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Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2021
4386 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott
Italienisch ISSN 0171-4996 Zeitschrift für italienische Sprache und Literatur Herbst 2021 86 Aus dem Inhalt Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt Harro Stammerjohann Die Rezeption der Textlinguistik in Italien Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Biblioteca poetica Plumelia. Nove poesie di Lucio Piccolo (1903-1969) (Hermann H. Wetzel) Zur Praxis des Italienischunterrichts Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Italienisch Zeitschrift für italienische Sprache und Literatur 43. Jahrgang - 2021/ 2 Verbandsorgan des Deutschen Italianistenverbandes e.V. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Italienischen Vereinigung e.V., Frankfurt am Main Gefördert von der Frankfurter Stiftung für deutsch-italienische Studien Begründet von Arno Euler † und Salvatore A. Sanna † Herausgeber Ludwig Fesenmeier, Marc Föcking, Daniela Marzo, Christine Ott (Anschrift s. Redaktion) Wissenschaftlicher Beirat Martin Becker (Köln), Domenica Elisa Cicala (Eichstätt), Sarah Dessì Schmid (Tübingen), Frank-Rutger Hausmann (Freiburg), Gudrun Held (Salzburg), Hinrich Hudde (Erlangen-Nürnberg), Peter Ihring (Frankfurt am Main), Antje Lobin (Mainz), Florian Mehltretter (München), Sabine E. Paffenholz (Koblenz/ Boppard), Daniela Pietrini (Halle-Wittenberg), Edgar Radtke (Heidelberg), Christian Rivoletti (Erlangen-Nürnberg), Michael Schwarze (Konstanz), Isabella von Treskow (Regensburg), Winfried Wehle (Eichstätt), Hermann H. Wetzel (Passau) Redaktion Caroline Lüderssen (v.i.S.d.P.), Marina Rotondo Arndtstraße 12, 60325 Frankfurt am Main Telefon: +49 (0)69 74 67 52, eMail: italienisch@div-web.de www.div-web.de und www.italianistenverband.de Verlag Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Anzeigenmarketing Selina Sauskojus, Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, sauskojus@narr.de, Telefon: +49 (0)7071 97 97 26 Printed in Germany Erscheinungstermine: Frühjahr und Herbst Bezugspreise € 24,00 jährlich, für Privatpersonen € 17,00 jährlich. Einzelheft € 14,00. Alle Preise inkl. MwSt. und zzgl. Versandkosten. Die Mindestabodauer beträgt ein Jahr. Eine Kündigung ist schriftlich bis jeweils 6 Wochen vor Bezugsjahresende möglich. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung (auch in elektronischer Form) bedarf der Genehmigung des Verlags, Anschrift s. oben. Manuskripteinsendungen und Besprechungsexemplare bitten wir an die Redaktion Italienisch zu richten, Anschrift s. oben. ISSN 0171-4996 Inhalt Editorial: «Goethe Vigoni Discorsi» (Christiane Liermann Traniello) . . . 1 Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 «Lorbeer-Blumen». Deutsch-italienische Dialoge zu Literatur- und Sprachwissenschaft», Zweiter Teil Einleitung (Ludwig Fesenmeier/ Christian Rivoletti) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Harro Stammerjohann, Die Rezeption der Textlinguistik in Italien . . . . . . 21 Matteo Grassano, Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Beiträge zur Literatur, Linguistik und Landeskunde Claudia Jacobi, Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) . . . . . 63 Biblioteca poetica Plumelia. Nove poesie di Lucio Piccolo (1903 - 1969) (Hermann H. Wetzel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Zur Praxis des Italienischunterrichts Tabea Kretschmann, Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Buchbesprechungen Volker Reinhardt: Die Macht der Schönheit. Kulturgeschichte Italiens ( Jürgen Charnitzky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Maurizio Dardano (a cura di): Sintassi dell ’ italiano antico II (Frédéric Nicolosi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Christian Efing/ Thorsten Roelcke: Semantik für Lehrkräfte (Ludwig Fesenmeier) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Magnus Ressel/ Ellinor Schweighöfer (Hrsg.): Heinrich Mylius (1769 - 1854) und die deutsch-italienischen Verbindungen im Zeitalter der Revolution ( Jürgen Charnitzky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Kurzrezensionen Lorenzo Tomasin: Europa romanza. Sette storie linguistiche (Rafael Arnold) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Lingue naturali, lingue inventate (Maria Lieber/ Christoph Oliver Mayer) . 149 Pia Claudia Doering: Praktiken des Rechts in Boccaccios Decameron (Lena Schönwälder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Tobias Roth: Welt der Renaissance (Roberta Colbertaldo) . . . . . . . . . . . . . . . 156 Alessandro Bonsanti e Carlo Emilio Gadda: «Sono il pero e la zucca di me stesso». Carteggio 1930 - 1970 (Giulia Perosa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Fabio Moliterni: Una contesa che dura. Poeti italiani del Novecento e contemporanei (Luca Mendrino) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Vorschau Italienisch Nr. 87 / Frühjahr 2022 Schwerpunkt: Il linguaggio politico della Terza Repubblica Hrsg. von Antje Lobin und Daniela Pietrini Beiträge von Riccardo Gualdo, Cristiana De Santis, Elmar Schafroth, Stefania Spina und Mara Papaccio Die Qualität der Aufsätze in der Zeitschrift «Italienisch» wird durch ein doubleblind-peer-review-Verfahren gewährleistet. «Goethe Vigoni Discorsi» 1 Schmerzhaft war es für die europäischen Gesellschaften, zu erleben, dass das Corona-Virus imstande schien, Partner auseinander zu treiben. Viele Italiener fühlten sich im Stich gelassen − gerade von den Deutschen. Aus Deutschland kamen viel zu lange keine öffentlich sichtbaren Zeichen von Solidarität, welche doch in der italienischen politischen Kultur ein besonders hochgeschätzter Wert ist. Umgekehrt fühlten sich zahlreiche Deutsche in ihren Hilfsbemühungen unterschätzt, weil diese Hilfen in der italienischen Öffentlichkeit nicht ausreichend wahrgenommen wurden. In dieser beklemmenden Situation, im Frühjahr 2020, bildete sich um die Staatskanzlei Hessen und die Goethe-Universität in Frankfurt eine deutschitalienische Gruppe aus Personen, die in dem Vorsatz vereint waren, dem Drama der Pandemie, der Fassungslosigkeit der Bürgerinnen und Bürger und der daraus resultierenden Erstarrung der europäischen Beziehungen ein konstruktives Signal entgegenzusetzen. So entstand der Sammelband der Goethe Vigoni Discorsi. Dieser Titel betont drei wichtige Aspekte: die Mitwirkung der Goethe-Universität, die sozusagen für Frankfurt und Hessen und überhaupt für das deutsche Interesse an Italien steht; die zentrale Rolle der Villa Vigoni als «deutsch-italienisches Zentrum für den europäischen Dialog» mit ihrem Alleinstellungsmerkmal einer deutsch-italienischen Parität in der tragenden Vereinsstruktur, wobei die Villa Vigoni das Discorsi-Projekt als Teil ihres seitens des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsvorhabens «Impact» mitgestaltet hat; und schließlich die Verneigung vor der italienischen Tradition der ‘ Discorsi ʼ , womit Abhandlungen bezeichnet werden, die gelehrt sind, zugleich aber politische Relevanz beanspruchen und auf Dialog angelegt sind. Wie lässt sich mit der Pandemieerfahrung umgehen, welche Schlüsse müssen gezogen werden? Welche Diagnosen sind rückblickend möglich? Welche Perspektiven lassen sich nach vorne gerichtet skizzieren? Prominente Persönlichkeiten, KünstlerInnen, UnternehmerInnen, ManagerInnen, WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und ‘ normale Bürgerinnen und Bürger ʼ aus Italien und Deutschland teilen in diesen Discorsi des 21. Jahrhunderts ihre Erkenntnisse, Deutungen und Zukunftsvisionen bezüglich der grundstürzenden Zäsur der Pandemie mit, das Ganze eingebettet in die von den Herausgebern initiierte Medienpartnerschaft zwischen den beiden großen Tageszeitungen, La Repubblica und Frankfurter Allgemeine Zeitung, die zeitgleich eine Reihe wichtiger Beiträge veröffentlicht DOI 10.24053/ Ital-2021-0019 1 Hrsg. von Rolf van Dick, Dania Hückmann et al., Como: Villa Vigoni editore ǀ Verlag 2021. 1 haben. Zu den AutorInnen zählen, um nur einige zu nennen, Roberto Saviano, Durs Grünbein, Massimo Cacciari, Volker Schlöndorff, Renzo Piano, die Oberbürgermeister von Mailand und Frankfurt: Giuseppe Sala und Peter Feldmann, Christian Sewing, Maria Grazia Davino. Einige Beiträge rekonstruieren aus der unmittelbaren Nahansicht die erzwungenen Lern- und Anpassungsprozesse, auch in den individuellen Biographien. Andere versuchen, zu diagnostizieren, welche Schwächen und Versäumnisse in der sozialen Architektur das Virus aufgedeckt hat. Wieder andere mahnen, das brutal hohe Lehrgeld, das die Menschheit zahlt, müsse doch innerhalb der einzelnen Gesellschaften oder auch im deutsch-italienischen Austausch, im europäischen Zusammenhalt oder auch in einer verstärkten universalen Solidarität eine zukunftsfähige Antwort finden. Die naturgemäß vielfältigen Reflexionen zu den Erfahrungen in der Krise bilden zusammen eine Art «Tagebuch» (so der Untertitel des Bandes auf Deutsch) aus der Pandemie, welches zugleich eine kritische Bestandsaufnahme unserer gesellschaftlichen Gegenwart ist. Das breite Spektrum an Stimmen lässt sich nicht auf einen Nenner reduzieren. Als Signal für die deutsch-italienische Beziehungen aber tritt die (nicht verabredete) Überzeugung hervor: ex malo Bonum (wie Angelo Bolaffi schreibt). Deutsche und Italiener haben es gemeinsam in der Hand, aus der Tragödie zu lernen, sie haben die Chance, die Krise zum Anlass zu nehmen, es besser zu machen. Christiane Liermann Traniello «Goethe Vigoni Discorsi» 2 Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt Auf Einladung des Italienzentrums der Goethe-Universität und der Frankfurter Stiftung für deutsch-italienische Studien/ Italienstiftung fand am 25. Mai 2021 eine Buchvorstellung und ein Gespräch mit Prof. Dr. Volker Reinhardt als Zoom-Konferenz statt über sein Buch Die Macht der Schönheit. Kulturgeschichte Italiens (München: Beck 2020). Kooperationspartner der Veranstaltung waren das Forum für Italienstudien der Universität Mainz sowie die Deutsch- Italienische Vereinigung e.V. in Frankfurt am Main. Wir veröffentlichen hier einen Auszug des Gesprächs. Volker Reinhardt studierte in Kiel, Freiburg i. Br. und in Rom Geschichte und Romanische Philologie. Er wurde mit einer Arbeit über den Kardinal Scipione Borghese promoviert, 1989 habilitierte er sich bei Ernst Schulin in Freiburg mit einer Arbeit zu Überleben in der frühneuzeitlichen Stadt: Annona und Getreideversorgung in Rom 1563 − 1797. Seit 1992 ist Volker Reinhardt Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte an der Universität Fribourg in der Schweiz. Er ist ein Experte für die Geschichte des Papsttums. Unter seinen rund 20 veröffentlichten historischen Biographien seien zitiert: Leonardo Da Vinci. Das Auge der Welt, München 2018; Pontifex. Die Geschichte der Päpste, München 2017; Luther. Der Ketzer, Rom und die Reformation, München 2016; De Sade oder die Vermessung des Bösen. Eine Biographie, München 2014; Pius II. Piccolomini, der Papst, mit dem die Renaissance begann, München 2013; Machiavelli oder Die Kunst der Macht, München 2012; Die Borgia. Geschichte einer unheimlichen Familie, München 2011; Der unheimliche Papst. Alexander VI. Borgia, München 2011; Der Göttliche. Leben des Michelangelo, München 2010; Die Tyrannei der Tugend. Calvin und die Reformation in Genf, München 2009. Für seine Biographie Machiavelli oder Die Kunst der Macht wurde er mit dem Golo-Mann-Preis für Geschichtsschreibung ausgezeichnet. 2020 erhielt er den Kythera-Preis der Kythera-Kulturstiftung, Düsseldorf. Volker Reinhardt hat aber auch großen Ereignissen Bücher gewidmet: Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527. Eine politische Katastrophe, Darmstadt 2009, Die Macht der Seuche. Wie die große Pest die Welt veränderte 1347 - 1353, erschienen in München 2021. Magnus Ressel Herr Professor Reinhardt, es ist bemerkenswert, wie Sie in Ihrem Buch den Klischees einer ‘ typischen ʼ italienischen Kulturgeschichte ausgewichen sind - durch eine konsequente Rückbindung an die aktuelle Forschung. So hätte man bei den Venedig-Kapiteln den Topos der decadenza erwartet. Sie erwähnen diesen zwar aus der Sicht der Zeitgenossen Montesquieu, Voltaire und Rousseau, betonen aber, dass die jüngere Forschung das kaum mehr so sieht. Ebenso haben Sie die angeblich lähmende spanische Hegemonie über die Halbinsel in der Frühen Neuzeit ins Reich der Legenden verwiesen. Das ist ein deutlicher Unterschied zu ähnlichen Büchern des Genres. Jedoch überrascht mich, dass Sie im Falle Piemont- DOI 10.24053/ Ital-2021-0020 3 Sardiniens im 18. Jahrhundert eine eher ungünstige Entwicklung des Staatswesens sehen. Diesbezüglich wird in der angloamerikanischen Forschung doch gerne von der «Piedmontese exception» gesprochen, und dabei eigentlich die ältere Idee des ‘ Prussia dell ’ Italia ʼ wiederbelebt. Man betont in der einschlägigen Literatur gerade die Unterordnung des Adels in das modernisierte Heer und sieht damit einen bedeutenden Schritt zum ‘ State Building ʼ gemacht. Die Niederlage gegen Napoleon widerlegt das doch kaum. Gegen diesen verloren doch faktisch alle Staaten und Staatswesen Europas. Warum teilen Sie hier nicht die Auffassung Ihrer angloamerikanischen Kollegen? Volker Reinhardt Vielen Dank für diese interessanten und begründeten Fragen. Die Dekadenz Venedigs im 18. Jahrhundert ist längst als Mythos erwiesen, sie geht in hohem Maße auf die negative Einschätzung der Aufklärer, die Sie genannt haben, speziell der Encyclopédie, zurück. Noch bei Harrington und Spinoza, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ist Venedig die beste aller politischen Welten. Dann kippt dieses völlig idealisierte Bild plötzlich ins Gegenteil um. Die Wahrheit liegt, wie immer, zwischen den Polen. Man kann darüber spekulieren, wie entwicklungsfähig Venedig gewesen wäre, wenn da nicht ein gewisser Napoleon Bonaparte mit seinen Kanonen an der Lagune gestanden hätte, aber ich glaube nicht, dass die Republik Venedig im Vergleich zur europäischen Staatenwelt des 18. Jahrhunderts rückständig ist. Das hängt auch mit einer Überschätzung des Westens zusammen. Sie wissen wahrscheinlich, gegen wen ich da polemisiere; auch Frankreich ist vor 1789 ein Flickenteppich mit sehr viel weniger Macht der Zentrale als der unheilvolle Begriff des Absolutismus suggeriert. Zu Sardinien-Piemont: Hier muss man sicherlich differenzieren. Die Reformzeit bis 1730 unter Vittorio Amedeo II. ist eine bemerkenswerte Zeit. Hier wird in einer wirklich kurzen Zeit eine bedeutende Innovationsleistung erbracht. Der Einfluss der Inquisition, der Kirche allgemein, wird zurückgedrängt. Mit der Domestizierung des Adels ist das so eine Sache, auch in Preußen ist der Adel unter dem angeblich großen Friedrich erschreckend mächtig, er behält seine Hoheit auf dem Land, und bis zum Ersten Weltkrieg ist der preußische Junker ein Kleinkönig. Der piemontesische Adel war nie sehr stark, er hatte nie feudale Rechte wie in Süditalien und anderswo, er bleibt vor der französischen Revolution und teilweise auch lange danach in einer Symbiose mit der Monarchie zusammengeschlossen. Bis 1730 verstärkt sich die Position der Monarchie, aber die Rückläufigkeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist doch sehr deutlich. Die Anstöße dieser Reformzeit werden nicht wieder aufgenommen, auch im 19. Jahrhundert kommt es ja zu einer regelrechten Re-Klerikalisierung. Man besinnt sich wieder auf ältere Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 4 Patterns, gerade in der sogenannten Restaurationszeit ab 1815 fällt auch der kulturelle Stand der piemontesischen Monarchie im 19. Jahrhundert weit hinter diese Zeit des frühen 18. Jahrhunderts zurück. Wenn dieser Staat durchgehend so innovationsfähig gewesen wäre, dann müsste er im 19. Jahrhundert anders auftreten. Ein vielversprechender und durchaus weitreichender Umgestaltungsprozess bricht hier einfach zu früh ab. Ich glaube, dass sich das belegen lässt und aus der weiteren Entwicklung abgelesen werden kann. Ressel Venedig scheint in Ihrem Buch keine überragende Rolle zu spielen, was angesichts einer überbordenden Dominanz der Markusrepublik in der deutschen Imagination des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Italien zu begrüßen ist. Andererseits findet das im 17. und 18. Jahrhundert sehr dynamische Livorno gar keine Erwähnung, obwohl diese Stadt als Planstadt der Medici (ein Stadtplan des Zentrums zeigt das sofort) mit einer sehr weitreichenden Toleranz für die zahlenmäßig größte jüdische Gemeinde Europas doch auch auf eine eigene Art ein kulturelles Juwel Italiens war - und nach Meinung einiger Forscher die positive, da lukrative Botschaft der Toleranz stark nach Europa ausgestrahlt hat. Es stellt sich daher die Frage: Nach welchen Kriterien sind Sie im Wesentlichen bei der Auswahl Ihrer vielen Schlaglichter vorgegangen? Reinhardt Die Auswahl der Themen sollte so viel Paradigmatisches wie möglich aufzeigen, das heißt, viele Verbindungen von Gesellschaft und Politik auf der einen, Kunst und Kultur auf der anderen Seite herausarbeiten, sollte zeigen, dass Kunstwerke aller Art, intellektuelle Hervorbringungen welchen Genres auch immer mitten in der Gesellschaft, nicht abgesondert in einem von diesen lebendigen Entwicklungen abgeschnittenen Freiraum entstehen. Natürlich haben Sie Recht mit Livorno, man könnte das auch auf die inzwischen sehr gut untersuchte jüdische Gemeinde in Florenz ausweiten, die Forschungen von Stefanie B. Siegmund haben das gezeigt. Die kulturell hochstehenden jüdischen Gemeinden auf Medici- Territorium werden heute ganz anders bewertet. Sie sind nicht primär als Diskriminierung, sondern im Gegenteil als eine Chance zu sehen, sie vermitteln der jüdischen Gemeinde eine teilweise weitreichende lokale Autonomie und dem Großherzog Ansprechpartner, was zu konstruktiven Lösungen führen konnte. Ich würde die ökonomische Bedeutung Livornos für die Gründungszeit hoch ansetzen, aber jenseits des 16. Jahrhunderts lässt sie doch stärker nach als es die bisherige Forschung sieht. Die Stadt hat ja auch ihrem Gründer im 16. Jahrhundert ein schönes Denkmal gewidmet. Gewiss, der angebliche Niedergang der Medici- Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 5 Monarchie im 17. und frühen 18. Jahrhundert ist ebenfalls ein Mythos, er ist von den Habsburg-Lothringern kreiert worden, die ihre Vorgänger in einem möglichst ungünstigen Licht darstellen wollten (wie Politiker das ja gerne tun) und ihre eigenen Reformleistungen dafür umso stärker hervorheben wollten; wir wissen im Grunde seit 1990, dass das nicht stimmt. Ich habe das in zwei anderen Abschnitten etwas zu fokussieren versucht, im Abschnitt über den florentinischen Fußball und die großen kulturellen Leistungen der jüdischen Gemeinden dann in einem Abschnitt zum 19. Jahrhundert. Christoph Cornelissen Meine Frage ist noch einmal die nach dem Verfahren. Wenn man das quantifiziert, ist das einfach tatsächlich so, dass Italien sich immer wieder anbietet als das Land der Schönheit, oder ist das unser Problem, dass wir unsere Augen öffnen müssen, wenn wir uns bewegen, und uns Ihre Methoden einer historischen Archäologie zulegen, damit wir überall sehr viel Schönes entdecken können? Könnte die Methode insgesamt hilfreich sein, um mit offenen Augen einen höheren Grad an Schönheit zu entdecken? Reinhardt Ich könnte Ihnen jetzt eine sehr billige Antwort geben: das UN-Weltkulturerbe ist in Italien weiterhin mit zwei Dritteln der Objekte vertreten, das muss freilich nichts heißen, das zeugt auch von einer geschickten Kulturpolitik Italiens. Die Zeugnisse der Vergangenheit sind gewiss zum großen Teil nicht mehr authentisch − in Rom ist jedes historische Objekt von der Antike bis zur Gegenwart irgendwann einmal umfunktioniert, umgestaltet, aktualisiert, recycelt worden. Aber das ist ja auch ein faszinierender historischer Prozess, der Authentizität eben als dynamisch, nicht als museal definiert. Diese Transparenz der Geschichte sollte nicht als statisch-antiquarisch verstanden werden, sondern als eine Herausforderung nachzudenken, warum hier diese Sichtbarkeit ist, welche historischen Kräfte hier am Werk gewesen sind. Auch für die Italienreisenden des 18. Jahrhunderts war Italien ein Freilichtmuseum Alteuropas, mit allem, was dazu gehört, Abscheu und Faszination. Ob es in Italien mehr Transparenz, mehr Greifbarkeit der Geschichte gibt als in Spanien oder Portugal, das zu beurteilen bin ich nicht kompetent, aber diese unmittelbar anregende, geradezu überwältigende Gegenwart der Geschichte Italiens teilt sich bis heute in sehr hohem Maße mit. Der britische Historiker Gibbon behauptet, seine Geschichte vom Untergang des römischen Imperiums gewissermaßen durch eine Inspiration gewonnen zu haben: Es ist am 15. Oktober 1764, auf dem ehemaligen Forum Romanum psalmodieren Mönche, Kühe weiden, die Wäsche wird getrocknet, und ihm wird elementar die Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 6 Geschichte als Transformationsprozess bewusst. Also bringen wir es auf die Formel, dass Italien ein Land ist, in dem die Geschichte in unerhörtem Maße präsent ist, das lässt sich, glaube ich, nicht bestreiten. Das Unschöne, das Konfliktuelle kommt in meinem Buch durchaus vor, etwa in dem Kapitel über die Benandanti, über die Volkskultur. Auch der Gattinmörder Carlo Gesualdo hat seinen Platz in diesem Buch, wobei es mir darum ging, die Legende zu widerlegen, dass er sein Leben lang ein schlechtes Gewissen hatte, er hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen. Er hat nach neapolitanischem Feudalrecht einen Auftrag zu erfüllen, nämlich eine untreue Frau zu töten. Wir sehen das heute sehr kritisch, aber damals war das legitime juristische Praxis. Also Gewalt - ein Kapitel heißt «Das Blut der Baglioni» - als Humus von Kultur, sei es durch Sühnezeichen, sei es durch Konkurrenzzeichen, sei es durch die Sicht der Sieger, kommt durchaus in meinem Buch vor. Schönheit und Zerstörung hängen sehr eng zusammen, wir hätten heute keine neue Peterskirche, wenn man die alte nicht brutal dem Erdboden gleichgemacht hätte. Caroline Lüderssen Im Epilog nennen Sie ja den Begriff der Krise als etwas, das eigentlich die Höchstleistungen hervorbringt. Ist das auch spezifisch für Italien gemeint, und ist Ihr Urteil nicht etwas sehr zugespitzt, dass Italien heute eine «gestörte, von tiefen Verwerfungen durchzogene Formation» ist (S. 609)? Reinhardt Auch da sind wir in einem Grenzbereich von subjektiv journalistisch eingefärbter Wahrnehmung und belegbaren Fakten. Konfliktualität, wenn sie durch Spielregeln geordnet, domestiziert wird, so wie der große Francesco Guicciardini, der Urvater aller modernen Geschichte, das für Italien vor 1494 sieht, ist das Grundprinzip produktiver Kultur. Wenn diese Spielregeln außer Kraft geraten oder gar nicht mehr vorhanden sind, dann kann aus dieser produktiven Konkurrenz sehr schnell eine Orgie der Gewalt werden, und das haben wir in Italien: Salò brauchen wir ja gar nicht zu zitieren, oder die Guerra dei banditi, die Süditalien einige Jahre nach der von oben vorgenommenen Einigung zerreißt. Krisis heißt ja in der ursprünglichen griechischen Wortbedeutung Entscheidung, Auseinandersetzung nach der Entscheidung, ich glaube, wir haben beide Seiten der Krise in Italien, das Produktive, aber auch das Destruktive. Ob es deutlicher als anderswo hervortritt, ist die große Frage, aber es ist zumindest ein sehr klar definierbares Leitmotiv. Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 7 Elisabeth Oy-Marra Sie haben vorhin noch einmal betont, dass Geschichte anschaulich erzählt werden muss. Aus meinem Erleben heraus ist das nicht selbstverständlich für Historiker, aber das mag eben auch sehr subjektiv sein. Mir fällt auf, dass Sie das Rom des frühen 17. Jahrhunderts ein bisschen ‛ stiefmütterlich ’ , was die kunsthistorische Seite betrifft, beschreiben. Ich frage mich, wo ist da Caravaggio oder Borromini, aber das mag eine sehr kunsthistorische Sicht sein. Reinhardt Das Buch ist aus der Sicht eines Historikers geschrieben - das klingt jetzt vielleicht nach Expansionsstreben oder sogar nach Usurpation - , der die Trennlinie zwischen Geschichte und Kunstgeschichte letztlich für künstlich hält. Ich sehe ganz klar, dass die Kunstgeschichte ihre Parameter, ihre Methoden hat, die durchaus ein Proprium sind, aber letztendlich, glaube ich, gehört in vieler Hinsicht beides zusammen, wobei die Kunstgeschichte selbstverständlich bestimmte Elemente, also etwa stilimmanente Entwicklungen und Ähnliches in besonderer Weise für sich reklamieren kann, aber mir ging es um die Zusammenhänge zwischen beiden, die hier hervortreten sollten: Kunstwerke stehen mitten in der Gesellschaft, sind auf keinen Fall nur, aber doch in sehr hohem Maße Instrumente, Werkzeuge der gesellschaftlichen Statusbildung, der Politik; diesen Aspekt hervorzuheben, war ein Anliegen dieses Buches. Dass dabei bestimmte Künstler stiefmütterlich behandelt werden, hängt mit dem Prinzip der Auswahl zusammen, auch mit dem Prinzip der Transparenz, das dazu dient, hier solche Querverbindungen sehr deutlich nachweisen zu können. Ganz kann ich Ihr Urteil über das römische 17. Jahrhundert nicht akzeptieren, es gibt ein Kapitel über Bernini und die Villa Borghese. Es ging hier vor allem um diese Zusammenhänge. Sie sind wahrscheinlich zu gütig und zu generös, um die eigentliche Lücke und Leerstelle dieses Buches nicht zu erwähnen, ich habe kein Kapitel über Raffael . . . Oy-Marra . . . genau . . . Reinhardt . . . einfach deswegen, weil mir dieser Aspekt der In-Dienst-Stellung, der Vernetzung mit Ökonomie, Gesellschaft und Politik an anderen Beispielen deutlicher nachzuweisen scheint als bei ihm. Und Caravaggio hat, summarisch ausgedrückt, für B-Promis, teilweise für C-Promis gearbeitet, dieser Zusammenhang zwischen Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 8 Kunst und Gesellschaft ist hier also etwas weniger deutlich, das wäre im Großen und Ganzen die Erklärung. Es lag mir sehr am Herzen, ein Kapitel über Venedig im 18. Jahrhundert zu schreiben, weil dieses 18. Jahrhundert meiner Ansicht nach in vieler Hinsicht stereotypisiert und damit verzerrend beurteilt wird. Venedig ist im 18. Jahrhundert eine europäische Kulturmetropole mit enormer Ausstrahlung. Das reicht von der großen Kunst bis in die Rotlichtszene hinein; die Memoiren Casanovas sind wahrscheinlich die faszinierendste Quelle für die Kulturgeschichte Europas im 18. Jahrhundert überhaupt. Bei Vivaldi kann ich eine persönliche Vorliebe wiederum nicht leugnen, aber ich glaube, auch die ist berechtigt, diese Musik strahlt außerordentlich weit aus, und ist eben auch durch Venedigs Platz als, ich sage mal etwas salopp, ‛ Las Vegas des 18. Jahrhunderts ’ , von europäischer Bedeutung. Fast alle europäischen Könige und Fürsten sind inkognito in Venedig im 18. Jahrhundert gewesen, diese Stadt ist kein der inneren Erstarrung oder Sklerotisierung anheimfallendes Auslaufmodell, sondern eine sehr dynamische Stadt. Das ad nauseam strapazierte Klischee vom romantisch verfallenen Venedig des 19. Jahrhunderts muss ganz sicher neu überdacht werden. Es hat gewiss eine Krisenzeit, eine sehr problematische Zeit zwischen 1797 und dem zweiten oder dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts gegeben, aber das Schlimme ist, dass Geschichte - vielleicht ist es in der Kunstgeschichte auch so - eben immer in solchen geronnenen Schaubildern gefasst wird, die immer einen harten Kern haben, aber letztlich eine sehr viel komplexere Realität ausblenden und nivellieren. Diese Komplexität des angeblich absterbenden Venedig im 18. Jahrhundert zu widerlegen war der Zweck dieses Kapitels. Sehr gerne hätte ich ein Kapitel über die Dogen des 15. Jahrhunderts oder über Ähnliches hinzugefügt, aber selbst bei einem so umfangreichen Buch ist der Raum begrenzt, es ging ums Paradigmatische, aber der Übergang Venedigs zur terra ferma-Politik, die inneren Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans, das alles hätte sicher noch ausführlicher dargestellt werden können. Hans Aurenhammer Ich fand schon erstaunlich, dass in Ihrem Buch so stark der Bereich des Ästhetischen ins Zentrum rückt, und ich finde den Titel interessant, weil er so doppeldeutig ist: Das ist die «Macht der Schönheit», aber ist es nicht vor allem auch die «Schönheit der Macht», um die es geht? Ich habe mich immer mit italienischer Kunst beschäftigt und wenn es etwas gibt, das ich ein bisschen weniger anziehend finde, dann ist es dies: Es ist schon eine stark propagandistische Kunst, und ich habe persönlich auch die individuellen Äußerungen gesucht. Sie haben Biographien geschrieben über große Künstler: Es würde mich inte- Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 9 ressieren, wie Sie die Spannung zwischen dieser propagandistischen, programmatischen Seite der Kunst und einer anderen Seite der Kunst, die in Italien durch die Kunsttheorie, durch die Entdeckung des Künstlerindividuums und so weiter, auch gefördert wurde, sehen. Die zweite Frage betrifft den Bezug der italienischen Kultur zu Europa. Die vielen italienischen Maler, Stuckateure, Architekten, Bildhauer, die ganz Europa seit dem späten 16. Jahrhundert geprägt haben: Bringen sie sozusagen italienische Kultur eigentlich ins Ausland, oder passen sie sich an? Reinhardt Natürlich ist italianità ein Exportartikel, ein Exportschlager. Italien gilt für die europäischen Eliten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in vieler Hinsicht als Maß aller Dinge. Musiker von großer Bedeutung und großem Talent mussten sich einen italienischen Namen zulegen, um überhaupt reüssieren zu können. Zugleich unterliegt italianità einem Adaptationsprozess, einer Anpassung an im anderen Land vorherrschenden Standards, das macht die Reise Berninis nach Paris sehr deutlich. Wir alle würden uns wahrscheinlich freuen, wenn sein Louvre-Entwurf verwirklicht worden wäre, der wirklich spannender ist als dieses eher kühle, klassizistische Gebäude, das dann von einem französischen Architekten realisiert wird. Das zeigt also, dass ab der Mitte des 17. Jahrhunderts Frankreich in zunehmendem Maße Konkurrenz- und letztlich auch vorherrschendes Modell wird, und trotzdem: italianità wird exportiert, aber auch angepasst. Ich kann aus meiner bescheidenen Heimatstadt Rendsburg am Nord-Ostsee-Kanal in Schleswig-Holstein ein Beispiel zitieren: Als Schüler sind wir auf dem Weg zum Gymnasium immer an einem ziemlich misshandelten Gasthaus, genannt Deutsches Haus, vorbei gefahren. Irgendwann in den 1970er Jahren entdeckte man, dass das ein Palazzo Pelli ist, also der Wohnsitz eines Tessiner Baumeisters, der für den dänischen König die Festung der Stadt Rendsburg neu gebaut hat mit einer Kirche, die heute als einer der besten Konzertsäle Europas gilt. Italienische Künstler aller Sparten, die Stuckateure, die Bildhauer, die Musiker, die Maler und Architekten hatten einen europäischen Arbeitsmarkt, der ganz klar nach Hierarchien geordnet war. Frankreich belegte sicher Platz 1, über die weiteren Plätze lässt sich streiten, es gibt acht Königreiche in Europa im 18. Jahrhundert. Es gibt einige große Fürsten, etwa in Dresden, die attraktive Arbeitsbedingungen bieten, aber alle diese Künstler bringen ihre Werte und Standards aus Italien mit. Um beim Beispiel Rendsburg zu bleiben: Pelli, ein hervorragender Architekt, baut für den dänischen König natürlich ganz anders, als er in Italien bauen würde, sehr viel zurückhaltender, fast schon im Stile des nordischen Klassizismus, aber er baut sich in dieser Stadt einen Palast nach römischem Vorbild. Das ist ein bisschen Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 10 Paradigma für diese exportierte italianità, am Beispiel von Fontainebleau kann man das, glaube ich, auch sehr deutlich sehen, die Maler Rosso Fiorentino und Primaticcio, die hier von François I. ins Land geholt werden, bringen natürlich ihre inkomparablen Errungenschaften mit, aber sie müssen sich eben auch sehr stark an die Vorstellungen der französischen Monarchie und die von ihr bevorzugte Ästhetik anpassen. Das Spannungsverhältnis Propaganda/ Auftrag und Entfaltung künstlerischer Individualität habe ich am Beispiel der Sixtinischen Kapelle, überhaupt am Werk Michelangelos aufzuzeigen versucht. Grundsätzlich besteht das schematische Verhältnis darin, dass der Auftraggeber, ein zahlungskräftiger Geldgeber, meistens ein Fürst oder ein Kirchenfürst, sehr präzise Vorstellungen des Objekts hat, das geschaffen werden soll. Mich haben die Widerspenstigen fasziniert, Leonardo, der die meisten seiner Projekte unvollendet zurücklässt, der nach heutigen Begriffen zweistellige Millionenhonorare kassiert und kaum etwas abliefert. Im Falle Michelangelos kehrt sich dieses selbstverständlich vorausgesetzte Machtverhältnis um. Da ich aus der strengen sozialhistorischen Schule Wolfgang Reinhards komme, der die Gesetzmäßigkeiten der Anthropologie betont, interessieren mich die Durchbrechungen dieser Gesetzmäßigkeit, die Abweichung von der Gesetzmäßigkeit, und die besteht im Falle Michelangelos darin, dass er dem Auftraggeber diktiert, wie das Kunstwerk aussieht, etwa in der Alten Sakristei von San Lorenzo. Giulio de ’ Medici, später Clemens VII., hat ganz andere Vorstellungen, aber Michelangelo setzt sich durch, weil er allein durch seine Urheberschaft eine eigenständige und sehr hochwertige Quelle der Propaganda ist. Christine Ott Ich fand es sehr erfrischend, wie Sie in Ihrem Kapitel zu Alessandro Manzonis Roman Die Brautleute zeigen, warum dieser große Risorgimento-Roman im Nachkriegsitalien in Verruf geriet und der 68er-Generation geradezu zum Hassobjekt wurde. Manzoni zeigt in seiner Geschichte über das Schicksal zweier kleiner Leute im Norditalien der 1620er Jahre, woran es Italien bisher gemangelt hat: an einer aufgeklärten, national gesinnten Führungsschicht, die sich der Fremdherrschaft erfolgreich widersetzt, zugleich aber auch an einer sprachlichkulturellen Einheit. Sie führen vor, wie Manzoni durch seinen «gedämpfte [n] historische [n] Entwicklungsoptimismus» (S. 491), vor allem aber durch seine sprachliche Vorbildfunktion - der Lombarde Manzoni orientiert sich am gesprochenen Florentinischen und vollzieht damit eine Einigung Italiens mit sprachlichen Mitteln - mit diesem historischen Roman zum Inbegriff des literarischen Risorgimento wurde. Im Nachkriegsitalien gerät er aber in den Verdacht, «die Geschichte im Dienst der Mächtigen bewusst zu verfälschen» Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 11 (ebd.). Auch wenn man den paternalistisch-konservativen Grundton der Promessi sposi nicht leugnen kann, bin ich ganz einverstanden mit Ihrer Betonung der Ironie, die Manzonis Geschichtsroman durchwirkt. Der von Ihnen zitierte Michael Bernsen hat die untergründige Skepsis von Manzonis Geschichtsvision noch dezidierter herausgearbeitet. Ich denke, dass gerade Manzonis Pestkapitel einerseits die unheimliche Aktualität dieses Romans belegen, andererseits aber auch eine zutiefst pessimistische Geschichtsvision. Zumindest zeigt der Umgang der Regierenden, der Ärzte ebenso wie der Bevölkerung mit der Mailänder Pest von 1628, dass diese aus der Geschichte nichts gelernt haben. Zwar gab es einige Jahrzehnte vorher eine Pest in Mailand, doch die Parallelen zu damals werden geflissentlich übersehen. Ein Arzt, der den Mut hat, die Krankheit bei ihrem Namen zu nennen, wird vom wütenden Mob bedroht. Verschwörungstheorien kommen auf, Sie schreiben dazu: «Das Wüten der Epidemie erzeugt noch viel irrationalere Verhaltensweisen als der Hunger. Die kleinen Leute machen sogenannte Einschmierer, die todbringende Salben an Türen und Fenster reiben, für das Massensterben verantwortlich.» (S. 489) Auch wenn Manzoni in seiner Pestdarstellung sichtlich mit der Idee einer göttlichen Vorsehung spielt - der Bösewicht Don Rodrigo stirbt an der Pest, während die Protagonisten Renzo und Lucia sie überleben - , wird hier doch eine starke Skepsis an der Möglichkeit einer aufgeklärten und humanen Krisenbewältigung, sowohl von Seiten der Mächtigen als auch der kleinen Leute sichtbar. Wie blicken Sie als Historiker heute auf Manzonis Pestkapitel? Reinhardt Vielen Dank, Sie haben einen sehr komplexen Sachverhalt umrissen. Dieses zentrale Kapitel über Krieg, Hungersnot und Epidemie, die alle drei ja ursächlich eng untereinander verknüpft sind, spiegelt letztlich die Ideologie eines Risorgimento von oben sehr deutlich wider. Die Schuldzuweisungen an der Katastrophe gehen einmal an das unwissende Volk, aber das unwissende Volk ist unschuldig, es ist eben in Unwissenheit gehalten, es weiß es schlicht nicht besser. Die eigentliche sarkastische Schuldzuweisung geht an die spanische Fremdherrschaft. Mailand ist Kolonie in dieser Zeit, das ist natürlich hochaktuell im 19. Jahrhundert, es waren ja, um das noch deutlich zu machen, noch einige spanische Wortfetzen in diese Erzählung mit eingewoben. Die spanischen Machthaber versagen in einem besonders eklatanten Maße: Sie reizen die unwissende Masse zur Weißglut und stehlen sich dann schließlich aus der Verantwortung, das ist Risorgimento-Ideologie pur. Spanien, das ist ja die vorherrschende Sicht der Nationalhistorie im 19. Jahrhundert, hat den intakten lebendigen, produktiven Volksgeist letztlich Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 12 infiziert durch Adelskasten-Arroganz, durch das Lob des aristokratischen Nichtstuns. Das ist schon für Guicciardini das große Thema, ab der Mitte des 16. Jahrhunderts drängt sich hier die spanische Machtstellung, die spanische Hegemonie in den Vordergrund. Dass das Volk sich nicht selbst helfen kann - auch das ist natürlich Risorgimento-Ideologie von oben, es ist nicht Mazzini-Ideologie, aber es ist Cavour-Ideologie, die Zeit für eine Demokratie ist noch nicht reif. Sie kann laut Cavour eines Tages kommen, aber erst einmal bedarf das unwissende Volk einer guten paternalistisch-fürsorglichen vormundschaftlichen Regierung. Die kriegt es im 17. Jahrhundert nicht, und die Schuldzuweisung geht sicher in hohem Maße an die spanische Fremdherrschaft. Die immer wieder durchbrechende milde Ironie ist die Ironie des besseren historischen Wissens. Manzoni schreibt aus der Position eines Autors des 19. Jahrhunderts, der glaubt, die Ursachen für den Niedergang Italiens in dieser Zeit erfasst und verstanden zu haben und der Perspektiven eines Wiederaufstiegs sieht. Die Darstellung der Pest, die Goethe ja sehr bewundert hat, nicht zuletzt, weil sie sich auf authentische Dokumente stützt, ist moralisierend, selbst der ansonsten sehr positiv geschilderte Erzbischof von Mailand Borromeo macht eklatante Fehler, ruft zu Betprozessionen auf, die ein gefundenes Fressen für den Floh sind. Auch Manzoni wusste noch nicht, wodurch die Pest verursacht wird - das ist erst 1894 geklärt worden, als man das Bakterium Yersinia pestis erkannt und erfasst hat - , aber er ist ohne Frage der Meinung, dass sich die Obrigkeiten in dieser Zeit unvernünftig verhalten haben. Und als Mailänder weiß Manzoni natürlich, dass es das schon einmal gegeben hat. In der ganz großen Pestwelle von 1348 gibt es eine Ausnahme: In Mailand wird nicht an der Pest gestorben, weil Luchino Visconti als einziger Machthaber Europas rechtzeitig reagiert, die Stadt isoliert, auch brutal einmauert, sie vorher proviantiert hat, so dass also die ganz große Pest, die im Durchschnitt ein Viertel bis ein Drittel der Europäerinnen und Europäer das Leben kostet, im Mailand des Jahres 1348 ausbleibt. Manzoni schreibt natürlich aus der Perspektive des Nachgeborenen, nach 1721 ist die Pest ja nicht mehr nach Europa zurückgekommen. Ott Sie definieren das Made in Italy als eine «attraktive Synthese von Vergangenheit und Gegenwart, wiederbelebter Klassik und moderater Exzentrik» und erkennen in ihm zugleich eine «aristokratische Prägung» (S. 18). Meine Frage diesbezüglich betrifft die italienische Esskultur. Deren Vielfalt und Exzellenz lassen sich bestimmt auch wieder auf das Konkurrenzprinzip zurückführen, das Sie ja hervorheben und auch auf die Macht der Städte, aber ich denke, dass italienische Esskultur heute weltweit für etwas anderes steht, sie steht für Regionalität, für Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 13 traditionelle Herstellungsmethoden, für die Attraktivität des Einfachen, des Volkstümlichen. Ich würde sagen, es ist die Kreativität der cucina popolare, die heute italienisches Essen zum Inbegriff von italianità macht. Inwiefern findet die Kulturgeschichte des Essens bei Ihnen Platz und wie würden Sie das Phänomen der aristokratischen Prägung zuordnen? Reinhardt Es gibt ein Kapitel über die italienische Küche als Exportschlager, und zwar über «la grande bouffe», das große Fressen auf dem Kapitol Anfang des 16. Jahrhunderts unter dem frisch gewählten Medici-Papst. Ich habe auch zu zeigen versucht, wie große Küche in Europa aus italienischen Wurzeln erwächst, dann allerdings, wie so vieles, das Italien hervorgebracht hat, im Laufe des 17. Jahrhunderts in der französischen Sphäre aufgenommen, weiterentwickelt wird. Die großen Köche und Kochbuchschreiber Europas im 15. und 16. Jahrhundert sind Italiener, sie haben eigentlich auch die Prinzipien der bis heute gültigen Küche entdeckt, einfache, gesunde, ‘ naturnahe ʼ Rezepte, das alles wird von den großen Verfassern der ars culinaria im 15. und 16. Jahrhundert thematisiert. Erstaunlicherweise hat selbst der berühmte Papst-Biograph Platina ein Kochbuch geschrieben. Er war Söldner, Koch und Historiker zugleich, eine interessante Kombination. Diese großen Traditionen und Anregungen werden in hohem Maße in Frankreich weitergeführt. Die Wertschätzung der einfachen, bäuerlichen, ländlichen Küche ist meiner Ansicht nach ein Element der kommunistischen Gegenkultur. Italien nach dem Zweiten Weltkrieg hat mehrere Kulturen und eine sehr respektable, wichtige, eigenständige Gegenkultur von links. Ich bin allerdings eher skeptisch, ob das wirklich ein Exportschlager geworden ist, auch hier gilt m. E. das Prinzip der Anpassung. Eine deutsche Pizza würde ein Neapolitaner nicht in den Mund nehmen, die schmeckt nach deutscher Machart, ist nach völlig anderen Prinzipien zubereitet, also ich bin nicht so sicher, was die Ausstrahlung dieser cucina popolare angeht. Ott Mir ging es vor allem darum zu sagen, dass das, was weltweit als italienisches Essen bekannt ist, zum sogenannten world food wurde, man kann sich natürlich darüber streiten, da bin ich ganz einverstanden, ob das ‛ italienisches Essen ’ ist, aber das sind ja Pasta und Pizza . . . Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 14 Reinhardt Diese Ausbreitung hat es gegeben, aber sie ist eben zugleich auch eine Umformung, und die cucine stellate, die italienischen Küchen und Köche, die vom roten Guide Michelin mit ein, zwei oder drei Sternen bedacht sind, sind doch relativ weit weg von dieser cucina popolare, sie pflegen gewiss italienische Elemente, aber auch sie sind sehr stark wiederum von den französischen Vorbildern beeinflusst, deren Ursprung in Italien liegt: ein Geben und Nehmen, ein Auswandern und Zurückkehren. Lüderssen Ich habe eine Frage zu Ihrem Gattopardo-Kapitel am Schluss des Buchs, was ich sehr spannend finde, weil Sie damit auch die Klammer ‘ Sizilien ʼ wieder schließen. Sie sagen, der Roman liest sich streckenweise wie ein Geschichtsbuch, aber andererseits hat er doch auch Mythen um Sizilien und das Lebensgefühl der Sizilianer generiert, die sich massiv halten, und die dann vielleicht doch nicht mehr so viel mit der wahren Geschichte zu tun haben, ist das nicht ein Widerspruch? Oder zeigt das nur, dass die Literatur für Sie einerseits zu einer Quelle wird und andererseits Geschichte ja auch immer narrativ ist und sich das dann überblendet? Reinhardt Um die Kritik Goethes an Manzoni aufzunehmen: Für Goethe wird der Dichter eigentlich erst durch Umformung, Überformung, Überhöhung der Geschichte zum Poeten, das gilt sicherlich auch für diesen Roman, der in einigen sehr wichtigen Aspekten tatsächlich eine historische Quelle ersten Ranges ist. Der Aristokrat Tomasi di Lampedusa zeichnet uns die Mentalitäten des einfachen Volkes mit einer Tiefenschärfe und einer Genauigkeit, die man kaum in einem anderen Text findet. Der Dialog zwischen dem Principe di Salina und dem Organisten Don Ciccio, der aus einfachen Verhältnissen stammt, ist in dieser Hinsicht ein absolutes Highlight. Es ist ja nicht selten so, dass der Aristokrat dem einfachen Volk näher steht, sehr viel näher als die Schakale, die dann an die Stelle des Leoparden treten. Dem ist wenig hinzuzufügen. Auch Manzonis Darstellung der Pest ist in vieler Hinsicht sehr richtig, die volkstümlichen Mentalitäten werden mit sehr viel Einfühlungsvermögen aufgezeichnet. Das ist Mentalitätsgeschichte vom Feinsten, ich glaube, auch Carlo Ginzburg würde dem zustimmen. Das schließt nicht aus, dass das Gesamtbild des an einer Überdosis Geschichte leidenden Sizilien, des überreifen, letztlich nicht mehr zukunftsfähigen Sizilien hohe literarische Fiktion ist. Das ist wahrscheinlich auch ein persönlich ein- Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 15 gefärbtes Bild des Hocharistokraten Tomasi, der ein sehr problematisches Verhältnis zum Italien seiner Zeit, auch zum Faschismus gehabt hat, das ist natürlich nicht historisch. Sizilien ist eine in jeder Hinsicht lebenskräftige Insel, ich habe das durch das Noto-Kapitel deutlich zu machen versucht, wo im 18. Jahrhundert tatsächlich eine grandiose neue Stadt gebaut wird auf eine Art und Weise, die in vieler Hinsicht modern anmutet. Ich glaube, Einfühlungsvermögen in die Mentalitäten fremder Schichten und historische Mythenbildung müssen sich nicht ausschließen, sie bilden eigentlich eine grandiose Synthese in einem faszinierenden Buch. Oy-Marra In Ihrer Einleitung sind Sie kurz auf die Fremdherrschaft, insbesondere die von Spanien in weiten Teilen Italiens eingegangen und haben zu Recht gesagt, dass das sicher nicht dazu führen kann, dass man weite Teile Italiens nicht mehr als Italien bezeichnen könnte, so habe ich das jedenfalls verstanden. Sie haben aber sehr stark betont, dass diese Fremdherrschaft auf die oberste Ebene der Macht beschränkt sei. Ich würde als Kunsthistorikerin nicht so weit gehen, zu behaupten, die Spanier hätten ihre Kultur mitgebracht, aber die Vizekönige in Neapel waren doch in einer sowieso schwierigen Gemengelage aktiv und agierten zum Beispiel als Auftraggeber, allerdings nicht für Neapel, sondern eben für ihre Heimatstädte oder für Madrid im Auftrag des Königs - ich denke, das ist ein wichtiges Kapitel, was denken Sie darüber? Reinhardt Es ist natürlich erst einmal ein Austausch auf der obersten Ebene der Macht, der für diese Etage der Politik durchaus relevant ist. Der spanische Gouverneur in Mailand, der Vizekönig in Neapel, das sind erstrangige politische Akteure, aber sie zeigen natürlich auch die Grenzen frühneuzeitlicher Staatlichkeit auf. Frühneuzeitliche Staatlichkeit besteht stärker aus Sich-informieren lassen, Kontrolle von regionalen und lokalen Autonomien als in aktiven Interventionen von oberster Ebene. Das hängt damit zusammen, dass es sehr wenig Erzwingungsorgane gibt, es gibt auch keine moderne Polizei, stehende Heere sind erst in Ausbildung begriffen, also man sollte sicher die Machtspielräume dieser obersten Machtetage nicht überschätzen. Das gilt auch etwa für die Visconti in ihrer großen Zeit bis zum 14. Jahrhundert, sehr viele vorher unabhängige Republiken schließen sich dieser Herrschaft an, weil sie das als eine lockere Assoziation, als eine mehr oder wenige symbolische Oberherrschaft, ein Schutzverhältnis ansehen. Diese spanische Dominanz hat eine regulative, stabilisierende Funktion, der Mythos der steuerlichen Auspressung, der kolonialen Ausbeutung ist heute weitgehend Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 16 widerlegt. Ein Ausbluten vormals produktiver Wirtschaftsregionen durch diesen angeblichen unerträglichen spanischen Fiskaldruck, das hat es so nicht gegeben. Natürlich hat es eine Abschöpfung gegeben, aber letztendlich hat das zwei Seiten: eine koloniale Ausnutzung Italiens, aber eben auch eine schiedsrichterliche schlichtende Funktion auf der obersten Ebene. Diese spanischen Machthaber in Mailand und Neapel nahmen immer auch eine sehr prekäre Stellung ein. Sie mussten letztlich einen Konsens mit den dortigen Eliten herbeiführen, weiter reichende längerfristige Konflikte konnten sie sich nicht erlauben, dann schrieb der Senat von Mailand, oder dann schrieben die einflussreichen Aristokraten in Neapel an den spanischen König und baten untertänigst darum, doch einen geeigneteren Stellvertreter zu schicken und das war meistens das Ende des Gouverneursamts oder des Vizekönigsamts. Diese spanischen Machthaber auf Zeit - es konnten zwei Jahre, manchmal auch längere Zeiten sein - müssen sich sehr stark an ihren Wirkungsort anpassen. Sie brauchen eine relativ lange Zeit, bis sie die Spielregeln verstanden haben, die Spielregeln in Neapel sind so kompliziert, dass die Historiker sie bis heute nicht völlig verstanden haben. Wer da wo sitzt und Einfluss hat, das ist wirklich, salopp gesagt, ein Piranha-Becken mit sehr vielen gegensätzlichen Einflüssen, das war kein beneidenswerter Job. Ein kluger Vizekönig in Neapel hielt sich raus, versuchte, sein Prestige zu mehren, sich mit den einflussreichen Fraktionen zu einigen und natürlich von diesem kulturellen Ambiente zu profitieren. Für die Besprechung von Volker Reinhardts Buch Die Macht der Schönheit. Kulturgeschichte Italiens durch Jürgen Charnitzky s. S. 108 ff. in diesem Heft (Hinweis der Redaktion). Die Macht der Schönheit oder Die Schönheit der Macht: A colloquio con Volker Reinhardt 17 «Lorbeer-Blumen». Deutsch-italienische Dialoge zu Literatur- und Sprachwissenschaft: Einleitung 1 Der Titel des Schwerpunkts, Intrecci di fiori e di allori / Lorbeer-Blumen, knüpft - wie könnte es auch anders sein? - an Johann Friedrich Overbecks berühmt gewordene Darstellung an: Bekanntlich wurde das zunächst als Freundschaftsbild konzipierte Werk schließlich zu Italia und Germania, «ein[em] Paar ehrbarer Frauen», deren eine einen Lorbeer-, die andere einen Blütenkranz (aus Myrtenzweigen) trägt. Anlässlich der Übersendung des Gemäldes an den Auftraggeber Friedrich Wenner Ende Januar 1829 begründet der Künstler den Namen zunächst zwar mit seinem «besondere[n] Standpunkt [. . .] als Deutscher in Italien» bzw. ist, «wenn es allgemeiner ausgesprochen werden soll, die Sehnsucht gemeint, die den Norden beständig zum Süden hinzieht, nach seiner Kunst, seiner Natur, seiner Poesie», doch ihm selbst bleibt das Bild, wie er zwei Jahre später, im Februar 1831, sagen wird, «eine befreundende Ausgleichung alles Guten, Wahren und Schönen was es in deutscher und italiänischer Kunst, Sinnesart und höherer Lebensansicht lebt». 2 Regelmäßig werden den Beziehungen zwischen Deutschland und Italien Publikationen gewidmet, sei es mit Blick auf die Overbeckschen Gegenstände, sei es mit Blick auf die (politische) «Geschichte einer schwierigen Beziehung», aber auch mit spezifischerem Blick auf die akademisch-wissenschaftlichen Beziehungen. 3 Innerhalb letzterer ist auch der hier gewählte Schwerpunkt verortet, der DOI 10.24053/ Ital-2021-0021 1 Ergänzte deutsche Fassung der «Introduzione» in Italienisch 85 (2021), S. 21 - 23. 2 Zu Italia und Germania im Besonderen vgl. etwa Kulturstiftung der Länder/ Staatliche Graphische Sammlung München (Hrsg.): Johann Friedrich Overbeck. Italia und Germania, München 2002; zu Overbecks Schaffen insgesamt Michael Thimann: Friedrich Overbeck und die Bildkonzepte des 19. Jahrhunderts, Regensburg: Schnell Steiner (Studien zur christlichen Kunst 8) 2014, dem auch die Zitate entnommen sind (vgl. S. 175 der Brief von 1829 bzw. S. 176 derjenige von 1831). 3 Vgl. u. a. Dialogo tra Italia e Germania. Arte, Letteratura, Musica, hrsg. v. Marinella Pigozzi, Bologna: Bononia University Press 2017, sowie Deutschland und Italien. 300 Jahre kultureller Beziehungen, hrsg. v. Peter Ihring und Friedrich Wolfzettel, Frankfurt/ Berlin: Verlag für deutsch-italienische Studien/ Pädagogischer Zeitschriftenverlag (Themen der Italianistik 4) 2004; Deutschland - Italien. Italien - Deutschland. Geschichte einer schwierigen Beziehung von Bismarck bis Berlusconi lautet der Titel der deutschen Übersetzung (Paderborn u. a.: Schöningh 2006) von Gian Enrico Rusconis Germania Italia Europa. Dallo stato di potenza alla «potenza civile» (Torino: Einaudi 2003). Den «Deutschitalienische[n] Kulturbeziehungen» war die Novemberausgabe 1993 des Zibaldone (Nr. 16) gewidmet, die Herbstnummer 2020 (Nr. 70) hat «Italienisch-Österreichische Verflechtungen» zum Thema. Den wissenschaftlichen Kontakten zwischen Italien und Deutschland widmet sich der von Andrea Albrecht u. a. herausgegebene Sammelband Die akademische ‘ Achse Berlin-Rom ’ ? Der wissenschaftlich-kulturelle Austausch zwischen Italien und Deutschland 1920 bis 1945 (Berlin/ Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017; vgl. 18 näherhin den philologischen Bereich fokussiert: Die Deutsch-Italienischen Dialoge zu Literatur- und Sprachwissenschaft interessieren sich dabei insbesondere für Gegenstände und Protagonisten, die zum Austausch zwischen germano- und italophoner Italianistik angeregt haben, d. h. sie interessieren sich für theoretischmethodologische Fragen, die in der deutschbzw. italienischsprachigen Italianistik aufgeworfen wurden und dann in der italienischbzw. deutschsprachigen Italianistik aufgegriffen worden sind, für Aspekte des Austauschs zwischen der deutsch- und der italienischsprachigen Italianistik im Hinblick auf spezifische Phänomene, Epochen, Strömungen, Autoren oder Werke und für WissenschaftlerInnen, denen hinsichtlich der Beziehungen und dem Austausch zwischen den beiden Sprachräumen eine maßgebliche Rolle zukommt. Die insgesamt vier Beiträge - zwei literatur-, zwei sprachwissenschaftliche - des Schwerpunkts, die sich aus redaktionellen Gründen auf die vorangehende und diese Ausgabe von Italienisch verteilen, ordnen sich in mehrfacher Hinsicht in den auf diese Weise aufgespannten Raum ein. Der Beitrag von Fabio Sangiovanni (Padua), «Una nascita controversa. La teoria di Wilhelm Pötters sulla genesi del sonetto e la sua ricezione in Italia», bietet eine Synthese der Diskussion, die in Italien Wilhelm Pötters Überlegungen zur Entstehung des Sonetts angeregt haben, zu einem Gegenstand made in Italy par excellence also. Im Jahr des settecentenario von Dantes Tod wendet sich Matthias Bürgel (Düsseldorf ) mit «Giuseppe Picci e l ’ auctoritas degli studi danteschi di Carlo Witte» der Dante-Rezeption im 19. Jahrhundert zu und zeigt die Wertschätzung, die der Italiener seinem deutschen «stimatissimo e dottissimo amico e collega» entgegenbrachte - was ihn aber nicht daran hinderte, an der einen oder anderen Stelle anderer Auffassung zu sein. 4 Der erste der beiden nun folgenden sprachwissenschaftlichen Beiträge stammt aus der Feder von Harro Stammerjohann (Frankfurt), der in einer auf geradezu intimer Kenntnis beruhenden Synthese wichtige Etappen der «Rezeption der Textlinguistik in Italien» vorstellt - eine Erfolgsgeschichte, die ohne Persönlichkeiten wie Maria-Elisabeth Conte und Janós S. Pet ő fi kaum denkbar hierzu auch die weiterführenden Überlegungen in der Besprechung Frank-Rutger Hausmanns unter http: / / www.informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/ showfile.php? id =8408 [letzter Zugriff: 17.8.2021]). Mit Blick auf den italianistisch-philologischen Bereich seien nur genannt Forschungsstand und Perspektiven der Italianistik. Ein deutsch-italienischer Dialog, hrsg. von Peter Blumenthal und Volker Kapp, Erlangen: Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg (Erlanger Forschungen - Reihe A: Geisteswissenschaften 45) 1988, sowie Alfredo Stussis Beitrag «Rapporti italo-tedeschi nella storia della linguistica italiana» im Rahmen der Reihe Fondamenti di linguistica italiana in Italienisch 71 (2014), S. 75 - 82. 