Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
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2015
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttMarita Liebermann/Barbara Kuhn: Einführung in die italienische Literaturwissenschaft, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2014 (Grundlagen der Romanistik 26), 283 Seiten, € 19,95
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2015
Michael Schwarze
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156 Buchbesprechungen Marita Liebermann/ Barbara Kuhn: Einführung in die italienische Literaturwissenschaft , Berlin: Erich Schmidt Verlag 2014 (Grundlagen der romanistik 26), 283 Seiten, € 19,95 Die Zeiten, in denen Studienanfänger der italienischen Literaturwissenschaft in Ermangelung geeigneter fachspezifischer Darstellungen auf Einführungen anderer Philologien zurückgreifen mussten, um sich mit zentralen Gegenständen und Methoden der Literaturwissenschaft vertraut zu machen, gehören zum Glück der Vergangenheit an Dies ist einem gesteigerten Interesse der Verlage zu verdanken, vor allem aber der vermehrten Bereitschaft von Italianistinnen, ihre fachlichen Kenntnisse und die didaktischen Erfahrungen damit dem anspruchsvollen Genre der Einführung anzuvertrauen . 1 Diese für die Italianistik erfreuliche Entwicklung wirft umgehend die Frage auf, worin das Interesse und der Nutzen einer neuen Einführung in die italienische Literaturwissenschaft liegen kann Das hier zu besprechende Buch ist sich dieser Begründungspflicht voll bewusst Es kommt ihr nach, indem es sich dezidiert als eine Orientierung versteht, die Anleitungen für einen selbständigen, kritischen Umgang mit der italienischen Literatur, ihrer Geschichte sowie den Disziplinen und Theorien der Literaturwissenschaft bereitstellen will In diesem Sinne wird das Unternehmen im Vorwort als Versuch vorgestellt, auf den Gegenstandsfeldern (literarischer) Text, Kontext und wissenschaftliche Praxis in einer exemplarischen Vorgehensweise ein historisch wie konzeptionell differenziertes Wissen zu vermitteln, das die Studierenden in den Stand setzt, eigenständig weiterzulesen und -zuarbeiten Die Einführung stellt sich damit eine Aufgabe, die vor allem Andrea Grewes literaturgeschichtlich ausgerichtete Einführung und das systematisch-historische Kompendium von Martina Neumeyer in der Tat auf wünschenswerte Weise ergänzt Den Verfasserinnen ist dabei bewusst, dass ihr Anspruch, die unterschiedlichen Wissensbereiche und Arbeitsformen nicht nur vorzustellen, sondern zu praktizieren, ihren Rezipienten viel zutraut (vgl S 6) Denn dies bedeutet, dass die Komplexität konzeptioneller und historischer Zusammenhänge ebenso wie die Prinzipien der «wissenschaftlichen Redlichkeit» (S 7) nicht bloß proklamiert, sondern als spezifische Anforderungen literaturwissenschaftlichen Arbeitens anschaulich und nachvollziehbar gemacht werden Die 283 Seiten starke Einführung arbeitet dieses Programm in fünf Großkapiteln ab Die Überschriften der ersten vier signalisieren mit der Wiederholung des Syntagmas «Literatur und …», dass es in ihnen jeweils um ein zweifaches geht: zum einen um die Vorstellung von zentralen Kategorien und 2_IH_Italienisch_73.indd 156 19.05.15 11: 40 157 Buchbesprechungen Konzepten (Literaturwissenschaft, Geschichte, Gattung, Rhetorik), welche die wissenschaftliche Erkenntnis von Literatur strukturieren, zum anderen um das Verhältnis dieser Instrumente zum literarischen Material an sich Das fünfte Kapitel stellt Analysewerkzeuge und -verfahren in den Großgattungen Lyrik, Narrativik und Dramatik vor und erprobt sinnvolle Möglichkeiten und Grenzen ihrer Gebrauchsweise an Textbeispielen . 