Internationales Verkehrswesen
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Mobilitätssysteme nutzerfreundlich planen Verkehrsraum - Lebensraum? POLITIK Vergabe, Planung und Kosten großer Verkehrsprojekte LOGISTIK Airline Revenue Management - Herausforderungen und Perspektiven MOBILITÄT Intelligente Strategien für leichteren ÖPNV-Zugang TECHNOLOGIE Urbanen Parkraum eizienter bewirtschaften www.internationalesverkehrswesen.de Heft 3 l September 2015 67. Jahrgang NEU Ihr Fahrplan für Rechtsfragen im ÖPNV Gesetze und Kommentar zum ÖPNV-Recht plus online-Zugang zu gerichtlichen Leitentscheidungen Das Praxishandbuch „Recht des ÖPNV“ liefert Ihnen: ▪ Ausführliche Erläuterungen und Kommentierungen aller relevanten Vorschriften des ö entlichen Personenverkehrsrechts ▪ Anwendungsbeispiele aus der Praxis ▪ eine verlässliche Grundlage für die erfolgreiche Bearbeitung rechtlicher Fragestellungen im Personenverkehr Recht des ÖPNV, Praxishandbuch, Hubertus Baumeister (Hrsg.), 1. Auflage 2013, Band 1 Gesetze 660 Seiten, Band 2 Kommentar 854 Seiten, gebunden, EUR 189,- inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten Weitere Infos, Leseprobe und Bestellung: www.eurailpress.de/ oepnvrecht | Telefon: (040) 23714-440 Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 3 Barbara Lenz EDITORIAL Verkehrsraum - Lebensraum V or nunmehr fast zehn Jahren fand in Frankfurt, in der Kunsthalle Schirn, eine Ausstellung unter dem Titel „Die Eroberung der Straße“ statt. Anspruch dieser Ausstellung war es, dem Zusammenhang zwischen der Stadt, der Straße und der Entwicklung der modernen Gesellschaft des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts nachzugehen. Gezeigt wurden Gemälde, Skizzen, Pläne, Karten und Fotograien, die die bauliche und gesellschaftliche Veränderung der Metropolen Paris und Berlin thematisierten. Zur Quintessenz der Ausstellung gehörte die Beobachtung, dass sich in jenen stürmischen Jahren die Straße in Entsprechung zur Gesellschaft verändert hatte. Die Straße war zum Schauplatz modernen Lebens geworden; die Stadtstruktur wurde zentral auf Bewegung und Verkehr ausgerichtet. Die massenhafte Motorisierung hat dieser kulturellen und gesellschaftlichen Funktion der Straße viel von ihrem Charme und ihrer Attraktivität genommen. Im Jahr 1989 beklagt der Soziologe Hans Paul Bahrdt, dass die kommunikationsfreundliche Atmosphäre der städtischen Straßen durch den Autoverkehr immer mehr verschwinde. Denn „bei aller Flüchtigkeit der öfentlichen Kontakte [bedarf es doch] einer gewissen Gelassenheit des Gehens und der Möglichkeit des Verweilens“. So wird auch seit den 1970er Jahren versucht, durch Ausweisung von Fußgängerzonen, verkehrsberuhigten Zonen oder sog. Spielstraßen wenigstens kleinräumig dem öfentlichen Raum „Straße“ wieder seine alte unmittelbare gesellschaftliche Funktion zukommen zu lassen. Allerdings wissen wir heute, dass es nicht nur der ließende, sondern auch der ruhende Verkehr ist, der die- Qualität der Straße als Lebensraum massiv beeinträchtigt. In jüngerer Zeit sind zusehends alte und neue Mobilitätsoptionen dabei, sich ihren Platz im Gesamtsystem zu suchen, auch wenn dies momentan überwiegend die großen Städte betrift. Dort sind sowohl das Fahrrad als auch Sharing-Systeme in die Nutzungskonkurrenz - vor allem mit dem privaten PKW - um den Straßenraum eingetreten, was zur Veränderung des Straßenraums sichtbar beiträgt. Während dabei die Erwartungen an die Fahrradnutzung hauptsächlich auf den Wechsel vom Auto zum Zweirad abzielen - mit den positiven Folgen „weniger Lärm“ und „weniger Abgase“ -, gilt die mit den Sharing-Systemen verbundene Hofnung vor allem der Reduzierung der Zahl an privaten PKW in den Haushalten und damit der Reduzierung des Stelllächenbedarfs. Die Stadt- und Verkehrsplanung sieht sich einer wachsenden Diferenzierung und Vielfalt der Ansprüche gegenüber. Für die großen Städte gilt: Mit der wachsenden Attraktivität des Lebens in der Stadt bei gleichzeitig hohen Mobilitätsansprüchen entstehen neue Anforderungen an Zugänglichkeit zu Mobilitätsoptionen und den dafür notwendigen Infrastrukturen, aber auch Erwartungen an Lebensbedingungen, die von hoher Umweltqualität geprägt sind. Was in den großen Städten angesichts der Bevölkerungszahl und -dichte meist gut gelingt, nämlich die Bereitstellung eines leistungsfähigen und attraktiven Öfentlichen Verkehrs, stellt eine besondere Herausforderung in den mittleren und kleinen Städten dar, die nur durch eine gelungene Schnittstelle zwischen privatem und öfentlichem Verkehr zu bewältigen ist. Die große Bandbreite an möglichen Lösungsbeiträgen, aber auch die Problematik aus einer internationalen Perspektive ist Gegenstand dieses Heftes. Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich, dass die Lektüre eine inspirierende Wirkung hat und hilft, neue eigene Ideen weiterzuentwickeln. Ihre Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 4 POLITIK 12 Realisierung der ÖPNV-Planung mittels Auftragsvergabe Matthias Knauf 19 Termintreu und kostensicher? Umgang mit Realisierungsrisiken im Vergabeverfahren Korbinian Leitner Alexander Neumann 22 Mobilitätssicherung in alternden Gesellschaften Nationale Handlungsansätze in Europa Matthias Gather Jörn Berding Sandra Franz Markus Rebstock WISSENSCHAFT 26 Externe Verkehrskosten in kleinräumigen Untersuchungsgebieten Methoden und Ergebnisse auf-Ebene des Bundeslandes Sachsen Alexander Neumann Susan Hübner Thilo Becker Julia Gerlach 30 Zur zukünftigen Verkehrsentwicklung an den deutschen Flughäfen Ursachen und Folgen divergierender Wachstumsperspektiven Henry Pak Dieter Wilken LOGISTIK 48 Schlusslicht trotz geostrategisch günstiger Lage? Wettbewerbsnachteile durch schwache Logistikinfrastruktur in Serbien Eli Kolundzija Dirk Engelhardt 51 Vietnams Hafensystem Mit Doppelstrategie zum Erfolg? Dirk Ruppik 54 Airline Revenue Management Aktuelle Herausforderungen und-Perspektiven Martin Kuras INFRASTRUKTUR 37 Unten Tunnel - oben grün Großprojekt Luise-Kiesselbach- Tunnel in München Ralf Schiller 40 Mehr Stadtraum durch Mobilstationen Zufußgehen als Bestandteil multi- und intermodaler Mobilitätskonzepte Eva Frensemeier Jan Garde Minh-Chau Tran WISSENSCHAFT 44 Schnellladen von Elektroautos Eine Hofnung für den Marktdurchbruch von Elektromobilität? Stephan Daubitz Veronique Riedel Oliver Schwedes Sie finden Internationales Verkehrswesen mit umfangreichem Archiv und aktuellen Terminen unter: www.internationalesverkehrswesen.de Foto: Landeshauptstadt München/ Baureferat Foto: Ruppik Foto: Petra Bork/ pixelio.de INTERNATIONAL TRANSPORTATION 2/ 2015 Looking ahead - Advanced transportation solutions erscheint am 1. Oktober 2015 Download unter: www.internationalesverkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 5 INHALT September 2015 63 Innovative ÖPNV-Angebote in-Bursa Yigit Fidansoy 66 In größeren Dimensionen Radverkehrsstrategien in Australien und den USA Stefan Grahl 68 Integration von Nahverkehr und-Kunst Das Public Art Program der Stadtbahn Portland Andreas Kossak 72 Reisen im fortgeschrittenen Alter Ein Forschungsprojekt Gisela Gräin von Schliefen Hans Wegel 76 Ohne Stau zum Ziel Intelligente Mobilitäts-Apps Ute May Markus Hug 78 Eine für alles Die polygoCard für die Region Stuttgart Markus Raupp Philipp Hinger 80 Parkraumbewirtschaftung in-chinesischen Metropolen Alexander Jung WISSENSCHAFT 58 ÖPNV im Tschad Informeller öfentlicher Verkehr in subsaharischen Städten Nadmian Ndadoum TECHNOLOGIE RUbRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 1 1 Kurz + Kritisch 35 Bericht aus Brüssel 100 Forum Veranstaltungen Medien Meinung 105 Impressum | Gremien 106 Vorschau | Termine AUSGABE 4/ 2015 Sicher ist sicher - Mobilitätssysteme it machen für morgen erscheint am 30. Oktober 2015 84 Wissen, wann ein Parkplatz frei-wird Intelligente Parkbelegungsvorhersage Tim Tiedemann Thomas Vögele 86 Informationen zum verfügbaren Parkraum in Städten Simon Rikus Stephan Hofmann Tudor Ungureanu 89 Bicar - neue Dimensionen für die urbane Shared Mobility Thomas Sauter-Servaes Adrian burri Salome berger 92 Sicherheitsrelevante Fahrzeugsysteme auf dem Vormarsch? Janina Küter WISSENSCHAFT 96 Assistenz und Automation am Übergang zwischen individueller und kollektiver Mobilität Lars Schnieder Frank Köster Foto: Kossak Foto: pixabay.de MObILITÄT Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 6 DVF fordert Infrastrukturgesellschaft für mehr Planungssicherheit D as Bundeskabinett hat Anfang Juli beschlossen, die Haushaltsmittel für den Verkehrsbereich konstant bis 2018 von aktuell rund 10,8 auf knapp 13,4 Mrd. EUR zu erhöhen, und ist dafür vom Deutschen Verkehrsforum gelobt worden. Dr. Ulrich Nußbaum, Präsidiumsvorsitzender des Mobilitätsverbands, hält dies für den richtigen Weg, um die langfristige Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs in Deutschland zu sichern. „Allerdings ist mehr Geld nur ein Teil der Lösung. Die Investitionsmittel müssen auch rasch und eizient in Projekte mit hohem Nutzen für das Verkehrsnetz umgesetzt werden“, so Nußbaum weiter. Was Deutschland jetzt brauche, seien echte Reformen. Einen guten Ansatz hierfür sieht er in einer zentralen Infrastrukturgesellschaft für die Steuerung der Planung, Bewirtschaftung und Finanzierung von Bundesautobahnprojekten. Diese Gesellschaft müsse privatwirtschaftlich organisiert, aber parlamentarisch kontrolliert sein. Laut Nußbaum hat die Bundesregierung einen wichtigen Reformschritt bereits umgesetzt mit der Möglichkeit einer überjährigen Verwendung nicht verbrauchter Gelder. Notwendig sei aber eine echte Mehrjährigkeit des Mitteleinsatzes. Nur sie ermögliche eine langfristige Planungssicherheit, die Bauvorhaben vom Wesen her benötigten. Nur wenn die Wirtschaft eine Sicherheit über Jahre hinweg mit einer konstant hohen Investitionslinie erhalte, könne sie auch die notwendigen Planungs- und Ingenieurskapazitäten schafen, um die zusätzlichen Mittel des Bundeshaushalts zielführend in Projekte umzusetzen. (zp) Highway Pilot steuert LKW über Nevadas Autobahnen E s ist soweit: Seit Mai 2015 rollt der erste autonom fahrende LKW auf öfentlichen Straßen. Der US-Bundesstaat Nevada hat zwei Freightliner Inspiration Trucks mit Highway Pilot als weltweit ersten LKW dieser Art eine Straßenzulassung gegeben. Dazu Dr. Wolfgang Bernhard, im Vorstand der Daimler AG verantwortlich für LKW-und Busse: „Mit der Straßenzulassung in den USA haben wir einen wichtigen Meilenstein bei autonom fahrenden LKW- erreicht. Unser nächstes Ziel ist es, die Highway-Pilot-Technologie auch in Deutschland im öfentlichen Straßenverkehr zu testen. Die entsprechenden Vorbereitungen dafür laufen.“ Die Technologie soll zur Serienreife für den Fernverkehr entwickelt werden. Der Freightliner Inspiration Truck basiert auf dem US-Serienmodell Freightliner Cascadia Evolution, das um die Highway- Pilot-Technologie erweitert wurde. Diese umfasst unter anderem einen Frontradar und eine Stereokamera sowie bewährte Assistenzsysteme wie den Abstands-Regeltempomat (Adaptive Cruise Control+) aus dem Actros von Mercedes-Benz. Chef bleibt der Fahrer. Er kann den Highway Pilot auf Autobahnen aktivieren. Will er überholen, die Spur wechseln oder den Highway wieder verlassen, muss er übernehmen. Er kann das System auch jederzeit übersteuern. Darüber hinaus kann bei Schlechtwetter und in Baustellen der Pilot nicht genutzt werden. Für die Zulassung auf öfentlichen Straßen in Nevada wurde die Technik weiterentwickelt und allein in Deutschland über 16 000 km getestet. Ziel des Unternehmens ist es, den Highway Pilot Mitte des kommenden Jahrzehnts in Serienfahrzeugen anbieten zu können. Trotz der technologischen Gemeinsamkeiten sind der Freightliner Inspiration Truck und der Mercedes-Benz Future Truck wie auch die Serienfahrzeuge der beiden Marken eigenständige Fahrzeugkonzepte, die an die jeweiligen Markt- und Einsatzanforderungen angepasst sind. (zp) Der Fahrer kann sich anderen Aufgaben im Cockpit widmen. Foto: Daimler IM FOKUS Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 7 IM FOKUS Logistik lässt sich nur anhand der Kosten bewerten N och gibt es keine Prognose für die Entwicklung des Logistikmarkts für 2016. Doch die 34 Logistikweisen aus Wirtschaft und Wissenschaft haben bereits die größten Treiber identiiziert, über die sie im Herbst diskutieren werden: Informationstechnik, die Transparenz in die Lieferkette bringt, E-Commerce, der keine Servicelücken erlaubt und das Stückgutsowie das Paketgeschäft beeinlusst, Komplexität durch zunehmende Diversität und kürzere Produktlebenszyklen, Demograie, deren Entwicklung den Arbeitsmarkt beeinlusst, und Globalisierung, die die weltweite Arbeitsteilung vorantreibt und Know-how sowie eine leistungsfähige Infrastruktur weltweit voraussetzt. Der Wettbewerb, der von all diesen Treibern beeinlusst wird, ist ein übergeordnetes Themenfeld und künftig etwa durch eine durch die Logistikunternehmen nachzuweisende Nachhaltigkeitspolitik geprägt. Im Mittelpunkt stehen aber die Logistikkosten, die nach Meinung der- Experten die einzige Möglichkeit sind, die Querschnittsfunktion Logistik zu bewerten. Der Bericht der Logistikweisen beleuchtet Rahmenbedingungen der Wirtschaft und leitet daraus die Entwicklung der Logistikkosten ab. Die Prognose soll ähnlich wie andere Wirtschaftsgutachten eine Entscheidungshilfe für Manager sein, wenn es um strategische und taktische Entscheidungen geht. Gleichzeitig unterstützt sie Investoren bei der Identiizierung von Wachstumspotenzialen. Für 2015 rechnet der Sachverständigenrat mit einer Steigerung des Marktvolumens um 2 bis 3 % auf über 240 Mrd. EUR. www.logistikweisen.de (rok/ zp) Hochmoderner Lärmschutz - schön und belastbar E inerseits gilt die Bahn als umweltfreundliches Verkehrsmittel, andererseits verursacht sie Lärm. Dieser kann sowohl durch Eingrife an den Rädern und Schienen - etwa durch Bremssohlen aus Kunststof oder Scheibenbremsen - als auch neben der Infrastruktur eingedämmt werden. Hier eignen sich etwa Schallschutzfenster für die Wohnungen der Streckenanwohner oder Lärmschutzwände. Besonders langlebig sind die Wände der MPA Dresden GmbH aus Freiberg, die der Lizenzgeber gemeinsam mit der Convex ZT GmbH und der IPP Projects GmbH entwickelt hat und vertreibt. Nach Angaben von MPA Dresden kann dank der neuartigen Lagerung der Module aus den dynamischen Belastungsversuchen eine Lebensdauer von etwa 50 Jahren abgeleitet werden. Darüber hinaus erbrächten die Wände die notwendigen Schallschutzwerte, seien leicht zu montieren und in der eloxierten Variante wartungsfrei. Stranggepresste Aluminiumproile werden mit einem Absorber gefüllt und vorderseitig entweder mit Lochblech oder mit Streckmetall versehen. Die Lagerung besteht aus Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk. Nach einer ersten Musterstrecke von 600 m im Raum Heidelberg beauftragte die DB Bahnbau Gruppe GmbH die etwa 7 km lange Sanierung der Hochgeschwindigkeitsstrecke bei Lampertheim. Derzeit wird an einer Lärmschutztür für Wartungszwecke an der Strecke gearbeitet. Ein beidseitig absorbierendes Paneel und ein transparentes Element sind bereits entwickelt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat „NoisePhalanX“ gefördert. Ebenfalls eine neue Schallschutzwand hat die Kraiburg Strail GmbH & Co. KG aus Tittmoning im Programm. Die Besonderheiten: Neben guter Schallabsorbtion ist sie nur halbhoch, schnell aufgebaut und auf Wunsch fast unsichtbar. Ein erstes Muster ist im Rheintal linksrheinisch bei Oberwesel auf einer Brücke fast nicht zu sehen - die vorgehängten Alu-Dibond-Platten zeigen ein Foto eines Mauerstücks des mittelalterlichen Orts in Originalgröße, so dass die Schallschutzwand sich an die Umgebung anpasst. Die Platten lassen sich mit fast allen Motiven, Farben oder Werbung bedrucken. Dahinter verbergen sich Dämmelemente, die Kraiburg Strail gemeinsam mit dem Bereich Konstruktiver Ingenieurbau der Deutsche Bahn AG entwickelt hat. Die Matten werden senkrecht stehend proilfrei außen am für die Montage erforderlichen Regelgeländer befestigt. Untereinander halten sich die Elemente an den vertikalen Flanken mittels Nut und Feder und stehen unten auf. Basismaterial ist eine heiß vulkanisierte faserverstärkte Elastomermischung, die später wiederum vollständig recyclingfähig ist. Die dem Gleis zugewandte Seite ist vielfach proiliert mit geneigten Flächen, um die auftreffenden Schallwellen wirksam zu brechen, umzulenken und zu verzehren. Die Außenseiten sind ähnlich gestaltet und können, falls keine Verkleidung gewünscht wird, die Geräusche einer begleitenden Straße mindern. Der Hersteller hat „STRAILastic_IP“ 2014 auf der Messe Innotrans als Weltneuheit präsentiert. (zp) Kaum als Schallschutz zu erkennen dank angepasster Verkleidung: Die halbhohe Lärmschutzwand passt sich dem Ort an und lässt den Blick der Bahnreisenden frei. Foto: Kraiburg Strail GmbH & Co. KG Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 8 IM FOKUS Zusammenspiel von Hardware, Software und Orgware entscheidend W ie könnte die urbane Mobilität von morgen aussehen? Ergebnisse auf diese Frage haben Wissenschaftler des Innovationsclusters „Regional Eco Mobility 2030“ (REM 2030) im Juni auf einem Symposium in Karlsruhe präsentiert. Ihrer Meinung nach werden neben Hard- und Software auch Orgware-Lösungen wie neue Mobilitätskonzepte und solche zur Steigerung der Nutzerakzeptanz integrale Bestandteile einer eizienten Individualmobilität sein. Beteiligt an REM 2030 sind mehrere Fraunhofer-Institute und drei Bereiche des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Das im Rahmen des Clusters entstandene neue Elektrofahrzeugkonzept für den urbanen Raum war ein Highlight in Karlsruhe. Bei seinem Motor handelt es sich um eine permanenterregte Synchronmaschine mit Einzelzahnwicklung, die auf hohe Leistungsdichte und Eizienz optimiert wurde. Das maximale Drehmoment von 90 Nm mit einer Dauerleistung von 70 kW wird über ein ebenfalls im Projekt entwickeltes, schaltbares Getriebe mit zwei Gängen und ein ofenes Diferenzial auf die Vorderräder des Fahrzeugs übertragen. Um die rein elektrische Reichweite von 80 km auf mehr als 200 km auszuweiten, kommt eine Methanol-Brennstofzelle als Reichweitenverlängerer zum Einsatz. Durch die Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien und Methanol aus Biomasse fallen die Emissionen nach Angaben der Wissenschaftler insgesamt sehr gering aus. Neben dem Elektromotor wurden für das REM 2030-Fahrzeugkonzept auch andere Bauteile wie etwa eine Hochleistungs-Lithium-Ionen-Batterie mit einer Nettokapazität von 11,8 kWh, ein Thermomodul zur Deckung des Heiz- und Kühlbedarfs der Batterie und des Fahrzeuginnenraums und ein Tank für das Methanol-Wassergemisch entwickelt. Ob man selbst bereits bereit für die E-Mobilität ist, welche Form für die persönlichen Bedürfnisse in Frage kommt und welche Möglichkeiten überhaupt bestehen, können Bürger und Bürgerinnen den „Elektr-O-Mat“ fragen. Das Online-Tool des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO gibt in Form eines Spiels Auskunft unter www.elektr-o-mat.de. (zp) Die innerhalb des Innovationsclusters REM 2030 entwickelten Komponenten lassen sich in eine Kleinfahrzeugplattform integrieren. Foto: Fraunhofer ISI Parkraummanagement für PKW und LKW Z wei neue Lösungen sind auf dem Markt: Das französische Softwareunternehmen Kowee stellt auf der Fachausstellung „Parken 2015“ in Berlin seine Software für Parkhäuser in Städten, an Flughäfen und an Bahnhöfen vor. Und Siemens hat im Rahmen eines Pilotprojekts ein Parkleitsystem für LKW installiert. Gewinnoptimierung ist das Ziel der neuen Kowee Park Edition, die bereits bei einigen Parkhausbetreibern in Frankreich im Einsatz ist. Die Software gewährleistet die optimale Auswertung der Daten der Parkraumnutzung, um spezielle saison-, wochentags-, oder tageszeitspeziische Tarife anbieten zu können sowie eine Vorhersehbarkeit der Nachfrage zur dynamischen Anpassung der Parktarife zu ermöglichen. Die Preisgestaltung soll helfen, die Nachfrage in Zeiten geringerer Auslastung anzuregen und gleichzeitig maximale Erträge in Hochphasen zu erzielen. Vorhersehbar ist die Nachfrage mit Datum, Uhrzeit und Parkdauer nach Unternehmensangaben deshalb, weil die Technik auf dem aus dem Luftverkehr stammenden Yield-Management mit speziellen Bedarfsprognosemodellen und Optimierungsalgorithmen beruht. Diverse Zusatzmodule können das Parkraumverwaltungssystem individuell ergänzen. Fehlende LKW-Stellplätze an Autobahnen sind seit langem ein Problem. Siemens hat eine Parkhilfe zur eizienteren Nutzung von LKW-Stellplätzen entwickelt und nun in einem Pilotprojekt auf der A9 zwischen Nürnberg und München in installiert. Seit Ende Mai 2015 ermittelt ein Laserscanner- und Bodensensorsystem freie Stellplätze. Das System soll den Fahrern die Planung ihrer Ruhepausen erleichtern und die Situation auf Rastplätzen für alle Verkehrsteilnehmer sicherer machen. Die Daten zur Parkplatzbelegung werden in Echtzeit ermittelt und kontinuierlich an die Verkehrs- und Betriebszentrale der Autobahndirektion in Nürnberg übermittelt. Die aktuelle Stellplatzbelegung können LKW-Fahrer über Rundfunk, kostenfreie Apps und das Verkehrsinformationsportal www.bayerninfo.de abrufen. Wer keinen Zugang zum Internet hat, indet an Raststätten Hilfe: An Informationssäulen bekommen die Fahrer einen Überblick über die aktuelle Belegungssituation auf den einzelnen Parkplätzen. Die Park-App funktioniert ähnlich wie die Informationssäulen: Den LKW-Fahrern werden die Parkplätze an den einzelnen Rastanlagen auf einer digitalen Karte angezeigt. Auf der Übersichtsmaske sind die Namen der Rastplätze je nach Belegungssituation farbig gekennzeichnet. So ist die Gesamtsituation für die Brummifahrer auf einen Blick zu erfassen. (zp) Einen Ruheplatz zu finden, ist für LKW-Fahrer oft nicht leicht. Foto: Siemens Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 9 IM FOKUS U5 in Wien: Betreuer statt Fahrer im Einsatz Z ukunftsmusik, aber bereits komplett durchgeplant, ist die Linie 5 der Wiener U-Bahn. Sie soll 2023 eröfnet werden und zunächst zwischen Karlsplatz und Frankhplatz / Altes AKH verkehren, 2025 dann bis Elterleinplatz - fahrerlos. Die Züge werden von der Leitstelle aus automatisch gesteuert, auch die Abfertigung in den Stationen soll automatisch erfolgen. Zur Sicherheit werden die Bahnsteige mit Glaswänden und automatisch schließenden und öfnenden Türen zu den Zugeinstiegen ausgerüstet. Die Wiener Linien erhofen sich von der Automatisierung ein besseres Störungsmanagement, kürzere Intervalle und höhere Leistungsfähigkeit sowie leichteres Einhalten der Fahrpläne. In jedem Zug kümmert sich mindestens ein Betreuer um die Fahrgäste. Die erste Stufe der zweistuigen Ausschreibung für 45 Züge ist im Juni erfolgt. Mit dem endgültigen Ergebnis wird Ende 2016 gerechnet. In einer ersten Tranche sollen sieben U-Bahnen bestellt werden. Da die vollautomatische Technik mittlerweile etabliert ist, gehen die Wiener Linien von Mehrkosten für Strecke und Wagenmaterial von nur bis zu zwei Prozent gegenüber einer konventionellen Lösung aus. Die Züge, die von 2018 an geliefert werden sollen, werden auch auf anderen Wiener U-Bahn- Linien unterwegs sein und erhalten daher alle auch einen Fahrerstand. Wann eventuell die anderen Strecken ebenfalls für Züge ohne Fahrer umgerüstet werden, soll frühestens 2020 entschieden werden. (zp) Visualisierung des künftigen Designs der neuen U-Bahn-Linie 5 Quelle: Wiener Linien Fernostverkehre lassen Airports am Golf wachsen H ongkong ist mit 4,38 Mio. t (plus 6 %) Luftfracht in 2014 der aukommensstärkste Aircargo-Umschlagplatz gewesen, gefolgt von Incheon bei Seoul in Südkorea mit 2,47 Mio. t (plus 3,3 %) und Shanghai auf Platz vier mit 2,33 Mio. t (plus 8,1 %). Platz drei nimmt Dubai mit 2,37 t ein, muss allerdings einen Rückgang gegenüber 2013 um 3,1 % verzeichnen. Dagegen hat Doha um 13,2 % auf 0,98 Mio. t zugelegt und Abu Dhabi um 12,8 % auf 0,8 Mio.t. In Europa führt Frankfurt am Main mit 2 Mio. t Fracht in 2014 (plus 1,7 %) und liegt unter den 20 weltweit aukommensstärksten Flughäfen auf Rang sieben. In Nordamerika führt Anchorage (1,79 Mio. t, plus 6,6 %) auf Platz 10 vor Miami mit 1,74 Mio. t (plus 3,8 %) auf Rang 11. Insgesamt ist der Weltluftfrachtverkehr im vergangenen Jahr um 4,7 % gewachsen. Wer große Mengen liegen oder umschlagen will, kommt in der Luftfracht an China nicht vorbei. Zwar schwächelt dort die Wirtschaft seit Monaten, doch die wirtschaftliche Bedeutung spiegelt sich in den Aircargo-Verkehrsströmen und damit auch bei den Fluggesellschaften. Emirates mit Sitz in Dubai hat mit 10,459 Mio. t 2014 am meisten internationale Fracht gelogen, gefolgt von der in Hong Kong ansässigen Cathay Paciic mit 8,241 Mio. t. Nach Fedex folgt Korean Air mit 7,635 Mio. t. Singapore Airlines nimmt Platz sechs ein, Qatar Airways Platz 9 und China Airlines Rang 10. Lufthansa Cargo liegt mit 7,213 Mio. t auf Platz 5 und proitiert unter anderem vom starken deutschen Export. Emirates ist nicht nur in Asien, sondern auch in Australien, Neuseeland und Afrika stark vertreten. Auch davon proitiert Dubai. Afrika gilt durch sein Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum als neue Chance auch für Luftfrachtcarrier. Europas Fluggesellschaften dagegen klagen über unfaire Wettbewerbsbedingungen. Entsprechend haben sich kürzlich fünf europäische Airlines - Air France-KLM, Easyjet, International Airlines, Lufthansa und Ryanair - zusammengeschlossen, um Einluss auf die Luftfahrtgesetzgebung in der Gemeinschaft zu nehmen. Sie wollen unter anderem eine EU- Luftfahrtstrategie mit mehr Wettbewerb bei den Bodenverkehrsdiensten an Flughäfen, einer Neuregelung des Sicherheitsaufwands, einem gemeinsamen europäischen Luftraum und Steuererleichterungen. Nicht unter den ersten zehn Frachtluggesellschaften beindet sich Turkish Cargo, ebenso hat es Istanbul nicht unter die größten 20 Frachtlughäfen geschaft. Die beiden Flughäfen der Stadt gemeinsam wären mit 1,03 Mio. t Fracht in 2014 auf Rang 16 gelandet bei Wachstumsraten von plus 19 und plus 16 %. Die organisatorischen Probleme soll spätestens 2018 der dritte Flughafen der Stadt lösen. (ma/ zp) Frankfurt und Lufthansa lagen 2014 beide noch immer unter den ersten zehn im jeweiligen Ranking. Foto: Fraport AG/ Stefan Rebscher Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 10 IM FOKUS Durch den LKW durchgucken W as passiert vor dem LKW? Ist Überholen möglich? Nähert er sich einem Stau? Das koreanische Unternehmen Samsung hat einen Safety Truck mit riesigem Display auf dem Heck des LKW entwickelt. Es zeigt mittels einer vorn auf dem LKW montierten Kamera dem nachfolgenden Verkehr, was vor dem Fahrzeug passiert. Die Bilder werden per Funk an das mehrteilige Display gesendet. Das System soll selbst nachts funktionieren. Bisher ist es nur ein Prototyp, könnte aber im Serieneinsatz die Verkehrssicherheit auf der Straße verbessern. Voraussetzung: Die Displays überstehen die rauen Verhältnisse im Straßengüterverkehr. Derzeit laufen Probefahrten in Argentinien. (zp) Aus vier Teilen besteht das Display, das den LKW durchsichtig macht. Foto: Samsung Europas Häfen auf Ausbaukurs I n vielen europäischen Häfen wird derzeit kräftig gebaut, um die Umschlagkapazitäten für Container zu erhöhen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Die DVZ - Deutsche Verkehrs-Zeitung, Schwesterpublikation von Internationales Verkehrswesen, hat dazu kürzlich einen Überblick veröfentlicht. Hier ein Auszug. Nordsee Im Rotterdamer Hafen ist seit kurzen das Containerterminal APM Terminals Maasvlakte 2 in Betrieb. Noch in diesem Jahr soll das Terminal von Rotterdam World Gateway folgen. In Antwerpen steht in diesem Monat der Abschluss der Baggerarbeiten vor dem Noordzeeterminal auf 17 m Tiefe auf dem Plan. Die Deurganckdok-Schleuse wird im ersten Quartal 2016 in Betrieb gehen. Spätestens 2019 sollen Binnenschife an einer stationären Anlage Liqueied Natural Gas (LNG) tanken können. Bereits in diesem Quartal soll ein zweiter 400 m langer Liegeplatz für Großschife in Felixstowe zur Verfügung stehen. Dafür werden derzeit die 2011 eröfneten Liegeplätze 8 und 9 um 190 m verlängert. Ein Liegeplatz 10 ist ebenfalls geplant. In Liverpool ist für Ende 2015 die Fertigstellung des Terminals Liverpool 2 vorgesehen. Im Ende 2013 in Betrieb gegangenen Hafen London Gateway ist bis Ende 2016 ein dritter Liegeplatz geplant mit 400 m Länge und 17 m Wassertiefe. In Hamburg wird vor allem auf Produktivitätssteigerungen bei den bestehenden Terminals gesetzt. Erst 2021/ 2022 soll die Westerweiterung des Eurogate Container Terminals fertig sein. Keine Kapazitätsprobleme haben Zeebrügge, Bremerhaven und Wilhelmshaven. An der Nordspitze von Island in Finnajord könnte ein neuer Seehafen entstehen. In etwa fünf Jahren soll eine Planungsentscheidung fallen. Zuvor wird sondiert - vor allem unter Berücksichtigung der zunehmend eisarmen Arktis. Ostsee Um Kapazität und Produktivität zu erhöhen, investiert APM Terminals in Göteborg bis 2016 in Kaierneuerungen, Flächenbefestigungen und größere Kräne. In Stockholm soll bis 2019 der Containerverkehr aus dem Freihafen nach Norrvik südlich der Hauptstadt verlagert und so die Kapazität von heute 80 000 TEU auf 300 000 TEU allein im ersten Bauabschnitt erhöht werden. Das Baltic Container Terminal (BTC) in Gdynia proitiert in diesem Jahr noch vom Investitionsplan 2013 bis 2015, der einen Ausbau für größere Schife, mehr Reeferanschlüsse und die Erneuerung des Bahnterminals vorsieht. Das Deepwater Container Terminal (DCT) in Danzig erhält bis Ende 2016 ein zweites, 650 m langes Tiefseeterminal für 18 000-TEU-Schife. Noch in diesem Jahr wird der Ausbau des Gdansk Container Terminals (GTK) abgeschlossen. Ebenso soll in Ust-Luga der zweite Bauabschnitt des Containerterminals mit 940 m Kailänge, 16 m Wassertiefe und zehn Containerbrücken fertig werden. St. Petersburg hat zwar derzeit Kapazitäten frei, doch trotzdem geht bei St. Petersburg die erste Ausbaustufe des neuen Mehrzweckhafens Bronka in diesem Monat mit 1,4 km Kailänge und für Schife mit bis zu 14,4 m Tiefgang in Betrieb. Mittelmeer Auf dem APM-Terminal Muelle Juan Carlos-I in Algeciras werden derzeit Containerläche und Kailänge für Megacontainerschife erweitert. In Valencia wird in diesem Jahr vor allem in die landseitige Erreichbarkeit investiert. In diesem Jahr läuft auch die Erweiterung des Barcelona Europe South Terminals (BEST) und am Terminal de Contenidors de Barcelona (TCB) die Verlängerung des Bahnterminals. In Marseille sind Fos 3XL und Fox 4XL bereits projektiert, doch 2015 wird zunächst der Kai von Fos 2XL verlängert und auf 16 m Wassertiefe ausgebaggert. Im nächsten Jahr ist die Fertigstellung eines Containerterminals in Calata Bettolo bei Genua geplant mit 750 m Kailänge und 17,5 m Wassertiefe. La Spezia setzt noch den 2011 genehmigten Bebauungsplan um und erstellt neue Kaianlagen, Straßen- und Schienenanbindungen. Venedig plant einen Container-Ofshore-Hafen mit 20 m Wassertiefe. Bis 2017 vergrößert Triest im Terminal T.O. Delta die Containerläche. In Koper wird der Hafen von 14 auf 15 m vertieft, zusätzliche Containerlächen und eine Kaiverlängerung um 100 m sind ebenfalls in Arbeit. In Piräus sind Anfang des Jahres die Arbeiten an Pier III des Terminalbetreibers PCT gestartet. (zp) Betrieb im Waltershofer Hafen in Hamburg. In der Hansestadt sollen die Kapazitäten zunächst durch Optimierung wachsen, nicht durch Erweiterung. Hafen Hamburg Marketing / Peter Glaubitt Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 11 Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Deutsche Bahn: Potenziale fördern als konliktreiche Aufgabe M an hatte sich daran gewöhnt, dass die DB AG seit 2000 bis 2012 durchweg steigende Gewinne auswies; erst seit 2013 sinken sie, lagen aber 2014 immer noch knapp unter einer Milliarde Euro. Vergessen sind die vielen Jahre vor der Bahnreform 1994 mit jährlich steigenden hohen Verlusten trotz erheblicher Bundeszuweisungen. Übersehen wird in vielen Kommentaren auch, dass das Bahngeschäft, vor allem das in Deutschland, besonders schwierigen Rahmenbedingungen ausgesetzt ist, die aus politischen Vorgaben und komplexen Marktbedingungen resultieren und aktuell die niedrigeren Gewinnerwartungen für 2015 wesentlich mitbestimmen. Wenn über die Notwendigkeit struktureller Veränderungen in den Geschäftsprozessen und organisatorischen Strukturen im Unternehmen DB AG diskutiert wird, dürfen diese Rahmenbedingungen nicht übersehen werden. Sie wirken vor allem kostensteigernd im intermodalen Wettbewerb, belasten aber auch die Marktfähigkeit des Bahnsektors im Personen- und Güterverkehr generell. So müssen elektrische Bahnen, trotz ihres umweltspeziischen Vorteils, Abgaben wie die Stromsteuer und EEG-Ausgleichszahlungen leisten, welche die Wettbewerber im Landverkehr nicht tragen. 2015 wird die DB AG hierdurch mit über 300 Mio. EUR belastet. Durch die häuigen Streiks der Lokführer wurde nicht nur das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Bahnverkehrs erschüttert, sondern eine Ergebnisbelastung bei der DB allein für 2015 von weiteren 300 Mio. EUR bewirkt. Durch die in diesem gewaltigen Umfang nicht erwartete - und von keiner fachkundigen Institution entsprechend prognostizierte - Expansion des Buslinienfernverkehrs mit extremen Preiskämpfen wird der Schienenpersonenfernverkehr im preissensitiven Nachfragesegment fühlbar getrofen. Die äußerst niedrigen Buspreise werden in diesem Segment zum Referenzpreis, den der Schienenverkehr aufgrund seiner Kostensituation, die durch Nachfrageverluste und sinkende Kapazitätsauslastung noch verschlechtert wird, generell nicht erreichen kann. Hinzu kommt eine staatliche Unterstützung durch Nichtanlastung einer Maut, die beim LKW mit vergleichbaren Gewichten erhoben wird. Die niedrigen Treibstofpreise fördern den Straßenverkehr, ebenso die abgesenkten LKW-Mautsätze aufgrund neuer Wegekostenberechnungen bei den Zinsen. So kann es niemanden überraschen, dass die wirtschaftlichen Ergebnisse der DB AG unter Druck stehen. Dieser Druck wird durch die Vorgabe des Bundes nach Zahlung einer Dividende von (2015) 700 und (2016) 850 Mio. EUR verschärft, zumal diese Zahlungen wesentlich höher sind als der zu erwartende free cash low. Aufällig sind auch die weit über den Produktivitätsanstieg hinausgehenden Lohnkostensteigerungen bei der DB in den vergangenen Jahren. Nicht zu übersehen sind die für DB Regio deutlich erschwerten Marktbedingungen. Wichtige Nahverkehrsmärkte wurden im Wettbewerb der letzten Monate verloren, wie etwa der Raum Nürnberg und insbesondere der Rhein-Ruhr-Bereich in NRW. Zusätzlich belastet die DB eine Strategie der Aufgabenträger im SPNV, bei den Ausschreibungen eine starke Segmentierung der Leistungen (Produktion, Fahrzeugwartung, Fahrzeugbeschafung, Vertrieb, Finanzierung) vorzunehmen, was den Leistungsvollanbieter DB Regio im Unterschied zu vielen Wettbewerbern benachteiligt. Dies reduziert die Einnahmen bei gleichzeigen Kostenerhöhungen durch frei werdende, aber nur sehr begrenzt alternativ nutzbare oder abbaubare Kapazitäten. Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit, zur Sicherung der Marktfähigkeit im Schienenverkehr Milliardeninvestitionen im Fahrzeugbereich vorzunehmen. Diese reduzieren den ROCE weiter, der bei den eingesetzten Eigenmitteln bereits deutlich unter 5 % liegt. Die langfristigen Finanzschulden beliefen sich 2014 bereits auf 19,2 Mrd. EUR. So stellt sich das Erfordernis, die Kostensituation durch Veränderung der Geschäftsprozesse und Organisationsstrukturen nachhaltig zu verbessern und gleichzeitig die Marktfähigkeit der Produkte zu steigern. Im Prinzip geht es um die Herstellung einer Balance zwischen den Nutzenvorstellungen der Schienenverkehrsnachfrager und den Kostenvolumina - eine schwierige Aufgabe auch angesichts der Herausforderungen einer digital aufgestellten Gesellschaft, einer durch hohe Kapitalintensität gekennzeichneten Angebotsstruktur sowie einer sehr starken Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft im Unternehmen. Eisenbahnpolitik war in Deutschland und ist in allen europäischen Ländern stets ein schwieriges Feld. Vor allem geht es darum, bei den früher guten Ergebnissen der DB vernachlässigte Anpassungs- und Veränderungsstrategien entsprechend den Umfeldveränderungen vorzunehmen. Sie werden allerdings auch konliktär sein. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche POLITIK Vergabe von Verkehrsleistungen Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 12 Realisierung der ÖPNV-Planung mittels Auftragsvergabe Möglichkeiten, Grenzen, Durchführung Vergaberecht, Nahverkehrsplan, Verkehrslenkung, Vergabeverfahren Im Hinblick auf das Instrument des Nahverkehrsplans sind auch fast 20 Jahre nach seiner Einführung zahlreiche Fragen - sowohl verfahrensrechtlich in Bezug auf die Bestimmung der zwingend bei seiner Aufstellung zu beteiligenden vorhandenen Unternehmen als auch für seine zulässigen Inhalte - noch nicht abschließend geklärt. Der Beitrag untersucht, inwieweit eine Realisierung der Nahverkehrsplanung durch eine Vergabe von Verkehrsleistungen erfolgen kann. Der Autor: Matthias Knauf D ie Beeinlussung der örtlichen Verkehrsentwicklung einschließlich des ÖPNV ist seit jeher ein Anliegen der Kommunen. Trotz der ofenkundigen Bedeutung des Verkehrs für die Stadtentwicklung in geograischer, aber auch ökonomischer und sozialer Hinsicht existierte über lange Zeit hinweg kein Instrument der planerischen Verkehrslenkung. In Bezug auf den ÖPNV waren die Kommunen daher zur Realisierung verkehrsplanerischer Vorstellungen im Wesentlichen auf einen dementsprechenden Einsatz eigener Verkehrsunternehmen verwiesen. Dies wirkte sich langfristig im Zusammenwirken mit anderen Motiven sowohl dahingehend aus, dass private Verkehrsdienstleister weithin aus dem ÖPNV verdrängt bzw. nur als Subunternehmer eingesetzt wurden als auch trug es als Teil der politischen Einlussnahme auf den ÖPNV zur inanziell deizitären Situation der kommunalen Verkehrsunternehmen bei. Erst die zum 1.1.1996 durch das Eisenbahnneuordnungsgesetz 1 erfolgte Schafung des in § 8 Abs. 3 PBefG bundesrechtlich verankerten und in den Landesnahverkehrsgesetzen näher ausgestalteten Nahverkehrsplans und seine seitdem erfolgte stetige Stärkung ermöglichen den Kommunen eine Einlussnahme auf die Entwicklung des gesamten ÖPNV unabhängig von der Trägerschaft der leistungserbringenden Unternehmen. Wenngleich das Instrument nach wie vor unterschätzt wird, handelt es sich um das zentrale Gestaltungsmittel der Kommunen im ÖPNV. 2 Kommunale Verkehrsgestaltung durch Nahverkehrsplanung Im Einzelnen sind auch fast 20 Jahre nach seiner Einführung und der landesgesetzlich im Allgemeinen begründeten Verplichtung zu seiner Aufstellung noch zahlreiche Fragen im Hinblick auf das Instrument des Nahverkehrsplans nicht abschließend geklärt. Dies gilt sowohl in verfahrensrechtlicher Hinsicht in Bezug auf die Bestimmung der zwingend bei seiner Aufstellung zu beteiligenden vorhandenen Unternehmen 3 als auch und vor allem für seine zulässigen Inhalte. Die von § 8 Abs. 3 PBefG vorgegebene Qualiikation als „Rahmen für die Entwicklung des ÖPNV“ lässt Raum für unterschiedliche Deutungen hinsichtlich der Detailgenauigkeit der Planung. 4 Grundsätzlich muss ein Nahverkehrsplan sowohl geeignet sein, die konzeptionellen Vorstellungen der Gemeinde zum Ausdruck zu bringen und - auf Grundlage der gesetzlich vorgesehenen Wirkungen des Nahverkehrsplans im Genehmigungsverfahren, vgl. § 8 Abs. 3a, § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. d, Abs. 2a, Abs. 2b S. 2 PBefG - zu ihrer Verwirklichung beizutragen als auch den Verkehrsunternehmen hinreichende Gestaltungsspielräume belassen. 5 Diese Fragen gewinnen seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 6 und dem damit verbundenen Ende der umfassenden Eigenwirtschaftlichkeitsiktion des ÖPNV auf Grundlage von § 8 Abs. 4 S. 2 PBefG a.F. 7 dadurch an Brisanz, dass nunmehr auch die Funktion des Nahverkehrsplans als potenzielle Grundlage für Verkehrsbestellungen in den Fokus tritt, ohne dass dieser aber zum Ausdruck des „Bestellerprinzips“ würde. 8 Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden untersucht werden, inwieweit eine Realisierung der Nahverkehrsplanung durch eine Vergabe von Verkehrsleistungen erfolgen kann. Dabei stellen sich zum einen konzeptionelle Fragen, die ihre Grundlage im nach wie vor gewerberechtlichen Grundansatz des PBefG inden. Zum anderen sind die verschiedenen Wege der Auftragsvergabe aufzuzeigen, da deren Besonderheiten bereits geeignet sind, Vorwirkungen auf die Planung zu entfalten. Abschließend sollen die sich abzeichnenden Rechtsentwicklungen auf europäischer Ebene kurz in den Blick genommen werden, soweit sie Auswirkungen auf die behandelte Fragestellung haben können. Realisierungsmöglichkeiten Zur Realisierung der im Nahverkehrsplan vorgesehenen Konzeption im Wege der Auftragsvergabe müssen zwei grundlegende Vorfragen beantwortet werden. Diese betrefen zum einen den Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit und zum anderen das Verhältnis von Planung und Beschafung im ÖPNV. Der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit als-Grenze Gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 PBefG sind Verkehrsleistungen im ÖPNV eigenwirtschaftlich zu erbringen. Zwar handelt es sich dabei ungeachtet der Formulierung nicht um ein gesetzliches Gebot, sondern allein um eine in Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 13 Vergabe von Verkehrsleistungen POLITIK der gewerberechtlichen Tradition des PBefG, aber auch im Grundrecht der Berufsfreiheit verankerte Präferenz des Gesetzgebers. 9 Dieser kommt jedoch nicht allein politische Bedeutung zu; vielmehr enthält das PBefG zahlreiche Mechanismen, die seiner Durchsetzung und Sicherung dienen. 10 Allerdings gilt der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit nur insoweit, als das vorrangige Europarecht ihm nicht entgegensteht. Diese Einschränkung hat sich insbesondere in der Legaldeinition der Eigenwirtschaftlichkeit in § 8 Abs. 4 S. 2 PBefG niedergeschlagen. Danach sind Verkehrsleistungen eigenwirtschaftlich, „deren Aufwand gedeckt wird durch Beförderungserlöse, Ausgleichsleistungen auf der Grundlage von allgemeinen Vorschriften nach Artikel 3 Absatz 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öfentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Auhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/ 69 und (EWG) Nr. 1107/ 07 des Rates (ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 1) und sonstige Unternehmenserträge im handelsrechtlichen Sinne, soweit diese keine Ausgleichsleistungen für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verplichtungen nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 darstellen und keine ausschließlichen Rechte gewährt werden.“ Diese Deinition schließt quantitativ bedeutsame Einnahmen der ÖPNV durchführenden Unternehmen aus, welche herkömmlich die Eigenwirtschaftlichkeit von Verkehren nicht in Frage stellten. 11 Zugleich bezieht sie aber zahlreiche Einnahmearten jenseits der unmittelbaren Tariferlöse ein. 12 Im Zusammenwirken mit dem Vorrangpostulat hat diese Begrifsbestimmung zur Folge, dass immer dann, wenn die Möglichkeit eines unternehmerischen, nach § 8 Abs. 4 S. 2 PBefG als eigenwirtschaftlich zu qualiizierenden Leistungsangebots gegeben ist, diesem der Vorzug vor einer behördlichen Organisation des ÖPNV zu geben ist. Kommt ein eigenwirtschaftliches Verkehrsangebot zustande, stellt sich die Frage nach einer Bestellung mithin nicht mehr. Voraussetzung hierfür ist allerdings das Fehlen von Widersprüchen zwischen dem beantragten eigenwirtschaftlichen Verkehr und dem Nahverkehrsplan, vgl. § 13 Abs. 2 S.- 1 Nr. 3 lit. d, Abs. 2a, Abs. 2b S. 2 PBefG. Für „gestaltungs- und bestellungswillige“ Aufgabenträger könnte darin ein Anreiz zu einer besonders anspruchsvollen Planung bestehen. 13 Ein Nahverkehrsplan, welcher Verkehrsunternehmen damit übereinstimmende Verkehre wirtschaftlich unmöglich machen würde, verstößt jedoch seinerseits gegen den Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit. Indem der Nahverkehrsplan dem Ziel der „ausreichenden Verkehrsbedienung“ und damit primär der Befriedigung der örtlich bestehenden Verkehrsbedürfnisse dient, 14 ist er kein Instrument zur Vorgabe eines aus Aufgabenträgerperspektive optimalen ÖPNV. Überdies sollen, wie § 8a Abs. 1 S. 1 PBefG verdeutlicht, auch die für eine ausreichende Verkehrsbedienung erforderlichen Verkehre grundsätzlich eigenwirtschaftlich erbracht werden. Dies wirkt notwendig ebenfalls auf die zulässigen Planinhalte zurück. Ohne dass eine möglichst anspruchslose Minimalplanung gesetzlich geboten wäre, darf der Nahverkehrsplan jedenfalls nicht der Verhinderung eigenwirtschaftlicher Verkehre dienen; vielmehr soll er diese grundsätzlich ermöglichen. Verschlechterungen des Verkehrsangebots muss der Aufgabenträger jedoch nicht hinnehmen. Für den Fall, dass ein beantrag- Exhibition & Marketing Wehrstedt GmbH Hagenbreite 9· 06463 Falkenstein/ Harz E-Mail: info@ccexpo.de www.CCExpo.de In Zusammenarbeit u. a. mit: 6. und 7. Oktober 2015 in Berlin Messe Berlin: Halle 20 und Palais am Funkturm / Schirmherr: Frank Henkel, Senator für Inneres und Sport Die CCExpo Critical Communications Expo ® ist die jährliche neutrale Plattform für sicherheitskritische Information und Kommunikation, professionellen Mobilfunk (PMR) und Leitstellen in allen Bereichen Kritischer Infrastrukturen. Neutral! National! International! Fachmesse namhafter Anbieter mit Sonderschau Interaktiver Streifenwagen Kommunikationskongress 12. Offizieller Leitstellenkongress 5 Offene Foren in der Messehalle: Blaulicht-Foren Objektversorgung und Breitband, Zukunfts- und Händler-Forum, Forum Transport & Kommunikation Veranstaltung der BDBOS „Notfallvorsorge und Notfallmanagement“ und Workshop für Planer und Errichter von Gebäudefunkanlagen Briefing im safety lab des Innovationszentrums Öffentliche Sicherheit am Fraunhofer-Institut FOKUS Cyber-Sicherheit für Energieversorger und Betreiber anderer Kritischer Infrastrukturen Meetings dienstlicher und informeller Gruppen Für zuverlässige Information und Kommunikation! POLITIK Vergabe von Verkehrsleistungen Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 14 ter eigenwirtschaftlicher Verkehr hinter der bisherigen Qualität wesentlich zurückbleibt, kann der Aufgabenträger zusichern, einen dem bisherigen Verkehrsangebot entsprechenden öfentlichen Dienstleistungsauftrag zu vergeben. Dies hat nach § 16 Abs. 3 PBefG zur Folge, dass die Dauer der eigenwirtschaftlichen Genehmigung bis zum Zeitpunkt der geplanten Aufnahme des beauftragten Verkehrs zu begrenzen ist und der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit insoweit einer Verkehrsbestellung nicht entgegensteht. Nahverkehrsplanung und Auftragskonzeption Sofern der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit einer Verkehrsbestellung nicht entgegensteht, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Nahverkehrsplan und Auftragskonzeption. Es liegt nahe, den Nahverkehrsplan als Grundlage für die Bestellung heranzuziehen. 15 Korrespondierend damit bestimmt § 6 Abs. 2 ÖPNVG LSA, dass die Anforderungen an den ÖPNV „als Grundlage für die Vergabe von Verkehrsleistungen“ in den Nahverkehrsplan aufzunehmen sind. Eine rechtliche Verplichtung zur Realisierung der Vorgaben des Nahverkehrsplans nötigenfalls im Wege der Auftragsvergabe folgt jedoch weder aus Bundesnoch aus Landesrecht. Vielmehr ist der Aufgabenträger in seiner Entscheidung unter Berücksichtigung seiner verkehrspolitischen Präferenzen und inanziellen Möglichkeiten grundsätzlich frei. Allerdings ist eine Verkehrsbestellung, welche den Vorgaben des Nahverkehrsplans widerspricht, rechtlich problematisch, da auch bestellte Verkehre einer Genehmigung bedürfen und mangels abweichender Vorgaben der Nahverkehrsplan auch für diese ebenso wie für eigenwirtschaftliche Verkehre als Maßstab dient. Zumindest eine Orientierung an den Vorgaben des Nahverkehrsplans ist daher nicht- nur aus Gründen der planerischen Eizienz, sondern auch genehmigungsrechtlich geboten. Auch bei Anknüpfung an die Vorgaben des Nahverkehrsplans können diese nicht ohne Weiteres als Grundlage für eine Ausschreibung dienen. Aufgrund seiner Funktion als Rahmen für die Entwicklung des ÖPNV und seiner daraus folgenden unzureichenden Detailgenauigkeit kann der Nahverkehrsplan regelmäßig nur als Ausgangspunkt für die Auftragskonzeption dienen. 16 In Abhängigkeit vom gewählten Vergabeverfahren müssen zwar nicht notwendig alle Aspekte des zu vergebenden Auftrags in den Vergabeunterlagen enthalten sein; ein bloßer Verweis auf eine recht abstrakte Planung ist zwar im Hinblick auf „bestimmte Inhalte des Nahverkehrsplans“ gemäß § 8a Abs. 2 S. 6 PBefG möglich, dürfte jedoch selbst bei einfachen Verkehren und einer Anwendung der Verordnung (EG) Nr.- 1370/ 2007 kaum als Grundlage für die Vergabe genügen. Für die Zwecke der Auftragsvergabe bedarf es daher regelmäßig einer Konkretisierung der im Nahverkehrsplan enthaltenen Vorgaben. 17 Dem Aufgabenträger obliegt daher bei Verkehrsbestellungen grundsätzlich dieselbe Konkretisierungsaufgabe, die bei einer eigenwirtschaftlichen Verkehrsdurchführung von den Verkehrsunternehmen zu erfüllen ist. Auch soweit vergaberechtlich eine (teilweise) Übertragung der Verkehrsausgestaltung auf die am Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen erfolgen kann, sollte der Aufgabenträger schon aus Gründen der Bewahrung seiner Fähigkeit zur Steuerung des Verfahrens wie auch der Einlussnahme auf dessen (auch inanzielles) Ergebnis selbst grundlegend konzeptionelle Überlegungen anstellen, die über diejenigen des Nahverkehrsplans hinausgehen. Vergabe von Aufträgen im ÖPNV Die Vergabe von Aufträgen über ÖPNV- Leistungen zur Realisierung der im Nahverkehrsplan getrofenen konzeptionellen Entscheidungen ist auch jenseits der Frage ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit vor dem Hintergrund des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit juristisch in mehrfacher Hinsicht anspruchsvoll. Bereits die Bestimmung des anwendbaren Vergaberegimes ist ebenso bedeutsam wie fehleranfällig. Bei der Durchführung der Vergabe stellen sich zudem die stets mit Auftragsvergaben verbundenen Herausforderungen für die Aufgabenträger, die sich ohne speziisch vergaberechtliche Expertise kaum bewältigen lassen. Weichenstellung: allgemeines vs. Verkehrsvergaberecht Wenngleich mit der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 eine verkehrsvergaberechtliche Sonderregelung besteht, indet diese nur für einen Teil der Auftragsvergaben im ÖPNV Anwendung. Es bedarf daher einer eindeutigen Abgrenzung. Diese wird dadurch erschwert, als in beiden Rechtsmaterien der zentrale Begrif des (Dienstleistungs-)Auftrags mit abweichender Bedeutung verwendet wird. 18 Die zentrale Weichenstellung zwischen den Vergaberechtsregimen enthält Art. 5 Abs. 1 S. 2 Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007, dessen Regelungsgehalt von § 8a Abs. 2 S. 1 PBefG wiederholt wird. Danach werden - anknüpfend an den herkömmlichen Geltungsanspruch des allgemeinen Vergaberechts 19 - „Dienstleistungsaufträge oder öffentliche Dienstleistungsaufträge gemäß der Deinition in den Richtlinien 2004/ 17/ EG oder 2004/ 18/ EG für öfentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen … gemäß den in jenen Richtlinien vorgesehenen Verfahren vergeben, sofern die Aufträge nicht die Form von Dienstleistungskonzessionen im Sinne jener Richtlinien annehmen.“ Hieraus folgt ein Vorrang des allgemeinen Vergaberechts, soweit mit Bussen und Straßenbahnen durchzuführende ÖPNV-Leistungen im vergaberechtlichen Sinne beschaft werden sollen. 20 Dies ist insbesondere bei der Vergabe von Bruttoverträgen der Fall. 21 Das speziische Verkehrsvergaberecht der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 indet auf die Vergabe aller anderen öfentlichen Dienstleistungsaufträge i.S.v. Art. 2 lit. i Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 Anwendung. Dabei handelt es sich um „einen oder mehrere rechtsverbindliche Akte, die die Übereinkunft zwischen einer zuständigen Behörde und einem Betreiber eines öfentlichen Dienstes bekunden, diesen Betreiber eines öfentlichen Dienstes mit der Verwaltung und Erbringung von öfentlichen Personenverkehrsdiensten zu betrauen, die gemeinwirtschaftlichen Verplichtungen unterliegen; gemäß der jeweiligen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten können diese rechtsverbindlichen Akte auch in einer Entscheidung der zuständigen Behörde bestehen: - die die Form eines Gesetzes oder einer Verwaltungsregelung für den Einzelfall haben kann oder / - die Bedingungen enthält, unter denen die zuständige Behörde diese Dienstleistungen selbst erbringt oder einen internen Betreiber mit der Erbringung dieser Dienstleistungen betraut“. Diese Begrilichkeit umfasst neben den Beschafungsvorgängen, die entweder vergaberechtlich erfasst sind oder Eisen- und Untergrundbahnverkehrsleistungen betreffen, insbesondere Dienstleistungskonzessionen, die sich durch ein bei dem Verkehrsunternehmer verbleibendes wirtschaftliches Risiko auszeichnen. 22 Einbezogen werden aber auch die Konstellationen der Inhouse-Vergabe. Auf diese indet das (allgemeine) Vergaberecht nach der Rechtsprechung des EuGH 23 , die durch Art. 12 der neuen Vergaberichtlinie 2014/ 24/ EU 24 bestätigt wird, keine Anwendung. Insoweit läuft der Verweis darauf in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 mithin leer, so dass es bei der Anordnung der Maßstäblichkeit der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 in deren Art. 5 Abs. 1 S. 1 verbleibt. 25 Verfahrensrechtliche Aspekte Die verfahrensrechtlichen Anforderungen diferieren je nach einschlägigem Rechtsregime erheblich. Fehler bei der Bestim- Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 15 Vergabe von Verkehrsleistungen POLITIK mung der maßgeblichen Rechtsgrundlage für die Vergabe ziehen jedenfalls dann nahezu unvermeidlich Verfahrensfehler nach sich, wenn anstelle des strengeren allgemeinen Vergaberechts das weitaus größere Spielräume hinsichtlich der Verfahrensausgestaltung enthaltende speziische Verkehrsvergaberecht der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 i.V.m. §§ 8a f. PBefG herangezogen wird. Auf Grundlage von § 97 Abs. 7 GWB kann dies von den am Vergabeverfahren interessierten bzw. teilnehmenden Unternehmen beanstandet werden. Beschafung von Verkehren nach allgemeinem Vergaberecht Sofern Verkehrsleistungen im ÖPNV nach allgemeinem Vergaberecht zu beschafen sind, hat dies nach § 101 Abs. 7 S. 1 GWB regelmäßig im ofenen Verfahren zu erfolgen. Gemäß § 101 Abs. 2 GWB wird mithin „eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öfentlich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert“. Dies bringt eine hohe Wettbewerbsintensität mit sich, stellt aber zugleich hohe Anforderungen an den Aufgabenträger als Vergabestelle. Nach § 8 EG Abs. 1 VOL/ A ist die nachgefragte Verkehrsleistung in den Vergabeunterlagen „eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, so dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und dass miteinander vergleichbare Angebote zu erwarten sind“. Mangels diesbezüglicher Einschränkungen ist allerdings auch eine funktionale Ausschreibung i.S.v. § 8 EG Abs. 2 Nr. 2 VOL/ A im ofenen Verfahren rechtlich möglich. In Anbetracht der damit verbundenen besonderen Schwierigkeiten bei der Angebotserstellung und -wertung empiehlt sie sich auch vor dem Hintergrund der alternativ möglichen Konzessionsvergabe, welche den deutlich weniger stringenten Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 unterfällt, im ÖPNV jedoch regelmäßig nicht. 26 Auf die Realisierung des Nahverkehrsplans wirkt sich eine funktionale Ausschreibung gleichwohl nicht notwendig negativ aus. Gerade wenn sich der Nahverkehrsplan der gesetzlichen Konzeption gemäß auf Rahmenvorgaben beschränkt, ist die funktionale Ausschreibung durchaus ein adäquates Mittel, die Unternehmen in die Ausfüllung dieses (vom Aufgabenträger ggf. anzureichernden) Rahmens einzubeziehen. Dies setzt allerdings nicht die Anwendung des allgemeinen Vergaberechts voraus, sondern ist auch bei der Konzessionsvergabe möglich. Im ofenen Verfahren kann dessen Inlexibilität im Zusammenwirken mit den besonderen Herausforderungen für die Unternehmen bei der Angebotserstellung dazu führen, dass eine funktionale Ausschreibung von Verkehrsleistungen scheitert. Sofern der Aufgabenträger jenseits einer funktionalen Ausschreibung das kreative Potenzial der Unternehmen im Anwendungsbereich des allgemeinen Vergaberechts nutzen möchte, besteht zudem die Möglichkeit der Zulassung von Nebenangeboten. Dies muss nach § 9 EG Abs. 5 VOL/ A explizit geschehen, andernfalls fehlt es an der Wertungsfähigkeit. Da Nebenangebote anhand derselben Bewertungsmatrix wie Hauptangebote zu messen sind, kann der Aufgabenträger durch die Bestimmung der Kriterien ( jenseits der Kernkriterien wie Preis und Umwelteigenschaften 27 ) und deren Gewichtung dafür Sorge tragen, dass auch Nebenangebote die Vorgaben des Nahverkehrsplans nicht nur im genehmigungsrechtlich unentbehrlichen Maße erfüllen. Insgesamt führt die Anwendung des allgemeinen Vergaberechts dazu, dass im Regelfall die Auswahl des Leistungsanbieters in einem zugleich geordneten, an klaren recht- Zukunft der Mobilität. Berlin-Brandenburg ist kein klassischer Autostandort. Aber einer, der viel zur Zukunft der Mobilität beitragen wird. Als digitale Hauptstadt hat sich die Region als Entwicklungsstandort und Testfeld neuester Verkehrstechnologien positioniert. Hier setzen etablierte Unternehmen und Startups gemeinsam ihre Ideen um. Wenn Sie auch dabei sein wollen, sprechen Sie uns an: www.businesslocationcenter.de/ telematik Treffen Sie uns auf dem ITS World Congress 5. - 9. Oktober 2015 | Stand A3 Politik Vergabe von Verkehrsleistungen Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 16 lichen Maßstäben orientierten und intensiven Wettbewerb erfolgen muss. Der Aufgabenträger verfügt dabei jenseits der Festlegung des konkreten Beschafungsgegenstands und der Wertungskriterien nur über geringe Spielräume. Eine wettbewerbsfreie Vergabe ist in Bezug auf ÖPNV-Leistungen fast nur bei Notvergaben denkbar. Vergabe öfentlicher Dienstleistungsaufträge nach Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 Sofern Vergaben über ÖPNV-Leistungen nicht dem allgemeinen Vergaberecht unterfallen, ist nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 das in dieser Verordnung sowie §§ 8a f. PBefG ausgestaltete speziische Verkehrsvergaberecht anzuwenden. Verfahrensrechtlich ist diesbezüglich zwischen wettbewerblichen Vergabeverfahren und Direktvergaben zu unterscheiden. Gegenstand der Vergabe ist stets ein öfentlicher Dienstleistungsauftrag i.S.v. Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007. Das wettbewerbliche Vergabeverfahren ist nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 stets durchzuführen, sofern die Voraussetzungen für eine Direktvergabe nicht vorliegen, und auch anstelle einer solchen zulässig. 28 Eine normative Ausgestaltung des wettbewerblichen Vergabeverfahrens ist nur ansatzweise erfolgt. Gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 2 und 3 Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 muss „[d]as für die wettbewerbliche Vergabe angewandte Verfahren … allen Betreibern ofen stehen, fair sein und den Grundsätzen der Transparenz und Nichtdiskriminierung genügen. Nach Abgabe der Angebote und einer eventuellen Vorauswahl können in diesem Verfahren unter Einhaltung dieser Grundsätze Verhandlungen geführt werden, um festzulegen, wie der Besonderheit oder Komplexität der Anforderungen am besten Rechnung zu tragen ist.“ Ergänzend normiert § 8b PBefG einige Vorgaben über Bekanntmachungen, Unterauftragsvergaben sowie die Dokumentation des Verfahrens und ordnet an, dass Fristen „angemessen“ sein müssen 29 und der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen ist. Diese normativen Vorgaben belassen den Aufgabenträgern erhebliche Spielräume bei der Verfahrensausgestaltung. 30 Durch funktionale Ausschreibungen und die Zulassung von Nebenangeboten 31 können die konzeptionellen Fähigkeiten der - ggf. zuvor auszuwählenden - Unternehmen bereits früh genutzt werden. Infolge der Zulässigkeit von Verhandlungen vor 32 und - unter den Voraussetzungen von Besonderheiten oder Komplexität der Anforderungen 33 - nach Angebotsabgabe kann der Aufgabenträger zudem in besonders intensiver Weise auf die Realisierung seiner Vorstellungen und damit des Nahverkehrsplans hinwirken. Anstelle einer Vergabe im wettbewerblichen Vergabeverfahren kann 34 unter den in Art. 5 Abs. 2, 4 und 5 Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 normierten Voraussetzungen eine Direktvergabe durchgeführt werden. Diese deiniert Art. 2 lit. h Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 als „Vergabe eines öfentlichen Dienstleistungsauftrags an einen bestimmten Betreiber eines öfentlichen Dienstes ohne Durchführung eines vorherigen wettbewerblichen Vergabeverfahrens“, so dass mit ihr eine freie Auswahl des Verkehrsanbieters durch die zuständige Behörde einhergeht. 35 Ein speziisches „Verfahrensrecht“ der Direktvergabe existiert daher nicht. Die Konstellationen, in denen eine Direktvergabe erfolgen darf, werden in der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 abschließend normiert. Neben der viel diskutierten und besondere Anziehungskraft auf die Aufgabenträger ausübenden Beauftragung eines internen Betreibers ist die Direktvergabe bei Eisenbahn- 36 und de minimis-Verkehren sowie als Notmaßnahme zulässig. 37 Mit gewissen Einschränkungen im letztgenannten Fall bedarf es dabei stets des Abschlusses eines öfentlichen Dienstleistungsauftrags, welcher die gemeinwirtschaftlichen Verplichtungen und die Ausgleichsleistungen bestimmt, die zudem stets nach dem Anhang zur Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 zu berechnen sind, um Missbrauch und insbesondere Überkompensationen zu vermeiden. Für die Realisierung der Vorgaben des Nahverkehrsplans ist die Direktvergabe durchaus geeignet - letztlich aber vor dem Hintergrund des stets gegebenen Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers nicht grundlegend besser als im Falle einer wettbewerblichen Vergabe. Allerdings mag das Fehlen einer Ausschreibung und die dadurch ermöglichten umfassenden Abstimmungen zwischen dem Aufgabenträger und dem direkt zu beauftragenden Unternehmen dazu führen, dass im Einzelfall eine Verwirklichung des Nahverkehrsplans in noch besserer Weise gelingt als zunächst erwartet. Dies ist jedoch keineswegs zwingend und kann vor allem bei der Beauftragung eines internen Betreibers erfolgen, der nach Art. 2 lit. j, Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 deinitionsgemäß einer intensiven Kontrolle des Aufgabenträgers unterliegt, so dass zugleich informelle Steuerungsmechanismen zur Anwendung kommen (können). Ausblick: Änderungen durch das 4.-Eisenbahnpaket Durch das derzeit im europäischen Gesetzgebungsverfahren beindliche 4. Eisenbahnpaket 38 ist eine Änderung dieser Rechtslage bereits absehbar. Die Kommission hat eine Ergänzung der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 um einen neuen Art. 2a vorgeschlagen, der mit „Pläne für den öffentlichen Verkehr und gemeinwirtschaftliche Verplichtungen“ überschrieben ist. 39 Die sehr umfangreiche Vorschrift, hinsichtlich derer das Europäische Parlament nur Einzelheiten betrefende Änderungen begehrt, 40 sieht für die zuständigen Behörden - im ÖPNV mithin für die Aufgabenträger - verplichtend die Aufstellung und regelmäßige Aktualisierung von detailgenauen Plänen für den öfentlichen Personenverkehr vor, die sich auf sämtliche relevanten Verkehrsträger erstrecken. Nach Art. 2a Abs. 2 des - insoweit nicht von Änderungswünschen des Europäischen Parlaments betrofenen - Entwurfs müssen künftig „[d]ie Aufstellung gemeinwirtschaftlicher Verplichtungen und die Vergabe öfentlicher Dienstleistungsaufträge mit den geltenden Plänen für den öfentlichen Verkehr in Einklang stehen.“ In den nachfolgenden Absätzen wird eine enge Verbindung zwischen den Plänen und den zulässigen Speziikationen der gemeinwirtschaftlichen Verplichtungen für den öfentlichen Personenverkehr hergestellt. Ziel ist es sicherzustellen, „dass die Mitgliedstaaten und regionale/ lokale öfentliche Auftraggeber öfentliche Dienstleistungsaufträge auf kohärente, integrierte und eiziente Weise vergeben … Diese Pläne sollten im Einklang mit den Anforderungen der Aktionspläne für die urbane Mobilität 41 erstellt werden.“ 42 Zwar ist derzeit nicht absehbar, ob diese Änderung vor dem Hintergrund der dagegen gerichteten Kritik 43 mit diesem Inhalt verabschiedet werden wird. Erkennbar ist jedoch, dass die Nahverkehrsplanung ungeachtet der tendenziell gegenläuigen Wertungen des Subsidiaritätsprinzips, Art. 5 Abs. 3 EUV in den Fokus des Europäischen Gesetzgebers rückt und zugleich in einen engen Zusammenhang mit der Ausformung und Vergabe öfentlicher Dienstleistungsaufträge gestellt wird. Eine Planrealisierungsplicht bringt der Vorschlag gleichwohl nicht mit sich. In Anbetracht der umfangreichen Regelung werden jedoch (unter der Voraussetzung ihrer Verabschiedung) sowohl der Planungsaufwand steigen als auch Abweichungen von der Planung im Zuge der Verkehrsrealisierung weitaus schwieriger begründbar sein, als dies bislang der Fall ist. Es erscheint daher als überaus wahrscheinlich, dass sich künftig weniger die Frage nach einer Realisierung der ÖPNV-Planung mittels Auftragsvergabe stellt, sondern Nahverkehrsplanung und Auftragsvergabe von vornherein als kon- Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 17 Vergabe von Verkehrsleistungen Politik zeptionelle Einheit gesehen werden müssen. 44 ■ 1 BGBl. 1993 I S. 2378. 2 So auch schon Pützenbacher, NZV 1998, 104; von einem „politischen Steuerungsinstrument“ spricht Winnes in: Saxinger/ Winnes, Recht des öfentlichen Personenverkehrs. Kommentar zur Personenbeförderung auf Straße und Schiene. VO 1370/ 2007, Personenbeförderungsgesetz, Allgemeines Eisenbahngesetz und Nebengesetze, Stand 11/ 2014, § 8 Abs. 3 PBefG Rn. 14. Im Überblick zu Rechtsnatur und Rechtmäßigkeit von Nahverkersplänen aktuell Brenner/ Arnold, NVwZ 2015, 385 f. 3 Dies sind jedenfalls, richtigerweise aber nicht ausschließlich die örtlichen Linienverkehrsgenehmigungsinhaber, näher zu deren Mitwirkung Fielitz/ Grätz, PBefG, Stand 12/ 2014, § 8 Rn. 17. 4 Siehe nur für einen geringen Detaillierungsgrad Fielitz/ Grätz (Fn. 3), § 8 Rn. 12, 20; a. A. Heinze, in: Heinze/ Fehling/ Fiedler, PBefG, 2. Aul. 2014, § 8 Rn. 46 f.; Winnes in: Saxinger/ Winnes (Fn. 2), § 8 Abs. 4 PBefG Rn. 16 f., jeweils m.w.N. 5 Im Einzelnen dazu Knauf, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge. Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des ÖPNV, 2004, S. 413 f. 6 ABl. 2007 L 315/ 1. 7 Knauf, ZG 22 (2007), S. 328 (339). 8 So auch schon Dünchheim, VR 1997, 17 (20); ähnlich Wente, Der Nahverkehr 9/ 1995, 13 (17). 9 Vgl. Winnes in: Saxinger/ Winnes (Fn. 2), § 8 Abs. 4 PBefG Rn. 2 f. 10 Näher Knauf, GewArch 2013, 283 (285 f.). 11 Zur Finanzierung des ÖPNV Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 13 f.; Lehr, Beihilfen zur Gewährleistung des öfentlichen Personennahverkehrs. Die europarechtskonforme Finanzierung der Daseinsvorsorge am Beispiel des ÖPNV in Deutschland, 2011, S. 62 f. 12 Näher Fielitz/ Grätz (Fn. 3), § 8 Rn. 30 f. 13 Vgl. VK Lüneburg, Beschl. v. 28.2.2014 - VgK-01/ 2014, VgK- 1/ 2014, Rn. 69 - juris: „Im eigenwirtschaftlichen Verfahren übt der Auftraggeber sein Leistungsbestimmungsrecht durch den Nahverkehrsplan und die Linienbündelung gemäß § 9 Abs. 2 und § 13 Abs. 2 Nr. 3 d PersBefG aus.“ Zu den diesbezüglichen Grenzen siehe Bühner/ Siemer, DÖV 2015, 21 (24 f.). 14 Ausführlich dazu Knauf (Fn. 5), S. 422 f.; Barth in: Baumeister, Recht des ÖPNV II, 2013, A2 Rn. 33 f. 15 Von einem „Einkaufszettel“ spricht Fehling, in: Heinze/ Fehling/ Fiedler (Fn. 4), § 8a Rn. 12. 16 Winnes in: Saxinger/ Winnes (Fn. 2), § 8 Abs. 4 PBefG Rn. 15, verweist zutrefend darauf, dass der Nahverkehrsplan Vergaben nur vorbereitet. 17 Fehling, in: Heinze/ Fehling/ Fiedler (Fn. 4), § 8a Rn. 12. 18 Zur unterschiedlichen Begrilichkeit vgl. auch Hübner, VergabeR 2009, 363 (365 f.); Nettesheim, NVwZ 2009, 1449 (1450); Otting/ Scheps, NVwZ 2008, 499 (500). 19 Vgl. KOM(2005) 319 endg., S. 16. 20 Ungeachtet des Wortlauts für einen Anwendungsvorrang des Vergaberechts auch außerhalb dieser Bereiche Weyd, EWS 2010, 167 (173); a.A. Kommission, Mitteilung über die Auslegungsleitlinien zu der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 über öfentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, ABl. C 92/ 1 (3); Prieß, in: Kaufmann/ Lübbig/ Prieß/ Pünder, VO (EG) Nr. 1370/ 2007. VO über öfentliche Personenverkehrsdienste. Kommentar, 2010, Art. 5 Rn. 14; ausführlich zum Verhältnis zwischen den Normkomplexen Linke, Die Gewährleistung des Daseinsvorsorgeauftrags im öfentlichen Personennahverkehr, 2010, S. 246 f. 21 Griem/ Mosters, in: Pünder/ Prieß (Hrsg.), Brennpunkte des öfentlichen Personennahverkehrs vor dem Hintergrund der neuen EG-Personenverkehrsdiensteverordnung Nr. 1370/ 2007, 2010, S. 1 (5). 22 EuGH, Slg. 2005, I-8585 Rn. 40 - Parking Brixen. Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2014/ 23/ EU über die Konzessionsvergabe, ABl. 2014 L 94/ 1, deiniert dies nunmehr wie folgt: „Mit der Vergabe einer Bau- oder Dienstleistungskonzession geht auf den Konzessionsnehmer das Betriebsrisiko für die Nutzung des entsprechenden Bauwerks beziehungsweise für die Verwertung der Dienstleistungen über, wobei es sich um ein Nachfrageund/ oder ein Angebotsrisiko handeln kann. Das Betriebsrisiko gilt als vom Konzessionsnehmer getragen, wenn unter normalen Betriebsbedingungen nicht garantiert ist, dass die Investitionsaufwendungen oder die Kosten für den Betrieb des Bauwerks oder die Erbringung der Dienstleistungen, die Gegenstand der Konzession sind, wieder erwirtschaftet werden können. Der Teil des auf den Konzessionsnehmer übergegangenen Risikos umfasst es, den Unwägbarkeiten des Marktes tatsächlich ausgesetzt zu sein, so dass potenzielle geschätzte Verluste des Konzessionsnehmers nicht rein nominell oder vernachlässigbar sind“. 23 Grundlegend EuGH, Slg. 1999, I-8121 Rn. 50 - Teckal. 24 ABl. 2014 L 94/ 65; im Einzelnen dazu Knauf, EuZW 2014, 486 f. 25 Wie hier OLG Düsseldorf, NZBau 2011, 244 (247); Fehling, in: Heinze/ Fehling/ Fiedler (Fn. 4), § 8a Rn. 38; Hübner, VergabeR 2009, 363 (367 f.); Winnes, VergabeR 2009, 712 (716); a. A. OLG Frankfurt, NZBau 2014, 386 (388); Nettesheim, NVwZ 2009, 1449 (1451); Stickler/ Feske, VergabeR 2010, 1 (7). 26 Zur Durchführung sowie zu Vor- und Nachteilen im Überblick Landsberg/ Eichmann, in: Baumeister (Fn. 14), B2 Rn. 6 f. 27 Siehe nur Dreher, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht II: GWB/ 2, 5. Aul 2014, § 97 Rn. 315 f. 28 Nicht überzeugen kann die Aufassung von Bühner/ Siemer, DÖV 2015, 21 (26), wonach eine Direktvergabe im Falle einer die Eigenwirtschaftlichkeit entfallen lassenden Linienbündelung an das vorhandene mittelständische Verkehrsunternehmen aus Gründen des Grundrechtsschutzes „in der Regel als zwingend“ anzusehen sei. Dies verkennt, dass dadurch eine Grundrechtsverwirklichung aller anderen an einer Beauftragung interessierten Verkehrsunternehmen verhindert wird. Auch haben weder der europäische noch der deutsche Gesetzgeber in den einschlägigen Vorschriften einen Vorrang der Direktvergabe angelegt. 29 Eine Orientierung an den im allgemeinen Vergaberecht vorgesehenen Frist bietet sich insoweit an, vgl. auch Linke (Fn. 20), S. 243. 30 Näher Knauf, NZBau 2011, 655 (657 f.). 31 Zur Notwendigkeit bei fehlender Normierung EuGH, Slg. 2003, I-11941 - Traunfellner. 32 Fehling, in: Heinze/ Fehling/ Fiedler (Fn. 4), § 8b Rn. 43 f.; Knauf, NZBau 2011, 655 (657); Prieß, in: Kaufmann/ Lübbig/ Prieß/ Pünder (Fn. 20), Art. 5 Rn. 176; a. A. Berschin, in: Baumeister (Fn. 14), A1 Rn. 103; Griem/ Mosters (Fn. 21), S. 1 (22); Linke (Fn. 20), S. 239. 33 Dies schließt reine Preisverhandlungen aus, Griem/ Mosters (Fn. 21), S. 1 (21). 34 Zu den relevanten Aspekten für die Verfahrenswahl Knauf, DVBl. 2014, 692 (694 f.). 35 Nettesheim, NVwZ 2009, 1449 (1452); enger Linke (Fn. 20), S. 223 f.; kritisch zur Primärrechtskonformität Berschin, in: Baumeister (Fn. 14), A1 Rn. 109 f. 36 Diesbezüglich ist jedoch zu beachten, dass Dienstleistungsaufträge i.S.v. § 99 Abs. 4 GWB im Eisenbahnverkehr einschließlich des SPNV nach Aufassung des BGH dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterfallen, BGHZ 188, 200. 37 Dazu Knauf, NZBau 2012, 65 (69 f.); ausführlich Fandrey, Direktvergabe von Verkehrsleistungen. Beauftragung ohne vorherige Durchführung eines Vergabeverfahrens im Bereich straßengebundener Beförderung nach den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007, 2010, S. 195 f. 38 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Das vierte Eisenbahnpaket — Vollendung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums zur Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in der EU, COM(2013) 25 inal; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1192/ 69 des Rates über gemeinsame Regeln für die Normalisierung der Konten der Eisenbahnunternehmen, COM(2013) 26 inal; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Eisenbahnagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 881/ 2004, COM(2013) 27 inal; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 hinsichtlich der Öfnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste, COM(2013) 28 inal; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2012/ 34/ EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schafung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums bezüglich der Öfnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste und der Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur, COM(2013) 29 inal; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Europäischen Union (Neufassung), COM(2013) 30 inal; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Eisenbahnsicherheit (Neufassung), COM(2013) 31 inal. 39 COM(2013) 28 inal, S. 12 f. 40 Siehe http: / / www.europarl.europa.eu/ sides/ getDoc. do? pubRef=-/ / EP/ / TEXT+TA+P7-TA-2014- 0148+0+DOC+XML+V0/ / DE. Die Kommission hat sich mit diesen Änderungswünschen in ihrem Standpunkt v. 20.5.2014 einverstanden erklärt, vgl. SP (2014) 446. 41 KOM(2009) 490 endg. 42 COM(2013) 25 inal, S. 9. 43 Siehe etwa das Positionspapier des VDV „Den europäischen Eisenbahnraum vollenden und den Ordnungsrahmen fair gestalten“ vom September 2014, S. 11 (abrufbar unter https: / / www.vdv.de/ viertes-eu-eisenbahnpaket. pdfx? forced=true). 44 Dahingehend auch schon Fehling/ Niehnus, DÖV 2008, 662 (668). Die Möglichkeit und der Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre werden dadurch nicht in Frage gestellt. Sie tragen allein zu einer weiteren Komplexität der Problemstellung bei. Matthias knauf, Prof. Dr., LL.M. Eur. Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht, Lehrstuhl für Öfentliches Recht, insb. Öfentliches Wirtschaftsrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät; Geschäftsführender Direktor Institut für Energiewirtschaftsrecht; Friedrich-Schiller-Universität Jena matthias.knauf@uni-jena.de Das Controlling von ÖPNV-Unternehmen steht im Mittelpunkt dieses Buchs. Experten aus ÖPNV-Unternehmen, Wissenschaft und Beratungshäusern stellen Instrumente zur Unternehmenssteuerung praxisnah vor und informieren über aktuelle Entwicklungen. Damit liefert das Buch Anregungen, Ideen und Lösungsansätze für Controllingprobleme. Jetzt bestellen! Per Telefon: 040-23714-440 oder in unserem Buchshop unter www.dvz.de/ shop Controlling im ÖPNV Instrumente und Praxisbeispiele Unternehmenssteuerung und Controlling im ÖPNV, Christian Schneider (Hrsg.), 1. Auflage 2013, 224 Seiten, broschiert, EUR 49,inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten Infos und Leseprobe unter www.dvz.de/ controepnv NEU Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 19 Infrastrukturprojekte POLITIK Termintreu und kostensicher? Zum ofensiven Umgang mit Realisierungsrisiken im Vergabeverfahren großer öfentlicher Infrastrukturprojekte Großprojekte, öfentliche Hand, Realisierungsrisiken, Ausschreibung, Risikomanagement An schlechte Nachrichten zu jahrelangen Terminverzögerungen und erheblichen Kostenüberschreitungen bei großen Infrastrukturprojekten ist man in Deutschland gewöhnt: Es wird teurer und dauert wieder einmal länger als gedacht. Doch sollen wir uns damit zufriedengeben? Oder können die Ursachen der ofensichtlich unbefriedigenden Situation gar von vornherein vermieden werden? Der vorliegende Artikel skizziert einen Lösungsansatz zum Umgang mit vorhersehbaren Risiken in der Realisierung öfentlicher Infrastrukturprojekte, der schon beim Vergabeverfahren der Projekte ansetzt. Damit konkretisiert der Ansatz die Forderung nach einem frühzeitigen und kontinuierlichen Risikomanagement, die von der „Reformkommission Bau von Großprojekten“ am Bundesverkehrsministerium in ihrem Endbericht vom Juni 2015 aufgestellt worden ist 1 . Der Autoren: Korbinian Leitner, Alexander Neumann A uf der Baustelle begegnet uns die Realität: Große Infrastrukturprojekte wollen realisiert werden, und erst dann zeigt sich, wie viel das Papier wert ist, auf dem die Pläne gedruckt sind [1]. Noch immer vernachlässigt die öfentliche Hand die Risiken in der Realisierung großer Infrastrukturprojekte, die nach Überzeugung der Autoren bereits in der Ausschreibung berücksichtigt werden müssen. Unter dem Begrif der Realisierungsrisiken sind Unwägbarkeiten bei der konkreten bautechnischen Umsetzung zu verstehen, die wiederum die termingerechte und kostensichere Realisierung des Gesamtprojektes gefährden [2]. Oft sind den Beteiligten solche Risiken bekannt und darüber hinaus in ihrer Wirkung vorhersehbar. Doch geht man bei den Ausschreibungen nach wie vor davon aus, dass die bautechnische Realisierung eines Vorhabens unter Idealbedingungen, also ohne störende Einlüsse und Ereignisse, vonstattengeht. Bis heute bewerten öfentliche Vergabestellen in Deutschland die Angebote daher allein nach den Kriterien Preis und Technik und wundern sich, wenn die Umsetzung dann nicht so klappt, wie geplant. Realisierungsrisiken Die mit der baulichen Realisierung der großen und oft komplexen Vorhaben verbundenen Risiken inden im Vergabeverfahren nur geringe Beachtung. Und das, obwohl sie unmittelbar die ursächlichen Treiber für die so häuig beklagten Terminverzögerungen und Baukostensteigerungen sind. Beispiel: Für die Verbreiterung einer Autobahn besteht das Risiko, dass ein benötigtes Grundstück erst verspätet zur Verfügung steht. Bei Eintreten dieses Risikos verzögert sich der Baufortschritt, und die Bauindustrie hat ein gutes Argument, in Zeit und Geld nachzufordern. Beide Parteien, die ausschreibende öfentliche Stelle wie auch der private Auftragnehmer, schlittern sehenden Auges in eine Konliktsituation, die von nachträglichen Forderungen bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geprägt ist. Wie geht man also um mit erfolgsgefährdenden Realisierungsrisiken? Risikovorsorge Die efektive Bewältigung von Risiken setzt bei der Vorbeugung an. Das ist bei bautechnischen Realisierungsrisiken nicht anders. Unliebsamen Überraschungen kann nur dann erfolgreich begegnet werden, wenn im Voraus und in ofensiver und transparenter Weise Projektrisiken analysiert und bewertet werden. Auf diese Weise erhält man einen Eindruck über das Risikoproil des Projektes und kann das Vorhaben dahingehend einschätzen. Die Wirksamkeit für den Projekterfolg ist allerdings nur dann gegeben, wenn das Thema Risikomanagement bereits in der Ausschreibung verankert ist und hierbei eine wortwörtlich entscheidende Rolle spielt. Wird also bei der Vergabe eines Vorhabens neben den Kriterien Preis und Technik ein neues, drittes Kriterium Risikomanagement etabliert, signalisieren öfentliche Auftraggeber ihre Entschlossenheit für dieses erfolgsentscheidende Thema der Realisierungsrisiken und Risikovorsorge. Dabei ist die Gewichtung des neuen Kriteriums gegenüber den beiden herkömmlichen Kriterien Preis und Technik ausschlaggebend. Risikomanagement wird nur dann ernst genommen, wenn es für die Vergabeentscheidung von Bedeutung ist. Beispiel Niederlande Wie lässt sich dies in der Vergabepraxis umsetzen? Unser Nachbarland Niederlande macht es vor, völlig unabhängig davon, ob konventionell die reine Bauleistung beauftragt oder ganzheitliche Leistungen über den Lebenszyklus als Konzession vergeben werden [3]. Dort fordern die Vergabestellen bei Infrastrukturprojekten bereits in einer sehr frühen Phase einen sogenannten Risikomanagementplan. Die Bieter sind aufgefordert, zu projektbezogenen Risikotatbeständen Stellung zu nehmen. Sie sollen organisatorische, prozessuale und technische Maßnahmen entwickeln, wie sie selbst - die privaten Bieter und späteren Auftragnehmer - diese projektspeziischen Risiken bei der Umsetzung des Vorhabens verringern oder vermeiden können. In der Regel werden sechs bis zwölf bedeutsame Einzelrisiken behandelt. Die Bieter analysieren die Risikotatbestände und setzen sich intensiv mit der jeweiligen Situation auseinander. Darauf aufbauend entwickeln sie Maßnahmen, um Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe des betrefenden Risikos zu reduzieren oder - wenn möglich - gänzlich zu vermeiden. Die Vorschläge werden im wettbewerblichen Dialog besprochen und auf ihre Wirksamkeit hin ausgelotet. Damit erarbeiten öfentliche Hand und privater Partner Politik Infrastrukturprojekte Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 20 Hand in Hand die Basis für einen ofensiven Umgang mit den wesentlichen Realisierungsrisiken eines Infrastrukturprojektes. Risikomanagementplan Nach niederländischem Muster sind die Anforderungen an einen Risikomanagementplan hoch. So ist etwa jede vorgeschlagene Maßnahme zur Bewältigung eines Risikos „smart“ zu formulieren, das heißt sie muss speziisch sein, messbar, akzeptabel, durchführbar und mit einer Zeitvorgabe versehen. Nur dann gibt es volle Punktzahl. Zusätzlich ist die Wirksamkeit abzuschätzen, also welchen positiven Efekt die Maßnahme hinsichtlich Zeit, Geld und Verfügbarkeit der Anlage voraussichtlich erzielen wird. Pro Risiko gibt es in der schriftlichen Darlegung nur begrenzt Platz, eben oft nur eine DIN A4-Seite. Damit wird ein solcher Risikomanagementplan sehr schnell präzise und konkret. Schwammige Angaben führen hier nicht zum Ziel. Einschätzung der Risikoefekte Die Bewertung der Risiken und die Einschätzung der Efekte bei Eintreten des Risikos kann anhand eines Kriterienkatalogs erfolgen. Neben der Eintrittswahrscheinlichkeit und den Kosten materieller Schäden können zusätzlich die Auswirkungen auf den Bauzeitplan und auf die Verfügbarkeit der Infrastrukturanlage untersucht werden (Weitere Kriterien können sein: die Auswirkungen auf die Qualität der Ausführung, die Umwelt, die Sicherheit in der Nutzung der Anlage oder die Gesundheit der Anrainer). Der Vergleich der Situation vor und nach der Durchführung einer Maßnahme zeigt, welchen Efekt die jeweilige Maßnahme zur Risikobewältigung vermutlich hat. In folgendem Vorschlag eines Kriterienkatalogs werden zu jedem Aspekt sechs mögliche Zustände deiniert, denen jeweils ein Geldbetrag in Euro zugeordnet ist (Tabelle 1). Gewichtung Für die Auswahl des bevorzugten Bieters ist der Risikomanagementplan in den Niederlanden von wortwörtlich entscheidender Bedeutung. Im zweistuigen Vergabeverfahren des wettbewerblichen Dialogs erfolgt die Reduzierung der Anzahl Bieter für die zweite Phase (Shortlisting) ausschließlich auf Basis des eingereichten Risikomanagementplans. Die Aspekte Preis und technische Lösung spiegeln sich nur indirekt in den darin vorgeschlagenen Maßnahmen wider. Um die Ernsthaftigkeit der Risikovorsorge zu untermauern, ist festgelegt, dass einmal gemachte Zusagen später nicht zurückgenommen werden können. Überdies wird für den Gewinner der Ausschreibung sein Risikomanagementplan Bestandteil des Vertrages und rechtlich bindend. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Risikobewältigung sind also Teil der zu erbringenden Gesamtleistung. kosten der Risikovorsorge Die Kosten der Maßnahmen zur Risikovorsorge variieren je nach Art und Intensität ihrer Umsetzung. Einige Maßnahmen werden sich bis zu einem gewissen Grad, etwa mit geschickter Organisation und Bauablaufplanung, ohne zusätzliche Kosten realisieren lassen und haben damit keinen Einluss auf den Angebotspreis. Erfahrung, Scharfsinn und Einfallsreichtum in der technischen Realisierung zahlen sich hier für den Bieter aus. Andere Vorschläge zur Risikoreduzierung werden mit zusätzlichen Kosten verbunden sein und damit das Angebot verteuern. Zumindest auf den ersten Blick. Die Rechnung ist einfach: Solange die Vorsorgekosten unter dem zu erwartenden Schaden bleiben, sind sie für die Projektrealisierung insgesamt vorteilhaft und sollten von der öfentlichen Hand beauftragt werden. Die Alternative dazu sind unkalkulierbare Nachforderungen und erhebliche zeitliche Verzögerungen. Billig einzukaufen heißt im vorliegenden Fall eben auch, riskant einzukaufen. Wertungsmechanismus In den Niederlanden erhalten die Bieter auf ihren Risikomanagementplan einen iktiven Euro-Betrag gutgeschrieben, der die Bedeutung der Risikobewältigung für den Auftraggeber widerspiegelt. Dieser (iktive) Betrag wird bei der Wertung vom tatsächlichen Angebotspreis abgezogen. Die Bieter erhalten damit in Abhängigkeit von der Qualität ihrer Vorsorgemaßnahmen einen Abschlag auf ihren Angebotspreis. Je besser der Risikomanagementplan bewertet wird, desto höher ist der Abschlag. Der eigene Angebotspreis beinhaltet selbstredend die Kosten der vorgeschlagenen Maßnahmen. Ausschlaggebend für die Reihung der Angebote ist demnach der so verbleibende Nettoangebotspreis. Vergabepraxis in Deutschland Für die deutsche Vergabepraxis wären für ein solches Vorgehen einige Vorbereitungen nötig. Auf beiden Seiten, sowohl bei der ausschreibenden öfentlichen Stelle als auch den privaten Bietern, müssten sich die Akteure mit dem neuen Kriterium „Risikomanagement“ vertraut machen. Sie müss- Eintrittswahrscheinlichkeit „p(R)“ # Efekt Wirkung 0 nicht möglich 0 % 1 fast nie 1 % 2 unwahrscheinlich 5 % 3 selten 10 % 4 reelle Chance 25 % 5 fast sicher > 50 % Die Einordnung nach dem Grad der Gewissheit eines Schadensereignisses reicht von „nicht möglich“ bis „fast sicher“. Ereignisse mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 % werden als nahezu sicheres Ereignis gewertet. kosten „k“ (in Euro) # Efekt Wirkung 0 keine 0 1 sehr niedrig 50 000 2 klein 250 000 3 mittel 1 250 000 4 hoch 5 000 000 5 sehr hoch > 25 000 000 Risikotatbestände können bei Eintreten materielle Schäden - Kosten - in unterschiedlicher Höhe verursachen. Die Einordnung der Kosten erfolgt von „keine Kosten“ bis hin zu „sehr hohe Kosten“. Bauzeit „Z“ (Fertigstellungstermin) # Efekt Wirkung Euro 0 keinen 0 0,00 1 sehr klein < 1 Tag 250 000 2 klein 1 Tag - 1 Woche 1 250 000 3 mittel 1 Woche - 1 Mon 5 000 000 4 groß 1 - 3 Monate 15 000 000 5 sehr groß > 3 Monate 50 000 000 Projektrisiken können bei Eintreten eine zeitliche Verzögerung des Bauablaufs mit sich bringen. Die Größenordnung des materiellen Schadens in Euro ergibt sich anteilig aus dem Gesamtbauvolumen und der geplanten Bauzeit. Verfügbarkeit „V“ (kosten in Euro) # Efekt Wirkung 0 keinen 0 1 sehr klein 5000 2 klein 25 000 3 mittel 100 000 4 groß 1 000 000 5 sehr groß > 5 000 000 Schadensereignisse können die Verfügbarkeit der Infrastrukturanlage einschränken. Je nach Dauer und Umfang der Einschränkungen ergeben sich Nichtverfügbarkeiten der nebenstehenden Stufen von 0 bis 5. Tabelle 1: Vorschlag eines Kriterienkatalogs zur Risikobewältigung Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 21 Infrastrukturprojekte POLITIK ten verstehen lernen, dass Risikovorsorge auf die Qualität der Leistungserbringung abstellt, die sich wiederum neben der rein bautechnischen Realisierung durch den Zeitpunkt der Verfügbarkeit der Infrastrukturanlage und der Einhaltung des Kostenrahmens ausdrückt. Das europäische und deutsche Vergaberecht geben den ausschreibenden Stellen den notwendigen Freiraum, das Verfahren und die Wertungskriterien dahingehend auszugestalten (vgl.-[4]). Projekterfolg Mit der Forderung eines projektspeziischen Risikomanagementplans erwarten die Vergabestellen von den Bauirmen nichts weniger, als im schönsten Sinne unternehmerisch tätig zu werden. Das aktive Managen und Bewältigen von bautechnischen Realisierungsrisiken ist die Kernkompetenz eines Bauunternehmens. Diese Kompetenz ist per se bei jedem neuen Auftrag zur Errichtung eines neuen Bauwerks unabdingbar. Ein Bauunternehmen, das seine eigene Existenz nicht gefährden will, wird die Risiken eines Projektes verantwortungsvoll analysieren. Und genau diese Kompetenz einzufordern, ist die Voraussetzung dafür, als öfentlicher Auftraggeber Großprojekte der öfentlichen Infrastruktur künftig wieder erfolgreicher zu realisieren als bisher. ■ 1 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Reformkommission Bau von Großprojekten, Endbericht vom 29. Juni 2015, Berlin. QUELLEN [1] Hertie School of Governance, Großprojekte in Deutschland - zwischen Ambition und Realität, Mai 2015, www.hertie-school.org. [2] Leitner, Korbinian, 2010: Die Maut im F-Modell zur Fernstraßenfinanzierung, Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, Forum Wirtschaft 15, München. [3] Leitner, Korbinian, 2014: „Neue Wege - die ganzheitliche Beschaffung“, in: Internationales Verkehrswesen, 66. Jahrgang, Heft 4, S. 29-31. [4] Das wirtschaftlichste Angebot: Hinweise zur richtigen Gestaltung und Wertung im Vergabeverfahren, hrsg. von Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, Mai 2014, München. Korbinian Leitner, Dr. Projektleiter, HOCHTIEF PPP Solutions GmbH Niederlassung Transport Infrastruktur Europa, Essen korbinian.leitner@hochtief.de Alexander Neumann Managing Director, HOCHTIEF PPP Solutions Netherlands B.V., Diemen (NL) alexander.neumann@hochtief.de The TUM Department of Civil Geo and Environmental Engineering invites applications for a position as Full Professor for »Transportation Systems Engineering« to be appointed as soon as possible. The salary will consist of a base salary according to Bayerische Besoldungsgesetz (Bavarian Remuneration Act, initial payscale grade W3); candidates might be eligible for additional premiums. We are looking for a scholar of distinction with a high international reputation in design and operation of connected transportation systems. The successful candidate will have demonstrated an internationally recognized research program as well as outstanding academic records and will be expected to perform cutting-edge research in modelling and implementation of intermodal transportation systems. The research topics dealing with the development of system architectures, integrated modelling of complex dynamic systems, technologies and operation of public transportation systems as well as digitalization and (partial) automation of transportation are of particular interest. A proven ability to attract competitive national and international funding is expected. In addition to providing strong, committed leadership and inspiration in research, the candidate will also be expected to actively contribute to the ongoing development of the university’s research and teaching program, support the promotion of young scientists and participate in university boards and committees. The regulations according to “TUM Faculty Recruitment and Career System” (http: / / www.tum.de/ faculty-tenure-track) apply. Teaching assignments include courses in the subject area and the basic courses ofered by the department as well as courses for other academic TUM departments. Prerequisites for this position are a university degree, a doctoral degree, teaching skills at university level, and additional academic achievements (according to Art. 7 and Art. 10 III BayHSchPG). Candidates for this position should be aged 51 or under at the time of appointment; exceptions to this rule might be possible. The ability to teach in English is a prerequisite for TUM Professors. As part of the Excellence Initiative of the German federal and state governments, TUM is pursuing the strategic goal of substantially increasing the diversity of its faculty. As an equal opportunity and airmative action employer, TUM explicitly encourages nominations of and applications from women as well as from all others who would bring additional diversity dimensions to the university’s research and teaching strategies. Preference will be given to disabled candidates with essentially the same qualiications. The TUM Munich Dual Career Oice provides support for dual career couples and families. Applications accompanied by supporting documentation in English (CV, certiicates, credentials, list of publications, 3 selected reprints and a short statement with a max. of 1,000 characters describing their novelty impact, list presentation of research strategy, list of courses taught, statement on teaching strategy and teaching philosophy, third-party funding, as well as the names and addresses of at least 3 references) should be submitted by September 30, 2015 to: Dean, Department of Civil Geo and Environmental Engineering Technische Universität München Arcisstr. 21, 80333 München (Germany) E-Mail: dekanatbgu@tum.de Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 22 Mobilitätssicherung in alternden Gesellschaften Nationale Handlungsansätze in Europa Alternde Gesellschaft, Mobilitätsbedürfnisse, Verkehrspolitik, Verkehrssicherheit Der demographische Wandel stellt die Verkehrspolitik vor die Herausforderung, Mobilität und gesellschaftliche Teilhabe einer zunehmenden Zahl älterer Verkehrsteilnehmer zu sichern. Die EU-Mitgliedsstaaten realisieren diesbezüglich auf der nationalen Ebene eine Vielzahl von Maßnahmen und strategischen Ansätzen. Das Forschungsprojekt „TRACY - TRAnsport needs for an ageing soCietY“ im Auftrag der EU-Kommission gibt Aufschluss darüber, inwieweit die Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen im Rahmen dieser aktuellen Verkehrspolitiken berücksichtigt werden und wo noch Defizite festzustellen sind. Die Autoren: Matthias Gather, Jörn Berding, Sandra Franz, Markus Rebstock S eit geraumer Zeit steht der demographische Wandel in vielen europäischen Ländern im Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen. Auch im Bereich der internationalen Verkehrsforschung sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Studien zu den Herausforderungen des demograischen Wandels für das Verkehrssystem erstellt worden, die sich mit Fragen der Verkehrssicherheit, der Beibehaltung autonomer Mobilität, barrierefreien Verkehrssystemen sowie der Dimensionierung und Finanzierbarkeit von Infrastrukturen befassen [vgl. 1, 2, 3, 4]. Eine Übersicht wesentlicher, aus dem gesellschaftlichen Alterungsprozess resultierender Herausforderungen für die Verkehrspolitik bietet Bild 1. Eine dieser Herausforderungen ist, wie die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen gesichert werden kann. Diese Frage steht in Zusammenhang mit altersbedingt verstärkt auftretenden Aspekten wie Verarmung, Vereinsamung, Exposition gegenüber kriminellen Handlungen oder einer zunehmenden Furchtsamkeit, am teils unübersichtlichen Verkehrsgeschehen teilzunehmen. „Klassisch“ im Sinne der Wahrnehmung alternder Gesellschaften sind gesundheitliche Aspekte, die spezielle Reaktionsweisen der Politik erfordern [vgl. 5, 6]. Schließlich hat die Alterung der Gesellschaft auch Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten [vgl. 7, 8, 9]: Wegezwecke, -häuigkeit und Geschwindigkeit, Zeitbudget sowie die Verkehrsmittelwahl ändern sich mit dem Wandel der sozialen Situation. Im Rahmen des Forschungsvorhabens „TRACY“ hat unter Leitung des Instituts Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt eine internationale Forschergruppe evaluiert, inwieweit die Mitgliedsstaaten der EU und weitere Staaten auf den Alterungsprozess der Gesellschaft reagieren. Im Vordergrund standen dabei folgende Ziele: • Schafung eines systematischen Überblicks zu verkehrspolitischen Maßnahmen, Programmen und Strategien, die die Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen in den 33 untersuchten Ländern (EU27, Schweiz, Norwegen, USA, Australien, Neuseeland, Japan) adressieren. POLITIK Demografischer Wandel Foto: pixabay.com Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 23 Demograischer Wandel POLITIK • Analyse, wie geeignet dieser ‘state of the art’ zur Erfüllung der Mobilitätsbedürfnisse einer alternden Gesellschaft ist. • Identiikation von Lücken in Forschung und Politik als Beitrag zu einer Strategie für die konsequente Berücksichtigung dieser Mobilitätsbedürfnisse. Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen Der Begrif ältere Menschen ist keinesfalls klar umrissen. Während in der Werbung häuig die „Generation 50+“ oder „junge Alte“ adressiert werden, indet in allgemeinen Statistiken eher das Renteneintrittsalter Anwendung. Daneben gibt es Typologien einzelner Gruppen innerhalb „der“ älteren Bevölkerung wie z. B. „Hochbetagte“. Neben dem reinen Alter spielen weitere Faktoren eine Rolle, um diese Bevölkerungsgruppe zu charakterisieren. So gibt es ältere Menschen, die it und aktiv sowie sozial gut integriert sind und ihr Leben nach wie vor selbständig bestreiten. Hingegen gibt es auch Personen, deren gesellschaftliche Teilhabe und Aktivität aufgrund physischer und psychischer Einschränkungen so limitiert sind, dass eine umfänglichere Hilfe durch Dritte nötig wird. Im Rahmen des TRACY-Projekts wurden zur Konkretisierung der Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen unter Berücksichtigung verschiedener internationaler Studien und Untersuchungen [vgl. z.B. 10, 11] essentielle Qualitätsmerkmale eines altersfreundlichen Verkehrssystems („Systemqualitäten“) abgeleitet (s. Tabelle 1). Die Erfüllung der Systemqualitäten charakterisiert Merkmale eines Verkehrssystems im Sinne eines Designs für Alle, die universell für jede Bevölkerungsgruppe gelten und letztlich zu deren gesellschaftlicher Teilhabe beitragen. Analyse der Verkehrspolitiken Auf der jeweiligen nationalen Ebene der untersuchten Länder wurden insgesamt 174 Politiken identiiziert, die sich im Bereich Landverkehrsträger mit verkehrspolitischen Antworten auf die alternde Gesellschaft beschäftigen. Analog zum englischen Begrif policy wurde dabei als Politik die inhaltliche Dimension der jeweiligen Maßnahme deiniert. Zwar wurden ausschließlich nationale Politiken betrachtet, häuig enthalten diese aber auch Empfehlungen für Akteure auf der regionalen und lokalen Ebene. Ungefähr die Hälfte der identiizierten Politiken befasst sich mit dem ÖV und dem MIV, während verkehrsträgerübergreifende Ansätze, Fuß- und Radverkehr oder ergänzende (virtuelle) Angebote deutlich weniger im Fokus stehen. Themen integrierter Politikansätze, die mehr als einen Verkehrsträger adressieren, sind häuig • Veränderungen bezogen auf die Fahrtüchtigkeit Älterer, deren Erhaltung sowie die Rolle Älterer bei Verkehrsunfällen • das Potenzial einer größeren Nachfrage im ÖV • die Verbesserung der Bedingungen des Fuß- und Radverkehrs für Ältere • der Abbau physischer und informationeller Barrieren für ältere Menschen sowie • die Information und Sensibilisierung von Entscheidungsträgern, Planern und älteren Menschen zu Mobilität und Verkehrsverhalten im Alter. Im Bereich des ÖV beziehen sich zahlreiche Politiken auf Fahrpreisbefreiungen oder -ermäßigungen, wobei eine große Bandbreite von Kriterien in unterschiedlicher Ausprägung angewandt wird, um diese beanspruchen zu können: Während das Einkommen nur im Ausnahmefall herangezogen wird, zählen hierzu das Alter (z. B. ab 60/ 65/ 67/ 70 oder 80 Jahren, teils gender- Systemqualität Erläuterung Barrierefrei Die Einrichtungen des Verkehrssystems sollten auch von Menschen mit Behinderung ohne besondere Schwierigkeit oder Hilfe von Dritten nutzbar sein. Sie sollten unter Berücksichtigung der im Alter (tendenziell) häuiger auftretenden physischen, sensorischen und kognitiven Beeinträchtigungen gestaltet sein. Bezahlbar Die inanziellen Möglichkeiten älterer Menschen sollten die Nutzung des Verkehrssystems erlauben. Eizient Es sollte möglich sein, das gewünschte Reiseziel innerhalb einer annehmbaren und angemessenen Reisezeit zu erreichen. Freundlich Das Verkehrssystem sollte ”ofen” gegenüber älteren Menschen sein. Soweit möglich sollte Personal auf verschiedene Weise (Telefon, persönlich) ansprechbar und mit den besonderen Ansprüchen älterer Nutzer vertraut sein. Komfortabel Das Verkehrssystem sollte so gestaltet oder angepasst werden, dass ältere Menschen es ohne Einschränkungen, Unannehmlichkeiten, Stress oder Angst nutzen können. Sicher (Safety) Die Nutzung des Verkehrssystems sollte ältere Menschen mit ihren besonderen Bedürfnissen nicht gefährden. Sie sollten sich während der Nutzung nicht unsicher fühlen. Sicher (Security) Das Verkehrssystem sollte zuverlässig sein und älteren Menschen das Vertrauen vermitteln, sich bei der Nutzung keinem unnötigen Risiko aussetzen. Transparent Ältere Menschen sollten Kenntnis über die verfügbaren Verkehrs- und Mobilitätsangebote haben und verstehen, wie diese zu nutzen sind. Verfügbar Das Mobilitäts- und Verkehrssystem sollte in einer Weise verfügbar sein, die älteren Menschen die Nutzung ermöglicht. Verständlich Informationen über das Verkehrssystem und Mobilitätsdienste sollten auf verschiedenen Wegen so kommuniziert werden, dass sie für ältere Menschen einfach zu verstehen und nachzuvollziehen sind. Zuverlässig Das Verkehrssystem sollte so funktionieren wie beschrieben und beworben, und auch Beeinträchtigungen durch schwer einschätzbare Ereignisse (z.B. unvorhergesehene Wettereinlüsse) tolerieren. Ergänzende Merkmale Das Verkehrssystem sollte durch andere Politikbereiche und Maßnahmen lankiert werden, die die Autonomie älterer Menschen zusätzlich zur persönlichen Mobilität unterstützen (z.B. mobile/ virtuelle Dienstleistungsangebote; stadtplanerische Aspekte etc.). Tabelle 1: Qualitätsmerkmale eines altersfreundlichen Verkehrssystems Quelle: [12] Bild 1: Verkehrspolitische Herausforderungen der alternden Gesellschaft Quelle: Eigene Darstellung POLITIK Demografischer Wandel Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 24 diferenziert), der Beschäftigungsstatus (Ruhestand) oder die Beanspruchung staatlicher Versorgungsleistungen. Weitere Maßnahmen sind die Förderung einer barrierefreien Gestaltung, die Verbesserung der Servicequalität speziell für ältere Menschen oder die Einführung spezieller Fahrdienste. Im Bereich des MIV stehen neben Aspekten der Verkehrsraumgestaltung unter Berücksichtigung der Belange älterer Verkehrsteilnehmer insbesondere Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit im Mittelpunkt. Beim Fuß- und Radverkehr liegt der Fokus ebenfalls häuig auf der Verkehrssicherheit älterer Menschen und deren verstärkte Berücksichtigung in Verkehrssicherheitsprogrammen aufgrund des erhöhten Risikos für schwerwiegende Verletzungen. Zudem wird auf altersbedingte Veränderungen der körperlichen, sensorischen und kognitiven Fähigkeiten und Folgen für die Verkehrsteilnahme eingegangen. Auch spielt die Barrierefreiheit v.a. für den Fußverkehr und die intermodale Verknüpfung eine große Rolle. Weitere Maßnahmen sind Öfentlichkeitsarbeit, Auklärungskampagnen sowie theoretisch-praktische Trainings. Im Bereich virtuelle Mobilität wurden Maßnahmen erfasst, die älteren Menschen durch technische Lösungen, Kommunikations- oder Informationsangebote dienen und teilweise auch die Notwendigkeit von Verkehr reduzieren (z.B. Computerkurse für Senioren, Internet-Dienstleistungen von Verwaltungen). Bezüglich der der Berücksichtigung der o.g. Qualitätsmerkmale eines altersfreundlichen Verkehrssystems hat die Analyse gezeigt, dass aktuell v.a. die vergleichsweise „greibaren“ Themen Verkehrssicherheit, Barrierefreiheit sowie Bezahlbarkeit von Verkehrsangeboten im Zentrum der Politiken stehen: Die nationalen Ansätze variieren häuig im Detail, doch können diese Politikfelder als weitgehend „verstanden“ angesehen werden. „Weiche“, weniger greibare Systemqualitäten wie Komfort, Freundlichkeit und Verlässlichkeit stehen aktuell nur selten oder gar nicht im Fokus. Gerade diese Kriterien stellen aber einen erheblichen Anreiz für die Verkehrsteilhabe älterer Menschen dar. Kritisch zu erwähnen bleibt, dass für die analysierten Politiken keine Evaluationsergebnisse vorliegen. Entsprechend konnte hier über die Berücksichtigung der Systemqualitäten hinaus keine qualiizierte Abschätzung vorgenommen werden, welche Efekte die Maßnahmen tatsächlich besitzen. Entsprechend ist gegenwärtig auch die Efektivität des Ressourceneinsatzes schwer zu belegen. Nationale Politikansätze im Bereich der Verkehrssicherheit In der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten konnten Politiken zur Verkehrssicherheit speziell älterer Menschen identiiziert werden (s. Tabelle 2). In diesen Ländern zielen Verkehrssicherheitsprogramme darauf ab, die sichere Teilhabe älterer Menschen am Straßenverkehr zu fördern. Für einzelne Verkehrsträger werden vielfach die erwähnten Schulungsprogramme angeboten, häuig zur freiwilligen Teilnahme. Verkehrsträger Art / Fokus der Politiken Themen / Ausprägungen / Variationen MIV bzw. verkehrsträgerübergreifend Gestaltung der Straßeninfrastruktur • Schafung einheitlicher, verständlicher, „fehlervergebender“ Straßengestaltung zur Vermeidung schwieriger Verkehrssituationen • Leitfäden zu Mobilitätsbedürfnissen älterer Menschen oder zu Prinzipien und Elementen altengerechter Nutzbarkeit MIV Bewußtseinsschaf fung für Aspekte der Verkehrssicherheit • Broschüren, Flyer, Filme etc. für die Zielgruppe ältere Fahrer mit Erläuterungen zu Aspekten des Straßen verkehrsrechts, Fahrtüchtigkeit, Medikamenteneinluss, Fahrerlaubnisverlängerung Beratung zur Beibehaltung individueller Mobilität durch Umstieg auf Umweltverbund Information weiterer Bevölkerungsgruppen zur besonderen Gefährdung älterer Verkehrsteilnehmer MIV Verplichtende Erneuerung der Fahrerlaubnis • Länderspeziische Festlegung von Altersgrenzen für erstmalige Erneuerung (von Mitte 40 bis Ende 60) und Erneuerungsintervallen (zwischen < alle 2 bis alle 5 Jahre, teils kürzere Intervalle mit zunehmendem Alter) • Meist Verplichtung zu regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen (je nach Land und Umfang Überprüfung von generellem Gesundheitszustand, Seh- und Hörfähigkeit, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-/ Nervensys tems, psychologischen Aufälligkeiten, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch) • Tests zur Kenntnis von Verkehrsregeln und Straßenschildern MIV Fahrsicherheitstrai nings speziell für ältere Fahrer • Flankierende Maßnahme bei Erneuerung der Fahrerlaubnis • Optional auch in Ländern ohne Plicht zur Fahrerlaubniserneuerung • Praktisches Fahrtraining, Simulation komplexer Verkehrssituationen, Sensibilisierung für altersbedingte Veränderungen und Einluss auf Fahrtüchtigkeit, Aufrischung geltender Verkehrsregeln ÖV Förderung barriere freier Gestaltung von ÖV-Einrichtungen • Richtlinien, Empfehlungen und technische Standards zur Erhöhung einer sicheren Nutzbarkeit • Barrierefreiheit als Vergabekriterium, Verplichtung von Anbietern zur Herstellung von Barrierefreiheit und Fristsetzung ÖV Schulungsprogram me für Menschen mit wenig ÖV-Praxis • Zusammenarbeit staatlicher Stellen z. B. mit Verbänden, Anbietern • Übungen zum Ticketkauf, sicherer Ein-/ Ausstieg, Sitzplatzsuche etc. Fußverkehr Barrierefreiheit öfentlicher Räume und intermodaler Verknüpfungen • Anleitungen und Instrumente für Planungsprozesse (z. B. Erfordernisse angemessener Beleuchtung, Gestal tung von Querungsstellen, Kreuzungen, Fußwegen, Plaster und Oberlächen oder Fußwegenetzen zur einfachen Orientierung und Vermeidung von Konlikten mit anderen Verkehrsteilnehmern) Förderung von Nutzerpartizipation Fußverkehr/ Radverkehr Schwerpunkt auf Ältere in Verkehrssi cherheits-Program men • Betonung eines erhöhten Risikos für schwere Unfallverletzungen • Information von Planern und Entscheidungsträgern zur zunehmenden quantitativen Bedeutung Älterer, zum Verkehrsverhalten, altersbedingten körperlichen, sensorischen, kognitiven Veränderungen und Folgen für Mobilität und Verkehrsteilnahme • Thematisierung möglicher Gründe für Fußverkehrs-/ Radverkehrsunfälle mit Beteiligung Älterer Fußverkehr/ Radverkehr Aufklärung, theoretisch-prakti sche Trainings • Zielstellung jeweils Sensibilisierung/ Befähigung Älterer zu einem sicheren Verhalten als Fußgänger und Radfahrer Schulungen mit Fahrübungen und Informationen zu rechtlichen Aspekten, Risiken und empfohlenen Verhaltensweisen, häuig Thematisierung der Wechselwirkung von gesundheitlicher Vorsorge und Fortbewe gung aus eigener Kraft („active ageing“) Tabelle 2: Mobilitätssicherung in alternden Gesellschaften - Politiken im Bereich Verkehrssicherheit Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 25 Demograischer Wandel POLITIK Dem gegenüber stehen Maßnahmen mit Schwerpunkt auf dem MIV, die auf eine verplichtende Erneuerung der Fahrerlaubnis ab einem bestimmten Alter zielen. Diese Altersgrenze variiert je nach Land von Mitte 40 für die erstmalige Erneuerung bis Ende 60, ebenso die Erneuerungsintervalle, welche zwischen 2 und 5 Jahren liegen. Meist beinhalten diese Maßnahmen, ältere Menschen regelmäßig verplichtenden Vorsorgeuntersuchungen zu unterziehen (z. B. Seh- und Hörtest, genereller Gesundheitszustand, psychologische Aufälligkeiten, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch). Mitunter werden auch Kenntnisse von Verkehrsregeln und Straßenschildern überprüft. Daneben werden Fahrsicherheitstrainings speziell für ältere Fahrer angeboten. Auklärungskampagnen verwenden Kommunikationswege wie Broschüren, Flyer, Filme etc. und erläutern Aspekte wie Straßenverkehrsrecht, notwendige Bedingungen für die Fahrtüchtigkeit und den Einluss von Medikamenten, die Verlängerung der Fahrerlaubnis, das Beibehalten individueller Mobilität durch den Umstieg auf ÖV, Fuß-/ Radverkehr oder individuelle Verkehrsmittel. Zudem existieren zahlreiche Programme, um ältere Menschen als gefährdete Verkehrsteilnehmer zu schützen. Zur Vermeidung schwieriger Verkehrssituationen gibt es Maßnahmen zur Gestaltung der Straßeninfrastruktur, z. B. Leitfäden zur altengerechten Straßenraumgestaltung. Ziel ist die Entwicklung eines einheitlichen, verständlichen und standardisierten Straßenentwurfs („fehlervergebende“ Straßen). Empfehlungen zur Harmonisierung nationaler Verkehrspolitiken für die alternde Gesellschaft Als Ergebnis der Recherchen wurden insgesamt folgende Empfehlungen abgeleitet: 1. Um ein einheitliches Bild von den Verkehrs- und Mobilitätsbedürfnissen älterer Menschen in Europa zu erhalten, empiehlt es sich, Verkehrs- und Mobilitätsuntersuchungen zu harmonisieren. 2. Neben der systematischen Erfassung von Straßenverkehrsunfällen sollten verkehrsträgerübergreifend Daten zu Unfällen älterer Menschen bereitgestellt werden. 3. Die Mobilitätssicherung älterer Menschen ist häuig auf die Sicherung der Verkehrsteilhabe beschränkt. Gerade im ländlichen Raum spielen jedoch auch Nähe und Ausstattung mit Gütern und Dienstleistungen eine wichtige Rolle. 4. Ältere Menschen nutzen zunehmend das eigene Auto. Hierzu fehlen kritische Untersuchungen von Fahrsicherheitstrainings und eine adäquate Vorbereitung des Umstiegs auf andere Verkehrsmittel. 5. Die meisten Politiken im Verkehrsbereich für ältere Menschen werden konkret auf kommunaler Ebene realisiert. Für einen Wissensaustausch fehlt ein Überblick zu guten Lösungen auf lokaler Ebene und daraus zu ziehenden Lehren für die EU-Politik. 6. Der MIV steht bislang im Zentrum nationaler Verkehrspolitiken. Verkehrsmittelübergreifende Ansätze unter besonderer Berücksichtigung von Fuß- und Radverkehr sollten stärker gefördert werden. 7. Die systematische Evaluation von Politiken und eine Analyse der Zielerreichung in bestimmten Bereichen sollte verbindlich vorgeschrieben werden. 8. Zahlreiche Mitgliedsstaaten befassen sich mit altengerechter Verkehrsinfrastrukturplanung. Entsprechende europäische Leitlinien zur Harmonisierung nationaler Regelungen sollten entwickelt werden. 9. Europäische Leitlinien zu den bisher wenig beachteten Qualitäten eines altengerechten Verkehrssystems (Transparenz, Verständlichkeit, Komfort, Freundlichkeit und Eizienz, Zuverlässigkeit) sollten entwickelt werden. Fazit Die Alterung der Bevölkerung ist - ausgehend von Mitteleuropa - ein gesamteuropäisches Phänomen. Sowohl zwischen als auch innerhalb der einzelnen Länder existiert eine große Heterogenität innerhalb der Bevölkerungsgruppe „ältere Menschen“ hinsichtlich individueller Anforderungen und Fähigkeiten. Ein Schwerpunkt der Verkehrspolitiken liegt in den EU-Staaten derzeit im Straßenverkehr bei der Verkehrssicherheit und im ÖV bei der Bezahlbarkeit und Barrierefreiheit. Rad- und Fußverkehr stehen noch wenig im Fokus. Ein deutlicher Steigerungsbedarf ist zudem bei der systematischen Erfolgs- und Wirkungskontrolle nationaler Politiken festzustellen. In der Gesamtbetrachtung ergibt sich zwar ein heterogenes Bild, doch lohnen sich der Erfahrungsaustausch und das gegenseitige Lernen voneinander. ■ LITERATUR [1] Banister, D. & Bowling, A. (2004): Quality of life for the elderly: the transport dimension. Transport Policy, 11 (2), S. 105-115. [2] Levin, L., Ulleberg, P. & Siren, A. (2012): Measures to enhance mobility among older people in Scandinavia, VTI, Norway. [3] TRACY - Transport needs for an ageing society (2012): Work package 2: Determining the state of the art. WP2 Report (www.tracy-project.eu). [4] Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE) (2013) (www.share-project.org). [5] Kasper, B., (2005): Mobilität im Lebenszyklus. Motive und Bedeutung der Mobilität älterer Menschen. Topp, Hartmut H. [Hrsg.]: Workshop ‚‘Demografischer Wandel, Mobilität und Verkehr‘‘.- [Schriftenreihe der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft, Reihe B, Seminare] Volume 279, S. 51-76, Berlin [6] Satariano et al. (2012): Mobility and Aging: New Directions for Public Health Action. American Journal of Public Health, 102 (8), S. 1508- 1515. [7] Alsnih, R. & Hensher, D. A. (2003): The mobility and accessibility expectations of seniors in an aging population. Transportation Research Part A: Policy and Practice, 37 (10), S. 903-916. [8] Burnett, P. & Lucas, S. (2010): Talking, walking, riding and driving: The mobilities of older adults. Journal of Transport Geography, 18 (5), S. 596-602. [9] Su, F. & Bell, M. G. H. (2009): Transport for older people: Characteristics and solutions. Research in Transportation Economics, 25 (1), S. 46-55. [10] Vgl. z.B. Hildebrand, E. (2003): Dimensions in elderly travel behaviour. A simplified activity-based model using lifestyle clusters.‘ Transportation 30 (3). S. 285-306. [11] GOAL - Growing Older, staying mobile: Transport needs for an ageing society (2013): Deliverable D 2.1 Profiles of Older People. (www.goal-project.eu/ images/ reports/ d2-1_goal_final_20120725. pdf). [12] TRACY - Transport needs for an ageing society (2013): Action Plan. (http: / / www.tracy-project.eu). Jörn Berding, Dipl.-Geogr. Projektmitarbeiter, Institut Verkehr und Raum, Fachhochschule Erfurt, Erfurt joern.berding@fh-erfurt.de Markus Rebstock, Dr., Dipl.-Geogr. Projektmitarbeiter, Institut Verkehr und Raum, Fachhochschule Erfurt, Erfurt rebstock@fh-erfurt.de Matthias Gather, Prof. Dr. Professur Verkehrspolitik und Raumplanung, Fachhochschule Erfurt, Erfurt matthias.gather@fh-erfurt.de Sandra Franz, Dipl.-Wirt.Ing. (FH) Projektmitarbeiterin, Institut Verkehr und Raum, Fachhochschule Erfurt, Erfurt sandra.franz@fh-erfurt.de Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 26 POLITIK Wissenschaft Externe Verkehrskosten in kleinräumigen Untersuchungsgebieten Methoden und Ergebnisse auf Ebene des Bundeslandes Sachsen Externe Kosten, kleinräumige Untersuchungsgebiete, Bilanzierung, Datenverfügbarkeit Studien zur Schätzung externer Verkehrskosten werden meist nur auf nationaler und internationaler Ebene durchgeführt. Allerdings sind auch Schätzungen auf kleinräumigerer Ebene zur Beurteilung von Eizienz- und Gerechtigkeitsaspekten des Verkehrssystems und damit als Diskussionsgrundlage in politischen Entscheidungsprozessen geeignet. Am Beispiel des Freistaates Sachsens soll deshalb gezeigt werden, dass trotz methodischer Besonderheiten eine Berechnung für kleinräumige Gebiete möglich ist und welches Ausmaß die externen Verkehrskosten auf Bundeslandebene einnehmen können. Die Autoren: Alexander Neumann, Susan Hübner, Thilo Becker, Julia Gerlach U nfälle sowie die Belastung durch Lärm und Luftschadstofe sind ofensichtliche negative Folgen von Verkehr. Gleichzeitig tragen verkehrliche Aktivitäten ebenfalls zur anhaltenden Flächenneuinanspruchnahme, zum Ressourcenverbrauch und zum Klimawandel bei. All diese Folgewirkungen sind mit Kosten für Dritte verbunden, die zum größten Teil jedoch nicht durch die Verursacher kompensiert werden. Sie werden daher als externe Kosten bezeichnet und reduzieren als eine Form von Marktversagen die Eizienz und Gerechtigkeit eines Verkehrssystems [1]. Die Höhe externer Verkehrskosten wird mehr oder weniger regelmäßig auf nationaler und internationaler Ebene abgeschätzt und in politische Entscheidungsprozesse einbezogen (z. B. [2, 3]). Ihre Berechnung bildet dabei u. a. die Grundlage für eine faire und eiziente Preissetzung entsprechend der Strategiepapiere der Europäischen Kommission [4]. Demgegenüber gab es bisher wenige Bestrebungen, externe Kosten für kleinere Gebietseinheiten, beispielsweise auf Ebene einzelner Bundesländer oder auch Kommunen zu ermitteln. 