIRITISMO? » 22 Capuana gibt also - vorsichtshalber 23 - keine eindeutige Antwort Es bleibt ein Fragezeichen Diese Ambivalenz ist das Kernstück von Capuanas Beschäftigung mit dem Spiritismus und findet sich auch in seinen Novellen und Romanen wieder 2_IH_Italienisch_76.indd 72 23.12.16 09: 52 Ornella Fendt Gespenster? Capuana und der Spiritismus 73 An dieser Stelle sei eine weitere ambivalente Haltung Capuanas erwähnt, nämlich diejenige gegenüber Cesare Lombroso In Mondo Occulto wird offensichtlich, dass Capuana versucht, sich den europaweit bekannten Namen Lombrosos zu Nutze zu machen, indem er ihn als wissenschaftliche Autorität - der unbedingt Glauben zu schenken ist - bemüht Eingangs bezeichnet er Lombroso durch die Wiedergabe eines Gesprächs, das 1893 stattgefunden hat, als ‘noch-nicht-Spiritisten’: «Il Prof Lombroso non è ancora uno spiritista Tre anni fa, in [sic] Roma, egli mi diceva: — Io credo ai fenomeni da me osservati, e me li spiego benissimo con la ipotesi d’una forza psichica di cui, per ora, ignoriamo e la natura e le leggi Se però vedessi e toccassi con mano un’apparizione, un fantasma spiritico, non crederei affatto; mi dichiarerei allucinato — Perché? — Perché lo spirito è un assurdo, e l’assurdo mi repugna .» 24 Allerdings endet Mondo Occulto schließlich mit folgenden Worten: «Per fortuna, i veri scienziati (e il Lombroso è tra questi) che amano la scienza e la verità più della loro personale opinione, sono già molti, se non legione [ . . .] Per essi, i fenomeni spiritici possono dirsi fatti scientifici quando [sic] i fenomeni e i fatti chimici e fisici, quantunque di natura assai diversa da questi Davanti alla loro spregiudicata testimonianza, ai curiosi, ai non scienziati come me non resta altro che accettarne modestamente le conchiusioni ed esser lieti di trovarsi in così buona compagnia .» 25 Capuana, der sich hier als Dilettant in Sachen Spiritismus bezeichnet, ist der Meinung, er befinde sich unter so vielen namhaften Wissenschaftlern, wie bspw Lombroso, die überzeugte Spiritisten sind, in guter Gesellschaft Dass im Anschluss an Capuanas Haupttext in Mondo Occulto im Appendice noch ein Aufsatz Lombrosos von 1892 - und somit vor dem eingangs erwähnten Gespräch der beiden - wiedergegeben wird, verwirrt den Leser aufgrund des Anachronismus zusätzlich Allerdings entsteht dadurch - und das war wohl Capuanas Ziel - der Eindruck, Lombroso sei tatsächlich ein Anhänger des Spiritismus 2_IH_Italienisch_76.indd 73 23.12.16 09: 52 Gespenster? Capuana und der Spiritismus Ornella Fendt 74 fiktionale literatur: Spiritismus am Beispiel von Profumo Capuanas Beschäftigung mit dem Okkulten beschränkt sich nicht nur auf die einschlägig als ‘spiritistische Studien’ bekannten Werke Spiritismo? und Mondo Occulto Ein Großteil seiner Novellen hat ebenfalls übersinnliche Phänomene als Thema Darüber hinaus - und das liegt hier im Fokus - finden sich auch in seinen Romanen übersinnliche und spiritistische Anklänge Das bekannteste Beispiel für einen solchen Fall bietet sicherlich der in Forschung häufig in diesem Zusammenhang zitierte Marchese von Roccaverdina (1901) Allerdings ist auch Profumo (1890) 26 wesentlich mehr als ein idillio provinciale 27 und birgt zahlreiche Hinweise auf spiritistische Themen Bereits in der Nota al lettore findet sich folgende Aussage Capuanas: «Tanto è vero che nell’opera d’arte, quando è sincera, s’infiltra sempre qualcosa di più che l’autore non ha intenzione di mettervi e che, spesso, i lettori scorgono assai prima di lui .» Dem Leser kommt also eine Schlüsselrolle bei der Text-Interpretation und dem Text-Verständnis zu Interessant ist hierbei, dass dieses Zitat an eine Passage aus Spiritismo? erinnert: «Interpretare, integrare, compire i dati più immediati della realtà con altri più complessi accumulati nel suo organismo dalle sensazioni inavvertite e (oggi bisogna aggiungerlo) con quelli, più remoti e non meno efficaci, condensati in esso dall’eredità; ecco le operazioni concorrenti alla produzione dell’opera di arte, ed ecco la chiave di oro che può, forse, aprircene i meravigliosi segreti .» 28 Die Arbeit des Autors ähnelt also auf verblüffende Weise der Arbeit des Lesers Während der Autor sensazioni inavvertite in sein Werk integriert, entdecken die Leser diese oftmals schon lange vor ihm und können sie enträtseln Profumo beginnt mit folgendem Satz: «Patrizio Moro-Lanza si sentiva da tre mesi così pienamente felice, che già cominciava a provare una superstiziosa paura, quasi presentisse che la sua cattiva sorte stesse in agguato a tramargli qualche crudele sorpresa .» 29 Und kurz darauf findet sich folgende Passage: «Il viaggio da Avola a Marzallo era stato tristissimo Mattinata nebbiosa e piovosa, da far apparire brutte anche le magnifiche campagne, per le quali serpeggia la strada provinciale; freddo straordinariamente intenso, che prostrava, in fondo alla carrozza mal difesa, la povera signora Geltrude avviluppata nella pel- 2_IH_Italienisch_76.indd 74 23.12.16 09: 52 Ornella Fendt Gespenster? Capuana und der Spiritismus 75 liccia e mezza sepolta sotto la coperta da viaggio e gli scialli pesanti; » . 30 Die Atmosphäre ist von Anfang an düster, klamm und unheimlich Geltrude, die Mutter Patrizios und Schwiegermutter Eugenias, wird hier als mezza sepolta beschrieben, sie ist unter Decken und Schals ‘halb begraben’, was sie semantisch in die Nähe des Todes rückt Geltrude hat, wie im Verlauf des Romans deutlich erkennbar wird, eine ödipal-dysfunktionale Bindung zu ihrem Sohn, Patrizio, 31 und ist eifersüchtig auf dessen Ehefrau Sie überrascht das jungvermählte Paar immer wieder, indem sie - wie ein Gespenst - unvermittelt in den Gängen des Klosters, in dem die Familie lebt, auftaucht Dies illustriert beispielsweise folgende Passage: «Patrizio stava per slanciarsi ed abbracciarla, ma l’arrestò l’apparizione della signora Geltrude, che veniva avanti senza far rumore pel viale, simile a un fantasma, con la ruga della fronte più severa che mai .» 32 Auch nach ihrem Tod bleibt Geltrude wie eine Wiedergängerin präsent im Leben ihres Sohnes und stört weiterhin dessen Beziehung zu seiner Frau Für Eugenia wird sie zur invisibile nemica, was sich in folgenden Passagen zeigt: «Come lottare contro la invisibile nemica? Se la sentiva dattorno in tutti i momenti A ogni scricchiolio di mobili, a ogni rumore di cui non sapeva rendersi subito ragione, trasaliva, stando in attesa, trattenendo il respiro, origliando, spalancando gli occhi verso il posto d’onde il rumore era partito; » 33 «Ci era però di mezzo colei, la sua nemica! Quella che era stata gelosa, e continuava ad essere tale anche di là dove ora si trovava, invadendo tuttavia il cuore del figliuolo e stornandolo da lei, come aveva evidentemente minacciato con quegli occhi fissi di morente! Se li vedeva dinanzi tutte le volte che vi ripensava, dalla mattina alla sera; e anche la notte, allorché non poteva prender sonno e pel terrore svegliava Patrizio: ‘Ho paura! Ho paura! ’» 34 Außer der gespenstischen Geltrude, die, das sei kurz erwähnt, sowohl durch ihre Namensähnlichkeit als auch durch gewisse Charakterzüge einerseits auf Manzonis Monaca di Monza, Gertrude, und andererseits auf Hamlets Mutter, Königin Gertrude, und somit auf zwei nicht unbedeutende und streitbare literarische Namenspatinnen verweist, findet sich ein weiteres übernatürliches Element in Profumo, das einen zentralen Stellenwert hat: Der titel- 2_IH_Italienisch_76.indd 75 23.12.16 09: 52 Gespenster? Capuana und der Spiritismus Ornella Fendt 76 gebende Duft nach zagara (‘Orangenbzw Zitrusblüten’), den Eugenia während ihrer Hysterie-Attacken verströmt Dessen Funktion und Bedeutung werden allerdings im Roman nicht explizit geklärt Innerfiktional wird als Erklärungsansatz lediglich auf den Duft verwiesen, den manche Heilige nach ihrem Tod verströmen, wodurch Eugenia semantisch in die Nähe einer Heiligen Jungfrau gerückt wird Dabei kann ihre Schwiegermutter Geltrude diesen bedeutenden - und titelgebenden - Duft erstaunlicherweise nicht wahrnehmen . 35 Ob Geltrude tatsächlich eine Wiedergängerin ist oder ihre ‘Gespenstigkeit’ nur der überreizten Phantasie ihrer vermeintlich hysterischen Schwiegertochter zuzuschreiben ist, wird in Profumo ebensowenig geklärt wie die Bedeutung des Duftes Auch hier bleibt, ähnlich wie in Spiritismo? , am Ende ein Fragezeichen Für den heutigen literaturwissenschaftlichen Leser muten diese offenen Fragen mitunter merkwürdig an Im Kontext des 19 Jahrhunderts allerdings, das besonders in der zweiten Hälfte ein recht wenig restriktives Konzept des Realen hatte, 36 waren unerklärliche Phänomene, die in der Literatur verhandelt wurden, integraler Bestandteil der mehr oder minder realistischen Romane und befriedigten gemäß dem Motto «expect the unexpected» 37 den Publikumsgeschmack der Zeit Abstract Luigi Capuana, comunemente noto come uno dei tre veristi siciliani e come teorizzatore del verismo, concepisce - diversamente dagli altri veristi - il discorso scientifico come strettamente collegato allo spiritismo Probabilmente Capuana non fu uno spiritista ortodosso, ma le sue opere dimostrano che l’interesse per lo spiritismo ha influenzato la sua produzione letteraria per diversi decenni Per lui, i fenomeni psicologici sono spiegabili con metodi positivistici e la ‘creazione letteraria’ può essere spiegata grazie allo spiritismo La questione della natura dello spiritismo per Capuana è prevalentemente un problema psicologico-letterario, perché il metodo classico delle sedute spiritiche è la scrittura automatica: Capuana vede in ciò un nesso con la creazione letteraria Oltre al ‘classico’ testo che si occupa dell’occulto, cioè Spiritismo? , fa parte dell’intervento anche il romanzo Profumo L’obiettivo del saggio è mettere in luce l’influenza dello spiritismo sull’opera di Capuana, argomento scarsamente studiato, ma utile a superare la riduttiva etichetta di verismo riferita alle opere dell’autore 2_IH_Italienisch_76.indd 76 23.12.16 09: 52 Ornella Fendt Gespenster? Capuana und der Spiritismus 77 Anmerkungen 1 Die Tatsache, dass die in der Literatur dargestellte Realität zunehmend ‘fantastisch’ aufgeladen ist, birgt zahlreiche Implikationen für die Literatur des 19 . Jahrhunderts Siehe dazu: Marc Föcking, «Al margine dello scientismo ottocentesco: parapsicologia, positivismo e il fantastico in Lugi Capuana, Gilbert Augustin Thierry e Bram Stoker», in: La tentazione del fantastico . Narrativa italiana fra 1860 e 1920, hrsg . von Peter Ihring und Friedrich Wolfzettel, Perugia: Guerra 2003, S . 77-90 2 Der hier vorliegende Beitrag basiert auf grundlegenden Überlegungen, die ich im Rahmen meines derzeitigen Promotionsprojektes (Betreuer: Prof . Dr . Marc Föcking, Universität Hamburg) weiter vertiefe 3 Dass der verismo innerhalb der europäischen ‘Realismen’ eine Sonderstellung innehat, zeigt Helmut Meter in seinem einschlägigen Werk: Figur und Erzählauffassung im veristischen Roman . Studien zu Verga, De Roberto und Capuana vor dem Hintergrund der französischen Realisten und Naturalisten, Frankfurt a .M .: Klostermann 1986 . Besonders seine Aussage wonach «das potentiell Unwirkliche [ . . .] nun Teil des Wirklichkeitskonzeptes selbst [ist]» löst das Dilemma, das der Frage nach dem Verhältnis von dargestellter Wahrheit/ Realität im Zusammenhang mit fantastischen/ spiritistischen Elementen innewohnt . Siehe zum selben Thema auch Meters Aufsatz im vorliegenden Band . Auch Mariacarla Gadebusch Bondio verweist darauf, dass der Widerspruch zwischen Capuanas Interesse an verismo und Fotografie einerseits und dem Irrealen des Fantastischen und dem Spiritismus andererseits nur zunächst als widersprüchlich erscheint . Capuanas Realitätsverständnis erlaube allerdings eine Koexistenz beider Interessensgebiete . Vgl . hierzu Mariacarla Gadebusch Bondio, «La vita oltre la morte: spiritismo, ipnotismo ed esperienze metapsichiche nei romanzi e nelle novelle di Capuana», in: Italienisch XXXVIII, n . 2/ 1997, S . 38-50, hier S . 40-41 4 Vgl . hierzu David Chapin, Exploring Other Worlds: Margaret Fox, Elisha Kent Kane, and the Antebellum Culture of Curiosity, Amherst (u .a .): University of Massachusetts Press 2004 5 Die Schreibweise des Nachnamens ist zu Lebzeiten der Dame recht uneinheitlich; in der Regel wird sie Palladino genannt . Capuana allerdings berichtet von ihr als Eusapia Paladini . Vgl . Luigi Capuana, Mondo Occulto, Napoli: Pierro 1896, S . XI 6 Lombrosos Konversion zum Spiritismus ist allerdings ein nach wie vor strittiges Thema, soll er doch eine Liaison mit Palladino gehabt haben und geistig nicht mehr völlig zurechnungsfähig gewesen sein . Vgl . Joseph McCabe, «Scientific Men and Spiritualism: A Skeptic’s Analysis», in: The Living Age, 12 . Juni 1920 . S . 652-657, hier: S . 653 7 Vgl . hierzu Houdinis einschlägiges Werk: A Magician Among the Spirits (1924) . Lange vor Erscheinen des Buches gab es allerdings schon Shows von Houdini, die dasselbe Ziel, die Aufdeckung von Tricks und Betrügereien der spiritistischen Medien, verfolgten . 8 Vgl . hierzu: Bernd Stiegler (Hrsg .), «Exkurs: Arthur Conan Doyle und Harry Houdini», in: Spuren, Elfen und andere Erscheinungen: Conan Doyle und die Photographie, Frankfurt a .M .: Fischer 2014, S . 157-172; sowie Christopher Sandford, Houdini and Conan Doyle, London: Duckworth Overlook 2011, passim 9 Die aktuelle Ausgabe «Anno CXVI, Fascicolo 1 - 2016 ist online zugänglich unter: http: / / www .bibliotecabozzanodeboni .com/ wp-content/ uploads/ 2016/ 05/ Luce-e-Ombran .-1_2016-completo .pdf 10 Vgl . Francesco Pavone, «Inediti di Capuana III . Lettere di L . Capuana a G Costanzo», in: Da Boccaccio a Pierro, hrsg . von Francesco Pavone, Catania: Giannotta 1968, S . 131 2_IH_Italienisch_76.indd 77 23.12.16 09: 52 Gespenster? Capuana und der Spiritismus Ornella Fendt 78 11 Vgl . Valeria Giannetti, «Capuana e lo spiritismo: l’anticamera della scrittura», in: Lettere Italiane, XLVIII, 2, 1996, pp . 268-285, S . 268 12 Vgl . Luigi Capuana, Spiritismo? , Catania: Giannotta 1884, S . 219 13 Hippolyte Taine, De l’intelligence, Paris: Hachette 1870, Bd . I, S . 6-7 14 Siehe hierzu den «Appendice» in Mondo Occulto, der einen Artikel Lombrosos wiedergibt . Capuana, Mondo Occulto, S . 68-95 15 Capuana, Spiritismo? , S . 211-212 16 Richets Werk L’homme et l’intelligence (1884), erschien zwar nur wenige Monate vor Spiritismo? , allerdings war das darin enthaltene Kapitel zum somnambulisme provoqué, auf das Capuana sich hauptsächlich beruft, bereits 1875 in Form eines Aufsatzes veröffentlicht worden war (vgl . Giannetti 1996, S . 271) 17 William Shakespeare, Hamlet, Akt I, V . 5 18 Capuana, Spiritismo? , S . 120 19 Ebd 20 Capuana, Spiritismo? , S . 128 21 Vgl . Angelo M . Mancini, «A Portrait of the Writer as Somnambule: Reflections on Verismo and Phantasmagoria in Verga and Capuana», in: The Italian Gothic and Fantastic . Encounters and Rewritings of Narrative Traditions, hrsg . von Francesca Billiani und Gigliola Sulis, Madison: Fairleigh Dickinson University Press 2007, S . 80-97, hier S . 82 22 Capuana, Spiritismo? , S . 274-275 . Hervorhebungen im Original 23 Im Vorwort von Mondo Occulto, das Capuana als appendice zu Spiritismo? konzipierte, nennt er sein damaliges Zögern, das sich auch im Fragezeichen manifestiert, prudente riserbo 24 Capuana, Mondo occulto, S . XI 25 Capuana, Mondo occulto, S . 66-67 26 Der Roman wurde zunächst (1890) als Fortsetzungsroman in der Nuova Antologia veröffentlicht . Anschließend wurde er - überabeitet - 1892 in Buchform, 1896 erneut als Fortsetzungsroman (in der Zeitung Roma di Roma) und 1900 sowie 1908 mit jeweils nur kleineren Änderungen als Buch veröffentlicht . Die heute zumeist und auch in diesem Fall verwendete Ausgabe von Mondadori (1996) folgt der Ausgabe von 1908 27 So der Untertitel der dritten Ausgabe (1896) 28 Capuana, Spiritismo? , S . 222 . Hervorhebungen der Verf .in 29 Vgl . Luigi Capuana, Profumo, Milano: Mondadori 1996, S . 7 30 Vgl . ebd 31 Dieser trägt durch den Namensbestandteil «pater» auch bereits einen Verweis auf die ödipale Thematik in seinem Namen . Für diesen Hinweis danke ich Marc Föcking 32 Vgl . Capuana, Profumo, S . 27 . Hervorhebungen der Verf .in 33 Vgl . Capuana, Profumo, S . 114 . Hervorhebungen der Verf .in 34 Vgl . Capuana, Profumo, S . 118 . Hervorhebungen der Verf .in 35 Capuana, Profumo, S . 60 . Zu den damit einhergehenden Implikationen vgl . Lara Michelacci, Il microscopio e l’allucinazione . Luigi Capuana tra letteratura, scienza e anomalia . Bologna: Pendragon 2015, S . 102-103 36 Vgl . Föcking 2003, S . 90 37 Vgl . ebd 2_IH_Italienisch_76.indd 78 23.12.16 09: 52 Ornella Fendt Gespenster? Capuana und der Spiritismus 79 Bibliographie Capuana, Luigi: Spiritismo? , Catania: Giannotta 1884 Capuana, Luigi: Mondo Occulto, Napoli: Pierro 1896 Chapin, David: Exploring other worlds: Margaret Fox, Elisha Kent Kane, and the antebellum culture of curiosity, Amherst (u .a .): University of Massachusetts Press 2004 Föcking, Marc: «Al margine dello scientismo ottocentesco: parapsicologia, positivismo e il fantastico in Lugi Capuana, Gilbert Augustin Thierry e Bram Stoker, in: La tentazione del fantastico . Narrativa italiana fra 1860 e 1920, hrsg . von Peter Ihring und Friedrich Wolfzettel, Perugia: Guerra 2003 . S . 77-90 Gadebusch Bondio, Mariacarla: «La vita oltre la morte: spiritismo, ipnotismo ed esperienze metapsichiche nei romanzi e nelle novelle di Capuana», in: Italienisch XXXVIII, n . 2/ 1997, S . 38-50 Giannetti, Valeria: «Capuana e lo spiritismo: l’anticamera della scrittura», in: Lettere Italiane, XLVIII, 2, 1996, S . 268-285 Houdini, Harry: A Magician Among the Spirits, New York: Harper 1924 Mancini, Angelo M .: «A Portrait of the Writer as Somnambule: Reflections on Verismo and Phantasmagoria in Verga and Capuana», in: The Italian Gothic and Fantastic Encounters and Rewritings of Narrative Traditions, hrsg . von Francesca Billiani und Gigliola Sulis, Madison: Fairleigh Dickinson University Press 2007, S . 80-97 McCabe, Joseph: «Scientific Men and Spiritualism: A Skeptic’s Analysis», in: The Living Age, 12 Juni 1920, S . 652-657 Meter, Helmut: Figur und Erzählauffassung im veristischen Roman . Studien zu Verga, De Roberto und Capuana vor dem Hintergrund der französischen Realisten und Naturalisten, Frankfurt a .M .: Klostermann 1986 Pavone, Francesco: «Inediti di Capuana III . Lettere di L . Capuana a G . Costanzo», in: Da Boccaccio a Pierro, hrsg . von Francesco Pavone, Catania: Giannotta 1968, S . 131 Sandford, Christopher: Houdini and Conan Doyle, London: Duckworth Overlook 2011 Shakespeare, William: Hamlet Stiegler, Bernd (Hrsg .): «Exkurs: Arthur Conan Doyle und Harry Houdini», in: Spuren, Elfen und andere Erscheinungen: Conan Doyle und die Photographie, Frankfurt a .M .: Fischer 2014, S . 157-172 Taine, Hippolyte: De l’intelligence, Paris: Hachette 1870, Bd . I, S . 6-7 Internetquellen Luce e Ombra http: / / www .bibliotecabozzanodeboni .com/ wp-content/ uploads/ 2016/ 05/ Luce-e-Ombran .-1_2016-completo .pdf 2_IH_Italienisch_76.indd 79 23.12.16 09: 52 8 0 JulI A g ErlAC h helden als Verräter - Die Zersetzung des antifaschistischen Narrativs in Bertoluccis Strategia del ragno (1970) 1 I. Das kollektive Erinnern an die Resistenza, die gegen den italienischen Faschismus und die deutschen Besatzer kämpfte, ist bis in die 1990er Jahre ein zentrales Element der italienischen und europäischen Erinnerungskultur Im Italien der Nachkriegszeit, das die Ambiguität der siegreichen Niederlage erlebt, das Trauma des Bürgerkriegs verarbeiten muss und das Problem der Integration von Millionen von Ex-Faschisten in den neu geborenen demokratischen Staat schultern muss, 2 instrumentalisiert die demokratische politische Elite die Resistenza als Gründungsmythos der italienischen Republik Die Würdigung der Kämpfer - um nicht zu sagen Helden - der Resistenza hilft dabei, das italienische Selbst- und Fremdbild umzuformen und wieder Teil der Gemeinschaft der demokratischen Staaten zu werden, sich von Schuldgefühlen zu befreien und die Frustration über den verlorenen Krieg zu kanalisieren, so argumentieren Historiker Mit dem politischen Umschwung zu einer centrosinistra-Regierung 1963 wird die Resistenza endgültig zur «politischen Grundlage der Republik» . 3 Aldo Moro deutet 1965 die Resistenza als «dezidiert idealistische Massenbewegung» und leitet daraus die «Verpflichtung zur Verteidigung der demokratischen Institutionen» 4 ab Nicht nur das politische, auch das kulturelle Leben der Nachkriegszeit wird dominiert vom Thema der Resistenza «The Resistance has had a major influence on almost every aspect of Italian culture It has created an imposing legacy of literary and non-literary writings, films, songs, art, and monuments .» 5 Ein zentrales Medium zur Schaffung einer kanonisierten Deutung der Resistenza ist der Film . 6 Erinnert sei hier insbesondere an den Neorealismus, der Literatur und Filmkunst entscheidend prägte Als im Rahmen der Protestbewegung seit 1968 der Tod der Resistenza proklamiert wird, «erstickt von offiziellen Feierlichkeiten der politischen Klasse», 7 entsteht in Italien ein heute erstaunlicherweise wenig bekannter Film: Strategia del ragno/ Strategie der Spinne . 8 Produziert von der RAI, verfilmt Bernardo Bertolucci eine freie, auf die italienische Resistenza gemünzte 2_IH_Italienisch_76.indd 80 23.12.16 09: 52 Julia Gerlach Helden als Verräter 81 Version der Erzählung «Tema del traidor y del héroe» (1944) von Jorge Luis Borges Während Borges’ Erzählung in Irland angesiedelt ist, verlagert Bertolucci den Plot nach Italien Die Frage nach Freund und Feind, nach Held und Verräter stellt sich dem Zuschauer, während er den Protagonisten Athos Magnani jr auf seine Reise nach Tara, in sein fiktives Heimatdorf in der Emilia Romagna, und bei der Suche nach den Mördern seines antifaschistischen Vaters begleitet Im Zuge der Nachforschungen wird der Held zum Verräter und schließlich zum Märtyrer Der augenscheinliche Kriminalfall wird zur Suche nach der eigenen - auch politischen - Identität Strategie der Spinne wird sowohl beim zeitgenössischen Fernsehpublikum als auch bei der Biennale in Venedig begeistert aufgenommen - so begeistert, dass die RAI den Film zweimal in derselben Woche sendete . 9 Der Kritiker Grazzini, der für den Corriere della Sera schreibt, hält Bertoluccis Film für einen der besten des neuen italienischen Kinos: «[ . . .] l’opera è fra le più suggestive del nuovo cinema italiano, [ . . .] trasmette un’inquietudine onirica profondamente segnata dalla malinconia di non poter conoscere il perché dei comportamenti umani e a non poter sfuggire alla presenza della morte [ . . .] .» 10 Die von Grazzini angeregte Lesart des Films als doppel- oder vieldeutig - er benutzt das Wort ambiguità - wird zum entscheidenden Lektüreschlüssel für die Auslegung des Films Zahlreiche Filmwissenschaftler haben den Film aus verschiedenen methodischen Perspektiven analysiert, von psychoanalytischhistorischen und biografischen Ansätzen über Untersuchungen über die Rolle von Geschlecht und Gewalt usw Wie Bolongaro in seinem Aufsatz «Why Truth Matters: Ideology and Ethics in Bertolucci’s The Spider’s Stratagem» (2005) anmerkt, ist bei der Verschiedenheit der Methodik erstaunlich, wie einig die Auslegung in der Sekundärliteratur ist Bertoluccis Film handle von Ambiguität und Unentscheidbarkeit, also der Unmöglichkeit, moralische Unterscheidungen zu treffen: «In the end, everyone explicitly or implicitly agrees that the film places us inside a structure similar to an Escher drawing Like Athos Jr ., the protagonist of the film, we are drawn into the illusion and become its prisoners .» 11 Bolongaro stellt diese Interpretation in Frage und untersucht, was der Film uns über Wahrheit und Fiktion, über Wirklichkeit und Konstruktion sagt Bolongaros Anregung, Strategie der Spinne auf seine ethischen Aussagen hin 2_IH_Italienisch_76.indd 81 23.12.16 09: 52 Helden als Verräter Julia Gerlach 82 zu befragen, soll hier aufgegriffen werden Es soll analysiert werden, was Bertoluccis uns in seinem Film über Freund-/ Feind-Schemata in der von ihm dargestellten Zeit des italienischen Faschismus vor Augen führt Ein Filmemacher ist Produzent visueller Bedeutung und Dramaturg der Geschichte Der Filmemacher inszeniert Geschichte Er arbeitet der Überlieferung des kulturellen Gedächtnisses von einer Generation zur nächsten vor Er arbeitet also maßgeblich an der Schöpfung eines allgemeingültigen emotionalen Narrativs mit . 12 Es ist demnach kulturwissenschaftlich hochinteressant, was ein Starregisseur wie Bertolucci zur Erhaltung bzw zur Zersetzung des Resistenza-Narrativs beiträgt Athos Magnani, die Reflektorfigur, mit der die Zuschauer die Filmhandlung vornehmlich erleben, lebt in Mailand Er erhält einen Brief von Draifa, der Geliebten seines 1936 durch die Faschisten ermordeten Vaters, die von Alida Valli gespielt wird Darin suggeriert Draifa, dass entgegen der offiziellen Version die Mörder des Vaters noch frei im Dorf herumlaufen, und bittet Athos, diesen ‘Kriminalfall’ zu lösen Athos reist per Zug nach Tara, wo er Draifa trifft und nach anfänglichem Zögern Nachforschungen zum Tod seines Vaters anstellt Das scheinbar friedliche Dorf offenbart seine Schattenseiten, und Athos wird wiederholt mit dem Satz «Qui siamo tutti amici» 13 bedroht Die Nachforschungen führen Athos zu den drei Freunden seines Vaters, dem Lehrer Costa, dem Wurstwarenhersteller Gaibazzi und dem Kinobesitzer Rasori Die regimekritische Clique traf sich regelmäßig in ihrem Geheimversteck, einem unsachgemäß in der Landschaft entsorgten Umzugstransporter, um ihre antifaschistischen Aktionen zu planen Athos’ Nachforschungen ergeben schließlich, dass Athos‘ Vater nicht «vigliaccamente», feige, von Faschisten, sondern von seinen eigenen Freunden, den Antifaschisten, ermordet wurde Die Resistenza-Gruppe hatte einen Anschlag auf Mussolini geplant, der jedoch durch Athos‘ Vater vereitelt wurde Er hatte die Carabinieri über das Vorhaben informiert Als seine Freunde dies erfahren, wird der Freund zum Verräter und wird brutal zusammengeschlagen Da macht der Verräter einen Vorschlag, um dem Wunsch nach Rache seiner Freunde nachzukommen und der antifaschistischen Sache dennoch zum Sieg zu verhelfen: Er will seine eigene Ermordung durch Faschisten inszenieren, damit zum Märtyrer werden und dem Dorf eine Identifikationsfigur stiften: «Non mi ucciderete voi, un traditore è scomodo anche da morto, molto più utile è un eroe […] che la gente possa amare .» Magnani nutzt seine literarische Bildung, um eine möglichst dramatische Ermordung zu planen Ihm ist klar, dass von der Qualität der Inszenierung der in der Öffentlichkeit freigesetzte Hass auf den Faschismus abhängt: 2_IH_Italienisch_76.indd 82 23.12.16 09: 52 Julia Gerlach Helden als Verräter 8 3 «Offriremo lo spettacolo di una morte drammatica, che si scolpisca nell’immaginazione popolare, perché si continui ad odiare […] sempre di più il fascismo Sarà la morte leggendaria di un eroe: un grande spettacolo teatrale .» Die Freunde erschießen den Verräter dann auch öffentlichkeitswirksam während einer Rigoletto-Aufführung im lokalen Theater Bei der Leiche des Athos, dem Tage zuvor der Tod durch eine Zigeunerin vorhergesagt worden war (in Anlehnung an die Hexen in Shakespeares Macbeth), wird ein noch ungeöffneter Brief gefunden, der seine Ermordung ankündigt (wie bei dem toten Caesar) So viele mystery-Elemente inspirieren die Dorf-Bewohner, und überall finden sich Erinnerungsorte an den Antifaschisten: eine Büste, eine nach ihm benannte Straße und ein nach ihm benannter Jugendclub An Athos Magnanis Heldentod wird allerorts erinnert Magnani hat seinen Plan umsetzen können und die kollektive Erinnerung manipuliert Die Aufklärung des Verbrechens stürzt den Sohn des augenscheinlichen Heldens in eine Krise Er überlegt, im Rahmen einer Feierlichkeit zu Ehren seines Vaters die Wahrheit zu verkünden, um dem Spuk ein Ende zu bereiten, entscheidet sich an seinem Rednerpult - zur Frustration des Kino- Zuschauers - dann aber doch dagegen Als Athos Magnani seine Rückreise nach Mailand antreten will, hält kein Zug mehr in Tara und er sitzt dort fest II. Alle Freund-/ Feind-Schemata versagen in Bertoluccis Strategie der Spinne Das Augenscheinliche ist nicht das Wahre Der Film zersetzt die Dichotomie Partisan/ Faschist und überwindet eine undifferenzierte und unkritische Auseinandersetzung mit dem Erbe des Antifaschismus und des Faschismus Und doch leistet Bertolucci weit mehr als das Die Frage, welche Bedeutung die Vergangenheit für die Gegenwart hat, wird in Strategie der Spinne auf verschiedenen Ebenen reflektiert, u .a der Ebene der Identität, des Raumes, der Zeit und des Erinnerns II.1 Zur Ebene der Identität Bereits die Entscheidung, die zwei männlichen Hauptrollen von ein und demselben Schauspieler, Giulio Brogi, darstellen zu lassen, suggeriert eine massive Persistenz der Vergangenheit in der Gegenwart Als Athos Magnani nach seiner Ankunft ein Hotelzimmer nimmt, kommentiert der Rezeptionist: «Uguale al papà! » Auch Draifa positioniert Magnani neben einem Foto seines Vaters und betont, dass sie sich gleichen wie ein Ei dem anderen 2_IH_Italienisch_76.indd 83 23.12.16 09: 52 Helden als Verräter Julia Gerlach 8 4 Darüber hinaus haben Vater und Sohn denselben Namen Dem Zuschauer erschweren die Doppelrolle und die Namensgleichheit, der Story zu folgen und zu verstehen, was sich tatsächlich in Tara abspielt Als Magnani bei der Enthüllung einer Gedenktafel für seinen Vater eine Rede hält, zitiert er das Wort «Un uomo è fatto di tutti gli uomini Li vale tutti e tutti valgono lui .» Der falsche Held wird von seinem Sohn als Jedermann charakterisiert, niemand sei weniger oder mehr wert Dieser Satz kann auf die italienische Bevölkerung gemünzt werden, die wie der junge Magnani eine Entscheidung treffen muss: wie mit dem Wissen über die verdeckte und versteckte Wahrheit des Bürgerkrieges umgegangen werden soll Magnani junior hat im Film keinen erkennbaren Charakter, mehr als eine Person ist er ein Typ Er ist kein Spieler, Manipulator und Frauenschwarm wie sein Vater, sondern ein Mann, dessen augenscheinlichste Eigenschaft es ist, die Erwartungen Dritter erfüllen zu wollen II.2 Zur Ebene des raumes Athos Magnani junior kennt den Heimatort des Vaters nicht, hatte seine schwangere Mutter das Dorf doch aus Furcht vor den Faschisten verlassen Auf seinem Spaziergang durch Tara stößt Athos Magnani auf zahlreiche Belege für die Verehrung, die seinem Vater dort zu Teil wird: via Athos Magnani, circolo culturale giovanile Athos Magnani, Magnanis Büste auf einer piazza und die zu enthüllende Gedenktafel Im dörflichen Raum nimmt die Vergangenheit einen zentralen Platz ein Schuster spitzt die Rolle der Toten für die Gesellschaft so zu: «In den Toten bündelt sich Erinnerung, und in manchen Toten suchten und suchen die Lebenden Sinnstiftungen für ihr eigenes Leben oder gar für die ganze Nation .» Das Magnani-Denkmal verkörpert gebündelte kollektive Erinnerung und fungiert als sinnstiftendes Element für die kollektive Identität der Bewohner Taras Der Resistenza-Mythos stiftet Einheit - allerdings eine trügerische Das Setting des Films ist überhaupt eigentümlich Einerseits sind die Drehorte durch das Filmen an realen Orten authentisch und realistisch, andererseits greift Bertolucci wiederholt Bildelemente und -kompositionen aus der Malerei, insbesondere von Magritte und de Chirico auf Der Surrealist Magritte verknüpft in seinen Bildern Lichtelemente von Tag und Nacht, wie in seinem Werk Reich der Lichter von 1954, in den Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel zu besichtigen . 