4 Die beiden eben genannten literaturwissenschaftlichen Beiträge finden sich in Italienisch 85 (2021), S. 24 - 45 bzw. S. 46 - 55. «Lorbeer-Blumen». Deutsch-italienische Dialoge zu Literatur- und Sprachwissenschaft: Einleitung 19 gewesen wäre. Der Beitrag Matteo Grassanos (Bergamo) hingegen führt in der Geschichte der Beziehungen zwischen der deutsch- und italienischsprachigen Linguistik weiter zurück und widmet sich den Briefwechseln von Graziadio Isaia Ascoli und Hugo Schuchardt mit und auch über Alfredo Trombetti, der v. a. als Vertreter einer - von den Zeitgenossen meist kritisch gesehenen - monogenetischen Sprachursprungstheorie bekannt geworden ist. Ludwig Fesenmeier/ Christian Rivoletti «Lorbeer-Blumen». Deutsch-italienische Dialoge zu Literatur- und Sprachwissenschaft: Einleitung 20 HARRO STAMMERJOHANN Die Rezeption der Textlinguistik in Italien Nicht, dass über die Rezeption der Textlinguistik in Italien nicht schon geschrieben worden wäre! 1984 erschien unter diesem Titel sogar eine Diplomarbeit von Esther Pöhl, ein Jahr später in aktualisierter italienischer Fassung (Pöhl 1984, 1985). Daran knüpft der folgende Forschungsbericht an, der diese Rezeptionsgeschichte bis in die Gegenwart weiterverfolgt. «Zu den meistrezipierten ausländischen Textlinguisten», schrieb Pöhl, «gehören Weinrich, van Dijk, Pet ő fi, Schmidt, Halliday und Dressler» (1984: 38), aber in einem deutsch-italienischen Wissenschaftsbeziehungen gewidmeten Sonderheft darf der Schwerpunkt auf den Anregungen aus dem deutschen Sprachraum liegen. Von spezifischer Bedeutung für die Rezeption der Textlinguistik in Italien war die Berufung Maria-Elisabeth Contes auf einen Lehrstuhl für Semiotik in Pavia im Jahre 1971. Die Semiotik nennt Pöhl (1984: 27 f.) «eine Wissenschaftsdisziplin, die in keinem anderen Land so fruchtbar geworden ist wie in Italien und nicht zuletzt einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Textlinguistik geleistet hat. Diese Disziplin [. . .] versteht sich als Wissenschaft der sprachlichen und nicht-sprachlichen Zeichen. Ihre bedeutendsten Vertreter findet sie im international bekannten Philosophen und Kommunikationsforscher Eco, der die Kultur als Kommunikation und jede Wissenschaft davon als Semiotik betrachtet, sowie in den Literaturwissenschaftlern Segre und Corti.» Bei Pöhl folgt dann eine Übersicht über die wichtigsten Etappen in der Entwicklung der italienischen Semiotik (vgl. auch Pöhl 1985). Einschlägig war die Gründung eines Centro Internazionale di Semiotica e Linguistica in Urbino im Jahre 1971, und 1982 veranstaltete die Associazione Italiana di Studi Semiotici eine Tagung zum Thema «L ’ intertestualità» (Pöhl 1985: 404). Carla Marello, mit Conte und Mortara Garavelli eine der führenden Vertreterinnen der Textlinguistik in Italien, schrieb 1992: «Inoltre il fatto che molti teorici stranieri della linguistica testuale, in particolare van Dijk, Pet ő fi e Ihwe, facciano riferimento a teorie semiotiche diffuse anche in Italia, ha favorito la circolazione dei loro scritti» (1992: 241). Conte war Deutsche und hatte u. a. in Münster bei Heinrich Lausberg studiert, als Harald Weinrich dessen Assistent war: «[D]atano da allora l ’ apprezzamento e l ’ amicizia della Conte per il brillante studioso», schreibt Bice DOI 10.24053/ Ital-2021-0022 21 Mortara Garavelli (1997: 388). Zum Gedenken an die 1998 früh Verstorbene wurden mehrere Tagungen veranstaltet, so zu den Themen Linguistica Testuale Comparativa (Skytte/ Sabatini 1999), Semiotica e linguistica (Prandi/ Ramat 2001; vgl. hier insb. Prandi 2001: 16 - 21) und Tra pragmatica e linguistica testuale (Venier 2009; vgl. hier insb. Ferrari 2009). «Maria-Elisabeth Conte o de cómo la Textlinguistik llegó a Italia» ist der Titel einer Würdigung Contes durch Margarita Borreguero Zuloaga (2010). Borreguero Zuloaga hat auch den Band The Legacy of János S. Pet ő fi mitherausgegeben und miteingeleitet (Borreguero Zuloaga/ Vitacolonna 2019, Borreguero Zuloaga 2019). Pet ő fi (1931 - 2013), gebürtiger Ungar, war über Schweden nach Deutschland gekommen, zuerst als Gastprofessor in Konstanz und ab 1972 als Professor für Semantik in Bielefeld. Er publizierte schon in Italien und auf Italienisch (vgl. insb. Pet ő fi 1985) und ging 1989 endgültig an die Universität Macerata, wo er über seine Emeritierung 2007 hinaus lehrte. Auch Pet ő fi wurde durch Festschriften geehrt, herausgegeben von Hölker und Marello (2011) bzw. von M. Giuffrè (ebenfalls 2011). In Macerata lernte ihn Luciano Vitacolonna kennen, der zu seinem engagiertesten Vermittler in Italien werden sollte (Vitacolonna 2011). In Pöhls Aufzählung der «meistrezipierten ausländischen Textlinguisten» fehlt der Name Peter Hartmann, seinerseits ein bedeutender Theoretiker der Textlinguistik (vgl. Hölker 2001), der von 1953 bis 1969 in Münster lehrte, von wo er nach Konstanz berufen wurde. Zu Hartmanns Münsteraner Schülern gehörte Roland Harweg, ab 1969 Professor in Bochum. Unter anderem in Münster und Bielefeld lehrte auch Siegfried J. Schmidt, der Texte als Kommunikationsakte theoretisierte. Außer Münster und Bielefeld waren Ostberlin (die Arbeitsstelle Strukturelle Grammatik) und Konstanz Zentren der Textlinguistik. Kiel nicht zu vergessen, wo Weinrich von 1959 bis 1965 lehrte und sein Buch Tempus: Besprochene und erzählte Welt schrieb. Es erschien 1964, erlebte mehrere Auflagen und Übersetzungen und wurde für die Textlinguistik programmatisch: «libro clave», wie Margarita Borreguero Zuloaga schreiben sollte, «para el estudio del tiempo verbal en el texto» (2010, S. 596). In Kiel wurden Elisabeth Gülich, später Bielefeld, Wolfgang Raible, später Freiburg, und Harro Stammerjohann, später Frankfurt, Weinrichs Schüler und entwickelten die Textlinguistik in verschiedenen Richtungen weiter. 1975 erschien das Handbuch der Linguistik: Allgemeine und angewandte Sprachwissenschaft (Stammerjohann 1975), in dem Weinrich selbst die Stichwörter «Text», «Textgliederung», «Textlinguistik» und «Textsorte» übernommen hatte, die - in verschiedener Akzentuierung - bis heute Themen der Textlinguistik sind; Schwerpunkte, die in Italien hinzukommen sollten, waren die textuelle Funktion der Zeichensetzung, ein Aspekt der Textgliederung, und die Anwendung der Textlinguistik im Sprachunterricht Die Rezeption der Textlinguistik in Italien Harro Stammerjohann 22 und beim Übersetzen. 1978, als Weinrichs Tempus-Buch in italienischer Ausgabe unter dem weniger suggestiven, dafür instruktiveren Titel Le funzioni dei tempi nel testo, erschien, waren Grundgedanken dieses Buches schon in einer Kieler Dissertation über «Strukturen der Rede: Beobachtungen an der Umgangssprache von Florenz» angewandt worden, die 1970 von der Accademia della Crusca veröffentlicht wurde (Stammerjohann 1970). Deren thematische Kapitel waren: «Das passato remoto in der Umgangssprache von Florenz», «Erzählfolge», «Tempus und Verb», «Zum Verhältnis von Tempus und Person» und «Ansätze zu einer Linguistik des Witzes». An eine andere von Weinrich angeleitete Dissertation (Gülich 1970) knüpfte ein an der Crusca gehaltener Vortrag über «Elementi di articolazione dell ’ italiano parlato» an (Stammerjohann 1977, vgl. auch 1980). Der Bibliographie ihres Forschungsberichts hat Pöhl eine Zeittafel vorausgeschickt (1984: 101), nach der sie die Textlinguistik in Italien 1966 beginnen lässt, als dort Bronislaw Malinowskis Beitrag «Il problema del significato nei linguaggi primitivi» und Weinrichs Aufsatz «Per una linguistica della menzogna» (im ersten Heft der für die Rezeption der Textlinguistik in Italien so wichtigen neuen Zeitschrift Lingua e Stile) erschienen; 1 1969 folgten La semantica strutturale von Algirdas Julien Greimas, die italienische Übersetzung der Sémantique structurale von 1966, und 1970 der Aufsatz «Textsyntax» des Wiener Linguisten Wolfgang U. Dressler. Ihm diente als Motto ein Zitat aus Weinrichs Tempus-Buch: «ein Text ist offenbar eine Ganzheit, in der alles aufeinander bezogen ist» (Weinrich 1964: 212). Dresslers Aufsatz beginnt mit einer kritischen Einführung in Harwegs Substitutionstheorie (s. u.), klärt den Ort der Textlinguistik in der tagmemischen Hierarchie der Pike-Schule, auf die sich schon Weinrich bezogen hatte (zuerst 1964: 313, vgl. auch Stammerjohann 2001), plädiert für die deszendente Analyse, erörtert Abgrenzungskriterien einschließlich der Intonation, diskutiert den Status von Einheiten zwischen Satz und Text und schließt damit, dass die Textsyntax der Textsemantik unterzuordnen sei - «eine radikale Umkehrung [. . .] [v]om Distributionalismus, der die Semantik ganz ablehnt [. . .] zu der entgegengesetzten Konzeption einer von der Semantik abhängigen Syntax» (Dressler 1970: 211). Dresslers Aufsatz war auf Deutsch, stand aber ebenfalls in Lingua e Stile. 1974 erschien seine Introduzione alla linguistica del testo (Dressler 1974), die italienische Ausgabe seiner Einführung in die Textlinguistik (Dressler 1972; vgl. auch 1978 und Beaugrande/ Dressler 1981). 1 Vgl. auch Weinrich 1976 a. Pöhl (1985: 408) macht darauf aufmerksam, dass der Verlag il Mulino dem italienischen Publikum seit 1976 Übersetzungen außer von Weinrich (auch Weinrich 1978) von Schmidt (1982) und Beaugrande/ Dressler (1984) sowie von van Dijk (1980) zur Verfügung stellte. Harro Stammerjohann Die Rezeption der Textlinguistik in Italien 23 Aus demselben Jahr 1974 stammt die erste monographische, explizit textlinguistische Veröffentlichung aus italienischer Feder: das Turiner Vorlesungsskript von Bice Garavelli Mortara, 2 Aspetti e problemi della linguistica testuale: Introduzione a una ricerca applicativa (vgl. auch Mortara Garavelli 1979). Der Untertitel weist in eine Richtung, die für die italienische Textlinguistik wichtiger werden sollte als für die deutsche und auf die schon hingewiesen wurde: ihre Anwendung im Sprachunterricht. Das Skript positioniert die Textlinguistik in den linguistischen Strömungen der Zeit, unter besonderer Bezugnahme auf van Dijk (1970, 1972) und auf Dressler (1972). Im dritten Kapitel, «Stadi di sviluppo della linguistica testuale - Antecedenti storici» verweist Mortara Garavelli u. a. auf Harwegs Habilschrift Pronomina und Textkonstitution, deren Titel Programm ist (Harweg 1968). Hinsichtlich des «ruolo testuale delle relazioni di tempo» (Garavelli Mortara 1974: 83) findet sie: «una teoria generale delle relazioni temporali è ancora di là da venire» (Garavelli Mortara 1974: 84), weist auf Lakoff, Lyons und van Dijk hin, scheint aber das Weinrichsche Tempus-Buch noch nicht zu kennen. In einem Anhang stellt Carla Marello die «Grammatica testuale di Janos S. Pet ő fi» (Marello 1974) vor: seine Text- und Weltwissen verbindende Textstruktur-Weltstruktur-Theorie, kurz TeSWeST, die Thema ihrer tesi di laurea von 1975 werden sollte (s. u.). Conte aber ging es nicht schnell genug. In dem Tagungsband der Società di Linguistica Italiana (fortan: SLI) Dieci anni di linguistica italiana (1965 - 1975) erschien ihr Forschungsbericht «Linguistica testuale», in dem sie klagt: «La recezione della linguistica testuale [Textlinguistik] in Italia è sinora stata piuttosto debole e lenta. Una prima ragione è che la linguistica testuale è una branca della linguistica che si è costituita solo alla fine degli anni sessanta e che sta ancora faticosamente elaborando i suoi modelli teorici. Una seconda ragione è forse che la linguistica testuale si è sviluppata soprattutto in Europa (in particolare in Germania, Olanda e Austria), mentre oggi in Italia molti dei linguisti sembrano prevalentemente orientati verso il Nord America.» (Conte 1977 b, S. 291) Conte definiert drei Aufgaben der Textlinguistik: Die Erforschung 1. der «regolarità che trascendono il singolo enunciato», d. h. der «rapporti transfrastici», 2. der «coerenza d ’ un testo» und 3. der Erweiterung der «regolarità interne al testo al contesto pragmatico» (1977 b: 291). Sie zeigt sodann, wieviel größer das Interesse an der Textlinguistik in Wirklichkeit schon war, angefangen mit der Aufzählung italienischer Zeitschriften, die textlinguistischen Themen gegenüber aufgeschlossen oder sogar schon darauf spezialisiert waren, außer Lingua e Stile 2 Später firmiert sie als Bice Mortara Garavelli. Die Rezeption der Textlinguistik in Italien Harro Stammerjohann 24 namentlich Studi italiani di linguistica teorica e applicata, Strumenti critici, Studi di filologia italiana, Versus, Uomo e cultura und die Working papers del Centro internazionale di Semiotica e di Linguistica di Urbino (1977 b: 292). Ihren Forschungsbericht gliedert sie nach «Pubblicazioni di saggi di linguistica testuale in lingua straniera in Italia», «Traduzioni italiane di saggi di linguistica testuale», «Conferenze e corsi di studiosi stranieri sulla linguistica testuale», «Studi italiani sulla linguistica testuale» und «Ricerche italiane di linguistica testuale». Während mit «Studi italiani sulla linguistica testuale» explizit textlinguistische Arbeiten gemeint sind, sind mit «Ricerche italiane di linguistica testuale» Arbeiten gemeint, die nicht explizit textlinguistisch, aber sehr wohl transphrastisch angelegt sind. Zu ersteren zählt sie u. a. die schon genannten Aspetti e problemi della linguistica testuale von Garavelli Mortara (1974) und die Dissertationen von Marello, Una semiotica del testo. La «Textstrukturweltstrukturtheorie» di J. S. Pet ő fi (Marello 1975), und von Alessandro Ferrara, A proposito della «TeSWeST» di J. Pet ő fi: Significato, senso, formalizzazione (Ferrara 1976); zu letzteren zählt sie Arbeiten zur Thema-Rhema-Theorie, zur textuellen Funktion des Artikels, zur Konversationsanalyse, zur Kohärenz und zur Sprechakttheorie. Zu den «Traduzioni italiane di saggi di linguistica testuale» gehört der Reader mit dem Titel La linguistica testuale, den Conte im selben Jahr herausgab (Conte [Hrsg.] 1977). Den Beiträgen von Weinrich, Isenberg, Lang, Karttunen, Bellert, van Dijk, Pet ő fi und Schmidt schickt sie eine überaus instruktive Einleitung voraus (Conte 1977 a), in der sie die Vertreter, Themen und Methoden der Textlinguistik vorstellt. Sie präzisiert, dass ‘ Textlinguistik ’ zwar zum ersten Mal 1955 in der spanischen Form lingüística del texto von Coseriu gebraucht wird, «[n]el senso odierno del termine, tuttavia, [. . .] ricorre per la prima volta (nella forma tedesca Textlinguistik) solo nel 1967, e precisamente in un intervento di Harald Weinrich» (Conte 1977 a: 13), nämlich in der «Bochumer Diskussion» über «Syntax als Dialektik», die Weinrich mit dem Satz «Linguistik ist Textlinguistik» eröffnete (vgl. Weinrich et al. 1967). Wie vieldeutig der Terminus ‘ Textlinguistik ’ damals noch war, zeigt sich an den Termini, die mit ihm konkurrierten, z. B. ‘ transphrastische Analyse ’ , ‘ Textgrammatik ’ , ‘ Textologie ’ (Harweg), ‘ Texttheorie ’ (Schmidt), ‘ Textstruktur-Weltstruktur-Theorie ’ (Pet ő fi, s. o.), ‘ discourse analysis ’ (Harris), ‘ hypersyntax ’ (Palek), ‘ translinguistique ’ (Barthes). Immer ging es um die Positionierung der Textlinguistik zwischen Satzlinguistik einerseits und andererseits Pragmatik (vgl. Conte 1977 a: 14). Die drei Aufgaben, vor die Conte die Textlinguistik gestellt sieht, lauten jetzt z.T. anders. Zwar bleibt es bei den «analisi transfrastiche», aber dann kommen «costruzione di grammatiche del testo» und «costruzione di teorie del testo» (Conte 1977a: 11; vgl. auch 13). Um einen Eindruck vom Inhalt dieses Readers zu vermitteln, seien die Titel der Beiträge aufgeführt, auf die Conte den Leser in ihrer Harro Stammerjohann Die Rezeption der Textlinguistik in Italien 25 Einleitung, z.T. kritisch, vorbereitet: «Sintassi testuale dell ’ articolo francese» (Weinrich), «Riflessioni sulla teoria del testo» (Isenberg), «Di alcune difficoltà nel postulare una ‘ grammatica del testo ’ » (Lang), «Referenti testuali» (Karttunen, Stanford), «Una condizione della coerenza dei testi» (Irena Bellert, Montreal), «Note sulle macrostrutture linguistiche» (van Dijk, Amsterdam), «Teoria del testo e pragmalinguistica» (Schmidt). Lücken, die Conte bedauert, betreffen die Textsortenlinguistik und die Thema/ Rhema-Theorie «come principio di testualizzazione» (1977a: 28). Von Pet ő fi hatte Conte zwei Arbeiten aufgenommen: «Semantica, pragmatica, teoria del testo» (1977: 195 - 223), wo es um das Verhältnis von Syntax, Semantik und Pragmatik geht, und, eigens von ihr angeregt, «Osservazioni sul componente grammaticale d ’ una teoria semiotica integrata dei testi» (224 - 247), wo es um das Verhältnis zwischen Pet ő fis TeSWeST und der Montague-Grammatik geht. «Ambedue i saggi di Pet ő fi [. . .]», schreibt Conte, «sono di linguistica testuale al quadrato, cioè hanno per oggetto non già fenomeni testuali, ma la linguistica testuale stessa, disciplina della quale Pet ő fi ricerca i fondamenti e per la quale cerca nuovi strumenti» (1977a: 48). Unter dem Titel Per una teoria semiotica integrata del testo hat Vitacolonna acht Aufsätze Pet ő fis gesammelt (Pet ő fi 2011), die die Weiterentwicklung Dalla TeSWeST alla Testologia Semiotica, so der Untertiel, zeigen sollen, einer Theorie, der es gelungen sei, «il componente grammaticale (lato sensu), quello semantico e quello pragmatico in una dimensione semiotica, e non puramente linguistica» zu vereinen (Vitacolonna 2011: 9; Bibliographie bis 2011). Aber so umfangreich und anspruchsvoll Pet ő fis Werk auch war - es kann, wiewohl «in continuo movimento» (Conte 1977 a: 46), als monothematisch wahrgenommen werden und ist in Italien nicht mit derselben Wirkung rezipiert worden wie das Werk Contes. Contes Band wurde einmal nachgedruckt und erschien 1989 mit einem neuen Kapitel von Conte selbst zum Thema «Coesione testuale: recenti ricerche italiane» (Conte 1989). Die bedeutendsten Vertreter der italienischen Textlinguistik, die Conte nennt, sind Mortara Garavelli, Ramat und Segre (alle Pavia, vgl. auch Conte/ Giacolone Ramat et al. 1990), Marello, Berretta (zu ihr vgl. Bernini 2002), Berruto, Bertinetto (alle Turiner Absolventen), Stati (Bologna), sowie Lo Cascio, der damals schon in Amsterdam lehrte. Einschlägig ist eine Fußnote Contes: «Della fortuna della linguistica testuale in Italia è documento l ’ esistenza di numerose traduzioni: in particolare di D RESSLER [1972] (tr. it. 1974), di W EINRICH [ 2 1971] (tr. it. 1978), di VAN D IJK [1977] (tr. it. 1980), di S CHMIDT [1973] (tr. it. 1982), di B EAUGRANDE / D RESSLER [1981] (tr. it. 1984)» (1989: 272). 1988 erschien noch die italienische Ausgabe von Weinrichs Aufsatzsammlung Sprache in Texten (Weinrich 1976 b) unter dem Titel Lingua e linguaggio nei testi mit einem Vorwort von Segre, der über Weinrich schreibt: «la risonanza delle Die Rezeption der Textlinguistik in Italien Harro Stammerjohann 26 sue idee in tutto il mondo scientifico fa sì che molti linguisti e critici italiani si colleghino spesso al suo pensiero, conferendogli una posizione di rilievo tra gli autori da cui non si può più prescindere» (Segre 1988: 7). Segre kennt auch die Textgrammatik der französischen Sprache (Weinrich 1982) und sieht in der Abstraktion von 32 semantischen Merkmalen einen Schritt «verso quella grammatica generale che, vagheggiata sin dall ’ Illuminismo, incomincia ora a concretarsi come obiettivo raggiungibile» (1988: 12). Von Contes textlinguistischem Beitrag im SLI-Tagungsband Dieci anni di linguistica italiana (1965 - 1975) war schon die Rede. Ganz der Linguistica Testuale war der SLI-Jahreskongress 1981 gewidmet, der unter der Präsidentschaft von Sabatini stattfand und auf dem außer Conte u. a. von deutscher bzw. österreichischer Seite Harweg, Pet ő fi, Dressler, Metzeltin (damals Groningen) und Sornig aufgetreten waren; die Vorträge wurden 1984 mit einem instruktiven Vorwort von Mortara Garavelli herausgegeben (vgl. Coveri 1984). Unabhängig davon hatte 1984 in Urbino eine Tagung zum Thema Text and Discourse Connectedness stattgefunden, deren Akten Conte, Pet ő fi und Emel Sözer (die damals in Bielefeld tätig war) 1989 herausgaben und auf der außer den Herausgebern von italienischer Seite Marello, Stati, Lonzi und Vitacolonna, von deutscher bzw. österreichischer Seite Ehlich, Harweg, Hölker, Rieger, Rudolph, Metzeltin, Weber, Heydrich, Leinfellner-Rupertsberger und Weingartner teilgenommen hatten (Conte/ Pet ő fi et al. 1989). Eine neue Bilanz zog Conte im 1988 erschienenen Lexikon der Romanistischen Linguistik, Band IV: Italienisch, Korsisch, Sardisch mit ihrem Artikel «Textlinguistik/ Linguistica testuale» - einem von zwei Forschungsberichten zur Textlinguistik in Italien. Unter «Objektbereich und Definition» heißt es: «In der italienischen textlinguistischen Forschung handelt es sich mehr als um systematische und großangelegte Modell-Entwürfe um die kritische Untersuchung einzelner Probleme und um die Analyse von spezifischen textbildenden Phänomenen. Im Mittelpunkt der Forschung steht die Frage der kohäsiven Funktion von Einzelphänomenen und ihre Relevanz für die Konstruktion von Textkohärenz (coerenza testuale) durch den Interpreten. Mehr als die Strategien der Textproduktion stehen die Bedingungen des Textverstehens und der Interpretation im Vordergrund [. . .].» (Conte 1988 b: 132) Wenn sie dann aber schreibt, die Entwicklung der textlinguistischen Forschung sei schwer von der pragmatischen Linguistik zu trennen, so trifft das nicht nur auf die Textlinguistik in Italien zu (s. o.). Die Themen, auf die Conte näher eingeht, sind wieder «Kohärenz vs. Kohäsion» und «Mittel der Textkohäsion» (vs. Kohärenz Harro Stammerjohann Die Rezeption der Textlinguistik in Italien 27 und Konnexivität), «denen in Italien besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden ist» (Conte 1988 b: 133), nämlich von ihr selbst (Conte 1989, s. o.). Im Einzelnen geht es ihr um «Referenz in Texten», also um «Textreferenten», «Typen anaphorischer Wiederaufnahme», «Textdeixis», ferner um «Textkonnektive», «Ellipsen», «Thema-Rhema-Strukturierung» und «Tempora in Texten». Zu den Quellen, auf die sie zurückgreift, gehören Beaugrande/ Dressler (1981): Unterscheidung von Kohäsion und Kohärenz; Raible (1972): Textdeixis; Gülich (1970), Stammerjohann (1977) und Lichem (1981): Textkonnektive; der Tagungsband von Stammerjohann (1986): Thema-Rhema-Strukturierung; Weinrich (1964 [ 2 1971]): Tempora in Texten. 3 Der zweite Forschungsbericht zur Textlinguistik in Italien, «Textsorten/ Tipologia dei testi», war von Mortara Garavelli in demselben Band. Unter «Oggetto e ambiti della ricerca» diskutiert sie die Übersetzung von «Textsorte» mit «tipo di testo» und relativiert den italienischen Forschungsstand: «Finora non si è sviluppata in Italia una tipologia dei testi fondata su teorie testuali (una Textsortenlinguistik), benché il problema sia stato ben presente a studiosi di diversa formazione e abbia dato luogo, sia pure episodicamente, a indicazioni suggestive [. . .].» (Mortara Garavelli 1988: 157) Unter «Contributi al dibattito sulla tipologia dei testi» plädiert sie mit Dressler (1984) für «tipologie funzionali dei testi che, a differenza delle tipologie strutturali, consentono ‘ delle gradualità, in quanto le funzioni sono rappresentate in gradi differenti nei testi reali ’ » (1988: 159) und für die terminologische Unterscheidung zwischen «tipologia dei testi (nel senso di Textsortenlinguistik)» und «tipologia testuale, o tipologia delle lingue basata su fatti testuali» (1988: 159). Unter Berufung u. a. auf Beaugrande/ Dressler (1981) und Werlich (1975/ 2 1979, 1976/ 2 1982) stellt Mortara Garavelli «Categorie descrittive per classi di testi» auf, nach denen sie sodann zwischen den Textsorten «Descrizione», «Narrazione», «Esposizione», «Argomentazione», «Istruzione-prescrizione» und einem «Tipo ‘ ottativo ’ » unterscheidet und jede dieser Textsorten einzeln abhandelt (unter «tipo ottativo» Wünsche, Flüche und Verwünschungen, Gebete, Zaubersprüche). In dem Abschnitt über «Narrazione» erinnert sie an die «Einfache[n] Formen» von André Jolles ( 4 1968); als Beispiel für «Esposizione» nennt sie Briefsorten von K. Ermert (1979); unter «Argomentazione» greift sie auf die 3 Von Contes Quellen zum Problem der Fundierung und Legitimierung einer Textlinguistik sei Luciano Vitacolonna zum Thema « ‘ Text ’ / ‘ Discourse ’ Definitions» (Vitacolonna 1988) hervorgehoben, der seinerseits viele Autoren aus dem deutschen Sprachraum heranzieht, namentlich Bierwisch, Brinker, Coseriu, Dressler, Eroms, Figge, Fries, Hartmann, Harweg, Heger, Isenberg, Kalverkämper, Koch, Oomen, Rickheit, Rieser, Schmidt, Weinrich, Wunderlich und natürlich Pet ő fi. Die Rezeption der Textlinguistik in Italien Harro Stammerjohann 28 Systematisierung der klassischen Rhetorik von H. Lausberg (1969) zurück. Unter «Tipologie della comunicazione letteraria» zitiert sie H. R. Jauß ’ Vorbehalte gegen die Annahme von «tipi di testo» ( Jauß 1977). Wie sie in ihren «Conclusioni» schreibt, kann sie sich eine Typologie der Gebrauchstexte à la M. Dimter (1981) im Italienischen noch nicht vorstellen, wohl aber «modelli basati sulle funzioni dei testi» (1988: 166) à la K. Brinker (1985). Sie schreibt: «Negli studi semioticoletterari l ’ istanza tipologica è vivace, in Italia», und verweist auf Segre (1985). An dieser Stelle ist auf eine Aufsatzsammlung von Cristina Lavinio hinzuweisen, die unter dem Titel Teoria e didattica dei testi Vorschläge für die Didaktisierung von Ergebnissen der Texttypologie macht (Lavinio 1990), wobei sie mehrmals auf einen auch andernorts vielzitierten Aufsatz von Christoph Schwarze zurückgreift: «Quel ramo del lago di Como: uno strumentario concettuale per l ’ analisi dei testi descrittivi» (1982). 1988 erschien auch Contes Sammlung eigener Aufsätze Condizioni di coerenza. Ricerche di linguistica testuale (1988 a, ergänzte Neuauflage 1999), in denen es um die textkonstitutive Funktion von Demonstrativa geht. Zwei Aufsätze fallen ins Auge: Mit «Anafora empatica» (Conte 1988a: 73 - 78, 1999: 75 - 81) ist der Gebrauch von Demonstrativa gemeint, die zusätzlich zu ihrer anaphorischen Funktion «fanno acquisire all ’ interprete conoscenze specifiche, conoscenze che concernono non i referenti in quanto tali, ma i sentimenti, gli atteggiamenti affettivi ed axiologici del parlante nei confronti d ’ un referente» (1999: 81), z. B. ein Passus von Henry James, der so anfängt: «To talk to those [! ] people about the South» (vgl. 1999: 78). Mit «Anaphoric Encapsulation» (1999: 107 - 114; vgl. auch Conte 1996) ist ein «cohesive device» gemeint, «by which a noun phrase functions as a resumptive paraphrase for a preceding portion of text» (1999: 107), z. B. it. fatto oder situazione oder engl. issue. Der Band schließt mit einer Bibliographie von Contes Schriften (ohne Rezensionen, vgl. 1999: 115 - 128; ergänzt in Borreguero Zuloaga 2010: 600 - 605). Wegen des prominenten Erscheinungsorts darf auch Contes Artikel «Linguistica testuale» in der Enciclopedia italiana nicht unerwähnt bleiben (1994), den sie ähnlich ihren früheren Forschungsberichten wie folgt gliedert: 1. «Specificità dell ’ oggetto della linguistica testuale», 2. «Tipologia dei testi», 3. «Condizioni di testualità: coesione contro coerenza», und zwar «Anafore», «Deissi testuale (o logodeissi)», «Connettivi testuali», «Elissi». An deutschen Autoren führt ihre Bibliographie jetzt außer Werlich (1975/ 2 1979), Weinrich (1976 b) und Beaugrande/ Dressler (1981, 1984) auch Gülich/ Raible (1977), Heinemann/ Viehweger (1991) und Vater (1992) auf, und sie verweist auf die Reihen Papiere zur Textlinguistik/ Papers in Textlinguistics (Hamburg 1972 ff.), Research in Text Theory/ Untersuchungen zur Texttheorie (Berlin 1977 ff.) und auf die Zeitschrift Text (Berlin 1972 ff., heute Text & Talk). In der Reihe Papiere zur Textlinguistik waren 1979 zwei Bände Harro Stammerjohann Die Rezeption der Textlinguistik in Italien 29 zum Thema Text vs Sentence. Basic Questions of Text Linguistics erschienen, die Pet ő fi zusammengestellt hatte und in denen von italienischer Seite Berruto, Bertinetto, Camboni, Ciliberti, Eco, Marello, Mortara Garavelli und Segre vertreten waren (Pet ő fi 1979), sowie der Band Text and Discourse Connectedness, auf den schon hingewiesen wurde (Conte/ Pet ő fi et al. 1989). 1992 veröffentlichte die SLI ihren Bericht über La linguistica italiana degli anni 1976 - 1986 (Mioni/ Cortelazzo 1992), der Marellos Referat «Testo» enthielt und in dem sie außer auf deutsche und österreichische Textlinguisten auf eine Serie von acht textlinguistischen Tagungen unter Beteiligung von Pet ő fi in Macerata verwies (Marello 1992; gemeint waren die Colloqui sulla interpretazione, die noch bis 1998 stattfanden, vgl. Galli 2011). 2002 folgte der SLI-Band La linguistica italiana alle soglie del 2000 (1987 - 1997 e oltre) (Lavinio 2002) mit einem Beitrag von Ferrari und Manzotti, «Linguistica del testo» (Ferrari/ Manzotti 2002), und 2013 der Band La linguistica italiana all ’ alba del terzo millennio (1997 - 2010) (Iannàccaro 2013) nun mit einem weiter ausholenden, analytischeren Beitrag «Linguistica del testo» von Ferrari allein (2013). Zu Gian Luigi Beccarias Dizionario di linguistica (Beccaria 1994) hatten u. a. Marello und Mortara Garavelli beigetragen: Marello mit Stichwörtern zur Rhetorik, Mortara Garavelli mit Stichwörtern zur Textlinguistik. Unter «linguistica testuale» positioniert Marello die italienische Textlinguistik wie folgt: «Il termine l [inguistica] t [estuale] si è affermato in Italia sulla scorta della diffusione, a partire dall ’ inizio degli anni Settanta, degli studi tedeschi di Textlinguistik [. . .], ma in ambito angloamericano al termine l t si continua a preferire quello di [. . .] analisi del discorso (discourse analysis), diffuso anche in Italia e in Europa prevalentemente col significato più ristretto di studio del discorso orale. La progressiva scoperta che l ’ aspetto linguistico è solo uno dei molti dai quali si può partire per studiare il testo, e che la coerenza testuale è legata a fattori extralinguistici, ha fatto perdere terreno al termine l t a favore di teoria del testo.» Das Stichwort «Testo» selbst ist von Segre bearbeitet worden, der die üblichen Gegenstände und Methoden der Textlinguistik anspricht, diese aber sonderlich von der russischen und französischen Erzähltextanalyse herleitet. Explizit und implizit ist die Textlinguistik in der Enciclopedia dell ’ italiano von 2011 präsent. Die explizit textlinguistischen Stichwörter sind: «testi argomentativi» (L. Cignetti), «testi descrittivi» (C. E. Roggia), «testi espositivi» (A.-M. De Cesare), «testi narrativi» (Roggia), «testi prescrittivi» (Cignetti), «testo, struttura del» (A. Ferrari) und «testo, tipi di» (L. Lala). Das heißt, mit Ausnahme von Ferrari behandeln alle Autorinnen und Autoren Textsorten und ihre Problematik, und dementsprechend häufig wird Werlich genannt, aber auch auf Beaugrande/ Die Rezeption der Textlinguistik in Italien Harro Stammerjohann 30 Dressler, Harweg, Lausberg, W. Motsch (Ostberlin, später Institut für Deutsche Sprache, Mannheim) und Weinrich wird Bezug genommen, außerdem auf Conte, Marello, Mortara Garavelli. Dazu kommen allein von Ferrari viele implizit textlinguistische Stichwörter wie «anafora», «coerenza, procedure di», «coesione, procedure di», «connettivi testuali», «contesto» u. a. m., fast alle mit Verweisen auf deutsche Quellen. Die Textlinguistik ist in Italien kanonisiert, wenn kein einschlägiges Lehrbuch mehr ohne sie auskommt. Während Cecilia Andorno, Absolventin von Turin und Pavia, es sich in ihrer Einführung in die Linguistica testuale (2003) zum Ziel gesetzt hatte, «di delineare una ‘ grammatica della competenza testuale ’ » (9), ging es Massimo Palermo in seiner Linguistica testuale dell ’ italiano (2013) weniger um die Theorie der Textlinguistik als um ihre Anwendung auf italienische Texte. Dieser Unterschied mag erklären, dass deutsche Autoren für Palermo eine geringere Rolle spielen als für Andorno, die sich u. a. auf Beaugrande/ Dressler, Gülich, Hartmann, Hölker, Stammerjohann, Werlich, Weydt bezogen hatte. Angela Ferrari selbst, Tessinerin, die in Basel lehrt und überwiegend auf Italienisch publiziert und die in ihren Forschungsberichten den Stand der italienischen Textlinguistik evaluiert hat (s. o.), hat ihr letztes Buch (2019) mit der in der Literatur immer wieder gestellten Frage Che cos ’ è un testo? betitelt. Sogar ein so elementares Lehrbuch wie die Grammatica italiana essenziale e ragionata. Per insegnare, per imparare von Cristiana De Santis und Michele Prandi (2020) enthält einen Abschnitt «Dall ’ enunciato al testo» (87 - 95). Bemerkenswerter, als dass textlinguistischer Fachwortschatz in die Wörterbücher eingegangen ist, erscheint es, dass alltagssprachlicher Wortschatz textlinguistisch definiert wird wie in dem Dizionario Italiano Sabatini Coletti (DISC, zuerst 1997), z. B. «congiunzioni testuali», die nur, wie dunque, infatti, cionondimeno . . ., oder auch, wie perché, benché, ma, e . . ., textuell gebraucht werden können (vgl. Ferrari/ Manzotti 2002: 418; Ferrari 2013: 604). Eigens erwähnt sei Francesco Sabatinis Aufsatz «Pause e congiunzioni nel testo. Quel ma a inizio di frase» (1997). Mit dem Hinweis auf die textlinguistische Definition des Stichworts testo im DISC leitet Ferrari ihr eben genanntes Buch ein (Ferrari 2019: 7). Modelli grammaticali e tipi di testo ist der Titel eines im Druck befindlichen Buches von Sabatini und Carmela Camodeca, das die Textlinguistik mit der Valenzgrammatik, einem anderen Forschungsschwerpunkt Sabatinis, verbindet und außer auf Conte und Ferrari auf Beaugrande/ Dressler (1984), Diewald (1991), Dressler (1999, 2004), Iser (1974), Jauß (1971), Sandig (1972), Weinrich (1976 b) und Werlich (1967, 1975, 1975/ 2 1979, 1976/ 2 1982) Bezug nimmt, um nur die prominentesten deutschen Quellen zu nennen. Ziel der schriftkulturell weit ausholenden Texttypologie von Sabatini/ Camodeca ist eine «Mappa dei Tipi testuali»: eine Systematik von Merkmalen, nach der sie Texte in «rigidi», Harro Stammerjohann Die Rezeption der Textlinguistik in Italien 31 «semirigidi» und «elastici» einteilen (im Druck, vgl. schon Sabatini 1990, 1999 sowie Sabatini/ Camodeca et al. 2011). Das Buch von Sabatini und Camodeca ist der vorerst letzte Reflex der deutschen Textlinguistik in der italienischen Sprachwissenschaft. Abstract. Questo articolo illustra la ricezione in Italia della linguistica testuale, ideata come branca della linguistica nelle università di Kiel, Bielefeld, Costanza, Vienna e Berlino Est da Harald Weinrich, Peter Hartmann, Wolfgang U. Dressler, Janós S. Pet ő fi ed altri. La principale artefice di questa diffusione è stata Maria- Elisabeth Conte, di origine tedesca, che si era formata a Münster presso Heinrich Lausberg e che nel 1971 aveva ottenuto una cattedra di semiotica a Pavia, centro di studi semiotici, che contava sulla presenza di studiosi come Maria Corti e Cesare Segre. Essendo la testualità di primario interesse semiotico, l ’ Università di Pavia era l ’ ambiente più idoneo ad accogliere la linguistica testuale, che Conte (deceduta precocemente nel 1998) sviluppò in Italia insieme a Bice Mortara Garavelli, Carla Marello ed altri ancora. Centri di irradiazione della linguistica testuale sono stati Torino e Urbino e tra i periodici specializzati in semiotica e linguistica testuale si enumerano Lingua e stile, Strumenti critici, Working papers del Centro internazionale di Semiotica e di Linguistica di Urbino. Oltre gli aspetti teorici della linguistica testuale, quali la nozione stessa di testo, i mezzi di articolazione testuale o la tipologia dei testi, in Italia, più che in Germania o in Austria, sono oggetto di studio anche la funzione testuale della punteggiatura e l ’ apporto della linguistica testuale all ’ insegnamento delle lingue e alla traduzione. Un altro protagonista della diffusione della linguistica testuale in Italia è stato Pet ő fi, ungherese di origine, attivo a Costanza e poi a Bielefeld, da dove nel 1989 si trasferì a Macerata, e che perseguiva l ’ obiettivo di una ambiziosa Textstruktur-Weltstruktur-Theorie ( ‘ teoria della struttura del testo e della struttura del mondo ’ ). Oggi non solo grammatiche scientifiche e scolastiche ma anche enciclopedie e persino dizionari dimostrano il grado di presenza e vitalità della linguistica testuale in Italia. Summary. The article deals with the impact of text linguistics, conceived at the universities of Kiel, Bielefeld, Constance, Vienna, and East Berlin by Harald Weinrich, Peter Hartmann, Wolfgang U. Dressler, Janós S. Pet ő fi and others, in Italy. The main mediator was Maria-Elisabeth Conte, of German origin, who had studied at Münster with Heinrich Lausberg and who in 1971 was awarded a chair of Semiotics at Pavia, then a semiotics centre, with such scholars as Maria Corti and Cesare Segre. Textuality being of primary interest to semiotics, the University of Pavia was a naturally receptive environment for text linguistics, which Conte (who died prematurely in 1998), together with Bice Mortara Garavelli, Carla Marello and others, introduced and developed in Italy. Other centres of text Die Rezeption der Textlinguistik in Italien Harro Stammerjohann 32 linguistics were Turin and Urbino, and among the periodicals specializing in semiotics and text linguistics were Lingua e stile, Strumenti critici, Working papers del Centro internazionale di Semiotica e di Linguistica di Urbino. In addition to theoretical aspects of text linguistics, such as the very notion of text, the means of structuring a text, and text typology, the textual function of punctuation and the contribution of text linguistics to language teaching and translation were also studied, in Italy more so than in Germany or Austria. Another herald of text linguistics in Italy was Pet ő fi, Hungarian by birth, active at Constance and then Bielefeld, from where he transferred to Macerata in 1989. Pet ő fi was aiming for an ambitious ‘ theory of the structure of text and of the structure of the world ’ (Textstruktur-Weltstruktur-Theorie). 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Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 1 Introduzione Nel 1905 Alfredo Trombetti (1866 - 1929) pubblicò L ’ unità d ’ origine del linguaggio, 2 opera con cui diede conto, per la prima volta pubblicamente, dei suoi tentativi di avvicinare i grandi gruppi linguistici all ’ insegna di una loro riduzione, la quale andava nella direzione della teoria monogenetica. Tutti i lavori successivi dell ’ autore seguirono questa strada: Trombetti fu infatti un infaticabile raccoglitore e comparatore di forme lessicali e grammaticali provenienti da quante più lingue possibili, con l ’ idea di dimostrare la vicinanza di famiglie e idiomi non considerati imparentati tra loro. 3 L ’ unità d ’ origine del linguaggio porta in esergo una doppia dedica: «A Graziadio Ascoli e Hugo Schuchardt con profonda devozione». L ’ omaggio ai grandi linguisti derivava non solo dall ’ ammirazione per due studiosi che Trombetti considerò sempre suoi maestri, ma anche dall ’ oggettivo ‘ debito ’ contratto nei loro confronti: è indubbio il ruolo che Ascoli e Schuchardt ebbero, rispettivamente in qualità di relatore e di membro estero della Commissione giudicatrice, nel conferimento a Trombetti, nel giugno del 1904, del Premio Reale di Filologia e Linguistica, indetto nel 1902 dall ’ Accademia dei Lincei. 4 Si può comprendere appieno la riconoscenza dovuta ai due linguisti, se si considera la svolta che l ’ assegnazione del Premio segnò nella vita del glottologo bolognese, aprendogli la strada verso la carriera universitaria: proveniente da una famiglia poverissima e numerosa, Trombetti interruppe gli studi dopo soli tre anni di scuola elementare e fu mandato a imparare un mestiere, lavorando prima come garzone in un negozio di barbiere e di sartoria, e poi come apprendista orafo. Spinto dalla sola passione, 1 Nel dare alle stampe questo contributo ci tengo a ringraziare la Prof.ssa Federica Venier, che ha seguito la stesura del saggio, dandomi preziosi consigli. 2 Trombetti 1905. 3 Per la teoria di Trombetti si veda innanzitutto Assirelli 1962. Nel suo taglio elogiativo, il volume ripercorre per temi l ’ intera produzione trombettiana. Su Trombetti si rimanda poi a Tagliavini 1937, Ballini 1938, De Mauro 2009, Schirru 2020 e Grassano 2021. Per una panoramica sulla questione dello Sprachursprung (fino ad oggi) si veda Graffi 2019. Le posizioni monogenetiche di Trombetti non possono che apparire stimolanti, se si considerano i risultati di più recenti ricerche antropologiche e genetiche: cfr. in particolare Cavalli-Sforza 1996. 4 Sul Premio, con particolare riferimento alla candidatura di Pascoli, si veda Stussi 2011. 39 proseguì allora da completo autodidatta l ’ apprendimento di numerose lingue, finché, non ancora diciottenne, il 18 ottobre 1883 le sue competenze linguistiche furono esaminate in un ’ «amichevole adunata» da Giosuè Carducci, Giovan Battista Gandino, Teodorico Landoni e Gino Rocchi, che ne diedero poi conto attraverso i giornali. Grazie a un sussidio del Comune di Bologna e dell ’ Opera Pia de ’ Vergognosi, Trombetti poté così riprendere gli studi, diplomarsi e laurearsi. 5 Dopo vari anni passati a insegnare in ginnasi e licei, fu proprio la vittoria al concorso dell ’ Accademia dei Lincei - a cui l ’ autore si presentò con il testo manoscritto Nessi genealogici fra le lingue del mondo antico - 6 a far sì che nel 1904 fosse nominato, per decreto reale, professore ordinario di Filologia semitica all ’ Università di Bologna. Tenendo presenti le sue posizioni monogenetiche, nelle pagine seguenti esplorerò il rapporto di Trombetti con Ascoli e Schuchardt. Per farlo mi avvarrò delle lettere del primo ai due linguisti, conservate rispettivamente nell ’ Archivio di Ascoli dell ’ Accademia dei Lincei 7 e in quello di Schuchardt dell ’ Università di Graz. Premetto che i due fondi epistolari sono assai diversi, a partire dalla loro consistenza e dall ’ arco temporale coperto. La corrispondenza con Schuchardt conta 60 lettere di Trombetti, distribuite tra il 1902 e il 1926; 8 quella con Ascoli 19 lettere di Trombetti, datate dal 1903 al 1906. 9 Purtroppo, la probabile dispersione dell ’ archivio personale di Trombetti non permette di avere accesso alle risposte dei destinatari; una mancanza che, nel caso di Ascoli, è in parte supplita dalla conservazione di alcune minute. Entrambi i linguisti si mostrarono inizialmente assai impressionati dalle conoscenze che lo sconosciuto candidato era riuscito ad acquisire da completo autodidatta; tuttavia, come mostrerò nel dettaglio, l ’ audacia delle comparazioni e la “ pericolosità ” della teoria monogenetica furono recepite e criticate da Ascoli e Schuchardt in maniera diversa. 5 Cfr. le Notizie autobiografiche premesse da Trombetti all ’ opera presentata al concorso e riportate in Ballini 1938: XXXVIII - XLVIII ; per la vita di Trombetti si veda anche Campanelli 1961. 6 Fu poi aggiunto il primo dei due articoli a stampa, sotto forma di lettere indirizzate a Schuchardt: Trombetti 1902 - 1903. 7 Ci tengo a esprimere qui la mia gratitudine alla dott.ssa Susanna Panetta per avermi guidato nella consultazione durante la mia visita ai Lincei. 8 La corrispondenza con Schuchardt è trascritta e annotata in Hurch 2015. 9 Per la collocazione precisa delle lettere citate provenienti dall ’ Archivio Ascoli si veda Panetta 2014. Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 40 1. L ’ avvio della corrispondenza con Schuchardt Il risultato del concorso al Premio Reale di Filologia e Linguistica e la conseguente necessità di far conoscere il proprio profilo di studioso sono certo le ragioni alla base dell ’ avvio della corrispondenza con i due grandi linguisti. Trombetti scrive per primo, il 23 maggio 1902, a Schuchardt, con il pretesto di alcune informazioni bibliografiche e nel desiderio di sapere la sua opinione «sulle affinità del Basco e delle lingue del Caucaso con altri gruppi linguistici». 10 La disponibilità di Schuchardt spinge Trombetti, nelle lettere successive, a dilungarsi sui propri studi con grande ricchezza di esempi e a chiarire così la propria posizione sulle affinità delle lingue in questione. Queste prime lettere contengono il nucleo di quelle che saranno le due lettere a stampa Delle relazioni delle lingue caucasiche con le lingue camitosemitiche e con altri gruppi linguistici (1902 - 1903). Del resto, già nella seconda lettera del 7 giugno 1902, Trombetti esprime il desiderio di pubblicare i risultati delle sue ricerche e di dedicare il lavoro a Schuchardt. Riuscito a ottenere l ’ attenzione e senza dubbio l ’ interesse del linguista di Graz, è nella quinta lettera, datata 19 novembre 1902, che Trombetti manifesta chiaramente le sue convinzioni monogenetiche: «Per molti anni di studio indefesso (nei quali non pubblicai quasi nulla) io andai raccogliendo una infinità di fatti che mi condussero alla fermissima convinzione che nessun gruppo linguistico è isolato, ma tutti sono strettamente collegati fra di loro formando come una rete; sicché risulta estremamente probabile la monogenesi del linguaggio.» 11 Allo stesso tempo, Trombetti confida a Schuchardt le sue speranze relative al Premio linceo, chiedendogli un favore: «Ella mi può essere di grande aiuto. Ed ecco quale è il favore che Le chiedo: se, dopo la pubblicazione della Memoria, Ella crede di poter darne un giudizio favorevole, io La prego di farlo subito, acciocché il suo giudizio autorevolissimo mi possa giovare presso la Commissione che esaminerà i miei lavori; se invece il giudizio dovesse riuscire sfavorevole, Ella farà opera santa a ritardarlo finché non sarà noto l ’ esito del mio concorso, il che avverrà fra cinque o sei mesi. Così, nel primo caso Ella mi gioverebbe immensamente e nell ’ altro non mi pregiudicherebbe affatto. Naturalmente Ella sarebbe sempre liberissima di esprimere il suo pensiero senza alcun riguardo.» 12 10 A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Cuneo, 23 maggio 1902, in Hurch 2015. 11 A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Cuneo, 19 novembre 1902, in Hurch 2015. 12 Ibidem. Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 41 Dalle lettere del 26 novembre e del 3 dicembre, capiamo che Schuchardt rispose in maniera positiva e si offrì, inoltre, di dare il suo appoggio indiretto scrivendo ad alcuni amici italiani. 13 Sempre nella lettera del 26 Trombetti torna poi sulla questione della monogenesi, spiegando meglio la propria posizione: «Io odio le affermazioni a priori e non ho mai potuto capire (o l ’ ho capito assai bene) perché tanti glottologi o pseudoglottologi abbiano affermato la poligenesi del linguaggio. Chi potrà mai provare la poligenesi? Nessuno. Le coincidenze dicono molto, le divergenze non significano nulla, quando si ammette che la formazione del linguaggio risalga a tempi remotissimi. Purtroppo, in molti sostenitori della monogenesi hanno prevalso le idee religiose e - quel che è peggio - in molti sostenitori della poligenesi ha prevalso il desiderio di cogliere in fallo l ’ Antico Testamento. Ciò è male, molto male. La scienza deve ricercare solo il vero.» 14 La monogenesi è dunque per Trombetti l ’ unica ipotesi, in teoria, a poter essere dimostrata attraverso la metodologia scientifica di cui dispone la linguistica: questo perché solo le coincidenze possono dire qualcosa sulla storia delle lingue, mentre «le divergenze non significano nulla»; in altre parole, non è possibile dimostrare, attraverso il metodo comparativo, l ’ indipendenza di una lingua da un ’ altra. Si tratta, a mio avviso, di una posizione teorica molto interessante, che deriva da una definizione semplice ma chiara delle potenzialità e dei limiti della comparazione linguistica. Tuttavia, come si vedrà meglio nelle lettere di Ascoli, prima ancora della stessa idea monogenetica, furono proprio l ’ interpretazione e l ’ applicazione del metodo da parte di Trombetti a essere considerate non rigorose e a diventare così oggetto di critica. Pur nelle parole di Trombetti, la corrispondenza ci dà anche alcune indicazioni sulla posizione moderata di Schuchardt nei confronti della monogenesi linguistica e sulle critiche mosse all ’ autore italiano: «Il consiglio che Ella mi dà di non parlare troppo recisamente di monogenesi del linguaggio, è senza dubbio savio»; 15 e poi: «Mi fa piacere di vedere che Ella non è fra coloro che affermano la poligenesi»; 16 e ancora: 13 A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Cuneo, 26 novembre 1902, in Hurch 2015: «Io non osavo chiedere l ’ autorevolissimo suo appoggio presso gli amici influenti che Ella conta qui in Italia: Ella me lo offre - bene inteso nel caso che Le paia meritato - e io non so davvero come ringraziarla fin d ’ ora della buona disposizione di V. S. a mio riguardo». 14 Ibidem. 15 Ibidem. 16 Ibidem. Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 42 «Che la trattazione simultanea di più gruppi linguistici possa far cadere in errori grossolani, è certo e io avrò preso chissà quanti abbagli. Ma è innegabile che può darsi il caso che chi estende più in largo lo sguardo riesca a scoprire cose non scoperte prima da chi poteva figgere profondo lo sguardo in un campo ristretto.» 17 Questi e altri passi epistolari dimostrano che Trombetti trovò in Schuchardt, probabilmente per la prima volta nella sua vita, un interlocutore attento e interessato alle sue ricerche, con cui poter parlare apertamente delle proprie idee. Il linguista di Graz non risparmiò obiezioni critiche e metodologiche alle comparazioni trombettiane, invitandolo alla prudenza; tuttavia, come testimoniano anche alcuni suoi successivi scritti - su cui avrò modo di tornare - , l ’ intraprendenza di pensiero di Trombetti non gli dispiacque e lo colpì anzi positivamente. Le restanti lettere della corrispondenza che precedono l ’ assegnazione del Premio Reale portano avanti il dialogo con Schuchardt innanzitutto su temi linguistici, spesso attraverso la discussione di opere altrui, 18 e poi danno conto di nuovi campi di ricerca percorsi da Trombetti, come quello delle lingue americane. 19 Un punto di arrivo di questo intenso scambio è certo l ’ incontro tra i due studiosi, avvenuto a Genova nel maggio del 1903, come conferma la lettera del 14 dello stesso mese. 20 Trombetti torna infine in più occasioni su ciò che gli sta allora maggiormente a cuore, ossia l ’ esito del concorso di Linguistica e Filologia. È da notare che, nella 17 A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Cuneo, 3 dicembre 1902, in Hurch 2015. 18 La corrispondenza di Trombetti con Schuchardt merita senza dubbio uno studio approfondito anche solo per il panorama della linguistica del primo Novecento che si delinea attraverso le lettere. Riprendendo la differenza tra linguisti ‘ dialoganti ʼ e ‘ muti ʼ avanzata da Venier 2020, è possibile considerare Trombetti, così come Schuchardt, un linguista ‘ dialogante ʼ , dal momento che, come emerge bene dalla corrispondenza qui presa in esame, i suoi ragionamenti e le sue comparazioni linguistiche sono sempre sviluppati attraverso un aperto ed esplicito confronto con i lavori di altri studiosi. 19 A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Cuneo, 16 marzo 1904, in Hurch 2015: «Durante un mese circa di riposo che mi concessi pensai spesse volte alla materia che mi conveniva scegliere per futuri studi. L ’ essermi limitato all ’ esame delle lingue del mondo antico (compresa l ’ Oceania) era stata una necessità soggettiva non oggettiva, ché anzi, secondo i miei princípi, quella limitazione era affatto arbitraria e dannosa. Pensai quindi subito di passare nel campo delle lingue americane per completare le mie ricerche». 20 A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Genova, 14 maggio 1903, in Hurch 2015: «Sono venuto qui pel desiderio di fare la Sua conoscenza personale. Se mi sarà concesso, salirò a bordo del Rhein prima dello sbarco dei passeggeri. Se non mi sarà concesso, cercherò di farle pervenire la presente, affinché Ella sappia il mio recapito (Convitto Nazionale Cristoforo Colombo). Ella dovrebbe solo avere la bontà di farmi poi sapere dove potrei vederla». Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 43 lettera del 1° gennaio 1904, Trombetti si lamenta di non conoscere ancora la composizione della Commissione del Premio e ne chiede notizia a Schuchardt. In realtà, a quell ’ altezza cronologica Trombetti era già a conoscenza della nomina di Schuchardt a membro estero, avendolo saputo da Ascoli. 21 Pochi mesi prima, aveva infatti preso avvio la corrispondenza con il glottologo di Gorizia, su cui alcune informazioni emergono già dalle lettere a Schuchardt. Nella lettera del 3 dicembre del 1902, per esempio, Trombetti si augura di rimettersi presto in corrispondenza con il maestro italiano, 22 mentre, circa un anno dopo, riferisce a Schuchardt di un loro incontro: «Il 24 gennaio ebbi occasione di recarmi a Milano. Naturalmente il mio primo pensiero fu di visitare l ’ Ascoli. Il venerando Maestro mi accolse come meglio non avrei potuto disiderare e mi trattenne per quasi due ore incantandomi con la lucidità della sua mente e con la bontà d ’ animo che traspariva dal suo volto e dalle sue parole. Solo Le dirò che io, lasciandolo, ero commosso e nello stesso tempo pieno di gioia per averlo veduto e per le parole che Egli mi disse.» 23 Come mostrerò nei prossimi paragrafi, il rapporto di Trombetti con Ascoli fu in realtà molto più difficile di quanto questa idilliaca rievocazione a Schuchardt possa lasciare immaginare. 2. Ascoli, maestro rigoroso Dalle notizie biografiche premesse ai Nessi genealogici fra le lingue del mondo antico, così come da una lettera a Schuchardt del 3 dicembre 1902, sappiamo che Trombetti scrisse per la prima volta ad Ascoli nel 1898, inviandogli alcune pagine in tedesco sul nesso ario-semitico. Ne ottenne una risposta benigna, che lo incoraggiava a proseguire i suoi studi: «Mio riverito signore, Mi raggiungono in questa solitudine la cortese sua lettera del 4 p. p. e i due fogli di stampa che la accompagnavano, e io resto ammirato del suo molto e gagliardo sapere, del suo acume incisivo e della rara abilità con la quale maneggia la 21 A. Trombetti, Lettera a G. I. Ascoli, Cuneo, 22 febbraio 1904, Archivio Ascoli: «Tempo fa scrissi al Prof. Schuchardt (senza dirgli che io lo sapeva membro della Commissione) [. . .]». 22 A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Cuneo, 3 dicembre 1902, in Hurch 2015: «[. . .] spero anche di poter rimettermi in corrispondenza con l ’ illustre Ascoli, il quale mi incitò vivamente alcuni anni fa a proseguire certi miei raffronti fra le lingue indoeuropee e le camitosemitiche». 23 A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Cuneo, 1° febbraio 1904, in Hurch 2015. Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 44 lingua tedesca. Superfluo soggiungere che io non posso non augurare che la S.V. continui imperterrita per la via nobilissima in cui si è messa con tanto coraggio. Non tutto vorrà persuader tutti, né così di subito; ma un ’ investigazione così penetrante, come è la Sua, non può di certo cadere invano.» 