1 Dabei könnte die Höhe der externen Kosten hier ein relativ einfach ermittelbarer Proxi für das Gesamtmaß der Umweltbelastungen darstellen und in Entscheidungsprozesse einließen. Der vorliegende Beitrag fokussiert deshalb speziell auf die Berechnung externer Kosten in kleinräumigen Untersuchungsgebieten wie bspw. Ländern und Kommunen. Er basiert auf einer Untersuchung, die 2014 am Lehrstuhl für Verkehrsökologie der TU Dresden entstand [5] und gleichzeitig eine Studie der TU Dresden aus dem Jahr 2002 aktualisierte [6]. Neben der Vorstellung der konkreten Ergebnisse für den Freistaat Sachsen werden hier insbesondere die methodischen Herausforderungen einer räumlich hoch aufgelösten Berechnung dargestellt. Methodische Besonderheiten bei kleinen Untersuchungsgebieten Räumlich stärker aufgelöste Schätzungen externer Kosten folgen prinzipiell der gleichen Methodik wie Schätzungen auf nationaler oder überstaatlicher Ebene. Allerdings steigt die Gefahr unrealistischer Ergebnisse, wenn methodische Besonderheiten bei der Kostenschätzung nicht hinreichend berücksichtigt werden. Zu beachten sind dabei insbesondere der stärkere Einluss des Bilanzierungsprinzips auf das Ergebnis und methodisch bedingte Schwierigkeiten bei der Interpretation der Ergebnisse in einzelnen Schadens- und Kostenkategorien. Besonderheiten bei der Wahl des Bilanzierungsprinzips Die Ermittlung externer Kosten kann grundsätzlich nach zwei Bilanzierungsprinzipien erfolgen. Beim Territorial- oder Inlandsprinzip werden alle innerhalb eines Untersuchungsgebietes auftretenden negativen Wirkungen des Verkehrs berücksichtigt, unabhängig von der Herkunft der Verursacher. Dies entspricht eher einer Betrofenenperspektive. Bilanziert man hingegen alle Wirkungen, welche die Einwohner eines Gebietes erzeugen, folgt man dem Inländerbzw. dem Einwohnerprinzip [7] und damit einer Verursacherperspektive. Die Ergebnisse beider Ansätze unterscheiden sich bereits bei Schätzungen auf nationaler Ebene zum Teil deutlich. Dies ist vor allem durch die unterschiedliche Einbezie- Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 27 Wissenschaft POLITIK hung des Flugverkehrs, aber auch des internationalen Güterverkehrs bedingt. Bei diesen beiden Verkehrsarten weichen die Verkehrsleistungen nach Inlands- und Inländerprinzip stark voneinander ab. Es werden bspw. in der Regel wenige Flugkilometer im Land selbst zurückgelegt, während basierend auf den Einwohnern wesentlich größere Distanzen gelogen werden. Bei Anwendung des Inländerprinzips sind die externen Klimakosten damit deutlich höher ([6, 7]). 2 Bei kleinräumigeren Betrachtungen auf Ebene von Bundesländern bzw. sogar Kommunen unterscheiden sich dann je nach Bilanzierungsprinzip auch die Verkehrsleistungen im Straßenverkehr stark. Wird bspw. nach dem Inlandsprinzip bilanziert, sind vor allem Kommunen rund um Autobahnen und stark befahrene Bundesstraßen hoch belastet, obwohl die Wirkungen hauptsächlich auf den Durchgangsverkehr zurückzuführen sind. Bei einer Bilanzierung nach dem Inländerprinzip würden diese Wirkungen der Quellregion zugeordnet werden. Insgesamt müssen die getrofenen Abgrenzungen damit bei der Bewertung der Ergebnisse kleinräumiger Analysen stärker berücksichtigt werden als bei großräumigeren Analysen. Besonderheiten bei der Berücksichtigung verschiedener Kostenkategorien Generell folgt die Quantiizierung externer Kosten dem Wirkungspfadansatz [8]. 3 Je nach verfügbarer Datenbasis erfolgt die Monetarisierung dabei auf einer früheren oder späteren Stufe der Ursache-Wirkungs-Modellierung. Dies hat auch Auswirkungen auf die Interpretation kleinräumiger Externe-Kosten-Schätzungen. Die Berechnung externer Lärmkosten basiert beispielsweise auf den Ergebnissen der Lärmkartierung. Ausgehend von den Verkehrsströmen werden hier zunächst die Lärmemissionen ermittelt. Anschließend werden die Lärmausbreitung und die Lärmbelastung der Anwohner modelliert. Die dann beispielsweise auf kommunaler Ebene ausgegebenen Ergebnisse quantiizieren die Lärmbetrofenheit der Einwohner (Inlandsprinzip), Aussagen entsprechend der Verursacherperspektive sind nicht ohne weiteres möglich. 4 Für eine ebenfalls auf die Betrofenen ausgerichtete Berechnung der externen Kosten der Luftverschmutzung wären emittentenspeziische Immissionsdaten notwendig. Da diese jedoch in der Regel nicht vorliegen, wird (soweit verfügbar) auf Emissionskataster zurückgegrifen [9] und eine vereinfachte Berechnung mit durchschnittlichen Schadenskosten je emittierter Tonne Schadstof durchgeführt. Für den Freistaat Sachsen liegen so bspw. gemeindefeine Daten für alle direkten Auspuf- und Motoremissionen sowie Daten zu Feinstaubabrieb und -aufwirbelungen von Fahrzeugen vor. Dies bedeutet jedoch, dass die derart auf Ebene von Kommunen ermittelten externen Kosten strenggenommen weder die Verursachernoch die Betrofenenperspektive widerspiegeln, sondern stattdessen den Ort der Wirkungsentstehung kennzeichnen. Sowohl die Verursacher der Schadwirkungen (die Verkehrsteilnehmer) als auch die Betrofenen sind hingegen nicht zwangsläuig an dem Ort beheimatet, an dem die Verkehrsaktivität stattindet. Diese Verortung der externen Kosten an dem Ort, an dem die Verkehrsaktivität stattindet, wird auch für andere Kostenkategorien, wie z. B. Unfälle, Klimafolgen und Wirkungen der vor- und nachgelagerten Prozesse praktiziert. Sie ist aus Sicht der Maßnahmenplanung auch nicht gänzlich ungeeignet. Wichtig ist, dass sie bei der Deutung der Ergebnisse beachtet wird. Im sich anschließenden Fallbeispiel der Berechnung der externen Verkehrskosten für den Freistaat Sachsen wurde deshalb das jeweils angewandte Zuordnungsprinzip mit angegeben (Tabelle 1). Dimensionen der externen Verkehrskosten am Beispiel des Freistaates Sachsen Wie oben beschrieben, existieren in kleinräumigen Untersuchungsgebieten gewisse Grenzen bei der monetären Bewertung externer Efekte. Dennoch kann die Größenordnung der Höhe der externen Kosten abgeschätzt werden. Die Ergebnisse für Sachsen sollen deshalb im Folgenden beispielhaft vorgestellt werden. Berechnet werden die externen Kosten des Straßen-, Schienen- und Luftverkehrs im Freistaat Sachsen, sowie sofern möglich auch auf Ebene der sächsischen Gemein- Kostenkategorie Schätzansatz Datengrundlage & räumliche Zuordnung Kostensatz Unfallkosten Reproduktions-, Ressourcenausfalls-, immaterielle- und außermarktliche Kosten [10] Amtliche Unfallstatistik 2012, Zuordnung zu Unfallort Gestafelt zwischen 1,869 Mio. EUR für Getötete und 11.600 für Leichtverletzte (jeweils für Nichtverursacher) Lärmkosten Belästigungs- und Gesundheitskosten Strategische Lärmkarten 2007 (Schienenverkehr) und 2012, Zuordnung zum Wohnort der Betrofenen Gestafelt zwischen 77 EUR (55-60 dB) und 392 EUR (> 70 dB) je belasteter Person und Jahr (Straßenverkehr) Luftverschmutzungskosten Gesundheits-, Gebäude- und Biodiversitätsschäden sowie Ernteverluste Emissionskataster Sachsen 2010 bis 2012, Zuordnung zum Ort der Emission Zwischen 35 600 und 182 200 EUR je Tonne PM 10 - Emissionen (nicht-urban bis Ballungsraum) Klimakosten Vermeidungskostenansatz Emissionskataster Sachsen 2010 bis 2012, Zuordnung zum Ort der Emission Zwei Szenarien: 76 und 267 EUR je Tonne CO 2 Kosten für Natur und Landschaft Entsiegelungskosten, Wiederherstellungskosten bei Biotopen, Dekontaminierung von Boden/ Wasser sowie Barriereefekte Schienen- und Straßenverkehrslächen 2011, Zuordnung entsprechend der räumlichen Lage der Infrastruktur Verschiedene Werte Kosten durch vor- und nachgelagerte Prozesse Luftverschmutzung und Klimakosten durch „Well-to-Tank“- Emissionen Sächsischer Anteil an den bundesweiten TREMOVE- Verkehrsemissionen, Zuordnung zum Ort der Emission Ansatz wie bei Luftverschmutzungs- und Klimakosten Tabelle 1: Ansätze zur Schätzung und Auswahl verwendeter Kostensätze Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 28 POLITIK Wissenschaft den. Der Bezugszeitpunkt ist, soweit die Datenverfügbarkeit gewährleistet ist, das Jahr 2012. Dabei werden Ansätze und Kostensätze aus Tabelle 1 verwendet. Insgesamt erzeugt der Verkehr innerhalb von Sachsen externe Kosten in einer Bandbreite von 5,2 Mrd. EUR (niedriges Szenario) und 7,2 Mrd. EUR (hohes Szenario) pro Jahr. Das entspricht je nach Szenario 1292 EUR bzw. 1773 EUR, die jährlich pro Einwohner externalisiert werden. Mit 5,4 % bzw. 7,4 % des sächsischen Bruttoinlandsproduktes ist das Ausmaß der externen Kosten damit beträchtlich. 5 Mit einem Anteil von 94 % an den gesamten externen Verkehrskosten ist der Straßenverkehr Hauptverursacher von Externalitäten. Nur 4 % bzw. 2 % entfallen auf den Schienenbzw. Flugverkehr. Aufgrund der oben beschriebenen Problematik des verwendeten Inlandsprinzips ist der Flugverkehr jedoch unterrepräsentiert. Aus Gründen der Vollständigkeit wird der Luftverkehr im Folgenden dennoch aufgeführt. Bei dem Vergleich der einzelnen Kostenkategorien sind die Kosten für Unfälle und Klimawandel maßgebend. Zusammen sind sie für 71 % der gesamten Kosten verantwortlich. Mit etwa 14 % bzw. 11 % folgen die Kosten der Luftverschmutzung sowie die der vor- und nachgelagerten Prozesse. Die weiteren externen Efekte besitzen mit jeweils 2 % sehr geringe Anteile. Auch im Verkehrsträgervergleich dominiert der Straßenverkehr in Form des PKW deutlich. Bild 1 zeigt die Verteilung der absoluten Kosten auf die motorisierten Verkehrsmittel, Bild 2 die externen Durchschnittskosten in EUR je 1000 Pkm bzw. je 1000 tkm. Bei näherer Betrachtung der Kostenverteilung fallen weiterhin die Krafträder auf, deren externe Gesamtkosten von dem Segment der Unfälle bestimmt werden. Im Bahnverkehr werden die Kosten mehrheitlich durch vor- und nachgelagerte Prozesse bestimmt, was insbesondere auf die Energiebereitstellung für die Elektrotraktion zurückzuführen ist. Die externen Kosten des Flugverkehrs fallen aus bereits genannten Gründen verhältnismäßig gering aus. Für alle Kostenkategorien außer Unfällen (Verursacherzuordnung fehlt) und Natur und Landschaft liegen die notwendigen Eingangsdaten auch auf Gemeindeebene vor. Somit kann, mit den oben genannten Unsicherheiten bei kleinräumigen Daten, auch die Höhe der externen Kosten auf Ebene der sächsischen Gemeinden angegeben werden (siehe Bild 3). Es zeigt sich, dass im Korridor wichtiger Verkehrsanlagen die externen Kosten des Verkehrs besonders hoch sind. Hohe Belastungen treten bspw. im Bereich der A14 zwischen Dresden und Leipzig sowie auf der A4 zwischen Dresden und Chemnitz auf. Außerdem trägt der Flughafen Leipzig/ Halle zu stark erhöhten externen Verkehrskosten der umliegenden Gemeinden bei. Fazit Die Berechnung der externen Verkehrskosten des Freistaat Sachsens zeigt, dass die Methodik prinzipiell auf kleine Untersuchungsgebiete übertragbar ist. Zwar existieren gerade bei großräumigen Verkehrsmitteln wie dem Luftverkehr teilweise deutliche Abgrenzungsprobleme, die Problematik ist jedoch vergleichbar mit Klimaschutzkonzepten auf Landes- oder Kommunalebene. Bessere Datengrundlagen könnten zukünftig auch hier andere Bilanzierungsverfahren wie das Inländerprinzip ermöglichen. Aufgrund der oben beschriebenen Einschränkungen und der bewussten Setzung von Bandbreiten bei den Klimakosten kann die exakte Höhe der externen Kosten nicht bestimmt werden. Wie auch bei der Untersuchung von größeren Gebieten gibt die Schätzung der externen Verkehrskosten jedoch einen Eindruck über ihr Ausmaß und verdeutlicht ihre Relevanz. Im Jahr 2012 betrugen die externen Kosten durch Verkehr in Sachsen zwischen 5,2 und 7,2 Mrd. EUR. Im Vergleich dazu umfasst der gesamte Sächsische Landeshaushalt jährliche Ausgaben in Höhe von 17 Mrd. EUR [11], die verkehrs- und straßenbaubezogenen Teile beim Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr etwa 1 Mrd. EUR [12]. Der Großteil der externen Kosten Bild 1: Externe Gesamtkosten (in Mio. EUR) im Freistaat Sachsen 2012 nach Verkehrsmitteln, eigene Darstellung. Der Luftverkehr wird aus Gründen der Vollständigkeit aufgeführt, ist jedoch aufgrund methodischer Einschränkungen nicht vergleichbar. SPFV schienengebundener Personenfernverkehr SPNV schienengebundener Personennahverkehr SGV schienengebundener Güterverkehr Bild 2: Externe Durchschnittskosten in EUR je 1000 Pkm bzw. je 1000 tkm im Freistaat Sachsen nach Kostenkategorie (ohne Krad), eigene Darstellung. Der Luftverkehr wird aus Gründen der Vollständigkeit aufgeführt, ist jedoch aufgrund methodischer Einschränkungen nicht vergleichbar. Abkürzungen wie Bild 1. Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 29 Wissenschaft POLITIK wird bisher weder in öfentlichen Haushalten dem Verkehr zugeordnet noch auf die Verkehrsteilnehmer verursacher- und zweckbezogen umgelegt. Auf kommunaler oder Länderebene können diese Ergebnisse bei der Argumentation zu Fragen im Bereich Umwelt und Verkehr herangezogen werden. Einerseits unterstreichen sie die Relevanz und verdeutlichen regionale Speziika, die teilweise im Entscheidungsraum der örtlichen Parlamente liegen. Andererseits können sie bei Diskussionen über Maßnahmen im Verkehr als Argumentationshilfe verwendet werden. Beispiele dafür wären das Parkraummanagement oder eine Innenstadtmaut zur Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte bei Luftschadstofen. Das Wissen um die räumliche Verteilung von Belastungen kann aber bspw. auch auf die Notwendigkeit planerischer Eingrife hinweisen. ■ 1 Ausnahmen bilden hier die Arbeiten [5] und [13]. 2 Neben dem reinen Entfernungsaspekt beeinlusst auch die in den Berechnungen berücksichtigte Flughöhe die Ergebnisse. Bei Inlandsbetrachtungen indet ein Großteil der erfassten Flugverkehrsleistung in geringer Höhe statt, während bei einer Inländerbetrachtung auch der Flugverkehr in großer Höhe einbezogen wird. Treibhausgasemissionen in großer Höhe haben eine erhöhte Klimawirksamkeit und werden aufgrund der angewandten Korrektur mit dem „Radiative Forcing Index“ (RFI) stärker gewichtet. 3 Dabei wird die Entstehung eines Umweltschadens von der verursachenden Aktivität bis hin zum eigentlichen Wirkungsendpunkt nachvollzogen und im Anschluss der entstandene Schaden quantiiziert. 4 Zu beachten ist hier ebenfalls die systematische Unterbewertung der realen Belastetenzahl. Aufgrund der vorgegebenen Kartierungs-Schwellenwerte ist ein großer Teil der Verkehrswege nicht in der Kartierung enthalten und bleibt demzufolge auch bei der Berechnung der externen Kosten vernachlässigt. In Hessen werden so bspw. etwa 75 % der lärmbelasteten Bevölkerung von der Lärmkartierung nicht erfasst [14]. Durch die Nutzung von Korrekturfaktoren kann jedoch eine Annäherung an die tatsächlichen Belastetenzahlen vorgenommen werden. 5 Die folgenden Angaben beziehen sich, wenn nicht anders vermerkt, auf das Szenario unter Verwendung des höheren CO 2 -Kostensatzes. LITERATURVERZEICHNIS [1] Friedemann, J.; Becker, T.; Becker, U.: Wegekosten und externe Kosten - Analyse, Probleme, Bedeutung. In: Bracher, T.; Haag, M.; Holzapfel, H.; Kiepe, F.; Lehmbrock, M.; Reutter, U. (Hrsg.). HKV - Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung. Berlin: Wichmann, 2010 [2] Schreyer, C.; Maibach, M.; Sutter, D.; Doll, C.; Bickel, P.: Externe Kosten des Verkehrs in Deutschland - Aufdatierung 2005. Berlin: Infras/ Allianz pro Schiene. 2009 [3] van Essen, H.; Schroten, A.; Otten, M.; Sutter, D.; Schreyer, C.; Zandonella, Re.; Maibach, M.; Doll, C.: External Costs of Transport in EURpe. Update Study for 2008. Delft: CE Delft/ Infras/ Fraunhofer ISI. 2011.Im Internet unter: http: / / www.cedelft.eu/ ? go=home. downloadPub&id=1258&ile=CE_Delft_4215_External_Costs_of_Transport_in_EURpe_def. pdf Abruf: 27.07.2015) [4] European Commission: Weissbuch: Fahrplan zu einem einheitlichen Europäischen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem. Brüssel. 2011. Im Internet unter: http: / / eur-lex.EURpa.eu/ LexUriServ/ LexUriServ. do? uri=COM: 2011: 0144: FIN: DE: PDF (Abruf: 27.07.2015) [5] Neumann, A.: Ermittlung der externen Kosten des Verkehrs in Sachsen. Unveröfentlichte Diplomarbeit, Technische Universität Dresden, Fakultät Verkehrswissenschaften, Lehrstuhl für Verkehrsökologie. Dresden, 2014 [6] Becker, U.; Gerike, R.; Rau, A.; Zimmermann, F.: Ermittlung der Nutzen und Kosten von Verkehr in Sachsen - Hauptstudie. Abschlussbericht, Im Auftrag des Freistaates Sachsen vertreten durch das Sächsische Landesamt für Umwelt und Geologie (LfUG). Dresden. 2002. Im Internet unter: http: / / nbn-resolving.de/ urn: nbn: de: swb: 14-1173280083359-81848 (Abruf: 27.07.2015) [7] IFEU - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH: Empfehlungen zur Methodik der kommunalen Treibhausgasbilanzierung für den Energie- und Verkehrssektor in Deutschland. Heidelberg. 2014. Im Internet unter: https: / / www.ifeu.de/ energie/ pdf/ Bilanzierungsmethodik_IFEU_April_2014.pdf (Abruf: 27.07.2015) [8] Umweltbundesamt: Methodenkonvention 2.0 zur Schätzung von Umweltkosten - Ökonomische Bewertung von Umweltschäden. Dessau-Roßlau. 2012. 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Im Internet unter: http: / / www.inanzen.sachsen.de/ download/ Gesamtplan_12-12-21.pdf (Abruf: 27.07.2015 [12] Freistaat Sachsen: Haushaltsplan 2013/ 2014. Einzelplan 07 - Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Im Internet unter: http: / / www.inanzen.sachsen.de/ download/ EPL_07_12-12-19.pdf (Abruf: 27.07.2015) [13] Mann, M.; Becker, T.; Becker, U.: Ermittlung des Landeszuschusses und der externen Kosten für den Kraftfahrzeugverkehr im Land Thüringen. unveröfentlichter Projektbericht. Leipzig/ Jena/ Dresden, 2013 [14] Jäschke, M: Lärmkartierung und Ruhige Gebiete. Dissertation, Technische Universität Dresden. Dresden. 2013. Im Internet unter: http: / / ruhige-gebiete.de/ downloads/ Dissertation_MAR- TIN_JAESCHKE_Laermkartierung_und_Ruhige_Gebiete_291113.pdf (Abruf: 27.07.2015) Alexander Neumann, Dipl. Ing. Projektingenieur/ Bau- und Anlagemmanagement, DB Station&Service AG, München alexander.neumann@deutschebahn.com Julia Gerlach, Dipl.-Wirtsch.-Ing. Promotionsstudentin, Lehrstuhl für Verkehrsökologie, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, TU Dresden julia.gerlach@tu-dresden.de Thilo Becker, Dipl.-Ing., M.Sc. Promotionsstudent, Lehrstuhl für Verkehrsökologie, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, TU Dresden thilo.becker@mailbox.tu-dresden.de Susan Hübner, B.Sc. Masterstudentin der Verkehrswirtschaft, TU-Dresden susan.huebner@mailbox.tu-dresden.de Externe Kosten des Verkehrs pro Einwohner 2012 > 250 - 1250 € > 1250 - 2000 € > 2000 - 3000 € > 3000 - 5000 € > 5000 € 0 25 50 12,5 Kilometer Bild 3: Externe Kosten des Straßen-, Schienen- und Luftverkehrs je Einwohner 2012 im Freistaat Sachsen auf Gemeindeebene Eigene Darstellung. Kartenmaterial: GeoBasis-DE / BKG 2014 Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 30 Politik Wissenschaft Zur zukünftigen Verkehrsentwicklung an den deutschen Flughäfen Ursachen und Folgen divergierender Wachstumsperspektiven Luftverkehr, Flughäfen, Verkehrsnachfrage, Verkehrskonzentration, Verkehrsauslastung Nicht erst seit Inbetriebnahme des Flughafens Kassel-Calden wird in der Öfentlichkeit angesichts der aktuell schwachen Verkehrsentwicklung über die Zukunftsaussichten der Regionallughäfen diskutiert. Für die jetzt schon hochbelasteten Großlughäfen hingegen werden aufgrund der dort noch steigenden Verkehrsnachfrage Kapazitätsprobleme erwartet. Was sind die Ursachen dieser unterschiedlichen Entwicklungen und was kann für die weitere Zukunft erwartet werden? Die Autoren: Henry Pak, Dieter Wilken M it Ausnahme kurzfristiger Einbrüche im Zusammenhang mit den Terroranschlägen 2001 und der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 hat der Passagierverkehr an den Hauptverkehrslughäfen 1 Deutschlands seit der Wiedervereinigung bis heute kontinuierlich zugenommen (Bild 1a). Gegenüber 1991 ist das Fluggastaufkommen bis 2014 auf etwa das 2,5-Fache gestiegen. Das um die Umsteigerverkehre bereinigte Originäraukommen hat sich dabei mehr als verdoppelt und macht derzeit drei Viertel des Passagieraukommens an deutschen Flughäfen aus. Verkehrsentwicklung an den deutschen-Flughäfen Genauere Analysen zeigen, dass der Originärverkehr sich an den einzelnen Flughäfen unterschiedlich entwickelt hat. Dabei können zwei typische Entwicklungsverläufe identiiziert werden. Abgesehen von den schon erwähnten Einbrüchen sind die Originäraukommen an den Flughäfen Frankfurt, München, Düsseldorf, Berlin 2 und Hamburg - im Folgenden als Primärlughäfen bezeichnet - bis heute unterdurchschnittlich, aber kontinuierlich gewachsen (grüne Linie Bild 1a und Bild 1b). Es handelt sich dabei um die aukommensstärksten Flughäfen Deutschlands, die im Jahr 2014 ein Aukommen von 55,8 Mio. Originäreinsteigern und damit mehr als zwei Drittel des Originärverkehrs bewältigten. An allen anderen Flughäfen - zurzeit insgesamt 22 Flughäfen und hier als Sekundärlughäfen betitelt - stellt sich die Entwicklung jedoch anders dar (violette Linie Bild 1a und Bild 1b): Hier folgten auf ausgeprägte Wachstumsphasen zuletzt mehr oder weniger starke Rückgänge des Originärverkehrs auf 23 Mio. Originäreinsteiger im Jahr 2014. Das vor allem im Jahr 2003 einsetzende eigenständige Wachstum an den Sekundärlughäfen übertraf die Entwicklung an den Primärlughäfen zunächst deutlich und erreichte ihren bisherigen Höhepunkt im Jahr 2008 (Bild 1b). Bei vielen Sekundärlughäfen standen die ausgeprägten Wachstumsphasen in Verbindung mit einer Ausweitung von Low-Cost-Angeboten (Wilken und Berster 2013). Ab etwa dem Jahr 2007 jedoch begannen die Originäraukommen an den Sekundärlughäfen nach und nach mehr oder weniger stark zu sinken, während der Originärverkehr an den Primärlughäfen weiterhin zunahm. In den letzten Jahren fand also eine Umverteilung des Originärverkehrs von den Sekundärlughäfen hin zu den fünf großen Primärlughäfen statt. Im gleichen Zeitraum seit 1991 nahm auch das Flugbewegungsaukommen an den deutschen Flughäfen zu (Bild 1c), allerdings nicht in dem Maße wie das Passagieraukommen. Im Jahr 2008 erreichte es den bisherigen Höchstwert von 2,1 Mio. Flugbewegungen. Bis dahin war das Flugbewegungsaukommen an den Sekundärlughäfen deutlich stärker als an den Primärlughäfen gestiegen. Lediglich in der Krisenzeit von 2001 bis 2003 wurde das Flugangebot an den Sekundärlughäfen spürbar reduziert, während es an den großen Flughäfen in etwa konstant blieb. Seit 2008 ist das Flugbewegungsaukommen insgesamt rückläuig, wobei es an den Sekundärlughäfen deutlich stärker als an den großen Flughäfen sinkt. Im Jahr 2014 lag das Aukommen mit 1,9 Mio. PEER REViEW - BEGUtACHtEt Eingereicht: 01.07.2015 Endfassung: 06.08.2015 Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 31 Wissenschaft Politik Flugbewegungen schließlich um 67 % über dem des Jahres 1991. Parallel dazu gab es auch Veränderungen bei der Größe des eingesetzten Fluggeräts (Bild 1d). Bis zum Jahr 2008 lag das durchschnittliche Sitzplatzangebot pro Flug an den Primärlughäfen nahezu unverändert bei etwa 130 Sitzen pro Flug. An den Sekundärlughäfen hingegen stieg es von 1991 bis 1997 zunächst gleichmäßig von 80 auf 92 Sitze pro Flug an und blieb dann bis 2002 konstant. Ab dem Jahr 2003 wurde dann an den Sekundärlughäfen vermehrt größeres Fluggerät eingesetzt, und das durchschnittliche Sitzplatzangebot pro Flug stieg relativ schnell auf bis zu 121 Sitze pro Flug im Jahr 2010 an und blieb dann nahezu konstant. An den Primärlughäfen setzte der Trend zu noch größerem Fluggerät jedoch erst nach 2008 ein. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Präferenz der Fluggesellschaften für größeres Fluggerät, womit die Transportleistung mit geringeren Stückkosten, gemessen als Kosten pro angebotenen Sitzkilometer, erbracht werden kann (Berster et al. 2015). Durch den Einsatz größerer Flugzeuge ist in den letzten Jahren auch die Schwelle für stabile Verkehrsverbindungen angehoben worden. Darauf deuten Analysen der Entwicklung von Verbindungen insbesondere mit vergleichsweise geringem Passagieraukommen und niedriger Flugfrequenz hin. Je nachdem, ob es sich um eine mehr von Privatreisenden oder von Geschäftsreisenden genutzte Verbindung handelt, scheint derzeit ein Verkehrsvolumen von 40 000 bis 50 000 Passagieren pro Jahr und Richtung erforderlich zu sein, damit sich eine stabile Verkehrsverbindung mit einer bzw. zwei täglichen Frequenzen einstellen kann. Bei vielen Verbindungen mit niedrigen Frequenzen, die sich vor allem an den kleineren Flughäfen inden, reicht das Passagiervolumen dafür jedoch nicht mehr aus. Die im Einzugsgebiet dieser Flughäfen vorhandene Nachfrage ist nicht groß genug, damit ein tägliches Flugangebot mit relativ großen Flugzeugen ausreichend und somit proitabel für die Fluggesellschaft genutzt werden kann. Der Vorteil durch preisgünstige Flugangebote vor allem von Low-Cost-Airlines, den diese Flughäfen in vielen Fällen in der Vergangenheit hatten und der für zusätzliche Nachfrage aus anderen Regionen sorgte, ist nicht mehr gegeben, da mittlerweile an benachbarten größeren Flughäfen oft ebenfalls preisgünstige Flüge oferiert werden. Eine Folge davon ist, dass das Angebot an Flugverbindungen mit einem Mindestmaß an Regelmäßigkeit an den Sekundärlughäfen in den letzten Jahren rückläuig ist, während es an den großen Flughäfen weiter zunimmt (Bild 1e). So hat sich von 1991 bis 2008 die Zahl der Verbindungen von den deutschen Hauptverkehrslughäfen zu innerdeutschen und europäischen Flughäfen und mit mindestens 200 Flügen (d. h. mindestens ein Flug pro Werktag) pro Jahr von 461 auf 788 und somit um 71 % erhöht. Ein Großteil dieses Anstiegs der Verbindungsdichte ist auf die Angebotsausweitungen an den Sekundärlughäfen in den Jahren von 2002 bis 2008 zurückzuführen. Dabei ist zu beachten, dass sich die Zahl der Sekundärlughäfen in dieser Zeit von 10 auf 20 verdoppelt hat. Nach 2008 geht die Zahl der regelmäßigen Verbindungen an den Sekundärlughäfen um etwa 23 % zurück, während an den großen Flughäfen das Angebot weiter ausgeweitet wird. Unterschiedliche Wachstumsperspektiven für-die Flughäfen Die Entwicklungsperspektiven der einzelnen Flughäfen wurden vereinfacht in einem „Business-as-Usual“-Fall 0 20 40 60 80 100 120 1990 2000 2010 Fluggäste (in Mio.) Eins ins b) Originäreinsteiger c) Flüge d) Flugzeuggröße e) Strecken mit mehr als 200 Flügen jährlich (innerdeutscher und europäischer Verkehr) a) Einsteiger und Originäreinsteiger Einsteiger insgesamt Gesamt an Primärflughäfen an Sekundärflughäfen 0 100 200 300 400 1990 2000 2010 Index (1991 = 100) 0 25 50 75 100 125 150 175 1990 2000 2010 Sitzplätze pro Flug 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1990 2000 2010 Strecken 0 100 200 300 400 1990 2000 2010 Index (1991 = 100) Bild 1: Entwicklungen im Linien- und Charterverkehr an den deutschen Verkehrsflughäfen (Quelle: Eigene Berechnungen. Datenbasis: Statistisches Bundesamt; Fraport, Flughäfen München, Düsseldorf und Berlin; DLR) Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 32 POLITIK Wissenschaft auf der Basis von beim DLR entwickelten Modellansätzen (Pak et al. 2005; Hepting et al. 2011) und der Fluggastbefragung 2008 der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrslughäfen (ADV) untersucht (Berster et al. 2010). Dazu wurden Schätzungen der Fluggastaukommen in vier Hauptsegmenten vorgenommen: (a) die von Geschäftsreisen dominierten innerdeutschen Flugreisen, (b)grenzüberschreitende Geschäftsreisen, (c) grenzüberschreitende Urlaubsreisen, die durch eine Reisedauer von fünf und mehr Tagen charakterisiert sind, und (d)grenzüberschreitende private Kurzreisen mit weniger als fünf Tagen Reisedauer. Die Segmente der grenzüberschreitenden Verkehre (b bis d) werden weiterhin in Quell- und Zielverkehr unterteilt. Deutschlandweit ergeben die Schätzungen für 2030 eine Luftverkehrsnachfrage von etwa 104 Mio. Flugreisen 3 , was für die deutschen Flughäfen 120 Mio. und damit 60 % mehr Originäreinsteiger als im Jahr 2008 bedeutet (Bild 2a). In den einzelnen Segmenten verläuft die Entwicklung jedoch unterschiedlich. Das größte Segment, die grenzüberschreitenden Urlaubsreisen, wird am wenigsten wachsen und zu einer Zunahme der Originäreinsteiger von lediglich 20 % führen. Das liegt im Wesentlichen an der Erwartung, dass das Urlaubsreiseverhalten der Deutschen insgesamt sich in Zukunft nur noch wenig ändern wird (vgl. Lohmann et al. 2014). Auf der anderen Seite wächst das kleinste Segment, die privaten Kurzreisen, am stärksten, so dass fast 130 % mehr Originäreinsteiger in diesem Segment erwartet werden. Hier gewinnen vor allem die Incoming-Verkehre, also Reisen von Ausländern nach Deutschland, an Bedeutung (vgl. Verkehrsprognose für die Bundesverkehrswegeplanung, BVU et al. 2014, Frick et al. 2014). Die Entwicklungen der innerdeutschen Flugreisen und der grenzüberschreitenden Geschäftsreisen korrelieren beide stark mit der Wirtschaftsentwicklung und verlaufen daher ähnlich. Obwohl die Entwicklung der beiden Nachfragesegmente aufgrund von Sonderefekten (Wirtschaftskrise ab 2008, Einführung der Luftverkehrssteuer in 2011 und außergewöhnlich viele streikbedingte Flugausfälle in 2013 und 2014) zuletzt stagnierte oder sogar rückläuig war, wird langfristig aufgrund des erwarteten Wirtschaftswachstums davon ausgegangen, dass sich die Originäreinsteigeraukommen nahezu verdoppeln werden. Aus Fluggastbefragungen ist bekannt, dass die Luftverkehrsnachfrage regional nicht nur hinsichtlich des Aukommens, sondern auch in ihrer Zusammensetzung stark variiert. Die Gründe dafür liegen in den verschiedenartigen sozio-demograischen und sozio-ökonomischen Strukturen sowie in der ungleichen Attraktivität der Regionen als Reiseziel. Werden nun die für Deutschland ermittelten segmentspeziischen Wachstumsfaktoren auf die einzelnen Regionen übertragen, ergibt sich aufgrund der regional unterschiedlichen Nachfragestrukturen auch ein entsprechend unterschiedliches Wachstum der Luftverkehrsnachfrage (Bild 2b). Dabei fällt das Nachfragewachstum in den jetzt schon aukommensstarken, zumeist städtischen Regionen deutlich stärker als in den aukommensschwachen, eher ländlichen Regionen aus. So steigt die Luftverkehrsnachfrage in Ballungszentren wie Berlin und dem Rhein-Main-Gebiet um etwa 70 % und in der Region München sogar um 81 %. Dagegen zeigen die Schätzergebnisse eine relativ geringe Zunahme der Luftverkehrsnachfrage von etwa 20 % in den ländlichen Regionen in der Mitte Deutschlands. Bild 3a verdeutlicht im Detail, wie die regional verschiedenen Nachfragestrukturen zu einem unterschiedlichen Wachstum der Luftverkehrsnachfrage führen. Die Region Rhein-Main beispielsweise steht für einen Regionstyp, der sich im Umfeld der großen Verkehrslughäfen zeigt und durch eine große Luftverkehrsnachfrage bei gleichzeitig hohem Anteil an grenzüberschreitenden Geschäftsreisen und innerdeutschen Flugreisen charakterisiert ist. Das sind aber laut unserer Schätzung gerade Nachfragesegmente mit überdurchschnittlichem Wachstum. Die Region Südwestsachsen ist dagegen ein Beispiel für den eher ländlichen Regionstyp, wie er oft im Umfeld von Regionallughäfen zu inden ist. Hier ist die Luftverkehrsnachfrage gering und wird von den Urlaubsreisen, einem Nachfragesegment mit nur mäßigen Wachstumsaussichten, dominiert. Die regionalen Besonderheiten in der Nachfragestruktur und das daraus folgende unterschiedliche Nachfragewachstum spiegeln sich in der Verkehrsstruktur und dem Verkehrswachstum an den Flughäfen wider (Bild 3b). Dabei haben die Flughäfen in den Ballungsräumen aufgrund der Nachfragestruktur in ihren Einzugsgebieten einen Wachstumsvorteil gegenüber den Flughäfen in den anderen Regionen. Am Flughafen München beispielsweise entfallen zwei Drittel der originären Luftverkehrsnachfrage auf die überdurchschnittlich wachsenden internationalen Geschäfts- und Kurzreisen sowie 0 20 40 60 80 100 120 140 2000 2010 2020 2030 Originäreinsteiger (in Mio.) a) Luftverkehrsnachfrage in Deutschland Gesamtaufkommen Innerdeutscher Verkehr Int. Geschäftsreiseverkehr Int. Urlaubsreiseverkehr Int. private Kurzreisen b) Veränderung der Luftverkehrsnachfrage in den Regionen von 2008 bis 2030 0 % 50 % 100 % Bild 2: Zukünftige Entwicklung des Luftverkehrs in Deutschland (Quelle: Eigene Berechnungen) Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 33 Wissenschaft POLITIK den innerdeutschen Verkehr. Am Flughafen Paderborn hingegen wird die originäre Luftverkehrsnachfrage von dem nur schwach wachsenden Urlaubsreisesegment mit einem Anteil von über 80 % dominiert. Modellrechnungen mit Status-Quo-Annahmen hinsichtlich des Flugangebots und der Flughafenwahl zeigen, dass die Originäreinsteigeraukommen an den aukommensstärksten, in Ballungsräumen gelegenen Flughäfen München, Berlin und Frankfurt überdurchschnittlich in der Größenordnung von 70 % bis 80 % zunehmen können. Für die Flughäfen Hamburg, Düsseldorf, Köln/ Bonn und Stuttgart wird ein durchschnittliches Wachstum des Originäreinsteigeraukommens von etwa 60% ermittelt. An den anderen, in eher ländlichen Regionen gelegenen Flughäfen wird das Originäreinsteigeraukommen in der Regel nur unterdurchschnittlich zunehmen. Die Wachstumschancen sind also unterschiedlich verteilt. Ungleichmäßige Auslastung der Flughäfen Was bedeuten diese unterschiedlichen Nachfrageentwicklungen für die Luftverkehrskapazitäten an den einzelnen Flughäfen und in Deutschland insgesamt? Dazu wurde die Kapazitätsauslastung untersucht, die generell durch das Verhältnis von Verkehrsaukommen zur Leistungsfähigkeit der Infrastruktur beschrieben wird. Als maßgebliches Verkehrsaukommen wurde hier das Verkehrsvolumen in der 5 %-Spitzenstunde gewählt, das mittels Rangfolgefunktionen der stündlichen Flugbewegungsvolumina abgeschätzt wurde (Wilken et al. 2011). Datenbasis waren OAG-Daten (OAG 2012), die weltweit Flugplandaten in der benötigten zeitlichen Aulösung zusammenstellen. Zur Beschreibung der Leistungsfähigkeit der Flughäfen wurden für die koordinierten und lugplanvermittelten Flughäfen die Koordinationseckwerte der Flughafen-Koordination Deutschland herangezogen. Für die anderen Flughäfen, die alle bis auf Leipzig/ Halle nur über eine Start- und Landebahn verfügen, wurde als Kapazität vereinfachend ein Wert von 30 Flugbewegungen pro Stunde angenommen. Für den nahezu voll ausgelasteten Flughafen Düsseldorf ist anzumerken, dass der unterstellte Koordinationseckwert nicht die technische Bahnkapazität wiedergibt, sondern einen darunter liegenden administrativ festgelegten Wert von 47 Flugbewegungen. Der Koordinationseckwert des Flughafens Frankfurt entspricht ebenfalls nicht der Bahnkapazität, sondern ist durch Terminal- und Vorfeldpositionen beschränkt, kann jedoch mit dem Bau von Terminal 3 um über 20 Flugbewegungen erhöht werden. Bild 4 zeigt den Zusammenhang von Kapazitätsauslastung in der 5 %-Spitzenstunde und der Jahresverkehrsaukommen von 21 deutschen Verkehrs- und Regionallughäfen für das Jahr 2012. Generell nimmt die Kapazitätsauslastung mit dem Verkehrsaukommen zu, wenngleich mit einer Variation zwischen den einzelnen Flughäfen. Die drei größten Flughäfen Frankfurt, München und Düsseldorf sind in den Spitzenstunden nahezu ausgelastet, aber auch die in der Rangfolge der Verkehrsaukommen folgenden Flughäfen Berlin-Tegel, Hamburg und Stuttgart weisen noch Auslastungswerte von über 60 % auf. Die anderen Flughäfen sind in den Spitzenstunden zu weniger als 50 %, in den meisten Fällen sogar unter 30 % ausgelastet. Die kleineren Verkehrslughäfen verfügen zumindest theoretisch über große Kapazitätsreserven. Dagegen kann an den großen Flughäfen Verkehrswachstum ohne Änderungen an der Infrastruktur nur in verkehrsschwächeren Zeiten realisiert werden, im Falle von Düsseldorf und Frankfurt auch noch durch Erhöhung des Koordinationseckwertes. Zusammen mit der skizzierten zukünftigen Verkehrsentwicklung der Flughäfen ist zu erwarten, dass das Ungleichgewicht in den Kapazitätsauslastungen der 0,0 0,5 1,0 2008 2030 Originäreinsteiger (in Mio.) Flughafen Paderborn 0 5 10 15 20 2008 2030 Originäreinsteiger (in Mio.) Flughafen München 0,0 0,1 0,2 2008 2030 Flugreisende (in Mio.) ROR 61: Südwestsachsen a) regionale Struktur der Luftverkehrsnachfrage 0 4 8 12 2008 2030 Flugreisende (in Mio) ROR 51: Rhein-Main Int. private Kurzreisen Int. Urlaubsreiseverkehr Int. Geschäftsreiseverkehr Innerdeutscher Verkehr b) Struktur der Luftverkehrsnachfrage an Flughäfen +71 % +27 % +72 % +28 % Bild 3: Struktur der Luftverkehrsnachfrage ausgewählter Regionen und Flughäfen (Quelle: Eigene Berechnungen. Datenbasis: ADV-Fluggastbefragung 2008, siehe Berster et al. 2010) 0% 20% 40% 60% 80% 100% 0 200 400 600 Auslastung Flugbewegungsaufkommen (in Tsd.) Frankfurt München Düsseldorf Berlin-Tegel Hamburg Stuttgart Köln/ Bonn Bild 4: 5 %-Spitzenstundenauslastung und Verkehrsaufkommender deutschen Verkehrslughäfen 2012 (Quelle: Eigene Berechnungen. Datenbasis: OAG 2012) Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 34 POLITIK Wissenschaft großen und der kleinen Flughäfen eher zuals abnehmen wird. Der Druck, die Kapazitäten der Primärlughäfen zu erhöhen, wird zunehmen. Die kleineren Flughäfen hingegen werden sich weiterhin um neue Verkehrsangebote bemühen und gegen Betriebsverluste ankämpfen müssen. Erschwerend kommt für sie die EU- Beihilferegulierung (Europäische Kommission 2014) hinzu, wonach staatliche Subventionen für den Flugbetrieb auf den kleinen Flughäfen nur noch bis spätestens 2024 erlaubt sind. Nach dem Konkurs des Flughafens Zweibrücken ist nicht ganz auszuschließen, dass weitere kleinere Flughäfen den Betrieb einstellen müssen, wenn Kostendeckung wegen mangelnder Verkehrsnachfrage nicht mehr gewährleistet werden kann. Ist ein Wiedererstarken des Verkehrswachstums an den kleinen Flughäfen zu erwarten? Eine Umkehrung der Entwicklungen der letzten Jahre aufgrund von Marktkräften, so dass sich das Ungleichgewicht in der Kapazitätsauslastung abschwächt, ist derzeit eher nicht zu erwarten. Dass nachfrageschwächere Strecken an den Sekundärlughäfen wieder mit kleineren Flugzeugen bedient werden, könnte bei anhaltend niedrigeren Kerosinpreisen der Fall sein. Allerdings kann auf lange Sicht nicht davon ausgegangen werden. Auch der Netzausbau der Low-Cost-Carrier scheint im Wesentlichen abgeschlossen, und neue Low-Cost- Dienste, die den klassischen Linienverkehr auf europäischen Strecken ersetzen, werden wegen der größeren Nachfrage - insbesondere auch im Geschäftsreisesegment mit seiner höheren Zahlungsbereitschaft - mehr und mehr von größeren Flughäfen zu Lasten der kleineren Flughäfen angeboten. Dieser Umstrukturierungsprozess dürfte sich in Zukunft eher verstärken, so dass auch hierdurch keine Rückorientierung des Verkehrs zu den kleinen Flughäfen zu erwarten ist. Ordnungspolitische Eingrife mit dem Ziel, die Verkehrsverteilung auf die Flughäfen im Sinne einer gleichmäßigeren Auslastung zu beeinlussen, müssen kritisch gesehen werden. Die Förderung von regionalen Flughäfen zum Erhalt der regionalen Zugänglichkeit und Attraktivität oder übergeordnete Regulierungen, die auf eine Entlastung von den stark belasteten großen Verkehrslughäfen durch Verkehrsverlagerung zu den gering belasteten kleineren Flughäfen in den Regionen abzielen, sind oftmals nicht kompatibel mit geltendem Recht und können tiefgreifende Einschnitte in die unternehmerische Freiheit der Flughäfen und Fluggesellschaften darstellen sowie marktwirtschaftliche Prinzipien in Frage stellen. Wahrscheinlich ist demnach, dass die Konzentrationsentwicklung im Luftverkehrsbereich weiter gehen wird, so dass der Investitionsdruck bei den großen Flughäfen und der Überlebenskampf bei den kleinen Flughäfen weiter zunehmen werden. Eine Schließung von unrentablen Regionallughäfen könnte aus betriebswirtschaftlicher Sicht Dichtevorteile (economies of density) generieren und daher von Teilen der Luftverkehrswirtschaft als sinnvoll angesehen werden. Dekonzentration mittels Verkehrsverlagerung mag verkehrspolitisch erstrebenswert sein, dürfte jedoch auf ordnungspolitischem Wege nur schwer durchsetzbar sein. Hingegen könnte eine marktwirtschaftliche Anreizregulierung durch Bepreisung von Flügen bei hohen Verkehrsbelastungen ein adäquates Mittel zur höheren und gleichmäßigeren Auslastung von Flughafeninfrastruktur sein. ■ 1 Hauptverkehrslughäfen sind laut aktueller Deinition des Statistischen Bundesamtes Flughäfen mit mehr als 150 000 Fluggasteinheiten pro Jahr. 2 Aggregat aus den Flughäfen Tegel, Tempelhof (bis 2008) und Schönefeld. 3 Der entsprechende Prognosewert aus der aktuellen Bundesverkehrswegeplanung beträgt im Kernszenario 209 Mio. Fahrten bzw. 104,5 Mio. Reisen. Unsere vereinfachte Schätzung stimmt damit gut mit dem Prognosewert der Bundesverkehrswegeplanung überein. Unterschiede treten allerdings bei Betrachtung der einzelnen Segmente auf. QUELLEN UND LITERATUR Berster, P., Maier, W., Pabst, H., Wilken, D. (2010). Daten zur räumlichen Struktur der Luftverkehrsnachfrage - Ergebnisse der Fluggastbefragung 2008. Interner Bericht, DLR. Berster, P., Gelhausen, M., Wilken, D. (2013). Is Increasing Seat Capacity Common Practice of Airlines at Congested Airports? In: Journal or Air Transport Management 46 (2015): 40-48. BVU, ITP, IVV, Planco (2014). Verkehrsverlechtungsprognose 2030. Schlussbericht. Europäische Kommission (2014). Leitlinien für staatliche Beihilfe für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften. 2014/ C 99/ 03. Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (Hrsg.). Geschäftsbericht. Div. Jahrgänge. Flughafen Düsseldorf GmbH (Hrsg.). Geschäftsbericht. Div. Jahrgänge. Flughafen München GmbH (Hrsg.). Statistischer Jahresbericht. Div. Jahrgänge. Fraport AG (Hrsg.). Frankfurt Airport Luftverkehrsstatistik. Div. Jahrgänge. Frick, R., Grimm, B., Kuhnimhof, T. (2014). „Langstreckenmobilität - Aktuelle Trends und Zukunftsperspektiven“. Internationales Verkehrswesen 66 (1/ 2014): 76-79. Hepting, M., Pak, H., Wilken, D. (2011). The Demand for Air Transport and Consequences for the Airports of Hamburg and Rostock. In: Demography and Infrastructure - National and Regional Aspects of Demographic Change Environment & Policy, 51 (DOI 10.1007/ 978-94- 007-0458-9). Dorecht, Heidelberg, London, New York: Springer Science+Business Media B.V. Lohmann, M., Schmücker, D., Sonntag, U. (2014). Urlaubsreisetrends 2025: Entwicklung der touristischen Nachfrage im Quellmarkt Deutschland. Hrsg. Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen. Oicial Airline Guide (OAG) (2012). Market Analysis. Dunstable, England. Pak, H., Claßen, A. Hepting, M., Wilken D. (2005). Zur zukünftigen Luftverkehrsnachfrage in Deutschland: Methodik und ausgewählte Ergebnisse der DLR-Prognose. 20. Verkehrswissenschaftliche Tage, September 2005, Dresden. Statistisches Bundesamt (Hrsg.). Fachserie 8 Reihe 6: Luftverkehr. Div. Jahrgänge. Wilken, D., Berster, P., Gelhausen,M. (2011). 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Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Köln dieter.wilken@dlr.de Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 35 E r sei sehr erfreut, bemerkt der Beauftragte von BMW, die EU-Kommissarin für Verkehr bei ihrer Fahrt am Steuer eines Elektroautos aus seinem Hause begleiten zu dürfen. Die Freude ist kurz, denn dem Mann aus der Brüsseler Filiale des bayrischen Autobauers wird schnell sichtlich unbehaglich. Violeta Bulc nimmt ihn hart ran, während sie das „Null-Emissionsfahrzeug“ durch den dichten Brüsseler Verkehr steuert. Ob das Problem mit der Beschleunigung gelöst sei? Was das Auto denn koste. Bei dem Preis blieben Elektrofahrzeuge auf ewig in der Nische. Die Kommissarin, seit einem dreiviertel Jahr für die EU-Verkehrspolitik zuständig, zeigt auf der Fahrt zum Brüsseler Atomium die Eigenschaften, derentwegen sie auch anfänglichen Skeptikern Respekt abnötigt: Sie ist exzellent vorbereitet, gibt sich ofen aber kritisch und redet nicht lange um die heiklen Punkte herum. Kurz: Sie versteckt alle Attitüden eines Politikers. Bulc hatte als „Notlösung“ einen schweren Start auf dem verminten Brüsseler Parkett. Ein Heißsporn im Europäischen Parlament, der CDU-Abgeordnete Herbert Reul, schlug am Anfang vor, sie „einweisen“ zu lassen, als er vom Interesse der 50-jährigen Slowenin für Schamanismus hörte. Unter den vielen Wohlmeinenden, die sich über den frischen Wind freuten, den Bulc mitbrachte, fragt sich der eine oder andere aber auch, wie lange es dauern wird, bis der Brüsseler Politbetrieb das Unkonventionelle der Kommissarin glatt gebügelt hat. In der Tat tauchten schon bald in ihren Reden die üblichen und keineswegs unkonventionellen Floskeln auf, die viele Ansprachen von EU-Politikern zur Qual machen: „Wichtige Herausforderung“, „guter Tag für Europa“, „umfassender Ansatz“, „ambitionierte Agenda“ und, und, und. Es fällt schwer, nach einem Dreivierteljahr schon deinitiv zu urteilen, ob Bulc eine interessante Persönlichkeit in Brüssel bleiben oder eine „stinknormale Kommissarin“ werden wird. Zumal sie noch kein konkretes Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht hat: Das für dieses Jahr angekündigte Luftfahrt-Paket und das für Ende 2016 ins Gespräch gebrachte „Road Package“ sind allenfalls in Umrissen bekannt. Dennoch lassen sich einige Indizien für das eine oder andere inden. Ohne Zweifel hat die Kommissarin einen eigenen Kopf: Sie hält sich - zum Entsetzen ihrer Berater - längst nicht immer an den aufgeschriebenen Redetext und beweist auch sonst gerne ihre Spontanität. So hat sie in ihren Reden ein schon fast vergessenes Thema wieder aus der Versenkung geholt: die Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs. Beim Road Package scheint sie - im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Siim Kallas - die stark umstrittenen sozialen Aspekte des Straßengüterverkehrs stärker in den Vordergrund zu rücken. Andererseits schien sie zu Beginn ihrer Brüsseler Zeit klarer und bestimmter in ihren Aussagen. Und: Richtig engagiert tritt die studierte Informationstechnikerin und Telekom-Unternehmerin vor allem bei technologischen Fragen auf. Drohnen, Intelligente Transportsysteme und die Digitalisierung des Verkehrs - das sind ihre Themen, die in fast jeder ihrer Reden auftauchen. Da fällt das Fehlen eher bodenständiger Verkehrsprobleme in ihren Vorträgen - etwa 4.- Eisenbahnpaket oder das im Herbst wieder auf die Agenda rückende Hafenpaket - desto deutlicher auf. Und wenn Bulc diese Themen streift, dann sagt sie das, was in Brüssel dazu schon immer zum Ausdruck gebracht wurde. Bislang lassen sich der Kommissarin nur zwei klare Fehler nachweisen. Erstens: Sie hat bei der Wahl ihrer Kabinettchein, der Slowenin Marjeta Jager, nicht die glücklichste Hand gehabt. Allerdings: Das Brüsseler Spitzenpersonal stellt gerne Landsleute an die Spitze der engsten Mitarbeiter. Und: Bei ihrer verspäteten Ankunft in Brüssel hatte Bulc auf dem Personalmarkt für Topjobs nicht mehr die größte Auswahl. Zweitens: Bulc hat zugelassen, dass ihr Generaldirektor die Personalentscheidungen beim Projekt Shift2Rail vergeigte und so der vollständige Start eines Vorhabens, das der technikbegeisterten Kommissarin eine Herzensangelegenheit sein müsste, auf die lange Bank geschoben werden muss. In beiden Fällen hat Bulc mittlerweile reagiert. Ihre Kabinettchein und ihr Generaldirektor sind nicht mehr auf ihren Posten. Fazit: Nach neun Monaten im Amt ist der Lack der slowenischen Kommissarin für Verkehr an einigen Stellen angekratzt. Er ist noch längst nicht ab. Aber Bulc musste sich auch noch nicht richtig bewähren. So hat sie noch die Chance, ein unkonventioneller Star in der EU-Kommission zu werden, oder sie wird - wie es einer ausdrückt, der ihren Vorgänger gar nicht leiden konnte - „eben auch nur so ein Kallas“. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Auch nur so ein Kallas? World Rail Market Study A study commissioned by UNIFE - The European Rail Industry Conducted by Roland Berger Strategy Consultants WORLD MARKET STUDY forecast 2012 to 2017 Commissioned by UNIFE - The European Rail Industry Conducted by Roland Berger Strategy Consultants DVV Media Group GmbH Worldwide Rail Market Study - status quo and outlook 2016 A study commissioned by UNIFE, the Association of the European Rail Industry and conducted by Roland Berger Strategy Consultants DVV Media Group THE EUROPEAN RAIL INDUSTRY DVV Media Group Special rate for InnoTrans exhibitors! forecast 2014 to 2019 WORLD study RAIL MARKET DVV Media Group GmbH THE EUROPEAN RAIL INDUSTRY Commissioned by Conducted by The largest study of its kind Based on a survey conducted in the 55 largest rail markets worldwide, the UNIFE World Rail Market Study provides market volumes and growth predictions from 2014 to 2019. Based on the testimony of UNIFE members and rail experts from all around the globe, the WRMS gives an account of short-term and long-term growth for all rail product segments and regions. Strategic conclusions are elaborated for each product segment and region based on the order intake of UNIFE members, a sophisticated forecasting model and the expertise of selected high-level decision-makers in the most important rail markets in the world political and economic scenarios. Contact: DVV Media Group GmbH • Eurailpress Email: book@dvvmedia.com • Phone +49 40 237 14-440 • Fax +49 40 237 14-450 www.eurailpress.de • www.railwaygazette.com More information at www.eurailpress.de/ wrms Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 37 Verkehrslenkung INFRASTRUKTUR Unten Tunnel - oben grün Das Großprojekt Luise-Kiesselbach-Tunnel am Mittleren-Ring Südwest in München Tunnelbau, Straßenführung, Verkehrsführung, Großprojekte Der Tunnelbau am südwestlichen Mittleren Ring war die größte Baustelle der bayerischen Landeshauptstadt München in jüngster Zeit. Der Bau verlagert einen großen Teil des Verkehrs unter die Erde, um Lärm und andere Emissionen zu verringern. Gleichzeitig entstehen an der Oberfläche mit zusätzlichen Grünflächen und einer familienfreundlichen Parkanlage neue Erholungszonen für die Anwohner. Der Autor: Ralf Schiller B ereits im Jahre 1927 wurde im Generalbaulinienplan für den Großraum München ein Straßenring zur Entlastung dokumentiert, der in etwa dem Verlauf des heutigen Mittleren Rings entspricht. Mit der Realisierung des Projektes wurde Anfang der 1950er-Jahre mit einzelnen Teilabschnitten begonnen. Ein zusammenhängender Straßenzug konnte mit Beginn der Olympischen Sommerspiele in München im Jahr 1972 erstmals befahren werden [1]. In den folgenden Jahrzehnten wurden mehrere Tunnelbauwerke realisiert. Der Petueltunnel wurde dem Verkehr im Juli 2002 übergeben, die Herstellungskosten beliefen sich auf etwa 200 Mio. EUR. Im Jahr 2009 wurde für etwa 321 Mio. EUR der Abschnitt Richard-Strauss-Tunnel eröfnet. Nun wurde im Juli 2015 der Tunnel am Luise-Kiesselbach-Platz im Südwesten des Mittleren Rings freigegeben (Bild 1). Der neue Tunnel im Südwesten Der Startschuss für die Tunnel- und Straßenbauarbeiten am Mittleren Ring in der bayerischen Landeshauptstadt iel nach europaweiter Ausschreibung im Jahre 2009, mit den ersten Sparten- und Kanalverlegungen war schon Ende 2007 begonnen worden. Der technische Innenausbau startete abschnittsweise Ende 2013. Inzwischen sind die Tunnel fertiggestellt [2]. In den letzten fünf Jahren wurden rund 241 000 m 3 Beton und etwa 31 000 t Bewehrungsstahl verbaut, dreimal so viel wie beim Pariser Eifelturm. Insgesamt 10 091 Bohr- Bild 1: Fernstraßennetz in und um München Quelle: Maximilian Dörrbecker/ Wikipedia Quelle: Landeshauptstadt München/ Baureferat Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 38 INFRASTRUKTUR Verkehrslenkung pfähle wurden seit August 2009 in das Erdreich gedreht - hintereinandergereiht hätten sie eine Gesamtlänge von 110 km. Die Baustelle erstreckte sich von der Garmischer Straße über den Luise-Kiesselbach-Platz bis hin zur Heckenstallerstraße. Es handelt sich hier um eine zweiröhrige Tunnellösung (Bild- 2) aus einem durchgehenden Haupttunnel und mehreren Ein- und Ausfahrtsrampen mit zugehörigen Seitentunneln. Daneben gibt es vier Betriebsstationen und 15 Notausgänge mit Fluchttreppen an die Oberläche (Bild 3). Während der gesamten Bauzeit musste der Verkehr auf zwei jeweils dreistreiigen Fahrbahnen um das teils in ofener Bauweise, teils in Deckelbauweise erstellte Tunnelbauwerk herumgeführt werden (Bild 4). In der Heckenstallerstraße wurde mit der Tieferlegung des Mittleren Rings auf Tunnelniveau und durch zusätzliche Schallschutzwände eine Verbesserung der Lärmsituation erreicht. Zusätzliche Schutzmaßnahmen wie der Einbau von Schallschutzfenstern wurden überall dort vorgesehen, wo Grenzwerte überschritten wurden. Außerdem wurden an allen Tunnelein- und -ausfahrten schallabsorbierende Wandverkleidungen angebracht. Für die gesamte Objektplanung, Ingenieurbauwerke und Verkehrsanlagen am Mittleren Ring Südwest zeichnet die Arbeitsgemeinschaft von Dorsch International Consultants, ISP Scholz Beratende Ingenieure und Ingenieurbüro Rüdiger Schönenberg verantwortlich. Die Federführung der Planungsgemeinschaft Mittlerer Ring Südwest lag bei Dorsch International. Zum Umfang der Leistungen zählen neben der Objektplanung der Ingenieurbauwerke mit zwei Tunnelbauwerken, einem Trogbauwerk und Brücken, Teile der Tunnelausstattung wie zum Beispiel Feuerlöschtechnik und Tunnelwandverkleidung sowie die vollständige Planung der Verkehrsanlagen im Tunnel als auch an der neu gestalteten Oberläche. Die Gesamtprojektkosten des Ausbaus Mittlerer Ring Südwest betragen knapp 400 Mio. EUR. Die Straßenbauer stellten im Frühjahr 2015 die Anschlüsse der Oberlächenfahrbahnen an den Tunnel her. Die Rückverlegung der Sparten wie Gas, Strom, Wasser und Telemedien aus den privaten Grundstücken in den öfentlichen Raum wurde begonnen. Und seit 27. Juli 2015 ist das neue Verkehrsbauwerk oiziell eröfnet (Bild 5). Das Verkehrsaukommen in der Garmischer Straße lag vor der Tunneleröfnung bei etwa 100 000 Fahrzeugen pro Tag. Der Verkehr an der Oberläche wird sich hier zwischen Preßburger Straße/ Hinterbärenbadstraße und Waldfriedhofstraße um rund A 96 A 95 Luise- Kiesselbach- Platz e ß a r t S r e h c s i m r a G Murnauer Straße Krüner Straße Preßburger Straße Hinterbärenbadstraße Treffauerstraße Ehrwalder Straße Waldfriedhofstraße Heckenstallerstraße Höglwörther Straße Friedrich-Hebbel-Straße Albert- Roßhaupter- Straße Passauerstraße Tunnelrampe Tunnel Lärmschutzwand Tunnel in Tieflage Bild 2: Fahrbahnarbeiten im Haupttunnel Foto: Dorsch International Bild 3: Neuer Straßenverlauf am Mittleren Ring mit Tunnel Heckenstaller- und Garmischer Straße Quelle: Landeshauptstadt München/ Baureferat Bild 4: Verkehrsführung am Luise-Kiesselbach-Platz im April 2011 Foto: rent-a-drone Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 39 Verkehrslenkung INFRASTRUKTUR 95 % auf bis zu 5000 Fahrzeuge pro Tag verringern. Der Verkehrsknoten Luise-Kiesselbach- Platz wurde bisher von rund 120 000 Fahrzeugen pro Tag befahren. Hier soll das Verkehrsaukommen an der Oberläche auf etwa 40 000 Fahrzeuge pro Tag zurückgehen. Auf der ofen auf Tunnelniveau geführten Heckenstallerstraße fahren künftig 107 000 Fahrzeuge pro Tag gegenüber bisher 90 000. Die Tunneloberläche zwischen Friedrich-Hebbel-Straße und Passauerstraße ist dafür nun verkehrsfrei. Durch die Tunnel werden die Autoabgase umverteilt. Falls die geltenden Grenzwerte zukünftig überschritten werden sollten, wurden bereits im Vorfeld bauliche Vorkehrungen getrofen, um gegebenenfalls mögliche Nachrüstungen von Abluftbauwerken vorzunehmen. Die neue Verkehrsführung entlastet Münchens Hauptschlagader auf einer Länge von mehr als 2,5 Kilometern spürbar und schaft an der Oberläche neue Aufenthaltsqualitäten: Nun erfolgt bis etwa Ende 2017 die Wiederherstellung der Oberläche einschließlich einer komplett neu gestalteten Grünanlage, dem insgesamt 28 000 m 2 großen Heckenstallerpark (großes Bild Seite 37). Geplant sind etwa 450 Bäume wie Zierkirschen und Platanen sowie verschiedene Spielangebote für Kinder und Jugendliche, beispielsweise ein Streetball-Platz und eine Boulderwand. Spazierwege und Bänke werden ebenfalls fester Bestandteil im Park [3]. Der Mittelstreifen in der Garmischer Straße mit einer Breite von über zehn Meter wird als Promenade zum Spazieren und Verweilen gestaltet. ■ QUELLEN [1] https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Bundesstraße_2_R [2] https: / / www.muenchen.de/ rathaus/ Stadtverwaltung/ baureferat/ projekte/ mittlerer-ring-suedwest.html [3] https: / / www.muenchen.de/ rathaus/ dms/ Home/ Stadtverwaltung/ Baureferat/ mittlerer-ring-suedwest/ pdf/ mrsw_2015-2017.pdf Ralf Schiller Leitung Verkehr bei Dorsch in Wiesbaden ralf.schiller@dorsch.de Bild 5: Luise-Kiesselbach-Tunnel im fertigen Zustand Quelle: Landeshauptstadt München/ Baureferat Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 40 Mehr Stadtraum durch Mobilstationen Zufußgehen als Bestandteil multi- und intermodaler Mobilitätskonzepte Mobilstation, Multimodalität, Intermodalität, Walkability, Fußverkehr Vieles spricht dafür, dass nur mit integrierten Ansätzen, die den Umbau bestehender Infrastrukturen einbeziehen, multi- und intermodale Mobilitätsangebote entstehen können. Vor allem muss in den Köpfen der Gesellschaft ein neues Bild von urbaner Mobilität geschafen werden, damit der vielerorts immer noch zunehmende motorisierte Individualverkehr reduziert werden kann. Welchen Beitrag Mobilstationen leisten könnten und welche Rolle das Zufußgehen dabei spielt, wird in einem übergreifenden Forschungsansatz am Institut für Stadtplanung und Städtebau der Universität Duisburg-Essen untersucht. Autoren: Eva Frensemeier, Jan Garde, Minh-Chau Tran D amit eine umweltschonende und eizientere Fortbewegung in der Stadt gewährleistet werden kann, müssen ganzheitliche Ansätze entwickelt werden, die die Formen der Stadtmobilität intelligent miteinander