Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
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2010
627-8
Einzelpreis: 15,00 EUR Einsatzfeld Schiene im Transportmarkt Fahrgastpolitik Ökoeffizienz bei Binnenhäfen Finanzierung der Bundesfernstraßen Gotthard-Basistunnel Planung von Transportketten Nr. 7+8 Juli+Aug. 2010 62. Jahrgang Nr. 7+8 Juli+Aug. 2010 62. Jahrgang Special rate for InnoTrans exhibitors! 3rd edition of World Rail Market Study will be launched at this year’s InnoTrans! World Rail Market Study 2010 Based on a survey conducted in the 50 largest rail markets worldwide, the study provides an update on the installed base and market volumes. Unique market growth predictions are displayed for the short-term and 2020 time horizon per product segment and regions. On top of that, the UNIFE Rail Market Study elaborates strategic conclusions for the industry and relects on market developments taking into account the impact of the economic downturn and several possible political and economic scenarios. A study conducted by UNIFE, the European rail industry in co-operation with Boston Consulting Group (BCG) published by Eurailpress It is the largest study of its kind and a major reference for the rail community. www.eurailpress.de l www.railwaygazette.com Contact: DVV Media Group GmbH l Eurailpress Editorial 3 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, ich freue mich, Ihnen die Sommerausgabe des Internationalen Verkehrswesen überreichen zu dürfen. Wir alle kennen den Start in die Sommerferiensaison als eine Zeit, in der sich Staumeldungen und Hitzerekorde in den Nachrichten abwechseln. Zu Letzterem haben wir in Zusammenhang mit Green-Mobility und der notwendigen CO 2 -Reduktion interessante Ansätze gelesen und diskutiert. So ist es an der Zeit, sich dem Thema der Bewältigung des Verkehrsaufkommens zu widmen und einen Fokus auf die Infrastruktur zu legen. Als Einstieg in die Thematik, stellt Dr.-Ing. Andreas Kossak, Hamburg, die Argumente der nutzungsabhängigen Finanzierung von Infrastruktur von Pkw-Maut-Befürwortern und -Gegnern in seinem Artikel „Finanzierung der Bundesfernstraßen“ gegenüber. Interessanterweise werden von der Bevölkerung die Argumente der Autolobby stärker rezipiert. Als verstärkender Faktor wirkt hierbei das grundsätzliche Gefühl einer ineffizienten Verwaltung, so dass die sachliche Argumentation erheblich erschwert wird. Als Kontrast hierzu bietet der Artikel von Jürgen Berlitz, ADAC, München, et al. die Sicht eines Interessenverbandes. Er stellt im Wesentlichen auf eine Verstetigung der Finanzierung ab, zumal durch Mineralölsteuer und Lkw-Maut ausreichend Geld im System ist, das zweckgebunden eingesetzt werden soll. Gestatten Sie mir in Bezug auf herausragende Infrastrukturprojekte noch einen Ausblick auf Oktober 2010. Im Herbst dieses Jahres wird der mit 57 km längste Bahntunnel der Welt vollständig durchbrochen sein - der Gotthard-Basistunnel. Gregor Saladin, Bundesamt für Verkehr BAV, Ittigen (Schweiz), gibt uns einen kurzen Einblick in die Planung und Finanzierung dieses Großprojekts und diskutiert weiterführende Möglichkeiten zur Verkehrslenkung in Form einer „Alpentransitbörse“. Mit dem Bau des Gotthard-Basistunnels wird ein Meilenstein in der Alpenquerung Realität; dies legt einen Blick auf das mögliche „Einsatzfeld der Eisenbahn im Transportmarkt“ von Prof. Dr.-Ing. E.h. Helmut Maak, Neumarkt, nahe. Er hält ein Plädoyer für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene und untermauert dieses mit spannenden Zahlen rund um Verkehrsleistung und -aufkommen unterschiedlicher Verkehrsträger. Dr.-Ing. Wolf-Christian Hildebrand, hwup Consulting, Berlin, et al. geben daran anschließend in ihrem Artikel einen Einblick in die Entwicklung von Personen- und Güterbahnhöfen aus betrieblicher Sicht. Ein weiterer großer Themenblock der Sommerausgabe ist die Binnenschifffahrt. So wird im Artikel von André A. Auderset, Vizepräsident der Europäischen Binnenschiffahrts-Union, Brüssel, die „Künftige Rolle der Binnenschifffahrt in der europäischen Union“ näher beleuchtet. Neben den Herausforderungen für die Binnenschifffahrt, die auf transnationaler Ebene zu bewältigen sind, erfahren Binnenhäfen einen Paradigmenwechsel. Ihre Bedeutung nimmt in vielen Regionen zu, so dass intensiv Fragen von Emission und Immission betrachten werden müssen. In ihrem Artikel „Ökoeffizienz bei Binnenhäfen: Von den Großen lernen“ zeigt Prof. Dr.-Ing. Heike Flämig, Technische Universität Hamburg-Harburg, Hamburg, mögliche Potenziale für eine umweltgerechte Weiterentwicklung von Binnenhäfen. Als praktisches Beispiel des Einsatzes der Binnenschifffahrt in die Transportlogistik berichtet Klaus Neuer, Leiter Transportlogistik im Werk Untertürkheim der Daimler AG. Seit 2004 konnte durch eine konsequente Substitution des Lkw-Transportes durch Bahn und Binnenschiffe ein Volumen von ca. 4500 Fernfahrten zu den Seehäfen Bremerhaven und Rotterdam vermieden werden. Wie Sie sehen, wartet ein spannendes Heft auf Sie. Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre und freue mich auf Ihre Reaktionen. Ihr Frank Straube Impressum 4 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Herausgeberbeirat Internationales Verkehrswesen Fachzeitschrift für Wissenschaft und Praxis Organ der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e.V. ISSN 0020-9511 Mitglied/ Member: L e s e r u n d A b o n n e n t e n s e r v i c e Tel: (040) 23714-260 Fax: (040) 23714-243 Eine Publikation der DVV Media Group DVV Media Group Vertrieb Inga Doris Langer Bezugsgebühren: Inland EUR 146,00 (inkl. Porto zzgl. 7 % MwSt.), Ausland EUR 154,00 (inkl. Porto). Mitglieder der DVWG erhalten die Zeitschrift im Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Einzelheft: EUR 15,00 (im Inland inkl. MwSt.) Bezugsbedingungen: Die Laufzeit eines Abonnements beträgt mindestens ein Jahr und kann danach mit einer Frist von sechs Wochen jeweils zum Ende einer Bezugszeit gekündigt werden. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlags oder infolge höherer Gewalt kann der Verlag nicht haftbar gemacht werden. Copyright: Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fällt insbesondere auch die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronische Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-Rom. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Layout und Herstellung: TZ-Verlag & Print GmbH, Roßdorf Titelbild: WSA Heidelberg Druck: Knipping Druckerei und Verlag GmbH, Düsseldorf Gerd Aberle, Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Stephan Anemüller, Fachstellenleiter Veranstaltungen und Veröffentlichungen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Michael P. Clausecker, MBA, Generaldirektor des Verbandes der europäischen Bahnindustrie UNIFE, Brüssel Florian Eck, Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel, Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Ottmar Gast, Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Hans-Jürgen Hahn, Dipl.-Ing., MAN Nutzfahrzeuge AG, München Heiner Hautau, Prof. Dr., ehem. Präsident der DVWG, Geschäftsführer des Instituts für Stadt- und Raumplanung Instara GmbH, Bremen Alexander Hedderich, Dr., Vorsitzender der Geschäftsführung der DB Schenker Rail GmbH und Mitglied des Executive Board der Deutsche Bahn AG, Berlin Gerhard Heimerl, Prof. Dr.-Ing., Dr.-Ing. E. h., Stuttgart Wolfgang Hönemann, Dr., Geschäftsführer Intermodal der Wincanton GmbH, Mannheim Christoph Klingenberg, Dr., Bereichsleiter Information Management und Chief Information Officer der Lufthansa Passage Airlines, Frankfurt/ Main Sebastian Kummer, Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Werner Lundt, Dipl.-Ing., Hauptgeschäftsführer des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik e. V., Hamburg Klaus Milz, Prof. Dr., Chief Country Representative European Union bei Bombardier Transportation, Machelen Ben Möbius, Dr., Abteilungsleiter Infrastruktur, Verkehr und Telekommunikation des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Hans-Heinrich Nöll, Dr., ehemaliger Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg August Ortmeyer, Dr., Leiter der Abteilung Dienstleistungen und regionale Wirtschaftspolitik im Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Berlin Ronald Pörner, Prof. Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland e. V. (VDB), Berlin Annegret Reinhardt-Lehmann, Sprecherin des Bereichs Marketing, Vertriebsunterstützung und Gremien der Fraport AG, Frankfurt/ Main Tom Reinhold, Dr.-Ing., Leiter Konzernstrategie/ Verkehrsmarkt der Deutsche Bahn AG, Berlin Knut Ringat, Dipl.-Ing., Präsident der DVWG und Geschäftsführer der Rhein- Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Jürgen Siegmann, Prof. Dr.-Ing. habil., Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, TU Berlin, und Vizepräsident der DVWG Friedrich Smaxwil, Senior Vice President Division Mobility der Siemens Transportation Systems (TS), Erlangen Erich Staake, Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle, Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Josef Theurer, Dr. Techn. h. c. Ing., Linz Hans-Joachim Welsch, Dipl.-Kfm., Geschäftsführer der Rogesa Roheisengesellschaft Saar mbH und der ZKS, Zentralkokerei Saar GmbH, Dillingen, sowie Ehrenbeirat des Vereins für Europäische Binnenschiffahrt und Wasserstraßen e.V. (VBW), Duisburg Peer Witten, Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrat der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Herausgeber Dr.-Ing. Frank Straube, Professor an der Technischen Universität Berlin, Institut für Technologie und Management, Straße des 17. Juni 135, D-10623 Berlin, straube@logistik.tu-berlin.de Herausgeberassistenz Berlin: Axel Haas haas@logistik.tu-berlin.de Verlag DVV Media Group GmbH Postfach 101609, D-20010 Hamburg Nordkanalstr. 36, D-20097 Hamburg Telefon (040) 2 37 14-01 Verlagsleitung Technik & Verkehr Detlev K. Suchanek (verantw.) detlev.suchanek@dvvmedia.com Verlagsredaktion Dr. Bettina Guiot (verantw.), (Durchwahl: -241) bettina.guiot@dvvmedia.com Claudia Vespermann (Red.Ass., Durchw.: -182) claudia.vespermann@dvvmedia.com Telefax Redaktion: (040) 2 37 14-205 freie Mitarbeit: Kerstin Zapp kerstin.zapp@zapp4media.de Dr. Karin Jäntschi-Haucke (verantw. DVWG-Nachrichten) Anzeigen Silke Härtel (verantw. Leitung) (Durchw.: -227) silke.haertel@dvvmedia.com Sophie Elfendahl (Durchwahl: -220) sophie.elfendahl@dvvmedia.com Telefax Anzeigen: (040) 2 37 14-236 Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 47 vom 1. Januar 2010. Inhalt 5 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Durchbruch am Gotthardtunnel Im Oktober 2010 ist es soweit: Im Gotthardmassiv werden sich die Mineure beider Seiten die Hände reichen können. Dann wird der mit 57 km längste Bahntunnel der Welt vollständig durchbrochen sein. Welche Rolle die Neat bei der Realisierung der ehrgeizigen Verlagerungsziele spielt, erfahren Sie ab . . . . . . .Seite 46 Inhalt Die Eisenbahn im Transportmarkt Die globale Ausweitung der Wirtschaftsprozesse hat im Reise- und Güterverkehr zu gravierenden strukturellen Veränderungen geführt. Infolge dessen wurde das Einsatzfeld der Eisenbahn auf dem veraltet gebliebenen europäischen Bestandsnetz im Transportmarkt zunehmend eingeengt. Mehr dazu ab . . . . . . . . . . . .Seite 10 Binnenschifffahrt fördern Unbestritten ist, dass die Binnenschifffahrt der umweltfreundlichste Verkehrsträger ist. Trotzdem wird der Gütertransport auf den Binnenwasserstraßen noch zu oft behindert und zu wenig gefördert. Warum Unterstützung aus der Politik und das Verständnis der Öffentlichkeit entscheidend sind, lesen Sie ab . . . . . . . . . . . . .Seite 37 Rubriken Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Impressum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Kurz + Kritisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Termine + Veranstaltungen . . . . . . . . . . 7 Namen + Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . 8 Stellenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 EU-Kolumne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Leserforum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Industrie + Technik . . . . . . . . . . . . . . . 51 Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 DVWG-Nachrichten Leitwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Veranstaltungen der Bezirksvereinigungen . . . . . . . . . . . 57 Mobilität + Personenverkehr Fahrgastpolitik Passenger interests in public transport planning and transport policy Martin Schiefelbusch . . . . . . . . . . . . . . 18 Infrastruktur + Verkehrspolitik Wirtschaftlicher Betrieb von Infrastrukturprojekten ERP software application for road infrastructure projects Ivan Cˇ adež / Tobias Kupfer . . . . . . . . . 22 Finanzierung der Bundesfernstraßen Financing federal trunk roads Andreas Kossak . . . . . . . . . . . . . . . . . .27 Aktueller Stand der Hafenquerspange Hamburg Status quo of the harbour link road project Sandra Bietz / Sönke Reise . . . . . . . . . 33 Neat ist der Schlüssel der Schweizer Verkehrsverlagerungspolitik Neat is the key of Swiss transport shift policy Gregor Saladin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Alltagsproblem Stau Traffic jam − problem of everyday life Jürgen Berlitz / Wolfgang Kugele . . . . 48 Güterverkehr + Logistik Einsatzfeld der Eisenbahn im Transportmarkt The railways’ role in the transport market Helmut Maak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Personen- und Güterbahnhöfe Passenger and freight railway stations Michael Häßler / Wolf-Christian Hildebrand . . . . . . . . . . 16 Den „grünsten“ Verkehrsträger fördern, nicht behindern Promoting the greenest carrier André A. Auderset. . . . . . . . . . . . . . . . 37 Ökoeffizienz bei Binnenhäfen: Von den Großen lernen Eco-efficient inland ports Heike Flämig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Einfache Transportkettenplanung Simplified supply chain management Achim Klukas / Alex Vastag. . . . . . . . . 41 Mercedes-Benz hat Binnenschifffahrt logistisch fest eingebunden Consolidation of shipping logistics at Mercedes Benz Klaus Neuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Ökologische Belange neben wirtschaftlichen Vorteilen entscheidend Equally considering ecological needs and economic aspects Christian Jung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Sie finden „Internationales Verkehrswesen“ im Internet unter www.eurailpress.de/ iv. Foto: DB AG Kurz + Kritisch 6 Kurz + Kritisch: Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Passagiere ab“). Neben einer Qualitätssicherung stellt sich die Frage, ob eine Lizensierung der Genehmigungen möglich ist mit zeitlicher Begrenzung. Dabei können auch durchaus mehrere Lizenzen vergeben werden. Ob dies dann, wenn ausländische Busanbieter nach Deutschland einfahren und dann hier Kabotagefahrten durchführen, nach EU-Recht zulässig ist, sollte geprüft werden. In diesem Zusammenhang stellt sich aber auch die Frage, ob bei diesen neuen Wettbewerbsangeboten zum Schienenfernverkehr die Befreiung der Fernbusse von der Autobahnmaut noch vertretbar ist. Die mit Wegekostenargumenten eingeführte fahrleistungsabhängige Maut im Straßengüterverkehr wurde hinsichtlich der Busfahrten auf Autobahnen nie diskutiert. Die Ursachen hierfür sind nur spekulativ nachvollziehbar: Entweder war die Buslobby sehr erfolgreich oder man hat sich in Deutschland nur an die expliziten EU-Mautvorgaben zur Wegekostenanlastung gehalten. Danach ist es den EU-Staaten jedoch freigestellt, für den Personenverkehr nationale Regelungen einzuführen. In Italien, Österreich, Frankreich, Spanien und der Schweiz sind Busmauten selbstverständlich. Eine Freigabe des Buslinienfernverkehrs in Deutschland ohne ordnungspolitische Begleitmaßnahmen und ohne Berücksichtigung der veränderten Wettbewerbssituation im öffentlichen Personenfernverkehr sollte es nicht geben. Es stimmt nachdenklich und gelegentlich auch fast belustigend, wie deutsche Politiker beim Thema Busmaut im Falle der Freigabe des Buslinienfernverkehrs erschrocken und ablenkend reagieren. Freigabe Buslinienfernverkehr in Deutschland? I n Deutschland ist, im Unterschied zu vielen anderen europäischen Staaten, Linienfernverkehr mit Bussen eine Ausnahme. Die rechtliche Verankerung stammt aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg und findet in § 13 Abs. 2 des (noch) geltenden Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) ihre gesetzliche Grundlage. Danach sind Genehmigungen zu versagen, sofern Verkehrsaufgaben übernommen werden sollen, die bereits von Unternehmen oder Eisenbahnen wahrgenommen werden. Damit erweist sich dieser Ablehnungsgrund sowohl für den Schienenpersonenfernverkehr als auch für genehmigte Busverkehre als Schutzvorschrift. Ausnahmen existierender Busfernlinien beruhen entweder auf der Zeit vor der Wiedervereinigung Deutschlands (etwa Berlin-Verkehre) oder es handelt sich um grenzüberschreitende Buslinien, insbesondere nach Osteuropa. Im Berlin-Verkehr sind vorrangig Tochterunternehmen der DB AG tätig; im Osteuropaverkehr sind es vor allem Linien der Touring-Busgesellschaft, die sich bis vor wenigen Jahren noch im Besitz der DB AG befand. Das praktische Verbot neuer Busfernlinien ist seit Jahren umstritten. Während für den Straßengüterverkehr und auch die Eisenbahnen in den vergangenen 15 Jahren erhebliche Deregulierungsmaßnahmen eingeführt wurden, blieb in Deutschland die restriktive Rechtslage beim Buslinienfernverkehr unverändert. Nunmehr ist durch Vereinbarungen im Koalitionsvertrag vom Herbst 2009 Bewegung eingetreten. Der Buslinienverkehr, auch als Parallelverkehr zu Bahnverbindungen, soll zulässig und durch entsprechende Änderungen im PBefG ermöglicht werden. Bereits im Vorstadium haben Busanbieter, zunächst vor allem aus Deutschland, ihr Interesse an der Freigabe bekundet. Die DB AG warnt vor einer neuen Konkurrenzierung ihrer Schienenfernverkehrsangebote mit der Gefahr der dann möglicherweise notwendigen Ausdünnung ihrer Bahnangebote. Realistischerweise ist von einer Freigabe des Buslinienverkehrs in Deutschland in absehbarer Zeit auszugehen. Ordnungspolitisch ist die restriktive Vorgabe des geltenden PBefG nicht vertretbar. Wenn die Freigabe erfolgt, sind allerdings im Vorfeld einige Überlegungen und Entscheidungen erforderlich. Nach allen vorliegenden Informationen wird sich das Interesse potenzieller Buswettbewerber vorrangig, allerdings nicht nur, auf von der Bahn nicht direkt bediente Relationen konzentrieren, die für Busverkehre hinreichende, für Schienenangebote hingegen nicht kommerziell interessante Nachfrage aufweisen. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die DB AG der größte deutsche Busanbieter ist und die neuen Möglichkeiten entsprechend nutzen kann, dass aber auch große ausländische Busgesellschaften einen Markteintritt in Deutschland planen. Eine Freigabe des Buslinienfernverkehrs sollte keinesfalls zu einer Laisser-faire-Entwicklung führen, wie etwa in Großbritannien mit einem ungezügelten Wettbewerb um Passagiere („wer zuerst am Busterminal eintrifft, greift die INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Termine + Veranstaltungen Weitere Veranstaltungstermine finden Sie im Internet unter www.dvz.de, www.eurailpress.de und www.dvwg.de Regionalpolitik und Infrastrukturentscheidungen: Negativfolgen D ie Knappheit der zukünftig verfügbaren Investitionsmittel wird dramatisch ansteigen. Eine der Folgen wird sein, dass alle Infrastrukturprojekte erneut auf den Prüfstand kommen. Hier allerdings zeigen sich deutliche Grenzen. Sie resultieren aus stark oder ausschließlich regionalpolitisch motivierten Vergangenheitsentscheidungen. Mittlerweile sind meist die rechtlichen Grundlagen geschaffen, Verträge geschlossen und teilweise die Bauarbeiten angelaufen. Wegen Investitionskostensteigerungen und Finanzmittelengpässen sowie sonstiger Bauverzögerungen schleppen sich die Projekte teilweise über Jahrzehnte hin. Viele dieser primär regionalpolitisch als wichtig eingestuften Investitionen werden jedoch hinsichtlich ihrer regionalwirtschaftlichen Positiveffekte kritisch diskutiert. Hinzu kommt, dass durch diese noch hohe Finanzmittel beanspruchenden Maßnahmen dringlichere Projekte mit hohen Positivwirkungen nicht realisiert werden können. Zu Zeiten geringerer Finanzierungsprobleme konnten auch primär regionalpolitisch gepushte Investitionen mit vergleichsweise unsicheren positiven Projektwirkungen verkraftet werden. Doch diese Zeiten sind Vergangenheit. In Deutschland gibt es zahlreiche und in der Regel sehr kostenintensive Projekte, die letztlich nur vor dem Hintergrund regionalpolitischer Zielvorstellungen nachvollziehbar sind. Beispielhaft: das Schienenprojekt Nr. 8 der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit Nürnberg - Erfurt - Leipzig - Berlin mit 500 km Länge, 35 Brücken- und 27 Tunnelbauwerken und vorläufigen Gesamtkosten von rd. 10 Mrd. EUR. Die Fertigstellung verschiebt sich ständig, die Topographie führt zu sehr hohen Baukosten, das Interesse der Bahn an dieser Strecke ist kommerziell nicht gegeben. Weiteres Beispiel: das Projekt Stuttgart 21, Verträge geschlossen, außerordentlich hohe geschätzte Baukosten mit großen Unsicherheiten auch aufgrund der speziellen Projektkomplexitäten und der zunehmenden Widerstände der Bevölkerung. Auch hier verdrängen die Milliardeninvestitionen eine Vielzahl sonstiger Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen. Bei volumenmäßig kleineren regionalpolitisch begründeten Projekten zeigen sich die gleichen Verdrängungseffekte. Der umstrittene Ausbau des Flugplatzes Kassel-Calden, nur mit regionalpolitischen Hoffnungen begründet und ohne jedes Interesse der Airlines, zeichnet sich durch steigende Investitionserfordernisse aus, obwohl noch kein Stein bewegt worden ist. Im Umfeld liegen bereits drei Flughäfen, die alle um Auslastung kämpfen: Paderborn/ Lippstadt, Erfurt und Dortmund. Und bis zum ebenfalls um Nachfrage werbenden Flughafen Hannover sind es lediglich knapp 60 ICE-Minuten. Die bisherigen Ausbaukosten von 151 Mio. EUR sind Ende April auf 225 Mio. gestiegen. Das Land will den dominierenden Anteil der 74 Mio. EUR Kostensteigerung übernehmen und auch den Großteil der bisherigen Ausbaukosten. Übrigens: Ebenfalls Ende April gab die hessische Landesregierung Finanzmittelkürzungen für die Hochschulen um 30 Mio. und für die Schulen um 45 Mio. EUR bekannt. 19.-20.8.10 7. Baltisches Verkehrsforum: Frankfurt/ M. (D) Der maritime Ostseeverkehr nach der Krise Info: DVWG, Tel. 030-2936060, hgs@dvwg.de, www.dvwg.de 2.9.10 Die leise Bahn: „Was ist möglich? - Hannover (D) Handlungsoptionen für die Politik“ Info: DVWG BV Niedersachsen, Tel. 0511-628959, seminar@dvwg-nds.de, www.niedersachsen.dvwg.dei 7.-8.9.10 global maritime environmental congress - gmec 2010 Hamburg (D) Info: Hamburg Messe und Congress Gmbh, Tel. 040-35692444, gmec@hamburg-messe.de, www.gmec-hamburg.com 7.-10.9.10 SMM Hamburg (D) Info: Hamburg Messe und Congress GmbH, Tel. 040-3569-0, info@hamburg-messe.de, www.hamburg-messe.de/ smm 14.09.2010 Zukunftsprogramm Verkehrsinfrastruktur Berlin (D) Info: Deutsches Verkehrsforum, Berlin Tel. 030/ 26 39 54-50 kirstgen@verkehrsforum.de www.verkehrsforum.de 15.09.2010 ICS International Shipping Conference London (UK) Info: International Shipping Federation, London Tel. 0044/ 20/ 74 17 28 55 shantel.ryan@marisec.org, www.marisec.org 15.-17.9.10 Deutscher Straßen- und Verkehrskongress 2010 Karlsruhe (D) Info: FGSV, Tel. 0221-93583-11, koeln@fgsv.de, www.fgsv.de 20.9.10 8. DVWG-Bahnforum: Infrastrukturen für den Berlin (D) Schienenpersonenfernverkehr der Zukunft Info: DVWG, Tel. 030-2936060, hgs@dvwg.de, www.dvwg.de 20.-21.9.10 Hauptverkehrsstraßen im Fokus Berlin (D) der Verkehrs- und Stadtentwicklung Info: DIFU, Tel. 030-390010, fortbildung@difu.de, www.difu.de 21.-24.9.10 InnoTrans Berlin (D) Info: Messe Berlin, Tel. 030-30382376, innotrans@messe-berlin.de, www.innotrans.de 22.09.2010 Dialog Forum: Gutes Geld für gute Leistung − Berlin (D) Finanzierungsperspektiven des ÖPNV Info: Deutsches Verkehrsforum, Berlin Tel. 030/ 26 39 54-50 kirstgen@verkehrsforum.de www.verkehrsforum.de 23.9.10 ÖPNV Forum: ÖPNV im Brennpunkt (InnoTrans) Berlin (D) Info: DVWG, Tel. 030-2936060, hgs@dvwg.de, www.dvwg.de 23.-30.09.2010 63. IAA-Nutzfahrzeuge Hannover (D) Info: Verband der Automobilindustrie VDA, Frankfurt/ Main Tel. 069/ 975 07-0, info@vda.de, www.vda.de 30.9.-1.10.10 Networks for Mobility Stuttgart (D) Info: Universität Stuttgart, Tel. 0711-685-66367, fovus@fovus.uni-stuttgart.de, www.uni-stuttgart.de/ fovus 13.-14.10.10 4. VDI-Tagung „Baden-Baden Spezial“ Baden-Baden (D) Info: VDI Wissensforum, Tel. 0211-6214-201, wissensforum@vdi.de, www.elektronik-auto.de 28.10.2010 8 th Intermodal Africa 2010 Cape Town (RSA) Info: Transport Events Management Limited, Labuan/ Malaysia Tel. 0060/ 87/ 426 022 enquiries@transportevents.com www.transportevents.com 2.-4.11.2010 ACF 25 th International Air Cargo Forum and Exposition Amsterdam (NL) Info: TIACA General Secretariat, Miami/ Florida Tel. 001/ 786/ 265 7011 secqen@tiaca.org www.tiaca.org 11.11.10 Kontaktmesse Verkehr 2010 Dresden (D) Info: TU Dresden, Tel. 0351-46336614, giebel@kontaktmesse-verkehr.de, www. kontaktmesse-verkehr.de 11.-12.11.10 9. List-Symposium: „Verkehr der Zukunft - Dresden (D) 60 Jahre Verkehrswissenschaften in Dresden“ Info: TU Dresden, jeannette.klotzsch@mailbox.tu-dresden.de, www.tu-dresden.de Veranstaltungen vom 19.8.2010 bis 12.11.2010 Stand zum Redaktionsschluss am 21.7.2010 Namen + Nachrichten/ Stellenmarkt 8 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 EU-Kommission Neue Koordinatoren für TEN-Bahnprojekte Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, Pat Cox, wird europäischer Koordinator für das vorrangige Bahnprojekt Berlin - Palermo des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN). Er soll das seit dem Tod Karel van Mierts im Sommer 2009 verwaiste Milliardenprojekt des Brennerbasistunnels wieder auf Spur bringen. Der ehemalige französische Europa-Abgeordnete Gilles Savary (SP) wird von der EU-Kommission mit dem Projekt 22 (Bahnkorridor Athen - Sofia - Budapest - Wien - Prag - Nürnberg/ Dresden) betraut. Péter Balázs nimmt nach einem Intermezzo als Außenminister der ungarischen Regierung wieder seine Arbeit als TEN-Koordinator des Projekts 17 (Bahnverbindung Paris - Bratislava) auf. (cd/ zp) Großbritannien Hammond Verkehrsminister Der neue britische Premierminister David Cameron hat Philip Hammond zum „Secretary of State for Transport“ ernannt. Hammond hat bereits in der freien Wirtschaft gearbeitet und seit 1998 diverse Ministerposten im Schattenkabinett bekleidet. (zp) FS Cardia Präsident Die italienischen Staatsbahnen Ferrovie dello Stato (FS) haben seit dem 1. Juli einen neuen Präsidenten: Lamberto Cardia, ehemals Präsident der Börsenüberwachung und Finanzexperte. Er übernimmt den Posten von Innocenzo Cipoletta, der den Konzern fast vier Jahre lang geführt hat. (zp) DVR Bodewig Vize Der Präsident der Deutschen Verkehrswacht (DVW) und Bundesverkehrsminister a.D. Kurt Bodewig ist Ende Juni zum Vizepräsidenten des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) gewählt worden. Er ist bereits seit November 2007 Mitglied des DVR-Vorstands. (zp) Iata Vertannes Frachtchef Der Airline-Dachverband Iata hat mit Des Vertannes einen neuen Frachtchef. Sein Vorgänger Aleks Popovich war im September 2009 zum Iata-Verantwortlichen für Industry Distribution and Financial Services aufgestiegen. Vertannes war bisher Frachtchef der arabischen Fluggesellschaft Etihad Airways. (zp) KIT Vortisch Professor Seit Anfang Juli ist Dr. Peter Vortisch Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrswesen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Vortisch war zuvor Entwicklungsleiter für verkehrstechnische Software bei der PTV AG und will künftig die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen, wie Verkehrstechnik, Verkehrsplanung und Informatik, stärken. (zp) MAN Verlängerung für Pachta-Reyhofen MAN-Chef Georg Pachta-Reyhofen erhält vorzeitig einen Anschlussvertrag für weitere fünf Jahre bis zum 30. Juni 2016. Er hatte das Steuer bei dem Nutzfahrzeug- und Maschinenbaukonzern nach dem Rückzug seines Vorgängers Håkan Samuelsson zunächst kommissarisch und Anfang dieses Jahres dann auch offiziell übernommen. (zp) Deutsche Post Weitere Filialen an Postbank Zu den bereits 2006 von der Postbank übernommenen rund 850 Postfilialen sind Anfang Juli weitere 277 hinzugekommen. Sie werden allerdings nicht nur als Postbankfinanzcenter fungieren, sondern auch Postdienstleistungen rund um Brief und Paket anbieten. (zp) Arriva Aktionäre nehmen DB-Angebot an Die Aktionäre der Arriva plc haben im Juni das Übernahmeangebot der Deutsche Bahn AG akzeptiert. Für die Annahme war eine Zustimmung von mindestens 75 % notwendig. Die DB AG hat insgesamt rund 1,8 Mrd. EUR geboten. Nach der Übernahme, die für August geplant ist, soll die Marke Arriva außerhalb Deutschlands erhalten bleiben. (zp) Tube Lines London greift ein Die Stadt London übernimmt nun auch den U-Bahn-Infrastrukturdienstleister Tube Lines von den Eigentümern Bechtel und Ferrovial Amey und gliedert ihn in Trans- Namen + Nachrichten/ Stellenmarkt 9 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 port for London (TfL) ein. Eigentlich sollte Tube Lines bis 2033 als Generalunternehmer im Rahmen einer Public Private Partnership die Strecken Jubilee, Northern und Piccadilly Line unterhalten. Doch immer häufiger gab es Streit über die Kosten, den Fortgang und die Qualität der Arbeiten. Nach dem Konkurs des zweiten, weitaus größeren Dienstleisters Metronet im Jahr 2007 war die Aufgabe bereits teilweise rekommunalisiert worden. (msa/ zp) UIC Studien zu KV in Osteuropa Die UIC hat unlängst Länderstudien zum Intermodalverkehr in Osteuropa publiziert, die in Kooperation mit dem Intermodalverband UIRR sowie den Consultingunternehmen KombiConsult und K+P Transport Consultants erstellt wurden. Die Untersuchungen sind Teil des Diomis-Projekts (Developing Infrastructure and Operating Models for Intermodal Shift) und betrachten die Ländermärkte Bulgarien, Kroatien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. (ri/ zp) Neuss Neues KV-Terminal eröffnet Im Rheinhafen Neuss ist nach rund zweijähriger Bauzeit Ende Mai ein neues Binnenhafen-Containerterminal eingeweiht worden. Die Betreibergesellschaft Neuss Intermodal Terminal GmbH (NIT) arbeitet eng mit der dänischen A.P.-Møller-Maersk-Gruppe zusammen, versteht sich aber als neutraler Dienstleister. Das Terminal hat eine Fläche von 32 000 m² und eine Kapazität von 65 000 TEU. Gleichzeitig können bis zu 1500 Container aufgenommen werden. Insgesamt stehen 979 m Gleis für die Abfertigung von bis zu 690 m langen Containerzügen bereit. Durch Erweiterungsflächen kann eine Umschlagkapazität von 200 000 TEU erreicht werden. (ri/ zp) SBO Elbe geht online Das Elbe Promotion Center Elbpro hat Mitte Juni seinen Betrieb aufgenommen. Über die Online-Plattform www.elbpro. com wird über die Möglichkeiten der Binnenschifffahrt und die Schifffahrtsbedingungen auf der gesamten Elbe informiert sowie Lotsendienste und Schleppleistungen vermittelt. Elbpro wird von der Sächsischen Binnenhäfen Oberelbe GmbH (SBO) betreut und von der EU gefördert. (zp) Niederlande Millionen für Binnenschifffahrt Die Binnenschifffahrt soll in den Niederlanden einen wichtigen Teil des Gütermengenwachstums auffangen, das mit der Inbetriebnahme der neuen Containerterminals auf der Maasvlakte II ab 2013 erwartet wird. Deshalb will das niederländische Verkehrsministerium kurzfristig 100 Mio. EUR bereitstellen, um vor allem den Ausbau eines leistungsstarken Verkehrsmanagemtsystems für die Binnenwasserstraßen zu finanzieren. Künftig sollen 45 % aller auf den neuen Terminals umgeschlagenen Container per Binnenschiff an- und abtransportiert werden. Auch im belgischen Hafen Antwerpen soll die Rolle der Binnenschifffahrt gestärkt werden durch optimierte Abfertigung mit Hilfe eines neuen IT-Systems. Gleichzeitig wird eine grenzüberschreitende Logistikplattform unter dem Namen Be-Ge-NL vorbereitet, die von 2011 an eine bessere grenzüberschreitende Vernetzung der Aktivitäten von Belgien, Deutschland und den Niederlanden im Hinterland der Rheinmündungshäfen fördern will. (zp) Sassnitz / Trelleborg Meeresautobahn geplant Als erster deutscher Standort des EU- Projekts „Motorways of the Sea“ ist Sassnitz in das Förderprogramm aufgenommen worden. 