14 Ein leicht bewölkter, sonst aber strahlendblauer Sommerhimmel wird mit einer nächtlichen Dunkelheit auf der Straße, im Wald und am Haus kombiniert Sogar eine Straßenlaterne brennt Magritte verknüpft das Licht verschiedener Tageszeiten bewusst unlogisch, um sein Mißtrauen für das Sichtbare und das scheinbar Offensichtliche auszudrücken Bei seiner Suche nach der Wahrheit weist 2_IH_Italienisch_76.indd 84 23.12.16 09: 52 Julia Gerlach Helden als Verräter 85 Magritte konventionelle Bilder und Begriffe zurück, sie sind für ihn lediglich Vereinbarungen, arbiträr Magritte möchte dem Betrachter seiner Bilder einen neuartigen Blick auf die altbekannte Welt ermöglichen: «Im Hinblick auf unsere Malerei wird das Wort ‚Traum’ oft mißverständlich gebraucht […] Unsere Werke gehören nicht der Traumwelt an Im Gegenteil, wenn es sich in diesem Zusammenhang um Träume handelt, sind diese sehr verschieden von jenen, die wir im Schlaf haben Es sind eher selbstgewollte Träume, in denen nichts so vage ist wie die Gefühle, die man hat, wenn man sich in den Schlaf flüchtet Träume, die nicht einschläfern, sondern aufwecken wollen .» 15 Bertolucci nutzt den Verfremdungseffekt, den die ästhetisierten Bildkompositionen hervorrufen Der von ihm gefilmte reale Raum wirkt unwirklich wie eine Kulisse Zu dieser hatte Magnani senior Tara ja auch degradiert, als er seine Inszenierung vom Heldentod geplant und umsetzen lassen hatte: «Tutta Tara diventerà un grande teatro» Tara wird für den Sohn zu einem Gefängnis, aus dem er sich nicht mehr befreien kann - als hätte er sich in einem Spinnennetz verfangen Kein Zug bringt ihn mehr zurück nach Mailand Obwohl der Film größtenteils in externen, also offenen, Settings gedreht ist, gelingt es Bertolucci mithilfe verschiedener technischer Mittel, dem Zuschauer ein Gefühl von Enge und Gefangenheit zu vermitteln Di Marino spricht hierbei von «schizofrenica geografia» . 16 Dabei spielen die Kamerabewegungen eine entscheidende Rolle, die teilweise nicht konsequent dem Protagonisten, sondern den für die Kamera ausgelegten Schienen folgen und so die Gemachtheit des Films unterstreichen So wird die Distanz des Zuschauers zum Gezeigten erhöht II.3 Zur Ebene der Zeit Draifa betont, dass seit Magnanis Tod die Zeit in Tara stillgestanden habe: «Nella nostra città si è fermato tutto da quando l’hanno ucciso» In der Tat sind in den Straßen keinerlei Hinweise auf Fortschritt zu erkennen Draifa selber scheint nicht gealtert zu sein Sie ist kinder- und ehelos geblieben und lebt von der fruchtlosen Erinnerung an ihren Helden In Draifas Wohnung hängt ein Kalender, der seit Magnanis Ermordung nicht mehr abgerissen wurde Auch gesellschaftlich hat sich nichts verändert: Alle Freunde Magnanis sind in ihren Berufen geblieben, und der einzige noch lebende Faschist des Dorfes ist wie zu Zeiten Mussolinis Großgrundbesitzer 2_IH_Italienisch_76.indd 85 23.12.16 09: 52 Helden als Verräter Julia Gerlach 86 Auf den Straßen sind fast ausschließlich alte Männer zu sehen, abgesehen von Draifa gibt es keine Frauenfiguren im Film Kinder sind kaum zu sehen, vor dem Jugendclub sitzen nur alte Herren Es hat keine Entwicklung gegeben, weder sozial noch persönlich Bertolucci vergleicht Tara mit dem Totenreich, aus dem man nicht entkommen kann: «Una volta entrati nel regno dei morti è difficile uscirne .» 17 Stilistisch setzt Bertolucci dies z .B mit kreisenden Kamerabewegungen um Dies suggeriert «il fluire ciclico di un tempo che si ripete sempre uguale […], impedendo al protagonista di intervenire sul corso della storia» . 18 - Aber kann der Protagonist tatsächlich nicht handeln, ist ihm keine Möglichkeit dazu gegeben? Magnani hat bei der Rede zu Ehren seines Vaters das Verschweigen der Tatsachen ihrer Offenlegung vorgezogen Damit hat er Tara und sich selber jegliche Möglichkeit genommen, die Vergangenheit in einem neuen Licht zu beleuchten, neue Denk- und Deutungsprozesse in Gang zu bringen und zu lernen und zu wachsen Diese Entscheidung bezahlen Tara und Magnani selber mit Stillstand Der Wunsch des Zuschauers nach öffentlicher Lösung des Kriminalfalls wird frustriert Der Konflikt wird nicht gelöst, sondern unter den Teppich gekehrt Magnani junior enttäuscht das Kinopublikum, weil er die Bewohner Taras nicht enttäuscht Er tritt damit in die Fußstapfen seines Vaters, der es mit der Wahrheit auch nicht so genau nahm, wie sich sein Kumpan Gaibazzi erinnert: «Vuoi sapere la verità . . tuo padre diceva che la verità non significa niente Quello che conta sono solo le conseguenze della verità .» Mehr als die Wahrheit zählen für den Helden ihre Konsequenzen In seinem Fall soll die Inszenierung dazu beitragen, den Faschismus zu hassen Der Sohn versteht sich als Teil des Plans seines Vaters: «Dopo tanti anni qualcuno scopre la verità e gli verrebbe voglia di gridarla, di scriverla sui muri… però questo qualcuno è costretto a tenere segreto quello che ha scoperto, perché si rende conto di far parte della trama di Athos Magnani» Der Sohn begreift, hat aber nicht den Mut, sich dagegen aufzulehnen: «Vorrei non chiamarmi Athos Magnani Questo nome ha un senso, un suono, di ribellione, coraggio .» Er wünscht sich, jemand anderes zu sein, handelt nicht, und bleibt damit umso mehr derjenige, der er nicht sein will Dabei scheint Bertolucci durchaus einen Hoffnungsschimmer in seinen Film eingebaut zu haben, die Kinder Während Athos den Nachruf auf seinen Vater vor einem vornehmlich männlichen, schwarz gekleideten und nahezu unbeweglichen Publikum hält, läuft ein kleiner Junge quer durchs Bild 2_IH_Italienisch_76.indd 86 23.12.16 09: 52 Julia Gerlach Helden als Verräter 87 II.4 Zur Ebene des Erinnerns Zeitzeugen, die sich an den Helden Magnani erinnern, tragen mit ihren Aussagen dazu bei, den Kriminalfall um seine Ermordung zu lösen, ganz wie bei polizeilichen Ermittlungen Dabei nutzt Bertolucci Flashbacks, die dem Zuschauer erlauben, die geschilderten Ereignisse so zu erleben, als sei er dabei gewesen In mehreren Szenen macht Bertolucci die Unzuverlässigkeit der Zeugenaussagen deutlich, indem er Aussagen und Flashbacks einander kontrapunktiv entgegensetzt So hatte z .B Magnani vorgeschlagen, Mussolini bei einem Besuch in Tara zu ermorden Sein Freund glaubt sich jedoch zu erinnern, dass die antifaschistische Gruppe gemeinsam die Idee dazu hatte Draifa lässt die drei compagni fedeli mit dem Faschisten Beccaccia an einem Tisch sitzen Die drei Freunde schwelgen in Erinnerungen, aber der Faschist reagiert nicht «Tu non ti ricordi niente, eh? » spotten die drei Diese Szene fasst die Situation im demokratischen Italien zusammen: Im Nachkriegsitalien hat eine Revision des kollektiven Gedächtnisses stattgefunden, und die öffentliche Bild- und Wortwelt ebenso wie die Topographie der Städte wurde umgeprägt Verantwortlich dafür ist die neue Herrschaftssituation, denn wie Thomas Nipperdey deutlich macht: «Die Opposition baut, solange sie nichts als Opposition ist, keine Denkmäler .» 19 Die Resistenza ist keine Untergrundbewegung mehr, sondern ein etablierter nationaler Mythos Die herrschende politische Klasse investiert in ihre Institutionalisierung Der Faschist Beccaccia dagegen hat keine Erinnerung II.5 Zur frage von täter und Opfer Die Widerstandsgruppe besteht aus vier Freunden, die einander belügen, verraten und schließlich sogar töten - um damit dem Wunsch des Verräters zu entsprechen, ihn zum Märtyrer für die antifaschistische Sache zu stilisieren Der eigentliche Feind, die Faschisten, dem die feige Ermordung zugeschrieben wird, ist tatsächlich unschuldig Einer der Mörder Magnanis erinnert sich voller Enthusiasmus an den charismatischen Frauenhelden und Antifaschisten: «Era una persona straordinaria La sua morte non poteva che corrispondere alla sua vita: una morte eccezionale dopo una vita eccezionale» Die Bewunderung für Magnani spricht noch immer aus seinen Worten Dem Zuschauer erschwert diese offensichtliche Zuneigung für das Opfer, die Täter so zu verurteilen, wie er es gewohnt ist Tatsächlich kommt dem Zuschauer der Verdacht, ob das Opfer die Täter nicht auch manipuliert hat Gewissermaßen haben sie ihm mit seiner Ermordung einen persönlichen Gefallen getan: Er hat der antifaschistischen 2_IH_Italienisch_76.indd 87 23.12.16 09: 52 Helden als Verräter Julia Gerlach 8 8 Sache mehr gedient, als ein Attentat auf Mussolini es vielleicht je gekonnt hätte Und er profitiert auch auf persönlicher Ebene: Einerseits wurde seine Sehnsucht nach Größe und Unsterblichkeit befriedigt Andererseits hat er sich mit seinem Heldentod aus seiner privaten Misere befreit Eine Druck machende Geliebte und eine schwangere Ehefrau könnten bei Magnani durchaus zu einer gewissen Selbstmordsehnsucht geführt haben III. Stereotype Deutungsmuster weist Bertolucci wiederholt zurück, indem er die Zuschauer zwingt, die Perspektive der einzelnen Personen anzuhören und anzusehen Strategie der Spinne ist ein hochkomplexer Film und ein großartiges Dokument des italienischen Kinos Bertolucci fordert die Dichotomie Partisan/ Faschist heraus und wagt es, die Konstruiertheit von nationaler Geschichte zu verbildlichen Dabei sind Form und Inhalt perfekt miteinander verwoben, «la coerenza formale si sposa . . perfettamente al racconto, senza per questo rinunciare a uno stile poetico, chiaramente avvertibile e marcatamente autoriflessivo .» 20 In den 1970er Jahren Mitglied des Partito Comunista Italiano, kann Bertolucci nicht in den Verdacht geraten, faschistische Sympathien zu hegen Er zersetzt nicht den Mythos der Resistenza in ihren höchsten Idealen, sondern ihre durch die Aneignung der politischen Klasse erfolgende Umdeutung und Instrumentalisierung Strategie der Spinne kritisiert eine Gesellschaft, die Aufrichtigkeit verachtet und Tatsachen verschleiert Diese Art von Gesellschaft führt für den Regisseur zu einem Leben in einer falschen Vergangenheit in einer Atmosphäre der Angst, die zu Stillstand führt und keine Zukunft hat «Bertolucci is arguing that as long as a cynical disregard for truthfulness, a strategy of rhetorical obfuscation, and plain unprincipled opportunism hold sway over political life, nothing can truly change .» 21 Durchaus lassen sich aus Bertoluccis Film moralische Aussagen herauslesen Magnani senior und junior sind Gefangene ihrer Lebensumstände, haben aber allemal die Möglichkeit, sich zu entscheiden, was sie ja auch tun Auch ihr soziales Umfeld hat die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen Den oder die Mörder Magnanis, oder - abstrakter - die Schuldigen zu suchen, wo sie sind: innerhalb der dörflichen (oder nationalen) Gemeinschaft, unabhängig von ihrer politischen Verortung Sie entscheiden sich für das Aufrechterhalten einer Lebenslüge Ihr opportunistisches, feiges Verhalten verurteilt sie zu einer Existenz wie im Totenreich 2_IH_Italienisch_76.indd 88 23.12.16 09: 52 Julia Gerlach Helden als Verräter 8 9 Wie Magritte mit seiner Malerei möchte Bertolucci das Publikum mit dem von ihm verfilmten Alptraum aufwecken Der Regisseur stellt, ganz im Sinner der antibürgerlichen 1968er-Bewegung, den Status quo in Frage, indem er den antifaschistischen Mythos gegen den Strich bürstet Bertolucci problematisiert in Strategie der Spinne Wissen und Verstehen, verknüpft Familiengeschichte und kollektives Gedächtnis und stellt die Zuverlässigkeit mündlicher und schriftlicher Quellen in Frage Er frustriert den Zuschauer durch einen gewollt erschwerten Blick auf die Vergangenheit, setzt das Publikum größter Ambiguität aus und verweigert ein kathartisches Moment Damit weigert er sich, die Vergangenheit zu bagatellisieren und zu mystifizieren Er zwingt den Zuschauer zu Distanz und Reflexion Und das in einem Fernsehfilm! Bertolucci hat gegen das Fernsehen gefilmt, wie er selber formuliert: «Ricordo mentre giravo non intendevo concedere niente al formato televisivo e addirritura, quasi per vendetta, filmavo contro la televisione .» 22 Anstelle eines Heldenmythos, typischer Bestandteil der großen nationalen Erzählungen, deren mörderisches Potenzial Historiker nicht müde werden zu betonen, setzt Bertolucci die Suche nach der individuellen Wahrheit In Italien kritisieren Historiker wie Filippo Focardi bis heute die fehlende Vergangenheitsbewältigung, wobei das «ehemals positiv definierte antifaschistische Paradigma abgelöst» wurde durch eine institutionalisierte Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen, «womit auf indirekte Weise eine ‘Rettung’ der Resistenza verbunden ist» . 23 Die Kriegsverbrechen der faschistischen Aggressoren sind in der kollektiven Erinnerung nicht präsent Dabei wäre es nach Focardi wünschenswert, anstelle der nationalen Erzählungen eine neue, europäische Erinnerungskultur der Verantwortung zu schaffen, «una memoria europea fondata sull’etica della responsabilità e aperta alla dimensione globale e multietnica delle società in cui viviamo, al di là di una memoria nazionale finora centrata su se stessa, vittimistica e autocelebrativa .» 24 Abstract. Il film Strategia del ragno di Bernardo Bertolucci, ambientato nel periodo fascista, ha ricevuto grande attenzione da parte della critica internazionale Sottolineandone l’aspetto onirico e ambiguo, la maggior parte dei critici non sembra considerare una lettura del film in chiave moralistica Al contrario, Eugenio Bolongaro sottolinea quanto il film critichi una società basata sulla falsità e sulla finzione Il lavoro qui sviluppato si propone di 2_IH_Italienisch_76.indd 89 23.12.16 09: 52 Helden als Verräter Julia Gerlach 9 0 esplorare questo tema, mettendo in evidenza quanto vari aspetti come il trattamento dello spazio e del tempo, del ricordo e della identità personale contribuiscano a confermare una posizione fortemente moralistica di Bertolucci Critico di miti nazionali autocelebrativi, Bertolucci mette in scena l’incubo che costituisce una società senza sviluppo ed autoriflessione Così il regista problematizza la strumentalizzazione della Resistenza da parte della classe dirigente italiana del dopoguerra Anmerkungen 1 Dieser Vortrag wurde am 19 .06 .2016 in gekürzter Form bei der durch das Trinationale Graduiertenkolleg der Universitäten Bonn, Paris-IV-Sorbonne und Florenz organisierten Konferenz Freund und Feind . Emotionale Narrative in Europa an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn gehalten 2 Vgl . Hans Woller, Geschichte Italiens im 20 . Jahrhundert (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Band 1180) . Lizenzausgabe der BpB Bonn 2011, S . 405 3 Brunello Mantelli, «Revisionismus durch ‘Aussöhnung’ . Politischer Wandel und die Krise der historischen Erinnerung in Italien», in: Cornelißen, Christopher et al . (Hrsg .), Erinnerungskulturen . Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer 2 . Aufl . 2004, S . 228 . 4 Filippo Focardi, «Gedenktage und politische Öffentlichkeit in Italien, 1945-1995», in: Cornelißen, S . 216 5 Philipp Cooke (Hrsg .), The Italian Resistance: An Anthology (Italian Texts), Manchester, New York: Manchester UP 1997, S . 7 6 Lutz Klinkhammer, «Kriegserinnerung in Italien im Wechsel der Generationen . Ein Wandel der Perspektive? », in: Cornelißen, S . 338 7 Klinkhammer, S . 340 8 Obwohl Bertolucci der international wohl bekannteste lebende italienische Regisseur ist, ist Strategie der Spinne bisher nicht auf DVD erschienen, kann aber auf einer Seite der RAI im Streaming geschaut werden: http: / / www .rai .tv/ dl/ RaiTV/ programmi/ media/ ContentItem-9ba040a7-9686-4bdb-9d56-865df936c9b8-cinema .html 9 Vgl . Gino Moliterno, The A to Z of Italian Cinema (The A to Z series), Scarecrow Press 2009, S . 35 10 http: / / www .cinematografo .it/ cinedatabase/ film/ la-strategia-del-ragno/ 19290/ ; Aufruf vom 11 .08 .2016 11 Eugenio Bolongaro, «Why Truth Matters: Ideology and Ethics in Bertolucci’s The Spider’s Stratagem» in: Italian Culture, Band 23, Michigan: Michigan UP 2005, S . 73 12 Vgl . zum deutschen Erinnerungsfilm: Michael Braun, Wem gehört die Geschichte? Erinnerungskultur in Literatur und Film, Münster: Aschendorff Verlag 2012, S . 177 f 13 Dieses und alle weiteren Zitate aus dem Film: nach eigener Transkription 14 Online-Katalog siehe https: / / www .fine-arts-museum .be/ uploads/ vubisartworks/ images/ magritte-6715dig-l .jpg; Aufruf vom 11 .08 .2016 15 Zit . nach Uwe M . Schneede, René Magritte . Leben und Werk, Köln: DuMont 1973, S . 100 f . 16 Bruno di Marino, «La casa, il mondo, la scena . Riti di passaggio e di paesaggio nel cinema di Bertolucci», in: Adriano Aprà (Hrsg .), Bernardo Bertolucci . Il cinema e i film (Marsilio saggi), Venezia: Marsilio 2011, S . 82 2_IH_Italienisch_76.indd 90 23.12.16 09: 52 Julia Gerlach Helden als Verräter 91 17 Zit . nach Tullio Masoni: «Strategia del ragno», in: Adriano Aprà (Hrsg .), Bernardo Bertolucci . Il cinema e i film, Venedig: Marsilio 2011, S . 195 18 Simone Starace, «Metrica e poesia . Per un’analisi stilometrica del cinema di Bertolucci», in: Adriano Aprà (Hrsg .), Bernardo Bertolucci . Il cinema e i film, Venedig: Marsilio 2011, S . 55 19 Zit .nach Gert Mattenklott, «‘Denk ich an Deutschland . . .’ Deutsche Denkmäler 1790 bis 1990» in: Deutsche Nationaldenkmale 1790-1990, hrsg .v . Sekretariat für kulturelle Zusammenarbeit nichttheatertragender Städte und Gemeinden in NRW, Gütersloh: Verlag für Regionalgeschichte 1993, S . 21 20 Starace, S . 55 21 Bolongaro, S . 91 22 Zit . nach Starace, S . 54 f 23 Klinkhammer, S . 342 24 Filippo Focardi, Il cattivo tedesco e il bravo italiano . La rimozione delle colpe della seconda guerra mondiale, Bari: Laterza 2013, S . 193 Bibliographie Bolongaro, Eugenio: «Why Truth Matters: Ideology and Ethics in Bertolucci’s The Spider’s Stratagem», in: Italian Culture, Band 23, Michigan: Michigan UP 2005, S . 71-96 Braun, Michael: Wem gehört die Geschichte? Erinnerungskultur in Literatur und Film, Münster: Aschendorff, 2 . Aufl . 2013 Cooke, Philipp (Hrsg .): The Italian Resistance: An Anthology (Italian Texts), Manchester, New York: Manchester UP 1997 Della Colletta, Cristina: When stories travel . Cross-Cultural Encounters between Fiction and Film, Baltimore: John Hopkins UP 2012 Di Marino, Bruno: «La casa, il mondo, la scena . Riti di passaggio e di paesaggio nel cinema di Bertolucci», in: Aprà, Adriano (Hrsg .): Bernardo Bertolucci Il cinema e i film (Marsilio saggi), Venezia: Marsilio 2011 Focardi, Filippo: «Gedenktage und politische Öffentlichkeit in Italien, 1945-1995», in: Cornelißen, Christopher et al . (Hrsg .): Erinnerungskulturen . Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer, 2 . Aufl . 2004 Focardi, Filippo: Il cattivo tedesco e il bravo italiano . La rimozione delle colpe della seconda guerra mondiale, Bari: Laterza 2013 Klinkhammer, Lutz: «Kriegserinnerung in Italien im Wechsel der Generationen Ein Wandel der Perspektive? », in: Cornelißen, Christopher et al . (Hrsg .): Erinnerungskulturen . Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer, 2 . Aufl . 2004 Kuhlbrodt, Dietrich et al .: Bernardo Bertolucci (Reihe Film 24), München: Hanser 1982 Mantelli, Brunello: «Revisionismus durch ‘Aussöhnung’ . Politischer Wandel und die Krise der historischen Erinnerung in Italien», in: Cornelißen, Christopher et al (Hrsg .): Erinnerungskulturen . Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer, 2 . Aufl . 2004 Masoni, Tullio: «Strategia del ragno«, in: Aprà, Adriano (Hrsg .): Bernardo Bertolucci Il cinema e i film, Venedig: Marsilio 2011, S . 192-196 2_IH_Italienisch_76.indd 91 23.12.16 09: 52 Helden als Verräter Julia Gerlach 92 Mattenklott, Gert: «‘Denk ich an Deutschland . . .’ Deutsche Denkmäler 1790 bis 1990» in: Deutsche Nationaldenkmale 1790-1990, hrsg .v . Sekretariat für kulturelle Zusammenarbeit nichttheatertragender Städte und Gemeinden in NRW, Gütersloh: Verlag für Regionalgeschichte 1993 Moliterno, Gino: The A to Z of Italian Cinema (The A to Z series), Scarecrow Press 2009 Starace, Simone: «Metrica e poesia . Per un’analisi stilometrica del cinema di Bertolucci», in: Aprà, Adriano (Hrsg .): Bernardo Bertolucci . Il cinema e i film, Venedig: Marsilio 2011 Woller, Hans: Geschichte Italiens im 20 . Jahrhundert (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Band 1180) . Lizenzausgabe der BpB Bonn 2011 Websites (alle aufgerufen am 11.08.2016) http: / / www .cinematografo .it/ cinedatabase/ film/ la-strategia-del-ragno/ 19290/ https: / / www .fine-arts-museum .be/ uploads/ vubisartworks/ images/ magritte-6715dig-l .jpg film (aufgerufen am 11.08.2016) http: / / www .rai .tv/ dl/ RaiTV/ programmi/ media/ ContentItem-9ba040a7-9686-4bdb- 9d56-865df936c9b8-cinema .html 2_IH_Italienisch_76.indd 92 23.12.16 09: 52 93 Biblioteca poetica «nel fresco orinatoio alla stazione»: Sandro Penna und die dichterische Sublimierung des Alltäglichen Der vorliegende Beitrag ist ein Versuch, zum 110 Geburtstag des italienischen Dichters Sandro Penna einen wichtigen Aspekt von dessen Poetik anhand eines neu übersetzten Gedichts zu präsentieren Penna scheint ein Poet pienamente immerso nella storia zu sein: ein italienischer Dichter, der in der Lage war, das unbekannte und anonyme Italien zu zeigen - ein Italien «sognat[a] e irreale», wie es Cesare Garboli bemerkt hat - und dies mit einer Anmut, die nichts Vergleichbares in der Literatur des 20 Jahrhunderts kennt Obwohl er als «una delle maggiori voci del Novecento» (Pasolini) oder als «miracolo» (Saba) beschrieben wurde, ist eine konkrete, kritisch-literarische Untersuchung seiner Poesie, von wenigen glücklichen Ausnahmen abgesehen, bislang ausgeblieben . 1 Sandro Penna war dem Berufsleben, den kulturellen Kreisen wie auch dem so geliebten Leben «dei quartieri popolari» fremd Viele Elemente seiner «estetica della povertà» finden sich auch hier im folgenden Gedicht wieder: die Suche nach der Peripherie, die Schönheit der ärmlichsten und einfachsten Viertel und deren Bewohner, eine Vorliebe für die einfachen Dinge und den Geruch des Alltags Sandro Penna wurde 1906 in Perugia in eine bürgerliche Familie hinein geboren Er absolvierte eine Ausbildung als Buchhalter, die ihm später immer wieder kurze Anstellungen ermöglichte Er hat jedoch nie ein reguläres Arbeitsleben oder gar eine Karriere gesucht Später arbeitete er auch als Korrektor für Verlage Die meiste Zeit lebte er in Rom Von Anfang an las Penna viel Literatur, Dichtung von Leopardi bis zu seinen eigenen Zeitgenossen, aber auch Prosaautoren wie Gide 1929 gelingt es ihm, über einen Bekannten Kontakt mit demjenigen Dichter aufzunehmen, der am deutlichsten die anti-avantgardistische Poetik vertrat, die auch die seine war: Umberto Saba Der Triestiner Dichter war vor allem von jenem Gedicht bezaubert, das später die Sammlung von Pennas Poesie eröffnen sollte: «La vita è… ricordarsi di un risveglio / triste in un treno all‘alba» Saba hilft ihm zehn Jahre später, 1939, bei der Publikation der ersten Fassung jenes Gedichtbandes 1950 folgt der Zyklus Appunti (Notizen), 1956 Una strana gioia di vivere (Eine seltsame Freude am Leben), 1958 Croce e delizia (Kreuz und Beglückung), ein Zitat aus der Arie der Violetta aus Verdis La Traviata Letzterer Titel ist besonders interessant, weil er einerseits auf die schon in der Seltsamen Freude am Leben anklingende Fraglichkeit oder «Gemischtheit» des Lebensglücks anspielt, andererseits 2_IH_Italienisch_76.indd 93 23.12.16 09: 52 «nel fresco orinatoio alla stazione» Carolina Pini 9 4 eine sonst nur wenig (aber immerhin von Pasolini) beobachtete Tendenz Pennas zum opernhaften Zitat zeigt Ab 1970 erscheinen seine Dichtungen dann stets gesammelt in einem Band Penna lebte zurückgezogen und unabhängig; man könnte sagen, er münzte die Marginalität, die in den Augen vieler sein Hauptthema - die homoerotische Liebe - mit sich brachte, in dieser stolzen Unabhängigkeit zum Lebensentwurf um Penna starb 1977 in Rom Trotz dieser Zurückgezogenheit wuchs Pennas Ruhm stetig, vom «Geheimtipp» bis hin zur Kanonisierung als eine der wichtigsten Stimmen des 20 Jahrhunderts Das ganze Werk Pennas ist in einem einzigen modernen «canzoniere» versammelt . 2 Auf den ersten Blick scheinen sich hier verschiedene Fragmente ständig zu wiederholen; dies könnte dem Leser das Gefühl geben, es handle sich um eine repetitive oder gar banale Dichtung - doch ganz im Gegenteil Denn die Verse erhalten dank Pennas raffinierter Ausdruckskraft eine einzigartige Form, ein genaues Gewicht Wie Luigi Tassoni schreibt: «Senza spiegarvelo rimarrete attratti dal ritmo incantatorio, forse ipnotizzati da quella che il poeta chiama storia senza nome, una storia ambientata in periferia, in poveri casamenti, sul tavolaccio di una portineria, al buio, a letto sonnecchiando, in treno, nelle sale d’aspetto, sui prati .» 3 Pennas Kunst ist - so der Konsens der meisten Penna-Forscher - durch eine intensive Liebe zum Leben in all seinen konkreten Erscheinungsformen charakterisiert, insbesondere durch ein bewunderndes Auskosten und Genießen der Schönheit der Natur in all ihren Aspekten Alle Gedichte Pennas sind Ausdruck einer beständigen Suche nach einer harmonischen Verbindung mit den Dingen des Seins In diesem harmonischen Universum gibt es weder Hierarchien noch Klassifikationen zwischen Dingen und ihrem Wert So hebt der Dichter die niedrigsten und alltäglichen Sachen empor, er wertet die einfachen und gewöhnlichen Dinge auf Es gibt dabei auch einen entgegengesetzten Vorgang: ein Herabsenken der universellen Elemente (wie die Sonne, den Mond, die Nacht), die auf eine menschliche Ebene versetzt werden: «l’abbassamento degli elementi universali (il sole, la luna, la notte) ad un piano umano nel quale essi al pari dell’io provano sentimenti e compiono azioni Essi sono sentiti in una cordialità di presenze quotidiane Questo tema e questa concezione si realizzano in uno stile tipico: la «metafora antropomorfica» La sua ricorrenza permette di elevarla a seconda dominante, seconda 2_IH_Italienisch_76.indd 94 23.12.16 09: 52 Carolina Pini «nel fresco orinatoio alla stazione» 95 struttura profonda che regola il sistema di segni di questa poesia Con questo procedimento metaforico oggetti inanimati (la piazza o la luna) vengono personalizzati, animati, antropomorfizzati L’occhio infantile e mitico nomina gli oggetti e li vitalizza come in un‘alba del mondo in cui tutto è animato da un unico soffio panteistico .» 4 Es gibt - laut Giulio di Fonzo - zwei Arten der Personifizierung in Pennas Gedichten: Die erste sei den «immagini universali» vorbehalten, während die zweite sich auf historische und alltägliche Momente beziehe Im ersten Fall handle es sich um einen «movimento di abbassamento», im zweiten um einen der «elevazione» Während beim ersteren die besondere Einfachheit der Situation - oftmals parataktisch - hervorgehoben werde, überwiege beim zweiten die Sublimierung des Alltäglichen, so dass Natur und Gegenwart zu einer Einheit verschmelzen: «Questa ‘sublimazione del quotidiano’ (Mengaldo), oltre che dalla metafora antropomorfica è realizzata dal fondersi dei luoghi storici con le entità naturali: dalla leggerezza di tocco che appena nomina i luoghi e non indugia a descriverli; infine dalla brevità epigrammatica delle liriche .» 5 Mit Hilfe der Naturdarstellung gelingt es Sandro Penna in seinen Gedichten, selbst die unpoetischsten Orte in «Häfen himmlischen Glücks» 6 zu verwandeln, eine Technik, die selbst das Licht nicht länger als natürlich, sondern vielmehr als magisch erscheinen lässt Stets ist die Stadt Szenerie von Pennas Werk: Oft ist die Peripherie der richtige Ort für das Ich, um in seiner Einsamkeit zu verweilen oder, um Intimität mit einem gelegentlichen «Jungen» zu erleben; doch manchmal wird ein anderer Ort gesucht: die öffentlichen Badeanstalten Sie sind versteckter und bieten mehr Intimität Zu Beginn der unveröffentlichten Schriften in seiner Gedichtausgabe von 1957 erscheint zum ersten Mal das Wort und der Ort «orinatoio» («Urinal»): «Nel fresco orinatoio alla stazione sono disceso dalla collina ardente Sulla mia pelle polvere e sudore m’inebbriano Negli occhi ancora canta il sole Anima e corpo ora abbandono fra la lucida bianca porcellana . 