verknüpfen. Hierbei ist es besonders wichtig, dass zum einen der ÖPNV mit den umweltfreundlichen und bewegungsförderlichen Mobilitätsformen wie dem Rad- und Fußverkehr kombiniert werden. Diese multi- und intermodale Verknüpfungsstellen, an der eine möglichst hohe Anzahl von Verkehrsträgern gebündelt ist, werden Mobilstation genannt. Mobilstationen bieten außerdem Raum für Carsharing sowie Bikesharing-Angebote. Im optimalen Fall können diese Fahrzeuge mit Elektromotoren ausgestattet sein, die an den Stationen aus regenerativen Energien geladen werden. Fahrzeuge, die batterieelektrisch betrieben werden, tragen zwar - sofern sie mit erneuerbaren Energien aufgeladen werden - zu einer Reduktion von Lärm- und Schad- Bild 1: Mobilstation am Berliner Tor in Hamburg mit U- und S-Bahn, Mietwagen-, Carsharing-und Leihrad-Station sowie Lademöglichkeiten. Foto: Sebastian Glombik INFRASTRUKTUR Multimodalität Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 41 Multimodalität INFRASTRUKTUR stofemissionen bei. Doch selbst wenn alle Privatfahrzeuge mit Elektroantrieb ausgestattet und mit erneuerbaren Energien betrieben würden, führte dies nicht zu einer Reduzierung der PKW-Anzahl im Stadtraum und somit auch zu keiner Entlastung der Verkehrssysteme. Die Flächeninanspruchnahme durch stehende und fahrende PKW bleibt also unabhängig von der Antriebsart bestehen. Aus diesem Grund muss der private PKW in Zukunft durch ein intelligentes Mobilitätssystem aus umweltfreundlichen Verkehrsmitteln ersetzt werden, damit die bisher vom Individualverkehr benutzten Flächen als Stadtraum zurückgewonnen werden. Zufußgehen als Teil des urbanen (Verkehrs-)Systems Durch eine Verknüpfung und Kombination verschiedener Mobilitätsformen können Distanzen in der Regel variabel und schnell überbrückt werden. Grundlage dafür ist ein funktionierendes Netz an multi- und intermodalen Haltestellen wie Mobilstationen (siehe Bild 1). Die Idee der Multi- und Intermodalität erfährt zunehmend Beachtung. Rund 50 % der deutschen Bevölkerung verfolgt heute bereits eine individuelle Optimierungsstrategie, bei der für unterschiedliche Wege das jeweils passende Verkehrsmittel gewählt wird [1]. In Deutschland wird täglich mindestens ein reiner Fußweg zurückgelegt, 48 % aller Wege sind kürzer als drei Kilometer, davon werden 40 % mit dem Auto zurückgelegt [2]. Hier wird das Potenzial von Mobilstationen deutlich, die als Verknüpfungspunkte dazu beitragen können, dass sich Fuß- und Radverkehrsanteile weiter erhöhen [3]. Werden nämlich Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, durch aktive Mobilitätsformen ersetzt, spart man zugleich Energie, Kosten, schont die Umwelt und bewegt sich gesund, da Lärm- und Luftbelastung, CO 2 -Emissionen und Verkehrsunfallrisiken reduziert werden. Aktive Mobilität erhöht schließlich die Resilienz einer Stadt. Allerdings ist man sich meist der Bedeutung der Fußwege als Teil des Verkehrssystems ungenügend bewusst, da das Gehen für viele etwas Selbstverständliches ist. Daher wird es oft nicht als Fortbewegungsmittel wahrgenommen und somit nicht mit dem Begrif „Verkehr“ assoziiert [4]. Mit der kontinuierlichen Verkehrserhebung (KONTIV) 1976 und 1982 zeigte sich der Verkehrsplanung erstmals, dass die Fortbewegungsform Gehen unterschätzt wurde, da dessen Anteil am Modal Split am Verkehrsaukommen je nach Siedlungsgröße und Erhebungsdatum ca. 30 bis 38% beträgt [5]. Dabei sind Fußgänger mehr als nur Objekte der Verkehrsplanung, denn es ist Teil unserer täglichen Aktivitäten, einhergehend mit sozialer Teilhabe und gesundheitsförderlichen Auswirkungen. Jüngste Studien belegen, dass erhöhte Zugänglichkeit zu Haltestellen mit erhöhter körperlicher Aktivität assoziiert wird, die die Risiken chronischer Erkrankungen und Fettleibigkeit mindert, und Pendler, die vom Auto auf öfentliche Verkehrsmittel umsteigen, ihr Gewicht reduzieren konnten [6]. Der Weg zur Mobilstation beginnt nämlich nicht erst an den Mobilstationen: Erst Fuß- und Radwege schafen eine lückenlose Mobilitätskette. Fußverkehr ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Gesamtverkehrs. Fußwege stellen sowohl beim ÖV und beim IV die erste und letzte Etappe einer Wegekette dar [7]. Es gilt daher, den Fußverkehr sinnvoll in ein Gesamtverkehrssystem einzuordnen. Vielen Haltestellen fehlt es jedoch an Qualität und Attraktivität, gerade wenn es um die Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln geht. Bei der Planung der Haltestellen müssen daher die Eigenschaften des Zufußgehens zukünftig besser berücksichtigt werden. So haben Fußgänger einen geringen Platzbedarf und eine niedrige Geschwindigkeit. Auch die Gestaltung der öfentlichen Räume hat einen Einluss auf die Akzeptanz von Fußwegen. Fußgängerfreundliche und attraktiv und sicher gestaltete Fußwege werden stärker frequentiert. Mobilstationen sind daher nicht nur als funktionaler Verkehrsknotenpunkt zu verstehen, sondern gleichermaßen auch als soziale Räume. Das Konzept Walkability In diesem Zusammenhang spielt das Konzept der ’Walkability’ eine wichtige Rolle, da es aus ganzheitlicher Sicht auf eine bewegungsanimierende Umwelt auf Stadt-, Quartiers- und Straßenraumebene zielt [8]. Erleichtert werden informelle kleinräumige Begegnungen, was die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erhöht und mehr Vertrauen der Menschen in ihre Umwelt schaft - ein erheblicher Gewinn an Sozialkapital und Lebensqualität [9]. Als planerische Kriterien für Walkability haben sich auf Makroebene die fünf „D“ bewährt: Dichte, Diversität, Design, Zugänglichkeit zu Destinationen und Distanz zu Transitorten [10]. Zur Bewertung der Walkability von Stadtteilen werden häuig folgende quantiizierbare Merkmale wie Straßenkonnektivität, Nutzungsmischung und Einwohnerdichte genutzt, die in der Summe einen Walkability- Index bilden. Die Straßenkonnektivität wird z. B. gemessen über die Dichte der Kreuzungen pro festgelegter Einheit [11]. Ergänzende kleinräumige qualitative Feinmerkmale auf Mikroebene umfassen z. B. Zugänglichkeit, Orientierungsfreundlichkeit, attraktive Gestaltung der Fassaden und eine sinnvolle Anordnung des Straßenmobiliars. Die Erkenntnisse zur Planung von „gu- Bild 2: Nutzwertanalyse zu potenziellen Standorten für die Stadt Köln Quelle: ISS Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 42 INFRASTRUKTUR Multimodalität ten“ öfentlichen Räumen beziehen sich auf klassische städtebauliche Grundlagenwerke und sind nicht neu. Einige Kerngedanken enthalten z.B. städtebauliche Qualitäten, die in engem Zusammenhang mit der Wahrnehmung der gebauten Stadt durch den Menschen stehen [12]. Innovative Lösungsansätze Die eingangs deinierte Forderung nach einem innovativen Verkehrssystem durch Mobilstationen wurde am Institut für Stadtplanung und Städtebau der Universität Duisburg-Essen in einer interdisziplinären Studie im Rahmen des Schaufensterprojekts colognE-mobil [13] am Beispiel der Stadt Köln empirisch untersucht und diskutiert. Im Rahmen des Projektes colognEmobil, gefördert vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, entwickeln 13 Partner Elektromobilitätslösungen für NRW. Am Institut wird untersucht, welche Rolle die Integration von Elektromobilität als Treiber einer umweltfreundlichen Mobilität spielen kann und welche Potenziale eine intelligente Verknüpfung umweltschonender Verkehrsmittel hat [14]. Dabei werden u. a. mit der Konzeption von Mobilstationen konkrete Handlungsansätze erforscht und visualisiert, damit Potenziale für verantwortliche kommunale Planer und Verkehrsunternehmen sichtbar gemacht werden. Insbesondere für jene Akteure, die sich mit der Umgestaltung von schon bestehenden multi- und intermodalen Verknüpfungsanlagen auseinandersetzen, können durch die Ergebnisse des Projekts wichtige Lösungsansätze aufgezeigt werden. Damit bedarfsgerecht ein neues multi- und intermodales Verkehrssystem mit integrierten Elektrofahrzeugen errichtet werden kann, wurden im Rahmen des Projektes colognE-mobil mithilfe einer Stated Preference-Befragung die Bedürfnisse der Stadtbewohner erfasst. Noch wissen große Teile der Bevölkerung zu wenig über die Elektromobilität und das Carsharing als Bestandteil einer nahtlosen intermodalen Mobilitätskette. Deizite bestehen vor allem in den Themenfeldern Ladeinfrastruktur, die Kombination von Verkehrsmitteln und die Schaffung von Stadtraumqualitäten durch Carsharing. Daher wurden mehr als 300- Passanten nach ihren (Elektro)-Mobilitätspräferenzen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als 75 % der Befragten Ladeinfrastrukturen für Elektroautos und E-Bikes an einer Haltestelle für unabdingbar halten und sich fast 60 % der Befragten eher vorstellen können, eine Kombination von Verkehrsmitteln zu nutzen, wenn die Stationen und deren Umfeld funktional und ansprechend gestaltet sind. Interessant ist darüber hinaus, dass rund 40 % der Befragten nicht wissen, dass durch die Nutzung von Fahrzeugen im Rahmen von Carsharing-Angeboten mehr Platz für die Gestaltung und die Qualität des öfentlichen Raums entsteht. Insgesamt würden sich die Bewohner multi- und intermodaler fortbewegen, wenn es ein entsprechendes Angebot in ihrer Umgebung geben würde und dabei der Stadtraum eine hohe Qualität aufweist. Die Befragung macht außerdem deutlich, dass sich die Menschen multi- und intermodaler fortbewegen, wenn es ein entsprechendes Angebot geben würde. Damit dies realisiert werden kann, ist es zunächst notwendig potenzielle Standorte für Mobilstationen zu identiizieren. In der Praxis werden derzeit zwar vermehrt Ideen für die Umgestaltung zu Mobilstationen entwickelt, ein ganzheitliches Konzept ist bisher jedoch noch nicht bekannt. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde daher eine GIS-gestützte Standortanalyse durchgeführt, bei der unter anderem Kriterien wie Erreichbarkeit, ÖPNV- Angebot, Vorhandensein von Carsharing- Bild 3: Kategorisierung vom Mobilstationen nach Größe und Angebot Quelle: ISS Bild 4: Visualisierung der Konzeption von Mobilstationen, um verantwortlichen kommunalen Planern und Verkehrsunternehmen Potenziale sichtbar zu machen Grafik: ISS Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 43 Multimodalität Infrastruktur Stellplätzen mit eingelossen sind. Mithilfe einer Nutzwertanalyse konnten für die Stadt Köln 33 potenzielle Standorte (siehe Bild 2) für Mobilstationen identiiziert werden. Das Ergebnis zeigt, dass sie die meisten potenziellen Standorte in der Innenstadt zu inden sind. Dies ist durch eine hohe städtebauliche Dichte sowie einer guten Erreichbarkeit dieser zu begründen. Um ein gesamtstädtisches Netz an multi- und intermodalen Mobilstationen zu etablieren, ist es unabdingbar die einzelnen Mobilstationen zu kategorisieren. Hierfür ist es notwendig, ein Hierarchiesystem von Mobilstationen zu entwickeln, sodass ortsspeziische Gegebenheiten berücksichtigt werden können und eine angemessene Größendimensionierung der Mobilstationen möglich ist. Der im Forschungsprojekt colognE-mobil entwickelte Hierarchieansatz folgt dem Größenprinzip „S, M und L“. Das Hierarchiesystem ist als Baukastensystem zu verstehen, sodass Eigenschaften aus der nicht ausgewählten Hierarchie nach Belieben ergänzt werden können (siehe Bild- 3). Bei den zu berücksichtigenden Faktoren fällt auf, dass sich diese im Wesentlichen mit den Kriterien aus dem Walkability Konzept (siehe oben) teilweise überschneiden. Diese Feststellung zeigt, dass sich beide Ansätze ergänzen und für ein multi- und intermodales Gesamtverkehrssystem in Zukunft immer zusammen betrachtet werden sollten. Folgende Faktoren geben Aufschluss über die Hierarchiestufe einer Mobilstation: • Städtebauliche Dichte und stadträumliche Lage, • Lebensstil der Bewohner, • Einwohner- und Arbeitsplatzdichte, • PKW-Dichte und Parkdruck sowie • die Erreichbarkeit des Standortes durch den ÖPNV, SPNV zu Fuß und mit dem Rad. Neben verkehrsmittelabhängigen Anforderungen bestehen vor allem grundsätzliche Anforderungen hinsichtlich der Gestaltung, welche sich zum Teil aus den zuvor genannten Gestaltungsansprüchen des Fußverkehrs ableiten lassen [15]. Zu den funktionalen Gestaltungskriterien gehören unter anderem Barrierefreiheit, gute Sichtbarkeit, räumliche Kompaktheit sowie Informations- und Orientierungshilfen. Die Gestaltung der Mobilstation beschränkt sich dabei nicht nur auf den engeren Bahnhofsbzw. Haltestellenbereich, sondern wertet zugleich auch immer das Umfeld auf [16]. synergieefekte Mit der Errichtung von multi- und intermodalen Mobilstationen an strategisch wichtigen Verknüpfungspunkten können die genannten Aspekte des Walkability-Konzeptes sowie aus den Erkenntnissen des Fußverkehrs in einem integrierten Ansatz miteinander verknüpft werden. Aufgrund ihrer Funktion und Präsenz im Stadtraum können sie als gebauter Ausdruck einer neuen Mobilität fungieren und ein wesentliches Element eines zukunftsfähigen Mobilitätssystems darstellen (siehe Bild 4). Die vorgestellten Lösungsansätze Walkability sowie Mobilstationen ergänzen sich gegenseitig und sind in einem Gesamtverkehrskonzept zu integrieren. Das am Institut entwickelte Konzept für Mobilstationen bietet Benutzern die Chance, sich eizienter, umweltschonender und günstiger zu bewegen, da sie keinen eigenen PKW mehr zur Fortbewegung benötigen, die Anschlussmöglichkeiten optimiert sind, wodurch Fahrzeit eingespart wird und Fahrzeuge ausgeliehen werden können, die aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Diese Veränderungen werden sich auch positiv auf die Mobilitätsgewohnheiten auswirken und zusammen mit dem Konzept der Walkability wird der Mensch den Stadtraum neu erleben und die öfentlichen Flächen der Mobilstationen nicht nur als reine Verkehrsabwicklungsläche wahrnehmen, sondern vielmehr als Erlebnisraum entdecken. fazit Damit in Zukunft ein nachhaltiges und eizientes Mobilitätskonzept in den Städten realisiert werden kann, sind in die bestehende Stadtstruktur integrierte Mobilstationen unabdingbar. Durch die intelligente Kombination verschiedener Verkehrsmittel wird der private PKW in Zukunft eine untergeordnetere Rolle spielen. Mobilstationen sind somit ein wesentlicher Baustein, damit die Verkehrswende gelingt. Erst durch ein ganzheitliches und nachhaltiges Mobilitätskonzept wird es möglich sein, die schon heute in den Großstädten enormen Emissionen der Treibhausgase, die Schadstobelastungen sowie die hohe Motorisierungsrate zu reduzieren. Vor allem aber kann auf diese Weise eine neue Mobilitätskultur entstehen, mit deren Hilfe auch wieder urbane Lebensqualität zurückgewonnen werden kann. ■ LITERATUR [1] Lenz, B.: (2011): Mobilität im Umbruch - Entwicklungen, Trends, Prognosen. Vortrag im Rahmen des 5. ÖPNV-Innovationskongresses in Freiburg [2] Follmer, R.(2015): Bürgerinnen und Bürger unterwegs im Quartier - Zahlen, Möglichkeiten und Wünsche. Auszug aus der Studie Mobilität in Deutschland 2016. Vortrag im Rahmen der Tagung der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte und Gemeinden Nordrhein-Westfalen (AGFS) in Essen am 26. Februar 2015 [3] Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (2011): Neue Wege für Kommunen. Elektromobilität als Baustein zukunftsfähiger kommunaler Entwicklung in Baden-Württemberg, Stuttgart [4] Jermann J. (2004): GIS-basiertes Konzept zur Modellierung von Einzugsbereichen auf Bahn-Haltestellen, Schriftenreihe des IVT Nr. 129, ETH Zürich [5] Schmucki, B.: (2001): Der Traum vom Verkehrsluss. Städtische Verkehrsplanung seit 1945 im deutsch-deutschen Vergleich, Frankfurt am Main [6] Martin, A., Panter, J., Suhrcke, M., Ogilvie, D. (2015): Impact of changes in mode of travel to work on changes in body mass index: evidence from the British Household Panel Survey. In: Journal of Epidemiology and Community Health. Bd. 69, Nr. 8, S. 753-761 [7] Thomas C., Schweizer T. (2003): Zugang zum öfentlichen Verkehr: Der Fussverkehr als „First and Last Mile“. In: Strasse und Verkehr Nr.-10 [8] Tran M.-C., Schmidt J. A. (2014): Walkability aus Sicht der Stadt- und Verkehrsplanung, in Walkability - In: Das Handbuch zur Bewegungsförderung in der Kommune (J. Bucksch und S. Schneider, eds.) (Hrsg.), Hans Huber Verlag, Bern, pp. 61-72 [9] Rogers, S.H., Halstead, J.M., Gardner, K.H., Carlson, C.H. (2010): Examining Walkability and Social Capital as Indicators of Quality of Life at the Municipal and Neighborhood Scales, Applied Research in Quality of Life [10] Ewing, R., Cervero, R. (2010): Travel and the Built Environment. A Meta-Analysis. Journal of the American Planning Association, 76(3) [11] Frank, L.D, Schmid, T, Sallis J.F., Chapman, J., Saelens, B. (2005): Linking Objective Physical Activity Data with Objective Measures of Urban Form. In: American Journal of Preventive Medicine. Bd. 28, Nr-2S [12] Jacobs J. (1961): The Death and Life of Great American Cities. Random House, New York [13] http: / / cologne-mobil.de/ phase-2.html [14] https: / / www.uni-due.de/ staedtebau/ Stadt_mobilitaet.shtml [15] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2009): Hinweise für den Entwurf von Verknüpfungsanlagen des öfentlichen Personennahverkehrs, Köln [16] Zemp, S. (2012): Vom Bahnhof zum multifunktionalen Raum, In: Collage 4/ 12, pp. 7-9 Jan Garde, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, Forschungsbereich Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, Dortmund jan.garde@ils-forschung.de Minh-Chau tran, Dr.-Ing. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Stadtplanung und Städtebau der Universität Duisburg- Essen, Essen minh-chau.tran@uni-due.de Eva frensemeier, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Stadtplanung und Städtebau der Universität Duisburg- Essen, Essen eva.frensemeier@uni-due.de Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 44 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Schnellladen von Elektroautos Eine Hofnung für den Marktdurchbruch von-Elektromobilität? Energiewende, Elektroautos, Präferenzen der Autofahrer, Ladeinfrastruktur, integriertes Ladekonzept Die bundesdeutsche Politik sieht Elektromobilität als interessante Option zur Gestaltung klimagerechter Mobilität. Mit dem Forschungsprojekt Combined Charging System im Rahmen des Internationalen Schaufensters Berlin-Brandenburg sollen auf der technischen Seite die Möglichkeiten zur Reduktion von Ladezeiten - und damit die Reduktion einer Akzeptanzschwelle untersucht werden. Als begleitende Forschung untersuchte das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung (IVP) der TU Berlin die aktuellen Präferenzen der Autofahrer und damit das Nutzerpotenzial für E-Mobilität. Die Autoren: Stephan Daubitz, Veronique Riedel, Oliver Schwedes D ie Sorge über den Klimawandel und die Zukunft der Energiesicherheit haben die Entwicklung und das Interesse an Elektrofahrzeugen zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder auleben lassen (vgl. [1]). Mit den technischen Fortschritten in der Batterietechnologie wurde für die bundesdeutsche Politik Elektromobilität zu einer interessanten Option, um die Energiewende und klimagerechte Mobilität zu gestalten. Als Ziel formulierte die Bundesregierung, dass bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen unterwegs sein sollen. Von der KFZ-Steuerbefreiung bis hin zu Anreizen bei der Dienstwagenbesteuerung wurden unterstützende Maßnahmen auf den Weg gebracht, um dieses Ziel zu erreichen. Dennoch gestaltet sich eine Marktdurchdringung schwierig. Bisherige Studien identiizieren neben den hohen Batteriekosten und den begrenzten Reichweiten von Elektroautos insbesondere die langen Ladezeiten als Akzeptanzschwellen [2, 3]. Grundsätzlich lässt sich aber aufgrund der qualitativen Forschung zu Nutzerperspektiven auf Elektromobilität sagen, dass Akzeptanz für die Aneignung einer neuen Antriebstechnologie zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für potenzielle Nutzer ist. Die Technikaneignung ist immer auch eine Anpassungsleistung, die im Bereich der Elektromobilität stark durch vorhandene Mobilitätsroutinen, eine automobildominierte Mobilitätskultur, Mobilitätsbiographien und subjektive Wahrnehmungen geprägt ist (vgl. [4]). Das Forschungsprojekt Mit dem Gesamtprojekt Combined Charging System wird eine neue Stufe des Ladens von Elektrofahrzeugen annonciert, die mit einem kombinierten Ladesystem von Wechselstrom und einer zusätzlichen Ladeoption mit Gleichstrom neue Möglichkeiten für potenzielle Nutzer eröfnet. Im Kern geht es auf technischer Seite um eine wesentliche Reduktion von Ladezeiten und damit um die Reduktion einer Akzeptanzschwelle. Das Projekt E3 - Combined Charging System ist als eines von ca. 30 Projekten im Internationalen Schaufenster Berlin-Brandenburg gestartet, welches vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert wird und inzwischen in der Berliner Öfentlichkeit unter dem Namen „SCHNELL-LADEN BERLIN“ bekannt ist (www. schnell-laden-berlin.de). In dem groß angelegten regionalen Demonstrations- und Pilotvorhaben wird Elektromobilität an der Schnittstelle von Energiesystem, Fahrzeug und Verkehrssystem erprobt. Koordiniert wird das Projekt von der RWE Eizienz GmbH unter weiterer Mitarbeit der Daimler AG, des Fachgebiets Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik der TU Berlin, der Total Deutschland GmbH, des TÜV Rheinland, der Vattenfall Europe Innovation GmbH und des DLR Institut für Verkehrsforschung. Als begleitende Forschung zur technischen Entwicklung und Umsetzung von Schnellladeoptionen untersuchte das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung (IVP) der TU Berlin die aktuellen Präferenzen der Autofahrer. Im Rahmen dieses Projektes ging es darum zu ergründen, wie die Präferenzen von Autofahrern zum Nachdenken über einen Umstieg auf Elektromobilität - und folglich zu einem tatsächlichen Umstieg - führen. Dabei war es nicht das Anliegen, die Akzeptanz einer speziellen Ladeoption isoliert zu betrachten, sondern das Thema Elektromobilität und Multimodalität ganzheitlich in den Fokus zu nehmen und aus einer integrierten Perspektive zu analysieren. Im Bereich der Mobilität sind der erfahrene Mobilitätsalltag und biographische Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 45 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Prägungen wichtige Referenzbzw. Orientierungspunkte für die Wahrnehmung. Schaut man sich z. B. Ladepräferenzen bei der Nutzung eines Elektroautos an, werden sie in Bezug zu bereits Erlebten gesetzt. So wird das Laden eines Elektroautos mit Standzeiten mehrerer Stunden wahrgenommen und mit dem Vorgang des Parkens gleichgestellt [5, 6, 7]. Ebenso werden Wahrnehmungen im Bereich der Mobilität in Bezug zu anderen Verkehrsmitteln gebildet. Dies ist vor allem im urbanen Raum umso mehr zu erwarten, da dort die Menschen zumeist nicht nur monomodal unterwegs sind, sondern Erfahrungen mit anderen Verkehrsmitteln haben. Die situationsspeziische Nutzung von Verkehrsmitteln und die Möglichkeit aus einer Variation von Mobilitätsangeboten zu wählen ist den Menschen im urbanen Raum zunehmend präsent [8, 9]. Somit ist eine einseitige Befragung zur Akzeptanz des Elektroautos nicht zielführend, da dies meist mit einem Abwägungsprozess zu anderen Verkehrsmitteln und mit subjektiven Wahrnehmungen (geprägt durch Biographie, Medien etc.) verbunden ist. Die Methode Es gibt vielfältige Einlussfaktoren, die die subjektive Wahrnehmung von Elektromobilität bestimmen. Wenn es also das Ziel ist, die Ofenheit gegenüber neuen Technologien zu stärken, gilt es, diese Ofenheit beispielsweise in Bezug auf die Wahrnehmung von Elektroautos zu analysieren und schlüssige Mobilitätsangebotskonzepte zu entwickeln, die den unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnissen gerecht werden. Dabei sind Einstellungen, Handlungen und Entscheidungen, die individuelles Mobilitätsverhalten bestimmen, sehr komplex. Um diese erfassen zu können, bedarf es eines speziischen Forschungsdesigns. Dementsprechend wurde in diesem Forschungsprojekt zur Ermittlung von Motiven, Wahrnehmungen und Einstellungen ein besonderer Mixed Method-Ansatz gewählt. 1 In einem ersten Schritt wurden qualitative Leitfadeninterviews durchgeführt, um die Einstellungen potentieller Nutzer zu ergründen und das daraufolgende Erhebungsinstrument der kognitiven Interviews mit der Repertory Grid Methode zu entwickeln. Die Repertory Grid Interviews nahmen dabei einen eigenständigen Charakter in der Erhebung ein. Sie dienten zum einen der Präzisierung und Reduktion von Eigenschaften für die Konzipierung einer Conjoint-Erhebung und lieferten darüber hinaus ergiebiges Datenmaterial zum Mobilitätsalltag und den prägenden Routinen von Nutzern. Nach der Durchführung und Auswertung dieser kognitiven Interviews wurden eine Adaptive Conjoint-Analyse konstruiert und an einer Tankstelle des Kooperationspartners Total in der Holzmarktstraße, Berlin-Mitte, insgesamt 250 Probanden an fünf Tagen mit Tablets befragt. Für die Übertragbarkeitkeit der Ergebnisse kommt somit der Conjoint-Analyse eine bedeutsame Rolle zu. Als Ergebnis sollten mögliche Mobilitätskonzepte bzw. Angebotspakete abgebildet werden, die zur Verhaltensänderung anregen können. Die Ergebnisse dieser Erhebung wurden dazu in einem letzten Schritt durch die Repertory Grid kontextualisiert. Da im Zentrum des Forschungsinteresses die Handlungsmotive von Menschen im Verkehr, speziell ihre Positionierungen zum Thema Elektroauto bzw. Elektromobilität mit Fokus auf mögliche Ladeoptionen standen, sollte bei der Conjoint-Analyse ein besonderer Schwerpunkt auf die Auswahl der abzufragenden Eigenschaften und deren Ausprägungen gelegt werden. Um mit den Ergebnissen eine Aussage über die allgemeine Präferenz bzw. unterschiedliche Nutzergruppen identiizieren zu können, muss die Conjoint-Analyse alle Eigenschaften und Ausprägungen enthalten, die auch in einer reellen Kaufentscheidung eine Rolle spielen. Daher wurden diese aus der vorgelagerten Repertory Grid Methode über den Schritt einer Hauptkomponentenanalyse gewonnen. Als Bestandteile möglicher Mobilitätspakete ergaben sich fünf Eigenschaften: • Optionen für weite Strecken • Anforderungen an das Laden • bevorzugter Ladeort • Vorteile beim Autokauf • Einstellung zur Autonutzung Da es für die Befragten schwierig ist, konsistente Bewertungen für einen komplexen Sachverhalt abzugeben, lässt sich bei Adaptiven Conjoint-Analysen der Efekt beobachten, dass Eigenschaften, die für die Probanden „tatsächlich“ unwichtig sind, von ihnen tendenziell überschätzt, wichtige Eigenschaften jedoch tendenziell unterschätzt werden. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn Preisbestimmung oder Marktsimulationen ein Kernziel der Studie sind (vgl. [10]). In diesem Projekt wird daher explizit auf die Einbindung einer Preiskomponente verzichtet. Die Ergebnisse Wie in Bild 1 zu sehen ist, haben die Option für weite Strecken, die Nutzungseinstellung zum Auto und der bevorzugte Ladeort die größte Wichtigkeit für die Probanden. Die Option für weite Strecken hat mit 26,2 % den größten merkmalsspeziischen Einluss auf die Bereitschaft, zukünftig Elektromobilität zu wählen. Flexibilität und Verfügbarkeit bestimmen dominant die individuellen Mobilitätsbedürfnisse. Diese Ansprüche bzw. Bedürfnisse werden mit einer zu realisierenden Reichweite verbunden. Ebenfalls eine hohe Bedeutung haben die Nutzungseinstellung zum Auto (22,6 %) und der bevorzugte Ladeort (22,2 %). Bild 1: Relative Wichtigkeiten der Eigenschaften im Rahmen der Adaptiven Conjoint-Analyse Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 46 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Die hohe Bedeutung der mit dem Auto verbundenen Nutzungseinstellungen ist dabei wenig überraschend: hier ist die Umweltfreundlichkeit wichtigste Merkmalsausprägung. Im qualitativen Vorlauf wurde die Umweltfreundlichkeit sehr ambivalent betrachtet. Sie wurde von den Proband in den qualitativen und kognitiven Interviews hinterfragt bzw. skeptisch beurteilt. In der Conjoint-Analyse ließ sich aber zeigen, dass die symbolische Bedeutung der Umweltfreundlichkeit angenommen bzw. verinnerlicht wird. Sie wird mit dem Elektroauto thematisch verbunden und stellt sogar ein „must have“ für eine eventuelle Kaufentscheidung dar.- Die symbolische Dimension von Umweltfreundlichkeit kann somit eine wichtige Statuseigenschaft begründen. Die Anforderungen an den eigentlichen Ladevorgang haben bei der Präferenzbildung mit 12,3 % den geringsten merkmalsspeziischen Einluss. Auch hier ist eine Kontextualisierung mit dem qualitativen Datenmaterial gewinnbringend, da der Ladevorgang in der Regel nicht gesondert betrachtet wird sondern immer die Integration im Mobilitätsalltag im Mittelpunkt der Wahrnehmungen bzw. Entscheidungen steht. Gegenwärtig wird das Angebot des Ladens eines Elektroautos als Routinebruch empfunden, der zu einer anderen Organisation der Mobilität zwingt. Ein Bruch der Mobilitätsroutine wird zwar nicht durchgängig als negativ wahrgenommen, jedoch erscheint er vielen als unangenehm. Dabei wird nicht zwischen den verschiedenen Ladeoptionen mit Wechselstrom und Gleichstrom unterschieden. In allen Betrachtungen und Bewertungen gehen die befragten Personen von ihrer eigenen gelebten Mobilität aus. Dabei bildet die gegenwärtige Betankung eines Verbrennerautos einen Hauptorientierungspunkt. Schlussfolgerungen für das (Schnell-) Laden von Elektroautos Die Analyse macht deutlich, dass Ladevorgänge routiniert und im Hintergrund ablaufen müssen, um die Akzeptanz von Elektromobilität zu erhöhen. Aus den Erkenntnissen lassen sich Kriterien für ein integriertes Ladekonzept herleiten. Sofern ein Ladevorgang an einer Tankstelle geschehen soll, ist die Dauer des regulären Tankvorgangs derzeit als Benchmark zu erkennen. Eine Dauer, die darüber hinausgeht, wird nur akzeptiert, sofern die Zeit genutzt werden kann, um andere Dinge zu erledigen. Für die meisten ist eine halbstündige Wartezeit an einer Tankstelle, an der keine weitere Beschäftigung möglich ist, unvorstellbar. Für das Laden zwischendurch wird daher vorranging eine kürzere Ladedauer präferiert. Eine längere Ladedauer ist für die meisten Personen zu Hause attraktiv, sei es auf dem eigenen Grundstück oder vor der Wohnungstür im öfentlichen Raum. Besonders das Laden über Nacht kommt der Anforderung eines Ablaufs, der im Hintergrund stattindet, am nächsten und bettet sich in die Routine ein. Auch andere Destinationen sind akzeptiert. Ein Ladeprozess während der Arbeitszeit bietet ähnlichen Komfort wie das Laden zu Hause, sofern die Möglichkeit besteht, dort einen Parkplatz mit Ladesäule zur Verfügung zu stellen. Die Bedingung für ein integriertes Ladekonzept ist daher die Einbindung des Ladeprozesses in den Alltag. Aus dieser Nutzung der Ladedauer für andere Zwecke lässt sich weiterhin die Anforderung ableiten, dass die Ladedauer dem Ladeort angemessen gegenüberstehen muss. Das bedeutet, dass Ladeorte, die für ein Laden zwischendurch einen schnellen Ladevorgang ermöglichen, eine besondere Technologie aufweisen müssen. Schnellladen ist daher an Ladeorten sinnvoll, an denen eine eher kurze Aufenthaltsdauer gegeben ist. Sofern aber die Aufenthaltsdauer an einer Destination länger ist, wird die Option des Schnellladens weniger dringlich. Beim Laden über Nacht im öfentlichen Raum werden jedoch auch Bedenken von Seiten der Proband erkennbar. So kommt es zu einer Unsicherheit, wie zu verfahren wäre, sobald das Fahrzeug voll aufgeladen sei und der Ladeplatz blockiert würde. Personen, die im urbanen Raum mit Parkplatzmangel zu kämpfen haben, brauchen eine Sicherheit, dass bei Ankunft ein Ladeplatz frei ist und sie ihr Fahrzeug laden können. In Gebieten mit angespannter Parkplatzsituation ist dies häuig nicht gegeben, wodurch auf andere Ladeorte ausgewichen werden muss. Als wichtiges und notwendiges Kriterium für einen Umstieg auf ein Elektroauto ist daher die Verfügbarkeit eines Ladeplatzes zu nennen. Aus den Interviews der ersten beiden Bausteine dieser Studie wurde deutlich, dass auch das Einkaufen als potenzieller Ladeort in Frage kommt. In der Conjoint- Erhebung bestätigten sich diese Ergebnisse so jedoch nicht. Eine genauere Betrachtung verschiedener Ladeorte und speziell des Einkaufens ist daher nötig. Regelmäßige Einkäufe werden zumeist fußläuig in der Nähe getätigt. Daraus ergibt sich ein weiteres Kriterium für ein integriertes Ladekonzept: Der Ladeort muss mit dem Fahrzeug angesteuert werden, da das zusätzliche Bewegen des Fahrzeuges ausschließlich zum Zweck des Ladens nicht akzeptiert wird. Eine weitere Diferenzierung von Lademöglichkeiten zeigt, dass bei Destinationen, an denen ein Parkplatz verfügbar und zugänglich ist sowie die Aufenthaltsdauer genutzt werden kann, weitere Bedingungen an das Ladekonzept gestellt werden. Auf einem Parkplatz eines Möbelhauses oder Elektrofachmarktes wäre ein Ladevorgang zwar denkbar und durchführbar, dennoch verhindert die Unregelmäßigkeit des Ansteuerns solcher Einkaufsorte die Planbarkeit des Ladens. Als ein weiteres Kriterium ist daher die Regelmäßigkeit des Ansteuerns eines oder verschiedener Ladeorte zu nennen. Als Ladeorte sind daher Destinationen - egal ob einzeln oder in Kombination - sinnvoll, die ohnehin regelmäßig mit dem Auto angesteuert werden. Darüber hinaus sollte ein Ladeplatz verfügbar und zugänglich sein, wobei die Ladedauer, und somit die technologischen Anforderungen der Aufenthaltsdauer, angemessen sein sollten. Fazit Die gewonnenen Ergebnisse spiegeln eine Momentaufnahme wider, da die bereits vorhandene Ladeinfrastruktur für viele Menschen im Alltag immer noch nicht präsent ist. Durch das Aufstellen der Combined Charging Systeme soll das Thema Elektromobilität für die Berliner Bevölkerung sichtbar werden. Ungeachtet der fehlenden Sichtbarkeit der Ladeinfrastruktur ist für die Mehrzahl Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 47 Wissenschaft INFRASTRUKTUR der Befragten die „Betankung“ mit regenerativen Energien eine Grundvoraussetzung für den Umstieg. Dabei wird dem Label Umweltfreundlichkeit aber auch misstraut, da es z. B. mit dem Abbau von seltenen Erden für die Batterieproduktion verbunden ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich zunehmend die Frage, ob sich Mobilitätsansprüche generell verändern müssen. Aktuell stehen Routinen einer automobil-geprägten Mobilität einer neuen öfentlichen Mobilitätskultur entgegen. Der Umstieg auf Elektromobilität könnte den Anlass bilden, die gewohnten Mobilitätsroutinen zu hinterfragen und den Anfang der Neuorganisation und des neu Denkens von Mobilität markieren. ■ 1 Eine vollständige Darstellung der verwendeten Methoden und Ergebnisse kann dem Abschlussbericht entnommen werden (downloadbar unter www.ivp.tu-berlin.de) LITERATUR [1] Keichel, M.; Schwedes, O.(2013): Das Elektroauto. Mobilität im Umbruch. Berlin/ Heidelberg: Springer [2] Ewing, G.; Emine, S. (2000): Assessing Consumer Preference for Clean-Fuel Vehicles: A Discrete Choice Experiment. Journal of Public Policy and Marketing, 19 (1). pp. 106-118 [3] Dagsvike, J. K.; Wetterwald, D. G.; Wennemo, T.; Aaberge, R. (2002): Potential Demand for Alternative Fuel Vehicles. Transportation Research Part B: Methodological, 36. pp. 361-384 [4] Ahrend, C.; Stock, J. (2013): „Der Benchmark ist immer noch das heutige Verhalten”. Alltagserfahrungen mit dem Elektroauto aus Sicht der Nutzer/ innen. In: Keichel, M.; Schwedes, O. (Hrsg.): Das Elektroauto. Mobilität im Umbruch. Wiesbaden: Springer. S.-105-125 [5] Ahrend, C.; Menke, I.; Stock, J. (2011): Analyse Nutzerverhalten und Raumplanung regionale Infrastruktur. In: Projektbericht. IKT-basierte Integration der Elektromobilität in die Netzsysteme der Zukunft. Förderkennzeichen: 01-ME09013. Berlin: TU Berlin [6] Krems, J. F.; Bartholdt, L.; Cocron, P.; Dielmann, B.; Franke, T.; Henning, M.; Ischebeck, M.; Schleinitz, K.; Žilytė-Lennertz, M. (2011): MINI E powered by Vattenfall V2.0. Schlussbericht zum Forschungsvorhaben Verbundprojekt: MINI E powered by Vattenfall V2.0. Chemnitz: Technische Universität Chemnitz [7] Papendick, K.; Brennecke, U.; Sánchez Márquez, J. S.; Deml, B. (2011): Nutzerverhalten beim Laden von Elektrofahrzeugen. Forschung und Innovation, 10. Magdeburger Maschinenbau-Tage, 27.-29. September 2011. Magdeburg [8] Ahrend, C.; Delatte, A.; Kettner, S.; Schenk, E.; Schuppan, J. (2014): Multimodale Mobilität ohne eigenes Auto im urbanen Raum. Eine qualitative Studie in Berlin Prenzlauer Berg. Berlin: TU-Berlin [9] Wojtysiak, H.; Dziekan, K. (2012): Multimodalität im Personenverkehr. Ein Reviewversuch. Verkehrszeichen, 2/ 2012. S. 12-17 [10] Wiliams, P., Kilroy, D. (2000): Calibrating Price in ACA. The ACA Price Efect and How to Manage It. Sawtooth Software Research Paper Series, 2000. Sequiem: Sawtooth Software, Inc. Veronique Riedel, Dipl.-Ing. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, Fakultät Verkehrs- und Maschinensysteme, Technische Universität Berlin veronique.riedel@tu-berlin.de Oliver Schwedes, Prof. Dr. Fachgebietsleitung, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, Fakultät Verkehrs- und Maschinensysteme, Technische Universität Berlin oliver.schwedes@tu-berlin.de Stephan Daubitz, Dipl.-Pol. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, Fakultät Verkehrs- und Maschinensysteme, Technische Universität Berlin stephan.daubitz@tu-berlin Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen der konstruktivkritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren. Die Kernpunkte des Verfahrens: • Angenommene Manuskripte gehen an jeweils zwei Gutachter der entsprechenden Fachrichtung anonymisiert zur Begutachtung. Autoren können darum bitten, bestimmte Gutachter nicht zu beauftragen - dies wird vertraulich behandelt. • Die Entscheidung, welchen Gutachtern das Manuskript vorgelegt wird, trift die Redaktionsleitung in Abstimmung mit der Herausgeberschaft. • Gutachter nehmen ihre Begutachtung anhand eines standardisierten Bewertungsbogens vor, kommentieren die Bewertung schriftlich und empfehlen die danach uneingeschränkte Annahme zur Veröfentlichung, die Überarbeitung in bestimmten Punkten oder die Ablehnung. • Die Redaktionsleitung teilt den Autoren die Entscheidung der Gutachter umgehend mit, bei Bedarf zusammen mit den Überarbeitungsaulagen. Die Gutachten selbst werden nicht an die Autoren weitergeleitet - die Gutachter bleiben also für die Autoren anonym. Interessierte Autoren erhalten die Verfahrensregeln, die allgemeinen Autorenhinweise mit der aktuellen Themen- und Terminübersicht sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf Anfrage per Mail. Diese Informationen stehen auch auf der Webseite www.internationalesverkehrswesen.de unter dem Menüpunkt „Service“ zum Download bereit. KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: (040) 23714-223 eberhard.buhl@dvvmedia.com Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 48 Schlusslicht trotz geostrategisch günstiger Lage? Wettbewerbsnachteile durch schwache Logistikinfrastruktur-in Serbien Wettbewerbsfähigkeit, Exportfaktoren, Ländervergleich, Transportkosten, Wirtschaftsförderung, internationaler Lebensmittelmarkt Was hindert Unternehmen vor allem in Transformations- und Schwellenländern wirklich daran, ihr Potential in Produktionsmenge, Wettbewerbsfähigkeit und Weiterveredlung auszuschöpfen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern? Welche Rolle spielen hierbei infrastruktureller Ausbau und Transportkosten - und welche ein negatives Nation Branding? Studien konnten gerade im europäischen Lebensmittelhandel zusätzliche Faktoren ermitteln, die einen positiven Efekt auf den Export haben können. Die Autoren: Eli Kolundzija, Dirk Engelhardt A m Beispiel Serbiens und seiner Obstexportwirtschaft wird es besonders deutlich: Gute geostrategische Lage, ein hohes Aukommen an Schwarzerden, ein hoher komparativer Vorteil im Obstsegment und die in den letzten Jahren durchschnittlich steigende Nachfrage nach Obst gehen nicht automatisch einher mit hoher Wettbewerbsfähigkeit und steigenden Verkaufserlösen. Trotz bislang international steigender Nachfrage nach serbischem Obst liegt der Exportwert pro Hektar Ackerland Serbiens deutlich unter fast allen Ländern in Europa [1]. Die Rahmenbedingungen, in Serbien unternehmerisch tätig zu werden, schätzt die Weltbank als nur geringfügig besser ein als in Namibia [2]. Im internationalen Vergleich der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit liegt die Republik Serbien laut World Economic Forum (WEF) auf dem 95. Platz von insgesamt 144 Vergleichsländern. War Serbien 2008 noch wettbewerbsfähiger als Jamaika, verschlechterte sich seine Position im WEF-Ranking bis 2012/ 2013 um zehn Plätze [3a-d]. Welche weiteren Faktoren beeinlussen nun also neben den bereits bekannten Einlussfaktoren - wie z. B. Wechselkurse, politische und wirtschaftliche Stabilität - die Wettbewerbsfähigkeit und den grenzüberschreitenden Handel mengen- und wertmäßig? Der US-Ökonom Michael E. Porter benennt in seiner Theorie der Wettbewerbsfähigkeit von Nationen neben den Determinanten Staat, Angebot, Nachfrage und branchenübergreifende Synergieefekte auch die Relevanz der Qualität einsetzbarer Produktionsfaktoren [4]. Hierzu zählt er auch die Qualität der Infrastruktur. Laut einer Studie des WEF liegt Serbiens Infrastruktur 2010 in Qualität und Transportleistung deutlich unter dem EU27-Standard. Von insgesamt 139 Untersuchungsländern belegt Serbien in Bezug auf LOGISTIK Infrastruktur Foto: Pixabay Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 49 Infrastruktur Logistik die- infrastrukturelle Gesamtqualität den 122.-Platz [5, 3c]. Leistungsschwache infrastruktur als-Marktbremse Gerade diese unterdurchschnittliche Leistungsfähigkeit der serbischen Infrastruktur ist es, die die wirtschaftliche Nutzung der Nähe zum europäischen Markt ebenso wie eine schnelle Integration der Verkehrswege in die regionalen und überregionalen Strukturen bislang erschwert. Beispielsweise verläuft der Korridor X mit seinen Abschnitten 10b (Belgrad-Budapest) und 10c (Nis-Soia) durch Serbien und verbindet somit auf 792 Straßenkilometern und 760 Bahnkilometern Österreich, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Bulgarien, Makedonien und Griechenland. Die Donau (Korridor VII) verbindet auf 600 Wasserkilometern Serbien mit dem Schwarzen Meer und Teilen der multimodalen Süd-Ost-Achse. Das Straßennetzwerk umspannt insgesamt ca. 40 845 km, davon 5525 km Haupt- und Nebenstraßen der ersten Gütekategorie, 11 540 km Land- und ländliche Nebenstraßen der zweiten Gütekategorie und 23 780 km Ortsstraßen der dritten Gütekategorie. Die Straßendichte ist mit 462 km pro 1000 m 2 und 5,4 km pro 1000 Einwohner zwar ähnlich hoch wie innerhalb einiger Nachbarländer und liegt über dem Durchschnitt Albaniens, sie liegt jedoch immer noch deutlich unter dem Durchschnitt der EU und der OECD- Länder- sowie der Länder des westlichen Balkans. Gemessen an den Vergleichszahlen von 2005 hat sich die Straßenqualität in 2008 verbessert. Demnach beinden sich statt 35 % nur noch 28 % der Straßen in einem sehr schlechten, 15 % statt 17 % in einem schlechten und bereits 37 % statt 30 % in einem guten Zustand. Auch wenn 81 % der Autobahnen als gut und lediglich 12 % als mäßig gut befahrbar beschrieben werden, besteht ein enormes Problem in der Harmonisierung mit den zulässigen europäischen Transportlasten. Denn die serbischen Autobahnen sind bislang noch nicht an die in Europa standardmäßig berechneten Achsengewichte angepasst, sodass höhere Lasten Straßenschäden hervorrufen. Eine geringere LKW-Auslastung bedeutet jedoch auch höhere Leerkilometer. Bedenkt man zudem, dass die serbischen Autobahnen noch nicht auf die europäischen Geschwindigkeitsnormen ausgerichtet sind und die Straßenvernetzung noch mangelhaft ist, wird deutlich, dass der Markt-Engpass nicht nur in der Auslastung, sondern auch in der fristgerechten Anlieferung der Waren begründet ist. Beides wirkt sich negativ auf die operativen Kosten, die Transportsicherheit und Wettbewerbsfähigkeit aus. Es fehlt nicht nur an einem Ausbau der Straßenvernetzung, sondern auch an dem adäquaten Erhalt der bestehenden Straßenqualität. Die Überalterung der Netzwerke mündet regelmäßig in Sanierungen und Neukonstruktionen, die im Nettobarwert geschätzt ca. 35 % teurer sind als efektive Instandhaltungsmaßnahmen und das Fünfache der Instandhaltungskosten erreichen können [5, 3c, 6]. Ein ähnliches Bild zeichnet sich im Bahnnetzwerk ab, das durch mangelnde Instandhaltungsbemühungen drastisch an operationaler Efektivität einbüßt. 57 % der Bahnstrecken wurden vor 30 Jahren und 294 km innerhalb der letzten zehn Jahre technisch überholt. Um die Sicherheit im Transportnetz zu gewährleisten, wurden 2009 auf 685 Bahnkilometern mehr oder weniger temporäre Geschwindigkeitsrestriktionen eingeführt. Veraltete Aubesserungswerkzeuge, eine Arbeitsproduktivität, die geschätzt unter 50 % des EU-Durchschnitts liegt, und eine geringe Frachtauslastung wegen beispielsweise nicht termingerechter Lieferung durch hohe Verspätungen innerhalb des Grenzverkehrs verzögern die Überarbeitung des bisher nicht proitabel arbeitenden Streckennetzwerks. Die Weltbank sieht vornehmlich die grenzüberschreitenden bürokratischen Hürden als Entwicklungsbremse im Transportsektor. Könnten diese reduziert werden, wären laut Weltbank direkte positive Efekte auf die Rentabilität der Transportdienstleistungen zu erwarten, da unter anderem die Lieferverlässlichkeit gesteigert werden könnte. Die Harmonisierung, Synchronisierung und Koordination der grenzüberschreitenden Transporte durch die lokalen Behörden wurden testweise auf dem Korridor X durchgeführt und ielen durch ihre positiven Auswirkungen auf den Transportluss auf. Die durchschnittlich 38 Jahre alten Bahngleise, die 3809 Bahnkilometer abdecken, sind lediglich zu 31 % elektrisiert und zu 7 % doppelgleisig. Zudem wird eine Fahrtgeschwindigkeit von 60 km/ h lediglich auf 57 % der Schienennetzwerke und eine Geschwindigkeit von 100 km/ h auf nur 3 % erreicht. Wie Bild 2 zeigt, erreicht der Bahn-Transport mit Abstand die höchste Frachtauslastung. Der Straßentransport nimmt seit 2004 kontinuierlich zu, der Transport über die Wasserwege hingegen scheint seit 2008 rückläuig zu sein [5, 3c]. Aus empirischen Studien geht hervor, dass sich die innerhalb der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette aktiven Akteure durchaus der enormen Relevanz der Infrastruktur für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit bewusst sind. Jedoch bestehen ihres Erachtens neben den infrastrukturellen Herausforderungen noch zahlreiche weitere Faktoren, die ihre Wettbewerbsfähikeit negativ beeinlusst. Neben den hohen Transportkosten werden beispielsweise das niedrige Mechanisierungs- und Technisierungsniveau verbunden mit Bild 1: Kernnetz der serbischen Eisenbahnen Grafik: Pavle Cikovac/ Wikipedia Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 50 LOGISTIK Infrastruktur dem Fehlen einer hohen Schulungsfrequenz, der noch schwach ausgeprägten Kundenorientierung, der geringen Anzahl an Erzeugergemeinschaften, der geringen Tiefe der Produktdiversiikation ebenso wie der geringen Größe der Anbaulächen als wettbewerbsschwächend benannt. Auch wenn Serbien knapp 66 % seines Landes zur landwirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung steht, sind die landwirtschaftlichen Nutzlächen stark fragmentiert. 46 % der insgesamt über 780 000 Betriebe bewirtschaften Flächen unter 2 ha. Oftmals sind die Parzellen auch noch regional getrennt. Nur bei 6 % der serbischen Betriebe liegt die landwirtschaftliche Nutzläche im EU27- Durchschnitt von 14 ha (2010). Studien zufolge ist Serbiens Arbeitsproduktivität zudem nicht nur halb so hoch wie in der Slowakei, gleichzeitig sind auch die Lohnstückkosten in Serbien überdurchschnittlich hoch. Liegt die Produktivität in Serbien bei 12,84 EUR, liegt sie in der Slowakei bei 25,43 EUR, und in Rumänien bei 12,54 EUR. Parallel dazu liegen die Lohnstückkosten in Serbien bei 0,54 EUR, wohingegen sie in Rumänien bei 0,38 EUR liegen. Somit geht die geringe Produktivität einher mit gleichzeitig hohen Lohnstückkosten [6]. Darüberhinaus nimmt ein Teil dieser Akteure einen negativen Efekt resultierend aus Serbiens Nation Branding im Handel wahr. Zwar konnte in empirischen Studien bereits ein gewisser Zusammenhang bestätigt werden, jedoch sollte der Frage, inwieweit ein negatives Nation Branding - also negative Assoziationen mit einem Land - zu einer zurückhaltenden Kaufentscheidung beim Endverbraucher führen, vor allem vor dem Hintergrund, dass es sich bei Lebensmitteln um Vertrauensgüter handelt, künftig intensiver nachgegegangen werden [6, 7]. Seit Januar 2014 besteht in Serbien Zollfreiheit für 95,1 % aller Waren mit Präferenzursprung in der EU. Im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) beziehungsweise des Interimsabkommens zwischen Serbien und der EU hat Serbien 2009 mit dem stufenweisen Zollabbau begonnen. 2014 war das letzte Jahr der Handelsliberalisierung. Bis zu einem möglichen EU-Beitritt wird der durchschnittliche Zollsatz 0,99 % betragen [8]. Die zahlreichen klein- und mittelständigen Unternehmen (KMU) des Landwirtschaftssektors jedoch sind zum Großteil noch weit davon entfernt, mit internationalen Anbietern auf dem internationalem Markt konkurrieren zu können. Notwendiger erscheint es vor allem, dass die lokalen Betriebe versuchen sollten, durch konkurrenzfähige Produkte auch weiterhin auf dem lokalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Serbiens Wettbewerbsvorteile liegen vor allem in der Veredlung und Modiikation seiner klassischen Produktsparten und der Weiterentwicklung von Nischenprodukten. Hierbei sollten sich die landwirtschaftlich tätigen Unternehmen auf die proitabelsten und aufstrebenden Produktsparten wie frisches Obst und Gemüse, Milch oder gefrorenes Fleisch konzentrieren, um den faktorbedingten Vorteil durch Modiikation in einen langfristigen Wettbewerbsvorteil wandeln zu können [5,-6, 3c]. Die ertragsmaximierte und kostenreduzierte Prozessmodernisierung sollte ebenso Berücksichtigung inden wie die Orientierung an den Kunden und die Anpassung an den Markt. Benötigte Produktanpassungen sollen unbedingt entsprechend der Bodenqualität durchgeführt werden, die in Serbien durchweg stark unterschiedlich ist. Auch sollten hierbei die regionsspeziischen und klimabedingten Gefahren für die Ernte wie beispielsweise Bodenerosionen berücksichtigt werden. Durch einen verstärkten infrastrukturellen Ausbau könnte zudem versucht werden, die brachliegenden Flächen stärker in die inländische Produktion miteinzubeziehen, sodass das Produktionsvolumen gesteigert wird und die serbischen Produktionskapazitäten nahe an der Auslastungsgrenze arbeiten könnten. Die Erkenntnis, dass eher die innerserbischen Faktoren eine Wettbewerbsfähigkeit und Hochpreisigkeit verhindern als eine bewusst von außen gelenkte Exklusion Serbiens aus dem Markt, könnte die serbischen Unternehmer ermutigen, aktiv zu werden [6]. ■ LITERATUR [1] WELTBANK, 2011. WELTBANK (2011a): Food For Europe - Agro-Economy of Serbia in the Pre-Accession Period ; Vortrag von LOUP BREFORD auf dem Agricultural Forum, Subotica, Oktober 2011, S.1- 22, http: / / www.ecinst.org.rs/ sites/ default/ iles/ prezentacije/ 2._ prezentacija_govornika_loup_brefort.pdf, Stand: 26.09.2012 [2] WELTBANK (2013): Doing Business 2013- Smarter Regulations for Small and Medium-Size Enterprises; http: / / www.doingbusiness. org/ ~/ media/ GIAWB/ Doing%20Business/ Documents/ Annual-Reports/ English/ DB13-full-report.pdf, Stand: 13.02.2013 [3a] WEF: WORLD ECONOMIC FORUM (2008): The Global Competitiveness Report 2008-2009, http: / / www.weforum.org/ pdf/ GCR08/ GCR08. pdf, Stand: 27.05.2013 [3b] WEF: WORLD ECONOMIC FORUM (2009): The Global Competitiveness Report 2009-2010, http: / / www3.weforum.org/ docs/ WEF_Global- CompetitivenessReport_2009-10.pdf, Genf, Stand: 27.05.2013 [3c] WEF: WORLD ECONOMIC FORUM (2010): The Global Competitiveness Report 2010-2011, http: / / www3.weforum.org/ docs/ WEF_Global- CompetitivenessReport_2010-11.pdf, Genf, Stand: 27.05.2013 [3d] WEF: WORLD ECONOMIC FORUM (2011): The Global Competitiveness Report 2011-2012, http: / / reports.weforum.org/ global-competitiveness-2011-2012/ , Genf, Stand: 27.05.2013 [4] Porter, M. E. (1991): Nationale Wettbewerbsvorteile - Erfolgreich konkurrieren auf dem Weltmarkt; München, ISBN 3-426-26433-1; S. 44-201 und S. 561-591 und Porter, M. E. (2009): Wettbewerbsstrategie, Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten; Frankfurt; 1. Aulage 1983; S. 466f [5] WELTBANK (2011b): Republic of Serbia- Country Economic Memorandum: The Road to Prosperity: Productivity and Exports; Report No. 65845-YF, Volume 1 and 2, S. 215-226, http: / / siteresources. worldbank.org/ SERBIAEXTN/ Resources/ 300903-1106760681824/ 625341-1323878646102/ Vol1Dec7forPrint.pdf und http: / / siteresources.worldbank.org/ SERBIAEXTN/ Resources/ 300903-1106760681824/ 625341-1323878646102/ CEM_VOL_2Dec13.pdf, Stand: 19.08.2012 [6] Kolundžija,E. (2014): Exportdeterminanten serbischen Obstes: eine triangulative Wertschöpfungskettenanalyse zur Exploration potenziell hemmender Einlussfaktoren im bilateralen Lebensmittelhandel; Peter-Lang-Verlag [7] USAID (2012): Sustainable Employment Requires Improved Workforce Productivity, 2012 http: / / policycafe.rs/ english/ documents/ b u s i n e s s / p o l i c yn o t e s / b p n s u s t a i n a b l e e m p l oy m e n trequires-improved-workforce-productivity.pdf, Stand: 20.08.2012. [8] Germany Trade & Invest (2015): http: / / www.gtai.de/ GTAI/ Navigation/ DE/ Trade/ Recht-Zoll/ Zoll/ zoll-aktuell,t=serbien--kein-zoll-fuer- 95-der-euwaren,did=940538.html? view=renderPrint), Stand: 24.07.2015 Eli Kolundžija, Dr. Senior Consultant, Andreas Hermes Akademie, Bereich „International“, Bonn e.kolundzija@ andreas-hermes-akademie.de Dirk Engelhardt, Prof. Dr. Prokurist/ Bereichsleitung „Logistik/ Fuhrpark“, Raifeisen Waren-Zentrale Rhein-Main eG, Hanau dirk.engelhardt@ institut-logistikmanagement.de Bild 2: Frachtauslastung nach Transportmedium, 2004-2009 (in-Mio. t/ km) Quelle: [5], S.220 Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 51 Vietnams Hafensystem - mit Doppelstrategie zum Erfolg? Südostasien, Containerhäfen, Seefracht Vietnam entwickelt sich zu einem spannenden Logistikmarkt, doch mit dem internationalen Seehandel läuft es nicht wirklich rund. Nach dem Bau mehrerer Tiefwasserhäfen in der Cai Mep-Region bei Ho-Chi-Minh und anderer Häfen im Land fordert die internationale Schiffahrtsindustrie nun eine zweifache Strategie für die Entwicklung des vietnamesischen Hafensystems. Weil die neuen Containerhäfen in Cai-Mep durch mangelnde Auslastung in erbitterte Konkurrenz geraten sind, steht die Konsolidierung an. Zugleich soll nun die bessere Nutzung bestehender Häfen und die Plege der Wasserwege angegangen werden. Der Autor: Dirk Ruppik N iedrige Lohnkosten sind der Auslöser für eine tiefgreifende Umstrukturierung in Vietnam: Sie locken ausländische Unternehmen an, die in dem südostasiatischen Land eine Fertigung aubauen - teils werden Fertigungsstätten aus China hierher verlagert. Nachdem in den letzten Jahren das Bruttoinlandsprodukt eingebrochen war, legte es 2014 mit einem Plus 5,6 % wieder kräftig zu. Laut Weltbank soll es bis 2017 auf rund 6 % steigen. Auch die Direktinvestitionen insbesondere aus Japan, Südkorea und Singapur steigen beträchtlich an: Von Januar bis Oktober 2014 lossen laut Invest in Germany 10,2 Mrd. USD (9,4 Mrd. EUR) in die Sozialistische Republik. Vietnam besitzt eine Küstenline von 3400 km Länge entlang einer der geschäftigsten Seestraßen für Fracht. Weil der Außenhandel über den Seeweg in den vergangenen Jahren enorm zugenommen hat, wurde in verschiedene Hafenprojekte investiert - die Regierung hat ambitionierte Pläne und will in Konkurrenz mit Singapur und Hongkong treten. Immerhin will sich das Land bis 2020 mit einem „Master Plan for Vietnam seaport system development“ zur bedeutenden Schiffahrtsnation entwickeln. In der ersten Phase wurden bereits dringend notwendige Tiefwasserhäfen gebaut und ausgebaut. Doppelstrategie für das Hafensystem Das sozialistische Land wird seitens der internationalen Schiffahrtsindustrie dazu gedrängt, eine zweifache Strategie für die Entwicklung seines Hafensystems einzuführen. „Es ist nicht so bedeutsam, dass neue Häfen gebaut werden, sondern, dass erstens die Ausnutzung der bereits ausgebauten Häfen Vietnam LOGISTIK Foto: Ruppik Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 52 LOGISTIK Vietnam im Cai Mep-Gebiet verbessert und zweitens die Ausbaggerung von Fahrrinnen in Flusshäfen dauerhaft gewährleistet wird“, sagt der Generaldirektor von Maersk Vietnam, Bich Nguyen, zur Portstrategy. „Eine der größten Herausforderungen für Reedereien ist die unzureichende Kanaltiefe in Flusshäfen, und die Flüsse verengen sich durch Schlamm und Sedimente sehr schnell.“ Große, kostensparende Schife können dadurch kaum Binnenhäfen erreichen. Aufgrund der schlechten Lademöglichkeiten und der hohen Kosten für Zulieferschife vermeiden viele Reedereien, diese Häfen anzulaufen. Zwar existieren in Cai Mep, in der V~ ung- Tàu-Provinz an der Südostküste gelegen (Bild 1), bereits Tiefwasserhäfen - allerdings ist deren Ausnutzungsgrad sehr gering, weil verschiedene Terminals hier um dieselben Marktbereiche konkurrieren. Konkurrenz und geringe Auslastung führen zur Konsolidierung Der Hafen Cai Mep-Vung Tau umfasst eine Gruppe von sieben Einzelhäfen in der Nähe von Ho-Chi-Min-Stadt im Südosten Vietnams, darunter die bisher einzigen beiden Tiefwasserhäfen des Landes. Der Hafen SP- PSA International wird durch ein Joint Venture zwischen dem Saigon (SP), Vinalines (Vietnam National Shipping Lines) und der PSA Vietnam (Tochter von PSA International, Singapur) geleitet. Er wurde als erster Tiefwasserhafen Vietnams mit einer Kailänge von 600 m und zwei Liegeplätzen (erste Phase) mit einer Wassertiefe von 14,5- m im Mai 2009 eröfnet. Die geplante zweite Phase wurde bisher noch nicht gebaut. Im Januar 2011 wurde der zweite Tiefwasserhafen Tan Cang Cai Mep International Terminal (TCIT) von der Saigon Newport mit einer Kailänge von 590 m eröfnet. An dem Projekt ist ein Konsortium aus den Unternehmen Hanjin Shipping (Südkorea), Mitsui O.S.K. Lines (Japan) und Wanhai Lines (Taiwan) beteiligt. Anfang April 2014 wurde der verlängerte Kai mit einem weiteren Liegeplatz eröfnet. Dadurch wurde die bisherige Kapazität von 1,15 Mio. TEU auf 1,6 Mio. TEU erhöht. Die insgesamt drei Liegeplätze eignen sich für Containerschiffe mit 8000 bis 11 000 TEU Kapazität. Das dritte Containerterminal in Cai Mep, das SP-SSA International Container Terminal, wurde Mitte 2011 in Betrieb genommen. Es wird als Joint Venture von der SSA Holdings International - Vietnam, Saigon Port und Vinalines betrieben. Die anderen vier Häfen sind allgemeine Häfen, Häfen für Schüttgut und ein militärisches Terminal. Besonders die Containerterminals stehen momentan in erbitterter Konkurrenz. In Erwartung internationaler Unternehmen wie Intel Corp. und Samsung Electronics Co. wurde zuviel Hafenkapazität geschaffen. Zudem schwächelte der internationale Handel in den letzten Jahren. „Dies ist ein neues Terminal ohne Kunden“, sagte der Generaldirektor des Cai Mep International Terminals Robert Hambleton zu Bloomberg. „Hier kann man sehen, wie schlimm die Situation wirklich ist. Die gesamte Terminalindustrie leidet unter der Überkapazität.