Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Status und Perspektiven einer zukunftsfähigen Verkehrsinfrastruktur Sicher, global, wirtschaftlich POLITIK Kurswechsel für deutsche Verkehrslughäfen? INFRASTRUKTUR Ganzheitliche Beschafung und Finanzierung LOGISTIK Strategischer Einsatz des Kombinierten Verkehrs: Mehr Sattelzüge auf die Schiene? TECHNOLOGIE Automatische Spurwechseltechnologie im eurasischen Schienengüterverkehr In großen Zeiträumen denken Interview mit Wladimir Jakunin, Präsident der Russischen Eisenbahnen www.internationalesverkehrswesen.de Heft 4 l November 2014 66. Jahrgang Das Controlling von ÖPNV-Unternehmen steht im Mittelpunkt dieses Buchs. Experten aus ÖPNV-Unternehmen, Wissenschaft und Beratungshäusern stellen Instrumente zur Unternehmenssteuerung praxisnah vor und informieren über aktuelle Entwicklungen. Damit liefert das Buch Anregungen, Ideen und Lösungsansätze für Controllingprobleme. Jetzt bestellen! Per Telefon: 040-23714-440 oder in unserem Buchshop unter www.dvz.de/ shop Controlling im ÖPNV Instrumente und Praxisbeispiele Unternehmenssteuerung und Controlling im ÖPNV, Christian Schneider (Hrsg.), 1. Auflage 2013, 224 Seiten, broschiert, EUR 49,inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten Infos und Leseprobe unter www.dvz.de/ controepnv NEU Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 3 Sebastian Kummer EDITORIAL Sicher, global, wirtschaftlich D ie Globalisierung hat in den vergangenen Jahren das Wachstum in weiten Bereichen des Verkehrswesens getrieben. Im Zuge dessen haben Transportwirtschaft und Logistik ihr Hinterhof-Image abgelegt und erscheinen zunehmend als moderne Wachstumsbranche. Für die deutschsprachigen Unternehmen war diese Entwicklung aufgrund gut ausgebildeter Mitarbeiter sowie der Fähigkeit, komplexe Netze zu planen, zu betreiben und zu optimieren ein Art Selbstläufer. Die von den USA eingeleiteten Maßnahmen zum „War against Terrorism“ waren - wenig verwunderlich - völlig ungeeignet, die terroristische Bedrohung zu bekämpfen. Allerdings war auch die protektionistische Wirkung begrenzt, und insgesamt führten diese nur zu geringen Kostensteigerungen, zumal die schlimmsten regulatorischen Auswüchse verhindert werden konnten. Allerdings zeigen Ukraine- und Syrienbeziehungsweise Irak-Krise ofensichtlich - das geplante Freihandelsabkommen mit den USA subtiler -, wie zunehmend schwieriger sich die politischen Rahmenbedingungen entwickeln. Das europäische Verkehrswesen kann nur kreativ, mit neuen Technologien sowie Flexibilität auf diese neuen Herausforderungen antworten. Das vorliegende Heft geht in unterschiedlichen Beiträgen auf aktuelle Entwicklungen ein. Das Interview mit dem Chef der Russischen Eisenbahnen Wladimir Jakunin zeigt, welche großen Chancen die eurasische Zusammenarbeit unter Einbeziehung Russlands für Europa bietet. Neben dem politischen Willen sind dazu auch infrastrukturelle Voraussetzungen, z. B. Verlängerungen der Breitspur oder neue automatische Spurwechseltechnologien notwendig. Eines der wesentlichen Merkmale der Globalisierung ist, dass die Welt multilateral wird. Wie auch der Beitrag „China - die neue maritime Deinitionsmacht“ zeigt, ist China nicht nur im Bereich der Produktion marktführend, sondern wird auch im Bereich der Verkehrswirtschaft und in Zukunft wahrscheinlich auch in den Bereichen Logistik und Supply Chain Management zur globalen Führungsmacht. Wie nicht zuletzt aufgrund der Unruhen in Hongkong deutlich geworden ist, verschieben sich die Machtzentren innerhalb Chinas weg von Hongkong hin zu den neuen, „rotchinesischen“ Zentren. Die Sicherheit internationaler Verkehre wird aufgrund der angespannten politischen Situation noch lange Zeit eine der bestimmenden Herausforderungen bleiben. Ich hofe, dass dieses Heft Ihnen nicht nur Freude beim Lesen bereitet, sondern auch einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und unserer Volkswirtschaften verbessert. Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihr Sebastian Kummer Univ. Prof. Dr., Vorstand des Institutes für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 4 POLITIK 12 Emissionshandel und Luftverkehr Martin Kuras Ronny Püschel 15 Modernisierung des EU-Beihilferechts Kurswechsel für deutsche Verkehrslughäfen? Raoul Hille Berit Schmitz Marion Tenge 18 Verkehrsentwicklungsplan der-Landeshauptstadt Dresden Matthias Mohaupt Erhart Pfotenhauer 22 Steuer- oder Nutzerinanzierung der Straßen? Das Fallbeispiel Deutschland Andreas Kossak THEMA THEMA LOGISTIK 40 Dunkle Schatten über Hongkongs Hafen Dirk Ruppik 42 China - die neue maritime Deinitionsmacht Kommentar Heinz Schulte 43 Manövrierkonzepte für-sicheren und eizienten Seetransport Michael Baldauf 46 Mehr Sattelzüge auf die Schiene-bringen? Herbert Sonntag Martin Jung Bertram Meimbresse 50 Strategischer Einsatz des Kombinierten Verkehrs Ralf Elbert Lowis Seikowsky THEMA INFRASTRUKTUR 26 Wir müssen in großen Zeiträumen denken Ein Interview mit dem Präsidenten der Russischen Eisenbahnen und Vorsitzenden des Internationalen Eisenbahnverbands UIC, Wladimir Iwanowitsch Jakunin 29 Neue Wege - die ganzheitliche Beschafung Plädoyer für Unternehmertum bei Bau und Betrieb von Autobahnen Korbinian Leitner 32 Neues Leben im Parkhaus Wolfgang Aichinger 36 Finanzierung schienengebundener Fahrzeuge Reimund Jung Bernd Lapp 38 Das Spartendenken überwinden Ein Gespräch mit dem Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Prof.-Knut Ringat THEMA THEMA THEMA Sie finden Internationales Verkehrswesen mit umfangreichem Archiv, aktuellen Branchenmeldungen und Terminen unter: www.internationalesverkehrswesen.de Foto: Wolfgang Klee/ Deutsche Bahn Foto: Rainer Sturm/ pixelio.de Foto: Kurt Bouda/ pixelio.de Diese Ausgabe enthält eine Beilage der GeraNova Bruckmann Verlagshaus GmbH, München. Wir bitten um Beachtung. Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 5 INHALT November 2014 MOBILITÄT 54 50 Jahre Shinkansen Auswirkungen der Aufwertung von Japans Verkehrsinfrastruktur Wilfried Wunderlich Oliver Mayer Stefan Klug 58 Zwischen Preiswettbewerb und-Preiskampf Reisen mit Fernlinienbussen Andreas Krämer Martin Jung 61 Elektronische Tickets mit lexiblen Tarifen im ÖPNV Karl-Hans Hartwig Peter Pollmeier Stephan Keuchel Karolyn Sandfort WISSENSCHAFT 64 PKW-Mobilität am Wendepunkt? Bedeutung des demographischen und des Verhaltenswandels für den PKW-Verkehr in-Deutschland bis 2040 Jörg Adolf Lisa Krämer Stefan Rommerskirchen THEMA THEMA TECHNOLOGIE DVWG-Nachrichten 91 Einladung für Delegierte und Mitglieder der DVWG zur Bundes delegiertenversammlung 2014 92 Verkehrswissenschaftliche Nachrichten 95 DVWG-Veranstaltungen RuBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 1 1 Kurz + Kritisch 25 Bericht aus Brüssel 87 Forum Veranstaltungen 96 In eigener Sache Peer Review bei Internationales Verkehrswesen 97 Impressum | Gremien 98 Vorschau | Termine AUSGABE 1/ 2015 Intelligent mobil - Innovative Lösungen für Transport und Verkehr erscheint am 02. März 2015 68 Hochvolt-Bordnetz in Elektrofahrzeugen Alexander Eschwald 70 Zulassungsprozesse für Fahrzeuge in Deutschland Straße, Luft und Schiene im Vergleich - Teil 2: Luft Hartmut Fricke Johannes Mund 76 Automatische Spurwechseltechnologie im eurasischen Schienengüterverkehr Sebastian Kummer Hans-Joachim Schramm Mario Dobrovnik Gennady Pisarevskiy WISSENSCHAFT 80 Bestimmung der Durchschnittsgeschwindigkeit eines Verkehrsstroms Laura Vetter Carsten Hilgenfeld ute Schreiber 84 Luftreinhaltung - aber wie? Nutzung mikroskopischer Verkehrslusssimulationen Daniel Krajzewicz Thorsten Neumann Stefan Hausberger Rita Cyganski THEMA Foto: Fionn Große/ pixelio.de Foto: Delphi Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 6 Barge bringt Aida-Schifen im Hamburger Hafen Strom D ie LNG-Hybrid-Barge von Becker Marine Systems liegt seit Oktober im Hamburger Hafen, Endausrüstung und technische Erprobung bei Blohm + Voss sind abgeschlossen. Nun können Schife in Hamburg als erstem Hafen in Europa umweltfreundlich extern mit Bordstrom versorgt werden, erzeugt aus Liquiied Natural Gas (LNG). Die schifseigenen Generatoren können während der Hafenliegezeit abgestellt und so der Ausstoß von Schwefeloxiden, Rußpartikeln, Stickoxiden und CO 2 - deutlich verringert bzw. vermieden werden. Das tiefgekühlte Flüssiggas kommt per LKW in Containern aus Rotterdam und wird dann direkt als Modul auf die Barge übernommen. Hamburg soll frühestens 2016 eine eigene LNG-Bunkerstation haben. Im kommenden Jahr soll zudem eine Landstromversorgung für Kreuzfahrtschiffe fertiggestellt werden. Obwohl sie keinen eigenen Antrieb hat, gilt die Barge als Seeschif und ist als solches das erste klassiizierte Seeschif mit LNG- Technologie unter deutscher Flagge. Die Einheit wurde im slowakischen Komárno gebaut, ist mit fünf Generatoren ausgestattet, die zusammen eine Leistung von 7,5 MW erzeugen können, 76,7 m lang, 11,4 m breit und etwa 1,7 m tiefgehend. Betreiberin der Barge ist die Hybrid Port Energy GmbH, eine Tochter von Becker Marine Systems. Kooperationspartner ist Aida Cruises. Nach einem Test im Oktober wird der Regelbetrieb nun im Frühjahr 2015 aufgenommen, da im Winter keine Kreuzfahrtschife von Aida in Hamburg anlegen. Das Unternehmen hat - abgesehen von der Versorgung von Schifen mit Strom in Häfen - noch andere Einsatzmöglichkeiten im Auge, etwa die Versorgung von Wasserbaustellen. (zp) Die Barge auf ihrem Weg aus der Slowakei nach Hamburg Foto: Becker Marine Systems IM FOKUS Finanzierung des ÖPP-Projekts A 7 auch mit Anleihe D en sechsbzw. achtspurigen Ausbau der A- 7 zwischen Hamburg und Bordesholm in Schleswig-Holstein will der Auftragnehmer nicht nur wie bisher üblich über Bankkredite, sondern auch über eine Projektanleihe inanzieren. Die Projektanleihe wird durch die EU gefördert. Mit der Europa-2020-Projektanleiheninitiative will sie auf Strecken der Transeuropäischen Netze (TEN) verstärkt private Investoren einbinden. Damit beteiligen sich in Deutschland institutionelle Anleger erstmals an einem Projekt in öfentlich-privater Partnerschaft (ÖPP). Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat Ende September zusammen mit Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer und Hamburgs Verkehrssenator Frank Horch das Bauvorhaben mit einem Volumen von rund 1,6 Mrd. EUR gestartet. Die A-7 gilt als wichtigste Nord-Süd-Verbindung zwischen Skandinavien und Mitteleuropa. Auftragnehmer ist für dieses Projekt das Konsortium Via Solutions Nord, bestehend aus den Unternehmen Hochtief PPP Solutions, DIF Infra und dem regionalen mittelständischen Unternehmen Kemna Bau. ÖPP-Projekte ermöglichen die Mobilisierung zusätzlichen Kapitals, um den Infrastrukturausbau voranzutreiben. Ende August wurden die Finanzierungsverträge für den Ausbau der A 7 zwischen Neumünster und Hamburg unterzeichnet. Es ist deutschlandweit das zweite als Verfügbarkeitsmodell gestaltete ÖPP-Projekt. Beim V-Modell plant, baut, betreibt und erhält der ÖPP- Auftragnehmer einen bestimmten Streckenabschnitt zur Ausübung. Zudem muss er einen eigenen Finanzierungsbeitrag leisten (Eigen- und Fremdkapital). Der Auftragnehmer erhält ein verkehrsmengenunabhängiges Verfügbarkeitsentgelt, das sich nach dem Umfang und der Qualität der Nutzbarkeit des bestimmten Streckenabschnitts für die Verkehrsteilnehmer richtet. Entsprechend hoch ist der Anreiz für den Auftragnehmer, zügig und gründlich zu arbeiten, um sein betriebswirtschaftliches Ergebnis zu optimieren. Dies gilt auch für die Bauphase. Das Projekt besteht aus zwei Teilen: Zum einen handelt es sich um die Erweiterung des 65 km langen Autobahnabschnitts zwischen dem Autobahndreieck Bordesholm und dem Autobahndreieck Hamburg-Nordwest. Der zweite Bereich umfasst die Erhaltung und den Betrieb des 59 km langen Abschnitts zwischen der Anschlussstelle Neumünster-Nord und dem Autobahndreieck Hamburg-Nordwest. Baubeginn ist in diesem Monat, die Fertigstellung ist für Ende 2018 vorgesehen. Die Erweiterung soll unter Aufrechterhaltung der derzeit vorhandenen Fahrstreifen fertiggestellt werden. Der Vertrag läuft über 30-Jahre. (zp) Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 7 IM FOKUS Auswirkungen politischer Entscheidungen berechnen W as passiert, wenn die PKW-Maut kommt? Welche Folgen hat die Reduktion des CO 2 -Ausstoßes von Neuwagenlotten bis 2020 auf im Schnitt 95 g/ km? Im Auftrag der Europäischen Kommission untersuchten unter anderem Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe, wie sich künftige Entwicklungen auf das europäische Verkehrssystem auswirken sowie welche sozialen, ökonomischen und Umweltfolgen verkehrspolitische Maßnahmen haben werden. Sie haben zusammen mit Partnern im Projekt Assist (assessing the social and economic impacts of past and future sustainable transport) ein Modell entwickelt, das Verkehrspolitik ein Stück weit berechenbarer machen kann. Herzstück ist ein Simulationsprogramm, das vollständige Kreisläufe verkehrspolitischer Maßnahmen nachahmt, indem es verkehrsbezogene, ökonomische und erstmals auch soziale Auswirkungen auf unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen ermittelt. Die Projektbeteiligten haben dazu 61 Factsheets erstellt, die sich mit jeweils einer Maßnahme aus dem Weißbuch Verkehr der EU zu den acht Bereichen Bepreisung, Besteuerung, Infrastruktur, interner Markt, Standards, Verkehrsplanung, Forschung und Innovation sowie sonstige Schritte befassen. Die Auswirkungen der jeweiligen Aktion auf speziische Bevölkerungsgruppen sind tabellarisch dargestellt. Basis der Faktenkarten und des Programms sind die bereits vorhandenen Studien, die sich mit den Folgen von Verkehrspolitik befassen, den sozialen Aspekt aber meist außer Acht gelassen haben. Ebenso ist neu, dass das Modell verschiedene Faktoren kombiniert, so dass klar wird, welche Maßnahmen sich gegenseitig auheben oder behindern. Die Wirkung von einzelnen Vorhaben kann eben nicht einfach addiert werden. Ein Beispiel: Durch die Reduktion des CO 2 -Ausstoßes für Neuwagen bis 2020 auf durchschnittlich 95 g/ km sollen die CO 2 - Emissionen des PKW-Verkehrs um 30 % verringert werden. Die Modellierung zeigt, dass nur 15 bis 20 % eingespart werden, weil Autofahrer, die ein neues Fahrzeug kaufen, mehr fahren werden, da sie nun pro km gefahrener Strecke weniger bezahlen müssen. Die Simulation zeigt auch, wie teuer der Treibstof werden müsste, damit dieser Rebound-Efekt ausbleibt. Die EU-Kommission hat Assist im Rahmen des siebten Forschungsrahmenprogramms mit 1,22 Mio. EUR gefördert. (zp) Bundestag beschließt CO 2 -Grenzwerte für Kraftstofe V on 2015 an darf der CO 2 -Ausstoß bei Benzin nur noch 2,59 kg/ l betragen und bei Diesel muss er auf 2,91 kg/ l sinken. Das hat der Bundestag mit der am 9. Oktober verabschiedeten Änderung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) beschlossen. Von 2017 an sind bei Benzin noch 2,57 kg/ l und bei Diesel 2,90 kg/ l zulässig. Ab 2020 werden die Grenzwerte weiter auf 2,52 kg/ l bei Benzin und 2,84 kg/ l bei Diesel gesenkt. Die Änderung entspricht der von 2015 an geltenden Plicht zur Verminderung des CO 2 -Ausstoßes von Benzin und Diesel um 3-%, um 4-% ab 2017 und um 6-% ab 2020. Für die ersten beiden Jahre ist der Wert sogar auf 3,5- % angehoben worden. Gegenwärtig werden pro Liter Benzin 2,68-kg CO 2 und pro Liter Diesel 3,02 kg CO 2 an die Umwelt abgegeben. Für den Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft (BDBe) können die beschlossenen Grenzwerte nur ein Einstieg sein. Mittelfristig müssten die Grenzwerte deutlich gesenkt werden. Biokraftstofe mit besonders hoher CO 2 -Einsparung wie Bioethanol in Super E10 und künftig Super E20, speziell aber auch ein verringerter CO 2 -Ausstoß bei der Gewinnung und Verarbeitung von Erdöl, ermöglichten deutlich niedrigere Grenzwerte. Am 7. Oktober hat zudem die EU-Kommission einen Vorschlag zur Umsetzung der Verplichtungen aus der im Jahr 2009 erfolgten Änderung der Richtlinie über die Qualität von Kraftstofen verabschiedet. Nach dieser Richtlinie sind die Anbieter verplichtet, die so genannten Lebenszyklus-Treibhausgasemissionen von Kraftstoffen bis zum Jahr 2020 um 6- % zu verringern. Mit dem neuen Kommissionsvorschlag würde die in der Richtlinie geforderte Norm für CO 2 -arme Kraftstofe eingeführt und im Unionsrecht verankert. Die Kommission erhoft sich nach Angaben des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR) von der Regelung stärkere Marktsignale, um bei der Reduzierung von Treibhausgasemissionen voranzukommen. Beispielsweise müsste laut IWR jede Erhöhung des Volumens CO 2 -intensiver Rohöle wie etwa aus Ölsand gegenüber dem Vergleichsstandard des Jahres 2010 durch Maßnahmen zur Senkung der Emissionen in anderen Bereichen begleitet werden. Dies könnte durch den Einsatz von nachhaltigen Biokraftstofen und elektrischer Energie oder beispielsweise durch Senkung der Treibhausgasemissionen bei der Extraktion fossiler Brennstofe erreicht werden. Der Kohlenstofanteil im Kraftstof bestimmt, wie viel CO 2 bei der Verbrennung des Kraftstofs entsteht. Dass ein Liter Kraftstof dabei mehr als 2 kg CO 2 produziert, ist auf die Masse des eingebundenen Luftsauerstofs zurückzuführen. (zp) Künftig darf pro Liter Kraftstof nur noch ein begrenzter Anteil CO 2 ausgestoßen werden. Foto: Aral AG Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 8 IM FOKUS Hubject führt Pay Pal zum Laden und Bezahlen ein F ahrer von Elektrofahrzeugen haben seit Oktober eine neue Möglichkeit, ihre Stromladung zu bezahlen. Die Berliner Hubject GmbH hat die vertragsunabhängige Direktbezahllösung „intercharge direct“ eingeführt. Das System ermöglicht die Bezahlung von Ladevorgängen von Elektroautos mit jedem Smartphone direkt beim Ladestationsbetreiber. Kunden ohne festen Vertrag können ihr Fahrzeug so komfortabel und sicher laden, Ladestationsbetreiber im europäischen Intercharge-Netzwerk können ohne technischen Mehraufwand die Lösung als optionale Zusatzfunktion freischalten und Laukundschaft bedienen. Das- erhöht die Auslastung der Ladestation,- macht die Ladeinfrastruktur kundenfreundlicher und trägt zur Weiterentwicklung des europäischen Elektromobilitätsmarkts bei. An Intercharge Direct-fähigen Ladestationen gelangen E-Autofahrer durch Scannen des QR-Codes oder die Eingabe der Ladepunktnummer unter m.intercharge.eu auf die mobile Intercharge-Website des Ladestationsbetreibers. Diese ermöglicht Kunden die Wahl zwischen verschiedenen Ladeprodukten, die Steuerung des Ladevorgangs sowie die direkte Bezahlung per Pay Pal. Hubject wurde 2012 von führenden Unternehmen der Energie-, Technologie- und Automobilbranche gegründet. Das Joint Venture betreibt eine branchenübergreifende Business- und IT-Plattform zur Vernetzung von Ladeinfrastruktur- und Serviceanbietern sowie Mobilitätsdienstleistern. Das Kompatibilitätszeichen „intercharge“ bildet den Rahmen für kundenfreundliche Lade- und Zahlungsprozesse. Bereits über 120 europäische Partner nehmen teil. Hubject ist damit nach eigenen Angaben der führende E-Roaming-Anbieter in Europa. (zp) ANA und LH Cargo: Japan-Europa-Joint-Venture gegründet A ll Nippon Airways (ANA), Japans größte Airline, und die Frachtluggesellschaft Lufthansa Cargo starten ein strategisches Joint Venture auf Routen zwischen Japan und Europa. Die kartellrechtlichen Freigaben liegen vor. Ab sofort können ANA und Lufthansa Cargo gemeinsam Netze planen, Preise gestalten sowie Verkauf und Abfertigung organisieren. Schon in diesem Winter soll das Konzept für Sendungen aus Japan nach Europa umgesetzt werden. Für Sendungen von Europa nach Japan ist eine Einführung von Mitte 2015 an geplant. Kunden können durch die Partnerschaft unter mehr Strecken und Zeiten wählen und neue Serviceleistungen in Anspruch nehmen. Dies ist weltweit das erste Joint Venture dieser Art im Luftfrachtverkehr. In der Passage verbindet Lufthansa und ANA als Mitglieder des weltweit größten Airline-Netzwerks Star Alliance bereits eine lange Partnerschaft. Darüber hinaus haben die beiden Unternehmen 2012 ein Joint Venture für den Passagierverkehr auf Strecken zwischen Japan und Europa gestartet. Nun hoffen sie für die Fracht auf ähnliche Erfolge. (reg/ zp) Die mobile Intercharge-Website m.intercharge. eu kann durch Scannen des QR-Codes oder die Eingabe der Ladepunktnummer vom Kunden erreicht werden. Foto: Hubject GmbH Beladung einer MD-11F Foto: Lufthansa Cargo Siemens baut Stadtbahnen für San Francisco K napp 650 Mio. USD ist der Auftrag wert, den die Siemens-Division Rail Systems mit Sitz in Berlin von der Verkehrsbehörde in San Francisco erhalten hat: Das Unternehmen soll 175 Stadtbahnwagen liefern. Darüber hinaus gibt es eine Option über weitere 85 Einheiten. Die kalifornische Metropole will ihre Nahverkehrslotte modernisieren. Siemens hat ein neu entwickeltes Fahrzeug auf Basis des Modells S200 angeboten, das durch gewichtsreduzierte Antriebstechnik, Bremsenergierückgewinnung und LED-Beleuchtung im Betrieb besonders energiesparend läuft. Gebaut werden die Züge gemäß den Buy-America-Regeln im Siemens-Werk in Sacramento in Kalifornien. Die Auslieferung der ersten Wagen ist für Ende 2016 geplant. Das öfentliche Verkehrsnetz der Stadt mit Cable Cars, historischen Straßenbahnen, S-Bahnen sowie elektrischen und Hybridbussen betreibt San Francisco Municipal Railway (Muni). Jede dritte Straßen- oder Stadtbahn in den Vereinigten Staaten stammt laut Siemens bereits heute aus dem Unternehmen, in 17 Städten fahren 1300 Züge des Herstellers. (zp) Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 9 IM FOKUS MAN, Volvo, Mercedes: Verteiler-LKW fahren mit Gas G as gewinnt als ressourcenschonender, schadstofarmer Kraftstof mit geringem CO 2 -Ausstoß beim Verbrennen mehr und mehr an Bedeutung. Methangas verbrennt völlig geruchlos und enthält nur sehr wenige Schadstofpartikel. Wenn das Erdgas aus Biogas gewonnen wird, also auf organischen Stofen basiert, sind die Kohlendioxidemissionen um bis zu 70-% geringer als bei einem Fahrzeug mit Dieselantrieb. Darüber hinaus sind Gasfahrzeuge leiser. Laut Prognosen werden im Jahr 2020 65 Mio. gasbetriebene Fahrzeuge unterwegs sein. Auch die Tankstelleninfrastruktur entwickelt sich: Heute gibt es in Europa rund 3000 und weltweit etwa 22-000 Tankstellen für Compressed Natural Gas (CNG). Auf der IAA Nutzfahrzeuge im September waren einige Neuentwicklungen der LKW-Hersteller bei mittelgroßen Fahrzeugen zu sehen, die alle die Performance ihrer Diesel-Kollegen erreichen sollen: Bei MAN hatte der TGM CNG Premiere, der als Verteiler mit um bis zu 35-% sinkenden Kraftstokosten beworben wird. Der 18-Tonner wird von einem Sechszylinder- CNG-Motor mit 280 PS aus 6,9 Litern Hubraum angetrieben und ist mit einem 12-Gang-MAN-TipMatic-Getriebe ausgestattet. Der Euro-6-Turbo-Motor hat ein maximales Drehmoment von 1150 Nm. Der Tank des IAA-Exponats fasst 140 kg Erdgas, das in acht kompakten Aluminiumtanks mit Carbon-Ummantelung gespeichert wird. Auch Stahltanks mit bis zu 140 kg Erdgas sind möglich. Mit diesem Tankvolumen lassen sich laut MAN im Verteiler-Stadtverkehr Reichweiten von rund 400 km mit einem 18-Tonner erzielen, auf Landstraßen sogar rund 700 km. MAN kann als Hersteller von CNG-Fahrzeugen auf mehr als 40 Jahre Erfahrung bauen und hat in dieser Zeit mehr als 8000 Erdgasbusse, -chassis sowie Erdgasmotoren zur Energieerzeugung verkauft. Der TGM CNG gehört ab 2016 zum Seriensortiment. Der neue Volvo FE CNG ist ebenfalls eine gasbetriebene Alternative für kommunale Aufgaben und den örtlichen Verteilerverkehr. Angetrieben wird das Fahrzeug von einem komplett neu entwickelten 9-l-Gasmotor nach Euro 6, der 320 PS leistet, ein Drehmoment von 1356 Nm liefert und über ein vollautomatisches Getriebe verfügt. Die Tankanlage fasst 160 m 3 Methangas, laut Volvo genug für die im Verteilerverkehr üblichen Strecken. Zu bestellen ist der neue Volvo bereits, die Serienfertigung läuft Anfang 2015 an. Auch Mercedes-Benz hat mit dem Econic NGT Euro VI die Palette der Entsorgungs- und Verteilfahrzeuge erweitert. Der neue Erdgasmotor M-936-G basiert auf dem Turbodieselmotor OM- 936 aus der neuen Generation Blue Eiciency Power mit 7,7- l Hubraum. Er wird als monovalenter (nur Gasantrieb) Motor mit CNG betrieben, leistet 222-kW (302-PS) und erreicht ein maximales Drehmoment von 1200-Nm. Der Motor nutzt ein hohes Maß an Gleichteilen zum Ausgangsmotor. Zylinderblock und Zylinderkopf wurden übernommen und lediglich an den Betrieb mit CNG angepasst. Neu entwickelt sind dagegen Auladung, Ladeluftführung, Zündung und die komplette Gemischaubereitung inklusive der Abgasrückführung. Das Package des Triebwerks bleibt trotzdem identisch, der Erdgasmotor hat die gleichen Abmessungen wie sein Ausgangsmotor. Die Abgasreinigung übernimmt wie bei einem Ottomotor ein Dreiwegekatalysator. Seit 2002 und mit mehr als 1400 verkauften Einheiten ist bereits der Econic NGT (Natural Gas Technology) international im Einsatz. (zp) Der Econic NGT Euro VI verfügt über einen Reihensechszylinder-Gasmotor. Foto: Mercedes-Benz ÖPNV: Ohne Fahrleitungen elektrisch durch die Stadt E lektrobusse befördern seit diesem Monat in Dresden Fahrgäste im Testbetrieb unabhängig von Oberleitungen durch die Innenstadt. Seit Juni verfügt der Betriebshof Gruna der Dresdner Verkehrsbetriebe AG (DVB) über eine Ladestation für Elektrobusse, die sich auch für sehr kurze, aber intensive Pulsladungen während des Fahrgastwechsels eignet. In sechs Minuten wird der Bus derzeit mit der für einen Linienumlauf auf der 12 km langen Teststrecke notwendigen Energie versorgt. Durch die Installation von Ladevorrichtungen mit mehr als 500 kW an Haltestellen könnte die Pulsladung während eines Umsteigevorgangs in noch kürzerer Zeit erfolgen und die Streckenlänge auch mit kleinen, preiswerten Energiespeichern nahezu beliebig erweitert werden. Die Komponenten und Technologien für einen solchen rein elektrischen Betrieb städtischer Linienbusse ohne Fahrleitung entstanden im Rahmen des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundvorhaben „Schnelladesysteme für Elektrobusse im ÖPNV“ (SEB). Die Ladestation hat die Dresdner Firma M&P motion control and power electronics GmbH entwickelt, die Busse hat die Göppel Bus GmbH gebaut. Der kompakte Lithium-Polymer-Akku mit einem Energiegehalt von 85 kWh zum Speichern der Energie stammt von der Hoppecke Advanced Battery Technology GmbH aus Zwickau, die Traktionsausrüstung liefert die Vossloh Kiepe GmbH. Der Dachstromabnehmer ist eine gemeinschaftliche Entwicklung der Schunk Bahn- und Industrietechnik GmbH und des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI. Das Fraunhofer IVI koordiniert das Projekt auch. (zp) Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 10 IM FOKUS System für Stadt- und Straßenbahnen warnt vor Kollisionen M it jeweils einem Radar- und einem Videosensor erfasst das neue Kollisionswarnsystem für Stadt- und Straßenbahnen der Bosch Engineering GmbH Fahrzeuge, Busse, benachbarte Schienenfahrzeuge und feststehende Hindernisse auf dem Schienenweg. Erkennt das System ein Unfallrisiko, kann der Fahrer vor gefährlichen Situationen gewarnt werden. Nach Angaben des Herstellers werden so die Sicherheit der Passagiere und Bahnfahrer deutlich erhöht sowie Ausfallzeiten und Folgekosten durch Unfälle reduziert. Seit Anfang 2014 sind erste Straßenbahnen der Üstra Hannoverschen Verkehrsbetriebe AG und der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main zum Test im Alltagsbetrieb mit dem System ausgestattet. Die gewonnenen Daten helfen den Bosch- Ingenieuren, es für den Start der Serienproduktion im Jahr 2015 weiter zu perfektionieren. Das System besteht aus drei Komponenten: Die Kamera erfasst den Schienenweg. Der Radar, der mit einem Öfnungswinkel von bis zu 70 Grad bis zu 160 m weit reicht, registriert andere Bahnen im weiteren Schienenverlauf und auch die Positionen und Geschwindigkeiten von PKW, LKW und Bussen in der Umgebung. Neben beweglichen Hindernissen detektiert das Radarsystem auch feststehende Objekte, zum Beispiel Prellböcke. Die Software der Rail Control Unit wertet die Sensorinformationen zusammen mit weiteren Daten wie der Geschwindigkeit der Bahn aus. Erkennt es daraus eine kritische Annäherung, warnt das System den Fahrer optisch und akustisch. (zp) Das neue Warnsystem arbeitet mit Video und Radar. Foto: Bosch Nikrasa: Neues KV-System für nicht kranbare Trailer E s ist nicht der erste Versuch, nicht kranbare Sattelaulieger auf die Schiene zu bringen, sondern das 44. System für die Beförderung im unbegleiteten Kombinierten Verkehr (KV). Durchgesetzt hat sich von den 43 bereits vorgestellten bisher keins. Ob die Ende September präsentierte Nummer 44 es schaft, bleibt abzuwarten. Um bisher nicht kranbare Trailer mit einem Umschlaggerät anheben und auf einen Zug setzen zu können, haben die Erinder von Nikrasa einen Stahlrahmen entwickelt, auf dem ein Sattelaulieger von einer Terminalzugmaschine abgesetzt wird. Das System besteht aus zwei Teilen: der Terminal-Plattform, die im Terminal steht, und der Transport-Plattform als Umschlaghilfe. Die Transport-Plattform passt exakt in die Terminal-Plattform wie ein Negativ ins Positiv. Die Terminalzugmaschine positioniert den Trailer mittig auf der Transport-Plattform. Das Umschlaggerät fasst dann die Transport-Plattform und verlädt Rahmen und Trailer auf einen Standard-Taschenwaggon der Ausführungen Twin und T3.000. Der 2,4-t schwere Transportrahmen bleibt während des Schienentransports auf dem Waggon, so dass der Sattelaulieger am Zielort wieder gekrant werden kann. Eine Anpassung des Equipments - Sattelaulieger, Kran, Terminal, Waggon - ist nicht notwendig, Mischzüge mit kranbaren und nicht kranbaren Einheiten sind möglich. Entsprechend könnten mit mehr Aukommen weitere Relationen im KV wirtschaftlich werden. Der Umschlagvorgang soll ebenfalls kaum länger dauern als bei kranbaren Einheiten. Der Rahmen passt sich so in den Waggon ein, dass die Außenhöhe der gesamten Ladeeinheit unverändert bleibt. Als Positionierungshilfe in der Aufahrsicherung dient ein aufgeschweißter Schweller. Die Terminal- Plattform kann zudem bei Nichtgebrauch weggestaut werden, sie ist ebenfalls kranbar. Erdacht haben die Lösung die Bayernhafen Gruppe, die TX Logistik AG, die Logistik- Kompetenz-Zentrum Prien GmbH und die Uhly Maschinentechnik GmbH. Bereits seit einem Jahr setzt TX Logistik rund 60 dieser Rahmen im Regelbetrieb ein und verlädt so pro Woche etwa 100 nicht kranbare Trailer. Weitere 40 Umschlaghilfen sind derzeit ausgeschrieben. Eine Lösung für Megatrailer soll noch in diesem Jahr folgen. Die Vermarktung des Systems hat TX Logistik übernommen. Involviert in die Entwicklung waren auch der Verlader Danish Crown, Europas größter Schweineleischexporteur, sowie die beiden Speditionsunternehmen Nagel Group und N & K, die Nikrasa für ihre europaweiten Kühltransporte bereits einsetzen. 85 % der rund 300- 000 Trailer, die derzeit in Deutschland zugelassen sind, können nicht gekrant werden. In der EU sollen mehr als 800-000 nicht kranbare Sattelauflieger unterwegs sein. Das Potenzial ist also groß. Die Entwickler des Rahmens sprechen davon, dass Nikrasa die Chance biete, große Verlagerungsefekte von der Straße auf die Schiene zu erzielen. Nikrasa wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie und wird vom Österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie im Rahmen des Innovationsprogramms Kombinierter Güterverkehr gefördert. (zp) Weitere Informationen unter: www.nikrasa.eu Das Greifzangengeschirr von Portalkran oder Reachstacker packt die Greifkanten der Nikrasa-Transport-Plattform und hebt sie mit Trailer an. Die Terminal-Plattform bleibt am Boden. Foto: Nikrasa Kompetenzteam Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 11 Gerd Aberle KURZ + KRITISCH 2014: Kein gutes Jahr für den Logistikstandort Deutschland U nabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland hat die Transportwirtschaft im Personen- und Güterverkehr mit einer Vielzahl von Risikoelementen zu kämpfen, die ihre Leistungsfähigkeit bedrohen. Eine seit Jahrzehnten nicht vorstellbare Streikmassierung im Luft- und Eisenbahnverkehr hat zu einer bislang nicht bekannten Unzuverlässigkeit im Personen- und Güterverkehr geführt. Partikularinteressen relativ kleiner Gruppen werden über Wochen rücksichtslos durchgekämpft. Hinzu kommt die Dauerkrise in der deutschen Verkehrspolitik, die durch die Finanzierungsdeckelungen für die Erhaltung der Verkehrsinfrastrukturen im Koalitionsvertrag entscheidend gefördert wurde. Eine unsägliche PKW-Mautdiskussion belastet seit einem Jahr dringend erforderliche alternative Finanzierungsüberlegungen. So konnte kein hinreichendes Finanzierungskonzept für die Sanierung der 25 besonders maroden Autobahnbrücken gefunden werden; 1,3 Mrd. EUR zusätzliche Bundesmittel reichen gerade für drei bis vier Brücken. Ähnlich kritisch ist die Situation im öfentlichen Personennahverkehr. Das Bundesinanzministerium geht derzeit davon aus, dass entsprechend den Vorgaben des Regionalisierungsgesetzes 2014 die bisherige Dynamisierung von 1,5 % ausläuft und 2015 der gleiche Betrag wie 2014 (7,3 Mrd. EUR) zur Verfügung gestellt wird. Zur Erinnerung: Die Länder als Aufgabenträger hatten eine Basiserhöhung auf 8,5 Mrd. EUR p.a. und eine Dynamisierungsrate von 2,8 % gefordert. Außerdem haben sie sich nach jahrelangen unergiebigen Verhandlungen vor wenigen Wochen auf einen neuen Verteilungsschlüssel geeinigt, der starke Ungerechtigkeiten bei den Mittelzuweisungen mildern soll (sog. Kieler Schlüssel). Diese Einigung soll allerdings nur bei einer Erfüllung der Länderforderungen gelten. Folglich steht er dicht an der Kippe. Besonders unerfreulich in diesem Zusammenhang: Der Bund beabsichtigt, seine Zahlungen im Rahmen des früheren Gemeindeverkehrsinanzierungsgesetzes (GVG) ab 2020 einzustellen - also die Finanzmittel, die für Nahverkehrsinvestitionen zentrale Bedeutung besitzen. Die Folge sind Planungsunsicherheiten und Investitionszurückhaltung. Sehr unbefriedigend und unverständlich sind auch die eingeführten Zusatzbelastungen für elektrisch betriebene Bahnen im Erneuerbare Energien-Gesetz. Obwohl sie die umweltfreundlichsten Verkehrsmittel sind, werden sie mit erheblichen Jahresbeträgen zusätzlich belegt. Die mit Dieselöl fahrenden Verkehrsmittel sind ausgenommen, obwohl ihre Umweltbilanz fundamental anders aussieht. Allein die DB AG muss 2015 rd. 160 Mio. EUR zahlen und damit 60 Mio. mehr als 2014. Hinzu kommen dann noch die Stromsteuer und die Kosten des Emissionshandels für die benötigten Zertiikate. Davon proitiert auch der massiv wachsende Fernbusverkehr, der überwiegend gezielt gegen ICE-Strecken fährt und der Bahn erhebliche Umsatzverluste beschert. Ruinöse Preiskämpfe kennzeichnen die Situation; wöchentlich gibt es etwa 7000 Abfahrten von 320 Linien. Die Verkehrspolitik huldigt ofensichtlich dem Slogan: freie Fahrt den Fernbussen. Denn anders ist es nicht nachvollziehbar, dass sie sich konstant weigert, den Fernbus in das Mautsystem für LKW einzubeziehen, obwohl die gleichen Schädigungsfaktoren relevant sind. Noch unverständlicher ist es, dass das noch teilweise im Bundesbesitz beindliche Unternehmen Deutsche Post diesen Fernbusverkehr gegen die im Bundeseigentum stehende DB AG betreibt. Die Verkehrspolitik schweigt. Die von der Wirtschaft und zur Sicherung des Hamburger Hafens gewünschte Elbevertiefung seewärts von Hamburg ist durch die Anrufung des EUGH durch das Bundesverwaltungsgericht auf einmal noch unsicherer geworden. Die konkurrierenden Westhäfen können zufrieden sein. Und auch aus Brüssel kommen unerfreuliche Nachrichten bei der Besetzung der Position des Verkehrskommissars. Der zunächst nominierte und sehr positive Eindrücke bei der Vorstellungsrunde hinterlassende Slowake Maros Sefcovics soll im Rahmen einer Rochade gegen die umstrittene Slowenin Violetta Bulc ausgewechselt werden. Sie hat weder politische Erfahrung noch verkehrspolitische Kenntnisse. EU-Verkehrspolitiker fühlen sich desavouiert. Aber es gibt auch eine positive Meldung: Die neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und DB hinsichtlich der Ersatzinvestitionen konnte mit einer Erhöhung von 2,75 auf 4 Mrd. EUR und einer Eigenbeteiligung der DB AG von 1,6 Mrd. EUR p.a. abgeschlossen werden. Sonstige Positivmeldungen: nicht bekannt. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 12 Emissionshandel und Luftverkehr Eine ökonomische Analyse des europäischen Emissionshandelssystems und der Einbeziehung des Luftverkehrs Die Einbeziehung der zivilen Luftfahrt in das europäische Emissionshandelssystem wurde nach nur kurzer Dauer und vehementer Kritik vorerst ausgesetzt. Der Beitrag fasst die ursprünglich anvisierten Ziele und Mechanismen des Programms zusammen und nimmt eine umfassende umweltpolitische Bewertung auf Basis wirtschaftstheoretischer Argumente vor, um Lehren aus dem europäischen Experiment zu ziehen und schließlich Ansatzpunkte für Verbesserungen aufzuzeigen. Die Autoren: Martin Kuras, Ronny Püschel D ie Hauptmotivation für die Integration des Luftverkehrs in das europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS) waren die durch das kontinuierliche Wachstum der Branche ansteigenden Treibhausgasemissionen. Bedenken häuften sich, dass dadurch die bisherigen Anstrengungen zur Emissionsreduktion in der EU konterkariert werden könnten. Doch warum steigen die CO 2 - Emissionen trotz der ambitionierten Maßnahmen der EU auch nach den Vereinbarungen des Kyoto-Protokolls kontinuierlich weiter? Um eine Antwort auf diese Frage zu inden, soll das EU-ETS zunächst einer umweltökonomischen Analyse unterzogen werden. Umweltökonomische Bewertung des EU-ETS Bei der Analyse soll vor allem auf fünf umweltökonomische Bewertungskriterien eingegangen werden: ökologische Trefsicherheit, ökonomische Eizienz, dynamische Anreizwirkung, Wettbewerbsneutralität und politische Durchsetzbarkeit [1], [2], [3], [4], [5], [6]. Die ökologische Trefsicherheit beschreibt die Fähigkeit des Instruments, ein vorab deiniertes Emissionsniveau möglichst exakt zu erreichen. Auf Grund der unveränderten Entwicklung der CO 2 -Emissionen mehrten sich jedoch Zweifel an der ökologischen Trefsicherheit des EU-ETS. Einen Erklärungsansatz liefert zunächst Sinn [7], [8]. Für ihn sind nachfrageseitige klimapolitische Instrumente nicht nur wirkungslos, sondern können sogar kontraproduktiv sein: durch den unilateralen Ansatz der EU werde die Querverbindung zu den anderen Ländern über den Weltmarkt für fossile Brennstofe ignoriert. Da Treibstofverbrauch und Emissionsmenge fest miteinander gekoppelt sind, drücke die durch die Emissionshöchstmenge verringerte Treibstofnachfrage der EU den Weltmarktpreis für fossile Brennstofe, sodass in den anderen Verbraucherländern mehr nachgefragt wird, was den Gesamtverbrauch letztlich nicht ändert. Es fände also lediglich eine Umverteilung zwischen ETS- und Nicht-ETS-Teilnehmerländern statt. Insgesamt würde das Emissionsvolumen somit nicht reduziert [7]. Im Kontext der intertemporalen Angebotsentscheidung der Treibstofressourcenbesitzer beeinlussen geplante umweltpolitische Instrumente deren Entscheidungskalkül. Wenn zu erwarten ist, dass restriktive umweltpolitische Maßnahmen in Zukunft zunehmen werden, bestehe für die Ressourcenbesitzer ein beständiger Anreiz, die Extraktion in die Gegenwart zu verlagern, um die Produkte noch zu hohen Preisen verkaufen zu können. Eine europäische Mengenlösung wie beim EU-ETS hätte auf Grund dieser Erwägungen keinen klimapolitischen Nutzen, da sie das Angebot außer Acht lässt. Gerade die geplante stetige Senkung des Caps könne so den Anreiz der Ressourcenbesitzer verstärken, den Abbau zu beschleunigen [7]. Klimapolitische Maßnahmen wie das EU-ETS könnten demnach den Klimawandel intensivieren statt ihn zu mindern. Dieses als „grünes Paradoxon“ bekannte Phänomen liefert einen Erklärungsansatz dafür, warum die CO 2 -Emissionen trotz der ambitionierten Zielformulierungen und Maßnahmen unverändert blieben [8]. Werden bei einer Zertiikatelösung räumlich und sektoral nicht alle Emittenten erfasst, kommt es zu Ausweichstrategien. Jene Teilmengenproblematik untergräbt folglich die ökologische Trefsicherheit des Instruments. Diese wäre nur gewährleistet, wenn ein globaler, also multilateraler Ansatz verfolgt würde, bei dem es einen Cap gibt, der für alle Länder und Industriesektoren verbindlich ist. Wird ein Umweltziel zu minimalen Kosten erreicht, ist es darüber hinaus ökonomisch eizient („statische Eizienz“). Einen wesentlichen Einluss auf die volkswirtschaftliche Eizienz und auf die gesellschaftliche Gerechtigkeitsproblematik hat das Vergabeverfahren der Emissionsberechtigungen. Aus ökonomischen Gesichtspunkten wäre die Versteigerung die überlegene Foto: Kurt Bouda/ pixelio.de POLITIK Emissionshandel Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 13 Lösung gegenüber der Vergabe nach Referenzperioden („grandfathering“) oder zu Festpreisen. Denn so würden die Emissionsberechtigungen entsprechend der marginalen Zahlungsbereitschaften verteilt und es bestünde ein geringer Anreiz zum strategischen Horten von Zertiikaten zur Erschwerung von Marktzutritten durch Konkurrenten. Doch diese Variante stößt auf Seiten der einbezogenen Sektoren auf Grund entstehender Kosten und steigender Unsicherheiten durch volatile Zertiikatepreise auf erheblichen politischen Widerstand. Jedoch impliziert die kostenfreie Vergabe Probleme durch ineiziente Zuteilung, Bevorteilung bisher ineizienter Unternehmen (durch das damit gekoppelte Benchmarking-System auf Basis historischer Emissionen), etwaige „windfall proits“, Lobby-Einluss („rent seeking“) und Kostenasymmetrien. Die Vergabe in der EU fand durch eine Mischform statt (85 % der Emissionsrechte unentgeltlich zugeteilt, der Rest versteigert). Eine ökonomische Efizienz konnte somit nicht attestiert werden [2], [9], [10], [11]. Besitzt das Instrument die Fähigkeit umwelttechnischen Fortschritt zu induzieren, ist es schließlich auch dynamisch eizient. Anreize zur Investition in eizientere Technologien entstehen dann, wenn die Kosten der Emissionsberechtigungen für eine bestimmte Menge an Treibhausgasen deren marginale Emissionsvermeidungskosten übersteigen. Bei umfassenden Investitionen in neue Technologien würden allerdings Zertiikate in größerem Maße frei, was ein Überangebot impliziert und für einen Preisverfall der Zertiikate sorgen würde. Dieser Preisverfall erodiert wiederum die dynamische Anreizwirkung. Ein Emissionshandelssystem muss deshalb auch lexibel anpassbar sein, z. B. durch staatliche Ofenmarktpolitik [6]. Ein wesentlicher Einlussfaktor ist auch der Cap, der zunächst das Angebotsvolumen an Zertiikaten determiniert. Dieser ist jedoch eine politische Entscheidung und unterliegt zahlreichen Lobbyeinlüssen [12]. Ob dabei ein Cap entsteht, der hinreichend gering ist, um einen ausreichenden Investitionsanreiz zu entfalten, ist fraglich. Debatten zu Überallokation, Preisverfall und „backloading“ untermauern diese Vermutung [11], [13], [14]. Die Einbeziehung der zivilen Luftfahrt in das EU-ETS erfolgte darüber hinaus einseitig. In diesem halbofenen System durften Airlines Zertiikate von industriellen Anlagebetreibern kaufen, jedoch war der umgekehrte Fall nicht vorgesehen. Dies erhöht abermals die Gefahr einer Überallokation von Zertiikaten und damit der Erosion dynamischer Eizienz [15]. Entstehen bei einem umweltpolitischen Instrument keine relevanten Wettbewerbsvorteile bzw. Kostenasymmetrien, ist es auch wettbewerbsneutral. Die erwähnte Kritik der möglichen Ausweichefekte lässt sich von länderauf sektorspeziische Erwägungen erweitern. So kritisiert Knorr [10], dass der Luftverkehr weniger emittiere als andere Verkehrsträger (und andere nicht einbezogene Industriesparten), dennoch bisher alleinig in das EU-ETS einbezogen wurde. Werden nicht alle Emittenten vom Emissionshandelssystem erfasst, käme es zu weiteren Leakage-Efekten mit der Folge in- Die Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft ist mit rund 8.500 Studierenden eine der größten Hochschulen für angewandte Wissenschaften Baden-Württembergs und hat neben der Lehre einen deutlichen Schwerpunkt in der angewandten Forschung. Die Hochschule verfügt über die Fakultäten Architektur und Bauwesen, Elektro- und Informationstechnik, Informatik und Wirtschaftsinformatik, Informationsmanagement und Medien, Maschinenbau und Mechatronik sowie Wirtschaftswissenschaften. Die Studienangebote zeichnen sich durch hohe praxisorientierte Lehrinhalte und herausragende Studienbedingungen aus. Die Hochschule weist sehr gute Rankingergebnisse auf und arbeitet eng mit der regionalen und überregionalen Wirtschaft zusammen. An der Fakultät für Informationsmanagement und Medien ist zum Wintersemester 2015 eine W2 - Professur „Verkehrsbetriebswirtschaft“ - Kennzahl 1353 zu besetzen. Die Tätigkeit umfasst Aktivitäten in Lehre und Forschung im anwendungsorientierten Bereich „Verkehrsbetriebswirtschaft“. Hierzu zählen die Inhalte der Betriebswirtschaft bezogen auf Produkte und Leistungen, Operations Research und Optimierungsverfahren jeweils im Verkehrswesen. Darüber hinaus werden die Analyse der Verkehrsnachfrage sowie Aspekte des Marketings in dieser Professur gesehen. Der Bachelorstudiengang Verkehrssystemmanagement wurde 2012 eingerichtet und befindet sich erfolgreich im Aufbau. Er bietet dem Stelleninhaber/ der Stelleninhaberin ein hohes Maß an Gestaltungsmöglichkeiten für das ausgeschriebene Fachgebiet und den Studiengang. Dies gilt ebenfalls für den gleichnamigen, projektorientierten Master-Studiengang, der im kommenden Jahr eingeführt wird. Die Professur stellt eine Kernkompetenz der Studienrichtung Verkehrssystemmanagement dar und gibt diesem Studiengang ein besonderes Profil. Es wird Kompetenz und Engagement beim Aufbau von eigenen Schwerpunkten im Bereich der Forschung und Entwicklung vorausgesetzt, um das Profil im Rahmen der Masterstudiengänge der Fakultät für die Studierenden noch attraktiver zu gestalten. Gesucht wird eine Persönlichkeit, die ihre in der Forschung und in der beruflichen Praxis erworbene Kompetenz für unsere Studierenden nutzbar machen kann. Die Hochschule Karlsruhe ist eine der drittmittelstärksten Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg. Der weitere Ausbau der angewandten Forschung ist deshalb anerkanntes Ziel der Hochschule. Sie geht davon aus, dass der/ die Stelleninhaber/ -in sich aktiv an der angewandten Forschung beteiligt und Drittmittel einwirbt. Darüber hinaus besteht die Pflicht zur Beteiligung an der Grundlagenausbildung. Der/ Die Stelleninhaber/ -in muss bereit sein, auch Vorlesungen in fachlich benachbarten Gebieten zu übernehmen. Die Fähigkeit, Lehrveranstaltungen in englischer Sprache durchzuführen, wird erwartet. Die Einstellungsvoraussetzungen für Professorinnen und Professoren sind geregelt in §§ 47, 49, 50 des Gesetzes über die Hochschulen in Baden-Württemberg (Landeshochschulgesetz - LHG) vom 9. April 2014. Einzelheiten finden Sie in der ausführlichen Stellenbeschreibung unter www.hs-karlsruhe.de >Hochschule >Stellenangebote. Die Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft strebt eine Erhöhung des Anteils von Frauen in Forschung und Lehre an. Sie bittet daher qualifizierte Interessentinnen nachdrücklich um ihre Bewerbung. Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber werden bei entsprechender Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt berücksichtigt. Schriftliche Bewerbungen, vorzugsweise in elektronischer Form, werden bis zum 3. Januar 2015 unter Angabe der Kennzahl erbeten an: Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft Personalabteilung Postfach 2440, 76012 Karlsruhe, Telefon (0721) 925 - 1030 personal@hs-karlsruhe.de POLITIK Emissionshandel Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 14 ter- und intramodaler Fehlallokationen, welche wohlfahrtsmindernde Wirkungen entfalten könnten und darüber hinaus den Wettbewerb verzerren [10]. Die Anforderung der Wettbewerbsneutralität ist durch die unvollständige Einbeziehung aller Länder und Sektoren nicht erfüllt. Letztlich sollte das Vorhaben auch politisch durchsetzbar sein. Spieltheoretische Erwägungen rechtfertigen allerdings Bedenken hinsichtlich der politischen Realisierung eines globalen Emissionshandelssystems, wie es von der EU einst angestrebt wurde. Durch die nachfrageseitigen Bemühungen der EU werden die Preise auf den globalen Rohstofmärkten wie bereits erwähnt gesenkt, wovon Drittstaaten proitieren. Das schaft wenig Anreiz, dem System beizutreten und erhöht die Gefahr eines klimapolitischen Trittbrettfahrerverhaltens [16], [17]. Die EU-Vorreiterrolle hat im Hinblick auf das „Gefangenendilemma im Klimaschutz“ eine sinnvolle und globale Klimalösung möglicherweise erschwert [7], [17], [5]. Ein gänzlich multilateraler Ansatz droht somit an spieltheoretischen Problemen, Transaktionskosten, aber auch an Gerechtigkeitsbzw. Verteilungsfragen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern politisch zu scheitern. Die Einbeziehung des Luftverkehrs Knorr äußerte darüber hinaus massive Bedenken bezüglich der Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel, beispielsweise durch die zusätzliche Unsicherheitskomponente für international tätige Airlines. Schwankende Zertiikatepreise würden neben Wechselkurs- und Ölpreisschwankungen die Risiken bezüglich längerfristiger Investitionsentscheidungen erhöhen und für Zusatzkosten durch Hedgegeschäfte sorgen. Aber auch Wohlfahrtsverluste durch intra- und intermodale Wettbewerbsverzerrungen sowie Fehlallokationen bzw. Verkehrsverlagerungsefekte zu Lasten der EU-Fluggesellschaften seien zu befürchten. Damit wären unerwünschte weil ineiziente Modal Splits verbunden. Darüber hinaus sei mit Retorsionsmaßnahmen der Drittstaaten und Handelskriegen zu rechnen [10]. Die Einbeziehung des Luftverkehrs sei daher „umweltpolitisch suboptimal und außenpolitisch verfehlt“ und besäße darüber hinaus nur geringen klimapolitischen Nutzen bei gleichzeitig ungerechtfertigter Erhöhung der Kosten von Airlines. In diesem Zusammenhang spricht er sich für eine von der ICAO getragene Lösung aus. Der Verhandlungsprozess wäre zwar langwieriger, jedoch verspricht er ein höheres Akzeptanzpotential in den Drittstaaten [10]. Genau dies wurde im Oktober 2013 auf einer Generalversammlung der ICAO beschlossen. Das neue System soll bis 2016 entwickelt werden und 2020 in Kraft treten. Dabei soll ein marktbasiertes Instrument entworfen werden, welches zur Senkung der durch den Luftverkehr verursachten CO 2 -Emissionen beiträgt. Damit ist der Weg für ein globales Emissionshandelssystem im Luftverkehr grundsätzlich geebnet [18], jedoch sind auch alternative Ausgestaltungsmöglichkeiten denkbar. Das Problem sektorspeziischer Ungleichbehandlung bliebe jedoch weiter bestehen. Fazit Die vorherigen Ausführungen legen Deizite des europäischen Emissionshandels allgemein und konkret an der Einbeziehung des Luftverkehrs dar. In der derzeitigen Ausgestaltung genügt das ETS kaum den umweltökonomischen Gütekriterien. Die mangelnde ökologische Trefsicherheit ließe sich jedoch durch eine Einbeziehung möglichst aller Emittenten (länder- und sektorspeziisch) heilen. So würden die Teilmengenproblematik und potentielle Leakage-Efekte beseitigt. In Verbindung mit einem optimierten Vergabemechanismus könnte das ETS auch dem Kriterium der ökonomischen Eizienz genügen; lexibilisierte Steuerungsbefugnisse der EU könnten den Zertiikatepreis auf einem hinreichend hohen Niveau halten, was schließlich auch eine ausreichende dynamische Anreizwirkung induziert. Die Preisstabilität müsste dabei durch eine lankierende Offenmarktpolitik gesichert werden. Ein zweiter Kritikpunkt, der stärker in den Fokus der öfentlichen Debatte rücken muss, ist die Strategie der bedingungslosen- EU-Voreiterrolle beim Klimawandel: Konsensbasierte symmetrische Verhandlungsergebnisse aller zu beteiligenden Staaten und Industrien könnten eher ausreichend starke Anreize erwirken und gleichzeitig die Akzeptanz der Maßnahmen steigern. Ein dritter Punkt ist die Erweiterung der klimapolitischen Optionen durch efektive Anpassungsstrategien. Eine Mischung aus Mitigation und Adaption könnte die negativen Auswirkungen des Klimawandels efektiver mindern als der alleinige Fokus auf Vermeidung. Auf diesem Weg könnte das Trittbrettfahrerproblem zumindest teilweise umgangen werden. So bleibt das Fazit, dass unilaterales und unkoordiniertes einzelstaatliches Handeln, welches auch noch die Marktkräfte missachtet (wie es bei der Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-ETS zu beobachten war), zu geringem klimapolitischen Nutzen führt und darüber hinaus einen globalen Koordinationsprozess erschwert. ■ LITERATUR [1] Wicke, L. (1993): Umweltökonomie, Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 4. Aulage, Verlag Vahlen. [2] Weimann, J. (1995): Umweltökonomik, Eine theorieorientierte Einführung, 3. Aulage, Springer-Verlag. [3] Bartmann, H. (1996): Umweltökonomie - Ökologische Ökonomie, Verlag Kohlhammer. [4] Feess, E. (1998): Umweltökonomie und Umweltpolitik, 2. Aulage, Verlag Franz Vahlen. [5] Binder, K. G. (1999): Grundzüge der Umweltökonomie, WiSt Taschenbücher, Verlag Vahlen. [6] Endres, A. (2000): Umweltökonomie, 2. Aulage, Verlag Kohlhammer. [7] Sinn, H.-W. (2008): Das grüne Paradoxon: Warum man das Angebot bei der Klimapolitik nicht vergessen darf, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 9, 109-142. [8] Sinn, H.-W. (2008): Das grüne Paradoxon: Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik, Econ Verlag. [9] Lueg, B. (2007): Emissionshandel als eines der lexiblen Instrumente des Kyoto-Protokolls. Wirkungsweisen und praktische Ausgestaltung am Beispiel der Europäischen Union, Institut für Weltwirtschaft und Internationales Management, 103, Berichte aus dem Weltwirtschaftlichen Colloquium, Universität Bremen. [10] Knorr, A. (2011): Emissionshandel und Luftverkehr - Eine kritische Analyse am Beispiel des Europäischen Emissionshandelssystems (EU ETS), FÖV (Deutsches Forschungsinstitut für öfentliche Verwaltung Speyer) Discussion Papers, 72. [11] Sturm, B.; Vogt, C. (2011): Umweltökonomik, Eine anwendungsorientierte Einführung, Physica-Verlag. [12] Gerner, D. (2012): Zuteilung der CO 2 -Zertiikate in einem Emissionshandelssystem, Universität Kassel, Institut für Wirtschaftsrecht, Forum Wirtschaftsrecht, Band 9. [13] Wiesmeth, H. (2012): Environmental Economics, Theory and Policy in Equilibrium, Springer Verlag. [14] Neuhof, K.; Schopp, A. (2013): Europäischer Emissionshandel: Durch Backloading Zeit für Strukturreformen gewinnen, DIW Wochenbericht, Nr. 11. [15] Conrady, R. et al. (2013): Luftverkehr, Betriebswirtschaftliches Lehr- und Handbuch, 5. Aulage, Oldenbourg Verlag. [16] Wiesweg, M. (2009): Ökonomische Analyse des Europäischen Emissionshandels als Teil globaler Klimapolitik, Dissertation, Westfälische Wilhelms-Universität Münster. [17] Ifo (2011): Emissionsvermeidung oder Anpassung an den Klimawandel: Welche Zukunft hat die Klimapolitik? Ifo Schnelldienst, 5/ 2011, 64. Jahrgang. [18] Höltschi, R. (2013): Emissionshandel im Luftverkehr, Halber Durchbruch in Montreal, Neue Züricher Zeitung (NZZ), Wirtschaftsnachrichten, 5.10.2013. Martin Kuras, M.Sc. (Verkehrswirtschaft) Demand Analyst, Revenue Management & Pricing, Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG, Berlin martin.kuras@airberlin.com Ronny Püschel, Dipl.-Verkehrswirtschaftler Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Wirtschaft und Verkehr, Professur für Verkehrswirtschaft und internationale Verkehrspolitik, TU Dresden ronny.pueschel@tu-dresden.