Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
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2019
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttItalienisch ISSN 0171-4996 Herbst 2019 82 Zeitschrift für italienische Sprache und Literatur Aus dem Inhalt A colloquio con Ottavio Sellitti Maike Albath, «In der Dichtung zu Hause». Laudatio für Theresia Prammer Hermann H. Wetzel «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Zu Ungarettis L’Allegria Biblioteca poetica Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca (Marc Föcking) Sprachecke Italienisch Dallo smartphone alla smart city: variazioni semantiche di un mondo smart (Daniela Pietrini) FRANKFURTER STIFTUNG FÜR DEUTSCH ITALIENISCHE S T U D I E N Italienisch Zeitschrift für italienische Sprache und Literatur 41. Jahrgang - 2019/ 2 Verbandsorgan des Deutschen Italianistenverbandes e.V. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Italienischen Vereinigung e.V., Frankfurt am Main Gefördert von der Frankfurter Stiftung für deutsch-italienische Studien Begründet von Arno Euler † und Salvatore A. Sanna † Herausgeber Ludwig Fesenmeier, Marc Föcking, Thomas Krefeld, Christine Ott (Anschrift s. Redaktion) Wissenschaftlicher Beirat Martin Becker (Köln), Domenica Elisa Cicala (Eichstätt), Sarah Dessì Schmid (Tübingen), Frank-Rutger Hausmann (Freiburg), Gudrun Held (Salzburg), Hinrich Hudde (Erlangen-Nürnberg), Peter Ihring (Frankfurt am Main), Antje Lobin (Mainz), Florian Mehltretter (München), Sabine E. Paffenholz (Koblenz/ Boppard), Daniela Pietrini (Halle), Edgar Radtke (Heidelberg), Michael Schwarze (Konstanz), Isabella von Treskow (Regensburg), Winfried Wehle (Eichstätt), Hermann H. Wetzel (Passau) Redaktion Caroline Lüderssen (v.i.S.d.P.), Marina Rotondo Verlag für deutsch-italienische Studien, Arndtstraße 12, 60325 Frankfurt am Main Tel.: 069/ 746752, Fax: 069/ 7411453, eMail: italienisch@div-web.de www.div-web.de und www.italianistenverband.de Verlag Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Anzeigenmarketing Selina Sauskojus, Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, sauskojus@narr.de, Tel.: 07071/ 9797-26 Satz: fotosatz griesheim GmbH, Oberndorfer Straße 70, D-64347 Griesheim Printed in Germany Erscheinungstermine: Frühjahr und Herbst Bezugspreise € 24,00 jährlich, für Privatpersonen € 17,00 jährlich. Einzelheft € 14,00. Alle Preise inkl. MWST und zzgl. Versandkosten. Die Mindestabodauer beträgt ein Jahr. Eine Kündigung ist schriftlich bis 4 Wochen nach Erscheinen des letzten Heftes innerhalb des aktuellen Berechnungszeitraums möglich. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung (auch in elektronischer Form) bedarf der Genehmigung des Verlags, Anschrift s. oben. Manuskripteinsendungen und Besprechungsexemplare bitten wir an die Redaktion Italienisch zu richten, Anschrift s. oben. ISSN 0171-4996 Inhalt Editorial: Venezia 2019. Seriell, katastrophal oder medial? (Marita Liebermann) . . 1 A colloquio con Ottavio Sellitti. A cura di Caroline Lüderssen e Marco Di Muccio 2 Beiträge zu Literatur, Linguistik und Landeskunde Maike Albath, «In der Dichtung zu Hause». Laudatio für Theresia Prammer . . . . . 12 Hermann H. Wetzel, Deutsche Übersetzungen moderner italienischer Lyrik III: «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Zu Ungarettis L’Allegria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Karl Philipp Ellerbrock, Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter . . . 35 Ursula Reutner, Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen. Von pelle d’oca über acquolina in bocca bis zu cuore in gola . . . . . . . . . . . 55 Biblioteca poetica Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca (Marc Föcking) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Zur Praxis des Italienischunterrichts Simona Fabellini/ Laura Linzmeier, «I complimenti, non si sa mai quando li fanno»: Erfahrungen aus der Seminarpraxis zur kontrastiven Pragmatik mit einer deutsch-italienischen Studierendengruppe . . . . . . . . . . 81 Sprachecke Italienisch Dallo smartphone alla smart city: variazioni semantiche di un mondo smart (Daniela Pietrini) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101 Buchbesprechungen Vanessa Schlüter, Wissen im Herzen der Dichtung. Kardiozentrische Lyrik von Petrarca bis Marino (Christine Ott) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .117 Ann Lawson Lucas, Emilio Salgari. Una mitologia moderna tra letteratura, politica, società (Monica Biasiolo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Kurzrezensionen Tobias Roth, Die Sonette Giovanni Pico della Mirandolas (Lukas Hermann) . . . . . 126 Fabio Massimo Bertolo/ Marco Cursi/ Carlo Pulsoni, Bembo ritrovato. Il postillato autografo delle Prose (Rafael Arnold) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .128 Nicola De Blasi, Ciao (Rafael Arnold) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Marcello Carmagnani/ Ferruccio Pastore (Hrsg.), Migrazioni e integrazione in Italia. Tra continuità e cambiamento (Stephanie Neu-Wendel) . . . . . . . .134 Maria Antonietta Terzoli/ Sebastian Schütze, Dante und die bildenden Künste (Claudia Jacobi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .138 Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .143 Italienisch_82.indb 1 20.01.20 15: 36 Vorschau Italienisch Nr. 83 / Frühjahr 2020 «L’Italia cantata». Beiträge des Italientags in Konstanz 2019, hrsg. von Michael Schwarze A colloquio con Carlo Ginzburg Die Qualität der Aufsätze in der Zeitschrift «Italienisch» wird durch ein double-blind-peer-review-Verfahren gewährleistet. Italienisch_82.indb 2 20.01.20 15: 36 1 Venezia 2019. Seriell, katastrophal oder medial? Bis zu den Waden im Wasser steht die gummibestiefelte Frau vor dem Haus auf dem überfluteten Platz - und poliert eines der Namensschilder neben der Eingangstür, bis es metallisch-golden in der Sonne glänzt. Die Szene, vor Kurzem auf dem Campiello San Tomà unweit des Deutschen Studienzentrums in Venedig zu beobachten, kann als emblematisch für die letzten Wochen gelten. Nicht nur mit der mehr oder weniger ‘normalen’ Acqua alta, die derzeit Stände zwischen 1,10-1,40 m erreicht, gehen die Bewohner/ innen der Stadt gefasst um. Selbst nach der verheerenden Nacht zum 13. November, in der das Hochwasser auf den Pegel von 1,87 m angestiegen war, machten sich die Menschen, kaum war es abgezogen, ruhig an die Aufräumarbeiten. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Jener Dienstag war entsetzlich. Der immer höher anschwellende Ton der Alarmsirene. Das Hochwasser, das teils wie ein reißender Fluss durch die Straßen brach, sich durch Pflastersteine, Böden und Mauern drückte und dabei Höfe, Gassen nicht anders als die Erdgeschosse der Häuser und Palazzi oder die niedrig gelegenen Kirchenräume wie Wannen volllaufen ließ. Die Wucht der Flut hat Fenster zum Bersten gebracht, einige der wenigen städtischen Bäume entwurzelt, Kaimauern eingerissen, Bootsanlegestellen versenkt, Vaporetti ineinander geschoben und an Land geschleudert. Allenfalls schwach tröstet, dass Artefakte offenbar relativ wenig Schaden genommen haben, sind die Zerstörung der Bausubstanz wie die Verluste im Privatbereich doch schlimm genug. Wie die versprochenen Mittel des italienischen Staates zum Einsatz kommen, bleibt abzuwarten. Vor allem aber war und ist der (inter)nationale politische und mediale Diskurs, der umstandslos die ‚Katastrophe‘ und die ‚Apokalypse‘ herbeizitiert (hat), entschieden keine Hilfe. Auf (teils schlecht unterrichteter) Storyjagd die einen, im (allenthalben auf Dauer gestellten) Wahlkampfmodus die anderen, scheinen die öffentlich zu vernehmenden Stimmen eher auf eine zusätzliche Emotionalisierung der Aufgeregten zu zielen als auf eine adäquate Analyse der Lage. Denn würde etwas von der Energie, die für die Apokalypsen-Rhetorik aufgewendet wird, in eine Erhebung des Sachstands umgeleitet, müsste man wohl eher in Begriffen der wenig sensationellen, dafür aber umso ernsteren seriellen Wiederholung denken, als affektiv wirksam eine eventhafte ‘Katastrophe’ zu mediatisieren. Gerade der immer wieder angestellte Vergleich mit dem Jahr 1966, in dem bei einem Höchststand von 1,94 m die Stadt verwüstet wurde, müsste die Frage nach der Sprachverwendung aufwerfen. Im allgemeinen Bewusstsein ist das Unglück von 1966 als Naturkatastrophe abgelegt, und dem Wort ‘Katastrophe’ entsprechend, glaubte man, so etwas würde sich nie wiederholen. Dass diese Vorstellung herrschte (erkennbar schon daran, dass die Alarmsirene keinen höheren Stand als ‘über 1,40 m’ signalisieren kann), hat dazu beigetragen, dass 2019 möglich wurde. Denn die Umstände der damaligen Flut bestanden fort, wurden durch menschlichen Eingriff noch prekärer. Zu den meteorologischen Faktoren, die bei solchen Hochwasserständen zusammenkommen - der gezeitenabhängigen Flut, dem Scirocco, Vollmond und Tiefdruck - addieren sich der allgemein fortgesetzte Anstieg der Meeresspiegel und die Aushebung von tiefen Kanälen für Industrie- und Kreuzfahrtschiffverkehr, durch die bei ungünstiger Wetterlage so große Wassermengen in die Lagune gepresst werden können wie nie zuvor. Eine Katastrophe, in dem Sinn, dass danach nichts war wie vorher, stellte mithin auch die Überflutung von 1966 nicht dar. Im Gegenteil ging die Anpassung der Lagune an das Profitstreben weiter. Dieses Verhältnis muss für die Rettung Venedigs umgekehrt werden. Dafür braucht die alte Adriastadt wissenschaftlichen Sachverstand, politischen Willen und mediale Aufmerksamkeit. Aber sicher keine Politik und keine Medien mehr, die noch ihre Not für die jeweils eigenen Zwecke ausbeuten. Marita Liebermann DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 017 Italienisch_82.indb 1 20.01.20 15: 36 2 DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 018 A colloquio con Ottavio Sellitti A cura di Caroline Lüderssen e Marco Di Muccio Ottavio Sellitti è nato a Napoli nel 1988. Dal 2007 al 2010 ha studiato Lettere Moderne all’Università Federico II a Napoli e si è laureato in Scienze letterarie e culturali all’Università Aix-Marseille. Fino al 2017 è docente assistente al Lycée Paul Cézanne di Aix-en-Provence, prima di trasferirsi a Berlino. Dal 2008 si occupa di fotografia analogica e dal 2013 lavora come fotografo freelance. È membro del comitato dell’Associazione d’artisti STATTLAB e.V. a Berlino. Nel 2016 realizza un progetto fotografico con il tema «Dov’è Elena Ferrante? - Il rione, luogo della letteratura mondiale nelle fotografie di Ottavio Sellitti», che è stato esposto tra il 2017 e il 2019 all’Istituto Italiano di Cultura di Berlino, alle fiere del libro di Lipsia e Francoforte, nella libreria Eckermann a Weimar e negli Istituti Italiani di Cultura di Oslo, Mosca e Stoccolma. Nel 2017 partecipa con una mostra dal titolo «La forme du voyageur universel» al festival Rencontres Internationales de la Photographie ad Arles. Per la Frankfurter Westend Galerie ha creato l’installazione fotografica «Postcards from Europe», in mostra dal 6 settembre al 25 ottobre 2019 (a cura di Barbara Thurau). L’installazione si compone di quattro pannelli di grande formato che rivelano quattro personali visioni d’Europa dell’artista, composizioni di fotografie scattate in diversi paesi europei che, pur presentando dettagli di unicità, restituiscono per accumulazione numerosi elementi ricorrenti. Le stampe, in bianco e nero, sono realizzate in analogico e sono sviluppate dall’artista stesso su carta fotografica baritata. Ogni foto è numerata, permettendo di ritrovare, su una brochure separata, il luogo e la data in cui la foto è stata scattata. La legenda non immediatamente fruibile infatti spinge gli spettatori a cercare di indovinare, ed a rendersi conto ad ogni errore quanto sia facile confondere le città e le nazioni. I visitatori inoltre erano invitati a scrivere i loro propri commenti sulle cartoline disponibili. «Postcards from Europe» confronta gli spettatori in maniera diretta ed immediata con la nozione di identità degli europei. La mostra è stata realizzata con il patrocinio del Consolato Generale d’Italia a Francoforte e in collaborazione con l’Istituto Italiano di Cultura di Colonia e la Dr. Marschner Stiftung di Francoforte. Ottavio Sellitti vive e lavora a Berlino. Il colloquio ha avuto luogo nel settembre 2019 in occasione dell’inaugurazione della mostra. Si è cercato nella trascrizione di mantenere il carattere di lingua parlata. Italienisch_82.indb 2 20.01.20 15: 36 3 A colloquio con Ottavio Sellitti Domanda: Qual era l’idea che avevi in mente con il progetto Postcards from Europe? Ottavio Sellitti L’idea di base del progetto era stata quella di creare una raccolta di foto scattate in Europa, che in seguito avrei restituito sotto forma di cartoline per dare un’idea concreta di quello che intendiamo quando parliamo di ‘Unione Europea’. Si parla sempre di più, infatti, di istituzioni, ma queste sono lontane, sono ipotetiche, sono astratte, e gli europei probabilmente hanno poca conoscenza di quello che è realmente il resto d’Europa. Uno dei miei obiettivi per questa esposizione è quello di mostrare effettivamente cosa sia l’Europa. Ho scelto la metafora della ‘cartolina’, perché mi piaceva l’idea di ‘inviare’ un’immagine allo spettatore, volevo cioè che lo spettatore si sentisse un destinatario diretto del mio lavoro, come prima cosa; e poi perché, nella mia esperienza, io associo l’idea della cartolina a quella della scelta. Ogni volta quando ero in viaggio e usavo le cartoline, mi ricordo questi lunghi momenti di scelta della cartolina, quale cartolina scegliere per inviarla a chi. Il concetto di scelta è molto importante nella mia fotografia, e si associa al modo in cui presento le mie immagini. La vita in generale è una scelta continua, e in fotografia analogica è naturale ridurre l’atto della fotografia, il processo fotografico ad una serie di scelte. Io devo scegliere molto quando realizzo un’immagine. Devo scegliere cosa scattare, con quale obiettivo, quali impostazioni della macchina fotografica mi daranno l’effetto che voglio. E poi come sviluppare la foto, quale immagine selezionare tra le 36 foto del rullino, per la mostra o per un eventuale progetto, e infine come stampare la foto. Quando le immagini arrivano allo spettatore, quindi alla fine di tutta una lunga catena di scelte, a me fa piacere che anche lo spettatore debba continuare a scegliere. Nelle mie foto evito di creare immagini troppo semplici, troppo dirette, in cui è chiaro subito cosa voglio dire o mostrare. Per me è molto più interessante che di fronte alle mie immagini lo spettatore si domandi perché stia guardando questa immagine. Piuttosto che capire il mio intento e recepire più o meno passivamente un discorso, lo spettatore inizierà a riflettere sull’immagine che è davanti a lui. Accostare tutte queste cartoline, che ho scattato un po’ in giro per l’Europa, mi ha permesso di rappresentare in una maniera più onesta, mi sembra, la complessità dell’Europa. Ma unire tutte queste immagini in una composizione ordinata, appendendo una foto accanto all’altra in una linea, avrebbe dato un’immagine molto più organizzata di quella che è in realtà l’Europa. Costruire delle composizioni complesse fatte da una quarantina di immagini ciascuna, accostando per esempio Berlino con Palermo e con Italienisch_82.indb 3 20.01.20 15: 36 4 A colloquio con Ottavio Sellitti Porto, mi ha permesso invece di rappresentare l’Europa come si presenta nella realtà, perché l’Europa stessa non si è formata in maniera organizzata. L’Unione Europea è un’istituzione, è un qualcosa che è stato creato dopo la Seconda guerra mondiale. Prima ci sono stati quasi millenni di separazione, di rivalità e di guerre tra gli stati europei, di cui ognuno ha avuto la sua storia. Proporre un ordine rispetto a tutto questo mi sembrava poco onesto. Abb. 1: Ottavio Sellitti, Aix-en-Provence, 2017, Silbergelatinedruck auf Barytpapier D.: Com’è nato inizialmente il progetto? Sellitti Questa mostra è la seconda realizzazione di un progetto cominciato nel 2017, quando ancora vivevo in Francia. C’erano le elezioni presidenziali, e il Front National era molto virulento sui media. Mi trovavo spesso a confrontarmi con discorsi nazionalistici che ponevano l’accento su come in Francia le cose funzionassero in un certo modo per certe ragioni e invece in Italia andassero diversamente, come i tedeschi fossero diversi e così via. Tutta questa retorica del ‘noi’, ‘voi’ e ‘loro’ era diventata sempre più presente. Ovviamente ero preoccupato da questa cosa, ma soprattutto sorpreso, perché da italiano che viveva in Francia da sei anni tutte queste differenze non le vedevo. Anzi, proprio durante la mia esperienza all’estero mi sono reso conto che le similitudini a livello umano e individuale sono molto più Italienisch_82.indb 4 20.01.20 15: 36 5 A colloquio con Ottavio Sellitti sorprendenti e presenti rispetto alle differenze tra i vari Paesi. Uno stato si può organizzare in un modo o in un altro, può cercare di gestire la cosa pubblica diversamente. Quando però si va a vedere la vita individuale delle persone, ci si accorge molto facilmente che è la stessa: ci si sveglia, si va a lavorare, si torna a casa. Ci sono valori comuni che sono gli stessi, a prescindere dal fatto che si abiti in Italia oppure in Francia. Avvertivo come questa tendenza nazionalistica da una parte fosse infondata e dall’altra estremamente pericolosa. Volevo combattere queste idee nazionaliste con il mio lavoro. Ovviamente dire ai nazionalisti che le loro idee sono sbagliate non funziona. Così ho pensato di creare qualcosa di positivo. Piuttosto che dire «non bisogna essere nazionalisti, perché il nazionalismo è sbagliato», preferisco affermare: «non bisogna essere nazionalisti, perché siamo tutti uguali». Per iniziare ho selezionato dal mio archivio delle immagini e ho realizzato una specie di gioco, «Matching postcards», composto da 12 cartoline con testo e 12 cartoline con immagini di città europee che vanno messe assieme. La difficoltà di trovare la corrispondenza tra foto e testo dimostra quanto sia difficile capire in quale città sia stata scattata la foto. Non è semplice capire se un soggetto sia in Italia o in Germania, in Francia, o in Spagna guardando semplicemente la superficie. La mia conclusione è che siamo tutti uguali, «we are all alike». Per la mostra nella Frankfurter Westend Galerie, ho allargato questo concetto scegliendo molte più immagini, e disponendole poi su quattro pannelli. Ho pensato anche di sfruttare ulteriormente l’oggetto ‘cartolina’, lasciando a disposizione degli spettatori delle cartoline con dosso vuoto e chiedendo espressamente di scrivere i loro pensieri di fronte alle immagini: cosa ha colpito la loro immaginazione e quali sono state le idee nate da questa esperienza. D.: Come hai realizzato il tuo progetto dal punto di vista organizzativo e tecnico? Sellitti Nella fattispecie, per creare le quattro composizioni che sono esposte alla Frankfurter Westend Galerie, come prima cosa ho fatto un grosso lavoro d’archivio, di selezione e identificazione di immagini che potessero rappresentare questa mia idea dell’Europa, cioè che mostrassero in maniera più semplice quella che è la vita normale degli europei in giro per l’Europa. Ho fatto la selezione tra le foto scattate tra il 2013 e il 2019. Una volta fatta la selezione, ho stampato tutte le foto in camera oscura. Italienisch_82.indb 5 20.01.20 15: 36 6 A colloquio con Ottavio Sellitti Nella fotografia analogica, uno degli aspetti più importanti per me è il processo stesso, in cui rivivo in un certo modo il momento in cui ho scattato la foto. Lo sviluppo, la selezione e la stampa dell’immagine ogni volta amplificano e fanno rivivere all’infinito questo momento. Per me, quello che conta in una fotografia è sì l’immagine, ma è anche la carta su cui questa fotografia si crea quando l’emulsione viene colpita dalla luce, è anche il peso, il graffio, la polvere. La fotografia è un oggetto reale, non è solo un’immagine. Ci tengo a sottolineare questa cosa in un momento in cui sempre di più si confonde la fotografia con l’immagine che la fotografia mostra. Per questo approccio quasi artigianale nella stragrande maggioranza delle foto che ho stampato, sono partito dal ritagliare pezzi di carta da grandi rotoli, alti un metro e lunghi 30 metri. Ogni foto è stata stampata e sviluppata all’ingranditore nella camera oscura a Berlino, è stata rifilata e appiattita: è un processo che richiede moltissimo tempo, per ogni immagine all’incirca tre ore solo di processo di produzione, senza contare il tempo necessario per stampare l’immagine. Una volta terminata la fase di produzione e di stampa delle immagini, mi sono trovato con 240 ‘cartoline’ scattate in questi miei sei anni di vita all’estero, e con queste cartoline sono andato a Francoforte. Non avevo un piano di costruzione per le mie composizioni, volevo crearle sul momento. Grazie al fondamentale aiuto dello staff della galleria ho potuto costruire in tre giorni le quattro composizioni, che quindi sono state create espressamente per la mostra di Francoforte e che alla fine della mostra verranno smontate, in modo che le 240 foto slegate facciano ritorno a Berlino. Abb. 2: Installation Postcards from Europe für die Ausstellung in der Frankfurter Westend Galerie, eine von vier Forexplatten mit je 40 - 45 Silbergelatinedrucken auf Barytpapier, 80 x 200 cm Italienisch_82.indb 6 20.01.20 15: 36 7 A colloquio con Ottavio Sellitti D.: Nel momento in cui scattavi le fotografie, avevi già pensato di presentarle in una mostra? Sellitti All’inizio non ho pensato ad una mostra. Sin da quando ho scoperto questa pratica, fare fotografia è sempre stato qualcosa di molto presente nella mia vita e per la maggior parte del tempo dal 2008, quando ho cominciato. Fino ad oggi ho quasi sempre con me una macchina fotografica, anche prima che tutti noi ne avessimo una sempre disponibile con gli smartphone. Questo mi ha portato ad avere a disposizione un grande archivio in cui posso scavare e trovare immagini di luoghi visitati nel passato. Un altro elemento delle ricerche che porto avanti è il tentativo di rappresentare uno sguardo ingenuo, naïf sulle cose, quando si tratta di città che non conosco, di nuovi luoghi che scopro. Questo primo sguardo che si ha su una città o su un luogo è qualcosa di molto delicato, fragile ed interessante. Delicato e fragile, perché appena si ritorna in un luogo, appena lo si conosce un po’ meglio, questa ingenuità sparisce. Non si può ‘disconoscere’ qualcosa, non si può dimenticare quello che si è appreso in seguito, e questo sapere quindi necessariamente influenzerà il nostro approccio a determinati spazi. Durante la mia esperienza in Francia a Aix-en-Provence ho lavorato molto anche sulla composizione, ovvero sul modo in cui un’immagine fotografica sia la rappresentazione del soggetto dell’immagine, ma sia anche costruita dal rapporto di forme, linee e colori oppure di ombre e grigi. Questi due elementi, un elemento più contenutistico come lo sguardo naïf sulla città, e un elemento più tecnico, cioè il modo di fotografare, hanno formato una certa coerenza nel materiale per questa mostra. Tutte queste immagini non sono interessanti come immagini a sé, come un punto di vista, come una finestra surreale. Le considero come le parole in un testo, come le frasi in una conversazione che possono essere utilizzate in maniera quasi modulare per creare dei messaggi diversi. Ed è anche per questo che la mia composizione della mostra a Francoforte è nata sul momento e non era stata preparata in precedenza, mi faceva piacere far risuonare tutti questi vari elementi del discorso tra di loro in maniera estemporanea. In questo modo mi sembra più di rappresentare il vocio generale delle lingue che si possono ascoltare in Europa, piuttosto che avere un discorso scritto al tavolino e ben preparato. D.: Ti ha sorpreso vedere che certe zone delle città sono così simili tra di loro? Italienisch_82.indb 7 20.01.20 15: 36 8 A colloquio con Ottavio Sellitti Sellitti Piuttosto mi ha sorpreso il fatto che le zone delle città sono simili per via di analoghe circostanze ambientali e locali, alle quali l’uomo reagisce con analoghe soluzioni architettoniche o urbanistiche. Le città si assomigliano perché in fin dei conti sono gli stessi esseri umani che le hanno costruite. Fotografando cerco sempre di avere uno sguardo neutro, senza pregiudizi, senza un’idea pregressa. Quindi in realtà io sono sempre sorpreso, le immagini che scatto sono sempre il risultato della mia sorpresa di fronte a quello che sto guardando, a quello che sto fotografando. D.: Hai un’idea specifica di come gli osservatori possano capire e interpretare il tuo progetto? Sellitti Nel costruire questa mostra mi rendo conto di chiedere molto ai miei spettatori, perché non si tratta solo di contemplare immagini con un intento evidente. Mi rendo conto che forse, a un primo colpo d’occhio, gli spettatori possono essere un po’ spiazzati, sopraffatti da questa composizione ‘overwhelming’. Non mi riferisco certo allo spettatore affrettato che dà uno sguardo veloce all’immagine e poi va via, penso invece ad uno spettatore ideale, che guardando una fotografia si ponga la domanda del perché, ad uno spettatore che produca delle nuove idee e che le scriva sulle cartoline che ho lasciato a disposizione. D.: Quale domanda dovrebbero cercare o quale risposta dovrebbero trovare gli spettatori? Sellitti La cosa più importante per me è che gli spettatori si trovino di fronte, nella maniera più semplice e diretta possibile, all’Europa. È importante che a Francoforte si veda com’è la vita in Grecia, e magari se la mostra va a Palermo e da Palermo a Napoli, si veda come le persone vivono a Berlino. Voglio proporre agli spettatori delle scene di vita normale di tutti i giorni in modo che possano rendersi conto che tutte quelle piccole cose ci tengono assieme e che ci sono più somiglianze che differenze. Questo concetto raramente è mediatizzato o rappresentato e lo conosce solo chi viaggia molto in tutti questi Paesi. Quando dico ‘noi’ non penso solo a noi europei ma penso a noi esseri umani. La grandezza dell’Unione Europea non sta tanto nel fatto che sia ‘europea’ quanto nel fatto che sia ‘Unione’, è un piccolo passo che l’essere umano è riuscito a compiere nella direzione giusta. Italienisch_82.indb 8 20.01.20 15: 36 9 A colloquio con Ottavio Sellitti D.: Hai una fotografia preferita? Sellitti Domanda difficilissima con 240 foto. Anche se considero le immagini parti di un discorso, ci sono alcune parti di questo discorso che preferisco. Riesco a coniugarle al loro interno perché sono portatrici di un qualcosa che in quel momento stava succedendo nel luogo in cui mi trovavo, mentre per lo spettatore il messaggio si crea in una maniera spesso del tutto sorprendente. La fotografia è un mezzo artistico estremamente complesso e singolare: a me interessa molto cercare di bloccare in maniera reale quello che reale non è. La stampa sulla carta esiste realmente, ma le immagini da cui sono partito - e non faccio interventi di modifica dell’immagine - spesso non sono reali. Per esempio, un’immagine molto cara che ho scattato al Willy-Brandt-Haus di Berlino, la sede del Partito socialdemocratico tedesco, riprende un gruppetto di tre ragazzi che camminano. La cosa incredibile è che per un sistema di specchi e vetri del palazzo, questo gruppetto di tre ragazzi che camminano per i fatti loro sotto il porticato diventa una folla enorme, una folla ben inquadrata in questi specchi. Questa foto mi permette di andare oltre il semplice apprezzamento architettonico e decorativo per creare una folla che nella realtà non c’è, e creare una folla è quello che un tal partito dovrebbe fare. Mi piace quindi creare nell’immagine qualcosa che non è immediatamente chiaro e che esiste solo perché ho fatto la foto in quel momento. Certe ombre, certe linee che indicano delle azioni, la sagoma di un passante davanti a un muro mentre una macchina sta passando - tutto questo senza la foto non esisterebbe. Tutti questi movimenti e tutta questa coreografia di elementi in un’immagine rispecchiano il caos che mi piace sintetizzare. Abb. 3: Ottavio Sellitti, Berlin, 2016, Silbergelatinedruck auf Barytpapier Italienisch_82.indb 9 20.01.20 15: 36 10 A colloquio con Ottavio Sellitti D.: Quale cartolina tra quelle scritte dagli spettatori ti è rimasta impressa? Sellitti Durante il vernissage ho notato con piacere che molti visitatori avevano accettato il gioco di completare la mostra a modo loro, ed alcuni hanno cominciato a scrivere dei testi. Sono stato molto colpito dalla semplicità e dalla forza di questa semplicità di un testo scritto da una bambina, di 5 o 6 anni, che di fronte a una foto dei gatti al sole a Istanbul ha semplicemente affermato: «I gatti hanno capito tutto». Tra le cartoline che ho letto, è quella che veramente rappresenta ciò che mi aspetto dagli spettatori. Sono molto contento che questa bambina mi abbia lasciato questo messaggio meraviglioso con il disegno di un sole. La prima a capire perfettamente cosa io volessi è stata una bambina. Abb. 4: Ottavio Sellitti, Istanbul, 2019, Silbergelatinedruck auf Barytpapier D.: Quanto di politico c’è nel tuo progetto? Che messaggio vorresti lanciare allo spettatore? Italienisch_82.indb 10 20.01.20 15: 36 11 A colloquio con Ottavio Sellitti Sellitti Dipende da cosa definiamo come politico. In questo progetto, come ho già detto, voglio dimostrare che siamo tutti uguali. Questa dichiarazione è politica a un primo livello. Ma vorrei dire più di questo: guardatevi attorno e decodificate il reale con la vostra mente, cercate di capire quello che vi vogliono dire le cose che vedete attorno a voi. Forse il messaggio più politico che idealmente voglio trasportare con la mia mostra è l’invito a porsi delle domande, a decifrare quello che si sta guardando piuttosto che cercare delle conferme di quello che già si pensa attraverso i pregiudizi delle differenze che ci sono tra i nostri Paesi europei. D.: Come valuti la situazione politica dell’Europa? In quale misura ti senti europeo? Sellitti La situazione politica dell’Europa attuale mi sembra piuttosto delicata e complessa, e non ho grandi risposte, ma sono ancora speranzoso che tutti i milioni di esseri umani che si sono messi assieme credendo in questo progetto non perdano la speranza e continuino a fare i passi necessari per risolvere i problemi che esistono nel nostro sistema politico. Io personalmente mi sento molto più europeo che italiano. Vedo questo come una grandissima ricchezza su cui sento di poter contare, forse la ricchezza più grande creata dopo la Seconda guerra mondiale. Il regalo più prezioso dei popoli europei è proprio il fatto di riconoscersi come tali. Questo comporta un sistema di diritti e di doveri anche superiore al sistema nazionale, che garantisce al popolo europeo di vivere meglio, di potersi spostare liberamente. Ovviamente, è una tematica molto complessa il fatto di darsi delle leggi sopranazionali che obbligano le imprese, i cittadini o i sistemi nazionali a obbedire a delle scelte, per di più problematiche, che tengono conto di più persone, di un intero continente. Credo però anche che questo fatto comporti un avanzamento dei diritti dei cittadini nei singoli Paesi più di quanto sarebbe stato possibile se i singoli Paesi fossero rimasti divisi. Italienisch_82.indb 11 20.01.20 15: 36 12 M A I K E A L B AT H «In der Dichtung zu Hause». Laudatio für Theresia Prammer Der Freundeskreis Literaturhaus Heidelberg e.V. hat im Jahr 2018 den jährlich zu vergebenden Übersetzerpreis Gingko-Biloba für Lyrik ins Leben gerufen, mit dem Lyrikübersetzerinnen und -übersetzer für ihr bisheriges Lebenswerk oder für eine Einzelübersetzung ins Deutsche geehrt werden sollen. Im Jahr 2019 wurde mit diesem Preis Theresia Prammer ausgezeichnet, die laut Jury «als Autorin, Kritikerin, Herausgeberin, Wissenschaftlerin und insbesondere als Übersetzerin seit vielen Jahren am deutsch-italienischen Gespräch über Poesie und die Chancen ihrer Vermittlung intensiv beteiligt» ist. Sie habe «in produktiver Zusammenarbeit mit anderen deutschen und italienischen Dichtern und Übersetzern […] ein weites Spektrum bedeutender Stimmen der zeitgenössischen italienischen wie der deutschen Lyrik für den jeweils anderen Sprachraum exzellent erschlossen.» Theresia Prammer ist 1973 in Niederösterreich geboren und hat in Wien, Bologna und Neapel Romanistik studiert, seit 2003 lebt sie in Berlin. Sie hat zahlreiche Aufsätze und Übersetzungen zur italienischen Lyrik veröffentlicht. In der Zeitschrift Italienisch erschien in der Reihe Biblioteca poetica ihr Beitrag «‘Una donna decomposta’. Alda Merinis Liebes- und Lebenslyrik» (Nr. 54/ Nov. 2005, S. 64-71). 2005 hat sie die Monographie Lesarten der Sprache. Andrea Zanzotto in deutschen Übersetzungen (Würzburg, Königshausen & Neumann) publiziert, 2007 wurde sie an der Universität Wien mit einer Arbeit über Übersetzen. Überschreiben. Einverleiben. Verlaufsformen poetischer Rede promoviert (erschienen in Wien, Klever, 2009). Gemeinsam mit Roberto Galaverni kuratierte sie den Blog italo.log, der in über 100 Folgen Italienische Lyrik von 1968 bis heute Originaltexte mit Übersetzung und Kommentar präsentierte (http: / / www.satt.org/ italo-log/ 00.html). 1999 erhielt sie den Übersetzerpreis der Stadt Wien, 2001 war sie Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2019 erhielt sie den Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung. Die Überreichung des Gingko-Biloba-Preises an Theresia Prammer fand am 12. September 2019 im Hilde-Domin-Saal der Stadtbücherei Heidelberg statt. Wir veröffentlichen im Folgenden die Laudatio der Publizistin Maike Albath. *** DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 019 Italienisch_82.indb 12 20.01.20 15: 36 13 Maike Albath «In der Dichtung zu Hause». Laudatio für Theresia Prammer Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Jury, liebe Theresia Prammer, vermutlich ist es der große, streitbare italienische Schriftsteller, Filmemacher, Intellektuelle und vor allem Dichter Pier Paolo Pasolini, der den heißen Kern von Theresia Prammers Arbeit als Übersetzerin bildet. Pasolinis Fähigkeit, die Wirklichkeit immer wieder in den Blick zu nehmen, sich ihr zu stellen mit allem kreativen Potenzial, das er besaß, nach Ausdrucksformen zu suchen und seine Sprache zu kalibrieren, lässt unsere Preisträgerin seit vielen Jahren nicht los. «Ich hielt die Erde für die Mitte der Welt/ und die Poesie für die Mitte der Erde», heißt es in Pasolinis spätem Gedicht «Arbeitsgesuch» über die eigene, frühere Wahrnehmung. Mit großem Gespür für die untergründige Trauer fängt Theresia Prammer in ihrer Übersetzung die Lakonie ein und reproduziert den Rhythmus des Originals, den an der Oberfläche alltagssprachlichen Duktus, bei dem aber immer die Kenntnis der Klassiker mitschwingt. Sie vermittelt die typische Drastik Pasolinis ebenso wie das Pathos. «Auftragsgedichte sind Sprengsätze» lautet der erste Vers des Gedichts, das um die Frage der Notwendigkeit von Lyrik kreist. Körper und Sexualität sind für Pasolini immer ein Mittel der Erkenntnis: Er sei ein «vorace economizzatore» gewesen, «gefräßig haushaltend» übersetzt Prammer und betont den oralen Charakter dieses Gegensatzpaares. Sein Geld sei sein Samen gewesen, erklärt das lyrische Ich weiter, Produkt einer Dauererektion. Nicht nur der Vergleich, auch die präzise Benennung seiner Potenz ist typisch für Pasolini, der durch seine Homosexualität schmerzhafte Ausgrenzung erfuhr. Den materiellen Erfolg erlebte er tatsächlich als Genugtuung, denn er erlaubte ihm, seinen Turm in Chia zu kaufen, worauf er in den anschließenden Versen anspielt. Aber er geht streng mit sich ins Gericht. Seine Gedichte erschöpfen sich nicht in einem narzisstischen Moment, sondern sind immer auch Selbstbefragungen. In ihrem glänzenden Nachwort zu einer Zusammenstellung später und nachgelassener Gedichte, die Theresia Prammer gerade aus Anlass des Erlanger Literaturpreises für Poesie als Übersetzung herausgegeben und übersetzt hat, erläutert sie den Kontext. In «Arbeitsgesuch» reproduziert Prammer in ihrer Übersetzung auch das Spiel mit Termini aus der Bürokratie. Dass sie sich im Titel «Richiesta di lavoro» für den umständlicheren Ausdruck «Arbeitsgesuch» entscheidet und nicht für das viel banalere «Bewerbung» zeugt von der Schärfe ihres Gehörs. Aus «poesia su ordinazione» werden «Auftragsgedichte», aus der Formulierung «la vocazione è vacante» «die Berufung ist vakant». Was Pasolini in seinen Freibeuterschriften als seelenlose Sprache anprangert, verwendet er hier, um den Effekt einer normierten Sprache zu vermitteln. Er stellt den floskelhaften Charakter bewusst aus, der Italienisch_82.indb 13 20.01.20 15: 36 14 «In der Dichtung zu Hause». Laudatio für Theresia Prammer Maike Albath durch die Kombination von «su ordinazione», auf Auftrag, und «ordigno», Sprengsatz, auch auf lautlicher Ebene verstärkt und zugleich semantisch unterlaufen wird. Die Lösungen, die Theresia Prammer findet, bewegen sich nie im luftleeren Raum. Ihre übersetzerische Arbeit, und das ist eine ihrer herausragenden Qualitäten, geschieht auf der Grundlage einer umfassenden Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gesamtwerk, dem sie sich auch als Literaturwissenschaftlerin und Essayistin nähert. Sie überträgt ihre Dichter, von Pasolini über Andrea Zanzotto, Eugenio Montale, Amelia Rosselli bis zu Valerio Magrelli, um nur einige zu nennen, eben nicht nur von einer Sprache in die andere, sondern bezieht Poetologie, theoretische Überlegungen und die große Tradition der italienischen Dichtung mit ein. Dies ist umso notwendiger, als in der italienischen Lyrik die Verbindungen zu Dante und Petrarca bis in die kleinsten lexikalischen Verästelungen hinein zu finden sind und sich sehr viel enger gestalten, als, um nur ein Beispiel zu nennen, die von Marcel Beyer zu Walther von der Vogelweide. Auch in den prosaisch anmutenden Texten des späten Pasolini ist die Divina Commedia immer gegenwärtig, und sei es, wie Prammer eindrücklich zeigt, über die Lichtmetaphorik. Wie vielfältig ihre Register sind, tritt auch in den Übertragungen des rumänischen Surrealisten Ghérasim Luca aus dem Französischen zu Tage, die sie gemeinsam mit Michael Hammerschmid bewerkstelligt hat. Hier stellt Prammer in jandelesker Weise ihr komisches Talent unter Beweis. Das Gedicht «körper annehmen» beginnt: Ich flore dich du faunst mich Ich haute dich und halte dich und fenstere dich du knochst mich du ozeanst mich du kühnst mich du meteoritest mich Und weiter unten dann: Ich haare dich ich löchere dich nasen ich hüfte dich du heimsuchst mich ich nüstere ich brüste dich ich büste deine brüste dann gesicht ich dich Italienisch_82.indb 14 20.01.20 15: 36 15 Maike Albath «In der Dichtung zu Hause». Laudatio für Theresia Prammer ich korsette dich du geruchst mich schwindelst mich du gleitest ich schenkle und ich streichle dich […] * Und so geht es aufs Herrlichste noch eine Weile lang weiter. Mit ihrem Übersetzerkompagnon befragt Theresia Prammer hier das Sprachmaterial und zeigt, wie die Umfunktionalisierung eines Substantivs - Nasenloch oder Haare - zu einem Verb eine ganz eigene Erotik entfaltet. Eine wahrhaftige Wortlust setzt ein, eine Trunkenheit, die das Verfahren des Dichters im Deutschen fortspinnt. Auch hierzu gibt es einen klugen und aufschlussreichen Essay von Theresia Prammer. Dass sie eine bestechende Literaturwissenschaftlerin ist, beweist nicht zuletzt ihre Studie Lesarten der Sprache über die Möglichkeiten, den Dichter Andrea Zanzotto ins Deutsche zu übersetzen. Das Nachdenken über die Übersetzbarkeit von Texten, worüber Theresia Prammer sehr viel mehr weiß als ich, hängt eng zusammen mit dem Nachdenken über die Sprache. Und in diesem Kontext fällt in der Geschichte der Philosophie immer wieder die tiefe Sehnsucht nach einer ursprünglichen, reinen, messianischen Sprache auf, nach der lingua adamica. Es ist typisch für die abendländische Tradition, dass die Verschiedenheit der Sprachen, die Vielfalt, negativ gesehen wird. Diese Denkfigur, die der Linguist Jürgen Trabant in seinem Buch über das Sprachdenken Mithridates (München 2003) so eingängig dargelegt hat, reicht bis in die Antike zurück. Sie schlägt sich auch in der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babel nieder. Die Menschen sind so vermessen und planen im Miteinander-Sprechen den Turm von Babel, um an Gott heran zu reichen. Die Strafe folgt auf dem Fuße, und sie lautet: Statt der einheitlichen, göttlichen Sprache gibt es jetzt viele Sprachen, damit «keiner des andern Sprache verstehe» (Genesis 11). Die vielen verschiedenen Sprachen sind nach der Sprachideologie der Bibel etwas Schlechtes. Und wenn Sprache an sich schon stört und eher im Wege ist, dann ist Übersetzen natürlich doppelt schlimm. In der europäischen Tradition hat erst Johann Gottfried Herder den göttlichen Ursprung der Sprache zurückgewiesen und sie als Teil der Natur verstanden, als etwas, das wächst und sich verändert, und damit als etwas, mit dem man umgehen kann, was man also auch übersetzen darf. Ich möchte, mit dem Philosophen Wilhelm von Humboldt als Unterstützung, für den Genuss der Verschiedenheiten plädieren. * Ghérasim Luca, Lapsus linguae. Gedichte, Französisch und Deutsch, übersetzt von Theresia Prammer und Michael Hammerschmid, Wien/ Basel 2004, S. 508-518. Italienisch_82.indb 15 20.01.20 15: 36 16 «In der Dichtung zu Hause». Laudatio für Theresia Prammer Maike Albath Gerade die Übersetzungen von Theresia Prammer ermöglichen uns ein Schwelgen in der Vielheit. Humboldt war als Übersetzer des Agamemnon des Aischylos mit den Herausforderungen des Berufes vertraut. In seiner Einleitung heißt es: «das unbestimmte Wirken der Denkkraft zieht sich in ein Wort zusammen, wie leichte Gewölke am heitren Himmel entstehen. […] Wie könnte daher je ein Wort, dessen Bedeutung nicht unmittelbar durch die Sinne gegeben ist, vollkommen einem Wort einer anderen Sprache gleich seyn? Es muss nothwendig Verschiedenheiten darbieten […]. Das Übersetzen, und gerade der Dichter, ist vielmehr eine der nothwendigsten Arbeiten in einer Literatur, theils um den nicht Sprachkundigen ihnen sonst ganz unbekannt bleibende Formen der Kunst und der Menschheit, wodurch jede Nation immer bedeutend gewinnt, zuzuführen, teils aber, und vorzüglich, zur Erweiterung der Bedeutsamkeit und der Ausdrucksfähigkeit der eignen Sprache.» Unermüdlich hat Humboldt auf die Schönheit der Mehrsprachigkeit aufmerksam gemacht und in der Vielfalt der Sprachen eine Bereicherung des Denkens erkannt: «Durch die Mannigfaltigkeit der Sprachen wächst unmittelbar für uns der Reichthum der Welt und die Mannigfaltigkeit dessen, was wir in ihr erkennen; es erweitert sich zugleich dadurch für uns der Umfang des Menschendaseyns, und neue Arten zu denken und empfinden stehen in bestimmten und wirklichen Charakteren vor uns da»*, unterstreicht er. Das Übersetzen ist also Teil dieses schöpferischen Prozesses, bei dem das Andere, das Fremde zum Gegenüber wird. Übersetzungen, und das zeigt die Arbeit von Theresia Prammer, können einen befreienden Effekt haben und auf die jeweilige Sprache zurückwirken, denn sie sind weniger strikt im Umgang mit Normen, verfügen über andere Bildwelten und andere Formenrepertoires. Pasolini entdeckte im Partikularen eine revolutionäre Kraft: Seine frühen Gedichte entstanden auf Friaulisch, im Dialekt seiner Mutter. Von dem Freund und Dichter Andrea Zanzotto, aufgewachsen in der Nachbarregion, erschien 1992 ein Gedicht über Pasolini, von * Wilhelm von Humboldt, «Aeschylos Agamemnon. Metrisch übersetzt», in W.v.H., Gesammelte Werke, Dritter Band, Berlin 1988, S. 13/ 14; «Fragmente der Monographie über die Basken», in W.v.H., Werke in fünf Bänden, Band V, Darmstadt 1981, S.111. Italienisch_82.indb 16 20.01.20 15: 36 17 Maike Albath «In der Dichtung zu Hause». Laudatio für Theresia Prammer dem es eine Übersetzung von Theresia Prammer gibt. «Quer durchs Friaul» heißt es. In den ersten Versen setzt er das «Du» und die Landschaft in eins - es sei «angesengt / von Blau», und «Nichts auf der Welt» könne diese «unvorstellbare Vibratilität» erschöpfen. Mit wenigen Zeilen erfasst Zanzotto das Widersprüchliche und Zerrissene Pier Paolo Pasolinis: Verwurzelt in der Herkunft, aber zugleich getrieben und durchdrungen von der Notwendigkeit radikaler Gesten. Dass sich Theresia Prammer für das Verb «angesengt» entscheidet, lässt das Motiv des Feuers mitschwingen. In den Schlusszeilen des kurzen Gedichts vergleicht Zanzotto den Freund mit einem «Benandante», einem beunruhigenden, aber gutmütigen Geist aus der friaulischen Volkstradition. Tastend beinah, blindlings, doch beinahe heiter kreuzen wir bereits das silbrige Gewimmel deiner Wege hin zu anderen Ernten anderen Elementen Hier scheint mir das Erbe Pasolinis aufzuflackern, dessen sich selbst verzehrende Vitalität Theresia Prammer durch die Formulierung des «silbrigen Gewimmels deiner Wege» unterstreicht, was eine besonders glückliche Entscheidung ist für: «gli argentini grovigli dei tuoi percorsi/ verso altri raccolti/ altri elementi». Eine Wissenschaft vom Licht lautet der Titel der vorzüglichen Pasolini- Nummer 73 der Zeitschrift Schreibheft von 2009, der ich dieses Gedicht entnommen habe, herausgegeben und größtenteils auch übersetzt von Theresia Prammer. Enthalten ist ebenso ein berühmtes Gedicht an die Redakteure der Zeitschrift «Officina». Der erste Vers nennt die Freunde, im zweiten setzt dann die rhetorische Frage ein: «Wer hat weniger als ich das Recht, diese Verse zu schreiben? » Ein paar Zeilen weiter unten umreißt Pasolini den Kern seines Schreibens: Nun fühle ich in mir den Geschmack gerade gefallenen Regens, jeder Lebendigkeit des Daseins liegt ein Weinen zugrunde. Nur eine verworrene Kraft sagt mir, dass eine neue Zeit anbricht, für alle, und uns zum Neusein verpflichtet. Dass sie hier «vivacità della vita» nicht mit «Lebendigkeit des Lebens», sondern mit dem poetischeren «Lebendigkeit des Daseins» übersetzt, zeigt, wie fein ihre Sprachnerven sind. «Dasein» hat einen anderen Bedeutungshof als «Leben», etwas Schicksalhaftes scheint mitzuschwingen und passt zu Pasolinis Selbstverständnis, sich allen Erfahrungen mit Haut und Haaren auszusetzen. Italienisch_82.indb 17 20.01.20 15: 36 18 «In der Dichtung zu Hause». Laudatio für Theresia Prammer Maike Albath Ein letztes Beispiel möchte ich zitieren aus einem Konvolut von Pasolini-Übersetzungen Theresia Prammers. Das Gedicht heißt «Der Reichtum». Hier geht es mir um den Rhythmus und die Folge der Relativsätze. Zwischen Horizonten, die das erloschene umbrische Blau mit sonnigen Flussbetten überzieht und gepflügten Hügeln, die sich im Himmel verlieren, so hell, dass sie die Hornhaut ritzen, oder in Tälern, wo leuchtende Buchten sich auftun, bist du unterwegs, ahnungsloses Auto - für das ich nichts als ein wenig Gewicht bedeute, in das Leder gedrückt - und du, der du es lenkst, und der du in diesem Gewicht an deiner Seite - während du zu ihm sprichst, großspurig und kennerhaft - allzu viel Leben vermutest… […] Die Satzkaskaden vermitteln den Schwung und die Schnelligkeit, die Eroberung der Landschaft mit dem Auto - Pasolini war ein leidenschaftlicher Sportwagenfahrer. Das lyrische Ich richtet seinen Blick nach außen, spricht dann ein Du an, es herrscht eine freudige Atmosphäre des Eroberns, was Theresia Prammer über den Rhythmus vermittelt. Der Giotto-blaue Himmel ist ein offener Raum. Man könnte sagen, dass Theresia Prammer in ihren Übersetzungen die «wilde Heuristik», für die Pasolini in einem der späten Gedichte Partei nimmt, unmittelbar vermittelt. In ihren Worten: die Überwindung der Ordnung stellt die Überlegenheit der Literatur wieder her, einziger Nährboden einer wirklich wilden Heuristik. Theresia Prammers Nachwort ist das Reizvollste, was ich in den letzten Jahren zu Pasolini gelesen habe. Vor allem mit dem, was sie Pasolinis «Kondition des Oxymorons» nennt, zeigt unsere Preisträgerin, wie notwendig es wäre, diesen Dichter zu lesen. Denn die Räume werden enger, die Widersprüche eklatanter, und die Schablonen der medienkonformen Sprache scheinen jede Autonomie des Denkens, die wilde Heuristik, von vornherein zu beschneiden. Umso wichtiger ist das Sichversenken in Texte, das Nachdenken und das Übersetzen. Theresia Prammer ist in der Dichtung zu Hause. Sie ist eine Bewohnerin der Sprache und nistet sich ein in den Stimmen ihrer Dichter, ahmt sie nach, gibt Eigenes hinzu und tritt aus ihnen heraus. Für sie bleibt «die Poesie die Mitte der Welt», trotz allem. Herzlichen Glückwunsch! Italienisch_82.indb 18 20.01.20 15: 36 19 H E R M A N N H . W E T Z E L Deutsche Übersetzungen moderner italienischer Lyrik III: «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Zu Ungarettis L’Allegria 1 Wenn man je den Soldatenfriedhof für die an der Isonzo-Front Gefallenen in Friaul nordwestlich von Triest oder denjenigen bei Verdun oder auch einen beliebigen anderen besucht hat, erscheint einem der Titel L’Allegria für eine Sammlung von Gedichten Ungarettis, die überwiegend während des Ersten Weltkriegs geschrieben wurden, zumindest eigen-, wenn nicht abartig. Die Gebeine von mehreren Hunderttausend Gefallenen in Redipuglia oder im Beinhaus von Verdun lassen unser Blut in den Adern eher stocken als freudig erregt pulsieren. Auch die Tatsache, dass der Titel ursprünglich Allegria di Naufragi (Firenze: Vallecchi 1919) hieß, macht ihn nicht verständlicher. Denn was soll am Scheitern der Schiffbrüchigen heiter sein, wenn wir an das berühmte Floß der Medusa oder an die heutigen Seelenverkäufer vor Lampedusa denken? Ungaretti selbst räumt gleich zu Beginn seines Selbstkommentars zu L’Allegria in Vita d’un uomo (Ein Menschenleben) ein, dass der Begriff allegria für fremde Ohren («dicono») «befremdlich» («strano»; Ungaretti 1969, S. 517; Ungaretti 1993, S. 425) klingt. Er fügt als Erklärung jedoch unmittelbar hinzu: «Strano se tutto non fosse naufragio, se tutto non fosse travolto, soffocato, consumato dal tempo. Esultanza che l’attimo, avvenendo, dà perché fuggitivo, attimo che soltanto amore può strappare al tempo, l’amore più forte che non possa essere la morte». («Befremdlich, wenn nicht alles Schiffbruch wäre, wenn nicht alles mitgerissen, erstickt, von der Zeit aufgezehrt würde. Jubel, den der sich ereignende Augenblick auslöst, weil er flüchtig ist, ein Augenblick, den nur Liebe der Zeit entreißen kann, die Liebe, die allein stärker als der Tod sein kann.» 2 ) 1 Schriftliche Fassung eines Vortrags in der Deutsch-Italienischen Vereinigung e.V. in Frankfurt am Main am 8. November 2018. 