“ Das Terminal ist momentan nur zu 30 % ausgelastet (Bild 2). Laut einem Bericht der Seaport Consultants Asia sind dadurch die Frachtraten stark gefallen, und die Verluste für die Terminalbetreiber belaufen sich bislang auf rund 1,5 Mrd. USD (1,4 Mrd.- EUR). Als die Hafenbetreiber ihre Entscheidung zur Investition in die jeweiligen Terminals trafen, gingen sie davon aus, dass einige Stadtterminals von Ho Chi Minh stillgelegt werden. Das ist allerdings nicht passiert - die meisten sind noch in Betrieb. Das Ministerium für Transport hat bereits im letzten Jahr ein Gespräch zwischen den Hafenbetreibern von Saigon New Port und Cai Mep International Terminal (Vinalines, Saigon Port, APM Terminals und SP-SSA International Terminal) einberufen, um eine Konsolidierung der verschiedenen Ter- Bild 1: Die Provinz Bà R.ia-V˜ung Tàu südöstlich von Ho-Chi-Min-Stadt ist eines der wirtschaftlichen Zentren des Landes. Quelle: Weltkarte.com Vietnam LOGISTIK minals und den Bau eines 1800 km langen Kais für noch größere Containerschife zu diskutieren. Durch die Zusammenlegung der Terminals und den Bau des Kais soll sich Cai Mep in einen bedeutenden Hub entwickeln und zunehmend das Transhipment über Singapur und Hongkong unnötig machen. „Die Schife werden größer und größer, daher benötigen wir größere Kais “, so Hambleton. Ein weiteres Problem in Vietnam ist die Korruption. Laut des leitenden Landesrepräsentanten des US-ASEAN Business Council, Vu Tu Thanh, hat fast jede Provinz ein Hafenprojekt „ergattert“. „Der Prozess bietet viele Möglichkeiten für Korruption und Eigeninteressen. Viele der guten Häfen sind nur gering ausgelastet.“ Dennoch: Die Regierung hat ambitionierte Pläne und will in Konkurrenz mit Singapur und Hongkong treten. Dafür will sie noch mehr Häfen bauen und gibt damit der Quantität mehr Gewicht als der Qualität. „Die Überkapazität könnte Unternehmen mit hochwertiger Fertigung abschrecken, da diese ein eizientes Transportsystem benötigen“, erklärt ein Bericht der Weltbank. Der stellvertretende Transportminister Nguyen Hong Truong freilich ist davon überzeugt, dass die Häfen der sozialistischen Republik lorieren werden, wenn erst die Weltwirtschaft wieder genesen ist: „Von jetzt bis 2020 braucht das Land weiter Tiefwasserhäfen.“ Entwicklung des Tiefwasserhafens Van Phong gestoppt Die Tatsachen sprechen weniger dafür. Die Van-Phong-Bucht mit einer natürlichen Wassertiefe von 22 bis 27 m gilt als einzig möglicher Platz für den Bau eines Tiefwasserhafens für Mega-Containerschife mit bis zu 18 000 TEU. Durch die vorgelagerte Insel Hon Gom ist die Bucht natürlicherweise vor Schlechtwetter geschützt. Der Baubeginn wurde schon mehrfach verschoben, doch nun ist das gesamte Hafenprojekt aufgrund von inanziellen Schwierigkeiten der staatlichen Vinalines und einem Mangel an Investoren (vorläuig) beendet worden. „Van Phong hat seine Bedeutung als neuer internationaler Transhipment-Hub verloren, seit die drei durch ausländische Investoren inanzierten Containerterminals in Cai Mep Containerschife bis 11 000 TEU beherbergen können“ , sagte der stellvertretende Generaldirektor der Portcoast Consultant Corporation, Nguyen Manh Ung. Versender im Süden Vietnams können nun ihre Fracht von dort aus ohne Transhipment über andere ausländische Häfen direkt nach Europa und Amerika exportieren. Nguyen Manh Ung: „Van Phong wird sich in den nächsten 15 bis 20 Jahren nicht zu einem Transhipmenthafen in Asien entwickeln.“ ■ LINKS http: / / www.sp-psa.com.vn/ http: / / www.tcit.com.vn/ http: / / www.ssit.com.vn Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de * Industrie-Sectionaltor SPU 67 Thermo im Vergleich zum SPU 42 Energiesparen inklusive: Sectionaltore SPU Thermo • Europas Nr. 1 mit über 75 Jahren Erfahrung im Torbau • beste Wärmedämmung: U-Wert bis zu 0,51 W/ (m² • K) • Weltneuheit: thermisch getrennte Schlupftür mit extralacher Edelstahl-Schwelle Industrie-Sectionaltor SPU F42 Industrie-Sectionaltor SPU 67 Thermo bis zu 30 % * bessere Wärmedämmung Bild 2: Cai Mep International und andere Containerterminals sind sehr schwach ausgelastet. Foto: Ruppik Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 54 Airline Revenue Management Aktuelle Herausforderungen und Perspektiven Revenue Management System, Nachfrage, Tarif, Zahlungsbereitschaft, Preisdiferenzierung, Prognose,-Optimierung Seit dem Beginn der Deregulierungsprozesse im kommerziellen Luftverkehr unterliegen auch die Wettbewerbsparameter einem stetigen Wandel. Die Konvergenz der Geschäftsmodelle, steigende Preiselastizitäten der Nachfrage, neue Vertriebskanäle, leistungsfähigere Computer und Big Data, gepaart mit innovativen wissenschaftlichen Methoden, prägen das Airline Revenue Management. Hier liegen sowohl Chancen als auch Risiken für die Fluggesellschaften, welche in diesem Beitrag näher erläutert werden. Der Autor: Martin Kuras Z ahlreiche Veröfentlichungen im Bereich Operations Research in den letzten Jahren hatten das Ziel, einen Beitrag zur Verbesserung des Erlösmanagements von Airlines zu leisten. Tatsächlich gelten die Fluggesellschaften als Pioniere auf diesem Gebiet. Erste Systeme wurden bereits in den 1980er Jahren implementiert 1 , während Erlösmanagement in einigen Branchen bisher kaum oder keinen Gebrauch indet [1, 5, 37]. Geschichte und Entstehung Ausgangspunkt für die Entwicklungen im Airline Revenue Management (ARM) war die Deregulierung der Luftverkehrsmärkte in den USA seit Ende der 1970er Jahre. Durch die gestiegene Anzahl neuer Wettbewerber nahm die Marktkonzentration ab und die etablierten Airlines wurden substituierbarer. Die Preiselastizität der Nachfrage stieg und die abnehmende Zahlungsbereitschaft (WTP, willingness to pay) der Konsumenten setzte die klassischen Full-Service Airlines (FSA) zunehmend unter Druck. Die Yields (Durchschnittserlös pro verkaufter Produktionseinheit) und Erlöse begannen zu erodieren. Hinzu kam, dass auch die Produktion, infolge mangelnder Eizienzanreize in Regulierungszeiten, vergleichsweise teuer war. So schmolzen die Gewinne durch sinkende Yields auf der einen und relativ hoher Stückkosten auf der anderen Seite. Dieser Umstand zwang die FSA, ihre Produktionsfaktoren eizienter zu nutzen (z. B. durch steigende Ladefaktoren) und (beeinlussbare) Inputkosten zu senken (v. a. im Personalbereich). Auf der Erlösseite mussten hingegen Wege gefunden werden, einerseits die relativ hohen Zahlungsbereitschaften von Premiumkunden abzuschöpfen, aber andererseits die Kunden mit geringer Zahlungsbereitschaft nicht gänzlich an die neu entstandenen Low-Cost Airlines (LCA) zu verlieren, um die Kapazitäten ausreichend und mindestens grenzkostendeckend auszulasten (base load). Das konnte nur über ein diferenziertes Preissystem funktionieren (selective matching). Diese Erkenntnis war der Ausgangspunkt für die Evolution des Erlösmanage- Foto: Air Berlin/ Andreas Wiese LOGISTIK Luftverkehrsmarkt Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 55 Luftverkehrsmarkt LOGISTIK ments bei Fluggesellschaften. Preisdiskriminierung stellt somit das mikroökonomische Basisinstrument im ARM dar [1 -11, 30, 40]. Preisdiskriminierung und Marktsegmentierung Die zugrundeliegende Annahme im ARM ist, dass ein gleiches Kernprodukt 2 (ein Sitz im Flugzeug in der gleichen Beförderungsklasse) für verschiedene Kunden zu verschiedenen Buchungszeitpunkten unterschiedliche Wertigkeiten (Nutzen) besitzt [2, 3]. Es ist somit die Aufgabe des Erlösmanagements, die richtigen Sitze an die richtige Kundengruppe zum richtigen Zeitpunkt und zum richtigen Preis zu verkaufen, um den Gesamterlös zu maximieren [5]. Der Begrif „Kundengruppe“ lässt bereits erahnen, dass Marktsegmentierung eine notwendige Bedingung für eine efektive Preisdiskriminierung (zweiten und dritten Grades) darstellt. Klassischerweise segmentieren Airlines bezüglich Privat- und Geschäftsreisekunden. Letztere buchen meist kurzfristig und weisen tendenziell geringere Preiselastizitäten auf, sind jedoch zeitbzw. frequenzelastischer als Privatreisende. Die Herausforderung besteht nun darin, ixe Kapazitäten bei gleichzeitig schwankender und heterogener Nachfrage (unterschiedliche Präferenzen und Zahlungsbereitschaften) kostendeckend zu füllen. Um Märkte zu segmentieren, wurden Tarife geschafen, die sowohl unterschiedliche Preise als auch unterschiedliche Restriktionen enthalten. Diese Restriktionen waren für das ARM der FSA lange der Schlüssel, um verschiedene Marktsegmente gegeneinander abzugrenzen (fencing) und Kannibalisierungsefekte (buy-down bzw. revenue dilution) zwischen den einzelnen Kundengruppen zu minimieren. Zum Beispiel werden bestimmte Tarife mit einer Vorausbuchungsfrist (advance purchase) versehen, sind also nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Ablug buchbar. Das soll verhindern, dass Geschäftsreisende trotz hoher Zahlungsbereitschaft einen günstigen Tarif buchen. Durch ihre mangelnde Flexibilität und ihr kurzfristiges Buchungsverhalten werden durch den Vorausbuchungszwang jene Tarife für sie unattraktiv. Generell lässt sich sagen: Je günstiger die Tarife, desto mehr sind sie mit Aulagen/ Restriktionen versehen. Flexibilität muss also durch teurere Tarife erkauft werden [1-3, 6, 7, 10-16]. Revenue Management Systeme Damit die Entscheidung getrofen werden kann, welche Tarife wann verfügbar sind, wird zunächst die künftige Nachfrage sowie deren Wertigkeiten (also der potentielle Erlös) pro Buchungsklasse 3 (RBD, reservation/ revenue booking designator) bestimmt. Erst dann kann entschieden werden, welcher Teil der Nachfrage (in Abhängigkeit des Angebots) tatsächlich bedient (traic) und welcher Teil durch Nichtverfügbarkeit der jeweiligen Tarife abgelehnt wird (spill). Bezogen auf das komplette Netz einer Airline ist dieser Analyse- und Rechenaufwand nur durch ein Revenue Management System (RMS) eizient realisierbar. Moderne RMS verfügen dementsprechend über ein Modul zur Nachfrageprognose (demand forecasting), welches aus historischen und aktuellen Buchungsdaten pro RBD die nachgefragte Menge (und Stornierungen, welche wiederum von den Buchungen abhängen) zu verschiedenen Zeitpunkten prognostiziert [5, 6, 12, 18-20]. Das zweite Kernelement ist das Optimierungsmodul. Hier wird der prognostizierten Nachfragefunktion schließlich die Kapazität, also die Angebotsfunktion, gegenübergestellt. Oder alternativ ausgedrückt: Die Zielfunktion (Erlösmaximierung) wird mit den Nebenbedingungen (Kapazitäten) konfrontiert. Anschließend werden mit Optimierungsalgorithmen die Verfügbarkeiten der einzelnen RBDs intertemporal optimiert. So kann die Kapazität (Sitze) durch die Buchungsklassen nachfrageorientiert „gesteuert“ werden. Ergänzend dazu werden aus Ablugdaten (post-departure data) No-shows prognostiziert und Überbuchungslevel optimiert. Die taktische Anpassung der Verfügbarkeiten (steering) stellt neben Nachfrageprognose und Optimierung den dritten und letzten Kernprozess im ARM dar [1-3, 5, 6].. In den letzten Jahren haben sich jedoch einige Änderungen in den Luftverkehrsmärkten ergeben. Diese stellen sowohl die RMS als auch die ARM-Analysten vor neue Herausforderungen [24]. Aktuelle Trends und dynamische Preissetzung Eine dieser Herausforderungen ist die Preissetzung vieler LCA. Diese zeichnet sich vor allem durch eine simpliizierte (weniger bis keine Restriktionen) und komprimierte (geringere Preisdispersion bzw. geringere fare ratios) Preisstruktur aus. Sind keine Restriktionen vorhanden (RFP, restriction free pricing), können die Marktsegmente nicht mehr scharf voneinander abgegrenzt werden (sinkende switching cost für Konsumenten). LCA bieten auch verbreitet One-Waystatt Return-Tickets an. Dadurch werden bestimmte Restriktionen, wie beispielsweise eine Mindestaufenthaltsdauer (minimum stay oder saturday night stay), obsolet. Neben dem zunehmenden Vertrieb über das Internet erhöht dieser Umstand die Preistransparenz für die Konsumenten erheblich (sinkende transaction cost), erschwert jedoch die Marktsegmentierung mithilfe von Tarifrestriktionen [18, 37, 40]. Diese Trends setzten die Preisgefüge der FSA zunehmend unter Druck, u.a. mit der Folge, dass auch diese begannen, ihre Preisstrukturen zu vereinfachen und weniger Restriktionen zu verwenden. Wie oben erwähnt, wird die Nachfrageprognose jedoch unabhängig für jede Buchungsklasse bestimmt (separate Nachfrage für ein separates Produkt). Je weniger diese mit Restriktionen belegt sind, desto unrealistischer wird die Annahme der unabhängigen Nachfrage, da die einzelnen Buchungsklassen nicht mehr als separate Produkte angesehen werden können - sie unterscheiden sich also nicht länger hinreichend. Somit haben die Konsumenten keinen Anreiz mehr, auf Foto: Pixabay Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 56 LOGISTIK Luftverkehrsmarkt Grund von Restriktionen in höhere RBDs einzubuchen. Sie werden vermehrt die günstigste verfügbare Klasse wählen (downsell). Dies führt wiederum zu negativen Rückkopplungsefekten im RMS und zu einer Abwärtsspirale der Erlöse (revenue spiral down). Denn auch die Prognose für hochwertige Tarife wird somit abschmelzen, da sie auf historischen Daten beruht. Dies führt wiederum zu höheren Verfügbarkeiten in den unteren und zu geringeren Verfügbarkeiten in den oberen Klassen, obwohl eine höhere Zahlungsbereitschaft existiert. Wird dieser Kreislauf nicht manuell unterbrochen, sinken Nachfrageprognosen in hochwertigen Klassen und deren Erlöse sukzessive, da die Zahlungsbereitschaften keine Berücksichtigung inden [5, 6, 12, 17, 19, 25-31]. Im RFP wählen Kunden also weniger nach Produkt als nach Preis aus. So kann zwischen produktorientierter (yieldable demand) und preisorientierter (priceable demand) Nachfrage unterschieden werden. Für das ARM bedeutet das eine zunehmende Verschiebung vom mengenbasierten (Verfügbarkeiten für einzelne Produkte optimieren) zum preisbasierten Erlösmanagement (dynamic pricing). Während bei einer mengenbasierten Steuerung das RMS oftmals eine Preisuntergrenze festlegt, welche sich aus den marginalen Verdrängungskosten (displacement cost) einer Buchung ableitet (minium acceptable price oder bid price), verschiebt sich bei einer preisbasierten Steuerung der Fokus hin zu einer Obergrenze, was der Kunde maximal bereit ist zu-zahlen (WTP) [1, 5, 8, 15, 26, 30, 17, 24]. Künftige Herausforderungen Restriktionsreduzierte oder restriktionsfreie Preissetzung stellt klassische Prognosemodule der RMS vor neue Herausforderungen, v. a. hinsichtlich der hinfälligen Annahme unabhängiger Nachfrage. Denn diese kann somit in einzelnen RBDs nicht mehr separat prognostiziert werden. Konventionelle Zeitreihenmodelle stoßen hier zunehmend an ihre Grenzen, zumal sie bei plötzlichen Marktänderungen wenig lexibel sind und oftmals Wettbewerbsparameter außer Acht lassen. Besonders der letzte Umstand, also die Annahme unabhängig agierender Airlines, wird den oligopolistischen Marktstrukturen in der kommerziellen Luftfahrt wenig gerecht [6, 12, 17, 32, 33]. Es existieren Ansätze, welche die klassischen Verfahren der RMS bereits ergänzt oder ersetzt haben. Zu erwähnen sind hier z. B. hybride Prognose- und Optimierungsmodelle, welche die Nachfrage in produkt- und in preisorientierte Segmente aufspalten, um dem hybriden Marktcharakter aus klassischer Preisstruktur mit fencing (klassische Prognoseansätze ausreichend) und unrestringierter Preisstruktur (Prognose der preisorientierten Nachfrage z. B. durch Qforecasting) gerecht zu werden. Ziel ist es, Upsell-Potentiale zu identiizieren (z. B. mithilfe des FRAT5-Ansatzes), um letztlich dem downsell entgegenzuwirken. Erhebliches Potential besitzen darüber hinaus mikroökonometrische Modelle, v. a. diskrete Wahlmodelle, mit Hilfe derer komplexe und granulare Entscheidungsprozesse abgebildet werden können (choice-based revenue management). Je nach Datenverfügbarkeit können hier Wettbewerber-Daten (zur Bestimmung von Kreuzpreiselastizitäten) oder auch Shopping-Daten in die Modelle integriert werden. Präferenzen und Zahlungsbereitschaften werden so zuverlässig und lexibel ermittelt. Auf diese Weise wird eine abhängige Nachfrage geschätzt, welche auch sog. Recapture-Efekte 4 abbildet. Hier wird folglich der Tatsache Rechnung getragen, dass es nicht nur eine Nachfrage für ein Produkt gibt, sondern die nachgefragten Produkte in Verbindung stehen und Alternativen gegeneinander abgewogen werden. Auch die Verwendung neuronaler Netze im ARM wird diskutiert [12, 17, 19, 29, 34, 35, 37, 41-46]. In diesem Zusammenhang wird sich auch die elektronische Vertriebsstruktur der Airlines weiter verändern - zunehmender Internetvertrieb und Digitalisierung, Suchmaschinen, NDC 5 , dbCommerce 6 , personalisierte Angebote (customer centricity), unbundling und Zusatzerlöse (ancillary revenue) prägen die Entwicklungen. Wenn es um das efektive Abschöpfen von Zahlungsbereitschaften geht, ist eine schnelle und dynamische Anpassung der Preise (real time pricing) und Produkte notwendig, um nicht zuletzt schnell und lexibel auf Handlungen der Konkurrenz und Kundenpräferenzen reagieren zu können. Anbieter klassischer Vertriebskanäle in Form globaler Distributionssysteme (GDS) stehen damit ebenfalls vor neuen Herausforderungen [28, 30, 39]. Aus einem zunehmend preisorientiertem ARM ergeben sich jedoch nicht nur technische (RMS, GDS, etc.), sondern auch organisatorische Herausforderungen. So ist z. B. die Integration von Erlös- und Preismanagement elementar, da bei mehr preisori- Foto: Pixabay Foto: Pixabay Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 57 Luftverkehrsmarkt LOGISTIK entierter Nachfrage und einem wachsenden Fokus auf Zahlungsbereitschaften den Preispunkten und deren dynamische Anpassung eine besondere Rolle zukommt. Moderne Modelle zur Nachfrageschätzung und neue Entscheidungshilfen für die Preispunktsetzung werden weiter an Bedeutung gewinnen. Da ein RMS vor allem bei stabiler und optimierter Kapazitätsplanung seine Wirkung entfalten kann, ist ebenfalls die Integration der Netzwerkplanung essentiell. Aber auch andere Abteilungen, wie Marketing oder Sales, müssen im Sinne einer kohärenten Strategieplanung und der konsequenten Ausrichtung an Kundenpräferenzen einbezogen werden (z. B. bei neuen Verbindungen) [6, 15, 16, 28-30, 38, 39]. Eine weitere Herausforderung ist die Integration bzw. Optimierung des Gruppengeschäfts. Denn hier können allein durch die Gruppengrößen signiikante Verdrängungskosten entstehen, welche die Erlösmaximierung konterkarieren, sofern die Gruppen nicht ausreichend gut prognostiziert und in die Optimierung einbezogen werden. Die erwarteten Materialisierungsraten spielen hier eine tragende Rolle (groups evaluation hedging) [17]. Schließlich ist es von zentraler Bedeutung, die Performance der ARM-Tätigkeiten regelmäßig zu messen (aktuelle Steuerung vs. optimale Steuerung), um die eigenen Strategien zu evaluieren und gegebenenfalls anzupassen. Wichtig dabei ist, den Einluss des Erlösmanagements von anderen exogenen Faktoren (Saison, Konkurrenz, Konjunkturschwankungen, etc.) zu isolieren [38]. ■ 1 Überbuchung zur Kompensation sogenannter No-shows (Passagiere, die trotz Buchung am Ablugtag nicht erscheinen), fand bereits vorher statt und gilt somit als erste und rudimentäre Form des Airline Revenue Managements. 2 Zu unterscheiden sind hier diferenzierte Preise für unterschiedliche Produkte (Produktdiferenzierung), welche auch anderen Service und somit unterschiedliche Produktionskosten implizieren, z. B. bei unterschiedlichen Beförderungsklassen (compartments). Legt man „Produktdiferenzierung“ enger aus, könnte auch bei unterschiedlichen Buchungsklassen innerhalb einer Beförderungsklasse wegen der Restriktionen von unterschiedlichen Produkten gesprochen werden, die Kernleistung (Beförderung) bleibt davon jedoch unberührt. 3 Buchungsklassen enthalten Preise sowie Restriktionen und sind von der Beförderungsklasse (z. B. Economy, Business, First) zu unterscheiden. Eine Beförderungsklasse (compartment) beinhaltet mehrere Buchungsklassen, um die Nachfrage innerhalb einer Beförderungsklasse zu segmentieren. 4 Kunden, die eine niedrigere oder höhere Buchungsklasse (vertical recapture), einen anderen Flug der gleichen Airline (horizontal recapture) oder ein alternatives Konkurrenzangebot (capture) wählen. 5 New Distribution Capability 6 Data-based commerce LITERATUR [1] Talluri, K.; Van Ryzin, G. (2005): The theory and practice of revenue management, Kluwer Academic Publishers [2] Conrady, R. et al. (2012): Luftverkehr, Betriebswirtschaftliches Lehr- und Handbuch, 5. Aulage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag [3] Maurer, Peter (2006): Luftverkehrsmanagement, Basiswissen, 4.-Aulage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag [4] Pompl, W. (2006): Luftverkehr, Eine ökonomische und politische Einführung, 5. Aulage, Springer [5] Klein, R.; Steinhardt, C. 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Luftverkehrs KG, Berlin martin.kuras@airberlin.com Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 58 MOBILITÄT Wissenschaft ÖPNV im Tschad Die Rolle des informellen öfentlichen Verkehrs in den Städten des subsaharischen Afrika für eine nachhaltige Raumentwicklung am Beispiel N’Djamena N’Djamena, Tschad, städtischer Verkehr, Moto-Taxis, Kleinbusse, Akteurssystem Afrikanische Städte südlich der Sahara sind besonders stark von einer rasanten und unkontrollierten Verstädterung betrofen. Diese rapide Urbanisierung führt zu einer generellen Erhöhung des Mobilitätsbedarfes in den Städten und zur starken Ausdehnung der Stadtgebiete in die Fläche - mit Erreichbarkeitsproblemen besonders in den Randlagen. Am Beispiel der Hauptstadt N’Djamena soll erforscht werden, wie sich unter Einbeziehung der Akteure die Qualität des städtischen Verkehrs verbessern lässt. Der Autor: Nadmian Ndadoum B ewegungen in der Stadt sind alltägliche Notwendigkeit für viele Stadtbewohner. Dabei gelten für einzelne afrikanische Städte südlich der Sahara viele Besonderheiten. Im Rahmen einer Dissertation wird der Öfentliche Verkehr in N’Djamena, der Hauptstadt der zentralafrikanischen Republik Tschad, analysiert. Im Mittelpunkt stehen die Akteure auf der Angebotsseite. Es geht zunächst darum, die relevanten Akteure zu identiizieren und die Beziehungen, die sie zueinander haben zu verstehen. Untersucht werden dabei auch die Konlikte, die sich aus den Beziehungen zwischen den Akteuren ergeben. Ausgangssituation Seit Jahren waren die Städte in Afrika, besonders südlich der Sahara, von einer rasanten und unkontrollierten Verstädterung betrofen. Diese wurde durch das schnelle Bevölkerungswachstum in den letzten Jahren beschleunigt (6 bis 8 % pro Jahr). Gab es im Jahr 1960 in dieser Region noch keine einzige Millionenstadt, entstand im vergangenen Jahrzehnt eine ganze Reihe von Städten mit mehreren Millionen Einwohnern - zum Beispiel Lagos, Abidjan, Dakar, Nairobi oder Douala (PDM 2007: 10). Diese rapide Urbanisierung führt zur Konzentration der Bevölkerung in den Hauptstädten und damit zu einer generellen Erhöhung des Mobilitätsbedarfes in den Städten. Weitere Konsequenz dieser rapiden Urbanisierung ist die schnelle und starke Ausdehnung des Stadtgebietes in die Fläche, die die Erreichbarkeitsprobleme besonders für die Bevölkerung in den peripheren Stadtgebieten verschärft hat. In N’Djamena (Tschad) beispielweise beträgt die Entfernung zwischen Wohngebieten und Versorgungsmöglichkeiten bis zu 20 km (Ndadoum 2003: 7). Die räumliche Ausdehnung der Stadt vergrößert auch die Distanzen zwischen Wohngebieten und Gewerbegebieten und erfordert noch mehr Mobilität der Haushalte, weil sie wesentliche Grundbedürfnisse wie medizinische Versorgung, Bildung und Ausbildung nur im Stadtzentrum wahrnehmen können. Mangels Verkehrsnetz bleibt der Zugang zu diesen Angeboten jedoch oft völlig versperrt (Organisation des Etats Unis, Commission économique pour l’Afrique 2009). Mobilität ist ein wichtiger Faktor für das gute Funktionieren der Städte und deren gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung; sie trägt zur räumlichen Integration und zur Lebensqualität der Menschen bei (Mon- Bild 1: Lage des Untersuchungsgebiets Quelle: FAO 4 2005, verändert Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 59 Wissenschaft MOBILITÄT heim 2010: 18). Trotzdem wurde in Afrika die Frage nach Mobilität und Verkehr bislang nur zweitrangig berücksichtigt. Immer mehr große Städte sind mit Schwierigkeiten im Transportwesen konfrontiert, die ihre allgemeine Entwicklung beeinträchtigen (Nulzec 2006: 25). Es besteht Bedarf, die umliegenden Ortschaften und ihre Einwohner in die Stadt einzubeziehen sowie die Ballungsräume mit Öfentlichen Verkehrsmitteln auszustatten, um soziale und geographische Verknüpfungen zu schafen (ISTED 1 1998: 2). Öfentlicher Nahverkehr (ÖNV) wird in vielen Städten durch private Kleinbusunternehmen angeboten, allerdings als „anarchischer“ Dienst: Es gibt keine festen Haltestellen, keinen Anfahrtsplan, keine Fahrpläne, die Tarife sind nicht festgelegt, die Fahrer sind oft schlecht ausgebildet. Als alternative Fortbewegungsart gibt es in N’Djamena seit dem Jahre 1990 die „Moto-Taxis“ (Trans- Africa 2009: 16). Trotz dieser Alternative treten die genannten Probleme immer wieder auf. Es stellt sich damit die Frage: Wie kann man unter Einbeziehung der Akteure die Qualität des städtischen Verkehrs in N’Djamena verbessern? Methodische Herangehensweise Untersuchungsraum Die Untersuchung indet in der Hauptstadt des Tschad, N’Djamena, statt (siehe Bild 1). Mit mehr als einer Million Einwohnern (1 001 000 nach INSEED 2012: 10) und einer Wachstumsrate von derzeit rund 5 % pro Jahr ist N’Djamena gleichzeitig die größte Stadt im Tschad (RGPH 2 2009: 18). Bereits im Jahr 2004 wohnten 40 % der Bevölkerung des Landes in der Hauptstadt mit einer Fläche von 20 000 Hektar (200 km 2 ) (PDM 3 2004: 13). Die Stadt und ihr Umland sind betrofen von einer schnellen und unkontrollierten Verstädterung (Bild 2) ohne begleitende Maßnahmen im Bereich der Infrastruktur (RGPH 1993 ergänzt 2002). Dies zeigt, dass die Mobilitätsprobleme, die dort gelöst werden müssen, besonders für die Stadtbewohner in den peripheren Gebieten von großer Bedeutung sind. Recht hoch ist die mittlere Wegezahl pro Einwohner: Im Durchschnitt fallen 3,9 Wege pro Tag und Person an (Groupe Huit 2000). In N’Djamena sind arme Einwohner dadurch am meisten benachteiligt. Sie leben in Vierteln weit entfernt vom Stadtzentrum, müssen dort aber arbeiten oder einkaufen. Der Anschluss durch die erwähnten Kleinbusse hat angesichts der hohen Mobilitätsnachfrage keinen Vorrang. Das zeigt der hohe Anteil der Motorräder am Modal Split mit 46 % (Egis-Louis Berger 2011: 36). Vorgehensweise Neben der Literaturbeschafung und Auswertung von Statistiken wird die Analyse auf der Durchführung von teilstandardisierten Interviews basieren, bei der Verhaltensweisen und akteursspeziische Perspektiven der Befragten ermittelt werden sollen. Als Akteure werden hierbei sowohl Individuen als auch Institutionen verstanden, die im ÖNV aufgrund ihrer Position bestimmte Funktionen übernehmen (vgl. Jänicke et al. 2000: 65). Diese analytische Methode dient nicht zur statistischen Erfassung wie bei einer quantitativen Umfrage. Vielmehr wird ein qualitativer Ansatz genutzt, um aus den Aussagen der Akteure ihre Einstellungen, Erfahrungen und Handlungen herausarbeiten zu können. Bisher wurden 70 Personen befragt, meist Fahrer von Moto-Taxis und Kleinbussen. Diese Interviews werden ergänzt durch mündliche Mitteilungen von Behörden, Verbänden und Gewerk- Bild 2: Räumliche Entwicklung in N’Djamena Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 60 MOBILITÄT Wissenschaft schaften von Moto-Taxis und Kleinbussen sowie von Vertretern verschiedener Interessensgruppen. Erste Ergebnisse Die Auswertungen der bisherigen Interviews ermöglichen in einem ersten Schritt, die Akteure des städtischen Verkehrs in N’Djamena zu identiizieren, ihre Funktion bzw. Rolle für den öfentlichen Verkehr zu verstehen und erste Hypothesen zu den Hierarchien und Abhängigkeiten zwischen den Akteure abzuleiten. Relevante Akteure Als besonders bedeutend für die Organisation des ÖNV in N’Djamena wurden folgende Akteure identiiziert: die Öfentliche Hand, die Besitzer (Betreiber) von Moto-Taxis und Kleinbussen, die Verbände und die Gewerkschaften, die Fahrer von Moto-Taxis und Kleinbussen, die so genannten Lehrlinge. Dabei lässt sich mit Bezug auf die Rollen und Funktionen unterscheiden zwischen den institutionellen Akteuren, die sich mit den Vorschriften und der Organisation beschäftigen, und den Verkehrsdiensteanbietern, die das Angebot bereit stellen. Die vorliegende Arbeit zielt auf die Analyse der Angebotsseite ab. Institutionelle Akteure Zu den institutionellen Akteuren gehören das Transportministerium, die Verbände und die Gewerkschaften, die für die Organisation des ÖNV mit Moto-Taxis und Kleinbussen in N’Djamena zuständig sind. Das Transportministerium organisiert und regelt in Übereinstimmung und in Absprache mit anderen Ministerien und Instanzen den ÖNV mit Moto-Taxis und Kleinbussen, indem es die Vorschriften für die Verkehrsregeln erlässt. Außerdem führt dieses Ministerium die regelmäßige Kontrolle des technischen Zustands von Fahrzeugen (Motorräder und Kleinbusse) durch. In Übereinstimmung mit dem Ministerium für Infrastruktur baut und unterhält es die Verkehrsanlagen. Für die erbrachten Leistungen erhebt dieses Ministerium Abgaben und Gebühren. Eine endgültige Verkehrsregelung gibt es allerdings noch nicht. Zu den wenigen vorhandenen und vorläuigen Vorschriften gehört die Verordnung N°26/ MTPT/ DG/ DTS/ 2002 mit Bedingungen und Normen für den Betrieb von Moto-Taxis sowie das Gesetz N°- 645/ MIT/ DC/ 2013, das alle Kandidaten für einen Führerschein dazu verplichtet, eine Fahrschule zu besuchen. Auch wenn es Vorschriften gibt, so ist deren Umsetzung nicht zwangsläuig gesichert (Noitora, stellvertretender Leiter des Transports Ministeriums, mündliche Mitteilung am 14.03.2013). Verbände und Gewerkschaften (Genossenschaften) für den Bereich von Moto-Taxis und Kleinbussen haben ebenfalls Anteil an der Organisation des ÖNV. Sie tauschen sich mit der Öfentlichen Hand über die Aktivitäten ihrer Mitglieder aus. Darüber hinaus vertreten sie die Interessen der Betreiber gegenüber der Öfentlichen Hand, in dem sie den Fahrern von Moto-Taxis und Kleinbussen bei den Kontrollen helfen können. Die Verbände organisieren Fahrerschulungen; die Fahrer sollen dort lernen, dass die geltenden Vorschriften einzuhalten sind und wie sie sich vor Ort gegenüber ihrer Kunden verhalten müssen. Die Einnahmen der Genossenschaften setzen sich aus den Beiträgen ihrer Mitglieder sowie aus der Zahlung der Tagesgebühren beim Betreiben eines Moto-Taxis zusammen. Allerdings beachten die Fahrer die Zuständigkeiten der Genossenschaften nur selten. Verkehrsdienstleistungsanbieter Zu dieser Gruppe gehören die Besitzer und Betreiber von Kleinbussen und Moto-Taxis, außerdem die Fahrer der Moto-Taxis und Kleinbusse sowie die Lehrlinge. Die Kleinbus- und Moto-Taxi-Besitzer schließen Verträge mit anderen Personen ab, um die Verkehrsmittel zu bewirtschaften. Sie zahlen den Fahrern einen Lohn und erhalten die Umsätze aus dem Betrieb der Moto- Taxis. Sie spielen eine wichtige Rolle nicht nur bei der Bereitstellung des Angebots im ÖNV, sondern auch als Arbeitgeber, da sie viele junge Männer anstellen. Zu den Aufgaben der Besitzer gehört die Erneuerung des Fuhrparks. Da die meisten Kleinbusse und Motorräder gebrauchte Fahrzeuge sind, fallen sie öfter aus und ihre Reparatur ist oft schwierig. Der Mangel an Ersatzteilen im lokalen Markt erschwert die Wartung. Kleinbus- und Moto-Taxi-Fahrer spielen eine Schlüsselrolle im Öfentlichen Nahverkehr in N’Djamena. Ihre Rolle ist es, die Nachfrage vor Ort zu befriedigen. Während die peripheren Stadtgebiete für die Kleinbusfahrer schwer zugänglich sind, können die Moto-Taxi-Fahrer mit ihren Motorrädern durchaus auch in solche Gebiete fahren. Das Angebot der Moto-Taxis ist nicht zuletzt aus diesem Kontext heraus entstanden. Es bringt nach Aussage der Moto-Taxi-Fahrer auch immer wieder Schwierigkeiten mit den Kunden mit sich, wenn beispielsweise weite Umwege gefahren werden müssen, um den Zielort zu erreichen, der Kunde aber nicht bereit ist, dafür einen höheren Preis zu entrichten. Lehrlinge werden von den Fahrern der Kleinbusse angestellt und können jeweils nur bei ihm arbeiten. Für den Moto-Taxi-Dienst braucht man keinen Lehrling einzustellen. Die Rolle des Lehrlings ist die Suche nach Kunden, dafür bekommt er einen Tagelohn. Der Lehrling spielt eine wichtige Rolle im System, wenngleich diese oft nicht ausreichend gewürdigt wird. Der Lehrling ist noch aus anderem Grund wichtig im Öfentlichen Verkehr von N’Djamena. Neben seiner Hauptaufgabe, der Kundenakquise, obliegt ihm die alltägliche Wartung des Fahrzeugs. So führt er insbesondere gemeinsam mit dem Fahrer oder in eigener Verantwortung die laufend anfallenden Reparaturen durch. Dennoch gibt es keinen formalen Vertrag zwischen dem Fahrer und dem Lehrling. Seine Entlohnung ist abhängig von den jeweiligen Tageseinnahmen, die wiederum darauf beruhen, wie viele Kunden der Lehrling gewinnen konnte. Sehr häuig kommt es vor, dass die Lehrlinge - in der Regel junge Männer ohne Schulbildung im Alter von 16- 18 Jahren - durch ofensives und respektloses Verhalten Kunden verärgern. Obwohl man erwarten könnte, dass es gerade auch in dieser Hinsicht zu einer Abstimmung zwischen den Betreibern der Kleinbusse und den Lehrlingen kommen sollte, indet die Abstimmung in Wirklichkeit nicht statt und führt zu einer Einbuße an Qualität. Akteurssysteme Die Akteure im Öfentlichen Verkehr in N’Djamena haben ein Netzwerk an Beziehungen aufgebaut, das es ihnen ermöglicht, miteinander in Kontakt zu treten, zu Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 61 Wissenschaft MOBILITÄT verhandeln und Entscheidungen zur Lösung von Problemen im Rahmen ihres Angebotes zu trefen. Diese Beziehungen beruhen auf einer Reihe von Grundsätzen und bilden insgesamt ein System aus. Wertet man die Befragungen vor Ort aus, stellt man fest, dass die Beziehungen zwischen den Fahrzeugbesitzern und den Chaufeuren, den Chaufeuren und den Tagelöhnern, der öfentlichen Hand und den Verbänden sowie zwischen den Verbänden und den Betreiber/ Fahrzeugbesitzern eine besondere Bedeutung haben (siehe Bild 3). Fahrzeugbesitzer - Fahrer: Die Beziehung zwischen Fahrzeugbesitzer und Fahrer basiert darauf, dass der Besitzer eine Person auswählt, die ihm „zusagt“, was zunächst nichts über die Kompetenzen dieser Person aussagt. Der Vertrag wird mündlich abgeschlossen, allerdings kann der Fahrer jederzeit entlassen werden. Kleinere Reparaturen am Fahrzeug gehen auf seine Kosten bzw. sind von ihm selbst durchzuführen. Der Besitzer trägt nur bei größeren Reparaturen zu den entstehenden Kosten bei. Der Chaufeur trägt einen Teil der Kosten für den Kraftstof; Kosten, die aufgrund von Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung entstehen, muss er vollständig selbst tragen. In vielen Fällen beindet sich der Fahrer in einer prekären Situation. Der Vertrag garantiert kein ausreichendes Einkommen für ihn oder seine Familie. Der Fahrer ist daher bemüht, sein Einkommen zu verbessern, ohne deswegen die Qualität seiner Arbeit zu beachten. In der Konsequenz wird der Fahrer nicht die Qualität des Verkehrsangebotes verbessern. Fahrer - Lehrling: Tatsächlich handelt es sich hierbei nicht um ein Ausbildungsverhältnis. Vielmehr wählt der Fahrer ebenfalls eine Person aus, die ihm zusagt. Der Lehrling erhält eine anteilige Entlohnung in Abhängigkeit von den Tageseinnahmen. Dieser Lohn liegt auf einem sehr niedrigen Niveau. Wie im zuvor erwähnten Fall begrenzt das Verhältnis zwischen den Beteiligten die Möglichkeiten, die Servicequalität zu verbessern. Beide Seiten sind vor allem um ihre eigenen Interessen bemüht und dabei wenig motiviert, das Verkehrsangebot zu verbessern. Die Lehrlinge stehen jedoch im direkten Kontakt zum Kunden. Damit beeinlusst auch das Verhältnis zwischen dem Lehrling und dem Fahrer direkt die Servicequalität gegenüber den Kunden. Öfentliche Hand - Verbände: Einerseits ist es die Rolle der Öfentlichen Hand, Regelungen für die Verbände aufzustellen, gleichzeitig ist es ihre Aufgabe, die notwendigen Infrastrukturen bereitzustellen. Im Gegenzug werden dafür Steuern und Gebühren erhoben. Die Verbindung zwischen Öfentlicher Hand und den Verbänden ist jedoch ausgesprochen lose. Es kommt nur selten zur Kommunikation zwischen diesen beiden Akteuren. Die Genossenschaften und die Gewerkschaften vertreten die Interessen der Moto-Taxi-Fahrer und der Kleinbus-Fahrer. Die Verständigung mit der Öfentlichen Hand hinsichtlich von Regelungen für den ÖNV erlaubt die Etablierung von Regeln, die von allen akzeptiert werden. Sofern keine vorausgehende Verständigung erfolgt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Regeln nicht eingehalten werden Verbände - Betreiber/ Fahrzeugbesitzer: Zwischen den Verbänden und den Betreibern oder Fahrzeugbesitzern besteht zwar eine enge, jedoch wenig nutzenstiftende Verbindung. Aufgabe der Verbände ist die Betreuung, Ausbildung und Organisation der Betreiber/ Fahrzeugbesitzer. Darüber hinaus vertreten sie deren Interessen gegenüber den öfentlicher Hand. Dabei werden die Verbände von den Mitgliedsbeiträgen der Betreiber/ Fahrzeugbetreiber getragen. Die Genossenschaften und Gewerkschaften nehmen eine Vermittlerrolle zwischen der Öfentlichen Hand und den Betreibern ein, und zwar sowohl für den Bereich der Regulierung als auch die Organisation des Verkehrs. Für die Qualität des Angebots ist diese Vermittlerrolle von zentraler Bedeutung, da sie institutionelle, organisatorische und angebotsseitige Akteure zusammenbringt. Die Verbesserung der Angebotsqualität erfordert zudem ein Minimum an Organisation der Akteure, die unmittelbar im Öfentlichen Nahverkehr beschäftigt sind. Obwohl diese gemeinsame Interessen verfolgen, ist in der Realität jeder mit sich selbst beschäftigt und entwickelt sich entsprechend den eigenen Bedürfnissen. Was vor Ort passiert, resultiert aus dem Mangel gemeinsamer Absprachen zwischen den Moto-Taxi Betreibern und den Betreibern der Kleinbusse. Die Qualität des Angebots ist von der Absprache zur Verbesserung des Tarifs, des Komforts, der Sicherheit und der Zuverlässigkeit abhängig. Komplementarität statt Konkurrenz Die Entstehung der Moto-Taxis in den 1990er Jahren wird oft als alternative Mobilitätsdienstleistung angesichts des Mangels beim Angebot durch Kleinbusse gesehen (Bild 4). Im Kontext der rapiden Verstädterung können die Kleinbusse die Mobilitätsnachfrage in den peripheren Stadtgebieten nicht oder zumindest nicht ausreichend befriedigen. Tatsächlich bilden Moto-Taxis und Kleinbusse zusammen heute ein intermodales Angebot. Anstatt in Konkurrenz mit einander zu stehen, ergänzen sich Moto-Taxis und Kleinbusse. Diese Komplementarität zwischen den beiden Transportarten wird an vielen Lasthaltepunkten in peripheren Stadtgebieten in N’Djamena deutlich. Abgabe und Steuer/ Austausch von Informationen Einnahmen Vertrag Tagelohn Kundensuche Verkehrsregelung Finanzielle Beiträge Kontrolle von Verkehrsregeln Einhaltung von Verkehrsregeln Tagelöhner Fahrer Ö entliche Hand Fahrzeugbesitzer Verbände, Gewerkschaften Bild 3: Akteure und ihre Funktionen und Beziehungen im Öfentlichen Verkehr in N’Djamena Quelle: eigene Erhebung Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 62 MOBILITÄT Wissenschaft Die Kleinbusse bringen ihre Kunden bis zu einer Straßenkreuzung, wo sie auf ein Moto-Taxi umsteigen können, um ihr endgültiges Ziel zu erreichen (Bild 5). Die Kleinbusse fahren also auf den Hauptstraßen, die Moto- Taxis bringen ihre Kunden auf den Nebenstraßen zu ihrem Ziel. Umgekehrt fahren die Kunden von zu Hause per Moto-Taxi bis zu einer nahen Kleinbus-Haltestelle, um von dort weiter zu fahren. Die komplementäre Rolle zwischen Kleinbus und Moto-Taxi aus N’Djamena entspricht dem, was auch schon für andere afrikanische Städte nachgewiesen werden konnte. Guézéré (2012a und 2012b) beispielsweise zeigt am Beispiel von Lomé (Togo), wie die Moto-Taxi- Dienste die Kleinbusse bei der Befriedigung der Mobilitätsnachfrage in der wachsenden und sich ausdehnenden Stadt ergänzt und begleitet haben. Auch wenn diese Komplementarität dazu beiträgt, dass die räumliche Abdeckung mit Mobilitätsdienstleistungen besser wird, fehlt es nach wie vor an Regelungen oder Absprachen, um Verbesserungen hinsichtlich des Tarifes, des Komforts, der Sicherheit oder der Information zwischen den beiden Transportarten zu schafen. Fazit und weitere Arbeitsschritte Die Organisation des Öfentlichen Nahverkehrs mit Moto-Taxis und Kleinbussen begann in N’Djamena in den 1990er Jahren durch die Gründung von Verbänden und Gewerkschaften der Moto-Taxis und Kleinbusse. Die vorliegende Arbeit liefert einen Beitrag, um die verschiedenen Akteure des Öfentlichen Nahverkehrs zu identiizieren und ihre Beziehungen zu verstehen. Die Akteure sehen besondere Schwierigkeiten bei ihrer Tätigkeit in mangelnden Absprachen bei der Aufstellung und Umsetzung von Vorschriften oder bei den täglichen Konlikten mit Kunden vor Ort. Die Vorschriften werden nicht vollständig angewandt, sondern nur dort, wo es Interessen einzelner Akteure gibt. Weitere Schwierigkeiten haben mit der Situation der Akteure in den Verbänden oder Gewerkschaften zu tun. Mit den oftmals schlecht abgeschlossenen Verträgen können Lehrlinge oder Fahrer ihre soziale Situation nicht verbessern. Ihr Gehalt reicht nicht aus, um Schulbildung und Unterhalt der Familienmitglieder sicherzustellen. Alle diese Probleme senken die Motivation, eine qualitativ hochwertige Dienstleistung anzubieten. Die nachhaltige Verbesserung des informellen Öffentlichen Nahverkehrs in N’Djamena hängt somit von der Verbesserung der ökonomischen Lage derjenigen Akteure ab, die sich unmittelbar um das Angebot kümmern sowie von den Vorschriften, die von allen akzeptiert werden müssen. Jenseits der reinen Beschreibung der Akteure bieten die bisherigen Ergebnisse der Arbeit erste Ansätze, um die Funktionsweise des Akteurssystems besser zu verstehen. Allerdings sind weitere Arbeiten erforderlich. Dies betrift insbesondere die Analyse der Netzwerke, in die die Akteure eingebunden sind. Es ist zu erwarten, dass die bessere Kenntnis der Netzwerke einen wichtigen Beitrag liefern wird, um Entscheidungen und Handlungen der Akteure - auch bei Konlikten - zu verstehen. Aus diesen Kenntnissen lassen sich schließlich Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Angebotsqualität des Öfentlichen Nahverkehrs in N’Djamena ableiten. ■ 1 Institut des Sciences et des Techniques de l’Equipement et de l’Environnement pour le Développement 2 Recensement Général pour la Population et l’Habitat 3 Partenariat pour le dèveloppement municipal 4 Fonds Mondial pour l‘Agriculture LITERATUR Egis-Loui Berger (2011): Appui à la mise en œuvre de la strategie sectorielle des transports du Tchad, rapport diagnostic, N’Djamena (Tschad) Groupe Huit BCEOM (2000): Développement urbain: composante transport, rapport d’études, N’Djaména Guézéré, A. (2012a): Taxis-motos et insécurité routière dans les villes d’Afrique de l’Ouest. Une analyse à partir du cas de Lomé au Togo. 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Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn Monheim, H (1990): Straßen für alle Analysen und Konzepte zum Stadtverkehr der Zukunft, Rasch und Roehring Verlag, Hamburg (Deutschland) Ndadoum, N (2002): Croissance urbaine et problèmes de déplacements dans les quartiers périphériques de N’Djamena: cas des quartiers Chagoua et Dembe, Mémoire de Maîtrise en géographie, Université de NGaoundéré au Cameroun Nulzec, F (2006): Les routes sont des facteurs de développement, CETUD, Dakar (Senegal) Organisation des Etats Unis, Commission économique pour l’Afrique (2009): Rapport d‘examen africain sur les transports (Résumé). Addis Ababa (Ethiopia), 13-15 octobre 2009 PDM (Partenariat pour le Développement Municipal) (2007): Guide des collectivités locales pour la gestion de la mobilité. Cotonou (Benin) Trans-Africa (2009): Apercu du transport public en Afrique subsaharienne Bruxelle (Belgique), Trans-Africa consortium Nadmian Ndadoum, Doktorand, Humboldt-Universität; DLR-Institut für Verkehrsforschung, Berlin nadmian_ndadoum@yahoo.fr Bild 4: Moto- Taxifahrer in N’Djamena Foto: Ndadoum (2013) Bild 5: Kleinbus- Station in der Nähe des zentralen Markts in N’Djamena Foto: Ndadoum (2013) Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 63 Innovative ÖPNV-Angebote in-Bursa ÖPNV, Bursa, Intermodalität Bursa, die erste Hauptstadt des Osmanischen Reiches, ist heute mit über 2 Mio. Einwohnern viertgrößte Stadt der Türkei. Die Industriestadt hat aufgrund der drei dort angesiedelten Universitäten auch sehr junge und mobile Bewohner. Neben innerstädtischem Verkehr ist auch die Anbindung an Istanbul sehr wichtig, da das Verkehrsaufkommen aufgrund der kurzen Entfernung erheblich ist. Der Beitrag beschreibt die Angebote des Verkehrsunternehmens „Burulas“, das in seiner kurzen 17-jährigen Geschichte alle Verkehrsarten in seinem ÖPNV-Angebot erfolgreich integriert hat - von der Straße über Schiene zu Wasser und Luft. Der Autor: Yigit Fidansoy Ö fentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) ist nach Deinition des Personenbeförderungsgesetzes in Deutschland [1] die allgemein zugängliche entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Bussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das Gesetz geht von einer gesamten Reiseweite von 50 km oder einer gesamten Reisezeit von einer Stunde aus. In der türkischen Industriestadt Bursa, südlich von Istanbul nahe am Marmara- Meer gelegen, gelten etwas andere Kriterien. Die geographischen Rahmenbedingungen (siehe Bild 1) zwingen zur Entstehung so unkonventioneller Verkehrsangebote wie Schnellfähre, Wasserlugzeug und Hubschrauber. Die Entfernung zwischen Bursa und Istanbul beträgt 90 km, jedoch ermöglicht die hohe Geschwindigkeit der innovativen Verkehrsmittel Reisezeiten von unter einer Stunde. Diese Verkehrsmittel können auch in den ÖPNV eingeordnet werden. Die Geschichte von Burulas Das Unternehmen Burulas wurde im Jahr 1998 unter der Stadtverwaltung Bursa zur Planung und Begleitung des Baus der U- Bahn (Bursaray) gegründet. Ein Meilenstein für den ÖPNV in Bursa war die Fertigstellung und Inbetriebnahme der U-Bahn im Jahr 2001. Seitdem ist Burulas auch zuständig für Betrieb und Instandhaltung der U- Bahninfrastruktur sowie die Fahrzeuge. Im Jahr 2006 übernahm Burulas den Busbetrieb, um die Integration der beiden Systeme eizient durchzuführen. Der Verantwortungsbereich und damit die Integration der verschiedenen Verkehrsmittel nahmen mit der Zeit zu. Seit 2009 betreibt Burulas das Fernbusterminal in Bursa, das aufgrund des hohen Modalsplits (36,6 %) [2] einen wichtigen Knoten darstellt. Die Anbindung des Fernbusterminals im ÖPNV-System in Bursa wird zurzeit mit Bussen durchgeführt. Eine große Kundenofensive begann im Jahr 2013. Burulas bietet seitdem schnelle Verbindungen zwischen den zwei ehemaligen Hauptstädten über Wasser und Luft an. Schnellfähren verbinden Mudanya (Bursa) mit Kabatas (Istanbul) und ein Wasserlugzeug Gemlik (Bursa) mit Halic (Istanbul). Bild 2 zeigt einen Überblick über die Geschichte des Verkehrs in Bursa. Ausgangssituation Ausgangssituation für die Gründung von Burulas war die Integration des ÖPNV in einer Hand. In der Türkei sind neben staatlichen Bussen private Busse und sogenannte Helitaxi auf dem Weg nach Istanbul Foto: Burulas A.S. Nahverkehr MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 64 MOBILITÄT Nahverkehr Dolmus (Sammeltaxi) üblich. Diese werden von vielen verschiedenen Betreibern angeboten und weichen oft von ihren festgelegten Strecken ab. Ein gemeinsames Qualitätsverständnis für staatliche und nichtstaatliche Busse existiert nicht. Daraus folgend bleiben die Erwartungen der Fahrgäste unerfüllt und die Nachfrage sinkt. Burulas übernimmt heute nicht nur die Kontrolle und Steuerung der privaten Anbieter, sondern bietet für diese auch Schulungen an. Ziel ist die Erarbeitung und Kontrolle der Qualitätsstandards für den ÖPNV. Der Seeverkehr zwischen Bursa und Istanbul war seit kurzem das Monopol von Istanbul Deniz Otobüsleri (IDO). In der Marktform Monopol besteht kein Wettbewerb und damit existiert die übliche Preisbildung durch Angebot und Nachfrage nicht. Die Folgen sind überhöhte Preise für die Fahrgäste und Kundenunzufriedenheit. Bis zur Gründung von Bursa Deniz Otobüsleri (BUDO) im Jahr 2013 hatten die Fahrgäste keine Alternativen zu IDO. Verkehrskonzepte U-Bahn (Bursaray) Bursaray kann als das Herz des Verkehrs in Bursa bezeichnet werden. Es verbindet die wichtigsten Orte in Bursa schnell, getaktet und bequem. Bursaray bildet ein leistungsstarkes System, das die hohe Verkehrsnachfrage in einer Großstadt abwickeln kann (Bild 3). Das am 23.04.2002 in Betrieb genommene U-Bahn-Netz zwischen „Kücük Sanayi“, „Organize Sanayi“ und „Sehreküstü“ ist zweispurig und hat heute nach dem Ausbau im Jahr 2008 und 2014 eine Länge von 39- km erreicht. Weitere Ausbaumaßnahmen u.a. zum Fernbusterminal und zum von der türkischen Bahn (TCDD) vorgesehenen Fernverkehrsbahnhof sind in Planung. Heute werden insgesamt 38 Haltestellen entlang der Strecke in einem axialen Netz bedient. Diese Form ermöglicht eine schnelle und gute Verbindung zwischen dem westlichen und dem östlichen Teil der Stadt. Die städtebauliche Trennung der Wohngebiete durch die Achse ist ein Problem, das auch verkehrliche Folgen hat. Diese Folgen werden in intermodalen Haltepunkten wie „Acemler“ durch stark getakteten Zu- und Abbringerverkehr gelöst. Aufgrund dieser neuen Anforderungen wurde der komplette Fahrplan für Busse überarbeitet und an das U-Bahn-System angepasst. Folglich ielen z.B. viele Buslinien, die parallel zum Bursaray verkehren, aus. In Tabelle 1 sind die wichtigsten Daten zusammengefasst. Die U-Bahnen verkehren täglich zwischen 6 und 24 Uhr. Ein Teil der Strecke (Stammstrecke) wird von beiden Linien bedient. Dort ist der Takt doppelt so stark wie auf den Ästen westlich der Verzweigung in Acemler. Auf Bursaray werden verschiedene Fahrzeuge eingesetzt. 48 Siemens-B80-Züge sind seit der Eröfnung der Strecke im Einsatz. Die Beschafung weiterer Fahrzeuge wurde mit der Zeit aufgrund der Streckenerweiterungen notwendig, und so wurden zusätzlich 30 Bombardier-B2010-Züge angeschaft. Nach der Nachrüstung der Siemens-Fahrzeuge mit Klimaanlagen sind alle Züge voll klimatisiert und erfüllen somit die Anforderungen der Fahrgäste v.a. in den heißen türkischen Sommermonaten. Burulas ist nicht nur für den Betrieb der Bursaray-Strecke, sondern auch für die Instandhaltung der Infrastruktur und Bereitstellung der Fahrzeuge zuständig. Eine Be- Bursaray in Zahlen Länge der Strecke 39 km Anzahl der Haltestellen 38 Anzahl der Haltestellen im Untergrund 7 Anzahl der Linien 2 Spurweite 1435 mm Stromversorgung 1500 V DC Bahnsteiglänge 120 m Maximale Geschwindigkeit 70 km/ h Zugfolgezeiten 5-10 min Durchschnittlicher Haltestellenabstand 2 km Zugsicherungsystem PZB-222 Anzahl der Fahrzeuge 48 B80, 30 B2010 Tabelle 1: Eckdaten zur U-Bahn Bursaray Oktober 2001 März 2006 November 2009 November 2011 Januar 2013 April 2013 November 2013 Bild 1: Die türkische Industriestadt Bursa liegt südlich von Istanbul in der Nähe des Marmara- Meers. Quelle: Google Maps Bild 2: Geschichte des Verkehrs in Bursa Eigene Darstellung Bild 3: Untergrund- Haltestelle der Bursaray Foto: Burulas A.S. Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 65 Nahverkehr MOBILITÄT triebszentrale für die Disposition der Fahrzeuge sowie die Wartungshalle beinden sich in der Zentrale von Burulas. Schnellfähre (BUDO) BUDO ist die Marke von Burulas für Schnellfähren. Seinen Betrieb begann BUDO am 23.01.2013 mit gerade mal drei Schifen. Inzwischen hat man es geschaft, mit insgesamt 102 Fahrten pro Woche in über zwei Jahren über 2 Mio. Fahrgäste zwischen beiden Großstädten zu befördern. Heute verfügt BUDO über fünf Schife mit einer jeweiligen Kapazität von 340 Passagieren, die täglich verkehren. Die Schife verfügen über eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Knoten und sind 40 m lang. In den Sommermonaten wird das Angebot erweitert und auch Urlaubsziele im Marmarameer wie die Avsa Insel bedient. Das Verkehrssystem in Bursa trägt somit auch einen Beitrag zum Tourismus bei. Zwei Faktoren waren maßgebend für den Erfolg von BUDO: die Loyalität der Einwohner von Bursa und die Preispolitik. Konkurrent IDO hat kurz vor der Gründung von BUDO ein dynamisches Preissystem wie im Flugverkehr eingeführt, das von den Kunden nicht gut angenommen wurde. Die festen und günstigen Preise von BUDO spielen bei der Entscheidung der Kunden eine wichtige Rolle. Wasserflugzeug BUDO war nur ein Anfang der neuen Verkehrsangebote. Die hohe Verkehrsnachfrage hat bereits in den ersten Wochen gezeigt, dass ein Bedarf für schnelle Verbindungen besteht, u.a. von Geschäftsleuten, die mit der Industrie in Bursa zusammenarbeiten. Ein Flugverkehr von oder zum Flughafen in Istanbul ist aufgrund des Kapazitätsmangels nicht realisierbar und auf dem Atatürk Flughafen in Istanbul gibt es keine zusätzlichen Slots mehr. Die Lösung war also ein Wasserlugzeug (Bild 4). Die Flugzeuge haben eine Kapazität von acht Passagieren und liegen täglich zwischen Gemlik und Halic. Die Reisezeit beträgt nur 20 Minuten. Für die Weiterfahrt an den Zielorten gibt es zwei Alternativen, die beide von Burulas angeboten werden: Shuttlebus oder Mietwagen. Um dieses Angebot zugänglich für alle Passagiere zu machen, wird der Preis von der Stadt Bursa subventioniert und kostet umgerechnet ungefähr 40 EUR pro Richtung. Die Flugzeuge sind so ausgestattet, dass sie auch auf einer Landebahn landen können. Es wurden bereits Pläne erstellt, den alten militärischen Flugplatz in Bursa zu reaktivieren und für die stadtnahe Landungen zu benutzen. Helitaxi Ein ganz unkonventionelles öfentliches Verkehrsmittel ist das sogenannte Helitaxi (s. großes Bild Seite 63). Von Bursa aus werden drei zentrale Orte einschließlich des Atatürk Flughafens in Istanbul mit einem Hubschrauber zweimal täglich gelogen. Insofern funktioniert das Helitaxi in Istanbul als innerstädtisches Verkehrsmittel und verbindet den auf dem europäischen Teil gelegenen Flughafen mit dem asiatischen Teil in kürzester Zeit (12 Minuten). Das Helitaxi ist der erste fahrplanmäßige Hubschrauber in die Türkei. Der Preis für das Helitaxi ist höher als für die anderen Verkehrsmittel und beträgt umgerechnet etwa 100 EUR pro Richtung. Burulas verfügt zurzeit über 13 Hubschrauber mit jeweils 6 Sitzplätzen. Neben Flügen nach dem öfentlichen Fahrplan ist es möglich, Hubschrauber für andere Verbindungen oder Zwecke wie z.B. Luftaufnahmen zu mieten. In Tabelle 2 ist ein Vergleich der Verkehrsmittel nach Beförderungszeit und Preis dargestellt. Die Beförderungszeit ist die reine Fahrzeit im gegebenen Verkehrsmittel ohne Vor- oder Nachlauf. Intermodalität Es ist nicht verwunderlich, dass Intermodalität in Bursa eine große Rolle spielt. In dieser Stadt werden von Straße bis Schiene und von Wasser bis Luft alle Verkehrsarten angeboten. Es ist deswegen sehr wichtig, dass die verschiedenen Verkehrsarten auch zusammen gut funktionieren. Eine Maßnahme dafür ist das einheitliche Ticketingsystem „Bukart“. Die Bukart ist eine kontaktlose elektronische, auladbare Fahrkarte, die im kompletten ÖPNV in Bursa sowie in kulturellen Einrichtungen wie Museen gültig ist. Die Bukart ermöglicht einen schnellen Verkauf der Fahrkarten und einen reibungslosen Übergang zwischen den Verkehrsmitteln. Die Vergünstigungen durch die Benutzung der Bukart für weitere Fahrten nach der ersten Fahrt fordern die intermodale Reisekette. Die Bukart kann an allen Standorten von Burulas - auch außerhalb Bursas - aufgeladen werden. Ein großes Verkehrsnetzwerk ist somit mit einer einzigen Karte verbunden. Weitere Maßnahmen für die Sicherstellung der Intermodalität, wie z.B. eine neue Straßenbahnanbindung nach Mudanya für den Übergang zur Schnellfähre, sind derzeit in der Planungsphase. Zusammenfassung Mit der Entwicklung der Technologie und der Lebensart des modernen Menschen ändern sich auch die Anforderungen der Fahrgäste an Verkehrssysteme. Flexibilität, Schnelligkeit, Kundenorientierung sind die Herausforderungen für die Zukunft des Verkehrs. Burulas zeigt erfolgreiche innovative Ansätze im ÖPNV und erweitert seine Geschäftsfelder in alle Richtungen. ■ QUELLEN [1] Personenbeförderungsgesetz (PBefG) § 8, 1961 [2] eurostat, Modal split of inland passenger transport, 2012 Yigit Fidansoy Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Bahnsysteme und Bahntechnik, TU Darmstadt fidansoy@verkehr.tu-darmstadt.de Verkehrsmittel Beförderungszeit [min] Preis [EUR] Schnellfähre 90 8 Wasserflugzeug 20 40 Helitaxi 25 100 Tabelle 2: Vergleich der Verkehrsmittel nach Beförderungszeit und Preis Bild 4: Die Wasserflugzeuge werden kurz vor Abflug bereitgestellt. Foto: Raphael Uebelhart Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 66 MOBILITÄT Radverkehr In größeren Dimensionen Radverkehrsstrategien in Australien und den USA Radverkehrsförderung, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Gesundheitsvorsorge, Modal Split Die Zunahme des Radverkehrs in Ländern mit bislang dominierender Pkw-Nutzung ist ein weltweites Phänomen. Der Bericht zeigt, wie diese Entwicklung in Australien und den USA an Schwung gewinnt und-welche verkehrspolitischen und sozialen Ziele man verfolgt. Der Autor: Stefan Grahl V on Melbourne nach Sydney sind es 1400 Kilometer auf dem Rad. Minneapolis erreicht man von New Orleans aus auf der Great Mississippi River Tour nach 2760 km. Das klingt anspruchsvoll. Doch manche Dimension ist noch größer als die sportliche Leistung: Australien und die USA haben sich zum Ziel gesetzt, Radfahren als gleichberechtigte Verkehrsart neben dem motorisierten Individualverkehr (MIV) zu entwickeln. Die Herausforderung liegt dabei nicht zuerst in den Weiten dieser Länder, sondern in den Ausgangs- und Rahmenbedingungen. Australien hat etwa 22 Mio. Einwohner, von denen 92 % in Städten leben. In den USA wohnen fast 80 % der 317 Mio. Einwohner in den 50 Metropolregionen. Hier konzentrieren sich die Probleme der Verkehrsüberlastung, der Umweltverschmutzung und des übermäßigen Ressourcenverbrauchs. Ein weiterer Fakt ist gravierend: Mehr als 60 % der Erwachsenen und ein Viertel der Kinder in Australien und den USA sind übergewichtig bzw. fettleibig. Bewegungsmangel ist einer der Gründe dafür. Die jährlichen Krankheitsstatistiken belegen die negativen humanen und ökonomischen Folgen [1, 2]. Radfahren ist ein Weg, der zur Lösung der Probleme beitragen kann. Dem steht die Tatsache gegenüber, dass in Australien gegenwärtig nur etwa 1,9 Mio. Menschen regelmäßig radeln, obwohl im Durchschnitt jeder zweite Haushalt ein Fahrrad hat [1]. Zudem fahren deutlich weniger Frauen und Kinder Rad als Männer. In den USA liegt das Verhältnis radfahrender Frauen zu Männern bei 1: 3, und das bei einem Anteil des Radverkehrs am Modal Split von ohnehin nur einem Prozent. Radverkehrsstrategien und ihre Umsetzung In Australien wurde 2010 die „Nationale Radverkehrsstrategie 2011 - 2016“ beschlossen [1]. Das Ziel besteht darin, die Zahl der regelmäßig Radfahrenden zu verdoppeln. Radfahren soll sich wandeln vom alleinigen Freizeitsport hin zur Alltagsnutzung, vor allem für Fahrten zu den Arbeitsorten, Schulen und Universitäten. Ebenfalls im Jahr 2010 hat die US-Regierung ihre Leitstrategie „Transportation for a New Generation” untersetzt mit einem „Policy Statement on Bicycle and Pedestrian Accommodation - Regulations and Recommendations“ [3, 4]. Zufußgehen und Radfahren werden darin als „Active Transport“ bezeichnet und sollen gleichberechtigt zum MIV entwickelt werden. Beide Länder haben vergleichbare Strategien festgelegt, um die nationalen Ziele für den Radverkehr zu realisieren. Dazu gehört, • die Radverkehrsplanung in die Gesamtverkehrsplanung zu implementieren, • die Radverkehrsförderung zu verknüpfen mit Programmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, des Umweltschutzes, der Territorialentwicklung und der Gesundheitsvorsorge, • das „Verkehrssystem Fahrrad“ allen Nutzergruppen ofen zu halten (verschiedene Altersgruppen, Geschlechter, Fähigkeiten etc.), • „das Rad nicht neu zu erinden“, sondern- internationale Erfahrungen zu nutzen [5]. Das größte Potenzial der täglichen Radnutzung wird in Australien für Wege bis zu einer Entfernung von fünf Kilometern gesehen. Das betrift ca. 20 % des Verkehrsaufkommens [1]. Ähnlich ist die Begründung in den USA: Rund 40 % der Wege sind kürzer als zwei Meilen, 87 % der PKW-Fahrten liegen zwischen einer und zwei Meilen [2]. Bei der Umsetzung der Radverkehrsstrategien verbinden beide Länder den Top- Down- Ansatz mit Basisinitiativen. Auf gesamtstaatlicher Ebene werden Richtlinien erarbeitet und Finanzierungsinstrumente bereitgestellt. Ebenfalls zentral erfolgen das Monitoring der (Förder-)Programme und die überregionale Verbreitung von Best- Practice- Erfahrungen. Den Verwaltungen der Bundesstaaten, der Regionen und Kommunen obliegen die Verankerung des Radverkehrs in Gesetzen sowie die Planung von Infrastruktur, Dienstleistungen und Verkehrsmanagement sowie die Förderung des Radverkehrs durch Ausbildung und Kampagnen. Bild 1: Planungsebenen für den Radverkehr in Australien Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 67 Radverkehr Mobilität Einen Überblick zur Vorgehensweise in Australien zeigt Bild 1. Seit 1999 besteht das „Australian Bicycle Council (ABC)“, das auf Bundesebene alle Aktivitäten koordiniert. Ihm gehören Vertreter der zentralen, der bundesstaatlichen und kommunalen Verwaltungen, der Fahrradindustrie und der Fahrradverbände an. In den USA wurden bei der Federal Highway Administration (FHWA) und in den Verkehrsministerien der Bundesstaaten „Fahrradbeauftragte“ ernannt. Daneben spielen Non-Proit-Organisationen eine wichtige Rolle. Eine von ihnen ist die 1996 gegründete „Alliance for Biking&Walking“. In diesem Netzwerk mit über 200 Gruppen informiert man sich über lokale Initiativen, tauscht Best-Practice-Beispiele aus und drängt auf die Lösung konkreter Probleme vor Ort [6]. Bereits 1880 - also vor 135 Jahren - wurde „The League of American Bicyclists“ gegründet, die ebenfalls die Förderung des Radverkehrs zum Ziel hat [7]. Sowohl in den USA als auch in Australien fehlt bislang eine verlässliche Datenbasis zum Radverkehr. Das zu ändern ist ein Schwerpunkt bei der Strategieumsetzung: „What isn’t counted, doesn’t count.