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Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Schritt für Schritt zu mehr Nachhaltigkeit im-Verkehr Grüne Technologien POLITIK Zusammenspiel von Energie- und Verkehrswende LOGISTIK Online-Versand - Warten und Starten für-das Klima INFRASTRUKTUR Reparatur der autogerechten Stadt TECHNOLOGIE Systemtechnologien für elektrische Stadtbusse Im Interview: Arnd Stephan, TU Dresden www.internationalesverkehrswesen.de Heft 4 l November 2013 Die clevere Flottenkarte. JE T Z T NOVOFLEE T KUNDE WERDEN UND 2MAL PROFITIEREN. In unserem markenübergreifenden Verbund von Niedrigpreisnetzen mit über 2.900 Stationen in Deutschland tanken Sie in der Regel günstiger als an Tankstellen großer Mineralölkonzerne.** Zusätzlich erhalten NOVOFLEET Kunden jetzt bei jeder Fahrzeugwäsche ab 8,50 Euro brutto einen Nachlass von brutto 3 Cent/ l Otto- oder Dieselkraftstoff auf die an derselben Akzeptanzstelle vorgenommene Betankung.* *Das Angebot richtet sich ausschließlich an gewerbliche Kunden. 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WASCHEN + TANKEN UND 3 CT./ L SPAREN! * Novofleet_Tanken-Waschen_210x297_InternVerkehrsw.indd 1 11.10.13 09: 26 EdITORIAL Frank Straube Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 3 Grüne Technologien und Nachhaltiger Verkehr - Zukunftssicherung und Wirtschaftsfaktor S eit der industriellen Revolution um 1850 hat die Menschheit etwa 2000 Mrd. t CO 2 in die Umwelt ausgestoßen. Um die Klimaerwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 % nicht über 2 Grad im Jahr 2100 ansteigen zu lassen, können in diesem Jahrhundert maximal noch weitere 700 Mrd. t CO 2 ausgestoßen werden. Aktuell sind es ca. 37 Mrd. t jährlich, womit für das Jahr 2100 eine Temperaturerhöhung von durchschnittlich etwa 4-6 Grad prognostiziert wird - mit entsprechend dramatischen Wirkungen auf die ökologische und soziale Dimension der Nachhaltigkeit und mit unabschätzbaren ökonomischen Folgen. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, gegenüber dem Referenzjahr 1990 bis zum Jahr 2050 die Treibhausgasemissionen um mindestens 80 % zu senken. Der weltweite Verkehrsanteil an globalen Treibhausgasemissionen beträgt nach seriösen Berechnungen zwischen 14 und 16 %, der Frachtanteil hieran beträgt etwa 50 %. Die Herausforderungen in Verkehrssystemen sind so groß, dass wir diese Ausgabe dem Thema „grüner Technologien“ widmen. Nachhaltige Verkehrssysteme optimieren gleichzeitig die ökologischen, sozialen und ökonomischen Effekte ihrer Leistungen. Diese übergreifende Optimierung kann nur gemeinsam mit Auftraggebern, Kunden, Regierungen und weltweiten Institutionen gelingen. Voraussetzung für alle Optimierungen sind transparente Messwerte und die internationale Priorisierung. Moral und Vernunft der Menschheit alleine lösen die Thematik trotz ihrer dramatischen Konsequenzen bei weiterem „Nichtstun“ voraussichtlich nicht. Zu groß sind weltweite Unterschiede in der nationalen Wohlfahrt, den vermuteten ökonomischen und politischen Folgen und den Zweifeln an den eingangs dargestellten Prognosen. Transparenz über Effekte von Verkehrssystemen als Ausgangspunkt für sinnvolle und rasche Verbesserungen wird von Regierungen gefordert. Seit Oktober diesen Jahres müssen z.B. in Frankreich alle CO 2 -Emissionen kommerziell durchgeführter Personen- und Gütertransporte mit Start oder Ziel in Frankreich gegenüber dem Kunden ausgewiesen werden. Forschungsprojekte zeigen, dass der gemeinsame Einsatz von nachhaltigen Technologien, Kooperationen in Verkehrssystemen, Netzwerkanpassungen und Effizienzerhöhungen einen signifikanten Verbesserungsbeitrag erzielen - und gleichzeitig ein Kaufargument für Waren und Exportprodukte sind. Die Zeitschrift Internationales Verkehrswesen hat in diesem Jahr wieder Themen mit hoher Bedeutung für den Verkehrsbereich und alle Akteure aufbereitet und Impulse für die Zukunftsgestaltung über Beiträge unterschiedlicher Formate gesetzt. Allen Autorinnen und Autoren, dem Herausgeberbeirat, der DVV Media Group, der DVWG und allen Mitwirkenden an der Konzeption und Umsetzung möchte ich zum Abschluss des Jahres 2013 herzlich danken. Ich wünsche Ihnen gesegnete Weihnachten und einen guten Start in ein gesundes Neues Jahr. Ich freue mich auf Ihre inhaltlichen Anregungen und fachlichen Beiträge. Ihr Frank Straube frank.straube@tu-berlin.de Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 4 POLITIK 10 Bedarfsorientiertes Verkehrssystem Otmar Lell 14 Treibhausgasneutraler Verkehr im Jahre 2050 Kirsten Adlunger Martin Lange Martin Schmied 17 Henne oder Ei? - Versorgungsinfrastruktur für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben Moritz Bonn Götz Reichert INFRASTRUKTUR 38 Mobile Metering: Flexible und-flächendeckende Ladeinfrastruktur Knut Hechtfischer 40 Zukunftsperspektiven für den-Fährverkehr über den Fehmarnbelt Gernot Tesch 44 Reparatur der autogerechten Stadt Hartmut Topp Ralf Huber-Erler WISSENSCHAFT 48 Kapazitätsbelastung der Rheintalbahn - Zugzahlmessung mit Infrarottechnik Hansjörg Drewello Ingo Dittrich Stephan Gütle LOGISTIK 22 Warten und Starten für das Klima Matthias Schmidt Ingrid Kleinert Thomas Sauter-Servaes 24 E-Mobility - Schlüsseltechnologie zur nachhaltigen Logistik Horst Wildemann 27 Logistik - Situation und Entwicklung in Mittel- und Osteuropa Alfonz Antoni Adriana Palasan Marcin Hajdul Mirek Rumler 32 Optimierung der Instandhaltungslogistik Günther Pawellek WISSENSCHAFT 34 Aktuelle Anforderungen und Perspektiven der Leercontainerlogistik Barbara Hüttmann Mathias Lahrmann ➼ www. Sie finden „Internationales Verkehrswesen“ mit umfangreichem Archiv, aktuellen Branchen-News und Terminen unter: www.internationalesverkehrswesen.de Foto: C_Noehren/ pixelio.de Foto: Stadt Ulm Foto: Sascha Hübers/ pixelio.de Über Chancen und Versäumnisse beim System Bahn Arnd Stephan, Professor für Elektrische Bahnen, TU Dresden Seite 64 IntervIew »Wir brauchen eine europäische Verkehrswegeplanung« Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 5 InHALt November 2013 MOBILITÄT 52 City-Maut - endlich entmystifizieren Andreas Kossak 54 Multimodale Tarife für alle Stammkunden Christoph Stadter Gerd Probst Stefan Lämmer 57 Urbane Mobilität der Zukunft - Stadtplanung Hendrik Jansen Jan Garde J. Alexander Schmidt WISSENSCHAFT 60 Mobilitätsverhalten in der Schweiz Francesco Ciari Alexander Stahel TECHNOLOGIE DVWG-Nachrichten 87 Junge Leute - Abwendung vom-Auto? Barbara Hüttmann 91 dVWG-Veranstaltungen RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 21 Bericht aus Brüssel 79 Industrie + Technik 83 Medien, Veranstaltungen 92 Impressum | Termine 93 Beirat Gastkommentar Wiebke Zimmer, Stellvertretende Leiterin, Bereich Infrastruktur & Unternehmen, Öko- Institut, Berlin Seite 94 AusgAbe 1/ 2014 drehkreuze zukunftsfähig machen: Hubs, Schnittstellen, IT erscheint am 14. März 2014 66 Einsparpotential im Kühlfahrzeug durch Rekuperation Jens Liesen Thomas Dopichay 69 dreidimensionaler Siebdruck für Komponenten elektrischer Antriebsmotoren Mathias Lindner Patrick Bräuer Ralf Werner 72 ÖPNV als Vorreiter und Innovationsmotor der Elektromobilität in deutschland Christian Soffel Christine Schwärzel WISSENSCHAFT 75 Systemtechnologien für elektrische Stadtbusse - die richtige Wahl Dietmar Göhlich Alexander Kunith Sven Gräbener Foto: ETH Zürich Foto: Krone IM FOKUS Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 6 Ziel: Zukunftsfähige Luftfracht-Transportketten Die Gewährleistung einer sicheren und effizienten Abfertigung von Luftfracht ist eine große Herausforderung. Um einen umfassenden und einheitlichen Security-Ansatz zu entwickeln, wurde das Projekt „Sichere Luftfracht-Transportketten“ (Silufra) aufgesetzt. Ziel ist, Prozesse für eine effektive und effiziente Kontrolle von Luftfracht zu erarbeiten und daraus konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten. Dazu sollen die bestehenden Regularien, Überwachungsmethoden und -technologien sowie potenzielle Bedrohungsszenarien analysiert werden. Auf Basis der Analysen der gesamten Güterlogistik im Luftverkehr in Deutschland werden Verbesserungsansätze für einen sicheren Umgang mit Luftfracht erarbeitet, so dass potenzielle Schwachpunkte in der Transportkette erkannt werden und ein nachhaltiger Schutz vor Manipulationen und Angriffen ermöglicht wird. Aus den Ergebnissen wird ein Prozessmodell abgeleitet, das über eine Metaebene eine einfachere Implementierung geänderter Teilprozesse, neuer Technologien und veränderter Szenarien gewährleistet. Silufra wird von der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) koordiniert und mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ zum Themenfeld „Sicherheit im Luftverkehr“ gefördert. Das Projekt ist bis Ende Juni 2016 terminiert, das Volumen liegt bei knapp 5 Mio. EUR. Partner sind: TUHH - Institut für Flugzeug-Kabinensysteme, TUHH - Institut für Logistik und Unternehmensführung, TUHH - Institut für Lufttransportsysteme, Lufthansa Cargo, LHU - Luft-Hafen-Umschlag, HLI Hamburger Logistik Institut, Accenture, DFN-CERT Services, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Smiths Heimann, Bundespolizei - Referat 24 für Luftsicherheit, Clustertec, Hamburg Aviation und die Logistik-Initiative Hamburg e.V. (zp) Mehr Informationen unter: www.silufra.de Nachhaltigkeit: Bedeutung klar, Umsetzung nicht Die Transport- und Logistikbranche hat die Wichtigkeit einer ökologisch und sozial nachhaltigen Unternehmensführung erkannt. Umweltschutz, effiziente Ressourcennutzung, soziale Verantwortung und andere Aspekte nachhaltiger Unternehmensführung haben für die Mehrheit der Transport- und Logistikfirmen einen hohen Stellenwert. Den meisten Betrieben fehlt aber eine Strategie, die messbare Nachhaltigkeitsziele definiert, um diese betriebswirtschaftlich sinnvoll umzusetzen. Geeignete Kennzahlen, um die Wirksamkeit der Maßnahmen darzustellen und zu überprüfen, sind ebenfalls nur selten vorhanden. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers (PWC) hervor. Für die Untersuchung „Nachhaltigkeit - mit Strategie zu mehr Effizienz“ hat PWC im Frühjahr 2013 mehr als 100 Unternehmen der Branche in Deutschland befragt. Von diesen hätten 70 % die Verantwortung für Nachhaltigkeitsthemen auf der obersten Führungsebene angesiedelt. Eine schriftlich fixierte Nachhaltigkeitsstrategie gibt es bei 37 % der interviewten Firmen. Ein Drittel plant eine Einführung in den nächsten drei Jahren. Die anderen sähen aber auch in Zukunft keinen Anlass zum Handeln, so die Berater. Potenziale zur Effizienzsteigerung und zur Kundengewinnung würden demzufolge nicht genutzt. Entsprechend schlägt sich die Nachhaltigkeitsorientierung im Dienstleistungsangebot laut Studie nur schwach nieder. Der Anteil der Logistikunternehmen, die so genannte „grüne“ Produkte wie beispielsweise klimaneutrale Transporte anbieten, liegt aktuell bei 33 %, nur 3 % höher als 2009. Nur wenige Firmen planen eine Einführung bis 2016. Die Berater führen dies darauf zurück, dass die unzureichende Bereitschaft der Kunden, nachhaltige Dienstleistungen angemessen zu vergüten, und das Fehlen einheitlicher Definitionen in der Branche zu Verunsicherung geführt haben. Allerdings haben die befragten Unternehmen ihre internen Aktivitäten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren intensiviert: 94 % haben in umweltfreundliche Technik investiert wie Fahrzeuge mit geringerem Verbrauch und entsprechend weniger Emissionen. Auch die Optimierung der Routenplanung (86 %), Fahrerschulungen (78 %) und die Anpassung von Logistikimmobilien (67 %) spielen für mehr Unternehmen eine Rolle als noch vor vier Jahren. Verlierer gegenüber der Befragung von 2009 sind laut PWC Bahn und Schifffahrt. Die Verlagerung von Straßentransporten auf Schiene und Wasserweg ist nur noch für 29 % der befragten Unternehmen ein Thema. Im Jahr 2009 sahen 52 % der Firmen hier eine Option zur umweltfreundlicheren Abwicklung ihrer Transporte. Da bereits bei 59 % der Unternehmen (2009: 37 %) die Kunden bei der Angebotsabgabe nach nachhaltigen Aspekten der Dienstleistungen gefragt haben, gehen die Berater davon aus, dass der Druck von Seiten der Kunden weiter wachsen wird. Das könne die Einstellung der Befragten verändern, zu schriftlich fixierten Nachhaltigkeitsstrategien führen und die Effizienz der Firmen erhöhen. (zp) Download der Studie: http: / / www.pwc.de/ de/ transport-und-logistik/ logistikbranche-unterschaetzt-chancen-von-nachhaltigkeitsstrategien.jhtml Im Projekt werden alle Prozesse der Güterlogistik im Luftverkehr analysiert. Foto: Fraport AG Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 7 HGV-Züge: Absatz wächst künftig um 5 % pro Jahr Nach dem Neubauboom der vergangenen Jahre vor allem für China und Japan wird sich der weltweite Markt für Hochgeschwindigkeitszüge bis 2017 auf einem niedrigeren, aber nachhaltig soliden Niveau mit plus 5 % pro Jahr einpendeln. Das besagt eine neue Studie von SCI Verkehr. Der After-Sales-Markt soll mit knapp 9 % jährlich bis 2017 weiterwachsen, getragen von den vorangegangenen Bestellungen. Die Studie „Hochgeschwindigkeits- und Intercityverkehr - weltweite Marktentwicklungen“ beleuchtet auch einzelne Märkte. Weitestgehend stabil bliebe die Nachfrage aus den etablierten Märkten in Westeuropa. Zwischen den Ländern gebe es jedoch große Unterschiede: Während Großbritannien in den kommenden Jahren stark investieren werde und Frankreich sowie Deutschland auf ihre bereits getätigten Großbestellungen warteten, beständen in Spanien Überkapazitäten mit entsprechenden Folgen für den Markt für Neufahrzeuge. Der Markt für Neufahrzeuge und After-Sales-Services im Hochgeschwindigkeitsverkehr umfasst weltweit etwa 6,4 Mrd. EUR, hat SCI festgestellt. Aktuell werden rund 3200 Züge mit einer Höchstgeschwindigkeit ab 190 km/ h betrieben, wovon knapp 90 % auf die sieben größten Märkte China, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Spanien und Italien entfallen. Das Durchschnittsalter liegt bei etwa neun Jahren und ist in der jüngeren Vergangenheit durch die hohe Zahl an ausgelieferten Fahrzeugen nahezu konstant geblieben. Allerdings bestehen große regionale Unterschiede: Während in Ländern mit etabliertem Hochgeschwindigkeitsverkehr wie Frankreich und Japan bereits Einheiten ausgemustert wurden, liegt das Durchschnittsalter in den neuen Märkten wie China im niedrigen einstelligen Bereich. Einige erfolgreiche Neueinsteiger werden ebenfalls genannt: In Polen wurde der erste Pendolino-Zug ausgeliefert, Marokko wird in Kürze sein Netz in Betrieb nehmen und Saudi-Arabien hat bereits großvolumige Aufträge vergeben. In den USA hat man sich nach Jahren politischer Diskussionen und mehreren fehlgeschlagenen Vorhaben in anderen Bundesstaaten für ein 1300 Streckenkilometer umfassendes Netz in Kalifornien entschieden. In Südamerika befindet sich Brasilien im Ausschreibungsprozess, und in Russland ist mittlerweile die Entscheidung gefallen, schrittweise über 2000 Streckenkilometer für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zu bauen. Erwähnt wird auch die Türkei, wo nach ersten erfolgreichen Projekten in den kommenden Jahren mehrere tausend Kilometer Hochgeschwindigkeitsstrecke entstehen sollen. Für Ende 2013 ist zudem eine Ausschreibung über mehr als 100 Hochgeschwindigkeitszüge geplant. Der wichtigste Markt - wenn auch mit einem deutlich geringeren Marktvolumen als bisher - bleibt China. (zp) Neue Lösungen für den Partnervertrieb der SBB Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sind im Schweizer Markt sowohl in der Personenals auch in der Güterbeförderung gut positioniert und verfügen dort über einen sehr ausgeprägten Direktvertrieb mit steigendem Onlineanteil. Der Partnervertrieb konzentriert sich auf den Leistungsverkauf über Partnerbahnen, Reisebüros und Veranstalter. Er hat bisher jedoch nur im Incoming- Bereich einen signifikanten Anteil am Geschäftsvolumen erreicht. Die Partner haben über ein proprietäres Ticketing-Verfahren, das so genannte „Railticketing“, Wertpapiertickets der SBB ausgestellt. Da die Technologie dieses Verfahrens nicht mehr die modernen Vertriebsprozesse der SBB und der Partner unterstützt, hat sich SBB Personenverkehr im vergangenen Jahr entschlossen, ein Projekt zur Aktualisierung und Effizienzverbesserung aufzusetzen. Aufbauend auf einer Partnervertriebsstrategie für eine verbesserte Zusammenarbeit mit den Distributionspartnern sollte ein effizientes IT-Lösungsportfolio für die Anbindung der Vertriebspartner einschließlich wirtschaftlicher Geschäftsmodelle konzipiert werden. Der Partnervertrieb sollte künftig dort gefördert werden, wo er Mehrwert für den Endkunden liefert, etwa im Business Travel, der Bahn als Verkehrsbaustein in Städtereisen oder Pauschalreisen, der Distributionspräsenz in Incoming-Märkten oder der Beratungsleistung. Gleichzeitig war eine Kannibalisierung der Direktvertriebskanäle möglichst zu vermeiden. Um der spezifischen Aufgabenstellung des Projekts gerecht zu werden, erarbeitete ein interdisziplinäres Team aus Vertrieb und IT mit fachlicher Unterstützung und dem Methoden-Know-how der Beratungsgesellschaft Quattron Management Consulting GmbH einen Lösungsentwurf. Der Vorschlag berücksichtigt nach Angaben der Projektbeteiligten die vielfältigen Anforderungen sowohl der Vertriebspartner als auch der Endkunden und fügt sich in das künftige Vertriebssystem der SBB ein. Durch den erfolgreichen Projektabschluss werde eine wirtschaftliche Optimierung des Partnervertriebs sichergestellt. Identifizierte Handlungsbedarfe und erste Maßnahmen zur Umsetzung wurden aus dem Projekt heraus noch vor dessen Abschluss im Mai 2013 initiiert oder in eigenen Projekten gestartet. So soll die weitere Realisierung sichergestellt werden. Das neue Vertriebssystem wird voraussichtlich schrittweise im Laufe der nächsten Jahre implementiert. Das erstellte Konzept empfiehlt ein Produktportfolio, das auf eigenen technischen Lösungen basiert, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der identifizierten Partnerkategorien und -segmente abdecken. Privat- und Geschäftskunden profitieren damit laut Quattron künftig von der Einbindung des Online-Sortiments der SBB in die Mehrwertleistungen der Vertriebspartner. (zp) www.quattron.com, www.sbb.ch Regio-Doppelstockwagen der SBB im Bahnhof Romont Foto: SBB CFF FFS IM FOKUS Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 8 Fortschritte bei Power-to-Gas und Dieselersatz Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) kann einen weiteren Erfolg für seine Power-to-Gas-Technologie (P2G®-Technologie) verbuchen: Kürzlich ist es den Stuttgarter Experten gelungen, ein besonders reines Methan (99 %) in der ZSW-Power-to-Gas-Anlage zu erzeugen. Das regenerative Methan aus der Anlage ist laut Dr. Michael Specht, Leiter des ZSW-Fachgebiets Regenerative Energieträger und Verfahren, so hochwertig wie russisches Erdgas. Die Forscher haben eine Membran eingesetzt, mit der das Gas nach der Methanisierung im Reaktor aufbereitet wird. Das verbleibende Prozent setzt sich aus Wasserstoff und Kohlendioxid zusammen. Bei P2G® handelt es sich um ein Stromspeicherverfahren. Dabei wird aus überschüssigem Sonnensowie Windstrom zunächst per Elektrolyse Wasserstoff erzeugt und in einem zweiten Schritt zusammen mit Kohlendioxid methanisiert. Das so entstandene Methan bzw. synthetische Erdgas lässt sich über Monate verlustfrei im Erdgasnetz speichern, um bei Stromknappheit wieder zurück verstromt zu werden. Es kann aber auch direkt genutzt werden, etwa in Blockheizkraftwerken, in der Industrie oder als Kraftstoff für den CO 2 -neutralen Antrieb von Erdgasautos. Ebenfalls an einem Treibstoff forscht das Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC) in Mülheim an der Ruhr: Die CO 2 -Emissionen des Industriekonzerns ThyssenKrupp sollen künftig zunächst mithilfe von Wasserstoff in Methanol und dann in einen Dieselersatz-Treibstoff umgewandelt werden. Die Vorarbeiten sind laut Robert Schlögl, Direktor des MPI CEC, angelaufen, doch bis zu einer Investitionsentscheidung werde es wohl noch sieben Jahre dauern. Dann könne das Projekt im Jahr 2023 starten. Der Essener Konzern sei derzeit für 2,7 % des deutschlandweiten CO 2 -Ausstoßes verantwortlich. (zp) Weltmarkt für E-Mobile wächst Eine der wichtigsten Antriebskräfte des Weltmarkts für Elektrofahrzeuge sind in diesem Jahr die gesunkenen Anschaffungskosten. Nach Angaben der Beratung Frost & Sullivan sind die Preise für die wichtigsten Elektrofahrzeuge im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 18 % geringer - einerseits, weil die Lithium-Ionen-Batterien günstiger geworden sind, andererseits, weil die Hersteller die Umsätze erhöhen und wettbewerbsfähig werden beziehungsweise bleiben wollen. Laut einer aktuellen Studie des Unternehmens lagen die Verkaufszahlen für E-Mobile im Jahr 2012 bei 120 000 Einheiten und werden bis 2018 voraussichtlich 2,7 Mio. Einheiten erreichen. Für 2013 rechnen die Berater mit weltweiten Verkäufen von 170 000 bis 190 000 Fahrzeugen, was einer Umsatzsteigerung um mehr als 50 % im Vergleich zu den Vorjahreszahlen bedeuten würde. Die Forscher gehen zudem davon aus, dass die geplante Einführung diverser neuer Modelle bis Ende 2014 den Wettbewerb intensivieren und die Preise senken wird. Dann könnten die Mobile nicht nur für Flotten, sondern auch für private Nutzer interessant werden. Mehrere Länder haben die Steuervorteile für Käufer von Elektroautos ausgedehnt. Gleichzeitig geht die Normung der Stecker für die Ladestationen voran und einige Autohersteller erproben das induktive Laden ohne Stecker. Auch hier wird an der Normung gearbeitet. Darüber hinaus wird an der Verbesserung der Batterien geforscht, um größere Reichweiten zu erzielen. Die Studie „Weltmarkt für Elektrofahrzeuge im Jahr 2013“ (M952- 18) von Frost & Sullivan ist Bestandteil des Growth Partnership Service Program Automotive & Transportation, das außerdem Analysen zu den folgenden Bereichen umfasst: Global Electric Vehicle Forecast, Electric Vehicle Charging Infrastructure in North America, Global EV Market und Central and Eastern European Electric Vehicle Industry. Keine Aussage trifft das Unternehmen zu den Bestrebungen, bis 2020 1 Mio. Elektrofahrzeuge in Deutschland zuzulassen. Doch die aktuelle Studie „Markthochlaufszenarien für Elektrofahrzeuge“ des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI im Auftrag der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) erläutert die Komplexität der Sachlage in Deutschland. Fazit: Unter optimistischen Annahmen kann das gemeinsame Ziel der Bundesregierung und der NPE erreicht werden. Unter schwierigen Rahmenbedingungen sind 150 000 bis 200 000 Elektroautos bis zum Jahr 2020 auf deutschen Straßen möglich. Abhängig sei die Entwicklung unter anderem vom Rohöl- und dem Strompreis und damit der Wirtschaftlichkeit der Mobile im Vergleich zu konventionellen Einheiten sowie dem Fahrzeugangebot und der Akzeptanz dieser neuen Form der Mobilität. Anfang 2013 waren laut Kraftfahrt-Bundesamt 7114 E-Autos und 64 995 Hybridfahrzeuge in Deutschland zugelassen. Im Forschungsprojekt „Get eReady“ soll analysiert werden, wie sich E-Mobil-Flotten wirtschaftlich betreiben lassen. Als erster Teilnehmer wird die Wala Heilmittel GmbH Elektroautos in ihre Firmenflotte aufnehmen, bis Ende 2015 sollen es 750 Hybrid- und vollelektrische Fahrzeuge sein. Zusammen mit der Bosch Software Innovations GmbH, der Athlon Car Lease Germany GmbH & Co. KG, der Heldele GmbH Elektro-Kommunikations-Technik sowie dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) führt das Fraunhofer ISI den Feldversuch durch. (zp) Fraunhofer-Studie: www.isi.fraunhofer.de/ isi-de/ e/ projekte/ npetco_316741_plp.php Studie von Frost & Sullivan: www.automotive.frost.com Informationen zu Get eReady: www.bosch-si.de/ geteready Die P2G-Anlage am ZSW wandelt Ökostrom in Qualitätsgas mit 99 % Methan um. Foto: ZSW KURZ + KRITISCH Gerd Aberle Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 9 A uf Basis der Analysen der Daehre-Kommission hat die Bodewig-Kommission der Länderverkehrsministerkonferenz Finanzierungsvorschläge für die Verkehrsinfrastruktur unterbreitet. Positiv zu bewerten ist, dass die Ministerkonferenz eine erhebliche Aufstockung der Finanzmittel verlangt und Fondslösungen befürwortet. Stereotyp haben aber das Finanzministerium und die Haushälter des Bundestages den Fondsgedanken abgelehnt. So bleibt, was die Fondslösung betrifft, viel Hoffnung im Spiel. Einhellig fordern die Länderverkehrsminister eine Aufstockung der Bundeshaushaltsmittel um 40 Mrd. EUR für einen Zeitraum von 15-Jahren, also 2,7 Mrd. EUR p.a. Weiterhin wird eine Anhebung der Regionalisierungsmittel und ihrer Dynamisierungsrate verlangt. Von Eigenbeiträgen der Länder ist nichts zu vernehmen. Also: Einigung zulasten Dritter. So soll die LKW-Maut auf Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen Gesamtgewicht und sukzessive auf alle Bundes- und Landesstraßen ausgeweitet werden, was rund 4 Mrd. EUR Zusatzeinnahmen - so die Schätzung - erbringen könnte. Wenn allerdings die Komplexität und Kostenintensität einer solchen Umstrukturierung des satellitengestützten Erfassungssystems und die wenig erfreulichen Erfahrungen in Deutschland berücksichtigt werden, scheint auch hier vor allem Hoffnung auf einen baldigen zusätzlichen Finanzmittelsegen zu bestehen. Völlig mutlos waren die Minister ob des Lobby-Drucks und begrenzter Sachinformationen bei der PKW- und der Fernbusmaut. Eine auf Vignettenbasis erhobene PKW-Maut für die Benutzung der Bundesfernstraßen würde bei einem Vignettenpreis in Höhe von nur einer Tankfüllung Zusatzeinnahmen von rd. 3,5 Mrd. EUR p.a. erbringen, und dies bei geringen Erhebungskosten. Das Argument, hierbei würden Vielfahrer begünstigt, ist angesichts des niedrigen Preises lächerlich. Das gilt auch für die immer wieder gebrachte, aber von mangelnder Sachkenntnis zeugende These, wegen der Mineralöl- und Kraftfahrzeugsteuerzahlungen hätten die PKW und auch die Fernbusse bereits ihre Finanzierungsbeiträge hinreichend erbracht. Die LKW- Maut wurde - ausdrücklich ohne jede Berücksichtigung der von LKW gezahlten spezifischen Steuern - auf Vollabdeckung der differenziert ermittelten Wegekosten berechnet. Bei den Fernbussen, die ähnliche Gewichte wie LKW aufweisen, kommt noch hinzu, dass sie in monatlich steigender Zahl in direktem Wettbewerb zur Schiene »Völlig mutlos waren die Minister ob des Lobby-Drucks und begrenzter Sachinformationen bei der PKW- und der Fernbusmaut.« Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Verkehrsinfrastrukturfinanzierung: Viel Hoffnung, wenig Mut und hier mit Kampfpreisen fahren, während Eisenbahnen Trassennutzungspreise zahlen müssen. Europäisches Recht steht der Einführung von Mauten für Personenfahrzeuge nicht im Wege. Es bleibt rätselhaft, warum die Politik das Thema Busmaut seit Monaten verdrängt oder die fehlerhaften Argumente der Gegner übernimmt. Die verlangten 2,7 Mrd. EUR als Zusatzinvestitionsmittel aus dem Bundeshaushalt werden nicht ausreichen, den tatsächlichen Finanzierungsbedarf zu decken. Allein für die Bundesfernstraßen werden 2,0 Mrd. EUR zusätzlicher Bedarf genannt. Bei der Schiene ist eine Aufstockung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung um mindestens 1,0 Mrd. EUR jährlich erforderlich. Neu- und Ausbaumaßnahmen in der Straßen- und Schieneninfrastruktur sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Auch die Wasserstraßen, ein Stiefkind der staatlichen Investitionspolitik, benötigen etwa 500 Mio. EUR p.a. zusätzlich. Die Daehre-Kommission hatte für 15 Jahre einen jährlichen Zusatzbedarf für alle Infrastrukturkategorien bei allen Gebietskörperschaften von 7,2 Mrd. EUR errechnet - ohne Aus- und Neubau, nur um die unabdingbare Leistungsfähigkeit der Infrastrukturen zu sichern. Wie der neue Bundestag angesichts der noch völlig unbekannten, aber drohenden Belastungen aus der europäischen Finanzkrise und der ebenfalls steigenden Mittelanforderungen aus anderen Politikbereichen auf die Vorschläge der Länderverkehrsminister reagieren wird bzw. kann, ist äußerst unsicher. So bleibt es trotz aller Bemühungen letztlich wieder bei Hoffnungen. Optimismus ist nicht angebracht. POLITIK Mobile Gesellschaft Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 10 Bedarfsorientiertes Verkehrssystem Chancen für die Verbraucher, neue Wege für-die-Verkehrspolitik Die Verbraucher sehen sich mit steigenden Ausgaben für Verkehrszwecke konfrontiert. Ein großes Potential zur Kostensenkung liegt darin, Angebot und Nachfrage besser zu synchronisieren und dadurch den Personenverkehr schlanker, preisgünstiger und mit weniger Aufwand zu organisieren. Um dieses Potential zu erschließen, sollte der Dienstleistungsgedanke als neues Leitprinzip für das Verkehrssystem etabliert werden. Ziel sollte es sein, dass Mobilitätsdienstleister Verbrauchern den Zugang zu einer breiten Palette von Verkehrsmitteln eröffnen, die sie je nach Bedarf nutzen und untereinander kombinieren können. Der Autor: Otmar Lell V erkehr ist teuer. Die Deutschen verwenden derzeit etwa 14 % ihrer Konsumausgaben für Verkehrszwecke - mehr als sie für Lebensmittel ausgeben. 1 Die Konsumausgaben im Verkehrsbereich steigen, und zwar stärker als die allgemeinen Lebenshaltungskosten. Der Verkehrssektor bezieht seine Energie zu über 90 % aus Erdöl, so dass sich die steigenden Rohölpreise in steigenden Verkehrskosten niederschlagen. Mit Blick auf die wachsende weltweite Nachfrage nach Erdöl in China, Indien und anderen bevölkerungsreichen Ländern wird sich dieser Trend in Zukunft noch verstärken. Es ist auch nicht zu erwarten, dass der Verkehrssektor sich kurzfristig von seiner Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen lösen wird - die Alternativen, etwa Elektromobilität und Biokraftstoffe, sind technisch noch nicht konkurrenzfähig oder schaffen mehr Problemen als sie lösen. Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr ist oft mit Abstrichen bei der Flexibilität verbunden An sich liegt es nahe, den steigenden Verkehrskosten durch den Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Verkehr zu entgehen. Bezogen auf die Gesamtkosten ist der öffentliche Verkehr um einiges kostengünstiger als das Auto (vgl. Bild 1). Dennoch werden seit Jahren mehr als drei Viertel aller Wege mit dem Auto zurückgelegt. Und das nicht ohne Grund. Denn für viele Mobilitätsbedürfnisse insbesondere im ländlichen Raum überzeugt der öffentliche Verkehr nicht als Alternative zum Auto. Der öffentliche Verkehr wird als sperriges, wenig einladendes System empfunden, das auf die Kundenbedürfnisse nur unzureichend eingestellt ist (vgl. Bild-2). Der öffentliche Verkehr ist an feste Fahrpläne und Linien gebunden; das macht es schwer, dem Wunsch der Verbraucher nach Flexibilität Rechnung zu tragen. Im städtischen Verkehr fällt das wegen der hohen Liniendichte und Taktfrequenz weniger ins Gewicht; umgekehrt wirkt sich hier positiv aus, dass der öffentliche Verkehr die Parkplatzsuche erspart (vgl. Bild- 3). Solche Vorteile im städtischen Raum haben dazu geführt, dass der öffentliche Verkehr über die letzten Jahre seinen Anteil an den Verkehrswegen insgesamt leicht steigern konnte. Die dominierende Rolle des Autos im Personenverkehr wird dadurch aber nicht in Frage gestellt. Das Auto steht weiterhin für Flexibilität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung (vgl. Bild 4). Ein attraktives Verkehrsangebot ist den Verbrauchern einiges wert. Wenn Verbraucher nach den Kriterien für ihre Verkehrsmittelwahl gefragt werden, rangieren „geringe Kosten“ bei der Verkehrsmittelwahl erst an fünfter Stelle nach Flexibilität, Pünktlichkeit, Komfort und Verfügbarkeit. 2 dienstleistungsorientierung im Verkehrssystem als Maßnahme für bezahlbare und attraktive Mobilität Wenn sich der Kostenanstieg fortsetzt und das Verkehrssystem so bleibt wie es ist, werden allerdings immer mehr Menschen aus Kostengründen von Mobilität ausgeschlossen - und das heißt, dass sie zugleich auch vom sozialen, ökonomischen und kulturellen Leben ausgeschlossen sind. Mobilität zu erhalten und die Kosten von Mobilität zu begrenzen, ist daher aus Gründen der Soli- Bild 1: Kosten verschiedener Verkehrsträger pro Kilometer in Cent ; zu Quellen und Berechnungsmethoden vgl. die Erläuterungen am Ende des Artikels. (alle Bilder: Gert Baumbach, vzbv) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 11 darität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts eine Aufgabe für die Politik. Gefragt sind solche politischen Maßnahmen, die den Anstieg der Verkehrskosten begrenzen, ohne aber die Attraktivität des Mobilitätsangebots zu beeinträchtigen. Um das zu erreichen, sollte im Mittelpunkt des Verkehrssystems das stehen, was aus Verbrauchersicht entscheidend ist: Mobilität an sich. Im Kern geht es für Verbraucher darum, schnell, kostengünstig und angenehm vom Startzum Zielpunkt zu gelangen. Diese Forderung betrifft nicht nur die einzelnen Verkehrsmittel, sondern auch das Verkehrssystem insgesamt. Daraus ergeben sich für die Verkehrspolitik neue Prioritäten: Es geht darum, das Verkehrssystem gesamthaft zu optimieren, die herkömmliche Trennung zwischen öffentlichem Verkehr und Individualverkehr aufzulösen, die Übergänge zwischen beiden Systemen zu erleichtern, den Individualverkehr für gemeinschaftliche Nutzungsformen des Autos zu öffnen und den öffentlichen Verkehr näher an die Wünsche der Verbraucher nach Flexibilität und Individualität heranzuführen. Kostensenkend wirkt sich dieser Ansatz insofern aus, als Angebot und Nachfrage besser synchronisiert werden und die Verkehrsmittel damit besser ausgelastet werden. Der Dienstleistungsgedanke wird auf diese Weise zu einem neuen Leitprinzip für das Verkehrssystem. Denn Dienstleistungen eröffnen den Verbrauchern die Möglichkeit, verschiedene Verkehrsmittel entsprechend ihren Bedürfnissen zu nutzen und untereinander zu kombinieren. Dadurch wird der Wunsch der Verbraucher nach Flexibilität aufgegriffen und vom einzelnen Verkehrsmittel auf das gesamte Verkehrssystem erweitert. Das heißt: Das Auto mag zwar generell das flexibelste Verkehrsmittel sein; noch flexibler ist aber, wer Auto, öffentlichen Verkehr und Fahrrad situationsbezogen kombiniert. Neue Angebotsformen im Zwischenfeld zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr In Ansätzen wird die Idee eines dienstleistungsorientierten, vernetzten Verkehrssystems heute schon greifbar in neuen Angebotsformen zwischen öffentlichem Verkehr und Individualverkehr (vgl. Bild 5). Der Autoverkehr löst sich vom Autobesitz; gemeinschaftliche Nutzungsformen von Autos wie Carsharing, nachbarschaftliches Autoteilen und Fahrgemeinschaften bringen in den Autoverkehr zunehmend Elemente des öffentlichen Verkehrs ein. Das eröffnet erhebliche Einsparmöglichkeiten, weil Anschaffungskosten und Betriebskosten auf eine größere Zahl von Nutzern verteilt werden. Das Potential für eine solche Intensivierung der Autonutzung ist groß: Derzeit ist bei zwei von drei Autofahrten der Fahrer der einzige Insasse eines Autos 3 , und 23 Stunden pro Tag stehen Autos im Durchschnitt ungenutzt auf der Straße oder in der Garage. 4 Das ist nicht neu; die Nachfrage nach Bild 2: Hemmnisse bei der Nutzung des öffentlichen Verkehrs; repräsentative Umfrage durch Prognos im Auftrag des vzbv, 2009 Bild 3: Anreize zur Nutzung des öffentlichen Verkehrs, Repräsentative Umfrage durch Prognos im Auftrag des vzbv, 2009 Bild 4: „Was gefällt Ihnen am Autofahren? “ Repräsentative Umfrage durch Prognos im Auftrag des vzbv, 2009 POLITIK Mobile Gesellschaft Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 12 gemeinschaftlichen Nutzungsformen des Autos steigt aber, seit die Informationstechnologie die Barrieren zur Nutzung dieser Angebote gesenkt hat. Umgekehrt bewegt sich der öffentliche Verkehr auf den Individualverkehr zu: In nachfrageschwachen Regionen und Tageszeiten werden Fahrplan- und Linienbindung zunehmend gelockert; mit Anrufsammeltaxis und Rufbussen entstehen neue Angebotsformen, die vom individuellen Bedarf gesteuert sind. Potential und Realität liegen noch-weit auseinander Im Verkehrsalltag spielen diese neuen Angebotsformen bislang nur eine untergeordnete Rolle. Carsharing beispielsweise wächst zwar schnell, aber verglichen mit insgesamt 43 Mio. Autos in Deutschland 5 sind knapp 12 000 Carsharing-Autos 6 immer noch marginal. Erst wenn der Gedanke der Dienstleistungsorientierung systembestimmend wird, kann er sein ganzes Potential entfalten: Wenn ein großer Teil der Verbraucher Autos gemeinschaftlich nutzt, dann entkoppelt sich die über das Auto vermittelte Mobilität von der Zahl der Fahrzeuge. Der Individualverkehr kann schlanker, preisgünstiger und mit weniger Aufwand organisiert werden. Zugleich wird der öffentliche Verkehr stärker nachgefragt, weil er besser in das gesamte Verkehrssystem integriert ist und weil weniger Menschen das Auto automatisch für alle Wege nutzen. In der Folge werden die Städte vom Verkehrsdruck entlastet und der durch den Verkehr erzeugte CO 2 -Ausstoß geht zurück. Um solche Effekte zu erzielen, ist allerdings mehr erforderlich als das Angebot an Carsharing-Autos und Anrufsammeltaxis auszuweiten. Die innovativen Mobilitätsangebote sind letztlich Vorboten für den Gedanken eines bedarfsorientierten Verkehrssystems, der aber wesentlich breiter ist. Konkrete Schritte zu einem bedarfsorientierten Verkehrssystem Was dieser Gedanke konkret umfasst und woran es heute noch fehlt, wird deutlich, wenn man sich die einzelnen Schritte vor Augen hält, die erforderlich sind, wenn man von A nach B gelangen will: • Zunächst braucht man einen Überblick über die verschiedenen Verkehrsmittel, die für die beabsichtigte Strecke in Betracht kommen, mit Angaben zu Reisezeiten, Preis, Geschwindigkeit und ggf. weiteren Details. Gegenwärtig werden bereits unternehmensübergreifende Mobilitätsplattformen aufgebaut, die eben dies leisten sollen. Bislang stoßen diese Plattformen aber an Grenzen, weil die erforderlichen Daten nicht allgemein zugänglich sind. Um das zu ändern, sollten Verkehrsunternehmen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, verpflichtet werden, Fahrplan- und Tarifinformationen in einem einheitlichen Datenformat offenzulegen. • Wenn man sich für eine Verbindung entschieden hat, ist in der Regel eine Buchung oder ein Fahrschein erforderlich, um Zugang zu dem betreffenden Verkehrsmittel zu bekommen. Gerade wenn die Verbindung mehrere Verkehrsmittel umfasst, ist das heute oft beschwerlich. Undurchsichtige Tarife und komplizierte Fahrscheinautomaten sind erhebliche Hürden bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Diese Hürden sollten durch eine Standardisierung und Vereinfachung der Tarife und Fahrscheinautomaten abgebaut werden. Zudem sollten verkehrsträgerübergreifende Buchungsverfahren entwickelt werden. Ähnlich wie beim Roaming im Mobilfunk könnten Verbraucher einen Mobilitätsprovider haben, der ihnen Zugang zu allen Mobilitätsangeboten eröffnet, die dann über eine einheitliche Rechnung abgerechnet werden. • Wenn das Verkehrsmittel gewechselt wird, muss der Übergang zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln auch rein physisch frei sein von Barrieren. An den Haltepunkten des öffentlichen Verkehrs sollten ausreichend Parkplätze und Fahrradabstellplätze vorhanden sein, Aufzüge und Rampen sollten den Übergang erleichtern, öffentliche Verkehrsmittel sollten für die Mitnahme von Fahrrädern ausgerüstet sein. Außerdem sollten die unterschiedlichen öffentlichen Verkehrsmittel untereinander gut verknüpft sein. Die Taktung der Umsteigerelationen ist oft wichtiger als die Reisegeschwindigkeit in einem Verkehrsmittel. Das heißt, dass der Fahrplan mit den gewünschten Umsteigerelationen Ausgangspunkt für die Infrastrukturplanung ist und nicht umgekehrt. Hohes Niveau im Verbraucherschutz Damit Dienstleistungsangebote im Verkehrsbereich bei den Verbrauchern auf Akzeptanz stoßen, ist ferner bei allen solchen Angeboten ein hohes Niveau beim Verbraucherschutz erforderlich. • Mit Blick auf unternehmensübergreifende Buchungs- und Abrechnungsverfahren müssen Verfahren zu einer sparsamen Erhebung personenbezogener Daten und zur Verhinderung von Datenmissbrauch entwickelt werden. • Nachbarschaftliches Autoteilen und Mitfahrgelegenheiten werfen Fragen nach der Zuverlässigkeit der Angebote und nach der Verlässlichkeit des Fahrzeugführers auf. Um Vertrauen zu schaffen, machen die entsprechenden Internetdienste von Bewertungssystemen Gebrauch; diese werfen aber neue Fragen mit Blick auf Datenschutz und Verlässlichkeit der Bewertungsverfahren auf. • Nicht zuletzt gilt es auch, bei den klassischen Angeboten des liniengebundenen öffentlichen Verkehrs für ein hohes Maß an Kundenorientierung zu sorgen. Das versteht sich nicht von selbst, weil der öffentliche Verkehr seine Einnahmen großenteils aus öffentlichen Mitteln bezieht. Das führt dazu, dass sich die Branche eher an den Wünschen der öffentlichen Geldgeber orientiert als am Bedarf der Fahrgäste. Korrigierend können hier intelligente Anreizsysteme bei der öffentlichen Finanzierung wirken sowie vergleichende Dienstleistungstests nach dem Vorbild des britischen „Rail Passenger Survey“. 7 Bedarfsorientiertes Verkehrssystem - eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe Bedarfsorientierung im Verkehrssystem zu etablieren, ist nicht nur eine politische Aufgabe, sondern ganz wesentlich auch eine unternehmerische. Denn nur der Markt kann die Angebote hervorbringen, die auf die Wünsche und Bedürfnisse der Verbraucher eingehen. Damit das gelingt, müssen Automobilindustrie, öffentlicher Verkehr und Informationstechnologie, die bisher wenig Berührungspunkte hatten, Kooperationsbeziehungen eingehen und gemeinsam tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln. Die Politik kann diesem Prozess einen Rahmen bieten, sie kann Anreize bei der finanziellen Förderung des öffentlichen Verkehrs setzen, und sie kann ein spezifisches Förderprogramm für Pilotprojekte im Bereich Bild 5: Vernetzte Mobilität als integriertes Gesamtsystem mit Elementen von öffentlicher und individueller Mobilität Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 13 bedarfsorientierter Mobilitätsangebote auflegen. Bei der Markteinführung der Elektromobilität hat sich die Bundesregierung aus industriepolitischen Motiven klar für eine solche fördernde Rolle der Politik entschieden. Bei der Bedarfsorientierung im Verkehrsbereich stehen eher Vorteile für Verbraucher und Allgemeinheit im Vordergrund. Diese sollten aber Grund genug sein, auch dieses Thema in Gestalt einer hochrangigen politischen Strategie anzugehen. ■ Der Aufsatz beruht auf einem Vortrag des Verfassers bei dem Symposium „Junge Leute - Abwendung vom Auto? “, das VDA, Junges Forum der Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft und Internationales Verkehrswesen am 20.09.2013 auf der IAA in Frankfurt am Main veranstaltet haben. Mit Dank an Frauke Rogalla, Stefanie Heinzle und Johanna Kardel für sachdienliche Hinweise und an Gert Baumbach für die Erstellung der Grafiken. QueLLen und berecHnungsmetHode zu bILd 1 1. Neuwagen Vollkostenrechnung und Neuwagen Einzelfahrt: Quelle: ADAC Autokosten Berechnungsmethode: Durchschnitt aller in Deutschland gekauften Neuwagen, Kosten pro Kopf bei durchschnittlicher Auslastung, d. h. 1,5 Menschen im Auto; die „Vollkostenrechnung“ bezieht sich auf sämtliche Kosten einschließlich der Anschaffung; die Rechnung „Einzelfahrt“ bezieht sich auf Spritkosten, erhöhten Wartungsbedarf, Reifenverschleiß und kilometerbezogene Wertminderung, rechnet aber Anschaffungskosten, Versicherung und KFZ-Steuer nicht ein. 2. Flugzeug: Quelle: VCD (Hrsg.), VCD-Bahntest 2012/ 2013 Berechnungsmethode: Aus den je 270 exemplarisch ausgewählten innerdeutschen Zug- und Flugverbindungen lässt sich ein Mehrpreis der Flüge gegenüber den Bahnverbindungen in Höhe von etwa 60 % ermitteln. Dieser Mehrpreis wird hier auf den aktuellen Kilometerpreis der Bahn in Höhe von 11 Cent bezogen. Die resultierende Zahl von 18 Cent pro km ist nicht als genauer statistischer Wert zu verstehen, bezeichnet aber in etwa das Verhältnis des Flugpreises zu anderen Verkehrsmitteln.Statistische Erhebungen zu den Verbraucherpreisen des innerdeutschen Flugverkehrs sind nach Auskunft des Bundesverbandes der deutschen Luftverkehrswirtschaft (BdL) nicht vorhanden. 3. ÖPNV: Quelle: Auskunft VDV Berechnungsmethode: Umsatz im ÖPNV durch Fahrscheinverkauf bezogen auf die Personenkilometer. 4. Eisenbahn: Quelle: In der Eisenbahn-Revue International 6/ 2013 (S. 282 ff.) wird ein Erlös von rund 9 ct pro Personenkilometer geschätzt. Berechnungsmethode: Die Kosten für den Fahrgast ergeben sich aus dem kilometerbezogenen Erlös der Bahnunternehmen zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer. 5. PKW Ottomotor, nur Kraftstoffkosten: Quellen: Uwe Kunert et al., Automobilität, Fahrleistungen steigen 2011 weiter, DIW Wochenbericht 47/ 2012, S. 3 ff. (S. 7); durchschnittlicher Verbrauch: 7,9 Liter pro 100 km; ADAC-Kraftstoffkosten: Durchschnittspreis Super 2011: 1,522 Euro/ Liter. Berechnungsmethode: Kosten pro Kopf bei durchschnittlicher Auslastung, d. h. 1,5 Menschen im Auto. 6. Mitfahrgelegenheit: Quelle: http: / / www.fernbusse.de/ aktuelles/ verkehrsmittelvergleich-1345/ - Preisvergleich für 20 ausgewählte Städteverbindungen - für die Angebote von Mitfahrgelegenheit.de, Mitfahrzentrale.de und blablacar.de wurde ein Durchschnittspreis von 6,5 Cent ermittelt. Ähnlich die Preisempfehlung von www. mitfahrgelegenheit.de, die zwischen 5 und 7 Cent liegt. 7. PKW Diesel, nur Kraftstoffkosten: Quellen: Uwe Kunert et al., Automobilität, Fahrleistungen steigen 2011 weiter, DIW Wochenbericht 47/ 2012, S. 3 ff. (S. 9); durchschnittlicher Verbrauch: 6,74 Liter pro 100 km; ADAC- Kraftstoffkosten: Durchschnittswert Diesel 2011: 1,411 Euro/ Liter. Berechnungsmethode: Kosten pro Kopf bei durchschnittlicher Auslastung, d. h. 1,5 Menschen im Auto. 8. Fernbus: Quelle: http: / / www.fernbusse.de/ aktuelles/ verkehrsmittelvergleich-1345/ - Preisvergleich für 20 ausgewählte Städteverbindungen - für die Fernbusverbindungen wurde - unter Einschluss von Sonderpreisen ein Durchschnittspreis von 5,7 Cent pro Kilometer ermittelt. Etwas höher liegen die Fernbuspreise, die Gertsen/ Stößenreuther/ Warnecke in Internationales Verkehrswesen (65) 3/ 2013, S. 60 ff. ermittelt haben. 9. Fahrrad: Quelle: Gregor Trunk, Gesamtwirtschaftlicher Vergleich von Pkw- und Fahrradverkehr, Diplomarbeit für das Fachgebiet Verkehrswesen, Institut für Verkehrswesen, Departement für Raum, Landschaft und Infrastruktur, Universität für Bodenkultur Wien, 2010, S. 13 (dort werden 4,8 Cent pro Kilometer als fahrleistungsabhängige Kosten für das Fahrrad genannt) 1 Vgl. Statistisches Bundesamt, Laufende Wirtschaftsrechnungen (LWR) 2011, www.destatis.de 2 Vgl. die repräsentative Umfrage durch Quotas im Auftrag des VCD zur Verkehrsmittelwahl: Dort nannten 74,8 % der Befragten Flexibilität als Kriterium für die Verkehrsmittelwahl; das nächstgenannte Kriterium war mit 52 % der Zeitgewinn; danach folgten Pünktlichkeit (51,2 %), Komfort (44,6 %), Verfügbarkeit (43,7 %) und geringe Kosten (42,7 %), VCD (Hrsg.), Bahntest 2009, http: / / www.vcd.org/ fileadmin/ user_upload/ redakteure_2010/ projekte/ vcdbahntest/ vcd_bahntest2009_hintergrund.pdf, S. 9. 3 Infas, DLR, Mobilität in Deutschland 2008, Ergebnisbericht, S. 90. 4 Vgl. etwa http: / / www.umweltbundesamt.de/ themen/ verkehr-laerm/ nachhaltige-mobilitaet/ car-sharing 5 Kraftfahrtbundesamt, www.kba.de, (Bezugszeitpunkt: 1.-Januar 2013). 6 Bundesverband Carsharing, Pressemitteilung vom 26.02.2013: Bundesverband CarSharing Jahresbilanz 2012: Soviel CarSharing-Zuwachs wie noch nie (Bezugszeitpunkt: Ende 2012) 7 http: / / www.passengerfocus.org.uk/ research/ nationalpassenger-survey-introduction Otmar Lell, Dr. Verbraucherzentrale Bundesverband, Berlin Referat Energie und Verkehr otmar.lell@vzbv.de 1. Tag: CEO day 18. - 20. Februar 2014 Messe Karlsruhe +++ E-Ticketing +++ Integriertes Fahrgeldmanagement +++ Echtzeit-Fahrgastinformation +++ Software +++ Verkehrsmanagement +++ Sicherheitssysteme +++ Infotainmentsysteme +++ und weitere +++ Partner Veranstalter POLITIK Postfossile Mobilität Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 14 Treibhausgasneutraler Verkehr im Jahre 2050 Notwendiges Zusammenspiel von Energie- und Verkehrswende Durch aktuell hohe und global zukünftig steigende Treibhausgasemissionen trägt der Verkehr maßgeblich zur Klimaerwärmung bei. Um die Folgen des Klimawandels zu beschränken, müssen auch im Verkehr dringend Umstrukturierungen erfolgen. Der folgende Beitrag beschreibt, wie eine Energiewende im Verkehr aussehen könnte. Die Autoren: Kirsten Adlunger, Martin Lange, Martin Schmied D urch eine Verkehrswende mit Maßnahmen der Verkehrsvermeidung, -verlagerung und Effizienzsteigerung muss ein umweltverträglicheres Verkehrssystem geschaffen werden, das einen geringeren Energiebedarf aufweist. Zusätzlich muss jedoch auch die Energieversorgung des Verkehrs langfristig auf die Basis regenerativer Energieträger umgestellt werden und damit auch eine Energiewende im Verkehr realisiert werden, da allein durch eine Verkehrswende ein umfassender Klimaschutz im Sinne des 2-Grad-Ziels nicht erreicht werden kann [UBA 2013b]. Hierfür gilt es Konzepte zu erarbeiten, die weltweit übertragbar sind und den Industriestaaten eine nahezu vollständige Treibhausgasreduzierung im Verkehr ermöglichen. Aktuelle Prognosen signalisieren global auch weiterhin ein kräftiges Wachstum des Verkehrsaufwandes und demzufolge auch des Energieverbrauches. Neben dem daraus resultierenden steigenden Beitrag zur Klimaerwärmung sind ein hoher Flächenverbrauch, Luftschadstoffsowie Lärmemissionen weitere negative Auswirkungen der heutigen Mobilität. Verzahnung von Energie- und Verkehrswende Um den Verkehr klima- und umweltverträglicher zu gestalten, müssen Energieverbrauch und Verkehrsaufwand national gesenkt bzw. global deren Wachstum gebremst werden. Weiterhin muss ein Umstieg auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel stattfinden. Wie in den vergangenen Jahrzehnten stehen dazu die geforderten klassischen Elemente der Verkehrswende weiter im Fokus: Verkehrsvermeidung, -verlagerung und Verbesserung der Verkehrsträger (sogenannter VVV-Ansatz). Die Verkehrswende ist dabei gemeinsam als Querschnittsaufgabe anzugehen. Jedoch stockt deren Verwirklichung seit Jahren, da sich das zielgerichtete Zusammenwirken der Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als schwierig erweist. Die Energiewende kann hier als neuer Treiber fungieren. Ursprünglich angetrieben durch den Ausstieg aus der Kernenergie und dem damit verbundenen Ausbau der erneuerbaren Energien ist sie mittlerweile zentral auch durch Klimaschutz und damit einhergehendem Ausstieg aus den fossilen Energien motiviert [UBA 2010]. Analog hierzu lässt sich eine Energiewende im Verkehr als Ausstieg aus den fossilen Kraftstoffen und Substitution durch Stromnutzung und durch erneuerbare, weitgehend treibhausgasneutrale Kraftstoffe definieren. Verbunden sind damit die Reduktion der Treibhausgas (THG)-Emissionen und die Begrenzung der mit dem Abbau fossiler Ressourcen einhergehenden negativen ökologischen Folgen. Im Zuge der Energiewende wird die Verkehrswende zunehmend bedeutend: Durch ihre Verwirklichung werden nicht nur verschiedene Umweltfolgen verringert, sondern auch eine Reduzierung des Energieverbrauchs erzielt. Damit bildet die Verkehrswende eine wichtige Voraussetzung, den Energiebedarf des Verkehrs regenerativ bereitstellen zu können und eine Energiewende im Verkehr zu erreichen (siehe Bild 1). Optionen für eine Energiewende im Verkehr Die postfossile, treibhausgasneutrale Energieversorgung des Verkehrs durch die Entwicklung alternativer Antriebe und Kraftstoffe hat in jüngerer Zeit eine verstärkte Bausteine einer Energiewende im Verkehr Verkehrswende VVV-Strategie: Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung, Effizienzverbesserung der Verkehrsmittel Postfossile Energieversorgungsoptionen Entwicklung von alternativen Antrieben und postfossilen, treibhausgasneutralen Kraftstoffen Bild 1: Bausteine einer Energiewende im Verkehr Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 15 Aufmerksamkeit bei Politik, Wissenschaft und Industrie erfahren. Die Elektromobilität sowie zunehmend stromgenerierte Kraftstoffe sind in diesem Zusammenhang als Beispiel zu nennen. Häufig fokussieren sich die Diskussionen jedoch auf den Straßenverkehr, insbesondere den PKW-Bereich. Der für die Zukunft prognostizierte weltweite Zuwachs des Straßengütersowie des Luft- und Schiffsverkehrs zeigt aber, dass auch hier Alternativen notwendig sind [IEA 2012; ITF 2012]. Der Handlungsdruck verschärft sich vor dem Hintergrund, dass für diese Verkehrsmittel aufgrund der Anforderungen an die Energiedichte der Kraftstoffe oft nur wenige postfossile Versorgungsalternativen zur Verfügung stehen. Derzeit sind verschiedene postfossile Energieversorgungsoptionen für den Verkehr in der Diskussion: • Direkte Stromnutzung: Batteriebetriebene und oberleitungsgebundene Formen der Elektromobilität • Indirekte Stromnutzung: Stromgenerierte gasförmige und flüssige Kraftstoffe (z.B. Power-to-Gas = PtG wie Wasserstoff und Methan, Power-to-Liquid = PtL) sowie • Kraftstoffe auf biogener Basis Biokraftstoffe der 1. Generation, hergestellt aus Anbaubiomasse, werden von verschiedenen Akteuren als zukunftsfähige Variante angesehen, um THG-Emissionen zu reduzieren. Analysen zeigen jedoch, dass zwar einige dieser Kraftstoffe diese Emissionen verringern können - zumindest wenn Landnutzungsänderungen verhindert werden -, dass diese jedoch mit anderen sozialen und ökologischen Problemen, wie Flächenverbrauch, Nutzungskonkurrenzen, übersäuerten Böden und überdüngten Gewässern, behaftet sind [BFE 2012; TA-Swiss 2010]. Ökobilanzen verdeutlichen, dass Kraftstoffe basierend auf Anbaubiomasse insgesamt schlechter abschneiden als konventionelle Kraftstoffe. Außerdem ist für diese zu erwarten, dass bei Berücksichtigung der indirekten Landnutzungseffekte die THG- Reduzierungen noch geringer ausfallen. Lediglich Biokraftstoffe der 1.