eJournals Italienisch 35/69

Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
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2013
3569 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Tagungsbericht: "Il Convivio - Der Florentiner Dante verbannt an den Höfen Italiens"

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2013
Ximena Ordénez
ita35690148
14 8 Mitteilungen Der selbstironische Blick auf den Wert der Eigenleistung ist sicherlich ein Persönlichkeits-Merkmal, das unsere Erinnerung an den Kollegen und Freund Hartmut Köhler nachhaltig begleiten wird. Wir greifen daher gerne seine eigenen Worte auf und geben unserer Überzeugung Ausdruck, dass auch Hartmut Köhler nunmehr seinen Platz auf der Insel der Glückseligen gefunden hat. Vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade Dantes Commedia sein Lebenswerk beschließt. Hartmut Köhler hat seinen akademischen und persönlichen Weg eben mit Dante und dem Aufstieg in die Himmelssphären hin zur Rose der Seligen beendet, und wir dürfen davon ausgehen, dass der in der Commedia formulierte hohe ethische Anspruch, das Leben in Übereinstimmung mit der göttlichen Weltordnung zu führen, sinngemäß auch für seinen Übersetzer galt. Karl Hölz * Im Mai 2012 sprach Hartmut Köhler in der Deutsch-Italienischen Vereinigung e.V. über seine Übersetzung der Commedia. Das Gespräch ist in Italienisch 68, November 2012, S. 2 - 18, veröffentlicht. Dante-Tagung 2012 in Konstanz: «Geist und Geld» Vom 12. bis 14. Oktober 2012 fand im Ratssaal der Stadt Konstanz die 89. Jahrestagung der Deutschen Dante-Gesellschaft (DDG) statt, die am Freitag- Nachmittag mit einer Vernissage im BildungsTURM der Stadt Konstanz begann, wo die Ausstellung Dante & das irdische Jenseits - die Göttliche Komödie in malerischen Interpretationen mit Werken von Monika Beisner eröffnet wurde. Die eigentliche Jahrestagung wurde dann am Samstag-Morgen durch den Präsidenten der DDG, Winfried Wehle, feierlich eröffnet. Nach Grußworten von Oberbürgermeister Uli Burchardt, Magnifizenz Ulrich Rüdiger und dem italienischen Konsul aus Freiburg, Dott. Filippo Romano, sprach Frank-Rutger Hausmann (Freiburg) über: «Die Deutsche Dante-Gesellschaft im geteilten Deutschland». Darin zeichnete der Vortragende die Entstehungsgeschichte seines im April 2012 erschienenen gleichnamigen Buches nach und hob vier Aspekte hervor: Die Forschungslage, eine kurze Geschichte der DDG bis zum Zweiten Weltkrieg, ihr Schicksal im geteilten Deutschland und die Quellenlage zu seinem Buch samt den damit verbundenen Problemen. Danach sprach Thomas S. Hoffmann (Hagen) über «‹Il maladetto fiore›. Philosophie und Psychologie des Geldes bei Dante». Dante interessiere vor allem, was das Geld moralisch mit den Menschen mache, weshalb es bei ihm auch keine ökonomischen Vorstellungen vom Geld gebe. Diesen Grundgedanken verfolgte der Vortrag über eine Reihe von Dante-Passagen hinweg, 2_IH_Italienisch_69.indd 148 2_IH_Italienisch_69.indd 148 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05 14 9 Mitteilungen zeichne Dante doch die Habgierigen als ohne Individualität, den Zinsgewinn der Wucherer als Verstoß gegen die Ordnung der Natur, die Selbstzerstörung der Vergeuder als widernatürlich, und die Simonisten und Falschmünzer als Potenzierung der Habgier. Die gleiche Wirtschaftsfeindlichkeit zeige Dante auch in den anderen Jenseitsbereichen, wenn er etwa den fiorino d’oro, den Stolz von Florenz, als negativ einstufe, weil er die Lage des Volkes eher verschlechtere. Erst im 15. Jahrhundert (Bruni, Manetti) werde Reichtum positiv eingestuft, und vom ökonomischen Fortschritt spreche man erst im 18. Jahrhundert. Dantes Fortuna verteile Reichtum zufällig und undurchschaubar. So stehe das freiwillige Betteln, die franziskanische Tugend der Selbstdemütigung, Dante näher als heutige ökonomische Prinzipien. Am Nachmittag sprach Michael Schwarze (Konstanz) über: «‹Faccianli onore, ed esser può lor caro›. Zu