Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
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2013
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttAldemaro Toni: Notizbuch der fünften Liebe. Prosastücke 1972-2002 / Taccuino del quinto amore. Racconti 1972-2002, italienisch-deutsch, ausgewählt, übersetzt u. mit einem Vorwort versehen von Christoph Ferber, Zürich: editionmevianpuorger 2011, 136 Seiten, € 12,-
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Sven Thorsten Kilian
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139 Kurzrezensionen Aldemaro Toni: Notizbuch der fünften Liebe. Prosastücke 1972 - 2002 / Taccuino del quinto amore. Racconti 1972 - 2002 , italienisch-deutsch, ausgewählt, übersetzt u. mit einem Vorwort versehen von Christoph Ferber, Zürich: editionmevinapuorger 2011, 136 Seiten, € 12,- Christoph Ferber macht mit seinen Übersetzungen dem deutschen Publikum weitgehend unbekannte, aber nicht uninteressante Autoren wie Aldemaro Toni oder Attilio Lolini zugänglich. Seine Übertragungen sind stilsicher; zudem bietet die vorliegende zweisprachige Ausgabe zu Aldemaro Toni dem Italienischkundigen jederzeit erhellende Vergleiche. Man könnte eine lange Reihe von Autoren anführen, um die Prosa des toskanischen Autors und Herausgebers der Kulturzeitschrift Erba d’Arno Aldemaro Toni, geb. 1935 in Fucecchio, in die Tradition einzureihen. Auch der Hinweis auf Boccaccio wäre nicht verfehlt, mit dem die Geschichte der europäischen Kurzprosa überhaupt ihren Anfang nimmt. Der Übersetzer Christoph Ferber erinnert in seinem Vorwort seinerseits an das Stilraffinement Flauberts, um Tonis Racconti zu charakterisieren, wobei dessen Frauenfiguren der früheren Erzählungen mehr noch als an Emma Bovary an die Félicité aus «Un cœur simple» denken lassen. Anders als bei Flaubert allerdings, der sich immerhin rund 30 Jahre lang mit seinem «Conte» befasste, erscheinen Tonis Momentaufnahmen totaler Insignifikanz selbst als Gelegenheitsprodukte. Ihnen eignet eine stilistische Unbefangenheit, die so reizvoll wie gelegentlich auch unbedeutend sein kann. Dabei ist unter den insgesamt zwölf hier versammelten Stücken eine deutliche Entwicklung thematischer und stilistischer Art auszumachen, die von den bestechend nüchternen Frauenportraits der siebziger Jahre bis zu den tagebuchartigen, introspektiven Fragmenten eines männlichen Diskurses des Altern reicht, die um die Jahrtausendwende entstanden sind. Beispielhaft für diese beiden Pole stehen die beiden Erzählungen «Franca» und «Die kleine Baracke/ La baracchina». Die Protagonistin des ersten Stücks lebt ein ereignisloses Leben in der Provinz, in dem einzig ein paar heimlich gerauchte Zigaretten eine gleichsam erotische Erregung bereithalten. Erst als der Vater erkrankt, ermöglichen die regelmäßigen Besuche im Florentiner Krankenhaus Franca ein gewisse Emanzipation, die in einem vagen Blickwechsel im Omnibus kulminiert. Doch diese Zusammenfassung geht selbstverständlich am Wesentlichen vorbei: Toni gelingt es hier auf engstem Raum, das kaum mehr darstellbare Sich-Abzeichnen einer Fluchtlinie zu evozieren, ähnlich wie dies etwa - unter völlig anderen literaturhistorischen Vorzeichen freilich - in Henry James’ Erzählung «In the Cage» der Fall ist. 2_IH_Italienisch_69.indd 139 2_IH_Italienisch_69.indd 139 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05 14 0 Kurzrezensionen «Die kleine Baracke» hingegen beschreibt den Rückzugsort eines Ich, das offenbar nur noch über das Papier kommuniziert. Es bleibt unklar, ob es mit seinem explizit erwähnten Schreiben auf den vorliegenden Text verweist oder auf einen anderen, eigentlichen. Literarische Selbstreflexion, Naturbetrachtung und Idylle gehen hier eine nicht unbedingt originelle Verbindung ein. Eindrucksvoll bleibt jedoch die scheinbare Hermetik des mikroskopischen Blicks. Aus der gewählten Einsamkeit scheint keine Rückkehr möglich, sondern nur die wiederholte Isolation bei wechselnden Jahreszeiten. Aldemaro Tonis Miniaturen arbeiten das Singuläre, das Unscheinbare in schlichter Sprache heraus. Sie sind ein Beitrag zur zeitgenössischen italienischen Kurzprosa, der zwar nicht immer durch stilistische Brillanz besticht; gleichwohl ergänzt die Lektüre sinnvoll das Bild von der vielgestaltigen literarischen Produktion des Landes. Sven Thorsten Kilian Nicolai Lilin: Storie sulla pelle . Torino: Einaudi 2012, 240 Seiten, € 19,- Ende 2012 ist Storie sulla pelle, der vierte Roman von Nicolai Lilin, erschienen. Lilin ist ein Abkömmling der Urki, einer sibirischen Verbrechergemeinschaft, deren kriminelle Aktivitäten sich hauptsächlich auf Raubüberfälle erstrecken. Nach der Vertreibung aus ihrer Heimat Sibirien haben sich die Urki in Transnistrien, einer Region Moldawiens, angesiedelt. Dort wird Lilin 1980 in der Stadt Bender geboren und wächst unter den sibirischen Kriminellen auf, die ihm nicht nur die Gesetze der Verbrechergemeinschaft, sondern auch die sibirische Kunst der Tätowierungen nahebringen. Diese kulturelle Praxis begeistert ihn so sehr, dass er selbst zu tätowieren beginnt. Nach der Adoleszenz führt Lilins Lebensweg zunächst von Transnistrien in den Tschetschenien-Krieg, ehe er für eine israelische Sicherheitsfirma als Personenschützer arbeitet. 2004 emigriert Lilin schließlich nach Italien, wo er heute in Mailand lebt. Mit der Migration nach Italien beginnt für Lilin ein neues Leben als Schriftsteller. Lilin schreibt seine Werke eigenständig auf Italienisch, ohne mit Co-Autoren zusammenzuarbeiten, wie dies andere transkulturelle Schriftsteller tun, man denke etwa an den Senegalesen Pap Khouma. Sein künstlerisches 2_IH_Italienisch_69.indd 140 2_IH_Italienisch_69.indd 140 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05