- Generation basierend auf Restbiomasse (z. B. Abfall) sowie Biokraftstoffe der 2.- Generation, die Holz- und Strohreste verwenden, führen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu ausreichend großen THG-Minderungen und haben gesamtökologisch Vorteile [BFE 2012] (siehe Bild 2). Auch in der Studie des Umweltbundesamtes „Globale Landflächen und Biomasse nachhaltig und ressourcenschonend nutzen“ werden die Nachteile der Nutzung sowie die begrenzten Potenziale von Anbaubiomasse diskutiert-[UBA 2013a]. Die vom Umweltbundesamt beauftragte und von Infras sowie Quantis durchgeführte Studie „Anforderungen an eine Energiewende im Verkehr“ geht aktuell der Frage nach, welche Optionen eine weitgehend treibhausgasneutrale Energieversorgung ermöglichen könnten. Da bei Infrastruktur und Fahrzeugen teilweise grundlegende Anpassungen vorzunehmen sind, ist die frühzeitige Identifikation THG-neutraler Energieversorgungsoptionen von großer Bedeutung. Die Studie beschreibt das Zieljahr 2050 und untersucht, welche Optionen aus heutiger Sicht eine Minderung der THG-Emission um 95 % im Verkehr erreichen könnten. Diese Ausrichtung erlaubt im Anschluss in weiteren Arbeiten das Aufzeigen von langfristigen Entwicklungspfaden, um die geeigneten Optionen entwickeln und rechtzeitig zur Marktreife bringen zu können. Ebenso kann durch dieses Vorgehen das Risiko des Aufbaus kostenintensiver paralleler Infrastrukturen oder nur vorübergehend wirksamer „Brückentechnologien“ reduziert werden. Die Studie ermittelt für jeden Verkehrsträger geeignete, postfossile Energieversorgungsoptionen, die sich aus Kombination von Antriebs- und Kraftstoffseite zusammensetzen. Um eine möglichst übergreifende Bewertung zu erhalten, werden ökologische, ökonomische, technische, infrastrukturelle und systemische Faktoren in die Untersuchung einbezogen. Ebenso steht die globale Perspektive im Vordergrund, da die Energieversorgungsoptionen weltweit kompatibel sein sollten. Dies hat zur Folge, dass perspektivisch ausreichende Mengenpotentiale zur Verfügung stehen müssen. Um aus der Vielzahl von Optionen diejenigen zu identifizieren, die in die engere Betrachtung einbezogen werden, wurden im Rahmen des Projektes fünf zentrale Mindestanforderungen formuliert, die potentielle Energieversorgungsoptionen langfristig erfüllen sollten: • · Spezifische Lebenszyklus-THG-Minderung um mind. ein Drittel 1 • · Keine Verwendung von Kraftstoffen mit einer größeren Umweltbelastung als konventionelle Kraftstoffe (siehe u. a. Bild-2) • Kraftstoffverfügbarkeit deckt mind. 5 % der weltweiten Mobilität ab • Technologie aktuell mindestens im Grundlagenforschungsstadium • Lebenszykluskosten gegenüber Referenzfahrzeug und -kraftstoff max. Faktor 2 höher Strom und strombasierte Kraftstoffe als Kernbausteine einer Energiewende Unter Anwendung dieser Mindestanforderungen eignen sich aus heutiger Sicht mit Blick auf 2050 regenerativer Strom, stromgenerierte Kraftstoffe auf Basis erneuerbarer Energien (PtG/ PtL) und Biokraftstoffe der 2.-Generation basierend auf Reststoffen wie Holz und Stroh. Das Mengenpotenzial Bild 2: THG-Emissionen und aggregierte Umweltbelastung für ausgewählte Biotreibstoffe (nach BFE 2012) 0 100 200 300 400 500 700 0 20 40 60 80 100 120 Gesamte Umweltbelastung (UBP 06) Treibhausgasemissionen Biodiesel Ethanol Methan fossil Stand 2012 1. Generation 2. Generation Holz Klärschlamm Gülle Zuckerrohr, BR Zuckerhirse, CN Soja, US Raps, DE Raps IP, CH Mais, US Ölpalmen, MY Benzin, CH-Mix % % Roggen, EU 940% UBP Soja, BR 260%THG Referenz 600 POLITIK Postfossile Mobilität Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 16 der 2.- Generationsbiokraftstoffe ist jedoch sehr beschränkt und kann nur rund 10 % der globalen Energieversorgung des Verkehrs im Jahr 2050 decken, sodass diese nur eine Ergänzung darstellen können [IEA 2010]. Tabelle 1 zeigt, welche Energieversorgungsoptionen sich prinzipiell für die Verkehrsträger eignen. Um zu identifizieren, welche dieser Optionen die am besten geeignete für den jeweiligen Verkehrsträger sein könnte, wurden diese unter Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer, technischer, infrastruktureller und systemischer Aspekte einer Detailbewertung unterzogen. In dieser wurde deutlich, dass insbesondere die THG-Minderungspotenziale, Wirkungsgrade und Kostenentwicklungen den größten Einfluss auf eine potenzielle Realisierbarkeit haben. Die Ergebnisse zeigen, dass die direkte Nutzung regenerativen Stroms die klimafreundlichste und ökonomischste Variante darstellt. Für eine treibhausgasneutrale Energieversorgung im Jahr 2050 stellen deshalb, wo technisch möglich, batterieelektrische oder extern aufladbare Hybridfahrzeuge ein wichtiges Standbein dar - dies gilt für PKW, leichte Nutzfahrzeuge, Verteiler-LKW sowie Busse. Dort wo Strom nicht direkt nutzbar ist, wie bspw. in der Schiff- und Luftfahrt, bieten sich stromgenerierte Kraftstoffe an. Hierfür sind beträchtliche Mengen an regenerativen Strom nötig, die global zusätzliche Erneuerbare-Energien (EE)-Anlagen erfordern, sodass es der Errichtung von PtG- und PtL- Anlagen an international geeigneten EE- Standorten bedarf. Fazit Um Mobilität langfristig wirtschaftlich und bedürfnisgerecht zu sichern und Umwelt und Klima zu entlasten, müssen Verkehrs- und Energiewende Hand in Hand gehen. Die Umsetzung einer Verkehrswende bietet bereits die Möglichkeit, THG-Emissionen zu reduzieren und weitere Umweltbelastungen wie Lärm und Flächenverbrauch zu verringern und die Lebensqualität im städtischen und ländlichen Raum zu erhöhen. Soll das 2-Grad-Ziel erreicht werden und der Verkehrssektor dazu seinen Beitrag leisten, so wird dies mit einer Verkehrswende allein jedoch nicht realisierbar sein. Eine gleichzeitige Umstellung der Energieversorgung des Verkehrs auf nahezu treibhausgasneutrale Optionen bis 2050 ist dazu notwendig [UBA 2013b]. Deren Basis sollte zum überwiegenden Teil die direkte Nutzung regenerativen Stroms und stromgenerierte Kraftstoffe sein. Aufgrund der langen Investitionszyklen und dem notwendigen Aufbau von Produktionskapazitäten ist es allerdings bereits heute erforderlich, die Grundsteine hierfür zu legen. Eine Verkehrswende mit einer Steigerung der Energieeffizienz und Verringerung der Verkehrsleistung ist wichtige Voraussetzung für das Gelingen einer Energiewende im Verkehr. Je weniger Energie der Verkehr benötigt, desto größer sind die Spielräume für postfossile Energieversorgungsoptionen. Energieeinsparungen bieten die Möglichkeit, trotz kostenintensiverer postfossiler Kraftstoffe gleichbleibende Mobilitätskosten zu realisieren und die Energie- und Verkehrswende dadurch sozial verträglich zu gestalten. Die zukünftigen Herausforderungen liegen letztendlich darin, das Zusammenspiel aus Verkehrs- und Energiewende optimal für eine nachhaltige Mobilität der Zukunft zu gestalten und zu nutzen. ■ 1 Die verhältnismäßig geringe Anforderung an die THG- Reduzierung ist auf THG-Emissionen in vor- und nachgelagerten Prozessketten zurückzuführen und dient nur einer groben Vorauswahl. Im weiteren Verlauf der Bewertung wird geprüft, inwiefern die Optionen zum nahezu treibhausgasneutralen Verkehr beitragen können. LIterAtur Bundesamt für Energie (BFE) (Hrsg.) 2012: Harmonisation and extension of the bioenergy inventories and assessment. Bern. International Energy Agency (IEA) (Hrsg.) 2012: Energy Technology Perspectives 2012. Pathways to a Clean Energy System. Paris Cedex. International Energy Agency (IEA) (Hrsg.) 2010: Sustainable Production of SECOND -Generation Biofuels. Potential and perspectives in major economies and developing countries. Paris Cedex. International Transport Forum (ITF) (Hrsg.) 2012: Transport Outlook 2012. Seamless Transport for Greener Growth. Paris Cedex. TA-Swiss 2010 (Hrsg.): Future Perspectives of 2nd Generation Biofuels. TA-SWISS 55/ 2010. Zürich. Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.) 2010: Energieziel 2050: 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen. Dessau-Roßlau. Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.) 2013a: Globale Landflächen und Biomasse nachhaltig und ressourcenschonend nutzen. Dessau-Roßlau. Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.) 2013b: Treibhausgasneutrales Deutschland im Jahr 2050. Dessau-Roßlau. Martin Schmied Bereichsleiter Verkehr und Umwelt, INFRAS - Forschung und Beratung, Bern martin.schmied@infras.ch Martin Lange, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Umweltbundesamt, Fachgebiet I 3.2 „Schadstoffminderung und Energieeinsparung im Verkehr“, Dessau-Roßlau martin.lange@uba.de Kirsten Adlunger Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Umweltbundesamt, Fachgebiet I 3.1 „Umwelt und Verkehr“, Dessau-Roßlau kirsten.adlunger@uba.de Erneuerbarer Strom Biokraftstoffe (2. Generation) Batterieelektrisch/ Plug-in-Hybrid Oberleitungsgebunden Wasserstoff PtG Holz-/ Stroh- Ethanol/ Btl Holz-/ Stroh-SNG Methan PTL Pkw • • • • • • stadtbus • • • • • • • Lkw Nahverkehr • • • • • • Fernverkehr • • • • • • schienenverkehr • • • schiffsverkehr • • • • • Flugverkehr Kurzstrecke • • • Mittel-/ Langstrecke • • • = ausgewählt; • = ausgewählt, aber nur eingeschränkte Mengenpotentiale Tabelle 1: Postfossile Energieversorgungsoptionen für den Verkehr im Jahr 2050 POLITIK Alternative Antriebe Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 17 Henne oder Ei? Wie die Europäische Kommission eine Versorgungsinfrastruktur für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben aufbauen will. Ein wesentliches Hindernis für die Verbreitung von Fahrzeugen, die alternative Kraftstoffe nutzen, ist der Mangel an entsprechenden Tank- und Ladestationen. Daher will die Europäische Kommission nun den Aufbau einer flächendeckenden Versorgungsinfrastruktur forciert fördern. Kann so das „Henne/ Ei- Problem“ gelöst werden? Die Autoren: Moritz Bonn, Götz Reichert D er Energiebedarf des europäischen Verkehrssektors wird zu über 90 % aus Erdöl gedeckt. 1 Um die Abhängigkeit von Erdölimporten zu senken und das Klima zu schützen, strebt die Europäische Union eine schrittweise „Dekarbonisierung“ des Verkehrssektors an. Zu diesem Zweck soll bis 2020 der Anteil von Kraftstoffen aus erneuerbaren Quellen am Endenergieverbrauch in jedem EU-Mitgliedstaat mindestens 10 % betragen 2 und die CO 2 -Intensität im Straßenverkehr um 6 % reduziert werden. 3 Bis 2050 sollen die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen um 60 % gegenüber 1990 sinken. 4 Einen Beitrag hierzu können Fahrzeuge leisten, die durch „alternative Kraftstoffe“ wie Strom, Wasserstoff, Biokraftstoffe oder Erdgas angetrieben werden. Diese machen derzeit allerdings nur 6 % der im Verkehrssektor verbrauchten Kraftstoffe aus, wobei allein Biokraftstoffe mit 4,2 % den größten Anteil aufweisen. 5 Ein Hauptproblem für die Verbreitung alternativer Kraftstoffe ist der Mangel an der hierfür notwendiger Betankungs- und Lade infrastruktur. Dies ist besonders gravierend bei mit komprimiertem Erdgas (CNG) betriebenen Pkw, bei Wasserstoff- und Elektroautos sowie bei Lkw und Schiffen, die mit Flüssigerdgas (LNG) angetrieben werden. Während etwa allein in Deutschland ein Netz von über 14 000 Benzin- und Diesel- Tankstellen existiert, gibt es derzeit nur etwa 900 CNG- und 15 Wasserstoff-Tankstellen. 6 Dadurch können weder eine flexible Nutzung der Fahrzeuge noch große Reichweiten gewährleistet werden. Dieses Problem zeigt sich vor allem bei Fahrzeugen mit reinem Elektroantrieb, welche aufgrund unzureichender Speicherkapazität von Batterien im Mittelklassesegment aktuell nur Reichweiten von 100 bis 200-km erzielen und somit ausschließlich für die Nutzung im urbanen Raum geeignet sind. 7 Aber auch in Städten ist für die flexible Nutzung von Elektroautos eine ausreichende Anzahl privater und öffentlicher Ladestationen (z. B. in Parkhäusern) notwendig. Doch warum existiert bislang keine ausreichende Versorgungsinfrastruktur für alternative Kraftstoffe? Letztlich sieht man sich bei der Beantwortung dieser Frage vor das klassische „Henne/ Ei-Problem“ gestellt: Einerseits schreckt das Fehlen einer Versorgungsinfrastruktur mit alternativen Kraftstoffen potenzielle Kunden vom Kauf der Fahrzeuge ab. Andererseits lohnt sich der Aufbau einer solchen Infrastruktur nicht, solange zu wenige Fahrzeuge auf dem © Sascha Hübers/ pixelio.de POLITIK Alternative Antriebe POLITIK Alternative Antriebe Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 18 Markt sind. Die unterschiedliche Wirtschaftlichkeit von konventionellen und alternativen Versorgungsinfrastrukturen wird deutlich, wenn man das Verhältnis von Fahrzeugen zu Tankstellen für verschiedene Antriebstechniken vergleicht: Bei konventionellen Kraftstoffen liegt dieses bei etwa 3000, bei CNG lediglich bei ca. 80. 8 EU-Richtlinie zum Aufbau der Infrastruktur Zur Lösung des Henne/ Ei-Problems hat die Europäische Kommission im Januar 2013 eine EU-Richtlinie zum „Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe“ vorgeschlagen, 9 die eine verstärkte Förderung sowohl der Vermarktung der Fahrzeuge selbst als auch der dazu notwendigen Versorgungsstationen vorsieht. Demnach sollen EU-Mitgliedstaaten nationale Strategierahmen für die Förderung von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben entwickeln und nationale Ziele für die Verbreitung von Fahrzeugen bis 2020 inklusive jährlicher Zwischenziele erarbeiten, welche durch finanzielle Anreize - z. B. Steuervergünstigungen - und nichtfinanzielle Anreize - wie vorrangiger Zugang zu öffentlichen Parkplätzen - erreicht werden sollen. Die Europäische Kommission will die Mindestanforderungen an die nationalen Strategierahmen der Mitgliedstaaten selbst mittels delegierter Rechtsakte ändern können, ohne hierfür direkt auf den europäischen Gesetzgeber - Ministerrat und Europäisches Parlament - angewiesen zu sein. Die Europäische Kommission schlägt zudem konkrete Zielvorgaben für die in den Mitgliedstaaten bis 2020 aufzubauenden Tank- und Ladestationen vor. Besonders ambitioniert sind dabei die Vorgaben für Ladestationen für Elektroautos. Dabei soll in jedem Mitgliedstaat die Anzahl der privaten Ladestationen im Jahr 2020 doppelt so hoch sein wie die für 2020 erwartete Zahl an Elektrofahrzeugen. Für Deutschland ergibt sich bei geschätzten ca. 750 000 Elektrofahrzeugen eine Mindestanzahl von 1 500 000. Hinzu kommt noch eine Mindestmenge an 10 % öffentlichen Ladestationen, welche der „Reichweitenangst“ der Fahrzeugnutzer entgegenwirken soll. Bei CNG und LNG sind die Vorgaben weniger streng. Hier sollen nach den Vorstellungen der Kommission Betankungsmöglichkeiten in gewissen Maximalabständen vorhanden sein. Diese betragen bei CNG 150 km, bei LNG für schwere Nutzfahrzeuge 400 km entlang des Kernnetzes des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V). 10 Für Schiffe sollen bis 2025 LNG-Tankstationen an allen Seehäfen des TEN-V-Kernnetzes eingerichtet werden. Diese Maßnahmen sollen insbesondere auch den grenzüberschreitenden Verkehr in der Europäischen Union erleichtern. Da die Verbreitung von Wasserstofffahrzeugen noch sehr gering ist, soll eine entsprechende Mindestversorgungsinfrastruktur nur in den Mitgliedstaaten etabliert werden, in denen bereits Wasserstofftankstellen existieren. Der Abstand zwischen zwei Tankstellen soll dabei 300- km nicht übersteigen, so dass eine durchgängige Versorgung sichergestellt ist. Derzeit existieren noch keine EU-weiten Normen für Schnittstellen zwischen Fahrzeugen mit alternativen Antrieben und den entsprechenden Tankbzw. Ladestationen. Fehlende EU-weite Normen verhindern eine grenzüberschreitende Nutzung dieser Fahrzeuge und verringern zusätzlich deren Akzeptanz bei potenziellen Käufern. Die Europäische Kommission schlägt daher eine EU-weit einheitliche Normierung für Tank- und Ladestationen bis Ende 2015 vor, um so auch eine weitere Fragmentierung des EU-Binnenmarktes aufgrund unterschiedlicher Standards zu verhindern. die meisten Vorschläge sind bedenklich So zutreffend die Europäische Kommission das Henne/ Ei-Problem auch diagnostiziert, so bedenklich sind jedoch die meisten ihrer Vorschläge zu dessen Lösung. Uneingeschränkt zu begrüßen ist lediglich die vorgeschlagene EU-weite Normierung der Versorgungsschnittstellen, da uneinheitliche Systeme unnötige Kosten gerade im grenzüberschreitenden Verkehr hervorrufen und somit die Mobilität in der EU beeinträchtigen. Anders zu beurteilen sind jedoch die vorgesehenen Zielvorgaben für die Anzahl der zu errichtenden Tank- und Ladestationen. Inwieweit Elektrofahrzeuge bis 2020 substanzielle Marktanteile erzielt haben werden, kann derzeit nicht verlässlich vorausgesagt werden. So geht die „Nationale Plattform für Elektromobilität“, welche die Bundesregierung in diesem Kontext berät, mittlerweile eher von 600 000 Elektroautos auf deutschen Straßen im Jahr 2020 aus, deutlich weniger als das von der Bundesregierung ursprünglich ausgegebene Ziel von einer Million Elektrofahrzeugen. 11 Dies zeigt, wie unvernünftig es ist, bereits heute planwirtschaftliche Vorgaben für eine Mindestanzahl an Tank- und Ladestationen in der Zukunft zu machen. Über Investitionsentscheidungen sollten grundsätzlich die beteiligten Unternehmen unter Abwägung der zu erwartenden Erträge und Kosten entscheiden. Auch die Vorgabe von 150- km in Bezug auf die Maximalabstände zwischen CNG-Tankstellen sind aus diesem Grund verfehlt. Diese können ohnehin nicht im Entferntesten eine bequeme Nutzung der Fahrzeuge im Alltag gewährleisten, denn kein Mensch wird ein solches Fahrzeug erwerben, wenn die nächstgelegene Tankmöglichkeit auch nur 100- km entfernt liegt. Außerdem kann jede politische Förderung von speziellen Technologien ineffizient hohe Kosten verursachen und langfristige Subventionsstrukturen schaffen, welche die Entwicklung effizienterer Antriebstechniken in der Zukunft behindern können. So hat bspw. der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Fokussierung auf LNG in der Schifffahrt und bei Lkw kritisiert, da bereits neue und günstigere Alternativen in der Entwicklung sind. 12 Das Henne/ Ei-Problem kann auch ohne massiven staatlichen Einfluss gelöst werden. So können Fahrzeug- und Kraftstoffhersteller kooperieren - wie z. B. im Rahmen der „Initiative Erdgasmobilität - CNG und Biomethan als Kraftstoffe“ - und sich Bild 1: Neuzulassungen von PKW mit alternativen Antrieben in Deutschland in den Jahren 2005 bis 2012 (Quelle: Kraftfahrtbundesamt 2013) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 19 wechselseitig zu Investitionen in Fahrzeugtechnologie und Versorgungsinfrastrukturen bekennen. Darüber hinaus können Hybridfahrzeuge und Fahrzeuge mit bivalentem Antrieb, die sowohl mit herkömmlichem als auch mit alternativem Kraftstoff betrieben werden können, das Koordinierungsproblem in der nahen Zukunft entschärfen, da sie der Reichweitenangst der Fahrzeugnutzer entgegenwirken und den Kraftstoffproduzenten einen Anreiz bieten, schrittweise die erforderliche Versorgungsinfrastruktur für alternative Kraftstoffe aufzubauen. Für Deutschland zeigt sich beispielsweise, dass gerade Hybridfahrzeuge bei den Neuzulassungen in den letzten Jahren einen deutlichen Zuwachs erfahren haben (Bild 1). Fazit Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Ausbauvorgaben für Tank- und Ladestationen bieten also ein sehr hohes Potenzial für Fehlinvestitionen. Denn weder die Kommission noch sonst jemand verfügt über das Wissen, wie viele Erdgas- und Elektrofahrzeuge im Jahr 2020 in den einzelnen Mitgliedsstaaten genutzt werden. Über Investitionen sollten die Wirtschaftsakteure entscheiden. Die politische Einflussnahme auf die Etablierung bestimmter Technologien kann langfristige Subventionsstrukturen schaffen und innovativere Antriebstechniken in der Zukunft behindern. Hingegen erhöht die EU-weite Normierung der Schnittstellen beim Tanken und Stromladen die Nutzbarkeit der Tank- und Ladeinfrastrukturen wesentlich. ■  1 Europäische Kommission, Mitteilung COM(2013)-17, Saubere Energie für den Verkehr: Eine Europäische Strategie für alternative Kraftstoffe, 2013, S.-2.  2 Artikel-3 Abs.-4 Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009/ 28/ EG.  3 Artikel-7a Abs.-2 lit.-a Richtlinie 98/ 70/ EG über die Qualität von Otto- und Dieselkraftstoffen.  4 Europäische Kommission, Weißbuch KOM(2011)- 144, Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum, 2011, S.-5.  5 Europäische Kommission, EU Energy in Figures, Statistical Pocket Book 2012, S.-103.  6 Bünger, U., Infrastrukturaufbau für alternative Kraftstoffe/ Energieträger, Vortrag vom 12.09.2012, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin, S.-4ff.  7 Vgl. Voßwinkel, J. / Nader, N. / Block, J., Kraftstoffe der Zukunft - Durchsetzung alternativer Antriebssystem in der Zukunft, cepStudie, 2012, S.-12.  8 Bünger, U., Infrastrukturaufbau für alternative Kraftstoffe/ Energieträger, Vortrag vom 12.09.2012, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin, S.-4ff.  9 Europäische Kommission, Vorschlag COM(2013)- 18 für eine Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, 2013; hierzu Bonn, M. / Reichert, G., cepAnalyse, 2013 (<http: / / www.cep.eu/ analysen-zur-eu-politik/ verkehr/ infrastruktur-alternative-kraftstoffe/ >). 10 Europäische Kommission, Vorschlag KOM(2011)- 650 für eine Verordnung über Leitlinien der Union für den Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes, 2011; hierzu Nader, N. / Reichert, G., cepAnalyse, 2011 (<http: / / www.cep.eu/ analysen-zur-eu-politik/ verkehr/ ten-v/ >). 11 Pressemitteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 15.04.2010 (<http: / / www.bmu.de/ bmu/ presse-reden/ pressemitteilungen/ pm/ artikel/ bis-2020-eine-million-elektroautos-von-deutschen-herstellern>). 12 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM(2013)- 18 für eine Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, 2013, Ziffer-1.11. Moritz Bonn, Dr. Wissenschaftlicher Referent Energie, Umwelt, Klima, Verkehr Centrum für Europäische Politik, Freiburg bonn@cep.eu Götz Reichert, Dr. LL.M. Fachbereichsleiter Energie, Umwelt, Klima, Verkehr Centrum für Europäische Politik, Freiburg reichert@cep.eu Macher Verkaufstalent Kontaktmann Kein Job wie jeder andere: Vertriebsmanager internationale Fahrzeuginstandhaltung (w/ m) Die Deutsche Bahn ist einer der vielfältigsten Arbeitgeber Deutschlands. Wir suchen Jahr für Jahr deutschlandweit über 7.000 begeisterte Mitarbeiter für mehr als 500 verschiedene Berufe. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt suchen wir Sie für die DB Fahrzeuginstandhaltung GmbH am Standort Frankfurt am Main. Ihre Aufgaben Entwicklung und Bearbeitung neuer, internationaler Märkte der Fahrzeuginstandhaltung einschließlich Netzwerkbildung Akquisition von Neukunden und Betreuung bis zum Vertragsabschluss zur nachhaltigen Generierung von Neugeschäft Koordination des gesamten Angebotsprozesses einschl. Vertragsverhandlung Umsetzung von Marketingmaßnahmen in den zugeordneten Märkten Ihr Profil Studienabschluss im Bereich (Wirtschafts-)Ingenieurwesen, idealerweise mit Schwerpunkt Maschinenbau Mehrjährige Berufserfahrung im Vertriebsumfeld von erklärungsbedürftigen technischen/ industriellen Produkten und/ oder Dienstleistungen Hohe Ziel- und Ergebnisorientierung sowie selbstständige Arbeitsweise Fließendes Englisch in Wort und Schrift Hohe Mobilitätsbereitschaft, ein sicheres Auftreten sowie nachweisliche interkulturelle Kompetenz Interessiert? Dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbungsunterlagen, online mit Angabe Ihrer Gehaltsvorstellung und der Ausschreibungsnummer 209680. Jetzt bewerben: deutschebahn.com/ karriere Für Menschen. Für Märkte. Für morgen. Task8997_PER_785_6007_116x190_M39.indd 1 15.10.13 11: 45 Mobilität, Logistik, Infrastruktur, Technologie und Politik: Wer sich ein Urteil bilden will, sollte umfassend informiert sein. 3 IN 1: Printausgabe e-Paper App-Ausgabe & (Eurailpress-Kiosk) Die digitalen Ausgaben sind für Abonnenten kostenfrei! Registrieren Sie sich einfach unter www.internationalesverkehrswesen.de/ app und wir senden Ihnen Ihre persönlichen Zugangsdaten. Sie haben kein Abonnement? Unter www.eurailpress.de/ kiosk können Sie die App herunterladen und das Angebot kostenfrei testen. DVV Media Group GmbH | Tel. +49 40/ 237 14-114 | Fax +49 40/ 237 14-258 | E-Mail: kirsten.striedieck@dvvmedia.com www.internationalesverkehrswesen.de • aktuelle Branchennews • wichtige Termine • Jobbörse • das umfangreiche Hefte-Archiv - exklusiv für Abonnenten 5823_anz_IV_210x297.indd 1 11.11.2013 16: 11: 18 Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 21 Im schnellen Mahlgang D ie Mühlen der Gesetzgebung mahlen in Brüssel besonders langsam, heißt es. Das ist nicht überraschend: Über jeden Gesetzentwurf der EU- Kommission beugen sich Minister aus 28 Unionsstaaten. Neben den Ressortchefs steht das Europäische Parlament (EP) - mit Abgeordneten verschiedener Nationalitäten und Parteien: deutsche Grüne, italienische Christdemokraten, französische Rechtsnationale und spanische Sozialisten. Dennoch funktioniert die Gesetzgebung. Beim 4.- Eisenbahnpaket kommen Parlament und Ministerrat sogar besser voran als erwartet. Das aus sechs Einzelgesetzen bestehende Paket lässt sich in einen technischen und einen politischen Teil unterteilen. Beim letztgenannten geht es um hochbrisante Themen wie etwa die Trennung von Infrastruktur- und Verkehrsunternehmen in integrierten Konzernen wie der Deutschen Bahn. Beim technischen Part geht es darum, dass für Lokomotiven und Waggons überall in Europa einheitliche Standards gelten, dass Eisenbahnunternehmen, die in mehreren Staaten der Union fahren wollen, nach einheitlichen Standards geprüft und bewertet werden - und es geht um die Europäische Eisenbahnagentur (ERA). Als im Frühsommer einzelne Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, begannen, an dem beabsichtigten Kompetenzzuwachs für die ERA herum zu mäkeln, wuchs die Sorge, dass auch der technische, scheinbar unkomplizierte Teil des Gesetzespakets, in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr zu stemmen sei. Jetzt, im Herbst, darf man zuversichtlicher sein. Im Juni fanden die Verkehrsminister einen Kompromiss bei den umstrittenen Kompetenzen für die ERA. Sie kreierten den „dualen Ansatz“: Bei Loks und Waggons, die in mehren EU-Staaten fahren sollen, hat die ERA das letzte Wort bei der Zulassung. Setzt ein Unternehmen seine Fahrzeuge nur national ein, hat es die Wahl und kann die ERA oder die nationale Behörde um die Zulassung bitten. Zu diesem „dualen Ansatz“ haben die Ressortchefs auch gegriffen, als es um die Zertifizierung von Eisenbahnunternehmen ging. Wollen die Unternehmen in mehreren EU-Staaten operieren, brauchen sie eine Betriebserlaubnis der ERA. Fahren sie nur national, können sie sich die Zertifizierung von der Behörde im nordfranzösischen Valenciennes oder wahlweise bei der heimischen Aufsicht abholen. Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Wie es aussieht, werden die Berichterstatter im Verkehrsausschuss des EP, die parallel zu den Ministern an dem Gesetzentwurf arbeiten, diesen Ansatz begrüßen. Er wird ihnen allerdings nicht weit genug gehen. Die Parlamentarier durchweg aller großen Fraktionen sehen im „dualen Ansatz“ der Minister noch nicht den konsequenten Weg hin zur notwendigen Reduzierung der zahlreichen nationalen Eisenbahnvorschriften. Sie wollen die Chance nutzen, mit einem großen Wurf die Eisenbahn in der- EU- vom nationalen Vorschriftenballast zu befreien. Obwohl er für die Abgeordneten noch nicht ausreichend ist, bietet der „duale Ansatz“ der Minister die Chance für konstruktive Verhandlungen zwischen den beiden EU-Institutionen. Die Scheu einiger Verkehrsminister, die ERA zu stärken und ihre Kompetenzen schon jetzt genau zu definieren, teilt im Parlament am ehesten der rechtskonservative Lette Roberts Zile. Er ist Berichterstatter des Gesetzes, das sich direkt mit der ERA befasst. Er fürchtet Probleme für die baltischen Staaten, wenn künftig eine Behörde aus dem weit entfernten Valenciennes sich in estnische, lettische oder litauische Eisenbahnfragen einmischt. Er verweist darauf, dass die baltischen Bahnen noch stark abhängig sind von der russischen Eisenbahn. Aber Zile, der eng mit den beiden anderen Berichterstattern in Sachen ERA zusammen arbeitet, wird sich kaum generell quer stellen. Im Verkehrsausschuss des EP ist sogar schon eine Kompromisslinie bei der Auseinandersetzung über die Trennung von Netz und Betrieb erkennbar. Die Konservativen, die in dem Gremium die Mehrheit haben, sprechen sich für die Beibehaltung der integrierten Konzerne aus. Allerdings wollen sie ihnen Regulierungsbehörden mit deutlich mehr Kompetenzen gegenüberstellen. Die Regulierer müssten sehr viel genauer hinsehen dürfen als bislang, wie die Konzerne den Konkurrenten Zugang zum Netz gewähren und wie sie sich als Anbieter von Energie und anderen „essential services“ verhalten. Das ist eine Linie, auf die es zulaufen könnte, auch wenn sie nicht alle im Parlament befriedigen wird. Alles in allem sind die EU-Institutionen mit der Bearbeitung des 4.-Eisenbahnpaketes weiter, als es bei dessen Vorlage im Januar für möglich gehalten wurde. Gar so langsam mahlen die Mühlen der europäischen Gesetzgebung also nicht. ■ LOGISTIK Online-Versand Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 22 Warten und Starten für das Klima Effizientere Güterverkehre spielen eine entscheidende Rolle, wenn die gesetzten Klimaziele erreicht werden sollen. Tatsächlich bedarfsgerechte Liefergeschwindigkeiten können hierzu ein wichtiger Schlüssel sein, wie die Ergebnisse des „MovingIDEAS“-Innovationsprozesses zeigen. Die Autoren: Matthias Schmidt, Ingrid Kleinert, Thomas Sauter-Servaes E gal ob Bücher, Elektronikgeräte, Kleidungsstücke oder sogar Lebensmittel - im Einzelhandel nimmt der Anteil der Waren, die über das Internet bezogen werden, stetig zu. Bereits 2012 wurden 6,5 Prozent des Gesamtumsatzes im deutschen Einzelhandel durch Onlineshops erwirtschaftet [1]. Tendenz steigend. Prognosen gehen davon aus, dass der Anteil der Nicht-Lebensmittel, die über das Internet bestellt werden, von derzeit etwas über 10 Prozent bis 2020 auf mind. 30 bis 40 Prozent ansteigen [2; 3]. Dabei schätzt es der Konsument scheinbar besonders, wenn nach Abschluss der Bestellung die Ware so schnell wie möglich zugesandt wird. Verwunderlich ist diese Entwicklung nicht, bedenklich aber schon. Denn die Folgen dieses Siegeszugs werden zunehmend zu einer Belastungsprobe für unsere Verkehrsinfrastrukturen und letztendlich auch für unsere Umwelt. Um vor diesem Hintergrund die Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit in der Zustellung kleinteiliger Sendungen auch in Zukunft zu gewährleisten, bedarf es innovativer Lösungen. Aufgrund der hohen Komplexität einer solchen Problemstellung kann diese jedoch selten durch eine Person oder Organisation gelöst werden, da hierfür das Fachwissen aus verschiedenen Disziplinen zusammengebracht werden muss. Viele neue Produkte scheitern am Markt, weil sie nicht an den Bedürfnissen der Kunden orientiert sind. Deshalb öffnen Unternehmen zunehmend vormals geschlossene Innovationsprozesse für externe Fachexperten und potentielle Nutzer. Eine erprobte Möglichkeit Innovationsprozesse offen und interdisziplinär zu gestalten, stellen unternehmensübergreifende Onlineplattformen dar [4; 5]. Ein Beispiel hierfür ist die Innovationsplattform „MovingIDEAS“ (moving-ideas.net), die von der Deutschen Bahn initiiert wurde. Dort können Praktiker, Wissenschaftler und Privatpersonen gemeinsam und unternehmensunabhängig innovative Lösungen für eine nachhaltige Mobilität und Logistik erarbeiten und deren Umsetzung vorantreiben. Einzigartig an MovingIDEAS ist die Möglichkeit der unternehmensübergreifenden Kooperation, die nicht auf den Initiator zentriert, sondern von diesem unabhängig ist. In dem Anfang 2013 durchgeführten gleichnamigen Innovationswettbewerb, an dem jeder nach der Registrierung auf der Plattform teilnehmen konnte, galt es besonders Ideen zur „Klimaneutralen Mobilität und Logistik“ sowie zur „Mobilität und Logistik im ländlichen Raum“ einzubringen. Eingereicht wurden über 150 Ideen. Diese entwickelte die Community zu Konzeptpapieren weiter und stimmte über die besten Beiträge ab. Warten für das Klima Den ersten Platz gewann das Konzept „Warten für das Klima“. Es greift das beschriebene Problem der steigenden Verkehrs- und Umweltbelastung durch den Versandhandel auf. Dieser Lösungsansatz schlägt vor, dem Kunden die Entschleunigung der Transportprozesse über die „Warten für das Klima“- Option zu ermöglichen. Das Prinzip der Entschleunigung wird bereits erfolgreich im nationalen und internationalen B2B-Handel angewendet [6]. Lieferungen können dadurch stärker gebündelt oder langsamere, ressourcenschonendere Transportmittel bzw. alternative Transportkonzepte für die Zustellung eingesetzt werden [7]. Eine zentrale Herausforderung bei der Übertragung dieses Prinzips auf den Versandhandel ist die hohe Erwartung der Kunden an die Zustellgeschwindigkeit. Diese haben allerdings kaum eine Möglichkeit, die ökologischen Auswirkungen ihrer Bestellung nachzuvollziehen und können darauf nur einen stark begrenzten Einfluss nehmen. Lediglich die oft mit einem Aufpreis verbundene Expresslieferung hat sich etabliert. Mit der neuen Lieferoption „Warten für das Klima“ kann der Kunde den Zulieferzeitraum verlängern und eine maximale Wartedauer vorgeben. Dem Kunden wird dabei schon während der Auswahl der Lieferalternativen die voraussichtliche Umweltwirkung seiner Entscheidung kommuniziert. Der Logistikdienstleister erhält durch die vom Kunden gewünschte und akzeptierte Entschleunigung einen neuen Handlungsspielraum, so dass er die Zustellprozesse effizienter und umweltfreundlicher gestalten kann. Erfolgt die Zustellung der Ware dank der „Warten für das Klima“-Transportvariante für den Logistikdienstleister kostengünstiger, so erhält der Kunde über die Reduktion der Versandkosten einen Teil der Einsparungen als zusätzliche Motivation. Der Kunde wird anschließend über den genauen Zustellungszeitpunkt informiert, sobald dieser feststeht. Der termingenaue Eingang der Sendung schließt einen Vorgang ab, welcher letztendlich auch zu einem Imagegewinn für den Logistikdienstleister und den Online-Shopbetreiber führt (Bild 1). Konzeptentwicklung und Nutzerintegration Ausgehend von der Idee, dem Kunden eine solche Lieferoption zur Verfügung zu stellen, wurde im „MovingIDEAS“-Innovationsprozess das Konzept „Warten für das Klima“ in einem interdisziplinären Team weiterentwickelt. So konnten auch erste Kontakte zu Experten aus dem Marketing und Onlinehandel sowie zu einem großen deutschen Logistikdienstleister hergestellt werden. Die beschriebenen Potentiale des Konzeptes konnten dabei durch die Praxis bestätigt werden. Unterstrichen wird dies durch die Information, dass verschiedene Akteure schon über ähnliche Lösungsansät- Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 23 ze nachgedacht haben. Die Diskussion machte aber auch die mit der Realisierung verbundenen Herausforderungen deutlich. So sind die Abläufe der Logistikdienstleister heute auf eine möglichst hohe Durchlaufgeschwindigkeit hin optimiert. Es ist zudem noch nicht geklärt, wie sich der neue zeitliche Freiheitsgrad auf die komplexen Logistikprozesse auswirken würde. Weiterhin wird es wohl auch in Zukunft Kunden geben, die eine möglichst schnelle Zustellung fordern. Um die Belange des Kunden besser kennen zu lernen, wurden im Anschluss an den Wettbewerb in zwei mehrtägigen Workshops die potentiellen Nutzer in den Mittelpunkt gestellt. Mit Methoden des Design Thinking untersuchten zwei interdisziplinäre Teams mit dem Ideenautor Matthias Schmidt die Kundenbedürfnisse in Bezug auf die neue Lieferoption „Warten für das Klima“. Das Design Thinking ist ein menschenzentrierter Ansatz und unterscheidet sich dadurch von anderen Innovationsansätzen, die zunächst von technischen oder wirtschaftlichen Gegebenheiten ausgehen. In einem iterativen Prozess werden die Bedürfnisse von Nutzern aufgespürt und mit technischer Machbarkeit und wirtschaftlicher Rentabilität abgestimmt [8]. Dabei kamen als Prototypen selbstgestaltete Nutzerinterfaces für die schematische Abbildung der Bestellvorgänge zum Einsatz. In Interviews und Tests mit einer kleinen Gruppe aus Passanten und professionellen Testern zeigte sich ein sehr heterogenes Bestellverhalten der Kunden, das maßgeblich von dem Verhältnis der Versandkosten und dem Preis der Ware, sowie von den Gewohnheiten bei der Planung einer Anschaffung abhängt. Bei entsprechender Vorausplanung war das „Warten“ jedoch kein Ausschlusskriterium und wurde in Verbindung mit der Verbesserung der Ökobilanz als eine echte Alternative betrachtet. Statt einen konkreten Wert für die Umweltwirkung anzugeben, sollte aber eine Art Siegel für die umweltfreundlichste Versandalternative etabliert werden. Als wesentliche Erfolgsfaktoren eines solchen Siegels wurden dessen Glaubhaftigkeit und Neutralität herausgearbeitet. Bis heute fehlen allerdings Möglichkeiten, um die Auswirkungen der Variation eines Zulieferzeitraums transparent und zuverlässig einzuschätzen und dem Kunden darzustellen. Mindestens genauso wichtig wie die Zulieferzeit waren den Befragten die Bekanntgabe und die Einhaltung eines Lieferzeitpunktes. Außerdem sind geringe Preisnachlässe kaum ein Grund zum „Warten“. Daher sollte eher über die Anwendung anderer Incentives nachgedacht werden. Starten für das Klima Um die Umsetzung von „Warten für das Klima“ voranzutreiben, muss das Konzept nun weiter ausgearbeitet werden. Notwendig ist hierfür eine vertiefte Marktstudie, in der die Kundenbedürfnisse spezifiziert sowie Anwendungsfelder und Nutzergruppen identifiziert werden. Darüber hinaus sollten die Realisierbarkeit für konkrete Anwendungsfälle geprüft und die möglichen Potentiale in Zusammenarbeit mit den Online-Shops und den Logistikdienstleistern näher quantifiziert werden. Letztendlich bedarf es auch der Entwicklung eines geeigneten Bewertungsmodells für die Ökobilanz der Logistikprozesse im B2C-Bereich. Die Innovationsplattform „MovingIDEAS“ bietet sich auch weiterhin als ein kreativer Raum an, um die Diskussion und Bearbeitung des Konzepts fortzuführen. Das Beispiel „Warten für das Klima“ macht die zentrale Rolle von interdisziplinären Teams und Nutzerintegration für nachhaltige Innovationen deutlich. Auf die komplexen Probleme, die sich heutzutage in vielen Bereichen der Verkehrswirtschaft stellen, gibt es keine einfachen Antworten. Lösungsideen müssen zu tragfähigen Konzepten und zukunftsfähigen Geschäftsideen weiterentwickelt werden. Offene Innovationsprozesse sind hierzu eine geeignete Möglichkeit. Da bei offenen Innovationsprozessen eine Reihe von Herausforderungen bewältigt werden muss, bedarf es einer professionelle Begleitung. Dazu gehören das Bereitstellen einer geeigneten Kommunikationsplattform, die Unterstützung bei der Zusammensetzung von Teams, die Moderation von Workshops und die Impulsgebung für Folgeprozesse. Eine zentrale Frage ist außerdem, ob und wann der Innovationsprozess zum Schutz des geistigen Eigentums und der wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Teilnehmer geschlossen werden sollte. Im besten Fall ergibt sich dann aus der gezielten interdisziplinären Zusammenarbeit eine Win-Win- Situation für alle Beteiligten: Ein neues Geschäftsmodell für die Wirtschaft, ein Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft, ein bedarfsgerechtes Produkt für die Nutzer und ein echter Vorteil für unsere Umwelt. Da bleibt nur noch eins: gemeinsam starten! ■ LIterAtur [1] Bundesverband des Deutschen Versandhandels e.V.: Zahlen und Fakten. Präsentation 2013. URL http: / / www.bvh. info/ zahlen-und-fakten/ allgemeines/ [2] Drießelmann, D.: Einzelhandel im Wandel. Studie 2013. URL http: / / www.hwwi.org/ fileadmin/ hwwi/ Publikationen/ Partnerpublikationen/ HSH/ 2013_05_23_HSH_HWWI_ Einzelhandel.pdf [3] Groh-Kontio, C.: E-Commerce-Boom: Die Schattenseiten des Online-Handels. Artikel 2013. URL http: / / www. handelsblatt.com/ unternehmen/ handel-dienstleister/ ecommerce-boom-die-schattenseiten-des-online-handels/ 8186932.html [4] Gassmann, O.; Enkel, E. : Open Innovation. In: ZfO Wissen 3, Nr. 75, 2006, S. 132-138. Artikel 2006 [5] Nick, J. A.: Der Weg zum Kunden als Wertschöpfungspartner. InnoZ-Baustein, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel, Berlin. 2013. Im Druck [6] Vlaams Instituut voor de Logistiek (Hrsg.): Slow Logistics - Concept and Practical Examples. Studie 2010 [7] Sauter-Servaes, T.: Emma&Son Lime. In: Welzer/ Rammler (Hrsg.): Der FUTURZWEI Zukunftsalmanach 2013. Geschichten vom guten Umgang mit der Welt. Schwerpunkt Mobilität, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main. 2012, S. 336-338 [8] Plattner, H.; Meinel, C.; Weinberg, U.: Design Thinking. Innovation lernen - Ideenwelten öffnen. mi-Wirtschaftsbuch, München. Monografie 2011 Bild 1: Prinzipskizze der Lieferoption „Warten für das Klima“ Standard Express Warten für das Klima Bitte wählen Sie Ihre Versandoption € € € € € € Zustellung in Option 1-2 Tage 1 Tag max 5 Tage Versandkosten Umweltwirkung Kunde Logistikdienstleister Online-Shop Potentiale Warten für das Klima Information über Umweltwirkung Einsatz ressourcenschonenderer Transport- und Logistikkonzepte Aktiver Beitrag für eine nachhaltige Verkehrswirtschaft Motivation durch Incentives (z.B. Senkung Versandkosten) Differenzierung gegenüber Wettbewerber Imagegewinn Quelle: M. Schmidt Matthias Schmidt, Dipl. Verk.wirtsch. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr matthias.schmidt1@tu-dresden.de Ingrid Kleinert, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin ingrid.kleinert@innoz.de Thomas Sauter-Servaes, Dr.-Ing. Mobilitätsforscher & Studiengangleiter „Verkehrssysteme“, ZHAW School of Engineering, Winterthur saut@zhaw.ch LOGISTIK Nachhaltigkeit Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 24 E-Mobility - Schlüsseltechnologie zur nachhaltigen Logistik E-Mobility wird von vielen als Schlüssel zur nachhaltigen Mobilität gesehen. Im Gegensatz zum Personenverkehr sind heute im Nutzfahrzeugbereich E-Mobility-Lösungen nur in Nischen zu finden, obwohl die E-Mobility insbesondere auf der letzten Meile - im Stadtverkehr und auf Kurzstrecken - deutliche Vorteile bietet. Um diese Potenziale zu erschließen, ist die Nutzfahrzeugindustrie gefragt, großserientaugliche E-Nutzfahrzeuge zu entwickeln und zu vermarkten. Der deutschen Nutzfahrzeugbranche als weltweitem Technologieführer öffnet sich hier ein attraktiver Zukunftsmarkt. Der Autor: Horst Wildemann D ie Transport- und Logistikbranche befindet sich in einer Zeit des Wandels. Dieser Wandel wird von fünf zentralen Trends bestimmt. Diese sind Demografie, Globalisierung, Technologie, Nachhaltigkeit und Klimaschutz (Bild 1). Basierend auf der demografischen Entwicklung werden im Jahr 2025 acht Milliarden Menschen auf der Erde leben. Das enorme Wachstum zieht auch einen Anstieg des Waren- und Güterverkehrs nach sich. Mit dem Bevölkerungswachstum und der internationalen Vernetzung geht eine zunehmende Globalisierung der Warenströme einher. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt hier die Dimensionen dieses Wachstums. So stieg der globale Warenverkehr im Zeitraum von 1960 bis 2007 um das 29-fache an. Prozesse und Schnittstellen der globalen Logistik werden auf eine Belastungsprobe gestellt. Gleichzeitig führt auch das Konsumverhalten zu Veränderungen in der Logistik. E-Commerce stellt die Logistik vor neue Herausforderungen. Städtische Kundenzustellungen und das resultierende Retourenaufkommen steigern zunehmend die Bedeutung der letzten Meile. Bereits heute betragen die Retourquoten je nach Produktart bis zu 50 %. Zudem erschwert die Produktvielfalt infolge steigender Individualisierungsbedürfnisse der Kunden die Lagerung und den Warentransport. Auch intern zeichnen sich Veränderungen ab, technische Innovationen im Bereich der Fahrzeuge und des Logistikmanagements eröffnen neue Wege. Unter Einbezug des Trends zu mehr Nachhaltigkeit stellt sich die Frage: wie lässt sich der gesteigerte Warentransport bei gleichzeitiger Minimierung der CO 2 -Emissionen bewerkstelligen? Weltweit werden 14 % der klimaschädlichen CO 2 -Emissionen durch die Logistik verursacht. Somit ist für die Unternehmen der Branche die Nachhaltigkeit längst kein Selbstnutz mehr, sondern entscheidender Wettbewerbsfaktor. Die Gesellschaft, die Kunden, die Investoren und nicht zuletzt die Politik erwarten von Unternehmen eine nachhaltige Ausrichtung. Zudem wird von den Unternehmen Energieeffizienz gefordert, um die Kosten im Griff zu halten. Basierend auf der zunehmenden Brisanz der klimatischen Entwicklung und der Ressourcenverknappung steht die Logistik vor dem Sprung in ein neues Transportzeitalter. Gefragt sind dabei weniger inkrementelle Verbesserungen an bestehenden Konzepten als vielmehr ein radikaler Wandel bestehender Strukturen und Denkmuster. Eine Technologie, der ein entscheidender Lösungsbeitrag zugesprochen wird, ist die E-Mobility. Technische Grundlagen der E-Mobility Unter dem Schlagwort E-Mobility wird die zunehmende Elektrifizierung des Antriebsstrangs beschrieben. Somit ist die E-Mobility nicht nur ein Mobilitätskonzept, sondern beschreibt den Einsatz elektrischer Antriebstechnologien. Während bei PKWs bereits seit mehreren Jahren Hybrid- und Elektrofahrzeuge in Serie produziert werden, kommen diese Technologien bei Nutzfahrzeugen bislang nur in Nischenanwendungen zum Einsatz. Als Ursache hierfür sind die niedrigen Reichweiten sowie das hohe Gewicht des Antriebsstrangs zu nennen, die das Nutzungsverhalten für die Logistikbranche einschränken. Allerdings bietet eine situationsspezifische Nutzung von E-Mobility-Konzepten im Transportwesen Bild 1: Zentrale Trends in der Logistik Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 25 ökonomische und ökologische Potenziale, die es zu heben gilt. Grundsätzlich kommen dafür die Antriebsformen Micro-Hybrid, Mild-Hybrid, Voll-Hybrid, Plug-in-Hybrid, Range Extender, Brennstoffzelle sowie batterieelektrischer Antrieb in Frage (Bild 2). Micro-Hybride sind mit einem Verbrennungsmotor und einem kleinen Elektromotor/ -generator sowie einem Akku geringer Kapazität ausgestattet. Durch die Start- Stopp-Automatik wird bei Stillstand der Verbrennungsmotor abgestellt und bei Weiterfahrt mit Hilfe des Elektromotors gestartet. Geringe Mengen der Bremsenergie können im Akku gespeichert und zum Betrieb von Nebenaggregaten verwendet werden. Die Verbrauchseinsparungen sind gering. Das Fahrzeug kann nur bei laufendem Verbrennungsmotor fahren. Mild-Hybrid-Fahrzeuge besitzen neben einem Verbrennungsmotor leistungsfähigere Elektromotoren und Akkus, die es ermöglichen, die Traktion zu unterstützen. Dabei unterstützt der Elektromotor den Verbrennungsmotor speziell beim Anfahren und Beschleunigen. Ein größerer Teil der Bremsenergie wird rekuperiert und für den weiteren Antrieb nutzbar gemacht. Der Antriebsstrang ist als Parallel-Hybrid ausgelegt. Ein Voll-Hybrid verfügt über leistungsfähige Elektromotoren und Akkus, die es zulassen, zeitweise bzw. über längere Strecken rein elektrisch zu fahren. Starke Elektromotoren und Akkus ermöglichen die Auslegung des Antriebsstrangs als parallelen, seriellen oder Misch-Hybrid. Bremsenergie wird rekuperiert. Eine Sonderform der Hybrid-Fahrzeuge stellt der Plug-in-Hybrid dar. Dem Aufbau nach handelt es sich um einen Voll-Hybriden, der zur Ladung der Akkumulatoren nicht allein auf den fahrzeugeigenen Verbrennungsmotor, sondern auch auf extern erzeugten Strom („aus der Steckdose“) zurückgreift. Zur Vergrößerung der Reichweite wird ein Verbrennungsmotor als „Reichweitenverlängerer“ (sprich Range Extender) im Fahrzeug integriert. Range Extender beziehen ihren Strom überwiegend aus dem Stromnetz. Der Verbrennungsmotor wird nur dann aktiv, wenn die Batteriekapazität erschöpft ist und erzeugt dann Strom über einen Generator. Eine Brennstoffzelle ist kein Energiespeicher, sondern ein Wandler. In der Brennstoffzelle reagiert Wasserstoff bzw. Methan mit Sauerstoff. Beide Gase tauschen über einen elektrischen Leiter Elektronen aus. So wird die Brennstoffzelle zu einer Stromquelle, die ein Auto antreiben oder als Range Extender eine Batterie aufladen kann. Batterieelektrische Fahrzeuge (battery electric vehicle, BEV) werden rein elektrisch betrieben. Die Energie stammt aus einer Batterie, die am Stromnetz aufgeladen wird. Anwendung und Potenziale der E-Mobility in Nutzfahrzeugen Der Einsatz von E-Mobility-Konzepten und somit deren Marktentwicklung wird im Nutzfahrzeugbereich, stärker als bei Pkws, über den direkten Wirtschaftlichkeitsvergleich zu konventionellen Antriebstechnologien getrieben. Dabei stehen den höheren Anfangsinvestitionen für E-Mobility-Fahrzeuge Kraftstoffeinsparungen über die Nutzungsdauer entgegen. Mit einem Anteil von knapp 30 % an den Gesamtkosten von Logistikunternehmen bietet der Kraftstoff die größten Kostenhebel. Physikalisch betrachtet wird der Kraftstoff zur Überwindung der Fahrwiderstände eingesetzt. Diese sind • der Rollwiderstand zwischen Fahrbahn und Reifen, • der Luftwiderstand, • der Leerlaufwiderstand im Getriebe sowie • der Beschleunigungs- und Steigungswiderstand zur Bewegung der Transportmasse. Das Nutzungsverhalten eines Fahrzeugs bestimmt den Anteil dieser Fahrwiderstände (Bild 3). Bei Überlandfahrten sowie auf der Autobahn dominiert im Nutzfahrzeugbereich der Luftwiderstand. Hier bieten E- Mobility-Lösungen nur geringe Potenziale. Auf Kurzstrecken und im Stadtverkehr, wo häufig beschleunigt und abgebremst wird, kommen die Vorteile der E-Mobility voll zum Tragen. Hier kann der Luftwiderstand nahezu vernachlässigt werden. Es sind Effizienzsteigerungen im Antriebsstrang erforderlich, um Kraftstoffeinsparungen zu erzielen. Konventionelle Dieselaggregate Bild 2: Einsatzbereiche der unterschiedlichen Antriebsstrategien nach Reichweite Bild 3: Potenziale der E-Mobility im Nutzfahrzeugbereich nach Einsatzgebiet LOGISTIK Nachhaltigkeit Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 26 wurden bereits in der Vergangenheit an die Grenzen des technisch Machbaren optimiert. Um den nächsten Schritt zu gehen, sind neue Antriebsstrangkonzepte wie die E-Mobility gefragt. Dabei werden im Stadtverkehr kürzere Strecken zurückgelegt und geringere Zulasten transportiert, weshalb die spezifischen Nachteile von E-Mobility- Fahrzeugen durch ihre kurze Reichweite und hohes Fahrzeugeigengewicht kompensiert werden. Auch die bereits am Markt erfolgreichen E- Mobility-Kleinserien setzen in diesem Bereich an. So sind beispielsweise im Kommunalfahrzeugbereich E-Mobility-Lösungen heute schon teils kosteneffizienter als klassische Verbrennungsmotoren. Die durchschnittliche Fahrleistung von Kommunalfahrzeugen liegt bei lediglich 30-40 Kilometern am Tag, weshalb die Reichweite keine kritische Größe darstellt. Ferner ist mit einer zunehmenden Diffusion der E-Mobility auf der letzten Meile zu rechnen. Öko-Zonen in Städten sowie die Forderung nach CO 2 -freiem Transport begünstigen hier die Marktdiffusion. Die Nutzfahrzeughersteller haben diesen Trend erkannt und bieten bereits erste Sprinter mit elektrischem Antrieb an. Für die Anwender führen diese zunächst zu erhöhten Investitionen, die sich aber aufgrund des verringerten Energieverbrauchs schnell amortisieren. Den Flottenbetreibern fehlt es jedoch heute noch an einer ausreichenden Transparenz über die Wirtschaftlichkeit der Fahrzeugkonzepte und einem ausreichenden Angebot an elektrifizierten Nutzfahrzeugen, die über eine entsprechende technologische Reife verfügen, um kommerziell nutzbar zu sein. Somit ist eine allgemeine Elektrifizierung der Nutzfahrzeugindustrie kurzfristig noch nicht in Sicht. Vielmehr ist mit einer sukzessiven Diffusion von E-Mobility-Lösungen im Transportsektor zu rechnen. Ausblick: Wandel der Nutzfahrzeugindustrie durch die E-Mobility Um den Wandel zur E-Mobility im Nutzfahrzeugbereich zu bewerkstelligen, ist ein Paradigmenwechsel in der Branche erforderlich. Der Nutzfahrzeugstandort Deutschland mit über 200 000 Beschäftigten kann hier Vorreiter werden. Zukünftig wird sich die Wertschöpfung in der Nutzfahrzeugindustrie durch neue Technologien bzw. Marktakteure gravierend verändern. Gerade im Bereich der Zulieferer werden Unternehmen als System- oder Modullieferanten hinzukommen, die bislang mit der Nutzfahrzeugbranche wenige Berührungspunkte hatten. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Speichermedien wie Lithium-Ionen-Batterien oder Kondensatoren. Sie werden künftig einen wesentlichen Wertschöpfungsanteil in Elektro-Nutzfahrzeugen darstellen. Untersuchungen gehen davon aus, dass durch die E-Mobility im Fahrzeugbau auf dem Gebiet der neuen Fahrzeugkomponenten bis zu 250 000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten, die überwiegend von kleinen und mittleren Marktakteuren abgedeckt werden. ■ LIterAtur Bain & Company: Winning in Europe. Truck strategies for the next decade: lessons from our customer loyalty study, Bain & Company, 2012. Diez, W.: Otto-, Diesel-, Elektromotor - wer macht das Rennen, Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, Stuttgart 2010. Deutsche Post: Delivering Tomorrow, Bonn 2010. Götze, U.; Rehme, M.: Elektromobilität - Herausforderungen aus wirtschaftlicher Sicht, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der TU Chemnitz, Chemnitz 2011. Fraunhofer IAO; PriceWaterhouseCoopers (PWC): Elektromobilität - Herausforderungen für Industrie und öffentliche Hand. Stuttgart, Frankfurt am Main 2010. KPMG: Die europäische Nutzfahrzeugindustrie im Zeichen der Globalisierung, KPMG, 2006. Nationale Plattform Elektromobilität (NPE): Fortschrittsbericht der nationalen Plattform Elektromobilität (Dritter Bericht) ,GGEMO ,Berlin 2012 Proff, H.; Schönharting, J.: Zukünftige Entwicklungen in der Mobilität - Betriebswirtschaftliche und technische Aspekte, Springer, 2012. Roland Berger Strateg Consultants: Truck Powertrain 2020 - Mastering the CO2-Challenge; Roland Berger, 2010. Shell Deutschland: Shell LKW-Studie - Fakten, Trends und Perspektiven im Straßengüterverkehr bis 2030, Shell Deutschland Oil GmbH, Hamburg/ Berlin 2010. Spath, D.; Bauer, W.: ELAB - Wirkungsanalyse alternativer Antriebskonzepte am Beispiel einer idealtypischen Antriebsstrangfertigung, Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf 2012. VDA: Das Nutzfahrzeug - Umweltfreundlich und effizient. Berlin, 2008 Wallentowitz, H.: Strategien in der Automobilindustrie: Technologietrends und Marktentwicklungen, Vieweg+Teubner Verlag. Wiesbaden 2009. Wildemann, H.: Nachhaltigkeit in der Supply Chain - Leitfaden für nachhaltigkeitsorientiertes Wertschöpfungsmanagement, 3. Auflage, München 2013. Wildemann, H.: Elektromobilität - Anforderungen an Reifen, Fahrwerk, Antrieb und Marktpotenziale, TCW, München 2012. Wildemann, H.: Green Mobility - Maßnahmen zur Verringerung von CO2-Emissionen im Vergleich, TCW, München 2012. Horst Wildemann, Univ.-Prof. Dr. Leiter Forschungsinstitut für Unternehmensführung, Logistik und Produktion an der TU München, Geschäftsführer der TCW Unternehmensberatung, München wisekretariate@wi.tum.de Liebe Autoren, liebe Inserenten und liebe Leser, wir bedanken uns herzlich bei Ihnen für das Vertrauen, das Sie uns auch dieses Jahr geschenkt haben. Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2014. Ihr Eurailpress Team LOGISTIK Mittel- und Osteuropa Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 27 Logistik - Situation und Entwicklung in Mittel-und Osteuropa Auf dem Landwege ist die Region Mittel- und Osteuropa (Central and Eastern Europe - CEE) das Tor zu den Märkten in Russland und Asien. Transportsituation und Logistik in diesen Ländern sind freilich sehr unterschiedlich. In kurzen Zusammenfassungen schildern Experten aus Ungarn, Rumänien, Polen und der Tschechischen Republik den aktuellen Stand und die Entwicklung in ihren Ländern. Die Autoren: Alfonz Antoni, Adriana Palasan, Marcin Hajdul, Mirek Rumler Ungarn: Logistik-Strategie bis 2020 Alfonz Antoni, Dr. Managing Director Antoni Consulting Kft.; Vizepräsident, European Logistics Association (ELA); ELA-Repräsentant für Slowenien, Ungarischer Logistik-Verband Bis zum Jahr 2013 hatte keine Regierung bei berufsständischen oder privaten Institutionen und Organisationen Bedarf an der Ausarbeitung einer landesweiten Logistik- Strategie angemeldet. Das hat sich in diesem Jahr geändert: Die Regierung hat das Wirtschaftsministerium damit beauftragt, eine mittelfristige Logistik-Strategie auszuarbeiten (Regierungserlass 1157/ 2013). Ende September 2013 hat die Regierung dieser Strategie dann zugestimmt. Als Zeitrahmen sind die Jahre 2014 bis 2020 vorgesehen. Das geplante Budget liegt bei jährlich 40 Mio. EUR, wovon 75-80 % für die Entwicklung der Logistikinfrastruktur bereitgestellt werden. Damit könnte der Beitrag der ungarischen Logistik-Branche zum Bruttoinlandsprodukt von derzeit 8-9 % zum Ende dieses Zeitraumes auf 10-15 % s ansteigen. Die Strategie ruht auf vier Pfeilern: Logistik- Knowhow, Logistik-Infrastruktur (Logistikzentren ohne Transportinfrastruktur), Logistik-Netze (Anbindung an Nachbarländer) sowie Forschung und Entwicklung in der Logistik. Ziel der Strategie ist es, den Beitrag der Logistikindustrie zur Wettbewerbsfähigkeit des Landes und seiner Wirtschaft zu erhöhen. An der Umsetzung werden sich unter der Führung des Wirtschaftsministeriums mehrere Ministerien sowie Berufs- und Wirtschaftsverbände beteiligen. Die Logistikbranche ist enorm wichtig für Ungarn, unter anderem wegen seiner geografischen Lage (siehe Bilder 1 und 2). Das Land selbst ist sehr stark auf die Hauptstadt Budapest ausgerichtet, sowohl was die Infrastruktur angeht, als auch hinsichtlich der Ansiedelung von Firmen und Unternehmenszentralen. In den letzten fünf Jahren wurden im Großraum Budapest neue Zentrallager mit insgesamt 15 Mio. m 2 Fläche errichtet (Bild 3). Zur Erreichung der strategischen Ziele wurden sieben Instrumente bzw. Arbeitsfelder definiert. Zu den wichtigsten Arbeitsfeldern gehören Erfassung und Überwachung der grenzüberschreitenden Warenverkehre sowie die Einrichtung einer Logistik-Datenbank. Derzeit gibt es in Ungarn keine realistischen Zahlen zu den tatsächlichen Warenflüssen - nur theoretisch und . Wir wissen nichts über die Menge und Art der Waren, die zeitlichen Abläufe, die Niederlassungen - insofern haben wir kein Abbild der Güterbewegungen in den europäischen Transportkorridoren und an den Grenzübergängen. Auch gibt es kaum Informationen über die bestehenden Lager und Verteilzentren, Bild 1: Wichtige Verkehrskorridore im CEE-Raum (Grafik: Institut für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien) LOGISTIK Mittel- und Osteuropa (CEE) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 28 ihre genaue Lage und ihre Kapazitäten. Es gibt keine genauen Daten zu Herkunft und Bestimmungsort der Import-, Export- und Transitgüter. Daher ist es sehr schwierig, rasche Entscheidungen im Rahmen der nationalen Logistikplanung zu treffen. Die zweite große Herausforderung ist die Schaffung ausgewogener Wirtschaftsstrukturen und Infrastrukturnetze im Land selbst und einer angemessenen Verteilung auf die Transportmodi (Bild 4). Dazu gehört der Ausgleich zwischen Budapest und den umliegenden Gebieten (siehe Bild 5 zum Ausbau des dafür wichtigen Autobahnnetzes). Insofern kommt es für das Land und die Logistik-Industrie jetzt darauf an, die auftauchenden Fragen fortlaufend zu diskutieren und den Strategieplan schrittweise konsequent umzusetzen. Bild 2: Korridore und Logistikzentren in Ungarn (Grafik: KIT Institut für Transportwissenschaft) Bild 3: Logistikzentren rund um Budapest (Quelle: Colliers International) Bild 5: Bis 2030 geplante Schnellstraßen in Ungarn (Grafik: KIT Institut für Transportwissenschaft) Bild 4: Transportleistung in Ungarn nach Verkehrsart (1980-2015) in Mrd. tkm (Grafik: KIT Institut für Transportwissenschaft) Polen: Intermodalen Transport stärken Marcin Hajdul, Dr. Head of Logistic Expertise Department, Projektmanager beim Institute of Logistics and Warehousing, Vorstandsmitglied ELA Polen konzentriert sich derzeit auf die Weiterentwicklung seiner Seehäfen und der Schienen- und Straßeninfrastruktur, um die wachsenden Container-Warenströme bewältigen zu können. Zurzeit verlassen noch ca. 70 % der Container die polnischen Häfen per LKW, dem nach wie vor wichtigsten Transportmittel. Das führt zu verstärkter Staubildung im Straßennetz und steht den Zielen der polnischen Transportpolitik entgegen. Alle Transportmodi zusammengerechnet, wurden im Jahr 2012 insgesamt 1844,1 Mio. t Güter transportiert und damit 3,6 % weniger als im Vorjahr, wobei die Gesamttransportleistung 325,8 Mrd. tkm betrug, das sind 2,3 % mehr als im Jahr zuvor. Die Abnahme der Transportvolumina betraf alle Transportmodi, während die Zunahme der Gesamttransportleistung ausschließlich dem Straßengüterverkehr zuzuschreiben ist. Da der Markt immer noch vom Straßengüterverkehr beherrscht wird, waren verstärkte Maßnahmen zur Förderung des intermodalen Transports gefordert. Am 11.-Dezember 2012 rief daher Sławomir Nowak, Minister für Verkehr, Bauwesen und Schifffahrt, das Intermodal Transport Council ins Leben (Gesetzesblatt vom 11. Dezember 2012, Pos. 84). Als unterstützendes Organ befasst sich dieser Rat mit der Verbesserung der Rahmenbedingungen für den intermodalen Transport in Polen und Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 29 Rumänien: Wachstum und nachhaltige Entwicklung Adriana Palasan Managing Partner, Supply Chain Management Center; Vizepräsidentin Rumänischer Logistik-Verband; Vorstandsmitglied ELA Aus wirtschaftlicher Sicht verzeichnete Rumänien in der ersten Jahreshälfte 2013 ein Wachstum von 1,8 %. Am 31. Juli 2013 erreichten die Importe den Wert von 3,132 Mrd. EUR und die Exporte 28,19 Mrd. EUR, während das Haushaltsdefizit im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 0,18 % geringer ausfiel. Die Fernstraßensituation hat sich leider nicht verbessert: Auch dieses Jahr sind nur sechs Autobahnabschnitte mit insgesamt 545 km in Betrieb (Bild 1): • Bukarest - Pitești • Bukarest - Constanta • Bukarest - Ploiești • Cluj Napoca - Campia Turzii • Arad - Timişoara • Deva - Orăștie Wegen des schlechten Zustandes der Infrastruktur geht der Schienentransport zurück, obwohl in den vergangenen Jahren in der Region Bukarest drei neue Container- Verladestationen eröffnet wurden: Alinso in Ploiești, Cefin Logistic Park und Chitila. Noch keine Daten gibt es zum Redaktionsschluss zur Privatisierung der Căile Ferate Române (CFR Marfa), der staatlichen Bahngesellschaft, die Milliardenverluste eingefahren hat und vom Mitbewerber Grup Feroviar Roman (GFR) übernommen werden sollte. Die Übernahme wurde Ende Oktober gestoppt. Ergebnisse erhofft man sich von der Wettbewerbsbehörde. Transporte auf der Schiene haben nur ein Volumen von rund 50 Mio. t, LKW-Transporte dagegen 220 Mio. t Volumen. Dennoch ist die Zahl der im Straßentransport eingesetzten Fahrzeuge im Mai 2013 um etwa 2000 Einheiten (die Hälfte davon älter als 8 Jahre) gegenüber Oktober 2012 gesunken. Einige Großunternehmen gingen in die Insolvenz, so auch die Edy Spedition: Von über 1000 LKW im Jahr 2009 sank der Bestand dieser Firma auf 170 und das Unternehmen fiel vergangenes Jahr aus der Gruppe der zehn größten Straßentransportbetreiber heraus. Auch Dumagas, mit 542- Lastwagen derzeit die Nr. 1, ist wegen hoher Schulden in Schwierigkeiten. Unter den zwölf größten Transportunternehmen finden sich nur zwei international tätige Spediteure: Waberers mit 459 und Essers mit 249 LKW (Tabelle 1). Immerhin lässt sich eine zunehmende Professionalisierung bei den inländischen Transportunternehmen feststellen, die gute Ergebnisse einfahren und wegen ihrer Leistungsfähigkeit bei den internationalen Kunden anerkannt sind. In der Privatwirtschaft liegt die Produktivität pro Beschäftigtem bei 88 000 EUR im Vergleich zu etwas weniger als 2000 EUR im Staatssektor. Logistikanbieter konnten eine Steigerung der Markttransaktionen und eine nachhaltige Entwicklung der Projekte erleben, vor allem dank neuer Investitionen im Automobilsektor im Zusammenhang mit der Tendenz bei deutschen Firmen, die Produktion ins nahe Ausland zu verlagern. Neue Projekte wurden z. B. aufgelegt von Graells & Llonch in Turda, VAP in Timişoara, Tester in Iaşi, Daimler Auto AG in Alba, Bosch und VCST Automotive in Cluj , Leoni in Arad, MGI Container in Timişoara, Autoliv und Preh in Braşov, Draexlmaier in Satu Mare und Codlea. Yazaki plant die Errichtung einer vierten Fabrik stößt Maßnahmen an, um bestehende gesetzliche und organisatorische Hürden, die bisher die intermodale Entwicklung behindert haben, zu beseitigen. Die durchgeführten Maßnahmen haben bereits zu den folgenden Veränderungen geführt: In tkm gerechnet lagen die auf der Schiene transportierten Gütermengen bei über 13 % des gesamten von den Ländern der EU deklarierten Schienentransportvolumens. Damit liegt Polen hier zwischen Deutschland und Frankreich auf dem 2.- Platz der EU-27. Beim internationalen Transport liegt die polnische Bahn auf dem 3. Platz hinter Deutschland und Lettland. Im Jahr 2012 betrug das Frachtaufkommen in den polnischen Seehäfen (internationaler Seeverkehr und Kabotage) insgesamt 58,8-Mio. t und damit 1,9 % mehr als im Vorjahr. Die Steigerung betraf die Frachtkategorien Großcontainer (14,4 %), anderes Stückgut (8,8 %), Ro-Ro-Selbstfahrer (1,9 %) und Schüttgut (0,3 %). Gesunken sind die Zahlen beim nicht-selbstfahrenden Ro-Ro- Verkehr (6,1 %) und bei Flüssigmassengütern (4,5 %). In der ersten Jahreshälfte 2013 wurden bereits 2105,9 Mio. t Güter intermodal befördert, fast so viel wie im gesamten Jahr 2012. Bild 1: Autobahnabschnitte in Rumänien in Betrieb und in Planung (gestrichelt) LOGISTIK Mittel- und Osteuropa (CEE) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 30 und auch andere Unternehmen stehen vor der Vertragsunterzeichnung für neue Werke. Einige dieser Unternehmenwollen ihre Logistik an Dienstleister auslagern. Seit diesem Jahr kann über Direktumschlagszentren (Cross-Docking) fast das ganze Land innerhalb von 24 bis 48 Stunden beliefert werden. Im Zuge der Entwicklung des Online-Handels und weil Logistikdienstleister weniger für den kleinteiligen Vertrieb ausgebildet sind, wurde dieses Segment bislang erfolgreich von Kurierdiensten abgedeckt, die in automatisierte Sortiersysteme für mittelgroße Pakete investiert haben. Für Paletten und große Versandteile wie elektronische Geräte nutzen sie beim Konsolidieren und Umpacken herkömmliche Methoden. Die verfügbare Logistikfläche beträgt in Bukarest insgesamt rund 980 000 m 2 , verteilt auf 26 Gewerbeparks, im ganzen Land stehen etwa 1,9 Mio m 2 zur Verfügung (Tabelle-2). Die Durchschnittsmiete beträgt in der Hauptstadt 4,00 EUR/ m 2 , bei großen Einzelflächen liegt die Grenze bei 3,50 EUR/ m 2 . In anderen Landesteilen sind die Mieten etwa 10-20 % niedriger (Bild 2). Die Zahl der Neuvermietungen bei Logistikfläche hat 2013 eine Rekordzahl erreicht, allein in Bukarest waren 80 000 m 2 betroffen, 65 % aller Transaktionen fanden in der Hauptstadt statt. Investitionen gab es auch in den Städten Timişoara (18 %), Ploiesti (10 %), Iaşi (1 %) und Braşov (6 %). Wir erwarten weiterhin einen Anstieg der Investitionen aus dem Ausland in Informationssysteme und automatisierte Lagerhallen. Region Existing Stock Vacant Stock Under Construction Bucharest 979,00 117,480 0 South Romania 320,000 50,000 0 East/ North-East 10,500 N7a 12,000 Central Romania 115,000 6,000 9,000 West/ North-West 480,000 72,000 0 Tabelle 2: Lagerflächen und Leerstände nach Regionen , 2. Quartal 2013 (Quelle: CBRE Research) Bild 2: Durchschnittliche Mietpreise für Logistik-Immobilien in Bukarest und Rumänien insgesamt, 2. Quartal 2013 (Quelle: CBRE Research) Tschechische Republik: Positive Stimmung Mirek Rumler Managing Partner, Reliant s.r.o.; Vorstandsmitglied, Tschechischer Logistik-Verband In den letzten 20 Jahren war die Logistikbranche in der Tschechischen Republik von einer ziemlich dramatischen Entwicklung geprägt: Zu Beginn der 90er Jahre wurde das System staatlicher Transportorganisationen, genannt CSAD (Staatlicher tschechischer Automobil-Transport), abgeschafft und bald durch Zehntausende privater Transportfirmen jeder Größe ersetzt - von kleinen Familienunternehmen bis zu riesigen Konzernen, die heute erfolgreich mit hochdynamischen globalen Akteuren konkurrieren. In den Neunzigern boten sich nie dagewesene Chancen für Firmenneugründungen, attraktive Projekte und innovative Lösungen. Doch aus dem Wachstum auf der Angebotsseite ergab sich für die einzelnen Firmen die dringende Notwendigkeit, neue Wettbewerbsvorteile zu erringen. Dazu kamen eine zunehmende Bürokratisierung sowie diverse Geschäftshemmnisse von Seiten der lokalen Verwaltung und später auch der EU. Der harte Wettbewerb zwang die meisten Transportunternehmen zu einer Ausweitung ihrer geschäftlichen Aktivitäten. Die fortschrittlichsten Firmen entwickelten sich zu modernen 3PL-Anbietern. Die strengen tschechischen Gesetze in Kombination mit den in anderen europäischen Ländern geltenden Vorschriften waren Anstoß zu beträchtlichen Investitionen in Technologie und Ausrüstung. Dank die- Crt. Nr. Company Trucks Nr. 1 DUMAGAS TRANSPORT SA 542 2 AQUILA PART PROD COM SRL 493 3 WABERER‘S ROMANIA SA 459 4 DUNCA ExPEDITII SA 431 5 TRANSCONDOR SA 319 6 IONISCA TRANS SRL 311 7 TRANSPECO LOGISTICS & DISTRIBUTION SA 310 8 CARRION ExPEDITION SRL 301 9 INTERNATIONAL LAZAR COMPANy SRL 292 10 VEGA 93 SRL 284 11 H ESSERS SRL 249 12 TRANS CAR SRL 218 Tabelle 1: Die zwölf größten Speditionen in Rumänien (Quelle: CBRE Research) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 31 ser Entwicklung kann die tschechische Logistikindustrie heute auch die anspruchsvollsten Kunden bedienen und Konzepte anbieten, die von lokalen wie internationalen Kunden gleichermaßen geschätzt werden. Was macht den tschechischen Markt attraktiv für einen weiteren Ausbau der Logistik? Aus welchem Grund sind alle globalen 3PL- Anbieter seit den frühen 90er Jahren im tschechischen Markt aktiv? Wie konnten so viele erfolgreiche tschechische Logistikunternehmen entstehen, die heute Kunden aus aller Welt betreuen? Der wichtigste Grund ist die direkte Nachbarschaft der Tschechischen Republik zum deutschen Markt, der als Motor der tschechischen Wirtschaft gilt. Angemessene Servicequalität in Verbindung mit den immer noch niedrigeren Betriebskosten ermutigte einige deutsche Fertigungs- und Handelsunternehmen zur Verlagerung ihrer Logistikprozesse in die benachbarte Tschechische Republik. Man sollte allerdings erwähnen, dass dabei nicht nur die niedrigeren Kosten eine Rolle gespielt haben. Weitere Faktoren waren die günstige geografische Lage im Zentrum der CEE-Region Mittel- und Osteuropa (Bild 1), das ausreichende Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, das Vorhandensein der notwendigen Infrastruktur und möglicherweise auch die Einschätzung, der tschechische Markt sei ein erster Schritt zu den Märkten im Osten (Russland, Ukraine, Weißrussland, etc.). Die Entwicklung des tschechischen Industrie-Immobilienmarktes ist seit langem stabil. In den letzten beiden Jahren schwankten die Mieten zwischen 3,50 EUR/ m 2 und 3,70 EUR/ m 2 . Der Anteil freier Lagerflächen liegt bei gesunden 10 %. Die Verlagerung und Erweiterung westeuropäischer Produktionsflächen nach Tschechien hat von diesem Phänomen stark profitiert (Bild-2). Dazu Ferdinand Hlobil, Leiter CEE Industrial Team bei Cushman & Wakefield: „Der Internethändler Amazon hat kürzlich beschlossen, in der Tschechischen Republik ein Lager für die Retouren deutscher Kunden aufzubauen. Geringere Arbeitskosten und niedrigere Grundstückspreise sowie die Möglichkeit, die CEE-Region für das Amazon-Geschäft zu erschließen, machen diesen Schritt so attraktiv, dass die Kosten des Transports von Deutschland kompensiert werden. Und das stabile Wirtschaftsumfeld erleichtert den Firmen die langfristige Planung.“ Im ersten Halbjahr 2013 haben Unternehmen in Tschechien über 470 000 m 2 moderne Industriehallenflächen angemietet. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es 250 000 m 2 . Der Markt ist positiv gestimmt. ■ Bild 1: Die überwiegende Mehrheit der EU-Bürger lebt in einem 1500-Kilometer-Radius um die Tschechische Republik basisdaten zum aktuellen Logistikmarkt Bevölkerung: 10 Mio. Fernstraßennetz: 2400 km; Straßen 1. Kategorie: 1900 km Schienennetz: über 9000 km Gesamte verfügbare Lagerflächen: 3 351 700 m² Transport und verwandte Dienstleistungen tragen 10 % zum tschechischen BIP bei. Die Transportbranche hat über 260 000 Beschäftigte (8,2 % aller Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft). Der Straßengüterverkehr zwischen Deutschland und Tschechien ist seit dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik um 40 % gestiegen. Der Transitgüterverkehr beträgt 20 % des Gesamtvolumens. Der Straßengüterverkehr dominiert mit 73 %-Marktanteil, bei 27 % für die Schiene. Bild 2: Fast 70 % der Logistik-Kapazitäten finden sich im Nordwesten nahe Prag LOGISTIK Instandhaltung Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 32 Optimierung der Instandhaltungslogistik Wie lässt sich das Instandhaltungsmanagement bezüglich Ablauf- und Terminüberwachung, Kommunikation und Kostenmanagement effizient unterstützen? Ein Beitrag zu innovativen Methoden und Tools für Planung und Betrieb. Der Autor: Günther Pawellek E in Erfolgsfaktor in der industriellen Praxis sind permanente Rationalisierung und Innovation. Die Folgen sind steigende Automatisierung und zunehmende Komplexität der Maschinen und Anlagen sowie deren Vernetzung in globalen Produktionsnetzwerken. Mit dieser Entwicklung kommt der Anlagenwirtschaft eine wachsende Bedeutung zu. Es gilt, insbesondere die Wartung und Instandhaltung und die damit verbundene Ersatzteillogistik als integrierten Bestandteil vernetzter Wertschöpfungsprozesse zu verstehen und zielgerichtet die meist erheblichen Einsparungspotenziale zu nutzen [1]. Zwei innovative Lösungsansätze aus der Projektgruppe „Integrierte Instandhaltung und Ersatzteillogistik“ der TU Hamburg-Harburg sind die „Wissenbasierte Instandhaltungsoptimierung“ und „Mobile Instandhaltung“ im operativen Betrieb. Wissenbasierte Instandhaltung Bei der Planung und Überwachung der Instandhaltungsstrategie eines Unternehmens sind eine Vielzahl von Einflussfaktoren zu berücksichtigen, wie z.B. das Ausfallverhalten von Anlagen und Komponenten, die Instandhaltungsprozesse, das technische Controlling, die Instandhaltungsorganisation, die Beschaffung, Lagerung und Bereitstellung der Ersatzteile sowie die Qualifikation der Mitarbeiter und Führungskräfte. Entscheidungen über bestehende Prozesse oder alternative Instandhaltungs- und Logistikstrategien müssen getroffen werden. Die Festlegung von Instandhaltungsstrategien sollte aufgrund der stark unterschiedlichen Abnutzungsverhalten sowie der unterschiedlichen Bedeutung der Komponenten von Maschinen und Anlagen baugruppenbezogen erfolgen. Es macht jedoch wenig Sinn und wäre viel zu aufwendig, für alle Komponenten in der Stückliste einer Maschine oder Anlage Strategien zu bestimmen [2]. Deshalb wird eine Systematik zur Auswahl von Instandhaltungsstrategien mit folgenden drei Arbeitsschritten empfohlen: • Vorauswahl der zu betrachtenden Komponenten, d.h. mithilfe einer Anlagenanalyse wird die Gesamtanlage analysiert, um Schwachstellen und kritische Bauteile der Anlage zu ermitteln. Die klassischen Methoden Funktionsanalyse, Bauteilanalyse und Ausfalleffektanalyse können hierbei zum Einsatz kommen. • Komponentenbezogene Zuordnung von Instandhaltungsstrategien, d. h. entsprechend dem in Bild 1 dargestellten wissenbasierten Entscheidungsbaum erfolgt die Auswahl zwischen störungsbedingter Instandhaltung (nach Ausfall), zeitbezogener Instandsetzung geplant in festgelegten Perioden (vor Ausfall), operativer Instandsetzung, bei der alle Aktivitäten (Arbeitspapiere, Material etc.) vorbereitet sind, und nur der Termin der Maßnahme noch unbekannt ist, sowie zustandsabhängiger Instandhaltung, bei der die Instandsetzung vor Ausfall in Abhängigkeit des Anlagenzustandes erfolgt, und alle Aktivitäten vorbereitet sind. • Bildung einer Gesamtstrategie für eine Anlage, d. h. die Einzelstrategien werden unter Berücksichtigung theoretischer und ökonomischer Abhängigkeiten der Baugruppen zu einer Gesamtstrategie zusammengefasst. Zur komponentenbezogenen Auswahl von Instandhaltungsstrategien hat sich das IT- Tool „Differenzierung der Instandhaltungsstrategien“ (DIS) bewährt. Damit wird der Entscheidungsprozess der Strategieauswahl unter Nutzung des Erfahrungswissens der Mitarbeiter objektiviert und systematisiert. Die Strategieauswahl erfolgt wissenbasiert in Abhängigkeit des vorhandenen Zustandswissens über Anlage und Prozess. DIS ist allgemein gehalten und anwendbar für Anlagen unterschiedlichster Art. Unternehmens- und anlagenspezifische Anpassungen sind ohne großen Aufwand möglich. Abhängig von den ausgewählten Instandhaltungsstrategien können die Strategien der Ersatzteillogistik mit Unterstützung des TDL-Tools zur „Teiledifferenzierten Logistikoptimierung“ bestimmt werden. Dabei wird sowohl der Materialfluss zwischen Zulieferer und Einbauort mit den möglichen Lagerebenen betrachtet. Auch der Informationsfluss wird unter Berücksichtigung möglicher Beschaffungs-, Lagerhaltungs- und Bereitstellungsstrategien mit seinen unterschiedlichen Regelkreisen baugruppenbezogen optimiert. Die TDL-Methode ist ein sehr effizientes Werkzeug zur Senkung der Komplexität in Versorgungsketten. Im Wesentlichen werden dabei die Erfahrungen der Mitarbeiter bzw. das Wissen oder die Situation strukturiert in einem Modell für die „Integrierte Instandhaltung und Ersatzteillogistik“ abgelegt. TDL unterstützt z.B. folgende Funktionen: • Teileklassifizierung und Strategiebewertung in Form von Merkmalsprofilen, • Berechnung der Affinität zwischen den Profilen und Logistikstrategien, • Konfliktlösung bei den Teilen, für die sich prinzipiell mehrere unterschiedliche Logistikstrategien eignen, • Quantifizierung der Verbesserungspotenziale durch Differenzierung nach unterschiedlichen Logistikstrategien. Ergebnis der Anwendung von Methoden und Tools der wissenbasierten Instandhaltung sind optimierte Prozesse in der Anlagenwirtschaft. Mobile Instandhaltung Im laufenden Betrieb ist die Verfügbarkeit der Maschinen und Anlagen ein wichtiger Produktionsfaktor. Es treten jedoch immer wieder ungeplante Störungen auf, die die Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 33 reibungslose Produktion gefährden können. Dann werden Instandhaltungsaufträge generiert, die sehr zahlreich und in verschiedenen Prioritäten vorliegen können. Bei vielen neuen und aktiven Instandhaltungsaufträgen kann dieses den Disponenten schnell überfordern. Ziel der mobilen Instandhaltung ist die schnelle Erfassung und Abarbeitung der Instandhaltungsaufträge, d.h. einfache Erfassung von Störungen, schnelle Auslösung der Aufträge, Entlastung der Disposition, Steuerung der einzelnen Instandhalter und Dokumentation der Aktivitäten. Um dieses Ziel zu erreichen, kommen zunehmend Helpdesk-Systeme für das Online-Störungsmanagement (OSM) zum Einsatz. Mit OSM können Störungen vor Ort mit mobilen Standard-Geräten (z. B. smart phone, Tablet-PC) erfasst werden. Die sofortige Weiterleitung der Aufträge an die internen und externen Stellen, wie z. B. Mechanik, Elektrik, technische Dienstleister, erfolgt unter Zuhilfenahme der Warteschlagentheorie (Bild 2). Zwar ist bei großen komplexen Industrieanlagen und Immobilienbeständen im technischen Service ein solches „Ticket Management“ in den Facility Management-Systemen seit etwa 8 Jahren Standard. Jedoch haben alle bisherigen Systeme eine „unangenehme Gemeinsamkeit“: Sie sind komplex und teuer. Das OSM- System dagegen bietet eine einfache und preiswerte Lösung, da sie auf einer Open Source-Software basiert. Auch die Verbindung mit den verschiedensten analogen und digitalen Mess-Sensoren (wie z.B. IR, Lichtschranken, Feuchte-Drucksensoren, Photowiderstand, Ultraschall) ist möglich. OSM unterstützt das Instandhaltungsmanagement z.B. wie folgt: • Ablauf- und Terminüberwachung dient zum einen der Planung, Kontrolle und Steuerung von Terminen, Puffern und Abhängigkeitsbeziehungen der Instandhaltungsaktivitäten (z. B. zur Materialwirtschaft oder technischen Dienstleistern). Zum anderen dient sie zur Abbildung möglicher Konsequenzen von Planänderungen und eingetretenen Störungen. • Kommunikation, d. h. ein effektives Informations- und Dokumentationsmanagement ist notwendig. Um die Kommunikation zu erleichtern, bietet OSM jedem Nutzer (Maschinenbediener, Instandhaltungsabteilung, Zulieferer etc.) ein „Kunden-Login-Portal“. Über das Portal kann der Kunde seine Störungen mitteilen und somit einen Auftrag eröffnen. Weiterhin können Auftragsstatus und -historie transparent dargelegt und Änderungen mitgeteilt werden. • Kostenmanagement, d.h. mit der Ablauf- und Terminüberwachung lassen sich Kostenabweichungen durch die Leistungsmeldung im Bearbeitungsfortschritt identifizieren, was die Kostenverrechnung nach erbrachter Leistung durch interne oder externe Dienstleister unterstützt. Damit ist OSM erstmals auch für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) eine Lösung, um das Störungsmanagement auch bei Integration entsprechender externer Dienstleister effizient und transparent zu steigern. Fazit In der Anlagenwirtschaft rückt die optimierte Gestaltung und Steuerung der Instandhaltung und Ersatzteillogistik in den Vordergrund. Mit neuen Ansätzen der wissenbasierten Optimierung kann die komponentenbezogene Differenzierung der Instandhaltungs- und Logistikstrategien Toolbasiert durchgeführt und überwacht werden. Im operativen Betrieb kommen Online-Störungsmanagement-Systeme zum Einsatz, die das Instandhaltungsmanagement bezüglich Ablauf- und Terminüberwachung, Kommunikation und Kostenmanagement effizient unterstützen können. ■ LIterAtur [1] Pawellek, G.: Integrierte Instandhaltung und Ersatzteillogistik - Vorgehensweisen, Methoden, Tools. Springer- Verlag, Berlin Heidelberg 2013 Günther Pawellek, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Leiter FIL Forschungsinstitut für Logistik, Institut für Technische Logistik, TU Hamburg-Harburg pawellek@tuhh.de Bild 2: Online Störungsmanagement in der Anlagenwirtschaft Bild 1: Hierarchische Ebenen einer wissenbasierten Strategieauswahl Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 34 LOGISTIK Wissenschaft E twa jeder fünfte Container wird aktuell in den Seehäfen weltweit leer umgeschlagen - auf einzelnen Hinterlandtransportrelationen liegen die Leeranteile sogar teilweise noch deutlich höher. Nicht nur aufgrund der mit Leercontainertransporten verbundenen Zusatzkosten, sondern auch wegen der zusätzlichen Belastung von Umwelt und Transportinfrastruktur ist eine optimale Leercontainerlogistik für die Containerlogistikkette und ihre Akteure so wichtig. Die Vielzahl und Heterogenität der an der Leercontainerlogistik beteiligten Akteursgruppen sowie deren unterschiedlichen Ziele machen eine Optimierung der Leercontainerlogistik jedoch sehr komplex. 1 Akteursübergreifende Strategien der Leercon- Aktuelle Anforderungen und Perspektiven der Leercontainerlogistik Ergebnisse einer Marktstudie Leercontainertransporte sind die „Achillesferse“ der Container- und Logistikwirtschaft. Gerade in Zeiten geringer Margen und starken Wettbewerbsdrucks kann eine gute Leercontainerlogistik „den Unterschied machen“ - sowohl für ein Unternehmen als auch für einen Hafenstandort. Aber wo besteht derzeit der größte Handlungsbedarf zur Optimierung der Leercontainerlogistik? Welche Akteursgruppen sind daran beteiligt und wer ist für die Leercontainerlogistik überhaupt verantwortlich? Und was sind vielversprechende Optimierungsansätze? Eine aktuelle Studie von BSL Transportation gibt Antworten und liefert eine Einschätzung aus Sicht aller relevanten beteiligten Marktteilnehmer. Die Autoren: Barbara Hüttmann, Mathias Lahrmann © N LOGISTIK Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 35 LOGISTIK Wissenschaft über alle Akteursgruppen hinweg auch deutlich am stärksten ausgeprägt. Als Haupteigentümer von Containerequipment werden die Reedereien von den Befragten sowohl in Seehäfen als auch im Hafenhinterland ganz vorn in der Optimierungsverantwortung gesehen, jeweils gefolgt von Terminals und Speditionen. Gleichzeitig werden die Reedereien jedoch auch als Hauptprofiteure einer Optimierung eingeschätzt. Bei der Frage, welche Faktoren über den Standort der Leercontainerlagerung entscheiden, zeigen sich die Befragungsteilnehmer einhellig preissensitiv. Neben dem Lagerentgelt werden von über 70 % der Befragten aber auch Schienen- und Straßenanbindung als Hauptfaktoren für die Standortwahl genannt. Auffällig ist, dass die Nähe zum Produktionsbzw. Distributionsstandort dabei über alle Akteursgruppen hinweg höher bewertet wird als die Nähe zum Seehafen (Bild- 2). Hier könnte aber auch ein Zusammenhang mit Bild 1: Kooperationen und Unternehmensbeteiligungen zur Optimierung der Leercontainerlogistik (Alle Grafiken: BSL Transportation Consultants) Bild 2: Hauptfaktoren für die Standortwahl der Leercontainerlagerung tainerlogistik sind daher bislang eher selten an Hafenstandorten oder im Hinterland zu finden. Das führt im Umkehrschluss zu der Hypothese, dass die verschiedenen Einzelakteure ihre Leercontainerlogistik an einem Hafenstandort bisher vorrangig unabhängig voneinander im Rahmen von „single-company“-Lösungen optimieren. Dies birgt jedoch das Risiko von „Insellösungen“, die nicht notwendigerweise auch die beste ganzheitliche Lösung für den jeweiligen Hafenstandort und seine Logistikwirtschaft darstellen. Welches aber sind überhaupt die Hauptanforderungen an eine Optimierung der Leercontainerlogistik an Hafenstandorten und im Seehafenhinterland sowie hierfür relevante Einflussparameter? Wo liegen aus Sicht der Marktteilnehmer die wichtigsten Handlungsfelder in Bezug auf den Optimierungsbedarf und welche Strategien werden letztlich als sinnvolle Lösungsansätze erachtet? Diesen Kernfragen ist BSL Transportation im Rahmen einer Marktstudie zur Leercontainerlogistik auf den Grund gegangen. Die Studie basiert auf einer standardisierten und anonymisierten Umfrage, in der die in Deutschland aktiven Marktakteure gezielt nach ihren Einschätzungen befragt wurden. Die hohe Rücklaufquote von 24,1 % mit 117 Befragungsteilnehmern aus allen relevanten Akteursgruppen der Leercontainerlogistik 2 unterstreicht hier bereits die Themenrelevanz. Zusätzlich wurden die Befragungsergebnisse durch Expertengespräche weiter ergänzt und validiert. Rahmenbedingungen und Status quo Die hohe Bedeutung von Fragestellungen der Leercontainerlogistik zeigt sich direkt in der Einschätzung der Teilnehmer, welche diese zu 98 % als wichtig oder sehr wichtig einstufen. Zudem hat die Leercontainer-Thematik aus Sicht aller beteiligten Marktteilnehmer in den letzten Jahren noch einmal deutlich an Relevanz gewonnen. Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund jedoch, dass die befragten Unternehmen bei der Entwicklung unternehmensinterner Strategien zur Optimierung der Leercontainerlogistik bislang zurückhaltend sind. Drei Viertel der befragten Unternehmen gaben an, aktive Einflussmöglichkeiten auf die Leercontainerlogistik zu besitzen. Allerdings verfügt hiervon zurzeit nur etwa die Hälfte über eine explizite unternehmensinterne Optimierungsstrategie. Die gleiche Zurückhaltung gilt für Kooperationen bzw. Unternehmensbeteiligungen: Nur gut ein Drittel der Befragten unterhält aktuell Kooperationen oder verfügt über Unternehmensbeteiligungen zur Optimierung der Leercontainerlogistik, wobei jeder Zehnte jedoch zumindest eine solche plant. Bei den bestehenden Kooperationen spielen insbesondere die Reedereien eine zentrale Rolle als Kooperationspartner (Bild 1). Umgekehrt ist bei den befragten Reedereien die Bandbreite der verschiedenen Kooperationspartner Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 36 LOGISTIK Wissenschaft den unterschiedlich hohen Lagerkosten für Leercontainer in Seehafennähe und im Binnenland bestehen, da die Lagerentgelte im Seehafen sowohl im Terminalals auch im Depotbereich üblicherweise deutlich über denen an Hinterlandstandorten liegen. Herausforderungen und Lösungsansätze Die größten Herausforderungen in Bezug auf die Leercontainerlogistik sehen die Befragten für die Gesamt-Branche derzeit vorrangig in den Bereichen Containerströme, Kosten und Prozessgestaltung, während die Themenfelder Kapazitäten, Infrastruktur und Standortpolitik hingegen nachrangig bewertet werden. Es zeigt sich die große Bedeutung von unpaarigen Containerströmen im Hafenhinterland, aber auch innerhalb eines Hafengebiets. Für die Prozessgestaltung in der Leercontainerlogistikkette erkennen die Befragten, ebenso wie beim Informationsfluss, noch deutliche Verbesserungspotenziale. Diese beziehen sich insbesondere auf eine suboptimale Abstimmung der Akteure, kurze Vorlaufzeiten von Leercontainerbuchungen und -transporten sowie starke Bedarfsspitzen (Peaks). Kaum Engpässe werden dagegen hinsichtlich des verfügbaren Angebots an Leercontainerserviceleistungen sowie bezüglich der Auswahl an Leercontainerdepots gesehen. Auch die Entfernung der Leercontainerdepots von den Terminals bewerten die Befragten derzeit nicht als einen kritischen Faktor (Bild 3). In engem thematischen Zusammenhang zu den Herausforderungen der Leercontainerlogistik steht der Optimierungsbedarf. Diesen sehen die Befragten insbesondere auf der Prozess- und Informationsseite, während sie dem Einsatz innovativer Technologien oder einem stärkeren Container-Tracking und -Tracing, z. B. mittels RFID-Transpondern, dagegen überraschenderweise skeptisch gegenüberstehen. Der größte Optimierungsbedarf wird von den Befragungsteilnehmern in den folgenden Themenfeldern erkannt: • Verbindung von Leermit Lastcontainerläufen, • Verringerung der Anzahl transportierter Leercontainer, • Bessere Verfügbarkeit von Leercontainern, • Verbesserter Informationsfluss innerhalb der Containerlogistikkette, und • Angebot trimodaler leercontainerrelevanter Anlagen. Von besonderem Interesse sind die Ergebnisse im Bereich nachhaltiger Transporte. Zwar besteht hier nach Einschätzung von rund 50% der Befragten grundsätzlich ein Bedarf für weitere Optimierungen, jedoch fällt die Bewertung der Relevanz für das eigene Unternehmen bzw. die gesamte Logistik- und Transportbranche sehr unterschiedlich aus: So wird eine weitere Optimierung im Bereich Nachhaltigkeit und Umwelt Bild 5. Handlungsfelder der Leercontainerlogistik Bild 3: Aktuelle Herausforderungen der Leercontainerlogistik Bild 4. Wirksamkeit von Optimierungsstrategien der Leercontainerlogistik LOGISTIK Wissenschaft für die Gesamtbranche deutlich höher bewertet als für das eigene Unternehmen. Rund die Hälfte der Befragungsteilnehmer sieht zudem den Bedarf für eine akteursübergreifende Leercontainerstrategie am Standort sowie für eine Berücksichtigung von Leercontainern in Hafenplanung und -entwicklung. Die als besonders wirksam eingeschätzten Lösungsansätze zur Optimierung der Leercontainerlogistik beziehen sich zum einen auf das Hafenhinterland, wie eine strategische Hinterland-Depotwahl und die Einrichtung von Dreiecksverkehren im Hinterland, sowie zum anderen auf den Austausch von Containerequipment sowie die Nutzung leerer Transportkapazitäten (Slots) mit Leercontainern. Aber auch preisliche Anreizsysteme werden als besonders wirksame Optimierungsstrategie bewertet. Offenkundig wird auch hier die Skepsis der Befragten hinsichtlich der Wirksamkeit neuer Technologien (z. B. innovativer Containerdesigns wie Faltcontainer), welche als gering eingeschätzt wird. Gleiches gilt für Lösungsansätze mit Fokus auf Equipment Tracking und Tracing mittels RFID oder die Vermeidung von Leercontainertransporten durch Ankauf von Leercontainern bei Bedarf bzw. Verkauf von überschüssigen Leercontainern in bestimmten Regionen (Bild 4). Fazit und Ausblick Zusammengefasst betreffen die größten Handlungsfelder die Bereiche Containerströme, Prozessgestaltung und Nachhaltigkeit (Bild 5). Insgesamt wird deutlich, dass die Bedeutung der Leercontainerlogistik bereits heute über alle Teilnehmergruppen hinweg als sehr hoch eingeschätzt wird. Über 80 % der befragten Marktteilnehmer gehen davon aus, dass die ohnehin schon hohe Bedeutung der Leercontainerlogistik künftig sogar noch weiter zunehmen wird. Dies erhöht den Bedarf einer detaillierteren Ausgestaltung von Lösungsansätzen unter Einbezug der teils komplexen Prozesszusammenhänge sowie der unterschiedlichen Ausrichtungen aller an der Leercontainerlogistik Beteiligten. Dennoch sind Optimierungsstrategien derzeit noch nicht so stark ausgeprägt, wie es zu erwarten wäre und möglich erscheint. Nur rund die Hälfte der befragten Unternehmen mit aktiver Einflussnahme auf die Leercontainerlogistik verfügt bislang über eine diesbezügliche unternehmensinterne Strategie. Aber auch bei Kooperationsansätzen zur Optimierung der Leercontainerlogistik bestehen noch Potenziale, da nur etwa ein Drittel der Befragten derzeit Kooperationen oder Unternehmensbeteiligungen zur Optimierung der Leercontainerlogistik unterhält. Dies unterstützt die eingangs aufgestellte Hypothese, dass die Unternehmen vorwiegend unabhängig voneinander im Rahmen von „singlecompany“-Lösungen optimieren. Um die Leercontainerlogistik weiterzuentwickeln, ist aber oftmals eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit notwendig. Hier bestehen beispielsweise erste Ideen und Konzepte, Leercontainerverkehre auf der Schiene zu bündeln und mit Lastverkehren zu koordinieren oder Hinterlanddepots aufzubauen und einzubinden. Dabei handelt es sich aber um Ansätze, die unter Einbindung unterschiedlicher Beteiligter der Leercontainerlogistik bearbeitet und weiterentwickelt werden müssen. Insofern bedarf es auch entsprechender „Kümmerer“ an einem Standort, die diese Entwicklungen vorantreiben. ■  1 Vgl. Hüttmann, Barbara (2013): Empty Container Logistics in the Maritime Economy - Evidence from the North Range, Hamburg. 2 Die Teilnehmerstruktur umfasst Reedereien, Speditionen, Terminalbetreiber (Seehafen, Binnenhafen und Hinterland), Transportunternehmen, Containerdepot- und -serviceunternehmen, Containerleasinggesellschaften sowie sonstige Akteursgruppen. Barbara Hüttmann, Dr. Consultant, BSL Transportation Consultants GmbH & Co. KG, Hamburg b.huettmann@ bsl-transportation.com Mathias Lahrmann Managing Partner, BSL Transportation Consultants GmbH & Co. KG, Hamburg m.lahrmann@ bsl-transportation.com Einfach wirtschaftlich: Rolltor / Rollgitter SB • handbetätigt oder optional mit Antrieb WA-300 • einfache manuelle Bedienung bzw. antriebsschonender Torlauf dank Zugfedertechnik 23/ 13 INFRASTRUKTUR E-Mobilität Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 38 Mobile Metering: Flexible und flächendeckende Ladeinfrastruktur Mobile Metering verlagert Stromzählung und Datenkommunikation aus der stationären Ladeinfrastruktur in ein intelligentes Ladekabel oder direkt ins Fahrzeug. Dadurch werden die Ladepunkte für Elektrofahrzeuge auf technisch einfache Systemsteckdosen reduziert, die kompakt, günstig und einfach zu installieren sind. Ladepunkte nach dem Konzept von ubitricity verursachen nahezu keine laufenden Kosten und machen Ladeinfrastruktur somit bezahlbar und flächendeckend verfügbar. Der Autor: Knut Hechtfischer U nser Alltag ist geprägt von Mobilität. Mobile Elektronik, die wir mit uns führen, ist ebenso allgegenwärtig wie selbstverständlich. Telefonieren, Nachrichten verfolgen oder per E-Mail Kommunizieren - alles geht überall dort, wo wir uns gerade aufhalten, weil wir unser mobiles Endgerät dabei haben. Niemand käme heute noch auf die Idee, an allen Orten, an denen telefoniert werden soll, Telefonzellen zu errichten. Viel zu teuer sind Anschaffung, Aufbau, Netzanschluss und Wartung. Stattdessen nutzen wir ein mobiles Telefon. Ähnlich wie in der Mobilfunkkommunikation bildet die mobile Elektronik auch den Schlüssel zu einer effizienten Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge (Bild 3). Elektrofahrzeuge sind mobile Verbraucher. Sie parken und laden nicht immer am selben Ort, sondern an einer Vielzahl von Orten. Notwendig werden deshalb mehr Ladepunkte als Fahrzeuge. Herkömmliche Konzepte für Ladeinfrastruktur sehen jedoch vor, dass Elektrizitätszähler und Kommunikationstechnik in der Ladesäule verbaut sind - hohe Investitions- und Betriebskosten sind die Folge. Dies verhindert insbesondere im halb-öffentlichen und öffentlichen Raum die flächendeckende Einrichtung von Ladepunkten. Einfach überall Tankstrom laden Infrastruktur auf Grundlage mobiler Technologie (Mobile Metering) bietet eine kosteneffiziente und innovative Alternative. Die Kosten für Ladeinfrastruktur und Abrechnungssysteme für E-Fahrzeuge können durch den Einsatz mobiler Smart Meter um bis zu 90% gesenkt werden. Mobile Metering basiert auf mobiler Zähl- und Kommunikationstechnik, die sich in einem intelligenten Ladekabel oder direkt im Fahrzeug befindet. Während der mobile Zähler den energiewirtschaftlich relevanten Zählpunkt bildet, können Ladepunkte auf technisch einfache Systemsteckdosen reduziert werden, für die kein Messstellenbetrieb und keine dauerhafte Online-Verbindung mehr erforderlich sind. Dadurch sinken Anschaffungs- und laufende Kosten ganz erheblich im Vergleich zu anderen Lademöglichkeiten. Die Verbindung von intelligentem Ladekabel und der Systemsteckdose bietet innerhalb der Infrastrukturlösung von ubitricity die volle Funktionalität zum Laden und Abrechnen von Ladevorgängen elektrischer Fahrzeuge (Bild 2). Sobald der Nutzer das intelligente Ladekabel an eine Systemsteckdose anschließt, startet ein automatischer Autorisierungsprozess via Mobilfunk mit dem Backend-System. Das intelligente Ladekabel schaltet die Systemsteckdose nach erfolgreicher Autorisierung des Nutzers für den Ladevorgang frei und Strom fließt. Für die physikalische Verbrauchsmessung wird im intelligenten Ladekabel eine Zähltechnik in Form eines intelligenten Stromzählers (Smart Meter) eingesetzt. INFRASTRUKTUR E-Mobilität Bild 1: Der Audi A2e von ubitricity an einer Straßenlaterne mit mastintegrierter Systemsteckdose auf dem EUREF-Campus in Berlin (Alle Fotos: ubitricity) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 39 Die Übertragung der Nutzungs- und Transaktionsdaten erfolgt nach Beendigung des Ladevorgangs verschlüsselt, signiert und über das Mobilfunknetz sicher an die Leitstelle zur Vorbereitung der Abrechnung gegenüber den beteiligten Marktpartnern. Bei fehlender Mobilfunkverbindung zum Zeitpunkt des Ladevorgangs werden die Verbrauchsdaten zwischengespeichert und nachträglich an das System übermittelt. So kann der Nutzer die Details zur Transaktion sofort nach jedem Ladevorgang auf einem Internetportal nachvollziehen. Einmal monatlich erhält er dann eine transparente Rechnung über die Transaktionen, vergleichbar mit dem Einzelverbindungsnachweis eines Mobilfunkanbieters. Die entnommenen Energiemengen der mobilen Zählpunkte werden im Rahmen der energiewirtschaftlichen Prozesse abgewickelt. Volle Flexibilität auch bei der Wahl der Stromqualität Im Vergleich zu den Konzepten derzeitiger stationärer Ladesäulen bietet ein mobiler Zählpunkt, der in die energiewirtschaftlichen Prozesse integriert ist, deutliche Vorteile. Wie im derzeitigen Zusammenspiel der Marktteilnehmer für die Belieferung, Messung und Abrechnung von Haushalts- und Unternehmenskunden, ist auch im Mobile Metering System jedem E-Fahrzeugnutzer ein Zählpunkt zugeordnet. Der E- Fahrzeugnutzer schließt darauf basierend einen Mobilstromvertrag mit dem Lieferanten - entsprechend dem Tarif seiner Wahl. Die Integration des mobilen Zählers in die energiewirtschaftlichen Prozesse bietet E- Fahrzeugnutzern damit die gleichen Freiheiten in der Wahl von Stromlieferant, -tarif und -qualität, wie bei der Wahl des Stromversorgers für einen stationären Zählpunkt im Haushalt oder im Unternehmen. Dies ist bei herkömmlichen Ladesäulenkonzepten nur mit aufwändigen Roamingkonzepten möglich, bei denen die Beschaffung des Stroms meist durch den Betreiber der Ladesäule erfolgt und der beschaffte Strom den anderen Versorgern lediglich beigestellt wird. Über den mobilen Zählpunkt wird dagegen tatsächlich ein wirtschaftlicher und diskriminierungsfreier Zugang zu Ladepunkten und Kunden für alle Stromlieferanten möglich. Mobile Metering schließt gleichzeitig die Nutzung konventioneller Ladeinfrastruktur nicht aus: Nutzer mit einem intelligenten Ladekabel von ubitricity können auch an standardkonformen Ladesäulen anderer Anbieter laden. In diesem Fall verhält sich das intelligente Ladekabel genau wie ein herkömmliches Kabel und das Mobile Meter bleibt stumm. Die Abrechnung erfolgt unmittelbar zu den Konditionen des Ladesäulenanbieters. Die Nutzung anderer Infrastrukturalternativen wird durch Mobile Metering technisch daher nicht beeinträchtigt - der E-Fahrzeugnutzer erhält im Gegenteil zusätzliche Lademöglichkeiten. Flächendeckend bezahlbare Ladeinfrastruktur Über die energiewirtschaftlichen Vorteile einer auf mobiler Technologie beruhenden Infrastrukturlösung hinaus, wird auch ein zentrales Problem herkömmlicher Lösungen adressiert: Die prohibitiv hohen Kosten von flächendeckender Ladeinfrastruktur insbesondere im öffentlichen Raum. Auf Grundlage des Mobile Metering Systems können zusätzliche Ladepunkte im privaten, halb-öffentlichen und öffentlichen Raum flächendeckend bezahlbar aufgebaut werden - ohne auf Komfort und verbrauchsgenaue Abrechnung zu verzichten. Im privaten oder halb-öffentlichen Raum kann die Systemsteckdose für unter 100 EUR (Zielkosten) direkt an einer stabilen Wand installiert oder auf einem Metallfuß aufgeständert werden. Diese Lösung eignet sich unter anderem für zu Hause (auch am Mehrfamilienhaus), beim Arbeitgeber, Shoppingcenter oder an Veranstaltungsorten. Mit sehr geringem Aufwand kann der Infrastrukturanbieter so seinen Kunden, Gästen, Mietern oder Mitarbeitern Ladepunkte für Elektrofahrzeuge anbieten. Besonders effizient für den Aufbau von Infrastruktur im öffentlichen Raum ist die in Bild 1 gezeigte Integration der Systemsteckdose in die Straßenbeleuchtung. Straßenlaternen können sehr günstig und nahezu unsichtbar zu smarten Ladepunkten aufgerüstet werden (Zielkosten: ca. 300 EUR). Vorhandene Netzanschlüsse werden so besonders effizient genutzt, während zusätzliche Tiefbauarbeiten entfallen. Ausblick Flächendeckende Ladeinfrastruktur ist zweifelsohne eine zentrale Voraussetzung für das erfolgreiche Gelingen der Mission Elektromobilität. Doch das ausschließliche Festhalten an Konzepten der stationären Ladesäulen ist nicht nur unwirtschaftlich, sondern geht auch an der Lebensrealität unserer mobilen Gesellschaft vorbei. Die Ausführungen zum Mobile Metering zeigen, dass die mobile Intelligenz in einem smarten Ladekabel einen wichtigen Beitrag zu flächendeckender Bereitstellung von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge leisten kann. Mobile Metering orientiert sich am technologischen Fortschritt und rüstet mobile Verbraucher mit mobiler Technologie aus. Die mobile Messtechnik macht den Aufbau einer effizienten und maßgeschneiderten Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge flächendeckend bezahlbar. ■ Knut Hechtfischer Gründer und Geschäftsführer, ubitricity Gesellschaft für verteilte Energiesysteme mbH, Berlin, contact@ubitricity.com Bild 2: Das intelligente Ladekabel (Prototyp) bietet gemeinsam mit der Systemsteckdose von ubitricity die volle Funktionalität zum Laden und Abrechnen von Ladevorgängen elektrischer Fahrzeuge. Bild 3: Wie bei der Mobiltelefonie: Beim Mobile Metering bringt der Nutzer die Technik selbst zum Ladepunkt mit. INFRASTRUKTUR Fehmarnbelt-Querung Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 40 Zukunftsperspektiven für den Fährverkehr über den Fehmarnbelt Geht es nach den Vorstellungen des dänischen Staatsunternehmens Femern A/ S, soll ab Ende 2021 ein 17,6 km langer Absenktunnel durch den Fehmarnbelt, bestehend aus einer zweigleisigen elektrifizierten Bahnstrecke und einer vierspurigen Autobahn, die seit über 50 Jahren bestehende Fährlinie zwischen dem deutschen Puttgarden und dem dänischen Rødby ersetzen. Fährbetreiber Scandlines argumentiert gegen die Durchsetzung des Projekts und hat eine Strategie für einen emissionsfreien Fährbetrieb entwickelt. Der Autor: Gernot Tesch D as eigentliche Querungsbauwerk soll aktuellen Planungen zufolge mindestens 5,5 Mrd. EUR kosten (Preisstand 2008). Hinzu kommen die Kosten für den Ausbau des Hinterlandes in Deutschland und Dänemark, auf dessen bauliche Ausgestaltung sich beide Staaten im September 2008 mittels Staatsvertrag verständigt haben. Dieser besagt, dass der Staat Dänemark die Baukosten der eigentlichen Querung übernimmt und über Mautgebühren refinanziert. Doch die Ausgangsbedingungen für dieses riesige Infrastrukturvorhaben sind schlecht. Sowohl die verkehrlichen Voraussetzungen als auch die Gesamtprojektkosten als maßgebliche Faktoren für den wirtschaftlichen Erfolg und den volkswirtschaftlichen Nutzen weichen erheblich von den ursprünglichen Annahmen ab. Verkehrsprognosen entsprechen nicht realer Verkehrsentwicklung Seit Veröffentlichung der letzten Verkehrsprognose für den potentiellen Personen- und Frachtverkehr über eine Feste Fehmarnbeltquerung sind mittlerweile mehr als 10 Jahre vergangen (FTC 2003). 