20 Mio. EUR steuert die EU für eine Meeresautobahn zwischen Sassnitz und Trelleborg bei, insgesamt werden die Kosten für den Ausbau der Ostseefährlinie und der Häfen auf rund 50 Mio. EUR geschätzt. Sassnitz ist der einzige Hafenstandort Westeuropas mit Gleis- und Umschlaganlagen für Eisenbahnwaggons der russischen Breitspur. (zp) Nord- und Ostsee Strengere Grenzwerte Für Seeschiffe in der Nord- und Ostsee gelten seit dem 1. Juli verschärfte Vorschriften zu den Grenzwerten von Schwefel- und Stickoxidemissionen. Nach der Neuregelung gilt für diesen Bereich, ein sogenanntes Schwefelemissionsüberwachungsgebiet (SECA), jetzt ein Schwefelgrenzwert von 1,0 % (bisher 1,5 %). Bis 2015 soll der Wert stufenweise auf 0,1 % sinken. Weltweit wird dieser Grenzwert ab dem 1. Januar 2012 von bisher 4,5 % auf 3,5 % und ab 2020 auf 0,5 % abgesenkt. (zp) Lufthansa Cargo / Austrian Airlines Frachttochter gegründet Lufthansa Cargo und Austrian Airlines haben die gemeinsame Gesellschaft Austrian Lufthansa Cargo mit Sitz in Wien gegründet. Die neue Gesellschaft soll die Vermarktung aller Frachtkapazitäten der Austrian Airlines und Lufthansa Cargo im Markt Österreich verantworten sowie die gesamte Frachtabfertigung an den österreichischen Flughäfen und den Ausbau des Flughafens Wien zu einem weiteren Drehkreuz von Lufthansa Cargo steuern. Lufthansa Cargo hält 74 % an der neuen Gesellschaft, Austrian Airlines 26 %. (zp) prog trans ProgTrans AG Prognosen und Strategieberatung für Transport und Verkehr Die ProgTrans AG mit Sitz in Basel bietet der Verkehrspolitik und Verwaltung sowie Unternehmen und Verbänden - vornehmlich im deutschsprachigen Raum und auf EU-Ebene - Prognosen und Strategieberatung für Transport und Verkehr. Zur Ergänzung unseres Teams suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine/ n Berater/ in Verkehr mit mehrjähriger einschlägiger Berufserfahrung in forschungsgestützter Verkehrsberatung. Ihre Hauptaufgaben sind die Leitung unserer Mandate von Auftraggebern aus Verkehrswirtschaft und Verwaltung, die Weiterentwicklung unserer Beratungsleistungen sowie die P Þ ege von Kundenbeziehungen und Akquisition neuer Aufträge. In unserem einsatzfreudigen interdisziplinären Team werden Sie eine fachliche Schlüsselposition einnehmen. In der Projektleitung arbeiten Sie eigenverantwortlich und vertreten Ihre Lösungen intern und extern. Ihre Perspektive ist die erweiterte Geschäftsleitung. Wichtige Voraussetzungen sind ein überzeugender Leistungsausweis in Verkehrsökonomie und/ oder Verkehrsplanung, den Sie in einem Beratungsunternehmen oder in einer Forschungseinrichtung erworben haben. Solide methodische Kenntnisse zu unseren Beratungsfeldern, die auf einer erfolgreich abgeschlossenen akademischen Ausbildung basieren, sind unverzichtbar. Verhandlungssicheres Englisch ist uns sehr wichtig, die Kenntnis weiterer Fremdsprachen von Vorteil. Wir bieten Ihnen eine anspruchsvolle und abwechslungsreiche Tätigkeit in einem angesehenen Beratungsunternehmen an einem attraktiven Arbeitsplatz im Zentrum von Basel/ Schweiz. Für weitere Auskünfte stehen Ihnen der Geschäftsführer Dr. Stefan Rommerskirchen oder sein Stellvertreter Stephan Kritzinger gerne zur Verfügung. Bitte nehmen Sie direkt oder über das Sekretariat (Barbara Tresch; Tel. +41 61 560 35 02) Kontakt zu uns auf oder senden Sie Ihre Bewerbungsunterlagen bis zum 31. August 2010 an Barbara Tresch, ProgTrans AG, Gerbergasse 4, CH - 4001 Basel Güterverkehr + Logistik 10 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Tabelle 1 enthält die Verkehrszahlen der vier Hauptverkehrsträger für das Jahr 2008, mit denen das Statistische Bundesamt (Pressemitteilung Nr. 015 vom 13.01.2009) rechnet. Die Überlastung unserer Verkehrsinfrastruktur wird immer offenkundiger und zeigt bei allen Verkehrsträgern bedenkliche Wirkungen. Zu Recht verweist der wissenschaftliche Beirat für Verkehr immer wieder darauf, dass Verkehrswege „gewichtige Produktionsfaktoren in der Volkswirtschaft“ sind. Der Verkehr ist ein starker Wachstumsmotor, der unsere wirtschaftliche Weiterentwicklung in ihrer Abhängigkeit von unserer Mobilität erst möglich macht. Nur wenn wir die Infrastruktur aller Verkehrsträger auch für den Gütertransport Abb. 1: Marktanteile der Verkehrsträger am Güterverkehr, Deutschland 2008 Helmut Maak Einsatzfeld der Eisenbahn im Transportmarkt Ein Beitrag zur marktwirtschaftlichen Einordnung Die globale Ausweitung der Wirtschaftsprozesse hat auch im Reise- und Güterverkehr zu gravierenden strukturellen Veränderungen geführt. Infolge dieser Entwicklungen wurde das Einsatzfeld der Eisenbahn auf dem zu großen Teilen noch veraltet gebliebenen europäischen Bestandsnetz im Transportmarkt immer mehr eingeengt. Der Autor Prof. Dr.-Ing. E.h. Helmut Maak, Neumarkt i.d.Opf.; Helmut.Maak@t-online.de I m Güterverkehr setzen nicht ideologische Illusionen, sondern die dem Besteller zuverlässig garantierten Qualitäten in der Transportabwicklung den Maßstab für die Wahl des Verkehrsträgers. Wenn die Bahnen einen größeren Teil des stark zunehmenden Güterverkehrs übernehmen sollen, müssen sie die Erfordernisse des modernen Transportmarktes erfüllen können. Dies setzt einen möglichst zügigen und nachfragegerechten Ausbau der Verkehrskorridore vor allem des Eisenbahngüterverkehrs voraus. 1 Der Güterverkehrsmarkt Die Bundesrepublik Deutschland stellt in der EU mit rund 30 % des gesamten Aufkommens den größten Transportmarkt. systemgerecht und länderübergreifend ausbauen, schaffen wir der Wirtschaft gute Voraussetzungen für mehr Produktivität und Vorteile im internationalen Wettbewerb. 1.1 Strukturwandel im Güterverkehr In den vergangenen 50 Jahren haben sich die Strukturen der Transportgüter und die des Transportmarktes nachhaltig verändert. Das große Warenangebot im globalen Wirtschaftsraum, die Arbeitsteilung in der Produktion und die zunehmende Spezialisierung der Fertigung haben zu immer differenzierteren und anspruchsvolleren Logistiksystemen geführt. Die Logistik legt heute den Verkehrsträgern und ihrer Infrastruktur sehr strenge Maßstäbe an. Die Fertigungstiefe großer Industriebranchen nimmt ab. Durch immer mehr Systemlieferanten wächst der Transportbedarf für hochwertige Module und Komponenten. In den Industrieunternehmen geht der Eigenanteil an der Wertschöpfung zurück - eine Entwicklung, die sich verstärkt fortsetzt und zu mehr Güterverkehr führt. Die früher weitgehend an Losgrößen orientierte „Produktion auf Verdacht“ wurde in den meisten Industriebranchen in eine „Produktion auf Bestellung“ umgewandelt. Seitdem sind sämtliche Komponentenzulieferer in das Fertigungsprogramm des Hauptproduzenten integriert. Teile werden nicht mehr auf Verdacht produziert und gelagert bis sie abgerufen werden, sondern sie gehen „just in time“ in die Produktion. Dies hat zu drastischen Einsparungen bei der volkswirtschaftlichen Investition in Lagerbestände geführt. Ihr Anteil in der Bruttowertschöpfung hat sich von 1960 bis 2001 schon von 32% auf 14% reduziert. Dies entspricht angeblich einer Kapitalfreisetzung von 343 Mrd. EUR. Schätzungen zufolge fallen immer noch in der verarbeitenden Industrie bis zu 12% und im Einzelhandelssektor über 20% der Endkosten auf die Logistik. In der filigranen Vernetzung der Wirtschaftsprozesse hat heute die rasche und zuverlässige Lieferung von kleinen Mengen Priorität. Die Auftraggeber stellen an die Leistung und den Lieferservice der Speditionen im- Tab. 1: Marktanteile der Verkehrsträger im Güterverkehr, Deutschland im Jahr 2008 Mio. t % Mrd. tkm % Entfernung i. D. Straßengüterverkehr 3472,9 82,9 474,1 70,7 137 km Eisenbahngüterverkehr 379,0 9,0 116,8 17,4 325 km Binnenschifffahrt 245,6 5,9 64,0 9,6 260 km Rohrfernleitungen 91,0 2,2 15,3 2,3 168 km Summe 4188,5 100,0 670,2 100,0 Güterverkehr + Logistik 11 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 mer höhere Anforderungen. Für eine Flexibilisierung der Lieferzeiten und der Lieferfristen bleibt der Transportwirtschaft nur wenig Raum [1]. Der Faktor Zeit spielt heute eine herausragende Rolle. Diese Anforderungen kann der Lkw weitestgehend erfüllen; er erschließt die Fläche für beliebige Sendungsgrößen und kurze Lieferrhythmen. Der Lkw wurde unbestritten zum wichtigsten Verkehrsträger für die Feinverteilung und er dominiert auch im Fernverkehr. Die Schiene hat als schnelles Massenverkehrsmittel in der modernen Logistik für hochwertige Transportgüter nur dann ökonomische oder ökologische Vorteile, wenn sie als Partner der Straße im Kombinierten Verkehr große Verkehrsmengen langläufig bündeln kann. Der Ganzzugverkehr bahnaffiner Massengüter stagniert und ist auf die europäischen und internationalen Distanzen verwiesen. Wie Tabelle 1 und Abbildung 1 zeigen, wurden 2008 von den Hauptverkehrsträgern in Deutschland 82,9 % der Gütermenge und 70,7 % der Transportleistungen auf der Straße abgewickelt. 1.2 Marktanteile im Nah-, Regional- und Fernverkehr Grundsätzlich kann die Güterbahn mit dem Lkw nicht in der Flächenbedienung, sondern nur im Fernverkehr konkurrieren. Um die Beförderungsleistungen der beiden Verkehrsträger vergleichend beurteilen zu können, muss beim Lkw, wie in Tabelle 2 für das Jahr 2004 gezeigt, der Nah-, Regional- und Fernverkehr einer gesonderten Betrachtung unterzogen werden. Der Eisenbahngüterverkehr ist in den Wagenladungsverkehr und den Kombinierten Verkehr (KV) unterteilt. Die Zahlen wurden vom Statistischen Bundesamt, dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und vom Kraftfahrt-Bundesamt erhoben. Im Nahbereich bis 50 km wurden vom Lkw 47,7 % der Menge bewegt, der Leistungsanteil beträgt 5,3 %. Im Regionalbereich von 51 bis 150 km sind es 16,1 % und 9,0 %. Diese Bereiche erfassen die Güterverteilung in der Fläche, wofür die Bahn ungeeignet ist. Im Lkw-Fernbereich von 151 bis 350 km - Menge 16,0 %, Transportleistung 24,6 % - ist die Eisenbahn für logistisch anspruchsvolle Transporte weniger attraktiv. Im Bereich über 350 km beförderte der Lkw 10,7 % des Aufkommens, sein Anteil an der gesamten Transportleistung betrug 42,2 %. Dieser Sektor des Straßengüterverkehrs könnte ebenso oder noch günstiger im KV abgewickelt werden; sein Anteil am Güterverkehr betrug 2004 bei der Menge lediglich 1,5 % und bei der Transportleistung 5,0 %. Die Darstellung in Abbildung 2 verdeutlicht die Größenverhältnisse von Aufkommen und Leistung in den Entfernungssektoren auf Straße und Schiene. 1.3 Verkehrsprognose Gegenüber heute werden sich die in Deutschland beförderten Gütermengen bis 2050 voraussichtlich um knapp die Hälfte erhöhen, während sich die Güterverkehrsleistungen mehr als verdoppeln [2]. ITP, München und BVU, Freiburg wurden vom Bundesverkehrsminister mit dem Forschungsvorhaben beauftragt, eine Analyse und Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen des Güter- und Personenverkehrs für das Basisjahr 2004 und den Prognosehorizont 2025 zu erstellen [3]. Dabei wurde unterstellt, dass die im BVWP 2003 bis 2015 geplanten Infrastrukturmaßnahmen realisiert sind. Nach der Prognose für den Güterfernverkehr, d. h. auf dem für die Konkurrenz zwischen Bahn, Binnenschiff und Straße relevanten Transportmarkt ohne Straßengüternahverkehr (siehe Tabelle 3), steigen in Deutschland von 2004 bis 2025 das Transportaufkommen um 48 % und die Transportleistung um 74 %. Im Verkehrsaufkommen werden die Anteile des Eisenbahnwagenladungsverkehrs und des Binnenschiffs um 2,7 % bzw. 2,2 % zurückgehen, bei der Verkehrsleistung beträgt das Minus 2,3 % bzw. 3,4 %. Die durchschnittlichen Transportweiten werden sich bei den Eisenbahnwagenladungen und im Straßengüterfernverkehr um rund 20 % erhöhen, im KV werden sie ca. 6 % zunehmen. Bei großen Transportweiten hat die Bahn zweifelsfrei systemimmanente Vorteile, die insbesondere im Ganzzugverkehr von Massengütern und im KV zum Tragen kommen. In der Entwicklung des KV von 1995 bis 2008 ist dies in Deutschland jedoch nicht zu erkennen; nach Angaben der Kombiverkehr GmbH & Co KG betrug in diesen 13 Jahren der Zuwachs an Sendungen im nationalen und internationalen Kombiverkehr nur 10 %. Deshalb ist auch die optimistische Prognose, nach der beim Verkehrsaufkommen im KV von 2004 bis 2025 ein überproportionaler Zuwachs von 116 % und bei der Verkehrsleistung von 129 % zu erwarten sei, eher skeptisch zu betrachten. Solche Entwicklungen könnten allenfalls im grenzüberschreitenden KV erreicht werden, wenn neben der NEAT in der Schweiz auch der Ausbau der TEN-Achse Nr. 1 (Berlin - München - Verona - Palermo) schon mehrere Jahre zuvor in langen Teilstrecken einschließlich des Brenner-Basistunnels voll betriebsfähig ist. 2 Probleme der Eisenbahnen im europäischen Transportmarkt 2.1 Versäumnisse im marktkonformen Ausbau der Eisenbahn Im Gegensatz zur Schiene wurde das Straßennetz in den letzten Jahrzehnten gewaltig erweitert. Dem 38 000 km langen Tab. 2: Güterverkehrsarten auf Straße und Schiene, Deutschland im Jahr 2004 Verkehrsart Mio. t % Mrd. tkm % Entfernung. i. D. Lkw-Nahverkehr bis 50 km 1615,1 47,7 25,9 5,3 16 km Lkw-Regionalverkehr 51 bis 150 km 545,4 16,1 43,1 9,0 79 km Lkw-Fernverkehr 151 bis 350 km 542,0 16,0 119,1 24,6 220 km Lkw-Fernverkehr über 350 km 362,5 10,7 204,4 42,2 563 km Eisenbahn-Wagenladungen 269,6 8,0 67,5 13,9 270 km Kombinierter Verkehr 52,4 1,5 24,4 5,0 466 km Summe 3387,0 100,0 484,4 100,0 Abb. 2: Güterverkehrsarten auf Straße und Schiene, Deutschland im Jahr 2004 Güterverkehr + Logistik 12 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 deutschen Eisenbahnnetz steht heute ein überörtliches nationales Fernstraßennetz von 230 000 km gegenüber. Mit diesem dichten Fernstraßennetz ist der Transportmarkt flächendeckend erschlossen. Jede Autobahn hat zur Abwicklung ihres Mischverkehrs wenigstens vier Spuren. Bei starker Verkehrsbelastung sind es sechs Spuren und in Steigungsstrecken kommt für den Schwerverkehr vereinzelt noch eine Kriechspur hinzu. Der Lkw kommt auf den Autobahnen fast immer zügig voran. Noch in der Mitte der 1960er Jahre waren die Leistungsanteile im Güterfernverkehr auf Straße und Schiene etwa gleich groß. 2004 betrugen sie dagegen auf der Straße schon 80 % und auf der Schiene nur noch 20 %; im Jahr 2025 werden bei optimistischer Prognose auf der Straße 81,6 % und auf der Schiene 18,4 % der Gesamtleistungen des Güterfernverkehrs erbracht werden (Tabelle 3). Eine der wesentlichen Ursachen für die überproportionale Zunahme des Güterfernverkehrs auf der Straße ist die mangelnde Streckenleistungsfähigkeit in den Hauptrelationen der Eisenbahn. 2.2 Die Betriebsweise in der Zeit des Eisenbahnmonopols Die Eisenbahn war das erste Verkehrsmittel mit künstlichem Antrieb. Sie war die Initialzündung für den Beginn des Industriezeitalters. Mit ihr konnten Rohstoffe, Brennmaterial, Nahrungsmittel und Industrieprodukte in großen Mengen über sehr große Entfernungen zu günstigen Preisen und weit schneller als mit den seitherigen Fuhrwerken oder den Binnenschiffen transportiert werden. In der Zeit des Eisenbahnmonopols konnten die Bahnen ihre Transporte planwirtschaftlich organisieren, um die Streckenkapazitäten bestmöglich zu nutzen. Die Reisezüge fuhren in einem festen Fahrplan. Dagegen wurden die hauptsächlich mit Massengütern beladenen Güterzüge zum größten Teil nach Bedarfsplänen gefahren. Kurz gesagt, die Bahn bestimmte, wann und wie sie die Güter am günstigsten transportieren konnte. Dieses Organisationssystem verwandte man in den Staatshandelsländern noch bis in die jüngste Zeit. Die Bahnen hatten ihr Plansoll zu erfüllen und galten damit als ausgelastet. Als nach dem Staatsbankrott auch dort die Marktwirtschaft Fuß fasste, folgte sehr schnell der wirtschaftliche Zusammenbruch des staatlich gesteuerten Eisenbahngüterverkehrs. In den neuen Bundesländern hat er bis heute kein auch nur annähernd vergleichbares Potenzial wieder erreicht. 2.3 Wirkungen auf die Betriebsweise aus der Konkurrenz mit dem Straßenverkehr Die Schienenwege werden auch heute noch vorwiegend - wie zu Zeiten des Monopols - von Reise- und Güterzügen im Mischbetrieb befahren. Die Reisezüge haben in festen Fahrplänen Vorrang, der Güterverkehr muss in die Fahrplanlücken und in die Schwachlastzeiten ausweichen. Zur Beurteilung der Streckenleistungsfähigkeit reichte der planwirtschaftlich organisierten Eisenbahn die mögliche Anzahl von Zugfahrten/ Tag. In der Marktwirtschaft bestimmt der Kunde, wann ein Transport erfolgen soll. Er will wissen, ob ein Transport in dem von der Logistik vorgegebenen Zeitfenster zuverlässig durchgeführt werden kann. Deshalb interessiert heute für zeitkritische Transporte die im Betriebsplan vorgegebene Stundenleistungsfähigkeit der Strecke. Mit dem Wachsen der Mobilitätsansprüche wurde die Fahrgeschwindigkeit der Reisezüge immer stärker angehoben. Dadurch vergrößerten sich zwangsläufig die notwendigen Sicherheitsabstände zwischen den schnellen und langsamen Zügen mit der Folge, dass die Streckenleistungsfähigkeit im Mischverkehr der zweigleisigen Hauptbahnen eklatant abgenommen hat. Als es auch noch üblich wurde, die bevorrechtigten Reisezüge im Takt zu fahren - was heute auch im Regional- und Nahverkehr gewünscht wird - fiel die Streckenleistungsfähigkeit insgesamt noch stärker ab. Sofern heute tagsüber auf stark befahrenen Strecken für Güterzüge überhaupt noch Fahrplantrassen gefunden werden, müssen sie häufig Überholungen in Kauf nehmen, was zu erheblichen Fahrzeitverlängerungen führt. Auch die Bahnen und die Verkehrspolitiker der EU sehen die dem Güterverkehr vom Reiseverkehr diktierten Engpässe als eine wesentliche Ursache für das tagsüber, insbesondere für den logistisch anspruchsvollen und zu drei Viertel grenzüberschreitenden Kombinierten Verkehr, sehr beschränkte Trassenangebot an [4]; in den nachgefragten Zeitfenstern fehlen für mehr Flexibilität im Angebot die erforderlichen Kapazitätsreserven. 2.4 Zeitfenster für den Kombinierten Verkehr Die Erfordernisse einer effizienten Logistik weisen dem Transport fest platzierte Zeitfenster zu. Diese vom Markt diktierten Vorgaben kann der Lkw in der Regel erfüllen. Am Beispiel der Tagesganglinie des Lkw- Verkehrs auf der A 93 (Abbildung 3) ist zu erkennen, dass mehr als 80 % der Fahrten bei Tag (6 bis 21 Uhr) und weniger als 20 % bei Nacht (22 bis 5 Uhr) abgewickelt werden [5]. Die Tagesganglinie enthält die Mittelwerte von Montag bis Freitag in den Monaten Mai und Oktober der Jahre 1995, 1996, 1997 und 2001. Sie ist mit den Tagesganglinien anderer Autobahnen in grenznahen Querschnitten praktisch deckungsgleich [6]. Die weit verbreitete Meinung, der internationale Güterverkehr würde auf den Fernstraßen hauptsächlich in der Nacht stattfinden, ist falsch. Dem KV-Angebot liegt in der Regel die reine „Über Nacht-Beförderung“ zugrunde mit einer Konzentration des Aufkommens auf die Abendstunden bzw. die frühen Morgenstunden [4]. In diesen Stunden, in denen nur wenige Reisezüge fahren, wurde auf der Eisenbahn schon immer hauptsächlich Güterverkehr betrieben. Somit ist die Produktionsstruktur des Kombinierten Verkehrs auf den Mischverkehrsstrecken der DB AG auf ein Systemzeitfenster von abends 20 Uhr bis 4 Uhr früh ausgerichtet. Tab. 3: Entwicklung des Güterverkehrs nach Verkehrsträgern 2004 bis 2025 Verkehrsaufkommen 2004 2025 Entwicklung 2004 - 2025 Mio. t Anteil Mio. t Anteil Mio. t Anteil Eisenbahnwagenladungen 269,6 13,4 % 317,5 10,7 % + 18 % - 2,7 % Kombiverkehr 52,4 2,6 % 113,3 3,8 % + 116 % + 1,4 % Straßengüterfernverkehr 1450,4 72,2 % 2249,1 75,9 % + 55 % + 3,7 % Binnenschiff 235,9 11,8 % 282,8 9,6 % + 20 % - 2,2 % Zwischensumme 2008,3 100,0 % 2962,7 100,0 % + 48 % Straßengüternahverkehr 1615,1 1659,2 + 3 % Gesamtsumme 3623,4 4622,0 + 28 % Verkehrsleistung 2004 2025 Entwicklung 2004 - 2025 Mrd. tkm Anteil Mrd. tkm Anteil Mrd. tkm Anteil Eisenbahnwagenladungen 67,5 12,9 % 96,0 10,6 % + 42 % - 2,3 % Kombiverkehr 24,4 4,7 % 55,9 6,2 % + 129 % + 1,5 % Straßengüterfernverkehr 366,6 70,2 % 675,6 74,4 % + 84 % + 4,2 % Binnenschiff 63,7 12,2 % 80,2 8,8 % + 26 % - 3,4 % Zwischensumme 522,2 100,0 % 907,7 100,0 % + 74 % Straßengüternahverkehr 25,9 28,8 + 11 % Gesamtsumme 548,1 936,5 + 71 % Güterverkehr + Logistik 13 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 ken. Selbst wenn beispielsweise eine Verlagerung des mittleren Zuwachses der Güterverkehrsleistungen auf Bundesstraßen innerhalb nur eines Jahres auf die Schiene erreicht werden könnte, würde diese in den Hauptverkehrskorridoren an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen...“. Diese Aussagen der sogenannten „Pällmann-Kommission“ zum aktuellen Stand der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik sind für die interessierte Öffentlichkeit höchst ernüchternd. Die Vorstellung einer nachhaltigen Entlastung der Bundesfernstraßen durch die Verlagerung logistisch anspruchsvoller Lkw-Verkehre auf die Schiene oder die Binnenwasserwege ist mittelfristig unrealistisch. Die Bahnen haben im Güterverkehr auf den Hauptkorridoren Kapazitätsprobleme, weil sie dafür kein artrein ausgewiesenes Netz mit Vorrang haben. Die Verkehrswirtschaft und die Verkehrspolitik müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass die seit Jahren zu verzeichnende Stagnation des Anteils der Eisenbahn am Güterverkehr sowohl bei den Transportmengen als auch bei der Transportleistung vor allem am Fehlen nachfragegerechter Netzkapazitä- Voraussetzung bester Organisation - frühestens ab einer Entfernung von rund 350 km. Bei Entfernungen über 500 km gibt es im Straßengüterverkehr normalerweise einen Kostensprung, weil dann ein zweiter Fahrer oder ein Fahrerwechsel notwendig ist. Deshalb ist die Attraktivität des Kombinierten Verkehrs bei Entfernungen über 500 km unbestritten. 3 Verlagerung des Straßengüterfernverkehrs auf die Schiene Die schon seit Langem von den Straßenbenutzern verlangte stärkere Verlagerung des Güterfernverkehrs auf die Schiene lässt sich auf den Hauptverkehrskorridoren der Eisenbahn in einer mit dem Lkw vergleichbaren Transportqualität wegen fehlender durchgängiger Fahrplantrassen leider nicht erfüllen. Die unabhängige Kommission „Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ stellt in ihrer Schlussfolgerung fest: „Eisenbahn und Binnenschifffahrt sind schon jetzt aufgrund der Konfiguration ihrer Streckennetze und ihrer Systemspezifika nicht in der Lage, eine Trendumkehr im Wettbewerb der Verkehrsträger zu bewir- Die Tagesganglinie des Lkw-Verkehrs zeigt aber, dass in diesem prädestinierten Zeitfenster auf der Schiene nur knapp 25 % des Straßengüterfernverkehrs erreicht werden. Damit der KV auf der Schiene gegenüber dem Güterfernverkehr auf der Straße keine Qualitätseinbußen erleidet, müssen sich die dem Lkw von der Logistik der Kunden diktierten Zeitfenster auch im gebrochenen Verkehr weitgehend einhalten lassen. 2.5 Transportzeit im Kombinierten Verkehr Die Zuwächse des Eisenbahngüterverkehrs sind vor allem im Kombinierten Verkehr zu erwarten. Von 2004 bis 2025 wird beim Aufkommen ein Plus von 116 % und bei der Transportleistung eines von 129 % prognostiziert. Im Kombinierten Verkehr sollten die Vorteile beider Verkehrsträger möglichst erhalten bleiben und sich nutzbringend ergänzen. Der Kombinierte Verkehr wird dann sehr erfolgreich sein, wenn er die Transportqualität in Bezug auf Zuverlässigkeit, Flexibilität und Schnelligkeit uneingeschränkt und auf Dauer gewährleisten kann. Im KV sollte die Zeit des reinen Straßentransports wenigstens eingehalten oder besser noch unterboten werden. Dafür muss der zweimalige Güterumschlag straff organisiert sein. Er muss einfach und schnell gehen und die KV-Züge sollten möglichst unmittelbar nach ihrer Fertigstellung abfahren können. Nur so lässt sich die für den Umschlag verbrauchte Zeit durch eine möglichst hohe Fahrgeschwindigkeit auf der Schiene schnell wieder ausgleichen. Der Lkw erreicht im Fernverkehr auf der Autobahn derzeit eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 60 km/ h. Auf den Hauptbahnen beträgt die zulässige Streckengeschwindigkeit wenigstens 120 km/ h, selbst auf einer „Gebirgsbahn“ beträgt sie wenigstens 80 km/ h. Moderne Güterwagen haben meist eine Lauffähigkeit bis 120 km/ h. Bei diesen Gegebenheiten müsste der KV-Zug auf der Strecke eine Reisegeschwindigkeit von 80 km/ h einhalten können. Heute liegt sie von München nach Verona zwischen 50 und 60 km/ h. Für das Beladen, die Zugfertigstellung und das Entladen müssen, selbst bei der „Rollenden Landstraße“, wenigstens eineinhalb bis zwei Stunden angesetzt werden. Wenn die Umschlagzeit zwei Stunden beträgt und der KV-Zug unbehindert fahren kann, erreicht die Ladung im Kombinierten Verkehr nach einer Fahrstrecke von 332 km das Ziel zur gleichen Zeit wie im Lkw; auf kürzeren Strecken ist der Lkw schneller (Abbildung 4). Bei der Ermittlung dieser Fahrstrecke ist die Einhaltung der für den Lkw-Fahrer nach viereinhalb Stunden Lenkzeit vorgeschriebenen Lenkzeitunterbrechung von 45 min [7] berücksichtigt. Wie Abbildung 4 zeigt, beginnt die Konkurrenzfähigkeit des Kombinierten Verkehrs zum reinen Straßentransport in Bezug auf die Transportzeit - unter der Abb. 3: Tagesganglinie des Lkw-Verkehrs auf der A 93; Zählstelle Kiefersfelden Abb. 4: Lkw und Kombinierter Verkehr; Streckenlänge bei gleicher Transportzeit Güterverkehr + Logistik 14 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 meinsam bewältigt werden. Da der Verkehr ein typisches grenzüberschreitendes Phänomen ist, liegt es auf der Hand, dass eine konzertierte Aktion auf europäischer Ebene die Erfolgschancen wesentlich steigert. Zur Förderung des Güterverkehrs stützt deshalb die Europäische Kommission unter anderem einen Aktionsplan für die Güterverkehrslogistik und setzt sich in wichtigen europäischen Verkehrskorridoren für den Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes ein, vergleichbar mit „Netz 21“ der DB AG. Die Chancen der Güterbahn liegen zweifelsfrei auf den großen Entfernungen, insbesondere im internationalen grenzüberschreitenden Fernverkehr. Dieser Schienengüterverkehr ist nach wie vor mit einer Reihe erheblicher Qualitätsprobleme behaftet. Beispielsweise erreichten nach Angaben der UIRR im Jahr 2006 nur 53 % der im Kombinierten Verkehr eingesetzten Züge pünktlich ihr Ziel. Für eine erfolgreiche Revitalisierung des Eisenbahngüterverkehrs ist der Aufbau des von der EU konzipierten vorrangig für den Güterverkehr bestimmten europäischen Streckennetzes eine gewichtige Voraussetzung. Erst auf einem dem Transportmarkt und seinen Konditionen angepassten Hochleistungsnetz kann die Bahn die von ihr erwarteten Transportleistungen in logistischer Qualität erbringen und der Transportwirtschaft bedarfsgerechte Fahrplantrassen anbieten. In den Hauptkorridoren muss die Bahn für den Kombiverkehr das abgestimmte Zusammenspiel mit der Straße suchen, sowie die bessere Zusammenarbeit mit den Bahnunternehmen untereinander forciert betreiben und mit kreativer Intuition voranbringen. Erst dann kann die Bahn als Partner der Straße mit marktgerechten Transportqualitäten über die nationalen Grenzen hinweg durchgängig kompetent auftreten [9]. Es stimmt hoffnungsvoll, dass die EU- Kommission die Entwicklung eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten europäischen Schienennetzes, nach Korridoren gegliedert, mit Maßnahmen rechtlicher und finanzieller Art unterstützt. Auf diesem Netz erhalten zeitkritische Güterzüge Vorrang vor dem Personenverkehr. Die Kommission schlug vor, bis 2012 in jedem Mitgliedsstaat mindestens einen internationalen Korridor mit Vorrang für den Güterverkehr zu schaffen. Da der größte Zuwachs im grenzüberschreitenden Güterverkehr zu erwarten ist, hat der Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes auf den internationalen Verkehrsachsen besondere Dringlichkeit. Im europäischen Güterverkehr liegt die stärkste Belastung im Nord-Süd-Verkehr auf den alpenquerenden Hauptachsen nach Italien. Es handelt sich dabei um den Korridor: Rotterdam - Rheinschiene - Schweiz - Genua und den Korridor: Berlin - Halle/ L eipzig - Nürnberg - München - Inn sbruck - Brenner - Verona/ Mailand - Bologna - Florenz - Rom - Neapel - Palermo. des Eisenbahnbetriebs und auf die fehlende Leistungsfähigkeit der vorhandenen Schieneninfrastruktur zurückzuführen. Aus dieser Ernüchterung in der Beurteilung der realistischen Möglichkeiten für eine stärkere Verlagerung des Güterfernverkehrs von der Straße auf die Schiene muss die verantwortliche Verkehrspolitik erkennen, dass das politische Ziel nur mit massiven Investitionen in den Netzausbau zu erreichen ist. 4 Kriterien für den Ausbau der Güterbahn Wenn die Bahnen an der Zunahme des Güterverkehrs stärker als bisher partizipieren sollen, müssen sie sich um die Sektoren des Kuchens bemühen, in denen sie ihre Systemstärke attraktiv einbringen können. Ihr Potenzial liegt im Zuge gebündelter Verkehrsströme mit großen Mengen über große Entfernungen. Die Eisenbahn kann von der Straße nur dann beachtliche Gütermengen übernehmen, wenn ihr auf den Hauptkorridoren für Güterzüge auch bei Tag ein ausreichendes Trassenpotenzial zur Verfügung steht. Damit in den Eisenbahnkorridoren, die auch starker Reiseverkehr vorrangig nutzt, ein artreiner Güterverkehr abgewickelt werden kann, müssen sie viergleisig ausgebaut werden. Der Güterzug hat im Mischbetrieb auf den zweispurigen Hauptbahnen in den Tagesstunden im Vergleich zum Lkw-Verkehr auf der Straße keine auch nur annähernd vergleichbare Chance. Zusätzliche Kapazitäten lassen sich auf stark belasteten Relationen auch unter Inkaufnahme von Attraktivitätsverlusten durch eine Entmischung und durch eine Harmonisierung der Fahrgeschwindigkeiten des Reise- und Güterverkehrs schaffen. Mit einer derartigen Optimierung der Produktionsstrukturen und mit der Entmischungsproblematik beschäftigen sich alle europäischen Bahnen. Nach dem Sanierungskonzept der DB AG - bekannt unter dem Namen „Netz 21“ - sind im 10 000 km langen Vorrangnetz 4500 km für den Güterverkehr vorgesehen. Auf diesen Vorrangstrecken G haben die Güterzüge fahrplantechnischen und betrieblichen Vorrang. 5 Schlussfolgerung Der dynamisch expandierende Güterverkehr muss von allen Verkehrsträgern geten liegt. Nur insofern ist der immer wieder gehörte Vorwurf richtig, die Eisenbahnen könnten nicht marktwirtschaftlich agieren. Auch die Behauptung, eine drastische Erhöhung der Lkw-Maut auf Autobahnen und Fernstraßen würde zu beachtlichen Verlagerungen auf die Schiene führen, ist realitätsfremd. Dies bestätigte eine von der International Road Transport Union (IRU) und dem Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) e.V., Frankfurt am Main, beauftragte Studie der TransCare AG, Wiesbaden. In der Studie war zu untersuchen, welche Auswirkungen eine Mauterhöhung auf den Modal Splitt zwischen Straße und Schiene hätte [7]. Zur Beantwortung der Frage musste als erstes das für eine Verlagerung (über den Preis) auf die Schiene in Frage kommende Potenzial quantifiziert werden. Dabei ergab sich, dass vom Gesamtvolumen von 3067,8 Mio. t grundsätzlich 32,3 % (990,90 Mio. t) schienentauglich sind. Im zweiten Schritt wurde die Schienenaffinität unter Berücksichtigung der Transportentfernung abgeschätzt (Tabelle 4). Gütern, die auf der Straße bis 100 km befördert werden, wurde eine Schienenaffinität von 0 % beigemessen, Transporten von 100 bis 250 km eine solche von 10 %, für Entfernungen von 250 bis 500 km wurden 50 % Schienenaffinität angesetzt und für alles, was über 500 km auf der Straße transportiert wird, wurden 100 % als potenziell verlagerbar angesehen. Im dritten Schritt wurden von den sich für 2004 insgesamt ergebenden 105,4 Mio. t die Mengen abgezogen, die auf Grund der derzeitigen Netzstruktur nicht über den Preis auf die Schiene verlagerbar sind: 1)35 % haben keinen wirtschaftlichen Zugang zum Kombinierten Verkehr; das sind 36,58 Mio. t bzw. 24,74 Mrd. tkm. 2)Für 25 % fehlen im Schienentransport die benötigten Zeitfenster; das sind 26,35 Mio. t bzw. 17,67 Mrd. tkm. 3)10 % sind aufgrund spezifischer Qualitätsanforderungen nicht verlagerbar; das sind 10,54 Mio. t bzw. 7,07 Mrd. tkm. Somit wären bei den im Jahr 2004 gegebenen Verhältnissen in Deutschland nur 31,62 Mio. t (1,03 %) bzw. 21,21 Mrd. tkm (4,77 %) über eine drastische Erhöhung der Lkw-Maut von der Straße auf die Schiene verlagerbar gewesen. 60 % der angesprochenen Mängel sind auf die Organisation Tab. 4: Schienenaffinität der Ladungen des Straßengüterverkehrs unter Berücksichtigung der Transportentfernung im Jahr 2004 Entfernungsstufen Gütermenge [Mio. t] Beförderungsleistung [tkm] Affinität % Mio. t affin % Mrd. tkm affin 0 bis 100 km 0 % 71,47 708,20 0,00 16,90 24,29 0,00 100 bis 250 km 10 % 15,12 149,82 14,98 22,30 32,05 3,20 250 bis 500 km 50 % 8,57 84,92 42,46 27,70 39,82 19,91 über 500 km 100 % 4,84 47,96 47,96 33,10 47,58 47,58 100,00 990,90 105,4 100,00 143,74 70,69 Güterverkehr + Logistik 15 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 [5] MaaK, H.: Ist die Güterbahn für den Lkw als Partner im Fernverkehr interessant? , ETR - Eisenbahntechnische Rundschau 48 (1999), HEFT 7/ 8, S. 481- 486 [6] Es wurden Daten von Dauerzählstellen sowie von der Bundesverkehrszählung 1995 ausgewertet. Diese Daten wurden dem Verfasser mit freundlicher Unterstützung durch die Oberste Baubehörde im Bayrischen Staatsministerium des Innern von der Zentralen Datenverarbeitung im Straßenbau in Bayern bei der Autobahndirektion Südbayern, Seidlstraße 9 -11, 80335 München, zur Verfügung gestellt. [7] EG- und AETR-Regelung, VO (EWG) Nr. 3820/ 85 und 3821/ 85, „EG-Sozial-Vorschriften“ sowie ETR-Abkommen [8] Bulheller, M.: Verlagerung auf die Schiene muss teuer erkauft werden, Ineternationales Verkehrswesen (58) Heft 7+8/ 2006, S. 353 - 355. [9] Heinisch, R.: Die Bahn im Transportmarkt, Systeme für effizienten Güterverkehr, ETR - Eisenbahntechnische Rundschau 49 (2000), Heft 4, S. 207 - 209. [10] KOM(2007) 608 vom 18.10.2007: Mitteilungen der Kommission an den Rat und das europäische Parlament, Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes. Falls aber das europäische Eisenbahnnetz für den Güterverkehr insgesamt nicht bald leistungsfähiger wird, bleibt eine stärkere Verlagerung des Fernverkehrs von der Straße auf die Schiene eine unerfüllbare Illusion. Literatur [1] Deutsches Verkehrsforum e.V.: „Chancen und Wirkungen einer Flexibilisierung der Lieferzeiten und Lieferzeitfenster“, Untersuchung der Prognos AG, Basel, vom Oktober 1998 [2] ProgTrans AG: „Abschätzung der langfristigen Entwicklung des Güterverkehrs in Deutschland bis 2050“ [3] Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen 2025; FE-Nr. 96.0857/ 2005 [4] Beisler, L.: „Effiziente Produktionsstrukturen für den Kombinierten Verkehr“, Edition ETR Bahn Report 96 Letzterer erhielt wegen seiner großen Verkehrsbedeutung im Transeuropäischen Eisenbahnnetz (TEN) für den Eisenbahn- Hochleistungsverkehr und den Kombinierten Verkehr von der EU die höchste Priorität. Ca. 60 % der Güter queren die Alpen auf der Brennerachse, ca. 40 % finden ihren Weg von der Rheinachse durch die Schweizer Alpen nach Genua. Diese beiden Hauptkorridore sind im Vorschlag der EU für den Aufbau des vorrangigen Güterzugnetzes enthalten [10]. Im Güterverkehrstransit durch die Schweiz werden schon seit geraumer Zeit rund 70 % auf der Eisenbahn und nur 30 % auf der Straße gefahren. Zur Erweiterung des Schienennetzes werden sehr erfolgreich die Neuen Alpentransversalen (NEAT) durch den Lötschberg, den Gotthard und den Monte Ceneri gebaut. Über den Brenner können wegen fehlender Streckenkapazität zurzeit leider nur rund 30 % des Transitgüterverkehrs die Eisenbahn benutzen, 70 % belasten die Brennerautobahn. Strategische Langzeitüberlegungen müssen sich am globalen Transportmarkt orientieren und insbesondere bei der Eisenbahn dem europäischen Raum Priorität einräumen. Eine nationale Orientierung reicht im Logistikgeschäft längst nicht mehr aus. Die Kunden verlangen heute internationale Transport- und Logistikpakete. Es entspringt national geprägtem planwirtschaftlichem Gedankengut, wenn gelegentlich behauptet wird, der spurgebundene Güterverkehr könne in Deutschland allein durch Effizienzsteigerungen, wie durch bessere Auslastung der Züge, Vergrößerung der Zuggewichte und Zuglängen sowie durch dichtere Zugfolgen auf dem veralteten und im Mischverkehr der Hauptrelationen voll ausgelasteten Eisenbahnnetz gar verdoppelt werden. Diese irrealen Ansätze aus der Zeit des Eisenbahnmonopols längst vergangener Jahrzehnte wollen die faktisch und fundiert untermauerten Logistikgrundsätze der heutigen Verkehrswirtschaft nicht wahrhaben. Auf großen Entfernungen ist die Güterbahn richtig organisiert konkurrenzlos gut. Schon heute sind in Deutschland mehr als drei Viertel des Kombinierten Verkehrs grenzüberschreitende Transporte. Es fehlt sicher nicht an der qualifizierten Erfahrung der Eisenbahner oder gar an deren gutem Willen. Die Konfiguration der Bahnnetze ist den gewaltigen Veränderungen des Transportmarktes nicht vorausschauend angepasst worden. Hier liegt ein von der Gesellschaft geduldetes Versäumnis vor, das nicht den Bahnen allein vorgehalten werden darf. Wenn es der Eisenbahn gelingen sollte, ihre logistische Qualität im Güterverkehr auch quantitativ erheblich zu verbessern, ist zu erwarten, dass sich ihre Marktanteile, zumindest langfristig, nicht mehr so gravierend zugunsten der Straße verschieben werden, wie dies bislang der Fall ist. Summary The railways’ role in the transport market The global process of economic expansion has led to serious structural changes also in the areas of holiday traffic and freight transport. Leading on from this development, the railways’ sphere of operation has been adversely affected by a largely antiquated network that serves Europe’s transport market. In the case of freight transport, ideological illusions do not set the standards to help determine the selection of a carrier. It is rather the promise made to clients of a reliable and guaranteed quality of service during the actual transport process that affects the ultimate choice. If the railways are to take on a larger share of the rapidly evolving freight traffic, it is essential that they can meet the demands of the modern transport market. This necessitates a speedy rail network expansion for freight transport in line with actual demand. „Matchpoint für Ihre Werbung“ schlägt zum „Doppel“ „Doppel“ auf! 23.09.