2 Die Übersetzung «die stärkste Liebe, die der Tod nur sein kann» (Ungaretti 1993, S. 425) ergibt keinen Sinn. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 020 Italienisch_82.indb 19 20.01.20 15: 36 20 «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Hermann H. Wetzel Für ihn ist die Erkenntnis der Vergänglichkeit keine religiös-theologische oder abstrakt philosophische, sie ist auch nicht ausschließlich an die Ereignisse des Ersten Weltkriegs gebunden, sondern eine ganz konkrete, ins Allgemeine gehobene Erfahrung. Dazu gehört für den 1888 Geborenen die Erfahrung, seit seinem zweiten Lebensjahr als Halbwaise aufzuwachsen, eine Kindheit und Jugend im Angesicht der Ruinen des Ägyptischen Reiches in Alexandria (eine Erfahrung, die sich für ihn im versunkenen antiken Hafen, Il porto sepolto, verdichtet) und die Selbsttötung eines Jugendfreundes. Dieses Grundgefühl des Scheiterns und der Vergänglichkeit wird in seinen Augen durch den Ersten Weltkrieg nur zusätzlich «genährt», «geschärft», «vertieft» und «gekrönt» (ebd.). Beim Eintritt Italiens in den Krieg 1915 ist er immerhin schon 27 Jahre alt, so dass er nicht als ‘unbeschriebenes Blatt’ an die Front geht. Zur einhundertjährigen Wiederkehr des Kriegsendes werden die folgenden Ausführungen jedoch nicht das gesamte Werk Ungarettis in den Blick nehmen, sondern sich auf das Thema des Krieges in einigen wenigen Gedichten konzentrieren. Zur Erklärung des eigenartigen Titels Allegria di naufragi wird in den Kommentaren immer wieder auf das Thema Schiffbruch bei anderen Dichtern hingewiesen. Das ist sinnvoll, wenn man die Differenzen deutet, sonst lenkt es nur ab von der besonderen und einmaligen Reaktion und ebenso einmaligen Gestaltung der Erfahrung des Scheiterns durch Ungaretti. Das gilt sogar, wenn er selbst den Hinweis auf mögliche Einflüsse gibt. In einem Rundfunkkommentar von 1963 (Ungaretti 1974, S. 823; Ungaretti 1993, S. 468 f.) verweist er auf den Schlussvers von Leopardis L’Infinito: «E il naufragar m’è dolce in questo mare.» Doch ist die Situation in den beiden Gedichten völlig verschieden: Dort, bei Leopardi, ein wohliges Untergehen in der vom Dichter imaginierten Unendlichkeit, hier, bei Ungaretti, das Scheitern als Todeserfahrung. Bei Mallarmé schließlich handelt es sich eher um eine philosophische Erkenntnis, wenn er den Protagonisten des Coup de dés, den «bitteren Prinzen der Klippe» («prince amer de l’écueil») 3 , an den Klippen des Absoluten scheitern lässt. Nicht nur das Thema Schiffbruch kann also ganz verschieden gestaltet werden, auch die Reaktionen auf die Kriegs-Erfahrung unterscheiden sich grundsätzlich: Man kann die Erlebnisse, wie es die meisten Kriegsteilnehmer taten, zur eigenen seelischen Entlastung verdrängen und nicht darüber sprechen. Interessanter jedoch sind für die Nachwelt diejenigen, die es schaffen, ihre Eindrücke künstlerisch zu gestalten: Sei es, dass sie den Krieg 3 Mallarmé 1945, S. 469. Italienisch_82.indb 20 20.01.20 15: 36 21 Hermann H. Wetzel «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? ziemlich kindisch 4 verherrlichen wie Marinetti (seine berüchtigte Formel vom «Krieg als einzige Hygiene der Welt» stammt allerdings aus der Vorkriegszeit), sei es dass sie wie Ernst Jünger 5 oder Guillaume Apollinaire dem Krieg ästhetische Seiten abgewinnen: Apollinaire zum Beispiel verfasst ein Gedicht mit dem Titel Merveille de la guerre 6 , wo es heißt: Que c’est beau ces fusées qui illuminent la nuit […] Comme c’est beau toutes ces fusées Mais ce serait bien plus beau s’il y en avait plus encore S’il y en avait des millions qui auraient un sens complet et relatif comme les lettres d’un livre Pourtant c’est aussi beau que si la vie même sortait des mourants (Wie schön diese Raketen, die die Nacht erleuchten […] Wie ist das schön alle diese Raketen Aber es wäre noch schöner wenn es noch mehr davon gäbe Wenn es Millionen davon gäbe, die einen Sinn ergäben, insgesamt und aufeinander bezogen wie die Buchstaben eines Buches Doch ist es ebenso schön, wie wenn das Leben selbst den Sterbenden entstiege Man könnte meinen, die Granaten dienten der (leider künstlerisch unvollkommenen) Inszenierung eines strahlenden Feuerwerks zur Ablenkung und zum Ergötzen der im Schlamm steckenden Landser. Immerhin blendet Apollinaire die weniger schönen Seiten des Krieges nicht völlig aus, wenn er ihn als 4 Marinetti 1968, S. 793-803: Wenn die ‘Helden’ mit Begeisterung in einen Flügel auf die Musik von Wagner, Bach und Beethoven pinkeln: «Via! Si piscia tutti nel pianoforte di coda. Si tutti pisciam pisciam pisciam sui vasti profondi funerarii idioti accordi di Wagner Bach Beethoven! Sssssssssssssssssssssssssss Italianissimi rubinetti gloriosi.» 5 Schon der Anfang von Ernst Jüngers In Stahlgewittern (1921) ist in der Wahl der Metaphern verräterisch: «Der Zug hielt in Bazancourt, einem Städtchen in der Champagne. Wir stiegen aus. Mit ungläubiger Ehrfurcht lauschten wir den langsamen Takten des Walzwerks der Front, einer Melodie, die uns in langen Jahren Gewohnheit werden sollte. Ganz weit zerfloß der weiße Ball eines Schrapnells im grauen Dezemberhimmel» Das «Walzwerk» als Metapher aus der Stahlproduktion hat etwas mechanisch, brutal Zermalmendes, das allerdings durch Begriffe aus dem Bildbereich der Musik (Takt, Melodie) gleichzeitig verharmlost und ästhetisiert wird (gehört etwa die Walze zu einer überdimensionalen Spieluhr? ). Auch der «weiße Ball» assoziiert Spielerisch-Äshetisches über das Zerfließen der Farben eines Aquarells. 6 Apollinaire 1965, S. 271/ 2. Italienisch_82.indb 21 20.01.20 15: 36 22 «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Hermann H. Wetzel ‘Schlachtfest’, allerdings als eines nicht von Generälen, sondern von der unverantwortlichen «Erde» veranstaltetes, charakterisiert: C’est un banquet que s’offre la terre Elle a faim et ouvre de longues bouches pâles La terre a faim et voici son festin de Balthasar [Buch Daniel, V] cannibale Qui aurait dit qu’on pût être à ce point anthropophage Es ist ein Bankett das sich die Erde gibt Sie hat Hunger und reißt ihre langen bleichen Münder auf Die Erde hat Hunger sieh ihr kannibalisches Belsazar-Festmahl Wer hätte vorhergesagt, dass man derart menschenfresserisch sein könnte Auch Ungaretti selbst reagiert nicht nur in einer Tonart auf seine Erlebnisse. Das Gedicht Soldati aus der Abteilung Girovago (Landstreicher) wird bei dem Vergleich mit den ihr Fallen erwartenden Herbstblättern eher von einem melancholisch-fatalistischen Ton bestimmt, der das (ohnehin unvermeidliche) Sterben in den Kreislauf des natürlichen Werdens und Vergehens einbettet und ihm das unzeitig Gewaltsame des Soldatentodes nimmt. Das erwartbare Wort cadono (sie fallen) wird sorgfältig vermieden und durch ein seltsam unpersönliches und (noch) Stabilität suggerierendes, beschwörendes «Si sta» ersetzt. Soldati Soldaten Bosco di Courton luglio 1918 Bois de Courton, Juli 1918 Si sta come Man ist wie d’autunno im Herbst sugli alberi an den Bäumen le foglie die Blätter Zwei weitere Beispiele für Ungarettis Gestaltung des Themas machen den Titel Allegria durch Kontraste und Parallelen vielleicht verständlicher. Italienisch_82.indb 22 20.01.20 15: 36 23 Hermann H. Wetzel «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Solitudine Einsamkeit Santa Maria La Longa Santa Maria La Longa, il 26 gennaio 1917 den 26. Januar 1917 Ma le mie urla Doch meine Schreie feriscono verwunden come fulmini wie Blitze la campana fioca die matte Glocke del cielo des Himmels Sprofondano Sie gehen unter Impaurite verängstigt Während er in Solitudine seine Aggression gegen den Himmel richtet und dann letztlich machtlos resigniert, ist es in Veglia (siehe unten) gerade die brutale Erfahrung des Todes, die ihn das Leben umso wertvoller schätzen und bejahen lässt. Er reagiert in seinen Gedichten auf den Krieg also ganz unterschiedlich, jedoch kaum depressiv 7 , sondern eher kämpferisch mit einem überraschend freudigen «Trotz alledem! » («Volontà di vivere nonostante tutto, stringendo i pugni, nonostante il tempo, nonostante la morte.» (Ungaretti 1993, S. 518; «Lebenswille trotz allem, die Fäuste ballen, trotz der Zeit, trotz dem Tod.») Hier ist es notwendig, ein paar Überlegungen zum Titelbegriff Allegria und zu seiner Übersetzung anzustellen. 8 Im Italienischen hätte auch das Wort allegrezza als Synonym zur Verfügung gestanden Es liegt nahe, die Wahl Ungarettis nicht mit einem Bedeutungsunterschied, sondern mit dem verschiedenen Klang der beiden Wörter allegrezza und allegria zu begründen. Das Suffix / -ezza/ klingt nämlich wegen der doppelten stimmlosen Affrikata / zz/ deutlich weniger jubelnd als das Suffix / -ía/ mit seinem hellen Vokal / i/ . Kann man nun, wie das Hans Hinterhäuser 9 und Marschall von Bieberstein 10 tun, das Gefühl beim sofortigen Wiederaufrappeln nach einer Katastrophe mit «Heiterkeit» übersetzen? Heiterkeit hat im Deutschen etwas Leichtes, Lachendes oder zumindest Lächelndes, eher Oberflächliches, was 7 In Agonia schließt er das Jammern ausdrücklich aus. 8 Mögliche Alternativen der Wortwahl, seien sie nun fiktiv oder als tatsächliche vom Autor erwogene Varianten überliefert, bieten ebenso wie alternative Übersetzungen in andere Sprachen ein wertvolles Hilfsmittel, das Charakteristische einer Formulierung präziser zu fassen, als es ohne eine solche (fiktive) Variante möglich wäre. 9 Hinterhäuser 1964, S. 26 pass. 10 Ungaretti 1988. Italienisch_82.indb 23 20.01.20 15: 36 24 «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Hermann H. Wetzel dem Ernst der existentiellen Situation weniger angemessen scheint als der Begriff Freude. Andererseits ist die Lautung des deutschen Worts Heiterkeit heller und der allegria näher als die Lautung von Freude. Wir stoßen hier auf das unvermeidliche Dilemma des Übersetzers, der in seiner Zielsprache ganz selten Wörter zu finden vermag, die sowohl die Wortbedeutung als auch den Wortkörper der Quellsprache adäquat wiedergeben. Der Übersetzer muss sich letztlich entscheiden, welche der beiden Komponenten des Zeichens er schwerer gewichtet. Im vorliegenden Fall läuft allerdings die Lautung des deutschen Wortes Freude seiner Bedeutung keinesfalls zuwider, so dass Ingeborg Bachmann 11 zurecht mit «Freude der Schiffbrüche» und Killisch-Horn mit «Freude von Schiffbrüchen» übersetzen können, ohne eine der beiden Seiten des Zeichens zu vernachlässigen. Man sieht an der Übersetzung von Killisch-Horn («Freude von Schiffbrüchen») außerdem, dass auch die Genitiv-Verbindung nicht ohne Übersetzungsklippen ist. Killisch-Horn verdeutlicht den genitivus obiectivus durch ein etwas schulmeisterliches «von», während Bachmann die Unbestimmtheit der Genitiv-Verbindung beibehält. Außerdem signalisiert der verallgemeinernde Plural der «Schiffbrüche», dass die Freude für Ungaretti angesichts der zahlreichen Katastrophen eine generelle, keine einmalige und außergewöhnliche Reaktion auf den Krieg allein ist. Dieser Tatbestand hat auch Auswirkungen auf die Übersetzung von «subito» 12 mit «gleich» oder «sofort» im Sinn von unmittelbar, ohne zu zögern, während das von Bachmann gewählte «Und plötzlich» eher eine unerwartete Reaktion auf ein einmaliges Ereignis suggeriert. Der ‘Umweg’ über die Übersetzungen hilft so auch den Originaltext besser zu verstehen. Das Eingangsgedicht der Abteilung Naufragi innerhalb der Gedichtsammlung L’Allegria lautet in seiner ganzen Länge oder besser in seiner Kürze folgendermaßen 13 : 11 Ungaretti 1961. 12 Zingarelli führt zuerst die Bedeutungen «Immediatamente, prontamente, senza indugiare», dann «in un tempo brevissimo, molto presto» auf und erst in dritter Linie «all’improvviso». 13 Übersetzung von H.H.W. in Anlehnung an die oben Genannten. Italienisch_82.indb 24 20.01.20 15: 36 25 Hermann H. Wetzel «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Allegria di naufragi Freude der Schiffbrüche Versa il 14 febbraio 1917 Versa, den 14. Februar 1917 E subito riprende Und gleich nimmt er il viaggio die Fahrt wieder auf come wie dopo il naufragio nach dem Schiffbruch un superstite ein überlebender lupo di mare Seebär Die Wahl zwischen den deutschen Übersetzungen für «viaggio», nämlich Reise (Killisch-Horn) oder Fahrt (Bachmann), kann nur im assoziativen und im lautlichen Bereich entschieden werden. Was verbindet man heute assoziativ mit Reise? Eher Vergnügen und Tourismus, auf dem Meer den gefahrlosen Massen-Cruiser, selbst wenn sich das Ganze Kreuzfahrt nennt. Fahrt allein dagegen ist zwar etwas altmodisch, assoziiert aber passend Gefahr und Erfahrung. Lautlich wird das / f/ von Fahrt vom Schiff(bruch) wieder aufgenommen und bildet so ein fernes Echo des Reims («viaggio» : «naufragio») im italienischen Original. (Zur Bedeutung dieses Reims, der den zwingenden Zusammenhang von Fahrt und Gefahr des Scheiterns schon in der Lautgestalt der Wörter anlegt und der daher auch in einer Übersetzung nicht ‘klanglos’ untergehen sollte, siehe weiter unten.) Biographie und Gedicht Bevor die sprachlich/ lautliche Gestaltung des Materials genauer analysiert wird, noch kurz ein paar Bemerkungen über das Verhältnis der persönlichen Erfahrung (des Dichters) zum Gedicht. Wenn Ungaretti behauptet «Der Charakter, der primäre Charakter meiner gesamten Aktivität ist autobiographisch» (Ungaretti 1993, S. 430), braucht man sich nicht zu wundern, wenn der Leser den Schlüssel zum Gedicht vornehmlich in der Biographie des Dichters sucht. Selbstverständlich schöpft der Dichter aus dem eigenen Erleben. Doch dieses Erleben ist nur ein erster Impuls, der ergänzt, fortgeführt, verarbeitet sein will. In diesem Sinne fährt Ungaretti selbst anschließend an das obige Zitat zum biographischen Hintergrund fort: «Natürlich hat die Phantasie jedes Recht, also hat sie das Recht, dieses Bekenntnis in Bereiche zu führen, die es gänzlich [! ] von jenem frei machen, der dieses Bekenntnis macht.» (Ungaretti 1993, S. 430) Um diesen Prozess der künstlerischen Verarbeitung des biographischen Materials zu verfolgen, bietet sich der Vergleich der Druckfassung mit zwei Italienisch_82.indb 25 20.01.20 15: 36 26 «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Hermann H. Wetzel früheren Varianten an, die den Entschluss zum Aufbruch einleitend einer Person zuordnen und schon im Titel explizit biographisch verankern (s. Ungaretti 1993, S. 470): La filosofia del poeta Die Philosophie des Dichters So Ich weiß di un italiano von einem Italiener che si dilania der sich zerreißt da tanti anni seit so vielen Jahren a liberare [um] zu befreien dal turbine aus dem Wirbel del suo cuore seines Herzens il succo den unsterblichen immortale Saft degli attimi der Augenblicke E subito riprende Und gleich nimmt er [s.o.] [s.o.] In einer weiteren Fassung schiebt er den lebensweltlichen Bezug seinem Dichterfreund Giovanni Papini zu. Giovanni Papini Giovanni Papini Conosco Ich kenne un amico einen Freund che libera dal turbine der befreit aus dem Wirbel del cuore des Herzens sfavillanti attimi funkelnde Augenblicke come di mattini wie vom frühlingshaften primaverili Morgen E subito riprende Und gleich nimmt er […] […] In der Druckfassung ist das Gedicht aber bezeichnenderweise um den biographisch-philosophischen Teil gekürzt. Ungaretti fand die Verankerung in einer Biographie (sei es nun verschleiernd ganz allgemein «eines Italieners», sei es derjenigen seines Freundes Papini) wie auch den Hinweis auf den philosophischen Gehalt offensichtlich überflüssig, ja für ein Gedicht störend Italienisch_82.indb 26 20.01.20 15: 36 27 Hermann H. Wetzel «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? und eliminierte beides in einem für ihn typischen Prozess der Verkürzung und Konzentration ersatzlos. Denn ein Gedicht kann zwar einen philosophischen Gehalt haben, aber es sollte nicht abstrakt philosophieren wie ein Traktat. Es sollte den Leser etwas sinnlich konkret erleben lassen. Welche Mittel hat nun die Poesie in der endgültigen Form von Allegria di naufragi, um dem Leser ein solches sinnliches Erlebnis zu erlauben? Da wäre erstens das sog. uneigentliche Reden in Bildern, sei es, dass das ganze Gedicht ‘nur’ ein Bild für etwas anderes ist oder seien es, einzelne Vergleiche, Metaphern oder Metonymien innerhalb eines im übrigen ‘unbildlichen’ Textes (s.o. die ersten Strophen der beiden ungedruckten Fassungen des Gedichts). (Bildlichkeit gibt es natürlich in jeder Rede, allerdings in unterschiedlichen Mengenverhältnissen.) Und zweitens gibt es da noch ein ‘Alleinstellungsmerkmal’ der Lyrik, nämlich die ungewöhnlich intensive Nutzung der sprachlichen Rhythmus- und Laut-Ebene in der Gestalt des Verses und der Lautmalerei. Beides sorgt dafür (zumindest eröffnen diese poetischen Verfahren die Möglichkeit), dass die Abstraktheit eines sprachlichen Textes (wir haben ja nur schwarze Striche auf weißem Papier vor Augen) sich vermittels unserer Ein-Bildungs-Kraft in sinnlich konkrete Bilder, Laute und Rhythmen verwandelt, die auf unsere Emotionalität wirken. Wie funktioniert das auf der Ebene der Bilder? Seit der Antike gilt die Reise als Sinnbild des Lebens. Für einen Anwohner des Mittelmeeres und Bewohner einer Hafenstadt liegt es nahe, speziell die Reise in der Form der Schifffahrt als den Topos des Lebens schlechthin zu wählen. Für den Leser ist es nun wichtig, sich dieses nicht umsonst Sinn-Bild genannte Bild auch in seiner ganzen konkret-sinnlichen Fülle zu vergegenwärtigen: Die Schifffahrt mit der Ausfahrt aus dem sicheren Hafen, der Weitung des Horizonts und Entdeckung des Fremden, ihren Gefahren und ihren Gewinnchancen, der glücklichen Heimkehr oder eben auch dem Scheitern bietet die vielfältigsten Vorstellungs- und Ausdeutungsmöglichkeiten, die von vielen Dichtern vor und in der Nachfolge der Odyssee entfaltet wurden. In Ungarettis Gedicht steht beispielhaft nur ein kleiner Teil dieses Topos im Zentrum, nämlich, wie der Titel schon ankündigt, die Reaktion auf den Schiffbruch oder besser auf ‘Schiffbrüche’ allgemein. Ungaretti spezifiziert zunächst in den ersten beiden Zeilen die Art der Reise nicht, erst in dem mit «come» einsetzenden und rhythmisch deutlich abgesetzten Vergleich wird das Bild mit «naufragio» und «lupo di mare» konkret auf das Meer bezogen. Ebenso wenig wird zunächst die agierende Person (man kann sie lediglich indirekt aus der dritten Person Singular des Italienisch_82.indb 27 20.01.20 15: 36 28 «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Hermann H. Wetzel «riprende» erschließen) als auch der Realitätsgrad der Reise innerhalb des Gedichts bestimmt. (Soll es überhaupt eine ‘wirkliche’ Reise sein oder steht «viaggio» von vorneherein als absolute 14 Metapher für das Leben? ) Wer ist diese Person? Ist es ein Mann, eine Frau? Ist es der Autor? (Bachmann lässt den Protagonisten zu sich selbst bzw. zum Leser sprechen und deswegen ein selbstbezügliches «du» verwenden: «Und plötzlich nimmst du/ die Fahrt wieder auf».) Durch den Vergleich mit dem Matrosen, der allerdings erst im letzten Vers erwähnt wird, tendieren wir zur Annahme eines männlichen Protagonisten. Das einzige, was wir über diese genannte Person erfahren, wird uns über einen Vergleich mitgeteilt, das heißt über ein sprachliches Bild, dessen detaillierte Ausgestaltung fast vollständig dem Leser überlassen bleibt: «Er» (wer immer das auch sein mag) ist auf einer Reise, wurde durch ein Unglück («naufragio») aufgehalten, ist knapp dem Tod entronnen («superstite»), bricht aber ohne Zögern und weiteres Überlegen sofort («subito») wieder auf, da er einem durch viele Gefahren gestählten, im wahrsten Sinne ‘erfahrenen’ Seemann («lupo di mare») gleicht. Der Vergleich ist ausformuliert («come») und nicht zur Metapher verkürzt, was die seinsmäßige Distanz zwischen dem Er des Gedichts und seiner Charakterisierung als Seebär unterstreicht. «Er» ist (in der ‘Wirklichkeit’ des Gedichts) kein Matrose, er verhält sich nur ‘wie’ ein Seebär. Die über das bloße Aufbrechen hinausgehenden Analogien muss der Leser selbst herstellen, und es ist wichtig, dass er das auch tut, denn nur so kann er etwas sinnlich konkret nacherleben: Ein Seebär ist in der Klischeevorstellung des Lesers immer eher alt als jung, er ist erfahren, furchtlos, zupackend, voller spannender Geschichten etc. Viele durchaus mögliche Assoziationen allerdings werden, weil sie in diesem Zusammenhang irrelevant oder unpassend scheinen, erst gar nicht aufgerufen, d.h. es werden nur die Eigenschaften des Seemanns aktualisiert und zum Vergleich herangezogen, die im vorliegenden Zusammenhang zum Protagonisten ‘passen’. Das biographische Substrat, das nur ganz entfernt in der künstlerischen Formung durchscheint, schnurrt letztlich auf die im Untertitel erwähnte Ortsangabe zusammen, das heißt, dass Ungaretti am 14. Februar 1917 in Versa in Friaul an der Front war und - aber vielleicht war es auch jemand anders - einen Entschluss zum Weitermachen gefasst hat. Das Bild des Gedichts muss vom Leser mit Hilfe der Imagination, d.h. der Ein-Bildungs- Kraft, vor seinem inneren Auge konstruiert werden. Diese geistige Tätigkeit 14 «Absolut» deswegen, weil der Tenor ‘Leben’ bzw. ‘Kriegserleben’ (wenn man mal von der Angabe des Ortes und des Datums im Untertitel absieht) gar nicht genannt wird und das Vehikel ‘Reise’ gleich noch durch einen abgeleiteten Bildspender (den Vergleich) Schiffbruch ergänzt wird. Italienisch_82.indb 28 20.01.20 15: 36 29 Hermann H. Wetzel «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? sorgt dafür, dass er sinnliche Wahrnehmungen und Emotionen aus seinem eigenen Vorrat, sei er nun selbst erlebt oder auch ‘nur’ angelesen, investiert. Bei den Begriffen ‘Schiffbruch’ und ‘Seebär’ etwa gehen sämtliche eigene Erfahrungen (im ‘Idealfall’ gar ein selbst erlebter Schiffbruch! ), alle mündlichen Berichte, Lektüren, Filme, Gemälde etc. in den Lektüreprozess mit ein. Nur wenn der Leser selbst den Text zum Sprechen bringt, kann ihn das Gedicht ‘bewegen’, ‘ergreifen’. Der Inhalt, die reine Sach-Information (ohne das Bild der Reise und ohne den Vergleich mit dem Matrosen! ) wäre zur Not, wenn auch wesentlich umständlicher und wortreicher, allerdings auch weniger eindrücklich ‘mit anderen Worten’ wiederzugeben, wie bereits oben anhand der Zitate aus Ungarettis Selbstkommentaren erwähnt wurde. Ungaretti legt nach dem Vorbild Mallarmés und im Gegensatz zu dem Wortreichtum eines D’Annunzio großen Wert auf die Verknappung und die ‘Form’. Diese Verknappung auf weniger als die Hälfte, nämlich von 16 auf 6 Zeilen, die sich anhand der verschiedenen auf einander folgenden Fassungen schön beobachtet lässt, diese äußerste Konzentration auf das Wesentliche, hat bei der zeitgenössischen Kritik zu dem Vorwurf der «Hermetik» (Flora) geführt. Die Gedichte galten als rätselhaft, unverständlich, wobei in den Zwanziger-, Dreißigerjahren ein nationalistischer Unterton mitschwingt, denn, so behauptet Flora, schuld daran sei der Einfluss der französischen Symbolisten, allen voran Mallarmés. Die lyrik-spezifische Ebene des Gedichts Auf der Ebene der Laute gehört zu den auffälligsten Äußerlichkeiten eines Gedichts (die jedoch, wie sich gleich zeigen wird, gar keine bloßen Äußerlichkeiten sind! ) traditionell der Reim, der im vorliegenden Text besonders hervorsticht, da das Gedicht eigentlich reimlos ist. Zwei Versenden (bei nur sechs Zeilen ist das ein hoher Prozentsatz! ) reimen, nämlich «viaggio» auf «naufragio». Bei einem ‘guten’ Dichter reimen nicht irgendwelche Wörter miteinander (schon gar nicht, wenn es sich um den einzigen Reim im ganzen Gedicht handelt! ), denn jede lautliche Äquivalenz 15 suggeriert eine semantische. ‘Leben’ reimt sich nicht nur lautlich auf ‘Streben’, sondern der Reim suggeriert ein notwendiges Zusammengehören der Bedeutungen. «Viaggio» und «naufragio» signalisieren durch ihre Stellung im Reim, dass Reise/ Leben und Scheitern nach Ungarettis Meinung notwendig zusammen gehören. «Viaggio» : «naufragio» ist im Gedicht kein Binnen-, sondern ein Endreim. Endreime gibt es nur in der Versform. Das Weiß am Ende der Zeile sorgt so 15 Äquivalenzprinzip nach R. Jakobson. Italienisch_82.indb 29 20.01.20 15: 36 30 «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Hermann H. Wetzel für die Rhythmisierung des Textes; beim lauten Vortrag, doch auch selbst wenn man das Gedicht nur still liest. Die Segmentierung in Verse führt dazu, dass durch die Pause am Ende der Zeile das letzte Wort über den üblichen Wortakzent im Italienischen hinaus besonders (oft eben auch noch mit Hilfe eines Reims) hervorgehoben wird. Daraus folgt: Je kürzer die Zeilen sind, je weniger Silben ein Vers hat, desto mehr durch das Zeilenende hervorgehobene Wörter gibt es. Im vorliegenden Fall führt das dazu, dass fast jedes Wort des Gedichts expressiv betont wird. (Der Unterschied wird deutlich, wenn man das Gedicht zuerst als Prosa und dann in Versform liest.) Der Schwung und die Spontaneität des Aufbruchs wird rhythmisch durch den aus der Musik in seiner Funktion bekannten Auftakt «E subito» sinnlich erfahrbar gemacht und nicht nur mit abstrakten Wörtern genannt. Der erste Vers fällt nicht mit der Tür ins Haus, sondern nimmt erst einmal einen Anlauf, der überraschend genug ist, da völlig unklar bleibt, woran sich denn das «und» anschließen soll. Die deutschen Übersetzer schwanken bei der Übersetzung von «subito» zwischen «gleich», «sofort» und «plötzlich» (Bachmann), wobei das Letztere nicht so richtig passen will, da es sich ja nicht um eine plötzliche und nicht zu erwartende Entscheidung in einem Einzelfall handelt, sondern um eine grundsätzliche Haltung des erfahrenen Seemanns Schiffbrüchen (Plural! ) gegenüber. Ungaretti setzt sich unablässig mit der ‘Form’ auseinander. Er hat seine Gedichte ständig überarbeitet, so dass oft viele verschiedene Fassungen vorliegen. Eine Situation, eine Erfahrung wird nicht eigentlich beschrieben, sondern evoziert. Das einzelne Ereignis wird aus der Vereinzelung und Einmaligkeit ins Allgemeine und in die Zeitüberlegenheit erhoben und regt so das Bild- und Gefühlsreservoir der Erinnerung des Lesers an. Daher auch die bei dem frühen Ungaretti besonders ausgeprägte Kürze, die viel Raum lässt für die Kopf-Arbeit des Lesers: «alcuni vocaboli deposti nel silenzio come un lampo nella notte, un gruppo fulmineo d’immagini, mi bastavano a evocare il paesaggio sorgente d’improvviso ad incontrarne tanti altri nella memoria.» (Ungaretti 1993, S. 517; einzelne Wörter in die Stille gesetzt wie ein Blitz in der Nacht, eine Gruppe aufblitzender Bilder genügten mir, eine unvorhergesehen auftauchende Landschaft aufzurufen und vielen anderen in der Erinnerung wieder zu begegnen). «Evozieren» statt beschreiben heißt, mit Hilfe von Worten und Wortfügungen im Vers die Imagination des Lesers anregen. Der Dichter gibt lediglich den Anstoß dazu - die sinnliche Qualität der Bilder ergibt sich letztlich aus der Einbildungs-Kraft des Lesers. Diese Bilder im Kopf des Lesers sind zwar nicht die Realität, aber sie sind der einmal erfahrenen bzw. wenigstens erfahrbaren Realität doch um vieles näher als die abstrakten und konventionellen schwarzen Strich-Zeichen der Buchstaben auf dem Papier. Damit berühren wir den Kern lyrischen Sprechens, der darin Italienisch_82.indb 30 20.01.20 15: 36 31 Hermann H. Wetzel «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? besteht, die Kluft zwischen der abstrakten Schrift bzw. der etwas weniger abstrakten, weil lebendig ausgesprochenen Sprache und dem vom Dichter Genannten, soweit es geht zu verringern. «C’è volontà d’espressione, necessità d’espressione, c’è esaltazione, nel Porto Sepolto, quell’esaltazione quasi selvaggia dello slancio vitale, dell’appetito di vivere, che è moltiplicato dalla prossimità e dalla quotidiana frequentazione della morte.» (Ungaretti 1993, S. 521; «Im Versunkenen Hafen herrscht der Ausdruckswille, die Notwendigkeit des Ausdrucks, die Begeisterung, jene fast wilde Begeisterung des Drangs zum Leben, des Lebenshungers, der vervielfacht wird durch die Nähe und die tägliche Begegnung mit dem Tod.») Dieser Ausdruckswille oder wie Ungaretti im eingangs zitierten Text sagte, die Liebe, die allein den Augenblick seiner Flüchtigkeit entreißen und den Jubel auslösen kann, ist offensichtlich an die Fähigkeit des Dichters gebunden, diesen Augenblick in Worte zu fassen, und zwar nicht in dürre, abstrakte Begriffe, sondern in Bilder und Laute, die den Leser sinnlich affizieren. Neben der Ebene des Rhythmus, die vor allem der Versifikation geschuldet ist, tritt wie schon erwähnt noch die Ebene der Laute. Beiden (Laut und Rhythmus) gemeinsam ist die Tatsache, dass sie zum Teil unabhängig von der Bedeutung der Wörter, unabhängig vom Denken in Begriffen, aber oft im Verein mit ihm, sozusagen als Unterstützung (Kookkurrenz), wie Musik auf die Sinne des Lesers emotional wirken. Beim Reim «viaggio» : «naufragio» jedoch hat die lautliche Ebene keine eigene oder kookkurrente Bedeutung (die weiche palatale Affrikate wirkt eher schmeichelnd), die lautliche Äquivalenz suggeriert lediglich eine semantische Ähnlichkeit und dient einer Verklammerung der Begriffe, die dadurch aufeinander abfärben. Lautmalereien wählen nun die Wörter und Wortformen danach aus und kombinieren sie dergestalt, dass ihre Lautform ihre Bedeutung unterstützt, d.h. wie Musik ohne begriffliche Fassung sinnlich, im eigentlichen Wortsinn ‘ästhetisch’ kommuniziert. Auch auf diesem Gebiet ist Ungaretti ein Meister seines Fachs. Im folgenden Gedicht untermalen brutal harte Konsonanten in ihrer penetrant insistierenden Wiederholung die Brutalität der geschilderten Szenerie, noch verstärkt durch einen abgehackten Rhythmus, der drei Mal die Partizipien des Perfekts als eigene Zeilen isoliert. Italienisch_82.indb 31 20.01.20 15: 36 32 «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Hermann H. Wetzel Veglia Wachen Cima quattro il 23 dicembre 1915 Cima quattro, den 23. Dezember 1915 Un’intera nottata Eine ganze Nacht buttato vicino hingeworfen neben a un compagno einen gemetzelten massacrato Kameraden con la sua bocca mit seinem Mund digrignata Zähne gefletscht volta al plenilunio dem Vollmond zugewandt con la congestione mit dem Blutandrang delle sue mani in seinen Händen penetrata eingedrungen nel mio silenzio in mein Schweigen ho scritto habe ich geschrieben lettere piene d’amore liebevolle Briefe Non sono mai stato Nie habe ich tanto so sehr attaccato alla vita am Leben gehangen Schon in der ersten Zeile («Un’intera nottata») wird mit dem vierfachen / t/ , davon ein / tt/ , der dominante harte, stimmlose Ton vorgegeben. Die italienische Wortbildung erlaubt bei der Bildung des Perfekt Passiv auf / to/ oder / ta/ eine Häufung solcher Laute. Deswegen wählt Ungaretti auch neben den Partizipien in prädikativer Funktion bei den finiten Verbformen nur zusammengesetzte Vergangenheitsformen: «ho scritto» und «Non sono mai stato tanto attaccato», so dass im gesamten Gedicht auf 16 Zeilen acht Partizipien des Perfekt Passiv kommen. Sie haben nicht nur den erwähnten auffallenden lautlichen Charakter, sie unterstreichen auch durch das Passiv die Passivität nicht nur des toten Kameraden, sondern auch diejenige des Protagonisten, die im Italienischen mit den zwei Partizipien «sono […] stato […] attaccato» noch deutlicher zum Ausdruck kommt als im Deutschen («habe […] gehangen»). Verstärkt wird die lautliche Gewalttätigkeit auch noch durch die häufigen stimmlosen Doppelkonsonanten im Inneren der Wörter in nottata, buttato, massacrato, bocca, scritto, lettere, attaccato, sowie durch die harten Konsonantenverbindungen / cr/ (in massacrato), / gr/ (in digrignata), / tr/ (in penetrata), / scr/ (in scritto). So hat die lautliche Ebene in diesem Gedicht einen ganz hervorstechenden Stellenwert, der teilweise über das ausdrücklich Gesagte hinausgeht und unterschwellig, musikalisch auf die Sinne des Wahrnehmenden wirkt. Denn Italienisch_82.indb 32 20.01.20 15: 36 3 3 Hermann H. Wetzel «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? selbst der dreizeilige Schluss, der Zuversicht und Lebenswillen ausstrahlt und insofern ein Indiz für die titelgebende «Allegria» darstellt, ist mit «scritto», «lettere», «attaccato alla vita» noch lautlich ‘infiziert’ von der Brutalität des Vorhergehenden. Diese Verschränkung der harten Laute mit dem inhaltlich positiven Ausblick ist besonders eindrucksvoll und in dieser sprachlichen Dichte nur in der Lyrik zu leisten: Der Grund für den geäußerten Lebenswillen, nämlich die Grausamkeit der Todeserfahrung im Krieg, ist lautlich eingegangen in die positive Botschaft. Es ist offensichtlich, dass eine solch raffinierte Verschränkung von bestimmten Wortbedeutungen mit widersprechender Wortlautung in einer fremden Sprache kaum widerzugeben ist und jeden Übersetzer scheitern lassen muss. Die obigen Ausführungen haben hoffentlich nicht nur ein paar logischdiskursive Argumente, sondern auch von Ungarettis Gedichten induzierte poetische Sinneseindrücke vermittelt, die es erlauben, eine Antwort auf die rhetorische Eingangsfrage zu finden. Doch selbst wenn man Ungarettis «Freude am Schiffbruch» (mit generalisierendem Singular! ) des Ersten Weltkriegs dank seiner Kunst nacherleben kann, sind wir Nachgeborenen dennoch glücklich, Freude am Leben auch ohne einen derartigen Anlass empfinden zu können. Abstract. Dapprima il titolo Allegria (di naufragi) sembra ‘strano’ per un poema di guerra. Ma Ungaretti trasforma l’esperienza biografica individuale in un testo che fa esteticamente sentire al lettore la reazione (inattesa) all’ esperienza di naufragi esistenziali (non soltanto alla Prima guerra mondiale) tramite la scelta delle immagini e la costruzione ritmica e sonora del suo poema. L’ analisi delle varianti e delle differenti traduzioni in tedesco offrono preziose indicazioni per afferrare la specificità delle scelte poetiche. Summary. At first, the title of Ungaretti’s poem Allegria (di naufragi) seems a ‘strange’ motto for a poem about war. But Ungaretti transforms the individual trauma into a text that enables the reader through its aesthetics, to unexpectedly partake in the experience of a life-threatening shipwreck (not only of the First World War). He does so through specifically chosen images and the precise rhythmic and phonetic construction of his poem. The analysis of the poem’s several versions and its translations into German offers valuable indications for the understanding of the author’s poetic decisions. Italienisch_82.indb 33 20.01.20 15: 36 3 4 «Freude» als Antwort auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs? Hermann H. Wetzel Bibliographie Apollinaire, Guillaume: Œuvres poétiques, Préface par André Billy. Texte établi et annoté par Marcel Adéma et Michel Décaudin, Bibl. de la Pléiade, Paris: Gallimard 1965. Hinterhäuser, Hans: Moderne italienische Lyrik, Göttingen: Vandenhoeck 1964. Mallarmé, Stéphane: Oeuvres complètes, éd. H. Mondor, Bibl. de la Pléiade, Paris: Gallimard 1945. Marinetti, Filippo Tommaso: 8 anime in una bomba [1919], in: Teoria e invenzione futurista, hrsg. von Luciano De Maria, Milano: Mondadori 1968, S. 791-918; 1° anima, S. 793-803. Ungaretti, Giuseppe: Vita d’un uomo, Tutte le poesie a cura di Leone Piccioni, I Meridiani, Milano: A. Mondadori 1969. Ungaretti, Giuseppe: Vita d’un uomo, Saggi e interventi (a cura di Mario Diacono e Luciano Rebay, I Meridiani, Milano: A. Mondadori 1974. Ungaretti, Giuseppe: Vita d’un uomo, Ein Menschenleben, Werke in 6 Bänden, Bd. 1: L’Allegria, Die Freude […] Gedichte 1914-1934. Italienisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Michael von Killisch-Horn unter Mitarbeit von Angelika Baader, München: P. Kirchheim 1993. Ungaretti, Giuseppe: Ich suche ein unschuldiges Land. Gesammelte Gedichte Italienisch/ Deutsch. Übertragung und Nachwort von Michael Marschall von Bieberstein, München: Piper 1988. Ungaretti, Giuseppe: Gedichte. Italienisch und deutsch. Übertragung und Nachwort von Ingeborg Bachmann, Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt: Suhrkamp 1961. Italienisch_82.indb 34 20.01.20 15: 36 35 K A R L P H I L I P P E L L E R B R O C K Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter* 0. «Fiorenza», den klingenden, alten Namen, der sich gegen die Bezeichnungen «Caesaria» und «piccola Roma» durchgesetzt habe, führt der Chronist Giovanni Villani Anfang des 14. Jahrhunderts auf eine Legende zurück: Nicht Julius Caesar, so ein Dekret des römischen Senats, sondern der Stifter des prächtigsten öffentlichen Gebäudes sollte den Namen der nach der Zerstörung von Fiesole neu entstandenen Siedlung bestimmen dürfen. Als im ehrgeizigen Wettstreit der Bürger alle Gebäude gleichzeitig fertig gestellt werden und kein Einzelner als Namensgeber in Frage kommt, verständigt man sich mit der Zeit auf die Bezeichnung «Fiorenza». 1 Der Name der Stadt, so Villani, wird weder von einem Einzelnen gefunden noch von oben herab verordnet, sondern er ergibt sich aus dem Einvernehmen («consenzienti») aller Bürger. In frappierender Ähnlichkeit zu dem, wie im 20. Jahrhundert der Begründer der modernen Linguistik, Ferdinand de Saussure, das sprachliche Zeichen als Ergebnis stillschweigender Übereinkunft bestimmt hat, 2 verstetigt und bewährt sich «Fiorenza» im Gebrauch einer allen gemeinsamen Sprache, dem volgare. Konsensfähig ist der neue Name deshalb, weil er, anders als «Caesaria», nicht autoritär auf einen bestimmten Sinn festgelegt ist, sondern verschiedene Gründungserzählungen integriert, in denen sich die in der Stadt lebenden Menschen wiederfinden können. Als Gegenentwurf zur Sprachverwirrung von Babel, mit der die Nuova Cronica angehoben hatte, erzählt Villani die Neugründung von Florenz als einen * Für Edoardo Costadura. 1 Nuova Cronica, II, 1. Zitiert nach Villani 2007, I, S. 61-62: «I detti signori, per avanzare l’uno l’edificio dell’altro, con molta sollecitudine si studiavano, ma in uno medesimo tempo per ciascuno fu compiuto; sicché nullo di loro ebbe aquistata la grazia di nominare la città a sua volontà, sì che per molti fu al cominciamento chiamata la piccola Roma. Altri l’appellavano Floria, perché Fiorino fu ivi morto, che fu il primo edificatore di quello luogo, e fu in opera d’arme e in cavalleria fiore, e in quello luogo e campi intorno ove fu la città edificata sempre nasceano fiori e gigli. Poi la maggiore parte degli abitanti furono consenzienti di chiamarla Floria, sì come fosse in fiori edificata, cioè con molte delizie. […] Ma poi per lungo uso del volgare fu nominata Fiorenza: ciò s’interpreta spada fiorita.» 2 de Saussure 2013, S. 170-175. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 021 Italienisch_82.indb 35 20.01.20 15: 36 36 Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Karl Philipp Ellerbrock sprachlichen Einigungsprozess. 3 «Fiorenza» wird zum Inbegriff der Vergesellschaftung im Medium der Sprache. Dieses Vertrauen in die Sprache als Fundament gesellschaftlicher Ordnung, als Garantin der pax urbana, sieht sich im Florenz des ausgehenden Mittelalters verschiedenen Gefährdungen ausgesetzt. Es sind dies vor allem der über Jahrzehnte anhaltende blutige Streit zwischen Papst- und Kaisertreuen, die verheerende Pestepidemie von 1348 sowie Anfeindungen von Innen in Gestalt der Korruption. Aus solchen Konstellationen der Gefährdung allerdings, so soll hier gezeigt werden, beziehen die Dichter des Trecento erst den Ansporn, mit ihren Werken einen neuen Raum der Verständigung über kollektive Belange zu eröffnen. Gegenüber den administrativen oder politisch-institutionellen Begründungsformen kommunaler Identität, wie im Sitzungssaal der Richter und Notare, die sich unter dem «Idealbild einer von Zünften regierten Stadt» versammeln, 4 gegenüber auch religiösen Identifikationsmustern, wie dem Schutzpatronat der Heiligen Reparata, die als erste Namensgeberin der Kathedrale ihre Obhut über Florenz walten lässt, 5 soll hier die besondere Funktion aufgezeigt werden, die dem in formaler Anstrengung hervorgebrachten und reflektierten ‘Wort der Dichter’ für das Gemeinwesen zukommt. Die Schlüsselrolle der Dichtung und das besondere Potential fiktionaler Texte für die Emergenz städtischer Öffentlichkeit gilt es anhand von drei Beispielen zu verfolgen: 1. Dantes Analyse der Ursachen für den Konflikt zwischen Ghibellinen und Guelfen; 2. Boccaccios Aufwertung des Erzählens in Zeiten der Pest; 3. Die entwaffnende Replik auf Feinde der Gerechtigkeit in anonymen Versen der Florentiner Wollweberzunft. Überlegungen zur Sprachkonzeption schließen den Aufsatz ab. 1. Im Paradiso, dem dritten Teil seiner im Exil verfassten Commedia, lässt Dante Alighieri (1265-1321) seinen Urahnen, den Kreuzritter Cacciaguida degli Elisei (ca. 1091-1148), nostalgisch auf das Florenz des 12. Jahrhunderts zurückblicken: 3 Nuova Cronica, I, 2. Vgl. auch die entsprechenden Miniaturen in dem Band Il Villani illustrato 2005. 4 Wartenberg 2015, S. 115. Das Gewölbefresko ist dort abgebildet als Tafel 7. 5 In der ausgemalten Initiale eines Messbuchs von 1493 ist Santa Reparata dargestellt, wie sie ein Modell der Florentiner civitas in Händen hält. Vgl. Tacconi 2005, S. 173-174. Die Initiale aus dem Codex Edili 109 der Biblioteca Medicea Laurenziana, fol. 310r, ist dort abgedruckt als Tafel 21. Italienisch_82.indb 36 20.01.20 15: 36 37 Karl Philipp Ellerbrock Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Fiorenza dentro da la cerchia antica, ond’ella toglie ancora e terza e nona, si stava in pace, sobria e pudica. (Par. XV, 97-99) 6 Eingefriedet innerhalb der mathildischen Stadtmauern, die zu Cacciaguidas Lebzeiten erweitert wurden, 7 liegt ein längst verblühtes Florenz, das Dante aus dem Blickwinkel der Ewigkeit als Idealzustand von Zivilisation erscheinen lässt. Dem Althergebrachten («antica» 97 ) entspricht qua Reim die Unverderbtheit der Sitten («pudica» 99 ). Die wohlgeordneten Verhältnisse innerhalb der Stadt klingen in den Glockenschlägen an («e terza e nona» 98 ), die Gebets- und Arbeitszeiten regeln und dem Geschehen im städtischen Raum eine Form verleihen. Cacciaguidas Florenz, im Paduaner Codex 67 als menschenleere Agglomeration von Gebäuden dargestellt, 8 ist ein harmonisches Ganzes, eine den Ereignissen vorgängige Abstraktion. Ähnlich wie in der homerischen Schildbeschreibung der Ilias dominiert hier das «Durativ- Zuständliche». 9 Das Imperfekt «si stava» 99 ist ein klassisches Hintergrund- Tempus. 10 Es erzeugt, erzähltechnisch gesprochen, eine Spannung: Welches neu einsetzende Ereignis trennt die in Frieden liegende Stadt von ihrem Untergang? Während die zeitgenössische Geschichtsschreibung den Konflikt zwischen Ghibellinen und Guelfen auf die Eskalation eines Festbanketts in Campi, einem kleinen Ort vor Florenz, und auf die nachfolgende Ermordung des Grafen Buondelmonte auf dem Ponte Vecchio am Ostermontag 1216 zurückführt, 11 ist es in Dantes Analyse ein einziger fataler Satz, der die selbstgenügsame Einheit von Cacciaguidas Florenz zerstört. Es sind die Worte «Capo ha cosa fatta»/ «Erledigt ist erledigt», 12 die ein gewisser Mosca de’ Lamberti bei Beratungen in der Kirche Santa Maria Sopra Porta 13 6 Wir geben nur den Anfang der berühmten Rede Cacciaguidas wieder. Der Text wird hier und im Folgenden zitiert nach Dante Alighieri 1994. Für Spezialliteratur zu den hier besprochenen Textstellen vgl. die Bibliografia Dantesca Internazionale, online verfügbar unter dantesca.ntc.it. 7 Vgl. den «Grundriss von Florenz», den Philalethes seiner Commedia-Übersetzung beigegeben hat. Er ist abgedruckt in: Costadura/ Ellerbrock 2015, Kat. 59. 8 Padua, Biblioteca del Seminario, Codex 67, fol. 255v. Abgedruckt in: Brieger/ Meiss/ Singleton 1969, II, S. 470. 9 Primavesi 2002, S. 199. 10 Zur Reliefgebung vgl. Weinrich 2001 [ 1 1964], S. 115-134. 11 Für eine Analyse des Banketts, wie es in der Cronica fiorentina geschildert wird, vgl. Najemy 2008, S. 11-20. 12 Zur Semantik von «Capo ha cosa fatta» vgl. den Tesoro della Lingua Italiana delle Origini, s.v. «cosa»: «‘una cosa fatta non può essere disfatta’, cioè riesce al suo capo, al suo effetto». 13 Vgl. Giannarelli 2002, S. 63. Italienisch_82.indb 37 20.01.20 15: 36 3 8 Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Karl Philipp Ellerbrock gesprochen haben soll, um die Ermordung Buondelmontes anzuregen. Für diesen einen, in Florenz bis heute als Sprichwort geläufigen Satz 14 kommt Mosca in die Hölle, wenigstens in Dantes Hölle. Tief unten im achten Kreis ruft die Figur dem Pilger entgegen: […] «Ricordera’ ti anche del Mosca, che disse, lasso! , ‘Capo ha cosa fatta’, che fu mal seme per la gente tosca». (Inf. XXVIII, 106-108) Natürlich wurde der Parteienstreit zwischen Guelfen und Ghibellinen in erster Linie durch Akte der rohen Gewalt zementiert, 15 aber Dantes Analyse geht tiefer. In der Gegenüberstellung von fare und dire weist er darauf hin, dass Florenz nicht zuletzt an dem zugrunde gegangen ist, was jemand gesagt hat («che disse, lasso! » 107 ). Bereits Chiaro Davanzati, ein Dichter des Duecento, hatte in einer Kanzone gefragt, wer zuerst das Wort «Partei» oder «Teilung» ausgesprochen habe: Chi ’m prima disse partte fra li tuo’ filgli, tormentato sia 41-42 . 16 Darauf liefert Dante die Antwort. Die Versehrung von Moscas Körper im Höllenraum straft weniger seine tätliche Beteiligung am Mordanschlag als die Gewalt, die er dem Gemeinwesen, dem corpo civile, durch seinen Ausspruch angetan hat. Empfindlicher noch als die Gewalttätigen werden bei Dante die Säer von Zwietracht bestraft, weil sie ihre Rede dazu einsetzen, um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden. Wie kann aber ein bloßer Satz wie «Capo ha cosa fatta» ein gewachsenes Gemeinwesen zu Fall bringen? Dante legt Mosca eine schon antik verbürgte Sentenz, Factum infectum fieri non potest, 17 in den Mund, die eigentlich, so in den römischen Rechtsmaximen, verhindern soll, dass mehrfach über ein und denselben Vorfall prozessiert wird. 18 Von Mosca wird der juristische Lehrsatz ganz im Gegenteil dazu gebraucht, um eine neue Gewalt- 14 Vgl. Raddi 2006, S. 74. 15 Indem er den Mord an Buondelmonte mit einem Opfer vergleicht, das Mars dargebracht wird, perspektiviert der Kreuzritter Cacciaguida den Wendepunkt in der Florentiner Geschichte als einen Rückfall in pagan-unerleuchtete Vorstellungen von Hingabe. Vgl. Par. XVI, 145-147: «Ma conveniesi, a quella pietra scema/ che guarda ’l ponte, che Fiorenza fesse/ vittima ne la sua pace postrema». Im Zuge der Christianisierung von Florenz hatte Johannes der Täufer den römischen Kriegsgott als Schutzpatron abgelöst (Inf. XIII, 143-144), von dem sich allerdings eine Statue auf dem Ponte Vecchio erhalten hatte. Vgl. Gebhardt 2007, S. 205-210. 16 Davanzati 2004. 17 Leone 2005. 18 Steiner 2009, S. 209. Italienisch_82.indb 38 20.01.20 15: 36 39 Karl Philipp Ellerbrock Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter tat anzustoßen. Die Pervertierung der Maxime Factum infectum fieri non potest tritt darin hervor, dass Mosca nicht etwa ein schon Geschehenes (den Streit von Campi) ad acta legt, sondern eine erst noch auszuführende Handlung (den Mord an Buondelmonte) rhetorisch als eine «cosa fatta», eine so gut wie erledigte Sache vorstellt. Der juristische locus communis wird von ihm in einen trügerischen common sense umgewendet. Zur Perfidie von Moscas Rhetorik gehört, dass er nicht explizit dazu auffordert, Buondelmonte zu ermorden, sondern dass seine Zuhörer in Santa Maria Sopra Porta das destruktiv Gemeinte selbst zusammensetzen müssen. Moscas Satz birgt einen «mal seme» für das Gemeinwesen, die Möglichkeit einer unkontrollierten Ausbreitung des Bösen in einer kaum merklich umgemünzten, in ihr Gegenteil verkehrten Redensart. In dem gefährlichen Scheinkonsens von «Capo ha cosa fatta» steckt das schwerwiegende Missverständnis, die Abkehr vom ausgleichenden Wort könne je einen kollektiven Konflikt innerhalb der Kommune beheben. Mosca wird im Inferno dafür bestraft, dass er gerade eine besonders geschlossene sprachliche Form, die prägnante Sentenzhaftigkeit von «Capo ha cosa fatta» dazu nutzt, um die Gewalt als ein Form stiftendes Prinzip auszugeben, mittels dessen die verloren gegangene Einheit zurück zu gewinnen sei. Indem Dante die Geburt von Florenz als gespaltener Stadt auf einen Niedergang kommunaler Redekunst 19 zurückführt, trifft er eine grundsätzliche Aussage über das Verhältnis von Sprache und Gesellschaft. Als einprägsam-anschauliches Gedächtnisbild 20 führt die Figur Moscas die Mechanismen des demagogisch vereinnahmten Wortes vor Augen, das sich auf den Erkenntnis- und Vermittlungsanspruch von Sprache beruft, tatsächlich aber den Schritt zum fare intendiert und die Zerstörung des Gemeinwesens bewirkt. Wie steht es um Dantes eigenen Beitrag zur Befriedung seiner Heimatstadt, die ihn 1302, als späte Folge der Zungensünde von Santa Maria Sopra Porta, verbannt und für den Fall seiner Rückkehr mit der Todesstrafe belegt hatte? Die Begegnung mit Mosca im Inferno jedenfalls endet denkbar unversöhnlich, ja die Replik des Pilgers vergrößert noch sein Leiden: E io li aggiunsi: «E morte di tua schiatta»; per ch’elli, accumulando duol con duolo, sen gio come persona trista e matta. (Inf. XXVIII, 109-111) 19 Vgl. zu ihrer Bedeutung Artifoni 2011. 