24 Tuttavia, un ’ effettiva corrispondenza con il linguista di Gorizia cominciò solo in vista dell ’ assegnazione del Premio Reale di Filologia e Linguistica. La prima lettera conservata nell ’ Archivio dei Lincei - che fu preceduta da almeno altre due lettere di cui non resta traccia - risale al 1° marzo 1903. Trombetti ripercorre qui il percorso che dal suo studio del 1898 sul nesso ario-semitico lo ha portato ad allargare il campo d ’ indagine con l ’ intenzione di provare «la connessione di tutte le lingue dell ’ Africa da una parte e di tutte quelle dell ’ Eurasia e dell ’ Oceania dall ’ altra». 25 La lacuna tra questi due grandissimi gruppi è a suo avviso colmata dalle lingue caucasiche. Questa prima parte della lettera serve a Trombetti a giustificare il suo «ardimento di avere ricercato i nessi genealogici fra tutte le lingue del mondo antico» 26 nell ’ opera presentata al concorso linceo. A differenza di quanto fatto con Schuchardt, Trombetti parla poi subito ad Ascoli dei sacrifici sostenuti fino ad allora per portare avanti i suoi studi e della conseguente importanza che ha per lui l ’ esito del concorso. La corrispondenza del 1903 conta ancora una lettera del 16 aprile, breve e di scarso interesse. Vale invece la pena di portare l ’ attenzione sulle prime due lettere dell ’ anno successivo, datate 22 febbraio e 19 marzo 1904, le quali seguono il già citato incontro milanese con Ascoli. Dopo aver manifestato nuovamente le sue ansie e preoccupazioni per il concorso, Trombetti tratta della necessità di apportare «non pochi mutamenti» 27 al lavoro presentato per il Premio, dato che nel frattempo ha accumulato e ordinato nuovo materiale, tra le altre cose, intorno all ’ indoeuropeo. Nella restante parte della lettera del 22 febbraio e in quella del 19 marzo, l ’ autore tenta così la dimostrazione della vicinanza dell ’ indoeuropeo ad altri gruppi linguistici, attraverso la considerazione dell ’ se mindoeuropei quali prefissi e una ricca comparazione di forme provenienti da numerose lingue. Della risposta di Ascoli resta ai Lincei la minuta, molto trafficata e di difficile lettura, datata 4 aprile 1904. Ne riporto due stralci che rendono abbastanza bene la posizione di Ascoli: 24 Ascoli rispose da Vetta del Generoso l ’ 8 settembre 1898; la lettera è citata in Ballini 1938: XLVI - XLVII . 25 A. Trombetti, Lettera a G. I. Ascoli, Cuneo, 1° marzo 1903, Archivio Ascoli. 26 Ibidem. 27 A. Trombetti, Lettera a G. I. Ascoli, Cuneo, 22 febbraio 1904, Archivio Ascoli. Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 45 «Guar[dan]do poi con maggior larghezza l ’ obietto della nostra speculazione, venivo [nel corso del nostro colloquio di gennaio] a significare che le affinità, più o meno saltuarie, tra i diversi gruppi linguistici non le avremo già a imaginare, in generale, come semplici effetti dell ’ evoluzione diretta e continua [di] una medesima sostanza, ma ben piuttosto come d ’ intercorrenze di filoni comunque originali e determinati dalla vicenda dell ’ umanità.» 28 «Nelle sue preziose lettere Ella ora salta a connettere codesti ‘ prefissi ’ coi fenome[ni] della reduplicazione. Misericordia! Gli è, direi, con tutto il rispetto, come prendere il romanzo all ’ ennesima potenza, per poi sentenziar: Ecco la storia vera, la storia autentica.» 29 Ulteriori indicazioni sulle secche critiche avanzate dal glottologo vengono dalla lunga e remissiva lettera di Trombetti del 7 aprile, in cui l ’ autore torna sui propri passi: «Le confesso che, al leggere la Sua critica così giusta alle mie fantasticherie glottologiche, rimasi come stordito e da due giorni sono scontento di me stesso, tanto più che l ’ avere presentato a Lei quella farragine di ipotesi potrebbe sembrare cosa meno che rispettosa [. . .]. Spero tuttavia che per l ’ avvenire riuscirò sempre più a frenare la fantasia e che anch ’ io troverò la via per la quale potrò metodicamente lavorare con quella fede e con quell ’ ardore che fino ad ora non mi hanno abbandonato e che spero non mi abbandoneranno mai. Ed Ella, venerando Maestro, avrà il merito di aver cooperato a compiere l ’ utile trasformazione; poiché Le assicuro che la Sua frase (che Ella dice esagerata, e non è) ha prodotto in me come una crisi benefica, ammonendomi che è ormai tempo di lasciare il romanzo per la storia.» 30 Nella primavera del 1904 ci fu quindi un primo attrito, privato ma esplicito, tra Ascoli e Trombetti, che quest ’ ultimo cercò poi di appianare con un aperto mea culpa. Come mostrerò a breve, nonostante alcuni dubbi e perplessità, all ’ inizio del 1904 Ascoli aveva di fatto già deciso, d ’ accordo con Schuchardt, l ’ assegnazione del Premio al linguista bolognese. Le due lettere successive al loro incontro milanese (in cui Trombetti si avventurava in comparazioni di lingue distantissime tra loro, reinterpretando alcuni elementi indoeuropei e lasciando intravvedere il punto di arrivo del suo pensiero, cioè la monogenesi linguistica) dovettero convincere Ascoli a intervenire con una risposta dura, nel tentativo e nella speranza di frenare l ’ applicazione indiscriminata di una metodologia per lui inaccettabile e di 28 G. I. Ascoli, Minuta ad A. Trombetti, s. l., 4 aprile 1904, Archivio Ascoli. 29 Ibidem. 30 A. Trombetti, Lettera a G. I. Ascoli, Cuneo, 7 aprile 1904, Archivio Ascoli. Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 46 riportare così il giovane linguista sulla ‘ retta via ’ . Se Schuchardt poteva apprezzare, innanzitutto come stimolo alla ricerca, l ’ audacia di alcune comparazioni trombettiane, anche perché sostenute da un ’ ammirevole conoscenza di moltissime lingue del globo, Ascoli non era invece disposto ad accettare affermazioni non rigorose: queste gli apparivano come fantasie, non solo prive di qualsiasi fondamento scientifico, ma anche ‘ pericolose ’ per l ’ Accademia che lui stesso rappresentava e per la serietà del Premio che a inizio giugno sarebbe stato assegnato. 3. Il dialogo tra Ascoli e Schuchardt Prima di vedere quanto successe dopo il conferimento del Premio e la pubblicazione dell ’ Unità d ’ origine del linguaggio, in questo paragrafo mi soffermerò sulla corrispondenza di quegli anni tra Ascoli e Schuchardt, anch ’ essa disponibile online sul sito dell ’ Hugo Schuchardt Archiv. 31 La prima menzione di Trombetti si trova in una lettera di Schuchardt del 22 febbraio 1903, con cui il linguista di Graz onora quanto promesso proprio a Trombetti nel novembre precedente, circa il suo tentativo di appoggio presso alcuni colleghi italiani: «Noch mehr interessiere ich mich für eine andere Angelegenheit, die, wenn nicht ausschliesslich, doch wohl zum wesentlichsten Teil in Ihren Händen liegt. Ich meine die Entscheidung über die Arbeit Trombettis, mit welcher er sich um den grossen Preis der Lincei bewirbt. Er ist im verflossenen Sommer mit mir in Briefwechsel getreten und hat dann, mit meiner Erlaubniss, einen offenen Brief im Giornale della Società asiatica an mich gerichtet. Ich hege den Wunsch darauf zu erwidern, und muss es auch; denn in Bezug auf die allgemeinen Probleme fallen unsere Standpunkte doch nicht ganz wie man vielleicht nach seinem Briefe annehmen könnte, zusammen und ich habe den meinigen erst noch darzulegen; sodann bleibt mir auch im Einzelnen Manches zu bemerken. Ich werde aber die Entscheidung bezüglich des Preises abwarten, um nicht etwa irgend ein Vorurteil gegen ihn hervorzurufen. Schon jetzt aber kann ich sagen dass seine Kenntniss der Sprachen und der sprachwissenschaftlichen Litteratur mich in helle Bewunderung versetzt haben; selbst da wo ich nicht seiner Meinung bin, z. B. hinsichtlich einiger Erscheinungen die das Georgische ihm zufolge mit andern Sprachen gemein hat, muss ich seiner Sorgfalt und seinem Scharfsinn volle Anerkennung zollen. Es scheint mir dass solche Kenntnisse, 31 Lichem/ Würdinger 2013. Sui rapporti di Schuchardt con Ascoli si rimanda anche a Lichem 1995 e Melchior/ Schwägerl-Melchior 2018. Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 47 Fähigkeiten und Bestrebungen eine nachdrückliche Unterstützung verdienen. Vielleicht haben Sie die Güte mir mitzuteilen wann die betreffende Entscheidung fallen wird.» 32 Come si può notare nella seconda parte di questo lungo passo, dopo aver precisato la necessità di rispondere pubblicamente alla lettera indirizzatagli da Trombetti sul «Giornale della Società Asiatica Italiana», Schuchardt si espone in maniera esplicita con Ascoli, dichiarando la sua ammirazione per la conoscenza delle lingue e della letteratura linguistica da parte dell ’ autore italiano, e rendendo omaggio «alla sua diligenza e al suo acume». Nel gennaio del 1903 la Commissione giudicatrice del Premio non era ancora stata nominata ufficialmente: lo fu soltanto nel luglio di quell ’ anno. 33 L ’ autorevole parere di Schuchardt arrivò dunque ad Ascoli prima che questi avesse potuto iniziare a leggere i lavori presentati da Trombetti: il che potrebbe ragionevolmente aver poi influito, almeno in una prima fase, sulla sua stessa valutazione. Nella sua risposta del 14 aprile 1903, oltre a spiegare di non essere per il momento entrato nella Commissione del Premio, Ascoli informa Schuchardt dell ’ avvio della sua corrispondenza con Trombetti. Quanto a un possibile appoggio, risponde in maniera diplomatica: «Superfluo che io vi dica, quanta consolazione per me sarebbe il poter giovare all ’ ottimo Trombetti! ». 34 Nell ’ autunno del 1903 la situazione si è ormai definita: tanto Ascoli quanto Schuchardt sono stati nominati membri della Commissione. Il 12 novembre il linguista di Graz chiede infatti ad Ascoli quando riceverà l ’ opera di Trombetti e domanda chiarimenti sulla lingua in cui dovrà stendere la propria relazione. 35 Ascoli risponde il 14, da Milano, scrivendogli: «Due dei quattro volumi manoscritti del Trombetti, ho finito di studiarli nello scorso mese, e a quest ’ ora saranno probabilmente nelle mani vostre»; e poi aggiunge: «Mi pare, che intanto vi potreste disporre a scrivere in tedesco. Se poi occorrerà di voltare il vostro tedesco in italiano, ci riusciremo senza molto vostro disturbo». 36 Il discorso intorno a Trombetti riprende a fine dicembre, quando i due linguisti si interrogano innanzitutto sulla tipologia della relazione di Schuchardt 32 H. Schuchardt, Lettera a G. I. Ascoli, Assouan, 22 febbraio 1903, in Lichem/ Würdinger 2013. 33 Cfr. G. I. Ascoli, Minuta a E. Mancini, Milano, 12 luglio 1903, Archivio Ascoli: «Egregio Signore, / Mi rassegno a far parte della Commissione pel Premio Reale di Filologia e Linguistica, benché la nomina ritardata e il termine anticipato minaccino di renderne il lavoro assai malagevole e affannoso». 34 G. I. Ascoli, Lettera a H. Schuchardt, Milano, 14 aprile 1903, in Lichem/ Würdinger 2013. 35 H. Schuchardt, Lettera a G. I. Ascoli, Graz, 12 novembre 1903, in Lichem/ Würdinger 2013. 36 G. I. Ascoli, Lettera a H. Schuchardt, Milano, 14 - 15 novembre 1903, in Lichem/ Würdinger 2013. Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 48 (che alla fine considererà solo l ’ opera di Trombetti e non quelle degli altri concorrenti) e discutono poi della necessità di confrontare i loro giudizi. Già nella lettera del 23 dicembre 1903, Schuchardt ribadisce il suo apprezzamento: «So viel kann ich allerdings schon jetzt sagen dass mein anfängliches aus Trombettis Briefen an mich (die gedruckten inbegriffen) gewonnenes Urteil bis jetzt keine wesentliche Änderung erfahren hat. Ich sehe nur eine grosse Schattenseite: die Wahl des Themas»; 37 salvo poi proporre ad Ascoli, il 5 gennaio 1904, di astenersi da una scambio di opinioni («Werden Sie es mir verübeln wenn ich Ihnen vorschlage dass wir von dem bewussten Austausch absehen? »). 38 Tuttavia, Ascoli sente il bisogno di un confronto e pochi giorni dopo, il 9 gennaio, risponde così al collega tedesco: «In me è vivissimo il desiderio che il Trombetti sia premiato, e viva la persuasione che gli spetti il premio tutt ’ intiero, la persuasione cioè che non v ’ abbia un altro concorrente del quale si possa ragionevolmente affermare ch ’ egli pure lo meriti tutt ’ intiero (nel qual caso, il premio andrebbe diviso in due parti uguali; unica spartizione che sia ammessa). - I difetti, anche organici, del lavoro del Trombetti, non sono pochi, né lievi. Ma si tratta di un lavoro grandioso, che rivela una potenza intellettuale e una operosità, degne dell ’ ammirazione degli studiosi. E il sicuro costrutto del poderoso tentativo mi par questo: che ne risulti o ne sia accresciuto il convincimento dell ’ utilità generale di un ’ esplorazione comparativa, per la quale si oltrepassino i limiti di quegli aggruppamenti di favelle che dipendono dalla dimostrazione dell ’ identità primordiale del loro intiero organismo. Questo è, suppergiù, il mio parere lungamente crogiolato. Ma sono inquieto. Non mi fido abbastanza dei miei criterj, e sento, che se il Trombetti non fa molti ritocchi al suo lavoro, la stampa ne potrà provocare opposizioni e censure clamorose, massime da parte dei ‘ routiniers ’ ; 39 sì che taluno possa poi credere che il premio abbia compromesso i giudici e l ’ istituzione. Ho perciò bisogno io stesso del conforto di un giudizio come il vostro, che vale cento volte il mio.» 40 37 H. Schuchardt, Lettera a G. I. Ascoli, Graz, 23 dicembre 1903, in Lichem/ Würdinger 2013. 38 H. Schuchardt, Lettera a G. I. Ascoli, Graz, 5 gennaio 1904, in Lichem/ Würdinger 2013. 39 Con questo termine Ascoli si riferisce probabilmente a quegli studiosi che, abituati a un certo universo di idee linguistiche, a una routine appunto, avrebbero criticato pesantemente il lavoro di Trombetti, senza riuscire a coglierne le novità. Cfr. la definizione del termine routine in Panzini 1918: routine: «voce francese da route = rotaia, carreggio, carreggiata, poi, col traslato consueto de ’ francesi, pratica, abitudine, o tradizione che fa ripetere automaticamente la stessa cosa, anche se la ragione emenda e rinnova. Dicesi specialmente per significare la pratica e la procedura degli uffici; voce fatta italiana in rotina». 40 G. I. Ascoli, Lettera a H. Schuchardt, Milano, 9 gennaio 1904, in Lichem/ Würdinger 2013. Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 49 Si tratta di una lettera fondamentale perché da un lato chiarisce la valutazione positiva di Ascoli sul lavoro di Trombetti, di cui, pur con i suoi limiti, riconosce apertis verbis la grandiosità; dall ’ altro lato evidenzia quelle inquietudini del glottologo goriziano che nei mesi successivi sfoceranno privatamente, come abbiamo visto, in una critica a Trombetti sulle sue modalità di comparazione delle forme linguistiche. Schuchardt risponde il 12 gennaio, rassicurando Ascoli («Was Sie in Betreff der Arbeit Tr. ’ s sagen, ist mir aus der Seele gesprochen; ich bin eines mit Ihnen in Ansicht und Wunsch») ed esprimendo a sua volta ammirazione («Geradezu unbegreiflich erscheint es mir wie Tr. in seiner Lage sich von der sprachwissenschaftlichen Litteratur eine so gründliche Kenntnis hat verschaffen können; er hat selbst deutsche Bücher die man hierzulande nur schwer zu Gesichte bekommt, benutzt»). 41 Le restanti lettere della corrispondenza non aggiungono novità ai giudizi dei due autori. Segnalo solo che nella lettera del 27 gennaio 1904 Ascoli informa Schuchardt di essersi «arreso», durante l ’ incontro avuto con Trombetti, a confidargli il suo parere e a dargli un sunto di quanto scriverà nel rapporto della Commissione. 42 Per quanto riguarda invece Schuchardt, accennando alla sua relazione per il concorso, il linguista esprime a più riprese l ’ entusiasmo per il lavoro di Trombetti. Per esempio, nella lettera del 1° aprile 1904 si legge: «Sodann wünschte ich Ihnen zu sagen dass mich die Leistung Tr. ’ s mit Bewunderung, ja mit Begeisterung erfüllt hat - er muss den Preis ganz erhalten oder irgend ein Äquivalent; wenigstens kann ich mir nicht vorstellen, wie irgend eine der andern Arbeiten sich mit der seinigen zu messen vermöchte: - Sie sehen dass ich keine Zeit gefunden habe, mein Antwortschreiben an Tr. für den Druck vorzubereiten, es wird, wenn überhaupt, nach der Entscheidung der Kommission (Mai? ) erscheinen - ich denke es auf eigene Kosten in 100 - 200 Exemplaren drucken zu lassen.» 43 41 H. Schuchardt, Lettera a G. I. Ascoli, Graz, 12 gennaio 1904, in Lichem/ Würdinger 2013. 42 Cfr. G. I. Ascoli, Lettera a H. Schuchardt, Milano, 27 gennaio 1904, in Lichem/ Würdinger 2013: «Jerlaltro è qui piombato d ’ improvviso il Tr., per tenere una pubblica conferenza. Desiderò molto di vedermi e io lo trattenni a lungo, arrendendomi, un po ’ alla volta, a dirgli tutto quanto penso del suo lavoro e a dargli come un sunto del parere che presenterò alla Commissione. Confidavo e confido nella sua discrezione». 43 H. Schuchardt, Lettera a G. I. Ascoli, Graz, 1° aprile 1904, in Lichem/ Würdinger 2013. Ascoli risponde in data 14 aprile: «Il Trombetti avrà un grande giovamento dal vostro così splendido giudizio». Schuchardt non pubblicherà poi una risposta pubblica alle due Lettere di Trombetti 1902 - 1903. Il giudizio di Schuchardt inviato alla Commissione si legge in Ballini 1938: XLIX - LIV . Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 50 A proposito di successive pubblicazioni, vale la pena di ricordare che Schuchardt, negli anni e nei decenni seguenti, non mancò di citare i lavori di Trombetti e di commentare le sue posizioni monogenetiche, lasciando, pur nella critica, sempre trasparire il suo interesse. Si consideri quanto il glottologo tedesco scrisse nel saggio Sprachursprung. I. del 1919, affrontando la questione monogenesi vs poligenesi: «Trombetti tritt kraftvoll und hartnäckig für die erstere ein; aber er erweist sie nicht, weil sie nicht zu erweisen ist. Doch auch die andere ist nicht zu erweisen; kurz gesagt, die Frage darf gar nicht in der Entweder-oder-Form gestellt werden, die Lösung liegt in dem Sowohl-als-auch. Dank seiner unüberbietbaren Ausrüstung hat Trombetti der Sprachwissenschaft die weitesten und fruchtbarsten Ausblicke eröffnet; für das von ihm erstrebte Endziel hat sie versagt. Der Stoff gehört fast seinem ganzen Umfang nach der Gegenwart an; nur an wenigen Stellen reicht er einige Jahrtausende zurück, und auch dieser Zeitraum ist sehr klein im Verhältnis zu dem, den das Dasein der Sprache überhaupt einnimmt.» 44 44 Schuchardt 1928: 254. Altre riflessioni interessanti sull ’ opera di Trombetti si leggono nel saggio del 1917 Sprachverwandtschaft (cfr. Schuchardt 1928: 200 - 201). Si considerino anche le reazioni del linguista italiano: A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Bologna, 1 o marzo 1916, in Hurch 2015: «Ho ricevuto da parecchi giorni i suoi scritti ‘ Sprachverwandtschaft ʼ , ‘ Sprachursprung I, II ʼ e altre cose, e di tutto La ringrazio cordialmente. [. . .] Il giudizio che Ella dà in ‘ Sprachverw. ʼ , che cioè io abbia saputo congiungere assennatezza e ardimento, è, secondo il mio modo di vedere, il più equo e quello che maggiormente io potrei ambire. Anche in principio di ‘ Sprachursprung ʼ vi è un giudizio molto lusinghiero»; si veda anche, nella stessa corrispondenza, la lettera del 20 dicembre 1917, scritta da Bologna: «L ’ ultimo suo scritto dimostra come Ella sia sempre pronto a sostenere imparzialmente le ragioni della verità e della scienza, contribuendo autorevolmente a dissipare l ’ indifferenza e i pregiudizi con cui da molti viene considerata l ’ opera mia. Il giudizio che ella esprime a pag. 528 è per me di grande conforto. So di avere intrapreso un ’ opera ardita, ma mi sforzo sempre più di non allontanarmi dalla necessaria prudenza». L ’ opinione positiva, anche tra molte voci critiche, che Schuchardt mantenne sempre di Trombetti è confermata da fonti indirette. Si veda, per esempio, quanto gli scrivevano W. Streitberg e J. Wackernagel rispettivamente in due lettere datate 1 o marzo 1925 e 4 gennaio 1926, a proposito del suo saggio Das Baskische und die Sprachwissenschaft (1925) in cui aveva lodato le ricerche di Trombetti: «Ihrer Schätzung Trombettis vermag ich freilich auch heute noch so wenig zuzustimmen wie zur Zeit seines ersten Auftretens. / Mir scheint, ihm fehlt der feste Boden unter den Füßen» (cit. da Seldeslachts-Swiggers 1994: 295) e «Sie werden es mir zu Gute halten, wenn ich nicht allen Urteilen folgen und z. B. die hohe Einschätzung Trombetti ’ s vorerst nicht teilen kann» (cit. da Muller- Swiggers 1990: 172). Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 51 4. L ’ unità d ’ origine del linguaggio e il risentimento di Ascoli Il Premio Reale di Filologia e Linguistica fu conferito a Trombetti il 5 giugno 1904, nel corso dell ’ adunanza solenne dell ’ Accademia dei Lincei tenuta al cospetto del Re. 45 La vittoria segnò una svolta fondamentale nella vita e nella carriera del linguista: oltre a garantirgli una ricompensa in denaro di 10.000 £, gli permise sia di avere accesso all ’ insegnamento universitario, sia di poter pubblicare il proprio lavoro. Come mostrerò a breve, entrambi i punti furono occasione di nuovi attriti con Ascoli. Per quanto riguarda la cattedra universitaria, va innanzitutto ricordata una lettera di raccomandazione dello stesso Ascoli, scritta a nome di tutti i membri della Commissione giudicatrice e indirizzata il 7 giugno al Ministro Orlando. Nella minuta conservata ai Lincei si legge la seguente richiesta: «[. . .] se a V. E. piacesse di trasferire il Tr. dal Liceo di Cuneo a un liceo che si trovi in sede universitaria, a Bologna, per esempio, cioè nella regione che è patria del Tr., e di conferirgli insieme un incarico nell ’ Università, il quale si potrebbe intitolare di Scienza del Linguaggio». 46 La risposta del Ministro arriva, via telegramma, il 12 giugno, andando, nel fatto compiuto, molto al di là non solo delle speranze di Trombetti, ma probabilmente anche dei desideri di Ascoli: «[. . .] godo comunicarle Sua Maestà firmato decreto che nomina il Trombetti Professore ordinario». 47 La cattedra affidata a Trombetti fu quella di Filologia semitica. Quello stesso giorno la notizia è data telegraficamente a Trombetti, 48 a cui Ascoli riscrive poi il 16 giugno, con una lettera che, rifacendosi ai loro colloqui precedenti, lo invita ora, ancor più di prima, a una grande prudenza: «Ora la prova, la gran prova è superata; e subentra il periodo della più solenne prudenza, il periodo di quella meditazione profonda e calma, di cui già parlammo e per lettera e di viva voce. Ella ne riuscirà un lottatore pronto al trionfo, per gloria Sua e del paese; ma un lottatore diverso da quello che gli amici improvvidi ora fanno di Lei. Questa è la speranza de ’ Suoi giudici di prima istanza, ed è certamente una speranza che non sarà prostrata. [. . .] Non so s ’ Ella sappia d ’ essere (e io me ne glorio) il mio successore nell ’ Univ. di Bologna. Il Farini, per Sua bontà, mi aveva cioè nominato a quella cattedra ‘ semitica ’ , la quale mi fu commutata nella cattedra ‘ indoeuropea ’ di Milano, per 45 La relazione, letta da Ascoli, fu poi stampata in Rendiconto 1904. 46 G. I. Ascoli, Minuta a V. E. Orlando, s. l., 7 giugno 1904, Archivio Ascoli. 47 V. E. Orlando, Telegramma a G. I. Ascoli, 12 giugno 1904, Archivio Ascoli. 48 G. I. Ascoli, Telegramma ad A. Trombetti, 12 giugno 1904, Archivio Ascoli. Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 52 effetto di una mia ansiosa lettera, riscontrata con pronta e grande generosità dal Mamiani [. . .] 49 Sciolgo ora formalmente la promessa alquanto scherzosa, con la quale m ’ impegnavo, sin dal gennajo scorso (cioè sin dal giorno in cui nel mio cortile s ’ è congelato il nostro ottimo Brambilla), di farle vedere un mio sgorbio monogenetico scritto quarantacinque anni or sono. I due saggiuoli, 50 coi quali apersi il secondo degli ‘ Studj critici ’ , mi par che le possano importare maggiormente; ma nella libreria di Bologna Ella ritrova certo quel volumaccio.» 51 Si noterà, oltre al ricordo di quanto successo nel 1860 alla “ sua ” cattedra di Filologia semitica dell ’ Università di Bologna, la definizione di un suo giovanile scritto, quale «sgorbio monogenetico», che sembra suonare come un monito a Trombetti. La preoccupazione per l ’ assegnazione di una cattedra di cui Trombetti non era specialista dovette spingere Ascoli a tornare varie volte sull ’ argomento. Le lettere di Trombetti di giugno e luglio contengono infatti ripetute giustificazioni e rassicurazioni in questo senso. Per esempio, ancora nella lettera del 21 luglio 1904, Trombetti scrive: «Ho quindi ragione di sperare che il titolo sarà mutato. Tuttavia, avendo io accettato la cattedra di filologia semitica ed essendo e volendo rimanere onesto, farò di tutto per non venir meno al mio dovere, anche nel caso che il mutamento del titolo non potesse farsi [. . .]. Non mi sfugge quanto grande sia la responsabilità che mi sono assunta e sento fortemente il dovere di corrispondere pro viribus alla fiducia riposta in me dal Ministro. [. . .] Quanto alle esercitazioni antimetodiche, è superfluo che io L ’ assicuri essere mia ferma intenzione di escluderle affatto dalla scuola; ma è egualmente superfluo il notare che non in tutti i gruppi linguistici è possibile finora l ’ applicazione di metodi rigorosi, e che l ’ opera mia - come scrisse lo Schuchardt - ‘ non può né vuole avere un carattere definitivo, ma soltanto iniziativo ’ ». 52 49 Cfr. Bolelli 1962: 381: «Alla fine del 1860 gli veniva offerta con decreto di L. C. Farini, confermato da T. Mamiani, la cattedra di lingue semitiche all ’ università di Bologna. L ’ A., tuttavia, rifiutò, ma accettò l ’ anno seguente presso l ’ Accademia scientifico-letteraria di Milano la cattedra di “ grammatica comparata e di lingue orientali ” che si sarebbe poi chiamata, per suo suggerimento, “ storia comparata delle lingue classiche e neolatine ” . Era la prima cattedra di linguistica scientifico-comparativa in Italia». 50 Si tratta dei saggi La paleontologia della parola e Lignana, Camarda, Albanesi e Slavi nel Molise, in Ascoli 1877: 1 - 30 e 31 - 82. 51 G. I. Ascoli, Minuta ad A. Trombetti, s. l., 16 giugno 1904, Archivio Ascoli. 52 A. Trombetti, Lettera a G. I. Ascoli, Cuneo, 21 luglio 1904, Archivio Ascoli. Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 53 Nel frattempo, alla questione della cattedra di Filologia semitica si era intrecciata quella della pubblicazione dell ’ opera di Trombetti. In quanto vincitori del concorso, i Nessi genealogici fra le lingue del mondo antico potevano essere pubblicati a spese dell ’ Accademia. Non a caso, già il 9 giugno 1904, il Presidente dei Lincei, Pietro Blaserna, aveva chiesto ad Ascoli se il lavoro di Trombetti necessitasse ritocchi in vista della stampa, 53 ricevendo la seguente risposta: «Ho sempre dichiarato ai colleghi della Commissione e allo stesso Autore, che il lavoro del Trombetti, con giusta predilezione encomiato e premiato da ’ Lincei, non poteva tuttavolta essere pubblicato, in nessuna sua parte, senza profonde mutazioni. Pubblicato che fosse, tutto o in parte, come ora sta, ho sempre detto e scritto, anche all ’ autore, che ne potrebbero sorgere «opposizioni e censure così clamorose, da far parere che il premio abbia compromesso i giudici e l ’ istituzione». E il Trombetti non solo ha sempre riconosciuto che io diceva giusto, ma insieme ha sempre dichiarato, che di gran parte del lavoro mandato al concorso, a Lui non rimaneva alcuna sicura traccia, poiché eran pagine messe insieme lì per lì, come nell ’ impeto di un primo abbozzo.» 54 Anche in questo caso, arrivò però in maniera un po ’ inaspettata l ’ intervento del Ministro Orlando e del Re d ’ Italia. Nella sua lettera del 21 giugno 1904 Trombetti informa infatti Ascoli della notizia, ricevuta il giorno precedente, che «S. M. il Re intende promuovere a sue spese la pubblicazione» 55 dei Nessi genealogici; il che - aggiungerei subito - costituiva per Trombetti un grandissimo vantaggio, perché, sollevando l ’ Accademia dei Lincei dal finanziamento del suo scritto, allontanava anche la possibilità di controllo sul testo da parte dei membri della Commissione giudicatrice. Non stupisce che in questa e nelle lettere seguenti Trombetti rassicuri Ascoli anche su questo punto, scrivendo tra l ’ altro: «Io sono desiderosissimo di consigli e di correzioni, e nella mia mente ho già fatto tesoro di tutte le osservazioni contenute nella Sua Relazione e in quella del Prof. Schuchardt nonché di tutte le altre osservazioni scritte e orali che Ella si compiacque di fare al mio lavoro». 56 Le agitazioni e le insofferenze che caratterizzarono il rapporto di Trombetti e Ascoli nell ’ estate del 1904 sono in qualche modo riassunte dal primo in una lettera a Schuchardt del 10 agosto, di cui è importante riportare un lungo passo: «A Bologna, ove per la prima volta sentii parlare della cattedra di “ filologia semitica ” destinata a me, io protestai subito che essa non mi conveniva e che il 53 P. Blaserna, Lettera a G. I. Ascoli, Roma, 9 giugno 1904, Archivio Ascoli. 54 G. I. Ascoli, Minuta a P. Blaserna, s. l., s. d., Archivio Ascoli. 55 A. Trombetti, Lettera a G. I. Ascoli, Cuneo, 21 giugno 1904, Archivio Ascoli. 56 A. Trombetti, Lettera a G. I. Ascoli, Cuneo, 21 luglio 1904, Archivio Ascoli. Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 54 titolo del mio insegnamento avrebbe dovuto essere “ Scienza del Linguaggio ” (titolo proposto dall ’ Ascoli, ma non per la cattedra d ’ ordinario, bensì per un incarico - il Ministro invece volle fare di più). Ricevetti le più ampie assicurazioni dalla Facoltà di Lettere della Università di Bologna che il titolo sarebbe stato accettato. Io non credetti di dover rifiutare la nomina onorifica, tanto più che tutti (e ultimamente perfino il Re) mi assicurarono che nessuno avrebbe posto limiti al mio insegnamento. Non così il venerando professore Ascoli, il quale mi fece varie obiezioni. Risposi che speravo nel promesso mutamento del titolo; ma che, ad ogni modo, avendo io accettato la filologia semitica e volendo restare onesto, ove quel mutamento non potesse farsi, mi metterei in grado di sostenere l ’ insegnamento a qualunque costo, a costo anche di rovinarmi la salute. Intanto comincerei con la glottologia semitica, che è pure una parte della filologia semitica (quantunque l ’ Ascoli la dica parte impercettibile). Più grave e complicata è la faccenda della pubblicazione del mio lavoro. La R. Accademia dei Lincei ha il diritto di pubblicare i lavori premiati che siano manoscritti. Ora, nel mio caso, il Re si è degnato di fornire il denaro occorrente, denaro di cui forse non potrebbe disporre l ’ Accademia. Al prof. Ascoli io promisi che, qualora il mio lavoro avesse avuto l ’ onore della stampa, io l ’ avrei riveduto da capo a fondo per migliorarlo sotto tutti gli aspetti, mettendo a profitto le osservazioni contenute nella Relazione della Commissione, quelle contenute nella Sua relazione non pubblicata (ma di cui ebbi comunicazione privata) nonché tutte le altre osservazioni che l ’ Ascoli benevolmente mi fece a voce e in iscritto. Tutto questo io promisi all ’ Ascoli e sono fermamente risoluto di farlo; ma, non so perché, l ’ Ascoli da un po ’ di tempo mi scrive lettere molto severe, nelle quali mi dice che la disposizione del mio spirito non è più quella di prima, cioè non è più remissiva. Non può credere quanto mi addolori un simile rimprovero, che non mi pare di meritare. L ’ Ascoli teme che la pubblicazione possa compromettere la Commissione e la R. Accademia dei Lincei. Ma è dunque così orribile il mio lavoro? Non so più che cosa pensare, che cosa fare. Ho promesso di migliorare il mio scritto e lo farò con la massima cura, facendo il massimo sforzo intellettuale e fisico di cui io sia capace; se questo non basta, che mi resta a fare? Siccome io non voglio assolutamente compromettere la Commissione e la R. Accademia, eseguirò le correzioni e introdurrò il maggior numero possibile di miglioramenti; quando presenterò di nuovo i manoscritti alla R. Accademia, la quale delibererà sul da farsi. Senonché l ’ augusta parola del Re è già impegnata . . .» 57 57 A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Savona, 10 agosto 1904, in Hurch 2015. Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 55 Nei mesi successivi, tuttavia, le relazioni tra i due linguisti si distesero nuovamente, come mostra il tono di diverse lettere di Trombetti e quello di una minuta di Ascoli, datata 9 gennaio 1905. Proprio quest ’ ultima lettera ci fa capire come Ascoli fosse stato innanzitutto rassicurato dalla pubblicazione della notizia, sui Rendiconti lincei, che la stampa del testo trombettiano sarebbe avvenuta «per iniziativa di S. M.» e dalla restituzione del manoscritto dei Nessi genealogici all ’ autore, la quale significava ai suoi occhi «una rinunzia a ogni ulteriore ingerenza o responsabilità dell ’ Accademia». 58 A tutto questo si sommava la fiducia nei miglioramenti che l ’ autore stava apportando ai manoscritti originali. Come dimostra, nella stessa lettera, la rinuncia a partecipare a una conferenza che Trombetti avrebbe dovuto tenere il 22 gennaio al Circolo filologico di Milano, la posizione di Ascoli fu alla fine quella di un ’“ accettazione ” formale del lavoro di Trombetti, a patto di non essere chiamato a esprimersi pubblicamente sulle sue tesi. Così, sempre nella lettera del 9 gennaio, si compiace del fatto che Schuchardt si stia comportando in modo simile al suo. 59 Nel corso del soggiorno di Trombetti a Milano, i due ebbero comunque modo di vedersi di nuovo di persona, privatamente, a circa un anno dal loro primo incontro. Intanto, il 19 gennaio 1905 Trombetti aveva tenuto la sua prolusione universitaria a Bologna. Proprio il lavoro dei mesi successivi in vista della pubblicazione di tale prolusione si fuse con il recupero di alcuni materiali dei Nessi genealogici e andò a costituire il testo dell ’ Unità d ’ origine del linguaggio. Trombetti informa Ascoli di questa fusione l ’ 11 giugno 1905, inviandogli i primi sei fogli delle bozze di stampa e pregandolo di accettare, come fatto quello stesso giorno con Schuchardt, 60 la dedica. Segue un ’ altra lettera il 16 giugno con allegati ulteriori tre fogli di bozze. Ascoli risponde accettando la dedica e dando un giudizio positivo sul lavoro: «Le pagine che ho potuto leggere mi hanno del resto prodotto una grande consolazione, in quanto mi son parse rappresentare un notevole incremento di precisione e d ’ efficacia, confrontate in quelle che eran venute al concorso». 61 Ciononostante, la vicenda non ebbe un epilogo positivo. Come aveva previsto e temuto Ascoli, la pubblicazione dell ’ Unità d ’ origine del linguaggio sollevò un grande dibattito, in cui non mancarono profonde critiche all ’ opera e 58 G. I. Ascoli, Minuta ad A. Trombetti, Milano, 9 gennaio 1905, Archivio Ascoli. 59 Ibidem: «Non diversa mi appariva la orientazione dello Schuchardt, poiché l ’ unica volta che egli m ’ ebbe a toccare della faccenda dopo che il premio era conferito, fu per dirmi rapidissimamente ch ’ egli s ’ era ricusato in assoluto modo a ogni intervento e che le fandonie dei giornali non valevano a ferirlo». 60 Cfr. A. Trombetti, Lettera a H. Schuchardt, Bologna, 11 giugno 1905, in Hurch 2015: «Sarebbe mio vivo desiderio dedicare il libro a Lei e al Prof. Ascoli, al quale scrivo oggi in proposito». 61 G. I. Ascoli, Minuta ad A. Trombetti, s. l., s. d., Archivio Ascoli. Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 56 all ’ autore. Proprio per rispondere a tre recensioni negative, 62 alla fine del 1906 Trombetti diede alle stampe il volumetto polemico Come si fa la critica di un libro 63 e ne mandò copia ad Ascoli. Non avendo avuto risposta, gli scrisse poi una lettera il 21 dicembre 1906, che è da un lato una sorta di excusatio non petita, in cui giura di non aver voluto alludere a lui o ad altri membri della Commissione dei Lincei nelle parole « “ silenzio di chi avrebbe dovuto parlare ” che si leggono nella Prefazione (pag. IX )»; 64 dall ’ altro lato uno sfogo riguardante «la critica palese e soprattutto [. . .] occulta» che lo ha, dice, esasperato. Ascoli morì esattamente un mese dopo, il 21 gennaio 1907. Come testimonia l ’ Archivio dei Lincei, il grande linguista aveva trovato il tempo di stendere una dura lettera di risposta a Trombetti, che non venne però mai inviata. Trombetti lo seppe da un amico, come si legge in un ’ altra lettera che inviò il 27 gennaio al figlio di Ascoli («Un amico m ’ informa che l ’ ultima cosa scritta dal compianto Suo Genitore fu una lettera a me diretta»), 65 chiedendogli di poterla leggere nella speranza di trovarvi il giudizio sullo scritto Come si fa la critica di un libro. La risposta fu negativa; e fu forse meglio per Trombetti non aver mai letto le ultime parole a suo riguardo di colui che reputò sempre e sinceramente suo maestro, insieme a Schuchardt: «La ringrazio molto degli auguri e d ’ ogni Sua buona intenzione e Le ricambio di tutto cuore ogni buon sentimento. Ma, a dirle schiettamente il vero, questa Sua lettera mi ha sgomentato non poco. Poiché nella precedente mia lettera io Le aveva molto precisamente indicato, che non mi pareva onesto alcun cenno a me o al premio a Lei conferito in generale, senza insieme aggiungere, in giusta proporzione al dubbio intenso e al biasimo aperto e palese che io fermamente opposi nella tragica storia della parte da me dovuta prendere nella Sua premiazione ai Lincei. Dalle origini io credo d ’ essere pressoché sempre entrato tra i giudici del premio di S. M. per la Fil. e Ling., e d ’ esserne stato quasi sempre il relatore. Venuta la volta sua, si diffuse la voce, tra gli uomini autorevoli, che io, per il rigore del metodo, Le potessi riuscire contrario, laddove all ’ incontro Le sarebbe riuscito superbamente favorevole, un altro linguista, giustamente celebre e amico degl ’ Italiani, il Dott. Ugo Schuchardt, professore emerito dell ’ Univers. di Gratz, aggregato di recente e meritamente tra i Soci Esteri dell ’ Accademia dei Lincei. 62 Si tratta di Formichi 1905, Scerbo 1905 e Pavolini 1906. Mi riprometto di tornare, in altra occasione, su un ’ analisi delle polemiche che seguirono la pubblicazione dell ’ Unità d ’ origine del linguaggio di Trombetti. 63 Trombetti 1907. 64 A. Trombetti, Lettera a G. I. Ascoli, Bologna, 21 dicembre 1906, Archivio Ascoli. 65 A. Trombetti, Lettera a M. Ascoli, Bologna, 27 gennaio 1907, Archivio Ascoli. Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 57 Si narrava di un incontro romanzesco avvenuto in una parte della Liguria tra lui, reduce dall ’ Africa e Lei che accorreva dalle balze pedemontane dove s ’ erano riconosciuti senza conoscersi e intesi circa il premio e circa una polemica tra un Suo saggiuolo a stampa e risposta di lui. E incominciavano intanto a comparire da compari italiani, affatto estranei alla materia, dei sicuri annunzi di prossimi Suoi trionfi glottologici.» 66 Certo ad Ascoli dispiacquero le polemiche che erano seguite alla pubblicazione dell ’ Unità d ’ origine del linguaggio e a cui, con la sua risposta pubblica, Trombetti non sembrava volersi sottrarre, rischiando così di compromettere coloro che l ’ avevano premiato nel 1904. 67 La vicenda dovette addolorare e contrariare il linguista, arrivato ormai alla fine dei suoi giorni. Ascoli si sentì probabilmente tradito da quel giovane glottologo d ’ ingegno, a cui aveva dato fiducia convinto di poterlo portare su strade meno pericolose e metodologicamente più sicure di quelle della monogenesi linguistica. Alla luce di quanto visto finora è lecito domandarsi, in conclusione, perché, al di là di simpatie o possibili imbarazzi personali, due grandi linguisti, quali Ascoli e Schuchardt, assunsero posizioni divergenti nei confronti dei lavori di Trombetti, nonostante un ’ iniziale e ufficiale concordanza, decretata dal risultato del Concorso linceo. Benché sia molto difficile dare una risposta sintetica e univoca, è indubbio che su tali divergenze influirono, oltre alle oggettive differenze scientifiche tra i profili dei due giudici, le caratteristiche proprie dell ’ opera del candidato. A trovare una sintesi aiuta forse quanto scrisse Leo Spitzer nel 1918 a conclusione di una sua lunga recensione del libro di Karl Marbe Die Gleichförmigkeit in der Welt (1916) e dei lavori di Trombetti L ’ unità d ’ origine del linguaggio e Come si fa la critica di un libro. A proposito di questi ultimi, dopo aver giudicato negativamente la metodologia di Trombetti e messo in dubbio il principio teorico della monogenesi del linguaggio, Spitzer finisce tuttavia la sua riflessione spezzando una lancia a favore del glottologo italiano, poiché gli riconosce lo status di ‘ Forscher ’ , cioè di ‘ ricercatore ’ , di pensatore autonomo, che nella sua visione si contrappone a quello di ‘ Gelehrter ’ , di ‘ erudito ’ . Conclude infatti Spitzer: «Wenn ich eingangs zwischen ‘ Gelehrten ’ und ‘ Forschern ’ unterschied, so bezeugt der geringe Gebrauch des letzteren Wortes in der Sprachwissenschaft (man sagt nur ‘ Naturforscher ’ und meist ‘ Sprachgelehrter ʼ , nie aber etwa ‘ Polargelehrter ʼ , was berechtigt wäre), dass der Linguist noch zu sehr mit dem 66 G. I. Ascoli, Minuta ad A. Trombetti, s. l., s. d., Archivio Ascoli. La lettera si interrompe dopo la parte trascritta. 67 Sul dibattito intorno alla compromissione di Ascoli si vedano P. Rajna, Lettera a C. Salvioni, 19 febbraio 1910, in Sanfilippo 1979: 165; e Loporcaro 2008: 75 - 76. Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 58 Philologen verschwägert ist, sich eher als Polyhistor denn als Denker fühlt und daher auch so aufgefasst wird. Marbe denkt und weiss, Trombetti weiss und denkt - sie beide sind Forscher. Richard M. Meyer schreibt in seinen Aphorismen (GRM 1910 S. 643): ‘ Die ‹ Gelehrten › bilden den niederen Adel der Wissenschaft, sie sammeln und bewahren. Den hohen Adel bilden die ‹ Forscher › : sie erobern und verteidigen. ʼ Ist es nicht die instinktive Abneigung der Gelehrten gegen das Denken, die bewirkte, dass in den linguistischen Fachzeitschriften von Trombetti kaum Notiz genommen wurde, dass sein Name im Krit. Jahresbericht, soweit ich sehe, nur einmal unter vielen anderen gelegentlich einer Diskussionsrede über orthographische Fragen fällt - und dass seine Werke auch in dieser Zeitschrift erst nach so vielen Jahren besprochen werden? » 68 Che Trombetti sia stato uno studioso eterodosso è cosa certa, che fu chiara già ai suoi contemporanei. Mi pare però che l ’ etichetta di “ Forscher ” data da Spitzer sia davvero illuminante. L ’ idea del “ ricercatore ” , dell ’ esploratore di nuovi orizzonti linguistici, rende infatti maggiormente giustizia al senso dell ’ operato intellettuale di Trombetti, il quale fu sempre guidato da un pensiero grandioso, indimostrabile, che cercò di perseguire anche a costo di sacrificare, o comunque di piegare ai propri fini, la rigorosità metodologica della sua stessa disciplina: una visione dell ’ oltre che Ascoli e Schuchardt valutarono in maniera diversa. Abstract. 1904 wurde Alfredo Trombetti der von der Accademia dei Lincei 1902 ausgelobte Premio Reale di Filologia e Linguistica zugesprochen, um den er sich mit seinem Werk Nessi genealogici fra le lingue del mondo antico beworben hatte. Die Zuerkennung stellte einen Wendepunkt im Leben des italienischen Sprachwissenschaftlers dar, eröffnete sie doch ihm den Weg zu einer universitären Laufbahn. Der Beitrag rekonstruiert die Beziehung zwischen Trombetti und Graziadio Isaia Ascoli bzw. Hugo Schuchardt in dieser Zeitspanne, denn diese beiden berühmten Sprachwissenschaftler waren Mitglieder der Jury. Insbesondere erlaubt es die Auswertung der Briefwechsel, die an der Accademia dei Lincei bzw. im Hugo Schuchardt Archiv der Universität Graz aufbewahrt werden, die Entwicklung in den Beurteilungen von Trombettis Arbeiten herauszuarbeiten: Stimmten Ascoli und Schuchardt anfänglich noch offiziell in ihrem positiven Urteil überein, kamen sie im weiteren Verlauf zu unterschiedlichen Einschätzungen der Annahme eines monogenetischen Sprachursprungs. 68 Spitzer 1918: 17. Il rinvio a Meyer fa riferimento a Meyer 1910; la discussione di questioni ortografiche, cui allude Spitzer, si trova in Bartoli 1913: 122. Matteo Grassano Una teoria pericolosa. Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt 59 Summary. In 1904 Alfredo Trombetti won the Premio Reale di Filologia e Linguistica, announced in 1902 by the Accademia dei Lincei, to which he had applied with his work Nessi genealogici fra le lingue del mondo antico. The award represented a turning point in the life of the Italian linguist, as it opened the way to his university career. This essay reconstructs Trombetti ’ s relationship with Graziadio Isaia Ascoli and Hugo Schuchardt during the years around the time of the Premio, since the two great linguists were part of the jury. Specifically, the analysis of epistolary documents from the Accademia dei Lincei and the Hugo Schuchardt Archiv of the University of Graz allows us to highlight the different evaluation that, after an initial and official agreement, Ascoli and Schuchardt gave to Trombetti ’ s work and his positions in favour of linguistic monogenesis. Bibliografia Ascoli, Graziadio Isaia: Studi Critici, Roma/ Torino et al.: Loescher 1877. Assirelli, Oddone: La dottrina monogenistica di Alfredo Trombetti. Sua genesi, suo svolgimento, sua ultima meta, a cura di Angelo Savelli, Faenza: Lega 1962. 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Alfredo Trombetti di fronte ad Ascoli e Schuchardt Matteo Grassano 62 CLAUDIA JACOBI Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Caterina Franceschi Ferrucci (1803 − 1887) war eine zu ihrer Zeit aktiv am Tagesgeschehen teilnehmende Autorin und Intellektuelle, die von so namhaften Persönlichkeiten wie Giacomo Leopardi, Alessandro Manzoni und Vincenzo Gioberti geschätzt und rezipiert wurde. Im Jahr 1838 hielt sie Vorlesungen zur italienischen Literatur an der Universität Genf und 1871 wurde sie als erste Frau in die Accademia della Crusca aufgenommen. Ihr von der Literaturgeschichtsschreibung schändlich vernachlässigtes Werk umfasst literarische, sozio-politische und patriotische Traktate sowie Schriften zur Mädchenerziehung und eine umfangreiche Gedichtproduktion. Den hier erstmals ins Deutsche übertragenen Inno alla Morte stellte Franceschi Ferrucci 1828 vor der Accademia dei Felsinei in Bologna vor und publizierte ihn noch im selben Jahr mit anderen Hymnen (Inno al sole, All ’ armonia) bei der Stamperia delle Muse in Bologna. 1873 nahm sie den Text schließlich mit leichten Änderungen in ihre bei Le Monnier in Florenz gedruckte Gedichtsammlung Prose e versi auf. Das Gedicht gliedert sich in vier Abschnitte: Nach der einleitenden Darstellung des Höhenflugs einer weiblichen Seele 1 ins Paradies (I. Teil, vv. 7 − 24) beschreibt das lyrische Ich die Auswirkungen des Todes auf den irdischen Naturkreislauf (II. Teil, vv. 25 - 54), präsentiert Erklärungsmodelle zur Entstehung und Entwicklung der Welt (III. Teil, vv. 55 - 102) sowie schließlich eine Vision des Jüngsten Gerichts (IV. Teil, vv. 103 - 133). Bemerkenswert ist, dass diese in der Tradition Dantes stehende Paradiesvision eines weiblichen lyrischen Ichs Franceschi Ferrucci dazu dient, ein dem sittenstrengen Weiblichkeitsideal ihrer theoretischen und pädagogischen Schriften diametral entgegengesetztes Frauenbild zu entwerfen: Während sie die Frau in ihren Schriften zur Mädchenerziehung aufgrund der ‘ Schwäche ihres Geistes ’ auf ihre Rolle als Hausfrau, Ehefrau und Mutter reduziert, deren einzige soziale Funktion darin bestehen solle, ihre Kinder im Sinne der Werte des Risorgimento zu DOI 10.24053/ Ital-2021-0024 1 Der Sexus der Sprecherinstanz wird erst in den letzten Versen explizit («A me misera», v. 129). 63 vaterlandstreuen Patrioten und Katholiken zu erziehen, 2 präsentiert der Inno alla morte ein selbstbewusstes weibliches Ich, das seine Paradiesvision mit gelehrten Reminiszenzen an die antiken Literaturen sowie Dantes Commedia spickt und sich mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit in eine bis auf die Antike zurückreichende männlich geprägte literarische Tradition einschreibt. Damit präsentiert Franceschi Ferrucci ein hochgebildetes Dichterinnen-Ich, das für sich die Rolle der visionären Prophetin beansprucht, die den Leser in die Geheimnisse des Paradieses einweiht. Der Höhenflug der Dichterinnenseele ins Paradies kann demnach als Streben nach intellektueller Freiheit und literarischem Ruhm gelesen werden. 3 2 Vgl. z. B. «[. . .] io lodo che sia coltivata con cura la nostra mente, purché gli studi femminili vengano sempre rivolti ad un fine di pratica utilità, cioè a farne atte ad amare e a bene adempire i nostri doveri. Inoltre io credo che la buona coltura data all ’ ingegno abbia virtù di fare buoni affetti e costumi» (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. XXXI); «Perché dovremo noi invidiare agli uomini i loro faticosi guadagni, gli onori sovente mal dispensati, le dignità ai migliori spesso contese, quando nell ’ innocente sorriso dei nostri figli, nella bontà dei loro costumi, nel profitto fatto da essi nei loro studii, nel tenero e riverente amore che hanno per noi, abbiamo alle nostre cure una ricompensa che niun ’ altra di lei più grande o più bella possiamo su questa terra desiderare? Ed in vero chi è più felice di quella donna, che ha buoni figliuoli e marito buono? E che questi sia tale, da noi dipende. Che se la donna bada con diligenza alla casa, attende a bene educare i figliuoli, se in lei sia mansueta pazienza, dolcezza non mai alterata nei modi e nel favellare, docilità e sommissione, il marito avrà certamente per essa rispetto e amore uguali alle virtù sue [. . .]» (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. XXVIII). 3 Dazu ausführlich: Jacobi 2021, S. 90 − 109. Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Claudia Jacobi 64 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) O voi che, 4 senza speme, in lungo pianto Movete il passo in questa valle oscura, 5 3 A me intorno venite, io per voi canto: 6 Oh Ihr, die ihr ohne Hoffnung, in ewigen Tränen, fortschreitet in diesem dunklen Tal, versammelt Euch um mich herum, ich singe für Euch. E canterò di lei, che d ’ ogni cura L ’ anima solve quando la francheggia 6 Il forte usbergo del sentirsi pura. 7 Und ich werde von demjenigen singen, der die Seele von jedem Kummer befreit, wenn der feste Panzer der Reinheit sie wappnet. Perocchè morte dall ’ umana greggia Lei ritraendo le dischiude il varco 9 Dell ’ alto Olimpo 8 alla stellata reggia, Weil er, der Tod, sie herausnimmt aus der menschlichen Herde und ihr so die Schwelle öffnet vom hohen Olymp zum bestirnten Reich, Sì che disciolta dal terreno incarco Vola per l ’ aere, come dardo suole 12 Che si dilegua rapido dall ’ arco. sodass sie, befreit vom irdischen Ballast durch die Lüfte schwebt, gleich einem Pfeil, der schnell vom Bogen sich löst und verschwindet. 4 Vgl. das Incipit des zweiten Gesanges des Paradiso («O voi che siete in piccioletta barca [. . .]», Par. II, vv. 1 − 9), in dem Dante die Neuartigkeit, Komplexität und Originalität seiner von den Göttern inspirierten Paradiesvision hervorhebt. In ihren theoretischen Schriften betont Franceschi Ferrucci immer wieder, das Paradiso sei die komplexeste und beeindruckendste Cantica der gesamten Commedia: Hier behandle Dante ‘ theologische und philosophische Wahrheiten ’ , die Franceschi Ferrucci als ‘ Beweis ’ für Dantes ‘ übermenschlichen Geist ’ auffasst (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. 226). Im Inno alla Morte übernimmt das weibliche lyrische Ich selbstbewusst das ambitionierte Vorhaben der Paradiesvision, was ganz im Gegensatz zu den Bescheidenheitstopoi ihrer theoretischen Schriften steht: «Ho però detto altre volte, e qui lo ripeto, che ne ’ miei studii non entra nè vanità nè ambizione» (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. 366). 5 Vgl. Dantes Beschreibung des Hölleneingangs und Höllentores: «la valle d ’ abisso dolorosa/ [. . .] Oscura e profonda» (Inf. III, vv. 8 − 12), «Lasciate ogni speranza» (Inf., III, v. 9). Vgl. auch Canto XXIX, vv. 64 − 66: « - Si ristoràr di seme di formiche; / Ch ’ era a veder per quella oscura valle/ Languir li spirti per diverse biche». 6 Das weibliche lyrische Ich nimmt hier die traditionell männlich konnotierte Rolle des antiken Epensängers ein, verzichtet dabei aber bemerkenswerterweise auf die im antiken Proömium topisch verankerten Musenaufrufe und Bescheidenheitstopoi, die in Franceschi Ferruccis theoretischen Schriften leitmotivisch präsent sind (vgl. z. B. Franceschi Ferrucci 2021, S. 367 − 388). 7 Vgl. Dante: «la buona compagnia che l ’ uom francheggia/ sotto l ’ asbergo del sentirsi pura» (Inf. XXVIII, v. 117). 8 Vgl. Dante: «La mia sorella, che tra bella e buona/ Non so qual fosse più, triunfa lieta/ Nell ’ alto Olimpo già di sua corona» (Purg. XXIV, vv. 13 − 15). Claudia Jacobi Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) 65 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) E passati que ’ cieli, ove carole Intreccian gli astri, e in cui suona l ’ alterna 15 Armonia delle sfere, 9 entra nel sole: Und jenseits jener Himmel, in denen Tänze und Gesänge die Sterne miteinander verbinden und in denen die Sphärenharmonie erklingt, betritt sie die Sonne: In esso l ’ occhio disioso interna, Mira quel mar di luce e di colori, 18 Vede senza ombra ogni bellezza eterna, In sie dringt das begierige Auge ein, schaut jenes Meer aus Licht und Farbe, sieht ohne Schatten alle ewige Schönheit. E accolta poscia in tra i perpetui fiori 10 Di quel giardin, che tutto ride intorno 21 Alla letizia de ’ celesti cori, Empfangen dann zwischen den ewigen Blüten jenes Gartens, wo alles lacht rings um die Wonne der himmlischen Chöre, Gioisce e grida: - Benedetto il giorno Che a libertà mi rese, e benedetta 24 Morte, se ’ tu: chè a Dio per te ritorno. - frohlockt und ruft sie: - Gepriesen sei der Tag, Der mir die Freiheit brachte, und gepriesen, Tod, seist Du: zu Gott kehre ich durch dich zurück. - E certo solo alla turba dispetta 11 Che si pasce d ’ errore alta paura 27 Solo al nome di morte in cor s ’ alletta. Gewiss erfüllt sich nur den verächtlichen Scharen, die an Irrtum sich weiden, mit Angst das Herz, sobald sie auch nur den Namen des Todes hören. Ma quei, che dietro al ver drizzò sua cura, Non si turba per lei, mente non muta, 30 Perchè ben sa, che questa di natura Doch der, der stets nach dem Wahren gestrebt hat, lässt sich von ihm nicht beirren, er wandelt seine Gesinnung nicht, weil er weiß, dass der Tod von Natur aus L ’ eterne leggi eternamente aiuta; Sa, che le cose in che stende sua possa 33 Non distrugge quaggiù, ma le trasmuta. den ewigen Gesetzen auf ewig hilft; er weiß, dass der Tod jene Dinge, auf die er seine Macht ausbreitet, hier unten nicht zerstört, sondern verwandelt. 9 Vgl. die auf Pythagoras zurückgehende Vorstellung der Sphärenharmonie, der zufolge die Abstände zwischen den Planeten auf musikalischen Intervallen beruhen. In ihren Vorlesungen über die italienische Literaturgeschichte betonte Franceschi Ferrucci den Einfluss dieser Theorie auf Platon und Dante (Franceschi Ferrucci 1873, S. 119 − 121). 