2 Die Fülle an wichtigen Aspekten, die in den sämtlich hervorragend informierten Darstellungen behandelt wird, kann im Rahmen einer Rezension nicht im Einzelnen gewürdigt werden Das Folgende beschränkt sich daher darauf, die Kapitel unter Hervorhebung einzelner Punkte summarisch zu charakterisieren Im ersten Kapitel («Literatur und Literaturwissenschaft») entwickelt Liebermann in sieben Abschnitten zunächst die Notwendigkeit und dann sukzessive elementare Bestandteile eines offenen Literaturbegriffs, der literaturwissenschaftlichen Methodenbildung sowie der Literaturtheorie Ein Hauptinteresse liegt dabei darin, den Studierenden die Implikationen bewusst zu machen, welche die fundamentale Historizität jeglicher Literatur und jeder Wissenschaft von ihr hat Konkret heißt dies zum Beispiel, dass der Abschnitt zum «Begriff ‹Literatur›» (1 .2) die Voraussetzungshaftigkeit jeglicher Vorstellung von Literatur betont, indem er die Dynamik von ästhetischen Werturteilen (S 16), die geschichtliche Bedingtheit wechselnder Verständnisse von Autor und Leser (S 17) oder das divergierende Verhältnis mittelalterlicher und futuristischer Poetiken zum jeweiligen gesellschaftlichen Kontext (S 18 f .) thematisiert Inhaltlich ist darüber hinaus der Abschnitt 1 .6 («Das Material der Literaturwissenschaft») von besonderer Relevanz: Er hat mit der Frage nach den Formen, in denen Lesern und Wissenschaftlern das Textmaterial früher begegnete und heute begegnet, ein Wissen zum Gegenstand, das sich gerade die heute studierende digital generation vor aller weiterführenden Methode vergegenwärtigen muss, um philologisch adäquat arbeiten zu können . 3 Das Unterkapitel zu «Theorien der Literaturwissenschaft» führt ausgehend vom Prinzip des Methodenpluralismus in die Bedeutung von Paradigmen für die Theoriebildung und das Phänomen der sich an den linguistic turn anschließenden turns ein, um schließlich mit der Hermeneutik, dem Strukturalismus und der Semiotik die theoretische Trias vorzustellen, an die nicht zuletzt das abschließende Kapitel zur Praxis der Textanalyse anknüpft Für diese Ausführungen wie grundsätzlich für das Buch gilt, dass sie präzise aus etymologischen oder semantischen Begriffsbestimmungen hergeleitet werden und den jeweiligen Gegenstand anhand prägnanter historischer Fallskizzen umsichtig im Hinblick auf seine Anwendungsbedingungen und -möglichkeiten beleuchten Bedauerlich ist lediglich, dass Liebermann es unter dem Punkt «Theorienpluralismus» und «Fachgebiete» der Literaturwissenschaft (vgl S 44 f .) unterlässt, die Kulturwissenschaft zu erwähnen Eine Positionierung des 2_IH_Italienisch_73.indd 157 19.05.15 11: 40 15 8 Buchbesprechungen eigenen semiotisch-hermeneutischen Ansatzes im Verhältnis zu solchen, die Kultur eo ipso als Text verstehen und deren vielfältige soziale und mediale Praktiken im Rahmen einer programmatisch verstandenen Interdisziplinarität untersuchen, 4 hätte hier als hilfreiche disziplinäre Orientierung der Studierenden dienen können Nachdem das erste Kapitel sich mit grundlegenden Aspekten der Literaturwissenschaft beschäftigt hat, wendet sich das zweite unter der Überschrift «Literatur und Geschichte» der italienischen Literatur zu Es hat im ersten Unterkapitel «das Problem der Darstellung literaturgeschichtlicher Entwicklungen» (S 66) zum Gegenstand und warnt die Leser vor naiven Vorstellungen eines teleologischen Epochenbegriffs und fixierbarer Epochengrenzen (vgl S 66-67) ebenso wie vor der Annahme eines überzeitlich bestehenden und wertungsfreien Kanons (vgl S 77-80) Eingebettet in diese methodischen Klärungen, die für jedwede historische