Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
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2013
3570
Fesenmeier Föcking Krefeld OttMut zur Lyrik - Kompetenzorientierte Zugänge zur Lyrik im Italienischunterricht
121
2013
Stephanie Nonn
Ottavio Saviano
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10 4 ST E P H A N I E N O N N / OTTAV I O S AV I A N O Mut zur Lyrik - Kompetenzorientierte Zugänge zur Lyrik im Italienischunterricht 1. Gedichte im Italienischunterricht Der Blick in die Italienischlehrbücher und eine kritische Reflexion der eigenen Unterrichtspraxis zeigen: Im Italienischunterricht werden Gedichte im klassischen Sinn eher selten eingesetzt - wenn man von der Behandlung von canzoni einmal absieht - und gelten als nicht ganz einfacher Unterrichtsgegenstand. Auch bei Schülerinnen und Schülern 1 lösen sie je nach ihren Erfahrungen mit Lyrikinterpretationen in anderen Fächern mitunter Abwehr aus. Und doch weisen lyrische Texte Merkmale auf, die eine besondere didaktische Relevanz haben und durch die sie sich vom ersten Lernjahr an als geeignete authentische Texte erweisen. Hinzu kommt, dass Lyrik eine zentrale Gattung der italienischen Literatur ist, für die nicht zuletzt drei italienischen Dichtern im 20. Jahrhundert der Nobelpreis zugesprochen wurde: Giosue Carducci (1906), Salvatore Quasimodo (1959) und Eugenio Montale (1975). 2. Didaktische Relevanz Gedichte zeichnen sich durch ihre relative Kürze, Verdichtung, Bildhaftigkeit, Musikalität, Subjektivität und ihre Bedeutungsoffenheit aus. 2 Diese Merkmale begünstigen den Einsatz im Unterricht. Gedichte sind gewöhnlich kürzer als Prosatexte. Sie müssen nicht für den Einsatz im Unterricht gekürzt werden und zeigen, dass mit wenigen Worten viel gesagt werden kann. Auch die gedankliche Verdichtung erweist sich als ein Vorteil: Lyrische Texte vermitteln oft nur eine Zusammenfassung von Problemen und Erlebnissen, sie fordern daher geradezu zur Interpretation und Reflexion heraus. Kennzeichnend für Lyrik ist die Verwendung bildhafter Sprache, wie Metaphern und Vergleiche. Diese sind Schülern häufig gut zugänglich und entwickeln zudem deren Gespür für metaphorische und symbolische Ausdrucksweisen. Ein weiterer Aspekt ist die Musikalität lyrischer Texte. Gedichte wirken vor allem durch ihre klanglichen und rhythmischen Effekte und lassen sich somit insbesondere im Fremdsprachenunterricht in vielfältiger Weise nutzen. In Bezug auf die Interpretation lyrischer Texte sind sowohl die Subjektivität als auch die Bedeutungsoffenheit von Gedichten im Unterricht sehr hilfreich. Gedichte geben häufig Einblick in die subjektive Lebenserfahrung eines lyrischen Ich. Sie können daher zum Fremdverstehen der Schüler beitragen und die Auseinandersetzung mit der eigenen und fremden Subjektivität 2_IH_Italienisch_70.indd 104 30.10.13 09: 25 105 Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Mut zur Lyrik bewirken. Die Bedeutungsoffenheit, die sich aus der Bildhaftigkeit ergibt, fordert die Schüler zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Text auf. Da Gedichte nicht immer leicht zu verstehen sind, animieren sie die Schüler dazu, eigene Überlegungen einzubringen. Dies fordert die Schüler zur kreativen, produktionsorientierten Arbeit heraus, um den Sinn des Textes zu erschließen. 