eJournals Italienisch 39/77

Italienisch
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«Schreiben, finden und erfinden» – Claudio Magris erhält den Doctor phil. honoris causa der Freien Universität Berlin und wird mit einem Studientag geehrt

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2017
Bernhard Huss
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Mitteilungen 131 Die Größe dieses Mannes lag eben nicht zuletzt darin, sein Wissen und seinen Scharfsinn, in der Wissenschaft wie in der Politik, nicht nur in theoretische Modellierung, sondern gleichermaßen in mustergültige Praxis zu investieren. Im Jahre 1973 erfolgte eine Initiative zur Gründung des Gruppo di Intervento e Studio nel Campo dell’Educazione Linguistica (http: / / www.giscel.it/ ? q=academics) mit der Aufstellung der zehn berühmten Thesen, und es sei daran erinnert, dass sein Name - in der Funktion des Ministro della pubblica istruzione - auch unter dem Regolamento di attuazione della legge 15 dicembre 1999, n. 482, recante norme di tutela delle minoranze linguistiche storiche steht (https: / / archivio.pubblica.istruzione.it/ normativa/ 2001/ dpr345_ 01.shtml). Von einem ‘erfüllten’ Forscherleben mag man nicht sprechen, denn ‘Forschung’ ist per definitionem unerfüllbar. Aber zweifellos hat dieses Leben überreiche und - im etymologischen Sinne - wirkliche Forschungsergebnisse hervorgebracht, für die wir alle dankbar sind. Thomas Krefeld «Schreiben, finden und erfinden» - Claudio Magris erhält den Doctor phil. honoris causa der Freien Universität Berlin und wird mit einem Studientag geehrt Claudio Magris, der in Deutschland derzeit wohl am meisten beachtete und gewürdigte italienische Intellektuelle, hat am 11. Mai 2017 in Anwesenheit des Botschafters der Republik Italien, S.E. Pietro Benassi, die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin erhalten. In ihren Ansprachen würdigten der Präsident der FU, Prof. Dr. Peter-André Alt, und die Dekanin des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften, Prof. Dr. Claudia Olk, die Verdienste von Claudio Magris als Literaturwissenschaftler, Kulturtheoretiker und Kulturhistoriker, Essayist und Romancier. Sie unterstrichen die grenzüberschreitende Perspektive, mit der Magris die deutsche Literatur der Moderne im europäischen Kontext verankert habe, und die ethische Verpflichtung, die Magris der Literatur zuschreibe und auch selbst in seinen Texten immer wieder neu zum Thema mache. Dies sei, so Alt, insbesondere angesichts der derzeitigen europäischen und globalen politischen Situation von nicht zu überschätzender Bedeutung; er erinnerte in diesem Zusammenhang an die aktuellen Bestrebungen, die Freiheit der Wissenschaft und des kritischen Denkens zu sichern (u.a. ‘March for Science‘). Des Weiteren betonte Alt, die erstmalige Verleihung des Ehrendoktors einer deutschen Universität an Claudio Magris stehe der FU angesichts ihrer Gründungsgeschichte als freiheitlich-demokratische Institution in einer geteilten Stadt besonders gut zu Gesicht. Claudia Olk ergänzte dies durch eine Einordnung von Magris‘ wissenschaftlichem und literarischem Schaffen 2_IH_Italienisch_77.indd 131 12.06.17 11: 15 Mitteilungen 132 in den kulturell vielschichtigen Grenzraum Triest und hob unter anderem die bedeutsamen Parallelen zu James Joyce hervor. In der Laudatio «Wo liegt unser Ithaka? » skizzierte Prof. Dr. Bernhard Huss, der Direktor des Italienzentrums der FU Berlin, das die Veranstaltungen zu Ehren von Magris organisierte, als Schlüsselthema von Magris‘ Denken den Verlust der vormodernen Ganzheit, die Magris in Itaca e oltre (Milano 1982) mit der Chiffre des vom Individuum (‘Odysseus‘) erstrebten ‘Ithaka‘ belegt hat. Die Texte von Magris analysierten allesamt die Konsequenzen des modernen Totalitätsverlusts. Das Subjekt strebe für Magris auf den verschiedensten Wegen danach, die Totalität wiederzuerlangen. Dies bedinge die unterschiedlichsten kulturellen Konzeptionen und Selbstentwürfe, deren Vielfalt und Widersprüchlichkeit bei Magris den komplexen Kern der europäischen Kultur bilde. Deren Vielfältigkeit habe Magris auch bezüglich kollektiver Identitäten und deren Ausbettung bzw. Einbettung in den kulturellen Gesamtzusammenhang Europas wiederholt beschäftigt, wie man nicht zuletzt an der Studie Lontano da dove . Joseph Roth e la tradizione ebraico-orientale (Torino 1971) erkenne. Auch Magris‘ sich allenthalben manifestierendes Interesse für