Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
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2018
4080
Fesenmeier Föcking Krefeld OttDer Dichter Salvatore A. Sanna
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2018
Christoff Neumeister
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147 Mitteilungen Am 21. November 2018 ist Salvatore A. Sanna nach langer Krankheit im 84. Lebensjahr in Frankfurt am Main gestorben. Wir veröffentlichen im Anschluss den Nachruf, den Christoff Neumeister anlässlich der Trauerfeier am 10. Dezember 2018 in Frankfurt am Main vorgetragen hat, sowie einen Text von Anna Maria Micheli Kiel über den Gedichtband Mare. Caroline Lüderssen Der Dichter Salvatore A. Sanna 1 Die Gedichte Salvatore A. Sannas sind stets aus einer bestimmten Lebenssituation erwachsen, entweder aus einer unmittelbar gegenwärtigen oder aus einer in der Erinnerung vergegenwärtigten, sind der dichterisch gestaltete Ausdruck seiner gedanklichen und emotionalen Reaktion darauf. Die verschiedensten Lebensbereiche kommen zur Sprache: Liebe und Tod; Stimmungen von Tages- und Jahreszeiten; Eindrücke, welche Kunstwerke, Städte und Landschaften bei ihm hinterlassen haben, wobei - nicht verwunderlich bei jemandem, der aus einer Küstenregion stammt - dem Meer eine besondere Rolle zukommt, dem er ja auch seine letzte Gedichtsammlung gewidmet hat. Der Ton ist keineswegs durchgehend ernsthaft und getragen, er kann auch scherzhaft, selbstironisch und spöttisch, gelegentlich sogar kaustisch sein. So ist auch keineswegs immer nur von der großen Liebe die Rede: In einem frühen Gedicht erzählt er z.B. davon, wie er sich im Sprachkurs gemeinsam mit der Mitstudentin, die er im Gedicht anspricht, um die Schwierigkeiten des der die das (also des grammatischen Geschlechts) in der deutschen Sprache und um deren reichlich irreguläre Deklinationsregeln bemüht, wie sie aber beide - er und seine Adressatin - die ganze Zeit auch in einer noch anderen, stummen, ebenfalls an Irregularitäten reichen Sprache miteinander kommunizieren: e parliamo, parliamo (34). Ein Beispiel für die kaustische Tonlage ist jenes Gedicht über den Dackel, der die nächtlich leere Straße erst überquert, als die Fußgänger-Ampel auf Grün wechselt, felice/ di eseguire/ un comando: Er ist als typisch deutscher Dackel dadurch gekennzeichnet, dass in dem sonst italienischen Text allein das Wort grün deutsch eingefügt ist 1 Die Zahlen in Klammern bezeichnen die Seiten in Ausgabe der Gesammelten Gedichte (Zwischen zwei Ufern - Fra le due sponde. Gesammelte Gedichte Italienisch- Deutsch. Hrsg., kommentiert und mit einem Essay versehen von Thomas Amos, Tübingen: Narr 2004). Italienisch_80.indb 147 01.03.19 12: 09 14 8 Mitteilungen (200). Aber da gibt es auch wunderbare Schilderungen von Landschaften, Tages- und Jahreszeiten und die durch sie bei ihm ausgelösten Stimmungen: In einem Frühlingsgedicht, das die gerade zart bebend sich öffnenden Primelblüten feiert, lässt sich natürlich leicht der Übergang herstellen zu eigenen bebenden Frühlingsgefühlen (147). Bei den vielen Abend- und Morgengedichten fällt aber auf, dass sie fast durchweg eine leise andere, eher schwermütige Pointe haben: Am Abend verstummt auf der Piazza das lärmende Getriebe des Tages, und so kann der Dichter endlich wieder ungestört Zeuge sein, wie sich in dem Becken des großen Brunnens die Wasserfläche unterm Abendwind leise kräuselt (322). Und am frühen Morgen hat diese lärmende Betriebsamkeit noch nicht wieder eingesetzt, und so kann er noch das Rauschen des nahen Meeres und den beglückenden ersten Hahnenschrei vernehmen (319). Die Störung, ja oft geradezu Zer-Störung der Natur durch das Lärmen der Menschen, durch das Rattern ihrer Maschinen, und durch den Schmutz, den sie hinterlassen, ist ein immer wieder angedeutetes Thema, meist