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 15 Flughafenförderung POLITIK Modernisierung des EU-Beihilferechts Kurswechsel für deutsche Verkehrslughäfen? Mit der Modernisierung der EU-Beihilferichtlinien in 2014 setzt die Europäische Kommission wirtschaftlichen Interventionen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Gewährung staatlicher Beihilfen für Flughäfen transparente Grenzen. Dieser Beitrag zeigt die Implikationen der novellierten Leitlinien für die deutschen Verkehrsflughäfen auf und geht auf Handlungsmöglichkeiten im Spannungsfeld zwischen nationaler Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit ein. Die Autoren: Raoul Hille, Berit Schmitz, Marion Tenge V or dem Hintergrund des immer stärker werdenden europäischen und globalen Wettbewerbs im Luftverkehr ist eine leistungsfähige und nachhaltig ausgebaute Verkehrsinfrastruktur entscheidend für die Entwicklungspotenziale des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Den deutschen Verkehrslughäfen kommt daher eine zentrale Funktion in der öfentlichen Daseinsvorsorge zu. Unabhängig von ihrer privatrechtlichen Organisationsform beinden sich die deutschen Verkehrslughäfen überwiegend im mehrheitlichen Besitz der öfentlichen Hand. Ziele und Inhalte der Modernisierung des EU-Beihilferechts Die EU-Beihilfeleitlinien erläutern die Voraussetzungen unter denen eine öfentliche Förderung von Flughäfen als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden kann (Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union „AEUV“ [1]). Mit der Modernisierung der EU-Leitlinien für staatliche Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften verfolgt die EU- Kommission drei wesentliche Zielsetzungen [2]: • Nachhaltiger Einsatz öfentlicher Mittel für wachstumsorientierte Maßnahmen in Europa unter Vermeidung der Finanzierung von Überkapazitäten bei Flughafeninfrastruktur. • Beschränkung von Wettbewerbsverfälschungen durch Schafung gleicher Voraussetzungen im Binnenmarkt und Begrenzung von Betriebsbeihilfen. U. a. soll der Betrieb von mehreren unrentablen Flughäfen im selben Einzugsgebiet vermieden werden. • Transparente Vorschriften, schnelle Beschlüsse sowie Verbesserung der Qualität der wettbewerbsrechtlichen Würdigung durch die EU-Kommission. Die Wirtschaftlichkeit von Flughäfen hängt in großem Maße vom Verkehrsaufkommen ab. Insbesondere kleinere Flughäfen sind vor dem Hintergrund hoher Fixkosten aktuell auf staatliche Beihilfen zur Deckung ihrer Betriebsbzw. Infrastrukturkosten angewiesen [3]. Die EU-Kommission arbeitet daher in Bezug auf die jeweils zulässige Beihilfeintensität mit Bandbreiten (siehe Bild 1). • Flughäfen mit einem Verkehrsaukommen von > 5 Mio. Passagieren p.a. erhalten zukünftig weder Betriebsnoch Infrastrukturbeihilfen, da Flughäfen dieser Größenordnung nach Aufassung der EU-Kommission in der Lage sein sollten, rentabel zu arbeiten. • Flughäfen mit einem Verkehrsaukommen zwischen 3-5 Mio. Passagieren p. a. können im Einzelfall eine Förderung bis zu 25 % zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen erhalten, jedoch grundsätzlich keine Förderung der Betriebskosten. • Flughäfen mit einem Verkehrsaukommen zwischen 1-3 Mio. Passagieren p. a. bzw. < 1 Mio. Passagieren p. a. können im Einzelfall eine Förderung bis zu 50 % bzw. 75 % zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen erhalten. Betriebsbeihilfen bleiben unter außergewöhnlichen Umständen für einen Übergangszeitraum von 10 Jahren weiterhin zulässig. Voraussetzung ist die Vorlage eines Business Plans, der den Weg zur vollen Betriebskostendeckung nach Ablauf des Übergangszeitraums aufzeigt. In folgenden Fällen sind Beihilfemaßnahmen direkt bei der EU-Kommission für eine Einzelfallbetrachtung anzumelden, um-Wett bewerbsverfälschungen zu vermeiden [2]: • Investitionsbeihilfen für Flughäfen >-3-Mio. Passagiere p.a. Bild 1: Überblick über den beihilfepolitischen Ansatz für Flughäfen Quelle: EU-Kommission [7] POLITIK Flughafenförderung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 16 • Investitionsbeihilfen für Hybridlughäfen (> 200 000 t Fracht p.a.) • Investitionsbeihilfen für neue Passagierlughäfen sowie für Flughäfen im Einzugsgebiet eines weiteren Flughafens Nicht alle Tätigkeiten eines Flughafens sind notwendigerweise wirtschaftlicher Art. Aufgaben, für die normalerweise der Staat aufgrund seiner hoheitlichen Befugnisse zuständig ist, sollen gemäß EU-Kommission nicht den Beihilfe-Vorschriften unterliegen, z.B. die Flugsicherung oder der Schutz der zivilen Luftfahrt vor unrechtmäßigen Eingrifen. Darüber hinaus kann in begründeten Fällen der Betrieb eines Flughafens insgesamt als Dienstleistung von allgemeinem Interesse deiniert werden. Voraussetzung ist, dass ohne den Flughafen bestimmte Regionen derart von der EU abgeschnitten wären, dass ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt ist [2]. Implikationen der Modernsierung der EU-Beihilferichtlinien für deutsche Verkehrsflughäfen Der deutsche Luftverkehr wächst im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich. Dies belegt eine Analyse des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) [4]. Während in Europa die Passagierzahlen im Zeitraum 2010 bis 2013 um 12,3 % anstiegen, betrug das Wachstum bei den internationalen deutschen Verkehrslughäfen lediglich 7,0 % - trotz stärkerer Wirtschaftsleistung Deutschlands. Die durch den BDL durchgeführte Analyse zeigt zudem auf, dass das Wachstum ungleich verteilt ist. Grundsätzlich verzeichneten lediglich die acht größten Verkehrslughäfen ein Wachstum, während an den kleineren Verkehrslughäfen in der Regel Passagierverluste festzustellen waren. Die heterogene Passagierentwicklung wird durch die Ergebnissituation der deutschen Verkehrslughäfen widergespiegelt. Die in Bild 2 dargestellte Fünjahresbetrachtung zeigt auf, welche deutschen Verkehrslughäfen im Zeitraum 2008 bis 2012 ein positives bzw. negatives kumuliertes Ergebnis nach Steuern (EAT) erzielten. Das Nachsteuerergebnis wurde dabei um eventuelle Erträge aus Verlustübernahmen durch die Flughafengesellschafter bzw. Gewinnabführung an die Flughafengesellschafter bereinigt. Im Analysezeitraum verzeichneten lediglich Flughäfen mit einem jährlichen Verkehrsvolumen > 5 Mio. Passagiere ein positives kumuliertes Nachsteuerergebnis: Berlin (bezogen auf den Gesamtstandort), Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Köln-Bonn, München und Stuttgart. Eine Ausnahme stellt der Flughafen Weeze dar (Kategorie: 1-3 Mio. Passagiere p. a.). Das kumulierte Nachsteuerergebnis der weiteren 16 analysierten Flughäfen war im Betrachtungszeitraum negativ. Der Regionallughafen Zweibrücken meldete im Juli 2014 Insolvenz an, da die EU urteilte, dass die in der Vergangenheit gewährten Flughafen-Beihilfen in zweistelliger Millionenhöhe nach den neuen Leitlinien nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. Angesichts der neuen EU-Beihilferichtlinien postulierte die deutsche Presse bereits das „Aus“ für zahlreiche Flughäfen. „Deutschen Airports geht das Geld aus“ titelte beispielsweise das Handelsblatt [5]. Die Wirtschaftswoche prognostizierte „das große Flughafen Sterben“ [6]. Handlungsmöglichkeiten der deutschen Verkehrsflughäfen Zur nachhaltigen Ergebnisverbesserung stehen Flughäfen im Aviation-Bereich prinzipiell drei Stellhebel zur Verfügung: Preiserhöhungen, Kostensenkung und Mengenwachstum. Der Stellhebel Preiserhöhungen ist nur sehr eingeschränkt nutzbar. Die Preisgestaltung im Aviation-Bereich, z. B. Start- und Landeentgelte, unterliegt grundsätzlich der behördlichen Regulierung (Transparenz, Kostenbezug, Nicht-Diskriminierung). Da die Anlageintensität von Flughäfen einen sehr hohen Fixkostenblock bedingt, ist auch der Stellhebel Kostensenkung lediglich in begrenztem Maße einsetzbar. Die Variabilisierung von Fixkosten und quasi-ixen Kosten ist dabei ein wichtiger Agenda-Punkt, z. B. Ausgründung personalintensiver Unternehmensbereiche, Fremdbezug statt Eigenerbringung von Dienstleistungen. Der erfolgversprechendste Stellhebel zur Realisierung von Ergebnisverbesserungen ist daher das Mengenwachstum. Zusätzlich akquirierte Verkehrsmengen erzielen aufgrund der (sprung-)ixen Kostenstruktur von Flughäfen zusätzliche Deckungsbeiträge. Potenzial besteht derzeit schwerpunktmäßig im Marktsegment der Low Cost Carrier. Während sich viele Legacy-Carrier in Europa in der Konsoliderungsbzw. Restrukturierungsphase beinden, sind Low Cost Airlines aktuell auf Wachstumskurs. Dabei ist ein deutlicher Strategiewechsel erkennbar. Das Wachstum indet verstärkt auf Primärlughäfen statt und resultiert in einem Rückzug der Low Cost Airlines aus der Fläche. Auch im Non-Aviation-Bereich, d. h. bei den nicht-lugbezogenen, kommerziellen Erlösen, können durch ein Mengenwachstum, z.B. durch die Entwicklung ergänzender digitaler und mobiler Geschäftsmodelle, Ergebnisverbesserungen erzielt werden. Voraussetzung für die Erzielung von spürbaren zusätzlichen Ergebnisefekten ist jedoch auch hier ein hinreichend großes Verkehrsvolumen. Kleinere Flughäfen sind diesbezüglich systembedingt im Nachteil. Fazit Die modernisierten EU-Beihilfeleitlinien deinieren klare und faire Wettbewerbsbedingungen für europäische Flughäfen und verhindern - konsequent angewandt alimentierte Konkurrenz. Sie würdigen die wichtige Rolle von Flughäfen als regionale Motoren für Wohlstand und Beschäftigung sowie ihre öfentliche Verkehrsfunktion. Bild 2: Kumuliertes Nachsteuerergebnis 2008-2012 der deutschen Verkehrsflughäfen Quelle: ADV [8], Elektronischer Bundesanzei ger [7] Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 17 Flughafenförderung POLITIK Die Möglichkeit der Gewährung von Betriebsbeihilfen für einen Übergangszeitraum von zehn Jahren eröfnet den betroffenen Flughäfen grundsätzlich die Möglichkeit, in die Rentabilität hineinzuwachsen [9]. Investitionsbeihilfen für kleinere Flughäfen bleiben weiterhin erlaubt. Durch die Modernisierung des EU-Beihilferechts stehen Flughäfen jedoch stärker als zuvor im Spannungsfeld zwischen Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit. Ein zunehmender Fokus auf Marktorientierung und unternehmerische Führung ist erforderlich. Das frühzeitige Erkennen von Wachstumschancen sowie die Ableitung wirksamer Maßnahmen stärkt die Anpassungsfähigkeit von Flughäfen an die sich wandelnden Markt- und Wettbewerbsbedingungen. Gleichwohl bleibt die Rentabilität von Flughäfen aufgrund ihrer Kostenstrukturen im großen Maße vom Verkehrsaukommen abhängig. Kleinere Flughäfen haben daher auch in Zukunft kaum Aussichten rentabel zu arbeiten. Für den Wirtschaftstandort Deutschland können sich diese Flughäfen jedoch aus makroökonomischer Sicht weiterhin als wichtig erweisen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund positiver Wachstumsprognosen für den Luftverkehr in der-EU. ■ QUELLEN [1] EAUV (2009): Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Artikel 107. Online verfügbar unter http: / / dejure.org/ gesetze/ AEUV/ 107.html [2] Europäische Kommission (2014): EU-Leitlinien für staatliche Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften. [3] Conrady, R; Fichert, F. & Sterzenbach, R. (2013): Luftverkehr (5. Auflage). Oldenbourg Wissenschaftsverlag: München. [4] BDL (2014): Whitepaper: Zahlen und Daten zu Marktentwicklung, wettbewerbliche Rahmenbedingungen, Verkehrsrechte. Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft: Berlin. [5] Handelsblatt (2014): Deutschen Airports geht das Geld aus. Online verfügbar unter http: / / www.genios.de/ presse-archiv/ artikel/ HB/ 20140730/ deutschen-airports-geht-das-geld-au/ 9FAA4F50- B52B-4B75-834A-2E185B568B71.html [6] Wirtschaftwoche (2014): Das große Flughafen-Sterben beginnt. Online verfügbar unter http: / / www.wiwo.de/ unternehmen/ dienstleister/ luftfahrt-das-grosse-flughafen-sterben-beginnt/ 9544920. html [7] Elektronischer Bundesanzeiger (2014). Online verfügbar unter https: / / bundesanzeiger.de [8] ADV (2014): Verkehrszahlen. Online verfügbar unter http: / / www. adv.aero/ verkehrszahlen/ archiv/ [9] ADV (2014): EU-Beihilfen - Neue Vorgaben aus Brüssel: Auswirkungen auf die Flughäfen. Online verfügbar unter http: / / www.adv. aero/ fileadmin/ pdf/ Recht/ EU-Beihilfen/ ADV-Positionspapier_ Neue_EU_Vorgaben_zum_Beihilferecht.pdf Berit Schmitz, Diplom-Kaufrau, MBA Bereichsleiterin Unternehmensentwicklung und Konzerncontrolling Hannover Airport b.schmitz@hannover-airport.de Marion Tenge, Diplom-Betriebswirtin, Doktorandin Abteilungsleiterin Unternehmensentwicklung Hannover Airport SM Research Fellow der EuroMed Academy of Business m.tenge@hannover-airport.de Raoul Hille, Dr. Geschäftsführer Hannover Airport Lehrbeauftragter am Institut für Produktionswirtschaft Leibniz Universität Hannover r.hille@hannover-airport.de 24 th International Symposium on Dynamics of Vehicles on Roads and Tracks August 17-21, 2015, Graz / Austria Deadline Call for Papers: Nov. 30, 2014 www.IAVSD2015.org Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 18 Verkehrsentwicklungsplan der Landeshauptstadt Dresden Strategie für die nachhaltige Verkehrsentwicklung einer wachsenden Stadt Der Verkehrsentwicklungsplan VEP 2025plus ist ein wichtiger Beitrag der Landeshauptstadt Dresden zur wachsenden Zahl vergleichbarer Projekte in deutschen und europäischen Städten. Der sich über insgesamt gut vier Jahre erstreckende Bearbeitungsprozess zeichnet sich durch ein hohes fachliches Niveau und ein spezifisches Beteiligungskonzept aus. Der Entwurf des VEP 2025plus liegt seit Anfang 2014 dem Stadtrat der Landeshauptstadt zur Beschlussfassung vor. In diesem Beitrag werden die wesentlichen Verfahrensbausteine aufgerufen und erste Einschätzungen des zurückliegenden Prozesses versucht. Die Autoren: Matthias Mohaupt, Erhart Pfotenhauer Ä hnlich anderen deutschen Großstädten liegt für Dresden ein gesamtstädtisches Verkehrskonzept schon in den ersten Nachkriegsjahren vor. Eine wirkliche Trendwende der Dresdner Verkehrspolitik stellt das „Leitbild für die künftige Verkehrspolitik im Ballungsgebiet Dresden“ von 1990 dar. Ihm folgt das Verkehrskonzept 1994, das im gleichen Jahr vom Dresdner Stadtrat beschlossen wird. Eine seit 2003 nochmals erkennbare Neuausrichtung manifestiert sich in der „Dresdner Mobilitätsstrategie“. Auf ihrer Basis beschließt der Stadtrat im März 2007 die Aufstellung eines Verkehrsentwicklungsplanes. Seine Bearbeitung startet im Herbst 2009. Ursprünglich ist der Abschluss aller Projektbausteine unter intensiver Einbeziehung der Vertreter von Kammern, Verbänden, Verkehrsträgern und Ratsfraktionen bis Ende 2011 vorgesehen. Doch ist zum Projektbeginn noch nicht absehbar, dass sich die Bearbeitung des VEP um das Doppelte verlängern wird. Startphase Herbst 2009 Wichtiger Meilenstein zum Projekt-Auftakt ist die Einrichtung mehrerer Begleitgremien (Bild 1). Neben dem Lenkungskreis und einem Wissenschaftlichen Beirat sind dies der Runde Tisch „Stadt“ und der Runde Tisch „Umland“. Im Lenkungskreis sind die obere Verwaltungsebene, der Leiter der städtischen VEP- Projektgruppe und Mitglieder der Ratsfraktionen vertreten. Neben koordinierenden Aufgaben übernimmt er die Vorbereitung der Sitzungen des Runden Tisches. Der Wissenschaftliche Beirat berät die Stadt hinsichtlich der Bearbeitungsmethodik des VEP sowie aktueller Erkenntnisse aus vergleichbaren Projekten. Ihm gehören namhafte Verkehrswissenschaftler sowie ein bundesweit renommierter Stadtplaner als Verfasser des Planungsleitbildes Innenstadt Dresden an. Teilnehmer an seinen Sitzungen sind, neben der städtischen Projektgruppe, der Moderator des Runden Tisches sowie ab April 2011 das beauftragte Planerkonsortium. Die Einrichtung eines Runden Tisches im September 2009 folgt dem Prinzip von Ofenheit und Transparenz bei der Erarbeitung des VEP. Trotz des zunächst begrenzten Zeitbudgets sollen neben den Vertretern öfentlicher Belange so auch die politischen Mandatsträger frühzeitig in einen kooperativen Planungsprozess eingebunden werden. Als wichtige Voraussetzung für einen sachbezogenen Dialog unter Einbeziehung unterschiedlicher Positionen gilt- die Arbeit im „geschützten Raum“. Der- Runde Tisch tagt deshalb nicht öfentlich. Mit der Leitung wird ein unabhängiger Moderator von der Stadt beauftragt. Seine fachliche Ausrichtung als Stadtplaner soll die Verknüpfung von städtebaulichem Kontext und verkehrlichen Belangen bei der Bearbeitung des VEP gewährleisten. Der von ihm zur ersten Sitzung vorgelegte Entwurf einer Arbeitsvereinbarung wird mit kleineren Änderungen einstimmig angenommen. Wichtige Punkte darin sind das Selbstverständnis des Runden Tisches als Arbeits- und Beratungsgremium, das dem politischen Entscheidungsprozess vorgeschaltet ist, sowie die Selbstverplichtung auf Vertraulichkeit, Fairness und ofenen POLITIK Verkehrsplanung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 19 Informationsaustausch. Priorität hat die Suche nach Konsens - jedoch nicht um jeden Preis. Weiter bestehender Dissens soll dokumentiert und bis in den politischen Entscheidungsprozess hinein transportiert werden. Trotz des großen Interesses an einer Mitarbeit am Runden Tisch kommt mit Blick auf dessen Arbeitsfähigkeit nur ein begrenzter Teilnehmerkreis in Betracht. Daher verständigt man sich auf eine Zahl von 25 Sitzen. Davon entfallen je einer auf die sechs Ratsfraktionen, jeweils drei auf die städtische Projektgruppe, die Vertreter von Wirtschafts- und Verkehrsverbänden sowie Verkehrsträgern, sechs auf unterschiedliche öfentliche Belange und einer auf den Sprecher des Wissenschaftlichen Beirates (Bild 2). Einem erweiterten Interessentenkreis steht eine „zweite Reihe“ ofen. Nach dem Runden Tisch „Stadt“ wird der Runde Tisch „Umland“ eingerichtet, dem überregionale Planungsträger, Verkehrsverbünde, die Umlandgemeinden und benachbarte Landkreise angehören (Bild 3). Neben der Ermittlung von Koordinierungserfordernissen und gemeinsamen Verkehrsinteressen leistet das Gremium einen wichtigen Beitrag zur interkommunalen Kooperation wie auch zur besseren Kenntnis regionaler Verkehrsthemen und deren Einluss auf die gesamtstädtische Verkehrsentwicklung. Ofenheit des Planungsprozesses und die Arbeit am Runden Tisch sind nicht zu verwechseln mit Öfentlichkeitsbeteiligung. Um das Dilemma vieler Planungsverfahren - lange „Tunnelstrecken“ ohne Kommunikation und Rückkoppelung - zu umgehen, ist deshalb die laufende Information über den Stand der Bearbeitung in öfentlichen Veranstaltungen, in den Medien und auf der Interseite der Landeshauptstadt von Anfang an ein wichtiges Ziel. Bearbeitungsphase 2010-2012 Ausschreibung und Auswahlverfahren Die Ausschreibung der Planungsleistungen erfolgt mittels eines zeitaufwendigen, aber rechtssicheren VOF-Verfahrens sowie - angesichts des Engagements der Landeshauptstadt im europäischen POLIS-Netzwerk - europaweit. Bei der Büro-Auswahl kommen dank des guten Zusammenspiels der Begleitgremien Vertreter des Wissenschaftlichen Beirates, der Lenkungsgruppe und des Stadtrates sowie der Moderator des- Runden Tisches in drei unabhängig voneinander wertenden Gruppen zu nahezu identischen Empfehlungen. Auf dieser- Basis wird im Frühjahr 2011 ein Konsortium aus IVV Aachen und IVAS Dresden mit der Erarbeitung des VEP 2025plus beauftragt. Mängel- und Defizitanalyse Im Vorfeld der externen Beauftragung wird vom Runden Tisch eine Mängel- und Deizit-Analyse erarbeitet. Die bis Anfang 2010 vorliegenden Stellungnahmen umfassen ein breites Spektrum an Aussagen u.a. zu Lückenschließungen, Sanierungsbedarfen und Ausbauerfordernissen im Schienen-, Stra- Bild 1: Gremienstruktur des Bearbeitungsprozesses VEP Bild 2: Sitzverteilung „Runder Tisch Stadt“ Verkehrsplanung POLITIK Foto: Marcus Pink/ Wikipedia Politik Verkehrsplanung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 20 ßen- und Radwegenetz. Ein abschließendes Fazit ohne eine Verständigung auf die Leitziele der Verkehrsentwicklung erweist sich jedoch nach gemeinsamer Aufassung als nicht tragfähig. Zieldiskussion Das zeitaufwendigere Ausschreibungsprocedere eröfnet die Möglichkeit für eine Diskussion der verkehrlichen Leitziele am Runden Tisch in mehreren Schritten. In vier Arbeitsgruppen werden erste Essentials und daraus abgleitet zwei Varianten eines Zielkonzepts entwickelt. Daraus entsteht ein erster Entwurf für ein Zielpapier, dessen Endfassung in einer bis in die Nachtstunden dauernden Sitzung des Runden Tisches ausformuliert wird. Es ist Basis für eine Ratsvorlage der Verwaltung, die dem Ziel folgt, schon im Bearbeitungsprozess wichtige Zwischenergebnisse des VEP politisch festzuzurren. Im März 2011 beschließt der Stadtrat die Vorlage in geringfügig modiizierter Form. Fachliche Bearbeitung Analyse Ein vom Planerkonsortium vorgelegter Analysebericht wird zusammen mit den Grundzügen der Szenarienberechnung in der 9. Sitzung des Runden Tisches im August 2011 erörtert. Gegenstand eines weiteren, im Oktober 2011 abgeschlossenen Arbeitsschrittes sind konzeptionell-strategische Maßnahmenvorschläge für verkehrliche und städtebauliche Problembereiche. Die Vielzahl an Anregungen des Runden Tisches und des Wissenschaftlichen Beirates zu den Ergebnissen beider Arbeitsschritte ließt in die Überarbeitung mit ein. Szenarien Die Berechnung von Szenarien für die Verkehrsentwicklung der Landeshauptstadt wird im Dezember 2011 abgeschlossen. Drei Basis-Szenarien beschreiben den 2025 erwarteten Zustand ohne VEP-Maßnahmen: Analysefall 2010, Prognose-Nullfall 2025 (keine zusätzlichen Maßnahmen, aber Realisierung bereits begonnener Verkehrsprojekte) und „Sowieso“-Fall 2025 (Realisierung aller bereits begonnener sowie der nach 2003 „sowieso“ beschlossenen Vorhaben - einschließlich derer von Dritten). Neben diesen drei werden drei weitere Szenarien berechnet (A, B und C). A geht bis 2025 von einer Realisierung aller im Bau beindlichen und aller „Sowieso-Maßnahmen“, vom stärkeren Ausbau des Straßennetzes sowie von Verbesserungen für den Fuß- und Radverkehr aus. Szenario B setzt auf den intensiveren Ausbau des ÖPNV und die Entwicklung des Fuß- und Fahrradverkehrs. Szenario C entspricht B, unterstellt aber aufgrund steigender Energiepreise bzw. zunehmenden Umweltbewusstseins eine Präferenz alternativer Mobilitätsangebote. Für ein Vorzugsszenario liegen von den Gremien unterschiedliche Empfehlungen vor, wobei der Runde Tisch für die Szenarien B bzw. C votiert. Bepreisung der Szenarien und Sensitivitätsprüfung Um vor einer politischen Entscheidung die inanziellen Auswirkungen der Szenarien beurteilen zu können, erfolgt die überschlägige Quantiizierung ihrer jeweiligen Investitions- und Unterhaltungskosten. Zugleich ist eine Sensitivitätsprüfung erforderlich, da die Bevölkerungsprognose für die Landeshauptstadt Dresden bis 2025 um rund 20 000 Einwohner nach oben korrigiert werden muss. Auf Basis der Ergebnisse der Kosten- und Sensitivitätsprüfung sowie der Beratungsergebnisse der Gremien beschließt der Fachausschuss im September 2012, dass Szenario B der weiteren Bearbeitung des VEP zugrunde zu legen ist. Maßnahme- und Handlungskonzept Die beiden letzten Bausteine des VEP umfassen die Fortschreibung der Mobilitätsstrategie und ein Handlungskonzept. Die Mobilitätsstrategie betrift u. a. Aussagen zum Mitteleinsatz für Bestandserhalt, zu Investitionen im Verkehrssystem, zu Anforderungen an die Fortschreibung begleitender Konzepte sowie zu Evaluation und Monitoring. Das Handlungskonzept umfasst organisatorische wie auch innovative Maßnahmen für alle Verkehrsarten und Handlungsbereiche bis hin zur Formulierung einzelner Pilotprojekte. Erörterungsphase 2013 Der Vorentwurf des VEP wird Anfang 2013 vorgestellt. Seine Diskussion ist Gegenstand der 14. Sitzung des Runden Tisches im April 2013. Bis Mai liegen von dort umfangreiche Stellungnahmen vor, die bis Juli in einer von der Projektgruppe der Stadt erstellten Synopse ausgewertet werden. Danach erfolgt die Überarbeitung des Vorentwurfes. Stellungnahmen, Synopse und VEP-Entwurf werden der Verwaltungsspitze als Paket übermittelt. In der Synopse sind auch jene Punkte ausgewiesen, über die am Runden Tisch Dissens bestehen bleibt. Das umfangreiche Paket mit der Beschlussvorlage der Verwaltung wird im September 2013 in der Dienstberatung der Oberbürgermeisterin bestätigt. Öfentlichkeitsarbeit 2010-2013 Öfentliche Planungsbeteiligung braucht verständliche Grundlagen, unterschiedliche Formate sowie den richtigen Zeitpunkt. Für den VEP-Prozess umfasst sie folgende Bausteine: Bild 3: Gebietsumgrif „Runder Tisch Umland“ Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 21 Verkehrsplanung POLITIK • Publikationsserie im Amtsblatt der Landeshauptstadt mit Einschätzungen zur Verkehrsentwicklungsplanung aus Sicht unterschiedlicher Verfahrensbeteiligter. • Monatliche Newsletter zur Information über den Bearbeitungsstand sowie zu aktuellen Veranstaltungen, Ausstellungen und Kongressen. • POLIS-Konferenzen 2010 und 2011 - anlässlich der Präsidentschaft der Landeshauptstadt in diesem europäischen Netzwerk für städtischen Verkehr von besonderer Bedeutung als öfentliche Diskussionsforen und Orte des Erfahrungsaustauschs mit Fachleuten aus zahlreichen europäischen Ländern und den USA. • Öfentliche Podiumsdiskussionen mit der Gelegenheit, Anlässe, Ziele und Arbeitsansätze der Verkehrsentwicklungsplanung zu erörtern. • Gemeinsames wissenschaftliches Kolloquium der Landeshauptstadt Dresden, der TU Dresden und der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft zum Thema „Integrierte Verkehrsentwicklungsplanung heute - VEP Dresden 2025plus im Spiegel der Erfahrungen und Vorgehensweisen anderer Städte“, mit Beiträgen außer von Dresden von den Städten Bremen, Magdeburg, Leipzig, Dortmund, München, Berlin, • Die dritte „Dresdner Debatte“ im Herbst 2013, die unter dem Titel „Fischelant Mobil - Verkehr neu denken“ neben einem moderierten Online-Dialog mit ca. 4500 Aufrufen und 1200 Beiträgen die Möglichkeit bietet zum persönlichen Informationsgespräch mit Mitarbeitern der zuständigen Fachverwaltung in einer Infobox „vor Ort“. Ergänzend dazu inden Diskussionsveranstaltungen mit Experten, Vertretern der Stadt und des Stadtrates statt. Hervorzuheben ist das Einvernehmen darüber, dass der politische Beschluss des VEP erst nach Auswertung der „Dresdner Debatte“ erfolgen soll. Derzeit wird der VEP-Entwurf nach abgeschlossener Auswertung der öfentlichen Debatte im Ausschuss Stadtentwicklung und Bau des Stadtrates beraten. Bild 4 zeigt den Projektablauf im Überblick. Fazit 1. Das am Runden Tisch versammelte Interessensspektrum ermöglicht die Einbindung einer große Bandbreite an Ideen und Fachwissen in die Bearbeitung des VEP. 2. Mit dem Runden Tisch „Umland“ können die Interessen von Umlandgemeinden und überregionalen Planungsträgern wie auch der verkehrsrelevanten regionalen Verlechtungen im VEP-Prozess berücksichtigt werden. 3. Die zunehmende Vernetzung und Kooperation auf europäischer Ebene ermöglicht es, eigene Erfahrungen in einem großen Forum zu diskutieren und die anderer Städte und Gemeinden zu nutzen. 4. Die unabhängige und fachlich qualiizierte Moderation des Runden Tisches sorgt für eine Einhaltung klarer Regeln der Zusammenarbeit und dafür, die dort oft schwierige Balance zwischen fachlichem Engagement und Selbstbeschränkung auf eine beratende Rolle - ohne politische Entscheidungsbefugnis - zu sichern. 5. Im Interesse des Informationslusses im Gegenstromprinzip ist die Einbeziehung der Stadtratsfraktionen in den gesamten Arbeitsprozess unverzichtbar. 6. Neben seiner fachlichen Begleitung des VEP-Prozesses hilft der Wissenschaftliche Beirat auch als neutrale Instanz bei der Lösung strittiger Fragen in der laufenden Arbeit wie auch im politischen Entscheidungsprozess. 7. Im Vorfeld politischer Entscheidungen hat sich das Gespräch mit den baupolitischen Sprechern bewährt. 8. Im Hinblick auf die politische Absicherung von Zwischenergebnissen sind „Unterwegsbeschlüsse“ des Stadtrats in jeder Arbeitsphase anzustreben. 9. Diskussionen am Runden Tisch und in begleiteten öfentlichen Informationsveranstaltungen ersetzen nicht die direkte Bürgerbeteiligung. Die „Dresdner Debatte“ leistet hierzu einen wichtigen Beitrag. 10. Hilfreich für den VEP-Prozess ist die Unterstützung durch lokale wissenschaftliche Einrichtungen. Dies betrift Fortbildungsangebote ebenso wie den informellen Zugang zu aktuellen sachbezogenen wissenschaftlichen Erkenntnissen. ■ LITERATUR: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Arbeitsgruppe Verkehrsplanung; Hinweise zur Verkehrsentwicklungsplanung , Köln (2013) Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG, Aachen | IVAS - Ingenieurbüro für Verkehrsanlagen und -systeme, Dresden; Verkehrsentwicklungsplan 2025plus Entwurf; Dresden September 2013 eineArt Filmproduktion; Verkehrsentwicklungsplan 2025plus - Video- Dokumentation; Dresden 2014 Matthias Mohaupt, Dr. Abteilungsleiter Verkehrsentwicklungsplanung, Stadtplanungsamt, Landeshauptstadt Dresden mmohaupt2@dresden.de Erhart Pfotenhauer, Dipl.-Ing. Architekt | Stadtplaner SRL | DASL Moderator des Runden Tisches, Geschäftsführer planungsgruppe proUrban, Berlin info@proUrban.com Bild 4: Bearbeitungsschema Phasen der VEP-Prozesse POLITIK Infrastrukturfinanzierung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 22 Steuer- oder Nutzerinanzierung der Straßen? Das Fallbeispiel Deutschland KFZ-bezogene Steuern machen in Deutschland einen beträchtlichen Anteil an den gesamten Steuereinnahmen aus. Die Mineralölsteuer, jetzt „Energiesteuer“, mit rund 39 Mrd. EUR und die Fahrzeugsteuer mit rd. 8,5 Mrd. EUR als Hauptquellen summieren sich auf deutlich mehr als das Doppelte der Nettoausgaben aller Aufgabenträger für das Straßenwesen. Nach deutschem Recht sind dies allerdings „allgemeine Steuern“, die dem „Nonafektationsprinzip“ unterliegen: Ihre Zweckbindung (ganz oder teilweise) zur Nutzerinanzierung der Straßeninfrastruktur ist möglich, aber nicht „zugrifssicher“. Der Beitrag zeigt, dass der schlechte Zustand der Straßeninfrastruktur in Deutschland maßgeblich auf die Konsequenzen daraus in der politischen Wirklichkeit zurückzuführen ist. Der Autor: Andreas Kossak D irekte Straßenbenutzungsgebühren wurden in der Bundesrepublik erstmals 1995 auf der Basis der Eurovignette eingeführt - zusammen mit zunächst vier, seit 1996 fünf weiteren EU-Mitgliedsstaaten. Sie war in Deutschland obligatorisch für die Benutzung von Bundesautobahnen durch LKW mit einem zulässigen Gesamtgewicht ab 12- t. Die Preise waren diferenziert nach Gültigkeitszeiträumen, Anzahl der Achsen und Umweltstandards. Die Einnahmen daraus waren nicht für Belange der Verkehrsinfrastruktur zweckgebunden. Damit wurden prinzipiell die diesbezüglichen nationalen Regelungen verletzt, nach denen Gebühren grundsätzlich für diejenigen Zwecke zu verwenden sind, für deren Inanspruchnahme sie erhoben werden. Die Bundesregierung entschied 1999, die LKW-Maut zum 1. Januar 2003 auf Entfernungsabhängigkeit umzustellen. Angesichts eines sich schnell verschlechternden Zustands der Verkehrsinfrastruktur setzte sie darüber hinaus im Herbst desselben Jahres eine hochrangige Expertenkommission „Verkehrsinfrastrukturinanzierung“ ein - in der Folge meist nach ihrem Vorsitzenden als „Pällmann-Kommission“ bezeichnet. Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung Die Kommission legte am 2. Februar 2000 einen Zwischenbericht vor; er enthielt im Besonderen die folgenden Empfehlungen [1]: 1. Umstellung der Finanzierung aller Bundesfernstraßen auf direkte Nutzerinanzierung. 2. Einführung zeitbezogener Gebühren für die Benutzung der Autobahnen von allen anderen Kraftfahrzeugen zum selben Zeitpunkt, zu dem die Erhebung entfernungsabhängiger Maut von schweren LKW auf Autobahnen beginnt. 3. Einsetzung einer „Fernstraßeninanzierungsgesellschaft“ zum 1. Januar 2001; sie sollte direkt mit allen Netto-Einnahmen aus Straßenbenutzungsgebühren ausgestattet werden - beginnend mit denen aus der Eurovignette. 4. Änderung des Zeitplans für die Einführung der entfernungsabhängigen LKW- Maut; die Zeitspanne für die Etablierung des Systems muss „wirklichkeitsnäher“ (beträchtlich länger) ausgelegt werden. Am 5. September 2000 legte die Kommission ihren Schlussbericht vor [2]: Befund: Die Situation der Bundesverkehrswege ist durch eine bereits latente Instandhaltungskrise und zahlreiche Engpässe gekennzeichnet. Schlussfolgerung: Die traditionelle Steuerinanzierung hat sich als nicht auch nur annähernd geeignet erwiesen, eine qualiizierte Erhaltung und Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur sicherzustellen. Empfehlung: Schrittweiser Wechsel zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur durch den Nutzer, den Nutznießer und/ oder Veranlasser, so weit das unter den Rahmenbedingungen der einzelnen Verkehrssektoren möglich ist; die Einnahmen sind grundsätzlich in dem Sektor zu verwenden, in dem sie erzielt worden sind. Die Kommission war davon überzeugt, dass im Straßensektor ein völliger Wechsel zur direkten Nutzerinanzierung möglich ist. Im Vergleich mit der Finanzierung aus dem allgemeinen Haushalt oder auf der Basis einer Zweckbindung von KFZ-bezogenen Steuern stellte sie insbesondere die folgenden Vorteile der Nutzerinanzierung heraus: • Direkter Zusammenhang zwischen Benutzung der Infrastruktur, Bezahlung für die Nutzung und Verwendung der Einnahmen für die genutzte Infrastruktur. • Abdeckung der tatsächlichen Kosten der Infrastruktur. • Unabhängigkeit von den wechselnden Einlüssen auf die öfentlichen Haushalte. • Alle Nutzer (einschließlich Ausländer) zahlen nach denselben Prinzipien. • Hohes verkehrliches und ökologisches Lenkungspotential. Bundesfernstraßen Von Steuerzu Nutzerfinanzierung 0 3 6 9 12 15 18 21 internal costs Toll Lkw ≥ 12 t BAB Lkw < 12 t BAB Pkw BAB Lkw ≥ 12 t B Lkw < 12 t B Pkw B Transaktionskosten Finanzierungslücke Budget Kompensation Steuer : Maut = 1: 1 "interne" Kosten Maut - Einnahmen Bild 1: Prinzip des Paradigmenwechsels auf Basis der Zahlen von 2000 Quelle: [2], eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 23 Infrastrukturinanzierung POLITIK Die Kommission empfahl, die Höhe der entfernungsabhängigen Gebühren ausschließlich an den direkten Kosten der Straßen zu orientieren; die indirekten Kosten sollten über andere Instrumente berücksichtigt werden. Zusätzliche Belastungen für den Straßennutzer sollten auf die Ausfüllung der unbestrittenen Lücke zwischen den erforderlichen Kosten für die Bereinigung der Instandhaltungskrise und die Beseitigung der Engpässe sowie den aktuellen und geplanten Infrastrukturbudgets begrenzt werden (Bild 1). Die Kommission warnte davor, dass jede Verzögerung der Bereinigung der Instandhaltungskrise zu einer dynamisch zunehmenden Verschlechterung des Zustands der Verkehrsinfrastruktur und damit der Verteuerung der Beseitigung der Probleme führen würde. Die Empfehlungen der Kommission wurden damals allseits begrüßt. Seither sind jedoch nur wenige Schritte in Übereinstimmung damit, wesentlich mehr im Widerspruch dazu erfolgt. Einige Beispiele: • Im Jahr 2003 (nicht 2001) wurde eine „Verkehrsinfrastrukturinanzierungsgesellschaft“ (VIFG) gegründet, nicht eine „Fernstraßeninanzierungsgesellschaft“; das wurde als Beleg für eine integrierte Verkehrspolitik propagiert. • Der Zeitplan für die Einführung der entfernungsabhängigen LKW-Maut wurde nicht verändert (und scheiterte). • Die Einführung einer Vignette für leichte LKW, Busse, PKW und Motorräder wurde nicht in Betracht gezogen. • Die Einnahmen aus der LKW-Maut wurden nicht zur Aufüllung der Finanzierungslücke verwendet, sondern zur Kompensation für die Absenkung des Verkehrsinfrastrukturbudgets um denselben Betrag. Sie werden nicht direkt der „Finanzierungsgesellschaft“ zugeführt, sondern vom Bundesinanzministerium als Teil des allgemeinen Bundeshaushalts eingezogen und nachfolgend formal der VIFG überwiesen. • Bis 2010 wurden die Netto-Einnahmen aus der LKW-Maut formal auf alle drei Verkehrsinfrastruktur-Sektoren verteilt; seit 2011 werden sie (ebenfalls nur formell) ausschließlich für die Straßen verwendet. Als Konsequenz daraus schlug die allgemeine Zustimmung zu direkter Nutzerinanzierung der Straßen in scharfe Ablehnung um. Toll Collect Die Erhebung der entfernungsabhängigen LKW-Maut startete schließlich am 1. Januar 2005. Der Eurovignetten-Vertrag war bereits zum 1. September 2003 gekündigt worden. Im letzten Vignetten-Jahr betrugen die Einnahmen rd. 0,5 Mrd. EUR; im ersten Jahr der entfernungsabhängigen Bemautung waren es 2,86 Mrd. EUR, in 2013 rd. 4,6-Mrd. EUR. Vor Einführung der entfernungsabhängigen LKW-Maut gab es massive Warnungen hinsichtlich negativer Auswirkungen. Die Wirklichkeit zeigte ein anderes Bild: • Kein Anstieg der Frachtraten • Kein Anstieg der Verbraucherpreise • Keine nachteiligen Einlüsse auf die Logistik-Industrie • Deutliche Tendenz zu höheren mittleren Auslastungsgraden • Signiikante Verringerung des Anteils von LKW ohne Ladung auf Autobahnen • Als Folge der Variation der Mauthöhe nach Emissionsklassen ein rasanter Wandel zu „sauberen“ LKW - im Januar 2005 erfüllten lediglich 0,2 % der mautplichtigen Fahrzeuge auf deutschen Autobahnen den höchsten EU-Emissions-Standard, im März 2012 waren es 75,9 % (Bild 2). Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ Aufgrund der weiter unterlassenen Sanierungsmaßnahmen und einiger harter Winter trat die von der Pällmann-Kommission schon 2000 angeprangerte Instandhaltungskrise gerade des Straßennetzes immer deutlicher zu Tage: schlechter Straßenzustand, für den Schwerlastverkehr gesperrte Brücken, zunehmende Staus, nachlassende Zuverlässigkeit der Logistik-Dienste und mehr. Anfang 2012 setzte die Verkehrsministerkonferenz der Bundesländer (VMK) deshalb gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium eine politische Kommission mit der Bezeichnung „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturinanzierung“ ein. Vorsitzender war der frühere Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt, Dr. Karl-Heinz Daehre (CDU); seine Stellvertreter waren ein Staatssekretär aus dem Bundesverkehrsministerium und der amtierende Vorsitzende der VMK. Mitglieder waren sechs Staatsminister der politischen Parteien, die an Landesregierungen beteiligt sind. Die Kommission beziferte die Finanzierungslücke zwischen dem Bedarf für eine qualiizierte Sanierung und Erhaltung allein des Bestandes der Verkehrsinfrastrukturen aller Aufgabenträger im Vergleich zu den aktuellen Budgets und Budget-Planungen auf jährlich „mindestens“ 7,2 Mrd. EUR (zu Kosten von 2012) auf 15 Jahre hinaus; davon entfallen 4,7 Mrd. EUR auf den Straßensektor [3]. Sie entschied sich für die Erstellung eines „Werkzeugkastens“ von Instrumenten zur Lösung der Finanzierungsprobleme. In diesem Zusammenhang erarbeitete der Verfasser dieses Beitrags ein Szenario zur Umstellung der Finanzierung aller Straßen auf direkte Nutzerinanzierung; es wurde erfolgreich auf Übereinstimmung mit allen relevanten EU-Regularien überprüft. Einige Kommissionsmitglieder forderten allerdings deinitiv, keinerlei Empfehlungen oder auch nur Präferenzen hinsichtlich einer Ausweitung der direkten Nutzerinanzierung auszusprechen - insbesondere den Straßensektor betrefend. Hauptargumente: Der Autofahrer zahlt bereits mehr als genug KFZ-bezogene Steuern; es ist genug Geld im System, es muss nur richtig eingesetzt werden. Für den Straßensektor enthält der „Werkzeugkasten“ Komponenten der Zweckbindung und ggf. Erhöhung KFZ-bezogener Steuern, die Ausweitung der Erhebung direkter Straßenbenutzungsgebühren sowie die Einführung einer Infrastrukturabgabe. Jedes Instrument wurde nach einheitlichen Kriterien bewertet. Kommission „Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ Im April 2013 setzte die VMK eine Kommission mit der betrefenden Bezeichnung ein. Die personelle Zusammensetzung war praktisch identisch mit der Daehre - Kommission. Die Leitung wurde dem ehemaligen Bundesverkehrsminister Bodewig (SPD) übertragen, ofenkundig aus Gründen des parteipolitischen Proporzes. Im Einsetzungsbeschluss heißt es: „Im Focus dieser Kommission sollen vor allem Fragen der Umsetzung der von der bisherigen Kommission vorgeschlagenen Instrumente und Konzepte stehen, insbesondere die vorgeschlagenen Finanzierungsmodelle“ [4]. Euro 5, EEV 1: 0.2% Euro 4: 0.9% Euro 3: 62.4% Euro 2: 32.8% Euro 0 + 1: 3.7% Euro 0 + 1: 0.1% Euro 2: 0,9 % Euro 3: 14,8 % Euro 4: 8,3 % Euro 5,EEV 1: 75,9 % Bild 2: Anteil Emissionsklassen schwerer LKW auf Autobahnen 2005 (oben) und 2012 Quelle: Toll Collect, eigene Darstellung POLITIK Infrastrukturinanzierung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 24 Während die Aufgabenstellung der Daehre-Kommission ausdrücklich Empfehlungen ausschloss, sollte diese Kommission in praktisch derselben Besetzung, nun kurzfristig explizit Empfehlungen „für ein Instrument oder eine Instrumentenkombination für die kommende Bundesregierung… [erarbeiten] … um den Prozess der politischen Willensbildung [nach der Bundestagswahl am 22. September 2013] voranzutreiben …“ Im Protokoll der Sonderverkehrsministerkonferenz vom 2. Oktober 2013 sind die Resultate der Kommissionsarbeit zusammengefasst. Die Kernsätze im Protokoll [5]: • „Die Verkehrsministerkonferenz stellt grundsätzlich klar: Aus den verschiedenen Steuereinnahmen des Verkehrsbereichs … sollen zukünftig deutlich mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Was nicht aus dem Haushalt inanziert werden kann, muss aus Instrumenten der Nutzerinanzierung realisiert werden … • Da der erforderliche Finanzierungsbedarf aus den Steuereinnahmen des Verkehrsbereichs nicht abgedeckt werden kann, hält die Verkehrsministerkonferenz weitere Nutzerinanzierungen für erforderlich.“ Das wird nachfolgend allerdings im Wesentlichen auf eine begrenzte Ausweitung der LKW-Maut eingeschränkt. PKW-Vignette für Ausländer - Vertrag der Großen Koalition Während des Bundestagswahlkampfes 2013 hatte die bayerische CSU als zentrale Position geltend gemacht: • Deutsche PKW-Fahrer müssen im Ausland für die Benutzung von Autobahnen und Hauptverkehrsstraßen Gebühren bezahlen, ausländische PKW-Fahrer nutzen deutsche Straßen kostenlos. • Das kann nicht länger hingenommen werden; die „Gerechtigkeitslücke“ muss endlich geschlossen werden. Ausländer müssen angemessen an den Kosten der Straßen hierzulande beteiligt werden. • Deshalb soll eine Vignette für die Nutzung deutscher Autobahnen eingeführt werden - mit der Bedingung, dass kein deutscher PKW-Besitzer auch nur mit einem einzigen Cent zusätzlich belastet wird. Abgesehen von Problemen der Vereinbarkeit mit dem EU-Grundprinzip der Nichtdiskriminierung von Ausländern, der Kosten-Nutzen-Relation bei Zugrundelegung realistischer Annahmen für Erhebung und Kontrolle sowie der ausstehenden Klärung einer Vielzahl von Details, war der Ansatz von vornherein weder „gerecht“ noch logisch: • In EU-Ländern, in denen zeitbezogene (acht von EU 27 + 3) oder entfernungsbezogene (neun) Benutzungsgebühren von PKW erhoben werden, zahlen die Inländer ebenso wie die Ausländer. • Eine Vignette für ausländische PKW- Nutzer müsste auch von Einwohnern derjenigen Länder bezahlt werden, in denen keine Benutzungsgebühren erhoben werden. • Die durchschnittliche Steuerlast deutscher PKW-Besitzer ist im europäischen Vergleich nicht etwa außergewöhnlich hoch, sondern liegt lediglich im Mittelfeld (Bild-3) [6]. Gleichwohl wurde das „Projekt“ auf Druck des bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer im Vertrag der „Großen Koalition“ für die Legislaturperiode 2013-2017 verankert [7]. Der Abschnitt im Vertrag, der sich mit der Verkehrsinfrastruktur beschäftigt, relektiert im Übrigen weder auch nur annähernd die Dimension der Probleme in diesem Zusammenhang, noch den festen politischen Willen, ihre Lösung nachhaltig anzugehen. Nachfolgend konzentrierte sich die Diskussion um die Verkehrsinfrastrukturinanzierung weitgehend auf die „PKW- Maut für Ausländer“, von der ggf. (wenn überhaupt) nur marginale Beiträge zu erwarten wären; sie nahm nicht zuletzt aufgrund der wechselnden Positionen des Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt gleichsam kakaeske Züge an. Nach Stand Ende September 2014 soll die PKW-Maut nunmehr auf allen Bundesfernstraßen gelten und am 1. Januar 2016 „scharf gestellt“ werden. Ferner kündigte der Minister an, dass die LKW-Maut in 2015 auf alle vierspurigen Bundesstraßen ausgeweitet werden sowie dann für Fahrzeuge ab 7,5-Tonnen zzG gelten soll. Schlussfolgerungen Der Umgang mit dem Thema „Steuer- oder Nutzerinanzierung der Straßen“ in der Bundesrepublik in den vergangenen 15 Jahren belegt die Notwendigkeit, endlich die inzwischen aus internationaler Praxis vielfältig verfügbaren Erkenntnisse in einer Form aufzubereiten, die als Hilfestellung für sachgerechte Entscheidungen der relevanten „Stakeholder“ geeignet sind. Trotz teilweise beträchtlich unterschiedlicher Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ländern kommen alle hochrangigen Fach- Gremien und qualiizierten Fachleute weltweit zu demselben Ergebnis: Das Potential entfernungsabhängiger Benutzungsgebühren hinsichtlich eines nachhaltigen und eizienten Mitteleinsatzes, wirkungsvoller Verkehrslenkung sowie Umwelt- und Ressourcenschonung ist beträchtlich größer, als das einer Straßeninanzierung auf Basis KFZ-bezogener bzw. allgemeiner Steuern. ■ LITERATUR [1] Regierungskommission „Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“: Zwischenbericht, 2. Februar 2000 [2] Regierungskommission „Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“: Schlussbericht, 5. September 2000 [3] Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“: Schlussbericht; Dezember 2012 [4] Verkehrsministerkonferenz der Länder: Einsetzungsbeschluss für die Kommission „Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ vom 10./ 11. April 2013 [5] Verkehrsministerkonferenz der Länder: Protokoll der Sitzung am 2. Oktober 2013 [6] Kalinowska, D. u.a.: CO 2 -Besteuerung von PKW in Europa im Vormarsch; in Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 27-28/ 2009 [7] Koalitionsvertrag der CDU, CSU und SPD für die 10. Legislaturperiode; 16. Dezember 2013 Andreas Kossak, Dr.-Ing. Inhaber Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 4.000 4.500 5.000 E u ro s pro J a hr DK NO IE NL BE MT FI PT AT IT SE DE EL FR UK HU ES CH SK SI BG LU PL LV CZ CY LT EE RO L a nd Durc hs c hnittl. A bgaben 2 009, Mittelk la s s e-P k w: V W G olf 1, 6 - O tto Umsatzsteuer Mineralöl Energiesteuer Versicherungsabgaben Kfz.-Steuer Umsatzsteuer Kauf Zulassungsabgaben Bild 3: Jährliche Abgaben für einen repräsentativen Mittelklassewagen in der EU Quelle: [6], eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 25 D ie Europäische Union hat eine neue Kommission, der Transportsektor eine neue Verkehrskommissarin: Die EU-Institutionen können fünf Monate nach den Europawahlen anfangen zu arbeiten. Das ist erfreulich. Überhaupt nicht erfreulich ist der Kollateralschaden, der bei Bildung der neuen EU-Kommission entstanden ist. Im Europäischen Parlament (EP) wurden der Verkehrsausschuss beschädigt und das Anhörungsverfahren für designierte Kommissare entwertet. Verantwortlich dafür sind in erster Linie die Spitzen der Großen Koalition aus Konservativen und Sozialisten im Hohen Haus. Sie wollten dem erstmals vom Parlament gewählten Kommissionspräsidenten Jean- Claude Juncker einen planmäßigen und vom Verkehrsausschuss ungestörten Arbeitsbeginn garantieren. Deshalb bearbeiteten sie dessen Abgeordnete, still zu halten. Die nämlich regten sich gewaltig darüber auf, dass Juncker den von ihnen bereits angehörten und für ausgezeichnet befundenen designierten Verkehrskommissar Maros Sefcovic kurzfristig wieder abzog. Er sollte eine andere Aufgabe übernehmen. An seiner Stelle sollte die Slowenin Violeta Bulc Transportkommissarin werden - eine Unternehmerin ohne jede politische, geschweige denn verkehrspolitische Erfahrung. Auch sie musste sich einer Anhörung durch den Ausschuss stellen. Dabei überzeugte ihr Fachwissen Liberale, zu deren Parteienfamilie sie gehört. Für die anderen Ausschussmitglieder war ihre Vorstellung ungenügend. Und doch erhielt sie am Ende grünes Licht. Die meisten Abgeordneten gaben es Bulc aus Parteiräson. Andere, damit der politische Stillstand in der EU, der schon vor der Europawahl im Mai begonnen hatte, endlich ein Ende habe. Viele stimmten resigniert zu. Sie erkannten klar die Signale, die ihnen Parlamentsspitze und neue Kommission mit dem eiligen Verfahren gaben. Erstens: Eure Meinung und Euer Fachwissen spielen keine Rolle. Ihr müsst sie opfern, damit der „Kandidat des Parlaments“ unbeschädigt bleibt. So in etwa drückte es Manfred Weber (CSU) aus, der Fraktionschef der Konservativen. Das zweite Signal lautet: Transportpolitik schätzen wir in der neuen Kommission so ein, dass sie jeder machen kann. Auch politische Newcomer ohne Fachwissen und nur mit gutem Willen. Ein politisch austariertes Team ist uns wichtiger als Kompetenz im Verkehrskommissariat. Deren Fehlen bei Bulc wurde mit der kurzen Vorbereitungszeit der designierten Kommissarin entschuldigt. Das belegt die Entwertung der Anhörung, der - wieder Weber - „Sternstunde der Demokratie“. Während in Deutschland Minister lediglich ernannt werden, muss auf der europäischen Ebene jeder Kommissar sich dem Parlament stellen. Dessen Mitglieder sollen die fachlichen und kooperativen Fähigkeiten der Kommissare in spe ermitteln. So gesehen sind die Hearings eine zutiefst demokratische Prozedur. Denn erfüllt ein Kandidat die Erwartungen der Abgeordneten nicht, können die dem Kommissionspräsidenten drohen: Wenn der für unfähig befundene Designierte nicht ausgetauscht wird, werden wir die gesamte Kommission ablehnen. Das ist der Plan. Aber: Wenn designierte Kommissare sich nach minimaler Präparierung einem Hearing stellen, und das Testat „nicht genügend“ dann wegen der geringen Vorbereitungszeit in ein „bestanden“ umgedeutet werden muss, ist die Anhörung keine „Sternstunde der Demokratie“ sondern eine Farce. Ganz abgesehen davon, dass die Fragen mancher Abgeordneter sie ohnehin fragwürdig machten. Die Spielregeln sehen vor, dass jedem Ausschuss-Mitglied ein Slot von drei Minuten für seine Frage und die Antwort des Designierten zur Verfügung steht. Daraus ergibt sich: Je länger die Frage, desto kürzer und unpräziser muss die Antwort des designierten Kommissars ausfallen. Obwohl die Parlamentarier mehrfach auf diesen simplen Sachverhalt hingewiesen wurden, wollten sie nicht hören. Denn zweiminütige Fragen waren die Regel, gelegentlich redeten die Abgeordneten sogar zweieinhalb Minuten, in denen sie fünf bis sechs Fragen stellten. Klar, dass die Befragten nur die leichten Fragen beantworteten, bei denen sie sich nicht festlegen mussten. Dann war die Zeit zu Ende. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden die Kompetenzen des Europäischen Parlaments gestärkt. Als sich die Parlamentarier gegen die Staats- und Regierungschefs der EU durchsetzten und den Kommissionspräsidenten wählten, gewann das Hohe Haus zusätzlich Souveränität. Das Gerangel um die neue Verkehrskommissarin belegt, dass die Abgeordneten bereit sind, sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Sternstunde der Demokratie? Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 26 INFRASTRUKTUR Interview Wladimir Jakunin Wir müssen in großen Zeiträumen denken Auf dem Landweg von China nach Europa spielt Russland eine Schlüsselrolle. Wie werden sich die Russischen Eisenbahnen hier künftig positionieren? Welche Ausbaupläne stehen in den nächsten Jahren im Fokus? Und wie kann der Ost-West-Warenverkehr auch in schwierigen politischen Situationen aufrecht erhalten, womöglich verbessert werden? Eberhard Buhl fragte Wladimir Iwanowitsch Jakunin, Präsident der Russischen Eisenbahnen (RŽD) und Vorsitzender des Internationalen Eisenbahnverbands UIC. Herr Dr. Jakunin, wie sehen Sie die internationale Rolle der Russischen Eisenbahnen in Eurasien - gegenwärtig und in Zukunft? Die Größe und die geographische Lage unseres Landes bestimmen in vieler Hinsicht die Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur. Die Russische Eisenbahnen AG betreibt eines der größten Transportnetze weltweit mit mehr als 85 000 Kilometern Schienenwegen. In Bezug auf ihre internationale Bedeutung ist die Russische Bahn der Brückenkopf zwischen West und Ost auf dem Festland - die Bahnstrecke durch Russland ist der schnellste Weg für die Beförderung von Gütern aus China nach Europa. Unser Ziel ist die Entfaltung des Transitpotentials dieser euroasiatischen „Transportbrücke“, weil die Schnelllebigkeit des heutigen Alltags neue Anforderungen an die Transport- und Logistikdienstleistungen stellt und der wichtigste Faktor für ihre wirtschaftliche Attraktivität die Lieferzeit von Gütern auf der gesamten Strecke ist. Welche Pläne haben Sie für den Passagierverkehr, etwa beim Bau und bei der Erweiterung der Schnellstrecken? Dem Bau von Schnellstrecken gehört zweifellos die Zukunft im Schienenverkehr. Das bezieht sich künftig nicht nur auf den Passagier-, sondern auch auf den Frachtbereich: Durch die neuen Verbindungen für High- Speed-Züge im Passagierverkehr gibt es mehr Schienenwege für die Güterzüge. Eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke ist zwischen Moskau und Kazan geplant. Eine Machbarkeitsstudie für dieses Projekt wurde bereits erstellt und von staatlichen Gutachtern positiv beschieden. Zudem wurde das Projekt von internationalen Experten auf seine inanzielle und technische Umsetzbarkeit geprüft. Fachleute haben die Daten der Investitionsbegründung hinsichtlich des Niveaus technischer Lösungen und der Kosten bestätigt, und der Voranschlag in der Planungsphase der Magistrale ist fertig. Ich kann sagen, dass ein Gremium führender russischer Institute auch den volkswirtschaftlichen Nutzen der Schnellzugtrasse geprüft hat. Der Vorteil liegt demnach auf der Hand: In den ersten zwölf Jahren des Betriebs der Trasse wird das russische Bruttosozialprodukt - aufgrund von Agglomerationsefekten durch Produktivitätssteigerung und Wachstum der Branchen außerhalb der Rohstofgewinnung - gemäß den Prognosen 11,7 Billionen Rubel betragen. Die zusätzlichen Steuereinnahmen in diesem Zeitraum belaufen sich auf 3,8 Billionen Rubel. Das ist deutlich mehr als die Kosten für die Umsetzung des Projekts. Die Untersuchungsergebnisse wurden vom russischen Ministerium für Wirtschaftsentwicklung bestätigt. Es ist ein sehr umfangreiches Projekt … … allerdings. Die Neubaustrecke zwischen Moskau und Kasan ist 770 km lang und durchläuft sieben Regionen mit Haltestellen in einem Abstand von jeweils 50 bis 70 km. Die Strecke führt durch Gebiete mit einer Gesamtbevölkerung von etwa 30 Mio. Menschen. Die Fahrzeit zwischen Moskau und Kasan beträgt 3,5 Stunden. Es wird mit 10,5-Mio. Passagieren bis 2020 gerechnet, die diese Verbindung jährlich nutzen werden. An dem Projekt zum Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Moskau und Kasan sind ausländische Partner interessiert. Es ist deutlich mehr als nur Interesse, sondern bereits die Bereitschaft zur Teilnahme an der Realisierung des Projektes im Rahmen einer öfentlich-privaten Partnerschaft und an einer gemeinsamen Projektinanzierung. Am 13. Oktober wurde eine entsprechende Absichtserklärung zwischen der Russischen Eisenbahnen AG, dem russischen Transportministerium und dem chinesischem Staatskommitee zur Entwicklung und Reform der Chinesischen Eisenbahn unterzeichnet. Der Güterverkehr zwischen China und Westeuropa spart auf der Schiene deutlich Zeit gegenüber dem Seeweg, zudem ist er wesentlich günstiger als der Luftverkehr. Gibt es Pläne zum Ausbau des Bahngüterverkehrs? Diese Arbeit ist bereits im Gange. In der RŽD-Holding, der Russische Eisenbahnen AG, wird das Konzept zur integrierten Entwicklung des Containergeschäfts erarbeitet. Wichtig sind dabei nicht nur die Einhaltung des Zeitplans der Transporte - das betrift sowohl die reine Fahrzeit als auch die Ankunftszeit -, sondern auch die Entwicklung neuer Technologien für den schnellen Güterverkehr sowie die Steigerung der Regelmäßigkeit und die Gewährleistung des Kundendienstes. Zur Vereinfachung der Zollabfertigung an der Grenze entwickelt Russland ein elektronisches Dokumentensystem mit seinen ausländischen Kollegen. Der zukünftige Ausbau des Transitgüterverkehrs „Ost-West“ wird maßgeblich vom „Aktionsprogramm zur Entwicklung des Containertransports unter Nutzung der Transsibirischen Eisenbahn“ bestimmt. Wir haben übrigens in Übereinstimmung mit diesem Programm das innovative Verkehrsprodukt „Transsib in 7 Tagen“ auf den Markt gebracht. Auf der Transsibirischen Eisenbahn haben wir jetzt optimale Beförderungsbedingungen erreicht, Beschränkungen für die Fahrgeschwindigkeit werden sowohl an den Stationen als auch an der Strecke schrittweise abgebaut. Erste Ergebnisse zeigen, dass das Aukommen der Frachtcontainer auf dieser Strecke bereits deutlich gestiegen ist. Ihre Maßnahmen wirken sich also auch auf die internationale Transportwirtschaft aus? Die Transportwege müssen zu einem der Katalysatoren für den unvermeidlichen Prozess der wirtschaftlichen Konvergenz und der internationalen Integration der eu- Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 27 Interview Wladimir Jakunin INFRASTRUKTUR rasischen Länder werden. Die Einrichtung einer stabilen logistischen Kette für Warenlieferungen zwischen Europa und Asien über die transsibirische Bahnstrecke ist sowohl für Russland als auch für alle anderen Länder auf dem Kontinent strategisch vorteilhaft. In Zusammenhang mit Ihrer Frage ist ein weiteres Projekt erwähnenswert, mit dessen Umsetzung in diesem Jahr begonnen wurde. Es handelt sich um das Projekt zur Verknüpfung der Transsibirischen und Transkoreanischen Eisenbahn durch die Wiederbelebung der Strecke zwischen Hasan in Russland und Rajin in Nordkorea sowie die Errichtung eines Frachtterminals. Dieses Projekt gewährleistet eine direkte Zugverbindung zwischen den europäischen Ländern und Nordkorea und erhöht außerdem die Attraktivität für Transporte südkoreanischer Frachtcontainer mit der Bahn. Und wie gestaltet sich angesichts der aktuellen politischen Spannungen das Projekt zur Verlängerung der Breitspurbahn bis an die Donau? Die angespannte internationale Situation hat sich auf das Projekt zur Erweiterung der Breitspurstrecke bis Wien nicht ausgewirkt. Die Eisenbahngesellschaften Österreichs, der Slowakei und der Ukraine - die alle unsere Partner sind - wirken weiterhin an der Umsetzung mit. Das Projekt beindet sich derzeit in der Planungsphase, bis Jahresende sind die Arbeiten am Businessplan abgeschlossen. Es ist ofensichtlich, dass die Verlängerung der Breitspurbahn von Košice nach Wien von großer Bedeutung ist: Die Umspurung der Züge in Europa ist dann nicht mehr erforderlich. Das reduziert sowohl die Transportkosten für die Güter als auch die- Lieferzeit von 12-14 Tagen. Bis 2050 wird- mit einem Verkehrsaukommen von 16-24-Mio. t Fracht gerechnet. Gewinnt durch die politische Lage die Bahnfähre über die Ostsee via Saßnitz an Bedeutung? Die Zukunft der Bahnfähre via Saßnitz und die zunehmende Wichtigkeit dieser Strecke hängt nicht nur von der politischen und wirtschaftlichen Situation ab, sondern auch von der Qualität der erbrachten Dienstleistungen, der Harmonisierung der Tarife und der möglichen Diversiizierung dieser Verbindung in Bezug auf die Erschließung neuer Fährverbindungsnetze in Kooperation mit interessierten Geschäftspartnern. Wir sind bereit, potentiellen Kunden eine ausgereifte Transport-und Logistikdienstleistung anzubieten, die sowohl die Auswahl einer optimalen Anlieferungsroute umfasst als auch das Umladen auf die russischen Eisenbahnen bei Strecken über den Landweg, das Verladen in den Häfen sowie das Verladen auf den Seeweg der Strecke und die Organisation des Umladens auf die Eisenbahnen der jeweiligen europäischen Staaten. Das heißt also, dass unser Angebot alle Etappen des Transportprozesses umfasst. So gewährleisten wir eine Technologie der „nahtlosen Logistik“ und bieten dem Kunden einen Service mit nur einer Anlaufstelle an, was ja heutzutage im höchsten Maße gefordert wird. Diese Initiativen inden zunehmend Resonanz auch bei russischen Herstellern, die nach Europa exportieren, und wir werden sie in Zukunft weiter entwickeln und so eine- immer größere Zahl russischer, aber auch ausländischer Partner und Kunden anziehen. Welche strategischen Maßnahmen können Sie ergreifen, um eine zuverlässige und dauerhafte Kommunikation zwischen dem Osten und dem Westen zu sichern? Eine zuverlässige und dauerhafte Kommunikation zwischen Ost und West in Bezug auf den Güter-und Personenverkehr gibt es bereits jetzt. Dennoch gibt es viel zu verbessern. Dies ist nötig, um die Kapazität der Bahnstrecken auszubauen und die Geschwindigkeit der Züge zu erhöhen. Die Russische Eisenbahnen AG hat eine Reihe infrastruktureller, rechtlicher, wissenschaftlicher und technischer Projekte gestartet, die das Transitpotenzial der eurasischen „Transportbrücke“ ofenlegen. Unsere Tochtergesellschaften haben zusammen mit unseren ausländischen Partnern einen regelmäßigen Containerzugverkehr zwischen Europa und Asien auf die Beine gestellt. Unter Beteiligung der Logistiksparte der Russischen Eisenbahnen AG wurden beispielsweise die Containerzüge Far East Land Bridge (FELB) und Yuxinou auf die Schiene gebracht. Im Rahmen der Schafung eines einheitlichen Wirtschaftsraums und integrierter Transport- und Logistikunternehmen gibt es seit 2012 ständige Anstrengungen, den Wladimir Iwanowitsch Jakunin, 66, schloss sein Studium am Leningrader Mechanischen Institut ab. Er war zunächst beim Ministerrat der UdSSR in der Außenhandelsabteilung tätig, zwischen 1985 und 1991 dann als Mitarbeiter der sowjetischen Mission bei den Vereinten Nationen. Nach Aulösung der Sowjetunion war er zunächst Geschäftsmann, trat 1997 aber wieder in den Staatsdienst ein. Im Oktober 2000 wurde er zum stellvertretenden Verkehrsminister der Russischen Föderation ernannt, im Februar 2002 zum stellvertretenden Eisenbahnminister und im Juni 2005 zum Nachfolger von Gennadi Fadejew als Präsident der staatlichen russischen Eisenbahngesellschaft (RŽD). Seit Dezember 2012 ist Jakunin zudem Vorsitzender des Internationalen Eisenbahnverbands-UIC. Der promovierte Politikwissenschaftler ist Gastprofessor an der Stockholm School of Economics. Er engagiert sich gesellschaftlich unter anderem als Vorsitzender des Kuratoriums des Kinderhilfsfonds „Rasprav krylia“ und wurde mit zahlreichen nationalen und internationalen Ehrungen ausgezeichnet. ZUR PERSON Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 28 INFRASTRUKTUR Interview Wladimir Jakunin Transportkorridor als Alternative zum Seeweg für Containerfracht zwischen China und der Europäischen Union zu entwickeln. Wir rechnen damit, dass bis 2020 bis zu 1-Mio. TEU pro Jahr auf diese Strecken gebracht werden können. Was künftige Projekte angeht, muss ich auch das von der Russischen Eisenbahn erarbeitete Konzept der Trans-Euro-Zone „RAZVITIE“ erwähnen. Dabei soll auf der Basis multimodaler Infrastrukturen - Eisenbahn, Auto, Energie, Wasser und Information - ein makroregionales System gebildet werden, das die Wirtschaften Europas, Russlands und asiatischer Länder wie Kasachstan, China, Japan, Korea und so weiter verbindet. Für potenzielle Investoren kann die Trans-Eurasien Zone „RAZVITIE“ ein Instrument für langfristige Investitionen in High-Tech-Infrastruktur-Projekte im realen Wirtschaftssektor werden. Welche Infrastrukturprojekte realisiert die Russische Bahn derzeit? Das wichtigste Infrastrukturprojekt ist für uns heute der Ausbau des Eisenbahnnetzes im östlichen Landesteil: Die Erhöhung der Kapazität und Belastbarkeit der Baikal- Amur-Magistrale BAM und der Transsibirischen Eisenbahn ist unser wichtigstes Infrastrukturprojekt, wie ich oben bereits erwähnt habe. Wir wollen mehr als 562 Mrd. Rubel in das Projekt investieren. Der Staat steuert 260 Mrd. Rubel bei, 302 Mrd. Rubel investiert die Russische Eisenbahn selbst. Der beschlossene Plan würde den Transport von Gütern auf diesen Strecken zum Jahr 2020 hin um 66 Mio. t im Vergleich zum Jahr 2012 erhöhen. Ein weiteres wichtiges Projekt ist der Ausbau der Bahninfrastruktur des Moskauer Verkehrsknotens. Wir müssen die Durchlässigkeit und die Kapazität der Eisenbahninfrastruktur verbessern - das ist besonders wichtig für die größte Metropole des Landes, wo der Passagierverkehr ständig steigt. Ziel des Projekts ist die harmonische Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur des Eisenbahn- und des Intercity-Personenverkehrs sowie die Schafung damit verbundener und komplementärer Unternehmen. In Moskau gibt es neue Segmente des Wirtschaftswachstums, 10 400 neue Stellen werden geschafen, 4000 davon im Bereich Passagierverkehr. Zudem setzen wir auch Infrastrukturprojekte im Süden des Landes um. Insbesondere bauen wir die Strecke M.Gorkij - Kotel‘nikovo - Tichoreckaja - Krim mit einer Umgehung des Knotenpunkts Krasnodar aus. Das gewährleistet die Warenlieferung in die Häfen des Asowschen und des Schwarzen Meeres, also nach Novorossijsk, Tuapse, Kavkaz, Temrjuk und den neuen Seehafen Taman, und es erlaubt zudem, den Warenverkehr auf die Strecke Timaschewskaja - Krim umzuleiten und damit die Arbeit des Knotenpunkts Krasnoda zu optimieren. Im Nordosten des Landes bauen wir die Strecke Mga - Gatschina - Vejmarn - Ivangorod sowie Eisenbahnverbindungen zu den Häfen am südlichen Finnischen Meerbusen wieder auf. Und wir befassen uns auch mit der Entwicklung der Eisenbahninfrastruktur in anderen russischen Regionen. Ich sollte noch hinzufügen, dass die RŽD- Holding nicht nur auf russischem Staatsgebiet Bahnstrecken baut. Wir setzen auch im Ausland Infrastrukturprojekte um: in Iran, Serbien, Nordkorea. Wir suchen nach Möglichkeiten und Perspektiven an Projektbeteiligungen in Brasilien, Ecuador, Äthiopien und Vietnam und erwägen die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der Arbeit in Libyen nach dem Umsturz 2011. Sie selbst sind nicht nur Präsident der RŽD, sondern zugleich Vorsitzender des Internationalen Eisenbahnverbandes UIC. Welche technischen, aber auch politischen Herausforderungen sehen Sie in dieser Funktion in den nächsten fünf bis zehn Jahren? Ich bin sicher, dass die Fragen, die sich die Eisenbahnunternehmen in der ganzen Welt heute stellen, im Laufe der nächsten fünf bis zehn Jahre nicht an Aktualität verloren haben werden. Wie macht man einen Transport schneller, ungefährlicher und insgesamt efektiver? Wie minimiert man die Belastung der Umwelt? Welche neuen Technologien soll man benutzen, um Transportdienstleistungen für den Kunden noch günstiger und attraktiver zu machen? In erster Linie muss die Eisenbahn gerade diese Fragen in der näheren Zukunft lösen, indem sie den UIC als Plattform zum Erfahrungsaustausch und der Ausarbeitung angemessener Lösungen nutzt. Wo wir gerade bei technischen Herausforderungen sind, muss ich bemerken, dass das ernsthafteste Problem immer noch wesentliche Unterschiede in den technischen Standards sind, die eine Konkurrenz der Eisenbahn mit alternativen Transportwegen erschweren. Aber wir arbeiten bereits daran, mit dieser Schwierigkeit fertig zu werden. In Rahmen der Standardisierungsplattform des UIC ist zum Beispiel die Vorbereitung internationaler Eisenbahnstandards im Gange, die die Interrentabilität der verschiedenen Eisenbahnsysteme fördert und dadurch den Verbrauch in Produktion und technischer Bedienung senkt. Lehrt nicht die Erfahrung, dass man dabei in großen Zeiträumen denken muss? Eine solche Harmonisierung erfordert natürlich lange und hartnäckige Arbeit, und die Ergebnisse werden nicht von heute auf morgen da sein. Ja, wir müssen in großen Zeiträumen denken, aber ich bin überzeugt, dass eine konsequente und beharrliche Bewegung in dieser Richtung die Eisenbahn auf den neuesten Stand der Technik bringen wird. Im Hinblick auf die politischen Herausforderungen muss ich vor allem daran erinnern, dass der UIC keine politische Organisation ist. Genau darin liegt auch sein Vorteil. Es ist jene Plattform, auf der die Eisenbahnchefs der ganzen Welt Fragen von praktischer Zusammenarbeit und essentielle Geschäftsfragen erörtern können, ohne gleich in politische Debatten zu geraten. So war es - und so wird es hofentlich auch bleiben. Die Geschäftspolitik der Verbandsmitglieder ist natürlich wiederum von Belang. Und hier versuchen wir, vorwärts zu schauen und unseren Mitgliedern zu helfen: Es liegen strategische Dokumente für alle sechs Regionen des internationalen Eisenbahnverbandes bereit, und im nächsten Jahr wollen wir auch ein globales Eisenbahntransportkonzept vorlegen, das als Orientierung für den gesamten Eisenbahnsektor dienen wird - selbstverständlich unter Berücksichtigung aller regionalen Besonderheiten. Vor über 90 Jahren haben die Eisenbahner der Welt einen internationalen Eisenbahnverband auf der gemeinsamen Wertegrundlage von Einheit, Solidarität und Universalität gegründet. Und wenn der Weg zur Universalität auch noch lang und schwierig sein wird, so können wir uns doch der Einheit und Solidarität sicher sein, und das ist die wichtigste Politik, die der UIC verfolgt. Ich will hofen, dass sich ein solcher vernünftiger und pragmatischer Geist nicht nur in den nächsten zehn Jahren, sondern auch darüber hinaus erhalten wird. ■ Vor allem muss ich daran erinnern, dass der UIC keine politische Organisation ist. Genau darin liegt auch sein Vorteil. Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 29 Konzessionsmodelle INFRASTRUKTUR Neue Wege - die ganzheitliche Beschafung Ein Plädoyer für Unternehmertum bei Bau und Betrieb von-Autobahnen Mit dem Modell der Konzession hält die soziale Marktwirtschaft eine Beschafungsvariante und Organisationsform bereit, die der direkten staatlichen Verwaltung von Verkehrsinfrastrukturanlagen überlegen ist und zudem unserer Wirtschaftsordnung besser gerecht wird. Eine Autobahn kann nicht nur von privaten Bauirmen gebaut, sie kann von denselben auch betrieben werden. Es ist die überlegene Beschafungsvariante, die unsere Autobahnen aus dem Investitions-Stau herausholt und den Nutzern dauerhaft qualitative Straßennutzungsleistungen zur Verfügung stellt. Der Autor: Korbinian Leitner I m Land der schönsten Autos geht es mit den Autobahnen rapide bergab. Aus Fernstraßen sind Rumpelpisten geworden, die den Anforderungen längst nicht mehr gerecht werden und Jahr für Jahr hunderttausende Staus verzeichnen. 1 So könnte man, etwas verkürzt, den Zustand des deutschen Bundesautobahnnetzes beschreiben. Es wird vom Staat höchstselbst, öfentlich-rechtlich „verwaltet“. Die konkrete Aufgabe übernehmen die Länder bzw. jene zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften, die sich im Auftrag des Bundes darum kümmern. 2 Laut Bundesfernstraßengesetz haben sich die Nutzer mit der „Leistungsfähigkeit“ dieser Auftragsverwaltung zufriedenzugeben. 3 Ist das noch zeitgemäß? Längst erfordern die volkswirtschaftliche Bedeutung und der betriebswirtschaftliche Wert der Bundesfernstraßen 4 strukturelle und vor allem organisatorische Reformen. Die Verfügbarkeit von Fahrspuren von A nach B ist keineswegs so existenziell bedeutsam, dass eine hoheitliche Selbstverwaltung unabdingbar wäre. Auch verhindert der ökonomische Charakter einer Fernstraße nicht die ganzheitliche Bereitstellung durch Private. 5 Die Konzession Der Bau einer Fernstraße und die Bereitstellung von Fahrspuren kann über eine so genannte „Konzession“ erfolgen. In der Konzession arbeiten typischerweise die öffentliche Verwaltung als Konzessionsgeber bzw. Kunde und ein privates Unternehmen als Konzessionsnehmer bzw. Anbieter zusammen. Diese Kooperation verbindet hoheitliche Steuerung, etwa Trassenplanung und Grunderwerb, mit privatem Unternehmertum. Beide Dinge sind für eine eiziente Bereitstellung und den efektiven Betrieb der Fernstraßeninfrastruktur notwendig, um sowohl den öfentlichen Belangen als auch den Interessen der Nutzer gerecht zu werden. Ziele und Interessen in der Konzession Der Konzessionsgeber vertritt die öfentlichen Belange und beauftragt das physische Bauprodukt Straße. Als verantwortlicher Straßenbaulastträger ist ihm daran gelegen, dass das Bauwerk über die Jahrzehnte seiner Lebensdauer zuverlässig genutzt werden kann. Er fungiert gegenüber dem Konzessionsnehmer als eine Art „hoheitlicher Zwischenhändler“ für die - und letztlich im Namen der - privaten Nutzer (Bild 1). Bei bemauteten Fernstraßen wird dieses Dreiecksverhältnis besonders deutlich. Die Nutzer bezahlen für die Inanspruchnahme der Fahrspur von A nach B. Vom Konzessionsnehmer, dem Autobahnbetreiber, erwarten sie eine ansprechende Leistung, die ohne Einschränkungen und Qualitätsmängel zur Verfügung steht. Die Interessen von öfentlichem Straßenbaulastträger und privaten Nutzern sind damit grundsätzlich gleichgerichtet, auch wenn die öfentliche Hand den Fokus auf die physische Qualität der gebauten Infrastruktur legt und die Nutzer die tatsächliche Nutzungsleistung, also die Verfügbarkeit von Fahrspuren, verfolgen. Schnittstellen vermeiden Mit der konventionellen Beschafung wird man diesem Anspruch in der Praxis nicht gerecht. Die Zuständigkeit und Verantwortung für das Produkt „Verfügbarkeit von Fahrspuren“ fallen im Wertschöpfungsprozess an vielen Stellen in voneinander getrennte Einheiten auseinander. Viel Raum also, um eigene oder gar widerstrebende Interessen zu verfolgen. Da plant die öfentliche Hand, private Unternehmen bauen, hinterher übernehmen die Autobahnmeistereien der Länder den Betrieb, und der Bund soll zahlen. Es ist also eine Vielzahl von öfentlichen Stellen und privaten Firmen am Bau und Betrieb beteiligt, ohne je alle Stufen der Wertschöpfungskette „Autobahn“ bzw. „Verfügbarkeit von Fahrspuren“ zu überblicken. Die Nutzer bleiben am Ende auf der Strecke, denn diese ist marode, gesperrt und nicht verfügbar. Ofensichtlich ist das derzeitige System nicht in der Lage, auf Dauer eine leistungsfähige Infrastruktur bereitzustellen. Die Beschafungsrealität suggeriert zumindest dieses Bild. Konzessionsgeber - Kunde Straßenbaulastträger Konzessionsnehmer - Anbieter Autobahnbetreiber Nutzer Kraftfahrzeuge Bild 1: Akteure in der Konzession zum Bau und Betrieb von Autobahnen Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 30 Infrastruktur Konzessionsmodelle Integrierte Beschafung Die Organisationsform der ganzheitlichen Beschafung legt die Zuständigkeit in eine Hand. Ein einziger Akteur, der im Folgenden näher benannt wird, übernimmt die Verantwortung zur Bereitstellung von verfügbaren Fahrspuren. Damit können die Phasen im Lebenszyklus einer Fernstraße von der Ausführungsplanung über die bauliche Realisierung bis hin zum Betrieb und zur Erhaltung integriert und in Abstimmung untereinander optimiert werden. Das eröfnet Eizienzpotenziale und führt zu geringeren Kosten über den gesamten Lebenszyklus. Bei einer solchen ganzheitlichen Planung sorgt etwa eine hohe Qualität im Bau für geringere Erhaltungskosten und Erhaltungsmaßnahmen und damit für-weniger Einschränkungen und Sperrungen während des Betriebs. Die Verfügbarkeit der Fahrspuren wird erhöht; es kommt zu weniger Engpässen und Stauereignissen. unternehmertum setzt auf Erindergeist Wer soll dieser eine Akteur sein? Würde eine neu strukturierte öfentliche Verwaltung die Ansprüche erfüllen können? Die Bundeshaushaltsordnung 6 verplichtet zur Prüfung, „inwieweit staatliche Aufgaben oder öfentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten [auch] durch Ausgliederung und Entstaatlichung […] erfüllt werden können.“ Gemeint ist die Prüfung alternativer Möglichkeiten der Aufgabenerfüllung, also der Durchführung der Aufgabe. Die hoheitliche Verantwortung und Trägerschaft der Straßenbaulast steht außer Frage und wird auch hier nicht bezweifelt. Erste Erfahrungen aus Pilotprojekten haben gezeigt, dass „private Anbieter“ die Aufgabe mindestens ebenso gut erledigen können wie die öfentliche Verwaltung. 7 Die bauliche Realisierung, der Betrieb und Unterhalt eines Straßenkörpers und die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen sind ökonomisch gesehen ein handwerkliches Gewerbe, das in seiner Aus- und Durchführung keiner hoheitlichen Erledigung bedarf. Die Ausführung der Aufgabe durch private Unternehmen steht damit vorbehaltlos im Einklang mit unserer Wirtschaftsordnung. 8 Die soziale Marktwirtschaft bedingt das private Unternehmertum und setzt auf deren Können und Erindergeist. Sie ist erfolgreich, weil Wettbewerb zu Eizienz und Innovationen zwingt. Und das ist gut so. Das Gegenteil von Eizienz ist Verschwendung; das Gegenteil von Innovation Stagnation und Stillstand. Wie kann also eine solche überlegene Beschafungsvariante der sozialen Marktwirtschaft praktiziert werden? Folgende Ausführungen skizzieren, wie der private Akteur ausgewählt, eingesetzt und hoheitlich gesteuert werden kann. Im Wettbewerb zu Eizienz Die Konzession zum Bau und Betrieb einer Autobahn wird öfentlich ausgeschrieben und im Wettbewerb vergeben. Die Anbieter kalkulieren ihre Aufwendungen für die einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette und berechnen so die Kosten über den gesamten Lebenszyklus. Bei Autobahnen geht man von einem Zeithorizont von 20 bis 30 Jahren aus. Daraus ergibt sich ein monatlicher Betrag, zu dem sie ihre Leistung der „verfügbaren Fahrspuren“ über die Laufzeit der Konzession anbieten, das so genannte Verfügbarkeitsentgelt. Es versteht sich von selbst, dass genau hierin das oben genannte Eizienzpotenzial der integrierten Leistungserbringung zur Geltung kommt. Ein weiteres Wettbewerbskriterium kann der Zeitpunkt der Indienststellung der neuen Straßeninfrastruktur sein. All das lässt sich im Konzessionsvertrag vertraglich ixieren und beauftragen. Der Kunde als Konzessionsgeber proitiert von einer deutlich höheren Kostensicherheit wie auch von der Termintreue in der Leistungserbringung, der Verfügbarkeit von Fahrspuren. Dauer der konzession Die zu erbringende Leistung an verfügbaren Fahrspuren bedingt eine Vertragsdauer über mehrere Jahrzehnte. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht geben der Lebenszyklus des zu Grunde liegenden Bauproduktes Straße und seine Haltbarkeit ein solch lang anhaltendes Engagement vor. 9 Die extrem hohen und irreversiblen Aufwendungen zum Bau einer Autobahn können so über mehrere Jahrzehnte verteilt und erwirtschaftet werden. Die lange Dauer der Konzession bedeutet allerdings nicht, dass der Konzessionsgeber keinen Einluss mehr auf die Leistungserbringung hätte. Im Gegenteil. Genau an dieser Stelle greifen die Funktionen der Finanzierung zur Steuerung des Konzessionsnehmers. finanzierung der autobahn Parallel zum Warenstrom des Wertschöpfungsprozesses verläuft der Geldstrom, also die Finanzierung der Produktionsmittel. Es sind die zwei Seiten einer Medaille, die bei einer ganzheitlichen Beschafung untrennbar miteinander verbunden sind. Jegliche Art der Leistungserbringung erfordert den Einsatz von Produktionskapital im weitesten Sinne. Egal, welches Produkt man produzieren möchte, jedes Mal gilt es, den Einsatz von Menschen und Maschinen zu inanzieren. Warum soll das bei einer Autobahn anders sein? Auch der Inhaber einer Konzession zum Bau und Betrieb einer Autobahn kann die zu erstellende Leistung inanzieren und durch den Absatz seiner Leistung, nämlich das Zurverfügungstellen von Fahrbahnen, wieder erwirtschaften. Sein Kunde ist der Baulastträger für Autobahnen, die Bundesrepublik Deutschland, die ihm das im Wettbewerb ermittelte Verfügbarkeitsentgelt bezahlt. anreizmechanismus für ordentliche Leistung Vertragliche Bonus- und Malusregelungen beeinlussen die tatsächliche Höhe des monatlichen Entgelts und üben auf diese Weise eine steuernde Funktion auf den Autobahnbetreiber und Konzessionsnehmer aus. Steht also beispielsweise die Fahrbahn zeitweise nicht zur Verfügung oder muss die erlaubte Geschwindigkeit mangels Qualität reduziert werden, verringert sich das zu zahlende Entgelt. Der Autobahnbetreiber hat deshalb einen hohen Anreiz, von vornherein ordentlich zu leisten. Nur so kann er die Verfügbarkeit hoch halten und seine Finanzierung fristgerecht bedienen. Es sind grundlegende unternehmerische und kommerzielle Anreizmechanismen, die hier wie in jeder anderen Branche auch zum Einsatz kommen und dem Kunden - hier Konzessionsgeber - eine hohe Qualität der Leistung sichern. Aus volkswirtschaftlicher Sicht hat die Konzession weitere entscheidende Vorteile. Die Langfristigkeit des Vertrages führt im Beschafungsprozess zur Lebenszyklusbetrachtung und schaft damit Kostensicherheit und hohe Qualität im Bau. Ein dauerhaft guter Zustand der Straßeninfrastruktur wird durch ein stabiles Niveau der Erhaltungsmaßnahmen erreicht. Kann der Straßenbaulastträger die Verfügbarkeitszahlungen zudem aus Nutzergebühren - Maut - bestreiten, reduziert sich nicht nur die Abhängigkeit der Straßeninvestitionen von der aktuellen Haushaltslage, sondern es schließt sich der Kreis der Nutzerinanzierung. Einnahmeseite und Verwendungsseite sind verknüpft, und das Prinzip der Gegenleistung kommt zum Tragen. 10 Leistungsanreiz Wie man den Spieß auch wendet, der Anreiz zur Leistungserbringung generiert sich aus der Verplichtung des Konzessionsnehmers zur Bedienung seiner Finanzierung bzw. aus der Aussicht auf Gewinn. Wer glaubt, eine öfentliche Finanzierung sei günstiger, weil der deutsche Staat mit seinem hervorragenden Rating am Finanzmarkt bessere Konditionen bekommt, denkt zu kurz und konter- Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 31 Konzessionsmodelle INFRASTRUKTUR kariert Unternehmertum, Produktionseizienz und Leistungsanreiz. Zum Nutzen der Nutzer In der Konzession verbinden sich Eizienz und Qualität. Konzessionsgeber und Konzessionsnehmer gehen eine gewinnende Symbiose zum Wohle der Nutzer ein. Das Modell kanalisiert deren Zielsetzungen und setzt über die integrierte Beschafung die richtigen Anreize, ein nachhaltiges Produkt bereitzustellen. ■ 1 Für das Jahr 2013 wurden auf deutschen Autobahnen über 400.000 Stauereignisse mit einer Gesamtdauer von etwa 250.000 Staustunden erfasst (ADAC e.V., Staubilanz 2013 von Dezember 2013, www.adac.de) 2 Art. 90 Abs. 2 GG (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröfentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist). 3 Das Bundesfernstraßengesetz verplichtet in §3 FStrG den Träger der Straßenbaulast zur Wahrnehmung von Aufgaben, die mit dem Bau und der Unterhaltung der Bundesfernstraßen in Zusammenhang stehen. Der Umfang und die Intensität dieser Aufgabenwahrnehmung ist an die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Straßenbaulastträgers gekoppelt (Bundesfernstraßengesetz (FStrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Juni 2007 (BGBl. I S. 1206), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 31. Mai 2013 (BGBl. I S. 1388) geändert worden ist) 4 Das Bruttoanlagevermögen der Bundesautobahnen wird auf rund 177 Mrd. Euro geschätzt (BMVI, Berechnung der Wegekosten für das Bundesfernstraßennetz sowie der externen Kosten nach Maßgabe der Richtlinie 1999/ 62/ EG für die Jahre 2013 bis 2017 vom 25. März 2014) 5 Die Irreversibilität der Investition bedingt für eine privatwirtschaftliche Bereitstellung eine Beschafung und Vergütung auf Basis der „Verfügbarkeit von Straßennutzungsleistungen“ - nicht des physischen Straßenbaukörpers an sich (vgl. Leitner, Korbinian, 2010: Die Maut im F-Modell zur Fernstraßeninanzierung, Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, München, S. 21f.) 6 Bundeshaushaltsordnung vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1284), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2395) geändert worden ist, § 7 Abs. 1 7 Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, Stellungnahme zum Bericht des Rechnungshofes an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vom 4. Juni 2014 und der darin zitierten Stellungnahmen der Auftragsverwaltungen der Länder 8 Das Bundesinanzministerium (BMF) schreibt auf seiner Internetseite dazu Folgendes: „Das Haushaltsrecht des Bundes verleiht der ökonomischen und politischen Grundüberzeugung Ausdruck, dass privater Initiative […] grundsätzlich Vorrang gegenüber Beteiligungen des Bundes zu geben ist.“ 9 Leitner, Korbinian, 2010: Die Maut im F-Modell zur Fernstraßeninanzierung, Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, München, S. 23f. 10 Leitner, Korbinian, 2010: Die Maut im F-Modell zur Fernstraßeninanzierung, Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, S. 154f. Korbinian Leitner, Dr. Projektleiter, Hochtief PPP Solutions GmbH, Niederlassung Transport Infrastruktur Europa, Essen korbinian.leitner@hochtief.de Die Verkehrssysteme in Brasiliens Städten sind ressourcenintensiv und stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Das Vorhaben Energiee zienz in der urbanen Mobilität hat zum Ziel, die Voraussetzungen für eine Erschließung von Energiee zienzpotenzialen in der urbanen Mobilität brasilianischer Städte zu verbessern. Tätigkeitsbereich Sie übernehmen die fachliche, personelle und nanzielle Steuerung des Projekts. Dies umfasst die Führungsverantwortung für ein Team von nationalen Projektmitarbeitern/ -innen sowie alle Aufgaben des Projektmanagements. Sie verantworten den Beratungs- und Unterstützungsprozess gegenüber Auftraggeber und Partnern. Ihre Qualifikation Basierend auf einem relevanten Hochschulabschluss verfügen Sie über mehrjährige Erfahrungen im Bereich der nachhaltigen urbanen Mobilität, sowohl im Bereich Planung also auch Politikberatung. Ihre ausgeprägten Fachkenntnisse konnten Sie in Beratertätigkeiten auch im Ausland anwenden. Ihre sehr gute Kommunikationsfähigkeit bringen Sie sowohl in Englisch und Portugiesisch wie auch in Deutsch zum Ausdruck. Ihre Bewerbung Haben wir Ihr Interesse geweckt, dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung über unseren Online-Stellenmarkt unter der Job-ID 19821. Weitere Informationen nden Sie auf unserer Homepage: www.giz.de/ jobs. Leiter (m/ w) des Projekts Energieeffizienz in der urbanen Mobilität in Brasilia/ Brasilien - JOB-ID: 19821 Die GIZ - leidenschaftlich dabei www.giz.de/ jobs Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 32 Neues Leben im Parkhaus Überbreite SUVs, die nicht mehr in die schmalen Parkstände passen, seit Jahren nicht erhöhte Parkgebühren im öfentlichen Straßenraum, der Carsharing-Boom - es gibt viele Gründe für leerstehende Parkhäuser. An immer mehr Orten zeichnet sich ab, wie alternative Nutzungen dieser Gebäude neue Urbanität erschafen können. Der Autor: Wolfgang Aichinger I n der zweiten Reihe, ein wenig verborgen hinter einer typischen High Street, liegt das Parkhaus Cerise Road im Londoner Stadtteil Peckham. Der funktionale Bau aus der Nachkriegszeit unterscheidet sich äußerlich wenig von anderen Parkhäusern in London. Doch nur wenige der insgesamt 300 Parkplätze werden noch genutzt. Das Haus ist eine typische Altlast aus überoptimistischen Tagen der autogerechten Stadtplanung und kostet die Bezirksverwaltung als heutige Eigentümerin eher Geld, als welches einzubringen. Ein Ärgernis, dem man schleunigst mit der Abrissbirne begegnen könnte. Sven Mündner, Historiker aus Hamburg, sieht das vollkommen anders. Er ist überzeugt, dass es sich bei dem Parkhaus um einen unverzichtbaren Teil der kulturellen und sozialen Erneuerung im Süden Londons handelt. Seit 2007 konnte er als einer der Leiter des Kunstprojekts „bold tendencies“ jedes Jahr mehr und mehr Besucher vom Potenzial und Charme des eigenwilligen Gebäudes überzeugen, zuletzt rund 60 000 pro Saison. Die Initiative bespielt die oberen vier Etagen des Parkhauses, hauptsächlich mit Skulpturen, die in der kargen Ästhetik der Parkdecks ein einzigartiges Umfeld inden. Zusätzlich wurde ein Theaterauditorium geschafen, und die mit geringsten Mitteln auf der Dachterrasse errichtete Bar ermöglicht dem Publikum eine spektakuläre Aussicht auf den Süden Londons (Bild 1). Die Kunstpresse reagierte weltweit mit Begeisterung. 100 Mio. Parkplätze allein in-Deutschland Auf den ersten Blick verwundert es: Warum rückt ausgerechnet ein Parkhaus in den Fokus von Kulturschafenden, Architekten und Unternehmern? Oft als grauer Un-Ort gescholten, trefen dort heute zwei Treiber der Stadtentwicklung aufeinander. Die Suche nach alternativen Freiräumen, nach aufregenden und ofenen Orten für kreative Nutzungen verbindet sich mit einem tiefgreifenden Wandel in der Mobilität - zumal in den hochverdichteten Innenstädten. Trotz ihrer Bezeichnung als Fahrzeuge stehen Autos im Durchschnitt rund 22 bis 23 Stunden am Tag still. Bei einem Bestand von knapp 44 Mio. PKW ist Parkraum somit ein wertvolles und rares Gut. Insgesamt dürfte es in Deutschland mehr Parkplätze Infrastruktur Stadtentwicklung Foto: Henrik G. Vogel/ pixelio Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 33 Stadtentwicklung INFRASTRUKTUR als Einwohner geben, die Schätzungen liegen bei 100 Mio. (Gerlach 2014); allein im deutschen Bundesverband Parken sind die Betreiber von mehr als 2500 Garagen und Parkhäusern organisiert, die gemeinsam über rund eine Million kommerziell genutzte Stellplätze verfügen. Wandlungsfähigkeit oder Gebäudeschönheit waren bei der Schafung von Parkhäusern kaum Kriterien. Mittlerweile fallen aber immer mehr dieser Zweckbauten aus ihrer vorgesehenen Rolle, und so stellt sich die Frage, ob man die großen, oft zentral gelegenen Betonburgen in Zeiten angespannter Immobilienmärkte auch anders nutzen kann. Peak-Car ist abzusehen Die Automobilbranche ist im Wandel, wie die jüngst veröfentlichte Shell PKW-Studie 2014 zeigt (Shell 2014) 1 . So ist zu erwarten, dass die Motorisierung der deutschen Bevölkerung in den nächsten 25 Jahren kaum noch zunehmen wird. „Peak-Car“ wird bei der durchschnittlichen Jahresfahrleistung je PKW um 2020 erreicht, danach ist mit einem leichten Rückgang zu rechnen. Mit einer insgesamt schrumpfenden Bevölkerung wird sich auch der PKW-Gesamtbestand reduzieren. Damit dürfte auch die generelle Nachfrage nach Parkraum langfristig nicht mehr weiter wachsen. Zugleich hat ein tiefgreifender Wandel bei Einstellungen und Handlungsmustern begonnen, zumindest in den jungen urbanen Milieus der Großstädte. Das Auto wird von vielen Menschen als unpraktisch erlebt, es passt nicht mehr zum Lebensstil (u.a. Scheer 2009). Hinzu kommt, dass Carsharing und lexible Leihsysteme für Fahrräder immer komfortabler zu nutzen sind und in Zukunft über gemeinsame Tarif- und Abrechnungssysteme noch besser mit dem öffentlichen Verkehr verzahnt sein werden. Nicht zuletzt setzen viele Städte auf zunehmend strengere Regulierung des Autoverkehrs, beispielsweise mit einer City Maut oder mit Umweltzonen. Zahlen aus London zeigen, dass seit 2001 zwar das Verkehrsaukommen im Großraum um 11 % angestiegen, die Zahl der Autofahrten aber um 13 % zurückgegangen ist (Transport for London 2012). In Berlin wird in vielen Bezirken das Auto schon heute nur mehr auf jedem vierten Weg genutzt. Parkhäuser stehen bereits heute vielfach leer Noch bleiben die Parkhausbetreiber optimistisch: „Das Thema Leerstand im Parkhaus taucht zwar immer wieder auf - zumindest in Deutschland bewegt es aber noch nicht die Gemüter“, sagt Gerhard Trost-Heutmekers vom Bundesverband Parken. Zuletzt wurden hierzulande sogar zwei Parkhausfonds als Anlageinstrument mit Renditeversprechen von 6 % und mehr aufgelegt. Trotzdem bleibt da die Frage: Wie lange lässt sich dieses Versprechen noch halten? Ein diferenzierter Blick zeigt, dass längst nicht alle Parkhäuser wirtschaftlich prosperieren. So wurde an der Uni Wuppertal die Auslastung von knapp 6000 innerstädtischen Parkplätzen in insgesamt 15 Parkhäusern einer deutschen Großstadt untersucht (Gerlach 2014). Die durchschnittliche Auslastung über alle Standorte lag an Wochentagen zwischen 8.00 und 20.00 Uhr bei lediglich 46 %. Selbst der traditionell frequenzstarke Samstag brachte nur eine Auslastung von durchschnittlich 55 %. Nur drei der untersuchten Parkhäuser erreichten im Verlauf der Woche zumindest einmal eine vollständige Auslastung, sechs an einem Samstag. Der Leerstand mitten in unseren Innenstädten ist also bereits heute die Regel. SUV-Boom bringt ältere Parkhäuser in Bedrängnis Hinzu kommt eine zunehmend anspruchsvoller werdende Kundschaft. Eine kürzlich veröfentlichte ADAC-Umfrage zeigt, dass neben günstigen Preisen vor allem breite Stellplätze gefragt sind (Winkler 2014). Diese werden angesichts einer Veränderung des PKW-Fuhrparks immer wichtiger. Allein zwischen 2000 und 2010 legte ein durchschnittliches Auto um 15 cm Breite und 25 cm Höhe zu. Die besonders großen SUVs verschärfen diesen Trend, zuletzt lag ihr Anteil an allen Neuzulassungen bereits bei rund einem Fünftel. Bei einer gesetzlichen Mindestbreite von 2,30 m für einen Parkstand und größtenteils aus den Nachkriegsjahrzehnten stammenden Parkhäusern verwundert es nicht, dass nur 7 % der vom ADAC Befragten angaben, dass eine komfortable Stellplatzbreite in den Parkhäusern geboten wird. Die gezeigten Trends machen deutlich, dass die Existenzgrundlage gerade von unkomfortablen Parkhäusern in B-Lagen oder in Stadtteilen mit Überangebot an Parkraum bedroht ist. Sofern nicht ein gerichtetes Parkraummanagement für den öfentlichen Straßenraum die Stellplatznachfrage in Parkhäuser und -garagen lenkt, wird in den urbanen Zentren wieder Raum frei. Leerstand als Chance Bereits seit 2010 steht in der Münsteraner Innenstadt, nur wenige Schritte vom Prinzipalmarkt entfernt, ein mehrfach preisgekröntes Geschäfts- und Wohngebäude. Was das Gebäude besonders auszeichnet: Die Stahlbetonstruktur diente ursprünglich einem 1964 errichteten Parkhaus. Weil im Tiefgeschoss die Anlieferung eines benachbarten Kauhauses abgewickelt wird, konnte der leer stehende Bau nicht abgerissen werden. Den Architekten gelang es, diese Situation für ihren Entwurf zu nutzen. Matthias Fritzen, Partner im Büro „Fritzen und Müller-Giebeler“: „Die Betonstruktur schaft nicht nur eine einzigartige Atmosphäre im Ladenbereich, sie bot auch die ideale Basis für den Aufsatz der Wohngeschosse“ (Bild 2). Bild 1: Das Festival Bold Tendencies in London Foto: Practice Architecture Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 34 INFRASTRUKTUR Stadtentwicklung Auch andernorts ziehen immer häuiger neue Nutzer in Parkhäuser ein. Sattelte zur letzten Documenta in Kassel ein Hotel auf ein Parkhaus aus den 1950er-Jahren auf, so wurde im schwäbischen Tübingen am Parkdeck Shakespeare gespielt. Im Berliner Wedding bereitet sich eine Urban-Gardening-Initiative gemeinsam mit einer Einzelhandelskette darauf vor, das wenig genutzte Dachgeschoss des angeschlossenen Parkhauses für die Produktion von Obst und Gemüse zu verwenden. In Berlin-Neukölln hat sich das selten genutzte Parkdeck eines Einkaufszentrums nach Erwähnung in einem Reiseführer vom Geheimtipp zum Publikumsmagneten entwickelt. Die plötzliche Nutzung als Aussichtspunkt und Partytrefpunkt stellte den Wachschutz vor erhebliche Herausforderungen, die Flucht nach vorn schien fast der einzige Ausweg. Letzten Sommer eröfnete auf dem Parkdeck nun oiziell eine Bar mit Dachgarten. Währenddessen beschäftigen sich in London Architekten mit der Frage, wie mit Hilfe von Deckendurchbrüchen aus einem Parkhaus eine Schule werden könnte. Dabei könnten sie auf Erfahrungen aus Berlin- Kreuzberg zurückgreifen, wo bereits zur Internationalen Bauausstellung 1984 ein Parkhaus in der Dresdner Straße zur Kindertagesstätte umfunktioniert wurde. Die außergewöhnliche Struktur des Gebäudes ermöglichte u. a. die Unterbringung einer großen Turnhalle sowie die Schafung eines beliebten Dachgartens. Dieses besondere Vorhaben wurde mit einem Preis durch das Bundesbauministerium ausgezeichnet. Und für das eingangs vorgestellte Parkhaus in Peckham liegen bereits Entwürfe vor, die bis zu 90 Wohneinheiten in die bestehende Struktur integrieren. Gemeinsam mit dem Kunstfestival, einem Restaurant und der Bar am Dachgeschoss könnte aus dem so lange unbeachteten Gebäude ein dringend benötigter Motor für die Erneuerung eines ganzen Stadtteils werden. Während also die Zahl innerstädtischer Brachen und Freiräume kontinuierlich zurückgeht, bieten Parkhäuser in vielen Städten zunehmend Flächenreserven und Rohbauten für neue Nutzungen. Die Ideen zur Umnutzung sind vielfältig, Hürden sind vor allem die oftmals geringe Raumhöhe und die fehlende Wärmedämmung, die bei einem Umbau hohe Investitionen erfordern. Flexibilität im Neubau Die Frage drängt sich auf, ob nicht zumindest beim Neubau von Parkhäusern die Grundlagen für künftige alternative Nutzungen gelegt werden können. Schließlich werden auch in den nächsten Jahren neue Parkhäuser errichtet. Weil die Zukunft der städtischen Mobilität aber immer weniger „automobil“ zu werden scheint, ist Flexibilität gefragt. Aspern ist das derzeit größte Stadtentwicklungsgebiet in Wien. Ganz im Osten der österreichischen Hauptstadt entstehen Wohnungen für rund 20 000 Menschen. Mehrere Hochgaragen am Rande des Quartiers sollen den Stellplatzbedarf der Bevölkerung decken - vorerst. Denn wie Christoph Chorherr, Planungssprecher der Grünen in einem Interview mit der Wiener Zeitung sagte, soll die Mindestraumhöhe der geplanten Garagen über 2,50 Meter liegen und somit in Zukunft auch alternative Verwendungen leichter ermöglichen (Wiener Zeitung 2014). Falls die Gebäude nicht als Abstellplatz für Autos gebraucht werden, könnten andere Nutzer einziehen und so den Investor vor einem eventuellen Abriss der Garage bewahren. Und das könnte aus Parkhäusern tatsächlich echte Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit beim Bauen machen, denn schließlich bedeutet jeder Abriss und Neubau immer auch die Vernichtung von bereits verbauter Energie und wertvollen Baustofen. ■ 1 Siehe auch Beitrag auf Seite 64 QUELLEN Gerlach, Jürgen (2014): Parkraummanagement und Bewirtschaftung, Parkleitsysteme; Vortrag bei der ADAC Expertenreihe 2014 „Parken in Städten und Gemeinden“; http: / / www.adac.de/ _mmm/ pdf/ 06-Gerlach-Parkraummanagement-und-bewirtschaftung-Parleitsysteme_194560.pdf (Stand: 22.10.2014) Scheer, August-Wilhelm (2009): Webciety - wie das Internet unser Leben prägt, Hannover; https: / / www.google.de/ url? q=https: / / www.bitk o m . o rg / f i l e s / d o c u m e n t s / B I T KO M _ P r a e s e n t a t i o n _ We b c i e ty_02_03_2009_PRESSEMAPPE.pdf&sa=U&ei=MY9HVJKCNsHear33gugE &ved=0CBQQFjAA&usg=AFQjCNFE Ts75-NsMRZBFz78pLcm-lnULmQ (Stand: 22.10.2014) Shell Deutschland Oil GmbH (Hrsg.) (2014): Shell PKW-Szenarien bis 2040, Fakten, Trends und Perspektiven für Auto-Mobilität, Hamburg; http: / / s06.static-shell.com/ content/ dam/ shell-new/ local/ country/ deu/ downloads/ pdf/ shell-pkw-szenarien-bis-2040-vollversion.pdf (Stand: 22.10.2014) Transport for London (2012): Travel in London Report, London; www.tfl. gov.uk/ cdn/ static/ cms/ documents/ travel-in-london-report-5.pdf (Stand: 22.10.2014) Wiener Zeitung (2014): Wien wird grüner werden, 25.04.2014; http: / / www.wienerzeitung.at/ nachrichten/ wien/ stadtpolitik/ 625594_Wienwird-gruener-werden.html (Stand: 22.10.2014) Winkler, Ronald (2014): Parken in Parkhäusern aus Sicht der Autofahrer; Vortrag bei der ADAC Expertenreihe 2014 „Parken in Städten und Gemeinden“; http: / / www.adac.de/ _mmm/ pdf/ fv_expertenreihe2014_ winkler_200537.pdf (Stand: 22.10.2014) Wolfgang Aichinger, Dipl.-Ing. Raumplaner und Consultant Nachhaltige Mobilität, Berlin wolfgangaichinger@yahoo.de Bild 2: Ehemaliges Parkhaus in Münster Foto: Fritzen Müller-Giebeler Architekten Beim Senator für Umwelt, Bau und Verkehr in Bremen ist in der Abteilung Verkehr im Referat Strategische Verkehrsplanung zum nächstmöglichen Zeitpunkt der Dienstposten ei-nes/ einer Referenten/ in Verkehrsplanung Entgeltgruppe 13 TV-L bzw. Bes. Gr. A 13 zu besetzen. Wir suchen eine kompetente, kommunikative, kreativ und interdisziplinär denkende Persönlichkeit mit: • Abgeschlossenem Studium (Universitätsdiplom oder Masterabschluss), vorzugsweise der Fachrichtung Bauingenieurbzw. Verkehrsingenieurwesen, Raumplanung, bzw. einer fachlich einschlägigen Fachrichtung. Die vollständige Stellenausschreibung inden Sie im Internet unter www.bremen.de/ stellen. Allgemeine Hinweise: Der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr strebt die Erhöhung des Frauenanteils an und fordert daher qualiizierte Frauen ausdrücklich zur Bewerbung auf. Bei vorliegender gleichwertiger Qualiikation wird die Besetzung der Stelle mit einer Frau angestrebt, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe dagegen sprechen. Schwerbehinderten Bewerberinnen bzw. Bewerbern wird bei im Wesentlichen gleicher fachlicher und persönlicher Eignung der Vorrang gegeben. Das Land und die Stadtgemeinde Bremen als größter Arbeitgeber haben ein starkes Interesse an der Integration von Zuwanderern und Zuwanderinnen in den bremischen öffentlichen Dienst; Bewerbungen von Menschen mit einem Migrationshintergrund werden begrüßt. Unser Haus fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und wurde entsprechend zertiiziert. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.beruf-und-familie.de. Unser Haus hat ein Umweltmanagementsystem nach EMAS eingeführt und ist entsprechend zertiiziert. Der Dienstposten ist bedingt teilzeitgeeignet. Einzelheiten sind ggf. mit der Dienststelle zu vereinbaren. Für telefonische Auskünfte steht Ihnen der Abteilungsleiter, Herr Polzin (Tel.: 0421/ 361-2162), der Referatsleiter, Herr Ulrich Just (Tel.: 0421/ 361-10239) oder Herr Nickel aus dem Personal-referat (Tel.: 0421/ 361-99528) gerne zur Verfügung. Bewerbungshinweise: Bitte fügen Sie Ihren Bewerbungsunterlagen keine Originalzeugnisse und -bescheinigungen bei. Bitte verwenden Sie auch keine Mappen und Folien. Die Bewerbungsunterlagen werden nur auf Wunsch zurückgesandt, falls Sie einen ausreichend frankierten Freiumschlag mitsenden. Andernfalls werden die Unterlagen bei erfolgloser Bewerbung nach Abschluss des Auswahlverfahrens vernichtet. Bitte richten Sie Ihre aussagefähige Bewerbung und Ihre anlassbezogene oder letzte Beur-teilung (bzw. qualii ziertes Zeugnis) innerhalb von drei Wochen nach Veröffentlichung dieser Ausschreibung (gern per Mail) an den Senator für Umwelt, Bau und Verkehr - Referat 15 - Kennziffer 50-2 Ansgaritorstr. 2, 28195 Bremen Email: bewerbungen@bau.bremen.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 36 Infrastruktur Leasingmodelle Finanzierung schienengebundener Fahrzeuge Of-Balance-Lösungen für Hybrid-Lokomotiven der-Deutschen Bahn Die Deutsche Bahn AG, die Alstom Deutschland AG, der Freistaat Bayern sowie die DAL Deutsche Anlagen-Leasing haben mit dem Pilotprojekt ERI H3-Hybrid-Rangierlokomotive ein nicht nur antriebs-, sondern auch inanzierungstechnisch innovatives Projekt gestartet. Denn erstmals wurden für Of- Balance-Gestaltungen (Dry-Lease) erforderliche ofene Restwerte bei Hybrid-Antriebstechnologien am-Markt akzeptiert. Die Autoren: Reimund Jung, Bernd Lapp D ie DB Regio AG führt an den Hauptbahnhöfen Nürnberg und Würzburg den Betrieb für die Zugbildung im Personennah- und Regionalverkehr - vorwiegend in den frühen Morgenstunden sowie abends - durch. Im Rahmen der von der DB initiierten Innovationsplattform Eco Rail Innovation (ERI), der 17 Unternehmen der Verkehrs- und Finanzwirtschaft angehören, tauscht die DB Regio fünf derzeit im Einsatz beindliche Rangierlokomotiven gegen H3- Hybrid-Rangierlokomotiven der Firma Alstom (Bild 1) aus. ERI hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, das System Bahn bis 2050 emissionsfrei zu gestalten. Erleichtert wird der Umstieg auf die neue Technologie durch die Rückgabemöglichkeit der bisher eingesetzten Lokomotiven, die als Operating Lease gestaltet sind und 2015 mit Auslieferung der H3-Hybrid- Rangierlokomotiven an den Leasinggeber zurückgehen werden. Zum Einsatz kommen fünf neu konstruierte dreiachsige Rangierlokomotiven mit Hybridantrieb (Diesel- und Akkubetrieb) mit einer Anzugskraft von 240 kN. Die verbauten 508-Zellen NiCa-Akkumulatoren verfügen über eine Kapazität von 170 Ah bei einem Gewicht von rund 6500 kg, die Dieselgeneratoren leisten je 350 kW. Die geplante Nutzungsintensität liegt bei 4300-Stunden pro Jahr und Lokomotive. Of-Balance-sheet nach Ifrs Das Anforderungsproil sah u.a. vor, dass die Finanzierung der Lokomotiven nach den IFRS-Regularien außerhalb der Bilanz erfolgt. Der abgeschlossene Leasingvertrag ist nach der IFRS-Leasingvorschrift IAS 17 zu beurteilen. Danach wird der geschlossene Vertrag ebenfalls als so genannter Operating Lease klassiiziert und demzufolge das wirtschaftliche Eigentum und die Bilanzierungsplicht dem Leasinggeber zugerechnet. Diese Beurteilung ist darauf begründet, dass alle dort deinierten Tests, wie beispielsweise der Barwert- oder der Laufzeittest, keine Finance-Lease-Klassiizierung zum Ergebnis haben. Für die Beurteilung IAS 17 ist auch wesentlich, dass der Leasingnehmer DB Regio AG keine günstige Kaufoption zum Laufzeitende eingeräumt bekommt. Grundsätzlich obliegt die Würdigung jedes Einzelfalls dem Bilanzierenden und dessen Wirtschaftsprüfer. Die Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums in steuerlicher Sicht liegt im Ergebnis ebenfalls beim Leasinggeber, obwohl sich diese Beurteilung nach anderen Vorschriften richtet (im Wesentlichen § 39 AO). Dokumentation Für die Begründung eines Leasingvertrages muss zunächst ein Kaufvertrag über das entsprechende Wirtschaftsgut abgeschlossen werden. Im vorliegenden Fall wurde ein Kaufvertrag über die Entwicklung und Herstellung zwischen dem Hersteller Alstom und der Leasinggesellschaft geschlossen. Der Kaufvertrag erfasst insbesondere Rege- Bild 1: Die umweltfreundlichen H3-Rangierlokomotiven sollen ab 2015 an den DB Regio-Standorten Würzburg und Nürnberg in der durch den Freistaat Bayern geförderten Modellregion Franken eingesetzt und auf ihre Praxistauglichkeit getestet werden. Foto: Alstom Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 37 Leasingmodelle INFRASTRUKTUR lungen zu Zahlungs- und Lieferbedingungen, Gewährleistungsverplichtungen des Herstellers, Regelungen zum Übergang der Sach- und Preisgefahren an den Lokomotiven sowie Regelungen zum Eigentumsübergang. Neben dem Kaufvertrag bildet der Leasingvertrag, ausgestaltet als Operating Leasing, einen wesentlichen Bestandteil der Gesamtdokumentation. Wesentliche Inhalte des Leasingvertrages sind: • der Leasingbeginn und die Leasingvertragsdauer, • der Leasinggegenstand, • die Höhe der Leasingraten, • die Verplichtungen zur Nutzungsüberlassung der leasingvertraglichen Gegenstände (Lokomotiven) durch den Leasinggeber an den Leasingnehmer, • Verplichtungen zur Wartung und zum Betrieb durch den Leasingnehmer • sowie Regelungen zum Ende der Leasingvertragslaufzeit, ggfs. Optionen zur Laufzeitverlängerung. Im vorliegenden Fall konnten Fördermittel des Bayerischen Wirtschaftsministeriums in die Finanzierung eingebunden werden, die vollumfänglich dem Leasingnehmer zu Gute kommen. Zwar erhält der Leasinggeber formell diese Mittel, er gibt aber die Förderung durch eine Reduzierung der Leasingraten in voller Höhe weiter; auch dieser Aspekt wurde in die Dokumentation aufgenommen. Kalkulationsgrundlagen zur Ermittlung der Leasingraten • Die sich aus dem Kaufvertrag ergebenden Kaufpreise bilden die Leasingberechnungsgrundlage. • Die Fördermittel des Bayerischen Wirtschaftsministeriums reduzieren vollumfänglich die Leasingberechnungsgrundlage im Rahmen eines sog. verlorenen Mietzuschusses. • Evtl. Kosten für die Finanzierung von An- und Zwischenzahlungen an den Hersteller erhöhen die Leasingberechnungsgrundlage. • Zinssatz, der in der Regel aus Gründen der Kalkulationssicherheit zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung fest für die Leasingvertragslaufzeit vereinbart wird. • Höhe des kalk. Restwertes, der durch den Leasinggeber festgelegt wird • Zahlungsmodalitäten Hinweise zur Restwertgestaltung von Leasingverträgen Neben dem Leasingobjekt an sich ist u. a. die Vertragsdauer ein wesentlicher Faktor in der Gestaltung des Restwertes. Dabei gilt: Je höher der angesetzte Restwert, desto niedriger die Leasingrate und desto attraktiver das Angebot im Hinblick auf Liquiditätsschonung für den Leasingnehmer. Betriebswirtschaftlich übersetzt entspricht die Höhe des Restwertes der Verkaufspreiserwartung der Leasinggesellschaft zum Vertragsende. Dabei gilt im Grundsatz, dass bei vergleichsweise kurzen Laufzeiten und fungiblen (also drittverwendungsfähigen) Wirtschaftsgütern mit bewährter Technologie tendenziell höhere Restwerte angesetzt werden. Selbstverständlich inden bei der Einschätzung der Restwerte auch die zu erwartenden Betriebsbedingungen, die zu erwartenden Betriebsstunden und die Regelungen zu Wartung, Reparatur und den Hauptuntersuchungen Einluss. Maßgeblich sind die Vermarktungschancen und die Marktbedingungen, die der Leasinggeber für das Vertragsende einschätzen muss. Bei den Hybridloks von Alstom handelt es sich um eine bisher im schienengebundenen Verkehrsmarkt (noch) nicht unter Langfristbedingungen erprobte Technik. Somit konnten für die Bewertung durch die Asset-Management-Spezialisten bei der Deutschen Leasing keine speziellen Erfahrungswerte eingebracht werden. Dennoch konnte eine angemessene und für den Leasingnehmer attraktive Restwertgestaltung gefunden werden, die sich auf die Annahme stützt, dass sich emmissionsarme bzw. emissionsfreie Rangierbetriebe in Bahnhöfen oder Logistikhallen nachhaltig durchsetzen werden. Für die Einschätzung von Restwertverläufen ist die Einbindung von internen oder externen Spezialisten mit tiefen Kenntnissen im Eisenbahnmarkt unerlässlich. Üblicherweise werden für die Ermittlung von Restwertverläufen spezielle IT-Systeme genutzt. Auf diese Weise lässt sich die Wertentwicklung von Objekten kontinuierlich verfolgen und bei Bedarf kurzfristig abrufen. Damit können Vermarktungschancen besser eingeschätzt und Objektrisiken erheblich minimiert werden. Diese Analysen kommen auch den Herstellern zugute. Denn diese haben hohes Interesse daran, ihren Sekundärmarkt zu kennen und permanent zu beobachten. Unterstützend werden fallbezogen mit Herstellern Vermarktungsvereinbarungen abgeschlossen. Die Restwerteinschätzung für die Hybridlokomotive H3 wird auch durch die Altersstruktur der Bestandslokomotiven am europäischen Bahnmarkt und die sich daraus ergebenden günstigen Vermarktungsmöglichkeiten gestützt. So ist der überwiegende Teil der ca. 2800 europäischen Rangierlokomotiven (inklusive der deutschen Rangierlokomotiven) derzeit über 40 Jahre alt und muss in den nächsten Jahren ersetzt werden. Die Attraktivität der Hybridlokomotive H3 ergibt sich also aus dem zu erwartenden Ersatzbedarf an Rangierlokomotiven in den kommenden Jahren und des emmissionsfreien Betriebs; Alstom ist Vorreiter in der Hybrid-Technologie für Lokomotiven und hat sich damit einen Wettbewerbsvorteil erarbeitet. Gerade aufgrund der starken Asset-Orientierung, im vorliegenden Fall dazu noch mit einem neu entwickelten Wirtschaftsgut, ist der sachgemäße Umgang und eine entsprechende Wartung des Objektes ganz entscheidend. Dies wird mit entsprechenden Wartungs- und Instandhaltungsverträgen zwischen dem Leasingnehmer und dem Hersteller geregelt. Neben dem Abschluss und der Abtretung von Kaskoversicherungen stellt das eine wichtige Sicherungsgrundlage der Leasinggesellschaft als Eigentümer des Wirtschaftsgutes dar. Fazit Die Gestaltung von ofenen Restwerten in signiikanter Höhe setzt erhebliche Markt- und Assetkenntnis des Finanziers voraus. Hierzu gehören allerdings neben technischem Verständnis auch eine weitreichende Erfahrung in der Gestaltung von Nutzungsverträgen sowie breite Erfahrung zu Vermarkungsmöglichkeiten großvolumiger Wirtschaftsgüter. Dass die lexible Rückgabe auch im Fall von Operating-Lease-Strukturen hilft, eine neue Technologie reibungslos an den Start zu bringen, zeigt die beschriebene Transaktion. ■ Reimund Jung Bereichsleiter Transport, DAL Deutsche Anlagen-Leasing GmbH & Co. KG, Mainz-Kastel r.jung@dal.de Bernd Lapp Senior-Projektmanager, DAL Deutsche Anlagen-Leasing GmbH & Co. KG, Geschäftsstelle München b.lapp@dal.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 38 INFRASTRUKTUR Interview Knut Ringat Das Spartendenken überwinden Der öfentliche Personennahverkehr (ÖPNV) muss sich auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen: demographischer Wandel, verändertes Mobilitätsverhalten der Menschen sowie Anforderungen an Zusatznutzen, akute Engpässe in der Infrastruktur und immer knapper werdende Mittel. Ein Gespräch mit Prof. Knut Ringat, Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH. Herr Professor Ringat, der Rhein-Main- Verkehrsverbund (RMV) plant bereits zum zweiten Mal eine Infrastrukturkonferenz in Berlin. Den ÖPNV treiben derzeit etliche Themen um, wie beispielsweise die Verteilung der Regionalisierungsmittel. Weshalb fokussieren Sie als Aufgabenträger auf ein Thema, das auf den ersten Blick eher die Verkehrsunternehmen, die diese Infrastruktur nutzen, betrift? Infrastruktur geht uns alle an! Ohne gut erhaltene und ausgebaute Verkehrswege kann weder den Mobilitätsbedürfnissen unserer Bevölkerung noch der Wirtschaft in angemessener Weise Rechnung getragen werden. Leistungsfähige Infrastrukturen sind Voraussetzung für Mobilität und damit eine wichtige Grundlage für Lebensqualität und Wohlstand unserer Gesellschaft. Das wird leider bislang in der Öfentlichkeit zu wenig wahrgenommen. Erst, wenn Schienenwege völlig überlastet, Straßen kaputt und Brücken gesperrt sind, wird der Sanierungs- und Ausbaubedarf angegangen. Und das dauert lange - zu lange. Wir müssen vorausschauend unsere Infrastrukturen planen, ausbauen und plegen. Der RMV sieht sich hier ein Stück weit als Motor und Kümmerer, auch wenn Infrastrukturmaßnahmen von anderen durchgeführt werden. Denn wenn man unseren Prognosen Glauben schenken darf, wird der Schienenverkehr gerade auch in unserer Region Frankfurt RheinMain bald an seine Wachstumsgrenzen stoßen, wenn wir nicht aktiv werden. Und um diese Herausforderung zu meistern, müssen alle Partner - Aufgabenträger wie auch Verkehrsunternehmen - an einem Strang ziehen. Darüber hinaus diskutieren wir das Thema natürlich auch im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), dessen Vize- Präsident ich bin. Die vom VDV ins Leben gerufene Infrastrukturinitiative „Damit Deutschland vorne bleibt“ hat starke Partner. Neben dem RMV sind weitere Verkehrsverbünde und -unternehmen, Stadtwerke, Wirtschaftsvertreter und Automobilclubs vertreten. Diese starke Allianz strebt einen breiten gesellschaftspolitischen-Dialog über das Thema Infrastruktur an, unter anderem durch Länderkonferenzen. Die Initiative führt auch in Hessen eine Infrastrukturkonferenz durch. Das reicht Ihnen aber nicht. Sie setzen mit Ihrer eigenen Veranstaltung in Berlin ein deutliches Zeichen und geben dem Thema zusätzliches Gewicht. Weshalb gerade in der Hauptstadt? Wir wollen uns aktiv in die Diskussion einbringen und möglichst viele Entscheider erreichen, vor allem die Bundespolitik. Und welcher Standort würde sich da besser eignen als Berlin? Wir fühlen uns als hessischer Verkehrsverbund in der Plicht, denn wir agieren in einem Bundesland mit bedeutenden Verkehrsknoten. Fast zwei Drittel des bundesweiten Personenfernverkehrs und Güterverkehrs auf der Schiene fahren durch Hessen beziehungsweise haben hier Quelle oder Ziel. Der Frankfurter Flughafen gehört zu den wichtigsten europäischen Flughäfen. Jährlich kommen 58 Millionen Fluggäste hier an, ungefähr die Hälfte im Transit. 