“ [2]. Complete Streets und low-Cost-interventions Der grundsätzliche (neue) Planungsansatz in den USA besteht darin, Straßeninfrastruktur im Sinne von „Complete streets“ zu gestalten oder umzugestalten. Straßen „mit allem was dazu gehört“ sollen die sichere und gleichberechtigte Nutzung durch Fußgänger, Radfahrer, öfentlichen und motorisierten Individualverkehr ermöglichen. Die in der Vergangenheit vergleichsweise geringe Entwicklung von Radverkehrssystemen in Australien und den USA bietet heute die Chance, zeitgemäße Lösungen vor Ort zu schafen (Bild 2). In beiden Ländern wurden hierfür Handbücher und Richtlinien erarbeitet. Sie betrefen vor allem die Gestaltung der Infrastruktur und die Verkehrsorganisation. Obwohl die Bundes- und Bundesstaatenregierungen den Radverkehr inanziell fördern, müssen die Kommunen selbst einen großen Beitrag leisten. „Low Cost Interventions“ spielen deshalb eine wichtige Rolle [8]. Das betrift z. B. die Einrichtung von Radfahrstreifen, das Anlegen von durchgängigen Radwegverbindungen in kleineren Netzen und die Schafung von Anlagen zum Fahrradparken. Die leute begeistern Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Maßnahmen auf der Angebotsseite nur eine Seite der Medaille sind, um die Radverkehrsstrategien erfolgreich umzusetzen. Dazu gehört auch, Kindern das Radfahren zu lehren und mit wirksamen Kampagnen alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen. In Australien werden vielfältige Initiativen ergrifen, so z. B. „Ride2School“ (Kinder), „Gear Up Girl“ (Frauen) und „Bikes for the Bush“ (Native) [9]. Ähnliche Kampagnen gibt es in den USA: „Share the road“ für den gegenseitigen Respekt aller Verkehrsteilnehmer, die jährlichen Events „Bike to Work Day“ oder „Walk and Bike to School Day“. Zudem organisieren die meisten Großstädte permanente Fahrradkurse für Erwachsene. Mehr Frauen für Radfahren zu begeistern, ist das Ziel weiterer Aktionen (Bild 3). Eine Zwischenbilanz Australien und die USA verfolgen kontinuierlich die Umsetzung ihrer Radverkehrsstrategien. Die spürbare Erhöhung des Anteils dieser Verkehrsart am Modal Split soll ein Beitrag leisten für lebenswerte Städte, gesündere Menschen und Umwelt sowie geringeren Ressourcenverbrauch. In Monitoringberichten werden Fortschritte deutlich [2, 8]. Diese sind jedoch sehr verschieden zwischen den einzelnen Regionen und Städten. Bei den ausgewiesenen hohen Steigerungsraten ist das niedrige Ausgangsniveau zu berücksichtigen. Vermutlich steht die längste Wegstrecke noch bevor. Es ist eine größere Dimension. ■ QUELLEN [1] The Australian National Cycling Strategy 2011-2016, September 2010, © Austroads Ltd 2010 [2] Bicycling and Walking in US., 2012 Benchmarking Report, Alliance for Biking & Walking [3] DOT Strategic Plan 2010-2015, 2010 [4] United States Department of Transportation - Policy Statement on Bicycle and Pedestrian Accommodation - Regulations and Recommendations, http: / / www.dot.gov/ afairs/ 2010/ bicycle-ped.html [5] Pedestrian and Bicyclist Safety and Mobility in Europe, Federal Highway Administration FHWA, 2010 [6] www.bikewalkalliance.org [7] www.bikeleague.org [8] Low Cost Interventions to Encourage Cycling: Selected Case Studies, Austroads Ltd. Technical Report AP-T281-14, 2014 [9] National Cycling Strategy 2011-16, Implementation Report 2013, Austroads Ltd. 2014 Bild 3: Zielgruppenkampagne Radverkehr für-Frauen Stefan Grahl, Dr.-Ing. Grahl Ingenieurbüro für Systeme des Schienen- und Straßenverkehrs, Dresden stefangrahl@t-online.de Bild 2: Bikesharing in Washington D.C. Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 68 Integration von Nahverkehr-und Kunst Das Public Art Program der Stadtbahn Portland im-US-Staat-Oregon Nahverkehr, Stadtentwicklung, Regionalentwicklung, Kunst im öfentlichen Raum Die „MAX Light Rail“ von Portland, Oregon, im Nordwesten der USA ist nicht nur in verkehrssystematischer Hinsicht und aufgrund der Handhabung als Rückgrat der Stadt- und Regionalentwicklung sowie der innovativen Finanzierung ein Musterbeispiel für das Potential des Systems Stadtbahn. Ungewöhnlich ist auch die enge Verbindung mit hochkarätiger öfentlicher Kunst, die in exemplarischer Ausprägung an den Wahrnehmungsmaßstäben der Stadtgestaltung ausgerichtet ist. Der Autor: Andreas Kossak D ie „MAX Light Rail“ (Metropolitan Area Express) der Metropolregion Portland im US-Bundesstaat Oregon im Nordwesten der Vereinigten Staaten gilt weltweit als „Paradebeispiel“ für das System Stadtbahn. Sie ist das Rückgrat einer ausgeprägt nahverkehrsorientierten Stadt- und Regionalentwicklung der dynamisch wachsenden Metropolregion mit derzeit rd. 2,2 Mio. Einwohnern [1]. Die Planungen dafür begannen im Jahr 1979, nachdem per Bürgerentscheid das Projekt eines Interstate-Highways durch die Stadt zugunsten der Stärkung des ÖPNV verhindert und die Beschränkung auf ein Schnellbus-System verworfen worden war. Der erste Bauabschnitt wurde im Jahr 1986 in Betrieb genommen. Das Streckennetz wird seither schrittweise ausgebaut [2, 3]. Das ÖPNV-System der Region Portland ist heute unter Gesichtspunkten der Attraktivität und Kundenfreundlichkeit als führend in den USA eingestuft („Nr.1“) [4]. Ausschlaggebend dafür ist das Stadtbahnsystem. Eine wesentliche Komponente der Attraktivität ist die Umsetzung des „Public Art Program“ der Betreibergesellschaft des gesamten ÖPNV in der Region, der TriMet (Tri-County Metropolitan Transportation District of Oregon). Das Programm, beziehungsweise die dahinter stehende Politik, hat ausschlaggebend dazu beigetragen, dass sich das Stadtbahnsystem zu einem maß- MOBILITÄT Verkehrsraumgestaltung Pioneer Square im Zentrum der Portland Transit Mall Foto: Kossak Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 69 Verkehrsraumgestaltung MOBILITÄT geblichen gestaltprägenden sowie identitäts- und identiikationsstiftenden Faktor für Stadt und Region entwickelt hat [5]. Eine bedeutsame Voraussetzung dafür war nicht zuletzt auch die frühzeitige Entscheidung, beim Bau der Stadtbahn generell auf Tunnelstrecken zu verzichten. Einzige Ausnahme ist ein knapp 5 km langer Abschnitt westlich der Innenstadt von Portland, der ausschließlich topographisch bedingt ist. Aufgrund dessen ist die Stadtbahn für sich eine integrale primäre Komponente des Stadtbildes. Gleichzeitig haben aber auch die Fahrgäste während der Fahrt jederzeit ein unmittelbares Stadt- und Umfelderlebnis. Neben der Kostenfrage war ein weiterer Hauptgrund für die Entscheidung in diesem Zusammenhang die Gewährleistung eines barrierefreien Zugangs zur Stadtbahn, gerade auch an den am stärksten frequentierten Haltestellen im Innenstadtbereich. Das MAX Public Art Program Das MAX Public Art Program basiert auf der von der TriMet im Jahr 1997 eingeführten „percent for art policy“. Danach werden 1,5 % der Realisierungskosten jedes Bauabschnitts für die Integration von Kunst und ÖPNV bereitgestellt [5]. Ähnliches wird seither auch von knapp 20 anderen Nahverkehrsunternehmen in den USA praktiziert; das geschieht mit ausdrücklicher Ermunterung der Bundes-Nahverkehrsverwaltung (Federal Transit Administration), die in der Regel beträchtliche Anteile der Infrastrukturkosten übernimmt. Das Programm der TriMet gilt als das ambitionierteste USweit. Die Aktivitäten im Rahmen des Programms konzentrieren sich in erster Linie auf die Stationen der MAX-Stadtbahn und deren Umfeld. Dabei geht es nicht etwa lediglich um qualiiziertes industrielles Standard-Design von funktionalen Stationselementen, wie das in Deutschland nach wie vor vielfach praktiziert wird, sondern um deren künstlerische Gestaltung sowie die Ergänzung um hochkarätige Kunstinstallationen. Zielsetzung ist ausdrücklich eine individuelle Identität jeder einzelnen Station durch konkrete Bezugnahme auf die Geschichte, die Speziika, die Kultur und/ oder die Landschaft des jeweiligen Ortes und ggf. auch des Streckenabschnitts. Das geschieht mit einer außerordentlichen Vielfalt von Stilmitteln. Dazu gehören Skulpturen, Artefakte, Bilder, Zitate, Erläuterungen, Lichtrelexe, wechselnde Illuminationen, Geräusche, Nutzung der Elemente (Wind, Wasser), Möglichkeiten der Interaktion (Bewegungen oder Veränderungen verursachen und beeinlussen), Einbeziehung von Landschaft oder historischen Baulichkeiten und mehr. Spezielle großformatige Kunstobjekte werden vielfach dergestalt ausgelegt, dass sie weithin sichtbar sind und damit gleichzeitig als Wahrzeichen des Ortes und Orientierungspunkte aus größerer Entfernung wirken. Mit diesem Ansatz wird exemplarisch praktisch allen klassischen Kriterien und Wahrnehmungsmaßstäben der Stadtgestaltung Rechnung getragen [6]: • Orientierung • Stimulans • Abwechslung • Äußere Erscheinung • Soziale Brauchbarkeit • Identität • Identiikation • Geschichtsbezug Bei der Ausgestaltung werden in aller Regel zahlreiche hochrangige Künstler sowie Stadt- und Landschaftsgestalter eingebunden. Die Planungen, Entwürfe und Ausführungen werden von Komitees begleitet, in denen Bürger aus dem Umfeld des jeweiligen Streckenabschnitts vertreten sind. Ausgewählte Gestaltungsbeispiele Folgende Beispiele belegen die außergewöhnliche Verbindung von Nahverkehrssystem und Kunst in Stadt und Region Portland; die Beschreibung ist an die Formulierungen in der Dokumentation der TriMet angelehnt [3, 5]. MAX Blue Line - Eastside Als dieser erste Abschnitts des Stadtbahnsystems 1986 eröfnet wurde, gab es das Public Art Program noch nicht. Im Zuge größerer Baumaßnahmen an der Strecke wurden einzelne Stationen nachträglich künstlerisch umgestaltet. So symbolisiert an der Rockwood/ E 188th Ave Station eine großformatige Installation - inanziert wurde sie in erster Linie durch das Verkehrsministerium des Staates Oregon und die örtliche Entwicklungs-Kommission - als lebendiges, buntes Tor den Eingang zur multikulturellen Gemeinde Rockwood (Bild 1): Lange schmale Stahlstrahlen sind weithin sichtbares Wahrzeichen und ein Signal des Bürgerstolzes dieser Gemeinde. Die Gestaltung war inspiriert von der Stimmung und von den kräftigen Farben, die auf den historischen Festen der vornehmlich hispanischstämmigen Bevölkerung in der Nachbarschaft vorherrschen. Die lichtdurchlässigen Spitzen der Strahlen leuchten in der Dunkelheit auf, wenn ein Zug in die Station einfährt oder sie verlässt. MAX Blue Line - Westside Der westliche Abschnitt der „Blauen Linie“ war der zweite Bauabschnitt des Stadtbahnsystems und der erste, bei dem das Public Art Program angewendet wurde. Mit knapp 30 km ist er der längste bis heute eröfnete Abschnitt. Die Betriebsaufnahme erfolgte im Jahr 1998. Mit nahezu einer Milliarde Dollar Baukosten war das Projekt das bis zu diesem Zeitpunkt aufwendigste öfentliche Bauvorhaben in der Geschichte des Staates Oregon. Die hohen Kosten sind vor allem auf die Tunnelstrecke in geologisch schwierigen Bedingungen zurückzuführen. An der Gestaltung der 20 Stationen waren mehr als 20 Künstler mit über 100 permanenten Kunstobjekten beteiligt. An der 80 m unter der Oberläche liegenden Station Washington Park etwa (Bild 2) hat sich das Künstler-Team mit der Geologie Bild 1: Die Strahlenskulptur an der Rockwood / E 188th Ave Station Foto: Author7/ Wikipedia Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 70 MOBILITÄT Verkehrsraumgestaltung und der Tunnelbohrung dieser tiefsten Nahverkehrsstation in Nordamerika beschäftigt: Am Eingang zum Bahnsteig vermittelt ein in Basalt eingelassener Kreis die Dimension des Tunnelquerschnitts. Eine Zeittafel zu den während des Tunnelbaus gezogenen Bohrproben veranschaulicht und erklärt 16 Mio. Jahre Erdgeschichte, runde Hocker aus Steinplatten symbolisieren diese Bohrproben. Schaukästen an den Ein- und Ausgängen visualisieren Stationen der Entwicklung von Mensch und Natur in den geologisch dokumentierten Perioden. Einige Bilder auf den Fahrstuhltüren wirken animiert, wenn sich die Türen öfnen. Airport MAX Red Line Der Streckenabschnitt vom Umsteigeknoten Gateway Transit Center im Osten der Stadt zum Portland International Airport wurde im Jahr 2001 in Betrieb genommen. Die Skulptur „Federn“ am Gateway Transit Center (Bild 3) ist von der Interstate 205, dem dazu parallelen Fahrradweg und dem Stadtbahngleis schon aus großer Entfernung zu sehen. Die Skulpturengruppe besteht aus drei rund 5 m langen farbigen Aluminium-Elementen, die sich an der Spitze gut 6 m hoher Stützen mit dem Wind drehen. Sie sind Positionszeichen für das Nahverkehrszentrum und kennzeichnen den Beginn der Bahnstrecke zum Flughafen- mit einer farbenfrohen Illusion des Fliegens. Interstate MAX Yellow Line Die Strecke verläuft vom Stadtzentrum bis zum „Expo Center“ am Columbia River im Norden Portlands; sie wurde im Jahr 2004 in Betrieb genommen. Während an der Rosa Park Station indianische Künstler mit traditionellen Symbolen die enge Abhängigkeit des Menschen von der Natur versinnbildlichen, steht an der Interstate Rose Quarter Station eine Metapher für Verlagerung und Wandel im Fokus (Bild 4): Beleuchtete Metall-Bäume beziehen ihre Elektrizität von Solarzellen, ein virtuelles Lagerfeuer aus Lichtefekten lackert bei Dunkelheit, umgeben von Hockern aus rostfreiem Stahl in Form von Baumstümpfen. Die farbigen Verglasungen der Fahrgastunterstände simulieren das wechselnde Licht in Wäldern und Baumringe aus Beton symbolisieren den Wald, der an dieser Stelle einmal stand. MAX Green Line - Renovierung der Portland Transit Mall Der „grüne“ Streckenabschnitt wurde im Jahr 2009 eröfnet. Bestandteil der Arbeiten war die Renovierung und Revitalisierung der Portland Transit Mall, die im Jahr 1978 als erste ihrer Art in den USA eröfnet worden war und bis heute US-weit als exemplarisch und als Prototyp für die Innenstadterneuerung einer Metropole mit dem ÖPNV als Katalysator gilt. Die Mall erstreckt sich vom Hauptbahnhof (Union Station) im Nor- Bild 3: Zwei der Feder-Skulpturen am Gateway Transit Center Foto: brx0/ flickr Bild 4: Solar beleuchtete Metall-Bäume an der Station Interstate Rose Quarter Foto: TriMet Bild 2: Zeittafel und Hocker in der unterirdischen Washington Park Station. Foto: TriMet Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 71 Verkehrsraumgestaltung MOBILITÄT den über rund 29 Häuserblocks bis zur Portland State University im Süden und ist das verkehrliche Rückgrat der Innenstadt. Mit einem Häuser-Block Zwischenraum ist sie in zwei Richtungsfahrbahnen für die MAX- Stadtbahn, zum Teil die sekundäre Stadtbahn „Portland Streetcar“, Busse und eingeschränkt den motorisierten Individualverkehr gegliedert. Auf jeder Achse sind beidseitig großzügige Fuß- und Radwege angelegt (Bild 5). Im Zentrum trefen sich alle Stadtbahnlinien im Bereich eines einzigen Häuserblocks um das Gerichtsgebäude „Pioneer Courthouse“. Der „Pioneer Square“ vor dem Gerichtsgebäude war ursprünglich durch ein achtstöckiges Park-Hochhaus belegt. Nach dessen Abriss im Zusammenhang mit der Umorientierung der Verkehrspolitik auf den ÖPNV und einer attraktiven Gestaltung der frei gewordenen Fläche entstand dort das „Wohnzimmer“ der Stadt (Bild S. 68). Die Gestaltung der Portland Transit Mall hat einen neuen Standard für städtisches Design gesetzt. Sie wurde mit den höchsten Architekturpreisen ausgezeichnet; unter anderem war sie der erste städtische Raum in den USA, dem vom American Institute of Architects der Nationale Ehrenpreis verliehen wurde. Öfentliche Kunst war eine Schlüssel-Komponente bei der Revitalisierung der Mall. In diesem Zusammenhang wurden rd. 750 000 USD eingesetzt. Die bereits vorhandenen Kunstwerke wurden restauriert und zu einem Großteil an Standorte verlagert, an denen sie besser als vorher wahrgenommen werden können. Für ihre „Caims“ im Bereich der Union Station (Bild 6) hat sich die Künstlerin Christine Bourdette von den menschengeschafenen Steinzeichen inspirieren lassen, die traditionell in der Region als Orientierungshilfen für Navigation und Wegeführung sowie als Merkzeichen für historisch bedeutsame Ort und Ereignisse verwendet wurden. Fünf Schieferplatten-Stapel markieren den Weg zwischen dem Hauptbahnhof und den nächstgelegenen Stadtbahn- Stationen. Am Nord-Ende der SE Fuller Rd Station steht eine rund acht Meter hohe kinetische Skulptur, deren rot-gelbe Schwingen sich mit einer Kurbel in Bewegung setzen lassen (Bild 7). Fazit Die MAX Light Rail von Portland ist nicht nur in verkehrssystematischer Hinsicht und als Rückgrat der Stadt- und Regionalentwicklung ein Musterbeispiel für das Potential des Systems Stadtbahn. Dasselbe trift auch und im Besonderen für die enge Verbindung mit hochkarätiger öfentlicher Kunst zu, die in hervorragender Ausprägung an den Wahrnehmungsmaßstäben der Stadtgestaltung ausgerichtet ist. Dadurch ist die Bahn zu einem primär Stadtbild und Image prägenden Element von Stadt und Region geworden; gleichzeitig wird damit die Attraktivität und Akzeptanz des ÖPNV beträchtlich gefördert. ■ LITERATUR [1] Kossak, Andreas: Stadtbahn Portland, Oregon; in ETR 9/ 2015 [2] www.trimet.org/ [3] http: / / trimet.org/ bettertransit/ index.htm [4] TRIMET: TRIMET AT-A-GLANCE; Profilbroschüre, Portland 2015 [5] http: / / trimet.org/ publicart/ index.htm [6] Kossak, Andreas: Bewertung von Straßenplanungen nach Gesichtspunkten der Stadtgestaltung; Dissertation 1983 Andreas Kossak, Dr.-Ing. Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com Bild 5: Portland Transit Mall Foto: Kossak Bild 6: Die „Caims“ an der Union Station Foto: TriMet Bild 7: Kinetische Schwingen-Skulptur an der SE Fuller Rd Station Foto: TriMet Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 72 Reisen im fortgeschrittenen Alter Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu einem personalisierten Assistenzsystem und speziischen Services für Senioren Senioren, Mobilitätsbiographie, Wegeketten, ÖPNV, Medienkompetenz Empirische Untersuchungen verschiedener Verkehrsanbieter haben gezeigt, dass Senioren große Verkehrsinfrastrukturen und intermodale Schnittstellen mitunter als zu komplex, oft undurchschaubar und als schwer zu überwindende Barrieren empinden. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützten Projekt „Personalisiertes Assistenzsystem und Services für Mobilität im hohen Alter“ sollten für ältere Reisende Informationsangebote und Dienste entlang der ÖPNV-Mobilitätskette von Zuhause bis zum Gate am Flughafen entwickelt werden. Die Autoren: Gisela Gräin von Schliefen, Hans Wegel D er Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) hat den demograischen Wandel und das Mobilitäts- und Reiseverhalten der verschiedenen Personengruppen im Blick. Seniorinnen und Senioren sind heute aktiver als früher. Sie engagieren sich weiterhin in ihrem Umfeld und wollen unterwegs sein, was ihre Mobilitätsbedürfnisse beeinlusst. Der RMV beteiligte sich daher am vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützten Projekt „Personalisiertes Assistenzsystem und Services für Mobilität im hohen Alter“ (PASS). An diesem Forschungsvorhaben waren neben dem RMV die Fraport AG, die Deutsche Reisebüro GmbH (DER) als Vertriebspartner, die Flughafen Hannover Langenhagen GmbH als Flughafenpartner, die Infsoft GmbH und die Symbios Funding & Consulting als IT- Partner beteiligt. Projektschwerpunkte waren für den RMV die Untersuchung der Reisekette mit Bus und Bahn von Zuhause zum Frankfurter Flughafen und die Entwicklung von Services, die die Mobilität älterer Menschen im Öfentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Gatetaxi - Foto: Deutsche Lufthansa AG MOBILITÄT Demografie Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 73 Demograie MOBILITÄT unterstützen. Entscheidend war dabei die Unterscheidung zwischen erfahrungsabhängigen und altersabhängigen Faktoren. So beeinlussen Mobilitätsbiograie, Mediennutzung und -kompetenz sowie körperliche Verfassung und Gesundheitszustand in unterschiedlicher Weise die Reisevorbereitung. Ziel des Projektes war eine Lösung aus einer Hand: Die Abdeckung der gesamten Mobilitätskette vom Haus bis zum Flughafengate auf einem elektronischen Reisebegleiter - online mit aktuellen Daten - und die Entwicklung entsprechender Zusatzinformationen und Services. Ausgangslage Im Rahmen von PASS sollten gesellschaftswissenschaftliche und technologische Forschungen genutzt werden, um auf körperliche und kognitive Veränderungen reagieren und eine selbstständige Mobilität älterer Menschen so weit wie möglich erhalten zu können. Das Ziel war die Entwicklung einer Lösung, die die räumliche Orientierung über die gesamte Strecke und in Gebäuden sowie den Gepäcktransport der Senioren verbessern sollte. Dazu wurden die Anforderungen der Senioren an die Verkehrsträger und Informationssysteme untersucht und Bewertungen zu Erreichbarkeit, Aufenthaltsqualität oder Hindernisse abgefragt. Die Ergebnisse der Marktforschung sollten Grundlage für die automatische Erstellung von persönlichen Wegproilen in einer Smartphone-Anwendung (App) oder einem mobilen Endgerät sein. Zum Projektstart lag noch keine verkehrsträgerübergreifende Analyse der Hürden vor, die Senioren auf einer Verbindung zwischen Zuhause und Flughafen-Gate zu meistern haben. Es gab auch keine technische Lösung aus einer Hand, die die gesamte Mobilitätskette vom Zuhause bis zum Gate abdeckte. Thesen und Marktforschung Die RMV-Entwicklungsarbeit orientierte sich an drei Forschungsthesen, die im Rahmen des Projektes bestätigt oder gegebenenfalls widerlegt werden sollten: 1. Menschen durchleben diferenzierte Mobilitätsbiograien und haben daher unabhängig vom Lebensalter individuelle Erfahrungspotenziale mit Verkehrssystemen. 2. Menschen im dritten Lebensabschnitt haben diferenzierte Medienkompetenzen und Nutzungsgewohnheiten. 3. Senioren haben auf Reisen einen diferenzierten Unterstützungs- und Assistenzbedarf. Zur Analyse der ÖPNV-Reisen im hohen Alter wurden im September 2012 zwei je zweistündige Gruppendiskussionen (mit insgesamt 40 Teilnehmern) und ein einstündiges begleitetes Reisen mit vier Senioren in Frankfurt organisiert. Dass diese Panelgröße hinreichend ist, hatten frühere Untersuchungen des RMV bestätigt. Die Analysen führte das Skopos-Institut für Markt- und Kommunikationsforschung durch. Die Forscher diskutierten mit einer Gruppe nicht mobilitätseingeschränkter Senioren sowie mit einer Gruppe mit Seh-, Geh- und Hörschwächen, die aber noch ohne Rollatoren oder Rollstühle mit dem ÖPNV reisen können. Die Organisation der Fahrt von Zuhause zum Flughafen erwies sich als nicht typische Reisevorbereitung. Einige Wochen vor dem Ablug wird die häusliche Infrastruktur auf die Reise vorbereitet: Zeitungen werden abbestellt, Haustier-, Garten- und Zimmerplanzenplege organisiert. Erst ein bis zwei Tage vor dem Flug planen unerfahrene ÖP- NV-Nutzer die Fahrt zum Flughafen. Wenn es Schwierigkeiten gibt, gehen die Senioren pragmatisch vor: Sie bitten in der Familie um Hilfe und lassen sich beispielsweise von der Enkelin die Information aus dem Internet besorgen. Viele Senioren bringen ihr Gepäck schon am Vorabend mit dem Auto zum Flughafen und fahren am Reisetag dann unbeschwert mit dem ÖPNV. Denn das Ein- und Aussteigen in Bus und Bahn ist mit Gepäck umständlicher. In vollen Fahrzeugen indet man schwer Sitzplätze und kaum einen Platz fürs Gepäck. Gepäckablagen werden auch außerhalb der Rushhour teils als schwer erreichbar empfunden. Aber es zeigten sich auch „gepäckunabhängige“ ÖPNV-Probleme für ältere Menschen. Schwierigkeiten bereiten unattraktive Verbindungen in den frühen und nächtlichen Randzeiten, volle Fahrzeuge und der Ticketkauf während der Stoßzeiten, teilweise unebene Einstiege in Busse und Bahnen sowie als zu kurz empfundene Haltezeiten. Darüber hinaus wünschen sich Senioren unterwegs mehr aktuelle Informationen über Verspätungen und Anschlüsse. Im Frankfurter Hauptbahnhof kommen Orientierungsschwierigkeiten dazu (Wo sind Aufzüge? ); am Flughafen stören eher die langen Fußwege. In schwierigen Situationen unterwegs rufen Ältere ein Familienmitglied an. Ein weiterer Joker ist der Wechsel vom ÖPNV ins Taxi. Als größte wünschenswerte Hilfestellung wurden ein Gepäckservice, der das Gepäck Zuhause abholt, und Personal, das beim Umsteigen oder am Flughafen mit dem Gepäck hilft, genannt. Praktische Marktforschung durch Reisebeobachtung Eine Gruppe ÖPNV-erfahrener Senioren (66 und 70 Jahre alt) reiste von Eschborn über den Frankfurter Hauptbahnhof zum Flughafen. Die andere (zwei ÖPNV-ungeübte 57 und 82 Jahre alte Nutzer) reiste von Oberursel Weißkirchen/ Steinbach ebenfalls über den Hauptbahnhof zum Flughafen. Beide Gruppen hatten je zwei gepackte Koffer dabei. Die Reisebeobachtungen bestätigten die Schilderungen aus der Diskussion. Lediglich der Fahrkartenkauf war kein Problem. Größte Schwierigkeiten machte es, die Koffer auf Bahnsteigen ohne Rolltreppen und Fahrstühle zu transportieren; die Reisenden fahren dann lieber mit dem Bus als mit S- oder U-Bahn, auch wenn das länger dauert. Anschließend bewerteten die Gruppen verschiedene Serviceangebote: ein gedrucktes Informationspaket sowie die dynamische Informationsversorgung über ein mobiles Gerät oder eine App fürs Smartphone. Für lugerfahrene und jüngere Senioren war das ausgedruckte Angebot eher überlüssig; andere wiederum beurteilten einen persönlichen Fahrplan, eine Telefonliste und Gutscheine für den Gepäcktransport als hilfreich. Smartphonebesitzer und eher technikaine Personen begrüßten es, die Informationen elektronisch über ein mobiles Endgerät zu bekommen. Einige würden sich sogar wegen der vorgestellten Möglichkeiten mit der Technik auseinandersetzen. Das Gerät oder die App würde die Reisenden von Zuhause zum Flughafen navigieren, enthielte alle Tickets, könnte über Verspätungen informieren und über einen Notruf-Button und eine Hotline könnte Hilfe angefordert werden. Das erste Serviceangebot, das gedruckte Informationspaket, wurde für die technikafinen Teilnehmer schlagartig uninteressant, als das zweite, elektronische, vorgestellt worden war. Preislich attraktiv wurde das Servicepaket nur bewertet, solange die Gesamtkosten von ÖPNV und Service-Angebot günstiger als das Taxi waren. Ergebnisse aus der Marktforschung Zu den drei Forschungsthesen bestätigte sich, dass man zwischen altersabhängigen und von Erfahrungen abhängigen Faktoren unterscheiden muss: 1. Die jeweiligen Mobilitätsbiograien beeinlussen die Reisevorbereitung mehr als das Alter. Routinierte Reisende bereiten sich nur kurz vor. Ungeübte Nutzer informieren sich im Vorfeld über die Verbindungen und Umsteigemöglichkeiten. Wer mit dem RMV zum Flughafen Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 74 MOBILITÄT Demografie fährt, ist mit dem ÖPNV sehr zufrieden. Auf der anderen Seite sehen die Marktforscher in den Problemen mit dem Gepäck in Bus und Bahn einen der stärksten Push-Faktoren, der weg vom ÖPNV führt, auch wenn die Reisenden ÖPNVerfahren sind. 2. Die Medienkompetenz erwies sich als altersabhängig, kann aber durch die Familie und die Erfahrungen im Erwerbsleben beeinlusst sein. Jüngere Senioren kommen mit (mobilen) Medien besser zurecht als ältere. Aber noch meiden die meisten Senioren das Thema mobiles Internet. 3. Beim Assistenzbedarf zeigte sich wieder die Erfahrung als ausschlaggebend. Wer den ÖPNV wenig nutzt, hat mehr Assistenzbedarf. Mit fortschreitendem Alter treten darüber hinaus bei Schwierigkeiten während der Reise zunehmend Ängste auf, die sich negativ auf die Flexibilität der Menschen auswirken. Ein großer Teil der älteren Reisenden bevorzugt Informationen über konventionelle Medien. Daher glichen RMV, Fraport, DER und Lufthansa ihre Informationen für Reisende ab und stellten gemeinsam eine Broschüre zusammen („Einsteigen und abheben. Einfach zum Flughafen Frankfurt - und ab in die Welt“, siehe Bild 1), die im Format DIN A5 erhältlich ist [1]. Das gedruckte Informationspaket wurde sofort von vielen reisenden Senioren genutzt. Im Rahmen des Projekts konnten die Akteure auch innerhalb ihrer Organisationen Verbesserungen anstoßen, beispielsweise ihre internen Informationen zu ihren Angeboten abgleichen und die Schnittstellen anpassen. Die Analyse zeigte, dass die Informationen bei Reisebüros, RMV, Fraport und Lufthansa schon vorhanden sind, aber auf die Zielgruppe zugeschnitten werden müssen - und das umfassend. Denn Informationslücken an Übergangsstellen der Verkehrsträger tragen mit dazu bei, dass auf eine Anreise mit dem ÖPNV komplett verzichtet wird. App-Entwicklung „ReiSENplus“ Auf Basis der Marktforschungsergebnisse wurde von den Projektpartnern Fraport AG, Infsoft GmbH und Symbios Funding & Consulting ein App-Prototyp als Test- und Feldversuchsapplikation für androidbasierte Smartphones entwickelt (Bild 2). Die App generierte anhand eines Buchungscodes eine für den Nutzer individuelle Reisekette mit Routing-Informationen von Zuhause zum Flughafen. Sie informierte über S-Bahn-Störungen oder Flugverspätungen. Per Knopfdruck konnten ein Taxi zum Ablug-Gate bestellt sowie Porter oder Begleitservices gebucht werden. Auch Direktverbindungen mit dem RMV-Servicetelefon oder dem Fraport Communication Center wurden möglich. Die Ortsinformationen bezog die App über GPS und im Flughafen über die stationären WLAN. Der RMV hat Praxistests mit dem Softwareangebot auf dem Flughafen begleitet. In mehreren Feldversuchen, in denen Seniorinnen und Senioren die Reisekette durchspielten, konnte die grundsätzliche technische Machbarkeit des Informationsangebotes nachgewiesen werden. Informationspaket „Einsteigen und abheben“ Die entwickelte Broschüre weist unter anderem auf RMV-Direktverbindungen zum Flughafen hin und nennt Services am Flughafen wie Apotheken oder den Vorabend Check-in. Darunter sind auch etablierte Services, die aber nicht jeder kennt, wie zum Beispiel der „Family Check-in“ mit beschleunigter Abfertigung. Des Weiteren gibt es Checklisten und Telefonnummern von RMV, Fraport, DER und Lufthansa sowie Übersichtspläne der Terminals. Die Texte haben mit Blick auf die Zielgruppe einen etwas größeren Schriftgrad und Zeilenabstand, was aber erst im direkten Vergleich mit anderen konventionellen Broschüren aufällt. Gerade der sprachlich und optisch behutsame Umgang mit Hilfsmitteln Einsteigen und abheben Einfach zum Flughafen Frankfurt - und ab in die Welt In Kooperation mit Mit Reise- Checkliste auf Seite 24/ 25 Bild 1: Titel der neuen Senioren-Broschüre Foto: Deutsche Lufthansa Bild 2: Screenshot der PASS Services-App Foto: Infsoft GmbH RMV Evaluierung der PASS-Informationsbroschüre GESAMTBEWERTUNG UND DETAILERGEBNISSE Insgesamt erhält die Broschüre eine gute Bewertung. hlendes Inhaltsverzeichnis, überflüssige Bilder, und dass die Broschüre zielgruppenunspezifisch ist. • Höchste Zufriedenheitswerte in der Detailbewertung er chriftgröße. • Nicht/ weniger gute Bewertungen gibt es keine. Fragen: abheben“ in Ruhe durch. ben“? • Wie beurteilen Sie die folgenden Merkmale der Broschüre? Gesamtbewertung Titel "Einsteigen und abheben" Schriftgröße Titelbild Nutzwert der Informationen Gestaltung/ Design Informationsumfang Übersichtlichkeit sehr gut gut teils/ teils nicht gut weniger gut Bild 3: Evaluierung der PASS-Broschüre. Quelle: RMV Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 75 Demograie Mobilität ist für Projekte mit Senioren sehr entscheidend für die Akzeptanz: Was wird noch als hilfreich gesehen und was wirkt schon bevormundend? Klassiker ist das Mobiltelefon mit großen Tasten, das bewusst nicht „Seniorenhandy“ genannt wird, damit die Zielgruppe - die nur größere Tasten will - sich auch weiterhin ernst genommen fühlt. Befragungen zur Broschüre unter Frauen und Männern zwischen 62 und 80 Jahren ergaben insgesamt eine gute Bewertung (Bild 3). Höchste Zufriedenheitswerte erreichten die Schriftgröße und die Reise-Checkliste, gefolgt von der alphabetischen Sortierung und wichtigen Telefonnummern der Projektpartner. Das größte kurzfristige Potenzial sehen die Markt- und Kommunikationsforscher in einem Gepäck-Abholservice von Zuhause. Weitere Möglichkeiten zur Informationsverbesserung sind die sichtbarere Platzierung der Flughafenanreise auf der RMV-Website, ein SMS-Service, der über Verspätungen informiert, Hinweise auf die Aufzüge im Frankfurter Hauptbahnhof sowie ein Plan für den Fußweg vom Regionalbahnhof zum Flughafengate als Download (Bild 4). Resumée zur Projektarbeit Im Laufe des Projekts wurde deutlich, dass ein statischer Projektplan für anwendungsorientierte Forschungsvorhaben unter Umständen die Möglichkeiten an Erkenntnisgewinn einschränkt. So sollte durchaus die Möglichkeit gegeben sein, den Projektfortschritt und auch das Projektziel anhand der ermittelten Marktforschungsergebnisse anzupassen. Die Projektpartner könnten in kommenden Schritten weitere Servicekonzepte erarbeiten, diese einer erneuten qualitativen Marktforschung unterziehen und im Feldversuch testen. ■ QUELLEN [1] RMV, Frankfurt Airport, Lufthansa, DER Reisebüro: Einsteigen und abheben. Einfach zum Flughafen Frankfurt - und ab in die Welt. Broschüre, Stand: Februar 2015; http: / / www.rmv.de/ linkableblob/ de/ 75820- 86697/ data/ flughafen_frankfurt_pdf.pdf Gisela Gräin von Schliefen Dipl.-Vw., City- und Regionalmanagerin (FH), Mobilitätsmanagement, Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim a. Ts. g_schliefen@rmv.de Hans Wegel Wolf & Wegel Marketing- und Kommunikationsberatung GbR, Darmstadt hans.wegel@w2marketing.de Bild 4: Screenshot der Navigationshilfe. Foto: Infsoft GmbH innotrans.de InnoTrans 2016 20. - 23. SEPTEMBER • BERLIN Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik Innovative Komponenten • Fahrzeuge • Systeme Kontakt Messe Berlin GmbH Messedamm 22 · 14055 Berlin T +49 30 3038 2376 F +49 30 3038 2190 innotrans@messe-berlin.de Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 76 MOBILITÄT Multimodalität Ohne Stau zum Ziel Intelligente Mobilitäts-Apps machen den Autoverkehr lüssiger und den ÖPNV attraktiver. Mobilitätsanalyse, Stauvermeidung, Routenoptimierung Wie fahre ich heute zur Arbeit? Diese Fragestellung könnte für viele Menschen bald so normal sein wie der allmorgendliche Blick auf die Wettervorhersage. Eine universelle Mobilitäts-App auf dem Smartphone gibt die Antwort: Sie trift Vorhersagen für eine optimale, staufreie Fahrtstrecke und nennt zugleich alternative ÖPNV-Angebote oder zeigt Kombinationsmöglichkeiten auf. Die technischen Voraussetzungen, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, sind bereits heute gegeben. Die Autoren: Ute May, Markus Hug D ie Kapazität des Straßennetzes ist beschränkt - nicht nur in den Städten, auch auf vielen Autobahnen und Landstraßen geht zu bestimmten Tageszeiten nichts mehr. Zum wachsenden Verkehrsaukommen tragen außer dem Berufsverkehr auch ein höherer Freizeitverkehr und zunehmende Lieferverkehre infolge des Booms im Online-Handel bei. Das Ergebnis ist immer häuiger Stau und Stillstand, verbunden mit einer erheblichen Umweltbelastung durch CO 2 - und Schadstofemissionen. Aus wirtschaftlichen wie auch aus ökologischen Gründen erscheint daher eine Reduktion des Individualverkehrs geboten. Andererseits ist Autofahren, trotz länger werdender Staus, im Vergleich zum ÖPNV immer noch sehr bequem, sodass selbst in Städten und Regionen mit gut ausgebautem öfentlichem Verkehrsangebot nach wie vor nur eine Minderheit das eigene Auto in der Garage lässt. Ein Umdenken im größeren Stil wird erst einsetzen, wenn ÖPNV-Angebote einen vergleichbaren Komfort bieten wie die Fahrt mit dem eigenen Auto, nämlich wenn man umstandslos und eizient vom Startzum Zielpunkt gelangen kann. Entscheidend hierfür ist eine bessere Vernetzung und Zugänglichkeit der vorhandenen Mobilitätsangebote. Zwei aktuelle Projekte des Freiburger IT-Unternehmens highQ zeigen, wohin die Reise geht: Die Smartphone-App Zeitmeilen, die highQ für die neu gegründete Zeitmeilen AG in Berlin technisch umsetzt, zielt darauf ab, Autofahrten in Abhängigkeit vom aktuellen Verkehrsaukommen zeitlich zu entzerren und so Staus zu vermeiden und die Gesamtkapazität des Straßennetzes zu optimieren. Die Routing- und Ticketing- App mytraQ bietet dem ÖPNV-Nutzer die Möglichkeit, am Smartphone intermodale Fahrtstrecken aus Bahn, Bus, Car- oder Bikesharing zusammenzustellen und - ohne weitere Recherchen zu den Tarifen der beteiligten Anbieter - sofort ein gültiges Ticket für die gesamte Wegekette zu kaufen. Eine Kombination der Funktionalitäten von Zeitmeilen und mytraQ kommt der eingangs geschilderten universellen Mobilitäts-App sehr nahe und ist für das Unternehmen ein nächster Schritt. 1 Zeit sparen, Staus umfahren: Verkehrsoptimierung mit Zeitmeilen Vor allem für Berufspendler ist Zeit ein knappes und kostbares Gut, das man nicht im Verkehrsstau verschwenden sollte - dies ist die Grundidee der Applikation Zeitmeilen (Bild 1). Die Nutzer sollen zu einem lexibleren Mobilitätsverhalten angeregt werden, das ihnen persönlich Zeit spart und das zugleich die Auslastung des Straßennetzes optimiert. Über die neuartige App erhält der Nutzer Voraussagen für eine individuelle, staufreie Fahrt auf der Basis seiner persönlichen Präferenzen. Die individuellen Routenempfehlungen werden auf der Basis Bild 1 (links) und Bild 2: Aus historischen und aktuellen Verkehrsdaten sowie dem „Schwarmverhalten“ der Zeitmeilen-Nutzer werden Routenempfehlungen generiert. Bilder: highQ/ Shutterstock Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 77 Multimodalität Mobilität aktueller öfentlicher Verkehrsdaten sowie der Bewegungsdaten der anderen Zeitmeilen-Teilnehmer im selben Verkehrsgebiet generiert. Dabei werden auch geplante Baumaßnahmen und Umleitungen berücksichtigt, sodass sehr präzise Vorhersagen nicht nur für den aktuellen Zeitpunkt, sondern auch für Folgetage getrofen werden können. Die App ist vor allem für Berufspendler gedacht, die regelmäßig gleiche Wegstrecken zurückzulegen haben. Mit der Vorhersagefunktion lassen sich jedoch auch neue Wegstrecken zeitlich optimieren. Auch Unternehmen können von der Zeitersparnis ihrer Mitarbeiter in Form eines eizienteren Einsatzes ihrer Fahrzeuglotten proitieren. Hinzu kommt der ökologische Effekt: Schadstofe wie CO 2 und Stickoxide werden durch vermiedene Staus reduziert. Wer sich an die Routenempfehlungen von Zeitmeilen hält, kommt nicht nur schneller ans Ziel, sondern erhält zusätzlich - sozusagen als Belohnung für die Flexibilität im Mobilitätsverhalten - Bonuspunkte, die in ideelle, virtuelle oder geldwerte Prämien eingetauscht werden können. Dieses integrierte Incentive-Programm ermöglicht vielfältige Geschäftsmodelle zur Unterstützung der Akzeptanz seitens der Nutzer. Denn je mehr Autofahrer Zeitmeilen nutzen, umso präzisere Vorhersagen kann das System machen. Zugleich kann ein solches Programm zur Stärkung der regionalen Wirtschaft beitragen. Anonyme Datenerhebung ohne benutzerproile Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Mobilitäts-Applikationen: Zeitmeilen vermeidet die Erhebung personenbezogenener Daten. Es werden keine Benutzerproile erstellt - der Fokus liegt nicht auf dem Verhalten einzelner Benutzer, es werden lediglich momentane Bewegungsmuster des gesamten „Benutzerschwarms“ registriert. Diese Bewegungsdaten werden ergänzt um aktuelle und historische Verkehrsdaten, sodass valide Vorhersagen auch über längere Zeiträume möglich sind. Alle Prozesse laufen anonymisiert und verschlüsselt über deutsche Server und Netze (Bild 2). Auch für Verkehrs- und Transportbehörden kann Zeitmeilen ein lexibles Instrument zur Inwertsetzung eigener Daten, zur Verkehrsbeeinlussung und -optimierung sowie zur Einhaltung der gesetzlichen Schadstof-Grenzwerte sein. So ermöglicht das vom System gelieferte Nutzer-Feedback, verkehrssteuernde Maßnahmen lexibel und dynamisch umzusetzen. Derzeit wird ein regionaler Test mit Nutzern ausgewählter Firmen durchgeführt. Bei der Ermittlung und Aubereitung der Routenempfehlungen kooperiert highQ mit renommierten Anbietern von Geoinformationssystemen. Hürden zum ÖPNV abbauen: Routing und ticketing mit mytraQ Ziel der kostenlosen, für iOS- und Android- Systeme erhältlichen Smartphone-App mytraQ ist es, die ÖPNV-Nutzung so komfortabel zu gestalten wie die Fahrt mit dem eigenen Auto. Auf diese Weise sollen die Einstiegsbarrieren vor allem für Gelegenheitsnutzer gesenkt werden. So wie es der Autofahrer gewöhnt ist, durchgängig vom Startzum Zielpunkt zu gelangen, liefert ihm mytraQ eine multimodale Wegekette „aus einem Guss“: Verschiedene Verkehrsmittel werden unter Berücksichtigung der aktuellen Verkehrssituation zu einer Gesamtstrecke kombiniert, wobei auch Verspätungen aufgrund von Baustellen o.ä. berücksichtigt werden. Die vorgeschlagene Route wird dem Nutzer in übersichtlicher Form graisch dargestellt; gleichzeitig wird ihm der Gesamtpreis angezeigt und der Ticketkauf ermöglicht (Bild 3). Beim Routing berücksichtigt die App neben den klassischen ÖPNV-Unternehmen auch Verkehrsanbieter wie Car- und Bikesharing. Der Nutzer kann hierbei seine persönlichen Fahrtpräferenzen nach den Kriterien Umweltbilanz, Kosten und Geschwindigkeit angeben. Voraussetzung dafür, dass mytraQ dem Fahrgast ein attraktives Angebot machen kann, ist die Integration möglichst aller relevanten Mobilitätsanbieter in der betrefenden Stadt oder Region; diese erhalten einen diskriminierungsfreien Zugang zum System, denn mytraQ ist - im Unterschied zu mancher anderen Routing-App - anbieterneutral. Nicht nur für den Fahrgast, auch für die Verkehrsanbieter bietet mytraQ eine Reihe von Vorteilen: So unterstützt die App den Ticketverkauf und vereinfacht die Ticketabrechnung über ein kompatibles Hintergrundsystem; zudem bieten die E-Tickets ein sehr hohes Niveau an Fälschungssicherheit, denn alle Transaktionen entsprechen dem bundesweiten Standard des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV- Kernapplikation). Für Verkehrsunternehmen bietet highQ eine Proi-Variante der App für NFC-fähige Smartphones an, die damit als Ticket-Kontrollgeräte genutzt werden können und teure Spezialhardware ersetzen. Fazit: Eiziente Vernetzung senkt Eintrittsbarrieren zum ÖPNV Eingeleischte Autofahrer auf der einen Seite und überzeugte ÖPNV-Nutzer auf der anderen - der Trend zur Multimodalität wird diese Trennung immer mehr verwischen. Im Interesse einer lebenswerten Umwelt soll und muss eine Verlagerung vom Individualverkehr hin zum Umweltverbund - ÖPNV, Fahrrad, Fußgänger - erfolgen. Die Voraussetzung dafür, dass immer mehr Autofahrer gewillt sind umzusteigen, kann nur durch eine efektive Vernetzung und einfache Nutzbarkeit alternativer Mobilitätsangebote geschehen. So kann Zeitmeilen in einer künftigen Ausbaustufe Funktionen von mytraQ integrieren: Der Nutzer einer solchen universellen Mobilitäts-App erhält dann nicht nur Empfehlungen, einen überfüllten Autobahnabschnitt zu meiden, sondern zugleich einen alternativen Routenvorschlag mit Umstiegsmöglichkeit auf Bus oder Bahn. Gibt es einen unvorhergesehenen Stau, kann er auf einen Park & Ride- Platz umgeleitet werden und seine Fahrt mit dem ÖPNV fortsetzen. So oder so kommt er schnell und staufrei zum Ziel - und wenn jeder Weg für ihn gleich komfortabel ist, kann er sich jeden Morgen auf einen neuen Routenvorschlag freuen. ■ 1 Zeitmeilen und mytraQ werden während der IT Trans auf dem Stand von highQ vorgestellt. Bild3: mytraQ schlägt anbieterneutral optimale intermodale Wegeketten vor und ermöglicht den direkten Ticketkauf. Bild: highQ/ Shutterstock Ute May, Dr. Softwareentwicklerin Zeitmeilen, highQ Computerlösungen GmbH, Freiburg u.may@highq.de Markus Hug Projektleiter Softwareentwicklung Zeitmeilen, highQ Computerlösungen GmbH, Freiburg m.hug@highq.de Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 78 MOBILITÄT Elektronisches Ticket Eine für alles Bei der polygoCard werden eTicket, Car- und Bikesharing sowie städtische Angebote auf einer Chipkarte integriert und ergänzt durch eine optionale Bezahlfunktion Elektronisches Ticket, Stuttgart Services, Schaufenster Elektromobilität, Multimodalität Das vom Bund im Rahmen des Schaufensters Elektromobilität geförderte Forschungsprojekt Stuttgart Services ist ein gutes Beispiel für den Wandel der Rolle von Verkehrsunternehmen und Verbünden. Ziel-des Projekts ist ein einfacher Zugang zu (Elektro-)Mobilität, Shopping und städtischen Angeboten. Im Projekt wurde für die Nutzerkommunikation ein neuer Markenauftritt entwickelt, der alle diese Elemente vereint: polygo - Mobilität und Services in der Region Stuttgart. Ab Herbst 2015 werden erste polygoCards an ÖPNV-Abonnenten ausgegeben, ein Mobilitätsportal wird folgen. Die Autoren: Markus Raupp, Philipp Hinger S tuttgart gilt als Stauhauptstadt Nummer eins in Deutschland. Bedingt durch die Topographie und die hohe Zahl an einbrechenden und ausbrechenden Verkehren zu den Hauptverkehrszeiten werden an bestimmten neuralgischen Punkten regelmäßig die Grenzwerte für Stickstofdioxid überschritten. Es ist daher kein Zufall, dass man in Stuttgart über die sinnvolle Verknüpfung von Mobilitätsangeboten nachdenkt und gerade hier innovative und ehrgeizige Projekte zur Umsetzung bringen will. Als komplexes Verbundprojekt entwickelt Stuttgart Services einen einheitlichen Zugang zur multimodalen Elektromobilität sowie zu ergänzenden städtischen Angeboten und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Gestaltung der urbanen Mobilität in der Region Stuttgart. Die Verknüpfung des ÖPNV mit elektromobilen Angeboten ist eine Möglichkeit auf die hohe Belastung der Region durch den motorisierten Individualverkehr zu reagieren und so den Nachhaltigkeitsverbund (zu Fuß, Fahrrad, Sharingkonzepte, ÖPNV und elektromobiler Individualverkehr) zu stärken. Im April 2015 wurde als erstes für eine breite Öfentlichkeit sichtbares Ergebnis des Projekts der neue Markenauftritt eingeführt: polygo - Mobilität und Services in der Region Stuttgart. Seit diesem Zeitpunkt ist die Website www.mypolygo.de online erreichbar. Gleichzeitig wurden etwa 200 000 ÖPNV-Bestandsabonnenten über die Migration ihres Aboprodukts von Verbundpass mit Wertmarke auf die polygoCard informiert (Bild 1). Mit der polygoCard hält das elektronische Ticket (eTicket) Einzug im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS). Die erste polygoCard wird ab Herbst 2015 an ÖPNV-Abonnenten ausgegeben. Die Technologie der polygoCard Die polygoCard (Bild 2) geht als einer der innovativen Bestandteile aus dem Forschungsprojekt Stuttgart Services hervor. Bereits im ersten Quartal 2014 ist es gelungen, gleich drei etablierte technologische Standards auf einer Chipkarte zu kombinieren: • Zertiizierungsfähig durch die VDV KA GmbH & Co. KG, (((eTicket Deutschland • Zertiizierungs- und freigabefähig durch MasterCard, Europay International, MasterCard und VISA (EMV) • Nutzbar bei ausgewählten elektromobilen Mobilitätsdienstleistern, Common Criteria for Information Technology Security Evaluation/ DIN ISO/ IEC 15408-1…3 Die Funktionalitäten sind auf einer industriell sehr fortschrittlichen und nach Bild 1: Rund 200 000 ÖPNV-Bestandskunden werden vom klassischen Wertmarken-Abo auf das elektronische Ticket migriert. Fotos: Stuttgart Services Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 79 Elektronisches Ticket MOBILITÄT strengen Anforderungen zertiizierbaren Smartcard mit MIFARE Funktionalität von NXP umgesetzt. Für diese innovative Chipkartentechnologie wurde die Landeshauptstadt Stuttgart gemeinsam mit dem Dienstleister und Projektpartner highQ Computerlösungen GmbH im April 2014 mit dem Best-Practice-Preis Telematik in Kommunen ausgezeichnet. Von Mai bis Juli 2014 wurde die technische Funktionsfähigkeit des Prototypen der Chipkarte durch etwa 70 ausgewählte Nutzer in der Region Stuttgart im Alltagsgebrauch getestet. Dieser Friendly-User-Feldtest konnte mit großem Erfolg abgeschlossen werden. Neben dem ÖPNV im gesamten VVS-Gebiet (Sichtprüfung) konnten die Friendly User mit ihrer persönlichen Karte die (elektromobilen) Angebote von Call a Bike, Flinkster und stadtmobil ebenso wie die EnBW-Ladestationen nutzen oder per Bezahlkarte bargeldlos einkaufen. Die Elektro-Smarts von car2go wurden ab Mitte August 2014 in einer Verlängerung des Friendly-User-Feldtests von einzelnen Nutzern getestet. Verkehrsverbünde als Mobilitäts integratoren und -aggregatoren Für ein wirtschaftliches Geschäftsmodell der Elektromobilität, ist jedoch die Erreichung einer kritischen Kundenmasse notwendig. Die Verknüpfung elektromobiler Angebote mit weiteren Angeboten des täglichen Lebens, insbesondere mit dem ÖPNV als Rückgrat der Mobilität, ist daher von großer Bedeutung. In diesem Kontext zeichnet sich ein Wandel in Bezug auf die Aufgaben von Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünden ab. Hat sich der öfentliche Nahverkehr früher darüber deiniert, dass er den Bürgern Verkehrsmodi im öffentlichen Besitz zugänglich macht, so ist diese Deinition heute erweitert um das Angebot von öfentlich verfügbaren Verkehrsmodi. Verbünde und Verkehrsunternehmen haben durch ihren breiten Kundenstamm ein gutes Verständnis der Mobilitätsbedürfnisse in ihrem räumlichen Tätigkeitsbereich. Auf Grund ihrer Strukturen sind sie in der Regel mit Politik und Verwaltung gut vernetzt und garantieren eine räumliche und zeitliche Verfügbarkeit sowie Bezahlbarkeit und Qualität für den öfentlichen Nahverkehr. Dieses Wissen übertragen sie nun auch auf zusätzliche Angebote des öffentlich verfügbaren Individualverkehrs, also zum Beispiel Car- und Bikesharingangebote. Dies bestätigt eine externe Benchmarking-Analyse, die gezeigt hat, dass multimodale Mobilitäts- und Bürgerkarten in Deutschland von den jeweiligen Verkehrsverbünden betrieben werden. So werden zum Beispiel für HannoverMOBIL, eTicket RheinMain, die ABO-Trumpkarte des Magdeburger Regionalverkehrsverbundes marego, e-Mobil Saar und - im Rahmen des EU-Förderprojekts CIVITAS - DYN@MO des Aachener Verkehrsverbundes bestehende Strukturen genutzt, um das erweiterte Mobilitätsangebot zu vermarkten. Wie im Fall von polygo kann diese Angebotspalette auf weitere sinnvolle Leistungen des städtischen Lebens ausgedehnt werden. Einer der wichtigsten Auslöser für die vermehrte Auseinandersetzung mit alternativen Verkehrskonzepten ist die steigende Nachfrage nach multi- und intermodalen Angeboten. Als Reaktion auf diese Rahmenbedingungen ist ein weltweiter Trend zur Bildung von Mobilitätsökosystemen erkennbar, die einen Weg darstellen, den Mobilitätsherausforderungen mit adäquaten Lösungen zu begegnen. Ein nächster sinnvoller Schritt ist es, diese Ökosysteme zu einem Gesamtsystem zu verbinden und übergreifend nutzbar zu machen. Auch die Politik hat erkannt, dass Inter- und Multimodalität unumgängliche Eckpunkte für eine nachhaltige Mobilität sind. So befürworten und unterstützen sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union integrierte Mobilitätsinitiativen. Ziel von polygo ist es, zu einem führenden Mobilitätsintegrator und -aggregator in der Region Stuttgart zu werden, der durch integrierte Mobilitätsangebote und urbane Angebote die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger kontinuierlich steigert. Insbesondere der gesellschaftliche Trend in Richtung Nachhaltigkeit und multimodale Mobilität, der auf den Wertewandel der Generation Y und deren Orientierung hin zu mehr Convenience zurückzuführen ist, begünstigt dieses ehrgeizige Ziel. Hinzu kommen zunehmende Individualisierungstendenzen in der Bevölkerung, die nach maßgeschneiderten Lösungen auch für die Mobilität verlangen. Die stark wachsende mobile Internetnutzung, getrieben vor allem durch eine steigende Penetrationsrate von Smartphones in der Bevölkerung, ermöglicht hierfür lexible Modelle. Hier setzt das polygo Portal an, das sich als Auskunfts- und Buchungsportal derzeit noch in der Entwicklung beindet. In einem Prototypen wurde die multi- und intermodale Auskunft und Buchung sowie die Vernetzung mit zusätzlichen städtischen Angeboten bereits erfolgreich erprobt. 