einem merkantilen Argumentationsmuster der Commedia». Mit letzterem meinte Schwarze eine Analogie zum Geldtausch, nämlich den Austausch von Wissen, das den Ruf bzw. den «Marktwert» der Sprecher erhöhe. Gemeint seien Situationen, in denen Dante mit den Verstorbenen in der Commedia aushandle, ob und unter welchen Bedingungen sie Dante an ihrem Wissen teilhaben lassen. Dante wolle dabei die Identität eines Toten und den Grund für seine Bestrafung gerade dort wissen und biete im Gegenzug die Aufnahme in das Who is who? der Commedia, wodurch der Nachruf des Toten garantiert sei. Im Purgatorio werde daraus oft ein Tausch Information gegen positive Erwähnung mit bußverkürzender Wirkung, während er im Paradiso keine Rolle mehr spiele, da dort die Seelen schon alles besäßen. Nun tadle Dante zwar im Convivio Eigenlob, das ein solcher Handel natürlich impliziere, doch Dantes Wunsch nach Wissen ziele ja auf die Erkenntnis des göttlichen Strafsystems, und da sei Selbstdarstellung legitim. Aber mehr noch: Zum Teil spontan, d.h. als Vorausleistung für den erhofften Nutzen, zum Teil von Vergil mit dem Hinweis auf den zu erwartenden Lohn dazu aufgefordert (Purg. V, 36 - Teil des Vortragstitels), brächten die Seelen dem Dichter große Ehrerbietung und Vertrauen entgegen. Damit aber stilisiere sich Dante indirekt zu einer auctoritas, ohne es direkt für sich in Anspruch zu nehmen, denn eigentlich könne ja nur die spätere Rezeption einen Autor dazu erheben. Die aber gebe Dantes hier verstecktem Anspruch seit Boccaccio Recht. Im Anschluss sprach Cornelia Klettke (Potsdam) über: «Ökonomische Ethik. Die Abwägung irdischer und himmlischer Güter in Dantes Commedia». Nach einer Einleitung über das ethische Fundament der Commedia - die seit Thomas von Aquin mit den antiken Kardinaltugenden vereinten christlichen Tugenden fides, caritas und spes sowie die sieben Todsünden - leuchtete Frau Klettke den häufigen Gebrauch von «oro» und den selteneren von «danaro» / «denaro» und «moneta» in der Commedia aus. In allen Fällen zeigte sie eine 2_IH_Italienisch_69.indd 149 2_IH_Italienisch_69.indd 149 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05 150 Mitteilungen Vielzahl von Bedeutungsnuancen auf, die je nach Kontext positiv oder negativ sein konnten. Auf der kurz skizzierten mittelalterlichen Rechtsbasis für die Verurteilung von Zinsnahme («Wucher») als Verstoß gegen die göttliche Ordnung analysierte Frau Klettke dann Dantes Kritik an den Münzfälschern (die für ihn im übertragenen Sinne auch König Philipp den Schönen von Frankreich einschlossen: Par. XIX, 119), an den Simonisten, die kopfüber in einem Loch wie in einer «borsa» steckten, und an den Wucherern im eigentlichen Sinne, die mit ihrer «borsa» anonym und zugleich lächerlich wirkten wie die in Giottos Darstellungen in der Capella degli Scrovegni in Padua. Am Sonntagmorgen sprach Karin Westerwelle (Münster) über: «Kunst und Ethik. San Francesco und Dante». Nach einigen Bemerkungen zum Verhältnis zwischen Kunst und Ethik im Mittelalter zeigte die Vortragende anhand von Franziskus’ Testament und seiner Ordensregel zwei Dinge: Das von Gott selbst inspirierte Ideal höchster Armut, die im Jenseits zu den höchsten geistigen Gütern führe, und den von Gott eingegebenen «sermo humilis», der Franziskus’ Misstrauen gegenüber den gelehrten Interpretationen der Scholastik illustriere. Probleme seien in der Folgezeit bei der Auslegung der Ordensregel entstanden - sowohl was die von Franziskus abgelehnte Unterbringung der Mönche in Klöstern als auch was die ja nicht vorhandene Armut der Kirche betreffe, letzteres verstärkt ab 1320. Nach einer Kurzvita des 1228 heilig gesprochenen Franziskus schilderte Frau Westerwelle seine Rezeption: zwei Viten von Thomas von Celano (1228 / 9 und 1247) und als dritte die 1263 vom Generalkapitel angenommene Legenda maior des Bonaventura, die freudige Armut und Wissensfeindlichkeit als Hauptzüge des Heiligen zeichnete, sowie Giottos