Italienisch
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttIn Memoriam Salvatore A. Sanna (1934 - 2018)
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Caroline Lüderssen
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14 5 Mitteilungen In Memoriam Salvatore A. Sanna (1934-2018) Als einen Menschen mit ‘sardischen Wurzeln und einer deutschen Seele’ hat man Salvatore A. Sanna in einem Zeitungsartikel von 1993 bezeichnet. 1 Geboren 1934 in Oristano im Westen Sardiniens, studierte Sanna Germanistik und Anglistik an der Universität Cagliari und kam 1958 mit einem Stipendium der sardischen Regierung erstmals nach Deutschland. Die Abschlussarbeit schrieb er zum Thema «La satira politica di Heinrich Heine nelle sue opere Atta Troll e Deutschland: ein Wintermärchen», danach zog es ihn wieder nach Deutschland. 1962 trat er als Lektor für italienische Sprache und Literatur in die Goethe-Universität Frankfurt ein, er lehrte dort bis 1998. Überzeugt davon, dass die deutsch-italienischen Beziehungen belebt werden müssen, gründete er 1966 gemeinsam mit Trude Müller die Deutsch-Italienische Vereinigung e.V. in Frankfurt am Main und rief kurz danach die dieser angeschlossene Frankfurter Westend Galerie ins Leben. Beide sind heute sein Vermächtnis. Ein Bild des zeitgenössischen, modernen Italien sollte im Vordergrund stehen. Es kamen Lucio Fontana, die Künstler der Forma I: Carla Accardi, Pietro Consagra, Piero Dorazio, Achille Perilli, Antonio Sanfilippo, Giulio Turcato, sowie Giuseppe Santomaso, Enrico Della Torre, Fausto Melotti. Viele junge Künstler folgten, die in ihm einen Förderer und Freund fanden, an den sie jetzt dankbar und voller Ehrerbietung denken. Ein zweiter Schwerpunkt der Galerie war und ist «Deutsche Künstler und Italien». Eduard Bargheer, Max Peiffer Watenphul, Heinrich Steiner aus der Generation der nach Italien Exilierten, Petra Lemmerz, Norbert Tadeusz, Ulrich Erben, Deva Wolfram aus der jüngeren Generation. 2 Eine Pionierleistung war zum 20-jährigen Bestehen der Deutsch-Italienischen Vereinigung 1986 die Herausgabe der ersten deutschen Gesamtausgabe des «Viaggio per l’Italia» von Johann Caspar Goethe. 3 Eine Kopie des Manuskripts hatte Herr Sanna auf einer abenteuerlichen Reise aus Weimar abgeholt. 1 Angela Natale, «Radici sarde e anima tedesca», L’Unione sarda 13.4.1993, S. 7. 2 Vier Kunstkataloge dokumentieren dieses Tätigkeit: Zur italienischen Kunst nach 1945 / Deutsche Künstler und Italien, Frankfurt am Main 1981, 1986, 1991, 2001. 3 Johann Caspar Goethe, Reise durch Italien im Jahre 1740. Viaggio per l’Italia. Hrsg. von der Deutsch-Italienischen Vereinigung e.V. Übersetzt und kommentiert von Albert Meier. Mit 15 Zeichnungen von Elmar Hillebrand, Frankfurt am Main 1986. Danach bei dtv. Italienisch_80.indb 145 01.03.19 12: 09 14 6 Mitteilungen In den 90er Jahren folgten zahlreiche Studien zur von ihm so getauften «letteratura de-centrata», einer «vom Zentrum aus verlagerten literarischen Produktion im Ausland». 4 Aus verschiedenen Tagungen und Lesungen, u. a. in der Villa Vigoni am Comer See, ging eine Anthologie mit kritischen Texten hervor. 5 Italienische Autoren wurden nach Frankfurt eingeladen, darunter Giorgio Bassani, Leonardo Sciascia, Giuseppe Bufalino, Luigi Malerba, Vincenzo Consolo, Giuliana Morandini. Die Gespräche erschienen in der Reihe «A colloquio con» in der Zeitschrift Italienisch, die er zusammen mit Arno Euler 1979 gegründet hatte. Über 30 Editorials hat Salvatore A. Sanna für Italienisch verfasst, mit vielfältigen Anregungen, die um den deutsch-italienischen Austausch kreisen, besondere Akzente hervorheben, zum Beispiel die «tangenti», die zu Zeiten Vittorio Emanuele II. «zuccherini» hießen, die Beziehungen des Pataphysikers Alfred Jarry zu Italien, die Italienreisen von Ferdinand Gregorovius und Michel de Montaigne, die Gründung von «Europa-Schulen» oder einer zentralen Koordinationsstelle für italianistische Dissertationen. In alle Texte ist ein