1 Aufgrund der hohen Standardkonformität der Chipkartentechnologie sowie der standardisierten Schnittstellen der inter- und multimodalen Reservierungs- und Buchungsplattform besitzt die Lösung großes Potential, auf andere Städte innerhalb Deutschlands und darüber hinaus übertragen zu werden. Bereits jetzt inden neben dem Austausch mit anderen Projekten aus den vier Schaufenstern Elektromobilität in Deutschland zwischen Verkehrsunternehmen und -verbünden bundesweit regelmäßige Trefen zum Thema integrierte Mobilität statt. ■ 1 Hintergründe zum Portal wurden bereits ausführlich in Internationales Verkehrswesen (66), Ausgabe 1/ 2014, unter dem Titel „Stuttgart Services - Intelligent vernetzte, nachhaltige und einfache Elektromobilität um urbane Angebote für die Region Stuttgart ergänzen“ berichtet. Markus Raupp, Dr. Leiter Marketing & Vertrieb, Stuttgarter Straßenbahnen AG, Stuttgart markus.raupp@mail.ssb-ag.de Philipp Hinger Leiter Vertriebsmanagement, Leiter PMO Stuttgart Services, Stuttgarter Straßenbahnen AG, Stuttgart philipp.hinger@mail.ssb-ag.de Bild 2: Die polygoCard kann mit Bezahlfunktion ausgestattet sein. Foto: Stuttgart Services Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 80 Parkraumbewirtschaftung in chinesischen Metropolen Auswertung eines Pilotprojekts in Shenzhen Parksuchverkehr, China, Megastadt, Metropolregion Die mangelhafte Bewirtschaftung öfentlichen Parkraums führt in vielen chinesischen Städten zu chaotischen Parksituationen und einem bis zu 30% höheren Verkehrsaufkommen durch Parksuchverkehr. Dabei kann eine stadt- und umweltverträgliche Organisation des ruhenden Verkehrs bestehende Verlagerungs- und Vermeidungsstrategien im Stadtverkehr erheblich unterstützen. Das im Perllussdelta gelegene Shenzhen geht mit gutem Beispiel voran: Die innovationsstarke Megastadt zählt zu den ersten chinesischen Städten mit einer umfassenden Parkraumbewirtschaftung. Der Autor: Alexander Jung D as wirtschaftliche Wachstum der letzten drei Jahrzehnte hat die Entwicklung in den mehr als 200 chinesischen Millionenstädten positiv beeinlusst, aber auch zu einem massiven Anstieg des motorisierten Individualverkehrs geführt. Allein zwischen 2000 und 2008 hat sich die Anzahl der chinesischen PKW auf weit über 100 Mio. versechsfacht. Mit einem jährlichen Zuwachs von rund 15 Mio. Privatfahrzeugen bleibt die Tendenz insbesondere in den Städten weiterhin stark steigend. Eine Entwicklung, die neben Luftqualität, Verkehrsluss und Verkehrssicherheit insbesondere auch den ruhenden Verkehr schwerwiegend beeinträchtigt. Parkraummanagement ist der erste-Schritt zur Minderung des Parkdrucks Obwohl Parkraummanagement - im Sinne der Bewirtschaftung von Parkplätzen im öffentlichen Straßenraum - zur Vermeidung und Verlagerung von PKW-Wegen im Stadtverkehr beitragen könnte, wird das Thema von den chinesischen Kommunalbehörden oftmals gar nicht oder nur oberlächlich behandelt. Ein zentrales Problem besteht darin, dass viele Städte vorschnell von einem Mangel an Parkraum ausgehen. Das durch eine unzureichende Bewirtschaftung aufkommende Parkchaos lässt die Städte neuen Parkraum schafen, um der augenscheinlich hohen Nachfrage gerecht zu werden. Eine folgenschwere Fehleinschätzung, die bestehende Probleme nicht löst und sich durch ein Überangebot an Parkraum sogar negativ auf das Verkehrsaukommen auswirken kann. Dabei wird zumeist nicht erkannt, dass Parken innerhalb der Städte ein kleinräumiges Problem darstellt und insbesondere öfentlich zugängliche Parkierungsanlagen in Form von Parkhäusern und Tiefgaragen ausreichend Kapazitäten bieten. Es besteht somit in vielen Fällen kein Deizit im Hinblick auf das Parkraumangebot, sondern vielmehr auf die eiziente Steuerung der Nachfrage. Ein unter dem Bedarf liegendes Angebot an Parkraum besteht meist nur in dicht besiedelten innerstädtischen Wohngebieten mit stark begrenztem öfentlichem Mobilität Parkraumbewirtschaftung Foto: Daniel Bongardt Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 81 Parkraumbewirtschaftung MOBILITÄT Straßenraum und fehlenden Parkierungsanlagen. Hier führt die hohe Nachfrage insbesondere während der Abendstunden und über Nacht zu einem Nachfrageüberhang, der entsprechende Maßnahmen (z. B. Vergabe von Bewohnererparkausweisen) erfordert. Ein zusätzlicher Treiber für die Parkprobleme in chinesischen Städten ist die mangelhafte Überwachung öfentlicher Parkplätze. Illegales Parken auf Fahrbahnen sowie auf Rad- und Fußgängerwegen behindert nicht nur den Verkehrsluss, sondern schränkt vor allem nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer dramatisch ein (Bild 1). In vielen Städten fällt die Parkraumüberwachung unter die Verantwortung der Polizei, die wiederum entsprechende Ordnungskräfte beschäftigt. Dennoch tragen häuige Kapazitätsengpässe und schlecht ausgebildetes Personal immer wieder dazu bei, dass große Lücken bei der Überwachung des öffentlichen Parkraumes entstehen und Falschparker nicht belangt werden. Aus illegalem Parken wird somit gebührenfreies Parken, was eine eiziente Parkraumbewirtschaftung unmöglich macht. Parkraummanagement in Shenzhen - ein Pilotprojekt In der Diskussion über die Zukunftsperspektiven des Stadtverkehrs in China nimmt Shenzhen eine Vorreiterrolle im Hinblick auf den ruhenden Verkehr ein. Während in vielen anderen chinesischen Städten die Organisation des Parkraumangebots weitgehend intransparent ist und mehr an maiöse Strukturen als an eine umfassende Bewirtschaftung erinnert, wurde in Shenzhen bereits 2013 der Prozess hin zum eizienten Parken angestoßen. Unterstützt durch internationale Experten im Bereich Parkraummanagement 1 sowie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) 2 , wurden die neuen Parkrichtlinien federführend von der kommunalen Verkehrsbehörde Shenzhen Municipal Commission of Transport (SZMCT) sowie deren untergeordnetem Forschungsinstitut für Stadtverkehr Shenzhen Urban Transport Planning Center (SZUTPC) konzipiert. Aubauend auf den klar deinierten Zuständigkeiten konnte die Einführung des Parkraummanagements nach einer Planungsphase von nur rund einem Jahr am 1. Juli 2014 stattinden. In einem ersten Schritt wurde das gesamte Stadtgebiet von den zuständigen Behörden in drei unterschiedliche Zonen aufgeteilt. Dabei kennzeichnet Zone I die Gebiete mit der höchsten und Zone III die Gebiete mit der niedrigsten Verkehrsdichte in Shenzhen. Da sich das neue Tarifsystem überwiegend an der Verkehrsdichte orientiert, werden in Zone I die höchsten Parkgebühren erhoben (Bild 2). Weiterhin wurden auf Grundlage der Zonierung vier innerstädtische Gebiete in Zone I mit charakteristischen Problemen und unterschiedlichen Ansprüchen an das Parkraumangebot für die Pilotierung der neuen Richtlinien ausgewählt. Innerhalb der Pilotgebiete Futian (Mischgebiet), Nanshan (Mischgebiet), Zhuzilin (Gewerbegebiet) und Tianbei (Wohngebiet) wurden insgesamt 1673 Parkplätze neu beschildert und mit Parksensoren ausgestattet. Ein zentraler Baustein in der neuen Parkraumpolitik ist die Nachfragesteuerung durch die Bepreisung zuvor gebührenfreier Parkplätze im öfentlichen Straßenraum. An Werktagen schlägt dies von 7: 30 bis 21: 00 Uhr mit bis zu 5 CNY (0,73 EUR) für die erste und 10 CNY (1,46 EUR) für jede weitere halbe Stunde und an Wochenenden mit 2-CNY (0,29 EUR) für die erste und 4 CNY (0,58 EUR) für jede weitere halbe Stunde zu Buche. Eine maximale Tagesgebühr gibt es nicht. Shenzhen zählt somit zu den Städten mit den höchsten Gebühren für öfentliches Parken in China. Vorgaben für privatwirtschaftliche Parkierungsanlagen wurden bislang noch nicht bekanntgemacht. Ein Bürgerbeteiligungsprozess in Form von zwei im Juli und Oktober 2014 durchgeführten öffentlichen Anhörungen wird als Grundlage für die Konzeptionierung von Richtlinien für öfentlich zugängliche Parkierungsanlagen herangezogen. Bis zu der Einführung entsprechender Vorgaben herrscht ein ofener Wettbewerbsmarkt für die Betreiber. Auch in Bezug auf die Zahlungsmethoden wird Shenzhen dem Ruf als eine der innovationsstärksten Städte in China gerecht. Mit der App „ 宜停 ” (einfaches Parken) können Parkplatznutzer bargeldlos mit dem Bild 1: Alltägliches Bild in vielen chinesischen Städten: Dreiste Falschparker behindern nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer. Foto: Daniel Bongardt Bild 2: Übersicht der Parkgebühren in Shenzhen Quelle: Shenzhen Municipal Commission of Transport (SZMCT) Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 82 Mobilität Parkraumbewirtschaftung Smartphone bezahlen und die Parkdauer nach Bedarf verlängern. Alternativ kann über eine speziell eingerichtete Hotline per Kreditkarte bezahlt werden. Dies steigert nicht nur den Komfort auf Nutzerseite, sondern ermöglicht es den zuständigen Behörden, wichtige Daten zur weiteren Entwicklung des Parkraummanagements zu generieren. Darüber hinaus leistet die App einen zusätzlichen Beitrag zur Reduzierung des Parksuchverkehrs, da freie Parkplätze bereits zuvor auf dem Smartphone erkennbar sind (Bild 3). Aufgrund negativer Erfahrungswerte in Peking und Shanghai, wo externe Privatunternehmen für die Gebührenerfassung zuständig waren, verwaltet die Kommunalregierung in Shenzhen die Parkgebühren in eigener Verantwortung. Dabei ließen alle Einnahmen ausschließlich in den Betrieb und die Überwachung der Bewirtschaftung sowie in deren Ausweitung auf das gesamte Stadtgebiet. Eine Bilanzierung der Einnahmen und Ausgaben der Parkgebühren wird der Öfentlichkeit jährlich zur Verfügung gestellt. Mit der Parkraumbewirtschaftung soll der PKW-Umschlag auf Parkplätzen im öffentlichen Straßenraum durch Kurzzeitparken erhöht und Langzeitparken in öfentlich zugängliche Parkierungsanlagen verlagert werden. Folglich würde der Parksuchverkehr in den betrofenen Gebieten durch die gestiegene Stellplatzwahrscheinlichkeit abnehmen. Der Erfolg der Parkraumbewirtschaftungs-Maßnahmen hängt jedoch zu einem wesentlichen Teil von der Regelbefolgung der PKW-Fahrer ab, was eine intensive und regelmäßige Überwachung des ruhenden Verkehrs voraussetzt. Um dies zu gewährleisten, wird in Shenzhen je eine Ordnungskraft pro 80 Parkplätze eingesetzt. Die Ordnungskräfte sind mit einem persönlichen digitalen Assistenten (PDA) ausgestattet, der bei der Erfassung eines nichtbezahlten Fahrzeugs ein Signal vom Parkplatzsensor empfängt (Bild 4). Illegal parkende Fahrzeuge und Nichtzahler müssen mit einem Bußgeld in Höhe von 200 CNY (29,20 EUR) rechnen. Eizientes Parken oder organisiertes Chaos? Neben der Unterstützung der Kommunalregierung bei der Implementierung des Parkraummanagements ist das Forschungsinstitut für Stadtverkehr in Shenzhen ebenfalls für die Projektevaluierung zuständig. Um die neuen Richtlinien umfassend auszuwerten und insbesondere die Parkraumbepreisung gegebenenfalls nachschärfen zu können, führte das SZUTPC eine Erhebung einen Monat vor sowie zwei Erhebungen jeweils einen und drei Monate nach der Einführung des neuen Parkraummanagements durch. Sämtliche Erhebungen wurden sowohl in den vier Pilotgebiet als auch in vier Kontrollgebieten mit ähnlicher Flächennutzung, Bevölkerungsstruktur und Verkehrsdichte durchgeführt. Die Evaluierungsergebnisse basieren somit auf ex-ante und ex-post durchgeführten Erhebungen mit den folgenden Schwerpunkten: PKW-Umschlag im öfentlichen Straßenraum Der PKW-Umschlag auf Parkplätzen im öffentlichen Straßenraum erhöhte sich um ca. 30 % in Futian und Nanshan, bis hin zu 80 % in Tianbei und Zhuzillin. Für Langzeitparker konnten somit ausreichend Anreize geschaffen werden, um diese aus dem öfentlichen Straßenraum in öfentlich zugängliche Tiefgaragen mit niedrigeren Gebühren zu verlagern. Der Belegungsgrad der Parkierungsanlagen stieg durchschnittlich um 22 %. Insbesondere tagsüber an Werktagen konnte eine deutlich höhere Belegung der Anlagen erzielt werden. Im Umkehrschluss erhöhte sich der PKW-Umschlag der Kurzzeitparker auf Parkplätzen im öfentlichen Straßenraum um 49 % mit einer durchschnittlichen Parkdauer unter einer Stunde. Innerhalb der Kontrollgebiete ohne Parkraumbewirtschaftung konnte während des Erhebungszeitraums keine nennenswerte Veränderung des PKW-Umschlags beobachtet werden. illegales Parken Illegales Parken im öfentlichen Straßenraum führte vor allem während der abendlichen Nachfragespitzen an Werktagen zu einer massiven Behinderung des Verkehrslusses. Der verstärkte Einsatz von Ordnungskräften sowie neuer Technologien zur Gebührenerhebung und Parkraumüberwachung führte mit ca. 92 % zu einer nahezu vollständigen Reduzierung illegalen Parkens. Aufällig ist jedoch, dass auch in den Kontrollzonen eine deutliche Reduzierung der Falschparker um 45-57 % beobachtet werden konnte. Der Grund hierfür liegt in der Vorbereitung der Gebiete auf die-Einführung des neuen Parkraummanagements. Obwohl der öfentliche Parkraum hier weder bewirtschaftet noch überwacht wurde, konnten potenzielle Falschparker bereits durch die Beschilderung und Markierung der Parkplätze abgeschreckt werden. Durchschnittsgeschwindigkeit und treibhausgasemissionen Infolge der Nachfrageverlagerung sowie der Reduzierung illegalen Parkens konnte die PKW-Durchschnittsgeschwindigkeit innerhalb der Pilotgebiete spürbar um rund 13 % erhöht werden (Bild 5). Die hierdurch erzielte Optimierung des Verkehrslusses wirkte sich zudem positiv auf die Treibhausgasemissionen des motorisierten Individualverkehrs aus. Während die verkehrsbezogenen Treibhausgasemissionen in den Kontrollzonen um 2,2 % leicht gestiegen sind, konnte in den Pilotgebieten eine Reduzierung um durchschnittlich 4,6 % erzielt werden. Bild 3: Die eigens für Shenzhen entwickelte App „ 宜停 ” (einfaches Parken) gibt Auskunft über die freien Parkplätze im ausgewählten Straßenabschnitt (hier: 5 von 9). Quelle: SZRTC Bild 4: Der PDA der Ordnungskräfte gibt Auskunft über den Zahlungsstatus belegter Parkplätze: Zahlung erfolgt (grün), Zahlung ausstehend (gelb) und Zahlung nicht erfolgt (rot). Quelle: SZRTC Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 83 Parkraumbewirtschaftung MOBILITÄT Auch wenn die Evaluierung der neu eingeführten Parkraumbewirtschaftung überwiegend positiv ausfällt, zeichneten sich einige Problemfelder ab. So konnte illegales Parken zwar stark reduziert werden, jedoch kam es bei den verbleibenden Fällen zu schweren Verkehrsbehinderungen und Blockierung der Parkplätze im öfentlichen Straßenraum (z. B. Parken zwischen den Sensoren auf zwei markierten Stellplätzen). Zudem konnte insbesondere bei Kurzzeitparkern beobachtet werden, dass mit bis zu 70 % enorm viele PKW-Fahrer keine Gebühren entrichteten, ohne mit einem Bußgeld belegt zu werden. Gemeinsam mit einem überdurchschnittlich hohen Leerstand der öfentlichen Parkplätze in den Pilotgebieten Zhuzilin und Tianbei könnten die beobachteten Probleme auf eine zu hohe Bepreisung hinweisen. Eine entsprechende Anpassung der Bewirtschaftungsmaßnahmen, beispielsweise in Form reduzierter Gebühren und diversiizierter Zahlungsmethoden, wird derzeit von der kommunalen Verkehrsbehörde in Shenzhen diskutiert. Grünes Licht für eine flächendeckende Implementierung Gesamtheitlich betrachtet erfüllte das in den Pilotgebieten eingeführte Parkraummanagement die zuvor gehegten Erwartungen nahezu ausnahmslos. Der Parkdruck im öfentlichen Straßenraum konnte durch die Nachfrageverlagerung (insbesondere von Langzeitparken) zu öfentlich zugänglichen Parkierungsanlagen deutlich gemindert werden. Zudem konnten unerwartet große Fortschritte bei der Parkraumüberwachung erzielt werden. Illegales Parken wurde durch die Bewirtschaftungsmaßnahmen drastisch reduziert, was neben der Begünstigung des Verkehrslusses zu positiven Nebenefekten für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer führte. Rad- und Fußgängerwege wurden weitgehend von illegal parkenden Fahrzeugen befreit und die Qualität des Verkehrsablaufs wurde optimiert. Basierend auf den positiven Ergebnissen der Maßnahmenevaluierung entschieden sich die zuständigen Behörden für eine lächendeckende Implementierung des Parkraummanagements, die seit Januar 2015 sukzessive durchgeführt wird. Ende 2015 werden somit mehr als 45 000 öfentliche Parkplätze in Shenzhen bewirtschaftet. Es bleibt zu hofen, dass Shenzhen mit der erfolgreichen Implementierung der Parkraumbewirtschaftungs-Maßnahmen ein Umdenken der Parkraumpolitik anstoßen und eine Leuchtturmfunktion für andere chinesische Städte einnehmen kann. ■ 1 Die zuständigen Behörden wurden u.a. von Dr. Paul A. Barter unterstützt, Professor für Verkehrs- und Infrastrukturpolitik an der LKY School of Public Policy der National University of Singapore sowie Gründer des Blogs „Reinventing Parking“ (www.reinventingparking.org). 2 Die GIZ unterstützte die zuständigen Behörden im Rahmen des vom Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) geförderten Projekts „Transport Demand Management in Beijing“ (www.sustainabletransport.org). QUELLEN An, Mingying (2015): Policy Evaluation - The Impact of Parking Management in Shenzhen. GIZ China Sustainable Urban Transport Blog. URL: http: / / www.sustainabletransport.org/ policy-evaluation-the-impact-of-parking-management-in-shenzhen/ Barter, Paul A. (2015): On-Street Parking Management: An International Toolkit. Sustainable Urban Transport Project (GIZ-SUTP). Eschborn Jung, Alexander (2015): Parking in Chinese Cities: From Congestion Challenge to Sustainable Transport Solution. GIZ China Sustainable Urban Transport Blog. URL: http: / / www.sustainabletransport.org/ parking-in-chinese-cities-from-congestion-challenge-to-sustainabletransport-solution/ Strompen, Frederik; Litman, Todd; Bongardt, Daniel (2012): Reducing Carbon Emissions through Transport Demand Management Strategies. Transport Research Board (TRB). Washington, D.C., USA Alexander Jung Projektmanager, Sektor Nachhaltiger Verkehr Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, Peking (CN) alexander.jung@giz.de Bild 5: PKW-Durchschnittsgeschwindigkeit in den Pilotgebieten vor und nach der Einführung der Parkraumbewirtschaftung Quelle: SZMCT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleitung Telefon (040) 23714-223 Telefax (089) 889518-75 eberhard.buhl@dvvmedia.com IHR KURZER DR AHT ZUR REDAKTION © freni/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 84 TECHNOLOGIE Parkraumprognose Wissen, wann ein Parkplatz frei wird Intelligente Parkbelegungsvorhersage für das Parkraummanagement der Zukunft Parkraummanagement, Parkbelegungsvorhersage, Maschinelles Lernen, Künstliche Intelligenz Parkraum in den Innenstädten ist knapp. Ihn optimal zu nutzen und unnötigen Parksuchverkehr zu vermeiden, ist sowohl im Interesse der Städte und Kommunen als auch der Autofahrer. Das vom BMUB geförderte Verbundprojekt „City2.e 2.0“ entwickelt Methoden, mit deren Hilfe die wahrscheinliche Verfügbarkeit freier Straßenrandparkplätze vorhergesagt werden kann. Über Daten spezieller Parkraumsensoren lernt das Vorhersagesystem typische Belegungsmuster. Damit kann es prognostizieren, wann und wo die Chancen auf einen freien Parkstand gut sind. Der Autofahrer erfährt davon etwa per App oder Webseite. Die Autoren: Tim Tiedemann, Thomas Vögele I n den meisten größeren Städten in Deutschland und international herrscht ein eklatanter Mangel an Parkraum. Insbesondere in den eng bebauten Innenstädten gibt es häuig mehr Parkplatzsuchende als Parkstände. Dies ist nicht nur unangenehm für Anwohner und Besucher; der resultierende Parksuchverkehr kann lokal deutlich zum innerstädtischen Verkehrsaukommen beitragen [1-3]. Gleichzeitig stellt die Bewirtschaftung der Parkplätze im öfentlichen Raum eine wichtige Möglichkeit zur Kostendeckung für Städte und Kommunen dar. Auch ist aus Sicht der Städte und Kommunen die Verkehrssicherheit während Parkplatzsuche und Stau ein kritischer Punkt. Ein verbessertes Parkraummanagement, bei dem das vorhandene Potential an Parkplätzen optimal ausgenutzt wird, ist also sowohl im Interesse der Autofahrer als auch der kommunalen Verwaltungen. Hierbei ist zu bedenken, dass aufgrund von Fluktuation oft auch in vermeintlich komplett zugeparkten Stadtvierteln zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten durchaus noch freie Parkstände verfügbar sind. Die Herausforderung besteht darin, den parkplatzsuchenden Autofahrer gezielt zu den noch freien Parkständen zu leiten. Im Projekt „City2.e 2.0“ entwickelt ein Konsortium aus Industrie (Siemens, VMZ Berlin), Verwaltung (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin) und Forschung (DFKI 1 , IKEM 2 ) ein innovatives Konzept, mit dessen Hilfe die potentielle Verfügbarkeit von Parkplätzen vorhergesagt und an parkplatzsuchende Autofahrer weitergegeben werden kann (siehe [4]). Dafür wird die Belegung von Parkplätzen im öfentlichen Raum und auf gewerblich genutzten Grundstücken mit eigens zu diesem Zweck entwickelten Sensoren überwacht (siehe hierzu auch [5]). Das so ermittelte Gesamtbild der Parkplatzbelegung in Abhängigkeit von Tageszeit, Wochentag und Straßenzug wird in einer Datenbank der VMZ Berlin gespeichert. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) übernimmt in dem Projekt die Entwicklung und Implementierung eines Prognose-Moduls, das Vorhersagen über die künftige Parkraumbelegung generiert. Intelligente Algorithmen lernen aus den gesammelten Sensordaten Gesetzmäßigkeiten, mit denen sie die Wahrscheinlichkeit, in einer bestimmten Straße zu einem bestimmten Zeitpunkt einen freien Parkstand zu inden, vorhersagen können. Dabei werden auch besondere Vorkommnisse, wie Großevents oder Baumaßnahmen berücksichtigt. Das System ist zudem lernfähig, d.h. in der Lage, seine Vorhersagen selbstständig kontinuierlich anzupassen, wenn sich Rahmenbedingungen ändern (z. B. eine veränderte Verkehrsführung). Im Rahmen von „City2.e 2.0“ wird ein Straßenzug in Berlin-Friedenau als Pilotgebiet mit den Sensoren ausgerüstet. In dieser Testregion soll die Erfassung und Vorhersage der Parkraumbelegung praktisch erprobt werden. Im Folgenden werden die Ansätze und Methoden des am DFKI Robotics Innovation Center entwickelten Parkplatzbelegungsprognosemoduls beschrieben. Prognose der Parkraumbelegung Die Aufgabe des in „City2.e 2.0“ entwickelten Prognose-Moduls ist es, die Belegung einer Gruppe von Parkständen für einen beliebi- Bild 1: Parkraumsensoren detektieren aus der Vogelperspektive die Belegung von Straßenrandparkflächen. Diese Sensordaten bilden die Grundlage für eine Parkbelegungsvorhersage. Quelle: Siemens AG Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 85 Parkraumprognose TECHNOLOGIE gen Zeitpunkt in der Zukunft vorherzusagen. So soll ein Pendler schon vor dem morgendlichen Weg zur Arbeit nachsehen können, ob er auch nach langen Überstunden noch einen freien Parkplatz in seiner Wohngegend finden wird oder ob er heute besser den Bus zur Arbeit nehmen sollte. Und wer zum Einkaufen in einen fremden Stadtteil fährt, kann noch vor Fahrantritt prüfen, ob und wo er zum Zeitpunkt seiner Ankunft voraussichtlich einen freien Parkplatz findet. Auch Parkstände mit Ladesäulen werden bei der Vorhersage berücksichtigt, so dass sich Fahrer von Elektroautos die nervenaufreibende Suche nach einer Lademöglichkeit bei niedrigem Batteriestand ersparen. Die Basis für die Belegungsvorhersagen bilden Echtzeitbelegungsdaten, die von den an Laternenmasten und Hausfronten installierten Parkraumsensoren geliefert werden. Diese Sensoren wurden bereits in International Transportation 1/ 2015 vorgestellt [5]. Im Rahmen von Voruntersuchungen führten Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt der Stadt Berlin Belegungsmessungen der Parkstände in dem Pilotgebiet durch. Dabei stellte sich heraus, dass die Parkstandbelegung stark schwanken kann, je nach Tageszeiten, Wochentagen und auch von einer Woche zur nächsten (siehe auch Bild 2, links). Das vom DFKI Robotics Innovation Center in Bremen entwickelte Prognoseverfahren beinhaltet daher einen mehrstufigen Prozess, bei dem zunächst Parkbelegungsdaten über einen langen Zeitraum gesammelt werden. In diesen Langzeitdaten (die idealerweise mehrere Jahre abdecken) wird mit Methoden des Maschinellen Lernens (ML) nach verschiedenen Klassen unterschiedlichen Parkverhaltens gesucht. So kann zum Beispiel in einem Wohngebiet an Sonntagen ein grundsätzlich anderer Parkbelegungsverlauf über den Tag auftreten als an Arbeitstagen. Neben dem Wochenrhythmus sind noch weitere, zum Teil nicht vorhersagbare Einflüsse auf das Parkverhalten denkbar: Feiertage, Schulferien, sportliche oder kulturelle Groß-Events, Witterungsbedingungen, Baustellen, Verkehrsunfälle etc. Das Verfahren zur Erkennung und Einordnung der Verhaltensklassen (ein sogenanntes „Clustering“- Verfahren) benötigt daher explizit kein Vorwissen, sondern nimmt die Klasseneinteilung nur auf Basis der gesammelten Daten vor. Dadurch wird auch sichergestellt, dass eine korrekte Klassifizierung des Parkverhaltens auch dann möglich ist, wenn heute noch unbekannte Faktoren Einfluss auf zukünftige Parkraumkonzepte ausüben. Möchte ein Nutzer (etwa über eine Smartphone-App oder eine Webseite) eine Prognose für eine künftige Parkbelegung erhalten, werden die vom System gelernten Klassen unterschiedlichen Parkverhaltens mit den aktuellen Belegungsdaten der Parkraumsensoren verglichen. Die am besten passende Klasse wird dann für die Vorhersage des zu erwartenden Parkverhaltens herangezogen. Die Verfahren erlauben dabei die Ausgabe einer Güteeinschätzung: Die Qualität der generierten Prognosen hängt wesentlich von der Menge der gesammelten Daten und deren Verteilung, insbesondere in der am besten passenden Klasse ab. Mit fortschreitender Laufzeit der Datensammlung ist eine Steigerung der Vorhersagequalität zu erwarten. Dem Nutzer wird dies über die Güteeinschätzung einer Vorhersage mitgeteilt. Ein detaillierterer Überblick über das Verfahren wurde auf dem „Workshop for AI in Transportation“ der Konferenz AAAI 2015 in Austin vorgestellt und kann in [6] nachgelesen werden. Zusammenfassung und Ausblick Mit der hier vorgestellten Parkbelegungsvorhersage ergeben sich neue Möglichkeiten für das Parkraummanagement der Zukunft. Zum einen erhält der Autofahrer die Möglichkeit, gezielt Parkplätze und Ladesäulen anzusteuern, die mit großer Wahrscheinlichkeit noch frei sind. Dadurch wird der Parksuchverkehr deutlich reduziert. Dies ist insbesondere in Zukunft bei einem zunehmenden Anteil von Elektroautos wichtig. Zum anderen können aber auch Parkraumbetreiber und Kommunen in zukünftigen Parkraumkonzepten sehr viel genauer den Bedarf und die Auslastung der Parkflächen abschätzen und entsprechend darauf reagieren bzw. optimieren. Derzeit wird ein Pilotgebiet im Berliner Stadtteil Friedenau mit den Parkraumsensoren ausgestattet. Bis zum Ende des Jahres 2015 erfolgt dann die Sammlung realer Parkbelegungsdaten und die Evaluation und Anpassung des Vorhersagesystems. Weitere Informationen zur Parkbelegungsvorhersage, aber auch zur Parkraumsensorik und der Arbeit aller Projektpartner sind im Rahmen des 17. EPA-Kongresses bzw. der Ausstellung Parken verfügbar. ■ G efö rdert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages (Förderkennzeichen 16EM2051-5). 1 Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH 2 Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität - Recht, Ökonomie und Politik e.V. Q U E L L E N [1] Shoup, D. C. 2006: Cruising for parking. In: Transport Policy 13(6): 479-486 [2] VDA 2009: Annual report 2009. http: / / www.vda.de/ en/ downloads/ 636/ [3] Delatte, A.; Kettner, S.; Schenk, E.; and Schuppan, J. 2014: Multimodale Mobilität ohne eigenes Auto im urbanen Raum. https: / / www. ivp.tu-berlin.de/ fileadmin/ fg93/ Forschung/ Projekte/ City_2.e/ IVP_ Projektbericht_City2e_Lange_Fassung.pdf [4] City2.e 2.0 Webseite. http: / / www.erneuerbar-mobil.de/ de/ projekte/ vorhaben-im-bereich-der-elektromobilitaet-von-2013/ kopplung-der-elektromobilitaet-an-erneuerbare-energien-undderen-netzintegration/ city2e [5] Hetz, J.: Zwick, M.: Sensors upside down - managing parking with a twist. In: International Transportation 1/ 2015, 44-47, Mai 2015; http: / / www.internationalesverkehrswesen.de/ english/ specialedition-12015.html [6] Tiedemann, T., Vögele, T., Krell, M. M., Metzen, J. H., & Kirchner, F. (2015, January): Concept of a Data Thread Based Parking Space Occupancy Prediction in a Berlin Pilot Region. In: Workshops at the Twenty-Ninth AAAI Conference on Artificial Intelligence Tim Tiedemann, Dr. Senior Researcher, DFKI GmbH, Robotics Innovation Center, Bremen tim.tiedemann@dfki.de Thomas Vögele, Dr. Senior Researcher, DFKI GmbH, Robotics Innovation Center, Bremen thomas.voegele@dfki.de 65 70 75 80 85 90 95 08: 00 09: 00 10: 00 11: 00 Occupancy [%] Time [h] 04.09.2014 11.09.2014 18.09.2014 02.10.2014 09.10.2014 t p t q Tageszeit Parkbelegung Aktuelle Belegungsdaten Klasse 1 Klasse 2 Bild 2 links: Die Belegung einer Gruppe von Parkständen kann sich von einer Woche zur nächsten deutlich ändern. Rechts: Für die Vorhersage der Parkplatzbelegung für einen Zeitpunkt t p in der Zukunft werden verschiedene Klassen von Parkverhalten identifiziert und die gelernten Parkverhalten mit der aktuellen Parksituation zum Zeitpunkt der Anfrage t q verglichen. Quelle: DFKI GmbH, Tim Tiedemann Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 86 TECHNOLOGIE Parkraumprognose Informationen zum verfügbaren Parkraum in Städten Parksuchverkehr, Parkdaten, Parkinformationssysteme, MDM Die Möglichkeiten, Parksuchverkehre durch eine bessere Nutzung bestehender und Schafung neuer Informationen zum verfügbaren Parkplatzangebot deutlich zu reduzieren, sind beim Stand der heutigen Technik in erheblichem Ausmaß vorhanden. Die Hemmnisse liegen nicht alleine, vermutlich nicht einmal primär bei den inanziellen Ressourcen, sondern eher bei den teilweise divergierenden Interessenslagen der Betreiber, fehlenden Standards der Informationskonsolidierung und nicht zuletzt vermutlich auch bei der Unkenntnis darüber, was in diesem Bereich an Potenzialen vorhanden ist. Die Autoren: Simon Rikus, Stephan Hofmann, Tudor Ungureanu K napper Parkraum und eine stark ausgelastete Park-Infrastruktur für Personen- und Wirtschaftsverkehre führen in Städten häuig zu einer hohen Belastung von Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und der vorhandenen Infrastruktur durch Parksuchverkehre mit entsprechender Belastung durch Lärm und Abgas-Emissionen sowie Zeitverluste. Daten und Informationen zur Verfügbarkeit freier Parkstände bzw. Stellplätze im öfentlichen Raum und auf privaten Flächen sowie über gerade frei werdende Parkplätze sind derzeit jedoch nicht oder bestenfalls unvollständig verfügbar bzw. werden nicht zur Verfügung gestellt. Durch eine Optimierung der verfügbaren Daten zu vorhandenen und freien Parkplätzen (im bewirtschafteten und unbewirtschafteten Parkraum) ließen sich viele Parksuchverkehre vermeiden, die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer steigern und die Suche nach (kostenlosen) Parkplätzen auf ein Mindestmaß reduzieren. Daten zum verfügbaren Parkraum Daten aus Parkbauten mit Einzelplatzdetektion bzw. Systemen mit kontrollierter Ein- und Ausfahrt (Bild 1 und Bild 2) bieten eine lächendeckende und umfangreiche Datengrundlage und sind prinzipiell verfügbar. Mit den vorhandenen Erfassungstechniken ist grundsätzlich auch eine Bereitstellung von dynamischen Informationen (z. B. die Anzahl von vorhandenen freien Stellplätzen) möglich. Diese Daten liegen jedoch häuig nicht zentral vor oder werden nur in Ansätzen an übergeordnete Stellen oder weitere Nutzer übertragen. Zudem werden häuig nur statische Informationen, wie z. B. maximale Anzahl von Stellplätzen oder die Öfnungszeiten, angegeben. Neben den derzeit noch großen Deiziten bei der notwendigen Übertragungstechnik bestehen insbesondere auch große Hemmnisse einer übergreifenden Datennutzung aufgrund verschiedener Zuständigkeiten in den Kommunen einerseits und der unterschiedlichen Interessen der zahlreichen Betreiber von Parkbauten andererseits. Daten aus Parkscheinautomaten ermöglichen in Verbindung mit zusätzlichen manuellen Erhebungen grundsätzlich Aussagen zur Belegungsbzw. Auslastungswahrscheinlichkeit der Parkstände im öfentlichen Straßenraum. Informationen zu verkauften Parkscheinen liegen derzeit zwar für Bereiche mit einer Parkraumbewirtschaftung vor, sie werden aber in der Regel bislang keiner weiterführenden Nutzung zugeführt. Verschiedene Zuständigkeiten in den Kommunen führen dazu, dass diese Daten bislang nicht oder nur unzureichend genutzt werden. Ein hohes Potenzial zur Gewinnung zusätzlicher Informationen zum verfügbaren Parkraum ist gleichwohl vorhanden. Ansätze bzw. Systeme zur Einzelplatzdetektion bzw. zur streckenbezogenen Erfassung von Parkraum sind grundsätzlich überall im öffentlichen Straßenraum (Straßen bzw. Bereiche mit und ohne Parkraumbewirtschaftung) möglich. Abgesehen vom hohen baulichen Aufwand zur Einrichtung deuten erste Einsätze von Bodensensoren, wie z. B. in Braunschweig, auf eine grundsätzliche Zuverlässigkeit der Systeme hin. Der Einsatz streckenbezogener Sensorik (Video- oder Radardetektion) erlaubt die Erfassung einer großen Anzahl von Stellplätzen, welche weder markiert noch nummeriert sein müssen. Allerdings stehen Daten aus derartigen Systemen derzeit noch in äußerst geringem Umfang und örtlich beschränktem Umfeld (im Rahmen von Pilot-/ Testanwendungen) zur Verfügung. Die Nutzung der Daten für die kollektive Verkehrsbeeinlus- Bild 1: Beispiel für eine Zufahrt mit kontrollierter Ein- und Ausfahrt Quelle: FGSV Bild 2: Beispiel für Einzelplatz-Überkopfdetektion Quelle: afapark Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 87 Parkraumprognose TECHNOLOGIE sung mittels Parkleitsystem steht derzeit nicht im Fokus der Anbieter. So werden Daten der verschiedenen Anbieter derartiger Systeme (noch) nicht mit anderen Systemen bzw. Daten verknüpft. Mit ein Grund hierfür ist auch das bislang eher verhaltene Interesse der Kommunen an zusätzlichen, vergleichsweise aufwändigen Entwicklungen im öfentlichen Straßenraum, solang noch ausreichend freie Kapazitäten in Parkbauten vorhanden sind. Ein betreiber- und interessensübergreifendes Datenangebot und -management wurde zumindest ansatzweise im Rahmen des Mobilitäts-Daten-Marktplatz (MDM) verwirklicht. Seitens der Kommunen besteht ein grundsätzliches Interesse zur Datenweitergabe bzw. zum Datenaustausch über den MDM. Bislang stehen Parkdaten im MDM aber nur ansatzweise für sehr wenige Kommunen zur Verfügung, was auch mit dem noch vergleichsweise geringen Bekanntheitsgrad der MDM-Plattform und des dahinterstehenden Datenangebots auf kommunaler Ebene zusammenhängt. Applikationen für mobile Endgeräte, die einen Mehrwert bei der Parkplatzsuche in Aussicht stellen, stehen zwar in großer Anzahl und mit unterschiedlichsten Gütegraden bzgl. Datenumfang, Datenaktualität und räumlicher Abdeckung zur Verfügung. Sie bieten allerdings oftmals nur eine lokale bzw. regionale Abdeckung sowie ein in der Regel unvollständiges Informationsangebot durch fehlende Verknüpfungen zu anderen Systemen (z. B. Parkleitsystemen). Zudem beschränkt sich der Service überwiegend auf statische Informationen und im Fall der Einbindung dynamischer Daten (bspw. zu Stellplatzauslastungen in Parkbauten) sind diese oftmals nur selektiv verfügbar. Parksuchverkehr und Vermeidungspotenziale In deutschen Städten wird jährlich eine Parksuchzeit von insgesamt rund 560 Mio. Stunden generiert. Freizeitfahrten, Rückfahrten zum Wohnort und Erledigungsfahrten sind dabei die wesentlichen Segmente, in denen Parksuchverkehre anfallen. Gut jede fünfte aller in Deutschland im Wirt- Handlungsansätze Maßgebliche Akteursebene Datenerhebung Volle Ausschöpfung und lächendeckende Nutzung des konventionellen Park-Datenangebots, insbesondere • neben statischen auch dynamische Informationen aus Parkbauten • Informationen aus Parkscheinautomaten zur Abschätzung / Berechnung von Belegungswahrscheinlichkeiten Betreiber von Parkbauten; öfentliche Hand Detektion im öfentlichen Straßenraum Privatwirtschaft & öfentliche Hand Aufbzw. Ausbau der notwendigen Systeme und-Schnittstellen zur automatisierten Datenübertragung, -speicherung und-analyse Privatwirtschaft & öfentliche Hand Berücksichtigung der zunehmenden Relevanz von-BigData: automatisch erfasste (Roh-)Daten, Informationen, Bewegungsproile aus mobilen Nutzergeräten (Smartphones, Navis, etc.) Privatwirtschaft Datenbereitstellung Bündelung vorhandener Daten bzw. Übertragung an eine übergeordnete Stelle (z. B. MDM) Öfentliche Hand / Kommunen Aufbzw. Ausbau der notwendigen Daten-Übertragungstechnik und Vereinheitlichung von Schnittstellen Privatwirtschaft & öfentliche Hand Engere Abstimmung kommunaler Aufgabeträger untereinander und mit privaten Betreibern/ Anbietern Privatwirtschaft & öfentliche Hand Aufgabe der Kommunen, verstärkt neue verfügbare Daten (insb. aus Einzelplatzdetektion im öfentlichen Straßenraum) von den Systembetreibern einzufordern und z. B. für kollektive Verkehrsbeeinlussungssysteme verfügbar zu machen Öfentliche Hand / Kommunen Datennutzung Abruf und Weiterverarbeitung prinzipiell verfügbarer aber bislang ungenutzter Daten (z. B.-aus Parkscheinautomaten) → -Generierung von Mehrwerten durch Daten-Kombination Privatwirtschaft (öfentliche Hand) Überwindung der Hemmnisse einer übergreifen den Datennutzung aufgrund verschiedener Zuständigkeiten in den Kommunen einerseits und der unterschiedlichen Interessen der zahlreichen Betreiber von Parkbauten andererseits Öfentliche Hand / Kommunen; Privatwirtschaft Etablierung und Durchsetzung einer zentralen Datenplattform (MDM): • Deutliche Steigerung der Bekanntheit des MDM bei den Kommunen • Herbeiführen einer generellen Bereitschaft auf kommunaler Ebene zur Nutzung der Datenplatt form (MDM) • Ausräumen vorhandener Bedenken und Hemmnisse bei den Kommunen über geeignete Maßnahmen (z. B. Informationsveranstaltungen und Erfahrungsberichte von Vorreiter-Kommu nen wie z. B. Düsseldorf) • Breite und lächendeckende Nutzung einer möglichst einheitlichen Datenbasis bzw. Datenplattform (z. B. MDM) durch alle am Verkehrsmanagementprozess Beteilige Öfentliche Hand / Kommunen Kommunen Kommunen / kommunale Spitzenverbände Öfentliche Hand / Kommunen; Privatwirtschaft Tabelle1: Handlungsansätze im Einlussbereich maßgeblicher Akteure www.highQ.de mytraQ easy access to sustainable mobility Jetzt Video online anschauen: Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 88 Technologie Parkraumprognose schaftsverkehr durchgeführten Fahrten wird als potenziell Parksuchverkehrs-relevant eingeschätzt. Im Privatverkehr ist es sogar rund jede vierte Fahrt. Durch eine verbesserte Informationslage ließe sich die jährlich in Städten Deutschlands für die Parkplatzsuche aufgewendete Zeit im Privatverkehr bei optimalem Zusammenwirken von technologischen, gesellschaftlichen und ordnungspolitischen Entwicklungspfaden potenziell um bis zu 155 Mio. Stunden reduzieren. Bezogen auf die insgesamt aufgebrachte Parksuchzeit entspricht das einem Anteil von bis zu 30 %. Rund 40 % der Fahrten mit Parkplatzsuche würden dabei von Einsparungen zwischen 6- und 10 min proitieren, rund jede vierte Parksuch-Fahrt ließe sich gar um 11 bis 15-min verkürzen. Im Wirtschaftsverkehr erscheinen Einsparungen von bis zu 26 Mio. Stunden an innerstädtischer Parksuchzeit pro Jahr möglich. Bezogen auf die insgesamt aufgebrachte Parksuchzeit entspricht das Anteilen von bis zu 50 %. Eine Verringerung der Parksuchzeiten hätte neben der reinen Zeitersparnis auch positive Auswirkungen auf die Fahrleistungen, da unnötige Suchwege entielen. So ließen sich im Idealfall jährlich bis zu 2,7 Mrd. Fzg.-km einsparen, einhergehend mit einer Reduktion des Kraftstofverbrauchs um bis zu 125- Mio. Liter Benzin und 78 Mio. Liter Diesel-Kraftstof. Das entspricht grob der Menge an Kraftstof, die der gesamte KFZ- Verkehr (PKW, LKW, Busse, Motorräder etc.) in ganz Deutschland an knapp zwei Tagen im Jahr 2012 verbrauchte. Durch den verringerten Kraftstofverbrauch könnten so bis zu 500 000 t CO 2 -Emissionen, 50 t Partikelemissionen und rund 1000 t Stickoxidemissionen eingespart werden. Bewertung Die Potenziale zu Nutzung von zusätzlichen Daten zur eizienteren Parkraumsuche sind vielfältig. So bergen Streckenabschnitte mit einer Parkraumbewirtschaftung mit Parkscheinautomaten ein bislang weitgehend ungenutztes hohes Potenzial für eine zusätzliche Datengewinnung. Aber auch Community- oder Fahrzeug-basierte Datenquellen gewinnen insbesondere durch das Voranschreiten von Privaten bei der Entwicklung und dem Angebot entsprechender Informationsdienste stärker an Bedeutung. Der Einsatz von Sensorik für eine streckenbezogene Datenerfassung verspricht bei lächenhafter Verbreitung ein im Vergleich zur Einzelplatzsensorik erhöhtes Datennutzungspotenzial. Nutzerdaten sowohl aus passiver und aktiver Bereitstellung werden mit zunehmender Verbreitung entsprechender Endgeräte und der Nutzung von Anwendungen vermehrt vorliegen und somit künftig einen höheren Stellenwert einnehmen. Die Potenziale zur Wirksamkeit der zusätzlichen Informationen zur Reduzierung des Parksuchverkehrs werden wie folgt eingeschätzt. Das höchste Wirkungspotenzial wird Fahrtzweck übergreifend den Sensor-basierten Datenerfassungssystemen zugeschrieben, da mit den hierüber perspektivisch bereitgestellten Daten dem Suchenden konkret Stellplatz-bezogene und aktuelle (im Sinne von Minuten-genaue) Informationen vorliegen würden. Ein immer noch vergleichsweise erhöhtes Potenzial birgt die Nutzung von Daten aus Parkscheinautomaten bzw. aus der damit verbundenen Option des Handy-Parkens. Dies gilt insbesondere dort, wo diese Daten perspektivisch lächendeckend zu Verfügung gestellt werden können. Entsprechend geringer eingeschätzt wird daher das Potenzial dieser Systeme bezogen auf Fahrten, deren Ziel in nichtbewirtschafteten Räumen (insbesondere reinen Wohngebieten) liegt. Informationsdienste mit Daten von Nutzern bieten eine Ergänzung des auf oiziellen (öfentlichen und privaten) Datenquellen aubauenden Informationsangebots. Höhere Wirkungspotenziale versprechen Informationen und Servicedienste, die auf passiv (z. B. über anonymisierte Bewegungsproile) bereitgestellten Nutzerdaten und somit einer breiten (auch räumlich weiter gefassten) Basis aubauen. Mittlere Potenziale gehen von aktiv bereitgestellten Nutzerdaten (im Sinne von Community basierten Ansätzen) aus, da hier eine geringere Breitenwirkung zu erwarten ist. Daten aus Parkhäusern (Systeme mit Ein- und Ausfahrkontrolle) wird ein vergleichbar niedriges Wirkungspotenzial zugesprochen. Es wird davon ausgegangen, dass der Mehrwert absehbarer Systemverbesserungen (z. B. hinsichtlich Vollständigkeit oder Aktualität des Informationsangebots) nur marginal im Vergleich zum heute bereits bestehenden Angebot ausfällt. In Bezug auf die Fahrtzwecke Arbeit und Wohnen werden die Wirkungen ohnehin als vernachlässigbar gering eingestuft. Schlussfolgerungen Die Möglichkeiten, Parksuchverkehre durch eine bessere Nutzung bestehender und Schafung neuer Informationen zum verfügbaren Parkplatzangebot deutlich zu reduzieren, sind beim Stand der heutigen Technik in erheblichem Ausmaß vorhanden. Die Hemmnisse liegen nicht alleine, vermutlich nicht einmal primär bei den inanziellen Ressourcen, sondern eher bei den teilweise divergierenden Interessenslagen der Betreiber, fehlenden Standards der Informationskonsolidierung und nicht zuletzt vermutlich auch bei der Unkenntnis darüber, was in diesem Bereich an Potenzialen vorhanden ist. Dies führt zu der generellen Forderung: Von allen am Verkehrsplanungs- und Verkehrsmanagementprozess Beteiligten sollte eine möglichst einheitliche Datenbasis bzw. Datenplattform (z. B. der MDM) genutzt werden. Nur so können die in vielen Teilbereichen bzw. Teilsystemen vorhandenen Daten zum Parkraum eizient genutzt werden und ggf. zu einer Reduzierung von Parksuchverkehren führen. Um dieses übergeordnete Ziel erreichen zu können, sind eine Reihe von Voraussetzungen auf den verschiedenen Ebenen der Datenerhebung, der Datenbereitstellung und der Datennutzung zu erfüllen. In Tabelle 1 sind hierzu erste Handlungsansätze formuliert sowie die jeweils maßgeblichen Akteursebenen benannt. ■ Stephan hofmann, Dr. Prokurist, Transver GmbH, Hannover hofmann@transver.de Tudor Ungureanu Projektingenieur, Transver GmbH,München ungureanu@transver.de Simon Rikus, Dipl.-Verkehrsing. Projektleiter Mobilität & Transport, Prognos AG, Berlin simon.rikus@prognos.com Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 89 Bicar - neue Dimensionen für die urbane Shared Mobility Carsharing, Bikesharing, Shared Mobility, Stadtverkehr, Nachhaltigkeit, Ressourceneizienz Die Nutzung öfentlicher Fahrzeuglotten gewinnt immer mehr an Akzeptanz. Sollen die drängenden urbanen Verkehrsprobleme jedoch zielführend adressiert werden, bedarf es ergänzender Gestaltungsideen im Sharingmarkt. Mit dem Mobilitätskonzept „Bicar“ hat die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) nun einen innovativen Ansatz vorgestellt, der 2016 im Flottenbetrieb getestet werden soll. Die Autoren: Thomas Sauter-Servaes, Adrian Burri, Salome Berger D ie umfassende Digitalisierung in vielen Lebensbereichen machte zunächst das Teilen digitaler Inhalte und inzwischen auch physischer Produkte immer einfacher. Internet und Smartphone sind die entscheidenden Katalysatoren für den Siegeszug von Sharingangeboten im Mobilitätsmarkt. Carsharing und Bikesharing verzeichneten in den letzten Jahren herausragende Wachstumszahlen. Allein in Deutschland waren Anfang 2015 über eine Million Carsharing-Nutzer registriert und damit knapp 40 % mehr als ein Jahr zuvor [1]. Noch ist ihr Anteil im Vergleich zur Grundgesamtheit der Autobesitzer marginal, doch ein Ende des dynamischen Wachstums ist vorerst nicht in Sicht. Bis 2020 geht das Beratungsunternehmen Roland Berger weltweit von einer jährlichen Steigerung der Marktgröße um 30 % aus [2]. Entsprechend investieren viele ursprünglich allein absatzfokussierte Automobilhersteller nun verstärkt in dienstleistungsorientierte Mobilitätskonzepte. Ähnlich positive Entwicklungstendenzen zeigt das Bikesharing. In über 850 Städten weltweit sind inzwischen Bikesharing-Systeme installiert, vor fünf Jahren waren es erst 220 [3]. Und auch bei den geteilten Fahrrädern wird in den kommenden Jahren ein Marktwachstum von 20 % pro Jahr prognostiziert [2]. Zusammenfassend leitet sich ofensichtlich aus dem anfänglichen Sharing-Hype tatsächlich mittelfristig ein relevanter Marktteilnehmer ab. Pragmatischere Verkehrsmittelnutzung Anscheinend wird die Einstellung zur Mobilität im Allgemeinen und zur Automobilität im Speziellen in der Bevölkerung zunehmend pragmatischer. Insbesondere der Besitz des eigenen PKW verliert an funktionaler und statusbehafteter Strahlkraft. Damit hat die Shareconomy das Potenzial, wesentlich zum Aubrechen der Jahrzehnte lang stabilen Mobilitätsroutinen und verkehrspolitischen Paradigmen beizutragen. Schon werden mutige neue Verkehrskonzepte diskutiert, nach denen ganze Stadtteile vollständig vom Privatauf das Prozentauto umgestellt werden können [4]. Soll diese Mobilitätswende jedoch gelingen, darf die Sharing-Kultur nicht nur einen neuen Pragmatismus bei der Entscheidung zwischen Nutzen und Besitzen befördern. Stattdessen muss dieser Pragmatismus in der nächsten Phase gleichfalls die eingesetzten Fahrzeuge umfassen. Auch ein im Carsharing betriebener Mini weist parkend einen Flächenfußabdruck von über 6 m 2 und eine zu bewegende Totlast von über 1 t pro Fahrzeuginsassen im Berufsverkehr auf. Angesichts der gegenwärtig im Berliner Freeloating-Carsharing gemessenen durchschnittlichen Reiseweite von rund 6-km [5] und eines Anteils von rund 50 % aller mit dem Auto in Schweizer Städten zurückgelegten Wege von unter 5 km [6] stellt sich die Frage, ob es nicht eines alternativen Sharing-Mobils bedarf, um den motorisierten Individualverkehr mit geteilten Fahrzeugen energie- und lächeneizienter zu gestalten. Die alle denkbaren Fahrtzwecke im Fern- und Nahverkehr abdeckende „Rennreiselimousine“ [7] statt im Privatbesitz nun unverändert als Flottenfahrzeug im Stadtverkehr einzusetzen, ist den zukünftigen Herausforderung der urbanen Mobilität sicherlich nicht angemessen. Bicar schließt Marktlücke Noch dominiert eine deutliche Polarisierung die urbane Shared Mobility. Auf der ei- Stadtverkehr TECHNOLOGIE Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 90 TECHNOLOGIE Stadtverkehr nen Seite das Carsharing, dessen nicht sharingspeziische Autos weitgehend dem traditionellen Leitbild des Universalfahrzeugs verhaftet bleiben, auf der anderen Seite das Bikesharing, bei dem schwere, robuste Spezialfahrräder zum Einsatz kommen. Das von diesen beiden prägenden Polen aufgespannte Feld der Sharingangebote füllt sich nur sehr langsam mit ergänzenden Angeboten. Mit dem Renault Twizy und Toyotas iRoad sind erste, aus der Autowelt abgeleitete Mikromobile mit kleinerem Footprint im Sharingbetrieb unterwegs. Oberhalb des konventionellen Bikesharings etablieren sich vermehrt Verleihsysteme mit speziellen Pedelecs und Serien-(E-)Scootern, die das platzsparende Zweiradsystem zur attraktiven Lösung auch für längere Distanzen und kürzere Reisezeiten werden lassen. Trotz dieser neuen Angebote zeigte die umfassende Markt- und Trendanalyse aber weiterhin eine unbesetzte Leerstelle: ein kostengünstiges, konstruktionstechnisch vom Fahrrad aus und speziell für das Teilen konzipiertes Citymobil, das die Flächen- und Ressourceneizienz des Fahrrads mit den bedeutendsten Komforteigenschaften eines Elektroautomobils kombiniert. Der Fragestellung dieser goldenen Mitte zwischen bike und car widmete sich ein interdisziplinäres Forschungsteam aus fünf Instituten und dem Studiengang Verkehrssysteme an der ZHAW School of Engineering. Nach nur 15 Monaten Entwicklungszeit wurde im Mai 2015 der Bicar-Prototyp präsentiert. Es ist die Abkehr von der „eierlegenden Wollmilchsau“ Automobil hin zum „urbanen Leitwolf“ Citymobil Bicar, ausgerichtet auf multimodales Verkehrsverhalten und die Smart City. „Reduce to the specs“ Lautete das Gestaltungsprinzip der ersten Generation von Daimlers revolutionärem Kleinstwagen smart noch „Reduce to the max“, stand die Bicar-Entwicklung stattdessen unter dem Motto „Reduce to the specs“: Ausgehend von den tatsächlichen Anforderungen („specs“) der Sharing-Betreiber und -Nutzer wurde das Bicar für den urbanen Kurzstreckeneinsatz konstruiert. Entsprechend standen die deutliche Absenkung der Investitions- und Wartungskosten im Vergleich zum Carsharing-Auto (mehr Fahrzeuge bei gleicher Investitionssumme), die komfortable Nutzung und intuitive Bedienung (Sharing-Ainität) sowie der geringe Flächenbedarf (Parkkosten, Stellplatzsuche) im Fokus des Forschungsvorhabens. Investition/ Wartung Das rein elektrisch angetriebene Bicar ist auf eine Höchstgeschwindigkeit von 30- km/ h und eine Reichweite von 25 km ausgelegt. Die auf die resultierenden Belastungen dimensionierte Bauweise ermöglicht ein Zielgewicht von nur 70 kg. Dieses nutzungskonforme Downsizing setzt sich auch in anderen Fahrzeugsegmenten konsequent fort. So wird beispielsweise nach der „Bring-yourown-device“-Philosophie auf ein Display verzichtet, stattdessen kann das eigene Smartphone angedockt werden. Um eine möglichst hohe Produktivität der Flotte zu erzielen, wurde von Beginn an ein hybrides Geschäftsmodell verfolgt. Dieses beinhaltet eine Produktdiferenzierung in Bicar Share und Bicar Care. Während Bicar Share die klassische Sharing-Nutzung im individuellen Leihbetrieb im stationenbasierten oder freeloating System beschreibt (Bild 1), steht Bicar Care für den Einsatz als „Traktor“ mit einem funktionsspeziischen Anhänger für Stadtbetriebe, Postzustellung oder Materialtransporte, wobei das Fahrzeug außerhalb der Betriebszeiten ohne Anhänger in den Share- Modus übergeben werden kann (Bild 2). Sharing-Ainität Vorgabe war die Realisierung eines Fahrzeugs, das von jedermann leicht zu bedienen ist, ein hohes Sicherheitsgefühl vermittelt und ausreichend Komfort für Fahrten über Distanzen von etwa 5 km bietet. Dank der dreirädrigen Konstruktion steht das Bicar zu jedem Zeitpunkt stabil. Im Gegensatz zu vielen anderen so genannten Trikes verfügt es über eine hohe Sitzposition, die eine gute Übersicht über das Verkehrsgeschehen ermöglicht und die eigene Sichtbarkeit gewährleistet. Die Haube schränkt dabei die Sicht des Fahrers nur unwesentlich ein, ihr Schutz vor Regen und Wind erhöht aber zugleich signiikant den Komfort gegenüber klassischen Sharing-Fahrrädern. Vor dem Hintergrund von beispielsweise jährlich über 100 Regentagen in der Region Zürich ein nicht unbedeutender Aspekt. Damit der Fahrspaß nicht zu kurz kommt, ist das Bicar mit einer Neigetechnik ausgestattet, die nicht nur eine hohe Wendigkeit zur Folge hat sondern zudem extrem sportliches Fahren ermöglicht. Fläche In innerstädtischen Gebieten wird der Verteilungskampf der verschiedenen Stakeholder um die kostbare Ressource Raum immer Bild 1: Bicar Share, klassische Sharing-Nutzung im individuellen Leihbetrieb Bild 2: Bicar Care mit funktionsspezifischem Anhänger Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 91 Stadtverkehr TECHNOLOGIE intensiver. Verdichtetes Wohnen, steigende Ansprüche an die Stadtraumgestaltung und eine wachsende Mobilitätsnachfrage heizen die Flächenkonkurrenz an. Schon heute werden 30 % des innerstädtischen Verkehrs in Metropolen allein dem Parksuchverkehr zugeschrieben [8]. Insofern ist die Bereitstellung und Finanzierbarkeit reservierter Stellplatzkapazitäten in attraktiven Lagen ein Schlüsselfaktor für den Erfolg von Shared-Mobility-Dienstleistungen. Dank seiner Grundläche von nur rund 1,2 m 2 und seines raumsparsamen Zugangskonzepts können auf einem regulären Autostellplatz 6 bis 8 Bicars zur Verfügung gestellt werden. Forschungsplattform Bicar Auf der Grundlage der Erfahrungen mit dem Prototypen entsteht derzeit das Konzept für die zweite Vorserien-Generation. Das Bicar 2 soll in einer Aulage von 20-Fahrzeugen gebaut werden und damit einen ersten Testlottenbetrieb ermöglichen. Das Vorhaben ist als ofene Forschungsplattform angelegt. Neben den Startpartnern sind weitere Fahrzeug- und Komponentenhersteller, Sharingbetreiber und Kommunen eingeladen, sich an Bicar zu beteiligen. Forschungsthemen wie eine Wetterschutzhülle aus biologisch abbaubaren Holzfasern, kosteneiziente Fertigungstechnologien, Mensch-Maschine-Kommunikation, Anhänger für größere Lasten oder neue Antriebtechnologien stehen bereits auf der Forschungsagenda. Das Bicar-Blog (http: / / blog.zhaw.ch/ bicar) berichtet kontinuierlich über die aktuellen Entwicklungen. ■ LITERATUR [1] bcs (2015): CarSharing wächst in der Fläche mehr als ein Viertel neuer CarSharing-Orte gegenüber dem Vorjahr. Berlin. (http: / / www.carsharing.de/ pressemitteilung-vom-16032015) [2] Freese, Christian; Schönberg, Tobias (2014): Shared Mobility.How new businesses are rewriting the rules of the private transportation game. München. (https: / / www.rolandberger.com/ media/ pdf/ Roland_Berger_TAB_Shared_Mobility_20140716.pdf) [3] Meddin, Russell (2015): The Bike Sharing World - 2014 -Year End Data, http: / / bike-sharing.blogspot. de/ 2015/ 01/ the-bike-sharing-world-2014-year-end.html [4] klimaretter.info (2015): Politische Angsthasen, sperrige Autos und netzaine Mobile. Interview mit Prof. Andreas Knie (http: / / www.klimaretter.info/ herausgeber/ prof-andreas-knie/ 19196-politischeangsthasen-sperrige-autos-und-netzaine-mobile) [5] civity (2014): Urbane Mobilität im Umbruch? matters No. 1. Berlin [6] Stadt Zürich (2012): Mobilität in Zahlen. Übersicht Kennzahlen. Im Fokus: Städtevergleich Mobilität. Zürich. (www.stadt-zuerich.ch/ content/ dam/ stzh/ ted/ Deutsch/ taz/ Mobilitaet/ Publikationen_und_ Broschueren/ Verkehrszahlen_und_Befragungen/ MiZ_Kennzahlen_2012_2-Web.pdf) [7] Canzler, Weert; Knie, Andreas (1994): Von der Automobilität zur Multimobilität. Die Krise des Automobils als Chance für eine neue Verkehrs- und Produktpolitik, in: Werner Fricke (Hrsg.): Jahrbuch Arbeit und Technik. Bonn, S. 171-182 [8] IBM (2011): IBM Global Parking Survey: Drivers Share Worldwide Parking Woes. Armonk. (https: / / www- 03.ibm.com/ press/ us/ en/ pressrelease/ 35515.wss) Adrian Burri, Dipl. Masch. Ing. ETH Leiter Zentrum für Produkt- und Prozessentwicklung, ZHAW School of Engineering, Winterthur adrian.burri@zhaw.ch Salome Berger, BA ZFH in Industriedesign Wissenschaftliche Assistentin, ZHAW School of Engineering, Winterthur salome.berger@zhaw.ch Thomas Sauter-Servaes, Dr.-Ing. Mobilitätsforscher & Studiengangleiter „Verkehrssysteme“, ZHAW School of Engineering, Winterthur thomas.sauter-servaes@zhaw.ch Gleich kostenfreie Eintrittskarte sichern! parken-messe.de/ eintrittskarten Themenschwerpunkte der Fachausstellung: • Schlüsselfertige Erstellung von Park- und Garagehäusern sowie Parkdecks • Parkhaussysteme • Parkhaussanierung • Beschilderung • Beleuchtung • Kassenautomaten • Leitsysteme • Zufahrts- und Abfahrtskontrollen Weitere Informationen unter +49 711 61946 251 oder parken@mesago.com Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 92 TECHNOLOGIE Fahrzeugsicherheitssysteme Sicherheitsrelevante Fahrzeugsysteme auf dem Vormarsch? Aktive Sicherheitssysteme, passive Sicherheitssysteme, Fahrerassistenzsysteme, Marktdurchdringung, Straßenverkehrssicherheit Im Rahmen einer von der Bundesanstalt für Straßenwesen in Auftrag gegebenen Studie fand eine umfassende Erhebung der Ausstattung von PKW mit Fahrzeugsicherheitssystemen in Deutschland statt. Die-Studienergebnisse zur Verbreitung von Systemen, die Unfälle vermeiden oder Unfallfolgen abmildern, zeigt ein sehr uneinheitliches Bild. Anders als Systeme der passiven Sicherheit wie etwa Airbags gehört die überwiegende Anzahl der 53 untersuchten Systeme bislang nicht zur Standardausstattung in Fahrzeugen. Die Autorin: Janina Küter S ich sicher und geschützt im Straßenverkehr zu bewegen ist Wunsch jedes PKW-Fahrers. Die Verbreitung von Systemen, die Unfälle vermeiden oder Unfallfolgen abmildern, zeigt allerdings ein sehr uneinheitliches Bild. Im Rahmen einer von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in Auftrag gegebenen Studie 1 fand erstmalig eine umfassende Erhebung der Ausstattung von PKW mit Fahrzeugsicherheitssystemen in Deutschland statt. Dafür wurde eine Stichprobenerhebung in Form einer telefonischen Befragung durchgeführt, bei der verschiedene Fahrzeugmodelle unterschiedlicher Hersteller abgefragt wurden. 2 Neben der Betrachtung der Marktdurchdringung in einzelnen Fahrzeugsegmenten wurden im Rahmen der Studie auch soziodemograische Aspekte berücksichtigt. Fahrzeugsicherheitssysteme (FSS) leisten einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und zur Reduktion der Zahl Verunglückter und Getöteter im Straßenverkehr. Der langfristige Trend sinkender Zahlen an Verunglückten und Getöteten setzt sich fort, auch wenn 2014 die Anzahl der Getöteten gegenüber dem Vorjahr mit 0,9 % leicht zunahm (um 29 auf 3368; Zahlen vorläuig). Die Anzahl ist immer noch auf dem zweitniedrigsten Niveau seit 1950 3 . Erst eine konkrete Datenbasis mit Zahlen zur Marktdurchdringung von FSS ermöglicht die Identiikation notwendiger Handlungsfelder. Auch für die Umsetzungs- und Wirkungskontrolle eingeführter Rechtsnormen und die Ableitung von Maßnahmenempfehlungen z. B. zur gezielten Förderung eines bestimmten FSS sind fundierte Informationen über den Grad der Verbreitung von Assistenz- und Fahrzeugsicherheitssystemen nötig. Die Förderung kann dabei z. B. durch eine verplichtende Einführung erfolgen, wie es für das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) zum 1.11.2014 für erstmalig zugelassene Fahrzeuge der Fall war (gemäß EU-Verordnung 661/ 2009) - das automatische Auto-Notruf System eCall 4 ist für neue PKW-Modelle ab Ende März 2018 verplichtend (Beschluss des EU-Parlaments vom 28.04.2015). Andere Fördermöglichkeiten könnten gesetzliche Vorgaben oder Anreize für die Herstellung und den Verkauf von PKW mit bestimmten FSS sein, beispielsweise durch Änderungen im Sternebewertungssystem 5 von EuroNCAP (Bild 1), das mit seinem Bewertungsschema eine Vergleichsbasis für die Fahrzeugsicherheit bietet. Bei den FSS werden zwei Arten unterschieden. Systeme der aktiven Sicherheit informieren oder warnen den Fahrer über mögliche Gefahren und greifen zum Teil aktiv und intervenierend in die Fahrzeugführung ein. Während Systeme der aktiven Sicherheit der Unfallvermeidung dienen, wirken Systeme der passiven Sicherheit erst, wenn sich ein Unfall nicht mehr verhindern lässt. Sie dienen der Reduktion von Unfallfolgen und tragen dazu bei, den Grad der Verletzung möglichst gering zu halten. Für den Fahrer ist daher aktive Fahrzeugsicherheit im Alltag eher präsent und wird stärker wahrgenommen als passive Fahrzeugsicherheit. Bild 1: Kriterien für Aufpralltests nach EuroNCAP-Norm Quelle: Euro NCAP Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 93 Fahrzeugsicherheitssysteme TECHNOLOGIE Bekannte Beispiele für Systeme der aktiven Sicherheit sind das Antiblockiersystem (ABS) mit einer Marktdurchdringung von nahezu 100 % oder ESP, dessen hohe Verbreitung von 68 % aufgrund der verplichtenden Einführung Ende 2014 weiter zunehmen wird. Bei den Systemen der passiven Sicherheit sind an erster Stelle Airbags zu nennen (Bild 2). Front-Airbags sind mit einer Verbreitung von 98 % in praktisch jedem Fahrzeug zu inden und auch Seitenairbags haben mit 88 % eine sehr hohe Verbreitung. Tabelle 1 zeigt den Grad der Marktdurchdringung weit verbreiteter Fahrzeugsicherheitssysteme. 