3. Geförderte Kompetenzen Die Arbeit mit Gedichten fördert zahlreiche Kompetenzen, wie das mündliche Vortragen, die Verstehenskompetenz (das Textverständnis und die damit verbundene Akzeptanz von Mehrdeutigkeit), die Schreibkompetenz in poetischer wie analytischer Hinsicht, die interkulturelle Kompetenz, sowie einen kreativen und analytischen Umgang mit Gedichten. Der kreative Umgang mit Texten und das Schreiben eigener Gedichte eröffnen den Schülern die Chance zur Selbstdarstellung. Kreative Verfahren ermöglichen eine eher subjektive, imaginative und emotionale Auseinandersetzung mit Texten. Analytische Zugangsformen, also die Erschließung von inhaltlichen, sprachlichen und formalen Merkmalen, tragen zur selbstständigen Entschlüsselung des Gedichtes bei und fördern die Auseinandersetzung mit literarischen Darstellungsverfahren. Zu berücksichtigen ist dabei, dass unterschiedliche Deutungen zugelassen werden sollten. Die Herangehensweisen sind abhängig von Inhalt und Form des Gedichts. Denkbar ist u.a. assoziative Wortfeldarbeit ausgehend vom Titel zur lexikalischen Vorentlastung, das Sammeln von Titelvorschlägen durch Schüler als Interpretationszugang, die Analyse der Kommunikationssituation durch Fragen nach dem Sprecher, Adressaten und nach der Situation, die Analyse formaler und sprachlicher Aspekte wie Reim, Metrum und Bildlichkeit unter Bezugnahme auf den Inhalt, sowie die Erarbeitung des historischen Kontextes und / oder der Biographie des Autors, der Entstehungsbedingungen und der Wirkung des Gedichtes. 4. Handlungs- und produktionsorientierte Methoden im Umgang mit Gedichten 1. Rezitation: Die Schüler erschließen Stimmung und Sinn des Gedichts, indem sie verschiedene Vortragsweisen ausprobieren. 2. Titelhypothese 1: Schüler erhalten nur den Titel des Gedichtes und erstellen einen Ideenstern mit Hypothesen zum Inhalt. Zugleich Wortfeldarbeit zur Vorentlastung des Textes. 2_IH_Italienisch_70.indd 105 30.10.13 09: 25 106 Mut zur Lyrik Stephanie Nonn / Ottavio Saviano 3. Titelhypothese 2: Schüler erhalten das Gedicht ohne Titel und betiteln den Text selbst; anschließend erfolgt ein Vergleich mit dem Originaltitel; die Ergebnisse können für die Interpretation nutzbar gemacht werden. 4. Lückentext: Das Gedicht wird als Lückentext präsentiert; Schüler füllen Lücken eigenständig oder mit Hilfe eines Wortspeichers aus. 5. Gedichtpuzzle: Das Gedicht wird versweise zerschnitten; Schüler bringen die Verse in die richtige Reihenfolge. 6. Fließtext: Das Gedicht wird als Fließtext vorgelegt; Schüler erkennen Versgrenzen erkennen und rekonstruieren Gedicht. 7. Versfortsetzungen: Die Anfänge jedes Verses werden präsentiert; Schüler vervollständigen Verse (ggf. mit weiteren Vorgaben bzgl. Verslänge; Reimschema). 8. Text-Bild-Zuordnungen: Schüler wählen aus verschiedenen Bildern ein zum Gedicht passendes aus und begründen ihre Wahl. 9. Zeichnen: Schüler stellen ein Gedicht zeichnerisch dar oder illustrieren es. 10. Vertonen: Schüler suchen (ggf. komponieren) die passende Musik zu einem Gedicht. 11. Parallelgedicht: Schüler verfassen ein eigenes Gedicht zum gleichen Thema (ggf. mit weiteren Vorgaben). 12. Umschreiben in andere Textsorte: Schüler formen Gedicht in eine andere Textsorte um, z.B. in eine Kurzgeschichte. 13. Antworttext: Schüler verfassen einen Antworttext an das lyrische Ich. 2_IH_Italienisch_70.indd 106 30.10.13 09: 25 107 Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Mut zur Lyrik 14. Standbild/ szenische Interpretation: Schüler stellen Gedicht in einem Standbild oder szenisch dar. 15. Übersetzen: Schüler übertragen ein Gedicht in die Muttersprache (dabei ist zu beachten, dass eine wirkungsgerechte Rekodierung vielmehr als die wörtliche Übersetzung des Textes anzustreben ist). 