20 Weinrich 1994, S. 26. Italienisch_82.indb 39 20.01.20 15: 36 4 0 Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Karl Philipp Ellerbrock Mag die der Seele gleich einer zusätzlichen Verletzung beigebrachte Antwort des Pilgers auch im Kontext der achten bolgia ihren Platz haben, wo sie nun tatsächlich das letzte Wort in der Sache Mosca spricht, so könnte Dantes eigene Auffassung von Sprache kaum gegensätzlicher zu dem Geist sein, der aus den Worten «E morte di tua schiatta» spricht. Sätze wie diesen oder die Schmähreden auf Florenz - wie die ironische Umwendung einer stolzen Inschrift des Bargello in ein Bild der Imposanz von Florenz als Höllenstadt 21 - vorschnell mit der Aussage der Commedia gleichzusetzen, hieße den Text zu fragmentieren, anstatt ihn in seiner integrativen Gesamtanstrengung zu würdigen. Mit den drei Jenseitsreichen hält Dante der von Mosca symbolisierten «città partita» 22 eine neue Ganzheit entgegen. Indem er die Folgen von Moscas Satz plastisch ausmalt, tritt Dante gewissermaßen zwischen die Parteien und eröffnet seinen Lesern die Möglichkeit zu jener kritischen Distanznahme in der Sprache, die Moscas ersten Zuhörern in Santa Maria Sopra Porta nicht beschieden war. Deshalb verstehe ich auch Dantes berühmte Prophetie, er werde dereinst über dem Taufstein des Baptisteriums den Lorbeerkranz empfangen, 23 nicht, wie mitunter zu lesen, als selbstgerechten Triumph oder als Gestus der Genugtuung, sondern als Ausdruck von Verbindlichkeit, als Versprechen, im Medium der Dichtung an den Ort spiritueller Erneuerung und ziviler Zugehörigkeit par excellence, 24 in die Mitte der Florentiner Bürgerschaft zurückzukehren. 2. Auch für den zweiten großen Dichter des Trecento, den Kaufmannssohn Giovanni Boccaccio (1313-1375), bleibt Florenz der zentrale Bezugspunkt von Dichtung. In den 100 Erzählungen seines Decameron, das programmatisch mit dem Wort «umana» anhebt, erscheint die Stadt nicht mehr aus der Perspektive des Jenseits, sondern aus der innerweltlichen Nah-Ferne des contado, der Hügel vor Florenz. Hierhin hat sich eine zehnköpfige brigata zurückgezogen, um abseits der in Florenz wütenden Pest zu leben und einander an zehn Tagen jeweils zehn Novellen zu erzählen. Unter diesseitigen 21 Inf. XXVI, 1-3 «Godi, Fiorenza, poi che se’ sì grande/ che per mare e per terra/ batti l’ali/ e per lo ’nferno tuo nome si spande! ». Nach Petersen 2011, S. 30 «verhöhnt [Dante] den territorialen Größenwahn seiner Heimatstadt». Die Zeile 18 der auf 1255 datierten Inschrift lautet: «que mare, que terram, que totum possidet orbem». Mac- Cracken 2001, S. 5-8. 22 So der Pilger im Dialog mit dem Gefräßigen Ciacco in Inf. VI, 61. 23 Par. XXV, 7-9: «con altra voce omai, con altro vello/ ritornerò poeta, e in sul fonte/ del mio battesmo prenderò ’l cappello». 24 Vgl. Keen 1997. Italienisch_82.indb 40 20.01.20 15: 36 41 Karl Philipp Ellerbrock Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Vorzeichen 25 bewahrheitet sich die gesellschaftliche Funktion von Literatur also erneut in einer Krisensituation. Vor schweren Hungersnöten, Überschwemmungen, Bankenkrisen und großflächigen Bränden, die die Stadt in der ersten Jahrhunderthälfte heimsuchen, erfasst Boccaccio die Pest von 1348 als größte Bedrohung des Florentiner Gemeinwesens in seiner Zeit. Ausschlaggebend ist dafür allerdings nicht allein die Dezimierung der Florentiner Bevölkerung, die innerhalb weniger Monate um die Hälfte auf etwa 50.000 zurückging. 26 Anknüpfend an Dante nimmt Boccaccio vielmehr die Gefährdung der sprachlichen Grundlagen des Zusammenlebens zum eigentlichen Ausgangspunkt seiner literarischen Schöpfung. Kein Einzelner hat in Boccaccios Florenz dem Gemeinwesen den Samen böser Rede eingepflanzt, sondern eine gefährliche Epidemie bedroht hier gesellschaftlichen Zusammenhalt. Über die Verbreitungswege der Pest heißt es in der berühmten, an literarischen Vorbildern der Antike geschulten 27 Eröffnung des Decameron: «il parlare e l’usare cogli infermi dava a’ sani infermità o cagione di comune morte» (Dec., I, Intro, 15) 28 Man kann mit Gewinn den römischen Geschichtsschreiber Titus Livius heranziehen, der in seiner Pestschilderung festhält, wie der bloße Kontakt mit den Kranken («contagio ipsa») zur Ausbreitung der Epidemie beiträgt. 29 Mit parlare und usare hebt Boccaccio Gespräch und Umgangsformen hervor. Man kann diese Aussage nicht nur so verstehen, wie die einschlägige Übersetzung nahelegt, 30 dass sich die Krankheit in der physischen Nähe zu den 25 Barolini 1983, S. 521: «From its first clause, indeed from its first word, the Decameron signals its non-transcendence: ‘Umana cosa è aver compassione degli afflitti’, begins the author, locating us in a rigorously secular context and defining its parameters». 26 Pinto 2016, S. 59. 27 Grimm 1965. 28 Der Text wird hier und im Folgenden unter Angabe des jeweiligen Abschnitts zitiert nach Boccaccio 1985. 29 Titus Livius, Ab urbe condita, III, 6: «Ea conluvio mixtorum omnis generis animantium et odore insolito urbanos et agrestem confertum in arta tecta aestu ac vigiliis angebat, ministeriaque in vicem ac contagio ipsa volgabant morbos.»/ «Dieses Gemenge von Lebewesen aller Art nebeneinander setzte durch den gewohnten Gestank den Städtern zu und dem Mann vom Land, der in engen Behausungen zusammengepfercht war, durch Hitze und Schlaflosigkeit und die gegenseitigen Dienstleistungen und auch der bloße Kontakt verbreiteten die Krankheit». Zitiert nach Titus Livius 1987, S. 326-327. 30 Der deutsche Text wird zitiert nach Boccaccio 2012: «das Gespräch und der Umgang mit den Kranken übertrugen die Krankheit und den gemeinsamen Grund zu sterben auf die Gesunden». Italienisch_82.indb 41 20.01.20 15: 36 42 Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Karl Philipp Ellerbrock Kranken überträgt, sondern in ihr eine erhellende Reflexion über gesellschaftliche Ausschlussprozesse erkennen. Die Gesunden («[i] sani») schrecken vor dem Umgang mit den Kranken («[gli] infermi») zurück, weil sie befürchten, schon das an sie gerichtete oder von ihnen empfangene Wort («il parlare»), der soziale Umgang («l’usare») mit ihnen, könne sie selbst krank und im Tod mit ihnen gemein machen («comune morte»). Die Verbform «dava» wird hier nicht nur im Sinn von ‘anstecken’ oder ‘übertragen’ sondern auch im Sinn von ‘eine Vorstellung vermitteln’, im Sinne von dare paura, gebraucht. Es steht hier also eine Übertragung zur Debatte, die metonymischer Natur ist: Eindrucksvoll zeigt Boccaccio, wie die Angst vor dem Tod - in Florenz wie an anderen Orten - dazu neigt, in eine Angst vor den Kranken umzuschlagen. Mit parlare und usare werden den Florentiner Bürgern die gesellschaftlichen Bindungskräfte von Sprache suspekt. Die Florentiner ziehen sich in der Folge in ihre Häuser zurück, wo sie sich in sprachloser Isolation einschließen, «racchiudendosi […] senza lasciarsi parlare o volere […] alcuna novella sentire». 31 Boccaccio stellt das Sterben des Einzelnen wie des Gemeinwesens als einen schleichenden Prozess des Verstummens dar, der sich im Versagen städtischer Institutionen, in der Missachtung von Gesetzen 32 und im Ausbleiben von Gottesdiensten 33 zeigt. Der Erzähler beschreibt die Vergeblichkeit ärztlicher Ratschläge, 34 die stumme Hilflosigkeit der Wenigen, die den Sterbenden beistehen, 35 die wortlos vom Tod eines Nachbarn kündende Verwesung der Leichname. 36 «Wir vernehmen nichts anderes als ‘die Soundso sind tot’ oder ‘die liegen im Sterben’, und hören von allen Seiten Jammern und Weinen». 37 Selbst die in der Volkssprache symptomatisch auftretenden Wörter gavoccioli ‘Pestbeulen’ 38 und becchini ‘Totengräber’ 39 umschreiben behelfsmäßig nurmehr die Auflösung der Formen. Körperlich-gesellschaftlicher Zerfall und Niedergang der Sprache gehen Hand in Hand. Anders als der zeitgenössische Maler Ambrogio Lorenzetti nimmt Boccaccio die Allgegenwärtigkeit des Todes auch nicht zum Anlass, seiner Pestschilderung eine Allegorie der Erlösung einzuschreiben. 40 31 Dec., I, Intro, 20. 32 Id., 23. 33 Id., 35. 34 Id., 13. 35 Id., 28. 36 Id., 37. 37 Id., 58. 38 Id., 10. 39 Id., 35. 40 Zur «Allegoria della Redenzione» (ca. 1338) vgl. den Katalog Ambrogio Lorenzetti 2017, S. 290-297. Italienisch_82.indb 42 20.01.20 15: 36 4 3 Karl Philipp Ellerbrock Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Mit der Totenstille eines der gemeinsamen Sprache wie der Frohen Botschaft beraubten Florenz schafft Boccaccio erst den Hintergrund, von dem er die Erneuerung des Wortes im Zeichen der Dichtung absetzen kann: «un martedí mattina, non essendovi quasi alcuna altra persona, uditi li divini ufici […], si ritrovarono sette giovani donne tutte l’una all’altra o per amistà o per vicinanza o per parentado congiunte […]. Le quali, […] per caso in una delle parti della chiesa [di Santa Maria Novella, K.P.E.] adunatesi, quasi in cerchio a seder postesi, dopo più sospiri lasciato stare il dir de’ paternostri, seco della qualità del tempo molte e varie cose cominciarono a ragionare.» (Dec., I, Intro, 52) In der Dominikanerkirche Santa Maria Novella, einem Zentrum der scholastischen Theologie und Philosophie wie auch der volkssprachlichen Predigt, 41 ist mit dem Verklingen der Liturgie («li divini ufici») und der Gebete («il dir de’ paternostri») eine Stille eingetreten, die vom neu einsetzenden Gespräch, dem syntaktisch hinausgezögerten und herausgehobenen «ragionare» der brigata ausgefüllt werden kann. Es erklingt keine Pestpredigt, keine Oratio ad plebem de mortalitate, wie sie von Zyprian und Gregor dem Großen überliefert ist, sondern mit Pampineas Vorschlag, auf das Land zu ziehen, erfüllt stattdessen eine Idee von Literatur als Form der Geselligkeit den sakralen Raum: Bei der brigata novellante handelt es sich, wie Lucia Battaglia Ricci erläutert, um ein Thema höfischer Dichtung, das prominent der Maler Buonamico Buffalmacco in seinen Pisaner Triumph des Todes integriert hatte. Anders als auf diesem Fresko, wo die Todesallegorie die jungen Leute in der Idylle des Gartens unmittelbar bedroht, begeben sie sich im Decameron in einen Garten, um dem allgegenwärtigen Tod zu entrinnen. 42 Der Auszug der lieta brigata aus Santa Maria Novella in die schöne toskanische Landschaft verweist auf die Möglichkeiten der Dichtung angesichts der Vergänglichkeit irdischen Seins. Um die hervorragende Rolle besser zu erkennen, die Boccaccio innerhalb der Kommune für die Literatur reklamiert, muss man sich vor Augen führen, dass er mit der detailreich ausgemalten Meidung der Kranken, dem Ausbleiben von Krankenpflege und Begräbnisriten, nicht bloß einen von Thukydides 41 So große Resonanz fanden die Predigten der Dominikaner, dass 1244 der Platz auf der Ostseite der Kirche vergrößert werden musste, um dem Andrang standzuhalten. Vgl. Davidsohn 1908, IV, S. 466. 42 Battaglia Ricci 2000, S. 173. Das Fresko ist dort abgebildet als Tafel 1. Zum Fresko vgl. Wille 2002. Italienisch_82.indb 43 20.01.20 15: 36 4 4 Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Karl Philipp Ellerbrock über Lukan bis Lukrez verbürgten Topos der Pestschilderungen, die Verwirrung der Bräuche, variiert, 43 sondern gewissermaßen ins Herz des Florentiner Selbstverständnisses trifft: «l’un fratello l’altro abbandonava e il zio il nepote e la sorella il fratello e spesse volte la donna il suo marito; e, che maggior cosa è e quasi non credibile, li padri e le madri i figliuoli, quasi loro non fossero, di visitare e di servire schifavano.» (Dec., I, Intro, 27) Dass im Gegensatz zu dieser Beschreibung die Barmherzigkeit das städtische ‘Image’ von Florenz maßgeblich definierte, kann man beispielsweise an der «Aufnahme der aus Siena verstoßenen Armen» gut erkennen, wie sie im Specchio umano des Getreidehändlers Domenico Lenzi dargestellt ist. 44 Folgt man dem Historiker John Henderson, so bewirkte die Pest in Florenz gerade nicht den Verlust der Barmherzigkeit, sondern im Gegenteil eine Blüte mildtätiger Einrichtungen, von Krankenhäusern und Bruderschaften wie der Misericordia, der heutigen Loggia del Bigallo, 45 die sich aus Spenden und Nachlässen finanzierten. 46 Matteo Villani, der nach dem Pest-Tod seines Bruders Giovanni 1348 - gleichsam in einem Akt der pietas - dessen Schilderung der Stadtgeschichte fortsetzt, 47 hebt die große Solidarität der Bürger hervor, die während der Pest zwar Angst haben, sich aber bald eines Besseren besinnen («ciascuno si ravide»), um einander beizustehen. 48 Besonders in Zeiten der Prüfung stehen die Florentiner, so ihr Selbstbild, zusammen. Ganz im Gegensatz dazu schildert Boccaccio mit größter Eindringlichkeit, wie «ein Bruder den andern, der Onkel den Neffen, die Schwester den Bruder, die Ehefrau ihren Mann, Väter und Mütter ihre Kinder» während der Pest im Stich lassen. In der besonderen Syntax («la sorella il fratello», «la donna il marito» usw.) bezieht sich Boccaccio auf Ovid zurück, der aber auch nicht das Auseinanderfallen, sondern gerade die Festigung familiärer Bande während der Pest auf Aegina beschreibt: 43 So bereits bei Thukydides 1993, S. 257: «Wenn sie nämlich in der Angst einander mieden, so verdarben sie in der Einsamkeit» (II, 51). 44 Partsch 1981, Tafel V. 45 Zur «Madonna della Misericordia» (1342) vgl. Krüger 2007. 46 Henderson 2014. 47 Vgl. Enciclopedia Dantesca, a cura di Umberto Bosco, Rom 1984, s.v. «Villani, Matteo». 48 Villani 1995, I, 12: «E molti altri, i quali di dispuosono alla morte per servire i loro parenti e amici malati, camparono avendo male, e assai non l’ebbono continovando quello servigio; per la qual cosa ciascuno si ravide, e cominciarono sanza sospetto ad aiutare e servire l’uno l’altro; onde molti guarirono, ed erano più sicuri a servire li altri.» Italienisch_82.indb 44 20.01.20 15: 36 4 5 Karl Philipp Ellerbrock Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter […] quotiens pro coniuge coniunx, pro gnato genitor, dum verba precantia dicit, non exoratis animam finivit in aris, inque manu turis pars inconsumpta reperta est! (Met. VII, 589-592) 49 Die in der engen Beiordnung sowie durch Alliteration («pro gnato genitor») bzw. durch Figura etymologica («pro coniuge coniunx») hervorgehobenen Bande der pietas werden bei Ovid erst durch den Tod jäh auseinander gerissen. Boccaccio hingegen lässt die Bande christlicher Nächstenliebe, wie sie in den Evangelien als Werke der Barmherzigkeit niedergelegt und in den wohltätigen Einrichtungen von Florenz institutionalisiert sind, 50 bereits im Leben zerfallen, um nunmehr eine andere Form der Fürsorge, nämlich das Erzählen, an ihre Stelle treten zu lassen. Man kann sehen, wie die vom Chronisten für die Zeit der Pest bestätigte («servire l’uno l’altro»), von Boccaccio hingegen verneinte («l’un fratello l’altro abbandonava» 51 ) Gegenseitigkeit, von der jedes Gemeinwesen lebt, erst im spontan einsetzenden Gespräch der brigata erneut aufkeimt: «seco […] cominciarono a ragionare» 52 . Erst aus einer erneuerten Sprachauffassung heraus, die den karitativen Wert des Erzählens herausstellt, ist für Boccaccio eine Rückkehr in die Stadt als Schauplatz vieler Novellen möglich. Die Prosa selbst wird in ihren Möglichkeiten der Pathoserzeugung, ihrem Gemeinschaft stiftenden Potential vorgestellt. Anders als für den Zeitgenossen Francesco Petrarca (1304-1374), der die Pest in erster Linie als Katastrophe des seinen Bindungen entrissenen Ich begreift («Heu michi, quid patior? » 53 ), ist die Epidemie für Boccaccio eine denkbar kollektive Angelegenheit. Das Erzählen ist kein Selbstgespräch, keine Rede «Ad se ipsum» wie bei Petrarca, sondern es interessiert, wie der Miniator einer französischen Handschrift in der Gegenüberstellung von Garten und Stadt unterstreicht, 54 in seinem konstruktiven Beitrag zu einer Neubegründung der civitas nach der Pest. Der unter dem Eindruck der Epidemie 49 Ovid 1994, S. 370-371: «Wie oft starb ein Ehemann, während er für seine Frau, ein Vater, während er für seinen Sohn betete, an dem unerbittlichen Altar; und in der Hand fand man noch ein unverbranntes Weihrauchkorn! » 50 Vgl. auch Helas 2013. 51 Dec., I, Intro, 27. 52 Id., 52. 53 Francesco Petrarca, «Ad se ipsum»/ «An sich selbst» (Epist. Metr. I, 14), in: Petrarca 2004, S. 104-109. 54 Le Livre des Cent Nouvelles de Jehan Bocace de Certald, traduction de Laurent [de Premierfait], 15. Jahrhundert, Paris, Bibliothèque nationale de France, Manuscrit Français 129, fol. 1r, erreichbar über gallica.bnf.fr. Italienisch_82.indb 45 20.01.20 15: 36 4 6 Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Karl Philipp Ellerbrock gesteigerten Einsicht in die «comune morte», 55 in die Gemeinsamkeit aller Menschen im Tod, begegnet Boccaccio mit der «Vergesellschaftung des Vergnügens». 56 Nicht nur den Florentinern gibt das Decameron ihre Sprache zurück. Es spricht die Sprache aller Sterblichen, der Kranken wie der Gesunden. 3. Nach besonders namhaften Dichtern soll abschließend den vergleichsweise wenig bekannten, anonymen Versen die Aufmerksamkeit gelten, die auf einem Fresko im Palagio dell’Arte della Lana, dem ehemaligen Zunftsitz der Wollweber, zu lesen sind. Die Arte della Lana gehörte im 14. Jahrhundert, als in Florenz der Textilhandel blühte, zu den arti maggiori. Ihr hohes Prestige spiegelt sich in der Lage ihres repräsentativen Sitzes in unmittelbarer Nähe des Mercato Vecchio, gegenüber der als Kornspeicher und Ort der Marienverehrung genutzten Loggia des alten Klostergartens Orto San Michele, auf halber Strecke zwischen Dom und Signoria und umgeben von Geschäften und Warenlagern der Kaufmannsgilde in der Via Calimala. In der Sala Mazzoni, wo heute die italienische Dante-Gesellschaft tagt, hat sich auf der Nordwand ein Fresko von «Brutus als gutem Richter» erhalten, das nach einem Brand in den 1330er Jahren entstand. 57 Um die Gestalt des ersten Konsuls von Rom errichten vier Tugendallegorien eine Art «Schutzwall» 58 und verteidigen ihn gegen Anfeindungen. Ähnlich wie im Thema der «Gerupften Kommune», von dem Stadtrufer und Glockengießer Antonio Pucci auch in Form eines Sonetts gestaltet, 59 bedrohen hier Partikularinteressen das Fundament des Gemeinwesens. Es sind im Uhrzeigersinn Arrogante (der Anmaßende), Lusingatore (der Schmeichler), Corruttore (der Bestechende) und Uomo occulto (der Heimtückische). Sie werden von den vier Kardinaltugenden Fortezza (Tapferkeit), Prudenza (Klugheit), Giustizia (Gerechtigkeit) und Temperanza (Mäßigung) abgewehrt. 60 Die nur noch im oberen Teil des Freskos erhaltenen Schriftrollen enthalten die dem Richter vorgetragenen Forderungen der sich nähernden Laster sowie die Erwiderungen der Tugenden. Die volkssprachlichen Verse, die jeweils aus zwei Dreizeilern (Forderung und Erwiderung) bestehen, lassen sich auf der Grundlage von Handschriften wie dem Codex II.II.146 in der Biblioteca Nazionale 55 Dec., I, Intro, 15. 56 Harrison 2010, S. 128. 57 Das Fresko ist farbig abgedruckt in Wartenberg 2015, Tafel 12. 58 Ruck 1989, S. 118. 59 Pucci 1980. 60 Zur Deutung der Figuren vgl. Breschi 2011. Zum «uomo occulto», auch als «Ängstlicher» aufgefasst, vgl. ebd., S. 119. Italienisch_82.indb 46 20.01.20 15: 36 47 Karl Philipp Ellerbrock Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Centrale rekonstruieren, die zugleich von ihrer zeitgenössischen Verbreitung außerhalb des Zunftsitzes zeugen. Der Korrupte, im Fresko rechts oben mit einem prall gefüllten Geldbeutel zu sehen, formuliert folgendes Ansinnen: Io posso meritar ben chi mi serve, onde se giudicate quel ch’i’ cheggio non ne varrà alcuno di voi di peggio. (Va) 61 Die in den Versen ausgestellte rhetorische Strategie des Korrupten besteht darin, dass er insinuiert, wen immer reichlich entlohnen zu können, der sich in seine Dienste begebe. Kein einzelner Zunftrichter ist hier direkt angesprochen, sondern der Korrupte richtet sich im Plural («voi») an ein Kollektiv. Die Pronomina «chi» und «alcuno» bleiben hinsichtlich ihrer genauen Referenz unbestimmt. Sie werfen sozusagen eine Schlinge aus, in die der Versuchte leicht hineingeraten kann. Mit valere di peggio ‘schlecht dastehen’ bedient sich der Korrupte einer merkantilen Wendung, von der er annimmt, dass die zu Richtern ihrer Zunft gewählten Textilhändler sie bestens verstehen. Er stellt sich die juristische Urteilsfindung als ein kommerzielles Geschäft vor, das nicht durch das Abwägen von Recht und Unrecht zustande kommt, sondern von der finanziellen Potenz des Klägers oder des Angeklagten («Io posso») abhängig ist. Die Bestechlichkeit artikuliert sich außerdem in einer korrumpierten Vorstellung von Kausalität («onde»), die nicht auf juristischer Argumentation, sondern in fragwürdiger Ableitung auf Regeln des Geldes beruht. Diesem Versuch, das partikulare Interesse («quel ch’i’ cheggio») durchzusetzen und das Rechtswesen durch subtile manipulative Tricks zu vereinnahmen, tritt nun Iustitia selbst entgegen: Tu sse’ di morte vergognosa degno, ché qui giudicio per or non si vende, ma quello ch’è suo a ciascheun si rende. (Vb) Die Gerechtigkeit hat die rhetorische Strategie des Corruttore, durch Formen der Vagheit («chi mi serve», «alcun di voi») mit den Richtern ins Geschäft zu kommen, erkannt. Sie entlarvt ihn, indem sie ihn in der zweiten Person direkt anspricht («Tu sse’»). Die Gerechtigkeit interessiert nicht, was er kann («posso»), sondern was er ist («sse’»). Der fragwürdigen Argumentation des Corruttore («onde se giudicate») begegnet sie mit der stichhaltigen Begründung («ché»), dass vor Gericht nicht das Interesse des Einzelnen, 61 Der Text wird hier und im Folgenden zitiert nach der kommentierten kritischen Ausgabe von Breschi 2011, S. 128-130. Italienisch_82.indb 47 20.01.20 15: 36 4 8 Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Karl Philipp Ellerbrock sondern der abwägende Ausgleich verschiedener Interessen zur Debatte steht. Das Prinzip der Rechtsprechung, ohne Ansehen der Person zu verfahren, tritt plastisch in den unpersönlichen Formen («non si vende», «si rende») hervor. Das über die Korruption verhängte Urteil lautet auf Schmähung und Tod («morte vergognosa»), sie verdient den permanenten Ausschluss aus dem Gemeinwesen. Corruttore und Giustizia finden in ihrem Dialog keine gemeinsame Basis, eher stehen sie sich unvereinbar gegenüber. Obwohl im Versmaß des endecasillabo verfasst, sind die Dreizeiler nicht wie bei Dante über den fortgesetzten Reim miteinander verbunden, sondern über Paarreime («cheggio» : «peggio», «vende» : «rende») voneinander isoliert. Wie schon erwähnt, lassen sich die Verse im Gerichtssaal der Wollweber keinem einzelnen Dichter zuordnen. Dafür verdeutlichen sie aber geradezu archetypisch die Präsenz und den hohen Stellenwert der volkssprachlichen Dichtung im öffentlichen Raum. Dass sie in ihrer anschaulichen Analyse der sprachlich-rhetorischen Mechanismen von Recht und Unrecht auf die reiche Tradition volkssprachlicher Dichtung zurückgreifen, zeigt besonders gut der Dialog von Arrogante und Fortezza, im Bild unten links: Arrogante: I’ veggo ben com’io ricevo torto, ma se morte per caso non m’afretta questo non passerà sanza vendetta! (IIIa) Fortezza: Se tu sapessi come e’ s’à per nulla ogni furïa qui, ogni minaccia, sapresti che ’l dir tuo te solo impaccia. (IIIb) Die Rede des Arrogante, dessen Rache für die unterstellte ungerechte Behandlung nicht auf sich warten lassen will, nimmt im Reimwortpaar «afretta» : «vendetta» ein Stück des Dante zugeschriebenen Fiore auf, einer Sammlung von Sonetten, die den altfranzösischen Roman de la Rose zum Gegenstand haben. Das Reimwortpaar, in der frühen Dichtung eine gängige Form der Bezugnahme auf thematisch verwandte Texte, ruft das allegorische Gespräch Amors mit den Tugenden im Rosenroman auf, die versichern, die Liebe gegen die Anfeindungen durch Reichtum zu beschützen: S’uomini ricchi vi fanno damaggio, vo’ avete ben chi ne farà vendetta: non fate forza s’ella non s’afretta, ché no’ la pagherén ben de l’oltraggio. (LXXXVI, 1-4) 62 62 Der Text folgt der Ausgabe Il Fiore e il detto d’amore 2012, S. 137, Hervorhebungen K.P.E. Italienisch_82.indb 48 20.01.20 15: 36 4 9 Karl Philipp Ellerbrock Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Der Amor abverlangten Geduld im sicheren Sieg über den Reichtum («Non fate forza») steht im Gerichtssaal das ungeduldige Drängen des Arrogante gegenüber. Auch die Antwort der Tapferkeit, nach der die Anmaßung stets auf sich selbst zurückfallen werde («’l dir tuo te solo impaccia»), führt zu Dante zurück. In der Gegenüberstellung von «’l dir tuo» und «te solo» formuliert sie einen contrapasso, wie er im Buche, nämlich im Inferno steht, wo er als Prinzip der Vergeltung die Seelen straft. 63 Auch das Wort «impaccia» ist dantesker Prägung. Im 22. Höllengesang bezieht es sich auf die Teufel, die aus eigener Dummheit in einen See aus siedendem Pech gefallen sind, wo sie nunmehr gemeinsam mit den Betrügern, die sie eigentlich quälen und bestrafen sollen, in der Patsche stecken. 64 Im alten merkantilen Zentrum von Florenz, in unmittelbarer Nähe zum alten römischen Forum, am ehemaligen Kreuzungspunkt der Hauptstraßen Cardo und Decumanus, weisen die Verse in ihrem zitathaften Montagecharakter 65 darauf hin, dass der Palagio dell’Arte della Lana als Sitz einer der wichtigsten Florentiner Zünfte ein Umschlagplatz nicht nur für gewebte Stoffe, sondern auch für poetische Gewebe war. Mit «’l dir tuo» hebt der anonyme Dichter die Bedeutung des Wortes und dessen kritische Reflexion im Medium der Dichtung für den Kommerz der Menschen, die Abläufe innerhalb des städtischen Raums, hervor. Er begibt sich selbst in ein Gespräch mit zeitgenössischen Autoren, wie auch seine Verse in verschiedenen Handschriften zirkulierten und etwa in den sog. Chiose Selmi herangezogen wurden, um Dantes Begegnung mit Lucius Brutus im Limbus zu erklären. 66 Diese Form der Intertextualität verweist auf die kooperative Anstrengung der Dichter von «Fiorenza», im Dialog miteinander einen Raum literarischer Öffentlichkeit hervorzubringen. 4. Dem Wort der Dichter kommt für das Florentiner Gemeinwesen des Spätmittelalters eine tragende, ja eine es mit begründende Funktion zu. Wir leben nicht in Cacciaguidas Utopie einer Stadt, in deren klangliche Struktur das Wort als Träger von Differenz noch nicht eingedrungen war. Der sprachliche Umgang, parlare und usare der Menschen untereinander ist, wie in Ambro- 63 Der Begriff «contrapasso» (Inf. XXVIII, 142) wird von dem Troubadour Bertran de Born gebraucht, der in seinem Sirventes «Ar ve la coindeta sazos» die Schönheiten der Schlacht lobt und im selben Höllenkreis wie Mosca de’ Lamberti anzutreffen ist. Zu Bertran de Born vgl. Fajen 2008. 64 Inf. XXII, 151 («E noi lasciammo lor così ’mpacciati»). 65 Breschi 2011, S. 135 spricht von einem «centone». 66 Hierzu bereits Morpurgo 1933, S. 11-12. Italienisch_82.indb 49 20.01.20 15: 36 50 Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Karl Philipp Ellerbrock gio Lorenzettis berühmter Stadtdarstellung, 67 eine gesellschaftliche Tatsache. Die Dichter sind es, die dies erkennen und reflektieren. In seiner Novelle über den Eremiten Filippo Balducci, der seinen in Einsamkeit aufgezogenen Sohn erstmals vom Monte Senario nach Florenz führt, parallelisiert Boccaccio das Betreten der Stadt mit dem Eintritt in die Sprache: «Quivi il giovane veggendo i palagi, le case, le chiese e tutte l’altre cose delle quali tutta la città piena si vede […] si cominciò forte a maravigliare, e di molte domandava il padre che fossero e come si chiamassero.» (Dec., IV, Intro, 19) Nicht schon mit der bloßen Identifikation («che fossero»), sondern erst mit der Kenntnis ihrer durch Übereinkunft erlangten Bezeichnungen («come si chiamassero») lernt der Junge diejenigen Koordinaten kennen, die es ihm ermöglichen, sich in der Stadt zu orientieren. Hatte Dante dem Vorgang des inurbarsi erhaben-mystische Konnotationen verliehen, 68 hebt Boccaccio für den Eingang in die Stadt ein weltliches Interesse an den geltenden sprachlichen Regeln hervor. Beiden Dichtern gemeinsam ist das, was man ein «ziviles Engagement», verstanden als vorpolitische und kritische Reflexion über die Sprache als Basis des Zusammenlebens nennen könnte. Die Tatsache, dass sich diese Reflexion nicht, wie etwa in der zeitgenössischen Schrift über das Gemeinwohl De bono comune des Dominikanischen Theologen Remigio dei Girolami, 69 in der grammatica, d.h. auf Latein vollzieht, sondern einer romanischen Volkssprache zugetraut wird, weist zugleich auf einen paradigmatischen Wandel der zugrunde liegenden Auffassung von Sprache hin. Die hier behandelten dichterischen Texte erlauben es nämlich, mit Jacques Le Goff und Jean-Claude Schmitt gesprochen, die Herausbildung einer parola nuova zu verfolgen, einer neuen Auffassung vom Wort, das sich in 67 Zur «Allegorie der Guten Regierung» im Palazzo Pubblico von Siena vgl. Blume 2000. 68 Dante beschreibt das wortlose Erstaunen des Bergbewohners, der zum ersten Mal in die Stadt eintritt (Purg. XXVI, 67-69, vgl. auch Par. XXXI, 31-42). Die Glosse des frühen Dante-Kommentators Benvenuto da Imola ruft die Passage des Decameron in den Sinn: «licet enim possit intelligi de quolibet montano primo veniente ad urbem, tamen specialiter poeta intelligit de montano habitante in alpibus Florentiae, qui prima vice qua venit Florentiam videns excelsa palatia, homines civiles, mirabiles sirenes, non satiatur visu, et videns tot numquam visa obstupescit»/ «Es kann dies auf jedweden Gebirgsbewohner bezogen werden, der zum ersten Mal in die Stadt kommt, oder aber der Dichter meint insbesondere jenen Bergbewohner, der in den Bergen von Florenz lebt, der, wenn er erstmals nach Florenz kommt und die hoch aufragenden Gebäude, die kultivierten Menschen und die außerordentlichen Reize sieht, sich nicht satt sehen kann und dem es, wenn er das erste Mal so viel nie Gesehenes erblickt, die Sprache verschlägt». Der Kommentar ist zugänglich über das Dante Dartmouth Project, dantelab.dartmouth.edu/ reader. 69 Vgl. die Beiträge in den Kongressakten Il Bene Comune 2011. Italienisch_82.indb 50 20.01.20 15: 36 51 Karl Philipp Ellerbrock Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter den italienischen Kommunen und, wie wir gesehen haben, insbesondere in «Fiorenza» aus seiner metaphysischen Verankerung zu lösen beginnt, um zunehmend auf seine innerweltliche Nützlichkeit hin befragt zu werden. 70 Die Sprache gilt Dante als Geschenk Gottes. Sie ist aber auch, wie es in einer Passage des Convivio heißt, jenes Verbindende, in dem der Kern des Gesellschaftlichen begründet liegt: «E così lo volgare è più prossimo quanto è più unito, che uno e solo è prima ne la mente che alcuno altro, e che non solamente per sé è unito, ma per accidente, in quanto è congiunto 71 con le più prossime persone, sì come con li parenti e con li propri cittadini e con la propria gente.» (Conv., I, xii, 5) 72 Das Wort gente, das man mit ‘Volk’ oder ‘Leute’ übersetzen kann, transportiert hier übrigens keinesfalls die Vorstellung einer Überlegenheit der einen Gemeinschaft oder der einen Sprache. Dante verweist vielmehr auf die sprachlichen Grundlagen der Zivilisation, auf die nach dem akzidentellen Faktum der Geburt gleich an welchem Ort sich stellende Herausforderung, sich mit den Mitmenschen zu verständigen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Dieser immer neuen Aufgabe haben die Florentiner Dichter des 14. Jahrhunderts am Beginn des europäischen Humanismus einen bleibenden Dienst erwiesen. Ihre Werke auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung lesbar zu halten und der Gegenwart zu vermitteln, ist Aufgabe der Italianistik und der Romanischen Philologie. Abstract. Con l’esempio di Firenze, il saggio discute il ruolo che nel Due e Trecento si attribuiva alla lingua come fondamento della comunità. Per il cronista Giovanni Villani, il toponimo della città di Firenze è espressione della capacità dei suoi abitanti di trovare un consenso linguistico. Dante, nella sua analisi del conflitto fra ghibellini e guelfi, fa leva proprio su quel punto in cui la fiducia nella lingua come garanzia di pace è messa in dubbio. In questa luce, la Commedia figura da progetto di ristabilimento della fiducia nella funzione mediativa della parola in opposizione alla violenza. Nella sua introduzione al Decameron Boccaccio si rifà alla riflessione di Dante: egli descrive la peste come una crisi linguistica profonda, a cui contrappone il 70 Le Goff/ Schmitt 1979. 71 Das selbe Wort fällt auffälligerweise auch in der oben zitierten Szene der zufälligen - akzidentellen - Begegnung von sieben Florentinerinnen in der Kirche Santa Maria Novella (Dec., I, Intro, 52). 72 Dante Alighieri 1996, S. 60-61. Italienisch_82.indb 51 20.01.20 15: 36 52 Florenz. Das Gemeinwesen und das Wort der Dichter Karl Philipp Ellerbrock raccontare come forma costitutiva della collettività dei mortali. L’esempio di una scritta anonima nella sala tribunale dell’Arte della Lana a Firenze consente infine di evidenziare il sapere specifico della poesia, capace di smascherare un uso del linguaggio che minaccia di corrompere la comunità nelle sue basi fondamentali. La conclusione valuta le letture a riguardo della funzione civilizzatrice che in seno alle città viene attribuita al volgare nella poesia italiana delle origini. Summary. This paper discusses the fundamental role attributed to language in the 13th and 14th century, taking as an example the name of the city of Florence. For the chronicler Giovanni Villani, the name of Florence in itself expresses the capacity to find a linguistic consensus. Dante, in his analysis of the conflict between the groups of ghibellini and guelfi, refers to this problem, when he questions trust in language as a guarantor for peace. In this light, the Commedia appears as a project for the stabilisation of the trust in the mediative function of the word, in opposition to violence. Boccaccio in the introduction to his Decameron takes up this reflection of Dante: he describes the plague as a profound linguistic crisis, set against the narration as a constitutional form of the collectivity of mortals. By the example of an anonymous text in the Sala tribunale dell’Arte della Lana in Florence, finally, the particular knowledge about the poem becomes evident, able to reveal and expose such a use of language that threatens the fundamental basis of a community, just like the rhetoric of corruption does. The conclusion evaluates the three analyses with regard to the civilising functions that are attributed to the volgare in the first Italian poetry in the Cities. Bibliographie Ambrogio Lorenzetti, a cura di Alessandro Bagnoli, Roberto Bartalini, Max Seidel, Milano 2017. Artifoni, Enrico: «L’oratoria politica comunale e i ‘laici rudes et modice literati’», in: Christoph Dartmann/ Thomas Scharff/ Christoph Friedrich Weber (Hrsg.), Zwischen Pragmatik und Performanz. Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur, Turnhout 2011, S. 237-262. Barolini, Teodolinda: «The Wheel of the Decameron», in: Romance Philology 36, 1983, S. 521-539. Battaglia Ricci, Lucia: Ragionare nel giardino. 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Für den Zuhörer machen die bildlichen Ausdrucksweisen das Erzählte spannender, doch stellt sich die Frage, ob mehr hinter ihnen steckt als die Erzeugung von Spannung. Warum werden die genannten Emotionen und Charaktereigenschaften gerade so und nicht anders versprachlicht? Wurden die Bilder willkürlich gewählt oder gehen damit tatsächlich wahrnehmbare physische Korrelate einher? Stehen unsere Haare wirklich manchmal zu Berge? Reden wir tatsächlich von der Leber aus? Können wir die Größe unserer Augen verändern? Sind die Herzen der Menschen aus unterschiedlichen Substanzen? Ähnelt unsere Haut manchmal der einer Gans? Schon ein erster Blick lässt zumindest einen Teil der aufgeworfenen Fragen klar in zwei Gruppen einteilen: die der eindeutig zu verneinenden und die der eindeutig zu bejahenden. Unzweifelhaft hat die Leber nichts mit der Sprache zu tun und sind die Herzen der Menschen rein physiologisch gleich beschaffen. Unsere Haut hingegen verändert sich bei kalten Temperaturen oder Erschrecken tatsächlich. Doch inwiefern stehen unsere Haare bei Aufregung nach oben? Und wie gelingt es uns wohl, bei Interesse unsere Augen zu vergrößern? Bereits diese Überlegungen zeigen, dass manche Wendungen einer physiologischen Grundlage entbehren, die bei anderen vorhanden ist und sich intuitiv erschließen lässt und bei wieder anderen genauere Recherchen erfordert. Letztere werden in diesem Beitrag angestellt, der körperbasierte Wendungen des Italienischen auf ihre medizinische Erklärbarkeit hin prüft. Das linguistische Erkenntnisziel ist dabei die Rolle des menschlichen Körpers in der Sprache, und dies insbesondere im Hinblick auf die Frage, wie viel Kenntnis psychophysiologischer Art sprachlich tradiert wird. 2. Methodik Um das Ausmaß der diesbezüglich in der italienischen Sprache vorhandenen Informationen darstellen zu können, war zunächst ein Korpus allgemeiner körperbasierter Wendungen zu erstellen. Hierfür wurden die Nachschlage- DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 022 Italienisch_82.indb 55 20.01.20 15: 36 56 Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Ursula Reutner werke Zingarelli, GDLI, GRADIT, Pittàno (2009) und Duden in einem ersten Schritt auf Ausdrucksweisen durchgesehen, die mit dem menschlichen Körper in Zusammenhang stehen. Gesucht wurde zum einen nach Wendungen, die Bezeichnungen der Sinnesorgane und die mit ihnen verbundenen Reaktionsmöglichkeiten aus den Wortfeldern Haut (pelle mit arrossire und impallidire bzw. rosso, pallido), Augen und Ohren (occhio und orecchio mit vedere und sentire), Geruch (naso mit odore und puzzo) und Geschmack (bocca mit amaro und dolce) enthalten. Zum anderen wurden Wendungen mit Ausdrücken aus den Bereichen Herz-Kreislaufsystem, Leber und Niere (cuore mit sangue, pressione, stendersi, svenire; fegato mit bile; rene), Magen-Darm- und Harntrakt (stomaco, vescica mit digerire, cacare, pisciare), Transpirationssystem (sudore, sudare) sowie Atmung (respiro, respirare, fiato) ermittelt. In einem zweiten Schritt wurden hieraus diejenigen Ausdrücke ausgewählt, die mit Emotionen im weitesten Sinne verbunden sind. Die für das Erkenntnisinteresse relevanten Emotionen reichen von Angst, Ärger, Wut, Hass, Neid, Ekel und Trauer über Scham, Nervosität, Aufregung und Anspannung bis hin zu Entspannung, Überraschung, Verblüffung, Neugierde, Faszination, Freude und Glück. In einem dritten Schritt wurden die verbliebenen Ausdrücke daraufhin geprüft, ob die körperliche Reaktion tatsächlich sichtbar oder spürbar und zugleich physiologisch erklärbar ist. Damit lassen sich drei gleichermaßen relevante Bedingungen für die Aufnahme in das Analysekorpus festhalten: Beschreibung einer wahrnehmbaren körperlichen Reaktion, Ausdruck einer Emotion und nachweisbares Zusammenspiel zwischen der Emotion und der körperlichen Reaktion. Die zu ermittelnden und medizinisch zu erklärenden Ausdrücke sind damit definiert als Wendungen, die Emotionen ausgehend von ihren körperlichen Manifestationsformen versprachlichen. 3. Ausschlusskorpus und -gründe Bei einem Abgleich mit den aufgestellten Kriterien erweist sich die überwiegende Mehrheit der im ersten Schritt ermittelten körperbasierten Ausdrücke für das vorliegende Anliegen als irrelevant. Denn nur, wenn sich Emotionen deutlich in Form physischer Reaktionen zeigen, sind die Wendungen für unsere Fragestellung interessant. Um das Spektrum der unterschiedlichen Ausschlussgründe zu verdeutlichen, werden im Folgenden einige Beispiele der großen Anzahl körperbasierter Wendungen ohne psychophysiologische Relevanz genannt und Erklärungen für ihren Ausschluss aus dem Korpus angeführt. Die Gliederung der Beispiele ist an den betroffenen Organsystemen des Körpers orientiert. Italienisch_82.indb 56 20.01.20 15: 36 57 Ursula Reutner Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen 3.1 Haut Die Haut ist eine Art schützende Hülle, die den Menschen von der Außenwelt abgrenzt. Unter ihr befindet sich im metaphorischen Verständnis das, was den Menschen im Innersten ausmacht (dt. aus der Haut fahren, nicht aus seiner Haut können, nicht in jmds. Haut stecken mögen, jemandem unter die Haut gehen), was im Italienischen pelle gar zum Synonym von Leib und Leben macht (z.B. in amici per la pelle, ho cara la mia pelle, rischiare la pelle, salvare la pelle, vendere cara la pelle di qlcu., riportare la pelle a casa, imparare sulla propria pelle, non voler essere nella pelle di qlcu., giocare con la pelle di qlcu.). Die seelische Unempfindlichkeit einer Person, die ein ‘dickes Fell’ hat und somit viel ertragen kann, findet in avere la pelle dura ihren Ausdruck, was - anders als die zuvor genannten italienischen Ausdrücke - immerhin einen menschlichen Gemütszustand mithilfe körperbasierter Metaphorik beschreibt. Doch ist auch dieses Beispiel nicht Teil des Analysekorpus, schließlich handelt es sich eher um eine Charakterbeschreibung als um eine Emotion und vor allem um ein sprachliches Bild ohne tatsächliches physisches Korrelat, da sich die persönliche Empfindsamkeit eben nicht indirekt proportional zur menschlichen Hautstärke verhält. 3.2 Ohren Zu den auszuschließenden körperbasierten Wendungen zählt auch rizzare gli orecchi, denn ein tatsächliches Spitzen der Ohren erfolgt nur bei Tieren, die besonders wachsam sind, und wurde sprachlich lediglich von ihnen auf den Menschen übertragen, der seine Ohrmuschel in der Regel nicht bewusst zu steuern vermag. 3.3 Geruchssystem Der über die Nase aufgenommene Geruch erzeugt bestimmte Emotionen, die das Verhalten oft unbewusst, aber sinnvoll leiten können. Geruch kann positive oder negative Emotionen beim Gegenüber erzeugen, so dass der Gesamteindruck einer Person auch über den Geruch versprachlicht wird, wie es in der von Haus aus metaphorischen Wendung essere/ morire in odore di santità erfolgt. Aufgrund der Botschaften, die uns über Geruch vermittelt werden, erscheint zudem die Nase in vielen Wendungen als sensibles Organ des Erriechenwollens und damit des Erfahrenwollens sowie der Meinungs- und Entscheidungsfindung. Die entsprechenden Ausdrücke beziehen sich auf intuitive Handlungen (z.B. in a [lume di] naso; cf. dt. sich auf seine Nase verlassen), das Wittern von Angenehmem oder Unangenehmem (avere fiuto per qlco., fiutare qlco., sentire odore di quattrini, sentire odore/ puzzo di inganno; cf. dt. einen guten Riecher haben, ein Geschäft wittern, Betrug Italienisch_82.indb 57 20.01.20 15: 36 5 8 Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Ursula Reutner wittern) oder die Beschreibung von Sachverhalten (qui c’è odore di marcio; cf. dt. hier riecht es faul/ nach Gewitter) sowie speziell odore di morte ‘Todesahnung’. Da aber keine unmittelbaren körperlichen Reaktionen auftreten, sind auch die idiomatischen Wendungen, in denen der Geruchssinn zu einer Art sechstem Sinn wird, nicht psychophysiologisch relevant. 3.4 Geschmackssystem Ähnlich müssen auch beim Geschmackssinn diejenigen Beispiele herausgenommen werden, in denen der Geschmack zwar Emotionen auslöst, diese aber keine konkreten körperlichen Reaktionen hervorrufen. Infolge der Übertragung der oralen Sensibilität des konkreten Schmeckens auf die Ästhetik wird vieles auch zu einer reinen Geschmacksfrage, einer questione di gusti, über die nicht gestritten werden kann (sui gusti non si discute < lat. de gustibus non est disputandum), was dennoch nicht davon abhält, z.B. von gusti barbari zu sprechen, von einer Einrichtung di cattivo gusto, di (buon) gusto, senza alcun gusto oder einer Kleiderwahl con (buon) gusto, einer Person di (buon) gusto ‘chi sa apprezzare le cose belle’, oder ein generelles essere di gusto di qlcu. formulieren lässt, wobei absolut verwendetes gusto in der Regel positiv gewertet ist. Doch selbstverständlich handelt es sich bei all diesen Beispielen um metaphorische Verwendungsweisen ohne psychophysiologischen Bezug. 3.5 Herz-Kreislaufsystem Liebe und andere Gefühle, die im klassischen Wettstreit zwischen Ratio und Emotio häufig in Widerspruch zum Verstand stehen, symbolisiert von alters her das Herz, das daher in entsprechend vielen Ausdrücken metaphorische Verwendung findet. Eine gefühlskalte Person hat ein cuore duro/ di ferro/ di pietra/ di ghiaccio oder ist gar herzlos (senza cuore; «corpus sine pectore», Horaz, Epistulae 1,4,6), während eine mutige Person als cuore di leone, eine ängstliche als cuore di coniglio und eine gefühlvoll-empathische als buon cuore, cuore tenero oder cuore d’oro bezeichnet wird. Das Herz gilt als Sitz des inneren Antriebs (non avere il cuore di fare qlcu., aber auch avere qlco. a cuore, donare il cuore, stare a cuore, con tutto il cuore, di tutto cuore; contro cuore, a malincuore), der Ehrlichkeit (col cuore in mano, a cuore aperto, venire dal cuore, mettersi una mano sul cuore) und der innersten Gefühle (avere a cuore, prendersi a cuore qlco., toccare il cuore, portare in cuore, mi piange il cuore), was sich auch in zahlreichen Sprichwörtern niederschlägt (u.a. lontano dagli occhi, lontano dal cuore; occhio non vede, cuore non duole). Nun hat eine als Löwenherz beschriebene Person nicht wirklich das Herz eines Löwen, niemand hat tatsächlich Haare auf dem Italienisch_82.indb 58 20.01.20 15: 36 59 Ursula Reutner Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Herzen, ein Herz aus Eis oder läuft mit seinem Herzen in der Hand umher. Allein daher sind die genannten metaphorischen Ausdrücke, die zudem meist keine Emotionen bezeichnen, nicht Teil des Korpus, wohingegen Metaphern in denjenigen Fällen durchaus von Relevanz sein können, in denen sie eine tatsächlich wahrgenommene Emotion aufgreifen. In das Korpus übernommen werden so z.B. Metaphern wie avere una spina nel cuore oder spezzarsi il cuore, denen zwar kein tatsächlicher Stachel oder kein wirklicher Bruch zugrunde liegt, wohl aber ein ganz konkret wahrgenommener Schmerz im Brustkorb, der entsprechende Vorstellungen aufkommen lässt und metaphorisch versprachlicht wird. Dasselbe gilt unten für verschiedene metaphorische Ausdrücke im Bereich des Magens, der bei einigen Menschen in der Tat leicht auf psychische Belastungen reagiert und dann zum Seismographen für bestimmte Gemütszustände werden kann. 3.6 Körpersäfte und Leber Aus dem Korpus auszuschließen sind auch Ausdrücke, die auf überkommenen medizinischen Vorstellungen beruhen. In der galenischen Säftelehre wurden z.B. je nach dominierendem Körpersaft vier Temperamenttypen unterschieden: der leicht aufbrausende Choleriker (gr. χολή , lat. bilis ‘weiße Galle’), der trübsinnige Melancholiker (gr. μέλας ‘schwarze Galle’), der träge Phlegmatiker (gr. φλέγμα ‘Schleim’) und der reaktionsschnelle Sanguiniker (lat. sanguis ‘Blut’). Diese auf der Säftelehre begründeten Bezeichnungen leben in vielen Sprachen fort, auch wenn die entsprechenden Charaktere auf keine tatsächliche Dominanz des jeweiligen Körpersaftes zurückführbar sind. Eine besondere Rolle spielt dabei die Galle, die u.a. in avere un travaso di bile ‘ausrasten, wütend werden’ oder bilioso ‘cholerisch, leicht reizbar’ erscheint. Sie ist das Sekret der Leber, die früher als Sitz des Gemüts und der Empfindungen galt, was das Bild des sich die Leber zerfleischenden Menschen erklärt, der Wut oder Groll in sich trägt: rodersi il fegato (cf. zudem dt. jmdm. ist eine Laus über die Leber gelaufen; aber auch sich etwas von der Leber (häufig durch Seele ersetzt) reden, frisch/ frei von der Leber weg). Doch eigentlich verfügt die Leber über keine eigenen Schmerzrezeptoren, so dass eine körperliche Reaktion der Leber eventuell über die umliegenden Organe, nicht aber unmittelbar wahrnehmbar ist und somit nicht ausreicht, um den Ausdruck psychophysiologisch zu begründen. 3.7 Niere Außer in der Leber wurden Gemütsbewegungen auch in der Niere verortet, die in dieser Bedeutung u.a. in der Wendung jmdn. auf Herz und Nieren prüfen erscheint. Sie ist im Deutschen durch die Bibelübersetzung Martin Italienisch_82.indb 59 20.01.20 15: 36 6 0 Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Ursula Reutner Luthers so volkstümlich geworden, dass selbst Automodelle heute auf Herz und Nieren geprüft werden können. Im Italienischen hingegen ist sie nicht geläufig; die Nieren erscheinen zwar in älteren Bibelübersetzungen, nicht aber einheitlich in einer feststehenden Wendung, sondern in unterschiedlicher Position mit i cuori oder il cuore kombiniert: «l’Iddio giusto, che provi i cuori e le reni» (Psalm 7,9), «o signore […] che scruti le reni e il cuore» (Jeremias 11,20) oder «io sono colui che scruta le reni e i cuori» (Apokalypse 2,23). Neuere Übersetzungen verwenden anstelle von reni gleich mente oder affetti: «Dio giusto, tu che provi mente e cuore» (Psalm 7,9), «o signore […] che scruti gli affetti e i cuori» (Jeremias, 11,20), «io sono colui che scruta gli affetti e i pensieri degli uomini» (Apokalypse 2,23). Doch ganz unabhängig von ihrer geringen Gebräuchlichkeit im heutigen Italienisch erfüllen die Wendungen die Aufnahmekriterien in das Korpus nicht, denn selbst wenn z.B. die Entstehung von Nierensteinen neben einer genetischen Veranlagung und einem ungünstigen Lebens- und Ernährungsstil auch stressbedingte Komponenten haben mag, die die prinzipielle Empfindsamkeit der Niere für emotionale Störungen belegen, fehlt eine klar wahrnehmbare unmittelbare physische Reaktion auf die entsprechenden Emotionen, die heute zudem nicht mehr in der Niere verortet werden. 