Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
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2016
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttDem Krieg einen Sinn geben?
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Renate Lunzer
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9 8 re N aT e LuN Z er dem Krieg einen Sinn geben? 1915 und die intellektuellen in italien 1. Präliminarien zur Sinnfrage Die Frage nach dem Sinn der Teilnahme Italiens am Ersten Weltkrieg, der Grande Guerra von 1915-1918, hat seit jeher leidenschaftliche Debatten entfacht. Als die Verfasserin dieses Artikels im Rahmen eines internationalen Enzyklopädieprojekts mit dieser Frage nach dem sense of the war konfrontiert war, verspürte sie insofern Unbehagen, als ihrer Überzeugung nach die Begriffe ‘Krieg’ und ‘Sinn’ einander weitgehend ausschließen. ‘Sinn’ ist freilich nicht ‘Zweck’, und einen (mehr oder minder gerechtfertigten) Zweck haben wohl alle Kriege. ‘Sinn’ lässt sich am ehesten jener Form der bewaffneten Auseinandersetzung zubilligen, die man als notwendigen Verteidigungskrieg bei existenzieller Bedrohung bezeichnen könnte, wobei der Verfasserin bewusst ist, wie viel Missbrauch mit dem Terminus Verteidigungskrieg schon getrieben wurde. Die Teilnahme Italiens am Ersten Weltkrieg diente jedenfalls nicht der Verteidigung, vielmehr konnte sich das Land nach der Julikrise 1914 und der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, die den bekannten Mechanismus weiterer Kriegserklärungen auslöste, noch volle zehn Monate Zeit nehmen für die Entscheidung, ob und auf wessen Seite es in das laufende, zu einem großen europäischen Konflikt angewachsene Kriegsgeschehen eintreten wollte. Auf Seiten der Entente oder der Mittelmächte, seiner Bündnispartner seit 1882. Nach dem abwartenden Rückzug auf eine neutrale Position und komplizierten Verhandlungen mit beiden Blöcken optierte die Regierung des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Salandra (1853-1931) schließlich für den intervento und erklärte im Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg (die Kriegserklärung an das Deutsche Reich erfolgte erst im August 1916), den es unter gewaltigen Menschenopfern an der Seite der Entente ausfocht. Es fielen weit über 600.000 regnicoli (‘Reichsitaliener’), was ungefähr der Bevölkerungszahl der noch von Österreich beherrschten ‘unerlösten’ Gebiete gleichkam. Im (geheimen) Londoner Abkommen vom April 1915 waren Italien unter anderem die Territorien Trentino, Südtirol (deutschsprachig), Triest, Görz-Gradisca, Istrien und Dalmatien (alles multiethnische, gemischtsprachige Gebiete) zugesichert worden. Damit konnten sich die mit Österreich auf diplomatischem Wege bereits ausgehandelten beträchtlichen («parecchio» 1 ) Landgewinne nicht messen 2_IH_Italienisch_75.indd 98 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 99 und die pragmatische Politik des linksliberalen Ex-Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti (1842-1928), der das Land aus dem Krieg heraushalten wollte, war gescheitert. Die dynamische Minderheit der Kriegsbefürworter, der sogenannten Interventionisten (Nationalisten, risorgimental inspirierte Demokraten, Konservative, Anarchosyndikalisten u.a.) hatte der nicht koordinierten Mehrheit der Kriegsgegner (giolittiani, Sozialisten, Katholiken u.a.) in einer eskalierenden Kampagne, die im römischen «strahlenden Mai» und den Hasstiraden des vaterländischen Großdichters D’Annunzio gegen Giolitti und die Neutralisten gipfelte, ihren Willen aufgezwungen. Zwar hat ein Historiker vom Rang Rudolf Lills den italienisch-österreichischen Krieg von 1915-1918 «den sinnlosesten des ganzen Weltkrieges» 2 genannt, die Leidenschaftlichkeit der Agitation, die das Land spaltete, und die gefährlich steigende Gewaltbereitschaft, mit der die Interventionisten den öffentlichen Raum eroberten - die ‘rote’ Piazza der Arbeitskämpfe wurde zur grün-weißroten der Nationalfahne 3 - zeigt allerdings, welch enormes Potential an Sinn die Befürworter dem sogenannten ‘Erlösungskrieg’ zumaßen oder seine Gegner ihm absprachen. Wir fragen also nach den verschiedenen Dimensionen von Sinnhaftigkeit oder als Sinnhaftigkeit verbrämter strategischer Zweckmäßigkeit, von denen sich die Kontrahenten leiten ließen, ferner, wie dieses Ringen endete und über sich hinauswies. 2. intellektuelle und Krieg in europa Einen wesentlichen Beitrag zur Einstimmung auf den Konflikt, zur Mobilisierung der Straße und zum Kriegseintritt leisteten die Intellektuellen. Dies ist kein auf Italien beschränktes Phänomen. Der Krieg wurde von geistigen Eliten auf allen Seiten als «große Gelegenheit» zur Zerschlagung bürgerlicher, als morsch und abgelebt empfundener (oder diffamierter) Ordnungen und Institutionen begrüßt, ja euphorisch willkommen geheißen als «heiliges Brandopfer» (D’Annunzio 4 ), als «Hammerschmiede», der im Zuge der Umwertung aller Werte ein «neuer Mensch» (E. Jünger 5 ), eine Stahlgestalt, entsteigen sollte. Es war die Dialektik von Gegenwartskritik und Kriegsapologetik, die führende Geister Europas umtrieb und sie Befreiung aus einer tiefreichenden Sinnkrise, Selbstverwirklichung, Erlösung suchen ließ in der Destruktion, im Zusammenbruch «einer Friedenswelt, die [der Künstler, der Soldat im Künstler] so überaus satt hatte» (Th. Mann 6 ). Unnötig zu sagen, dass sie damit einer Realpolitik in die Hände spielten, die, frei von utopischen Sehnsüchten, nach Ausweitung ihrer Machtsphären strebte. 