7 2_IH_Italienisch_76.indd 95 23.12.16 09: 52 «nel fresco orinatoio alla stazione» Carolina Pini 9 6 Zu dem kühlen Urinal des Bahnhofs bin ich hinabgestiegen vom glühenden Hügel Staub und Schweiß auf meiner Haut berauschen mich In den Augen singt noch die Sonne Seele und Körper lass ich nun zergehen im weißen, glänzenden Porzellan .» Man sieht hier, dass die Darstellung der Außenwelt bzw die Natur bei Penna eine besondere Affinität zur sexuellen Thematik aufweist Dabei ist es immer wieder die Umgebung in ihrer einfachen Schönheit, die den Dichter stimuliert; und dies in zweifacher Hinsicht Schließlich hat das Gefühl der Einheit mit dem Kosmos sowohl Auswirkung auf seine lyrische Produktivität als auch auf die Darstellung des Liebesaktes in seinen Werken Eingebunden in die Natur ist die homosexuelle Liebe durchweg natürlich und unmittelbar den natürlichen Abläufen der Natur entsprungen Vielfach wird die natürliche Umgebung körperlich wahrgenommen, was sich anhand der sexualisierten Hügel-Metaphorik verdeutlichen lässt Häufig lässt sich bei Sandro Penna die Verbindung dreier Elemente beobachten: eine räumliche Vorstellung der Natur, die Liebe und schließlich das Bild des brennenden Hügels, dessen Suggestionskraft eindeutig in den Bereich zügellos gewordener Leidenschaften zielt «Polvere» und «sudore» fungieren dabei als Schlüsselwörter, die dem Bereich des Sinnlichen zuzuordnen sind Die völlige Hingabe an die Lust steigert sich weiter durch eine konsequente Verbindung mit Elementen aus der Natur Sie bewirkt eine nicht länger ausschließlich realistisch zu nennende Diktion: «Qui il luogo più misero e squallido diventa un tempio prezioso, fresco e riposante, fasciato dell’ardore di un meriggio estivo Si tratta di una vera trasfigurazione mitologica: la figura solitaria che discende dalla collina ardente come un iddio pagano; la luce intensissima non più fisica ma magica; l’accento posto sul contrasto delle sensazioni tattili (caldo-fresco) e visive (luce-ombra) .» 8 Die dichterische Sublimierung des Alltags verwirklicht sich durch die Verbindung von realen Orten und Naturerfahrungen mit der Kürze seiner geradezu epigrammatischen Dichtungen, aber auch manchmal (wie hier) durch eine regelrechte visionäre Veränderung ärmlicher Orte und der scheinbar unpoetischsten Handlungen In Pennas Werk bleiben die Zentralität des empirischen Ichs, die subjektive und autobiographische Perspektive und das Verhältnis zwischen dem 2_IH_Italienisch_76.indd 96 23.12.16 09: 52 Carolina Pini «nel fresco orinatoio alla stazione» 97 Ich und der Realität (Natur und Liebesobjekte) stabil Die Sprache bietet für Penna ein genaues Zeichensystem für die Organisation der Welt In diesem Gedicht wird der niedrige Ort zu einem wertvollen, kühlen und erholsamen Tempel Es ist eine mythologische Verwandlung: die vereinzelte Figur, die von dem brennenden Hügel hinabsteigt, erinnert uns an eine heidnische Idylle Das intensive Licht ist allerdings eher physisch als magisch und der Akzent wird auf die Tast- (warm-kühl) und Gesichts-Sinne (Licht- Schatten) gelegt Die ganze Materie wird von der glänzenden Farbe angestrahlt, sodass wir den Eindruck haben, in eine andere Welt transportiert zu werden, in der die erotische Essenz des Ortes durch die kristalline Klarheit der Bilder auf den Mythos der Liebe anzuspielen scheint In der anthropomorphisierenden Metapher liegt der Kern der wesentlichen Differenz zwischen der Poesie Pennas und dem mainstream der dreißiger Jahre Auf dieser Differenz basiert die Außenseiterposition Pennas (zusammen mit Saba) im Hinblick auf die «hermetische» Traditionslinie (Ungaretti, Quasimodo und die ganze hermetische Gruppe der Dreißiger) und auf die «linea montaliana» (Montale) Die philologische und kritische Wiederentdeckung von Pennas Kunst bedeutet heute einen Versuch, die Forschung vom Problem seiner «unaussprechlichen Diversität» (aufgrund des «eccesso di limpidezza», 9 wie es Mengaldo bezeichnet hat) hin zur Frage nach dem wirksamen kulturellen Hintergrund in seinen Werken zu lenken Das Thema einer «Ästhetik der Armut» bzw «der ärmlichsten Dinge» spiegelt sich in Pennas Poetik auch in der Darstellung seines eigenen Lebens wider Das letzte Bild, das wir von dem Dichter besitzen, ist Penna als eine Figur, die im kompletten Chaos und in Armut lebt - und das Bild seiner Ästhetik: die Armut als Befreiung, als Liebe zum Leben, als Freiheit vom Arbeitsleben und als Unabhängigkeit von literarischen Gruppen Übersetzung und Kommentar: Carolina Pini Anmerkungen 1 Das Zitat von Garboli findet man im Vorwort: Sandro Penna, Poesie, Milano: Garzanti 2010, S . XII . Die Zitate von Pasolini und Saba sind Teil der Kommentare der kritische Anthologie hrsg . von Elio Pecora, Sandro Penna appunti di vita, Perugia: Electa 1990, S . 132-158 . Die Motive für das mangelnde Interesse der Kritik sind prinzipiell die folgenden: Sandro Penna war selbst nicht interessiert, seine Werke zu veröffentlichen; der historische Kontext spielte sicher seine Rolle (der Faschismus erlaubte eine so «gewagte» Poesie nicht); außerdem schloss sich Penna selbst aus den literarischen Kreisen und somit auch aus dem Erfolg aus 2 Luigi Tassoni, L’angelo e il suo doppio . Sulla poesia di Sandro Penna, Bologna: Gedit Edizioni 2004, S . 28 . «La prospettiva del canzoniere, e sottolineo novecentesco, fornisce 2_IH_Italienisch_76.indd 97 23.12.16 09: 52 «nel fresco orinatoio alla stazione» Carolina Pini 9 8 insomma non tanto l’alibi d’una struttura stabile quanto la facilitazione ermeneutica dei processi di lettura e ricodifica del senso, e perciò anche, dalla parte dell’autore, l’individuazione nella rete della scrittura di un tempo reversibile, del ritorno, della ripetizione, della simulazione e dissimulazione delle simmetrie, utile come argomento e come fatto di scrittura, come tema e come modello involontario di casualità e adattamenti successivi» 3 Tassoni, S . 22 4 Giulio Di Fonzio, Sandro Penna . La luce e il silenzio . Roma: Edizioni dell’ateneo 1981, S . 57 5 Di Fonzio, S . 54 6 Manfred Lentzen, Italienische Lyrik des 20 . Jahrhunderts . Von den Avantgarden der ersten Jahrzehnte zu einer «neuen Innerlichkeit», Frankfurt a .M .: Klostermann 1994, S . 254 7 Sandro Penna, Poesie, Milano: Garzanti 2010, S . 63 8 Giulio Di Fonzio, Sandro Penna . La luce e il silenzio, S . 57 9 Pier Vincenzo Mengaldo, Poeti italiani del Novecento, Milano: Mondadori 2010, S . 734 Bibliographie Primärliteratur Pasolini, Pier Paolo [1960]: Passione e Ideologia, Milano: Garzanti 1994 Pasolini, Pier Paolo [1973-1975]: Scritti corsari, Milano: Garzanti 2010 Penna, Sandro [1927-1977]: Poesie . Milano: Garzanti 2010 Sekundärliteratur Comberiati, Daniele: Tra prosa e poesie . Modernità di Sandro Penna, Roma: Edilazio Letteraria 2010 Deidier, Roberto: Le parole nascoste . Le carte ritrovate di Sandro Penna, Palermo: SellerioEditore 2008 Deleuze, Gilles: L’immagine-tempo, Milano: Ubulibri 2004 De Santi, Gualtiero: Sandro Penna, Firenze: La Nuova Italia 1982 Di Fonzo, Giulio: Sandro Penna La luce e il silenzio, Roma: Edizioni dell’ateneo 1981 Ferber, Christoph (Hrsg .): Sandro Penna . Mein Junge hat leichte Federn, Zürich: Pan Verlag 2008 Garboli, Cesare: Penna Papers . Tra memoria e filologia un poeta straordinario raccontato attraverso le sue «carte», Milano: Garzanti 1996 Giannelli, Enzo: L’uomo che sognava i cavalli . La leggenda di Sandro Penna, Roma: Armando Curcio Editore 2007 Ginzburg, Natalia: «Sandro Penna», in: Penna, Sandro: Il viaggiatore insonne, Genova: San Marco dei Giustiniani 1977 Gurrieri, Elena: Quel che resta del sogno . Sandro Penna, dieci studi (1989-2009), Firenze: Mauro Pagliai Editore 2010 Iacopetta, Antonio: Sandro Penna . Il fanciullo con lo specchio, Roma: Bonacci Editore 1983 Lentzen, Manfred: Italienische Lyrik des 20 . Jahrhunderts . Von den Avantgarden der ersten Jahrzehnte zu einer «neuen Innerlichkeit», Frankfurt a .M .: Klostermann 1994 2_IH_Italienisch_76.indd 98 23.12.16 09: 52 Carolina Pini «nel fresco orinatoio alla stazione» 99 Marcheschi, Daniela: Sandro Penna: corpo, tempo e narratività, Roma: Avagliano 2007 Mengaldo, Pier Vincenzo: Poeti italiani del Novecento, Milano: Mondadori 2010 Naldini, Nico: Come non ci si difende dai ricordi, Napoli: Cargo 2005 Pecora, Elio: Sandro Penna: una cheta follia, Milano: Frassinelli 1984 Pecora, Elio (Hrsg .): Sandro Penna appunti di vita, Perugia: Electa 1990 Tassoni, Armando: L’angelo e il suo doppio . Sulla poesia di Sandro Penna, Bologna: Gedit Edizioni 2004 Vaglio, Anna: Invito alla lettura di Penna, Milano: Mursia 1993 Wilken, Dörthe: «E questa festa di parole in me» . Intertextualität und Intermedialität im Werk Sandro Pennas, München: Martin Meidenbauer 2006 2_IH_Italienisch_76.indd 99 23.12.16 09: 52 10 0 C hI ArA A Ng ElI N I/ ElI S A B EttA lO NghI Come migliorare la produzione orale in l2: metodi innovativi un ciclo di lezioni di lingua straniera per l’apprendimento dell’italiano e del tedesco basato su un progetto di tandem virtuale fra l’università di Magonza e l’università di Parma Premessa La metodologia dell’apprendimento in generale e quello delle lingue straniere in particolare stanno subendo da anni l’influsso dei nuovi mezzi di comunicazione, che hanno rivoluzionato la didattica tradizionale Ciò nonostante, restano sempre valide alcune costanti del processo di apprendimento, come quelle enunciate da Bovet / Huwendiek (2008, 170) in un noto manuale per futuri docenti: «Lernen ist im Allgemeinen ein Prozess, der vereinfacht nach folgendem Schema abläuft: Die Schülerinnen und Schüler nehmen Umwelterfahrungen auf, verarbeiten und integrieren sie in das bereits bestehende Wissensgerüst, um im Idealfall die neu gewonnenen Erkenntnisse zu späteren Zeitpunkten wieder abrufen und nutzen zu können .» Secondo questo modello, il compito dell’insegnante sarebbe dunque quello di ampliare gli orizzonti d’esperienza dei discenti, come sintetizza efficacemente Magdalena Steiner nel sito Internet del Landesmedienzentrum Baden- Württemberg (LMZ): «Die Lehrperson ist dafür zuständig, den Schülerinnen und Schülern genannte Umwelterfahrungen durch entsprechendes Unterrichtsarrangement zugänglich zu machen .» Il nostro intento è quello di mostrare come le nuove tecnologie possano contribuire a realizzare questo compito Introduzione Nell’anno accademico 2014-15 l’Università di Magonza e quella di Parma hanno avviato un’esperienza di tandem virtuale della durata di un’ora (60 minuti) per gruppi di apprendenti a livello B2, servendosi della piattaforma Moodle e del programma per le videoconferenze Adobe Connect L’obiettivo delle responsabili del progetto (Chiara Angelini per Magonza ed Elisabetta 2_IH_Italienisch_76.indd 100 23.12.16 09: 52 Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi Come migliorare la produzione orale in L2 101 Longhi per Parma) era accompagnare gli studenti dei rispettivi gruppi attraverso un percorso che avrebbe permesso loro di usare meglio e più attivamente le loro preconoscenze di una lingua straniera, italiano o tedesco che fosse Basandosi sulle considerazioni di Bardo Herzig (2014, 10), si è tenuto conto dei fattori che influenzano il processo di apprendimento in un contesto digitalizzato: im Auftrag der Bertelsmann Stiftung Fonte: Prof . Dr . Bardo Herzig, „Wie wirksam sind digitale Medien im Unterricht? “, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2014, p . 10 Fra le possibili applicazioni dei sussidi didattici elettronici nella lezione va considerato con particolare attenzione il cosiddetto «didaktisch-methodischer Fokus» (Herzig 2014, 15): «Für Lehrpersonen dieses Typs ist die Verbindung von Medium, Methode und Inhalt im Unterricht kennzeichnend Sie reflektieren darüber, wie sich mit der Einführung von Laptops die Inhalte und die Methoden ändern (müssen), um eine qualitative Verbesserung von Lernprozessen bzw Unterricht zu erreichen Neben einem insgesamt umfangreicheren Einsatz des Laptops sind diese Lehrpersonen auch bereit, von curricularen Inhalten abzuweichen .» In base a tali osservazioni la tradizionale lezione di italiano o di tedesco è stata profondamente modificata, poiché le attività finalizzate a esercitare la produzione orale nella lingua d’arrivo sono state fatte con nuovi interlocu- 2_IH_Italienisch_76.indd 101 23.12.16 09: 52 Come migliorare la produzione orale in L2 Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi 102 tori, ossia con studenti di un altro Paese che in quel momento si trovavano nel Paese della lingua d’arrivo e che a loro volta avevano come obiettivo l’apprendimento di un’altra lingua In pratica, la controparte degli scambi dialogici non era più rappresentata dall’insegnante, e neppure si trattava di attività svolte in gruppo dagli studenti al cospetto dell’insegnante, col conseguente senso di insicurezza generato dal timore di sbagliare La totale democraticità degli scambi dialogici favoriva il flusso della comunicazione, comprese le correzioni reciproche, che costituivano il necessario aiuto nel processo di acquisizione delle competenze necessarie per rendersi indipendenti come parlanti di una lingua straniera in situazioni autentiche Il supporto tra pari ha inoltre contribuito enormemente all’ampliamento della sfera emotiva e dunque al raggiungimento dell’obiettivo finale sia a livello di qualità che di velocità dell’intero processo di conoscenza della lingua d’arrivo La cornice didattica è stata costruita dalle due docenti con un duro e accurato lavoro di preparazione pree post-videoconferenze, gestite tecnicamente in maniera impeccabile dal collaboratore studentesco Felix Janßen, al quale va in questa sede il nostro più sentito ringraziamento la struttura della lezione in videoconferenza Il ciclo delle lezioni in videoconferenza aveva come tema comune i fattori di successo e di insuccesso nel processo d’integrazione in un Paese straniero La strutturazione degli incontri ha subìto lievi variazioni nel corso dell’anno accademico, in modo da consentirci di sperimentare diverse modalità Per comodità presenteremo qui solo un modello, ovvero quello risultato più efficace, adottato nel semestre estivo, e lo illustreremo al presente per sottolineare la sua riproducibilità: 1 L’ora di lezione viene suddivisa in tre parti e siamo noi docenti a preparare a turno un incipit che funga da stimolo ai commenti successivi degli studenti L’inizio della lezione è dunque costituito da un video (immagini con commento di accompagnamento), da un contributo orale (per es lo stralcio di una trasmissione radiofonica registrata oppure una canzone) oppure scritto (per es una frase di un personaggio famoso, un brano tratto da un articolo di giornale o da un romanzo), o anche da un’immagine (per es una foto o un disegno) che si colleghi in modo congruo al tema generale e susciti emozioni Per indurre ulteriormente gli studenti a reagire allo stimolo iniziale proposto, prima di aprire i commenti in seduta plenaria la docente di turno formula anche una domanda per il pubblico degli apprendenti La lingua 2_IH_Italienisch_76.indd 102 23.12.16 09: 52 Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi Come migliorare la produzione orale in L2 103 usata in questa fase della lezione è in genere la lingua madre dell’insegnante che ha condotto la fase iniziale Questa scelta però non va considerata come l’unica possibilità, ci sono infatti varie opzioni, per esempio quella di far parlare anche i docenti nella lingua d’arrivo, oppure mezz’ora in una lingua e mezz’ora nell’altra Si tratta di problemi di metodo da risolvere fra i responsabili dei due gruppi nella fase preparatoria del corso, sulla base delle necessità didattiche che di volta in volta si presentano Importante è però che, una volta scelta la procedura da usare, si resti fermi su tale scelta e la si applichi coerentemente 2 Una volta che la docente moderatrice di turno ha posto la sua domandaguida, l’intero gruppo ne discute in seduta plenaria L’obiettivo linguistico da raggiungere è lo sviluppo della capacità argomentativa, ossia la formulazione di un’opinione su un certo tema e la sua difesa apportando motivazioni adeguate, oppure la descrizione di un certo stato d’animo nei confronti di un problema e la ricerca delle cause che lo hanno provocato Ognuno viene invitato a parlare, cercando di superare le remore provocate dall’utilizzo dello strumento mediale a disposizione per comunicare (per es le incertezze nell’uso che possono verificarsi all’inizio) Gli studenti possono richiedere la parola con un comando presente nel programma, si attiva un logo che identifica la postazione (tramite il nome stesso dello studente) e viene data loro la parola Ciò significa che a quel punto, se parlano nel microfono, tutti possono sentire ciò che dice e vedere anche il suo volto mentre parla Il contributo è pubblico come se tutti i partecipanti fossero in una stessa classe in un luogo preciso, eppure il gruppo siede in due stanze diverse a 2000 chilometri di distanza: in tal modo il sogno del telefono senza fili e con la telecamera diventa una realtà palpabile e con potenzialità didattiche enormi Se si pensa che una volta gli studenti dovevano aspettare anni per avere l’emozione di parlare in una lingua straniera in un ambiente straniero, anni in cui il loro apprendimento della lingua straniera era fatto di esercizi, simulazioni, ascolti, video, ma mai di reali situazioni comunicative con parlanti madrelingua, l’esperienza di una situazione del genere rappresenta una rivoluzione senza precedenti, con un impatto sulla metodologia dell’apprendimento completamente nuovo In questa fase di discussione in seduta plenaria tutti possono richiedere di parlare e la docente moderatrice di turno deve solo intervenire per sostenere i partecipanti, per es suggerendo una parola o un verbo, correggerli in modo indiretto se necessario, o incoraggiare chi eventualmente ha paura di cliccare per avere la parola: la docente vede i volti dei partecipanti e può dunque interpretare le loro emozioni 2_IH_Italienisch_76.indd 103 23.12.16 09: 52 Come migliorare la produzione orale in L2 Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi 10 4 3 Terminata questa fase, che dura circa 20 minuti e si conclude con la formulazione da parte della docente moderatrice di turno di un risultato concreto, un punto fermo, una conclusione sulla quale tutti si trovano d’accordo e su cui si può constatare nel gruppo un generale consenso, si passa al lavoro di gruppo in stanze virtuali separate Con un semplice comando i partecipanti alla videoconferenza vengono suddivisi dal tecnico in varie stanze virtuali, dove studenti italiani e tedeschi parlano fra di loro e discutono una seconda domanda, la quale non è altro che un approfondimento del tema principale della seduta 4 Anche questa fase dura circa 20 minuti ed è spesso seguita dalla stesura di un protocollo, di un resoconto delle opinioni sul tema discusso dai vari partecipanti Questo foglio di lavoro viene redatto dagli studenti tedeschi in italiano e dagli studenti italiani in tedesco dopo la videoconferenza, è una sorta di compito per casa che testa la loro capacità di riprodurre in sintesi in lingua scritta ciò che è stato detto nel gruppo di lavoro Anche in questo caso le possibilità per quel che concerne la lingua usata nei gruppi di lavoro sono varie I protocolli servono per fissare ciò che si è appreso nella conversazione giornaliera, in termini di ampliamento del vocabolario, di esercizio delle strutture linguistiche già note conosciute e, last but not least, di constatazione delle nuove strutture linguistiche fino a quel momento sconosciute Essi vanno fatti eseguire a entrambi i gruppi dalle rispettive docenti responsabili, corretti in forma indiretta e riconsegnati per una fase di autocorrezione diretta da parte degli studenti Infine, grazie alla funzione del programma Moodle che permette la creazione di glossari, viene incaricato ognuno di inserire individualmente le parole, i verbi e le nuove espressioni apprese nella seduta del giorno È davvero incoraggiante vedere come l’estensione del vocabolario sia uno dei grandi successi di questo tipo di lezione di lingua straniera, che è possibile solo con l’uso di queste nuove forme di sussidi didattici elettronici Conclusioni Questo schema di lezione apre enormi prospettive per quel che riguarda l’apprendimento delle lingue straniere, ma non solo Ogni materia può far uso di questi nuovi sussidi didattici Ciò che però non va dimenticato è che siamo ancora in fase di sperimentazione, almeno per quanto riguarda le lingue straniere Per fare un semplice esempio, la fase della verifica dell’apprendimento, attuata come compito per casa tramite protocolli di apprendimento o glossari, avrebbe molti strumenti a disposizione che noi 2_IH_Italienisch_76.indd 104 23.12.16 09: 52 Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi Come migliorare la produzione orale in L2 105 abbiamo sperimentato concretamente, insomma la gamma delle opzioni è infinita e variegata Tutto dipende dall’obiettivo didattico da raggiungere: competenze migliori nella produzione e/ o riproduzione orale oppure scritta, ampliamento lessicale, ecc Nuovi strumenti e forme di sussidi didattici significano nuove possibilità, nuovi obiettivi da raggiungere e in conclusione un nuovo capitolo della didattica delle lingue straniere ancora da scrivere Indipendentemente da come si decida di usarle, di certo oggi è impensabile fare a meno delle nuove tecnologie, tanto a scuola quanto in un contesto universitario Esse garantiscono, tra l’altro, anche l’apertura delle istituzioni educative al mondo esterno, «Authentizität und Öffnung des Unterrichts», come afferma Gabriele Lehmann (2001, 2) e come il nostro progetto conferma Bibliografia Bovet, Gislinde / Huwendiek, Volker (Hrsg .): Leitfaden Schulpraxis . Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf . 5 ., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2008 Herzig, Bardo: Wie wirksam sind digitale Medien im Unterricht? Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2014 Lehmann, Gabriele: Anregungen zum Einsatz Neuer Medien im Fachunterricht und in Projekten, Schwerin 2001 Steiner, Magdalena: (Titel) https: / / www .lmz-bw .de/ medieneinsatz-schule .html Appendice Di seguito si presentano, a titolo di esempio, le tracce di due lezioni tenute nel semestre estivo 2014-15 Traccia 1 Versione tedesca Diese verrückten Ausländer Einleitung Im Kapitel «Diese verrückten Ausländer» aus dem Buch von Paul Watzlawick Anleitung zum Unglücklich-sein (München: Piper 1983, S 91-95) macht uns der Autor auf eine sehr verbreitete Haltung aufmerksam: «Unsere Welt ist die wahre Welt; verrückt, verlogen, illusorisch, verschroben sind die Welten der anderen .» Aus dieser Haltung ergebe sich seiner Meinung nach folgendes: «Man nehme, allen Gegenbeweisen zum Trotz, schlicht an, das eigene Benehmen sei unter allen Umständen selbstverständlich und normal 2_IH_Italienisch_76.indd 105 23.12.16 09: 52 Come migliorare la produzione orale in L2 Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi 106 Damit ‘wird’ alles andere Benehmen in derselben Situation verrückt oder zumindest dumm .» Es folgert daraus die Bemerkung, dass «man die eigene Auslandsreise (beziehungsweise den Inlandsaufenthalt des Ausländers) nach diesem Rezept höchst enttäuschend gestalten kann .» Frage für die Diskussion im Plenum Seid Ihr mit dem Autor einverstanden? Warum? Begründet bitte Eure Antwort Frage für die Gruppenarbeit Lasst die Teilnehmer Eurer Gruppe erzählen, wann und wieso sie auf kulturelle Unterschiede gestoßen sind, die ihnen Schwierigkeiten bereitet oder ganz im Gegenteil ihre Integration während ihres Aufenthaltes im Ausland erleichtert haben Versione italiana Questi pazzi stranieri Introduzione Nel brano «Questi pazzi stranieri» tratto dal testo di Paul Watzlawick Istruzioni per rendersi infelici (Milano: Feltrinelli 1984, traduzione di Franco Fusaro) l’autore ci ricorda come per molti, e probabilmente in molte situazioni anche per lui, «Il nostro mondo è il vero mondo; insensati, falsi, illusori, stravaganti sono i mondi degli altri…» e che ció provoca la conseguenza che si suppone semplicemente che «…malgrado tutte le prove contrarie…il proprio comportamento sia in ogni caso naturale e normale Ogni comportamento diverso, nella stessa situazione, diventa così insensato o per lo meno stupido .» Tale constatazione lo porta ad affermare che «con questa ricetta si possono rendere i propri viaggi all’estero (oppure la permanenza in un paese straniero) molto deludenti .» La domanda per la sessione plenaria Siete o non siete d’accordo con l’autore? Perché? Motivate la vostra risposta La domanda per il gruppo di lavoro Fatevi raccontare dai partecipanti al vostro gruppo delle esperienze in cui hanno notato che le differenze culturali abbiano creato loro o ad altre persone difficoltà o al contrario abbiano facilitato il loro soggiorno o la loro permanenza (e dunque la loro integrazione) all’estero 2_IH_Italienisch_76.indd 106 23.12.16 09: 52 Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi Come migliorare la produzione orale in L2 107 Traccia 2 Versione tedesca Die Erziehung zur Integration: Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren Antonella Romeo schreibt in ihrem Buch La deutsche Vita (S 142): «Nichts prägt den Menschen, seine Mentalität, sein zukünftiges Verhältnis zu sich und zur Welt so sehr wie die Erziehung .» Dann beschreibt sie, wie die deutsche Erziehung zur Unabhängigkeit und Autonomie in die Praxis umgesetzt wird und wie sie letztendlich zur Betonung der individuellen Unterschiede führt Etwas kritisch fasst sie abschließend zusammen: «Dieses System bewahrt die Kinder vor Kitteln und fördert mit großem Erfolg von klein auf die Unterschiede zwischen ihnen .» Das italienische Schulsystem scheint dagegen, auf Uniformiertheit zu zielen Frage für die Diskussion im Plenum Wie kann die Erziehung zur Integration der Ausländer beitragen? Sind die individuellen und kulturellen Unterschiede in Hinsicht auf den Integrationsprozess eher zu bewahren oder zu beseitigen? Das Kapitel endet in der italienischen Fassung mit einigen Absätzen, die in der deutschen Fassung fehlen Hier geht es um das deutsche Schulsystem und eine eher negative Einschätzung kommt zum Ausdruck: «Che i figli dei medici e degli imprenditori abbiano più probabilità dei figli delle infermiere e degli operai di frequentare le scuole alte e di laurearsi, magari nello stesso campo del genitore, non è nulla di tipicamente tedesco Ma nel caso tedesco è addirittura il sistema scolastico che programmaticamente promuove e accresce le diseguaglianze sociali, invece di smussarle e farsi paladino dei bambini che partono svantaggiati In Germania ci sono solo quattro anni di scuola elementare uguale per tutti, dopo inizia il ciclo secondario diviso in tre tipi di scuole: la scuola ‘principale’, Hauptschule, la scuola ‘reale’ Realschule, il Gymnasium Già in terza elementare, e poi soprattutto nel primo quadrimestre della quarta elementare i bambini, ma soprattutto i genitori, sono molto preoccupati che sia raggiunta la media di voti giusta per ottenere dai maestri la ‘raccomandazione’ per il ginnasio, la scuola più prestigiosa frequentata da un terzo degli scolari in Germania A nove anni i bambini sanno già che è una jattura finire nella Hauptschule, la scuola più scarsa, risaputamente ‘la scuola dei doof’, degli scemi, e che l’assegnazione alle scuole che non sono il ginnasio condizionerà come una tara il resto della loro esistenza Nonostante persino studi internazionali comparati abbiano più volte criticato il sistema scolastico tedesco per questo suo primato discriminatorio 2_IH_Italienisch_76.indd 107 23.12.16 09: 52 Come migliorare la produzione orale in L2 Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi 108 dei soggetti culturalmente e socialmente più deboli, nessuno nel paese sembra essere seriamente intenzionato a cambiare le cose L’attenzione e le preoccupazioni dei dibattiti pubblici sembrano piuttosto essere dirette verso gli scolari più dotati, che per carità ricevano gli incentivi giusti e se necessario vengano mandati nei collegi nel paese e all’estero Cosa che è di nuovo molto diffusa nei ceti più abbienti Che la crusca continui pure a essere separata dalla roba raffinata il più presto possibile Bernd, un amico, da molti anni preside di una Hauptschule, sostiene che il sistema scolastico tedesco fosse più progressista al tempo della Repubblica di Weimar .» Frage für die Arbeitsgruppen Stimmt das überhaupt? Sind Sie mit der Ansicht von Antonella Romeo einverstanden? Welche Rolle spielen soziale Einbeziehung bzw Ausgeschlossenheit im deutschen und im italienischen Schulsystem? Sind das deutsche und das italienische Schulsystem echt multikulturell und zur Integration ausgerichtet? Begründen Sie Ihre Antwort anhand von Beispielen für erfolgreiche bzw erfolglose Integrationsgeschichten aus der Schule oder aus der Uni Versione italiana L’educazione all’integrazione: fattori di successo e d’insuccesso Antonella Romeo scrive nel suo libro La deutsche Vita (p 142): «Nulla come l’educazione segna gli individui, la loro mentalità, il loro futuro rapporto con se stessi e con il resto del mondo .» Di seguito descrive come l’educazione tedesca all’indipendenza e all’autonomia si traduca in pratica e come in fondo dia la preminenza alle differenze individuali Con sguardo critico, conclude riassumendo così la sua visione: «Questo sistema fa scampare ai bambini il grembiulino e promuove con grande successo fin dalla più tenera età le differenze tra un bambino e l’altro .» Il sistema scolastico