Betrachtung von literarischen Texten fundamental sind, ist ein Profil der «großen Epochen der italienischen Literatur» (S 67) Der entsprechende historische Abriss der Epochen vom Mittelalter bis zur Postmoderne (2 .1) jedoch erweist sich als kontraproduktiv Denn es gelingt der Verfasserin darin ausnahmsweise nicht, dem Grad an Differenzierung und Reflexivität, der ihre Darlegungen sonst in alle Teilen auszeichnet, gerecht zu werden Dies resultiert vor allem aus der Beschränkung auf nicht einmal zehn Textseiten (S 68-77), denn dies führt notwendigerweise zu drastischen Verkürzungen und schematischen Vereinfachungen Deutlich wird dies an der Behandlung von Medioevo und Rinascimento: Zunächst sticht das Ungleichgewicht, das den beiden Epochen eingeräumt wird, ins Auge - dem Mittelalter eine halbe Seite, der Renaissance zweieinhalb Seiten Dies hat zur Folge, dass sich die Charakterisierung der Literaturen des Mittelalters im Wesentlichen auf einige, wenngleich zutreffende Aperçus zu den tre corone beschränkt, während etwa der philologische Aufbruch des Humanismus und die «Herausbildung eines neuen diesseitsorientierten Welt- und Menschenbildes» (S 69) in der Renaissance vergleichsweise ausführlich thematisiert werden Daran ist an sich nichts auszusetzen, es vermittelt jedoch im Kontrast zur knappen Behandlung des Mittelalters implizit den Eindruck einer relativ scharfen Epochengrenze und reproduziert auf diese Weise unreflektiert Setzungen, die von der Forschung inzwischen stark relativiert werden Meines Erachtens hätte es dem Ziel, «das Problem der Darstellung literaturgeschichtlicher Entwicklungen» (S 66) zu behandeln, besser entsprochen, wenn Liebermann exemplarisch eine Epoche im Hinblick auf die Bedingungen ihrer Konstitution und auf die entsprechenden Folgen in der Geschichte ihrer Aneignungen durch die literarhistorische Forschung vorgestellt hätte . 5 Für die Geschichte der italienischen Literaturepochen hätte hingegen der Hinweis auf einschlägige vorhandene Publikationen genügt . 6 2_IH_Italienisch_73.indd 158 19.05.15 11: 40 159 Buchbesprechungen Der zweite Abschnitt von Kapitel 2 fokussiert den Blick auf entscheidende Etappen eines für die Literatur Italiens und ihre Geschichte spezifisches Konstituens: die questione della lingua, von Dante bis Manzoni (2 .2) Der dritte Abschnitt (2 .3) wendet sich einem für die Literatur aller modernen Sprachen grundlegenden geschichtlichen Entwicklungsprozess zu Er behandelt «mediale Bedingungen» von Literatur und konzentriert sich exemplarisch auf die produktions- und rezeptionsästhetischen Folgen, die der Übergang von einer weitreichenden Mündlichkeit zur dauerhaften Fixierung der Schrift mit der Erfindung des Buchdrucks im 16 Jahrhundert hatte Über die bereits genannten Qualitäten der Darstellung hinaus zeichnet sich dieses Kapitel besonders dadurch aus, dass Liebermann ihre Argumentation hier ausnahmslos durch sehr aussagekräftige und präzise kommentierte Textbeispiele stützt Dies gilt in besonderem Maße für die Folge von im Werk Manzonis verstreuten Zitaten, mit denen sie dessen literarisches Modernisierungsprogramm der italienischen Literatursprache veranschaulicht, sowie für den Vergleich der Promessi sposi mit Luthers deutscher Bibelübersetzung, welcher es erlaubt, die epochale Bedeutung dieses historischen Romans von einer deutschen Warte aus einzuordnen (vgl S 86-90) . 