melancholisch, gelegentlich auch sardisch-sardonisch kommentiert: Da hat etwa ein Camper an einer stillen Stelle am Genfer See sein Zelt aufgeschlagen, lässt nun sein Autoradio in voller Lautstärke Jazz-Musik spielen, und verschafft sich so das Gefühl, endlich «Teil des Alls» geworden zu sein: si sente parte/ del tutto (172). Meist drücken sich in den Gedichten also dichterisch gestaltet Reaktionen auf unmittelbar Gegenwärtiges aus, aber es kann auch vergegenwärtigtes Vergangenes sein. In einem Gedicht der Sammlung Mnemosyne finden sich wunderbar anrührende Kindheits- und Jugenderinnerungen: an Weinlesen, bei denen die Kinder mithalfen, an den Duft von Most und Trester, und später dann an die reizende Sprödigkeit (prudore) der Dorfmädchen beim abendlichen Tanz auf der Piazza - Erinnerungen, die sich aber leider längst in ein Trugbild (miraggio) verwandelt haben, und dies nicht nur, weil sich die Zeitverhältnisse auch dort inzwischen verändert haben, sondern auch, weil es eine inzwischen unwiederbringlich vergangene Zeit ist (379). Damit wird ein anderes Grundthema seiner Dichtung angeschlagen: Vergänglichkeit und insbesondere die eigene Vergänglichkeit. Ganz stark empfindet er sie, wenn er, wie in seinen letzten Gedichten, aufs Meer hinausschaut und diesem mächtigen, fast ewigen Element, das er personifizierend anredet, eingestehen muss, dass das universale Gesetz des Werdens und Vergehens zwar für alles in dieser Welt gilt, auch für Dich, Meer! das aber mir, im Vergleich zu Deiner Ewigkeit, nur einen Augenblick (un attimo) zubilligt. 2 Das Ende, das nach diesem Gesetz uns allen bevorsteht, wird von 2 S. 264 in der italienischen Ausgabe von Fra le due sponde (Nuoro: Edizioni Il Maestrale 2014). Italienisch_80.indb 148 01.03.19 12: 09 14 9 Mitteilungen ihm als ein Dunkles, Unbekanntes empfunden - oder, im uralten Bild von der Seefahrt des Lebens: als ein unbekannter Hafen, in den wir alle einmal einlaufen müssen. Und im Hinblick auf ihn erweist sich dann all die Fracht, die wir im Ablauf der Zeit in unser Lebensschiff haben einbringen können - Besitztümer, gesellschaftliche Stellung, Ruhm - als letztlich belanglos: Poco importa il tonnellaggio se la meta che ti attende è un porto sconosciuto Kaum von Bedeutung die Tonnage wenn das Fahrtziel das auf dich wartet ein unbekannter Hafen ist (376-377). Damit ist Sanna unversehens (und wir mit ihm) in den Bereich des philosophisch Sentenziösen geraten. Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass einem wie ihm, einem, der nach eigenen Worten noch jener fast schon fossilen Menschenart ̒ Dichter ̕ angehört (275), so etwas nur selten und ausnahmsweise zustößt. So gut wie immer vielmehr wird uns in seinen Gedichten konkret Gegenständliches vor die Augen gestellt, welches ihm aber zum Symbol geworden ist. Er überlässt es uns, die darin enthaltene Aussage oder Aufforderung herauszuhören. Die extreme sprachliche Verknappung, die versteckten, manchmal auf ein einziges Wort zugespitzten Pointen, die Anspielungen auf andere große Dichtung (Dante, John Donne, Heinrich Heine, Cesare Pavese) machen das nicht eben leicht. Aber das hat seinen Sinn und seinen Zweck: Es zwingt uns, falls wir nur die Geduld dafür aufbringen, uns mit diesen winzigen, rätselhaft knappen Sprachgebilden weit intensiver auseinanderzusetzen als mit manchen breit ausformulierten, sofort verständlichen und vielleicht deshalb auch schnell wieder vergessenen Prosatexten, und es sorgt dafür, dass wir die Botschaft dieser Gedichte nicht nur verstandesmäßig aufnehmen, sondern sie, und dies unter Umständen sogar noch bevor wir sie ganz verstanden haben, auch in unser Fühlen und Empfinden mit hereinnehmen und dort auf Dauer aufbewahren. Das ist das Kennzeichen einer Dichtung, die bleiben wird. Christoff Neumeister Italienisch_80.indb 149 01.03.19 12: 09