-30.09.2010 in Hannover Halle 14-15, Stand A06 Kontakt: Sophie Elfendahl, Tel. 040/ 23714220, Email: sophie.elfendahl@dvvmendia.com Die große Messeausgabe zur: Versäumen Sie auf keinen Fall dieses „Match“ „Match“! Anzeigenschluss Heft Nr. 9/ 10: 18.08.2010 21.09.-24.09.2010 in Berlin Halle 18, Stand 131 Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik Güterverkehr + Logistik 16 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Idealtypische Phasen der städtebaulichen Einordnung Städtebauliche Einordnung Städtebauliche Einordnung Phasen Phase I (ab etwa 1835) Phase II (ab etwa Mitte des 19.Jahrhunderts) Phasen Phase III (ab etwa 1880) Phase IV (1990er Jahre; Einführung ICE) Stadt Kopfbahnhof Kopfbahnhof Kopfbahnhof Kopfbahnhof (Hauptbahnhof) Kopfbahnhof Postbahnhof Stadtzentrum Städtische Expansion mit der Bahn Durchgangsbahnhof (Hauptbahnhof) Durchgangsbahnhof / Haltepunkt Zugbildungsanlage KV-Terminal ICE-Halt Postbahnhof Durchgangsbahnhof (Hauptbahnhof) Rangierbahnhof (ab 20.Jahrhundert mit Ablaufbetrieb) Durchgangsbahnhof / Haltepunkt Hauptgüterbahnhof Güterbahnhof HGV-Neubaustrecke Verbindungsbahn Städtebauliche Einordnung Städtebauliche Einordnung Städtebauliche Einordnung Städtebauliche Einordnung Phasen Phase I (ab etwa 1835) Phase II (ab etwa Mitte des 19.Jahrhunderts) Phasen Phase I (ab etwa 1835) Phase II (ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts) Phasen Phase III (ab etwa 1880) Phase IV (1990er Jahre; Einführung ICE) Phasen Phase III (ab etwa 1880) Phase IV (1990er Jahre; Einführung ICE) Stadt Kopfbahnhof Kopfbahnhof Kopfbahnhof Kopfbahnhof (Hauptbahnhof) Kopfbahnhof Postbahnhof Stadtzentrum Stadtzentrum Städtische Expansion mit der Bahn Durchgangsbahnhof (Hauptbahnhof) Durchgangsbahnhof / Haltepunkt Zugbildungsanlage KV-Terminal ICE-Halt Postbahnhof Durchgangsbahnhof (Hauptbahnhof) Rangierbahnhof (ab 20.Jahrhundert mit Ablaufbetrieb) Durchgangsbahnhof / Haltepunkt Hauptgüterbahnhof Güterbahnhof HGV-Neubaustrecke Verbindungsbahn Michael Häßler / Wolf-Christian Hildebrand Personen- und Güterbahnhöfe Kurzer Abriss aus betrieblicher Sicht Der Personen- und der Güterverkehr auf der Schiene haben gemeinsame Wurzeln. In den nunmehr 175 Jahren deutscher Eisenbahngeschichte haben sich die beiden Formen des Verkehrs jedoch ganz unterschiedlich entwickelt. Beobachten lassen sich diese unterschiedlichen Entwicklungspfade insbesondere an den Bahnhöfen des Personen- und Güterverkehrs seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Neuzeit. Die Autoren Dr.-Ing. Michael Häßler, Architekt, European Railway Engineer (UEEIV), Hagen (Westf.) und Berlin; Dr. Ing. Wolf-Christian Hildebrand, hwup Consulting Berlin, hildebrand@hwup.de Abgrenzung von Personen- und Güterbahnhöfen Nach der Definition der Eisenbahnbetriebsordnung sind Bahnhöfe Bahnanlagen, in denen Züge beginnen oder enden, ausweichen oder wenden dürfen und die über mindestens eine Weiche verfügen. Personenbahnhöfe sind Orte des Zu-, Ab- und Übergangs von Bahnreisenden. Unter dem Begriff der Güterbahnhöfe sind alle Bahnanlagen zu verstehen, die dem Umschlag von Gütern dienen und öffentlich zugänglich sind. Betrachtet werden Ladegleise als Teil eines Personenbahnhofes, Güterbahnhöfe und Umschlagterminals zwischen Straße und Schiene sowie Rangiergleise und -bahnhöfe. Nicht berücksichtigt werden hingegen unternehmenseigene Gleisanschlüsse. Phase I: Gemeinsame Abfertigung von Personen- und Güterverkehr Die Eisenbahn diente zunächst dem Transport von Personen zwischen zwei Orten, meist solchen von wirtschaftlicher Bedeutung, zwischen denen eine Eisenbahn eine gute Verzinsung des eingesetzten (meist privaten) Kapitals versprach. Die Gleisanlagen endeten in einem Kopfbahnhof vor den Toren der Stadt. Größere Städte wiesen bald schon mehrere Bahnhöfe für die jeweiligen Zielorte auf. Sie hatten eine Abfahrts- und eine Ankunftsseite. Umsteigen innerhalb eines Bahnhofs war nicht notwendig, da nur ein Ziel angefahren wurde. Verbindungen zwischen den Bahnhöfen bestanden zunächst nicht. Für den Gütertransport, der kurze Zeit nach Einführung der Personenbeförderung aufgenommen wurde, wurden am Rand der Personenbahnhöfe Umschlaggebäude und Ladegleise errichtet. Die Züge fuhren dabei häufig als gemischte Personen- und Güterzüge. Phase II: Entwicklung der Hauptbahnhöfe Mit zunehmendem Schienenverkehr entstanden zuerst Verbindungsstrecken zwischen den Richtungsbahnhöfen und später dann zentrale Hauptbahnhöfe, von denen Züge in alle Himmelsrichtungen abgingen bzw. ankamen. Die vorherrschende Bauform war der Kopfbahnhof. Durch die Einführung eines Querbahnsteigs vor Kopf konnte das Umsteigen vereinfacht werden; die Trennung zwischen Abfahrts- und Ankunftsseite wurde aufgehoben. Der Güterverkehr wurde aus den Hauptbahnhöfen ausgelagert und in eigenen Hauptgüterbahnhöfen abgefertigt. Im Güterverkehr blieb die Trennung nach Ankunfts- und Abfahrtsseite bestehen. Durch das Rangieren der Güterwagen konnte der Prozess des „Umsteigens“ abgebildet werden. In Personenzügen wurde in der Regel nur noch Post mitbefördert. Phase III: Durchgangs- und Rangierbahnhöfe Im Personenverkehr wurden ab etwa 1880 neue Hauptbahnhöfe seltener als Kopfbahnhöfe, sondern immer häufiger als Durchgangsbahnhöfe errichtet. Diese hatten insbesondere eisenbahnbetriebliche Vorteile, da keine zweite Lokomotive mehr notwendig war beziehungsweise das Umfahren des Zuges durch die Lokomotive entfiel und die Haltezeiten sich dementsprechend verkürzten. Städtebaulich hingegen zerschnitten die von beiden Seiten an den neuen (Durchgangs-) Hauptbahnhof herangeführten Gleise das Stadtgebiet, das maßgeblich unter dem Einfluss der Eisenbahn (und der von ihr ermöglichten höheren Reisedistanzen auch innerhalb der Stadt) gewachsen war und die vormals in Stadtrandlage angeordneten, nunmehr zum Hauptbahnhof zusammengefassten ehemaligen Kopfbahnhöfe „überwuchert“ hatte. Der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung der „industriellen Revolution“ entsprechend nahm auch der Umfang des Güterverkehrs und damit der Rangiertätigkeiten zu. Es entstanden daher oft zusätzlich ausgedehnte Rangierbahnhöfe. Zur Effizienzsteigerung bei der Zugbildung im Einzelwagenverkehr wurden ab den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vermehrt Rangierbahnhöfe mit Ablaufbergen zur Schwerkraftzerlegung gebaut. Güterverkehr + Logistik 17 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Phase IV: Hochgeschwindigkeitsnetz und Container-/ Kombinierter Verkehr Im Personenverkehr sollte erst in den 1990er Jahren ein weiterer Effizienzsprung mit der Einführung des ICE-Hochgeschwindigkeitsverkehrs gelingen. Es wurden bundesweit neue Bahnhöfe weit abseits der Stadtzentren errichtet, um die neuen ICE- Trassen nicht ungünstig durch das Nadelöhr vorhandener, innerstädtisch gelegener Bahnanlagen trassieren zu müssen und das Anfahren noch vorhandener Kopfbahnhöfe zu vermeiden. Im Güterverkehr kam es zu großen strukturellen Veränderungen durch die Einführung des Containers und der Wechselbrücken für den Kombinierten Verkehr (KV). Mit der weitgehenden Mechanisierung des Ablaufbetriebes, u. a. durch Ersatz von Hemmschuhlegern durch Gleisbremsen und rechnergesteuerte Abläufe, wurden in den großen Zugbildungsanlagen des Einzelwagenverkehrs weitere Leistungssteigerungen möglich. Die systemimmanente höhere Flexibilität des Lastkraftwagens beim Transport kleiner Mengen führte dazu, dass der Stückgutverkehr in den 1990er Jahren völlig aufgegeben wurde; damit wurden auch die Hauptgüterbahnhöfe stillgelegt. Während die Massengüter im Ganzzugverkehr zwischen unternehmenseigenen Gleisanschlüssen verkehren, fahren Shuttlezüge im Kombinierten Verkehr und im Seehafenhinterlandverkehr zwischen den Häfen und den KV-Terminals. Diese Terminals sind oft auch als trimodale Terminals in einem Binnenhafen angelegt und ermöglichen so die optimale Kombination der Verkehrsträger Straße, Schiene und Binnenschiff. Schlussbemerkung Nach einer anfänglich engen Verflechtung von Personen- und Güterverkehr haben sich mit stärkerer Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Beförderungsweisen auch unterschiedliche Bahnhofstypen herausgebildet: Der Durchgangsbahnhof (und der Haltepunkt) im Personenverkehr, die Zugbildungsanlage im Einzelwagenverkehr und das KV-Terminal im Kombinierten Verkehr als vorherrschende Typen. Gemeinsam ist den Bahnhöfen heute, dass auf eisenbahnbetrieblich aufwändige Prozesse (Rangieren, Umkoppeln, Lokwechsel) entweder weitgehend verzichtet wird (Personenverkehr: Tendenz zum Triebwagen, Ersatz von Kurswagen durch Flügelung von Triebwagen; Gütertransport: Tendenz zum Ganzzugverkehr) oder solche Prozesse auf wenige, oft große Bahnhöfe (Einzelwagenverkehr: Zugbildungsanlagen; Kombinierter Verkehr: KV- Terminals) konzentriert werden. So sehr aus betrieblicher Sicht der Effizienzgedanke die wesentliche Grundlage der Gestaltung von Bahnhöfen geworden ist, darf dennoch die städtebauliche Komponente nicht unerwähnt bleiben. Beim Personenbahnhof, zumal dem Hauptbahnhof, ist dies seine zentrale, oft auch architektonisch ausgestaltete Bedeutung als (Personen-)Verkehrsknotenpunkt im Stadtgefüge. Bei den Bahnhofstypen des Güterverkehrs ist dies ihre zentrale Rolle für den Umschlag von Wirtschaftsgütern im Nah- und Fernbereich, einschließlich der Funktion im Seehafenhinterlandverkehr. Summary Designing passenger and freight railway stations Carrying on from the initially close integration of passenger and freight transport, the more profound differentiation among means of transport has given rise to different types of railway stations. The predominant ones are the transit station (and stop) for passenger traffic, the shunting yard for freight trains composed of single wagons, and the KV-terminal for combined transport, At present, stations are commonly affected by the termination, to a large degree, of costly railway-specific types of manoeuvres (i. e. shunting and deor re-coupling of freight wagons, engine changes) or their concentration on a few - but often large - railway stations. By taking railways‘ operational aspects into account, efficiency-related assessments have emerged as the essential starting point for station design. Urban development schemes should, nonetheless, also be given due consideration. 7. Baltisches Verkehrsforum Maritimer Ostseeverkehr nach der Krise Seetransport und Hafenentwicklung zwischen Kontinuität und Neustrukturierung Ostseeinstitut an der Universität Rostock 19./ 20. August 2010 Rostock Hotel Neptun weitere Informationen unter www.dvwg.de Foto: Rainer Leske Treffen Sie internationale Politiker, Manager und Experten aus Transport & Logistik der Ostseeanrainer und diskutieren Sie gemeinsam Entwicklungstrends und Herausforderungen der kommenden Jahre im baltischen Seeverkehr. Mobilität + Personenverkehr 18 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Abb. 1: Politikzyklus nach Howlett/ Ramish (1995) Martin Schiefelbusch Fahrgastpolitik Mitgestaltung des öffentlichen Verkehrs durch seine Nutzer Der Kunde ist nach einem viel zitierten Sprichwort „König“ (oder Königin). Auch nach der Grundidee der Marktwirtschaft wetteifern die Anbieter von Gütern und Dienstleistungen um die Käufer. Doch von diesem Ideal sind in der Realität oft Abstriche zu machen. Im öffentlichen Verkehr sind die Einschränkungen dieses Modells besonders groß: Hier haben wir es nicht nur mit einem meist gesetzlich geschützten Anbietermonopol zu tun, sondern auch mit starken politischen Einflüssen, die das Angebot direkt und indirekt bestimmen. Wie können sich die Kunden beteiligen, um im Sinne einer „Fahrgastpolitik“ Einfluss zu nehmen? Der Autor Dr. Martin Schiefelbusch MA MSc, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Bereichsleiter Raum, Demografie, Mobilität, nexus Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung GmbH, Berlin; schiefelbusch@nexusinstitut.de 1 Ungleiche Kräfteverhältnisse im Gestaltungsprozess Nach der klassischen Arbeit des amerikanischen Ökonomen Albert Hirschman 1 sind „exit“ (die Wahl eines anderen Produkts oder Anbieters) und „voice“ (das Artikulieren von Unzufriedenheit) die wesentlichen Mittel für Verbraucher, ihre Meinung und Erwartungen zum Ausdruck zu bringen. Für die Kunden des öffentlichen Verkehrs (ÖV) entfällt jedoch oft die Möglichkeit, durch Wahl eines anderen Anbieters Unzufriedenheit mit der Leistung des bisherigen Dienstleisters auszudrücken, da Verkehrsleistungen vielfach durch - öffentliche oder private - Unternehmen erbracht werden, die durch die Marktverfassung eine Monopolstellung erhalten. Andererseits war und ist der politische Einfluss auf die Anbieter stärker und umfassender als in vielen anderen Bereichen: Auf politischem Wege wird über Zuschüsse entschieden, der intermodale Wettbewerb gestaltet und auch durchaus in die Fahrplan-, Tarif- und Liniengestaltung eingegriffen. Die Reformen der letzten Jahre hier eine weitere Facette hinzugefügt: Mit der Vergabe im Wettbewerb werden die öffentlichen Aufgabenträger zu den wichtigsten Geschäftspartnern der Verkehrsunternehmen, da ihre Zuschüsse in der Regel den größten einzelnen Einnahmeposten darstellen. Die Nutzer könnten daher versuchen, über die Politik das Angebot in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dabei stoßen sie jedoch auf das Problem, einen indirekten und zeitaufwendigen Weg beschreiten zu müssen, der sich zudem mit den Interessen der Politik als Eigentümer von Verkehrsunternehmen oft nicht verträgt. Auch der Einsatz von „voice“ ist angesichts der Verflechtungen zwischen Politik und Anbietern nicht ohne weiteres wirksam. Der folgende Text geht der Frage nach, wie die Nutzer des ÖV angesichts dieser Randbedingungen ihre Wünsche zum Ausdruck bringen können. Dabei ist es sinnvoll, die Fahrgastinteressen im Hinblick auf ihre Verortung im Prozess der Angebotsentwicklung und -umsetzung zu differenzieren. Vier Phasen sind dabei zu unterscheiden: 2 ̇ Auf der politischen Ebene werden die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Verkehr gesetzt und strategische Entscheidungen getroffen. ̇ In der Planung des Angebots werden Konzepte für die zu erbringende Leistung entwickelt und ihre Umsetzung detailliert vorbereitet. ̇ Die Produktion der Verkehrsleistung im täglichen Betrieb setzt diese Vorgaben um, wobei als zentraler Teil der Angebotsqualität Abweichungen vom geplanten Zustand gering zu halten sind. ̇ In der Praxis sind Schwierigkeiten jedoch nicht auszuschließen; damit stellt sich die Frage, wie mit Problemen, die aus Qualitätsmängeln entstehen, umzugehen ist. Auf jeder dieser Ebenen stehen unterschiedliche Fragen zur Entscheidung an und unterschiedliche Ansatzpunkte für eine Artikulation von Kundeninteressen zur Verfügung. Die Überlegungen in diesem Beitrag konzentrieren sich auf die politische Ebene. Ergänzend wird auf einige Grundfragen zur Bürgerbeteiligung in Planungsprozessen des ÖV eingegangen. 3 Besondere Herausforderungen für die Artikulation von Fahrgastinteressen liegen dabei in folgenden Charakteristika der Verkehrspolitik: ̇ die Grundlagenfunktion von Mobilität mit zahlreichen Bezügen zu anderen Politikfeldern, ̇ die vielfältigen Auswirkungen des Verkehrs auf Menschen und Umwelt, ̇ das Auseinanderfallen von Verursachern und Betroffenen sowie die unterschiedliche Internalisierung dieser Effekte, ̇ die in der Fachdiskussion oft ignorierten oder rationalisierten psychischen, physiologischen und sozialen Dimensionen der Mobilität, ̇ die starke bis dominierende Stellung des (motorisierten) Individualverkehrs (MIV) auf den Verkehrsmärkten. Fahrgastinteressen auf der politischen Ebene zu vertreten bedeutet daher vor allem, trotz - oder wegen - dieser Randbedingungen, das Interesse der Entscheider am öffentlichen Verkehr zu wecken, zu erhalten und zu fördern. 2 Politik als Prozess Politikgestaltung vollzieht sich in einem Zyklus (Abbildung 1), der sich unter anderem aus dem Erleben der gegenwärtigen Situation speist. In der Problemwahrneh- Mobilität + Personenverkehr 19 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 mung, wie der Reaktion darauf, gibt es allerdings fast immer Unterschiede in der Bewertung der Situation wie der Handlungsmöglichkeiten, die u. a. durch unterschiedliche inhaltliche Vorstellungen bedingt sind. Daraus ergeben sich drei grundsätzliche Ansatzpunkte, um die Politikgestaltung zu beeinflussen: ̇ die Wahrnehmung von Problemen, ̇ das Entwickeln und Bewerten von Lösungsalternativen und ̇ die Einflussnahme auf grundsätzliche Wertvorstellungen. Politikgestaltung ist somit letztlich ein Aushandlungsprozess, bei dem konsensbzw. mehrheitsfähige Positionen gefunden werden müssen. Dabei spielen einerseits die Machtverhältnisse, andererseits die kommunikativen Fähigkeiten der Beteiligten eine Rolle. Dieser Prozess vollzieht sich entlang bestimmter formaler Schritte (s. u.), zugleich aber auch im informellen Dialog zwischen den Beteiligten. Für eine erfolgreiche Mitsprache ist es erforderlich, sich beider Bereiche bewusst zu sein und soweit möglich beide zu nutzen. Organisationen, die Fahrgastinteressen vertreten, tun dies normalerweise parteiübergreifend. Mitgliedschaften ihrer Angehörigen in Parteien oder Parlamenten sind ebenfalls eher zufällig und spielen in der Arbeit der Organisation eine nachrangige Rolle. Fahrgastorganisationen stehen somit außerhalb des engeren politischen Systems (Abgeordnete, Regierungsmitglieder, Parlamentsmitarbeiter). Damit besteht eine grundsätzliche Herausforderung darin, dass sie einerseits die Arbeit dieses Systems mitgestalten möchten, andererseits nur begrenzt in dessen Abläufe eingebunden sind. Der informelle Dialog erhält so besondere Bedeutung. Im folgenden Abschnitt werden zunächst politische Verfahren vorgestellt, die auch „Außenstehenden“ eine Mitwirkung erlauben, bevor auf informelle Teilnahmemöglichkeiten (Lobbyarbeit) eingegangen wird. 3 Instrumente 3.1 Politische Verfahren Parlament und Regierung kommen im demokratischen Politikbetrieb zentrale Bedeutung zu. Das Idealmodell einer frei von äußeren Einflüssen stattfindenden Willensbildung der Abgeordneten wird indes nicht nur durch Lobbying erheblich modifiziert, auch die parlamentarischen Verfahren selbst bieten durchaus Möglichkeiten einer „geordneten“ Einflussnahme durch Interessengruppen. Die folgende Aufzählung strebt weder Vollständigkeit an noch soll damit der Eindruck erweckt werden, diese Möglichkeiten stünden uneingeschränkt überall zur Verfügung. Vielmehr muss dies angesichts der im Detail sehr unterschiedlichen Regelungen auf den verschiedenen Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden) und zwischen verschiedenen Regionen anhand der jeweils gültigen Bestimmungen (etwa den Gemeindeordnungen der Bundesländer) überprüft werden. ̇ Petitionen sind ein Grundrecht, das Einzelpersonen wie Organisationen gleichermaßen offensteht. 4 Eine inhaltliche Auseinandersetzung durch die zuständigen parlamentarischen Ausschüsse ist insofern sichergestellt, dies umfasst auch Recherchen und Konsultationen mit weiteren Akteuren. Petitionen werden oft als „letztes Mittel“ verstanden, wenn andere Formen der Einflussnahme nicht erfolgreich waren. ̇ Eine ähnliche Funktion erfüllen auch Bürgerbeauftragte bzw. Beauftragte für die Belange bestimmter Gruppen. 5 ̇ Volksbzw. Bürgerbegehren und -entscheide können auch für verkehrspolitische Fragen genutzt werden. Neben den formellen Bedingungen ist zu bedenken, dass nur Parlament, Regierung und Verwaltung als Adressaten solcher Begehren in Frage kommen. Verkehrsunternehmen oder Zweckverbände mit eigener Rechtspersönlichkeit können nur indirekt angesprochen werden, indem die Exekutive zu einem bestimmten Handeln ihnen gegenüber verpflichtet wird. Für ein solches Begehren ist eine Mindestanzahl an Unterschriften von Unterstützern erforderlich, deren Sammlung Ausdauer und Kapazitäten erfordert. Dieses Instrument eignet sich daher am ehesten für Grundsatzfragen oder andere Themen, für die ein breites Interesse zu erwarten ist. ̇ Die Anerkennung als „Sachkundige Bürger“ bietet Einzelpersonen (die aber auch Interessengruppen angehören können) die Möglichkeit, mit beratender Stimme an politischen Prozessen teilzunehmen. Im Unterschied zum informellen Austausch geschieht dies hier mit Rederecht bzw. auf Einladung, um Fachwissen oder Positionen in die Debatte einfließen zu lassen. Besonders auf kommunaler Ebene ist dies interessant, da einerseits separate Anhörungen zu bestimmten Themen weniger verbreitet sind, andererseits die Politikgestaltung oft auf ehrenamtlicher Tätigkeit beruht, die weniger auf eigenes Fachwissen und Recherchemöglichkeiten zurückgreifen kann. ̇ Die Teilnahme an parlamentarischen Anhörungen bietet dagegen Verbänden die Möglichkeit, ihren Standpunkt zu vertreten. Eine entsprechende Einladung sollte in jedem Fall genutzt werden, zumal solche Veranstaltungen auch eine gute Öffentlichkeitswirksamkeit und die Möglichkeit zu weiterführenden Kontakten bieten. Anhörungen finden auch im Rahmen von Planungsverfahren statt. Um eingeladen zu werden, müssen Organisationen aber formell oder durch vorherige Überzeugungsarbeit anerkannt sein. ̇ Parlamentarische Anfragen können in der Regel nur von Abgeordneten bzw. Fraktionen gestellt werden. Bestehen entsprechende Kontakte, können externe Organisationen jedoch durchaus Anregung dazu geben. Parlamentarier können dies nutzen, um sich zu profilieren, gerade wenn die Frage auf ein politisch aktuelles oder brisantes Thema zielt. Nicht selten haben Anfragen auch eine Kontrollfunktion gegenüber Regierung und Verwaltung. Interessant ist auch die Möglichkeit, damit Informationen zu erhalten und öffentlich zu machen, die sonst nicht oder nur mit hohem Aufwand zu beschaffen sind. ̇ Eine Mitwirkung in Beiräten bietet eine dauerhafte und daher relativ umfassende Mitsprachemöglichkeit. Häufigster Typ im öffentlichen Verkehr sind die sogenannten „Fahrgastbeiräte“, die oft bei Verkehrsunternehmen, zum Teil aber auch bei den Aufgabenträgern und Kommunen, eingerichtet sind. Unabhängig von einer direkten Teilnahme von Fahrgastorganisationen bieten diese Verfahren durch ihre Dokumentation (in Presseberichten, aber auch Sitzungsprotokollen, Jahresberichten u. ä.) einen Nutzen als Informationsquelle, der auch für die informelle Lobbyarbeit wichtig ist. 3.2 Lobbyarbeit 6 Lobbying wird in der deutschen Öffentlichkeit oft negativ wahrgenommen und mit intensiver Einflussnahme zur Durchsetzung „egoistischer“ Positionen bis hin zur Korruption assoziiert. Ansprüche an die Politik zu formulieren ist jedoch zunächst einmal legitim und in einer Demokratie auch außerhalb des Parteiensystems nicht zu verhindern. Daher ist ein breites Bewusstsein über Lobbyingaktivitäten und eine offene Diskussion über seine nötigen Grenzen sinnvoller als eine Tabuisierung. Hauptinstrument des Lobbying ist der informelle Dialog, der sich nicht auf Abgeordnete beschränken muss, sondern auch ihre Mitarbeiter und die der Verwaltung einschließen sollte. Dabei ist Fachwissen sehr hilfreich, um angesichts des komplexen Zuständigkeitsgeflechts die richtigen Ansprechpartner zu finden. Ein effizienter Mitteleinsatz ist für Verbraucherorganisationen angesichts der deutlich besseren Ausstattung der Lobbyorganisationen der Anbieter umso wichtiger. Den zweiten Schwerpunkt stellt die Öffentlichkeitsarbeit dar, bei der wiederum unterschiedliche Instrumente zum Einsatz kommen können: Pressemitteilungen, Pressekonferenzen, Thesenpapiere und andere ausführlichere Dokumente, Unterschriftensammlungen, Demonstrationen und ähnliche Aktionen. Gemeinsames Ziel ist letzten Endes, öffentliche Aufmerksamkeit zu finden, Unterstützung zu gewinnen und so die politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Beide Bereiche lassen sich kaum trennen. Wichtig ist in jedem Fall ein abgestimmter Einsatz der verschiedenen Instrumente. Für erfolgreiche Lobbyarbeit lassen sich leider kaum einfache Regeln aufstellen. Letztlich handelt es sich um eine Überzeugungsaufgabe, deren Erfolgsaussichten vom Thema (Qualität der Argumente), von der Art ihrer Vermittlung und den verfügbaren Ressourcen abhängen. Dabei ist der Professionalisierungsgrad auf Seiten Mobilität + Personenverkehr 20 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 der Politiker wie der Lobbyisten auf den verschiedenen Ebenen durchaus unterschiedlich. Als grundsätzliche Anforderungen können aber gelten: ̇ Aktualität ̇ Fachliche Kompetenz ̇ Koordinationsfähigkeit ̇ Strategisches Bewusstsein ̇ Persönlichkeit. Insgesamt sind somit zum einen Fachwissen, andererseits kommunikative Fähigkeiten und Reflexionsvermögen erforderlich, um wirksam an der politischen Diskussion teilnehmen zu können. 3.3 Beteiligungsinstrumente in der Angebotsplanung Neben den auf der politischen Ebene entschiedenen Fragen vollzieht sich die Planung öffentlicher Verkehrsangebote in unterschiedlichen Teilaufgaben, die teils von politiknahen Einrichtungen (Ministerien, Ämter, Aufgabenträger), zum Teil von gewerblichen Akteuren (insbesondere den Verkehrsunternehmen) bearbeitet werden. Das Geflecht der Aufgabenverteilung ist nicht leicht zu durchschauen 7 , die Zuständigkeiten sind aber in den meisten Fällen eindeutig geregelt. Für viele Planungsaufgaben (z. B. Vergabe von Verkehrsleistungen im Wettbewerb, Planfeststellung) bestehen dabei gesetzlich oder anderweitig weitgehend festgelegte Vorgehensweisen. Partizipation meint im Kontext von Planungsfragen die „Teilnahme der Öffentlichkeit an planungsrelevanten Entscheidungsvorgängen“ 8 ; als Kurzbegriff hat sich im deutschen Sprachraum „Bürgerbeteiligung“ etabliert. Mit ihr werden unterschiedliche Ziele verbunden, die sich grob in zwei Gruppen einteilen lassen: die Gewinnung von Informationen und Anregungen aus Sicht der Beteiligten (Kreativitätsgewinn) und das Vermitteln der Planungsziele einschließlich der Diskussion und Beilegung damit verbundener Konflikte (Akzeptanzförderung) 9 . Beide Zielbereiche dienen letztlich einer besseren Qualität und Effizienz des Planungsprozesses. Im Kontext der ÖV-Angebotsentwicklung gliedern sich Beteiligungsmöglichkeiten in drei grundsätzliche Verfahrensweisen (siehe auch Abbildung 2): ̇ Für bestimmte Planungsaufgaben ist eine sogenannte „formelle Bürgerbeteiligung“ zwingend vorgeschrieben. Damit sind in der Regel auch Beteiligte und Vorgehensweise weitgehend vorbestimmt. Die zu erörternden Vorhaben, sind bereits detailliert ausgearbeitet. Oft beschränkt sich die Beteiligung auf eine „Anhörung“ der Betroffenen und wird genutzt, um Einwände geltend zu machen. Über den Umgang mit dem Beteiligungsergebnis entscheiden dann wiederum die für das Projekt verantwortlichen Stellen und ggf. die Verwaltungsgerichte. Im Ergebnis wird eine solche Bürgerbeteiligung vor allem seitens der beteiligten Experten oft eher als Stör- und Verzögerungsfaktor wahrgenommen. 10 ̇ Informelle Beteiligungsverfahren zielen dagegen auf Austausch, Verständigung, gemeinsames Erarbeiten von Ideen und Beilegen von Meinungsverschiedenheiten. 11 Die zur Anwendung kommenden Verfahren 12 weisen dabei durchaus einen strukturierten Ablauf auf, die Bezeichnung „informell“ verweist auf die Tatsache, dass eine Durchführung solcher Verfahren weder an sich noch hinsichtlich ihres Ablaufs vorgeschrieben ist. Insgesamt ist informelle Beteiligung vielfältig einsetzbar. Da sie außerhalb des geregelten Planungsablaufs stattfindet, ist allerdings auch die Verwendung ihrer Ergebnisse offen. ̇ Als dritter Weg der Beteiligung steht auch für Planungsfragen der informelle Dialog - in diesem Fall mit den fachlich beteiligten Akteuren - zur Verfügung. In der Praxis ist eine Anwendung mehrerer dieser Beteiligungsstrategien ebenso verbreitet wie von Zwischenformen. Zugleich ist aber zu betonen, dass eine Mitwirkung der Öffentlichkeit oder zivilgesellschaftlicher Organisationen in vielen ÖV-spezifischen Verfahren nicht vorgeschrieben ist und auch informelle Partizipationsverfahren nicht zur täglichen Praxis gehören. 13 Um so größere Bedeutung kommt daher weiter dem informellen Dialog durch engagierte Einzelpersonen und bürgerschaftliche Initiativen zu. 4 Herausforderungen für die „Fahrgastpolitik“ Auch planerische Beteiligungsverfahren bieten keine Gewähr dafür, dass die Wünsche der Fahrgäste oder irgendeiner anderen Gruppe vollständig akzeptiert werden, sondern sie stellen ein Forum bereit, die verschiedenen Erwartungen einzubringen und an einer gemeinsam getragenen Lösung mitzuwirken. Auch hier sind also kommunikative und argumentative Fähigkeiten, insbesondere bei der Arbeit in Gruppen 14 , von Vorteil, um mit der Vielfalt der Erwartungen produktiv umgehen zu können. Eine weitere Herausforderung liegt in der Ausgangslage der Lobbyarbeit für den öffentlichen Verkehr. Zwischen der Dominanz des MIV und den eher begrenzten Möglichkeiten der Interessenvertretung für den ÖV besteht zweifellos ein Zusammenhang, der leicht zu einer „Motivationsbremse“ für ein solches Engagement werden kann. Andererseits ist Motivation zur Überwindung dieser Situation nötig. Hiermit muss auch Lobbyarbeit in diesem Bereich umgehen. Sie kann und sollte versuchen, die Problemwahrnehmung der Entscheider zu verändern, braucht dazu allerdings in der Regel Ausdauer und Geduld. Dies ist umso kritischer, als diese Arbeit meist aus Interesse an der Sache - und mit entsprechendem Idealismus - erbracht wird. Für den öffentlichen Verkehr gilt dies angesichts der oft eher lokal agierenden Fahrgastinitiativen in besonderem Maße. Eine lokale Ausrichtung ist auch insofern von Nachteil, als viele Fragen, insbesondere zu den finanziellen und rechtlichen Randbedingungen, inzwischen auf höheren politischen Ebenen entschieden werden. Bei lokalen Organisationen spielen inhaltliches Interesse und Engagement der Mitglieder eine entsprechend größere Rolle. Auch damit ist eine sinnvolle Lobbyarbeit möglich, wenn es gelingt, Defizite der materiellen Ausstattung durch fachliche und kommunikative Fähigkeiten zu kompensieren. Dazu sollten zunächst die eigenen Erfahrungen und die von den Aktiven eingebrachten Fähigkeiten erschlossen werden. Kommunikative und soziale Kompetenzen können außerdem auf Seminaren vermittelt werden, die von den Trägern politischer Bildungsarbeit veranstaltet werden und sich zum Teil direkt an ehrenamtliche Organisationen richten. Kritisch kann vor diesem Hintergrund auch die oben unter „strategisches Bewusstsein“ angedeutete Notwendigkeit sein, das eigene Anliegen zu reflektieren und in Relation zu anderen zu setzen. Zwar gilt in der Außendarstellung oft die (ungeschriebene) Regel, den eigenen Standpunkt plakativ und werbend zu vertreten (wozu u. a. der Hinweis gehört, dies sei auch im Interesse der Allgemeinheit), unrealistische Forderungen tragen jedoch nicht dazu bei, in der Debatte ernst genommen zu werden. Für Fahrgastvertreter bedeutet dies etwa, auf die Frage „und wie sollen wir das finanzieren? “ vorbereitet zu sein und notfalls auch Vorschläge machen zu können, an welchen Stellen geforderte Mehrleistungen durch „relativ verträgliche“ Einsparungen ausgeglichen werden können. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist auch von Nutzen, wenn es darum geht, Verbündete für das eigene Anliegen zu finden. Die Belange der ÖV-Nutzer werden nicht nur von Fahrgastverbänden im engeren Sinne vertreten, sondern auch von Abb. 2: Grundtypen partizipativer Prozesse (eigene Darstellung) Mobilität + Personenverkehr 21 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 for urban development in central and eastern European cities, Berlin: Selbstverlag. Falkemark, G. (1999): Is and ought in Swedish traffic planning, in: Andersson-Skog, L.; Krantz, O. (Hg): Institutions in the transport and communications industries. Canton (Mass.): Science history publications. Fürst, D.; Scholles, F.; Sinning, H. (1998): Partizipative Planung in: http: / / www-user.tu-chemnitz.de/ ~koring/ quellen/ paed01/ kreativitaets-techniken/ ptm_part.htm#bezug (zuletzt Apr. 2007). Hippel, E. von (2001): Präventiver Verbraucherschutz: Vorbeugen ist besser als Heilen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B24/ 200. Hirschman, A. O. (1970): Exit, voice, and loyalty. Responses to decline in firms, organizations, and states. 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Berlin (unveröffentlicht). aber auch die Kreativität der Beteiligten wecken, die zu neuen und unerwarteten Ideen, in anderen Fällen wenigstens zu größerem Verständnis von Planungsentscheidungen führen. Schließlich kann Bürgerbzw. Nutzerbeteiligung der Meinung der Betroffenen Stimme und Gewicht geben, wenn unterschiedliche Sichtweisen zur Diskussion stehen. 