16. Elfchen: Ziel: Schüler gestalten lyrische Kurzform zu einem Thema nach vorgegebener Form. Sozialform/ Zeit: EA oder PA / 10-20 Min. Durchführung: Einzeln oder im Reihum-Verfahren schreiben Schüler ein Gedicht mit elf Wörtern (Elfchen). Die meisten Schüler kennen das Verfahren aus dem Deutschunterricht. Folgende Regeln sind für die Textgestaltung vorgegeben: 1. Zeile: ein Wort, Farbe oder Eigenschaft (Adjektiv) 2. Zeile: zwei Wörter, Substantiv, das zum ersten Wort passt 3. Zeile: drei Wörter, Aussage über Gegenstand oder Lebewesen 4. Zeile: vier Wörter, Weiterführung; Aussage über das Bisherige 5. Zeile: ein Wort, Pointe, Zusammenfassung der bisherigen Aussagen 17. Haiku: Ziel: Schüler treffen eine Aussage in pointierter lyrischer Form. Sozialform/ Zeit: EA / 10-15 Min. Durchführung: Der Haiku ist eine aus Japan stammende Gedichtform, die aus drei Zeilen und insgesamt 17 Silben besteht. In der japanischen Tradition bringen Haikus Naturerscheinungen zur Sprache, die dann mit etwas anderem konfrontiert werden. Die meisten Schüler kennen den Haiku aus dem Deutschunterricht. Die formale Vorgabe der Silben kann ggf. zur Hinführung auf die italienische Metrik genutzt werden. 1. Vers: 5 Silben 2. Vers: 7 Silben 3. Vers: 5 Silben Zunächst wird den Schülern die Form des Haiku erklärt. Die Schüler notieren dann die gewünschte Aussage zunächst in mehreren Sätzen. Diese wird dann mit Hilfe der Haiku-Vorgaben verdichtet und in Form gebracht. 18. Rondell: Ziel: Schüler äußern sich persönlich in einer einfach zu handhabenden lyrischen Form. In einem formalisierten Verfahren verteilen sie ihre Aussage auf acht Zeilen und wiederholen dabei mehrfach die Kernaussage. 2_IH_Italienisch_70.indd 107 30.10.13 09: 25 108 Mut zur Lyrik Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Sozialform/ Zeit: EA / 10-15 Min. Durchführung: Rondelle waren vom 13. bis zum 15. Jhd. in Frankreich verbreitete Rundtanz- und Reigenlieder mit einem Refrain, wobei dieser vermutlich von einem Chor und der Rest von einem Vorsänger vorgetragen wurde. Die Schüler gehen von einer persönlichen Grundaussage aus und folgen bei der Ausgestaltung dann den folgenden Anregungen: - Wähle ein für dich wichtiges Thema und verfasse dazu ein Gedicht in 8 Versen. - Schreibe einen kurzen Satz zu diesem Thema, der deine Meinung treffend zum Ausdruck bringt. Schreibe diesen Satz drei Mal, und zwar in die Verse 1, 4, 7. - Führe deine Gedanken in einem weiteren kurzen Satz fort. Schreibe diesen Satz in die Verse 2 und 8. - Schreibe weitere verschiedene Aussagen zum Thema, die deiner Meinung entsprechen, in V. 3, 5 und 6. 19. Ideenstern-Lyrik: Ziel: Schüler erarbeiten in einem kreativen Verfahren einen lyrischen Text. Sie nutzen assoziative Brücken, um zu einem gemeinsamen oder individuellen Thema eine Gedichtaussage zu treffen. Sozialform/ Zeit: GA/ EA / 45 - 90 Min. Material: große Blätter und Filzstifte Durchführung: Schüler setzen sich in 4er Gruppen um einen Tisch und schreiben in die Mitte eines großen Blattes das gewählte Thema eines Gruppenmitgliedes. Jeder Schüler schreibt ausgehend vom zentralen Wort eine Assoziationskette Richtung Rand. Nach einer festgesetzten Zeit wird das Blatt im Uhrzeigersinn um 90 Grad gedreht. Der nun lesbare Stichwortstrahl wird zur Kenntnis genommen und fortgesetzt. Ist das Blatt nahezu vollgeschrieben, wird für den zweiten Schüler dasselbe Verfahren durchgeführt, bis für jeden in der 4er Gruppe ein Blatt beschriftet worden ist. Jeder nimmt nun sein Blatt, schreibt interessante Gedanken vom Ideenstern ab und macht Kombinationsproben, die er schließlich in einer lyrischen Form anordnet. 