eJournals Italienisch 36/71

Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
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2014
3671 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Fabio Marri/Maria Lieber, con la collaborazione di Daniela Gianaroli (Hrsg.): La corrispondenza di Lodovico Antonio Muratori col mondo germanofono. Carteggi inediti. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 2010 (= Italien in Geschichte und Gegenwart, Bd. 31), 478 Seiten, € 71,80

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2014
Gisela Schlüter
ita36710128
128 Buchbesprechungen Fabio Marri/ Maria Lieber, con la collaborazione di Daniela gianaroli (hrsg .): La corrispondenza di Lodovico Antonio Muratori col mondo germanofono. Carteggi inediti Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 2010 (= Italien in Geschichte und Gegenwart, Bd 31), 478 Seiten, € 71,80 Das monumentale Werk Lodovico Antonio Muratoris hat vor allem in Italien seit geraumer Zeit viel Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden Im Zentrum zahlreicher Forschungsaktivitäten steht die seit 1975 erscheinende, auf 46 Bände angelegte, alphabetisch geordnete Korrespondenz des Gelehrten Muratori mit maßgeblichen, aber auch mit marginalen Vertretern der europäischen res publica litteraria seiner Zeit . 1 Der hier anzuzeigende, von Fabio Marri und Maria Lieber edierte, 2010 erschienene Band ergänzt zum einen die große Korrespondenzausgabe, an der Marri seinerseits verantwortlich mitgearbeitet hat, 2 durch eine Reihe von im Rahmen der Carteggi unveröffentlichten Quellen aus der Feder von unbekannteren Briefpartnern Muratoris aus dem deutschsprachigen Raum Zum anderen setzen die beiden Editoren mit diesem Band ihre gemeinsamen Forschungen zu Kontakten zwischen Muratori und der deutschsprachigen Gelehrsamkeit, Historiographie, Philosophie, Theologie, Ästhetik sowie zur deutschen Wirkungsgeschichte seines Werkes fort: Zwei vorangegangene, im selben Verlag erschienene Sammelbände enthalten einschlägige Forschungsbeiträge zu Muratori im europäischen Kontext der Frühaufklärung und insbesondere zu seinen Beziehungen zu Leibniz und seiner Umgebung; 3 zudem hat Marri 2000 einen Zwischenbericht über seine rezeptionsgeschichtlichen Untersuchungen zum Werk Muratoris in Deutschland veröffentlicht; 4 auch die deutschen Übersetzungen einzelner Werke Muratoris sind im Rahmen der genannten Sammelbände zusammengestellt worden . 5 Der aktuelle Band setzt die erfolgreiche Forschungskooperation Marri/ Lieber fort 6 und ergänzt - im Gegensatz zu den vorangegangenen Sammelbänden in italienischer Sprache und kartoniert (daher materiell beständiger) - die vielbändige Ausgabe des Carteggio, die auch die Korrespondenz Muratoris mit maßgeblichen deutschen Zeitgenossen wie Leibniz, der Familie Mencke, Brucker enthält, um eine Reihe von Briefen weniger bekannter Gelehrter 7 unterschiedlicher Konfessionen und Disziplinen (Historiker, Antiquare, Bibliothekare, Buchhändler, Juristen und Theologen) aus unterschiedlichen Teilen des weiten deutschsprachigen Raums an Muratori Die Briefe, deren Funktion im networking und in der Erörterung disziplinärer Fragen liegt, datieren aus einem Zeitraum zwischen 1695 und 1750 und sind in lateinischer, italienischer oder französischer Sprache abgefasst 2_IH_Italienisch_71.indd 128 14.05.14 18: 22 129 Buchbesprechungen Eingeleitet wird der vorliegende Band durch ein teilweise defensiv anmutendes Vorwort des Herausgebers Fabio Marri zur kulturgeographisch motivierten Selektion der Briefe (S 7-36): Politisch-historische, sprachliche und kulturgeographische Auswahlkriterien lassen die Ränder des Raumes, dem das Quellenmaterial entstammt, notwendigerweise unscharf werden Problematisch erscheint dem Hg insbesondere die Einbeziehung des Bayern verbundenen, jedoch autonomen salzburgischen Territoriums und die Kompetenzabgrenzung gegenüber der einschlägigen heutigen österreichischen Forschung