1 Hirschman (1970) 2 ausführlicher zu dem hier nur kurz skizzierten Verhältnis der Kunden und Anbieter im ÖV und zu den vier Ebenen siehe etwa Schiefelbusch (2004 und 2009) 3 zur Produktions- und Praxisebene vgl. Kapitel 2 und 3 in Schiefelbusch/ Dienel (2009) 4 Näheres siehe etwa Deutscher Bundestag (o. J.) 5 vgl. zu Beauftragten Hopp (1993) 6 zu diesem Abschnitt vgl. Ebbers (2005); Kleinfeld/ Willems/ Zimmer (2007); Leborgne (2005); Schuster (1996); als Beispiel anon (2007) 7 vgl. Ebbers (2005), Karl (2002) 8 Fürst (1998), S. 6 9 ausführlich siehe Bodensteiner/ Neugebauer (2009), S. 166 f 10 vgl. Reinert (2005) 11 vgl. Schmithals (2009), S. 192 f 12 Verfahrens- und Beispielsammlungen etwa Apel (1998); European Academy for the Urban Environment (2000); Kelly u. a. (2005); Lackner (1999); Schmithals (2009) 13 vgl. Bodensteiner (2009), S. 179 f 14 vgl. Bodensteiner/ Neugebauer (2009), S. 175 f 15 vgl. Jansen (2009), S. 206 f 16 vgl. etwa Burger (2006); Falkemark (1999), S. 312; Hippel, von (2001) 17 ausführlich dazu vgl. Schiefelbusch (2005), Schiefelbusch/ Fliegel (2006) 18 als Beispiel für solche Effekte vgl. Kamphausen (1999); Emmerson (2005) Für Anregungen, insbesondere zu Abschnitt 3, danke ich Christian Bodensteiner, Holger Jansen und Heike Walk. Literatur Apel, H. (Hg.) (1998): Wege zur Zukunftsfähigkeit - ein Methodenhandbuch, Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinititativen Nr. 19. Bonn: Stiftung Mitarbeit. Bodensteiner, C. (2009): Beteiligung bei der Erstellung eines Nahverkehrsplans (Kap. 4.4.1), in: Schiefelbusch, M.; Dienel, H.-L. (Hg.): Kundeninteressen im öffentlichen Verkehr. Berlin: ESV. Bodensteiner, C.; Neugebauer, N. (2009): Partizipation in der Planung (Kap. 4.3), in: Schiefelbusch, M.; Dienel, H.-L. (Hg.): Kundeninteressen im öffentlichen Verkehr. Berlin: ESV. Burger, K. (2006): Ein Mann gegen 15 000, in: Die Zeit 17.8.06. Ebbers, L. (2005): Lobbyarbeit für den öffentlichen Verkehr - worauf kommt es an? Vortrag auf Tagung „Mehr Kunden durch mehr Beteiligung? “ Berlin, 29.9.05 (online: http: / / www. busrep.de/ tagung.html). Emmerson, G. (2005): Can councils learn from anti-road protesters? in: Local Transport Today 29.9.05. European Academy for the Urban Environment (EA.UE) (2000): The City in Dialogue, Public participation strategies Umwelt-, Verbraucher- und Gruppenvertretern unterschiedlicher Provenienz. 15 Hier Alliierte zu suchen ist legitim, eine gemeinsame Position aber nicht selbstverständlich. Im politischen Alltag ist die so beschriebene „Artikulationsfähigkeit“ von Lobbyorganisationen traditionell unterschiedlich. Während Unternehmens- und auch Arbeitnehmerinteressen in der Regel durch gut ausgestattete Organisationen vertreten werden, die einen entsprechenden Kompetenzaufbau betreiben können, ist dies bei Verbraucherinteressen deutlich weniger der Fall. 16 Dies führt zur Frage, wer eigentlich „die Fahrgastinteressen“ vertritt. Hier bietet sich eine Unterscheidung an zwischen Interessierten, die sich als Angehörige von Verbänden engagieren, und „Laien“, die ohne Anbindung an eine solche Organisation in Beteiligungsverfahren oder Gremien wie Fahrgastbeiräten mitarbeiten. In der Realität mischen sich die Angehörigen beider Gruppen durchaus, ebenso wie ein Wechsel von der einen zur anderen Gruppe möglich ist. Bei der Auswahl zwischen diesen Gruppen sind Unterschiede in Perspektive, Kompetenzniveau und Ressourcen zu bedenken. Vereinfacht gesagt bieten „Laien“ eher die genannte „unverfälschte Bürgermeinung“, Verbandsvertreter dagegen ein größeres fachliches Vorwissen und bessere Ressourcen, um sich auch längerfristig zu engagieren. 17 Letzteres gilt auch für den weiteren Umgang mit den Ergebnissen der Beteiligung. In der Regel haben Beteiligungsverfahren eine beratende Funktion. Die Entscheidung zum Vorgehen fällt an anderer Stelle, und die entwickelten Ideen bedürfen weiterer Bearbeitung. Die Begleitung der Umsetzung mit partizipativen Elementen ist bisher jedoch kaum verbreitet. 5 Schlussbetrachtung Was kann ein verkehrspolitisches Engagement bringen? Eine erfolgreiche Einflussnahme auf politische Entscheidungen - sei es „fördernd“, indem zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, oder „verhindernd“, wenn Angebotskürzungen zur Diskussion stehen - steht natürlich im Vordergrund. Aber auch wenn Anregungen und Kritik im Einzelfall nicht erfolgreich sind, können sie Öffentlichkeit und Entscheider sensibilisieren und dazu führen, dass Entscheidungen in Zukunft anders getroffen werden oder vorher zumindest eine breitere Diskussion stattfindet 18 . Nicht auszuschließen ist auch, dass erst im Lauf der Zeit ein Umdenken stattfindet. In solchen Fällen ist zwar eine Erfolgszuweisung schwer, aber das Ziel - wenn auch mit Verzögerung - erreicht. Bürger- und Verbraucherbeteiligung kann eine Effektivierung von Planungsabläufen auch im öffentlichen Verkehr erreichen. Mit der Anwendung partizipativer Methoden können beispielsweise Probleme identifiziert werden, die ohne eine Beteiligung so nicht zu erkennen sind. Darüber hinaus kann geeignete Beteiligung Summary Passenger interests in public transport planning and transport policy The paper explores which instruments are available to individuals and organizations to represent passenger interests in public transport planning and transport policy. For political issues, both parliamentary procedures and informal lobbying can be used, but the strong position of other stakeholders makes it difficult for transport users to “voice” their concerns. On the planning level, specific participatory procedures exist for some issues, and sometimes consultation with citizens is required. Often, however, this is left to voluntary initiatives by operators and authorities and, again, informal dialogue with user organizations. Infrastruktur + Verkehrspolitik 22 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Abb. 1: Typische Vertragsstruktur bei PPP-Straßeninfrastrukturprojekten Ivan Cˇ adež / Tobias Kupfer Wirtschaftlicher Betrieb von Infrastrukturprojekten ERP-Software als integriertes Management-Tool In diesem Beitrag sind die vielfältigen Vorteile und Gründe für die Anwendung von Enterprise Resource Planning (ERP)-Software als Management-Tool zur wirtschaftlichen Steuerung von betrieblichen Leistungen bei Straßeninfrastrukturprojekten dargestellt. Die Autoren Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Ivan Cˇ adež, Lehrstuhl Immobilienwirtschaft und Bauorganisation, TU Dortmund, August-Schmidt-Str. 8, 44227 Dortmund, ivan.cadez@tu-dortmund.de; Dipl.-Ing., MBA Tobias Kupfer, Bonaventura Straßenerhaltungs-GmbH, Bonaventuraplatz 1, A-2203 Großebersdorf, tobias.kupfer@y-trasse.at D ie ERP-Software ist sowohl für Betreiber der öffentlichen Hand als auch für private Betreiber bei PPP- Projekten geeignet und unterstützt Management, Vorgesetzte in den Gremien, Mitarbeiter im operativen Bereich und in der Verwaltung, Auftraggeber und sonstige Beteiligte bei ihren jeweiligen Aufgaben. Beispielsweise sind bei privaten Betreibern die Management- und Dokumentationsanforderungen gegenüber dem Konzessionsgeber, den Gesellschaftern und den Banken außerordentlich hoch. Daraus resultiert ein umfassendes Berichtswesen an die Beteiligten. Zusätzlich zum Berichtswesen ist ein integriertes Management-Tool zur Planung, Steuerung und Dokumentation der betrieblichen Erhaltung erforderlich. Mit diesem können die Prozesse optimal umgesetzt sowie die Leistungen effizient und ressourcenschonend unter Beachtung der Vergütungsmechanismen durchgeführt werden. Neben den bereits aufgeführten vertraglichen, wirtschaftlichen und betrieblichorganisatorischen Gründen sind noch weitere wesentliche Argumente, wie die Erhöhung der Verkehrssicherheit und ökologische Vorteile, zu erwähnen. Ein „schlanker“ Betriebsdienst und die rasche Beseitigung von Störungen auf der Konzessionsstrecke - insbesondere in Zeiten mit weniger Verkehrsaufkommen - erhöhen die Sicherheit und verringern die Stauzeiten. 1 Um diesen Anforderungen zu entsprechen, wird seit einigen Jahren verstärkt ERP-Software als maßgeschneiderte Lösung bei PPP-Straßeninfrastrukturprojekten entwickelt und eingesetzt. ERP- Software ist eine Anwendungssoftware, welche die Ressourcenplanung des Unternehmens unterstützt. Die Prozesse werden durch die Einführung der ERP-Software transparenter und können daher mit dem Ziel der Senkung von Betriebskosten und besserer Kapazitätsauslastung einfacher optimiert werden. In den nachfolgenden Kapiteln wird der Einsatz von ERP-Software als Management-Tool bei Straßeninfrastrukturprojekten beschrieben und deren Nutzen für die Betreiber dargestellt. 1 Vorteile der ERP-Software-Anwendung Die Nachfrage nach einem geeigneten Management-Tool und die Entwicklung einer ERP-Software sind im Wesentlichen durch vertragliche Anforderungen und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, den Wunsch den Betriebsdienst wirtschaftlich und organisatorisch zu verbessern und ein operatives Controlling zu ermöglichen sowie die Erzielung positiver Auswirkungen auf die Nutzersicherheit und Umwelt geprägt. 1.1 Erfüllung vertraglicher Anforderungen Beispielsweise sind bei PPP-Straßeninfrastrukturprojekten im Konzessionsvertrag die Anforderungen, Pflichten und Rechte von Konzessionsgeber und Konzessionsnehmer geregelt. Auf dieser vertraglichen Grundlage werden die weiteren Verträge mit den Beteiligten (Gesellschafter, Banken, technische Bauüberwachung sowie Nachunternehmer Bau und Betrieb) geschlossen. Ein wesentliches Ziel dieser Verträge ist, dass die vertraglich definierten Anforderungen, Pflichten und Rechte aus dem Konzessionsvertrag an die jeweiligen Vertragspartner durchgereicht („back to back“) werden, um so ein möglichst durchgehendes Vertragswerk zu erhalten. 2 Dies gilt insbesondere auch für den Betriebsvertrag und hier wiederum insbesondere für die Berichtspflichten und die Vergütungsberechnung. ̇ Für den Konzessionsnehmer beziehungsweise die Betreibergesellschaft bedeutet dies, dass die im Konzessionsvertrag geforderten Berichtspflichten möglichst wirtschaftlich, lückenlos und belastbar („gerichtsfest“) dokumentiert werden. ̇ Die Vergütung des Konzessionsnehmers bei PPP-Straßeninfrastrukturprojekten ist entweder über die Weiterleitung von Mauteinahmen, Schattenmaut oder über verfügbarkeitsabhängige Zahlungen geregelt. Für die Festsetzung der Höhe der Mautzahlungen sind Verkehrsberichte und Infrastruktur + Verkehrspolitik 23 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 bei der Vergütung mit Verfügbarkeitsentgelt Verfügbarkeitsberichte zur Dokumentation der Streckenverfügbarkeit erforderlich. ̇ Ein weiterer wesentlicher Bericht bei PPP-Straßeninfrastrukturprojekten ist der Leistungsbericht. In diesem werden die durch den Betreiber durchgeführten Leistungen dokumentiert und nachgewiesen. Dieser Bericht spiegelt somit auch den „level of service“ wider, d. h. die im Vertrag definierten Qualitätsanforderungen, wie beispielsweise die Verpflichtung des Konzessionsnehmers oder der Betreibergesellschaft zur Einhaltung einer Wiederherstellzeit von 24 h für die Instandsetzung einer Leitplanke nach Erhalt der Schadensmeldung. Wird der geforderte „level of service“ nicht erreicht, werden dem Konzessionsnehmer vom Konzessionsgeber Qualitätssicherungspunkte zugerechnet, die ab einem bestimmten Schwellenwert zu Vergütungsminderung führen oder bei Überschreitung von festgelegten Grenzen auch die Option der Vertragskündigung beinhalten können. 1.2 Organisatorische und wirtschaftliche Vorteile Weitere wesentliche Vorteile der Anwendung einer ERP-Software als Management-Tool ergeben sich aus den Anforderungen des Betreibers zur Verbesserung von Planung, Steuerung, Kontrolle und Dokumentation der Leistungen der betrieblichen Erhaltung, die bei Betreibern der öffentlichen Hand und bei privaten Betreibern nahezu identisch sind. Um diese Leistungen zu erbringen, werden vorwiegend eigenes Personal, Geräte sowie Nachunternehmerleistungen eingesetzt. Durch die Einführung einer systematischen Nachhaltung der durchgeführten Leistungen mit Hilfe einer Software sowie die Anwendung eines Betriebsarbeitsschlüssels und einer Geräteliste können beispielsweise folgende betriebliche Optimierungen durchgeführt werden: ̇ Schnellere und wirtschaftlichere Reaktion auf ungeplante Ereignisse (Einsatz der Kapazitäten (Personal und Geräte) durch das Car Tracking (GPS) unter Einhaltung der Reaktions- und Wiederherstellungszeiten) → Erlösoptimierung (Zusammenlegung von Arbeiten) und Erhöhung des level of service (Verringerung der Vertragstrafen (Qualitätssicherungspunkte)) ̇ Intelligente Einsatzplanung (Synergien) durch Zusammenlegung/ Verlegung von Tätigkeiten → dadurch Verringerung von Qualitätssicherungspunkten und Erhöhung der Verfügbarkeit → niedrigere Unfallgefahr, da weniger Sperrung und Kostensenkung ̇ Verbesserung der Arbeitseffektivität durch Zugriff (auch im Feld) auf die wichtigsten Dokumente, Anweisungen und Informationen (Verfahrens-/ Arbeitsanweisungen, Planunterlagen, Herstellerdokumentation) → Kostensenkung ̇ Systematische und vollständige Abarbeitung von Arbeitsprozessen ohne „Vergessen“ wird gefördert (Ablenkungsgefahr aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse ist groß) → Erlösoptimierung und Erhöhung des level of service ̇ Transparenz und Datenaufbereitung → gezielte Ausnutzung von Restverfügbarkeiten aus dem Konzessionsvertrag (Optimierung von Qualitätssicherungspunkten in bestimmten Zeitabschnitten) → Erlösoptimierung ̇ Übersichtliche und aussagekräftige statistische Auswertung → Mitarbeiter partizipieren aktiv an der Ausgestaltung und Umsetzung von Verbesserungsvorschlägen → Kostensenkung ̇ Optimierung der Lagerhaltung (beispielsweise Ersatzteile, Geräte, Salz) und der Einkaufszeitpunkte durch die Vernetzung des Einkaufs mit dem Betrieb → Kostensenkung ̇ Kostenzuordnung und -transparenz ermöglichen eine dezidierte Optimierung des Lieferanten- und Nachunternehmereinsatzes → Kostensenkung und bessere Auslastung der eigenen Kapazitäten ̇ Erhöhung des Informationsstandes für die Mitarbeiter durch den Einsatz von Arbeitszeitkonten und Arbeitsplanungstools → höhere Motivation und selbstständigeres Arbeiten → höhere Wirtschaftlichkeit 1.3 Vorteile aus Sicht des operativen Controllings Ein weiterer wesentlicher Vorteil einer ERP-Software ist, dass sie das operative Controlling aktiv unterstützt oder sogar erst ermöglicht. Folgende Aspekte sind dabei beispielhaft hervorzuheben: ̇ Soll-Ist-Vergleiche Um Leistungen zu analysieren, zu bewerten, Optimierungspotenziale zu identifizieren und sie anschließend umzusetzen, sind Soll-Ist-Vergleiche nach Kostenarten (beispielsweise Personal- oder Gerätekosten) oder Kostenträgern (Teilleistungen) erforderlich. Um dieses Ziel zu erreichen, hat das Management die Voraussetzungen für die Umsetzung zu schaffen. Dies bedeutet, dass beispielsweise geeignete Sollvorgaben (Soll-Budget, Soll-Kosten getrennt nach Kostenarten und Kostenträgern) und geschulte Mitarbeiter vorhanden sind, die das systematische Erfassen von Informationen und Daten unterstützen, und dass eine einfache und transparente Software zur Verfügung steht. Die Betrachtung der Soll-Ist-Werte über einen längeren Zeitraum zeigt Synergien auf, die sich mit der Zeit aus wiederholenden und optimierten Prozessen ergeben. ̇ Nachkalkulation Nur durch eine detaillierte Aufwandswert- und Leistungsbetrachtung in einer Nachkalkulation ist ein systematischer Vergleich von Soll- und Ist-Werten möglich. Insbesondere die Analyse dieser Werte in der Nachkalkulation ist für die Vorbereitung zukünftiger Angebote beispielsweise bei PPP-Infrastrukturprojekten von größter Bedeutung. Nur so sind belastbarere Daten mit vergleichbarer Organisation und vergleichbarem Leistungsumfang zu erhalten. Die Besonderheiten der jeweiligen Projekte sind bei der Bewertung dieser Kalkulationswerte zu berücksichtigen. ̇ Nachunternehmermanagement Durch die Kostentransparenz ist ein Vergleich der Wirtschaftlichkeit von Eigen- und Fremdleistungen (Verbesserung des Lieferanten- und Nachunternehmermanagements) möglich. Zusätzlich können Aussagen zu den Kosten einer Teilleistung gemacht werden, um diese mit Nachunternehmerpreisen zu vergleichen. 1.4 Erhöhung der Nutzersicherheit Die Erhöhung der Transparenz bei den Arbeitsprozessen, die lückenlose Erfassung der Daten mit dem Zugang für die Beteiligten sowie die Unterstützung des Managements der Betriebsprozesse führen zu einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und indirekt auch zu einer Erhöhung der Nutzersicherheit. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass die Sicherheit der Straßennutzer grundsätzlich durch die Dauer und Häufigkeit von Arbeiten auf der Strecke, durch die Dauer von Stauzeiten, die Dauer bis zur Behebung von Störungen auf der Strecke (beispielsweise tote Tiere, Leitplanken, ausgefallene Beleuchtung) sowie die Dauer für die Absicherung und Beseitigung von Unfallstellen beeinflusst wird. Durch die Verminderung der Stauhäufigkeit und Dauer der Staus ergeben sich indirekt auch positive Auswirkungen auf die Umwelt und sogar auf volkswirtschaftliche Faktoren. Bei folgenden Betriebsprozessen unterstützt die Anwendung von ERP-Software die Erhöhung der Nutzersicherheit und Verminderung negativer Umwelteinflüsse: ̇ Optimierte Planung und Steuerung von betrieblichen Leistungen und Reaktion auf ungeplante Ereignisse → kürzere und seltenere Sperrungen sowie Sperrungen in Zeiten mit weniger Verkehrsaufkommen → Senkung der Unfallgefahr und geringere Stauwahrscheinlichkeit ̇ Integriertes Wartungsmanagement Tunnel → keine operative Trennung zum Straßenmanagement → Reduzierung von Schnittstellen → Erhöhung der Nutzersicherheit ̇ Automatische Weiterleitung von Ereignissen an die entsprechenden Verantwortlichen per E-Mail/ SMS → Erhöhung der Informationsgeschwindigkeit und Verminderung von Informationslücken → kürzere Reaktionszeiten → Senkung der Unfallgefahr → Erhöhung der Nutzersicherheit ̇ Cartracking via GPS erleichtert das Steuern der Ressourcen in Echtzeit → bessere Auswahl der Ressourcen → kürzere Reaktions- und Wiederherstellzeiten → Senkung der Unfallgefahr → Erhöhung der Nutzersicherheit Infrastruktur + Verkehrspolitik 24 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 2 Technische Beschreibung des Management-Tools 2.1 Funktionsweise Wesentliche Grundlage für die erfolgreiche Planung, Steuerung und Kontrolle des Straßenbetriebsdienstes sind die Leistungsdaten, das heißt Informationen über die durchzuführenden oder bereits durchgeführten Tätigkeiten. Um diese Informationen möglichst einfach und systematisch zu erhalten, werden die Fahrzeuge des Straßenbetriebsdienstes mit einer Hardware ausgerüstet, die über eine Einheit mit GPS- und GPRS-Modul sowie einem Bedienteil die Informationen (Daten) an einen Datenspeicher (Server) in der Zentrale oder an einen Server des Softwareanbieters übermittelt, die dort in einem Datenbankmanagementsystem verwaltet werden. Bei den Datenbankmanagementsystemen werden meist webbasierte Produkte verwendet, bei denen die System-Oberfläche in einem Browser-Fenster dargestellt wird. Dies vereinfacht unternehmensexterne Zugriffe auf die Software, ohne gesonderte grafische Benutzeroberflächen installieren zu müssen. Somit können die Mitarbeiter von außen oder Dritte (beispielsweise Lieferanten oder Kunden) direkt in die Geschäftsprozesse einbezogen werden. Insbesondere bei komplexen Prozessen mit vielen Beteiligten und zahlreichen Schnittstellen entstehen dadurch wesentliche Zeit- und Kosteneinsparungspotenziale. Wesentliche Informationen sind dabei der Leistungsbeginn und das Leistungsende sowie die Auflistung von Ereignissen während der Durchführung der Streckenkontrollen, Wartungen oder Inspektionen. Diese Informationen werden mit Hilfe eines auf dem Bedienteil hinterlegten Leistungs- und Ereigniskatalogs (Betriebsarbeitsschlüssel) eingegeben. Der Betriebsarbeitsschlüssel ist mit einem Bauarbeitsschlüssel auf der Baustelle für die Durchführung des operativen Baustellencontrollings zu vergleichen. Entscheidend ist, dass der Betriebsarbeitsschlüssel vollständig und logisch aufgebaut ist, damit die Leistungen und Ereignisse vollständig und einfach von den Mitarbeitern erfasst werden können. Gleichzeitig werden Ort (GPS-Koordinaten) und Zeit an die Anwendungsplattform auf dem Server („backend“) versendet. 2.2 Modulaufbau der ERP-Software Die wesentliche Aufgabe einer ERP- Software ist, die Prozesse eines Unternehmens möglichst ganzheitlich abzubilden. Daher sind die Management-Tools für den Straßenbetriebsdienst modular aufgebaut und werden nach Bedarf den jeweiligen Anforderungen eines Betreibers angepasst. Oberste Priorität muss jedoch sein, dass die Prozesse im Sinne einer End-to-End (E2E)-Betrachtung über die Prozesskette „INPUT - PROZESSSTEUERUNG - OUT- PUT“ ganzheitlich abgebildet werden. 3 Für den Straßenbetriebsdienst ergeben sich somit folgende Module (siehe Abbildung 3): 2.2.1 Input-Module ̇ Stammdaten: wesentliche Basisinformationen bezüglich Mitarbeiter, Fahrzeuge, Geräte, Materialien und Nachunternehmer. ̇ Einsatzplanung: Verwaltung des Jahreseinsatzplans, der Schicht- und Bereitschaftspläne sowie optional des Schulungsplans zur Arbeitseinteilung der Mitarbeiter sowie als Grundlage für die Ermittlung freier Ressourcen. ̇ Informationsdatenbank: Vorhaltung von Informationen (beispielsweise Arbeitsanweisungen, Handbücher, Herstellerdokumentation, Planungsunterlagen) für die Betriebsleistungen, Objektinformationen mit Bezeichnung und Stationierung, Bestandsplanung sowie Mustertätigkeiten mit „intelligenter“ Ressourcenplanung. 4 ̇ Arbeitszeiterfassung: Erfassung der Arbeitszeiten über ein Terminal mit Übertragung in das Management-Tool. 2.2.2 Prozesssteuerungs-Module Die Prozesssteuerung und deren Module bilden das Herzstück des Management- Tools. Mit diesen Management-Elementen werden sowohl die Arbeitsschritte von geplanten betrieblichen Tätigkeiten als auch die Umwandlung von ungeplanten Ereignissen in Arbeitsaufträge bis zur Fertigstellung der betrieblichen Leistungen durchgeführt und gesteuert. ̇ Ereignismanagement: Erfassung von Ereignissen, wie beispielsweise Bericht der Streckenkontrolle, Meldungen Dritter, Störungen der elektromaschinellen und sicherheitstechnischen Ausrüstung sowie Informationen zur Unfallabwicklung. ̇ Kommunikationsmodul: Versand von Leistungsund/ oder Ereignismeldungen über SMS/ E-Mail. Abb. 2: Funktionsweise eines GPS- und GPRS-gestützten Management-Tools Abb. 3: Management-Tool als eine E2E-Betrachtung Infrastruktur + Verkehrspolitik 25 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 ERP-Software oder Teilmodule mit den in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Funktionen im Marktsegment Verkehrsinfrastruktur anbieten: ̇ Boschung Mecatronic GmbH ̇ EDV Beratung Nüssler GmbH ̇ Infra Service Nord GmbH & Co. KG ̇ IP SYSCON GmbH ̇ KERN AG ̇ Lehmann & Partner GmbH ̇ METZ Elektronik GmbH ̇ MOBIWORX Telematik GmbH ̇ NOVASIB GmbH ̇ Protech Nordhausen Auf eine Bewertung der Software und der Anbieter wird an dieser Stelle verzichtet. Die Kosten für die Hard- und Software sowie die laufenden Kosten (beispielsweise Datenbank, GPRS, Software-Update) sind projektspezifisch unterschiedlich und hängen unter anderem vom Umfang der Funktionen der Software, dem Anpassungsbedarf, der Anzahl der Geräte und Mitarbeiter sowie der gewählten Hardware ab. Die Kosten für die Hard- und Software werden jedoch in der Praxis meist kurzfristig durch bessere Organisation und wirtschaftliche Optimierung ausgeglichen. 3 Zusammenfassung und Ausblick Die Anwendung einer ERP-Software für den Betrieb von Straßenprojekten ist zum einen aufgrund vertraglicher Anforderungen und der Dokumentationspflicht zur Erreichung des vertraglich geforderten Qualitätsstandards sowie zur Erlangung der Vergütung zu empfehlen. Weiterhin wird durch die Einbindung der Software in die Prozesse zu anderen Unternehmensbereichen wie Buchhaltung, Beschaffung, Lagerhaltung oder Personalwesen und die einheitliche Datenbank die Entwicklung einer umfas- 2.3 Schnittstellen zu externen Softwareanwendungen Der Vorteil einer ERP-Lösung ist, dass ein solches System nicht eine Insellösung im Rahmen der angewendeten Software bei der Unternehmenssteuerung ist. Je nach Bedarf und Größe des Unternehmens kann die Software in ein unternehmensübergreifendes Softwarekonzept eingebunden werden (siehe Abbildung 4). Folgende Schnittstellen zu externen Softwareanwendungen einer Betreibergesellschaft sind je nach Leistungsumfang hilfreich: ̇ Lagerhaltung und Fuhrparkmanagement ̇ Pavementmanagementsystem/ Bauwerksdatenbank ̇ Baustellenmanagementsystem ̇ Lohnverrechnung ̇ Fehlermonitoring (Störungsmeldungen der elektromaschinellen und sicherheitstechnischen Ausrüstung) ̇ Buchhaltung und Verwaltung 2.4 Anbieter von ERP-Software für Verkehrsinfrastrukturprojekte Da die Berücksichtigung von ERP- Software beim Prozessmanagement des Betriebsdienstes noch in den Anfängen steckt, ist es meist erforderlich, dass der Betreiber (öffentlich oder privat) zuerst die projektspezifischen Anforderungen analysiert, definiert und diese gemeinsam mit dem Softwareanbieter in die bereits vorhandene Standardsoftware des Anbieters einpflegt. Für die Anpassung der Software sowie die Test- und Schulungsphase ist ausreichend Zeit einzuplanen; sechs bis zwölf Monate sind dabei als ein realistisches Zeitfenster zu berücksichtigen. Nachfolgend werden Unternehmen in alphabetischer Reihenfolge angeführt, die ̇ Leistungsabwicklung: Bearbeitung der durchgeführten Arbeiten des Betriebsdienstes, zu denen beispielsweise Arbeitsaufträge und Arbeitsberichte, Wartungs- und Störungsberichte, Schadens- und Winterdienstinformationen gehören. ̇ Cartracking: kontinuierliche Darstellung der Fahrzeugpositionen auf einer Karte in Echtzeit zur wirtschaftlichen Steuerung von Arbeitseinsätzen auch bei unerwarteten Ereignissen (beispielsweise Beorderung der zum Unfallort am nächsten eingesetzten Fahrzeuge zur Durchführung der Verkehrssicherung) → Minimierung der Reaktionszeit bei unvorhersehbaren Ereignissen. 2.2.3 Output-Module ̇ Berichtswesen Mit den Daten aus den Prozesssteuerungsmodulen werden anschließend die vertraglich (siehe Kapitel 1.1) und von den Gesellschaftern (beispielsweise Gesellschafterbericht, Unfallstatistik und Leistungsstatistik) geforderten Berichte sowie die der operativen Kontrolle und Steuerung des Betriebsdienstes dienenden Berichte (z. B. Leistungsstatistik, Kennzahlenbericht und Qualitätsbericht), erstellt. ̇ Winterdienst Mit diesem Modul werden die Räum- und Streueinsätze in tabellarischer und visueller Form dokumentiert. Dadurch ist ein nicht manipulierbarer und vertragssicherer Nachweis über die durchgeführten Winterdiensteinsätze sichergestellt. Des Weiteren können zur Verbesserung des Ablaufs und zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit Auswertungen über kritische Streckenbereiche sowie den Salzverbrauch vorgenommen werden. Abb. 4: Schnittstellen zu anderen Softwareprogrammen Infrastruktur + Verkehrspolitik 26 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Straßeninfrastrukturprojekten, 10 Jahre Lehrstuhl Betriebswirtschaftslehre im Bauwesen an der Bauhaus-Universität in Weimar, Herbst 2010. [3] Cˇ a dež, I.: Besonderheiten von Betriebsverträgen bei PPP-Straßeninfrastrukturprojekten - Anforderungen an die Bestimmung eines geeigneten „Betriebs-Solls“, in: Vom Bau-SOLL zum Bau-IST, Festschrift für K. D. Kapellmann, Werner Verlag, 2007, S. 59 - 86. [4] Cˇ a dež, I.; Harding, J.; Bodarwé, H.: Verfügbarkeits- und leistungsabhängige Vergütungsparameter - Kategorisierung der Vergütungsparameter und Empfehlungen zu deren Ausgestaltung, in: Internationales Verkehrswesen, Heft 3/ 2010, 62. Jg., S. 30 - 34. [5] Harding, J.; Bodarwé, H.; Cˇ a dež, I.: Evaluation of availability and service performance based payment mechanisms for PPP road traffic infrastructure projects, in: TRB, 89 th Annual Meeting Compendium of Papers, CD-ROM, Transport Research Board of the National Academies, Washington D. C., 2010, Paper #10-2114. [6] Weber, B.; Alfen, H. W.; Maser, S.: Projektfinanzierung und PPP - Praktische Anleitung für PPP und andere Projektfinanzierungen, Bankverlag, Köln, 2006. bedingungen bei Verfügbarkeitsmodellen mit aktiven Vorschlägen zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit unterstützt. 1 Vgl. Cˇ a dež, I.; Harding, J.; Bodarwé, H.: [4]. Harding, J.; Bodarwé, H.; Cˇ a dež, I.: [5]. 2 Vgl. Cˇ a dež, I.: [3]. 3 Weitere detaillierte Erläuterungen mit einem Praxisbeispiel sind bei Cˇ a dež, I.; Kupfer, T.: [2] nachzulesen. 4 Dabei werden jeder vordefinierten Betriebsleistung die aktuell freien Ressourcen für die anstehende Arbeitsplanung vorgeschlagen. Literatur [1] Beckmann, D.: Controlling Betreibermodell-basierter Infrastrukturprojekte - Eine Konzeption aus Projektträgersicht, Shaker Verlag, Aachen, 2003. [2] Cˇ a dež, I.; Kupfer, T.: ERP-Software zur Steuerung und Dokumentation betrieblicher Leistungsprozesse bei PPPsenden Unternehmenssoftware geprägt. Es wurde erläutert, dass transparente Prozesse positive Auswirkungen auf organisatorische, wirtschaftliche und ökologische Ziele der Betreiber haben und zur Erhöhung der Sicherheit für die Nutzer beitragen. Die ERP-Software kann somit als ein gesamtheitliches Management-Tool zur Planung und Steuerung der betrieblichen Leistungen und zur Optimierung der Prozesse bei privaten und öffentlichen Betreibern betrachtet werden. Insbesondere für die öffentliche Hand mit zahlreichen Autobahnmeistereien und Landesbetrieben ist die Anwendung der Software hilfreich, da sie die Transparenz für die Beteiligten erhöht. Die zusätzlichen Informationen führen zu einer Verbesserung der Betriebsqualität und somit zur Erhöhung der Sicherheit für die Nutzer. Auch werden die Einführung eines Benchmarkings und die Ermittlung von Einsparungspotenzialen gefördert. In Zukunft sollte die Weiterentwicklung der Software im Vordergrund stehen. Dabei geht es unter anderem darum, die Schnittstellen zu anderer Software und zu den anderen Unternehmensbereichen zu verbessern. Es ist dagegen noch offen, ob es eine Entwicklung in Richtung „intelligente“ Software geben wird, die den Leiter Straßenbetrieb bei der Optimierung der Prozesse unter Beachtung der betrieblichen und vertraglichen Rahmen- Summary ERP software application for road infrastructure projects It is recommended to apply ERP software in the case of road projects because of contractual requirements, the obligation to keep documents in connection with meeting standards of quality as per contract and to secure compensation. Furthermore, due to the integrated application of this software in other corporate divisions, e.g. accounting, procurement, storekeeping or personnel, and aided by a uniform data bank, the development of corporate-specific, wide-ranging software is being facilitated. It is explained that transparent courses of action have a positive impact on the organizational, economic and ecological targets set by the operating authorities, while also enhancing users‘ sense of security. ERP software can thus be regarded as an all-inclusive management tool for planning and directing corporate achievements and for optimizing courses of action in the case of private and public operators. „Wir führen unsere Marke schon seit Jahrzehnten, es kommt zunehmend zu Verwechslungen, sowohl im ÖPNV wie im Mietbusgeschäft“, sagt AO-Geschäftsführer Nico Schoenecker auf Rückfrage von „ÖPNV aktuell“. Er bedauere es sehr, dass man trotz vieler Bemühungen mit dem Partner Regionalverkehr Oberbayern (RVO) keine einvernehmliche Lösung erzielen konnte. „Jetzt ziehen wir die Grundsatzfrage vor das Landgericht München.“ Auch RVO und DB Stadtverkehr wollen die Grundsatzklärung, halten den Ball jedoch ebenfalls flach. „Gute Beziehungen zu Autobus Oberbayern, generell zum Mittelstand sind uns unverändert wichtig“, betont Alexander Möller, in der Frankfurter Zentrale für Markt und Verkehr verantwortlich. Er sieht ebenso wenig wie RVO-Marketingchef Nicolaj Eberlein eine wirkliche Konkurrenz der beiden Bezeichnungen. „Wir sehen keine Verwechslungsgefahr, weder in der Touristik, wo wir nur sehr wenig aktiv sind, noch im Linienverkehr“, so Eberlein. Im ÖPNV gebe es eine klare Markenarchitektur: In München fahre AO im blauen Kleid der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), im Umland dominiere der Markenauftritt des Münchner Verkehrsverbundes, und weiter draußen „sind wir klar Marktführer“. AO hat seine alte Wort- und Bildmarke 1999 auslaufen lassen. Seinen neuen Auftritt, der farblich an den ICE erinnert, hat der Mittelständler im April 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldet. Bis heute ist er jedoch nicht als Marke eingetragen. Im Juni 2008 stellte der DB-Konzern seine Markenarchitektur für die Busgesellschaften vor, darunter „Oberbayernbus“. Für Markenrecht sind Kammern für Handelssachen zuständig, in denen auch ehrenamtliche Richter aus der Wirtschaft mitentscheiden. AO und RVO arbeiten eng zusammen: Nach der wettbewerbsbedingten Auflösung ihrer Münchner Niederlassung stellt die DB-Tochter Fahrzeuge bei AO ab, die AO-Filiale Bad Wiessee (ex Sareiter) ist am Tegernsee RVO-Subunternehmer. Die beiden AO-Eigentümerfamilien stellen mit Nico Schoenecker und Alexander Holzmair je einen Geschäftsführer. Die 180 Omnibusse von AO sind im ÖPNV unterwegs (wo man mit 50 Fahrzeugen größter Partner der MVG ist), auf dem Airportbus München Hbf. - München Flughafen, auf der Fernlinie München - Pilsen - Prag, im Mietbus-, Stadtrundfahrten-, Ausflugs- und Incominggeschäft Limousinenservice, Incentive- und Gruppenreisen und W k Leistungspalette ab Beteilig DVV Media Group Gern unterbreite ich Ihnen ein Angebot für Ihre Stellenanzeige: Sophie Elfendahl · Tel. 040 / 237 14 - 220 E-Mail: sophie.elfendahl@dvvmedia.com ÖPNV aktuell erscheint dienstags und freitags per E-Mail als geschütztes PDF. Der Informationsdienst bietet Entscheidern, Führungskräften und allen interessierten Akteuren der Nahverkehrsbranche regelmäßige Orientierung in einem Umfeld mit wachsender Marktdynamik. Verschenken Sie keine Zeit! Inserieren Sie im Stellenmarkt in ÖPNV aktuell. Gute Mitarbeiter nden Sie mit ÖPNV aktuell! Erfolg baut auf gute Mitarbeiter! Kostenlose Leseproben und alle Informationen erhalten Sie unter www.oepnvaktuell.de Infrastruktur + Verkehrspolitik 27 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Abb. 1: Ausmaß der latenten Unterfinanzierung der Bundesfernstraßen Quellen: Bundeshaushalt, „Pro Mobilität“, „Pällmann-Kommission“, eigene Ermittlungen Andreas Kossak Finanzierung der Bundesfernstraßen Zur Diskussion um eine Pkw-Maut Die Diskussion um eine Ausweitung der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren (insbesondere Pkw-Maut) seit der Bundestagswahl 2009 wird weder der Dramatik der latenten Unterfinanzierung der Straßen und den daraus resultierenden nachteiligen Konsequenzen für Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt noch dem Wirkungspotenzial einer systematischen Umstellung auf Nutzerfinanzierung auch nur annähernd gerecht. Das birgt die Gefahr, dass sich die Situation vor dem Hintergrund der aktuellen und absehbaren Finanzprobleme der öffentlichen Hand eher noch verschlechtert, als dass endlich zumindest erste Schritte zu einer dringend erforderlichen nachhaltigen, effizienten und fairen Verkehrsinfrastrukturfinanzierung getan werden. Der Autor Dr.