eJournals Italienisch 38/75

Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
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2016
3875 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Persönliche Erinnerungen an Umberto Eco (1932–2016)

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2016
Thomas Stauder
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2 T homaS STaud er Persönliche erinnerungen an umberto eco (1932-2016) Als ich Umberto Eco zum nachfolgend abgedruckten Interview im September 2015 in Mailand traf, wirkte er bereits ein wenig resigniert und melancholisch, wie jemand, der langsam Abschied vom Leben nimmt; er wusste zweifellos schon, dass ihm nicht mehr allzu viel Zeit verbleiben würde, und sprach konsequenterweise davon, keine Verpflichtungen mehr für das Jahr 2016 zu übernehmen. Da Ecos akademisches und literarisches Wirken in den Tagen nach seinem Tod weltweit wohl schon hinreichend gewürdigt wurde und die meisten Leser und Leserinnen von Italienisch ihn vermutlich vor allem über seine Schriften kennen, will ich mich hier im Folgenden auf einige persönliche Erinnerungen an den Menschen Umberto Eco konzentrieren. Ich hatte gerade meine Zulassungs- und Magisterarbeit über Il nome della rosa geschrieben und schickte diese an Eco, als er seinen zweiten Roman, Il pendolo di Foucault veröffentlichte; er lud mich daraufhin Anfang 1989 zu sich nach Bologna ein, wo er damals am DAMS unterrichtete. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch Student - wenngleich schon promovierend - und Eco nicht nur der Inhaber des ersten Lehrstuhls für Semiotik in Italien (und in diesem Fachgebiet international führend), sondern als Erzähler auch der Autor eines bereits in zahlreiche Sprachen übersetzten und alle Auflagenrekorde anderer Romane schlagenden Megasellers, der überdies bereits mit Sean Connery in der Hauptrolle verfilmt worden war. Eine gewisse ’Fallhöhe‘ zwischen uns war also vorhanden und ich bemerkte auch, dass der Zugang zu Ecos universitärem Büro streng kontrolliert wurde, um ihn vor unliebsamen Besuchen damals schon massenhaft existierender Fans abzuschirmen. Obwohl ich Eco also mit Ehrfurcht begegnete - ich wusste bereits von der Vielfalt seiner Interessen und Kenntnisse und sah in ihm einen der letzten Universalgelehrten unserer Epoche -, erwies er sich als frei von jeglichem Dünkel; im Gespräch mit ihm fiel mir schon damals seine besondere Fähigkeit auf, schwierige Sachverhalte auf verständliche und unterhaltsame Weise darzustellen, was aus heutiger Sicht nicht nur den Erfolg seiner Romane erklärt, sondern auch seine Beliebtheit als Hochschullehrer bei den Studierenden. Seine unprätentiöse Aufgeschlossenheit gegenüber der Jugend zeigte sich darin, dass er für mich im Anschluss an dieses erste Treffen das Typoskript seiner im Studienjahr 1986/ 87 gehaltenen Vorlesung über «Aspetti della semiosi ermetica» kopieren und mir nach Deutschland nachschicken ließ, weil mir dies das Verständnis der Darstellung der Esoteriker im Foucaultschen Pendel erleichtern werde. 2_IH_Italienisch_75.indd 2 30.06.16 17: 10 Thomas Stauder Persönliche Erinnerungen an Umberto Eco 3 In den darauffolgenden Jahren und bis zu seinem Tod traf ich Eco regelmäßig nach der Veröffentlichung von jedem seiner Romane; einmal, 2002, auch außerplanmäßig, um mit ihm ein langes Gespräch über seine Biographie zu führen, die eine so wichtige Stelle im italienischen Geistesleben der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einnimmt. Außerdem sah ich ihn bei einigen seinem Werk gewidmeten Tagungen wieder, u.a. 1996 in Frankreich und 1997 in Spanien. In der Normandie - die «décades» von Cerisy sind bekannt für ihre exzessive Länge und ihren geselligen Rahmen - konnte ich so zehn Tage in Folge mit Eco verbringen, wobei die Abende ebenso interessant waren wie die wissenschaftlichen Referate am Tage (u.a. gab Eco Kostproben seiner Flötenspielkunst, mischte sich aber auch - damals immerhin schon über 60 - unter das tanzende junge Volk im Schlosskeller). In Ciudad Real durfte ich mit dabei sein, wie die Universidad de Castilla - La Mancha Eco mit großem akademischem Gepränge eine seiner internationalen Ehrendoktorwürden verlieh; bis zu seinem Tod sollte er um die 40 davon ansammeln (zwei weitere waren ihm noch für 2016 versprochen, wie auf seiner Beerdigung von Mario Andreose berichtet wurde). Bei diesen Tagungen - auch später noch, z.B. in Toronto - pflegte Eco allen Vorträgen beizuwohnen, diese jeweils kurz zu kommentieren, um am Ende dann die Ergebnisse von mehreren Tagen in einer brillanten Synthese zusammenzufassen und durch eigene Überlegungen zu ergänzen; ein ’normaler‘ Schriftsteller wäre hierzu in dieser Form nicht fähig gewesen. Auffällig war für mich auch, dass Eco, obwohl er bei solchen Anlässen immer von zahlreichen Honoratioren umringt war, von sich aus stets das Gespräch mit jüngeren, noch ’unbedeutenden‘ Wissenschaftlern suchte; er erkundigte sich rührend nach unserem Wohlbefinden (ob wir gut untergebracht seien, etc.), für das er sich in gewissem Maße - da er ja der Anlass der Tagung war - verantwortlich fühlte. Umberto Eco war nicht nur als Semiotiker und Romanautor von Bedeutung, sondern auch als gesellschaftlich engagierter Intellektueller. Im Rahmen dieses kurzen Nachrufs kann ich nicht die gesamte Genese und Entwicklung seines politischen Engagements nachzeichnen, will aber zumindest an seine führende Rolle bei der 2002 erfolgten Gründung der Bürgerrechtsbewegung Libertà e Giustizia erinnern, welche vor den Gefahren für die italienische Demokratie durch die uneingeschränkte Medienmacht Berlusconis warnte. Eco hat in mehreren Aufsätzen seine Auffassung von der Rolle der Intellektuellen in der modernen Gesellschaft dargelegt; sich über eine Parteiliste in ein Parlament wählen zu lassen, um dort seine Stimme zu Gehör zu bringen - was beispielsweise Leonardo Sciascia und Claudio Magris versuchten -, lehnte er als wenig effektiv ab. Sinnvoller sei es für den Intellektuellen, sein außerhalb der Politik erworbenes «symbolisches Kapital» (wie Bourdieu es nannte) für punktuelle Interventionen aus der Position 2_IH_Italienisch_75.indd 3 30.06.16 17: 10 Persönliche Erinnerungen an Umberto Eco Thomas Stauder 4 eines Beobachters mit moralischer Autorität zu nutzen; Ecos explizites Vorbild war hierbei Émile Zola mit seinem «J’accuse» in der Dreyfus-Affäre. Als ich zusammen mit Angela Barwig 2007 einen Band zu den Intellettuali italiani del secondo Novecento herausgab, war darin selbstverständlich auch ein Beitrag über Umberto Eco enthalten. Als laizistischer Philosoph - seinen jahrelang inbrünstigen katholischen Glauben hatte er bereits gegen Ende seines Studiums verloren - hielt Eco es für eine seiner wichtigsten Aufgaben, sich mit dem für alle Menschen unvermeidlichen Tod frühzeitig und rational auseinanderzusetzen. In seinem dritten Roman, L’isola del giorno prima, hatte er den Protagonisten Roberto analoge Überlegungen anstellen lassen: «Solo il filosofo sa pensare alla morte come a un dovere, da compiere di buon grado, e senza timore. […] Perché avrei speso tanto tempo a conversare di filosofia se ora non fossi capace a far della mia morte il capolavoro della mia vita? » Als ich Eco beim Gespräch über diesen Roman auf die auffällige Präsenz des Todesmotivs in diesem Werk hinwies, war seine Antwort, in der Tat sei dies nicht allein durch die Ansiedlung der Handlung in der im Zeichen der Vanitas stehenden Barockepoche zu erklären, sondern hänge auch damit zusammen, dass er immer älter werde und der Reflexion über den Tod deshalb immer mehr Bedeutung zumesse. Bei dieser Gelegenheit verriet er mir auch, er habe sich bereits ein aus Tommaso Campanellas Città del sole stammendes Zitat als Grabinschrift