10 Vgl. Dantes Paradiesbeschreibung: «O perpetui fiori/ Dell ’ etterna letizia, che per uno/ Parer mi fate tutti i vostri odori [. . .]» (Par. XIX, vv. 22 − 24). Auch die Lichtmetaphorik, der Engelsgesang und das Lächeln der Seligen sind bekannte Motive aus Dantes Paradiso. In ihren Vorlesungen über die italienische Literatur verwendet Franceschi Ferrucci dieselbe Harmonie- und Lichtmetaphorik, um die Vorstellungskraft des Dichters zu beschreiben (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. XVI). Der Höhenflug der Seele kann somit als metapoetische Reflexion über den Schreibakt gelesen werden. 11 Vgl. Dante: «O cacciati del ciel, gente dispetta» (Inf. IX, v. 91). Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Claudia Jacobi 66 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) Onde se chiuso giacque in poca fossa, 12 Robusto tauro, onor del bianco armento, 36 Esce poi da quel sangue e da quelle ossa Dort, wo gefangen lag in kleiner Grube der kräftige Stier, Ehre der weißen Herde, entsteht sodann aus jenem Blut und jenen Knochen Un nuvol d ’ api, ch ’ or con mover lento Desta lieve susurro, or nelle sponde 39 D ’ un fiumicel simile a puro argento ein Bienenschwarm, der langsam sich fortbewegt mit sanftem Summen und am Ufer eines Flüsschens wie aus klarem Silber Liba l ’ apio e la persa, o sulle fronde Nel rio cadute, mentre il vento tace, 42 Sta posato nuotando in mezzo all ’ onde. nippt an der Glyzine und dem Majoran, oder verweilt auf dem ins Wasser rankenden Laubwerk, bei schweigendem Wind, und schwimmt durch die Wellen. E dalla terra ove sepolta giace La spoglia di pudica verginella 45 Tu vedi l ’ erba germogliar vivace; Und aus der Erde, in der begraben liegt der Leichnam einer schamhaften Jungfer, siehst Du das Gras lebhaft hervorsprießen; Crescervi miri alla stagion novella Rose, gigli, viole ed ogni fiore, 48 Di che Zefiro lieve i campi abbella. wachsen siehst Du in der neuen Jahreszeit Rosen, Lilien, Veilchen und jede Blume, durch die Zephyr die Felder sanft verziert. Onde il garzon, che nel soave amore Di quella onesta si tenea beato, 51 Meraviglia ai fior nuovi, al grato odore; Wo der Jüngling, der in der sanften Liebe der Ehrbaren schwelgte, die neuen Blumen und deren lieblichen Duft bewundert; E per un dolce error del volto amato Crede in essi veder le fresche rose, 54 E lo spiro sentir del molle fiato. Und durch einen süßen Irrtum glaubt er in ihnen die frischen Rosen des geliebten Antlitzes zu sehen, und den Hauch zu spüren des schwachen Atems. O sacra Morte, poichè Dio ti pose A tramutar quant ’ è sotto la luna, 57 Tu volvi a posta tua le umane cose. Oh, heiliger Tod, da Gott Dich erwählte zu walten über all das, was unter dem Mond geschieht, bestimmst Du über die menschlichen Dinge. Cedon dinanzi a te tempo e fortuna: Quel che nel mondo a meraviglia invita 60 Tutto nel regno tuo ratto s ’ aduna. Bei Deinem Anblick weichen Zeit und Glück: Das, was auf Erden zum Staunen anregt, versammelt sich alsbald in Deinem Reiche. 12 Vgl. Vergils Georgica, Buch IV (37 − 30 V. Chr.). In der sog. Aristaeus-Erzählung beschreibt Vergil den ewigen Erneuerungskreislauf der Natur, anhand der Entstehung von Bienen aus Tierleichen. Claudia Jacobi Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) 67 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) E pria che fosse fuor del nulla uscita Codesta opaca mole, ad altre genti 63 Tu furasti le dolci aure di vita. Und noch bevor aus dem Nichts diese glanzlose Erdmasse entstand, raubtest Du Anderen den süßen Anhauch des Lebens. Chè allor del cielo pe ’ campi lucenti Rotavano altri soli ed altre stelle 66 Più delle nostre di bel fuoco ardenti. Damals kreisten durch die leuchtenden Felder des Himmels andre Sonnen und andre Sterne, die mehr noch als die unseren in schönem Feuer glühten. Ivi eran terre più felici, e in quelle 13 Senza il pronto mutar di state o verno 69 Sempre liete ridean l ’ erbe novelle. Es waren glücklichere Welten, in denen ohne den stetigen Wechsel von Sommer und Winter die jungen Kräuter stets fröhlich lachten. Nè l ’ uom dell ’ uomo vi fèa mal governo, Non v ’ eran tristi al bene oprare avversi, 72 Chè pace vi regnava e amore eterno. Der Mensch misshandelte den Menschen nicht, keiner widersetzte sich dem guten Handeln, Frieden herrschte und ewige Liebe. Pur tutti, o Morte, in Caos conversi Da te furon que ’ mondi: altri col fuoco 75 Consunti ed altri nell ’ acqua sommersi. Doch stürztest Du, oh Tod, ins Chaos all diese Welten: manche vom Feuer verzehrt, andere im Wasser versunken. Onde se alcun poggiar potesse al loco, Dov ’ eran tante terre, in fra gl ’ immensi 78 Spazi dell ’ aere sol v ’ udrebbe il roco Könnte jemand an die Stelle treten, wo so viele Erdkugeln waren, dort, zwischen den ewigen Weiten der Lüfte, würde er nur das raue Mugghiar de flutti, sol vedria condensi Globi di tetro fumo e di faville, 81 Monti di fiamme orribilmente accensi. Brüllen der Wogen hören, nur dichte Bälle aus finsterem Rauch und Funken sehen, Berge aus grauenhaft lodernden Flammen. Indi poi nacquer mille soli e mille Stelle, che roteando in lor viaggio 84 Fanno meravigliar nostre pupille. Daraus entstanden tausend Sonnen und tausend Sterne, die auf ihrer Umlaufbahn kreisend unsere Pupillen in Staunen versetzen. Risursero altre terre e al nuovo raggio Stupîr del sole, si diffuse il mare, 87 Destò i fiori la mite aura di maggio. Andere Planeten entstanden und staunten beim neuen Strahl der Sonne, das Meer erquoll, die sanfte Mailuft erweckte die Blumen. 13 In vv. 67 ff. baut Franceschi Ferrucci ihre eigene prähistorische Utopie auf Vergils Vorstellung des Elysions, eines mit eigenen Sonnen und Sternen ausgestatteten Ortes des ewigen Frühlings in der Unterwelt auf. Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Claudia Jacobi 68 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) Rari volaron gli augelletti e rare 14 Pe ’ boschi ignoti gian le belve errando, 90 Ed i pesci guizzâr tra l ’ acque chiare. Wenige Vöglein flogen und wenige Tiere irrten in unbekannten Wäldern umher und die Fische schwammen in den klaren Gewässern. Poscia le piante e gli animali amando, Come l ’ instinto natural gl ’ invita, 93 Moltiplicârsi, e in ordine ammirando Sodann vermehrten sich die Pflanzen und Tiere durch die Liebe, wie der natürliche Instinkt es verlangt, bevölkerten sie in bewundernswerter Ordnung Tutto empirono il suolo, ed ebber vita Ancor ne ’ lidi più dal sol remoti, 96 Fin nella terra più da noi partita. die ganze Erde, und lebten gar noch in den von der Sonne entferntesten Gestaden, bis hin zu den von uns am weitesten entfernten Orten. Ma pur non fia che eternamente roti Ogni pianeta al maggior astro intorno, 99 Chè anco i rinati mondi a te devoti Dennoch wird nicht jeder Planet ewig um den größten aller Sterne kreisen, denn auch die neu geborenen Welten werden Dir Saranno, o Morte, e in quel tremendo giorno Quanto per mente o per occhio si mira 102 Al gran vuoto, onde uscì, farà ritorno. ergeben sein, oh Tod, und an diesem furchtbaren Tage wird all das, was man mit dem Geiste oder den Augen sieht, in die große Leere, aus der es einst hervorkam, zurückkehren. Ahi già nell ’ intelletto mi si gira Tutto l ’ orror della ruina estrema, 105 Veggo quell ’ ora di spavento e d ’ ira! 15 Oh, im Geiste vernehme ich bereits das ganze Grauen der äußersten Zerstörung, ich sehe jene Stunde des Schreckens und des Zorns! Di già parmi sentir, che l ’ aura trema, Treman le terre abbandonate e sole, 108 E ruinando giù dalla suprema Bereits meine ich zu spüren, dass die Luft bebt, es beben die allein zurückgelassenen Böden, und vom höchsten Firmament 14 VV. 88 − 96: vgl. in groben Zügen die biblische Schöpfungsgeschichte in sieben Tagen: nach der Erschaffung der Sonne, der Erde und des Meeres bevölkern Pflanzen, Vögel, Fische und andere Tiere die Erde (Genesis 1, 1 − 31). Bezeichnenderweise findet der Schöpfergott bei Franceschi Ferrucci jedoch keine Erwähnung. Ihre Kosmogonie beruft sich damit weder vollständig auf die Genesis noch auf antike Modelle wie etwa Hesiods Theogonie (~700 v. Chr.). Die Autorin entwirft ihr eigenes, von ihrem naturwissenschaftlichem Interesse an den unterschiedlichen Erdzeitaltern geprägtes, kosmogonisches Modell. Damit macht sich Franceschi Ferrucci selbstbewusst einen Themenkomplex zu eigen, den sie in ihren theoretischen Schriften neben der Paradiesvision als das schwerste und ambitionierteste Dichtungsprojekt bezeichnet (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. 123). 15 Das Wortfeld des Zorns weist intertextuelle Bezüge zum in der Liturgie des 19. Jahrhunderts besonders populären mittelalterlichen Hymnus Dies irae über das Jüngste Gericht auf, so z. B. die Vorstellung der Zerstörung der Welt durch Flammen und des hinter den Wolken hervortretenden richtenden Gottes. Claudia Jacobi Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) 69 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) Vòlta cadono gli astri, e svelto il sole Dall ’ igneo trono nell ’ abisso piomba, 111 Ed arde e strugge la terrestre mole. fallen gewaltvoll die Sterne, und schnell stürzt die Sonne von ihrem lodernden Thron in den Abgrund, und brennt und zerstört die Erdmasse. Destati al suon dell ’ angelica tromba Surgono i morti, e paurosi e lenti 114 Lascian la pace dell ’ antica tomba. Erweckt vom Klang der Engelsposaune erheben sich die Toten und ängstlich und langsam verlassen sie den Frieden des Grabes. Poi va ciascuno ove su nubi ardenti Posa l ’ Eterno, e giudica e discerne 117 Colpe e virtù nelle risorte genti. Dann geht jeder dahin, wo der Allmächtige auf glühenden Wolken weilt, und richtet und waltet über Schuld und Tugend der Wiederauferstandenen. Onde giù caccia nelle bolge inferne 16 Gli spirti maledetti, e chiama il santo 121 Coro de ’ giusti alle dolcezze eterne. Und nach unten in die Höllengräben jagt er die verdammten Seelen, und ruft den heiligen Chor der Gerechten zur ewigen Süße herbei. Sciolgono allor gli eletti un lieto canto; Ma l ’ aere assorda quello stuol dannato 124 Con orribili voci e strida e pianto. 17 So stimmen die Auserwählten einen fröhlichen Gesang an; doch jene verdammte Schar betäubt die Luft mit grausigen Stimmen und Gezeter und Tränen. O pietoso Signor, tu che campato N ’ hai da ruina, e del primo parente 127 Col tuo sangue lavasti il gran peccato, Oh, barmherziger Herr, der Du uns vom Unglück befreit hast, und des ersten Verwandten mit Deinem Blute die große Sünde reinwuschest, Nel dì dell ’ ira tua volgi clemente A me misera il guardo, e da ’ martiri 130 Deh! mi salva del secolo dolente. 18 am Tage Deines Zorns richte Deinen Blick gnädig auf mich Erbärmliche, und von den Qualen des schmerzvollen Jahrhunderts - bitte ich Dich! - mich zu befreien. 16 Die Dies irae-Reminiszenzen verschwimmen mit Verweisen auf Dantes Jenseitsvision. Franceschi Ferrucci ersetzt beispielsweise die Vorstellung einer glühenden Hölle durch das danteske Bild der Höllengräben, in denen Dante die Betrüger bestraft. 17 Vgl. Dante: «Quivi sospiri, pianti ed alti guai/ Risonavan per l ’ aer senza stelle,/ Perch ’ io al cominciar ne lagrimai» (Inf. III, vv. 22 − 24). 18 Vgl. Dantes Höllenbeschreibungen als «città dolente» (Inf. III, v. 1), «dolente strada» (Inf. XXVIII, v. 40), «dolente regno» (Purg. VII, v. 22). Im Gegensatz zur ewigen Verdammung der Sünder des Inferno äußert das lyrische Ich hier jedoch die Hoffnung aus dem «secolo dolente» befreit zu werden und im Sinne von Horaz ’ Exegi monumentum aere perennius mit ihrer Dichtung literarischen Ruhm zu erlangen. Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Claudia Jacobi 70 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) Teco mi traggi ne ’ superni giri Alla letizia di tua santa Corte, 133 Ond ’ io, quetando in Te tutti i desiri, Trag ’ mich mit Dir in die hohen Kreise, in die Seligkeit Deines heiligen Hofes, wo ich all meine Wünsche in Dir stillend, M ’ allegri e possa benedir la morte. frohlocke und den Tod loben kann. Abstract. Il contributo propone per la prima volta una traduzione in tedesco dell ’ Inno alla Morte (1828) di Caterina Franceschi Ferrucci (1803 - 1887), scrittrice e intellettuale dimenticata dalla tradizione storico-letteraria italiana. Nel commento si evidenzia come, a partire da una visione dantesca del paradiso di un io lirico femminile, l ’ autrice crei un ’ immagine estremamente progressista della donna, agli antipodi della rigidità morale dell ’ immagine femminile che espone nei suoi scritti teorici e pedagogici. Summary. This contribution presents the first German translation of the Inno alla Morte (1828) by Caterina Franceschi Ferrucci (1803 - 1887), an Italian writer and intellectual who has been inexplicably neglected by Italian literary tradition. The commentary shows that the author ’ s dantesque vision of paradise, narrated by a female lyrical I, creates a progressive image of women which is diametrically opposed to the morally strict ideal of femininity of her own theoretical and pedagogical writings. Bibliographie Franceschi Ferrucci, Caterina: I primi quattro secoli della letteratura italiana. Seconda edizione riveduta e corretta, Firenze: Successori Le Monnier, vol. I, 1873 a. Franceschi Ferrucci, Caterina: Prose e versi, Firenze: Successori Le Monnier, 1873 b. Franceschi Ferrucci, Caterina: «L ’ état actuel de la Poésie en Italie» [1838], in: Jacobi, Claudia, Mythopoétiques dantesques - une étude intermédiale sur l ’ Italie, la France et l ’ Espagne (1766 - 1897), Straßburg: ELiPhi, 2021, S. 367 - 378. Jacobi, Claudia: «L ’ ascension au paradis comme envol vers la gloire littéraire féminine: L ’ Inno alla morte (1828) de Caterina Franceschi Ferrucci», in: Jacobi, Claudia: Mythopoétiques dantesques - une étude intermédiale sur l ’ Italie, la France et l ’ Espagne (1766 - 1897), Straßburg: ELiPhi, 2021, S. 90 - 109. Claudia Jacobi Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) 71 Biblioteca poetica Plumelia. Nove poesie di Lucio Piccolo (1903 - 1969) 1 Guida per salire al monte Così prendi il cammino del monte: quando non 1 sia giornata che tiri tramontana ai naviganti, ma dall ’ opposta banda dove i monti s ’ oscurano in gola e sono venendo il tempo le pasque di granato e d ’ argento − al cantico d ’ ogni anno s ’ avvolge di bianco la crescenza, 5 trabocca dai recinti, l ’ acquata nuova ravviva la conca, l ’ orizzonte respira - da lì alito non soverchio di vento di mezzogiorno, e allato ti sarà e ti farà leggero compagno che non vedi, presente 10 per una foglia che rotola o un ramo che oscilla, e sono i sandali il curvarsi dell ’ erbe innanzi . . . canna non avrai né fiasca di zucca per la sete come al tempo delle figure, dal vento nascono i sogni. Ancora un indugio tiene l ’ estate, di dalie, di gravi 15 campanule troppo accese ai giardini bagnati, guai se l ’ aria l ’ agiti un poco! e vengono afflati di vane danze - ma la risacca indolente nelle insenature cullò già rottami sperduti di mesi, 20 è questo il tempo, prendi il cammino del monte e non discordi il passo nella salita al soffio tacito - se i rami svolta agli arbusti rassembrano pendenti piume di tortore di beccacce. Spiazzo dinnanzi e un fonte, e questo è l ’ imbocco 25 della salita, scalea montana che poggia su arcate giganti in muraglia coeva alla rupe e stipano i vani siepaglie densissime di sterpi serpigni, rifugio nell ’ ore della luce di quanto la notte 30 ronfa, erra, sfiora - l ’ acciottolato rurale 1 Milano: Scheiwiller 1979 (Acquario 44), zum 10. Todestag, Erstausgabe 1967. 72 fa scivoloso il piede, chè ogni pietra circonda il muschio ora verde ora arsiccio, ai margini il muretto a secco sgretola e sul pietrisco punge il cardo violetto . . . ma guarda 35 sopra l ’ altura, è vicina, non la tocchi con mano? Pure se vi affiorano nuvole a ricci a corimbi − spume che nel celeste muovono i venti dell ’ alto - subito si discosta la vetta, t ’ incombono sopra le nubi. Silvestri le prime rampe, quando svolti alla terza 40 intorno t ’ è l ’ aria del monte come non altrove: un liquore di fiori rupestri, d ’ antiche piogge e segreti, e vedi calcare che un giorno immemoriale una stecca segnò come creta a incavi sottili, a mensole, a nicchie, e incontri già la capanna dell ’ eremita: 45 edicola o cella? senza copertura o riparo squallida d ’ inverni, agli schianti qui che il monte s ’ interna, di levante o scirocco, lontano pareva di vimini, di carta - pesta dipinta - s ’ asconde o vien fuori secondo 50 ch ’ è nuvolo o secco il solitario? L ’ eremita chi lo vide mai? E noi pensiamo mattini boschivi, anime di cortecce, veglie . . . ma così non è. Forse erano suoi enigmi di schioppo e lanterna, forse era lui a cercare nella forra angusta 55 il bulbo che alimenta la notte? - Solitudine trasparenza d ’ abisso? - E le notti, le notti hanno un tarlo rovente né giova scongiuro, le pietre della capanna serbano ancora le losanghe scure che lascia 60 fuggendo il rosso devastatore dal manto . . . e questo avvenne una volta: nell ’ ora che su la città è una coltre in caligini, e scende, né la ferma spranga o chiavistello, e posa a ognuno la sabbia del sonno su le palpebre, 65 da un ’ intacca della rupe sprizzò la scintilla: saio barba cappuccio, il fagotto d ’ orbace e stoppa fu tutto ruote di fuoco sbocchi di fumo . . . l ’ ombre dell ’ energumeno su le pareti di roccia come di notturni avvoltoi in turbinio d ’ ali! 70 Più delle fiamme paurose . . . tardi dal mucchio Biblioteca poetica 73 si partirono in volo dintorno maligne pirauste, lampiri - e dalla pianura di giù se alcuno vide il bagliore pensò forse: accende il capraio a conforto 75 la fiammata, ora che autunno avanza . . . Anleitung auf den Berg zu steigen 2 Nimm so den Pfad zum Berg: wenn es kein 1 Tag mit Nordwind ist, der den Schiffern entgegen bläst, sondern von der entgegengesetzten Seite, wo die Berge sich in einer Schlucht verdunkeln und, wenn die Zeit gekommen ist, in Granat und Silber festlich erglänzen, - zum jährlichen Lobgesang umhüllt sich mit Weiß das Sprießen, 5 quillt über die Einfriedungen, die neuen Wasser beleben die Bucht, der Horizont atmet auf - von dort ein nicht zu heftiges Wehen des Winds aus dem Süden, und er wird dir zur Seite sein und dich leicht machen, ein unsichtbarer Begleiter, jedoch gegenwärtig 10 in einem wegrollenden Blatt oder einem schwankenden Zweig, und es sind die Sandalen, die die Gräser vor dir niederbiegen . . . weder Stock noch Kalebasse gegen den Durst sollst du haben wie zur Zeit der Bilder, der Wind gebiert die Träume. Noch hält ein Verweilen den Sommer auf, den der Dahlien, der schweren, 15 zu leuchtenden Glockenblumen in den regennassen Gärten, wehe, wenn die Luft sie ein wenig bewegt! und sie werden angeregt von eitlen Tänzen − aber die träge Brandung in den Buchten wälzte schon seit Monaten verstreuten Abfall, 20 - dies ist die Zeit, nimm den Pfad zum Berg und bringe den Schritt beim Aufstieg nicht aus dem Takt mit dem verschwiegenen Hauch - wenn er an den Büschen die Zweige wendet, gleichen sie hängenden Federn von Turteltauben, von Bekassinen. Eine Lichtung vorn und eine Quelle, und das ist der Zugang 25 zum Aufstieg, einer Gebirgstreppe, die auf Riesenbögen ruht einer Mauer, gleich alt wie 2 Meine Übersetzung hat keinen künstlerischen Anspruch und versteht sich lediglich als Lektürehilfe für das italienische Original. Mein Dank gilt Herrn L. Fesenmeier für seine Anregungen. Biblioteca poetica 74 der Fels, und die Spalten häufen dicht bei dicht Gebüsch von trockenen sich schlängelnden Wurzeln an, Deckung in den Stunden des Lichts solange die Nacht 30 kreist, umherirrt, sich ankündigt, - der ländliche Kiesweg lässt den Fuß gleiten, da jeden Stein mal grünes, mal verbranntes Moos umhüllt, an den Rändern zerbröckelt die Trockenmauer und im Schotter sprießt die violette Distel . . . doch sieh nach 35 oben zur Höhe, ist sie nicht zum Greifen nahe? Doch wenn sich Wolken zeigen lockige, doldenförmige, - Schäume, die im Himmelblau die Bergwinde bewegen - entrückt plötzlich der Gipfel, überfallen dich die Wolken. Baumbestanden die ersten Absätze, wenn du beim dritten abbiegst, 40 umgibt dich die Bergluft wie nirgends sonst: ein Likör aus Felsblumen, altem Regen und Geheimnissen, und du siehst Kalksteine, die eines unvordenklichen Tages ein Modellierholz wie Kreide formte mit zarten Kerbungen, Konsolen, Nischen, und schon triffst du auf die Hütte des Einsiedlers: 45 Vorbau oder Zelle? Ohne Dach und Schutz, von Wintern gebleicht, aus Steinsplittern hier, wo sich der Berg einzieht, von Osten oder Süden, von ferne schien sie aus Rohr, aus Papier - angemaltes Pappmaschee - , verbirgt sie sich oder erscheint sie, je nachdem 50 ob eine Wolke da ist oder trocken der einsame Platz? Den Eremiten, wer sah ihn je? Und wir denken an Morgen im Wald, beseelte Rinden, Nachtwachen . . . aber so ist es nicht. Vielleicht bezogen sich seine Rätsel auf Flinte und Laterne, vielleicht suchte er im engen Dickicht 55 das zwiebelförmige Glas, das die Nacht nährt? - Einsamkeit, Durchscheinen des Abgrunds? - Und die Nächte, in den Nächten nagt ein Wurm, da hilft keine Beschwörung, die Steine der Hütte bewahren noch die dunklen Rauten, die das zerstörerische Rot 60 aus dem Rauchfang fliehend zurücklässt . . . und einmal geschah Folgendes: in der Stunde, in der über der Stadt eine Dunstglocke hängt und absinkt, weder Schloss noch Riegel sie aufhält und jedem den Sand des Schlafs auf die Lider streut, 65 stob aus einem Einschnitt des Felsens der Funke: Kutte, Bart, Kapuze, das Bündel aus Filz und Werg, Biblioteca poetica 75 alles wurde zu Feuerrädern, Rauchschwaden . . . die Schatten des Besessenen auf den Felswänden wie nächtliche Geier in einem Flügelwirbel! 70 Mehr der angsteinflößenden Flammen . . . später lösten sich umher fliegend vom Haufen bösartige Zünsler, Glühwürmer - und wenn einer aus der Ebene unten das Leuchten sah, dachte er vielleicht: der Ziegenhirt entfacht 75 ein wärmendes Feuer, jetzt wo der Herbst kommt . . . Kommentar Dass es sich selbst im Jahr des Erscheinens (1967) 3 um einen entschieden unzeitgemäßen 4 Text in erhaben gestimmtem Ton handelt, kündigt sich im exotischen Gesamttitel der schmalen, lediglich aus neun Gedichten bestehenden Sammlung Plumelia an, der offensichtlich selbst für Muttersprachler der Erklärung bedarf: 5 Auch als eine dialektal-palermitanische Form der eigentlichen botanischen Bezeichnung plumeria (nach dem französischen Botaniker Charles Plumier) bleibt das Wort der fremdartige, eher assoziativ als denotativ wirkende Name einer Pflanze, die angeblich nach Apfel riecht und an die Blüte und Farbe der Kamelie erinnert. Der namengebende Botaniker Plumier verweist darüber hinaus auf das inzwischen außer Gebrauch gekommene Federmäppchen (frz. plumier) und die darin aufbewahrte Feder (frz. plume), die metonymisch für die Literatur steht. In dieselbe poetologische Richtung weist die umständliche, den Gradus ad Parnassum wörtlich nehmende Überschrift des Einleitungs-Gedichts: Guida per salire al monte. Erwarten würde man einen Gedichttitel, der aus einem einzigen Wort oder einem einfachen Syntagma bestünde, wie es auch im vorliegenden Band sonst die Regel ist. Doch hat das Gedicht als Eingangsgedicht nicht (nur) die wörtliche Bedeutung (wer sucht sich für einen Wanderführer in fremdem Gelände 3 Auf Empfehlung Montales: Lucio Piccolo [di Calanovella], Plumelia, Milano: Scheiwiller 1967. 4 Insofern dem in denselben Räumen des Familiensitzes in Capo d ’ Orlando entstandenen Gattopardo seines Vetters Giuseppe Tomasi di Lampedusa ähnlich, der ja zunächst von einigen Verlagen wegen seiner altmodischen Machart abgelehnt wurde. 5 Plumelia, p. 55: «N.[ota] d.[el] E.[ditore]. A proposito del titolo PLUMELIA (o meglio: PLUMERIA) il comune amico Antonio Pizzuto mi scrive in data 18 agosto: ‘ Noi palermitani lo chiamiamo pomelia: una stortura, forse, ma pittoresca (come ‘ olio duro ’ lo joduro), perché il fiore sa di pomo ed ha la purezza della camelia. Ma come mi scrive Lucio Piccolo, esso è creazione di un Plumier. ʼ ». Biblioteca poetica 76 ausgerechnet ein Gedicht aus? ), sondern eher den programmatischen Charakter einer Anleitung, wie man den Dichter-Parnass zu besteigen habe. Die Umständlichkeit des Titels verrät die Absicht, dem Leser nicht den schnellsten oder gar den bequemsten Weg nach oben zu weisen - bezeichnenderweise endet das Gedicht ja auch auf drei Punkte im Ungefähren, ohne dass ein Gipfel erreicht worden wäre - , sondern ihn, nach der Devise ‘ der Weg ist das Ziel ʼ , auf die sinnlichen Eindrücke und die assoziativen Angebote aufmerksam zu machen, die diese spezielle Art des Bergwanderns bietet. Wer einmal in Sizilien gewandert ist, kann vielleicht nachvollziehen, wie wohltuend ein begleitender lauer Wind ist, welches Schauspiel die abwechslungsreiche Natur bietet. Oder er kann es, mangels eigener Erfahrung, im ästhetischen Nachvollzug mit Hilfe der Bilder und Rhythmen des Gedichts imaginativ ‘ erfahren ʼ . Auffällig ist der reiche Wortschatz, der, wie schon der Titel ahnen lässt, teilweise so ausgefallen bzw. speziell sizilianisch ist, dass auch ein Zingarelli nicht genügt, geschweige denn ein normales zweisprachiges Lexikon. Rares Vokabular verleiht dem Text nicht nur etwas Kostbares, sondern verlangsamt den Rezeptionsprozess, der dem Leser ein Innehalten aufzwingt, das der imaginativen, sinnlichen Aktualisierung der erwähnten Details dient. Im gleichen Sinne wirkt die mäandernde, zerhackte Syntax, die kookkurrent den mühsamen, beschwerlichen, immer wieder zum Atemholen innehaltenden Aufstieg mit seinen abschweifenden Blicken und Gedanken nachbildet. Die freien, zwischen neun und 17 Silben schwankenden Langverse formen sich zu ellenlangen Sätzen, immer wieder unterbrochen von Einschüben zwischen Gedankenstrichen und durch mit drei Punkten markierte Auslassungen. Der erste Punkt und damit das erste Satzende findet sich erst in Zeile 14! Und auch dann beginnt der nächste Satz nicht am nächsten Zeilenanfang, sondern vor dem Versende, um hakenstilartig mit Enjambement weiter zu schreiten, so dass das Gedicht über die gesamte Länge von 76 Versen ohne Absatz auskommt. Zu den bereits genannten Phänomenen (Gedankenstriche, Auslassungspunkte) kommen mitten im Satz noch Doppelpunkte, Ausrufe- oder Fragezeichen, die ebenfalls kein Satzende markieren, unmotivierte Neuansätze mit e, unvorbereitete Subjektwechsel, Aposiopesen, Anakoluthe etc. Sechs Mal wird die Schilderung von Fragen unterbrochen, die neben den anderen Anzeichen des Zögerns und Zweifelns die tiefe Unsicherheit des Dichters über die Einordnung des Gesehenen unterstreichen und seine Scheu, dem Leser im Gedicht eine abgeschlossene Deutung des Erlebten zu liefern. Eine besondere Rolle spielte für die Dichtung seit der Antike der Wind: Hier sowohl sächlich/ wörtlich, indem er den Schritt des Dichters in seinem Aufstieg (9/ 10, 22/ 23, 41) beschwingt und die Pflanzen (10/ 11, 23 Blätter, Zweige; 17/ 18 Blumen) und die Wolken (37/ 38) in Bewegung versetzt, als auch übertragen als dichterische Inspiration (14), wobei die beiden Funktionen nicht zu trennen sind. Biblioteca poetica 77 Auf seinem Weg begegnet der Wanderer einer zu Stein erstarrten Naturgeschichte (26/ 27; 43/ 44), außerdem der gegenwärtigen Natur in Form der Pflanzen als auch der jüngeren menschlichen Geschichte in Gestalt eines der Gesellschaft Entflohenen. Zuerst denkt der Sprecher an einen traditionellen Eremiten (51/ 53), doch es scheint sich eher um einen vom Dämon, sei er nun psychisch oder politisch, Besessenen (Energumenos 69) zu handeln, der in einer Art selbst inszeniertem Autodafé endet. 6 Das reinigende Feuer verwandelt vom Menschen künstlich Geschaffenes (Hütte, Stoff ) wieder zurück in Natur (48, 58, 72/ 73). Wenn der Text einerseits immer wieder bei Details verweilt, um ihre sinnliche Fülle zu entfalten, und andererseits energisch vorwärts drängt, so sollte der Leser auf dieses Angebot eingehen, sich die optischen, akustischen und haptischen Eindrücke imaginativ vergegenwärtigen, um in den Genuss des ganzen Reichtums der Verse zu kommen. Bemerkungen zu einzelnen Details der Übersetzung Gedichttitel: Im Deutschen, das nicht zwischen guida und duce trennt, ist Führer ein für alle Male problematisch, selbst wenn der Begriff als Tourismus-, Opern- oder Berg-Führer noch durchaus harmlos gebräuchlich ist. Da im vorliegenden Gedicht keine Person und auch nichts Buchförmiges gemeint ist, bietet sich als Übersetzung Anleitung an: Das Gedicht hat eine poetologische Aufgabe, es führt vor, wozu es anleitet. V. 1: Così am Anfang des Gedichts ist betont und erhält seine Berechtigung von der Gattungsbezeichnung guida, die den Hinweis des Dichters enthält, wie man am besten den Anstieg beginnen sollte. Im Deutschen hätte die übliche Wortstellung So nimm den Pfad einen weniger deutlichen deiktischen Charakter, da man automatisch beim Lesen die Betonung auf den Imperativ legen würde. V. 8: Südwind oder Wind aus dem Süden? Da der italienische Mezzogiorno mit seinen vier Silben im Rhythmus des Verses und in der Endstellung einen betonten Platz einnimmt, sollte es auch im Deutschen mehr Gewicht bekommen. Mittag wird im Deutschen heute meist zu eindeutig temporal verstanden und weniger geographisch als im Italienischen. V. 12 ff.: Wenn es um Dichtung geht, braucht man weder eine mechanische Stütze noch ein Getränk, sondern überlässt sich der Inspiration des Windes. V. 17: Warum guai? Eines Windes, der im Gegensatz zum Wanderer/ Dichter für die schweren Blüten eher gefährlich ist. 6 Die Stimmung erinnert teilweise an einen anderen sizilianischen Autor, dessen Werk reich an Sonderlingen ist, Vincenzo Consolo (z. B. an Nottetempo, casa per casa, in dem die historische Gestalt des englischen Gurus Aleister Crowley sein Unwesen treibt). Biblioteca poetica 78 V. 18 ff.: Die vom Wind verursachten vane danze der Pflanzen stehen im Gegensatz zu den wenig poetischen Bewegungen des Mülls im Meer. V. 21: Die wörtliche Wiederholung des ersten Verses unterstreicht den Kairos, die Tatsache des richtigen Zeitpunkts. V. 22: Der Wind gibt mit dem Schritt auch den Rhythmus der Dichtung vor. V. 23: Der Windhauch ist nur indirekt aus bestimmten Indizien der Umgebung zu erschließen. V. 25 ff.: Die Natur wird in architektonischen (menschlichen, künstlerischen) Begriffen erfasst. V. 29 ff.: Die lautmalende Verzahnung durch die Alliterationen bildet im Italienischen die Undurchdringlichkeit des Gestrüpps nach. V. 43 f.: Auch hier wird die Natur in Kultur verwandelt. V. 45 ff.: Die für das fromme Sizilien naheliegende Vermutung einer Einsiedlerhütte, eines Orts der Spiritualität, wird ausdrücklich zurückgewiesen und dafür auf die ebenfalls sizilianische Tradition der Outlaws hingedeutet. V. 54: Was sind das für Geheimnisse? Ist der Eremit ein Wilderer oder ein Revolutionär (schioppo) oder doch eher ein politisch, religiös oder psychisch Marginalisierter (energumeno 69; vgl. oben Fußnote 5)? V. 56: Die Zwiebel ist zwar etwas Nährendes (alimenta la notte bezieht sich daher vermutlich auf das Licht der Laterne), aber hier geht es wohl zunächst um die Analogie zur Form des Laternen-Glases (ähnlich der deutschen [Glüh]Birne). V. 73: Pyrausta (u. a. purpuralis) - in der deutschen Bezeichnung für eine dieser Mottenarten, den Zünsler (phalaena pyralis ‚ ‘ Lichtmotte ʼ , auch ‘ Gespenst ʼ ; Buchsbaumschädling mit gefräßiger Raupe, vgl. auch V. 58), steckt ähnlich wie im italienischen Wort das griechische pyr (Feuer) das Verb zünden, zünseln. Übersetzung und Kommentar: Hermann H. Wetzel Biblioteca poetica 79 TABEA KRETSCHMANN Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Im gymnasialen Oberstufenunterricht Italienisch kann (und es spricht viel für ein ‘ sollte ʼ ) mit den SchülerInnen in einer Sequenz Dantes Divina Commedia in zentralen Auszügen behandelt werden: Das Hauptwerk Dantes gilt nicht nur als italienisches Nationalepos - und Dante als ein ‘ nationales Symbol Italiens ʼ 1 − , sondern auch als ein Klassiker der Weltliteratur. Bekanntermaßen ist die mittelalterliche Divina Commedia durch ihren heute teils nicht mehr gebräuchlichen Wortschatz, durch die vielfältigen Anspielungshorizonte auf Literatur, Philosophie, Theologie, Astronomie und Zeitgeschichte, durch ihre allegorische Anlage, durch die Gestaltung als Versepos u. a. m. eine nicht gerade einfache Lektüre. Um SchülerInnen den Zugang zur Divina Commedia zu erleichtern und zugleich das breite Spektrum sowohl intermedialer Rezeptionsprodukte zur Divina Commedia (z. B. Illustrationen, Filmadaptionen, Rezitationen, Hörspiele, Comics etc.), literarischer Übersetzungen sowie weiterer Informationsmöglichkeiten zur Divina Commedia (z. B. Kommentare, Informationsfilme) zu nutzen, werden im Folgenden Vorschläge für eine symmediale Unterrichtssequenz vorgestellt. 2 Mit diesen medial verschiedenen Materialien kann die sprachlich wie inhaltlich schwierige Lektüre entlastet und zusätzliche Motivation für eine sonst ggf. als schwerfällig und trocken empfundene Lektürearbeit aufgebaut werden; die jahrhundertelange Rezeption der Divina Commedia, die zu ihrem Klassikerstatuts beiträgt, wird zugleich aufgezeigt und es können unterschiedliche künstlerische Rezeptionsweisen hinsichtlich Gestaltung und Wirkung diskutiert werden. Schließlich erlaubt die eigene kreative Gestaltung in verschiedenen Medien durch SchülerInnen eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem alten Text. Wie ganz unterschiedliche intermediale Bearbeitungen der Divina Commedia im Unterricht eingesetzt werden können, wird im Folgenden mit konkreten Vorschlägen aufgezeigt. Diese sind für einen Einsatz im Fremdsprachenunterricht für Italienisch als dritte Fremdsprache in der gymnasialen Oberstufe geeignet, DOI 10.24053/ Ital-2021-0026 1 Vgl. Schulze 2005. 2 Kennzeichnend für einen ‘ symmedialen ʼ Unterricht ist «kein beliebiges Nebeneinander printmedialer, analoger und digitaler Medien [. . .], sondern das sinnvolle, durch einen didaktischen Mehrwert spezifizierte Aufeinanderbezogensein ‘ alter ʼ wie ‘ neuer ʼ Medien im Unterrichtsprozess». (Frederking 2018, S. 105.) 80 aber auch für den muttersprachlichen Italienischunterricht, für VHS-Kurse oder ggf. in Teilen für Italienisch-Seminare an Universitäten. Alle Materialien sind entweder frei verfügbar oder leicht zu besorgen. I Passung zum Lehrplan Für den Unterricht in Italienisch als dritter Fremdsprache in der 11. und 12. Jahrgangsstufe sieht beispielsweise der bayerische Lehrplan Gymnasium die «Begegnung mit mindestens zwei klassischen Werken der italienischen Literatur- und Geistesgeschichte anhand von Auszügen (z. B. Dante, Boccaccio, Petrarca, Goldoni, Leopardi, Manzoni, Verga)» vor. 3 Hierbei erhalten die Schüler- Innen «einen Einblick in zentrale Werke und Epochen der italienischen Literaturgeschichte» und «werden befähigt und angeregt, Bezüge zum politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld der behandelten Texte und zur Weltliteratur sowie zu anderen künstlerischen Ausdrucksformen herzustellen». Ausdrücklich soll dies «auch in fächerübergreifender Projektarbeit» geschehen. Zudem sollen die SchülerInnen durch «die eingehende Beschäftigung mit Phänomenen der Textgestaltung und durch analytisch-interpretierende sowie kreative Verfahren [. . .] zu einem vertieften Bewusstsein bezüglich der Wirkungsweise von Texten und Medien sowie Fragen der sprachlichen Ästhetik» gelangen. Mit dieser Formulierung sind symmediale Zugangsweisen bei der Unterrichtsgestaltung bereits impliziert. Durch die Arbeit mit den literarischen Texten sollen folgende Kompetenzen gefördert werden: «[. . .] die Aussagen von Texten durch kursorisches Lesen erfassen; das Globalwie das Detailverständnis sichernde, zunehmend auch längere Abschnitte abdeckende Fragestellungen zum Text entwickeln und beantworten; sich zu Texten unter Benutzung eines grundlegenden Repertoires textanalytischer Fachbegriffe (auch Filmanalyse) äußern (Personencharakterisierung, Erzählperspektive, Zeitstruktur, Leserlenkung u. a.); Texte auf textsortenspezifische Aspekte, Argumentationsstruktur, Informationsgehalt, sprachlich-stilistische Merkmale und deren Funktion sowie die Wirkungsabsicht des Autors hin 3 Alle Zitate in diesem Abschnitt aus http: / / www.isb-gym8-lehrplan.de/ contentserv/ 3.1. neu/ g8.de/ index.php? StoryID=26515 (alle Internetquellen dieses Aufsatzes wurden zuletzt am 13.09.2021 eingesehen). Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 81 untersuchen und bewerten; eigene Interpretationen sowie inhaltliche und ästhetische Wertungen vornehmen». Im Kontext der hier vorgestellten Sequenz ist insbesondere auch die letztgenannte Kompetenz relevant: «sich mit medienspezifischen Gestaltungsmöglichkeiten auseinandersetzen»; neben Filmen werden u. a. fumetti, also Comics, ausdrücklich genannt. Abgesehen von diesen curricularen Anforderungen aus dem Lernbereich ‘ Umgang mit Texten und Medien ’ wurde für die Unterrichtsvorschläge, entsprechend aktueller didaktischer Standards, ein integrativer Ansatz gewählt, der weitere Lernbereiche (u. a. Hörverstehen, mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit, Sprachmittlung, Sprachreflexion) berücksichtigt. II Vorschläge für eine symmediale Unterrichtssequenz zur Divina Commedia 1 Hinführung: Der Autor Dante Alighieri Es kann davon ausgegangen werden, dass deutsche SchülerInnen vor einer intensiveren Behandlung seines Werks im Unterricht wohl kaum mehr als den Namen Dante gehört haben dürften. Vor der Beschäftigung mit der Divina Commedia selbst ist es daher sinnvoll, zunächst deren Autor einzuführen. 4 Bereits hier kann ein intermedialer Zugriff gewählt werden: Im Plenum wird den SchülerInnen ein Dante-Porträt von Sandro Botticelli (ca. 1445 − 1510; Abb. 1) - dem Maler der berühmten Renaissance-Werke Primavera und Geburt der Venus, der auch einen ganzen Zyklus mit Illustrationsskizzen zur Divina Commedia angefertigt hat 5 - aus dem Jahr 1495 gezeigt und die Gestaltungsweise besprochen (u. a. ernster Blick; rotes Gewand; Kappe mit Ohrenklappen; Lorbeerkranz). Sodann wird die subjektive Wirkung dieser Darstellung erfragt: Welchen Eindruck haben die SchülerInnen von Dante, wie Botticelli ihn präsentiert? In einem zweiten Schritt verdeutlicht ein exemplarischer Vergleich des Porträts mit Dante-Statuen aus Florenz und anderen italienischen Städten nicht nur die Omnipräsenz Dantes in den Stadtbildern bis heute, die als ein Indiz für seine nationale Bedeutung gesehen werden kann, sondern macht auch wiederholende Kernmerkmale der Dante-Ikonographie sichtbar (weitere Dante-Porträts z. B. auf der 2-Euro-Münze oder auf Olivenölflaschen 6 ). 4 Für die Lehrkraft als Einführung hilfreich z. B. Prill 1999. 5 Vgl. z. B. Schulze-Altcappenberg 2000. 6 Zu Dante in der Werbung vgl. De Martino 2013. Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 82 Die Frage, wie nah diese Darstellungen denn am tatsächlichen Aussehen des mittelalterlichen Dichters sein mögen, kann nicht abschließend geklärt werden; ein kurzes Zitat aus Boccaccios Trattatello in lode di Dante, der ersten ‘ Biographie ʼ des Dichters, die ca. 1351 − 1355 entstand, lädt jedoch zum Vergleich mit den Nachbildungen ein («Il suo volto fu lungo, e il naso aquilino, e gli occhi anzi grossi che piccioli, le mascelle grandi, e dal labro di sotto era quel di sopra avanzato; e il colore era bruno, e i capelli e la barba spessi, neri e crespi, e sempre nella faccia malinconico e pensoso.»). Anhand eines achtminütigen, online verfügbaren Zeichentrick-Films, La vita di Dante Alighieri (2016, Treccani Scuola), der für SchülerInnen erstellt wurde, werden schließlich einige zentrale Informationen zu Dantes Leben zusammengetragen 7 ; das Hörverstehen wird dabei gefördert. Die Arbeit mit dem Film kann durch ein Arbeitsblatt mit einem ‘ Steckbrief ʼ zu Dante flankiert werden, das beim Ansehen vervollständigt wird. 2 Die Divina Commedia : Titel und cantiche Als Einstieg in die Textarbeit wird den SchülerInnen zunächst der Titel des Werks, Divina Commedia, gezeigt (z. B. Tafelanschrieb), dieser gemeinsam übersetzt und es werden knapp Erwartungen an den Inhalt formuliert. Ggf. werden in Buchform - diese macht sofort sichtbar, wie umfangreich das Versepos ist - die drei Bände der Divina Commedia gezeigt und die Titel der drei Teile bzw. cantiche: Inferno, Purgatorio, Paradiso schriftlich fixiert. Ausgehend von den drei Begriffen werden ihre Bedeutung und mögliche Hinweise auf den Inhalt des Werks ( Jenseitslandschaft! ) erfragt. Die SchülerInnen erfahren dann, dass keine Original-Handschrift Dantes erhalten ist, der Text der Divina Commedia aber in verschiedenen frühen Handschriften überliefert ist. Es werden Abbildungen der Frontseite sowie der ersten Folio-Seite aus dem in Hamburg lagernden, durch seine prächtigen Illustrationen sehr wertvollen Codex Altonensis (ca. 1340 − 1410; Abb. 2 und Abb. 3) gezeigt. 8 Den SchülerInnen wird so deutlich, dass die Divina Commedia bereits unmittelbar nach ihrer Entstehung einen sehr hohen Stellenwert gehabt haben muss, wenn der Text in derart prachtvollen Ausgaben, wie man sie sonst primär von religiösen Handschriften (z. B. Bibel) kennt, reproduziert wurde (dass die Divina Commedia nach der Bibel das wohl am zweithäufigsten gedruckte Werk ist, mag eine 7 Verfügbar auf https: / / www.youtube.com/ watch? v=DKmPs4STuyY und auf www.treccaniscuola.it. 8 Abbildungen und Zusatzinformationen u. a. hier: https: / / histgymbib.hypotheses.org/ 2350 sowie https: / / www.abendblatt.de/ kultur-live/ article107829751/ Einmalig-und-unersetz lich-Die-Handschrift-des-Dante.html. Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 83 interessante Zusatzinformation sein). Sie werden zudem darauf vorbereitet, dass von Beginn an die Divina Commedia zu künstlerischen Bearbeitungen angeregt hat - und dies, wie sie in der weiteren Sequenz erfahren, bis heute tut. Zudem sehen die SchülerInnen, dass der heutige Titel nicht immer so lautete. Auf der Frontseite des Codex ist zu lesen: «LALTA / COMED/ YADEL/ SOMMO/ POETA/ DANTE» (Die erhabene Komödie des höchsten Dichters Dante). Möglicherweise wird ergänzend die Erklärung Dantes in seinem Brief an seinen Gönner Cangrande della Scala gelesen und besprochen, in der er den Titel seines Werks erläutert: 9 «Il titolo del libro è ‘ Inizia la Commedia di Dante Alighieri, fiorentino di nascita, non di costumi ʼ . A chiarimento di ciò dobbiamo sapere che commedia deriva da ‘ comos ’ , ‘ villaggio ’ , e ‘ oda ’ , cioè ‘ canto ’ : da qui commedia quasi ‘ canto villereccio ’ . La commedia è un genere di narrazione poetica che differisce da tutti gli altri. Differisce dalla tragedia riguardo al contenuto: infatti la tragedia all ’ inizio suscita un sentimento di quieta ammirazione, ma nella conclusione è rivoltante e terrificante; è definita così perché deriva da ‘ tragos ʼ , che è il ‘ capro ʼ e ‘ oda ʼ , come se si trattasse di un ‘ canto del capro ʼ , ossia disgustoso e maleodorante appunto come un capro, come appare palese nelle tragedie di Seneca. La commedia, poi, propone all ’ inizio le difficoltà di un evento, ma lo sviluppo di questo approda a un esito felice, come si palesa nelle commedie di Terenzio. [. . .] Allo stesso modo i due generi differiscono nell ’ espressione: alata e sublime è la tragedia, dimessa e umile la commedia, come afferma Orazio nella sua Arte poetica, [. . .]. E per questo appare chiara la ragione per cui quest ’ opera si intitola Commedia. Infatti, se guardiamo al contenuto, inizialmente orribile e ripugnante, poiché descrive l ’ Inferno, alla fine appare positiva, desiderabile e gradevole, perché illustra il Paradiso; quanto all ’ espressione, viene impiegato un linguaggio misurato e umile, in quanto usa la lingua volgare in cui si esprimono le donnette. [. . .]» Herauszuarbeiten wäre hier die Unterscheidung zwischen Tragödie und Komödie hinsichtlich der Gestaltung von gutem/ schlechtem Beginn und umgekehrten Ende - auch in Unterscheidung zu der den SchülerInnen vermutlich geläufigen Bedeutung von ‘ Komödie ʼ als tendenziell humoristischem Unterhaltungsstück - sowie des Sprachgebrauchs. Wichtig ist außerdem die Erläuterung durch die Lehrkraft, dass Dante mit der Divina Commedia das erste derart große Werk im italienischen volgare verfasst hat, während zu seiner Zeit noch das Lateinische die dominante Schriftsprache 9 http: / / www.classicitaliani.it/ dante/ cangran.htm. Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 84 war. Seine Leistung in sprachlicher Hinsicht ist nicht zu unterschätzen, da er mit dem Epos die schriftliche Fixierung des italienischen volgare maßgeblich vorangetrieben hat. Den heute gebräuchlichen Titel Divina Commedia hingegen hat erst Giovanni Boccaccio (1313, Certaldo bei Florenz - 1375, ebd.) dem Werk verliehen: Zwar kannte Boccaccio Dante nicht direkt, war jedoch voller Bewunderung für seine Dichtung; er schrieb den Trattatello in laude di Dante und fügte einer Handschrift der Commedia den Zusatz Divina im Titel bei. Inferno I Da Dantes Text im Original für die SchülerInnen sprachlich erhebliche Schwierigkeiten bereithält, kann ein symmedialer Zugang für eine Vorentlastung der Lektüre genutzt werden. Hierfür wird den SchülerInnen eine frühe Illustration zum ersten Gesang aus einer sienesischen Handschrift von Priamo della Quercia (* um 1400 vermutlich in Castelnuovo Berardenga bei Siena; † nach 1467 in Siena, Abb. 4) präsentiert. 10 Die Illustration aus dem Yates Thompson Codex 36, der 110 Grafiken della Quercias zu Dantes Inferno enthält, zeigt wie ein ‘ Comic ohne Worte ʼ zentrale Geschehnisse aus dem ersten Gesang. In einem Unterrichtsgespräch wird das Bild hinsichtlich der Motive und Gestaltungsweise beschrieben (u. a. dunkler, dichter Wald am linken Bildrand; Dante erkennbar an seiner Kleidung und der Kappe, die die SchülerInnen bereits kennengelernt haben; zunächst ein scheinbar schlafender Dante; dann drei wilde Tiere, die Dante in Schrecken versetzen; Sonnenstrahlen am Himmel sowie ‘ Engelsfigur ʼ am oberen Bildrand; Begegnung mit einem älteren Mann, der Dante offenbar freundlich begrüßt; Berge im Hintergrund). Erst danach wird der Originaltext angegangen: Es empfiehlt sich, dass die Lehrkraft die ersten Verse (V. 1 − 12) langsam und deutlich vorträgt, während die SchülerInnen den Text mitlesen. Um das Verständnis abzusichern, werden nacheinander jeweils drei Verse nochmals von der Lehrkraft vorgetragen, Vokabular geklärt und dann deren Inhalt mit den SchülerInnen (ggf. durch wörtliche Übersetzung) rekapituliert. Ergänzend - für die Lehrkraft hier wie an anderen Stellen hilfreich ist sicherlich der Kommentar zur Divina Commedia von 10 http: / / www.worldofdante.org/ gallery_yates_thompson.html, hier finden sich viele Scans der Illustrationen aus dem Codex in sehr guter Qualität. Auch die prachtvoll gestaltete erste Textseite des Codex kann gezeigt werden: http: / / www.worldofdante.org/ pop_up _query.php? dbid=I619&show=more. In dem Codex sind auch die berühmten Paradiso- Illustrationen von Giovanni di Paolo enthalten, die in einer neueren Faksimile-Ausgabe erhältlich sind: Pope-Hennessy 1993. Über den Codex: Pope-Hennessy 1947. Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 85 Hermann Gmelin, erschienen mit seiner gut lesbaren Übersetzung bei dtv 11 - sollte v. a. die Wendung «nel mezzo del cammin» erläutert werden, die sich auf die Hälfte des idealen biblischen Lebensalters von 70 Jahren bezieht und die eine Art ‘ midlife crisis ʼ als Ausgangspunkt für die Erlebnisse des Ich-Erzählers markiert. Um das weitere Textverständnis zu erleichtern, wird auf die besondere sprachliche Gestaltung eingegangen: Der Text ist ganz in endecasillabi, Elfsilbern, sowie in Kettenreimen, terze rime, mit dem Reimschema ababcbcdc. . . verfasst. Um das regelmäßige Schema durchzuhalten, muss mitunter - wie auch in manch deutschem Gedicht - die Satzstellung oder Wortwahl so vorgenommen werden, dass ‘ der Reim ausgeht ʼ . Zudem werden Abkürzungen verwendet. Auffällig ist die gleich zu Beginn starke Emotionalität, die sprachlich durch Ausrufe («Ahi») und Ausrufesätze oder auch die Reihung von Adjektiven («selva», «aspra», «forte») zum Ausdruck gebracht wird. Durch die Verwendung des Possessivpronomens «nostra» gleich in V. 1 wird der Leser in das Geschehen einbezogen; der Erzähler markiert, dass dies den Leser unmittelbar selbst betrifft. Die Formulierung «mi ritrovai» impliziert einen Ich-Erzähler, der auch das weitere Geschehen berichtet. Auch kann bereits hier auf die auffällige Gestaltung in Dreiergruppen hingewiesen werden: Die Divina Commedia besteht aus drei Büchern, die Kettenreime aus drei zusammengehörigen Reimwörtern; Dante begegnet - wie die Schüler- Innen auf der Illustration Quercias gesehen haben - drei Tieren; der häufige Gebrauch der Dreizahl reflektiert formal die in der Dichtung beschriebene Jenseitsreise zu Gott, da sie in der christlichen Tradition als ‘ heilige Zahl ʼ gilt ( ‘ Dreieinigkeit Gottes ʼ ). Nach diesem gemeinsamen Einstieg kann weiter eine Rezitation, beispielsweise von Vittorio Gassman, 12 herangezogen werden. Die Rezitation von Gassman ist auf youtube und DVD verfügbar; sie sollte ohne Filmbilder vorgespielt werden, die vom Text ablenken würden. Gassman rezitiert mit starker Betonung, was das Verständnis durch die SchülerInnen unterstützt und zudem die sinnliche Wirkung der endecasillabi und Reime erfahrbar macht. Die Rezitation wird in größere Abschnitte eingeteilt (z. B. V. 1 − 30 Dante si smarrisce nella selva; V. 31 − 60 Le tre fiere; V. 61 − 90 Presentazione di Virgilio; V. 91 − 111 Profezia del Veltro; V. 112 − 136 Il viaggo di Dante); jeweils im Anschluss an die Hörphase wird gefragt, was vom Text verstanden wurde. Hierfür wird ein Textblatt mit Inf. I ausgegeben, bei dem schwierige Vokabeln annotiert wurden; neben dem Text ist Platz für stichpunktartige Zusammenfassungen des Inhalts; ggf. können auch kurze Kommentare zu schwierigen Textstellen angegeben 11 Alighieri 1988. 12 https: / / www.youtube.com/ watch? v=aBGq11ODudA; Rezitation ab 4: 41, vorher Erläuterungen zum ersten Gesang. DVD: Vittorio Gassman: Gassman legge Dante (EDB, 2005). Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 86 werden. Abschnittsweise wird der Text genauer besprochen und inhaltlich Unklares geklärt. Hierbei wird unterstützend noch einmal das Bild von della Quercia gezeigt. U. a. auf die traumhafte Ausgangssituation einschließlich der irreal erscheinenden drei Tiere sowie die geisterhafte Erscheinung Vergils, der die Rolle als Führer Dantes übernimmt, sollte besonders eingegangen werden; ebenso auf die kryptische Veltro-Prophezeiung und den Ausblick auf die drei Jenseitsreiche, die Dante durchwandern wird. Nach der Besprechung sollte den SchülerInnen Gelegenheit gegeben werden, ihre ersten Lese-, Hör- und Verstehenseindrücke zu äußern (z. B. Fällt ihnen die Lektüre schwer/ leicht? Warum? Was finden sie interessant? Welchen Eindruck haben sie bisher vom Inhalt des Textes? ), um die subjektive Involviertheit in den Lektüre- und Interpretationsprozess explizit zu machen. Zur Absicherung des Verständnisses des ersten Gesangs können die Schüler- Innen in Hausarbeit auf einem Arbeitsblatt, auf dem die verschiedenen ‘ Dante ’ aus Quercias Bild jeweils einzeln (ähnlich ‘ film stills ʼ ) abgetrennt und untereinander gesetzt wurden, die Bildausschnitte wie bei einem Comic mit kurzen italienischen Texten als Bildunterschriften sowie Gedanken- oder Sprechblasen beifügen. So wird der wesentliche Inhalt aus Inf. I selbstständig wiederholt. In einem Brief an Cangrande della Scala hat Dante erklärt, dass die Divina Commedia nicht einfach nur gelesen, sondern auch gedeutet werden müsse: Die Inhalte seien in allegorischer Weise dargestellt. Diese Information ist im Anschluss an die Lektüre des ersten Gesangs für die SchülerInnen wichtig, da sie die teils hoch stilisierte, metaphorische Darstellung in der Divina Commedia verständlich macht. In einem Lehrervortrag oder auch durch Lektüre des ins Deutsche übersetzten lateinischen Auszugs aus der Epistel XIII, 20 − 25, werden die Informationen vermittelt: «(20) Zur Verdeutlichung des zu Sagenden muß man deshalb wissen, dass dieses Werk nicht eine einfache Bedeutung hat, vielmehr kann es polisem genannt werden, das heißt mehrdeutig. Denn die erste Bedeutung ist jene, die es durch den Buchstaben hat, die andere ist jene, die es durch das vom Buchstaben Bezeichnete hat. Und die erste wird die buchstäbliche genannt, die zweite aber die allegorische oder die moralische. [. . .] Denn ‘ Allegorie ʼ kommt von griechisch ‘ alleon ʼ , was auf lateinisch ‘ alienum ʼ [anders] oder ‘ diversum ʼ [verschieden] heißt. (23) Aufgrund des Gesehenen ist offenkundig, daß der Gegenstand, um den herum weitere Bedeutungen kreisen, notwendigerweise ein doppelter sein muß. Und deshalb ist der Gegenstand dieses Werkes zu untersuchen, insofern er dem Buchstaben nach aufgefaßt wird; danach der Gegenstand, insofern er allegorisch ausgelegt wird. (24) Der Gegenstand des ganzen Werkes, nur buchstäblich aufgefaßt, ist also der Zustand der Seelen Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 87 nach dem Tod, absolut genommen; denn von diesem handelt und um diesen [rankt sich] der Gang des ganzen Werkes.» 13 Die SchülerInnen sollten verstehen, dass die Divina Commedia neben einer wörtlichen Bedeutung auch eine übertragene, allegorische Bedeutung hat. Insofern ist also der/ die LeserIn immer wieder dazu aufgefordert, über weitere Bedeutungsebenen des Textes nachzudenken. Etwa anhand der allegorischen Deutung der drei Tiere, denen Dante in Inf. I begegnet, kann die allegorische Dimension des Werks aufgezeigt werden. Dies lässt sich u. a. durch Kopien aus Gmelins pointiertem Kommentar zu den Textstellen erarbeiten, den die Schüler- Innen zunächst in Partnerarbeit lesen und besprechen, bevor im Plenum die Erklärungen in eigenen Worten wiederholt werden. Im Zuge dessen erfahren die SchülerInnen zudem, dass die Divina Commedia nicht nur durch die allegorische Dimension, sondern auch durch die Verarbeitung vielfältiger historischer, philosophischer, theologischer, literarischer u. a. Bezüge so komplex gearbeitet ist, dass sie heute als ‘ Summe des mittelalterlichen Wissens ’ gilt und zu den am häufigsten kommentierten Werken der Weltliteratur gehört. Inferno III Der zweite Gesang wird aus didaktischen Gründen, da die Handlung kaum vorangetrieben wird und das Dargestellte weniger anschaulich und damit weniger leicht verständlich für die SchülerInnen ist, von der Lehrkraft knapp zusammengefasst. Kurz: Dante ist sich nicht sicher, ob er die von Vergil vorgeschlagene Jenseitswanderung schaffen kann - lässt sich von diesem jedoch zu dem abenteuerlichen Unterfangen überzeugen. Als Lebender wird er die Welt der Seelen im Jenseits betreten. Beatrice, Dantes früh verstorbene Jugendliebe, hat aus dem Paradies Vergil mit der Führung Dantes betraut. Als Vorentlastung der weiteren Textarbeit wird Gustave Dorés (1832, Straßburg - 1883, Paris, Abb. 5) erste Illustration zu Inf. III gezeigt, welche in einem ‘ realistischen ʼ Stil die Schilderungen im Text abbildet: 14 Dante und Vergil stehen vor dem Eingang zur Hölle; noch weiß Dante nicht, was ihn erwartet. Die SchülerInnen beschreiben das Bild und seinen Aufbau (u. a. sehr kleine Figuren im Vergleich zum massiven Höllentor; eine Tafel hängt über dem Tor, auf die gedeutet wird, die Schrift ist nicht zu lesen) und formulieren Erwartungen an Canto III. 13 Alighieri 1993, S. 8 - 11. 14 Dorés Bilder sind im Internet leicht zu finden und wurden auch in verschiedenen Buchfassungen nachgedruckt, z. B. Doré 1975. Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 88 Den SchülerInnen werden ergänzend grundlegende Informationen zu Gustave Doré gegeben, der etliche literarische Klassiker illustrierte und dessen Druckgrafiken am häufigsten gemeinsam mit der Divina Commedia nachgedruckt wurden und werden. Sie reflektieren kurz die unterschiedlichen Illustrationsstrategien von Priamo della Quercia und Gustave Doré und ihre jeweilige Wirkung: Typisch für Dorés Grafiken sind die stark dramatische Wirkung, die er durch scharfe Schwarz-Weiß-Kontraste erzielt, sowie die sehr detaillierte, ‘ realistische ʼ Darstellungsweise. Sodann hören die SchülerInnen in einem ersten Abschnitt bis V. 12 wiederum die Rezitation von Vittorio Gassman und lesen den Text mit (ggf. wiederholen). Die Inschrift auf dem Höllentor wird anschließend inhaltlich rekonstruiert. Da die Inschrift auf dem Höllentor so große Berühmtheit erlangt hat, dass beispielsweise die Wendung «Lasst alle Hoffnung fahren» zitathaft auch in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen ist, soll die Auseinandersetzung mit den Verszeilen intensiviert werden: Die SchülerInnen werden gebeten, in Partnerarbeit eigene (wörtliche) Übersetzungen der Verse 1 − 12 anzufertigen. Diese werden im Plenum besprochen und dabei auch erstmals diskutiert, welche Herausforderungen auf der Wortebene bei der Anfertigung von Übersetzungen entstehen können. Es schließt sich ein Vergleich verschiedener dezidiert literarischer Übersetzungen an (z. B. Philaletes; August Wilhelm Schlegel; Karl Streckfuß; Karl Witte; Stefan George; Rudolf Borchardt; Richard Zoozmann; Hermann Gmelin; Georg Peter Landmann; Kurt Flasch; Hartmut Köhler). Auch vor dem Hintergrund der eigenen Übersetzungsversuche ohne literarischen Anspruch können sich die SchülerInnen so den Anforderungen und Möglichkeiten literarischer Übersetzungen nähern. Durch den Vergleich lernen die SchülerInnen, dass es seit dem 19. Jahrhundert eine lange Tradition deutscher Übertragungen der Divina Commedia gibt, die bis in die Gegenwart andauert. Sie erkennen verschiedene Übersetzungsstrategien (u. a. Reimstruktur, Metrum, Wortwahl, Groß- und Kleinschreibung) und reflektieren ihre Wirkung. Indem sie zuletzt eine eigene ‘ Rangliste ʼ der Übersetzungen erstellen, lernen sie, auf der Grundlage genauer sprachlicher Betrachtung begründet individuelle ästhetische Wertungen vorzunehmen, bei denen beispielsweise Les- und Verstehbarkeit, Nachbildung der Formalgestaltung, Textnähe auf der Wortebene, Deutungsnuancen oder Gesamtwirkung der Übersetzung abgewogen werden müssen. Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 89 Der Eingang bin ich zu der Stadt der Schmerzen, Der Eingang bin ich zu den ew ’ gen Qualen, Der Eingang bin ich zum verlor ’ nen Volke. Gerechtigkeit bestimmte meinen Schöpfer, Geschaffen ward ich durch die Allmacht Gottes, durch höchste Weisheit und durch erste Liebe. Vor mir entstand nichts, als was ewig währet, und ew ’ ge Dauer ward auch mir beschieden; lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren. In dunkler Farbe sah ich diese Zeilen Als einer Pforte Inschrift. Drum begann ich: O teurer Meister, düster ist ihr Sinn mir. - (Karl Witte, 1865) 15 Durch mich geht ’ s ein zur Stadt der ew ’ gen Qualen, Durch mich geht ’ s ein zum wehevollen Schlund, Durch mich geht ’ s ein zu der Verdammniß Thalen. Gerechtigkeit war der Bewegungsgrund Deß, der mich schuf; mich gründend, that er offen Allmacht, Allweisheit, erste Liebe kund. Nicht ward vor mir Geschaffnes angetroffen, Als Ewiges; und ewig daur ’ auch ich. Ihr, die ihr eingeht, laßt hier jedes Hoffen. Die Inschrift zeigt in dunkler Farbe sich Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte, Drum ich: «Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.» (Karl Streckfuß, 1876) 16 › Durch mich geht man hinein zur stadt der trauer Durch mich geht man in der Verlornen zelle Durch mich geht man zum leiden ewiger dauer. Aus recht gab mir der Schöpfer meine stelle Die göttliche Gewalt hat mich geweitet Die erste Liebe und die höchste Helle. Vor mir war kein geschaffnes ding bereitet Nur ewige - wie auch ich ewig stehe. 15 Alighieri (Witte) 2015. 16 Alighieri 1925. Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 90 Lasst jede hoffnung die ihr mich durchschreitet. ‹ Dies wort in einer dunklen farbe sehe Ich aufgeschrieben über einer türe.. Ich sprach: der sinn • o meister • macht mir wehe. (Stefan George, 1912) 17 D URCH MICH GEHT MAN HINEIN ZUR S TADT DER T RAUER , D URCH MICH GEHT MAN HINEIN ZUM EWIGEN S CHMERZE , D URCH MICH GEHT MAN ZU DEM VERLORENEN V OLKE . G ERECHTIGKEIT TRIEB MEINEN HOHEN S CHÖPFER , GESCHAFFEN HABEN MICH DIE A LLMACHT G OTTES , DIE HÖCHSTE W EISHEIT UND DIE ERSTE L IEBE . V OR MIR IST KEIN GESCHAFFEN D ING GEWESEN , N UR EWIGES , UND ICH MUSS EWIG DAUERN . L ASST JEDE H OFFNUNG , WENN IHR EINGETRETEN . Die Worte sah ich dort in dunkler Farbe Zu Häupten eines Tores angeschrieben Und sprach: «Mein Meister, hart ist die Bedeutung.» (Hermann Gmelin, 1988) 18 «Durch mich geht es zur Stadt der Leiden, Durch mich geht es zum ewigen Schmerz, Durch mich geht es zu verlorenen Menschen. Gerechtigkeit bewog meinen hohen Schöpfer; Göttliche Macht erschuf mich, höchste Weisheit und erste Liebe. Vor mir wurde nur Ewig-Dauerndes erschaffen. Auch ich daure ewig. Die ihr hereinkommt: Lasst alle Hoffnung fahren! » Diese Worte sah ich über dem Tor geschrieben in schwarzer Farbe. Deshalb sagte ich: «Meister, ihr Sinn ist mir hart.» (Kurt Flasch, 2011) 19 17 Alighieri 2012. 18 Alighieri 1988. 19 Alighieri (Flasch) 2015. Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 91 DURCH MICH GEHT ’ S EIN ZUR STADT DES JAMMERS, DURCH MICH GEHT ’ S EIN ZUR ENDLOSEN QUAL, DURCH MICH GEHT ’ S EIN ZU DEN VERLORENEN MENSCHEN. GERECHTIGKEIT BEWOG MEINEN HOHEN SCHÖPFER; MICH SCHUF DIE GÖTTLICHE MACHT, DIE HÖCHSTE WEISHEIT UND DIE ERSTE LIEBE. VOR MIR WURDE NUR EWIGES GESCHAFFEN, UND AUCH ICH WERDE OHNE ENDE SEIN. LASST ALLE HOFFNUNG FAHREN, WENN IHR HEREIN- KOMMT. Diese Worte sah ich mit dunkler Farbe über ein Tor geschrieben. Daher sagte ich: «Meister, was dort steht, trifft mich hart.» (Hartmut Köhler, 2012) 20 Da die Worte auf dem Höllentor so markant und bekannt sind, dass sie idealerweise als Zitate gekonnt werden sollten, werden die SchülerInnen gebeten, als Hausaufgabe ein eigenes Höllentor kreativ zu gestalten, als Collage, Zeichnung, Fotografie, Kalligraphie o. ä. Bedingung ist, dass die italienische Inschrift integriert sein sollte. Durch die nochmalige Beschäftigung mit den Versen im Kontext einer kreativen Bearbeitung soll deren Verinnerlichung gefördert werden; durch die eigene visuelle Gestaltung werden Prozesse des medialen Transfers und damit verbundener ästhetischer Überlegungen für die SchülerInnen selbst erfahrbar. Vorab werden zur Inspiration beispielsweise eine modernisierte und amerikanisierte Version von Dorés Höllentor von Sandow Birk aus dem Jahr 2003 und eine fotografische Version durch Valentina Vannicola aus dem Jahr 2011 gezeigt und analysiert 21 ; beide Bilder belegen durch den ähnlichen Bildaufbau (Vannicola) bzw. eine zitathafte Neubearbeitung der Vorlage (Birk) die lange Fortwirkung der berühmten Illustrationen Dorés zur Divina Commedia bis in die Gegenwartskunst. 22 20 Alighieri (Köhler) 2012. Im Nachwort (S. 438 ff.) reflektiert und begründet Köhler seine Entscheidung für eine Prosa-Übersetzung; mindestens für die Lehrkraft, ggf. in Auszügen auch für SchülerInnen könnten die Ausführungen interessant sein. 21 Vollständiges Künstlerbuch, das als modernisierte Fassung der Druckgrafiken Dorés mit einer modernen Übersetzung ins Englische publiziert wurde: Birk/ Sanders 2003. Vgl. hierzu auch: Kretschmann 2012, Kapitel VI: «Dante amerikanisch. Von Sandow Birks und Marcus ‘ Sanders Künstlerbuch Dante ’ s Divina Comedy (2003/ 05) zu Sean Merediths Papierpuppenfilm Dante ’ s Inferno (2007)». Zu Vannicolas Dante-Projekt: http: / / www.v alentinavannicola.it/ untitled-gallery; dort: Canto III: The Gates of Hell. 22 Einen fundierten Überblick über die Geschichte der Illustrationen zur Divina Commedia gibt Malke 2000. Darin auch weitere Illustrationen zu Inf. III. Besonders bekannt ist zudem Auguste Rodins Höllentor, eine monumentale Skulpturengruppe aus Bronze (Erläuterungen dazu von Nettling 2018: https: / / www.deutschlandfunk.de/ der-bildhauer-augusterodin-und-sein-hoellentor-wir-muessen.2540.de.html? dram: article_id=431009). Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 92 In der darauffolgenden Stunde wird der restliche Gesang entweder als Rezitation gehört und mitgelesen oder die SchülerInnen versuchen selbst laut und betont vorzulesen. Es wird gefragt, was die SchülerInnen verstanden haben. Die SchülerInnen fertigen dann in kleineren Gruppen zu ihnen zugeteilten Textabschnitten einfache Prosa-Übersetzungen an. Die Ergebnisse werden vorgestellt. Die Inhalte von Inf. III werden abschließend in Kernpunkten zusammengefasst. Mit dem Durchschreiten des Höllentors betritt der Wanderer Dante das Inferno. Dieses hat der Autor Dante streng symmetrisch geordnet. Mit den SchülerInnen wird daher ein systematischer Überblick über diese Struktur erarbeitet. Hierfür wird der auf youtube eingestellte Film Dante e la Divina Commedia: La struttura dell ’ opera (Zanichelli editore) eingesetzt, der zunächst im Plenum angesehen wird. 23 Anhand eines Arbeitsblatts, auf dem ausgewählte Grafiken des Films zur Struktur des Inferno nochmals abgebildet sind (geeignete Bilder zu Dantes Höllengeometrie bzw. Konzeption der Jenseitswelten lassen sich im Internet finden), erläutern die SchülerInnen in eigenen Worten dessen Systematik. 24 Inferno V Anhand u. a. der Grafiken Dorés zu Canto IV kann der Gesang mit der Schilderung knapp durch die Lehrkraft zusammengefasst und vorgetragen werden. Der weitere Fokus liegt dann auf dem berühmten Canto V. Für die Behandlung von Canto V kann eine Rezitation von Roberto Benigni verwendet werden. 25 Einleitend gibt Benigni einen kurzen, eher unterhaltsamkolloquial gehaltenen Überblick über die realen Hintergründe der großen Liebesgeschichte von Paolo und Francesca. 26 Das Hörverstehen wird durch ein anschließendes Unterrichtsgespräch abgesichert. Daraufhin wird der Text wieder abschnittsweise - z. B. Minos (V. 1 - 24), I lussuriosi (V. 25 - 72), Incontro con Paolo e Francesca (V. 73 - 108), Il racconto di Francesca e lo svenimento di Dante (V. 109 - 142) - in der Textrezitation von Benigni angehört und auf einem Textblatt mitgelesen. Flankiert von Grafiken Dorés, die im Plenum gezeigt werden und die die geschilderte Handlung visualisieren, wird der Inhalt zusammengefasst bzw. es 23 https: / / www.youtube.com/ watch? v=SBl1ELah9LE. 24 Zur Zahlenmystik in der Divina Commedia vgl. ausführlich Hardt 1973. 25 Die Rezitationen Benignis, mit denen er sehr erfolgreich durch Italien tourte, sind unter dem Titel Tutto Dante als DVDs erschienen. Er kommentiert - entgegen dem sonst üblichen akademisch-wissenschaftlichen Zugriff aus einer eher subjektiven Perspektive als begeisterter Dante-Leser - ‘ seinen Dante ʼ auch in Buchform in Benigni 2010. 26 https: / / www.youtube.com/ watch? v=FlJattiR29I, vom Anfang bis 2: 26. Ein vollständiger öffentlicher Vortrag Benignis zu Canto V (Dauer: knapp 60 Minuten) aus Tutto Dante ist ebenso verfügbar: https: / / www.youtube.com/ watch? v=A2PxUnXQRWY. Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 93 werden einzelne Textstellen (z. B. Minos als mythische Figur; berühmte Liebespaare im Text; Lanzelot) geklärt. Zentrale Inhalte der Abschnitte können wieder stichpunktartig neben dem Text notiert werden; wichtige Kommentare sind ggf. dort ebenfalls angemerkt. Berühmte Textstellen aus dem Gesang sind bei der Besprechung besonders hervorzuheben (u. a. die beinahe wie ein Rap klingende Verszeile «di qua, di là, di giù, di sù li mena», V. 43; die als Metapher berühmt gewordene Zeile «Galeotto fu ’ l libro e chi lo scrisse», V. 137; die durch Wiederholungsstrukturen bzw. Alliterationen und Vokal-Assonanzen ausgezeichneten Stellen «Amor, ch ’ a nullo amato amar perdona», V. 103, und «E caddi come corpo morto cade», V. 142; die in Italien als Zitat bekannte Stelle «Nessun maggior dolore/ che ricordarsi del tempo felice/ ne la miseria», V. 121 - 123). Das Tragische dieser großen Liebesgeschichte sollte deutlich werden; ebenso sollten Dantes Textstrategien, diese Tragik dem Leser zu vermitteln, reflektiert werden. Mit Bezug auf Canto V bietet sich an, Dantes Strafsystem des contrappasso explizit zu machen: 27 Die Strafe im Jenseits ergibt sich aus dem Vergehen im Diesseits. Da Dantes transzendentes Strafsystem von in einer heute weitgehend säkular geprägten Gesellschaft aufwachsenden SchülerInnen nicht unbedingt ideell geteilt wird, sollte ihre Sichtweise darauf zur Sprache kommen: Empfinden sie beispielsweise die Bestrafung von Paolo und Francesca im Jenseits als ‘ gerecht ’ ? Was sagen sie zu Dantes jenseitigem Bestrafungssystem? Da Inf. V besonders häufig künstlerisch bearbeitet wurde, lohnt gerade zu diesem Gesang ein Vergleich verschiedenster Werke, z. B. im fächerübergreifenden Unterricht - wie ihn der bayerische Lehrplan vorsieht - mit Kunst. In Ergänzung zu den bereits eingeführten Künstlern (della Quercia, Botticelli, Doré, Birk) mit ihren Illustrationen zu Inf. V können weitere Künstler und ihre Fassungen von Canto V, die allesamt online frei abrufbar sind, vorgestellt und verglichen werden (u. a. Holkham-Manuskript, Ary Scheffer, Anselm Feuerbach, Mosé Bianchi, William Dyce, John Flaxman, William Blake, Dante Gabriel Rossetti, Auguste Rodins Skulptur Der Kuß, Salvador Dalí, Robert Rauschenberg, Tom Phillips, Markus Vallazza). Die SchülerInnen lernen so sich verändernde Illustrationstechniken kennen, die zunehmend abstrakter werden bzw. mit modernisierenden Elementen arbeiten. Eine Auswahl der Bilder kann z. B. in guten Ausdrucken im Klassenzimmer ausgelegt und von kleineren SchülerInnengruppen in einem ‘ gallery walk ’ betrachtet und besprochen werden, bevor anschließend im Plenum die Eindrücke zusammengetragen werden. Um das Textverständnis auch hier abzusichern, sind verschiedene didaktische Varianten möglich: Die historische Geschichte von Paolo und Francesca, wie sie Benigni zusammenfasst und Dante berichtet, wird von den SchülerInnen 27 Vgl. ausführlich Friedrich 1942. Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 94 gruppenweise in kurze Rollenspiele übertragen (Paolo, Francesca, Gianciotto, ggf. Erzähler); die SchülerInnen sollten dafür vorab Dialoge auf Italienisch entwerfen. Oder der gesamte fünfte Gesang wird - Dantes bildhafte Darstellungsweise ist Voraussetzung dafür - als Comic gestaltet: Anhand eines Comic-Auszugs (nahezu egal welcher) sollten im Unterrichtsgespräch Merkmale von Comics zusammengetragen werden (u. a. stilisierte Figuren; Sprech-/ Gedankenblasen; Bewegungslinien; Geräuschwörter; Erzählerhinweise; Einzelbilder in gerahmten Panels). Der Originaltext wird in sinnvolle Einheiten untergliedert. Auf einem DIN-A3-Papier werden mit quadratischen Post-Its skizzenhaft Storyboards entworfen, Figuren- Skizzen angefertigt und in Kleingruppen besprochen (Sind alle relevanten Handlungselemente enthalten? Kann die Geschichte nachvollzogen werden? ), bevor die Comics dann jeweils auf einem DIN-A3-Bogen ausgeführt und gemeinsam gesichtet werden. Abschließend kann die Lehrkraft ggf. erläutern, dass Dantes Werk inzwischen nicht nur in der Bildenden Kunst, sondern auch in der Populärkultur vielfach rezipiert wird; u. a. gibt es verschiedenste Comic-Bearbeitungen. 28 Die Graphic Novel von Seymour Chwast ist auch auf Deutsch erschienen und im Handel erhältlich, auf Italienisch existiert die dreibändige parodistische Comic-Fassung von Marcello Toninelli; Joseph Lanzara hat die Illustrationen Dorés in einen Comic umgestaltet. 29 Weitere ausgewählte Gesänge Je nach verfügbarer Zeit und Klassenstärke werden weitere Gesänge aus dem Inferno ausgewählt. Jeweils ein Gesang wird in Partner- oder Kleingruppenarbeit selbständig vorbereitet. Die SchülerInnen wenden bisher gelernte Strategien der Texterschließung an: Durch eher ‘ realistisch ʼ gehaltene Illustrationen ohne inhaltlich modernisierende Elemente z. B. von della Quercia, Botticelli, Doré, Flaxman oder Blake wird die Lektüre vorentlastet. Ggf. mit einer Rezitation findet eine erste Textbegegnung statt. Der italienische Originaltext wird bei Bedarf wörtlich übersetzt, in einfachem Italienisch zusammengefasst, Sinnabschnitte werden gebildet. Der Inhalt wird, evtl. unter Zuhilfenahme von Gmelins Kommentar, geklärt. Die SchülerInnengruppen erarbeiten dann entweder kürzere Präsentationen oder auch kurze Erklärfilme zum jeweiligen Gesang, die mit Handykameras aufgenommen werden (was besonders für technikaffine SchülerInnen eine zusätzliche Motivation für die Beschäftigung mit dem Text sein könnte). Die konkrete Gestaltung bleibt den SchülerInnen freigestellt; Varianten mit Playmobilfiguren, selbst gezeichneten Bildern, dem Einsatz von Illustrationen 28 Vgl. die Broschüre zu einer Comic-Ausstellung in Ravenna von Giudicci/ Cantarelli 2004. 29 Chwast 2011; Toninelli 2004; Lanzara 2012. Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 95 der oben genannten Künstler, Rollenspielen etc. sind denkbar. Bei den Präsentationen sollten jedoch eine Zusammenfassung des Inhalts (wo nötig mit Erklärungen), markante Textpassagen (ggf. mit eigener Rezitation), eine Reflexion über Sünde und Strafe im Gesang sowie eine Zuordnung zu den Sündenkategorien enthalten sein. In jedem Fall - ob durch eine Kleingruppe oder im Plenum - sollte die Besprechung von Inf. XXXIV integriert und ein Ausblick auf die Geschehnisse im Purgatorio und Paradiso gegeben werden. Abschluss der Sequenz Zum Schluss der Sequenz findet ein gemeinsames Gespräch mit den SchülerInnen darüber statt, warum Dantes Divina Commedia wohl als Klassiker der Weltliteratur gilt; was das Buch auch für heutige Leser attraktiv, ggf. aber auch schwierig macht; was sie selbst in der Sequenz interessant fanden. In jedem Fall bliebe zudem festzuhalten, dass die Divina Commedia bis heute in Hoch- und Populärkultur präsent ist, wovon u. a. die besprochenen Illustrationen und Comics zeugen. Weitere Bezugnahmen auf das Epos gibt es in Literatur, 30 Musik, Film, Computerspielen, Kriminalromanen etc. 31 III Ergänzende Projektideen Die Divina Commedia hat von Anfang an bis in die Gegenwart zu verschiedensten kreativen Bearbeitungen angeregt. Daher kann bei Interesse die produktive Rezeption des Epos, das seine Präsenz in der Kultur und seinen Klassikerstatus weiter stabilisiert, ergänzend thematisiert werden. 1 Filmvergleich Seit der Frühphase des Kinos wurde die Divina Commedia, besonders das Inferno, verfilmt. 32 Ausgewählte Filmversionen können angesehen und besprochen werden. Es bieten sich u. a. an: Ein Auszug aus dem Stummfilm L ’ Inferno aus dem Jahr 1911 von Francesco Bertolini, Giuseppe de Liguoro und Adolfo Padovan; eine restaurierte Fassung ist sowohl auf youtube als auch auf DVD verfügbar. Die 30 Vgl. Kuon 1993. 31 Zum Phänomen internationaler Neubearbeitungen der Divina Commedia in verschiedenen Medien seit den 1960er Jahren vgl. Kretschmann 2012. 32 Ein knapper Überblick über Verfilmungen ist in Kretschmann 2012, S. 165 − 168, enthalten. Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 96 SchülerInnen erhalten Einblicke in die Ästhetik sehr früher Stummfilme, mit denen sie sonst kaum in Berührung kommen würden. In einem Unterrichtsgespräch sollten wesentliche Merkmale der Adaption geklärt werden. Tom Phillips und Peter Greenaway wählten für ihre Version A TV Dante - Cantos I − VIII (1988), die auf DVD herausgebracht wurde, eine ganz neuartige Adaptionsstrategie, bei der in einem ‘ strukturalistischen ʼ Zugriff der Text als ‘ filmische Neu-Edition eines Buchs ʼ in ‘ Filmvokabeln ʼ übersetzt wurde: D. h. der Text wurde gerade nicht gänzlich als Spielfilm umgesetzt, sondern es wurden Buchstrukturen im Film nachgebildet und Aussagen des Textes wie ‘ Filmvokabeln ʼ zusammengesetzt. Die Adaption wirkt auf den ersten und wohl auch zweiten Blick irritierend. Erst durch eine intensive Analyse kann die Adaptionsstrategie nachvollzogen werden. Daher sollte von diesem Film wohl nur der erste Gesang besprochen werden. In einem ersten Durchgang werden erste Eindrücke sowie Elemente der Adaptionsstrategie gesammelt, indem SchülerInnen auf einem Textblatt von Canto I notieren, wie die jeweiligen Aussagen filmisch umgesetzt wurden. Einzelne Szenen könnten in einem zweiten Durchgang herausgegriffen und strukturiert erarbeitet werden (z. B.: Bob Peck und Sir John Gielgud rezitieren in den Rollen als Dante und Vergil den Originaltext des Inferno in englischer Übersetzung; während die Rezitation weiter zu hören ist, sind im Vordergrund ‘ Filmvokabeln ʼ zu sehen, bei denen u. a. Schauspieler die nackten Seelen darstellen oder abstrakte sowie collagierte Bilder bestimmte Aussagen abbilden). Gerade die abstrakteren ‘ Filmvokabeln ʼ sollten genauer angesehen werden, u. a. Kardiogramm-Bilder, die Zeitangaben visualisieren, oder die Verfilmung der drei wilden Tiere, denen Dante begegnet. Schließlich sind die Kommentar-Kästchen als Äquivalente zu Fußnoten kommentierter Text-Ausgaben der Divina Commedia zu erläutern. Die vorbereitende Lektüre einer Detail-Analyse des Films (in Kretschmann 2012) wird der Lehrkraft dringend empfohlen; ohne diese dürfte der Eindruck der äußerst strukturiert gebauten Adaption diffus bleiben. 33 Sean Meredith hat das Künstlerbuch von Sandow Birk und Markus Sanders, auf das in der Sequenz eingegangen wurde, als Papierpuppenfilm zu Dantes Inferno gestaltet und dabei die Handlung punktuell in die Gegenwart übertragen. Der Film arbeitet mit vielen humoristischen Gags, die SchülerInnen ansprechen dürften. Der Trailer ist online verfügbar; der ganze Film kann als DVD gekauft werden. Vorbereitend können noch einige Illustrationen Birks genauer betrachtet werden. Bei diesem Film genügt ggf. auch das Sehen der ersten Canti, deren filmisch ungewöhnliche Gestaltungsweise, Adaptionsstrategie und Wirkung 33 In Kretschmann 2012, Kap. IV. Vgl. zu diesem Thema auch Kretschmann 2010/ 11 und 2015, S. 227 − 254. [PDF version: http: / / revistes.uab.cat/ dea/ article/ view/ v2-Kretschmann/ pdf_11]. Zum Thema der Neubearbeitungen von Dantes Divina Commedia vgl. auch «Dante 700. Ein Gespräch mit Tabea Kretschmann zum Dantejahr» 2021 (2021). Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 97 dann besprochen wird. Eine für die Lehrkraft hilfreiche Einführung steht zur Verfügung. 34 2 Hörspielbearbeitung Der Münchner Hörspielmacher Andreas Ammer hat Dantes Inferno in ein hoch innovatives Hörkunstwerk umgestaltet, Radio Inferno (1993), das als CD oder Audio-Datei gekauft werden kann. Der Reiz für SchülerInnen, sich mit dem Stück zu beschäftigen, könnte darin liegen, dass sich Ammer der Gestaltungselemente von Radio und Pop-Kultur bedient, auch Bezüge zu den Grafiken Dorés einbaut und die gesamte Höllenwanderung Dantes nachvollzieht. Kennzeichnend für das Stück ist eine ‘ postmoderne ʼ Ästhetik (die Ammer auch selbst so benennt), bei der collagenhaft verschiedenste Elemente neu zusammengefügt wurden. Im Hintergrund des Handlungsgeschehens lässt Ammer den alten italienischen Originaltext fließen. Im Vordergrund treten verschiedene Organe Dantes auf (Dantes Augen/ Mund/ Hirn) und sprechen teils modernisierte Textstücke des Inferno auf Deutsch, einschließlich expliziter Versangaben oder Erzählerkommentare. Vergil hingegen spricht den Text einer Englischübersetzung des Inferno. Hinzu kommen Anmoderationen aus dem Radio. Die geschlossene Erzählung Dantes, die sein ganzheitliches, auf Gott bezogenes Weltbild spiegelt, wird in dieser aktualisierten Fassung bewusst aufgebrochen; die mittelalterliche Ganzheit kann in der stärker säkularisierten Gegenwart künstlerisch nicht wiederholt werden. Aufgrund der Zerstückelung des Originals muss mit den SchülerInnen wohl ein erster Höreindruck besprochen werden, bevor einzelne Elemente der Gestaltung des Hörspiels gesammelt und auf ihre Wirkung und Bedeutung hin befragt werden. Weil nicht zu erwarten steht, dass die SchülerInnen das stark intertextuell und intermedial gearbeitete Stück tatsächlich in der ganzen Komplexität erfassen, kann überlegt werden, ihnen eine fundierte Analyse und Interpretation zur Lektüre an die Hand zu geben. 35 Dies könnte auch mit einer wissenschaftspropädeutischen Funktion in der Oberstufe geschehen, da die SchülerInnen einen Eindruck von wissenschaftlicher Analyse und Interpretation bzw. wissenschaftlichem Schreibstil erhalten. 34 Ausführliche Analyse in Kretschmann 2012, Kap. VI. 35 Kretschmann 2012, Kap. V. Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 98 3 Kriminalromane In den vergangenen Jahren erschienen etliche Kriminalromane mit Bezug zur Divina Commedia, zugegebenermaßen in sehr unterschiedlicher Qualität. 36 Alle diese Kriminalromane kennzeichnet, dass sie den mittelalterlichen Text kreativ für die Gestaltung der fiktiven Geschichten einsetzen; aus Dantes Ursprungswerk wird da mitunter etwas ganz Neues. Diese ‘ populärkulturellen ’ Bearbeitungen lassen sich im Kontext einer postmodernen Ästhetik verorten, bei der die Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur zunehmend verschwinden, intertextuelle Bezugnahmen als häufige Gestaltungselemente auftreten und auch keine Hemmnisse vor der fiktionalen Re-Integration ehemals nahezu unantastbarer Klassiker in einem neuen Werk im Unterhaltungssektor bestehen. Es ist denkbar, z. B. mit Buchpräsentationen einzelne Kriminalromane vorstellen zu lassen. Geeignet wären evtl. Dan Browns Bestseller Inferno (2013); Giulio Leonis historische Kriminalromane mit einem Dante als Ermittler in Dante Alighieri indaga (2000 ff., auch in deutscher Übersetzung); Matthew Pearls Der Dante Club (OA 2003), in dem Morde in Anlehnung an das infernalische Strafsystem von Mitgliedern des historisch real existierenden amerikanischen Dante- Clubs aufgeklärt werden; evtl. auch Matilde Asenis Die Wächter des Kreuzes (OA 2001), in dem im Stil Dan Browns Dantes Purgatorio zu einem Initiationsbuch für eine geheime Gemeinschaft von Wächtern des Kreuzes Jesu wird. In den Präsentationen wäre insbesondere auf die Art der kreativen Einbindung von Dantes Werk in die neuen Romane einzugehen. 4 Fächerübergreifender Unterricht Wenn die Divina Commedia im Italienisch-Unterricht behandelt wird, kann das als Anlass zu fächerübergreifendem Unterricht genutzt werden. Dantes Divina Commedia wird immer wieder als Summe des mittelalterlichen Wissens bezeichnet, in der vielfältige Bezüge zur antiken Literatur, zu Philosophie, Theologie, Astronomie, Geschichte etc. verarbeitet wurden. Entsprechend können u. a. in den Fächern Religion und Ethik Jenseitsvorstellungen in verschiedenen Kulturen und Religionen ebenso thematisiert werden wie Dantes Einfluss auf die Konturierung des christlichen Jenseitsbildes bzw. der Sündenkategorien. 37 Die geschichtlichen Hintergründe zur Entstehungszeit des Versepos können im Geschichtsunterricht behandelt werden. In Physik und Geographie kann das mittelalterliche Weltbild aufgezeigt werden. Und in den alten Sprachen 36 Kurzer Überblick bei Kretschmann 2015 (2), s. auch Föcking 2015 und Weiand 2015. 37 Vgl. u. a. Le Goff 2000; Minois 2000. Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 99 Griechisch und Latein können literarische Vorbilder für Dante in den Blick genommen werden. Doch auch für den Musikunterricht finden sich Anknüpfungspunkte, etwa durch die verschiedenen Vertonungen der Divina Commedia (u. a. Liszts Dante- Symphonie, 1857; Rock-Oper von Tangerine Dream, 2001-06; Oper Inferno von Johannes Kalitzke, 2004/ 05; Musical von Marco Frisina 2007; Oper von Lucia Ronchetti 2021). Eine fächerübergreifende Zusammenarbeit mit dem Kunstunterricht wurde weiter oben bereits vorgeschlagen; hier können exemplarisch verschiedene Illustrationen genauer analysiert und ggf. auch als Anregung für eigene kreative Gestaltungen genutzt werden. 38 Interessant für den Kunstunterricht könnte zudem eine neue Dokumentation über Botticellis Skizzen zur Divina Commedia sein, die 2016 im Kino gezeigt und inzwischen auch auf DVD erhältlich ist (Ralph Loop: Botticelli Inferno). 39 Abstract. Questo articolo fornisce alcuni suggerimenti concreti per il trattamento di brani scelti della Divina Commedia nella classe d ’ italiano L2. Dopo alcune proposte di esercizi sull ’ autore Dante, sul titolo e sulla struttura dell ’ opera, l ’ autrice propone esempi di insegnamento per i Canti Inferno I, III, e V, seguiti da una serie di suggerimenti con un approccio symmediale lavorando anche con illustrazioni, musica, cultura pop, thriller e film. Summary. This article provides some hands-on suggestions for the teaching of selected passages from the Divine Comedy in advanced classes for Italian as a foreign language. Focussing a ‘ symmedial ’ approach, the author proposes ideas for a short introduction to the biography of Dante Alighieri, the title and the structure of the Divine Comedy as well as the elaboration of selected Canti (Inferno I, III, V), taking the reception of Dante and the Divine Commedy in arts and media as well as literary translations as the basis for the lesson planning. These insights into Dante ’ s poem are followed by further suggestions for the study of the reception of the Divine Comedy in film, radio play, or detective fiction/ thrillers. 38 Für einen Überblick vgl. u. a. Malke 2000. 39 Informationen zum Film unter www.botticelliinferno.com. Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 100 Literaturverzeichnis Primärwerke Alighieri, Dante: Die Göttliche Komödie. Übersetzt von Karl Streckfuß, Berlin 1925. Alighieri, Dante: Die Göttliche Komödie. Übersetzt und kommentiert von Hermann Gmelin, 6 Bände, München 1988. Alighieri, Dante: Die göttliche Komödie. Übertragungen von Stefan George, Hamburg 2012. Alighieri, Dante: Die Göttliche Komödie. Übersetzt von Hartmut Köhler, Stuttgart 2012. Alighieri, Dante: Die Göttliche Komödie. Übersetzt von Karl Witte, Köln 2015. Alighieri, Dante: Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch, Frankfurt/ M. 2015. Alighieri, Dante: Das Schreiben an Cangrande della Scala. 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Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 101 Kretschmann, Tabea: «A TV Dante - Cantos I − VIII (1989) by Peter Greenaway and Tom Phillips - A ‘ symbolical translation ʼ of Dante ’ s Inferno for television», in Dante e l ’ Arte 2 (2015), S. 227 - 254. [PDF version: http: / / revistes.uab.cat/ dea/ article/ view/ v2-Kretsch mann/ pdf_11]. Kretschmann, Tabea: « ‘ Dante-Boom ʼ im Kriminalroman», in: Italienisch 74/ 2015, S. 1. Kuon, Peter: «lo mio maestro e ‘ l mio autore». Die produktive Rezeption der ‘ Divina Commedia ʼ in der Erzählliteratur der Moderne, Frankfurt/ M. 1993. Le Goff, Jacques: Die Geburt des Fegefeuers, München 2000. Malke, Lutz S.: Dantes Göttliche Komödie. Drucke und Illustrationen aus sechs Jahrhunderten, Berlin 2000. Minois, Georges: Hölle. Kleine Kulturgeschichte der Unterwelt, Freiburg 2000. Pope-Hennessy, John (Hrsg.): A Sienese Codex of the Divine Comedy, Oxford/ London 1947. Pope-Hennessy, John (Hrsg.): Paradiso. The Illuminations to Dante ’ s Divine Comedy by Giovanni di Paolo, New York 1993. Prill, Ulrich: Dante, Stuttgart 1999. Schulze, Thies: Dante als nationales Symbol Italiens (1793 − 1915), Tübingen 2005. Schulze-Altcappenberg, Heinrich: Sandro Botticelli: Der Bilderzyklus zu Dantes Göttlicher Komödie. Ostfildern 2000. Weiand, Christof: «Inferno als Kriminalroman − Dante und Dan Brown», in: Italienisch 74/ 2015, S. 31 − 49. Internet-Quellen Botticellis Dante-Porträt: https: / / www.wikiart.org/ en/ sandro-botticelli/ portrait-of-dante. Brief Dantes an Cangrande della Scala: http: / / www.classicitaliani.it/ dante/ cangran.htm. Codex Altonensis: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ G%C3 %B6ttliche_Kom%C3 %B6die. Erklärfilm zur Höllenstruktur: https: / / www.youtube.com/ watch? v=BmEtkYnTF-o. Erklärung von Roberto Benigni zu Inf. V: https: / / www.youtube.com/ watch? v=FlJattiR29I. Film La vita di Dante Alighieri: https: / / www.youtube.com/ watch? v=DKmPs4STuyY. 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Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 102 Priamo della Quercia, Inf. I: https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? search=inf+01+p riamo+della+quercia&title=Special: Search&profile=default&fulltext=1&search Token=1voo6fa6aqz9ln7fhcbek1jfm#/ media/ File: Inf._01_Le_tre_fiere,_Priamo_della_ Quercia_(c.1403%E2%80%931483).jpg) Rezitation und Kommentar von Roberto Benigni zu Inf. V: https: / / www.youtube.com/ watch? v=A2PxUnXQRWY. Rezitation Vittorio Gassman, Inf. I: https: / / www.youtube.com/ watch? v=aBGq11ODudA. Rezitation Vittorio Gassman, Inf. III: https: / / www.youtube.com/ watch? v=h-RNz_EvJ5U. Sandow Birk, Inf. III: https: / / sjmusart.org/ exhibition/ hell-and-back-sandow-birks-divine-co medy. Yates Thomson Codex mit Abbildungen von Priamo della Quercia: http: / / www.worldofdante. org/ gallery_yates_thompson.html. Zanichelli editore: Dante e la Divina Commedia: La struttura dell ’ opera: https: / / www.youtube. com/ watch? v=SBl1ELah9LE. Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 103 Anhang: Abbildungen Abb. 1: Botticellis Dante-Porträt (Quelle: https: / / www.wikiart.org/ en/ sandro-botticelli/ portrait-of-dante) Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 104 Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 105 Abb. 2 und Abb. 3: Codex Altonensis, Fol. 5 v und 6 r (Quelle: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ G%C3%B6ttliche_Kom%C3%B6die) Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht Tabea Kretschmann 106 Abb. 4: Priamo della Quercia, Inf. I (Quelle: https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? search=inf+01+priamo+della+quer cia&title=Special: Search&profile=default&fulltext=1&searchToken=1voo6fa6aqz9ln7fhcbek 1jfm#/ media/ File: Inf._01_Le_tre_fiere,_Priamo_della_Quercia_(c.1403%E2%80%931483).jpg) Abb. 5: Gustave Doré, Inf. III (Quelle: https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Gustave_Dor%C3%A9_-_Dante_Aligh ieri_-_Inferno_-_Plate_8_(Canto_III_-_Abandon_all_hope_ye_who_enter_here).jpg) Tabea Kretschmann Symmediale Zugänge zu Dantes Divina Commedia im Italienisch-Unterricht 107 Buchbesprechungen Volker Reinhardt: Die Macht der Schönheit. Kulturgeschichte Italiens, München: C. H. Beck Verlag 2019, 651 Seiten, 50 Textabbildungen, 32 Farbtafeln, 5 Karten, € 38,00 Seit seiner am Deutschen Historischen Institut in Rom entstandenen, 1984 erschienenen Dissertation über die Finanzen des Kardinals und Papstnepoten Scipione Borghese 1 hat sich Volker Reinhardt in seiner inzwischen rund dreißigjährigen Lehrtätigkeit als Ordinarius an der zweisprachigen Schweizer Universität Fribourg mit zahlreichen Publikationen als einer der profundesten Kenner besonders der frühneuzeitlichen Geschichte Italiens ausgewiesen, dabei seine Forschungsfelder nach und nach auch auf andere Epochen der italienischen Geschichte ausgedehnt. Hiervon zeugt eindrucksvoll seine 2003 veröffentlichte Gesamtdarstellung zur Geschichte Italiens von der Spätantike bis zur Gegenwart, 2 welche die 1989 in überarbeiteter Auflage erschienene, mit Beiträgen von Theodor Schieder und Jens Petersen ergänzte ‘ klassische ʼ Darstellung von Michael Seidlmayer aus dem Jahr 1940 3 oder die 2004 von Wolfgang Altgeld und Rudolf Lill 4 vorgelegte «kleine» Geschichte Italiens wenn nicht ersetzt, so doch um neue Themen, Perspektiven und Fragestellungen bereichert. Das als Ziel des Buches postulierte «Verständnis der [italienischen] Gegenwart durch deren Ableitung aus der Geschichte» 5 lässt sich ebenso auf die hier zu besprechende, mit rund 650 Seiten fast doppelt so umfangreiche Kulturgeschichte Italiens übertragen. Wer es unternimmt, eine italienische Kulturgeschichte über einen Zeitraum von eintausend Jahren zu schreiben, steht angesichts der ungeheuren Stofffülle vor dem Problem, eine repräsentative Auswahl für das jahrhundertelang unter DOI 10.24053/ Ital-2021-0027 1 Volker Reinhardt, Kardinal Scipione Borghese (1605 − 1633). Vermögen, Finanzen und sozialer Aufstieg eines Papstnepoten, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1984, 566 Seiten (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts, Band 58). 2 Volker Reinhardt, Geschichte Italiens. Von der Spätantike bis zur Gegenwart, München: Verlag C. H. Beck 2003. Der Publikation vorausgegangen war ein auf 120 Seiten komprimierter Überblick zur Geschichte Italiens vom Spätmittelalter bis zum Ende des Faschismus, mit einem kurzen Ausblick auf die politische Entwicklung im Nachkriegs- Italien bis Ende der neunziger Jahre. Vgl. ders., Geschichte Italiens, München: Verlag C. H. Beck 1999. 3 Michael Seidlmayer, Geschichte Italiens. Vom Zusammenbruch des Römischen Reiches bis zum ersten Weltkrieg. Mit Beiträgen von Theodor Schieder: Italien vom ersten zum zweiten Weltkrieg und Jens Petersen: Italien als Republik 1946 − 1987, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 2. erw. Aufl., 1989. 4 Wolfgang Altgeld/ Rudolf Lill, Kleine Geschichte Italiens, Stuttgart: Reclam 2004. 5 Reinhardt 2003, S. 12. 108 Fremdherrschaft stehende und in zahllose rivalisierende Territorien aufgesplitterte Land zu treffen, regional- und lokalspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen, ausländische Einflüsse von autochthonen Entwicklungen zu unterscheiden und dabei das für diesen geopolitischen Raum typisch Italienische der kulturellen Produktion, die italianità, herauszufiltern. Reinhardt meistert diese gewaltige Aufgabe, indem er, anders als in seiner Gesamtdarstellung zur italienischen Geschichte, auf ein fortlaufendes Narrativ verzichtet und stattdessen fein ziselierte Miniaturen aneinanderreiht, die in sechs thematischen, chronologisch angeordneten Blöcken an ausgesuchten Beispielen die Vielfalt der kulturellen Ereignisse und Erzeugnisse aus den verschiedenen Landesteilen Italiens exemplarisch veranschaulichen sollen. Die sich im Verlauf der Jahrhunderte als Vermischungsprodukt unterschiedlicher Einflüsse formierende Kultur der italianità ist weit gefasst: «Wirtschaft und Gesellschaft, Politik, Herrschafts- und Staatsbildung, Repräsentation und Ritualisierung von Macht, Nachdenken über den Staat, seine Befugnisse und sein Verhältnis zur Moral, aber auch Geschmack und Stil in den bildenden Künsten und in der Musik, Ordnung und Ästhetik des Alltags, der Küche, der Tafel und des Festes, Theologie und Philosophie, Naturforschung und Naturwissenschaft fügen sich im Laufe der Zeit zu einem Ganzen, das von innen wie von außen, von Italienern und Nicht-Italienern als italianità verstanden wurde.» (S. 22) Der Blick des Forschers beschränkt sich dabei nicht auf eine schmale kreative Elite, sondern bezieht ausdrücklich die «Kultur der kleinen Leute» mit ein, zu der stets auch «eine Kultur des Protests, des Widerstandes, ja des Aufstandes [gehörte], die sich in wirtschaftlichen und politischen Krisensituationen entfaltete.» (S. 23) Die ersten 14 der insgesamt 65 Miniaturen, die mit Betrachtungen zur normannischen Herrschaft in Sizilien eröffnet werden, beleuchten mit Zeugnissen aus dem 11. bis 14. Jahrhundert «Die Macht der Städte», deren ökonomische, soziale und politische Grundlagen den Boden für die Entfaltung einer «unverwechselbaren [italienischen] Kultur» bilden. Die politisch-soziale Verfasstheit der italienischen Städte mit ihrer zunehmend ausdifferenzierten Gewerbe- und Verwaltungsstruktur erläutert Reinhardt am Beispiel des berühmten Freskenzyklus «Allegorie und Auswirkungen der Guten und der Schlechten Regierung» von Ambrogio Lorenzetti im Palazzo Pubblico von Siena, nach seiner Auffassung «das ausführlichste, eingängigste und wirkungsvollste Manifest der politischen Kultur Italiens überhaupt» (S. 119 f.). Die gute Regierung, so die für Zeitgenossen leicht fassbare Botschaft der bildlichen Darstellung, war republikanisch, ihre wichtigste politische Tugend die Gerechtigkeit, die eine strenge Strafjustiz zur Ausmerzung Buchbesprechungen 109 des Bösen voraussetzte, weshalb der auf dem entsprechenden Fresko Lorenzettis von einem Engel getragene Galgen als «Hoheitszeichen jeder freien Stadt» galt (S. 121). Freiheit, Gerechtigkeit und Offenheit symbolisierte in der Adelsrepublik Venedig bereits der Regierungssitz des Staatsoberhaupts, der Dogenpalast, der mit seiner offenen Bauform gleichsam «ein politisches Manifest in Stein» (S. 64) darstellt. Das komplizierte Regelwerk bei der Wahl und Amtsausübung der Dogen in dieser größten und mächtigsten Republik, die sich im Bewusstsein ihres Ranges unter den italienischen Stadtstaaten seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts selbst den Ehrentitel la Serenissima, «die Erhabenste» 6 zulegte, macht jedoch deutlich, dass die Machtübertragung an ein neu gewähltes Staatsoberhaupt von einem skeptischen Bild des Menschen geleitet war und nicht ohne Sicherungsmechanismen erfolgte. Reinhardt spricht in diesem Zusammenhang von einer «Kultur des politischen Misstrauens» (S. 73). Ein Vergleich mit den Dogen Genuas, der anderen Repubblica Serenissima, die diesen Ehrentitel 1580 vom römischdeutschen Kaiser Rudolf II. höchstpersönlich erhalten hatte, wäre interessant gewesen, doch musste die Superba hier anderen Städten wie Pisa, Bologna, Florenz, Rom, Padua, Verona und Mailand den Vortritt lassen. Die Übergänge von den aus lokalem Adel und reich gewordenen Unternehmerfamilien oligarchisch regierten Stadtrepubliken zu den von mächtigen Fürsten und erfolgreichen Feldherren (condottieri) nicht selten gewaltsam errichteten Einzelherrschaften (signorie) waren gleichwohl fließend. Das Idealbild der Kommune mit einem Wertesystem, das als «verpflichtender Verhaltenskodex für jedes Mitglied der Gemeinde» verstanden und religiös untermauert wurde - ein Anspruch, den Reinhardt im kommunalen Sakralbezirk von Pisa mit Dom, Baptisterium, Campanile und Friedhof «in höchster Vollendung» veranschaulicht sieht (S. 42) - , litt in der Wirklichkeit zwar immer wieder unter innerem Hader und blutigen Parteikämpfen, etwa zwischen kaisertreuen Ghibellinen und papsttreuen Guelfen, prägte aber die politische Kultur vor allem in den nord- und mittelitalienischen Städten, während der Süden in feudalen Strukturen und klientelären Abhängigkeitsverhältnissen steckenblieb - ein Gegensatz, der bis in die Gegenwart nachwirkt. Die Kommune mit ihrem ausgeprägten Sinn für die Werte und das Wohlergehen ihrer Gemeinde «kam nur bis in die Toskana» (S. 126), so Reinhardt mit implizierter Anspielung auf Carlo Levis Erfolgsroman Christus kam nur bis Eboli. «Der Hof und die feinen Leute» im 15. und 16. Jahrhundert stehen im Mittelpunkt der nächsten 15 Miniaturen. Hier kommt es unvermeidlich zu 6 Ältere Übertragungen der Bezeichnung ins Deutsche sprechen auch von der «Durchlauchtigsten», während Reinhardt hier irrigerweise die Wortbedeutung ‘ heiter ʼ von sereno zugrundelegt und unpassend von der «Allerheitersten» spricht (S. 68). Buchbesprechungen 110 Überschneidungen mit dem ersten thematischen Teil, da die Höfe in den urbanen Zentren angesiedelt sind und die dort residierenden Fürsten und Adeligen, zu denen auch die Päpste mit ihren Nepoten als weltliche Herrscher zu rechnen sind, die Politik der Städte wesentlich (mit)bestimmen. Das gilt für die hier vorgestellten Höfe der Medici in Florenz, der Montefeltro in Urbino oder der schon im ersten Teil behandelten Visconti und Sforza in Mailand ebenso wie für das nach Beendigung des avignonesischen Exils 1377 mit Gregor XI. wieder nach Rom zurückgekehrte Papsttum, das nach Überwindung des abendländischen Schismas allerdings erst unter Nikolaus V. (1447 − 1455), dem ersten humanistisch gebildeten Papst, und seinen Nachfolgern wieder zu einem ernstzunehmenden Machtfaktor in Italien wurde. Es sind vor allem die Fürstenhöfe, die Künstler und Gelehrte anziehen, an denen Macht und Schönheit, Herrschaft und Ästhetik zusammenfinden. Der durch Abstammung, Gewalt, kriegerische Eroberung und/ oder geschickte Heirats- und Bündnispolitik auf der einen, durch Bankgeschäfte, Handel oder Produktion auf der anderen Seite errungene Wohlstand und Machtstatus wurde nach außen wie innen durch die Errichtung repräsentativer Bauten, die Ausschmückung öffentlicher und privater Räume mit Denkmälern, Skulpturen, Fresken oder Gemälden demonstriert - Kunstwerke, die nicht selten in den Dienst der politischen Propaganda gestellt werden oder der Verklärung der Taten ihrerAuftraggeber dienen. Das galt auch für ausländische Herrscher in Italien, wie für den spanischen König Alfonso V. von Aragon (Alfonso I. für das Königreich Neapel und Sizilien), unter dem Neapel 1443 − 1458 zu einem führenden Kulturzentrum wurde. Die dort gepflegte, von Alfonso absorbierte italianità war letztlich «eine Sache der persönlichen Lebensführung». Zu ihr gehörten «Affektkontrolle, Rationalität, Sprachbeherrschung, Dignität im Auftreten, Ästhetik des Alltags, Wertschätzung und Förderung von Kunst und Wissenschaft» (S. 167), aber auch die Kultur der Kulinarik, von der die in zahlreichen Auflagen gedruckten und in ganz Europa vertriebenen Kochbücher von Martino de ’ Rossi, Cristoforo di Messisbugo und Bartolomeo Scappi aus dem 15. und 16. Jahrhundert Zeugnis ablegen. Neben opulenten Banketten lebte an den Fürstenhöfen - die römische Kurie nicht ausgenommen! - in Anknüpfung an antike Traditionen schließlich auch eine erotische Kultur wieder auf, die ihren künstlerischen Niederschlag in wollüstigen Wandmalereien, pornographischen Illustrationen und obszönen Texten fand, wie Reinhardt am Beispiel der Fresken in dem 1524 − 1534 von Giuliano Romano für Federico II. Gonzaga im manieristischen Stil erbauten Palazzo Te 7 in Mantua oder an den Kurtisanengesprächen (Ragionamenti) 7 Der Name des Lustschlösschens geht auf den Ort seiner Errichtung auf einer kleinen, seit dem Mittelalter Tejeto genannten und in Te abgekürzten Insel in der Nähe des den lago Buchbesprechungen 111 von Pietro Aretino, dem enfant terrible unter den italienischen Schriftstellern des 16. Jahrhunderts, veranschaulicht. Die freizügige Sexualmoral wurde zwar ab Mitte des 16. Jahrhunderts mit der Katholischen Reform vorübergehend zurückgedrängt, lebte aber im Zeitalter des Barock wieder auf. Viele der von Reinhardt minutiös beschriebenen und kenntnisreich erläuterten Kunstwerke thematisieren vordergründig Gestalten und Ereignisse sowohl aus der griechisch-römischen Mythologie als auch aus der Bibel und spiegeln somit die «unauflösliche Verbindung von Antike und Christentum» (S. 188), die für die italienische Renaissancekultur typisch ist. Dass sich hinter manchem Ruhmeskult mit Rückgriff auf die Ideale des frühen Christentums auch Kritik an den Mächtigen verbirgt, das Renaissance-Papsttum inbegriffen, das weltlichen Belangen stärker als theologischen Fragen zugewandt war, zeigt Reinhardt u. a. anhand des Freskenzyklus von neun berühmten Männern und Frauen (Ciclo degli uomini e donne illustri), die Andrea del Castagno 1448 − 1451 für den Florentiner Gonfaloniere di giustizia Filippo Carducci in dessen Villa in Legnaia gemalt hat. Es ist Reinhardt wichtig zu betonen, dass der Ruhmeskult der Renaissance keinen allgemeinen «Prozess der Individualisierung» bezeugt, in dem der Mensch als unverwechselbares Einzelwesen entdeckt und verstanden wird (S. 190). Er wendet sich damit gegen eine Auffassung, die im zeitgenössischen Schrifttum durchaus vertreten wird, etwa in der 1496 postum veröffentlichten programmatischen Rede Über die Würde des Menschen (De hominis dignitate) des jungen Philosophen und Humanisten Giovanni Pico della Mirandola, den Reinhardt zur «kulturellen Avantgarde Italiens» zählt, aber nur beiläufig und versehentlich mit dem Vornamen Francesco erwähnt (S. 197). Vertrat der Baseler Kulturhistoriker Jacob Burckhardt - mit dessen 1860 erschienenem bahnbrechenden Werk Die Cultur der Renaissance in Italien die fünf Jahre zuvor vom französischen Historiker Jules Michelet als Epochenbegriff eingeführte Bezeichnung ‘ Renaissance ʼ endgültig in die Forschung eingegangen ist - noch die Ansicht, dass die Kultur der Renaissance «auf das Stärkste den Individualismus» entwickelte und «Antrieb zur höchsten Ausbildung der Persönlichkeit» bot, deren Vollendung der «allseitige Mensch», der uomo universale sei, 8 so hält Reinhardt dagegen, dass «große Persönlichkeiten» aus dieser Zeit «nicht für sich [stehen], sondern für übersuperiore vom lago inferiore in Mantua trennenden, heute überbauten Canale Rio zurück, und hat nichts, wie die von Reinhardt benutzte Bezeichnung «Palazzo del Tè» suggeriert, mit Tee zu tun. 8 Vgl. Jacob Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, Basel: Schweighauser ’ sche Verlagsbuchhandlung 1860. Burckhardt widmet der «Entwicklung des Individuums» darin ein ganzes Kapitel, S. 131 − 170; Zitate S. 304 und 137. Siehe auch seine Anmerkungen zu großen Persönlichkeiten im Abschnitt Das Individuum und das Allgemeine in: ders., Weltgeschichtliche Betrachtungen, München: dtv 1978, S. 151 − 180. Buchbesprechungen 112 zeitliche und übergeordnete Werte, die in einer chaotischen Gegenwart verloren zu gehen drohen» (S. 190) - eine diskutierbare These. Der Bogen von «Harmonien und Dissonanzen», unter dem die 14 Beiträge zum 16. und 17. Jahrhundert gruppiert sind, ließe sich durchaus auf alle anderen der hier behandelten Epochen übertragen. Im Übergang von der Hochrenaissance zum Barock bezieht er seine Spannung, wie die von Reinhardt ausgewählten Themen verdeutlichen, allerdings vorrangig aus Auseinandersetzungen mit Positionen der katholischen Kirche, die mit dem Konzil von Trient (1545 − 1563) zum Gegenschlag gegen den sich mit der Reformation in Europa ausbreitenden Protestantismus ausgeholt hatte und dabei auch den Kulturbereich stärker zu reglementieren suchte. Literatur, Philosophie, die bildenden Künste und auch die Musik sollten wieder in den Dienst der Kirche und der katholischen Religion gestellt werden. Das als Überschrift für diesen dritten Teil gewählte Begriffspaar ist nicht zufällig der Musik entlehnt, in der Italien nach seiner in der Renaissance eroberten Vorreiterrolle in Kunst und Wissenschaft nun ebenfalls eine Führungsposition einnimmt, wie Reinhardt an den Beispielen des Kirchenmusikers Giovanni Pierluigi - besser bekannt unter dem Namen seines Geburtsortes Palestrina - , an dem Madrigalisten Carlo Gesualdo und dem Wegbereiter der Oper Claudio Monteverdi zeigen kann. Die von Reinhardt detailliert geschilderten Lebens- und Schaffensumstände der drei Komponisten markieren in ihrer extremen Unterschiedlichkeit gleichsam die Pole des Spannungsfeldes, in dem sie tätig waren. Die Qualität ihrer Werke strahlte weit über Italien hinaus. Die untrennbar mit Italien und Monteverdi verbundene Erfindung der Oper entwickelte sich gar zu einem «Exportschlager ohnegleichen» (S. 365), und selbst die stärker in ihrer Zeit verwurzelte Tonkunst Palestrinas, der voll und ganz die Grundsätze der Katholischen Reform vertrat, oder die Madrigale Gesualdos, deren kühne Stimmführung und Harmonik mit ihren Übersteigerungen seine tragische Lebensgeschichte widerspiegelt, wurden im 19. und 20. Jahrhundert wiederentdeckt und zu wichtigen Bezugspunkten für die Weiterentwicklung der europäischen Musik. Anders als für die Musik hatte das Konzil von Trient 1563 verbindliche Richtlinien für Gemälde mit religiösen Themen erlassen, welche die Freiheit der Künstler bei der Gestaltung von Auftragsarbeiten für Klöster und Kirchen einschränkten. Konnten Perugino, Botticelli und später Michelangelo bei der Ausschmückung der Sixtinischen Kapelle im päpstlichen Auftrag ungeachtet aller programmatischen Vorgaben noch manch «subversive Botschaften» in ihre Fresken einfügen, musste sich Paolo Veronese 1573 vor der römischen Staatsinquisition für die Darstellung seiner Version des Letzten Abendmahls in einem Gemälde für das Kloster Santi Giovanni e Paolo in Venedig rechtfertigen, weil es nach Ansicht der Prüfungskommission in der Bibel nicht vorkommende weltliche Buchbesprechungen 113 Gestalten zeigte und überdies zu pompös ausgefallen war. Durch die thematische Umwidmung des Bildes zum Gastmahl im Hause des Levi konnte immerhin eine pragmatische Kompromisslösung gefunden werden. Reinhardt nimmt das Verfahren zum Anlass, um auf «verwickelte venezianische Machtkämpfe» und die «Dauerkonfrontation zwischen Rom und Venedig» (S. 310 − 313) hinzuweisen, die 1605 zu Beginn des Pontifikats von Paul V. in einen offenen Konflikt mündete, als der Papst wegen der von Venedig erlassenen restriktiven Gesetze zum Rechts- und Vermögensstatus von Klerikern und Kirchen den Kirchenbann über den Senat und das Interdikt über die gesamte Lagunenrepublik verhängte. Reinhardts Beitrag über die von Carlo Ginzburg in einer viel beachteten Studie untersuchten benandanti 9 - eine verschworene Gemeinschaft von Bauern und Bürger(innen) in der ländlichen Gesellschaft von Friaul, die sich durch die besondere Form ihrer Geburt mit der Fruchtblase für auserkoren hielten, die Ernte und Fruchtbarkeit von Mensch und Vieh zu sichern sowie Hexen und Hexer zu bekämpfen - kann man das erstaunliche Faktum entnehmen, dass von der 1542 mit dem Sant ’ Uffizio gegründeten römischen Zentralinquisition bei Hexenprozessen «im gesamten Kirchenstaat keine einzige Hinrichtung wegen Hexerei vollzogen wurde» (S. 335). Nicht nur in der Kunst und Politik, auch gegenüber der Wissenschaft vertrat die Kirche weiterhin ihre Deutungs- und Machthoheit, wie Reinhardt in zwei Beiträgen über «Magie und Alchemie» sowie über «Galilei und die Theologen» aufzeigt. Nach dem Konzil von Trient waren Magie und Zauberei, die auf Geheimwissen basierten, in Italien untersagt, während sich die mit wissenschaftlichem Anspruch auftretende Alchemie gleichsam in einer partiell tolerierten Grauzone befand. Wissenschaftliche Erkenntnisse wurden von der Kirche nur akzeptiert, sofern sie nicht in Widerspruch zur biblischen Überlieferung standen. Das prominenteste Beispiel hierfür ist der bekannte Umgang der römischen Kurie mit dem an der Universität Pisa lehrenden Hofmathematiker der Medici Galileo Galilei, der 1633 vom kirchlichen Inquisitionsgericht unter Hausarrest gestellt und gezwungen wurde, der kopernikanischen Lehre abzuschwören. Seine Schriften wurden auf den Index der für Katholiken verbotenen Bücher gesetzt. Erst dreieinhalb Jahrhunderte später, unter dem Pontifikat von Johannes Paul II., wurde Galilei am 2. November 1992 (bei Reinhardt irrtümlich 1979) rehabilitiert. 