7 Das dritte, «Literatur und Gattungen» überschriebene Kapitel geht von der Wortgeschichte des Wortes ‹Gattung› aus und begreift diese Klassifizierungsart von Literatur als eine historisch variable Festlegung von «dynamische[n] Merkmalsbündel[n]» (S 106), welche stark divergierende Funktionen erfüllen kann Dazu stellt Liebermann zunächst Goethes «Naturformen der Poesie» vor und problematisiert deren Unvollständigkeit, indem sie ergänzend dazu Genres wie den Essay oder den Dialog behandelt, in denen der expositorisch-argumentative Gestus vorherrscht (siehe 3 .1 .1) Daran anknüpfend (3 .1 .2) setzt sich Liebermann kritisch mit Benedetto Croces für die italienische critica des Novecento prägende Unterscheidung von poesia und non-poesia auseinander Mit einfachen Argumenten zeigt sie dabei sehr schön den gedanklichen Zirkelschluss eines individualistischen Literaturkonzepts auf, das aus der Überschreitung des regelpoetisch Kodifizierten die Begründung ‹echter› Kunst ableiten will (vgl S 111) Der Opposition zwischen normativen Gattungspoetiken und ihrer Transgression zugunsten neuer Modelle folgend, geht Abschnitt 3 .2 auf Platon und Aristoteles sowie deren produktive Rezeption im Rinascimento ein Gewissermaßen in gedanklicher Fortführung von 2 .2 .4 rekonstruiert Liebermann dann in 3 .3 .1, wie Manzoni stellvertretend für die ästhetische Wende der Romantik das «Prinzip der individuellen Autorpoetik» (S 125) formulierte Wie der Anspruch moderner Ästhetiken, sich in der Überschreitung des Bestehenden zu konstituieren, sich radikal im Rahmen eines avantgardistischen Welt- und Dichtungsverständnisses vollzieht, führt schließlich der gewohnt präzise und hervorragend doku- 2_IH_Italienisch_73.indd 159 19.05.15 11: 40 16 0 Buchbesprechungen mentierte Kommentar zu Marinettis Manifesto tecnico della letteratura futurista in 3 .3 .2 vor Das von Barbara Kuhn verfasste Kapitel über «Literatur und Rhetorik» hebt mit einem begrüßenswerten Plädoyer wider Vorstellungen eines naiven, voraussetzungslosen Sprechens und Lesens an, indem es auf der Unausweichlichkeit der Rhetorik besteht, die gerade auch dort wirke, wo die Rede eine jenseits der Redekunst liegende, vermeintlich ‹anti-rhetorische› «Authentizität» reklamiere (vgl S 133 f .) Hiervon ausgehend entfaltet Abschnitt 4 .1 einen exzellenten historischen Abriss der Rhetorik von der hellenistischen Antike bis zu Immanuel Kant, deren besonderer Wert darin besteht, dass er konzise divergierende und sich wandelnde Gebrauchsweisen von Rhetorik deutlich werden lässt Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei die im ersten nachchristlichen Jahrhundert mit Quintilian einsetzende «Literarisierung der Rhetorik» (S 143), welche bezeichnenderweise bereits bei Horaz mit einer «Rhetorisierung der Poetik» (S 144) einhergeht Die Darstellung zeichnet hier unter anderem klar nach, wie diese Poetisierung der Rhetorik über die mittelalterliche Pflege der Rhetorik als Technik und die frühneuzeitliche Ausbildung der Philologie im Rinascimento zu einem «ganzheitlich[en]» «Bildungsideal» avancierte, das natura und ars nach dem Vorbild der Antiken erneut als eine unauflösliche Einheit betrachtete (S 148) Im zweiten Abschnitt des Kapitels werden die etablierten Systematisierungen der Rhetorik behandelt Dies geschieht erneut mit großer Klarheit, wozu auch eine Reihe graphischer Schaubilder beiträgt, deren Übersichtlichkeit es zum Beispiel erlaubt, die Stilqualitäten der elocutio (S 161) oder die dem ornatus zugeordneten Typen von Tropen und Figuren (S 167) einprägsam zu erfassen An der folgenden Tabelle mit rhetorischen Figuren (S 168-190) ist positiv einerseits hervorzuheben, dass den eindeutigen Definitionen jeweils italienische und deutsche Beispiele beigegeben sind, andererseits, dass Kuhn explizit auf die Vorbehalte im Umgang mit derartigen Synopsen hinweist (S 166) Das fünfte Kapitel führt die vorangehenden gewissermaßen