26 Millionen Menschen reisen innerhalb Deutschlands weiter, oft mit dem öfentlichen Verkehr. Auch die Luftfracht wird in weiten Teilen über Frankfurt abgewickelt. Das Land Hessen übernimmt hier also Infrastrukturaufgaben von nationaler und europäischer Bedeutung. Dies wurde bisher bundespolitisch nicht anerkannt - weder ideell noch inanziell. Auch deshalb verdeutlichen wir unsere Standpunkte in Berlin … … und hier kommen die Regionalisierungmittel ins „Spiel“. Derzeit kämpfen die Länder um die Verteilung der Bundesmittel für den ÖPNV. Richtig. Die Bedeutung der hessischen Verkehrswege für die gesamte Bundesrepublik sollte sich auch in den Verteilungskriterien und der Höhe der Regionalisierungsmittel widerspiegeln. Noch heute basiert die Verteilung der Regionalisierungsmittel auf der Anzahl der Zugfahrten im Jahr 1993. Das war wichtig und richtig. Doch heute haben wir eine andere Situation und besonders Hessen als Verkehrsdrehscheibe muss stärker berücksichtigt werden. Sie sprechen von großen Herausforderungen für den ÖPNV. Welche Trends zeichnen sich für die kommenden Jahre in der Region Frankfurt RheinMain ab und wie begegnen Sie diesen? In den vergangenen Jahren wuchsen die Fahrgastzahlen im RMV-Gebiet kontinuierlich und insbesondere der regionale Verkehr auf der Schiene stieg deutlich an. Dieser Trend wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Bis 2020 rechnen wir mit einer Nachfrageerhöhung von zwölf Prozent im Zulauf auf den Ballungsraum und von acht Prozent im Ballungsraum selbst. Beim Mobilitätsverhalten beobachten wir eine starke Tendenz hin zur Multimodalität. So verliert beispielsweise für junge Leute das Auto als Statussymbol immer mehr an Bedeutung. Sie denken nicht mehr in den Grenzen einzelner Verkehrsträger. Dieser Trend wird sich fortsetzen und auch andere Altersgruppen erfassen. Daher bauen wir im RMV das eTicket RheinMain immer stärker zur Mobilitätskarte aus. Wir wollen dem Nutzer auf der Grundlage eines leistungsfähigen ÖPNV und individueller Mehrwertservices ein maßgeschneidertes Mobilitätsangebot machen. Schon heute können Sie mit eTicket nicht nur Busse und- Bahnen, sondern auch Car-Sharing- Autos-und Fahrräder im Rhein-Main-Gebiet nutzen. Wir müssen aber auch die Bevölkerungsentwicklung und den demographischen Wandel im Auge behalten, ebenso die Veränderungen in der Arbeitswelt. Die Bevölkerung altert, Arbeitswege werden immer länger, Regionen sind zunehmend ausgedünnt, während Ballungsräume stark wachsen. Das alles hat einen großen Einluss auf die Verkehrsnachfrage. Wie bereits erwähnt, beobachten wir, dass der Bedarf an Verkehrsleistungen hin zu den Ballungszentren immer größer wird. Das betrift vor allem die Verkehrsachsen im Schienenpersonennahverkehr, die heute schon hoch ausgelastet sind und oftmals an der Kapazitätsgrenze operieren. Das zu erwartende Wachstum kann nur noch durch eine gezielte Ausweitung der Verkehrsangebote aufgefangen werden. In der Region Frankfurt RheinMain platzt jedoch - sinnbildlich ge- Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 39 Interview Knut Ringat INFRASTRUKTUR sprochen - die Schieneninfrastruktur aus allen Nähten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Und den haben wir im Regionalen Nahverkehrsplan festgehalten. Dieser Masterplan, der bis 2019 gilt und alle Aspekte rund um den öfentlichen Nahverkehr der Region Frankfurt RheinMain behandelt, ist für uns ein wichtiger Handlungsleitfaden. Der RMV ist mit seinen mehr als 700 Millionen Fahrgästen pro Jahr eine wesentliche Säule des Mobilitätsangebotes in der Region. Und diese wollen wir festigen und zukunftsfähig weiter entwickeln. Mit dem RMV-Nahverkehrsplan haben Sie einen umfangreichen Masterplan für die nächsten Jahre vorgelegt. Wie sehen die Planungen für die stark wachsende Region Frankfurt Rhein- Main aus? Welche Schwerpunkte setzen Sie? Ein wichtiger Schwerpunkt sind die großen Infrastrukturprojekte im RMV, ohne die wir - wie bereits erwähnt - die notwendigen Verkehrsleistungen nicht anbieten können. Ganz wichtig für die Entwicklung des regionalen Schienenverkehrs sind neben dem S-Bahn-Ausbau Frankfurt West - Bad Vilbel - Friedberg und dem Bau der nordmainischen S-Bahn die Regionaltangente West, die S-Bahn-Anbindung von Gateway Gardens sowie die Schienenanbindung des geplanten Terminals 3 des Flughafens Frankfurt. Diese Maßnahmen entlasten vorwiegend den Knoten Frankfurt, der eine zentrale Rolle für Verkehr und Logistik in Deutschland spielt. Sie können aber ihre volle Wirkung nur dann entfalten, wenn sie komplett umgesetzt werden. Unser Nahverkehrsplan geht aber weit darüber hinaus: Er beschreibt umfassend die Weiterentwicklung des ÖPNV in der Region. Dazu gehören neben attraktiven konventionellen Verkehrsangeboten auch alternative lexible Bedienformen, die vor allem der Bevölkerungsentwicklung im ländlichen Raum Rechnung tragen. Auch der sukzessive barrierefreie Ausbau der knapp 400- Bahnhöfe und Haltepunkte im RMV sowie der Einsatz modernster Fahrzeuge sind für uns wesentliche Bausteine für die Attraktivität des ÖPNV. Verbesserung der Kundeninformation, ein neuer Tarif, Qualitätssicherung - all diese Maßnahmen und weitere lankieren unsere großen Infrastruktur-Projekte. Als Präsident der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (DVWG) haben Sie des Öfteren den Vernetzungsgedanken aufgegrifen und sind nicht müde geworden, alle Akteure zur Zusammenarbeit aufzufordern. Wie wollen Sie hier weitere Impulse setzen? Was unsere Kinder uns in ihrem Denken und Handeln vorleben, muss endlich in der Verkehrspolitik verinnerlicht werden - intermodale Mobilität. Damit meine ich nicht, nur über verkehrsträgerübergreifende Projekte zu reden. Sondern wir müssen es wirklich denken und entsprechend umsetzen. Infrastruktur heißt nicht nur Schieneninfrastruktur, auch wenn diese momentan aufgrund ihres Zustandes und des Verkehrswachstums für den ÖPNV prioritär ist, sondern umfasst auch Straße und Wasserstraße. Ziel muss es sein, die Vorteile eines jeden Verkehrsträgers zu nutzen und eine optimale Vernetzung hinzubekommen. Dabei denke ich auch an alternative Bedienformen und Mobilitätsangebote. Wir haben im RMV bereits begonnen, den Verkehrsverbund zum Mobilitätsdienstleister auszubauen. Vom eTicket RheinMain habe ich ja schon gesprochen. Der Vernetzungsgedanke liegt mir sehr am Herzen, da ich überzeugt bin, dass wir nur mit intelligenten, innovativen Verkehrskonzepten den Anforderungen und Bedürfnissen von Menschen und Wirtschaft gerecht werden können. Aus diesem Grund haben wir gemeinsam mit unseren Partnern im vergangenen Jahr den 1. Deutschen Mobilitätskongress ins Leben gerufen. Vor wenigen Tagen fand der 2. Deutsche Mobilitätskongress statt. Wieder in Frankfurt am Main. Der Standort ist nicht zufällig gewählt? Als Standort haben wir uns ganz bewusst für die Verkehrsdrehscheibe Deutschlands entschieden, für die Region Frankfurt Rhein- Main. Auch in diesem Jahr ist der Kongress von den Beteiligten - von Verkehrsfachleuten, Wissenschaftlern und Politikern - sehr gut aufgenommen worden. Der Erfolg gibt uns Recht. Das Potential, die Bereitschaft und auch das Bedürfnis zu einem interdisziplinären, verkehrsträgerübergreifenden Diskurs sind da. Mich freut sehr, dass das Spartendenken zunehmend überwunden wird. ■ Knut Ringat studierte Technische Verkehrskybernetik an der Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“ in Dresden. 1985 wurde er persönlicher Referent des Verkehrsdirektors der Dresdner Verkehrsbetriebe und war von 1986 bis 1994 bei der Stadtverwaltung Dresden unter anderem als Amtsleiter tätig. Von 1994 bis 2008 war er Geschäftsführer beim Zweckverband Verkehrsverbund Oberelbe und übernahm ab Januar 2000 zusätzlich die Geschäftsführung des Verkehrsverbundes Oberelbe GmbH. Seit April 2008 ist er Geschäftsführer und seit September 2009 Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH. Seit Dezember 2009 lehrt Knut Ringat als Honorarprofessor an der TU Dresden. Er engagiert sich unter anderem seit 2009 als Vizepräsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV), als Vorsitzender der Sparte „Verbund- und Aufgabenträgerorganisationen“ des VDV sowie als Präsident der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e.V. (DVWG). Seit 2013 ist er zudem Mitglied im Aufsichtsrat des House of Logistics and Mobility (HOLM GmbH), Frankfurt. ZUR PERSON Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 40 Dunkle Schatten über Hongkongs Hafen Asien entwickelt sich zusehends zum Zentrum für den Containerhandel zur See. Schon inden rund 30 % des weltweiten Containerumschlags in chinesischen Häfen statt - mit steigender Tendenz. Nicht alle Umschlagplätze proitieren gleichermaßen von diesem Boom. Während der Hafen in Shenzhen, der Hafen-Guangzhou in der Nachbarprovinz Guangdong sowie Häfen in der Republik Taiwan an Bedeutung gewinnen, verliert Hongkongs Hafen immer mehr an Bedeutung - und sucht bereits nach neuen Betätigungsfeldern. Der Autor: Dirk Ruppik N ach einer Studie der Londoner Agentur Drewry könnten asiatische Containerhäfen bis zum Jahr 2020 zwei Drittel des globalen Containerverkehrs umschlagen - und doch proitiert die Sonderverwaltungszone (SVZ) Hongkong mit ihrem „Hafen der Düfte“ von diesem Zuwachs kaum. Das deutsche Statistik-Portal Statista 1 vermerkt, dass Hongkong mit einem Umschlag von 22,3-Mio. TEU im Jahr 2013 auf Platz 4 zurückgefallen ist, hinter Shenzhen mit 23,3-Mio. TEU. „Der Hongkonger Hafen ragt unter den zehn Häfen mit sinkendem Containervolumen durch den Verlust an rivalisierende Häfen heraus“, beschreibt Neil Davidson von der Londoner Drewry‘s Maritime Research 2 die Situation. „Er erfährt aufgrund der geringeren Kosten Shenzhens eine starke Konkurrenz.“ Und weiter: „Hongkong war schon immer ein Hafen mit sehr teuren Land-Ressourcen und ein enorm teurer Hafen - allerdings bei hoher Qualität. Shenzhen besitzt geringere Land- und Arbeitskosten und damit niedrigere Tarife.“ Zudem sind die Hongkonger Kapazitäten fragmentiert, mit der Folge, dass eine große Zahl Container zwischen den verschiedenen Terminals hin- und hertransportiert werden müssen (Bild 1). In Hongkong sind 60 % der Warentransporte Transhipments, während in Shenzhen und dem benachbarten Guangzhou - mit 15,3 Mio. TEU immerhin auf Platz 8 weltweit - überwiegend nur Be- und Entladen nötig ist. Um den Allianzen mit ihren Megaschifen gerecht zu werden, würde Hongkong von der Zusammenlegung des Terminaleigentums, besser angrenzenden Kai-Linien und der Möglichkeit, ohne Zwischentransfer nur an einem Terminal anzulegen, stark proitieren. Fraglich ist daher, ob ein geplantes zehntes Containerterminal in Tsing Yi noch umgesetzt wird. Bislang proitierte Hongkong von seiner Rolle als internationales Finanz- und Schiffahrtszentrum, heute gilt jedoch die Zehn- Millionen-Stadt Shenzhen als einer der be- LOGISTIK Containerhäfen Bild 1: Hongkongs Container-Kapazitäten sind stark fragmentiert, der Hafen ist auf Platz 4 hinter Shanghai, Singapur und Shenzen zurückgefallen. Foto: Dreamstime (2012) Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 41 Containerhäfen Logistik deutendsten Plätze für ausländische Investitionen - dies aufgrund ihres Status als Sonderwirtschaftszone - und ist eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt. Sie soll durch eine sogenannte „Kooperation“ mit Hongkong auf den Gebieten Finanzen und Logistik internationalisiert werden. In China zeichnen sich auch wirtschaftsgeographische Veränderungen ab. Da in Südchina die Arbeitskosten zunehmend anziehen, wandern herstellende Betriebe immer häuiger in den billigeren Norden ab. Davon proitieren die Häfen in der Bohai- Region nördlich von Qingdao (Bild 2). Die Perlluss-Region in Guangdong könnte ihren hohen Status als Exportregion laut Neil Davidson künftig verlieren, da die Fertigung zu Niedriglöhnen immer häuiger nach Vietnam, Bangladesch und Kambodscha verlagert wird. Zudem wandert die Elektronikfertigung zunehmend in die Inlandsprovinzen ab, in Städte wie Chongqing in Westchina und Chengdu. Auch in Guangdong ändert sich also die Wirtschaftsstruktur, was negative Auswirkungen auf den „Dufthafen“ haben wird. Produktionsbetriebe, die weiter in Küstennähe bleiben wollen, wandern ins westliche Perllussdelta ab und verschifen dort eher über Nansha als über Hongkong. Da sich viele Betriebe mehr und mehr dem chinesischen Binnenmarkt zuwenden, verlieren Ausfuhren an Bedeutung. Zunehmend werden auch hochwertigere und kleinere Güter transportiert, die auch per Luftfracht versendet werden können. Wächst die chinesische Mittelschicht weiter und wird der Yuan härter, ist allerdings mit vermehrten Importen zu rechnen. Bislang wurde Hongkong hauptsächlich als Tor für die Versorgung Südchinas gesehen. Nun denkt man dort an die Entwicklung eines islamischen Finanzzentrums, die Schafung eines Hubs für den Weinhandel und Subventionen für ein Kreuzfahrtterminal. Das taiwan-Projekt: Potentes-Hafennetzwerk Die chinesische Republik Taiwan besitzt große Finanzinstitutionen, eine starke Währung, eine diversiizierte Unternehmenslandschaft, eine aktive Börse, großes Fachwissen in vielen Bereichen und exzellente Hafenanlagen. Es könnte sich künftig als Hauptgeschäftsstelle von vielen Firmen für „Greater China“ anbieten. Allerdings müssten hierzu der Servicesektor liberalisiert und Arbeitsgenehmigungen für Ausländer einfacher vergeben werden. Seit einiger Zeit wurde bereits der Warenverkehr zwischen dem chinesischen Festland und Taiwan etabliert. Künftig könnten nun auch mehr Fabriken auf das Bild 3: Der taiwanesische Hafen Kaohsiung steht im harten Wettbewerb mit Hongkong. Foto: TIPC Bild 2: Die Sonderverwaltungszone Hongkong und ihr Hafen könnten international, aber auch national Bedeutung verlieren. Bild 4: Der Hafen von Keelung im Jahre 2005 Foto: Kamakura/ Wikipedia Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 42 LOGISTIK Containerhäfen chinesische Festland emigrieren. Falls nun die Finanz- und Handelsströme genauso einfach ließen könnten, wie zwischen Hongkong und dem Festland, sollte die chinesische Republik ungeahnte neue Möglichkeiten erhalten. Hongkongs Rolle als Eingangstor nach China würde dadurch unausweichlich geschwächt. Taiwan könnte unabhängiger von Peking agieren, als die SVZ Hongkong. Zudem ist es näher zu Schanghai gelegen. Allerdings mangelt es an einem international anerkannten Rechtssystem und englischer Sprachkompetenz. Im Rahmen des umfassenden Entwicklungsplans für internationale Häfen in Taiwan (2012-2016) sollen die Häfen Kaohsiung (Bild 3), mit 9,9 Mio. TEU auf Platz 14), Taichung, Keelung (Bild 4) und Hualien ausgebaut werden. Zur besseren Koordinierung wurde das Management der Häfen im Frühjahr 2012 in der Taiwan International Ports Corp. (TIPC) 3 zusammengefasst. TIPC ist seither verantwortlich für die Planung und Umsetzung des Hafenentwicklungsprogramms. Der Hafen Kaohsiung soll sich laut Plan in einen Containertranshipment-Hub, einen umfassenden wertschöpfenden Logistikhafen, ein Import-Export-Zentrum unter anderem für Energie, Schwerindustrie und Petroleum-Produkte sowie in einen Hafen für internationalen Tourismus und gewerbliche Dienste verwandeln. Über ihn wird der Hauptanteil (73 %) des Im- und Exports der Inselrepublik abgewickelt. Im „Port of Kaohsiung 2040 Master Plan Executive Summary“ der Hafenverwaltung von Kaohsiung sind die Ziele klar formuliert: „Taiwan entwickelt sich gerade von einer serviceorientierten zu einer wissensbasierten Industriewirtschaft. Es ist klar, dass Kaohsiung sich nicht weiter nur auf seine günstige Lage verlassen kann. Der Wandel ist der einzige efektive Ansatz, um in einem brutalen Wettbewerb gewinnen zu können … Kaohsiung muss eine aggressivere Rolle in der globalen Wirtschaft und im Markt spielen.“ Im Mai 2012 wurde deshalb die zweite Ausbauphase des Kaohsiung International Container Terminal oiziell begonnen. Hierfür sind bis 2019 Investitionen von rund 91 Mrd. Taiwan-Dollar (TWD; ca. 2,2- Mrd. EUR) vorgesehen. 19 Liegeplätze mit fünf Liegeplätzen für Containerschife bis 18 000 TEU sind im Aubau. Bis 2020 soll dadurch der Umschlag um 4 Mio. TEU erweitert werden. Für den zweitgrößten Hafen Taiwans, Taichung, liegt der Fokus auf der Erhöhung des Frachtumschlags. Als Durchgangshafen für Importautomobile und als Exportzentrum für die Maschinenbaubranche, die in Taichung konzentriert zu inden ist, spielt der Hafen eine große Rolle. Der Handel mit Festlandchina ist seit der Öfnung der Taiwanstraßen-Verbindungen im Dezember 2008 laut China Daily auf 197,2 Mrd. USD (145 Mrd. EUR) im Jahr 2013 gestiegen - das entspricht 16,7 % Zuwachs gegenüber dem Vorjahr. ■ 1 www.statista.com 2 Drewry‘s Maritime Research; www.drewry.co.uk 3 Taiwan International Ports Corp. (TIPC); www.twport.com. tw/ en/ Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist mit Büro in Thailand dirk.ruppik@gmx.de STANDPUNKT China - die neue maritime Deinitionsmacht Ein Kommentar von Heinz Schulte, Chefredakteur der griephan Briefe (Informationen zum Geschäftsfeld äußere & innere Sicherheit) Z wei Erkenntnisse liegen diesem Kommentar zugrunde: 90 % von allem geht über See, und wer Standards setzt, schafft Mä rkte. Das Reich der Mitte ist eine neue maritime Deinitionsmacht geworden. Dies wurde spätestens deutlich, als Beijing ein Veto eingelegt hat mit Blick auf „P3“, den geplanten Zusammenschluss führender international agierender Reedereien. Dieses Veto hat die bereits erteilte Zustimmung der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union ausgehebelt. Mit anderen Worten: Beijing ist auf Augenhöhe mit Washington und Brüssel! Von Astana bis Venedig und Duisburg-Ruhrort! Die politische Klasse in Deutschland reibt sich ungläubig die Augen: Die Chinesen haben eine langfristige (maritime) Strategie! Wir lesen auf Welt online unter dem Titel „Das Megareich greift nach der ganzen Welt“: Eine neue Politik soll nun Chinas Einfluss in der Welt systematisieren und schlagkräftiger gestalten. Die Leitlinie, die Staatschef Xi Jinping 2013 dazu der Nation vorgab, lässt sich mit „doppelter Seidenstraßen- Strategie“ übersetzen. Xi will die beiden traditionellen Handelswege der „Seidenstraße“ wiederbeleben. Die Landroute soll zur „Seidenstraße der Wirtschaftskorridore“, der Seeweg zur „Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ werden. 1 Die maritime Seidenstraße verlief von Südchinas Küste über das Südchinesische Meer nach Südasien, Iran bis nach Ostafrika. Arabische, persische, asiatische und europäische Händler brachten auf diesen Wegen ihre Waren nach China. Heute macht sich das Reich der Mitte selbst auf den Weg. Es ist das strategische Interesse der westlichen Welt, China in das internationale System der freien Warenströme und verantwortlichen Währungen einzubringen. Freier Handel setzt sichere Seerouten voraus sowie gemeinsame, nachprübare Standards zur Zertiizierung von Häfen und Zollabfertigung. Bleibt zum Schluss die Erkenntnis, dass Washington und die EU mit Beijing in einen maritimen Dialog treten müssen. ■ 1 Welt.de vom 7.7.2014; http: / / www.welt.de/ politik/ ausland/ article129853817/ Das-Megareich-greift-nach-der-ganzen-Welt.html Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 43 Maritime Sicherheitssysteme LOGISTIK Manövrierkonzepte für-sicheren und eizienten Seetransport Etwa 90 % des globalen Warenaustausches werden über den Seeweg abgewickelt. Damit kommen Sicherheit, Nachhaltigkeit und Eizienz des Seetransportsystems eine herausragende Bedeutung zu. Alle-drei Aspekte kommen insbesondere beim Manövrieren von Schifen zum Tragen. Fehler bei der Planung und Durchführung von Schifsmanövern können zu erheblichen wirtschaftlichen und ökologischen Schäden führen. Der Beitrag stellt ein im Kontext mit dem e-Navigation-Konzept der IMO entwickeltes Online-Assistenzsystem zum Manövrieren vor, das mittels der innovativen Fast-Time Simulation- Technologie dynamisierte situationsadaptierte Manövrierinformationen bereitstellt. Der Autor: Michael Baldauf I n seinem Strategiepapier „A Concept of a Sustainable Maritime Transportation System“ fasste der Generalsekretär der UN-Weltschiffahrtsorganisation (International Maritime Organization, IMO) die aktuellen Initiativen und Aktivitäten in einer ganzheitlichen Betrachtung des Seetransportsystems zusammen. Die darin beschriebenen Maßnahmen zielen auf den sicheren, umweltfreundlichen und eizienten Seetransport ab. Im Kontext der globalen Schiffahrt werden Sicherheit, Nachhaltigkeit und Eizienz insbesondere durch das sichere Manövrieren der Schife gewährleistet. Schifsmanöver sind beabsichtigte zeitliche und räumliche Bewegungsänderungen eines Schifes durch den aktiven Einsatz von Manövriereinrichtungen zur Erreichung eines Manöverzieles - wie z. B. dem Ausweichen und sicheren Passieren eines anderen Schifes bei der Kollisionsverhütung im freien Seeraum, der Rückführung des Schifes zur Position eines Person-über- Bord-Unfalls oder dem Ansteuern eines Liegeplatzes im Hafen. Jedes Manöverziel muss unter allen Bedingungen in der maritimen Umwelt und bei allen Zuständen des Systems schif sicher, efektiv, energieeizient und umweltschonend erreicht werden. Dies erfordert eine präzise Planung und Überwachung jedes Manövers. Vom Standpunkt eines Juristen führte Prien dazu schon 1896 aus: „Ein Schifsführer welcher die Manövriereigenschaften seines Schifes bei verschiedenen Ruderwinkeln und verschiedenen Tiefgängen, bei verschiedenen Seegängen und verschiedenen Windrichtungen sowie den Raum- und Zeitbedarf bei den verschiedenen Manövern nicht kennt, ermangelt der in seiner Person notwendigen Gewähr in zweifelhaften Fällen dem Seestraßenrecht genüge zu leisten.“ Erforderliche Manöver sind zu planen und ihre Realisierbarkeit einzuschätzen. Die Planung dient insbesondere der vorherigen Festlegung von Handlungsstrategien für den Einsatz der Steuereinrichtungen zur operativen Durchführung von Manövern. Sie verlangt Kenntnisse über die Manövriereigenschaften des Schiffes und kann intuitiv erfolgen oder mit digitalen Hilfsmitteln graisch unterstützt werden. In verschiedenen Forschungsprojekten angestellte Feldstudien an Bord bestätigten, dass der gegenwärtigen Praxis des Manövrierens auch heute noch größtenteils nur konventionelle Manöverplanungen zugrunde liegen. Sie entnhalten das gedankliche Verknüpfen aller bekannten Einlussgrößen und Manövrierkennwerte zu einem gedachten voraussichtlichen Bahnverlauf. Der Prozess der Manöverdurchführung ist gekennzeichnet durch das Ausprobieren und permanente Korrigieren der tatsächlichen gegenüber der vorausgeplanten gedachten Schifsbahn durch Betätigen der Manövriereinrichtungen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Die Sicherheit, Nachhaltigkeit und Efektivität dieses Verfahrens hängen maßgeblich von der Intuition und den Erfahrungen des Nautikers ab. Auch die Manöverberatung durch Lotsen geht in der Regel auf die bei Revierpassagen gewonnenen Erfahrungen beim Manövrieren und die intuitive Abschätzung der Auswirkung des Einsatzes einer Manövriereinrichtung (z. B. Ruderlage) zurück. Intuitive Entscheidungen können jedoch auch Fehlerquellen sein und zu Grundberührungen oder Kollisionen mit schwimmenden und festen Anlagen führen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Erfahrungen beim Manövrieren von Schifen unter unterschiedlichen Bedingungen und in verschiedenen Aquatorien wegen sich verringernder Fahrenszeiten und häuiger Schifstypenwechsel abnehmen. In durchgeführten Befragungen und Interviews wurde selbst von erfahrenen Lotsen bestätigt, dass Informationen zum Manövrierverhalten vorzugsweise adaptiert auf die zu erwartenden Bedingungen eines zu beratenden Schifes z. B. zum Kursänderungsverhalten in bestimmten sicherheitskritischen Fahrwasserabschnitten bei der Vorbereitung der Beratung eine hilfreiche Unterstützung sein können. Vor diesem Hintergrund standen und stehen daher Forderungen zur Entwicklung intelligenter Assistenzsysteme mit Entscheidungshilfen für das Manövrieren sowie Möglichkeiten zur efektiven Kontrolle bzw. nach geeigneten Verfahren zur Manöverplanung und -kontrolle. Wichtigstes Ergebnis des Planungsprozesses ist ein konkreter Manöverplan mit einer Sollbahn und mindestens abgeschätzten Manöverpunkten und -zeiten für Steuereingrife. Als völlig neuartiger Ansatz zur Planung und Überwachung wurde die Fast- Time-Simulation-Technologie (FTS) für die Anwendung an Bord entwickelt. FTS bezeichnet ein Verfahren zur Anwendung numerischer Simulationen, das der Berechnung zukünftiger Bewegungszustände unter Berücksichtigung aktueller Steuereingrife dient. Mittels FTS sind Vorausberechnungen des zu erwartenden Bahnverlaufes, der Lage, Quer- und Längsgeschwindigkeiten und der weiteren Bewegungsparameter eines Schifes schneller als in Echtzeit in einem Verhältnis von etwa 1: 1200 möglich. Die FTS erlaubt daher die Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 44 LOGISTIK Maritime Sicherheitssysteme Integration des realen Bewegungsverhaltens eines Schifes bereits in die Planung selbst komplexer Manöverabläufe. e-Navigation und Manöverberatung Der Begrif „e-Navigation“ bezeichnet das globale Konzept der IMO, das ganz allgemein strategisch durch die Entwicklung und Einführung neuer Verfahren und Maßnahmen sowie innovativer Informations- und Kommunikations-Technologien in neuartigen Navigationsgeräten zur Erhöhung der maritimen Sicherheit und zur Verbesserung des Schutzes der marinen Umwelt beitragen soll. Unter dem e-Navigation-Konzept wird „das harmonisierte Sammeln, Integrieren, Austauschen, Präsentieren und Analysieren von maritimen Informationen an Bord und an Land mittels elektronischer Hilfsmittel“ verstanden, um die Navigation von Hafen zu Hafen bzw. von Liegeplatz zu Liegeplatz zu verbessern. Die Reduzierung von Unfällen und die efektivere Nutzung der verfügbaren Ressourcen sind die wichtigsten Ziele. Mit Blick auf den bordgestützten Navigationsprozess soll durch die Implementierung von e-Navigation-basierten Anwendungen sichergestellt werden, dass alle relevanten Informationen in verbesserter Art und Weise sowie in klaren und eindeutig aubereiten Anzeigen so zur Verfügung stehen, dass z.B. eine Informationsüberlutung vermieden wird. Diesen Vorgaben folgend, wurde ein innovativerer Ansatz zur Entscheidungsunterstützung beim Manövrieren entwickelt. Der Ansatz basiert auf der Nutzung der bestehenden technischen Infrastruktur der an Bord installierten integrierten Navigationssysteme (INS), die den Grundstein für erweiterte dynamisierte und situationsadaptierte Manöverberatung im Sinne der von Prien vom Schifsführer verlangten Kenntnisse der Manövriereigenschaften unter verschiedenen Bedingungen bilden. Bisher bieten die genannten INS noch keine geeigneten Hilfsmittel zur Planung und kontrollierten Durchführung von Schifsmanövern an. Der prinzipielle Mangel besteht in der fehlenden Visualisierung der gedanklichen Planung der Schifsführer. Folglich ist auch die Berücksichtigung externer Faktoren - zum Beispiel dem Einluss des Windes auf den zu erwartenden Bahnverlauf eines Schifes - noch immer nur mittels Abschätzung durch den wachhabenden Nautischen Oizier realisierbar. Computerbasierte Unterstützung ist dafür nicht verfügbar, obwohl sie aber insbesondere in sicherheitskritischen und Notsituationen dringend erforderlich wäre. Vorgeschrieben sind lediglich ein Brückenposter (Wheelhouse Poster) und die Manövrierakte (Manoeuvring Booklet), die auf der Brücke mitzuführen sind. Diese Unterlagen sind für die konkrete Anwendung vergleichsweise unpraktisch. Bei Feldstudien an Bord erhobene Stichproben haben gezeigt, dass die in den Brückenpostern enthaltenen Informationen in den meisten Fällen unvollständig bzw. nur teilweise in den Manövrierhandbüchern aufgeführt sind. Dies gilt z.B. für die geforderten Inhalte wie die Drehkreis- oder Stoppstreckenparameter für den beladenen und den unbeladenen Zustand, sowohl für die Manöverdurchführung in Flachals auch in Tiefwasser. Auf Schifsneubauten werden zwar hochentwickelte INS mit modernster Sensorik installiert, digital abrubare Informationen oder Anzeigen zu Stoppstrecken oder Drehkreisbahnen gibt es jedoch nicht. Selbst modernste INS können die Auswirkungen sich verändernder Charakteristika des Schifszustandes - z. B. Beladungszustand oder Umwelteinlüsse wie Wind, Strom und Wassertiefe - nicht oder nicht ausreichend für die Vorhersage zukünftiger Bewegungszustände berücksichtigen. Bereits in früheren Untersuchungen zur Verbesserung der Alarmierungen z. B. vor Kollisions- und Grundberührungsgefahren ist dargestellt worden, dass die Informationsbereitstellung auf der Schifsbrücke unzureichend ist (Baldauf et al., 2011). Die e- Navigation Initiative zur Integration neuer Technologien adressiert dieses Dilemma und ermöglicht die Einführung dynamisierter „Wheelhouse Poster“ sowie die seekartengerechte Darstellung von Manöverinformationen. Grundgedanke ist die Anwendung integrierter Simulationen, bei der die im aktuellen Seegebiet bzw. im Revier herrschenden Umweltbedingungen mit dem aktuellen hydrodynamischen Verhalten des Schifes verknüpft, aktuelle situationsspeziische Manövrierkennwerte elektronisch zur Verfügung gestellt und (idealerweise direkt in einem elektronischen Seekartensystem, ECDIS) angezeigt werden. So können den Lotsen einerseits vor dem Ein- und Auslaufen jeweils aktuelle Brückenposter-Ausdrucke zur Verfügung gestellt, andererseits an Bord integrierte situationsadaptierte Anzeigen über den zu erwartenden Bahnverlauf eines beabsichtigten Manövers - z. B. zur Einschätzung des Risikos in konkreten Situationen - angeboten werden. Zur Realisierung dieser Zielstellung wurde ein Konzept entworfen, das in Bild 1 schematisch dargestellt ist. Fallstudie zur Anwendung situationsadaptierter Manöverassistenz Aubauend auf einer Reihe von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten wurde eine Applikation entwickelt und getestet, welche durch ihre Verknüpfung mit der FTS-Technologie eine völlig neue Qualität der Manöverassistenz ermöglicht. Die Auswirkungen aktueller Steuereingrife gegebenenfalls durch den simultanen Einsatz mehrerer Steuerorgane gekennzeichneter Manöver auf zukünftige Bewegungszustände können unmittelbar visualisiert werden. Wesentliches Element dieses Manöverberatungsmoduls ist die Einblendung der zukünftigen Manöverbahn als Prädiktion (siehe Källström 1999), welche mittels eines vollständigen mathematischen Bewegungsmodells für die aktuellen Schifs- und Umgebungsbedingungen berechnet wird. Wie bisher üblich, kann der Nautiker sein Manöver z. B. mit einer „Initial-Ruderlage“ einleiten, die im Manöververlauf gemäß der Situationsanalyse (mental geplan- Bild 1: Grundstruktur eines Moduls zur situationsadaptierten Manöverassistenz und zur Bereitstellung von situationsabhängigen Manöverinformationen in einem dynamischen Wheelhouse Poster Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 45 Maritime Sicherheitssysteme LOGISTIK ter Sollzustand zu tatsächlichem Manöververlauf ) entsprechend korrigiert wird. Der entscheidende Vorteil der dynamischen Prädiktion liegt darin, dass eventuell erforderliche Steuereingrife schneller erkannt, Korrekturen direkt überprüft und das Manöver präventiv erfolgen können. In dem in Bild 2 dargestellten Fallbeispiel werden die Vorteile FTS-gestützter Prädiktionen veranschaulicht. Die zukünftigen Bewegungszustände für eine bestimmte Kombination der Stellorgane (Drehzahl von zwei Maschinen, Ruderlagen und Bugstrahler) sind als Schifskonturen in der elektronischen Seekarte dargestellt und prädizieren das beabsichtigte Drehmanöver nahezu auf der Stelle. Die zusätzlich eingeblendete konventionelle Bahnprädiktion - im Bild als gebogener Vektor violett dargestellt - zeigt zum Vergleich den Vorteil gegenüber den bisherigen herkömmlichen Prädiktionen (lineare Vorausextrapolation der Bewegung auf der Grundlage der aktuellen Bewegungsdaten), welche eine weitere Vorausfahrt mit Backborddrehung vorhersagen. Erste durchgeführte sowie aktuell laufende Versuchsreihen an einem Full-Mission Ship-Handling-Simulator (Baldauf et. al., 2012) deuten darauf hin, dass mit Hilfe dynamischer FTS-gestützter Prädiktionen Erfahrungsdeizite von Schifsoizieren teilweise kompensiert werden und zum sicheren und eizienten Manövrieren beigetragen werden kann. Andere Experimente zeigten (siehe Bild- 3), dass allein die Verfügbarkeit dynamischer Prädiktionen zu einer Verringerung des Platzbedarfs und damit zur Erhöhung der Sicherheit beim Manövrieren in Hafenrevieren beitragen kann. Durch die Möglichkeit der Vorausplanung auch alternativer Steuerstrategien für komplexe Manöverabläufe, insbesondere bei kombiniertem Einsatz mehrerer Manövrierorgane gleichzeitig, konnten durch die Probanden bisher ungenutzte Potenziale erschlossen werden. Dabei wurde einerseits die Anzahl der Steuereingrife erheblich minimiert, andererseits die Dosierung der Intensität des Einsatzes der Manövrierorgane und damit der Energiebedarf besser überwacht und minimiert. Schließlich wurde im Versuch auch eine signiikante Verringerung der erforderlichen Reisezeiten erzielt. Damit einher geht die Minimierung der einzusetzenden Treibstof-Ressourcen sowie auch der Abgase und Schadstofemissionen. Der realisierbare Vorteil hinsichtlich einer verbesserten Energie- und Umweltbilanz führt damit auch zu einem ökonomischen Vorteil, der auch dann erhalten bleibt, wenn alternative, emissionsfreie Kraftstofe eingesetzt werden. Der ökonomische Vorteil wird sogar zunehmen, wenn der prognostizierte Anstieg der Treibstofpreise tatsächlich eintreten wird. ■ Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Knud Benedict, Sandro Fischer, Michael Gluch, Matthias Kirchhof, Michèle Schaub, Sebastian Klaes und Caspar M. Krüger an der Hochschule Wismar, Bereich Seefahrt Warnemünde, Institut für innovative Schifssimulation und Maritime Systeme (ISSIMS). LITERATUR UND REFERENZEN Baldauf, M.; Klaes, S.; Benedict, K.; Fischer, S.; Gluch, M.; Kirchhof, M.; Schaub, M. (2012): Application of e-Navigation for Ship Operation Support in Emergency and Routine Situations. In: European Journal of Navigation; (2012), Volume 10 (2), p. 4-13. Baldauf, M.; Benedict, K.; Fischer, S.; Motz, F; Schröder-Hinrichs, J.-U. (2011): Collision avoidance systems in air and maritime traic. Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers, Part O: Journal of Risk and Reliability, August 2011, Sage publications, London, DOI: 10.1177/ 1748006X11408973. Benedict, K.; Kirchhof, M.; Baldauf, M.; Gluch, M.; Fischer, S. (2007): Concept for On-board Prediction Displays based on actual Ship Condition and Manoeuvring Simulation for Navigation and Shiphandling. Conference Proceedings IMSF Conference 2007, August 20-24 2007, Busan / Korea. Källström, CG.; Ottosson, P.; Raggl, KJ. (1999): Predictors for ship manoeuvring. 12th Ship Control System Symposium CSS, The Hague, The Netherlands. Patraiko, D.; Wake, P.; & Weintrit, A. (2010): e-Navigation and the Human Element. TransNav. In: The International Journal on Marine Navigation and Safety of Sea Transportation, Vol. 4, Issue 1, p. 11-16. Prien, R. (1896): Der Zusammenstoß von Schifen unter den Gesichtspunkten der Schifsbewegung, des Seestraßenrechts und der Haftplicht aus der Schifskollision nach den Gesetzen des Erdballs. Berlin: Verlag I. Gutenberg. Michael Baldauf, Dr._Ing. Hochschule Wismar, Bereich Seefahrt Warnemünde, Institut für innovative Schifssimulation und Maritime Systeme (ISSIMS); Associate Professor Maritime Safety and Environmental Administration, Chief Instructor Maritime Simulation, World Maritime University, Malmö (SE) mbf@wmu.se Bild 2: Integrierte Prädiktion zukünftiger Bewegungszustände in einer elektronischen Seekarte Bild 3: Bahnverläufe für simulierte Auslaufmanöver, durchgeführt ohne (links) und mit Unterstützung (rechts) dynamischer Prädiktionen Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 46 Mehr Sattelzüge auf die Schiene bringen? Analyse von Sattelaulieger-Verkehren in Deutschland mit Perspektiven der Integration in den Kombinierten Verkehr Der Sattelaulieger ist mit fast drei Vierteln der gesamten inländischen Beförderungsleistung auf der Straße die dominierende Ladeeinheit im Straßengüterverkehr. Die europäische Verkehrspolitik will jedoch bis zum Jahr 2050 mehr als 50-% des Straßengüterverkehrs mit über 300 km Transportweite auf Eisenbahn- und Schifsverkehre verlagern. Im Rahmen einer verkehrlichen Untersuchung wurden zur Identiikation von Verlagerungsmöglichkeiten beispielhaft relevante Transportkorridore des Verkehrs von Sattelauliegern identiiziert und die Grundpotenziale zur-Verlagerung der Beförderungsleistung berechnet. Die Autoren: Herbert Sonntag, Martin Jung, Bertram Meimbresse I m Jahr 2011 betrug die Beförderungsleistung aller Lastkraftfahrzeuge mit mehr als 3,5 t Nutzlast auf deutschen Straßen rund 420 Mrd. tkm. 1 Ein erheblicher Teil dieser Verkehrsleistung wird von Sattelzugmaschinen (SZM) mit Sattelauliegern erbracht. Die europäische Verkehrspolitik fordert jedoch in ihrem denkwürdigen Weißbuch aus dem Jahr 2011, bis zum Jahr 2050 mehr als 50 % des Straßengüterverkehrs mit über 300 km Transportweite auf die umweltfreundlicheren Eisenbahn- und Schifsverkehre zu verlagern. 2 Um eine mögliche Umsetzbarkeit dieser Forderung in Deutschland zu prüfen, sind im Rahmen einer verkehrlichen Untersuchung die Anteile und Zuordnungen der- Beförderungsleistungen von Sattelaufliegern auf der Straße im Hinblick auf deren Bündelungsfähigkeit auf der Schiene untersucht worden. Für die Untersuchung wurden die inländischen Beförderungseistungen deutscher und ausländischer Sattelaulieger für das Jahr 2011 zugrunde gelegt. Danach werden fast drei Viertel der Beförderungsleistung im Güterverkehr auf deutschen Straßen von SZM mit Sattelaufliegern erbracht, während die Beförderungsleistung der Sattelaulieger im System des Schienengüterverkehrs - befördert als Ladeeinheiten im unbegleiteten Kombinierten Verkehr (UKV) - nur knapp 5 % beträgt (Tabelle 1 und Bild 1). Betrachtet man jedoch das Verhältnis der Beförderungsleistung zwischen den Verkehrsträgern Straße und Schiene im gesamten Transportsystem „Sattelaulieger“ ist der Schienenanteil mit lediglich 1,8 % marginal gegenüber Straßenanteil von 98,2 % (Bild 2) 3 . Zum Vergleich soll das Transportsystem „Seecontainer“ herangezogen werden, welches ein Standardprodukt im deutschen UKV ist. Eine Zuordnung der Verkehrsleistungen zu den Verkehrsträgern in diesem Transportsystem zeigt, dass der Hinterlandverkehr der Seehäfen im UKV zu über 50-% mit der Eisenbahn organisiert wird (Tabelle- 2 - ohne Loco-Verkehr mit LKW). Bei einer entfernungsabhängigen Betrachtung LOGISTIK Kombinierter Verkehr Foto: Erich Westendarp/ pixelio Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 47 Kombinierter Verkehr LOGISTIK hat der LKW im Nahbereich den dominierenden Anteil, während sich bei Distanzen von über 150 km der Anteil der Eisenbahn und den Binnenschifs deutlich erhöht. 4 Bild 2 und Bild 3 zeigen die resultierende „Verkehrsteilung“ der Transportsysteme „Sattelaulieger“ und „Seecontainer“ im Vergleich. Die enorme Diskrepanz des Schienenanteils zwischen den skizzierten Transportsystemen hat mehrere Ursachen. Dominante Ursachen sind dabei sicher folgende: • Die ungebrochene Beförderung auf der Straße mit dem Transportsystem „Sattelaulieger“ im europäischen Binnenverkehr hat sich auf vielen Relationen und für zahlreiche Güterarten und Branchen logistisch sowie kostenmäßig als vorteilhaft erwiesen. • Der Bündelungsefekt der Seehäfen im Transportsystem „Seecontainer“ - zumindest auf einer Seite der Quelle-Ziel- Relationen - ist ein wichtiger Vorteil für den ökonomischen Einsatz der Verkehrsträger Bahn und Binnenschif im Container-Hinterlandverkehr. Diese wirtschaftlichen Ursachen erklären aber nicht den extremen Unterschied der Anteile der Beförderungsleistung im Schienenverkehr zwischen dem Transportsystem „Sattelaulieger“ mit nur 1,8 % Schienenanteil und dem Transportsystem „Seecontainer“ mit immerhin 50,7 %. Weitere technische Gründe 5 sind sicherlich: • Weder im horizontalen noch dem vertikalen Umschlag von Sattelauliegern werden logistisch attraktive, schnelle Umschlagsysteme mit ausreichenden Kapazitäten eingesetzt. • Ein Großteil der in Westeuropa verkehrenden Sattelaulieger ist nicht kranbar und daher für die Nutzung für den vertikalen Umschlag mit Portalkränen ungeeignet. 6 • Angebote, aber auch Kapazitäten auf den Schienenwegen entlang der wichtigen Korridore zur Verlagerung der Sattelaufliegerverkehre sind derzeit nicht vorhanden. In einem nächsten Schritt wurde geprüft, ob der Anteil der Schiene im Transportsystem „Sattelaulieger“ signiikant erhöht werden kann und wo ggf. bündelungsfähige Potenziale für die Verlagerung existieren. Dazu wurden die Quell-Ziel-Relationen im Sattelauliegerverkehr auf der Straße, getrennt für deutsche und ausländische SZM, untersucht. Diese Analyse wurde unter Verwendung öfentlicher Statistiken durchgeführt. Die verwendeten Datenquellen (Tabelle 3) erforderten zur Zusammenführung und zur Herstellung der Vergleichbarkeit der Daten eine Reihe von Hoch-/ Umrechnungen. Diese Berechnungen sind daher ein abgeschätztes Bild zum Basisjahr 2011. Ein Großteil der ausländischen SZM (Bild 4, Diferenz zwischen Gesamtverkehr (rot) und deutschen Sattelzügen (gelb)), verkehrt demnach auf einer Ost-West-Achse von der polnischen Grenze zum Ruhrgebiet, einer Nord-Süd-Achse von den Nordseehäfen ins Rhein-Main-Gebiet und die Schweiz sowie auf einer Südost-West-Achse von der österreichischen Grenze zum Ruhrgebiet. Straße Schiene Beförderungsleistung (in Mrd. tkm) Sattelaulieger 304,7 5,6 Sonstige/ andere 116,0 107,7 Gesamt 420,7 113,3 Anteil an Gesamt (in %) Sattelaulieger 72,4 4,9 Sonstige 27,6 95,1 Gesamt 100,0 100,0 Tabelle 1: Inländische Beförderungsleistung im Güterverkehr 2011 Quelle Straße, deutsche LKW: KBA (2012); ausländische LKW: KBA (2014) und eigene Abschätzung nach Ausländerverkehrszählung der Bundesanstalt für Straßenwesen (2010); Quelle Schiene: Statistisches Bundesamt (2013) Sonstige 27,6% Sattelauflieger 72,4% Bild 1: Anteil der Sattelaulieger an der Beförderungsleistung im Güterverkehr auf deutschen Straßen Quelle: s. Tabelle 1 Straße ohne Loco Schiene Wasserstraße Gesamt Beförderungsleistung (in Mrd. tkm) Versand der Häfen 6,9 6,7 0,1 13,6 Empfang der Häfen 7,1 7,8 0,1 15,0 Gesamt 13,9 14,5 0,2 28,6 Anteil an Gesamt (in %) Versand der Häfen 23,9 23,5 0,3 47,6 Empfang der Häfen 24,8 27,2 0,4 52,4 Gesamt 48,7 50,7 0,6 100,0 Tabelle 2: Verkehrsteilung der Beförderungsleistung im Container-Hinterlandverkehr der Seehäfen Hamburg und Bremen 2011 Quelle Transportaufkommen: Statistisches Bundesamt (2013); Beförderungsleistung nach eigener Berechnung aus Transportaufkommen im Hinterlandverkehr und mittlerer Transportweite zu den Regionen (ohne Loco-Verkehre) Straße 98,2% Schiene 1,8% Bild 2: Verkehrsteilung der inländischen Beförderungsleistung im Transportsystem „Sattelaulieger“ 2011 Quelle: Statistisches Bundesamt (2013) und Tabelle 1 Straße 48,7% Schiene 50,7% Wasserstraße 0,6% Bild 3: Verkehrsteilung der Beförderungsleistung im Transportsystem „Seecontainer“ im Hinterlandverkehr der Hamburger und der Bremer Seehäfen 2011 Quelle: s. Tabelle 2 Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 48 LOGISTIK Kombinierter Verkehr Diese Konzentration der ausländischen SZM auf wenige Transportkorridore käme einer erfolgreichen Verlagerungsstrategie weitgehend entgegen. Darüber hinaus ist vereinzelt in Grenzregionen ein verstärktes Aukommen ausländischer SZM zu beobachten, wie in Sachsen, Oberbayern und an der Grenze zu den BeNeLux-Staaten. Für eine belastbare Quantiizierung von möglichen Verlagerungen im Transportsystem „Sattelaulieger“ wurden nur ausgewählte Transportkorridore - insbesondere mit einem hohen Anteil von grenzüberschreitenden Sattelzugverkehren - detailliert untersucht. Diese sind in Bild 4 blau unterlegt: • Transportkorridor I A2 - A10 - A12 (NL - West-Ost - PL) • Transportkorridor II A3 u. A9 (NL+BE+NRW - West-SO - AT) • Transportkorridor III A7 - A5 (Hamburg - Nord-Süd - FR, CH). Auf diesen Korridoren wurde aus den Daten zum Querschnittsaukommen an den Zählstellen und den Längen der einzelnen Autobahn-Abschnitte die Beförderungsleistung mit SZM (deutsche und ausländische gemeinsam) berechnet. Da an den Zählstellen keine Daten zur Beförderungsmenge erhoben werden, wurde für die Berechnung der Beförderungsleistung der Durchschnittswert aller Fahrten mit SZM (Last- und Leerfahrten) zugrunde gelegt (10,8 t pro Fahrt 7 ). Tabelle 4 zeigt die Ergebnisse der Berechnungen für die Beförderungsleistung mit SZM auf den ausgewählten Transportkorridoren. In den 73,2 Mrd. tkm durch Sattelaulieger auf den exemplarisch ausgewählten Korridoren sind sowohl der Nahals auch der Fernverkehr enthalten. Zur Abgrenzung des kaum verlagerbaren Nahverkehrs wurde eine Abschätzung anhand der typischen Fahrtweitenverteilung von LKW vorgenommen. Die Statistik zum Inlandsverkehr der LKW nach der durchschnittlichen Fahrtweite belegt, dass 58 % der gesamten Beförderungsleistung (420,7 Mrd. tkm, s.-Tabelle 1) auf Distanzen von über 300 km erbracht wird, über 500 km sind es noch 40 %. 8 Das Grundpotenzial der betrachteten Korridore beträgt somit 73,2 Mrd. tkm. Das entspricht rund dem 13-Fachen der bisherigen Schienenbeförderungsleistung im Sattelauliegerverkehr (5,6 Mrd. tkm, s. Tabelle- 1). Für eine Verlagerung in den realistischen Transportweiten von über 300 bzw. über 500 km ergeben sich die in Tabelle 4 aufgeführten Werte von 42,9 Mrd. tkm für die Transportweite von über 300 km und immerhin noch 29,7 Mrd. tkm für die Transportweite von über 500 km. Bild 4: Verkehrsstärke von Sattelzügen auf Bundesautobahnen 2011 Quelle: Gesamtverkehr Bundesanstalt für Straßenwesen (2013), Anteil deutsche und ausländische SZM nach-eigenen Berechnungen Korridor Gesamt Anteil über 300 km Anteil über 500 km Beförderungsleistung (Mrd. tkm) I: West - Ost 23,4 13,7 9,5 II: West - Süd-Ost 27,9 16,4 11,3 III: Nord - Süd 21,9 12,8 8,9 Alle Korridore 73,2 42,9 29,7 Tabelle 4: Beförderungsleistung mit Sattelauliegern auf Haupttransportkorridoren 2011 Titel Verkehrsaufkommen Verkehrsverflechtung Jahresauswertung automatischer Dauerzählstellen Auswertung der manuellen Ausländerverkehrszählung Institut Kraftfahrtbundesamt Bundesanstalt für Straßenwesen Bezugsjahr 2011 2011 2008 Periodizität jährlich jährlich alle 5 Jahre Erhebungsmethodik Befragung Verkehrszählung Erhebungsweise semi-automatisch automatisch manuell Regionale Tiefe Bundesländer Regierungsbezirke Zählstellen an Bundesfernstraßen Gültigkeitsbereiche auf Bundesfernstraßen Grundmenge Güterkraftverkehr in Deutschland mit Nutzlast > 3,5 t Kraftverkehr in Deutschland Unterscheidung nach Nationalität nur in Deutschland zugelassene Fahrzeuge Nein 18 Nationalitäten Unterscheidung nach Fahrzeugart 3 Fahrzeugarten Nein i.d.R. 8 Fahrzeugarten 5 Fahrzeugarten Tabelle 3: Überblick der Datenquellen zur Bestimmung der Quell-Ziel-Relationen im Sattelauliegerverkehr auf der Straße Kombinierter Verkehr LOGISTIK Das Potenzial entspricht damit dem 7,6-Fachen (300 km) bzw. 5,3-Fachen (500- km) dessen, was zum Basisjahr 2011 tatsächlich im UKV mit Sattelauliegern befördert wurde. Im Vergleich mit dem Transportsystem „Seecontainer“ mit einem Schienenanteil von gegenwärtig 50,7 % würde damit der Schienenanteil im Transportsystem „Sattelaulieger“ von 1,8 % auf 7,1 % (maximale Verlagerung der SZM auf den drei-Korridoren über 500 km Transportweite) bzw. 10,2 % (dito über 300 km) steigen. Kommt man auf das anfangs benannte Verlagerungsziel der Europäischen Kommission zurück, bis zum Jahr 2050 mehr als 50 % des Straßengüterverkehrs mit über 300- km Transportweite auf die umweltfreundlicheren Eisenbahn- und Schifsverkehre zu verlagern, zeigt sich, dass schon die drei betrachteten Korridore einen erheblichen Beitrag zu diesem Ziel leisten könnten. Bei einer gesamten Beförderungsleistung im deutschen Straßengüterverkehr von 420,7 Mrd. tkm ist die Zielgröße 122- Mrd. tkm (58 % Anteil über 300 km und davon die Hälfte) für die ambitionierte Umsetzung des Weißbuches in Deutschland 2050. Das in der vorgestellten Untersuchung identiizierte Potenzial von 42,9 Mrd. tkm von SZM-Verkehren über 300 km auf lediglich drei Korridoren würde dazu schon einen Beitrag von 35%, also gut einem Drittel, erbringen. Fazit Der Sattelaulieger ist die dominierende Ladeeinheit im Straßengüterverkehr. Fast drei Viertel der gesamten inländischen Beförderungsleistung auf der Straße werden mit Sattelauliegern erbracht. Auf der Schiene liegt dieser Anteil der Sattelaulieger bei unter 5 %. Vergleicht man einzelne Transportsysteme, wird die Diskrepanz noch deutlicher. Im Transportsystem „Sattelaulieger“ beträgt der beispielhaft für 2011 berechnete Anteil der inländischen Beförderungsleistung auf der Schiene nur 1,8 %, während der Anteil der Schiene im Transportsystem „Seecontainer“ bei über 50 % liegt. Zur Identiikation von Verlagerungsangeboten wurden beispielhaft relevante Transportkorridore des Verkehrs von Sattelauliegern identiiziert und die Grundpotenziale zur Verlagerung von Beförderungsleistungen berechnet. Das auf UKV-aine Transportweiten eingekürzte Potenzial von verlagerbaren Sattelauliegern auf diesen Korridoren ist bereits das 5-Fache bei Transportweiten von über 500 km bzw. das 8-Fache bei Transportweiten von über 300-km im Vergleich zum Aukommen von Sattelauliegern im UKV des Untersuchungsjahrs 2011 in Deutschland. Hinsichtlich des Verlagerungsziels im Weißbuch der Europäischen Kommission könnten bereits Sattelaulieger-Verlagerungen auf den drei identiizierten, stark befahrenen Transportkorridoren einen mehr als erheblichen Beitrag leisten. ■ 1 Bemessungsgröße ist der Inlandsverkehr (Territorialkonzept), d.h. es wird nur die Beförderungsleistung, die auf deutschem Territorium erbracht wird, erfasst (Quellen siehe Tabelle 1). 2 Vgl. Europäische Kommission (2011). 3 Verhältnis von 5,6 Mrd. tkm des Transportsystems „Sattelaulieger“ auf der Schiene zu gesamt 310,3 Mrd. tkm (304,7 Mrd. tkm auf der Straße plus 5,6 Mrd. tkm auf der Schiene). 4 Vgl. Port of Hamburg (2013) 5 Fischer diskutierte die Auswirkungen besonders dieser betrieblichen und technischen Randbedingungen aktuell in: Fischer, K., Fünf Voraussetzungen für Innovation, Verkehrsrundschau - Who is Who Logistik 2014, S. 28 f. 6 Schmaldienst gibt diesen nicht-kranbaren Anteil mit 80% an. Quelle: Schmaldienst, B., Alternative Umschlagtechniken für nicht kranbare Sattelaulieger, Österreichisches Verkehrsjournal, 2009/ 04, S. 15. Die SGKV schätzt den kranbaren Anteil in Deutschland auf 15%. 7 Vgl. KBA (2012). 8 Vgl. KBA (2014). LITERATUR: Bundesanstalt für Straßenwesen (2010): Zählungen des ausländischen Kraftfahrzeugverkehrs auf den Bundesautobahnen und Europastraßen 2008, Bergisch Gladbach, September 2010. Bundesanstalt für Straßenwesen (2013): Verkehrsentwicklung auf Bundesfernstraßen 2011, Bergisch Gladbach, Oktober 2013. Europäische Kommission (2011): Weissbuch - Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem. KBA (2012): Verkehr deutscher Lastkraftfahrzeuge (VD), Inlandsverkehr, Jahr 2011, VD 3, Flensburg, Oktober 2012. KBA (2014): Verkehr europäischer Lastkraftfahrzeuge (VE), Inlandsverkehr, Jahr 2011, VE 3, Flensburg, Februar 2014. Port of Hamburg (2013): Hamburger Hafen will Bahnanteil im Containertransport mit Nordrhein-Westfalen ausbauen (abgerufen 01.09.2014 unter: http: / / www.hafen-hamburg.de/ news/ hamburger-hafen-will-bahnanteil-im-containertransport-mit-nordrheinwestfalen-ausbauen). Statistisches Bundesamt (2013): Verkehr, Kombinierter Verkehr 2011, Fachserie 8 Reihe 1.3, Wiesbaden, Januar 2013. Martin Jung, M. Eng. Forschungsgruppe Verkehrslogistik, Technische Hochschule Wildau martin.jung@th-wildau.de Bertram Meimbresse, Dipl.-Ing. Forschungsgruppe Verkehrslogistik, bm@ingbuero-bm.de Herbert Sonntag, Prof. Dr.-Ing. Forschungsgruppe Verkehrslogistik, Technische Hochschule Wildau herbert.sonntag@th-wildau.de Schnell, stabil, sicher: Ladebrücken mit RFID-Technik • zeitsparende, automatische Warenerfassung • stoßsichere Integration unter der Ladebrücke • zuverlässiger Datenaustausch durch kurze Funkwege RFID-14 (CeMAT) Nur bei Hörmann Halle B3 Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 50 Strategischer Einsatz des Kombinierten Verkehrs Eine Strategie zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit im-europäischen Speditionsmarkt Der Beitrag untersucht, wie sich die Deregulierung des europäischen Speditionsmarktes auf die Wettbewerbsstrategien von Logistikdienstleistern auswirkt. Eine Datenanalyse von Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüssen in der Logistik-Branche zeigt, dass europäische Spediteure zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ihr ehemals nationales Transportnetzwerk auf den europäischen Binnenmarkt ausweiten. Die strategische Ausrichtung des Produktionskonzepts erfolgt zunehmend durch den selbständigen Eintritt in den europäischen Transportmarkt, beispielsweise durch Nutzung des Kombinierten Verkehrs. Die Autoren: Ralf Elbert, Lowis Seikowsky E in zunehmender Wettbewerb, veränderte Kundenanforderungen sowie ein hoher Kostendruck führen dazu, dass Speditionsunternehmen vor großen Herausforderungen stehen. War das Speditionsgewerbe einst ein stark regulierter und zum Teil durch staatliche Unternehmen dominierter Markt, ist seit Beginn der 1990er Jahre eine schrittweise Liberalisierung und Harmonisierung des europäischen Speditionsmarktes zu beobachten. Für in Deutschland ansässige Speditionsunternehmen ist die Folge dieser Liberalisierungsprozesse deutlich spürbar. Denn die daraus resultierende zunehmende Anzahl an Wettbewerbern, insbesondere aus dem osteuropäischen Raum, sowohl im inländischen wie auch im grenzüberschreitenden Verkehr bedingt einen hohen Kostendruck für das ganze Speditionsgewerbe. Ein entscheidender Treiber für diese Entwicklung ist die kontinuierliche Auhebung des Verbotes von Kabotage- Transportdienstleistung in der Europäischen Union (EU), welche es Logistikdienstleistern erleichtert, Transportdienstleistungen im europäischen Ausland durchzuführen (Schmidt 2007). Zugleich ist in westeuropäischen Ländern der Straßengüterverkehr durch geringe Gewinnmargen geprägt (Meyer-Rühle 2008). Neben den Abbau der Markteintrittsbarrieren wurden seitens der EU entscheidende Schritte zur länderübergreifenden Harmonisierung des Speditionsrechts getätigt, insbesondere die Angleichung der Lenk- und Ruhezeiten. Die skizzierten Entwicklungen haben Auswirkungen auf die Wettbewerbsstrategien der Speditionen, was sich in den Anforderungen an das Transportnetzwerk widerspiegelt. Zum Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit sind europäische Spediteure gezwungen, ihr Transportnetzwerk auf den neu regulierten, europäischen Binnenmarkt und die veränderten Wettbewerbsstrukturen in Europa auszurichten. Netzwerkkompetenzen gelten gerade für kleine und mittelständische Logistikdienstleister als zent- Inländischer Verkehr Nationaler Verkehr Quelle, Ziel und Meldeort des Fahrzeuges entfallen auf dasselbe Land Kabotage Quelle und Ziel entfallen auf dasselbe Land, das Fahrzeug ist in einem anderen Land gemeldet Grenzüberschreitender Verkehr Bilateraler internationaler Verkehr Quelle und Ziel liegen in unterschiedlichen Ländern, von denen eines zugleich auch das Meldeland ist Dreiländerverkehr Quelle, Ziel und Meldeort entfallen auf unterschiedliche Länder Tabelle 1: Unterscheidung der Transportvorgänge nach Relation von Quelle, Ziel und Meldeland LOGISTIK Kombinierter Verkehr Foto: kombiverkehr.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 51 Kombinierter Verkehr LOGISTIK rale Voraussetzung (Straube et al. 2007). Neben dem Eingehen von Kooperationen, Fusionen mit Wettbewerbern oder deren Akquisition kann die strategische Ausrichtung des Produktionskonzepts bzw. die Erweiterung des Leistungsangebotes durch den selbständigen Eintritt in den Markt erfolgen. Dieser Beitrag untersucht, wie sich die Deregulierung des europäischen Speditionsmarktes auf die Wettbewerbsstrategien von Logistikdienstleister auswirkt. Dabei wird zuerst der Eigeneintritt von Logistikdienstleistern als Erweiterung des Produktionskonzepts bzw. des Leistungsangebots betrachtet. Anschließend werden Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse als Strategien zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit analysiert. Tendenzen, wie sich die Transportbranche innerhalb der EU bei weiteren Liberalisierungsmaßnahmen entwickeln könnte, werden aufgezeigt. Wettbewerbsvorteile durch Eigeneintritt Um Transportvorgänge wie den Kombinierten Verkehr (KV) in das Produktionskonzepts bzw. in das Leistungsangebot aufzunehmen, ist u. a. die Nachfrage nach Transporten zuverlässig zu prognostizieren (Straube 2008). Die Transportvorgänge können in vier Kategorien eingeteilt werden. Hinsichtlich Quelle und Ziel wird zunächst zwischen inländischen und grenzüberschreitenden Transportvorgängen unterschieden. Inländische Transporte sind dadurch charakterisiert, dass Quelle und Ziel im selben Land liegen, wohingegen bei grenzüberschreitenden Transporten Quelle und Ziel auf zwei Länder entfallen. Unterscheidet man darüber hinaus, ob das verwendete Fahrzeug im Quellbzw. Zielland des Transportes oder aber in einem Drittland gemeldet ist, so ergeben sich vier Kategorien zur geograischen Charakterisierung eines Transportvorgangs, die in Tabelle 1 aufgeführt sind (Eurostat 2012). Die Verteilung der vier Transportvorgänge im EU-Transportmarkt fällt im Jahr 2011 sehr unterschiedlich aus (Bild 1). Nationaler Verkehr bildet mit 67 % der Gesamt- Transportleistung (in tkm) derzeit noch den größten Markt für Transportdienstleistungen. Jedoch variiert der Anteil nationaler Verkehre am Gesamt-Transportaukommen zwischen den Ländern stark. Für Länder im Osten des EU-Raums ist der nationale Verkehr weniger stark ausgeprägt als für die westlichen Länder. Bilateraler internationaler Verkehr macht 25 % der Transportleistung aus, gefolgt vom Dreiländerverkehr mit 7 % Marktanteil. Der Kabotage-Transportleistungsanteil beläuft sich auf nur 1 % der Transportleistung (Eurostat 2012, Glaeve et al. 2013). Steigerung von Kabotage-Transportdienstleistung, Dreiländerverkehr und Kombiniertem Verkehr Die Entwicklung des Transportmarktes für inländischen und grenzüberschreitenden Verkehr zeigen vergleichbare Tendenzen. Bei inländischen Verkehren weist der Markt für nationale Transporte mit einem Anstieg des Tonnenkilometeraukommens von 1,2 % in 2010 nur ein geringes Wachstum auf. Hingegen haben Kabotage-Transportdienstleistungen im Zuge der Liberalisierungsprozesse in der EU in den letzten Jahren stark zugenommen. So stieg das Tonnenkilometeraukommen für Kabotage- Transportdienstleistungen zwischen 2009 und 2010 um 17 % (EC2011 - European Commission DG for Mobility and Transport 2011). Ein Großteil dieses Anstieges entfällt dabei auf die EU-Länder, die vor 1995 dem Wirtschaftraum beigetreten sind. Hier betrug das Wachstum zwischen 2009 und 2010 sogar 51 % (EC2011). Über die Hälfte der Kabotage-Transportdienstleistung entfällt auf die beiden Zielländer Deutschland und Frankreich. Nach den EU-Erweiterungsrunden übernehmen die neuen Mitgliedstaaten zunehmend die Kabotage- Transportdienstleistungen. So hatten in 2007 Logistikdienstleister aus Deutschland, Luxemburg und Niederlanden den größten Kabotage-Marktanteil (in tkm) (Eurostat 2012). Bereits in 2011 etablierte sich Polen als Hauptanbieter von Kabotage-Transportdienstleistungen im EU-Raum (Gleave et al. 2013). Während das tkm-Aukommen einheimischer Transporteure in den Inlandtransporten also stagniert, weisen ausländische Speditionen hier hohe Wachstumsraten auf. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch auf dem Markt für grenzüberschreitende Transporte feststellen. Die Transportleistung im bilateralen internationalen Verkehr innerhalb der EU stagniert im Mittel. Das Teilsegment des Dreiländerverkehrs weist hingegen auch in den letzten Jahren hohe Wachstumsraten auf. Zwischen 2005 und 2010 nahm die Transportleistung um 71 % zu. Des Weiteren entielen fast drei Viertel des tkm-Aukommens im Dreiländerverkehr auf Speditionen, die im EU-12- Raum gemeldet waren (EC2011). Da KV eine hohe Transport-Mindestentfernung benötigt, um wirtschaftlich eingesetzt zu werden (Seidelmann 1997), ermöglicht und fördert die Liberalisierung und Harmonisierung des europäischen Speditionsmarktes diese Transportalternative. So kann beispielsweise KV eine zusätzliche Alternative darstellen, das Produktionskonzept bzw. das Leistungsangebot zu erweitern, indem gleichzeitig neue Marktsegmente bedient werden können und das Transportnetzwerk des Spediteurs ausgebaut wird. Darüber hinaus eignet sich KV - aufgrund der Vielzahl heterogener und rechtlich unabhängiger Operateure - für preisbezogene Wettbewerbsmaßnahmen (Stölze und Resch 2009). Weiterhin können Logistikdienstleister durch den Einsatz von KV vermehrt Transportdienstleistungen im europäischen Ausland durchführen, da die Kabotagerestriktionen für den Vorbzw. Nachlauf des KV nicht zutrefen. So regelt Artikel 4 der Richtlinie 92/ 106/ EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 7. Dezember 1992, dass Verkehrsunternehmen „im Rahmen des kombinierten Verkehrs zwischen Mitgliedsstaaten innerstaatliche oder grenzüberschreitende Zuund/ oder Ablaufverkehre auf der Straße“ durchführen können. Wettbewerbsstrategien für Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse Neben dem Eigeneintritt dienen Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse als Strategien zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Um Wettbewerbsvorteile zu generieren, greifen Logistikdienstleister auf Wachstumsstrategien, Eizienzstrategien, 67% 25% 7% 1% Na i onaler Verkehr Bilateraler interna i onaler Verkehr Dreiländerverkehr Kabotage Bild 1: Prozentuale Verteilung der EU-Transportleistung (tkm) in 2011 Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 52 LOGISTIK Kombinierter Verkehr Produktinnovationsstrategien und Marketingstrategien zurück (Holderied 2005). Ziel ist es, ein möglichst optimales bzw. lächendeckendes Transportnetzwerk anzubieten, um darüber hinaus möglichst viele Marktsegmente (ergänzende Transportdienstleistungen wie den KV) bedienen zu können. Im Rahmen der Wachstumsstrategie generiert das Unternehmen Wettbewerbsvorteile allein durch den Ausbau der Unternehmensgröße. Skalenefekte werden durch die kontinuierliche Erschließung neuer geograischer und leistungsspeziischer Märkte erzeugt. Im Zuge von Eizienzstrategien werden Verbundefekte hergestellt. Synergien und Kostenvorteile werden durch horizontale und vertikale Unternehmenszusammenschlüsse generiert. Um dennoch zahlreiche Marktsegmente individuell zu bedienen, ist ein stetiger Kompetenzaubau unabdingbar.WennProduktinnovationsstrategien verfolgt werden, sind Übernahmen von spezialisierten Unternehmen möglich. Schließlich können Zukäufe und Zusammenschlüsse auch in Form von Marketingstrategien verfolgt werden, indem z. B. Unternehmen übernommen werden, die Werte wie Umweltbewusstsein vertreten. Dadurch kann das zukaufende Unternehmen sein Unternehmensimage zielgerichtet erweitern bzw. verbessern. Um die Auswirkungen der Liberalisierung des europäischen Speditionsmarktes auf die Wettbewerbsstrategien von Logistikdienstleistern zu untersuchen, wurden unter Einsatz der „Zephyr-Datenbank“ (Bureau van Dijk 2014) Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse in der Logistik-Branche im EU-Raum analysiert. Dazu wurden die Veränderungen nach der EU-Erweiterungsrunde im Jahre 2004 untersucht. Zuerst wurde der Drei-Jahres- Zeitraum ab der ersten EU-Osterweiterung betrachtet. Im Jahr 2004 traten die Staaten Polen, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Slowenien, Slowakei, Malta und Zypern der EU bei. Im Jahr 2007 folgten Bulgarien und Rumänien in der zweiten EU-Osterweiterung. Nach Ablauf der Übergangsfristen zum 30. April 2009 wurde die Kabotagefreiheit auf alle Beitrittsländer der ersten EU-Osterweiterung ausgeweitet. Zuvor konnten EU-Mitgliedsstaaten Kabotagebeschränkungen auf nationaler Ebene wie beispielsweise den Zeitraum der Transportdurchführung, die Anzahl der Fahrten oder Mengenbeschränkungen beschließen. Um die Auswirkungen der Liberalisierung zu untersuchen, wurden daher für die nächste Untersuchungsperiode Daten nach Ablauf der Übergangsfrist ab dem Jahr 2009 gewählt. Für Rumänien und Bulgarien sollte die Übergangsfrist zuerst vom EU-Beitritt bis zum Jahresende 2009 gelten, wurde dann aber vor Ablauf bis Ende 2011 verlängert. Damit die Vergleichbarkeit der Zeiträume möglich ist, wurde jeweils ein Drei- Jahres-Zeitraum von Januar bis Dezember gewählt. Neben der Branchenzugehörigkeit eines der beteiligten Unternehmen zum Logistik-Sektor und den Zeiträumen 2004- 2006 und 2009-2011 wurden als Suchkriterien der Typ der Übernahme oder des Zusammenschlusses und die Region verwendet. Der Typ kann Rückschlüsse auf die Strategie bzw. Kooperationsbereitschaft von Logistikdienstleistern geben. Die Region wurde untersucht, um den gesamten europäischen Speditionsmarkt zu betrachten. Der Datenkorpus umfasst 92 Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse von Logistikdienstleistern in Ländern, die in der jeweiligen Zeitperiode Mitgliedsland der EU waren. Dabei entfallen auf die erste Periode 31 und auf die zweite Periode 61 Zusammenschlüsse und Übernahmen. Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse von Logistikdienstleistern An den 92 Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse von Logistikdienstleistern waren zumeist kleine und mittelgroße Unternehmen beteiligt. Insgesamt wurden 97 % der Unternehmen übernommen und in nur 3 % der Fälle kam es zu einem Zusammenschluss zwischen Unternehmen. Dass hauptsächlich Unternehmen übernommen wurden, könnte auf den starken Wettbewerb unter Logistikdienstleistern hindeuten. Zwar sind Logistikdienstleister von den Potenzialen horizontaler Kooperation im Grunde überzeugt, jedoch scheitert die Umsetzung oft daran, dass einerseits kein geeigneter Kooperationspartner gefunden wird und sich dann nicht auf eine Auszahlungsmechanik geeinigt werden kann (Cruijssen et al. 2007). So fanden neben den hauptsächlich horizontalen auch vereinzelt vertikale Transaktionen bzw. Übernahmen statt. Es wurden beispielsweise Software- Unternehmen, Logistikdienstleister zur Abwicklung des Seehafen-Hinterlandverkehrs sowie „klassische“ Speditionsunternehmen übernommen. Im Zeitabschnitt zwischen 2004 und 2006 fanden 77,4 % der betrachteten Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse innerhalb eines Landes statt. In 22,6 % der Fälle übernahm oder fusionierte ein Logistikdienstleister mit einem im Ausland ansässigen Unternehmen. Dieser Anteil iel im Zeitabschnitt zwischen 2009- 2011 auf 11,5 %. Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse wurden zu 88,5 % Zeitperiode Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse im Ausland Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse im Inland Total 2004-2006 7 (22,6 %) 24 (77,4 %) 31 (100 %) 2009-2011 7 (11,5 %) 54 (88,5 %) 61 (100 %) Tabelle 2: Totale und prozentuale Anteile der Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse von Logistikdienstleistern im In- und Ausland in den Zeiträumen 2004-2006 und 2009-2011 77,40% 88,50% 22,40% 11,50% 0,00% 10,00% 20,00% 30,00% 40,00% 50,00% 60,00% 70,00% 80,00% 90,00% 100,00% 2004 - 2006 2009 - 2011 Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse im Ausland [%] Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse im Inland [%] Zeitraum Bild 2: Prozentuale Anteile der Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse im In- und Ausland in den Zeitabschnitten 2004-2006 und 2009-2011 Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 53 Kombinierter Verkehr LOGISTIK im Inland getätigt. Tabelle 2 zeigt die absoluten und prozentualen Anteile der Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse im In- und Ausland in den Zeiträumen 2004-2006 und 2009-2011. Die Analyse der betrachteten Daten zeigt, dass Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse in der Logistik-Branche hauptsächlich im Inland stattinden. Bild 2 verdeutlicht den Rückgang von Übernahmen und Zusammenschlüssen im Ausland. Zwar wurden im Zeitraum 2009-2011 prozentual weniger Unternehmen im Ausland erworben oder schlossen sich zusammen als im Zeitraum 2004-2006, jedoch hat sich die Reichweite der Übernahmen bzw. Zusammenschlüsse erhöht. Während bis 2006 die Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse eher im angrenzenden Ausland stattfanden, wurden ab 2009 vermehrt Unternehmen im nicht-angrenzenden Ausland übernommen oder schlossen sich zusammen. Motive für Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse Die Konzentration der Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse von europäischen hin zu nationalen Märkten könnte darauf hindeuten, dass durch die Liberalisierung des europäischen Speditionsmarktes sich die Wettbewerbsstrategien von Logistikdienstleistern ändern. Tabelle 3 stellt die Motive für die Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse in den Zeiträumen 2004-2006 und 2009-2011 gegenüber. Die Motive, die Unternehmen als Grund der Übernahme bzw. Zusammenschlusses in der Zephyr-Datenbank angaben, konnten den Wettbewerbsstrategien zugeordnet werden. Dabei zeigte sich, dass Unternehmen mit abnehmender Tendenz aus reinen Wachstums- und Eizienzgründen übernommen werden. Zunehmend werden Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse mit Produktinnovations- und Marketingstrategien begründet. Durch die Deregulierung des europäischen Speditionsmarktes könnten sich die Wettbewerbsstrategien von Logistikdienstleistern dahingehend ändern, dass der der Eigeneintritt zur Erweiterung des Produktionskonzepts bzw. des Leistungsangebots in den Fokus rückt. Fazit Europäische Spediteure weiten zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ihr ehemals nationales Transportnetzwerk auf den neu entstandenen, europäischen Binnenmarkt aus. Die strategische Ausrichtung des Produktionskonzepts bzw. die Erweiterung des Leistungsangebotes erfolgt zunehmend durch den selbständigen Eintritt in den europäischen Transportmarkt. Hingegen sinkt der Anteil von Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüssen aus wachstumsstrategischen Motiven. Weitere Deregulierungen bzw. Liberalisierungsprozesse, beispielsweise beim KV, können diesen Efekt noch verstärken. ■ Das IGF-Vorhaben (17550 N) der Forschungsvereinigung Bundesvereinigung Logistik e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. LITERATUR Bureau van Dijk (2014): Zepher Datenbank - M&A-Transaktionsdaten weltweit mit integrierten Firmeninanzdaten, Zugrif unter http: / / zephyr.bvdep.com. Cruijssen, F., Cools, M., Dullaert, W. (2007): Horizontal cooperation in logistics: Opportunities and impediments. Transportation Research Part E, 43(2), S. 129-142. EC2011 - European Commission DG for Mobility and Transport (2011): Road Freight Transport Vademecum 2010 Report. Market trends and structure of the road haulage sector in the EU in 2010. Eurostat (2012): Europe in igures. Eurostat yearbook 2012. 2012 edition, Theme. Luxembourg 2012. Gleave, S. D., Frisoni, R., Dionori, F., Vollath, C., Tyszka, K., Casullo, L., Routaboul, C., Jarzemskis, A., Tanczos, K. (2013): Development and Implementation of EU Road Cabotage. European Parlament. Directorate General for Internal Policies. Policy Department B: Structural and Cohesion Policies. Transport and Tourism. Holderied, C. (2005): Güterverkehr, Spedition und Logistik. Managementkonzepte für Güterverkehrsbetriebe, Speditionsunternehmen und logistische Dienstleister. 1. Aul., München 2005. Meyer-Rühle, O. (2008): Statistical coverage and economic analysis of the logistics sector in the EU (SEALS). Basel 2008. Rat der Europäischen Union (1992): Richtlinie 92/ 106/ EWG des Rates vom 7. Dezember 1992 über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedsstaaten. Schmidt, K. (2007): Erfolgsfaktoren in Speditionen. Dortmund, Techn. Univ., Diss., 2007. Seidelmann, C. (1997): Der kombinierte Verkehr - Ein Überblick. Internationales Verkehrswesen, 49(6), S. 321-324. Stölzle, W., & Resch, B. (2009): Geschäftsmodelle als Ausgangspunkt für das Preismanagement im KV. Internationales Verkehrswesen, 61(6), S. 199-205. Straube, F. (2008): Containerverkehr der Nordrange - Konzeption eines Planungsmodells für den see- und landseitigen Verkehr. Internationales Verkehrswesen, 60 (4), S. 120-126. Straube, F., Dominik, K., Hermann, S. (2007): Netzwerkkompetenz als zentrale Voraussetzung für kleine und mittelständische Logistikdienstleister. Jahrbuch Logistik, freie Beratung (2007), S. 50-52. Motive für Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse Anteil in 2004-2006 Anteil in 2009-2011 Wachstumsstrategien 45,8 % 34,4 % Eizienzstrategien 33,3 % 24,7 % Produktinnovationsstrategien 14,6 % 15,1 % Marketingstrategien 6,3 % 25,8 % Tabelle 3: Motive für Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse in den Zeitabschnitten 2004-2006 und 2009-2011. Das Projekt KoVoS Wie kann ein mittelständisches Speditionsunternehmen sein Geschäftsmodell im Zuge der bedeutenden Umweltveränderungen so anpassen, dass die künftige Wettbewerbsfähigkeit im Transportgewerbe gesichert wird? Diese Frage steht im Mittelpunkt des AiF-Projekts KoVoS, in dem die TU Darmstadt den KV-Markt und die Verhaltensmuster der verschiedenen beteiligten Akteure erforscht. Mit Hilfe der Ergebnisse des Projekts sollen Spediteure bei der Transportmittelwahl sowie der notwendigen Anpassungen ihrer Strategien und ihres Geschäftsmodells unterstützt werden. Ein webbasierter Leitfaden bietet den Spediteuren die Möglichkeit eine Erweiterung ihres bestehenden Produktionskonzeptes um den Kombinierten Straßen-/ Schienengüterverkehr (KV) zu prüfen und anhand ihrer speziellen Rahmenbedingungen und Anforderungen direkt Unterstützung bei der Entscheidungsindung zu erhalten. Vor allem mittelständische Spediteure werden so für das Thema KV sensibilisiert und gleichzeitig mit umsetzungsnahen Handlungsempfehlungen unterstützt. Unter www.kovos.de inden sich aktuelle Informationen zum deutschen KV-Markt sowie ab Anfang 2015 der webbasierte Leitfaden. Ralf Elbert, Prof. Dr. Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt elbert@bwl.tu-darmstadt.de Lowis Seikowsky, Dipl.-Wi.-Ing. Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, Universität Darmstadt seikowsky@bwl.tu-darmstadt.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 54 Schienenschnellverkehr mit mehr als 200 km/ h - Auswirkungen der Aufwertung von Japans Verkehrsinfrastruktur Japans Shinkansen gilt als Urvater des weltweiten Schienenschnellverkehrs mit mehr als 200 km/ h. Bereits zum 1. Oktober 1964, pünktlich zu den Olympischen Spielen in Tokyo, verband er die Metropolen auf Japans Hauptverkehrs-Schlagader. Nach einem historischen Rückblick beschreibt der Beitrag die hohe verkehrliche Dichte, die betrieblichen Besonderheiten, die Auswirkungen auf die verbliebenen JR-Eisenbahnstrecken sowie Raum und Gesellschaft. Eine Erfolgsstory einer massiven Infrastrukturinvestition zur nachhaltigen Stärkung des Bahnverkehrs. Die Autoren: Wilfried Wunderlich, Oliver Mayer, Stefan Klug S chnellverkehr auf der Schiene mit mehr als 200 km/ h kennen wir in Europa seit den 1980er-Jahren, in Japan gab es ihn schon seit 1964, wo die erste Strecke anlässlich der Olympischen Spiele eröfnet wurde [1; 2; 3]. Inzwischen bezeichnet Shinkansen (wörtlich „Neue Hauptstrecke“) ein ganzes Verkehrssystem, dessen Charakterika Schnelligkeit, hohe Zugfrequenz, Pünktlichkeit, unabhängige Strecken und bequeme Verbindungen in die Zentren der Städte sind. Er ist zum Markenartikel geworden, und wegen des großen Erfolges ist das Streckennetz, das zunächst aus der 515 km langen Stammstrecke von Tokyo nach Osaka bestand, die auch am heiligen Berg Fuji vorbeiführt (Bild-1), mehrfach erweitert worden. Historische Meilensteine Am 1. Oktober 1964 hat die Japanese National Railways (JNR) - inzwischen privatisiert als JR Group, die sich aus mehreren örtlich und sektoral zuständigen JR Gesellschaften zusammensetzt - mit der Baureihe 0 (Bild 2) den Schnellverkehr mit 210 km/ h auf der Tokaido-Hauptstrecke Tokyo - Osaka aufgenommen. Dies geschah zu einer Zeit, in der in weiten Teilen Europas und Asiens - auch in Japan - noch Damplokomotiven fuhren. Die rundliche Form dieser Baureihe war mit ein Grund für die Übersetzung in „Bullet-Train“ im englischsprachigen Raum. Die 515 km lange Strecke zwischen Tokyo und Osaka bildet auch heute noch das Rückgrat, weil an der japanischen Ostküste gleich mehrere Großstädte an der alten Handelsstraße Tokaido aneinander gereiht sind: Die 30 Mio. Einwohner des Kanto- Großraums bestehend aus Tokyo, Yokohama, Chiba und Saitama, die rund 15 Mio. in- der Tokai-Region um Nagoya und die 21- Mio. im Kansai-Raum bestehend aus Kyoto, Osaka und Kobe stellen ein großes Fahrgastpotential dar, denn auf einen Schlag hatte etwa ein Drittel der Bevölkerung Japans Zugang zum Schnellverkehr (Bild 3). Der Tokaido-Shinkansen war auf Anhieb erfolgreich; bereits 1965 beförderte er 30- Mio. Fahrgäste, 1970 waren es schon 84-Mio. [5]. Der Weiterbau nach Westen ließ nicht lange auf sich warten, und so konnte der Shinkansen 1972 und 1975 über den Sanyo-Korridor via Okayama und Hiroshima bis Fukuoka (Bahnhof Hakata) auf die Insel Kyushu verlängert werden (554 km, Gesamtstrecke 1069 km). Als nächster Meilenstein wurden die Regionen nordöstlich von Tokyo ans Shinkansen-Netz angeschlossen, die Tohoku- und Joetsu-Strecken (Tokyo - Sendai - Morioka, 496 km und Tokyo - Niigata, 270 km) wurden zwischen 1982 und 1991 eröfnet. Das ehrgeizige Projekt war eine enorme Investition, da die Strecke nicht nur im Tokyoter Stadtgebiet, sondern bis weit ins Umland aufgeständert fährt (Bild 4). Im Hauptbahnhof von Tokyo gibt es von diesen beiden Nordstrecken keine Gleisverbindung zum Tokaido-Shinkansen und daher auch keine durchgehenden Züge, denn die Hauptstadt Bild 1: Shinkansen der N700 Serie auf der Tokaido-Strecke mit Japans Kulturerbe, dem Fuji, im Hintergrund Foto: Tansaisuketti/ Wikipedia MOBILITÄT Schienenschnellverkehr 50 Jahre Shinkansen Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 55 Schienenschnellverkehr MOBILITÄT Tokyo ist das Ziel der meisten Reisenden. Zudem unterscheiden sich die Fahrzeuge leicht wegen der unterschiedlichen Stromnetzfrequenz von 60 Hz im westlichen Japan und 50 Hz im nördlichen Japan sowie der erforderlichen Winterfestigkeit im schneereichen Norden. Alle bis dahin eröfneten Shinkansen- Strecken wurden parallel zu den bestehenden JR-Strecken gebaut und schufen so zusätzliche Kapazitäten. Da die bestehenden Strecken auf weiten Abschnitten an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen waren, waren die neuen Strecken eine notwendige Netzerweiterung. Die Strecken nach Yamagata (1992 eröfnet, 1999 bis Shinjo verlängert, 148 km) und Akita (1997 eröfnet, 127 km) rechtfertigten vom Verkehrsaukommen her jedoch keine zusätzlichen Gleise, so dass beide Strecken lediglich von der schmalen Kapspur (Standard-Spurweite in ganz Japan) auf Normalspur (Spurweite des Shinkansen) umgespurt wurden, aber weiterhin überwiegend eingleisig blieben; Die Höchstgeschwindigkeit dort beträgt 130- km/ h. Dies war eine kostengünstige Methode, um zwei Regionen im ländlich geprägten Nordosten Japans an das Hochgeschwindigkeitsnetz anzuschließen. Beide Linien werden als „Mini-Shinkansen“ bezeichnet, auch weil ihr Lichtraumproil kleiner ist als das der anderen Strecken [6]. Seit Ende der 1990er Jahre ist wiederum eine neue Strategie zu erkennen. Einerseits wurden neue Shinkansen-Strecken wieder nach dem ursprünglichen Standard gebaut, also als normalspurige Neubaustrecken. Dies sind der Nagano-Shinkansen, der vom Joetsu-Shinkansen abzweigt (117 km, 1997 zu den Olympischen Winterspielen eröfnet), die Verlängerung des Tohoku-Shinkansen nach Norden um insgesamt 178 km über Hachinohe bis Aomori (2002 und 2010), und der Kyushu-Shinkansen, der zwischen Fukuoka (Hakata) und Kagoshima verkehrt und eine Verlängerung des Sanyo- Shinkansen ist (2004 und 2011 eröfnet, 257- km). Grund dafür war vor allem, dass die Neubaustrecken so trassiert werden konnten, dass sie erheblich kürzer als die Altstrecken sind; z.B. ist der Kyushu-Shinkansen im Abschnitt Yatsushiro - Kagoshima nur 126 km lang, die Altstrecke dagegen 165 km, die Fahrzeit hat sich von 2 Stunden auf 35 Minuten reduziert. Andererseits verloren die Bahngesellschaften das Interesse an einem Weiterbetrieb der Altstrecken, da diese durch die Neubaustrecken vor allem ihren hochwertigen Fernverkehr verloren hatten. Die Altstrecken wurden daher an neu gegründete Bahngesellschaften des sogenannten ‚Dritten Sektors‘ abgegeben. In Japan bezeichnet der Begrif eine Kooperation zwischen der öfentlichen Hand (erster Sektor) und der Privatwirtschaft (zweiter Sektor). Tatsächlich werden diese öfentlich-privaten Gesellschaften von den japanischen Gebietskörperschaften, vor allem den Präfekturen, kontrolliert und inanziert. Heute hat das Netz eine Streckenlänge von 2.671 km erreicht; im Ausbau bis 2035 wird es auf 3.447 km erweitert und von fünf der sechs JR-Gesellschaften betrieben werden (Bild 5). Bahnhöfe Bei der Eröfnung hatte der Tokaido-Shinkansen 12 Bahnhöfe, zur besseren Erschließung der anliegenden Regionen kamen 1969 noch die Bahnhöfe Mishima und 1988 Shin-Fuji, Kakegawa und Mikawa-Anjo hinzu, so dass es im Durchschnitt etwa alle 30-km einen Bahnhof gibt. 2003 wurde der Bahnhof Shinagawa eröfnet, um den nur 6-km entfernten Endbahnhof Tokyo zu entlasten, er wird vor allem von Umsteigern genutzt, die die südlichen und westlichen Vororte von Tokyo als Quelle oder Ziel haben. Weitere zusätzliche Bahnhöfe werden vor allem von der Bevölkerung gefordert, die zwischen Shin-Yokohama und Odawara sowie zwischen Maibara und Kyoto wohnt. Dort beträgt der Abstand der Bahnhöfe 51 bzw. 68 km, doch die Betreibergesellschaft JR-Central mit Sitz in Nagoya lehnt dies bisher ab. Rekordhalter Zur Eröfnung 1964 fuhren 10 Zugpaare zwischen Tokyo und Osaka mit einer Reisezeit von vier Stunden. Heute fahren dem Bedarf angepasst drei verschiedene Zuggattungen (Bild 6). Der schnellste Nozomi-Service („Hofnung“) benötigt nun zwei Stunden und 25 Minuten. Auf fast allen Unterwegs-Bahnhöfen lässt sich der langsamere Kodama-Service („Echo“) überholen und dementsprechend verlängert sich die Fahrzeit um mehr als eine Stunde. Trotz der wachsenden Konkurrenz durch den PKW bzw. das Flugzeug nahmen die Fahrgastzahlen im Shinkansen stetig zu. In der Tat setzen bei weiten Strecken die Reisezeit und nicht zuletzt der Fahrpreis eine natürliche Grenze für die Bahn. Im Testbetrieb erreichte der Shinkansen bereits 1963 die Spitzengeschwindigkeit von 256 km/ h. Seit 1965 hielt der Tokaido- Shinkansen den Weltrekord als schnellster Planzug mit 162 km/ h bei einer Spitzengeschwindigkeit von 210 km/ h, bis er ihn 1973 an Frankreich abgeben musste. Doch 1997 holte sich die Baureihe 500 [7] den Rekord auf der Sanyo-Linie mit Spitzengeschwindigkeit von 300 km/ h wieder zurück und behielt ihn bis 2005. Die im Bau beindliche Magnetschwebebahn ‚Linear Maglev‘ hält seit Dezember 1997 den absoluten Weltrekord für spurgeführte Fahrzeuge. Der Urva- Bild 2: Der Urvater des Schnellverkehrs über 200km/ h aus dem Jahre 1964 ist nur noch im Museum zu bewundern. Foto: Wilfried Wunderlich Bild 3: Die Tokaido Region zwischen Osaka und Tokyo [4] Bild 4: Ab 1970 wurde die Tohoku-Shinkansen- Strecke weitgehend aufgeständert gebaut, erst langsam amortisieren sich die Investitionen. Foto: Wilfried Wunderlich Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 56 MOBILITÄT Schienenschnellverkehr ter des 200 km/ h-Schnellverkehrs, die Baureihe 0 (Bild 2), war noch bis 2008 in Dienst und ist inzwischen nur noch im Museum zu bewundern. Auch wenn er inzwischen längst in der Geschwindigkeit überholt wurde, kann der Tokaido-Shinkansen derzeit doch noch Rekorde verbuchen. Die Strecke Tokyo - Osaka hat den dichtesten Fahrplan im Hochgeschwindigkeits-Netz auf der ganzen Welt. Außerdem hält die Tokaido-Strecke den Rekord der höchsten Personenkapazität. Zur Sicherheit verfügt das Shinkansen Netz über ein Erdbebenfrühwarnsystem. Bisher wurde aber nur einmal wurde bei einem Erdbeben der Stärke 6,4 im Jahr 2004 ein fahrender Zug durch das Frühwarnsystem gestoppt und trotz Entgleisung entstanden keine Personenschäden. Dies war in 50 Jahren Betrieb bisher der einzige nennenswerte Unfall. Betriebskonzept Auf allen Shinkansen-Strecken wird ein System verschiedener Zugtypen angeboten, d.h. es gibt Züge, die an jedem Bahnhof halten, aber auch solche, die nur an den wichtigsten Stationen halten. Die Fahrgäste erkennen diese Züge an unterschiedlichen Namen, während das eingesetzte Rollmaterial meistens gleich ist. Auf der Tokaido- Strecke sind dies die Nozomi-Züge, die nur in Tokyo, Shinagawa und Yokohama stoppen und dann ohne Halt 317 km bis Nagoya durchfahren, anschließend erneut 134 km ohne Halt fahren, bevor sie Kyoto und Osaka bedienen. Die Hikari-Züge („Licht“) bedienen zusätzlich die wichtigsten Zwischenbahnhöfe im 1- oder 2-Stunden-Takt, die Kodama-Züge grundsätzlich alle Halte (Bild-6). Die Tokaido-Strecke bietet auch das dichteste Angebot aller Shinkansen-Strecken. So fahren ab Tokyo Hauptbahnhof in Richtung Osaka von 6 bis 21 Uhr grundsätzlich vier Nozomi-Züge und je zwei Hikari- und Kodama-Züge pro Stunde. Zu den Hauptverkehrszeiten am Vormittag und frühen Abend wird das Nozomi-Angebot auf einen 10-Minuten-Takt verdichtet. Hinzu kommen noch zahlreiche Verstärkerzüge, allesamt Nozomi, vor allem an Montag- und Samstagvormittagen sowie an Freitag- und Sonntagnachmittagen, die von Wochenendpendlern genutzt werden; diese Züge werden aber auch an anderen Wochentagen gefahren, vor allem zur Urlaubszeit oder an langen Wochenenden. Das dichteste Angebot auf der Tokaido-Strecke wird normalerweise an Freitagen zwischen 18 und 20 Uhr gefahren, wenn die höchste Nachfrage herrscht und alle Nozomi-Fahrplantrassen genutzt werden. Dann verkehren auf dem Abschnitt zwischen Tokyo und Mishima 15- Züge pro Stunde und Richtung (Bild 7), was einer Kapazität von 19 845 Sitzplätzen entspricht. Durch den dichten Fahrplan kommen auf der Hauptstrecke Tokyo - Osaka Laufleistungen von mehr als 2500 km pro Tag und Zug zusammen. Der daraus resultierende hohe Verschleiß ist der Grund, dass die Baureihen 300 und 500 [7] nicht mehr als 15-Jahre in Betrieb waren, während ansonsten 30 Jahre Lebensdauer für Schienenfahrzeuge üblich sind. Die zurzeit verkehrenden 700, N700 und N700A werden sicher eine längere Lebensdauer haben, da deren Bauteile großenteils austauschbar sind, so dass jedenfalls bei der Betreibergesellschaft JR- Central von weitgehender Typengleichheit gesprochen werden kann. Während 1964 nur eine einzige 0-Baureihe in Betrieb war, gibt es heute mehr als 30 Shinkansen-Baureihen bei den vier Betreibergesellschaften, wenn man die bereits ausgemusterten und die Versuchsfahrzeuge hinzuzählt Auswirkungen auf Raum und Gesellschaft Aufgrund der vielen Vorteile, wozu auch seine legendäre Pünktlichkeit gehört [8], ist der Shinkansen, inkl. der Unterschiede der einzelnen Baureihen, als Kult-Verkehrsmittel längst in den Köpfen der Japaner verankert, was sich unter anderem in der Vielfalt der Souvenirs in den JR-Kiosken zeigt. Trotz des hohen Fahrpreises ist der Shinkansen aufgrund der Schnelligkeit der Verbindung in die Innenstadt ein hochgradig wettbewerbsfähiges Verkehrsmittel. Seit der Einführung des Tokaido-Shinkansens sind Tagesreisen mit dem Zug für Geschäftsreisende von Tokyo nach Osaka möglich geworden. Gleichzeitig setzte das Sterben der veralteten Schlafwagenzüge ein, langfristig werden nur zwei Verbindungen übrigbleiben. Der Shinkansen ermöglichte und verstärkte sogar neue gesellschaftliche Entwicklungen. Die Zahl der Wochenendehen nahm zu, ebenso wie die Landlucht nach Tokyo, wo es mehr Arbeit gibt [9; 10]. Der Shinkansen hat auch erheblich räumliche Wirkungen. So werben die Wohnungsbauirmen in den Metropolregionen mit Slogans, die die Vorteile der Shinkansen-Verbindung zum Inhalt haben („Nur 60-min bis Tokyo“). Als der Kurort Karuizawa 1997 an den Shinkansen angeschlossen Bild 5: Die Grafik zeigt die zeitliche Entwicklung der betriebenen Shinkansen- und Mini-Shinkansen- Strecken, jedoch ohne den Linear Maglev in den Farben der Betreibergesellschaften. Die Hokurikustrecke wird von JR East und West gemeinsam betrieben. Quelle: Wilfried Wunderlich Bild 6: Auf den Shinkansen Strecken verkehren in der Regel drei verschiedene Zugarten, die auf der Tokaido-Stecke als Nozomi, Hikari und Kodama bezeichnet sind. Grafik: Eigener Entwurf Oliver Mayer/ Wilfried Wunderlich Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 57 Schienenschnellverkehr MOBILITÄT wurde, stiegen dort die Bodenpreise und viele Tokyoter kauften sich dort ein Wochenendhaus oder verlegten gar ihren Wohnsitz dorthin. Selbst im Umfeld der abgelegen Shinkansen-Bahnhöfe der Joetsu- und Nagano-Strecken enstanden nicht nur riesige Pendler-Parkplätze, sondern auch ein Campus der Tokyoter Waseda-Universität. Als der einstige Betriebsbahnhof Gala- Yuzawa 1990 für den Passagierverkehr aufgerüstet wurde, und der bequeme Zugang direkt zum Skilift möglich wurde, wurde Tokyo sogar etwas übertrieben-euphorisch als Wintersport-Ort bezeichnet, denn mit der neuen Zugverbindung braucht man dorthin nur 90 min [11; 12]. Selbst im Umfeld der Shinkansen-Bahnhöfe entstehen neben den traditionell vorhandenen Kauhäusern immer mehr Hotels und Restaurants, weil Geschäftsleute die Bahnhöfe aufgrund ihrer attraktiven Anbindung auch als Trefpunkt oder Firmen gar als Hub nutzen. Praktisch in allen Orten, die von Tokyo in 1,5 h zu erreichen sind, suchen Tokyoter Familien nach einem bezahlbaren Wohnstandort. Fazit und Ausblick Seit der Inbetriebnahme 1964 ist der Shinkansen inzwischen zu einem Hauptverkehrsmittel für den Fernverkehr in Japan geworden [1; 8]. Für 2016 ist die Anbindung der nördlichen Hokkaido-Insel an die japanische Hauptinsel Honshu geplant. Dann wird es aus betrieblichen Gründen nötig sein, in dem 54 km langen Seikan-Tunnel zwischen Honshu und Hokkaido auf einem Drei-Schienen-Abschnitt Shinkansen und bisherige Züge gemeinsam verkehren zu lassen. Damit sich die Container nicht von den Güterzügen lösen, wird zunächst die Shinkansen-Geschwindigkeit im Begegnungsfall auf 140 km/ h abgesenkt, bis eine andere technische Lösung gefunden ist. Die Rad-Schiene-Technik ist in Japan bis zur Plan-Geschwindigkeit 320 km/ h mit Baureihe E6 (Bild 8) optimiert worden. Gleichzeitig war damit ein Ende erreicht, denn der Linear Maglev, der seit 1997 den Testbetrieb auf einer 40 km langen Strecke aufnahm, war technisch sehr erfolgreich. Anders als der deutsche Transrapid wird der japanische Zug mit supraleitenden Magnet- Linear-Motoren (SC-Maglev) betrieben und ist damit wesentlich sparsamer im Energieverbrauch. Der sogenannte Chuo-Shinkansen Tokyo - Nagoya, der mitten durch die japanischen Alpen geführt wird [13], soll im Jahr 2027 in Betrieb gehen und die 286 km in nur 40 min zurücklegen. Die beschriebenen Rekorde werden vielleicht fallen, doch einen neuen gibt es schon: Der Linear Maglev erreichte 2003 die Weltrekord- Geschwindigkeit von 581 km/ h. ■ QUELLEN: [1] P. Semmens (1997/ 2000), High Speed in Japan: Shinkansen - The World‘s Busiest High-speed Railway. Platform 5 Publishing, Shefield [2] R. R. Rossberg (1971), Tempo 200. Eisenbahn heute. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart [3] C.P. Hood (2006), Shinkansen. From bullet train to symbol of modern Japan. Routledge, London [4] W. Flüchter, N. von der Ruhren (1994),. Japan, S II Länder und Regionen, Stuttgart [5] Institution for Transport Policy Studies (Hrsg.) (2013): Suji de miru tetsudo (Eisenbahn in Zahlen) [6] W. Veith (1995), Mini-Shinkansen und Umbaustrecke, Lok Magazin 1995-1 (34), 39-51 [7] W. Wunderlich (2010), Wer nicht ins Schema passt, Shinkansen 500, Lokreport 2010-10, 52-53 [8] O. Mayer (2004), Von Japan lernen heißt Qualität lernen, Der Fahrgast 2004-5 (98) 17-18. http: / / www.der-fahrgast.de/ Archiv/ 2004/ 2004-2-15-16.pdf [9] W. Wunderlich (2009), Boltzmann‘s Analysis of Commuter Train Transport to “Hot Spot” Tokyo, http: / / bulletin.soe.u-tokai.ac.jp/ english_vol34/ 5-10.pdf [10] S. Klug (2002), Japanische Eisenbahngesellschaften als Akteure auf dem Bodenmarkt, Int. Verkehrswesen 05 (54) 210-215 [11] M. Kölling, Die Gunst der Geographie. http: / / www.heise.de/ tr/ blog/ artikel/ Die-Gunst-der-Geographie-1775674.html [12] M. Jahrfeld (1999), Computer statt Piste. http: / / www.zeit. de/ 1999/ 50/ Computer_statt_Piste [13] W. Breuer, Die 10 spannendsten Bahnreisen weltweit. http: / / www. zehn.de/ die-10-spannendsten-bahnreisen-weltweit-3983-0 Bild 7: Fahrplan des Tokaido-Shinkansen ab Tokyo Hauptbahnhof (Fahrplanperiode März - Juni 2014) Grafik: Eigener Entwurf Oliver Mayer/ Wilfried Wunderlich Bild 8: Seit 2013 fährt die Baureihe E6 als Akita- Shinkansen. Foto: Wilfried Wunderlich Oliver Mayer, M.A. Associate Professor an der Pädagogischen Hochschule Aichi, Kariya, Japan. omayer@auecc.aichi-edu.ac.jp Stefan Klug, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung, Technische Universität München stefan.klug@tum.de Wilfried Wunderlich, Dr. Professor für Material-Physik an der Tokai Universität, Hiratsuka, Japan. wi-wunder@rocketmail.com Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 58 MOBILITÄT Fernlinienbus Zwischen Preiswettbewerb und Preiskampf Das Spannungsfeld zwischen Nachfrageboom und Preiserosion bei Reisen mit Fernlinienbussen Einerseits zeigen Verbraucherbefragungen ein hohes Interesse am relativ neuen Fernlinienbus-Angebot und eine hohe generelle Nutzungsbereitschaft, andererseits versucht eine steigende Anzahl von Anbietern, von einem möglichen Marktboom zu profitieren. Die Folge ist eine starke Ausdehnung der Kapazitäten, die einen Verdrängungswettbewerb auslöst. Steigen die Kapazitäten schneller als die Nachfrage, besteht ein hohes Risiko eines Preiswettbewerbs bzw. eines Preiskampfs. Hierfür gibt es klare Anzeichen. Die Autoren: Andreas Krämer, Martin Jung D er Einluss des Angebotes an Reisen mit Fernlinienbussen in Deutschland zählt zu den am meisten diskutierten Trends und Entwicklungen im Mobilitätsmarkt. Fast täglich gibt es neue Meldungen über das erweiterte Angebot sowie Rekorde bei der Nachfrageentwicklung. Der nachfolgende Beitrag gibt auf Basis frei zugänglicher Informationen und eigener empirischer Untersuchungen einen-Überblick über die Entwicklungstendenzen. Charakteristika des Fernlinienbus- Marktes Angebotsseitig sind vor allem die Anzahl der Anbieter, die Strecken- und Kapazitätsentwicklung und die Kostensituation zu berücksichtigen: • Der Markt ist durch eine große Zahl von Anbietern geprägt (ca. 40) und stark konzentriert: Die vier größten Anbieter (MeinFernbus, DB, Flixbus und ADAC Postbus) haben einen Marktanteil von ca. 85 %. • Strecken und Kapazitäten wurden in den vergangenen Monaten stark ausgedehnt. Auch der letzte große „Neueinsteiger“, ADAC Postbus, erweitert seine Kapazitäten massiv. Alleine für August 2014 wurde das Netz um 33 neue Linien erweitert. • Break even und Kostensituation: Sehr kritisch ist nahezu durchgehend die Bewertung des Kostendeckungsgrads der Anbieter. Die meisten Experten erwarten eine baldige Marktbereinigung: „Die Frage ist nicht, ob Unternehmen pleitegehen oder aussteigen - sondern wann“. Prominentes erstes Beispiel ist der Anbieter City2City. Um nachhaltig wirtschaftlich erfolgreich zu sein, werden Ertragssätze von 8-10 ct je Kilometer genannt [1]. Die im Markt tatsächlich erzielten Preise liegen derzeit deutlich niedriger 1 . Nachfrageseitig ist von Interesse, auf welche Akzeptanz das Angebot der Fernlinienbusreise in der Bevölkerung trift, wie hoch die Bekanntheit und Nutzungserwägung unterschiedlicher Anbieter sind und welche Besonderheiten die Nutzer des Fernlinienbusses aufweisen: • Grundsätzliche Akzeptanz des Angebotes: Die Ergebnisse der Studie MobilitätsTRENDS 2 zeigen ein recht eindeutiges Bild: Etwa 60 % der mobilen deutschen Bevölkerung halten das Angebot „Fernlinienbus“ grundsätzlich für eine gute Option. Gaben in der ersten Messwelle (April 2013) noch ca. 2 % der mobilen Bevölkerung an, dass sie in den letzten 2 Jahren Fernlinienbusse für Reisen in Deutschland genutzt haben, so stieg der Wert auf ca. 4 % bei der Erhebung im Dezember 2013 (2. Messwelle) und weiter auf aktuell 6 % (3. Messwelle, Juni 2014). • Bekanntheit und Nutzungserwägung konkreter Anbieter: Wichtige Grundvoraussetzung für das Erreichen einer signiikanten Marktposition ist die ausreichende Diferenzierung innerhalb des Wettbewerbs. Dabei kommt es auch auf den Bekanntheitsgrad der Anbieter im relevanten Markt an. Im Rahmen der Studie MobilitätsTRENDS 2014 [2] wurden unterschiedliche Anbieter bezüglich ihrer Bekanntheit im Markt bewertet (vgl. Bild 1). • Nutzercharakteristika und Preissensitivität der Nachfrage: Es ist zwar ein Schwerpunkt bei Reisenden unter 30 Jahren erkennbar, andererseits kann daraus nicht geschlossen werden, es handele sich bei den typischen Reisenden per se um jüngere Personen. Die typischen Nutzer von Fernlinienbussen sind vergleichsweise mobil. Die An- ADAC Postbus MeinFernbus FlixBus Berlin Linien Bus IC Bus DeinBus.de City2City BusandFly Matzes Minibus (Pkw) Sonstiger Anbieter: 44% 36% 28% 24% 21% 15% 13% 5% 3% 2% 7% 6% 6% 5% 4% 3% 3% 2% 1% 2% 1% 3% 2% 3% 2% 1% 1% 1% 1% 1% 47% 54% 64% 69% 73% 82% 84% 93% 95% 95% Habe ich genutzt Würde ich nutzen Kenne ich Kenne ich nicht 43% 35% 18% 27% 11% 18% 9% 3% 2% 3% 7% 7% 3% 3% 2% 2% 2% 1% 1% 1% 1% 2% 2% 2% 1% 1% 1% 0% 1% 1% 49% 57% 78% 69% 87% 79% 89% 96% 97% 95% Habe ich genutzt Würde ich nutzen Kenne ich Kenne ich nicht Jun. 2014 . z e D 2013 Bild 1: Gestützte Bekanntheit, Nutzung und Nutzungserwägung unterschiedlicher Anbieter Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 59 Fernlinienbus MOBILITÄT zahl der Personen mit durchgehender Verfügbarkeit eines PKW ist mit 64 % relativ gering (Nichtnutzer Fernlinienbus: 87 %). Gleichzeitig ist die Anzahl der Personen, die mit der Bahn reisen, erhöht (52 % vs. 24 %). Ebenfalls erhöht ist der Anteil von Personen mit Haushaltseinkommen von unter 1500 EUR pro Monat (29 % vs. 21 %). Abschätzung der Marktgröße und des Marktpotenzials Die bisherigen Analysen unterstreichen, dass es kaum Anlass gibt, am Potenzial der Fernbusbranche zu zweifeln. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass branchenweit im vergangenen Jahr 100 bis 150 Mio. EUR Umsatz gemacht wurden. Kurzfristig wird dabei von Erweiterungen auf bis zu einer halben Mrd. EUR ausgegangen. Optimistische Prognosen halten einen Gesamtumsatz von mehreren Mrd. EUR für möglich [1]. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Deutsche Bahn, die sich durch die wachsende Konkurrenz stärker in Mitleidenschaft gezogen sieht: „Das Fernbusgeschäft in Deutschland wird als weiter kräftig wachsend eingeschätzt, anders als der Verkehrsmarkt insgesamt. 2014 werden im deutschen Fernbusgeschäft 150 bis 200 Mio. EUR umgesetzt, bis 2016 werden es voraussichtlich 350 bis 400 Mio. sein“ [3]. Wettbewerbsbeziehung zwischen Fernlinienbussen und anderen Verkehrsmitteln Bei einer weiteren Marktausdehnung stellt sich die Frage, ob es sich hierbei um eine klassische Substitution von Reisen handelt, oder ob durch das spezielle Angebot Reisen induziert werden (ohne das Angebot von Fernlinienbussen wäre die Reise nicht durchgeführt worden). Die bisherige Berichterstattung zu dem Thema stellt insbesondere eine starke Substitution von Bahnreisen in den Vordergrund. Fernlinienbusse im Evoked Set der Nichtnutzer Eine objektive Bestandsaufnahme zur Marktsituation ermöglicht die eigene empirische Studie MobilitätsTRENDS, welche das Evoked Set unterschiedlicher Verkehrsmittel in einer konkreten Reise-Entscheidung aufgreift. Wie Bild 2 aufzeigt, ist die Bedeutung des Fernlinienbusses als alternatives Verkehrsmittel abhängig davon, welches konkrete Verkehrsmittel aktuell für die Reise gewählt wurde. In den durchgeführten drei Meßwellen ergibt sich ein relativ klares und robustes Bild: Die geringste Nutzungserwägung für den Fernlinienbus betrift das Verkehrsmittel Flugzeug. Nur etwa ein Fünftel der Flugreisenden geben an, bei der Reise-Entscheidung grundsätzlich auch den Fernlinienbus nutzen zu können. Die korrespondierenden Werte für die Verkehrsmittel PKW und Bahn belaufen sich auf etwa 30-40 % bzw. ca. 60 %. Die Substitutionsrisiken im Hinblick auf Bahnreisen sind demnach besonders groß. Preis-Leistungs-Positionierung von Fernlinienbussen Reisen mit dem Fernlinienbus konzentrieren sich in starkem Maße auf mittlere Distanzen von 300-600 km. Damit liegen Sie im Kernbereich der DB Fernverkehr-Reisedistanzen. Nach oiziellen Quellen hat die Deutsche Bahn 2013 ca. 20 Mio. EUR Umsatz im Fernverkehr verloren, weil die Kunden auf Fernbusse umstiegen, die nicht zum Bahn-Konzern gehören. In 2014 werden es voraussichtlich 50 Mio. EUR sein [3]. Positionierung der einzelnen Anbieter Die Preiskommunikation der Fernbusse erfolgt in starkem Maße über „Ab“-Preise, die eine konkrete Preishöhe für eine einfache Fahrt mit dem Fernlinienbus pro Person in den Vordergrund stellen. Diese sind in der Regel auch die günstigsten verfügbaren Preise. Damit lehnen sich die Fernlinienbus-Betreiber an den Wettbewerber Deutsche Bahn an. Der DB war es im Fernverkehr in den letzten Jahren gelungen, über die Kommunikation von Eck-Preisen (Sparpreis ab 29 EUR) ein neues Referenzniveau für günstige Preise auf längeren Strecken in Deutschland zu etablieren [4]. 3 Vor etwa einem Jahrzehnt hatten bereits Low-Cost- Airlines (wie z.B. Germanwings mit dem Eckpreis von 19 EUR) erfolgreich auf diese Preiskommunikation gesetzt. Intermodaler Preisvergleich Um ein möglichst repräsentatives Bild von der Marktsituation zu erhalten, wurden die jeweils günstigsten Preise unterschiedlicher Anbieter von Fernlinienbussen sowie der günstigste Sparpreis der Bahn (2. Klasse) mit einem bestimmten Buchungsproil tagesgenau recherchiert [5]. Zudem wurde auch der Normalpreis der Bahn (NP) aufgenommen. In Bild 3 sind die jeweiligen günstigsten verfügbaren Preise für eine kurzfristige Buchung dargestellt (Start: 6.5.2014). Hier zeigt sich, dass der jeweils günstigste Preis der Bahn von den Bussen um etwa 60-80 % unterschritten wird. Dies kann am Beispiel der Relation Frankfurt - Berlin verdeutlicht werden: Der Sparpreis der Deutschen Bahn liegt bei kurzfristiger Buchung bei 85 EUR, während sich das günstigste Angebot einer Fahrt mit dem Bus auf 18 EUR beläuft (in Verbindung mit einer längeren Reisedauer). Revenue Management im Verkehrsbereich und die Bedeutung für das Fernlinienbus-Angebot Intramodaler Preisvergleich für Reisen mit Fernlinienbussen in Deutschland Um die Dynamik der verfügbaren Preise zu erfassen, wurden für unterschiedliche Strecken die jeweils angebotenen Preise in Abhängigkeit von der Vorausbuchungsfrist recherchiert. In die Auswahl einbezogen wurden sowohl kürzere Strecken (z. B. Frankfurt - Nürnberg), mittlere Entfernungen (z. B. Frankfurt - München) sowie längere Entfernungen (bspw. Berlin - München). Folgende Schlussfolgerungen können hieraus gezogen werden: • Die Preisfunktionen haben einen fast linearen Verlauf, es ergeben sich kaum Preisänderungen in Abhängigkeit von der Buchungsfrist. Ofensichtlich wird hier auf die Nutzung von Preisdiferenzierungsmöglichkeiten (durch Revenue Management) weitestgehend verzichtet. Dies betrift insbesondere auch das kurz- Bild 2: Nutzungsbereitschaft des Fernlinienbusses in Hinblick auf die Referenzreise Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 60 MOBILITÄT Fernlinienbus fristige Buchungsfenster (1-3 Tage vor Abfahrt). „Normale Preisfunktionen“ - bekannt aus dem Airline- und Bahnbereich - sind durch steigende Preise (insbesondere kurz vor Reisestart) gekennzeichnet [5]. • Stattdessen ergibt sich ein aggressives Pricing. Dies zeigt sich in Ertragssätzen von etwa 3,1 bis 4,6 ct/ km. 4 Zwischen den Anbietern ist kaum eine preisliche Diferenzierung erkennbar. Vom Preiswettbewerb zum Preiskampf Für die Anbieter von Reisen mit Fernlinienbussen ergibt sich ein ähnliches Dilemma wie in anderen Branchen, welche in der Vergangenheit von einem intensiven Preiswettbewerb erfasst wurden. Es herrscht einerseits ein klares und verbreitetes Verständnis darüber, dass große Teile der Nachfrage überproportional stark auf veränderte Preise reagieren. Andererseits gelingt es nicht, über qualitative Leistungs-Parameter deutliche Wettbewerbsvorteile zu erzielen (vgl. die Ergebnisse bei der Fernbus-Bewertung durch Stiftung Warentest). Die Ähnlichkeit der Preismodelle führt zu einer hohen Preistransparenz, welche die Situation zudem verschärft. In deren Folge ist es seit 2013 zu einer deutlichen Preis-Erosion gekommen, obwohl das Preisniveau hier bereits niedriger war. Die Gegenüberstellung der günstigsten verfügbaren Preise für wichtige Kernrelationen im Markt lässt erkennen: Die Preise bei kurzfristiger Buchung sind teilweise um bis zu 60 % im Vergleich zum Vorjahr reduziert. Hier zeigt sich, dass der Schritt vom Preiswettbewerb zu einem Preiskampf relativ nahe liegt. Problematisch an der Situation sind nicht nur die kurzfristig verheerenden Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Betreiber von Fernlinienbussen, sondern darüber hinaus auch der langfristige Einluss auf den Mobilitätsmarkt. Diskussion und Ausblick Die Diskussion um die zum Teil enormen Marktpotenziale, die für Fernlinienbusse konstatiert werden und der dargestellte Verfall des Preisniveaus sind zwei Facetten, die im Kern eng miteinander verwoben sind. Die beteiligten Unternehmen haben es einerseits versäumt, die Preissensitivität bei den Kunden durch den Aubau eines eizienten Loyalitätsmanagements zu senken [6]. Andererseits ist durch die übermäßige Fokussierung auf den Preis die Sensitivität in Kundensegmenten erhöht worden, die grundsätzlich bzw. ursprünglich wenig preissensibel waren. Ein naheliegender Ausweg aus dem radikalen Preiswettbewerb ist kurzfristig das Instrumentarium des Signaling: Die Aussagen von Wolfgang Steinbrück, Präsident des Bundesverbands Deutscher Omnibusbetreiber (BDO), „Ich bin davon überzeugt, dass die Branche die Preise anziehen wird“, gehen genau in diese Richtung. Wenn Unternehmen sich einseitig auf den Preis ausrichten, liegt die Gefahr nahe, eine zweite Dimension aus dem Auge zu verlieren [7]: die Möglichkeit, über das Management der Kundenbeziehungen zusätzlichen Deckungsbeitrag und Gewinn zu erzielen und das Überleben des Unternehmens langfristig zu sichern [8]. Neben den großen Chancen, die der neue Markt eröfnet, stellt insbesondere der aggressive Kampf um Marktanteile nicht nur Risiken für die Betreiber von Buslinien, sondern für die gesamte Mobilitätsbranche dar. Dies ist vor allem der Fall, wenn durch extreme Preisangebote die Preiswahrnehmung verändert wird [9], z. B. wenn die Nutzung von Fernlinienbussen zu einer Senkung der Referenzpreise „für günstiges Reisen“ führt. Dies hat nachhaltige Konsequenzen für alle Mobilitätsdienstleister. ■ 1 Neben dem durchschnittlichen Ertragssatz pro Pkm stellt die mittlere Auslastung einen zweiten wichtigen Parameter für die Beurteilung der wirtschaftlichen Situation der Fernlinienbusse dar. Im August 2013 lagen die Schätzungen für die durchschnittliche Auslastung bei etwa 40 %. Der Break-even werde nach bei etwa 50 % Auslastung auf einer Line erreicht (Der Tagespiegel v. 12.8.2013). 2 Es handelt sich dabei um eine Kooperationsstudie der exeo Strategic Consulting AG und der Rogator AG, die halbjährlich durchgeführt wird und MobilitätsTRENDS analysiert. Bei der Onlinestudie werden in ca. 4500 Personen in der DACH-Region (darunter 2400 Personen in Deutschland) im Alter ab 18 Jahren befragt. Die Studie ist fokussiert auf die mobile Bevölkerung (mindestens 1 Reise ab einer Entfernung von 50 km in den letzten 12 Monaten) und repräsentativ für den Gesamtmarkt gewichtet. 3 Für Kurzstrecken (Entfernung bis 250 km) im Fernverkehr wurde ein spezielles Angebot ab 19 EUR im Markt eingeführt. Die Strategie von DB Regio basiert ebenfalls auf dem Angebot von Festpreisen, allerdings im Rahmen von Tagestickets, die nicht verfügbarkeitsgesteuert und ohne Zugbindung ausgestaltet sind. 4 Da für die Analyse Standard-km verwendet wurden, die für direkte Verbindungen per Routenplaner ermittelt wurden - und somit nicht die konkreten Routen einzelner Fernlinienbusanbieter abgebildet werden - ist insgesamt von einer Überschätzung der ausgewiesenen Ertragssätze auszugehen. LITERATUR [1] Bamberg, F. / Busche, J. / Ophüls, L. (2014): Der knallharte Preiskampf der Fernbus-Linien. Wallstreet Journal Online v. 8. Juni 2014. [2] exeo / Rogator (2014): MobilitätsTRENDS. Ergebnisse der 3. Untersuchungswelle (Juni 2014). Unveröfentlichte Studie, Bonn und Nürnberg. [3] Doll, N. (2014): Warum die Bahn keine Idee gegen die Fernbusse hat. DIE WELT online v. 24.06.14. [4] Krämer, A. / Wilger, G. / Dethlefsen, H. (2014): Preisoptimierung und -controlling für Sparpreise, planung&analyse, 41. Jg. Nr. 2, S. 40-43. [5] Jung, M. (2014): Revenue Management im europäischen Bahn- und Flugverkehr. Bachelor-Thesis, FH Köln. [6] Krämer A. / Bongaerts, R. / Weber, A. (2003): Rabattsysteme und Bonusprogramme. In: Diller, H.; Herrmann, A. (Hrsg.): Handbuch Preispolitik: Strategien - Planung - Organisation - Umsetzung, Wiesbaden, S. 551-574. [7] Burgartz, T. / Krämer, A. (2014): Customer Relationship Controlling - IT-gestütztes Customer Value Management, Zeitschrift für Controlling, 26. Jg., Heft 4-5, S. 264-271. [8] Bongaerts, R. / Krämer, A. (2014): Value-to-Value-Segmentierung im Vertrieb, St. Gallen Marketing Review, Heft4/ 2014, S. 12-20. [9] Ariely, D. (2010): Predictably Irrational, Revised and Expanded Edition: The Hidden Forces That Shape Our Decisions, New York. Andreas Krämer, Prof. Dr. Professor an der Business and Information Technology School, Iserlohn, und Vorstand der exeo Strategic Consulting AG, Bonn. Martin Jung Master-Student in strategischen Studien, Universität Exeter. Bachelor in International Business Preis pro Fahrt: Fernlinienbusse vs. Sparpreis (DB) in EUR - Kurzfristige Buchung (1 Tag vor Abfahrt) 13 17 19 69 City2City FlixBus ADAC Postbus DB IC SP Köln - Hamburg 18 19 23 85 FlixBus MFB ADAC Postbus DB IC SP Berlin - Frankfurt München - Berlin 425 km 566 km 604 km 9 13 13 35 ADAC Postbus FlixBus Eurolines DB ICE SP Frankfurt - Nürnberg 14 15 17 35 ADAC Postbus MFB BLB DB IC SP Berlin - Hannover Frankfurt - München 224 km 306 km 393 km 14 15 16 69 MFB City2City ADAC Postbus DB ICE SP + 2,6 Stunden + 1,8 Stunden + 1 Stunde + 0,6 Stunden + 2,8 Stunden + xxx Stunde Delta Reisezeit preisgünstigster Fernlinienbus vs. Bahn xxx km Entfernung lt. Routenplaner NP: 55 EUR NP: 54 EUR NP: 101 EUR NP: 87 EUR NP: 110 EUR NP: 130 EUR 19 22 23 99 MFB City2City ADAC Postbus DB IC SP + 1,5 Stunden Bild 3: Preisvergleich Fernlinienbus und Deutsche Bahn (kurzfristige Buchung) Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 61 Elektronische Tickets mit lexiblen Tarifen im ÖPNV Reaktionen, Erweiterungsbedarfe und Kundenzufriedenheit Seit 2013 können die Fahrgäste der Stadtwerke Münster E-Tickets im Nahverkehr nutzen. Die Einführung des E-Tickets wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Städtebau unterstützt und durch ein Forschungsprojekt wissenschaftlich begleitet, das im Rahmen von Befragungen die Reaktionen der Busnutzer erfasste und Zahlungsbereitschaften für Erweiterungen der mit dem E-Ticket neu geschafenen Tarifprodukte ermittelte. Darüber hinaus wurde die Bedeutung aktueller und geplanter Mobilitäts- und Serviceleistungen in Verbindung mit dem E-Ticket für die Nahverkehrskunden analysiert. Die Autoren: Karl-Hans Hartwig, Peter Pollmeier, Stephan Keuchel, Karolyn Sandfort M it dem E-Ticket für den Nahverkehr wurde das bisherige reine Kundenbindungsinstrument PlusCard der Stadtwerke Münster erweitert. Die bisherigen Abonnements - MünsterAbo, JobTicket 1 , 9-Uhr-MünsterAbo und 60plusAbo - wurden auf die neue PlusCard mit (((eTicket- Funktion umgestellt. Dazu kamen zwei weitere Varianten: das FlexAbo und für Gelegenheitskunden das 90 MinutenTicket. Das FlexAbo besteht aus einem monatlichen Grundpreis und einem Zuschlag für Fahrten vor 8.00 Uhr, wobei der monatliche Rechnungsbetrag nicht über dem Höchstbetrag für das normale MünsterAbo liegt. Das FlexAbo ist nicht übertragbar und es können keine Personen am Abend bzw. an Wochenenden mitgenommen werden. Beim 90 MinutenTicket werden jeweils 90 Minuten Busnutzung abgerechnet. Innerhalb der 90 Minuten können beliebig viele Fahrten durchgeführt werden, auch Hin- und Rückfahrten. Werden an einem Tag mehrere 90- Minuten-Fahrten durchgeführt, steigt der Abrechnungsbetrag für diesen Tag maximal auf den sog. Tagesbestpreis, der dem normalen 9-Uhr TagesTicket für eine Person entspricht. Die Kundenbefragung erfolgte vor und nach Einführung von FlexAbo und 90 MinutenTicket Ende 2012 und 2013. Befragt wurden sowohl Abonnenten (2012: 2341 Fälle; 2013: 1121 Fälle) als auch Gelegenheitskunden (2012: 2097 Fälle; 2013: 4465 Fälle). Dabei stand das Potenzial, mit dem FlexAbo die Verkehrsspitze zu entlasten, im Vordergrund des Interesses. Darüber hinaus wurde analysiert, inwieweit verschiedene Mobilitäts- und Serviceleistungen, die sich mit der PlusCard mit (((eTicket-Funktion verbinden lassen, für die Kunden relevant sind. Einfluss des FlexAbos auf das Verkehrsverhalten der Abonnenten Sowohl in der Vorherals auch in der Nachher-Befragung wurden die Abonnenten zunächst befragt, zu welchen Zwecken sie wie oft und zu welcher Zeit den Bus in der ver- Foto: Stadtwerke Münster E-Ticket-Tarife MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 62 Mobilität E-Ticket-Tarife gangenen Woche genutzt haben. Auf Basis dieser Angaben konnten die Anteile der MünsterAbo-, JobTicket-, 9- Uhr- Münster- Abo- und 60plusAbo-Kunden bestimmt werden, die den Bus in der Verkehrsspitze nutzen. Auf die Frage, ob die Nutzung des Stadtbusses in der vergangenen Woche der üblichen Nutzung entsprach, antworteten über 90 % aller befragten Abonnenten mit „ja“ bzw. „ja, im Wesentlichen“. Die für die Hochrechnungen wichtige Hypothese des habitualisierten Verkehrsverhaltens konnte damit bestätigt werden. Die Analyse der Entlastungsmöglichkeiten der Verkehrsspitze erfolgte auf Basis der Angaben der Abonnenten der Befragung 2012. Die MünsterAbo- und JobTicket-Kunden, die angaben, den Bus in der vergangenen Woche vor 8.00 Uhr genutzt zu haben, wurden in einem kleinen Wahlexperiment gefragt, wie sie sich verhalten würden, wenn ihre bisherigen Abos durch das oben beschriebene neue FlexAbo ersetzt würden: weiterhin in der Verkehrsspitze fahren, die Fahrten zeitlich verschieben, den PKW wählen, das Fahrrad wählen oder zu Fuß gehen. Dabei wurden jedem Befragten drei Wahlsituationen vorgelegt: Situation 1 entsprach dem 2013 eingeführten Tarifmodell. Die Situationen 2 und 3 beschrieben teurere Varianten (Tabelle 1). Basierend auf diesen Daten wurden mit Hilfe der Discrete Choice Analysis 2 Simulationsrechnungen durchgeführt. Die Simulationsergebnisse zeigen, dass die Verkehrsspitze mit dem damals geplanten und mittlerweile umgesetzten Zuschlag und Höchstpreis des FlexAbos bei den MünsterAbo- und den JobTicket-Kunden um etwa 25 % entlastet werden könnte. Allerdings zeigen die Ergebnisse auch, dass bei Ersatz der bisherigen Abonnements nur etwa 11 % bzw. 7 % der Fahrten zeitlich verschoben und stattdessen 6 % bzw. 8 % auf den motorisierten Individualverkehr und 8 % bzw. 10 % auf das Fahrrad verlagert würden. Da es sich hier wesentlich um Berufspendler mit durchschnittlich etwa vier Fahrten in der morgendlichen Verkehrsspitze handelt, ist weiter davon auszugehen, dass Abo-Kunden, die angaben, mit dem PKW oder Fahrrad zu fahren, ganz auf ein Abonnement verzichten würden. Dieser Efekt verstärkt sich, wenn der Zuschlag und/ oder der Höchstpreis des FlexAbos erhöht würden. Die 9 Uhr MünsterAbo-Kunden und die 60plusAbo-Kunden, deren Abo erst ab 8.00 Uhr gültig ist, wurden befragt, welche Fahrten sie vorziehen würden, wenn ihre bisherigen Abonnements durch das oben beschriebene FlexAbo ersetzt würden. Die 9- Uhr MünsterAbo-Kunden gaben an, eher Fahrten in den Zeitraum zwischen 8.00 Uhr und 9.00 Uhr vorzuziehen, weniger aber Fahrten in die Verkehrsspitze vor 8.00 Uhr. Die 60plusAbo-Kunden hingegen antworteten, vor allem Fahrten zum Arzt und Behördengänge in die Verkehrsspitze vorzuziehen. Allerdings wäre dieser Efekt geringer als die Entlastung der Verkehrsspitze durch- die Abwanderung der MünsterAbo- und JobTicket-Kunden aus der Zeit vor 8.00-Uhr. 2013 wurde das FlexAbo zusätzlich zu den bisherigen Abonnements eingeführt. Damit bestand 2013 die Möglichkeit, die ersten FlexAbo-Kunden nach ihren tatsächlichen Reaktionen zu befragen. Es zeigte sich, dass gut die Hälfte der FlexAbo-Kunden, den Stadtbus ohnehin fast ausschließlich nach 8.00 Uhr nutzt und somit ohne Verhaltensanpassung in den Genuss des günstigen Grundpreises kommt. Etwa ein Fünftel der FlexAbo-Kunden kann Fahrten vor 8.00 Uhr nicht verschieben. Diese Gruppe kommt ebenfalls ohne Anpassung ihres Verkehrsverhaltens in den Genuss eines günstigeren Preises z.B. durch Urlaubszeiten oder bei bestimmten Arbeitsschichten. Etwa ein Viertel der FlexAbo-Kunden gab an, ihr Verkehrsverhalten aktiv geändert zu haben, nämlich Fahrten aus dem Zeitraum vor 8.00 Uhr in den Zeitraum nach 8.00 Uhr zu verschieben. Gründe für die Wahl des FlexAbos Für etwa die Hälfte derjenigen Kunden, die aus einem anderen Abo der Stadtwerke Münster zum FlexAbo wechselten, spielte ausschließlich der Preis eine Rolle. Ein Viertel bezog sich auch auf die Leistungsmerkmale des FlexAbos, wie die leichte Handhabung des (((eTickets und seine Flexibilität. Kunden, die bislang über kein Abo der Stadtwerke Münster verfügten, begründeten hingegen ihre Wahl nur zu einem Viertel ausschließlich mit dem Preis, ein Viertel bezog sich auf die Leistungsmerkmale und ein weiteres Viertel auf eine Veränderungen der persönlichen (Lebens-) Situation, in der sie das FlexAbo als für sich besonders geeignet empfanden. Insgesamt ist die Bekanntheit des FlexAbos bei den anderen Abonnenten als hoch einzuschätzen. Die Gründe gegen die Wahl des FlexAbos zeigen deutliche abonnement- Abonnenten FlexAbo Kunden 90-Minutenticket Kunden Globalzufriedenheit 2012 2,28 2,61 2,30 Globalzufriedenheit 2013 2,26 2,37 2,13 Panel-Fallzahlen 691 38 194 Tabelle 2: Kundenzufriedenheit Eigene Auswertung Wahlsituation 1: Bei dem Angebot hätte ich … Bitte kreuzen Sie an: ✗ Monatlicher Grundpreis: 29,50 € Zuschlag pro Tag (bei Fahrten vor 8: 00 Uhr): 1,00 € monatlicher Höchstpreis: 43,00 € die Fahrten nicht verschoben die Fahrten nach 8.00 Uhr durchgeführt stattdessen das Auto gewählt stattdessen das Fahrradgewählt stattdessen den Fußweg gewählt Wahlsituation 2: Bei dem Angebot hätte ich … Bitte kreuzen Sie an: ✗ Monatlicher Grundpreis: 29,50 € Zuschlag pro Tag (bei Fahrten vor 8.00 Uhr): 1,00 € monatlicher Höchstpreis: 49,00 € die Fahrten nicht verschoben die Fahrten nach 8.00 Uhr durchgeführt stattdessen das Auto gewählt stattdessen das Fahrradgewählt stattdessen den Fußweg gewählt Wahlsituation 3: Bei dem Angebot hätte ich … Bitte kreuzen Sie an: ✗ Monatlicher Grundpreis: 29,50 € Zuschlag pro Tag (bei Fahrten vor 8.00 Uhr): 1,50 € monatlicher Höchstpreis: 46,00 € die Fahrten nicht verschoben die Fahrten nach 8.00 Uhr durchgeführt stattdessen das Auto gewählt stattdessen das Fahrradgewählt stattdessen den Fußweg gewählt Tabelle 1: Wahlexperiment FlexAbo Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 63 E-Ticket-Tarife Mobilität speziisch nachvollziehbare Unterschiede. So verwiesen die JobTicket-Kunden vor allem auf den fehlenden Preisvorteil und darauf, dass sie die Fahrten vor 8.00 Uhr nicht verschieben können. Die MünsterAbo-Kunden führten vor allem notwendige Fahrten vor 8.00 Uhr an sowie die fehlende Übertragbarkeit des FlexAbos. Der letztgenannte Grund sprach auch für etwa die Hälfte der 9- Uhr- MünsterAbo-Kunden gegen einen Wechsel zum FlexAbo. Die 60plusAbo-Kunden vermissten vor allem die Möglichkeit eines günstigen PartnerAbos 3 . Konkret im Hinblick auf eine Erweiterung des FlexAbos um die Leistungsmerkmale „Übertragbarkeit“ und „Mitnahmemöglichkeit weiterer Personen“ befragt, halten dies etwa 40 % bzw. 70 % der FlexAbo-Kunden für sinnvoll. Fast alle dieser Kunden ofenbarten hierfür auch eine konkrete Zahlungsbereitschaft. Sie ist bei den neuen Abo-Kunden deutlich höher als bei den Abo-Wechslern. Kundenzufriedenheit Bereits für 2012 zeigt die Analyse der Globalzufriedenheit der PlusCard-Kunden mit den Stadtwerken Münster als Verkehrsdienstleister auf einer Skala von 1 (vollkommen zufrieden) bis 5 (unzufrieden) für alle Abonnenten und für die Gelegenheitskunden des Stadtbusverkehrs gute Ergebnisse. Dies entspricht den Ergebnissen des ÖPNV- Kundenbarometers 4 . Der hier durchgeführten Panelanalyse zufolge konnte mit der Einführung der PlusCard mit 90- Minuten- Ticket und mit dem FlexAbo die Kundenzufriedenheit ihrer Nutzer nochmal deutlich gesteigert werden, während die Kundenzufriedenheit der übrigen Abonnenten sich nur geringfügig verbessert hat (Tabelle 2). Kundennutzen durch weitere Mobilitäts- und Serviceleistungen der PlusCard Neben den beschrieben Neuerungen ermöglicht die PlusCard mit (((eTicket-Funktion zusätzliche Mobilitäts- und Serviceleistungen, deren Bedeutung für die Kunden der Stadtwerke Münster ebenfalls in der Befragung 2012 erhoben wurden. Neben vereinfachten Bezahlvorgängen (z. B. bargeldloses Bezahlen, Prepaid- oder Postpaid-Möglichkeit) rechnen dazu: der Zugang zu Elektromobilität (E-Bike, E-Auto), weitere Nutzungsmöglichkeiten (z. B. Taxi, Parkhäuser, Radstation, Stadtbücherei) und monetäre Vorteile (Bonuspunkte bei den Stadtwerken, Rabatte bei Partnerunternehmen). Die möglichen Vorteile dieser Zusatzleistungen wurden mit einer Frequenz-Relevanz-Analyse 5 untersucht. Dazu wurden die Kunden gefragt, wie häuig sie eine solche Leistung in Anspruch nehmen würden und welche Relevanz der jeweilige Vorteil für sie hätte. Die Relevanz wurde mit Hilfe einer mehrstuigen Skala mit zunehmend positiveren Verhaltensreaktionen erfasst: von 1 (Finde ich nicht gut) bis 6 (Führt dazu, dass ich vielleicht mehr mit dem Bus fahren werde). Die Analyse der relativen Häuigkeiten zeigt über alle Abo-Gruppen hinweg, dass große Teile der Nutzer sowohl von den bereits umgesetzten als auch von den geplanten Service- und Mobilitätsangeboten der PlusCard betrofen sind bzw. sein werden. Dies gilt vor allem für die monetären Vorteile, also Bonuspunkte und Rabatte bei Einkäufen. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass alle Mobilitäts- und Serviceleistungen von den Kunden im Durchschnitt positiv aufgenommen würden. Explizit hervorgehoben werden kann das Potenzial der Plus- Card mit 90 MinutenTicket, durch Vereinfachung und Beschleunigung von Bezahlvorgängen die Nutzungshäuigkeit von Gelegenheitskunden zu steigern. Erfolgreiche Einführung der Plus- Card mit (((eticket-Funktion 2013 wurde zusätzlich eine Critical Incident Analyse 6 durchgeführt. Die Befragten wurden gebeten, ein besonders negatives oder positives Ereignis mit den Stadtwerken Münster als Verkehrsdienstleister zu berichten. Aus der Vielzahl der Schilderungen, die auch auf weitere Anhaltspunkte zur Steigerung der Kundenzufriedenheit hinweisen, ergeben sich keinerlei Hinweise auf nennenswerte Probleme mit der Einführung der PlusCard mit (((eTicket-Funktion. Die Nahverkehrskunden nehmen das 90 MinutenTicket gut an. Zum FlexAbo war zum Zeitpunkt der Befragung 2013 eine eher moderate Wechselbereitschaft zu beobachten. Allerdings wurde das FlexAbo ein halbes Jahr nach dem 90 MinutenTicket eingeführt. Damit erfolgte die Befragung nur drei Monate nach Einführung des FlexAbos, wobei die Erfahrungen zeigen, dass ein innovatives Tarifprodukt im ÖPNV rund zwei Jahre Hochlaufphase benötigt. Dies bestätigt auch die seither stetig steigende Nachfrage. Die ermittelten Zahlungsbereitschaften der Kunden für eine Ergänzung des FlexAbos um die Leistungsmerkmale „Übertragbarkeit“ und „Mitnahmemöglichkeit“ weisen auf weiteres Potenzial hin, Kunden für diesen lexiblen Tarif zu gewinnen. Darüber hinaus zeigen die Analysen, dass die mit der PlusCard verbundenen aktuellen und geplanten Mobilitäts-- und Serviceleistungen von den Nahverkehrskunden positiv aufgenommen werden. ■ 1 Das FirmenAbo wurde 2013 in JobTicket umbenannt. 2 Ben-Akiva, M., Lerman, St. (1997): Discrete Choice Analysis: Theory and Application to Travel Demand, The MIT Press, Cambridge/ Massachusetts. 3 Den 60plusAbo-Kunden wird derzeit zusätzlich ein PartnerAbo zum halben Preis angeboten. 4 TNS Infratest (2012): Das ÖPNV-Kundenbarometer 2012 - Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen im Vergleich, München 5 Bruhn, Manfred (2008): Qualitätsmanagement für Dienstleistungen - Grundlagen, Konzepte, Methoden, Berlin. 6 Flanagan, John C. (1954): The Critical Incident Technique, in: Psychological Bulletin, Vol. 51, No. 4, S. 327-358. Kategorie 60plus Abo 9-Uhr-Münster Abo Münster Abo Jobticket Gelegenheitskunden Elektromobilität 10-15 % 16-20 % 25-31 % 28-33 % 31-42 % Vereinfachtes Bezahlen - - - - 46-59 % Weitere Nutzungsmöglichkeiten 16-35 % 24-47 % 35-67 % 38-71 % 49-70 % Monetäre Vorteile 43-59 % 53-70 % 67-78 % 71-85 % 57-82 % Tabelle 3: Anteile der Nutzer der Vorteile der PlusCard nach Kundengruppen Eigene Auswertung Karolyn Sandfort Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Mobilität und Verkehr, Westfälische Hochschule, Recklinghausen karolyn.sandfort@w-hs.de Peter Pollmeier, Dr. DB Mobility Logistics AG, Frankfurt a. M. Stephan Keuchel, Prof. Dr. Professor am Institut für Mobilität und Verkehr, Westfälische Hochschule, Recklinghausen stephan.keuchel@w-hs.de Karl-Hans Hartwig, Prof. Dr. Seniorprofessor am Institut für Verkehrswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster 10kaha@wiwi.uni-muenster.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 64 MOBILITÄT Wissenschaft PKW-Mobilität am Wendepunkt? Bedeutung des demographischen und des Verhaltenswandels für den PKW-Verkehr in Deutschland bis 2040 Die Shell PKW-Szenarien 2014 behandeln eine Reihe zentraler Fragestellungen zur zukünftigen PKW-Mobilität. Der vorliegende Beitrag nimmt die Frage auf, wie sich das-Mobilitätsverhalten Älterer und Jüngerer entwickeln wird und welchen Einluss demograischer Wandel und verändertes Mobilitätsverhalten auf die Auto-Mobilität haben werden. Er vermittelt eine Vorstellung von der künftigen Rolle und Bedeutung des-Automobils. Die Autoren: Jörg Adolf, Lisa Krämer, Stefan Rommerskirchen E ingebettet in eine Prognose der gesamten Personenverkehrsentwicklung in Deutschland bis zum Jahre 2040, behandeln die neuen Shell PKW-Szenarien im Wesentlichen zwei zentrale Fragestellungen zur zukünftigen PKW-Mobilität [1]. Erstens: Wie wird sich das Mobilitätsverhalten Älterer und Jüngerer entwickeln, welchen Einluss haben demograischer Wandel und verändertes Mobilitätsverhalten auf die Auto-Mobilität, gemessen an PKW-Motorisierung und PKW-Fahrleistungen? Und zweitens: Wie nachhaltig wird sich - gemessen an Energieverbrauch und CO 2 -Emissionen - Auto-Mobilität in Deutschland entwickeln und welchen Beitrag kann das Automobil zu den Energie- und Klimazielen der Politik leisten? Der nachfolgende Beitrag behandelt die erste Fragestellung und vermittelt eine Vorstellung von der künftigen Rolle und Bedeutung des Automobils als Verkehrsmittel sowie im Personenverkehr. PKW-Mobilität - relevante Einflussfaktoren Über die Bedeutung des demographischen Wandels für das zukünftige Verkehrsgeschehen in Deutschland ist schon viel diskutiert worden. Implizit geht diese Diskussion meistens von der Hypothese aus, dass er der maßgebliche Grund für Veränderungen des zukünftigen Verkehrsgeschehens sei. Dabei wird allerdings vergessen, dass starke Veränderungen auch von einem Verhaltenswandel innerhalb einzelner Altersklassen bzw. Bevölkerungsgruppen ausgehen, der den demograischen Wandel überlagert. Die Auswirkungen des demograischen Wandels und veränderten Mobilitätsverhaltens auf Auto-Mobilität wurden mit Hilfe aktueller Quellen zum sozioökonomischen Strukturwandel [2], [3] und zum Mobilitätsverhalten [4], [5] eingehend anhand von acht Wirkungshypothesen überprüft. Hierfür lassen sich sozioökonomische Einlussfaktoren auf Auto-Mobilität in Treiber und Hemmnisse einteilen (siehe Tabelle 1). Zu den die PKW-Verfügbarkeit und PKW-Nutzung treibenden Faktoren gehören Erwerbstätigkeit und hohes Einkommen, welches in der Regel auch mit höherer Bildung einhergeht. Mehr Auto-Mobilität ermöglicht die Ausdehnung städtischer Siedlungsstrukturen ins Umland (Suburbanisierung). Zu den stärksten Treibern von Auto-Mobilität gehört die Frauenmotorisierung, Frauen holen bei der Motorisierung seit Jahren gegenüber Männern auf (Auholefekt). Und auch ältere Personen nutzen heute häuiger einen PKW als noch vor zehn-Jahren, was sich auch an den deutlich erhöhten Mobilitätsausgaben junger Senioren ablesen lässt. Zu den die PKW-Verfügbarkeit und -Nutzung hemmenden Faktoren gehört das Mobilitätsverhalten Jüngerer. Jüngere Menschen weisen eine andere Einstellung zum PKW-Besitz auf und haben heute seltener einen PKW zur Verfügung als vor zehn-Jahren; längere Ausbildungszeiten und schmalere Budgets - nicht zuletzt aufgrund höherer Ausgaben für Informations- und Kommunikationstechnologie - verschieben die Realisierung von PKW-Mobilität in höhere Altersgruppen. Parallel zur Suburbanisierung nimmt der Verstädterungsgrad in Deutschland zu Lasten des ländlichen Raumes weiter zu. Einen dämpfenden Efekt auf PKW-Besitz und PKW- Nutzung haben auch Veränderungen der Haushaltsstrukturen; immer mehr Ein- und Zwei-Personenhaushalte und weniger Kinder führen zu weniger Auto-Mobilität. Mehr Auto-Mobilität Weniger Auto-Mobilität Höhere Erwerbsbeteiligung Längere Ausbildungszeiten Höheres Einkommen Weniger Kinder, mehr Alleinstehende Zunehmende Frauenmotorisierung Rückläuige Männermotorisierung Zunehmende Motorisierung Älterer Geringere Motorisierung Jüngerer Zunehmende Verkehrsausgaben Älterer? Weniger Verkehrsausgaben Jüngerer ? Weitere Suburbanisierung ? Zunehmende Verstädterung ? Tabelle 1: Treibende und hemmende Einlüsse auf die Auto-Mobilität Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 65 Wissenschaft Mobilität Bei einzelnen Einlussfaktoren kann die Auswirkung anhand vorliegender Erhebungsdaten (noch) nicht verlässlich abgeschätzt werden. Im Hinblick auf die Mobilitätskonsequenzen ist jedoch wichtig, sozioökonomische Faktoren mit den demographischen Veränderungen zu überlagern, um eine angemessene Gewichtung der Einlüsse im Hinblick auf den zukünftigen PKW-Besitz und dessen Nutzung zu erhalten. Demographischer Wandel - nicht dramatisch, aber doch deutlich Dass die Bevölkerung Deutschlands altert, ist keine neue Erkenntnis; und auch die Prognosen sagen eine weitere Alterung schon seit längerem voraus. Allerdings basierten sie bislang vor allem auf den Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamts, bei denen bisher die neuesten Zahlenkorrekturen des Mikrozensus 2011 noch nicht berücksichtigt wurden. Immerhin „verschwanden“ dadurch rund 1,5 Mio. Menschen aus Deutschlands Wohnbevölkerung [6]. Bild 1 zeigt die Entwicklung der Bevölkerung in den 40 Jahren von 2000 bis 2040, wobei unsere Prognosen eng an diejenigen des Statistischen Bundesamts [7] angelehnt sind. Zwischen 2014 und 2040 wird sich die Einwohnerzahl demnach um nahezu 4 Mio. Menschen reduzieren; und im Vergleich mit dem Jahr 2000 wird der Anteil der ab 50-jährigen Menschen von seinerzeit 36 % auf dann 51 % steigen. PKW-Mobilität - zunehmend von Frauen und-Alten geprägt? Eine Spezialität der Shell PKW-Szenarien ist seit Anfang der 2000er Jahre eine Prognose der PKW-Motorisierung, also der Anzahl PKW je 1000 Einwohner, in der Diferenzierung nach Alter und Geschlecht. Dahinter steht die Erkenntnis, dass sich die alters- und geschlechtsspeziischen Eigenheiten von PKW-Verfügbarkeit und -Nutzung nur auf diese Weise angemessen berücksichtigen lassen. Und durch die Kombination mit dem demograischen Wandel wird es möglich, den Veränderungen des gruppenspeziischen Mobilitätsverhaltens die angemessenen Gewichte zu geben. In Bild 2 sind die Resultate der aktuellsten Analysen und Prognosen der Motorisierungs-Entwicklung nach drei Alterssegmenten und Geschlecht visualisiert. Es ist hier nicht möglich, auf jede der 14 je Geschlecht einzeln betrachteten Altersklassen einzugehen. Auch bei weniger detaillierter Betrachtung macht Bild 2 aber bereits einige wichtige Unterschiede beim Niveau und bei den Trends deutlich: • Ein erster Blick zeigt, dass jeder der 28-Entwicklungsverläufe unterschiedlich ist; die diferenzierte Betrachtung ist also nützlich, wenn nicht sogar notwendig. • Im Niveau der Motorisierung liegt das mittlere Alterssegment der 40bis 64-Jährigen vor allem bei den Männern deutlich höher als in den beiden anderen Alterssegmenten. Bei den Frauen ist dies weniger ausgeprägt, aber aktuell ebenfalls feststellbar. Diese Altersklassen stehen in besonderem Ausmaß für eine hohe PKW-Mobilität. • Das Niveau der Männermotorisierung liegt heute in praktisch allen Altersgruppen noch deutlich höher als dasjenige der Frauen. Die Männermotorisierung prägt also bisher die hohe PKW-Mobilität. • Die Verteilung der Motorisierungsgrade nach Altersgruppen ist heute sehr stetig und folgt nahezu einer Normalverteilung. Das Maximum liegt bei den Männern bei den 55bis 59-Jährigen, bei den Frauen hingegen bei den 50bis 54-Jährigen. • Im Zeitverlauf bzw. bei den Prognosetrends sind die geschlechtsspeziischen Unterschiede besonders markant: Während die Männermotorisierung stagniert oder sogar rückläuig sein wird, legt sie bei den Frauen ab 45 Jahren (weiter) deutlich zu. Die zukünftige Motorisierung wird also im Wachstum ausschließlich und im Niveau zunehmend von der Frauenmotorisierung geprägt. Peak Car in Sicht - und auch andere Wendepunkte Wenn man diese Prognosen der Motorisierungsentwicklung mit denjenigen zur Bevölkerungsentwicklung kombiniert und um eine Prognose der PKW-Bestände nichtprivater (d. h. juristischer) Haltergruppen ergänzt, erhält man die Entwicklung des gesamten PKW-Bestands in Deutschland. Die neuen Shell PKW-Szenarien führen zu dem Ergebnis, dass er in der ersten Hälfte der 2020er Jahre sein Maximum erreichen wird: Er steigt von 43,4- Mio. in 2012 auf gut 45,2 Mio. zwischen 2020 und 2025 an und geht dann langsam auf 42,7 Mio. PKW im Jahr 2040 zurück. Bezogen auf den PKW-Bestand insgesamt zeichnet sich damit für etwa 2022 also ein „Peak Car“ ab, wie auch Bild 3 veranschaulicht. Auch der Gesamtmotorisierungsgrad in Deutschland - also der gesamte PKW-Bestand (privater und juristischer Halter) je 1000 Einwohner - steigt noch weiter an, nämlich von heute knapp 550 auf den Spitzenwert von knapp 570 PKW je 1000 Einwohner. Dieser Peak-Motorisierungsgrad wird aufgrund der immer noch steigenden Motorisierung älterer Menschen allerdings erst zwischen 2025 und 2030 erreicht (vgl. Bild 3). Aus der Verknüpfung der altersgruppenspeziischen PKW-Bestandsmit altersgruppenspeziischen Nutzungsintensitätsprognosen (der in einer Altersgruppe je 0 10'000 20'000 30'000 40'000 50'000 60'000 70'000 80'000 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 [1'000 Einwohner] 75+ Jahre 65-74 Jahre 50-64 Jahre 30-49 Jahre 18-29 Jahre 0-17 Jahre Bild 1: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 2000-2040 nach Altersgruppen Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 66 MOBILITÄT Wissenschaft PKW erbrachten durchschnittlichen Jahresfahrleistung) ergibt sich die Gesamtfahrleistung der PKW. Diese betrug im Jahr 2012 rund 610 Mrd. Fahrzeugkilometer, wird infolge der steigenden Motorisierung bis 2020 auf 626 Mrd. Fahrzeugkilometer ansteigen und dann ihr Maximum erreichen (Bild 3). Ab 2020 überwiegen die PKW-mobilitätsreduzierenden Efekte; das sind zum einen weniger PKW-Halter, zum anderen geringere altersgruppenspeziische Fahrleistungen. In der Folge kommt es zu einem Rückgang der Fahrleistung auf 580- Mrd. Fahrzeugkilometer in 2040 (was etwa dem Betrag des Jahres 2003 entspricht). Interessant ist in diesem Zusammenhang die Umschichtung der Fahrleistungen nach Alterssegmenten: Der Anteil der PKW-Fahrleistungen, die von älteren Personen erbracht werden, wird infolge des demographischen Wandels deutlich zunehmen. Der Fahrleistungsanteil der über 60-Jährigen an den PKW-Fahrleistungen insgesamt legt von heute rund 15 % auf gut 21 % in 2040 zu - auch das ist eine Herausforderung für die Automobilwirtschaft und die Verkehrsplanung. Zur Prüfung der Konsistenz der zuvor dargelegten Bottom Up-Prognosen für die Kenngrößen des PKW- Verkehrs - PKW-Motorisierung, PKW-Bestand sowie PKW-Fahrleistungen - wurden diese im Rahmen der Shell PKW-Szenarien mittels einer Top-Down-Prognose zur Entwicklung des Personenverkehrs mit motorisierten Landverkehrsmitteln in Deutschland insgesamt validiert. Die PKW-Verkehrsleistung je Einwohner steigt gemäß dieser Prognosen noch bis 2025 an (auf 11 650-km) und reduziert sich danach bis 2040 auf 11 400 km je Einwohner. Hierin spiegelt sich auch der Nachfragerückgang bei der gesamten Pro-Kopf-Personenverkehrsleistung (in Pkm) aufgrund des demograischen und des Verhaltenswandels wider. Die PKW-Motorisierung erreicht ihren Peak also etwas später als die PKW-Nutzungsintensität, gemessen an der PKW-Verkehrsleistung je Einwohner, weil ältere Menschen mit ihrer geringeren Mobilität zunehmend die Gesamtmobilitätsentwicklung prägen, ohne auf den Besitz von PKW in gleichem Ausmaß zu verzichten. Fazit Über die Zukunft des Automobils wird heute viel und kontrovers diskutiert: Auf der einen Seite werden die Autos immer zahlreicher und die Straßen immer voller. Auf Bild 2: Motorisierungsentwicklung in Deutschland von 1995-2040 nach Alterssegmenten, Altersgruppen und Geschlecht 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1'000 1'100 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 [Pkw je 1'000 Frauen der jeweiligen Altersgruppe] 65-69 70-74 75-79 80+ 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1'000 1'100 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 [Pkw je 1'000 Frauen der jeweiligen Altersgruppe] 50-54 55-59 60-64 45-49 40-44 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1'000 1'100 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 [Pkw je 1'000 Männer der jeweiligen Altersgruppe] 65-69 70-74 75-79 80+ 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1'000 1'100 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 [Pkw je 1'000 Männer der jeweiligen Altersgruppe] 50-54 55-59 60-64 45-49 40-44 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1'000 1'100 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 [Pkw je 1'000 Männer der jeweiligen Altersgruppe] 35-39 30-34 25-29 21-24 18-20 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1'000 1'100 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 [Pkw je 1'000 Frauen der jeweiligen Altersgruppe] 35-39 30-34 25-29 21-24 18-20 18 - 39 40 - 64 65 + 40 - 64 18 - 39 65 + Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 67 Wissenschaft MOBILITÄT der anderen Seite müsste es für eine rückläuige und immer älter werdende Bevölkerung doch irgendwann auch irgendeine automobile Sättigungsgrenze geben. Die neuen Shell PKW-Szenarien bis 2040 zeigen auf, dass der Bevölkerungsrückgang und der demograische Wandel in Deutschland in Verbindung mit sich ändernden Mobilitätsverhaltensweisen in den 2020er Jahren zu Wendepunkten der PKW-Mobilität führen werden. Mobilität der Zukunft heißt auch, dass sich das Mobilitätsverhalten ändert und auch alternative Verkehrsmittel verstärkt eingesetzt werden; zum alternativen Verkehrsverhalten und zu alternativen Verkehrsmitteln gehören zum Beispiel Car Sharing, Fernbusse und das Fahrrad. Solche neuen Formen der Mobilität können und werden künftig einen größeren Beitrag zum Personenverkehr leisten; sie können den PKW im Mobilitätsmix jedoch nicht (näherungsweise) ersetzen. Der Anteil des PKW an allen Personenverkehrsleistungen dürfte gemäß den neuen Shell-PKW-Szenarien auch im Jahr 2040 - wie heute - bei über 80 % liegen. ■ QUELLEN [1] Shell Deutschland Oil GmbH (Hrsg.): Shell PKW-Szenarien bis 2040; Fakten, Trends und Perspektiven für Auto-Mobilität, Hamburg 2014. www.shell.de/ pkwstudie. [2] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), TNS Infratest Sozialforschung (TNS): Soziooekonomisches Panel (SOEP v.29). Daten der Jahre 1984-2012, Berlin/ München 2013. [3] Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Wirtschaftsrechnungen, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, Ausstattung privater Haushalte mit ausgewählten Gebrauchsgütern 2013, Fachserie 15, Heft 1, Wiesbaden 2013. Dass. (Hrsg.): Wirtschaftsrechnungen. Laufende Wirtschaftsrechnungen. Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte 2012. Fachserie 15, Reihe 1, Wiesbaden 2014. [4] Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH/ Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Mobilität in Deutschland (MiD) 2002, Kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten, Bonn/ Berlin 2003. Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH/ Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung: Mobilität in Deutschland (MiD) 2008. Bonn/ Berlin 2010. [5] Streit, Tatjana/ Kagerbauer, Martin/ Chlond, Bastian/ Weiss, Christine/ Vortisch, Peter/ Zumkeller, Dirk (Karlsruher Institut für Technologie): Deutsches Mobilitätspanel (MOP) - Wissenschaftliche Begleitung und Auswertungen. Bericht 2012/ 2013: Alltagsmobilität und Fahrleistungen, Karlsruhe 2014. [6] Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Zensus 2011. Ausgewählte Ergebnisse. Tabellenband zur Pressekonferenz, Wiesbaden 2013. [7] Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2009. Lisa Krämer, Dipl.-Vw.in Beraterin Prognos AG, Bereich Wirtschaft, Gesellschaft, Staat, CH-Basel lisa.kraemer@prognos.com Stefan Rommerskirchen, Dr., Dipl.-Vw. Senior Advisor Prognos AG, Bereich Mobilität & Transport, CH-Basel stefan.rommerskirchen@prognos.com Jörg Adolf, Dr. Chefvolkswirt, Shell Deutschland, Hamburg joerg.adolf@shell.com Bild 3: Entwicklung ausgewählter Kennzifern der PKW-Mobilität in Deutschland von 1995-2040 95 100 105 110 115 120 125 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 [1995 = 100] Pkw/ Tsd. Einwohner Pkw-Bestand abs. Pkw-Pkm/ Einwohner Pkw-Fahrleistung abs. Pkw-Verkehrsleist. abs. Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleitung Telefon (040) 23714-223 Telefax (089) 889518-75 eberhard.buhl@dvvmedia.com IHR KURZER DR AHT ZUR REDAKTION © freni/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 68 TECHNOLOGIE Elektromobilität Hochvolt-Bordnetz - Nervensystem unter Spannung Elektrofahrzeuge stellen nicht nur Batteriehersteller vor besondere Entwicklungsaufgaben. Alle elektrischen Komponenten müssen besonderen Anforderungen genügen - bis hin zur Fertigung der Kabelbäume sind innovative Konzepte und Entwicklungen gefordert. M ild-Hybrid, Vollhybrid oder reines E-Mobil, Range Extender mit Brennstofzelle oder Verbrennungsmotor - so vielfältig sich die Zukunft alternativer Antriebstechnik derzeit präsentiert, so ungewiss ist auch, welches Format die künftige elektrische und elektronische Architektur in solchen Fahrzeugen haben wird. Fest steht bereits, dass mit dem Übergang vom fossilen zum elektrischen Antrieb die Bedeutung des Bordnetzes deutlich steigt: Bei der Elektriizierung des Antriebsstrangs übernimmt die sogenannte E/ E-Architektur neben der Kommunikation und Signalverteilung auch immer größere Anteile des Powermanagements. Der Anteil von Kabelsatz, Steuergeräten und Batterien am gesamten Fahrzeuggewicht wird deshalb von etwa 6 % bei aktuellen Kraftfahrzeugen auf etwa ein Viertel steigen. Denn die Zahl bisher mechanisch, künftig aber elektrisch angetriebener Nebenaggregate wie etwa der Wasserpumpe wird zunehmen. Sie werden in das Hochvolt-Bordnetz integriert, um kleinere Leitungsquerschnitte zu erhalten und Wandlerverluste in Wechselrichtern zu vermeiden (Bild 1). Um die für den Antrieb und die Nebenaggregate benötigten Stromstärken bereit zu stellen, empiehlt sich eine hohe Bordnetzspannung von 300 bis 400 V oder mehr - und deutlich größere Leitungsquerschnitte. Überhaupt erfordern Elektroantriebe völlig neue Konzepte für das „Nervensystem Bordnetz“ (Bild 2). Gewicht und Komplexität einer modernen E/ E-Architektur können durch viele Faktoren beeinlusst und optimiert werden: genaue Auslegung des Antriebsstrangs, Zahl und Anordnung der Einzelkomponenten, Leitungsquerschnitte und vieles mehr. So hat es sich beispielsweise als günstig erwiesen, Hauptkomponenten wie die Batterie, das Steuergerät und den Elektroantrieb kompakt beieinander zu platzieren, um aufwendige und schwere Hochstrom-Verkabelungen zu vermeiden. Dazu kommt, dass sensible Assistenzsysteme wie Radios, Navigationssysteme oder Antennenverstärker und andere wohl auch weiterhin mit der niedrigeren Versorgungsspannung 12 V - beim LKW meist 24 V - betrieben werden. Beide Netze bleiben weitgehend separiert, so lange sich die Hochvolt-Anwendungen noch lokal auf den Antriebsstrang konzentrieren. Insgesamt wird also die Gesamtmasse der elektrischen Komponenten zunächst weiter wachsen. Dennoch können neu konzipierte Elektrofahrzeuge - ohne Getriebe und Antriebswellen - trotz schwerer Batterien und größerer Leitungsquerschnitte deutlich weniger wiegen als herkömmliche Autos. Sicherheitsaspekte gewinnen mehr Bedeutung Neben dem Gewichtsaspekt stehen zunehmend auch Fragen zur Sicherheit im Fokus der Entwickler - Hybrid- und Elektroantriebe erfordern wegen der hohen Betriebsspannung ein schlüssiges Sicherheitskonzept, um Insassen und Servicepersonal optimal zu schützen. So ist für Notfälle oder Servicearbeiten zum Beispiel ein manueller Batterie-Trennschalter, der den Batteriestromkreis öfnet, absolutes Muss. Als weiteres Sicherheitsfeature hat Delphi - weltweit tätiges Zulieferunternehmen für Fahrzeugelektrik und -elektronik und derzeit im Rahmen des Entwicklungsprojekts BOmobil der Initiative „Modellregion NRW“ an der Entwicklung eines serientauglichen Elektro-City-Transporters beteiligt - intelligente Sicherheits- Steckverbindungen entwickelt: Zum Abzie- Bild 1: Hochvolt-Kabelstrang mit Hoch- und Niedervoltleitungen Alle Fotos: Delphi Bild 2: Die „Nervenstränge“ eines Elektroautos Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 69 Elektromobilität TECHNOLOGIE hen des Steckers schaltet ein in den Ladestecker integrierter Niedervolt-Schaltkreis den Hochvolt-Stromkreis automatisch ab (Bild 3). Auch das Konzept der Wegfahrsperre lässt sich auf die Bedürfnisse von E-Fahrzeugen anpassen, um ein Losfahren bei versehentlich nicht abgezogenem Ladekabel zu verhindern. Die Leitungen selbst müssen wegen der hohen Spannungen aufwendig abgeschirmt werden, um ihre elektromagnetische Verträglichkeit zu gewährleisten. Das ist je nach Anwendung sowohl mit Einzeladern als auch einer umfassenden Abschirmung, beispielsweise einer Mantelschirmung per Rohr oder Gelecht, möglich. Dazu kommen erhöhte Anforderungen an die Gehäuse der Verbindungskomponenten, die in Sachen Isolation, Berührschutz und Abschirmung auf hohe Spannungen und starke Ströme ausgelegt sein müssen. Denn leider lassen sich die Geometrien üblicher 12-Volt-Steckkontakte nicht - einfach um den Faktor X vergrößert - auf Hochspannungs-Steckverbindungen übertragen. Bild 3: Beim An- und Abstecken der Ladeeinheit schaltet der Stecker den Hochvolt- Stromkreis automatisch spannungsfrei. Klar ist mittlerweile zwar, dass der Anschluss an die „Stromtankstelle“ standardisierte Stecker erfordert. Zu zahlreichen Teilaspekten der Bordelektrik im Elektroauto gibt es derzeit allerdings leider noch keine einheitlichen europäischen oder gar weltweiten Speziikationen. Es gibt also noch viel zu tun. ■ Alexander Eschwald Drei Fragen an … Dipl.-Ing. Edmund Erich, Entwicklungs- Manager für E-Mobilitätssysteme der Sparte E/ E-Architektur, EMEA, Delphi Deutschland, Wuppertal Herr Erich, Delphi hat die Produktion von Hochvolt Bordnetzen für ein deutsches Elektrofahrzeug aufgenommen. Wie unterscheidet sich die Fertigung von Leitungssätzen für Hochvolt-Antriebe von der üblicher 12-V-Netze? Die Unterschiede rühren von dem Produkt her, das sich im Aubau und Dimension völlig anders darstellt als eine übliche 12-Volt- Leitung. In unserem türkischen Werk in Izmir haben wir eine spezielle Montagelinie für Hochvolt-Bordnetze eingerichtet. Die Vorbereitungen dafür erfolgten an unserem Kunden-Technologie-Zentrum in Wuppertal, wo wir in direkter Nähe zur Entwicklung zunächst eine Testlinie eingerichtet haben, um praktische Erkenntnisse für die Serienfertigung zu sammeln. Aufgrund der hohen Qualitätsanforderungen bei der Fertigung muss ja jedes Detail auf seine Auswirkung hin untersucht werden. Was genau verstehen Sie unter hohen Qualitätsanforderungen? Die Zahl der Leitungen ist größer, aber dennoch überschaubar - allerdings ist das Konfektionieren einzelner Leitungen zu einem Bordnetz viel schwieriger. Wird bei einem herkömmlichen Niedervolt-Leitungssatz eine Leitung falsch gesteckt, lässt sich das mit einem speziellen Werkzeug beheben. Bei einem Hochvolt-Leitungssatz geht das nicht. Hier sind die Kupferleiter viel größer dimensioniert und zusätzlich von einer Abschirmung umgeben wie ein Antennenkabel. Da kann nicht nachgearbeitet werden, jeder Fehlgrif bedeutet einen hohen Verlust- anders als bei den 12-Volt-Kabelsträngen und Kabelbäumen, die wir überall auf der Welt fertigen. Deshalb müssen Leiter und Abschirmung jedes Kabels sofort exakt, bündig und robust mit anderen Komponenten verbunden werden. Das erfordert mehrere sehr genau deinierte Arbeitsschritte, jeder Handgrif muss sitzen. Was bedeutet das für Ihre Mitarbeiter in der Fertigung? Die Mitarbeiter in Izmir sind speziell dafür ausgebildet. Neben der Präzision ist vor allem der sichere Umgang mit der hohen Spannung ganz wesentlich, schließlich werden die Fertigprodukte am Ende der Montagelinie unter Last geprüft. Bei den hohen Leistungen, die dabei übertragen werden, und bei Spannung bis zu 600 V ist das eine absolute Kernforderung. Anordnung und Gestaltung der Prübereiche müssen also auch maximale Sicherheit vor unsachgemäßer Berührung der unter Last stehenden Komponenten bieten. Den optimalen Produktionsablauf haben wir gemeinsam mit den Mitarbeitern entwickelt. Aber auch die Maschinen sind auf die Bearbeitung größerer Leitungsquerschnitte und höhere Spannungen ausgelegt. Für das Abisolieren zum Beispiel haben wir eine maschinelle Lösung gefunden, die sicher, eizient und materialschonend zugleich ist. Da ist uns beinahe die Quadratur des Kreises gelungen. (ale) www.delphi.com © Rainer Sturm, pixelio.de IHR KUR ZE R DR AHT ZUM ANZEIGEN -T E AM Silke Härtel Anzeigenleitung Tel.: +49 (40) 23714-227 silke.haertel@dvvmedia.com Tim Feindt Anzeigenverkauf Tel.: +49 (40) 23714-220 tim.feindt@dvvmedia.com Telefax Anzeigen-Team: +49 (40) 23714-236 Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 70 Zulassungsprozesse für Fahrzeuge in Deutschland Straße, Luft und Schiene im Vergleich - Teil 2: Luft Ausgehend von den zunehmend hinderlichen Verzögerungen bei der Zulassung von Schienenfahrzeugen befasst sich diese dreiteilige Artikelreihe mit dem Vergleich der Zulassungsprozesse verschiedener Verkehrssysteme. Sie soll Unterschiede herausarbeiten, mögliche Schwachstellen und Optimierungsmöglichkeiten aufdecken und wenn möglich Lernprozesse anstoßen. - Teil 2 behandelt die Zulassungsprozesse für bemannte und unbemannte Luftfahrzeuge. Die Autoren: Hartmut Fricke, Johannes Mund M it dem Fokus auf eine Optimierung der Zulassungsdauer für Schienenfahrzeuge sollen aus einem Vergleich der Zulassungsprozesse bei Flugzeugen und Straßenbzw. Schienenfahrzeugen Empfehlungen abgeleitet werden, wie die bereits eingeleiteten Schritte zur Verbesserung der Zulassungen im Sinne von best practises noch weiter optimiert werden können. Im Folgenden wird der Prozess der Zulassung von Luftfahrtgerät und Luftfahrzeugen im Rahmen der zivilen Nutzung in der Bundesrepublik Deutschland beschrieben. Zulassungsprozesse für Luftfahrzeuge Prozessbeschreibung und beteiligte Institutionen Da der Betrieb von Luftfahrzeugen mit einem erhöhten Lebensbzw. Gesellschaftsrisiko verbunden ist, ergreift der Gesetzgeber mit dem Instrument der behördlich geregelten und überwachten Zulassung Maßnahmen zur Herstellung eines standardisierten und akzeptierten Risikoniveaus. Im deutschen Recht setzt die Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (LuftVZO) notwendige Voraussetzungen für die Teilnahme am Luftverkehr und legt Zulassungsverfahren und -behörden fest. Die LuftVZO wird u.a. durch die Verordnung zur Prüfung von Luftfahrtgerät (LuftGerPV) konkretisiert. Neben der Zulassung und Eintragung von Luftfahrtgeräten/ Luftfahrzeugen ist auch die Lizensierung von Luftfahrtpersonal und die Genehmigung von Flugplätzen Bestandteil der LuftVZO, der aber nicht Gegenstand des vorliegenden Artikels ist. Die Zulassungserteilung für Luftfahrzeuge erfolgt durch zentralisierte Stellen (auf nationaler bzw. europäischer Ebene), während Luftfahrtpersonal und Flugplätze in Deutschland durch die Bundesländer (also per Landesrecht) lizensiert bzw. genehmigt werden. Bei der Zulassung von Luftfahrzeugen wird gemäß LuftVZO in die- Prozessschritte Musterzulassung, Verkehrszulassung und Eintragung unterschieden. Gesetze, Verordnungen, Durchführungsverordnungen und Richtlinien zum Zulassungswesen von Luftfahrzeugen sind sowohl im nationalen deutschen Luftverkehrsrecht als auch dem Recht der Europäischen Union (EU) inklusive der Regelungen der Europäische Agentur für Flugsicherheit (European Aviation Safety Agency, EASA) verankert. Eine Basis dafür bilden die weltweit gültigen Empfehlungen über Zulassungsanforderungen an Luftfahrzeuge zur Erreichung und Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit, festgehalten im Anhang Foto: Airbus S.A.S. TECHNOLOGIE Fahrzeugzulassung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 71 Fahrzeugzulassung TECHNOLOGIE (Annex) 8 (Airworthiness of Aircraft) zum internationalen Luftfahrtübereinkommen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO, einer Unterorganisation der UN. ICAO Annex 8 Part III Kapitel 2 „Flight“ beinhaltet so Vorgaben über die Mindestlugleistung eines Luftfahrzeuges bei Start und Landung mit maximaler Ablugmasse (MTOM) sowie unterstelltem zeitgleichen Ausfall eines Triebwerkes (z. B. Fähigkeit zum Start oder zum Fehlanlugverfahren selbst bei ausgefallenem äußeren Motor). Daneben wird ICAO Annex 8 um konkretere Handlungsempfehlungen durch das ICAO Airworthiness Technical Manual (Doc 9760) ergänzt. Außerdem leiten sich aus den Regelungen über Instrumentenan- und -ablug an Flugplätzen, den ICAO Procedures for Air Navigation Services - Aircraft Operations (PANS-OPS), Volume 1 Flight Procedures, weitere Anforderungen an die Lufttüchtigkeit von Luftfahrzeugen (hier im Speziellen an die Mindestlugleistung) ab. In Deutschland wird durch die LuftVZO nach § 1 Abs. 1 vorgeschrieben, dass bestimmte Luftfahrtgeräte/ Luftfahrzeuge einer Musterzulassung bedürfen (u.a. Flugzeuge, Drehlügler, Motorsegler, Segellugzeuge, Ultraleichtlugzeuge). Ferner bedürfen bestimmte Einzelkomponenten wie Flugmotoren und Propeller sowie auch die Ausrüstungs- oder Zubehörteile, die den Anforderungen der europäischen Verordnung (EG) Nr. 216/ 2008 unterliegen, einer Musterzulassung. Im Rahmen der Musterzulassung wird geprüft, ob eine Bau- oder Modellreihe eines Luftfahrzeuges (Luftfahrzeugmuster/ typ) oder eines Bau- oder Ausrüstungsteils technisch zuverlässig ist. Entsprechend vordeinierten Zuverlässigkeitsanforderungen wird kontrolliert, ob der Nachweis über Lufttüchtigkeit nach § 3 Abs. 1-3 LuftVZO erbracht wird und ob grundlegende Bauvorschriften eingehalten wurden. Zusammengefasst wird eine Musterzulassung als „[…] Freigabe, dass die zum Muster gehörenden Konstruktions-, Betriebs- und Instandhaltungsunterlagen sowie die Betriebsdaten und -eigenschaften den anzuwendenden Bau- und Umweltvorschriften sowie etwaiger weiterer national gültiger Vorgaben gerecht werden“ verstanden. Eine erteilte Musterzulassung ist sodann für alle Exemplare eines Luftfahrzeugtyps auf unbegrenzte Dauer gültig. Wenngleich das Luftfahrtbundesamt (LBA) gemäß §31c Luftverkehrsgesetztes (LuftVG) als erteilende Behörde von Musterzulassungen in Deutschland ausgewiesen ist, hat die Europäische Agentur für Flugsicherheit (European Aviation Safety Agency, EASA), im Jahr 2003 auf Basis der Verordnung (EG) Nr. 1592/ 2002 gegründet, diese Aufgabe und damit verbundene Zuständigkeiten im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 748/ 2012 in großen Teilen von den nationalen europäischen Luftfahrtbehörden übernommen (z.B. entsprechender Verweis in LuftVZO). Die in Köln ansässige EASA ist für die Wahrnehmung speziischer Regulierungs- und Exekutivaufgaben im Bereich der europäischen Luftverkehrssicherheit zuständig. Nach der (EASA-Grund-) Verordnung (EG) Nr. 216/ 2008 beinhaltet dies vor allem die Entwicklung, Herausgabe und Plege von Durchführungsbestimmungen, mit dem Ziel der Standardisierung des Zulassungswesens in der Europäischen Union. Wichtige zulassungsrelevante Publikationen der EASA sind die Richtlinien Certiication Speciication (CS), die aus den Dokumenten der Vorgängerorganisation Joint Aviation Authorities (JAA), den sog. Joint Aviation Requirements (JAR), abgeleitet wurden, sowie die EASA Part-21 Durchführungsbestimmungen als Anlage I zur Verordnung (EG) Nr. 748/ 2012. Neben der Herausgabe von Vorschriften ist die EASA hauptsächlich für die Musterzulassung luftfahrttechnischer Produkte (Luftfahrzeuge, Bauteile, Ausrüstungsteile) in der EU zuständig. Im Zuge dessen überträgt die EASA hier regelmäßig Fachaufgaben an die nationalen Behörden (so auch an das LBA). An das LBA wird beispielsweise die technische Prüfung von ausgewählten Luftfahrzeugen im Rahmen der EASA-Musterzulassung übertragen, aber auch die vollständige eigenverantwortliche Überwachung und Erteilung von Musterprüfungen und -zulassungen durch das LBA u. a. für folgende Fluggeräte (sog. Annex II Luftfahrzeuge zur Verordnung (EG) Nr. 216/ 2008): • historische Luftfahrzeuge, • Forschungsluftfahrzeuge, • Amateurbauten sowie Ultraleichtlugzeuge. Beim LBA ist das Referat T3 „Musterzulassung, Umweltschutz und Strahlenschutz“ mit ca. 20 Personen für diese Musterzulassungen zuständig. Die Musterzulassung von Luftsportgeräten ist gemäß §31c LuftVG an Fachverbände des Luftsports delegiert. Die EASA überwacht den Zulassungsprozess jeder musterzulassungsplichtigen Bau- oder Modellreihe eines luftfahrttechnischen Produktes. Auf Seiten der EASA werden hierfür in Abhängigkeit der Komplexität des Zulassungsprojektes jeweils zwischen zwei und 25 Mitarbeitern eingesetzt. Die eigentliche Musterprüfung wird durch EASAbzw. LBAzertiizierte Entwicklungs- und Herstellungsbetriebe durchgeführt (Bestand der durch LBA zertiizierte Betriebe, Stand 2011: 179). Diese nach Verordnung (EG) Nr.748/ 2012, Anhang-I „Teil 21“ zertiizierten Betriebe sind entsprechend des Abschnittes „Zertiizierungsverfahren“ der selbigen Ordnung für die Nachweiserbring über Konformität zwischen den als relevant identiizierten Bauvorschriften (CS, JAR, nationale Vorschriften, Umweltvorschriften) und der Entwicklung und Konstruktion des Musters verantwortlich. Die Nachweisführung, welche bereits im Vorfeld festgelegt wird (Methodenauswahl), erfolgt eigenverantwortlich, und kann beispielsweise mittels Sicherheitsbewertung, Labortest, Simulationen (von einer Werkstof-/ Dauerfestigkeitsprüfung bis zur Veriikation von Flugleistungswerten wie Treibstofverbrauch und Steigleistung) oder Flugtests erbracht werden. Nach Abgabe einer Einhaltungserklärung durch den Betrieb erteilt die EASA im Anschluss (nach positivem Testergebnis) die Musterzulassung (sog. „Type Certiicate“), welche in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie in Norwegen, in der Schweiz, in Island, und in Liechtenstein Gültigkeit hat. Die nach EASA Part-21 ausgestellte europäische Musterzulassung ist aufgrund bilateraler Abkommen von der Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten (Federal Aviation Administration, FAA) für den amerikanische Markt anerkannt. Auch gegenläuig werden FAA-Musterzulassungen zügig durch vereinfachte Musterprüfungen seitens der EASA akzeptiert. Die Zulassungsvorschriften der FAA, die sog. Federal Aviation Regulations (FAR), dienten bisher ohnehin vielfach als Grundlage für die europäischen Vorschriften Certiication Speciications (CS) bzw. die früheren Joint Aviation Requirements (JAR), aus denen die CS in großen Teilen hervorgingen. Im Zuge der Erteilung der Musterzulassung werden ein Gerätekennblatt angelegt, die Betriebsgrenzen festgelegt und der Musterzulassungsschein ausgestellt. Neben der geforderten Musterzulassung von neu entwickelten Luftfahrzeugen sowie Bau- und Ausrüstungsgegenständen sind ab einem bestimmten Grad der Abweichung von der Musterbauart auch Änderungen und Ergänzungen zur Musterzulassung durchzuführen (z. B. Umwidmung Passagierlugzeug zu Frachtlugzeug, Modiikationen an der Kabine, Einrüstung eines modernen GPS-System). So hat das LBA etwa im Jahr 2012 zahlreiche Ergänzungen zur Musterzulassung von großen Verkehrslugzeugen (CS-25), kleinen Flugzeugen (CS-23) und Drehlüglern genehmigt. Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 72 TECHNOLOGIE Fahrzeugzulassung Die Dauer der EASA-Musterprüfung wird im Wesentlichen durch den Antragsteller beeinlusst. Faktoren hierbei können unerwartet auftretende Probleme bei der Nachweisführung sein, das Zurücktreten von Kunden vom Prüfantrag oder eine interne Verschiebung der Prioritäten. Anhand ausgewählter Beispiele wird in Tabelle 1 die typische Dauer des EASA-Musterzulassungsprozesses (von der Einreichung des Antrages bei der EASA bis hin zur Ausstellung des Musterzulassungsscheines) gezeigt. Die vergleichsweise kurze Zulassungsdauer für den Airbus A320 ist durch die nur geringen Modiikationen der 215er Version im Vergleich zum bereits zugelassenen 200er Muster begründet. Aus einer vollständigen Liste aller EASA-zugelassenen bzw. durch EU Mitgliedstaaten nach europäischen Verordnungen zugelassenen Muster kann mit Hilfe der dort gelisteten Gerätekennblattnummer Antragsdatum und Ausstellung der Musterzulassung recherchiert werden. Die EASA hat im Jahr 2011 3.823 Musterzulassungen für luftfahrtechnische Produkte erteilt. Zugelassen wurden insbesondere die neueste „Jumbo Variante“ Boeing B747-8 und der „Dreamliner“, die B787-8. Zugleich wurden bei der EASA 5042 Musterzulassungen im Jahr 2011 beantragt, wovon 15 Anträge für die Zulassung gänzlich neuer luftfahrtechnischer Produkte, 1217 Anträge für neue Versionen bereits zugelassener Muster, 700 Anträge auf Ergänzung der Musterzulassung und 1179 Anträge aufgrund geringer Veränderungen in Bezug auf das Muster gestellt wurden. Verkehrszulassung durch die nationalen Luftfahrtbehörden Nach § 2 LuftVG dürfen deutsche Luftfahrzeuge nur verkehren, wenn sie zum Luftverkehr zugelassen sind […]“. Die Verkehrszulassung muss - im Gegensatz zur einmalig für ein Luftfahrzeugmuster/ -typ erteilten Musterzulassung - für jedes einzelne Luftfahrzeug vom Luftfahrzeughalter beantragt und durch die jeweiligen nationalen Luftfahrtämter erteilt werden. Die Verkehrszulassung ist bisher nicht über europäische Richtlinien geregelt, sondern folgt nationalen Gesetzmäßigkeiten. Entsprechend § 7 der LuftVZO ist das Luftfahrt- Bundesamt (LBA), gegründet auf Basis Gesetz über das Luftfahrt-Bundesamt (1954), hierfür in Deutschland zuständig (384 Beschäftigte, Stand 2011). Das LBA ist einem dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) nachgeordnete Bundesbehörde in der Funktion eines ausführenden Verwaltungsorgans mit Sitz in Braunschweig. Ihr luftfahrttechnisches Aufgabenspektrum - im Wesentlichen bearbeitet durch die Abteilung Technik/ Umweltschutz - umfasst neben der nationalen Verantwortlichkeit für Verkehrszulassungen die oben beschriebene Unterstützung der EASA bei Musterprüfungen und -zulassungen, bei der Lärmzulassung von Luftfahrzeugen sowie bei der Genehmigung und Überwachung von nationalen Entwicklungs-, Herstellungs- und Instandhaltungsbetrieben (Bestand der durch das LBA zertiizierte Betriebe, Stand 2011: 522). Daneben ist das LBA u. a. für die Überwachung von Unternehmen zur Führung der Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit (CAMO) und die Prüfung der Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit von Luftfahrzeugen zuständig. Notwendige Voraussetzung für die Beantragung und den Erwerb einer Verkehrszulassung ist, dass die Baubzw. Modellreihe des Luftfahrzeuges eine Musterzulassung besitzt. Dies umfasst die Vorlage eines Nachweises über Lufttüchtigkeit (engl.: Airworthiness). Des Weiteren muss - sofern gefordert - eine abgeschlossene Plichtversicherung und ein auf das Luftfahrzeug abgestimmtes Instandhaltungsprogramm vorgewiesen werden. Beantragt werden muss zudem das zukünftige Luftfahrzeugkennzeichen (z. B. D-AIMI, wird bei Neukauf durch den Hersteller aufgebracht), Funkfrequenzen gemäß Telekommunikationsgesetz und Luftfahrzeug-Kodierungen (z. B. für Transponder des Kollisionswarnsystems, Notsender). Wird vom Halter ein vollständiger sowie ordnungsgemäßer Antrag eingereicht, wird das Luftfahrzeug durch das LBA entsprechend § 9 LuftVZO durch Erteilung eines Lufttüchtigkeitszeugnisses (sog. „Airworthiness Certiicate“) zum Verkehr zugelassen. Dem LBA ist unverzüglich anzuzeigen, wenn der Eigentümer oder der Halter (Letzterer für mindestens sechs Monate) wechselt. Die Zulassung kann zudem eingeschränkt, geändert oder mit Aulagen befristet werden. Für die Verkehrszulassung ist das Referat T4 „Verkehrszulassung / Rechtsangelegenheiten der Abteilung T“ des LBA zuständig. Die durchschnittliche Dauer der Verkehrszulassung ist aus Sicht der Luftverkehrsgesellschaft abhängig vom intern deinierten Start- und Endpunkt für diesen Prozess - eine allgemeingültige Deinition existiert nicht. Unbenommen davon wird die Dauer der formalen Beantragung beim LBA von der Vollständigkeit der durch die Luftverkehrsgesellschaft vorgelegten Einreichungsunterlagen bestimmt. Sind alle benötigten Dokumente dem Zulassungsantrag vollständig beigelegt, ist eine LBA-Zulassung innerhalb eines Tages möglich, bei Unvollständigkeiten oder Unstimmigkeiten sind mehrere Wochen und Monate nicht auszuschließen. Die interne Vorbereitungszeit der Luftverkehrsgesellschaft bis hin zur oiziellen Einreichung des Zulassungsantrages ist wiederum stark abhängig von der Expertise der damit befassten Mitarbeiter. Außerdem sind zahlreiche Randbedingungen entscheidend, bspw. die Besitzverhältnisse über das Luftfahrzeug (z. B. Ist Luftfahrzeugbetreiber zugleich Besitzer oder Leasingnehmer? ) sowie das Alter des Luftfahrzeuges. Typische Zeitdauern für die interne Vorbereitung sind sechs Monate bis zu zwei Jahre. Für die Zulassung eines bereits im Unternehmen verkehrenden Luftfahrzeugtyps sind hingegen Laufzeiten von nur drei Monaten möglich. Eintragung Nach § 14 LuftVZO müssen Luftfahrzeuge, Drehlügler, Luftschife, Motorsegler, Segellugzeuge und bemannte Ballone in die sog. Luftfahrzeugrolle eingetragen werden. In diesem vom LBA geführten Register sind alle in Deutschland zum Verkehr zugelassenen Luftfahrzeuge verzeichnet. Voraussetzung für die Eintragung in die Luftfahrzeugrolle ist, dass der Eigentümer des Luftfahrzeuges Staatsangehöriger eines EU- Mitgliedstaates ist. Als Bescheinigung für die erfolgte Eintragung gilt der Eintragungsschein. Im Jahr 2011 waren 770 Luftfahrzeuge (LFZ) der Kennzeichenklasse A (> 20 t Höchstabluggewicht, MTOM), 38 LFZ der Kennzeichenklasse B (14-20 t MTOM), 236 LFZ der Kennzeichenklasse C (5,7 t - 14 t Luftfahrzeugmuster Einreichung Zulassungsantrag bei der EASA Ausstellung des Musterzulassungsscheines durch die EASA Dauer in Monaten (ca.) Airbus A380-841/ -842 20.12.2001 12.12.2006 60 Airbus A320-215 22.12.2005 22.06.2006 6 Dassault Falcon 7X 26.05.2002 (JAA) 27.04.2007 59 Pilatus PC-12/ 47E 06.12.2004 28.03.2008 39 ATR 72-212A 600 Version 18.12.2007 10.08.2011 45 Aero AT Sp AT-3R100 24.09.2003 21.01.2005 16 Tabelle 1: Dauer der EASA Musterprüfung anhand ausgewählter Beispiele Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 73 Fahrzeugzulassung TECHNOLOGIE MTOM), 6744 LFZ der Kennzeichenklasse E (Einmotorig bis 2 t MTOM), 155 LFZ der Kennzeichenklasse F (Einmotorig, 2-5,7 t MTOM), 243 LFZ der Kennzeichenklasse G (Mehrmotorig bis 2 t MTOM) usw. eingetragen. Die Kennzeichenklasse stellt hierbei den zweiten Buchstaben der Kennung dar (z. B. „D-AIBL“). Die minimal unterstellte Lebensdauer der Zulassungsobjekte beträgt hierbei: • Boeing B777: 40 000 Flüge, 60 000 Flugstunden, 20 Jahre • Boeing B747: 20 000 Flüge, 60 000 Flugstunden, 20 Jahre • McDonnell Douglas MD-90: 60 000 Flüge, 900 000 Flugstunden, 20 Jahre Diese Mindestzielgrößen werden bei Verkehrslugzeugen im Betrieb i. d. R. teils deutlich übertrofen. Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit Gemäß EU-OPS 1.875 als Anhang III zu Verordnung (EG) Nr. 859/ 2008 darf eine Luftverkehrsgesellschaft ein in der Luftfahrzeugrolle eingetragenes Luftfahrzeug nur betreiben, wenn dieses durch ein der Verordnung (EG) Nr. 2042/ 2003, Anhang II „Teil 145“ entsprechend zertiizierten Instandhaltungsbetrieb (mit Mitarbeitern, die für das entsprechende LFZ-Muster nach „Teil 66“ zertiiziert sind) instand gehalten wird. Zudem muss die Lufttüchtigkeit des Luftfahrzeuges entsprechend den Anforderungen von Anhang I „Teil M“ der Verordnung (EG) Nr. 2042/ 2003 aufrechterhalten werden - andernfalls wird der Status der Lufttüchtigkeit ausgesetzt oder widerrufen. Für die Überwachung der Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit führen die Luftverkehrsgesellschaften eine eigene sog. Continuing Airworthiness Management Organisation (CAMO)-Abteilungen. Die CAMO- Abteilung bedarf ihrerseits einer Genehmigung des LBA (Bestand der durch das LBA genehmigten CAMO- Abteilungen, Stand 2011: 152). Primäre Aufgabe der CAMO- Abteilung ist die Erstellung und Plege eines Instandhaltungsprogrammes, welches sich üblicherweise am Maintenance Planning Document (MPD) des Herstellers orientiert. Im Instandhaltungsprogramm sind bspw. Art der Wartungsmaßnahmen (zusammengefasst zu Checks) und Zeitintervalle zwischen den Checks festgelegt. Das Instandhaltungsprogramm nach „Part 145“ bezieht sich auf wesentliche sicherheitsrelevante Luftfahrzeugbauteile. Die Instandhaltungsintervalle legen geleistete Flugstunden bzw. ix vordeinierte Zeiträumen zugrunde. Im Bedarfsfall können kleinere Reparaturen auch kurzfristig im laufenden Betrieb (z. B. auf dem Flughafenvorfeld) durchgeführt werden. Behördenseitig wird im Rahmen von Aircraft Continuing Airworthiness Monitoring (ACAM) - Maßnahmen die Lufttüchtigkeit der Luftfahrzeuge durch das LBA geprüft. Derzeit sind ca. sechs LBA-Mitarbeiter (Stand 2013) mit dieser Aufgabe betraut. Es gibt also zahlreiche Schnittstellen in den verschiedenen Prozessen des Zulassungswesens. Bei der Musterzulassung steht die Beziehung zwischen Antragsteller (Hersteller) und Luftfahrbehörden (EASA, LBA) im Vordergrund. Im Zuge der Musterprüfung obliegt der EASA u. a. die Herausgabe von Durchführungsbestimmungen für den Zulassungsprozess, die Abstimmung mit den Entwicklungs- und Herstellungsbetrieben bei der Interpretation der Bauvorschriften und die Genehmigung der durch die genannten Betriebe aufgestellten Zulassungsprogramme. Bei der Verkehrszulassung und Eintragung stehen primär der Antragsteller (z. B. Luftverkehrsgesellschaft) und die zuständige nationale Luftfahrtbehörde (LBA) in Verbindung, aber auch der Hersteller wird mit einbezogen. Schließlich steht zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit der Halter (z. B. über die CAMO-Abteilung) mit den zertiizierten Instandhaltungsbetrieben in Verbindung. Diese melden wiederum allfällige Aufälligkeiten bei den Luftfahrzeugen an die Luftfahrtbehörden. Die Luftfahrtbehörden sind außerdem derart involviert, dass diese die CAMO-Abteilungen sowie die Instandhaltungsbetriebe genehmigen. Die EASA gibt die Durchführungsbestimmungen hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit heraus. Unbemannte Luftfahrzeuge (UAS) Weitere Zulassungsaufgaben werden auf die relevanten, vorstehend zitierten Instanzen durch die rasante Entwicklung der Branche der unbemannten Luftfahrzeuge (Unmanned Aerial Systems, UAS) zukommen. Parallel zur aktuell auf luftgestützte Arbeit wie Überwachung von Infrastruktur, Vermessungsaufgaben oder Landwirtschaft beschränkten Nutzung, ist mittlerweile ein deutlicher Trend hin zur Konzeption von unbemannten Luftfahrzeugen für kommerzielle Nutzung zu sehen. Diese Tendenz könnte mithin bis zur Existenz ferngesteuerter Frachtlugzeuge bis zu einer Größe eines Airbus A320 oder gar A330 führen. Auf Basis dieser Entwicklung ist es notwendig, die aktuell existierende Regelungslücke bezüglich der Zulassung unbemannter Luftfahrzeuge in Anlehnung an die für die bemannte Luftfahrt gängige Praxis zu füllen. Mit Stand 2014 ist der Betrieb von unbemannten Luftfahrzeugen gemäß Artikel 8 des Chicagoer Abkommens von 1944 erlaubt, jedoch an die Einschränkung einer Einbzw. Überlugerlaubnis aller betrefenden Staaten gekoppelt. Bereits seit 2012, mit Inkrafttreten des Amendment 43 zum Annex 2 des Chicagoer Abkommens, verfügen unbemannte Fluggeräte zudem über den Status des Luftfahrzeugs, wodurch die Regelungen des Chicagoer Abkommens auf die unbemannte Luftfahrt anwendbar werden. Allerdings bezieht sich dies nur auf die UAS-Untergruppe der ferngeführten Luftfahrzeuge, sog. RPAS (Remotely Piloted Aircraft Systems), autonom agierende Luftfahrzeuge sind hingegen nicht Teil der Neuregelung. Im ICAO Annex 2 wird subsequent speziiziert, dass unbemanntes Fluggerät derart betrieben werden muss, dass es keine höhere Schadenswahrscheinlichkeit an Personen, Eigentum oder anderem Fluggerät birgt als die bemannte Luftfahrt, was der Prämisse des equivalent level of safety (ELOS) entspricht. Erweiternde Ausführungen dazu inden sich in Appendix 4 dieses Annexes. Darin wird in Abschnitt 2 unter anderem detailliert beschrieben, dass der fernsteuernde Pilot mit einem konventionellen Luftfahrzeugführer gleichgesetzt wird und somit, genauso wie der Betreiber des RPAS, einer Lizenz bedarf. Des Weiteren wird festgeschrieben, dass RPAS im Sinne der Lufttüchtigkeit zertiiziert werden müssen, also einer Verkehrszulassung bedürfen. Eine Musterzulassung wird von ICAO nicht gefordert. Da die Regelungen der ICAO nur empfehlenden Charakter besitzen, müssen selbige mittels Verordnungen in zwingendes, europäisches Recht umgesetzt werden. Die Verwirklichung dessen für oben beschriebenes Amendment 43 ist mit einer sog. Notice of Proposed Amendment mit dem Arbeitstitel NPA 2012-10 Transposition of Amendment 43 to Annex 2 to the Chicago Convention on remotely piloted aircraft systems (RPASs) into common rules of the air in Vorbereitung. Die von Änderungen betrofenen Verordnungen sind: VO (EU) 923/ 2012 „Rules of the air“, VO (EC) 1035/ 2011, VO (EC) 1265/ 2007, VO (EC) 1794/ 2006, VO (EC) 730/ 2006, VO (EC) 1033/ 2006, VO (EU) 255/ 2010. Regelungen der Zulassung von unbemannten Fluggeräten sind nicht Teil der Ergänzungen. Die Rechtslage zur Zulassung unbemannter Luftfahrzeuge stellt sich auf europäischer Ebene wie folgt dar: Die EASA ist auch hier grundsätzlich für die Zulassung von UAS und RPAS verantwortlich. In Bezug auf unbemannte Luftfahrzeuge ist die Kompetenz der Behörde gemäß VO (EG) 216/ 2008 allerdings auf Fluggeräte mit ei- Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 74 Technologie Fahrzeugzulassung ner maximalen Ablugmasse von mehr als 150 kg beschränkt; darunter sind die nationalen Luftfahrtbehörden zuständig, auf deutscher Ebene folglich das LBA. In VO (EG) 216/ 2008 Artikel 5 Lufttüchtigkeit ist vermerkt, dass für alle Luftfahrzeuge und Luftfahrterzeugnisse, die nicht im Annex 2 aufgeführt sind, zum Betrieb eine Musterzulassung vorliegen muss. In Annex-2 sind lediglich die unbemannten Luftfahrzeuge unter einem MTOM von 150 kg gelistet. Demzufolge benötigen größere, unbemannte Luftfahrzeuge eine Musterzulassung. Die Grundlagen für die Musterzulassung sind in Artikel 20 Lufttüchtigkeitszeugnis und Umweltzeugnis derselben Verordnung beschrieben und verweisen auf die von der EASA aufgestellten Zulassungsanforderungen Certiication Speciications (CS). Letztere existieren bisher für unbemannte Luftfahrzeuge leider nicht, genauso ist keiner der vorhandenen Vorschriftenkataloge der bemannten Luftfahrt auf unbemannte anwendbar. Gemäß einer von der US-amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA in Auftrag gegebenen Studie sind nur 30 % der existierenden CS für bemannte Luftfahrzeuge auf ihre unbemannten Pendants übertragbar. 