9 Carlo Ginzburg, Die Benandanti. Feldkulte und Hexenwesen im 16. und 17. Jahrhundert. Aus dem Italienischen von Friedrich Hauber, Frankfurt am Main: Syndikat Autoren- und Verlagsgesellschaft 1980. Buchbesprechungen 114 Für Dissonanzen in der Gesellschaft sorgten freilich nicht nur Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche, sondern auch soziale Spannungen, die sich bei zu drückenden Abgabelasten und drohenden Versorgungsengpässen in Volkserhebungen entladen konnten, wie die von Tommaso Aniello (Masaniello) aus Amalfi 1647 angeführte Revolte der ‘ kleinen Leute ʼ in Neapel gegen die Steuereintreiber des spanischen Vizekönigs, die Reinhardt anhand eines die Vorgänge aus der Perspektive der Oberschicht darstellenden Gemäldes von Michelangelo Cerquozzi analysiert. Tommaso Campanellas utopischer Entwurf des Sonnenstaats (Città del Sole), der alle sozialen Übel auf das Privateigentum zurückführte und durch eine kollektivistische Gesellschaftsform mit einem politisch-religiösen Herrschaftssystem beseitigen wollte, bot jedenfalls keine Lösung zur Sicherung des sozialen Friedens. Vom «Geist der Katholischen Reform und der Konfessionalisierung» geprägt, lief das an der päpstlichen Universalmonarchie orientierte Staatsmodell mit seinen schroffen Hierarchien und der rigiden religiös-politischen Verfassung letztlich auf eine «Entmündigung des Einzelnen» (S. 388) hinaus. Kunst und Bauten des Barock erstrahlten indes in vollendeter Harmonie, wie die von Andrea Palladio für den venezianischen Adel erbauten Villen auf der Terraferma oder der vom Kardinalnepoten Scipione Borghese in Rom angelegte Park der Villa Borghese mit dem Casino, «ein barockes Prunkensemble par excellence» (S. 358), das eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen der Welt beherbergt. Am Beispiel der nach ihrer Zerstörung durch ein Erdbeben 1693 an anderer Stelle neu erbauten Stadt Noto im Südosten Siziliens zeigt Reinhardt nicht nur, wie Klerus und Kirche, unterstützt durch die lokale Aristokratie, es verstanden, mit prachtvollen, «in strategisch und symbolisch herausragenden Positionen der Stadtmitte» platzierten Barockbauten «die doppelte Machtstellung der Kirche für das Jenseits und im Diesseits» zu unterstreichen. Er hebt auch den für die Zeit bemerkenswerten, an heutige Planfeststellungsverfahren erinnernden Entscheidungsfindungsprozess durch «Eingaben, Abstimmungen, Einsprüche und Memoranden» hervor, mit dem regionale Eliten und spanische Behörden das Bauvorhaben in dem Bestreben, größere Konflikte zu vermeiden, planten und realisierten - ein Procedere, das dem verbreiteten Bild der in Lethargie versunkenen «resignativ-melancholischen [. . .] durch zu viele Herrschaftswechsel ausgesaugten und ausgelaugten Insel» widerspricht. Vielmehr ermöglichte es einen durchdachten Wiederaufbau, «wie ihn Italien seither nach vergleichbaren Katastrophen nicht mehr zustande gebracht hat» (S. 403 ff.). Die immer wieder beeindruckende Detailkenntnis, mit der Reinhardt die ausgewählten Kunst- und Bauwerke akribisch analysiert, Hintergründe aufhellt, Mythen entzaubert, Zusammenhänge herstellt, Aktionen wie Akteure beschreibt und in den historischen Kontext einordnet, macht deutlich, dass er nicht nur mit Buchbesprechungen 115 der einschlägigen Fachliteratur vertraut ist, zu der er selbst nicht wenige Abhandlungen beigesteuert hat, sondern auch mit dem jeweils relevanten Quellenmaterial. Absolutismus, Aufklärung, Reform und Revolution prägen das 18. Jahrhundert in großen Teilen Europas und hinterlassen ihre Spuren auch in der italienischen Kultur. Reinhardt illustriert dies in den acht Beiträgen des vierten Teils. Das 1729 − 1735 vom Barockarchitekten Filippo Juvarra für den aus dem Herrscherhaus von Savoyen stammenden Viktor Amadeus II. begonnene, 1735 unter dessen Nachfolger Karl Emanuel III. erweiterte Jagdschloss von Stupinigi im Südwesten von Turin mit seinem kuppelüberwölbten, im Fluchtpunkt einer schnurgeraden Zufahrtsallee liegenden zentralen Festsaal, den wie geöffnete Arme in die Landschaft ausgreifenden Flügelbauten und den heiteren Dekorationen der Fassaden ist hier als Bauwerk gewählt, das die Inszenierung der Macht und das Selbstverständnis eines absoluten Herrschers perfekt zum Ausdruck bringt. Viktor Amadeus II., nach dem Frieden von Utrecht 1713 mit dem Erwerb von Sizilien vom Herzog zum König erhoben, 1720 nach dem Tausch der Insel gegen Sardinien König von Piemont-Sardinien, vertrat einen Absolutismus eigener Art, den Reinhardt in barocker Formulierung als «herrscherliche Patronage- und Verherrlichungshoheit auf der Grundlage einer Symbiose von Monarchie und Adel» definiert (S. 415). Mit der Durchsetzung eines «Ethos der Pflichterfüllung gegenüber dem Staat» für die zum Dienstadel gewordene heimische Aristokratie und der «Entwicklung einer hierarchisch abgestuften und starren Bürokratie» setzte er nachhaltige Reformimpulse, die Piemont für die Einigung Italiens im 19. Jahrhundert eine ähnliche Bedeutung verliehen, wie sie Preußen für die deutsche Reichsgründung zukam. Verglichen mit den überschaubaren Dimensionen des Jagdschlosses von Stupinigi - im Italienischen bezeichnenderweise mit dem Diminutiv Palazzina benannt - präsentiert sich die 1751 unter dem spanischen Bourbonen Karl (VII.) als König von Neapel und Sizilien nach Plänen von Luigi Vanvitelli begonnene und drei Jahrzehnte später vollendete Reggia in Caserta mit ihren 1.200 Räumen und der riesenhaften, nach dem Vorbild der Villa d ’ Este in Tivoli von Brunnen und Wasserläufen durchzogenen Gartenanlage als Residenz von geradezu «pharaonischen Ausmaßen» (S. 460). Der für aufklärerische Reformideen aufgeschlossene Monarch wechselte allerdings schon 1759 als Karl III. auf den spanischen Thron und überließ den noch unfertigen Bau seinem Nachfolger im süditalienischen Königreich, Ferdinand IV. und dessen Ehefrau Maria Carolina von Habsburg, eine Tochter Maria Theresias, unter denen sich das ursprünglich als «Mittelpunkt eines zentral und rational verwalteten Musterkönigreichs» gedachte Schloss nach und nach zum «Symbol von Verschwendung, Misswirtschaft, aristokratischer Dekadenz und königlicher Unmoral» (S. 459 f.) entwickelte. Die von Karl VII. Ende Buchbesprechungen 116 der dreißiger Jahre wieder aufgenommenen, von seinem Sohn nur halbherzig geförderten Ausgrabungsarbeiten am Fuß des Vesuvs, welche die 79 n. Chr. vom Vulkanausbruch verschütteten Städte Herculaneum und Pompeji freilegten, erwiesen sich mit den neben Statuen, Büsten, Fresken und Mosaiken vielfach auch zu Tage geförderten obszönen Malereien, Objekten und Inschriften eher als kontraproduktiv für das Ziel, die Zeugnisse «einer großen Vergangenheit zum höheren Ruhm für die Gegenwart» zu erschließen und das Prestige des Königshauses zu erhöhen; vielmehr drohten sie «das ohnehin schon schlechte Image Neapels als Sündenpfuhl und Lasterhöhle weiter zu verdunkeln». Der Attraktivität derAusgrabungsstätten tat dies keinen Abbruch, im Gegenteil. Als mystische «Orte der Zerstörung und Vergänglichkeit» zogen sie Besucher an, die dort «stärkere Sinneseindrücke und Abenteuer» zu finden hofften und eine Faszination für die Darstellung von Katastrophen entfalteten, die in der Romantik «Hochkonjunktur» hatte und mit Edward Bulwer-Lyttons Bestsellerroman Die letzten Tage von Pompeji aus dem Jahr 1834 ihren Höhepunkt erreichte (S. 442 f.). Während das europäische Bildungsbürgertum, darunter Winckelmann und Goethe, im 18. Jahrhundert das Land auf der Suche nach antiker Größe bereiste, zog es viele italienische Künstler, Musiker und Architekten zunehmend ins Ausland, da in Italien «im Zeichen des politischen Bedeutungsverlusts und der Wirtschaftskrisen große Kunstaufträge immer seltener» wurden. Dass Giovanni Battista Tiepolo, «der größte Maler des 18. Jahrhunderts», mit den Fresken in der Würzburger Residenz des Fürstbischofs Carl Philipp von Greifenclau sein Hauptwerk «ausgerechnet in einem mainfränkischen Duodezfürstentum» schuf, nimmt Reinhardt aber auch als Indiz dafür, «welche Ausstrahlungskraft die italienische Kultur weiterhin besaß und wie ‘ italianisiert ʼ der Geschmack der europäischen Eliten immer noch war» (S. 445 − 452). Dies sollte sich erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts und definitiv im 19. Jahrhundert ändern, als die Kurie und der italienische Adel ihre Rolle als «Anreger und Auftraggeber großer Kultur» einbüßten und die entscheidenden Impulse für Stil- und Geschmacksfragen nunmehr aus Frankreich, England und Deutschland kamen. Besonders das Papsttum, Jahrhunderte lang «die dynamischste Kraft auf dem Kunstmarkt Europas» hatte den Anschluss an die neue Zeit verloren, indem es sich vehement gegen die mit der Französischen Revolution verbreiteten Ideen der Aufklärung zur Wehr setzte und weiterhin «für eine paternalistische Monarchie unter der Kontrolle der Kirche» eintrat (S. 432). Dagegen versuchten aufgeklärte Reformer wie der Mailänder Jurist Cesare Beccaria eine «selbstverantwortliche Zivilgesellschaft» frei von kirchlicher Bevormundung und ständischen Privilegien zu schaffen. Seine 1764 erschienene, in 22 Sprachen übersetzte Abhandlung Dei delitti e delle pene (Von den Verbrechen und von den Strafen) gab in Buchbesprechungen 117 ganz Europa Anstoß zu Reformen des Strafrechts (vgl. S. 463 − 471). Radikaler zogen Literaten wie Vittorio Alfieri und der eine Generation später geborene Ugo Foscolo mit der Feder gegen «etablierte Autoritäten» und «das ruhmlose Italien der Väter» zu Felde und wurden - jeder auf seine Weise - zu Vordenkern und Vorkämpfern der nationalen Einigungsbewegung im 19. Jahrhundert, die in der Geschichtsforschung mit dem Epochenbegriff des Risorgimento, der nationalen ‘ Wiederauferstehung ʼ bezeichnet wird. Nach Ende der napoleonischen Ära, die auch die italienischen Verhältnisse noch einmal kräftig durcheinandergewirbelt hatte, schien die Zeit reif, die letzten Reste der Fremdherrschaft zu beseitigen und einen unabhängigen Nationalstaat zu schaffen. «Der Traum von der nationalen Wiedergeburt» - so der Titel des fünften Teils mit sechs Beiträgen zum ‘ langen ʼ 19. Jahrhundert - sollte endlich Wirklichkeit werden. Geträumt hatten ihn vor allem Intellektuelle, Teile des Adels und des städtischen Bürgertums in Nord- und Mittelitalien, während für die große Mehrheit der Bevölkerung in Stadt und Land « ‘ Italien ʼ ein leeres Wort [war], mit dem sie keinerlei Emotionen und Werte verbanden» (S. 513). Einem Nationalbewusstsein standen schon die vielen Sprachbarrieren entgegen, welche die einzelnen Landesteile trennten. Der aus der piemontesischen Aristokratie stammende, mit seiner adeligen Herkunft brechende Alfieri sprach Französisch und piemontesischen Dialekt und musste ebenso wie der auf der damals noch zu Venedig gehörenden griechischen Insel Zakynthos (Zanthe) geborene Foscolo die italienische Hochsprache in der Toskana lernen. Alessandro Manzonis 1827 in einer ersten Fassung veröffentlichter Roman I Promessi Sposi (Die Brautleute) konnte erst zum Nationalepos werden, nachdem der Autor ihn 1840 − 42 durch ein ‘ Bad im Arno ʼ von seinen lombardischen, umgangs- und fremdsprachlichen Elementen gereinigt und dem von Gebildeten gesprochenen Florentinischen angepasst hatte. Mit seiner optimistischen Botschaft, «dass das sprachliche und damit auch kulturelle Zusammenwachsen Italiens der politischen Vereinigung vorausgehen und diese zur Folge haben würde», wurde Manzoni, dessen Leben von moderater Aufklärung und liberalem Katholizismus geprägt war, zu einem Hoffnungsträger des Risorgimento. Anders als der zutiefst pessimistische, mit höchster lyrischer Qualität gegen den Zeitgeist und falsche Tröstungen anschreibende Dichter Leopardi, der bereits 1837 im Alter von nur 38 Jahren starb, konnte Manzoni am 17. März 1861, zwei Tage nach seinem 76. Geburtstag, die lang ersehnte Gründung des Nationalstaats mit der Proklamation des sardisch-piemontesischen Königs Vittorio Emanuele II. zum König von Italien noch erleben. Kritisch geht Reinhardt mit der anderen großen Identifikationsfigur des Risorgimento, Giuseppe Verdi, ins Gericht, dessen Name von Zeitgenossen als prophetisches Kürzel (V. E. R. D.I. = V ittorio E manuele R e D ’ I talia) für die Nationalstaatsgründung unter piemontesischer Führung gedeutet wurde. Der Buchbesprechungen 118 1813 als Sohn eines Gastwirts und Kleinbauern im damals noch unter französischer Herrschaft stehenden Herzogtum Parma geborene Komponist, der 1849 mit La battaglia di Legnano eine « ‘ Risorgimento-Oper ʼ reinsten Wassers» (S. 510) komponiert hatte, zählte zu der neuen Schicht wohlhabender Bürger und Honoratioren, die als Profiteure der Einheit an die Stelle des alten Adels traten. Wie ein Feudalherr «den Lebensstil der alten Herren» nachahmend, so Reinhardt, «zelebrierte er sich selbst als lebendes Symbol der italienischen Kultur und ihrer Überlegenheit» und wurde zum «Gralshüter der großen nationalen Musiktradition» (S. 514 ff.), deren Werke sich bis heute weltweit ungebrochener Beliebtheit erfreuen. Die neogotische, gleichsam den Wunsch zur Rückkehr ins Mittelalter symbolisierende Umgestaltung der Basilika Santa Maria sopra Minerva in Rom, die Girolamo Bianchedi 1848 − 1855 auf Wunsch Pius IX. vornahm, dient Reinhardt als Auftakt für ein kurzes Porträt des 1846 auf den Stuhl Petri gelangten und sich in seiner 32-jährigen Amtszeit - dem längsten Pontifikat der Papstgeschichte! - vom Liberalen zum Reaktionär wandelnden Papst, der 1864 mit seiner Enzyklika Quanta Cura und dem angehängten Syllabus errorum die modernen ‘ Irrtümer ʼ der Zeit verurteilte. Wenige Wochen vor der Einnahme Roms durch piemontesische Truppen, die das Ende des Kirchenstaats besiegelte, ließ er zudem auf dem ersten Vatikanischen Konzil vom Dezember 1869 bis Juli 1870 das den Kulturkampf verschärfende päpstliche Unfehlbarkeitsdogma bei ex cathedra-Entscheidungen zur Glaubens- und Morallehre verkünden. Verhängnisvoll für das Verhältnis der Katholiken zum jungen italienischen Nationalstaat erwies sich seine Bulle Non expedit vom September 1874, die Katholiken die aktive und passive Teilnahme an nationalen Wahlen verbot und erst 1919 durch Benedikt XV. aufgehoben wurde. Welche Bedeutung die neuen Machthaber der Gründung des Nationalstaats und der Proklamation Roms zur Hauptstadt des Königreichs Italiens beimaßen, lässt sich an den gigantischen Ausmaßen des Nationaldenkmals Altare della Patria ablesen, das 1885 − 1927 nach dem Abriss eines ganzen mittelalterlichen Stadtviertels am Kapitolhügel, dem politischen Zentrum des antiken Roms, errichtet wurde. Reinhardt berichtet von fast 300 eingereichten Entwürfen, darunter 58 aus dem Ausland, von denen eine Jury 1884 das Projekt des aus den Marken stammenden Architekten Giuseppe Sacconi auswählte: eine monumentale, sich an antiken Bauten wie dem Pergamonaltar und dem Heiligtum der Fortuna Primigenia in Palestrina orientierende tempelartige Anlage, vor der ein Reiterstandbild des Königs Vittorio Emanuele II. platziert war. Der heute die gesamte Umgebung der Piazza Venezia dominierende Denkmalkoloss fand jedoch ebenso wenig wie das 1910 fertiggestellte monströse Gebäude des Palazzo di Giustizia am Tiberufer die Sympathie der Bevölkerung. Die Bauwerke werden bis heute mit Buchbesprechungen 119 zahlreichen Spottnamen versehen, worin auch ein gespaltenes Verhältnis der Italiener zu ihrem Staat zum Ausdruck kommt. Anhand der Baugeschichte der imposanten Mole Antonelliana in Turin - als Synagoge geplant, als Museum genutzt und zum Wahrzeichen der Stadt geworden - , skizziert Reinhardt die Emanzipation der italienischen Juden, die in den meisten italienischen Staaten im Zuge der Revolution von 1848 erfolgte, nach deren Niederschlagung mit Ausnahme von Piemont-Sardinien aber wieder rückgängig gemacht wurde. Während die im Statuto Albertino von 1848 garantierte Religionsfreiheit und zivilrechtliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung 1861 für das italienische Königreich übernommen wurde, blieb deren Benachteiligung im Kirchenstaat bis zu dessen Ende 1870 bestehen. Die erfolgreiche Integration der Juden in die italienische Gesellschaft ließ sich dadurch nicht aufhalten. Noch vor dem Ersten Weltkrieg stellten sie zwei Ministerpräsidenten und mit Ernesto Nathan von 1907 bis 1913 den Bürgermeister von Rom, wo der prachtvolle Bau der 1904 fertiggestellten Synagoge gegenüber der Tiberinsel das neue Selbstbewusstsein der 1555 von Paul IV. in das nahegelegene Ghetto verbannten jüdischen Gemeinde zeigt. Aus der Fülle der für das 20. und 21. Jahrhundert denkbaren Themen wählt Reinhardt im letzten Teil des Buches die Schwerpunkte Futurismus, Faschismus, ‘ Fashion ʼ und Film, die geschickt untereinander und mit zwei weiteren die Alliteration fortsetzenden Beiträgen zu FIAT und Fußball vernetzt werden. So führen Verbindungslinien von Giorgio De Chiricos ‘ metaphysischer ʼ Malerei zum Futurismus Filippo Tommaso Marinettis und Umberto Boccionis sowie zur Herrschaftsarchitektur des Faschismus, dessen Repräsentationsbauten noch heute in vielen Städten Italiens zu sehen sind. Mit einer ästhetisch wie funktional gelungenen «Kombination von Tradition und Innovation» wurde 1932, zehn Jahre nach dem Marsch auf Rom, der wie ein Kunstwerk gestaltete neue Firmensitz des FIAT-Automobilkonzerns Il Lingotto (wörtlich: der Barren) im Süden Turins fertiggestellt, in dem erstmals «in einem einzigen Gebäudekomplex die gesamte Fahrzeugproduktion vom Reißbrett bis zur Probefahrt nebst der internationalen Vermarktung» untergebracht war (S. 546). Nicht zuletzt durch Rüstungsaufträge versechsfachte sich zwischen 1921 und 1939 die Fahrzeugproduktion des FIAT-Konzerns, dessen Firmenchef Giovanni Agnelli senior zur Einweihung des Lingotto das neue Automobilmodell 508 auf den Namen der faschistischen Jugendorganisation Balilla taufte. Unter der Regie seines charismatischen Enkels Gi(ov)anni Agnelli junior (1921 − 2003) entwickelte sich das Unternehmen in den 1960er Jahren zu einem breit aufgestellten Mischkonzern, der neben Fahrzeugen eine ausgedehnte Palette industrieller Investitionsgüter bis hin zu Kraftwerken baute und auch in das Versicherungs- und Bankenwesen einstieg. Mit seinem mondänen Lebensstil, seinen Verbindungen in die italie- Buchbesprechungen 120 nische Politik und die internationale High Society wurde der in der italienischen Öffentlichkeit wegen seines abgeschlossenen Jurastudiums auch einfach nur mit dem Beinamen l ’ Avvocato genannte Gianni Agnelli «zu einem Symbol von Nationalbewusstsein und Nationalstolz, das durch die Verbindung von Geschäftserfolg und mondänem Glanz die Weltgeltung einer zeitgemäß erneuerten italianità demonstrierte» (S. 551). Wie die von Corradino D ’ Ascanio für Piaggio entworfene Vespa bahnte das Erfolgsmodell des neuen FIAT 500 der «volkstümliche[n] Massenmotorisierung» in Italien den Weg und erreichte weltweit Kultstatus. Für weiteren Einfluss des FIAT-Firmenchefs sorgte seine Rolle als Präsident und Patron des Fußballclubs Juventus Turin, an dessen Beispiel Reinhardt die sich seit Ende der 1920er Jahre wandelnde Kultur der mit Abstand populärsten Sportart in Italien nachzeichnet. «Spielwitz, taktische Finesse und Übersicht», aber auch die berüchtigte Abwehrkette, der catenaccio, wurden zu Markenzeichen der italianità im Fußball. In der hierarchischen Organisationsstruktur der Serie-A- Clubs, die von drei Vereinen zweier Großstädte - Juventus Turin, Inter(nazionale) Mailand und AC Mailand - dominiert wird, sieht Reinhardt Parallelen zum politischen System der Republik. Wie kein anderer hat der Mailänder Unternehmer und ‘ Medienmogul ʼ Silvio Berlusconi seine Position als Präsident des Fußballclubs AC Mailand seit Mitte der 1980er Jahre für seine geschäftliche und politische Karriere zu nutzen verstanden. Die von ihm 1993 gegründete, nach dem Anfeuerungsruf für die squadra azzurra, die Fußballnationalmannschaft, Forza Italia benannte rechtspopulistische Wählerbewegung gewann 1994 die Parlamentswahlen und verhalf Berlusconi zum ersten von vier Ministerpräsidentenämtern. Mit seiner Fininvest-Holding und Mediaset-Gruppe, der ein halbes Dutzend kommerzielle Fernsehsender und 53,3 % der größten, von seiner Tochter Marina geführten Verlagsgruppe Mondadori gehören, hat Berlusconi nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass Mailand seine Stellung als wichtigstes Verlags- und Medienzentrum in der italienischen Republik weiter ausgebaut hat. Schon in den 1970er Jahren hatten führende italienische Designer wie Missoni, Krizia, Ferré und Armani aus diesem Grund ihren Sitz nach Mailand verlegt. Ihnen folgten nahezu alle großen Modehäuser nach, so dass Mailand auch zur Kapitale der italienischen Modeindustrie wurde, die 2016 mit einem Umsatz von 84,1 Milliarden Euro, noch vor Frankreich, gut 30 Prozent des Weltmarkts abdeckte (vgl. S. 580). Mit erhellenden Anmerkungen zur Produktion Made in Italy zeichnet Reinhardt an einigen Beispielen die Entwicklung in der Modebranche unter den Herausforderungen der globalisierten Ökonomie nach. Luchino Viscontis Verfilmung von Giovanni Vergas veristischem Roman I Malavoglia (Filmtitel: La terra trema - Die Erde bebt), Vittorio De Sicas Ladri di Buchbesprechungen 121 biciclette (Fahrraddiebe), beide aus dem Jahr 1948, und der schon 1946 gedrehte Episodenfilm Paisà von Roberto Rossellini werden als Höhepunkte des noch in faschistischer Zeit entstandenen Neorealismus im italienischen Film analysiert. Zu seinen bedeutendsten Vertretern zählen außer den drei Genannten auch der in Deutschland weniger bekannte Luigi Zampa sowie der junge Federico Fellini, dem mit seinen in Rom spielenden Filmen La dolce vita und Roma ein eigener Beitrag gewidmet ist. Kritisch merkt Reinhardt an, dass die drei Regisseure, ebenso wie Alberto Moravia mit seinen Römischen Erzählungen aus den 1950er Jahren, ihrem Anspruch letztlich nicht gerecht werden, die ungeschminkte Lebenswirklichkeit der kleinen Leute und des unter Armut und Unterdrückung leidenden einfachen Volkes zu zeigen, da sie selbst dem gehobenen Bürgertum, im Falle Viscontis gar «einer der vornehmsten Adelsdynastien Europas» entstammten und die von ihnen porträtierten Sozialmilieus aus eigenem Erleben nicht kannten. Mit der ausführlichen Besprechung des 1958 erschienenen Romans Il Gattopardo von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, fünf Jahre später von Visconti kongenial verfilmt, kehrt Reinhardt im letzten Beitrag des Bandes noch einmal zu den sizilianischen Verhältnissen zurück, die den Ausgangspunkt seines Parcours durch 1000 Jahre italienischer Kulturgeschichte bilden. Auch Tomasi di Lampedusa, wie Visconti aristokratischer Abstammung, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er habe mit seinem zum modernen Klassiker gewordenen Erfolgsroman, der in den letzten Jahrzehnten «fast so wie ‘ der Italiener ʼ um die Ecke» zum «Inbegriff von italianità» geworden sei - eine gewagte These - , trotz des einfühlsamen, historisch präzisen Porträts der «Mentalitäten der kleinen Leute», die «Geschichte Siziliens insgesamt zu einer Tradition stolzer Martyrien» verzerrt und damit zur «Klischeebildung» beigetragen (S. 599 u. 607). Gerne hätte man erfahren, worin die heutige «Selbsteinschätzung Siziliens und der Sizilianer» besteht, doch bleibt Reinhardt eine wissenschaftlich fundierte Antwort auf diese Frage schuldig. Die von Reinhardt mit feinen Strichen gezeichneten Miniaturen beziehen sich zu über zwei Dritteln auf das präunitarische Italien des 14. bis 19. Jahrhunderts und spiegeln naturgemäß die Präferenzen des Autors wider. Der Text ist flüssig geschrieben, zuweilen mit ironischem Unterton und saloppen, dem Zeitjargon entlehnten Formulierungen («Smiley-Ritter» für das Reiterstandbild von Cangrande I. della Scala, «Verkaufsschlager»/ «win-win Geschäfte» für den Ablasshandel, «Mobilitätslawine» für die Rompilger im Heiligen Jahr 1300, «Lebensabschnittspartnerschaften» für Beziehungen zu Kurtisanen und Mätressen). Mit 50 Textabbildungen, 32 Farbtafeln und 5 Karten ist der Band üppig illustriert. Jedem Abschnitt sind am Ende knappe bibliographische Angaben zugeordnet, die auf ein deutsches Lesepublikum abgestimmt sind. Der Literatur zum Gesamtüberblick möchte man Manfred Hardts sehr lesenswerte, fast 1000 Buchbesprechungen 122 Seiten starke Geschichte der italienischen Literatur hinzufügen, in der alle von Reinhardt vorgestellten Autoren mit ihren Werken ausführlich gewürdigt und in die jeweilige Epoche eingeordnet werden. 10 Die nahezu alle Landesteile berücksichtigende Auswahl der Zeugnisse ist im Ganzen ausgewogen, doch hätte man sich für das 20. und 21. Jahrhundert eine stärkere Berücksichtigung der Rolle von Naturwissenschaft und Technik, Medien, Volksfesten (legendär die von der KPI organisierten, alle sozialen Schichten verbindenden Feste dell ’ Unità in den 1970er und 1980er Jahren), der von Partisanen- und Ex-Deportiertenverbänden gepflegten Kultur der Resistenza und Erinnerungsorte, der populären Musikkultur oder neuerer Tendenzen in der Önogastronomie (Slow Food Bewegung/ Eataly) gewünscht. Sie alle haben ebenso zu einem erneuerten Verständnis von italianità beigetragen wie die Auseinandersetzungen zwischen dem nach der Lösung der römischen Frage 1929 durch den Lateranvertrag und das Konkordat noch in faschistischer Zeit wiedererstarkten Katholizismus, dessen Jugend- und Akademikerorganisationen zum Rekrutierungsreservoir der christdemokratischen classe dirigente der Nachkriegszeit wurden, 11 mit dem Laizismus des aus dem Widerstand gegen den Faschismus und die deutsche Okkupation auf die politische Bühne zurückgekehrten, den Wissenschafts- und Kulturbetrieb durchdringenden Kommunismus und Sozialismus. Cantautori (Liedermacher) wie Fabrizio De André, Francesco De Gregori, Lucio Battisti, Lucio Dalla, Giorgio Gaber, Pino Daniele u. a. m. haben mit ihren Liedern und Texten diese italianità und die Verhältnisse im Land immer wieder mit (selbst)ironischer Leichtigkeit hinterfragt und das Lebensgefühl und die politische Haltung ganzer Generationen von italienischen Jugendlichen geprägt. Um die Wirkungen dieser zeitgeschichtlichen Ereignisse und Entwicklungen auf die italienische Volksseele ermessen zu können, muss man freilich von den Höhen des akademischen Elfenbeinturms in die Niederungen des praktischen Alltagslebens hinabsteigen. Fügt man am Ende alle Miniaturen wie Steinchen zu einem Mosaik zusammen, ergibt sich ein komplexes Bild der italianità, das sich schwerlich in einem Satz zusammenfassen lässt. Reinhardt wagt es trotzdem. «Die Fähigkeit zum kulturellen Aufbruch nach Krisen», so seine Schlussbilanz, «ist [. . .] die knappste und aussagekräftigste Definition von italianità überhaupt» (S. 612). Das nüchterne, überraschend inhaltsleere Fazit wird jedoch weder den Ergebnissen seines ertragreichen Buches noch dem vielschichtigen, im Lauf der Jahrhunderte sich wandelnden Begriff der italianità gerecht. Unter dessen Ingredienzen lässt 10 Manfred Hardt, Geschichte der italienischen Literatur, Düsseldorf und Zürich: Artemis und Winkler 1996. 11 Vgl. Renato Moro, La formazione della classe dirigente cattolica (1929 − 1937), Bologna: il Mulino 1979. Buchbesprechungen 123 sich als herausragendes Kontinuum gleichwohl ein Verhaltenskodex ausmachen, der sich spätestens seit Baldassarre Castigliones Il libro del Cortegiano und Giovanni della Casas Galateo - beides Werke aus dem 16. Jahrhundert - wie ein roter Faden durch die italienische Kulturgeschichte zieht und von dem sich noch heute jede/ r Italienreisende, beim morgendlichen caffè in einer Bar, auf der piazza, oder beim Einkaufen und Flanieren in italienischen Städten überzeugen kann. Wollte man das Wesen der italianità auf eine einfache Formel bringen, dann wäre es wohl diese: fare bella figura. Sie klingt im Übrigen auch im Titel von Reinhardts Studie an. Ungeachtet der kritischen Anmerkungen ist Reinhardt fraglos ein großes Werk gelungen. Viele der hier beschriebenen Kunst- und Bauwerke wird man nach der Lektüre mit anderen Augen sehen. Man legt das Buch am Ende um neue Einsichten bereichert und mit der Gewissheit aus der Hand: von einer «Krise der Kulturgeschichte» 12 kann keine Rede sein. Jürgen Charnitzky 12 Anregende Betrachtungen hierzu bei Ernst H. Gombrich, Die Krise der Kulturgeschichte. Gedanken zum Wertproblem in den Geisteswissenschaften, Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1983, bes. S. 35 − 90. Buchbesprechungen 124 Maurizio Dardano (a cura di): Sintassi dell ’ italiano antico II. La prosa del Duecento e del Trecento. La frase semplice, Roma: Carocci 2020, 888 pagine, € 93,00 (Lingue e Letterature Carocci, 316) Negli ultimi vent ’ anni, lo studio della sintassi medievale si è sviluppato in modo notevole nella linguistica italiana. Tra l ’ altro occorre ricordare la pubblicazione nel 2010 della monumentale Grammatica dell ’ italiano antico, diretta da Giampaolo Salvi e Lorenzo Renzi, 1 che tuttavia alla sua uscita aveva suscitato qualche controversia tra gli storici della lingua, specialmente in merito alla sua impostazione teorica (in sostanza generativista, soprattutto nei primi capitoli sulla struttura della frase) e al suo metodo (la scelta del fiorentino medievale quale unico rappresentante della fase antica dell ’ italiano). Il libro qui presentato si inserisce in questo campo di ricerca, ma segue un percorso diverso, che si orienta più chiaramente ai metodi sperimentati nell ’ ambito della storia della lingua. Come indica il titolo, si tratta, a distanza di otto anni, della seconda parte della Sintassi dell ’ italiano antico. La prosa del Duecento e del Trecento, diretta dallo stesso Maurizio Dardano. 2 Sono coinvolti alcuni degli autori che avevano già partecipato al primo volume nonché numerosi nuovi collaboratori, che, come preme sottolineare al curatore (e coautore) nella presentazione, hanno tutti in comune «specifiche competenze nel campo della lingua antica» (p. 9). Oggetto principale di questo secondo volume è l ’ analisi della frase semplice e dei suoi costituenti nei testi in prosa italiana del XIII e XIV secolo (allo studio della frase complessa era dedicato il volume precedente). L ’ opera si compone dei seguenti 24 capitoli: 1. «Presentazione» (Maurizio Dardano), 2. «L ’ ordine dei costituenti» (Maurizio Dardano), 3. «Il verbo: funzioni e costrutti» (Maurizio Dardano), 4. «La struttura argomentale» (Maurizio Dardano), 5. «I tempi del verbo» (Fiammetta Papi), 6. «I verbi supporto» (Maurizio Dardano), 7. «L ’ accordo» (Lorenzo Filipponio), 8. «I modi del verbo e la modalità» (Gianluca Colella), 9. «Le perifrasi verbali» (Gianluca Colella), 10. «La negazione» (Maria Silvia Rati), 11. «Il sintagma nominale» (Emiliano Picchiorri), 12. «Il sintagma aggettivale» (Francesco Bianco e Benedetto Giuseppe Russo), 13. «L ’ articolo» (Gianluca Lauta), 14. «I dimostrativi» (Emanuele Ventura), 15. «I possessivi» (Ilde Consales), 16. «I quantificatori» (Daniele Baglioni e Davide Basaldella), 17. «I pronomi personali e riflessivi» (Lorenzo Filipponio e Luca Pesini), 18. «I pronomi relativi» (Luigi Spagnolo), 19. «I pronomi interrogativi e le forme esclamative» (Yorick Gomez Gane), 20. «Il sintagma preposizionale» (Gianluca Frenguelli), 21. «Il sintagma avverbiale e le profrasi» (Maria Silvia Rati), 22. DOI 10.24053/ Ital-2021-0028 1 Bologna: il Mulino 2010, 2 voll. 2 Roma: Carocci 2012. Buchbesprechungen 125 «I connettivi e i segnali discorsivi» (Davide Mastrantonio), 23. «Le tradizioni discorsive» (Luca Pesini), 24. «La grammaticalizzazione» (Luca Pesini). Come nel precedente volume, i temi affrontati sono trattati in una prospettiva storico-funzionale. Come osserva il curatore nella presentazione, gli studi linguistici attuali si dividono in due filoni di ricerca principali: da una parte il formalismo, rappresentato principalmente dalle teorie generativiste, e dall ’ altra la linguistica storica e il funzionalismo, con le sue diversi correnti. Mentre le grammatiche di stampo generativista considerano la lingua un sistema di regole omogeneo che rimane indifferente alla variazione linguistica e ai condizionamenti culturali e discorsivi, le grammatiche che si ispirano al funzionalismo si propongono al contrario, partendo da testi sia orali che scritti, di descrivere l ’ uso concreto che i parlanti o gli scriventi di una comunità fanno della lingua in un dato contesto. Questo volume si colloca in questo secondo indirizzo di ricerca, benché come viene precisato non escluda «ove necessario, la ripresa di singoli temi e spunti trattati nell ’ ambito del generativismo» (p. 11). Pur trattandosi di un approccio sincronico, la trattazione è ricca di spunti diacronici che mettono a confronto latino e volgare. Ma il termine di paragone principale per approfondire le caratteristiche dell ’ italiano medievale rimane l ’ italiano moderno («Presentazione», p. 9). Prima del Cinquecento però, è bene ricordarlo, non esisteva come oggi una lingua standard o una koinè letteraria comune alla quale riferirsi, ma più volgari che avevano una propria tradizione scritta, letteraria o meno (cfr. Fesenmeier 2020: 83; Tesi 2007: 61). Tra i colti, la lingua di cultura era il latino, che serviva loro da modello quando scrivevano in volgare. In tale ottica, sembra più che opportuna la scelta degli autori di non restringere l ’ analisi al solo fiorentino antico, ma di tener conto della situazione pluricentrica dell ’ Italia medievale allargando il corpus da esaminare ‒ in sostanza lo stesso del primo volume, con qualche aggiunta non precisata nella presentazione dell ’ opera ‒ sia a testi di provenienza vicina che di diversi stili. In totale, vengono esaminati più di 3200 esempi tratti da un ’ ampia raccolta di testi in prosa toscana medievale, che vanno dalla prosa d ’ arte (Dante, Boccaccio) alla prosa di stile medio (novelle, trattati, cronache) fino alle scritture di carattere pratico (statuti, lettere commerciali, libri di conti). Il corpus comprende anche i volgarizzamenti dal latino e dal francese antico, che, come è noto, hanno svolto un ruolo modellizzante importante nell ’ elaborazione sintattica dei volgari scritti. A fini comparativi si sono considerati anche testi in versi nonché altre varietà italoromanze come il romanesco, il napoletano e le varietà settentrionali. Sempre a titolo comparativo si sono avviati confronti con altre lingue romanze antiche quali il francese e lo spagnolo. La bibliografia è aggiornata e prende in considerazione sia studi italiani che internazionali (principalmente francesi, inglesi e tedeschi). Sono costanti i rimandi Buchbesprechungen 126 ad altri testi di riferimento, in particolare alla già ricordata Grammatica dell ’ italiano antico. Questo facilita ovviamente il lavoro dello studioso che potrà rifarsi alle fonti citate a fini comparativi. L ’ indice analitico invece rappresenta un punto debole. È chiaro che in un ’ opera di tali dimensioni bisogna operare una selezione delle voci da accogliere limitandosi, per esempio, alle pagine in cui il fenomeno è definito, ma l ’ elenco qui proposto sembra fatto in fretta. Si rinvia a titolo d ’ esempio a focalizzazione, di cui si fa un uso abbondante in tutto il volume, ma di cui non si menziona che una sola occorrenza a p. 721. Altri termini mancano semplicemente come cum inversum (p. 119), listing topic (p. 25 n), retoricizzamento (p. 16), temi listati (p. 115), topic (pp. 49 n, 511 n), topicalizzazione (p. 63), Verum-Fokus (p. 526) per non citare che alcuni esempi (si noti inoltre l ’ uso di doppioni). Un inconveniente questo però, al quale si potrebbe rimediare proponendo l ’ opera anche in formato digitale, il che permetterebbe di sfruttare le funzioni di ricerca delle applicazioni di lettura, rendendo così superfluo l ’ indice analitico. Non è possibile qui passare in disamina tutti i temi affrontati nel volume, il che del resto richiederebbe un ’ ottima conoscenza in diversi ambiti, di cui pochi ormai possono vantarsi. Mi limiterò perciò a qualche osservazione sull ’ ordine dei costituenti della frase, al quale è dedicato il capitolo 2, ma di cui si tratta anche in altre parti dell ’ opera. Per rendere conto degli ordini dei costituenti marcati quali l ’ anteposizione dell ’ oggetto, la posposizione del soggetto, la dislocazione (sia a sinistra che a destra) e la frase scissa, gli autori fanno spesso riscorso alle nozioni di tema-rema e dato-nuovo, individuate dalla Scuola di Praga nell ’ ambito della prospettiva funzionale della frase, nonché a quella di focalizzazione (cfr. ad es. 39-43, cap. 2), ma per una definizione di questi termini, e più particolarmente temarema, bisogna rifarsi ai capitoli 2.4 e 2.5 del volume precedente (qui sarebbe quindi stato utile un rimando). A p. 298 (cap. 11) e a p. 525 (cap. 17) si osserva che nell ’ italiano antico la ripresa pronominale di un oggetto diretto tematico (o topicale) in prima posizione è facoltativa (cfr. ad es. p. 32, cap. 2: «Ciò tenne il re a grande maraviglia», Novellino), mentre è obbligatoria nell ’ italiano moderno ( ‘ Questo il re lo tenne. . . ’ ). L ’ anteposizione dell ’ oggetto non aveva quindi obbligatoriamente un valore contrastivo come oggi (p. 298). L ’ affermazione però a p. 42 (cap. 2) che «[l] ’ anteposizione è legata alla pesantezza del costituente anteposto» (corsivo mio) non è corretta: non è l ’ anteposizione (senza ripresa pronominale), bensì la dislocazione a sinistra (con ripresa pronominale) che nei testi antichi si riscontra spesso con un costituente pesante, ad es. un gruppo nominale espanso con una frase relativa (cfr. D ’ Achille 1990: 126; Renzi 2008: 2834; Nicolosi 2019: 66 s. e 77-81). La dislocazione a sinistra non viene definita esplicitamente, ma dagli esempi dati nel capitolo 2 a p. 41 si capisce che gli autori si riferiscono a una concezione Buchbesprechungen 127 che include anche i casi di spostamento a sinistra senza ripresa pronominale, individuati nel quadro generativista della Grande grammatica italiana di consultazione (Renzi et al. 2001) e ripresi nella Grammatica dell ’ italiano antico. Mi chiedo se una definizione più ristretta, che tiene solo conto delle dislocazioni con ripresa pronominale, non sarebbe stata più conforme all ’ approccio funzionale di questo volume, come è stato proposto ad es. da De Cesare et al. (2016: 377) per l ’ italiano moderno e da Nicolosi (2019: 62-98) per l ’ italiano antico. A p. 545 (cap. 18) si nota che le frasi scisse (con è posposto, ad es. «Vostro amor è che mi tiene in disiro», Piero della Vigna) abbondano in poesia. Ma all ’ infuori dei cinque esempi citati ‒ da cui andrebbe tolto l ’ esempio «e nullo è [= c ’ è] che mi possa dar soccorso» (F. da Barberino) perché in realtà non è una scissa bensì una frase presentativa dove essere corrisponde a esserci ‒ non si menziona la frequenza assoluta del fenomeno nei testi presi in considerazione, invece sarebbe stato importante farlo, perché nell ’ italiano antico la frase scissa è comunemente ritenuta rara (cfr. ad es. quanto detto a p. 12 n, cap. 2; anche p. 41 s. dello stesso capitolo: «Nei primi secoli la frase scissa, attestata in pochi es., ha un ruolo secondario, non essendo un costrutto grammaticalizzato, cioè attivo e funzionale»). Dall ’ altra parte, è interessante osservarne la manifestazione frequente in poesia. Già nel suo studio pionieristico sull ’ argomento, Roggia aveva rilevato che i casi di frasi scisse che focalizzano il soggetto si trovavano quasi tutti nella poesia siciliana, tanto da ipotizzare uno «stilema di scuola» (cfr. Roggia 2012: 204). Contrariamente a quanto si dice a pp. 569, 572 e 576 (cap. 19), le strutture chi è chi e che è che in «manifestando chi è che così parla» (Dante, Vita Nova) e «Che è che non lascia l ’ uomo allassare? » (Fiori e vita di filosafi e d ’ altri savi e d ’ imperadori) non sono frasi pseudoscisse, ma frasi scisse che focalizzano il pronome interrogativo (cfr. Roggia 2012: 202 s.). Le varianti pseudoscisse chi è colui chi e che è ciò che presentano invece un dimostrativo che regge la subordinata relativa. Può sorprendere anche il parallelo effettuato con il francese moderno qui est-ce qui o qu ’ est-ce que, dove est-ce que è un morfema interrogativo grammaticalizzato. Nel francese antico invece, dove era ancora funzionale, est-ce que aveva chiaramente un valore enfatico (cfr. Wehr 2005: 365 s.; esempi in italiano antico in Nicolosi 2019: 187). Degna di rilievo l ’ osservazione a p. 576 s. sul valore causale di che è che e che è ciò che, ad es. «Che è ciò che [= perché] ’ l mio figliuolo non parla punto? » (Il Libro dei Sette Savj di Roma). Un ultimo punto è la posizione del verbo nelle frasi dichiarative, che nell ’ italiano antico al pari del francese medievale si trova secondo l ’ autore del capitolo 2 obbligatoriamente in seconda posizione (p. 17). Ciò significa che il verbo non può essere preceduto da due costituenti: se l ’ oggetto occupa ad esempio la posizione preverbale, il soggetto, casomai fosse espresso, si troverà quindi di necessità dopo il verbo. Mi chiedo però se si tratti veramente di una regola Buchbesprechungen 128 obbligatoria. Basta sfogliare un testo antico come il Novellino per constatare che il verbo può o occupare la prima posizione o essere preceduto da uno o più costituenti. L ’ autore stesso elenca inoltre numerosi casi con il verbo in prima, seconda o terza posizione (pp. 24ss.). A mio parere si tratta qui di un punto di discussione sul quale si dovrà indagare in ricerche future, specialmente in base a dati empirici e statistici (per un ’ opinione diversa cfr. comunque Salvi 2020). In conclusione, il libro preso in esame rappresenta senza dubbio un testo fondamentale per chi si occupa di italiano antico. Le piccole imperfezioni soprammenzionate non sono che particolari che non intaccano la validità dell ’ opera, che affronta molti altri settori oltre a quelli qui discussi. I numerosi confronti con altre lingue romanze ne fanno inoltre uno strumento prezioso per la descrizione della sintassi delle varietà medievali in generale, tra le quali l ’ italiano antico ormai può essere considerato una delle meglio descritte nel panorama linguistico panromanzo. 3 Frédéric Nicolosi Bibliografia D ’ Achille, Paolo: Sintassi del parlato e tradizione scritta della lingua italiana. Analisi di testi dalle origini al secolo XVIII, Roma: Bonacci 1990. Dardano, Maurizio (a cura di): Sintassi dell ’ italiano antico. La prosa del Duecento e del Trecento, Roma: Carocci 2012. De Cesare, Anna-Maria et al.: Sintassi marcata dell ’ italiano dell ’ uso medio in prospettiva contrastiva con il francese, lo spagnolo, il tedesco e l ’ inglese, Frankfurt: Peter Lang 2016. Fesenmeier, Ludwig: «Linguistic Norm in Classical Grammar and Rhetoric», in: Manual of Standardization in the Romance Languages, a cura di Franz Lebsanft e Felix Tacke, Berlin/ Boston: De Gruyter 2020, pp. 63 - 106. Nicolosi, Frédéric: Topic- und Focus-Markierung im Altitalienischen, Berlin/ Boston: De Gruyter 2019 (BZrP 426). Renzi, Lorenzo et al. (a cura di): Grande grammatica italiana di consultazione, 3 voll., Nuova ed., Bologna: Il Mulino 2001. Renzi, Lorenzo: «Storia interna dell ’ italiano: morfosintassi e sintassi», in: Romanische Sprachgeschichte/ Histoire linguistique de la Romania. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen, a cura di Gerhard Ernst et al., vol. III, Berlin/ New York: De Gruyter 2008, pp. 2830 - 2846. Roggia, Carlo Enrico: «Frasi scisse in italiano antico: alcune proposte», in: Pragmatique historique et syntaxe/ Historische Pragmatik und Syntax. Akten der gleichnamigen 3 Ringrazio Maria Antonella Pappalardo per la rilettura di questa recensione. Buchbesprechungen 129 Sektion des XXXI. Deutschen Romanistentags (Bonn, 27.9. - 1.10.2009), a cura di Barbara Wehr e Frédéric Nicolosi, Frankfurt am Main: Peter Lang 2012, pp. 193 - 221. Salvi, Giampaolo/ Lorenzo Renzi (a cura di): Grammatica dell ’ italiano antico, 2. voll., Bologna: il Mulino 2010. Salvi, Giampaolo: «V2. Un paio di malintesi», in: Verbum Analecta Neolatina, vol. 21, n. 1 - 2/ 2020, pp. 251 - 290, https: / / verbum.ppke.hu/ index.php/ verbum/ article/ view/ 260. Tesi, Riccardo: Storia dell ’ italiano. La formazione della lingua comune dalle fasi iniziali al Rinascimento, Nuova ed., Bologna: Zanichelli 2007. Wehr, Barbara: «Focusing Strategies in Old French and Old Irish», in: Opening Windows on Texts and Discourses of the Past, a cura di Janne Skaffari et. al., Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins 2005, pp. 353 - 379. Buchbesprechungen 130 Christian Efing/ Thorsten Roelcke: Semantik für Lehrkräfte. Linguistische Grundlagen und didaktische Impulse, Tübingen: Narr Francke Attempto 2021, 221 Seiten, € 22,99 (Narr Studienbücher) Obschon sich das hier anzuzeigende Narr Studienbuch in erster Linie an Deutsch- Lehrkräfte richtet, lädt der allgemeinere Relevanz nicht ausschließende Titel dazu ein, es einem romanistisch-italianistischen Publikum vorzustellen, denn auch der Rezensent teilt die in der «Einleitung» (S. 7) zum Ausdruck gebrachte «Überzeugung [. . .], dass jede sprachliche Didaktik einer linguistischen Fundierung bedarf». Mehr noch: Jede sprachliche Didaktik bedarf eines fundierten linguistischen Hintergrunds, gerade in einem Bereich, in dem (Einzel)Sprachliches und Außersprachliches so nah beieinander liegen. Um beispielsweise den Witz der Formulierung «Il pastore tedesco» unter einem Foto des frisch gewählten Benedikt XVI. auf der Titelseite von il manifesto vom 20. April 2005 verstehen (und im Unterricht thematisieren) zu können, bedarf es des Wissens um ebenso sprachliche wie außersprachliche Sachverhalte. 1 Das als Einführung in die linguistische Semantik konzipierte Studienbuch gliedert sich in drei Kapitel, 2 deren erstes einleitenden Charakter hat und als «[s]ystematischer Aufriss» (S. 9 - 25) einerseits auf eine «[l]inguistische Verortung» (S. 9 - 13) der Semantik zielt und andererseits deren «[d]idaktische Relevanz» (S. 14 - 25) skizziert. ‘ Semantik ’ wird dabei unter Rekurs auf Morris ’ Unterscheidung ‘ Syntaktik - Semantik - Pragmatik ’ vorgestellt, allerdings ist der Gegenstand der linguistischen Semantik keineswegs nur die Frage nach der «Beziehung zwischen den Zeichen einerseits und der Wirklichkeit, auf die sich diese beziehen, andererseits» (S. 10). 3 Denn auch wenn die Geschichte der Modellierung solcher Beziehungen bis in die Antike zurückreicht, so standen am Anfang der Semantik als linguistischer Teildisziplin (bzw. der «Semasiologie», wie sie zunächst Christian Karl Reisig in seinen Vorlesungen über lateinische Sprachwissenschaft nannte 4 ) Aspekte des Bedeutungswandels im Vordergrund bzw., mit Michel Bréal gesprochen, die «lois qui président à la transformation des DOI 10.24053/ Ital-2021-0029 1 Zu diesem und weiteren Beispielen vgl. http: / / www.scudit.net/ mdstampanonrussa.htm (letzter Zugriff: 09.09.2021). 2 Im Anschluss finden sich «Lösungshinweise» zu den jeweils vorgeschlagenen Übungen (S. 195 - 204) sowie die «Literatur» (S. 205 - 221). 3 In der «Einleitung» wird der Gegenstand der Semantik umrissen als «[d]ie Frage nach der Bedeutung sprachlicher Zeichen oder etwas moderner: die Frage, wie diese mit Bezug auf die außersprachliche Wirklichkeit verwendet werden» (S. 7). 4 Vgl. Reisig 1839, S. 286) sowie noch den Titel Handbuch der Semasiologie bei Kronasser 1952. Erst mit dem Erscheinen von Ullmanns The Principles of Semantics 1951 kann der Terminus «Semantik» als endgültig etabliert angesehen werden, auch und insbesondere im Hinblick auf die synchrone Perspektive. Buchbesprechungen 131 sens, au choix d ’ expressions nouvelles, à la naissance et à la mort des locutions» - eine «étude [. . .] si nouvelle qu ’ elle n ’ a même pas encore reçu de nom»: «nous l ’ appellerons la sémantique [. . .], c ’ est-à-dire la science des significations» (Bréal 1883, S. 133; vgl. auch Bréal 1897). Schon der Untertitel des Bandes und ebenso die Unterteilung des ersten Kapitels spiegeln die weitere thematische Gliederung: Im zweiten Kapitel werden «[l]inguistische Grundlagen» vorgestellt (S. 27 - 126), im dritten (S. 127 - 194) dann «Erwerb und Vermittlung» des «Wortschatzbzw. semantisch-lexikalischen Bedeutungswissens» (S. 127). Die «[l]inguistische[n] Grundlagen» geben in acht Abschnitten jeweils Überblicke über «Theorien und Modelle» (S. 27 - 38), über Ansätze zur «Beschreibung von Bedeutungen» (S. 38 - 52), über das Verhältnis von «Bedeutung und Grammatik» (S. 52 - 56), über «Bedeutungsrelationen» (S. 57 - 65), über «Bedeutungsvariation» (S. 66 - 93), über «Komposition von Bedeutung» (S. 94 - 111), über «[u]neigentliche[n] Wortgebrauch» (S. 111 - 115) und schließlich über «Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich» (S. 116 - 126). Im Rahmen der «Theorien und Modelle» werden zunächst die Modelle von Saussure und Ogden/ Richards vorgestellt, aber auch diejenigen von Bühler und Jakobson, bei denen es sich freilich weniger um Zeichenals um Kommunikationsmodelle handelt. 5 Es wäre begrüßenswert gewesen, wenn die Autoren der Versuchung widerstanden hätten, die Modelle von Saussure und Ogden/ Richards in irgendeiner Weise aufeinander zu beziehen, wie es in romanistischen Einführungen ebenfalls gerne (und in unterschiedlicher Weise) getan wird: Es ist dies ein ausgesprochen komplexes Unterfangen, das sich schon gar nicht sinnvoll als Gegenstand einer «Übung» eignet (vgl. S. 30, Übung 211 a). 6 Umgekehrt ist es 5 Von einer «Etablierung der linguistischen Pragmatik» (S. 32; Herv. L. F.) in den 1930er Jahren zu sprechen ist wissenschaftshistorisch gesehen unzutreffend. 6 Die Problematik hat schon Klaus Heger auf den Punkt gebracht: «Die Art und Weise, in der Ogden und Richards ihr Dreiecksmodell verwenden, läßt die Frage offen, ob symbol und referent als ausschließlich physische - dafür spräche ihre Deutung als Stimulusquellen - oder als psycho-physische Einheiten - was der überwiegende Teil der Ogden- Richardsschen Deutungen nahelegt - zu verstehen sind. Ähnliches gilt auch für das Saussuresche Zeichenmodell. [. . .] Einer Verwendbarkeit des jeweiligen Modells [. . .] tun diese Ambivalenzen keinen Abbruch. Sie müssen sich aber in dem Moment sehr störend auswirken, in dem man nach möglichen Zuordnungen oder Gleichsetzungen von symbol, reference, referent einerseits und signifiant, signifié andererseits fragt. Kaum eine Zuordnungsmöglichkeit ist von vornherein ausgeschlossen, und es wäre ein amüsanter Versuch, sämtliche Möglichkeiten durchzuspielen und jeweils durch entsprechende Zitate aus The Meaning of Meaning und dem Cours de linguistique générale zu rechtfertigen» (1964, S. 490). In der vorgeschlagenen Lösung zur Übung (vgl. S. 195) wird das Semiotische Dreieck unter Verweis auf Roelcke 2017, S. 28 auf der langue-Ebene situiert (gegenüber der parole-Ebene etwa bei Sokol 2 2007, S. 46), wobei die Zuordnungen ‘ symbol Buchbesprechungen 132 (gerade aus romanistischer Sicht) schade, dass nicht (auch) das ursprünglich von Wolfgang Raible skizzierte und dann insbesondere von Andreas Blank aufgegriffene und weiterentwickelte «Semiotische Pentagon» Erwähnung gefunden hat (vgl. Raible 1983, Blank 2001, S. 9). Dieses Modell erlaubt es etwa, genauer zwischen (Einzel)Sprachlichem und Außersprachlichem zu differenzieren 7 oder auch das Verhältnis zwischen den Begriffen ‘ Semasiologie ’ und ‘ Onomasiologie ’ genauer zu fassen: Erstere fragt «nach der Bedeutung [dem einzelsprachlichen signifié] (vom Ausdruck her)», Letztere aber gerade nicht «nach dem Ausdruck [dem einzelsprachlichen signifiant] (von der Bedeutung [dem einzelsprachlichen signifié] her)» (S. 35, Abb. 213 a), sondern danach, wie ein - als außersprachliche Entität zu fassender - Begriff in einer bestimmten historischen Einzelsprache versprachlicht wird. 8 - signifiant ’ bzw. ‘ thought or reference - signifié ’ vorgenommen werden (vgl. ähnlich Stein 4 2014, S. 71; bei Gabriel/ Meisenburg 3 2017, S. 29 hingegen wird symbol dem signe linguistique (als Komplex aus signifiant und signifié) auf der langue-Ebene zugeordnet). Auf S. 29 wird noch auf eine «alternativ[e] Interpretation des semiotischen Dreiecks» verwiesen, die in Roelcke 2017 vorgestellt wird, allerdings noch «einer quellenkundlichen und diskursanalytischen Verifizierung» (Roelcke 2017, S. 29) bedürfe: «Hiernach ist das Symbol des semiotischen Dreiecks nicht als Ausdrucksseite oder als Träger eines (sprachlichen) Zeichens aufzufassen, sondern in einem monolateralen Verständnis als das Zeichen insgesamt (als Einheit aus Ausdruck und Bedeutung). Im Weiteren erscheint Thought or Reference nicht als Bedeutung [. . .], sondern als mentale oder kognitive Repräsentation der Welt. Der Referent schließlich entspricht [. . .] der Wirklichkeit außerhalb von Sprache bzw. Zeichen einerseits und Denken andererseits. Im Vergleich mit dem Modell von de Saussure entsprechen dann symbol der langue als der Ebene der abstrakten, intersubjektiven Zeichen und deren Systeme, und thought or reference der parole als der Ebene der konkreten sprachlichen Äußerungen, mit denen das denkende Subjekt auf die Welt Bezug nimmt [. . .]». Ob die Gleichsetzungen ‘ symbol - langue ’ und ‘ thought or reference - parole ’ (vgl. auch Roelcke 2017, S. 29, Abb. 5) belastbar sind, kann hier nicht diskutiert werden. Parole meint als Gegenbegriff zu langue gewiss die «Ebene der konkreten sprachlichen Äußerungen», aber dass auf dieser Ebene Referenzakte vollzogen werden, ist dabei nicht relevant; dass Thought or Reference zunächst «als mentale oder kognitive Repräsentation der Welt» erläutert, dann aber auf die «Ebene der konkreten sprachlichen Äußerungen, mit denen das denkende Subjekt auf die Welt Bezug nimmt», bezogen wird, erscheint nicht konsistent. 7 Vgl. etwa Thomaßen 2004, S. 57, Platz-Schliebs/ Schmitz/ Müller et al. 2012, S. 189 oder auch Krefeld 2021. 8 Vgl. insgesamt etwa Blank 2001, S. 119 - 126, auch Thomaßen 2004, S. 19 - 25. Noch etwas ambig ist die Darstellung bei Geckeler/ Kattenbusch 2 1992, S. 89 f.), widersprüchlich ist sie bei Haase 2 2013, S. 91: Einerseits heißt es «die Ermittlung der zu einem zu bezeichnenden Gegenstand gehörigen Lexeme [. . .] heißt Onomasiologie» (Text), andererseits «Onomasiologie: untersucht die Beziehung von Signifié zu Signifiant» (Legende zu Abb. 7.3). In der Lösung zu einer entsprechenden Übung - «Diskutieren Sie verschiedene didaktische Situationen, in welchen einer semasiologischen bzw. einer onomasiologischen Fragerichtung gefolgt wird» (S. 35, Übung 213 a) - wird dann sicher nicht zufällig der «Gebrauch eines Bildwörterbuchs» (S. 196; Herv. L. F.) vorgeschlagen. Die ebenfalls Buchbesprechungen 133 Als Ansätze zur Bedeutungsbeschreibung werden die strukturalistische Merkmalssemantik, die Prototypen- und Stereotypensemantik sowie die Frame- und Skriptsemantik jeweils kurz vorgestellt, aber gerade hinsichtlich ihres spezifischen Beitrags als semantische Modelle kaum erläutert: Wer Näheres - die Unterscheidung zwischen der Standard- und der erweiterten Version der Prototypensemantik wird nicht einmal erwähnt, die Gegenüberstellung von «Prototyp» und «Stereotyp» in Abb. 223 b (S. 48) bleibt ohne Rekurs auf Schwarze (1996, S. 718 f.) unverständlich - und über diese z. T. überholten und ergänzten Modelle Hinausführendes erfahren will, muss anderswo suchen. 9 Der folgende Abschnitt stellt überblicksartig die Relevanz von Semantischem in anderen Bereichen als der Semantik qua linguistischer Teildisziplin vor. Der Hinweis, dass Sprache gerne als ‘ aufgeteilt ’ bzw. ‘ aufteilbar ’ in Grammatik (Struktur) und Semantik (Bedeutung) verstanden wird, ist wichtig gerade im Hinblick auf den Bereich der Fremdsprachenvermittlung (vgl. S. 53) und hätte etwas mehr als die unscharfe Rede von einer «Schnittmenge» verdient: Die Unterscheidung ‘ Grammatik - Lexikon ’ ist eine Jahrhunderte alte, von der metasprachlichen Praxis (grob: Grammatikographie und Lexikographie) geheiligte Tradition, die teilweise gar zum Credo bestimmter linguistischer Forschungsparadigmen avancierte, aber in jüngerer Zeit deutlich in Frage gestellt wird, insbesondere im Rahmen der sogenannten Konstruktionsgrammatik. Unter «Bedeutungsrelationen» werden dann, unter Beschränkung auf die paradigmatischen Bedeutungsbeziehungen, 10 sozusagen die üblichen Verdächtigen vorgestellt. Angesichts der Zielgruppe hätte sich an der einen oder anderen angeregte «Erschließung einer fachlichen Nomenklatur anhand einer Graphik oder Abbildung» zielt auf einen Sonderfall. Auch die in Übung 213 b (S. 35 f.) formulierte Aufgabe der Zuordnung der semasiologischen und onomasiologischen Fragerichtung in der «Spunk»-Episode in A. Lindgrens Pippi in Taka-Tuka-Land («Pippi findet einen Spunk», vgl. Lindgren 2009, S. 29 - 38) überzeugt nicht, denn der Witz der Geschichte besteht weitestgehend (vgl. aber «Das Einzige, was ich weiß, ist, dass es nicht Staubsauger bedeutet» [Lindgren 2009, S. 30]) in der Suche nach einer außersprachlichen Entität, auf die sich mit Spunk referieren ließe (als mögliches Kriterium wird Ikonizität in Erwägung gezogen, vgl. Lindgren 2009, S. 30); «die Benennung des zuvor unbekannten Käfers» am Ende der Episode entspricht gerade nicht «einer onomasiologischen Fragestellung» (S. 196; Herv. L. F.), denn hier geht es um eine ‘ taxonomische ’ Einordnung. 