Fresko aus der Unterkirche von Assisi, wo Franziskus wie bei Dante (Par. XI, 74) die Armut heiratete. Es folgten einige Details von Dantes Franziskus-Porträt: eine an Persius (Sat. I, 1) orientierte Ablehnung allen Strebens nach weltlichen Dingen und die Zurückweisung von Wissen als Verfall, dem Dantes Aufstieg mit Beatrice als Folge der Loslösung von irdischen Dingen positiv gegenüberstehe. Beatrice sei daher neben der Armut und neben Maria ein drittes Ausstiegsmodell, das eine Spiritualität der Literatur meine, welche jedoch nicht der Armut des göttlichen Jenseits entspreche. In dieser Differenzierung trenne sich die religiöse Ethik von der Kunstanschauung Dantes. Nach der Lektüre von Paradiso XI durch Hartmut Köhler formulierte die Lectura Dantis dieses Gesangs durch Kai Nonnenmacher (Regensburg) eher bestimmte allgemeine Gedanken wie Dantes Rezeption in Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften (1940 - 43), Franziskus’ Schweigen in Par. XI als Bewertung im Armutsstreit der Zeit, den Aufbau des Paradiso, Dantes Aufnahme in den Reigen der Seligen, Thomas’ scholastische Argumentationsmuster und die Vagheit der Sprache als Ausdruck des Versagens der Kunst vor 2_IH_Italienisch_69.indd 150 2_IH_Italienisch_69.indd 150 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05 151 Mitteilungen Gott. Zum Abschluss rezitierte Valentina Pennacino aus Genua Paradiso XI in italienischer Sprache. Mit einem musikalischen Rahmenprogramm - Janine Firges (Gesang) und Sophie Nawara (Cembalo) trugen Arie antiche vor - und einem Stehempfang endete diese Jahrestagung, deren nächste vom 11. bis 13. Oktober 2013 in Krefeld stattfinden wird. Joachim Leeker Tagungsbericht: «Il Convivio - Der Florentiner Dante verbannt an den Höfen Italiens» In welchen sozial- und literarhistorischen Zusammenhängen entstand Dantes Convivio und wie färbten diese auf dieses erste im Exil entstandenes Traktat ab, das sind die Fragen, mit denen sich die Teilnehmer - Historiker, Philologen und Philosophiehistoriker - der vom 5. bis 7. Dezember 2012 in Göttingen abgehaltenen und vom DAAD finanzierten Tagung «Il Convivio - Der Florentiner Dante verbannt an den Höfen Italiens» auseinandersetzten. Die Tagung eröffnete ein Gespräch, das die Gastgeberin Franziska Meier (Göttingen) mit Marco Santagata (Pisa) über seine neuesten Veröffentlichungen (einerseits die literaturwissenschaftlich ausgerichtete Studie: L’io e il mondo, andererseits die im September erschienene Biographie: Dante. Il romanzo della sua vita) zu Dante führte. Darin stützt Santagata seine Deutung des Werks Dantes jeweils auf eine, soweit möglich, akribisch genaue Rekonstruktion der biographischen Stationen und Umfelder. Im Gespräch erläuterte er, dass die historischen Quellen sehr spärlich seien und man nach wie vor in vielen Fällen auf hypothetische Konstruktionen angewiesen sei. Auf den Spuren seines Kollegen Umberto Carpi plädierte er dafür, den Mut zu Hypothesen aufzubringen und sich auf diese Weise die konkreten Entstehungsbedingungen vorzustellen. Santagata verteidigte zudem sein Konzept einer für Dante spezifischen Schreibweise, die auf die jeweilige aktuelle Situation ausgerichtet sei. Sie präge auch die Commedia. Im einzelnen ging er noch auf die Gründe ein, die ihm eine Epilepsie plausibel erscheinen ließen; sie könnte auch Dantes ausgeprägtem Gefühl der Einzigartigkeit und des Erwähltseins zugrunde gelegen haben. Mit besonderer Freude, wie Santagata bekannte, habe er sich Dantes Frau Gemma angenommen, weil sie seit Boccaccio stets vernachlässigt worden sei. Allerdings seien auch hier die Rekonstruktionen natürlich spekulativ. An den zwei darauffolgenden Tagen ging es zuerst um die Rekonstruktion des sozialhistorischen Zusammenhangs und danach um den eher poetischen Kontext, in dem das Convivio entstand. Franziska Meier (Göttingen) 2_IH_Italienisch_69.indd 151 2_IH_Italienisch_69.indd 151 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05 