-Ing. Andreas Kossak, Andreas Kossak Forschung & Beratung, Moorweg 6, 22453 Hamburg; DrKossak@aol.com Ausgangslage Am 9. Februar 2010 fand eine Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages zum Haushaltsgesetz 2010 statt. Die Überschrift der Beratungsvorlage der Koalitionsparteien lautete: „Zukünftigen Erhalt und Ausbau von Verkehrswegen sichern“ [1]. Der Erläuterungstext dazu beginnt mit den Sätzen: „Eine Voraussetzung für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft sind leistungsfähige Verkehrswege. Deshalb ist es notwendig, die Verkehrsinfrastruktur zu erhalten und bedarfsgerecht auszubauen“. Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen. Es folgen die unvermeidlichen Stichworte zur „hoch entwickelten Mobilitätsstruktur“, zu Umwelt- und Klimaschutz und der Notwendigkeit, das alles in einem „intelligenten Gesamtkonzept besser in Einklang zu bringen“. Von zentraler Bedeutung sei vor diesem Hintergrund die bedarfsgerechte Ausstattung des Einzelplans 12 (Verkehr) im Bundeshaushalt. Dem würde mit dem Haushaltsgesetz 2010 „in vollem Umfang Rechnung getragen“. Stimmt das tatsächlich und ist der Haushaltsplan 2010 somit ein geeigneter Maßstab für die Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung? Messlatte für die positive Einordnung ist offenkundig der von der „Pällmann- Kommission“ in 2000 genannte langfristige jährliche Bedarf [2]; tatsächlich liegt der Haushaltsansatz 2010 beispielsweise bei den Bundesfernstraßen nahe daran. Der betreffende Wert beruhte allerdings auf Preisen von 2000 und war ausdrücklich mit dem Zusatz „mindestens“ versehen. Bis 2008 lagen die Haushaltsansätze jährlich um durchschnittlich rund 1,5 Mrd. EUR darunter. Seither ist der relevante Preisindex um ca. 35 % angestiegen. Darüber hinaus sind die Erhaltungsbzw. Rekonstruktionskosten aufgrund des latenten Instandhaltungsrückstaus dynamisch gestiegen. Damit ist allein für den Zeitraum seit 2000 ein Nachholbedarf in der Größenordnung von mindestens 20 - 30 Mrd. EUR aufgelaufen (siehe Abbildung 1). Dazu kommen die 15 Mrd. EUR nicht getätigter Investitionen, die laut Wegekostenrechnung von 2002 aus dem Zeitraum 1991 bis 2000 dazuzurechnen sind und die bisher ebenfalls nicht abgearbeitet wurden - auch hier: plus Kostensteigerungen (Preisindex plus Auswirkungen der Verzögerung) [3]. Allein im Bereich der Bundesfernstraßen ist somit der Investitionsstau in einer Größenordnung von 50 Mrd. Euro anzusetzen - vorausgesetzt das Zahlenwerk der Bundesverkehrswegeplanung ist einigermaßen realistisch. Der vergangene Winter hat die Konsequenzen latent vernachlässigter Instandhaltung drastisch zu Tage treten lassen. Das Ausmaß der Straßenschäden ist der Beweis. Die Folgen sind massive Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit und der Umwelt sowie erheblicher zusätzlicher Verschleiß an den Fahrzeugen. Unabhängige Fachleute sprechen mit Blick auf den Zustand der teuren Ingenieurbauwerke (Brücken und Tunnel) seit Jahren von „tickenden Zeitbomben“. Laut „Verkehrsinvestitionsbericht 2009“ müsste fast die Hälfte der Brücken an Bundesfernstraßen kurzfristig saniert werden [4]. Die tatsächliche Dimension der Instandhaltungskrise und ihres Bedrohungspotenzials für unsere Wirtschaft wird dennoch von der Politik offenkundig verdrängt. Anders ist kaum nachvollziehbar, dass es als mehr oder minder gegeben hingenommen wird, dass sich ab 2011 nach übereinstimmenden Aussagen von Verkehrspolitikern auf Bundesebene hinsichtlich der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur nach gegenwärtigem Stand der Dinge ein „schwarzes Loch“ auftut [5]. Meilensteine der aktuellen öffentlichen Diskussion Spätestens seit den öffentlichen Äußerungen des (seinerzeit noch designierten) Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer zur möglichen Einführung einer Pkw- Maut auf Bundesautobahnen nach der Bundestagswahl 2009 wird das Thema in Infrastruktur + Verkehrspolitik 28 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Deutschland (wieder) heftig öffentlich diskutiert. Der ADAC hat in der Februar-Ausgabe 2010 seiner Kundenzeitschrift unter dem Titel „Kasse machen mit der Autobahn“ seine strikte Ablehnung bekräftigt [6]. Im Untertitel wird quasi eine Verschwörung behauptet: „Offiziell ist eine Pkw-Maut für die neue Bundesregierung kein Thema. Inoffiziell basteln Politik und Wirtschaft emsig an Modellen für künftige Wegezölle. Sicher ist: Die Autofahrer werden draufzahlen.“ Am 8. April 2010 brachte das ARD-Fernsehen in der Reihe „Kontraste“ einen Beitrag mit dem Titel „Pkw-Maut - Regierung setzt auf Mehreinnahmen“. In der Ankündigung dazu heißt es: „Aussprechen will es keiner und schon gar nicht vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen: Um die klammen Staatskassen zu füllen, käme eine Pkw- Maut wie gerufen. Milliardeneinnahmen wären garantiert. Mittlerweile steht die Front der Befürworter - und zwar parteiübergreifend.“ Die Ankündigung endet mit folgendem Fazit: „Die Frage ist längst nicht mehr, ob die Pkw-Maut kommt, sondern wann sie kommt. Ob das Geld dann wirklich nur in den Straßenbau fließt, kann heute aber niemand sagen“. Anschließend wird das Publikum aufgerufen, in einem Maut-Blog im Internet seine Meinung zur Pkw-Maut zu äußern - unter dem Motto: „Ist sie sinnvoll oder nur Abzocke? “ Der Maut-Blog war mit fast 500 Einträgen gut besucht; in der Summe der Einträge ist festzustellen: ̇ Der Anteil der ablehnenden Äußerungen überwiegt deutlich. Die Gegner begründen ihre Haltung fast ausschließlich mit den „Argumenten“ der Automobil-Lobby. ̇ Argumente „Pro Maut“ sowie zum Wesen eines Paradigmenwechsels sind in der Öffentlichkeit nicht in annähernd vergleichbarem Maße präsent wie die Argumente der Automobil-Lobby. Gleichwohl gibt es einen nicht unbeträchtlichen Anteil an Befürwortern. ̇ Das Vertrauen in die Politik/ die Politiker/ die Verwaltung sowie der Eindruck von ihrer Arbeit sind überwiegend miserabel; das belastet eine sachliche Diskussion des Themas erheblich. Am 15. April 2010 veröffentlichte das Umweltbundesamt (UBA) eine Studie mit dem Titel „Pkw-Maut in Deutschland? Eine umwelt- und verkehrspolitische Bewertung“ [7]. Das löste umgehend beträchtliches Aufsehen und hektische politische Reaktionen aus. Die öffentliche Diskussion konzentrierte sich dabei auf den zentralen Vorschlag, flächendeckend Straßenbenutzungsgebühren für Pkw in Höhe von durchschnittlich 3 bis 4 EUR je 100 km einzuführen. Die zuständigen Bundesminister (Verkehr und Umwelt) beeilten sich, zu erklären, dass das Gutachten weder bestellt sei noch die Vorschläge in Einklang mit der Politik beider Häuser und der Bundesregierung stünden. Vor dem Hintergrund der latent und sich seit mindestens zwei Jahrzehnten zuspitzenden dramatischen Lage der Finanzierung sowohl der Bundesfernstraßen als auch der Straßen der Länder und Kommunen ist es geboten, das Thema in der tatsächlichen Bandbreite der Aspekte sachgerecht zu diskutieren und aus dem Ergebnis die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Auslöser der Diskussion um Straßenbenutzungsgebühren Die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren hat eine bereits mehrere tausend Jahre alte Geschichte. Im modernen Verkehrswesen bezeichnete der britische Ökonom Arthur Cecil Pigou schon im Jahr 1920 direkte Benutzungsgebühren als die adäquateste Grundlage für die Straßenfinanzierung, „weil der Benutzer am Ort und zum Zeitpunkt der Benutzung zur Zahlung herangezogen wird“ [8]. Wegen der hohen Kosten der zu der Zeit verfügbaren Möglichkeiten für die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren und den mit der Erhebung verbundenen Eingriffen in den Verkehrsfluss, gab er Verkehrssteuern „als zweitbester Lösung vorerst“ den Vorzug. Bemerkenswert ist, dass Pigou bereits damals Straßenbenutzungsgebühren als wirkungsvolles Mittel der Verkehrslenkung im Sinne einer Optimierung der Nutzung der verfügbaren Infrastruktur kennzeichnete. Beginnend in den 1960er Jahren haben einzelne europäische Länder zunehmend Planung, Bau und Betrieb von Autobahnen über direkte Mauteinnahmen für alle Nutzer realisiert (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, etc.). Daneben werden traditionell für die Benutzung von Brücken, Tunneln und Gebirgspässen Gebühren erhoben. In 1995 hat die Europäische Kommission in einem „Grünbuch - Faire und effiziente Preise im Verkehr“ die Mitgliedsländer aufgefordert, die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur schrittweise von der traditionellen Haushalts-/ Steuerfinanzierung auf Nutzerfinanzierung umzustellen [9]. Mit den Adjektiven „fair“ und „effizient“ hat die Kommission den entscheidenden Unterschied einer direkten Nutzerfinanzierung gegenüber der Budgetfinanzierung gekennzeichnet. Zentraler Befund der von der deutschen Bundesregierung 1999 eingesetzten „Pällmann-Kommission“ war, dass die Haushaltsfinanzierung sich als nicht geeignet erwiesen hat, eine qualifizierte Erhaltung und Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur zu gewährleisten. Bereits in ihrem Zwischenbericht vom 2. Februar 2000 hat sie eine schrittweise systematische Umstellung auf direkte Nutzerfinanzierung empfohlen; in ihrem Schlussbericht vom 5. September 2000 hat sie die Empfehlung nachdrücklich untermauert [2]. Als maßgebliche Vorteile der Nutzerfinanzierung im Straßensektor hat die Kommission geltend gemacht: ̇ Direkter Bezug zwischen Benutzung, Bezahlung und Verwendung ̇ Deckung des tatsächlichen Finanzierungsbedarfs ̇ Unabhängigkeit von den wechselnden Einflüssen auf die öffentlichen Haushalte ̇ Dieselben Zahlungskriterien für alle Verkehrsteilnehmer (auch Ausländer) ̇ Hohes Wirkungspotenzial von Gebühren als Mittel der Verkehrslenkung und des Umweltschutzes ̇ Effizientere Verwendung der verfügbaren Mittel (PPP) Zu den Kernprinzipien der Empfehlungen gehörte die Systematik des Vollzugs des Paradigmenwechsels: Der motorisierte Straßenverkehr wird schrittweise ab dem Zeitpunkt und in dem Maße von verkehrsbezogenen Steuern entlastet, wie die Netto-Einnahmen aus den Benutzungsgebühren die latente Finanzierungslücke überschreiten. Die Empfehlungen der Kommission wurden seinerzeit in Politik und Öffentlichkeit nahezu einhellig begrüßt. Noch in 2004 forderte der zuständige Vizepräsident des ADAC in seinem Eröffnungsstatement im Rahmen eines parlamentarischen Abends in Berlin die Umsetzung der Empfehlungen der Kommission „im Maßstab 1: 1“. Seither sind weltweit zahlreiche ähnlich hochrangig besetzte Kommissionen und Gremien zu demselben Thema eingesetzt worden - z. B. [10]: ̇ 2001 - EU: Weißbuch „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010“; Kernsatz „Die Maßnahmen der Gemeinschaft müssen darauf abzielen, die derzeit dem Verkehrssystem auferlegten Steuern schrittweise durch Instrumente zu ersetzen, die die Infrastrukturkosten und die externen Kosten am wirksamsten internalisieren“. ̇ 2002 - Großbritannien: „Commission for Integrated Transport“; Publikation: „Paying for road use“. ̇ 2004 - Schweden: „Road Taxation Commission“; Schlussbericht: „skatt pa¸ väg“ (Gebühren für den Weg). ̇ 2004 - Schweiz: Bundesamt für Raumentwicklung; Publikation: „Fair und effizient - die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe in der Schweiz.“ ̇ 2005/ 2008 - Niederlande: Runder Tisch: „Anders betalen foor Mobiliteit“. ̇ 2009 - USA: „National Surface Transportation Infrastructure Finance Commission“; Schlussbericht: „Paying Our Way - A new Framework for Transportation Finance”. Trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ländern kommen die Kommissionen/ Gremien zu denselben Grundempfehlungen wie die „Pällmann- Kommission“. Die „US-Kommission“ hat ihre Erkenntnisse exemplarisch wie folgt zusammengefasst: „Direkte Gebühren in Form entfernungsabhängiger Benutzungsgebühren sind die langfristig wirkungsvollste und nachhaltigste Option (…) für die Finanzierung des Systems (…). Sowohl die praktischen Beispiele als auch die wissenschaftliche Forschung zeigen, dass entfernungsbasierte Gebührensysteme es nicht nur ermöglichen, die erforderlichen Einnahmen zu erzielen, sondern auch zusätzliche Vorteile bieten, wie eine effizientere Nutzung der Verkehrsinfrastrukturen, verringerte Belastungen der Umwelt und Reduzierung anderer nachteiliger externer Wirkungen sowie Mehrwerte für die Nutzer (…). Infrastruktur + Verkehrspolitik 29 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Entscheidend aber ist, dass entfernungsabhängige Benutzungsgebühren die einzige aller Optionen ist, durch die neben der Erzielung von Einnahmen auch der Umfang zusätzlich erforderlicher Kapazitäten dadurch vermindert werden kann, dass die verfügbaren Kapazitäten effizienter genutzt werden können.“ Ausgewählte Argumente in der öffentlichen Diskussion (1) Mineralölsteuer ist die gerechteste und beste Benutzungsgebühr Die üblichen Argumente in diesem Zusammenhang lauten: ̇ Wer viel fährt und wer ein verbrauchsintensives Fahrzeug hat, zahlt in direkter Relation mehr als derjenige, der weniger fährt und ein verbrauchsärmeres Fahrzeug hat. ̇ Die Transaktionskosten für die Einziehung von Mineralölsteuern sind vergleichsweise gering; sie fallen ohnehin an. Das sind Eigenschaften, die der Mineralölsteuer tatsächlich zuzuschreiben sind. Dagegen steht im Sinne einer nachhaltigen, fairen und effizienten Finanzierung der Straßeninfrastruktur allerdings: ̇ Die Mineralölsteuer ist eine allgemeine Steuer; im Gegensatz zu Einnahmen aus Gebühren besteht keine Verpflichtung des Staates, die Einnahmen in dem Sektor einzusetzen, in dem sie erzielt werden. ̇ Fahrzeughalter, die im Ausland tanken und/ oder dort ihr Fahrzeug gemeldet haben, zahlen in Deutschland keine verkehrsbezogenen Steuern. ̇ Es gibt keine Möglichkeit der zeitlichen und örtlichen Variation, also der Aktivierung des Lenkungspotenzials von direkten Benutzungsgebühren. ̇ Es gibt keine Möglichkeit der direkten Zuordnung zu Straßenkategorien - und damit zu den Kostenträgern der benutzten Infrastruktur. ̇ Wegekosten werden maßgeblich durch Fahrzeuggewichte und -konfigurationen sowie das individuelle Fahrverhalten verursacht, nicht durch den Mineralölverbrauch. (2) „Doppelte Abzocke“ Grundprinzip eines systematischen Paradigmenwechsels in der Finanzierung der Straßeninfrastruktur ist nicht die „Ergänzung“ der traditionellen Finanzierung, sondern die „Umstellung“ auf Nutzerfinanzierung. Die von der Lobby und in der Öffentlichkeit in den Vordergrund gestellte Behauptung/ Erwartung der „doppelten Abzocke“ basiert offenkundig auf einem tief sitzenden Misstrauen gegenüber der Politik, die Umstellung nicht systemgerecht zu vollziehen, also die Einnahmen aus Benutzungsgebühren nicht sachgerecht zu verwenden und die Autofahrer über die bereits zu entrichtenden verkehrsbezogenen Steuern hinaus zusätzlich finanziell zu belasten, ohne Gegenleistung in Form verbesserter Straßen- und Verkehrsbedingungen. Diese Befürchtung/ Erwartung ist nachvollziehbar: Entgegen den Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ und politischer Zusagen sowie im Widerspruch zu Grundprinzipien der Nutzerfinanzierung wurden die Einnahmen aus der Lkw-Maut ̇ nicht direkt und in vollem Umfang dem Straßensektor zugeordnet (nominell lediglich 50 %) sowie ̇ nicht zur Kompensation der unstrittigen Finanzierungslücke eingesetzt, sondern zum Anlass genommen, den steuerfinanzierten Anteil entsprechend zu reduzieren. Zusätzlich konzentrierte sich nach erwiesener Funktionsfähigkeit des „Toll-Collect- Systems“ (ab 1. Januar 2005) im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 die politische Diskussion auf die Erzielung zusätzlicher Mittel für den allgemeinen Haushalt. Das hatte einen drastischen Umschwung der bis dahin positiven Haltung von Lobby und Öffentlichkeit gegenüber dem Paradigmenwechsel zu vehementer Ablehnung zur Folge. Die Politik reagierte darauf nicht etwa mit einer Bereinigung ihrer Handlungsweise, sondern mit der stereotypen Feststellung, die Einführung einer Pkw- Maut stehe „nicht auf der Agenda“. (3) Autofahrer bezahlt bereits ein Vielfaches der Kosten der Straßeninfrastruktur Im Mittelpunkt der Argumentation steht die Behauptung, der Pkw-Fahrer würde bereits deutlich mehr verkehrsbezogene Steuern an den Staat entrichten als dieser für die Erhaltung, Entwicklung und den Betrieb der Straßeninfrastruktur ausgibt. Das trifft zwar zu, ist aber prinzipiell irrelevant. Wie bereits in (1) angeführt, handelt es sich bei den betreffenden Steuern um „allgemeine Steuern“. Zweckbindungen sind zwar möglich und auch gängige Praxis, können aber jederzeit (z. B. per Haushaltsgesetz) außer Kraft gesetzt werden. Prinzipiell sind eine gesetzliche Absicherung von Zweckbindungen sowie mittelfristige „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen“ möglich; im Ergebnis würden damit gleichwohl die maßgeblichen Kriterien der Nutzerfinanzierung (nachhaltig, effizient und fair) nicht erfüllt. Der ADAC hat sich in einem gemeinsam mit dem BDI und dem BGL in Auftrag gegebenen Gutachten zur Bundestagswahl 2009 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) seine Position vermeintlich noch einmal bestätigen lassen [11]. Bemerkenswerterweise verwendet das DIW darin für die verkehrsbezogenen Steuern entgegen der fachlich üblichen und sachlich gebotenen Praxis den Begriff „Wegeeinnahmen des Straßenverkehrs“. In 2008 hatte sich die „Gegen-Lobby“ (die „Allianz pro Schiene“) eine „gutachterliche Stellungnahme“ mit dem Titel „Abgaben als Instrumente zur Kostenanlastung von externen Kosten und Wegekosten im Straßenverkehr“ eingeholt [12]; diese kommt erwartungsgemäß zu dem Schluss, dass der Straßenverkehr seine Kosten bei Weitem nicht deckt. (4) Einnahmen werden nicht für die Straße verwendet Die Befürchtung ist begründet/ verständlich, solange die Politik bzw. die zuständigen Verwaltungen nicht nachvollziehbar den Beweis erbringen, dass die Benutzungsgebühren auch tatsächlich für diejenige Infrastruktur verwendet werden, für deren Benutzung sie erhoben werden. Mit der formalen Zuordnung von 50 % der Einnahmen aus der Lkw-Maut zu den Bundeseisenbahnen und Bundeswasserwegen trägt die Bundesregierung zwar der eigenen Interpretation von Zweckbindung Rechnung, nach der die Einnahmen in dem „Sektor“ eingesetzt werden, in dem sie erhoben werden („Verkehrssektor“). Nach den Grundprinzipien der Nutzerfinanzierung ist das jedoch lediglich in klar definierten Ausnahmefällen systemkonform - also weder in dem bisher praktizierten Umfang, noch in der praktizierten Pauschalität, noch auf dem Umweg über den allgemeinen Haushalt (Finanzministerium). (5) „Big-Brother-Staat“ „Datenschutzrechtlich höchst bedenklich“ ist noch eine der eher zurückhaltenden Formulierungen der Gegner von Mautsystemen. Laut [6] würde bereits die Einführung von elektronischen Vignetten als Instrument der zeitabhängigen Gebührenerhebung für die Benutzung von Bundesautobahnen durch Pkw bedeuten, dass „jährlich 220 Mrd. Fahrzeugkilometer von 42 Mio. Privat-Pkw durch Maut-Systeme erfasst“ werden. Tatsächlich würden im Rahmen des Enforcement lediglich punktuell Stichproben-Kontrollen erfolgen; die erfassten Daten würden nach aller gängigen Praxis gelöscht, sobald festgestellt worden ist, dass dem überprüften Fahrzeug eine gültige Vignette zuzuordnen ist. Eine entfernungsabhängige Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren unter Verwendung satellitengestützter Systeme wird von den Gegnern vollends mit der Einführung eines „Big-Brother-Staates“ gleichgesetzt. Angeblich zeichnen bereits heute „300 Mautbrücken in Deutschland die Lkw-Wege auf“ [6]. Tatsächlich sind die „300 Mautbrücken“ (bei über 2200 Autobahnanschlussstellen) ausschließlich Elemente des Enforcement-Systems, nicht der Mauterhebung. Zu jedem Zeitpunkt sind zudem lediglich 10 % der Brücken in Betrieb. Nach Feststellung, dass für ein überprüftes Fahrzeug die Maut bezahlt wurde, werden die Daten gelöscht. Bemerkenswerterweise hat der BGL (Mitauftraggeber der DIW-Studie zur Wegekostendeckung) wiederholt bemängelt, dass die Lkw-Kontrollen viel zu durchlässig seien; Mautpreller kämen ungeschoren davon, die Dummen seien die ehrlichen Mautzahler. In einer Zeit der fast flächendeckenden Vollversorgung mit Mobiltelefonen, Kreditkarten und/ oder Navigationssystemen etc. ist die betreffende Unterstellung absurd. Gleichwohl haben die Anbieter von satellitengestützten Systemen zur Erhebung entfernungsabhängiger Straßenbenutzungsgebühren längst den betreffenden Bedenken Halle 18, Stand 131 ... nur noch 1 Monat bis zur InnoTrans! Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik 21.-24.09.2010 Wir freuen uns auf Sie! www.eurailpress.de www.railwaygazette.com E urailpress und Railway Gazette - Die offiziellen Medienpartner der InnoTrans. Starke Aussteller in Halle 18 Direkt am Eingang Nord Infrastruktur + Verkehrspolitik 32 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 aus den verkehrsbezogenen Steuern in einer Größenordnung deutlich über dem durchschnittlichen Investitionsvolumen der letzen Jahre, bei strikter Ablehnung einer Pkw-Maut, ist gleichbedeutend mit einer Verhinderung der Verbesserung der Situation der Finanzierung der Bundesfernstraßen. Realistisches Ziel kann gegenwärtig nur die Vermeidung einer weiteren Reduzierung der Haushaltsansätze sein. Verbesserungen sind allein über zusätzliche Benutzungsgebühren zu erreichen. Das sollte im ersten Schritt in Form einer Pkw-Vignette auf moderatem Kosten-Niveau geschehen. Vor jedem weiteren Schritt im Sinne eines systematischen Paradigmenwechsels ̇ wird damit der Politik Gelegenheit gegeben, zu beweisen, dass die Einnahmen tatsächlich zusätzlich zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur verwendet werden und ̇ der Nutzer erhält die Möglichkeit, die Wirkungen im wahrsten Sinne des Wortes zu „erfahren“. Literatur [1] Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Beratungsunterlage zur 5. Sitzung am 9. Februar 2010; Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP [2] Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung: Schlussbericht vom 5. September 2000 [3] IWW/ ProgTrans AG: Wegekostenrechnung für die Bundesfernstraßen in Deutschland; Basel/ Karlsruhe 2002 [4] BMVBS: Verkehrsinvestitionsbericht 2009 [5] Parlamentarischer Abend Binnenschifffahrt am 2. Dezember 2009 in Berlin: Statements verkehrspolitischer Sprecher von Bundestagsfraktionen [6] ADAC: Kasse machen mit der Autobahn; in Motorwelt Heft 2/ 2010 [7] Umweltbundesamt: Pkw-Maut in Deutschland? Eine umwelt- und verkehrspolitische Bewertung; Dessau im April 2010 [8] Kossak, A.: Straßenbenutzungsgebühren weltweit; in Internationales Verkehrswesen 6/ 2004 [9] Europäische Kommission: Grünbuch Faire und Effiziente Preise im Verkehr; Brüssel 1995 [10] Kossak, A.; Pällmann, W.: Paradigmenwechsel in der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung; in „10 Jahre Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“; DVV Media Group 2009 [11] DIW Berlin: Wegekosten und Wegekostendeckung des Straßen- und Schienenverkehrs in Deutschland im Jahre 2007; Forschungsprojekt im Auftrag des BGL, ADAC und BDI; Berlin 2009 [12] Hirte, G.: Abgaben als Instrumente zur Kostenanlastung von externen Kosten und Wegekosten im Straßenverkehr; Studie im Auftrag der „Allianz pro Schiene“; Endfassung vom 27. Juni 2008 [13] Kossak, A.: Straßenbenutzungsgebühren, Mittel der Stauminderung und Verkehrslenkung; in Internationales Verkehrswesen 12/ 2004 [14] Richtlinie 2006/ 38/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 1999/ 62/ EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge; Brüssel 2006 gebaute öffentliche Nahverkehrssysteme auszuweichen und damit zur Reduzierung der Staus auf den Straßen beizutragen. Darüber hinaus sind Sonderregelungen für Zwangs-Fernpendler durchaus denkbar. Die regelmäßig in diesem Zusammenhang behauptete Benachteiligung sozial schwächerer Bevölkerungsgruppen durch die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren ist weltweit durch zahlreiche qualifizierte Studien widerlegt. (9) Lenkungswirkung von Gebühren nur eine Legende Alle einschlägigen Kommissionen, Untersuchungen und Erkenntnisse aus der Praxis weltweit bestätigen, dass die zeitliche und örtliche Variation von Straßenbenutzungsgebühren ein wirkungsvolles Mittel der Verkehrslenkung ist [13]. Nicht zuletzt deshalb empfiehlt auch die EU- Kommission in der gültigen Eurovignetten- Richtlinie mit Nachdruck die Nutzung der Lenkungswirkung [14]. Behauptungen, dass es keine zeitlichen Spielräume in der Benutzung der Straßeninfrastruktur gibt, begleiten das Straßenverkehrswesen seit Jahrzehnten und werden regelmäßig durch die Praxis widerlegt; das gilt für den Personenverkehr ebenso wie für den Güterverkehr. Die von der Lobby praktizierte Einordnung der betreffenden Zusammenhänge als „Mythen“ kann vor dem Hintergrund der Fakten nur als Beleg für fehlende Argumente und/ oder fachliche Unkenntnis interpretiert werden. (10) Vignetten bevorzugen Vielfahrer und führen zu Mehrverkehr Bei klassischen Vignettensystemen zahlt der Vielfahrer tatsächlich in der Regel vergleichsweise weniger je gefahrenem Kilometer als der Gelegenheitsfahrer. Bei Verwendung der modernen elektronischen Vignette sind die Relationen aufgrund der höheren Flexibilität in der Differenzierung verbesserbar, jedoch nicht vollends nivellierbar. In Ländern, in denen Vignetten bereits eine lange Tradition haben, haben die Nutzer mit dem betreffenden Umstand offensichtlich keine Probleme. Belastbare Anhalte und plausible Gründe dafür, dass langzeitgültige Vignetten dazu veranlassen, die mautpflichtige Infrastruktur häufiger zu nutzen, also Mehrverkehr zu erzeugen, gibt es nicht. Fazit Die Versteifung der Automobil-Lobby auf eine Zweckbindung von Einnahmen Rechnung getragen. Heute sind Systeme auf dem Markt, die eine externe Verfolgung von Fahrzeugwegen praktisch nicht mehr zulassen. (6) Tote, Verletzte und Umweltbeeinträchtigungen durch Ausweichverkehre Ausweichverkehre sind in Übergangsphasen der Entwicklung einer in der Endphase flächendeckenden Gebührenerhebung nicht auszuschließen, ggf. aber mit Maßnahmen der Straßenverkehrsordnung in engen Grenzen zu halten. Ausweichverkehre finden allerdings auch ohne Gebührenerhebung statt - insbesondere zur Umfahrung von Staus, die bei Nutzung des Verkehrslenkungspotenzials von Straßenbenutzungsgebühren nach allen Erfahrungen weltweit beträchtlich reduziert werden können. Die behaupteten 20 % Ausweichverkehre mit der Folge von jährlich 350 Verkehrstoten und 13 000 Verletzten zusätzlich [6] sind sachlich nicht nachvollziehbar und vermutlich auf der Grundlage fragwürdiger Pauschal-Annahmen hergeleitet. (7) Hohe Transaktionskosten entfernungsabhängiger Gebührenerhebung „Der Staat will Geld eintreiben. Aber wie? Am liebsten ohne großen Aufwand. Doch ohne eine teure Infrastruktur funktioniert keines der Systeme“ [6]. Der Begriff „teure Infrastruktur“ ist höchst vage gehalten. In der öffentlichen Diskussion ist von 20 bis 25 % der Einnahmen die Rede. Das ist offensichtlich aus den kolportierten Anfangskosten-Relationen des „Toll-Collect-Systems“ hergeleitet. Dabei wird unterschlagen oder verdrängt, dass es sich um ein hochinnovatives System der ersten Generation handelt. Wer sich die Kostendegression im Bereich der Elektronik in den vergangenen Jahrzehnten vor Augen hält, benötigt wenig Phantasie, um dies auch modernen Maut- Systemen zuzugestehen. Dazu kommt der Umstand, dass das „Toll-Collect-System“ aufgrund der Anforderungen der Bundesregierung vergleichsweise sehr aufwendig ausgelegt werden musste (duale Einbuchungs- und Enforcement-Systeme). Bei Systemen zur entfernungsabhängigen Gebührenerhebung von Pkw im überörtlichen Verkehr werden in Zukunft Transaktionskosten von 5 % bis maximal 10 % der Einnahmen auf Basis der internen Kosten Standard sein. Wenn auch externe Kosten in die Benutzungsgebühren einbezogen werden, sinkt der Anteil entsprechend. Die Transaktionskosten sind den Nutzen gegenüberzustellen - insbesondere dem Lenkungspotenzial. (8) Pendler werden benachteiligt Die Argumentation basiert auf der Annahme, dass eine Pkw-Maut nur auf Autobahnen erhoben wird und es keine Kompensation auf Seiten der verkehrsbezogenen Steuern gibt. Tatsächlich wird der größte Anteil des Stauvolumens zu Zeiten des Pendlerverkehrs erzeugt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Pendler hat die Wahlfreiheit, zumindest für den maßgeblichen Teil der Fahrtstrecke auf gut aus- Summary Financing federal trunk roads Ever since the Bundestag elections of 2009, discussions concerning an extension of road user charges, also for private cars, have hardly proved satisfactory in so far as the critically latent under-financing of roads - and the resultant adverse consequences for society, the economy and the environment - and the potential impact of a system-wide switch to user financing are concerned. The danger is that this situation will further deteriorate against the background of current and predictable problems over public sector financing, before tentative steps are taken towards implementing an urgently needed long term, efficient and fair method of transport infrastructure financing. Infrastruktur + Verkehrspolitik 33 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Sandra Bietz / Sönke Reise Aktueller Stand der Hafenquerspange Hamburg Trotz kurzzeitiger Stagnation infolge der Weltwirtschaftskrise steigt das Verkehrsaufkommen in und um Hamburg weiterhin. Um den Verkehrsfluss und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts gewährleisten zu können, werden bestmögliche Infrastrukturen benötigt. Ein bedeutendes, aber augenscheinlich noch fehlendes Element im Verkehrsnetz stellt die Hafenquerspange (HQS) dar. Der folgende Beitrag skizziert die in der letzten Zeit diskutierten verschiedenen Routenvarianten. Die Autoren Prof. Dr. rer. pol. Sönke Reise, Hochschule Wismar, Fachbereich Seetransp o r tt e c h n o l o g i e / Ve r k e h r s l o g i s t i k , soenke.reise@hs-wismar.de; Sandra Bietz, Studentin der Hochschule Wismar im Studiengang Verkehrsbetrieb/ Logistik, sandra_bietz@yahoo.de Veranlassung und Zielsetzung Die Hafenquerspange (HQS) soll im Hamburger Süden als neuentstehende Autobahn A 252 die Lücke zwischen den Autobahnen A 7/ A 26 im Westen und der A 1 im Osten schließen. Die Überlegungen zur HQS und ihre Begründung beruhen im Wesentlichen auf nachstehenden Punkten: 1 ̇ Lückenschluss im überregionalen Bundesfernstraßennetz ̇ Bündelung des innerstädtischen Ost- West-Verkehrs der Stadt Hamburg und der weiträumigen Hafenverkehre mit einer leistungsfähigen Straßenverbindung ̇ schnellere und verbesserte Anbindung der Terminals im Hamburger Hafen ̇ Reduzierung der Lärm- und Schadstoffbelastungen in und um Hamburg-Harburg sowie aufgrund von Verlagerungseffekten in der Hamburger Innenstadt und dessen Wohnquartieren ̇ gesamtwirtschaftliche Kostenvorteile. Beteiligungsprozess „Verkehrsplanung im Hamburger Süden“ Bereits im Jahr 1939 sahen die nationalsozialistischen Pläne einen Autobahnring um Hamburg vor, dessen südlicher Teil eine Autobahn zwischen der im Bau befindlichen Bremer Autobahn und der geplanten Nord-Süd-Autobahn (heute A 7) sein soll. Bis heute wird über dieses Thema intensiv diskutiert. Um die Verkehrsprojekte südlich der Elbe voranzutreiben bzw. zu realisieren und dabei alle Interessengemeinschaften zu berücksichtigen, wurde der „Beteiligungsprozess Verkehrsplanung im Hamburger Süden“ ins Leben gerufen. Hier diskutierten von Juni bis November 2009 eine Vielzahl von Akteuren intensiv über ein Gesamtverkehrskonzept für den Hamburger Süden sowie über die geplante Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße und die künftige Hafenquerspange. Zahlreiche Bürgerinitiativen waren daran beteiligt. Ziel dieses Verfahrens war in erster Linie ein Interessenausgleich zwischen allen Parteien. Außerdem sollte Transparenz über sämtliche Planungen hergestellt und Vertrauen zwischen den Beteiligten aufgebaut werden. Das Ergebnis des Beteiligungsprozesses ist ein ganzheitliches Meinungsbild, das in die Erarbeitung eines integrierten Gesamtkonzeptes einfließen wird. Das Gesamtkonzept soll bis Ende des Jahres 2010 durch die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt erstellt werden. 2 Varianten der HQS Im Jahr 2005 wurde das förmliche Linienbestimmungsverfahren auf der Basis von umfänglichen Vorplanungen und Verkehrsprognosen abgeschlossen. Auf der Grundlage der damaligen Rechtslage und planerischen Randbedingungen wurde vom BMVBS eine Nordtrasse bestimmt. Heute entspricht diese Trasse nicht mehr den aktuellen Anforderungen an das Verkehrsnetz und den neuen städtebaulichen Rahmenbedingungen in der Stadt Hamburg. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2008 die DEGES 3 von der zuständigen Senatorin Anja Hajduk mit der Planung einer Südtrasse beauftragt. Im März 2009 wurde das Ergebnis der von der DE- GES erarbeiteten Projektstudie zur Hafenquerspange vorgelegt. Darin wurden fünf Trassenvarianten vorgestellt und bewertet, die entweder durch einen Nord- oder Südkorridor verlaufen. Sie werden - basierend auf dieser Studie - nachstehend vorgestellt. 