9 Für romanistisches Publikum sei auf Blank 2001, S. 15 - 21 u. 35 - 66 verwiesen, mit spezifischerem Bezug zum Italienischen auf Thomaßen 2004, S. 32 - 53. Eine aktuellere Vorstellung der Stereotypensemantik ist Schmid 2002, denn Schwarzes Beitrag stammt ursprünglich von 1982 und ist 1996 (und 2000) in den Hoffmannschen Reader aufgenommen worden (seit der dritten Auflage von 2010 aber nicht mehr darin enthalten). Eine sehr gute Einführung in die kognitive Linguistik ist Evans/ Green 2006. 10 Die (mit Blick auf idiomatische Sprachverwendung vielleicht noch wichtigeren) syntagmatische Relationen werden nicht systematisch behandelt bzw. nur punktuell angesprochen (vgl. u. a. S. 56, 176, 182). Buchbesprechungen 134 Stelle eine detailliertere Darstellung angeboten, etwa bei der Abgrenzung zwischen ‘ Polysemie ’ und ‘ Homonymie ’ bzw. der weiteren Differenzierung zwischen ‘ Homophonie ’ und ‘ Homographie ’ : Hier hätte man leicht den Bogen schlagen können zu Genus- (vgl. etwa die Bank ‘ Sitzgelegenheit ’ / ‘ Kreditinstitut ’ gegenüber der/ die Kiefer) oder Flexionsaspekten (die Bänke/ Banken, die Kiefer/ Kiefern gegenüber der Ball/ die Bälle ‘ kugelförmiges, luftgefülltes Spielgerät/ ‘ festliche Tanzveranstaltung ’ ). 11 Im Rahmen der «Bedeutungsvariation» wird sehr Verschiedenes thematisiert, wobei ein diachroner Bereich mehreren soziobzw. varietätenlinguistischen Bereichen gegenübersteht: «Bedeutungswandel, Fachbedeutungen, Mundartunterschiede, Jugendsprache, Geheimsprachen» (S. 66). Inwieweit der vergleichsweise ausführlich behandelte Bereich ‘ Geheimsprachen ’ (vgl. S. 82 - 93) für die Zielgruppe von Relevanz ist, wird dem Rezensenten nicht deutlich - die vorgestellten Phänomene hätten als Beispiele an ihrem ‘ systematischen ’ Ort angeführt werden können. Der Abschnitt «Komposition von Bedeutung» befasst sich mit Bedeutungskonstitution auf sehr verschiedenen Ebenen (von der Wortbildung bis hin zu Texten), wobei die Darstellung mehr oder weniger oberflächlich bleibt. Dass in der Textlinguistik «[u]nter einem Thema [. . .] der bekannte, unter einem Rhema der unbekannte Teil eines Satzes verstanden [wird]» und dass «zu Beginn eines Textes immer ein Satz als Rhema [steht], der dann als Ganzes oder in Teilen in dem folgenden Satz als Thema erscheint» (S. 102), ist eine extrem unterkomplexe, ja falsche Darstellung. Ebenfalls Verschiedenes (Metapher und Metonymie, Ironie, Pleonasmus u. a. m.) wird unter dem Stichwort «Uneigentlicher Sprachgebrauch» mehr oder weniger knapp und teilweise auch unzutreffend vorgestellt: Metapher und Metonymie beruhen zunächst einmal auf außersprachlichen Assoziationsrelationen (Similarität bzw. Kontiguität) und manifestieren sich erst sekundär sprachlich, vgl. aber etwa «im Falle der Metonymie [besteht] zwischen der Bedeutung des eigentlichen und [der] des uneigentlichen Ausdrucks keine Ähnlichkeit, sondern eine mehr oder weniger enge sachliche [! ] Beziehung» (S. 112 f.; Herv. L. F.). Der letzte Abschnitt des zweiten Kapitels schließlich - er hätte als Einführung in die Gesamtthematik des Bandes vielleicht an dessen Anfang gestellt werden können - ist dem Thema «Bedeutung im sprachlich-kulturellen Ver- 11 In der Übung 241 a (S. 58) sollen u. a. «die Bedeutungen ‘ starkes Seil ’ und ‘ feuchter Niederschlag ’ des Ausdrucks Tau» auf die Frage ‘ Polysemie oder Homonymie? ’ hin untersucht werden, und auch hier wird der Genusunterschied nicht thematisiert, obwohl man aus diesem und dem Beispiel Bank ja das Kriterium ableiten könnte, formale Unterschiede (Genus bzw. Pluralbildung; Genus und Pluralbildung: der/ das Schild, die Schilde/ Schilder) verwiesen auf Homonymie. Buchbesprechungen 135 gleich» gewidmet und zeigt, in verschiedener, wenngleich nicht immer glücklicher Perspektivierung, u. a. sehr deutlich den einzelsprachlichen Charakter der Bedeutungsseite sprachlicher Zeichen. Bei allen Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen sprachlichem und enzyklopädischem Wissen im Einzelfall betreffen beispielsweise Unterschiede zwischen Brot und pain eher den prototypischen Referenten als die Bedeutung der einzelsprachlichen Lexeme (vgl. S. 118); span. dedos «umfasst» keineswegs «als Konzept undifferenziert sowohl ‘ Finger ’ als auch ‘ Zehen ’ » (S. 119; Herv. L. F.), sondern das Spanische erlaubt, anders als das Deutsche, eine solche Differenzierung nicht ohne Weiteres auf der Ebene des isolierten Lexems, genauso wie das Deutsche auf dieser Ebene keine etwa zu ital. capello - pelo (und span. cabello - pelo) analoge (morphologisch einfache) Differenzierung kennt. Diese und andere Vermischungen von Sprachlichem und Außersprachlichem lassen sich leicht vermeiden, wenn man ein entsprechend differenziertes Modell (vgl. das o. g. «Semiotische Pentagon») verwendet, aus dem sich entsprechend differenzierte Ebenen der Bedeutung und des semantisch relevanten Wissens ableiten lassen (vgl. etwa Blank 2001, S. 129 - 139). Das dritte Kapitel behandelt, wie oben bereits angedeutet, «Erwerb und Vermittlung» des «Wortschatzbzw. semantisch-lexikalischen Bedeutungswissens» und gliedert sich in die Abschnitte «Wortschatzkompetenz und mentales Lexikon» (S. 127 - 132), «Wortschatz- und Bedeutungserwerb» (S. 132 - 147), «Didaktische Ziele» (S. 147 - 152), «Wortschatzarbeit in Curricula» (S. 152 - 160), «Gegenstände der Wortschatzarbeit» (S. 160 - 162) und «Ansätze der Wortschatzarbeit» (S. 162 - 194). Der Rezensent verfügt nicht über hinreichende Kompetenz im Bereich der Sprachdidaktik, um die Darstellung der genannten Aspekte angemessen beurteilen zu können, und schließt sich zunächst einmal - im Lichte der Erfahrungen aus studentischer (muttersprachlicher) Textproduktion - ebenso dem Bedauern an, dass «[e]ine themenorientierte Integration lexikalisch-semantischer Wortschatzarbeit in alle Kompetenzbereiche [. . .] durch die Lehrpläne [. . .] selten explizit und differenziert ausgeführt [ist]» (S. 156), wie der Hoffnung, dass die Forderung, «die Relevanz expliziter Wortschatzarbeit für die Entwicklung von Sprachkompetenzen» (S. 157) in der Lehrkräfteausbildung zu vermitteln, von den addetti ai lavori auch gehört werden möge. Der vorliegende Band dürfte als (eines der) Hilfsmittel in dieser wichtigen Mission intendiert sein, und insoweit hätte man sich stellenweise eine präzisere Darstellung gewünscht: Warum ist einerseits, im vorherigen Kapitel, von «Nebenbedeutung» im Sinne von ‘ Konnotation ’ (u. a. «wertend[e] Nebenbedeutungen eines Wortes (Konnotationen)» [S. 14], «mit pejorativer Nebenbedeutung» [S. 78]) die Rede, andererseits, in diesem Kapitel, von «Nebenbedeutung» im Sinne eines Gegenbegriffs zu ‘ Haupt- ’ bzw. ‘ Kernbedeutung ’ (u. a. «Haupt- und Nebenbedeutungen» [S. 151]; vgl. aber auch schon S. 16: «Kern- und Nebenbedeutungen»)? Was ist unter einem «proto- Buchbesprechungen 136 typischen denotativen Semantikkern» (S. 168) zu verstehen? 12 Was sind «polyseme Nebenbedeutungen» bzw. «polyseme Bedeutungen» (S. 191)? Was sind «Lexeme [. . .], die ‘ lexikalisierte denotative und konnotative, metaphorische, metonymische und assoziative semantische Potenziale ’ (Kilian 2016 c, S. 133) aufweisen und somit das gesamte Bedeutungsspektrum eines Lexems umfassen» (S. 161)? 13 Die Auflistung «verschiedene[r] Konnotationsarten und Gebrauchsbedingungen» (S. 168) von Lexemen, 14 die auf der ausführlicheren Darstellung bei Pohl ( 2 2016, S. 166 - 169) beruht, hätte deutlich an Kohärenz gewonnen, wäre sie mit der gängigen varietätenlinguistischen Modellierung (Variationsdimensionen Diatopie, Diastratie, Diaphasie, ggf. Diachronie) in Verbindung gebracht worden. Mangelnde Präzision ist freilich auch im vorherigen Kapitel hie und da festzustellen: 15 Bei indexikalischen Zeichen besteht ein Sachzusammenhang, aber nicht «zwischen dem Zeichen und dem, worauf es hinweist» (S. 36), denn Rauch ist zunächst einmal Rauch und dann Anzeichen für Feuer; Polysemie betrifft die kontextfreie Betrachtung von Lexemen, Ambiguität bedarf eines geeigneten Kontexts (vgl. S. 50, zwei Jäger treffen sich; vgl. auch das eingangs genannte 12 Abgesehen davon, dass die psychologische Plausibilität einer ‘ prototypentheoretischen ’ Organisation der Lesarten eines Lexems nur kurz angedeutet wird («Die verschiedenen Lesarten [eines Lexems] sind [. . .] vermutlich radial um eine prototypische Kernbedeutung angeordnet» [S. 131]), bedarf es der erweiterten Version der Prototypentheorie bzw. der Lakoffschen Idealized Cognitive Models (Lakoff 1987), um etwa auch Fälle wie die Polysemie von Vogel ‘ Tier/ Flugzeug/ seltsamer Mensch ’ adäquat zu erfassen, vgl. Blank 2001, S. 50 - 52. Die Darstellung bei Ulrich (2014, S. 31), auf die verwiesen wird, bleibt viel zu pauschal (vgl. aber Ulrich 3 2019, S. 528, wo die Relevanz von Familienähnlichkeiten angesprochen wird). 13 Im zitierten Originaltext heißt es: «die Wortschatzvertiefung greift [. . .] hinein in das Bedeutungsspektrum des Lexems, in seine lexikalisierten denotativen und konnotativen, metaphorischen, metonymischen und assoziativen semantischen Potentiale» (Kilian 2 2016, S. 133). 14 Vgl. «die emotionale Höhenlage von Lexemen (scherzhaft, zärtlich, ironisch, beleidigend . . .), die kommunikative emotional-bestimmte Ebene des Sprachgebrauchs (normal-, umgangssprachlich, gehoben, salopp, vulgär . . .), die indizierten ‘ Funktionsbereiche ’ (Alltagsrede, Wissenschaft . . .) bzw. typischen Textsorten, die soziale Geltung des Lexemgebrauchs (jugendspezifisch, familiär, fachsprachlich . . .), die regionale Bindung des Lexemgebrauchs (dialektal, regional, Helvetismus . . .), die zeitliche Bindung des Lexemgebrauchs (Archaismus, Neologismus, konkrete Epochenzugehörigkeit . . .), der ‘ politische Geltungsbereich ’ (BRD, DDR . . .)» (S. 168). 15 In formaler Hinsicht ist der Band meist gelungen, vgl. aber die Trennung in «Wortschatzarbeit» (S. 12), «Wenn [. . .] gelingen soll, dann müssen Schülerinnen und Schüler daher [. . .]» (S. 16), «unbekannte Bedeutungen unbekannter Wörter» (S. 18), «Zum einen [. . .]; zum Zweiten [. . .]» (S. 23), « Darstellung der außersprachlichen Gegenstände von Sachverhalten» (S. 33; lies «Gegenstände und Sachverhalte»), «vgl. Abb. Abb. 223 b» (S. 48), «unab[h]ängig» (S. 54), «bi[o]logisch» (S. 68, Abb. 251 b), «exozenterischen Komposita» (S. 96), «Sensibilisierung für [. . .] Unterschieden» (S. 151), «Tolstoi regt mit seiner Abweisung an» (S. 202; lies «Anweisung»), «enlightment» (S. 202; lies «Enlightenment»). Buchbesprechungen 137 Beispiel des pastore tedesco); die einzelsprachlich verschiedene Gliederung des Spektrums sichtbaren Lichts ist etwas anderes als die Einteilung von Schulnoten (vgl. S. 122). Und weder sollten Fälle von onymischer Komposition (Villingen- Schwenningen, Baden-Württemberg, Anna-Lena) mit der schlichten Bemerkung «hierzu zählen auch Namen» (S. 96) neben typische Kopulativkomposita wie graublau, Hosenrock oder spritzgießen noch Vornamen auf die gleiche Stufe wie Ortsnamen gestellt werden. 16 Das bisher Gesagte zusammenfassend kann die Bilanz natürlich nur eine partielle sein, d. h. sie beschränkt sich auf den Bereich der linguistischen Aspekte. Für diesen Teil fällt sie in dem Sinne gemischt aus, als ein Studium der Germanistik mit dem Abschluss Lehramt je nach Schulart unterschiedliche Anteile an sprachwissenschaftlichen Modulen umfasst, so dass das im besprochenen Band Vorgestellte den Kenntnisstand «angehende[r] oder bereits berufstätige[r] Lehrkräfte» (S. 7) womöglich zu erweitern bzw. aufzufrischen vermag. Die mangelnde Präzision in der Darstellung bzw. v. a. das Fehlen eines in dem Sinne leistungsfähigen lexikalisch-semantischen Modells, dass die einzelnen Facetten von Bedeutung klar voneinander abgegrenzt werden, dürften aus der Sicht des Rezensenten aber einem tieferen Verständnis nicht zuträglich sein. Nicht dass man SchülerInnen mit einem komplexen Bedeutungsmodell belästigen sollte, aber erst auf der Grundlage gesicherten Wissens, etwa des Wissens um Unterscheidungen wie ‘ einzelsprachliche Bedeutung vs. außersprachlicher Begriff ’ , ‘ einzelvs. außersprachliches Wissen ’ , ‘ lexikalisches vs. Bedeutungswissen ’ usw. lassen sich belastbare Vermittlungsansätze konzipieren. Denen, die im (vorwiegend gymnasialen) romanistischen Fremdsprachenunterricht bzw. in der diesbezüglichen Lehrkräfteausbildung tätig sind, sei daher die (natürlich immer kritische) (Re)Lektüre einschlägiger romanistisch-linguistischer Einführungen (Plural! ) empfohlen. Ludwig Fesenmeier 16 Nach Fleischer/ Barz ( 4 2012, S. 180) kann «die Koppelung von Ortsnamen kopulativ sein», aber bezüglich der «Koppelung von Vornamen» ist dort sehr vorsichtig nur noch von «eine[r] Art kopulativer (additiver) Verbindung» die Rede. Hentschel (2020, S. 40) steht einer Auffassung von Doppelung von Eigennamen als Komposition kritisch gegenüber. In Grossmann/ Rainer (2004, S. 39) werden Ortsnamen des Typs Emilia-Romagna unter der Kategorie «Composti N+N coordinati esocentrici» angeführt, Personennamen des Typs Anna Maria werden ohne Diskussion der «Composizione» zugeordnet (2004, S. 601 f.). Buchbesprechungen 138 Bibliographie Blank, Andreas (2001): Einführung in die lexikalische Semantik für Romanisten, Tübingen: Niemeyer. Bréal, Michel (1883): «Les lois intellectuelles du langage. Fragment de sémantique», in: Annuaire de l ’ Association pour l ’ encouragement des études grecques en France 17, S. 132 - 142. Bréal, Michel (1897): Essai de sémantique (Science des significations), Paris: Hachette et C ie . Evans, Vyvyan/ Green, Melanie (2006): Cognitive Linguistics. An Introduction, Edinburgh: Edinburgh University Press. 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T. farbige Abbildungen, € 68,00 Seit die Bundesrepublik Deutschland 1984 die ihr vom letzten Eigentümer Ignazio Vigoni (1905 − 1983) testamentarisch überlassene und nach seiner Familie benannte Villa bei Loveno di Menaggio am Comer See angenommen und zwei Jahre später gemeinsam mit der italienischen Regierung durch die Gründung eines Vereins zu einem Deutsch-Italienischen Zentrum für den Europäischen Dialog eingerichtet hat, sind aus den dort veranstalteten Tagungen zahlreiche Forschungsbeiträge zur deutsch-italienischen Geschichte, besonders zu den deutsch-lombardischen Beziehungen und zu Leben und Werk des Frankfurter Kaufmanns, Bankiers und Mäzens Heinrich Mylius (1769 − 1854) hervorgegangen. Mylius war bereits im Alter von 19 Jahren nach Mailand übergesiedelt, um dort eine Niederlassung des europaweit agierenden Familienunternehmens Mylius & Aldebert aufzubauen, und hatte das Anwesen 1829 für seinen Sohn Julius gekauft. Auch der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Tagung, die vom 19. bis 21. Oktober 2017 zu dem im Buchtitel genannten Thema mit Unterstützung der Werner Reimers Stiftung und des Forschungskollegs Humanwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt in der Villa Vigoni stattgefunden hat. Im Mittelpunkt des Sammelbandes, der, wie Christiane Liermann Traniello und Viola Usselmann hervorheben, die 2019 aus Anlass des 250. Geburtstages von Heinrich Mylius im hauseigenen Verlag der Villa Vigoni erschienene deutsch-italienische Biographie 1 der eindrucksvollen Unternehmerpersönlichkeit «auf ideale Weise» ergänzt (Einführende Gedanken, S. 8), steht «das Verhältnis von Mylius zu seiner Epoche», einer Zeit des Umbruchs oder Übergangs zwischen 1750 und 1850, die Reinhart Koselleck als «Sattelzeit» und Eric Hobsbawm mit dem Fokus auf die beiden großen Revolutionen von 1789 und 1848 als «Zeitalter der Revolution» bezeichnet hatte. 2 Drei Themenschwerpunkte werden mit insgesamt zwölf Beiträgen behandelt. Ein erster Hauptteil konzentriert sich auf Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Lombardei vom hohen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Gestützt auf die einschlägige Forschungsliteratur fasst Magnus Ressel Die deutschlombardischen Handelsbeziehungen in einer Langzeitperspektive vom 15. bis ins DOI 10.24053/ Ital-2021-0034 1 Giovanni Meda Riquier/ Viola Usselmann/ Christine Liermann Traniello (Hrsg.), Enrico Mylius 1769 − 1854. Una biografia. Heinrich Mylius 1769 − 1854. Eine Biographie, Loveno di Menaggio: Villa Vigoni Editore / Verlag 2019. 2 Magnus Ressel und Ellinor Schweighöfer in der Einleitung: «Heinrich Mylius und deutschitalienische Netzwerke im Europa der ‘ Sattelzeit ʼ », S. 13 − 26, Zitat S. 15. Buchbesprechungen 141 19. Jahrhundert zusammen (S. 29 − 71). Auch der englischsprachige Beitrag von Ralf Banken («Much more than just Oranges and Lemons! Italian Trading Houses in the Rhine-Main Region during the 18 th Century», S. 73 − 90) resümiert im Wesentlichen den Forschungsstand zur Migration italienischer Kaufleute nach Deutschland und zu ihren Handelsaktivitäten im Rhein-Main-Gebiet, insbesondere in Frankfurt, der Heimatstadt von Heinrich Mylius. Zwei italienische Beiträge von Giovanna Tonelli («Il commercio fra lo Stato di Milano e i Paesi tedeschi nel Settecento», S. 91 − 110) und Claudio Besana («Imprenditori tedeschi a Milano e in Lombardia tra fine Settecento e grande crisi agraria», S. 111 − 129) beleuchten die Bedeutung Mailands in den deutsch-italienischen Handelsbeziehungen des 18. und 19. Jahrhunderts sowie den Beitrag von in Mailand ansässigen deutschen Unternehmern, Kaufleuten und technischen Experten zur wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Entwicklung der lombardischen Hauptstadt. Nach der Analyse der ökonomischen Rahmenbedingungen, unter denen deutsche Migranten wie Mylius, Johann Adam Krämer, die Brüder Eraldo und Andreas Krumm oder August Stigler ihre unternehmerischen Aktivitäten entfalteten, rückt der zweite Hauptteil die Protagonisten dieser Handelsbeziehungen - Das deutsch-italienische Wirtschaftsbürgertum der Sattelzeit und seine Schlüsselakteure zwischen Mailand und Frankfurt am Main - mit ihren jeweiligen Netzwerken stärker ins Blickfeld. Dabei kommt es zwangsläufig zu prosopographischen Überschneidungen, da immer wieder die gleichen Familien als Akteure im Vordergrund stehen. In seinem knappen, aber informativen Beitrag über «Attività mercantile e prestigio sociale: Il fondamentale contributo dei negozianti tedeschi nella Milano tra Sette e Ottocento» (S. 133 − 142) hebt Stefano Levati am Beispiel der unternehmerischen und ehrenamtlichen Tätigkeiten von Heinrich (Enrico) Mylius und Johann Adam Krämer (italianisiert: Giovanni Adamo Kramer) die erfolgreiche Integration deutscher Kaufleute in die Mailänder Gesellschaft sowie ihren Beitrag zur Verbreitung eines bürgerlichen Standesbewusstseins und Arbeitsethos hervor, das dem durch Erwerbstätigkeit zu Wohlstand und Ansehen gelangten Unternehmertum ein ähnliches Sozialprestige verlieh wie dem Adel, dessen gesellschaftliche Stellung in erster Linie durch Herkunft und Vermögen aus Grundbesitz bestimmt war. Monika Poettinger analysiert die unternehmerischen Netzwerke deutscher, französischer und Schweizer Kaufleute über Mailand und die Lombardei hinaus auf europäischer Ebene und in der napoleonischen Zeit («Internationale Netzwerke im napoleonischen Mailand», S. 143 − 172). Ihr mit ungedruckten Materialien aus drei Mailänder Archiven dokumentierter Aufsatz zeigt eindrucksvoll, wie die durch Einheirat oft auch verwandtschaftlich verbundenen, kosmopolitisch orientierten ausländischen Kaufleute und Unternehmer - führend auch hier wieder die Buchbesprechungen 142 Familien Kramer und Mylius - selbst unter der napoleonischen Kontinentalsperre über Landesgrenzen und Zollbarrieren hinweg ein hocheffizientes Handelsnetzwerk im Verein mit einem international ausgedehnten venture capital-System errichten konnten und mit ihrem wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischem Know-how wesentlich zur Modernisierung der Lombardei beitrugen, «lange bevor Italien seine politische Unabhängigkeit erlangte (S. 144). Ellinor Schweighöfer («Heinrich Mylius als Mäzen. Lokales Wirken und universelle Netzwerke in Frankfurt und Europa», S. 189 − 218) geht der Frage nach, inwieweit Mylius mit seinem mäzenatischen Wirken «als besonders europäischer Akteur, vielleicht sogar ‘ Vorreiter Europas ’ angesehen werden» kann - eine These, die bereits Corinna Pregla 2009 in einem Aufsatz vertreten hatte 3 und die von Schweighöfer weiter untermauert wird. Einmal mehr wird auch in diesem Zusammenhang die Bedeutung transnationaler Netzwerke deutlich, die auf sich überschneidenden und verästelnden familiären, freundschaftlichen, unternehmerischen und nicht zuletzt konfessionellen Bindungen beruhten und sich «von England über Frankfurt und Weimar bis in die Lombardei» erstreckten. Schweighöfer kann zeigen, wie Mylius innerhalb der komplexen Strukturen seines eigenen Netzwerks über sein vor allem auf die Förderung von Bildung und Erziehung der jungen Generation konzentriertes Mäzenatentum hinaus auch zu einem wichtigen Kulturmittler für deutsche und italienische Künstler und Intellektuelle wie Massimo D ’ Azeglio, Alessandro Manzoni oder Goethe wurde, ja, «als kommunikativer Knotenpunkt für den Weimarer Hof insgesamt und Mailand betrachtet werden» kann (S. 215). Mit dem im Anschluss an die Tagung im Rahmen einer öffentlichen Vortragsreihe am Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt gehaltenen Referat «Fremde Herkunft - Deutsche Heimat. Die Brentanos und Italien» (S. 219 − 236) kehrt Wolfgang Bunzel gewissermaßen die bisherige Perspektive der Beiträge um, indem er am Beispiel der aus Tremezzo am Comer See stammenden, im 17. und 18. Jahrhundert in Frankfurt und im Rhein- Main-Gebiet sich niederlassenden Kaufmanns- und Literatenfamilie Brentano - bekannt vor allem durch die Dichtergeschwister Clemens und Bettine - die Integration italienischer Migranten in deutsche Gesellschaften untersucht. Dabei kann Bunzel nachweisen, dass sich der über mehrere Generationen hinweg verlaufende «Prozess kultureller Assimilation nicht kontinuierlich, sondern schubweise vollzog.» Die im Falle der Brentanos, verglichen mit anderen Migrantenfamilien, besonders rasche und nachhaltige Integration führt Bunzel neben den Erfolgen in Handel und Ökonomie und einer «Vertrautheit mit den 3 Vgl. Corinna Pregla, «Maecenas Erben. Vom Mäzenatentum zum Sponsoring? Gründungsideen und heutige Organisationsformen», Opusculum 38 (2009), S. 22. Buchbesprechungen 143 Codes des gehobenen Bürgertums und des Adels» auch auf die «Hartnäckigkeit» der Familienmitglieder «im Erreichen ihrer Ziele» und die von Anfang an erstrebte «Teilhabe an der Sprache und Kultur ihres neuen Lebensumfeldes» zurück (S. 220). Der dritte Hauptteil ist dem Bereich Literatur, Kunst, Musik und Wissenschaft zwischen transalpiner Philanthropie, politischem Aktivismus und regionaler Verankerung gewidmet. Die sich im 18. Jahrhundert im Zuge der Aufklärung in Europa entfaltende Wissenschaftskultur, die Förderung ihrer Ausbreitung durch die Habsburgermonarchie in der unter österreichischer Herrschaft stehenden Lombardei und ihre Auswirkungen auf die Modernisierung der lombardischen Landwirtschaft stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Marina Cavallera («Studi di agricoltura e dintorni. Scienza e pratica tra la Milano asburgica e il mondo germanico», S. 239 − 269). Eine wesentliche Rolle für die praktische Umsetzung der von Wien ausgehenden Reformimpulse und der aus den neuen Wissenschaftsdisziplinen Chemie, Agronomie, Botanik, Zoologie und Entomologie gewonnenen Erkenntnisse spielten dabei lokale Eliten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, die durch ihre Ausbildung und transnationalen Kontakte Zugang zu diesen auch von unternehmerischen Migranten in der deutschen und italienischen Staatenwelt verbreiteten Erkenntnissen hatten und gleichzeitig mit den spezifischen örtlichen Verhältnissen vertraut waren. Es galt vor allem die bäuerliche Bevölkerung - Landarbeiter, Pächter und Kleinbesitzer, welche die Hauptlast der landwirtschaftlichen Arbeiten trugen und vielfach noch bestehenden Traditionen und Vorurteilen anhingen - durch Aufklärung und Alphabetisierung von neuen Anbau- und Produktionsmethoden in der Landwirtschaft zu überzeugen. In diesem Zusammenhang entstanden sogenannte «Patriotische Gesellschaften» wie die 1776 in Mailand gegründete Società patriotica per l ’ avanzamento dell ’ agricoltura, delle arti e delle manifatture, die, von Wien gefördert und zum Teil finanziert, sich u. a. die Alphabetisierung der Landbevölkerung durch die Errichtung von Dorf- und Volksschulen zum Ziel setzten, um die notwendigen Voraussetzungen für soziale Reformen sowie eine Modernisierung und Diversifizierung der landwirtschaftlichen Produktion zu schaffen. Alexander auf der Heyde («Francesco, Franz, Ritter Franz von Hayez. Zur Rezeption des ‘ Romanticismo Storico ʼ in der deutschsprachigen Publizistik», S. 271 − 297) skizziert die Rezeption des venezianischen Historienmalers, Lithografen und Kupferstechers Francesco Hayez (1791 − 1882) in der deutschsprachigen zeitgenössischen Publizistik. Hayez, der an der Accademia di Belle Arti in Venedig studierte und 1820 nach Mailand ging, wo er Professor an der Accademia di Brera wurde, war der «Hauptvertreter einer politischen Romantik, deren bildkünstlerische Auseinandersetzung mit der Nationalgeschichte den Erwartungen und Wertvorstellungen der Patrioten entsprach» (S. 272). Als angesehener österrei- Buchbesprechungen 144 chischer Maler italienischer Herkunft, der sich in Österreich «nicht nur als Künstler, sondern auch als treuer Staatsdiener beliebt» machte (S. 292), erhielt Hayez etliche Aufträge von Angehörigen der österreichischen Eliten bis hin zum Kaiser, der ihm den Adelstitel und 1852 den Orden der eisernen Krone dritter Klasse verlieh. Im Zuge des Risorgimento geriet die Rezeption Hayez ’ in Österreich jedoch zunehmend «unter die Räder der nationalen Ressentiments» - ein Prozess fortschreitender Entfremdung, der nach Gründung des italienischen Nationalstaats bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zur Abkehr des deutschösterreichischen Publikums von dem nun als «Nestor der italienischen Maler» bezeichneten Künstler führte, dessen Gemälde inzwischen nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprachen. Von Hayez führt eine Verbindungslinie erneut zu Heinrich Mylius, da jener, wie Christiane Liermann Traniello in ihrem Beitrag «Innovationen in Kunst und Politik. Exemplarische Figuren aus Mylius ’ lombardischem Umfeld» (S. 299 − 323) darlegt, neben dem dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770 − 1844) zu den bevorzugten Künstlern von Mylius zählte und dessen Ehefrau Friederike sowie die Schwiegertochter Luigia Vitali porträtiert hatte. Da Hayez ebenso wie der Dichter und Schriftsteller Alessandro Manzoni und der republikanisch-föderalistisch gesinnte Publizist und Philosoph des Risorgimento Carlo Cattaneo zu den «künstlerischen und politischen Gewährsleuten» von Mylius gehörten, mit denen der in Mailand ansässige Kaufmann «in engem Kontakt stand», könne eine Analyse der aus den Hauptwerken und Leitideen herausgefilterten Kernanliegen dieser drei Persönlichkeiten dazu beitragen - so die These des Aufsatzes - , Mylius ’ eigene kulturelle Orientierung und seinen «ethisch-politischen Horizont» besser zu verstehen (S. 300). Anhand der Deutung einzelner Skulpturen aus Mylius ’ Kunstsammlung in seiner Villa am Comer See kann die Autorin insbesondere veranschaulichen, wie «eng verwandt» die religiös-moralischen Überzeugungen des Protestanten Mylius mit denen des Katholiken Manzoni waren. Mylius ’ Biographie lasse sich «geradezu als die einer ‘ Manzoni-Figur ʼ lesen, insofern er aus der demütigen Einsicht in die Überlegenheit der providentiellen Fügung die eigenen Handlungsmöglichkeiten auf dem Feld der Nächstenliebe und des sozialen Engagements entdeckte.» (S. 308 f.) Grundsätzliche, nur in Nuancen differierende Gemeinsamkeiten zeigen sich ebenso zwischen Cattaneo und Mylius hinsichtlich ihrer Vorstellungen zur Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ging es dem liberal-demokratischen Denker Cattaneo in seinen Programmschriften vor allem um die «bürgerlich-zivilisatorische Weiterentwicklung des Gemeinwesens», so setzte Mylius mit seinem aus philanthropischem Empfinden gespeisten sozialen Engagement auf eine «moderne, anspruchsvolle, protestantische Form der ‘ Caritas ʼ , die in erster Linie ‘ Hilfe zur Selbsthilfe ʼ sein wollte» (S. 320). Der Beitrag verdeutlicht einmal mehr, dass die unternehmeri- Buchbesprechungen 145 schen Aktivitäten des erfolgreichen Kaufmanns «nur ein Element seiner facettenreichen Persönlichkeit» waren, zu der ebenso «Philanthropie, Gemeinsinn und Fortschrittsbewusstsein, gepaart mit Demut» gehörten (S. 323). Einen weiteren Beleg für das breit gefächerte kulturelle Interesse und Engagement von Heinrich Mylius liefert Viola Usselmann mit ihrem weitgehend Neuland betretenden Aufsatz « ‘ . . . Ernste Musik liebend . . . ʼ . Heinrich Mylius und die Musik. Ein Einblick» (S. 325 − 351). Ausgehend von den nur wenige Tage nach Mylius ’ Tod am 21. April 1854 in zwei musikalischen Zeitschriften (L ’ Italia musicale, Gazzetta musicale di Milano) erschienenen Nachrufen rekonstruiert die Autorin «einige der vielseitigen Verflechtungen des Heinrich Mylius mit der deutsch-italienischen Musik(er)-Szene» der Zeit, insbesondere die Beziehung zu Felix Mendelssohn-Bartholdy, dessen freundschaftliche und im weitesten Sinn auch verwandtschaftliche Verbindungen zur Familie Mylius mit nahezu kriminalistischer Spurensuche dokumentiert werden. Der Aufsatz zählt zu den Vorarbeiten eines Dissertationsprojekts, mit dem Usselmann die «sich über mehrere Generationen entwickelnden musikkulturellen Verknüpfungen und Milieus der Familie(n) Mylius-Vigoni und der diesbezüglichen familiären Traditionsbildung im Sinne eines identitätsstiftenden Faktors» analysieren will. Vorläufiger Arbeitstitel der Dissertation: Das musikalische Erbe der Mylius-Vigoni - Musikkulturelle Kommunikation, Vernetzung und Profilierung einer deutsch-italienischen Familie im langen neunzehnten Jahrhundert (S. 326, Anm. 4). Der Tagungsband ist mit 16 zum Teil farbigen Abbildungen illustriert, darunter sechs Gemälde von Francesco Hayez und das bekannte, in der Villa Vigoni befindliche Mylius-Portrait von Pelagio Palagi aus dem Jahr 1831. Eine über den deutschen und italienischen Sprachraum hinausgehende Rezeption der Forschungsergebnisse wird durch die allen Beiträgen vorangestellten Abstracts erleichtert. Die Autorinnen und Autoren werden - ebenfalls auf Englisch - mit ihren wichtigsten Arbeiten im Anhang vorgestellt. Ein ausführliches Personen- und Ortsregister (knapp 400 Namen, über 130 Orte) rundet die ertragreiche Publikation ab. Jürgen Charnitzky Buchbesprechungen 146 Kurzrezensionen Lorenzo Tomasin: Europa romanza. Sette storie linguistiche, Torino: Einaudi 2021, 234 Seiten, € 25,00 Wohl kaum jemand kennt die Namen Guglielma Venier, Pietro d ’ Alamanno, Bondì de Iosef, Bartol de Cavalls, Isabelle Hamerton und Henri de Praroma. Anders sieht es vielleicht im Falle von Orlando di Lasso aus, der unter Musikliebhabern noch heute eine gewisse Berühmtheit besitzt. Der Romanist Lorenzo Tomasin, der an der Universität Lausanne lehrt, hat sich dieser Personen, genauer gesagt der von ihnen verwendeten Sprachen angenommen und widmet ihnen je ein Kapitel. Das siebente über den Komponisten Orlando di Lasso nennt Tomasin eine musikalische Zugabe, wobei die Betonung auf Zugabe liegt, denn seine vielsprachigen Briefe fallen, wie gezeigt wird, ein wenig aus dem Rahmen. Ausgangspunkt jedes Kapitels ist jeweils ein kurzes, handgeschriebenes Textdokument aus unterschiedlichen geographischen Gegenden. Zumeist handelt es sich um « testi di carattere pratico», die nicht für eine Veröffentlichung gedacht waren, wie beispielsweise Kaufmannsbriefe oder Testamente, die keinen literarischen Anspruch erfüllen. Selbst wenn einige einem gewissen formalen Zwang unterliegen, bieten sie doch Raum für Alltagssprache und Idiolekt, wie beispielsweise, wenn es in den Niederschriften des Letzten Willens um die Benennung von Hab und Gut des Erblassers geht. Und genau um diese individuellen Spuren im Sprachgebrauch geht es Tomasin. Die Texte der Verfasserinnen und Verfasser stammen aus der Zeit des ausgehenden Mittelalters, also zeitlich vor den großen nationalsprachlichen Normierungsmaßnahmen, als sprachliche Variation in der Schriftlichkeit selbstverständlich war - was allerdings keine vollkommene Regellosigkeit bedeutet. Tomasin setzt sich mehrere Ziele für sein Buch. Zunächst rückt er die ausgewählten Personen in ihren jeweiligen historischen Hintergrund, beleuchtet ihre gesellschaftliche Stellung, nennt familiäre Zusammenhänge und geschäftlichen Beziehungen, die ihm Anlass bieten, zahlreiche kulturgeschichtliche Umstände zu erörtern. Dazu zählen die Produktion von Waren, der Handel und die Handelswege, die in der Regel grenzüberschreitend waren. Sodann geht es ihm um das individuelle sprachliche Repertoire der Personen. Eine Gemeinsamkeit aller hier vorgestellten Personen ist, dass sie mindestens eine romanische Varietät sprechen; manche sprechen mehrere, und einige außerdem noch eine andere Sprache, wie etwa Bondì de Iosef, zu dessen sprachlichem Repertoire auch zumindest rudimentäre Kenntnisse des Hebräischen zählten. DOI 10.24053/ Ital-2021-0030 147 Außerdem geht es Tomasin aber auch darum, zu demonstrieren, dass Mehr- oder Vielsprachigkeit im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit eine Selbstverständlichkeit darstellten. Dabei zielt seine Textauswahl gerade auf nichtliterarische Sprachzeugnisse. Der pragmatische Umgang der Menschen mit sprachlicher Variation, aber auch mit Anderssprachigkeit (hier vor allem innerhalb der romanischen Sprachfamilie), erlaubte ihnen, so Tomasin, ein Gemeinschaftsgefühl und ein europäisches Bewusstsein, das er im Buchtitel Europa romanza zum Ausdruck bringt. Dieses romanische Europa reichte über die heutige Romania hinaus, und so umfasst die Auswahl auch Texte aus angrenzenden Sprachräumen, im Norden beispielsweise England, wo Isabelle Hamerton lebte, oder im östlichen Mittelmeerraum, mit ein. Die Mehrsprachigkeit der einzelnen Personen, die aus familiär oder ökonomisch bedingter Migration oder dem persönlichen Bildungsgang resultierte und etwa dem beruflichen Nutzen diente, zeigt sich in diesen Dokumenten meist spontan und unbewusst in Form von Interferenzen zwischen den verschiedenen Idiomen oder in Unsicherheit hinsichtlich der Flexionsformen von Verben oder Pluralformen von Substantiven und Adjektiven (gerade darin bilden die Briefe von Orlando di Lasso eine Ausnahme, weil ihr Verfasser in ihnen offensichtlich mit Absicht von Satz zu Satz die Sprache wechselt). In sämtlichen dargestellten Fällen stand der individuelle Bi- oder Multilinguismus im Kontext einer gesellschaftlichen Di- oder Polyglossie, die in dieser Zeit in bestimmten Kommunikationsdomänen (Rechtswesen, Religion, z.T. Wissenschaft) noch das Lateinische als internationale Sprache umfasste, was Tomasin im Zusammenhang mit dem Testament von Isabelle Hamerton sehr überzeugend erläutert. Das Besondere an diesem Buch ist die sorgfältige Analyse der Einzeldokumente bis ins kleinste Detail. So entscheidet manchmal ein einzelner Konsonant oder Vokal, Laut oder Buchstabe über die Zuordnung zu einer Varietät oder einem Dialekt, wie im Falle der Formen signuri (signori) und minuri (minori) mit metaphonischer Vokalerhöhung, die Tomasin dem padovano zuschlägt, eine Vermutung, die er mit biographischen Details, die einen längeren Aufenthalt der Verfasserin Guglielma Venier auf der Terra ferma nahelegen, in Einklang bringen kann. Auf allen möglichen sprachlichen Ebenen, am deutlichsten natürlich auf dem Gebiet des Wortschatzes, identifiziert Tomasin sprachliche Einflüsse. Hier dient ein einzelnes Lexem, eine Warenbezeichnung oder sonst ein Wort zum Sprungbrett in etymologische Erklärungen (z. B. bei Henri de Praroma aus Fribourg in der Schweiz, um den Ursprung des modernen politisch-administrativen Begriffes Kanton zu erklären). Das ist Mikrophilologie im besten Sinne. Wer das für sterilen Positivismus halten mag, wird eines Besseren belehrt. Denn Tomasin lässt es nicht bei der bloßen Identifikation bewenden, sondern entfaltet, Kurzrezensionen 148 von einer Textstelle ausgehend, die Biographie der Verfasserinnen oder Verfasser und vergegenwärtigt anhand weniger Einzelheiten deren Lebenswelt. Großen Einfluss auf das individuelle Sprachverhalten hat selbstverständlich die Bildung, deshalb erörtert Tomasin an mehreren Stellen Bildungsmöglichkeiten der Zeit, die Schreibgewohnheit und, anhand von Verzeichnissen privater Bibliotheken wie derjenigen des Iosef di Bondì, die Lektürevorlieben. Geographisch und kulturell überschreitet die Untersuchung die traditionell als Romania bezeichneten Gebiete, auch unterläuft sie eine klare neuzeitliche Einteilung nach den dominierenden Sprachen Italienisch und Französisch nicht nur durch die Zuordnung der Texte zu ‘ kleineren ’ , regionalen Sprachen und Varietäten, sondern vor allem durch die Sprachmischung in den Texten selbst, die Ausdruck von sprachlicher Freiheit und Zusammengehörigkeit zugleich sind. Hierzu gehören auch die judenromanischen Varietäten, wie das Judenspanische und Judenitalienische, über die man auf Basis des aktuellen Forschungsstandes ebenfalls viel erfährt. Die Kapitel lassen sich unabhängig voneinander lesen, zugleich sind sie durch Querverweise untereinander verbunden. Auf vorbildliche Weise bietet dieses Buch nicht nur «storie linguistiche», wie der Untertitel verspricht, sondern eine sehr viel umfassendere Darstellung einer vergangenen Epoche. Damit unterstreicht er die Bedeutung von Linguistik als Schlüssel zur Interpretation menschlichen Seins und Handelns. Und sachte wird man vom Autor darauf hingewiesen, dass wir daraus für das gegenwärtige Europa und seine Sprachenvielfalt ebenfalls etwas lernen können. Rafael Arnold Lingue naturali, lingue inventate. Atti della Giornata di studi (Trento, Dipartimento di Lettere e Filosofia, Palazzo P. Prodi, 29 novembre 2019) a cura di Serenella Baggio / Pietro Taravacci, Alessandria: Edizioni dell ’ Orso 2020, 256 Seiten, € 38,00 Am Anfang einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Phänomen Kunstsprachen stand für die Herausgeberin Serenella Baggio die Lektüre von Alessandro Bausanis Le lingue inventate. Linguaggi artificiali, linguaggi segreti, linguaggi universali (Rom 1974). Einen vorläufigen Höhepunkt erlebte dieses Forschungsinteresse mit einer wissenschaftlichen Tagung zum Thema Lingue naturali, lingue inventate im November 2019 an der Universität Trento, wo die beiden Herausgeber, Serenella Baggio und Pietro Taravacci, als Philologen im Bereich der Romanistik tätig sind. Die Ergebnisse dieser Veranstaltung liegen nun als Sammelbandpublikation vor. DOI 10.24053/ Ital-2021-0031 Kurzrezensionen 149 Die acht hier versammelten Artikel und das Nachwort von Serenella Baggio konturieren das Panorama der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Natur- und Kunstsprachen aus linguistischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive und unterfüttern ihre Argumentation mit umfangreichen Literaturverweisen. Davide Astori («Quanto è naturale una lingua pianificata? »; S. 5 − 31) präsentiert den Forschungsstand zum Esperanto aus linguistischer Perspektive und untermauert, wie gerade Metaphern das natürliche Potential dieser Kunstsprache andeuten. Der Beitrag von Emanuele Banfi («Forma e percezione di ‘ parole ’ in lingue storico-naturali tipologicamente diverse»; S. 33 − 61) fragt unter Berücksichtigung in sich unterschiedlichster Weltsprachen - Latein, Arabisch, Türkisch, Chinesisch - nach der Bedeutung von Wortbildung für das Konstrukt Sprache, während Franco Crevatin («Saperi riservati e usi linguistici: note su alcuni casi antichi»; S. 63 − 69) einige Thesen zum Zusammenhang zwischen dem Altägyptischen, Griechischen und Latein vorlegt bzw. den Hellenismus als eine Art Globalisierungsphänomen deutet. Zwei Aufsätze beschäftigen sich mit der Theorie der Universal- und Kunstsprachen. Massimiliano De Villas Beitrag («Dalla lingua di Adamo alla lingua pura: la riflessione del primo Benjamin sul parlare umano e sulla traduzione»; S. 71 − 96) interessiert sich für die Sprachtheorie des jungen Walter Benjamin und thematisiert die Gefahr des Bedeutungsverlusts durch Übersetzungen. Francesca Dovetto fragt in ihrem Artikel «Vulgariser l ’ idée de la langue universelle alle soglie del XX secolo» (S. 97 − 114) nach der Idee der Universalsprache, wie sie sich Ende des 19. Jahrhunderts v. a. in Paris wieder über Sprachgesellschaften und Zeitschriften verbreitete. Historisch weiter zurück geht Giorgio Graffi («I progetti di lingue universali nel Seicento: il loro ruolo nella storia della grammatica»; S. 115 − 133), und zwar in das Großbritannien des 17. Jahrhundert zu den Projekten des Schotten George Dalgarno und des Engländers John Wilkins. Diese werden mit Ansätzen von Leibniz, Eco und Chomsky verglichen, die allesamt auf die Ideen der beiden britischen Vorläufer zurückgegriffen haben. Marco Mancini präsentiert in «Quando gli scienziati inventarono una lingua: il pahlav ī nella filologia dell ’ Ottocento» (S. 135 − 195) äußerst umfangreich eine besondere Form von Kunstsprache, das ‘ pahlav ī zoroastriano ʼ , eine im 19. Jahrhundert wiederbelebte Sprache des Zarathustrismus. Glauco Sanga («In statu nascenti. L ’ infinito della lingua franca e il verbo nei pidgin»; S. 197 − 214) nimmt sich die «lingua franca» vor, eine vormoderne Verständigungssprache des Mittelmeerraums, die noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts belegt ist und eine Mischung aus verschiedenen romanischen Sprachen und arabischen, türkischen, persischen, griechischen und slavischen Einflüssen darstellte. Dabei zeigt Sanga auf, wie verschiedene Pidgin-Varianten eine ähnliche Entwicklung nehmen. Andrea Scalas Beitrag «Manipolazione del significante e invenzione delle parole nel gergo: qualche considerazione a partire Kurzrezensionen 150 da materiali italo-romanzi ed etio-semitici» (S. 215 − 229) schließt das Panorama ab mit einer Untersuchung des gergo. Die beiden letztgenannten Aufsätze sollen nun näher besprochen werden, weil sie zum einen sehr gut die historische Dimension der lingua franca (Sanga) zum Ausdruck bringen und zum anderen sich der theoretischen Analyse und dem Sprachvergleich widmen (Scala). Glauco Sanga beschäftigt sich in seinem sehr aufschlussreichen Ansatz mit einem Vergleich zwischen dem Infinitiv in der lingua franca und in verschiedenen modernen Pidginformen, wobei er im ersten literarischen Beispiel des Contrasto della Zerbitana, das auf die Zeit zwischen 1284 und 1305 zu datieren ist und von einem anonymen Autor stammt, durchgehend infinite Formen wie «Oi Zerbitana reticha, come ti voler parlare? / Se per li capelli prendoto, chome ti voler chonciare? / e così voler chonciare - tutte le votre ginoie» (S. 197) findet. Das Verbalsystem besteht demnach in der lingua franca lediglich aus drei Formen: Infinitiv (etwa mirar) für die Formen der Gegenwart, der Vergangenheit und der Zukunft (bei Futur und Konditional geht dem noch ein bisogno voran: bisogno mirar); mirato für alle Formen des Präteritums; und mira oder mirar für den Imperativ. Sehr eindrucksvoll belegen die reichlichen Funde die weitere literarische Verwendung der lingua franca von Luigi Pulci (ca. 1473) bis zu Louis Faidherbe (1884), wobei es eine ununterbrochene Tradition zu geben scheint. Tatsächlich sieht Glauco Sanga dies auch für den Infinitiv anderer Pidginformen auf romanischer Basis bestätigt (afro-portugiesisch, 15./ 16. Jahrhundert; afrospanisch, Anfang 16. Jahrhundert; spanisch-maurisch, 16./ 17. Jahrhundert; spanisch-philippinisch, 19. Jahrhundert; «Pidgin a base italiana», 19./ 20. Jahrhundert; altfranzösisch (Roman de Renart), 12./ 13. Jahrhundert): «Non c ’ è ragione per separare la lingua franca dagli altri pidgin, e infatti l ’ uso dell ’ infinito è ben diffuso nei pidgin a base romanza» (S. 204). Deutlich unterscheiden sich diese Pidginformen allerdings in ihrer funktionalen Zugehörigkeit: Während die lingua franca ein Verbalsystem besitzt, operiert die Pidginsprache ähnlich wie in den ersten Phasen des Spracherwerbs mit Substantiven: «È ben vero che nelle prime fasi dell ’ apprendimento del linguaggio non si sono ancora distinte le categorie grammaticali, quindi a rigore per una parola usata in maniera olofrastica non si può ancora parlare di nome o verbo, ma solo di forma sprovvista di categoria grammaticale, ma appunto per questo parlo di forma non marcata, e questa forma non marcata in seguito assumerà la categoria formale del nome, visto che nella frase olofrastica si dice acqua, non bere; pappa, non mangiare; nanna non dormire.» (S. 207) Die lingua franca scheint also eine Jahrhunderte hindurch benutzte Koinè gewesen zu sein, wohingegen das Pidgin ontogenetisch im jeweiligen Sprachkontakt stets wieder neu über die Nominalphrase entsteht. Kurzrezensionen 151 Andrea Scala betrachtet den gergo als rein lexikalisches Phänomen aus der Perspektive der künstlichen Entwicklung von Sprache: «Nel gergo dunque il lessico è tutto, o quasi, e l ’ Abstand lessicale è lo strumento fondamentale utilizzato dai gerganti per marcare il proprio gruppo. Si tratta in verità di un Abstand molto efficace sul piano identemico-coesivo e che consente anche la possibilità dell ’ uso criptolalico del gergo, funzione molto importante ideologicamente per i gerganti, quanto poco sfruttata a livello di atti linguistici concreti.» (S. 216) Diesen Zustand von Sprachen, den Scala nach Sanga (2014) 1 als Abstand definiert, untermauert er an Beispielen aus typologisch weit voneinander entfernten Sprachen aus dem italo-romanischen und äthiopisch-semitischen Raum, um so einen historisch gewachsenen Zusammenhang zwischen den Sprachen, wie es in europäischen Kontaktsprachen der Fall sein kann, auszuschließen. Es ist vielmehr so, dass etwa vorhandene Innovationen phonologischer Natur (von Scala sogenannte ‘ manipolazioni ʼ ) sich nicht im lexikalischen Bereich spiegeln, wie dies z. B. bei vispuviza ( ‘ lui] puzza ʼ ) oder viguarvirda ( ‘ guarda ʼ ) in einem norditalienischen dritto (etwa ‘ Clownerei ʼ von Zirkusleuten (dazu Giudici 2011/ 12) der Fall ist. Im Argot der von Wolf Leslau bereits 1964 untersuchten Sprache der Azmari, Sänger äthiopischer Bars und Hotels, die sich traditionellerweise mit der Masengo begleiten, wird dieses hier dargestellte Phänomen mit der Silbeneinfügung nach der ersten Silbe beschrieben: qärädda ‘ estrarre acqua ʼ (amharisch qädda) oder amazzäzä ‘ ordinare ʼ (amharisch azzäzä). Scala resümiert, dass die Etymologie in den Kunstsprachen nahezu keine Rolle spielt. Insgesamt entwickeln die Beiträge in der Konfrontation von Kunstsprachen mit natürlich entstandenen Sprachen mehr Fragen als Antworten rund um das Thema Universalsprache und das Verständnis und die Akzeptanz von Opazität von Sprachen. Damit untermauern sie das, was Hugo Schuchardt bereits 1904 formuliert hatte, nämlich dass die Kunstsprachen mehr oder weniger natürlich und die natürlichen Sprachen ebenso mehr oder weniger künstlich sind. Maria Lieber/ Christoph Oliver Mayer DOI 10.24053/ Ital-2021-0031 1 Der Terminus ‘ Abstandsprache ʼ stammt von Heinz Kloss: Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen seit 1800, 2., erweiterte Auflage, Düsseldorf: Schwann 1978. Kurzrezensionen 152 Pia Claudia Doering: Praktiken des Rechts in Boccaccios Decameron. Eine novellistische Analyse juristischer Erkenntniswege, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2020, 324 Seiten, € 79,95, eBook € 72,90 Pia Claudia Doering legt mit Praktiken des Rechts in Boccaccios ‘ Decameron ʼ eine umfassende Analyse juristischer Diskurse in Boccaccios Decameron vor. Die erklärte Forschungsabsicht lautet zu zeigen, dass Boccaccio narrativ einen «Beitrag zur Rechtsreflexion» (S. 12) leiste, indem er die Jurisprudenz und ihre Repräsentanten über gängige Allgemeinplätze der Juristensatire hinaus einer profunden Kritik unterziehe. Er stelle dabei vor allem die in der Rechtspraxis angewandten Methoden der Wahrheitsfindung auf den Prüfstand und lasse diese in Konkurrenz zu alternativen Erkenntniswegen - nämlich solchen der Literatur - treten, denn, so das Anliegen Doerings, «poetologische Aussagen [stehen] im Decameron häufig im Kontext der Konkurrenz der Dichtung mit anderen Disziplinen, namentlich der Jurisprudenz und der Theologie» (S. 26). Der erste Teil der Arbeit widmet sich also solchen Novellen, in denen Juristen im Widerstreit mit Repräsentanten anderer Disziplinen, wie Theologen, Laien und Künstlern, dargestellt werden. Im zweiten Teil der Arbeit steht die «novellistische Betrachtung und Beurteilung des Rechtswandels» (S. 28) im Zentrum, wobei ein besonderes Augenmerk auf der Art und Weise liegt, wie im Decameron juristische Methoden der Wahrheitsfindung kritisch reflektiert werden. Im ersten Kapitel («Juristen im Wettstreit der Disziplinen», S. 29 - 130) folgt nach einem generellen Überblick über die gesellschaftliche Stellung der Jurisprudenz - besonders im Verhältnis zu weiteren universitären Disziplinen - und die gängigen Vorbehalte, die gegen Vertreter des Rechtswesens bestanden, die Analyse von fünf Novellen, die einen Disziplinenstreit implizit oder explizit in Szene setzen: Novelle I, 1 (Ser Cepparello), Novelle VI, 5 (Giotto und Forese da Rabatta), Novelle VIII, 5 (der Richter ohne Hosen), Novelle II, 10 (Riccardo da Chinzica) und Novelle III, 7 (der für tot erklärte Tebaldo). Zu betonen ist, dass der gewählte Ansatz auch bei vielbesprochenen Texten wie jener ersten Novelle des Decameron Nuancen hervortreten lässt, die sich dem Interpreten/ der Interpretin nicht unmittelbar aufdrängen. So sei die Tatsache, dass Ser Cepparello ein Notar ist, wie die Verf.in betont, durchaus nicht akzidentiell. Vielmehr ergebe sich daraus eine weitere Deutungsebene der Beichtszene zwischen Cepparello und dem Frate als Vertreter der Theologie, nämlich eine Reflexion und Problematisierung der confessio, der Beichtpraxis, die sich an der Schnittstelle zwischen beiden Feldern befindet. Dass die unerhörte Beichte Cepparellos gelingt, ihm gar die Heiligsprechung nach dem Tode einbringt, demonstriere auf drastische Weise, dass sowohl das Rechtssystem als auch die Theologie dem Irrglauben aufsitzen, das Innere des Menschen über sprachliche und nicht-sprachliche Zeichen (hier im DOI 10.24053/ Ital-2021-0032 Kurzrezensionen 153 Besonderen auch die äußeren Zeichen der Reue, der contritio) erschließen zu können. Damit werde die grundsätzliche Unmöglichkeit demonstriert, absolute Wahrheiten durch Zeichen rekonstruieren zu können. Wie fehleranfällig Theologie und Justiz sind, inszeniere auch Novelle III, 7: Tebaldo, der zum «weltliche[n] Erlöser und Heilsbringer» (S. 126) stilisiert wird, gelingt es, einen groben Justizfehler aufzudecken und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Indem der Protagonist dabei eben jene Methoden - d. h. eine Sprache, die zur simulatio und dissimulatio instrumentalisiert wird - verwendet, die den Mönchen und Juristen zur Wahrung ihrer Interessen dienen, demonstriert er ihre Fehlbarkeit und zeigt, wie sie zum Bösen eingesetzt werden können. Wenngleich die Analyse rundum überzeugt, sei immerhin angemerkt, dass Tebaldos Überredung der Geliebten in Verkleidung des Pilgers moralisch fragwürdig scheint - was seiner narrativen Funktion als Erlöserfigur teilweise zuwiderläuft. Er nutzt gerade die perfiden Techniken jener Gruppen, Mönche und Juristen, deren Verkommenheit er zu beweisen gedenkt, um die Geliebte zur Rückkehr in die außereheliche Beziehung zu drängen. Damit übt er genau wie der Mönch zuvor sprachliche bzw. emotionale Gewalt aus, um seine eigenen Interessen durchzusetzen - auch wenn dies im Namen der gegenseitigen Liebe geschieht. Die Einzelanalysen dieses ersten Kapitels veranschaulichen insgesamt, wie im Decameron «menschliche Zeichensysteme und ihre Abhängigkeit von Affekt- und Machtstrukturen» (S. 130) prekarisiert, doch gleichsam mit beffa und motto zwei probate Mittel aufgezeigt werden, Erkenntnis zu stiften (so insbesondere in VI, 5 und VIII, 5). Dass im Decameron vielfach Richter mit ihren (Fehl-)Entscheidungen inszeniert werden, sei, so Doering, als Reflexion eines historischen Wandels im Rechtssystem zu verstehen, nämlich der «Übertragung der Urteilsmacht von Gott auf einen menschlichen Richter» (S. 136). Im Zentrum des zweiten Kapitels («Recht und Wahrheit», S. 131 - 209) stehen nun jene Novellen (VIII, 6: Bruno und Buffalmacco; IV, 6 und IV, 7; II, 1: der Gaukler Martellino), die juristische Methoden der Wahrheitsstiftung radikal in Frage stellen, darunter vor allem das Inquisitionsprinzip, was in seiner potenziellen Fehlbarkeit besonders eindrucksvoll in den Novellen IV, 6 und IV, 7 vorgeführt wird. Besonders IV, 6 veranschauliche den Zusammenhang von Erkenntnis und Ethik, denn «ein fortschrittliches juristisches Verfahren [das gerichtsmedizinisch gestützte Inquisitionsverfahren], das die Urteilsfindung auf die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung stützt, [bringt] nicht zwangsläufig Gerechtigkeit hervor [. . .]