5. Lyriker des 20. Jahrhunderts im Italienischunterricht am Beispiel von Giorgio Caproni Giorgio Caproni (1912-1990) gehört zu den wichtigsten italienischen Lyrikern des 20. Jahrhunderts, auch wenn er von der Kritik erst gegen Ende seines Lebens als solcher gewürdigt wurde. 3 Er ist aus vielfachen Gründen ein interessanter Autor für den Italienischunterricht: Seine Gedichte zeigen eine 2_IH_Italienisch_70.indd 108 30.10.13 09: 25 109 Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Mut zur Lyrik zugängliche Sprache bei inhaltlicher Komplexität und ermöglichen es den Unterrichtenden verschiedene thematische Schwerpunkte zu setzen. So lassen sich Gedichte zusammenstellen, in denen z.B. die vier Elemente (Wasser, Luft, Erde, Feuer), 4 die Jagd, die Suche nach Gott 5 oder Gedichte für geliebte Menschen im Mittelpunkt stehen. 6 Im Folgenden stellen wir jeweils ein Gedicht vor, das Caproni seinem Sohn bzw. seinem verstorbenen Bruder gewidmet hat. Die Vorschläge für die unterrichtliche Verwendung folgen dem Prinzip der pre-reading, while-reading und post-reading activities. (Die vollständigen Gedichte sind im Anhang dieses Beitrags abgedruckt.) I. A mio figlio Attilio Mauro che ha il nome di mio padre Zentrales Thema dieses melancholischen Gedichtes, in dem Autor und lyrisches Ich identisch sind, ist die menschliche Vergänglichkeit mit besonderem Blick auf den Lebenskreislauf, der durch das Vater-Sohn-Verhältnis beleuchtet wird. Durch die Auseinandersetzung mit diesem Text beschäftigen die Schüler sich mit einer unmittelbar einsichtigen, zentralen Grundfrage menschlichen Lebens. Pre-reading activities Titelhypothesen Die Schüler stellen Hypothesen zu Inhalt und Stimmung des Gedichtes auf, indem sie in Partnerarbeit einen Ideenstern anlegen. Nach zehn Minuten tauschen sie ihren Ideenstern mit einem Lernpaar aus. Die Ideensterne werden wechselseitig erweitert und gehen zurück an das Ausgangspaar. Je nach Leistungsstärke haben die Schüler dazu ein Wörterbuch zur Verfügung. Auf diese Weise nähern sie sich thematisch möglichen Aspekten eines Vater-Sohn-Verhältnisses und aktivieren bzw. erweitern themenspezifisches Vokabular. Nach Abschluss der beiden nachstehenden textanalystischen Aufgaben sollte auf die hier formulierten Hypothesen Rückbezug genommen werden, um diese zu verifizieren bzw. zu falsifizieren. Rezitation und Vertonung Zur Vorentlastung der textanalytischen Arbeit erhalten die Schüler zur Vorbereitung auf die nächste Stunde das Gedicht mit der Aufgabe, dieses mehrfach laut zu lesen und eine geeignete Musik auszuwählen, die die zunächst empfundene Stimmung widerspiegelt. Auf diese Weise steht der Genuss des literarischen Textes vor der Analyse im Vordergrund. Das Zusammenspiel von Musik und Text ist eine erste Form der Interpretation, bei der für das vorliegende Gedicht die melancholische Grundstimmung herausgearbeitet werden sollte. 