2_IH_Italienisch_75.indd 99 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 10 0 3. Sonderfall italien: «L’italia, così com’è, non ci piace» Dennoch ist Italien ein Sonderfall. In keinem anderen Land scheint die Entfremdung der jungen Kulturträger von der Realität der bürgerlich organisierten Gesellschaft und ihrer Führungsschicht so tief, die Bereitschaft zur moralischen Erneuerung so groß gewesen zu sein, nirgendwo konnten Kräfte jenseits von Regierung und Parlament so erheblichen Einfluss auf den Weltkriegseintritt nehmen wie hier. Nicht so sehr ökonomischer und politischer Druck, sondern Intellektuelle verschiedenster Provenienz fungierten als ‘Bagger’ bei der Demontage des prekären Gleichgewichts im liberalen Staat des Integrationspolitikers Giolitti. Warum distanzierten sich die Kulturschaffenden von der eigenen bürgerlich-liberalen Gesellschaft auf dem Höhepunkt ihrer Expansion, warum bekämpften sie wütend und verachtungsvoll die leidlich prosperierende ‘Italietta’ des schlau taktierenden, nach Einbindung der Opposition strebenden alten Hexenmeisters? Warum waren sie nicht bereit, ihr Unbehagen alternativ im Kräftefeld der parlamentarischen Demokratie zu instrumentalisieren? In einem epochemachenden Werk, Il mito della grande guerra, hat Mario Isnenghi ein umfassendes Corpus an literarischen Zeugnissen aus der Inkubationszeit des Großen Krieges auf die soziopolitischen, vor allem aber die psychologischen Motive hin untersucht, die sanfte und radikale Rebellen nach dem Allheilmittel des Krieges greifen ließen. Des Krieges als Pharmakon für die individuellen und kollektiven Ängste, Mängel und Übel. Seit diesem Schlüsseltext wissen wir besser Bescheid über die Erlösungssehnsüchte oder den Nihilismus, der diese ‘vor-politischen’ Dichter und Denker 7 das ‘Stirb und werde! ’ privilegieren ließ, die fatale Leitidee einer ‘Wiedergeburt’, die sich aus der Vernichtung des Bestehenden ableitete. «L’Italia, così com’è, non ci piace» (G. Amendola) kann als Sinnspruch einer Generation (auf oder ab) von öffentlichen Meinungsmachern gelten, zwischen D’Annunzios revanchistischer ‘Mare nostrum’-Lyrik um die Jahrhundertwende, Marinettis Gründungsmanifest des «großen brandstiftenden» Futurismus von 1909 und dem malthusianischen Blutrausch, den Giovanni Papini (1881-1956) und Ardengo Soffici (1879-1964) 1915 als Willkommensgruß für den Großen Krieg in ihrer Zeitschrift Lacerba entfesselten. ‘Stirb! ’ folgte darauf im Überfluss, das ‘Werde! ’ mündete in den totalitären Staat der Faschisten. 4. Nationalismus und interventionismus Ein monochromer Begriff der Nation, der diese mit einem Territorialstaat zusammenfallen lässt, ethnische und linguistisch-kulturelle Homogenität postuliert und somit konstituierend für den Nationalismus wird, hat im 2_IH_Italienisch_75.indd 100 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 101 europäischen 19. und 20. Jahrhundert unendliches Übel angerichtet. Für den Nationalismus musste ein übernationaler Staat wie das Habsburgerreich als Feindbild schlechthin dienen. Es mag daher erstaunen, dass gerade die ‘eigentlichen’ Nationalisten der 1910 von einem Literaten, dem dannunzianeggiante Enrico Corradini (1865-1931,) gegründeten Associazione Nazionalista Italiana zunächst für den intervento im Rahmen des Dreibunds eintraten. Ihm gehörte bekanntlich nicht nur das wilhelminische Deutschland an, das sie wegen seines Militarismus und seiner antidemokratischen Tendenzen bewunderten, sondern auch Österreich, ‘Erbfeind’ und Oppressor der ‘unerlösten’ Italiener von ‘Trento und Triest’ 8 . Doch Corradini und seinen Mitstreitern (Luigi Federzoni, Mastermind Alfredo Rocco) galt der Krieg gegen eine äußere Macht gleich einem Krieg gegen den inneren Feind (das heißt, die Linke, soweit friedenswillig, die progressiven Liberalen, den ‘impotenten Staat’ überhaupt), sie begrüßten ihn als ein die Nation einigendes und reinigendes Blutbad 9 , das den inneren Klassenkampf durch den äußeren ersetzen (und der Rüstungsindustrie auf die Sprünge helfen) würde. ‘Proletarische Nationen’ wie Italien hatten nach Corradinis Theorie das Recht, sich gegenüber den ‘plutokratischen’ wie Großbritannien und Frankreich durch Expansion ihren ‘Platz an der Sonne’ zu erobern. Kriegsziele der A.N.I. waren die Vormachtstellung im Adriaraum und im östlichen Mittelmeer, im Inneren die Eliminierung des Parlamentarismus und der demokratischen Ordnung. Dieser reaktionäre Nationalismus, der dann 1923 die Fusion mit dem ‘großen Bruder’ Faschismus vollzog, bot im Jahr 1914 ein Auffangbekken für viele irredentistische Intellektuelle aus den ‘unerlösten’ Gebieten, so etwa den Triestiner Ruggero Timeus (1892-1915), der