3.8 Atemsystem Auszuschließen sind auch Ausdrücke, die lediglich auf die Lebensnotwendigkeit von Atmung und Luft verweisen: invidiare a qlcu. anche l’aria che respira ‘jdm das Salz in der Suppe nicht gönnen’, während sich rendere l’ultimo respiro, avere ancora (tre giorni di) respiro auch auf den biblischen ‘Lebensatem’ des Menschen beziehen mag, den Gott ihm durch die Nase eingehaucht hat (Genesis 2,7). 4. Analysekorpus und psychophysiologische Hintergründe Das Ausschlusskorpus zeigt, dass der menschliche Körper eine große Rolle spielt, um davon abgeleitet die unterschiedlichsten Handlungen, Zustände, Eigenschaften und auch Emotionen zu bezeichnen. Dabei erklären sich die meisten körperbasierten Wendungen einfach als metaphorische Verwendungsweisen. Liegen tatsächliche Vorstellungen zum Funktionieren des menschlichen Körpers zugrunde, so sind diese bei genauerer Betrachtung häufig nicht haltbar. Dies wirft die Frage auf, in welchen Fällen nachweisbare körperliche Reaktionen auf die versprachlichten Emotionen vorliegen. Um dies einschätzen zu können, ist jeweils zunächst das Funktionieren des jeweiligen Organs zu umreißen und auf dieser Basis das Zusammenspiel von Italienisch_82.indb 60 20.01.20 15: 36 61 Ursula Reutner Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen körperlicher Reaktion und Emotion darzustellen, auf dem die Wendung basiert. Im Folgenden werden demnach die Ausdrücke vorgestellt, die die in Kapitel 2 dargelegten Kriterien erfüllen, und diese mit Hilfe einschlägiger Nachschlagewerke (u. a. Mills 2016, Pschyrembel et al. 2017) in ihrer psychophysiologischen Relevanz belegt. Viele der zur Illustration herangezogenen Wendungen sind zweifellos auch in weiteren Einzelsprachen zu finden, worauf stellenweise hingewiesen wird. Die Gliederung der Beispiele ist wie oben an den betroffenen Organsystemen des Körpers orientiert; innerhalb jedes Kapitels wird zunächst jeweils der medizinische Hintergrund dargelegt, der die Zuordnung der Beispiele ins Analysekorpus erlaubt. Zwei für verschiedene Bereiche relevante Systeme seien vorab vorgestellt: das vegetative Nervensystem und das limbische System. Das vegetative Nervensystem stammt aus der frühen Phase der menschlichen Evolution und dient dem Schutz des Individuums; es ist autonom und reagiert auf exogene Signale, ohne dass der Mensch erst lange nachdenken muss. Mit dem Sympathikus und dem Parasympathikus besteht es aus zwei Nervengeflechten. Der Sympathikus ist zuständig für Kampf und Flucht. Er steigert die Herzfrequenz und den Blutdruck, erweitert die Atemwege und lässt das Blut dorthin fließen, wo es gebraucht wird. Der Parasympathikus ist eher ein Erholungsnerv und zuständig für die Regeneration der Organe. Er ist für die Verdauung, die Stoffwechselabläufe und die muskuläre Entspannung verantwortlich. Auf viele Emotionen reagiert der Mensch also zunächst vegetativ, was in der Folge körperliche Reaktionen auslöst, deren Muster allerdings von Individuum zu Individuum variieren können. Das limbische System ist eine zentrale Schaltstelle für emotional ausgelöste Reaktionen und steuert insbesondere die vegetativ-nervösen Signale. Es nimmt die emotionale Bewertung eingetroffener Reize vor und speichert die Erfahrungen. An der Emotionsverarbeitung und dem daraus resultierenden Verhaltensmuster beteiligte Hirnregionen sind neben den Bereichen der Großhirnrinde, von denen Handlungen und Reaktionen ausgelöst werden, der Thalamus, der Informationen wie z.B. Sinneswahrnehmungen sammelt, filtert und an die Großhirnrinde weiterleitet, und der Hypothalamus, über den körperliche Reaktionen auf emotional belastende Situationen vermittelt werden. 4.1 Haut In physiologischer Hinsicht hat die Haut neben ihrer Schutzfunktion die Aufgabe der Wärmeregulierung und der Aufnahme von Sinnesreizen. Mit ihrer von der menschlichen Affektlage beeinflussten Vasomotorik signalisiert sie bisweilen auch die emotionale Situation des Betroffenen. Denn die vasomotorischen Nerven, die Gefäßnerven des vegetativen Nervensystems, führen Italienisch_82.indb 61 20.01.20 15: 36 62 Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Ursula Reutner zur Erweiterung (Vasodilatation) oder Verengung (Vasokonstriktion) der kleinen Arterien. Hautveränderungen wie Erröten, Erbleichen oder Muskelkontraktionen sind also häufig ein Spiegelbild des jeweiligen emotionalen Zustandes. Gefäßreaktionen kommen durch ein komplexes Regulationssystem zustande, an dem erneut das vegetative Nervensystem beteiligt ist: Während nur wenige Gefäße über das parasympathische Geflecht arbeiten, wird die glatte Muskulatur von Sympathikusästen kontrolliert. Das Erröten tritt u.a. bei Emotionen wie Scham, Zorn oder euphorischer Begeisterung auf und erklärt sich mit einer Erweiterung der sehr feinen Haargefäße bzw. Kapillaren an der Hautoberfläche. Damit erfüllt z.B. arrossire die oben aufgestellten Aufnahmekriterien. Blässe hingegen ergibt sich aus einem Zusammenziehen der Gefäße und der dadurch reduzierten Durchblutung, die ebenfalls durch Einwirkung des Sympathikus erfolgt: Schock, Schreck oder Aggressivität erzeugen solche sympathikonen vasokonstriktorische Reaktionen. Eine allgemeine Gefäßverengung, die von einer Kontraktion der glatten Muskulatur begleitet wird, erzeugt eine kalte, leichenblasse, zusammengezogene Haut (wie sie indessen auch durch Kälteeinfluss entstehen kann), was sprachlich in pelle d’oca zum Ausdruck kommt (dt. Gänsehaut; bereits lat. cutis anserina und daher u.a. auch in fr. peau d’oie, sp. piel de gallina, engl. goose flesh). Dabei lässt die Kontraktion der glatten Muskelzellen zwischen Hautoberfläche und Haarbalg (Haarwurzelscheide) unter psychischem Einfluss tatsächlich auch schon einmal ̒ die Haare zu Berge stehen ̕ , so dass auch far rizzare i capelli eine psychophysiologische Alltagserfahrung zum Ausdruck bringt. 4.2 Augen und Ohren L’occhio è lo specchio dell’anima sagt man, und die Augen sind tatsächlich insofern ein Spiegel der Seele, als sich viele Gemütszustände z.B. in der Stellung und Größe der Pupille zeigen: Diese reguliert bekanntlich die Menge des Lichts, das in das Auge gelangt; sie vergrößert sich bei geringer Lichteinstrahlung und verkleinert sich bei starker Lichteinstrahlung. Darüber hinaus reagiert sie auch auf Emotionen: Sie verkleinert sich bei Überforderung und vergrößert sich bei besonderer Aktivität im limbischen System. Doch offenbaren uns die Augen eines Menschen noch vieles mehr. Tatsächlich reißen wir die Augen auf, wenn uns etwas überrascht oder besonders beeindruckt, denn der Sympathikusreiz sorgt mit drei Signalen an den Augenmuskeln dafür, dass die Pupillen groß werden, das Lid sich zurückzieht und ein Augenmuskel das Auge etwas heraustreten lässt. Die Wendung fare tanto d’occhi (cf. dt. große Augen machen, fr. faire les yeux grands) ist damit Zeugnis einer psychophysiologischen Alltagserfahrung. Dies gilt auch für Italienisch_82.indb 62 20.01.20 15: 36 6 3 Ursula Reutner Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen strizzare gli occhi und avere gli occhi fuori dalla testa bzw. stralunare gli occhi, denn tatsächlich kneifen wir die Augen zusammen, wenn uns etwas besonders interessiert und wir es genau ins Visier nehmen möchten, und verdrehen die Augen, wenn uns etwas nicht zusagt. Gefällt uns eine Person dagegen ganz besonders, so lässt die Anziehungskraft dieser Person unsere Pupillen vergrößern, wovon fare gli occhi dolci a qlcu. zeugt (cf. auch dt. jmd. schöne Augen machen). Bereitet uns wiederum etwas Kummer, so fallen wir nur schwer in den Schlaf und schließen daher wirklich manchmal kein Auge, wie es in non chiudere occhio festgehalten ist. Manche Dinge sehen wir nicht nur besonders gern, sondern hören sie auch mit besonderem Interesse. Aus Urerfahrungen übernommen ist dabei die Assoziation von hellem Klang mit Positivem, das uns entspannen lässt, und dunklem Grollen mit Negativem oder Gefahr, das uns auf Fluchtmodus programmiert. Wir konzentrieren uns dann speziell auf unser Gehör, sperren unsere Ohren auf und sind bildlich gesprochen ganz Ohr, was in aprire le orecchie, essere tutto orecchi zum Ausdruck kommt. Manche Dinge wollen wir aber auch nicht wirklich hören oder können sie nicht mehr hören. Wir versuchen dann, sie zu überhören, und verschließen in manch emotional belastender Situation tatsächlich die Ohren, was sich zwar nicht in einer Verengung der Gehörgänge zeigt, die bestenfalls bei Tauchern oder Druckarbeitern erfolgt, wohl aber in einem stressbedingten Hörsturz, in Ohrensausen, einem vorübergehenden Zufallen der Ohren oder zumindest einem intuitiven Reflex, die Hände vor die Ohren zu halten, so dass ein reflexartig vorgenommenes turarsi/ tapparsi le orecchie in das Korpus aufgenommen werden kann. 4.3 Geruchssystem Bei den Sinnesorganen des Sehens, Hörens, Riechens oder Schmeckens liegt unter der Perspektive einer psychophysiologischen Fragestellung häufig ein ganz konkreter äußerer Reiz in Form eines Bildes, Klangs, Dufts oder Geschmacks vor, der bestimmte Empfindungen und körperliche Reaktionen hervorruft. Viele Gerüche etwa besitzen eine angenehme oder unangenehme Affektkomponente und haben daher Einfluss auf unser emotionales Empfinden. Künstlich genutzt wird dies z.B. durch unterschiedliche Duftnoten in Wellnessoasen, die Gefühle des Wohlbefindens, der Entspannung und Beruhigung herbeiführen sollen, während weniger angenehme Gerüche unbewusst Reaktionen wie Ekel freisetzen und dadurch zum intuitiven Vermeiden oder Verlassen der Quelle solcher Reize führt. Durch den Geruch, der sich auch als individueller Körpergeruch durch die großen Duftdrüsen an behaarten Stellen zusammen mit dem Schweiß bildet, können Zuneigungs- und Abneigungsgefühle entstehen (cf. dt. jmdn. nicht riechen können, während im Italienischen mit non poter vedere/ sopportare qlcu. eher eine visuelle Italienisch_82.indb 63 20.01.20 15: 36 6 4 Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Ursula Reutner Metapher mit eingeschränkter psychophysiologischer Relevanz entstanden ist). Die Riechhärchen der Nasenschleimhaut reagieren auf die Geruchsstoffe und leiten sie mit Hilfe elektrischer Impulse über den Riechnerv zur Bewertung an das Gehirn weiter. In Verbindung mit dem limbischen System werden Emotionen ausgelöst, die dann zu körperlichen Reaktionen führen können. Negative Reaktionen auf etwas oder jemanden beziehen sich sprachlich auch auf den Gesichtsausdruck, der z.B. in arricciare/ storcere il naso (cf. dt. die Nase rümpfen) ursprünglich zweifelsohne olfaktorisch begründet ist, auch wenn der Ausdruck inzwischen weit darüber hinaus figürlich Verwendung findet. Noch stärker gilt dies für avere la puzza sotto il naso für eine hochmütige Person, die ihre Nase zwar nicht wegen eines konkreten Gestanks hoch trägt, wohl aber aufgrund ihres Selbstverständnisses, das sich auf ihre stolze Haltung auswirkt und sie veranlasst, ihr Haupt besonders aufrecht zu halten. Dabei gibt die Haltung grundsätzlich einiges über das emotionale Befinden preis. Ob eine Person erhobenen Hauptes, a testa alta, zufrieden-stolz daherschreitet oder in gebückter Haltung, a testa china, eingeschüchtert, verzweifelt oder ängstlich-deprimiert davonschleicht, unterscheidet nicht nur bildlich gesprochen den Sieger vom Verlierer. 4.4 Geschmackssystem Der Geschmackssinn dient entwicklungsgeschichtlich der Auswahl von Nahrungsstoffen und ist eng an den Geruchssinn gekoppelt. Die Grundqualitäten beim Schmecken sind ‘süß’, ‘sauer’, ‘salzig’ und ‘bitter’ sowie das erst jüngst in den Fokus gerückte ‘umami’. Die Geschmacksknospen auf der Zunge sowie im Mund- und Rachenraum bilden durch die gelösten Substanzen Signale zur Umwandlung in elektrische Potenziale. Diese werden als Erregungen über Geschmacksnerven zum Geschmackszentrum in der Großhirnrinde geleitet und dort verarbeitet. Bestimmte Geschmacksrichtungen lösen Emotionen aus, die wiederum auch körperlich sichtbar werden können. Süßer Geschmack deutete in der menschlichen Geschichte meist auf Verzehrbarkeit hin und erzeugt seit jeher entspannte Gesichtszüge und positive Gefühle. Entsprechende Ausdrücke werden daher tendenziell positiv gewertet und z.B. auch für die Freundin oder ‘bessere Hälfte’ verwendet, die schon einmal dolcezza oder la dolce metà genannt werden. Bitterer Geschmack könnte Giftiges anzeigen und lässt daher leicht die Gesichtszüge verziehen, so dass amaro im übertragenen Sinn auch für bittere Erfahrungen, Abscheu und Antipathie steht. Vor diesem allgemeinen Hintergrund lassen sich einige Ausdrücke finden, die Teil des Korpus sind wie z.B. far venire l’acquolina in bocca a qlcu. Denn schon beim Anblick oder Duft verlockender Speisen entsteht im limbischen System unter Aktivierung des Parasympathikus der Reflex, das Wasser Italienisch_82.indb 64 20.01.20 15: 36 6 5 Ursula Reutner Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen im Munde zusammenlaufen zu lassen, um den Verdauungsvorgang durch das Einspeicheln der Nahrung zu erleichtern. Demgegenüber überwiegt bei besonderer Erregung, Stress und Angst der Einfluss des Sympathikus. Die Speicheldrüsen sind dann blockiert und die Spucke bleibt weg. Wenn jemand leer ausgeht bzw. das Nachsehen hat, wird dies daher auch durch rimanere/ restare a bocca asciutta ausgedrückt, da sich z.B. beim tierischen Jäger, der nichts erlegt hat, eben erst einmal kein Speichelfluss einstellt und ebenso wenig beim Menschen, der ein angestrebtes größeres Ziel nicht erreicht. Zudem stoßen negative Emotionen (auch im übertragenen Sinne) bitter auf oder hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack, was lasciare l’amaro in bocca in nicht-metaphorischer Verwendungsweise zu einem Beispiel des Analysekorpus macht. Die Geschmacksqualität ‘bitter’ lässt einen das Gesicht verziehen, löst also eine mimische Reaktion aus, und entsprechend schaut dann auch jemand, der eine ‘bittere Pille’, un boccone amaro, zu schlucken oder die ‘bittere Wahrheit’, l’amara verità, erfahren hat. 4.5 Herz-Kreislaufsystem Herz und Kreislauf können neben ihrer somatischen, eventuell schon anfälligen Konstitution zweifellos auch sehr unterschiedlich auf alle möglichen Erregungen des vegetativ-nervösen Regulationssystems reagieren. Dazu gehört vor allem der Herzinfarkt, der nicht nur rein körperlich als Verschluss von Kranzarterien ausgelöst wird, sondern auch durch psychische Reaktionen, die vergleichbare Symptome verursachen können. Emotionale Verletzungen zeigen sich bei jedem Menschen in unterschiedlichen körperlichen Symptomen, bei manchen durch nicht organisch begründete diffuse Schmerzen im Brustkorb. Dem einen scheint ein Stachel im Herzen zu sitzen, dem anderen sich das Herz zu zerfleischen oder in Stücke zu reißen, was avere una spina nel cuore, rodersi/ spezzarsi il cuore oder struggere/ stringere/ trafiggere il cuore in das Analysekorpus aufnehmen lässt. Das Bild vom ‘gebrochenen Herzen’ wird auch medizinisch im Ausdruck Broken-Heart-Syndrom für eine Stress-Kardiomyopathie aufgegriffen, einer Funktionsstörung des Herzmuskels infolge einer außerordentlichen seelischen Belastung. Umgekehrt deuten ein cuore in pace oder Handlungen, die wir a cuor leggero angehen, tatsächlich auf ein gutes Gefühl bei entsprechenden Angelegenheiten hin, das das Herz in ruhigem, gleichmäßigem Takt weiter schlagen lässt. Das Herz ist für den Blutkreislauf verantwortlich, der vor allem im Falle des Bluthochdrucks klinisch relevant wird. Bildlich gesprochen wird hier jemand ‘unter Druck gesetzt’ und so ein emotionaler Erregungszustand erzeugt, der sich außer in der erhöhten Atemfrequenz auch in einer Blutdrucksteigerung manifestieren kann, wie es die Ausdrücke gli monta il Italienisch_82.indb 65 20.01.20 15: 36 66 Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Ursula Reutner sangue alla testa oder far ribollire il sangue aufgreifen. Der erhöhte Blutdruck und die emotionale Anspannung lassen letztendlich auch den Herzschlag stärker wahrnehmen, wie es in far battere il cuore a qlcu. (per l’eccitazione) oder avere il cuore in tempesta zum Ausdruck kommt. Manchmal geht dies soweit, dass der Eindruck entsteht, das Herz schlage einem bis zum Hals: col cuore in gola, le balzò il cuore in gola. Ebenso wie Schwitzen oder Herzrasen gehört auch die Ohnmacht (Synkope) zu den Reaktionen, die mal medizinische Ursachen haben können, mal psychogener Natur sein können. Aufgrund von plötzlichem Schreck, Angst oder Hysterie kann es zu einem Blutdruckabfall einschließlich einer Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff kommen. Die Folge ist eine meist kurz andauernde Bewusstlosigkeit, so dass es einen sprichwörtlich ‘umhaut’ (mi ha steso, bair. da legst di nieda). Der Parasympathikus aus dem vegetativen Nervensystem reagiert auf das entstandene Ungleichgewicht mit Ruhigstellung, was dann auch zu figürlichen Verwendungen führt wie dt. jmdm./ etwas ohnmächtig gegenüberstehen. 4.6 Magen-Darm- und Harntrakt Die Sensibilität des Magen-Darm-Traktes für psychische Befindlichkeiten ist vielgestaltig und kann sich u.a. in Form von Reizzuständen, Verstopfung, Durchfall oder Übelkeit und Erbrechen äußern. In Redewendungen wird daher besonders häufig der Magen zur Illustration von Reaktionen psychosomatischer Provenienz herangezogen. Das Kontinuum reicht hier von allgemeiner psychischer Empfindlichkeit (essere delicato di stomaco) bis hin zur Unempfindlichkeit (avere uno stomaco di ferro/ struzzo, avere il pelo sullo stomaco), die es letztendlich erlaubt, auch Unangenehmes in Angriff zu nehmen (volerci un bello stomaco per…, uno che ha stomaco). Dies schließt die unterschiedlichsten Reaktionen auf negative Einzelerfahrungen mit nur schwer Verdaulichem ein, das einem sprichwörtlich auf dem Magen liegt (avere sullo stomaco qlcu./ qlco., rimanere/ stare sullo stomaco a qlcu., togliersi un peso dallo stomaco), einem den Magen verschließt (chiudere lo stomaco ‘procurare uno stato di forte malessere’) oder gar den Magen umdreht und so bis zur Aversion oder Rebellion des Magens reichen kann wie in a qlcu. si rivolta lo stomaco, fare qlco. contro stomaco, non digerire qlcu., voltastomaco, stomacare, stomachevole ‘widerlich’. Beim Darm sind nervöse Reaktionen mit extremer Passagebeschleunigung bekannt. Das Versagen des Schließmuskels kommt als psychische Stuhlinkontinenz vor, die z.B. als Reaktion auf panikartige Ängste erfolgt, wie es in cacarsi/ cagarsi sotto, avere/ far venire la cacarella oder cacarsi qlcu. sprachlich verfestigt ist (cf. dt. sich vor Angst in die Hosen machen). Italienisch_82.indb 66 20.01.20 15: 36 67 Ursula Reutner Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Auch eine nervöse Harninkontinenz kann sich aufgrund seelischer Belastungen einstellen. Sowohl freudige Erregung als auch Spannung führen manchmal zu einer überschießenden Reaktion des Parasympathikus und bewirken das Einnässen, was Ausdrücke wie pisciarsi sotto/ adosso, pisciarsi sotto dal ridere erklärt. 4.7 Transpirationssystem Neben klimatischer Beanspruchung (questo caldo mi fa sudare) oder Fieber (ha sudore freddo della febbre) reagiert der Körper auch auf physische Anstrengung mit thermischem Schwitzen, dem Auftreten von kühlendem Schweiß. Schwitzen und Schweiß sind daher zum Synonym für harte körperliche Arbeit geworden, so dass Gott Adam nach dem Sündenfall prophezeite, sich im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen zu müssen («Con il sudore del tuo volto mangerai il pane», Genesis 3,19). Im weiteren Sinne steht das Transpirieren heute für Anstrengungen, die neben körperlicher auch geistiger Natur sein können (sudare sette camicie, sudarsi il pane, denaro guadagnato col proprio sudore, lo studente suda sui libri). Schweißausbrüche oder erhöhte Schweißsekretion v.a. an den Händen, Füßen und im Gesicht sind häufig emotionalen Ursprungs (cf. dt. Angstschweiß) und ein Zeichen von psychischer Anspannung oder Stress (gli sudano le mani). Ähnliches gilt für den kalten Schweiß (mi vengono i sudori freddi, molti uomini hanno sudore freddo di questo momento, sudore della morte), der auf einer übermäßigen Adrenalinausschüttung durch eine Schreckenserfahrung beruhen kann. 4.8 Atemsystem und Stimme Dem aufmerksamen Zuhörer entgehen kaum die stimmlichen Veränderungen, die ein veränderter Gemütszustand beim Menschen auslöst. Dies hat u.a. mit der Einwirkung der Psyche auf die menschliche Atmung zu tun, so dass psychosomatische Erfahrungen im Atemsystem sowie in der Stimme des ungeübten Sprechers besonders gut greifbar werden. Eine ausgeglichene Psyche zeigt sich dagegen u.a. in einem gleichmäßigen Atemrhythmus, während sich psychische Anspannung oft in einer gesteigerten Atemfrequenz oder sogar einem vorübergehenden Ausbleiben der Atmung offenbart. Ein lavorare senza respiro fördert den Stress und wird im Idealfall von entspannenden Pausen zum bewussten Atmen unterbrochen (fare una pausa respiratoria, avere un momento di respiro). Fällt eine große Last von einem Menschen ab, so kommt es häufig zum erleichterten Aufatmen (tirare un respiro di sollievo) oder tiefen Durchatmen (respirare a pieni pulmoni, fare un bel respiro profondo). Italienisch_82.indb 67 20.01.20 15: 36 6 8 Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Ursula Reutner Bei Schockreaktionen oder Überraschungen kann jemandem auch schon einmal sinnbildlich die Luft wegbleiben (lasciare/ restare senza fiato/ senza parole, una cosa da togliere il respiro, mozzare il respiro a qlcu., mozzafiato). Vielleicht verschlägt es der Person aber auch die Sprache (a qlcu. manca la parola) oder sie gerät ins Stottern (cominciare a balbettare). 5. Fazit und Ausblick Der Körper, seine Organe und Organfunktionen spielen in sprachlichen Ausdrücken eine beachtliche Rolle. Vielen körperbasierten Wendungen liegen überkommene medizinische, traditionell-religiöse oder einfach laienhafte Vorstellungen zugrunde. Viele andere thematisieren körperliche Auffälligkeiten und Eigenschaften oder Emotionen ohne wechselseitig nachweisbaren Bezug und nutzen den menschlichen Körper als Lieferant von Bildern, die jeglicher medizinischen Substanz entbehren. Einige wenige Wendungen innerhalb des Gesamtkorpus halten den Analysekriterien stand, verbinden physische Reaktionen und Emotionen und erweisen sich damit für sich genommen als überraschend viele Zeugnisse psychophysiologischer Alltagserfahrungen, die in sprachlicher Form ‘geronnen’ sind. Auf eine quantitative Auszählung der das Gesamtkorpus ausmachenden Mikrostruktur zu den eingangs genannten Lemmata verschiedener Nachschlagewerke musste dabei verzichtet werden, da eine solche selbst bei genauer Festsetzung von Kriterien größere Herausforderungen aufwirft, wenn sie nicht in die Beliebigkeit abgleiten soll. Bereits bei dem kleineren, hier vollständig aufgeführten Analysekorpus stellt sich z.B. die Frage, wie mit ähnlichen Bildern, die mit unterschiedlichen Verben oder Formen versprachlicht werden, umzugehen ist. Hinzu kommt beim Gesamtkorpus u.a. das Problem möglicher ‘Wörterbuchleichen’, das eher Frequenzuntersuchungen in der Alltagssprache nahelegt. Doch auch ohne an dieser Stelle genaue Prozentangaben nennen zu können, lässt sich dreierlei zweifelsohne festhalten: - - Der menschliche Körper spielt eine große Rolle als Lieferant sprachlicher Bilder. - Viele körperbasierte Wendungen halten den Erkenntnissen der modernen Medizin nicht stand. - Ein kleiner Teil der körperbasierten Wendungen weist auf eine beachtliche Sensibilität vergangener Generationen für heute nachweiswie erklärbare Körperreaktionen auf bestimmte Emotionen hin.- In den Ausdrucksweisen des Analysekorpus spiegeln sich Beobachtungen physiologischer Reaktionen, die mit bestimmten psychischen Zuständen Italienisch_82.indb 68 20.01.20 15: 36 69 Ursula Reutner Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen einhergehen, darunter das relativ leicht erkennbare Erblassen als Zeichen von Angst, Rotwerden als Zeichen von Scham oder In-Ohnmacht-Fallen als Zeichen von Schock. Sprachlich wurden aus der Summe physiologischer Reaktionen besonders auffällige zur Beschreibung der psychischen Korrelate herausgegriffen. So stehen uns eben tatsächlich manchmal die Haare zu Berge, wir bekommen eine Gänsehaut oder machen große Augen - was jeweils eine mögliche, teils unübersehbare, teils eher hyperbolisch dargestellte Reaktion des Körpers auf mehr oder weniger starke Gefühle ist und damit stellvertretend für diese versprachlicht wird. Die Herkunft der Wendungen erklärt sich demnach mit der frühen Beobachtung körperlicher Reaktionen, die primär unwillkürlich durch die Erregung des vegetativen Nervensystems ausgelöst werden. Denn Körper und Seele gehören bekanntlich zusammen, so dass sich der Gemütszustand eines Menschen tatsächlich in physiologischen Reaktionen niederschlägt. Die Analyse der entsprechenden Wendungen verdeutlicht zum einen, dass Menschen diese Beziehungen wahrnahmen und ihre Erfahrungen sogar sprachlich zum Ausdruck brachten, lange bevor das moderne Feld der Psychosomatik aufkam. Zum anderen hilft sie, bestimmte körperliche Reaktionen des Menschen bewusster wahrzunehmen und einzuordnen.- Der vorliegende Beitrag destilliert aus der Vielzahl der körperbasierten Wendungen zunächst diejenigen mit psychophysiologischer Relevanz heraus und zeigt darauf aufbauend die psychophysiologischen Aussagekraft des Italienischen erstmals systematisch auf, indem er die relevanten Wendungen mit ihren medizinischen Hintergründen darstellt. Darüber hinaus möchte er zur weiteren Reflexion über die folgenden drei Fragestellungen einladen: ‒ Welche emotionsbedingten Körperreaktionen werden sprachlich besonders häufig herangezogen? ‒ Wie kommt es, dass unterschiedliche Einzelsprachen aus der Vielzahl an Strategien zur Versprachlichung von körperlichen Reaktionen häufig auf identische zurückgreifen? ‒ Wie lassen sich diese Ausdrucksweisen medizingeschichtlich einordnen? Um diese Fragen solide zu beantworten, bedarf es zunächst einer systematischen Ergänzung der vorgestellten Beispiele aus dem Italienischen und der Ermittlung ihrer Frequenz, um so einzelne dominante Bereiche in Abgrenzung zu sprachlich weniger auffälligen Feldern herauszuarbeiten. Im Anschluss sind die Ausdrucksweisen möglichst verschiedener Einzelsprachen zusammenzustellen und mit historischen Daten zu ergänzen. Dies erlaubt, die Formen daraufhin zu analysieren, ob bei der Wahrnehmung Italienisch_82.indb 69 20.01.20 15: 36 70 Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen Ursula Reutner der mit bestimmten Emotionen einhergehenden Körperreaktionen in einzelnen Kulturen jeweils unterschiedliche besonders auffielen und dann zur Versprachlichung ausgewählt wurden, und falls ja, weshalb. Ist dies nicht der Fall, so stellt sich die Frage, ob die anscheinend überall gleichermaßen hervorstechende Körperreaktion verschiedenartig versprachlicht wurde (z.B. dt. Haare zu Berge vs. it. far rizzare i capelli) oder identisch (z.B. dt. Gänsehaut, it. pelle d’oca) und ob sich im Falle der Identität Gründe für eventuelle Ähnlichkeiten ermitteln lassen. Leicht zu deuten sind solche Entsprechungen bei Ausdrücken, die auf eine gemeinsame lateinische Basis zurückführbar sind. Ebenso ist bei Wendungen, denen übernational rezipierte Werke oder Aussagen zugrunde liegen, zumindest der Entlehnungsweg vergleichsweise leicht nachvollziehbar. Bei anderen aber stellt sich die Frage, ob die Bilder ebenso wie im vorangehenden Fall in einer bestimmten Einzelsprache entstanden und von dort in weitere Sprachen übernommen wurden oder ob die weitgehend kulturunspezifischen menschlichen Erfahrungen in unterschiedlichen Einzelsprachen in einer Art Polygenese unabhängig voneinander, aber im Ergebnis letztendlich durch das gleiche Bild versprachlicht wurden. Nicht zuletzt wäre es interessant, die Ausdrucksweisen in Zusammenarbeit mit einem sprachlich interessierten Neurologen etymologisch und zugleich unter Einbezug der Medizingeschichte im Hinblick auf die ursprüngliche psychophysiologische Sinngebung zu untersuchen. Abstract. Il presente contributo va alla ricerca del ruolo del corpo umano nella lingua italiana e analizza locuzioni basate sul corpo da una prospettiva medica. Una particolare attenzione è posta a locuzioni che rendono emozioni sulla base degli effetti sortiti nel corpo. Il corpo umano si dimostra come una fonte importante di immagini linguistiche che però non concordano sempre con fatti provati dalla medicina. Più interessanti sono le locuzioni che hanno una forza d’espressione psicopatologica piuttosto forte e lasciano dedurre un’alta sensibilità delle generazioni di prima per reazioni corporali, tutt’oggi documentabili. Summary. The article examines the role of the human body in the Italian language and analyses body-based expressions with regard to their medical background. Its main focus lies on idioms that describe emotions on the basis of their physical form of manifestation. The respective expressions are first extracted from the large number of body-based idioms and then analysed in greater detail. As a result, the human body appears as an important source for linguistic images, which, however, mostly do not correlate Italienisch_82.indb 70 20.01.20 15: 36 71 Ursula Reutner Sprache als Zeugnis psychophysiologischer Reaktionen with medically verifiable facts. All the more interesting are those body-based idioms which serve as a linguistic testimony to everyday experiences, thus conveying a high psychophysiological validity to language and attesting to past generations’ considerable sensitivity to physical reactions which today can be verified and explained. Bibliographie Duden = Wolfgang Worsch/ Werner Scholze-Stubenrecht (Hrsg.) (2012): Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik, Mannheim: Duden. GDLI = Salvatore Battaglia (1961-2004): Grande dizionario della lingua italiana, 21 vol. 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Italienisch_82.indb 71 20.01.20 15: 36 72 Biblioteca poetica Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca Il ramarro, se scocca Sotto la grande fersa Dalle stoppie - La vela, quando fiotta 5 e s’inabissa al salto Della rocca Il cannone di mezzodì Più fioco del tuo cuore E il cronometro se 10 Scatta senza rumore .................................................... e poi? Luce di lampo invano può mutarvi in alcunché di ricco e strano. Altro era il tuo stampo. Die Smaragdeidechse, wenn sie aufschnellt Unter der großen Peitsche Vom Stoppelfeld - Das Segel, wenn es wogt Und hinabtaucht am Windumschwung Des Felsens - Die Mittagskanone Schwächer als dein Herz Der Chronometer, wenn er ohne Laut anspringt ................................................................... und dann? Lichtblitz kann euch vergebens in etwas Reiches und Seltenes verwandeln. Anders war deine Form. (Montale 1996, S. 95-97) Vier, fünf Bewegungen und Geräusche, eine Frage, eine lapidare Feststellung, und schon ist dieses kurze Gedicht aus Eugenio Montales Le occasioni (1939) - es ist das neunte der Abteilung «Mottetti» - zu Ende: Eine Eidechse schnellt aus einem Stoppelfeld empor, ein Segel verschwindet in einem Wellental, ein Kanonenschuss, das Ticken eines Chronometers, ein Blitz (den der Absatz nach «luce di lampo» noch der ersten Gedichthälfte zuzuschlagen scheint, doch dazu später): 1 Die ersten elf Verse jagen atemlos von einer Plötzlichkeit zur nächsten, in schneller Aufzählung von vier Aposiopesen, also Satzabbrüchen, als ob die Geschwindigkeit der Bildfolge keine Zeit für 1 So in Montale 1996, S. 95-97. Hier wird v. 12 «e poi? Luce di lampo» von den Versen 12-13 abgetrennt, anders als in Montale 1984, S. 147, dem auch die Übersetzung von Hanno Helbling folgt (Montale 1987, S. 257). Isella (Montale 1996) bezieht sich auf eine «comunicazione orale» Montales, nach der die Isolierung des Verses «lampeggia di più». DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 023 Italienisch_82.indb 72 20.01.20 15: 36 73 Marc Föcking Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca die Formulierung abgeschlossener Sätze lassen würde. Konsequenterweise setzt Montale in den ersten elf Verszeilen kurze Verse ein, zwei Quaternari (V. 3, 6), einen Senario (v. 9), ansonsten vorwiegend Settenari (v. 1, 2, 4, 5, 8, 10, 11). Wird allein dadurch schon der Eindruck sowohl von Plötzlichkeit als auch Schnelligkeit erzeugt, steigert sich dieser Eindruck noch durch die Verteilung der Ereignisse auf die kurzen Strophen: Die hochschnellende Eidechse und das im Wellental verschwindende Segel füllen je eine kurze, parallel gebaute dreiversige Strophe, die nächsten vier Verse bieten schon zwei Bildern (Kanone und Chronometer) Platz, der Lichtblitz braucht nur einen halben Vers. Trotz dieser Akzelleration können diese Bilder nicht derselben lebensweltlichen Wahrnehmungssituation entspringen, denn das hochsommerliche Stoppelfeld und seine Eidechse können sich raumzeitlich kaum an das Meerstück anschließen oder sich ihm einpassen. Alle diese Plötzlichkeiten scheinen vielmehr eher Beispiele zu sein, die sich auch noch fortsetzen ließen - dafür sprechen die Punkte, die Vers zehn von elf bis 13 trennt, und auch die Frage «e poi? » in Vers elf. Aber Beispiele wofür? Das erhellt der Lichtblitz: Denn dieser beleuchtet eine typisch Montale’sche Negation. Ähnlich, wie auch schon in Ossi di seppia (1925), dessen Gedicht «Non chiederci la parola» nur sagen kann, «ciò che non siamo, ciò che non vogliamo» 2 , nennt «Il ramarro, se scocca» die ersten vier Plötzlichkeiten nicht, weil ihnen ein positiver Wert zugeschrieben würde (also etwa im Sinne der Bohrer’schen ‘Plötzlichkeit’ als «‘Epiphanie’ des Augenblicks» und «Kennzeichen der modernen Literatur» 3 ), sondern weil sie im Gegenteil in ihrer Augenblicklichkeit durch die ebenso augenblickliche «luce di lampo» «invano», vergebens zu etwas «ricco e strano» werden. 4 Vielleicht, weil diese Eindrücke in Opposition zu der Konklusion der letzten beiden Verse ephemer und vergänglich bleiben. Im Gegensatz dazu heißt es nämlich vom «tu» des letzten Verses «altro era il tuo stampo». Das «altro» markiert die Differenz zur Vergeblichkeit der Verwandlung der 2 Montale 1984, S. 29. 3 Bohrer 1981, S. 63; siehe auch Gambon 1967, der in der Negation die Darstellung göttlicher Essenz im Sinne negativer Theologie sieht. 4 Man beachte die Unschärfe der Formulierung: Entweder misslingt die Verwandlung durch den Lichtblitz in etwas «ricco e strano», «invano» hätte die Bedeutung einer Negation. Oder die Verwandlung gelingt, bleibt aber dennoch (für wen? ) vergebens. Zu dieser Unschärfe passt die Ambiguisierung, die Montale durch die Positionierung von «luce di lampo» zwischen den ersten vier ‘Bildern’ und den letzten beiden Versen und den nach dem «e poi? » eingefügten Absatz vorgenommen hat. Mengaldo 2017, S. 225, A.1, bemerkt dazu: «Lo spazio bianco dilata l’effetto di sospensione dell’enjambement, lasciando efficacemente incerti sull’azione della ‘luce di lampo’, che, in realtà, a differenza di quanto ci aspettiamo, risulta poi vana.» Italienisch_82.indb 73 20.01.20 15: 36 74 Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca Marc Föcking ersten zehn Verse, was impliziert, dass dieses «tu» zu einer nicht-vergeblichen Verwandlung und zur vollen Gültigkeit des «ricco e strano» in der Lage ist. Und das möglicherweise durch den ihm eignenden «stampo»: Bedeutet «stampo» nicht nur «Spur» (wie Hanno Helbling übersetzt 5 ), sondern auch «Form», «Stempel» (aber auch «Natur/ Charakter»), dann wird das Stabile, Bleibende des «tu» dem (negativen) Ephemeren des Plötzlichen entgegengesetzt. Diese Differenz hat auch seine metrische Form gefunden: Nach den Kürzest- und Kurzversen der ersten elf Versen sind die letzten beiden Verse Endecasillabi (oder zumindest Decasillabi). Zusammen mit der Kürze und dem konklusionsartigen Schluss rechtfertigen Settenario- und Endecasillabo nicht nur die Gattungsbezeichnung «Mottetto». 6 Montale nutzt diese weit in das Mittelalter zurückreichende poetische Kurz-Form zur Unterstreichung der Semantik der Kürze in den ersten zehn Versen, aber auch zur Unterstreichung ihrer Differenz zu den letzten beiden Versen. Auch hier ergibt sich eine Steigerung vom Settenario V. 11 «E poi? Luce di lampo» als abgesetzter Übergangsvers von V. 1-10 und V. 12-13 zum Endecasillabo tronco «invano può mutarvi in alcunché» (V. 11) und zum Endecasillabo piano («di ricco e strano. Altro era il tuo stampo», V. 13), wenn man hier eine Dialefe zwischen «strano» und dem Satzbeginn des «Altro» ansetzt, was einem Usus Dantes in diesem an Dantismen reichen Gedicht entsprechen würde. 7 Und noch ein Weiteres zeichnet diesen letzten Vers des «tu» aus: sein Reichtum der Sinalefe, an Vokalverschleifungen zwischen End- und Anfangsvokalen. Findet sich in den Versen 1-10 lediglich eine einzige Sinalefe («s’inabissa al salto»), wartet der letzte Vers mit drei (bzw. vier, wenn man keine Dieresi zwischen «strano» und «Altro» ansetzen möchte) auf. Das gibt diesem Vers im Gegensatz zu den scharfen Vokal-Konsonant- Grenzen der übrigen Verse einen besonderen Fluss. Bei dieser vielfachen Positivierung des «tu» haben sich die Leser dieses «Mottetto» zwangsläufig die Frage gestellt, wer (oder was) sich hinter dem Personalpronomen verbirgt. Naheliegenderweise ist man auf die biographische Antwort verfallen, im «tu» eine Geliebte, namentlich die Amerikanerin Irma Brandeis («Clizia»), zu erkennen, mit der Montale in den Jahren 1933-1939 eine stürmische Liebesaffäre hatte, der die Occasioni gewidmet sind («a I.B.») 8 und der Montale das Gedicht «Il ramarro, se scocca» in einem Brief 5 Montale 1987, S. 257. 6 Zur etwa von Guido Cavalcanti eingesetzten Gedichtform «Mottetto» (vom lat. «muttire» - «leise reden») siehe Beltrami 1991, S. 90, und Giunta 2000. 7 Den bei Dante (nicht bei Petrarca) zu findenden Usus, eine Dialefe zwischen atonischen Vokalausgang und tonischen Vokalbeginn einzusetzen, beschreibt Beltrami 1991, S. 157. 8 Montale 1984, S. 107. Italienisch_82.indb 74 20.01.20 15: 36 75 Marc Föcking Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca am 20.11.1938 geschickt hat. 9 Die «Mottetti» hat man eine «condensazione del ‘canzoniere d’amore’», «una sorte di mise en abîme» genannt, 10 oder auch einen «canzoniere nel canzoniere» 11 und ist so dem gefolgt, was man die ‘Canzoniere-fallacy’ nennen könnte: Diese reduziert die Personalpronomina «io» auf Liebenden/ Dichter und «tu» auf eine «donna numinosa», deren «assenza» - eine der Standardsituationen mittelalterlich-rinascimentaler Liebesdichtung - «rende prive di significato […] le epifanie» 12 , und das unter der ständigen Gefahr biographischer, also noch weitergehender semantischer Reduktion. Dem hat Montale selbst widersprochen, wenn er an Irma Brandeis am 15.1.1935 schreibt: «Se rileggo i 3 Mottetti ci ritrovo una Miss Gatu che sia andata anche in un Sanatorio dove si gioca a bridge; la verità biografica va a farsi f… ma la verità poetica no» 13 , was er noch Jahre später bestätigt: «Tutte queste notizie anagrafiche hanno scarso significato». 14 Selbst Versuche wie die Giorgio Bàrberi Squarottis, diese Deutung des «tu» zu entbanalisieren, indem er es platonisch an das Metaphysische bindet («Dio o la donna che lo rappresenta») und ihm durch «folgore divina» einen «stampo […] divino» eingeprägt sieht, 15 bleiben der Identifikation von «tu» und «donna» verpflichtet und retrodatieren Montales «Il ramarro, se scocca» (wie die Mottetti insgesamt) auf einen (platonisierenden) Neo-Petrarkismus. Gleichzeitig wird eine mögliche «occasione» für das poetische Ergebnis ausgegeben 16 und zu stark von dem abgesehen, was die «poesia» für Montale und die moderne Lyrik (nur scheinbar banal) ausmacht: «La poesia è un’arte [che] si serve di parole.» 17 Der Weg zum «tu» in «Il ramarro, se scocca» führt also über die «parole». Keine Lektüre von «Il ramarro se scocca» verzichtet darauf, auf die gerade in diesem Mottetto besonders dichten und sichtbaren intertextuellen Verweise einzugehen, die Dante Isellas Kommentierung herausgearbeitet hat: Die ersten Verszeilen zitieren fast wörtlich eine Terzine aus Dantes Commedia, Inferno XXV 9 Siehe Montale 2006, S. 258. 10 Blasucci 2013, S. 64. 11 Isella, in: Montale 1996, S. 95-97. 12 So Mengaldo zum «più evidente senso» des Mottetto, Mengaldo 2017, S. 236. 13 Montale 2006, S. 122. 14 So in einem Brief an Silvio Guarnieri 1964, in: Montale 1980, S. 35. Zum Problem des «tu lirico» bei Montale siehe Ott 2006, S. 138-143. 15 Bàrberi Squarotti 1997, S. 73. Diese Deutung hat ihren Eingang in die italienische Manualistik gefunden, etwa in Dizionario di Metrica e Stilistica 1996, S. 168 f., Eintrag «mottetto» («il significato ‘religioso’ della figura femminile di Clizia»). 16 Zur Differenz von «occasione» und «opera-oggetto» in der Poetik Montales der 40er-Jahre siehe Ott 2006, S. 129-130. 17 Montale, «La poesia come arte» (1942), in: Montale 1997, S. 103. Italienisch_82.indb 75 20.01.20 15: 36 76 Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca Marc Föcking Come il ramarro, sotto la grande fersa De’ dì canicular cangiando siepe, Folgore par se la via attraversa (vv. 79-81) und zieht diese mit einem späteren Vers desselben Canto zusammen: «e attende a udir quel ch’or si scocca» (v. 96). Das «ricco e strano» des letzten Verses hingegen stammt aus der zweiten Strophe von Ariels Lied aus Shakespeares The Tempest (I, ii): Full fathom five thy father lies; Of his bones are coral made; Those are pearls that were his eyes; Nothing of him that does fade, But suffer a sea-change Into something rich and strange. Sea-nymphs hourly ring his knell: Hark! Now I hear them, - ding-dong bell. Montale selbst hat dieses «ricco e strano» in seinem Brief an Irma Brandeis vom 20.11.1938 als «something of rich and strange, o qualcosa di simile che ho ricordato a memoria» 18 eher heruntergespielt, und auch Isellas Kommentar (dem u.a. Bàrberi-Squarotti folgt) lenkt die Aufmerksamkeit weg von Shakespeare und hin zur Vermittlung des Zitats durch D’Annunzio, der es als Grabspruch des 1822 bei einer Segeltour vor La Spezia ertrunkenen Percy Bysshe Shelley in Il trionfo della morte (1894) zur Apotheose des Dichters einsetzt. 19 Trotz dieser Verwischung und der oftmals eher enumerativen Behandlung der intertextuellen Bezüge 20 scheint mir die Funktion des Dantewie Shakespeare-Zitats völlig klar zu sein: Denn beide (bzw. ihre Kontexte) handeln von Verwandlung. In Dantes Inferno XXV um die Metamorphosen Angelo Brunelleschis, Buoso Donatis und Francesco Cavalcantis, die von Schlangen umschlungen und in diese verwandelt werden. Dantes blitzschnell über den Weg flitzender «ramarro» ist ein Bild für das Heranstürzen dieser höllischen 18 Montale 2006, S. 259. Da er in einem Brief vom 30.11.1934 «Brave-New-World» ausruft, könnte er aber auch eine tiefere Kenntnis von Shakespeares The Tempest verraten und Akt V, i, zitieren («Miranda: How beauteous mankind is! O brave new world,/ that hath such people in’t». Vielleicht hat er aber auch nur Aldous Huxleys Brave New World (1932) im Ohr gehabt, vgl. Montale 2006, S. 330. 19 D’Annunzio 1985, S. 331 («sotto l’influenza di Percy Shelley, di quel divino Ariele trasfigurato dal mare in qualche cosa di ricco e di strano: into something rich and strange.»); Bàrberi Squarotti 1997, S. 73. 20 So etwa bei Mengaldo, der Isellas intertextuelle Fundstücke seiner Lektüre voranstellt, ohne sie funktional werden zu lassen, Mengaldo 2017, S. 227 f. Italienisch_82.indb 76 20.01.20 15: 36 77 Marc Föcking Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca Feuerschlangen. Im Lied Ariels, diesem sich ständig verwandelnden Luftgeist aus Shakespeares The Tempest, geht es um die dem neapolitanischen Prinzen Ferdinand vorgespiegelte Verwandlung des vermeintlich ertrunkenen Vaters auf dem Meeresgrund. Dieser «sea-change» - hier und im Englischen nach Shakespeare ist damit eine ‘grundsätzliche Veränderung’ gemeint - ist auch der der Situation des auf der Felseninsel gestrandeten Ex-Herzog von Mailand und Zauberers Prospero, der nach dem vom dienstbaren Luftgeist Ariel herbeigeführten Seesturm Gewalt über seinen verräterischen Bruder gewinnt, die Tochter Miranda mit dem ebenfalls auf die Insel gespülten Prinzen von Neapel verheiraten kann und schließlich wieder in seine alten Rechte als Herzog eingesetzt wird. Wieder also geht es um Verwandlung - und das greift das «mutarvi» (V. 13) Montales ja auch wörtlich auf. Aber zunächst geht es im Vers 13 mit «invano può mutarvi» um - im Unterschied zu Dante und Shakespeare - das Misslingen der Verwandlung und das Ungenügen seines Agenten, dem «luce di lampo». Das wäre kaum verständlich, sollte dieser Blitz eine «folgore divina» sein, wie Bàrberi- Squarotti gegen den Textsinn mutmaßt. 21 Das Scheitern der Verwandlung könnte stattdessen vermuten lassen, dass es hier um einen anderen Blitz geht, nicht um einen «Lichtblitz» sondern um «Blitzlicht»: Mengaldo und andere sprechen nicht von Ungefähr von vier «istantanee […] fissate al millesimo secondo» 22 , de C.L. Huffman liest «luce di lampo» als Blitzlicht 23 , ohne interpretatorischen Gewinn aus diesen Bemerkungen zu ziehen. Weitergedacht könnte nämlich «luce di lampo» ein Verweis auf ein scheiterndes Medium sein: Hier wird etwas fotografiert, aber das verwandelt die Objekte nicht in «alcunché di ricco e strano». Das Foto scheint Montale als Medium der Verkostbarung nicht geeignet - übrigens auch nicht der Film: Montales ambivalent-kritische Haltung zum Kino ist seit seinem frühen Artikel «Espresso sul cinema» für Solaria 1927 und seinem Bekenntnis zu einer «arte vera […] di pochi e per pochi» bekannt 24 und hat sich bis zu seiner späten Nobelpreisrede «È ancora possibile la poesia? » 1975 nicht grundlegend geändert, denn hier warnt er «Tutte le arti visuali stanno democratizzandosi nel senso peggiore della parola. L’arte è produzione di oggetti di consumo, da usarsi e da buttarsi via in attesta di un nuovo mondo». 25 21 Bàrberi-Squarotti 1997, S. 73. 22 Mengaldo 2017, S. 231. 23 Siehe de C.L. Hufman 1983, S. 220. 24 Montale 1996, S. 170. Wenn Montale dieser «arte vera […] per pochi» auch das Kino «nei suoi buoni risultati» zuschlägt, kann er damit Hollywood und das Massenkino kaum gemeint haben. Vgl. Sielo 2013, S. 101-110. 25 Eugenio Montale, «È ancora possibile la poesia? Discorso tenuto all’Accademia di Svezia il 12 dicembre 1975», in: Montale 1997, S. 5-14, hier S. 8. Italienisch_82.indb 77 20.01.20 15: 36 78 Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca Marc Föcking Montale, der trotz dieser kritischen Haltung in seinen Briefen der 1930er- Jahre immer wieder (und ebenso kritisch) von seinen Kinobesuchen etwa der Filme Katharine Hepburns oder Greta Garbos berichtet, 26 hätte ohne Weiteres auch einen Film sehen können, dessen Titel sich wie Montales Vers 13 ebenfalls an Shakespeares The Tempest anlehnt: Alfred Hitchcocks Rich and Strange (GB 1931/ 32), der während Montales erster Reise nach London im August 1932 lief. Hitchcock schickt in diesem frühen Tonfilm ein unbefriedigtes englisches Mittelklasse-Ehepaar nach einem unerwarteten Geldsegen auf eine Kreuzfahrt und in ein Gefühlschaos erotischer, außerehelicher Attraktionen, und kittet die fast kaputte Ehe der beiden angesichts der Todesgefahren eines Schiffbruchs. Die beiden werden von einer chinesischen Dschunke aufgenommen und finden wieder zusammen. ‘Unchanged’ nehmen sie streitend ihr Mittelklasse-Leben in London wieder auf. Eingeblendet wird zu Beginn eine Tafel mit dem Shakespeare-Zitat «Doth suffer a sea-change into something rich and strange» - doch aus der Verwandlung wird nichts, das Shakespeare-Zitat ist bloße Ironie und auch das Kino als Medium der Verwandlung «into something rich and strange» wird in Hitchcock-typischer Autoreferenz vom Protagonisten Fred gleich zu Beginn enttarnt: «Dam the picture and the wireless and the office, I want real life». 27 Nicht ein technisches «luce di lampo» kann also die Metamorphose der Dinge leisten. Aber wer (oder was) dann? Geeigneter Kandidat ist nur die «poesia» selbst. Sie verwandelt eine beliebige Eidechse, dieses flüchtige Exemplar einer biologischen Familie, das zahllos die Lebenswelt bevölkert, in den «ramarro, se scocca», in ein einmaliges, unverwechselbares, intertextuell durch den Dante-Bezug ausgezeichnetes und durch rhetorischmetrisch-phonetische Operationen 28 individualisiertes poetisches Objekt, das durch die Isotopie der Verwandlung mit den anderen Gedicht-Objekten in eine neue, unbekannte, aber stringente Relation gebracht und so «into something rich and strange» verwandelt wird. Vom Shakespeare-Zitat des «sea-change into something rich and strange» des letzten Verses aus wird diese Verwandlung durch die «poesia» noch evidenter, denn von rückwärts gelesen werden aus den vier scheinbar zusammenhanglosen Schnappschüssen eine semantische, gleichwohl keine narrative Einheit: In Shakespeares The Tempest geht es um die wunderbaren Folgen eines Schiffbruchs vor einer Insel. Damit ist neben der der Verwandlung 26 Montale 2006, eg. S. 331 (Little Women, Regie George Cukor, 1934), S. 206 (Roberta, Regie William A. Seiter, mit Fred Astaire und Ginger Rogers, USA 1935), S. 125 (Christopher Strong mit Katharine Hepburn, USA 1933) etc. 27 Siehe zu Hitchcocks Rich and Strange Fründt 1986, S. 62-67. 