eJournals Italienisch 45/90

Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
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2024
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Erinnerung an Peter Brockmeier (Kassel, 12.04.1934 – Berlin, 01.06.2024)

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2024
Hermann H. Wetzel
ita45900223
Mitteilungen Erinnerung an Peter Brockmeier (Kassel, 12.04.1934 - Berlin, 01.06.2024) Wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag verstarb Peter Brockmeier am 1. Juni 2024 in Berlin, wo er seit der Übernahme eines Lehrstuhls für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Freien Universität im Jahr 1980 und ab 1995 an der Humboldt- Universität gelehrt hatte. 1971 war er nach dem Studium der Komparatistik, Anglistik und Germanistik in München und Tü‐ bingen, das er mit der Promotion in Tübingen (Prof. Kurt Wais) abschloss, nach einem Aufenthalt als Lektor in Venedig (1960-64) und nach der Habilitation an der TU Darmstadt (Prof. Walter Naumann) auf den Lehrstuhl für Französische und Italienische Literaturwissenschaft an die Universität Mannheim berufen worden, wo er sich beim Aufbau der jungen Universität Verdienste erwerben konnte. Die repräsentativen Gemächer des kurfürstlichen Schlosses Karl-Theo‐ dors boten nicht nur den passenden Rahmen für den jungen Ordinarius (wenn auch ohne den Muff eines Talars und ohne Chef-Allüren), sondern auch für einen angesichts der damaligen Studentenproteste spannungsgeladenen, mit Maschinengewehren geschützten Voltaire-Kongress im Jahr 1978 zum 200.-To‐ desjahr (Voltaire und Deutschland: Quellen und Untersuchungen zur Rezeption der französischen Aufklärung, 1979) mit zwei so gegensätzlichen Festrednern wie dem wegen seiner NS-Vergangenheit umstrittenen baden-württembergi‐ schen Ministerpräsidenten Filbinger und dem Pariser Politologen Grosser. Der Epoche der Aufklärung galt neben der Literaturgeschichtsschreibung Brockmeiers wissenschaftliches Interesse schon seit seiner komparatistischen Dissertation (Darstellungen der französischen Literaturgeschichte von Claude Fauchet bis J. F. de Laharpe und F. Bouterwek, 1963). Folgerichtig widmete er sich auch praktisch der Literaturgeschichtsschreibung mit seiner gemeinsam mit Kollegen verfassten dreibändigen Französischen Literatur in Einzeldarstel‐ lungen (1981/ 82), die mit textbezogenen exemplarischen Interpretationen ganz dezidiert die Absicht verfolgte, «die Erörterung der Zusammenhänge zwischen Sozialgeschichte und Literaturgeschichte nicht auf der dürren Weide der [da‐ mals so beliebten] Methodendiskussion im Kreis herum zu führen» (Vorwort). Neben dem anglistischen Schwerpunkt Beckett galt Brockmeiers besondere Zuneigung der italienischen Literatur, hier in erster Linie der Novellistik der Renaissance (Lust und Herrschaft. Studien über gesellschaftliche Aspekte der Novellistik: Boccaccio, Sacchetti, Margarete von Navarra, Cervantes, 1972). Sein Bemühen, seriöse wissenschaftliche Texte stilistisch reizvoll auch für ein breiteres interessiertes Publikum zu verfassen, war so erfolgreich, dass es ihm gelang, in Hamburg auf rosa Papier gedruckt zu werden. Das Bedürfnis, nicht nur für den engen Kreis der Wissenschaftler zu schreiben, ließ ihn nicht nur praktische Kompendien verfassen, so den Wege der Forschung-Band der Wiss. Buchgesellschaft zu Boccaccios Decameron (1974) und die Bände über Villon (1977) und Beckett (2001) in der Sammlung Metzler, sondern vor allem auch Übersetzungen mit Kommentaren in den beliebten zweisprachigen Reclam-Ausgaben: Voltaire, L’Ingenu, 1982; Petrarca, Canzo‐ niere, 50 Gedichte, 2006; Boccaccio, Decameron (zunächst probeweise zwanzig ausgewählte Novellen 1988; dann 2012 die vollständige Sammlung, nur deutsch). Dieser unprätentiöse, uneitle Dienst an den Texten, in der Form nicht immer ge‐ dankter, unspektakulärer Übersetzungs- und Kommentararbeit, charakterisiert Brockmeiers wissenschaftlichen Stil, der einhergeht mit selbstdistanziertem Humor. Es soll sogar einen Romanisten (nicht den Verfasser dieser Zeilen) geben, der unter anderem durch die ansteckende Heiterkeit, die aus Peter Brockmeiers Dienstzimmer in den kafkaesken Flur des Mannheimer Schlosses drang, für eine lebenslange Beschäftigung mit der Romanistik gewonnen wurde. Hermann H. Wetzel 224 Mitteilungen