152 Mitteilungen begann die Tagung mit einem Referat zu «Dante oder die Begründung der ‹auctoritas› des Dichters. Zur Rolle des Experten im Convivio». Darin suchte sie in einem ersten Durchlauf die gleichzeitig entstandenen Traktate Convivio und De Vulgari Eloquentia als parallele Antworten auf dieselben sozialhistorischen Herausforderungen zu lesen, auf die Dante im Exil eine Antwort finden musste. In einem zweiten Durchlauf analysierte sie die rhetorischen Strategien der Selbstdarstellung, mit denen sich Dante in den Traktaten inszenierte und über die er sich textuell als Exilanten soziale Anerkennung und Autorität zu gewinnen trachtete. In beiden Werken sieht Meier eine Art Dynamik am Werk, die schließlich zu einer Um- oder Neuorientierung führte und wohl auch zum Abbruch beider Werke. Gianmaria Varanini (Verona) trug unter dem Titel «Der Hof der Scaliger zur Dante-Zeit» die Ergebnisse seiner historiographischen Recherchen vor. Er warnte davor, weiterhin die Begriffe corte, ‹Mäzenatentum›, ‹Luxus› und ‹Ritualität› unreflektiert auf die Zeit um 1300 anzuwenden. Am Fall des Malers Pisanellos habe er vor längerem schon das problematische Vorgehen der Kunstgeschichte deutlich gemacht. Dasselbe gelte auch für Dante, der sich während des Exils mehrfach in Verona aufhielt. Nach Varanini gebe es zwischen sogenannter Hofwelt und Comune keine klare Trennlinie. Am Beispiel der Veroneser cancelleria verfolgte er im Detail die fließenden Übergänge: die Scaliger bedienten sich selbstverständlich der Rhetorik der Comune, ebenso hielten die ihnen untergebenen Juristen an ihr fest. Erst im Laufe des zweiten Jahrzehnts, unter anderem in Folge der von den Scaliger geführten Kriege, bildete sich die Welt der Signorie außerhalb der Comune aus. Danach referierte Gianfranco Fioravanti (Pisa) zu «Dante und die neue Aufgabe der Philosophie: Dem Adel erklären, was Adel ist». Nach den ersten drei Traktaten des Convivio, in denen Dante die Form der commendationes philosophiae wählt und gleichsam seine Visitenkarte vorlege, stelle er sich, so Fioravanti, im vierten Teil im Stile der Scholastik eine questio. Da die Definition der nobilitas noch nicht von angesehenen Universitätslehrern behandelt worden sei, nenne sich Dante den ersten, der das Problem endlich angemessen angehe. Sein Publikum wähle er bewusst unter den «principi, baroni, cavalieri, e molt’altra nobile gente, non solamente maschi ma femmine, che sono molti e molte in questa lingua, volgari, e non letterati» (Cv. I ix 5). Ihnen wolle er das kulturelle Werkzeug vermitteln, damit sie das, wozu sie bestimmt waren, werden konnten: die Säulen einer harmonischen, politischen und sozialen Ordnung. Fioravanti betonte, dass Dante den Adel im Convivio wieder zu seinen tugendhaften Anfängen zurückführen wollte. Der Traktat habe restaurativen Charakter. Dantes Absicht sei es obendrein, seinen Adressaten klarzumachen, dass gerechte Ordnung nur durch die Kooperation zwischen politischer Macht und den Intellektuellen herzustellen sei. 2_IH_Italienisch_69.indd 152 2_IH_Italienisch_69.indd 152 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05 153 Mitteilungen Enrica Zanin (Straßburg) betitelte ihr Referat «Zur Figur des Lesers im Convivio und in den Vernaculare-Traktaten der Dante-Zeit». Darin rekonstruierte sie die Rolle eines idealen Lesers, den die Kommentare gemeinhin annehmen. Aus dem Vergleich lässt sich nach Zanin erkennen, dass eine solche Leserrolle im Convivio destabilisiert wird. Denn einerseits wende sich Dante an ein breites Publikum, dem er Wissen und Philosophie weitervermitteln will, das heißt an passive, wenngleich wissensdurstige Leser. Andererseits setze er in der Wahl des Textkommentars einen aktiven Leser voraus, der in der Lage ist, den Text zu verstehen. An der Hand des Kommentators solle er, so Zanin, sogar eine eigene «Bekehrung» zur Philosophie erleben, allerdings werde die Aktivität des Lesers von Dante