den rassistischen Mythos der adriatischen Superitalianität in den Diskurs einbrachte, oder für den Trentiner Ettore Tolomei (1865-1952), einen fanatischen, vor systematischen Fälschungen nicht zurückschreckenden Verfechter der Brennergrenze und der Italianisierung Südtirols, der dann 1919 der italienischen Friedensdelegation bei den Verhandlungen in Paris als Experte (! ) beigegeben war. Die nationalistische Rechte bediente sich zwar der Erlösungsmythen des Irredentismus als Deckmantel für ihren sozialdarwinistischen Imperialismus, verachtete sie aber in Wahrheit zynisch als ‘nützliche Täuschung’ 10 , ebenso wie die humanitären und libertären Ideale der demokratischen Interventionisten, mit denen sie - wie diese mit ihnen - nolens volens an einem Strang zog. Wortgewaltiger Prophet dieses imperialistischen Nationalismus war Gabriele D’Annunzio (1863-1938), seit jeher einflussreichster poetischer Begleiter der adriatischen und afrikanischen Expansionsgelüste Italiens. Dabei wurde ihm großzügig das Forum des Corriere della Sera zur Verfügung gestellt, dessen Direktor Luigi Albertini ein entschiedener Kriegsbefürworter war. 2_IH_Italienisch_75.indd 101 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 102 Während die Propagandisten der A.N.I. durchaus auf das mazzinianische Ideal des ‘Dritten Rom’ rekurrierten, verfochten die ‘modernistischen Nationalisten’ 11 den Konsens zum Kriegseintritt mit rabiat kulturrevolutionären und ikonoklastischen Programmen. Die Futuristen genauso wie die Gruppen, die sich um die Zeitschriften Leonardo (1903-1907), Lacerba (1911-1915) und die berühmteste von allen, La Voce (1908-1916), sammelten, oder der vom Neutralisten zu einem der umtriebigsten Agitatoren für den Krieg gewandelte sozialistische Maximalist Mussolini wurzelten im gemeinsamen Terrain eines Nationalismus, der sich im Mythos des ‘neuen Italieners’ manifestierte. Der gewaltige Umbruch der Moderne, der Dynamismus der vom Konkurrenzkampf dominierten industriellen Massengesellschaft verlangten eine anthropologische Transformation. Nur die Konzentration der nationalen Kräfte auf den Kampf, die Schaffung eines martialischen, aggressiven Italieners, die Liquidierung der Demokratie und der Traditionen eines aufklärerischen Liberalismus konnten demnach der Nation zur Regeneration und zur Ankunft in der Moderne verhelfen. Dieses explosive Gemisch aus historischen Minderwertigkeitskomplexen und ‘futuristischen’ Überwertigkeitsansprüchen - ihm entsprang der Wunsch nach dem ‘Entsühnungskrieg’, der guerra espiazione 12 - lässt sich teils aus der kontroversiellen, bisweilen unter militärischen Niederlagen und diplomatischen Siegen vorangeschrittenen Einheitswerdung Italiens sowie dem Vergleich mit den großen imperialistischen Mächten der Epoche erklären, teils spukten die Philosopheme der Irrationalisten, Gewaltprediger und Elitentheoretiker (Nietzsche, Bergson, Sorel, Pareto) in den Köpfen. Futuristen und Lacerbianer, aber auch revolutionäre Syndikalisten und radikale Republikaner priesen Gewalt und Krieg im Sinne von Georges Sorel (1847-1922) als pädagogische Elemente zur Herausbildung einer neuen Ethik des Mannesmutes. «Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt - den Militarismus, den Patriotismus […] und die schönen Ideen, für die man stirbt» - dieses «entmenschlichte Übermenschentum» 13 , programmatisch festgehalten in den Hauptthesen von Marinettis Gründungsmanifest, fand seinen vielleicht widerwärtigsten Ausdruck in der ‘nekrophilen’ 14 Kriegsliteratur des Futuristenpapstes selbst und in Giovanni Papinis provokatorischen Verbalorgien am Vorabend des italienischen Kriegseintritts: «Das Blut ist der Wein der starken Völker; das Blut ist das Öl zum Schmieren der Räder dieser riesigen Maschine, die aus der Vergangenheit in die Zukunft eilt [...]. Das Zeitalter der Industrie und des Krieges nährt sich von Leichen. Futter für Kanonen und Maschinen…». (Lacerba, 15.10.1913) 2_IH_Italienisch_75.indd 102 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 103 Verständlich, dass ein Neutralist und Paladin der bürgerlichen Ordnung wie der damals bedeutendste italienische Philosoph, der germanophile Neoidealist Benedetto Croce (1866-1952), angesichts dieser blutrünstigen Rülpser die moralische Verkommenheit der intellektuellen rowdies konstatierte, die allerdings als ‘Rammböcke’ 15 gegen den Positivismus unter seinen Augen gewachsen waren. Von den Seiten seiner einflussreichen Zeitschrift Critica tadelte er zwar den Irrationalismus und die Verantwortungslosigkeit des aktivistischen Interventionismus, verhielt sich jedoch, als Rechtfertigungslehrer der Geschichte vom Sieg der Vernunft überzeugt, systemkonform und engagierte sich nicht in pazifistischen Initiativen wie der ungefähr gleichaltrige Bertrand Russell (1872-1970) oder wie Romain Rolland (1866-1944), der mit seinem Appell Au-dessus de la mêlée verzweifelt die gemeineuropäischen Werte zu verteidigen suchte. Das damalige Italien war kein guter Boden für die Entwicklung eines authentischen Pazifismus. Der geniale (Massen-)Kommunikator