italiano sembra avere invece come obiettivo quello di uniformare La domanda per la discussione plenaria Come può l’educazione contribuire all’integrazione degli stranieri? Al fine del processo d’integrazione, le differenze individuali e culturali vanno mantenute o eliminate? Nella versione italiana il capitolo termina con alcuni paragrafi assenti nella versione tedesca In essi si parla del sistema scolastico tedesco e ne emerge una valutazione piuttosto negativa: 2_IH_Italienisch_76.indd 108 23.12.16 09: 52 Chiara Angelini/ Elisabetta Longhi Come migliorare la produzione orale in L2 109 «Che i figli dei medici e degli imprenditori abbiano più probabilità dei figli delle infermiere e degli operai di frequentare le scuole alte e di laurearsi, magari nello stesso campo del genitore, non è nulla di tipicamente tedesco Ma nel caso tedesco è addirittura il sistema scolastico che programmaticamente promuove e accresce le diseguaglianze sociali, invece di smussarle e farsi paladino dei bambini che partono svantaggiati In Germania ci sono solo quattro anni di scuola elementare uguale per tutti, dopo inizia il ciclo secondario diviso in tre tipi di scuole: la scuola ‚principale‘, Hauptschule, la scuola ‚reale‘ Realschule, il Gymnasium Già in terza elementare, e poi soprattutto nel primo quadrimestre della quarta elementare i bambini, ma soprattutto i genitori, sono molto preoccupati che sia raggiunta la media di voti giusta per ottenere dai maestri la ‚raccomandazione‘ per il ginnasio, la scuola più prestigiosa frequentata da un terzo degli scolari in Germania A nove anni i bambini sanno già che è una jattura finire nella Hauptschule, la scuola più scarsa, risaputamente ‚la scuola dei doof‘, degli scemi, e che l’assegnazione alle scuole che non sono il ginnasio condizionerà come una tara il resto della loro esistenza Nonostante persino studi internazionali comparati abbiano più volte criticato il sistema scolastico tedesco per questo suo primato discriminatorio dei soggetti culturalmente e socialmente più deboli, nessuno nel paese sembra essere seriamente intenzionato a cambiare le cose L’attenzione e le preoccupazioni dei dibattiti pubblici sembrano piuttosto essere diretti verso gli scolari più dotati, che per carità ricevano gli incentivi giusti e se necessario vengano mandati nei collegi nel paese e all’estero Cosa che è di nuovo molto diffusa nei ceti più abbienti Che la crusca continui pure a essere separata dalla roba raffinata il più presto possibile Bernd, un amico, da molti anni preside di una Hauptschule, sostiene che il sistema scolastico tedesco fosse più progressista al tempo della Repubblica di Weimar .» La domanda per i gruppi di lavoro È proprio vero? Condividete il punto di vista di Antonella Romeo? Quali ruoli giocano l’inclusione o l’esclusione sociale nei sistemi scolastici tedesco e italiano? I sistemi scolastici tedesco e italiano sono veramente multiculturali e orientati all’integrazione? Motivate la vostra risposta adducendo esempi di storie d’integrazione vera o presunta tratte dall’ambiente scolastico o universitario 2_IH_Italienisch_76.indd 109 23.12.16 09: 52 110 M I C h A ElA B A N Z h Af Differenzierung im Italienischunterricht Eine Kurzgeschichte - unterschiedliche Möglichkeiten ihrer Bearbeitung auf der Kursstufe: Simona Vinci, In viaggio con le scarpe rosse Vorbemerkung In zunehmend heterogenen Klassen wird es immer wichtiger, mit differenzierenden Aufgaben zu arbeiten Im Folgenden wird die Bearbeitung der Kurzgeschichte In viaggio con le scarpe rosse von Simona Vinci in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht vorgeschlagen Dem Unterrichtsentwurf liegen drei unterschiedliche Niveaus zugrunde: ein einfaches Niveau, gekennzeichnet durch , ein mittleres Niveau, das mit ‚ versehen ist und ein anspruchsvolles Niveau, das mit ƒ bezeichnet ist Der Einsatz dieses Textes eignet sich für den Literaturunterricht auf der Kursstufe, da er zum einen sprachlich insgesamt nicht zu schwierig ist und zum anderen durch den Inhalt - Leben in einer Patchwork-Familie - die Lebenswirklichkeit vieler Jugendlicher abbilden dürfte Die Protagonistinnen der Kurzgeschichte sind eine jüngere Frau, die im Text nur «mamma» genannt wird und ihre drei Töchter, die beiden 13-jährigen Zwillinge Marcella und Giacinta und ihre vierjährige Halbschwester Miou Simona Vinci zeigt die Vier, als sie sich auf dem Flug von Athen nach Bologna befinden; sie richtet gewissermaßen einen fotografischen Blick auf sie Während des Fluges spricht keines der Familienmitglieder auch nur ein einziges Wort, es gibt keine direkte Kommunikation zwischen ihnen, nur Miou weint und schreit ununterbrochen, was sie auch sonst dauernd tut Aus den Perspektiven der Mutter und der Zwillinge, die als Gedanken dargestellt werden, kann der Leser die Vergangenheit stückweise rekonstruieren; die Protagonisten hingegen bleiben in ihrer eingeschränkten personalen Sichtweise gefangen, was vor allem für die Mutter von besonderer Bedeutung ist Im Gegensatz zum Leser bleibt ihr die Wahrheit verborgen und sie kann sich deshalb auch bis zum Schluss Mious ständiges Weinen und Schreien nicht erklären Durch die Wahl dieser Erzählperspektive gewährt Simona Vinci den Lesern Einblicke in die Gedanken der Zwillinge, die der Mutter verwehrt sind Der Leser wird gewissermaßen zum ‘allwissenden Leser’, zur übergeordneten Instanz, der die Gedanken aller Protagonisten kennt und sie zusammenführen kann, während sie selbst nur ihre eigene eingeschränkte Sichtweise haben Im Verlauf der Geschichte verdichten sich 2_IH_Italienisch_76.indd 110 23.12.16 09: 52 Michaela Banzhaf Differenzierung im Italienischunterricht 111 die Hinweise, die Mious Verhalten erklären, immer mehr, bis am Schluss der Grund explizit genannt wird Die Leser - in diesem Fall die Schülerinnen und Schüler - werden also gewissermaßen in die Rolle von Detektiven versetzt, die den Sachverhalt nach und nach aufklären Dies erzeugt Spannung und dürfte die Lesemotivation steigern Die von Simona Vinci gewählte Erzählweise erlaubt den Einsatz von Aufgaben, die die Perspektiven der Protagonistinnen zusammenführen und ergänzen, Leerstellen können nach Analyse der Textgrundlage kreativ gefüllt werden Die Ergebnisse der Aufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden werden zusammengeführt, verglichen bzw ergänzt, so dass alle Schüler im Sinn des kooperativen Arbeitens an der Analyse und am kreativen Transfer beteiligt sind Vorschläge zur Bearbeitung Niveau  1) attività prima della lettura - Einstieg über eine halboffene Aufgabe: Die Schülerinnen und Schüler bewegen sich im Klassenzimmer und stellen sich gegenseitig Fragen; der sprachliche Anforderungsgrad ist gering, da sie die vorgegebenen Strukturen lediglich in eine andere Person setzen müssen; von ihnen wird keine eigenständige Formulierung verlangt Trovate una persona che… … ha fratelli e sorelle … è figlio unico/ figlia unica … vive in una famiglia ricomposta (‘Patchwork-Familie’) … ha rapporti positivi … non va d’accordo con … ha un fratello gemello/ con i fratelli e le sorelle i fratelli e le sorelle una sorella gemella … si occupa dei fratelli … vive con un genitore solo … che è contentissima più piccoli a casa (indicate se si tratta della della sua famiglia madre o del padre) 2) attività durante la lettura - Analysephase: selbstständige Lektüre des Textes im eigenen Tempo (Minimalanforderung bis S 193, «E so che è per sempre»); lesebegleitend füllen die Schülerinnen und Schüler folgende Tabelle aus: Elenca i suoi sogni e le sue paure . Identifica il suo atteggiamento verso sé stessa e verso le altre persone menzionate nel testo Che tipo di persona ti sembra essere? 2_IH_Italienisch_76.indd 111 23.12.16 09: 52 Differenzierung im Italienischunterricht Michaela Banzhaf 112 la mamma Qual è la tua impressione della mamma? Differenzierung erfolgt a) über die Menge des zu lesenden Textes und b) über den Umfang der Aufgabe (Schülerinnen und Schüler, die Vorschlag  bearbeiten, analysieren eine der vier Figuren) 3) attività dopo la lettura - Transferaufgabe: Dopo aver letto il testo cerca una foto/ un’immagine di una donna che potrebbe rappresentare «la mamma» . Giustifica la tua scelta riferendoti all’analisi che hai fatto Differenzierung erfolgt über Umfang und Fokus der Transferaufgabe, die sich ausschließlich auf die eine von den Schülerinnen und Schülern analysierte Figur («la mamma») bezieht Der Anteil der selbstständigen Sprachproduktion ist hierbei wiederum gering, der Anforderungsgrad bei der Transferaufgabe ist wenig komplex Fakultativ können Schülerinnen und Schüler Hypothesen darüber formulieren, warum Miou dauernd weint, was mit ihr los ist und wie die Geschichte weitergehen könnte Vorschläge zur Bearbeitung Niveau ‚ 1) attività prima della lettura - Einstieg über eine offene Aufgabe: Die Schülerinnen und Schüler tauschen sich im ‘Kugellager’ oder Kleingruppen (geschützter Raum! ) über ihre Familie aus Es werden Vorschläge für Gesprächsthemen gegeben, die jedoch fakultativ sind In cerchi concentrici parlate della vostra famiglia (fratelli e sorelle, i genitori, tipo di famiglia in cui vivete, l’atmosfera che c’è, cose che vi piacciono o meno…) 2) attività durante la lettura - Analysephase: selbstständige Lektüre des Textes im eigenen Tempo (Minimalanforderung bis S 193, «E so che è per sempre»), es kann aber auch der gesamte Text gelesen werden); lesebegleitend füllen die Schülerinnen und Schüler folgende Tabelle aus: 2_IH_Italienisch_76.indd 112 23.12.16 09: 52 Michaela Banzhaf Differenzierung im Italienischunterricht 113 la mamma le gemelle Elenca i suoi/ i loro sogni e le sue/ le loro paure . Identifica il suo atteggiamento verso sé stessa/ sé stesse e verso le altre persone menzionate nel testo Che tipo di persona/ e ti sembra/ sembrano essere? Qual è la tua impressione della mamma? Delle gemelle? Differenzierung erfolgt a) über die Menge des zu lesenden Textes und b) über den Umfang der Aufgabe (Schülerinnen und Schüler, die Vorschlag ‚ bearbeiten, analysieren drei der vier Figuren) 3) attività dopo la lettura - Transferaufgabe: Dopo aver letto il testo, scegli una scena; per questa scena prepara un tipo di copione (Filmskript) . Come rappresenteresti questa scena in un film? Come agirebbe la macchina da presa (Kamera)? Che cosa ci sarebbe da vedere? Come sarebbe la luce? Ci sarebbe musica? Se sì, come sarebbe? . . Differenzierung (im Vergleich zu  erfolgt hier über Umfang und Komplexität der Transferaufgabe, die sich auf drei von den Schülerinnen und Schülern analysierte Figuren («la mamma», «le gemelle») bezieht Eine weitere Möglichkeit zur Differenzierung ist dadurch gegeben, dass die Schülerinnen und Schüler individuell eine Szene zur weiteren Bearbeitung auswählen können Der Anteil der selbstständigen Sprachproduktion ist hierbei beträchtlich, der Anforderungsgrad der Transferaufgabe ist - v .a durch die Transposition in ein anderes Genre - relativ komplex Falls die Schülerinnen und Schüler nicht den gesamten Text gelesen haben (vgl 2), kann fakultativ über den Fortgang der Geschichte spekuliert werden ebenso wie über Mious Verhalten Vorschläge zur Bearbeitung Niveau ƒ 1) attività prima della lettura - Einstieg über eine offene Aufgabe: Schülerinnen und Schüler berichten nach kurzer Vorbereitungszeit vor der Klasse in einem freien Vortrag (höchstens Stichworte sind erlaubt) über ihre Familie Es werden Vorschläge für Gesprächsthemen gegeben, die jedoch fakultativ sind In classe, parla della tua famiglia (fratelli e sorelle, i genitori, tipo di famiglia in cui vivi, l’atmosfera che c’è, cose che ti piacciono o meno, come sarebbe la tua famiglia ideale? …) 2_IH_Italienisch_76.indd 113 23.12.16 09: 52 Differenzierung im Italienischunterricht Michaela Banzhaf 114 2) attività durante la lettura - Analysephase: selbstständige Lektüre des gesamten Textes im eigenen Tempo; lesebegleitend füllen die Schülerinnen und Schüler folgende Tabelle aus: la mamma le gemelle Miou Elenca i suoi/ i loro sogni e le sue/ le loro paure I sogni e le paure di Miou non vengono esposti nel testo - secondo te, come saranno? Per le tue ipotesi riferisciti a quello che viene detto nel testo . Identifica il suo atteggiamento verso sé stessa/ sé stesse e verso le altre persone menzionate nel testo Che tipo di persona/ e ti sembra/ sembrano essere? Qual è la tua impressione della mamma? Delle gemelle? Di Miou? Differenzierung erfolgt a) über die Menge des zu lesenden Textes, b) über den Umfang der Aufgabe (Schülerinnen und Schüler, die Vorschlag ƒ bearbeiten, analysieren alle vier Figuren) und c) über ihre Komplexität Zusätzlich zur Analyse kommt hier noch eine Aufgabe zum Inferieren hinzu: ausgehend von der im Text dargestellten Situation stellen Schülerinnen und Schüler begründet Hypothesen über Träume und Ängste Mious an Sie füllen im Text vorgegebene Leerstellen Darauf aufbauend erarbeiten sie in der anschließenden Transferphase einen längeren selbst verfassten Text 3) attività dopo la lettura - Transferaufgabe: Immaginate la situazione seguente: dieci anni dopo il viaggio, Miou racconta alla sua mamma quello che era successo in passato . Che cosa racconterebbe Miou? Cosa direbbe delle gemelle? Come esprimerebbe le sue emozioni? Differenzierung erfolgt über Umfang und Komplexität der Transferaufgabe, die sich auf alle von den Schülerinnen und Schülern analysierte Figuren bezieht Der Anteil der selbstständigen Sprachproduktion ist hierbei sehr hoch, der Anforderungsgrad der Transferaufgabe ist durch den nötigen Perspektivenwechsel bzw die Perspektivenübernahme hoch 2_IH_Italienisch_76.indd 114 23.12.16 09: 52 Michaela Banzhaf Differenzierung im Italienischunterricht 115 Buchbesprechungen Zusammenführung der drei Ansätze im unterricht Die Hypothesen der - und ‚-Bearbeiter werden im Plenum gesammelt, die ƒ-Bearbeiter erzählen den anderen, was tatsächlich passiert ist Danach stellen sie ihre jeweiligen ‘Produkte’ vor - und kommen darüber ins Gespräch Bibliographische Notiz Die Erzählung In viaggio con le scarpe rosse von Simona Vinci ist veröffentlicht in: Simona Vinci, In tutti i sensi come l’amore . Einaudi Tascabili Stile Libero . Torino 1999, p . 185 - 196 Sie ist außerdem enthalten in dem Band Tutto sembrava normale . Racconti italiani Eigentlich war alles normal . Auswahl und Übersetzung von Ina-Maria Martens und Emma Viale-Stein . München: dtv zweisprachig Herausgegeben von Kristof Wachinger 2 2002, S . 6 - 29 2_IH_Italienisch_76.indd 115 23.12.16 09: 52 116 Sprachecke Italienisch Die Rubrik «Sprachecke Italienisch» stellt aktuelle Probleme und Tendenzen des Gegenwartsitalienischen vor und befasst sich mit Normierungsschwankungen, grammatischen Unsicherheiten, Neubildungen u .a Dabei sollen möglichst auch Anfragen und Anregungen aus dem Leserkreis aufgegriffen werden, die die Dynamik des Gegenwartsitalienischen als «lingua […] in forte ebollizione» (F Sabatini) präsentieren Verantwortlich für die «Sprachecke Italienisch» ist Prof Dr Edgar Radtke (Universität Heidelberg): edgar .radtke@rose .uni-heidelberg .de Ué guagliò! Stereotypes Dialektsprechen im Interview und darüber hinaus 1 Neapel ist ein linguistischer Sonderfall, da es sich - im Gegensatz zu den meisten anderen italienischen Großstädten 2 - durch eine besonders einflussreiche dialektale Patina auszeichnet Obgleich die Gründe für die ausgeprägte Dialektpersistenz in der Forschung kontrovers diskutiert werden, herrscht Einigkeit darüber, dass einerseits der Dialekt in Neapel äußerst vital ist, das Italienische andererseits aber gleichermaßen die neapolitanische Sprachwirklichkeit prägt . 3 Die Progression der Italophonie hat demnach in Neapel nicht zur Regression der Dialektophonie, sondern zu einer weitverbreiteten Zweisprachigkeit der Stadtgesellschaft (mit unterschiedlichen Kompetenzgraden) geführt (s Bianchi/ Maturi 2006) Das Neapolitanische erlebt aktuell entscheidende Funktionserweiterungen, 4 die sich nicht zuletzt auf dessen neu ausgebildete soziale Bedeutung und die neue Art der Dialektalität zurückführen lassen (s Matrisciano i Dr I, II) «The interviewees think, for instance, that they need to use the dialect to avoid fraud, negative evaluations and exclusion Hence, the Neapolitan dialect is not simply of a diatopic variety, it is also used strategically Agreeing with Johnstone (2010, 389), there is the need to ‘view regional speech not just as an automatic consequence of where a person was born or raised, but as a resource for social action ’ The fact that the dialect is considered important both for ‘successful’ social interaction and everyday identity negotiation forces the speakers whose first language is not Neapolitan to learn the dialect or dialectal features in order to interact ‘successfully’ with their surroundings [ . . .] a new form of dialectality has emerged [ . . .] .» (Matrisciano i Dr I) 2_IH_Italienisch_76.indd 116 23.12.16 09: 52 117 Sara Matrisciano Ué guagliò! 117 Um eine bestimmte, in gewisser Weise strategische Art der Dialektverwendung soll es auch im vorliegenden Beitrag gehen: Die Auswertung der soziolinguistischen Interviews zur Datenerhebung für meine Doktorarbeit 5 zeigte, dass die interviewten Probanden 6 sehr häufig auf formelhaft wirkende Auftaktsequenzen rekurrieren, um den alltäglichen Sprachgebrauch in Neapel zu illustrieren und/ oder Dialektsprecher zu imitieren Die Anrede-, Aufforderungsund/ oder Grußformen guagliò und ué kommen in fast jedem Interview vor; besonders häufig in Kombination als ué guagliò Diese Formeln scheinen eine Signalfunktion zu erfüllen, die von pragmalinguistischer Bedeutung ist Doch was signalisieren die Probanden genau damit? Bevor anhand zweier Beispiele aus den erhobenen Daten illustriert wird, wie die Probanden mit diesen Grußbzw Eröffnungsformeln im Interview ihre Sprachwirklichkeit konstruieren und soziale Bedeutung produzieren, müssen wir kurz auf die Bedeutungen und Funktionen von ué und guagliò eingehen Laut den einschlägigen Wörterbüchern (Zingarelli, Devoto-Oli und Sabatini Coletti) ist ué (in unterschiedlichen graphischen Realisierungen) eine süditalienische Interjektion, die Überraschung im Sinne von «ué, chi si vede» ausdrückt oder zur emphatisch aufgeladenen Anrede, Ermahnung oder Warnung im Sinne von «ué, dico a te» oder «ué, fai attenzione» verwendet wird Laut denselben Wörterbüchern bedeutet guaglione «ragazzo» oder «monello» und wird vor allem in seiner apokopierten Variante guagliò als ‘neapolitanisch’, aber auch allgemeiner als ‘süditalienisch-dialektal’ beschrieben Das Lexem guaglione gilt indes im öffentlichen Bewusstsein besonders wegen der neapolitanischen Musikproduktion als ‘typisch neapolitanisch’ (obgleich es geographisch weiter verbreitet ist und auch die apokopierten Anredeformen in verschiedenen süditalienischen Dialekten zu finden sind) . 7 Doch kommen wir gleich zu unseren Beispielen . 8 Sprecherin A, 40, Avvocata, mittlerer Bildungsgrad; Sprechen im Bus 01 A:  perché NON va bene 02 =tu sopra il pullman ti metti a di* <<überartikuliert, affektiert, ↑ > SCU: si DO: ve POsso SCENdere>? 03 S: ((lacht)) 04 A: <<amüsiert, f, ↓ >   >? 9 05    > . 10 06 <<amüsiert> perché se NO tu ti metti a fa* tutt* st*>, 07 cè poi sei FUOri 08 lo zimBEllo della situazione Der Textauszug zeigt, wie über zwei als Gegensatzpaar konstruierte Sätze (02, 04) eine klare Trennung zwischen In- und Outgroup im Sinne Tajfels 2_IH_Italienisch_76.indd 117 23.12.16 09: 52 Ué guagliò! Sara Matrisciano 118 (1978) erzeugt wird: Der affektierte und letztlich ahnungslose Italiener (02, 08) steht dem sich im Bus richtig zu verhalten wissenden Neapolitaner (05) gegenüber Auffällig ist an diesem Textauszug, dass die dialektale Äußerung stark inszeniert wirkt Es bleibt zu bezweifeln, dass ein Sprecher in Neapel bei einem fremden Busfahrer tatsächlich mit dieser äußerst nähesprachlich markierten Anrede eine Information erfragen würde Doch kontrastiert gerade die Nähesprachlichkeit dieser dialektalen Anredeform mit der italienischen Höflichkeitsform scusi, sodass hier nicht nur mittels der verschiedenen Codes Dialekt und Hochsprache, sondern auch durch eine Registerdifferenzierung innerhalb des Dialektes Distanz (zum Italiener als Persona) geschaffen wird; Nähe (zwischen den Neapolitanern als Personae) wird hier demnach durch eine diaphasisch markierte Variation innerhalb der diatopischen Dimension konstruiert und im Interview klar ersichtlich inszeniert Dies ist bedeutsam für die soziale Konstruktion der neapolitanischen (Sprach-)Wirklichkeit Die Sprecherin zeigt auf diese Weise zwei sozial relevante Gegebenheiten: Erstens, eine soziale Norm (das Sprechen des Neapolitanischen im Alltag) und zweitens, dass man Neapolitaner - oder zumindest ein Sprecher oder eine Sprecherin des Neapolitanischen - sein muss, um diese Norm zu erfüllen Sie betont die Unangemessenheit der Verwendung des Italienischen in einem Bus in Neapel; durch die Parodie eines imaginierten Italienischsprechers (mit der Überakzentuiertheit und der hohen Stimme), den amüsierten Unterton in der folgenden Sequenz und das Lachen der Interviewerin (03) wird der Italiener als Persona - zumindest in einer solchen Situation - ins Lächerliche gezogen Dabei stellt sich die Frage, wieso das Italienische - und damit ‘der Italiener’ - in einem neapolitanischen Bus so lächerlich wäre Die Antwort auf diese Frage gibt uns die Sprecherin in den Zeilen 06-08 Das Italienische klingt offensichtlich einerseits lächerlich, weil es affektiert wirkt (06) und damit eine für den neapolitanischen Stadtraum als äußerst negativ bewertete soziale Distanz schafft Andererseits ist es komisch, da der Italiener aus (sprachlichen) Handlungen ausgeschlossen ist (07), weil er diese nicht versteht und dadurch Situationskomik erzeugt (08) Simpel ausgedrückt wird der Italiener demnach als affektiert und ignorant dargestellt Doch darum soll es in diesem Beitrag nicht gehen; was stattdessen für die hiesige Fragestellung von Relevanz ist, ist, wie die Sprecherin durch eine de facto wohl unangemessene Sprachverwendung, soziale Angemessenheit illustriert, indem sie die Beziehungen der repräsentierten Personae zueinander und untereinander diskursiv als eng bzw nicht eng konstruiert Die Neapolitaner erscheinen in dieser Konstruktion des Sozialen als miteinander vertraut und gehen untereinander daher freundschaftlich miteinander um, während die Italiener aus dem inneren Kreis ausgeschlossen werden Durch 2_IH_Italienisch_76.indd 118 23.12.16 09: 52 119 Sara Matrisciano Ué guagliò! 119 die Code-Switching-Sequenz (04-05) bestätigt sie nicht nur symbolisch das von ihr Gesagte, sondern demonstriert auch ihre eigenen Dialektkompetenzen Dabei ist es irrelevant, ob es sich um eine ‚wahrscheinliche‘ Äußerung handelt oder nicht Die Sprecherin wählt eine wohl unwahrscheinliche sprachliche Interaktion, aber sie vermittelt damit Informationen, die sie offensichtlich für das Interview als wichtig erachtet: Sie stellt Neapel als Ort dar, in dem Dialekt gesprochen wird und die Dialektsprecher als (Sprach-) Gemeinschaft, in der Nähe eine besondere Rolle im sozialen Miteinander spielt Dazu verwendet sie die sofort als ‘neapolitanisch’ identifizierbare Anredeform guagliò So signalisiert sie der Interviewerin eindeutig ‘ich spreche Neapolitanisch’, wobei die symbolische Signalfunktion wesentlich wichtiger zu sein scheint als die eigentliche Bedeutung oder Verwendungsweise des Dialektwortes Die Sprecherin illustriert, wie der idealtypische Neapolitaner spricht; dafür rekurriert sie auf ein stereotypes Element des Neapolitanischen Noch deutlicher wird diese symbolische Signalfunktion im nächsten Beispiel Sprecherin B, 53, Montecalvario, mittlerer Bildungsgrad; Günstigerer Preis 01 B: io una volta ho preso un aEReo 02 =mi sono fatta portare a capodichino da un taSSIsta 03 =ho preso la il tassi a piazza carità; 04 mi so* messa nella tassi e ha detto signNO: ra, 05 e ho detto SCUsi devo andare a capodichino, 06 dice sigNOra ma facciamo la tariffa: a: a tassametro? 07 o  tariffa: : norMA: le? 08 dissi che che differenza c’È? 09 la tariffa normale so* venti euro 10    , 11 11 . 12 12     13 13 =      , 14 14     <<lachend>   >? 15 15 S: <<lachend> [infatti> 16 B: [hahaha 17 S: <<amüsiert> e infatti l’hai messo a POSto a questo>; 18 ti ha fatto pagare unidici euro 19 B: <<zufrieden> [ho pagato nove euro> 20 S: <<amüsiert> [perché col tassametro io lo faccio spesso so* undici euro>; 21 B: <<amüsiert> vabbè sto parlando di qualche anno fa 22 quindi ho pagato nove euro>; 23 S: però parlando in dia[LEtto 2_IH_Italienisch_76.indd 119 23.12.16 09: 52 Ué guagliò! Sara Matrisciano 120 24 B: [in diaLEtto 25 S: gli hai [fatto capi* 26 B: [        ? 16 27          ? 17 Ähnlich wie im ersten Beispiel werden auch in diesem deutlich eine In- und eine Outgroup konstruiert; diesmal jedoch mit einer anderen Konsequenz: Der Nicht-Dialektsprecher wird hier nicht etwa ins Lächerliche gezogen, sondern übervorteilt Die Code-Switching-Sequenz (10-14) zeigt somit, dass Mitglieder der Ingroup nicht nur Dialektsprecher sind und sich mit den Preisen auskennen, sondern sich auch durch die Dialektverwendung als Teil der neapolitanischen Ingroup zu erkennen geben, weshalb sie vor Übervorteilung geschützt sind . 18 Die zweifache Hervorhebung, aus den Quartieri 19 zu sein (13, 27), impliziert ein subtiles Überlegenheitsgefühl gegenüber Nicht-Neapolitanern oder auch Bewohnern «besserer Viertel» Neapels, die in der Forschung auch mit einer erhöhten, wenn nicht sogar exklusiven Italophonie verknüpft werden (s Marano 2010; De Blasi 2013) Das Überlegenheitsgefühl ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Quartieri Spagnoli im öffentlichen Bewusstsein mit folkloristischen Gestalten und besonderen, teilweise stereotypischen, kulturellen Gegebenheiten wie l’arte di arrangiarsi oder tené à cazzimma, aber auch der camorristischen Unterwelt in Verbindung gebracht werden (s Dines 2015: 248; Milano 2014: 40) Zum stereotypen Bild eines Neapolitaners gehört es demnach auch, gewitzt-gewieft zu sein (s dazu Signorelli 2006: 709), was sich im kollektiven Bewusstsein der Städter unter einer folkloristisch aufgeladenen cca nisciun‘ è fess-Mentalität subsumieren lässt (s Matrisciano i Reviewverf .; Niola 2003: 39-40) Diese besondere Schläue gehört zur napoletanità, ein kulturanthropologisch ausgearbeitetes Konzept, das sich als «Summe und Synthese» aller sich auf Neapel und dessen Bewohner beziehenden Stereotype definieren lässt (Signorelli 2009: 15); obgleich die napoletanità ein historisch gewachsenes und medial verbreitetes sowie überhöhtes Kulturprodukt ist, wurde sie von den Städtern als urbane Kollektividentität interiorisiert (s Signorelli 2006, 2009) . 20 Im kollektiven Bewusstsein zeichnet sich der mit napoletanità durchtränkte Städter somit durch seine Raffinesse und seinen Scharfsinn aus Dies schlägt sich im Sprachverhalten der Städter nieder Sprecherin B leistet in dieser Hinsicht einen wichtigen metalinguistischen Kommentar, in dem sie uns verrät, was ihre pragmatische Absicht der Dialektverwendung war (26-27): Durch den Dialektgebrauch habe sie dem Taxifahrer gesagt, ey Junge, was denkst denn Du? (26); entscheidend für das hier diskutierte Sprachverhalten ist, dass auch sie dabei auf die einleitende Anrede ué guagliò rekurriert, um sich als Neapolitanerin zu erkennen zu geben und auf diese Weise auf das 2_IH_Italienisch_76.indd 120 23.12.16 09: 52 121 Sara Matrisciano Ué guagliò! 