kontrolliert. Nach Zanin erweist sich der Pakt mit dem Leser im Convivio als paradox: Nicht nur sei der Leser aufgerufen, sich zum Denken Dantes zu bekehren, im Grunde werde von ihm auch verlangt, dass er sich längst zur Philosophie bekehrt habe, um die Kanzonen verstehen zu können. Insofern wecke das Convivio im Leser Erwartungen, die ständig enttäuscht würden. Darin spiegeln sich, so der Schluss Zanins, Dantes wachsende Bedenken wieder, wie sich seine Poesie im instabilen Kontext des Exils verstehen lasse. Der Beitrag von Serena Ferente (London) zum Thema «Die neue Sprache der Emotionen. Leidenschaften und Tugend in Dantes Convivio» stellte die Frage, inwiefern es auch im Convivio zu einer Aufwertung der Leidenschaften (passiones) im späten Mittelalter komme. Sie erinnerte zunächst an den Aufsatz von Erich Auerbach «Passio als Leidenschaft», der an Beispielen aus der Theologie und vor allem der Passionsmystik auf den engen Zusammenhang zwischen passio und Ekstase aufmerksam gemacht habe und daran eine positive Bewertung der passio belegte. Ferente ergänzte Auerbach um eine parallele Entwicklungslinie, die sie an der Aristoteles-Rezeption und insbesondere am Begriffsumgang von Thomas von Aquin nachzeichnete. Darin wird die passio als eine Bewegung der Seele aufgefasst. In dieser Linie, so Ferente, finde auch Dantes Convivio seinen Ort. Sie vermutet, dass Dantes Hauptquelle dafür Egidio Romanos Traktat De regimine principum und dessen volgarizzamenti waren. Denn auch da spiele die Rhetorik des Aristoteles, innerhalb der die Leidenschaften durchaus positiv verstanden werden, eine zentrale Rolle. Im Referat «Dante und die überlieferten Trobador-Handschriften: ein wichtiger Anknüpfungspunkt zwischen De Vulgari Eloquentia und Convivio» von Stefano Resconi (Mailand) ging es um die Frage, welche Quellen Dante zur Verfügung standen und inwiefern er im Exil noch andere kennenlernte. Resconi ließ sich einerseits von Dantes Hinweisen auf die Trobadore in De Vulgari Eloquentia und Convivio leiten, andererseits ging er von den uns heute bekannten Manuskripten aus der Toskana aus, deren Charakteristika er 2_IH_Italienisch_69.indd 153 2_IH_Italienisch_69.indd 153 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05 15 4 Mitteilungen bestimmte. Demnach gelangte die Trobador-Lyrik über Monferrato und Genua sowie über die Signoria der Malaspina, der eine Schlüsselrolle zukomme, in die Toskana. Zu den Besonderheiten der toskanischen Handschriften zähle, dass sie ausschließlich die lyrischen Texte festhielten und die vidas und razos meist getrennt von den Gedichten ansiedelten. Von dieser toskanischen Fährte unterschied Resconi klar die Überlieferung in der Po- Ebene um 1300, etwa in Treviso, wo Dante noch Trobadore womöglich ihre Dichtung hatte singen hören. Zuletzt überlegte Resconi, wie sich die herausragende Stellung Arnaut Daniels in der Commedia erklärte, die sich weder in den uns erhaltenen toskanischen Manuskripten noch in den frühen Texten Dantes ankündigte. Er führte den Wandel auf das veränderte Selbstbewusstsein des Dichters zurück, der in Arnaut Daniel nun den von einer Elite anerkannten Dichter des trobar clus zitiert. Darüber hinaus sei der Einfluss venezianischer Überlieferungen möglich, die in Bologna damals nachgewiesen seien. Es folgte das Referat von Mirko Tavoni (Pisa), das sich mit «Zeiten, Orte und Umstände der Abfassung von Convivio und De Vulgari Eloquentia» befasste. In seinem Beitrag setzte sich Tavoni kritisch mit der gerade bei Salerno Editrice erschienenen Ausgabe von De Vulgari Eloquentia auseinander, die Enrico Fenzi betreut hat. Am Ende erklärte er anhand einer tabellarischen Auflistung seine neue, nun fast auf den Monat genaue Datierung der einzelnen Teile der beiden Traktate. Sie stützt sich auf die Häufigkeit von Textparallelen und auf die historischen Ereignisse, die jeweils erwähnt werden. Demnach ist das vierte Traktat des Convivio zwischen Februar und Oktober 