1 Da zudem das ursprünglich als Prognosehorizont angenommene Eröffnungsjahr 2015 schon fast erreicht ist, erscheint es zweckmäßig, die Prognoseannahmen mit der realen Verkehrsentwicklung zu vergleichen. Die Prognose selbst besteht aus verschiedenen Basis- und Referenzszenarien, die unterschiedliche Zukunftsszenarien quantifizieren. Während die Basisszenarien die Feste Fehmarnbeltquerung im Jahr 2015 als gebaut und in Betrieb annehmen, beschreiben die Referenzszenarien einen sogenannten „Nullfall“ ohne eine Feste Querung. Da das sogenannte „Basisszenario B“ die Entscheidungsgrundlage der dänischen Regierung für den Bau der Festen Querung darstellte, dient es in der folgenden Betrachtung als Ausgangspunkt für den Vergleich. Das Verkehrspotential einer Festen Querung hängt, neben dem Volumen auf der Strecke selbst, maßgeblich von der Verkehrsentwicklung im parallelen Fährkorridor zwischen Deutschland und Dänemark/ Schweden (ohne Fehmarnbelt) ab, dessen Wachstum eine wesentliche Voraussetzung für die prognostizierten Verkehrsverlagerungen darstellt. Von den für das Jahr 2015 prognostizierten rund 6 Mio. Fährpassagieren in diesem Korridor sollen 1,3 Mio. auf die Feste Querung wechseln. In den letzten 20 Jahren gab es aber praktisch kein Passagierwachstum mehr in diesem Korridor. Ganz im Gegenteil hat insbesondere der Wegfall von dutyfree 1999 dazu geführt, dass der Fährpassagierverkehr außerhalb der Hochsaison eine entscheidende Grundlage verloren hat. Die Nachfragelücke ist überdeutlich: Das Passagieraufkommen im Jahr 2012 liegt 43 %, gleichbedeutend mit 2,6 Mio. Passagieren, unter der Prognose für 2015. Im Grunde stellt sich auch die Entwicklung auf dem Fehmarnbelt ähnlich dar. Der Normalreiseverkehr stagniert seit über einem Jahrzehnt nicht nur, er geht zurück und liegt zudem weit unter den Rekordwerten von Anfang der 90er Jahre. Eine Sonderentwicklung stellt die wachsende Bedeutung Bild 1: Entwicklung des PKW-Verkehrs im Fährkorridor zwischen Deutschland und Dänemark/ Schweden (ohne Fehmarnbelt) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 41 des größtenteils auf steuerlichen Unterschieden zwischen Deutschland und Skandinavien basierenden Grenzhandels auf dieser Route dar. Durch die Einführung erheblich vergünstigter Sondertickets und eines eigenen landseitigen Bordershop-Konzeptes war Scandlines seit 2000 in der Lage, neue Kundensegmente zu erschließen. Damit ließen sich die Verluste rein volumenmäßig begrenzen. Dennoch liegen die aktuellen Passagiervolumina auch hier 1,6 Mio. (-21 %) unter der Prognose für 2015. Die entscheidende Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg einer Festen Querung spielt aber der PKW-Verkehr, der für annähernd 50 % der zukünftigen Umsätze sorgen soll. Die Prognose unterstellt im Jahr 2015 über 1,4 Mio. PKW-Einheiten im Fährkorridor zwischen Deutschland und Dänemark/ Schweden (ohne Fehmarnbelt). Mit nur 650.000 tatsächlich transportierten PKW im Jahr 2012 fehlen dem Korridor für eine Zielerreichung rund 750.000 Einheiten - ein Minus von 54 % (Bild 1). Das prognostizierte Verlagerungspotential von rund 500.000 PKW stellt damit faktisch das gesamte Volumen aller parallelen Fährlinien ab Kiel, Lübeck und Rostock nach Dänemark und Schweden dar. Mit Eröffnung einer Festen Querung müssten diese Routen also entweder komplett eingestellt werden oder der Tunnel wird seine Umsatzziele nicht erreichen können. Auf dem Fehmarnbelt führten die bereits angesprochenen Shopping-Verkehre im PKW- Bereich zu einer Sonderentwicklung, die zwischen 2001 und 2012 ein durchschnittliches Wachstum von 2,7 % pro Jahr ermöglichte. Zieht man aber diese nur durch erhebliche Preisnachlässe des Fährbetreibers künstlich geschaffenen Verkehre (Anteil: ca. 35 %) vom Gesamtaufkommen ab, war im gleichen Zeitraum ein Verkehrsrückgang von durchschnittlich -1,3 % pro Jahr zu verzeichnen. Seit 2007 ist auch das Gesamt- PKW-Aufkommen rückläufig (Bild-2). Wahrscheinlich nur temporär wirksame Sondereffekte, wie sie Shopping-Verkehre darstellen, dürfen aber keinesfalls als Grundlage für ein langfristig ausgelegtes und zudem milliardenschweres Infrastrukturprojekt dienen. Zudem wird die Rentabilität einer potentiellen Festen Querung, die für ihre Kostendeckung erheblich höhere Umsätze als der Fährverkehr benötigen wird, durch erheblich rabattierte Sondertickets zusätzlich negativ beeinflusst. Ein Vergleich der entsprechenden PKW- Volumina im Jahr 2012 (ohne Shopping-Tickets) mit den prognostizierten Angaben für 2015 ergibt auch auf dem Fehmarnbelt ein Defizit von rund 900.000 PKW; bei Berücksichtigung der Shopping-Tickets immerhin noch von 360.000 PKW. Etwas besser entwickelte sich der Frachtverkehr. Bis zum Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise lag die Entwicklung des LKW-Verkehrs zumindest nahe am prognostizierten Wachstumspfad. Aber weder auf dem Fehmarnbelt noch im parallelen Fährkorridor konnten die Vorkrisenvolumina aus dem Jahr 2007 bisher wieder erreicht werden. Entsprechend wird auch dieses Segment die Prognoseerwartungen nicht erfüllen können, da die aktuellen Verkehrsvolumen 11 % (Fehmarnbelt) bzw. 29 % (paralleler Fährkorridor) unter dem Prognoseziel für 2015 liegen. Auch steigende Gesamtprojektkosten belasten das Nutzen-Kosten- Verhältnis der Festen Querung Aber nicht nur die niedrigeren Verkehrsvolumen, sondern auch steigende Investitionskosten verschlechtern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Festen Querung. Im Staatsvertrag ist verankert, dass sich bei deutlichem Anstieg der Kosten beide Länder neuerlich verständigen und eine Neubewertung vornehmen. Der Bundesrechnungshof geht davon aus, dass statt der angenommenen 840 Mio. EUR mindestens 1,7 Mrd. EUR für die Hinterlandanbindung in Deutschland benötigt werden (Bundesrechnungshof 2009). Die nach Belastungsrechnungen notwendig gewordene zweite Fehmarnsundquerung sowie die von der Landesregierung in Schleswig-Holstein geforderte und parallel zur Autobahn verlaufende neue Schienentrasse lassen diese Summe leicht auf drei Mrd. EUR anwachsen. Die von Dänemark und Deutschland 1999 gemeinsam veröffentlichten Wirtschaftlichkeitsberechnungen kalkulierten noch mit Investitionskosten von rund 3,5-Mrd. EUR für den Bau der eigentlichen Querung (COWI und PLANCO 1999). Die aktuelle Kostenschätzung von Femern A/ S (Preisstand 2008) liegt mittlerweile bei 5,5-Mrd. EUR (Femern A/ S 2011). Das ohnehin nur magere gesamtwirtschaftliche Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,27 : 1 sinkt in Anbetracht dieser drastischen Kosten- und Volumenabweichungen weiter. Bereits im Jahr 2007 wurde zudem darauf hingewiesen, dass unter Berücksichtigung diverser methodischer Fehler (z. B. durch Nichtberücksichtigung von Fahrerruhezeiten) ein realistisches Verhältnis bei höchstens 0,65 : 1 liegen dürfte (Breitzmann 2007). Die Nutzen-Kosten-Analyse eines verbesserten Fährsystems als Alternative erreichte hingegen ein solides Ergebnis von 5,22 : 1 (PLANCO 2000). 2 Ein Vergleich der verkehrlichen Voraussetzungen einer Fehmarnbeltquerung mit dem Großen Belt und dem Øresund, welche von Befürwortern oft als Referenz für den Femarnbelt herangezogen werden, fasst das vorliegende Missverhältnis prägnant zusammen: Mit den wesentlich geringeren Verkehrsvolumina, aber deutlich höheren Kosten sowie den im Vergleich zu den beiden anderen Querungen eingeschränkten Voraussetzungen, neue Verkehre zu generieren, hat die Fehmarnbeltquerung keinerlei Chance, wirtschaftlich betrieben zu werden (Tabelle 1). Eine Neubewertung des Gesamtprojektes ist demnach dringend erforderlich und sollte in Anbetracht von Investitionssummen in Milliardenhöhe, den erheblichen volkswirtschaftlichen Auswirkungen und vor allem dem umfangreichen Einsatz öffentlicher Mittel eigentlich eine Selbstverständlichkeit darstellen. Ein weiterer wichtiger Punkt wurde bei den Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen zur Festen Querung zudem gänzlich außer Acht gelassen: Der durch die wesentlich günstigere Kostenstruktur ermöglichte Weiterbetrieb des Fährdienstes parallel Bild 2: Entwicklung des PKW-Verkehrs über den Fehmarnbelt INFRASTRUKTUR Fehmarnbelt-Querung Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 42 zum Tunnel. Zwischen Puttgarden und Rødby operiert schließlich eine der effizientesten Fährlinien weltweit. Zudem werden dem Frachtverkehr logistische Vorteile wie Fahrerruhezeiten geboten. Auch Teile des Passagierverkehrs werden auf der Fähre verbleiben. Als Gründe hierfür können Tunnelphobien, Ruhepausen oder günstigere Ticketpreise genannt werden. Scandlines entwickelt zukunftsfähiges Alternativkonzept für den Fehmarnbelt Als Betreiber der Fährlinie, die jährlich mehr als 6 Mio. Passagiere befördert, hat Scandlines eine Zukunftsstrategie für den Fehmarnbelt entwickelt, die eine schrittweise Umstellung des Verkehrs auf umweltfreundliche Technologien vorsieht. Damit soll einerseits den zukünftig immer strengeren Umweltregularien begegnet und anderseits die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Fährlinie sichergestellt werden. Den ersten Meilenstein dieser Strategie bildet aktuell die Umrüstung aller vier Regelfähren auf Hybridantrieb (teilweiser Batteriebetrieb) und die anschließende Installation von Abgaswäschern (Scrubber). Letztere werden benötigt, um den ab 2015 in der Ostsee geltenden schärferen Schwefelgrenzwerten zu entsprechen. Diese Maßnahme mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von über 24 Mio. EUR wird die Umweltbilanz des Dienstes weiter verbessern. Auf lange Sicht ist aber davon auszugehen, dass weitere Umweltregulierungen zukünftig ganz neue, innovative Antriebskonzepte erfordern. Scandlines hat daher zusammen mit FutureShip, Tochtergesellschaft des Germanischen Lloyd, Pläne für eine völlig emissionsfreie Fährschiffgeneration entwickelt (Bild 3). Mit Hilfe überschüssiger Windenergie wird in Nachtzeiten Wasserstoff erzeugt, der an Bord der Fähren als Energieträger dient. Der in den Brennstoffzellen erzeugte Strom deckt den notwendigen Energiebedarf für den gesamten Schiffsbetrieb. Dieses Konzept, das schon am Ende der laufenden Dekade realisiert sein kann, repräsentiert eine valide Alternative, die Weiterentwicklung der Fehmarnbeltregion auch im Falle ausgesetzter Querungsplanungen mit privaten Investitionen sicherzustellen. Begründet durch den hochinnovativen Charakter der Technik ist eine komplette Umstellung des Fährdienstes aber mit einer entsprechenden Entwicklungszeit und erheblichen Investitionskosten verbunden. Scandlines geht von über 500 Mio. EUR für das Gesamtprojekt aus. Zum Vergleich: Allein für die überwiegend planerischen Tätigkeiten bis 2015 plant Femern A/ S Ausgaben in Höhe von rund 500 Mio. EUR (bewilligte EU-Förderung: 193 Mio. EUR). 3 Eine wirtschaftlich rentable Mindestbetriebszeit der Schiffsneubauten wäre erreicht, wenn die Eröffnung der Festen Querung mindestens auf das Jahr 2030 verschoben würde. Empfehlung Ein Projektmoratorium würde die Möglichkeit eröffnen, das Vorhaben Feste Querung noch einmal sachlich zu überprüfen und die bisherigen Ansätze kritisch zu hinterfragen. Dazu gehört neben aktualisierten Nachfrage- und Kostenschätzungen und realistischen Nutzen-Kosten-Analysen auch eine Antwort auf die Frage nach einer Finanzierung der Hinterlandinfrastruktur ohne Verdrängung eigentlich wichtigerer Projekte mit höherem Nutzen-Kosten-Verhältnis. Aus verkehrspolitischer Sicht muss zudem ein verkehrsträgerneutraler Wettbewerb um die effizienteste Verkehrslösung zur Überwindung des Fehmarnbelts gewährleistet werden. In seiner jetzigen Form stellt das Gesamtprojekt aber einen ordnungspolitischen Sündenfall und eine extreme Art von staatlich geförderter Wettbewerbsverzerrung dar. Der Markteintritt des staatlichen Wettbewerbers wird überhaupt erst durch vom Königreich Dänemark einseitig ausgegebene Staatsgarantien sowie mehrere hundert Millionen Euro eingeplanter Tabelle 1: Transportvoraussetzungen und Investitionskosten Fester Querungen Bild 3: Zero Emission Fährkonzept Großer Belt Øresund Fehmarnbelt baukosten 2,9 Mrd. EUR (1988er Preise) 1) 4,8 Mrd. EUR (2010er Preise) 1) 2,0 Mrd. EUR (1990er Preise) 1) 3,0 Mrd. EUR (2010er Preise) 1) 5,5 Mrd. EUR (2008er Preise) 2) verkehr vor eröffnung 3) 1997 Pkw: 2,6 Mio. Lkw: 443.000 1999 Pkw: 2,4 Mio. Lkw: 450.000 2012 Pkw: 1,55 Mio. Lkw: 370.000 wachstumspotential für zusätzliche verkehre gegeben Wichtige innerdänische Verkehrsverbindung zwischen Fünen/ Jütland und Seeland gegeben Verbindung der Wirtschaftscluster Kopenhagen und Malmö nicht gegeben Ausschließliche Bedeutung für Transitverkehre Schwache regionale Wirtschaftsstruktur Jahresnettoergebnisse Stabile positive Ergebnisse Kumulierte Verluste im Nettoergebnis seit 2001: > 500 MEUR Wirtschaftliche Verluste vorprogrammiert Quellen: 1) Ministry of Transport Denmark: The Danish Transport System Facts and Figures, 2012 2) Femern A/ S: Konsolidierte Kostenschätzung für die Feste Fehmarnbeltquerung, August 2011 3) ShipPax: Ferry Traffic Statistics; diverse Jahrgänge Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 43 EU-Subventionen ermöglicht. Staatliche Aufgabe ist es, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, nicht aber durch einseitige Bevorzugung einzelner Marktteilnehmer bestimmte Geschäftsmodelle überhaupt erst zu ermöglichen. Gerade in Zeiten knapper öffentlicher Mittel ist eine klare Konzentration des Staates auf seine Kernaufgaben notwendig, das heißt auf Projekte, für die keine privatwirtschaftlichen Investoren zur Verfügung stehen. Dies betrifft weniger die klassische Verkehrsinfrastruktur, sondern vielmehr Projekte, die alternativ durch unterschiedliche Verkehrsträger verwirklicht werden können. Im Ostseefährverkehr (nicht nur auf dem Fehmarnbelt) wurden in den letzen Jahrzehnten durch private Anbieter hochwertige Verkehrs- und Logistiklösungen geschaffen, die nicht durch unnötige staatliche Einflussnahme gefährdet werden dürfen. Zur Vermeidung volkswirtschaftlicher Wohlstandsverluste sollte die ausschließliche Realisierung von Projekten mit eindeutig positiven Nutzen-Kosten-Faktoren eine Selbstverständlichkeit darstellen. Im norddeutschen Raum existieren viele Engpässe in der Verkehrsinfrastruktur, deren Beseitigung eine große finanzielle Herausforderung darstellen wird. Der Fehmarnbelt gehört mit Sicherheit nicht dazu! ■ 1 Als Teil der Planfeststellungsunterlagen wurden Mitte November aktualisierte Prognosezahlen (Vorabentwurf mit Prognosehorizont 2025) veröffentlicht; leider erst nach Fertigstellung des Artikels. Mit Intraplan wurde hierfür ein Beratungsunternehmen beauftragt, das schon für die bisherige Passagier-/ PKW-Prognose Verantwortung trug. Eine vertiefte Analyse kann an dieser Stelle leider nicht mehr erfolgen. Da aber das ursprüngliche Prognosemodell nicht verändert wurde, gelten die in diesem Artikel kritisierten strukturellen Fehleinschätzungen auch für die aktualisierte Fassung. 2 Grundlage des verbesserten Fährsystems bildet neben einigen Effizienzsteigerungen der Einsatz von 2 zusätzlichen Fähren 3 C(2012)8552 final, Beschluss der Kommission vom 19.11.2012. LIterAtur BREITZMANN, K.-H. und LüSCH, J. (2007): Die deutsch-dänischen Untersuchungen zu einer festen Querung des Fehmarnbelts - Kritische Bestandsaufnahme zur gesamtwirtschaftlichen Bewertung. In: Beiträge und Informationen aus dem Ostseeinstitut für Marketing, Verkehr und Tourismus an der Universität Rostock. Heft 20. Rostock Bundesrechnungshof (2009): Bericht über die Feste Verbindung über den Fehmarnbelt mit Hinterlandanbindung. Gernot Tesch, Dr. Geschäftsführer, Scandlines Deutschland GmbH, Rostock gernot.tesch@scandlines.com Verfügbar über: http: / / www.beltquerung.info/ uploads/ media/ 16WP385__3__02.pdf [zuletzt abgerufen am 24.10.2013] COWI Consulting Engineers and Planners AS and PLANCO Consulting GmbH (1999): Economic and Financial Evaluation of a Fixed Link across the Fehmarn-Belt. Final Report. Verfügbar über: http: / / www.femern.com/ material-folder/ documents/ 1999-publications/ economic-and-financial-evaluation-of-a-fixed-link-across-the-fehmarn-belt.pdf [zuletzt abgerufen am 24.10.2013] Femern A/ S (2011): Konsolidierte Kostenschätzung für die Feste Fehmarnbeltquerung. Verfügbar über: http: / / www.femern.de/ material-folder/ documents/ 2011/ konsolidierte-kostenschatzung-fr-die-feste-fehmarnbeltquerung-august-2011 [zuletzt abgerufen am 24.10.2013] FTC Fehmarnbelt Traffic Consortium (2003): Fehmarn Belt Forecast 2002. Final Report. Verfügbar über: http: / / www.femern. com/ material-folder/ documents/ 2003-publications/ fehmarnbeltforecast2002finalreport [zuletzt abgerufen am 24.10.2013] PLANCO Consulting GmbH (2002): Economic Evaluation of an improved Ferry System across the Fehmarn Belt. Final Report. Verfügbar über: http: / / www.femern.com/ material-folder/ documents/ 1999-publications/ economic-and-financial-evaluation-of-a-fixed-link-across-the-fehmarn-belt.pdf [zuletzt abgerufen am 24.10.2013] Lesen Sie ÖPNV aktuell auch auf dem iPad und iPhone (Eurailpress-Kiosk) 5826_anz_oepnv_app_210x148.indd 1 11.11.2013 11: 19: 44 INFRASTRUKTUR Stadtplanung Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 44 Reparatur der autogerechten Stadt Die Ära der autogerechten Stadt in den 1960er und 1970er Jahren hat vielerorts das Stadtbild stark geprägt - aus heutiger Sicht sehr zum Nachteil. Jetzt ist die städtebauliche Reparatur von Stadtautobahnen, Hochstraßen oder Verkehrsverteilern ein wesentlicher Schlüssel zur Rückgewinnung urbaner Qualität. Die Autoren: Hartmut Topp, Ralf Huber-Erler D ie autogerechte Stadt“ war Ende der 1950er Jahre der Titel eines durch das Bundesministerium für Wohnungsbau geförderten Buches (Reichow, 1959): „Seit Jahrtausenden hat sich der Verkehr noch nie so völlig verändert und so eindeutig einen neuen Stadtgrundriss verlangt wie heute.“ Reichow beklagt, dass „schon beim Aufbau der kriegszerstörten Städte manche Chancen verpasst“ wurden. Die „neue Durchbruchstraße“ in Ulm (Bild 1 links) feiert er als „sinnvolle Bezogenheit zwischen Verkehrsplanung und den historischen Baudenkmälern“ mit der „optischen Erschließungs- und Gestaltungsmacht der neuen Verkehrsbahnen“ (Reichow, 1959). Das war keine Einzelmeinung. Le Corbusier hatte die autogerechte Stadt ideologisch mit vorbereitet, und die Profession der Stadt- und Verkehrsplaner übersetzte diese Ideen in den verkehrstechnischen Funktionalismus der 1960er und 1970er Jahre. Das Leitbild der autogerechten Stadt war mehr oder weniger gesellschaftlicher Konsens. Reichow fühlte sich übrigens später mit seinem „viel falsch gesehenen und zitierten“ Buch von 1959 missverstanden (Reichow, 1972). das Erbe der autogerechten Stadt Die Ära der autogerechten Stadt hat uns ein langlebiges bauliches Erbe bar jeder Baukultur hinterlassen. Straßendurchbrüche wie in Ulm (Bild 1 links), Hochstraßen wie in Ludwigshafen und Stadtplätze als Parkplätze oder Verkehrsverteiler sind Ergebnisse des verkehrstechnischen Funktionalismus, der sich im Fall der Durchbrüche die Zerstörungen nach dem Zweiten Weltkrieg zunutze machte und im Fall der Hochstraßen ebenso der vermeintlichen Funktionalität der autogerechten Stadt hinterher lief - und das nicht nur in Ulm, Ludwigshafen, Pforzheim oder Kaiserslautern. „Ulm gibt es fast überall“, könnte man sagen. So zum Beispiel in Berlin - Mühlendamm, Dresden - St. Petersburger Straße, Düsseldorf - Berliner Allee, Frankfurt am Main - Berliner Straße, Hamburg - Ost- West-Straße, Hannover - Cityring, Karlsruhe - Kriegsstraße, Köln - Nord-Süd-Fahrt, Saarbrücken - Saarufer-Autobahn A620, Stuttgart - Konrad-Adenauer-Straße und einige mehr. Innerstädtische Hochstraßen haben immerhin noch knapp ein Dutzend deutsche Städte wie Bielefeld, Bremen, Halle, Hannover, Ludwigshafen, Mühlheim (Ruhr), Siegen oder Wetzlar. Heute ist die städtebauliche Reparatur von Stadtautobahnen, Hochstraßen und Durchbrüchen, Hauptverkehrsstraßen, großen Straßenkreuzungen und Verkehrsverteilern ein wesentlicher Schlüssel zur Rückgewinnung urbaner Qualität. Ulm: Neue Mitte auf altem Stadtgrundriss Die Ulmer Altstadt wurde 1944 zu etwa 80 % zerstört. Mitte der 1950er Jahre entstand - recht einvernehmlich - die Schneise der vierspurigen Neuen Straße (Bild 1 links). Die Verkehrsbelastung stieg kontinuierlich, und Anfang der 1970er Jahre wurde die Unverträglichkeit einer solchen Straße zwischen Ulmer Münster und Rathaus bewusst. Es folgte die Zeit der fruchtlosen Tunnelpläne, die erst 1990 durch einen sehr eindeutigen Bürgerentscheid (81,5 % bei einer Beteiligung über 50 %) gestoppt wurden (Wettengel in Wetzel, 2012). Die Neuorientierung der Ulmer Verkehrs- und Stadtentwicklung begann umgehend mit einem Runden Tisch aus Bürgerinitiative, Gemeinderatsfraktionen, Industrie- und Handelskammer, Gewerkschaft ÖTV und Naturschutzverbänden als ein „neues Dialogmodell von Bürgerschaft und Stadtpoli- Bild 1: Neue Mitte Ulm 2002 (links) und 2008 - Rückeroberung des Stadtraums (Fotos: Stadt Ulm) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 45 tik“ (Wetzig, 2012). Neuorientierung heißt im Ergebnis: konsequenter Ausbau des ÖPNV, verkehrsberuhigte Innenstadt, Verkehrsbau ist Städtebau und Planung als Dialogprozess. Damit war Ulm Anfang der 1990er Jahre Vorreiter einer neuen Planungskultur. Nächste Meilensteine waren 1998 der städtebauliche Ideenwettbewerb, die im öffentlichen Stadtdialog aufbereiteten Wettbewerbsergebnisse und das im Sommer 2000 gestartete Bebauungsplanverfahren. Eine Tiefgarage mit 600 Stellplätzen, die drastisch reduzierte Straße und die Häuser auf altem Stadtgrundriss in moderner Architektur entstanden im Wesentlichen von 2002, als die archäologische Grabung begann, bis 2007. Das Ulmer Ergebnis (Bild 1 rechts und Bild- 2) ist bundesweit beispielgebend. Die zweispurige Tempo-30-Straße in weicher Trennung zwischen Fahrbahn und Gehwegen wird ohne Ampeln oder Zebrastreifen an jeder Stelle gequert (Bild 2), obwohl Fußgänger nach der StVO hier keinen Vorrang haben. Das Miteinander von ca. 15 000 KFZ pro Tag und vielen Fußgängern funktioniert. Die Gestalt des Straßenraums entspricht der eines Wohnzimmers der Stadt, und im Wohnzimmer verhält man sich meistens gesittet. Ludwigshafen: Stadtboulevard statt-Hochstraße Das Ludwigshafener Hochstraßensystem folgt amerikanischen Vorbildern. Es war mit der Einweihung des ersten Teilstücks 1959 eines der ersten in Europa und wurde entsprechend gefeiert. Die 1,8 km lange Hochstraße Nord wurde 1981 fertiggestellt. Jetzt ist sie marode, und sie müsste (nach Stand Frühjahr 2013) für rund 300 Mio EUR saniert bzw. wieder aufgebaut werden (Stadt Ludwigshafen, 2013). Die Verkehrsbelastung liegt bei ca. 40 000 KFZ pro Tag, davon ist der größere Teil für die Innenstadt Durchgangsverkehr zur BASF und nach Mannheim (FIRU/ R+T, 2012). Die Stadt sieht den „Sanierungsfall als Chance für die Stadtentwicklung“ mit der Option eines ebenerdigen Stadtboulevards entsprechender Leistungsfähigkeit anstelle der Hochstraße. Nach einer Machbarkeitsstudie für den Stadtboulevard (FIRU/ R+T, 2012) läuft zurzeit eine vergleichende ingenieurtechnische Untersuchung zu Sanierung der Hochstraße versus Stadtboulevard. Wichtige Aspekte dabei sind Kosten und Finanzierung; die Stadt ist Baulastträger. Den rund 300 Mio. EUR für den Wiederaufbau der Hochstraße stehen je nach Variante 220 bis 250 Mio. EUR für den ebenerdigen Stadtboulevard einschließlich Abbruch der Hochstraße gegenüber (Stadt Ludwigshafen, 2013). Städtebauliche Kriterien (Bild 3) sprechen eindeutig für den Stadtboulevard; die verkehrstechnische Leistungsfähigkeit der vierspurigen ebenerdigen Straße ist nachgewiesen. Über die enormen Kosten hinaus wird ab Baubeginn mit einem zeitlichen Aufwand von bis zu zehn Jahren gerechnet mit erheblichen Eingriffen in das gesamte Umfeld. Das Erbe der autogerechten Stadt ist also nicht nur städtebaulich brisant, sondern im Einzelfall auch extrem teuer. Pforzheim: Schlossberg ohne Schlossberg-Auffahrt Der Wiederaufbau der Pforzheimer Innenstadt nach dem verheerenden Bombenangriff vom 23. Februar 1945 folgte dem Leitbild der autogerechten Stadt. Darunter leidet die Stadt auch heute noch. Ein Repräsentant der autogerechten Stadt ist - neben vielen anderen Straßen - die Anfang der 1960er Jahre gebaute Schlossberg-Auffahrt (Bild 4 rechts). Der Schlossberg mit der Schlosskirche ist die Keimzelle und zusammen mit dem Marktplatz die historische Mitte von Pforzheim. Vor der Zerstörung war das Schlossberg-Quartier Teil der Altstadt mit ihrem Netz schmaler Gassen. Die Schlossberg-Auffahrt in ihrer verkehrstechnischen Form dominiert den Schlossberg; sie stört das städtebauliche Potenzial dieses topografisch, historisch und kulturell sensiblen Bereichs; sie ist ein Fremdkörper im historischen Stadtgrundriss (Bild 4 links). In einem Werkstattverfahren zur baulichen Neuordnung der östlichen Innenstadt wurde die Schlossberg-Auffahrt 2012 grundsätzlich in Frage gestellt (Topp, 2013). Die Schlossberg-Auffahrt hat eine Verkehrsbelastung von ca. 13 500 KFZ pro Werktag und ca. 140 Bussen des regionalen ÖPNV. Der Verkehrsentwicklungsplan (Stadt Bild 3 Bild 2: Die neue Neue Straße im Wohnzimmer von Ulm (Foto: Topp) Bild 4 Bild 3: Sanierungsfall als Chance für Ludwigshafen (FIRU/ R+T - Darstellung: Topp) INFRASTRUKTUR Stadtplanung Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 46 Pforzheim, 2010) definiert zur Entlastung der Innenstadt einen im Süden und Osten weiter gefassten Innenstadtring, hält aber an der Schlossberg-Auffahrt als Teil des „Parkrings“ fest. Eine Sperrung der Schlossberg-Auffahrt würde zu höheren Verkehrsbelastungen auf Teilen des Innenstadtrings führen. Die zu erwartenden Zusatzbelastungen sind jedoch an allen Knotenpunkten - bis auf einen - durch Anpassungen in der Signalsteuerung zu bewältigen; an einem würde eine Änderung der Spuraufteilung erforderlich (topp.plan/ R+T, 2013). Die Sperrung für den motorisierten Individualverkehr (MIV) ist also eine realistische Option. Allerdings reichen die dadurch eröffneten Rückbauoptionen bei weitem nicht aus, um zu einer dem historisch und kulturell bedeutsamen Ort angemessenen Neuordnung zu kommen. Ziel muss es sein, die Straße auch für den ÖPNV zu sperren, und sie als Verkehrsstraße komplett aus dem Netz zu nehmen. Es bliebe dann nur noch eine schmale verkehrsberuhigte Erschließungs- Stichstraße im oberen Bereich. Dieser Straßenverlauf entspricht der historischen Situation (Bild 4 links), während der untere- Durchbruch der Schlossberg-Auffahrt (Bild-4 rechts) aus den 1960er Jahren der autogerechten Stadt stammt. Während die Sperrung für den MIV wenig kritisch erscheint, gab es beim ÖPNV lange Diskussionen, weil die erforderlichen Linienverlegungen entweder zur Verlängerung der Umlaufzeiten oder zur Aufgabe einer wichtigen Haltestelle führen würden. Der Verlust der Haltestelle könnte durch einen Schrägaufzug (oder in eine künftige Be- 280m üNN 258m üNN Bild 5 Bild 4: Schlossberg-Auffahrt 1941 (links) und heute: Eingriff in den historischen Stadtgrundriss ( Karten: Stadt Pforzheim) bauung integrierten Senkrechtaufzug) zum 22- m höher gelegenen ZOB (Bild 4 rechts) abgemildert werden - bei der bergigen Topografie der Stadt und ihrer alternden Bevölkerung ein Gewinn für Alle. Kaiserslautern: Neue Stadtmitte statt „Verkehrsinsel“ Kaiserslautern wurde im Krieg stark zerstört; jedoch war der mittelalterlich geprägte Grundriss der Innenstadt erhalten geblieben. Das Stadtbild prägende Fackelrondell als zentrale Kreuzung in der Innenstadt mit kunstvoll gestaltetem Brunnen (Bild 5 links) steht für viele Kaiserslauterer für die „gute alte Zeit“. Der Wiederaufbau wurde in vielen Bereichen maßgeblich durch die amerikanischen Streitkräfte geprägt. Dem Bedürfnis folgend, die militärischen Liegenschaften im Osten und Westen der Stadt durch eine vierspurige Straße zu verbinden, rückten 1951 die Bulldozer der US-Army an und schoben eine Trasse durch das Zentrum der Stadt. Dabei wurde das Fackelrondell beseitigt und durch ein Einbahnstraßensystem mit zwei bis drei Spuren je Richtung ersetzt. In den 1970er Jahren wurde auf der Fläche zwischen den beiden Einbahnstraßen ein Karstadt-Warenhaus errichtet. Der Bereich des früheren Fackelrondells wurde durch das „Karstadt-Loch“ (Bild 5 rechts) ersetzt. Das war der vergebliche Versuch, dem Basement des Kaufhauses Erdgeschoss-Charakter zu verleihen. Die Fußgänger in einer wichtigen Achse der Innenstadt wurden durch die Minus-Eins-Ebene zwangsgeführt; für Radfahrer war die Blockade total. Später wurde alternativ eine ebenerdige Querungsmöglichkeit angeboten mit der Folge der Verwahrlosung der unteren Ebene. Der alte Straßenverlauf (Bild 6 oben) war aufgegeben und ersetzt durch das Einbahn- Straßenpaar nördlich und südlich des Karstadt-Gebäudes (Bild 6 Mitte). Ein Streifen von mehreren hundert Metern Innenstadt einschließlich Karstadt, altes Pfalztheater und Fruchthalle geriet in eine von 40 000 Autos pro Tag umtoste Insellage - wie auf einer „überdimensionierten riesigen Verkehrsinsel“. Das Einbahn-Straßenpaar ist nicht nur eine Barriere für Fußgänger und Radfahrer, sondern auch für den Kfz- Verkehr: Zum Erreichen vieler Ziele in der Innenstadt muss die „Verkehrsinsel“ einmal umrundet werden, ein sehr großer Umwegverkehr und ein Orientierungsproblem. Mit dem Neubau des Pfalztheaters am neuen Standort Ende der 1990er Jahre kam die Frage einer erneuten Umgestaltung der Stadtmitte auf. Unterstützt durch Modellrechnungen wurde schnell klar, dass die Aufgabe des Einbahn-Straßenpaars - neben dem städtebaulichen Potenzial - eine enorme Verkehrsreduzierung bewirkt: Im Querschnitt geht die Belastung von 40 000 KFZ pro Tag auf 25 000 zurück (Planungsbüro R+T, 2011). Über Jahre wurden Varianten und Details diskutiert. Manches scheiterte aus politischen Gründen, das meiste an der Firma Karstadt. Erst mit der Schließung des Kaufhauses Ende März 2010 nahm die Diskussion wieder Bewegung auf: Der Hamburger Entwickler ECE erwarb das alte Karstadt- Gebäude und begann mit der Planung eines Einkaufszentrums, das zukünftig auch den Bereich des alten Pfalztheaters sowie das heutige „Loch“ umfassen wird (Bild 6 unten). Das war die Chance, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und den zentralen Innenstadtbereich deutlich aufzuwerten. Das verkehrliche Konzept besteht darin, den MIV auf der nördlichen Trasse des Einbahn- Straßenpaars auf insgesamt zwei Fahrstreifen in Richtung und Gegenrichtung zu bündeln und die Erschließung der Innenstadt direkt zu verknüpfen. Die der Innenstadt zugewandte südliche Seite des Einbahn- Straßenpaars wird in Zukunft als „Umweltspur“ Fußgänger, Radfahrer und den ÖPNV sowie Lieferverkehr und Taxis aufnehmen (Bild 6 unten). Durch die Auflösung des Einbahn-Straßenpaars werden viele Ziele in der Innenstadt verständlicher erschlossen, und es entfallen Umwege. Davon profitieren der ÖPNV und besonders der Radverkehr. Östlich des geplanten Einkaufszentrums wird sich eine neue zentrale Bushaltestelle anschließen, die erheblich kürzere Umsteige- Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 47 um 1900 Bild 6 um 2000 Bild 7 Bild 5: Postkarten aus Kaiserslautern: Fackelrondell vor der Zerstörung und „Karstadt-Loch“ um 1980 (Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern) Bild 6: Stadtgrundriss Kaiserslautern Zentrum in drei Epochen: oben vor der Zerstörung, Mitte im Jahr 2012, unten 2015. (Oben & Mitte: Stadtverwaltung Kaiserslautern; unten: ECE Projektmanagement GmbH & Co KG) Hartmut Topp, Prof. Dr. topp.plan: Stadt.Verkehr.Moderation, Kaiserslautern topp.plan@t-online.de Ralf Huber-Erler, Dr.-Ing. R+T Ingenieure für Verkehrsplanung Dr.-Ing. Ralf Huber-Erler, Darmstadt r.huber-erler@rt-p.de wege als heute erfordern wird und zudem näher im Zentrum liegen wird. In Kaiserslautern wird nicht der alte Stadtgrundriss wiederhergestellt, sondern neu interpretiert und heutigen Nutzungsgrößen angepasst. Mit dem neuen Einkaufszentrum verschwindet die autogerechte Gestaltung der Innenstadt mit der „Verkehrsinsel“ von (ehemals) Karstadt bis Fruchthalle. Der gesamte Bereich wird gestalterisch und funktional zur neuen Stadtmitte aufgewertet. Fazit: Stadtreparatur tut not Die autogerechte Stadt war das städtebauliche und verkehrsplanerische Leitbild der 1950er und 1960er Jahre. Sie hat gut 30 Jahre, also etwas mehr als eine Generation überlebt. Die Beispiele Ulm, Ludwigshafen, Pforzheim und Kaiserslautern stehen für unzählige andere Reparaturfälle, die ähnlich weit, noch in Diskussion oder noch gar nicht initiiert sind. Die Beispiele lehren zweierlei: Zum einen, dass jeder Fall anders ist und jeweils individuelle Ansätze erfordert; das Gemeinsame besteht allenfalls in der Rückbesinnung auf die vielfältigen Funktionen von Straßen und Plätzen als urbane Lebensräume und in einer mehr oder weniger ausgeprägten Erinnerung an den alten Stadtgrundriss. Zum anderen wird deutlich, dass die Reparatur der autogerechten Stadt kein Selbstläufer ist, sondern Anlässe braucht, die kommunalpolitisch „Fenster“ öffnen. Das kann ein Sanierungsfall der Infrastruktur sein wie in Ludwigshafen, ein Bürgerentscheid wie in Ulm, die von der Kommunalpolitik initiierte städtebauliche und ökonomische Aufwertung der Innenstadt wie in Pforzheim oder ein Großprojekt eines privatwirtschaftlichen Investors wie in Kaiserslautern. Wenn wir heute die autogerechte Stadt als Irrweg erkennen, sei noch einmal daran erinnert, dass sie damals professioneller und gesellschaftlicher Konsens war. Das hindert uns aber nicht, die städtebauliche Reparatur der autogerechten Stadt als einen wichtigen Schlüssel zu mehr Urbanität und städtischer Lebensqualität konsequent voran zu treiben. Wie wir das machen, das sollte sich allerdings auch in mehr als dreimal 30 Jahren noch sehen lassen können. ■ QueLLen FIRU / R+T (2011): Untersuchung von städtebaulichen und immobilienwirtschaftlichen Entwicklungspotentialen im Zusammenhang mit der Erneuerung der Hochstraße Nord, Ludwigshafen am Rhein. Auftraggeber: Stadt Ludwigshafen Planungsbüro R+T (2011): Verkehrsuntersuchung Neue Stadtmitte Kaiserslautern. Darmstadt Reichow, Hans Bernhard (1959): Die autogerechte Stadt - Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos. Otto Maier Verlag, Ravensburg Reichow, Hans-Bernhard (1972): Mensch und Auto im Städtebau. In: Verkehrskultur. Hrsg.: Klaus Honnef. Verlag Aurel Bongers, Recklinghausen Stadt Ludwigshafen (2013): <www.ludwigshafen.de/ nachhaltig/ citywest/ hochstraße-nord/ > Stadt Pforzheim (2010): Verkehrsentwicklungsplan 2007 - 2010. Dr. Brenner Ingenieurgesellschaft, Aalen Topp, Hartmut (2013): Mobilität und Verkehr der urbanen Innenstadt. Dokumentation Workshop 2012 Innenstadtentwicklung Pforzheim. Konversionsgesellschaft Buckenberg mbH topp.plan / R+T (2013): Verkehrskonzept Innenstadt Pforzheim 2013. Kaiserslautern / Darmstadt. Auftraggeber: Stadt Pforzheim Wetzig, Alexander - Herausgeber (2012): Neue Mitte Ulm - Die Rückeroberung des Stadtraumes in der Europäischen Stadt. Stadt Ulm, Klemm+Oelschläger INFRASTRUKTUR Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 48 D ie Deutsche Bahn AG behandelt die Veröffentlichung dieser Daten seit Jahren äußerst restriktiv. Auf Anfrage bezeichnete sie diese Informationen als Betriebsgeheimnis. Im Februar 2013 wurde deshalb in Lahr (Schwarzwald) eine Zugzählung auf der Rheintalbahn mit Hilfe einer Hochleistungsinfrarotkamera vorgenommen. Die Ergebnisse geben einen neuen Einblick in die Diskussion um die Auslastung der Rheintalbahn. das EU-Projekt Corridor development Rotterdam-Genoa (Code24) Die Nord-Süd-Transversale von Rotterdam nach Genua verbindet mehrere europäische Regionen mit höchster Wirtschaftskraft. Rund 70 Mio. Menschen leben und arbeiten im Einzugsbereich dieses Korridors. Jedes Jahr werden rund 700 Mio. t Güter allein auf der Schienenverkehrsachse transportiert. Mit der Öffnung der beiden Alpenbasistunnel in der Schweiz 2007 am Lötschberg und voraussichtlich im Dezember 2016 am Gotthard entsteht zudem eine Hochleistungsstrecke im europäischen Nord- Süd-Bahnverkehr und damit die Chance, zusätzlichen Güterfernverkehr in erheblichem Umfang von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Nicht alle Engpässe können dabei rechtzeitig behoben werden, so beispielsweise im Abschnitt Karlsruhe-Basel. Das von der EU im Rahmen des INTERREG- IVB-Programms Nordwesteuropa geförderte Projekt Code 24 erarbeitet eine abgestimmte Entwicklungsstrategie der Regionen entlang des Korridors in den Themenfeldern Raumplanung, Verkehr, Wirtschaft und Umwelt. 17 Partner aus Forschung, Wirtschaft und Verwaltung untersuchen die Rahmenbedingungen für eine zukünftige Nutzung des Verkehrskorridors 1 . die theoretische Leistungsfähigkeit eines Eisenbahnstreckenabschnitts Die Ermittlung der Leistungsfähigkeit einer Eisenbahnstrecke ist relativ komplex, da sie von sehr vielen Faktoren beeinflusst wird. Hierzu gehören die Anzahl der Richtungs- und Ausweichgleise, der Abstand der Blocksignale, Höchstgeschwindigkeiten und Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Zügen, Zugfolgen von langsamen und schnellen Zügen, Sperr-, Mindestzugfolge- und Pufferzeiten. Der Internationale Eisenbahnverband (UIC) empfiehlt aufgrund des Zusammenhangs zwischen Infrastrukturbelegung und Betriebsqualität folgende Definition: „Streckenleistungsfähigkeit ist die gesamte Anzahl möglicher Fahrplantrassen in einem festgelegten Zeitfenster unter Beachtung des festgelegten Trassenmix beziehungsweise bekannter Entwicklungen und den eigenen Annahmen des Eisenbahninfrastrukturunternehmens; in Knoten, auf einzelnen Strecken oder in Teilen des Netzes; mit marktorientierter Qualität“. 2 Kapazitätsbelastung der Rheintalbahn Zugzahlmessung mit Infrarottechnik Die Analyse von Engpässen im Güterverkehr ist eine wichtige Voraussetzung, um zukünftige Herausforderungen der Infrastrukturplanung und Logistik bewältigen zu können. Im Rahmen des EU-Projekts Code24 sollen Strategien für die Behandlung zukünftiger Herausforderungen im Schienengüterverkehr im wichtigsten europäischen Güterverkehrskorridor Rotterdam-Genua entwickelt werden. Hierfür sind Informationen über Zugzahlen und die Kapazitätsauslastung auf einzelnen Streckenabschnitten eine wichtige Voraussetzung. Die Autoren: Hansjörg Drewello, Ingo Dittrich, Stephan Gütle Personenfernverkehr Personennahverkehr Güterverkehr Vorbelegungszeit 40,50 48,03 58,00 Belegungszeit 101,26 135,01 180,00 Nachbelegungszeit 19,95 15,75 44,00 Sperrzeit 161,71 198,79 282,00 Bremsbzw. Beschleunigungszeit 44,44 33,33 25,00 Höchstgeschwindigkeit 160 km/ h 120 km/ h 80 bis 100 km/ h Tabelle 1: Belegung der Rheintalstrecke durch die unterschiedlichen Zuggattungen Vorbelegungszeit besteht aus Fahrstraßenbildezeit (ca. 12 s), Sichtzeit (ca. 6 s) und Annährungsfahrzeit (= Zeit vom Passieren des Vorsignals bis zum Erreichen des Hauptsignals). Nachbelegungszeit besteht aus Fahrstraßenauflösezeit (ca. 6 s) und Räumfahrzeit. Die-Räumfahrzeit hängt von der Geschwindigkeit sowie der Länge des Zuges und der Länge des Durchrutschweges ab. Bremsbzw. Beschleunigungszeit: angenommener Beschleunigungs- und Bremsvorgang 1-m/ s 2 . (Alle Daten entsprechend Jochim, Lademann: 2009) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 49 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Der Kapazitätsverbrauch einer einzelnen Zugbewegung (Fahrplantrasse) wird in Deutschland seit vielen Jahren durch das von Happel entwickelte Sperrzeitenmodell bestimmt 3 . In ihm werden die oben genannten Faktoren berücksichtigt. Aufbauend auf dieser Arbeit wird heute die Betriebsqualität einer stark belasteten Eisenbahnstrecke häufig mit dem „Verketteten Belegungsgrad“ bestimmt. Dies ist der Grad der zeitlichen Auslastung eines Fahrwegabschnitts durch Sperrzeiten. Die Sperrzeit ist die Zeit, in der ein Streckenblock durch einen Zug blockiert wird. 4 Außerdem wird der Streckenabschnitt in der Regel durch einen zeitlichen Puffer für nachfolgende Züge gesperrt. Er wird bestimmt mit: n verk : Verketteter Belegungsgrad z: Zahl der Züge im untersuchten Zeitraum t U : Dauer des untersuchten Zeitraumes t Zf,min : Mittlere Mindestzugfolgezeit; durchschnittlicher minimaler Abstand, in dem sich zwei Züge ohne gegenseitige Behinderung folgen können 5 Aufgrund von Erfahrungswerten empfiehlt Pachl für typische Mischbetriebsstrecken, dass der verkettete Belegungsgrad über einen längeren Zeitraum den Wert von 0,5 nicht wesentlich überschreiten sollte 6 . Dies erklärt sich aus der Berücksichtigung von Pufferzeiten, die die Betriebsqualität erhöhen, indem Übertragungen von Verspätungen auf nachfolgende Züge reduziert werden, und von Zeiten für Instandhaltung. die Leistungsfähigkeit des Streckenabschnitts Offenburg-Lahr Der Abschnitt Offenburg-Lahr der Rheintalbahn ist zweigleisig. Im Norden schließt sich in Richtung Baden-Baden ein vierspuriger Abschnitt an, im Süden ist die Rheintalbahn bis nach Basel, mit Ausnahme im Bereich des neu eröffneten Katzenbergtunnels, zweispurig. Der untersuchte Streckenabschnitt ist in vier Blöcke mit jeweils etwa fünf Kilometern Länge aufgeteilt. Die Strecke der Rheintalbahn wird fast ausnahmslos als Mischbetriebsstrecke genutzt. Aufgrund von Erfahrungs- und Schätzwerten wurden die Daten in Tabelle 1 für den Personenfern-, Personennah- und Güterverkehr ermittelt 7 . Hieraus ergeben sich für die drei Zuggattungen Sperrzeiten für den Streckenabschnitt Offenburg-Lahr, wie in Tabelle 2 zu sehen. Aus den oben genannten Daten für die Strecke Offenburg-Lahr wurde eine mittlere Mindestzugfolgezeit von annähernd 5 min ermittelt. Die Mindestzugfolgezeit ist der minimale Abstand, mit dem sich zwei Züge folgen können. Der verkettete Belegungsgrad für die Tage Dienstag bis Freitag ist 0,5. An diesen Wochentagen ist die Kapazität des Streckenabschnitts unter Berücksichtigung einer optimalen Betriebsqualität voll ausgelastet. Wenn der optimale verkettete Belegungsgrad bei 0,5 liegt, bedeutet dies, dass über einen längeren Zeitraum gerechnet die mittlere Pufferzeit in etwa der mittleren Mindestzugfolgezeit entsprechen sollte. Über den Tag verteilt kann dieser Wert deutlich unterschritten werden, wenn anschließend ausreichende „Erholungsphasen“ vorgesehen werden, in denen sich der Betrieb wieder entspannen kann 8 . Unter Einbeziehung einer Pufferzeit von 5 Minuten wurde die Zahl von 288 Zügen pro Tag errechnet, die für diesen Streckenabschnitt als maximale Kapazität bei ausreichender Betriebsqualität zugrunde gelegt wird. 9 Messtechnik und Messergebnisse Die Messung wurde in der Zeit vom 14. bis 27. Februar 2013 mit einer Hochleistungswärmebildkamera vom Typ VarioCAM hr durchgeführt. Die Kamera wurde auf einem neunstöckigen Hochhaus in Lahr mit freiem Blick auf die Bahnstrecke montiert (Bild 1). Sie kann so eingestellt werden, dass Bilder aufgenommen werden, wenn eine vorher eingestellte maximale Temperatur im Bildausschnitt überschritten wird. Beendet Personenfernverkehr Ausfahrt Block1 Block2 Block3 Block4 Sperrzeitbeginn -0,20 min 0,96 min 2,64 min 4,25 min Vorbeifahrt am Signal 0,00 min 1,64 min 3,35 min 4,92 min Sperrzeitende 1,98 min 3,68 min 5,25 min 7,24 min Personennahverkehr Ausfahrt Block1 Block2 Block3 Block4 Sperrzeitbeginn -0,20 min 1,10 min 3,34 min 6,04 min Vorbeifahrt am Signal 0,00 min 1,91 min 4,18 min 6,83 min Sperrzeitende 2,17 min 4,45 min 7,09 min 10,30 min Güterverkehr Ausfahrt Block1 Block2 Block3 Block4 Sperrzeitbeginn -0,20 min 1,33 min 4,33 min 7,18 min Vorbeifahrt am Signal 0,00 min 2,32 min 5,35 min 8,14 min Sperrzeitende 3,05 min 6,08 min 8,87 min 12,41 min Tabelle 2: Sperrzeiten für den Streckenabschnitt Offenburg-Lahr Bild 1: Die Kamera wurde auf einem Hochhaus mit freiem Blick auf die Bahnstrecke montiert. INFRASTRUKTUR Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 50 wird die Aufnahme durch Unterschreiten der maximalen Temperatur im Bildausschnitt. Im Messzeitraum lagen die Außentemperaturen in der Regel unter 0 °C. Die wärmsten Bauteile der durchfahrenden Züge waren Räder und Bremsen. Deren Temperatur lag bei 5 bis 10 °C. Die Kamera wurde so justiert, dass ein durchfahrender Zug mit seiner Temperatur eine Filmaufnahme auslöste, die mit Uhrzeit und Datum versehen wurde. Auf den Bildern lassen sich die Umrisse der Züge deutlich erkennen. Eine Unterscheidung der drei Zuggattungen Güter-, Personennah- und Personenfernverkehr ist problemlos möglich (Bild 2). Das Bildmaterial wurde nach Beendigung der Messperiode ausgewertet. Für die einzelnen Wochentage ergaben sich anhand der Messung die durchschnittlichen Zugzahlen wie in Bild 3 dargestellt. Es fällt auf, dass die Zugzahlen an Sonntagen deutlich niedriger sind, als an anderen Wochentagen. Insbesondere die Zahl der Güterzüge erreicht nur ein Drittel der Zugzahl an den hochfrequentierten Wochentagen Dienstag bis Freitag. Auch die Zahl der Personenzüge ist um 15 % niedriger. An den beiden Wochentagen Samstag und Montag verringert sich die Zahl der Züge ebenfalls signifikant gegenüber den meistbelasteten Tagen (ca. -23 %). An den Tagen Dienstag bis Freitag kommt die gemessene durchschnittliche Zugzahl der errechneten Kapazitätsgrenze von 288-Zügen relativ nahe. In der folgenden Grafik (Bild 4) wird die durchschnittliche Verteilung der Zugzahlen am Mittwoch dargestellt. Der Tag wurde in drei Zeitintervalle unterteilt: Morgenintervall (0 Uhr bis 8 Uhr), Tagesintervall (8 Uhr bis 16 Uhr) und Nachtintervall (16 bis 24 Uhr). Signifikant ist die deutlich niedrigere Zahl der Personenzüge im Morgenintervall im Vergleich zur Zahl der Güterzüge. In den anderen beiden Zeitintervallen entsprechen sich diese Zahlen in etwa. Die Kapazitätsinanspruchnahme ist im Tagesintervall am höchsten. Die durchschnittliche maximale Kapazitätsauslastung bei optimaler Betriebsqualität beträgt 48 Züge in 8 Stunden auf einem Gleis. Damit erreicht die Kapazitätsauslastung im Tagesintervall bis zu 115 %. Vergleicht man Morgen- und Nachtintervall, so fällt auf, dass am Morgen die Kapazitätsgrenze in Richtung Süden und in der Nacht in Richtung Norden überschritten wird. Die Auslastung auf dem Bild 2: Auf den Infrarotbildern sind die Zuggattungen klar erkennbar: links Güterverkehr, Mitte Personennahverkehr, rechts Personenfernverkehr. jeweils anderen Gleis ist deutlich niedriger. Abschließend wurde mit einer Stichprobe aus 66 Zügen die durchschnittliche Geschwindigkeit und Länge der Güterzüge rechnerisch geschätzt. Hierfür wurde die Geschwindigkeit der Güterzüge auf einem 200 m langen Streckenabschnitt gemessen. Anhand der so gemessenen Geschwindigkeit ließ sich für jeden Zug anhand der Zeit, die verging, bis der gesamte Zug den Messpunkt passiert hatte, die Länge der Züge ermitteln. Aus der Stichprobe ergab sich eine durchschnittliche Geschwindigkeit von knapp 94 km/ h und eine durchschnittliche Länge der Güterzüge von ca. 530 m. Bei einer maximalen Zuglänge von 740 m ergibt sich im Durchschnitt eine nicht genutzte Länge von 210 m. Diese Ergebnisse wurden durch Abgleich mit Personenverkehrsfahrplänen der Deutschen Bahn und durch ein Gespräch mit Vertretern der DB Netz am 19. April 2013 in Karlsruhe auf Plausibilität getestet. Im Gespräch äußerten die Experten des Netzbetreibers, dass die gemessene Verteilung der Zugzahlen sowie die absoluten Zahlen ihren Erfahrungen entsprechen. Sie gehen außerdem davon aus, dass die Zugzahlen auf der Rheintalbahn auch saisonalen Schwankungen unterliegen. Das saisonale Maximum an Zugzahlen wird in den Monaten Mai und Juni sowie Oktober und November erreicht. Schlussfolgerungen für Logistikprozesse und Trassenmanagement Die Untersuchung der Auslastung der Rheintalbahn am Beispiel des Streckenabschnittes Offenburg-Lahr zeigt eine Auslastung am Limit der Kapazität, aber auch Potenzial für zusätzlichen Verkehr: Zunächst sind einzelne Trassen besonders in den Tagesrandzeiten und am Wochenende ungenutzt. Zur Nutzung solcher zeitgebundener Reserven in Verkehrssystemen wird häufig über Yard Management diskutiert: Durch eine Erhöhung der monetären Attraktivität soll eine Nutzung von bisher freien Trassen erfolgen, deren zeitliche Attraktivität für die Nutzer gering ist. Dieses würde zusätzlich auch eine ausgleichende Umlenkung von Güterströmen aus den Spitzenzeiten bringen. Dadurch würde aber das ohnehin als unflexibel angesehene Verkehrsmittel Bahn aus Sicht der Verlader vermutlich noch unattraktiver. Zudem können einzelne Güter- Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 51 INFRASTRUKTUR Wissenschaft ströme, beispielsweise der Hafenhinterlandverkehr, nicht an den Restriktionen einer einzelnen Teilstrecke ausgelegt werden. Durch die Nutzung dieser letzten Reserven würden auch Störungen im System noch schlechter als heute ausgeglichen werden können. Eine technische Erhöhung der möglichen Anzahl an Trassen wurde durch Einführung der Linienzugbeeinflussung (LZB) auf der Rheintalbahn bereits erzielt. In Zukunft könnte ECTS Level 3 noch eine Steigerung ermöglichen 10 . Eine umfassende Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf der Schiene erscheint unter diesen Bedingungen am Oberrhein utopisch. An einem Ausbau der Rheintalbahn führt also aus Sicht der Anzahl nutzbarer Trassen sicherlich kein Weg vorbei. Es findet sich allerdings durchaus noch Raum für logistische Maßnahmen zur Erhöhung des Transportvolumens: In der Untersuchung hat sich in den einzelnen Blöcken eine Reserve von etwa 210 m Zuglänge oder etwa 30 % und damit ein erhebliches Potenzial gezeigt. Technisch sind die Fahrzeuge für größere Längen geeignet. Fehlende Überholungs- und Rangiergleise mit ausreichender Länge müssen über den schon erwähnten Ausbau gelöst werden. Forschungs- und Handlungsbedarf liegt hier vor allem auf organisatorischer Seite: Güterströme müssen über Wettbewerber und Zugarten hinweg gebündelt werden. Vor allem kurze Ganzzüge stellen eine Herausforderung dar. DB Schenker hat diesbezüglich durch die Netzwerkbahn einen interessanten Schritt getan. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich die neue Organisation dieses großen EVU auf die Kapazität der Rheintalbahn auswirken wird. Im Projekt Code24 wird auf Basis der vorgestellten Ergebnisse die Ausnutzung der bestehenden Strecke weiterhin eine große Beachtung finden. Abschließend ist anzumerken, dass auch die linksrheinische Schieneninfrastruktur im französischen Elsass im Rahmen eines grenzüberschreitenden Verkehrskonzepts für den Oberrhein berücksichtigt werden sollte. ■  1 s.a. www.code-24.eu  2 Union International des Chemins de Fer (Hrsg.): UIC Code 406, Paris, 2004, S. 6  3 Happel, O. : Sperrzeitentreppe als Grundlage für die Fahrplankonstruktion, Eisenbahntechnische Rundschau 8, Heft 2, 1959, S. 79-90  4 Gert Heister, Jörg Kuhnke, Carsten Lindstedt, Roswitha Pomp, Thomas Schill, Thorsten Schaer, Stephan Schmidt, Norbert Wagner, Wolfgang Weber: Eisenbahnbetriebstechnologie, DB-Fachbuch, Heidelberg/ Mainz, 2009, S. 298 ff.  5 Wolfgang Fengler: Das System Bahn, DVV Media Group GmbH, 2008  6 Pachl, J.: Systemtechnik des Schienenverkehrs. 6. Aufl., Wiesbaden, 2011, S. 174  7 vgl. Jochim, Haldor, Lademann, Frank: Planung von Bahnanlagen: Grundlagen - Planung - Berechnung, München, 2009, S. 208 ff.  8 Pachl, 2011, 176  9 Zur Berechnung der Kapazitätsgrenze vgl. Drewello, H., Gütle, S.: The need for investment on the ‘Rheintalbahn’ in the Upper Rhine Hansjörg drewello, Prof. Dr. Wirtschaftsförderung und Regionalökonomie, Fakultät Wirtschafts-, Informations- und Sozialwissenschaften, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl drewello@hs-kehl.de Ingo dittrich, Prof. Dr. Spedition/ Transport/ Logistik, Fakultät Betriebswirtschaft und Wirtschaftsingenieurwesen, Hochschule Offenburg ingo.dittrich@hs-offenburg.de Stephan Gütle, B. Eng. Akademischer Mitarbeiter der Hochschule Offenburg stephan.guetle@hs-offenburg.de Bild 4: Durchschnittliche Zugzahlen nach Zeitintervallen (Mittwoch) 231 217 158 105 145 110 54 6 7 4 6 6 2 1 273 286 276 270 149 163 151 120 117 119 119 119 105 103 0 50 100 150 200 250 300 350 Mo Di Mi Do Fr Sa So Anzahl Züge Gesamtzahl Güterzüge Personenzüge Andere Kapazität Valley. Results of a railway capacity analysis by the town of Lahr. 3rd Code24 report of action 9, Kehl, August 2013, S. 14 ff. 10 Vgl. Jochim, Lademann, 2009, S. 209, und Weigand, Werner: Mehr Kapazität für den Schienenverkehr - Reicht das bestehende Streckennetz aus? In: Eisenbahntechnische Rundschau (ETR), Nr. 12, 2009, S. 722 ff. Bild 3: Durchschnittliche Zugzahlen nach Wochentagen MOBILITÄT City-Maut Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 52 City-Maut - endlich entmystifizieren Über Missverständnisse, Informations- und Kommunikationsdefizite in Deutschland Die öffentliche Diskussion um das Thema City-Maut in der Bundesrepublik sowie seine Behandlung in der Politik, in Gutachten, in Kommissionsberichten und Koalitionsvereinbarungen etc. ist im internationalen Vergleich ein besonders ausgeprägtes Beispiel für Missverständnisse, Informations- und Kommunikationsdefizite, Mängel in der methodischen Beschäftigung damit und immer noch bestehende Wissenslücken. Vor diesem Hintergrund stellte der Verfasser für das zuständige Komitee des „Transportation Research Board“ (TRB) der Nationalen Akademien der Wissenschaften der USA ein Arbeitspapier zusammen, in dem er die Mängel aus seiner deutschen Perspektive adressiert und Lösungsvorschläge für ihre Bereinigung macht. Hier ein Überblick. Der Autor: Andreas Kossak I nternational wird die Erhebung von Gebühren für die Benutzung von Straßen in den Zentren großer und mittlerer Städte durch den motorisierten Individualverkehr (MIV) seit Jahrzehnten diskutiert. Ausgangspunkt war und ist bis heute die Minderung des Drucks des MIV auf die Innenstädte sowie der damit verbundenen nachteiligen Wirkungen auf die Umweltbedingungen, die strukturellen Gegebenheiten und die Attraktivität/ Konkurrenzfähigkeit. Das beinhaltet die Steuerung und Dämpfung des MIV durch Gebührenerhebung ebenso wie gegebenenfalls die Schaffung zusätzlicher Infrastruktur und/ oder die Verbesserung der Bedingungen für Mobilitätsalternativen auf der Grundlage der Einnahmen. Der Stadtstaat Singapur war 1975 Vorreiter mit seinem „Area License Scheme/ Central Area Cordon Pricing“ (Bild 1). Es folgten seit 1986 mehrere norwegische Städte mit „Mautringen“ und „Mautzonen“: Bergen (1986), Oslo (1990), Trondheim (1991), Kristiansand (1997), Namsos (2003) und Tönsberg (2004). Im Jahr 1989 wurden in den Stadtzentren von Rom und Bologna so genannte „Limited Traffic Zones“ eingerichtet und nachfolgend schrittweise zu in vollem Umfang durch elektronische Zugangskontrollen geregelte Maut-Zonen ausgebaut. Seit 1998 hat die EU Kommission mehrere Programme zur Förderung von Aktivitäten in Städten gesponsert, die die Einführung von City-Maut planten (EURoPrice, PROGR€SS, CUPID, CURACAO); Teilnehmerstädte waren Amsterdam, Belfast, Bristol, Edinburgh, Genua, Göteborg, Helsinki, Kopenhagen, Leeds, Rom und Trondheim (zusammenfassende Übersicht u. a. in [1]). Wahrnehmung und Reaktion in deutschland In die Wahrnehmung der Politik und der allgemeinen Öffentlichkeit rückte das Thema in der Bundesrepublik erst mit der Einführung des „London Congestion Charge Scheme“ im Jahr 2003 (Bild 2) [2] und der „Stockholm Congestion Tax“ („Versuch“ 2006, endgültige Einführung 2007) [3]. Umgehend machten Lobby-Organisationen, aber auch Gutachter und Wissenschaftler geltend, dass die dortigen Bedingungen nicht auf deutsche Städte zu übertragen seien, dass die Einführung einer City Maut zur Verödung der Innenstädte, zur Schädigung des Einzelhandels, zur Verlagerung von Verkehr in empfindliche Wohngebiete und sogar insgesamt zu beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schäden führen würde. Überzeugende Begründungen dafür wurden nicht geliefert; die Erkenntnisse aus praktischen Anwendungen widerlegen die betreffenden Argumente. Die gelegentlich angestellten wohlfahrtstheoretischen Modellrechnungen und verkehrsökonomischen Bewertungen werden der Komplexität der Materie nicht annähernd gerecht. Die Diskussion in Deutschland erhitzt sich wechselweise an der Erhebung von Benutzungsgebühren und dem Bedarf an Stauregulierung. Dabei wird entweder angeknüpft an dem Begriff „City-Maut“ - typischer Kommentar dazu: „Im Klartext: Die Autofahrer sollen über eine neue Abzocke zur Kasse gebeten und aus den Innenstädten vergrault werden“ [4]. Oder es wird auf das in London und Stockholm durch die Bezeichnung der Projekte in den Vordergrund gestellte Thema („Congestion Pricing“) Bezug genommen und behauptet, dass die dortigen Verkehrsbedingungen bei Weitem nicht mit den Verhältnissen in deutschen Städten vergleichbar seien. Beispiel Hamburg In vieler Hinsicht typisch für die Behandlung des Themas in Deutschland ist das Beispiel Hamburg. Seit dem Bürgerschafts- Wahlkampf 2008 stand die City-Maut in Hamburg im Vordergrund der Auseinandersetzung um die Verkehrs- und Umweltpoli- Bild 1: Elektronische Gebührenerhebung mit Geldkarte in Singapur Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 53 tik (Bild 4). Angeknüpft wurde auch hier explizit an die Projekte in London und Stockholm sowie an die EU-Vorschriften zu den Emissions-Grenzwerten. Die Grünen und die FDP plakatierten das Thema kontrovers an vielen Hauptverkehrsstraßen - Grüne pro („ab hier City-Maut“), Liberale contra („Gegen City-Maut“); spezifische oder substantielle Argumente wurden nicht vermittelt. Als Ergebnis der Bürgerschaftswahl wurden die Grünen Partner in einer Koalition mit der CDU und übernahmen die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt; das schloss den Verkehrssektor ein. Eine Studie zur City-Maut wurde in Auftrag gegebenn. Das Ergebnis wurde bis zum Ende der Legislaturperiode unter Verschluss gehalten. Der Spitzenkandidat der SPD für die folgende Wahl versprach, dass es Straßenbenutzungsgebühren in Hamburg auf keinen Fall geben werde, wenn seine Partei die Wahl gewinnt. Letzteres war dann tatsächlich der Fall. Benutzungsgebühren für Straßen gelten seither in Senat und Verwaltung als Tabu. Wenig später wurden die Ergebnisse des betreffenden Gutachtens genüsslich veröffentlicht. Die Überschrift der Pressemitteilung dazu lautete: „City-Maut laut Gutachten sinnlos“. Als Hauptgründe wurden angeführt bzw. zitiert [5]: • Aus verkehrlicher Sicht nicht erforderlich, da der Verkehrsfluss im innerstädtischen Straßennetz Hamburgs mindestens als befriedigend bezeichnet werden kann… • Durch Ausweichverkehre würden zusätzliche Emissionen verursacht … • Erhebliche negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Innenstadt… • Die Bürger würden eine City-Maut nicht mittragen. Bei Vergleichen der Verkehrsbedingungen in europäischen Städten gilt Hamburg als die Stadt mit dem höchsten spezifischen Stauvolumen in Deutschland; auf europäischer Ebene liegt sie knapp hinter London und Stockholm(! ). Wann immer auch nur eine oder gar zwei größere Baustellen im Hauptstraßennetz der Stadt eingerichtet werden, wirkt sich das monatelang dramatisch auf das gesamte Verkehrsgeschehen aus. Das gilt vor allem bei Brückenbauvorhaben und wird sich in Zukunft noch erheblich verstärken; Hamburg hat mehr Brücken als Amsterdam, London, Paris und Stockholm zusammengenommen - und die sind zunehmend sanierungs- oder ersatzbedürftig. Das politisch offensichtlich besonders relevante Ergebnis, nach der die Bevölkerung gegen eine City-Maut sei, basierte auf Befragungen von Bürgern und Vertretern des Einzelhandels, denen allerdings keine konkrete Problemlage, kein konkretes Konzept, geschweige denn eine Lösungsstrategie zugrunde lag. Zu den Kernergebnissen des EU-Projekts „Coordination of Urban Road- User Charging Organisational Issues“ (CU- RACAO, 2006-2009) gehörte, dass Befragungen zu Straßenbenutzungsgebühren in Städten vor der Einführung nicht sinnvoll sind, selbst wenn das in Frage stehende Konzept höchst erfolgversprechend ist, weil die Komplexität der Effekte in aller Regel nicht ausreichend kommuniziert werden kann, um ein qualifiziertes Abstimmungsverhalten zu erzielen [6]. Schlussfolgerungen Die Behandlung des Themas in Hamburg legt exemplarisch die Annahme nahe, dass die inzwischen in beträchtlichem Umfang verfügbaren Fakten, Materialien, Wissensgrundlagen („Knowledge Bases“) und Lektionen („Lessons Learned”) aus konkreten Anwendungen und qualifizierten Forschungsarbeiten nicht ausreichend bzw. nicht in der geeigneten Form aufbereitet und kommuniziert worden sind. Tatsächlich fehlt es nach wie vor sogar an eindeutigen Definitionen der verschiedenen verwendeten Begriffe und einer differenzierten Erläuterung der dahinter stehen Zielsetzungen; vor allem fehlen geeignete Handreichungen und Leitlinien für nicht spezialisierte und nicht an Lobby-Positionen gebundene „Stakeholder“. Das Thema City-Maut muss in Deutschland endlich entmystifiziert werden. Was führende deutsche Lobby-Organisationen in diesem Zusammenhang regelmäßig als Mythen verunglimpfen, hat sich längst in der Praxis als Fakten erwiesen - und umgekehrt. City- Maut ist eine in vieler Hinsicht potentiell höchst wirkungsvolle Ergänzung des traditionellen Instrumentariums der städtischen Verkehrssteuerung und der Verbesserung der Umweltbedingungen, aber insbesondere auch der städtebaulichen und stadtökonomischen Gestaltung. Dem muss bei der Auseinandersetzung mit City-Maut-Konzepten endlich auch in Deutschland angemessen Rechnung getragen werden. Die Wissenschaft ist aufgerufen, die adäquaten Methoden und Modelle dafür zu entwickeln. Gerade im Bereich der der städtebaulichen und stadtökonomischen Wirkungen gibt es nach wie vor beträchtliche Wissenslücken. ■ LIterAtur [1] Kossak, A.: Die City-Maut im Instrumentarium der städtischen Verkehrssteuerung; in Difu-Impulse 6/ 2008 [2] Keegan, M.: The Central London Congestion Charge; London 2007 [3] City of Stockholm: Stockholm Congestion Tax; offizielle Präsentation 2007 [4] Koch, E.: Kostet uns bald jede Fahrt in die Stadt 6,10 Euro? In „Bild“, 4.10. 2012 [5] Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation der Freien und Hansestadt Hamburg: Gutachten des Vorgängersenats zur Einführung einer City-Maut; Pressemitteilung, Hamburg 2011 [6] http: / / www.transport-research.info/ web/ projects/ project_details.cfm? ID=28307 Bild 3: Plakatierung des Themas im Hamburger Wahlkampf 2008 (Foto: A.Kossak) Bild 2: Kennzeichnung der Grenze der City-Maut-Zone in der Londoner Old Street (Foto: Transport for London) Andreas Kossak, Dr.-Ing. Inhaber Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com MOBILITÄT Tarifmodelle Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 54 Multimodale Tarife für alle Stammkunden Auf dem Weg zum echten Mobilitätsverbund Multimodale Kooperationen zwischen ÖPNV, Auto- und Radverleihsystemen sowie weiteren Services sprießen in vielen Ballungsräumen aus dem Boden. Während Freefloating-Carsharing mancherorts einen Durchbruch bei den Nutzerzahlen erlebt, gilt dies für ÖPNV-Kombitarife kaum. Muss ein multimodaler Tarif daher ein fakultatives Angebot bleiben? Eine Marktforschungsstudie unter ÖPNV-Kunden zeigt, dass mit einer obligatorischen Integration in den Abo-Tarif neue Zahlungsbereitschaften gehoben werden können. Die Autoren: Christoph Stadter, Gerd Probst, Stefan Lämmer E s gibt Indizien dafür, dass alternative Mobilitätsangebote ihre Kunden stärker vom ÖPNV als vom PKW abwerben, so z. B. beim Leihradsystem BIXI in Montreal. 1 Andererseits weisen Studien nach, dass die Einführung von car2go in Ulm bereits nach 16 Monaten Betriebsdauer für die Abschaffung von 500 bis 2000 privaten PKWs verantwortlich war. 2 Wer sein Fahrzeug aufgibt, ist für den ÖPNV ein sehr attraktiver Kunde, denn die ausschließliche Nutzung von Carsharing für jegliche Alltagswege wäre enorm teuer. So entscheiden sich Nahverkehrsunternehmen immer häufiger, diese Angebote nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu betrachten und sie in ihr Produktportfolio zu integrieren. das dilemma multimodaler Tarifangebote Der zentrale Fokus liegt bislang auf fakultativen Kooperationsangeboten, für die zum Teil beachtliche Anschubinvestitionen und Werbebudgets gezahlt werden (aktuelles Beispiel: switchh in Hamburg). Zwar bekommen ÖPNV-Kunden vielfältige Rabatte, jedoch entstehen ihnen sofort zusätzliche Kosten und Registrierungshürden. Selbst der Branchenprimus HannoverMobil, der in den neun Jahren seines Bestehens große Bekanntheit erzielt hat, erreicht auf diesem Wege nur ca. 1300 Kunden und damit ein gutes Promille der Einwohner der Region Hannover 3 - eine kleine Kundengruppe, auf die die Hannoveraner im Vergleich allerdings stolz sein können. Das Dilemma multimodaler Tarifangebote lautet bislang: Die Politik wünscht sie, in der Öffentlichkeit können sich ÖPNV-Unternehmen damit als innovativ darstellen - nur am Mobilitätsmarkt finden sie wenig Widerhall. Auf die Dauer ist dies weder produktiv noch entfaltet es spürbare Umweltwirkungen. Was könnte die Alternative auf dem Weg zum echten „Mobilitätsverbund“ sein? Konkreter: Muss ein multimodales Tarifangebot immer fakultativ sein? der Forced-Bundling-Ansatz Bereits ein klassischer Verkehrsverbund ist alles andere als fakultativ: Mit dem Ticketkauf bezahlt der Kunde alle Verkehrsmittel in einer Tarifzone - unabhängig von der konkreten Nutzung. Dieses Prinzip hat sich bei Aufgabenträgern aus zweierlei Gründen durchgesetzt: Weil es einfach ist, und weil es eine schlagkräftige Alternative zum Individualverkehr aus einer Hand bieten soll. Kaum anders verhält es sich mit Carsharing- und Leihradangeboten. Die diesem Artikel zugrunde liegende Marktforschungsstudie untersucht daher die These, dass solch ein „Forced-Bundling- Ansatz“, also die automatische Integration von Carsharing und Leihrädern in den Nahverkehrstarif, zumindest für Stammkunden ökonomisch sinnvoll wäre. Die Idee dahinter lautet: Wenn der Kunde das neue Angebot schon bezahlt hat, wird er es ausprobieren und Gefallen daran finden. Damit könnte die Zielstellung, dauerhaft ohne eigenen PKW eine erfüllte urbane Mobilität zu genießen, für breitere Kundengruppen erreichbar sein. Bislang sind solche automatisch integrierten Zusatzleistungen, die - solange ein gewisses Volumen nicht überschritten wird - keine Zusatzkosten in Rechnung stellen, noch klar in der Minderzahl. Der Fahrradleihanbieter Nextbike stellt immerhin für Abonnenten z. B. in Magdeburg, Leipzig oder Köln die ersten 30 Nutzungsminuten kostenfrei, bislang ohne wahrnehmbaren Preisaufschlag. In Stuttgart oder Hamburg bezahlen wiederum die Kommunen die Fahrrad-Freiminuten für jedermann, ohne dass der ÖPNV als Partner einbezogen wird. Für kooperationsbereite ÖPNV-Anbieter stellen sich dabei folgende Fragen: • Lässt sich ein Forced-Bundling-Ansatz am Stammkundenmarkt durchsetzen? • Welcher Aufpreis ist akzeptabel? Welche Inklusivleistungen sind dafür sinnvoll? • Kann sich das Abo durch seine multimodale Erweiterung weitere Kundengruppen erschließen? Marktforschung in Stuttgart Die folgende Face-to-Face-Befragung wurde zusammen mit den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) im März 2012 im Stadtgebiet Stuttgart durchgeführt. Dort gab es Vorüberlegungen zu multimodalen Tarifangeboten, um insbesondere folgende Systeme zu integrieren: car2go: Der Daimler-Konzern hatte bereits angekündigt, im Herbst 2012 500 Elektro- Smarts im Stadtgebiet aufzustellen. e-Call a Bike: DB Rent hatte dieses System bereits im Herbst 2011 eingeführt, d. h. es hatte vor der bis März andauernden Winterpause anderthalb Betriebsmonate erlebt. Das konventionelle Call a Bike-System stellt die erste halbe Stunde in Stuttgart für jeden Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 55 kostenfrei und wurde somit nicht berücksichtigt. An Haltestellen und in Fahrzeugen der Stadt- und S-Bahn wurden dazu insgesamt 537 Fahrgäste befragt, wie Tabelle 1 zeigt. Während den Jedermann-Kunden jeweils multimodale Abo-Tarifvarianten vorgelegt wurden, war für Studenten eine Integration in das StudiTicket zu untersuchen. Rentner, Schüler und Azubis waren von der Befragung ausgenommen. die auswahlbasierte Conjoint-Analyse Zur Anwendung kam eine auswahlbasierte Conjoint-Analyse. Jeder Proband bekam acht zufällig gezogene Auswahlsituationen vorgelegt, in denen er sich jeweils zwischen zwei multimodalen Abo-Tarifen oder dem Nichtkauf entscheiden konnte (Beispiel in Bild 1). Je nach Ausgangslage des Probanden bedeutete der Nichtkauf die Kündigung seines bestehenden Abos bzw. StudiTickets oder den Verbleib bei seinem Produkt des Bartarifs, der von den multimodalen Zusätzen nicht betroffen wäre. Die Auswahlsituationen entstanden als Variation dreier Variablen mit jeweils drei Ausprägungen, wie sie Tabelle 2 zeigt. Beim Carsharing wurde ein monatliches Minutenbudget gewählt (analog zu bestehenden Freefloating-Tarifen), beim Leihrad ein marktübliches Kontingent pro Ausleihe. Damit verbunden war ein pauschaler monatlicher Aufpreis, der unabhängig von der Preisstufe für alle betroffenen Abo- und StudiTickets gleichermaßen galt. Daneben wurden Angaben zu Soziodemografika, heutiger Verkehrsmittelnutzung und der grundlegenden Akzeptanz von car2go und e-Call a Bike abgefragt. Alle Wahlentscheidungen der Kunden flossen in ein multinomiales Logit-Modell ein und wurden mit der Maximum-Likelihood- Methode geschätzt. So entstanden Teilnutzenwerte für die Freiminutenbudgets, die sich in Relation zum Nutzenwert des Monatspreises in Zahlungsbereitschaften umrechnen ließen. Auf dieser Basis wurden zum Schluss Kaufwahrscheinlichkeiten für beliebige Kombinationen aus den abgefragten Produkteigenschaften simuliert. Akzeptanz der tariflichen Verknüpfung Bei der Auswertung zeigt sich, dass ein Forced-Bundling-Aufschlag am Markt größtenteils durchsetzbar wäre. Die verbalen Einzelmeinungen reichten von „Ökozwang“ über die Erkenntnis, dass tatsächlich genau dieser Anreiz bisher fehle, sich genauer mit Carsharing zu befassen, bis hin zur Aussage, dass damit die sowieso anstehenden Preiserhöhungen wenigstens einen wahrnehmbaren Nutzen brächten. Immerhin 18% der Abonnenten kritisieren explizit die Preissteigerung bzw. die fehlende Möglichkeit, die Zusatzprodukte abzuwählen. 4 Die wenigsten entscheiden sich de facto in der Conjoint-Analyse für einen Nichtkauf, da das Abo weiterhin der günstigste Tarif für Vielfahrer ist. Dabei steigt die gemessene Abhängigkeit vom Abo mit zunehmender Preisstufe deutlich an. Obwohl Einpendler die multimodalen Services weniger oft nutzen können (nur am Arbeitsort, nicht am Wohnort), würden sie auf Aufpreise geringer reagieren als Stuttgarter Stadtbewohner, denen mehr Mobilitätsalternativen für kurze Wege zur Verfügung stehen. Anders als bei optionalen multimodalen Tarifen wären damit über 110 000 heutige VVS-Abonnenten (zzgl. Studenten) auf einen Schlag Carsharing- und Leihradkunden. Dagegen wurde unter den 537 Probanden nur einer gefunden, der bereits multimodal mit allen drei Verkehrsmitteln unterwegs war - und dies war kein ÖPNV- Stammkunde. Ein Forced-Bundling-Abo träfe somit auf einen noch völlig unbearbeiteten Markt. Wie würde die spätere Nutzung in diesem Falle aussehen? 34 % würden e-Call a Bike mindestens einmal ausprobieren, car2go sogar 46 %. Dagegen wollen 39 % der Befragten beide Systeme nicht nutzen - ein Gutteil der Freiminuten verfiele also, was den Verrechnungspreis im Hintergrund deutlich senken kann. Für das Pedelec-Leihrad sind 30 Freiminuten pro Ausleihe für die typischen Fahrradentfernungen offenbar ausreichend. Für car2go zeigt sich ebenfalls ein abnehmender Grenznutzen, jedoch sind auch 90 Freiminuten pro Monat ein beliebter Wert. Ein zu niedrig angesetzter Minutenbetrag stößt auf verbale Ablehnung, da er als „nicht ernst gemeintes Angebot“ verstanden wird. Zahlungsbereitschaft und Erlöse In Tabelle 3 sind die kompensatorischen Zahlungsbereitschaften zusammengefasst, also jene Aufpreise, bei denen das multimodale Abo denselben Nutzenwert erreicht wie ein Abo ohne Zusatzleistungen: • Die maximale Zahlungsbereitschaft der Abonnenten beträgt 5,10 EUR. • Inhaber klassischer Monatskarten äußern sich bedeutend weniger preissensi- Gruppe Anzahl Stichprobenanteil Verwendbare Stichprobe 537 100 % davon Abonnenten 162 30,2 % davon Monatskarteninhaber 159 29,6 % davon Gelegenheitsnutzer 94 17,5 % davon Studenten 122 22,7 % Tabelle 1: Teilnehmerstatistik Conjoint-Variable Ausprägung 1 Ausprägung 2 Ausprägung 3 Aufpreis + 1 € + 5 € + 9 € Freiminuten car2go 0 45/ Monat 90/ Monat Freiminuten e-Call a Bike 0 30/ Ausleihe 45/ Ausleihe Tabelle 2: Conjoint-Variablen und Ausprägungen (beliebig kombinierbar) Bild 1: Beispielhafte Auswahlsituation für Kunden der Preisstufe 2 MOBILITÄT Tarifmodelle Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 56 bel. Sie zeigen eine vergleichsweise hohe Wechselbereitschaft, was daran liegt, dass auch das multimodale Abo noch billiger als die Monatskarte ist. Zudem befand sich im Frühjahr 2012 das neu gestartete VVS-Abo in einem allgemeinen Aufwärtstrend mit naturgemäß vielen Wechslern aus dem Monatskartensegment. Die Ergebnisse der Monatskartennutzer sind demnach übertrieben positiv und stellen eher ein maximales Potenzial dar. • Studenten dagegen zeigen sich mit maximal 1,63 EUR als sehr preissensibel. Sie sind zwar von den neuen Services inhaltlich am stärksten begeistert, wollen aber nur selten Aufpreise hinnehmen. • Nutzer von Gelegenheitstickets reagieren so unterschiedlich auf das multimodale Abo, dass sich keine signifikanten Modellergebnisse erstellen ließen. Für diese Kundengruppe wären eher multimodale Gelegenheitstickets angebracht, doch diese befinden sich in Deutschland noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium. Abonnenten, die bereits heute eine hohe PKW-Nutzung aufweisen (zumeist in der Freizeit), sind für Carsharing-Dienste überdurchschnittlich zahlungsbereit. Hier handelt es sich häufig um Einpendler, deren PKW am Arbeitsort nicht zur Verfügung steht, sodass ihnen car2go als angenehme Alternative für eilige innerstädtische Wege erscheint. Unter Einbezug von Preiselastizitäten empfiehlt sich ein Aufpreis, der über der kompensatorischen Zahlungsbereitschaft liegt. Die höchsten Einnahmen auf dem Jedermann-Markt verspricht ein Preisaufschlag zwischen 6 und 8 EUR (bei Betrachtung der orangen bzw. blauen Kurve in Bild 2). Oberhalb davon übersteigen die Verluste durch Abo-Kündigungen die zusätzlichen Mehrerlöse. Fazit Das untersuchte Tarifmodell betrachten die Autoren als geeigneten Ansatz, um die dürftige Nachfragesituation vieler multimodaler Kooperationen zu verbessern. Es bietet für die Leihsystemanbieter die Chance, schneller einen großen Kundenbestand aufzubauen - den der ÖPNV als gewichtiges Pfund in die Waagschale werfen kann. Natürlich sind die Ergebnisse von der starken lokalen Wettbewerbssituation des ÖPNV in Stuttgart geprägt, sodass andernorts eventuell Abstriche bei der Aufpreisbereitschaft zu erwarten sind. Mit einem vernünftig ausgehandelten Freiminuten-Einkaufspreis, der den Solidareffekt berücksichtigt, schlummern hier jedoch Erlös- und Kundenbindungspotenziale. Dies unterstreicht die Wertigkeit des Abos als Premium-Produkt und vermeidet eine Konkurrenzsituation zu den neuen Anbietern. Ein besonderes Interesse sollte von den Kommunen ausgehen, die sich gerne als umweltfreundlich darstellen: Wer echte Veränderung in die Stadtmobilität bringen möchte, sollte verbindlicher als bisher solche Tarifmodelle fordern, um die neuen ökologischen Mobilitätsformen mit einem spürbaren Anreiz zur Erstnutzung zu versehen. Eine Forced-Bundling-Integration kann so den Umstiegsprozess und die verkehrspolitische Wirksamkeit entscheidend beschleunigen. ■ 1 Bachand-Marleau, Julie; Lee, Brian H. Y.; El-Geneidy, Ahmed M. (2012): „Towards a better understanding of the factors influencing the likelihood of using shared bicycle systems and frequency of use“. Präsentiert beim Transportation Research Board 91st Annual Meeting, Washington D.C., 22.-26.01.2012. 2 Firnkorn, Jörg; Müller, Martin (2012): „Selling mobility instead of cars: New business strategies of automakers and the impact on private vehicle holding“. In: Business Strate-gy and the Environment. 21 (4), S. 273. 3 Röhrleef, Martin (2012): „HANNOVERmobil geht in die zweite Runde: Lessons learned und neue Ansätze für die Weiterentwicklung“. Präsentiert auf der DECOMM, Hannover, 22.-23.11.2012.   4 Stadter, Christoph (2012): „Empirische Untersuchung zur Tarifgestaltung im Rahmen von ‚Smart Mobility’. Ermittlung der Akzeptanz und der Zahlungsbereitschaft bei ÖP- NV-Stammkunden für ergänzende Mobilitätsleistungen“. Diplomarbeit an der TU Dresden. Christoph Stadter Consultant, Probst & Consorten Marketing-Beratung, Dresden c.stadter@probst-consorten.de Gerhard Probst Geschäftsführer, Probst & Consorten Marketing-Beratung, Dresden g.probst@probst-consorten.de Stefan Lämmer, Dr.-Ing. Lehrstuhlvertretung, Professur für Verkehrsökonometrie und -statistik, Technische Universität Dresden stefan.laemmer@tu-dresden.de Zahlungsbereitschaft für: Abonnenten Monatskarteninhaber Studenten 45 Freiminuten car2go pro Monat 2,34 € 5,88 € 1,06 € 90 Freiminuten car2go pro Monat 3,58 € 11,17 € 1,52 € 30 Freiminuten e-Call a Bike pro Ausleihe 1,38 € 2,00 € 0,11 € 45 Freiminuten e-Call a Bike pro Ausleihe 1,62 € kein Mehrnutzen kein Mehrnutzen Tabelle 3: Kompensatorische Zahlungsbereitschaften für Freiminutenpakete Bild 2: Erlössimulation bei maximalem Freiminutennutzen (90 Auto- und 30-Rad-Freiminuten) MOBILITÄT Stadtplanung Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 57 Urbane Mobilität der Zukunft Wie werden Lebensstile, Stadtstrukturen und neue Mobilitätsangebote das Stadtbild künftig prägen? Ein-aktuelles Forschungsprojekt betrachtet urbane Mobilität am Beispiel der Stadt Essen, um neue Lösungsansätze für zukünftige Mobilitätsangebote zu entwickeln. Die Autoren: Hendrik Jansen, Jan Garde, J. Alexander Schmidt V erkehrs- und Stadtstrukturen beeinflussen einander seit jeher in vielfältiger Art und Weise, in den letzten Jahrzehnten jedoch meist zu Ungunsten von urbaner Lebensqualität und der Gesundheit der Stadtbewohner. Ein kürzlich abgeschlossenes Forschungsprojekt betrachtet die Mobilität in der Stadt aus drei unterschiedlichen Perspektiven, um neue Lösungsansätze für zukünftige Mobilitätsangebote zu entwickeln: Eine stadtplanerische, eine verkehrsplanerische und eine sozialwissenschaftliche Perspektive (Bild 1). Durch diesen integrierten Ansatz konnten Strategien und Maßnahmen zu einer verträglicheren urbanen Mobilität für den Referenzfall Essen dargestellt werden. 1 Wie Klimawandel und neue Mobilität, Lebensstile und Stadtraum zusammenhängen Klimawandel und Klimaschutz sind sehr komplexe und abstrakte Themen. Es wird daher immer wichtiger, in der Zivilgesellschaft persönliche Betroffenheit und anschauliche Bilder zu erzeugen, die den Bezug zum Alltag schaffen und neue Verhaltensmuster anstoßen. Insbesondere Städte müssen an dieser Stelle mit ihrer Politik agieren, denn sie sind für über 80 % der weltweit emittierten Treibhausgase verantwortlich. Man muss feststellen, dass vor allem im Bereich der Mobilität in den vergangenen 25 Jahren kaum etwas erreicht wurde: Während seit dem Jahr 1990 die Industrie (-32 %), die Energieerzeugung (-16 %) und die Haushalte (-24 %) zunehmend weniger Treibhausgase emittieren, sind die Emissionen des Verkehrs um 28 % gestiegen [1]. Die Verbrennungsmotoren sind zwar effizienter geworden, die wachsende Anzahl neu zugelassener Fahrzeuge kann allerdings den motorbezogenen Effizienzgewinn nicht ausgleichen. Doch das allein reicht nicht - es geht auch darum, die Stadtqualitäten wieder zurückgewinnen, die infolge einseitiger Planung für den motorisierten Individualverkehr verlorengegangen sind. Die in der Gesellschaft erkennbare Bereitschaft zu neuen Mobilitätsformen einerseits, ein wieder erwachtes Bewusstsein für Stadtqualität und die Rückgewinnung von Stadträumen andererseits können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Daher wurde in dem Projekt ein integrierter Ansatz verfolgt, der die Themenfelder Stadtentwicklung, urbane Mobilität und milieubedingte Vorstellungen zur urbanen Mobilität vernetzt. Auf dieser Grundlage konnten nachhaltige Mobilitätskonzepte entwickelt werden, die auf unterschiedliche Mobilitätspräferenzen eingehen und zugleich neue Chancen für qualitätsvolle Stadträume eröffnen. Bedeutung und Potenziale ausgewählter Mobilitätsformen im Essener Stadtraum Um Transformationspotenziale der Mobilitätsformen für den Essener Stadtraum abschätzen zu können, wurden für unterschiedliche Verkehrsträger Verkehrssimulationen und Potenzialberechnungen erstellt. Parallel dazu wurden mithilfe einer repräsentativen Umfrage mögliche Mobilitätsformen nach der Methode geäußerter Präferenzen in der Essener Bevölkerung überprüft. So konnten zugleich Potenziale für die unterschiedlichen Verkehrsträger sowie die unterschiedlichen Stadtbereiche identifiziert und Verbesserungen der urbanen Qualitäten des öffentlichen Raums aufgezeigt werden (Bild 2). Öffentlicher Personennahverkehr Im urbanen Kontext ist der ÖPNV das Massenverkehrsmittel. Es rangiert für die meisten Städte heute hinter dem MIV auf Platz zwei. Nicht ganz so positiv stellt sich die Situation im Untersuchungsbereich Essen dar. Trotz der vergleichsweise geringen Nutzung des ÖPNV hat dieser Verkehrsträger große Potenziale, wie die Simulationen nachweisen konnten: Etwa 13 % der täglichen Wege, die heute noch mit dem MIV zurückgelegt werden, können durch eine Kombination von ÖPNV und Fußverkehr zumindest gleich schnell zurückgelegt werden. Besonders groß ist dieses Potenzial entlang der radial verlaufenden Stadt- und U-Bahnlinien. Besonders von Innenstadtbewohnern wird ein kostenloser ÖPNV in der Innenstadt Bild 1: Forschungsansatz des Forschungsprojektes „Neue Mobilität für die Stadt der Zukunft“ MOBILITÄT Stadtplanung Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 58 stark befürwortet, jeder Zweite würde hierfür sogar auf sein eigenes Auto verzichten. Auch die Smartphone-Nutzung könnte dem ÖPNV in Zukunft zu einer stärkeren Rolle verhelfen: Junge und moderne Stadtbewohner sind zunehmend bereit, entsprechende Smartphone-Applikationen einzusetzen, um den ÖPNV mit anderen Verkehrsmitteln intelligenter als bisher zu kombinieren und intermodale Wegeketten zu nutzen. Elektromobilität und Car-Sharing Gesellschaftliche Trends und in Verbindung mit dem Klimawandel eine Reduzierung von CO 2 -Emissionen sowie die anhaltenden Diskussionen über postfossile Fahrzeugantriebe haben der Elektromobilität zu neuer Dynamik verholfen. In Politik und Wirtschaft wird das E-Auto als Möglichkeit nachhaltiger Mobilität diskutiert und erprobt. Doch es wird übersehen, dass das E- Auto - auch bei ausschließlicher Nutzung mit regenerativ erzeugtem Strom - nur einen Teil der Probleme löst. Fahrzeuge, die batterieelektrisch betrieben werden, tragen zwar - sofern sie mit erneuerbaren Energien aufgeladen werden - zu einer Reduktion von Lärm- und Schadstoffemissionen bei [2]. Die Flächeninanspruchnahme bleibt aber unabhängig von der Antriebsart bestehen [3]. In den Verkehrssimulationen wurde dennoch geprüft, welche Auswirkungen der Einsatz von Elektroautos als Zweitwagen auf den Gesamtverkehr hat: Während sich die Anzahl der Wege nicht ändert, ergeben Simulationen, dass 29 % aller PKW-Wege von Zweitfahrzeugen mit Elektrofahrzeugen durchgeführt werden könnten. Dies hätte neben einer beträchtlichen Reduktion von CO 2 -Emissionen vor allem auch Verringerungen von Lärmemissionen zur Folge. Die repräsentative Befragung der Essener Bevölkerung liefert in diesem Kontext interessante Erkenntnisse. Vor allem moderne, biographisch offene Lebensstiltypen stehen der Elektromobilität positiv gegenüber. Das betrifft zu großen Teilen die 18-24-Jährigen. Fast 60 % aller Befragten geben an, dass sie sich ein E-Auto kaufen würden, sofern das Ladestationsnetz ausgebaut und der Service dafür verbessert würde. Und bei steuerlichen Vergünstigungen oder Zuschüssen zu den Anschaffungskosten würden sich 60 % der Befragten ein Elektroauto anschaffen. Doch mehren sich auch Anzeichen, dass vor allem die Bewohner großer europäischer Städte ihre Mobilität neu organisieren und dabei abhängig von ihren Wegen auf mehrere Verkehrsmittel zurückgreifen [4]. Car- Sharing als vorwiegend urbanes Konzept ist dabei besonders beliebt. In der Studie Zukunft des Car-Sharing in Deutschland wird von einem Einspareffekt von 6,2 privaten PKW je stationsbasiertem Car-Sharing-Auto ausgegangen, während ein Auto innerhalb eines flexiblen Car-Sharings 2,3 Pkw ersetzen sollen [5]. Für Essen ergeben sich deutliche Car-Sharing-Potenziale vor allem in innerstädtischen Bereichen, in denen mehr als 40 % aller täglichen PKW-Wege durch Fahrten mit dem Car-Sharing-Auto ersetzt werden könnten. Zwar reduziert dieses per se nicht den Verkehr, doch es kann langfristig den Druck auf den Parkraum verringern und Chancen für Stadtraumqualität eröffnen. Radfahren und Zufußgehen Die sogenannte ‚Walkability’ - d.h. die Möglichkeit, kurze Wege in der Stadt zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen zu können - hängt in hohem Maße von der gebauten Umwelt ab. Die Walkability eines Stadtraumes ist eng verbunden mit städtebaulichen Maßstäben, Stadtraumqualitäten, Nutzungen, Beleuchtung oder Begrünung [6]. Diese Überlegungen decken sich mit dem Ideal europäischer Städtebautradition, mit Urbanität und städtischen Qualitäten. Konservative Simulationen zeigen, dass ca. 10% aller heutigen MIV-Wege so kurz sind, dass sie bequem mit dem Fahrrad zurückgelegt werden könnten. Man geht hierbei von etwa fünf km Aktionsradius aus. In der Befragung zeigt sich, dass Kleinteiligkeit und Nutzungsmischung als wichtige Qualitätsmerkmale von Wohnstadtteilen betrachtet wer- Bild 3: Zukunftsvision für ein Quartier im Stadtteil Essen-Rüttenscheid - Neue Mobilitätsformen führen zu einer Attraktivitätssteigerung des Stadtraumes. Bild 2: Vorgehensweise und ermittelte Potenzialräume für das Zufußgehen in der Stadt Essen Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 59 den. Über 80 % der Bürger sind bereit, häufiger zu Fuß zu gehen, wenn kleinere Einkäufe in max. zehn Minuten erledigt werden können. Innovative Mobilitätskonzepte und-ihr Beitrag zur Erhöhung der Lebensqualität Stadträume einer jeden Stadt sind unterschiedlich und erfordern eine differenzierte Sichtweise, will man ihre jeweiligen „Begabungen“ für die Mobilität nutzen und- fördern. Eine typisierende Beschreibung des Stadtraumes hilft dabei, die vielfältigen baulichen, raumstrukturellen Merkmale nutzbar zu machen. Der Stadtraumtypenansatz basiert im Grundsatz auf der Annahme, dass bestimmte Gebiete des Siedlungsraumes meist durch eine weitgehend homogene Baustruktur gekennzeichnet sind. Im Fokus der Forschungsarbeit wird auf gesamtstädtischer Ebene eine Stadtraumtypologie entwickelt, die Merkmale wie stadtstrukturelle Lage, Gebäudetypologien und charakteristische Straßenkategorien sowie die Qualität des ÖPNV unterscheidet. So kann die Stadt in unterschiedliche Bereiche unterteilt werden, die jeweils bestimmte strukturelle Charakteristika aufweisen. Innerhalb dieses Forschungsprojektes wird zwischen übergeordneten Stadtraumtypologien unterschieden: • Kern- und Altstadtbereiche, • innerstädtische Gründerzeitquartiere, • Stadterweiterungsgebiete und • suburbane Bereiche. Die Stadtraumtypologie ist hierbei von doppeltem Nutzen: Zum einen lässt sich auf Grundlage der Analyseergebnisse beispielhaft an vier Interventionsbereichen untersuchen, wie die Zukunft der Mobilität auf Quartiersebene entworfen werden kann. Zum anderen kann mit einer belastbaren Typologie gewährleistet werden, dass grundsätzliche Strategien auf vergleichbare Stadträume in Essen und mit Einschränkungen auch auf andere Städte übertragbar sind. Das entspricht dem Anspruch des Projektes, Strategien nicht nur für die Stadt Essen zu entwickeln, sondern grundsätzlich übertragbare Ansätze zu entwickeln. Am Beispiel eines Gründerzeitquartiers wird urbane Mobilität im Jahr 2030 dargestellt (Bild 3). Hier treffen unterschiedliche Mobilitätsformen auf engem Raum aufeinander, Bus, Straßenbahn- und U-Bahnlinien sowie eine wichtige radiale Verkehrsachse im Stadtverkehr stellen ein attraktives Angebot für die Stadtbewohner dar. Die öffentlichen Räume sind im Vergleich zu anderen Stadtquartieren attraktiv gestaltet. Die Verkehrssimulationen weisen bis auf den ÖPNV und Elektroautos im Privatbesitz weitere Substitutionspotenziale von MIV- Wegen auf. Besonders gilt dies für Fußgänger und den Radverkehr. Auch durch Sharing-Angebote kann in diesem Bereich noch ein beträchtlicher Anteil an Wegen, die sonst mit dem MIV durchgeführt werden, ersetzt werden. Hinsichtlich der Lebensstile der Bewohner des Stadtquartiers zeigt sich ein Übergewicht von modernen Lebensstiltypen und Personen mittleren Alters, die in besonderem Maße Sharing-Angebote befürworten. Auch der Radverkehr wird von dieser Gruppe positiv bewertet. Das war die Grundlage für differenzierte Strategien: • Förderung fußgänger- und fahrradfreundlicher Strukturen, • Förderung stadtverträglicher Mobilitätsformen, • Verkehrsberuhigung und Reorganisation des ruhenden Verkehrs, • Einrichtung multimodaler Mobilitätsstation mit Sharing-Angeboten. Das große Angebot an Mobilitätsformen wird dementsprechend weiter ausgebaut und durch Sharing-Angebote ergänzt. Die dadurch entstehende Attraktivität alternativer Mobilitätsformen soll den Besitz eines eigenen Autos weitgehend überflüssig machen. Dieser Ansatz wird durch weitere Maßnahmen unterstützt: Die Einrichtung einer Sharing-Zone wird vorgeschlagen, deren Benutzung ausschließlich entsprechenden Fahrzeugen gestattet ist - der private PKW findet hier keinen Raum. Der ruhende Verkehr wird teilweise verlagert, um den öffentlichen Raum aufzuwerten. Die Rüttenscheider Straße wird zu einer urbanen Flaniermeile. Die Flaniermeile ist mit dem Fahrrad befahrbar und dient in einer ersten Phase als Verbindung zwischen der Stadtmitte und den südlichen Stadtteilen. Die Überlegungen im Rahmen des Forschungsprojektes zeigen beispielhaft, wie die Mobilitätsvisionen im Jahr 2030 in einem integrierten Ansatz von Stadtplanung, Verkehrsplanung und Sozialwissenschaften entwickelt werden und letztlich zu einem Gewinn an Lebensqualität für die Stadtbewohner beitragen können (Bild 4) 2 ■ LIterAtur [1] http: / / www.zukunft-mobilitaet.net/ thema/ treibhausgase/ [2] Baum, Herbert; Heinicke, Benjamin; Mennecke, Christina (2012): Carsharing als alternative Nutzungsform für Elektromobilität. In: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, Jg. 83, H. 2: 63-109 [3] Barthel, Steffen (2012): Elektroautos im Carsharing. In: Internationales Verkehrswesen, Jg. 64, H. 01: 38-42 [4] Kuhnimhof, Georg; Wirtz, Matthias (2012): Von der Generation Golf zur Generation Multimodal: Mobilitätstrends junger Erwachsener. In: Der Nahverkehr, H. 10: 7-12 [5] Wilke, Georg (2006): Zukunft des Car-Sharing in Deutschland: Schlussbericht. Wuppertal [6] Gehl, Jan (2011): Cities for People; Washington, Island Press  1 Das diesem Beitrag zugrunde liegende Forschungsprojekt „Neue Mobilität für die Stadt der Zukunft“ wurde von der Stiftung Mercator 2012/ 2013 gefördert. An dem Forschungsprojekt wirkten neben dem ISS/ Institut für Stadtplanung und Städtebau der Universität Duisburg-Essen (Jan Garde, Hendrik Jansen, J. Alexander Schmidt, Hanna Wehmeyer) noch das KWI/ Kulturwissenschaftliche Institut in Essen (Gunnar Fitzner, Ludger Heidbrink) und die TRC/ Transportation Research and Consulting GmbH (Katie Biniok, Jörg Schönharting, Artur Wessely) mit. 2 Der vollständige Ergebnisbericht des Forschungsprojektes sowie weitere Informationen sind unter www.uni-due.de/ staedtebau verfügbar. Bild 4: Die Bilder zeigen die Qualität des Verkehrsraumes bzw. Öffentlichen Raumes im Jahr 2013 (oben) und eine visionäre Darstellung für das Jahr 2030 (unten). Hendrik Jansen, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stadtplanung & Städtebau, Universität Duisburg-Essen, Essen hendrik.jansen@uni-due.de Jan Garde, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stadtplanung & Städtebau, Universität Duisburg-Essen, Essen jan.garde@uni-due.de J. Alexander Schmidt, Prof. Dr.-Ing., M. Arch Leiter des Institut für Stadtplanung & Städtebau, Sprecher des Profilschwerpunktes Urbane Systeme an der Universität Duisburg-Essen, Essen alexander.schmidt@uni-due.de Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 60 MOBILITÄT Wissenschaft D ie Verbreitung des Autos als wichtigstes Verkehrsmittel in unserer Gesellschaft hat durch ein Wechselspiel von Infrastrukturinvestitionen und weiterer Motorisierung auch die Wirtschaft angekurbelt und bildete einen bedeutenden Wachstumsfaktor für mehrere Länder, insbesondere für diejenigen mit einer großen Automobilindustrie. Freilich war dies mit zahlreichen negativen Auswirkungen verbunden, wie beispielsweise ineffizienter Boden- und Energienutzung, Luftverschmutzung, Lärmbelastungen und einer steigenden Anzahl Verkehrstoter, um nur einige zu nennen. Die Bestrebungen, diese Auswirkungen einzudämmen, und die Diskussion über einen Paradigmenwechsel in Richtung nachhaltigerer Verkehrssysteme, dauern denn auch bereits einige Jahrzehnte an und erlebten in den letzten Jahren unter Forschern, politischen Entscheidungsträgern und der Gesellschaft im Allgemeinen einen beeindruckenden Aufschwung. Zahlreiche Richtlinien wurden erlassen, mit dem Ziel, die Externalitäten intensiver Autonutzung zu verringern. Interessanterweise ging man in den meisten Fällen davon aus, dass die Entwicklung in Richtung zunehmender Automobilität anhalten wird. In den letzten Jahren konnte allerdings in mehreren industrialisierten Ländern eine Stagnation oder sogar ein Rückgang der Anzahl Fahrzeugbesitzer und der Autonutzung beobachtet werden. Einige Forscher schliessen daraus, dass in diesen Ländern die Autonutzung einen Höchststand erreicht hat, und dass das Auto in Zukunft weiterhin eine wichtige, aber, insbesondere für Stadtbewohner, kleinere Rolle spielen wird. Untersuchungen in diesem Forschungsfeld konnten in der Tat aufzeigen, dass jüngere Generationen seltener Autos besitzen und weniger fahren als ältere. Unklar ist, weshalb die Autonutzung einen Höchststand erreicht hat. Es wird darüber debattiert, ob es sich dabei tatsächlich um einen dauer- Mobilitätsverhalten in der Schweiz Hat die Nutzung des Autos jetzt auch in der Schweiz den-Höchststand erreicht? Jahrzehntelang war in industrialisierten Ländern eine steigende Anzahl Fahrzeugbesitzer und ein Wachstum der Autonutzung zu beobachten. Dies wurde weitgehend als „natürliche“ Konsequenz der wirtschaftlichen Entwicklung angesehen, das Bestreben von Individuen widerspiegelnd, Zugang zu einer größeren und vielfältigeren Auswahl an Aktivitäten zu erhalten. Nun weist der Trend in eine andere Richtung. Die Autoren: Francesco Ciari, Alexander Stahel © ETH Zürich Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 61 MOBILITÄT Wissenschaft haften Trend handelt oder eher der ungewissen wirtschaftlichen Lage zuzuschreiben ist. Die Situation bezüglich Autonutzung in der Schweiz wurde bisher nicht ausführlich untersucht, ist aber durchaus interessant, denn die Schweiz zeichnet sich durch ein hohes durchschnittliches Einkommen und eine, für europäische Standards, hohe Motorisierungsrate aus. Zudem konnte sie der wirtschaftlichen Krise vergleichsweise gut standhalten. Dennoch wurden Anzeichen von abnehmender Fahrzeugnutzung und -besitz beobachtet. Auswertungen Der Mikrozensus - eine Befragung über das Mobilitätsverhalten der Schweizer Bevölkerung, die seit 1974 vom Amt für Raumentwicklung (ARE) und vom Bundesamt für Statistik (BFS) alle 5 Jahre durchgeführt wird - bietet sich für zahlreiche Analysen, die weitere Auskunft über die Mobilitätslage in der Schweiz geben können, als Grundlage an. Die Auswertungen des ARE geben schon mehrere Hinweise auf generelle Trends. Im Vergleich zum Jahr 2005 stieg die durchschnittliche Tagesdistanz der Schweizer Bevölkerung im Jahre 2010 um 4,1 % an. Diese zusätzlichen Kilometer wurden größtenteils mit dem öffentlichen Verkehr zurückgelegt, welcher um satte 27 % zulegte, während der motorisierte Individualverkehr stagnierte. Insgesamt wurde in den letzten zwei Jahrzehnten ein leichter Anstieg der Reisedistanzen verzeichnet, einzig für den motorisierten Individualverkehr traf dies nicht zu. Das ist eine Umkehrung der vorangegangen Entwicklung, denn zwischen 1984 und 1994 nahm die Nutzung des Autos zu. Eine genauere Betrachtung der historischen Mikrozensus-Daten (1989 bis 2010) gibt Einblick darüber, was diesen Trend gefördert hat, und erlaubt, diese Vorgänge zu interpretieren. Eine Möglichkeit ist, das Verhalten von Kohorten, also Gruppen von Individuen, welche in derselben Zeitspanne (beispielsweise 10 Jahre) geboren wurden, zu analysieren. Dies ergibt einen Einblick in die Verhaltensweise verschiedener Generationen. Die Fahrzeugverfügbarkeit ist die Voraussetzung für die Nutzung des Autos und deshalb ein Maß für den Hang von Individuen zur Nutzung des Autos. Historische Daten zeigen übereinstimmend, dass ein starker Anstieg von Fahrzeugverfügbarkeit und Führerscheinbesitz nach dem 18. Lebensjahr, eine Art Plateau bis zum Erreichen des 60. Lebensjahres und ein darauffolgender Rückgang zu beobachten ist (Bilder 1a und 1b). Das Plateau kann als Zustand interpretiert werden, in dem alle Personen, die es sich wünschen (oder sich leisten können), Zugang zu einem Auto erlangt haben. Dieses Niveau liegt generell höher für Kohorten, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind. In allen Kohorten besteht ein deutlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen, repräsentiert durch verschieden hohe Plateaus, namentlich rund 95 % bzw. 85 % beim Führerscheinbesitz und rund 80 % bzw. 65 % bei der Fahrzeugverfügbarkeit. Interessanterweise weist die 1990er Kohorte - einzig repräsentiert im Mikrozensus 2010, da in allen vorherigen Erhebungen niemand dieser Kohorte die Volljährigkeit erreicht hatte - unter allen Erhebungen zwischen 1989 und 2010 den geringsten Besitz von Führerscheinen auf. Bild 1: Kohorten Analysen für a) Führerscheinbesitz, b) Autoverfügbarkeit, c) Besitz von ÖV-Abos. 0 20 40 60 80 100 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Führerscheinbesitz [%] Alter [Jahre] Vor 1910 1910-29 1930-39 1940-49 1950-59 1960-69 1970-79 1980-89 Männer Frauen 1990-99 0 20 40 60 80 100 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Autoverfügbarkeit [%] Alter [Jahre] Männer Frauen Vor 1910 1910-29 1930-39 1940-49 1950-59 1960-69 1970-79 1980-89 1990-99 0 20 40 60 80 100 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Personen mit mindestens einem Abo [%] Alter [Jahre] Vor 1910 1910-29 1930-39 1940-49 1950-59 1960-69 1970-79 1980-89 Men Women 1990-99 a) b) c) MOBILITÄT Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 62 In der Tat sank der Führerscheinbesitz junger Personen zwischen 18 und 24 Jahren in diesem Zeitraum erheblich, namentlich von 71 % auf 59 %. Gleichzeitig neigen die jungen Leute zu einem vermehrten Kauf von ÖV-Abonnements (Bild 1c). So hat der Besitz von ÖV-Generalabonnements (GA), die für einen Pauschalpreis unbeschränkten Zugang zum gesamten Schweizer ÖV-Netz ermöglichen, in der Schweizer Bevöl- 0 10 20 30 40 50 60 70 80 zu Fuss Fahrrad Mofa Motorrad Auto Bahn Postauto Bus/ Tram Andere [%] 2010 2005 2000 1994 0,00 5,00 10,00 15,00 20,00 25,00 30,00 18-24 Jahre 25-44 Jahre 45-64 Jahre 65-79 Jahre 80 und mehr Entfernung [km] 2010 2005 2000 Teleaktivitäten schon Auswirkungen auf das Schweizer Mobilitätsverhalten hat. Die Antwort kann nicht direkt im Mikrozensus gefunden werden, da die Befragung das Thema nicht direkt angeht. Analysiert man aber die individuellen Aktivitäten, sieht man, dass es in den letzten Jahren eine allgemeine Tendenz gibt, die auf alle Kohorten zutrifft, mehr Zeit zuhause zu verbringen (Abb. 4). ABBILDUNG 4: Dauer von Ausser-Haus-Aktivitäten für verschiedene Kohorten von 1994 bis 2010 Die Verbreitung von Internet und elektronischen Gadgets gibt uns eine mögliche Erklärung. Sie ermöglichen es, immer mehr Aktivitäten von zuhause aus durchzugeführen. Schaut man sich die Verteilung der im Laufe eines Tages gemachten Wege an, kann folgendes festgestellt werden: Normalerweise gibt es während eines Tages drei Spitzen, je eine morgens, mittags und abends. In den letzten Jahren hat sich dieses Muster an sich nicht verändert, jedoch sind die Spitzen flacher geworden und die Tiefpunkte liegen etwas höher (Abb. 5). ABBILDUNG 5: „Peak Spreading“ Analyse (1989 -2010) Bild 2: Anteil an den gesamten Wegdistanzen von verschiedenen Verkehrsmitteln (1994-2010) Bild 3: Mit dem Auto täglich zurückgelegte Distanz (2000-2010) Bild 4: Dauer von Außer-Haus-Aktivitäten für verschiedene Kohorten von 1994 bis 2010 kerung von 1994 bis 2010 zwar allgemein massiv zugenommen, jedoch konnte bei den jungen Personen im Alter von 16 bis 24 Jahren das stärkste Wachstum beobachtet werden. Weiter sind in einem Kontext von leicht steigenden täglichen Distanzen die Autowege größtenteils stagniert. Das bedeutet, dass über die letzten vier Umfragen gesehen Autowege zwar nur leicht, aber konstant an Anteil an den gesamten Wegdistanzen verloren haben (Bild 2). In Bild 3 sieht man, dass junge Personen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren die einzigen sind, die in den letzten 10 Jahren die zurückgelegte Distanz mit dem Auto reduziert haben. Im Gegensatz dazu haben Personen, die zu den beobachteten Zeitpunkten älter als 24 waren, gleiche oder längere Distanzen zurückgelegt. Allgemein sieht man auch, dass ältere Menschen immer länger mobil bleiben. Im Moment heben sich diese Effekte gegenseitig auf, was zur bereits beschriebenen generellen Stagnation der Autonutzung führt. Wenn dieser Trend in Zukunft jedoch anhält, könnte dies einen stärkeren Rückgang der Autonutzung hervorrufen, da dann hauptsächlich die heute jungen Kohorten das Verkehrsverhalten der aktiven Bevölkerung prägen und die älteren, auto-affinen Kohorten ablösen. Eine weitere Beobachtung betrifft die Geschlechterunterschiede im Mobilitätsverhalten. Frühere, vor allem deutsche Studien zeigten, dass Frauen aufholen und, wie neuere Evaluationen ergaben, sich dem männlichen Fahrverhalten mehr und mehr angleichen. In der Schweiz gibt es keinen klaren Trend dieser Art. Jedoch konnte im aktuellsten Mikrozensus eine leichte Abnahme der mit dem Auto gefahrenen Kilometer bei den Männern, aber eine leichte Zunahme bei den Frauen beobachtet werden. Teleaktivitäten In der Transportwissenschaft ist das Paradigma, dass Verkehr ein Bedürfnis ist, das durch den Zwang oder den Wunsch geschaffen wird, Aktivitäten ausser Haus zu betreiben, allgemein akzeptiert. Für lange Zeit war es auch selbstverständlich, dass solche Aktivitäten zwingend „außer Haus“ stattfinden mussten. Mit der Verbreitung des Internet hat das angefangen, sich zu ändern, und Konzepte wie Teleworking und Teleshopping gehören bereits zu unserem Alltag.