121 Insiderwissen und die stereotypische Schläue hinweist, die mit der neapolitanischen Herkunft einhergehen und die vonnöten ist, um auf die stereotype Gewieftheit der Neapolitaner reagieren zu können (vgl dazu auch Matrisciano, i Dr II) Des Weiteren zeigt sich die Stereotypizität der Aussage daran, dass die Sprecherin den Taxifahrer im metasprachlichen Kommentar duzt (26-27), während sie das in der tatsächlichen Redewiedergabe - auch im Dialektbereich - nicht tut (05, 14) Die als besonders neapolitanisch inszenierte metasprachliche Äußerung ist somit naturgemäß an niemanden gerichtet, sondern paraphrasiert das, was die Sprecherin durch die Verwendung des Dialektes im Taxi getan hat: Sie hat sich in der sozialen Landschaft Neapels klar positioniert Dies ist insofern relevant, als jede Gesellschaft - und soziale Interaktion - hierarchisch strukturiert ist Spinnen wir diesen Gedanken mit unserem Beispiel weiter, müssen wir uns klar machen, was die Formel ué guagliò hier impliziert Radtke (1997: 110) beschreibt für ué, dass «il tipo ué (anche uè, uèi in provincia) rappresenta la scelta più informale per aprire un dialogo fra persone non conosciute esprimendo una superiorità sociale, spesso generazionale, da parte degli anziani che si rivolgono a minorenni .» (eigene Hervorhebungen) In unserem Beispiel geht es zwar nicht um die diagenerationelle Ebene, aber definitiv um das Aushandeln von Machtkonstellationen Die Verwendung von ué bricht zwar als «scelta più informale» jede Art von Formalität auf; so wird es auch in neapolitanischen Wörterbüchern als Imperativform, die «guarda! », «vedi! » oder «senti! » bedeutet, beschrieben (s z B Salzano 1980: 119) Doch entsteht dadurch eine Kommunikationssituation, in der unsere Sprecherin sich als überlegen inszeniert Die Kombination mit guagliò verstärkt die postulierte Überlegenheit der Sprecherin gegenüber dem Taxifahrer, da dieser nicht unbedingt jünger ist als unsere Sprecherin, aber in Verbindung mit der Anrede guagliò als socialmente inferiore inszeniert wird Die von Radtke beschriebene Funktion auf diagenerationeller Ebene, die ué erfüllen kann, erhält hier somit eine übertragende Bedeutung, die durch guagliò noch gesteigert wird Was allerdings für diese Situation von Relevanz ist, ist, dass «superiorità sociale» hier nicht als schichtenspezifische Differenzierung aufgefasst werden darf, sondern als Ausdruck, in der jeweiligen sozialen Interaktion überlegen zu sein Diese Überlegenheit speist sich bei unserer Sprecherin aus der Tatsache, aus den Quartieri Spagnoli zu sein Letztlich geht es also darum, sich als ‘nicht über den Tisch ziehbar’ darzustellen, weil man nicht nur Neapolitaner, sondern ein dem Stereotyp entsprechender Neapolitaner ist 2_IH_Italienisch_76.indd 121 23.12.16 09: 52 Ué guagliò! Sara Matrisciano 122 In beiden Beispielen geht es somit - wenngleich mit unterschiedlichen Folgen - um die soziale In- oder Exklusion, die über die Dialektverwendung oder dem Ausbleiben dieser vollzogen wird Der Dialekt ist im Sprecherwissen zu einer sowohl integrierenden als auch ausgrenzenden Kulturtechnik geworden Hierzu werden im Interview, aber wohl auch darüber hinaus, stereotypische Formeln verwendet, um den Dialektgebrauch und damit die Zugehörigkeit zur neapolitanischen Ingroup zu signalisieren und symbolisch aufzuladen Diese symbolische Aufladung beinhaltet drei Aspekte: Sowohl ué als auch guagliò gelten als ‘typisch neapolitanisch’; so rekurrieren häufig Komiker wie Alessandro Siani oder Simone Schettino auf diese Formeln, um den ‘napoletano medio’ 21 darzustellen Damit indizieren die Eröffnungsformeln also die neapolitanische Identität des Sprechers und dessen Zugehörigkeit zur städtischen (Sprach-)Gemeinschaft Des Weiteren wird durch die Verwendung dieser - wohl auch im Bewusstsein der Sprecher - stereotypierten Anrede-, Aufforderungsund/ oder Grußformeln auf das oben diskutierte stereotype Bild des Neapolitaners verwiesen Es ist gerade die Stereotypizität dieser Formeln, die den Sprecher an den neapolitanischen Idealtypus des Städters bindet; sie symbolisieren ein kulturell überhöhtes Stereotyp Das Gesagte wirkt folgerichtig besonders neapolitanisch und der Sprecher neapolitanischer als das Neapolitanische selbst Doch gehen die Sprecher durch die Verwendung dieser speziellen Formen noch einen Schritt weiter Radtke (1997: 108) folgend drückt die Form ué eine «vicinanza sociale» aus; guagliò kann in diesem Kontext dieselbe Funktion erfüllen Durch diese nähesprachlich markierten Anrede- oder Eröffnungsformeln wird dementsprechend sämtliche Formalität zwischen den Interaktanten aufgelöst und soziale Nähe produziert Diese ist paradoxerweise gerade im Hinblick auf Machtkonstellationen von Bedeutung Die Sprecher signalisieren nämlich nicht nur ‘neapolitanisch’, sondern - die soziale Nähe ad absurdum führend - ‘genauso neapolitanisch zu sein’, wie das jeweilige Gegenüber Im Sprecherwissen schützt dies vor Übervorteilung und sozialer Ausgrenzung (vgl dazu auch Matrisciano, i Dr I) und kann mit dem stereotypen Bild des listigen und schlauen Neapolitaners (s Signorelli 2009: 17) erklärt werden: Durch die sprachliche Inszenierung von napoletanità zeigen die Sprecher, dass sie dazugehören und somit in einer cca nisciun‘ è fess-Perspektive eben keinesfalls fessi sind - oder guagliò? Sara Matrisciano 2_IH_Italienisch_76.indd 122 23.12.16 09: 52 123 Sara Matrisciano Ué guagliò! 123 Anmerkungen 1 Ich möchte mich herzlich bei Till Stellino für die wertvollen Hinweise während des Entstehungsprozesses des vorliegenden Beitrages bedanken 2 In der Regel begünstigt der städtische Raum durch den die Urbanität kennzeichnenden Ausbau der Infrastrukturen, die dafür typischen demographischen Dynamiken sowie die daraus resultierende Heterogenität der Bevölkerungsstruktur die sprachliche Standardisierung (s . Milroy 1987: 190, Grassi et al . 2007: 83; D’Agostino 2007: 60) . Die Dialektregression und die daraus resultierende Ausbildung urbaner oder regionaler Varietäten ist daher auch in italienischen Großstädten eine gängige Sprachwandeltendenz (s . Grassi et al . 2007: 84-85, 245) 3 Stellvertretend für andere: De Blasi 2006, 2012, 2013; Bianchi 2006; Bianchi/ Maturi 2006; Marano 2010, 2011; Milano 2006, 2013, 2014 4 Vgl . Settembre 2006, Di Bernardo 2006, Radtke 1997a, Marano 2010, 2011; Montuori 2006; De Blasi 2013; Bianchi 2006; Bianchi/ Maturi 2006, De Blasi/ Montuori 2006, Matrisciano (i . Dr . I, i . Reviewverf .) 5 Zwischen Februar 2014 und Oktober 2015 habe ich für mein Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel Wahrnehmungs- und Gebrauchsmuster sprachlicher Variation in der Metropole Neapel während der ethnographischen Feldforschung insgesamt 41 Interviews mit Neapolitanern und Nicht-Neapolitanern im Zentrum von Neapel geführt und sie zur Stadt, zum Dialekt und der Beziehung zwischen Stadt und Dialekt befragt 6 Im vorliegenden Beitrag wird, wenn nicht von konkreten Personen die Rede ist, das generische Maskulinum verwendet; sämtliche Personen- und Gruppenbezeichnungen schließen Männer und Frauen ein 7 Die Befragung von 100 Italienern vorwiegend aus dem Süden Italiens zum Neapolitanischen durch einen geschriebenen Fragebogen ergab, dass viele Befragten als typisch neapolitanisches Wort guaglione nannten 8 Die Transkripte basieren - mit Abweichungen - auf den GAT-Konventionen (s . Selting et al . 1998) . Es handelt sich um ein stark vereinfachtes Basistranskript; darunter verstehe ich, dass beispielsweise auf die Markierung von Pausen verzichtet wurde, da sie nicht relevant für die Interpretation waren; Rezeptions- und Verzögerungssignale wurden an das Italienische angepasst . Die dialektalen Äußerungen wurden zudem im IPA-System transkribiert und in das GAT-Transkript integriert . «S» steht für Sara Matrisciano 9 Junge, wo muss ich hin? 10 Denn hier [sage ich], wo muss ich hin? 11 Ich sagte 12 Hören Sie zu 13 Machen Sie den Taxameter an! 14 Ich wohne hier in den Quartieri 15 Für wen haben Sie mich denn gehalten? 16 Ich habe gesagt: Ey Junge, was hast Du denn gedacht? 17 Ich bin aus den Quartieri, für wen hast Du mich denn gehalten? 18 Diesen Aspekt behandele ich detailliert in meiner Dissertation und in Matrisciano (i Reviewverf ) unter dem Schlagwort sozialer Schutzmechanismus bzw protective technique 19 Die Quartieri Spagnoli sind strenggenommen kein Viertel Neapels, sondern werden besonders aufgrund ihrer Bauweise und Bauzeit als Einheit betrachtet; Montecalvario ist ein Viertel, über das sich die Quartieri erstrecken; es gilt als sozialer Brennpunkt (s . Milano 2014: 41; De Blasi 2002) 20 Diesen Aspekt bespreche ich in aller Ausführlichkeit in meiner Dissertation 2_IH_Italienisch_76.indd 123 23.12.16 09: 52 Ué guagliò! Sara Matrisciano 124 21 Die Sketche von Alessandro Siani zum napoletano medio sind z . B . unter folgendem Link zu sehen https: / / www .youtube .com/ watch? v=HN8gLs92Clw (zuletzt abgerufen am 28 .9 .2016) literaturverzeichnis Bianchi, Patricia (2006): «Il dialetto nella valutazione di studenti napoletani: stereotipi, variazioni, differenze generazionali», in: De Blasi / Marcato 2006, S . 211-218 Bianchi, Patricia / Maturi, Pietro (2006): «Dialetto e lingua negli usi linguistici dei parlanti di Napoli e della Campania», in: De Blasi / Marcato 2006, S . 1-22 D’Agostino, Mari (2007): Sociolinguistica dell’Italia contemporanea . Bologna: Il Mulino De Blasi, Nicola (2013): «Persistenze e variazione a Napoli (con una indagine sul campo)», in: Italienisch 35, S . 75-93 De Blasi, Nicola (2012): «Percezioni e testimonianze sull’immagine di Napoli», in: Il viaggio a Napoli tra letteratura e arti, hrsg . v . Pasquale Sabbatino, Napoli: Edizioni scientifiche italiane, S . 509-527 De Blasi, Nicola (2006): «Perché a Napoli non tutti parlano napoletano? Riflessioni sulle implicazioni linguistiche del ruolo di capitale», in: De Blasi / Marcato 2006, S . 219-236 De Blasi, Nicola (2002): «Per una storia contemporanea del dialetto a Napoli», in: Lingua & Stile XXXVII, S . 123-157 De Blasi, Nicola / Marcato, Carla (Hrsg .) (2006): Lo spazio del dialetto in città, Napoli: Liguori De Blasi, Nicola / Montuori, Francesco (2006): «I giovani di Napoli e il dialetto tra continuità e risorgenza», in: Giovani, lingua e dialetto, hrsg . v . Gianna Marcato, Bologna: Unipress, S . 117-128 Di Bernardo, Daria (2006): «Napoli e il dialetto nel cinema degli ultimi venti anni del Novecento», in: De Blasi / Marcato 2006, S . 75-90 Dines, Nick (2015): Tuff City . Urban Change and Contested Space in Central Naples New York: Berghahn Books Grassi, Corrado / Sobrero, Alberto / Telmon, Tullio (2007): Fondamenti di dialettologia italiana . Roma: Laterza Marano, Luca (2010): Aspetti sintattici dell’italiano parlato a Napoli http: / / www .fedoa .unina .it/ id/ eprint/ 8035 (zuletzt aufgerufen am 28 .9 .2016) Marano, Luca (2011): «Il dialetto a Napoli: una riflessione usi linguistici e valori funzionali», in: Le nuove forme del dialetto, hrsg . v . Gianna Marcato, Padova: Unipress, S . 123-128 Matrisciano, Sara (im Druck I): «Talk about talk: from an urban space to a dialect place . How a collective body of knowledge influences communicative dynamics in Naples», in: Place Making in the Declarative City, hrsg . v . Beatrix Busse und Ingo Warnke, Berlin: De Gruyter Matrisciano, Sara (im Druck II): «Die kommunikative Dynamik im städtischen Raum Der Problemfall Neapel», im Sammelband zum Forum Junge Romanistik in Bern - Räume der Romania vom 27 .-29 . März 2014 Matrisciano, Sara (im Reviewverfahren): «Ideologising dialect as protective technique» 2_IH_Italienisch_76.indd 124 23.12.16 09: 52 125 Sara Matrisciano Ué guagliò! 125 Milano, Emma (2006): «‘Cosa i parlanti dicono . . .’ . A proposito di un’indagine sul campo nei Quartieri Spagnoli», in: De Blasi / Marcato 2006, S . 23-32 Milano, Emma (2013): «Dinamiche di persistenza dialettale e di interazione con l’italiano in un corpus di parlato bilingue italiano-dialetto a Napoli nei Quartieri Spagnoli», in: Lingua e dialetti nelle regioni, hrsg . v . Gianna Marcato, Padova: Coop, S . 241-253 Milano, Emma (2014): «Innovazione e conservazione linguistica nei Quartieri Spagnoli: Il complementatore kx/ ka e la velarizzazione di a tonica», in: Rivista Italiana di Dialettologia XXXVIII, S . 39-55 Milroy, Lesley (1987): Language and social networks . Oxford: Blackwell Montuori, Francesco (2006): «L’area metropolitana di Napoli e la scrittura spontanea del dialetto», in: De Blasi / Marcato 2006, S . 175-210 Niola, Marino (2003): Totem e ragù . Napoli: Tullio Peronti Editore Radtke, Edgar (1997): I dialetti della Campania . Roma: Calamo Radtke, Edgar (1997a): «Die verlorene Harmonie des neapolitanischen Dialekts? », in: Zibaldone . Zeitschrift für italienische Kultur und Gegenwart 24, S . 115-127 Salzano, Antonio (1980): Vocabolario Napoletano-Italiano, Italiano-Napoletano: con nozioni di metrica e rimario . Napoli: Ed . del Giglio Selting, Margret et al . (1998): Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem (SAT) https: / / www .mediensprache .net/ de/ medienanalyse/ transcription/ gat/ gat .pdf zuletzt aufgerufen am 26 .9 .2016) Settembre, Maria (2006): «Dialetto napoletano in rete», in: De Blasi / Marcato 2006, S . 65-73 Signorelli, Amalia (2006): «La cultura napoletana; un secolo di vita di uno stereotipo e del suo referente», in: Cultura popolare a Napoli e in Campania nel Novecento, hrsg . v . Amalia Signorelli, Napoli: Liguori, S . 11-24 Signorelli, Amalia (2009): «Napoletanità: Stereotype und Widersprüche», in: Neapel Sechs Jahrhunderte Kulturgeschichte, hrsg . v . Salvatore Pisani und Katharina Siebenmorgen . Berlin: Reimer, S . 15-20 Tajfel, Henri (1978): Differentiation between social groups . Studies in the social psychology of intergroup relations . London: Academic Press 2_IH_Italienisch_76.indd 125 23.12.16 09: 52 126 Buchbesprechungen Annick Paternoster: Cortesi e scortesi. Percorsi di pragmatica storica da Castiglione a Collodi . roma: Carocci editore 2015, pp. 336, € 34,00 Questo libro è un dono - atteso da molto - per gli studi della lingua italiana, in quanto frutto della storia culturale latino-romanza e oggetto dello sviluppo teorico e metodologico della linguistica attuale Sotto l’etichetta magica di ‘s/ cortesia’ la studiosa Annick Paternoster tratta e integra due aspetti fondamentali che conducono automaticamente a quella che si chiama ‘pragmatica storica’ e che non è affatto così nuova come la presenta l’autrice nell’introduzione Da un lato, la pragmatica storica, intesa come lo studio degli usi del linguaggio attraverso il tempo, è sempre stata implicita nella storia della lingua che proprio in Italia, combattuta tra realtà parlata e norma scritta, ha una lunga tradizione; dall’altro lato, è una sub-disciplina costituitasi nell’area linguistica anglo-americana dopo la svolta pragmatica e la nascita e l’estensione sfrenata del paradigma della cortesia (cf Jucker 1995, Traugott 2004, Culpeper/ Kádár 2010, Bax/ Kadar 2011, Jucker/ Taavitsainen 2013, Taavitsainen/ Jucker 2015 e tutti i numeri del Journal of Historical Pragmatics dal 1999 in poi) Quello che è nuovo, invece, sono il trasferimento e l’applicazione di questo complesso discorso epistemologico - finalmente! - all’area italiana, la quale, sotto i punti di vista sia storicoculturale sia linguistico, ha avuto un ruolo primigenio per fondare, trasportare e tramutare la prassi della cortesia occidentale attraverso i secoli dall’antichità all’età moderna Il libro di Annick Paternoster e l’analisi di dati che propone si posizionano dunque innanzitutto nell’ambito del paradigma della cortesia, il quale non solo predomina a livello mondiale la ricerca pragmatica a partire dall’opera seminale di Brown/ Levinson 1978/ 87, ma, essendo anche esso stato soggetto a diverse svolte epistemologiche, si è aperto da un iniziale approccio normativo ad un approccio discorsivo che considera la dinamica dell’interazione (cf da Watts 2003, Kádár/ Haugh 2013 fino a Haugh 2015) e quindi attribuisce ai significati una fluidità negoziabile Così cortesia non è un concetto fisso, da assegnare a certi momenti e forme di comportamento, ma implica, nel percorso di ogni tipo di comunicazione, delle interpretazioni diverse fino ad evocare addirittura l’effetto contrario, cioè la scortesia (cf Bousfield 2008, Culpeper 2011) Il titolo del volume quindi non è solo una scelta retorica dell’autrice, bensì il riflesso di un complesso ramo pragmatico 2_IH_Italienisch_76.indd 126 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 127 che, applicato a culture diverse e alle loro usanze linguistiche, ha suscitato infinite revisioni teoriche e metodologiche La recensione metterà a fuoco soprattutto il merito che lo studio ha per la ricerca della cortesia e i suoi esiti epistemologici; questo non dovrebbe però svalutare l’immenso impegno che l’autrice ha messo nella vasta documentazione di dati storici, che non solo servono a procurare la necessaria base empirica al discorso teorico, ma introducono nella linguistica italiana un campo le cui opere scritte maggiormente in inglese, non hanno badato molto al ruolo fondamentale che proprio la cultura e la lingua italiana vi svolgono Il lavoro parte dalla nozione di cortesia come categoria chiave che costruisce e sostiene qualsiasi relazione sociale In quanto traduzione italiana dell’inglese politeness, il termine cortesia si rivela però anche come strumento analitico, per cui si pone il problema della varietà e dell’intersezione dei suoi significati Studiando meccanismi e convenzioni dell’interazione sociale bisogna comunque distinguere tra due concetti di cortesia: uno è quello laico (folk) che si riferisce alla prassi quotidiana, acquisita e perpetuata con la socializzazione dei soggetti nella propria cultura (politeness 1), e l’altro è quello tecnico-scientifico costruito su procedure e regolamenti astratti da tutte le interazioni umane in quanto scambi razionali e strategicamente diretti a scopi comunicativi (politeness 2); il primo è dunque un concetto ‘emico’ intrinsecamente culturale, il secondo è un approccio ‘etico’ del ricercatore ed è quindi a priori dotato di validità universale L’obiettivo del libro di Paternoster è quello di dimostrare proprio lungo la storia culturale che questi due concetti si influenzano e si fondono continuamente portando alla luce la parte e il ruolo che hanno in particolare lingua e cultura italiana Si deve dire, con lode illimitata, che l’autrice ci è perfettamente riuscita - sia tramite la bella presentazione riassuntiva, ma del tutto critica della (s)cortesia come oggetto di ricerca centrale nella pragmatica attuale e storica, sia tramite la sua ampia ricerca empirica in cui scava dati da vari usi comunicativi nel passato e li sottomette a una interpretazione qualitativa, spesso microscopica Il volume si divide in sette capitoli, tra cui il capitolo 1 (intitolato «La (s)cortesia storica: un nuovo campo di ricerca», 17 - 87) delinea sia il recente sviluppo della pragmatica storica (1 .2 .), sia le varie tappe della pragmatica della cortesia (1 .3 .) in un modo puntuale come non mi sembra che sia mai stato fatto per il pubblico italiano Avendo così elaborato il denso fondo teorico per studiare la cortesia in tutte e due le concettualizzazioni (politeness 1 e 2) anche nel passato, in 1 .4 l’autrice mette in gioco l’importanza del mondo latino-italiano come radice e pianificatore di sviluppo Troviamo un bellissimo quadro generale della storia della (s)cortesia 2_IH_Italienisch_76.indd 127 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 128 in Europa dal Medioevo all’Ottocento che conduce - su vari piani - direttamente alla ‘peculiarità del caso italiano’ (1 .5 .3 .) e ai contributi particolari che questo dona alla civilizzazione europea Una discussione più dettagliata di vari periodi storici porta alla luce due ambiti significativi sia per l’impostazione del libro, sia per la ricerca della cortesia in genere: uno riguarda la situazione provocante dei metatermini che riguardano il campo semantico della cortesia e, di conseguenza, la loro resa nelle diverse lingue europee; e l’altro riguarda la questione di trovare una valida base di dati storici in grado di verificare la ‘presenza’ di s/ cortesia e le sfumature comunicative che questa rivela in periodi diversi per testimoniare le trasformazioni e i cambiamenti attraverso il tempo Il primo campo ruota attorno a un termine chiave, il cosiddetto discernment, che, nella pragmatica angloamericana, é usato in opposizione a volition per «discernere» due tipi di società, una che regola l’ordine sociale secondo norme relazionali ma gerarchicamente distintive, e l’altra che si basa su soggetti più liberi e scelte che si ritengono adeguate alla situazione Seguendo invece lo sviluppo semantico di discernment a partire della sua radice italiana ‘discernimento’, Paternoster identifica una semantica addirittura opposta, che si riflette nei grandi trattati di comportamento: come termine puramente emico esso inquadra piuttosto la decisione deliberata, frutto di una valutazione intellettuale delle condizioni situazionali e, in quanto ricerca interiore della giusta misura adeguata al momento, è piuttosto simile a discrezione o meglio: discretio (vd pp 63-74) Ciò permette di ampliare il discorso al campo semantico dei vari termini sociali della sfera rinascimentale i quali, come sprezzatura, modestia, convenevolezza, maniere e altri, portano al cuore delle grandi opere della civilizzazione umana, quali il Libro del Cortegiano e il Galateo, e all’ideologia dell’etica umanista che propagano Secondo me, è proprio lo studio sulla nozione del discernment (cf anche Kádár/ Paternoster, in corso di stampa) a dare una netta lezione alla ricerca sulla cortesia, fino ad ora troppo vincolata all’anglofonia: immergersi nella cultura italiana permette invece di ridefinire le varie impostazioni morali e civili che prende il concetto di cortesia nella svolta dalla sottomissione a rango e potere all’emergere di uno spirito cittadino mercantile . Nello stesso momento, il termine discernment è anche cruciale per l’intero studio: apre la strada metodologica e influenza argomentazione e conclusioni dell’autrice paragonando dati e teoria Vediamo perché e come Se per Paternoster la meta primaria è quella di studiare la cortesia tramite l’identificazione dei suoi usi nel passato, del suo sviluppo e delle sue cause, allora il metodo per arrivarci con un certo sistema, può essere solo quello di considerare il discorso storico nel suo insieme L’autrice si decide per un 2_IH_Italienisch_76.indd 128 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 129 metodo metapragmatico che, conforme alle recenti teorie della (s)cortesia di tipo discorsivo, permette di valutare come, nei testi stessi, un evento comunicativo è stato percepito dai partecipanti e di dedurne l’esistenza di attese e norme riconosciute e riprodotte oppure contestate e violate Paternoster si dedica dunque a rintracciare con acribia filologica una vasta gamma di commenti metapragmatici i quali, sempre in fitta interconnessione, vengono distinti in quattro tipi essenziali: 1 Il metalinguaggio «che comprende termini valutativi riflessivamente utilizzati dai membri della società per parlare della cortesia o della scortesia» (p 48); si tratta quindi di un gruppo di parole sociali testimoni dell’ordine morale in una specifica cultura 2 Il commento metacomunicativo «si riferisce alle interpretazioni e alle valutazioni della prassi sociale, fatte dai partecipanti» (p 49) Essendo però invisibile fin quando l’azione sociale è conforme alle convenzioni e alle attese, questo tipo di commento non è molto facilmente reperibile; deve essere estratto dalla letteratura col ricorso per lo più a scenari metatematici dove appaiono scambi problematici, critiche aperte o negoziazioni ironizzanti 3 Il metadiscorso «si riferisce a discorsi riflessivi sulla (s)cortesia, costituiti al livello della società e della cultura» (p 50) e comprende tra l’altro soprattutto i trattati e manuali di comportamento i quali - essendo sempre emersi inizialmente in Italia e da lì copiati e in crescente diffusione attraverso i secoli in tutta l’Europa - riportano le norme pertinenti alla società occidentale nelle diverse epoche; spesso in riferimento a certi gruppi o classi sociali hanno scopi istruttivi e stabilizzanti, e rappresentano un buon quadro delle maniere, i loro usi e disusi nel mondo laico 4 La consapevolezza metacognitiva «torna al livello della singola parola e riguarda certe particelle discorsive indicative di attese e atteggiamenti cognitivi» (p 50) In questo campo eterogeneo Annick Paternoster si dedica alle forme e formule della cortesia convenzionale e ripone il problema della loro validità in relazione a fattori sociali, locali e temporali che vengono alla superficie solo tramite analisi raffinate presumibilmente di dialoghi teatrali e di discorsi diretti nei romanzi Ora, su questo filtro metodologico costruito su più livelli nascono capitoli analitici che fanno emergere passi decisivi nella storia culturale del territorio italiano - Paternoster studia grandi opere storico-letterarie dimostrando come linguistica, filologia e storia letteraria si possono ancora fecondare a vicenda; s’immerge minutamente nei paragrafi della grande trattatistica e dei suoi successori minori che, però, sono utili testimoni diretti di momenti di grandi cambiamenti socio-politici; segue tante entrate di parole e formule nei grandi dizionari italiani e li confronta con gli usi nei rispettivi 2_IH_Italienisch_76.indd 129 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 130 testi; fa interpretazioni di microe macro-strutture testuali servendosi delle ipotesi delle opere seminali sulla cortesia e scortesia, ma ricorre anche a vari approcci della prima e della recente linguistica italiana (da Spitzer 1922/ 2007 a Caffi 2001; e Koch/ Österreicher 1990) L’autrice ripropone e applica tesi provate della pragmatica come per esempio quella molto adattabile dell’avvicinamento vs distanziamento, oppure quella della mitigazione o indirezione illocutiva; e riempie così pagina dopo pagina con una moltitudine di dati linguistici raccolte tramite minute analisi lungo il testo di base I generi testuali che vengono ‘spogliati’ in questo senso multi-planare, rappresentano, certo, una scelta soggettiva, ma si tradiscono già dal titolo dei capitoli nella parte analitica come intrinsecamente rilevanti per il tema Basta enumerarli qui seguendo l’ordine cronologico dell’indice: lo studio inizia con un’indagine delle convenzioni e rituali nel Libro del Cortegiano di Castiglione paragonando le caratteristiche con certi usi nel Decamerone di Boccaccio (cap 2); poi, rintraccia scene di scortesia in due commedie rinascimentali, La Calandra di Bibbiena e La Lena di Ariosto (cap 3); in seguito scava i metatermini di scortesia nel Ciclo delle serve di Goldoni (cap 4), elabora la «cortesia affettuosa» degli umili nei Promessi Sposi di Manzoni (cap 5); e finisce la sua indagine investigativa con la letteratura istruttiva per ragazzi dopo l’Unità, in particolare con Pinocchio di Collodi (cap 6) I sotto-capitoli - che spesso sono l’approfondimento di articoli che Paternoster ha pubblicato nell’ultimo decennio - ricostruiscono sempre il contesto storico di ogni opera, il che porta a inserire i fenomeni studiati nella cornice socio-culturale e precisare gli usi e i valori che trasmettono Così a parte la ricchezza di forme e funzioni che vengono alla luce svelando il loro contributo a un effetto (s)cortese, si dispiega passo a passo un quadro di storia della civilizzazione italiana e, allo stesso tempo, europea Il lettore, anche se non è familiare con il discorso pragmatico sulla cortesia, può seguire con partecipazione i tentativi che facevano letterati e dotti per riprodurre un comportamento cortese o scortese nella loro epoca; in forme e rituali, in commenti apprezzativi e rimproveranti, tramite mitigazioni, esagerazioni o simulazioni, e con tant’altro che si riflette nell’uso del linguaggio, emerge il percorso significante che tramutava l’ethos di una società dall’antica urbanità all’etica medievale cristiana, attraverso il mondo gerarchico delle corti fino all’ascesa della borghesia moderna e il saper vivere ‘per bene’ destinato a fini pratici e al calcolato successo individuale Tutta questa ricchezza di dati e fatti è scritta e riportata in modo vivace e comprensibile: qualche accorciamento nel trattare i lavori di altri autori di pragmatica sarebbe stato consigliato; lo stesso vale per la raccolta dei dati che provengono sempre dall’opera completa e quindi rendono le interpretazioni un po’ troppo lunghe e ripetitive Sono meritevoli invece le 2_IH_Italienisch_76.indd 130 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 131 conclusioni di ogni capitolo, dove i risultati dell’analisi non sono solo riferiti, ma comparati o confermati nelle rispettive teorie e concetti di cortesia La conclusione finale (cap 7) rielabora tutta l’impresa con l’obiettivo di disegnare nuovi spunti di ricerca tra cui un progetto già iniziato che, per avvalorare le trasformazioni constatate, prenderà in esame più dettagliatamente la trattatistica comportamentale ottocentesca in Italia Il libro finisce con una ricca bibliografia e un indice analitico e uno dei nomi Questi ultimi rendono palesi due cose, il grande merito sia teorico sia storico-culturale da un lato, e un piccolo deficit con certe conseguenze dall’altro lato - deficit dovuto alla formazione primariamente anglofona della studiosa e, di conseguenza, alla ricezione ristretta della ricerca che questa determina: mi sia quindi concesso di notare che all’autrice sono sfuggiti non pochi contributi che hanno fornito i romanisti e i germanisti a proposito della cortesia in quanto concetto laico e concetto scientifico (nomino in questa sede solo il lavoro seminale di Beetz 1990, i volumi di Kerbrat-Orecchioni 1992, 1994 e il mio libro Held 1995) che relativizzano, sì, la novità di molte osservazioni, ma non diminuiscono il valore globale di questo lavoro di pragmatica storica che gratifica sia la teoria che la pratica della s/ cortesia occidentale mettendole su un solido fondamento storico . Gudrun Held riferimenti bibliografici Bax, Marcel/ Kádár, Dániel (eds .): Understanding Historical (Im)Politeness . Special Issue of Journal of Historical Pragmatics 12/ 1-2/ 2011 Beetz, Manfred: Frühmoderne Höflichkeit . Stuttgart: Metzler 1990 Bousfield, Derek: Impoliteness in Interaction . Amsterdam: John Benjamins 2008. Brown, Penelope/ Levinson, Stephen: Politeness . Some Universals in Language Usage Cambridge: CUP 1987 Caffi, Claudia: La mitigazione . Münster: LIT 2001 Culpeper, Jonathan/ Kádár, Dániel (eds .): Historical Im/ politeness . Bern: Lang 2010 Culpeper, Jonathan: Impoliteness: Using language to cause offence . Cambridge: CUP 2011 Haugh, Michael: Im/ Politeness Implicitures . Berlin: Mouton de Gruyter 2015 Held, Gudrun: Verbale Höflichkeit . Tübingen: Narr 1995 Jucker, Andreas H . (ed .): Historical Pragmatics . Amsterdam: John Benjamins 1995 Kádár, Dániel/ Haugh, Michael: Understanding Politeness . Cambridge: CUP 2013 Kádár, Daniel/ Paternoster, Annick: «Historicity in metapragmatics . A study on ‘discernment’ in Italian metadiscourse», in: Journal of Pragmatics, in corso di stampa Kerbrat-Orecchioni, Catherine: Les Interactions Verbales . Paris, Colin . Vol II 1992, Vol . III 1994 2_IH_Italienisch_76.indd 131 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 132 Koch, Peter/ Österreicher, Wulf: Gesprochene Sprache in der Romania . Tübingen: Niemeyer 1990 Spitzer, Leo: Italienische Umgangssprache . Bonn - Leipzig: Schröder 1922 . (Trad .it: Lingua italiana del dialogo . A cura di C . Caffi e C . Segre, Milano: Il Saggiatore 2007) Taavitsainen, Irma/ Jucker, Andreas: «Twenty years of historical pragmatics: Origins, developments and changing thought styles», in: Journal of Historical Pragmatics 16/ 1/ 2015, 1 - 25 Traugott, Elizabeth Closs: «Historical Pragmatics», in: Horn, L ./ Ward, G . (eds .), The Handbook of Pragmatics, Oxford: Blackwell 2004, 538 - 561 Watts, Richard J .: Politeness . Cambridge: CUP 2003 2_IH_Italienisch_76.indd 132 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 13 3 150 Jahre Italien. Themen, Wege, offene Fragen , hrsg. von florika griessner und Adriana Vignazia, unter Mitwirkung von fausto De Michele. Wien: Praesens Verlag 2014, 413 Seiten, € 40,00 Während sich andernorts seit den 1990-er Jahren das Interesse am nationalen Selbstfindungsprozess Italiens im Zuge neuer Forschungsansätze wie Noras lieux de mémoire, Hobsbawms und Rangers Traditionserfindungskonzept sowie Andersons Idee der imagined communities nachhaltig belebt hat, fristet die Risorgimento-Forschung im deutschsprachigen Raum nach wie vor eher ein Schattendasein In der jüngeren Vergangenheit sind, zuallererst natürlich in Italien, nicht zuletzt aber auch im angelsächsischen Raum, eine Vielzahl von Studien publiziert worden, die - wie etwa Alberto Mario Bantis Untersuchungen zur patriotischen Kultur der Einigungszeit oder Lucy Rialls Forschungen zum Mythos Garibaldi eindrucksvoll illustrieren - der Risorgimento-Forschung eine neue Ausrichtung gegeben haben . 