eJournals Italienisch 37/73

Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
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2015
3773 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Der Irrweg eines Italianisten?

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2015
Frank-Rutger Hausmann
ita37730001
1 Der Irrweg eines Italianisten? Den kühnen Plan, Italianistik im Hauptfach zu studieren, fasste ich 1963 als Göttinger Jurastudent, denn mir wurde nach drei Semestern klar, dass ich das falsche Studium gewählt hatte Zum Wechsel wurde ich durch den damaligen Lektor Eugenio Bernardi ermutigt, der später Germanistikordinarius an der Università Ca’ Foscari in Venedig wurde Ich ging dann nach Freiburg, wo Vito Rocco Giustiniani ein umfassendes italianistisches Programm anbot Mangels anderer Bewerber wurde ich bereits im zweiten Semester ins Oberseminar über Dantes Episteln und Eklogen aufgenommen Insgesamt nahm ich siebenmal an Giustinianis Seminaren teil, die dem Altitalienischen, Dante und der Lyrik des Ottocento gewidmet waren Giustiniani schlug mir als Thema meiner Doktorarbeit den italienischen Humanisten Giovanni Antonio Campano vor, mit dessen lateinischen Briefen ich mich befassen sollte Im Herbst 1966 führte ich die entsprechenden Recherchen im Vatikanischen Archiv und der Biblioteca Angelica in Rom durch Im Vatikanischen Archiv wurden damals nur Träger eines Doktortitels zugelassen, und ich verdanke es einem italienischen Mitarbeiter des Deutschen Historischen Instituts, dass ich eine tessera für das Archivio Segreto Vaticano erhielt Nachdem mir zunächst das notwendige Empfehlungsschreiben verweigert worden war, beförderte er mich mit den Worten «in Italia siamo tutti dottori» vorzeitig an mein Ziel und demonstrierte mir ad oculos, wie eine flexible Bürokratie funktionieren kann Zurück in Freiburg nahm ich an den legendären Dante-Seminaren von Hugo Friedrich teil, die ein intellektueller Hochgenuss waren Das Murren mehrerer Studenten, die Französisch studierten und Friedrich vorhielten, sie könnten kein Italienisch und wollten endlich ein Seminar über einen französischen Autor absolvieren, konterte er mit den Worten: «Dann lernen Sie gefälligst Italienisch» Am 6 Mai 1968 legte ich bei Friedrich und Giustiniani das Rigorosum ab Giustiniani hatte mir 15 Spezialgebiete aufgegeben und mich einige Tage vor der Prüfung dadurch demoralisiert, dass er meine Italienischkenntnisse prüfte Auf seine Fragen, was Knallquecksilber, Rebstützstange und Rehkitz auf Italienisch hieß, wusste ich keine Antwort Als er nachsetzte, inwieweit ich denn die Tre corone für das Mündliche vorbereitet hätte und ich ihm ausgewählte Gesänge, Gedichte und Novellen nannte, donnerte er: «Meine Studenten haben die Divina Commedia, den Canzoniere und das Decamerone ganz gelesen! » Das verhieß nichts Gutes, doch sahen beide Prüfer huldvoll über meine Schwächen hinweg Nach der Prüfung nahm mich Giustiniani bei Seite und sagte: «Caro Hausmann, tu non sei italiano, non sei cattolico e neanche filologo classico, non capirai mai la Divina Commedia» Geistesgegenwärtig replizierte ich: «Haben Sie noch nie etwas von Rezeptionsforschung gehört? Literatur kennt keine nationalen Grenzen, und der fremde Blick deutscher Romanisten kann auch zur Bereicherung der italienischen Forschung beitragen» Vermutlich konnte ich ihn nicht überzeugen, doch sein Verdikt hat er mir gegenüber nie wiederholt Ein Staatsexamen im Hauptfach Italienisch konnte man damals noch nicht ablegen; bis Mitte der 70er Jahre konnte Italienisch nur als Beifach studiert werden Das war für mich zu spät Als Dozent und Professor durfte ich jedoch ab 1974 Italienisch im Staatsexamen und Magister prüfen, ohne die entsprechenden Prüfungen selber abgelegt zu haben Tempora mutantur! Heute ist Italienisch ein fest verankerter Teil der Gesamtromanistik und wird an 40 deutschen Universitäten gelehrt, geprüft und beforscht Und das ist gut so! 2_IH_Italienisch_73.indd 1 19.05.15 11: 40