1 In diesem Zusammenhang ist klar zu deinieren, welche Komponenten eines unbemannten Luftfahrtsystems zertiizierungsplichtig sind. So sind neben dem Fluggerät selbst auch die Bodenkontrollstation und der Kommunikationslink zwischen dieser und dem Luftfahrzeug unerlässliche Systemkomponenten, welche bei Fehlfunktion Unfälle hervorrufen können. Aus diesem Grunde ist es zwingend, auch jene Bestandteile des unbemannten Luftfahrtsystems einem Zulassungsprozedere zu unterziehen. Denkbar ist ein Vorgehen analog dem der Zertiizierung von Luftfahrzeugantrieben, welche separat auf Basis der CS-E zertiiziert und auf Kompatibilität mit dem jeweiligen Luftfahrzeug geprüft werden. Da zu erwarten ist, dass unbemannte Luftfahrzeuge mit gänzlich unterschiedlichen Charakteristiken bzgl. Masse, Geometrie, Geschwindigkeit, Antriebsart, Autonomiegrad und maximaler Flughöhe ausgefertigt sein werden, ist es zweckmäßig, eine Kategorisierung der Luftfahrzeuge vorzunehmen und die Entwicklung der CS daran auszurichten. Die Klassiizierung sollte dabei sowohl auf das durch das Fluggerät erzeugte Gefahrenpotential im Sinne von Schadenswahrscheinlichkeit und -ausmaß bei Unfällen als auch auf technologische Unterschiede Rücksicht nehmen. In diesem Lichte betrachtet erscheinen die Parameter der maximalen Startmasse/ -gewicht (als allgemein die Größe und somit grundsätzlich auch das Schadensausmaß determinierendes Merkmal) und des Autonomiegrades (als Attribut zur Unterscheidung der technisch-betrieblichen Komplexität) als sinnvolle Möglichkeiten. Die Diferenzierung in Gewichtsklassen muss mit Rücksicht auf die weitere Entwicklung der unbemannten Luftfahrt erfolgen und sollte im Sinne der Durchführbarkeit fünf Kategorien nicht übersteigen. Zur Einteilung in Gruppen bzgl. des Automatisierungsgrades sollten neben den offensichtlichen Optionen der ferngeführten (RPAS) und bordautonomen (UAS) Flugdurchführung auch Hybride berücksichtigt werden. Diese bilden einerseits Zwischenschritte in der Entwicklung und andererseits grundsätzlich nutzbare Betriebskonzepte ab. Die möglichen Mischformen sind: teilweise ferngesteuerte/ teilweise autonom-steuernde UAS, teilweise ferngesteuerte/ teilweise bordgesteuerte UAS sowie teilweise autonom steuernde/ teilweise bordgesteuerte UAS. Letztere beiden Optionen, welche einen Piloten an Bord mit zeitweiser Flugdurchführungskompetenz (z. B. in den Flugphasen Start und Landung) erfordern, stellen keine unbemannten Luftfahrzeuge im Wortsinne dar und sind als Entwicklungsschritt hin zu tatsächlich pilotenlosen Fluggeräten zu sehen. Im Kategorisierungskontext angesprochene verschiedene Komplexitäts- und Gefährdungsgrade werden in der von der EASA anvisierten inkrementellen Luftraumintegration die auf einander aubauenden Zulassungsstufen darstellen. Beabsichtigt ist eine schrittweise Zulassung von unbemannten Luftfahrzeugen, wobei initial die Nutzung kleiner, ferngesteuerter und somit wenig komplexer und gefährdender Applikationen legitimiert wird. Aus jenem Betrieb sollen Erkenntnisse gewonnen werden, die die Entwicklung der Zulassungsbasis von komplexeren und größeren UAS, und somit deren daraufolgende Zertiizierung und Luftraumintegration, ermöglichen. Parallel sind intensive Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen notwendig, die sodann zur Erstellung von UASbezogenen Zulassungsspeziikationen beitragen, um der EASA-Forderung nach einer Musterzulassung nach Vorbild der herkömmlichen Luftfahrt Genüge tragen zu können. Für eine inkrementelle RPAS Integration ergibt sich hieraus ein wahrscheinlicher Ablauf nach Bild 1. ■ 1 K. Dalamagkidis, On integrating unmanned aircraft systems into the National Airspace System, 2 Hrsg., Dordrecht, Heidelberg, London, New York: Springer Verlag, 2011. 2 Emanuel Quentin, „Analyse der Zulassungsproblematik von Unmanned Aircraft für den zivilen Luftverkehr“, Studienarbeit TU Dresden, 2014 hartmut Fricke, Prof. Dr.-Ing. Dekan der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des BMVI, Technische Universität Dresden fricke@ifl.tu-dresden.de Johannes Mund, Dipl.-Ing., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Technologie und Logistik des Luftverkehr, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, Technische Universität Dresden Teil 1: Zulassung von Straßenfahrzeugen hermann Winner, Prof. Dr. rer. nat., TU Darmstadt Teil 3: Zulassung von Schienenfahrzeugen, handlungsoptionen der-Politik Jürgen Siegmann, Prof. Dr.-Ing. habil., TU Berlin Bild 1: Wahrscheinlicher Ablauf einer inkrementellen RPAS Integration, die möglichen Klassiizierungsklassen in Klammern sind: A - E = zunehmender Automatisierungsgrad, 1 - 6 = zunehmende maximale Startmasse Quelle: Emanuel Quentin² NEU Ihr Fahrplan für Rechtsfragen im ÖPNV Gesetze und Kommentar zum ÖPNV-Recht plus online-Zugang zu gerichtlichen Leitentscheidungen Das Praxishandbuch „Recht des ÖPNV“ liefert Ihnen: ▪ Ausführliche Erläuterungen und Kommentierungen aller relevanten Vorschriften des ö entlichen Personenverkehrsrechts ▪ Anwendungsbeispiele aus der Praxis ▪ eine verlässliche Grundlage für die erfolgreiche Bearbeitung rechtlicher Fragestellungen im Personenverkehr Recht des ÖPNV, Praxishandbuch, Hubertus Baumeister (Hrsg.), 1. Auflage 2013, Band 1 Gesetze 660 Seiten, Band 2 Kommentar 854 Seiten, gebunden, EUR 189,- inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten Weitere Infos, Leseprobe und Bestellung: www.eurailpress.de/ oepnvrecht | Telefon: (040) 23714-440 Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 76 TECHNOLOGIE Spurweiten Automatische Spurwechseltechnologie im eurasischen Schienengüterverkehr Ein Motor und Katalysator für wirtschaftliche Integration? Im eurasischen Schienenverkehr stellt die Überwindung unterschiedlicher Spurweiten eine besondere Herausforderung dar. Traditionelle Methoden zur Überbrückung dieser Systemgrenzen sind mit kosten- und zeitintensiven Prozessen verbunden. Die vorliegende Studie analysiert die Tauglichkeit automatischer Spurwechseltechnologie zur Adressierung dieses Problems. Die Autoren: Sebastian Kummer, Hans-Joachim Schramm, Mario Dobrovnik, Gennady Pisarevskiy D ie Möglichkeit zur Verlechtung des EU-Raumes mit osteuropäischen und asiatischen Staaten kann als wesentliche Determinante für wirtschaftlichen Erfolg verstanden werden. Efektiv und eizient ausgestaltete Verkehrs- und Logistiksysteme stellen in diesem Zusammenhang eine wichtige Voraussetzung zur Erreichung wirtschaftspolitischer Ziele dar [1]. Das nur unzureichend integrierte Schienenwegenetzwerk kann hierbei aufgrund seiner inhärenten Interoperabilitätsprobleme jedoch als neuralgische Komponente klassiiziert werden [2]. Insbesondere die Überwindung unterschiedlicher Spurweiten stellt ein großes Problem für die Durchführung eurasischer Schienenverkehre dar. Grundsätzlich stehen mehrere Alternativen zur Überbrückung unterschiedlicher Spurweiten zur Verfügung. Eine Möglichkeit ist, die Güter am Grenzbahnhof in einen systemspeziischen Zug umzuladen. Alternativ können die Drehgestelle der eingesetzten Waggons an der Grenze ausgetauscht werden. Beide Vorgehensweisen korrespondieren in der Regel jedoch mit langen Aufenthaltsbzw. Prozesszeiten und verlangen außerdem, dass am Grenzbahnhof entweder entsprechendes Rollmaterial oder eine ausreichende Anzahl systemspeziischer Drehgestelle bereitgestellt werden können. Beim Einsatz automatischer Spurwechseltechnologie (ASWT) werden Waggons und wahlweise auch Lokomotiven mit speziellen Drehgestellen ausgestattet, die auf Schienennetzen mit unterschiedlichen Spurweiten (z. B. Normalspur und Breitspur) eingesetzt werden können. An der Schnittstelle wird eine ortsfeste Umspuranlage installiert, welche die Drehgestelle des Rollmaterials bei der Überfahrt automatisch an die Spurweite des Zielsystems anpasst [3]. Gegenstand einer vom Institut für Transportwirtschaft und Logistik (WU Wien) und dem Forschungsinstitut der Russischen Eisenbahn (VNIIZhT) im Auftrag des Internationalen Eisenbahnverbands (UIC) und der Organisation für die Zusammenarbeit der Eisenbahnen (OSShD) durchgeführten Studie war die Evaluierung des Einsatzes von ASWT im eurasischen Schienengüterverkehr. Im Rahmen der Untersuchung wurden sowohl eine betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen Analyse [4] als auch eine Marktstudie [5] durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse sind nachstehend dargestellt. Analyse eurasischer Güterströme und Marktentwicklung Das Marktpotential innovativer Spurwechseltechnologien hängt wesentlich von der Nachfrage nach grenzüberschreitenden Transporten ab. Eine Analyse der Güterströme zeigt, dass im Jahr 2012 über 50 Mio. Tonnen von Breitspurstaaten in Länder mit Normalspursystemen transportiert wurden (Bild 1), während in die Gegenrichtung nur ca. 5 Mio. t (Bild 2) befördert wurden. Diese, auch in der durchschnittlichen Auslastung der Waggons pro Fahrtrichtung widergespiegelte (Tabellen 1 und 2), Unpaarigkeit ist problematisch, da sie einen eizienten Einsatz spurwechselfähigen Rollmaterials hemmt bzw. Leerfahren und Repositionierungsverkehre erforderlich macht. 0 10.000.000 20.000.000 30.000.000 40.000.000 50.000.000 60.000.000 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Tonnen (t) Russische Föderation Ukraine Weißrussland andere 0 1.000.000 2.000.000 3.000.000 4.000.000 5.000.000 6.000.000 7.000.000 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Tonnen (t) Russische Föderation Ukraine Weißrussland andere Bild 1: Internationaler Schienengüterverkehr von 1520 (1524) nach 1435 mm in t klassifiziert nach Verkehrsquellen Bild 2: Internationaler Schienengüterverkehr von 1435 nach 1520 (1524) mm in t klassifiziert nach Verkehrssenken Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 77 Spurweiten Technologie Auf Basis der Auswertung von Experteninterviews kann außerdem festgestellt werden, dass die Branche kurzbis mittelfristig von einer Zunahme des Verkehrsaukommens im eurasischen Schienengüterverkehr ausgeht, wobei sich die Einschätzungen von Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), Speditionen und Logistikdienstleistern weitgehend decken (Tabelle 3). Eine weiterführende Analyse ausgewählter Güterklassen (Tabelle 4) zeigt überdies, dass eine überproportionale Zunahme von Containerverkehren angenommen und für Kohletransporte und Metalle ein schwächeres Wachstum vorhergesagt wird. Im Bereich der Chemieprodukte und Düngemittel- gehen Branchenexperten von einer- überdurchschnittlichen Preissteigerung aus. Kosten- und nutzenaspekte automatischer Spurwechseltechnologie Ob ökonomisches Potential im Einsatz von ASWT bei den prognostizierten Güterströmen vorhanden ist, wird durch eine Gegenüberstellung des erwarteten Nutzens mit den korrespondierenden Kosten determiniert. Aus Perspektive der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) stellen bei ortsfesten Umspuranlagen einmalige Investitionskosten, laufende Betriebskosten und Instandhaltungskosten die relevanten Kostengrößen dar. Der Nutzen ergibt sich für Anlagenbetreiber aus den eingehobenen Benutzungsentgelten. Die Anzahl der zur Erreichung der Kostendeckung erforderlichen, bezahlten Überfahrten kann gemäß Gleichung (1) berechnet werden. Ausgehend von einer Kapitalrendite zwischen 2,5 % und 15,0 %, einer Amortisationszeit der Anlage von zehn bis 35 Jahren sowie einer Nutzungsgebühr pro Waggondurchlauf zwischen EUR 1,- und EUR 25,- amortisiert sich die Spurwechselanlage bei einer Anzahl zwischen 319 und 214 252 Waggonabfertigungen pro Jahr. Wie viele Überfahrten erforderlich sind, um die Rentabilität der Anlage zu gewährleisten, hängt dabei in hohem Maße von den Systemkosten ab, die in Abhängigkeit zur eingesetzten Technologie stehen (Modell A und Modell B in Tabelle- 5 charakterisieren ASWT mit unterschiedlichem Automatisierungsgrad). Bei einer Kapitalrendite von 7 %, einer Amortisationszeit von 30 Jahren und einer Nutzungsgebühr von EUR 1,pro Durchlauf ergibt dies pro Jahr 13 588 Überfahrten für güterklasse Prognose Verkehrsaufkommen (2012 = 100) Prognose Transportpreise (2012 = 100) 2015 2020 2025 2015 2020 2025 Containerverkehre 120 (4,3) 130 (4,5) 139 (4,6) 116 (2,5) 123 (2,7) 137 (3,0) Mineralölprodukte 109 (2,8) 117 (3,1) 129 (3,3) 111 (1,8) 120 (2,0) 127 (2,1) Metalle 101 (3,7) 104 (3,7) 106 (3,8) 108 (2,5) 114 (2,9) 121 (3,3) Kohle 105 (1,5) 108 (1,4) 112 (1,3) 109 (1,4) 117 (1,7) 123 (1,7) Chemieprodukte und Düngemittel 110 (2,8) 115 (3,1) 122 (3,5) 116 (1,3) 140 (1,8) 175 (2,0) Tabelle 4: Erwartete Entwicklung des Transportaufkommens und der Transportpreise klassiiziert nach ausgewählten Güterklassen in %, Basisjahr 2012 = 100, Standardabweichung in Klammern Technologie der Spurwechselanlage Anschafungsinvestition (eUR) instandhaltung pro Jahr (eUR) 7 % Zinssatz 30 Jahre Amortisationszeit eUR 1,-/ Überfahrt 2,5 % Zinssatz 35 Jahre Amortisationszeit eUR 25,-/ Überfahrt Modell A 150.000,- 1.500,- 13.588 Überfahrten 319 Überfahrten Modell B 1.000.000,- 15.000,- 95.586 Überfahrten 2.328 Überfahrten Tabelle 5: Modellspeziische Kosten und erforderliche Überfahrten pro Jahr zur Kostendeckung der Spurwechselanalage Investitionskosten Barwertfaktor + Betriebskosten und Instandhaltungskosten pro Jahr Anzahl der Waggondurchläufe pro Jahr = Entgelt pro Überfahrt Gleichung (1) Verkehrsquelle 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Russ. Föderation 63,6 63,3 63,9 65,3 52,8 52,1 56,6 63,5 62,9 Ukraine 51,0 52,0 52,4 53,2 53,9 55,7 54,6 52,0 54,4 Weißrussland - 63,3 63,9 65,3 52,8 52,1 56,6 63,5 62,9 sonstige 61,1 59,3 60,3 64,0 51,9 52,0 56,4 60,8 19,3 Summe 56,4 57,6 58,4 60,2 53,0 53,4 55,7 57,8 40,0 Tabelle 1: Durchschnittliche Waggonauslastung in t von 1520 (1524) nach 1435 mm klassiiziert nach Verkehrsquellen Verkehrssenke 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Russ. Föderation 44,4 46,4 46,1 42,9 33,7 30,8 26,9 25,6 25,0 Ukraine 25,2 25,8 26,8 24,2 29,8 35,9 38,9 40,3 42,0 Weißrussland - 46,4 46,1 42,9 33,7 30,8 26,9 25,6 25,0 sonstige 44,8 46,7 46,7 43,7 34,3 31,2 27,0 25,7 25,1 Summe 35,0 35,8 35,1 32,4 32,1 32,3 29,9 28,9 29,0 Tabelle 2: Durchschnittliche Waggonauslastung in t von 1435 nach 1520 (1524) mm klassiiziert nach Verkehrssenken Unternehmen Prognose Verkehrsaufkommen Prognose Transportpreise 2015 2020 2025 2015 2020 2025 EVU und sonstige 109,15 (12,20) 116,02 (16,65) 123,72 (27,14) 111,57 (9,80) 119,17 (11,14) 129,43 (21,54) Speditionen und Logistikdienstleister 113,15 (13,35) 116,28 (10,90) 118,22 (13,05) 111,93 (12,34) 122,56 (23,19) 130,27 (24,98) Tabelle 3: Erwartete Entwicklung des Transportaufkommens und der Transportpreise in %, Basisjahr 2012 = 100, Standardabweichung in Klammern Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 78 TECHNOLOGIE Spurweiten Modell A und 95 586 für Modell B. 95 586 abgefertigte Güterwaggons entsprechen einer täglichen Durchlaufquote von 10,5 Zügen mit jeweils 25 Waggons. Ein kalkulatorischer Zinssatz von 2,5 %, eine Amortisationszeit von 35 Jahren und eine Gebühr von EUR 25,- pro Durchlauf resultieren bei Option A in 319 Waggons jährlich bzw. ca.-6-Waggons wöchentlich und im Fall von Option B in 2328 Waggons jährlich bzw. ca. 45 Waggons wöchentlich. Die Ergebnisse sind in Tabelle 5 dargestellt. In der betrieblichen Praxis ist es sinnvoll, die Gebühr pro Waggonabfertigung zu diferenzieren und an jenem Mehrbetrag auszurichten, den man einem Transport unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Alternativtechnologien anlasten kann. Wenn die Spurwechselanlage beispielsweise für Containertransporte attraktiv sein soll, könnte man eine Gebühr von EUR 1,- pro Waggondurchlauf ansetzen. Hingegen kann man für Transporte mit einem größeren Einsparungspotential, beispielsweise Chemietransporte, zwischen EUR 8,- und EUR 10,- pro Waggondurchlauf einheben. Zahlungsbereitschaft der Kunden Eine weitere, wesentliche Voraussetzung für den ökonomischen Einsatz von ASWT sind die Abbildbarkeit des dadurch für Kunden entstehenden Zusatznutzens und die entsprechende Bereitschaft, einen erhöhten Transportpreis zu akzeptieren. Zu diesem Zwecke wurde auf Basis von fragebogengestützten, persönlichen Interviews die Zahlungsbereitschaft der Kunden mittels einer Conjoint-Analyse erhoben. Befragt wurden EVU, Spediteure und Logistikdienstleister, die Verkehre entlang der Normal-/ Breitspurgrenze anbieten. Der Nutzen des Transportpreises (der Dauer) bei Einsatz von ASWT wurde dabei als Funktion in Abhängigkeit der prozentuellen Änderung der bestehenden Transportpreise (Dauer) auf Basis von Teilnutzenwerten modelliert. Die Ergebnisse sind in Tabelle 6 dargestellt. Alle Resultate sind signiikant ( α = 5 %) und weisen auf eine hinreichend hohe Modellgüte (korrigiertes R 2 ) hin. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass sowohl Preissteigerungen von mehr als 10 % (da x 1 > 1,100) als auch Zeiteinsparungen unter 15 % (da x 2 > 0,8534) gegenüber den bestehenden Werten unter Einsatz traditioneller Methoden des Spurwechsels in negativem Nutzen resultieren. Ein Vergleich mit Studienergebnissen der TU Dresden aus dem Jahr 2002 [3] zeigt außerdem, dass sich die Zahlungsbereitschaft für eine kürzere Gesamttransportdauer in den letzten zehn Jahren nur unwesentlich verändert hat. Modellhafte Umsetzung auf Basis konkreter Anwendungsfälle Da aus Sicht eines EVU jeder Verkehr speziische Merkmale aufweist und eine aggregierte Transportfallbewertung daher nur bedingt sinnvoll ist, wurde zur betriebswirtschaftlichen Evaluierung individueller Transporte ein Kalkulationstool entwickelt. Es erlaubt, die Tauglichkeit von ASWT transportfallbezogen durch einen Vergleich mit traditionellen Methoden des Spurwechsels zu überprüfen. Die Berechnung erfolgt pro Zug und berücksichtigt neben der Verkehrsart (Verkehrsweite, Anzahl der Umläufe) die Charakteristika der Güter (Volumen, Wert, Gewicht, Gefahrenpotential), die Kosten der eingesetzten Waggons, Umschlagskosten am Grenzpunkt, die Auswirkung von Prozesszeiteinsparungen auf Kapitalbindung und Mietkosten, Energiekosten sowie unternehmensspeziische Parameter. Eine Analyse von, mit EVU abgestimmten, Fallstudien zeigt, dass es Transporte gibt, bei denen die Rentabilitätsschwelle auch bei höheren Waggonkosten oder einer längeren Beförderungszeit erreicht wird (Bild 3). Das gilt insbesondere für Verkehre mit hohem Einsparpotential. Beispielsweise für Güter mit signiikantem Beschädigungsrisiko beim Umschlag sowie für Güter mit hohen Umschlagskosten je Tonne, z. B. umweltschädliche Chemikalien. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, die Umla- -4.000.000,00 -2.000.000,00 - 2.000.000,00 4.000.000,00 6.000.000,00 8.000.000,00 10.000.000,00 1,75 1,40 1,15 1,00 0,87 0,77 0,69 0,63 0,58 0,54 Barwert in EUR Umläufe pro Woche Waggon X (7%, 20 Jahre) Waggon X (10%, 20 Jahre) Waggon X (15%, 20 Jahre) Waggon Y (7%, 20 Jahre) Waggon Y (10%, 20 Jahre) Kalkulationszinssatz 7 % / 10 % / 15 % Umschlagskosten traditionell: EUR 7,pro t Entgelt Spurwechselanlage: EUR 1,- / Waggon Waggon X: Umrüstkosten EUR 49.670,- / Waggon, Zusatzgewicht: 2.190 kg / Waggon Waggon Y: Umrüstkosten EUR 90.300,- / Waggon, Zusatzgewicht: 4.000 kg / Waggon Betrachtungszeitraum: 20 Jahre Waggon Y (15%, 20 Jahre) -4.000.000,00 -3.000.000,00 -2.000.000,00 -1.000.000,00 - 1.000.000,00 2.000.000,00 3.000.000,00 1,75 1,40 1,15 1,00 0,87 0,77 0,69 0,63 0,58 0,54 Barwert in EUR Umläufe pro Woche Waggon X (7%, 20 Jahre) Waggon X (10%, 20 Jahre) Waggon X (15%, 20 Jahre) Waggon Y (7%, 20 Jahre) Waggon Y (10%, 20 Jahre) Waggon Y (15%, 20 Jahre) Kalkulationszinssatz 7 % / 10 % / 15 % Umschlagskosten traditionell: EUR 30,- (15,-) für beladene (leere) Container Entgelt Spurwechselanlage: EUR 1,- / Waggon Waggon X: Umrüstkosten EUR 49.670,- / Waggon, Zusatzgewicht: 2.190 kg / Waggon Waggon Y: Umrüstkosten EUR 90.300,- / Waggon, Zusatzgewicht: 4.000 kg / Waggon Betrachtungszeitraum: 20 Jahre Nutzenfunktion des Transportpreises Korrigiertes R² Nicht positiv für Teilnutzen y 1 = 21,546 - 19,588 x 1 0,6905 x 1 > 1,1000 Nutzenfunktion der Dauer des-Transportes Korrigiertes R² Nicht positiv für Teilnutzen y 2 = 9,159 - 10,734 x 2 0,3895 x 2 > 0,8534 Tabelle 6: Schätzung der Nutzenfunktionen für Transportpreise und Transportdauer Bild 3: Wirtschaftlichkeitsberechnung für Kohlezug mit 25 Waggons Bild 4: Wirtschaftlichkeitsberechnung für Containerzug mit 25 Waggons Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 79 Spurweiten TECHNOLOGIE dung- oder den Wechsel von Drehgestellen, die vergleichsweise kostenintensive Methoden zur Überwindung unterschiedlicher- Spurweiten darstellen, durch ASWT abzulösen. Containerverkehre kennzeichnen das andere Ende des Wirtschaftlichkeitsspektrums. Eine Substitution des Containerumschlags durch ASWT ist nur dann ökonomisch sinnvoll, wenn dadurch die Transportlogistik perfektioniert und die Umlaufzeiten verkürzt werden können (Bild 4). Diese Lösung könnte sich primär für hochwertige Waren bzw. Eilgüter sowie für Züge über kurze und mittlere Entfernungen mit häuiger Grenzüberschreitung anbieten (Bild 5). Ein besonderer Vorteil von ASWT ist außerdem, dass Mischzüge, die Container, Schüttgut, Flüssigkeiten und sogar Reisende befördern, eizient auf der gleichen Anlage abgefertigt werden können. Traditionelle Systeme erfordern hingegen in der Regel hochspezialisierte Umschlagsgeräte für jeden einzelnen Wagentyp, was den Einsatz von Zügen mit heterogenem Rollmaterial im Allgemeinen komplexer und teurer macht. Zusammenfassende Interpretation und Ausblick Insgesamt kann konstatiert werden, dass ASWT im eurasischen Güterverkehr für ausgewählte Transporte wirtschaftlich eingesetzt und der für Kunden entstehende Zusatznutzen in einem höheren Preisniveau relektiert werden kann. Für EVU anfallende Zusatzkosten müssen in erster Linie durch jene Einsparungen inanziert werden, die sich durch den Verzicht auf traditionelle Methoden zur Überwindung der Systemgrenzen ergeben, im Wesentlichen also durch die Einsparungen-beim Güterumschlag und den Waggonmieten. ASWT macht Schienenverkehr insgesamt vor allem dadurch attraktiver, dass sie • das Schadensrisiko durch einen Wegfall von Umschlagsvorgängen verringert, • Kosten für Gleisbelegung und den Umschlag reduziert und • Kosten für die Doppelvorhaltung von Rollmaterial bei Umladung bzw. von Radsätzen beim Wechsel von Drehgestellen senkt. Trotz der darstellbaren Vorteile kann allerdings nicht unmittelbar geschlussfolgert werden, dass kurzfristig alle potentiellen Grenzübergangspunkte mit ASWT ausgerüstet werden können. Dagegen sprechen beispielsweise sowohl die Notwendigkeit der Amortisation bereits vorhandener Anlagen zur Spurweitenüberwindung als auch bestehende Nutzungsverträge. Möglich wäre in einem ersten Schritt beispielsweise ein Einsatz an aukommensstarken Grenzbahnhöfen, beispielsweise in Tschop oder Brest. Überdies muss einbezogen werden, dass Investitionen in Terminalinfrastruktur und -suprastruktur sowie in Rollmaterial einen neuralgischen Punkt kennzeichnen. Der automatische Spurwechsel benötigt sowohl Infrastruktur als auch Waggons. Terminalbetreiber investieren allerdings nicht in die neue Technik, sofern es keine entsprechenden Waggons gibt und die Investition ihre Geschäftstätigkeit gefährden könnte. EVU bzw. Waggoneigentümer können nicht in spurwechselfähige Waggons investieren, solange es keine entsprechende Infrastruktur gibt. ASWT dient dazu, die Schnittstellen zwischen Schienennetzen mit unterschiedlichen Spurweiten zu überwinden. Im Vergleich zu traditionellen Methoden ist diese Technik besser an Veränderungen der Verkehrsströme anpassbar und langfristig gesehen auch wirtschaftlicher. Politische Maßnahmen zur Verkürzung der Beförderungszeiten würden gleichzeitig auch ASWT fördern. Dazu gehören Infrastrukturausbau und -modernisierung, die Beseitigung gesetzlicher Hindernisse, eine Vereinfachung von Zollformalitäten sowie die Bereitstellung von an die Anforderungen der Verkehrsunternehmen angepassten administrativen Kapazitäten für die Grenzabfertigung [4]. Abschließend kann außerdem festgehalten werden, dass der automatische Spurwechsel auf Basis der Studienergebnisse nicht nur im Güterverkehr eine taugliche Lösungsalternative darstellt, sondern im Hinblick auf eine weitere Integration der GUS- und EU-Länder auch aus politischer und volkswirtschaftlicher Sicht wünschenswert ist. ■ LITERATUR [1] Limao, N., Venables, A. J. (2001): Infrastructure, Geographical Disadvantage, Transport Costs, and Trade, in: The World Bank Economic Review, 15. Jg., Nr. 3, S. 451-479. [2] Walker, W. E., Baarse, G., van Velzen, A. und Järvi, T. (2009): Assessing the Variation in Rail Interoperability in 11 European Countries, and Barriers to its Improvement, in: European Journal of Transport and Infrastructure Research, 9. Jg., Nr. 1, S. 4-30. [3] Hofmann, K. B., Schramm, H.-J. und Kummer, S. (2002): Wirtschaftlichkeitsuntersuchung über den Einsatz von Systemen zum automatischen Spurwechsel von Eisenbahngüterwagen im „Ost-West- Verkehr“ am Beispiel des PAN-Korridors I: LOGCHAIN-Projekt E! 2353, Dresden. [4] Kummer, S., Dobrovnik, M. und Pisarevskiy, G. (2014): Automatic Gauge Changing Technology: Economic Viability Assessment of Gauge Changeover Technologies Performed under the Contract No 13.003/ 13.007 within the Framework of the Joint Working Group UIC / OSJD, Wien / Moskau. [5] Kummer, S., Schramm, H.-J., Pisarevskiy, G. und Vega, S. (2014): Automatic Gauge Changing Technology: Market Research Report on the Work Performed under the Contract No 13.009/ 13.006 within the Framework of the Joint Working Group UIC / OSJD, Wien / Moskau. Hans-Joachim Schramm, Dipl.-Vw. Dr. Assistenzprofessor am Institut für Transportwirtschaft und Logistik (WU Wien) hans-joachim.schramm@wu.ac.at Mario Dobrovnik, Mag. M.Sc. Universitätsassistent am Institut für Transportwirtschaft und Logistik (WU Wien) mario.dobrovnik@wu.ac.at Sebastian Kummer, Univ.-Prof. Dr. Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik (WU Wien) sebastian.kummer@wu.ac.at Gennady Pisarevskiy, Ph.D. Laborleiter am Forschungsinstitut der Russischen Eisenbahn (VNIIZhT) gepstar@rambler.ru Bild 5: Achshalter eines Transfesa- Güterwagens. Zum schnelleren Transport von Südfrüchten beschafte das spanische Transport- und Logistikunternehmen ab 1949 manuell umspurbare Kühlwagen für iberische Breitspur und Normalspur. Foto: Falk2/ Wikipedia Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 80 TECHNOLOGIE Wissenschaft Bestimmung der Durchschnittsgeschwindigkeit eines Verkehrsstroms Betrachtung und Bewertung von Ausreißern zur-Mittelwertberechnung von (univariaten) statistischen Daten zur Bestimmung der mittleren Geschwindigkeit auf Straßen. Eine der wichtigen Parameter einer Straße ist neben der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei näherer Betrachtung die Durchschnittsgeschwindigkeit des Verkehrsstroms in Abhängigkeit der Tageszeit bzw. des Wochentages. Da sich die Geschwindigkeiten der Verkehrsteilnehmer innerhalb des Stroms teils stark unterscheiden, muss eine „korrekte“ Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt werden. Die Autoren: Laura Vetter, Carsten Hilgenfeld, Ute Schreiber I m Rahmen einer Bachelor-Thesis am Bereich Seefahrt der Hochschule Wismar in Warnemünde wurde die folgende Aufgabenstellung bearbeitet: Für eine exemplarische Landstraße wurden für einen Zeitraum von 24 Stunden Geschwindigkeiten der Verkehrsteilnehmer in eine Fahrtrichtung erzeugt. Diese Punktwolke aus 1000 Messwerten (vgl. Bild 1) wurde nun zur Bestimmung „der“ Durchschnittsgeschwindigkeit untersucht. Es gibt eine Vielzahl bekannter Mittelwerte, die für solch eine Aufgabenstellung eine Lösung bieten. Von den Potenzmethoden wie dem arithmetischen und geometrischen Mittel, den gewogenen bzw. gewichteten Mitteln, dem Median oder Modalwert bis zum α -getrimmten und α -winsorisierten Mittel haben alle ihre Berechtigung und spezielle Aufgaben in der statistischen Untersuchung. Die bekanntesten und am häuigsten verwendeten Methoden sind der Median, der Modalwert und das arithmetische Mittel. Modalwert, Median und arithmetisches Mittel Der Modalwert oder auch Modus ist der Wert mit der größten Häuigkeit in der Datenmenge. Er zeigt also nicht unbedingt den Durchschnitt. Eine Nominalskala ist für den Modalwert ausreichend. Das bedeutet, dass die Ausprägungen (Daten) durch eine Beschreibung des Merkmals und nicht ausschließlich durch einen Zahlenwert charakterisiert sein müssen. Die Merkmalsausprägungen werden in Klassen eingeteilt und können z. B. eine Farbe oder das Geschlecht darstellen. So kann der Modus Mittelwerte von Aufgaben- und Anwendungsbereichen abdecken, die von anderen Mittelwertberechnungen nicht betrachtet werden können. Für den Median wird dagegen eine Ordinalskala vorausgesetzt. Ordinalskalen basieren auf Daten qualitativer (z. B. Fahrverhalten) oder quantitativer (Zahlenwert) Ausprägungen, die im Zusammenhang mit einer Rangordnung bzw. Rangfolge bestehen. Der Median ist demnach jener Wert, welcher in einer geordneten Reihe genau in der Mitte liegt. D. h. oberhalb wie unterhalb von ihm beindet sich eine gleichgroße Anzahl von Beobachtungen. Da sich bei qualitativen Merkmalen keine Aussage darüber machen lässt, wie weit die einzelnen Daten auseinander liegen, kann mit dem Median nur der mittlere Wert, nicht aber ein Durchschnittswert errechnet werden. Ist jedoch eine Zahlenreihe symmetrisch verteilt, ist der Median gleich dem Durchschnittswert. Das arithmetische Mittel ist die bekannteste und am häuigsten genutzte Mittelwertdeinition. Es kann nur bei quantitativen Werten angewendet werden. Da bei dieser Methode im Gegensatz zum Median nicht nur der Rang, sondern auch der Abstand zwischen den Werten gemessen werden kann (Intervallskala), bezeichnet es den statistischen Durchschnittswert aller Beobachtungen. Berechnet wird das arithmetische Mittel, indem alle Werte addiert und anschließend durch ihre Anzahl geteilt werden. Ausreißer Mit den drei beschriebenen Berechnungsmethoden lassen sich jegliche Mittel- und Durchschnittswerte bestimmen. Das Problem bei arithmetischen Mittelwerten veranschaulicht folgendes Beispiel: Was passiert, wenn Bill Gates eine Bar betritt, in der sich 50 Gäste befinden? - Das „durchschnittliche“ Privatvermögen aller Anwesenden klettert auf mehr als eine Milliarde US-Dollar! Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 81 Wissenschaft TECHNOLOGIE Der Aussagegehalt des Ergebnisses muss durch die sehr starke Verzerrung in Frage gestellt werden. Wie in diesem Beispiel Bill Gates treten bei statistischen Analysen häuig Werte auf, die von der Gesamtheit der übrigen Daten abzuweichen scheinen und sich oft nicht erklären lassen. Diesen außenliegenden Werten, auch Ausreißer genannt, muss bei der Analyse empirischer Daten grundsätzlich eine besondere Aufmerksamkeit zukommen. Denn werden solche (verzerrten) Analyseergebnisse falsch interpretiert, können sie Anlass zu falschen Hypothesen geben. Relektieren die Ausreißer keine Verunreinigung, sondern eher die breite Variabilität der Daten (Bill Gates), kann die Beschäftigung mit Ausreißern zu wichtigen neuen Erkenntnissen führen. Dabei ist eine Unterscheidung zwischen Ausreißern und Irrläufern (contaminants) notwendig. Denn anders als Ausreißer sind Irrläufer Werte, die unvereinbar mit dem Rest der Werte sind, da sie aus einer anderen Verteilung oder Grundgesamtheit (G) stammen (sog. „Alien“- Beobachtung). Irrläufer können sich als Ausreißer (vgl. Bild 2, Punkt D) zeigen, oder sich als scheinbar „normaler“ Wert innerhalb der Mehrheit beinden (vgl. Bild 2, Punkt C). Daher lassen sie sich oft nur schwer von den anderen Werten abgrenzen. Identifikation der Ausreißer Es gibt verschiedene Methoden, um Ausreißer in einem Datensatz aufzuspüren. Dazu zählen die manuelle Durchsicht des gesamten Datensatzes, die graische (optische) und die rechnerische Identiizierung. Die Mehrheit der Methoden zur Ausreißeridentiizierung beschränkt sich auf Ausreißer, die als Extremwerte sichtbar werden. Die Methoden oder Techniken sind dabei relativ und hängen von der Datenreihe und Analysezweck ab [1]. Grundsätzlich lassen sich Ausreißer deutlicher durch graische Darstellungen sichtbar machen als durch numerische Daten. Da es sich bei der graischen Identiizierung allerdings um eine optische, also subjektive Beurteilung des Beobachters handelt, ist die rechnerische vorzuziehen [2]. Bei der rechnerischen Identiizierung dient ein Grenzwert der Identiizierung. Ein überschreitender Wert wird als Ausreißer deiniert. Geeignete Grenzwerte und Verfahren sind: • 3-Standardabweichung - Ausreißer sind alle Beobachtungen, die sich außerhalb von 3-Standardabweichungen zum Mittelwert (arithmetisches Mittel) beinden (vgl. Bild 3). • Abweichungsfaktor - Alle Werte mit einem Abweichungsfaktor > 2 gelten als stark abweichende Werte. Werte > 4 können als Ausreißer bestimmt werden. Abweichungsfaktor (AF) = = Diferenz zum Median Mittlere Absolute Abweichung (1) • Ausreißeridentifizierungs-Tests - Sie sind speziell zur Identiizierung entwickelte Tests. Um Unregelmäßigkeiten und Abweichungen in einer geordneten Datenreihe aufzuspüren, wird das Verhältnis der Einzelwerte zu ihrer Gesamtheit berechnet. Zusätzlich werden die Berechnungen nach der Verteilungsart der Datenreihe unterschieden. Zur Wahl der geeigneten Methode lässt sich vereinfacht sagen: Die 3-Standardabweichung-Methode hat sich in der Praxis durchgesetzt und bewährt. Der Abweichungsfaktor ist für spätere Berechnungen (bei späterer Gewichtung) von Bedeutung. Ist dagegen die Verteilungsart der Datenreihe bekannt, sind die speziellen Ausreißeridentiizierungstests am genauesten. Bild 2: Irrläufer Eigene Darstellung nach [2] Bild 1: Datengrundlage, mit Messpunkten und Verteilung Quelle: Eigene Darstellung (Matlab) Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 82 TECHNOLOGIE Wissenschaft Ausreißerbetrachtung Ist ein Ausreißer identiiziert, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit ihm. Grundsätzlich lautet das Zauberwort bei der Behandlung von natürlichen Ausreißern „Plausibilität“: Ist ein Wert nicht plausibel, sollte er aus dem Datenmaterial gestrichen werden. Ist er es doch, ist zu empfehlen, ihn in vollem Umfang in die weiteren Berechnungen und vor allem bei der Mittelwertbildung eingehen zu lassen [3]. Im Beispiel Bill Gates ist die Verfälschung durch den Ausreißer dermaßen extrem, dass keine vernünftige Aussage über den Durchschnittswert getrofen werden kann. Werden jedoch Ausreißer aus dem Datensatz aussortiert, besteht das Risiko, wichtige Informationen zu verlieren. Gesucht ist daher eine Vorgehensweise, die zwischen einer Variante, die alle Beobachtungen voll einbezieht (gleich gewichtet) und der Eliminierung, welche einer Gewichtung der Ausreißer von Null entspricht, liegt. Soll also ein Ausreißer einen geringeren Einluss auf Analyseergebnisse haben, muss dessen Einluss mittels einer Gewichtung minimiert werden. Dies geschieht durch eine qualitative (Gewichtungsvarianten) und quantitative (Gewichtungsfaktoren) Gewichtung (Bild 4). Gewichtungsvarianten und -faktoren Für den Anwendungsfall der Landstraße sollen keine Werte eliminiert werden, da keine Messfehler vorlagen und es sich um tatsächliche Geschwindigkeiten handelt. Wiederum sollen aber potentielle Ausreißer nicht über Gebühr gewichtet werden, da dies die „korrekte“ Durchschnittsgeschwindigkeit verfälschen würde - beispielsweise könnte ein landwirtschaftliches Nutzfahrzeug im ungebundenen Verkehr unterwegs sein. Die ausschließliche Gewichtung der Ausreißer ist die genaueste und geeignetste Methode aller Gewichtungsvarianten. Nur hier kann sichergestellt werden, dass auch tatsächlich nur Ausreißer und keine weiteren tatsächlichen Werte durch Minimierung an Einluss verlieren. Die Gewichtung eines vorher festgelegten Randbereiches ist bei einer großen Anzahl von Werten dann eine gute Option, wenn die Ausreißer nicht eindeutig oder unbekannt sind. So ist beispielsweise zu empfehlen, alle Werte, die außerhalb von drei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt liegen, zu gewichten. Das umfasst ungefähr 1-2 % aller Messwerte. Für die Belegung mit einem Faktor kann ein einheitlicher Faktor gewählt werden, oder der Faktor richtet sich nach der Entfernung zum Mittelwert (Faktor abgestuft nach Abweichung). Die entfernungsabhängige Gewichtung der Ausreißer ist die aufwendigste, allerdings auch genaueste Variante, da Ausreißer lediglich aufgrund ihrer Lage im Datensatz bewertet werden (Formel 2; die Formel wurde durch die Autorin modiiziert und an die Zielstellung angepasst nach [4]). G = 1 (4 - x) 2 · (AF - x) 2 für 4 < AF < x (2) G - Gewichtungsfaktor AF - Abweichungsfaktor x - Ausreißergrenzwert (gibt den maximalen Abweichungsfaktor des Ausreißers an, bei dem die Gewichtung gegen Null geht) Der Ausreißergrenzwert muss immer höher/ gleich des maximalen Abweichungsfaktors des Datensatzes sein. Es eignet sich somit beispielsweise die nächstgrößere ganze Zahl; dies wäre beispielsweise bei einem Abweichungsfaktor von 5,3 ein x = 6. Bild 5: Vergleich verschiedener Berechnungsmethoden Bild 4: Überblick zur Behandlung von Ausreißern Quelle: Eigene Darstellung Bild 3: Normalverteilung Quelle: Medizinische Fakultät Universität Rostock Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 83 Wissenschaft TECHNOLOGIE Bild 6: Messwertdarstellung mit Ausreißern als Boxplots Rote Punkte = Ausreißer Mittlerer Querstrich = Median Rhombus = errechnete Durchschnittsgeschwindigkeit mit Gewichtung Quelle: Eigene Darstellung (Matlab) Anwendung der Erkenntnisse Wird nun auf Basis der gegeben Daten und der Kenntnisse zum Ausreißer, seiner Identiizierung und Behandlung eine Durchschnittsgeschwindigkeit berechnet und diese mit weiteren bekannten Mittelwertdeinitionen verglichen, lassen sich Diferenzen feststellen. Diese fallen allerdings geringer aus als möglicherweise erwartet (vgl. Bild 5). Ein Unterschied von 1- km/ h im Mittel auf einer Bundesstraße mit erlaubten 100 km/ h ist nahezu vernachlässigbar, insbesondere unter dem Aspekt, dass die geringen Abweichungen innerhalb der Fehlertoleranz der Messgeräte liegen könnten. Bei einer Analyse der Datenverteilung fällt auf, dass die Ausreißer bei einem maximalen Abweichungsfaktor von 6,35 in einer vergleichsweise kleinen Menge (2 %) nach oben und unten relativ gleich verteilt sind. Dies ist erkenntlich in Bild-6 [5]. Das einfache arithmetische Mittel ist unter Umständen ausreichend aussagekräftig. Sind hingegen viele, stark abweichende und ungleichverteilte Ausreißer im Datensatz vorhanden, empiehlt sich die Verwendung der entfernungsbedingten Gewichtung. Weicht allerdings - wie im Bill-Gates-Beispiel (Abweichungsfaktor rund 55) - der Ausreißer sehr extrem von den übrigen Daten ab, sollte darüber nachgedacht werden, ob dieser Wert repräsentativ für den Datensatz ist und nicht gegebenenfalls gestrichen werden sollte. Gewichtetes arithmetisches Mittel: x- gew = 1 ∑ ni = 1 G i ∑ ni = 1 x i G i (3) Fazit Während der Median kaum bis gar nicht von Ausreißern beeinlusst wird, ist das arithmetische Mittel nicht „robust“ gegenüber diesen. Dennoch ist es die Methode, die den sinnvollsten Durchschnittswert liefert. Die Wahl der richtigen Berechnungsmethode ist daher essentiell. Sie hängt von der Anzahl der Werte, der Anzahl der Ausreißer und deren Lage ab. Je geringer die Gesamtanzahl der Daten, desto wichtiger wird die richtige Wahl der Gewichtungsmethode, da einzelne Werte einen stärkeren Einluss auf das Ergebnis haben. Welches Verfahren im tatsächlichen Fall angemessen ist, muss daher zunächst überprüft werden. In der Praxis werden Ausreißer hauptsächlich zu Analysezwecken identiiziert und auf ihre Richtigkeit geprüft. Werte werden je nach - meist subjektiver - Plausibilität gestrichen oder vollständig in Berechnungen einbezogen. Für welche Identiikationsmethode und Mittelwertberechnung man sich letzten Endes entscheidet, hängt immer vom jeweiligen Datensatz und dem konkreten Erkenntnisinteresse bei der Datenauswertung ab. Für die Daten der Landstraße hat sich gezeigt, dass es aufgrund der großen Anzahl an Messdaten kaum Auswirkungen auf die ermittelte Durchschnittsgeschwindigkeit gibt. Auf jeden Fall sollte der Hinweis auf eine natürliche Variabilität dennoch Veranlassung genug sein, Ausreißer generell in die Betrachtung einzubeziehen. Am Beispiel der Verkehrsteilnehmer ist erkenntlich, dass es sich, obwohl die einzelnen Werte teilweise stark voneinander abweichen (Ausreißer-Wert von z. B. 54 oder 143 km/ h), um keine „Alien“-Beobachtung handelt. ■ LITERATUR: [1] Buttler, G.: Ein einfaches Verfahren zur Identiikation von Ausreißern bei multivariaten Daten, Nürnberg, 1996, http: / / www.statistik.wiso.uni-erlangen.de/ forschung/ d0009. pdf.; Zugrif am 18.09.2014. [2] Barnett, V.; Lewis, T.: Outliners in Statistical Data, 3. Aulage, Chichester, John Welly & Sons, 1994, S. 7. [3] Kiechle, A.: Boxplots und Ausreißer Tests, 2004, http: / / www.rosuda.org/ lehre/ WS04/ SeminarPFDs/ Boxplots-Ausreisser.pdf; Zugrif am 04.08.2014. [4] Milchkontrollverband Elbe-Weser e.V: Die Berechnung der bezahlungsrelevanten Mittelwerte (robust gewichteter Mittelwert), Verden http: / / www.milchkontrolle.de/ Binaries/ Binary2141/ Berechnung_des_robusten_Mittel wertes.pdf, Zugrif am 01.07.2014. [5] Krummenauer, F.: Boxplots - die lexible Alternative zum „Antennen-Bildchen“. zzi | Deutschen-Ärzte-Verlag Köln (2007), 23, S. 308-309. Carsten Hilgenfeld, Dipl.-Ing. (FH), M.Sc. Hochschule Wismar, Bereich Seefahrt Wissenschaftlicher Mitarbeiter carsten.hilgenfeld@hs-wismar.de Ute Schreiber, Dr. rer. nat. Hochschule Wismar, Bereich Seefahrt Professur für Angewandte Mathematik/ Informatik und Grundlagen der Elektrotechnik ute.schreiber@hs-wismar.de Laura Vetter, B.Sc. Hochschule Wismar, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Masterstudentin vetter.tal@t-online.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 84 TECHNOLOGIE Wissenschaft Luftreinhaltung - aber wie? Möglichkeiten der Nutzung mikroskopischer Verkehrslusssimulationen für eine A-priori- Bewertung von Verkehrsmanagementansätzen zur-Luftreinhaltung Die Einhaltung von Grenzwerten für Schadstofe ist ein zunehmend wichtiger Bestandteil des Verkehrsmanagements. Eine Auswertung bisheriger Ansätze zeigt jedoch, dass nicht alle Maßnahmen erfolgreich sind. Mikroskopische Verkehrslusssimulationen, die die Bewegung einzelner Fahrzeuge modellieren, erlauben eine feingranulare, nach verschiedenen Verkehrsträgern unterteilbare A-priori-Bewertung solcher Ansätze. Eine hierfür notwendige Grundlage ist die korrekte Abbildung des Emissionsverhaltens von Fahrzeugen. Zudem sind weitere Modelle erforderlich, die z.B. die Änderungen im Mobilitätsverhalten der Teilnehmer vorhersagen können. Im Nachfolgenden werden ein solches Gesamtsystem sowie die sich aus diesem Zusammenspiel ergebenden Möglichkeiten beschrieben. Die Autoren: Daniel Krajzewicz, Thorsten Neumann, Stefan Hausberger, Rita Cyganski D ie durch den Verkehr erzeugte Umweltbelastung mit Schadstofen steht schon seit längerem im Fokus der Öfentlichkeit. Die europäische Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft [1] fordert ein Handeln der politisch Verantwortlichen bei der Überschreitung vorgegebener Grenzwerte. Dementsprechend sucht das Verkehrsmanagement (VM) nach Wegen, den Schadstofausstoß zu reduzieren oder räumlich zu begrenzen, respektive aus bestimmten örtlichen Bereichen herauszuhalten. Hierbei kommt eine große Spanne möglicher Ansätze zum Einsatz, die sich in ihrer zeitlichen und räumlichen Ausdehnung sowie in der Art der Maßnahme stark unterscheiden. Die Bandbreite reicht von der Implementierung neuer ÖPNV-Routen über Verkehrsbeschränkungen und Werbung für den ÖPNV bis hin zur Optimierung einzelner Lichtsignalanlagen oder kooperativen Telematikanwendungen. Damit adressieren die Maßnahmen unterschiedliche Faktoren, die den Verkehrsluss bestimmen. Eine umfangreiche Quelle für Maßnahmen des Verkehrsmanagements zur Luftreinhaltung an Verkehrswegen ist die Datenbankanwendung „MARLIS“ [2], die von der Firma AVISO GmbH im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) erstellt worden ist. Neben anderen Attributen werden die in ihr enthaltenen Maßnahmen durch eine ordinal skalierte Wirkung beschrieben. Es zeigt sich, dass „… für einen großen Teil der Maßnahmen sowohl für NO2 (45 %) als auch für PM10 (43 %) höchstens ein geringes Wirkungspotential erwartet [wird], für weitere 53 % bzw. 56 % liegt die erwartete Wirkungsstufe in der Spannbreite von gering bis hoch“-[3,-Seite 4]. Tatsächlich könnten aber Auswirkungen dieser Maßnahmen auch vorab durch Simulationen bestimmt werden. Auch könnten solche Simulationen die optimale Maßnahme für ein deiniertes Gebiet wählen. Notwendig hierfür ist ein System, welches die durch die Maßnahmen adressierten Faktoren abbildet. Im Nachfolgenden wird ein möglicher Aubau eines solchen Systems umrissen. Mikroskopische Verkehrsflusssimulationen In „mikroskopischen Verkehrslusssimulationen“ werden alle simulierten Verkehrsteilnehmer einzeln modelliert. Dabei wird die Dynamik einzelner Fahrzeuge zumeist über eine Kombination von Modellen zur Geschwindigkeitswahl und zum Spurwechsel bestimmt. Moderne mikroskopische Simulationen können nicht Bild 1: Darstellung der Simulation der Stadt Braunschweig in SUMO; links: Gesamtszenario, rechts: Vergrößerung auf eine einzelne Kreuzung des Szenarios Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 85 Wissenschaft TECHNOLOGIE nur den Individualverkehr, sondern auch den ÖPNV samt Haltestellen und Fahrtzyklen, sowie verschiedene Verkehrsträger wie Fußgänger, Fahrräder oder schienengebundene Fahrzeuge integriert abbilden. Mikroskopische Simulationen des Verkehrslusses [4] sind ein in der Verkehrstechnik seit Jahrzehnten etabliertes Werkzeug zur Planung und Bewertung. Im operativen Einsatz werden sie zumeist für die Planung kleinerer Gebiete, die selten mehr als zehn Kreuzungen umfassen, genutzt. Durch die steigende Geschwindigkeit verfügbarer Rechentechnik sowie durch die Entwicklung schnellerer Modelle steigt auch die Größe mikroskopisch simulierbarer Straßennetze und selbst große Gebiete können schneller als in Echtzeit simuliert werden. Beispielsweise benötigt die am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelte Verkehrslusssimulation „SUMO“ [5] für die Simulation des Verkehrs eines Tages in der Stadt Braunschweig und ihrer Umgebung (siehe Bild 1) weniger als eine Stunde. Die mikroskopische Betrachtungsweise erlaubt es, den Fahrtverlauf einzelner Fahrzeuge detailliert zu analysieren und ggf. zu beeinlussen. Üblicherweise wird dabei jedem mikroskopisch simulierten Fahrzeug ein Typ zugeordnet über den z. B. klassenabhängige Befahrungsverbote für Straßen oder Spuren abgebildet werden können. Emissionsmodelle Die Anwendung mikroskopischer Verkehrslusssimulationen zur Vorhersage von Auswirkungen einer Umweltmaßnahme auf den Ausstoß von Schadstofen erfordert Möglichkeiten zur Berechnung der durch den Verkehr emittierten Schadstofe. Dabei ist bei der Wahl eines Emissionsmodells darauf zu achten, dass es zu der eingesetzten Simulation des Verkehrslusses passt. Mikroskopische Simulationen sind in der Lage, in jedem Simulationszeitschritt für jedes abgebildete Fahrzeug die Informationen über die aktuell gefahrene Geschwindigkeit, die aktuelle Beschleunigung, sowie die Steigung der befahrenen Straße zu liefern. Neben der Emissionsklasse sind dies die wichtigsten Eingangsgrößen für die Bestimmung der Menge ausgestoßener Schadstofe, und das eingesetzte Emissionsmodell sollte diese berücksichtigen. Gleichzeitig muss das Emissionsmodell die in der modellierten Stadt oder Region anzutrefende Fahrzeugpopulation abbilden können. Für die Simulation von VM-Maßnahmen zur Luftreinhaltung ist zusätzlich darauf zu achten, dass regulatorische Klassen der Fahrzeugpopulation - wie z. B. die Unterteilung in Euro-Normen - ebenfalls im Modell umgesetzt sind. Nur wenige Emissionsmodelle schafen einen solchen Spagat. Zumeist liegen diese als eine eigenständige Software vor, die Fahrzeugtrajektorien (Geschwindigkeit/ Beschleunigung über Zeit) einliest und entsprechend einer vorgegebenen Zuordnung oder Verteilung zu Emissionsklassen die entsprechenden Emissionen errechnet. Die Nutzung für die Simulation einer Stadt ist jedoch unter solchen Umständen schwierig: Eine Datei mit Fahrzeugtrajektorien des Verkehrs eines Tages innerhalb des in Bild 1 dargestellten Szenarios ist über 50- GB groß. Diese Datenmenge kann selten vollständig in entsprechende Emissionsmodelle eingelesen werden, die Rechenzeit wird durch den Datenaustausch zusätzlich stark verlängert. Dieses Problem kann jedoch durch ein direktes Einbetten des Emissionsmodells in die Verkehrslusssimulation gelöst werden. So ist innerhalb des von der Europäischen Kommission koinanzierten Projektes „COLOM- BO“ [6] ein Derivat des Modells „PHEM“ [7] der Technischen Universität Graz erstellt und in die Verkehrslusssimulation „SUMO“ eingebaut worden [8]. Das Emissionsmodell erhält in jedem Simulationszeitschritt die notwendigen Informationen über die Fahrzeuge und ihre Zustände und liefert die entsprechenden Emissionen. Durch die Integration kann der Nutzer zum Zeitpunkt des Ausführens der Simulation die gewünschten Aggregationsgrade festlegen. Eine Post-Prozessierung der erhaltenen Emissionswerte wird somit unnötig. Das bisher beschriebene System erlaubt es, eine Vielzahl möglicher VM-Maßnahmen nachzustellen [9]. So können beispielsweise Teile einer Stadt innerhalb der Simulation für bestimmte Fahrzeugtypen gesperrt werden, um Umweltzonen abzubilden. Straßen für bestimmte Verkehrsträger, z.B. Schwerlastverkehr, können gesperrt oder Geschwindigkeitsbeschränkungen modelliert werden. Die geänderte Befahrbarkeit und Attraktivität der betrofenen Straßen führt in der Realität zu einer Verlagerung des Verkehrs. Diese kann nachvollzogen werden, wenn im Anschluss an die umgesetzten Änderungen im Straßennetz eine wiederholte „Umlegung“ der Verkehrsnachfrage durchgeführt wird. Innerhalb ei- Bild 2: Veränderungen in der Straßennutzung (links, in Fahrzeugen über den Tag) und dem NO x - Ausstoß (rechts, zur Farbgebung normiert auf mg/ m über den Tag) bei einer virtuellen Umsetzung von Tempo-30-Zonen Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 86 TECHNOLOGIE Wissenschaft ner Umlegung werden für eine gegebene Nachfrage Routen durch das Straßennetz berechnet, wobei die durch das jeweilige Verkehrsaukommen hervorgerufenen Veränderungen der Reisezeiten berücksichtigt werden. Bild 2 zeigt beispielhaft die Änderungen in der Straßennutzung sowie die Änderungen im Ausstoß von NO x nach einer virtuellen Einführung von Tempo-30-Zonen innerhalb des Altstadtrings der Stadt Braunschweig. In der linken Abbildung ist zu sehen, dass die Straßen innerhalb der eingeführten Tempo-30-Zonen weniger benutzt werden (blau) und der Verkehr auf den Ring ausweicht (rot). Analog steigt die NO x -Belastung auf dem Ring, während die Tempo-30-Zonen weniger belastet werden, dargestellt in der rechten Abbildung. Mikroskopische Nachfragemodelle Dennoch ist eine solche Betrachtung nicht vollständig, da sie bis auf die Wahl neuer Routen keine Änderung im Verhalten der Verkehrsteilnehmer modelliert. Ein Wechsel des benutzten Transportmittels oder der Kauf eines neuen Fahrzeugs bleiben unberücksichtigt. Hier helfen synthetische Modelle der Bevölkerung des betrachteten Gebietes, wie z. B. das am DLR entwickelte TAPAS [10]. Diese nutzen verfügbare sozio-ökonomische Daten für die Herleitung einer virtuellen Population, innerhalb der jede Person durch Attribute wie u. a. Alter, Geschlecht, Wohn- und (falls zutrefend) Arbeitsort, Erwerbsstatus sowie PKW-Verfügbarkeit beschrieben wird. Die Einbeziehung von Statistiken über das Mobilitätsverhalten, wie sie z. B. aus der Befragung „Mobilität in Deutschland“ [11] erzeugt werden können, erlaubt für jede dieser simulierten Personen, eine Liste von Aktivitäten und nachfolgend eine Wegekette zu errechnen, die schließlich als Eingabe für die mikroskopische Umlegung dient. Solche Modelle sind sensitiv auf Einlüsse wie Fahrtkosten oder -dauer. Eine Änderung dieser, z. B. hervorgerufen durch die Umsetzung einer Umweltzone oder einer Geschwindigkeitsbegrenzung, kann innerhalb eines solchen Modells also nicht nur eine Änderung der Fahrtroute, sondern z. B. den Wechsel auf einen anderen Verkehrsträger nach sich ziehen. Modelle der Bevölkerung und mikroskopische Verkehrssimulation stehen somit in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis, was einen iterativen Ablauf bei der Rechnung entsprechender Simulationen erzwingt. Die Kopplung zwischen dem oben genannten Modell „TAPAS“ und der mikroskopischen Verkehrslusssimulation „SUMO“ ist in diesem Sinne bereits erfolgt und wird derzeit innerhalb des DLR-Projektes „VEU - Verkehrsentwicklung und Umwelt“ zur Abschätzung der künftigen Entwicklungen des Verkehrssystems benutzt. Weitere Hürden Das vorgestellte System, das eine synthetische Bevölkerung, eine mikroskopische Verkehrslusssimulation sowie ein feingranulares Emissionsmodell miteinander vereint, kann das Emissionsverhalten und dessen Änderungen nach der Umsetzung einer Maßnahme zur Luftreinhaltung abbilden. Um als Entscheidungsgrundlage dienen zu können, sind dennoch weitere Bestandteile notwendig. So setzt die europäische Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft Grenzwerte für die Schadstofbelastung, also Schadstoimmission, fest. Das vorgestellte Modell liefert jedoch nur die durch den Verkehr direkt erzeugten Emissionen. Für das Bereitstellen von Immissionen werden weitere Modelle für die Dispersion sowie die Hintergrundbelastung benötigt. ■ LITERATUR [1] Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union (2008): Richtlinie 2008/ 50/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa, http: / / eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/ LexUriServ. do? uri=CELEX: 32008L0050: DE: NOT; zuletzt besucht am 14.10.2014. [2] BASt (2012): MARLIS - Datenbank mit Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft in Bezug auf Immissionen an Straßen, Version 3.1, http: / / www.bast.de/ DE/ FB-V/ Publikationen/ Datensammlungen/ MARLIS/ MARLIS.html? nn=636612; zuletzt besucht am 14.10.2014. [3] AVISO GmbH (2012): Kurzinformation zur aktuellen MARLIS Version 3.0, MARLIS Version 3.0 beiliegend. [4] Barceló, J. (Ed.) (2010): Fundamentals of Traic Simulation, International Series in Operations Research & Management Science, Vol. 145, Springer, ISBN 978-1-4419-6141-9. [5] Krajzewicz, D., Erdmann, J., Behrisch, M. und Bieker, L. (2012): Recent Development and Applications of SUMO - Simulation of Urban MObility, In: International Journal On Advances in Systems and Measurements, 5, Seiten 128-138. [6] COLOMBO consortium (2011-2014): Internetseiten des COLOMBO-Projektes, http: / / colombo-fp7.eu/ ; zuletzt besucht am 14.10.2014. [7] Hausberger, S., Rexeis, M., Zallinger, M. und Luz, R. (2009): Emission Factors from the Model PHEM for the HBEFA Version 3, Report Nr. I-20/ 2009 Haus-Em 33/ 08/ 679. [8] Krajzewicz, D., Hausberger, S., Wagner, P., Behrisch, M. und Krumnow, M. (2014): Second Generation of Pollutant Emission Models for SUMO. SUMO2014 - Second SUMO User Conference, 15.