1 In diesen Studien wird die Genese des italienischen Nationalstaates aus einem Blickwinkel betrachtet, der traditionelle Disziplingrenzen aufbricht und auch dezidiert kultur- und medienwissenschaftliche Perspektiven miteinbezieht Die Fruchtbarkeit dieser Ansätze, die in der Risorgimento-Forschung hierzulande bisher nur wenig Resonanz fanden - für Österreich mag sich diese Situation aufgrund der historischen Verflechtung beider Länder im Prozess der italienischen Nationalstaatsbildung sicherlich etwas anders darstellen - erweist sich u .a dort, wo die Ebenen der imaginierten und der tatsächlichen Realität miteinander verwoben, um etwa das Sinnstiftungspotential romantischer Narrative aus dem historischen Risorgimento-Roman für konkrete revolutionäre Handlungsmuster zu verdeutlichen oder aber die Genese einer Heldenfigur wie Garibaldi als komplexes Zusammenspiel politisch-revolutionärer Strategien, literarischer Fiktionalisierungsmuster und massenmedialer Innovationen sichtbar zu machen Die Gründe für das recht geringe Interesse der Italianistik am Risorgimento und für die spärliche Berücksichtigung der skizzierten Ansätze im deutschsprachigen Raum sind sicher zu vielfältig, um an dieser Stelle ausführlich dargestellt zu werden Zum Teil, so scheint es, dürfte eine Rolle spielen, dass sich die Italianistik hierzulande doch vielfach im Rahmen eines recht eng gefassten Kanons bewegt, der sich auf eine Reihe von Autoren des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit fokussiert und dabei das 19 Jahrhundert mit Ausnahme einiger weniger Literaten (Leopardi, Manzoni, Verga etc .) außen vor lässt Man mag über diese These sicherlich geteilter Meinung sein Jedoch ist kaum von der Hand zu weisen, dass ein weites Feld 2_IH_Italienisch_76.indd 133 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 13 4 literarischer Quellen aus der Zeit des Ottocento, das maßgeblich zur Entstehung eines Nationalbewusstseins beigetragen und in erheblichem Maße revolutionäres Handeln geprägt hat, hierzulande bisher kaum Berücksichtigung fand Während man, wenn es um den Zusammenhang von Nationalbewusstsein und Literatur geht, zumeist auf eine kleine Anzahl von Autoren (Foscolo, Nievo, auch Manzoni) verweist, lassen sich Studien zum romanzo storico risorgimentale fast an einer Hand abzählen . 2 Um so begrüßenswerter sind vor diesem Hintergrund Projekte wie der vorliegende, von Florika Griessner und Adriana Vignazia besorgte Sammelband 150 Jahre Italien, mit dem die Herausgeberinnen das ambitionierte Ziel verfolgen, Diskurse und Disziplinen, die sich mit der italienischen Nationalstaatsbildung befassen, zu einer Bestandsaufnahme aktueller Diskussionen, Problemfelder und Themen zu bündeln Der aus einer Grazer Tagung im Nov 2011 hervorgegangene Band, der seine Aktualität natürlich dem 150 Einheitsjubiläum verdankt, wartet inhaltlich mit einem überaus breiten Spektrum an Perspektiven auf, das wie auf der Rückseite des Buches betont wird, «von historisch-politischen, über ökonomische bis hin zu literatur-, musik- und kunstwissenschaftlichen Auseinandersetzungen» mit dem Thema Risorgimento reicht Sämtliche Artikel wurden dabei ins Deutsche übersetzt, was den Band auch für ein erweitertes interessiertes Publikum zugänglich macht Die zahlreichen Beiträge - so wurden die Tagungsergebnisse in der Druckfassung noch um weitere Artikel ergänzt, um der Komplexität des Themas Rechnung zu tragen und den «bei der Tagung begonnenen Diskurs […] zu vervollständigen» (11) - sind inhaltlich in drei Blöcke gegliedert: So befasst sich der erste mit dem «kulturellen» nationbuilding, dem «performativen Beitrag von Sprache, Literatur, Musik und bildender Kunst», der zweite mit «Widersprüchen und ungelösten Fragen» der Nationalstaatsbildung, während im dritten Teil «Auswirkungen», «Rezeption» (ebd .) und damit die internationale Dimension des Risorgimento unter die Lupe genommen wird Konzeptionell lehnt sich der Band an die These an, wonach «die kulturelle und nationale Identität eine Leitvorstellung weniger Eliten war» (ebd .) und sich das making of moderner Nationalstaaten - von Michael Metzeltin leitlinienhaft als «kulturdiplomatischer Metadiskurs» dargestellt («Die Entstehung der modernen Nationalstaaten Mit besonderer Berücksichtigung Italiens Ein Vorschlag für einen kulturdiplomatischen Metadiskurs», S 27-42) - über Mechanismen der Vergangenheitserfindung und sprachliche Standardisierungsprozesse vollzieht So berechtigt und zutreffend die Grundannahme einer von ‘oben’ konzipierten nationalen ‘Leitkultur’ auch sein mag, so birgt die Fokussierung auf den Beitrag der nationalen Eliten und den ‘kanonischen’ Texten des 2_IH_Italienisch_76.indd 134 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 135 Risorgimento vielfach die Gefahr, sich thematisch in bereits vorgegebenen Bahnen zu erschöpfen Dabei sind es neben den bekannten Protagonisten wie Verdi oder Foscolo v .a auch die zahlreichen Autoren der ‘zweiten oder dritten Reihe’ wie F .D Guerrazzi, die mit ihren historischen Romanen und revolutionären canti einen erheblichen Beitrag zur Entstehung und Verbreitung eines nationalen Bewusstseins leisten (ein solcher canto war auch die heutige Nationalhymne, Goffredo Mamelis Fratelli d’Italia) Auch sind in den letzten Jahren gerade innerhalb der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Risorgimento-Forschung eine Vielzahl an Untersuchungen publiziert worden, die den «Massencharakter» der italienischen Nationalbewegung in den Blick nehmen (s .o .) (Im Übrigen ist die These vom Elitenphänomen bekanntermaßen eine Konstante in der öffentlichen Diskussion über den italienischen Einigungsprozess Sie wäre daher vielleicht noch stärker von der Forschung zu hinterfragen .) Angesichts der Fülle unterschiedlicher Beiträge und der thematischen Heterogenität des Bandes fällt es schwer, einen vollständigen Überblick über alle Inhalte und Themen zu vermitteln Dass eine Publikation, die sich auf das 150 Staatsjubiläum Italiens bezieht, auch explizit zu den aktuellen Debatten Stellung beziehen muss, die sich um das Problem eines im doppelten Sinne ‘geteilten’ nationalen Geschichtsbildes drehen, zeigt sich besonders im zweiten thematischen Block In diesem Sinne fällt Mario Isnenghi - einem der renommiertesten Vertreter der italienischen Historiographie, der u .a für das Projekt der italienischen luoghi della memoria verantwortlich zeichnet 3 - die Aufgabe zu, den Bogen von der Einigungszeit bis in die Gegenwart des 21 Jahrhunderts zu schlagen In seinem Beitrag, der den pointierten Titel «Eine Geschichte Italiens» trägt, skizziert er Grundzüge der italienischen Geschichtskultur, die bereits im Projekt der luoghi sichtbar geworden sind Zunächst werden die Schwierigkeiten hervorgehoben, angesichts der Vielzahl von «Nebengeschichte[n]» (S 198), «Alternativgesellschaft[en]» (S 202) sowie den bis heute spürbaren ideologischen Gräben, die historisch betrachtet die Gesellschaft durchzogen («liberales» vs «katholisches» Italien, Rechte vs Linke, Eliten vs Massen etc .), zu einer Geschichte Italiens zu gelangen, die allen politischen Lagern und Bevölkerungsteilen gerecht wird Des Weiteren plädiert Isnenghi dafür, zum Verständnis der eigenen Vergangenheit nicht nur die Fakten, sondern verstärkt auch deren «Wahrnehmungen» miteinzubeziehen, womit er letztlich zentrale Mechanismen aufzeigt, die gleichermaßen das politische making of wie auch Auffassungen über die Einigungsgeschichte prägten: die untrennbare Verflechtung von Mythos und Wahrheit Im Grundsatz, so Isnenghi, sei es ohne die Wirkung der Träume und Ideen, der massenmedial erzeugten Wahrnehmungen, kaum schlüssig zu erklären, dass ein kleines Heer mit Garibaldi an der Spitze die bourbonische 2_IH_Italienisch_76.indd 135 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 136 Armee in Süditalien besiegt Schlussendlich ist es also die «Macht» des Symbolischen, die im Risorgimento den Triumph der Minderheit über die Mehrheit ermöglicht Diese «Dynamiken des Imaginären» (S 206) führen bisweilen jedoch dazu, dass - wie im Faschismus, aber auch in der Berlusconi-Ära geschehen - die Realität Italiens in einem Nebel aus «Fiktion», «Inszenierung» und «Fälschungen» (S 204) verschwindet «Am dargestellten Italien» der «Einzelvisionen und Lokalinteressen, Legismen, Regionalismen», so sein Fazit, «zerbricht heute das reale Italien» (ebd .) Neben dieser hellsichtigen Bestandsaufnahme liegt die Stärke dieses Bandes v .a in seiner Vielzahl von Überblicksdarstellungen, in denen diskursive Leitlinien und Grundzüge des nationalen Einigungsprozesses …präsentiert werden: so bspw die Genese des Konzeptes der Italianità (Gualtiero Boaglio, «Die Entstehung des Begriffs Italianità») oder der Zusammenhang zwischen politischer und sprachlicher Einheit (Francesco Sabatini, «Sprache, Nation und Staat in Italien») Dabei ist durchaus positiv hervorzuheben, dass neben ‘Klassikern’ der Risorgimento-Forschung aus Literatur und Musik (Susanne Knaller, «Politische Briefe: Ugo Foscolos Ultime lettere di Jacopo Ortis»; Christian Springer, «Risorgimento und Musik in Italien am Beispiel Giuseppe Verdis - Mythos und Realität») auch vermeintlich randständige Themen wie alternative, föderale Risorgimento-Ideen (Renate Lunzer, «Die ‘verlorenen Ideen’ des italienischen Risorgimento Zum Werk des Historikers Claus Gatterer») bzw regionale Perspektiven (Piero Violante, «Der Gips und das Fragment Zur Einigung Italiens») Berücksichtigung fanden Zudem wartet der Band auch mit einigen interessanten thematischen «Seitenblicken» und Vertiefungen auf - so z .B zur Rolle von bis dato oftmals wenig beachteter, jedoch in hohem Maße bewusstseinsbildender und -reflektierender Medien und Gattungen wie Essayistik und Memorialistik (Albert Göschl, «Essay und Risorgimento - Die Bewertung nationaler Einheit in der literarischen Essayistik bis zum Ersten Weltkrieg) zu wirtschaftlichen Aspekten der Einigungszeit (Fiorenza Fischer, «Die Einigung Italiens Wirtschaftliche Aspekte: Neue Perspektiven in der Geschichtsforschung») sowie zum Liebesroman in Deutschland (Laura Auteri, «Die deutsche Nation in den Liebesromanen zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg»; wobei hier jedoch ein klarer Italienbezug, zumindest eine in Ansätzen komparatistische deutsch-italienische Perspektive, die in Maria Chiara Mocalis Beitrag über Ludmilla Assing, «Freiheit, Demokratie und Risorgimento bei Ludmilla Assing» aufscheint, vermisst wird) Auch einige Artikel, in denen stereotype Wahrnehmungen des Risorgimento z .T revidiert werden (s Maria Rosa di Simone, «Österreichisches Recht und Patriotismus im Risorgimento») sowie einige Kontextualisierungen des Risorgimento - etwa zur Rezeption der Risorgimento-Kultur in Ungarn (Ilona Fried, «Die Rezeption 2_IH_Italienisch_76.indd 136 23.12.16 09: 52 Buchbesprechungen 137 der italienischen Kultur des 19 Jh in Ungarn») oder zum Thema Zionismus und das dritte Rom (Roberta Ascarelli, «‘Am Vorabend des Schabbats der Geschichte’: Der Zionismus und das dritte Rom») - sind in diesem Zusammenhang erwähnenswert Eine Randnotiz: Da im Vorwort des Bandes eigens die Rolle der Übersetzerinnen des Grazer Instituts für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft für das Zustandekommen des Bandes hervorgehoben wurde, hätte man (trotz bzw gerade angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Zugänge) diesen Aspekt vielleicht auch inhaltlich zum Thema machen können - z .B mit einem Artikel, der die Bedeutung von Übersetzungen für die Genese eines nationalen Bewusstseins in den Blick nimmt (Kurz scheint dieser Aspekt in Adriana Vignazias Artikel zur Zeitschrift L’Esule auf - «Literatur und Unabhängigkeit in der Pariser Zeitschrift L’Esule/ L’Exile») Mit Blick auf die zukünftige Erforschung der italienischen Nationalstaatsbildung und ihrer Nachwirkungen dürfte Isnenghis Plädoyer für eine verstärkte Hinwendung zu den Prozessen und Mechanismen des Imaginären einen vielversprechenden Weg weisen und hoffentlich auch Gehör finden Publikationen wie der vorliegende Band, dem man angesichts der kontroversen Debatten zum Einheitsjubiläum in Italien vielleicht noch etwas mehr Aktualitätsbezug gewünscht hätte, dürften hierfür eine solide thematische Ausgangsbasis darstellen . Robert Lukenda Anmerkungen 1 Vgl . Banti, Alberto Mario, La nazione del Risorgimento, Torino: Einaudi 2000; Banti, Alberto Mario/ Ginsborg, Paul (Hrsg .), Il Risorgimento, Storia d’Italia, [=Annali 22], Torino: Einaudi 2007; Riall, Lucy, Garibaldi . Invention of a Hero, New Haven/ London: Yale U . P . 2007 2 Hierzu etwa Ihring, Peter: Die beweinte Nation: Melodramatik und Patriotismus im «romanzo storico risorgimentale», Tübingen: Niemeyer 1999; Wolfzettel, Friedrich / Ihring, Peter (Hrsg .), Erzählte Nationalgeschichte: Der historische Roman im italienischen Risorgimento, Tübingen: Narr 1993 3 Isnenghi, Mario, I luoghi della memoria, Roma-Bari: Laterza 1996-1997 2_IH_Italienisch_76.indd 137 23.12.16 09: 52 13 8 Kurzrezensionen Paolo Soddu (a cura di): Giulio Einaudi nell’editoria di cultura del Novecento italiano, firenze: Olschki editore 2015, pp. 407, € 38,00 Giulio Einaudi nell’editoria di cultura del Novecento italiano raccoglie gli atti dell’omonimo convegno tenutosi a Torino il 25 e il 26 ottobre del 2012 Alla premessa, in cui il curatore rende noti i campi di studio esplorati dai diversi contributi e le lacune che riguardano, ancora oggi, la figura dell’editore piemontese, seguono i saggi discussi durante le quattro sessioni del convegno Gli interventi della prima parte fungono da introduzione a quelli più strettamente inerenti a Giulio Einaudi, alla sua casa editrice e ai suoi collaboratori L’introduzione (pp 3-6) è affidata a Massimo Salvadori, che racconta i particolari di alcuni incontri che ebbe con Giulio Einaudi Nel saggio inaugurale («Il pubblico dell’editoria di cultura», pp 7-12), Vittorio Spinazzola tratteggia la situazione culturale successiva alla caduta del fascismo, che fu caratterizzata dal desiderio di rinnovamento e dallo sforzo di giovani spinti da “una grande fame di esperienze di lettura inedite” (p 7) In questo panorama, rilevante fu il ruolo della casa editrice Einaudi Il contributo successivo, «Gobetti editore Dal ‘modello vociano’ all’editore ideale» (pp 13-32), è di Ersilia Alessandrone Perona L’autrice prende le mosse dai primi tentativi editoriali del giovane Piero, ponendo un forte accento sulle difficoltà che Gobetti incontrò nel 1922, anno in cui visse una forte crisi personale, cui si affiancò la presa di coscienza della carica sovversiva del fascismo Particolare attenzione viene anche conferita alla nascita della Piero Gobetti Editore e alle prime opere pubblicate L’autrice insiste infine sul rapporto equilibrato tra letteratura e politica della suddetta casa editrice, che diede spazio anche ad autori giovani e meno noti Il saggio di Irene Piazzoni («Negli anni del Regime: orientamenti di fondo e nuovi indirizzi», pp 33-68) rimane nell’ambito dell’analisi dell’editoria di cultura e mette in rilievo alcune tendenze tipiche del periodo fascista, durante il quale, in ambito culturale, si avvicendarono orientamenti differenti e talvolta contraddittori L’ambiguità sembra infatti essere stata una costante del momento storico considerato: si trattò, come ben esemplifica l’autrice, di un «coacervo di energie tutt’altro che convergenti» (p 37) Piazzoni fa ampio uso di esempi concreti di opere e autori, passando in rassegna i testi nati dopo la diffusione dell’idealismo Caratteristica di questo periodo fu anche la pubbli- 2_IH_Italienisch_76.indd 138 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 139 cazione di opere che, in modo diverso, affrontarono la tematica della crisi nelle sue più svariate accezioni Meno spazio è invece destinato all’operato delle case editrici cattoliche In questi anni - sottolinea la studiosa - ripresero anche le pubblicazioni di carattere scientifico, il cui contributo maggiore venne da Giulio Einaudi e dalla sua «Biblioteca di cultura scientifica», collana nata nel 1938 grazie all’apporto di Leone Ginzburg, Ludovico Geymonat e dello stesso editore In «L’editoria libraria tra sperimentazione e mercato» (pp 69-76), Gian Carlo Ferretti riflette, soprattutto da un punto di vista economico, sulle caratteristiche generali dell’editoria italiana Ferretti mette in evidenza alcune criticità dell’editoria contemporanea come il nomadismo degli autori da una casa editrice all’altra Con il contributo conclusivo della prima sezione («Introduzione alla vita di Giulio Einaudi», pp 77-95) il curatore del volume ci offre un quadro delle vicende umane dell’editore, del quale vengono rapidamente esaminati gli anni d’infanzia e quelli degli studi liceali e universitari, questi ultimi particolarmente travagliati a causa del cambio di facoltà e degli scarsi risultati conseguiti Successivamente viene ricordato il momento della nascita della casa editrice Largamente indagato è poi il suo rapporto con il padre Luigi, figura chiave di alcune vicende che riguardarono l’attività editoriale di Giulio Tra le altre cose, fu proprio dal padre che costui ereditò il suo particolare rapporto con i libri La seconda parte comprende alcuni interventi che si focalizzano proprio sull’attività di editore di Giulio Einaudi Il primo di questi, firmato da Gabriele Turi, s’intitola «I caratteri originali della casa editrice Einaudi» (pp 99-108) Anche qui si riscontra una certa insistenza sul ruolo imprescindibile ricoperto dal padre di Einaudi per la sua casa editrice Il senatore Luigi investì capitali nell’impresa del figlio, elargì preziosi consigli e risolse anche alcuni problemi come quello del sequestro di Diario di guerra di Leonida Bissolati Proprio sul necessario compromesso con il potere politico indugia l’autore del saggio, che spiega come questo aspetto sia stato poco indagato fino a qualche decennio fa, anche a causa di alcune dichiarazioni sibilline dello stesso editore, il quale si diceva disinteressato all’andamento economico della sua attività Una caratteristica della casa che Turi evidenzia è la varietà delle opere comprese nel catalogo fin dagli esordi Altro principio cardine fu la volontà di liberare la cultura italiana dal provincialismo Domenico Scarpa dedica invece il suo denso saggio, «Vigile eleganza Leone Ginzburg e il progetto di un’editoria democratica» (pp 109-140), ad un valente collaboratore dell’editore, il cui operato presso la casa dello ‘struzzo’ viene analizzato minuziosamente Emerge qui il ritratto di un uomo rigoroso nello studio, zelante e soprattutto pieno di talento, sebbene non abbia potuto esprimersi completamente a causa delle leggi razziali e della censura fascista I suoi interessi principali furono la storia, le lingue, le culture straniere e le 2_IH_Italienisch_76.indd 139 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 14 0 traduzioni, di cui deprecava la scarsa e tardiva diffusione in Italia Nonostante la sua attività, secondo l’autore, Ginzburg non occupa il posto che gli spetta nella storia della filologia testuale italiana a causa della sfortunata perdita di manoscritti e lettere Scarpa lo mette infine a confronto con Giaime Pintor, che pure collaborò con Einaudi Claudio Pavese analizza, poi, in maniera approfondita e servendosi di lettere e di documenti originali di vario tipo, il commissariamento cui la casa dello ‘struzzo’ fu sottoposta negli anni Quaranta («Il periodo del commissariamento della casa editrice Einaudi (1943-1945)», pp 141-187) L’interessante contributo si apre con l’analisi, per mezzo di esaurienti biografie, dei protagonisti di questo particolare periodo, e della storia delle diverse sedi che allora facevano capo all’Einaudi La conclusione cui giunge l’autore è che l’immagine della casa torinese negli anni del commissariamento non venne compromessa in maniera significativa, anzi tale evento rafforzò il legame tra i diversi collaboratori e fomentò la voglia di riscatto che si sarebbe espressa con la pubblicazione delle opere del periodo successivo Altra figura chiave nell’entourage dell’editore fu Raffaele Mattioli, che sostenne Einaudi soprattutto dal punto di vista economico e al quale è dedicato il contributo congiunto di Francesca Gaido e Francesca Pino («Oltre i dati di bilancio: il sostegno ininterrotto di Raffaele Mattioli alla casa editrice Einaudi», pp 189-218) I finanziamenti di Mattioli alle imprese einaudiane furono costanti e, malgrado certe divergenze, molti erano comunque gli elementi di affinità tra l’editore e il suo fedele finanziatore, tra cui l’impegno comune per la cultura Gli ultimi due saggi della sezione spostano il fuoco sulla letteratura del dopoguerra: mentre infatti Edoardo Esposito si occupa principalmente della disamina delle riviste (non solo einaudiane) e delle opere pubblicate su di esse («Letteratura e riviste dopo la liberazione», pp 219-232), Carlo Minoia indaga il modo di narrare di Elio Vittorini tra la seconda metà degli anni Quaranta e il decennio successivo («Dal ‘Politecnico’ ai ‘Gettoni’: Vittorini e la ‘poetica del raccontato’», pp 233-243) La terza parte del libro è incentrata sull’editoria di cultura del secondo dopoguerra Vittore Armanni apre la sezione illustrando le premesse e le modalità dell’accordo commerciale stipulato tra la casa editrice torinese e la Mondadori nel 1957 («L’accordo commerciale Einaudi-Mondadori: egemonia o mercato? », pp 247-260) Il contributo appare ancora più significativo se si pensa che, proprio come afferma l’autore all’inizio, l’indagine relativa alle vicende economiche dell’Einaudi è stata finora messa in ombra dall’analisi di quelle culturali Armanni rimarca l’importanza che ebbe l’acquisizione di certi testi einaudiani per la collana degli Oscar Mondadori, i quali, a detta dello stesso Giulio Einaudi, «non avrebbero avuto l’impatto che hanno avuto senza i nostri titoli» (p 260) Giulia Boringhieri, autrice del 2_IH_Italienisch_76.indd 140 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 141 saggio successivo («La difficile strada della cultura scientifica in Italia: Paolo Boringhieri e le Edizioni scientifiche Einaudi», pp 261-272), pone l’accento sull’influenza che ebbe suo padre Paolo sulla nascita delle edizioni scientifiche dell’Einaudi, volute fortemente proprio dal fondatore della casa L’autrice suddivide in diverse fasi la storia del progetto einaudiano di libri scientifici fino alla nascita della Boringhieri editore nel 1957 Segue l’articolo di Alberto Banfi sull’edizione critica delle opere di Nietzsche di Giorgio Colli, la cui ideazione risale alla seconda metà degli anni Quaranta («Nietzsche, Colli, Foà: l’azzardo di un’edizione critica e di una nuova casa editrice», pp 273-286) Fondamentale fu in tal senso l’apporto di Luciano Foà che, negli anni in cui il progetto prese forma, faceva parte della redazione di Giulio Einaudi All’editore, tuttavia, il progetto sembrò eccessivamente ambizioso perché troppo lontano dalla linea editoriale della sua casa Per questo motivo, l’opera uscì successivamente per la nuova casa editrice fondata dallo stesso Foà, cioè Adelphi, che rilevò i diritti relativi alle opere del filosofo tedesco già in preparazione presso Einaudi Concludono la sezione due saggi dedicati ad altrettante figure di spicco della casa torinese Il primo, di Luca Baranelli, è incentrato sulla figura del siciliano Raniero Panzieri, ideatore della collana «La nuova società» che collaborò con Giulio Einaudi per un breve periodo, tra la fine degli anni Cinquanta e l’inizio del decennio successivo («Raniero Panzieri e la casa editrice Einaudi (1959-1963)», pp 287-298) Il secondo («L’altro Giulio Bollati e ‘lo struzzo’», pp 299-308), di Ernesto Ferrero, ricostruisce il legame dell’editore con un altro validissimo e solerte aiutante: Giulio Bollati, che prese il posto prima ricoperto da Cesare Pavese e che affiancò instancabilmente l’editore per trent’anni, cioè fino alla fine degli anni Settanta, quando lasciò la casa di Einaudi per fondare Il Saggiatore Oltre che per il grande e precoce talento, che colpì l’editore già durante il loro primo incontro, Bollati si distinse per la sua attenzione alla cultura in movimento, un’oculata mentalità imprenditoriale e una forte avversione nei confronti di un accademismo fine a sé stesso Grazie ai contributi dell’ultima sezione il lettore entra nel vivo dell’attività della casa editrice, dal momento che vengono sviscerate le modalità con le quali videro la luce alcune opere di ampio respiro, come Letteratura italiana di Asor Rosa, il cui lungo progetto è minuziosamente descritto da Luca Marcozzi nel primo saggio della sezione, dove viene posta una certa enfasi sull’impatto che quest’opera ha avuto sulla storiografia letteraria italiana («La letteratura italiana», pp 311-326) Il secondo intervento («La Storia d’Italia nel segno della continuità editoriale», pp 327-334) si ricollega a quello di Marcozzi, in quanto il suo autore, Walter Barberis, si sofferma su un progetto, la cui storia editoriale si è intrecciata con quella di Lettera- 2_IH_Italienisch_76.indd 141 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 142 tura italiana, cioè Storia d’Italia In linea con gli interventi precedenti, Enrico Castelnuovo, che è stato consulente presso l’Einaudi, illustra i processi che hanno portato alla nascita delle tante collane e dei tanti volumi dedicati alla storia dell’arte, indugiando anche sui personaggi che hanno contributo alla loro realizzazione («La storia dell’arte», pp 335-342) Vittorio Strada, anch’egli testimone diretto dell’attività della casa dello ‘struzzo’, incentra invece il suo saggio sulla disamina dei testi di slavistica, alcuni dei quali furono pubblicati grazie ad eminenti studiosi del settore come Renato Poggioli e Angelo Maria Ripellino («La slavistica», pp 343-350) Discostandosi dalla linea dei saggi immediatamente precedenti, Roberto Cicala ci fornisce il ritratto di Carlo Dionisotti, un altro collaboratore di Einaudi («Dionisotti e lo struzzo: il rapporto con gli ‘amici della casa e della storia’», pp 351- 378) Il rapporto tra l’editore e Dionisotti, a seguito del trasferimento di quest’ultimo in Inghilterra nel 1947, diede vita ad un carteggio di cui sono andate perdute molte carte Dionisotti entrò in contatto con Einaudi già poco dopo la fondazione della casa torinese, ossia nel 1934 L’aspetto più interessante del suddetto contributo è la citazione di molti estratti di lettere inviate da Dionisotti all’editore e ad altri esponenti della casa come il caporedattore Daniele Ponchiroli A conclusione del volume troviamo l’articolo di Cesare Segre dal titolo «Einaudi e la filologia» (pp 379-386) Segre riflette sull’importanza che filologi come Santorre Debenedetti e Gianfranco Contini ebbero per l’attività di Einaudi Lo stesso Ginzburg aveva un’impostazione filologica di cui l’editore era entusiasta e che manifestava in diverse occasioni, come quando si dedicava al controllo dei testi in preparazione o in corso di stampa In conclusione, il presente volume, grazie ai diversi ambiti di studio esplorati, in alcuni casi per la prima volta, e grazie alla ricchezza delle fonti primarie citate, si rivela un valido strumento che consente di ripercorrere e/ o approfondire la storia di una delle case editrici italiane più importanti Mariagrazia Farina 2_IH_Italienisch_76.indd 142 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 14 3 Alice Malzacher: «Il nodo che…me ritenne…». Riflessi intertestuali della ‘Vita Nuova’ di Dante nei ‘Rerum vulgarium fragmenta’ di Petrarca , Strumenti di letteratura italiana 41, firenze: Cesati 2013, 297 Seiten, € 25,00 Die Untersuchung bearbeitet ein ideales Dissertationsthema, da sie theoretisch-methodische Überlegungen und philologische Detailarbeit an konkreten, überschaubaren Texten gleichermaßen verlangt Seit Bachtin und Kristeva gehören Dialogizität und Intertextualität zu den meistdiskutierten Grundlagen der Literaturwissenschaft Malzacher zieht angesichts der beiden in Beziehung gesetzten Werke (ergänzt durch die einschlägigen Stellen in der Commedia) mit Recht jedoch einen von Broich/ Pfister und Hempfer favorisierten enger gefassten Begriff von Intertextualität vor, der sich auf identifizierbare Texte beschränkt («Sarà dunque il maggiore interesse di questo lavoro di concepire come nell’atto di trasformazione dell’ipotesto dantesco nasca il nuovo e mutato significato petrarchesco .», S 34) Methodisch lehnt sich Malzacher überdies an Kuon und seine Typologie der verschiedenen Beziehungsformen zwischen Dante und seinen Nachfolgern an Petrarcas Canzoniere ist