tiefes europäisches Bewusstsein eingewoben, ein Gefühl für die Fruchtbarkeit der vielfältigen Identität. Das ist auch der Kern der Lyrik von Salvatore A. Sanna, die Emigration positiv, auch im Sinne einer Horizonterweiterung deutet. Sechs zweisprachige Gedichtbände sind erschienen: Fünfzehn Jahre Augenblicke (1978), Wacholderblüten (1984), Löwen-Maul (1988), Feste (1991), Mnemosyne (1999), Mare (2009). Die Titel wählte Sanna stets deutsch, und publizierte immer zweisprachig, da er sich erklärtermaßen auch an ein deutsches Publikum wandte, das des Italienischen mächtig ist. Dazu kommen zwei Gesamtausgaben und eine italienische Ausgabe der Sammlungen Löwen-Maul und Feste. Diese wurde 1996 mit dem Premio Pannunzio ausgezeichnet. In seiner «Prefazione» zu diesem Band nennt Luigi Malerba die Gedichte eine «laizistische Beichte an den schweigend zuhörenden Leser» und konstatiert: «La lettura di una buona poesia […] ci può dare il senso della leggerezza e qualche barlume di felicità, sia pure intrinseca di malincolia. Una lettura di questo elegante e intenso poeta sardo-francofortese ci porta in ogni caso più in alto dei grattacieli delle banche di Francoforte.» 6 4 Salvatore A. Sanna, «Letteratura de-centrata», Italienisch Nr. 13, Mai 1985, S. 1. 5 Letteratura de-centrata. Italienische Autorinnen und Autoren in Deutschland. Hrsg. von Caroline Lüderssen und Salvatore A. Sanna, Frankfurt am Main 1995. 6 Luigi Malerba, [Presentazione], in: Salvatore A. Sanna, La fortezza dell’aria, Milano: Masoero 1995, S. 11. Italienisch_80.indb 146 01.03.19 12: 09 147 Mitteilungen Am 21. November 2018 ist Salvatore A. Sanna nach langer Krankheit im 84. Lebensjahr in Frankfurt am Main gestorben. Wir veröffentlichen im Anschluss den Nachruf, den Christoff Neumeister anlässlich der Trauerfeier am 10. Dezember 2018 in Frankfurt am Main vorgetragen hat, sowie einen Text von Anna Maria Micheli Kiel über den Gedichtband Mare. Caroline Lüderssen Der Dichter Salvatore A. Sanna 1 Die Gedichte Salvatore A. Sannas sind stets aus einer bestimmten Lebenssituation erwachsen, entweder aus einer unmittelbar gegenwärtigen oder aus einer in der Erinnerung vergegenwärtigten, sind der dichterisch gestaltete Ausdruck seiner gedanklichen und emotionalen Reaktion darauf. Die verschiedensten Lebensbereiche kommen zur Sprache: Liebe und Tod; Stimmungen von Tages- und Jahreszeiten; Eindrücke, welche Kunstwerke, Städte und Landschaften bei ihm hinterlassen haben, wobei - nicht verwunderlich bei jemandem, der aus einer Küstenregion stammt - dem Meer eine besondere Rolle zukommt, dem er ja auch seine letzte Gedichtsammlung gewidmet hat. Der Ton ist keineswegs durchgehend ernsthaft und getragen, er kann auch scherzhaft, selbstironisch und spöttisch, gelegentlich sogar kaustisch sein. So ist auch keineswegs immer nur von der großen Liebe die Rede: In einem frühen Gedicht erzählt er z.B. davon, wie er sich im Sprachkurs gemeinsam mit der Mitstudentin, die er im Gedicht anspricht, um die Schwierigkeiten des der die das (also des grammatischen Geschlechts) in der deutschen Sprache und um deren reichlich irreguläre Deklinationsregeln bemüht, wie sie aber beide - er und seine Adressatin - die ganze Zeit auch in einer noch anderen, stummen, ebenfalls an Irregularitäten reichen Sprache miteinander kommunizieren: e parliamo, parliamo (34). Ein Beispiel für die kaustische Tonlage ist jenes Gedicht über den Dackel, der die nächtlich leere Straße erst überquert, als die Fußgänger-Ampel auf Grün wechselt, felice/ di eseguire/ un comando: Er ist als typisch deutscher Dackel dadurch gekennzeichnet, dass in dem sonst italienischen Text allein das Wort grün deutsch eingefügt ist 1 Die Zahlen in Klammern bezeichnen die Seiten in Ausgabe der Gesammelten Gedichte (Zwischen zwei Ufern - Fra le due sponde. Gesammelte Gedichte Italienisch- Deutsch. Hrsg., kommentiert und mit einem Essay versehen von Thomas Amos, Tübingen: Narr 2004). Italienisch_80.indb 147 01.03.19 12: 09