2_IH_Italienisch_70.indd 109 30.10.13 09: 25 110 Mut zur Lyrik Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Zu Beginn der Stunde tragen die Schüler sich zunächst in Partnerarbeit das Gedicht vor und rezitieren anschließend exemplarisch Musik-Text-Kombinationen. While-reading activities Zur Erarbeitung der analytischen Aufgaben bietet es sich ggf. an, die Form der Partner- oder Kleingruppenarbeit fortzusetzen, da auf diese Weise Vorbehalte der Schüler gegen eine Auseinandersetzung mit lyrischen Texten am ehesten aufgebrochen werden können. Je nach Lerngruppe können die Ergebnisse durch bestimmte Formen der Visualisierung (z.B. Lesebaum) vorstrukturiert werden. Unabhängig von dieser individuell zu treffenden Methodenauswahl sollten die Schüler erkennen, dass Caproni die Struktur des Lebenskreislaufes ohne Anfang und Ende auf den Ebenen der Lexik, Rhetorik und des Stils zum Ausdruck bringt. So fällt im Bereich der Lexik die Wiederholung des Substantivs futuro in den Versen 3 und 18 ins Auge. Diese Zukunft materialisiert sich inhaltlich dadurch, dass der Sohn den Namen des Großvaters trägt und dazu aufgefordert wird, den eigenen Vater an der Hand zu nehmen um ihn am Ende des Lebensweges zu begleiten. Auf stilistischer Ebene findet sich die Struktur des Lebenskreislaufes durch die enge sprachliche Verknüpfung der einzelnen Strophen wieder. Dazu verknüpft der Autor jeweils das letzte Wort einer Strophe mit dem ersten Wort der Folgestrophe mit einem Reim (vgl. erba / Serba; trema / Rema). Durch die gleichzeitig stattfindende Versverkürzung am Ende einer jeden Strophe, die durch den Versbeginn der Folgestrophe aufgehoben wird, wird der zyklische Charakter des Lebens augen- und sinnfällig. Die gleiche Wirkung erzielt Caproni durch die für ihn charakteristische Verwendung von Enjambements. Im Bereich der semantischen Analyse gilt es, den Blick der Schüler für die im Gedicht dargestellte Körperlichkeit (mano, profilo, occhi, cuore) und deren Verfall (inclino, mi trema, Dedizione) zu schärfen. Post-reading activities Antworttexte und Elfchen Im Anschluss an die kognitiv-textanalytische Arbeit mit dem Text setzen die Schüler sich in produktionsorientierter Form mit dem Gedicht und seiner Thematik auseinander. Dabei vertiefen sie einerseits thematische Aspekte, indem sie diese auf ihre eigene Lebenswirklichkeit beziehen und andererseits lexikalische Kompetenzen. Denkbar sind hier das Verfassen eines Antwortbriefes des Sohnes an den Vater oder die Entwicklung eines Elfchens über den Vater oder ein anderes Familienmitglied. 2_IH_Italienisch_70.indd 110 30.10.13 09: 25 111 Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Mut zur Lyrik II. Atque in perpetuum, frater… Gegenstand dieses ebenfalls von einer melancholisch-trauernden Grundstimmung getragenen Gedichtes ist die Hommage des lyrischen Ichs, das auch hier identisch ist mit dem Autor, an seinen verstorbenen Bruder. Wie bereits der Titel deutlich macht, stellt Caproni sich damit in eine literarische Tradition mit so bedeutenden Dichtern wie Catull oder Ugo Foscolo. Mit der Trauer um einen geliebten Menschen wird ein auch für junge Menschen zentraler Aspekt des menschlichen Daseins im Fremdsprachenunterricht thematisiert. Pre-reading activities Titelhypothesen und Rezitation Einen ersten Zugang zu diesem Gedicht könnten sich die Schüler auch hier durch Titelhypothesen verschaffen - jedoch indem sie den Text zunächst ohne Titel erhalten und nach einer ersten Lektüre die Frage beantworten, an wen sich das lyrische Ich wendet, um anschließend Titelvorschläge zu formulieren. (A chi si rivolge l’io lirico in questa poesia? / Date un titolo alla poesia, tenendo presente a chi si rivolge l’io lirico nel testo.). Eine alternative Erstbegegnung mit dem Text könnte in der Rezitation des Gedichtes sein, in deren Anschluss die Schüler die melancholisch-trauernden Verfassung des lyrischen Ichs und dessen Schmerz erkennen, die bereits bei der ersten Lektüre wahrzunehmen ist. While-reading activities Bei der