Marinetti übernahm von D’Annunzio und anderen mit dem ‘Übermenschen’-Virus infizierten Autoren, wie Mario Morasso, vorgebildete Denk- und Gefühlsmuster (lateinischer Rassismus und antidemokratischer Elitarismus, Kult des kriegstüchtigen männlichen Körpers und rauschhafte, depolitisierende Ästhetik der Gewalt), vermengte sie mit genuin futuristischen Mythen wie der pseudoreligiösen Verherrlichung der Geschwindigkeit und des modernen Maschinismus und setze sie mit allen Mitteln damaliger Reklametechnik in Umlauf. Die ästhetische Stilisierung des modernen Maschinenkriegs als orgiastisches Fest der Technik und der Sinne, der lustvolle Genuß des Krieges als Selbstzweck und Privatvergnügen («Marciare, non marcire! » «Osare l’inosabile! ») wie bei D’Annunzio und Marinetti, den prominentesten Barden der intellektuellen Hilfstruppe, hat immer wieder die Frage aufgeworfen, wie sehr diese «Gasmasken-Ästhetik» 16 zum Prozess der Zivilisation quersteht. 5. die Galaxie des demokratischen interventionismus Im Verlangen nach der Palingenese Italiens konnten rechte und linke, demokratische und paternalistische Kriegsbefürworter trotz verschiedener Ziele und Methoden konvergieren. In den sogenannten «demokratischen Interventionismus» flossen verschiedene Strömungen ein. Die von Mazzinis Ideen inspirierten Republikaner sahen im Weltkrieg den vierten italienischen Unabhängigkeitskrieg und somit die Vollendung des Risorgimento: die Heimkehr der noch zur Doppelmonarchie gehörenden terre irredente - Schlachtruf «Trento e Trieste! »- ins Mutterland. Nationale Selbstbestimmung forderten sie aber nicht nur für Italien, sondern im europäistischen Geist ihres ideologischen Übervaters für alle ‘unterdrückten’ Nationen. Ihre Sinnvorgaben 2_IH_Italienisch_75.indd 103 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 10 4 waren die Zerschlagung des ‘Völkerkerkers’ Österreich-Ungarn, die Ausschaltung des ‘preußischen Militarismus’ und die Gründung demokratisch organisierter europäischer Nationalstaaten, die sich in einem Vereinten Europa sammeln sollten. Der spätrisorgimentale Patriotismus der Republikaner diente allerdings, wie schon gesagt, als willkommene Camouflage für das nackte Großmachtstreben der Imperialisten, das über Trento und Triest, «die siamesischen Zwillinge der nationalen Rhetorik» 17 , weit hinausging. Integrationsfiguren des demokratischen Interventionismus waren der Rechtssozialist und Ex-Chefredakteur des Avanti Leonida Bissolati (1857-1920), der unabhängige linke Historiker und Herausgeber der Unità, Gaetano Salvemini (1873-1957), und Cesare Battisti (1875-1916), ehemaliger sozialistischer Abgeordneter zum Wiener Reichstag aus Trento. Salvemini, ein geschworener Feind Giolittis (dem er das Epitheton «il ministro della malavita» 18 anhängte), versuchte als Meinungsbildner, wie Giuseppe Prezzolini (1882- 1982) über La Voce, Kader zu schaffen, die den Diskurs der moralischen Erneuerung Italiens steuern sollten. Mit der national und international ausgegebenen Parole «Delenda Austria! » hat er die Außenpolitik der Regierung im letzten Kriegsjahr nicht unerheblich in Richtung einer Liquidierung des habsburgischen Vielvölkerstaats beeinflusst. Das Schicksal Cesare Battistis ist prototypisch für die tragische Konfliktsituation, in welche die Austroitaliener - wie viele andere Bewohner europäischer Grenzregionen - durch den Ausbruch des Krieges geraten konnten, wenn sich ihre mehrfachen Zugehörigkeiten als nicht mehr kompatibel erwiesen. Battisti, unermüdlicher, von den österreichischen Hinhaltetaktiken frustrierter Vorkämpfer für die Autonomie des Trentino und die Errichtung einer Universität in den terre irredente, wurde als italienischer Patriot zum österreichischen Hochverräter und als solcher nach seiner Gefangennahme hingerichtet. Die Wandlung dieses überzeugten Demokraten vom internationalistischen (? ) Sozialisten zu einem Spitzenexponenten des Interventionismus, der in peinliche Tuchfühlung mit Volkstribunen wie Tolomei, Corradini und D’Annunzio geriet 19 , und schließlich der heroische Einsatz seines Lebens an der Front sind weniger als Stationen eines Transformismus erklärbar denn als Rückkehr zur tiefsten Prägung: Italien. Battistis katholischer Landsmann und Wiener Reichstagskollege Alcide De Gasperi (1881-1954), nach dem Zweiten Weltkrieg langjähriger italienischer Premier, Parteichef der Christdemokraten und Promotor einer europäischen Einigung, ging den umgekehrten Weg: nachdem sich seine neutralistische Vermittlertätigkeit im Rahmen der vatikanischen Diplomatie als vergeblich herausgestellt hatte, kehrte er nach Österreich zurück und blieb dort bis 1918. Im intervento dürfte er, wohl repräsentativ für die Mehrheit der Trentiner, keinen Sinn gesehen haben. 