28 Zu den phonetisch-lexikalischen Dantismen dieses Mottetto siehe Mengaldo 2017, S. 227-230. Italienisch_82.indb 78 20.01.20 15: 36 79 Marc Föcking Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca eine weitere Isotopie gesetzt, eine nautische: Der «cronometro» in Vers 9 ist also keine Stoppuhr (und schon gar keine «Richteruhr», wie Hanno Helbling übersetzt), sondern ein nautisches Instrument, das die Greenwich-Zeit des Null-Meridians anzeigt und zur Positionsbestimmung auf See benutzt wurde. Der «cannone di mezzodì», die «Mittagskanone», wird an diversen Orten der Welt jeweils um zwölf Uhr abgefeuert, etwa seit den 1840er-Jahren in Rom, zunächst auf dem Castel Sant’Angelo, dann bis heute auf dem Gianicolo. Dieser Schuss diente auf Land der Zeitansage, auf See der Synchronisierung der Schiffschronometren mit der Greenwich-Zeit. 29 Das im plötzlichen Windumschwung («salto») 30 im Wellental vor dem Felsen verschwindende Schiff schließt sich an die nautische Isotopie an und führt direkt zur Insel Prosperos, vor der das Schiff seines Bruders auf Grund geht: «s’inabbissa» (V. 5) ist also durchaus auch im Sinne des «in der Tiefen versinken» zu lesen - immerhin liegt Shakespeares Schiff «full fathom five» tief - fünf Faden, das sind etwa neun Meter. Der Sprung zum «ramarro» gelingt dann über die Zeitmessungs-Thematik des «mezzodì», denn der «ramarro» flitzt zur Zeit der «gran fersa», der heißesten Sommer-Sonne über den Weg - also gegen Mittag. Im Rückgriff auf Dantes «ramarro» und mehr noch das Shakespeare‘sche und mit voller Funktionalität im «invano può mutarvi in alcunché/ di ricco e strano» aufgegriffene «does suffer a sea-change/ into something rich and strange» wird aus dem auf den ersten Blick zusammenhanglosen Bildarsenal flüchtiger Eindrücke etwas Kohärentes, Festes, Dauerndes. Das «tu» des letzten Verses, dem ein «stampo», dem Form und Stabilität eignet, ist die «poesia» selbst, als Agent wie als Produkt. Und wenn man sich dennoch nicht von der liebgewordenen Identifizierung mit der Geliebten eines Canzoniere lösen mag, kann man sich daran erinnern, dass auch Petrarcas Laura ebenso für die Donna amata wie für den «Lauro», den Dichterlorbeer und die Dichtung stand. Übersetzung und Kommentar: Marc Föcking 29 Schön beschrieben in Jack Londons Die Fahrt mit der Snark (1911), London 1996, S. 213: «Als nächstes verglich ich mein Chronometer mit Kapitän Wooleys. Kapitän Wooley, der Hafenmeister, legt in Suva die Uhrzeit fest, indem er dreimal die Woche um zwölf Uhr mittags einen Signalschuss abgibt.» 30 Dass «salto» ein seemännischer Terminus für plötzlichen Windumschwung ist, betonen Isella, Montale 1996, S. 95-97, und Mengaldo 2017, S. 227. Italienisch_82.indb 79 20.01.20 15: 36 8 0 Eugenio Montale: Il ramarro, se scocca Marc Föcking Bibliographie Primärliteratur D’Annunzio, Gabriele: Trionfo della morte, a cura di Giansiro Ferrata, Milano: Mondadori 1985. London, Jack: Die Fahrt mit der Snark (1911), aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann, Hamburg: Mare-Verlag 2016. Montale, Eugenio: Tutte le poesie, a cura di Giorgio Zampa, Milano: Mondadori 1984. Montale, Eugenio: Le occasioni, a cura di Dante Isella, Torino: Einaudi 1996. Montale, Eugenio: Gedichte, übersetzt von Hanno Helbling, München 1987. 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Italienisch_82.indb 80 20.01.20 15: 36 81 S I M O N A FA B E L L I N I / L AU R A L I N Z M E I E R «I complimenti, non si sa mai quando li fanno»: Erfahrungen aus der Seminarpraxis zur kontrastiven Pragmatik mit einer deutsch-italienischen Studierendengruppe Einleitung Dass deutsche Studierende zum ersten Mal erkennen, dass sie italienische Komplimente als überenthusiastisch wahrnehmen und italienische Studierende deutsche Komplementierweisen als più blando einstufen, wird wahrscheinlich erst während ihres Auslandsaufenthaltes in Italien bzw. Deutschland geschehen. Dabei werden sie trotz guter grammatikalischer und lexikalischer Kompetenz lange im Zweifel darüber sein, wie und wann sie Komplimente einsetzen sollen. Ein Verständnis für die richtigen Formen des Komplimentierens oder anderer Formen kommunikativen Handelns zu entwickeln, ist aber in unserer heutigen sich globalisierenden Welt unumgänglich, um Fettnäpfchen, Missverständnisse oder sogar Kommunikationsabbrüche zu vermeiden. Die zahlreichen internationalen Studiengänge an den deutschen Universitäten haben zwar zu einem vermehrten Angebot an Kursen geführt, die Thematiken der interkulturellen Kommunikation und Kompetenz behandeln und auf den Auslandsaufenthalt vorbereiten. In diesen Veranstaltungen steht aber oftmals das Veranschaulichen und Erklären der kulturellen Andersartigkeit des Gastlandes im Vordergrund und nur selten wird trotz der Bezeichnung der Kurse als interkulturelle Kommunikation auf das ‘Handeln’ durch Sprache im konkreten Kontext eingegangen. Mit unserem Seminar Kontrastive Pragmatik deutsch-italienisch wollten wir diese Lücke im didaktischen Angebot füllen. Ausschlaggebend war unsere Erfahrung, dass Studierende erst im Rahmen ihrer Auslandsaufenthalte mit pragmatischen Inhalten kontrastiv und in realen kommunikativsituativen Kontexten in Kontakt kommen - und darauf nur ungenügend durch die vorhandenen Lehrbücher vorbereitet sind. Denn in den Lehrbüchern werden «kaum Fragen der Markierung, der Situationsadäquanz oder der Modalisierung gestellt, sondern eher Formeninventarien im herkömmlichen Sinne vermittelt» (Held 2009: 48). 1 Uns erschien es daher umso wichtiger, einen Rahmen zu bieten, in dem Studierende die Gelegenheit bekamen, konkrete Erfahrungen zu verarbeiten bzw. vorzubereiten und zu einem fun- 1 Vgl. hierzu auch Scialdone (2009: 283). DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 024 Italienisch_82.indb 81 20.01.20 15: 36 82 «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Simona Fabellini / Laura Linzmeier dierten und in der kommunikativen Praxis verankerten Wissen bezüglich der zukünftigen Sprechhandlungen zu kommen. Wir entwickelten deshalb ein Kursformat, das anders als die angesprochenen interkulturellen Kurse nicht das kulturelle Verständnis eines Gastlandes in den Mittelpunkt stellen sollte, sondern dessen Ziel es war, kommunikatives Handeln in seinen verbalen, paraverbalen, nonverbalen und pragmatischen Aspekten im konkreten Vergleich zwischen deutschen und italienischen Formen aufzuarbeiten. Mit unserem Seminar Kontrastive Pragmatik deutsch-italienisch war daher die Absicht verbunden, die Studierenden in einem Lernprozess zu begleiten, in dessen Verlauf ihnen anwendungsnahe Erklärungsmodelle angeboten wurden, sie konkrete Verhaltensweisen erproben konnten und sie zu zukünftigen erfolgreichen kommunikativen Handlungen motiviert wurden. Kontrastive Pragmatik deutsch-italienisch: Inhalt, Methodik und Auswertung Die nun folgenden Beobachtungen basieren auf Erfahrungen und Ergebnissen aus drei Seminaren zur kontrastiven Pragmatik (italienisch-deutsch), an denen sowohl Studierende aus Deutschland als auch aus Italien teilnahmen. 2 Es handelte sich hierbei um semesterbegleitende Kurse, wobei die Veranstaltungen je nach Thema und Zielsetzung zweibis vierstündig angeboten wurden. Zentraler Punkt bei der Konzeption des Kurses war die aktive Eigenarbeit seitens der Studierenden, die ihre Erfahrungen im Rahmen von kleinen Projekten in den Kurs einbringen sollten. Die Vermittlung des theoretischen Fundaments des Kurses und die Hinführung zu den einzusetzenden Methoden wurden von den Dozentinnen selbst übernommen. Selbstverständlich war es auch Sache der Dozentinnen, die Abfolge der im Kurs behandelten Themen vorzubereiten und zu vermitteln. Behandelt wurden grundlegende Theorien der Interkulturalitätsforschung wie die Kulturstandardtheorie und die jeweiligen Kulturstandards in Deutschland und Italien. Besondere Aufmerksamkeit wurde Themenstellungen der Pragmatik (Konversationsmaximen, sprachliche Höflichkeit, Sprechakte) gewidmet. Damit wollten wir dem pragmatic turn Rechnung tragen, der durch die Sprechakttheorie von Austin und Searle in den 60er-Jahren eingeleitet wurde. Durch diesen turn rückte der Fokus weg von sprachstrukturellen Problemstellungen 2 Das Seminar fand erstmalig im Wintersemester 2014/ 15 unter der Leitung von Dr. Simona Fabellini sowie im Sommersemester 2017 und 2018 unter der Leitung von Dr. Simona Fabellini und Dr. Laura Linzmeier statt. Wir danken den Teilnehmern der Kurse für ihre rege Mitarbeit und die Anregungen. Italienisch_82.indb 82 20.01.20 15: 36 8 3 Simona Fabellini / Laura Linzmeier «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» hin zu einer kontext- und partnerorientierten Betrachtungsweise von Kommunikation als intentionales, zielorientiertes Handeln durch Sprechen (vgl. Austin 1962; Searle 1969). 3 Die Studierenden wurden damit beauftragt, die einzelnen theoretischen Aspekte praktisch zu erarbeiten und zu vertiefen. Sie beschäftigten sich hierbei mit Sprechakten wie: 1. Anreden, Begrüßen, Verabschieden 2. Bitten und Entschuldigen 3. Ablehnen und Sich-Beschweren 4. Komplimente aussprechen und annehmen. Auch Themenstellungen wie paraverbale und nonverbale Kommunikation oder Proxemik wurden angesprochen. Nach dem Vorbild des Nähe-Distanz- Modells von Koch/ Oesterreicher ([1992] 2011) wurden die kommunikativen Rahmungen systematisch variiert und jeder Sprechakt- oder Verhaltenstyp sowohl unter distanzwie nähesprachlichen Bedingungen untersucht und konkret erprobt. Weitere Merkmale der hier vorgestellten Veranstaltungsreihe waren: 1. Gruppengröße 10-20 Teilnehmer 2. Deutsche und italienische Teilnehmer 3. Ausgewogene Verteilung hinsichtlich des sprachlich-kulturellen Hintergrunds der Teilnehmer 4. Vereinzelt sogar zweisprachige Teilnehmer 5. Großer Anteil an interaktiven Einheiten (Referate mit Gruppenarbeiten, Übungen zu theoretischen Inputs, gemeinsame Analyse von Videobeispielen direkt im Kurs, Umfragen etc.). Da das Seminarmaterial von den Studierenden selbst erstellt wurde, war im Vorfeld eine engmaschige Betreuung notwendig, sowohl was die Vorbereitung des Analysematerials als auch die Durchführung, Auswertung und Darstellung ihrer Analysen betraf. Hierfür brauchte es seitens der Seminarleitung: 3 «General pragmatics is a set of strategies and principles for achieving success in communication by the use of grammar. Grammar is functionally adapted to the extent that it possesses properties which facilitate the operation of pragmatic principles» (Leech 1983: 76). Italienisch_82.indb 83 20.01.20 15: 36 8 4 «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Simona Fabellini / Laura Linzmeier 1. Klare Zielsetzung und Hypothesenbildung auf der Grundlage bereits vorgestellter Modelle und Theorien aus der interkulturellen und sprachkontrastiven Forschung; 2. Genaue methodische Anweisung zur Erstellung von Umfragen, Videomaterial oder ähnlichem; 4 3. Sensibilisierung für adäquate Präsentationsformen und eventuelle technische Schwierigkeiten (Aufnahmequalität, Länge der Sequenzen, Auswahl des Aufnahmeortes und der Informanten, Umgang mit Informanten, Techniken der Sicherstellung eines spontanen Verhaltens der Informanten in der Aufnahmesituation etc.). Eine der wesentlichen Herausforderungen der Seminarkonzeption, die sich durch Interaktivität, gestalterische Freiheit und Selbstverantwortung auszeichnet, bestand darin, die Studierenden dazu anzuhalten, den Fokus auf das Lernziel beizubehalten. Denn die Kreativität des methodischen Ansatzes führte teilweise dazu, dass die Seminarteilnehmer sich mehr auf das eigenverantwortliche Erstellen des Untersuchungsmaterials konzentrierten und den Blick für das Seminarziel verloren. Dies konnte durch sehr detaillierte Anweisungen und das Schaffen eines realitätsnahen Kontextes seitens der Seminarleitung vermieden werden. 5 Im Anschluss an das Seminar wurden die Studierenden zur persönlichen Einschätzung ihres Lernerfolgs befragt. Der Feedbackbogen enthielt Fragen zur Nützlichkeit der von uns vorgeschlagenen Datenerhebungsmethoden und Fragen zu der Veranschaulichung von Analysen und Ergebnissen des Seminars (s. Fazit). Positiv bewerteten die Studierenden durchgehend das selbstständige und eigenverantwortliche Arbeiten («Aktiv an dem Kurs teilnehmen») sowie den Umgang mit wissenschaftlichen Analysemethoden innerhalb und außerhalb des Kurses («wie man eine Umfrage erstellt», «Analyse der Videos im Kurs», «vor allem die praktischen Übungen»). 4 So fiel zum Beispiel auf, dass sich bereits in der Formulierung der Aufgabenstellung Einfallstore für Interferenzen öffneten und durch die Wahl der sprachlichen Mittel Antwortmuster elizitiert wurden, die der Muttersprache näher lagen. Die Anweisung, einer Person ein Kompliment auszusprechen, triggerte zum Beispiel das italienische Le/ Ti faccio i miei complimenti mit deutlichem Personenbezug. Aus diesem Grund wurde eine möglichst neutrale Formulierung gewählt, die die Aufmerksamkeit nicht automatisch auf die ‘Person’ bzw. die ‘Sache’ lenkte (Esprima un complimento! bzw. Formulieren Sie ein Kompliment! ). 5 In den meisten Fällen handelte es sich um gestellte Situationen im schriftlichen Medium, weshalb die Natürlichkeit und Spontanität der Antworten und Ergebnisse natürlich in einem gewissen Maß eingeschränkt war. Auch ließ sich im Einzelnen nicht vermeiden, dass die Studierenden ‘es besonders gut meinten’ und hyperkorrektes, zu stark reflektiertes Sprachverhalten zeigten. Italienisch_82.indb 84 20.01.20 15: 36 85 Simona Fabellini / Laura Linzmeier «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Ein konkretes Beispiel: verbale Höflichkeit und Komplimentieren Im Folgenden wollen wir den typischen Seminarablauf vorstellen und an einem unserer Themen, nämlich der verbalen Höflichkeit und dem Komplimentieren, vertiefen. Grundsätzlich waren alle Themeneinheiten des Kurses folgendermaßen strukturiert (Abb. 1): Fragestellung und theoretischer Input Materialsammlung und Präsentation Analyse und Auswertung Ergebnisse und Abgleich mit Theorie Abb. 1: Vermittlung theoretischer und praktischer Lehreinheiten im Seminar Kontrastive Pragmatik deutsch-italienisch Wie an dem Diagramm erkennbar gehörte die Verknüpfung von theoretischem Input, praktischer Erfahrung und eigenständiger Analyse zur Methodik des Seminars. Außerdem wurde auf Methodenvielfalt Wert gelegt, um Theorie und Praxis verzahnen zu können. Jede einzelne Methode gab die Möglichkeit, einen speziellen Aspekt einer Thematik besonders hervorzuheben. Der Einsatz unterschiedlicher Methoden konnte somit dem Erfassen der Komplexität des Themas gerecht werden. Hier ein Blick auf den konkreten Ablauf einer Seminarsitzung zu dem angesprochenen Thema (Tab. 1): Thema Wie Wer Wozu Höflichkeit und Face Theoretischer Input + Übung Seminarleitung Wissensaufbau, Bewusstmachung, Verständniserzeugung Komplimentieren Referat 1. Theor. Input Definition Kompliment, Allgemeine kulturelle Unterschiede beim Komplimentieren, Komplimente bekommen (vgl. Leech 1983) 2. Praxis Komplimente deutsch-italienisch kontrastiv mit eigener Umfrage Studierende Vertiefung von bereits eingeführtem Wissen, Selbsterfahrung und Erweiterung von (Sprach)Kenntnissen, Sensibilisierung für die Bedeutung pragmatischer Fähigkeiten in zwischenmenschlichen Kontaktsituationen Italienisch_82.indb 85 20.01.20 15: 36 86 «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Simona Fabellini / Laura Linzmeier Diskussionsrunde Gesamtgruppe Verknüpfung mit eigenen Erfahrungen, aus den Lernerfahrungen anderer Lernen für zukünftige Kommunikationssituationen Übungen/ Erweiterung: Abtönungs- und Abmilderungsstrategien deutschitalienisch kontrastiv Seminarleitung und Gesamtgruppe Anwendung kennengelernter sprachlicher Mittel Schriftliche Zusammenfassung der Ergebnisse (4 Wochen) Studierende Festigung und Reflexion der erlernten pragmatischen Unterschiede, wissenschaftliches Arbeiten (formale Richtlinien, Quellenarbeit, Synthese). Tab. 1: Ablauf einer Seminarsitzung zum Thema Höflichkeit/ Face und Komplimentieren italienisch-deutsch kontrastiv Theoretische Einführung In einem ersten Schritt wurde das Thema ‘Komplimentieren’ in den theoretischen Rahmen der ‘Sprachlichen Höflichkeit’ gestellt und als positive Höflichkeitsstrategie definiert (vgl. Neuland 2009: 156). Sprachliche Höflichkeit stellt laut Neuland (2009: 154) eine «Schlüsselkompetenz für die interkulturelle Kommunikation» dar. Ein Kompliment ist ein Sprechakt, der «explicitly or implicitly attributes credit to someone other than the speaker, usually the person addressed, for some ‘good’ (possession, characteristic, skill, etc.) which is positively valued by the speaker and the hearer» (Holmes 1986: 485). Daher werden Komplimente gerne - je nach Kultur in unterschiedlicher Ausprägung - als gesellschaftliches Bindemittel (vgl. convivial function, Leech 1983: 104 f.) eingesetzt und können «als prototypische Vertreter höflicher Kommunikation angesehen werden» (Ehrhardt/ Müller- Jacquier 2017: 149; vgl. auch dies. 163). 6 6 Die Komplexität dieser Thematik zeigt sich auch darin, dass unterschiedliche Ansätze in der Beurteilung dessen, was ein Kompliment überhaupt ist, bestehen. Unter anderem kann es als ‘verbales Geschenk’ (vgl. Bonacchi 2013: 141) gesehen werden, Italienisch_82.indb 86 20.01.20 15: 36 87 Simona Fabellini / Laura Linzmeier «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» In der Literatur ist die Ansicht verbreitet, dass Komplimente kulturbezogen realisiert werden. So ist in der italienischen Kultur das Kompliment wohl «Ausdruck eigener positiver Gefühle als ‘Ich-Botschaft’ in Verbindung mit konkreten Handlungsvorschlägen» (Neuland 2009: 168). Aus der Kulturstandard-Theorie ist bekannt (vgl. Neudecker/ Siegl/ Thomas 2007), dass in Italien die ‘Beziehungsorientierung’ wesentlicher kultureller Faktor ist, was auch bei Neuland (2009: 168) auf kommunikativer Ebene als «Vergemeinschaftungs- und Bindungsstrategie» thematisiert wird. Die deutsche Kultur hingegen wird als ‘sachorientiert’ (vgl. Schroll- Machl 2 2007) beschrieben und bevorzugt «das Komplimentieren nach dem Prinzip des ‘verdienten Lobs’» (Neuland 2009: 168). Dabei ist der angemessene ‘Ton’ im höflichen sprachlichen Umgang leicht zu verfehlen, was nicht unwesentliche Konsequenzen im Miteinander nach sich ziehen kann: «Dies ist der Grund, warum gerade die vergleichende Blickrichtung von so großer Bedeutung ist und die Fremdsprachendidaktik, kontrastive Linguistik und Übersetzungstheorie die Problematik der Höflichkeit reflexiv ins Rampenlicht zu stellen hat» (Held 2009: 48). Versuchsaufbau und Analyse der Ergebnisse In einem ersten Versuch wurde kontrastiv gearbeitet: Studierende baten eine aus Deutschen und Italienern bestehende Versuchsgruppe, in der Fremdsprache (Italiener auf Deutsch und Deutsche auf Italienisch) Komplimente auszusprechen. Daraufhin wurden Studierende zur Erstellung ihres Referates dazu aufgefordert, deutsche und italienische Kommilitonen und Freunde in ihrer jeweiligen Muttersprache mit Hilfe eines Fragebogens Komplimente aussprechen zu lassen. Es wurden drei Kommunikationssituationen mit verschiedenen Parametern der Nähe bzw. Distanz abgefragt. Eine erste vorgegebene Situation war das Aussprechen eines Kompliments an einen berühmten und bewunderten Künstler anlässlich einer Vernissage. Es handelte sich somit um eine öffentliche und formelle Kommunikationssituation zwischen zwei persönlich nicht bekannten Gesprächspartnern (vgl. Neuland 2009: 158), wobei ein Gesprächspartner in Bezug auf den sozialen Rang und das Alter höher posiwobei Ehrhardt/ Müller-Jacquier (2017: 152) sagen, dass die Wirkung eines komplimentierenden Sprechaktes nicht zwangsläufig als solche beim Adressaten ankommt und somit die «Effekte […] aber kaum kontrollierbar» sind. Zur Einordnung der Komplimente in die Sprechakttheorie vgl. z.B. Austin ( 2 1975: Kap. XII Classes of Illocutionary Force). Italienisch_82.indb 87 20.01.20 15: 36 8 8 «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Simona Fabellini / Laura Linzmeier tioniert war. Die zweite Situation verlangte das Komplimentieren unter gleichaltrigen Freunden. In dieser eher informellen Situation bei gleichem sozialen Rang und mehr persönlicher Nähe als in der ersten galt es, der Gesprächspartnerin ein Kompliment für ihre neue Tasche auszusprechen. Eine dritte Situation verlangte das Sich-Hineinversetzen in den Kontext eines Abendessens bei Freunden und liegt damit im Formalitätsgrad zwischen Situation 1 und 2. Im Folgenden werden die Ergebnisse der kontrastiven Befragung tabellarisch vorgestellt und im Anschluss besprochen (Tab. 2-7). 7 Situation 1: Die Vernissage 1.a: Die Vernissage (formell, kontrastiv) Deutsche Italienischlerner Italienische Deutschlerner Le sue opere mi piacciono davvero tanto! Ihre Werke finde ich wirklich beeindruckend, die sind so originell! Ich bin froh, dass ich die Gelegenheit habe, Sie kennenzulernen. I suoi lavori sono bellissimi! Ich finde Ihre Werke besonders interessant und originell! Sie sind ein begabter Künstler und ich freue mich sehr, Sie kennenlernen zu können. Sono veramente contenta di conoscerla finalmente, amo i suoi lavori! Die Vorstellung hat mir sehr gefallen, besonders […]. Ich werde bestimmt die nächste Veranstaltung kommen. Sono veramente contenta di aver avuto la possibilità di partecipare a questo evento, grazie mille a Lei! È stato bellissimo. Mir gefallen ihre Werke sehr gut und deswegen bin ich froh, hier zu sein und Sie persönlich treffen zu können. Il capolavoro mi piace moltissimo! Endlich kann ich Sie treffen! Ich freue mich sehr an Ihrer Ausstellung zu sein. Wie schön Atmosphäre! Das ist einfach zu charmant! Devo esprimere un gran complimento. Mi è piaciuta tanto la mostra. Auguri! Quando posso vedere la prossima mostra? Ich wollte Ihnen gratulieren: all Ihre Werke sind wunderbar! Und ich frohe mich darüber, Sie persönlich kennenzulernen. 7 Die folgenden Beispiele wurden direkt aus den Fragebögen mit den orthographischgrammatikalischen Abweichungen übertragen. Italienisch_82.indb 88 20.01.20 15: 36 8 9 Simona Fabellini / Laura Linzmeier «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Mi piace moltissimo la sua arte, ammiro il suo lavoro. Ich gratuliere mich mit Ihnen für diese wunderschöne Vernissage. Ich bin so froh hier zu sein! Vielen Dank! Ich gratuliere mich, Ihre Werke sind wunderschön. Und mir gefallen sie sehr viel. Ich freue mich Sie kennenzulernen. Ich mag Ihre Werke und ich finde, dass sie wunderschön sind. Tab. 2: Die Vernissage (formell, kontrastiv) 1.b: Die Vernissage (formell, in der Muttersprache) Deutsche auf Deutsch Italiener auf Italienisch Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Vernissage! Ihre Werke gefallen mir sehr. Le faccio i miei più sentiti complimenti per questa splendida mostra. Io La ammiro moltissimo ed essere qui oggi è un sogno, che diventa realtà! Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Vernissage! Ich bin beeindruckt. Le faccio davvero i miei complimenti per la Sua mostra, i suoi quadri sono davvero spettacolari! Ihre Bilder sind wirklich toll. Ich bewundere Ihre Arbeit. Per me è davvero un onore poter conoscerLa di persona. Ho sempre ammirato la Sua genialità, la Sua costanza e il Suo talento, che per me sono fonti di incredibile ispirazione. Ich verfolge Ihre Arbeit schon länger und finde Ihre Werke sehr inspirierend. Ho trovato la mostra davvero interessante, molto di più di quanto mi aspettavo. Ho apprezzato ogni opera presente. Ich freue mich sehr, Sie persönlich kennenzulernen, denn ich bewundere Ihre Kunst sehr. Volevo complimentarmi con lei per il suo lavoro: apprezzo molto le sue opere! Ihre Vernissage ist wirklich sehr beeindruckend. Ich bin ein großer Fan Ihrer Arbeit. Buongiorno/ Buonasera è un piacere per me poterla incontrare e parlarle personalmente! Aspettavo da tanto questo momento. È proprio una bella mostra e l’atmosfera è davvero incredibile. Italienisch_82.indb 89 20.01.20 15: 36 9 0 «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Simona Fabellini / Laura Linzmeier Ich bin wirklich sehr beeindruckt von Ihren bisherigen Werken, ich kann kaum erwarten, was Sie sonst noch für die Zukunft geplant haben. Vorrei congratularmi con lei per i suoi splendidi lavori. È un onore per me essere qui per poter ammirare le sue opere dal vivo e conoscerLa personalmente. Wenn ich Ihnen ein Kompliment machen darf, Ihre Werke sind sehr beeindruckend. Sie bewegen mich jedes mal aufs neue. Tab. 3: Die Vernissage (formell, in der Muttersprache) Komplimentaussprechen auf Italienisch: Auf den ersten Blick fällt auf, dass die deutsche Versuchsgruppe die ‘Sache’ in den Mittelpunkt des Komplimentes stellt (le sue opere, i suoi lavori/ il suo lavoro, questo evento, il capolavoro, la mostra). Als Verben dienen hierbei amo, mi piace/ piacciono, ammiro etc. Zudem übersetzt diese Gruppe das Deutsche mir gefällt ins Italienische mit «mi piace/ piacciono» bzw. «mi è piaciuta», wodurch die eigentlich für das Italienische typische Ich-Konstruktion vermieden und dadurch die ‘Sache’ in die Subjektposition gerückt wird. In diesen Fällen bleibt die deutsche Versuchsgruppe nah an den Sprachmitteln, die im deutschen Kontext situationsadäquat sind. In einigen wenigen Fällen werden Ich-Botschaften formuliert (sono (2mal), amo), direkte Ansprachen (conoscerla), Personalisierungen (a Lei) und Glückwünsche (auguri) ausgesprochen. Auffällig ist auch in wenigen Fällen die längere Komplimentgestaltung. Diese Redemittel können als Annäherung an das italienische Muster gewertet werden, denn die muttersprachlich italienischen Beispiele belegen eine Präferenz für Ich-Botschaften (z.B. le faccio i miei più sentiti complimenti, io la ammiro, ho sempre ammirato la sua genialità, ho trovato la mostra davvero interessante, volevo complimentarmi con lei) sowie die Komplimentierung der ‘Person’ durch Objektpronomen zusätzlich zur ‘Sache’ (z.B. le faccio, conoscerla, la ammiro, complimentarmi con lei, poterla incontrare und mostra, quadri, opera, il suo lavoro). Auffällig ist auch die Länge der muttersprachlich italienisch geäußerten Komplimente (2-3 syntaktisch vollständige Sätze). Komplimentaussprechen auf Deutsch: Italienische Deutschlerner übertragen auffällig häufig typisch italienische Redemittel ins Deutsche. So verwenden sie oft Ich-Botschaften (z.B. finde ich, ich bin froh, ich finde, ich freue mich, endlich kann ich Sie treffen, ich mag). Die Komplimentierung richtet sich auf ‘Person’ und ‘Sache’ (Sie kennenzulernen, Sie kennenlernen, Sie persönlich treffen, Sie sind ein begabter Italienisch_82.indb 90 20.01.20 15: 36 91 Simona Fabellini / Laura Linzmeier «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Künstler und Werke, Vorstellung, Veranstaltung, Ausstellung) und wird in mehreren Sätzen ausgedrückt. Auch 1 : 1 Übersetzungen aus dem Italienischen sind zu beobachten (*ich gratuliere mich mit Ihnen, *ich gratuliere mich). Obwohl auch im Italienischen der Ausdruck congratulazioni (per) / auguri (per) geläufig ist - der dem deutschen Muster sogar näher kommt -, wird die persönlichere Ausdrucksweise bevorzugt. Dies lässt darauf schließen, dass eine adäquate pragmatisch-lexikalische Kompetenz noch nicht genügend ausgebildet ist. Stellt man diese Komplimente den Ergebnissen aus der deutschen Kontrollgruppe gegenüber, so muss man feststellen, dass die italienische Gruppe die Komplimentierart der eigenen Kultur in die Fremdsprache übertragen hat (s.o.). Belege für die wohl als typisch anzusehende deutsche Komplimentierweise der Muttersprachler sind knapp und formelhaft (Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Vernissage! Ich bin (wirklich sehr) beeindruckt von Ihren (bisherigen) Werken! Wenn ich Ihnen ein Kompliment machen darf […]). Selbst wenn Ich-Botschaften als persönlicher Kommentar zur Ausstellung bzw. zum Werk formuliert werden, sind diese auf die ‘Sache’ fokussiert (Ich bewundere Ihre Arbeit, Ich bewundere Ihre Kunst sehr, Ich bin ein großer Fan Ihrer Arbeit vs. la ammiro) und nicht auf den Künstler. Situation 2: Die schöne Tasche 2.a: Die schöne Tasche (informell, kontrastiv) Deutsche Italienischlerner Italienische Deutschlerner Che bella la tua borsa! È nuova? Johanna, schöne Tasche. Che bella la tua borsetta! È nuova? Dove l’ha comprato? Mi piace molto. Was für eine schöne Tasche hast Du! ! Che bella borsetta! Hey was für eine coole Handtasche hast du da? Ist sie neu? Che bella borsa nuova! Mi piace molto. Julia, coole Tasche! Che bella borsetta che hai. Dove l’hai presa? Du hast eine sehr schöne Handtasche! Es gefällt mir sehr! Wo hast du sie gekauft? Che bella la tua nuova borsetta. Ti sta molto bene. Du hast wirklich eine wunderschöne Tasche! Wo hast du sie gekauft? Che bella la borsa nuova. Dove l’hai comprata? Du hast eine so schöne Tasche! La tua borsetta nuova è veramente bella. Dove l’hai trovata? Schöne Handtasche. Ich mag sie! Tab. 4: Die schöne Tasche (informell, kontrastiv) Italienisch_82.indb 91 20.01.20 15: 36 92 «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Simona Fabellini / Laura Linzmeier 2.b: Die schöne Tasche (informell, muttersprachlich) Deutsche Italienischlerner auf Deutsch Italienische Deutschlerner auf Italienisch Schöne Handtasche hast du da! Woher hast du die? Ma che bella la tua borsa! Ti sta proprio bene! È di Gucci, vero? ! L’ho vista anche io l’altro giorno in negozio e me la volevo comprare! Tolle neue Tasche! Ist die neu? Ma che bella borsa che hai! È nuova? Non te l’ho mai vista prima! Schöne Handtasche! Ist die neu? Schaut echt edel aus! Wo hast die her? Wow! Giulia, la tua borsa è all’ultima moda! Le nostre amiche saranno tutte invidiose appena la vedono! Oh, schöne Handtasche! Che bella borsa che hai, sembra anche molto pratica e spaziosa! Wow, schicke Handtasche. Wo hast Du die denn her? Che bella la tua borsa! È nuova? Mi piace davvero un sacco! Die steht dir gut, die neue Tasche! Gefällt mir! Bellissima la tua nuova borsetta! Ne stavo cercando anch’io una così. Dove l’hai presa, che magari vado a vedere anch’io? Megaschöne Handtasche! Wo hast Du die her? Che bella borsetta! È nuova? Dove l’hai comprata? Wow, Deine neue Handtasche sieht echt schön aus. Wo hast Du sie denn gekauft? Tab. 5: Die schöne Tasche (informell, muttersprachlich) Komplimentaussprechen auf Italienisch: Zunächst wird deutlich, dass die deutsche Versuchsgruppe auch in dieser Situation das Objekt (la borsa) des Kompliments in das Zentrum der Aussage stellt. Daraufhin schließen sich schon fast formelhafte Fragen (z.B. È nuova? , Dove l’hai comprata? etc.) an, die wohl Interesse und Wertschätzung ausdrücken. Deutlich seltener wird der Personenbezug explizit aufgebaut (z.B. Ti sta molto bene). Vergleicht man diese Aussagen der deutschen Studierendengruppe mit denen der italienischen Muttersprachler, so fällt auf, dass die Komplimentierweisen übereinstimmende aber auch abweichende Elemente beinhalten: Auch im Italienischen werden Rückfragen oder andere formelhafte Versatzstücke formuliert (z.B. È nuova? , Dove l’hai presa? etc.), allerdings enthalten viele Komplimente einen Überraschungsmoment, der durch die individuelle Ausformulierung und Anreicherung durch z.B. Attribute (z.B. pratica e spa- Italienisch_82.indb 92 20.01.20 15: 36 93 Simona Fabellini / Laura Linzmeier «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» ziosa, […] di Gucci, all’ultima moda etc.) entsteht. Dadurch wächst auch die Länge der Komplimente, die im Italienischen aus ca. vier Sätzen bestehen (vs. in der deutschen Gruppen lediglich aus ca. zwei Sätzen). Komplimentaussprechen auf Deutsch: Auch italienische Deutschlerner stellen das komplimentierte Objekt in den Mittelpunkt. Jedoch zeigen ihre Komplimente im Unterschied zu den deutschen Muttersprachlern die Konstruktion aus Verb haben + Subjektpronomen (z.B. Was für eine schöne Tasche hast Du! ! ). Dadurch rückt zwar das komplimentierte Objekt ins Zentrum der Aussage, der Zweck dieser Konstruktion ist jedoch ein anderer, nämlich den persönlichen Bezug zusätzlich herzustellen. Durch die Verwendung dieser Konstruktion wird die Wertschätzung - wie sie typisch für das Italienische ist - ausgedrückt, da die Verbindung des komplimentieren Objekts mit der Person hergestellt wird. Auffällig ist auch die geringe Länge der deutschen Äußerungen dieser Gruppe. Möglicherweise beruht die Knappheit zum einen auf ungenügenden Kenntnissen adäquater sprachlicher Mittel bzw. der Unsicherheit in ihrer Verwendung. Zum anderen könnte bei kompetenteren Sprechern hierin eine bewusste Anpassung an das deutsche Modell liegen, das die Italiener selbst als più blando 8 wahrnehmen. Das Kompliment wird durch diese Strategie kürzer, bleibt aber dennoch persönlich. Auf diese Weise erreichen die Komplimente der italienischen Gruppe eine überraschende Ähnlichkeit mit der deutschen Kontrollgruppe, die ebenfalls Rückfragen stellt und sich knapp ausdrückt. Die deutschen Studierenden wählen in den meisten Fällen vorzugsweise elliptische Konstruktionen (z.B. Tolle neue Tasche! , Schöne Handtasche! etc.), um sofort auf das komplementierte Objekt zu verweisen und greifen dagegen seltener auf die Konstruktion haben + Subjektpronomen zurück, um einen persönlichen Bezug herzustellen. Situation 3: Das leckere Abendessen 3.a: Das leckere Abendessen (informell, kontrastiv) Deutsche Italienischlerner Italienische Deutschlerner La cena era benissimo! Abendessen war sehr lecker, danke. 8 Der Kommentar stammt aus einer sich im Anschluss ergebenen Diskussion der an der Umfrage beteiligten Studierenden. Italienisch_82.indb 93 20.01.20 15: 36 9 4 «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Simona Fabellini / Laura Linzmeier La cena era benissimo, grazie! Das Essen war spitze! Vielen Dank für die Einladung! Mille grazie per la invitazione. Era Benissimo, veramente delizioso! Hey Leute, das Essen war unendlich lecker; muss ich echt sagen. È stato veramente buonissimo, grazie ancore dell’invito! Das Essen schmeckt sehr lecker, Alessandro! Grazie mille della cena! Era buonissimo! Es war alles so lecker und alles hat mir geschmeckt. È stato buonissimo. Grazie di nuovo per l’invito. Ich bin überrascht! Alles war sehr lecker. Könnt ihr mir das Rezept von dem Dessert geben? Sono piena, ma è stato buonissimo sul serio. Vielen Dank für diesen leckeren Abendessen! Alles war wirklich gut! Grazie mille per l’invito. La cena era buonissima. Mi puoi dare la ricetta? Das Essen war wirklich lecker. Ich habe super gut gegessen. Vielen Dank für alles! Ich habe eigentlich besser als im Restaurant gegessen. Alles war lecker! Tab. 6: Das leckere Abendessen (informell, kontrastiv) 3.b: Das leckere Abendessen (informell, muttersprachlich) Deutsche Italienischlerner auf Deutsch Italienische Deutschlerner auf Italienisch Es war richtig lecker, danke für’s Essen! Andrea, le tagliatelle erano squisite, veramente! Per non parlare poi del cotechino! Una delizia! E la crostata, una roba da leccarsi i baffi! Non vedo l’ora di tornare a casa tua per provare altre specialità della tua cucina. War echt mega lecker! Lob an die Köche! Und vielen Dank nochmal für die Einladung! Ehi, la cena era favolosa ragazzi! Grazie mille per l’invito! Es war wirklich sehr lecker! Anna, le tagliatelle erano buonissime ed anche il resto; non so tutte le volte che vengono da te si mangia strabene. Non hai mai pensato di aprire un ristorante? War echt voll lecker! È stata davvero una cena deliziosa, devo farvi i miei complimenti! Sono stupita. Ma quell’antipasto…? Mi dareste la ricetta? Italienisch_82.indb 94 20.01.20 15: 36 95 Simona Fabellini / Laura Linzmeier «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Zu euch komme ich öfter zum essen. Es war so lecker! Grazie davvero per questa buonissima cena! Era tutto delizioso! Complimenti alla cuoca! Das hat wahnsinnig lecker geschmeckt. Danke für die Einladung! Complimenti per la cena, era tutto davvero buonissimo! Ich bin so voll, aber will mehr essen, weil es so gut geschmeckt hat. Echt gut gekocht. Era tutto buonissimo, complimenti davvero! Poi dovrete passarmi le ricette! Das Essen war wirklich sehr gut. Ich habe selten so gut gegessen. La cena era spaziale, altro che ristorante! Grazie raga! Tab. 7: Das leckere Abendessen (informell, muttersprachlich) Komplimentaussprechen auf Italienisch: Typisch für das Komplimentierverhalten der deutschen Versuchsgruppe auf Italienisch sind ein generelles Bedanken für die Einladung und das Essen. Dabei wird das Essen in einigen Fällen attribuiert (z.B. delizioso, buonissimo). Wie auch in der zuvor beschriebenen Situation (‘Die schöne Tasche’) ist die Kürze der Komplimente sehr deutlich erkennbar (ca. zwei Sätze). Lediglich ein einziges Mal wird eine Rückfrage zum Abendessen gestellt zum Zweck der weiteren Interessensbekundung (Mi puoi dare la ricetta? ). Auch in der italienischen Kontrollgruppe wird sich für die Einladung bedankt und das Essen attribuiert (squisite, una delizia, una roba da leccarsi i baffi, favolosa, buonissime, spaziale). Allerdings fällt im Italienischen die lexikalische Variation auf, die natürlich möglicherweise an der muttersprachlichen Kompetenz liegt, gleichzeitig aber auch Ausdruck eines für die italienische Kultur typischen Verhaltens sein kann. Denn die Individualisierung des Kompliments scheint eine große Bedeutung im Ausdruck von Wertschätzung und Interessensbekundung zu spielen. Eine vergleichbare Funktion hat hierbei auch die verbale Zerlegung der cena in die Menübestandteile, die je einzeln und ausführlich komplimentiert werden (le tagliatelle erano buonissime ed anche il resto, le tagliatelle erano squisite, veramente! Per non parlare poi del cotechino, Ma quell’antipasto…? ). In manchen Fällen wird der verkürzende, aber auf die Gesamtheit des Menüs verweisende Ausdruck tutto verwendet (tutto delizioso, tutto davvero buonissimo). Weiterer Ausdruck von persönlicher Wertschätzung ist die individuelle Ansprache des/ der Gastgeber/ in bzw. der Gesamtgruppe (Complimenti alla cuoca, Andrea, Anna, raga). Durch diese Strategien ergeben sich zwangsläufig längere Komplimente. Italienisch_82.indb 95 20.01.20 15: 36 9 6 «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Simona Fabellini / Laura Linzmeier Komplimentaussprechen auf Deutsch: Italienische Muttersprachler legen auch im Deutschen Wert auf das Aussprechen des Dankes für die Einladung und das Essen. Ebenso wird das Essen attribuiert, wenn auch die lexikalische Variation - wahrscheinlich aufgrund der fremdsprachlichen Kompetenz - geringer ausfällt (lecker, spitze, gut). Da die italienischen Versuchspersonen nicht auf die Komplimentierung des Menüs verzichten wollen, dies aber wahrscheinlich in der Fremdsprache in der individuellen Zusammensetzung des Essens nicht leisten können, greifen sie auf dem Sammelbegriff alles zurück (z.B. Alles war (sehr) lecker, Alles war wirklich gut! Vielen Dank für alles! ), der aus dem Italienischen bekannt ist (s.o.). Dadurch ergeben sich zwangsläufig kürzere Aussagen. Eine Übernahme aus dem Italienischen stellt das direkte Ansprechen der Gastgeber dar (Alessandro, Hey, Leute). Auch die deutsche Kontrollgruppe bedankt sich für Einladung und Essen und attribuiert das Menü (richtig lecker, mega lecker, wirklich sehr lecker, echt voll lecker, wahnsinnig lecker, wirklich sehr gut), wobei die Komplimentierung ausschweifender ausfällt als in der Fremdsprache, was wahrscheinlich auf die muttersprachliche Kompetenz zurückzuführen ist. Attribuiert wird stets die ‘Sache’ (= Abendessen), die entweder gleich benannt wird (das Essen) oder auf die durch es bzw. das Bezug genommen wird. Hinzu kommen einige (teils ironisch interpretierbare) Zusätze (Zu euch komme ich öfter, Lob an die Köche, Ich habe selten so gut gegessen). Zusammenfassung der Ergebnisse aus den Umfragen Die Befragung in der Muttersprache hat folgende Beobachtungen, die u.a. bereits in der Literatur häufig genannt werden, bestätigt. Im Folgenden werden die geläufigsten Komplimentierstrategien tabellarisch aufgeführt (Tab. 8): Deutsche Studierende auf Deutsch Italienische Studierende auf Italienisch ‘Sache’ steht im Mittelpunkt ‘Person’ und ‘Sache’ stehen im Mittelpunkt unpersönliche Ausdrucksweisen, z.B. mir gefällt persönliche Ausdrucksweisen, z.B. durch Konstruktionen mit avere und individuelle Ansprache Ich-Botschaften seltener und als persönlicher Kommentar Ich-Botschaften häufiger und zum Ausdruck des Kompliments Kürze, z.B. durch Ellipsen, weniger lexikalische Variation Länge, z.B. durch Attribuierung und Detailwiedergabe, lexikalische Variation Tab. 8: Zusammenfassung der geläufigsten Komplimentierstrategien Italienisch_82.indb 96 20.01.20 15: 36 97 Simona Fabellini / Laura Linzmeier «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Durch die eigene Kultur und Sprachmittel geprägt tendierten die Studierenden zu Übertragungen aus der eigenen Muttersprache in die fremdsprachlichen Komplimentierweisen. Zum Beispiel fiel bei den deutschen Italienischlernen auf, dass sie oftmals die ‘Sache’ in den Mittelpunkt des Kompliments stellten, sich kurz und schlichter fassten und seltener Ich-Botschaften zum Ausdruck persönlicher Stellungnahme verwendeten. Auch waren 1 : 1 Übertragungen zu finden wie im Fall von mi piace für mir gefällt. Auch in der italienischen Gruppe wurden Übertragungen aus der Muttersprache ins Deutsche erkennbar: So standen ‘Person’ und ‘Sache’ im Mittelpunkt des Kompliments. Die Komplimente fielen länger aus, da u.a. auch aufwändigere Ich-Botschaften und individuelles Ansprechen gewählt wurden. Auch die typisch italienische Konstruktion che + avere übertrugen sie häufig ins Deutsche durch haben + Subjektpronomen (z.B. Ma che bella borsa che hai - Was für eine schöne Tasche hast Du! ! ). In beiden Gruppen lässt sich die mangelnde pragmatische Kompetenz beobachten: Während z.B. in der deutschen Gruppe Übertragungen aus der Muttersprache, die sowohl sprachliche Mittel sowie auch den Aufbau des Kompliments (Kürze) betreffen, auffällig sind, zeigt sich in der italienischen Gruppe, die in der Muttersprache zu mehr Länge tendiert, dies durch Ausweich- und Vereinfachungsstrategien: So werden z.B. Attribute zwar angeführt, fallen aber zu Ungunsten der lexikalischen Variation aus, und Sammelbegriffe wie alles verwendet, die lediglich die Vielfalt der italienischen ‘Detailliebe’ subsumieren. Dadurch werden die Komplimente zwangsläufig kürzer und unbeabsichtigt der deutschen Ausdrucksweise ähnlicher - wobei natürlich nicht auszuschließen ist, dass bei kompetenteren Sprechen eine bewusste Auseinandersetzung mit dem zur Kürze tendierenden typischen deutschen Modell stattgefunden hat. 9 Fazit «hat Spaß gemacht und gleichzeitig haben wir […] viel darüber nachgedacht» Der vorliegende Beitrag ist zum einen als eine Kursbeschreibung und Anregung zur Gestaltung ähnlicher Kurse in der Sprachwissenschaft zu verstehen. Denn aus den Rückmeldungen (Feedbackbogen) ergab sich, dass die Studie- 9 Wünschenswert wäre eine metasprachliche Erhebung mithilfe einer muttersprachlichen Kontrollgruppe zur Validierung der Äußerungen in der Fremdsprache. Ebenso wäre die Analyse von metasprachlichen Äußerungen zu Komplimentierweisen und ihrer Wirkung in der Fremd- und Muttersprache ein Desideratum. Italienisch_82.indb 97 20.01.20 15: 36 9 8 «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» Simona Fabellini / Laura Linzmeier renden vom kontrastiven Ansatz des Seminars in mehrfacher Hinsicht profitierten: Viele machten sich in diesem Rahmen zum ersten Mal vertieft Gedanken darüber, dass Sprache und Kultur untrennbar miteinander verwoben sind und Kultur sprachliche Mittel prägt («Themen, worüber ich noch nicht […] nachgedacht hatte»). Durch die Sensibilisierung für kulturell geprägte sprachliche Unterschiede entwickelten sie mehr Verständnis für die jeweils andere Kultur («Respekt für die Kulturunterschiede», «Paragonare l’italiano al tedesco è stato molto interessante, soprattutto per capire meglio le due diverse culture [principalmente tedesco]»). Dem Seminar ist es somit durchaus gelungen, die Sensibilität und das gegenseitige Verständnis zu erhöhen. Bisher arbeiteten Studierende in der Regel im Fremdsprachenunterricht mit Lehrmaterialien, die u.a. «[…] situationstypische Redemittellisten zur Bewältigung von relevanten kommunikativen Höflichkeitsaufgaben» bereitstellen (Scialdone 2009: 295 f.) und «mehr Wissen über als Wissen wie» vermitteln (Scialdone 2009: 296). Dank der kontrastiven Analyse und Diskussion der Ergebnisse der selbsterstellten Umfragen hatten die Studierenden Gelegenheit, gezielter auf bestimmte pragmatische Kompetenzbereiche einzugehen und zu reflektieren, wie sie das neu erworbene Wissen im pragmatischen Kontext einsetzen können. Die Bereitstellung sprachlicher Mittel hat keinen Mehrwert, wenn nicht bekannt ist, wie diese «adressaten- und kontextgerecht» (Scialdone 2009: 296) einzusetzen sind. Zwar wird die Veranstaltung trotz ihrer zahlreichen praktischen Anteile eine vorwiegend kognitive Übung bleiben, die nicht jedes Fettnäpfchen und Missverständnis vorbeugen kann. Die Teilnehmer des Seminars werden aber auf der Basis der gewonnenen Lernerfahrungen im Nachhinein Situationen anders bewerten und somit ihre kommunikative Praxis erfolgreicher gestalten können, nicht zuletzt deswegen, weil sie in der Lage sein werden, als L2-Lerner sprachliche Zweifel sinngebend aufzulösen und sprachliche Erwartungen der Fremdsprache zu erfüllen. Es ist also zu hoffen, dass durch mehr Seminare dieser Art Studierende der Fremdsprachen dazu angeregt werden, als fremd erscheinende Ausdruckweisen anzunehmen, zu verwenden und sich auf diese einzulassen, um damit der ‘anderen’ Kultur ein Stückchen näher zu kommen. Abstract. Il nostro contributo tratta aspetti pragmatici della comunicazione, come i complimenti o altre strategie che portano a un comportamento comunicativo adeguato. Conoscere e saper applicare queste strategie riceve un’importanza sempre maggiore nel nostro mondo globalizzato perché i parlanti devono essere preparati ad evitare situazioni imbarazzanti, equivoci Italienisch_82.indb 98 20.01.20 15: 36 99 Simona Fabellini / Laura Linzmeier «I complimenti, non si sa mai quando li fanno» e il rischio di porre fine a una conversazione involontariamente. I nostri risultati sono una sintesi di vari seminari italo-tedeschi sulla pragmatica contrastiva, ai quali hanno partecipato studenti binazionali di madrelingua sia tedesca che italiana. Il motivo per questa scelta didattica è stata l’osservazione che gli studenti vengono a contatto con contenuti pragmatici e contrastivi per la prima volta durante i loro soggiorni all’estero, quindi in situazioni comunicative reali. Gli studenti però spesso non sono adeguatamente preparati a queste situazioni, infatti i libri di testo utilizzati per lo studio delle lingue si concentrano di solito sull’acquisizione di nozioni grammaticali e/ o lessicali e meno su aspetti pragmatici. Summary. The article examines pragmatic aspects of communication, like making compliments or other strategies that facilitate adequate communication. The knowledge and use of such strategies gain in importance in our globalised society, as speakers must be prepared for dealing with embarrassing situations and misunderstandings and face the risk of ending conversations involuntarily. The results presented here go back to a series of German- Italian seminars on contrastive pragmatics with participants having been German and Italian native speakers. The reason to offer these courses was the understanding that many students come into contact with pragmatic and contrastive topics only during their stay abroad, that is, in the real communicative situation. However, students are not prepared sufficiently for these situations, because in fact the course texts concentrate rather on the teaching of grammar and vocabulary of the foreign language than on these pragmatic aspects. Literatur Austin, John Longshaw ( 2 1975): How to do things with words. The William James Lectures delivered at Harvard University in 1955, Cambridge (Mass.): Harvard University Press. Bonacchi, Silvia (2013): (Un)Höflichkeit. Eine kulturologische Analyse Deutsch - Italienisch - Polnisch, Frankfurt a.M. et al.: Peter Lang Verlag. Ehrhardt, Claus/ Müller-Jacquier, Bernd (2017): «Kompliment und Komplimentieren. Begriffs- und Handlungsbestimmung», in: Ehrhardt, Claus/ Neuland, Eva (Hrsg.), Sprachliche Höflichkeit. 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Italienisch_82.indb 100 20.01.20 15: 36 101 Sprachecke Italienisch Die Rubrik «Sprachecke Italienisch» stellt aktuelle Probleme und Tendenzen des Gegenwartsitalienischen vor und befasst sich mit Normierungsschwankungen, grammatischen Unsicherheiten, Neuwortbildungen u.a. Dabei sollen möglichst auch Anfragen und Anregungen aus dem Leserkreis aufgegriffen werden, die die Dynamik des Gegenwartsitalienischen als «lingua […] in forte ebollizione» (F. Sabatini) präsentieren. Verantwortlich für die «Sprachecke Italienisch» ist Prof. Dr. Daniela Pietrini (Universität Halle-Wittenberg): daniela.pietrini@romanistik.unihalle.de. Dallo smartphone alla smart city: variazioni semantiche di un mondo smart In principio era il cellulare, neologismo semantico costituito per ellissi (da telefono cellulare) e conversione (dall’aggettivo cellulare al sostantivo corrispondente) 1 per indicare - la prima attestazione nel lontano 1990 - un telefono portatile connesso a una rete (cfr. DISC 2013, s.v.). Ben presto però (nel 1991), nell’italiano colloquiale, a cellulare si affianca telefonino, derivato per alterazione diminutiva da telefono attraverso il suffisso -ino che conferisce alla base un significato denotativo di piccolezza (i primi telefonini, per quanto relativamente ingombranti se confrontati con modelli più recenti, erano comunque di dimensioni inferiori a quelle dei telefoni fissi del tempo). 