textanalytischen Auseinandersetzung sollte der Blick der Schüler - bei individueller methodischer Auswahl - auf das auch in diesem Gedicht auftretende stilistische Mittel des Enjambements gelenkt werden, auf das semantische Wortfeld des Winters sowie auf die Art und Funktion der Reime. Durch die Verwendung dieser sprachlichen Besonderheiten wird der Trauer des lyrischen Ichs um den geliebten Bruder auf unterschiedlichen Ebenen Ausdruck verliehen. Im Gegensatz zu dem zuerst vorgestellten Gedicht wird durch die Enjambements in diesem Text der Rhythmus immer wieder - ähnlich wie beim Weinen - unterbrochen, was die Trauer des lyrischen Ichs evident macht. Zudem wird durch das Enjambement im letzten Vers (vero / amico) das Adjektiv in besonderer Weise hervorgehoben. Auf semantischer Ebene spiegeln sich Tod, Trauer und Verlassenheit im Wortfeld des Winters wider (neve - gelo - neve bianca di febbraio). Bei der formalen Untersuchung des insgesamt reimlosen Gedichtes springt der einzelne Reim addio - io - mio hervor, bei dem signifikanter Weise der sich sprachlich wie thematisch anbietende Reim Dio fehlt. Durch das Fehlen Gottes als Tröster und Lenker des Weltgeschehens am Ende des 2_IH_Italienisch_70.indd 111 30.10.13 09: 25 112 Mut zur Lyrik Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Gedichtes wird die Verzweiflung und Trauer des lyrischen Ichs zugespitzt, das allein zurückbleibt. Post-reading activities Fächerübergreifender Textvergleich und Zeichnen Zur Vertiefung der Ergebnisse bietet sich ein Vergleich mit Ugo Foscolos Sonett In morte del fratello Giovanni an oder auch ein fächerübergreifendes Arbeiten mit dem Fach Latein durch den Vergleich mit Catulls Gedicht Multas per gentes et multa per aequora vectus. Dazu sollten zunächst rückblickend noch einmal die Titelhypothesen der Schüler betrachtet werden, bevor die Schüler den tatsächlichen Titel des Gedichtes erfahren. Eine produktionsorientierte Form der Ergebnisvertiefung kann durch das Malen oder Auswählen eines Bildes erfolgen, das die erarbeitete Stimmung und zentrale Aussage des Gedichtes widerspiegelt. 2_IH_Italienisch_70.indd 112 30.10.13 09: 25 113 Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Mut zur Lyrik Anhang I. Giorgio Caproni: A mio figlio Attilio Mauro che ha il nome di mio padre Portami con te lontano … lontano… nel tuo futuro. Diventa mio padre, portami per la mano dov’è diretto sicuro il tuo passo d’Irlanda l’arpa del tuo profilo biondo, alto già più di me che inclino già verso l’erba. Serba di me questo ricordo vano che scrivo mentre la mano mi trema. Rema con me negli occhi al largo del tuo futuro, mentre odo (non odio) abbrunato il sordo battito del tamburo che rulla - come il mio cuore: in nome di nulla - la Dedizione (aus der Sammlung Il muro della terra, 1964-1975) 2_IH_Italienisch_70.indd 113 30.10.13 09: 25 114 Mut zur Lyrik Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Note : l’arpa = Harfe inclinare = neigen serbare = behalten vano = eitel, vergeblich, unnütz remare = rudern abbrunare = verdunkeln rullare = wirbeln la Dedizione = hier: Kapitulation (Anmerkung des Autors) Compiti: 1) Cercate un accompagnamento musicale adatto per la poesia. Poi recitatela, facendo particolare attenzione all’interazione tra il testo e la musica. 2) Individuate gli strumenti lessicali, retorici e stilistici con cui il poeta mette a fuoco il tema della ciclicità della vita. 3) Analizzate i campi semantici rilevanti in questa poesia. 4) Componete (in prosa) una lettera di risposta del figlio al padre. 