2_IH_Italienisch_75.indd 104 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 105 6. Grenzintellektuelle: Volontariat und enttäuschung Zu den demokratischen Interventionisten gehörten auch zwei bedeutende triestinische Autoren, Scipio Slataper (1888-1915) und Giani Stuparich (1891-1961, höchstdekorierter Weltkriegsoffizier), die in der Vorkriegszeit das Thema der nationalen Frage bei friedlicher Koexistenz in einem übernationalen Staatsgebilde in die Diskussion des führenden Intellektuellenforums La Voce innovierend eingebracht hatten. Sie stellten dem intransigenten politisch-militärischen Irredentismus der Nationalisten ihr Projekt eines ‘kulturellen Irredentismus’ gegenüber, indem sie einen dritten Weg zwischen austriacantismo und überspannter italianità anpeilten: die autonome Dimension der national-kulturellen Identität, die nicht notwendigerweise mit der staatlich-politischen konvergieren müsse. Diese vom Nationalitätenprogramm der österreichischen Sozialdemokratie inspirierte interkulturelle Öffnung hielt jedoch der Probe des Kriegs nicht stand. Der charismatische Slataper, der nicht nur die literarische Landschaft von Triest (Il mio Carso, 1912), sondern auch eine pluralistische Identitätsfindung im Grenzraum vorgezeichnet hatte, mutierte mit verstörender Eile zu einem militanten Interventionisten, dessen publizistischer Aktionismus sich mit den Thesen der imperialistischen Rechten, insbesondere hinsichtlich der ‘Grenzen im Osten’ 20 traf. Die Widersprüchlichkeit seines politischen Denkens und seine letzten Entscheidungen bis hin zum Heldentod in ‘seinem’ Karst ließen sich - suchte man wie bei Battisti nach Gründen - als Drama eines dynamischen Willens und ‘monistische’, national-irredentistische Lösung multipolarer Spannungen deuten. Nicht zum Tod, aber zu lebenslanger - letztlich aporetischer - schriftstellerischer Trauerarbeit eines Überlebenden bestimmte das Kriegsvolontariat Slatapers brüderlichen Freund Stuparich. Sein lakonisches Tagebuch aus den ersten Monaten des Krieges am Isonzo, Guerra del ’15, zeigt uns exemplarisch die Desillusion: das Verblassen der risorgimentalen Träume eines republikanischen Interventionisten in den Schützengräben eines ebenso sinnlosen wie mörderischen Stellungskriegs. Dass Stuparich bald das rote Garibaldiner-Hemd ablegt, das er anfänglich unter der Uniform trug, ist beredtes Symbol einer ideologischen Krise. Entpersönlichung und Abstumpfung des Bewusstseins bis zur Apathie, Aufgeriebenwerden zwischen den Befehlen vorgesetzter Offiziere, die - wie der Oberkommandierende, General Cadorna von ‘intelligenten Bajonetten’ nichts halten, und den scheelen Blicken vieler Kameraden, die den Kampf um ‘Trento e Trieste’ keineswegs ‘wollten’ wie der irredente Freiwillige, lassen in ihm schließlich auch das Ideal des ‘gerechten Krieges’ erodieren. In gänzlich anderer Weise als der introvertierte Triestiner und zu einem viel späteren Zeitpunkt thematisiert ein anderer Intellektueller von der 2_IH_Italienisch_75.indd 105 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 106 Grenze in einem highlight der Kriegsliteratur ähnliche Fragen. Emilio Lussu (1890-1975), sardischer Interventionist, unverwundbarer Offizier in voller Solidarität mit den ihm anvertrauten Bauern und Hirten der Brigata Sassari, Gründer der autonomistischen Sardischen Aktionspartei, Theoretiker der Insurrektion und führender Kopf des organisierten Widerstands gegen das faschistische Regime, beschreibt mit aller Bitterkeit seiner souveränen Ironie Ein Jahr auf der Hochebene (von Asiago, 1916): eine radikale Polemik gegen die italienische Kriegsführung, gegen die Menschenverachtung und Inkompetenz des Generalstabs und der hohen Offiziere, die in Soldaten nichts anderes sehen als ‘Kanonenfutter’, aber nicht einmal fähig sind, dieses zweckmäßig einzusetzen. Diese arrogante Kriegshierarchie ist aber nichts anderes als Spiegel der herrschenden Klasse jenes Italien, das Lussu als «Fiktion eines liberalen Staates» bezeichnet hat. Der Sarde schreibt gegen die völlige Erniedrigung und Entmenschlichung einer zum Denken und zur Verantwortlichkeit begabten Menschheit an, gegen die Zerstörung der Vernunft, die 1939, ein Jahr nach dem Erscheinen seines Buches, einen neuen, den Zweiten Weltkrieg hervorbringen sollte. Der schmale Band aus der Feder eines Exilanten ist ein Zeugnis von europäischer Tragweite über die wahre Natur des Krieges von 1915-1918, vergleichbar mit Le Feu von Barbusse oder Im Westen nichts Neues von Remarque. 7. Gespaltene Linke In der heterogenen Galaxie des Interventionismus finden wir extrem links den Anführer der revolutionären Syndikalisten Alceste de Ambris (1874- 1934). Inspiriert von Georges Sorels Konsakration der Gewalt sah er im Krieg eine historische Chance zur Entbindung des revolutionären Potentials des italienischen Proletariats. Die Hoffnung auf einen neuen, gerechteren Staat der Produktionskräfte scheint ihn auch später bewogen zu haben, als Kabinettschef D’Annunzios die Verfassung für dessen kurzlebige Republik von Fiume auszuarbeiten. Zu den Protagonisten des interventismo rivoluzionario stieß, wie gesagt, auch der Maximalist Benito Mussolini (1883-1945). Nach seiner brüsken Wendung pro Krieg, die seine Entlassung als Chefredakteur des sozialistischen Zentralorgans Avanti und den Parteiausschluss zur Folge hatte, gründete er (mit französischem und dem Geld interessierter Industrie-Lobbies) die