1306 verfasst worden. Unter dem Titel «Vor dem Buch. Die Kanzonen des Convivio im Zusammenhang der Lyrik-Traditionen» fragte Marco Grimaldi (Montpellier) polemisch, ob die Canzonen des Convivio tatsächlich schon zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, wie Dante andeutet, als Allegorien der Philosophie gedichtet wurden oder ob die allegorische Bedeutung nicht doch erst später, nämlich im Kommentar, hinzukam. Am Beispiel der beiden ersten Canzonen führte er eindrücklich vor, daß sich viele der für die Allegorie bezeichnenden Stellen in der zeitgenössischen Lyrik wiederfinden und keineswegs auf eine allegorische Schreibweise hinweisen. In dem Kommentar zu den Rime Dantes, den Marco Grimaldi für Salerno Editrice verfasst, wird er denn auch die Canzonen des Convivio in dieser doppelten Erscheinung wiedergeben, also als Canzoni, die ohne philosophischen Hintersinn entstanden, und als vom Dichter selbst gedeutete Gedichte. Im Vortrag «Techniken des Selbst: Das Convivio als Schreibarbeit zwischen ‹biografia storica› und ‹biografia fittizia›» wandte sich Matthias Roick (Wolfenbüttel) der Frage nach der Bedeutung der Ethik im Convivio und 2_IH_Italienisch_69.indd 154 2_IH_Italienisch_69.indd 154 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05 155 Mitteilungen darüber hinaus ihrer Bedeutung für Dante als Kommentator zu. Die zentrale Bedeutung der Ethik sei, so Roick, längst in der Forschung wahrgenommen worden. Er erinnerte insbesondere an die Hochschätzung der Moralphilosophie im Traktat, die über alle anderen Wissenschaften gestellt werde, sowie an den Ehrgeiz Dantes, mit seinem Schreiben konkret in die Diskussionen einer sich stark verändernden, aus moralischer und politischer Sicht instabilen Gesellschaft einzugreifen, wenn nicht sogar sie zu lenken. Insofern sei das Convivio der Wissenschaft der Moralphilosophie und (vor allem im vierten Buch) der Sonderform der Ermahnung, des Protreptikos zuzuordnen. Roick stellte die These auf, dass es darüber hinaus noch eine bisher übersehene dritte Funktion von Ethik gebe. Skizzenhaft legte er dar, dass der Kommentar der Canzonen, die enzyklopädische Arbeit am philosophischen Wissen und schließlich die aktive Umsetzung philosophischer Verfahren bei der Definition von nobilitas auch als Schreibarbeit im Sinne von Foucaults Techniken des Selbst gelesen werden könnten. Den Abschluss bildete das Referat von Andrea Zorzi (Florenz) über «Dante und die Politik im Italien der Comunen und der Signorien um 1300». Ähnlich wie Varanini betonte Zorzi, dass die jüngeren historiographischen Forschungen die altbekannte Unterscheidung zwischen Comune und Signorie hinfällig gemacht hätten. Es sei falsch, von einer Krise der Comune um 1300 zu sprechen, vielmehr wirkten ganz unterschiedliche Formen und Kräfte bei der Suche nach einer stabilen und gerechten Regierungsform in Italien zusammen. Dantes politischer Biographie sei denn auch der Nimbus der Singularität abzusprechen. In Florenz habe er nichts anderes gemacht, als am politischen Leben teilzunehmen. Von einem impegno politico zu sprechen, hält Zorzi daher für abwegig. Darüber hinaus zeigten die juristischen Praktiken der Zeit, dass Dantes Verbannung ebenso wie seine Versuche, im Kreis der bianchi und später allein nach Florenz zurückzukehren, typisch seien. Einen besonderen Akzent legte Zorzi auf die bei Dante seit 1304 in Briefen und im Convivio anzutreffenden Überlegungen zum bene comune und der Notwendigkeit des Friedens. Er schloss mit einem Ausblick auf das, was er die mutazione signorile im Laufe des zweiten Jahrzehnts nannte. In Dantes politischen Schwankungen zwischen Comune und Signorie, zwischen Guelfen und Ghibellinen spiegele sich die tatsächliche schillernde Nähe von Positionen und Formen wider, die von der Geschichtsschreibung später fälsch polarisiert worden seien. Ximena Ordónez 2_IH_Italienisch_69.indd 155 2_IH_Italienisch_69.indd 155 23.04.13 16: 05 23.04.13 16: 05