. [. . .] Der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sind Grenzen gesetzt.» (S. 165) Auch die Analyse der Martellino-Novelle vermag aufzuzeigen, wie Boccaccio Beweistechniken wie die Folter, die nach damaligem Kenntnisstand als rationale Kurzrezensionen 154 Ermittlungsmethode zu bewerten ist (vgl. S. 174), problematisiert und in Gestalt des beffatore Martellino, als «Künstler- und Erkenntnisfigur» (S. 177), implizit das erkenntnisstiftende Potential der Kunst - und damit der Literatur - als Gegenmodell konturiert. Der Befund des zweiten Kapitels stützt den des ersten insofern, als herausgearbeitet wird, wie in den untersuchten Novellen rechtlich-religiöse und gerichtsmedizinische Diskurse als dem Irrtum unterworfen dargestellt werden. Das dritte Kapitel («Strafgerechtigkeit», S. 211 - 289) widmet sich Novellen, in denen die Strafgerechtigkeit einer narrativ erzeugten poetischen Gerechtigkeit gegenübergestellt wird, darunter Novelle II, 9, in der der einem Betrug zum Opfer gefallenen Zinevra schließlich Gerechtigkeit widerfährt; Novelle V, 7, die die patria potestas problematisiert und den Prozess der Übertragung der Privatrache auf das staatliche Justizsystem bezeugt; schließlich die berühmte Novelle von Madonna Filippa (VI, 7), die durch ihre rhetorische Raffinesse den ihr gemachten Prozess zum Guten wenden und eine Gesetzesänderung zu ihren Gunsten erwirken kann. Dass, wie die Analyse zu zeigen vermag, die Rechtsfälle der jeweiligen Protagonistinnen einen glücklichen Ausgang nehmen, sei durchaus nicht eindeutig auf die Effizienz (neuer) juristischer Verfahren zurückzuführen, sondern verdanke sich in nicht unerheblichem Maß dem Zufall. Zinevra kann die Wahrheit über den Betrug an ihr (und dem Ehemann) nur aufdecken, weil sie in der Verkleidung des Sicurano dem Übeltäter Ambruogiuolo auf einer Handelsmesse begegnet und dieser mit seiner Intrige prahlt. Der Schurke wird der Rechtsprechung des Sultans - und damit dem staatlichen Strafverfolgungsapparat - überantwortet, der ihm eine gerechte Strafe auferlegt. Dass hier staatliche Rechtsprechung und poetische Gerechtigkeit in eins fallen, sei im Decameron selten, doch sei die Erzählung in geradezu utopische Ferne entrückt, denn es ist «kein italienischer Podestà, der das Urteil fällt, sondern ein weiser und gerechter Herrscher aus dem Orient» (S. 251). Einer zufälligen glücklichen Fügung ist es auch in V, 7 zu verdanken, dass Pietro, der eigentlich der Sohn eines Adligen ist, zu Tode gefoltert wird, da er eine verbotene, nicht standesgemäße, außereheliche Beziehung mit der Tochter Amerigos eingegangen ist. Die Novelle zeige, «wie Liebe und Sexualität gesellschaftliche Ordnungsmuster ins Wanken bringen und mit welcher Härte die Ordnungsträger gegen einen solchen Angriff vorgehen» (S. 272). Dabei werde die Legitimationsbasis privater (wie der pater familias) und öffentlicher Autoritäten infrage gestellt und ihre Anfälligkeit für Fehlurteile entlarvt. Schließlich vermag die Analyse von VI, 7 auf der Basis von aufschlussreichen Erkenntnissen über das Verhältnis von ius commune und Partikularrecht zu zeigen, wie die finale und unmittelbare Rechtsänderung eines als ungerecht empfundenen Gesetzes - das letztendlich zum Instrument privater Rache verkomme - die «Schnelllebigkeit von Statuten» im Unterschied zum allgemeingültigen Naturrecht veranschauliche (S. 287). Implizit werde zudem auch Kurzrezensionen 155 die Funktion der Öffentlichkeit aufgewertet: Mit ihrem zustimmenden Lachen sei sie Sprachrohr eben jener poetischen Gerechtigkeit, die Madonna Filippa zuteilwird. Der Ansatz, der systematisch die Inszenierung des Justizapparats bzw. juristische Methoden im Decameron in den Fokus stellt, vermag zu zeigen, dass damit kohärent im Werk zentrale Thematiken reflektiert werden: Täuschung und Illusion, die Macht der Sprache und der Zeichen, die Anfälligkeit menschlicher Wissenssysteme für Erkenntnisfehler und das Vermögen der Literatur, Wahrheit und Gerechtigkeit hervorzubringen. Besonders hervorzuheben ist, dass durch die spezifische Ausrichtung der Fragestellung einerseits vor allem bisher in der Kritik wenig beachteten Novellen eine bisweilen unerwartete Tiefe abgewonnen wird, andererseits neue Facetten bekannter Erzählungen des Decameron aufgezeigt werden. Lena Schönwälder Tobias Roth (Hrsg.): Welt der Renaissance, Berlin: Galiani Verlag 2020, 640 Seiten, Gebundene Ausgabe € 89,00, E-Book € 39,99 Das Ende des letzten Jahres beim Berliner Verlag Galiani erschienene Buch ist eine Anthologie, die sich durch ihre prachtvolle Gestaltung besonders auszeichnet. In dieser reichhaltigen Sammlung kommentierter Textausschnitte gelingt es dem Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Lyriker Tobias Roth, die Komplexität und Pluralität der italienischen Renaissance in klare Worte zu fassen. Die Texte sind ins Deutsche übersetzt und mit knappen Fußnoten versehen; dafür wird die große Vielfalt der Epoche durch die informativen Profile von Autorinnen und Autoren und eine breitgefächerte Textauswahl vor Augen geführt. In der Einleitung (S. 13 - 21) wird der vom Titel erweckte Erwartungshorizont eingeschränkt - es geht insbesondere um die humanistische Literatur im Italien des 15. Jahrhunderts. Bereits die erste Zeile beschreibt die Sammlung als ein «Großlesebuch» (S. 13) und keine Definition wäre treffender, denn es wird umfangreicher Lesestoff, inklusive einiger archivalischer Entdeckungen und kaum bekannter Textstellen, angeboten. «Obwohl die Renaissance eine Epoche des Buches ist, ist ihre Literatur in unserer heutigen Kultur kaum präsent - verglichen etwa mit der Allgegenwart ihrer Bildenden Kunst, die so virulent ist wie kaum die einer anderen Epoche» (S. 19) - diese Lücke versucht das Buch so wirksam wie möglich zu schließen. Das Buch enthält 68 Kapitel, die jeweils einem Autor/ einer Autorin gewidmet sind. Die Ordnung der Texte folgt einem chronologischen Schema nach dem DOI 10.24053/ Ital-2021-0033 Kurzrezensionen 156 Geburtsjahr der AutorInnen, beginnend bei Petrarca (geb. 1304) und endend bei Tasso (geb. 1544). Diese Struktur ist zwar einheitlich und übersichtlich, vernachlässigt jedoch in manchen Fällen zwangsläufig die Erscheinungs- und Rezeptionsgeschichte der Texte. Spezifische Einführungen dienen jeweils der Einordnung der AutorInnen und der vorgestellten Materialien. Die Reflexion über die Sprache, die sich auch in den Übersetzungen zeigt, ermöglicht es dem Herausgeber, den Kontext lebendig darzustellen und auf den Zusammenhang von historisch geprägten Termini mit aktuellen Ausdrucksformen oder geläufigen Begriffen zu verweisen. Da die Abfolge der AutorInnen streng chronologisch ist, ergeben sich thematische Verbindungen und Assoziationen erst durch eine vollständige Lektüre des Werks. Mittels der Verzeichnisse bzw. der Funktionen des E-Books ist es außerdem möglich, Zusammenhänge zu erkennen bzw. herzustellen und wiederkehrende Motive aufeinander zu beziehen. Ergänzend werden rote maniculae verwendet, um die Verlinkungen zu AutorInnen innerhalb des Buchs zu kennzeichnen. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Thema der Anfänge des Buchdrucks gewidmet, wie es in zahlreichen Abbildungen von Holzschnitten, Handschriften und Originaldrucken zum Ausdruck kommt. Unter der Rubrik «Welt des Buchdrucks» werden zwischen den Kapiteln einzelne Seiten präsentiert, die sich auf die materielle Gestaltung von Büchern sowie auf das Verhältnis zwischen Text und Bild fokussieren. Hier sind die unterschiedlichsten Beispiele von Werken aus verschiedenen Druckereien vertreten, etwa von Aldo Manuzio zu Francesco Marcolini und Gabriele Giolito oder die Ausgaben der Druckerei von Konrad Sweynheym und Arnold Pannartz. Dabei werden durch die Abbildungen weitere relevante Werke hinzugefügt wie Platinas De honesta voluptate, Donis Mondi, Pulcis Morgante, Trissinos Sophonisba, Serlios Libri dell ’ architettura, Folengos Chaos del Triperuno. Dieser Überblick trägt zu einem vollständigeren Bild der Epoche bei, indem einige Texte, die von der Auswahl ausgeschlossen wurden, im Hinblick auf ihre materiellen Träger und mit besonderer Aufmerksamkeit für ihre typographischen Begebenheiten anschaulich gemacht werden. Grundsätzlich ist die besondere Textauswahl auffällig, die bekannte Texte neben interessante und ausgefallene Entdeckungen, wie etwa Girolamo Benivienis selbstkommentierte Eklogen oder Michele Marullos Hymne, stellt. Ausgangspunkt für die Auswahl war Roths Projekt der Berliner Renaissancemitteilungen, in dem er 2011 bis 2017 per E-Mail seine Übersetzungen und Kommentare zu Texten aus dem 15. Jahrhundert, teilweise im Zusammenhang mit seinem Promotionsprojekt zu Pico della Mirandola, verbreitete. Die Auswahlkriterien sind also einerseits inklusiv, insofern sie ein möglichst repräsentatives Spektrum zu bieten suchen, andererseits spiegeln sie die Interessen des Herausgebers wider, die u. a. die Themen der humanistischen Nachahmung der Klassiker, der «Verbindungen [von] Literatur und Politik» (S. 249), des «Kulturtransfer[s] von Ost nach West» Kurzrezensionen 157 (S. 343), und ‘ alltägliche ʼ Themen wie die Esskulturen und Krankheitsbilder, sowie derb-erotische Anspielungen bis hin zu Obszönitäten betreffen. Die vertretenen Gattungen könnten kaum unterschiedlicher sein, es handelt sich um Gedichte, Gesänge, Theatertexte, Novellen sowie Traktate, Tagebucheinträge, Kommentare und Briefe - ist es doch eine ganze Welt, die hier dargestellt werden soll. Neben Alberti, Ficino, Poliziano, Machiavelli, Bembo, Michelangelo und Guicciardini sind Autoren wie etwa Girolamo Angeriano, Vespasiano da Bisticci, Girolamo Morlini, Giusto de ’ Conti oder Antonio Vignali aufgenommen worden. Außerdem werden relativ bekannte Persönlichkeiten behandelt wie Alessandra Macinghi, Girolamo Fracastoro, Raffaello, Bartolomeo Scappi, oder Amerigo Vespucci, die die kulturelle Landschaft Italiens entscheidend prägten, obwohl sie nicht primär LiteratInnen waren. Dadurch entfalten sich eine dynamische Darstellung der Epoche und eine umfassende Behandlung der Werke von «Dichtern und Gelehrten, Tagebuchschreibern und Diplomaten, Chronisten und Philosophen» (S. 19). Rekurrierende Themen sind innerhalb einer solchen polyzentrischen Darstellung aussagekräftig. So wird die Relevanz der geographischen Situierung der Autorinnen und Autoren, ihre Reiserouten und -stationen, die insgesamt eine mobile Gesellschaft bezeugen, wiederholt hervorgehoben. Florenz, Rom, Venedig, Ferrara, Neapel, Bologna, Siena, Mantua, Padua und Pisa sind Aufenthaltsstationen ebenso für Philologen und Diplomaten, wie auch Orte für kaufmännische Tätigkeiten und Kunstwerkstätten. In den skizzenhaften Biografien scheint die geographische Landschaft Italiens oftmals eine größere Rolle zu spielen als beispielsweise bekannte historische Eckdaten. Ein anderer Themenzusammenhang, der in dem Buch an verschiedenen Stellen, wenn auch indirekt, angesprochen wird, ist der Karneval. Dabei richtet Roth seine Aufmerksamkeit auf die ‘ andere ʼ Renaissance, diejenige, die sich vom Klassizismus abhebt und distanziert. Lorenzo de ’ Medici, Girolamo Savonarola, Angelo Poliziano und Marino Sanuto beziehen sich in unterschiedlicher Art und Weise ausdrücklich darauf. Lorenzo ist als Literat berühmt für seine canti carnascialeschi. Savonarola lässt im Karneval 1497 und 1498 Scheiterhaufen auf der Florentiner Piazza della Signoria errichten, um Bücher und Kunstwerke zu verbrennen. Ein opulentes Pendant findet man in der Cena dei compagnacci von Bartolomeo Cerretani. Polizianos «Karnevals- und Tanzlieder werden auf der Straße gesungen» (S. 302). Der Venezianer Marino Sanuto berichtet in seinem Tagebuch über ein von Lorenzo Strozzi zum Karneval 1519 gegebenes Gastmahl. Außerdem sind mit den cicalate, facetie, motti und burle ‘ karnevaleske ʼ Textgattungen vertreten, die Einblicke in die Alltags- und Feierkultur bieten, wie etwa bei Arlotto Mainardi, der in einem Bestseller der Epoche skurrile Anekdoten des Protagonisten Piovano Arlotto beschreibt. Kurzrezensionen 158 Dem Herausgeber gelingt es sehr gut, die Auswirkungen der Erfindung und der Verbreitung des Buchdrucks sowie die unterschiedlichen Gesichter der Renaissance in Italien plastisch und anschaulich darzustellen. Eine neue Interpretation und eine explizite Darlegung der Beziehungen zwischen den ausgewählten Werken wären durchaus auch wünschenswert gewesen, doch insgesamt bietet das Buch sowohl einen gelungenen Überblick der Epoche als auch lehrreiche Einblicke in wichtige bis kuriose und kaum bekannte Texte des Zeitalters des Humanismus. Roberta Colbertaldo Alessandro Bonsanti e Carlo Emilio Gadda: «Sono il pero e la zucca di me stesso». Carteggio 1930 - 1970, a cura di Roberta Colbertaldo, Premessa di Gloria Manghetti, con una testimonianza di Sandra Bonsanti, Firenze: Leo S. Olschki 2020, 344 pp., € 35,00 Il volume raccoglie una selezione finora inedita della corrispondenza intercorsa tra Alessandro Bonsanti e Carlo Emilio Gadda. Il corpus, ordinato secondo un criterio cronologico, conta 356 documenti tra lettere, cartoline, minute, telegrammi, biglietti spediti tra il 1930 e il 1970. Di questi, come chiarisce la nota al testo, 214 sono di mano di Bonsanti, 141 di Gadda e l ’ ultimo biglietto è vergato da Gian Carlo Roscioni per conto di Gadda. Il materiale epistolare è conservato nell ’ Archivio Contemporaneo ‘ Alessandro Bonsanti ’ del Gabinetto Scientifico Letterario G. P. Vieusseux di Firenze, nell ’ Archivio Liberati di Villafranca di Verona, in un nucleo di carte di proprietà dei figli di Bonsanti, Sandra e Giorgio, e nel Fondo Gadda dell ’ Archivio Roscioni presso l ’ Archivio Storico e Biblioteca Trivulziana di Milano. Salvo rare eccezioni, la selezione ha escluso «poche decine di missive di rilevanza marginale, contenenti semplici saluti, conferme di appuntamenti o di recapito di materiali» (p. XXXIII); tali documenti, quando utili a ricostruire i contatti tra i due epistolografi, sono puntualmente utilizzati nel commento. Ogni documento epistolare presenta una breve descrizione fisica del materiale e una fascia di commento volta a delucidare i punti poco chiari del testo e a fornire informazioni biografiche, letterarie, editoriali o storiche necessarie alla miglior comprensione dello scambio. Nel medesimo spazio si fa riferimento anche ad altri carteggi, in un gioco di richiami utile per comprendere la rete di legami di Gadda e di Bonsanti, ed è presente una fitta trama di rimandi interni, fondamentale nel caso di una lettura del testo non progressiva e mirata alla singola missiva. Il volume si aggiunge a una ormai ricca serie di carteggi gaddiani (rigorosamente indicati a pp. XXXIX - XLI) e, in sintonia con molte di queste edizioni, DOI 10.24053/ Ital-2021-0035 Kurzrezensionen 159 presenta come titolo una citazione tratta da una lettera di Gadda: il 2 giugno ’ 63, lo scrittore, riprendendo un ’ immagine ariostesca, rappresenta icasticamente la sua condizione del momento, segnata da un successo certo frutto di anni laboriosi, ma giunto tardivo e difficilmente gestibile per il sempre acciaccato Gaddus. La scelta del titolo, pur focalizzandosi sul percorso di Gadda, chiama in causa anche l ’ altra anima del carteggio, Bonsanti, che accompagna lo scrittore milanese dall ’ edizione delle sue prime raccolte alla trasformazione dell ’ Ingegnere in «una specie di Lollobrigido, di Sofìo Loren» (così Gadda) dopo il successo del Pasticciaccio. Il carteggio testimonia le fasi di un sodalizio lavorativo che diventa amicizia e perdura a distanza: lo chiarisce anche l ’ Introduzione, firmata da Roberta Colbertaldo, che fornisce in modo esaustivo le coordinate per orientarsi nel ricco corpo epistolare. Come ricorda la curatrice, «lo strumento epistolare è decisivo per ricostruire le relazioni tra le riviste e tra gli scrittori che le animano, svela dettagli dei motivi della scrittura stessa e delle vicende di politica editoriale come i premi letterari» (p. XIX). Le pagine di Colbertaldo ripercorrono i vari momenti della corrispondenza, mettendo in rilievo gli snodi cruciali delle vicende che riguardano da vicino i due scrittori, ma che interessano anche alcuni dei più importanti esponenti della letteratura del Novecento. Il carteggio è suddiviso in quattro sezioni: I. Le riviste fiorentine «Solaria» e «Letteratura» (1930 − 1937), II. I romanzi a puntate e gli anni della Liberazione (1938 − 1946), III. L ’ impiego alla RAI e il Giornale di guerra e di prigionia (1950 − 1957), IV. Dopo il successo del Pasticciaccio (1957 − 1970). Questa suddivisione è motivata dalla scansione cronologica e dalla diversa situazione storico-letteraria vissuta dagli epistolografi nelle quattro fasi, ma trova altresì un riflesso nella differente predominanza della voce epistolare. Se, infatti, nella prima e nella gran parte della seconda sezione è il «dittatore Sandro» a prevalere quasi incontrastato, nella terza Bonsanti lascia spazio alla voce di Gadda, le cui missive predominano quasi in assoluto. L ’ ultima sezione, invece, intreccia le lettere di entrambi e meglio restituisce il dialogo tra i due (seppur prevalga ancora la voce di Gadda). Le ragioni di queste mancanze sono diverse: molte lettere sono andate smarrite, altre invece, tra cui le missive di Gadda degli anni tra le due guerre, sono state probabilmente distrutte da Bonsanti nel 1943 «nel timore di una perquisizione tedesca» (p. XVIII). Bisogna tuttavia rilevare che anche quando il carteggio è ‘ monotonale ʼ , nelle lettere di uno scrittore si scorge riflessa la personalità dell ’ altro; ciò fa sì che la fruizione del corpus non risenta troppo delle lacune e, nei casi in cui le mancanze siano decisive, interviene il commento della curatrice. La prima sezione prende le mosse da una cartolina di Bonsanti, che ringrazia Gadda dell ’ interessamento per la Serva amorosa. La corrispondenza che segue, costituita per lo più da cartoline di servizio, ripercorre le prime pubblicazioni Kurzrezensionen 160 gaddiane: La Madonna dei filosofi (1931), seguita proprio da Bonsanti, Il castello di Udine (1934) e Meditazione breve - Circa il dire e il fare, scritto che aprirà il primo numero della neonata Letteratura. Le lettere danno anche conto delle fasi di elaborazione delle Meraviglie d ’ Italia e conservano una scaletta ipotizzata da Bonsanti nel ’ 37. La corrispondenza consente inoltre di seguire le vicende e le politiche editoriali di Solaria e di Letteratura. La seconda sezione, che copre gli anni 1938 − 1946, vede il direttore di Letteratura nei panni del «tiranno Bonsanti» alle prese con i tentativi di estorcere a Gadda le puntate della Cognizione del dolore e di progettare il volume delle Meraviglie d ’ Italia. Nel frattempo, nel ’ 40, Gadda si trasferisce a Firenze e la corrispondenza viene sostituita dagli incontri de visu fino al ’ 44, quando lo scrittore milanese si rifugia a Roma. A questo periodo risalgono le prime sue lettere, anch ’ esse di servizio e legate a questioni editoriali. La terza sezione si caratterizza per un ’ inversione di ruoli: Gadda lavora alla RAI e, anche grazie a lui, Bonsanti collabora al Terzo Programma. Le missive di questi anni riguardano inoltre la pubblicazione del Giornale di guerra e di prigionia, curato da Bonsanti e da Giorgio Zampa, e i rapporti di Gadda con Garzanti in vista dell ’ edizione di Quer pasticciaccio brutto de via Merulana. L ’ ultima sezione vede Gadda ‘ stordito ʼ dal successo - ottenuto anche grazie all ’ uscita della Cognizione del dolore in volume e all ’ assegnazione del Prix International de Littérature - e Bonsanti nel ruolo dell ’ amico rassicurante. Come sottolinea la curatrice, l ’ interesse delle lettere di questi anni riguarda in particolare le discussioni in merito ai premi letterari. Se da un lato le missive di Gadda si allineano, quanto a fisionomia e stile, alle molte altre lettere pubblicate e dunque il corpus conferma quanto messo in rilievo più di dieci anni fa da Claudia Carmina, d ’ altro canto, il carteggio aggiunge alcune pennellate al profilo dei due scrittori, getta maggior luce su progetti poco noti e su testi ancora non inventariati dalla critica, e chiarisce alcune dinamiche relative all ’ editoria, all ’ attribuzione dei premi letterari e alla ricezione delle opere dei due autori. Il volume è arricchito da una premessa di Gloria Manghetti, Direttrice del Vieusseux, all ’ interno della quale si ripercorrono le più importanti tappe della storia del Gabinetto, con particolare attenzione alla figura di Bonsanti e ai progetti gaddiani, e si espongono le ragioni della pubblicazione del carteggio. Segue una vivida testimonianza di Sandra Bonsanti, che ritrae, sulla scorta di un «Portolano» del padre, la storia dell ’ amicizia fra i due scrittori. A queste sezioni fanno da controcanto cinque preziosi indici: oltre al canonico «Indice dei nomi», compaiono l ’ «Indice dei testi e delle trasmissioni radiofoniche» di Bonsanti e di Gadda, l ’ «Indice dei periodici» e l ’ «Indice dei premi Kurzrezensionen 161 letterari». Tali sezioni si rivelano particolarmente utili non solo per una più semplice fruizione del volume, ma anche perché consentono di avere una visione immediata del profondo radicamento dei due scrittori nel milieu novecentesco. In conclusione, il volume risulta di interesse e di grande utilità sia per gli studiosi, grazie alle nuove acquisizioni filologiche, letterarie, storico-critiche, editoriali, sia per i lettori non specialisti, che saranno in grado di orientarsi tra i progetti, le preoccupazioni (o le nevrosi) e le testimonianze di amicizia di Gadda e di Bonsanti attraverso un commento chiaro ed esaustivo. Giulia Perosa Fabio Moliterni: Una contesa che dura. Poeti italiani del Novecento e contemporanei, Macerata: Quodlibet 2021, pp. 198, € 20,00 Il volume si compone di dieci saggi su poeti italiani del Novecento e contemporanei che si segnalano per la ricchezza dei riferimenti culturali. Si inizia con l ’ analisi del Frammento LI di Clemente Rebora («Falso movimento: sul Frammento LI di Clemente Rebora», pp. 15 − 26), di cui si evidenzia l ’ organizzazione di tipo binario, per poi contestualizzarlo all ’ interno dei Frammenti lirici, dove pure compaiono altri testi sul tema del movimento. Si tratta di «una di quelle pause ragionative di segno negativo» (p. 20) influenzata dalle filosofie della vita di inizio secolo, indicativa dei temi e delle forme adottate prima della conversione al cristianesimo. Seguono due saggi su poeti salentini. Nel primo si ragiona sull ’ opera di Girolamo Comi nel contesto della lirica del Novecento («Girolamo Comi e la poesia del Novecento», pp. 27 − 40); «poeta extra-territoriale» perché estraneo alle tendenze dominanti della poesia italiana (anche in ambito editoriale), ma legato alla tradizione dell ’ orfismo per l ’ inclinazione trascendentale di alcuni dei suoi versi migliori. Poi è la volta di Vittorio Bodini e del suo rapporto con il Barocco, con gli sperimentalismi e con il recupero delle avanguardie («Vittorio Bodini e Luciano Anceschi: ‘ il fascino del rischio ʼ », pp. 41 − 64); questioni affrontate attraverso le relazioni - testimonianze inedite provengono dal carteggio del poeta - con Luciano Anceschi. Dopo un saggio sulle poesie giovanili di Roberto Rovesi («Una ‘ spina di furore ʼ . Le poesie giovanili di Roberto Roversi», pp. 65 − 80), in cui l ’ angoscia per la condizione umana si esprime attraverso le forme anomale dell ’ idillio e dell ’ elegia, è la volta di un intervento criticamente molto denso sulla presenza dantesca nell ’ opera di Vittorio Sereni (« ‘ Questo trepido vivere nei morti ʼ . Una Stimmung dantesca nell ’ opera di Vittorio Sereni», pp. 81 − 108). Lo studio infatti non si limita DOI 10.24053/ Ital-2021-0036 Kurzrezensionen 162 a un censimento dei dantismi negli Strumenti umani, ma ambisce a individuare «una funzione o una Stimmung dantesca» (p. 86), cioè le modalità attraverso cui si realizza quel travagliato dialogo con l ’ autore della Commedia, nonché con il sistema di valori da essa tramandato. L ’ analisi di testi esemplari per la questione come Intervista a un suicida porta lo studioso a parlare di un «regime di dantismo trasversale» (p. 103), cioè a più livelli, dalla ripresa di aspetti linguistici a quella di situazioni, atmosfere nonché del procedimento del colloquio ultramondano. Di Rovesi e Sereni, entrambi promotori di un ’ idea di poesia alternativa a quella indicata dalla Neoavanguardia, si parla pure nel successivo capitolo che prende in esame il loro carteggio (« ‘ Vincendo i venti nemici ʼ : sul carteggio Roversi-Sereni», pp. 109 − 120). Vi è poi un saggio sulla complessa questione del tempo nella poesia di Franco Fortini («Poesia e tempo in Franco Fortini», pp. 121 − 136). Influenzato dalla filosofia della storia di Benjamin, Fortini immette nei suoi versi voci provenienti dal passato, che con la loro presenza rivendicano l ’ esistenza di dimensioni temporali alternative a quella di un presente che è tempo della privazione e dell ’ immobilismo. Altra reazione allo squallore del presente consiste nel caricare di odio e rancore le liriche, in particolare a partire dalla stagione delle poesie degli anni Sessanta. Il libro si conclude con tre saggi su poeti contemporanei. Nel primo l ’ aggettivo ‘ postume ’ posto tra parentesi nel titolo - «Poesie (postume) degli anni Zero: Benzoni, De Angelis, Viviani» (pp. 137 − 172) - potrebbe alludere a quegli elementi di continuità tra la poesia dei nuovi autori e i maestri riconosciuti della lirica italiana del secondo Novecento (Montale e Sereni su tutti). Ferruccio Benzoni, Milo De Angelis e Cesare Viviani sono per lo studioso tre poeti che con le loro raccolte - rispettivamente Numi di un lessico figliale (1995), Tema dell ’ addio (2005), L ’ opera lasciata sola (1993) - hanno imboccato una strada alternativa rispetto a tanta poesia italiana degli ultimi decenni, finendo però col diventare dei riferimenti nel panorama letterario contemporaneo. Per la complessa poesia di Benzoni l ’ influenza dei maestri modernisti (nel suo caso anche Paul Celan) è tale che «si dovrà parlare propriamente di una sorta di intertestualità al quadrato» (p. 147) che agisce anche a livello tematico, come prova il motivo ricorrente del rapporto con gli scomparsi recuperato da Sereni e Celan. In merito alla poesia - verrebbe da dire pessimistica - di De Angelis la disamina privilegia le caratteristiche del linguaggio, in un percorso ricco di esempi che parte dalle prime raccolte. Invece la poesia di Viviani, poeta avvezzo ai mutamenti formali e agli esperimenti linguistici, è sicuramente oscura, ma attraverso modalità ben diverse da quella degli ermetici. Nel saggio successivo Moliterni documenta la presenza di una matrice dialogica nella poesia di Enrico Testa e le sue ricadute retorico-formali (« ‘ Senza di voi, niente ʼ : Enrico Testa e la parola altrui», pp. 173 − 180). Per molti Kurzrezensionen 163 componimenti è però opportuno parlare di una dialogicità paradossale, fatta di dialoghi sospesi o mancati poiché il soggetto lirico appare predisposto al colloquio con un altro che però risulta assente. A conclusione un saggio sulla poesia di Andrea Inglese, arricchito con qualche annotazione sulla prosa («La poesia e la prosa di Andrea Inglese», pp. 181 − 192). Indicato come uno di quei poeti «che ancora scommettono sul valore conoscitivo del discorso poetico» (p. 185), lo stile di Inglese vede una netta prevalenza della coordinazione (spesso per asindeto) e soprattutto la tendenza a servirsi di lunghi elenchi con uso assiduo di enjambement. Luca Mendrino Kurzrezensionen 164 Mitteilungen Zur Erinnerung an Ragni Maria Gschwend Am 26. Juli 2021 verstarb in Freiburg im Breisgau im Alter von 85 Jahren die wunderbare Ragni Maria Gschwend, bedeutende Übersetzerin italienischer Literatur. Geboren 1935 in Immenstadt, machte sie nach dem Abitur eine Buchhandelslehre und arbeitete einige Zeit für eine italienische Firma in München. Sie absolvierte schließlich ein Übersetzerstudium in München und verbrachte Auslandsaufenthalte in Perugia, Siena und Paris. Seit 1976 war sie als freie Übersetzerin in Freiburg im Breisgau tätig. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Premio Montecchio Maggiore (1983), den Premio Internazionale J.W. Goethe (1988), die Verdienstmedaille des Landes Baden- Württemberg (2006), den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung (2006), das Bundesverdienstkreuz (2008), den Paul-Celan-Preis (2008) und den Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis für ihr Lebenswerk (2015). Sie war Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und im Verband deutscher Übersetzer. Von 2001 − 2008 war sie Präsidentin des Freundeskreises zur internationalen Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e.V. Durch ihre Arbeit machte Ragni Maria Gschwend viele italienische Autor- Innen in Deutschland bekannt, besonders Claudio Magris, aber auch Fulvio Tomizza, Elsa Morante, Antonio Moresco, Federigo Tozzi, Ennio Flaiano, Sebastiano Vassalli und andere. Die Familie Svevo hatte es ihr besonders angetan, was ihre Mitarbeit an der im Rowohlt Verlag erschienenen siebenbändigen Werkausgabe Italo Svevos bezeugt, aber auch die Veröffentlichung, gemeinsam mit François Bondy, einer Svevo-Biographie in der rororo-Biographien-Reihe (Reinbek bei Hamburg 1995). Zudem gab sie 1999 den Band Elio Schmitz/ Italo Svevo, Meine alte unglückliche Familie Schmitz, Elios Tagebuch und andere Zeugnisse im Wiener Paul Zsolnay Verlag heraus und war beratend tätig bei der Übertragung der Biographie von Enrico Ghidetti, Italo Svevo. Ein Bürger aus Triest (Frankfurt: Cooperative Verlag 2001) ins Deutsche. Auch literarische Nischen genossen ihre Aufmerksamkeit: Sie übersetzte u. a. die Texte des ersten zweisprachig erschienenen Gedichtbandes von Salvatore A. Sanna mit dem Titel Fünfzehn Jahre Augenblicke ins Deutsche (Frankfurt 1978). Zuletzt erschien ihre Übersetzung des Erzählbandes Schnappschüsse (Istantanee) von Claudio Magris im Münchner Hanser Verlag (2019). Eine besondere Stellung nehmen Ragni Maria Gschwends Libretto-Übersetzungen ein: Wir erinnern an die Publikation des Librettos Le nozze di Figaro von DOI 10.24053/ Ital-2021-0037 165 Lorenzo da Ponte auf Deutsch, «übersetzt in reimlose singbare deutsche Verse» (München: Beck-Textura 2009). Den Beruf des Übersetzers reflektierte sie in zwei amüsanten Bänden: Der schiefe Turm von Babel: Geschichten vom Übersetzen, Dolmetschen und Verstehen (2000) und Figaros Flehn und Flattern. Mozart in den Fängen seiner Übersetzer (2006) - beide Bücher sind in der Reihe der Straelener Manuskripte erschienen. Ragni Maria Gschwend wird als «deutsche Stimme von Claudio Magris» (Badische Zeitung 28.7.2021), in ihren vielen Übersetzungen von italienischen Schlüsseltexten und mit ihrer strahlenden Begeisterung für die italienische Literatur in der Italianistik unvergessen bleiben. (Red.) Übersetzungen von Ragni Maria Gschwend (Auswahl) Agnelli, Susanna: Wir trugen immer Matrosenkleider, München: Piper 1976. Ara, Angelo/ Magris, Claudio: Triest. Eine literarische Hauptstadt Mitteleuropas, München: Hanser 1987. Chiara, Piero: Das Zimmer in der Villa Cleofe, Reinbek: Rowohlt 1979. Flaiano, Ennio: O Bombay, Freiburg: Beck & Glückler 1996. Guidacci, Margherita: Ergo sum. Ausgewählte Gedichte italienisch-deutsch, Straelener Manuskripte, Nr. 8, 1986. Landolfi, Tommaso: Rien va, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999. Magris, Claudio: Die Welt en gros und en detail, München: Hanser 1999. Magris, Claudio: Blindlings. Roman, München: Hanser 2007. Magris, Claudio: Schnappschüsse, München: Hanser 2019. Morante, Elsa: Aracoeli, München: Düsseldorf: Claassen 1984. Morselli, Guido: Dissipatio humani generis oder die Einsamkeit, Frankfurt: Insel 1990 (neue Auflage 2021). Sanna, Salvatore A.: Fünfzehn Jahre Augenblicke. Gedichte Italienisch-Deutsch, Frankfurt am Main (Privatdruck) 1978. Silone, Ignazio: Severina, Köln: Kiepenheuer & Witsch 1994. Tomizza, Fulvio: Franziska. Eine Geschichte aus dem 20. Jahrhundert, Wien: Zsolnay 2001. Tomizza, Fulvio: Das Liebespaar aus der Via Rossetti, München: Hanser 1989. Tomizza, Fulvio: Materada, München: Hanser 1993. Tozzi, Federigo: Das Gehöft, München: Piper 1984. Tozzi, Federigo: Mit geschlossenen Augen, München: Piper 1988. Vassalli, Sebastiano: Die Hexe aus Novara, München: Piper 1993. Vassalli, Sebastiano: Der Schwan, München: Piper 1995. Wilcock, Rodolfo: Das Stereoskop der Einzelgänger, Freiburg: Beck & Glückler 1995. Mitteilungen 166 Capricci luterani. L ’ opera di Michelangelo sullo sfondo del dibattito interconfessionale, Online-Tagung, 05.05.2021 − 07.05.2021, organisiert von Hans Aurenhammer (Goethe-Universität, Frankfurt), Christine Ott (Goethe-Universität, Frankfurt), Marc Föcking (Universität Hamburg), Alessandro Nova (Kunsthistorisches Institut, Florenz) Das umfangreiche Werk Michelangelo Buonarrotis reicht von den zentralen Topoi der Liebe und des Leids bis zur Hinwendung zum Göttlichen. Gleichzeitig entspringen seine vielseitigen künstlerischen Ausdrucksformen dem Kontext einer Epoche, die von signifikanten Umbrüchen in Politik und Religion geprägt ist. Daher stand im Mittelpunkt der dreitägigen Tagung Capricci luterani die religiöse Krise des 16. Jahrhunderts, die Michelangelo in seinem künstlerischen Schaffen beeinflusste und zur ausgeprägten Ambiguität seines Werks beitrug. Im Rahmen der Tagung richteten internationale Michelangelo-ForscherInnen in ihren Vorträgen und Diskussionen einen interdisziplinären Blick auf die ästhetische Theorie und die künstlerische Praxis Michelangelos zwischen Bildkunst und Lyrik. Durch die unterschiedlichen Perspektiven aus Kunstgeschichte, Literatur- und Religionswissenschaft entfalteten sich neue Wege zum Verständnis von Michelangelos Religiosität und den Ursprüngen seiner ambigen und eklektischen Weise, seine Gegenwart zu reflektieren. Nach dem Grußwort des italienischen Generalkonsuls in Frankfurt Andrea Samà eröffneten Hans Aurenhammer und Christine Ott als OrganisatorInnen die Tagung mit einer thematischen Einführung. Der erste Block begann mit einem Vortrag von Massimo Firpo (Scuola Normale Superiore, Pisa). Firpo geht davon aus, dass vor allem das späte Werk Michelangelos nicht ohne ein tieferes Verständnis seiner intensiven Beziehung zu Vittoria Colonna und der religiösen Impulse der spirituali gedeutet werden kann. Dementsprechend klärte er in seinem Vortrag mit dem Titel «Qualche precisazione sugli spirituali e Michelangelo» Ungenauigkeiten in der vergangenen Forschung zur Ecclesia viterbiensis auf, um ihre Ursprünge, ihre religiösen Strukturen und Michelangelos Beziehungen zu ihr zu erhellen. Hierbei differenzierte er zwischen verschiedenen zeitlichen Abstufungen der Entwicklung und trennte zum Beispiel die Entstehungszeit des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle von der Entstehung der Fresken in der Pauluskapelle. Er distanzierte sich so von der Reduktion der Gegenwart Michelangelos auf die Zeit einer allgemeinen und vagen Unruhe und präzisierte die religiöse Erfahrung Michelangelos in einem von ständigen Veränderungen geprägten Kontext, die vom großen Erfolg des Beneficio di Cristo auf die römische Inquisition zulaufen. Danach referierte Marc Föcking unter der Überschrift «Rime spirituali 1550 - bilancio di un nuovo genere e qualche pensiero ermeneutico a proposito della sua lettura», womit der Hinter- DOI 10.24053/ Ital-2021-0038 Mitteilungen 167 grund für das lyrische Werk Michelangelos (das keinen Eingang in die Anthologie gefunden hat) in das Licht der Betrachtung gerückt wurde. Föcking thematisierte in seinem Vortrag die 1550 in Venedig erschienene anthologische Bilanz Libro primo delle rime spirituali parte nuovamente raccolta da più auttori, parte non più date in luce, welche zur poetologischen, aber auch theologischen Einordnung der Lyrik Michelangelos beitragen könne. Im zweiten Teil des Vortrages plädierte er dafür, die vielfach strukturell wie intentional ambigen Sonetttexte nicht theologisch-dogmatisch zu ‘ normalisieren ʼ und mit der Methodik einer Inquisition ex post als «eterodossi» oder gar «luterani» zu kategorisieren, wobei letzteres im Sinne einer laizistischen Literaturwissenschaft zumeist als Positivum verstanden wird. Der Vortrag « ‘ An astonishment that would already be frightening ’ . Thoughts on the Iconography of the Sistine Chapel» von Jürgen Müller (TU Dresden) leitete dann zur Bildkunst Michelangelos über. Die Ikonographie des Deckenfreskos der Sixtinischen Kapelle, wohl eines der bekanntesten Werke Michelangelos, führt nicht nur heute noch zu kontroversen Diskussionen in der Forschung, sondern wurde schon kurz nach seiner Fertigstellung von nicht wenigen Zeitgenossen Michelangelos abgelehnt. Neben der Kritik an der Nacktheit der Figuren befürchteten sie eine die Gläubigen verwirrende Wirkung der Kunst, die Letztere in die Arme der Reformatoren treiben könnte. Müller erörterte in diesem Zusammenhang das Jüngste Gericht im Hinblick auf politisches Kalkül und augustinische Spiritualität mit Fokus auf eine neue Deutung der Figur des Jonas. In spannendem Wechsel zurück zur Lyrik führte der Vortrag von Antonio Corsaro (Università di Urbino) mit dem Titel «Trascendenza e fede come materiali poetici e concettuali nelle rime di Michelangelo». Corsaro arbeitete heraus, wie die streng genommen nicht literarischen Kategorien Transzendenz und Glauben als Begriffe und semantische Felder in der Lyrik Michelangelos funktionieren. Er schlug vor, die Transzendenz in Michelangelos Liebesdichtung nicht als religiöse Reflexion im Sinne einer Doktrin zu lesen, sondern in einem erweiterten spirituellen Zusammenhang, in dem die Transzendenz in Anlehnung an den Neuplatonismus zu einer Liebeserfahrung wird, die den Liebenden dem Göttlichen annähert. In den spirituellen Gedichten hingegen, so fuhr Corsaro fort, verlagere sich die Terminologie auf die Felder der Schuld, des Irrtums und auch des Glaubens, die innerhalb des Werks unterschiedlich definiert würden. Hans Aurenhammer verglich in seinem Vortrag «Il Giudizio Universale di Michelangelo visto dal Tintoretto: una risposta ambigua» das Jüngste Gericht Michelangelos mit dem gleichnamigen venezianischen Werk Tintorettos, das Aurenhammer als Rezeption des Freskos der Sixtinischen Kapelle auffasst. Entgegen der Meinung, dass Tintoretto mit seinem Werk auf die Kritik an Michelangelo reagierte und daher stark kritisierte Elemente des Freskos verändert, arbeitete Aurenhammer anhand vieler Beispiele heraus, dass es sich bei Tintorettos Giudizio nicht um ein Mitteilungen 168 gegenreformatorisches Korrektiv handelt, sondern dass er einige ikonographische Anomalien der Vorlage Michelangelos sogar verstärkt. Den letzten Vortrag des ersten Veranstaltungstages hielt Christine Ott zum Thema «Risurrezioni e trasmigrazioni eterodosse: Epitaffi per Cecchino Bracci, D ’ altrui pietoso e le poesie intorno al ‘ doppio ʼ ». Durch die Analyse der Gedichte, in denen Michelangelo ein postmortales Schicksal für Bracci vorhersagt, stellte Ott eine ungewöhnliche Verbindung zwischen Körper, Schönheit und Auferstehung fest, die als ‘ Auferstehungserotik ʼ bezeichnet werden könnte, während in einer Reihe von Gedichten über ‘ Doppelgänger ʼ die Möglichkeit eines ‘ neuen ʼ , zweiten Lebens herbeigesehnt wird. In ihrem Vortrag untersuchte Ott in der Diskussion über die Auferstehung im 16. Jahrhundert mögliche Quellen solcher Auferstehungsbilder in der Tradition der Liebeslyrik und der zeitgenössischen philosophisch-theologischen Debatte. Chiara Franceschini (LMU München) leitete den zweiten Tag ein mit ihrem Vortrag «Il tempo bruno - Michelangelo ’ s nocturnal practices and the virtues of ‘ vigilance ʼ (from the Vatican Pietà to the Pietà Bandini, through the New Sacristy)». Sie begann mit dem Phänomen der Wachsamkeit, übertrug ihre Überlegungen im weiteren Verlauf des Beitrags auf die Frage nach der Beziehung zwischen Kunst und der Religiosität ihres Schöpfers und erklärte, inwiefern die Kunst nicht direkt auf die Theologie zurückführbar ist. Ida Campeggiani (Università di Pisa) fokussierte in ihrem Vortrag «Michelangelo tra umiltà e superbia» den lyrischen Dialog Michelangelos mit Vittoria Colonna. Anhand des Madrigals «Ora in sul destro, ora in sul manco piede» verdeutlichte Campeggiani mit Bezügen auf die biblische Quelle und Dante die theologischen Zweifel und inneren Konflikte Michelangelos, die in diesem Madrigal anklingen. Sie betonte die Bedeutung der Briefe und der überlieferten Entwürfe Michelangelos nicht nur für den Nachvollzug des kreativen Schaffensprozesses im formalen Sinne, sondern auch für die Einordnung der inhaltlichen Aspekte, und erinnerte an den Einfluss Benivienis auf die Poesie Michelangelos. Mit der in seiner Lyrik zum Ausdruck kommenden Spiritualität Michelangelos befasste sich auch Carlotta Mazzoncini (Università degli Studi di Roma Tre) in ihrem Beitrag «Conversazioni evangeliche: il doppio dialogo michelangiolesco dopo gli anni Quaranta del Cinquecento». Mit Verweis auf deren fragmentarischen und unvollendeten Charakter ergründete sie anhand der späten Texte Michelangelos, die zwischen 1540 und 1557 datiert werden können, seine Lyrik im Spiegel der Reformation. So setzte sie das Werk Buonarrotis mit weiteren wichtigen Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts in Beziehung, die explizit oder implizit am poetischen Dialog teilnahmen, darunter neben Vittoria Colonna insbesondere Carlo Gualteruzzi. Zur plastischen Kunst Michelangelos führte dann Ulrich Pfisterers (LMU München) Vortrag «Il Purgatorio di Michelangelo e dei Medici. Le sculture della Sagrestia Nuova». Pfisterer Mitteilungen 169 geht von der These aus, dass die Konzeption der Neuen Sakristei von S. Lorenzo in Florenz keinem modernen Programm folgt, das jedes Detail vorsieht, sondern einer Grundidee. Anhand der Anordnung, der Funktion und weiterer Quellen wie Zeichnungen und Plänen gelang es Pfisterer zu zeigen, dass Michelangelo in die Gestaltung der Grabkapelle neben kanonischen Vorstellungen der Kirche über das Leben nach dem Tod auch seine Kenntnisse über Dante einfließen ließ, dabei jedoch bei den Skulpturen weitgehend auf Attribute verzichtete. Dadurch, dass die Sakristei nicht fertig gestellt wurde, verbiete sich jedoch die Annahme einer Grundaussage, so Pfisterer. Sarah Rolfe Prodan (University of Toronto) untersuchte in ihrem Vortrag «The Poet, the Artist, and the Word. Michelangelo in the Age of Religious Reform», wie Michelangelo in seinem lyrischen Werk das ‘ Wort ʼ einsetzt, indem sie den biblischen Vorlagen seiner Verse nachging. Dazu arbeitete sie mit frühen Autographen, auf dessen Seiten Michelangelo mit ersten eigenen poetisch-religiösen Reflexionen in Versform und kleinen Zeichnungen experimentiert, und zeigte, wie diese Fragmente auf den Gebrauch der Bibel hinweisen. Die Arbeit mit diesen Aufzeichnungen erwies sich darüber hinaus als fruchtbar für die Untersuchung der Beziehungen zwischen Michelangelos Bildästhetik und seiner Lyrik, wobei Prodan die absichtliche Ambiguität als ein konstantes Merkmal seines literarischen Schaffens sowie seiner künstlerischen Produktion identifizierte. Zum Abschluss des zweiten Tages folgte darauf der Vortrag von Raymond Carlson (Columbia University) mit dem Titel «The Material Resonances of Tracing in Michelangelo ’ s Drawing of Tityus/ Christ». Er richtete den Blick auf die berühmte Zeichnung des Tityus, auf dessen Rückseite Michelangelo einen auferstehenden Christus skizzierte. Die Beziehung dieser beiden Bilder war Gegenstand der Untersuchung Carlsons, der nach einer Verbindung sucht zwischen dem unrettbaren Riesen, dessen Regeneration Leiden hervorruft, und dem Sohn Gottes, dessen Leiden und Auferstehung zur Erlösung führt. Hierzu zog er Michelangelos Gedichte an den Empfänger der Zeichnung, Tommaso de ’ Cavalieri, und die neoplatonischen Tendenzen darin heran. Der dritte und letzte Tag begann mit dem Vortrag Daniel Flieges (HU Berlin). Unter der Überschrift « ‘ Essere manco, o non essere manco, è questo il dilemma ʼ . Sullo scambio di sonetti tra Vittoria Colonna e Michelangelo Buonarroti» beschäftigte er sich mit einem Sonett Vittoria Colonnas über die Lukasmadonna aus der Sammlung, die Michelangelo um 1541 von Colonna erhielt, und mit dessen Antwort darauf, in der Michelangelo ein weiteres Sonett beifügte. Fliege schlug vor, dass dieses Sonett sowohl als Dank an Colonna als auch an die Heilige Jungfrau und somit als Synthese der evangelischen Theologie lesbar sei. Hierzu verglich Fliege mit Blick auf die genannten Sonette von Colonna und Michelangelo Colonnas Kunstauffassung mit der von Michelangelo und zeigte, wie sich darin die Ideen des Evangelismus spiegeln. Günther Wassilowsky (Goethe-Uni- Mitteilungen 170 versität, Frankfurt) beschäftigte sich in seinem Vortrag «L ’ idea di grazia nell ’ opera di Michelangelo. Processi di interscambio tra un concetto estetico e teologico» mit dem Konzept der Gnade. Ausgehend von einer Analyse der geistlichen Verse und Briefe Michelangelos erörterte Wassilowsky, ob es im lyrischen Werk Michelangelos möglich ist, eine kohärente Theologie der grazia auszumachen und inwiefern die darin transportierten Ideen sich auch in seinem bildhauerischen Werk nachweisen lassen. Das für Michelangelo charakteristische Phänomen des non-finito griff Susanne Friede (Universität Bochum) in ihrem Vortrag «Considerazioni su una (possibile) dimensione spirituale del non-finito» auf. Nach einem Überblick über die intensiven Diskussionen des non-finito in der Forschung arbeitete sie verschiedene Kennzeichen dieses künstlerischen Mittels in Michelangelos Lyrik heraus. Sie geht davon aus, dass Michelangelo sich - zumindest in seinem lyrischen Werk - des non-finito gewissermaßen als Stilmittel bedient, um Ambiguität entstehen zu lassen. Zum Schluss stellte sie eine Verbindung zwischen der Technik des non-finito und der Spiritualität Michelangelos her. Im letzten Vortrag der Tagung mit dem Titel «The Language of Devotion in Michelangelo ’ s Letters» widmete sich Deborah Parker (University of Virginia) dem Umgang Michelangelos mit religiösen Themen in verschiedenen Briefen. Sie analysierte nicht nur, auf welche Art und Weise Michelangelo darin über Gott und zentrale Fragen des Glaubens schreibt, sondern ordnete die jeweiligen Briefe auch in bestimmte Zeitabschnitte seines Lebens ein. Hierbei wurden Unterschiede zwischen der Behandlung der genannten Themen sowohl in seinen Briefen und in seiner Dichtung als auch in seiner Kunst sichtbar. Die Tagung endete mit einer Tavola Rotonda zum übergreifenden Thema «Michelangelo Buonarroti und das 16. Jahrhundert: Kunst, Krise, Religion, Zensur», bei dem die Ergebnisse der drei Tage gebündelt und weiter diskutiert werden sollten. Birgit Emich kam als Vertreterin des Italienzentrums der Goethe- Universität Frankfurt zuerst zu Wort und fasste den bei der Tagung häufig gefallenen Begriff der Ambiguität in vier Kategorien: die intentionale Ambiguität, die als künstlerisches Mittel bewusst eingesetzt wird; die gattungsspezifische Ambiguität, wie das Sonett sie zwangsläufig in sich trägt; die strukturelle Ambiguität, die entsteht, wenn präzise Begriffe (noch) fehlen, und die anthropologische Ambiguität, denn Menschen sind in ihrem Ausdruck nie vollends eindeutig. Emich hielt in Folge dieser Ausführungen fest, dass Michelangelo alle diese Typen von Ambiguität in seinem Werk bündelt. Günther Wassilowsky regte daraufhin dazu an, die religiösen Bewegungen in Italien nicht vorrangig im Hinblick auf die protestantische Strömung aus Wittenberg zu betrachten, sondern sie als gemeinsame transnationale Bewegung zu betrachten und sich auf die Wurzeln des Reformerischen im 15. Jahrhundert zu fokussieren, wie beispielsweise die Gnadentheologie, die relecture der augustinischen Schriften oder die Mitteilungen 171 Entdeckung der unendlichen misericordia. Marc Föcking plädierte dafür, die «Ambiguitätstoleranz» innerhalb römisch-katholischer Positionen der Jahrhundertmitte nicht unhistorisch zu verengen und dafür, das in den lyrischen Texten nicht Gesagte nicht willkürlich mit einem aus Sicht der späteren Interpretierenden ‘ Gemeinten ’ zu füllen und die Sonette nicht mit dem Ansprüchen theologischer Traktate zu konfrontieren. Mit Verweis auf seine Überlegungen zur geistlichen Lyrik um 1550 schlug er vor, diese Texte primär als «Gebrauchstext» zu lesen, in diesem Fall als lyrische Gebetstexte, denn Theologie sei in der Gegenwart Michelangelos mehr gewesen als scholastische Fachdiskussion, sie eröffne auch die Möglichkeit privater Devotion, so Föcking. Auch Christine Ott bezog sich in ihrem Diskussionsbeitrag auf den Begriff der Ambiguität und präzisierte aus literaturwissenschaftlicher Perspektive die intentionale und die nicht-intentionale Ambiguität. Die interessanten Vorträge und fruchtbaren Diskussionen der Tagung trugen durch ihre inhaltliche Tiefe und Aktualität, aber vor allem auch durch das Ineinandergreifen der verschiedenen Disziplinen dazu bei, dass sich aus den interdisziplinären Perspektiven zahlreiche Verbindungen entfaltet haben, die das Forschungsfeld um Michelangelo und sein faszinierendes Werk mit neuen Zugängen anreichern. Ein Sammelband zur Tagung wird voraussichtlich 2022 bei De Gruyter erscheinen. Mareike Ullrich Literaturpreise in Italien Premio Strega: Emanuele Trevi, Due Vite, Milano: Neri Pozza 2021. Premio Campiello: Giulia Caminito, L ’ aqua del lago non è mai dolce, Milano: Bompiani 2021. Premio Campiello Opera Prima: Daniela Gambaro, Dieci storie quasi vere, Roma: Nutrimenti 2020. Premio Letterario Viareggio Rèpaci Narrativa: Edith Bruck, Il pane perduto, La nave di Teseo 2021. Premio Letterario Viareggio Rèpaci Poesia: Flavio Santi, Quanti (Truciolature, scie, onde, 1999 − 2019), Bologna: Industria & Letteratura 2020. Premio Letterario Viareggio Rèpaci Saggistica: Walter Siti, Contro l ’ impegno: Riflessioni sul bene in letteratura, Milano: Rizzoli 2021. Premio Flaiano Narrativa: Mariapia Veladiano, Adesso che sei qui, Guanda, 2021; Maddalena Fingerle, Lingua madre, Italo Svevo Edizioni 2021. Premio speciale Flaiano di Narrativa: Walter Pedullà, Claudia Piersanti. Premio internazionale di Italianistica «Luca Attanasio»: Gaetana Marrone, The Cinema of Francesco Rosi, Oxford University Press 2020; Jaana Vaahtera, Paivi Mehtonen, Mitteilungen 172 Kansankielestä. De vulgari eloquentia, Istituto Italiano di Cultura, Helsinki, 2021; Alfonso Campisi, Terres Promises, Arabesques, 2021. Premio Mondello Critica: Lorenzo Tomasin, Europa Romanza. Sette storie linguistiche, Torino: Einaudi 2021. [s. Besprechung in diesem Heft.] Premio Mondello Opera Italiana: Laura Forti, Forse mio padre, Giuntina, 2020; Giulio Fozzi, Le ripetizioni, Venezia: Marsilio 2021; Alessio Torino, Al centro nel mondo, Milano: Mondadori 2020. Premio Letterario Nazionale per la Donna Scrittrice «Rapallo»: Finaliste: Silvia Avallone, Un ’ amicizia, Milano: Rizzoli 2020; Elisa Ruotolo, Quel luogo a me proibito, Milano: Feltrinelli 2021; Ilaria Tuti, Fiore di roccia, Milano: Longanesi 2020. Premio Vittorini: Antonella Lattanzi, Questo giorno che incombe, Milano: Harper Collins Italia 2021. Hinweise auf Veranstaltungen und Ausschreibungen 2022 findet die 98. Jahrestagung der Deutschen Dante-Gesellschaft an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena statt. Das Rahmenthema ist Dante und die Stadt. Kommunale Kultur und literarische Öffentlichkeit. Die Veranstaltung war ursprünglich für 2020 geplant, wurde aber aufgrund der Pandemie verschoben. Weitere Informationen unter: http: / / dante-gesellschaft.de/ aktuelles/ 9. - 11. Dezember 2021: Leopardi-Tag - Eine Tagung am Romanischen Seminar der Universität Heidelberg zum Thema «O natura, o natura» Leopardis Dichten und Denken der Natur. Weitere Informationen unter: http: / / leopardi-gesellschaft. de/ aktuelles/ 11. - 13. April 2022: 37. Forum Junge Romanistik in Wien. Romania diversa. Potentiale und Herausforderungen. Weitere Informationen unter: XXXVII. Forum Junge Romanistik 2022 (univie.ac.at) Vortragsvorschläge können bis zum 30. November 2021 an linda.baeumler@univie.ac.at eingereicht werden. Ausschreibung von Stipendien des Deutschen Studienzentrums in Venedig vom 01.06.2022 bis 31.05.2023. Das Deutsche Studienzentrum in Venedig ist eine interdisziplinäre Einrichtung der Forschungs- und Kunstförderung mit Sitz im Palazzo Barbarigo della Terrazza am Canal Grande. Es vergibt Stipendien an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, deren Vorhaben Bezüge zu Venedig aufweisen, sowie an Künstlerinnen und Künstler. Für das Studienjahr 2022/ 2023 sind zwei Forschungsstipendien von 6-12 Monaten für graduierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu vergeben. Bewerbungen werden erbeten bis zum 31.01.2022 per E-Mail (in einer pdf-Datei) an den Vorsitzenden des Vereins Deutsches Studienzentrum in Venedig, Prof. Dr. Albrecht Cordes, Goethe- Universität Frankfurt (presidente@dszv.it). Anträge auf Kurzzeitstipendien für einen Forschungsaufenthalt von bis zu 6 Monaten ab 2022 sind jederzeit möglich. Mitteilungen 173 Für nähere Infos zur Förderung von Künstlerinnen und Künstlern s. www.dszv.it - Stipendien - Künstlerstipendien. Eingegangene Bücher Bellardita, Alessandro: I Vostri diritti in Germania. Per un primo orientamento nella società tedesca. Hamburg: AltreMenti 2021. Cento anni di Sciascia in sei parole. A cura di Francesco Izzo. Firenze: Casa Editrice Leo S. Olschki 2021. Chiellino, Carmine: Introduzione alla letteratura degli scrittori italiani in Germania. Mit CD. Dresden: Thelem Verlag 2021. Corriere d ’ Italia, 70 anni di storia. 1951 - 2021. A cura di Licia Linardi e Silvano Ridolfi. Frankfurt 2021. Dantes Verse. Hrsg. von Birte Förster. Göttingen: Wallstein Verlag 2021. Voci sull ʼ Inferno di Dante. Una nuova interpretazione della prima cantica. A cura di Sygmunt G. Bara ń ski e Maria Antonietta Terzoli, 3 voll., Roma: Carocci editore 2021. Austauschzeitschriften Bibliografische Informationen zur neuesten Geschichte Italiens/ Informazioni bibliografiche sulla storia contemporanea italiana. Deutsches Historisches Institut in Rom/ Arbeitsgemeinschaft für die neueste Geschichte Italiens. Nr. 164/ November 2020. Bollettino del C. I. R.V. I., n. 77: «Stranieri in grigioverde 3». Jetzt bestellen onde Das italienische Kulturmagazin - Für ein authentisches Italienbild Italienische Artikel mit praktischen Vokabelhilfen - Für alle Sprachniveaus - Einzeln oder im Abo vertrieb@onde.de Onde e.V. - Italien erleben onde_ev www.onde.de Mitteilungen Autorinnen und Autoren dieser Nummer Rafael Arnold, Prof. Dr., Universität Rostock Hans Aurenhammer, Prof. Dr., Universität Frankfurt am Main Jürgen Charnitzky, Dr., Ludwigshafen Roberta Colbertaldo, Universität Frankfurt am Main Christoph Cornelissen, Prof. Dr., Universität Frankfurt am Main Ludwig Fesenmeier, Prof. Dr., Universität Erlangen-Nürnberg Matteo Grassano, Dr., Università degli Studi di Bergamo Claudia Jacobi, Dr.habil., Privatdozentin, Universität Bonn Tabea Kretschmann, Dr., Universität Erlangen-Nürnberg Maria Lieber, Prof. Dr., Universität Dresden Christiane Liermann Traniello, Dr., Generalsekretärin der Villa Vigoni, Menaggio Christoph Oliver Mayer, Dr., Privatdozent, Universität Dresden Luca Mendrino, Dr., Università del Salento Frédéric Nicolosi, Dr., Universität Koblenz-Landau Christine Ott, Prof. Dr., Universität Frankfurt am Main Elisabeth Oy-Marra, Prof. Dr., Universität Mainz Giulia Perosa, Università degli Studi di Verona Volker Reinhardt, Prof. Dr., Universität Fribourg Magnus Ressel, Dr., Privatdozent, Universität Greifswald Christian Rivoletti, Prof. Dr., Universität Erlangen-Nürnberg Lena Schönwälder, Dr., Universität Frankfurt am Main Harro Stammerjohann, Prof. Dr., Frankfurt am Main Mareike Ullrich, Universität Frankfurt am Main Hermann H. Wetzel, Prof. Dr., Universität Regensburg 175 Stauffenburg Verlag GmbH Postfach 25 25 D-72015 Tübingen www.stauffenburg.de Folgt uns jetzt auf Instagram! @ stauffenburgverlag ZIBALDONE Zeitschrift für italienische Kultur der Gegenwart Herausgegeben von Thomas Bremer und Daniel Winkler Mein Name ist Bond - James Bond. Wer kennt ihn nicht, den unvergleichlichen MI6-Agenten mit der Lizenz zum Töten? Im neusten Kino-Abenteuer „No Time to Die“ ist er jetzt auch in Matera unterwegs! Grund genug, unsere Leserinnen und Leser noch einmal auf das tolle Themenheft „Matera und die Basilikata“ von Zibaldone hinzuweisen! 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Zum ersten Mal wird hier die Struktur der Rime spirituali erfasst, das theologische Gedankengut systematisch aufgearbeitet, und die Gedichte werden als Meditations- und Gebetstexte analysiert. Der Anhang der Arbeit bietet eine ausführliche Bibliografie sowie eine textkritische Teilausgabe der Rime mit deutscher Übersetzung und Variantenapparat. fliege, daniel E puro inchiostro il prezioso sangue Das Verhältnis von Petrarkismus und Evangelismus in den Rime spirituali von Vittoria Colonna (1546) 2021. xii, 560 Seiten, 40 Abbildungen. (Studia Romanica, Band 230) Geb. € 62,- isbn 978-3-8253-4873-1 Romanistik Theologie