2 Se il suffisso alterativo -ino attraverso lessemi come messaggino 1 Si tratta di un tipo particolare di cambio semantico «che consiste nell’assorbimento di una parola complessa in quella parola che, nel lessema complesso, costituisce il modificatore. Attraverso questo processo di assorbimento la parola semplice prende il significato del lessema complesso ereditandone anche la categoria sintattica e il genere, cioè le categorie grammaticali proprie della testa» (Blank 2004: 24). Nel nostro caso quindi si passa dal lessema complesso telefono cellulare al suo assorbimento nel modificatore cellulare, parola semplice che assume significato e categorie grammaticali della testa elisa. 2 Saremmo invece più cauti nell’assegnare a telefonino una connotazione affettiva tout court, che pure gli viene quasi costantemente riconosciuta: «Il telefonino, quindi, si prefigura quasi come un’ossessione, un bene primario, fin dal nome italiano dell’oggetto, affettuosamente connotato tramite il diminutivo, in luogo di più neutre definizioni quali l’inglese mobile, replicato in molte lingue del mondo» (Gheno 2011: 88). Concordiamo piuttosto con Dressler/ Merlini Barbaresi 1994 nel non attribuire genericamente agli alterati una connotazione stabile di affettività/ emotività, ma nel collegare tale significato ai relativi contesti d’uso, sottolineando anche come i diminutivi presentino, tra i propri significati pragmatici, anche quello di ‘non importante’/ ‘non serio’ derivato da ‘piccolo’. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 025 Italienisch_82.indb 101 20.01.20 15: 36 102 Sprachecke Italienisch Daniela Pietrini (1996, ‘breve messaggio scritto inviato col telefono cellulare’, DISC 2013), fotina (‘piccola foto condivisa tramite il cellulare’), faccina (‘tipo di emoticon che rappresenta una piccola faccia, di colore vario, con diverse espressioni’, TREC), oltre al più gergale squillino (‘colpo di telefono dato col cellulare’), sembra assurgere quasi a marca identificativa della comunicazione via telefonia mobile, alle soglie del terzo millennio la rapida evoluzione tecnologica porta alla nascita di un nuovo dispositivo in grado di aggiungere alle funzioni del telefono cellulare quelle di un computer palmare. Si diffonde così l’anglismo smartphone per designare un apparecchio con il quale, oltre a telefonare, ricevere e inviare messaggi, si può anche navigare in internet, utilizzare la propria casella di posta elettronica, ascoltare musica e usufruire di svariati programmi personalizzati. Breve storia di smartphone Se la raccolta di neologismi curata dalla redazione dell’Istituto dell’Enciclopedia Treccani 3 fa risalire la prima attestazione di smartphone a un articolo di Repubblica del 30 giugno 2003 e i principali dizionari lo datano 1996, il termine comincia a comparire con regolarità sulla carta stampata a partire dall’autunno 2002, dapprima sulla versione online del supplemento finanziario di Repubblica: 4 «Il software Smartphone 2002 permetterà di trasformare i cellulari in veri e propri computer portatili capaci di navigare in Internet e di utilizzare innumerevoli applicazioni multimediali. Secondo quanto dichiarato da un portavoce della Orange, il cellulare equipaggiato con Smartphone 2002 avrà un prezzo decisamente inferiore ai computer portatili e palmari, anche se non ha voluto rilasciare indicazioni più precise.» («Bill Gates sbarcherà nel business dei cellulari», La Lettera Finanziaria, 7 ottobre 2002) 3 La banca di neologismi, ampliata regolarmente con cinque neologismi a settimana, può essere consultata gratuitamente all’indirizzo http: / / www.treccani.it/ magazine/ lingua_italiana/ neologismi/ searchNeologismi.jsp. 4 Si noti una prima menzione isolata di smartphone in una notizia breve del 1997 reperibile nell’archivio online dello stesso quotidiano: «Alcatel-Alsthom e Sharp hanno lanciato sul mercato Smartphone: un telefonino di dimensioni molto ridotte e di peso inferiore a 230 grammi». Italienisch_82.indb 102 20.01.20 15: 36 103 Daniela Pietrini Sprachecke Italienisch Smartphone nascerebbe quindi, almeno nelle sue prime attestazioni in italiano, come marchionimo 5 per designare un sistema operativo per telefoni cellulari innovativo prodotto da Microsoft e venduto inizialmente attraverso Orange, la divisione mobile di France Telecom. 6 Eppure soltanto un paio di mesi dopo, nel gennaio 2003, smartphone cessa di identificare un software specifico per indicare l’intera fenomenologia dei telefoni cellulari di nuova generazione, dei quali si paventa profeticamente «la prossima invasione»: «Nella stessa direzione, in fondo, si colloca anche la prossima invasione degli smart-phone. Oggetti che oggi girano per l’Italia quasi solo in versione sperimentale (tranne un modello o due). Solo che nel giro di qualche mese, o addirittura di qualche settimana, arriveranno in grande quantità. Di che cosa si tratta? Sono tutti un po’ diversi uno dall’altro. Ma il concetto di base è sempre il medesimo. Avete presente un palmare (Palm o Ipaq, ma anche altri) e un telefono cellulare? Bene, metteteli insieme e ricavatene un solo oggetto. Sarà uno smart-phone. Un apparato, cioè, che funziona da telefonino, ma anche da palmare. E che quindi è in grado di utilizzare, ad esempio, tutta la suite di Microsoft Office (Word, Excel, Access, Powerpoint, ecc.), ma anche di trattare file musicali e di immagini, video, ecc. Questi smart-phone, inoltre, sono un po‘ più grandi [sic! ] un telefonino e quindi dispongono di ottimi schermi e di ottima visibilità. Naturalmente, sono oggetti ideali per stare sempre connessi in Rete.» («Smart-phone, wi-fi, new tag: il futuro è già qui», Affari e Finanza - Repubblica, 27 gennaio 2003) 5 Il termine marchionimo è tutt’altro che pacifico nella tradizione degli studi di linguistica, terminologia e onomastica commerciale, in cui si affianca e spesso sovrappone a altre denominazioni più o meno specifiche come nome commerciale, crematonimo, ergonimo, econimo, nome di prodotto ecc. (per una discussione di analogie e differenze e dei problemi terminologici e definitori legati ai nomi di marca cfr. Janner 2017: 32-37). Nel presente contributo il termine marchionimo è usato in maniera generica nel senso di nome di prodotto o di marca, secondo la definizione ampia di Caffarelli «Si dice nome commerciale o marchionimo il nome con cui è noto in commercio un determinato prodotto o il nome dell’azienda che lo produce» (2011: 953). 6 V. anche «Orange poised to offer Microsoft Smartphone first», ComputerWeekly, 7 ottobre 2002. In realtà il termine smartphone circolava già, almeno fuori d’Italia, dalla fine degli anni 90. In particolare il primo a riportare la dicitura Smartphone sulla confezione originale e a venire descritto esplicitamente dai produttori come uno «Smart phone» fu nel 1997 il telefono cellulare Ericsson R380s (cfr. Woyke 2014). Italienisch_82.indb 103 20.01.20 15: 36 10 4 Sprachecke Italienisch Daniela Pietrini La genericizzazione di smartphone 7 si accompagna a una relativa esitazione ortografica, oltre che definitoria: se a volte smartphone viene ancora scritto con la maiuscola iniziale per indicare il nome del sistema operativo targato Microsoft («La controllata di Deutsche Telekom nella telefonia mobile e il colosso americano del software, infatti, presenteranno entro l’estate un nuovo cellulare che funziona con il software ‘Smartphone’ della Microsoft», La Lettera Finanziaria, 17 febbraio 2003), il processo di lessicalizzazione passa per la grafia separata da trattino smart-phone («In pratica […] è il primo smart-phone della Nokia. Telefona, ovviamente, ma consente di fare anche tutto quello che vi può venire in mente », La Lettera Finanziaria, 17 marzo 2003), per approdare quindi alla forma univerbata («Come era prevedibile, e come del resto era stato annunciato, la guerra degli smartphone è cominciata», Affari e Finanza - Repubblica, 26 maggio 2003), secondo un’oscillazione peraltro tipica delle neoformazioni non ancora acclimatate nell’uso: «in generale si può affermare che tali formazioni si scrivono separate o unite da trattino quando il parlante avverte la loro struttura compositiva come un modulo ancora aperto, mentre si scrivono univerbate (in una sola parola) quando il composto è stato accolto stabilmente nell’uso o si è lessicalizzato, tanto che si tende a cogliere più la sua accezione complessiva che quella dei suoi membri.» (Setti 2009, s.p.) Le definizioni di smartphone sui principali dizionari dell’italiano ne sottolineano la natura duplice di «apparecchio elettronico che combina le funzioni di un telefono cellulare e di un computer palmare» (NDO 2019), 8 mentre le prime attestazioni a stampa lo descrivono come «super-cellulare per gli appassionati e per quelli super-impegnati» (La Lettera Finanziaria, 17 marzo 2003, cit.), «cellulari evoluti, […] replica in piccolo del pc da scrivania» («Il vecchio cellulare? Ha i giorni contati», Corriere della sera, 17 febbraio 2003). Sulla scia del successo dei primi modelli, i cellulari di nuova generazione conquistano rapidamente il mercato, seguiti da tanti nuovi dispositivi in un succedersi incessante di apparecchi e invenzioni dal raggio di applicazione sempre più eterogeneo, dai telefoni ai televisori (smart TV), 7 Tanto si è scritto sul processo di allargamento semantico che può portare i marchionimi a passare da designazione distintiva a denominazione generica di tutti i prodotti di un certo tipo (es. scottex per ‘carta assorbente da cucina’ di qualsiasi marca e tipologia) spingendosi fino all’ingresso del termine nei dizionari. Per una rapida panoramica del fenomeno cfr. Janner (2017: 41-44; 47-50) e la bibliografia ivi citata. 8 Cfr. anche ZING 2019: «apparecchio elettronico tascabile che è insieme telefono cellulare e computer palmare» (s.v.). Italienisch_82.indb 104 20.01.20 15: 36 105 Daniela Pietrini Sprachecke Italienisch alle lavagne elettroniche (smart board), agli orologi (smartwatch), agli occhiali (smartglass), alla casa intera (smart home). Ma cos’hanno in comune uno smartphone, lo smart working e una smart city, ovvero che cosa si cela dietro l’ormai onnipresente attributo smart? Smart: un anglismo polisemico Smartphone non è la prima parola dell’italiano a contenere l’anglismo smart. Infatti l’elemento formativo smart è un prestito di introduzione tutt’altro che recente nell’italiano, attestato già dal 1962 9 nella locuzione sostantivale smart-set per indicare «il bel mondo, l’ambiente elegante dell’alta società» (NDO 2019, s.v.), ed è in quest’accezione che lo ritroviamo ancora all’epoca della prima attestazione di smartphone nella quarta di copertina del romanzo di Enrico Pellegrini La negligenza, vincitore del Premio Campiello 1997: «Questo libro racconta le feste […] con l’attenzione ai dettagli alla maniera della short story americana. Racconta la voglia di piacere e di stupire dei giovani di una classe sociale che si sposta dall’Italia all’Europa all’America, dal jet-set all’aristocrazia decadente, dallo smart-set californiano ai nouveaux riches dell’Est.» Attraverso la locuzione smart-set, il primo significato dell’aggettivo inglese smart a penetrare nell’italiano è quindi quello di ‘elegante, alla moda’ (inglese in riferimento a persone o luoghi «Fashionable, elegant, sophisticated; belonging to or associated with fashionable or high society», OED 2019, s.v.). Ben presto però (1965) si diffondono in italiano, con significato più o meno analogo a smart-set, diversi altri anglismi quali jet set ‘alta società’, 10 anch’esso un composto di set ‘ambiente, mondo’, jet society ‘alta società internazionale’ e (1966) high society ‘alta società’, destinati a affiancare nell’uso smart-set fino a sostituirvisi. Bisogna quindi attendere gli anni Novanta per ritrovare l’anglismo smart in un nuovo prestito, il composto neologico smart drink che indica una «bevanda costituita da un frullato di frutta arricchito con amminoacidi e vitamine» (GDLI, supplemento 2004, s.v.). Il riferimento a una bibita ener- 9 Per la prima attestazione di smart in italiano cfr. GDLI, Supplemento 2004: «Giovanella Andreoli, Nicoletta Chinni ed altre esponenti dello smart-set di Piazza Ungheria». 10 In senso proprio jet set indica il gruppo sociale di coloro, di solito giovani e alla moda, che viaggiano continuamente per motivi di puro piacere, spostandosi, appunto, in jet. Italienisch_82.indb 105 20.01.20 15: 36 106 Sprachecke Italienisch Daniela Pietrini getica contenente sostanze stimolanti si ricollega a un altro significato dell’aggettivo inglese smart in quanto «Designating a (real or hypothetical) substance, esp. a drug, that (supposedly) increases intelligence or enhances other aspects of cognitive performance» (OED 2019, s.v.), attestato in italiano anche nel prestito smart drug (1991), «Sostanza naturale o sintetica contenente principi attivi con presunte o accertate proprietà psicoattive, la cui produzione non è proibita dalle leggi vigenti» (NDO 2019). Né la società patinata dello smart-set né tantomeno i farmaci stimolanti contenuti negli smart drink sembrano semanticamente vicini a smartphone, per la cui comprensione è più utile considerare un altro neologismo di origine inglese dei primi anni Novanta, il prestito smart card. Con questo termine, attestato in italiano dal 1992, si intende sia la scheda che, inserita in un decodificatore, consente all’utente di visualizzare i programmi di una pay tv, che una «tessera dotata di un microprocessore che consente la memorizzazione e l’elaborazione di dati, utilizzata- spec.- nell’ambito dei sistemi telefonici e bancari» (ZING 2019), una carta magnetica di riconoscimento - per così dire - ‘intelligente’ (v. GDLI, supplemento 2004). È proprio questo valore semantico di intelligenza nel senso di funzionalità evolute per la gestione dei dati a caratterizzare anche la denominazione smartphone, prestito integrale del composto inglese smart + phone secondo l’accezione phone ‘telefono’ e smart ‘intelligente’ (v. ZING 2019), ‘astuto’ (TREC), per cui smartphone andrebbe interpretato come «Voce ingl., propr. ‘telefono intelligente’» (NDO 2019, s.v.). Se la diffusione a macchia d’olio dei cellulari smartphone contribuisce senza dubbio all’espansione della relativa denominazione e di conseguenza anche all’accettazione dell’elemento formativo smart nell’italiano contemporaneo, non tutti i neologismi su base smart degli ultimi anni possono essere spiegati alla luce del valore semantico di ‘intelligenza’ che contraddistingue l’anglismo smartphone. Le osservazioni seguenti si propongono di classificare alcune neoformazioni dell’italiano contemporaneo proprio in base alle sfumature semantiche dell’elemento smart. Gli indossabili: i nuovi accessori smart Strettamente legati al significato di smartphone ‘telefono intelligente’ sono diversi accessori accomunati dall’uso di una tecnologia particolarmente innovativa e dal legame con i mondi della telefonia mobile e del computer. Tra le neoformazioni di questo tipo figura smartwatch, orologio dotato di connettività wireless in grado di collegarsi a uno smartphone interagendo con esso e duplicandone alcune funzioni (avviso di chiamata e di messaggio, data, informazioni meteo ecc.) fino a operare, in alcuni casi particolarmente avanzati, addirittura in autonomia: Italienisch_82.indb 106 20.01.20 15: 36 107 Daniela Pietrini Sprachecke Italienisch «Come racconta Gabe, il padre stava pedalando nel Riverside State Park di Spokane, negli Stati Uniti,- quando la bicicletta si è ribaltata. L’uomo- è rovinato a terra battendo la testa ed è rimasto incosciente. Impossibile per lui chiedere aiuto ma ci ha pensato lo smartwatch, nello specifico un Apple Watch serie 4.» («Smartwatch gli salva la vita: chiama i soccorsi mentre lui è incosciente», Corriere della sera online, 22 settembre 2019) Smartwatch è l’unico accessorio di questo tipo repertoriato nella nomenclatura della maggioranza dei principali dizionari dell’italiano contemporaneo, ma non certo l’unico neologismo costruito in base a questo meccanismo formativo. Un altro esempio è smartband, sorta di braccialetto ‘intelligente’ di forma ergonomica e peso ridotto, dotato di un sistema di segnaletica digitale wireless in grado di monitorare attività sportive, fitness e stato di salute quotidiano (incluso il sonno) e di inviare i dati allo smartphone: «Il TomTom Touch (circa 150) euro [sic! ] è il primo smartband al mondo ad analizzare la composizione corporea: è in grado di determinare la percentuale di massa grassa di un individuo, per uno stile di vita più sano, una dieta mirata e un allenamento più efficace.» («Ifa 2016, i nuovi prodotti TomTom: Vio e Touch», Repubblica online, 1 settembre 2016) Si noti inoltre, nel caso di smartband, l’oscillazione di genere tra il maschile (in analogia con il corrispondente italiano braccialetto) e il femminile («Ecco la classifica delle migliori smartband…», www.tuttoandroid.net) riferito probabilmente a banda o fascia: difficile per adesso avanzare prognosi sul genere destinato ad avere la meglio. Interessante infine il neologismo indossabili per designare i nuovi dispositivi tecnologici ‘da indossare’, calco dell’inglese wearable (computing device) «A portable device (esp. one incorporating computer technology) designed to be worn on one’s person» (OED 2019, s.v.), presente in italiano dapprima nella locuzione nominale dispositivi indossabili (o tecnologia indossabile) e quindi, per conversione, come sostantivo indossabile: 11 «Resta lui [Watch 3, n.d.R.] il più desiderabile, anche se il-Watch 4-(ora uscito dalle vendite) ha conquistato la vetta tra gli indossabili da polso di fascia alta. » («Apple Watch 11 Su semantica e restrizioni morfologiche relative al suffisso -bile per la formazione di derivati aggettivali deverbali cfr. Ricca (2014: 422-429). Italienisch_82.indb 107 20.01.20 15: 36 108 Sprachecke Italienisch Daniela Pietrini 5, mai più l’ora buia: la nostra prova», Repubblica online, 18 settembre 2019).- Alla stessa categoria di accessori tecnologici smart indossabili appartiene anche il neologismo smartglass, attestato in italiano dal 2009 per indicare un «Occhiale interattivo che permette di registrare le immagini dell’ambiente circostante o di sovrapporre a esse le informazioni provenienti da un elaboratore» (NDO 2019). 12 Si tratta di un dispositivo che consente all’utente di vedere le informazioni aumentate all’interno del proprio campo di visione senza utilizzare le mani e mantenendo nel contempo il contatto visivo con l’attività che sta svolgendo. Nonostante tanto i Google Glass quanto gli italiani GlassUp non siano riusciti a imporsi sul mercato, 13 diverse imprese continuano a studiare possibili applicazioni di nuovi smartglass per il mondo del lavoro. Nelle denominazioni di simili accessori l’anglismo formativo smart riprende il significato di ‘dotato di un microprocessore’, presente già in smart card. La denominazione assume quindi per estensione anche il significato di ‘connesso a uno smartphone’, per cui, in tali composti, smart può anche essere letto come accorciamento di smartphone. Nello specifico smartwatch sarebbe quindi tanto un ‘orologio intelligente in quanto dotato di microprocessore’ che un ‘orologio connesso a uno smartphone’. Stesso meccanismo anche per smartband, interpretabile sia come ‘braccialetto intelligente perché dotato di microprocessore’ che come ‘braccialetto connesso a uno smartphone’ e per smartglass, ‘occhiale dotato di microprocessore’ e ‘connesso a uno smartphone’. Home, smart home: una casa intelligente L’uso dell’elemento compositivo smart non è limitato alle neoformazioni che designano indossabili tecnologici dotati di microprocessori, ma si estende a un’ampia gamma di dispositivi e elettrodomestici collegati alla rete e che 12 Sottolineiamo una relativa incertezza morfologica quanto al numero del neologismo, indicato per es. in ZING 2019 al plurale smart glasses (in analogia con il plurale it. ‘occhiali’), mentre il singolare smart glass indicherebbe un polimero sintetico simile al vetro in grado di modificare l’intensità della luce e del calore che l’attraversa, usato nell’arredamento d’interni e nell’industria automobilistica e aeronautica. Su problemi legati al numero di smartglass e in particolare del marchionimo Google glass in italiano e inglese cfr. Corbolante (2013). 13 I Google Glass sono stati definitivamente ritirati dalla distribuzione a gennaio 2015, per quanto recentemente sia stato annunciato il lancio di un nuovo modello per professionisti previsto per la fine del 2019 («I nuovi Google Glass sono in vendita a 999 dollari (ma non per tutti)», wired.it, 22 maggio 2019). Italienisch_82.indb 108 20.01.20 15: 36 109 Daniela Pietrini Sprachecke Italienisch possono essere gestiti a distanza. Primo fra tutti il televisore, ribattezzato smart TV per sottolineare la convergenza tecnologica tra il mondo della televisione e quello dei personal computer grazie all’integrazione, negli apparecchi televisivi, di funzioni e servizi legati a internet (streaming, video on demand, navigazione in rete, multimedialità ecc.). Gli «elettrodomestici-smart, dispositivi ‘intelligenti’ in grado di connettersi a Internet» («Privacy, smart TV e assistenti vocali sotto accusa», Corriere della Sera online, 18 settembre 2019) sono ormai onnipresenti, non solo televisori, ma anche «assistenti vocali, altoparlanti, addirittura citofoni e frigoriferi» 14 (ibid.) connessi alla rete tramite Wi-Fi, Bluetooth o protocolli simili per controllarne e ottimizzarne le funzioni. Dal punto di vista linguistico, la denominazione di questi dispositivi fa registrare un cambiamento: a differenza di prestiti integrali come i già citati anglismi smartphone, smartband, smartglass ecc., la tecnologia domestica ‘intelligente’ sembra preferire il ricorso a smart in funzione di determinante per creare locuzioni nominali ibride italo-inglesi del tipo ‘N elettrodomestico + smart’. Le variazioni sono infinite, dai termostati smart alle lampadine smart («e con i termostati e le lampadine smart è possibile ridurre il consumo di energia», «Case smart, il desiderio segreto», Repubblica, 16 settembre 2019) fino addirittura ai vasi smart che aumentano la capacità purificatrice delle piante e permettono di monitorare la qualità dell’aria di casa via smartphone («Ifa, una pianta di aloe vi purificherà l’aria», Repubblica online, 9 settembre 2019): «L’inverno si avvicina e un- termostato smart, connesso a internet e intelligente, può essere un valido aiuto per sentire meno freddo quando si rientra a casa. […] A livello pratico,- i termostati smart sono dotati di circuiti Wi-Fi- che consentono di connettere il dispositivo a internet.- Si gestiscono sia da smartphone che da tablet- o da un semplice computer, accedendo al proprio profilo online. Che si tratti di riscaldare tutto l’appartamento o solo alcune zone della casa, i migliori termostati connessi donano flessibilità e convenienza.» («Casa gelata al rientro? Accendi il riscaldamento dallo smartphone», Corriere della sera online, 22 settembre 2019) 14 Ricordiamo anche il caso di cronaca americano, diventato subito «virale» anche in Italia, di Dorothy, adolescente statunitense che, per sfuggire ai controlli della madre colpevole di averle sequestrato tutti i dispositivi elettronici, si riduce a twittare dal proprio smart refrigerator (frigorifero smart, v. «La mamma le sequestra il telefono, la 15enne twitta dal frigo e diventa virale», Corriere della sera online, 14 agosto 2019). Italienisch_82.indb 109 20.01.20 15: 36 110 Sprachecke Italienisch Daniela Pietrini Nasce insomma il concetto di smart home nel senso di una proprietà dotata di una connessione internet affidabile, di un dispositivo di sicurezza che controlli l’accesso e di diversi elettrodomestici e sistemi dalla funzionalità ‘intelligente’ per gestire temperatura, illuminazione, intrattenimento, ecc. anche in remoto. Di smart home è diffuso anche il calco traduzione casa intelligente, «progettata per essere gestita anche a distanza da chi vi abita attraverso dispositivi che controllano e coordinano alcune funzionalità quali l’accensione e lo spegnimento del sistema di climatizzazione e degli elettrodomestici, il monitoraggio di parametri come la temperatura e l’umidità, ecc.» (NDO 2019, s. casa). Alla casa intelligente è strettamente legato il lessema domotica, parola macedonia costituita dall’incontro tra l’elemento formativo neoclassico dom(o) (da domus ‘casa’) e (informa)tica per designare la disciplina che si occupa dell’applicazione di elettronica e informatica alla gestione dell’abitazione (v. NDO 2019 e ZING 2019), un termine datato fine anni ottanta dai principali dizionari, ma presente regolarmente sui giornali italiani soltanto a partire dall’inizio del terzo millennio. 15 Alla rete degli oggetti - specie di uso quotidiano - e degli ambienti smart, dotati cioè ognuno di un proprio microprocessore e di un collegamento wireless e pertanto riconoscibili, localizzabili e controllabili tramite internet, 16 si collega anche il calco traduzione internet delle cose (ingl. Internet of things) cui ci si riferisce costantemente a proposito di casa intelligente: «In questo momento il luogo più ‘pericoloso’ è proprio casa vostra: ci sono gli assistenti vocali, appunto, ma anche il frigorifero smart, l’aspirapolvere e il robot da cucina azionabili dal telefonino, la tv intelligente. C’è l’Internet delle cose, insomma.» («Parla con me (e ti spierò)», Repubblica, 2 aprile 2019) Nel nome della sostenibilità: la smart city L’evoluzione semantica di smart non si limita al passaggio dall’aspetto meramente tecnologico relativo alla dotazione di un microprocessore e al legame con il campo della telefonia mobile (smartphone) a quello dell’automatizzazione e dell’ottimizzazione di funzioni e risorse per la gestione delle abita- 15 NDO 2019 ne colloca la prima attestazione nel 1988, per quanto il supplemento 2004 del GDLI citi invece un esempio del 2000: «dal 19 al 23, nell’ambito dello smau, un intero settore e sei padiglioni del salone milanese de dicato all’elettronica saranno riservati alla domotica, cioè all’informatica per la casa» (GDLI, supplemento 2004, s.v.). 16 Cfr. Osservatorio di terminologie e politiche linguistiche, 22. Italienisch_82.indb 110 20.01.20 15: 36 111 Daniela Pietrini Sprachecke Italienisch zioni (elettrodomestici smart). Proprio i concetti di ottimizzazione e innovazione sono alla base di un altro gruppo di neologismi con cui smart esce dalle quattro mura domestiche per spostarsi nei domini dell’architettura, dell’urbanistica e delle infrastrutture. Per riferirsi alle strategie di pianificazione urbanistica correlate all’innovazione e alle nuove tecnologie della comunicazione con lo scopo di migliorare la qualità della vita dei cittadini (cfr. AA.VV. 2013) si è diffuso il concetto di smart city: «città pianificata con tecnologie innovative (servizi pubblici, ambiente, gestione energetica,- ecc.), così da rendere alta la qualità della vita di chi vi abita» (ZING 2019, s. smart). Una smart city mette in relazione le nuove tecnologie digitali, pilastro semantico dell’attributo smart, con il capitale umano presente in loco sulla base dei parametri di ambiente, economia, vivibilità, mobilità, persone e gestione. 17 È la stessa Commissione Europea a definire il concetto di smart city nell’ambito delle proprie iniziative e direttive di sviluppo urbano: «A smart city is a place where- traditional networks and services are made more efficient with the use of digital and telecommunication technologies- for the benefit of its inhabitants and business.- A smart city goes beyond the use of information and communication technologies (ICT) for better resource use and less emissions. It means smarter urban transport networks, upgraded water supply and waste disposal facilities- and more efficient ways to light and heat buildings. It also means a more interactive and responsive city administration, safer public spaces and meeting the needs of an ageing population.» (EU, Smart Cities, ec.europa.eu) 18 17 Queste categorie (Smart Economy, Smart Living, Smart Environment,- Smart Mobility, Smart People,- Smart Governance) sono state sviluppate da un gruppo di ricerca della TU di Vienna per poter confrontare diverse città europee di medie dimensioni (cfr. Giffinger 2007, oltre al sito www.smartcities.eu), per poi venire riprese, in un quadro sinottico multilingue, dall’Osservatorio di terminologie e politiche linguistiche dell’Università Cattolica del Sacro Cuore, che ha messo a punto anche un «Glossario della Smart City» (consultabile all’indirizzo https: / / centridiricerca.unicatt.it/ otpl-GLOSSA- RIO_SMART_CITY.pdf). 18 In un articolo molto esteso pubblicato dal network di testate digitali Digital 360, nella sezione EconomyUp, si legge la seguente definizione di smart city: «una- città intelligente, che sa stare al passo con le innovazioni e con la rivoluzione digitale. Smart city significa connessioni wi-fi nei luoghi più disparati, sviluppare infrastrutture «intelligenti», strade percorse da auto a guida autonoma, incroci regolati da semafori intelligenti, un alto livello di tecnologia high-tech. Città sostenibili in cui gli oggetti si scambiano informazioni tra di loro, o dove gli impianti di illuminazione sono in grado Italienisch_82.indb 111 20.01.20 15: 36 112 Sprachecke Italienisch Daniela Pietrini Alla base del concetto di smart city c’è quindi l’interazione tra le nuove tecnologie, la qualità della vita e il risparmio energetico. In questo modo l’anglismo smart si arricchisce di una nuova componente semantica legata appunto alla sostenibilità dello sviluppo e all’ecologia. Insomma smart non è più parafrasabile soltanto con ‘intelligente’ né con ‘connesso’, ma anche con ‘sostenibile’, risemantizzato nel senso ecologico di «Sviluppo sostenibile, processo di sviluppo economico e produttivo tendente ad armonizzare lo sfruttamento delle risorse disponibli con il rispetto delle condizioni e delle compatibilità ambientali» (HOE 2018). La stessa accezione si ritrova anche nel prestito smart mobility che indica una mobilità sostenibile e al tempo stesso efficiente, altamente tecnologica e a basso impatto ambientale: «Una- mobilità moderna ed efficiente- significa spostamenti facili e quindi una qualità di vita nettamente migliore dell’attuale. Allo stesso tempo la smart mobility spinge ad una- svolta ecologica- delle persone e dei mezzi. Se ci si muove in modo intelligente si arriva prima e si inquina meno.» («Smart mobility: significato e servizi», www.ideegreen.it, 18 giugno 2018) Si noti tra l’altro che, a differenza di quanto avvenga con altri anglismi composti di smart, la versione italiana di smart mobility non è - o non è solo - mobilità smart, ma piuttosto mobilità sostenibile, neoformazione che mette in evidenza il rapporto semantico stretto tra quest’accezione di smart e la salvaguardia dell’ambiente: «Milano è in testa alle città d’Italia per mobilità sostenibile. Lo rivela uno studio del Ministero dell’Ambiente che pone il capoluogo lombardo davanti a tutti per uso di taxi ibridi, bike sharing e mobilità elettrica.» («I primati del capoluogo lombardo». Repubblica, 5 settembre 2019) Meno trasparente risulta l’anglismo smart grid, datato 2007 dal NDO 2019 che lo definisce una «Rete elettrica dotata di sensori intelligenti che raccolgono informazioni in tempo reale ottimizzando la distribuzione di energia.» Italianizzato in rete elettrica intelligente, il neologismo designa una rete di riprodurre la luce del giorno. Ma anche dove è possibile produrre alimenti in maniera innovativa e praticare una mobilità sostenibile fatta di bike sharing, car sharing e auto ibride o elettriche. Per tutti questi motivi la smart city è costellata di- sensori- che generano una grande quantità di dati i quali potrebbero sia alimentare servizi più evoluti ed in tempo reale, sia permettere alle amministrazioni una gestione sempre più efficiente» («Smart city: che cosa sono e come funzionano le città intelligenti», www.economyup.it, 9 luglio 2019). Italienisch_82.indb 112 20.01.20 15: 36 113 Daniela Pietrini Sprachecke Italienisch elettrica basata sullo scambio di informazioni tra distributori e consumatori, utili per poi razionalizzare e distribuire l’energia in maniera efficiente, evitando i sovraccarichi e le variazioni di tensione. Il lavoro agile In questa carrellata di neologismi smart dell’italiano contemporaneo non può mancare lo smart working, ben più noto nella versione italiana di lavoro agile. Il lavoro agile è definito dalla legge 81/ 2017 sulla tutela del lavoro autonomo come: «modalità di esecuzione del rapporto di lavoro subordinato stabilita mediante accordo tra le parti, anche con forme di organizzazione per fasi, cicli e obiettivi e senza precisi vincoli di orario o di luogo di lavoro, con il possibile utilizzo di strumenti tecnologici per lo svolgimento dell’attività lavorativa. La prestazione lavorativa viene eseguita in parte all’interno di locali aziendali e in parte all’esterno senza una postazione fissa, entro i soli limiti di durata massima dell’orario di lavoro giornaliero e settimanale, derivanti dalla legge e dalla contrattazione collettiva.» (Legge 81/ 2017, Capo II, Art. 18) Molto di più di un semplice telelavoro, il lavoro agile vanta una componente smart che consiste quindi nel connubio tra la grande flessibilità legata all’assenza di vincoli orari o spaziali - e l’impiego irrinunciabile di una dotazione tecnologica che consenta, attraverso l’uso di dispositivi portatili sempre connessi, di svolgere la prestazione lavorativa da una sorta di scrivania virtuale. Colpisce inoltre, nell’ambito della normativa che regola il lavoro agile, la presenza di un altro neologismo, stavolta pertinente alla sfera del lessico specialistico di tipo giuridico: il diritto alla disconnessione inteso come diritto del lavoratore a usufruire del proprio tempo libero in modalità offline, senza essere connesso cioè a nessun dispositivo smart. Previsto per la prima volta in Francia nel 2016 dalla Loi du Travail (n° 2016-1088, § 7), in Italia il diritto alla disconnessione è sancito proprio dalla legge sul lavoro agile appena citata: «L’accordo individua altresì i tempi di riposo del lavoratore nonché le misure tecniche e organizzative necessarie per assicurare la disconnessione del lavoratore dalle strumentazioni tecnologiche di lavoro.» (Legge 81/ 2017, Capo II, Art. 19) Italienisch_82.indb 113 20.01.20 15: 36 114 Sprachecke Italienisch Daniela Pietrini Il mondo smart: connesso, intelligente, sostenibile, agile… La casistica appena delineata, lungi dal pretendere di essere esaustiva, mira piuttosto a delineare a grandi linee un quadro dell’evoluzione del significato e degli usi di smart nell’italiano contemporaneo. Sulla spinta di innumerevoli neologismi l’anglismo smart si impone nell’italiano contemporaneo come elemento formativo di ampia estensione semantica. A parte il significato predigitale di ‘elegante, alla moda’ (smart-set), la ‘carriera’ di smart comincia con smartphone (il telefono cellulare collegato a internet), modello di formazione per la denominazione di tanti altri dispositivi dotati di microprocessore e in grado di connettersi allo smartphone stesso (smartwatch, smartband, smartglass). Dal nome di questi indossabili, ancora prestiti integrali dall’inglese, l’elemento smart comincia a emanciparsi e a presentarsi come determinante in svariati composti ibridi con il valore di ‘connesso’, termine che a propria volta si affianca a intelligente come alternativa a smart nei calchi e nei composti italiani. Qualche esempio dal campo degli indossabili, sia pure in senso lato: oltre agli auricolari smart, «cuffie bluetooth presentate all’Ifa 2019 a Berlino e che permettono di tradurre in simultanea in 36 lingue» («Ifa 209, ecco gli auricolari smart per parlare in tutte le lingue del mondo», Repubblica online, 7 settembre 2019), troviamo anche il ciuccio smart, un ciucciotto «dotato di- sensore di rilevamento- che si connette via app allo smartphone di genitori, nonni, babysitter o maestre d’asilo, dando informazioni in tempo reale sulla- posizione esatta del bambino» («Safe-Up, il ciuccio italiano connesso allo smartphone dei genitori», Corriere della sera online, 8 aprile 2019), e persino, in una neoformazione tutta italiana, il «pannolino intelligente che attraverso dei sensori dialoga con lo smartphone dei genitori dando informazioni sullo stato di salute del bimbo» («Ecco il ‘pannolino intelligente’. Il neonato ora è connesso», Repubblica, 27 agosto 2019). La gamma di locuzioni nominali ibride che presentano smart come secondo elemento di composizione, determinante di origine inglese collocato alla maniera romanza a destra di determinati italiani, è destinata a ampliarsi rapidamente, mentre il significato di smart si estende da ‘connesso’ a ‘intelligente’ nel senso di ‘dispositivo in grado di compiere funzioni complesse in maniera parzialmente autonoma’, dal riconoscimento del bucato (lavatrici smart) a quello dei cibi da refrigerare (frigorifero smart) alla regolazione automatica della luminosità degli ambienti (lampadine smart) ecc. Tale funzionalità non viene rappresentata semanticamente come un mero lusso fine a sé stesso, ma come finalizzata al compimento di uno stile di vita responsabile nei confronti dell’impatto ambientale della quotidianità. Si compie così un ulteriore ampliamento semantico di smart verso il settore della ecosostenibilità (smart city), anzi proprio sostenibile diventa il corrispondente Italienisch_82.indb 114 20.01.20 15: 36 115 Daniela Pietrini Sprachecke Italienisch italiano di smart nei calchi traduzione riferibili a questo campo semantico (da smart mobility a mobilità sostenibile). Smart esprime ormai il connubio tra l’alta tecnologia dell’informazione, la responsabilizzazione, la flessibilità e la personalizzazione (v. il concetto di smart working/ lavoro agile), fino a emanciparsi dal proprio ruolo di elemento di composizione di prestiti dall’inglese per diventare una parola dell’italiano a tutti gli effetti, suscettibile di modificare qualsiasi sostantivo per aggiungere sfumature di significato che spaziano dalla mera connessione in internet a funzioni evolute di raccolta automatica e monitoraggio dei dati più svariati (si pensi al tatuaggio smart che aiuta a monitorare le malattie, ai capi di abbigliamento smart che controllano i parametri vitali di chi li indossa, alla spazzola smart che offre l’analisi della pelle ecc.), per descrivere un mondo ‘sempre più smart’. Daniela Pietrini Bibliografia citata AA.VV. 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Göttingen: Mainz University Press bei V & R unipress 2018 (Romanica. Studien zur romanischen Literatur- und Kulturwissenschaft, Band 005), 320 Seiten, € 37,99 Einem zentralen Motiv nicht nur der Lyrik widmet sich die Dissertation von Vanessa Schlüter. In der provenzalischen Lyrik kann es auch für den Menschen als Ganzes stehen, in der Troubadourlyrik wird es erotisiert, bei Dante erstmals mit Dichtung und Inspiration verbunden. Die Rede ist vom Herzen. In der frühen Neuzeit werde es zwar metaphorisch mit ‘Liebe’ gekoppelt, eine der heutigen vergleichbare symbolische Vereindeutigung (Herz = Liebe) habe dort aber noch nicht stattgefunden (S. 15). Für die an der historischen Diskursanalyse orientierte Dissertation bietet sich die zugleich am medizinisch-naturphilosophischen wie auch am christlich-religiösen Diskurs partizipierende Herzmetaphorik und -motivik hervorragend an, um die Funktionalisierung des Herzens in der Liebeslyrik als Knotenpunkt unterschiedlicher Diskurse zu betrachten. Die Entwicklung vor allem des wissenschaftlichen Diskurses über das Herz soll dabei mit der Entwicklung des liebeslyrischen Diskurses über das Herz verglichen werden. Die Lyrik begreift Verf. mit Rainer Warning als konterdiskursiv. Durch ihren zwanglosen Umgang mit dem Wissen eigne ihr eine «diskursive Hybridität» (S. 19), die «der Funktionsweise der Metapher» entspricht, die «deutlich von einem historischen Wandel gekennzeichnet» ist. Die Herzmetaphorik der untersuchten Werke gilt der Verfasserin entsprechend als «Index für die jeweilige Diskurskonfiguration» (S. 20). Den Petrarkismus definiert Schlüter als in hohem Maße kardiozentrisch. Den Begriff des Kardiozentrischen entlehnt sie der Medizingeschichte: Er bezeichnet jene Lehrmeinung, die mit Berufung auf Aristoteles das Herz als zentrales Organ des menschlichen Körpers betrachtet. Die medizinischen Thesen zum Herzen waren den Liebeslyrikern wohlbekannt. Als Beispiele für den regen interdisziplinären Austausch zwischen Medizin und Literatur nennt Schlüter die drei Ärzte-Literaten-Paare Guido Cavalcanti-Dino del Garbo (letzterer kommentierte Cavalcantis Donna me prega); Dante-Taddeo Alderotti (hier belässt sie es allerdings bei der Feststellung, dass beide das jeweilige «Konzept» des anderen kannten); schließlich Petrarca-Giovanni Dondi dall’Orologio (die persönliche Bekanntschaft Petrarcas mit diesem Arzt trug vielleicht zum Abnehmen seiner bekannten Ärztefeindschaft bei). Italienisch_82.indb 117 20.01.20 15: 36 118 Buchbesprechungen In ihrem Petrarca-Kapitel («Francesco Petrarca: der Canzoniere und das kranke Herz am Scheideweg») zeigt Schlüter nacheinander, wie Petrarcas Herzmetaphorik aus dem Konzept- und Motivreservoir der Theologie, der (Liebes-)Physiologie und der lyrischen Tradition schöpft. Was den theologischen Diskurs angeht, partizipiert sie insbesondere an der augustinischen theologia cordis (S. 40). Schlüter führt vor, auf welche Weise Petrarca im Secretum und in der Metamorphosenkanzone deren Motiv der «duritia cordis» aufnimmt. Sie geht ferner auf weitere Herzmetaphern ein, die entweder eine sündhafte Verstrickung des lyrischen Ich in die Fesseln der irdischen Liebe oder aber seine Befreiung daraus bedeuten. Auf den Einfluss der physiologischen Traktate eingehend zeigt Schlüter, dass der Ursprung der Liebeskrankheit dort nicht immer im Herzen, sondern manchmal auch im Gehirn oder in den Geschlechtsorganen lokalisiert wird. Durch die Widersprüche und Uneindeutigkeiten ergeben sich für die Lyrik «Freiräume des Imaginären» (S. 66). Allerdings werden diese nicht explizit dargestellt. Oder meint Schlüter damit die Verknüpfung der Liebesphysiologie mit Inspirationsmetaphorik? Interessant - allerdings geht Schlüter abschließend recht knapp darauf ein - ist die aufgezeigte Verknüpfung der Herzmotivik mit Pflanzen- und Fruchtbarkeitsmetaphorik, zumal Gaspara Stampa mit ähnlichen Motiven arbeiten wird. Das Fazit zu Petrarca ist aber ein wenig unbefriedigend: «Der dissidio des petrarkischen Herzens und der Herzensrede besteht daher darin, dass trotz des beständigen Aufschubs schließlich eine finale Konversion in Szene gesetzt wird, die dem Festhalten an der irdischen Liebe inklusive ihres Ruhmversprechens noch nicht die volle diskursive Macht zuerkennt» (S. 100). Ist mit «noch nicht» gemeint, dass es bei Stampa dann so sein wird? Dies wird nicht vollends klar. Bezüglich der Dichtung Gaspara Stampas («Gaspara Stampa: Körper, Kosmos und kardiale Selbstautorisierung in den Rime») stellt Schlüter die These auf, dass die besondere Gestaltung der Herzmetaphorik hier letztlich der Legitimierung eines weiblichen Dichtersubjektes dient, das nach Teilhabe am männlich dominierten petrarkistischen Code strebt. Das Herz ermögliche nämlich die Darstellung einer «gesteigerten Körperlichkeit», die wiederum die dichterische Rede legitimiere. Als geschlechtliches Organ konzipiert, erlaube es Stampa zudem, sich selbst als androgyne Künstlerfigur darzustellen (S. 103). Auf welche Weise nun erlaubt das Spiel mit einer sexuellen Konnotierung des Herzens eine androgyne Selbstinszenierung? Dazu zeichnet Schlüter Italienisch_82.indb 118 20.01.20 15: 36 119 Buchbesprechungen zunächst den kulturgeschichtlichen Hintergrund des Cinquecento-Petrarkismus nach, in dem das Körper- und Menschenbild vielfach geprägt ist durch das neuplatonische Sympathie- und Analogiedenken. Dadurch wird auch künstlerische Kreativität vielfältig in Analogie zur natürlichen Prokreation gesetzt beziehungsweise (gerade für Künstlerinnen) als Alternative zur physischen Prokreation gedacht. Als weiteren Bezugspunkt für Stampas dichterischen Selbstentwurf stellt Schlüter die Tradition der weiblichen Mystik und deren Herzmetaphorik vor. Anhand der Forschung zu Caterina da Siena beruft sie sich auf die dort anzutreffende Vorstellung des «fruchtbaren», mit der Gebärmutter gleichgesetzten Herzens. Anstelle von direkten Zitaten aus der Primärliteratur - die interessant gewesen wären, um die Nähe zur Metaphorik Stampas nachvollziehen zu können - belässt es Schlüter jedoch bei Verweisen auf die Sekundärliteratur. Nach einem kurzen Verweis auf Herzensbild und Herzenstausch bei Marsilio Ficino und Lorenzo de’ Medici widmet sich Schlüter dann einigen Gedichten Stampas. Die Interpretationen fallen nicht immer überzeugend aus. Nicht plausibel ist besonders die Lektüre von Gedicht CLIII (S. 121 f.). Ebenso ist nicht klar, weshalb die in CCXCI evozierte Mirtilla ein alter ego der Dichterin sein sollte und nicht deren Freundin, der Stampa unter dem bukolischen Decknamen einen Brief anlässlich ihrer Krankheit schreibt. Überzeugend dagegen ist die Lektüre von Gedicht CXLV, wo die implizite Analogisierung der beschriebenen Landschaft mit dem Körper der Sprechenden in der Tat nachvollziehbar ist. Auch die Idee der «solaren» Befruchtung des Ichs durch den «Sonnenstrahl» des Geliebten ist plausibel (zumal es bei Petrarca Situationen gibt, die dies vorwegnehmen). Überzeugend ist auch die Lektüre von Gedicht CVII (S. 186), anhand derer Schlüter zeigt, wie Stampa mit den vielfältigen Bedeutungen von «umore» spielt und dadurch eine Fülle verschiedener Diskurse zu beanspruchen weiß (S. 186). Für Giambattista Marino («Giovan Battista Marino: Letale Hypertrophie des Herzens in La Lira») postuliert Schlüter das «Ende eines analogistischen Kardiozentrismus» (S. 225). Er nutze und strapaziere das analogistische Verweissystem. Seine Lyrik betrachtet Schlüter daher abschließend als erste Station einer sich ab dem 17. Jahrhundert vollziehenden Entzauberung des Herzens. Im Zuge seiner empirischen Erforschung büßt das Herz Funktionen ein, die ihm früher noch zugeschrieben worden waren («seine respiratorische Funktion und das Kochen des Blutes»; das Herz gilt nun nicht mehr als ein «diffuses Lebensprinzip» oder als das zentrale Steuerorgan des Körpers, S. 292). Damit werde aber auch die in früherer Liebeslyrik feststellbare Bindung an den liebesphysiologischen oder den naturphilosophischen Kontext gelockert (ebd.). Und damit ende der «kardiozentrisch» Italienisch_82.indb 119 20.01.20 15: 36 120 Buchbesprechungen geprägte italienische Petrarkismus; an die Stelle der (vielfältig funktionalisierbaren) Herz-Metapher trete nun mehr und mehr das Herz als (konventionelles) Symbol der Liebe. In ihren Analysen der Gedichte Marinos konzentriert sich Schlüter vorwiegend auf die erotischen Bedeutungen, mit denen das Herz - im Kontext sowohl weltlicher als auch geistlicher Lyrik - aufgeladen wird. Besonders interessant ist hier die kühne Verschmelzung von Erotik und Spiritualität in Piaga dolce d’amore. Und besonders originell scheint Marinos «Reifizierung» traditioneller, mit dem Herz-Motiv verbundener liebeslyrischer Metaphern in einigen der Rime amorose (S. 235-242). Der temporäre Tod des liebenden Herzens (schon zuvor in der Lyrik präsent) werde nun als mehr oder weniger verdeckte Evokation des Orgasmus funktionalisiert. Das Herz werde dabei als «eines der zentralen Sinnesorgane konzipiert» (S. 274). Abschließend konstatiert Schlüter für Marinos Lira «eine wahre Explosion an Herzmetaphern» (S. 291). Die bei Marino bereits einsetzende «Entzauberung des Herzens» und Auflösung des Petrarkismus ermögliche somit auch «eine größere thematische Breite und Variabilität im Umgang mit dem Herzen als Metaphernspender» (S. 291). Schlüter konstatiert letztendlich eine Parallelität zwischen der wissenschaftlichen und der liebeslyrischen Entzauberung des Herzens. Auf ihre eingangs angekündigte Intention, eine konterdiskursive Funktion der Lyrik herauszuarbeiten, kommt sie nicht mehr zurück. Auch dieses Fazit lässt die Leser*innen etwas unbefriedigt zurück. Abschließend lässt sich sagen, dass der Zuschnitt dieser Arbeit äußerst klug gewählt und vielversprechend ist und viele neue Einsichten in die Variationsbreite der Herzmotivik und -metaphorik sowie in die Verflechtung lyrischer, religiöser und medizinisch-naturphilosophischer Diskurse im Zeichen des Herzens bietet. Die Autorin kennt die Forschung zum italienischen Petrarkismus bestens, ebenso alle aktuellen Untersuchungen zur Rolle des Herzens im kulturellen und medizinisch-physiologischen Diskurs des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Leider werden die interessanten Einzelergebnisse aber nicht mehr abschließend zusammengetragen und auch eine Rückbindung an die Fragen und Thesen des Einleitungsteils erfolgt nicht oder bleibt (zu) schwach. Dadurch bleiben einige Fragen offen, was freilich zur weiteren Beschäftigung mit einem faszinierenden Thema Anlass geben dürfte. Christine Ott Italienisch_82.indb 120 20.01.20 15: 36 121 Buchbesprechungen Ann Lawson Lucas: Emilio Salgari. Una mitologia moderna tra letteratura, politica, società. [Vol. 1: Fine secolo 1883-1915. Le verità di una vita letteraria; Vol. 2: Fascismo 1916-1943. Lo sfruttamento personale e politico], Firenze: Leo S. Olschki, Vol. 1, 2017, pp. 441, € 29,00; Vol. 2, 2018, pp. 503, € 35,00 Nella memoria collettiva del pubblico dei lettori di oggi, il nome di Salgari rimane per lo più fortemente legato ai suoi celebri personaggi, da Sandokan al Corsaro Nero fino alla Principessa Jolanda. Eppure Salgari, nonostante forse oggi sia ingiustamente relegato spesso negli angoli più reconditi delle librerie, dove solo i suoi estimatori lo possono trovare, ha contribuito a creare un pezzo importante della storia della letteratura. Lo studio di Ann Lawson Lucas, Emilio Salgari. Una mitologia moderna tra letteratura, politica, società, in quattro volumi, di cui due appena usciti sul mercato per lo stimato editore Leo S. Olschki, rappresenta senza ombra di dubbio una pietra miliare della ricerca su questo autore tanto celebre quanto discusso. ‘Celebre’ perché Salgari diventa un vero e proprio fenomeno culturale in un momento storico importante: gli anni a cavallo tra fine Ottocento/ inizio Novecento sono un periodo di forte evoluzione non solo scientifica in un’Italia che da poco è diventata nazione (il mercato editoriale e giornalistico è in espansione, vengono poi introdotte a più riprese leggi per la scolarizzazione obbligatoria, cambia l’immagine della donna); ‘discusso’, perché lo scrittore, oltre ad essere considerato ‘il Verne italiano’, etichetta che certamente gli giova ma ne limita anche l’originalità artistica, diventa nel Ventennio fascista oggetto di arbitraria manipolazione, una strumentalizzazione che, come analizza Lawson Lucas nel secondo volume, ha luogo sia sul piano economico con una vera e propria fabbrica di falsi salgariani, sia sul piano ideologico. Su questo ritorneremo più avanti. Intanto vale la pena soffermarsi sul materiale usato dalla studiosa che consta di un’accuratissima raccolta di documenti che permettono una ricostruzione storica puntuale la quale ambisce, come Lawson Lucas afferma in introduzione, a «cancellare la mitologia nociva» costruita sull’autore (p. 13). Lo studio segue in maniera cronologica il percorso biografico e artistico di Salgari, che viene presentato al pubblico a tutto tondo, non incasellando quindi il suo operare esclusivamente a quello di scrittore di romanzi di avventura destinati alle fasce più giovani di lettori, un’interpretazione, quella di Salgari autore di libri per ragazzi, che limita in maniera decisiva la comprensione del vero raggio di azione della sua opera e che spesso ha fatto sottovalutare la stessa in modo semplicistico e semplificato. Si comincia dalla giovinezza, periodo in cui si situano le prime prove letterarie e grafiche di Salgari, la cui consapevolezza sul gusto dei lettori si palesa già chiara ad DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 027 Italienisch_82.indb 121 20.01.20 15: 36 122 Buchbesprechungen esempio nel contenuto di quel racconto che segnerà il suo debutto letterario. Autore estremamente prolifico, Salgari appassiona con ciò che nasce dalla sua inesauribile fantasia, che non rimane intonsa da eventi e atteggiamenti della realtà che lo circonda; la sua genialità viene riconosciuta, le collaborazioni si moltiplicano. L’atteggiamento politico-morale di quel giovane, che dichiara in una lettera alla moglie «la mia vita doveva essere tempestosa per necessità», 1 è del tutto originale. In un’Europa attraversata dagli entusiasmi della lotta imperialista, Salgari pone il suo pubblico, in cui prevaleva certamente il borghese medio, davanti a una prospettiva di lettura nuova, perché decentrata rispetto all’imperante eurocentrismo. Attrae, Salgari, e lo fa anche attraverso una precisa ed oculata macchina pubblicitaria, di cui lui stesso, insieme a Ruggero Giannelli, è produttore. Le illustrazioni che accompagnano i suoi testi fungono da soglie iconiche dalle quali il lettore viene invitato ad entrare nell’universo fantastico creato. Il primo romanzo viene pubblicato nel 1887. Ma la collaborazione con un editore importante come Treves, in quell’anno segnato, dal punto di vista politico, dal rinnovo del trattato della Triplice Alleanza e che vede Francesco Crispi diventare presidente del Consiglio, non è ancora iniziata. Treves lo sostiene come scrittore in diversi modi, adottando strategie mirate di marketing e comunicazione. Dopo Treves, che tuttavia sarà tra gli editori che continueranno a pubblicare in ristampa il ‘capitano Salgari’, seguono anche l’editrice torinese Speirani, la Bemporad di Firenze, Paravia e Antonio Donath. Con quest’ultimo l’autore lavorerà dal 1897 al 1906. Nel suo ricco studio, Ann Lawson Lucas, che ha dedicato gran parte della sua pluriennale ricerca all’universo salgariano, passa al vaglio anche la politica e l’influenza editoriale di questi nomi nell’Italia della Belle Époque, ripercorrendo vicende culturali e la fitta rete di rapporti e scambi intellettuali gravitanti intorno a tali case editrici. Salgari sa muoversi, anzi ha imparato a farlo, a conoscere i canali per rendere reale il sogno di affermarsi come scrittore. Gli anni a ridosso del fin de siècle sono un periodo, oltre che operosissimo, anche ricco «di successi notevolissimi, di nuovi sviluppi e di nuove avventure» (p. 133) - sono di quell’epoca anche le prime traduzioni. La studiosa non tralascia tuttavia altresì lo sfruttamento operato su Salgari, l’accanimento sulla penna dello scrittore e le vicende della vita privata, minata costantemente da difficoltà economiche a cui far fronte. In un mercato in cui vigono regole di produzione industriale e commerciale, Salgari, come Verne, è chiamato a realizzare un determinato numero di volumi per anno. Uno scrittore e più scrittori, si potrebbe quasi dire, visto il prolifico uso, spinto anche da cause economiche, di pseudonimi 1 Cit. ad es. in Giovanni Arpino/ Roberto Antonetto, Vita, tempeste, sciagure di Salgari, il padre degli eroi, Milano: Rizzoli 1982, p. 39. Italienisch_82.indb 122 20.01.20 15: 36 123 Buchbesprechungen con cui la sua presenza si moltiplica sul mercato editoriale di allora e la sua opera diventa quasi onnipresente; Salgari sembra addirittura giocare con queste sue doppie identità, come mostra l’interessante lettera del 6 giungo 1906 a Bemporad che Lawson Lucas inserisce per documentare «il senso dell’umorismo che faceva parte» dell’«indole» di Salgari uomo (p. 267). Una vena ironica che muta in gravità tragica in quelle poche righe lasciate, poco prima della morte, agli editori, lettera su cui pulluleranno giudizi, giustificazioni, interpretazioni e paure: «A voi che vi siete arricchiti colla mia pelle mantenendo me e la famiglia mia in una continua semi-miseria od anche più, chiedo solo che per compenso dei guadagni che io vi ho dati pensiate ai miei funerali. Vi saluto spezzando la penna», scrive. 