4 Der Nordkorridor beginnt im Westen an der A 7 im Bereich der AS HH-Waltershof und endet im Osten an der verlegten Wilhelmsburger Reichsstraße. Über die vorhandene und auszubauende A 252 sowie über die A 255 erfolgt der Anschluss an die A 1. Der Köhlbrand ist beim Nordkorridor zu queren (Abbildung 2). Der Südkorridor beginnt im Westen an der A 7 im Bereich des mit der A 26 (Stader Autobahn) geplanten AK Süderelbe und endet im Osten an der A 1 im Bereich der AS HH-Stillhorn. Im Südkorridor ist die Süderelbe zu queren. Westlich vor der Süderelbe im Raum Moorburg liegt die Hafenerweiterungsfläche. Die Realisierung einer Variante im Südkorridor ist in zwei Stufen möglich in den Abschnitten A 7 bis Hohe Schaar und Hohe Schaar bis A 1. Köhlbrandbrücke Foto: Hapag Lloyd Infrastruktur + Verkehrspolitik 34 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Abb. 2: Varianten der Hafenquerspange Quelle: Projektstudie Hafenquerspange Hamburg Varianten im Nordkorridor Die Variante Nord entspricht weitgehend der linienbestimmten Trasse aus dem Jahr 2005. Allerdings erfolgte im Anschlussstellenbereich Steinwerder eine Umgestaltung. Der Köhlbrand wird mit einer lichten Höhe von 53 m gequert. Hochstraßen werden nur im Bereich Spreehafen gebaut. Die Variante Nord 1 berücksichtigt die absehbaren Entwicklungen bei den Schiffsgrößen und sieht eine Köhlbrandquerung in einer Höhe von 72 m vor. Außerdem wird auf alle weiteren städtebaulichen Leitplanungen geachtet („Sprung über die Elbe“), so dass im Bereich des Spreehafens ein Tunnel entstehen soll. Um diese Variante nach heutigen Kriterien überhaupt durchsetzen zu können, musste sie seit der Linienbestimmung im Jahr 2005 kostenintensiv vervollständigt werden. Varianten im Südkorridor Bei der Variante Süd 1 wird der Ort Moorburg bzw. das Hafenerweiterungsgebiet südlich umgangen. Die AS HH- Moorburg muss in Verbindung mit dem AK Süderelbe an die Hafenquerspange verlegt werden. In 53 m Höhe wird die Süderelbe gequert. Neben dem Hafenanschluss Hohe Schaar wird ein BAB- Teilanschluss an die A 253 Süd (Harburg) geschaffen. Die Kornweide und sämtliche Gleisanlagen werden untertunnelt. Es gibt Abb. 1: Der Untersuchungsraum im Hamburger Süden Quelle: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Datei.Hamburg-motorways.svg Infrastruktur + Verkehrspolitik 35 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 keine Verknüpfung mit der Wilhelmsburger Reichsstraße. Die Variante Süd 2 verläuft nördlich von Moorburg und schließt dadurch das Containerterminal Altenwerder (CTA) direkt an die Autobahn an. Nördlich der Kattwykbrücke wird die Süderelbe in 53 m Höhe gequert. Ab der Hohen Schaar verläuft diese Variante auf gleicher Linie wie die Variante Süd 1. Die Variante Süd 3 verläuft quer durch Moorburg und das Hafenerweiterungsgebiet und wird deswegen nicht weiter verfolgt. Westlich der Süderelbe führt die Variante Süd 4 als durchgehende Hochbrücke ohne Hafenanschluss am nördlichen Rand des Hafenerweiterungsgebietes entlang (kein Anschluss des CTA). Die Süderelbe wird nördlich der Kattwykbrücke in 53 m und das Hafenbecken eines möglichen Containerterminals im Hafenerweiterungsgebiet in 72 m Höhe gequert. Die Variante Süd 4 verläuft ebenfalls ab der Hohen Schaar wie die Variante Süd 1. Variante Diagonal West Die Variante Diagonal West verknüpft den westlichen Teil des Südkorridors mit dem östlichen Teil des Nordkorridors. Vor der Süderelbe wird die Hafenquerspange zwischen möglicher Hafenerweiterung, Kattwykbrücke und dem im Bau befindlichen Kraftwerk Moorburg eingeordnet. Auf einer Hochbrücke mit 53 m Höhe wird die Süderelbe dann geradlinig gequert. Östlich der Süderelbe im Bereich der AS HH-Hohe Schaar schwenkt die Trasse nach Norden und quert die Rethe ebenfalls in 53 m Höhe. Im Weiteren erreicht sie eine Parallellage zum Rosshafen und verläuft von hier wie die Variante Nord 1 durch den Spreehafen bis zum Anschluss Wilhelmsburg Nord. Vergleich der Varianten Unter Maßgabe sieben verschiedener Zielfelder wurden die Varianten bewertet mit dem Ziel, eine Vorzugsvariante begründen zu können. Diese Zielfelder umfassen die verkehrlichen Wirkungen (Anschlüsse, Verbindungen), die Komplexität der technischen Gestaltung, die Umweltverträglichkeit, die Belange des Artenschutzes, die Vorgaben aus den Stadtentwicklungsplänen, die Belange der Hafenwirtschaft sowie der Kosten (inkl. Folgemaßnahmen). Unter Berücksichtigung dieser sieben Zielfelder ist die Variante Süd 1 als Vorzugsvariante anzusehen (siehe Tabelle 1). Um diesen Linienverlauf der Hafenquerspange Hamburg zu realisieren, muss die Hansestadt Hamburg nun einen Antrag auf Änderung der Linienbestimmung der A 252 durch das BMVBS stellen. Der nächste Planungsschritt soll die Änderung der Linienbestimmung nach § 16 FStrG sein, der noch im Jahr 2010 abgeschlossen sein soll. 5 Damit wäre die ursprüngliche im Bundesverkehrswegeplan vorgesehene Hafenquerspange, die den Hafen im nördlichen Bereich quert, Geschichte. Eine Realisierung der nun bevorzugten Südvariante ist angesichts der derzeitigen Haushaltslage dennoch ungewiss. 1 Vgl. Projektstudie Hafenquerspange Hamburg, S. 4 2 Vgl. http: / / www.verkehrsplanung-sued.hamburg.de/ 3 Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH; Als Projektmanagementgesellschaft nimmt die DEGES die Funktion als Bauherr und Hausherr (ohne hoheitliche Aufgaben) wahr. 4 Vgl. Projektstudie Hafenquerspange Hamburg, S. 25 ff. 5 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft (Drucksache 19/ 5475 vom 23.02.2010) Quellen Projektstudie Hafenquerspange Hamburg Juni 2009 der DEGES, Kurzfassung http: / / www.verkehrsplanung-im-sueden.hamburg.de/ http: / / www.hk24.de/ produktmarken/ standortpolitik/ verkehrsnetze/ ueberregionale_verkehrsinfrastruktur/ strasse/ hqs.jsp http: / / www.hamburg-port-authority.de/ presse-und-aktuelles/ news/ 226-freie-fahrt-fuer-den-hafenverkehr.html http: / / www.alternative-hafenquerspange.de/ http: / / www.hafen-quer-spange.de/ http: / / www.deges.de/ Tab. 1: Ergebnis des Variantenvergleichs: Wert 1 (entspricht sehr hoher Zielerreichung) bis Wert 6 (entspricht keiner Zielerreichung) Quelle: Projektstudie Hafenquerspange Hamburg, S. 121 Zielfeld Nord Nord 1 Diagonal West Süd 1 Süd 2 Süd 4 Verkehrliche Wirkungen 1 1 6 1 4 5 Technische Gestaltung 4 6 5 1 1 1 Umweltverträglichkeit 5 3 6 3 1 1 Artenschutz/ Natura 2000 1 1 6 5 3 3 Stadtentwicklung/ Stadtbild 5 4 5 1 2 2 Hafenbelange/ Hafenwirtschaft 5 4 2 1 5 3 Kosten (inkl. Folgemaßnahmen) 4 6 5 2 1 3 Gesamtrang 4 4 6 1 2 3 Aus der Europäischen Union 36 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Belgien steckt in der Krise. Die Streitigkeiten zwischen Flamen und Wallonen haben vergangenen Juni vorgezogene Neuwahlen erforderlich gemacht. Ungünstig für die Europäische Union - denn am 1. Juli hat Belgien für sechs Monate die EU-Präsidentschaft übernommen. Die Regierungsbildung gestaltet sich wie immer schwierig und dürfte sich wohl über hinziehen. Aber auch ohne Föderalregierung hat sich das Königreich viel vorgenommen. Im Verkehrsbereich soll endlich eine Einigung unter den EU-Mitgliedstaaten über die geplante Anlastung externer Kosten für den Schwerlastverkehr (Eurovignette-Richtlinie) gefunden werden. Belgische Chefunterhändler sind optimistisch, dass dies vor Jahresende gelingen kann. Dabei hilft offenbar auch die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise. Diese habe den Druck auf die Mitgliedstaaten erhöht, nach neuen Geldquellen zu suchen. Viele Länder, die bislang zurückhaltend in der Frage waren, hätten nun den Nutzen einer Änderung der Richtlinie erkannt. Doch das allein dürfte wohl noch nicht ausreichen, um einen Durchbruch in einem Dossier erzielen zu können, an dem sich beispielsweise die französische und tschechische Präsidentschaft die Zähne ausgebissen haben. Die beiden letzten Präsidentschaften unter dem Vorsitz von Schweden und Spanien haben es erst gar nicht versucht. Zu den umstrittenen Fragen zählt insbesondere die Zweckbindung der Mauteinnahmen. Da sich hier der vorherrschende Konflikt zwischen Rand- und Transitstaaten widerspiegelt, ist eine Lösung dieses Problems gleichzeitig der Schlüssel für einen Gesamtkompromiss. Während die Transitstaaten gern Herr über ihre Mauteinahmen blieben, wollen die Randstaaten, dass diese in Verkehrsinfrastrukturprojekte fließen. Belgien ist ein komplizierter Staat - aber gerade deshalb verfügt es wie kein zweites Land über Politiker, denen die Fähigkeit, Kompromisse zu suchen und zu finden, sozusagen mit in die Wiege gelegt wurde. Eine Fähigkeit, die sich auch auf dem europäischen Parkett gewinnbringend einsetzen lässt. Ihre Fähigkeit haben die belgischen Unterhändler in einem Arbeitsdokument in die Tat umgesetzt, das die Diskussionsgrundlage für die Verhandlungen im EU-Verkehrsministerrat über die Eurovignette- Richtlinie bildet. Demnach sollen die Stau- Krisen beflügeln Verhandlungen über Eurovignette-Richtlinie Belgische EU-Präsidentschaft will Einigung über Anlastung externer Kosten für Schwerlastverkehr erzielen kosten nicht in die Anlastung externer Kosten für den Schwerlastverkehr einbezogen werden. Staus würden nicht durch höhere Einnahmen sondern größere Variationen der Mautsätze je nach Tageszeit beseitigt, heißt es zur Begründung. Deshalb setzt sich Belgien für eine höhere Flexibilität bei der Differenzierung der Mautgebühren ein. Somit würden dem Lkw letztlich nur Umwelt- und Lärmkosten angerechnet. Keine Notwendigkeit sieht die belgische Präsidentschaft für eine Zweckbindung von Mauteinnahmen aus externen Kosten. Den Mitgliedstaaten soll größtmögliche Freiheit bei der Verwendung der Mittel eingeräumt werden. Ignoriert wird damit auch der Vorschlag von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas, zumindest einen kleinen Teil der Gebühren in einen EU-Fonds zur Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur von europäischem Interesse fließen zu lassen. Eine Mehrheit der EU-Länder, darunter Deutschland, unterstützt das Vorgehen Belgiens in dieser Frage. Positiv für die Verhandlungen könnte sich auch auswirken, dass der belgische Staatssekretär für Verkehr, Etienne Schouppe, die Verhandlungen über die Eurovignette-Richtlinie ungezwungen angeht. Nachdem die Partei des flämischen Christdemokraten eindeutig zu den Wahlverlierern zählte, ist es beschlossene Sache, dass der Ex-Chef der Staatsbahn SNCB die politische Bühne seines Landes verlassen wird. Bis zur Ernennung einer neuen Regierung könnte er − befreit vom stressigen Tagesgeschäft − seine Zeit in einen Eurovignette- Deal stecken. Wer weiß, vielleicht ist es ja die Voraussetzung für eine Einigung, wenn erfahrene Politiker eines Landes in der Krise die Führung der EU übernehmen. Christian Dahm, EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik- Zeitung in Brüssel Belgische EU Präsidentschaft Neben der Anlastung externer Kosten für den Schwerlastverkehr (Eurovignette- Richtlinie) steht die See- und Binnenschifffahrt ganz oben auf der Prioritätenliste der belgischen EU-Präsidentschaft. Am 15. und 16. September widmet Belgien vor allem der Förderung von Short Sea Shipping einen informellen Verkehrministerrat, der in Antwerpen stattfinden soll. Um die Potenziale des Kurzstreckenseeverkehrs verstärkt ausschöpfen zu können, soll dieser besser in die Logistikketten integriert werden. Dazu zählen für Belgien insbesondere die Hinterlandanbindung über die Schiene sowie Binnenwasserstraßen. Generell stützt sich Belgien auf den Aktionsplan der Kommission, einen europäischen Seeverkehrsraum ohne Grenzen zu schaffen. Dabei sollen nicht zuletzt die administrativen Auflagen reduziert und vereinfacht werden. Einige Dossiers erben die Belgier von ihren spanischen Vorgängern. Dazu gehören städtischer Verkehr und Logistik, Flugraummanagement und -sicherheit sowie die Überarbeitung des Logistikaktionsplans von 2007. Zudem wird das dritte Richtlinienpaket zur Meeressicherheit („Erika III“) umgesetzt. Am 25. und 26. Oktober steht vor dem großen EU-Luftfahrtsgipfel am 26. und 27. Oktober in Brügge ein Kolloquium zum Flughafenmanagement an. Die EU-Verkehrsministerräte wurden auf den 15. Oktober und den 2. Dezember terminiert. Short Sea im Blickpunkt Güterverkehr + Logistik 37 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 André A. Auderset Den „grünsten“ Verkehrsträger fördern, nicht behindern Dass der Transport von Personen und vor allem Gütern umweltfreundlicher organisiert werden muss, ist unbestritten. Ebenso unbestritten ist, dass die Binnenschifffahrt der umweltfreundlichste Verkehrsträger ist. Trotzdem wird der Gütertransport auf den Binnenwasserstraßen noch zu oft behindert und zu wenig gefördert. Zu kurzsichtig ist auch die Betrachtungsweise aufgrund der heutigen Wirtschaftssituation. Der Autor André A. Auderset, Vizepräsident der Europäischen Binnenschifffahrts-Union (EBU), Brüssel; svs@swissonline.ch G reening the transport. Das ist eines der meist gehörten Schlagwörter der jüngeren Zeit, wenn es um Klima, CO 2 -Ausstoß und Ähnliches geht. Sicher ist es eine richtige und wichtige Forderung: Nachdem sich in der Industrie und hinsichtlich der Gebäudetechnik viel getan hat, um weniger Energie zu verbrauchen und vor allem weniger Schadstoffe zu produzieren, ist nun verstärkt auch der Verkehrssektor gefordert, seinen Beitrag für die Umwelt und gegen die Klimaerwärmung zu leisten. Problematisch ist es aber, alle Verkehrsträger über einen Leisten zu schlagen und dabei zu vergessen, dass die Binnenschifffahrt heute schon der „grünste“ Verkehrsträger ist. Eine 2007 erstellte und heute noch genauso gültige Studie des deutschen Planco-Instituts in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Gewässerkunde zeigt auf, dass die externen Kosten (Bau und Unterhalt der Verkehrswege, Emissionen, Unfälle, Lärm) eines Massengutransports mit dem Binnengüterschiff um 83 % niedriger sind als diejenigen des Transports auf der Straße und um immer noch 70 % niedriger liegen im Vergleich zum Schienentransport. Bei der Containerbeförderung lauten die Zahlen 78 % respektive 68 %. Erschwerend kommt hinzu, dass die so genannten „externen“ Kosten oft in einer für die Binnenschifffahrt ungünstigen Weise berechnet werden. So ist es selbstverständlich, dem Straßenverkehr die Kosten für Bau und Unterhalt der Verkehrswege vollständig anzurechnen, werden Straßen doch naturgemäß ausschließlich für den Verkehr gebraucht. Dasselbe gilt für den Schienenverkehr. Anders sieht es dagegen bei den Wasserstraßen aus. Diese dienen natürlich auch dem Transport von Gütern und Personen, aber eben nur „auch“. Aus den europäischen Wasserstraßen wird die Wasserversorgung der umliegenden Städte und Dörfer bestritten, sie dienen Freizeitaktivitäten und teilweise sogar der Ernährung (Fischfang). Dazu sind Standorte am Wasser naturgemäß attraktive Wohnlagen. Es ist deshalb keineswegs fair, der Binnenschifffahrt alle Aufwendungen für Erhalt und Unterhalt der Wasserwege anzulasten. „Greening the transport“ heißt: Binnenschifffahrt nutzen Wie stark die Performance des Gütertransports auf dem Wasser ist, vermag am besten das folgende Beispiel zu verdeutlichen: Ein Rheincontainerschiff mit 3000 t kann gleich viel Tonnage befördern wie 120 Lkw oder 75 Bahnwagen. Dazu kennen die Wasserstraßen ein Wort nicht, welches an Land allgegenwärtig ist: Stau. Die Fracht kommt auf Rhein, Main oder Donau zwar langsamer vorwärts als auf Straße und Schiene. - Dies stimmt aber nur, solange Lkw und Zug freie Fahrt haben, was immer seltener der Fall ist. Die Schifffahrt auf den europäischen Wasserstraßen ist also die am wenigsten umweltbelastende und gleichzeitig diejenige Transportart, die noch am meisten freie Kapazitäten aufweist. Drastischer formuliert ist sie sogar der einzige Verkehrsträger, der überhaupt noch über freie Kapazitäten verfügt. Mit anderen Worten: Es gibt gar keine bessere Möglichkeit, dem Postulat „Greening the transport“ nachzukommen, als das Binnenschiff zu benutzen. Weil die Nutzung der Binnenschifffahrt bereits so umweltfreundlich ist, fällt es in diesem Bereich naturgemäß schwer, sich noch weiter zu verbessern. Trotzdem arbeiten die Branche und unser internationaler Verband hart daran. Bereits 2006 nahm die Europäische Kommission eine Mitteilung zur Förderung der Binnenschifffahrt an. Das darauf beruhende Aktionsprogramm „Naiades“ gilt für den Zeitraum 2008 bis 2013 und enthält fünf strategische Bereiche einer umfassenden Binnenschifffahrtspolitik: Markt, Flotte, Arbeitsplätze und Fachwissen, Image und Infrastruktur. Die Maßnahmen fügen sich zu einer geeigneten Organisationsstruktur zusammen. Die EBU arbeitet gemeinsam mit der EU-Kommission an konkreten Projekten, die unter Naiades finanziert und umgesetzt werden sollen. Um auch in Zukunft für den umweltfreundlichsten Verkehrsträger zuständig Terminalstrukturen ausbauen, Bild in der Öffentlichkeit verbessern, politische Unterstützung einfordern - das sind die Aufgaben der Branche. Foto: Daimler AG Güterverkehr + Logistik 38 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 zu sein, setzte sich die EBU aktiv für eine rasche Umstellung der Binnenschifffahrt auf schwefelarmen Treibstoff ein und plädierte für eine europaweit harmonisierte Regelung. Diese europäische Vereinbarung wurde bereits beschlossen und tritt am 1. Januar 2011 in Kraft. Zudem wird die Branche in ihrem Streben auch von diversen nationalen Förderprogrammen für die Beschaffung emissionsarmer Dieselmotoren für den Antrieb von Binnenschiffen unterstützt. Zur Umweltfreundlichkeit des Verkehrsträgers hat auch das jüngst in Kraft gesetzte Abfall-Übereinkommen in der Rheinschifffahrt beigetragen. Es bringt klare Regelungen über die Entsorgung von Abfällen, verhindert ein Verschmutzen des Gewässers durch Einleitung von Abfall und führt das Verursacherprinzip ein. Mit einer an die Treibstoffaufnahme gekoppelten Abgabe werden die Aufwendungen zu einer noch saubereren Schifffahrt finanziert. Zu viel Behinderung ... Wenn also die Binnenschifffahrt besonders „grün“ ist, sollte eigentlich angenommen werden, dass sie vor allem von ökologisch motivierter Seite unterstützt wird. Leider ist dies nicht im gewünschten Maß der Fall. Da werden - etwa auf der Donau - ein paar kleinere Staustufen bis aufs Blut bekämpft und damit verhindert, dass auf der dortigen Strecke weitere Gütermengen von der Straße auf die Schiene verlagert werden können. Oder es wird der Bau eines Terminals verschleppt, weil auf dem Areal ein seltener Käfer gesichtet worden sein soll. Behindert wird die Binnenschifffahrt auch durch Begehrlichkeiten, die sich auf die Hafenanlagen richten. Selbstverständlich sind solche Areale attraktiv für andere Nutzungen wie Wohnen oder Freizeit. Ebenso klar ist aber auch, dass ein Nebeneinander von solchen Nutzungen und Hafenaktivitäten unvereinbar ist. Die Binnenschifffahrt ist ein 24-Stunden-Job und der Umschlag der Ladungen in den Häfen naturgemäß mit Emissionen wie Lärm oder Staub verbunden. Stolze Loftbesitzer in Hafennähe werden nach ihrem Einzug umgehend gegen den Hafen klagen und so scheibchenweise erreichen, dass die Hafentätigkeit zuerst eingeschränkt und dann ganz unmöglich wird. Der Schreibende hat sich bereits mit Beschwerden auseinandersetzen müssen, welche Anwohner auf der gegenüberliegenden Seite eines kleineren Hafens wegen des Piepsgeräuschs rückwärts fahrender Lkw äußerten. ... und zu wenig Förderung Auf der anderen Seite ist es oft nur schwer oder gar nicht zu erreichen, dass die öffentliche Hand die Binnenschifffahrt hinsichtlich der Infrastrukturen unterstützt, während dies bei Bahnterminals nahezu selbstverständlich ist. So subventionierte etwa kürzlich die Schweiz ein Hupac- Terminal für den Kombinierten Verkehr in Antwerpen mit, obwohl dieser zumindest teilweise in Konkurrenz zu den Schiffsverkehren auf dem Rhein zwischen Antwerpen und Basel steht. Im etwa gleichzeitig veröffentlichten „Bericht über die Schweizerische Schifffahrtspolitik“ wurde dagegen zwar die Wünschbarkeit von besserer Unterstützung der Schifffahrtsinfrastrukturen deklariert, gleichzeitig aber bedauernd abgewinkt, dass zur Zeit dafür kein Geld vorhanden sei. Herausforderung annehmen Als Begründung, warum man ganze Hafenteile getrost zum Wohnen umwidmen oder auf die Unterstützung von Terminalplanungen verzichten kann, werden von Politikern oft Fotos mit Hafenarealen gezeigt, die ziemlich leer sind oder auf denen nur ein paar Container herumstehen. Dabei wird zum einen übersehen, dass gerade der Containerumschlag ein sehr flächenintensives Geschäft ist. Vor allem ist diese Sicht aber zu kurz greifend, weil sich die gerade überwundene (? ) Wirtschaftskrise naturgemäß besonders im Gütertransport äußerst stark bemerkbar machte. Wenn weniger konsumiert und weniger produziert wird, so wird eben auch weniger transportiert und umgeschlagen. Vor der Krise zeigte gerade der Containerverkehr Jahr für Jahr Rekordzuwächse. Nach einem Einbruch 2009 wird es nun wohl ein bis zwei Jahre dauern, bis die Umsatzzahlen von 2008 wieder erreicht werden. Dass die Binnenschifffahrt der Verkehrsträger der Zukunft ist, kann aber unschwer aus den Planungen der Seehäfen abgelesen werden. So rechnet der Hafen Rotterdam bis 2030 mit einem Umschlagvolumen von 800 Mio. t, was quasi einer Verdoppelung gegenüber 2007 (407 Mio. t) gleichkommt. Der Containerumschlag soll in derselben Zeitspanne von 11 Mio. auf 27 Mio. TEU eine Verzweieinhalbfachung erleben. Dazu kommt, dass sich der Hafen aus ökologischen Motiven einer deutlichen Verschiebung des Modal Splits bei Zu- und Abfuhr der Container verschrieben hat. Der Anteil der Straße soll bis zum Jahr 2035 von 49 % auf 35 % sinken, derjenige der Binnenschifffahrt von 37 % auf 45 % steigen. Auch wenn die Prognosen nur zur Hälfte zutreffen sollten, kommt auf die Binnenschifffahrt eine gewaltige Herausforderung zu. Die Wasserstraße selbst kann das Zusatzvolumen relativ problemlos aufnehmen. Wo es aber fehlen wird, wenn nicht große Anstrengungen unternommen werden, ist bei den Terminalstrukturen. Auch wenn der Termin 2035 noch weit weg scheint: Die Planung für diese Strukturen muss jetzt in Angriff genommen werden. Die politischen Mühlen mahlen bekanntlich langsam und die unweigerlich auftretenden Einsprecher und Protestierer haben einen langen Atem beim Beschreiten des Rechtswegs durch alle Instanzen. Es geht nur gemeinsam Bewältigen kann man diese Herausforderungen sicher nicht, wenn jeder Hafen für sich alleine werkelt. Allianzen und Zusammenschlüsse sind notwendig. Düsseldorf und Neuss haben es bereits vorgemacht, und im Dreiländereck des Oberrheins spannen die Schweizer Rheinhäfen mit denjenigen in Weil am Rhein und Mülhausen sogar grenzübergreifend zusammen. Dies muss der Weg der Zukunft sein. Diese großen Herausforderungen wird die Binnenschifffahrt aber nicht allein bewältigen können. - Unterstützung aus der Politik und das Verständnis der Öffentlichkeit sind entscheidend. Hier ist die Branche gefordert, vermehrt nach außen zu agieren und mit ebenso gesundem wie berechtigtem Selbstbewusstsein die Rolle des ökologisch wie ökonomisch nachhaltigsten Verkehrsträgers zu verdeutlichen. Die EBU wird sich - mit Unterstützung der nationalen Verbände - dieses Ziels auch weiterhin annehmen. Güterverkehr + Logistik 39 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Heike Flämig Ökoeffizienz bei Binnenhäfen: Von den Großen lernen Was bei den großen Seehäfen längst Praxis ist, steckt bei den meisten (kleinen) Binnenhäfen noch in den Kinderschuhen: Der bewusste Umgang mit den Ressourcen und die Einstellung auf sich verändernde Ansprüche der Stakeholder. Die Autorin Prof. Dr.-Ing. Heike Flämig, Technische Universität Hamburg-Harburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, 21073 Hamburg, flaemig@tu-harburg.de Verändertes Umfeld Ökoeffizienz steht synomym für einen ökonomisch und ökologisch rationalen Umgang mit Ressourcen, sowohl mit Rohstoffen als auch mit Mensch und Natur. Effizient bezogen auf Häfen bedeutet, dass dort entweder die gleiche Leistung mit weniger Ressourcen oder Energie beziehungsweise mit gleichem Einsatz eine höhere Leistung erzielt wird. In diesem Sinn ist Ökoeffizienz keine neue Zielkategorie von Unternehmen. Vielmehr fordern die verschiedenen Stakeholder - vor allem Kunden und Lieferanten, aber auch Rating-Agenturen, Versicherungen sowie Mitarbeiter und Anwohner - einen adäquaten Umgang der Unternehmen mit den veränderten Rahmenbedingungen: Ressourcenendlichkeit, Klimawandel und Umweltverschmutzung stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Auf den Bereich Verkehr entfällt fast ein Viertel des weltweiten CO 2 -Ausstoßes. Aus diesem Grund liegt ein Hauptaugenmerk vieler Stakeholder auf den Transportketten. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist die Verlagerung auf Schiff und Bahn. Durch die entstehenden multimodalen Transportketten gewinnen bi- und trimodal erschlossene logistische Knoten an Bedeutung. Dabei sehen sich Häfen in einem Dilemma: Einerseits sind sie per Knotendefinition Bündelungs- und Dekonsolidierungspunkt. Insofern sind Häfen prädestiniert für den Umschlag auf oder von großen effizienten Transportgefäßen. Andererseits treten an den Hafenstandorten vermehrt Verkehre und damit Belastungen durch den fließenden Verkehr und durch die Umschlagvorgänge auf. Die sich aufgrund weiterer Nutzungskonkurrenzen, wie beispielsweise dem Urban Waterfront Development, verstärkenden Konflikte stellen dabei die Weiternutzung der Hafenstandorte häufig in Frage. Vier Schritte zum effizienten Hafen Sensibilisieren Wie erfolgreich ein Hafen bei der Entwicklung zu einem effizienten Hafen ist, hängt stark davon ab, inwieweit es gelingt, nicht nur die Geschäftsführung, sondern auch die Beschäftigten in den dafür notwendigen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu integrieren, sie dafür zu begeistern und zum Mitmachen zu bewegen. Für die Umsetzung von Maßnahmen ist es aber ebenso wichtig, die gesamte Akteursarena für die unterschiedlichen regionalen und gesamtwirtschaftlichen beziehungsweise gesamtökologischen Wirkungen der zwar effizienten, aber in der Regel dann auch verstärkten Nutzung von (Binnen-)Häfen zu sensibilisieren. Dies gilt insbesondere gegenüber einer regionalen, oft kritischen Öffentlichkeit, der die negativen Folgen auch für die Region durch das Wegfallen von regionalen Transportknoten häufig nicht bewusst ist. Ungenutzte Potenziale für die Häfen liegen daher vor allem im kommunikativen Bereich. Häfen sollten sich auf die Stadt einlassen - soweit dies ihre gewerbliche Zweckbestimmung nicht einschränkt. Dies kann wesentlich zur langfristigen Sicherung von (innerstädtischen) Hafenstandorten beitragen. Auch die Bewahrung des denkmalpflegerischen und baukulturellen Erbes gehört beispielsweise dazu. Bilanzieren Um schnell die sogenannten „Quick Wins“ zu identifizieren, auch ohne ein unfangreiches Managementsystem zu installieren, kann folgendes Fragenraster genutzt werden: 1. Wurden Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz der Umschlageinrichtungen, Gebäude und Transportmittel ergriffen? 2. Wurden Maßnahmen zur Reduzierung von Lärmemissionen ergriffen? 3. Wurden Maßnahmen zur Reduzierung von Lichtemissionen ergriffen? 4. Ist der Hafen bibzw. trimodal erschlossen? 5. Wie wurde gegebenenfalls mit Denkmälern auf dem Gelände umgegangen? 6. Waren zur verkehrlichen Erschließung des Hafens überdurchschnittlich hohe Eingriffe in den Naturhaushalt notwendig? 7. Wurden alle rechtlichen Rahmenbedingungen beim Betrieb und Ausbau ausreichend berücksichtigt oder gab es Probleme? 8. Ist der Hafen mit dem ÖPNV erreichbar? 9. Bestehen unbearbeitete Nutzungskonflikte am Standort? 10. Sind die Mitarbeiter in allen Strategien umfassend berücksichtigt? Je nach Hafengröße bietet es sich jedoch an, vertiefende Analysen durchzuführen. Ein erster weiterer Schritt wäre beispielsweise die Nutzung der Self Diagnosis Method (SDM) der Ecoports-Initiative (http: / / www.ecoports.com). Mit dieser speziell für Hafenmanager entwickelten Checkliste kann die Leistungsfähigkeit des eigenen Hafens im Vergleich zu anderen Häfen und bezogen auf internationale Standards ermittelt werden. Dadurch können mögliche Handlungsfelder schnell identifziert werden. Eine wirklich transparente Entscheidungssituation liefert allerdings erst eine ökologische Bilanzierung der unternehmerischen Aktivitäten, beispielsweise nach ISO 14 001 ff. Die Differenzierungstiefe der Bilanzierung bestimmt in der Regel auch, welche substanziellen Wirkungen der umgesetzten Maßnahmen nachgewiesen werden können (ex-post-Analyse). Nur so ist letztlich ein nachvollziehbarer und damit glaubwürdiger Optimierungsprozess gegenüber den Stakeholdern zu belegen. Je mehr Wirkungskategorien - Treibhauseffekt, stratosphärischer Ozonabbau, Photosmog, Versauerung, Euthropierung, Toxizität, Unfallgefahr, Bodenverlust/ Landschaftsverbrauch, aber auch Ressourcenverzehr und Verlust an Biodiversität sowie Lärmimmissionen - berücksichtigt werden, desto weniger ist zu befürchten, dass mögliche Entlastungen auf der einen Seite zu Mehrbelastungen auf der anderen Seite führen. Bei der Identifizierung der Handlungsfelder und der Festlegung der die Effizienz steigernden Maßnahmen empfiehlt es sich daher, auch mögliche negative Rückkopplungen, Reboundeffekte oder sonstige, die Gesamtbilanz verschlechternde oder anderweitig beeinflussende Wirkungszusammenhänge in einem größeren Kontext Güterverkehr + Logistik 40 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 zu ermitteln und bei der Umsetzungsentscheidung zu berücksichtigen. Gestalten Das Handlungsspektrum des Hafens umfasst in erster Linie Gestaltungsansätze auf drei Ebenen: Strukturen und Technologien, Prozesse und Organisation sowie Mitarbeiter und Verhalten. Strukturen und Technologien: Viele Binnenhäfen stellen die letzten innerstädtischen Flächenreserven für gewerbliche Nutzungen dar, die logistisch erprobt und zugleich robust gegenüber entsprechenden Belastungen sind. Wenn sie als logistische Standorte in den Agglomerationen umweltfreundliche Transportketten ermöglichen sollen, vor allem im unmittelbaren Kernbereich der Städte, dann muss dies durch eine stadtverträgliche Nutzungskonzeption und ein effizientes Flächenmanagement durch die Häfen flankiert werden. Der stadtverträgliche, nachhaltige Standort mit autarken, kreislauforientierten und Energie spendenden Immobilien ist heute ein Leitbild bei der Hafenentwicklung. Im Bereich der technischen Optimierung der Aggregate haben die ersten Häfen in Zusammenarbeit mit den Herstellern große ökologisch-ökonomische Effizienzgewinne erzielen können. Beispielsweise konnte die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) Einsparungen von knapp 3000 t CO 2 pro Jahr durch den Einsatz von Rückstromgewinnung bei Containerbrücken und von bis zu 70 t CO 2 pro Jahr und Fahrzeug durch den Einsatz von dieselelektrischen statt hydrodynamischen Van-Carriern realisieren. Prozesse und Organisation: Hinsichtlich der ökoeffizienten Fahrzeugnutzungen liegen Potenziale neben der Auslastungserhöhung der Gefäße in der Fahrwegoptimierung und der Fahrpersonalschulung. Mitarbeiter und Verhalten: Zunehmend werden Unternehmen aber auch an ihrer sozialen Performance gemessen. Derzeitige Themen für die Häfen sind der Arbeitsbzw. Gesundheitsschutz sowie die Entwicklung der Beschäftigten. Dazu gehören prophylaktische Maßnahmen der Gesunderhaltung und Motivationssteigerung ebenso wie die individuelle Förderung von Beschäftigten, beispielsweise über Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie die Einbindung (Partizipation) in unternehmerische Entscheidungen und Aktivitäten. Darüber hinaus wird auch die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens außerhalb des eigentlichen Unternehmenszwecks immer stärker forciert. Dazu gehören Maßnahmen wie Unternehmensspenden, Sponsoring, zweckgebundenes Marketing, Corporate Volunteering, Aufträge an soziale Organisationen, Social Lobbying, aber auch eigene soziale Projekte, wie etwa ein Schulprojekt. Und natürlich bedeutet „effizienter Hafen“ auch, dass Gesetze und Richtlinien eingehalten werden. Unter dem Stichwort „Compliance“ wird ihre Beachtung sowie die Einhaltung von Selbstverpflichtungen der Unternehmen zusammengefasst. Evaluieren Ebenso gehört eine ex-post-Analyse der einzelnen Maßnahmen dazu. Erst sie zeigt explizit auf, welche Effizienzgewinne erzielt wurden. Zudem können so Erfolgsfaktoren sichtbar gemacht werden, um mögliche Hemmnisse anderer Umsetzungsprozesse überwinden zu können. Ausblick In Zukunft können Binnenhäfen für eine stadtverträgliche Ver- und Entsorgung (wieder) an Bedeutung gewinnen, wenn ihr Entlastungspotenzial erkannt und gesichert wird. Effiziente Logistikkonzepte sind auf verkehrlich gut erschlossene, aber auch durch Lager-, Umschlag- und Transporttätigkeiten belastbare Standorte angewiesen. So bieten die Stadthäfen gute Voraussetzungen für die Abwicklung der Logistik im Einklang mit den Anforderungen von Luftreinhaltebzw. Lärmaktionsplänen. Allerdings werden - getrieben durch die Product Carbon Footprint-Projekte - nur diejenigen (Binnen-)Häfen in künftigen Transportketten eine bedeutende Rolle spielen, die sowohl ihre eigenen Prozesse und Technologien effizient gestaltet haben als auch flexible, trimodale Transportketten anbieten können. Mindestens genauso wichtig wird aber auch die kollaborative Auseinandersetzung mit den Stakeholdern des Hafens (insbesondere Beschäftigte, Umfeld), um die sich konkurrierenden Ziele und Nutzungsansprüche in Einklang zu bringen. Handlungsfelder Ansatzpunkte Der Standort ̇ Vermeidung von Nutzungs-/ Nachbarschaftskonflikten ̇ entfernungsminimal ̇ bibzw. trimodale Erschließung für den Güterverkehr ̇ gute Anbindung an ÖPNV- und Fahrradnetz für Personenverkehr Die Immobilien Flächenmanagement ̇ gemeinsame Nutzung von Flächen ̇ mehrstöckige Immobilien Bau ̇ ressourcenschonend (auf Transport bezogen) ̇ Einsatz von recycelten oder nachhaltigen und schadstofffreien Materialien beim Bau (LCA) ̇ Denkmalschutz Wassermanagement ̇ Wasserschutz(gebiet) ̇ Wasserversorgung und -entsorgung ̇ Entwässerung Energie ̇ Heiz-/ Kühlenergie (Isolierung, Verblendung, Lüftung) ̇ Lichtenergie (Tageslicht, Energiesparlampen) ̇ Betriebsenergie (Förderer, Umschlaggerät, Lagertechnik) ̇ mehr produzieren als verbrauchen Green Office ̇ Nutzung von Tagesstatt Kunstlicht ̇ Nutzung von natürlicher statt künstlicher Belüftung ̇ Elektrogeräte ausschalten, no printing, Recyclingpapier Die Umschlageinrichtungen ̇ Reduzierung der Lärmimmissionen ̇ Reduzierung der Lichtemissionen ̇ Erhöhung der Energieeffizienz (z. B. Rückstromgewinnung, dieselelektrische Antriebe) ̇ Erhöhung der Ressourceneffizienz (gemeinsame Nutzung von Einrichtungen) Die Verkehrsinfrastrukturen ̇ Reduzierung der Folgen durch die Eingriffe in den Naturhaushalt ̇ Maßnahmen zur Entlastung der Bevölkerung von den Verkehrsfolgen („Betroffenenfälle“) Die Verkehrsmittel ̇ Alternative Energieversorgung am Standort (z. B. Landstrom) ̇ Umsetzung eines betrieblichen Mobilitätsmanagements ̇ Realisierung von flexiblen, trimodalen Transportkonzepten für den Hafenhinterlandverkehr ̇ Ballastwassermanagement Compliance ̇ Einhaltung naturschutzrechtlicher Rahmensetzungen ̇ Einhaltung immissionsschutzrechtlicher Rahmensetzungen ̇ Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher Rahmensetzungen ̇ Einhaltung sicherheitsrechtlicher Rahmensetzungen ̇ Einhaltung von Selbstverpflichtungen Güterverkehr + Logistik 41 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Achim Klukas / Alex Vastag Einfache Transportkettenplanung Modellierung trimodaler Seehafenhinterlandverkehre mit geografischen Informationssystemen Sich abzeichnende Kapazitätsengpässe im Straßen- und Schienengüterverkehr hinsichtlich Infrastruktur und Personal führen bei Unternehmen vermehrt dazu, die hohe Bedeutung der Transportkettenplanung zu erkennen. Trimodale Transportketten für den Seehafenhinterlandverkehr werden als Möglichkeit gesehen, Verkehre zu verlagern und die Kapazitäten der Schienen- und Wasserstraßeninfrastruktur effektiver zu nutzen. Gleichzeitig wird die Wettbewerbsfähigkeit dieser Transportketten häufig in Frage gestellt. Die Autoren Prof. Dr. Alex Vastag, Leiter Verkehrslogistik, und Dipl.