-Dieses Phänomen hat klarerweise das Interesse vieler Forscher geweckt. Im Zusammenhang mit individueller Mobilität gibt es noch viele offene Fragen diesbezüglich, wie die Verbreitung solcher Aktivitäten das Mobilitätsverhalten beeinflusst hat und in Zukunft beeinflussen wird. Es stellt sich die Frage, ob die Verbreitung von Teleaktivitäten schon Auswirkungen auf das Schweizer Mobilitätsverhalten hat. Die Antwort kann nicht direkt im Mikrozensus gefunden werden, da die Befragung das Thema nicht direkt Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 63 MOBILITÄT Wissenschaft angeht. Analysiert man aber die individuellen Aktivitäten, sieht man, dass es in den letzten Jahren eine allgemeine Tendenz gibt, mehr Zeit zuhause zu verbringen, die auf alle Kohorten zutrifft (Bild- 4). Die Verbreitung von Internet und elektronischen Gadgets gibt uns eine mögliche Erklärung. Sie ermöglichen es, immer mehr Aktivitäten von zuhause aus durchzuführen. Schaut man sich die Verteilung der im Laufe eines Tages gemachten Wege an, kann festgestellt werden: Normalerweise gibt es während eines Tages drei Spitzen, je eine morgens, mittags und abends. In den letzten Jahren hat sich dieses Muster an sich nicht verändert, jedoch sind die Spitzen flacher geworden und die Tiefpunkte liegen etwas höher (Bild 5). Das bedeutet, dass von 1989 bis 2010 die Wege gleichmäßiger über den Tag verteilt und die Spitzen, vor allem die ersten beiden, flacher geworden sind. Insbesondere bei der Morgenspitze deutet das auf eine höhere Flexibilität der Arbeitszeiten hin. Diese wird durch Teleaktivitäten und elektronische Gadgets generell, welche uns erlauben, praktisch überall zu arbeiten, ermöglicht. Das bedeutet nicht, dass die Leute regelmäßig von zuhause aus arbeiten, sondern vielmehr, dass sie Arbeitszeit im Büro mit Telearbeit von zuhause aus ergänzen und daher flexibel sind bezüglich der Tageszeit ihrer Arbeitswege. Schlussfolgerungen Die durchgeführten Analysen über aktuelle Mobilitätsmuster lassen nicht darauf schließen, dass eine wesentliche Veränderung bereits stattgefunden hat. Die Zahlen haben sich über die letzten 20 Jahre nicht dramatisch verändert. Trotzdem gab es in den letzten Jahren kleine, aber klare Hinweise, dass sich in der Schweiz neue Mobilitätsmuster etablieren könnten. Halten die in den letzten Jahren beobachteten Entwicklungen an, wenn also jüngere Generationen die Anzeichen der zunehmenden Abkehr vom Auto bestätigen oder gar weiter akzentuieren, könnten sich die Dinge rasch ändern. Es wurde auch gezeigt, dass einige Änderungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten in der Schweiz beobachtet wurden, als Zeichen dafür interpretiert werden könnten, dass Teleaktivitäten schon heute Einfluss auf die Mobilitätsmuster haben. Das scheint die gesamte Bevölkerung zu betreffen und nicht nur die jüngeren Generationen. Eine präzise und definitive Aussage aufgrund des Mikrozensus ist nicht möglich, weil dieser Aspekt nicht direkt berücksichtigt wird. Die Verbreitung und die Entwicklung von Teleaktivitäten ist allerdings ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung zukünftiger Mobilitätsmuster. Denn es wird erwartet, dass Teleaktivitäten in der Schweiz wie auch weltweit massiv zunehmen werden. Generell scheint es, dass sich unsere Gesellschaft langsam aber stetig von einer auto-zentrierten Mobilität hin zu einer variableren und möglicherweise komplexeren Mobilität bewegt. Dies erweckt nicht gleich den Eindruck einer Revolution, sondern eher einer Entwicklung, die jederzeit eine andere Gangart einschlagen könnte. Für die zukünftige Arbeit zeigt das, dass mehr und tiefere Analysen der in der Schweiz schon zahlreich vorhandenen Daten zum Mobilitätsverhalten helfen werden, genauere Hinweise über die Art der stattfindenden Änderungen im Schweizer Mobilitätsverhalten zu erhalten. Da es sich hierbei um einen relativ neuen Trend handelt, wird sich mit den nächsten Befragungen zeigen, ob die beobachteten Veränderungen eher temporär sind oder tatsächlich eine langfristige Entwicklung abbilden. ■ reFerenzen ARE and BfS (2011): Mobilität in der Schweiz, Ergebnisse des Mikrozensus 2010 zum Verkehrsverhalten, Bundesamt für Raumentwicklung; BFS Statistik der Schweiz, Neuchâtel. Goodwin, P. (2011): Three Visions on “Peak-car”; in World transport policy and Practice, 17(4) 8-17. Kuhnimhof, T., D. Zumkeller and B. Chlond (2013): Who made peak car, and how? : a breakdown of trends over four decades in four countries; in Transport reviews, 33 (3) 325-342. Francesco Ciari, Dr. Institut für Verkehrsplanung und-Transportsysteme (IVT), ETH-Zürich ciari@ivt.baug.ethz.ch Alexander Stahel Wissenschaftlicher Assistent, Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), ETH Zürich alexander.stahel@ivt.baug.ethz.ch 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 % aller Wege Tageszeit 2010 2005 2000 1994 1989 Bild 5: „Peak Spreading“ Analyse (1989-2010) TECHNOLOGIE Interview Arnd Stephan Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 64 »Wir brauchen eine europäische Verkehrswegeplanung« Aus gutem Grund gilt das System Bahn als schnell, sicher und ressourceneffizient. Oft jedoch können Bahnen ihre Vorzüge gar nicht auf die Schiene bringen. Woran liegt das? Warum lassen sich manchmal schon mit Kleinigkeiten spürbare Optimierungen erreichen? Und wo muss der Fokus stärker auf die Europäische Union gerichtet werden? Ein Gespräch mit Arnd Stephan, Professor für Elektrische Bahnen an der TU Dresden. Herr Professor stephan, vor einigen monaten erschien eine studie der energietechnischen gesellschaft im vde mit dem provokanten titel „energieoptimaler bahnverkehr - auf dem weg zum 1-Liter-zug“ 1 , an der sie mitgearbeitet haben. vor allem die elektrisch betriebenen bahnen sind ja ohnehin vergleichsweise energiesparend unterwegs. was kann man da fahrzeugtechnisch überhaupt noch optimieren? Den Titel haben wir ja ganz bewusst gewählt, um eine Vergleichsgrenze zu schaffen, die jeder irgendwie nachvollziehen kann. Eine wesentliche Botschaft der Studie ist: Wir sind eigentlich schon dort. Wenn die Züge voll sind und dazu noch mit regenerativer Energie fahren, liegt der Verbrauch zum Teil schon deutlich unter dem Vergleichswert von einem Liter Diesel pro Person je 100 Kilometer. Dennoch befreit uns das nicht davon, auch bei schon guten Systemen noch Optimierungspotenziale zu heben. und wo sehen sie diese Potenziale? Sie haben es schon angedeutet: Mit Bahntechnik allein ist in der Tat relativ wenig zu holen. Man muss aber differenzieren nach Bahnsystemen. Im Bereich der Gleichstrom-Nahverkehrsbahnen zum Beispiel - der S-Bahnen, U-Bahnen und Straßenbahnen - lassen sich durch Netzstrukturoptimierung der Bahnstromversorgung tatsächlich noch Einsparpotenziale im größeren Prozentbereich finden. Und beim Nebenenergiebedarf, bei der Klimatisierung der Fahrzeuge. Das ist wesentlich mit elektronischer Intelligenz zu machen, nicht so sehr mit technischen Komponenten. Im Regionalverkehr können wir viel über Fahrprofile machen, denn man muss sich schon fragen, ob Regionalbahnen tatsächlich immer die Streckenhöchstgeschwindigkeiten ausfahren müssen. Das ruft dann nach Automati- 1 Bestellung und Download im InfoCenter auf vde.com sierungsstrategien im Betrieb, die eher Infrastruktur und IT betreffen. Im Hochgeschwindigkeitsverkehr allerdings haben wir in der Tat fahrzeugtechnische Optionen. Neue Hochgeschwindigkeitszüge mit verbesserter Aerodynamik können tatsächlich vier, fünf Prozent Einsparung holen - aber auch dort sind Geschwindigkeit und intelligente Fahrprofilanpassung die Hauptthemen: Muss es wirklich Tempo 300 sein, reichen nicht auch 250 km/ h? diese Frage stellt sich ja beim güterverkehr eher nicht. was lässt sich in diesem bereich machen? Beim Güterverkehr spielt interessanterweise nicht so sehr die Traktionstechnik eine große Rolle, sondern vor allem Wagentechnik und Betriebsführung: Bei der Aerodynamik der Wagen ist eine ganze Menge zu holen, ebenso in der Optimierung des Netzdurchsatzes. Dort liegen Einsparpotenziale um etwa zehn, vielleicht sogar 20 Prozent brach. was genau wollen sie denn an güterwagen aerodynamisch optimieren? so ein container hat nun mal einen Luftwiderstand wie ein Kassenschrank … … das schon, aber hier greifen verschiedene andere Dinge ineinander. Drehgestellverkleidungen zum Beispiel können insbesondere die Verwirbelung unter den Fahrzeugen reduzieren und wirken zusätzlich massiv lärmmindernd. Auch das optimierte Gruppieren der Ladung auf dem Zug, ohne Lücken zwischen den Containern, ist aerodynamisch günstiger. Wenn heute Tausende Container automatisch vom Schiff auf den Zug umgesetzt werden, ist das vorher exakt geroutet und bestens organisiert - zwar nicht mit dem Ziel der Energieeffizienz, doch das lässt sich adaptieren. Oder das Beispiel der offenen Güterwagen, die leer einen unerhört hohen Luftwiderstand bieten. Einfache Abdeckplanen tragen bedeutend zur Reduzierung des Luftwiderstands und damit des Energieverbrauchs bei. Das sind alles relativ einfache Lösungen, aber die Frage ist natürlich, ob und für wen sich das unter dem Strich lohnt. das andere genannte thema ist das optimierte Fahren auf der strecke, gerade im zusammenhang mit nahverkehrsbahnen, die häufig bremsen und wieder anfahren müssen. welche verkehre stehen da im vordergrund? Bei U-Bahn-Systemen mit sehr straffem Taktverkehr, die strikt bestimmte Fenster einhalten müssen, lässt sich über das Fahrprofil eigentlich kaum noch etwas optimieren. Im Regionalverkehr dagegen, wo die Vertaktung der Fahrpläne nicht so streng ist wie bei der U-Bahn, gibt es in gewissem Maße auch Zeitrückhalte. In der Regel wissen die Lokführer allerdings nicht, wie sie die nutzen können, weil sie das übrige Betriebsgeschehen auf der Strecke nicht kennen. Fahrerassistenzsysteme, die dieses Betriebsgeschehen kennen, werden zwar in der Regel nur eingeführt, um die Durchlassfähigkeit der Strecken zu erhöhen. Bekommen sie das aber gut hin, fällt die Energieoptimierung quasi mit ab. dazu muss allerdings auch ausreichende netzkapazität für die verschiedenen verkehre vorhanden sein, und da klemmt es ja auf verschiedenen streckenabschnitten in deutschland zum teil erheblich. macht also zu schwache Infrastruktur alle optimierungsbemühungen wieder zunichte? Na ja, auf den Strecken selbst kann man die Zugfolge sicher weiter verdichten und noch eine ganze Menge herausholen. In den Knoten dagegen, wo mehrere Strecken zusammenlaufen und Engpässe bilden, durch die alle durch müssen, spüren wir die Kapazitätsgrenzen am stärksten. Dort wird es ohne Ausbau nicht gehen. Da geht es dann weniger um aufwendige Neubauten als um Feinheiten etwa bei Kreuzungseinführungen, Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 65 damit sich Züge unterschiedlicher Fahrtrichtung nicht gegenseitig behindern. Das kostet natürlich erst mal Geld, hilft aber gerade bei hoch vertakteten und dichten Verkehren anschließend lange beim Wirtschaften. Forderungen wie „mehr güter auf die schiene“ lassen sich also derzeit gar nicht umsetzen? Richtig, das würde sofortigen Infrastrukturausbau erfordern. Die Bahn könnte heute einen massiven Güteransturm auf den Hauptrouten gar nicht verkraften, rund um die großen Logistikzentren und in Richtung Alpen auf den Nord-Süd-Routen zum Beispiel. Und selbst die bestehende Infrastruktur ist ja extrem sanierungsbedürftig, das wird schon die verfügbaren Kapazitäten künftig zunehmend limitieren. die bundesregierung müsste also zunächst die Investitionsmittel massiv weiter aufstocken? Man muss, bevor man über Geld redet, erst einmal eine Netzvision haben. Man muss also sagen, welche Güterverkehrsströme wirklich wichtig sind und wo tatsächlich auszubauende Knoten und entsprechend zu fördernde Achsen liegen. Und daran die Mittelverteilung festmachen. In der Vergangenheit wurde mehr oder weniger nach Länderproporz investiert, deshalb haben wir heute kaum leistungsfähige Magistralen. Das heißt im Klartext natürlich, dass in manchen Bundesländern mehr Geld in die Bahn investiert wird und in manchen Ländern vielleicht gar keines, weil die im Moment nicht an solchen Achsen liegen. Da muss jetzt dringend ein Umdenken passieren. Wir brauchen eine länderübergreifende, ja europäische Verkehrswegeplanung und zum Schluss viel, viel Geld. Sonst fällt uns das alles schwer auf die Füße. reden wir jetzt von der eu oder von deutschland? Grundsätzlich kann Deutschland allein, also ohne EU-Gelder, nicht die Lasten für Themen wie den europäischen Wirtschaftsverkehr tragen. So ist es in der Vergangenheit nicht gewesen und so sehen wir es auch heute, zum Beispiel, im osteuropäischen Ausland. Besonders gut kenne ich das aus Polen, wo sehr viel EU-Geld in die Verkehrsinfrastruktur investiert wird, konzentriert allerdings auf Magistralen und wichtige Verkehrsachsen. Ich denke, bei der Mittelverteilung müssen auch wir in Deutschland öfter die Hand heben, selbst wenn es uns vergleichsweise besser geht, als manchem anderen Land. Wir sind aber das maßgebliche Transitland im Zentrum, und im Sinne eines gesamteuropäischen Eisenbahnverkehrs sind EU-Mittel in Deutschland sehr sinnvoll investiertes Geld. Schienengüterverkehr in Europa ist grenzüberschreitend und damit ein Thema vieler Länder, das sollte nicht mehr jeder für sich selber machen und versuchen, seinen nationalen Fressnapf als Erster zu füllen. demnach ist auch die strategie für grenzübergreifenden verkehr auf der schiene eigentlich eine Aufgabe der eu? Im Hochgeschwindigkeitsverkehr sehen wir ja die Idee einer europaweiten Verkehrsstrategie bei den Transeuropäischen Netzen. Der Anstoß dazu kam zwar eher aus der Notwendigkeit einer technischen Standardisierung für diese relativ neuen, international operierenden Systeme. Aber zum Schluss machen wir das ja nicht für uns Ingenieure, sondern um ein volkswirtschaftliches Problem zu lösen, nämlich den schnellen, sicheren und ressourceneffizienten Transport in und durch Europa. Deshalb müssen die Lösungen so übergreifend sein, dass sie nicht in europäischer Kleinstaaterei versinken. Ist das eine wunschvorstellung oder sehen sie dafür echte chancen? Die nationale Komponente werden wir sicher immer dabei haben. Aber man muss dafür sorgen, dass alle Nationen auf gewisse Weise an den Entwicklungen teilhaben und dazu motiviert sind, mit am Ball zu bleiben. Grundsätzlich ist die Entwicklung der Bahnkorridore, vor allem der sehr wichtigen Güterkorridore, eine europäische Aufgabe. Sind unsere Infrastrukturen erst fit für die Zukunft, finden wir auch auf die anderen Fragen viel einfacher Antworten. ■ Das Interview führte Eberhard Buhl Arnd Stephan studierte Elektrotechnik/ Elektrische Bahnen an der Hochschule für Verkehrswesen in Dresden, schloss 1990 mit dem Diplom ab und promovierte 1995 zum Dr.-Ing. Ab 1993 war er langjährig im IFB Institut für Bahntechnik GmbH in Dresden tätig. Zunächst Lehrbeauftragter für das Fachgebiet Elektrische Bahnen an der Verkehrsfakultät der TU Dresden, wurde er dort 2002 zum Honorarprofessor für Unkonventionelle Elektrische Verkehrssysteme ernannt. Seit 2008 ist er dort Professor für Elektrische Bahnen. Zugleich ist Arnd Stephan seit 2012 Geschäftsführer des IFB Institut für Bahntechnik GmbH in Berlin und Dresden. ZUR PERSON Foto: Stefanie Kösling Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 66 Einsparpotential im Kühlfahrzeug durch Rekuperation Bei der Suche nach Ansätzen zum Klimaschutz und zur Steigerung der Effizienz im Straßentransport lohnt sich ein Blick auf Energien, die bisher nicht genutzt werden - zum Beispiel Bremsenergie. Einblicke in ein niedersächsisches Forschungsprojekt. Die Autoren: Jens Liesen, Thomas Dopichay K rone erforscht aktuell, inwieweit zurückgewonnene Bremsenergie zum Betrieb von Energieverbrauchern an der gezogenen Einheit genutzt werden kann. Dazu wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts ein Kühlsattelauflieger aufgebaut, der mit dem Prinzip der Energierückgewinnung arbeitet - der sogenannten Rekuperation. Dabei wird Bremsenergie in elektrische Energie umgewandelt und kann Verbraucher im Auflieger versorgen. Bei einer herkömmlichen Bremse wird die kinetische Energie oder die Bewegungsenergie des Fahrzeugs durch Reibung in Wärme umgewandelt, die ungenutzt an die Umgebung verloren geht. Anders ist dies bei einer sogenannten Nutzbremse oder Rekuperationsbremse, wie sie in entfernter Zukunft im Krone Cool Liner zum Betrieb der Kühlaggregate eingesetzt werden könnte: Ein Teil der Energie, die beim Bremsen an den Rädern des Trailers frei wird, wird durch Achsgeneratoren abgegriffen und in elektrische Energie umgewandelt. Am Forschungsprojekt sind neben dem Fahrzeugwerk Bernard Krone das Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge der TU Braunschweig, die gigant Trenkamp & Gehle GmbH, die Krebs und Aulich GmbH sowie die NavCert GmbH und die WiTech Engineering GmbH beteiligt. Das System im aufgebauten Forschungsfahrzeug besteht neben den Achsgeneratoren aus verschiedenen Umrichtereinheiten, einer Hochvoltbatterie und einer Bedieneinheit für den Fahrer inklusive eines Visualisierungsbildschirms. Die Umrichter bereiten die mittels der Achsgeneratoren gewonnene elektrische Energie auf und laden damit die Hochvoltbatterie auf. Ein Batteriemanagementsystem (BMS) überwacht die Batterie und leitet entsprechende Schritte ein, falls ein Fehler auftreten sollte. Über eine weitere Umrichtereinheit wird die in der Hochvoltbatterie gespeicherte Energie zum Betreiben des Kühlaggregats in Form von Dreiphasendrehstrom bereitgestellt. Selbst wenn der Trailer steht, geht es weiter: Dann kann die Batterie über einen externen Netzanschluss aufgeladen und parallel dazu das Kühlaggregat elektrisch betrieben werden. Ein Touchscreenmonitor zeigt dem Fahrer alle nötigen Informationen in der Kabine an, eine Systemsteuerung kommuniziert mit den Komponenten des Systems und beeinflusst den jeweiligen Prozessablauf. TECHNOLOGIE Fahrzeugtechnik Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 67 Beim Kühlsattelauflieger ist das Kühlaggregat eine autarke Einheit; es enthält einen separaten Dieselmotor zur Energieversorgung während der Fahrt, das Zubehör zur Realisierung der Kühlfunktion wie z. B. den Kompressor, Lüfter oder Wärmetauscher sowie die notwendige Steuer- und Regelelektronik. Zusätzlich verfügen gängige Kühlaggregate über einen Anschluss für Dreiphasen-Drehstrom, so dass sie im Depot oder auf Fähren elektrisch über das Stromnetz betrieben werden können. In der EU existieren ca. 650 000 Kühlfahrzeuge mit einer Transportleistung von ca. 600 Mio. tkm. Für Fernverkehrs-Sattelzüge ergeben sich auf das Jahr gemittelt Kraftstoffverbräuche von etwa 4400 Liter Diesel alleine für die Kühlung. Damit besteht ein erhebliches Potential zur Einsparung von Kraftstoff, Kraftstoffkosten und Emissionen, wie es durch einen elektrischen Betrieb des Kühlaggregats auf Basis zurückgewonnener Bewegungsenergie realisiert werden kann. Dabei stellt die mit einem elektrischen Betrieb einhergehende Verringerung der Abgas- und Lärmemissionen besonders in urbanen Gebieten einen zusätzlichen Anreiz zum Einsatz eines entsprechenden Systems dar. der Versuch Das Forschungsfahrzeug, ein Krone Kühlauflieger der Baureihe Cool Liner Duoplex Steel, wurde mit einem regenerativen Bremssystem ausgerüstet, um das Kühlaggregat auch während der Fahrt elektrisch betreiben zu können. Zwei der drei Achsen des Kühlsattelaufliegers wurden mit je einem Generator ausgerüstet, die über Gleichrichter die zurückgewonnene Energie in einen Gleichspannungs-Zwischenkreis speisen. Über einen zweiten bidirektionalen Umrichter kann das Kühlaggregat aus dem Zwischenkreis mittels Dreiphasen- Drehstrom elektrisch versorgt werden. Dazu wird der standardmäßig am Kühlaggregat vorhandene Drehstromanschluss genutzt. Die Summe beider Ströme führt zum Laden bzw. Entladen der Batterie. Im Netzbetrieb kann über den bidirektionalen Umrichter zusätzlich die Batterie geladen werden. Parallel kann das Kühlaggregat direkt über den Netzanschluss versorgt werden. Die bisherigen Messfahrten wurden auf spezifischen Streckenabschnitten (Stadt flach, Landstraße flach, Landstraße bergig, Autobahn flach, Autobahn bergig, Beladung des Fahrzeugs mit 10 t) durchgeführt. In den Messwerten sind dabei klare Tendenzen zu erkennen. Die Tendenz bei Stadtfahrten: Solange die Betriebsdauer des Kühlaggregats kleiner oder gleich 90,5 % der gesamten Einschaltdauer ist, kann das Kühlaggregat alleine auf Basis der zurückgewonnenen Energie und damit zu 100 % elektrisch versorgt werden. Andernfalls muss die Energie aus der zuvor geladenen Batterie entnommen oder vom Dieselmotor des Kühlaggregats bereitgestellt werden. Entsprechend der vorgestellten Ergebnisse ist mit der Konfiguration des Forschungsfahrzeugs selbst für die ungünstigeren Streckenarten, wie lange Autobahnfahrten im Flachen, zu großen bis sehr großen Anteilen ein rein elektrischer Betrieb des Kühlaggregats möglich. Ein Simulationsmodell zeigt mögliche Einsparpotentiale auf. Erste Messdaten Zur Bestimmung des Potentials der Energierückgewinnung für realistische Einsatzprofile wird ein simulationsgestützter Ansatz verfolgt. Zunächst wurde ein Simulationsmodell des Fahrzeugs unter Berücksichtigung aller wesentlichen Zusammenhänge, d.h. des Antriebsstrangs der Zugmaschine, der Fahrwiderstände, des elektrischen Systems sowie des Energieverbrauchers (Kühlaggregat inklusive Kühlkoffer), erstellt und anhand der gewonnenen Messdaten validiert. Im zweiten Schritt können durch gezielte Kombination der für die spezifischen Streckenarten gemessenen Geschwindigkeits- und Höhenprofile, der Sollvorgaben für das Kühlaggregat sowie möglicher Pausen und Be- oder Entladevorgänge beliebige Einsatzprofile vom urbanen Verteilerverkehr bis zum Fernverkehr generiert werden. Für jedes Einsatzprofil lässt sich anschließend in Simulationen durch eine systematische Variation der Generatorleistung, Batteriegröße und des Energiebedarfs des Verbrauchers eine optimierte Systemkonfiguration bestimmen. Gleichzeitig lässt sich Bild 1: Zwei der drei Achsen des Kühlsattelaufliegers wurden mit je einem Generator ausgerüstet. (Alle Bilder: Krone) Bild 2: Die Hochvoltbatterie liefert die Energie zum Betreiben des Kühlaggregats als Dreiphasendrehstrom. TECHNOLOGIE Fahrzeugtechnik Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 68 mit dem Simulationsmodell der Mehrverbrauch der Zugmaschine durch das Zusatzgewicht des elektrischen Systems für das jeweilige Einsatzprofil abschätzen, sodass eine Gesamtbilanz gebildet werden kann. Im Folgenden sollen erste exemplarische Ergebnisse erläutert werden. Das Bild 3 zeigt ein mögliches Einsatzprofil für den Fernverkehr als Eingabewerte der Simulation. Vor Fahrbeginn wird das Fahrzeug auf -20 °C heruntergekühlt und mit 15 t beladen. Anschließend beginnt die Fahrt bei einer Umgebungstemperatur von 20 °C mit einer kurzen Überlandpassage im Flachen, bevor sich eine Autobahnfahrt in flacher, bergiger und flacher Topographie anschließt. Während der Fahrt finden keine Türöffnungen oder weitere Bebzw. Entladevorgänge statt. Aus der Bilanz der zurückgewonnenen und verbrauchten Energiemengen lässt sich das Einsparpotential an Kraftstoff unter Einbeziehung der benötigten Kapazität der Batterie ableiten. Bild 4 stellt die entsprechenden Verläufe für das vorgestellte Einsatzprofil und die Konfiguration des Forschungsfahrzeugs dar. Deutlich zu erkennen ist die höhere Rate der Energierückgewinnung in den bergigen Passagen sowie die aufgrund der gewählten Randbedingungen relativ konstante Leistungsaufnahme des Kühlaggregats. Zusammenfassung und Ausblick Im Beitrag wurde am Beispiel eines Kühlsattelaufliegers ein Ansatz zur Versorgung der Energieverbraucher an gezogenen Einheiten auf Basis zurückgewonnener Bremsenergie vorgestellt. Um das Potential dieses Ansatzes zu bewerten, wurde ein entsprechendes Forschungsfahrzeug aufgebaut, mit welchem Messfahrten für spezifische Streckenarten durchgeführt wurden. Zuletzt wurde das Vorgehen vorgestellt, mit dem für realitätsnahe Einsatzprofile jeweils eine optimierte Systemkonfiguration und das zugehörige Einsparpotential ermittelt werden. Weitere bzw. zukünftige Arbeitsschwerpunkte ergeben sich hinsichtlich einer tiefergehenden Anforderungs- und Einsatzprofilanalyse mit dem Ziel der Systemoptimierung; und zwar insbesondere hinsichtlich der Steuerung und Automatisierung des Systems unter Einbeziehung geeigneter Betriebsstrategien inklusive der Vernetzung mit dem Bremssystem sowie hinsichtlich der Komponentenwahl und des Packagings. Gleichzeitig lassen sich die Überlegungen auf andere Fahrzeugtypen, wie z. B. Pritschensattelauflieger, und andere Energieverbraucher (Bremssystem, Beleuchtung, Ladebordwände usw.) übertragen. Auch eine energetische Vernetzung eines entsprechenden Trailers mit der Zugmaschine oder ein aktiver Antrieb des Trailers zur Unterstützung der Zugmaschine ist denkbar. ■ Bild 4: Kraftstoff-Einsparpotential unter Einbeziehung der benötigten Kapazität der Batterie für das vorgestellte Einsatzprofil. Bild 3: Mögliches Einsatzprofil für den Fernverkehr als Eingabewerte der Simulation. Jens Liesen, Dipl.-Ing. (FH) Entwicklungsingenieur, Fahrzeugwerk Krone, Werlte jens.liesen@krone.de Thomas dopichay, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, TU Braunschweig, Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, Braunschweig t.dopichay@tu-braunschweig.de TECHNOLOGIE Innovation Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 69 Dreidimensionaler Siebdruck Innovative und hocheffiziente Fertigungsmethode für Komponenten elektrischer Antriebsmotoren Neue Einsatzgebiete, beispielsweise in Kraftfahrzeugen, stellen elektrische Antriebe vor bisher wenig beachtete Herausforderungen. Die konventionellen Fertigungstechniken geraten dabei an Grenzen, deren Überwindung die neuartige 3D-Siebdrucktechnologie verspricht. Das Konsortium des BMBF-Verbundprojekts PriMa3D arbeitet intensiv an dessen Marktreife. Die Autoren: Mathias Lindner, Patrick Bräuer, Ralf Werner D ie Elektrifizierung des Antriebsstrangs im Individualverkehr ist bekanntermaßen politische als auch technische Motivation und Herausforderung. Eine breitere Nutzerakzeptanz elektrischer Antriebe basiert - neben einer Lösung der Tankbzw. Ladeproblematik - auf einer zuverlässigen, kostengünstigen, energieeffizienten und nachhaltig ökologischen Technologie. Neue Antriebskomponenten müssen vergleichbare oder bessere Eigenschaften aufweisen, um im Wettbewerb mit konventionell gefertigten Systemen nicht nur ökonomisch und ökologisch, sondern auch technologisch bestehen zu können. Die Fertigung sollte zudem mit geringem Energieaufwand auskommen, einen hohen Materialausnutzungskoeffizienten aufweisen, eine weitestgehende Automatisierung in Verbindung mit einer Tauglichkeit zur Massenfertigung ermöglichen, geringe Investitions- und Wartungskosten an den Anlagen und Werkzeugen erfordern sowie Wege zum Materialrecycling bieten. Diese Anforderungen lassen sich mithilfe des dreidimensionalen Siebdrucks angehen. Siebdrucktechnologie Bei dem aus der Druckindustrie lang bekannten zweidimensionalen Siebdruck werden spezifische Siebe verwendet, deren Maschen je nach zu druckender Form offen oder geschlossen sind. Eine überlaufende Rakel presst nun Farbe oder andere funktionale Paste durch das Sieb auf einen Träger. Dies wurde in den 1960er Jahren erstmalig zum Druck von leitenden und isolierenden Schichten in der Elektronikindustrie eingesetzt. Weiterentwicklungen führten schließlich zur Produktion von Antennen moderner RFID-Labels. Seit 2010 wird die Siebdrucktechnologie an der TU Chemnitz auch angewandt, um Wicklungen elektrischer Motoren zu drucken. Erste erfolgreiche Tests liefen an dreiphasigen Luftspaltwicklungen für permanenterregte Synchronmotoren. Da dieses Verfahren jedoch nur für flache Strukturen angewandt werden kann, der Bedarf alternativer Produktionsansätze für kostengünstige Massenfertigung bei gleichzeitiger hoher Präzision aber für nahezu alle Komponenten elektrischer Maschinen auftritt, erfolgte eine Weiterentwicklung hin zum dreidimensionalen Siebdruck. Diese neuartige Methode wird seit etwa 10 Jahren am Fraunhofer Institut IFAM in Dresden in Zusammenarbeit mit einigen Partnern entwickelt und wird nun seit 2012 erstmalig im Rahmen des BMBF-Forschungsprojekts „PriMa3D“ auf Komponenten elektrischer Maschinen appliziert. Beim 3D-Siebdruck handelt es sich um ein serientaugliches, additiv urformendes Verfahren zum endkonturnahen Fertigen komplexer räumlicher Geometrien. Dabei wird die Druckpaste, ein Pulver-Binder-Gemisch, nacheinander schichtweise übereinander gedruckt. Zwischen jedem Druckvorgang erfolgt ein Trockenprozess, der dem Material die nötige Stabilität für den darauffolgenden Druckprozess verleiht. Schließlich wird eine zweistufige Wärmebehandlung durchgeführt, wobei zunächst der Binder vollständig ausgetrieben und anschließend der Körper gesintert wird, so dass ein massives Teil aus Vollmaterial entsteht. Dies ist in Bild 1 dargestellt. Der dreidimensionale Siebdruck ermöglicht die Fertigung von komplexen und filigranen Strukturen mit Wandstärken bis hin- Bild 1: Schematische Darstellung des 3D- Siebdruckprozesses (Bild: Studnitzky et.al.: Dreidimensionaler Siebdruck. Rapidx - Zeitschrift für additive Fertigung, 2/ 2010) TECHNOLOGIE Innovation Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 70 ab zu 60-µm und gleichzeitig Bauteilhöhen von einigen Zentimetern. Freitragendes Überdrucken ist in Grenzen ebenfalls möglich, so dass sich intrinsische Strukturen und Hohlräume realisieren lassen. Da das Verfahren ohne zusätzliches Pulverbett arbeitet und endkonturnahe Strukturen entstehen, sind in den meisten Fällen mechanische Nachbearbeitungsschritte unnötig. Dies reduziert die Fertigungskosten und -zeiten, den Materialverlust sowie den Energieaufwand auf der einen Seite, ermöglicht auf der anderen Seite eine Werkstoffauswahl nach dem elektromagnetischen Optimum statt Kompromisse bezüglich mechanischer Bearbeitbarkeit eingehen zu müssen. Vielfältige Materialien eignen sich für diese Technologie. Neben verschiedenen Metallen wie Kupfer und Eisen wurden bereits Keramiken und Silizium gedruckt. Darüber hinaus sind verpulverte Legierungen verwendbar. Auch Materialkombinationen, d.h. Drucken verschiedener Pasten neben- oder übereinander, sind denkbar. Dies befindet sich momentan in der Erprobungsphase. Dabei entsteht ein solider Körper aus mehreren Werkstoffen, was beispielsweise für Leiterisolierungen oder voneinander isolierte Magnetkreisabschnitte adaptiert werden kann. Einige Beispiele gedruckter Teile sind in Bild-2 zu sehen. Bild 3 zeigt gedruckte Ringproben aus Eisen-Silizium, die hinsichtlich ihrer magnetischen Eigenschaften vermessen wurden. Die Magnetisierungskennlinie besitzt ein ähnliches Verhalten wie konventionell gefertigte Proben. Damit erweist sich das Fertigungsverfahren als geeignet zur Herstellung magnetischer Kreise. 3d-Siebdruck in der Fertigung Da sowohl die Kosten als auch der Primärenergieaufwand zur Erzeugung der Rohmaterialien für elektrische Antriebe den Anteil der Fertigung deutlich überwiegen, besteht ein besonders wichtiger Aspekt im Hinblick auf energieeffiziente und kostengünstige Technologien in der optimalen Ausnutzung der Rohstoffe. Die Herstellung von in den meisten Fällen kreisrunden Eisenblechschnitten durch konventionelles Stanzen oder Laserschneiden hat prinzipbedingt einen hohen Materialverlust durch nicht flächenfüllende Anordnung der Schnitte in Kauf zu nehmen. Übliche Angaben für den Materialausnutzungskoeffizienten liegen zwischen 70 % und 80 %. Dagegen ermöglicht der dreidimensionale Siebdruck unter Verwendung von recyclingfähigen Pasten eine Materialausnutzung von über 95 %. Da sämtliche auf einem Sieb angeordneten Teile simultan gedruckt werden, erhöht sich der Durchsatz mit verringerter Teilabmessung. Die Stückkosten sinken gleichsam. Dieser Zusammenhang ist dabei nahezu unabhängig von der Bauteilkomplexität. Damit ergibt sich ein großer Vorteil zu konventionellen Verfahren, die mit kleineren und komplexeren Komponenten tendenziell teurer und zeitaufwändiger werden. Direkte Vergleiche gestalten sich aus diesem Grund sehr schwierig, sie sind immer wesentlich von der Größe und Form der Teile abhängig. Berechnungen unter typischen Annahmen zeigen jedoch, dass der Energieaufwand zur Produktion vergleichbar, teils sogar niedriger ausfällt als bei den verbreiteten Technologien Stanzen und Laserschneiden. Durchsatz und Kosten können zwar nicht mit dem Stanzen sehr hoher Stückzahlen konkurrieren, hingegen eignet sich der 3D-Siebdruck bereits für kleine und mittlere Losgrößen ebenso wie zur Prototypenfertigung, wo der Durchsatz mit dem Laserschneiden vergleichbar ist. Der große Vorteil zeigt sich in einer kombinierten Fertigung von Teilen. So können Welle/ Rotor, Gehäuse/ Stator oder Wicklung/ Isolierung gemeinsam hergestellt werden, was sich positiv auf Produktionsaufwand, -energie und -kosten, aber auch auf mechanische und thermische Eigenschaften der Antriebe auswirkt. Auswirkungen auf elektrische Antriebe Der 3D-Siebdruck ermöglicht das Einbringen von Wicklungen in Statornuten, ohne vor allem bei Kleinantrieben komplizierte Automatisierungslösungen oder sogar manuelle Herstellungsprozesse erforderlich zu machen. Dies ist besonders für hochausgenutze Maschinen relevant, da sich somit der effektive magnetische Luftspalt gegenüber den sonst aus Kostengründen üblichen Luftspaltwicklungen stark verringern lässt. Zusätzlich ermöglicht die definierte Lage der Leiter höhere Füllfaktoren des Nutquerschnitts und verkleinerte stirnseitige Wickelköpfe, die die Motorabmessungen erhöhen, aber keinen Beitrag zur Drehmomentbildung leisten. Bild 4 zeigt beispielhaft, wie ein Motor aus gedruckten Einzelkomponenten montiert werden kann. Hohe Ausnutzungsdichten lassen sich ebenfalls durch das gemeinsame Drucken von Kupferwicklungen und Keramikisolierun- Bild 2: Beispiele von 3D-siebgedruckten Teilen mit hohen Aspektverhältnissen und geringen Wandstärken (Bild: Studnitzky et.al.: Dreidimensionaler Siebdruck. Rapidx - Zeitschrift für additive Fertigung, 2/ 2010) Bild 3: Gedruckte weichmagnetische Ringproben sowie deren Magnetisierungskennlinie im Vergleich zu konventionellem Elektroblech Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 71 gen erreichen. Gelingt dies, lässt sich die maximale Endübertemperatur der Maschine gegenüber konventionellen Antrieben mit Lackisolierung bedeutend steigern. Dies erhöht die zulässige Verlust- und damit Leistungsdichte und prädestiniert den Einsatz unter schwierigen Kühlbedingungen, beispielsweise im Motorkühlkreislauf von Kraftfahrzeugen. Darüber hinaus verfügt Keramik über eine wesentlich bessere Wärmeleitfähigkeit als konventionell übliche Isolierstoffe, so dass der Wärmeabtransport aus der Wicklung begünstigt wird. Ein weiterer Ansatz zur Erhöhung der Kühlleistung folgt aus der Möglichkeit des Drucks definierter Hohlräume und Hinterschneidungen. Somit lassen sich ohne zusätzlichen Fertigungsaufwand Kühlkreisläufe an nahezu beliebigen Stellen von Statoren auch kleiner Abmessungen einbringen. Besonders interessant ist hierbei die Abführung der Wärme an den Entstehungsorten, beispielsweise in der Wicklung. Dies ist durch Kühlrohre oder auch durch direkte Leiterkühlung in Hohlleitern denkbar. Die weichmagnetischen Abschnitte profitieren ebenfalls von dreidimensionalem Siebdruck. Die gedruckten Magnetkreise leiden nicht unter dem Einfluss der Materialdegradierung durch Bearbeitungseinflüsse. Weiterhin sind auch alternative Werkstoffe vorstellbar. Eisen-Kobalt-Pulver lässt sich gleichermaßen drucken und verspricht nochmals wesentlich gesteigerte Sättigungen und reduzierte Verluste. Im Gegensatz zu konventionellen Elektroblechen spielt aber bei der Werkstoffwahl durch den urformenden Fertigungsprozess die mechanische Bearbeitbarkeit, speziell bei Eisen-Kobalt kritisch, keine Rolle. Damit sind teure Zusatzstoffe wie Vanadium, Niobium oder Tantal nicht nötig, zusätzliche Patent-Lizenzkosten lassen sich ebenfalls einsparen. Der Druck dreidimensionaler Magnetkreise vereinfacht die Herstellung einiger Typen von Energiewandlern, ermöglicht sogar völlig neuartige Maschinenbauformen. Insbesondere die Transversalflussmaschine könnte in hohem Maße vom dreidimensionalen Siebdruck profitieren. Komponenten, die bisher aufgrund ihrer isotropen Eigenschaften aus niederpermeablem SMC gefertigt werden mussten, ließen sich durch höherperformante gedruckte Teile ersetzen. Darüber hinaus konnten bereits einige Konzepte erstellt werden, mit denen es erstmals absehbar wird, asynchrone und elektrisch erregte synchrone Transversalflussmaschinen zu fertigen - beides Maschinentypen, die aufgrund ihres komplexen Aufbaus konventionell kaum zu fertigen sind und noch keinen Einzug in die Fachliteratur gehalten haben. ■ LIterAtur Bräuer, P.; Werner, R.: Herstellung von Wicklungen rotierender Kleinantriebe mittels Siebdruckverfahren. VDI-Berichte, Antriebssysteme 2011 Andersen, O.; Studnitzky, T.; Bauer, J.: Direct typing a new method for the production of cellular P/ M parts. Powder Metallurgy World Congress & Exhibition, Conference proceedings Bd. 4, 2004 Scherer, M.: Untersuchung von Möglichkeiten zur Kombination konstruktiver Merkmale von Radial-, Axial- und Transversalflussmaschine. Diplomarbeit, Technische Universität Chemnitz, 2012 Bräuer, P.; Lindner, M.; Studnitzky, T.; Kieback, B.; Rudolph, J.; Werner, R.; Krause, G.: 3D screen printing technology opportunities to use revolutionary materials and machine designs. 2Nd International Electric Drives Production Conference (EDPC), 2012 Lindner, M.; Bräuer, P.; Rudolph, J.; Werner, R.; Studnitzky, T.: Utilization predictions for electrical maschines with advanced materials and production technologies. Proceedings on 5. International Conference on Magnetism and Metallurgy, 2012 Lorenz, F.: Thermische Modellierung von modernen Wicklungsstrukturen und deren Kühlung. Diplomarbeit, Technische Universität Chemnitz, 2012 Mathias Lindner, Dipl.-Ing. Professur Elektrische Energiewandlungssysteme und Antriebe, Technische Universität Chemnitz mathias.lindner@ e-technik.tu-chemnitz.de Patrick Bräuer, Dipl.-Ing. Professur Elektrische Energiewandlungssysteme und Antriebe, Technische Universität Chemnitz patrick.braeuer@etit.tu-chemnitz.de Ralf Werner, Prof. Dr.-Ing. Professur Elektrische Energiewandlungssysteme und Antriebe, Technische Universität Chemnitz ralf.werner@hrz.tu-chemnitz.de Bild 4: Vision zur Endmontage weniger einzeln siebgedruckter Komponenten zum funktionsfähigen Elektromotor Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleitung Telefon (040) 23714-223 Telefax (089) 889518-75 eberhard.buhl@dvvmedia.com DER DIREKTE WEG IN DIE REDAKTION © Norbert Leipold, pixelio.de IV EAZ.indd 3 15.11.2013 17: 49: 31 TECHNOLOGIE Elektrobusse Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 72 ÖPNV als Vorreiter und Innovationsmotor der Elektromobilität in Deutschland Während die Öffentlichkeit das Für und Wider der Elektromobilität diskutiert, schickt sich die ÖPNV- Branche an, durch die sukzessive Elektrifizierung des Busverkehrs den Weg zu einer massentauglichen Elektromobilität zu ebnen. Eine kurze Situationsanalyse für Deutschland. Die Autoren: Christian Soffel, Christine Schwärzel E s ist erstaunlich: Während einerseits kritische Stimmen über Sinn und Erreichbarkeit der politischen Ziele für die Elektromobilität lauter werden, bestimmte kaum ein anderes Thema die mediale Berichterstattung der jüngsten Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt so sehr, wie die Marktpräsentation neuer Elektroautos, insbesondere deutscher Fahrzeughersteller. Nicht weniger erstaunlich ist, dass eine Branche, die im öffentlichen Diskurs um die Elektromobilität wenig präsent ist, aktuell Schwung aufnimmt, Vorreiter in der massentauglichen Elektromobilität zu werden, nämlich der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). der ÖPNV als „Kontaktbörse Elektromobilität“ Ein Zahlenspiel: Die rund 300 Hybridbusse, die bereits bei deutschen Verkehrsunternehmen im Einsatz sind, stellen etwa 0,8 % der gesamten Linienbusflotte. Bei einem Fahrgastvolumen von 4,6 Mrd. Fahrgästen im Buslinienverkehr pro Jahr [5] heißt dies aber, dass rund 37 Mio. Wege pro Jahr in elektromobilen öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Zum Vergleich: Um diesen Wert zu erreichen, müsste jedes der aktuell ca. 8200 [6] in Deutschland zugelassenen Elektroautos täglich für über zehn Fahrten genutzt werden. Die Wahrscheinlichkeit, aktiv mit der Elektromobilität in Berührung zu kommen, ist für einen Großteil der Bevölkerung im öffentlichen Nahverkehr so hoch wie nirgendwo sonst - die weiteren 3,8 Mrd. Fahrgäste, die jährlich die ebenfalls elektrischen Verkehrsmitteln des ÖPNV wie Straßenbahn, Stadt- und U-Bahnen benutzen [5], sind hier noch nicht einmal berücksichtigt. Von diesel zu Strom Es ist eine klare Linie in der technologischen Entwicklung des straßengebundenen ÖPNV erkennbar (Bild 1): Die Hybridbusse sind sozusagen die erste Sprosse auf der Evolutionsleiter zum vollelektrischen Bus. Elektrische Traktionskomponenten und Energiespeicher mit der Möglichkeit zur Rückgewinnung von Bremsenergie (Rekuperation) bei gleichzeitiger Verkleinerung der Dieselaggregate stellen die erste Phase der Elektrifizierung dar. Absehbar - und teilweise schon umgesetzt - sind die Erweiterung der Speichermodule und die Möglichkeit zur externen Nachladung in so genannten Plug-In-Hybridlösungen. Die Bedeutung des Dieselmotors reduziert sich allmählich auf eine Range-Extender-Funktion, der rein elektrische Fahranteil wächst. Der nächste Entwicklungsschritt ist der völlige Verzicht auf einen Dieselmotor, wobei der heutige Stand der Energiespeichertechnik es bis auf weiteres erforderlich macht, im Laufe eines Tages Energie nachzuladen, zumindest, wenn der Bus hinsichtlich Kapazität und Fahrleistung mit konventionellen Dieselfahrzeugen der 12- und 18-m-Klasse konkurrieren soll. Für die Schnellnachladung im Linienverlauf gibt es verschiedene Ansätze - von konduktiven Lösungen über die induktive Nachladung bis hin zu Batteriewechselsystemen. Ausgehend vom klassischen Oberleitungsbus lässt sich ein ähnlicher Entwicklungspfad zeichnen. Hier besteht der Vorteil, die Nachladung von Energiespeichern über das bewährte Oberleitungssystem zu realisieren (Bild 2). Das Entwicklungsziel ist schließlich ein Batteriebus, der nur noch während einer Betriebspause im Depot aufgeladen wird (Bild 3). Zeitlich ist dieses Ziel ist jedoch noch nicht einzugrenzen. Ein Grund, warum der ÖPNV prädestiniert ist, eine Vorreiterrolle in der Elektromobilität einzunehmen: Die Linienwege sind vorbestimmt, der Energiebedarf pro Tag lässt Bild 1: Der Entwicklungspfad von konventionellen Bussystemen zum vollelektrischen Bus (Grafik: Fraunhofer IVI) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 73 sich nicht nur in Summe recht präzise beziffern, es sind sogar Voraussagen möglich, wie hoch der Energiebedarf - bzw. in umgekehrter Wirkrichtung das Rekuperationspotential - auf einzelnen Linienabschnitten ist. Über intelligente, prädiktive Energiemanagementsysteme auf GPS-Basis wird auf dieser Grundlage heute schon der Energiefluss auf einigen Hybridbusmodellen gesteuert [2]. Verkehrsunternehmen als Innovationsmotoren Verschiedene Motive bewegen Verkehrsunternehmen, sich in der Elektromobilität zu engagieren: Technologiebezogene Förderprogramme erleichtern die Systementscheidung. Viele Verkehrsunternehmen wollen vor dem Hintergrund steigender Kraftstoffpreise frühzeitig Erfahrungen mit Elektroantrieben und Hochvoltkomponenten sammeln, um sich für künftige Alternativen zu rüsten. Wirtschaftliche Erwägungen, die Investitionsmehrkosten für Hybrid- oder Elektrobusse durch Kraftstoffeinsparungen zu kompensieren, erfordern gegenwärtig noch einen längeren Atem. Nicht zuletzt wollen viele ÖPNV-Betreiber ihren Kunden als Mitglieder im Umweltverbund eine klimaneutrale Mobilitätsalternative anbieten. Folgende kurze Marktauswahl soll - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen der Elektromobilität im straßengebundenen ÖPNV vermitteln: Hybridbusse gehören mittlerweile in vielen Städten und Regionen zum Alltagsbild des ÖPNV. Schwerpunkte sind hier insbesondere der Großraum Hamburg (23 Hybridbusse), die üstra in Hannover (10, ab 2015: 52 Busse), die künftig gar ausschließlich auf Hybridtechnologie setzen möchte, die Metropolregion Rhein-Ruhr (78) sowie der Freistaat Sachsen mit 55 Bussen (Bild 4). Sachsen positioniert sich innerhalb des Schaufensters „Elektromobilität verbindet (Bayern-Sachsen)“ als Kompetenzzentrum für Elektromobilität im ÖPNV. Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) stehen gleich mit mehreren Projekten in den Startlöchern. Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Hybridbusbetrieb münden in das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „SaxHybrid PLUS “. Gemeinsam mit den Projektpartnern Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI), dem Traktionshersteller Vossloh-Kiepe und den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB) wird ein Plug-In- Hybridbus (18 m) als Technologieträger für Kerntechnologien des elektrischen ÖPNV entwickelt. Verschiedene Forschungsergebnisse sollen erprobt werden, ohne die Fahrzeugstruktur grundlegend ändern zu müssen. Inhaltliche Schwerpunkte sind, neben einem Leichtbaukonzept, das Zusammenspiel von Fahrzeug, Lade- und Netzinfrastruktur, Systemkonfigurationen sowohl für partielle Oberleitung als auch speicherbasierte Konzepte mit punktueller Nachladung sowie die lastabhängige und energieeffiziente Heizung und Belüftung des Fahrgastraums. Auch die Integrierbarkeit von Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum stellt einen Untersuchungsaspekt dar. Der Technologieträger wird im Praxisbetrieb bei LVB und DVB erprobt und wissenschaftlich begleitet. Hierbei sollen Erkenntnisse zur praktischen Anwendbarkeit der Systeme, des Kosten-Nutzen-Verhältnisses sowie bezüglich weiterer Optimierungen am Fahrzeug abgeleitet werden. Das Vorhaben „eBus Batterfly“ ist sowohl konkreter Anwendungsfall für die Entwicklung praxistauglicher Batteriebus-Konzepte als auch deren öffentlichkeitswirksame Demonstration. Vor dem Hintergrund der Inbetriebnahme des Citytunnels Leipzig und der touristischen Entwicklung des Leipziger Neuseenlandes sollen zwei 12-m-Batteriebusse in der Quartierserschließung eingesetzt werden. Ausgangspunkt der schmetterlingsförmigen Linie ist der S-Bahn- Haltepunkt Markkleeberg, wo weitere Elektromobilitätsprojekte angebunden werden sollen. Das Nachladen der fahrzeugseitigen Traktionsenergiespeicher erfolgt über AC/ DC- und DC/ DC-Ladesysteme mit auto- Bild 4: Inzwischen Alltag im ÖPNV - Hybridbusflotte aus Sachsen Bild 3: Zapfsäule der Zukunft - Ladestation für Plug-In-Lösungen Bild 2: Eine Variante zur Nachladung von Traktionsenergiespeichern: die partielle Oberleitung. Hier ein Beispiel aus Wien an einem Rampini Elektrobus. TECHNOLOGIE Elektrobusse Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 74 Christian Soffel, Dipl-Geogr. Projektleiter Elektromobilität, VCDB VerkehrsConsult Dresden-Berlin GmbH, Dresden c.soffel@vcdb.de Christine Schwärzel, Dipl.-Ing. Projektleiterin Elektromobilität, VCDB VerkehrsConsult Dresden-Berlin GmbH, Dresden c.schwaerzel@vcdb.de matisierter Schnellladung an Unterwegshaltestellen. Im Projekt „eBus Skorpion“ entwickeln die Projektpartner LVB, Fraunhofer IVI und Westsächsische Hochschule Zwickau Plug- In-Elektrobusse mit einem automatisierten An- und Abdrahtsystem sowie einem bedarfsgerechten Energie- und Leistungsmanagement. Unter Einsatz von Radar- und Ultraschallsensoren sollen die Stromabnehmer der Elektrobusse automatisch an den Fahrdraht der Oberleitung an- und abgedrahtet werden. Zur Effizienzsteigerung des Systems sollen Unterwerke und Einspeisepunkte vorhandener Straßenbahninfrastruktur mitgenutzt werden. Außerdem soll das automatische An- und Abdrahten eine gemeinsame Oberleitung für beide Fahrtrichtungen ermöglichen. Geplant ist die Einführung von zunächst fünf 18-m-Fahrzeugen, die auf einem Teilabschnitt in Markkleeberg den Übergang von Oberleitung auf oberleitungsfreie Fahrt erproben werden. Vorhandene Oberleitungsbus-Systeme bilden auch die Basis für innovative Buskonzepte in Eberswalde und Esslingen. Die Barnimer Busgesellschaft (BBG) in Eberswalde rüstete einen ihrer Solaris-Obusse gemeinsam mit dem Dresdner Fraunhofer IVI mit einem Kombi-Speicher aus Lithium-Ionen- Batterien und Hochleistungskondensatoren (SuperCaps) aus, um einen eingeschränkten netzunabhängigen Linienbetrieb zu ermöglichen. Seine gedankliche Weiterführung findet dieses prototypische Projekt in Esslingen, wo innerhalb des Projektes „Elektro-Hybrid-Bus“ eine Flotte hybridisierter 18-Meter-Obusse zu einer systematischen Ausweitung des vollelektrischen Linienbetriebs führen soll, ohne hierfür in neue Oberleitungsinfrastruktur investieren zu müssen. Das bestehende Oberleitungsnetz sorgt nicht nur für die Aufladung der Energiespeicher, sondern ermöglicht auch die Bewältigung der anspruchsvollen Topographie des Neckartals im Elektrobetrieb. Auf der Filderebene sollen die Elektrobusse dann ohne Oberleitung einen weiteren Stadtteil erstmals emissionsfrei erschließen. Ein weiterer regionaler Schwerpunkt für die Elektromobilität im ÖPNV befindet sich im Hamburger Umland. Die Kreisverkehrsgesellschaft in Pinneberg (KViP) mit Sitz in Uetersen geht zweigleisig ins Rennen und erprobt einerseits seriengefertigte Elektrobusse aus China, dem Weltmarktführer im Elektrobusbereich, beteiligt sich aber gleichzeitig auch an Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit Partnern aus Deutschland. Seit September 2012 erprobt die KViP einen Linienbus vom Typ „Eurabus“ aus chinesischer Produktion im Linienbetrieb. Das Fahrzeug ist mit Lithium-Eisenphosphat- Akkus ausgestattet, die laut Hersteller bis zu 250 km Reichweite gestatten sollen und diese nach ersten Erfahrungen der KViP auch erreichen. Ein zweites Fahrzeug mit erweitertem Batteriepack wurde im September dieses Jahres ausgeliefert. Ein Betriebshof für den E-Bus-Einsatz wird konzipiert, ausgestattet mit intelligent gesteuerten Ladesäulen und einer Werkstatt für Elektrofahrzeuge. Ein klares und langfristiges Bekenntnis zum vollelektrischen ÖPNV. Parallel engagiert sich die KViP auch in dem Verbundprojekt „eBus Chamäleon“, in ARGE mit dem Nahverkehr Hohenlohekreis (NVH) in Zusammenarbeit mit der Hütter-Lidle Linienverkehr GmbH & Co. KG (HLL), der Ziehl-Abegg Automotive GmbH (ZA) sowie dem Fraunhofer IVI. Im Mittelpunkt steht die Markteinführung von bis zu sechs Elektrobussen mit einem speziellen Radnabenantrieb für Busse und einem kabellosen, kontaktbasierten Ladeverfahren über Docking-Station. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Kopplung der Elektrobusse an erneuerbare Energien (insbesondere Windenergie) und deren Netzintegration dar. Mit Möglichkeiten der induktiven Nachladung von Elektrobussen befassen sich zwei vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) geförderte Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, die unmittelbar vor der Realisierung stehen: In Braunschweig sollen im Projekt „Emil“ (Elektrobusse mit induktiver Ladetechnik) sowohl 12als auch 18-m-Elektrobusse des Herstellers Solaris auf der Ringlinie M 19 verkehren. Die Betriebsaufnahme ist bereits für Ende 2013 vorgesehen. Die Nachladung erfolgt induktiv an bis zu drei Unterwegshaltestellen sowie im Betriebshof. Mannheimer Fahrgäste sollen ab dem zweiten Quartal 2014 auf der Buslinie 63 in zwei 12-m-Elektrobussen des Herstellers Hess Elektromobilität erfahren. Beide Projekte basieren auf dem induktiven Ladesystem „Primove“ von Bombardier und werden durch die TU Braunschweig bzw. das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wissenschaftlich begleitet. Fazit Es ist deutlich erkennbar, dass Elektromobilität eine immer größere Bedeutung im ÖPNV einnimmt - und der ÖPNV zugleich für die Elektromobilität in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnt. Auch wenn die beschriebenen Projekte nur Ausschnitte aus dem gesamten Anforderungsprofil im öffentlichen Busverkehr repräsentieren, ist es wichtig, dass Verkehrsunternehmen die Initiative ergreifen und sich den Möglichkeiten öffnen, die neue Technologien heute schon bieten. Ausgerechnet eine Branche, die traditionell in engem wirtschaftlichem Fahrwasser manövriert, zeigt den nötigen Weitblick, damit die Energiewende auch von einer Verkehrswende von fossil nach regenerativ begleitet werden kann. Und es ist wichtig, zu betonen, dass diese Verkehrswende durch eine verstärkte Elektrifizierung des ÖPNV zu schnelleren und umfassenderen Erfolgen führen wird, als die Beschränkung auf den Individualverkehr. Denn hier ist Elektromobilität für jeden bezahlbar. ■ LIterAtur [1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2012): Abschlussbericht: Begleitendes Prüfprogramm im Rahmen des Fördervorhabens „Hybridbusse für einen umweltfreundlichen ÖPNV“. Berlin [2] Groos, Norbert; Lange, Jürgen; Knote, Thoralf (2012): Möglichkeiten zur Optimierung der Hybridtechnik bei Stadtbussen. In: Der Nahverkehr, 6/ 2012, S. 7 ff. Düsseldorf [3] Haufe, Beate; Heinen, Falk; Rock, Annekristin; Soffel, Christian (2012): Der Hybridbus im Linienbetrieb. In: Der Nahverkehr, 9/ 2012, S. 40 ff. Düsseldorf [4] Soffel, Christian (2013): Der Weg vom Hybridbus zum vollelektrischen Bus. In: Elektrische Bahnen, 5/ 2013, S. 303 ff. München [5] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (Hrsg.) (2012): VDV Statistik 2011. Köln [6] Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg; DFKI GmbH (Hrsg.) (2013): Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland im internationalen Vergleich und Analysen zum Stromverbrauch (Paper). Stuttgart, Bremen Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 75 TECHNOLOGIE Wissenschaft D ie große Mehrzahl der Unternehmen im öffentlichen Personennahverkehr bedient sich fossiler Brennstoffe zum Betrieb ihrer Busflotten. Beispielsweise fahren in Berlin ca. 1200 hauptsächlich dieselbetriebene Busse, in anderen Metropolen wie New York sogar mehr als 5700. Elektrische Antriebsysteme stellen eine Möglichkeit dar, lokal emissionsfreie und nachhaltigere Mobilitätslösungen umzusetzen. Aufgrund der vorgegebenen Fahrpläne mit regelmäßigen Haltepunkten, geringe Durchschnittsgeschwindigkeiten und kurze Streckenlängen eignen sich Busse besonders gut für eine Elektrifizierung. Allerdings werden die Betreiber dabei mit unterschiedlichen Alternativen konfrontiert. Drei verschiedene Optionen, sich dieses Themas anzunehmen, werden von den Betreibergesellschaften in Betracht gezogen: Traditionell bietet sich die Möglichkeit, die Busse über Oberleitungen mit elektrischer Energie zu versorgen. Wegen der wesentlichen Veränderung des Stadtbilds durch die Installation von neuen Oberleitungen in modernen Metropolen und entsprechend geringer Akzeptanz dieser Lösung, werden unflexible leitungsgebundene Busse in Berlin, wie in vielen anderen Metropolen, nicht als zielführend angesehen. Eine weitere Option sind wasserstoffbetriebene Brennstoffzellenbusse. Aktuell ist die Brennstoffzellen-Technologie noch relativ teuer. Ein weiteres Problem ist die fehlende Wasserstoff- Infrastruktur, weswegen diese Technologie erst langfristig als wirtschaftlich einsetzbare Variante gesehen wird [1]. Eine kurzfristig umsetzbare Alternative dazu sind batteriebetriebene Busse mit einem unabhängigen Energiespeicher an Bord. Weltweit werden derzeit zahlreiche Pilotprojekte initiiert, um die Praxistauglichkeit verschiedenster Systemlösungen zu testen. Bezüglich der Bewertung unterschiedlicher Systeme besteht jedoch noch erheblicher Forschungsbedarf. In diesem Beitrag wird für ein konkretes Busprojekt ein entsprechender Auswahlprozess für die verschiedenen Technologie-Alternativen vorgestellt und hinsichtlich einer Übertragbarkeit auf ein gesamtes innerstädtisches Busnetz diskutiert. Auswahlprozess am konkreten Beispiel Das Projekt E-Bus Berlin befasst sich mit der Umsetzung einer voll-elektrischen Buslinie im Rahmen des internationalen Schaufensters Elektromobilität in Berlin - Brandenburg und wird durch die Bundesregierung entsprechend gefördert. Insbesondere beabsichtigen die Partner mit dem Vorhaben die Integration von Elektromobilität in die existierenden Strukturen des ÖPNV sowie die Erhebung und Auswertung von relevanten Informationen im Demonstrationsbetrieb unter Realbedingungen. Ziel ist eine mittelfristige Weiterentwicklung hin zu einem nachhaltigen und perspektivisch wirtschaftlichen Betrieb von Elektrobussen. Eine Übersicht der verfügbaren Technologie- Alternativen für Busse mit integriertem Ener- Systemtechnologien für elektrische Stadtbusse - die richtige Wahl Ein Auswahlprozess für Technologie-Alternativen elektrifizierter Busse am Beispiel des E-Bus Berlin Projekts Vor dem Hintergrund immer weiter steigender Treibhausgasemissionen und der Verschlechterung der innerstädtischen Luftqualität sehen sich öffentliche Nahverkehrsunternehmen vielfach der Aufgabe gegenüber, auch mit ihren Bussen den Übergang in eine nachhaltige Mobilität zu schaffen. Dieser Beitrag stellt einen Auswahlprozess für die verschiedenen Technologie-Alternativen vor und diskutiert dessen Übertragbarkeit auf ein innerstädtisches Busnetz. Die Autoren: Dietmar Göhlich, Alexander Kunith, Sven Gräbener Bild 1: Speicher- und Ladesysteme für vollelektrifizierte Busse TECHNOLOGIE Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 76 giespeicher ist in Bild 1 dargestellt. Die geringe spezifische Energiespeicherkapazität von Kondensatoren macht eine hohe Anzahl Ladepunkte nötig. Eine Umsetzungsvariante wäre das Nachladen an jeder Bushaltestelle einer Linie. Weiterhin muss sichergestellt werden, dass der Bus vom Betriebshof zum Start der Linie und wieder zurück fahren kann. Aufgrund der hohen Anzahl Ladepunkte und der damit einhergehenden hohen Investitionssumme sowie geringe Flexibilität der Einsatzmöglichkeit wird diese Konfiguration unter den Rahmenbedingungen des E-Bus Berlin Projekts nicht weiter betrachtet. Batterien sind die ausgewählte elektro-chemische Energiespeicheralternative, die wiederum verschiedene Dimensionierungs- und Ladevarianten zulässt. Eine Übersicht der verschiedenen Technologien mit den entsprechenden Vor- und Nachteilen zeigt Tabelle 1. Bei batteriebetriebenen Bussen bieten sich als Ladestrategien das Laden über Nacht am Betriebshof („Overnight charging“), das Wechseln der Batteriepacks während des Linienbetriebs und das schnelle Nachladen auf der Strecke („Opportunity charging“) an. Alle diese Technologie- Alternativen werden aktuell in verschiedenen Forschungsprojekten u.a. in Deutschland, den USA und China erprobt. Bei der exemplarisch ausgewählten Buslinie für das E-Bus Berlin Projekt ist ein täglicher Energiebedarf von mehr als 600- kWh bereitzustellen. Bei einer spezifischen Energiedichte von 110- Wh/ kg [2] resultiert dies in einem Batteriegewicht von 5500- kg, was die Zuladung des Fahrzeugs bereits ohne Passagiere übersteigt. Batteriewechselstationen haben einen relativ großen Flächenbedarf, der zusätzlich zur vorhandenen Infrastruktur aufgebaut werden müsste [3, 4]. Da dies in vielen Städten, so auch in Berlin, durch hohe Grundstückspreise keine Option ist und zusätzlich hohe Investitionen in den Bau der Station und zusätzliche Energiespeicher bedeutet, ist das sogenannte „Opportunity Charging“ die gewählte Ladestrategie für das E-Bus Berlin Projekt. Für die „Opportunity charging“-Ladestrategie werden wieder unterschiedliche Ladetechnologien in Betracht gezogen, wie in Tabelle 2 dargestellt. In dieser Übersicht werden konduktive (manuell oder automatisiert) und induktive Ladekonzepte unterschieden. Bei der Entscheidung für eine Ladetechnologie wurde das induktive System ausgewählt, da dort eine fast unsichtbare Integration in das Stadtbild möglich ist und die Wartungskosten minimiert werden. Der Nachteil im Gesamtladewirkungsgrad führt zu Mehrkosten, die aber mit ca.- 0,01 EUR/ km vernachlässigbar bleiben. Im folgenden Abschnitt wird exemplarisch eine Kostenabschätzung für das induktive „Opportunity charging“ Konzept im Vergleich zum konventionellen Dieselbetrieb durchgeführt. Kostenanalyse E-Bus - dieselbus Investitionen in die Fahrzeugflotte, speziell in neue Fahrzeugtypen, stellen für öffentliche Verkehrsbetriebe ein hohes Risiko dar. Auf der einen Seite sollen neu zu beschaffende Fahrzeuge problemlos in bestehende Arbeitsabläufe integriert werden können. Auf der anderen Seite muss gewährleistet sein, dass die neue Technologie langfristig in einem größeren Maßstab im Fuhrpark einsetzbar ist, denn Vielfalt im Fahrzeugbestand führt zu höheren Kosten für die Instandhaltung und den Betrieb. Aus diesem Grund ist eine langfristige Technologieplanung erforderlich, um Fahrzeuginvestitionen, Technologie und Ressourcen basierend auf dem erwarteten Marktverhalten effizient einzusetzen zu können. Strategische Entscheidungen in der Technologieplanung, im Besonderen in der Beschaffung, werden auf Grundlage von Total Cost of Ownership (TCO)-Prognosen getroffen [10]. In Bild 2 ist ein Diagramm dargestellt, das mögliche TCO-Szenarien eines dieselbetriebenen und eines elektrisch angetriebenen Busses zeigt. Bei dem Elektrobus handelt es sich um einen batteriebetriebenen, durch Induktion an Ladepunkten an den Endhaltestellen aufzuladenden Bus, entsprechend dem im E-Bus Berlin Projekt verwendeten Modell. Die TCO-Berechnung für beide Busvarianten erfolgte für eine Referenzstrecke (60 000-km pro Bus und Jahr, Einsatzdauer 10 Jahre, 2 Ladepunkte, 1-zusätzlich benötigter Transformator) mit innerstädtischem Fahrprofil. Auf Basis der getroffenen Annahmen ist der E-Bus ab dem Jahr 2020 wettbewerbsfähig, ohne dabei Förderungssummen zu berücksichtigen [11]. Kriterien Overnight charging Batteriewechsel Opportunity charging Reichweite Werksangaben ca. 100-300 km ca. 100-150 km ca. 10-20 km Realbetrieb - Deutlich geringer + Durch Wechsel unbegrenzt + Durch Wiederaufladen unbegrenzt Benötigte Batteriekapazität - > 600 kWh + ca. 300 kWh + ca. 60 kWh Flächenverbrauch für Infrastruktur o Je Bus eine Ladestation im Depot - Wechselstationen und Ladecenter + Ladestationen an Endhaltestellen und Depot Kosten der Infrastruktur + Ladestationen im Depot - Wechselstationen und Ladecenter o Ladestationen an Endhaltestellen und Depot Kosten des Batteriesystems + Hoch; relative günstige Einzelbatterien - Viele redundante Batterien + Wenige, relative teure Einzelbatterien Flexibilität im Strecken-management + Abhängig von der Reichweite o Entlang der Wechselstationen - Nur zwischen den Ladepunkten Zusatzaufwand - Evtl. mehr Busse wegen geringer Reichweite - Weniger Wechselals Endhaltestellen o Pause evtl. durch Laden nötig Batterieverschleiß o Tiefe Entladung o Tiefe Entladung o Flache Entladung; viele Zyklen Tabelle 1: Vergleich verschiedener Ladestrategien für batteriebetriebene Busse Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 77 TECHNOLOGIE Wissenschaft Ausblick Die Elektrifizierung von Stadtbussen wird sowohl national als auch international intensiv durch Politik und Unternehmen vorangetrieben. Dies spiegelt sich in den zahlreichen Projektvorhaben in verschieden Städten wider. Nach erfolgreichem Praxistest einzelner Buslinien steht als nächster Schritt die Skalierung der Ergebnisse auf eine größere Busflotte an. Hierfür könnten zentrale „Charging Hot-Spots“ geschaffen werden, die idealerweise an den Knotenpunkten mehrerer Buslinien angesiedelt sind. Diese Lösung ermöglicht den effizienten Einsatz der Infrastruktur durch eine hohe Auslastung. Weiterhin ist es vorstellbar, dass zukünftig Nutzfahrzeuge, z.B. Liefer- und Müllentsorgungsfahrzeuge, die vorhandene Ladeinfrastruktur stärker auslasten, so dass weitere Synergien genutzt werden können. Darüber hinaus sehen wir zusätzlichen Forschungsbedarf in der Kostenanalyse von Ladesystemvarianten. Aktuell ist eine Vergleichbarkeit der Systeme basierend auf monetär quantifizierbaren Kennzahlen nur sehr eingeschränkt gegeben. Diese Problematik wird vom ETS-Team derzeit für verschiedene „Opportunity charging“- Konzepte bearbeitet. Weitere Fragestellungen ergeben sich durch den erhöhten elektrischen Leistungs- und Energiebedarf der urbanen Busflotten im Hinblick auf eine Integration in bestehende Versorgungsnetze. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Analyse auftretender Leistungsspitzen, einer entsprechenden Dimensionierung der Netzinfrastruktur und deren Anschluss an urbane Energieversorgungsnetze. ■ QueLLen  [1] C. Mohrdieck, A. Burkert. Chancen einer H2-Infrastruktur. ATZ - Automobiltechnische Zeitschrift, May 2013, Volume 115, Issue 5, pp 384-389.  [2] H. Wallentowitz, A. Freialdenhoven. Strategien zur Elekrifizierung des Antriebsstranges. Wiesbaden: Vieweg + Teubner, 2011.  [3] Xinhuanet: “ 北京继续增加新能源公交车 ” (Beijing continues to add new energy buses), online verfügbar: Xinhuanet, http: / / news. xinhuanet.com/ photo/ 2010-01/ 26/ content_12875715_1.htm, zuletzt geprüft am 18.04.2013.  [4] Ankai: “ 安凯纯电动客车单车运营破11万公里 “ (Ankai’s pure electric buses exceed 110,000 km of cycling), online verfübgar: http: / / www.cnbuses.com/ news/ 201202/ 45758.htm, zuletzt geprüft am 02.08.2013.  [5] Chongqing Current: “China’s 1st electric bus fast charging station debuts in Chongqing”, online verfügbar: http: / / www.chongqingcurrents. com/ ? p=57434 (2012), zuletzt überprüft am 18.04.2013.  [6] Proterra: “Products and Innovation”, online verfügbar: http: / / www. proterra.com/ index.php/ products, zuletzt geprüft am 25.10.2013.  [7] Opbrid: „Opbrid Busbaar“ , online verfügbar: http: / / www.opbrid.com/ index.php? option=com_content&view=article&id=52&Itemid=58&lang=en, zuletzt geprüft am 20.10.2013.  [8] Conductix-Wampfler: “E-Mobility”, online verfügbar: http: / / www.conductix.de/ de/ maerkte/ e-mobility#, zuletzt geprüft am 15.10.2013.  [9] Bombardier Transportation: „primove Bus“, online verfügbar: http: / / primove.bombardier.com/ de/ anwendungen/ busse/ , zuletzt geprüft am 05.10.2013. [10] F. Spangenberg, D. Göhlich. Technology Roadmapping based on Key Performance Indicators. Smart Product Engineering - Proceedings of the 23rd CIRP Design Conference, ISBN 978-3-642-30816, Springer-Verlag, Germany, S. 377-386, 2013. [11] D. Goehlich, F. Spangenberg, A. Kunith. Stochastic Total Cost of Ownership Forecasting for innovative Urban Transport Systems. IEEE International Conference on Industrial Engineering and Engineering Management, im Druck. [12] Das Forschungsnetzwerk Elektromobilität der TU Berlin, online verfügbar: http: / / www.e-mobility.tu-berlin.de/ , zuletzt geprüft am 30.10.2013. [13] Die Herausforderung: Energiewende und Verkehr zusammen denken! , online verfügbar: http: / / forschungscampus-euref.de/ , zuletzt geprüft am 27.10.2013. 0,00 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 Diesel E-Bus Diesel E-Bus Diesel E-Bus €/ km 2013 2020 2030 Emissionen Infrastruktur Wartung Personal Energie Kapital Investition Bus Kostenstruktur: Kriterien Konduktiv manuell Konduktiv automatisiert Induktiv Infrastruktur aufwand + Umrichter, 200 kW- Ladesäule o Umrichter, Ladestation; bekannte Technik - Umrichter, Induktives Ladesystem Stadtbild - Ladesäulen oder Ladestationen - Ladestationen mit Oberleitung + Ladestationen straßenseitig kaum sichtbar verbaut Zusätzliche Betriebspersonalkosten - + + Zusätzlicher Wartungsaufwand o - Wartung der Oberleitung + Gesamtladewirkungsgrad + ca. 95% + ca. 95% - ca. 90% Pilot Projekte [5] [6], [7] [8], [9] Tabelle 2: Vergleich verschiedener Ladetechnologien für „Opportunity charging“-Konzepte dietmar Göhlich, Prof. Dr. Leiter des Fachgebiets für Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik der TU Berlin, Koordinator des Forschungsnetzwerks Elektromobilität der TU Berlin dietmar.goehlich@tu-berlin.de Alexander Kunith Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet für Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik, „Electrified Transport Solutions“ Team der TU Berlin alexander.kunith@tu-berlin.de Sven Gräbener Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet für Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik, „Electrified Transport Solutions“ Team der TU Berlin sven.graebener@tu-berlin.de Bild 2: TCO Diesel- und E-Bus für 2013, 2020 und 2030 dAs ets-teAm Das „Electric Transport Solutions“ Team um Prof. Dr. Dietmar Göhlich, Leiter des Fachgebiets für „Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik“ und Koordinator des „Forschungsnetzwerks Elektromobilität“ der TU Berlin [12], ist von der Realisierbarkeit nachhaltiger Mobilitätslösungen überzeugt und beschäftigt sich hauptsächlich mit der Elektrifizierung von öffentlichem Bus und Wirtschaftsverkehr. Das Team besteht aus vier Wissenschaftlern und mehreren Studenten, die sich der Kopplung einer Mobilitätswende an die Energiewende verschrieben haben. Eingebettet in das „Forschungsnetzwerk Elektromobilität“ haben sie beste Voraussetzungen ihre Forschungsvorhaben in Zusammenarbeit mit den 21 beteiligten Fachgebieten der TU Berlin zu realisieren. Konkrete Forschungsprojekte des Teams sind aktuell der „E-Bus Berlin“ im Rahmen des internationalen Schaufensters Elektromobilität und das „EUREF Forschungscampus: Mobility2Grid“ Projekt, welches vom BMBF gefördert wird [13]. Über 60 Jahre Fachwissen online verfügbar  Komfortable Volltextsuche  Beiträge im PDF-Format verfügbar  Download auf Ihren PC  Log-In mit Ihrer Abonummer + Postleitzahl Ein einzigartiger Service - nur für Abonnenten von Internationales Verkehrswesen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch im Archiv unter www.internationalesverkehrswesen.de/ archiv Kontakt: Tel. +49(0)40/ 237 14 114 | E-Mail: Kirsten.Striedieck@dvvmedia.com Recherchieren Sie in allen Ausgaben seit Erscheinen von Internationales Verkehrswesen. Das Online-Archiv von Internationales Verkehrswesen Exklusiv für Abonnenten! 5594_anz_erp_iv_Archiv_210x297.indd 1 25.07.2013 15: 36: 51 INdUSTRIE+TECHNIK Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 79 Siemens U-Bahn der Zukunft Wie sieht der öffentliche Nahverkehr der Zukunft aus? Eine mögliche Antwort auf diese Frage gibt der Siemens-Sektor „Infrastructure & Cities“ noch bis Anfang Januar 2014 in einer Ausstellung im Londoner Crystal, einem Zentrum für nachhaltige Stadtentwicklung des Unternehmens. Unter anderem wird die Designstudie einer U-Bahn in Originalgröße präsentiert. Technisch basiert das Modell auf der Plattform „Inspiro“ von Siemens, optisch ist es auf die Londoner Tube zugeschnitten. Die britische Hauptstadt will ihre Metroflotte erneuern und dafür mehrere Milliarden investieren. Zudem zeigt der Konzern Technologien, die Reisenden dabei helfen, ihren Weg schneller zu finden. Dazu zählen beispielsweise Entwicklungen für elektronische Fahrkarten, Fahrgastinformations- und Stationsmanagementsysteme. (zp) Die Künstler von „3D Joe & Max“ haben mit Pinsel und Malkreide vor den Türen des The Crystal in London den Inspiro zum Leben erweckt. Foto: Siemens DB International HGV-Projekt in Saudi Arabien Planprüfung des Oberbaus und der Ausrüstungstechnik, Bauüberwachung und Prüfung der Fahrzeugproduktion des spanischen Lieferkonsortiums sind Bestandteile eines Auftrags für DB International über Ingenieurleistungen im Hochgeschwindigkeitsprojekt Al Haramain. Auftraggeber für die 450 km lange, doppelgleisige, elektrifizierte und erste Hochgeschwindigkeitslinie in Saudi Arabien ist die Saudi Railways Organization (SRO). Die Strecke soll eine schnelle, komfortable und zuverlässige Verbindung zwischen den Städten Jeddah, den Pilgerstätten Mekka und Medina sowie King Abdullah Economic City bieten. Die geplante Höchstgeschwindigkeit wird mit 320 km/ h angegeben. Das Auftragsvolumen für DB International soll bei einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag liegen, insgesamt wird mit Kosten in Höhe von rund 7 Mrd. EUR gerechnet. (zp) DB AG Hybridloks im Test Die Deutsche Bahn (DB AG) will von 2015 an einen neu entwickelten Typ von Rangierlokomotiven mit kombiniertem Diesel- und Elektroantrieb testen. In Würzburg und Nürnberg sollen fünf Hybridloks des Herstellers Alstom eingesetzt werden. Die DB teilte mit, dass die neuen Loks im Vergleich zu herkömmlichen Modellen nur die Hälfte an Kraftstoff benötigten und während 80-% ihrer Einsatzzeit im Batteriebetrieb führen. Der Praxistest ist auf acht Jahre angelegt. Die Loks werden in Stendal in Sachsen-Anhalt gebaut. Bayern fördert das Projekt mit 600 000 EUR. (zp) Vossloh Neues Werk in Texas Der Verkehrstechnikkonzern Vossloh baut ein Werk für Schienenbefestigungen in den USA. Damit verschafft sich das Unternehmen Zugang zu öffentlichen Aufträgen, die im Rahmen des „Buy American“-Gesetzes an eine Fertigung im Land gebunden sind. Der Produktionsstart am neuen Standort im texanischen Waco ist für die zweite Jahreshälfte 2014 geplant, die Investitionssumme wird mit 11 Mio. EUR angegeben. (zp) Fela Telematiksysteme verbessert Die Schweizer Fela Management AG hat ihr Telematiksystem Carloc erweitert. At-Guard soll wertvolle Güter und beispielsweise Baumaschinen kosteneffizient sichern. Schwerpunkte sind die Überwachung des Transportfortschritts, die Sendungsverfolgung sowie Diebstahlschutz und Einbruchüberwachung. Das Gerät erfasst über mehrere Jahre hinweg Standort, Laufleistung und Zustand eines Fahrzeugs oder Ladungsträgers. Es meldet alle relevanten Vorgänge automatisch, etwa Richtungsänderungen oder die Ein- und Ausfahrt aus definierten Bereichen, Stöße, Bewegungen und den Zustand von Magnetschaltern. Die neue Version von Carloc At- Rail speziell für den Schienengüterverkehr hat eine um 60-% längere Lebensdauer als ihre Vorgängerin. Sie verfügt zudem über einen leistungsfähigeren GPS-Empfänger, so dass die Einheit sich nun im Innern eines Wagens montieren lässt. (zp) Solaris / Vossloh Kiepe / Bombardier BVAG bestellt Batteriebusse Die Braunschweiger Verkehrs- AG (BVAG) hat bei den Unternehmen Solaris Bus & Coach als Fahrzeughersteller, Vossloh Kiepe als Partner für die elektrische Ausrüstung und Bombardier für die induktive Ladeeinheit vier 18-m lange Batteriebusse mit Option auf ein weiteres Fahrzeug bestellt. Die Einheiten sind nach Herstellerangaben in Deutschland die ersten rein elektrisch betriebenen Batterie-Gelenkbusse, die für den Einsatz im Linienverkehr entwickelt worden sind. Die elektrische Ausrüstung beinhaltet unter anderem eine modular aufgebaute Leistungselektronik, den 240 kW Traktionsmotor sowie das Energiemanagement. Neben dem induktiven Ladesystem wird zudem eine weitere Ladevorrichtung für eine Steckerbasierte Ladung mit 32 kW installiert. Das modular aufgebaute System berücksichtigt die Integration verschiedener Energiequellen: Neben der Nachladung über einen Pantographen oder eine induktive Lösung ist auch die Ladung mit Hilfe von Brennstoffzellentechnologie möglich. Ende 2013 soll der Betrieb zunächst mit dem 12 m langen Bus aus dem Forschungsprojekt für das induktive Ladesystem beginnen und im nächsten Jahr sukzessive durch die neu bestellten 18-m-Busse ergänzt werden. Alltagstauglichkeit und Rentabilität von kabel- und drahtloser Energieübertragung im Linienverkehr stehen dabei besonders im Fokus. (zp) INdUSTRIE+TECHNIK Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 80 AAE Intermodalwagen mit Scheibenbremsen Leise, leicht, wartungsarm und für Megatrailer geeignet: So beschreibt die Schweizer AAE Gruppe ihre neue Generation von Intermodalwagen, von denen sie zunächst 100 Einheiten nach eigenen Vorstellungen für rund 20 Mio. EUR bauen lässt. Die Twin-II-Taschenwagen zeichnen sich durch zwei Tonnen weniger Gewicht als die Vorläufermodelle und Scheibenbremsen aus. Gegenüber herkömmlichen Graugussbremsen senken die Scheibenbremsen die Lärmemissionen von Schienenfahrzeugen um 10 dB. Das entspricht laut AAE einer Halbierung der wahrgenommenen Lautstärke. Scheibenbremsen seien zwar in der Anschaffung teurer als die ebenfalls lärmarmen K-Sohlen, schonten jedoch die Oberfläche der Räder. So seien die Wartungsintervalle länger, die Wartungskosten geringer und die Verfügbarkeit der Wagen höher. Die Auslieferung der Wagen soll Ende 2013 beginnen und im zweiten Quartal 2014 abgeschlossen werden. Bestelloptionen für mehrere hundert weitere Einheiten bestehen. Bereits auf der Messe Transport Logistic im Sommer hat der europäische Vermieter von Eisenbahnwagen die Waggons vorgestellt und auch die ersten 50 vermietet. Sie gehen langfristig an die niederländische ERS Railways. Transportmöglichkeiten für Megatrailer sind derzeit sehr gesucht. AAE vermietet bisher 1000 Wagen der Modellreihe Twin I und ist ausgebucht. Insgesamt hat AAE 30-000 Güterwagen nicht nur für den Kombinierten Verkehr im Angebot. Seinen Namen verdankt das Twin-Konzept einer Besonderheit der Konstruktion: Der Wagen besteht aus zwei identischen Taschen, die jeweils einen Sattelauflieger, einen Wechselbehälter bis 13,6 m Länge, einen 30’, 40’ oder 45’ Container, zwei 20’ Container oder zwei Wechselbehälter mit bis zu 7,82 m Länge aufnehmen können. Die Untergestelle beider Taschen liegen in der Mitte auf einem gemeinsamen Drehgestell auf. Es verfügt ebenso wie die zwei weiteren Drehgestelle an den Enden der insgesamt gut 34 m langen Einheit über zwei Achsen. Durch die Zweiteilung ist der Wagen auch für relativ enge Kurvenradien bis 75 m geeignet. (zp) Der neue Taschenwagen Twin II fährt lärm- und verschleißarm dank Scheibenbremsen. Foto: AAE Spheros Buszüge für München ausgestattet Die ersten MVG-Buszüge von Solaris mit Spheros-Klimatisierung on Top. Foto: Spheros GmbH Neues Fahrgefühl im Münchner Stadtverkehr: Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) setzt seit Anfang Oktober zehn Solaris-Buszüge mit jeweils 23 m Länge ein, die mit Spheros-Klimaanlagen ausgestattet sind. Die Einheiten bestehen aus einem kuppelfähigen Standardlinienbus von Solaris und einem 11 m langen Anhänger von Göppel. Insgesamt bietet das Gespann mehr als 130 Fahrgästen Platz. Buszüge sind in Deutschland relativ unüblich und sowohl für die MVG als auch für Spheros eine Premiere. Die Aufgabe lag in der optimalen Kombination von zwei völlig unterschiedlichen, unabhängig voneinander funktionierenden Klimalösungen, so dass der Anhänger in Schwachlastzeiten im Depot verbleiben kann und nicht unnötig Energie verbraucht. Die Wahl fiel auf die neue Aufdachklimaanlage Revo 360 für den Zugwagen und die elektrische, in sich geschlossene Aufdach-Modulklimaanlage Citysphere für den Anhänger. Der Innenraum des Hängers wird nicht wie sonst üblich über eine Temperaturabsenkung gekühlt, sondern durch eine Kombination von Kühlen und Luftbewegung. Die Revo 360 hat laut Hersteller einen deutlich höheren Wirkungsgrad, ein geringeres Gewicht und ist leiser als die Vorgängermodelle. (zp) Volvo FH ist bester schwerer LKW 2014 Die neue FH-Reihe von Volvo für den Fernverkehr ist von einer Jury aus europäischen Nutzfahrzeugjournalisten zum „International Truck of the year 2014“ gewählt worden. Nach Ansicht der Jury hat Volvo mit dem FH einen komplett neuen LKW entwickelt, der mit seinem Fahrerhausdesign, Antriebsstrang und den telematikgestützten Wartungskonzepten neue Maßstäbe in der schweren Klasse setzt. Zu den gewürdigten Innovationen gehören auch Technikneuheiten wie das I-Shift-Getriebe, das beispielsweise mit dem topografiegesteuerten Tempomatprogramm I-See kombiniert werden kann. (zp) Incheon Neuer Airport für-Birma Ein Konsortium um die südkoreanische Incheon International Airport Corporation soll einen neuen internationalen Flughafen in Birma bauen und 50 Jahre lang betreiben. Die Vertragsunterzeichnung ist noch in diesem Jahr vorgesehen. Die Fertigstellung des neuen Hanthawaddy- Flughafens nahe der größten birmanischen Stadt Rangun mit einer Kapazität für jährlich 12 Mio. Passagiere ist bis 2018 geplant. Die Kosten werden mit mehr als 750 Mio. EUR angegeben. An dem Konsortium sind auch die südkoreanischen Unternehmen Kumho Industrial, Halla Engineering & Construction, Lotte Engineering & Construction sowie Posco ICT beteiligt. (zp) Liqui Moly Öko-Öl im Angebot Klar, dünnflüssig, fast geruchlos - aber aus Altöl und damit laut Hersteller ein Novum. Liqui Moly bietet seit Kurzem ein Motoröl an, das aus aufwändig aufbereitetem Gebrauchtöl hergestellt wird und offizielle Freigaben von Mercedes und Volkswagen trägt. Das Leichtlauföl Eco 10W-40 hat dieselben Spezifikationen und Eigenschaften wie sein konventioneller Bruder, Leichtlauf 10W- 40. Beide Produkte sind laut Hersteller technisch gleichwertig, aber nicht für jeden Motor geeignet. Liqui Moly unterstützt Werkstätten seit langem bei der Entsorgung ihrer gebrauchten Öle. Ein Teil dieses Öls wird zu Reraffinat aufbereitet. (zp) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 81 Hyundai Heavy Industries UASC ordert Containerriesen Die Reederei United Arab Shipping Company (UASC) lässt bei der koreanischen Werft Hyundai Heavy Industries (HHI) fünf 18 000-TEU-Schiffe und fünf 14 000-TEU-Einheiten bauen. Zudem bestehen Optionen für weitere Containercarrier in diesen Größenordnungen. Klassifiziert werden die Frachter vom Prüfkonzern DNV GL Group, der kürzlich aus der Fusion von Det Norske Veritas und dem Germanischen Lloyd entstanden ist. DNV hat bereits die Entwicklung der Schiffe begleitet. Alle Einheiten werden „LNG ready“ konstruiert, damit sie später schnell und unproblematisch auf LNG als Treibstoff umgerüstet werden können, sobald die entsprechende Infrastruktur verfügbar ist. Die Containerschiffe sollen auf der Route zwischen Asien, dem mittleren Osten und Nordeuropa eingesetzt werden mit einer Reisegeschwindigkeit zwischen 16 und 18 Knoten. Der Rumpf wird für diese Geschwindigkeit optimiert. Die Containerkapazität wird durch neue Lash-Brücken verbessert. (zp) Kreuzfahrtschiffe Landstromanschlüsse in Hamburg Kreuzfahrtschiffe werden während ihres Aufenthalts in Hamburg künftig über Landstrom versorgt. Bereits im kommenden Jahr soll das Terminal in der Hafencity entsprechend ausgestattet werden, 2015 soll das Terminal in Altona folgen. Dann können die Schiffe künftig ihre Maschinen, die sie wegen ihres hohen Strombedarfs bislang rund um die Uhr laufen lassen, während ihrer Liegezeit weitgehend abschalten. So wird die Luftverschmutzung deutlich reduziert. Hamburg will rund 9 Mio. EUR in die Anschlüsse investieren. Die Stadt wird in diesem Jahr von 177 Kreuzfahrtschiffen angelaufen. (zp) Hamburg versorgt Kreuzfahrtschiffe künftig vom Kai aus mit Energie. F oto: www.mediaserver.hamburg.de / H. Hackbarth Hochschule Wismar Steuerhilfe für Schiffe Wie kommt man am besten durch eine Hafeneinfahrt? In Warnemünde entwickeln Forscher der Hochschule Wismar am Institut für Innovative Schiffssimulation eine Software, mit der komplizierte Steuermanöver vorab exakt geplant werden können. Dabei wird das spezielle Verhalten des jeweiligen Schiffs samt seiner besonderen Ladung unter den gegebenen Windverhältnissen durchgespielt. In nur einer Sekunde kann das System nach Angaben der Entwickler 20 Minuten reale Schiffsbewegung vorherberechnen. Die computergestützte Simulation von Rudermanövern erhöhe die Sicherheit auf See und könne zur Vermeidung von Kollisionen oder Unfällen beitragen. Projektpartner für das neue Steuersystem für elektronische Seekarten sind die Rheinmetall Defence Electronics GmbH, die Reederei Scandlines, die Reederei F. Laeisz und die World Maritime University Malmö in Schweden. Das Projekt wird vom Bund mit 324 000 EUR gefördert. Das neue System soll bis zum Herbst 2015 einsatzbereit sein. (zp) Bombardier Konkurrenz für Airbus und Boeing Bislang machen die Hersteller Airbus und Boeing das Geschäft mit größeren Flugzeugen fast unter sich aus. Der kanadische Regionaljetbauer Bombardier will das Duopol nun mit einem neuen Modell knacken. Im September absolvierte die mit bis zu 160 Sitzen bislang größte Verkehrsmaschine des Herstellers erfolgreich ihren Jungfernflug. Die CSeries tritt damit gegen die Mittelstreckenjets Airbus A320 und Boeing 737 an. Bombardier verspricht den Fluggesellschaften besonders günstige Unterhaltskosten. So soll der Kerosinverbrauch etwa durch den Einsatz von leichten Verbundmaterialien gesenkt werden. Airbus und Boeing hatten sich gegen Neuentwicklungen entschieden und modernisieren stattdessen derzeit ihre Modelle, unter anderem mit neuen Triebwerken. Die ersten A320neo sollen 2015 kommen, die 737 MAx im Jahr 2017. Bombardier liefert die ersten Flieger 2014 an die Kunden. (zp) Daimler Großbestellung aus Brasilien Insgesamt vier Aufträge über zusammen 2100 Mercedes-Benz-Fahrgestelle zur Erneuerung der Busflotten im öffentlichen Nahverkehr von Brasília hat der Autobauer Daimler erhalten. Das teilte das Unternehmen Anfang Oktober mit, machte aber keine Angaben zum Auftragswert. 300 Mio EUR will Daimler zudem bis Ende 2015 in seine brasilianischen LKW-Werke stecken. 450 Mio. EUR hat das Unternehmen hier seit 2010 bereits investiert. Kürzlich hatte der Konzern ebenfalls angekündigt, in Brasilien auch wieder Autos produzieren zu wollen. Zunächst werden 170 Mio. EUR investiert. In Iracemápolis bei S-o Paulo entsteht ein neues Werk, aus dem 2016 die ersten Fahrzeuge rollen sollen. Für den lokalen Markt werden die neue Generation der C-Klasse und der kompakte Geländewagen GLA produziert. (zp) Hörmann Mehrzweckschiebetor entwickelt Bisher gab es beim Torhersteller Hörmann hochwertige Schiebetorkonstruktionen ausschließlich mit Feuer- oder Rauchschutzfunktion. Nun bietet das Unternehmen auch Tore ohne Feuer- und Rauchschutz an. Das Mehrzweckschiebetor ist als einflügelige, zweiflügelige und Teleskopvariante für Einbausituationen mit kleinen Abstellbereichen in einer Breite von 1 bis 12 m sowie einer Höhe von 2 bis 9 m erhältlich. Für den leichteren Personendurchgang kann eine schwellenlose Schlupftür ins Tor integriert werden. Eine verdeckt liegende Torblatt- und eine Schlupftür-Überwachung bieten ein Plus an Sicherheit. Auf Wunsch kann das Tor auch mit einer automatischen Öffnungshilfe ausgestattet werden. (zp) Bosch Apps für Autofahrer Aktuell bietet Bosch- weltweit zehn verschiedene Apps rund um das Auto an. In Verbindung mit einem- Adapter für die On- Board-Diagnose-Schnittstelle OBD können Autofahrer- beispielsweise einen Fehlercode auslesen, entschlüsseln und bei Bedarf die nächste Bosch-Servicestation kontaktieren oder sogar einen Reparaturauftrag vereinbaren. Die Verkehrszeichenerkennung warnt zum Beispiel bei Geschwindigkeitsüberschreitungen. Darüber hinaus gibt es eine Navigations-App, die mit dem Mobilitätsportal „flinc“ gekoppelt ist, Batterie- und Scheibenwischerberatung. Zur Unterhaltung tragen ein KFZ-Wissensquiz und ein Rennspiel bei. Die Apps können für Android-Geräte und IOS-Produkte heruntergeladen werden. (zp) INdUSTRIE+TECHNIK Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 82 Fraunhofer ENAS Mikrotechnik spart-Kerosin Um möglichst wenig Kerosin zu verbrauchen, werden unter anderem Aktoren eingesetzt. Sie sitzen beispielsweise in den Klappen, die bei Start und Landung am hinteren Teil der Flugzeugflügel ausgefahren werden, und pusten Luft durch kleine Löcher in der Klappenoberfläche. Damit verzögern sie den Strömungsabriss und erhöhen den Auftrieb des Flugzeugs. Forscher am Fraunhofer-Institut für Elektronische Nanosysteme ENAS in Chemnitz haben die Leistungsfähigkeit dieser Aktoren erhöht. Im industriellen Großprojekt „Clean Sky“, an dem sich über 80 Partner aus Forschung und Industrie beteiligen, haben sie die Synthetic-Jet-Aktoren so optimiert, dass die Luft 1,5 Mal so schnell aus dem Loch strömt. Zudem sind sie kleiner als üblich: Statt wie bisher vier bis fünf, sind sie jetzt nur etwa einen Zentimeter breit. So passen bedeutend mehr Öffnungen in eine Flugzeugklappe. Auch die Pulsed-Jet-Aktoren werden weiterentwickelt. Bei diesen strömt Druckluft aus einem Ventil am Boden, füllt eine Kammer und entweicht über das Loch auf der Flügeloberfläche. Die Wissenschaftler konnten das Ventil nun so klein gestalten, dass es direkt neben dem Loch Platz findet. Dies führt ebenfalls zu einer verbesserten Leistung. (zp) OWI Brennstoffzellenstrom für LKW-Ruhephasen Um LKW während der Stand- und Ruhezeiten unabhängig vom Motor mit Strom zu versorgen, werden Brennstoffzellen erprobt. Ingenieure am Aachener Oel- Waerme-Institut (OWI) haben nun die Lebensdauertests eines Reformers und eines Restgasbrenners für ein mobiles Brennstoffzellensystem nach mehr als 1000 Stunden Betriebszeit erfolgreich abgeschlossen. Entwicklungspartner sind Eberspächer Climate Control Systems, Elring Klinger und Behr. Normalerweise stellt ein Dieselmotor im Leerlauf den Strom für Klimatisierung, Beleuchtung oder Kommunikationstechnik an Bord bereit. Der Reformer dagegen wandelt Dieselkraftstoff aus dem Tank des Fahrzeugs in ein Brenngas um, das eine Hochtemperaturbrennstoffzelle in elektrische Energie umsetzt. Der Wirkungsgrad soll bei 3 kW mit rund 30-% höher liegen als bei dieselbetriebenen Stromgeneratoren (25- % Wirkungsgrad) und pro Betriebsstunde etwa 1 l Diesel verbrauchen. Im aktuellen, bis Ende 2015 laufenden Projektabschnitt stehen Lebensdauertests und die seriennahe Produktentwicklung im Vordergrund. Die beteiligten Partner gehen davon aus, dass das Brennstoffzellensystem drei Jahre später marktreif ist. Sie erwarten ein Absatzpotenzial im mittleren fünfstelligen Bereich. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert das Projekt. (zp) BS2 Sicherheitssysteme / Fraunhofer IMS Schutz für Kaimauern Um zu wissen, wann Salzionen so weit in den Beton von beispielsweise Kaimauern eingedrungen sind, dass die Stahlbewehrung korrodiert, können künftig Sensoren beim Bau der Schutzeinrichtung eingebracht werden. Dies wird gerade bei einer neuen Kaimauer in Rotterdam erprobt. Passive RFID-Sensoren sitzen an den Bewehrungsstäben. Erreichen die Salzionen einen Sensor, zerfressen sie dessen spezielle Drähte. Je mehr von ihnen korrodiert sind, desto weiter ist auch die Korrosion des Stahls fortgeschritten. Ein Transponder im Sensor übermittelt die Daten an ein Lesegerät. So kann das Bauwerk instand gesetzt werden, bevor die Bewehrung Schaden nimmt. Auf diese Weise könnten künftig bei vielen Betonbauwerken die Sanierungskosten reduziert werden. Der Sensor wurde von BS2 Sicherheitssysteme Boppard entwickelt. Die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS in Duisburg integrierten das kabellose Transpondersystem. (zp) Fraunhofer IZM RFId für das Bestandsmanagement Immer mehr Hersteller bieten ihre Waren in Kooperation mit dem Einzelhandel auch in Webshops zum Verkauf an. Die Verknüpfung von Einzel- und Online-Handel stellt allerdings hohe Anforderungen an das Bestandsmanagement: Entscheidend ist vor allem der stets aktuelle Überblick, welche und wie viele Produkte aus dem Webshop tatsächlich vor Ort verfügbar sind. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM haben einen Funkclip entwickelt, mit dem Produkte gekennzeichnet und Doppelverkäufe vermieden werden können. Projektpartner des IZM ist der Logistikdienstleister Gaxsys. Ist der Clip beim Händler aktiviert, sendet er in regelmäßigen Abständen seine ID an einen zentralen Empfänger im Laden. Die Software gleicht den Bestand ab und sendet die Daten an den Webshop weiter. Auf diese Weise erhält der Händler eine ständig aktualisierte Übersicht über den verfügbaren Bestand. Ein Vibrationssensor ermittelt zudem, ob ein Kunde im Laden am Produkt interessiert ist. Dieser hat dann Vorrang vor einem potenziellen Käufer im Web. (zp) Der Funkclip wird direkt am Produkt befestigt. Foto: Fraunhofer IZM Eberspächer Sütrak E-Bus-Klimasystem mit integrierter Wärmepumpe zum Kühlen und Heizen Speziell für Elektrobusse hat Eberspächer Sütrak die Aufdachklimaanlage AC 136 All Electric (AE) entwickelt, die unter anderem bereits im Rahmen eines Genfer Pilotprojekts in einem Elektrotrolleybus zum Einsatz kommt. Auf der Busworld Europe im Oktober in Kortrijk präsentierte das Unternehmen jetzt eine Version mit integrierter Wärmepumpe, die Kühlen und Heizen kann. „Im Sommer werden Elektrobusse durch die elektrisch betriebene Klimaanlage gekühlt, im Winter fehlt ihnen aber eine effektive und leistungsstarke Heizlösung, da ohne Verbrennungsmotor praktisch keine Abwärme zum Beheizen des Passagierraums zur Verfügung steht“, erläuterte Eberhard Wolters, General Manager des Unternehmens, die Herausforderung. Lösung: Je nach Bedarf und Außentemperatur kühlt oder wärmt die Pumpe den Passagierraum. Die Technologie basiert auf einem umkehrbaren Kältekreislauf. „Der größte Vorteil der AC 136 AE Heat Pump ist ihre hervorragende Effizienz“, so Wolters. „Im Vergleich zu elektrischen Zusatzheizungen erzeugt sie bei gleichem Energieeintrag etwa drei Mal so viel Wärme.“ Da alle Komponenten für die neue Doppelfunktion in der Anlage Platz finden, kommt sie ohne Zusatzaggregate auf dem Busdach aus; die Abmessungen bleiben kompakt. (zp) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 83 SERVICE Medien D as Werk richtet sich an die Fachleute der ÖPNV-Branche sowie der Rechtspflege, die den Umgang mit der Rechtsmaterie des öffentlichen Personenverkehrs gewohnt sind. Sie können und dürfen nicht an den Ecken und Winkeln des rechtlichen Rahmens vorbeischauen, um eine gute Dienstleistung für die Fahrgäste zu erbringen. Dies gilt auch für den Fall, dass die eigentliche Leistung, der Fahrgasttransport mit Bussen und Bahnen, mal nicht so gut gelaufen ist und Kunden ihre empfundenen oder tatsächlichen Rechte geltend machen wollen. Der Jurist Thomas Hilpert hat mit seiner Dissertation an der Universität Rostock hierfür eine gute Arbeitshilfe geschaffen. Der Experte, der seit einigen Jahren in der Funktion eines Fachbereichsleiters im Branchenverband VDV zahlreiche Verkehrsunternehmen sachlich und pragmatisch berät, beschränkte sich hier auf die Linienverkehre nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) - ohne Sonderverkehre des ÖPNV und den Rechtsbereich des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). So konnte das vorliegende Werk auch ohne hinderliche Beschränkungen in den Inhalten handlich bleiben. Die Inhalte sind so dargestellt, dass auch Nichtjuristen sie verstehen können. Auf etwa 300 Seiten im Format DIN A5 wird eine gut strukturierte Gesamtdarstellung der Rechtsmaterie geboten, die mit dem Gegenstand des ÖPNV und dessen Rechtsgrundlagen Hilpert, Thomas 2012, 301 Seiten, Format DIN A5, Kölner Wissenschaftsverlag ISBN 978-3-942720-18-2 EUR 29,00 Fahrgastrechte und -pflichten der ÖPNV-Linienverkehre nach dem PBefG beginnt, das Bürgerliche Recht, die Besonderen Beförderungsbedingungen und das Hausrecht genauso behandelt wie das Vertrags- und Schuldrecht und auch das Strafrecht nicht auslässt. Rund wird die Gesamtdarstellung insbesondere dadurch, dass stets beide Aspekte behandelt werden - die Rechte und die Pflichten von Fahrgästen und Verkehrsunternehmen. Bereits die Lektüre der Gliederung verrät, was alles passieren kann und bedacht werden sollte. Ein weiterer Wert liegt darin, dass Thomas Hilpert dort, wo bisher verschiedene Einzeldarstellungen zu Detailthemen die Literatur- und Quellenlage beherrschten, erstmals eine Gesamtdarstellung geboten hat. Stephan Anemüller, Köln ■ D as wissenschaftliche und praxisorientierte Kommentarwerk von Prof. em. Dr. Ingo Koller leistet in der 8. völlig neu bearbeiteten Auflage in vier Kapiteln auf 1644 Seiten einen gut strukturierten Überblick über die zentralen privatrechtlichen Vorschriften für innerdeutsche Transporte, grenzüberschreitende Transporte und Lagergeschäfte sowie relevante Literatur-Kommentierungen hierzu. Ergänzt wird das Werk durch ein Entscheidungsregister des Europäischen Gerichtshofes, des Bundesgerichtshofes, von Kammergerichten und österreichischen Gerichten sowie ein abschließendes detailliertes Sachregister. Das sogenannte Montrealer Übereinkommen aus dem Jahr 1999 ist neu und umfassend kommentiert, da es sich als Basis zur Beförderung mit Luftfahrzeugen durchgesetzt hat. Das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts aus dem Jahr 2013 war Anlass für die grundlegende Überarbeitung dieses Standardwerkes, welches alle damit zusammenhängenden Veränderungen im Fracht-, Speditions- und Lagerrecht und die lebhafte Rechtsprechung hierzu kommentierend aufbereitet. Das Werk vermittelt einen umfassenden, sachnützlichen Blick auf den Stand der Rechtsprechung, kommentiert kritisch die Entwicklun- Koller, Ingo 2013, 8. völlig neu bearbeitete Auflage, XXIX, 1644 Seiten, Leinen, Verlag C.H.Beck ISBN 978-3-406-65106-9 EUR 159,00 Transportrecht Kommentar Alles was Recht ist gen im Transportrecht und verfolgt so den Anspruch, dass das Transportrecht leitend ein Teil des Zivilrechts bleibt und sich nicht in Sonderlösungen für Branchenentwicklungen verliert. Es ist für das Risikomanagement und die Vertragsgestaltung in internationalen Verkehrssystemen und in der wissenschaftlichen Weiterentwicklung globaler Netzwerkstrategien nützlich und wendet sich deshalb an alle hieran beteiligten Akteure. Das Buch bietet auf diese Weise sehr praxisnahe Hilfestellungen im „Labyrinth“ des Transportrechts - für die Praxis ein Segen. Frank Straube, Berlin ■ SERVICE Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 84 Unterwegs in die Zukunft Rückblick: Auf dem 1. deutscher Mobilitätskongress in Frankfurt am Main diskutierten rund 250 Teilnehmer über neue Ansätze in der Verkehrsbranche und die Finanzierung der Infrastruktur. I nvestitionsstau bei der Infrastruktur, neue Herausforderungen durch den Klimawandel, Änderungen im Nutzerverhalten: Es gibt viele Zukunftsthemen, die in der Verkehrsbranche derzeit diskutiert werden. Auf dem 1. Deutscher Mobilitätskongress am 7. November in Frankfurt am Main, veranstaltet von der Deutschen Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (DVWG) mit ihren Partnern Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH (RMV), International School of Management GmbH (ISM), House of Logistics & Mobility GmbH (HOLM) und Messe Frankfurt GmbH (Messe), wurden die verschiedenen Ansätze erstmals branchen- und verkehrsträgerübergreifend zusammengeführt. „Energie und Mobilität - unterwegs in eine nachhaltige Gesellschaft“ lautete das Motto des Kongresses. Zum Auftakt kamen rund 250 Verkehrsexperten - ein viel versprechender Start, findet Prof. Knut Ringat, Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds und DVWG-Präsident. Ihm geht es darum, über die Zukunft der Mobilität nicht wie sonst oft üblich getrennt nach Sparten zu diskutieren, sondern umfassend. Ringat: „Wir kommen nicht weiter, wenn jeder Verkehrsträger im eigenen Saft schmort.“ Aber auch das Thema Infrastruktur-Finanzierung spielte eine große Rolle. In einem „Frankfurter Appell“ forderten die Teilnehmer des Mobilitätskongresses von der künftigen Bundesregierung, den „Substanzverlust der Infrastruktur“ zu stoppen. Es müssten neue Prioritäten gesetzt werden, die sich nicht nach politischen Wünschen, sondern nach den tatsächlichen Notwendigkeiten im Verkehrsnetz richten, erläuterte Prof. Dr. Andreas Knie, Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel InnoZ: „Große Teile Ostdeutschlands brauchen keine neuen Autobahnen mehr.“ Der für das Ressort Personenverkehr zuständige Bahn-Vorstand Ulrich Homburg wies darauf hin, dass die zusätzlichen Fahrgäste, die sein Konzern erwartet, vor allem in den Ballungsräumen auftauchen werden. „Wir sind fest davon überzeugt, dass öffentliche Verkehrsmittel noch nie eine so gute Zukunftsperspektive hatten wie heute“, sagte er. Auf Schienen und Bahnhöfen sei aber nicht genügend Platz. Die Beseitigung von Engpässen müsse deshalb Vorrang haben vor dem Neu- und Ausbau. Und schneller soll es gehen. Planungszeiten von 15 oder 20 Jahren für den Bau von Infrastrukturprojekten seien „nicht vermittelbar“, heißt es im „Frankfurter Appell“. Dr. Heiner Geißler, ehemaliger Bundesminister und einer der Hauptredner des Kongresses, zieht daraus vor allem eine Konsequenz: „Wir brauchen ein neues Bau- und Planungsrecht.“ Dieses müsse vor allem eine umfassende Bürgerbeteiligung vorsehen. Seiner Ansicht führt das nicht zu Zeitverlust. „Im Gegenteil: Damit können wir sogar schneller bauen.“ Hingegen warnte Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbandes ADV, vor „weiteren Schleifen“ bei der Bürgerbeteiligung. „Sonst dauern Genehmigungsverfahren nicht zehn bis 15, sondern 20 bis 25 Jahre.“ Skeptisch zeigte sich auch Steffen Saebisch, Staatssekretär im hessischen Verkehrsministerium: „Man muss sich fragen, ob tatsächlich die Bürger beteiligt werden oder ob es sich um eine Beteiligung von Veranstaltungsort des Deutschen Mobilitätskongresses: Gesellschaftshaus im Palmengarten (Alle Fotos: Stefanie Kösling) Viel versprechender Start: Rund 250 Teilnehmer im Plenum des 1.-Deutschen Mobilitätskongresses SERVICE Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 85 Verbänden und Lobbygruppen handelt.“ Außerdem könne auf die Verfahren wenig Einfluss genommen werden, „da wir eine Rechtsordnung haben, die das Ergebnis bis ins Detail vorgibt.“ Saebisch wies zudem auf ein anderes Problem hin: „Es fließt viel Geld in Planungen, die gar nicht realisiert werden.