ausgesucht und diese in sein Testament aufgenommen: «Aspetta, aspetta. - Non posso, non posso.» Als wir nach dem Gespräch über Numero zero auf dem Weg zu den «Quattro Mori» waren, einem von Ecos Mailänder Stammlokalen in der Nähe seiner Wohnung an der Piazza Castello, verspürte ich das Bedürfnis, ihn durch den Hinweis auf die Unsterblichkeit, die er sich durch seine Werke erworben habe, von den trüben Gedanken an den wohl nicht mehr allzu lange auf sich warten lassenden Abschied von der irdischen Materialität abzulenken. Seine lakonische Antwort klang wenig begeistert: «Bah, l’immortalità…». Wichtiger waren ihm am Lebensende wohl seine Familie und besonders seine Enkel, mit denen er gerne viel Zeit verbrachte und von denen er mir bei dieser Gelegenheit auch einige Anekdoten erzählte; dieses Festhalten an einfachen, aber essentiellen privaten Werten - keineswegs selbstverständlich bei einer derartigen Geistesgröße, deren Prioritäten man normalerweise orientiert an anderen Parametern vermuten würde - findet sich präfiguriert bereits in Il pendolo di Foucault. Darin verkörpert Lia, die Gefährtin Casaubons, nicht nur eine Art von bodenständiger Vernunft, indem sie den angeblichen Geheimplan der Templer als Fälschung entlarvt und damit den darauf fußenden esoterischen Spekulationen, die im Zentrum dieses Romans stehen, den Boden entzieht; als sie schwanger wird, steht sie 2_IH_Italienisch_75.indd 4 30.06.16 17: 10 Thomas Stauder Persönliche Erinnerungen an Umberto Eco 5 auch für den Fortbestand des Lebens, und Casaubon erkennt am Ende im Angesicht des Todes, dass es sein Kind ist, das ihm in seiner Existenz am meisten bedeutet hat: «Mi fa male pensare che non vedrò più Lia e il bambino, la Cosa, Giulio, la mia Pietra Filosofale. Ma le pietre sopravvivono da sole. […] Merda. Eppure fa male. Pazienza, appena sono morto me lo dimentico.» Umberto Eco liebte es keineswegs nur, seine enzyklopädischen Kenntnisse auszubreiten, sondern war auch ein aufmerksamer Zuhörer, der mich am Rande der Interviews zu seinen Romanen gerne danach fragte, womit ich mich sonst gerade wissenschaftlich beschäftigte; so hielten wir uns beim Essen nach dem Gespräch über Numero zero noch lange beim Thema des Ersten Weltkriegs auf, zu dessen kultureller Rezeption ich 2014 einen Sammelband herausgegeben hatte. Auch hatte er stets ein Wort des Trostes für mich bereit, wenn ich ihm erzählte, dass ich trotz mehrerer Gastprofessuren und nicht weniger Publikationen immer noch keinen Ruf erhalten hatte; er äußerte dann, auch in Italien sei die Stellenlage nicht einfacher und einigen seiner Schüler ergehe es derzeit ähnlich. Meinen letzten Kontakt zu Eco - wenngleich aus der Ferne - hatte ich Anfang Februar 2016: Ich weilte zu diesem Zeitpunkt gerade in Frankreich als Jury-Mitglied bei der Soutenance einer an der Universität Clermont- Ferrand verfassten Dissertation über Ecos Romane. In Charroux, im Haus des Directeur de thèse Michael Nerlich (Verfasser einer brillanten Eco-Biographie), beschlossen wir zusammen mit Jean Petitot, Eco einen gemeinsamen Gruß von diesem Ereignis nach Italien zu schicken. Ich bin sicher, dass er unseren Brief noch erhalten und gelesen hat, da er, wie aus seinem familiären Umfeld berichtet wurde, noch bis wenige Tage vor seinem Tod am 19. Februar zuhause am Schreibtisch weiter gearbeitet hat. Umberto Eco war für viele Menschen ein intellektuelles und moralisches Vorbild; die etwas abgegriffen wirkende Formel, sein Tod bedeute einen großen Verlust, trifft in seinem Fall tatsächlich zu. Besonders schmerzlich empfinden seine Abwesenheit all jene Personen, die ihm auf seinem außergewöhnlichen Lebensweg stellenweise etwas nahe sein durften; ich schätze mich glücklich, seine Bekanntschaft gemacht zu haben und dass mich Eco sogar 2011 in einer Veröffentlichung seinen Freund nannte. 2_IH_Italienisch_75.indd 5 30.06.16 17: 10