6 Die Verbauraten von Fahrzeugsicherheitssystemen variieren allerdings stark und sind keinesfalls auf dem hohen Niveau der Airbags, die Rangplatz 1 und 2 einnehmen. Die überwiegende Anzahl der 53 untersuchten Systeme, die in Tabelle 1 bis Tabelle 3 dargestellt sind, hat vielmehr eine geringe bis sehr geringe Verbreitung. Den unterschiedlichen und überwiegend geringen Ausstattungsgrad der Fahrzeuge mit Assistenz- und Sicherheitssystemen zeigen die Tabellen 2 und 3. 6 In der Studie wurden allgemeingültige Funktionsbezeichnungen für die Sicherheitssysteme verwendet und nicht die herstellerspeziischen Bezeichnungen, um so weit wie möglich Verwirrung aufgrund der Bezeichnungsvielfalt zu vermeiden. Sehr unterschiedlich ist zudem auch die Art, wie ein bestimmtes System warnt. Der Spurverlassenswarner erkennt Spurmarkierungen und warnt vor einem ungewollten Verlassen der Fahrspur, d.h. ohne dass der Blinker gesetzt wurde. Beim 3er BMW 7 z. B. warnt der Spurverlassenswarner als Teil der Ausstattung Driving Assistant durch einen Hinweis in der Instrumentenkombination und durch ein Vibrieren des Lenkrads. Bei Citroen - etwa im C5 8 - erfolgt die Warnung akustisch oder auch durch Vibrationen des Sitzes auf der Seite, auf der die Spurmarkierung überfahren wurde. Die unterschiedliche Art, wie sich Assistenzsysteme bemerkbar machen, wird in der Studie zur Marktdurchdringung von FSS nicht weiter erfasst. Bei den weit verbreiteten Systemen variiert die Ausstattung zwischen einzelnen Fahrzeugsegmenten wie Kleinwagen, Mittel- oder Oberklasse nur geringfügig. So schwankt der Ausstattungsgrad bei den Frontairbags zwischen den Segmenten Kleinwagen, Mittel- oder Oberklasse gerade einmal um 3 %. Bei den meisten Systemen, und insbesondere bei denen mit noch geringer Marktdurchdringung, hängt die Verbreitung allerdings deutlich vom Segment ab. Die Verbreitung erfolgt von der oberen Mittel-/ Oberklasse in Richtung Mittelbzw. Kompaktklasse hin zu Kleinwagen. Fahrzeuge der oberen Mittel-/ Oberklasse sind im Vergleich zu anderen Segmenten in der Regel am besten auch mit neuen Systemen ausgestattet. Der Marktdurchdringungsgrad ist zudem vielfach auch davon abhängig, ob ein System serienmäßig verbaut wird und wie lange es schon auf dem Markt ist. Exemplarisch zeigt Tabelle 4 die bestehenden deutlichen Unterschiede in der Verbreitung einzelner FSS in Abhängigkeit vom Fahrzeugsegment. Beispielsweise zählt der Geschwindigkeitsbegrenzer (Speed Limiter), wie auch die adaptive Geschwindigkeitsregelung (ACC: Adaptive Cruise Control), zu den intervenierenden Systemen der aktiven Si- Bild 2: Aufprall mit 64 km/ h gegen eine deformierbare Barriere Foto: Uwe Freier System- / Systemgruppe Anteil ausgestatteter Fahrzeuge (%) Rang Front-Airbags für Fahrer oder Beifahrer 98 1 Seiten-Airbags für Fahrer oder Beifahrer 88 2 wechselnde Bereifung (Sommer/ Winter) 84 3 Gurtstrafer 82 4 Bremsassistent 73 5 fest eingebautes oder mobiles Navigationsgerät 71 6 Elektronisches Stabilitätsprogramm 68 7 Seat Belt Reminder 67 8 ISO-Fix Verankerungspunkte für Kindersitze 58 9 Kopfairbags 57 10 Abschaltfunktion des Beifahrerairbags (Key Switch) 48 11 Tabelle 1: Weit verbreitete Fahrzeugsicherheitssysteme System- / Systemgruppe Anteil ausgestatteter Fahrzeuge (%) Rang Tempomat 35 12 aktive Kopfstützen 35 12 Einparkhilfe oder Parkpiepser 27 14 Tagfahrleuchten 21 15 Reifendruckkontrollsystem 20 16 Dämmerungsautomatik 17 17 Speed Limiter bzw. Geschwindigkeitsbegrenzer 14 18 adaptives Bremslicht 10 19 Notlaufeigenschaft (Run-Flat-Reifen) 10 19 Knieairbags für Fahrer oder Beifahrer 8 21 dynamisches Kurvenlicht 8 21 Tabelle 2: Mäßig verbreitete Systeme Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 94 TECHNOLOGIE Fahrzeugsicherheitssysteme cherheit, d. h. sie greifen aktiv in das Fahrgeschehen ein, indem sie die maximale Geschwindigkeit auf einen vom Fahrer voreingestellten Wert begrenzen. Anders als beim Tempomat 9 regelt der Fahrer innerhalb des deinierten Bereichs die Geschwindigkeit selbst. Der Geschwindigkeitsbegrenzer ist bereits in 14 % der Fahrzeuge zu inden. Adaptive Cruise Control (ACC) geht über den Tempomat hinaus: Das System berücksichtigt die eingestellte Geschwindigkeit des Fahrers sowie den Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen. Fährt das Fahrzeug bei aktiviertem ACC nah an ein vorausfahrendes Fahrzeug heran, bremst das System automatisch ab und hält einen eingestellten Sicherheitsabstand. Ist die Fahrbahn wieder frei, beschleunigt das System erneut auf die eingestellte Geschwindigkeit. ACC ist mit 3 % verhältnismäßig selten. In fünf der acht aufgeführten Segmente ist es nicht oder fast nicht existent. Die höchsten Ausstattungsraten erreichen beide Systeme, der Geschwindigkeitsbegrenzer und ACC, in Fahrzeugen der oberen Mittel-/ Oberklasse mit 63 und 26 %. Die so genannte aufstellbare Fronthaube gehört zu den Systemen der passiven Sicherheit, die in Tabelle 5 dargestellt werden. Sie dient dem Fußgängerschutz, da sich die Motorhaube im Falle einer Kollision mit einem Fußgänger im hinteren Bereich anhebt 10 , um den Aufprall abzumildern. Auf diese Weise lassen sich schwere Kopfverletzungen durch den Anprall auf die Frontscheibe vermeiden. Lediglich 2 % der Fahrzeuge sind mit einer aufstellbaren Fronthaube ausgestattet; in der oberen Mittel-/ Oberklasse ist es bereits jedes fünfte Fahrzeug. Zur passiven Fahrzeugssicherheit zählen auch die Vorkonditionierung, der Window Bag und aktive Kopfstützen. Letztere gehören mit 35 % Marktdurchdringung immerhin zu den weit verbreiteten Fahrzeugsicherheitssystemen in Deutschland. Aktive Kopfstützen neigen sich im Falle einer Heckkollision nach vorne, um das Überstrecken der Wirbelsäule zu verhindern. Ähnlich wirkt die Vorkonditionierung (Pre Safe) bei einer Frontalkollision. Es werden Maßnahmen wie die Optimierung der Sitzposition der Insassen eingeleitet, um die Folgen eines bevorstehenden Aufpralls zu mildern und die Insassen zu schützen. Die Vorkonditionierung ist mit 3 % gering verbreitet. Auch hier wird der Unterschied zwischen Segmenten erneut sichtbar: Jedes fünfte Fahrzeug der oberen Mittel-/ Oberklasse ist mit einem solchen System ausgestattet. Der Window Bag, auch Außen- oder Fußgänger-Airbag genannt, zündet im Falle einer Kollision mit einem Fußgänger ein Luftpolster, das die A-Säule 11 und den hinteren Bereich der Motorhaube bedeckt, um so die Unfallfolgen für den Fußgänger möglichst gering zu halten. Bislang indet der Windowbag allerdings keine wirkliche Verbreitung und muss mit 0 % ausgewiesen werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Systeme der passiven Sicherheit wie Airbags zur Standardausstattung in Fahrzeugen in Deutschland gehören. Front- und Seitenairbags, Gurtstrafer, Bremsassistent und ESP sind unter den zehn am häuigsten verbauten Systemen. Die Verbreitung von FSS hängt vom Fahrzeugsegment ab. Fahrzeuge der oberen Mittel-/ Oberklasse sind System- / Systemgruppe Anteil ausgestatteter Fahrzeuge (%) Rang statisches Abbiegelicht 5 23 Rückfahrkamera 4 24 Fernlichtassistent 4 24 Geschwindigkeitswarner 3 26 ACC (Tempomat mit Abstandshalter) 3 26 Parkassistent 3 26 Vorkonditionierung (Pre-Safe) 3 26 Notrufsystem 3 26 Pausenempfehlung 2 31 Aufahrwarner 2 31 Multikollisionsbremse 2 31 gleitende Leuchtweitenregulierung 2 31 situationsadaptive Leuchtweitenregulierung 2 31 Unfalldatenschreiber (nur Dienstwagen) 2 31 aufstellbare Fronthaube 2 31 Head up Display 1 38 Verkehrsschilderkennung 1 38 Notbremssystem bis 30 km/ h 1 38 Notbremssystem über 30 km/ h 1 38 Kollisionswarner 1 38 Spurwechselwarner 1 38 Toterwinkelwarner 1 38 Spurverlassenswarner 1 38 Kreuzungsassistent 0 46 Stauassistenten 0 46 Spurwechselassistenten 0 46 Spurhaltesystem 0 46 Rundum-Kamera 0 46 fest eingebautes Nachtsichtgerät 0 46 Windowbzw. Außen-Airbag 0 46 Tabelle 3: Gering verbreitete Systeme Geschwindigkeitsbegrenzer (Speed Limiter) Adaptive Cruise Control (ACC) gesamt 14 3 Minis 0 0 Kleinwagen 3 0 Kompaktklasse 8 1 Mittelklasse 17 4 obere Mittelklasse/ Oberklasse 63 26 Geländewagen/ SUV 19 5 Mehrzweckfahrzeuge/ Vans 16 1 Sportwagen 27 0 Tabelle 4: Segmentabhängigkeit der Verbreitung am Beispiel von Systemen der aktiven Sicherheit zur Geschwindigkeitsregelung Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 95 Fahrzeugsicherheitssysteme TECHNOLOGIE im Vergleich zu anderen Segmenten in der Regel am besten und auch mit neuartigeren Systemen ausgestattet. Der Marktdurchdringungsgrad ist zudem von einigen weiteren Faktoren wie dem serienmäßigen Verbau, gesetzlichen Regelungen und auch dem Zeitpunkt der Einführung abhängig. Viele weitere Ergebnisse und Erkenntnisse zur Verbreitung von FSS - dass beispielsweise PKW mit einer Jahresfahrleistung von über 50 000 km im Durchschnitt über doppelt so viele FSS verfügen wie wenig genutzte PKW (weniger als 5 000 km) - lassen sich in der BASt-Studie zur „Marktdurchdringung von Fahrzeugsicherheitssystemen“ entdecken. ■ 1 Studie durchgeführt von infas, siehe Follmer, R. et.al. (2014): Schlussbericht „Marktdurchdringung von Fahrzeugsicherheitssystemen“, verfügbar über die BASt Homepage unter: Berichte der Bundes-anstalt für Straßenwesen (2015), Mensch und Sicherheit, Heft M 258 2 Die Grundgesamtheit umfasst alle, privaten Haushalten zur Verfügung stehenden Fahrzeuge in Deutschland. Alle Fahrzeugsegmente sind vertreten sowie die verschiedensten Altersklassen. So enthält die Stichprobe Neuwagen bis hin zu Fahrzeugen über 16 Jahre. 3 Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 065 vom 25.02.2015 4 Nach einem Unfall soll eCall automatisch die einheitliche europäische Notrufnummer 112 wählen (wobei auch eine manuelle Auslösung möglich ist). Die Eizienz der Rettungskette wird durch die Verkürzung der Zeitspanne zwischen dem Unfallgeschehen und dem Eingang der Meldung in der Rettungsleitstelle sowie durch ein verbessertes Meldebild gesteigert. (Übermittlung eines Minimalda-tensatzes und Aufbau einer Sprachverbindung) 5 Z.B. durch Erhöhung der maximal erreichbaren Sterneanzahl 6 Beruhend auf den Ergebnissen der BASt-Studie: „Marktdurchdringung von Fahrzeugsicherheitssys-temen“ 7 Vgl. http: / / www.bmw.de/ de/ neufahrzeuge/ 3er/ limousine/ 2011/ fahrerassistenz.html 8 Vgl. http: / / www.citroen.de/ technologie/ ail-spurassistent. html 9 Tempomat hält vom Fahrer eingestellte Geschwindigkeit und bremst und beschleunigt selbsttätig, um Geschwindigkeit auch bei Steigungen zu halten. 10 Anhebung der Motorhaube in Sekundenbruchteilen aufgrund der Meldung eines Aufpralls durch Sensoren. Der Verformungsraum wird durch die Anhebung vergrößert. 11 Eine der tragenden Fahrzeugsäulen im vorderen Bereich des Fahrzeugs Janina Küter Referentin, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach kueter@bast.de aktive Kopfstützen Vorkonditionierung (Pre-Safe) Aufstellbare Fronthaube Windowbzw. Außen-Airbag gesamt 35 3 2 0 Minis 12 0 0 0 Kleinwagen 16 0 0 0 Kompaktklasse 42 2 2 0 Mittelklasse 45 4 0 0 obere Mittelklasse/ Oberklasse 68 22 19 0 Geländewagen/ SUV 36 7 0 0 Mehrzweckfahrzeuge/ Vans 36 2 0 0 Sportwagen 17 2 7 0 Tabelle 5: Systeme der passiven Sicherheit zum Insassen- und Fußgängerschutz World Mobility SUMMIT 2015 October 20-22, 2015, Munich 3 DAYS 2 PARALLEL SESSIONS Register now on www.ecartec.com or by phone +49 (89) 32 29 91-0 70 SPEAKERS TOPICS Electric & Hybrid Technology Battery Technology Lightweight Design Connected & Autonomous Driving Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 96 TECHNOLOGIE Wissenschaft Assistenz und Automation am Übergang zwischen individueller und kollektiver Mobilität Mobilitätsdienste, Intermodalität, Reiseassistenz, Fahrerassistenz, Fahrzeugautomatisierung Vorhandene Verkehrsinfrastrukturen stoßen zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen. Der-Bau weiterer Verkehrslächen ist meist weder räumlich noch inanziell realisierbar. Alternative Mobilitätsmodelle spielen folglich in Ballungsräumen eine zunehmend größere Rolle. Für junge Menschen ist das Konzept „Nutzen statt Besitzen“ eine realistische Option zur Befriedigung ihrer Mobilitätsbedürfnisse. Die Verknüpfung individueller und kollektiver Mobilitätsangebote ist hierbei ein wesentliches Element. Entscheidend für den Erfolg solcher Angebote ist, dass die Nutzer ihre Verkehrsmittelwahl auf der Basis der vor Ort vorhandenen Mobilitätsoptionen je nach Reisezweck und Verfügbarkeit lexibel optimieren können. Die Autoren: Lars Schnieder, Frank Köster D as Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) arbeitet in verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsprojekten u. a. an der Gestaltung bruchloser verkehrsträgerübergreifender Mobilitätsketten (vgl. [1] und [2]). In diese Konzepte wird auch die sukzessive Zunahme des Automationsgrads bis hin zum voll automatischen Fahrzeug einbezogen. Ein Beispiel für die Fahrzeugautomatisierung ist das automatisierte Valet Parking (d. h. ein Parken des Fahrzeugs durch das Fahrzeug selbst). Bei diesem Einsatzszenario stellt eine Automation das Fahrzeug nach Verlassen durch die Passagiere in einer nahen oder auch entfernten Parkposition ab (Fahrzeugfreigabe). Wird das Fahrzeug wieder benötigt, fährt die Automation das Fahrzeug wieder von der Parkposition an die gewünschte Position (Fahrzeugbereitstellung). Zudem kann die Fahrzeugautomation ein Umparken des Fahrzeugs initiieren, um ggf. anderweitig benötigte Flächen (vorübergehend) freizugeben [3]. Systemübergänge in verkehrsträgerübergreifenden Mobilitätsketten Wie ist eine solche Automation einzuordnen? Bereits heute wird der Fahrer eines Kraftfahrzeugs durch eine Vielzahl von Assistenzsystemen unterstützt. Zukünftig werden verstärkt aktuell noch unmittelbar vom Fahrer ausgeführte Funktionen vom Fahrzeug bzw. einer Fahrzeugautomation unterschiedlich weitreichend übernommen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat in diesem Zusammenhang eine erste Deinition von Automationsgraden initiiert, die sich von „driver only“ (Fahren mit voller Verantwortung des Fahrers), über „assistiert“, „teil-automatisiert“ und „hoch-automatisiert“ bis hin zu „voll-automatisiert“ erstrecken [4]. Die Funktion des automatisierten Valet Parkings ist der Evolutionsstufe des voll-automatisierten Fahrens zuzuordnen. Parallel zu dieser Entwicklung in der Kraftfahrzeugtechnik stehen durch das überall (zeitlich, räumlich und auch mobil) verfügbare Internet (vgl. [5] und [6]) und die zunehmend umfassendere Echtzeitdatenbasis öfentlicher Verkehrssysteme (vgl. [7] und [8]) die technischen Grundlagen zur Verfügung, den Reisenden mit mobilen Anwendungen (Apps) auf seiner individuellen Reise „von Tür zu Tür“ zu begleiten [9]. In der bewussten Ausgestaltung des Übergangs zwischen individueller und kollektiver Mobilität liegt unseres Erachtens der Schlüssel für ein optimiertes Nutzungserlebnis in verkehrsträgerübergreifenden Reiseketten. Automatisierte Fahrzeuge ermöglichen in diesem Zusammenhang neue Gestaltungsmöglichkeiten. Das Institut für Verkehrssystemtechnik des DLR hat mit der Anwendungsplattform Intelligente Mobilität (AIM) u.a. ein leistungsfähiges Instrumentarium zur Untersuchung ambitionierter wissenschaftlicher Fragestellungen im Bereich der Mensch-Technik-Interaktion im Verkehr etabliert (vgl. [10], [11] und [12]). PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 28.04.2015 Endfassung: 04.08.2015 Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 97 Wissenschaft TECHNOLOGIE Unter Rückgrif auf AIM konnte beispielsweise die konkrete systemtechnische Ausgestaltung des Übergangs zwischen individueller und kollektiver Mobilität untersucht werden. In diesem Zusammenhang wurden verschiedenen AIM-Dienste (Dienste sind die die Grundbausteine, aus denen sich AIM zusammensetzt - z.B. Simulatoren, Forschungsfahrzeuge, infrastrukturbasierte Sensorik und ein Rechenzentrum mit (Geo-)Datenbanken und Applikationsrechnern) in einem Prototyp zusammengeführt, der im öfentlichen Straßenraum dargestellt wurde. Hierbei standen die folgenden Forschungsfragen im Mittelpunkt: • Wie genau sieht systemtechnisch der Informationsluss zwischen einer Fahrzeugautomation und anderen beteiligten Systembausteinen eines kooperativen Parkraummanagements aus? Welche technischen Instanzen sind beteiligt und welche Informationen werden übergeben? • Wie genau ist die Interaktion mit dem Nutzer zu gestalten? Konkret steht hierbei die Frage im Vordergrund, was der Nutzer sieht, bzw. hört wenn er mit einer in eine Reiseassistenzanwendung integrierte Valet Parking-Funktion auf einem mobilen Endgerät interagiert. Grundlage für die hiermit verknüpften Arbeiten war ein (hoch-) automatisiertes Fahrzeug, welches bereits grundsätzlich in eine entsprechende Systemumgebung eingebettet war [13]. Systembausteine eines kooperativen Parkraummanagements An der Schnittstelle zwischen individuellen und kollektiven Mobilitätsangeboten übernimmt das individuelle Verkehrsmittel (das eigene Auto oder Fahrrad) oft die Funktion des Zubringers zu öfentlichen Verkehrsmitteln. Zudem ist das individuelle Verkehrsmittel für die „letzte Meile“ in vielen Fällen unverzichtbar. Wie sind die Nahtstellen zwischen den verschiedenen Verkehrssystemen gestaltet? Oftmals nimmt der „ruhende Verkehr“ am Startpunkt der abbringenden Fahrt eine große Rolle bei der nutzergerechten Gestaltung der Nahtstelle ein. Bereits seit langer Zeit werden Park&Ride- Anlagen an stark frequentierten Systemübergangspunkten z. B. zwischen „Straße“ und „Schiene“ angeordnet. Auf Grund der zentralen Rolle des „Parkens“-in der Verknüpfung werden nachfolgend Systembausteine eines kooperativen Parkraummanagements genannt. Hierbei handelt es sich um Reiseassistenzanwendungen mit mobilen Diensten, multimodale Auskunftssysteme, Automationskonzepte im Systemübergang sowie die Durchgängigkeit und Kontinuität der Dienste im Sinne eines „seamless travel“. Reiseassistenz mit mobilen Diensten Die meisten Reisenden haben heute ein Smartphone bei sich und damit zu jeder Zeit und an jedem Ort einen Zugang zu reiserelevanten Informationen via Internet - mit deutlich steigender Tendenz: Nach [5] sind inzwischen mehr als 75 % aller Mobiltelefone in Deutschland Smartphones. Bei Neuanschafungen sind es bereits 96 %. Die Ergebnisse der ARD/ ZDF-Onlinestudie 2014 sprechen bezüglich der Mediennutzung der deutschen Bevölkerung eine deutliche Sprache [6]. Im Jahr 2014 wurde erstmals mehrheitlich mobil im Web kommuniziert. Smartphone und App haben das stationäre Internet als führenden Informations- und Vertriebskanal abgelöst. Die ursprünglich für den Erwerb mobiler Endgeräte leitenden Motive der Bewegungsfreiheit innerhalb der eigenen Wohnung und die Bequemlichkeit in der Handhabung ist zunehmend dem Wunsch gewichen „always on“ und damit auch unterwegs online zu sein. Der Anteil der Nutzer, die das Internet auch unterwegs nutzen stieg auf 50 % im Jahr 2014 [6]. Bei näherer Betrachtung des Nutzungsverhaltens wird deutlich, dass insbesondere Verkehrsinformationen überproportional häuig abgerufen werden. Diese Entwicklung hat weitreichende Folgen für Verkehrsunternehmen, welche zunehmend auf Online- und Mobilangebote in der Kommunikation mit ihren Kunden setzen [14]. Der Fahrgast von heute verwendet Reiseassistenzanwendungen und versendet über sein mobiles Endgerät Routenanfragen für Reiseketten „von Tür zu Tür“ an multimodale Auskunftssysteme. Zudem kann er Feedback zu diesen Reiseketten bzw. zu den genutzten Moden und konkreten Verkehrsmitteln geben. Ebenso indet der Reisende efektive Unterstützung für ein nachhaltiges Mobilitätsmanagement unter Berücksichtigung seiner individuellen Präferenzen [15]. Parkraummanagement als integraler Bestandteil multimodaler Auskunftssysteme Bereits heute ist der Parkdruck in den Städten erheblich. Parksuchverkehre nehmen in Abhängigkeit von der Lage, Nutzungsintensität, sowie der Struktur von Verkehrsangebot und -nachfrage- und Angebotsstruktur teilweise beachtliche Anteile am Gesamtverkehrsaufkommen an [16] und verringern den wahrgenommenen Komfort der Nutzung des eigenen Fahrzeugs als zubringendes Verkehrsmittel. Intelligentes Parkraummanagement ist somit eine Stellschraube zur Beeinlussung der negativen Auswirkungen des Parksuchverkehrs - z. B. Lärm, Schadstofe und Kapazitätsprobleme. Die sich Bild 1: Tagesganglinie der Belegung einer bewirtschafteten Parkfläche Quelle: Bellis GmbH Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 98 TECHNOLOGIE Wissenschaft hieraus ergebenden Handlungsfelder können Vorgaben auf strategischer Ebene (Routenplanung) sowie Randbedingungen für die Planung von Fahrmanövern auf der taktischen Ebene umfassen: Auf strategischer Ebene erfolgt ein Abgleich zwischen Parkraumangebot und -nachfrage (vgl. Bild 1). Den Nutzern werden aktuelle Informationen über das vorhandene Parkraumangebot in multimodalen Auskunftssystemen zur Verfügung gestellt [17]. Die Nutzer erhalten vor Antritt ihrer Reise die schnellste Route und reservieren sich einen Parkplatz, der in die Routenführung integriert wird. Die Berechnung einer neuen oder alternativen Route auf Basis der aktuellen Verkehrs- und Verspätungslage bzw. Stelllächenverfügbarkeit wird genauso berücksichtigt, wie die Einbeziehung anderer Verkehrsmittel als Ergänzung des öfentlichen Verkehrs [18]. Auf taktischer Ebene wird einer Fahrzeugautomation bei Erreichen der Parkläche ein konkretes Parkareal zugewiesen, welches das Fahrzeug als deiniertes Ziel nach dem Abstellen durch den Nutzer ansteuert. Über diese Vorgabe vom lokalen Parkraummanagement erfolgt auch das Umparken auf Basis einer Anweisung einer autorisierten Parkplatzverwaltung. Integration der Fahrzeugautomation in die Reiseassistenz Wie bereits zuvor dargestellt, deckt die Nutzung eines individuellen Fahrzeugs nur einen Teil der Reisekette ab.- Aus diesem Grund muss die Assistenz über die Nutzung dieses Fahrzeugs hinaus ausgeweitet werden. Die Integration des automatisiertes Freigebens und Bereitstellens von Fahrzeugen in eine umfassende Reiseassistenzanwendung verspricht große Vorteile für die Reisende. Hierfür erfolgt eine Interaktion zwischen Fahrer und Fahrzeug über das Smartphone des Nutzers [13] und weiteren Hintergrundsystemen (im Allgemeinen sind dies Dienste in einem Backend bzw. Rechenzentrum). Die Smartphone-App beinhaltet Zustandsmeldungen des Fahrzeugs, die aktuelle Position, die geplante Route und Kommandos für das Fahrzeug. • Abstellbefehl: Die Automation bewegt das Fahrzeug zu einem privaten Parkplatz, einem öfentlichen Abstellplatz oder einem Parkplatz des Dienstleisters wie z. B. einer Carsharing-Flotte (vgl. Nutzerdialog zur Fahrzeugfreigabe in Bild 2). • Bereitstellungsbefehl: Ein autorisierter Nutzer teilt der Automation die Koordinaten des Abholpunktes mit. Das Fahrzeug fährt zu den genannten Koordinaten und hält an, sodass ein Nutzer einsteigen und ggf. die Fahraufgabe übernehmen kann (vgl. Nutzerdialog zur Fahrzeugbereitstellung in Bild 3). Aus Sicht des Nutzers kann durch die Integration der Automation in die Reiseassistenz der Übergang vom Automobil zum öfentlichen Personenverkehr optimiert werden. Das Fahrzeug ist kein „Ballast“, sondern erfüllt seinen Zweck im Sinne eines Transportmittels. Die Aufgabe des Freigebens und Bereitstellens ist voll automatisiert und wird zudem durch Hintergrundsysteme insbesondere hinsichtlich Eizienz optimiert. Bild 4 zeigt die Multifunktionsanzeige im Cockpit während des fahrerlos durchgeführten Parkvorgangs. Durchgängigkeit und Kontinuität der Dienste Heute muss der Fahrgast die richtigen und für die Unterstützung seiner Reisekette erforderlichen Anwendungsprogramme im Internet suchen und im Allgemeinen selbst auf sein mobiles Endgerät laden. Ist diese Aufgabe gelöst, muss er zwischen verschiedenen Anwendungsprogrammen wechseln. Einzelne Verkehrsunternehmen und Reiseinformationsprovider betreiben eine Vielzahl an Systemen, die in unterschiedlicher Art und Weise die Informationen beschafen und dem Fahrgast präsentieren. Aktuelle Entwicklungen haben daher - wie von der IVS-Richtlinie (IVS, intelligente Verkehrssysteme) der Europäischen Union gefordert - eine Kontinuität der Dienste zum Ziel [19]. Dies ist der Ansatzpunkt von Aktivitäten zur Bereitstellung standardisierter Kommunikationsdienste [8]. Ein Beispiel für eine verkehrsträgerübergreifende Kontinuität der Dienste ist die Aktivität des Car Connectivity Consortiums (siehe hierzu u. a. MirrorLink - ofener Industriestandard für die Integration von Smartphones in Fahrzeuge) [20]. Hersteller von Fahrzeugen und Mobiltelefonen legen gemeinsam einen ofenen Standard fest, der den Betrieb von mit dem Fahrzeug verbundenen mobilen Endgeräten deiniert. Hierdurch können die Oberlächen des Smartphones verschiedener mobi- Bild 4: Multifunktionsanzeige im Cockpit während des Parkvorgangs Bild 2: Nutzerdialog zur Fahrzeugfreigabe (Abstellung) Bild 3: Nutzerdialog zur Fahrzeugbereitstellung Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 99 Wissenschaft MOBILITÄT ler Betriebssysteme auf der Infotainment-Anzeige des Fahrzeugs erscheinen. Fahrzeuginsassen können dann mit den an Lenkrad oder Armaturenbrett vorhandenen Bedienelementen, bzw. den Berührungsbildschirmen des Bord-Infotainment-Systems während der Fahrt mit den Apps interagieren. Aktuelle Forschungsarbeiten am Institut für Verkehrssystemtechnik betrachten allerdings auch die Frage, wie die Interaktion zwischen höher automatisierten Fahrzeugen und den Fahrern zukünftig gestaltet sein muss. Sucht beispielsweise der Fahrer eines hoch automatisierten Fahrzeugs während der Fahrt Ablenkung mit seinem mobilen Endgerät, muss der Fahrer auf dem Smart Phone oder dem Tablet vor Situationen, in denen die Automation an ihre Grenzen kommt, gewarnt. Er wird dann aufgefordert, wieder die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen (vgl. Bild 5 und Bild 6). Das Potenzial für den Systemübergang zwischen motorisiertem Individualverkehr und öfentlichen Verkehrssystemen ofenbart sich, wenn über multimodale Verkehrsdatenplattformen intelligente Routingdienste [9] zur Verfügung stehen, welche auch Informationen zur Stellplatzverfügbarkeit mit verarbeiten. Diskussion und Empfehlungen Das Institut für Verkehrssystemtechnik hat durch die Demonstration einer Valetparking-Funktion im Testfeld AIM gezeigt, dass bruchlose Reiseketten durch die gezielte Verknüpfung von Reiseassistenz und Fahrzeugautomation in geeigneter Weise unterstützt werden können. Aus Sicht der Nutzer liegen die Vorteile in einer Verkürzung der Reisezeit durch geringeren Zeitaufwand für die Parkplatzsuche, das Abstellen des Fahrzeugs sowie einer Verkürzung der Fußwegezeiten von entfernt gelegenen Parkplätzen. Darüber hinaus wird der Komfort für die Reisenden erhöht. Unsicherheiten, einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe der Haltestellen aufzuinden, werden reduziert und es entfallen für die Nutzer unnötige Gehdistanzen und der ineiziente Parksuchverkehr. ■ LITERATUR: [1] Schnieder, Lars: Optimierung an der Nahtstelle zwischen individueller und kollektiver Mobilität. ZEVrail (*) 138 (2014) 10, S. 435 - 441 [2] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen: Der ÖPNV: Rückgrat und Motor eines zukunftsorientierten Mobilitätsverbundes. Positionspapier (Köln) 2013. http: / / www.vdv.de/ vdv-positionspapier-mmm.pdfx? forced=true am 02.05.2014 [3] Wachenfeld et al.: Use-Cases des autonomen Fahrens. In: Maurer et al.: Autonomes Fahren. Springer (Berlin) 2015 [4] Bartels, A.: Vision und Möglichkeiten des automatischen Fahrens. AAET 2014 - Automatisierungssysteme, Assistenzsysteme und eingebettete Systeme für Transportmittel. Braunschweig, 12.-13. 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ZEV Rail 138 (2014) 5, S. 164 - 173 [10] Schnieder, Lars; Lemmer, Karsten: Anwendungsplattform Intelligente Mobilität - eine Plattform für die verkehrswissenschaftliche Forschung und die Entwicklung intelligenter Mobilitätsdienste. Internationales Verkehrswesen (64) 4/ 2012, S. 62-63 [11] Schnieder, Lars; Lemmer, Karsten: Entwicklung intelligenter Mobilitätsdienste im realen Verkehrsumfeld in der Anwendungsplattform Intelligenten Mobilität. Internationales Verkehrswesen 66 (2014) 2, S. 2-4 [12] F. Köster, M. Hannibal, T. Frankiewicz und K. Lemmer (2011). Anwendungsplattform Intelligente Mobilität - Dienstespektrum und Architektur. AAET - Automatisierungssysteme, Assistenzsysteme und eingebettete Systeme für Transportmittel, 09.-10. Februar 2011, Braunschweig [13] Löper, Christian; Brunken, Claas; Thomaidis, George; Lapoehn, Stephan; Pekezou Fouopi, Paulin; Mosebach, Henning; Köster, Frank: Automated Valet Parking as Part of an Integrated Travel Assistance. In: Proceedings of the 16th International IEEE Annual Conference on Intelligent Transportation Systems (ITSC 2013), Seiten 2341-2348. 16th International IEEE Annual Conference on Intelligent Transportation Systems (ITSC 2013), 06.-09.10.2013, Den Haag, Niederlande. ISBN 978-1-4799-2914-613 [14] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen: Traditionelle Marketingkonzepte müssen umgeschrieben werden. In: VDV Das Magazin 12/ 2014, S. 19 - 21 [15] Wagner-vom-Berg, Benjamin (2015). Konzeption eines Sustainability Customer Relationship Managements (SusCRM) für Anbieter nachhaltiger Mobilität. Dissertation. Oldenburger Schriften zur Wirtschaftsinformatik. Hrsg. Prof. Dr.-Ing. Jorge Marx Gómez [16] Suthold, Roman; Mußmann, Guido; Koch, Hendrik; Kampmeier, Peter: Smartes Parkraummanagement und Mobilitätsstationen. In: Der Nahverkehr 3/ 2015, S. 48 - 52 [17] Schnieder, Lars: Auf dem Weg zu einer multimodalen Verkehrsdatenplattform von Stadt und Region Braunschweig (AIM). 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Professur „Intelligente Verkehrssysteme“, Carl-von- Ossietzky-Universität, Oldenburg. frank.koester@dlr.de Bild 5: Vorwarnung zur Übernahme der Kontrolle durch den Fahrer Bild 6: Auforderung zur Übernahme der Kontrolle durch den Fahrer Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 100 FORUM Lehre Diploma of Advanced Studies (DAS) in Verkehrsingenieurwesen Herbst 2015 bis Herbst 2017: Internationaler berufsbegleitender Weiterbildungskurs des Instituts für-Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT) der ETH Zürich D as Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich bietet ab Herbst 2015 zusammen mit Kollegen aus Deutschland, Österreich und Großbritannien zum dritten Mal einen zweijährigen berufsbegleitenden Weiterbildungskurs an. Der DAS Verkehrsingenieurwesen richtet sich an Fachleute, die ihre vorhandene Praxis auf dem Gebiet der Planung und des Betriebs von Verkehrsanlagen vertiefen und hinterfragen möchten. Eine nachhaltige Mobilität mit einem energie- und raumsparenden Verkehrsangebot ist das Ziel der Deutschen und Schweizer Verkehrspolitik. Zugleich stellt das anhaltende Verkehrswachstum die Verkehrsplanung vor immer neue Herausforderungen. Der DAS Verkehrsingenieurwesen bietet in diesem Kontext die richtigen technischen Werkzeuge zukünftige Verkehrsaufgaben erfolgreich zu lösen und gleichzeitig die Lebensqualität kommender Generationen zu erhalten. Mit Vorlesungen und Übungen in deutscher und englischer Sprache sowie einer selbständigen Abschlussarbeit und Abschlusspräsentation vermittelt der DAS Verkehrsingenieurwesen den Studierenden die neuesten Methoden und Ansätze der Verkehrsmodellierung. Damit sind sie gerüstet, um die aktuellen Fragen und Anforderungen der Praxis in diesem sich stets im Wandel beindenden Anwendungsgebiet zu bewältigen. Erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen des Programms sind fähig, in Behörden, Verkehrsunternehmen und Beratungsirmen anspruchsvolle Aufgaben und Führungspositionen in den Bereichen Planung und Betrieb von Verkehrssystemen oder Politikberatung in der Verkehrsplanung zu übernehmen. Die Vorlesungen und Übungen umfassen die vier Plichtmodule „Verkehr und Verkehrsplanung“, „Verkehrssteuerung“, „Entwurf und Betrieb des ÖV“ und „Entscheidungsmodelle“. Die Themen der Wahlmodule, von denen zwei von den Studenten ausgewählt werden, sind: „Modell der Verkehrsnachfrage“, „Bewertungsverfahren“, „Verkehrsluss und -telematik“ sowie „Messung des Verkehrsverhaltens“. Das Programm umfasst acht Präsenzwochen à fünf Tage, verteilt über zwei Jahre. Der Leistungsnachweis wird jeweils in einer Prüfungswoche erbracht, in der im ersten Jahr auch die Abschlussarbeit vorbereitet wird. Alle Module sind in Blöcke à drei und zwei Tage aufgeteilt und werden jeweils mit einem anderen Modul zu einer Präsenzwoche kombiniert. Zwischen den Blöcken lösen die Studierenden Hausaufgaben (mit Unterstützung durch Assistierende des IVT). Ein Modul wird mit fünf ECTS-Punkten bewertet, was einer Arbeitsbelastung von ca. 150 Stunden entspricht. Die Abschlussarbeit zählt zehn ECTS-Punkte, entspricht also einem Arbeitsaufwand von knapp acht Wochen Vollzeit. Das Programm richtet sich an Fachleute mit einem von der ETH anerkannten Hochschulabschluss auf Masterstufe oder einem gleichwertigen Bildungsstand in einem der Verkehrsplanung nahestehenden Fachgebiet, sowie mindestens zwei Jahren einschlägiger Berufserfahrung in einem ihr zugewandten Bereich, z. B. Bauingenieurwesen, Elektrotechnik, Geographie, Raumplanung, Informatik, Ökonomie oder Statistik. Die Teilnahmegebühr für den gesamten Studiengang beträgt 15 000,- CHF, zusätzliche Wahlmodule gibt es für 1250,- CHF. Anmeldeschluss ist der 30. September 2015. ■ KONTAKT UND INFORMATION Weitere Informationen zu den genauen Terminen, den Inhalten der Module und zur Anmeldung inden sich unter: www.ivt.ethz.ch/ advancedstudies/ das Kontakt: Ilka Ehreke, Research Assistant, Tel.: +41 44 633 30 92 ilka.ehreke@ivt.baug.ethz.ch Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 101 28. - 30. September 2015 Goethe-Universität, Frankfurt am Main Die 43. Europäische Transportkonferenz Tagesprogramm angekündigt - Jetzt buchen! Die diesjährige ETC-Konferenz wartet mit einem breiten Spektrum an Referenten aus der Verkehrsbranche sowie detaillierten Präsentationen zum Thema Strategie, bewährte Praxis und Forschungsergebnisse auf. Auf der 3-tägigen Konferenz inden jeden Tag mindestens neun Parallelveranstaltungen mit jeweils drei oder vier Präsentationen zu einem bestimmten Thema statt. Vor Ort werden Wissenschaftler, Dozenten, Analysten, Berater und Manager ihre Fachkenntnisse im Bereich Verkehr mit Themen rund um Fairness im Verkehr und Planen für die Zukunft bis hin zu Verkehr und Emissionen mit den Konferenzteilnehmern austauschen. AET/ ECTRI-Mitglieder 1 Tag * 2 Tage * 3 Tage/ Rover * Einzelteilnehmer €390 €780 €1050 Firmenteilnehmer €380 €760 €1010 Nicht-Mitglieder €440 €880 €1240 Die Konferenz bietet allen Teilnehmern eine ausgezeichnete Gelegenheit zur Kontaktplege mit Verkehrsexperten aus aller Welt sowie das Gefühl der Zugehörigkeit und Teilnahme an einer Fachgemeinschaft. Sehen Sie sich unter www.etcproceedings.org das Programm an oder buchen Ihren Platz oder wenden Sie sich unter sabrina@aetransport.org an Sabrina Winter. *Auf alle Teilnahmegebühren wird zusätzlich eine Mehrwertsteuer von derzeit 20 % aufgeschlagen.Teilnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten sowie junge Wissenschaftler und Praktiker erhalten einen Rabatt auf die Teilnahmegebühr. Ausführliche Angaben siehe unsere Website. Urbane Mobilität 2030 Vorschau: Fachveranstaltung zur IAA 2015, 24.-September 2015, Frankfurt am Main D er Trend zur Urbanisierung ist nicht nur auf die Entwicklungs- und Schwellenländer beschränkt, sondern seit der Jahrtausendwende auch in Deutschland im Gange. Prognosen sehen für die deutschen Großstädte in naher Zukunft ein beachtliches Wachstum. Zugleich bildet sich unter vielen jungen Stadtbewohnern ein neues multimodales Mobilitätsverhalten heraus, wonach die Verkehrsmittelwahl pragmatisch und situationsabhängig erfolgt. Beides verlangt nach neuen Mobilitätsangeboten. Dies veranlasst die Automobilhersteller und andere Player wie zum Beispiel die Deutsche Bahn, ihre traditionellen Angebote zu überdenken und sich zu verkehrsträgerübergreifenden Mobilitätsanbietern und -beratern weiterzuentwickeln. Doch auch der klassische Motorisierte Individualverkehr (MIV) wird in der Stadt weiterhin seinen Platz haben. Dass er sich noch besser und harmonischer ins übrige Stadtleben einfügt, dafür sorgt die technische Weiterentwicklung der Fahrzeuge: Elektrisch betrieben und auf Wunsch selbstfahrend, werden sie noch sauberer, leiser und sicherer, werden Platz sparender und auch für hochbetagte Personen noch problemlos nutzbar sein. Was kann das Auto der Zukunft und wie fügt es sich ins Stadtleben ein? Wie sehen die künftigen Geschäftsmodelle der Automobilhersteller und der ÖV-Anbieter aus? Bewegen sie sich aufeinander zu oder verschmelzen sogar miteinander? Und wie verändert sich der Wirtschaftsverkehr in der Stadt? Diese und weitere Fragen sind Gegenstand des Symposiums, das sich an alle richtet, die einen Blick in die Zukunft der urbanen Mobilität werfen und mit hochkarätigen Experten darüber diskutieren wollen. Die gemeinsame Veranstaltung von Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA) und Junges Forum der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e. V. (DVWG) indet in der New Mobility World, Halle 3.1, von 10: 00 Uhr bis 13: 30 Uhr statt. ■ Foto: VDA Veranstaltungen FORUM Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 102 FORUM Veranstaltungen | Medien Wohnbau, Wohnumfeld und Mobilität Vom Energiesparhaus zum Verkehrsparhaus - Wie Wohnbau und Siedlungspolitik die Mobilität beeinflussen VCÖ (Hg.) Wien 2015, 48 Seiten, EUR 30,00 Softcover: ISBN 3-901204-86-5 Wer Mobilitätsstrukturen plant, weiß, dass vier von fünf Wegen zu Hause beginnen oder enden. Wo und wie heute gebaut wird, entscheidet deshalb für Jahrzehnte über Wohnkosten, den Aufwand für Mobilität und die Entwicklung des Verkehrs. Der Wohnstandort sowie die Strukturen, in denen Menschen wohnen, beeinlussen das Mobilitätsverhalten in hohem Ausmaß. Ein lebenswertes und qualitätsvolles Wohnumfeld, in dem sich Bewohnerinnen und Bewohner auf Dauer wohlfühlen, braucht Platz, saubere Luft, wenig Verkehrslärm, niedrige Geschwindigkeiten und genügend Grün- und Freiräume. Damit das gelingt, ist bereits bei Standortwahl und Planung von Wohnprojekten auf ein nachhaltiges Mobilitätskonzept zu achten. Dabei gibt es je nach Siedlungsdichte große Unterschiede Das Parken von morgen im Blick Vorschau: 17. EPA Kongress und Parken 2015 Fachausstellung vom 23.-25.09.2015 in Berlin Z ur Messe im Berliner Estrel Convention Center werden in diesem Jahr mehr als 100 Aussteller aus dem In- und Ausland erwartet. Die vom 23.-25.09.2015 stattindende Parken ist Deutschlands einzige Fachausstellung zum Thema Planung, Bau und Betrieb von Einrichtungen des ruhenden Verkehrs. Besucher erhalten hier eine umfassende Branchenübersicht über Anbieter und Dienstleister der Parkierungsbranche, können im direkten Gespräch mit Experten alles über die neusten Trends und Entwicklungen der Parkraumbewirtschaftung erfahren und individuelle Lösungen für ihre Anforderungen inden. Themenschwerpunkte der Fachausstellung sind die schlüsselfertige Erstellung von Park- und Garagenhäusern sowie Parkdecks, Parkhaussysteme, Parkhaussanierung, Beschilderung, Beleuchtung, Kassenautomaten, Leitsysteme sowie Zufahrts- und Abfahrtskontrollen. Der parallel stattindende 17. EPA Kongress steht unter dem Motto „Parken in der Welt von Morgen“. Er bietet eine internationale Plattform für den fachlichen Austausch über den aktuellen Stand sowie zukünftige Entwicklungen innerhalb der Parkierungsbranche. Das Kongressprogramm verspricht eine interessante Mischung aus Vorträgen zu aktuellen und zukunftsgerichteten Themen der Parkierungsbranche. Zwei Keynote-Vorträge leiten den ersten Kongresstag ein. Prof. Petra Schäfer, Frankfurt University of Applied Sciences, stellt eine Untersuchung zur Parkraumpolitik in deutschen und europäischen Städten vor. Anschließend erörtert Ralf Bender, APCOA PARKING Holdings GmbH, in seinem Vortrag „From brick to click - challenges of the- digitalization process and the role of the- parking operator“ die Herausforderungen an ein modernes Parkhausunternehmen. Am Abend dieses Tages werden die EPA Awards für herausragende Objekte in den Kategorien Neubau, Renovierung, Straßenparken, Innovation und Marketing verliehen. Der zweite Veranstaltungstag fokussiert auf „Parken und innerstädtische Mobilität“ sowie „Parken im digitalen Zeitalter“. Zur Veranschaulichung dienen praxisnahe Beispiele aus den Städten Barcelona, Krakau und Amsterdam. Am Beispiel eines EU-Projekts wird verdeutlicht, inwiefern Einnahmen aus der städtischen Parkraumbewirtschaftung zur Förderung alternativer Mobilitätsformen verwendet werden können. Neben Möglichkeiten zur EU-Standardisierung von elektronisch gestützten Bezahlprozessen im Parken-Bereich werden Modelle zur gezielten Auswertung von umfangreichen Datenmengen, den sogenannten »Big Data«, vorgestellt. Eine Zusammenfassung der aktuellen Entwicklungen - und auf welche Weise die European Parking Association dazu beiträgt -, rundet den Tag ab. Den Auftakt für den dritten Veranstaltungstag bilden Vorträge zum Thema „Der Kunde - das bekannte Wesen? “. Die Ausstellerliste der Parken 2015, das Programm zum 17. EPA Kongress sowie die Messe- und Kongressregistrierung sind zu inden unter www.epa-parken.de ■ Foto: Nino Halm/ Mesago Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 103 Medien FORUM Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung www.mobil-in-hessen.de 18. September 2015 Congress Center Frankfurt Eine spannende Mischung aus Fachvorträgen, Diskussionen, Präsentationen und Gesprächen im Rahmen der IAA. Im Rahmen der 13. Hessischer Mobilitätskongress 2015 „Autonom unterwegs - neue Konkurrenz für den ÖPNV? “ Foto: Editor77 | Dreamstime.com Otopark Tasarimi - Parkhäuser und Tiefgaragen Handbuch und Planungshilfe Ilja Irmscher 2 Bände im Schuber (1: Grundlagen für die Planung, 2: Bauten und Projekte) 23 x 28 cm ISBN 978-3-938666-08-1 (deutsch) ISBN 978-3-938666-95-1 (englisch) ISBN 978-605-4793-46-4 (türkisch) Das zweibändige Handbuch mit Planungshilfe „Parkhäuser und Tiefgaragen“ ist jetzt im Istanbuler Verlag YEM auch in einer türkischen Lizenzausgabe erschienen. Die Übersetzung übernahm Zuhal Nakay, die an der ETH Zürich Architektur studiert hat und in enger Zusammenarbeit mit Ahmet Savaş und weiteren Mitarbeitern der Istanbuler Parkhausgesellschaft Ispark gleichzeitig einen eigenständigen Beitrag zur Entwicklung der speziischen türkischen Fachterminologie geleistet hat. Zusätzlich wurden drei türkische Projektbeispiele sowie einige Aspekte aus der in Vorbereitung beindlichen 2. Auflage des Originaltitels aufgenommen. Damit wurde die 1. Aulage dieses Grundlagenwerks für die Planung von Parkbauten bereits in der 5. Ausgabe seit dem Erscheinen der deutschen und englischen Originalausgabe im Berliner Verlag dom publishers im Herbst 2012 veröfentlicht. Weitere Ausgaben sind in Singapur und in China erschienen. Gegenwärtig wird die 2. Aulage vorbereitet. Sie soll neueste Erkenntnisse enthalten, die deutlich über die Regelwerke hinausgehen. Ein Beispiel hierfür stellt die Bewertung der Ein- und Ausstiegsverhältnisse über konkrete maßliche Empfehlungen in Korrespondenz zu dem sog. Europa- Menschen dar. Weitere interessante Neuerungen beziehen sich u. a. auf die Themenbereiche Parkabfertigungsanlagen und Parkhausbeleuchtung. Nahezu die Hälfte aller Projektbeispiele wird gegen aktuelle deutsche und internationale Projekte ersetzt werden. red im Mobilitätsverhalten, auch sind gesellschaftliche Entwicklungen und Bedürfnisse wie Digitalisierung, Urbanisierung und demograischer Wandel zu berücksichtigen. Die neue Publikation „Wohnbau, Wohnumfeld und Mobilität“ des VCÖ zeigt, wie Wohnbau und Mobilität hinsichtlich Verkehrsentwicklung, Energieverbrauch und Kosten zusamenhängen. Die wesentlichen Aussagen: Die Zersiedlung ist zu stoppen. Das Energiesparhaus ist zum Verkehrsparhaus weiterzuentwickeln. Die Publikation geht unter anderem auf den Schlüsselfaktor Siedlungsentwicklung in Region und Stadt mit seinen Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten ein. Es werden Maßnahmen aufgezeigt, wie der Zersiedelung und den dadurch entstehenden Belastungen für Umwelt und private wie öffentliche Budgets entgegengewirkt werden kann. Das Energiesparhaus ist zu einem „Verkehrsparhaus“ weiterzuentwickeln, bei bestehenden Wohnanlagen ist eine Mobilitätssanierung notwendig. Mit Zahlen und Fakten wird auf die Notwendigkeit einer Reform der PKW-Stellplatzverplichtung (in Österreich) hingewiesen und auf die erforderlichen Infrastrukturen und Regelungen im Wohnbau und im Wohnumfeld zur verbesserten Nutzung des Fahrrades eingegangen: Kann die Zahl der Parkplätze in einem Wohnprojekt reduziert werden, spart das nicht nur wertvolle Flächen, sondern reduziert auch die Baukosten beträchtlich. Statt der Stellplatzverplichtung braucht es Mobilitätsangebote, die die Wahlfreiheit erhöhen, wie Öfentlichen Verkehr in der Nähe, Rad-Infrastruktur und Carsharing. So fokussiert die VCÖ-Publikation zwar auf Umfeld und Daten in Österreich, greift insgesamt jedoch Themen auf, die auch supranational von großer Bedeutung für Städtebau und Mobilitätsplanung sind, und kann hier interessante Anstöße bieten. ale Als PDF steht die Publikation kostenfrei zum Download bereit: http: / / www.vcoe.at/ de/ shop/ artikeldetails/ kategorie/ schriftenreihe/ artikel/ wohnbauwohnumfeld-und-mobilitaet-pdf ■ Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 104 Auf dem Weg zu einer postfossilen Mobilität? Ein iktives Streitgespräch Der Beitrag entstand als kreatives Schreibprojekt, inspiriert durch einen Disput zwischen zwei sich diametral gegenüberstehenden Experten im Nachgang eines Vortrags des Autors bei der European Transport Conference 2014 in Frankfurt am Main. D er Kritische und der Enthusiast tauschen Argumente aus. Die Frage nach postfossiler Mobilität stelle sich angesichts eines global wachsenden „fossilen“ Flugverkehrs und der explodierenden Automobilindustrie in den Boomländern des globalen Südens grundsätzlich nicht, sagt der Kritische. Mit dem Wunsch nach mehr Diferenzierung entgegnet der Enthusiast und verweist auf Trends „bei uns vor der Haustür“: die Dynamik bei neuen Mobilitätsdienstleistungen, einen Cycle Boom, mehr Multimodalität und die schleichende Ent-Emotionalisierung des Privatautos bei jungen Erwachsenen. Begleitet werde diese Entwicklung durch die politisch motivierte Förderung von E-Mobility. Ergo: „Wir sind auf einem guten Weg - einem Weg weg vom Öl, weg von der klimafeindlichen Kraft der Treibhausgase, hin zu einer nachhaltigen postfossilen Mobilität! .“ Als „lagrante Heuchelei“ tut der Kritische postwendend den Shift von Sprit auf Strom ab, bei dem man so tue, als würden bei der Herstellung von Hybridautos keine Seltenerdmetalle gebraucht werden, bei denen sich bereits heute eine Rohstoknappheit abzeichne. Oder als gebe es vor dem Hintergrund der Renaissance von Kohlekraftwerken keine Verlagerung der Nachfrage nach fossilen Energieträgern auf den Strommarkt. Der Enthusiast versucht zu relativieren und sieht Chancen darin, E-Mobility als Bestandteil innovativer Mobilitätsangebote nach einem „Nutzen-statt-Besitzen-Prinzip“ zu begreifen: GPS und Smartphone-Applikationen bereiteten diesbezüglich den Markt für eine reibungslos funktionierende Share Economy. Spinne man den Gedanken weiter, ermögliche sie uns sukzessive, unsere autogerechten Siedlungsstrukturen dort zu reorganisieren, wo vorher der privatautomobile Blechschrott 23 von 24 Stunden am Tag als „Stehzeug“ aktiv war. Doch auch hier weiß der Kritische eine Antwort: Die höchste Evolutionsstufe des Carsharings in Form eines stationsungebundenen free-loating-Angebotes von Daimler oder BMW etwa gebe es nur auf wenigen prosperierenden Großstadtinseln - und dort werde es allenfalls als Zukunftsoption der Automobilindustrie erprobt. Eine ähnliche räumliche Polarisierung lasse sich hinsichtlich qualitativ brauchbarer Fahrradverleihsysteme feststellen, die ohne Subventionen keine Chancen auf Weiterentwicklung und lächendeckenden Ausbau haben. Nicht zuletzt erzwinge die Nutzung sogenannter innovativer Mobilitätsangebote den Besitz eines Smartphones mit entsprechenden Applikationen, was mit Blick auf die Diskussion um einen Digital Divide allenfalls einem inanz- und bildungselitären Rezipientenkreis vorbehalten sei. Die unparteiischen Gesprächszeugen wissen: Beide haben Recht! Und: Postfossile Mobilität muss schon ernsthaft gewollt sein. Von auf Proitmaximierung ausgerichteten Unternehmen ist an einem weitestgehend unproitablen Markt für sogenannte nachhaltige, innovative Mobilitätsdienstleistungen kaum etwas zu erwarten! ■ Sören Groth, Arbeitsgruppe Mobilitätsforschung am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main soeren.groth@geo.uni-frankfurt.de FORUM Meinung Foto: Georg Sander/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 105 Erscheint im 67. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag DVV Media Group GmbH Postfach 10 16 09, D-20010 Hamburg Nordkanalstraße 36, D-20097 Hamburg Tel. +49 40 23714-01 Geschäftsführer Martin Weber Verlagsleiter Detlev K. Suchanek Tel. +49 40 23714 227 | detlev.suchanek@dvvmedia.com Redaktion Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 40 23714-223 | Fax: +49 40 23714-205 eberhard.buhl@dvvmedia.com Redaktionelle Mitarbeit Kerstin Zapp Anzeigen Gesamtanzeigenleitung Tilman Kummer Anzeigenleitung Silke Härtel (verantw.) +49 40 23714-227 | silke.härtel@dvvmedia.com Anzeigenverkauf Tim Feindt +49 40 23714-220 | tim.feindt@dvvmedia.com Anzeigentechnik Patrick Schröter +49 40 23714-127 | patrick.schroeter@dvvmedia.com Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 52 vom 01.01.2015. Vertrieb Leiter Marketing & Vertrieb Markus Kukuk +49 40 23714-291 | markus.kukuk@dvvmedia.com Unternehmenslizenzen Digital/ Print Oliver Brandt +49 8191 3055039 | oliver.brandt@dvvmedia.com Leser- und Abonnentenservice Tel. +49 40 23714-260 | Fax +49 40 23714-243 kundenservice@dvvmedia.com Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Laufzeit eines Abonnements beträgt mindestens ein Jahr. Abbestellungen sind nur schriftlich möglich zum Ende eines Bezugszeitraumes mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen. Bei Nichtbelieferung ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt bestehen keine Ansprüche gegen den Verlag. Zusätzliche digitale Abonnements Bezug auf Anfrage, gültig ist die Vertriebspreisliste vom 01.01.2015. Bezugsgebühren Abonnement Inland jährlich 172 EUR inkl. Porto zzgl. MwSt. | Ausland Print mit VAT-Nr. jährlich 192 EUR inkl. Porto, ohne VAT-Nr. inkl. Porto zzgl. MwSt. | Ausland Digital jährlich 172 EUR, ohne VAT-Nr. zzgl. MwSt. Das Print-Paket beinhaltet die jeweiligen Ausgaben gedruckt, digital und als E-Paper (E-Mail-Paket nur als E-Paper) sowie den Zugang zum Archiv. Einzelheft 45,- EUR Druck L.N. Schafrath GmbH & Co. KG, Geldern Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Potsdamer Platz, Berlin Foto: ClipDealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der DVV Media Group ISSN 0020-9511 ImpREssum | GREmIEn Herausgeberkreis Herausgeberbeirat matthias Krämer Abteilungsleiter Mobilität und Logistik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ralf nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg August Ortmeyer Dr., Leiter der Abteilung Dienstleistungen, Infrastruktur und Regionalpolitik im Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK), Berlin uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Jürgen peters Dr., Geschäftsführer Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin Christian piehler Dr.-Ing., Programmdirektor Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Associate Partner, Oliver Wyman, Berlin Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Präsident der DVWG und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Jürgen siegmann Prof. Dr.-Ing. habil., Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, TU Berlin Alexander Hedderich Dr., Vorsitzender der Geschäftsführung der DB Schenker Rail GmbH und Mitglied des Executive Board der Deutsche Bahn AG, Berlin Erich staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Wolfgang Hönemann Dr., Geschäftsführer Rhenus PartnerShip, Duisburg ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolf Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft ehem. Geschäftsführer HOLM, Frankfurt Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 106 Liebe Leserinnen und Leser, in Sachen Mobilität leben wir in einer Zeit des rasanten Wandels. Neue Dienste fördern den Trend zur multimodalen Mobilität - vor allem im urbanen Umfeld. Zudem nimmt die Digitalisierung unseres ganzen Lebensumfelds in einem Maße Fahrt auf, das noch vor wenigen Jahren undenkbar war. Klar ist, dass sich unsere Autoren derzeit vor allem mit dem Neu- und Umbau von Infrastrukturen, innovativen technischen und organisatorischen Möglichkeiten des Mobilitätszugangs und Fragen der Sicherheit von Daten und Abläufen beschäftigen. Dies schlägt sich auch in den nächsten Ausgaben nieder. Mit dem Schwerpunkt Looking ahead - Advanced transportation solutions erscheint am 1. Oktober die zweite englischsprachige Ausgabe International Transportation. Sie wird unter anderem Beiträge zum hoch automatisierten Fahren auf der Straße, zu internationalen Verkehrsprojekten und Verkehrsströmen auf See bringen und steht - wie schon die Mai-Ausgabe - als kostenloses ePaper bereit. Sicher ist sicher - Mobilitätssystem fit machen für morgen lautet dann der Schwerpunkt der deutschen Ausgabe 4/ 2015, die am 30. Oktober folgt und Strategien, Rechts- und Sicherheitsfragen thematisiert. Ich hofe, Sie lesen beide Ausgaben mit Interesse. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 09.-11.09.2015 Hamburg (DE) Seatrade Europe Cruise & River Convention Veranstalter: Hamburg Messe und Congress GmbH Tel.: +49 (40) 3569-0 info@hamburg-messe.de www.seatrade-europe.com 17.-27.09.2015 Frankfurt am Main (DE) 66. IAA PKW Internationale Leitmesse der Mobilität Veranstalter: Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA), Berlin Tel.: +49 (30) 897842-0 www.vda.de www.iaa.de 23.-25.09.2015 Berlin (DE) Parken 2015 | 17. EPA Kongress 2015 Parken in der Welt von morgen Veranstalter: Mesago Messe Frankfurt GmbH Tel.: +49 (711) 61946-76 parken@mesago.com www.parken-messe.de 24.09.2015 Frankfurt am Main (DE) Urbane Mobilität 2030 Fachveranstaltung zur IAA, New Mobility World, Halle 3.1 Veranstalter: Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA), Junges Forum der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e.V. (DVWG) Info: www.iaa.de/ programm/ fachveranstaltungen/ #/ veranstaltung/ urbane-mobilitt-2030/ 436 01.-02.10.2015 Rom (IT) URBE - URban freight and BEhavior change Veranstalter: Department of Political Sciences and Centre for Research on the Economics of Institutions, University of Roma Tre Info: http: / / host.uniroma3.it/ eventi/ urbe 20.-22.10.2015 München (DE) eCarTec Munich 2015 7. internationale Leitmesse für Elektro- und Hybrid-Mobilität Veranstalter: MunichExpo Veranstaltungs GmbH Kontakt: Edyta Szwec-Mikicz Tel.: +49 (89) 32 29 91-23 edyta.mikicz@munichexpo.de info@munichexpo.de www.ecartec.com 22.-24.10.2015 Frankfurt am Main (DE) DMG-Jahrestagung 2015 Kommen die Eisenbahnen zukünftig ohne Ingenieure aus? - Gewinnung und Förderung von Nachwuchsingenieuren Kontakt: Deutsche Maschinentechnische Gesellschaft (DMG) - Forum für Innovative Bahnsysteme Tel.: +49 (69) 265-31612 Kontakt: daniel.jaeger@deutschebahn.com www.dmg-berlin.info 13.-15.01.2016 Essen (DE) InfraTech 2016: „Bausteine der Erneuerung“ In Kombination mit DEUBAUKOM, DCONex und acqua alta Veranstalter: Ahoy Rotterdam Kontakt: Anja Scholten, a.scholten@ahoy.nl www.infratech.de 18.-19.01.2016 Berlin (DE) Kraftstofe der Zukunft 13. Internationaler Fachkongress für Biokraftstofe Veranstalter: Bundesverband BioEnergie e.V., Bonn Tel.: +49 (228) 81002-22 info@bioenergie.de http: / / www.kraftstofe-der-zukunft.com/ 29.02.- 01.03.2016 Berlin (DE) 4. Railway Forum Info: IPM GmbH t.s@ipm-scm.com http: / / www.railwayforumberlin.de TERMINE + VERANSTALTUNGEN 09.09.2015 bis 01.03.2016 Weitere Veranstaltungen inden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de, www.dvwg.de www.eurailpress.de, www.schifundhafen.de, www.dvz.de VORSCHAU | TERMINE Technische Daten: ISBN 978-3-87154-516-0 364 Seiten, Format 140 x 180 mm, Broschur Preis: EUR 62,50 mit CD-ROM inkl. MwSt., zzgl. Porto Kontakt: DVV Media Group GmbH | Telefon: +49/ 40/ 2 37 14 - 440 | Fax: +49/ 40/ 2 37 14 - 450 E-Mail: buch@dvvmedia.com Das Standardwerk zur Entwicklung von Verkehr und Verkehrswirtschaft Zuverlässige Übersicht zu allen Daten und Fakten der Mobilität Inkl. CD mit umfangreichen Daten zur direkten Weiterverarbeitung Herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Jetzt aktuell! Der Verkehr in Tabellen, Zahlen und Übersichten Bestellen Sie Ihr Exemplar unter www.eurailpress.de/ viz1 MOCG-A10002-00 Intelligente Infrastrukturen reagieren nicht einfach nur. Sie agieren. Mobilität weiterdenken durch innovative Softwarelösungen. siemens.com/ mobility Der zunehmende Bedarf an Mobilität erfordert neue Ideen, Konzepte und Technologien. Dank unserer über 160-jährigen Erfahrung im Personen- und Gütertransport und unserem IT-Knowhow entwickeln wir ständig neue, intelligente Mobilitätslösungen - und sorgen so für mehr Effizienz und Sicherheit. Vorausschauende Diagnosesysteme verringern Zug-Ausfallzeiten und steigern die Verfügbarkeit. Dynamische Steuerungssysteme optimieren den Verkehrsfluss und die Streckennutzung. Elektronische Informations- und Bezahlsysteme schaffen eine neue Qualität des Reisens. So setzen wir bereits heute Maßstäbe für die Mobilität von morgen - durch konsequentes Elektrifizieren, Automatisieren und Digitalisieren der Verkehrsinfrastrukturen.