-Logist. Achim Klukas, wiss. Mitarbeiter in der Abteilung Verkehrslogistik, FhG IML, Dortmund; alex.vastag@iml.fraunhofer.de D er Kunde sieht sich bei der Gestaltung trimodaler Transportketten mit einer Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten konfrontiert, die zu hohen Planungskomplexitäten führen. Die Einbeziehung trimodaler Transporte in die strategische Transportnetzplanung gestaltet sich aus diesem Grund oft schwierig. Motiviert durch diese Problemstellung war es das Ziel der Forschungsarbeiten im Fraunhofer IML, eine Methodik zur Gestaltung von trimodalen Transportketten und darauf aufbauend ein Tool zu entwickeln, das auf geografischen Informationssystemen (GIS) basiert sowie eine einfache und schnelle Gestaltung von Transportketten und -netzen ermöglicht. Eine rechnergestützte Modellierung soll auch Nutzern ohne Spezialkenntnisse die Planung von Verkehren unter Beachtung bestehender Infrastrukturrestriktionen erlauben und somit den Zeitaufwand reduzieren. Im Schienengüterverkehr sind dies unter anderem unterschiedliche Spurweiten und Ladegleislängen, in der Binnenschifffahrt Brückenhöhen und Abladetiefen. Diese und viele weitere Faktoren mussten bei der Entwicklung eines GIS-basierten Planungstools für trimodale Verkehre beachtet werden. GIS kamen bei der Modellierung intermodaler Transporte bereits mehrfach zum Einsatz. Eines der ersten Software-Tools, das eine grafische Analyse solcher Transportnetze realisierte, war Stan 1 . Es ermöglicht etwa die Beschreibung des zu Grunde liegenden multimodalen Netzes, das aus Knoten und Kanten besteht. Eine Weiterentwicklung war Nodus, welches eine automatische Generierung der virtuellen Verbindung beinhaltet 2 . Weitere Untersuchungen, die GIS für die Modellierung intermodaler Transporte einsetzen, stammen von Southworth und Peterson 3 sowie Standifer und Walton 4 . Zudem wurden komplexe Transportnetze im Terminet-Projekt 5 analysiert. In neuester Zeit gab es Ansätze zur Bildung von Transporten mittels GIS neben den Forschungen des Fraunhofer IML im SFB 559 6 auch im Projekt Spin-Alp 7 . Die Modellierung intermodaler Transporte kann sich entweder auf einzelne Transportrelationen beschränken oder auf komplexe Transportnetze beziehen. In beiden Fällen ist ein Vorgehen entsprechend des folgenden Transportplanungsmodells üblich 8, 9 : 1. Generierung/ Nachfrage: Abschätzung der Transportvolumen für jede Zone 2. Distribution: Quelle/ Senke-Matrix der Transportströme 3. Verkehrsträgerwahl: Entscheidung, mit welchem Verkehrsträger und Transportmittel der Transport stattfindet 4. Umlegung des Verkehrs: Umrechnung der Transportvolumina von Tonnen in Fahrten (besonders für Güterverkehrsmodelle von Bedeutung) 5. Zuordnung: Belastung der Netzwerke mit den Fahrt-Matrizen 6. Kalibirierung/ Validierung: Vergleich mit beobachteten Verkehren zur Validierung der Modellergebnisse. In Abhängigkeit von der gewählten Zielstellung bestimmen weitere Faktoren den Modellierungsansatz. Hierbei handelt es sich um den Planungshorizont, den Anwender des Modellierungsergebnisses sowie die Komplexität des Transportnetzes. 10 Neuer Ansatz Basierend auf dem skizzierten allgemeinen Ansatz zur generellen Transportplanungsstruktur wurde ein Verfahren zur Modellierung von trimodalen Transportketten und -netzen abgeleitet mit stärkerer Be- Abb. 1: Modellierungsansatz trimodaler Transportketten und -netze Quelle: FhG IML Güterverkehr + Logistik 42 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 rücksichtigung von Prozessen und Integration der verfügbaren Verkehrsinfrastruktur. Zu Beginn der Transportkettenmodellierung wird eine Aufkommensmatrix erstellt und mit Hilfe dieser Informationen verschiedene Transportkettenalternativen definiert. Informationen aus dem GIS über verfügbare Standorte und Terminals sind notwendig, um Quelle, Senke und Übergabepunkte zu definieren. Als Nächstes werden die einzelnen Prozessschritte abgeleitet. Speziell Infrastrukturrestriktionen erfordern zum Teil eine weitere Aufsplittung der Prozessschritte, wenn etwa ein Ladegleis eine Zugteilung und somit Rangiermaßnahmen erfordert. Eine Umlegung der Transportmengen auf die einzelnen Prozesselemente erfolgt danach. In Schritt fünf, der Planung der Umlaufkonzepte, werden die Transportmittel festgelegt. Hierfür werden Angaben aus dem GIS zum Beispiel über Kapazitäten, durchschnittliche Geschwindigkeiten oder Ladekapazitäten benötigt, um entsprechende Transportmittel festzulegen und einen Umlauf zu konzipieren. In diesem Konzept sind die Frequenzen und Umlaufzeiten definiert. Eine Ermittlung der Transportkosten und -zeiten je Prozessschritt folgt als Nächstes. Die Kosten werden nach den Prinzipien der ressourcenorientierten Prozesskostenrechnung berechnet. Abläufe im Unternehmen werden unabhängig in einem Prozessmodell abgebildet. Um auf die Anforderungen trimodaler Transportangebote einzugehen, erfolgt nur eine Differenzierung der Einzel- und Gemeinkosten sowie fixen und variablen Kosten. Zur Erfassung der Transportkosten werden aus dem GIS hierfür die Wegekosten je Infrastrukturabschnitt benötigt. Zuletzt folgt die Bewertung der Transportalternativen anhand von entsprechenden Kennzahlen. Ergebnis der Arbeiten ist ein Kalkulationsschema, das alle notwendigen Informationen zur Prozesskalkulation neuer Transportketten für Seehafenhinterlandverkehre und deren Bewertung über entsprechende Kennzahlen enthält. Hinterlegt sind Informationen zur Verkehrsinfrastruktur sowie zu den potenziellen Ressourcen für den Transport wie etwa Transportkapazitäten mit Investitions- und Betriebskosten. Dies ermöglicht eine schnelle rechnergestützte Kalkulation. Alle wesentlichen Kosten und Zeiten, die bei der Beförderung je nach Relation anfallen, werden berechnet. So wird die Abschätzung der Wettbewerbsfähigkeit neuer Transportangebote beschleunigt. Aufbauend auf diesem Ansatz wurden Modellrechnungen für trimodale Transportketten durchgeführt. Ziel der Untersuchung war es zu ermitteln, ab wann welche Kombination der Verkehrsträger wirtschaftlich sinnvoll ist. Als Ergebnis ist zu nennen, dass dies stark vom Aufkommen und Volumen und den sich daraus ergebenden Häufigkeiten der Abfahrten abhängt. Die Bestandskosten müssen zusätzlich bei der Transportkostenberechnung berücksichtigt werden. Hierbei wird der mittlere Warenwert je Container bei der Abwägung zwischen geringen Transportkosten und längeren Beförderungszeiten einkalkuliert. Der mit steigendem Binnenschiffsanteil aufkommende Kostenvorteil bedingt steigende Transportzeiten, die bei der Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit zu berücksichtigen sind. Die möglichen maximalen Warenwerte steigen bei trimodalen Beförderungsketten mit zunehmendem Binnenschiffanteil. Daraus lässt sich folgern, dass der Vorteil der geringeren Transportkosten gegenüber dem langsamen Transport überwiegt. 6 Aus den Ergebnissen wurde das Tool „DismodMultimodal“ entwickelt. Ziel war, unter dem Gesichtspunkt des trimodalen Transports ein Tool zu gestalten, welches eine transportkostenoptimale Standortkonfiguration ermittelt. So können geeignete Relationen für Transporte gefunden werden. Neben analytischen Kostenfunktionen kann mit marktgängigen Preisen für jede Relation kalkuliert werden. Enthalten sind zudem alle erforderlichen Infrastrukturattribute über verfügbare Infrastrukturen und Terminals. Weitere Anwendungen Das Kalkulationsschema und Dismod- Multimodal wurden in weiteren Projekten eingesetzt, das Schema unter anderem bei der Erstellung eines Logistikkonzepts für ein Steinkohlekraftwerk für die Gestaltung der Transportketten vom Seehafen zum Kraftwerk. Für die Konzipierung eines europaweiten Transportnetzwerks mit verschiedenen Produktionsstandorten wurde Dismod- Multimodal genutzt. Unter Beachtung der Infrastrukturrestriktionen wurden mögliche trimodale Transportrelationen dargestellt und eine Kostenberechnung nach Erstellung der Umlaufkonzepte durchgeführt. Die vorangegangenen Ergebnisse wurden in diesen Projekten bestätigt und nachgewiesen, dass trimodale Transportketten und -netzwerke wirtschaftlich zu realisieren sind. Das Fraunhofer IML forscht im Bereich GIS im Rahmen des Effizienzclusters LogistikRuhr des Spitzenclusterwettbewerbs des BMBF weiter. Hierbei wird ein Web 2.0-Tool geschaffen, in dem die unternehmensübergreifende Bündelung von Transportmengen ermöglicht werden soll. Nach Eingabe der Transportmengen durch das Unternehmen werden verschiedene alternative Transportketten unter Nutzung des intermodalen Verkehrs aufgezeigt. Vergleichswerte der Beförderungsketten und des Straßengütertransports enthalten Kosten, Transportdauer und CO 2 -Verbrauch. Dieses Tool soll ebenfalls für diejenigen Anwender nutzbar sein, die nicht über ein fundiertes Expertenwissen bezüglich der einzelnen Verkehrsträger verfügen. Fazit Zusammenfassend kann gesagt werden, dass durch die Nutzung von GIS-Tools schnell und einfach trimodale Transportketten aufgebaut werden können. Fehlendes Vorwissen wird durch das Tool kompensiert und dem Nutzer werden verschiedene wirtschaftlich sinnvolle Transportmöglichkeiten inklusive der Transportkapazitäten aufgezeigt. Hierdurch können vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen Alternativen zum herkömmlichen Straßengüterverkehr und somit Verlagerungsmöglichkeiten angezeigt werden. 1 Crainic, T. G.; Florian, M.: Strategic planning of freight transportation: STAN, an interactive-graphic system; Transportation research record 1283, Washington DC, 1990 2 Jourquin, B.; Beuthe, M.: Multimodal Freight Network Analyses with NODUS, a survey of several applications; Transportation planning and technology, Amsterdam, 2001 3 Southworth, F.; Peterson, B. E.: Intermodal and international freight network modeling; Transportation Research Part C 8, 2000 4 Standifer, G.; Walton, C. M.: Development of a GIS Model for Intermodal Freight; Research Report SWUTC/ 00/ 167509-1, 2000 5 Trip, J. J.; Kreutzberger, E.: Complex Bundling Networks and New Generation Terminals: a synthesis; The Netherlands TRAIL Research School, Delft University Press, 2002 6 Sonderforschungsbereich 559, Teilprojekt A13: Modellierung trimodaler Seehafenhinterlandverkehre 7 Spin-Alp: Scanning the Potential of Intermodal Transport on Alpine Corridors; ASTRA2007/ 006, 2010 8 European Commission, Directorate-General Transport: Transport Research - APAS - Transport strategic modeling; Luxembourg, Office for the Official Publications of the European communities, 1996 9 Buchholz, P.; Clausen, U.: Große Netze der Logistik - Die Ergebnisse des Sonderforschungsbereichs 559; 2009 10 Schwarz, F.: Modellierung und Analyse trimodaler Transportketten für Seehafenhinterlandverkehre; 2005 Abb. 2: Trimodale Transportalternativen für den Seehafenhinterlandverkehr 6 Quelle: FhG IML Güterverkehr + Logistik 43 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 das Ergebnis einer konsequent auf Ökonomie und Ökologie ausgerichteten Logistikstrategie des Werks Untertürkheim. Durch die konsequente Nutzung der Verkehrsträger Binnenschiff und Bahn konnten seit dem Start im Jahr 2004 auf der Straße rund 4500 Fernfahrten jährlich zu den Seehäfen nach Bremerhaven und Rotterdam vermieden werden - dies entspricht einer Reduktion um mehr als 16 000 t CO 2 . Werk setzt künftig noch stärker auf Neckar und Rhein Eine besondere Rolle kommt dem Binnenschiff als ausgewiesen umweltfreundlicheren, aber auch wirtschaftlichen und zuverlässigen Transportmittel zu. Etwa 27 % der Transporte zu den internationalen Seehäfen in Rotterdam und Antwerpen erfolgten 2009 über den Rhein mit dem Binnenschiff. Künftig wird die Bedeutung des Binnenschiffs weiter steigen, Klaus Neuer Mercedes-Benz hat Binnenschifffahrt logistisch fest eingebunden Vor gut drei Jahren war es soweit: Das Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim feierte im Mai 2007 die Fertigstellung der zweiten und letzten Baustufe seines internationalen Versandzentrums, dem Mercedes-Benz-Zentralversand. Seither werden in Untertürkheim produzierte Achsen, Motoren und Getriebe zu Kundenwerken in der ganzen Welt versandt, pro Woche mehr als 100 Container. Der Autor Klaus Neuer, Leiter Transportlogistik im Werk Untertürkheim, Daimler AG; klaus.neuer@daimler.com D er Mercedes-Benz-Zentralversand bündelt auf insgesamt 35 000 m 2 Nutzfläche alle internationalen Versandaktivitäten, die ehemals dezentral auf sieben Werkteile verteilt waren. Rund 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort sind beispielsweise mit der Entwicklung spezieller Ladungsträger für den internationalen Transport, mit der Exportzollbearbeitung sowie mit operativen Logistiktätigkeiten wie der Aggregatekonservierung, dem Um- und Verpacken sowie der Beladung und Versiegelung der Container beschäftigt. Konsequent ökonomisch und ökologisch ausgerichtet Erst wenn all diese Schritte getan sind, treten die Container ihre Reise in die ganze Welt an. Die günstige Lage des Standorts im Stuttgarter Hafen und in der Nähe des Bahnterminals ermöglichen es, auf die logistisch, wirtschaftlich und ökologisch sinnvollsten Verkehrsträger zu setzen. So verlassen heute mehr als 90 % der internationalen Ausgangsfrachten via Bahn oder Binnenschiff das Versandzentrum. Diese Tatsache ist nicht etwa dem Zufall zu verdanken, sondern da der Ausbau der 27 Schleusen zwischen Plochingen und der Neckarmündung in den Rhein bevorsteht. Dieser ist dringend notwendig, damit im Hafen Stuttgart bald auch Schiffe der auf dem Rhein verbreiteten 135 Meter-Klasse abgefertigt werden können. Diese weisen eine um 40 % höhere Frachtkapazität auf als die heute möglichen, maximal 105 m langen Einheiten. So wird das Binnenschiff seine Rolle als wettbewerbsfähiges Transportmittel weiter ausbauen und die Transporte von Aggregaten werden noch wirtschaftlicher und umweltfreundlicher erfolgen können. Das kommt der nachhaltigen Logistikstrategie des Werks Untertürkheim weiter zugute. Der Stuttgarter Hafen mit dem Versandzentrum von Mercedes-Benz Foto: Daimler AG Werk Untertürkheim Das Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim zählt zu den ältesten Werken der Daimler AG. Es blickt auf eine über hundertjährige Tradition und Geschichte zurück. Die Wurzeln der Marke Mercedes-Benz liegen in Untertürkheim. Von hier aus wurde der Mythos des Automobils geprägt und Automobilgeschichte geschrieben. Heute entwickelt und produziert die Daimler AG im Stammwerk mit rund 17 000 Mitarbeitern in sieben Werkteilen Motoren, Achsen und Getriebe für Mercedes-Benz-Pkw weltweit. Das Unternehmen ist damit der größte industrielle Arbeitgeber in der Region. Hauptabnehmer der Aggregate und Teilesätze aus Untertürkheim sind die Pkw-Werke Sindelfingen, Rastatt, Bremen, Tuscaloosa (USA) und East London (Südafrika). Das Werk beliefert im Produktionsverbund auch die Nutzfahrzeugwerke Mannheim, Düsseldorf und Vitoria (Spanien) mit Motoren und Teilesätzen für Transporter. Im Schnitt werden am Neckar Achsen, Getriebe und Motoren für eine Million Fahrzeuge im Jahr hergestellt, das entspricht einer Tagesproduktion von etwa 4500 Antriebssystemen. Wurzel von Mercedes-Benz Güterverkehr + Logistik 44 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Christian Jung Ökologische Belange neben wirtschaftlichen Vorteilen entscheidend Die Zeichen für die Geschäftsentwicklung in der deutschen Logistikwirtschaft stehen auf Erholung. Dies geht aus dem aktuellen Logistikindikator hervor, den das Institut für Weltwirtschaft (IfW) im Auftrag der Bundesvereinigung Logistik (BVL) alle drei Monate erhebt. Insbesondere bei Industrie und Handel stehen die Zeichen eindeutig auf Expansion. Deshalb rechnet das IfW damit, dass die so genannten Logistikanwender ihre Kapazitäten erweitern werden. Infolgedessen wird auch die Nachfrage nach leistungsfähigen Logistikimmobilien wieder zunehmen. Der Autor Christian Jung, Redaktion Adhoc Gesellschaft für Public Relations mbH, Gütersloh; jung@adhocpr.de Positive Zeichen für Immobilienmarkt „Die Mai-Erhebung des Logistikindikators signalisiert Vertrauen der Logistikverantwortlichen in eine nachhaltige wirtschaftliche Belebung. Alle Werte verheißen weitere Dynamik bei zunehmend gut ausgelasteten Kapazitäten“, kommentiert Prof. Raimund Klinkner, Vorstandsvorsitzender der BVL, die neueste IfW-Erhebung. „Wir gehen davon aus, dass der gesamte Logistikmarkt, insbesondere im Ruhrgebiet, weiter wächst und Verlader sowie große Transport- und Logistikdienstleister einen erhöhten Bedarf an modernen Hallenflächen an zentralen Verteilerstandorten haben werden“, sagt Christopher Garbe, Vorstand der Garbe Logistic AG, Hamburg. Beispiel Dortmund: Im Nordosten der Stadt will der Entwickler von Logistikimmobilien auf einer 450 000 m 2 großen Teilfläche der ehemaligen Westfalenhütte einen Logistikpark errichten. Dort, wo bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts Hochöfen rauchten und Stahl produziert wurde, sollen bis 2014 in insgesamt vier Bauabschnitten acht bis zu 47 000 m 2 große Hallen entstehen für die Lagerung, die Distribution und den Umschlag von Gütern. Investitionsvolumen: rund 170 Mio. EUR. Das etwa 60 Fußballfelder große Grundstück erwarb Garbe Logistic von der Duisburger ThyssenKrupp Steel AG und der Dortmunder Krupp Hoesch Stahl GmbH. Nach der ursprünglichen Planung sollten im ersten Bauabschnitt bis zum dritten Quartal dieses Jahres die ersten beiden, nebeneinander liegenden Hallen mit einer Gesamtfläche von 47 000 m 2 errichtet werden. Doch als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise belebt sich die Nachfrage nach Logistikimmobilien nur langsam wieder. „Die potenziellen Mieter warten erst einmal ab, wie sich die gesamtwirtschaftliche Lage entwickelt“, so Sönke Kewitz, Leiter Vermietung bei Garbe. Derzeit stehe er mit mehreren Interessenten in Verhandlungen, darunter große international agierende Logistikdienstleister. Unterschrieben sei allerdings noch nichts. „Ich hoffe, dass wir bis Oktober die ersten Verträge unter Dach und Fach haben. Dann können wir sofort mit dem Bau beginnen.“ Von der wieder besseren Stimmung werde auch der Logistikpark Westfalenhütte profitieren. Lage, Lage, Lage Jede Halle soll sich in kleinere, bis zu 10 000 m 2 große Einheiten teilen lassen und über eine lichte Höhe von 10 m Unterkante Binder verfügen. Die Gebäude haben ein Stützenraster von 12 x 24 m, sind beheizbar und werden mit Sprinkler- und Brandmeldeanlagen versehen. Bei der Projektentwicklung richtet sich Garbe nach den Wünschen der Mieter. „Die Kunden entscheiden, über welche zusätzlichen Ausstattungsmerkmale die Hallen verfügen sollen“, erläutert Kewitz. „Auf Wunsch bekommen sie ein All-inclusive-Paket.“ Ausschlaggebend dafür, auf der ehemaligen Westfalenhütte zu investieren, waren nach Angaben des Leiters Vermietung neben der Grundstücksgröße vor allem die verkehrsgünstige Lage - ein wesentliches Kriterium bei der Wahl eines Standorts für moderne Logistikimmobilien. Über eine eigene Anschlussstelle an die vierspurige Bundesstraße 236 ist das Gelände an das nationale Fernstraßennetz angebunden. 2 km entfernt liegt Europas größter Kanalhafen. Über den Dortmund-Ems-Kanal können Waren zwischen den deutschen und niederländischen Seehäfen sowie dem Ruhrgebiet transportiert werden. Für den Umschlag zwischen den Verkehrsträgern Wasser, Straße und Schiene steht im Hafen ein trimodales Containerterminal zur Verfügung. Darüber hinaus eröffnet ein Gleisanschluss auf dem Gelände der ehemaligen Westfalenhütte Logistikunternehmen den direkten Zugang zum Schienennetz. In weniger als 100 km Entfernung befinden sich der Köln Bonn Airport, einer der größten Frachtflughäfen Deutschlands, sowie der Flughafen Düsseldorf International. Das Luftfrachtzentrum des Dortmunder Flughafens liegt rund 10 km südöstlich des Areals. Von Dortmund aus sind innerhalb von einer halben Stunde knapp 2 Mio., innerhalb von einer Stunde 9,5 Mio. Menschen zu erreichen. So könnte der Logistikpark Westfalenhütte einmal aussehen. Quelle: Garbe Logistic AG Güterverkehr + Logistik 45 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Umweltschutz unverzichtbar Davon abgesehen, dass die Nutzung einer Industriebrache an sich schon ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist, soll der Logistikpark auch bauökologischen Belangen Rechnung tragen. Beim Bau werden nachwachsende Rohstoffe und schadstoffarme Materialien eingesetzt. Sowohl die Gebäudehülle als auch die Gebäudetechnik sollen energieeffizient arbeiten. Die Dächer beispielsweise sollen so vorgerüstet werden, dass sie sich mit Solarkollektoren zur Erzeugung von Strom und zur Aufbereitung von Warmwasser ausstatten lassen. Ob Tageslichtbänder, die für eine effiziente Beleuchtung und geringere Betriebskosten sorgen, Dachbegrünungen zur Verbesserung des Raumklimas oder die Nutzung und Rückführung von Regen- und Dachflächenwasser - auch hier gilt: Der Mieter entscheidet. Ebenso zur Nachhaltigkeit trägt bei, die Prozesse zu optimieren und bereits bei der Planung die Vermeidung von Lkw-Verkehren so weit wie möglich einzubeziehen. Dabei muss es nicht immer die große Lösung sein. „Die Summe einzelner Maßnahmen macht den Gesamteffekt aus“, weiß Kewitz. „Generell gilt: Wer heute nicht nachhaltig denkt, nutzt in zehn Jahren unwirtschaftliche, nicht zeitgemäße Immobilien und ist dann nicht mehr wettbewerbsfähig.“ Diese Einschätzung teilt Alexander Nehm, Projektleiter der Fraunhofer Arbeitsgruppe für Supply Chain Services, der sich intensiv mit Immobilien und Standortfragen beschäftigt. Der zu erwartende Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise, öffentlicher Druck und neue Kundenanforderungen, immer mehr Gesetze und Verordnungen sowie die Möglichkeit der Differenzierung im Wettbewerb führten künftig dazu, dass mehr und mehr Unternehmen auch im Bereich der Immobilien auf „grün“ umschalteten. Denn der größte Druck, grüne Logistik zu betreiben, werde vom Markt beziehungsweise dem Wettbewerb ausgelöst. Mehrwert ist mehr wert Zwar gewönnen ökologische Aspekte zunehmend an Bedeutung, in Krisenzeiten scheinen sie allerdings nicht die höchste Priorität zu haben, hat Kewitz festgestellt. Deshalb müssen moderne Logistikimmobilien weitere wesentliche Anforderungen erfüllen: Voraussetzung für die Werthaltigkeit ist nach Ansicht des Leiters Vermietung vor allem die Flexibilität und Drittverwendbarkeit des Objekts. Schon beim Bau sei darauf zu achten, dass sich die Halle später auch für eine andere industrielle Nutzung eigne und nach Auslaufen des Mietvertrags ohne Schwierigkeiten weiter vermieten lasse. „So wie sich Auftragslage, Gütermenge und Art der Waren von heute auf morgen ändern können, muss sich die Logistikimmobilie jederzeit an wechselnde Kundenanforderungen anpassen können“, so Kewitz. Das Objekt sollte sich jederzeit in kleinere Einheiten teilen lassen, die unter Umständen von mehreren Mietern genutzt werden können. Darüber hinaus sind eine möglichst trimodale Anbindung, ein uneingeschränkter Tag- und Nachtbetrieb, eine eingeschossige Hallenfläche von mindestens 10 000 m 2 , eine Gebäudehöhe von 10 m bis Unterkante Binder, eine Bodentragfähigkeit von mindestens 5 t pro m 2 und eine möglichst stützenfreie Bauweise, um unterschiedliche Lagervarianten unterbringen und die Regale nach Belieben verschieben zu können. „Das A und O ist, dass die Logistikimmobilie von Mietern und Investoren angenommen wird“, bringt es Kewitz auf den Punkt. PROGRAMM + REGISTRATION www.trolleymotion.org TrolleyMotion c/ o Kummler+Matter AG Postfach 1150, CH-8026 Zürich Tel +41 44 247 47 47 . Fax +41 44 247 47 66 verkehrsbetriebe luzern verbindet uns PATRONATSPARTNER www.trolleymotion.org ETH Zürich LITRA IEA IA-HEV VDV ATG VÖV/ UTP KTBB INTERNATIONALE KONFERENZ Neue Horizonte im Stadtverkehr Innovative E-Bus-Systeme für attraktive Städte 30. November und 1. Dezember 2010 Verkehrshaus der Schweiz Luzern (Schweiz) Vorausdenken - Mitdiskutieren - Erfahrungen austauschen - Renommierte Referenten - - Spannende Podiums-Diskussionen - - Erfolgreiche System-Lösungen - - Testfahrten mit modernsten Elektrobussen - - Das vorweihnachtliche Luzern erleben - Infrastruktur + Verkehrspolitik 46 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Abb. 1: Südportal des Gotthard-Basistunnels bei Bodio Gregor Saladin Neat ist der Schlüssel der Schweizer Verkehrsverlagerungspolitik Im Oktober 2010 ist es soweit: im Gotthardmassiv werden sich die Mineure beider Seiten die Hände reichen können. Dann wird der mit 57 km längste Bahntunnel der Welt vollständig durchbrochen sein. In der Weströhre beim Südportal des Gotthard- Basistunnels hat bereits der Einbau der Bahntechnik begonnen, vorerst auf einer 16 km langen Strecke. Ab 2013 finden hier Testfahrten mit Geschwindigkeiten von bis zu 230 km/ h statt. Der Autor Gregor Saladin, Sektionschef Information und Informatik, Bundesamt für Verkehr BAV, Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, CH-3063 Ittigen; gregor.saladin@bav.admin.ch D as Jahrhundertbauwerk markiert einen Meilenstein in der Mobilität der Menschen in Europa. Mit dem Gotthard-Basistunnel ab 2017 und der neuen Flachbahn durch die Alpen, die voraussichtlich von 2019 an auf der gesamten Achse verkehren wird, werden Menschen und Güter bei der Querung der Alpen weder Steigungen noch Kehrtunnel in Kauf nehmen müssen. Dies bedeutet in erster Linie großen Zeitgewinn und eine Erhöhung der Kapazitäten. Dies wiederum ist die Voraussetzung für eine Verbesserung der Lebensqualität jener Menschen, die entlang des Alpenkorridors heute noch tagtäglich Lärm und Abgasen von Tausenden von Lkw ausgesetzt sind. Die Schweiz finanziert als wichtiges Transitland die Neat-Großprojekte allein, also ohne EU-Hilfe. Insgesamt werden rund 20 Mrd. EUR in die Erneuerung der Bahninfrastruktur fließen, davon 11 Mrd. in die Neat. Um die Finanzierung der Projekte langfristig zu sichern, schuf der Bund mit Zustimmung des Volks einen rechtlich unselbstständigen Fonds mit eigener Rechnung (FinöV). Die Mittel aus Abgaben und Steuern werden über die Finanzrechnung des Bundes verbucht und im gleichen Jahr in den Fonds eingelegt. Diese Mittel stammen aus zwei Dritteln der Erträge der LS- VA, aus der Mineralölsteuer (diese deckt 25 % der Kosten der Neat) und der Mehrwertsteuer (ein Promille). Dieser Fonds hat eine europaweit einmalige Planungs- und Realisierungssicherheit für die Infrastrukturprojekte gebracht, da die Mittel den jährlichen Budgetdiskussionen entzogen waren und sind. Rückblick Am Anfang dieser Erfolgsgeschichte steht der Wille der Politik und der Schweizer Bevölkerung: Zu Beginn der 1990er Jahre wurden dem Volk verschiedene Bahnprojekte zur Abstimmung vorlegt, die alle zum Ziel hatten, die Bahninfrastruktur, die lange Zeit zugunsten der Straßennetze vernachlässigt worden war, zu erneuern und auszubauen. Die explosionsartige Steigerung der Mobilität erforderte dringend neue Lösungen. 1992 haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger einer Vorlage mit dem Titel „Neue Eisenbahn-Alpentransversale“, kurz Neat, zugestimmt. Das Ziel der Neat ist ein massiver Ausbau der Schieneninfrastruktur: Neue Basistunnel am Gotthard, am Ceneri und am Lötschberg mit Ausbauten auf den Zufahrtsstrecken sollen dem Personen- und Güterverkehr kürzere, schnellere und leistungsfähigere Nord-Süd-Verbindungen bieten. Der Basistunnnel durch den Lötschberg konnte bereits 2007 nach einer Bauzeit von rund acht Jahren in Betrieb genommen werden. Die Strecke durch den 34,6 km langen Tunnel, der das Berner Oberland mit dem Wallis verbindet, erspart gegenüber der alten Verbindung bis zu eine Stunde Fahrzeit. Der Erfolg hat mittlerweile die kühnsten Erwartungen übertroffen: Die Nachfrage in der Personenbeförderung hat seit der Eröffnung um 30 % zugenommen. Mit dem 15,4 km langen Ceneri-Basistunnel im Tessin, dem kleinen Bruder des Gotthard-Basistunnels, schließlich wird die alpenquerende Flachbahn auf der Gotthardachse komplettiert. Er wird voraussichtlich im Jahr 2019 in Betrieb genommen werden können. Alpeninitiative Zentrales Anliegen dieser Großprojekte ist, dass sich mit den damit verbundenen Kapazitätssteigerungen ein großer Teil des alpenquerenden Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene verlagern lässt. Das Schweizer Volk hat hier ehrgeizige Ziele gesteckt: In der Alpeninitiative von 1994, die damals zur Überraschung vieler vom Stimmvolk angenommen worden war, wird gefordert, dass sich der Schwerverkehr durch die Alpen halbieren soll - von jährlich 1,4 Mio. Lkw im Jahr 2000 auf 650 000 im Jahr 2009. Folgende Maßnahmen wurden ergriffen, um die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Bahn zu fördern: ̇ LSVA: Die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) wird seit Anfang 2001 von allen Lkw, welche das Schweizer Straßennetz benutzen, als distanz-, gewichts- und emissionsabhängige Abgabe erhoben. Damit wird der Güter- Infrastruktur + Verkehrspolitik 47 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 das Jahr 2019 - zwei Jahre nach Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels. Alpentransitbörse Damit gilt die Neat als die wesentliche technische Voraussetzung für eine erfolgreiche Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Allerdings müssen weitere Anreize und lenkende Maßnahmen ergriffen werden, um europäische Transporteure zu einem Umstieg auf die Schiene zu bewegen. Die Alpeninitiative brachte das Instrument „Alpentransitbörse“ mit zwei Varianten in die Diskussion ein: die Variante „Cap and Trade“ behandelt die Lkw-Fahrten über die Alpen als mengenmäßig zu beschränkendes Gut; die Beschränkung kann sich dabei entweder auf die Anzahl der Fahrten oder auf die Emissionsmenge beziehen. Eine fixe Anzahl Durchfahrtsrechte wird entweder kostenlos verteilt, zu einem festen Preis verkauft oder versteigert. Die Variante „Slotmanagement“ ist ein freiwilliges System mit handelbaren Reservationsrechten. Es berechtigt zu einer Durchfahrt in einem bestimmten Zeitfenster (slot). Beide Kammern des Schweizer Parlaments befürworten mittlerweile die Schaffung einer Alpentransitbörse. Eine solche soll jedoch in den Augen der Schweiz nur koordiniert mit den anderen Alpenländern und in Absprache mit der EU eingerichtet werden. ̇ Förderung des Kombinierten Verkehrs (durch Investitionsbeiträge etc.) ̇ Stärkung des Wettbewerbs im Rahmen der Bahnreformen. Bald wurde klar, dass das ehrgeizige Verlagerungsziel innerhalb der im Gesetz festgelegten Frist bis 2009 nicht erreicht werden konnte. So haben Bundesrat und Parlament eine neue Frist festgelegt, nämlich Abb. 2: Ausbruchsicherung mittels Bergbautechnik: Stahleinbauversuch in Sedrun transport durch die Schweiz auf der Straße verteuert. Gleichzeitig werden die Einnahmen für den Ausbau des Schienenverkehrs genutzt. Diese Maßnahme zeigte schon bald Wirkung: Der Lkw- Verkehr stieg deutlich weniger stark an als prognostiziert. Zudem investierten die Transporteure vermehrt in emissionsärmere Fahrzeuge. Gotthard-Basistunnel Am 15. Oktober 2010 soll der erste Hauptdurchschlag im Gotthard-Basistunnel erfolgt sein. Von den insgesamt 152 km Tunnel, Schächten und Stollen, die den Ceneri-Basistunnel als südlichen Zubringer einbeziehen, sind 96 %ausgebrochen. Die Eröffnung des 57 km langen, eigentlichen Gotthardtunnels ist für Dezember 2017 geplant, die des 15,4 km langen Ceneritunnels 2020. Wenn Ende 2017 der Gotthard-Basistunnel wie geplant den Betrieb aufnimmt, soll der alpenquerende Schienengüterverkehr deutlich zulegen. Rund 220 bis 260 Güterzüge pro Tag sollen dann durch den neuen Gotthardtunnel rollen. Das würde den Anteil des Kombinierten Verkehrs am gesamten Güterverkehr in der Schweiz von heute 60 auf 75 % anheben. Doch bald wurde deutlich, dass dieses ambitionierte Ziel der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene innerhalb der zunächst festgelegten Frist bis 2009 nicht erreicht werden konnten. So ist beispielsweise das italienische Schienennetz überhaupt nicht für die neuen Verkehre ausgebaut. Ausbaupläne liegen zwar vor, sind jedoch häufig nicht über die erste Planungsphase hinaus konkretisiert. Die neue Frist wurde daher auf das Jahr 2019 festgelegt - also zwei Jahre nach Inbetriebnahme des Gotthardtunnels. BG Längster Tunnel der Welt Infrastruktur + Verkehrspolitik 48 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Jürgen Berlitz / Wolfgang Kugele Alltagsproblem Stau Handlungsoptionen zur Verbesserung der Bundesfernstraßeninfrastruktur Stau ist ein Alltagsproblem für Millionen von Autofahrern in Deutschland. In den letzten Jahren ist ein immenser Investitionsrückstand bei den Bundesfernstraßen aufgelaufen. Rund 40 % der Bundesstraßen sowie eine große Zahl der rechten Fahrstreifen auf den Autobahnen sind in einem schlechten Zustand, viele der 38 400 Brücken des Bundes müssen dringend saniert werden. Beim Autobahnausbau konnte bis Ende 2009 nur etwa ein Viertel der im Bedarfsplan enthaltenen Maßnahmen realisiert werden. [1] Die Autoren Ass. jur./ Betriebswirt Wolfgang Kugele, Dipl.