-16. Mai 2014, Berlin, Deutschland. ISSN 1866-721X. [9] Krajzewicz, D., Furian, N., und Tomàs Vergés, J. (2014): Großlächige Simulation von Verkehrsmanagementansätzen zur Reduktion von Schadstofemissionen. In: 24. Verkehrswissenschaftliche Tage Dresden. [10] Justen, A. und Cyganski, R. (2008): Decision-making by microscopic demand modeling: a case study. In: Transportation decision making: issues, tools, models and case studies, ISBN 9-78-88-96049-06-8. [11] http: / / www.mobilitaet-in-deutschland.de/ ; zuletzt besucht am 14.10.2014. Thorsten Neumann, Dr.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrssystemtechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Berlin thorsten.neumann@dlr.de Stefan Hausberger, Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.-techn. Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik, Technische Universität Graz hausberger@ivt.tugraz.at Daniel Krajzewicz, Dipl.-Inf. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrssystemtechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Berlin daniel.krajzewicz@dlr.de Rita Cyganski, Dipl.-Geographin Gruppenleiterin, Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Berlin rita.cyganski@dlr.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 87 Veranstaltungen FORUM Vernetzen - Muss das sein? Rückblick: 10. Münchner Verkehrsforum am 1. Oktober 2014 M ultimodalität und Multifunktionalität - diese Schlagwörter zählen moderne Servicedienstleister genauso zu ihrem Portfolio wie Apps und Bezahldienste. Doch wer ist oder wird in Zukunft Servicedienstleister und damit erster Ansprechpartner für die Aktivitäten und die Mobilität der Menschen sein, sowohl regional als auch global? Wie müssen sich die Servicedienstleister vernetzen? Wie gehen globale und lokale Akteure zukünftig miteinander um und welche Erwartungen haben öfentliche und private Akteure an eine Vernetzung? Diese und weitere aktuelle Fragen wurden auf dem diesjährigen 10. Münchner Verkehrsforum diskutiert. Die Veranstaltung Der jährlich stattindende Kongress wurde am 1. Oktober 2014 mit der Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr im Kloster Benediktbeuern südlich von München ausgerichtet; die MRK Management Consultants GmbH (MRK) veranstaltete das Münchner Verkehrsforum damit zum zehnten Mal. Unter dem Motto „Vernetzen - Muss das sein? “ begrüßte Dr. Olaf Weller, im Staatsministerium zuständig für das Referat Vernetzung , die Teilnehmer. Vertreter aus den drei Ländern Deutschland, Luxemburg und Österreich, aus Unternehmen und Politik nahmen teil. Die Facette reichte dabei von Bundes- und Landesministerien über Verkehrsgesellschaften und -verbünde, von Automobilkonzernen und Flughafengesellschaften bis hin zu Technologie- und Beratungsunternehmen. Rund 60- Experten diskutierten über aktuelle branchenspeziische Entwicklungen und präsentierten umsetzungsrelevante Aktivitäten zur Vernetzung. Moderiert wurde die Veranstaltung von Ministerialdirigent a. D. Dieter Wellner, langjähriger Leiter der Verkehrsabteilung im früheren Wirtschafts- und Verkehrsministerium des Freistaates. Regionen machen mobil Der erste von drei Themenblöcken beleuchtete regionale Servicedienstleister aus den Metropolregionen München, Frankfurt Rhein-Main und der Zwischenregion des Schwabenbunds. Dr. Markus Haller, Bereichsleiter Konzeption und Prokurist beim Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (MVV), stellte dar, dass in Ballungsräumen immer mehr multimodale Mobilitätsdienste nachgefragt und angeboten werden. Zur inhaltlichen, organisatorischen und vor allem auch räumlichen Ausgestaltung und Vernetzung dieser Verkehrsangebote ist ein „Kümmerer“ jedoch zwingend erforderlich. Unter dem Titel „Auf dem Weg zum Mobilitätsverbund - Der MVV als regionaler Servicedienstleister“ stellte Haller heraus, dass Verkehrsverbünde wie der MVV in der Lage sind, diese aktive Rolle der übergreifenden und diskriminierungsfreien Information und Koordination der Mobilitätsdienste efizient zu übernehmen. Mit seinem Vortrag „VIELMOBIL - der intermodale Mobilitätslotse“ erweiterte Rüdiger Bernhard, Prokurist des Integrierten Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt RheinMain GmbH (ivm), die Sicht auf die Anforderungen der Kommunen bei der Vernetzung von Services. Mit der ivm hat Hessen eine einzigartige Organisationseinheit geschafen, die alle Mobilitätsangebote aus Sicht eines Gesamtverkehrsangebots betrachten kann und beispielhaft mit dem prämiierten Informationsdienst VIELMOBIL Schnittstellen und Prozesse zu regionalen und globalen Servicedienstleistern erprobt und demonstriert. Aber nicht nur Europäische Metropolregionen sehen sich in einer handelnden Rolle, wie Josef Brandner, Gesellschafter der BBS Schapl KG aus Krumbach sowie Vorsitzender des IHK-Verkehrsausschusses der IHK Schwaben, in seinem Referat „Sein oder nicht sein - Das ist die existenzielle Frage der Zwischenregion! “ herausstellte. Nachdem Metropolregionen immer stärker ihre regionalen Servicekonzepte vorantreiben, wird es für die Zwischenräume wie den Schwabenbund mit ihren Einwohnern und Unternehmen wichtig, ihre eigenen regionalen Services zu deinieren, um damit ihre Eigenständigkeit und Identität langfristig festlegen und global anbieten zu können. Servicedienstleister durchdekliniert Der zweite Themenblock führte am Beispiel des Projekts Stuttgart Services tiefer in das Zusammenspiel regionaler und globaler Servicedienstleister. Den Startschuss gab Wolfgang Forderer als Leiter der Stabsabteilung Mobilität im Referat des Oberbürgermeisters für Koordination und Planung der Landeshauptstadt Stuttgart. Mit seinem Vortrag „Stuttgart Services“ stellte er das umfangreichste Projekt aus der Reihe der Schaufensterprojekte „Elektromobilität“ vor. Relektierend auf das Stadt-/ Umlandproblem und die Forderung, den konventionellen Autoverkehr im Stuttgarter Talkessel um 20 % zu reduzieren, müssen mit Stuttgart Services attraktive Servicelösungen entwickelt und vermarktet werden, die das Umsteigen auf den Öfentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowohl für Fahrer von Elektrofahrzeugen als auch konventionellen Fahrzeugen an Park&Ride-Standorten begünstigen. Auch Autobauer haben erkannt, dass ein hoher Wertschöpfungsanteil bei Kunden nicht nur beim Autokauf, sondern auch während der Reise möglich ist. Mit der Neuausrichtung ihres Geschäfts auf Mobilitätsdienstleistungen wie DriveNow und ParkNow erläuterte Andreas Kottmann, bei der BMW Group zuständig für Mobilitätsdienstleistungen, in seinem Vortrag „Mobilitätsdienstleistungen vom Band“, dass BMW als globaler Serviceprovider seine Rolle als Mobilitätsdienstleister immer weiter ausbaut. Dabei muss er sich zukünftig erfolgreich mit den regionalen Infrastruktur- und Serviceanbietern vernetzen und deren Vorgaben berücksichtigen. Einer dieser regionalen Infrastruktur- und Serviceanbieter ist die Parkraumgesellschaft Baden-Württemberg mbH (PBW). FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 88 Die „Sandwichposition zwischen globalen und regionalen Anforderungen“ sieht Gebhard Hruby, Geschäftsführer der PBW, auch als Chance für die Vernetzung von Region und global agierenden Servicedienstleistern. Parken rückt aufgrund der Stellplatzknappheit in den Innenstädten und weiter steigenden Forderungen in den Ballungsräumen nach intermodalen Reiseverbindungen zur Vermeidung von Umweltschäden immer weiter in den Fokus von globalen Servicebetreibern. In Zukunft werden Parkhausbetreiber als Mobilitätsdienstleister den Service „Parken + X“ anbieten und durch Standardisierung der Schnittstellen und Zugangsmedien die notwendige Vernetzung mit neuen, weiteren Mobilitätsangeboten wie auch globalen Servicedienstleistern herstellen. Global braucht regional Im letzten Block wurde die Frage der Vernetzung von Services aus nationaler und internationaler Sicht beleuchtet, um letztlich auch ihre Bedeutung als Wirtschaftsfaktor zu besprechen. „Staat als regionales Servicekonzept“ - eine sehr provokante These von Stefan Mayr, Geschäftsleitung der Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Verkehrsverbund-Organisationsgesellschaften (ARGE ÖVV), insbesondere, wenn der Begrif regional alle neun Bundesländer einschließt. Dennoch ist es real, dass Österreich mit seiner Verkehrsauskunft Österreich (VAO) ein öfentliches Informationssystem für alle Verkehre im ganzen Staat umsetzt. Damit bündelt Österreich seine Mobilitätsservices wie ein regionales Servicekonzept und positioniert sich einheitlich gegenüber allen globalen Serviceprovidern als Mittler von Informationen und Verkäufen. Obwohl nur regional verortet, sehen sich die Flughäfen mit ihren Dienstleistungen auf Grund ihrer überregionalen Verkehrsbeziehungen zu andere Flughäfen sowohl in einem globalen als auch regionalen Wettbewerb um Kunden. Michael Zaddach, CIO der Flughafen München GmbH, führte aus, dass mittlerweile der Non-Aviation Bereich der Flughäfen eine der größten Einnahmequellen der Standorte ist. Und ausgerechnet in diesem Erlössegment wird der Wettbewerbsdruck durch einen transparenten Markt im Internet immer höher. „Flughäfen - Hubs für internationale Serviceprovider“ - schon der Titel des Vortrags stellt damit die Zielrichtung der Flughäfen dar, über Servicemodelle und geschickte Vernetzung ihre Einnahmen zu sichern und die Marktposition der Flughafen zu stärken. Auch die globalen Servicedienstleister, ob online oder im Servicecenter, benötigen leistungsfähige Vertriebssysteme. Mit „Amadeus“ hat sich über Jahre hinweg ein klassisches Flugreservierungssystem zum weltweit führenden Anbieter von IT-Lösungen für die gesamte Mobilitäts- und Touristikbranche entwickelt. Nach Bernd Schulz, Geschäftsführer der Amadeus Germany GmbH, bedient und vernetzt das Unternehmen als globaler Serviceprovider heute nahezu alle Phasen der Reiseketten mit Information, Produkten und Dienstleistungen, sowohl vor als auch während und nach der Reise. „Service Global“ strebt daher eine durchgängige Door-to-Door-Abdeckung der intermodalen Reisekette einschließlich ÖPNV an. Doch gerade dort bestehen große Herausforderungen auf Grund heterogener Preis- und Buchungssysteme, fehlender Schnittstellen sowie unterschiedlicher Ticketformen oder Zahlungsabwicklungen. Um nicht Vereinbarungen mit jedem einzelnen Anbieter meistern zu müssen, sind regionale Servicedienstleister aus Sicht von Amadeus bestens geeignet, die Zusammenarbeit zwischen regionalen Dienstleistern und globalen Vertriebspartnern dauerhaft herzustellen und zu vereinfachen. Im abschließenden Vortrag des Verkehrsforums zum Thema „Service - Wirtschaftsfaktor der Zukunft? “ zeigte Marcel Klesen, Head of Environment & Energy Sector bei Luxinnovation, der nationalen Agentur für Innovation und Forschung in Luxemburg, wie Industrie, Wirtschaft und Politik immer aufs Neue nach erfolgreichen und künftig auch nachhaltigen Wirtschaftssektoren suchen. Aufgrund seiner Struktur und grenznahen Lage stellt Luxemburg ein ideales Testlabor für die Vernetzung der Servicebereiche dar. Damit ist für Luxemburg neben erneuerbarer Energie und Ressourceneizienz auch der Markt der neuen Geschäfts- und Servicemodelle ein wichtiger und zukunftsfähiger Wirtschaftsfaktor. Vernetzen muss sein! „Vernetzen - Muss das sein? “ Diese Frage konnten alle Teilnehmer des 10. Münchner Verkehrsforums eindeutig mit „Ja“ beantworten. Vernetzung muss dabei aber unbedingt auf regionaler, also gemeinwirtschaftlicher Ebene stattinden, um auch den kleinen Geschäftspartnern eine Chance im immer transparenter werdenden Markt zu geben. Regionale Vernetzung ist somit auch Standortpolitik. Ängste davor gibt es viele. Vor allem wenn diese Vernetzung zu globalen Serviceprovidern stattinden soll. Die vorgestellten Projekte der Redner legen jedoch in allen Fällen dar, dass Vernetzung nicht unmöglich ist. Von den Verantwortlichen der Region wird jedoch ein breites Sichtfeld abverlangt, um nicht als „Insel der Glückseligkeit“ in ein bis zwei Jahren von den Gegebenheiten eines immer transparenter werdenden Marktes überrannt zu werden. Vernetzung wird sicher nicht von heute auf morgen gelingen, sie muss jedoch heute beginnen, um morgen zu funktionieren. ■ Dr. Wolfgang Kieslich, Geschäftsleitung Verkehr und Energie, MRK Management Consultants GmbH, München wolfgang.kieslich@mrk.de Anja Barth, Consultant, MRK Management Consultants GmbH, München anja.barth@mrk.de Dominik Bosch, Consultant, MRK Management Consultants GmbH, München dominik.bosch@mrk.de Die Redner von links nach rechts.: Marcel Klesen, MDirig a.D. Dieter Wellner, Dr. Imke Germann, Dr. Olaf Weller, Wolfgang Forderer, Michael Zaddach, Andreas Kottmann, Rüdiger Bernhard, Dr. Markus Haller, Bernd Schulz, Josef Brandner, Stefan Mayr, Gebhard Hruby, Dr. Wolfgang Kieslich Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 89 Veranstaltungen FORUM 7. ÖPNV-Innovationskongress des Landes Baden-Württemberg Vorschau: 9.-11.03.2015, Kongresszentrum Konzerthaus Freiburg D er demograische Wandel stellt den öffentlichen Nahverkehr vor eine zusätzliche Herausforderung. Vor allem im ländlichen Raum gehören die zunehmenden gesellschaftlichen Veränderungen zu den zentralen Branchenthemen. Eine immer älter werdende Bevölkerung, Zuzug in den Metropolen und Schrumpfung in den ländlichen Regionen - das sind nur drei Stichworte für die Herausforderungen der nächsten Jahre. Welche Möglichkeiten und erfolgreichen Konzepte gibt es, die Grundversorgung in ländlichen Regionen auch künftig zu gewährleisten? Diese und andere drängende Fragen stehen im Fokus des 7. ÖPNV-Innovationskongresses, zu dem das baden-württembergische Ministerium für Verkehr und Infrastruktur vom 9. bis 11. März 2015 ins Kongresszentrum Konzerthaus Freiburg einlädt. Hochkarätige Referenten aus dem In- und Ausland bieten im Rahmen von Vorträgen Einblicke in aktuelle Entwicklungen und zeigen praxisorientierte Wege auf, wie die Menschen für den Nahverkehr gewonnen werden können. Ein weiterer Höhepunkt der Veranstaltung ist die Verleihung des ÖPNV-Innovationspreises. Seit dem Jahr 2005 werden mit ihm Projekte ausgezeichnet, die wegweisend für die Entwicklung der Mobilität in Baden-Württemberg sind. Eine begleitende Fachausstellung ergänzt die Vorträge und Workshops. Im Foyer des Konzerthauses informieren Unternehmen und Institutionen aus verschiedenen Bereichen des Nahverkehrs über innovative Produkte und Dienstleistungen. Weitere Informationen zum Kongress, den begleitenden Rahmenveranstaltungen und den Teilnahmemöglichkeiten im Web unter: www.innovationskongress-bw.de ■ trolley: motion - 4. Internationale E-Bus-Konferenz Vorschau: 17.-18.11.2014, Hamburg D ie neuesten Entwicklungen zu Antriebs- und Versorgungssystemen bei Elektrobussen präsentiert die 4. Internationale E-Bus Konferenz am 17. und 18. November 2014 in der Hansestadt Hamburg. Präsentiert wird dabei ein aktueller und umfassender Überblick über Antriebs- und Versorgungssysteme, wobei die verschiedenen Konzepte aus der Sicht von Wissenschaft, Forschung und Praxis hinterfragt und diskutiert werden. Die Konferenz zeigt die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre seit der letzten Konferenz auf und berichtet über Erfolg und Fehlschläge, vielversprechende Ansätze sowie die technischen und betrieblichen Anforderungen und Optimierungsnotwendigkeiten. Internationale Referenten geben vor allem Entscheidungsträgern aus Verwaltung und Politik, aus Verkehrsunternehmen und Industrie, aus Wissenschaft und Consulting einen aktuellen Überblick über alle Technologien und Anwendungen. Für jeden der rund 300 Teilnehmer soll die Frage beantwortet werden: „E-Bus, ja klar, aber wie? “ Auszug aus dem Kongress- Programm: • Batteriebusse und Plug In: Kapazitäten der Batterien als Limit auf Dauer •• Trolleytechnik und verwandte Technologien: Verfeinerung alter Technologie oder „State of the Art? • Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Aus der Praxis • Induktive Stromübertragung: Keine Fahrleitung - keine Probleme? • Brennstofzelle: Wann kommt die Zukunft • Ladeinfrastruktur für Elektrobusse: Anforderungen und Funktionalität • Fördermöglichkeiten • Podiumsdiskussion „Quo Vadis E-Bus? “ • Besichtigungen Details: www.trolleymotion.eu Kontakt: Alexandra Scharzenberger, scharzenberger@trolleymotion.com ■ FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 90 Call for Papers - IAVSD 2015 Vorschau: Vom 17.-21.08.2015 kommt das Internationale Fahrzeugdynamik-Symposium für Straßen- und Schienenfahrzeuge der International Association for Vehicle System Dynamics (IAVSD) erstmals nach 38-Jahren wieder nach Österreich. Z urück ins Gründungsland: Renommierter Fahrzeugdynamik-Kongress für Straßen- und Schienenfahrzeuge der International Association for Vehicle System Dynamics (IAVSD) indet vom 17. bis 21. August 2015 auf dem Campus der TU Graz (Infeldgasse) statt - nach 38 Jahren erstmals wieder in Österreich und nach 18 Jahren wieder in Mitteleuropa. Ins Leben gerufen wurde die International Association for Vehicle System Dynamics 1977 in Wien, um Wissenschaft und Forschung sowie den internationalen Austausch in diesem Bereich zu fördern. Beim mittlerweile 24. Symposium werden über 300 internationale Experten in Graz erwartet, um über neueste Entwicklungen der Fahrdynamik für Eisenbahn- und Automotive-Anwendungen zu diskutieren. Veranstaltet wird die fünftägige Konferenz vom Forschungsinstitut „Virtual Vehicle“ in Kooperation mit den Technischen Universitäten Graz und Wien sowie den Industriepartnern AVL, Magna Steyr und Siemens. Damit kommt das bisher schon auf allen fünf Kontinenten abgehaltene Symposium - zuletzt fand es 2013 in Qingdao in China statt - nach 18 Jahren wieder nach Mitteleuropa. Die letzte Veranstaltung im deutschsprachigen Raum wurde übrigens vor 36 Jahren in Berlin abgehalten. Die Steiermark und der deutschsprachige Raum insgesamt sind für ihre bedeutende Automotive- und Rail-Industrie bekannt, die weltweit zu den führenden Größen im Bereich der Fahrzeugdynamik zählt. Der Veranstaltungsort Graz hat sich mit Forschungseinrichtungen wie „Virtual Vehicle“ und der TU Graz sowie zahlreichen Unternehmen wie AVL, Magna Steyr oder Siemens im Bereich der Entwicklung und Produktion von Straßen- und Schienenfahrzeugen den Ruf als eine der weltweit führenden Regionen im Bereich der Fahrzeugdynamik aubauen können. Graz ist als bedeutende Kulturstadt zugleich ein attraktiver Tagungsort, sehenswert ist unter anderem der hervorragend erhaltene historische Stadtkern, der zum Unesco-Kulturerbe erklärt wurde. Call for Papers - 30.11.2014 Abstracts für Fachvorträge können bis zum 30. November 2014 eingereicht werden. Die Autoren bekommen bis 1. März 2015 Nachricht über die Annahme, die Papers (6 bis 10 Seiten) sind bis zum 1. Juli 2015 einzureichen. Das Symposium behandelt Themen wie Fahrstabilität und Sicherheit, Komfort, Fahrerassistenzsysteme und autonomes Fahren oder die Interaktion von Rad-Schiene und Reifen-Straße. Auf dem Programm stehen neben den Vorträgen auch Demonstrationen modernster Fahrzeugtechnologien, die Besichtigung der Fahrzeugproduktion von Magna Steyr, der Prüfstände von AVL, der Produktionsstätte für Bahnfahrwerke und Radsätze von Siemens sowie der Einrichtungen des „Virtual Vehicle“-Forschungszentrums und der TU Graz. Zeit zum persönlichen Austausch bietet das Symposium seinen internationalen Gästen unter anderem beim Abendempfang der Industrie sowie einem oiziellen Bankett in festlichem Rahmen. ■ DAS SYMPOSIUM IM ÜBERBLICK Conference Chairs Dr. Martin Rosenberger, Virtual Vehicle Dr. Jost Bernasch, Virtual Vehicle Scientific Chairs Prof. Peter Dietmaier, TU Graz Prof. Martin Horn, TU Graz Prof. Manfred Plöchl, TU Wien Prof. Hermann Stefan, TU Graz Industrial Chairs Dr. Andreas Haigermoser, Siemens AG Österreich DI Martin Peter, Magna Steyr Engineering AG & Co KG Dr. Peter Schöggl, AVL List GmbH Technical Visits Magna Steyr Teststrecke und Fahrzeug- Produktion AVL List Teststände und Teststrecke Siemens Produktionsstätte für Bahnfahrwerke und Radsätze Virtual Vehicle und TU Graz Weitere Informationen www.iavsd2015.org ÜBER VIRTUAL VEHICLE Das international führende Forschungszentrum „Virtual Vehicle“ im österreichischen Graz entwickelt leistbare, sichere und umweltfreundliche Fahrzeugkonzepte für Straße und Schiene. Wesentliche Elemente der Forschung und Entwicklung sind die Verknüpfung von numerischer Simulation und experimenteller Absicherung sowie eine umfassende Systemsimulation bis hin zum Gesamtfahrzeug. Über 200 Expertinnen und Experten realisieren in einem internationalen Netzwerk aus Industrie- und Forschungspartnern innovative Lösungen und entwickeln neue Methoden und Technologien für das Fahrzeug von morgen. Aktuell arbeiten über 80 Industriepartner (u.a. Audi, AVL, Bosch, BMW, Daimler, Doppelmayr, Magna Steyr, MAN, Porsche, Siemens oder Volkswagen), sowie neben der TU Graz 45 weltweite universitäre Forschungsinstitute (u.a. KTH Stockholm, KU Leuven, Universidad Politécnica de Valencia, St. Petersburg State Polytechnic University, TU-München, KIT Karlsruhe, University of Sheield oder CRIM Montreal) eng mit „Virtual Vehicle“ zusammen. Im Geschäftsjahr 2013 wurde ein Umsatz von 22 Mio. EUR erzielt. Das Comet K2-Programm bietet die Basis für geförderte Forschungsaktivitäten bis mindestens Ende 2017. „Virtual Vehicle“ leitet und begleitet eine Vielzahl zukunftsweisender EU-Projekte und bietet zugleich ein breites Portfolio an Auftragsforschung und Dienstleistungen an. www.v2c2.at KONTAKT UND WEITERE INFO DI (FH) Christian Santner Virtual Vehicle Tel: +43 664 88518030 christian.santner@v2c2.at Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 91 V E R K E H R S W I S S E N S C H A F T L I C H E N AC H R I C H T E N Mitteilungsblätter der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e.V. 4. Heft November 2014 Einladung für Delegierte und Mitglieder der-DVWG zur Bundesdelegiertenversammlung 2014 Gemäß § 9 Zifer 5 der Satzung vom 6. Mai 2010 beruft das Präsidium der DVWG die-Bundesdelegiertenversammlung-2014 (Mitgliederversammlung im Sinne § 32 BGB) für Mittwoch, den 10. Dezember 2014 um 14.00 Uhr nach Frankfurt ein. Tagungsort: PricewaterhouseCoopers AG, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Raum Sky Conference Friedrich-Ebert-Anlage 35-37, 60327 Frankfurt am Main Vorläufige Tagesordnung TOP 1 Eröfnung durch den Präsidenten und Festlegung der Tagesordnung TOP 2 Genehmigung des Protokolls der Bundesdelegiertenversammlung vom 8.05.2014 in Bochum TOP 3 Bericht des Präsidiums TOP 4 Bericht des Jungen Forums TOP 5 Bericht der Europäischen Plattform für Verkehrswissenschaften (EPTS) TOP 6 Anfragen und Diskussion zu TOP 3-5 TOP 7 Entlastung des Präsidiums TOP 8 Wahl des Präsidiums TOP 9 Bestätigung der Bundesvorsitzenden des Jungen Forums TOP 10 Ehrungen TOP 11 Sonstiges Die Bezirksvereinigungen werden gebeten, ihre ordnungsgemäße Vertretung durch Delegierte sicherzustellen (§ 9-Zifer-3 der Satzung). Anträge zur Tagesordnung bitten wir bis zwei Wochen vor dem Sitzungstermin bei der Hauptgeschäftsstelle einzureichen (§ 12 Zifer 2 der Geschäftsordnung). Berlin, den 4. November 2014 Das Präsidium: Prof. Knut Ringat Dr. Karin Jäntschi-Haucke Prof. Dr.-Ing. Thomas Siefer Hendrik Ammoser Dr. Barbara Hüttmann Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 92 DVWG Verkehrswissenschaftliche Nachrichten Zwischen Alpentransit und Verteilerfunktion für-den Balkanraum Fachexkursion des Jungen Forums nach München vom 08. bis 10. Oktober 2014 Nina von der Heiden, Beisitzerin im Bundesvorstand des Jungen Forums I n diesem Jahr führte uns die Fachexkursion des Jungen Forums unter dem Titel „Der Verkehr in der Metropole München - Zwischen Alpentransit und Verteilerfunktion für den Balkanraum“ in die bayerische Landeshauptstadt München. Exkursionsauftakt und thematische Einführung bildete am ersten Tag, wie in jedem Jahr, eine Kick-of-Konferenz. Diese fand diesmal in den Räumen des Verkehrszentrums des Deutschen Museums statt. Unter der Moderation von Karl Heinz Keil von der Hanns-Seidel-Stiftung beleuchteten dort zunächst Dr. Kurt Bechthold vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr und Horst Mentz, Leiter der Abteilung Verkehrsplanung der Stadt München die Verkehrspolitik in Bayern und München. Daran anschließend hob Kerstin Swoboda von der IHK München und Oberbayern die Bedeutung des Verkehrs für den Wirtschaftsstandort München heraus. Nach einem ersten Kennenlernen der insgesamt rund 30 Teilnehmer in der Pause bei Kafee, Semmeln und Brezen berichtete zunächst Johanna Kopp über ihre Tätigkeit beim Institut für Mobilitätsforschung, bevor dann Stephan Hartl vom Logistik-Kompetenz-Zentrum Prien abschließend über den Logistikstandort Bayern referierte. Im Anschluss an die Konferenz führte die Leiterin des Verkehrszentrums, Sylvia Hladky, die Gruppe in einer gut einstündigen Führung durch das Museum und gab interessante Einblicke in den Verkehr der letzten 150 Jahre. Einen stimmungsvollen Abschluss des letzten Tages bildete der Besuch der Augustiner Bräustuben, einem typischen bayerischen Brauhaus mit allerlei lokalen Spezialitäten. Am nächsten Tag erwartete die Exkursionsteilnehmer ein vollgepackter Zeitplan. Um 8: 30 Uhr brach die Gruppe bei schönstem Herbstwetter gemeinsam zum Verwaltungsgebäude der Münchener Verkehrsgesellschaft (MVG) auf. Hier gaben insgesamt 3 Referenten einen umfangreichen Einblick in die Geschäftspolitik und die Angebotsplanung des Unternehmens sowie über die Anschafung neuer Buszüge zur Optimierung des Fahrzeugeinsatzes. Nach einer Einladung zum gemeinsamen Mittagessen im Betriebsrestaurant der MVG wurden wir von Christopher Utz, Mitglied der BV Südbayern und Mitarbeiter bei der MVG, mit dem Bus direkt zum BMW-Museum gefahren. Dort erhielten wir, aufgeteilt in zwei Gruppen, eine informative und sehr anschauliche 1,5-stündige Führung durch die Entwicklungsgeschichte von Motorrad und Automobil bei BMW. Im Anschluss an die Führung blieb leider keine Zeit mehr auf eigene Faust die BMW-Welt zu erkundigen, da wir direkt zum nächsten Programmpunkt weiterfahren mussten. In den Räumen der Bayerischen Eisenbahngesellschaft BEG stellte der Geschäftsführer Dr. Johann Niggl dann ≈ „Das Bahnland Bayern“ aus der Sicht eines Aufgabenträgers vor, erläuterte den fast überall in Bayern geltenden Bayerntakt- (mindestens eine Fahrt pro Stunde) und rief die Gruppe zu einer angeregten Diskussion über Infrastrukturinanzierung, Fahrplanausdünnung und Streckenstillegung auf. Als Abschluss des Exkursionstages hatten die Kollegen Christopher Utz und Sebastian Lachmuth von der BV Südbayern noch eine Rundfahrt mit einer historischen Tram unter Leitung einer fachkundigen Stadtführerin organisiert. Die etwa zweistündige, sehr individuell gestaltete Tour quer durch München, führte an allen wichtigen Sehenswürdigkeiten, aber auch an unbekannteren Ecken vorbei und war für alle ein tolles Erlebnis. Gemeinsam ausklingen ließen wir den Abend schließlich erneut in einem Brauhaus, diesmal dem Weißen Bräuhaus, mitten im Herz der Innenstadt. Am Freitag, dem letzten Exkursionstag standen noch zwei weitere Ziele auf dem Programm. Kurz nach 8: 30 Uhr machte sich die Gruppe auf in den Münchener Norden, um das Truck-Zentrum und die Produktionshallen des LKW- und Bus-Herstellers MAN zu besuchen. Nach leicht verspäteter Ankunft aufgrund einer Sperrung der S- Bahn-Stammstrecke erhielten wir eine ausführliche Führung durch das MAN-Werk. Nach einem kurzen Bus-Shuttle mit einem Neoplan-Bus aus dem Luxus-Segment von MAN konnten wir in einer etwa einstündigen Führung den gesamten Entstehungsprozess eines LKW von der Achse bis zum ersten Funktionstest entlang der Produktionsstraße mitverfolgen. Nach einer individuellen Mittagspause am Bahnhof Moosach ging es schließlich zum letzten Ziel der Exkursion, dem Technischen Betriebszentrum und der Verkehrsleitzentrale der Stadt München. Hier erhielten wir zunächst eine Führung über das Gelände und durch das Lager. Hier hatten es der Gruppe vor allem die vielen verschiedenen Verkehrsschilder im Lager des Betriebshofs angetan. Nachdem sich jeder mit seinen Lieblingsschildern hatte fotograieren lassen, ging es weiter in das operative Herz des Gebäudes, die Verkehrsleitzentrale. Hier arbeiten Polizei, Baureferat und Kreisverwaltungsreferat der Stadt München Die Teilnehmer der diesjährigen Fachexkursion Foto: Nina von der Heiden Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 93 Verkehrswissenschaftliche Nachrichten DVWG Die DVWG steht seit vielen Jahren mit ihrem Engagement und den verkehrswissenschaftlichen Aktivitäten im Fokus des fachlichen Dialogs zu aktuellen und Grundlagenthemen des Verkehrs. Neben den Fachtagungen, Kongressen, Foren und Workshops stoßen in der Fachwelt vor allem die Veröfentlichungen der B-Reihe auf großes Interesse. B 363 DVWG-Jahresverkehrskongress 2014, „Verkehr in Metropolregionen - Mobilität im Umbruch“ ISBN 978-3-942488-28- Der Ballungsraum Rhein-Ruhr und der Tagungsort Bochum sind durch wirtschaftliche Umbrüche in besonderer Weise gekennzeichnet. Schwerindustrielle Vergangenheit, Wanderungsdynamik, Wiedergewinnung lebenswerter Stadträume, eine prekäre kommunale Finanzausstattung, überlastete Verkehrsnetze, globaler Klimaschutz... Dies sind einige der Themen, die die Verkehrssysteme herausfordern und neue Lösungen für Planung, Entwurf und Betrieb des Personen- und Güterverkehrs benötigen. Ein Themenblock der Tagung widmete sich den Herausforderungen der kommunalen Verkehrsplanung zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dazu zählt die Radverkehrsförderung, u. a. Radschnellwege als neues Element in der Verkehrsplanung, und die Verbesserung der Umfeld- und Umweltqualität städtischer Straßenräume. Visionen der „Mobilität von morgen“ verdeutlichen die Notwendigkeit oder aber auch den Wunsch nach einer regelrechten Transformation der Städte. Andererseits sieht sich die kommunale Verkehrsplanung kaum in der Lage, bestehende Daueraufgaben wie die Instandsetzung der Straßen und Brücken zu erfüllen. Eine zunehmende Beteiligung Dritter / Privater an der Planung wird als Lösungsstrategie diskutiert. Ein zweiter Themenblock beschrieb Perspektiven für den Güterverkehr. Eine wachsende Bedeutung als europäische Drehscheibe des Güterverkehrs hat die Entwicklung des Ballungsraumes Rhein-Ruhr in den beiden letzten Jahrzehnten geprägt. Hochbelastete Netze und der vorrangige Erhalt der bestehenden Infrastruktur lenken nicht nur hier den Blick auf logistische Konzepte, die eine robuste Güterversorgung garantieren und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Elektromobilität fordert nicht nur die Fahrzeugtechnik und Ladeinfrastruktur heraus, sondern muss auch in ihren Auswirkungen auf die Stromversorgungsnetze diskutiert werden. Auf die Entwicklung des Schienennetzes, in dem der Personen- und der Güterverkehr zunehmend um knappe Trassen konkurrieren, kommen neue Herausforderungen zu. In einem dritten Themenblock wurden Möglichkeiten und Grenzen für die intelligente Nutzung der Verkehrsinfrastruktur erörtert. Aufgrund der knappen Finanzressourcen und der hohen Umweltanforderungen kommen Neubauten von Verkehrswegen gerade in Metropolregionen nur noch in Ausnahmefällen in Betracht. Durch efektive Verkehrsmanagementstrategien und neue Technologien wie die Fahrzeug-Fahrzeug- und Fahrzeug- Infrastruktur-Kommunikation können vorhandene Kapazitäten der Verkehrsinfrastruktur eizienter genutzt werden. Die Implementierung solcher Lösungen stellt aber alle Beteiligten vor große Herausforderungen, und nicht immer sind die angestrebten Ziele in der Praxis erreichbar. NEUERSCHEINUNGEN IN DER B-REIHE zusammen, um den Verkehr in München flüssiger und sicherer zu machen. Von einer Galerie über der Zentrale konnte die Gruppe die große Videowand bestaunen, die Bilder von Verkehrskameras in Tunneln, auf Straßen und Plätzen in ganz München anzeigt. Nach dem großen Erfolg der Jahresexkursionen in den letzten drei Jahren plant das Junge Forum auch für den Herbst 2015 wieder eine Fachexkursion. Diese soll die Teilnehmer dann voraussichtlich in die Wirtschaftsmetropole Frankfurt am Main führen. ■ jungesforum@dvwg.de Verkehrswissenschaftliches Zukunftsforum des-Jungen Forums in 12. Ausgabe Nina von der Heiden, Beisitzerin im Bundesvorstand des Jungen Forums I m Anschluss an die diesjährige Fachexkursion des Jungen Forums fand am Samstag, den 11. Oktober 2014 in den Räumen der MRK Management Consultants GmbH in München das mittlerweile 12. Verkehrswissenschaftliche Zukunftsforum statt. Wie immer standen sowohl interessante Vorträge junger Verkehrswissenschaftler als auch ein Netzwerkgespräch auf dem Programm. Pünktlich um 11 Uhr ging es los mit einem Vortrag von Florian Polterauer, der sich in Wien bei dem Bahnbaumaschinen- Hersteller Plasser & Theurer mit Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen beim Einsatz von Stopfmaschinen beschäftigt. Im Anschluss ging es von der Schiene auf die Straße, als Nina von der Heiden vom Lehrstuhl für Verkehrswesen an der Ruhr-Universität Bochum über die Bewertung des Verkehrsablaufs an Autobahnbaustellen referierte. Nach einer zünftigen Brotzeit folgte schließlich der letzte Vortrag des Tages von Malte Steenbeck vom Institut für Außenhandel und Wirtschaftsintegration der Universität Hamburg. Malte Steenbeck berichtete dabei über ein vom ihm durchgeführtes Forschungsprojekt über den statistischen Zusammenhang zwischen dem Alter der Wähler und der Entscheidungsfindung bei dem Bürgerentscheid zu Stuttgart 21. Als letzter Programmpunkt des Zukunftsforums fand schließlich ein Netzwerkgespräch mit dem Ministerialdirigenten a.D. Dieter Wellner statt, der mittlerweile Beirat bei der MRK Management Consultants GmbH ist und auch in die Büroräume der MRK eingeladen hatte. Herr Wellner, der ursprünglich Jura studiert hat, gab den Anwesenden einen sehr interessanten Einblick in seine berufliche Entwicklung beim bayerischen Verkehrsministerium, wo er an vielen wegweisenden Entscheidungen - häufig federführend - beteiligt war. Etwas Glück, aber vor allem Beharrlichkeit und hohe fachliche Kompetenz, so wurde schnell klar, haben die Karriere von Herrn Wellner entscheidend bestimmt. Mit Anekdoten aus seiner beruflichen Tätigkeit, z.B. bei der Planfeststellung des Münchener Flughafens, der Umsetzung der Bahnreform und der Verteilung der Regionalisierungsmittel gab er sowohl einen sehr unterhaltsamen Einblick in das politische Tagesgeschäft als auch wertvolle Tipps für die jungen Verkehrswissenschaftler. ■ jungesforum@dvwg.de Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 94 DVWG Verkehrswissenschaftliche Nachrichten Über Mannheim ins Mittelrheintal Klaus Füsslin, Bezirksvereinigung Freiburg U nter dem Jahresthema „Infrastruktur- Vernetzung“ war eine 13-köpige Gruppe der Bezirksvereinigung (BV) Freiburg zwei Tage mit einem Bus der Firma Winterhalter-Reisen unterwegs. Erstes Ziel war das Daimler-Benz-Omnibuswerk in Mannheim. Die Entwicklung und Herstellung von Stadt-, Überland- und Reisebussen ist eine logistische und technische Herausforderung auf höchstem Niveau. Erschwerend kommt am traditionellen Standort die räumliche Enge hinzu, die sich wegen historisch gewachsener Erweiterungen städtischer Wohngebiete in nächster Umgebung nicht mehr beseitigen lässt. Gefertigt werden bis zu 18 Fahrzeuge pro Tag, jedoch nur auf Bestellung, keine Produktion auf Halde. Die Variationsbreite der Karosseriefertigung ist durch das aus Stahlproilen zusammengeschweißte Netzgerippe erstaunlich. Mit dieser Baukastenkonstruktion lassen sich verschiedenartige Kundenwünsche gut berücksichtigen. Die meist kleinen Fertigungsserien verteuern jedoch den Preis pro Fahrzeug. Nach Aufassung der Exkursionsteilnehmer sollten die Betreiber im Öfentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mittels ihrer Dachverbände die Normung divergierender Ansprüche vorantreiben. Damit könnten für die Nutzer ein einheitlicheres Gesamtbild im Alltagsbetrieb des ÖPNV erzielt und darüber hinaus Kosten gesenkt werden. In Koblenz erläuterte ein Vertreter des Baudezernats das Verkehrsgeschehen und den Verkehrsluss in der Stadt. Dank der Bundesgartenschau (BUGA) 2011 und der durch dieses Ereignis ausgelösten Investitionen von mehr als 100 Mio. EUR konnte ein Großteil des ruhenden Verkehrs aus der Schlossumgebung in eine Tiefgarage verlagert werden. So ist nunmehr dort eine Grünanlage für Fußgänger entstanden, wo zuvor noch „viel Blech“ im Straßenraum stand. Ebenso konnte das linke Rheinufer vom KFZ-Verkehr befreit und dafür eine Fußgänger- und Radwegeverbindung entlang des Flusses geschafen werden, deren Nutzung „Shared-Space“-Charakter hat. Die sehr begrenzten Finanzmittel der Stadt erlauben nur verkehrsbauliche Anpassungen. Der Fahrradverkehr ist, topograisch bedingt, erst jetzt mit der Zunahme von Pedelecs stärker ins planerische Blickfeld gerückt. Fatal ist der Zustand der großen Brücken: Die Brücke der B 9 über die Mosel (ca. 100 000 KFZ täglich) muss dringend saniert werden, ebenso die Pfafendorferbrücke über den Rhein. Die Doppelmayr-Seilbahn vom Deutschen Eck zur Festung Ehrenbreitstein ist ein eindrückliches Demonstrationsobjekt dafür, wie hohes Punkt-Punkt-Verkehrsaufkommen umweltfreundlich bewältigt werden kann: Bis zu 3600 Personen pro Stunde pro Richtung vermögen die an jeweils zwei Tragseilen hängenden Kabinen im Umlaufbetrieb zu transportieren. Der Hersteller, der weltweit noch leistungsfähigere Systeme gebaut hat, betreibt seit Ende der BUGA die Bahn eigenwirtschaftlich ohne öfentliche Zuschüsse. Nicht nachvollziehbar blieb den Teilnehmern die anhaltende Diskussion über eine mögliche Beeinträchtigung des UNESCO- Weltkulturerbes Mittelrheintal, die durch den Seilbahnbau ausgelöst worden war. In St. Goarshausen diskutierte die Exkursionsgruppe mit der „Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn“. Insbesondere die östliche Rheintalseite ist durch Güterzüge der Bahn mit Lärm und Erschütterungen belastet. Tendenz steigend. Die dortigen Bewohner sind dieser Entwicklung nahezu schutzlos ausgesetzt, der Lärmpegel während der Nacht (durch bis zu 110 Güterzüge) beindet sich jenseits anerkannter Grenzwerte und ist damit unzumutbar. Die vor 150 Jahren für einen viel geringeren Verkehr geschafenen Gleistrassen sind kaum mehr in der Lage, den heutigen Anforderungen an Geschwindigkeit und Transportleistung zu genügen. Die infolge von Erschütterungen instabil gewordene Trasse lässt sich wohl nur mit einem kompletten Neubau einer Bahnstrecke weiter östlich (Tunnelstrecken) sanieren. Auf der Schiffahrt nach Bacharach war die Lärmbelastung durch die Bahn auf beiden Talseiten unüberhörbar. Zum Abschluss der Exkursion beeindruckte in Speyer die machtvolle romanisch-kaiserliche Ausstrahlung des Doms - ein Kontrast zu den Erfahrungen mancher Ungereimtheiten verkehrlicher Infrastrukturen auf dieser Reise. ■ freiburg@dvwg.de Gruppenfoto im EVObuswerk Mannheim vor dem ersten Automobil von-Carl Benz (Nachbau) Blick aus der Seilbahn aufs Deutsche Eck und Koblenz (Alle Fotos: Eugen Reinwald) Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 95 Verkehrswissenschaftliche Nachrichten DVWG Zentrale Veranstaltungen Indien 23.11.-1.12.2014 DVWG-Auslandsfachexkursion „Das Beste Indiens“ Frankfurt 10.12.2014, 10.00 Uhr DVWG-Expertentalk „Energie, Klima, Mobilität“ Treibhausneutrales Deutschland. Was kann der ÖPNV beitragen? 14.00 Uhr Bundesdelegierten versammlung Rostock 28./ 29. Mai 2015 Jahrestagung mit Jahresverkehrskongress Veranstaltungen der Bezirksvereinigungen BV Berg & Mark berg-mark@dvwg.de 27.11.2014, 16: 00 Uhr Sachstand der Erarbeitung eines neuen Bundesverkehrswegeplanes 2015 Referent: Dr. Hendrik Haßheider, BMVI Berlin Ort: Bergische Universität Wuppertal - Campus Haspel, Pauluskirchstraße 7, 42285 Wuppertal Gebäude HD, 3. Etage Raum HD 35 (Eugen-Langen-Saal) 11.12.2014, 16: 00 Uhr Ertüchtigung des Eisenbahnknotens Köln Hbf. Referent: Dr. Norbert Reinkober, Verkehrsverbund Rhein-Sieg GmbH Ort: Bergische Universität Wuppertal - Campus Haspel, Pauluskirchstraße 7, 42285 Wuppertal Gebäude HD, 2. Etage Raum HD 24 (Uwe-Herder-Saal) 22.01.2015, 16: 00 Uhr Eine Seilbahn als städtisches Verkehrsmittel - auch geeignet für Städte in Europa? Fallbeispiel Wuppertal Referent: Günter Troy und Rene Schuchter, Doppelmayr Seilbahnen GmbH Ort: Ort: Bergische Universität Wuppertal, Campus Haspel, Eugen-Langen-Saal HD 35 Berlin-Brandenburg e.V berlin-brandenburg@dvwg.de 19.11.2014, 18: 00 Uhr Der Bundesverkehrswegeplan 2015 und die neue Verkehrsprognose 2030 Referenten: Dr. Hendrik Haßheider, Referat G31, BMVI, Dr. Werner Reh, Leiter Verkehrspolitik, BUND Ort: DLR e.V., Rosa-Luxemburg-Str. 2, 10178 Berlin 17.12.2014, 17: 45 Uhr Weihnachtsfeier Fahrt mit historischer Trambahn Ort: Potsdam Rheinland e.V. rheinland@dvwg.de 24.11.2014, 17: 30 Uhr Das Binnenschif - der verkannte Alleskönner Ort: CTS Container-Terminal, Stapelkai, 50735 Köln Referent: Oliver Haas (Betriebsleiter bei der CTS GmbH) Württemberg e.V. wuerttemberg@dvwg.de 24.11.2014, 17: 30 Uhr Einzelwagenladungsverkehr im Schienengüterverkehr - Das Siechtum eines Verkehrssystems und seine Folgen Referent: Dr.-Ing. Christoph Bolay, Bolay & Moser GbR Ort: Verband Region Stuttgart, Kronenstraße 25, 70173 Stuttgart 15.12.2014, 17: 30 Uhr Stand der Ausschreibungen und Vergaben von SPNV-Leistungen in Baden-Württemberg Referent: Bernd Klingel, Geschäftsführer Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg mbH Ort: Verband Region Stuttgart, Kronenstraße 25, 70173 Stuttgart Oberrhein oberrhein@dvwg.de 01.12.2014, 18: 30 Uhr Stammtisch Junges Forum Lokal Pfannestiel, Am Künstlerhaus 53, 76131 Karlsruhe Rhein-Ruhr/ WVV e.V. rhein-ruhr@dvwg.de 25.11.2014, 16: 30 Uhr Entwicklungszentrum für Schifstechnik und Transportsysteme Besuch des Flachwasser-Fahrsimulators SANDRA Ort: Duisburg BV Nordhessen nordhessen@dvwg.de 27.11.2014, 16: 00 Uhr Verkehrsprognose der BVWP - Methode und Ergebnisse Vortrag im Rahmen des Seminars Verkehrswesen Referent: Dipl.-Ing. Christian Neef, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Ort: Universität Kassel, Gebäude Ingenieurwissenschaften III, Mönchebergstraße 7, Raum 2215 Niedersachsen-Bremen e.V. niedersachsen-bremen@dvwg.de 18.11.2014, 9: 30 Uhr Konferenz: Sicherung der Mobilität auf dem Land - Herausforderungen, Chancen, Lösungen Ort: Hotel Novotel, Podbielskistraße 21-12, 30163 Hannover 09.12.2014, 14: 00 Uhr Jahresabschlussveranstaltung Besichtigung des Weserwehrs mit anschließendem Vortrag vom Wasser- und Schiffahrtsamt Ort: Bremen DVWG Hauptgeschäftsstelle Agricolastraße 25 10555 Berlin Tel. +49 30 2936060 Fax +49 30 29360629 E-Mail: hgs@dvwg.de Internet: www.dvwg.de FORUM In eigener Sache Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 96 Wissenschaft mit Brief und Siegel Ab 2015 werden Wissenschaftsbeiträge für Internationales Verkehrswesen im Peer-Review-Verfahren begutachtet. Hier erfahren Sie, wie das Verfahren abläuft und welche Kriterien dabei zu beachten sind. D as Jahr 2015 bringt mit der Einführung des Peer-Review-Verfahrens viel Neues für Internationales Verkehrswesen - obwohl wir ja die Wissenschaftswelt nicht wirklich neu erinden: Peer-Review-Verfahren sind in der Forschungsgemeinde weltweit als Instrument zur Qualitätssicherung wissenschaftlicher Fachbeiträge anerkannt. Denn sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches. Für die Rubrik Wissenschaft eingereichte Beiträge müssen Originalbeiträge sein. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller- Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren. In der Regel wird ein Manuskript zwei Gutachtern (Referees) aus dem betrefenden Fachgebiet vorgelegt. Das soll sicherstellen, dass die- Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen - ein sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft. Ablauf und Regeln des Verfahrens • Manuskripte, die der IV-Redaktion zur Veröfentlichung in der Rubrik Wissenschaft vorgelegt werden, müssen bisher nicht publizierte Original-Manuskripte sein. • Angenommene Manuskripte gehen an jeweils zwei Gutachter- der entsprechenden Fachrichtung anonymisiert zur Begutachtung. • Werden Autoren trotz Anonymisierung von einem Gutachter identiiziert und ist dadurch eine neutrale Begutachtung nicht möglich, soll dies ofengelegt werden; dann wird ein anderer Gutachter beauftragt. • Mit Einreichen des Manuskripts können Autoren darum bitten, bestimmte Gutachter nicht zu beauftragen - dies wird selbstverständlich vertraulich behandelt. • Die Entscheidung, welchen Gutachtern das Manuskript vorgelegt wird, trift die Redaktionsleitung in Abstimmung mit der Herausgeberschaft. • Gutachter nehmen ihre Begutachtung anhand eines standardisierten Bewertungsbogens vor, kommentieren die Bewertung schriftlich und empfehlen die uneingeschränkte Annahme zur Veröfentlichung, die Überarbeitung in bestimmten Punkten oder die Ablehnung. • Die Begutachtung soll sachlich und konstruktiv erfolgen und die Autoren bei Bedarf in die Lage versetzen, ihr Manuskript auf dieser Grundlage zu verbessern. Bei nicht einstimmigen Ergebnissen wird ein dritter Gutachter hinzugezogen. • Die Redaktionsleitung teilt den Autoren die Entscheidung der Gutachter umgehend mit, bei Bedarf zusammen mit den Überarbeitungsaulagen. Die Gutachten selbst werden nicht an die Autoren weitergeleitet - die Gutachter bleiben also für die Autoren anonym. • Autoren können Überarbeitungsaulagen, die ihnen nicht umsetzbar erscheinen, begründet zurückweisen. In Streitfällen wird ein dritter Gutachter hinzugezogen. • Die endgültige Entscheidung über Annahme oder Ablehnung eines wissenschaftlichen Manuskripts teilt die Redaktionsleitung dem Autor schriftlich mit. • Die Gutachter werden im letzten Heft eines Jahrgangs sowie künftig auf der Webseite namentlich genannt, jedoch ohne Bezug zu ihren Gutachten. Verfahrensregeln und ein Formblatt für die Einreichung des Beitrages erhalten interessierte Autoren auf Anfrage per Mail. Außerdem stehen alle Informationen - ebenso wie die allgemeinen Autorenhinweise 2015 mit der aktuellen Themen- und Terminübersicht - auf der Webseite www.internationalesverkehrswesen.de unter dem Menüpunkt „Service“ zum direkten Download bereit. Herausgeberkreis und Redaktion laden nun Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. ■ Eberhard Buhl, Redaktionsleiter KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: (040) 23714-223 eberhard.buhl@dvvmedia.com Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 97 Erscheint im 66. Jahrgang Herausgeber Prof. Dr.-Ing. Frank Straube Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag DVV Media Group GmbH Postfach 101609, D-20010 Hamburg Nordkanalstr. 36, D-20097 Hamburg Telefon (040) 2 37 14-01 Geschäftsführer: Martin Weber Detlev K. Suchanek (Verlagsleiter Technik & Verkehr) detlev.suchanek@dvvmedia.com Redaktion Eberhard Buhl, M.A. (verantw.), (Durchwahl: -223) eberhard.buhl@dvvmedia.com Telefax Redaktion: (040) 2 37 14-205 Dr. Karin Jäntschi-Haucke, hgs@dvwg.de (verantw. DVWG-Nachrichten) Redaktionelle Mitarbeit: Kerstin Zapp Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tilman Kummer (Gesamtanzeigenleitung) Silke Härtel (verantw. Leitung) (Durchwahl: -227) silke.haertel@dvvmedia.com Tim Feindt (Anzeigenverkauf) (Durchwahl -220) tim.feindt@dvvmedia.com Telefax Anzeigen: (040) 2 37 14-236 Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 51 vom 1. Januar 2014. Vertrieb Vertriebsleitung: Markus Kukuk markus.kukuk@dvvmedia.com Leser- und Abonnentenservice Tel. (040) 23714-260 | Fax: (040) 23714-243 Bezugsgebühren: Abonnement-Paket Inland: EUR 150,00 (inkl. Porto zzgl. 7 % MwSt.); Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print, Digital und E-Paper sowie den Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Abonnement Ausland Print: EUR 167,00 (inkl. Porto). Abonnement Ausland Digital: EUR 150,00 Mitglieder der DVWG erhalten die Zeitschrift im Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Einzelheft: EUR 39,50 (im Inland inkl. MwSt.) zzgl. Versand. Copyright: Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fällt insbesondere auch die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronische Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-Rom. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Titelbild: Pipe stack, ship and train under crane bridge. Foto: clipdealer.de Druck: L.N. Schafrath GmbH & Co. KG, Geldern Herstellung: Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Oizielles Organ: Mitglied/ Member: Eine Publikation der DVV Media Group ISSN 0020-9511 ImpREssum | GREmIEn Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Ben möbius Dr., Abteilungsleiter Mobilität und Kommunikation des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ralf nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg August Ortmeyer Dr., Leiter der Abteilung Dienstleistungen, Infrastruktur und Regionalpolitik im Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK), Berlin uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr michael p. Clausecker Christian piehler Dr.-Ing., Programmdirektor Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Ronald pörner Prof. Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland e. V. (VDB), Berlin Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Bereichsleiter Geschäftsentwicklung und Sales, Veolia Verkehr GmbH, Berlin Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Präsident der DVWG und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Frank straube Prof. Dr.-Ing., Leiter des Fachgebiets Logistik, Technische Universität Berlin Jürgen siegmann Prof. Dr.-Ing. habil., Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, TU Berlin Alexander Hedderich Dr., Vorsitzender der Geschäftsführung der DB Schenker Rail GmbH und Mitglied des Executive Board der Deutsche Bahn AG, Berlin Erich staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Wolfgang Hönemann Dr., Geschäftsführer Intermodal der Wincanton GmbH, Mannheim ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Direktor Institut für Seewirtschaft und Logistik ISL, Universität Bremen sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolf Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Reinhard Lüken Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes für Schifbau und Meerestechnik e. V., Hamburg Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 98 Liebe Leserinnen und Leser, gern möchte ich Ihnen heute einen Ausblick auf Neuerungen und Weiterentwicklungen von Internationales Verkehrswesen im Jahr 2015 geben. Das Peer-Review-Verfahren für Wissenschaftsbeiträge, das ich Ihnen auf Seite 96 in diesem Heft näher vorstelle, ist eine dieser Neuerungen. Auch gestalten wir Webseiten und Heftarchiv komfortabler: Einfacher als bisher werden Sie künftig komplette Fach- und Wissenschaftsbeiträge, zusätzliche Informationen und nützliche Links inden und nutzen können. Und wir werden - zusätzlich zu vier regulären Ausgaben - im Mai und Oktober 2015 erstmals zwei Themenausgaben in englischer Sprache publizieren und auf der Webseite frei verfügbar machen. Die nächste reguläre Ausgabe, die am 2. März 2015 erscheinen wird, greift unter dem Schwerpunktthema Intelligent mobil: Innovative Lösungen für Transport und Verkehr Aspekte zu IT und Kommunikation, Antriebstechnik und Eizienz auf - praktisch alle Bereiche der Mobilität sind ja zunehmend abhängig von elektronischen Systemen. Ich hofe jedenfalls, Internationales Verkehrswesen ist und bleibt für Sie interessant, und freue mich auf Ihre Kommentare und Anregungen. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 17.-18.11.2014 Hamburg (D) trolley: motion 4. Internationale E-Bus-Konferenz Ort: Handwerkskammer Hamburg Info: Alexandra Scharzenberger, scharzenberger@trolleymotion.com www.trolleymotion.eu 19.-23.11.2014 Horb/ N (D) 32. Horber Schienentage Veranstalter: Trägerverein HST e.V. Kontakt: Rudolf Barth info+verein@schienen-tage.de, http: / / horber.schienen-tage.de 20.11.2014 Mannheim (D) CODE24 - One Corridor - One Strategy Gemeinsame Regionalentwicklung für den Nord-Süd Korridor Info: Stadt Mannheim anna-katharina.eissfeller@mannheim.de, www.mannheim.de/ stadt-gestalten/ code-24 04.-05.12.2014 London (UK) Future Intelligent Cities Cities in Transition - Realising the value of engineering Veranstalter: The Institution of Engineering and Technology (IET) Ort: Prospero House, London www.theiet.org/ future-cities 10.-12.02.2015 Stuttgart (D) LogiMAT 2015 13. Internationale Fachmesse für Distribution, Material- und Informationsfluss Ort: Neue Messe Stuttgart Info: www.logimat-messe.de 05.-06.03.2015 Luxemburg (L) 52. Kontiki Konferenz Kontakt: Kontiki e.V., Hannelore Weber Tel.: +49 (6196) 7666650 weber@kontiki.net, www.kontiki.net 09.-11.03.2015 Freiburg (D) 7. ÖPNV-Innovationskongress des Landes Baden-Württemberg Veranstalter: Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg Ort: Kongresszentrum Konzerthaus Freiburg Kontakt: Helmut Hakius Tel.: +49 (711) 231-5723 helmut.hakius@mvi.bwl.de, www.innovationskongress-bw.de 12.-15.03.2015 Berlin (D) Transporter Tage Ort: Berlin ExpoCenter Airport, Schönefeld Info: info@agentur-peppel.de, www.transportertage-bb.de 16.-20.03.2015 Hannover (D) CeBIT 2015 Veranstalter: Deutsche Messe Info: info@messe.de, www.cebit.de 13.-17.04.2015 Hannover (D) Hannover Messe Mit MobiliTec, Metropolitan Solutions, MDA-Motion, Drive & Automation Kontakt: Michaela Gärtner, Deutsche Messe Tel.: +49 (511) 89-31309 www.hannovermesse.de 14.-16.04.2015 Hamburg (D) Aircraft Interiors Expo 2015 Ort: Hamburg Messe Kontakt: Reed Exhibitions, Kelly Weatherer Tel.: +44 (0) 208 439 5461 www.aircraftinteriorsexpo.com 15.-18.04.2015 Friedrichshafen (D) Aero 2015 Internationale Fachmesse für Allgemeine Luftfahrt Veranstalter: Messe Friedrichshafen Info: +49 (7541) 708-0 info@messe-fn.de, www.messe-friedrichshafen.de TERMINE + VERANSTALTUNGEN 17.11.2014 bis 18.04.2015 Weitere Veranstaltungen inden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de, www.dvwg.de www.eurailpress.de, www.schifundhafen.de, www.dvz.de VORSCHAU | TERMINE Antrag auf persönliche Mitgliedschaft (Jahresbeitrag 96 EUR/ Studierende 48 EUR) Eintritt zum Titel, Vorname, Name Beruf, Amtsbezeichnung Geburtsdatum Anschrift (privat) - Straße, Haus-Nr. PLZ, Ort Telefon (privat) Fax (privat) E-Mail (privat) Firma, Institution (dienstlich) Anschrift (dienstlich) - Straße, Haus-Nr. PLZ, Ort Telefon (dienstlich) Fax (dienstlich) E-Mail (dienstlich) Wenn Sie den schriftlichen Kontakt mit der DVWG bzw. die Lieferung der Organzeitschrift „Internationales Verkehrswesen“ an eine dienstliche Adresse wünschen, wählen Sie bitte Kontakt „dienstlich“. Bitte beachten Sie, dass die Angabe der privaten Adresse für eine Anmeldung zwingend erforderlich ist! Kontakt: □ privat □ dienstlich Bezug der Zeitschrift „Internationales Verkehrswesen“: □ ja □ nein Interesse an Informationen zum Jungen Forum der DVWG: □ ja □ nein Ort/ Datum Unterschrift Agricolastraße 25 Tel.: 030 / 293 60 60 www.dvwg.de 10555 Berlin Fax: 030 / 293 60 629 hgs@dvwg.de ■ Preisnachlass erhalten für Publikationen der Schriftenreihe (Bücher und CDs) ■ Gelegenheiten nutzen für den Auf- und Ausbau von Karriere-, Berufs- und Partnernetzwerken ■ exklusiven Zugang erhalten zum Internetportal der DVWG (Mitgliederbereich und Download) ■ persönliche Einladungen erhalten für über 200 Veranstaltungen im Jahr auf Bundesebene und in Ihrer Bezirksvereinigung ■ aktiv mitarbeiten in dem unabhängigen Kompetenzzentrum für Mobilität und Verkehr in Deutschland ■ mitarbeiten im Jungen Forum und der Europäischen Plattform für Verkehrswissenschaften ■ teilnehmen an jährlichen Fachexkursionen ins Ausland Wir vernetzen Verkehrsexperten! Antrag auf körperschaftliche Mitgliedschaft finden Sie unter: www.dvwg.de ■ das „Internationale Verkehrswesen“, die renommierte Fach- und Organzeitschrift, beziehen Mitglied werden und Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft e.V. Ein Standardwerk zur Entwicklung von Verkehr und Verkehrswirtschaft Erscheinungstermin: Dezember 2014 Technische Daten: ISBN 978-3-87154-516-0, ca. 370 Seiten, Format 140 x 180 mm, Broschur Preis : € 62,50 inkl. MwSt., zzgl. Porto Kontakt: DVV Media Group GmbH Telefon: +49/ 40/ 2 37 14 - 440 Fax: +49/ 40/ 2 37 14 - 450 E-Mail: buch@dvvmedia.com Bestellen Sie Ihr Exemplar über buch@dvvmedia.com Das jährlich neu aufgelegte Statistik- Handbuch „Verkehr in Zahlen“ informiert über nahezu alle Aspekte des Verkehrs einschließlich seiner Stellung in der Volkswirtschaft. Es wird von politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen, Banken und der gesamten Transportwirtschaft seit mehr als 30-Jahren genutzt. 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