eJournals Italienisch 35/70

Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2013
3570 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Die unsäglichen spaghetti (alla) bolognese

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2013
Edgar Radtke
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102 Sprachecke Italienisch Die Rubrik «Sprachecke Italienisch» stellt aktuelle Probleme und Tendenzen des Gegenwartsitalienischen vor und befasst sich mit Normierungsschwankungen, grammatischen Unsicherheiten, Neubildungen u.a. Dabei sollen möglichst auch Anfragen und Anregungen aus dem Leserkreis aufgegriffen werden, die die Dynamik des Gegenwartsitalienischen als «lingua […] in forte ebollizione» (F. Sabatini) präsentieren. Verantwortlich für die «Sprachecke Italienisch» ist Prof.Dr. Edgar Radtke (Universität Heidelberg): edgar.radtke@rose.uni-heidelberg.de. Die unsäglichen spaghetti (alla) bolognese Allen denjenigen, die der italienischen Gastronomie zusprechen, wird auffallen, dass deutsche und auch französische Speisekarten in der Diaspora der italienischen Gastronomie unentwegt die spaghetti alla bolognese aufführen, während in Italien selbst dieser Migrationsklassiker äußerst selten anzutreffen ist. Im Rahmen der Internationalisierung hat sich das Gericht zu einem Internationalismus gewandelt, dessen Selbstständigkeit noch durch sprachlich informelle Weiterentwicklungen wie dt. Spaghetti bolo unterstrichen wird, was anthropologisch unter fakelore zu subsumieren ist. Aus heutiger Sicht definiert sich spaghetti alla bolognese als eine Pasta mit einer Hackfleischsauce mit verkochten Tomaten im Speisenangebot außerhalb Italiens. Das Produkt ist in dieser Form aber in Italien gar nicht anzutreffen, man sagt dort allenfalls spaghetti al ragù: Pellegrino Artusi, La scienza in cucina e l’arte di mangiar bene (1891 und früher) als Leitfaden der gastronomischen nationalen Einheit im Rückgriff auf regionale Küche kennt den Terminus nicht, er verweist vielmehr auf die tartufi alla bolognese. Dies wird erst recht plausibel, wenn man bedenkt, dass Spaghetti ursprünglich nicht in Nord- und Mittelitalien beheimatet sind. Silvano Serventi / Françoise Sabban, La pasta. Storia e cultura di un cibo universale, Roma Bari: Laterza 2000, bestätigen, dass Bologna seit dem 19. Jahrhundert als Zentrum für Eierteigwaren fungiert. Somit spricht man heute von tagliatelle al ragù, eigentlich ragù alla bolognese. Man könnte vermuten, dass spaghetti alla bolognese einen Beitrag zur italienischen Einigung darstellen sollten, bei der ein süditalienischer Begriff panitalienisch Verbreitung findet. Allerdings stehen dem gewichtige Argumente gegenüber: 2_IH_Italienisch_70.indd 102 30.10.13 09: 25 103 Edgar Radtke Sprachecke Italienisch Wenn man als typisch süditalienische Pasta-Form spaghetti aufführt, entspricht dies nicht den Erwartungen. Vielmehr würde man für eine süditalienische Pasta eher an Maccaroni, maccarune denken. Von daher ist spaghetti alla bolognese eher eine hybride, künstliche Realisierung. Die Accademia Italiana della Cucina verzeichnet ragù alla bolognese mit Verweis auf die Emilia Romagna, wobei Wert darauf gelegt wird, dass das ragù aus polpa di manzo langsam stundenlang köchelt. Der raù ist im Übrigen im Neapolitanischen eine lang köchelnde Tomatensauce, wie aus dem berühmten Gedicht gleichen Namens von Edoardo de Filippo national verbreitet wurde. Für die Pseudoitalianisierung von spaghetti alla bolognese spricht im Übrigen die Aufnahme von Spaghetti - Spagetti in den Duden online, mit dem Beispiel «Spaghetti bolognese». Von daher könnte man geradezu von einem Pseudoitalianismus im Deutschen sprechen. Neben der internationalen Verbreitung von Pizza, Carpaccio u.a. liegt mit spaghetti alla bolognese eine Kreation außerhalb Italiens zugrunde, die sicherlich nicht als ein nationales italienisches Gericht gelten kann. Edgar Radtke 2_IH_Italienisch_70.indd 103 30.10.13 09: 25