darüber hinaus noch ein besonders dankbarer Gegenstand, als er sich generell über die aemulatio und imitatio der Alten als auch über sein Verhältnis zu Dante theoretisch geäußert hat, wenn auch zum Teil widersprüchlich Ein erster Block (Kap 2, S 49-118) untersucht die Beziehung von Dantes Canzone Donne ch’avete intellecto d’amore , zusammen mit ihrem Kontext in der Vita Nuova (Kap X) und in der Commedia (Purgatorio XXIV) als Muster des Stilnovismo, zu Petrarcas canzoni degli occhi (RVF 71-73), speziell zu den ersten beiden Stanzen von RVF 71 Malzacher beschränkt sich nicht auf die Aufzählung lexikalischer und motivischer Anleihen beim Stilnovismo noch auf Analogien in der Positionierung innerhalb der verglichenen Werke, sondern sie benützt die Analyse der Ähnlichkeiten und Unterschiede zu einer beispielhaften Demonstration dessen, was sie mit Pfister ein «Optimum an Dialogizität» nennt Die Anklänge an Dantes ‚neuen Stil‘, der das vom amor cortese geerbte persönlich involvierte Ich und seine Ansprüche zugunsten der Spiritualisierung der Liebesbeziehung und des Lobes der Geliebten zurücknimmt, sind daher nach Malzacher keine Wiederaufnahme (neo-stilnovismo petrarchesco, S 54), sondern Aufhänger für einen kritischen Dialog, in dem Petrarca seine geradezu entgegengesetzte poetica della presenza als eine Art «contro-manifesto» (S 114) gegen den Stilnovismo entfaltet Die Hoffnung des Liebenden auf einen belohnenden Blick in RVF 73 erscheint als deutlicher Rückgriff, wenn nicht als Regression auf die höfische Liebe (S 92) 2_IH_Italienisch_76.indd 143 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 14 4 Malzacher bietet unter den vielen scharfsinnigen Beobachtungen etwa über Dantes Bemühen, nicht von sich in der ersten Person zu sprechen, während Petrarca das Ich in den Vordergrund stellt (S 76), wie auch über den Wechsel vom (eher erzählend distanzierten) Endecasillabo Dantes zu einem (emotiveren) Settenario in den Eingangszeilen von Petrarcas Canzone 71 (S 90) - zum Teil auch solche, von deren Pertinenz sie selbst nicht so ganz überzeugt zu sein scheint («va forse aldilà di una mera speculazione», S 63), wenn sie in den Versen 5/ 6 von RVF 71 in der mehrfach disseminierten Silbenfolge la und do ein «phonisches Echo» der Danteschen loda sieht, wobei der subjektiv empfundene Schmerz (la doglia) bei aller lautlichen Ähnlichkeit im semantischen Kontrast zum entpersönlichten stilnovistischen Lob der Geliebten (la loda) steht Zumal die titelgebende Metapher des nodo (aus Purgatorio XXIV) eignet sich als Beispiel für den spezifischen Dialog zwischen Petrarca und Dante Dieser Dialog geht insofern weit über das im Untertitel Versprochene hinaus, als die Arbeit nicht nur «riflessi» nachweist, sondern exemplifiziert, wie Petrarca das stilnovistische Material gegen grundlegende Errungenschaften des Stilnovismo wendet Während Dante sich dank Amor mit seinem «neuen Stil» und seiner distanzierten Betrachtung der Geliebten von den Fesseln der traditionellen höfischen Poesie befreit, bekommt der nodo bei Petrarca unter dem Eindruck der poetica della presenza eine andere Bedeutung: Es ist die unmittelbare Gegenwart der Geliebten, die zunächst seine Zunge fesselt, letztlich aber zum Ursprung seiner Dichtung wird «Le ‘canzoni degli occhi’ sono infatti indubbiamente già la manifestazione di quelle nuove rime di cui parla Petrarca Ed esse si realizzano nella rappresentazione immediata della condizione dell’innamorato, e non, come in Dante, nella sublimazione della stessa esperienza .» (S 109) Petrarca knüpft hierbei jedoch schon an zwei widersprüchliche Modelle Dantes selbst an (S 252 ff .): Einmal an das ‘Modell Beatrice’, geprägt von der Abwesenheit, der metaphysischen und heilsgeschichtlichen Funktion der Geliebten, und an das Gegenmodell der ‘donna pietosa’, die für sinnliche Präsenz und gleichzeitig für den drohenden Heilsverlust steht Doch diese antithetische Bewertung der beiden Modelle wird in der Vita Nuova dem Prosateil überantwortet In den Gedichten über Laura dagegen vereinen sich die widersprüchlichen Konzeptionen der Vita Nuova ohne eine klare moralische Entscheidung für eines der Modelle, ja Malzacher sieht in dieser Ambivalenz gar den Motor von Petrarcas Dichtung Dante jedoch Kontrollverlust und Inkohärenz (S 254) vorzuwerfen, weil er die Figur der ‘donna pietosa’ eingeführt hat, scheint mir nicht berechtigt; im Gegenteil, es handelt sich ganz offensichtlich um eine kontrollierte Ambiguität 2_IH_Italienisch_76.indd 144 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 14 5 «Anche se questi componimenti vengono stilizzati dal commento in prosa composto a posteriori come un errore, e con ciò integrati in modo apparentemente coerente con lo schema ascensionale della narrazione, l’amore sensuale per la ‘donna pietosa’ lascia un’impressione intensa Si può dunque per dare assodato che Dante talvolta nel suo tentativo di costruire un discorso congruo non abbia il controllo completo su eventuali incongruenze Se Petrarca per converso dichiara sin dall’inizio l’esperienze amorosa come un’esperienza in sé contraddittoria e lascia convivere l’uno con l’altro diversi elementi, egli appare alla fine nelle sua dichiarata contraddittorietà più coerente di Dante, che nella sua dichiarata coerenza era divenuto incoerente .» Das wäre etwa so, wie wenn man Dante vorwürfe, dass er Francesca in die Hölle verbannt, obwohl er doch ihren Sündenfall mit offensichtlichem Einfühlungsvermögen und mit Verständnis gestaltet, oder den moralischen Diskurs von Boccaccios Vorwort zum Decameron gegen seine Novellen ausspielte Der theoretisch-systematische Diskurs ist das eine, der poetische das andere Sollte die Poesie nicht doch anderen Gesetzen gehorchen als die Moral? Ob die Verteilung auf zweierlei Diskursformen weniger kontrolliert ist als Ambiguitäten innerhalb einer einzigen, scheint mir nicht ausgemacht Unstrittig ist dagegen die explizite Bezugnahme auf Dantes Hypotexte und die Feststellung einer historischen Entwicklung Viele der Korrespondenzen wurden von der Forschung schon früher konstatiert Doch Frau Malzacher hat die Möglichkeiten eines solchen Dialogs zwischen den Texten in beispielhafter Weise ausgelotet, indem sie ihn auf die unterschiedliche Poetik der beiden Autoren bezog und didaktisch so überzeugend darstellte, dass man die Dissertation als Grundlage eines Seminars nehmen möchte . Hermann H . Wetzel 2_IH_Italienisch_76.indd 145 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 14 6 Judith Kasper/ Cornelia Wild (hrsg.): Rom rückwärts. Europäische Übertragungsschicksale , Paderborn: Wilhelm fink Verlag 2015, 252 Seiten, mit s/ w-Abb., € 29,90 Wie gestaltet sich das breite Spektrum, das Rom und seine Bedeutungen auf die Texte der Antike und der Moderne projizieren? Welche Figuren und Tropen gehören zu Rom und machen aus der Stadt eine allgegenwärtige Referenz machen in jenem anhaltenden Verfahren der translatio, d .h des Übertragens, Übersetzens und Umarbeitens der Latinität, die das Schicksal Europas und die Geschichte des Abendlandes charakterisiert? Und weiter: Wie ist es möglich, mit Textfiguren und -dynamiken das römische Erbe, seine Latenzen ans Licht zu bringen und zu entziffern, die in wandelbaren Formen stets bereit sind, einen sprachlichen, politischen und kulturellen Effekt in der europäischen Moderne und Postmoderne auszulösen? Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt des von Judith Kasper und Cornelia Wild herausgegebenen Bandes Er besteht aus einer kommentierten Anthologie von 35 Textpassagen der Literatur, Philosophie und der europäischen Kultur, die auf Rom rekurrieren Der Band entstand als eine Gemeinschaftsarbeit und ist das Ergebnis hauptsächlich von Zusammenkünften und Debatten der letzten Jahre an der Universität Leipzig im Rahmen des 8 Frankoromanisten-Kongresses sowie zweier Workshops an der Ludwig-Maximilians-Universität München Die chronologische Breite der Texte ist beachtlich und reicht von Ovid und Lucan über Derrida und Kittler, greift dabei etwa Quintilian, Prudentius, Machiavelli, Du Bellay, Gracián, Baudelaire und Curtius auf; auch die Kunst und das Kino sind vertreten (Piranesi, Twombly, Buñuel, Rossellini) Die Essays kommentieren die einzelnen Stellen in verdichteter Form auf fünf bis sechs Seiten DieTextpassagen mit ihren Figuren, ihren Dynamiken und impliziten Strukturen bilden den Kern, von dem aus sich die Analysen entwickeln Das Buch kann somit als ein «philologischer Versuch» angesehen werden, bei dem jeder Aufsatz sich als «eine detaillierte Analyse, die die Theorie in nächste Nähe zu ihren Gegenständen rückt» darstellt, wie es die Herausgeberinnen in der Einleitung deutlich machen (S 15-16) Die Konzeption des Bandes geht von der Annahme aus, dass Rom den Spannungspunkt darstellt, in dem zwei Kräfte zusammenfließen, die aus ihm eine gespaltene, janusköpfige Figur machen; ein Hiatus entsteht: Da ist eine selbstreferentielle Kraft, sozusagen die zentripetale, die Rom eine Form von imperium sein lässt, bezüglich der Macht und dem Herrschaftsanspruch Macht, die zu einer unaufhörlichen reductio ad unum fähig ist, die autoritär das Vermögen darstellt, wiederholungstauglich zu sein, indem sie ihre Übertragung behauptet Aber da ist auch eine Zentrifugalkraft, dazu fähig, Rom und seine Tropen einer subtilen und intensiven Abweichung auszusetzen, die 2_IH_Italienisch_76.indd 146 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 147 in Umwandlung und Differenz mündet Die Autoren der einzelnen Beiträge machen es sich zur Aufgabe, die Substanz und die Variabilität dieser Kraft zu entschlüsseln: Während des Übertragungsprozesses, den Rom in Erinnerung ruft, werden textuelle Dynamiken aktiviert, die eine breite Skala an Gefühlen, ‘Gegenschlägen’ und Logiken auslösen und die vermögen, aus dem römischen Erbe seine stets latente Alterität und Vielfalt zu gewinnen Die Ruinen Roms der Vergangenheit etwa verwandeln sich nicht in identitätsstiftende Symbole, sondern in «sperrige Reste, […] zerstückelte Signifikanten, die bis zur Unkenntlichkeit verschoben, in neuen Montagen aufscheinen» (S 14) Die Referenz Rom besteht seit der Erzählung seiner Gründung aus einem ungelösten Kräftefeld Mit der Tötung von Remus durch den Zwillingsbruder Romulus stellt sich Rom - wie Gianluca Solla in der Analyse des Abschnitts Vitae parallelae von Plutarch darlegt - als Ort der Dualität und der Trennung dar Diese offenbart auch das Paradoxon seiner rechtlichen Grundlage: Die Macht des Gesetzes entspringt «selbst aus der kruden Gewalt des Mordes: Gesetzgeber und Mörder sind dieselbe Person» (S 23) Gleichermaßen kann der Gründungsmythos auf narrativer Ebene seine Autorität nicht auf eine einzige Version festlegen, sondern zeigt sich, wie Plutarch andeutet, zerstückelt in einer Myriade von Versionen und Variabilitäten entgegengesetzter Stimmen, unter denen man schwer die wahre ausmachen kann Der christlichen Tradition Roms und ihrem Stammvater Augustinus widmet sich Barbara Vinken in ihrer Lektüre: In augustinischer Perspektive wird die Gründungsgeschichte Roms und der Brudermord «zum Urtypus irdischer Geschichte, zur Figur des gesellschaftlichen Körpers: Gespalten-Sein im Gleichen» (S 30) Rom ist daher nicht aeterna, sondern Emblem der Vergänglichkeit alles Irdischen Es handelt sich hierbei um einen Knotenpunkt, der erneut in der Moderne wieder zu finden ist, in anderer Form An Rom denken bedeutet tatsächlich an die Geschichte der Zivilisationen denken, an die Möglichkeit ihrer translatio, ebenso wie an ihre Sterblichkeit, und damit sind Angelpunkte der Gedanken Paul Valérys und im Besonderen der Schrift La crise de l’esprit genannt: Nach Pablo Valdivia Orozco stellt für Valéry die Krise des Geistes auch die Krise der Idee selbst der römischen translatio dar, die als Fähigkeit des Organisierens, Filterns und «Nennens» dessen verstanden wird, das die Möglichkeit des Vererbt-Werdens in sich trägt, die Fähigkeit also, dessen Heterogenität und Individualität zu bewahren Zu vermeiden ist hiernach, dass «die Namen dieser Zivilisation des Geistes zu reinen Worten [absacken]»: Mit der Krise des Geistes, «die hier auch die der römischen translatio ist, wird nicht nur Heterogenität zu Chaos, sondern ebenso jedwedes Material zu einer amorphen Anhäufung» (S 73, 74) 2_IH_Italienisch_76.indd 147 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 14 8 Auf einer anderen Ebene jedoch, jener der Gefühle nämlich, zeigt Rom eine der dauerhaftesten Wirkungen, die Offenheit dafür, «mit Gefühlsintensitäten und Intimität aufgeladen» zu sein, so Cornelia Klettke in der Analyse einer Textpassage aus Mme de Staëls Corinne ou l’Italie (S 210), oder es offenbart sein Potential, «Imaginarium der Faszination» zu sein (Rudolf Behrens in Bezug auf Madame Gervaisais der Brüder Goncourt, S 215) Es ist besonders die Stadt der Trümmer ihrer Tempel und der Spuren ihrer Auflösung, die den Katalysator der Gedanken und Gefühle darstellt und für den Besucher ein Ort der Erwartung und des Erwachens, wie John T Hamilton in seiner Lektüre einer von Petrarcas Familiares darlegt, ein Bericht seiner Spaziergänge, die er oft mit Giovanni Colonna zwischen den Ruinen der Stadt unternahm: Bei jedem Schritt, so Petrarca, tauchte etwas auf, «was Zunge und Herz erregte» [quod linguam atque animum excitaret] Die Stadt, ein unermessliches Depot von Fragmenten historischer Ereignisse, welche die Vorstellung des Besuchers anregen, wird zum «Palimpsest, während der Reisende zum Leser wird» (S 205) Der Palimpsest Rom erscheint wie von loci übersäht, welche die Form von echten und eigentlichen Zitaten annehmen: Sie können wieder verwendet, zu neuem Leben erweckt und in der Gegenwart ‘interpoliert’ werden Dies ist etwas, das auch in den Essais von Montaigne anklingt, wo natürlich die Demarkationslinie zwischen den Alten und Modernen einem Abgrund gleicht: Der moderne Autor - laut Helmut Pfeiffer in seiner Lektüre der De trois bonnes femmes (35 Kapitel des 2 Buches) - ist zuständig für «die dispositio des alten Materials, ‘sowie man mit Blei andere Metalle verlötet’, während die inventio in der Wirklichkeit der alten Geschichte liegt» (S 151) Rom mit seinen Ereignissen und den Persönlichkeiten, die sich in der literarischen und geschichtlichen Überlieferung kreuzen, scheint selbst eine Trope zu sein, eine Wendung, wenn nicht eine wahre Denkfigur, die immer wieder zurückkehrt und sich wieder stellt, um die Behauptung von Michèle Lowrie aus seinem Kommentar eines Passus aus Bellum civile von Lucan, der Caesar und Scaeva in den Blick nimmt, anzuführen Sigmund Freud hat in einem Abschnitt von Das Unbehagen in der Kultur einen Vergleich angedeutet, den er sodann in der Schwebe ließ, zwischen Rom und der Struktur der Psyche, vor allem deren Gedächtnisapparat: Er geht von der «phantastischen Annahme» aus, dass Rom kein bewohnter Ort, sondern ein «psychisches Wesen» ist, in dem jegliche historische Schichtungen seiner Entwicklungsphasen, von den antiken bis zu den jüngsten, gleichzeitig in einer hypothetischen transparenten Überlappung sichtbar werden, etwa so: «auf dem Pantheonplatze fänden wir nicht nur das heutige Pantheon, wie es uns von Hadrian hinterlassen wurde, sondern auf 2_IH_Italienisch_76.indd 148 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 14 9 demselben Grund auch den ursprünglichen Bau des M Agrippa [ . . .] Und dabei brauchte es vielleicht nur eine Änderung der Blickrichtung [ . . .], um den einen oder den anderen Anblick hervorzurufen» (S 235) In diesem unterbrochenen Versuch Freuds, der quasi an einen Aufschub erinnert (kurz danach wird er als unvorstellbar und absurd kennzeichnet) und den Judith Kasper untersucht, kommt ein Konflikt zwischen Zivilisation und Triebanspruch, zwischen «civitas (Roma) und Affekt (Amor)» (S 241) zum Tragen - dieser führt auch zum Anagramm des Stadtnamens, das in seiner langen klassischen Tradition von Cornelia Wild in Bezug auf einen Text von Saussure analysiert wird Neben diesem Konflikt bleibt jedoch gleichwohl ein zweiter Hinweis Freuds bestehen, nämlich jener auf die von Rom selbst gegebene Möglichkeit, es anhand einer «Änderung der Blickrichtung» zu sehen, seine ‘Disposition’, nicht nur gesehen, sondern auch gelesen zu werden wie ein Text, der mehrfache Einschreibungen enthält Hierin liegt auch des zentrale Anliegen der Herausgeberinnen Der Band weist viele weitere Wege, die Rom und seine Referenzen kreuzen, an dieser Stelle konnte nur ein Teil davon skizziert werden Ein gewisser Grad an Heterogenität unter den einzelnen methodischen Ansätzen der Analysen ist als Möglichkeit zu sehen, die Vielfalt der Referenz Rom entzifferbar zu machen Der Gewinn des Bandes misst sich gerade in der Gemeinschaftlichkeit des Unternehmens, in der erschöpfenden Spannweite der Vielzahl an Arbeiten, die auf diese Weise eine ‘weitwinklige’ Perspektive auf das römische Erbe liefern Carlo Mathieu 2_IH_Italienisch_76.indd 149 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 150 Donatella Brioschi/ Mariella Martini-Merschmann: L’italiano nell’aria 1. Corso d’italiano per cantanti lirici e amanti dell’opera (+ Dispensa di pronuncia e 2 CD). roma: Edilingua 2015, pp. 196, € 27,90 / Donatella Brioschi/ Mariella Martini- Merschmann: L’italiano nell’aria 2. Corso d’italiano per cantanti lirici e amanti dell’opera (+ CD audio), roma: Edilingua 2016, pp. 240, € 27,90 Non sono molti i manuali d’italiano come lingua straniera dedicati alla lingua settoriale dell’opera E nessuno aveva ancora osato scriverne uno destinato anche a principianti assoluti Donatella Brioschi e Mariella Martini- Merschmann hanno ora realizzato questo ambizioso progetto, colmando così una grande lacuna e venendo in aiuto ai docenti d’italiano dei corsi universitari per cantanti d’opera che - fra gli insegnanti d’italiano come lingua straniera - svolgono i compiti più ardui: i loro studenti devono avere un’ottima pronuncia (per cantare in un italiano perfetto, o quasi), riuscire a tradurre le arie (in modo da sapere che cosa cantano e adattare l’espressività in scena al contenuto: testi aulici in un repertorio che spazia da Monteverdi a Puccini, dall’italiano rinascimentale a quello dell’Ottocento) e conoscere il vocabolario settoriale - da audizione a compositore e via dicendo - in modo da essere in grado di sostenere una conversazione di lavoro, nel caso vengano ingaggiati da un teatro italiano E si vede, consultando il manuale, che le autrici conoscono il loro pubblico: l’esperienza pluriennale di Mariella Martini-Merschmann alla Hochschule für Musik und Theater di Amburgo si sente fra le pagine, si nota che il materiale è stato sperimentato dagli studenti e arricchito lezione dopo lezione Vogliamo qui presentare il manuale in dettaglio, evidenziandone i punti forti e qualche debolezza Ogni volume consta di 7 (il primo e 8 il secondo) unità didattiche, una parte dedicata agli esercizi, una dispensa di pronuncia, due CD audio contenenti gli ascolti del libro e le esercitazioni di pronuncia Sono inoltre scaricabili dal sito di Edilingua la prima unità completa in .pdf (per il primo volume, l’ottava per il secondo), il riepilogo grammaticale, le chiavi del quaderno e della dispensa, la guida per l’insegnante, un test finale di verifica della pronuncia, oltre al glossario, all’elenco dei termini operistici e musicali usati nel libro e alle consegne della dispensa di pronuncia in inglese, tedesco e russo Un’inconsueta ricchezza di materiali - in parte indispensabile, soprattutto i glossari, visto che il libro è completamente in italiano e senza di essi i principianti avrebbero difficoltà ad usarlo, almeno in Germania dove studiano anche molti studenti asiatici - ma comunque così ampia da far perdonare il prezzo maggiorato che si deve pagare al distributore tedesco, da cui si può ordinare il libro in blocco per tutti gli studenti 2_IH_Italienisch_76.indd 150 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 151 La struttura del manuale è finalizzata alle intenzioni del pubblico a cui si rivolge, la pronuncia e il vocabolario settoriale ricoprono un ruolo fondamentale A differenza di ciò che avviene nella maggior parte dei testi per stranieri, le regole di pronuncia non sono centellinate lungo le lezioni del volume - come se si potesse aspettare la fine del corso per pronunciare in modo corretto il suono / λ / - ma presentate nelle prime tre unità e riprese passo a passo dagli esercizi della dispensa La scelta è senz’altro sensata, anche perché gli studenti di solito conoscono già le regole principali (hanno probabilmente cantato un’aria in italiano per essere ammessi al corso di studi) Le parole da esercitare sono quelle delle arie citate nel libro insieme a molte espressioni dell’italiano settoriale dell’opera (per esempio «recitativo» o «solfeggio») e dell’italiano standard, e - punto senz’altro a favore del manuale - vengono spesso usati tempi fondamentali dell’opera, come il Passato Remoto e il Futuro Semplice L’unico aspetto deludente, secondo noi, è il fatto che nel test di verifica venga usato il lessico standard (e non quello settoriale) in frasi costruite ad hoc, sicuramente poco motivanti per gli studenti Passando poi alla scelta del lessico, già nella prima lezione le funzioni comunicative standard, come presentarsi e chiedere la nazionalità, sono accompagnate dal vocabolario settoriale Non si impara solo a dire il proprio nome ma anche che si è baritoni o soprani e in quale ruolo si reciterà, per esempio in quello di Rosina nel Barbiere di Siviglia Questo è un grandissimo punto di forza del manuale: le autrici riescono a legare gli aspetti della vita quotidiana di uno studente di canto - ad esempio «la pausa di mezzogiorno» a pag 88 - ai suoi studi - l’acquisto delle corde per il violino a pag 74 - nel primo volume e nel secondo ad esempio le impressioni su una città - a pag 107, dialogo su Torino - con la lezione di canto a pag 94 Ciò presuppone tuttavia - da parte degli studenti - la disponibilità ad apprendere a memoria un’enorme quantità di vocaboli, non sempre presentati in modo strutturato Senz’altro il libro può essere usato con successo all’interno di un corso, sotto la guida esperta dell’insegnante, ma crediamo sia molto arduo l’uso autonomo, almeno per un principiante assoluto Quello che invece riesce senz’altro motivante sono le svariate informazioni sul mondo dell’opera: l’immancabile cartina dell’Italia - presente in ogni manuale d’italiano per stranieri - è arricchita dai nomi dei principali teatri lirici, divisi per regione, e in ogni unità vengono presentate letture sui teatri stessi (pag 39, primo volume), su compositori famosi (Puccini, pag 59, primo volume), riassunti di opere famose (La Traviata a pag 76 del secondo volume), testi dedicati anche ad altri generi musicali (la storia del jazz a pag 92 del secondo volume) E le innumerevoli immagini, di famosi direttori d’orchestra o di rappresentazioni famose, rendono vivi e attuali i testi di ascolto e di lettura, in un layout chiaro e piacevole 2_IH_Italienisch_76.indd 151 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 152 Per quanto riguarda le strutture grammaticali, le autrici sono riuscite con successo ad adattare la progressione alle esigenze della lingua settoriale: il Passato Remoto si apprende già nella quarta lezione del primo volume, seguito dall’Imperativo, dal Futuro Semplice e dal Gerundio Semplice, il Passato Prossimo solamente nel secondo volume Le strutture sono introdotte in modo deduttivo, gli schemi sono chiari e precisi; ed è stata una bella idea non aver completato gli schemi nel riepilogo grammaticale: è cioè richiesto ad ogni studente di farsi, per modo di dire, il proprio quaderno di grammatica Come già per il lessico, tuttavia, anche in questo caso, il desiderio di completezza può essere demotivante per lo studente, che ad esempio nella prima lezione, a pag 26, trova già il riepilogo dei plurali irregolari (e a pag 14 della guida per l’insegnante se ne prevede di fatto l’introduzione) Arrivando infine alla scelta delle arie, le autrici presentano una scelta ricchissima di arie famose, di compositori di ogni epoca, da Monteverdi a Mozart, da Händel a Puccini Di ogni aria si può leggere innanzitutto solo qualche frammento, anche nel secondo volume (tranne qualche eccezione, come nel caso di «Che gelida manina» della Bohème di Puccini a pag 97) Si esercita la pronuncia, per passare poi alla traduzione, prima parola per parola e poi a senso Spesso i testi danno spunto a esercizi divertenti, per esempio nel frammento di «Madamina, il catalogo è questo» del Don Giovanni di Mozart a pag 37, si chiede di scrivere i numeri nell’italiano di oggi Questa aria, così famosa, viene poi ripresa nella parte degli esercizi a pag 174 per esercitarne la comprensione e in parte l’uso dell’Imperativo Sicuramente il fatto di avere scelto quasi sempre dei frammenti e non testi completi, limita il pesante lavoro di traduzione D’altra parte però gli studenti non pensano alle arie come ad un testo di lettura, ma come a uno spartito e a una melodia da cantare E ci sembrerebbe quindi strano presentare a pag 34 l’aria di Cherubino «Voi che sapete» de Le nozze di Figaro di Mozart non nel testo completo e senza la registrazione di una famosa interpretazione Dal momento poi che quasi in ogni aula è presente un pianoforte, perché non farla cantare agli studenti? Come ultimo tema vorremmo affrontare l’arduo problema della corrispondenza dei due volumi con il Quadro Comune Europeo di Riferimento per le Lingue Secondo le autrici il primo volume «copre i livelli A1 - B1 e il secondo volume il livello B2» Come si può fare tale affermazione se il QCER prevede l’introduzione delle lingue settoriali solo a livello B2 (vedi pag 33 di http: / / www .coe .int/ t/ dg4/ linguistic/ Source/ Framework_EN .pdf)? Si sarebbe dovuto scrivere che ci si orienta al QCER ma che le esigenze del pubblico a cui il manuale si rivolge non permettono una vera e propria corrispondenza, specificando che: 2_IH_Italienisch_76.indd 152 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 153 - sia nei testi di ascolto sia in quelli di lettura la scelta lessicale è sempre superiore al livello per via del taglio settoriale del manuale - la produzione orale viene esercitata in modo parziale: nel primo volume si richiede in genere solo di ripetere un dialogo o raccontarne il contenuto; gli spunti di comunicazione aumentano nel secondo volume: interessante per esempio a pag 128 una discussione sugli adattamenti moderni delle opere; quella scritta manca quasi totalmente (a pag 184 del primo volume uno dei pochissimi esempi: viene richiesto di scrivere una mail per ricevere informazioni su un corso per cantanti lirici) Concludendo: ci troviamo di fronte a un’opera riuscita, ricchissima di spunti e idee L’unico appunto da parte nostra: neanche chi vorrà «notte e giorno faticar» potrà, se principiante assoluto, svolgere tutte le attività proposte È compito dell’insegnante scegliere un filo conduttore e una progressione motivante, seguendo le esigenze dei propri studenti Antonella Lavagno/ Beatrice Guidi 2_IH_Italienisch_76.indd 153 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 15 4 Italo Calvino e gli anni delle canzoni . herausgegeben von Enrico de Angelis. Buch und CD. Verona: Betelgeuse 2015, 268 Seiten, € 16,00 Es ist heute wohl kaump sehr vielen Leuten bewusst, dass Italo Calvino (1923-1985) vor bald 60 Jahren auch eine stattliche Anzahl Lieder schrieb Im Umfeld der Bewegung der sogenannten cantacronache schrieb er zwischen 1958 und 1960 sieben Lieder, die er zum Teil sogar selber in der Öffentlichkeit (mit)sang: in einer Gruppe, die auf einem Lastwagen an der Feier zum 1 Mai 1958 in Turin teilnahm Diese Lieder und ein weiteres von 1982 sind nun in einem Band erschienen, begleitet von einer CD mit Live- Aufnahmen von 2014 Der Herausgeber Enrico De Angelis, der künstlerische Leiter des Club Tenco von San Remo, schildert den historischen Background der Lieder in wenigen, aber ebenso prägnanten wie informativen Seiten Die Einleitung macht mit den Texten der acht Lieder - und ebenso vielen graphischen Illustrationen, wie sie damals übrigens dazu gehörten - ein Viertel des Buches aus Der voluminösere Teil des Bandes besteht aus zwei Aufsätzen zum literarischen Werk von Calvino zwischen 1946 und 1963 Annalisa Piubello befasst sich mit «L’autobiografismo nella narrativa realistica del primo periodo», Paola Azzolini mit «Italo Calvino e il romanzo inesistente» Wir erwähnen die beiden Aufsätze der Vollständigkeit halber, nehmen aber mit Erstaunen zur Kenntnis, dass beide nur am Rand Bezug zu den canzoni nehmen Alleine die Einleitung, die Texte, die Illustrationen und die CD sind den Preis des Buches wert Im Gegensatz zu den erwähnten Aufsätzen stellt De Angelis immer wieder Parallelen zur Literatur her Die Zeit der canzoni fällt für Calvino mit der Publikation von La speculazione edilizia (1957) und Il barone rampante (1958) sowie Il cavaliere inesistente (1959) zusammen Er beschreibt mit beeindruckender Detailkenntnis der damaligen Kulturszene das Umfeld, in dem seit 1957 die intellektuellen cantacronache mit Sergio Liberovici an der Spitze als Alternative zur musica leggera den Humus für die kommende Generation der cantautori legten, auf dem sich zunächst Fabrizio De André, dann Francesco Guccini und Francesco De Gregori entwickeln konnten Die beiden letztgenannten haben explizit darauf hingewiesen, wie wichtig die Vorläufer der cantacronache für sie waren Diese brachten es zwar kaum zu medialer Beachtung, hatten aber kulturell eine umso stärkere Wirkung auf die nachfolgenden Generationen Die canzoni Calvinos werden von Grazia De Marchi mit ihrer reifen, ergreifenden Stimme stil(ger)echt interpretiert Am Klavier wird sie von Gianantonio