2_IH_Italienisch_70.indd 114 30.10.13 09: 25 115 Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Mut zur Lyrik II. Giorgio Caproni: Atque in perpetuum, frater… Quanto inverno, quanta neve ho attraversato, Piero, per venirti a trovare. Cosa mi ha accolto? Il gelo della tua morte, e tutta tutta quella neve bianca di febbraio - il nero della tua fossa. Ho anch’io detto le mie preghiere di rito. Ma solo, Piero, per dirti addio e addio per sempre, io che in te avevo il solo e vero amico, fratello mio. (aus der Sammlung Il franco cacciatore, 1973-1982) Note : Il titolo contiene una citazione del carme 101 del poeta latino Catullo la fossa = Grab Compiti: 1) Leggete ad alta voce la poesia. Qual è lo stato d’animo dell’io lirico? 2) Individuate gli enjambement e spiegate la loro funzione in questa poesia. 3) Analizzate le rime presenti nel testo e la loro funzione. 4) Confrontate la poesia con il carme 101 di Catullo (Multas per gentes et multa per aequora vectus) e il sonetto In morte del fratello Giovanni di Ugo Foscolo. 2_IH_Italienisch_70.indd 115 30.10.13 09: 25 116 Mut zur Lyrik Stephanie Nonn / Ottavio Saviano Anmerkungen 1 Im Folgenden Schüler genannt. 2 Nach Marita Lünning, «Lyrik im Spanischunterricht», in: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch. Poesia, 03/ 2010, S. 4-9. 3 Für weiterführende Informationen vgl. die Bibliographie von Adele Dei in: G. Caproni, L’opera in versi, Milano: Mondadori 1998, S. 1851-1867. Eine bedeutende Sammlung von Beiträgen zu Capronis Lyrik findet sich in: G. Caproni, Tutte le poesie, Milano: Garzanti 1999. 4 Vgl. die frühen Sammlungen Come un’allegoria (1932-1935) und Ballo a Fontanigorda (1935-1937). 5 Vgl. insbesondere die späten Sammlungen Il muro della terra (1964 - 1975), Il franco cacciatore (1973-1982), Il conte di Kevenhüller (1979-1986) und Res amissa (1991). 6 Vgl. z.B. Gedichte für seine früh verstorbene erste Liebe Olga Franzoni und für seine Frau Rina in der Sammlung Ballo a Fontanigorda sowie die seiner Mutter gewidmeten Sammlung Il seme del piangere (1950-1958). Literaturverzeichnis Primärliteratur Caproni, Giorgio: L’opera in versi. Milano: Mondadori 1998. Mengaldo, Pier Vincenzo (Hrsg.): Poeti italiani del Novecento. Antologia. Milano: Mondadori 1988. Sekundärliteratur Brenner, Gerd: Fundgrube Methoden II. Für Deutsch und Fremdsprachen. Berlin: Cornelsen Scriptor 2007. Bertolotti, Antonio / Montali, Luciana / Saviano, Ottavio: I testi e il metodo. La poesia e il teatro. Milano: Minerva Italica 2003. Dei, Adele: Giorgio Caproni. Milano: Mursia 1992. Ferroni, Giulio: Storia della letteratura italiana. Il Novecento. Milano: Einaudi scuola 1991. Ferroni, Giulio: Letteratura italiana contemporanea. Vol. 1: 1900 - 1945; Vol. 2: 1945-2007. Milano: Mondadori Università 2007. Girardi, Antonio: Cinque storie stilistiche. Saba, Penna, Bertolucci, Caproni, Sereni. Genova: Marietti 1987. Jenny, Jean-Pierre: «Lyrik im Italienischunterricht der gymnasialen Oberstufe? », in: Babylonia. Zeitschrift für Literaturunterricht und Sprachenlernen 03/ 2006, S. 93-96. Leonelli, Giuseppe: Giorgio Caproni. Milano: Garzanti 1997. Lünning, Marita: «Lyrik im Spanischunterricht», in: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch. Poesia. 03/ 2010, S. 4-9. Stoltenberg, Theo; Kayser-Hoelscher, Christa: «Lyrik im Italienischunterricht», in: Die neueren Sprachen 89 (1990), S. 125-149. Surdich, Luigi: Giorgio Caproni. Un ritratto. Genova: Costa & Nolan 1990. 2_IH_Italienisch_70.indd 116 30.10.13 09: 25