Grenzen, Grenzziehungen, Ab-, Ein- und Ausgrenzungen sei vor diesem Hintergrund zu sehen, da sich die angesichts jenes Totalitätsverlusts vollziehenden Versuche des menschlichen Subjekts, sich der eigenen Position zu vergewissern, als der letztliche Grund für alle Grenz-Problematiken erwiesen, um die es Magris insbesondere am Beispiel seiner Heimatstadt Triest immer wieder gehe. Claudio Magris skizzierte in seiner Dankesrede «Schreiben, finden und erfinden» den unauflöslichen Zusammenhang zwischen eigener, biographisch fundierter Lebens- und Welterfahrung, der Verwurzelung der Literatur in der historisch geprägten Realität und der Freiheit der schriftstellerischen Ausgestaltung der fiktionalen Räume, die die genannten Probleme greifbar machen. Dies verdeutlichte Magris durch einen Abriss seiner eigenen Schriftstellerbiographie, indem er die Anlässe und Bedingungen des eigenen Schreibens im Kontext seines akademischen Werdegangs und seiner Wahrnehmung der kulturellen und geschichtlichen Gesamtsituation von Triest bis Europa besprach. Am 12. Mai 2017 wurde unter dem Motto «Literatur und Welt: Zur Dimension der Literarizität im Werk von Claudio Magris» ein Studientag an der FU abgehalten, den das Italienzentrum in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut Berlin (Leitung: Prof. Luigi Reitani) konzipiert und organisiert hat. Teilnehmer*innen waren neben dem Geehrten: Prof. Natalie Dupré (Leuven), Dr. Irene Fantappiè (Berlin), Prof. Maria Carolina Foi (Triest), Dr. Renate Lunzer (Wien), PD Dr. Ludger Scherer (Bonn/ Berlin) und Prof. Dr. Gisela Schlüter (Erlangen). Besprochen wurden unter anderem Magris‘ wissenschaftliches Werk, beginnend mit der Turiner Dissertation zum Habsburgischen Mythos in der modernen österreichischen Literatur (1963), ferner Danubio (1986) als sein wohl 2_IH_Italienisch_77.indd 132 12.06.17 11: 15 Mitteilungen 13 3 bekanntestes Werk sowie das Theater von Magris am Beispiel von Stadelmann (1988). Dabei wurde herausgearbeitet, wie sowohl im wissenschaftlichen als auch im literarischen Oeuvre von Magris eine intendierte Polyperspektivität und Polyphonie festzustellen ist, die sich der beständigen Orientierung des Autors an lebensweltlichen Konstellationen in ihrer geschichtlichen Vielschichtigkeit verdankt. Der Studientag war die erste Veranstaltung dieser Art, die sich spezifisch auf die Frage nach der literarischen Komponente im Schaffen von Magris konzentriert hat. Die Texte, die auf beiden Veranstaltungen vorgestellt wurden, sollen in absehbarer Zeit vom Italienzentrum der FU veröffentlicht werden. Bernhard Huss Von Claudio Magris erschien zuletzt: Non luogo a procedere (Mailand, Garzanti 2015, auf deutsch: Verfahren eingestellt , übersetzt von Ragni Maria Gschwend (München, Hanser 2017). In Italienisch Nr. 63 / Mai 2010 ist in der Reihe «A colloquio con» ein Interview erschienen, dass Renate Lunzer aus Anlass der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Claudio Magris 2009 geführt hat. ( Red .) giornata di Studi Italiani / Italienischer Studientag «Napoli: le mille voci di una metropoli contemporanea» Il 9 maggio scorso all’Università Martin-Luther di Halle-Wittenberg si è svolta una Giornata di Studi Italiani interamente dedicata a Napoli, città d’arte e cultura millenaria. La manifestazione si inserisce in una lunga tradizione: dal lontano 1995 e con cadenza sempre più regolare (ormai annuale), il dipartimento di Italianistica dell’Istituto di Romanistica dell’Università Halle-Wittenberg organizza una Giornata di Studi Italiani a tema variabile (umorismo e comicità nella cultura italiana; 150 anni di Italia unita; borghesie e intellettuali; Trieste; le lingue speciali, solo per citarne qualcuno tra i più recenti). A relatori dell’istituto stesso si aggiungono di solito ospiti dall’Italia e da altre università tedesche, mentre l’interdisciplinarità è garantita dalla partecipazione di colleghi delle altre facoltà umanistiche (storici, filosofi, storici dell’arte) dell’Università di Halle. Come il titolo stesso della manifestazione di quest’anno evidenzia («Napoli: le mille voci di una metropoli contemporanea»), obiettivo della Giornata è stata la riflessione, in prospettiva interdisciplinare, sugli aspetti attuali, intrinsecamente contraddittori, di una metropoli soggetta a un continuo divenire, che tende a nutrirsi dei propri stessi conflitti in un groviglio ambiguo e inafferrabile di tradizione e modernità. 2_IH_Italienisch_77.indd 133 12.06.17 11: 15