“ Es reiche nicht, mehr Geld zu fordern; man müsse auch die Strukturen schaffen, um es ausgeben zu können. Betroffen seien vor allem die Landesstraßenverwaltungen, die heute schon Schwierigkeiten hätten, Fachkräfte zu bekommen. In verschiedenen Panels diskutierten die Teilnehmer über die Zukunft des Automobils, über Fragen von Energie und Umwelt und zukunftsweisende Mobilitätskonzepte. So stellte Prof. Dr. Arnd Stephan Optimierungspotenziale im Bahnverkehr vor 1 - er sieht die Zeit reif für einen „Ein-Liter-Zug“. Der Autoverkehr wird nach Ansicht mehrere Experten künftig verstärkt von Elektrofahrzeugen und Car-Sharing-Modellen geprägt sein. Es ging aber auch um ganz grundsätzliche Fragen zur Zukunft der Mobilität. „Wir können es uns nicht mehr leisten, alle Wünsche zu erfüllen“, sagte etwa InnoZ- Geschäftsführer Knie. Seiner Ansicht nach sind wir dabei, das Maximum an Verkehrsleistung zu erreichen - gewissermaßen „Peak Mobility“ in Analogie zum globalen Ölfördermaximum „Peak Oil“. Die derzeitige „raumintensive Lebensweise“ sei nicht zukunftsfähig. Dem widersprach Dr. Georg Teichmann, Senior Manager bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers. „Keiner will sich begrenzen lassen“, sagte er. „Wir müssen auf den Verbraucher hören.“ Das betonte auch Roland Koch, Vorstandsvorsitzender des Dienstleistungs- und Baukonzerns Bilfinger SE und einer der Hauptredner: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Mobilität abnimmt, sei für die aktuelle Generation „gleich Null“. Dr. Karlheinz Steinmüller, Wissenschaftlicher Direktor der Z_Punkt GmbH in Berlin, teilt diese Einschätzung. Lege man die aktuellen Wachstumsraten zugrunde, könnte sich bis 2050 die weltweite Verkehrsleistung verdoppeln. Bei Konzepten zur Verkehrsvermeidung sei Skepsis angebracht. „Eine generelle Entschleunigung der Gesellschaft scheint auf absehbare Zeit ein utopischer Wunsch zu bleiben.“ Das gilt aber offenbar nicht in jedem Fall. Fernbusse etwa sind sehr erfolgreich, obwohl die Fahrzeiten länger sind als bei der Bahn. „Manchmal ist Zeit gar nicht so wichtig“, stellte Panya Putsathit fest, Geschäftsführer der MeinFernbus GmbH. Man habe viele Kunden vom Auto gewonnen, rund sieben Prozent der Fahrgäste seien Geschäftsreisende. Die neigen sonst eher dazu, das Flugzeug zu nutzen. Was das für die Infrastruktur heißt, ist umstritten. Koch verteidigte den Ausbau der Regionalflughäfen. So seien zum Beispiel die Unternehmen der Region Rhein-Neckar trotz der Nähe zum Flughafen Frankfurt darauf angewiesen, von Mannheim aus starten zu können. „Sonst würden viele abwandern. Mobilität ist nicht nur eine Massenveranstaltung von Millionen.“ Zur Förderung der regionalen Wirtschaft wurde noch in Roland Kochs Zeit als hessischer Ministerpräsident damit begonnen, den Flughafen in Kassel-Calden auszubauen. Der wird momentan noch nicht wie erwartet genutzt. „Man sollte diesem Projekt eine Chance geben“, warb Staatssekretär Saebisch. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis 2018 eine schwarze Null zu erreichen.“ Erfolgreicher ist der größte deutsche Flughafen in Frankfurt. Dessen Chef Dr. Stefan Schulte rechnet mit weiterem Wachstum und bekannte sich zum Bau des politisch umstrittenen dritten Terminals - „so klein und so spät wie möglich“. Drohen Engpässe auch im Luftverkehr? ADV-Geschäftsführer Beisel plädierte dafür, die Flughäfen in Deutschland stärker zu vernetzen, damit sie sich gegenseitig entlasten können. Vernetzung war eines der wichtigen Themen des Kongresses. „Aber 1 Siehe auch Interview auf Seite 64 wer vernetzt uns denn? “, fragte Andreas Knie. „Keiner denkt über den Tellerrand hinaus, keiner geht auf den anderen zu.“ Beim nächsten Mobilitätskongress am 13. November 2014 in Frankfurt sollen weitere Schritte unternommen werden, um dieses Defizit zu beheben. „Wir müssen die Kräfte der Mobilitätsbranche zusammenführen“, forderte DVWG-Präsident Ringat. Wie das bei der Auftaktveranstaltung gelungen ist, lässt sich in der Dokumentation nachlesen, die voraussichtlich Ende 2013 in der DVWG-Geschäftsstelle erhältlich ist. Günter Murr, Journalist, Frankfurt am Main ■ DVGW-Präsident Prof. Knut Ringat: Die Kräfte der Mobilitätsbranche zusammenführen Fazit aus den Statements, Vorträgen und Diskussionen: Über den Tellerrand hinaus denken Dr. Heiner Geißler: Umfassende Bürgerbeteiligung von Anfang an beschleunigt große Bauprojekte www.eurailpress.de Der Marktführer für Fach- und Wirtschaftsinformationen rund um Eisenbahn, ÖPNV & Technik 38/ 13 16. September 2013 w w w.railbusines s.de IS SN 1867-2728 Der wöchentliche Branchenreport von Eurailpress und DVZ B U S I N E S S 1 ■ Worum es den Verkehrsunternehmen beim Deutschland-Tag des Nahverkehrs ging Seite 2 ■ Welche Optionen die EU-Kommission zur Bekämpfung des Eisenbahnlärms erwägt Seite 3 ■ Wie sich das ungarische Eisenbahnunternehmen Floyd für den Verkehr in Österreich aufstellt Seite 4 ■ Welche Aussichten die VeoliaTransport- Tochter Ostseeland Verkehr zum Fahrplanwechsel hat Seite 6 ■ Wie das Eisenbahnunternehmen mit Trans das Angebot erweitert, wer Traktionär ist Seite 7 DB-Chef Rüdiger Grube schlägt Schienenfonds vor Infrastruktur DB-Chef Rüdiger Grube hat einen Schienenfonds zur Finanzierung des Netzes vorgeschlagen. In den Schienenfonds will die DB die Gewinne aus dem Netzbetrieb einbringen, der Bund soll die Mittel aus der Bahndividende dazu geben. Beides zusammen würde dann für den Erhalt des Schienennetzes verwendet. Die DB würde damit ihre bisherige Strategie aufgeben, die Infrastruktur zu einer tragenden Säule des Konzerngewinns auszubauen. Der Hintergrund dafür könnte sein, dass Bund und Bahn der EU-Kommission den Wind aus den Segeln nehmen wollen, die Trennung von Infrastruktur- und Verkehrsunternehmen voranzutreiben. Dies soll mit dem 4. Eisenbahnpaket passieren. RB 16.9.13 (ici) EU bereitet 231-Mio.-EUR-Programm zur Senkung des Bahnlärms vor Umweltschutz Die EU-Kommission packt das Thema Eisenbahnlärm an. 231 Mio. EUR will sie aus dem Fonds „Connecting Europe Facility“ bereitstellen. Das machten Vertreter der Kommission am 10.09.2013 auf einem Seminar in Brüssel klar. Derzeit sammelt die Kommission Informationen, wie sich der Lärm am besten bekämpfen lässt. Sie hat eine Studie in Auftrag gegeben und fragt zudem die Meinung der Öffentlichkeit per Fragebogen im Internet ab. Die Ergebnisse sollen in neue Gesetzesentwürfe einfließen. Bis 03.10.2013 können sich Interessenten an der EU-Umfrage beteiligen. Die Kommission will wissen, welche Lösung den größten Erfolg verspricht: finanzielle Förderung, lärmabhängige Trassenpreise, Lärmgrenzwerte für Bestandsfahrzeuge, Technische Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI), Regelungen für die Transeuropäischen Netze (TEN), für stark befahrene Netzabschnitte oder Schutzbestimmungen für Mensch und Umwelt. „Die Reduktion des Schienengüterverkehrslärms erfordert eine europäische Lösung“, sagt Thomas Hailer, Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums, zu Rail Business. 231 Mio. EUR sind aber zu wenig, beklagt er. „Die Umrüstung der Güterwagen in Europa kostet 800 Mio. EUR“, so der Verkehrsforum-Geschäftsführer. RB 16.9.13 (ici) Lesen Sie mehr auf Seite 3 In dieser Ausgabe: 16.9.2013 | 38/ 13 Das richtige Personal finden… Das 500-Mio.-EUR-Lächeln. Soeben (06.09.2013) haben DB-Chef Rüdiger Grube, Verkehrsminister Peter Ramsauer und DB-Infrastrukturvorstand Volker Kefer eine Vereinbarung unterschrieben: Die DB erhält 500 Mio. EUR mehr für den Erhalt des Netzes. RB 16.9.13 (ici) Foto: T. Heinrici RBS_038-13_1_1_20130913121644_481880.indd 1 13.09.2013 12: 20: 57 Umweltschutz Die EU-Kommission finanzielle Förderung, lärmabhängige finanzielle Förderung, lärmabhängige fi Trassenpreise, Lärmgrenzwerte für Bestandsfahrzeuge, Technische Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI), Regelungen für die Transeuropäischen Netze (TEN), für stark befahrene Netzabschnitte oder Schutzbestimmungen für Mensch und Umwelt. „Die Reduktion des Schienengüterverkehrslärms erfordert eine europäische Lösung“, sagt Thomas Hailer, Geschäftsführer des Deutschen Ver- Rail Business. 231 Mio. Rail Business. 231 Mio. Rail Business EUR sind aber zu wenig, beklagt er. „Die Umrüstung der Güterwagen in Europa kostet 800 Mio. EUR“, so der Verkehrsforum-Geschäftsführer. RB Lesen Sie mehr auf Seite 3 Das richtige Personal finden… www.oepnvaktuell.de redaktion.oepnvaktuell@dvvmedia.com Wirtschaftsinformationen für den öffentlichen Personenverkehr „Liebe neue Bundesregierung, denk dran! ” In einer noch nie dagewesenen Gemeinschaftsaktion haben 36 Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbünde und SPNV-Aufgabenträger am ersten „Deutschland-Tag des Nahverkehrs“ für Infrastrukturinvestitionen geworben. Die Gewerkschaft Verdi will das jetzt geschürte Feuer mit einer eigenen Aktion weiter nähren. Politische Werbung ist im politiknahen Nahverkehr eher unüblich. In eigener Sache sind der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und große wie mittlere Mitglieder am gestrigen Donnerstag jedoch von ihrem Grundsatz abgewichen. „Damit Deutschland vorne bleibt“ - unter diesem Motto stand der erste bundesweite Aktionstag für den kommunalen Nahverkehr. In 31 Städten traten Geschäftsführer von Verkehrsunternehmen und Zweckverbänden vor die Presse oder präsentierten Fahrzeuge mit Beschriftungen der Infrastrukturinitiative Deutschland. „Liebe neue Bundesregierung, denk dran“, heißt es zum Beispiel auf einem Doppeldecker der BVG Berlin: „Bahnen und Busse brauchten gute Schienen, Tunnel und Straßen! “ Die BVG-Vorstandschefin Sigrid Evelyn Nikutta schickte das rollende Großflächenplakat gemeinsam mit dem Chef der VDV-Landesgruppe Ost, Werner Faber, auf die Reise. Bei einer zentralen Pressekonferenz in Köln machte VDV-Präsident und KVB-Chef Jürgen Fenske die Stoßrichtung klar: Der Bund dürfe die Kommunen und ihre Verkehrsbetriebe bei der dringend erforderlichen Erneuerung und dem vielerorts erforderlichen Netzbzw. Kapazitätsausbau nicht allein lassen. „Unser Appell richtet sich daher an die neue Bundesregierung und an al- In dIeser AusgAbe: POLITIK DB warnt vor Umschichtung von Aus- und Neunbau in Erhalt Seite 4 DURCHSAGE Jürgen Trittin Seite 4 VERTRIEB HVV im öffentlichen INteresse mit Tarifsteigerung über Index Seite 5 MENSCHEN Neuer Chef bei DB Regio Nord (Bereich Schiene) Seite 6 INTERNATIONAL Andere Länder, ähnliche Sorgen Seite 6 FUNDSACHE Pinochet, Chicago-Boys. Weltbank und Violeta Parra Seite 3 EXTRA Apple will Google Transit Paroli bieten Seite 9 STELLENMARKT Seite 12 13. september 2013 Nr. 73/ 13 mit Extra: Vertrieb ⋅ technik ⋅ Fahrgastinformation Im „Shurini“ machte die Hamburger Nahverkehrsbranche Lobbyarbeit für eine GVFG-Verlängerung. (links) - Für die Kamera vermag VDV-Präsident Jürgen Fenske am 12. September, dem ersten Deutschland-Tag des Nahverkehrs“, in Köln zu lachen. Nicht aber, wenn er an die Unterfinanzierung der deutschen Nahverkehrsinfrastruktur denkt. Fotos: HVV / Rolf Vennenbernd Foto: Rolf Vennenbernd Bildnummer: 42498603 Aufnahme: 20130912 KVB - Jürgen Fenske Der Vorstandsvorsitzende der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) und des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Jürgen Fenske, posiert am 12.09.2013 in einer Straßenbahn in Köln (Nordrhein-Westfalen). Im deutschen Nahverkehr fehlen nach Branchenangaben mehr als drei Milliarden Euro, um Anlagen, Fahrzeuge und Technik instandzuhalten. Der VDV fordert am "Tag des Nahverkehrs" mehr Geld für die Infrastruktur. Foto: Rolf Vennenbernd/ dpa Rechte: picture alliance / dpa Urheber: Rolf Vennenbernd © dpa Picture-Alliance GmbH - Gutleutstr. 110, 60327 Frankfurt am Main, Tel.: int +49 69 27 16 47 70 Donnerstag jedoch von ihrem Grundsatz abgewichen. „Damit Deutschland vorne bleibt“ - unter diesem Motto stand der erste bundesweite Aktions tag für den kommunalen Nahverkehr. In 31 Städten nehmen und Zweckverbänden vor die Presse oder präsentierten Fahrzeuge mit Beschriftungen der Infrastrukturinitiative Deutschland. „Liebe neue Bundesregierung, denk dran“, heißt es zum Beispiel auf einem Doppeldecker der BVG Berlin: „Bahnen und Busse brauchten gute Schienen, Tunnel und Sigrid Evelyn Nikut schickte das rollende Großflächenplakat gemeinsam VDV-Landesgruppe Ost, Werner Fa zentralen Pressekonferenz in Köln mach Jürgen Fenske die Stoß die Kommunen und ihre Verkehrs bei der dringend erforderlichen Erneuerung und dem vielerorts erforderlichen Netzbzw. Kapa „Unser Appell rich tet sich daher an die neue Bundesregierung und an al an die Unterfinanzierung der deutschen Nahver- S E R V I C E A U S E R S T E R H A N D ETR EISENBAHNTECHNISCHE RUNDSCHAU I M P U L S G E B E R F Ü R D A S S Y S T E M B A H N SCHIENENPERSONEN- NAHVERKEHR Leitartikel von Ulrich Sieg Knoten Köln, StadtRegioTram Schwebebahnen, TWINDEXX Vario WISSEN AUS BETRIEB & TECHNIK Reduktion von Lärm + Erschütterungen Gleislagebeurteilung Eisenbahn in Kenia und Uganda ETR IM GESPRÄCH Das Interview mit Herbert König MVG September 2013 - 62. Jahrgang September 2013 - 62. Jahrgang Euro 25,- | D 2722 Euro 25,- | D 2722 www.eurailpress.de/ etr 09|2013 A U S T R I A ETR M I T S E R V I C E A U S E R S T E R H A N D „ LICHTSIGNALE Die Anzahl der Lichtpunkte kann mit LED-Mehrfarbsignalgebern nahezu halbiert werden „ ENTWICKLUNG Umgang mit verschiedenen Varianten innerhalb der Produktlinie AlTrac 6481 „ ESTW-R UND ESZB Die Realisierung von ESTW-R und ESZB mit dem Elektronischen Stellwerk ZSB 2000 September | € 20 | C 11180 www.eurailpress.de/ sd 9 / 2013 Intelligente Mobilitätskonzepte Neue Wege für ein nachhaltiges Unterwegssein POLITIK Robustheit des Verkehrssystems INFRASTRUKTUR Boarding-Effizienz - Mit der Achterbahn zum Flieger TECHNOLOGIE Bewertung kooperativer Verkehrstelematiksysteme Junge Leute - Abwendung vom Auto? Fachsymposium zur 65. IAA PKW www.internationalesverkehrswesen.de Heft 3 l September 2013 Intelligente Mobilitätskonzepte Neue Wege für ein nachhaltiges Unterwegssein Euro 20.00 | C 2566 September 2013 09|13 I N T E R N AT I O N A L E FA C H Z E I T S C H R I F T F Ü R S C H I E N E N V E R K E H R & T E C H N I K ! Experimentelle Untersuchungen an der Schiene ! Mobile Schienenbearbeitung mittels Drehhobeln ! Moderne Messsysteme für die Weicheninspektion ! Trends in der Fahrgastinformation ! Aktuell: Bahn-Nachrichten • Veranstaltungen Personalia • Industrie-Report H E R A U S G E B E R V E R B A N D D E U T S C H E R E I S E N B A H N - I N G E N I E U R E E . V. DER EISENBAHN INGENIEUR EI 17. Vermessungstechnische Fachtagung 9. Oktober 2013 in Essen 9. Fachtagung Konstruktiver Ingenieurbau 10. Oktober 2013 in Berlin 5667_anz_erp_radschiene_210x297.indd 1 17.09.2013 11: 43: 57 Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 87 v erK e H rsw I s s e n s c H A FtL I c H e n Ac H rI c H te n mitteilungsblätter der deutschen verkehrswissenschaftlichen gesellschaft e.v. 4. Heft November 2013 Junge Leute - Abwendung vom Auto? IAA-Symposium des Jungen Forums am 20.09.2013 W enden sich junge Leute zunehmend von Besitz und Nutzung des Automobils ab? Zu dieser Fragestellung bot sich den Mitgliedern des Jungen Forums und der DVWG am Freitag, 20. September 2013, eine ganz besondere Veranstaltung in Frankfurt am Main. Erstmals war das Junge Forum in diesem Jahr als Kooperationspartner und Mitveranstalter eines Fachsymposiums auf der 65. IAA PKW zu Gast - gemeinsam mit dem VDA und der Fachzeitschrift Internationales Verkehrswesen. Die große Resonanz auf das Symposium „Junge Leute - Abwendung vom Auto? “ mit über 160 angemeldeten Teilnehmern unterstrich die Aktualität und die verkehrsträgerübergreifende Bedeutung der Themenstellung der Veranstaltung. So war der Vortragssaal im CongressCenter Messe Frankfurt (CMF) bis auf den letzten Platz mit interessierten Zuhörern gefüllt, darunter auch erfreulich viele junge Gesichter. Nach Begrüßungsworten des VDA-Geschäftsführers Dr. Ulrich Eichhorn und der Bundesvorsitzenden des Jungen Forums, Dr. Barbara Hüttmann, präsentierte Robert Schönduwe vom InnoZ aktuelle Forschungsergebnisse zum Wandel der Mobilitätsmuster junger Menschen. Diese bestätigen den Trend bei den Unter-30-Jährigen zur De-Motorisierung, eine stärkere Orientierung zur Multimodalität sowie zum ÖV und Radverkehr. Anschließend referierte Dr. Tobias Kuhnimhof vom ifmo über den Einfluss soziodemographischer Effekte beim Autokauf und die Frage, ob der Autokauf junger Menschen nur aufgeschoben oder aufgehoben sei. Insbesondere deutlich wurde dabei die hohe Relevanz des Faktors Einkommen für den PKW-Besitz, der mit steigendem Einkommen stetig zunimmt. Im Folgenden beschäftigte sich Dr. Ottmar Lell vom Bundesverband der Verbraucherzentralen in seinem Vortrag mit der Frage, was wir für eine Mobilität brauchen, die gleichzeitig Kosten spart und die Erwartungen der Verbraucher trifft. Als eine Lösungsoption sieht er dabei die vernetzte Mobilität, die durch Kombination von Individualverkehr und öffentlichem Verkehr den Nutzern eine hohe Flexibilität ermöglicht. Rainer Schubert von TNS Infratest Travel & Transport stellte schließlich exklusiv die Ergebnisse einer aktuellen Studie zur „Einstellung zum Automobil - Unterschiede zwischen Jung und Alt“ vor. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass die (emotionale) Abkehr des Jugendlichen vom Automobil weder bestätigt noch widerlegt werden kann und die emotionale Bedeutung gleichermaßen hoch bei Jung und Alt ist. Betont wurde jedoch auch die Notwendigkeit, für gesicherte Erkenntnisse langfristig angelegte Studien mit Zeitreihenbetrachtungen durchzuführen. In der abschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von Kerstin Zapp vom Redaktionsteam der Fachzeitschrift Internationales Verkehrswesen, wurden lebhaft Positionen und Meinungen zur Attraktivität des Automobils bei jungen Menschen ausgetauscht. In der Diskussion wurde von den jungen Teilnehmern insbesondere der hohe finanzielle Aufwand des Autokaufs und -unterhalts kritisch hervorgehoben und der Appell an die Automobilbranche gerichtet, auch für junge Fahrer ein entsprechendes, bezahlbares Fahrzeugangebot vorzuhalten. Nichtsdestotrotz wurde deutlich, dass das Automobil bei jungen Menschen immer noch sehr starke Emotionen hervorruft und nach wie vor eine hohe Anziehungskraft besitzt. Auch zeigte sich in der Diskussion die Relevanz neuer vernetzter Mobilitätskonzepte und mobiler Smartphone-Apps für die junge Generation, insbesondere für die Mobilität in Großstädten. Im Anschluss an die Veranstaltung nutzten zahlreiche Teilnehmer die Gelegenheit zu einem ausgiebigen kostenfreien Bummel über das IAA-Gelände, um die neuesten Innovationen und Trends der Automobilbranche, in diesem Jahr mit dem Themenschwerpunkt Elektromobilität, live zu sehen und zu erleben. Insgesamt war das Symposium ein voller Erfolg, sodass eine mögliche Fortführung der Kooperation im Rahmen eines Fachsymposiums in zwei Jahren bei der 66. IAA PKW vom 17.-27.09.2015 bereits angedacht ist. Die Vorträge der Referenten des IAA-Symposiums können Sie unter folgendem Link abrufen: http: / / archiv.iaa.de/ 2013/ index.php? id=13-b-fv25&L=0 Dr. Barbara Hüttmann Bundesvorsitzende des Jungen Forums der DVWG dVWG Verkehrswissenschaftliche Nachrichten Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 88 Europäische Plattform der Verkehrswissenschaften 11. Europäischer Verkehrskongress in Prag war großer Erfolg Sebastian Belz, Generalsekretär der Europäischen Plattform der Verkehrswissenschaften - EPTS V om 18.-20.09.2013 fand in Prag der 11.- Europäische Verkehrskongress (ETC) statt. Über 200 Teilnehmer aus allen Teilen Europas trafen sich, um unter der Schirmherrschaft des tschechischen Verkehrsministers Zdenek Zak zum Thema „Verkehr als wissenschaftliche Disziplin“ hochrangige Vorträge zu hören und darüber A m 19. April 2013 luden die Bezirksvereinigung Niedersachsen-Bremen und die Deutsche Gesellschaft für angewandte Wissenschaften (DGAW) zum diesjährigen Europäischen Hafentag nach Bremerhaven ein. Für die wissenschaftliche Leitung der erfolgreichen Tagung mit mehr als 150 Teilnehmern zeichnete der ehemalige DVWG- Präsident, Prof. Dr. Heiner Hautau, verantwortlich. Nordrange: Überkapazitäten im Containerumschlag? Unter dem Generalthema „Neue Wettbewerbsherausforderungen multipolarer Verkehrs- und Logistikmärkte“ wurde zunächst der Fragestellung nachgegangen, ob in der Nordrange, dem nordwesteuropäischen Hafengürtel von Le Havre bis Hamburg, sich Überkapazitäten im Containerumschlag abzeichnen. Unter diesem Aspekt wurden einerseits der Bau des Jade-Weser-Port als einzigen deutschen Tiefwasserhafen, andererseits die Strategie internationaler Terminalbetreiber in den Häfen der Nordrange kritisch hinterfragt. Die Erweiterung der Umschlagfazilitäten in allen Häfen wurde auf der Basis der prognostizierten Mengenzuwächse vor der Wirtschaftskrise getroffen, die sich heute zumindest als temporäre Überkapazitäten erweisen. Dies gilt auch für Bereitstellung von Umschlagfazilitäten der deutschen und niederländischen Häfen, zwischen denen sich ein Wettlauf als zukünftige Offshore-Ports im Zusammenhang mit der Errichtung der Nordsee-Windparks abzeichnet. Referenten: Prof. Dr. Burkhard Lemper, ISL Bremen; Emanuel Schiffer, Eurogate Bremerhaven; Jan Gelderland, NTB Bremerha- Erkenntnisreiche maritime Tagung am Meer 24. Internationales Transportforum: Bezirksvereinigung Niedersachsen-Bremen veranstaltete Europäischen Hafentag 2013 Prof. dr. Heiner Hautau, Bezirksvereinigung Niedersachsen-Bremen Automobildistribution hat sich Koper in den vergangenen Jahren zu einem bedeutsamen Anlaufhafen im Mittelmeerraum entwickelt. Ähnliche Wettbewerbschancen erhoffen sich die Ligurischen Häfen La Spezia, Genua und Savona durch die verbesserte Anbindung an die Transeuropäischen Netze, für die sich im alpenquerenden Kombinierten Verkehr mit Süddeutschland neue Perspektiven eröffnen. Referenten: Prof. Jens Froese, Jacobs University Bremen; Prof. Dr. Sönke Reise, FH Wismar; Alojz Fabjan, Port of Koper; Prof. Dr. Jan Ninnemann, HSBA Hamburg. Entwicklungsperspektiven neuer Transportwege im Fernostverkehr Im Bereich der Seeschifffahrt gewinnt die Nordostpassage zwischen Europa und Fernost, die den Seeweg um ungefähr 13.000 Kilometer verkürzt, bei anhaltendem Klimawandel zunehmendes Interesse. Da jedoch auch im Sommer auf der Route keine völlige Eisfreiheit besteht, ist diese kurz- und mittelfristig nicht als echte Transportalternative zu betrachten. Erfolg versprechender verhält es sich mit den Perspektiven von Containertransporten auf der Transsibirischen Eisenbahn zwischen Deutschland und China. Nachdem mehrere Testzüge die rund 10 500 Kilometer lange Strecke in 15 bis 17 Tagen bewältigt haben, verkehren mit DB Schenker Rail gegenwärtig tägliche Containerzüge im Automobiltransport vom BMW-Werk in Leipzig nach Shenyang in China. Referenten: Prof. Dr. Klaus Harald Holocher, FH Elsfleth; Michael Tasto, ISL Bremen; Michael Bünning, BLG Bremen. Zieht man ein Fazit dieser Veranstaltung, so ist es den Organisatoren gelungen, den Teilnehmern ein hochinteressantes Themenfeld mit kompetenten Referenten zu präsentieren. ■ niedersachsen-bremen@dvwg.de Foto: DGAW ven; Andreas Wagner, Stiftung Offshore Windenergie, Berlin. Entwicklung neuer Konkurrenzhäfen auf europäischer Ebene In der Ostsee strebt der Hafen von Gdansk durch den Bau eines neuen Tiefwasserterminals eine Stellung als sogenannten Hubport an, der von den großen Containerschiffen direkt angelaufen werden kann. Von dort soll dann die weitere regionale Verteilung der Container durch Feederschiffe in den östlichen Ostseeraum und per Bahn und Lkw in das osteuropäische Hinterland erfolgen. Die hervorragende Anbindung an das europäische TEN-Netz eröffnet hier neue Transportalternativen für Gdansk in Konkurrenz zu den deutschen Nordseehäfen. Der slowenische Hafen Koper im Adriatischen Meer sieht durch seine verbesserte Verkehrsanbindung im Rahmen des TEN- Netzes neue Wettbewerbschancen in der Bedienung der Alpenländer, insbesondere Österreich und die Schweiz. Im Rahmen der Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 89 dVWG Verkehrswissenschaftliche Nachrichten zu diskutieren. Die Veranstaltung fand nach Brno 2006 zum zweiten Mal in Tschechien statt. Sie wurde von der Verkehrsfakultät der Tschechischen Technischen Universität zu Prag (CVUT) anlässlich ihres 20jährigen Bestehens ausgerichtet. Den Kongress leitete der heutige Dekan Univ.-Prof. Miroslav Svitek mit viel Übersicht und einer exzellenten Auswahl an Referenten. Die Europäische Plattform der Verkehrswissenschaften (EPTS) war auf dem Kongress mit Delegationen aus sechs Ländern vertreten, die zu Kongressbeginn das alljährliche Treffen der Präsidenten und Generalsekretäre abhielten. Hervorzuheben ist außerdem die große Zahl an Nachwuchswissenschaftlern, die im Rahmen einer gemeinsamen Exkursion aus Deutschland und Österreich zu einem YFE-Treffen mit den jungen tschechischen Verkehrswissenschaftlern angereist waren. Anschließend an den Kongress wurden in diesem Kreis noch verschiedene bedeutende Verkehrsprojekte in und rings um die tschechische Hauptstadt besichtigt. Erneut war der Gala-Abend Höhepunkt des gesamten Kongress-Programms. In der berühmten Bethlehemskapelle in der Prager Altstadt wurde auch der „Europäische Friedrich-List-Preis“, den die EPTS für junge Nachwuchswissenschaftler in diesem Jahr zum achten Mal ausgelobt hatte, an die beiden Preisträgerinnen Agnieszka Wazna (Universität Gdansk) und Rita Markovits- Somogyi (Universität Budapest) übergeben. Das EPTS-Präsidium beschloss, dass im kommenden Jahr nur eine kleinere Verkehrstagung in Brüssel stattfinden soll. Hier ist unter anderem der Besuch des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament und ein Treffen mit Vertretern von Parlament und Kommission unter Federführung von Herrn MEP Prof. Boguslaw Liberadzki geplant. Die Kongresse 2015 und 2016 werden nach derzeitigem Stand wie geplant in Kroatien und Österreich stattfinden. ■ www.epts.eu I m Dezember 2017 wird die Eisenbahn- Neubaustrecke Erfurt-Bamberg (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit VDE-8) fertig gestellt werden. Die absehbaren Änderungen der Fahrpläne im Fernverkehr werden drastische Auswirkungen auf den Regionalverkehr haben, dessen Fahrpläne wegen der Bestellzyklen bereits ab 2015 angepasst werden müssen. Um die Folgen für das Gesamtsystem zu minimieren, fordert die Initiative „Deutschland-Takt“, in Zukunft die Investitionen in die Eisenbahn-Infrastruktur an den langfristigen Planungen zu den Taktfahrplänen auszurichten, damit die knappen Finanzmittel zu maximalen Verbesserungen für die Fahrgäste - und nicht zu sinnlos verlängerten Aufenthaltszeiten auf den Knotenbahnhöfen - führen. Dazu veranstaltete die Initiative am 15.08.2013 in Berlin eine Fachkonferenz unter dem Titel „Vom integralen Takt zum Ausbau der Infrastruktur - Wie die Anschlüsse im Fern- und Regionalverkehr auch zukünftig erhalten bleiben können“. Die Veranstaltung war mit rund 200 Teilnehmern aus Politik, Wissenschaft, Verkehrsunternehmen und Medien sehr gut besucht. Für die DVWG ist das Thema vor allem wegen des neuen Blickwinkels auf eine intelligente Verknüpfung von Fahrgast-Attraktivität, wirtschaftlicher Priorisierung des Infrastruktur-Ausbaus und neuen Impulsen zur besseren intermodalen Verknüpfung Schiene-Straße von großer Bedeutung. Nahezu 20 % der Teilnehmer waren Vereinsmitglieder oder Freunde der Gesellschaft. Brandenburgs Verkehrsminister Jörg Vogelsänger veranschaulichte anhand der Regionalexpress-Linie 1 die Bemühungen der regionalen Politik um einen Integralen Taktfahrplan; die Gestaltung der Taktknoten sei bereits in der Ausschreibung fahrplantechnisch vorgeben worden. Dabei beanstandete er die frühere Praxis der DB und des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, im Zuge von Investitionen in den Schienenverkehr nur wenig Rücksicht auf regionale Konzepte zu nehmen, so auch im Fall des VDE 8. Im brandenburgischen Regionalverkehr sei insbesondere der Süden des Landes betroffen, resümiert Bernd Arm (VBB). Es könne zu Trassenkonflikten, Fahrzeit- und Anschlussverlusten kommen. Um dies zu verhindern, sei u.a. eine zielgerichtete Anpassung der Infrastruktur notwendig. Stephan Loge (Landkreis Dahme-Spreewald) und Jörg Bruchertseifer (Pro Bahn) forderten zudem, Bus-Fahrpläne möglichst an der Bahn auszurichten, um den Bus als attraktiven Zubringer zum Schienenverkehr zu etablieren. Orte ohne Bahnanschluss könnten besser erreicht und Fahrgaststeigerungen auch außerhalb der Ballungsräume erzielt werden. Wichtig seien Nachhaltigkeit und ein verlässliches Angebot, um eine stärkere Fahrgastbindung zu bewirken. Die Verknüpfung von Bus und Bahn finde derzeit aber nur punktuell statt. Das VDE 8 wirkt sich aber nicht nur auf Brandenburg, sondern auch auf Bayern aus, wie Andreas Schulz (BEG) beispielhaft illustrierte. Vom integralen Takt zum Ausbau der Infrastruktur Junges Forum der dVWG Berlin-Brandenburg Die Troja-Brücke wird eine neue Tram- und Straßenverbindung über die Moldau schaffen. Das Junge Forum hatte schon jetzt die Gelegenheit zur Besichtigung. Foto: Sebastian Belz Die Podiumsrunde der Veranstaltung Quelle: VBB dVWG Verkehrswissenschaftliche Nachrichten Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 90 A uf der dreitägigen Exkursion der beiden Bezirksvereinigungen Oberrhein und Freiburg ins Saarland, nach Lothringen und Luxemburg erlebten die 30 Teilnehmer Anfang Oktober unvergessliche Eindrücke. Die erste Station war die Baustelle der Schnellfahrstrecke LGV Est européenne im Zuge der Verbindung Paris - Strasbourg zwischen Baudrecourt und Vendenheim bei Saverne. Monsieur Laurent Chapelain vom Ausrüstungskonsortium ETF erläuterte auf der Baustelle in Réding die Sicherheitseinrichtungen und Maßnahmen für die Baustellenlogistik sowie den Rangierbetrieb mit seinen Anschlüssen an die Vogesentunnel- Baustelle und die vorhandene Strecke. Die Baustellenlogistik erfolgt überwiegend auf der Schiene. Täglich sind bis zu 15 Züge auf der eingleisigen Baustellenzufahrt unterwegs. Eine riesige Umladestation für Schotter dient dazu, dass der mit der Bahn aus einem Steinbruch in den Südvogesen angelieferte Schotter sowohl auf Halde - derzeit rund 300 000-t - als auch auf Eisenbahnspezialtransportwagen umgeladen werden kann. Der eindrucksvolle der Blick auf das Trassee zeigt den Aufbau mit einer bituminösen Tragschicht, auf die derzeit noch nicht eingeschotterte Betonschwellenroste aufgelegt sind. Trotz der angestrebten Höchstgeschwindigkeit von 320-km/ h wird im Gegensatz zu Deutschland ein Schotteroberbau mit Monoblockschwellen realisiert. Die Fertigstellung der Gesamtstrecke ist in 2016 vorgesehen. Die Zeitersparnis aufgrund dieses 102-km langen Abschnittes wird nochmals rund 30 Minuten erbringen, so dass die Gesamtfahrzeit Strasbourg - Paris sich auf knapp 2 Stunden verkürzt. Die Baukosten betragen ca. 2 Mrd. EUR. Im weiteren Verlauf der Exkursion konnten die Teilnehmer in Sarreguemines (Frankreich) in die Saarbahn umsteigen und von dort bis Saarbrücken fahren. Daniel Bürtel von der Stadtbahn Saar erläuterte Entstehung und Entwicklung dieser Stadtbahn nach dem Karlsruher Modell, deren 44- km lange Strecke nunmehr bis Heusweiler in Betrieb ist und Saarbrücken von Süden nach Norden durchquert. Im Mittelpunkt des zweiten Exkursionstages stand der Besuch der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Luxemburg. Dr. Claus Eberhard und Theda Fuchs gaben einen kurzen allgemeinen Überblick über die Bank und deren Geschäftsaktivitäten. Die EIB ist die Bank der EU für langfristige Finanzierungen und wurde bereits 1958 durch den Vertrag von Rom errichtet. Das jährliche Finanzierungsvolumen der EIB lag Mitte der 2000er Jahre bei 45- Mrd. EUR, im Jahr 2009 stieg dieses zur Krisenbekämpfung auf 79- Mrd. EUR, 2012 belief es sich auf 52-Mrd. EUR. Als Vorteile der EIB-Darlehen nannte Eberhard die geringen Kapitalbeschaffungskosten, die den Kunden zugutekommen sowie große Darlehensvolumen verbunden mit langen Laufzeiten und attraktiven Zinssätzen. Projekte werden nur dann gefördert, wenn sie mindestens eines der prioritären Ziele der EU unterstützen, z. B. ökologische Nachhaltigkeit oder Verwirklichung der Transeuropäischen Netze (TEN). Projekte müssen technisch tragfähig und finanziell lebensfähig sein, einen volkswirtschaftlichen Nutzen aufweisen sowie den Anforderungen an Umwelt und Beschaffung genügen. Das Volumen der EIB-Darlehen für Verkehrsprojekte betrug von 2001 bis 2011 rund 132-Mrd. EUR bei einem Projektvolumen von insgesamt 350-Mrd. EUR. Im deutschen Bahnsektor waren die EIB-Aktivitäten begrenzt, da es attraktive Finanzierungsalternativen gibt. Große Darlehen gingen u. a. an die ÖBB und nach Frankreich. Die beiden Vortragenden erläuterten auch mehrere Finanzierungsbeispiele aus Baden-Württemberg. Neben solchen fachlich orientierten Zielen wurde auch kulturellen Einblicken zeitlicher Raum gegeben: Eine Stadtführung in Luxemburg unter Einbezug der Europabauten am Kirchberg zeigte neben der Historie auch die Entwicklungsperspektiven dieser wahrhaft europäischen Stadt auf. Abgeschlossen wurde die Exkursion am dritten Tag mit einer Führung durch das UNESCO- Weltkulturerbe „Völklinger Hütte“. Mit einem vielfältigen gastronomischen Rahmenprogramm konnte die Exkursion abgerundet und viele Gelegenheiten für intensive fachliche und persönliche Gespräche geboten werden. ■ freiburg@dvwg.de oberrrhein@dvwg.de Fachexkursion „SaarLorLux“ dr. Gunther Ellwanger, Bezirksvereinigung Freiburg Klaus Füsslin, Bezirksvereinigung Freiburg Günter Koch, Bezirksvereinigung Oberrhein Abschließend prognostizierte Dr. Michael Beck (DB Netz AG) ein enormes Wachstum des Schienenverkehrs bis zum Jahr 2030. Auch deshalb sei ein gezielter Ausbau des Netzes erforderlich - derzeit fehlten allerdings allein für den Erhalt der DB-Eisenbahninfrastruktur rund 1,2 Mrd. EUR. Seit 2010 versuche die DB Netz AG das Grundprinzip „Erst Fahrplan, dann bauen“ zu beherzigen - infolge des Bundesverkehrswegeplans müsse jedoch oftmals noch nach dem alten Planungsverfahren vorgegangen werden. Ein Taktsystem im Fernverkehr ermögliche jedoch gute Anschlussmöglichkeiten und Taktknoten. Im Anschluss an die Vorträge wurden die Argumente der Redner auf einer Podiumsdiskussion vertieft. Zahlreiche Wortmeldungen aus dem Publikum zeigten den Wunsch nach einem regen Austausch über das Thema. Weiterführende Informationen sowie die Präsentationen der Veranstaltung finden Sie im Internet unter www.deutschland-takt.de. ■ berlin-brandenburg@dvwg.de Foto: Matthias Kuhnt Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 91 dVWG Verkehrswissenschaftliche Nachrichten zentrale veranstaltungen Leipzig Bundesdelegiertenversammlung (nur für Delegierte und Mitglieder) 02.12.2013 pentahotel Leipzig, Großer Brockhaus 3, 04103 Leipzig Leipzig 03.12.2013 Expertenforum Verkehrsinfrastruktur - Instandhaltungs- und Erneuerungsstau bei knappen öffentlichen Kassen, was ist zu tun? darmstadt 25./ 26.03.2014 DVWG-Fachforum Verkehrslärm - zwischen Bedürfnis der Mobilität und Ablehnung in der Öffentlichkeit Bochum 07.-09.05.2014 DVWG-Jahrestagung mit Bundesdelegiertenversammlung und Jahresverkehrskongress ➼ dVWG Hauptgeschäftsstelle Agricolastraße 25 10555 Berlin Tel. +49 30 2936060 Fax +49 30 29360629 E-Mail: hgs@dvwg.de Internet: www.dvwg.de veranstaltungen der bezirksvereinigungen Berg und Mark berg-mark@dvwg.de 14.11.2013, 16.00 Uhr Falschfahrten auf Autobahnen - Hintergründe, Erfahrungen und Konsequenzen Ort: Bergische Universität Wuppertal - Campus Haspel, Pauluskirchstraße 7, 42285 Wuppertal, Gebäude HD, 3. Etage, Raum HD 35 12.12.2013, 16.00 Uhr Zustand von Großbrücken und Sanierungserfordernisse in NRW Ort: Bergische Universität Wuppertal - Campus Haspel, Pauluskirchstraße 7, 42285 Wuppertal, Gebäude HD, 2. Etage, Raum HD 24 Oberrhein oberrhein@dvwg.de 02.12.2013, 18.30 Uhr Stammtisch des Jungen Forums im Bezirk Oberrhein Ort: Lokal Pfannestiel, Am Künstlerhaus 53, 76131 Karlsruhe Südbayern e. V. suedbayern@dvwg.de 03.12.2013, 17.00 Uhr Landes- oder Landratsflughäfen - Brauchen wir einen neuen Bundes- Flughafen-Plan? Mit Besichtigung des neuen Satelliten- Terminals Ort: Flughafen München 09.12.2013, 16.00 Uhr Veranstaltung des Jungen Forums der dVWG Südbayern für Studierende und Berufseinsteiger Neue Kompetenzen sind gefragt: BMW - der Wandel zum Mobilitätsdienstleister. Ort: BMW Welt München 28.01.2014, 18.00 Uhr Straßenverkehrsinfrastruktur - Bedarf und Finanzierung Ort: OBB im STMIBV, Franz-Josef-Strauß- Ring 4, 80539 München Freiburg freiburg@dvwg.de 25.11.2013, 16.00 Uhr 40 Jahre dVWG-Bezirksvereinigung Freiburg Vorträge mit Stehempfang Ort: IHK Südlicher Oberrhein, Freiburg FrankfurtRheinMain e. V. frankfurtrheinmain@dvwg.de 28.11.2013, 08.30 Uhr 8. dVWG MOBILITÄTSBRUNCH Ort: HOLM-Forum, Flughafen Frankfurt Niedersachsen-Bremen niedersachsen-bremen@dvwg.de 10.12.2013, 17.00 Uhr Einfach unterwegs - der Niedersachsentarif Ort: Hotel Loccumer Hof, Kurt-Schumacher-Str. 14/ 16, Hannover Württemberg e.V. wuerttemberg@dvwg.de 20.11.2013, 19.30 Uhr Kaminabend des Jungen Forums Mit Herrn dr.-Ing. Jürgen Wurmthaler (Leitender direktor für Wirtschaft und Infrastruktur im Verband Region Stuttgart VRS) Ort: Kaminzimmer des Internationalen Begegnungszentrums Eulenhof, Robert- Leicht-Str. 161, 70569 Stuttgart 25.11.2013, 17.30 Uhr Elektromobilität - Ergänzung oder Konkurrent für den ÖPNV? Ort: Verband Region Stuttgart, Kronenstraße 25, 70173 Stuttgart 05.12.2013, 18.30 Uhr Verkehrsstammtisch des Jungen Forums der BV Württemberg Ort: Stuttgart, Weihnachtsmarkt auf dem Marktplatz 06.12.2013, 17.30 Uhr Umweltmanagement am Flughafen Stuttgart Ort: Verband Region Stuttgart, Kronenstraße 25, 70173 Stuttgart Rheinland e.V. rheinland@dvwg.de 03.12.2013, 17.00 Uhr Binnenschifffahrt - der verkappte Alleskönner Ort: IHK Köln Nordbayern norbayern@dvwg.de 21.11.2013, 16.00 Uhr Flughäfen im Wettbewerb Ort: Verkehrsmuseum Nürnberg, Lessingstraße 6 12.12.2013, 16.00 Uhr Bewältigung der Massenverkehre während der Reichsparteitage Ort: Verkehrsmuseum Nürnberg, Lessingstraße 6 Nordhessen nordhessen@dvwg.de 16.01.2014, 16.00 Uhr Flughafenbefestigungen in Beton- und Asphaltbauweise am Flughafen Kassel-Calden (Seminar Verkehrswesen an der Universität Kassel) Ort: Universität Kassel, Gebäude Ingenieurwissenschaften III, Mönchebergstraße 7, Raum 2215 23.01.2014, 16.00 Uhr Lösungen für hochbeanspruchte Busverkehrsflächen der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft (Seminar Verkehrswesen an der Universität Kassel) Ort: wie oben 30.01.2014, 16.00 Uhr Bauliche Substanz von hochbeanspruchten Verkehrswegen (Seminar Verkehrswesen an der Universität Kassel) Ort: wie oben SERVICE Impressum | Termine Herausgeber Dr.-Ing. Frank Straube, Professor an der Technischen Universität Berlin, Institut für Technologie und Management, frank.straube@tu-berlin.de Verlag DVV Media Group GmbH Postfach 101609, D-20010 Hamburg Nordkanalstr. 36, D-20097 Hamburg Telefon (040) 2 37 14-01 Geschäftsführer: Martin Weber Detlev K. Suchanek (Verlagsleiter Technik & Verkehr) detlev.suchanek@dvvmedia.com Redaktion Eberhard Buhl, M.A. (verantw.), (Durchwahl: -223) eberhard.buhl@dvvmedia.com Telefax Redaktion: (040) 2 37 14-205 Dr. Karin Jäntschi-Haucke, hgs@dvwg.de (verantw. DVWG-Nachrichten) Freie Mitarbeit: Werner Balsen, Kerstin Zapp Anzeigen Silke Härtel (verantw. Leitung) (Durchw.: -227) silke.haertel@dvvmedia.com Tim Feindt (Durchwahl -220) tim.feindt@dvvmedia.com Telefax Anzeigen: (040) 2 37 14-236 Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 50 vom 1. Januar 2013. 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Internationale schienenfahrzeugtagung Veranstalter: Fachbereich Maschinenbau/ Verfahrenstechnik der HTW Dresden, Fakultät für Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der TU Dresden, Eurailpress Hamburg www.radschiene.de rad@mw.htw-dresden.de 6.-8.3.2014 Istanbul (TR) eurasia rail 2014 Info: Turkel Fair Organization http: / / www.eurasiarail.eu contact@eurasiarail.eu 17.-18.3.2014 Berlin (D) railway Forum Info: IPM http: / / www.ipm-scm.com/ rfo mail@ipm-scm.com 20.-21.3.2014 Dresden (D) 24. verkehrswissenschaftliche tage Info: TU Dresden http: / / www.tu-dresden.de/ vkw/ vwt vwt2014@tu-dresden.de 20.-21.3.2014 Mainz (D) 49. Kontiki Konferenz Im Fokus: Kundenbindung Info: Arbeitskreis Kontiki - kontaktlose Chipkartensysteme für Electronic Ticketing e.V www.kontiki.net 25.-28.3.2014 Amsterdam (NL) Intertraffic - Fachmesse für Infrastruktur, verkehrsmanagement, sicherheit und Parken Info: Amsterdam RAI Exhibitions www.intertraffic.com 1.-3.4.2014 Istanbul (TR) 11. uIc/ ertms-Konferenz „Optimierung von Investitionen bei den Eisenbahnen weltweit“ Info: UIC Koordinatorin Barbara Mouchel www.uic.org mouchel@uic.org 2.-3.4.2014 Stuttgart (D) HeureKA 2014 http: / / www.isv.uni-stuttgart.de/ vuv/ aktuelles/ events/ heureka2014.html markus.friedrich@isv.uni-stuttgart.de 19.-23.5.2014 Hannover (D) cemat -weltleitmesse der Intralogistik Info: Deutsche Messe Hannover Tel.: +49 511 89-0 www.cemat.de 20.-25.5.2014 Berlin (D) ILA Internationale Luft- und raumfahrtausstellung + Konferenz Info: Messe Berlin GmbH www.ila-berlin.de ila@messe-berlin.de 26.-28.5.2014 Berlin (D) vdv Jahrestagung Info: Kai Uhlemann, VDV Tel.: +49 221 57979-151 uhlemann@vdv.de termIne + verAnstALtungen 21.1.2014 bis 28.5.2014 weitere veranstaltungen finden sie unter www.internationalesverkehrswesen.de, www.dvwg.de www.eurailpress.de, www.schiffundhafen.de, www.dvz.de Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 93 HERAUSGEBERBEIRAT Internationales Verkehrswesen Ben Möbius Dr., Abteilungsleiter Mobilität und Kommunikation des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg August Ortmeyer Dr., Leiter der Abteilung Dienstleistungen, Infrastruktur und Regionalpolitik im Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Michael P. Clausecker MBA Vorsitzender der Geschäftsführung Bombardier Transportation GmbH, Berlin Christian Piehler Dr.-Ing., Programmdirektor Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Ronald Pörner Prof. Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland e. V. (VDB), Berlin Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Annegret Reinhardt-Lehmann Bereichsleiterin, Kundenmanagement Fraport AG, Frankfurt/ Main Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., Phoenix-Lehrstuhl für Allgemeine BWL & Mobility Management, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Leiter Strategie/ Unternehmensentwicklung ÖBB-Holding AG, Wien Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Knut Ringat Prof., Präsident der DVWG und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Jürgen Siegmann Prof. Dr.-Ing. habil., Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, TU Berlin Alexander Hedderich Dr., Vorsitzender der Geschäftsführung der DB Schenker Rail GmbH und Mitglied des Executive Board der Deutsche Bahn AG, Berlin Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Wolfgang Hönemann Dr., Geschäftsführer Intermodal der Wincanton GmbH, Mannheim Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Josef Theurer Dr. Techn. h. c. Ing., Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Christoph Klingenberg Dr., Bereichsleiter Information Management und Chief Information Officer der Lufthansa Passage Airlines, Frankfurt/ Main Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Reinhard Lüken Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik e. V., Hamburg Die Angst vor der Maut Herausgeberbeirat Alexander Eisenkopf zur Maut-Diskussion in Deutschland S chon lang wird darüber diskutiert, dass die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland „auf Verschleiß gefahren werde“. Diese Klage blieb in der Politik meist ohne Konsequenzen. Mit Investitionen „in Beton“ ließen sich in der Vergangenheit auch keine Wahlen gewinnen. Offenbar hat der Wind aber gedreht. Zwei hochrangig besetzte Kommissionen beschäftigten sich parteiübergreifend mit der zukünftigen Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Was dabei herausgekommen ist, offenbart panische Angst der Politiker vor dem (deutschen) Autofahrer. Als zusätzliche Finanzierungsquelle setzt man primär auf die Ausweitung der LKW-Maut. Keine Option ist die Einführung einer generellen PKW- Maut. Auf die Idee, dass bei den Autofahrern dafür Akzeptanz zu erzeugen ist, wenn das Geld wirklich in die Infrastruktur fließt, kommt offensichtlich niemand. So läuft die zunehmend verkorkste Diskussion derzeit auf eine Maut hinaus, die nur Ausländer treffen soll. An ausländischen Autofahrern alleine wird das deutsche Straßenwesen aber nicht genesen. GASTKOMMENTAR Wiebke Zimmer Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 94 Klimaschutz im Verkehr - durch grüne Technologien? F akt ist: Klimaschutz erfordert eine drastische Minderung der globalen Treibhausgasemissionen in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen. Der Verkehr hat dazu bislang keinen substanziellen Beitrag geleistet. Der Hauptgrund: Das Verkehrswachstum hält seit Jahren an, sodass der Sektor heute für rund 20- Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich ist. Zentrale Bausteine im Rahmen von heutigen Klimaschutzstrategien sind grüne Technologien im Bereich Fahrzeugeffizienz, alternative Antriebe und Kraftstoffe. Hier sind in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt worden. So sind PKW aufgrund von Optimierungen an Motor und Fahrwiderstand heute um rund 30-Prozent effizienter als vor zehn Jahren. Auf dem Markt für Linienbusse sind Leichtbaufahrzeuge erhältlich, die je nach Fahrsituation um bis zu 20 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen. Und gemeinsam haben sich ein Fahrzeug- und ein Trailerhersteller Gedanken gemacht, wie die Aerodynamik von LKW so verbessert werden kann, dass der Kraftstoffverbrauch um 25 Prozent gemindert wird. Um die langfristigen Klimaschutzziele zu erreichen, sind zusätzlich auch alternative Antriebstechnologien unverzichtbar. Die große Euphorie der vergangenen Jahre zum Thema Elektromobilität ist zuletzt einer gewissen Ernüchterung gewichen. Noch ist die Modellvielfalt an verfügbaren Elektro-PKW gering und die Nachfrage bleibt bisher hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück. Tatsache ist, dass die Transformation eines Sektors, der bislang vom Verbrennungsmotor dominiert wurde, hin zu elektrischen Antriebskonzepten eine große Herausforderung für Forschung, Industrie und Energiewirtschaft darstellt. Gleichzeitig müssen Kunden Vertrauen in eine neue, zunächst kostspieligere Technologie fassen. Aktuelle Studien zeigen, dass Elektrofahrzeuge in den kommenden Jahren dennoch eine zunehmende Verbreitung finden können, da sie sowohl unter Kostenals auch Nutzengesichtspunkten an Attraktivität gewinnen können. Dafür braucht es jedoch einen längeren Atem als zunächst vermutet. Entscheidend für die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen ist die Frage, aus welchen Energieträgern der Fahrstrom gewonnen wird. Nur wenn die zusätzliche Stromnachfrage für die Elektrischen auch mit einem zusätzlichen Ausbau von regenerativen Energien gekoppelt wird, können Treibhausgasemissionen verringert werden. Das Gleiche gilt auch für grüne Technologien auf der Kraftstoffseite wie zum Beispiel nachhaltige Biokraftstoffe der zweiten Generation und stromgenerierte Kraftstoffe wie Wasserstoff, Methan oder synthetische Flüssigkraftstoffe, die auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt werden. Notwendig sind diese vor allem in den Bereichen, in denen alternative Antriebstechnologien an ihre Grenzen stoßen - wie im Flugverkehr, der Seeschifffahrt und auch bei Langstrecken-LKW. Grüne Technologien zu Fahrzeugeffizienz, alternativen Antrieben und neuen Kraftstoffen - ob noch im Anfangsstadium der Entwicklung oder bereits im Markt verfügbar - sind schon heute wesentliche Grundlage von Szenarien, die Strategien zum langfristigen Klimaschutz aufzeigen. Verkehrsvermeidung und eine deutliche Verlagerung hin zu umweltfreundlicheren Verkehrsträgern auch im Personenverkehr spielen bisher in den Szenarien eine nur untergeordnete Rolle. Wesentliche Frage ist aber: Werden alternative Antriebstechnologien und ausreichende Mengen an nachhaltigen erneuerbaren Kraftstoffen entsprechend der in den Szenarien getroffenen Annahmen zukünftig auch wirklich zur Verfügung stehen? Angesichts der Unsicherheiten zum Zeitpunkt der Funktions- und Marktfähigkeit sowie zum langfristigen Potenzial stellt eine ausschließliche Fokussierung auf den Markterfolg grüner Technologien eine riskante Klimaschutzstrategie dar. 1901 sagt Gottfried Daimler: „Die weltweite Nachfrage nach KFZ wird eine Million nicht überschreiten - alleine schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.“ Das zeigt: Grundlegende Veränderungen des Mobilitätsverhaltens können bei entsprechend veränderten Rahmenbedingungen möglich sein. Dabei stellen Technologie und Verhalten keine Gegensätze dar, sondern beeinflussen sich gegenseitig: Neue Mobilitätsdienstleistungen wie Car- und Ridesharing werden gerade durch Smartphones und Elektromobilität attraktiver. Für mehr Klimaschutz im Verkehrssektor sollten daher neben grünen Technologien auch ein Wandel im Mobilitätsverhalten und eine Änderung im Güterverkehrssystem als zentrale Handlungsoptionen verfolgt werden. ■ Wiebke Zimmer , Dr. ist Stellvertretende Leiterin, Bereich Infrastruktur & Unternehmen, beim Öko-Institut, Berlin ZUR PERSON Foto: Privat Antrag auf persönliche Mitgliedschaft (Jahresbeitrag 96 EUR/ Studierende 48 EUR) Eintritt zum Titel, Vorname, Name Beruf, Amtsbezeichnung Geburtsdatum Anschrift (privat) - Straße, Haus-Nr. PLZ, Ort Telefon (privat) Fax (privat) E-Mail (privat) Firma, Institution (dienstlich) Anschrift (dienstlich) - Straße, Haus-Nr. PLZ, Ort Telefon (dienstlich) Fax (dienstlich) E-Mail (dienstlich) Wenn Sie den schriftlichen Kontakt mit der DVWG bzw. die Lieferung der Organzeitschrift „Internationales Verkehrswesen“ an eine dienstliche Adresse wünschen, wählen Sie bitte Kontakt „dienstlich“. Bitte beachten Sie, dass die Angabe der privaten Adresse für eine Anmeldung zwingend erforderlich ist! Kontakt: □ privat □ dienstlich Bezug der Zeitschrift „Internationales Verkehrswesen“: □ ja □ nein Interesse an Informationen zum Jungen Forum der DVWG: □ ja □ nein Ort/ Datum Unterschrift Agricolastraße 25 Tel.: 030 / 293 60 60 www.dvwg.de 10555 Berlin Fax: 030 / 293 60 629 hgs@dvwg.de ■ Preisnachlass erhalten für Publikationen der Schriftenreihe (Bücher und CDs) ■ Gelegenheiten nutzen für den Auf- und Ausbau von Karriere-, Berufs- und Partnernetzwerken ■ exklusiven Zugang erhalten zum Internetportal der DVWG (Mitgliederbereich und Download) ■ persönliche Einladungen erhalten für über 200 Veranstaltungen im Jahr auf Bundesebene und in Ihrer Bezirksvereinigung ■ aktiv mitarbeiten in dem unabhängigen Kompetenzzentrum für Mobilität und Verkehr in Deutschland ■ mitarbeiten im Jungen Forum und der Europäischen Plattform für Verkehrswissenschaften ■ teilnehmen an jährlichen Fachexkursionen ins Ausland Wir vernetzen Verkehrsexperten! Antrag auf körperschaftliche Mitgliedschaft finden Sie unter: www.dvwg.de ■ das „Internationale Verkehrswesen“, die renommierte Fach- und Organzeitschrift, beziehen Mitglied werden und Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft e.V. HOCHLEISTUNG I PRÄZISION I ZUVERLÄSSIGKEIT www.plassertheurer.com Plasser & Theurer und Plasser sind international eingetragene Marken Eine einwandfreie Schienenoberfläche ist eine wesentliche Voraussetzung für die problemlose Funktion des Rad-Schiene-Systems. Mit den Gleis- und Weichenschleifmaschinen von Plasser & Theurer wird die Fahrfläche in Schienenlängsrichtung bearbeitet. Das ist die entscheidende Komponente, um die Geräuschemission gering zu halten und diese bereits an der Entstehungsquelle zu bekämpfen - Riffeln und Wellen werden durch das bewährte Prinzip der oszillierenden Rutschersteine beseitigt. Weiters führt auch das vorbeugende Schleifen von Neuschienen zu einem geringeren Verschleiß von Oberbau und rollendem Material sowie zu einer dauerhafteren Gleislage. Weniger ist mehr Akustik-Schleifmaschine für Gleise und Weichen HOCHLEISTUNG I PRÄZISION I ZUVERLÄSSIGKEIT