Zeitung Popolo d’Italia und löste damit einen Erdrutsch im Meinungsspektrum aus, wie überhaupt in den langen Monaten gespannter Erwartung nicht wenige Kriegsgegner von der Gegenseite absorbiert wurden (darunter vor allem die Katholiken) oder resignierten. Leonida Bissolatis Reformsozialisten (PSRI), 1912 vom PSI ausgeschlossen, verstärkten die Reihen des interventismo democratico, während der PSI unter Sekre- 2_IH_Italienisch_75.indd 106 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 107 tär Costantino Lazzari in seiner pazifistischen und neutralistischen Position verharrte. Angesichts des schmählichen Versagens der sozialistischen Internationale bei Kriegsausbruch - in Deutschland, Österreich und Frankreich triumphierte nicht das proletarische Klassenbewusstsein, sondern das Vaterland - , machte die große sozialistische Partei Italiens durch ihr Beharren auf absoluter Neutralität eine respektable Ausnahme. Freilich konnte sie ihre ursprüngliche Strategie, aktiven Widerstand gegen die Mobilisierung zu leisten, nicht aufrechterhalten und musste vor einer Konfrontation mit dem kriegswilligen Patriotismus zurückscheuen: né aderire né sabotare. 21 In der entscheidenden Parlamentssitzung vom 20. Mai, die sich unter dem Terror der von den interventionistischen Volkstribunen (Rädelsführer D’Annunzio) aufgehetzten Straße vollzog, stimmten einzig die Sozialisten gegen den Krieg. Die dabei ausgesprochene Prophezeiung ihres Leaders Filippo Turati (1857- 1932) sollte sich für ganz Europa aufs schlimmste bewahrheiten: in diesem Krieg würde es keine Sieger geben, denn alle würden Besiegte sein. 8. Guerra festa und allegria di naufragi «Das Blut beginnt aus dem Leib des Vaterlandes zu quellen. Spürt ihr es? Das Töten, die Zerstörung beginnt», so huldigte D’Annunzio 22 todessüchtig am Tag des offiziellen Kriegseintritts der von ihm erfundenen 10. Muse Energeia. Mit einer Zugangserlaubnis zu sämtlichen Kriegsschauplätzen ausgestattet, begann er als Privatkrieger, Überflieger und Propagandatechniker seine Devise «vivere pericolosamente» glanzvoll umzusetzen. Auch Marinetti schickte sich an, die «blutroten Ferien des Genius» zunächst als Angehöriger einer Radfahrertruppe zu konsumieren. Der Sinn, mit dem mehr oder weniger narzisstische Intellektuelle ihre Kriegsteilnahme existentiell aufluden, kann hier nicht in all seiner Vielfalt verfolgt werden. Den Krieg als festliches Abenteuer der Sinne preisen jedenfalls auch die Romane von Ardengo Soffici oder Giovanni Comisso (1895-1969); Piero Jahiers (1884-1966) Con me e con gli alpini ist nicht nur ein literarisch gelungenes Experiment von Poesie und Prosa, sondern auch exemplarisch für die glückhafte Verankerung des einzelnen in der neuen Wertegemeinschaft der Kampfgefährten. Solchen konstruktiven Integrationsmechanismen eines entfremdeten Intellektuellen stehen die regressiven gegenüber wie im Esame di coscienza di un letterato von Renato Serra (1884-1915): jenseits der Stimulantien eines aktivistischen Interventionismus gibt er sich fatalistisch der Auflösung des Ich in der Gruppe hin. Der Krieg erlöst niemanden und nichts, der Mensch macht nicht die Geschichte, nur eines zählt: Andare insieme. Serras cupio dissolvi - man assoziiert Giuseppe Ungarettis Allegria di naufragi - ist die andere, ebenso 2_IH_Italienisch_75.indd 107 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 108 irrationale Seite des triumphierenden Aggressionspotentials der selbsternannten Übermenschen und vitalistischen Brandstifter. Doch selbst ein kühler Beobachter wie Prezzolini wollte die «unwiederbringliche Gelegenheit» zur Subversion des Status quo - des Individuums wie der Gemeinschaft - um keinen Preis versäumen. 9. ein Krieg ohne Sieger Eine vorläufige Bilanz am 23. Mai 1915, dem Tag der Kriegserklärung an Österreich-Ungarn, hätte folgendes ergeben: die ästhetischen Steuerungsmechanismen der Gewaltbereitschaft durch die intellektuellen Hilfstruppen hatten funktioniert; die Mobilisierung der Massen durch die Interventionisten hatten die Regierung des sacro egoismo (Ministerpräsident Salandra/ Außenminister Sonnino) zur Beschleunigung ihrer Entscheidung, d.h. zur Unterzeichnung des Abkommens mit der Entente bewogen; von einem kurzen, siegreichen Krieg konnte sich die classe dirigente im Inneren die Ruhigstellung der subversiven Kräfte und die Überwindung der Systemkrise erwarten. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Nach einem über alles Erwarten langen und kostspieligen Krieg hatte das Land nicht nur die eingangs erwähnten Hekatomben von Gefallenen und unzählige Invaliden zu beklagen, sondern auch den wirtschaftlichen und finanziellen Bankrott sowie die unaufhaltsame Verschärfung der sozialen und politischen Gegensätze, was die Schleusen für die totalitären Entwicklungen der Nachkriegszeit öffnete. Bei den Pariser Friedensverhandlungen 1919 wurden Italien nicht alle beanspruchten Gebiete zuerkannt. Ein Protagonist des daraus resultierenden Revisionismus war wieder einmal D’Annunzio, der die herrschenden Ressentiments in der griffigen Parole des «verstümmelten Sieges» (vittoria mutilata) bündelte, die - Italien im Londoner Geheimvertrag von 1915 überhaupt nicht zugesprochene - Stadt Fiume, heute Rijeka, besetzte und dort einen korporativen Freistaat mit teils sozialrevolutionären Zügen errichtete. Giolitti setzte diesem spektakulären Abenteuer, das Rechte und Linke - Frontkämpfer, Nationalisten, Futuristen, ehemalige demokratische Interventionisten - vereinte, im Dezember 1920 ein Ende, aber die Schwäche oder auch die Konnivenz eines Teils der alten liberalen Eliten mit den Usurpatoren hatte sich deutlich gezeigt. Insofern ist die Interpretation von Fiume als ‘Generalprobe’ für Mussolinis ‘Marsch auf Rom’ zutreffend. Jedenfalls konnte der liberale Staat die seit Anfang der zwanziger Jahre auf einen Bürgerkrieg zusteuernde Krise nicht mehr beherrschen und die Herstellung eines ordine nuovo fiel, unter den bekannten Umständen, Mussolini zu. Ohnehin hatten manche Formen des subversiven antiparlamentarischen Interventionismus von 1915 Elemente der faschistischen Ideologie vorweggenommen, 2_IH_Italienisch_75.indd 108 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 109 so wie die gewalttätigen Tumulte des «strahlenden Mai» der Kriegsbefürworter von damals die Taktiken von Mussolinis Kampfgruppen (squadre). In diesem Sinne sprach Luigi Salvatorelli (1886-1974) vom Interventionismus als Protofaschismus. 23 10. Schluss: offene Fragen Ist es sinnvoll, aus der Retrospektive von hundert Jahren zu fragen, ob auch ein anderer - unblutiger - Verlauf der Dinge möglich gewesen wäre? «Wieviel Quadratkilometern entsprechen 600.000 Tote? ». 24 Über persönliche und kollektive Verantwortung der damals Handelnden zu urteilen oder nach dem ‘Verrat der Intellektuellen’ zu fragen ist - die Verfasserin weiß es wohl - problematisch. Sie lässt abschließend das Wort einem der sensibelsten Autoren aus der Generation der Kriegsteilnehmer, der, gleich fern von ‘dannunzianischem’ Größenwahn und moralischer Zerknirschung, trotz fortgesetzter Reflexion innerhalb seines Werks die beunruhigende Frage nach der Sinnhaftigkeit der Grande Guerra niemals endgültig zu beantworten wagte. Der Kontrast zwischen dem Grauen des Krieges und dem eigenen ethischen Voluntarismus blieb für den ‘erlösten’ und dennoch ‘unerlösten’ Triestiner Giani Stuparich quälend offen: «Avevo partecipato alla guerra che sconvolge gli animi, riapre il caos, scatena i bassi istinti; eppure vi avevo partecipato per un senso e per un principio di giustizia, e dagli orrori della guerra e dall’odio volevo trarre un fondamentale insegnamento d’amore. Come risolvere una così profonda contraddizione? » (Trieste nei miei ricordi, 1948) «Ich hatte am Krieg teilgenommen, der den Sinn verstört, das Chaos wieder aufreißt und die niedrigen Instinkte entfesselt: und dennoch hatte ich aus einem wohlbegründeten Gerechtigkeitssinn an ihm teilgenommen, wollte dem Schrecken des Kriegs und dem Hass eine grundsätzliche Hinwendung zur Liebe abgewinnen. Wie lässt sich ein so tiefer Widerspruch auflösen? » abstract. Analisi del senso che gli intellettuali italiani attribuirono alla ‘Guerra di liberazione’ del 1915-16, e delle critiche. In primo piano vi è la dialettica della critica contemporanea e l’apologia bellica, che spinsero i diversi attori ideologici, quali Nazionalisti, Futuristi e gli ispirati Democratici tardo-rinascimentali verso l’interventismo. Desiderano la Palingenesi italiana proveniente dal crogiolo della guerra, destra e sinistra si trovarono 2_IH_Italienisch_75.indd 109 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 110 a convergere nel sostenere la guerra, e i volontari dalle terre irridente poterono reprimere le loro multiple identità a favore della Italianità. Le tipiche testimonianze letterarie illustrarono il presunto senso del conflitto come ‘grande occasione’ per sovvertire lo status quo dell’Individuo e della Società, così come la critica radicale, e la disillusione etica, la crisi post-bellica e l’annullamento dello stato liberale. anmerkungen 1 In einem am 24.1.1915 in La Tribuna veröffentlichten Brief äußerte Giolitti seine Überzeugung, man könne von den Mittelmächten «viel [molto] ohne Krieg erreichen». Dieses «viel» wurde im Zeitungstext durch «ziemlich viel» [parecchio] ersetzt und so ging der Brief als «lettera del parecchio» in die Geschichte ein. 2 Geschichte Italiens vom 16. Jahrhundert bis zu den Anfängen des Faschismus, Darmstadt 1980, p. 276. 3 Mario Isnenghi hat den Gemeinplatz der ‘roten’ Prädominanz auf der piazza korrigiert und auf ihre mit der Interventionismuskampagne einsetzende (rechtslastige) Wandlung hingewiesen, vgl. Mario Isnenghi, L’Italia in piazza. I luoghi della vita pubblica dal 1848 ai nostri giorni, Bologna 2004 (insbesondere das 3. Kapitel: «La piazza che ha vinto la piazza»). 4 «sacro incendio»: La sagra dei mille (4.5.1915), in: Gabriele D’Annunzio, Tutte le opere, a cura di E. Bianchetti. Prose di ricerca, di lotta, di comando, vol. I, Milano 1947, S. 21. 5 Der Kampf als inneres Erlebnis, Berlin 1922, S. 74-75. 