zusammen, indem es in Kategorien und Verfahren der Textanalyse einführt Dazu differenziert Liebermann im Anschluss an Charles W Morris zwischen der pragmatischen, der semantischen und der syntaktischen «Ebene der Strukturanalyse» (5 .2 .) und wendet diese stringent auf die Behandlung «gattungsspezifischer Aspekte» der Lyrik (5 .3 .1), der Narrativik (5 .3 .2) sowie der Dramatik (5 .3 .3) an Über die einwandfreie Sachkompetenz hinaus, die auch aus diesen Abschnitten durchweg spricht, zeichnet sich dieses Kapitel durch drei Merkmale aus, die für die gesamte Einführung gelten: Erstens stellt es (insbesondere in den Teilen zur Erzählliteratur) die ihm zugrundeliegenden Ansätze erfreulich differenzierend vor Wie Textanalysen in der Praxis aussehen können, exemplifiziert Liebermann zweitens hervorragend an einem breiten Spektrum 2_IH_Italienisch_73.indd 160 19.05.15 11: 40 161 Buchbesprechungen offensichtlich unterrichtserprobter Textbeispiele, das vom Canzoniere Petrarcas über Novellen Bandellos und die Komödien Goldonis bis in die Moderne reicht Drittens vermittelt die Darstellung deutlich, dass es bei Textanalysen nicht darum geht, ein Maximum an Textdaten zu erheben, sondern dass entscheidend für die Relevanz einer Textbeobachtung ihre «Funktion für die Bedeutungserzeugung» (S 217) des in Frage stehenden Textes ist . 8 Abschließend ein paar Anmerkungen zu den Verfahren der Didaktisierung: Wesentlich zum Verständnis des Dargestellten trägt die große Dichte an Querverweisen auf Verwandtes in anderen Kapiteln bei Denn sie verdeutlichen die enge Zusammengehörigkeit von Gegenstandsbereichen, die hier voneinander getrennt werden, und ermöglichen ein sachorientiertes selektives Lesen in der Einführung Sehr hilfreich dürften auch die begründeten Leseempfehlungen sein, mit denen die Autorinnen die Leser ausdrücklich auf vertiefende Forschungsliteratur hinweisen Diskutabel erscheint mir hingegen der Nutzen von drei Didaktisierungselementen, die vermutlich auf Vorgaben der Verlags zurückzuführen sind: So ist das typographische Verfahren der Fettmarkierung einzelner Begriffe und Syntagmen in einem ungemein dichten Text, der gerade auf die Vermittlung eines stark differenzierten Wissens abzielt, nicht unbedingt zielführend Nicht unproblematisch sind auch die grau unterlegten «Zusammenfassungen» am Ende der Kapitel Auch dieses Textformat wird dem reflexiv-differenzierenden Gestus der Darstellung, die bereits im Fließtext an Sinneinschnitten fortlaufend durch kurze Resümees und Fazits gegliedert ist, tendenziell nicht gerecht Schließlich fragt sich der Rezensent nach dem Sinn der Teilbibliographien am Ende der einzelnen Kapitel Diese nennen, wenn ich recht sehe, sämtlich Forschungsliteratur, die auch in der Gesamtbibliographie am Ende des Buches aufgeführt wird und gehen insofern an den Techniken literaturwissenschaftlichen Arbeitens vorbei Die Einführung von Liebermann/ Kuhn, so lässt sich resümierend und in Absehung von der punktuellen Detailkritik festhalten, zeichnet sich dadurch aus, dass sie äußerst sachkompetent in die methodische und praktische Komplexität der italienischen Literaturwissenschaft einführt Ihr leitendes Prinzip ist die Differenzierung, die im reflexiven Duktus der Darstellung zum Ausdruck kommt und welche die konzeptionellen wie die historischen Dimensionen des Fachs erfasst Entgeht das Buch also einerseits den Fallstricken didaktischer Banalisierung, so weiß es die Komplexität seines Gegenstandes gleichwohl gut verdaulich zu vermitteln Verantwortlich dafür sind der klar gegliederte und gut strukturierte Argumentationsgang, die kontinuierliche Exemplifizierung der Gegenstände