-Ing. Jürgen Berlitz, Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V., München, juergen.berlitz@adac.de 1 Stausituation auf deutschen Autobahnen In den Jahren 2008 und 2009 wurden knapp 130 000 bzw. 140 000 Stauereignisse pro Jahr auf Autobahnen gemeldet. Dies belegt die Auswertung der ADAC-Staudatenbank. Pro Tag staute sich der Verkehr auf Autobahnen im Durchschnitt auf etwa 1000 km Länge. Die gemeldeten Staulängen summierten sich zu einer Gesamtlänge von etwa 375 000 bzw. 350 000 km. Dies entspricht einem Stau, der knapp zehnmal um den Erdball reicht. Der Monat mit den meisten gemeldeten Verkehrsbehinderungen war jeweils der Oktober mit ca. 14 000 Staus und einer Gesamtstaulänge von rd. 40 000 km. Im Vergleich dazu war der stauärmste Monat der Januar mit rund 7500 Staus mit einer Gesamtlänge von etwa 22 000 km. Als staureichster Tag hat sich der Freitag herausgestellt mit im Schnitt 490 Staus, die insgesamt etwa 1500 km lang sind, als stauärmster der Sonntag mit durchschnittlich etwa 140 Staumeldungen und einer Gesamtstaulänge von 450 km. Die Top 3 bei den Staukilometern waren die Bundesländer Nordrhein-Westfalen (36 %), Bayern (17 %) und Baden-Württemberg (12 %). Nimmt man Hessen und Niedersachsen hinzu, stammen gut 80 % aller Staukilometer aus diesen fünf Flächenländern, weitere rund 5 % aus Berlin. Auf die fünf neuen Bundesländer entfielen lediglich 5 % der Staus. Bezogen auf das vorhandene Autobahnnetz werden pro km Autobahn die meisten Staus in Berlin gemeldet, in Mecklenburg-Vorpommern die wenigsten. Anhand der ADAC-Staudatenbank wurden 20 stauauffällige Autobahnabschnitte ermittelt. Von diesen Abschnitten mit einer Gesamtlänge von knapp 1500 km (etwa 12 % des deutschen Autobahnnetzes) stammen etwa die Hälfte aller gemeldeten Staus bzw. Staukilometer. 2 Erheblicher Ausbaubedarf Es ist offensichtlich, dass die Fernstraßeninfrastruktur aufgrund der zahlreichen Kapazitätsengpässe ihren Anforderungen nicht mehr gerecht wird. So klafft bereits heute bei der Umsetzung des derzeitigen Bedarfsplans (Zeitraum 2001− 2015) eine deutliche Lücke. Beim Autobahn-Ausbau - also im Bereich der wichtigen Engpassbeseitigung - wurde bis Ende 2009 nur rund ein Viertel der vordringlich eingestuften Maßnahmen umgesetzt. Nach allen seriösen mittelbis langfristigen Prognosen wird die Verkehrsnachfrage im deutschen Autobahnnetz auch künftig weiter stark zunehmen. Bis zum Jahr 2025 ist für den motorisierten Individualverkehr ein Zuwachs von 16 %, im Straßengüterverkehr eine Zunahme von 71 % prognostiziert (Bezugsjahr 2004). 2 Ein zügiger Ausbau der überlasteten Autobahnen ist daher erforderlich, um mit der steigenden Nachfrage Schritt zu halten. Die Auswertung der ADAC-Staudatenbank untermauert diese Notwendigkeit. Der ADAC hat seine anlässlich der Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans (BVWP 2003) formulierten Ausbauforderungen im Rahmen einer Studie von Intraplan 3 für den Prognosehorizont 2015 überprüft und priorisiert. Dazu wurde die Wirkung der geforderten Ausbaumaßnahmen im Sinne einer Reduzierung von Verkehrsengpässen im anzunehmenden Autobahnnetz des Jahres 2015 untersucht. Maßgebendes Kriterium für die Prioritätensetzung war die Frage, welche Qualitätsstufe auf dem betroffenen Autobahnabschnitt angesichts des zu erwartenden Belastungsniveaus im Jahr 2015 ohne Ausbau erzielt würde. Je schlechter die zu erwartende Verkehrsqualität auf einem Autobahnabschnitt ist, desto dringlicher ist die Ausbaumaßnahme und umso höher damit die Priorität des Projekts. Ergebnis der Studie war, dass zusätzlich zu den voraussichtlich bis 2015 realisierten Ausbaumaßnahmen über 1000 Autobahnkilometer dringend zeitnah ausgebaut werden müssen, um die für 2015 prognostizierten Verkehrsmengen abwickeln zu können. Darüber hinaus sind weitere etwa 650 km hoch belastete Autobahn auszubauen. Neben dem Ausbau vorhandener Autobahnen besteht die Notwendigkeit einer Erweiterung des Autobahnnetzes mit zum Teil hoher Priorität. Zur Ertüchtigung überlasteter Autobahnen, kann der Einsatz von Verkehrsbeeinflussungsanlagen mit temporärer Seitenstreifenfreigabe einen wirkungsvollen Beitrag zur vergleichweise kurzfristigen Kapazitätserhöhung leisten. Um Staus infolge von Baustellen und Unfällen zu reduzieren, sind das Baustellensowie das Störfallmanagement im Hinblick auf die verkehrlichen Aspekte zu verbessern. 3 Prioritätensetzung bei Maßnahmen im Bundesfernstraßennetz Ein maßgebendes Qualitätskriterium für die Straßeninfrastruktur ist die Verkehrsqualität. Diese kann gemäß dem Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS) ermittelt werden. Im Vordergrund steht dabei die Leistungsfähigkeit bzw. Zuverlässigkeit. Die Eingangsdaten zur Ermittlung dieser Qualitätskenngröße sind vorhanden, werden bislang aber nicht systematisch zur verkehrlichen Bewertung und zur Festlegung von Prioritäten herangezogen. Engpässe stellen jedoch eine Entwertung der übrigen Infrastrukturteile dar. Zur Prioritätenreihung sowie für die bedarfsgerechte Finanzierung von Maßnahmen im Bundesfernstraßennetz muss deshalb künftig die Verkehrsqualität bzw. die Wirkung der Projekte im Sinne einer Reduzierung von Verkehrsengpässen als ein wesentliches Beurteilungskriterium herangezogen werden. 4 Problem der Finanzierung nach „Kassenlage“ Eine Hauptursache für die zunehmenden Defizite bei der Straßeninfrastruktur ist die zu geringe und unstetige Finanzierung. Auch wenn durch die Bedarfsplanung eine Festlegung von Projekten erfolgt, ist damit aber weder die Finanzierung noch der Realisierungszeitraum dieser Vorhaben gesichert. Gemäß § 2 FStrAbG erfolgt der Ausbau „nach Maßgabe der (jährlich schwankenden) zur Verfügung stehenden Mittel“. Auch die Einführung der Lkw-Maut führte, trotz gestiegener Einnahmen, bislang zu keiner signifikanten Steigerung der investiven Mittel, da die Mauteinnahmen regelmäßig bei der Straße nur Haushalts- Infrastruktur + Verkehrspolitik 49 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Tab. 1: Ausgesuchte Wegekostendeckungsgrade 1 des Straßenverkehrs 2007 (Grenzkostenallokation nach Ergebnissen des AASHO-Road-Tests) - in Prozent - Straßen insgesamt Bundesautobahnen Bundesstraßen Bundesfernstraßen insgesamt Inländische Kraftfahrzeuge 163 316 208 267 Personenkraftwagen 2 208 421 280 347 Nutzfahrzeuge des Güterverkehrs 3 99 233 91 184 Ausländische Kraftfahrzeuge 58 157 46 129 Personenkraftwagen 2 89 195 138 172 Nutzfahrzeuge des Güterverkehrs 3 54 154 25 124 Kraftfahrzeuge insgesamt 149 282 192 244 1 Bei einer Kapitalverzinsung von 2,5 % p. a. 2 Im Solo- und Zugbetrieb; einschließlich Wohnmobile. 3 Im Solo- und Zugbetrieb; die Zuordnung zu Gewichtsklassen folgt dem zulässigen Gesamtgewicht der Fahrzeugkombination. Quelle: Berechnungen des DIW Berlin. Abb. 1: Forderungen des ADAC zum Ausbau bestehender Autobahnen im Jahr 2015 mittel ersetzten. Diese „Kannibalisierung“ setzt sich auch in der aktuellen Finanzplanung fort. Wichtige Ausbaumaßnahmen und Lückenschlüsse zur Engpassbeseitigung werden so noch lange auf sich warten lassen. Auch beim Erhalt besteht ein enormer Investitionsstau. Eine ausreichende Qualität der Bundesfernstraßen kann nur mit einer verstärkt substanzorientierten Erhaltung gesichert werden. Diese wird allerdings durch jährlich neu festzulegende Etatansätze erschwert. Nach neueren Schätzungen sind wohl 3 bis 3,5 Mrd. EUR pro Jahr für den Erhalt der Bundesfernstraßen erforderlich. 5 Verstetigung der Investitionsmittel für die Bundesfernstraßen Eine Neuordnung der Fernstraßenfinanzierung ist aus Sicht des ADAC unumgänglich, um die benötigten Mittel für die Straße langfristig und auskömmlich zu sichern. Dabei legen es die Ergebnisse der zweiten Föderalismuskommission nahe, dass eine Neukonzeption, die an der gegenwärtigen Verfassungsrechtslage - insbesondere an Art. 90 Abs. 2 GG - etwas ändern würde, zurzeit nicht gewollt ist. Eine solche Neukonzeption muss sich vielmehr an der gültigen Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeiten gem. der Art. 85 ff. ebenso orientieren wie an den haushalts- und finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 104a ff. Das ADAC-Modell „Auto finanziert Straße“ 4 sieht eine mehrjährig verlässliche Bereitstellung von Mitteln aus den spezifischen Abgaben des Kraftverkehrs für die Finanzierung der Bundesfernstraßen vor. Der Vorschlag stellt auf eine verlässliche überjährige Zweckbindung von Haushaltsmitteln auf Basis der bestehenden Steuern (v. a. der Mineralölsteuer) und Gebühren (Lkw-Maut) ab. Ziel ist eine über die jährliche Verabschiedung des Bundeshaushalts hinausgehende Selbstbindung des Haushaltsgesetzgebers. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht steht dabei einer bedarfsgerechten Verwendung der Autofahrerabgaben nicht die Erhebung als Steuer entgegen, sondern der fehlende haushaltspolitische Wille zur zweckgebundenen und bedarfsgerechten Bereitstellung dieser Mittel. Die Straßennutzer in Deutschland bezahlen jährlich bereits ein Vielfaches an spezifischen Abgaben (Mineralölsteuer, Kfz-Steuer, anteilige Mehrwertsteuer auf die Mineralölsteuer und Lkw-Autobahngebühr) an den deutschen Fiskus. Der inländische Pkw-Verkehr deckt seine Kosten auf allen Straßen zu über 200 % und auf den Autobahnen sogar zu 420 %. 5 Das Modell „Auto finanziert Straße“ wird von vier Leitgedanken getragen: ̇ Aus der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft wird eine Bundesfernstraßenfinanzierungsgesellschaft entwickelt. ̇ Die Netto-Einnahmen aus der Lkw-Maut fließen vollständig in Investitionen in die Fernstraßen. Infrastruktur + Verkehrspolitik 50 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 ̇ Die Bundesfernstraßengesellschaft erhält aus dem Bundeshaushalt einen zweckgebundenen Teil des Mineralölsteueraufkommens zugewiesen, so dass mit Lkw-Maut mindestens 7 Mrd. EUR p. a. zur Verfügung stehen. ̇ Die Mittel werden im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über mehrere Haushaltsjahre verstetigt. Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung - kurz LuFV genannt - im Eisenbahnwesen beweist eindrucksvoll, dass es möglich ist, auch im bestehenden Haushaltssystem einen festen Betrag mehrjährig für Infrastrukturinvestitionen zu sichern. Dieses Instrument sollte auch für die Bundesfernstraßenfinanzierung genutzt werden. 6 Fazit Die Auswertung der ADAC-Staudatenbank untermauert die ADAC-Forderungen zum Ausbau des bestehenden Autobahnnetzes und zur Neuordnung der Bundesfernstraßenfinanzierung. Verkehrsengpässe stellen eine Entwertung der übrigen Infrastrukturteile dar. Bei der Priorisierung der Maßnahmen muss daher künftig die Verkehrsqualität maßgeblich berücksichtigt werden und stärker im Vordergrund stehen. Eine Hauptursache für die zunehmenden Engpässe im Autobahnnetz ist dabei die zu geringe und unstetige Finanzierung durch den Bund. Die Unterfinanzierung führt zudem zu wachsendem Substanzverzehr im Autobahnnetz. Die Finanzierungsmittel für Investitionen in die Bundesfernstraßeninfrastruktur müssen daher deutlich auf 7 Mrd. EUR pro Jahr aufgestockt werden. Mehrjahresverträge - wie Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen - können zur Überwindung von Defiziten in der Bundesfernstraßenplanung und -finanzierung herangezogen werden, indem sie eine langfristige Finanzierungs- und Planungsperspektive eröffnen. 1 Vgl. BMVBS (Hrsg.), Verkehrsinvestitionsbericht 2009 2 Intraplan/ BVU, Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtung 2025, BMVBS (Hrsg.), 2007 3 Vgl. Intraplan Consult GmbH, Priorisierung der ADAC-Forderungen zum Ausbau des BAB-Netzes, in: ADAC-Studien zur Mobilität (Hrsg.), 2008 4 Vgl. ADAC e.V. (Hrsg.), Das ADAC-Modell „Auto finanziert Straße“, München 2005 5 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Wegekosten und Wegekostendeckung des Straßen- und Schienenverkehrs in Deutschland im Jahre 2007 Abb. 2: Modell „Auto finanziert Straße“ Es ist begrüßenswert, wenn ein Unternehmen seine Produkte nicht nur nach Leistungsfähigkeit und Komfort, sondern auch nach umweltrelevanten Gesichtspunkten beurteilt und anbietet. Die Möglichkeiten der modernen Messtechnik und Datenverarbeitung für die Reduzierung der Umweltbelastung in so komplexer und vielfach vernetzter Form zu nutzen, ist alle Aufmerksamkeit wert. Wer jedoch unter dem anspruchsvollen Titel „Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet“, schreibt, muss sich auch gefallen lassen, dass der Leser die Darlegungen unter ganzheitlichen Gesichtspunkten liest. Und so wundert man sich, dass Geräuschbelästigungen der Umgebung durch die Schienenfahrzeuge überhaupt nicht erwähnt werden. Die gesundheitlichen Schädigungen der Menschen durch ständige Lärmbelastung sind ausreichend untersucht und bekannt. Wenn der Hauptproduzent von Doppelstockfahrzeugen in Deutschland solche mit erschreckend lauten Scheibenbremsen in Verkehr bringt, so ist das rücksichtslos, weil die angesprochenen Doppelstockwagen im S-Bahn- und Regionalverkehr mit dichter Zugfolge die große Zahl der Anwohner tags und nachts belästigen. Wie der Kfz-Bereich deutlich macht, sind geräuschlose Scheibenbremsen der Stand der Technik. Hier wäre ein sehr wichtiges Problem forschungsmäßig und konstruktiv zu bearbeiten. Dr.-Ing. Michael Ehinger, Dresden Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen. Ganzheitlich gelesen Leserzuschrift zum Beitrag „Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet“ in: IV 4/ 2010, S. 44-45 Leserforum Industrie + Technik 51 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Stärkere Gliederung Hochgeschwindigkeitszüge einer neuen Generation, Kraftstoff sparende Loks, innovative Drehgestelle und umweltfreundliche Lösungen für alle Bereiche der Bahntechnik - vom 21. bis 24. September 2010 wird die InnoTrans wieder zur weltgrößten Innovationsplattform im Bereich Railway Technology. Allein für dieses Kernsegment der Fachmesse haben sich mehr als 1000 Aussteller aus aller Welt angemeldet, denen rund 46 000 m² zur Verfügung stehen. Neu in diesem Jahr ist eine stärkere Gliederung dieses Ausstellungsbereichs: So werden zum Beispiel in den Hallen 12 bis 17 des so genannten Funkturmrings Unternehmen der Sparten Elektrotechnik und Energie zusammengefasst. Internationale Verkehrsunternehmen mit ihren technischen Abteilungen und Ausbesserungswerken werden in Halle 18 zu finden sein. Dort stellen unter anderem die Deutsche Bahn AG, die Schweizerischen Bundesbahnen SBB, die Österreichischen Bundesbahnen ÖBB, Russian Railways und RTA Dubai aus. „Die InnoTrans ist für die DB AG eine hervorragende Plattform, um die Leistungen des Systemverbunds Bahn einem internationalen Publikum zu präsentieren“, erklärt der Technikvorstand der DB, Dr. Volker Kefer. Die Messevorbereitungen der Aussteller laufen bereits auf Hochtouren. Zahlreiche Unternehmen haben für die InnoTrans 2010 Welt-, Europa- und Deutschlandpremieren innovativer Bahntechnik angekündigt. Umweltschutz prägt Innovationen Noch stärker als 2008 präsentieren die Aussteller in diesem Jahr auf ihren Messeständen umweltfreundliche Technologien. So wird der Hersteller Bombardier Transportation verschiedene besonders umweltfreundliche Anwendungen vorstellen, die gemeinsam unter der Bezeichnung „ECO4“ laufen. Sie erstrecken sich vom Energiemanagement für Flotten bis zum innovativen Drehgestell quer durch alle Bereiche der Bahntechnik. Der Superhochgeschwindigkeitszug Zefiro 380, der ab 2012 zum Einsatz kommt, bildet einen weiteren Schwerpunkt des Messeauftritts des Unternehmens. Zudem steht der Austausch mit dem Fahrgast im Fokus von Bombardier. Neue Loks und HGV-Züge Alstom Deutschland, Anbieter von Systemen, Ausrüstungen und Dienstleistungen für den Schienenverkehrsmarkt, wird in diesem Jahr auf der InnoTrans 2010 wieder im Ausstellungssegment Railway Technology vertreten sein und seine neuesten Produkte in den Bereichen Nah- und Regionalverkehrszüge sowie Schnell- und Hochgeschwindigkeitszüge präsentieren. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Prima II-Lokomotiven für den Gütertransport und den Hochgeschwindigkeitszügen für den Intercity-Verkehr vom Typ New Pendolino. Außerdem hat Alstom seine neuesten Signaltechnik-, Dienstleistungs- und Infrastrukturlösungen im Gepäck. Die weltweit führende Messe für Schienenverkehrstechnik ist nach Angaben des Unternehmens eine ideale Plattform, um die gegenwärtigen Herausforderungen im Schienenverkehr hervorzuheben. Complete Mobility Als langjähriger Aussteller ist Siemens Mobility natürlich auch in diesem Jahr in Berlin dabei. CEO Hans-Jörg Grundmann freut sich auf die Messe: „Hier präsentieren wir unsere Produkte und Lösungen einem hochrangigen Fachpublikum, führen interessante Gespräche und machen gute Geschäfte. Mit unserem weltweit einmaligen Konzept ‚Complete Mobility’ bieten wir unseren Kunden die optimale Vernetzung unterschiedlicher Verkehrssysteme, um Menschen und Güter so sicher, effizient und umweltfreundlich wie möglich zu transportieren.“ Weitere Höhepunkte bei Siemens: der Hochgeschwindigkeitszug Velaro D, der ab Ende 2011 als neuer ICE 3 für die Deutsche Bahn AG unterwegs ist, und die Lokomotive Vectron. Das Freigelände der InnoTrans 2010 bietet rund 3500 m Gleise, auf denen die Aussteller ihre Schienenfahrzeuge präsentieren können. Siemens Mobility stellt auf der diesjährigen InnoTrans den künftigen ICE 3 vor. Die InnoTrans 2010 im Überblick Termin: 21. bis 24. September 2010 (Fachmesse) 25. bis 26. September 2010 (Publikumstage, nur Frei- und Gleisgelände) Veranstalter und Veranstaltungsort: Messe Berlin GmbH, Messedamm 22, 14055 Berlin Öffnungszeiten: 9.00 bis 18.00 Uhr (Publikumstage: 10.00 bis 18.00 Uhr) Eintrittspreise: Tagesticket: 36 EUR Dauerticket: 46 EUR Publikumstage: 2 EUR Kontakt: E-Mail: innotrans@messe-berlin.de; www.innotrans.de Medienpartner der InnoTrans 2010 Economic Mobility Unter dem Motto „Economic Mobility“ präsentiert die Vossloh AG auf der diesjährigen InnoTrans nachhaltige und zukunftsweisende Innovationen wie eine modulare Diesellok-Familie und Technologien zum präventiven Schienenschleifen mit Hoch- PowerHaul-Lokomotiven zeichnen sich durch ihren niedrigen Kraftstoffverbrauch aus. Das amerikanische Unternehmen GE Transportation nutzt die InnoTrans als Plattform, um seine Lösungen für Lokomotiven, Signaltechnik, Kommunikation und Services zu präsentieren. Im Mittelpunkt stehen dabei die Verbesserung der Sicherheit und die Steigerung der Produktivität bei gleichzeitiger Reduktion von Kraftstoffverbrauch und Emissionen. Anwendung finden diese Lösungen bereits in der neuen PowerHaul-Lokomotive. geschwindigkeit - das High Speed Grinding. „Als führender Branchentreff mit außerordentlich hoher Internationalität und Anziehungskraft ist die InnoTrans für uns ein Muss“, betont James N. Sanders, Generalbevollmächtigter der Vossloh AG. Industrie + Technik 52 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Batterien festgelegt. Demnach soll ab 2017 in allen neuen Fahrzeugtypen eine gemeinsame Lösung verbaut werden. Mit Hilfe dieser Empfehlungen soll EU-weit eine gemeinsame Infrastruktur für die künftigen Elektroverkehre entstehen. Weitere Standards sowohl für das schnelle Laden der Batterien als auch für das Laden schwerer Nutzfahrzeuge sollen in Kürze folgen. Auch die europäischen Normungsorganisationen arbeiten bereits an einheitlichen Batterie- und Sicherheitsstandards. (zp) KAIST On-Line Electric Vehicle Zwar bisher nur in einem Park in Seoul unterwegs, aber von der Technik her zukunftsweisend: Das On-Line Electric Vehicle (Olev) erhält Strom über einen elektrischen Ladestreifen, der ungefähr 5 cm unter der Straßendecke eingelassen ist. Das Fahrzeug wurde vom Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) entwickelt, wird kabellos über eine 400 m lange Strecke mittels Elektrostreifen aufgeladen und kann weitere 400 m mit voll aufgeladenem Akku zurücklegen. Insgesamt ist die Einsatzstrecke 2,2 km lang. Der spezielle Elektrostreifen erzeugt ein Magnetfeld. Die Magnetkraft wird kabellos an das Fahrzeug übertragen und in Elektrizität umgewandelt, die dann zum Antrieb des Fahrzeugs genutzt wird. Die Stadtverwaltung plant, das System in den kommunalen Busverkehr zu übernehmen, wenn es sich im Park bewährt hat. (zp) Dematic / Fraunhofer IML Zellulare Intralogistik Ein neuer Begriff könnte bald die Intralogistik beherrschen: zellular. Dann werden Schwärme von fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTF) die Lager erobern. Eine solche Einheit haben das Fraunhofer IML und der Intralogistikanbieter Dematic konzipiert. Der Multishuttle Move bewegt sich frei in der Halle und kann Transporteinheiten an beliebigen Stationen aufnehmen und absetzen. Das Fahrzeug basiert auf dem regalgebundenen Dematic Multishuttle. 17 dieser Förderer sollen etwa 2000 Behälter pro Stunde auf einem durchschnittlichen Weg von je 22 m transportieren können, hat das IML ausgerechnet. (zp) MAN Stadtbusgetriebe von zwei Herstellern Um den Wünschen der Kunden gerecht zu werden, bietet MAN bei seinen Stadtbussen die Möglichkeit, zwischen zwei Getriebeherstellern zu wählen. Grundsätzlich ist aber die gekonnte Kombination von Hard- und Software der neuen Getriebe entscheidend für Fahrfreude und Energieeffizienz. Das ZF 6-Gang-Automatikgetriebe Ecolife passt mit dem Schaltprogramm Topodyn Life beispielsweise ebenso die Es basiert auf dem im Mai 2008 vorgestellten Basic Function Controller und ermöglicht auch in Fahrzeugen ohne aufwändige Motorsteuerung und Datennetze die automatische Motorabschaltung. Dafür braucht es neben dem Start-Stopp-Steuergerät lediglich einen intelligenten Batteriesensor (IBS) sowie ein Signal von Kupplung und Getriebe, damit der Motor nur im Leerlauf abgeschaltet und nach dem Treten der Kupplung in wenigen Sekundenbruchteilen wieder gestartet wird. Für Fahrzeuge mit Komfortverbrauchern bietet Continental einen DC/ DC-Wandler an, der Spannungsabsenkungen beim Motorstart ausgleicht: Infotainmentsysteme wie Radio, Navigation oder die Instrumentierung werden so nicht beeinträchtigt. Da alle relevanten Funktionen in einem einzigen Steuergerät gebündelt sind, müssen Motor- oder Getriebesteuerung nicht verändert werden. Dies reduziert die Komplexität und beschleunigt den Serienstart. Noch in diesem Jahr soll das Gerät bei einem ersten asiatischen Fahrzeughersteller in Serie gehen. (zp) ACEA Einheitsstecker ab 2017 Die Mitglieder des Verbands der Europäischen Automobilhersteller (ACEA) haben sich auf einheitliche Standards für die Aufladetechnik von Elektrofahrzeugen geeinigt. Wie die Vereinigung mitteilte, haben die europäischen Hersteller im ersten Schritt gemeinsame Spezifikationen für die Verbindung zwischen den Elektrofahrzeugen (Pkw und leichte Nutzfahrzeuge) mit der Stromversorgung für das Laden der Bayer Kohlendioxid als Werkstoff Mittels Katalyse kann die Reaktionsträgheit von CO 2 überwunden, der Stoff chemisch gebunden und so nachhaltig als Werkstoff verwendet werden. Das haben Forscher von Bayer Materialscience, Bayer Technology Services, RWE Power sowie der RWTH Aachen und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) herausgefunden. Das Projekt, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 4,5 Mio. EUR gefördert wird, betrachtet die CO 2 -Nutzung von der Quelle (Wäsche aus dem Rauchgas von Braunkohlekraftwerken) bis zum Endprodukt, bei dem aus Polyetherpolycarbonatpolyolen Polyurethane hergestellt werden. (zp) Continental Start-Stopp-Systeme für Kleinstwagen Der Automobilzulieferer Continental macht Kraftstoffsparen mit Hilfe eines Start- Stopp-Systems jetzt auch für Kleinstwagen erschwinglich und damit für Schwellenländer wie Indien oder China interessant. Weil der Motor bei Stillstand etwa im Stau oder an der roten Ampel automatisch abschaltet und vor dem Losfahren komfortabel wieder angeschaltet wird, erwartet Continental eine Senkung des Kraftstoffverbrauchs im Stadtverkehr um bis zu 15 %. Herzstück ist das neue Motor-Start-Stopp-Steuergerät (Engine Start Stop - ESS), in dem alle relevanten Funktionen zusammengefasst sind. Behr Hella Service Die neue Visco ® -Kupplung der Behr Hella Service GmbH regelt den Lüfter jetzt elektronisch und kennfeldgesteuert. Damit trägt die Motorkühlung dazu bei, die Abgasnormen Euro 5 und 6 erfüllen zu können. Die Regelbarkeit sowie das dynamische Verhalten der Kupplung konnten erheblich verbessert werden. Bei vergleichbaren Außenabmessungen überträgt sie 40 % mehr Drehmoment. Weil der Lüfter unmittelbar mit Beginn der Bremsphase zugeschaltet wird, ist die Retarderfunktion deutlich optimiert. Entsprechend dem jeweiligen Kühlungsbedarf wird der Lüfter noch exakter als bisher aktiviert, was auch unnötige Lüftergeräusche unterbindet. Die Lüfternabe wurde optimal auf die Visco ® -Kupplung abgestimmt: Strömungsteiler und -stabilisatoren sorgen dafür, dass die anströmende Kühlerluft durch die Kühlrippen geführt und störungsfrei in die Durchströmung der Lüfterbeschaufelung eingeleitet wird. Die Folge ist eine bessere Kühlung des Silikonöls in der Kupplung und eine größere zulässige Schlupfleistung - wichtig vor allem bei den hohen Belastungen von Nutzfahrzeugen. Luftstrom durch Kühlrippen und Lüfterschaufeln Quelle: Behr Hella Service Kupplung verbessert Abgaswerte Industrie + Technik 53 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Piloten getestet wird und auf der ILA 2010 vorgestellt wurde. Weitere Informationen: www.lufthansa-leos.com (zp) Schaltpunkte stufenlos der Topografie an wie das Voith Diwa.5 mit dem Schaltprogramm SensoTop. Steigungen, Gefällestrecken oder die Beschleunigung erkennt die Software an Werten wie Zugkraft und Geschwindigkeit. Entsprechend schiebt sie die Schaltung in den optimalen Bereich - stufenlos und an jedem einzelnen Punkt der Strecke. Zusammen mit dem technisch optimierten Getriebe ist so eine Kraftstoffersparnis von bis zu 8 % gegenüber herkömmlicher Technik zu erreichen. Voith nutzt zusätzlich einen Höhensensor. (zp) Leos Flugzeugschlepper schont Umwelt 15 bis 45 Minuten langen werden Triebwerke pro Flug nur dafür genutzt, das Flugzeug am Boden zur Startbahn zu bewegen. Dabei können 700 kg Kerosin verbraucht werden. Die Lufthansa Engineering & Operational Services GmbH (Leos) entwickelt in einer internationaler Kooperation mit „TaxiBot“ einen Flugzeugschlepper, der diese Aufgabe übernimmt. Über hochempfindliche Sensoren direkt aus dem Cockpit gelenkt, spart sein Einsatz erhebliche Mengen Kraftstoff, vermindert den Triebwerkslärm und reduziert die Risiken aus Luftwirbeln am Bo- Det Norske Veritas Unter dem Namen „Quantum“ hat die Klassifikationsgesellschaft Det Norske Veritas (DNV) ein innovatives Konzept für künftige Containerschiffe vorgestellt. DNV hat die Effizienz verschiedener Schiffskörperformen und Faktoren wie maximierte Containerladung, Stabilität, Hydrodynamik und Baukosten zusammengefügt und schlägt als Ergebnis ein „wide deck design“ vor. Bei einer Gesamtlänge von 272,3 m einer Breite von 42,5 m auf Höhe der Wasserlinie und 48,8 m auf Deckhöhe ergibt sich so eine Stellplatzkapazität von 6210 TEU. Die Dienstgeschwindigkeit ist auf 21 Knoten ausgelegt, wobei ein wirtschaftlicher Betrieb auch bei Geschwindigkeiten unter 10 und über 22 Knoten möglich ist. Als Brennstoff ist verflüssigtes Erdgas (LNG) vorgesehen, das erforderliche Ballastwasser wurde minimiert und Kompositwerkstoffe in der Konstruktion verwendet. Der Antrieb basiert auf vier Dual-Fuel Gensets. Ohne zusätzliches Heckruder kommen die zwei Azimuthpods aus. Laut DNV soll das Konzept vor allem eine Debatte über Innovationen in der Containerschifffahrt anregen. (zp) Quantum - ein innovatives Konzept für die Containerschifffahrt Quelle: DNV Containerschiff der Zukunft den. Bisher wurde ein Versuchsfahrzeug gebaut, das derzeit umfangreich unter Einbeziehung von Airbus und Lufthansa- Veranstalter: In Zusammenarbeit mit: Save the Date! Jahrestagung Internationales Verkehrswesen 2010 Mobilität und Umweltschutz - Perspektiven für Deutschland und Europa Diskutieren Sie mit Entscheidern aus Politik, Industrie und Wissenschaft, wie verkehrsträgerübergreifende Lösungen für eine umweltgerechte Mobilität der Zukunft aussehen können. 17. November 2010 Maritim proArte, Berlin Weitere Informationen inden Sie in Kürze unter www.eurailpress.de! Die Bahnen Europas verbinden heute über 800 Mio. Menschen. Fortschreitende Liberalisierung, Deregulierung, vor allem aber Harmonisierung der über viele Jahrzehnte getrennten Eisenbahnräume und die Realisierung eines umweltfreundlichen Verkehrs bringen die Bahnentwicklung weiter voran. In Deutschland hat sich die Bahnindustrie zu einem dynamisch wachsenden Wirtschaftszweig entwickelt. Um diese führende Position auszubauen, investiert der Industriebereich Jahr für Jahr beträchtliche Summen in Forschung und Entwicklung. Dadurch ist die Eisenbahn längst zum hochkomplexen Hightech-Produkt geworden. Diese Spezialausgabe des Jahrbuchs zum Jubiläum „175 Jahre Eisenbahnen in Deutschland“ trägt dazu bei, mit neuen Fakten die traditionsreiche deutsche Eisenbahngeschichte nachvollziehbar zu machen und zugleich neue Anforderungen und Ziele festzulegen. 175 Jahre Eisenbahnen in Deutschland Technische Daten: ISBN 978-3-7771-0407-2, Format 210 x 300mm, 208 Seiten Preis: € 44,inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten Kontakt: DVV Media Group GmbH l Eurailpress Telefon: +49/ 40/ 2 37 14-440 · Fax +49/ 40/ 2 37 14-450 E-Mail: buch@dvvmedia.com Jubiläumsausgabe Bestellen Sie Ihr Exemplar unter www.eurailpress.de/ jdB Hier finden Sie auch eine Leseprobe. Jahrbuch des Bahnwesens Edition 2010 Standpunkt 58 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Dr. Tom Reinhold, Leiter Konzernstrategie/ Verkehrsmarkt der Deutschen Bahn AG, Berlin Mehr Verkehr auf die Schiene - eine ehrlich gemeinte Forderung? In vielen Vorträgen, Diskussionsrunden und Untersuchungen, die sich verkehrsträgerübergreifend mit der Zukunft der Mobilität beschäftigen und politische Forderungen erheben, finden sich regelmäßig einige Punkte mit breitem Konsens und einige Dissenspunkte, an denen zumeist aneinander vorbei diskutiert wird - je nach Teilnehmerkreis mehr oder weniger höflich und sachorientiert. Verkehrsträgerübergreifend sind sich fast alle in den folgenden Forderungen einig: ̇ Unternehmen benötigen generell Planungssicherheit. Dies bedeutet, dass es vor allem keine kurzfristigen Eingriffe durch den Staat geben sollte (Gesetzesänderungen, Steuern, Regulierung) und ein stabiler Mittelfluss gewährleistet wird. ̇ Es müssen ausreichend Mittel für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Bei allen Verkehrsträgern wird insgesamt ein Wachstum erwartet, bei jedem Verkehrsträger gibt es lokale oder regionale Engpässe, die beseitigt werden sollen. ̇ Der Substanzwert der Infrastruktur muss durch eine systematische und ausreichende Instandhaltung erhalten werden. ̇ In allen Verkehrsträgern gibt es weiteres Innovationspotenzial; für die Forschung und Erprobung ist eine Anschubfinanzierung erforderlich. ̇ Ein möglichst großer Teil des Verkehrswachstums soll auf die Schiene gelenkt werden. Sieht man sich die tatsächlichen politischen Entscheidungen an, scheinen schon diese Konsenspunkte eher Lippenbekenntnisse zu sein. Denn erschreckend oft ist die Verkehrsbranche von kurzfristigen politischen Aktionen betroffen (bösartig könnte man auch von Aktionismus sprechen), und ausreichende Mittel für volkswirtschaftlich sinnvolle Neu- und Ausbauvorhaben werden schon seit Jahrzehnten nicht zur Verfügung gestellt. Dissensträchtiger sind Entscheidungen, die zu einer relativen Verschiebung zwischen den Verkehrsträgern führen. Da Medien und Interessenverbände primär auf einseitige Belastungen lautstark reagieren, werden politische Statements dazu immer stärker verklausuliert und stets nur zugunsten eines Verkehrsträgers, jedoch nie zu Lasten eines anderen formuliert. Dabei steht oft derselbe Sachverhalt dahinter, denn ein singuläres „Mehr“ für den einen Verkehrsträger ist stets auch eine relative Verschlechterung für die anderen. Es stellt sich deshalb die Frage, in welcher Form eine reale Verschiebung des Modal Split wirklich gewünscht ist oder ob der Status quo nicht eine Art Grundkonsens darstellt, an dem niemand wirklich rütteln möchte, weil man nur von wachsenden, aber nicht von schrumpfenden Marktanteilen sprechen möchte. Bezeichnenderweise besteht in der Bewertung des Status quo ein tiefgreifender Dissens über die Kostendeckungsgrade der verschiedenen Verkehrsträger. Mit der Forderung, alle Verkehrsträger sollten ihre Kosten vollständig decken bzw. externe Kosten sollten internalisiert werden, verbinden die verschiedenen Interessengruppen sehr unterschiedliche Vorstellungen über die damit verbundene Be- oder Entlastung. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass weder Konsens besteht, welche bestehenden Belastungen (Steuern, Abgaben und Gebühren) einzubeziehen sind noch wie hoch die (externen) Kosten sind. Die Diskussion darüber wird sehr schnell akademisch und der Öffentlichkeit kaum vermittelbar. Kritisch sind nun vor allem politische Entscheidungen, die eine Verschiebung zu Lasten eines Verkehrsträgers bedeuten, ohne dies aber ehrlich zu benennen. Und hierbei fällt auf, dass in den vergangenen Jahren insbesondere Maßnahmen eingeleitet wurden, die das System Schiene einseitig oder stärker belasten als die anderen Verkehrsträger, und dies, obwohl sich Politiker besonders häufig die Verlagerung weiterer Verkehre auf die Schiene als Ziel setzen. Nachgerade grotesk wird es, wenn dies unter dem Deckmantel der Ökologie erfolgt. Ein Beispiel dafür ist die vollständige Auktionierung der CO 2 -Emissionsrechte. Der Luftverkehr wird hierbei weitgehend, der Straßenverkehr vollständig ausgenommen, und nur die Herstellung des für den Schienenverkehr erforderlichen Stroms wird dem Zertifikatehandel uneingeschränkt unterworfen. Dies bedeutet für das System Schiene eine einseitige Mehrbelastung um etwa 300 Mio. EUR ab 2013. Ein anderes Beispiel für eine fragwürdige Verkehrspolitik sind die Überlegungen zur Einführung lärmabhängiger Trassenpreise, wenn unter dem Deckmantel des gut gemeinten und politisch nachvollziehbaren Ziels einer Lärmminderung komplizierte Erfassungs- und Abrechnungssysteme installiert werden müssen, die mehr Geld verbrauchen, als eine Umrüstung auf leise Güterwagen kosten würde. Es wäre zu wünschen, dass die Diskussion wieder ehrlicher geführt wird. Aus den Lippenbekenntnissen, bei denen es einen scheinbar breiten Konsens gibt, müssen auch entsprechende politische Handlungen resultieren - also vor allem mehr Planungssicherheit und ein ausreichender, stabiler Mittelfluss. Und wer „mehr Verkehr auf der Schiene“ als politisches Ziel ernst nimmt, sollte sich zumindest dafür einsetzen, dass es keine einseitigen fiskalischen oder regulatorischen Belastungen des Systems Schiene gibt.