Mutto begleitet, ein sehr erfahrener Pianist in Sachen literarische 2_IH_Italienisch_76.indd 154 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 155 canzoni Beide haben übrigens gemeinsam schon erfolgreich das Programm der Lieder eines anderen Autoren auf die Bühne gebracht: Pier Paolo Pasolini Die Aufnahmen der CD stammen von einem Live-Konzert, das im Rahmen des Club Tenco am 21 Juni 2014 in San Remo, stattfand, wo ja bekanntlich auch Calvino aufwuchs Fünf Lieder hat Calvino im Rahmen der cantacronache geschrieben Zu allen hat Sergio Liberovici, der eigentliche Begründer der Bewegung, die Musik geschrieben Das erste Lied, «Dove vola l’avvoltoio», ist das erste der Bewegung überhaupt und auch eines der bekanntesten Es fußt in volkstümlichen Wurzeln und hat eine klare Botschaft in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Der Geier geht zum Fluss, zum Wald, zu den Müttern, ja sogar bis zum Uran (! ), und wird zurückgestoßen Nur die Unverbesserlichen winken ihm zu, und werden von ihm gefressen Dieses Lied war im Gegensatz zu den anderen in Kleinstauflage auch als 78-Touren-Schallplatte erschienen Im übrigen lassen sich dazu - wie auch in den anderen Liedern - Parallelen zu den frühen Erzählungen Calvinos wie «Ultimo viene il corvo» herstellen Bei der ersten Aufführung dieses Liedes am 1 Mai 1958 in Turin soll auch Calvino als Sänger beteiligt gewesen sein «Canzone triste» ist das Pendant zur Erzählung «L’avventura di due sposi» aus dem Erzählband Gli amori difficili Es geht um ein Paar, das sich auf Grund der inkompatiblen Arbeitsschichten kaum sieht Volkstümlich und im Stil einer filastrocca ist das vielleicht bekannteste Lied, «Sul verde fiume Po», dessen märchenhafte Kulisse möglicherweise durch die intensive Arbeit Calvinos an den Fiabe italiane (1954-56) beeinflusst worden war «Oltre il ponte», geschrieben zwischen 1957 und 1958, ist ein Flash über die Resistenz der Partisanen, in dem Calvino einem Mädchen das Wort gibt, vielleicht der compagna des erzählerischen Ich, noch wahrscheinlicher der Tochter De Angelis verweist darauf, wie deutlich hier Vergangenheit und Zukunft, Erinnerung und Hoffnung nebeneinander vorhanden sind, wie so oft bei Calvino Es ist übrigens das meist interpretierte aller Lieder des Schriftstellers Von 1959 ist «Il padrone del mondo», das Calvino auch wieder im Tandem mit Sergio Liberovici geschrieben hat, ein Lied über einen Radfahrer, der sich als Herr der Welt fühlt, weil er sich davon entfernen kann Calvino schrieb nicht ausschliesslich für die cantacronache Um 1960 entstand in Rom in einer analogen Situation zum Turiner Kollektiv eine Gruppe von Schriftstellern und Dichtern, die Lieder für Laura Bettis Spektakel «Giro a vuoto» schrieben Calvino gab dem Lied den doppelten Titel «Turin la nuit o Rome by night» Dieses Lied war bisher gar nie auf einer 2_IH_Italienisch_76.indd 155 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 156 Platte erschienen, ebenso wenig wie das nachfolgende «La tigre», dessen Partituren sogar verloren gingen Die Ballade «Quando ricordiamo» beschließt das Rezital Sie entstand 1982 und stammt aus einem Theater-Programm mit dem berühmten Komponisten Luciano Berio, das 1984 in Salzburg uraufgeführt wurde Der Text ist trotz seiner Schlichtheit enigmatisch und ein literarisches Kleinod Diese acht Texte sind übrigens alle als canzoni verfasst worden und zu unterscheiden von anderen Texten Calvinos, die im Nachhinein mit Musik ergänzt oder unterlegt wurden, oder die lediglich als Inspiration für irgendwelche Musiker oder cantautori dienten . Ruedi Ankli 2_IH_Italienisch_76.indd 156 23.12.16 09: 52 157 Italienische themen an den hochschulen Deutschlands, österreichs und der Schweiz im Wintersemester 2016/ 2017 Diese Aufstellung, die seit 1982 regelmäßig in der Zeitschrift Italienisch erschienen ist, liegt seit Mai 2012 aus Kostengründen nurmehr online vor Auf der Homepage des Italianistenverbandes: www .italianistenverband .de wird sie in der Rubrik «Zeitschrift Italienisch» als pdf zum Download zur Verfügung gestellt Es werden alle Lehrveranstaltungen gelistet, die von den Instituten für Romanistik (Italianistik) in den Fächern Italienische Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft sowie Fachdidaktik angeboten werden Sprachpraktische (auch fachsprachliche) Veranstaltungen werden nicht aufgeführt Die Redaktion dankt allen denjenigen, die durch Zusendung von Kopien, Verzeichnissen oder Dateien die Recherche erleichtert haben Sie bittet weiterhin darum, die entsprechenden Informationen zu schicken an: Redaktion Italienisch, Arndtstraße 12, D-60325 Frankfurt am Main, E-Mail: italienisch@div-web .de, Fax: +49/ (0)69/ 7411453 Zunächst sind einige thematische Ringvorlesungen an einigen Instituten besonders hervorzuheben: «Von Allusion bis Zeugma: Interdisziplinäre Perspektiven auf die Wirkmacht rhetorischer Tropen und Figuren» (Freie Universität Berlin), «Gender 3 intersektional» (Dresden), «,Denken geht durch den Magen‘: Interdisziplinäre Vortragsreihe zur Esskultur der Gegenwart» (Frankfurt am Main) sowie interdisziplinäre Themen: «Literatur der Romania und die anderen Künste» (Augsburg), «Literatur und andere Künste im Italien des 21 Jahrhunderts» (Bamberg), «,Presenze aurorali’ Italien als Kristallisationspunkt der Künste» (Erlangen-Nürnberg), «Text und Bild im 20 Jahrhundert» (München), «Sprachdarstellung und Sprachmischung in der Narrativik des 20 Jahrhunderts zwischen Literatur und Linguistik» (Tübingen), «Literatur und andere Künste - Italienisches Migrationskino» (Innsbruck) Dazu sind auch Veranstaltungen der Sprachwissenschaft zu nennen: «Sprache und Globalisierung» (Erlangen-Nürnberg), «Dynamiken der Mehrsprachigkeit in der Romania ,minor‘» (Mannheim), «Italienisch im Kulturmanagement» (München) Ein Schwerpunkt liegt auf Umberto Eco und Italo Calvino: «Umberto Eco» (Berlin), «Italo Calvino - Ausgewählte Texte zum Übersetzen» (Göttingen), «Umberto Eco e il Medioevo: Il nome della rosa e Baudolino» «Zwischen Ovid und Italo Calvino: die Metamorphosen und die Lezioni americane im Vergleich» (beides Heidelberg), «,Verso un nuovo medioevo‘ Auf semiologischer Reise mit Umberto Eco» (Leipzig), «Leggere, (ri)-scrivere, tradurre: Italo Calvino tra Italia e Francia» (Mainz), «Postmodernismo: Calvino und Eco» (Mannheim), «Umberto Ecos Mittelalter» (München), «Von Umberto Eco zu Carlo Lucarelli: Kriminalromane jenseits des Kriminalromans» (Würzburg), und auf der klassischen Moderne: «Der Roman der italienischen Moderne Pirandello, D’Annunzio, Svevo, Tozzi» (Bochum), «Italo Svevo: Romanzi e novelle» (Heidelberg), «Gli inizi del romanzo moderno in Italia: Il fu Mattia Pascal di Luigi Pirandello e La coscienza di Zeno di Italo Svevo» (Münster) Schön sind im 100 Geburtsjahr zwei Veranstaltungen zu Giorgio Bassani: «Giorgio Bassani» (Göttingen), «Wie kann Integration gelingen? Giorgio Bassanis Werk, aktuelle Filme und aktuelle Literatur zu Fluchterfahrung» (Regensburg) Schließlich seien extra hervorgehoben: «Die italienische Landschaft Projektionen und Konstruktionen in der europäischen Literatur zwischen 18 und 19 Jahrhundert» (Köln), «Italienische Verlagsgeschichte nach 1945» (München), «L’immigazione contemporanea nella popular music italiana» (Innsbruck) [Caroline Lüderssen] 2_IH_Italienisch_76.indd 157 23.12.16 09: 52 15 8 Mitteilungen Ein Patron des Schulfachs Italienisch: Zum gedenken an helmuth-Wilhelm heinz (1941- 2016) Am 3 Mai 2016 verstarb im Alter von 74 Jahren Dr Helmuth-Wilhelm Heinz, StR i .R Geboren am 22 August 1941 mitten in Kriegszeiten, wuchs Helmuth Heinz nach dem frühen Tod des Vaters - an den Folgen der Kriegsgefangenschaft - mit der Mutter und der jüngeren Schwester in Bruchsal, Baden, auf Ein ungewöhnlicher, unter widrigen materiellen Bedingungen begonnener Bildungsweg führte ihn über die Volksschule und anschließende Berufsausbildung als Feinmechaniker in der Industrie zum parallel zur Berufstätigkeit erworbenen Abitur am Abendgymnasium in Karlsruhe (1965) Danach erfüllte sich für ihn der langgehegte Wunsch eines Lehramtsstudiums der Klassischen Philologie (Latein) und Romanistik in Heidelberg (1965- 1970) Zum romanistischen Unterrichtsfach Französisch kam bald Italienisch und dann Spanisch hinzu, später auch ein Abschluss in Mittellateinischer Philologie 1983 erfolgte die Promotion in romanischer Literaturwissenschaft über ein volgarizzamento der Consolatio philosophiae des Boethius durch den toskanischen Trecento-Autor Grazia di Meo unter der Betreuung des Heidelberger Literaturwissenschaftlers Klaus Heitmann Nach den Staatsexamina übte Helmuth Heinz von 1970 bis zu seiner Pensionierung 2006 eine jahrzehntelange Lehrtätigkeit aus, zuletzt als Studiendirektor (Fachberater für Italienisch) an mehreren Gymnasien in Nordbaden, als Lehrbeauftragter an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie als Ausbilder am Studienseminar der Pädagogischen Hochschule Heidelberg Dabei hat ihm die Etablierung des Italienischen als gymnasiales Unterrichtsfach in Südwestdeutschland besonders am Herzen gelegen So zeichnete er für Tagungen, Fortbildungen und zusammen mit Kollegen für die Nachqualifizierung zusätzlicher Italienisch-Lehrkräfte an Gymnasien verantwortlich, woraus enge kollegiale Verbindungen entstanden, die bis zuletzt lebendig blieben Ein besonderes Anliegen war ihm die Verzahnung einer stets mit philologischer Leidenschaft betriebenen Literaturwissenschaft mit den spezifischen Bedingungen und Bedürfnissen der schulischen Vermittlungspraxis, wovon mehrere Veröffentlichungen literaturdidaktischer Handreichungen zeugen Heinz verfasste zahlreiche Publikationen auf dem Gebiet der Literaturwissenschaft und der Fachdidaktik, in den letzten Jahren auch literarische Übersetzungen, etwa Wiener Kristall von Giuliana Morandini und Erinnerungen an Istrien von Giani Stuparich Neben den mediävistischen Interessen galt sein besonderes Augenmerk einem Grenz- und Brückengebiet der italienischen 2_IH_Italienisch_76.indd 158 23.12.16 09: 52 Mitteilungen 159 Literatur, der von sich überlappenden süd-, ost- und mitteleuropäischen Einflüssen geprägten Triestiner Literatur im 20 Jahrhundert Dem Fachverband Italienisch in Wissenschaft und Unterricht war er jahrzehntelang als aktives Mitglied verbunden In der Zeitschrift Italienisch veröffentlichte er zahlreiche Aufsätze und Berichte sowie Rezensionen zur italienischen Fachdidaktik, darunter: «Das Thema des Erwachsenwerdens in Giani Stuparichs Un anno di scuola Eine Unterrichtseinheit im Italienischunterricht der Oberstufe» (1997) und «Aufgaben und Ziele der Fachdidaktik Italienisch» (2002) Herausgeber und Redaktion gedenken Helmuth Heinz mit Ehrerbietung und Dankbarkeit (Red ) Ein haus für Italien in frankfurt - 50 Jahre Deutsch-Italienische Vereinigung e.V. Am 18 Oktober 2016 fand im Kaisersaal des Frankfurter Römer eine festliche Feierstunde zum 50-jährigen Bestehen der Deutsch-Italienischen Vereinigung e .V statt Salvatore A Sanna hatte die Vereinigung 1966, in einem «mutigen und visionären Akt» zusammen mit Trude Müller und fünf italophilen Freunden gegründet 1974 hat die Vereinigung das Haus in der Arndtstraße 12 erworben und damit die Grundlage geschaffen «für ein Haus der Begegnung der Kulturen, ein Haus für Italien in Frankfurt am Main», wie es Caroline Lüderssen in ihrer Festrede formulierte «Die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland waren nicht einfach, sie waren noch von der Nachkriegszeit geprägt Man interessierte sich, was Kunst betrifft, fast ausschließlich für die Kunst der Renaissance In der Tat waren die italienischen Gegenwartsmaler in Deutschland fast unbekannt», erklärt Sanna, der 1960 als Italienischdozent aus Sardinien nach Frankfurt gekommen war und bis 1999 an der Goethe-Universität gelehrt hat, in einem Interview in der zum Jubiläum herausgegebenen Publikation Entsprechend präsentiert die Deutsch-Italienische Vereinigung in ihrem Kunstforum, der Frankfurter Westend Galerie, jedes Jahr in bis zu fünf Ausstellungen die Werke zeitgenössischer italienischer Künstler und deutscher Künstler, die eine enge Beziehung zu Italien haben - auch für die gegenwartsbezogene Kunstwissenschaft ist das eine unvergleichliche Vermittlungsleistung Die Ausstellung «Specchio Italia» im Rahmen des Jubiläumsprogramms, das unter dem Motto «Begegnungen/ Incontri» steht, zeigte einen Querschnitt aktueller Arbeiten von Künstlern der Galerie Vorträge zur Literatur, Politik, Gesellschaft Italiens in Gegenwart und Geschichte gehören ebenso wie Autorenlesungen zum kulturellen Programm der DIV So waren in der Villa in der Arndtstraße namhafte Schriftsteller wie Giorgio Bassani, 2_IH_Italienisch_76.indd 159 23.12.16 09: 52 Mitteilungen 16 0 Leonardo Sciascia, Gesualdo Bufalino, Luigi Malerba, Dacia Maraini oder Andrea De Carlo zu Gast Zugleich wird hier die Zeitschrift Italienisch, das wichtigste Organ der deutschsprachigen Italianistik in Wissenschaft und Lehre, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Italianistenverband herausgegeben Die von der DIV gegründete Frankfurter Stiftung für deutsch-italienische Studien fördert außerdem italienbezogene Publikationen, unter anderem Doktorarbeiten, und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Italianistik Die Bestrebung um einen Dialog zwischen den Kulturen wurde von den Festrednern der Jubiläumsfeier gebührend gewürdigt So wies Oberbürgermeister Peter Feldmann auf die immer schon hohe Präsenz Italiens und italienischer Kultur in Frankfurt hin und lobte das vorbildliche Engagement der DIV für den interkulturellen Brückenbau Generalkonsul Maurizio Canfora bekräftigte im Namen des Consolato Generale d’Italia Frankfurt die Bedeutung einer gemeinsamen Arbeit im Sinne der Vermittlung italienischer Kultur nach Deutschland Tatsächlich arbeitet die DIV seit Jahren erfolgreich auch mit der Italienischen Handelskammer für Deutschland, dem Freien Deutschen Hochstift, dem Literaturhaus Frankfurt, dem FörderVerein PetriHaus, der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, dem Institut für Romanische Sprachen und Literaturen der Goethe-Universität, der ENIT in Frankfurt, der Villa Vigoni e .V am Comer See und den Referaten Literatur und internationale Angelegenheiten der Stadt Frankfurt zusammen Den Festvortrag hielt Heinz Joachim Fischer, langjähriger Italien- Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, über das Thema «Wechselbäder - Zwischen Deutschen und Italienern» Nachdem er die DIV 50 Jahre lang ehrenamtlich geleitet hatte, gab Salvatore A Sanna in diesem Jahr die Führung an Caroline Lüderssen weiter, die der Deutsch-Italienischen Vereinigung als Redakteurin der Zeitschrift Italienisch schon seit 1987 verbunden ist Die Literaturwissenschaftlerin, die sich 2010 mit einer Arbeit zu Libretti im italienischen Musiktheater nach 1960 habilitierte und derzeit als Privatdozentin an der Goethe-Universität Frankfurt lehrt, dankte in ihrer Festrede allen Mitgliedern, die die Arbeit der DIV teilweise schon seit vielen Jahren unterstützen Die Zukunftsvision der DIV skizzierte sie abschließend wie folgt: «Die Deutsch-Italienische Vereinigung hat stets zum Ziel gehabt, ein Italien jenseits der gängigen Klischees zu präsentieren - und in diese Richtung wollen wir im neuen Team weiter arbeiten, in dem wir die reiche und schöne Tradition Italiens präsentieren und uns mit den aktuellen Tendenzen auseinandersetzen Interkulturell und interdisziplinär wollen wir das Programm der Vereinigung auch in Zukunft gestalten .» Christine Ott 2_IH_Italienisch_76.indd 160 23.12.16 09: 52 Mitteilungen 161 XXXI. romanistisches Kolloquium 2016 in Mannheim: «geschichte des fremdsprachenstudiums in der romania» «Der Blick zurück nach vorn» - so könnte das inoffizielle Motto des XXXI Romanistischen Kolloquiums geheißen haben, das vom 26 bis 28 Mai an der Universität Mannheim stattfand und sich mit der Geschichte des Fremdsprachenstudiums in der Romania beschäftigte Im Mittelpunkt standen dabei sowohl die Betrachtung signifikanter Entwicklungsprozesse des Fremdsprachenstudiums in europäischen romanischen Ländern als auch der Unterricht der romanischen Sprachen als Fremdsprachen, die aus einer diachronen Perspektive betrachtet wurden Der Schauplatz des traditionsträchtigen Mannheimer Barockschlosses hätte dabei nicht passender gewählt sein können, um durch den Rückgriff auf historische Entwicklungen den Blick für neue Perspektiven des Fremdsprachenstudiums zu schärfen In diesem Sinne eröffnete Elton Prifti (Mannheim) als Gastgeber die 31 Edition des Romanistischen Kolloquiums mit einer thematischen Einleitung Im Anschluss daran zeichnete Mitorganisator Wolfgang Dahmen (Jena) zunächst die 30jährige Tradition des Kolloquiums nach, um schließlich mit der Staffelholzübergabe an Elton Prifti den seit zwei Jahren begonnenen personellen Umbruch der traditionsreichen Kongressreihe als Möglichkeit zum Austausch zwischen Romanistinnen und Romanisten voranzutreiben Das Kolloquium war damit auch ein Aufeinandertreffen des bisherigen Organisatorenteams bestehend aus den Gründungsmitgliedern Wolfgang Dahmen, Günter Holtus, Johannes Kramer, Michael Metzeltin, Otto Winkelmann und Wolfgang Schweickard mit ihren jeweiligen Nachfolgern Elton Prifti, Anja Overbeck, Lidia Becker, Julia Kuhn, Christina Ossenkop sowie Claudia Polzin-Haumann Eine Neuerung des diesjährigen Kolloquiums, die besonderer Erwähnung bedarf, stellte die starke Anbindung der Studierenden an das Kolloquium dar, die sich unter der Leitung von Elton Prifti mit dem Thema der Sprachnorm(en) und der Didaktik romanischer Sprachen aus diachroner Perspektive beschäftigt hatten Unter dem Titel «Les mots voyant autant que les hommes» eröffnete Sylvia Thiele (Mainz) die Vortragsreihe des Kolloquiums, indem sie die Potentiale der Mehrsprachigkeitsdidaktik in dia- und synchroner Perspektive beleuchtete Während sie anhand einer kontrastiven Gegenüberstellung von Lehrwerken von Giovanni bis hin zu Fabro ab dem 16 Jahrhundert eine Variation der Struktur und Motivation der Zielgruppe herausstellen konnte, bildeten sich Parallelen im Hinblick auf methodische Herangehensweisen in Form eines deskriptiv-vergleichenden Zugangs zu grammatikalischen und lexikalischen Elementen heraus In Bezug auf die aktuelle Mehrsprachigkeitsdidaktik betonte die Vortragende zudem das große und zu oft ungenutzte Potential der mehrsprachigen Fremdsprachenlerner für den Fremdsprachenunterricht 2_IH_Italienisch_76.indd 161 23.12.16 09: 52 Mitteilungen 162 Maria Selig (Regensburg) betitelte ihren Vortrag «Fremde Sprachen/ Fremdsprachen als Forschungsgegenstand der historisch-philologischen Sprachwissenschaft des 19 Jahrhunderts» Hierbei skizzierte sie die zu der Zeit der Einrichtung der Romanistik als universitäre Disziplin vorherrschende Betrachtung des Französischen, Italienischen und Spanischen als fremde Sprachen, die deren Funktion als Kommunikationsinstrumente unberücksichtigt lasse Die Wandlung weg vom Interesse an der Konstitution der romanischen Sprachen als Gegenstand der Forschung vollziehe sich schließlich erst gegen Ende des 19 Jahrhunderts als entscheidende historische Wende in der Geschichte der Romanistik Den ersten Vortragstag beschloss Esme Winter-Froemel (Trier) mit ihrem Beitrag «‘Por esto dicen que más ven cuatro ojos que dos‘: Kontrastive Ansätze in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik des Spanischen in Italien» Im Zuge des Vergleiches der beiden Spanischlehrwerke Gramática de la lengua castellana von Nebrija (1492) und dem Diálogo de la lengua von Valdés (1535) konnte die Referentin vor allem in Bezug auf letztgenanntes die Aktualität des gewählten didaktischen Zuganges herausstellen: so gelten die nuancierte, sprecherbezogene Berücksichtigung kontrastiver Perspektiven, die Ausrichtung auf den Lerner durch die Dialogform und die explizite Thematisierung von Erwerbsschwierigkeiten als Aspekte, die ihre Bedeutung auch in der heutigen Fremdsprachendidaktik keinesfalls eingebüßt hätten Der zweite Tag des Kolloquiums begann mit Sabine Erharts (Luxemburg) Plädoyer für eine Vielfalt der Zugänge zur französischen Sprache Unter dem Motto «Romania diversa» berichtete die Referentin über ihre Forschungserfahrungen in unterschiedlichen sprachökologischen Kontexten in Luxemburg, Rumänien, Neukaledonien, den frankophonen Gebieten des Indischen Ozeans sowie in Teilen von Sibirien und hob dabei besonders das Tandemmodells als erfolgreichen nicht-institutionellen Zugang zum Fremdspracherwerb hervor Im Anschluss daran präsentierte Nadine Rentel (Zwickau) ihre Analyse der didaktischen Konzeption deutschsprachiger Italienischlehrwerke von 1930 bis zur Gegenwart Dass Methoden aus früheren Zeiten nicht notwendigerweise als überholt gelten müssen, konnte Rentel hierbei eindrucksvoll unterstreichen: schon die weit vor der kommunikativen Wende in der Fremdsprachendidaktik in den 1970er Jahren veröffentlichten Lehrwerke des 20 Jahrhunderts wie beispielsweise die Kleine Italienische Sprachlehre (Sauer, 1924) zeigten erste pragmalinguistische Ansätze, auch wenn sich das Konkurrenzverhältnis zwischen sprachlicher Korrektheit und kommunikativer Kompetenz erst in den 90er Jahren in Richtung der kommunikativen Adäquatheit verschiebe Das Thema der Fremdsprachendidaktik aufgreifend, widmete sich Daniel Reimann (Duisburg-Essen) der Untersuchung der Geschichte der 2_IH_Italienisch_76.indd 162 23.12.16 09: 52 Mitteilungen 16 3 Didaktik der romanischen Sprachen in Deutschland als Teildisziplin der Romanischen Philologie Er konnte ein weitgehendes Fehlen der Fremdsprachenforschung im engeren Sinne im 19 Jahrhundert konstatieren, verwies aber gleichzeitig auf die Herausbildung einer Fremdsprachendidaktik ante litteram ab 1840 begünstigt durch die Ausweitung des Fremdsprachenunterrichts und der Institutionalisierung der Lehrerbildung Mit Blick auf die Zukunft hob Reimann schließlich die positive Entwicklung der romanistischen Fremdsprachendidaktik hervor, die in den 1960er/ 70er Jahren an den Hochschulen eingeführt wurde und zunehmend mit Ansätzen der empirisch orientierten Sprachlehrforschung gekoppelt werde Danach wandte sich Johanna Wolf (Salzburg) der Frage «Muss der Sprachunterricht umkehren? Und wenn ja, wohin? » zu und untersuchte dabei (alte) methodische Debatten im Licht neuerer Erkenntnisse aus Psycho- und Neurolinguistik in Bezug auf ihre Relevanz für den Fremdsprachenunterricht romanischer Sprachen Das Dominanzverhältnis der mündlichen Sprachkompetenz unterzog die Vortragende einer kritischen Betrachtung und warnte vor einer zu starken Fokussierung auf den Aspekt der Mündlichkeit, der zu einer Vernachlässigung des gesicherten Grammatikerwerbs führen und damit das Erreichen von muttersprachlicher Strukturen verhindern könne Abschließend erinnerte sie daran, dass das Sprichwort «Übung macht den Meister» nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt habe und plädierte folglich für eine größere Berücksichtigung von Erkenntnissen über die Rolle des Gedächtnisses oder Automatisierungsprozesse qua Imitation und Frequenz in fremdsprachlichen Lehrwerken Am Nachmittag nahm Aline Willems (Köln) die Kolloquiumsteilnehmer mit auf eine Reise auf die Balearen: in ihrem Vortrag zu der Entwicklung der fremdsprachlichen Studien auf den Balearen zeichnete sie die Geschichte der erst 1978 gegründeten Universitat de les Illes Balears und deren Vorgängerinstitut, dem Estudio General nach, das im späten Mittelalter zur Christianisierung und Ausbildung von Klerikern sowie zur Verbreitung der Lehren von Ramon Llull ins Leben gerufen wurde Neben der Hervorhebung der besonderen Rolle der Grammatikschulen als Vorbereitung für das Universitätsstudium in der Vergangenheit nahm Willems schließlich auch Bezug auf das heutige Fremdsprachenangebot der UIB in Zeiten der Erasmusmobilität Zum Abschluss des zweiten Vortragstages referierte Bàrbara Roviró (Bremen) über die Entwicklung der Katalanistik als akademische Disziplin im Rahmen der romanistischen Forschung und Lehre mit besonderer Betonung auf der langen Tradition des Katalanischunterrichts, dessen Anfänge auf universitärer Ebene bereits im 16 Jahrhundert zu verzeichnen sind Zusätzlich erinnerte Roviró an die besondere Situation der Lehrsprache 2_IH_Italienisch_76.indd 163 23.12.16 09: 52 Mitteilungen 16 4 Katalanisch, die häufig kein selbständiges Fach, sondern lediglich eine Zweigstelle der Hispanistik darstelle und unter der mangelnden Wahrnehmung in Gesellschaft und Politik leide Die Notwendigkeit, Katalanisch als eigene Sprache sichtbar zu machen hervorhebend, plädierte sie für die wünschenswerte Erweiterung der Funktionalität des Katalanischen innerhalb der akademischen Welt Den Beginn des letzten Kolloquiumstages markierte der Vortrag von Alexander M Kalkhoff (Regensburg) rund um die Geschichte des Universitätsfaches der Romanischen Philologie seit seiner Entstehung an deutschen Universitäten zwischen 1820 und 1890 Neben der Betonung der institutionellen Faktoren, die die Herausbildung des neuphilologischen Seminars an deutschen Universitäten begünstigten, skizzierte Kalkhoff auf detaillierte Art und Weise die Veränderung des Sprachlehrertypus hin zu der Figur des Neuphilologen, wobei er betonte, dass die Entwicklungen, die die Philologie in Deutschland an den Lehrerberuf binden, im Kontrast stehen zu den Entwicklungen des restlichen Europas Lukas Eibensteiner (Mannheim) arbeitete im Rahmen des letzten Vortrags des Kolloquiums mit seiner Betrachtung der Aspekte des Fremdsprachenstudiums des Französischen in Spanien zwischen dem 16 und dem 19 Jahrhundert die methodische Aktualität älterer Lehrwerke heraus Besonders anhand der Ende des 18 Jahrhundert veröffentlichten Grammatik El arte de hablar bien francés o Gramatica completa von Chantreau konnte er aufzeigen, dass die dort verwendeten sprachvergleichenden Ansätze, die Betonung der Bedeutung der L1 für den Spracherwerb genauso wie der positive Transfer als Lernstrategie auch für die heutige Fachdidaktik von großem Nutzen seien Die Erkenntnis, dass die Herausbildung von neuen Perspektiven im Hinblick auf das Fremdsprachenstudium in der Romania und das Studium der romanischen Sprachen als Fremdsprachen besonders durch den Blick in die Vergangenheit begünstigt wird, wurde damit abschließend erneut unterstrichen Im Rahmen des Kongressdinners trat der studentische Romanistenchor des Romanischen Seminars der Universität Mannheim auf und trug unter anderem aromunische, okzitanische und portugiesische Lieder vor Zum Abschluss des XXXI Romanistischen Kolloquiums richteten Elton Prifti und Wolfgang Dahmen herzliche Dankes- und Abschiedsworte an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer Lidia Becker (Hannover) kündigte das XXXII Romanistische Kolloquium an, welches im kommenden Jahr in Hannover stattfinden wird Sarah Kristin Völkel 2_IH_Italienisch_76.indd 164 23.12.16 09: 52 Mitteilungen 16 5 Eingegangene Bücher Filologia ed ermeneutica . Studi di letteratura italiana offerti dagli allievi a Pietro Gibellini . A cura di Marialuigia Sipione e Matteo Vercesi . Brescia: Morcelliana 2015 Jenny, Jean-Pierre: Von Frauen und Fröschen . Streifzüge durch die Wissenschaften des 18 . Jahrhunderts in Oberitalien . Münster/ Zürich: LIT 2016 La «scommemorazione»: Giorgio Manganelli a vent’anni dalla scomparsa . Autografo n . 45 . anno XIX, 2011, Pavia: Interlinea Edizioni Lewitscharoff, Sibylle: Das Pfingstwunder . Roman . Berlin: Suhrkamp 2016 Petrillo, Paolo Emilio: Der Riss . 1915-1943 . Die ungelösten Verflechtungen zwischen Italien und Deutschland . Übersetzung aus dem Italienischen: Ingo Pfänder und Paolo Emilio Petrillo . Mit einem Vorwort von Michael Stürmer Meran: Edizioni Alpha/ Beta und Klagenfurt/ Celovec: Drava Verlag 2016 Sereni, Vittorio: Il dubbio delle forme . Scritture per artisti . A cura e con un saggio di Gianni Contessi . Torino: Aragno 2015 Villa Vigoni 1986-2016 . Una casa italo-tedesca per un’Europa che cambia / Ein deutsch-italienisches Haus für ein Europa im Wandel . Loveno di Menaggio: Villa Vigoni 2106 Austauschzeitschriften Babylonia . Rivista per l’insegnamento e l’apprendimento delle lingue . 2/ 2016: «Evaluation» . Comano (CH): Fondazione Lingue e Culture Bibliographische Informationen zur neuesten Geschichte Italiens . Begründet von Jens Petersen . Deutsches Historisches Institut Rom und Arbeitsgemeinschaft für die neueste Geschichte Italiens . Nr . 150, März 2016 Esperienze letterarie . Rivista trimestrale di critica e di cultura . N . 3 XLI, 2016 Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik . ZRomSD 10,2 (2016) Stuttgart: Ibidem 2_IH_Italienisch_76.indd 165 23.12.16 09: 52 Mitteilungen 166 Autorinnen und Autoren dieser Nummer Chiara Angelini, Dott .ssa, Universität Mainz Ruedi Ankli, Dr ., Basel Michaela Banzhaf, Dr ., Isolde-Kurz-Gymnasium Reutlingen / Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Tübingen Corrado Calabrò, Roma Mariagrazia Farina, Dott .ssa, Università del Salerno Ornella Fendt, Universität Hamburg Julia Gerlach, StR, Goethe-Schule, Bochum Beatrice Guidi, Bremen Gudrun Held, Prof .Dr ., Universität Salzburg Moshe Kahn, Berlin Antonella Lavagno, Universität Bremen Elisabetta Longhi, Dott .ssa, Università di Parma Caroline Lüderssen, Priv .-Doz ., Dr ., Goethe-Universität Frankfurt am Main Robert Lukenda, Dr ., Universität Mainz-Germersheim Valeria Marzoli, Dott .ssa, Frankfurt am Main Carlo Mathieu, Berlin Sara Matrisciano, Universität Heidelberg Helmut Meter, Prof .Dr ., Universität Klagenfurt Angela Oster, Priv .-Doz Dr ., LMU München Christine Ott, Prof .Dr ., Goethe-Universität Frankfurt am Main Carolina Pini, LMU München Stefanie Römer, Moosburg Sarah Kristin Völkel, Mannheim Hermann H Wetzel, Prof .Dr ., Universität Regensburg 2_IH_Italienisch_76.indd 166 23.12.16 09: 52