2 Impugna la penna Salgari e la rompe come gesto di ribellione, ma anche di dichiarata sconfitta. L’approccio scelto porta Lawson Lucas a scandagliare nomi, situazioni e ambienti, presentandoli al lettore, nella dinamicità del loro manifestarsi, in uno stile chiaro, pulito e ammiccante. Di estremo interesse si presenta il ricco e curatissimo apparato iconografico, che consta sia di tavole a colori sia di immagini in bianco e nero e che consente un approccio visivo che non tende né al riduzionismo né al kitsch. Copertine, disegni originali di illustratori salgariani, foto e immagini di frontespizi sono tra il materiale raccolto. Di tutto pregio anche la sezione dedicata all’eredità salgariana che dipana lo sguardo sugli autori degli apocrifi, sui continuatori della tradizione e sulla campagna di valorizzazione dell’opera, la quale funge da sapiente trait d’union e intelligente premessa al secondo volume dedicato tuttavia, come si è già ricordato, a una declinazione specifica di lettura, ossia quella fascista. Salgari e il fascismo: il sottotitolo scelto per il titolo posto a suggello del secondo volume svela la trappola nella quale lo scrittore e la sua copiosa opera vengono fatti volutamente cadere. Il processo di appropriazione indebita include letture distorte, così come falsificazioni fuorvianti che si servono anche di un preciso vocabolario, fatto di arbitrarie ampollosità e di un uso retorico al limite del delirante. Articoli, critici, e con loro anche riviste, presentano Salgari tra i precursori dell’ideologia fascista, lanciando addirittura una campagna pro-Salgari (arruolato oramai sotto l’insegna del fascio), a cui partecipano nomi noti non solo del giornalismo, bensì anche della politica, come ad esempio Italo Balbo. Si cerca di mediare Salgari secondo precisi canali, spiega la Lawson Lucas, che ricostruisce in modo scrupoloso e preciso le fasi del dibattito. Pezzi giornalistici e stralci della corrispondenza, tuttavia subdolamente interpretati, vengono chiamati in questo senso a rendere conto di una querelle che sfocia intorno al rapporto Salgari-Bemporad 2 La lettera, datata 22/ 4/ 1911 e riportata in più pubblicazioni sullo scrittore, è presente anche in Arpino/ Antonetto 1982, cit., p. 72. Italienisch_82.indb 123 20.01.20 15: 36 124 Buchbesprechungen e che vede tra i contraenti Il Raduno, il settimanale fascista ‘di battaglia del sindacato Autori e Scrittori, Artisti e Musicisti’. Cercando di trarre dalla cosa profitto per un’edizione nazionale degli scritti salgariani a beneficio degli eredi - e si noti: dell’Opera Balilla -, il periodico solleva il dubbio di sfruttamento dello scrittore da parte dell’editore ebreo fiorentino, giudicato un vero e proprio strozzino, e riporta cifre, parole di delazione, usando spesso un umorismo e un’ironia di gusto alquanto pessimo. Si tratta di opinioni e memorie, che riportano alla luce nelle diverse fasi di sviluppo e strategie messe in atto l’intera costruzione operata dal fascismo su Salgari e di cui la studiosa non tradisce mai la volontà di fornire una visione sistematica. Sono mosse grottesche, ciniche e sfacciate, quelle adoperate intorno all’autore - chiamato addirittura da Alessandro de Stefani, redattore capo del periodico sopra citato, «il primo, il tacito e sicuro alleato di Benito Mussolini» (cfr. a p.- 110) -, che mostrano uno squallido e ignobile teatrino messo su intorno al ‘capitano Salgari’. L’anno che decreta la punta massima della polemica è il 1928, anno importante anche per la modifica della legge elettorale per la Camera dei deputati. Ma Bemporad ne esce pulito, perché la Commissione istituita alla Camera che si deve occupare del caso non può considerare il suo comportamento se non corretto. Di Salgari si è parlato molto, ovunque, e già all’indomani della chiusura del caso la corsa degli editori per garantirsi la ristampa delle sue opere o la pubblicazione di presunti nuovi titoli, in realtà dei falsi, ha già avuto inizio. La costruzione di Salgari idolo fascista non demorde, anzi procede. Lo testimoniano, come informa la studiosa, tra gli altri, celebrazioni, proposte di stele commemorative e monumenti. È il mito del regime sullo scrittore che si amplifica, una farsa che permette di riscoprire ancora una volta l’inaudito e inesauribile stravolgimento del senso e dei contenuti dell’opera di un autore su cui ‘puntare’ significa poter rafforzare l’immagine dell’ideologia. Il cinema e il fumetto, mezzi di comunicazione che parlano alla massa, vengono pure loro coinvolti nel gioco spregiudicato intrapreso, gioco differente, ma anche complementare a quello degli eredi e degli editori a loro seguito, che avevano sfruttato e sfrutteranno per proprio tornaconto finanziario il nome di Salgari. Il 1939 è, come il 1938, «ancora un annus mirabilis per la fortuna salgariana, non tanto per le edizioni nuove ma per i molti articoli giornalistici» (p.- 409). Si ristampa anche qualche romanzo apocrifo. Tuttavia è il cinema, negli anni Quaranta, a ripresentare Salgari, e lo fa per sfuggire alla scure della censura. «Gli effetti» della voluta e falsa interpretazione fascista di Salgari, «amplificata da concorrenze editoriali, furono disastrosi per il buon nome dello scrittore e per l’integrità della sua opera», si legge nella quarta di copertina. Il merito dell’autrice di questi volumi, dalla veste editoriale ele- Italienisch_82.indb 124 20.01.20 15: 36 125 Buchbesprechungen gante e raffinata, va certamente riconosciuto. Certo è una scommessa con se stessi quella di proporre sul mercato un’opera di portata simile (come ricordato in apertura, sono previsti un terzo e un quarto volume), 3 ma è certamente anche un’impresa che pochi sanno sostenere e portare a termine. La demitologizzazione che l’italianista inglese Lawson Lucas propone ricompone i pezzi del puzzle Salgari su una solida struttura. La pubblicazione costituisce senza dubbio una più che stimabile analisi per rendere giustizia a un autore su cui per troppo tempo è stata fatta spesso solo retorica, misconoscendone così i veri intenti e il vero valore. Monica Biasiolo 3 Le pagine in cui Lawson Lucas presenta la struttura dell’opera indicano i termini del suo proseguimento, che, si è sicuri, sarà condotto con la stessa meticolosità e completezza di analisi come quella dei due primi volumi già usciti. Il terzo, dedicato alla ricezione di Salgari nel dopoguerra (uscito nel 2019), viene presentato come suddiviso in quattro sezioni già cronologicamente definite; il quarto si prospetta invece come una raccolta dell’intera bibliografia salgariana, comprensiva di un preludio sulle ultime frange e sulle prospettive di ricezione, un’opera che diventerà sicuramente un punto primo di riferimento per gli studiosi e gli appassionati dello scrittore. vertrieb@onde.de Onde e.V. - Italien erleben onde_ev www.onde.de Jetzt bestellen onde Das italienische Kulturmagazin Italien ohne Klischees Italienisch_82.indb 125 20.01.20 15: 36 126 Kurzrezensionen Tobias Roth: Die Sonette Giovanni Pico della Mirandolas, Heidelberg: Winter 2017, 412 Seiten, € 58,00 Die zentrale These Tobias Roths in seiner Studie über die Sonette Giovanni Pico della Mirandolas ist von Anfang an klar erkennbar: Eigentlich war Pico bei seinen Zeitgenossen sowohl als volkssprachiger als auch lateinischer Dichter bekannt und geschätzt, aber dies wurde nach seinem Tod durch biographische Stilisierungen verdeckt. Bereits Picos Neffe und Biograph Gianfrancesco Pico della Mirandola beschrieb dessen Leben als eines, das allein durch religiöses Gelehrtentum geprägt gewesen und in dessen erwachsener Phase Dichtung zur Jugendsünde degradiert worden war. Dieses Pico-Bild verbreitete sich - unter anderem durch die Übersetzung der Biographie durch Thomas Morus - in den folgenden Jahrhunderten und wurde ein derartiger Topos, dass sich entsprechende Wissenslücken über lyrische Ambitionen Picos bis in die moderne Forschung und Editionsphilologie hinein gehalten haben. Noch nie, so Roth, wurde auch nur «die Vermutung geäußert, die Nebensache Dichtung» könnte für Giovanni Pico della Mirandola «vielleicht für einen gewissen Zeitraum Hauptsache gewesen sein» (S. 27). Roth äußert im Rahmen seiner systematischen Neubewertung der Sonette, ihrer Quellen- und Forschungsgeschichte sowie der allgemeinen Pico-Rezeption nun erstmals diese Vermutung. Zunächst wird ein differenzierterer Blick auf Picos Vita und zugleich deren historische Beschreibung geworfen. Gianfrancescos biographische «Stilisierungen» (so der Titel des ersten Hauptteils) werden in multiple Werkperspektiven aufgelöst: Es werden poetologische Aussagen der beiden Picos, Zeugnisse literarisch-humanistischer Bestrebungen Giovanni Picos aus seinem Briefwechsel mit Poliziano zusammen mit Selbstaussagen und Elogen anderer Dichter wie Marullo und Du Bellay auf Picos Lyrik angeführt. Insbesondere Briefe liefern Indizien dafür, dass Pico eine «fortgesetzte Arbeit an lyrischen Texten» (S. 55) praktizierte. Die Auffassung, Pico habe im Zeichen seiner Bekehrung hin zu einem gläubigen Leben all seine Gedichte verbrannt, ist für Roth ein hartnäckiger, aber nicht zu haltender Mythos. Eine «gründliche Edition» der Pico-Sonette liegt bis heute «in ungewisser Ferne» und auch nicht leichter wird es für die Forschung dadurch, dass «Autographe der Sonette […] nicht erhalten geblieben» sind (S. 65). Umso akribischer erläutert der Autor im zweiten Teil, «Dokumentationen», die DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 028 Italienisch_82.indb 126 20.01.20 15: 36 127 Kurzrezensionen Quellenlage und die Forschungsgeschichte zu den Sonetten. Roth stellt in diesem Abschnitt nicht nur den Wert gründlicher Editionsphilologie unter Beweis, sondern auch seinen eigenen versierten Umgang mit deren Methoden. Alle überlieferten Manuskripte mit Pico-Gedichten werden vorgestellt und hinsichtlich ihrer Relevanz für die Textgeschichte eingeordnet. Am Ende von Roths Analyse gibt es seinen Ergebnissen zufolge beim wichtigsten Überlieferungsträger, dem Codex Italien 1543 der Bibliothèque Nationale de Paris, weder Gründe, die Zuschreibung zu Pico anzuzweifeln, noch dafür, die dort zu lesende Reihenfolge der Gedichte als definitiv anzunehmen (S. 76). In diesem Zusammenhang vertritt er außerdem überzeugend die These, «dass Pico einen Canzoniere im Sinn hatte, als er Sonette schrieb» (S. 72). Im Rahmen ihrer Ausarbeitung wird die Effektivität von Roths methodologischer Strategie deutlich, die Relevanz und Zusammengehörigkeit von Picos Gedichten mittels ihrer Intertextualität zu belegen. Die Leistung liegt vor allem darin, neue Deutungsperspektiven anhand von Texten zu eröffnen, mit denen Picos Sonette verwandt sind bzw. auf die letztere referieren. Von Tibull bis hin zu Petrarca und den Lyrikern des Quattrocento wird ein großes intertextuelles Korpus aufgerufen, um genau zu zeigen, an welchen Stellen man sich erlauben kann, über die Relevanz und Qualität von Picos Lyrik zu urteilen und wo Spekulation über Einfluss und Wirkung des Gelehrtendichters und seines Werks ebensolche bleiben muss. Auch die ausführlicheren Textanalysen im dritten Teil, «Interpretationen», gehen so vor, aber sie diskutieren außerdem auch Praktiken der intertextuellen Interpretation selbst. Auf diese Weise werden nicht nur viele Forschungsbeiträge und frühere Sonett-Editionen Picos als doktrinär, einseitig bzw. zu undifferenziert entlarvt, sondern es wird auch gezeigt, wie ein textimmanenter, aber nicht ahistorischer Umgang mit rinascimentaler Lyrik gepflegt werden kann. Es werden exemplarische Gegenentwürfe zur Behauptung vieler Forscher, Pico hätte Lyrik von geringem Rang und wenig Tiefe verfasst, sozialgeschichtlich aus der Abbildung des literarischen Umfeld Picos in Ferrara (Abschnitt III.1), anhand Picos lyrischer Antikenrezeption (III.2) und Darstellung von Subjektsproblematiken (III.3) herausgearbeitet. Roths breite Textkenntnis der rinascimentalen Lyrik Italiens erlaubt es problemlos, diese Abschnitte als Beiträge zur Erforschung zugleich von Picos Werk wie auch der Lyrik weiterer Autoren wie Francesco Petrarca, Lorenzo de’ Medici, Panfilo Sasso, Angelo Poliziano, Matteo Maria Boiardo und sehr vieler mehr zu lesen. Nie verliert der Autor dabei aber Pico aus den Augen. Stringent bis zum Schluss wird Schritt um Schritt deutlicher, wie sehr dieser als Lyriker «innerhalb der Moden und Literatursysteme seiner Zeit» (S. 170) agierte - und somit seine Lyrik mindestens hinsichtlich des Komplexitätsgrades vielen Italienisch_82.indb 127 20.01.20 15: 36 128 Kurzrezensionen Erzeugnissen stärker erforschter Zeitgenossen ebenbürtig war. Er wird als «kundige[r] Teilnehmer am von der Antike und Petrarca abhängigen mainstream des Quattrocentro» (S. 247) etabliert und kann als solcher innerhalb der Literaturgeschichte Italiens einen Platz für sich beanspruchen. Tobias Roths Studie wiederum ist vorerst der erste Rang als neues Standardwerk zu den Sonetten Pico della Mirandolas zuzusprechen, mit dessen Ergebnissen sich die künftige Lyrikforschung zu Pico zuerst auseinandersetzen sollte. Lukas Hermann Fabio Massimo Bertolo/ Marco Cursi/ Carlo Pulsoni: Bembo ritrovato. Il postillato autografo delle Prose (Scritture e libri del medioevo; 18), Roma: Viella 2018, 335 Seiten, € 60,00 Die Editionsgeschichte der Prose de la volgar lingua von Pietro Bembo (1470-1547), eines der Schlüsseltexte der italienischen Literatur- und Sprachgeschichte, ist längst wohlbekannt: Die editio princeps, die ziemlich genau dem überlieferten Autographen (Vat. Lat. 3210) entspricht, erschien 1525 in Venedig bei Giovanni Tacuino; 1 1538 folgte eine veränderte Ausgabe bei Francesco Marcolini in Venedig und schließlich wurde - ein Jahr nach dem Tod des Autors - mit einer Einleitung Benedetto Varchis 1548 eine nochmals veränderte Ausgabe in Florenz bei Torrentino herausgegeben. Eine sensationelle Wiederentdeckung hat nun neuen Wind in die Bembo-Forschung gebracht, denn erst vor kurzem wurde ein Exemplar der editio princeps mit handschriftlichen Anmerkungen und Korrekturen des Autors selbst wiederentdeckt, das jetzt, nach eingehender Untersuchung, im Verlag Viella ediert vorliegt. Bei den Herausgebern handelt es sich um den Buchwissenschaftler Fabio Massimo Bertolo, bis 2006 Professor für Buchgeschichte an der Universität Cassino, Marco Cursi, Professor für Lateinische Paläographie an der Universität « Federico II » (Napoli) und Carlo Pulsoni, Professor für Romanische Philologie an der Universität Perugia. Bekanntlich war Pietro Bembo unermüdlich, wenn es um die sprachliche und stilistische Verbesserung seiner eigenen Werke ging, und nicht weniger war er es in Bezug auf Petrarcas Cose volgari und Dantes Terze rime (Divina Comedia), die er unter Hinzuziehung verschiedener Manuskripte (im 1 Pietro Bembo (2001 [1525]), Prose della volgar lingua. L’editio princeps del 1525 riscontrata con l’autografo Vaticano latino 3210, a cura di Claudio Vela, Bologna: CLUEB. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 029 Italienisch_82.indb 128 20.01.20 15: 36 129 Kurzrezensionen Falle Petrarcas möglicherweise sogar des Ms. Vat. Lat. 3195) und mit der größten editorischen Sorgfalt bei Aldo Manuzio in Venedig (1501 bzw. 1502) herausgegeben hatte. Der Grundsatz unaufhörlichen Verbesserns gilt in besonderem Maße für seine Prose, die er zeitlebens überarbeitete. Die bislang vorliegenden Ausgaben stellen also gewissermaßen jeweils eine Momentaufnahme dar, sie hatten immer nur vorläufig Anspruch auf Gültigkeit. Bereits der editio princeps (üblicherweise « P » genannt) war eine Liste mit Errata angefügt worden, was zeigt, dass zwischen der Drucklegung und vor der Auslieferung ein gründlicher Korrekturgang stattgefunden hatte. Bembos Prose stellten folglich immer ein Werk in fieri dar. Der Band rekonstruiert die Geschichte des wiederentdeckten Exemplars, das die Herausgeber mit « P » bezeichnen, so weit wie möglich: Nach dem Tod Bembos gelangte es in den Besitz seines Testamentsvollstreckers Carlo Gualteruzzi. Aus der eleganten Bindung des Exemplars und dem eigens dafür angefertigten edlen Schuber mit aufgeprägtem Wappen konnte auf den folgenden Besitzer geschlossen werden: Marco Foscarini (1696-1763), der von 1737 bis 1740 Botschafter der Serenissima in Rom war, 1754 zum Mitglied der Accademia della Crusca und acht Jahre später zum Dogen seiner Geburtsstadt gewählt wurde. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts tauchte es im antiquarischen Buchhandel in Mailand auf. Wie eine inwendige Notiz der Antiquarin Carla Marzoli zeigt, erkannte sie mit gutem Gespür, dass die handschriftlichen Einträge von Bembo selbst stammten. Das Exemplar gelangte schließlich in den Besitz einer namentlich nicht genannten Privatperson (S. 13-17). Der Band liefert weiterhin eine kodikologische und paläographische Beschreibung von P1 (S. 123-129), die durch eine Untersuchung verschiedener handschriftlicher Zeugnisse Bembos ergänzt wird. Das wiederentdeckte Exemplar und die darin enthaltenen handschriftlichen Ergänzungen wurden modernsten technischen Untersuchungsmethoden unterzogen, die es erlauben, mehr zu sehen, als menschliche Augen es vermögen. Anhand von 52 hoch aufgelösten - fast durchgehend farbigen - Reproduktionen handschriftlicher Einträge aus verschiedenen Ausgaben und Quellen gewinnen die Leser einen verblüffenden Eindruck von den Originalen. Den Kern des Bandes stellt die Analyse und Diskussion der einzelnen Bemerkungen Bembos dar, die Abschnitt für Abschnitt - gemäß der Einteilung von Dionisotti - erfolgt (S.-25-121). Dabei ist ein Vergleich mit den auf die editio princeps folgenden Ausgaben möglich, die direkt darunter abgedruckt stehen. Auf diese Weise kann man unter anderem nachvollziehen, wie die Herausgeber des Cinquecento mit den Anmerkungen Bembos umgingen. Tatsächlich wurden die handschriftlichen Bemerkungen Bembos in der Auflage von Marcolini (M) aus dem Jahr 1538 nur teilweise umgesetzt, Italienisch_82.indb 129 20.01.20 15: 36 130 Kurzrezensionen einige weitere dann in der postumen Ausgabe 1548 von Torrentino (T). In dem anzuzeigenden Band werden die Änderungswünsche des Autors minutiös nachverfolgt und es wird jeweils verzeichnet, ob sie respektiert wurden oder nicht. Nicht immer fällt es - trotz fachgerechter Erklärung der Editionskriterien zu diesem Buchkapitel (S. 24) - auf Anhieb ganz leicht, zu verstehen, was die unterschiedlichen Markierungen (fett, kursiv, Setzung runder und eckiger Klammern, Verwendung von einfachen und doppelten Asterisken u.a.) bedeuten. Zudem ist die Angelegenheit stellenweise doch recht vertrackt, da Bembo seine Korrekturanweisungen zum Teil selbst wieder zurücknahm, indem er sie durchstrich und eine andere Variante notierte, um in einigen Fällen zur ursprünglichen zurückzukehren - und Zweifel selbst noch an der endgültigen Form gehabt zu haben schien. Als Beispiel sollen hier die Wortformen « quistione » (Vat. Lat. 3210), « questione » (P), « quistione » (P1), « quistione » (M und T) angeführt werden. Ähnlich liegt der Fall bei « domane » (Vat. Lat. 3210 - wie auch bei Boccaccio), « domani » (P), « domane » (P1), « domani » (M u. T), woraus die Herausgeber des vorliegenden Bandes schließen, dass die Editoren des Cinquecento Bembos ausdrücklichen Willen zuweilen ignorierten bzw. in diesem Fall weder der Autorität Boccaccios noch derjenigen Bembos nachgaben und stattdessen die bis heute gültige Form « domani » druckten. Bembo schrieb seine Korrekturen in einigen Fällen als Interlinear-, in anderen Fällen als Marginalglossen auf die Buchseiten. Dazu bediente er sich eines speziellen Markierungssystems, mit dem er die zu ändernden Stellen ober- oder unterhalb kennzeichnete, um dann am Seitenrand unter Wiederaufnahme der jeweiligen Markierung seine Ersetzungen, Änderungen oder Ergänzungen zu notieren. Dieses Notationssystem wird von den Autoren im Detail erklärt (S. 159-176). Bembos Korrekturen lassen sich verschiedenen Typen zuordnen: Tippfehler (z. B. « neturo » , recte: « neutro » ; « migliot » , recte: « miglior » ), Groß-/ Kleinschreibung ( « Iddio » / « iddio » ), Vokaländerungen, Einfügung oder Tilgung von Geminaten, Änderungen in Bezug auf die Verbmorphologie ( « ho visto » , was nach Bembos Auffassung besser « ho veduto » heißen sollte), lexikalische Ersetzungen oder Ergänzungen und zusätzliche Verweise auf Literaturstellen (in den Werken Dantes, Petrarcas, Boccaccios, Brunetto Latinis und Giovanni Villanis), die allesamt eingehend von den Herausgebern diskutiert werden. Ohne jeden Zweifel richtet sich dieses Buch an Liebhaber Bembos oder solche Leser, die ein professionelles Interesse an philologischen Details haben. Andere mögen sich wundern über so viel « Mikrologie » , um A.W. Schlegels Formulierung aufzugreifen für die Filigranarbeit an Manuskript und Text, die kritischen Editionen vorausgehen muss. Im Fall des veneziani- Italienisch_82.indb 130 20.01.20 15: 36 131 Kurzrezensionen schen Humanisten ist dieser mikrologische Blick umso mehr gerechtfertigt, als er es erlaubt, die manchmal minimalen Änderungen sowie das Vor und Zurück von Bembos Korrekturwünschen nachzuvollziehen und so einen tiefen Einblick in sein sich stets weiterentwickelndes Sprachdenken, das nirgends halt machte, zu gewinnen. Der Band schließt mit einer Textversion der Prose auf der Grundlage von Bembos Bemerkungen in P1, wie sie dem kritischen Grammatiker zum Zeitpunkt seiner handschriftlichen Einträge vorgeschwebt haben mag ( « Le Prose secondo l’ultima volontà d’autore » ; S. 219-316). Vielleicht hätte er aber auch an dieser Version kurz darauf wieder manches zu beanstanden gefunden. Gilt bislang die Ausgabe von Carlo Dionisotti (1960/ 2 1966) als die maßgebliche, so wünscht man sich nun eine kritische Neuedition, die sämtliche Varianten Wort für Wort berücksichtigt. Es wäre verwunderlich, wenn die drei Herausgeber des Bembo ritrovato bei dem Enthusiasmus, den sie ihrem Gegenstand entgegenbringen, nicht längst an eine solche gedacht hätten. Vielleicht werden wir rechtzeitig zum 500. Jubiläumsjahr der Prose damit beschenkt. Rafael Arnold Nicola De Blasi: Ciao, Bologna: il Mulino 2018, 163 Seiten, € 13,00 Nicola De Blasi, der an der Universität «Federico II» in Neapel Italienische Sprachwissenschaft lehrt, hat ein sowohl informatives wie unterhaltsames Buch über das gewissermaßen emblematische Grußwort Ciao geschrieben, das heutzutage international bekannt und sogar außerhalb Italiens in einigen Ländern gebräuchlich ist. Was aber ist sein etymologischer Ursprung und wie verbreitete es sich im Laufe der Zeit? Selbst in Italien hat es sich erst im 20. Jahrhundert, genauer gesagt erst nach dem 2. Weltkrieg gegen konkurrierende Wörter wie allègher, cerea (Piemont) oder allegri - um nur einige zu nennen -, durchsetzen können. Seinen Durchbruch feierte es 1959 beim Festival von San Remo, wo Domenico Modugno und Johnny Dorelli den ersten Preis mit ihrem Lied «Piove» gewannen, dessen Refrain «Ciao, ciao, bambina» weltbekannt geworden ist. Der etymologische Ursprung des Wortes Ciao aus dem mittellateinischen sclavum , einer Variante von slavum ist unstrittig. Seit dem 8. Jahrhundert wurde es als Demonym verwendet und diente zur Bezeichnung der Slawen. Allerdings ist damit die Frage, wie daraus ein weithin verbreiteter Gruß werden konnte, noch lange nicht beantwortet. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 3 0 Italienisch_82.indb 131 20.01.20 15: 36 132 Kurzrezensionen Zunächst änderte sich die Bedeutung des Wortes, nachdem bevorzugt Menschen aus dem Volk der Slawen gefangen genommen und in die Sklaverei gebracht wurden: Es nahm (laut Duden) die Bedeutung ‘jemand, der in völliger wirtschaftlicher und rechtlicher Abhängigkeit von einem anderen Menschen als dessen Eigentum lebt’ an. Aus den schiavi (‘Slawen’) wurden so per Antonomasie die schiavi (‘Sklaven’). Diese Bedeutung ist seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts belegt. Bis dahin konnte De Blasi in seiner Rekonstruktion auf einen Aufsatz von Charles Verlinden zurückgreifen, der das Vorkommen des Wortes in der damaligen Zeit in venezianischen und genuesischen Dokumenten feststellte und damit sogleich den Ursprung lokal eingrenzen konnte. 1 In dieser Bedeutung verbreitete sich das Wort auch rasch in andere europäische Sprachen (dt. Sklave, engl. slave, frz. esclave, sp. esclavo), wobei sich der Bezug auf die Slawen im Laufe der Zeit völlig verlor, die auf Italienisch nun slavi genannt wurden. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lässt sich nachweisen, dass schiavo in der direkten Rede oder in Briefen als Abschiedsgruß verwendet wurde (vergleichbar dem veralteten deutschen Ihr Diener). Und hier beginnt die lange und spannende Geschichte des modernen Wortes ciao, die De Blasi in neun Kapiteln kenntnisreich erzählt. Selbstverständlich war der Gruß in dieser Form von Anfang an nicht wörtlich zu nehmen, sondern gehörte zu den höfischen Konventionen, wie sie beispielsweise von Giovanni Della Casa im Galateo (1558) kodifiziert wurden. Formelhafte Wendungen wie Signore, io vi bascio la mano, Io sono vostro servidore oder eben Vostro schiavo in catena werden von Della Casa aufgezählt, der seinen Lesern rät, sich bei der Wahl der Grußformel an die örtlichen Gegebenheiten und die jeweiligen Sitten anzupassen. Dieser Hinweis ist wiederum in Bezug auf die damals noch regional begrenzte Verbreitung von schiavo interessant. Unter den Varianten des Wortes schiavo, zu denen auch sciao und s’ciao (im Venezianischen mit separat gesprochenem s-) zählen, hat sich im Laufe der Zeit ciao immer stärker durchgesetzt. Ab diesem Moment sind schiavo (‘Diener’) und ciao als Gruß verschiedene Wege gegangen. Die Frage, wie es dazu kam, dass aus der Abschiedsformel am Ende von Briefen auch eine Begrüßung wurde und das Wort ciao heute also eine doppelte Funktion erfüllt, wird von De Blasi bedauerlicherweise nicht eingehend erörtert. 1 Charles Verlinden, «L’Origine de Sclavus = esclave», in: Archivum Latinitatis medii aevi XVII (1942), S. 97-128, spez. S. 111-113. Italienisch_82.indb 132 20.01.20 15: 36 13 3 Kurzrezensionen Stattdessen zeigt er in Kapitel 3 («Le voci e i silenzi dei vocabolari»), wie wenig verlässlich die Dokumentation von Wörtern in Wörterbüchern ist. Zum ersten Mal wird ciao von Alfredo Panzini in sein Dizionario moderno (Milano, 1905) aufgenommen, allerdings hat De Blasi viele Beispiele, die zeigen, dass das Wort lange davor schon kursierte und besonders im Norden Italiens in der informellen, insbesondere der gesprochenen Sprache verbreitet war. So lassen sich in speziellen literarischen Quellen, nämlich Theaterstücken und Zeitungsberichten über Theateraufführungen aus dem frühen 19. Jahrhundert, Belege für ciao finden. Auffällig ist, dass in diesen Kontexten meist eine diatopische Zuordnung erfolgt, die den Gebrauch von ciao als typisch für das nördliche Italien, manchmal spezifisch für die Lombardei oder Piemont, beschreibt. Auch in belletristischen Werken, etwa von Goldoni, Pirandello und Verga, fehlt es bei der Erwähnung von ciao, wie schon Minne-Gerben de Boer in ihrer Untersuchung gezeigt hat, selten an Hinweisen, dass die Personen, die das Wort verwenden, aus dem Norden Italiens stammen oder sich dort sehr lange aufgehalten haben. 2 Daran lässt sich ablesen, dass ciao noch lange, bis ins 20. Jahrhundert hinein, keineswegs überregional verwendet wurde. Zur Zeit des Risorgimento mehren sich zwar die Belege für Ciao auch in Rom und im südlichen Italien, zugleich zeigt sich aber an den Beispielen, die De Blasi anführt, dass ein breites Bewusstsein dafür vorhanden war, dass das Wort nicht aus Rom stammt, sondern spätestens ab 1871 mit den Norditalienern seinen Weg in die neue Hauptstadt fand. Gegner der Einheit Italiens polemisierten in Zeitungsartikeln gegen den Zufluss der Neu-Römer aus der «terra del ciao» (23.7.1871), womit sie vor allem Piemont meinten, die Heimat des neuen italienischen Königs Vittorio Emanuele II., die sie ihrer eigenen «terra del sì» entgegensetzten. Indem sie ein berühmtes Zitat Dantes entscheidend variierten, verteufelten sie den Norden als «paese là dove il ciao suona» (21.1.1872). Ihre oppositionelle Gesinnung verhinderte indessen nicht, dass sich der Gebrauch von ciao, der anfänglich regional (auf den Norden/ Nord-Osten Italiens) beschränkt war, zu einem überregionalen und schließlich zu einem gesamtitalienischen ausweitete. De Blasi bringt im neunten Kapitel seiner kurzweiligen Publikation noch einen weiteren Aspekt des Grußes zur Sprache. Die typische Handbewegung, die oft das ciao begleitet und auch alleine dafür stehen kann, fare ciao (con la manina), wobei für gewöhnlich die Handfläche der rechten Hand kurz zur Faust geschlossen und wieder geöffnet wird, bringt er in Verbin- 2 Minne-Gerben de Boer, «Riflessioni intorno a un saluto. La storia di ‘ciao’», in: Lingua e Stile XXXIV (1999), S. 431-448. Italienisch_82.indb 133 20.01.20 15: 36 13 4 Kurzrezensionen dung mit einer bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts beschriebenen Geste ‘dello schiavo’ (Andrea de Jorio, La mimica degli antichi investigata nel gestire napoletano), bei der die mit geschlossenen Fäusten gekreuzt übereinandergelegten Hände bedeuten: ‘mir sind die Hände gebunden’ ‘ich bin ein Gefangener’. De Blasi sieht hier eine gemeinsame Etymologie der verbalen Grußformel und der Verabschiedungsgeste. Außerdem kommt De Blasi auch auf die in neuerer Zeit im öffentlichen Raum immer öfter zu hörende Vervielfachung des Abschiedsgrußes ciao, insbesondere am telefonino oder cellulare zu sprechen, wo die Kommunikationspartner sich nicht mit einem einfachen ciao zufrieden geben und es stattdessen verdoppeln (wie übrigens bereits im Refrain von «Piove») oder verdreifachen: ciao, ciao bzw. ciao, ciao, ciao oder - wiederum verkürzt - gleichsam zwitschernd cià cià cià cià (ciao) sagen. Das sind nur einige der wissenswerten, teils kuriosen Geschichten aus der ‘Biographie’ des Wortes Ciao. De Blasis Buch ist ein gutes Beispiel dafür, dass Etymologie mehr ist als die Suche nach dem Ursprung und der Versuch, phonetische oder morphologische Veränderung lautgesetzlich zu rekonstruieren; es macht das enge Zusammenwirken von Kultur- und Sprachgeschichte gut begreifbar. Das Buch ist allen linguistisch Interessierten, insbesondere aber denjenigen, die sich für Kulturgeschichte interessieren, zu empfehlen. Rafael Arnold Marcello Carmagnani/ Ferruccio Pastore (Hrsg.): Migrazioni e integrazione in Italia. Tra continuità e cambiamento. Atti del Convegno tenuto presso la Fondazione Luigi Einaudi (Torino, 6-7 ottobre 2016), Firenze: Leo S. Olschki editore 2018, 328 Seiten, € 33,00 Der hier vorgestellte Band versammelt die Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung, die im Herbst 2016 von der Fondazione Luigi Einaudi (www.fondazioneeinaudi.it) und dem Forum Internazionale ed Europeo di Ricerche sull’Immigrazione FIERI (www.fieri.it) durchgeführt wurde. In ihrer Einleitung (S. 1-9) heben die Herausgeber Marcello Carmagnani und Ferruccio Pastore hervor, dass sich die Migration nach Italien verändert habe: Während die Einwanderung aus Arbeitsgründen abnehme, steige die Anzahl der Asylanträge aus politischen Gründen sowie als Folge ökologischer Veränderungen durch den Klimawandel. Carmagnani und Pastore betonen entsprechend die Notwendigkeit, Methoden und theoretische Herangehensweisen zu über- DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 31 Italienisch_82.indb 134 20.01.20 15: 36 135 Kurzrezensionen denken und über disziplinäre sowie über Generationsgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Der Tagungsband spiegelt diese Gedanken wider, indem darin sowohl etablierte als auch jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vertreten sind, die ihre Untersuchungen mit Hilfe von Stipendien der Fondazione Luigi Einaudi durchgeführt haben. Insgesamt umfasst der Band zwölf Beiträge und gliedert sich in drei Sektionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Jeder Beitrag ist mit einer ausführlichen Bibliographie versehen; angehängt ist zudem ein Indice dei nomi. Der erste thematische Block, Impatto economico delle migrazioni, beginnt mit Gian Carlo Blangiardos Aufsatz zu «Migrazioni ed economia irregolare. Spunti di riflessione» (S. 13-32), in dem zahlreiche statistische Daten zur Region Lombardei angeführt werden. Zusammenfassend stellt Blangiardo fest, dass eine immer bessere Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt zu beobachten sei; problematisch sei aber nach wie vor ihr z.T. ungeklärter und unsicherer «stato di soggiorno». Tommaso Frattini und Luigi Minale, die Autoren des zweiten Beitrags «L’integrazione dei rifiugiati nel mercato del lavoro: Evidenza dalla ‘EU Labour Force Survey’» (S. 33-51), legen den Fokus explizit auf Geflüchtete und Asylsuchende und heben wie Blangiardo Unterschiede zur «più ‘tradizionale’ immigrazione economica» (S. 33) heraus. Ihre Ergebnisse basieren auf der Umfrage EULFS («Labour Force Survey») der EU aus dem Jahr 2008. Das statistische Material wird anschaulich aufbereitet, und die Autoren präsentieren konkrete Vorschläge, um der festgestellten Benachteiligung von Geflüchteten und Asylsuchenden auf politischer Ebene entgegenzuwirken. Auch der sich anschließende Beitrag von Bruno Anastasia, «L’impatto della ‘grande recessione’ sulla presenza straniera nel mercato del lavoro italiano» (S. 53-85), zeichnet sich durch eine Fülle an Datenmaterial und Statistiken aus. Der Fokus liegt auf einem Vergleich der Anzahl an italienischen und - etwas undifferenziert - als «lavoratori stranieri» bezeichneten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in verschiedenen Sektoren des Arbeitsmarkts. Anastasia stellt zusammenfassend symmetrische Entwicklungen fest, auch wenn in jüngerer Zeit ein Rückgang der Anzahl aus dem Ausland stammender Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beobachten sei. Im vierten Beitrag, «Costi e benefici dell’immigrazione» (S. 87-108), beziehen sich die Verfasser/ innen Stefano Solari, Enrico Di Pasquale und Chiara Tronchin auf das Feld des «lavoro regolare»; ihr Aufsatz bildet entsprechend eine gute Ergänzung zum Beitrag von Gian Carlo Blangiardo. Begriffe wie immigrazione werden problematisiert, die Autor/ innen beziehen ferner Aspekte wie den «valore della mobilità, ma anche il dovere di accoglienza, di reciprocità, di collaborazione, di assistenza e di rispetto per le vite umane» (S. 90) ein, die wirtschaftlichen Abwägungen innewohnen sollten. Italienisch_82.indb 135 20.01.20 15: 36 136 Kurzrezensionen Den zweiten Themenblock, Aspetti sociali e culturali, eröffnet Pietro Cingolanis «Migrazione e tensione nelle città italiane. Quartieri della diversità e famiglie rom» (S. 111-133). Darin illustriert der Autor anhand von zwei «quartieri urbani» in Chieri und Messina, in denen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten leben, die Chancen, Vorurteile gegenüber Roma-Familien abzubauen. In seinen einleitenden Überlegungen geht der Autor auf den Begriff der diversità sowie kritisch auf rassistische politische Praktiken in Italien in Bezug auf Roma-Familien ein. Der Autor beschreibt sehr detailliert jeweils den Wohnkontext und die Beziehungen der Bewohnerinnen und Bewohner zueinander. Zusammenfassend stellt er u.a. fest, dass Grenzen oft nicht zwischen verschiedenen Nationalitäten, sondern z.B. zwischen Generationen verlaufen. Konkret und anschaulich präsentiert sich auch der nachfolgende Beitrag von Rachele Bezzini zu « Convivenze e matrimoni misti albanesi in Italia, posizioni e significati di confine » (S. 135 ‒ 165), in dem die Autorin auf Identitäts- und Alteritätsvorstellungen und die Rolle von « matrimoni misti » im Kontext von Integration eingeht. Am Beispiel von italienisch-albanischen und albanisch-rumänischen Paaren beschreibt sie, wie identitäre Abgrenzungen konstruiert werden und sich in unterschiedlichen Phasen verschieben. Bezzinis Analyse beruht auf einer Reihe von Interviews, deren Anbahnung und Durchführung sie transparent darlegt. Paola Rotolos Beitrag « Spezzati tra due mondi. Il romanzo arabo in lingua italiana » (S. 167 ‒ 193) erweitert schließlich das Panorama im Hinblick auf die Literatur: Rotolo skizziert zunächst die so genannte « letteratura della migrazione » , um anschließend die Frage zu stellen, ob man in diesem Kontext auch von einer spezifischen « letteratura araba italiana » sprechen könnte. Rotolo geht detailliert u.a. auf Nassera Chohras autobiographischen Text Volevo diventare bianca (1993) ein, den sie als « esempio (unico) di memoir beur in italiano » (S. 175) definiert, sowie auf die « produzione algerina » (S. 174) in Italien und die Thematisierung des algerischen Bürgerkriegs in ausgewählten Romanen, der durch die Exil-Situation der Protagonisten eine zusätzliche schmerzliche Dimension hinzugefügt werde. Den dritten Themenblock, Politiche e politica, eröffnet Luca Einaudis Aufsatz « Quindici anni di politiche dell’immigrazione per lavoro in Italia e in Europa (prima e dopo la crisi) » (S.-197 ‒ 231), in dem der Autor verschiedene EU-Länder im Hinblick auf die Regulierung der Immigration vergleicht. In seinem Fazit weist Einaudi darauf hin, dass « effetti della fase di de-globalizzazione » (S. 230), u.a. durch rechte Parteien, die eine Anti-Einwanderungspolitik vertreten, das Vorgehen in Zukunft nicht einfacher machen werden. Im nachfolgenden Beitrag « Migranti e rifugiati: flussi misti e procedure di asilo in Italia nella crisi migratoria recente » (S. 233 ‒ 261) stellt Ester Salis kritisch die Frage, ob und wie zwischen « rifugiati » und « migranti eco- Italienisch_82.indb 136 20.01.20 15: 36 137 Kurzrezensionen nomici » unterschieden werden kann. Zunächst geht sie auf Definitionen aus akademischer Sicht und im Anschluss auf Kategorienbildungen und deren praktische Umsetzung im Rahmen der italienischen Migrationspolitik ein. Die Autorin zeigt die Komplexität des Themas auf und weist darauf hin, dass die Rahmenbedingungen für die Gewährung von Asyl u.a. durch die politische Entwicklung in Italien restriktiver geworden seien. Ergänzend zu Salis’ Aufsatz rückt Gaia Testore in ihrem Beitrag « Il fondo FEI e la gestione dell’integrazione. Analisi dell’implementazione di una politica europea » (S. 263 ‒ 297) die Integrationspolitik in Italien im Vergleich zu Frankreich in den Mittelpunkt und untersucht, wie EU-Gelder aus dem Fondo Europeo per l’Integrazione (FEI) (2007 ‒ 2013) eingesetzt wurden. Die Analyse ist klar strukturiert, zudem legt die Autorin ihre Vorgehensweise dar und liefert wichtige Hintergrundinformationen, u.a. zum FEI. In ihrer Zusammenschau hebt sie hervor, dass in Frankreich bereits passende Strukturen bestanden, während sich in Italien neue Machtverhältnisse in der Frage der Integrationspolitik herausgebildet hätten, von denen vor allem das Innenministerium profitiert habe. Der letzte Beitrag des Themenblocks, Marianna Griffinis « Invasione, arretratezza e contaminazione: L’immigrato nel discorso dell’estrema destra italiana » (S. 299 ‒ 320), ergänzt das Spektrum durch eine Analyse des politischen Sprachgebrauchs der extremen Rechten anhand eines Korpus von italienischen Tageszeitungen aus dem Zeitraum von 2014 bis 2016. Auch Griffini legt ihre Methodenwahl und ihre Analysekategorien ausführlich dar. Als Ergebnis zeigt sie u.a. auf, dass koloniale Diskurse im Sprachgebrauch der extremen Rechten ungebrochen präsent sind. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die meisten Beiträge des Bandes durch methodologische Stringenz und genaue Analysen auszeichnen. Viele der Autorinnen und Autoren stellen größere Zusammenhänge her, betonen die europäische Dimension und formulieren konkrete Vorschläge. Einige der Aufsätze liefern vor allem statistisches Datenmaterial, das als Hintergrundwissen relevant ist, und verbleiben eher in einem fachspezifischen Duktus. Insgesamt ergänzen sich alle Beiträge jedoch sehr gut und beleuchten die Themen Migration und Integration aus komplementären Perspektiven. Der Band erweist sich somit als aktuelle Quelle auch für Kultur-, Literatur- und Sprachwissenschaftler/ innen und lässt sich aufgrund der angeführten Fallbeispiele und Statistiken ebenfalls für den Unterricht verwenden. Stephanie Neu-Wendel Italienisch_82.indb 137 20.01.20 15: 36 13 8 Kurzrezensionen Maria Antonietta Terzoli/ Sebastian Schütze: Dante und die bildenden Künste. Dialoge - Spiegelungen - Transformationen, Berlin: De Gruyter 2016, IX + 358 Seiten, € 69,95 (auch e-book) (= Refigurationen. Italienische Literatur und bildende Kunst, Band 1). Der von Maria Antonietta Terzoli und Sebastian Schütze- herausgegebene Sammelband bildet den Auftakt einer neuen Reihe des De Gruyter Verlags, die unter dem Titel Refigurationen Italienische Literatur und Bildende Kunst in transdisziplinärer Perspektive Korrespondenzen und Wechselwirkungen zwischen Bild und Text untersucht und in den nächsten Jahren mit einer Reihe von Tagungsakten zu den großen Dichtern Italiens fortgesetzt werden soll. Der schon äußerlich ansprechend gestaltete Band vereint die Beiträge der gleichnamigen Tagung, die vom 6.-8. Mai 2015 an der Universität Basel stattgefunden hat. In den 14 Beiträgen treten Romanisten und Kunsthistoriker in einen Dialog, um das Verhältnis zwischen Dantes Commedia und ihren figurativen Interpretationen in einem kulturhistorisch breiten Spektrum zu untersuchen. Grundlegende Überzeugung der Herausgeber ist, dass die stets im Wandel begriffenen «Dante-Lektüren und Dante-Bilder» in den künstlerischen Bearbeitungen «differenziert lesbar» werden und sich «Voraussetzungen, Ursachen und Widersprüche der Dante-Interpretationen unserer Gegenwart» erst «im Spiegel dieser Refigurationen» erschließen lassen. 1 Angesichts dieser Eingangsthese mag es verwundern, dass keiner der Beiträge die Transformationsprozesse in der Dante-Rezeption anhand der sich wandelnden pikturalen und skulpturalen Bearbeitungen spezifischer Figuren oder Episoden der Commedia epochenübergreifend bzw. vergleichend innerhalb einer bestimmten Zeitspanne erörtert. Die zu Hauf illustrierte Figur der Beatrice oder etwa die wollüstigen Liebessünder Paolo und Francesca hätten sich dafür in besonderer Weise geeignet. Die ungeheure Masse an künstlerischen Bearbeitungen der Commedia zwingt die Herausgeber jedoch, eine thematische Auswahl zu treffen. Der Schwerpunkt liegt in diesem Fall auf den illuminierten Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts, dem Verhältnis zwischen Dante und Giotto, den Ekphrasen des Purgatorio und den großen Dante-Interpretationen des 19. Jahrhunderts. Eine Dokumentation des Forschungsstandes wäre für den Leser hilfreich gewesen, um den spezifisch neuen Ansatz des Sammelbandes besser innerhalb der Forschungsdebatte einordnen zu können. Dies wird nur in wenigen Einzelbeiträgen themenspezifisch nachgeholt. Insgesamt bietet der 1 Sebastian Schütze und Maria Antonietta Terzoli, «Vorwort», S. VII‒IX, hier: S. VIII. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 32 Italienisch_82.indb 138 20.01.20 15: 36 139 Kurzrezensionen Band jedoch zahlreiche anregende Einzelanalysen, die in den meisten Fällen von ausgewiesenen Spezialisten verfasst wurden. Doch der Reihe nach: Kurt Flasch erörtert in seiner lesenswerten Studie interessante Aspekte der bislang von der Forschung verhältnismäßig wenig beachteten Figur des Teufels in Dantes Commedia. 2 Ggf. hätte der Autor in der englischsprachigen Forschung fündig werden können. Hier haben u.a. Anne Paolucci, Sylvia Tomasch und Alireza Anushiravani Beiträge zu Dantes Satan verfasst. Flasch geht insbesondere auf den intertextuellen Vergleich mit Miltons Paradise Lost, die Antikisierung der christlichen Teufelsfigur und den mangelnden Einfluss Satans auf die Vergehen der Sünder ein. Der intermediale Bezug zur bildenden Kunst wird in diesem ersten Beitrag jedoch nicht thematisiert. Marco Santagatas Zugang gestaltet sich hingegen eindeutig interdisziplinär: Er untersucht nicht nur pikturale Techniken in der Commedia, sondern geht darüber hinaus Dantes Selbststilisierung zum Maler in der Vita Nova nach. 3 Diese wird auf seine Mitgliedschaft in der Zunft der Apotheker zurückgeführt, wo der Autor Kenntnisse in der Herstellung und Mischung von Farben erworben haben könnte. Maria Antonietta Terzoli widmet sich neben ihrer einschlägigen Analyse der Ekphrasis im Purgatorio auch intertextuellen Schreibverfahren. 4 Ein besonderes Augenmerk liegt auf der imitatio bzw. aemulatio von Vergils Aeneis, die sie insbesondere anhand Dantes Bezugnahmen auf Aeneas’ Wappen veranschaulicht. Dabei zeigt sie überzeugend, dass Dante ein Hierarchieverhältnis zwischen den Künsten konstruiert und noch stärker als mit Malern, wie z.B. Cimabue, Giotto und Oderisi, mit anderen Schriftstellern rivalisiert. Marcello Ciccuto geht in seinem Beitrag auf den literarischen und ikonographischen Ursprung von Dantes Matelda-Figur ein, 5 während Laura Pasquini 6 und Emilio Pasquini 7 die Text-Bild-Bezüge im sog. Holkham 514 Manuskript (Bodleian Library, Oxford) aus dem 14. Jahrhundert beleuchten. Eine eingangs klar angekündigte Fragestellung hätte vor allem dem Aufsatz von Emilio Pasquini ein höheres Maß an Transparenz verliehen. 2 Kurt Flasch, «Der Teufel in Dantes Göttlicher Komödie», S. 1-12. 3 Marco Santagata, «Dante e gli speziali», S. 13-22. 4 Maria Antonietta Terzoli, «Visibile parlare: ecfrasi e scrittura nella ‘Commedia’», S. 23-48. 5 Marcello Ciccuto, «Origini poetiche e figurative di una leggenda dantesca: Matelda nell’Eden», S. 49-80. 6 Laura Pasquini, «Fra parole e immagini: il ‘visibile parlare’ nel manoscritto Holkham 514», S. 81-100. 7 Emilio Pasquini, «Il ‘visibile parlare’ nell’ Holkham 514 , misc. 48», S. 101‒118. Italienisch_82.indb 139 20.01.20 15: 36 14 0 Kurzrezensionen Besonders akkurat in der Einordnung in den Forschungskontext und klar in der Formulierung ihrer Problemstellung ist Lucia Battaglia Ricci in ihrer Untersuchung der Handschriften Riccardiano 1035 (Biblioteca Riccardiana, Florenz) und Braidense (Biblioteca Nazionale Braidense, Mailand), die beide mit einem Kommentar von Iacomo della Lana versehen sind. 8 Ricci zeigt, inwiefern die didaktisch-pädagogische Ebene in diesen Handschriften aus dem 14. Jahrhundert im Vordergrund steht und die Rezeption in eine theologisch-moralische Richtung lenkt. Vicenzo Vitale untersucht hingegen den Einfluss der im 15. Jahrhundert von König Alfons V. 9 in Auftrag gegebenen Commedia-Handschrift (British Library, London) auf Masuccios Novellino. Dabei veranschaulicht er insbesondere anhand von Purgatorio XXIX die künstlerische Freiheit des Illustrators. Dieser verbinde das in der Commedia mit Christus assoziierte Motiv des Greifen nun mit einem Lob auf König Alfons V. Vitale gelingt es abschließend zu zeigen, dass der «ideologische Horizont» (S. 156) der Commedia aragonese nicht nur aufgrund der Praxis des Herrscherlobs, sondern auch durch die ghibellinisch ausgerichtete politische Einstellung des Illustrators nahezu vollständig demjenigen des Novellino entspricht. Die beiden folgenden Aufsätze beschäftigen sich mit dem kontroversen Verhältnis zwischen Dante und Giotto. Serena Romano unternimmt einen anschaulichen Vergleich der Bearbeitung des urchristlichen Motivs der Navicula Petri in Giottos Mosaik der Navicella (Petersbasilika, Rom) und Dantes Darstellung in Purgatorio VI, Paradiso XI, Convivio, De monarchia und diversen Episteln. 10 Michael Viktor Schwarz geht hingegen der spannenden Frage nach, inwiefern Giotto und Dante gegenseitig ihre jeweilige Rezeption beeinflusst haben. 11 Zwar zeigt er, dass die künstlerische Darstellung Dantes stark von der angeblichen Giotto-Zeichnung im Palazzo del Bargello in Florenz geprägt wurde, gleichzeitig bezweifelt er jedoch, dass das Porträt wirklich von Giotto gemalt wurde und überhaupt Dante abbildet. Analog dazu stehe auch «Dantes Giotto» (S. 175 ff.) nicht für Dantes eigene Vorstellung des Malers, sondern für die seiner Kommentatoren der 1370er Jahre, die wiederum die Grundlage für das Giotto-Bild der Gegenwart darstelle. 8 Lucia Battaglia Ricci, «Letture figurate: il caso del Dante Riccardiano-Braidense», S. 110-136. 9 Vicenzo Vitale, «Il San Griffone di Masuccio e la Commedia aragonese: fortuna letteraria di un’interpretazione figurata di Dante», S. 137-162. 10 Serena Romano, «Il male del mondo: Giotto, Dante, e la Navicella», S. 185-204. 11 Michael Viktor Schwarz, «Giottos Dante, Dantes Giotto», S. 163-184. Italienisch_82.indb 140 20.01.20 15: 36 141 Kurzrezensionen Klaus Herding bietet eine profunde Analyse der Dantebarke von Delacroix. 12 Er führt dem Leser vor Augen, dass Delacroix’ Gemälde keine Hauptfigur vorweisen kann und nicht als wörtliche Wiedergabe des 8. Gesangs des Inferno betrachtet werden sollte. Die Dantebarke sei vielmehr als Hinwendung des Malers zu sich selbst und zur eigenen Emotionsbearbeitung zu verstehen. Delacroix konstruiere somit einen «Dante seiner eigenen Unruhe» (S. 228). Elizabeth Helsinger beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Dante und einem weiteren Maler des 19. Jahrhunderts: Dante Gabriel Rossetti. Dieser habe durch eine intensive Lektüre der Commedia die Technik des hallucinatory realism entwickelt (S. 243) und verarbeite in seinen Gemälden und seinem literarischen Werk insbesondere Dantes Liebesthematik. 13 Sebastian Schütze untersucht in seinem Beitrag die im Höllentor gipfelnde Auseinandersetzung Rodins mit Dante und Michelangelo. Dabei zeigt er, inwiefern sich das Hochrelief sukzessive immer weiter von Dantes Inferno entfernt hat, um sich zunehmend als säkularisiertes Jüngstes Gericht zu präsentieren. 14 Dies werde nicht zuletzt in den «Strömen verketteter Nacktheit» deutlich (S. 266). Schütze illustriert seine These überzeugend an den Darstellungen von Paolo und Francesca und Ugolino, die er bei Rodin zu Metaphern für den «in und an der Welt leidenden» modernen Menschen umgedeutet sieht (S. 264). Der Band schließt mit Adrian La Salvias besonders lesenswerter Studie zur weltweiten Rezeption von Gustave Dorés Dante-Illustrationen in zeitgenössischen Refigurationen der Commedia. 15 Dabei zeigt er, wie Dorés kinematographische Techniken in der Epoche der Massenmedien in das Medium des Comics überführt wurden. Diese These veranschaulicht La Salvia aus transkultureller Perspektive am Beispiel figurativer Bearbeitungen der US-amerikanischen, italienischen bzw. französischen Comiczeichner Art Young, Milo Manara und Moebius, des Japanischen Mangakas Jo Nagai, des deutschen Buchkünstlers Felix Martin Furtwängler und des kalifornischen Malers Sandow Birk. Insgesamt bietet der Sammelband eine Fülle anregender Beobachtungen, welche nicht nur die aktuelle Forschungsdebatte zum Dialog zwischen Bild und Text, sondern auch den interdisziplinären Austausch zwischen der 12 Klaus Herding, «‘Le sujet c’est toi-même’: Delacroix’ Dantebarke», S. 205-242. 13 Elizabeth Helsinger, «How They Met Themselves: Dante, Rossetti, and the Visualizing Imagination», S. 243-260. 14 Sebastian Schütze, «‘L’âme des hommes de génie’: Dante - Michelangelo - Rodin», S. 261-280. 15 Adrian La Salvia, «Dante e Doré. L’aura della Divina Commedia nell’arte moderna», S. 281-302. Italienisch_82.indb 141 20.01.20 15: 36 142 Kurzrezensionen Romanistik und den Kunstwissenschaften mit interessanten Impulsen versehen. Abschließend sei noch erwähnt, dass der Band sorgfältig lektoriert wurde und beim Lesen nur wenige Druckfehler ins Auge fallen («mit ihrer ästhetischer [sic] Überlegenheit zu beweisen», S. 8, «das hat auch schon manchen Lesern [sic] enttäuscht», S. 9, «i personaggi sulla scena vengono indicato [sic]», S. 106, «the book will finds [sic]», S. 254 und «ciaroscuro» [sic], S. 294-95). Claudia Jacobi Italienisch_82.indb 142 20.01.20 15: 36 14 3 Mitteilungen L’affabulatore ammaliante Andrea Camilleri (Porto Empedocle, 06/ 09/ 1925 - Roma, 17/ 07/ 2019) Il 17 luglio, all’età di 93 anni, è scomparso Andrea Camilleri. Si è spento all’ospedale Santo Spirito di Roma, dove le condizioni di salute, già precarie, erano ulteriormente peggiorate. Nella tarda vecchiaia, Camilleri era diventato cieco, ma non aveva cessato di dedicarsi alle sue molteplici attività: aveva continuato a scrivere e ancora l’11 giugno 2018 aveva recitato brani tratti dalle Conversazioni su Tiresia, un ‘dialogo’ sulle trasformazioni dell’umanità tra l’indovino tebano, cieco pure lui, e grandi intellettuali ed artisti. In proposito Camilleri affermava: «Da quando non vedo, vedo le cose più chiaramente». Sia in Italia che all’estero, Camilleri rimarrà noto in primo luogo come l’ideatore del commissario Salvo Montalbano, l’investigatore siciliano scontroso ed ex sessantottino che non ha mai abbandonato i suoi ideali ma che progressivamente si è visto costretto ad affrontare una società in cui i valori nei quali crede sembrano contare sempre di meno. Il commissario è il protagonista di una lunga serie di romanzi e di raccolte, più di quaranta per intenderci, i cui adattamenti, televisivi e di altra sorta, hanno contribuito ulteriormente alla fama del personaggio e del suo autore, senza che abbiano influenzato tuttavia l’immaginazione di quest’ultimo - lo dimostrano i dati e i contributi raccolti sul sito del Camilleri Fans Club, l’«unico sito legato a [Camilleri] e da [lui] in parte autorizzato» (vigata.org), che per tanti è una fonte indispensabile per una migliore comprensione dell’opera complessiva dello scrittore. ‘Montalbano sono...’? La figura di Montalbano non ha certo bisogno di una presentazione dettagliata, ma in omaggio al commissario ormai famosissimo conviene comunque ricordare che, per crearlo, Camilleri si era ispirato sia al commissario parigino Maigret di Georges Simenon che al detective Pepe Carvalho, stabilitosi a Barcellona, di Manuel Vázquez Montalbán: tutti e tre sono accomunati dalla ricerca accanita della verità nonché dalla passione per la cucina (piccante o meno), dalla quale spesso prendono spunto squisite pause nelle indagini. Nel mondo della fiction, la figura del commissario Montalbano si è poi ulteriormente concretizzata, nell’ambito del suo passaggio alla televisione, tramite le interpretazioni di Luca Zingaretti, nella veste del Montalbano cinquantenne, e di Michele Riondino, nel ruolo del giovane Montal- DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 3 3 Italienisch_82.indb 143 20.01.20 15: 36 14 4 Mitteilungen bano. I due attori sono stati diretti rispettivamente da Alberto Sironi, scomparso lo scorso agosto poco dopo Camilleri, e da Gianluca Maria Tavarelli. È indubbio che il passaggio alla TV sia stato agevolato dal fatto che la scrittura di Camilleri si era potuta nutrire della sua lunga esperienza di regista-sceneggiatore in ambito teatrale, televisivo e radiofonico: Camilleri aveva infatti capito bene come sfruttare appieno le modalità del ritmo narrativo, delle descrizioni e dei dialoghi, modalità che poi sarebbero state trasposte nel formato televisivo. Tornando alle narrazioni cartacee, e in particolare a quelle con Montalbano come protagonista, va osservato che pur esplorando i confini del genere e dei personaggi che lo popolano, Camilleri ha creato un universo poliziesco secondo un piano geometrico-matematico tanto rigido quanto idiosincratico. Così, quando Montalbano, pur essendosi proposto di non fare mai appunti, vuole ricostruire un caso, deve ricorrere a sotterfugi, scrivendo una lettera a sé stesso o chiamandosi al telefono. In questi ‘dialoghi’, Montalbano ricollega i vari frammenti del mistero da risolvere, ma al contempo ridimensiona sé stesso, non solo in quanto essere umano, ma soprattutto come investigatore, mettendo in discussione e ridicolizzando le proprie competenze. A prescindere da questi dialoghi, spetta alla voce narrante il compito di rivelare al lettore il modus operandi dell’indagine poliziesca classica, entro il quale si colloca l’intera serie di Montalbano: i colpevoli non si fanno sempre arrestare, cosicché certi casi rimangono irrisolti, e non vanno rivelate certe verità, affinché non provochino altri dolori. Inoltre, il narratore non smette di inserire dei metacommenti relativi alle storie giallesche e al comportamento della squadra di Montalbano. Esilaranti sono, per esempio, le scene in cui Montalbano, alla caccia di un colpevole, viene descritto come uno che cerca di agire come un attore-eroe in una scena d’azione, senza riuscirci s’intende, e che quindi si ritrova suo malgrado in una scena da slapstick. Nella componente metatestuale, si dipana del resto uno degli aspetti della comicità ironica tipica della scrittura di Camilleri, che si rivela pure nella quasi continua ripetitività delle descrizioni dei personaggi, come se il narratore volesse creare un orizzonte di attesa che poi viene infranto inaspettatamente: il lettore resta sorpreso e addirittura sconvolto qualora Catarella, il poliziotto-centralinista imbranato che parla una lingua tutta particolare, a prima vista indecifrabile, non sbatta la porta dell’ufficio del commissario... Nel giro degli anni, però, Catarella - memorabile l’interpretazione di Angelo Russo nella serie televisiva - si rivela un genio dell’informatica e anche il suo carattere, così come quello degli altri personaggi, si rivela più complesso. Da una caratterizzazione piuttosto stereotipata, Camilleri è passato ad una rappresentazione molto più sfumata dei personaggi: si evolvono, non invec- Italienisch_82.indb 144 20.01.20 15: 36 14 5 Mitteilungen DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 015 chiano davvero. Nel caso del commissario, si avverte una maggiore stanchezza, si moltiplicano i momenti di crisi e i sogni premonitori. Il rapporto di Montalbano con la lontana fidanzata genovese, Livia, si complica ulteriormente, ma visto che la serie si è ormai interrotta e che gli ultimi romanzi non rispettano la cronologia storica, il lettore si può inventare una sua fine - a meno che le pubblicazioni postume non completino il ciclo di Montalbano, come aveva annunciato Camilleri scherzosamente nel 2017, in una puntata del talkshow #cartabianca, sostenendo che il commissario non sarebbe morto, ma scomparso. Finché non si conosce l’effettiva continuazione-chiusura del ciclo, possiamo pensare che il commissario potrebbe diventare oggetto d’indagine lui stesso, indagine dalla quale - secondo il consueto modus operandi di Montalbano - potrebbero risultare anche elementi enigmatici o comunque irrisolvibili. Per ora, toccherà quindi al lettore trovare «la differenza tra contenuto e contenitore» (La voce del violino, Palermo: Sellerio 1997, p. 186). Solo così si potrebbe risolvere l’ultimo mistero di Montalbano. Camilleri, autore siciliano? Oltre al Camilleri autore della vena giallistica con il commissario siciliano, però, va ricordato anche il Camilleri autore di numerosi romanzi storici (suo genere letterario prediletto) - come per esempio Il Re di Girgenti (2001) - che pure presentano spesso una componente giallistica e che sono scritti tutti, ad eccezione de La mossa del cavallo (1999), nello stesso idioletto degli episodi di Montalbano, ovvero in un italo-siculo letterario. Si tratta di un linguaggio inventato dall’autore perché, a suo dire, gli sarebbe impossibile esprimersi in italiano standard. Sia la critica che i lettori stentano a esprimere un giudizio definitivo su tale tratto distintivo. Alcuni qualificano la lingua di Camilleri come dialettale, altri come maccheronica, mentre in realtà si tratta di un uso variegato di più idiomi all’interno del testo, a seconda del personaggio e delle circostanze. È pertanto ovvio che sono molto bravi, ma altrettanto pochi, i traduttori che riescano a trasporre questa complessità linguistica così stratificata - si invitano i lettori delle traduzioni in 120 lingue diverse a fare il confronto con la lingua di partenza. Il pubblico deve essere in grado di ‘assaporare’ lo strumento linguistico per capire l’universo camilleriano. In più occasioni Camilleri ha dichiarato di portare la sicilianità nel DNA, il che spiega perché molte sue storie siano ambientate in quell’isola in cui nacque nel 1925, a Porto Empedocle. Nel 2003, il comune di Porto Empedocle decise di aggiungere un secondo nome, Vigàta, ovvero il nome del paese immaginario del commissario Montalbano. La decisione fu poi revocata nel 2009, ma nello stesso anno, in via Roma, al commissario vigatese fu dedicata una statua. Italienisch_82.indb 145 20.01.20 15: 36 14 6 Mitteilungen Nella vita di Camilleri si intessono poi altri legami con la Sicilia, spesso ma non esclusivamente di stampo letterario. Con Luigi Pirandello, di cui è un parente lontano, egli condivide non solo l’amore per le terre natie (la provincia di Agrigento), ma soprattutto l’amore per gli scambi. Questi, che nell’idioletto camilleriano vengono chiamati «scangi», hanno effetti «comici, tragici, diabolici», come si legge sul sito della Casa Editrice Sellerio in relazione alla ripubblicazione del romanzo storico Il birraio di Preston (originariamente pubblicato nel 1995, e poi di nuovo nel 2009 all’interno della collana «La rosa dei venti» in occasione dei 40 anni della Casa Editrice). Nella terminologia dello stesso Camilleri, questo libro rende la «tragedialità» siciliana, ovvero la capacità, tipica dei siciliani, di assumere vari ruoli. Nell’opera camilleriana, infatti, si trovano svariati riferimenti al Pirandello drammaturgo-romanziere, e nei plot di alcune storie sono riconoscibili svolte pirandelliane. Un altro omaggio al parente lontano è la Biografia del figlio cambiato (2000), una biografia romanzata senza apparato critico, in cui Camilleri interpreta il rapporto, altamente problematico, tra Pirandello e il padre Stefano, elaborando in modo originale la questione dell’identità, centrale nell’opera pirandelliana. Ma Andrea Camilleri è strettamente legato anche ad un altro scrittore siciliano: Leonardo Sciascia. Camilleri ha raccontato in più occasioni come Sciascia avesse rifiutato una storia che lui gli aveva voluto regalare, ribattendo che toccava allo stesso Camilleri scriverla. Proprio da tale rifiuto cominciò una lunga carriera letteraria, la quale tuttavia inizialmente stentava a prendere avvio (è cosa risaputa che il primo romanzo, Il corso delle cose, scritto nel 1967, fu pubblicato solo nel 1978 dopo un lungo e tortuoso percorso editoriale, mentre il successo giunse solo nei primi anni Novanta - iconica la collaborazione con Elvira Sellerio che nel 1994 lanciò Montalbano con La forma dell’acqua). Ciò che lega strettamente i due scrittori, non è tanto (o solamente) il fatto che Sciascia sia stato il mentore letterario di Camilleri, quanto piuttosto il ruolo di modello che l’autore de Il giorno della civetta assume in relazione al campo dell’«indagine della realtà». Questo tipo di indagine non solo va oltre la criminalità, ma propone innanzitutto un’analisi critica della società siciliana, dell’Italia e, per estensione, della società globalizzata. In altre parole: Camilleri, sul modello di Sciascia, concepisce la Sicilia come una «metafora», commentandola a sua volta in una veste leggermente più giallistica, apertamente più tradizionale rispetto al giallo sciasciano, e con un tono comico-ironico del tutto singolare. Pur facendo riferimento in modo più o meno esplicito ad altri autori, artisti e titoli (che vanno da Dante, Shakespeare e Bruegel a Conrad, Faulkner e Borges), Camilleri racconta, nel proprio idioletto, la sua interpretazione della realtà, innestandola tuttavia in un mondo di finzione: innume- Italienisch_82.indb 146 20.01.20 15: 36 147 Mitteilungen revoli sono gli avvertimenti in cui l’autore siciliano nega esplicitamente che i personaggi e gli avvenimenti raccontati si ispirino alla realtà, mentre allo stesso tempo sintetizza i fatti (di cronaca) da cui prende spunto la narrazione in questione. Nella nota al primo episodio di Montalbano, La forma dell’acqua, leggiamo infatti: «Ritengo indispensabile dichiarare che questo racconto non nasce dalla cronaca e non assembla fatti realmente accaduti: esso è, insomma, da addebitarsi interamente alla mia fantasia. Poiché però in questi ultimi tempi la realtà pare voglia superare la fantasia, anzi abolirla, può essermi capitata qualche spiacevole coincidenza di nomi e di situazioni. Ma dei giochi del caso, si sa, non si può essere responsabili» (Palermo: Sellerio 1994, p. 173). Tale presa sulla realtà tramite la finzione è il frutto di un paradosso di grande efficacia. Le narrazioni di Camilleri scritte tra il 1993 e il 2008 sono state incorporate negli UNO («Unidentified Narrative Objects» o «Oggetti narrativi non identificati», un corpus di narrativa metastorica i cui elementi producono effetti perturbanti sul lettore), denominazione lanciata nell’ambito del N.I.E. («New Italian Epic» o «Nuova epica italiana») e che può essere valida anche per le pubblicazioni più recenti dello scrittore siciliano. Al contempo, Camilleri viene proposto come uno dei maggiori esponenti italiani del ‘noir mediterraneo’, che non è né un movimento né un genere, ma il risultato della percezione di un pubblico che si vede confrontato con delitti efferati ambientati in un determinato contesto storico-culturale e/ o di bellezza naturale: l’impatto del romanzo noir deve andare ben oltre il crimine attorno a cui si organizza l’intreccio affinché il lettore possa cogliere l’impegno contenuto nel testo. D’altronde, nel ‘circolo’ del noir mediterraneo Camilleri si trova in ottima compagnia, accanto a Vázquez Montalbán, a Massimo Carlotto e a Jean-Claude Izzo, spesso presentato come il padre fondatore di questo ‘movimento’. Il cruccio di Camilleri? Alla svolta del secolo, a sette anni dai primi successi, Camilleri si era ancora lamentato del fatto che i suoi lettori tendessero a non cogliere l’impegno presente nei suoi testi. In un’intervista a Le Magazine Littéraire, infatti, Camilleri sottolineava che la comicità tipica della sua narrativa non è fine a se stessa, bensì è un veicolo per trasmettere l’impegno esplicitamente dichiarato dall’autore. Camilleri non smise mai di intervenire nel dibattito pubblico: del suo impegno testimoniano anche i contributi non letterari, quali articoli su giornali e saggi, nonché conferenze o altre performance. A tale Italienisch_82.indb 147 20.01.20 15: 36 14 8 Mitteilungen proposito sono illuminanti le collaborazioni con il giornalista Saverio Lodato: La linea della palma. Saverio Lodato fa raccontare Andrea Camilleri (2002) si presenta come una lunga intervista all’autore sulla propria vita e sulla storia del Paese, mentre Un inverno italiano. Cronache con rabbia 2008-2009 (2009) raccoglie commenti relativi agli effetti del berlusconismo sulla politica e sull’Italia. Secondo Camilleri, l’Italia non riesce né a uscire dalla crisi politico-economica, né a superare le proprie anomalie per la mancanza di un vero progetto e per la crisi delle ideologie. Per questo motivo lanciò vari appelli all’impegno politico-civile. Nel caso di Camilleri, ciò risultò perfino nel progetto, ideato nel 2009, di un «Partito dei Senza Partito», di cui lui stesso avrebbe dovuto essere il co-fondatore insieme ad Antonio Di Pietro e Paolo Flores d’Arcais. Sebbene il progetto fosse fallito ancor prima di realizzarsi, la rabbia di Camilleri non scemò mai, una rabbia che ha potuto trovare espressione soltanto nei suoi testi. Lo scrittore si è arrabbiato molto di meno invece nei confronti di quei critici che lo hanno snobbato per il fatto di essere diventato uno scrittore di bestseller - ha venduto 30 milioni di copie -, per la sua supposta leggerezza nonché per la sua espressività linguistica, ma ciò non toglie niente al fatto che Camilleri, detto anche il Maestro o il Sommo, ha saputo cattivare l’attenzione di generazioni di lettori. Lettori che spesso sono stati attratti dalle narrazioni, dai saggi, dai contributi giornalistici, dalle performance, dagli adattamenti televisivi oppure dai fumetti (nel 2013, Topolino, insieme al signor Patò, alias Camilleri, ha cominciato a seguire l’indagine di Salvo Topalbano) e che sempre si sono affezionati al «contastorie», come Camilleri soleva definire se stesso. Inge Lanslots Convegno internazionale La costruzione linguistica del discorso attuale sulle migrazioni / Die sprachliche Konstruktion des aktuellen Migrationsdiskurses, 16-19 settembre 2019, Universität Halle. Dal 16 al 19 settembre 2019 si è svolto presso la Martin-Luther-Universität di Halle-Wittenberg il convegno internazionale La costruzione linguistica del discorso attuale sulle migrazioni / Die sprachliche Konstruktion des aktuellen Migrationsdiskurses, che ha visto la partecipazione di studiosi provenienti dalla Germania, dall’Italia, dall’Ungheria, dalla Romania e dal Belgio. Esso è la terza e ultima parte di un progetto più ampio - ideato da Daniela Pietrini (Halle) in collaborazione con Fabio Rossi (Messina) e finanziato dal DAAD - che ha previsto nei mesi precedenti un workshop tematico sui DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 3 4 Italienisch_82.indb 148 20.01.20 15: 36 14 9 Mitteilungen fenomeni migratori in prospettiva interdisciplinare (a Messina) e uno metodologico su prospettive e tecniche dell’analisi linguistica del discorso (a Halle). Aperto anche a dottorandi e studenti, il convegno è stato concepito plurilingue e interdisciplinare, abbracciando, oltre all’analisi linguistica, mediale e discorsiva, anche contributi di giurisprudenza, filosofia, letteratura e cinema. Idealmente, si possono suddividere i numerosi interventi in quattro grandi aree tematiche. La prima è la riflessione generale sul fenomeno migratorio: la relazione di Massimo Arcangeli (Cagliari) verteva sugli stereotipi legati ai migranti, mentre quella di Werner Nell (Halle) sull’essenza della migrazione (crisi oppure accidente? ) e quella di Matthias Kaufmann (Halle) sui legami tra identità culturale, diritti umani e migrazione. Per quanto riguarda la situazione tedesca, che costituisce la seconda area tematica, Winfried Kluth (Halle) ha illustrato la storia e i tratti della legislazione tedesca relativa all’immigrazione, con particolare riguardo alla terminologia; in prospettiva linguistica, Sven Staffeldt (Halle) ha parlato del lessico legato alla migrazione e ai migranti nei corpora del tedesco scritto. Sulla xenofobia degli intellettuali di destra, in particolare in alcune riviste, ha riferito Andrea Jäger (Halle), mentre Werner Barg (Halle) ha esaminato la presenza delle migrazioni nel cinema di lingua tedesca. La situazione italiana (terza area) è stata analizzata sotto vari aspetti: il cinema (Fabio Rossi, Messina) la stampa (Raffaella Setti, Firenze e Stefania Spina, Perugia), twitter (Fabio Ruggiano, Messina, e ancora Stefania Spina) la terminologia giuridica (Riccardo Gualdo e Stefano Telve, Viterbo), la lessicografia (Raphael Merida, Augsburg), il nesso discorsivo migrazione-sicurezza (Katona-Kovács). Paolo Orrù (Debrecen), autore di una monografia del 2017 sul discorso migratorio in Italia, ha presentato un aggiornamento del suo studio proponendo anche un’analisi multimodale testo/ immagine. Non sono mancati interventi comparativi o dedicati ad altri paesi (quarta area tematica). Jessica Mariani (Bruxelles) ha illustrato la prassi e il quadro terminologico della migrazione nelle istituzioni europee; Goranka Rocco (Trieste) si è dedicata a un confronto terminologico tra tedesco e italiano, mentre la relazione di Anamaria Geba˘ ila˘ (Bucarest) verteva su un confronto delle strategie di attenuazione messe in atto durante tavole rotonde sul tema migrazione in Italia, Romania e Francia. Martin Becker (Köln) ha confrontato il discorso politico italiano e spagnolo sulle migrazioni. La terminologia della legislazione spagnola è stata studiata da Laura Clemenzi (Viterbo); Marco Bianchi (Halle) ha analizzato come sono stati presentati gli eventi di Lampedusa nella stampa francese. Jöran Landschoff (Heidelberg) ha offerto un ricco quadro anche metodologico sul paragone tra i discorsi sulla migrazione in Germania, Inghilterra e Francia. Italienisch_82.indb 149 20.01.20 15: 36 150 Mitteilungen Il convegno ha previsto anche una sezione poster, nella quale studenti e laureandi (Letizia Midolo, Messina; Mara Papaccio, Halle; Eva Ribstein, Halle; Valentina Salvago, Messina; Annika Wunderlich, Halle) hanno discusso con gli altri partecipanti delle proprie ricerche. La pubblicazione degli atti del convegno è prevista per i primi mesi del 2020. Marco Bianchi Paul-Celan-Preis an Annette Kopetzki Mit dem vom Deutschen Literaturfonds alljährlich vergebenen Paul-Celan- Preis für herausragende Literaturübersetzungen ins Deutsche wurde im Jahr 2019 Annette Kopetzki für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet, das Übersetzungen aus dem Italienischen umfasst, darunter Werke von Pier Paolo Pasolini, Erri de Luca, Andrea Camilleri, Roberto Saviano, Edmondo De Amicis und Alessandro Baricco. 2018 erschien ihre Übersetzung des Romans Am Hügel von Capodimonte von Wanda Marasco, in der sie, so die Jury, «den vielstimmigen Chor der Seelen Neapels hörbar macht und mit bewundernswertem musikalischem Gespür alle Tonlagen zwischen expressiver Wucht, gehauchter Melancholie und dialektaler Figurenrede anstimmt, nuancenreich bis in die feinsten Verästelungen der filigranen Metaphorik». Der Jury gehörten an: Karin Betz, Gabriele Leupold, Miriam Mandelkow, Gunther Nickel und Ulrich Sonnenberg. Der mit 20.000 Euro dotierte Preis wurde am Donnerstag, dem 17. Oktober 2019 im Lesezelt der Frankfurter Buchmesse vergeben. Die Laudatio hielt die Literaturkritikerin Maike Albath. (Red.) Romanistentag 2019 Vom 29. September bis 2. Oktober 2019 fand an der Universität Kassel der Deutsche Romanistentag, organisiert vom Deutschen Romanistenverband e.V. (DRV), statt. Das Rahmenthema lautete «Wiederaufbau, Rekonstruktion, Erneuerung». Die Eröffnungsrede hielt Jürgen Kaube zum Thema «Die Form einer Stadt». Die wissenschaftliche Arbeit teilte sich auf in 24 Sektionen, die sich der Thematik aus den verschiedensten Perspektiven widmeten. Dazu kamen zwei Diskussionsveranstaltungen: Zum einen stellte am 30.9. eine Plenumsveranstaltung die Frage: «Third Mission: Wie können RomanistIn- DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 3 5 Italienisch_82.indb 150 20.01.20 15: 36 151 Mitteilungen nen ihre Forschungsergebnisse in die Gesellschaft tragen? » Nach einem Impulsrefereat von Cord-Denis Hachmeister (Gemeinnütziges Zentrum für Hochschulentwicklung Gütersloh) wurde die Diskussion von Prof.Dr. Elissa Pustka, Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit des DRV, moderiert. Am 1.10. lud der DRV zu einer Podiumsdiskussion ein zum Thema «Die Wiederentdeckung des Faktischen oder: Wissenschaft als fünfte Gewalt? » Moderiert von Prof.Dr. Angela Schrott (Universität Kassel) diskutierten Prof.Dr. Barbara Vinken (Universität München), Dr. Paul Ingendaay (Europa-Korrespondent des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) und Prof.Dr. Andreas Gardt (Präsident der Akademie der Wissenschaften Göttingen) über Fragen der Autonomie von Wissenschaft und deren Vermittlung in den (neuen) Medien. Während der Mitgliederversammlung des DRV am 30.9. wurde ein neuer Vorstand gewählt: Neue Präsidentin ist Prof.Dr. Rotraud von Kulessa (Universität Augsburg), Vizepräsidentin Prof.Dr. Carolin Patzelt (Universität Bremen). Zu Vorstandsmitgliedern für den Mittelbau, Öffentlichkeitsarbeit und Finanzen wurden Clemens Odersky (Universität Bamberg), Prof.Dr. Elissa Pustka (Universität Wien) und Dr. Franz Meier (Universität Augsburg) gewählt. (Red.) 50 Jahre Italienische Klassiker-Reihe I Meridiani (Mondadori) Die bedeutende Reihe der Klassikerausgaben im Verlag Mondadori unter dem Namen I Meridiani wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. In einer Veranstaltung der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2019 erzählte die Lektorin der Reihe, Renata Colorni, im Gespräch mit Prof. Luigi Reitani (Universität Udine) über ihre Arbeit. Gegründet von Vittorio Sereni, inspiriert durch die Bibliotheque de la Pléiade (Gallimard, Paris), erschienen 1969 die beiden ersten Bände zu Giuseppe Ungaretti und Ezra Pound. Die Lyrik bezeichnete Colorni als eine der wichtigsten Aufgaben der Meridiani-Reihe, da die oft in kleinen Auflagen erscheinenden Lyrikbände schnell vom Markt verschwinden und damit die Texte nicht mehr verfügbar sind. Die umfangreichen, sorgfältig edierten Bände, die in einer Art «officina di critica letteraria aperta» erscheinen, sind zu einer der wichtigsten Quellen für Forschung und Lehre geworden. Besonderes Augenmerk legt die Redaktion auf die Cronologie zu Beginn jeden Bandes, die eine Art kommentierter Bio-Bibliographie darstellen und über eine Auflistung von Daten weit hinausgehen. Informationen unter: https: / / www.oscarmondadori.it/ content/ uploads/ 2019/ 10/ Catalogo- Meridiani-2019_20.pdf? x90317. (Red.) DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 3 6 DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 37 Italienisch_82.indb 151 20.01.20 15: 36 152 Mitteilungen Italianistentag 2020 Zur Teilnahme am Deutschen Italianistentag in München vom 5.-7. März 2020 lädt der Deutsche Italianistenverband - Fachverband Italienisch in Wissenschaft und Unterricht e.V. herzlich ein. Das Rahmenthema lautet: «Movimenti - Bewegungen». Für die Plenarvorträge konnten Prof. Marco Santagata (Università degli Studi di Pisa), Prof. Donatella Troncarelli (Università per Stranieri di Siena) und Prof. Mari D’Agostino (Università degli Studi di Palermo) gewonnen werden. Im Rahmenprogramm sind eine Autorenlesung mit Igiaba Scego sowie eine Fotoausstellung zum Thema Scrittori italiani del Novecento vorgesehen. Im Verlauf der Tagung wird auch der Nachwuchspreis des DIV für hervorragende Qualifikationsschriften aus der Italianistik überreicht. Anmeldung und Information unter: https: / / www.italianistentag2020. italianistik.uni-muenchen.de/ index.html (Red.) Gründung des Italienzentrums der Goethe-Universität Frankfurt am Main Am 11.12.2019 fand die feierliche Eröffnung des Italienzentrums der Goethe-Universität Frankfurt statt. Im Vorfeld hatte das gemeinsame wissenschaftliche Interesse an der Geschichte und Politik sowie Kunst und Literatur Italiens verschiedene Professorinnen und Professoren- aus der Geschichtswissenschaft, der Italianistik, der Kunstgeschichte, Kirchengeschichte und Politikwissenschaft zusammengeführt. Das Ziel des Forschungszentrums ist es, die bestehenden oder geplanten Aktivitäten durch eine bessere Vernetzung zu fördern, die Sichtbarkeit dieser Forschungen nach innen und außen zu erhöhen und interdisziplinäre Verbundforschungsprojekte anzustoßen. Schon jetzt wird an der Goethe-Universität in mehreren großen Drittmittelprojekten zur Geschichte und Kultur Italiens geforscht; der in der Italianistik angesiedelte binationale Masterstudiengang Italienstudien eröffnet den Studierenden die Chance, einen Double degree-Abschluss an der Goethe- Universität und der Università Ca‘ Foscari Venezia zu erwerben. Das Italienzentrum wird ab dem Sommersemester 2020 regelmäßig Vorträge italienischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Goethe-Universität organisieren. Zusätzlich befinden sich Konferenzen sowie fächerübergreifende Lehrveranstaltungen zur italienischen Geschichte und Kultur in Planung. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 3 9 DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 3 8 Italienisch_82.indb 152 20.01.20 15: 36 153 Mitteilungen Die Veranstaltung am 11. Dezember eröffnete der Vizepräsident der Goethe-Universität, Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz. In seiner Rede würdigte er die Initiative mit einem Verweis auf die Bedeutung Italiens für Deutschland und Frankfurt und wies gleichzeitig auf die Initiative des Europasommers der Universität hin, der im kommenden Jahr die deutsch-italienische Partnerschaft und die Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt und Mailand ins Zentrum rücken wird. Auch der italienische Generalkonsul Andrea Esteban Samà strich die große Bedeutung des neu gegründeten Zentrums für die Förderung und Bereicherung gemeinsamer Vorhaben heraus und sicherte dem Italienzentrum die volle Unterstützung und Kooperation des Generalkonsulats bei seinen Tätigkeiten und Initiativen zu. Dieses Zentrum werde einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland noch weiter zu vertiefen. Die Vorsitzende der Deutsch-Italienischen Vereinigung e.V. Frankfurt, PD Dr. Caroline Lüderssen, sagte dem Zentrum ihrerseits die Unterstützung ihrer Institution und der Frankfurter Stiftung für deutschitalienische Studien/ Italienstiftung zu und betonte die Bedeutung des neuen Zentrums in einer internationalen Stadt wie Frankfurt für den deutsch-italienischen Dialog im europäischen Kontext. Als Sprecher des Zentrums stellte Prof. Dr. Christoph Cornelißen sodann die Grundzüge des Italienzentrums vor und kündigte die nächsten Vorhaben an, die ab dem Sommersemester 2020 eine regelmäßige Präsenz des Zentrums erreichen sollten. Dabei ist zum einen eine enge Kooperation mit der Universitätsleitung vorgesehen, zum anderen mit Partnern in der Region sowie im Ausland. Als Festredner konnten die Sprecher des Zentrums, Prof. Dr. Christoph Cornelißen und Prof. Dr. Christine Ott, den weltweit renommierten Historiker Carlo Ginzburg gewinnen. Prof. Ginzburg, der an der Universität Bologna, der University of California, Los Angeles und der Scuola Normale Superiore di Pisa lehrte, gilt als Begründer der Mikrogeschichte. Sein 1976 erstmals erschienenes Buch Der Käse und die Würmer hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren. Es wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt und dieses Jahr beim Adelphi-Verlag neu aufgelegt. Zu Beginn des kommenden Jahres wird auch die deutsche Neuauflage beim Berliner Wagenbach- Verlag erscheinen. In einer berührenden Rede erinnerte Ginzburg an den Beginn und die ursprünglichen Motivationen der Mikrogeschichte. Er reflektierte über die methodischen Herausforderungen und autobiographischen Implikationen seines Ansatzes. Zuletzt erinnerte er an seinen Vater, Leone Ginzburg, der als Jude und Kommunist inhaftiert und 1944 von der SS in Rom ermordet wurde. Sein Vater starb als Europäer, so Ginzburg, denn seine Botschaft an die jüngeren Generationen lautete, kurz vor seinem Tod: Italienisch_82.indb 153 20.01.20 15: 36 15 4 Mitteilungen «Wehe uns, wenn wir morgen unser Leid nicht vergessen können, wehe, wenn wir unsere Verurteilung auf das ganze deutsche Volk beziehen. Wir müssen zwischen dem Volk und den Nazis unterscheiden. Wenn wir das nicht tun können, wird all unser Leid umsonst gewesen sein.» An die 200 Besucher waren gekommen, um Ginzburgs Rede und der Eröffnung des Italienzentrums beizuwohnen. Sie spendeten Ginzburg minutenlangen Applaus. Es folgte eine lebhafte Diskussion mit Prof. Dr. Martin Baumeister, dem Leiter des Deutschen Historischen Instituts Rom, Dr. Massimo Rospocher vom Italienisch-deutschen Historischen Institut Trient, Prof. Dr. Hans Aurenhammer (Goethe-Universität) sowie den Sprechern des Zentrums. Für das kommende Halbjahr plant das Italienzentrum unter anderem eine Vortragsreihe zum Thema «Krise in Italien? Krise in Europa! » und eine große internationale Michelangelo-Tagung. Die Ziele des Frankfurter Instituts für Italienstudien sind die folgenden: • Aktivitäten in Forschung und Lehre an der Goethe Universität mit dem Schwerpunkt Italien bündeln • Planung und Durchführung fächerübergreifender Lehrveranstaltungen • Ringvorlesungen zu Schwerpunkthemen der italienischen Geschichte und Kultur • Kooperation mit italienischen Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten • Förderung des Austauschs von Gastprofessuren/ Gastwissenschaftlern • Förderung des Austauschs von Nachwuchswissenschaftler/ innen • Aufbau gemeinsamer Promotionsverfahren (Cotutelle) • Gezielte Förderung bzw. Betreuung von Erasmusstudierenden • Entwicklung von bilateral oder multilateral zusammengesetzten Forschungsverbünden -- Aufbau von Netzwerken -- Durchführung von Anbahnungsseminaren -- Einladung an junge Gastwissenschaftler/ innen • Erarbeitung gemeinsamer Förderanträge mit italienischen Partnern Am Arbeitskreis «Italienstudien» sind bisher beteiligt: Prof. Dr. Christoph Cornelißen (Geschichte), Prof. Dr. Christine Ott (Romanistik), Prof. Dr. Hans Aurenhammer (Kunstgeschichte), Dr. Marco Cavarzere (Geschichte), Prof. Dr. Birgit Emich (Geschichte), Prof. Dr. Claudius Wagemann (Politik- Italienisch_82.indb 154 20.01.20 15: 36 155 Mitteilungen wissenschaft), Prof. Dr. Vinzenz Hedinger (Filmwissenschaft), Prof. Dr Cecilia Poletto (Romanistik), PD Dr. Magnus Ressel (Geschichte), Dr. Lena Schönwälder (Romanistik), Dr. Philip Stockbrugger (Romanistik), Prof. Dr. Jacopo Torregrossa (Romanistik). Der Arbeitskreis kooperiert mit dem Arbeitskreis Italien der Universität Mainz. Alle Beteiligten haben einen ausgeprägten italienspezifischen Forschungsschwerpunkt und gute persönliche und institutionelle Kontakte zu italienischen Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie zu den deutschen Auslandsinstituten in Rom, Venedig, Trient und Florenz. Zum Teil kooperieren die Wissenschaftler/ innen bereits inneruniversitär in verschiedenen Kontexten. Ziel des Italienzentrums ist es, die bestehenden Aktivitäten durch eine bessere Vernetzung weiter zu fördern, die Sichtbarkeit dieser Forschungen nach innen und außen zu erhöhen und interdisziplinäre Verbundforschungsprojekte anzustoßen. Der Arbeitskreis ist offen für weitere Mitglieder aus der Universität. Christine Ott Eingegangene Bücher Berra, Donata: Maddalena. Gedichte Italienisch und deutsch. Ausgewählt und übersetzt von Christoph Ferber. Nachwort von Pietro De Marchi. Zürich: Limmat Verlag 2019. Föcking, Marc/ Kuhn, Barbara (Hrsg.): Das Gesetz der Serie. Konzeptionen und Praktiken des Seriellen in der italienischen Literatur, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2019 (Studia Romanica, Band 217). Meda Riquier, Giovanni/ Viola Usselmann/ Christiane Liermann Traniello: Enrico Mylius 1769-1854. Una biografia. Heinrich Mylius 1769-1854. Eine Biographie. Loveno di Menaggio: Villa Vigoni Editore 2019. Poetry Vicenza 2019. Festival di poesia contemporanea e musica. A cura di Marco Fazzini. Pisa: Edizioni ETS 2019. La traduzione: «il lavoro più grato». Carteggio Pintor - Traverso (1939-1943). Presentazione e cura di Mariagrazia Farina. Prefazione di Ursula Vogt. Fano (PU): Metauro Edizioni 2018 (=Studi, 37). Austauschzeitschriften Babylonia. Rivista per l’insegnamento e l’apprendimento delle lingue. Fondazione Lingue e Culture, Comano. Nr. 2/ 2019: Recherche-action. Fremdsprachenlernen für alle. Beiträge aus der internationalen ADLES_Tagung 2018 in Lausanne. Bibliographische Informationen zur neuesten Geschichte Italiens, begründet von Jens Petersen. / Informazioni bibliografiche sulla storia contemporanea italiana, fondate da Jens Petersen. Deutsches Historisches Institut in Rom/ Arbeitsgemeinschaft für die neueste Geschichte Italiens, Nr. 159/ März 2019. Studi Italici LXIX. Associazione di Studi Italiani in Giappone. Università di Osaka. Italienisch_82.indb 155 20.01.20 15: 36 156 Mitteilungen Autorinnen und Autoren dieser Nummer Maike Albath, Dr., Rom/ Berlin Rafael Arnold, Prof.Dr., Universität Rostock Marco Bianchi, Dott., Universität Halle-Wittenberg Monica Biasiolo, Dr., Universität Augsburg Marco Di Muccio, Frankfurt am Main Karl Philipp Ellerbrock, PD Dr., Universität Jena Simona Fabellini, Dr., Universität Regensburg Marc Föcking, Prof.Dr., Universität Hamburg Claudia Jacobi, Dr., Universität Bonn Lukas Hermann, Universität Bonn Inge Lanslots, Prof.Dr., Katholische Universität Leuven Marita Liebermann, Prof.Dr., Centro Tedesco di Studi Veneziani, Venezia Laura Linzmeier, Dr., Universität Regensburg Caroline Lüderssen, PD Dr., Goethe Universität Frankfurt am Main Stephanie Neu-Wendel, Prof.Dr., Universität Mannheim Christine Ott, Prof.Dr., Goethe-Universität Frankfurt am Main Daniela Pietrini, Prof.Dr., Universität Halle-Wittenberg Ursula Reutner, Prof.Dr., Universität Passau Ottavio Sellitti, Dott., Berlin Hermann H. Wetzel, Prof.Dr., Universität Regensburg Italienisch_82.indb 156 20.01.20 15: 36 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Tel. +49 (07071) 97 97-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de Stand: November 2019 · Änderungen und Irrtümer vorbehalten! LITERATURWISSENSCHAFTEN \ ROMANISCHE LITERATUR Barbara Kuhn, Michael Schwarze (Hrsg.) Leopardis Bilder Immagini e immaginazione oder: Reflexionen von Bild und Bildlichkeit Periodikum der Deutschen Leopardi-Gesellschaft, Vol. 27/ 28 2019, ca. 220 Seiten €[D] 55,00 ISBN 978-3-8233-8256-0 eISBN 978-3-8233-9256-9 Leopardis Werk, das sich in vielen Facetten und in einer oft tastend-aphoristischen Denk- und Schreibweise mit Fragen von Bildlichkeit und bilderschaffender Imagination auseinandersetzt, ruft auffällig viele Anknüpfungen an frühere, aber auch an spätere Überlegungen zu Fragen der Bildlichkeit auf. Seine Bilder und Reflexionen von Bildlichkeit erzeugen eine komplexbewegliche Gedankenmatrix, die der vorliegende Band in elf Studien über drei unterschiedliche Zugänge auseinanderfaltet: Er geht erstens Leopardis Ansätzen nach, die Phänomene Bild und Imagination in seinen lyrischen und prosaischen Texten zu erfassen: in den Canti, den Operette morali und dem Gedanken- oder Sudelbuch Zibaldone. Zweitens werden die Bildlichkeit und die Visualität im Werk Leopardis anhand von Einzeltextanalysen detailliert untersucht. Die dritte Perspektive besteht darin, Reflexen und Reflexionen Leopardischer Bildlichkeit in der Literatur vor allem des 20. Jahrhunderts nachzuspüren und so den nach wie vor lebendigen Dialog mit dem Werk des großen Dichters aus Recanati fortzusetzen. Prof. Dr. Barbara Kuhn lehrt Romanistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Prof. Dr. Michael Schwarze lehrt Romanistik an der Universität Konstanz Italienisch_82.indb 157 20.01.20 15: 36 Italienisch_82.indb 158 20.01.20 15: 36 D-69051 Heidelberg · Postfach 10 61 40 · Tel. (49) 62 21/ 77 02 60 · Fax (49) 62 21/ 77 02 69 Mehr Information unter www.winter-verlag.de · E-mail: info@winter-verlag.de Universitätsverlag w i n t e r Heidelberg In dem geistigen Klima der Renaissance blüht die Dramenkultur im volgare auf. Das Bemühen gilt dem Wiedergewinnen einer antiken Festkultur bei gleichzeitiger Schaffung einer italienischen Theatertradition, allen voran die der Tragödie. Dabei wird die tragische Dichtung zur bevorzugten Gattung der Inszenierung von sozio-politischen Zusammenhängen und höfischen Verhaltensweisen. Die rinascimentalen Versuche zur Etablierung einer ‚regulären‘ Tragödie sind demzufolge einem Spannungsfeld mehrerer Wirkkräfte ausgesetzt: aristotelische sowie höfische Konformitätsbestrebungen einerseits und tragisch-subversive Innovationsschübe anderseits. Anhand einer systematischen Analyse von weitgehend unbekannten Tragödien, vorwiegend aus dem Zeitraum zwischen den 1540er und 1590er Jahren des Cinquecento, wird das Wechselspiel von extratextueller Systemkompatibilität und intratextueller tragischer Handlungsmodellierung aufgezeigt. di domenica, maraike Tragödie und Verhaltensnorm in der italienischen Renaissance 2019. ii, 298 Seiten. (Germanisch-Romanische Monatsschrift, Beiheft 93) Geb. € 48,- isbn 978-3-8253-6977-4 Romanistik Theaterwissenschaft Philosophie Thomas Stauder G ESPRÄCHE MIT U MBERTO E CO AUS DREI J AHRZEHNTEN Erweiterte Neuauflage In dieser erweiterten Auflage kommen neu hinzu ein wenige Monate vor seinem Tod mit Umberto Eco geführtes Gespräch über seinen letzten Roman, ein Gespräch mit Ecos deutschem Übersetzer Burkhart Kroeber, sowie Gespräche mit Ecos Freunden und intellektuellen Weggefährten Gianni Vattimo und Furio Colombo. Thomas Stauder habilitierte sich in Romanischer Philologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und lehrte als Gastprofessor in Wien, Innsbruck, Mainz und Augsburg. 2008 erhielt er den Premio Flaiano per l’Italianistica. LIT Verlag Münster, 504 Seiten mit zahlreichen, zum Teil farbigen Abbildungen, br., ISBN 978-3-643-14493-5, 19.90 EUR, 19.90 CHF.
