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Narr Verlag Tübingen
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttItalo Calvino e gli anni delle canzoni. Herausgegeben von Enrico de Angelis. Buch und CD. Verona: Betelgeuse 2015, 268 Seiten, € 16,00
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Ruedi Ankli
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Kurzrezensionen 15 4 Italo Calvino e gli anni delle canzoni . herausgegeben von Enrico de Angelis. Buch und CD. Verona: Betelgeuse 2015, 268 Seiten, € 16,00 Es ist heute wohl kaump sehr vielen Leuten bewusst, dass Italo Calvino (1923-1985) vor bald 60 Jahren auch eine stattliche Anzahl Lieder schrieb Im Umfeld der Bewegung der sogenannten cantacronache schrieb er zwischen 1958 und 1960 sieben Lieder, die er zum Teil sogar selber in der Öffentlichkeit (mit)sang: in einer Gruppe, die auf einem Lastwagen an der Feier zum 1 Mai 1958 in Turin teilnahm Diese Lieder und ein weiteres von 1982 sind nun in einem Band erschienen, begleitet von einer CD mit Live- Aufnahmen von 2014 Der Herausgeber Enrico De Angelis, der künstlerische Leiter des Club Tenco von San Remo, schildert den historischen Background der Lieder in wenigen, aber ebenso prägnanten wie informativen Seiten Die Einleitung macht mit den Texten der acht Lieder - und ebenso vielen graphischen Illustrationen, wie sie damals übrigens dazu gehörten - ein Viertel des Buches aus Der voluminösere Teil des Bandes besteht aus zwei Aufsätzen zum literarischen Werk von Calvino zwischen 1946 und 1963 Annalisa Piubello befasst sich mit «L’autobiografismo nella narrativa realistica del primo periodo», Paola Azzolini mit «Italo Calvino e il romanzo inesistente» Wir erwähnen die beiden Aufsätze der Vollständigkeit halber, nehmen aber mit Erstaunen zur Kenntnis, dass beide nur am Rand Bezug zu den canzoni nehmen Alleine die Einleitung, die Texte, die Illustrationen und die CD sind den Preis des Buches wert Im Gegensatz zu den erwähnten Aufsätzen stellt De Angelis immer wieder Parallelen zur Literatur her Die Zeit der canzoni fällt für Calvino mit der Publikation von La speculazione edilizia (1957) und Il barone rampante (1958) sowie Il cavaliere inesistente (1959) zusammen Er beschreibt mit beeindruckender Detailkenntnis der damaligen Kulturszene das Umfeld, in dem seit 1957 die intellektuellen cantacronache mit Sergio Liberovici an der Spitze als Alternative zur musica leggera den Humus für die kommende Generation der cantautori legten, auf dem sich zunächst Fabrizio De André, dann Francesco Guccini und Francesco De Gregori entwickeln konnten Die beiden letztgenannten haben explizit darauf hingewiesen, wie wichtig die Vorläufer der cantacronache für sie waren Diese brachten es zwar kaum zu medialer Beachtung, hatten aber kulturell eine umso stärkere Wirkung auf die nachfolgenden Generationen Die canzoni Calvinos werden von Grazia De Marchi mit ihrer reifen, ergreifenden Stimme stil(ger)echt interpretiert Am Klavier wird sie von Gianantonio Mutto begleitet, ein sehr erfahrener Pianist in Sachen literarische 2_IH_Italienisch_76.indd 154 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 155 canzoni Beide haben übrigens gemeinsam schon erfolgreich das Programm der Lieder eines anderen Autoren auf die Bühne gebracht: Pier Paolo Pasolini Die Aufnahmen der CD stammen von einem Live-Konzert, das im Rahmen des Club Tenco am 21 Juni 2014 in San Remo, stattfand, wo ja bekanntlich auch Calvino aufwuchs Fünf Lieder hat Calvino im Rahmen der cantacronache geschrieben Zu allen hat Sergio Liberovici, der eigentliche Begründer der Bewegung, die Musik geschrieben Das erste Lied, «Dove vola l’avvoltoio», ist das erste der Bewegung überhaupt und auch eines der bekanntesten Es fußt in volkstümlichen Wurzeln und hat eine klare Botschaft in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Der Geier geht zum Fluss, zum Wald, zu den Müttern, ja sogar bis zum Uran (! ), und wird zurückgestoßen Nur die Unverbesserlichen winken ihm zu, und werden von ihm gefressen Dieses Lied war im Gegensatz zu den anderen in Kleinstauflage auch als 78-Touren-Schallplatte erschienen Im übrigen lassen sich dazu - wie auch in den anderen Liedern - Parallelen zu den frühen Erzählungen Calvinos wie «Ultimo viene il corvo» herstellen Bei der ersten Aufführung dieses Liedes am 1 Mai 1958 in Turin soll auch Calvino als Sänger beteiligt gewesen sein «Canzone triste» ist das Pendant zur Erzählung «L’avventura di due sposi» aus dem Erzählband Gli amori difficili Es geht um ein Paar, das sich auf Grund der inkompatiblen Arbeitsschichten kaum sieht Volkstümlich und im Stil einer filastrocca ist das vielleicht bekannteste Lied, «Sul verde fiume Po», dessen märchenhafte Kulisse möglicherweise durch die intensive Arbeit Calvinos an den Fiabe italiane (1954-56) beeinflusst worden war «Oltre il ponte», geschrieben zwischen 1957 und 1958, ist ein Flash über die Resistenz der Partisanen, in dem Calvino einem Mädchen das Wort gibt, vielleicht der compagna des erzählerischen Ich, noch wahrscheinlicher der Tochter De Angelis verweist darauf, wie deutlich hier Vergangenheit und Zukunft, Erinnerung und Hoffnung nebeneinander vorhanden sind, wie so oft bei Calvino Es ist übrigens das meist interpretierte aller Lieder des Schriftstellers Von 1959 ist «Il padrone del mondo», das Calvino auch wieder im Tandem mit Sergio Liberovici geschrieben hat, ein Lied über einen Radfahrer, der sich als Herr der Welt fühlt, weil er sich davon entfernen kann Calvino schrieb nicht ausschliesslich für die cantacronache Um 1960 entstand in Rom in einer analogen Situation zum Turiner Kollektiv eine Gruppe von Schriftstellern und Dichtern, die Lieder für Laura Bettis Spektakel «Giro a vuoto» schrieben Calvino gab dem Lied den doppelten Titel «Turin la nuit o Rome by night» Dieses Lied war bisher gar nie auf einer 2_IH_Italienisch_76.indd 155 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 156 Platte erschienen, ebenso wenig wie das nachfolgende «La tigre», dessen Partituren sogar verloren gingen Die Ballade «Quando ricordiamo» beschließt das Rezital Sie entstand 1982 und stammt aus einem Theater-Programm mit dem berühmten Komponisten Luciano Berio, das 1984 in Salzburg uraufgeführt wurde Der Text ist trotz seiner Schlichtheit enigmatisch und ein literarisches Kleinod Diese acht Texte sind übrigens alle als canzoni verfasst worden und zu unterscheiden von anderen Texten Calvinos, die im Nachhinein mit Musik ergänzt oder unterlegt wurden, oder die lediglich als Inspiration für irgendwelche Musiker oder cantautori dienten . Ruedi Ankli 2_IH_Italienisch_76.indd 156 23.12.16 09: 52