zum Habsburgerreich (S 7 f .) Letzteres Bedenken ist insofern folgenreich, als vom Umfang her gesehen die Hälfte der Quellendokumentation Briefe eines nachmaligen Mitglieds des Wiener Hofes betrifft, nämlich Gottfried Philipp Spannagels, Bibliothekar am Wiener Hof und Geschichtslehrer Maria Theresias, der, unklarer Herkunft und Konvertit, vor seiner Berufung nach Wien im Jahre 1727 viele Jahre unter dem Namen Goffredo Filippi in Italien (Ligurien und der Lombardei) gelebt, dort politische und diplomatische Missionen sowie publizistische Aufgaben wahrgenommen und eifrig mit Muratori korrespondiert, ja produktiv zusammengearbeitet hatte, eine schillernde, romaneske Figur (geb um 1675, gest 1748) . 8 Einleitend wird Auskunft über die zentralen Gegenstände der in der Quellendokumentation abgedruckten und erschlossenen Briefwechsel gegeben Neben praktischen Aspekten der Bücherbeschaffung, des Bücheraustauschs und näherhin der Verbreitung von Muratoris Werken im deutschsprachigen Raum betreffen die Anfragen der Korrespondenten Aspekte der dynastischen Geschichtsschreibung (Antichità Estensi, Verbindungen zwischen dem Haus Este und dem Hause Braunschweig, Korrespondenten aus dem Leibniz- Umfeld), konfessionelle Probleme, in denen Muratori in vermittelnder Funktion und ökumenischer Absicht auftrat, sowie Fragen der Jesuitenmission vor allem in Paraguay; Muratori machte sich, nebenbei bemerkt, durch seine Kontakte zum nordeuropäischen Protestantismus und zur katholischen Dissidenz der römischen Kirche und der Inquisition verdächtig . 9 Vor allem aber betreffen die vorliegenden gelehrten Korrespondenzen philologische und historische Details aus dem weiten Feld der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeit, in dem sich Muratori vor allem im Bereich der Mediävistik einen außerordentlichen Ruf in der europäischen Gelehrtenrepublik verschafft hatte (Antiquitates Italicae Medii Aevi, Rerum Italicarum scriptores, Annali d’Italia): Hatte er selbst von den großen französischen Historikern, Geschichtsschreibern und Quellenkritikern des 17 Jahrhunderts und von Leibniz gelernt, so beeinflusste seine monumentale Geschichtsschreibung ihrerseits wiederum die Historiker und Historiographen jenseits der Alpen, vor allem auch die spätere deutsche historische Quellenforschung und namentlich die Monumenta Germaniae Historica (vgl S 22) 2_IH_Italienisch_71.indd 129 14.05.14 18: 22 130 Buchbesprechungen Auf die Einleitung folgt die Quellendokumentation mit Schreiben von 34 deutschen Korrespondenten, in alphabetischer Reihenfolge nach Verfassernamen sortiert, jeweils mit archivalischen Angaben und sorgfältigen, bibliographisch reich belegten Kommentaren zu den Verfassern und Anlässen, Inhalten sowie Kontexten der Briefe Abgeschlossen wird der wertvolle Band, der als Komplement der Edizionale nazionale del Carteggio di L . A . Muratori fungiert, durch eine Bibliographie der zitierten Forschungsliteratur und einen Namenindex Bilanz: (Früh-)Aufklärungsforschung findet nicht nur in global agierenden Forschungsverbünden und auf Weltkongressen statt, sondern auch im Leibniz-Archiv in Hannover und im Centro di studi muratoriani in Modena Die Erträge dieser dezentralen Forschungsstätten sollten verstärkt genutzt werden, auch wenn sie in eher bescheidenem Gewande daherkommen wie der vorliegende Band . Gisela Schlüter anmerkungen 1 Lodovico Antonio Muratori, Edizione Nazionale del Carteggio di L .A . Muratori, Florenz: Olschki 1975-; bis 2012 waren insgesamt 18 Bände erschienen . Begleitend entstanden wertvolle neue Recherchequellen: Federica Missere Fontana/ Roberta Turricchia (Hrsg .), Carteggio muratoriano: corrispondenti e bibliografia, Bologna: Editrice Compositori IBC 2008, sowie fortlaufende Informationen über Forschungsaktivitäten und bibliographische Informationen unter http: / / www .centrostudimuratoriani .it und über diese Internetquelle aufrufbar die neue online-Zeitschrift Muratoriana-online . Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf den jüngst erschienenen (in der genannten Internetquelle nicht verzeichneten) Artikel «Muratori, Ludovico Antonio» von Girolamo Imbruglia, in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd . 77, Rom 2012, S . 443-452 2 Muratori, Carteggi, Bd . 10, I und 10, II, erschienen 1999 und 2003 3 Fabio Marri/ Maria Lieber (Hrsg .), Lodovico Antonio Muratori und Deutschland, Frankfurt/ M ., Berlin/ Bern/ Bruxelles/ New York/ Wien: Peter Lang Verlag 1997 (Italien in Geschichte und Gegenwart, Bd . 8), sowie dies . (Hrsg .), Die Glückseligkeit des gemeinen Wesens . Wege der Ideen zwischen Italien und Deutschland im Zeitalter der Aufklärung, Frankfurt/ M . […]: Peter Lang Verlag 1999 (Italien in Geschichte und Gegenwart, Bd . 14); vgl . dazu die Rez . der Vf .in, in: Romanische Forschungen 114/ 3 (2002), S . 372-375 . Vgl . auch das Editorial «Della pubblica felicità» von Salvatore A . Sanna in Italienisch Nr . 36/ 1996 4 Fabio Marri, «Muratori und Deutschland: Ansätze zu einer Geschichte der Rezeption», in: Federica La Manna (Hrsg .), Commercium . Scambi culturali italo-tedeschi nel XVIII secolo . Deutsch-italienischer Kulturaustausch im 18 . Jahrhundert, Florenz: Olschki 2000, S . 43-64 5 Vgl . Übersetzungsverzeichnis in Marri/ Lieber 1997, S . 43-48; Christian Weyers, «Muratori und Europa: Zu den Besonderheiten der Verbreitung und Rezeption muratorianischer Werke», in: Marri/ Lieber 1999, S . 89-114 2_IH_Italienisch_71.indd 130 14.05.14 18: 22 131 Buchbesprechungen 6 Im Anhang findet sich eine Liste von Addenda et Corrigenda zu den vorausgegangenen Bänden, Marri/ Lieber 2010, S . 451 f 7 Der geringe Bekanntheitsgrad zeigt sich schon daran, dass keiner Korrespondenten verzeichnet ist in Herbert Jaumann, Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit, Bd 1: Bio-bibliographisches Repertorium, Berlin/ New York: Walter de Gruyter 2004 . Es handelt sich um folgende Personen: Charles (Karl) Balistier, Gottfried Bessel, Otto Christian Coch [Koch], Gottlieb Corte, Antonius Dalham [Florianus a S . Theresia], Andreas Jacob von Dietrichstein, Johann von Edlweckh, Thomas Fritsch, Gottfried Christian Götze, Gabriel Groddeck, Friedrich August Hackemann, Christian Ernst Hanselmann, Eberhard David Hauber, Josef von Hessen-Darmstadt, Leopold von Hessen-Darmstadt, Daniel Erasmus von Huldenberg, Christianus Guilelmus Iustus, Johann Ludwig König, Lorenz Kroniger, Joseph Dominik Lamberg, Johann Jakob Leu, Josef Wenzel Lorenz von Liechtenstein, Bernhard Nussdorfer, Gottfried Rubin, Karl Justus Schläger, Johann Hermann Schmincke, Gottfried Philipp Spannagel, Ferdinand Ernst von Stadl, Philipp von Stosch, Paul Straub, Friedrich von Thoms, Ferdinand Julius von Troyer, Tschirnhaus, Christian Wilhelm Franz Walch 8 Nach Erscheinen von Marri/ Lieber 2010 hat sich Fabio Marri zusammen mit der österreichischen Historikerin Elisabeth Garms-Cornides nochmals eingehend mit der Biographie Spannagels und dem Briefcorpus in Marri/ Lieber 2010 befasst: «Il misterioso Filippi . Gottfried Philipp Spannagel zwischen den italienischen Staaten und der Habsburgermonarchie», in: Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession, hrsg . v . Thomas Wallnig/ Thomas Stockinger/ Ines Peper/ Patrick Fiska, Berlin/ Boston 2012, S . 271-304 . Hier wird u .a . die Vermutung geäußert, Spannagel sei in seinen italienischen Jahren unter dem Deckmantel eines Tanzlehrers als kaiserlicher Spion aktiv gewesen, ebd ., S . 280 . Da wird man sich kaum noch wundern, dass der Mann sich zudem der Bigamie schuldig gemacht haben soll, ebd ., S . 276 9 Matteo Al Kalak, «Simpatie sospette: Muratori, gli ‹eretici› tedeschi e l’occhio vigile dell’Inquisizione . Note al margine dei carteggi di Muratori con il mondo germanofono», http: / / www .centrostudimuratoriani .it/ strumenti/ muratoriana-online/ mol-2011, 75-80 (Zugriff am 2 .10 .2013) 2_IH_Italienisch_71.indd 131 14.05.14 18: 22