6 «Gedanken im Kriege», in: Die Neue Rundschau, Jg. 25 (1914), S. 1471-1484, hier: S. 1475. 7 Zum «prepartito degli intellettuali» vgl. auch Mario Isnenghi / Giorgio Rochat, La Grande Guerra. 1914-1918, Scandicci 2000, S. 101. 8 ‘Trento e Trieste’ waren die Symbolstädte und zugleich die Kriegsparolen des italienischen Irredentismus und Interventionismus. 9 Vgl. das Kapitel «War as Civil War» in MacGregor Knox‘ komparatistischer Studie To the Threshold of Power, 1922/ 33. Origins and Dynamics of the Fascist and National Socialist Dictatorships, vol. 1, Cambridge 2007, S. 174-182, insbesondere S. 175-176 mit dem Hinweis auf die Vorreiterrolle Alfredo Orianis. 10 Der Begriff des fecondo inganno taucht häufig in den Artikeln von Enrico Corradini, Francesco Coppola und anderen Beiträgern der nationalistischen ‘Idea nazionale’ des Jahres 1915 auf. 11 Mit dem Phänomen des nazionalismo modernista hat sich seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts immer wieder der renommierte Zeithistoriker Emilio Gentile beschäftigt, von «The Conquest of Modernity: From Modernist Nationalism to Fascism», in: Modernism/ modernity, vol. 1, n. 3, 1994, S. 55-87 bis zu «La nostra sfida alle stelle». Futuristi in politica, Bari 2009. 12 «Only war could refute the wounding taunt that les Italiens ne se battent pas» fasst Knox, To the Threshold of power, S. 175, den Wunsch nach kollektiver ‘Entsühnung’ zusammen. 13 Gentile, «La nostra sfida alle stelle», S. 27. 2_IH_Italienisch_75.indd 110 30.06.16 17: 11 Renate Lunzer Dem Krieg einen Sinn geben? 111 14 Vgl. Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, Stuttgart 1974, S. 311-319. 15 Vgl. Isnenghi / Rochat, La Grande Guerra, S. 107. 16 Ingeborg Bachmann, Werke. Hrsg. v. Ch. Koschel u. I. v. Weidenbaum, 4. Bd., München 1978, S. 206. 17 Angelo Vivante, Irredentismo adriatico, Trieste 1984, S. 1 (Erstausgabe: Firenze, Libreria della Voce, 1912) 18 In einem Pamphlet dieses Titels von 1910 kritisierte Salvemini den piemontesischen Staatsmann vor allem wegen seiner bei Wahlen eingesetzten Methoden, vgl. G. Salvemini, Il ministro della malavita e altri scritti sull’Italia giolittiana, a cura di E. Apih, Milano 1962. 19 «Violence both verbal and physical against Giolitti, his parliamentary followers, the Socialists he had sought as allies, and parliament itself had thus by mid-May became the thread that bound the disparate strands of interventismo together» konstatiert Knox, To the Threshold of power, S. 177. 20 Vgl. Scipio Slataper, Confini orientali. Hrsg. v. E. Guagnini, Trieste 1986. 21 Die Formel (‘weder Anschluss noch Sabotage’) prägte Parteisekretär Costantino Lazzari beim Kriegseintritt Italiens. Sie bewahrte die Partei einerseits nicht vor nationalistischen Anschuldigungen wegen «Defaitismus», erlaubte ihr aber andererseits nicht, sich an revolutionären Bewegungen wie dem Turiner Aufstand von 1917 zu beteiligen. 22 Tacitum robur. Parole dette in una cena di compagni all’alba del XXV maggio MCMXV. Die gesamte Rede ist nachzulesen in Gabriele D’Annunzio, Prose di ricerca, di lotta, di comando, di conquista, di tormento, di indovinamento, di celebrazione, di rivendicazione, di liberazione, di favole, di giochi, di baleni, vol. I, Milano 1947, S. 69. 23 Vgl. Luigi Salvatorelli, Nazionalfascismo, Torino 1923. Das Werk erschien in Piero Gobettis «Biblioteca de la rivoluzione liberale». 24 «A quanti chilometri quadrati corrispondono 600.000 morti? », Isnenghi / Rochat, La Grande Guerra, S. 130. auswahlbibliographie Adamson, Walter L.: Embattled Avant-Gardes. Modernism’s Resistance to Commodity Culture in Europe, Berkeley 2007. Benda, Julien: La trahison des clercs, Paris 1977 (Erstausgabe: Paris 1927). D’Annunzio, Gabriele: Prose di ricerca, di lotta, di comando, di conquista, di tormento, di indovinamento, di celebrazione, di rivendicazione, di liberazione, di favole, di giochi, di baleni, vol. I, Milano 1947. Fromm, Erich: Anatomie der menschlichen Destruktivität, Stuttgart 1974. Gatterer, Claus: Erbfeindschaft. Italien-Österreich, Wien et al. 1972. Gentile, Emilio: «The Conquest of Modernity. From Modernist Nationalism to Fascism», in: Modernism/ modernity, vol.1, n.3, 1994, S. 55-87. Gentile, Emilio: «La nostra sfida alle stelle». Futuristi in politica, Roma et al. 2009. Isnenghi, Mario: Il mito della Grande Guerra, Bari 1 1970 (Bologna 6 2007). Isnenghi, Mario / Rochat, Giorgio: La Grande Guerra 1914-1918, Scandicci 2000. Knox, MacGregor: To the Threshold of Power, 1922/ 33. Origins and Dynamics of the Fascist and National Socialist Dictatorships, vol. 1, Cambridge 2007. 2_IH_Italienisch_75.indd 111 30.06.16 17: 11 Dem Krieg einen Sinn geben? Renate Lunzer 112 Lill, Rudolf: Geschichte Italiens vom 16. Jahrhundert bis zur Neuzeit, Darmstadt 1980. Lussu, Emilio: Un anno sull’Altipiano, Torino 1945 (Erstausgabe: Paris 1938). Mondini, Marco: La guerra italiana. Partire, raccontare, tornare. 1914-1918, Bologna 2014. Stuparich, Giani: Guerra del ’15, Milano 1931. Vivante, Angelo: Irredentismo adriatico, Trieste 1984 (Erstausgabe: Firenze 1912). 2_IH_Italienisch_75.indd 112 30.06.16 17: 11