und eine Beschreibungssprache, die frei von unnötigem Fachjargon ist Das Buch erfüllt die eingangs genannten Ansprüche der Verfasserinnen voll und dies in einer Weise, die aus der Anleitung zum Studium der italieni- 2_IH_Italienisch_73.indd 161 19.05.15 11: 40 162 Buchbesprechungen schen Literaturwissenschaft zugleich ein wertvolles Arbeitsbuch macht Die Einführung in die italienische Literaturwissenschaft von Marita Liebermann und Barbara Kuhn schließt damit in höchst erfreulicher Weise eine Lücke im Bereich der italianistischen Studienliteratur Es ist ihm zu wünschen ist, dass es viele Studierende der Italianistik durch das Studium begleiten wird Michael Schwarze Anmerkungen 1 Zu nennen sind hier Martina Neumeyer, Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe für Italianisten . Eine Einführung, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2003; Rotraud von Kulessa/ Maximilian Gröne/ Frank Reiser, Italienische Literaturwissenschaft: Eine Einführung, Tübingen: Gunter Narr Verlag 2 2011 sowie Andrea Grewe, Einführung in die italienische Literaturwissenschaft, Stuttgart/ Weimar: J .B . Metzler 2009 2 Die Kapitel 1-3 und 5 hat Marita Liebermann verfasst, das vierte stammt von Barbara Kuhn, womit sich erklärt, dass Liebermann in der Titelei gewissermaßen als Erstautorin ausgewiesen ist 3 Dies gilt zumal für angehende Italianisten, die auf italienische Kommilitonen treffen, in deren Curricula die critica testuale (einschließlich der critica variantistica) nach wie vor ein wichtiger Bestandteil ist . Die basale Bedeutung der materialen Grundlagen hätte es m .E . auch nahegelegt, diesen Punkt den Abschnitten 1 .4 und 1 .5 voranzustellen, welche Tätigkeitsbereiche der Literaturwissenschaft und die Notwendigkeit einer fachsprachlichen Kommunikation besprechen 4 Siehe hierzu stellvertretend Doris Bachmann-Medick, «Einleitung», in: dies . (Hrsg .), Kultur als Text . Die anthropologische Wende der Literaturwissenschaft, Tübingen/ Basel: Francke 2004, S . 7-63 5 Siehe dazu für die Renaissance und in komparatistischer Perspektive Frank-Rutger Hausmann, Französische Renaissance, Stuttgart/ Weimar: J .B . Metzler 1997; hier Kapitel I: «Begriff und Wirklichkeit der Renaissance», S . 1-28 6 Neben der gründlichen Darstellung von Grewe 2009 und den von Liebermann empfohlenen italienischen Literaturgeschichten sind aus meiner Unterrichtserfahrung gerade für Studienanfänger auch die bei Il Mulino (Bologna) erschienenen sechs Epochenprofile der Storia della letteratura italiana, a cura di Andrea Battistini, zu empfehlen ebenso wie Tellinis hervorragende Letteratura italiana, die Literaturgeschichte und klug kommentierte Anthologiestücke in sich vereint . Gino Tellini, Letteratura italiana . Un metodo di studio, Firenze: Le Monnier 2 2014 . Siehe hierzu auch die Besprechung von Marco Menicacci in Italienisch 69 (2013,1), S . 136-138 7 Nicht unerwähnt bleiben soll auch die konzise Lektüre der ersten beiden Proömial- Oktaven des Orlando furioso, anhand derer Liebemann zeigt, in welcher Weise «das Ineinandergreifen von Schriftlichkeit und Mündlichkeit» (S . 98) im Epos des Cinquecento thematisch wird (vgl . S . 96-98) 8 Man könnte höchstens in didaktischer Hinsicht einwenden, dass systematische Differenzierungen wie z .B . in der Narrativik die Typen der Fokalisierung oder Effekte von Distanz und Nähe in unterschiedlichen Typen der Redevermittlung durch geeignete Schaubilder hätten veranschaulicht werden können . Siehe etwa Matias Martinez/ Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, München: Beck 8 2009, S . 94 f ., respektive S . 62 2_IH_Italienisch_73.indd 162 19.05.15 11: 40
