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Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
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Wie digitale Lösungen unsere Mobilität verändern Vernetzte Verkehrswelt POLITIK Wege zu einer intelligenten Mobilitätsplanung INFRASTRUKTUR Regionale und kommunale Optionen nutzen LOGISTIK Digitalisierung für effizienteren Container-Umschlag MOBILITÄT - EXTRA IT-Trans 2016: Vernetzte Lösungen für-attraktiveren ÖPNV TECHNOLOGIE Mehr Sicherheit durch neue Strategien www.internationalesverkehrswesen.de Heft 1 l Februar 2016 68. Jahrgang World Rail Market Study A study commissioned by UNIFE - The European Rail Industry Conducted by Roland Berger Strategy Consultants WORLD MARKET STUDY forecast 2012 to 2017 Providing competitive railway systems www.unife.org UNIFE The European Rail Industry Avenue Louise 221 B-1050 Brussels www.unife.org Roland Berger Strategy Consultants Mies-van-der-Rohe-Straße 6 D-80807 München www.rolandberger.com Commissioned by UNIFE - The European Rail Industry Conducted by Roland Berger Strategy Consultants UNIFE WORLD RAIL MARKET STUDY 2012 DVV Media Group GmbH W MARKET fo Commi Cond Worldwide Rail Market Study - status quo and outlook 2016 A study commissioned by UNIFE, the Association of the European Rail Industry and conducted by Roland Berger Strategy Consultants DVV Media Group 100 0 100 20 C M Y K 70 0 100 10 C M Y K 50 0 100 5 C M Y K 0 0 0 60 C M Y K Unife Logo THE EUROPEAN RAIL INDUSTRY THE EUROPEAN RAIL INDUSTRY DVV Media Group Worldwide Rail Market Study - status quo and outlook 2016 A study commissioned by UNIFE, the Association of the European Rail Industry and conducted by Roland Berger Strategy Consultants UNIFE The European Rail Industry Avenue Louise 221 B-1050 Brussels www.unife.org Roland Berger Strategy Consultants Mies-van-der-Rohe-Straße 6 D-80807 München www.rolandberger.com unife World rail Market Study forecast 2014 to 2019 forecast 2014 to 2019 world study railMarket DVV Media Group GmbH 100 0 100 20 C M Y K 70 0 100 10 C M Y K 50 0 100 5 C M Y K 0 0 0 60 C M Y K Unife Logo THE EUROPEAN RAIL INDUSTRY THE EUROPEAN RAIL INDUSTRY Commissioned by Conducted by SuStainable promote rail market growth for mob i l i t y The largest study of its kind Based on a survey conducted in the 55 largest rail markets worldwide, the UNIFE World Rail Market Study provides market volumes and growth predictions from 2014 to 2019. Based on the testimony of UNIFE members and rail experts from all around the globe, the WRMS gives an account of short-term and long-term growth for all rail product segments and regions. Strategic conclusions are elaborated for each product segment and region based on the order intake of UNIFE members, a sophisticated forecasting model and the expertise of selected high-level decision-makers in the most important rail markets in the world political and economic scenarios. Contact: DVV Media Group GmbH • Eurailpress Email: book@dvvmedia.com • Phone +49 40 237 14-440 • Fax +49 40 237 14-450 www.eurailpress.de • www.railwaygazette.com More information at www.eurailpress.de/ wrms 6150_anz_UNIFE_210x297_EI_ETR_SD_CS6.indd 1 26.05.2015 10: 27: 52 Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 3 Knut Ringat EdITORIAL Neue Wege einschlagen! I n den vergangenen Jahren hat die Bedeutung von IT-Systemen in der gesamten Verkehrsbranche einen regelrechten Schub erlebt. Unter dem Stichwort Digitalisierung nimmt die Vernetzung von Verkehrsmitteln, ja von Mobilitätsangeboten in großem Maße zu - und das ist eine Antwort auf, aber auch die Ursache von gesellschaftlichen Veränderungen. Das Mobilitätsverhalten der Menschen ist flexibler geworden. Sie nutzen verschiedene Verkehrsträger nach ihren individuellen Bedürfnissen nutzen. Die intelligente Vernetzung von Verkehrsträgern bzw. Mobilitätsangeboten wird so zu einer vordringlichen Aufgabe für das Verkehrssystem. Neben der Digitalisierung der Hintergrundsysteme des ÖPNV, wie eine einheitliche Datendrehscheibe oder die Hintergrundsysteme für das Ticketing, sind integrierte Informations- und Vertriebskanäle der wesentliche Baustein für die Weiterentwicklung des Nahverkehrs. Die Verkehrsverbünde und -unternehmen dürfen nicht im Status Quo verharren, sondern müssen konsequent den Weg hin zu Mobilitätsverbünden - deren Bestandteil sie sind gehen, um zu einer neuen Angebotsqualität zu finden. Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) hat genau diesen Weg eingeschlagen. Als Mobilitätsdienstleister bietet er eine durchgehende Angebotskette an: von der Planung einer Fahrt über das Routing zur nächsten Haltestelle und den Kauf der Fahrkarte bis hin zur Möglichkeit, ein Fahrrad oder Auto zu leihen. Das eTicket RheinMain, welches bereits hunderttausende Hessen nutzen, ist gleichzeitig ein Fahrzeug- oder Fahrradzugang. Bundesweit werden mit dem VDV im Projekt DELFI Standards gesetzt. Mit der RMV-App, dem HandyPortal und dem eTicket RheinMain sowie erfolgreichen Forschungs- und Entwicklungsprojekten, wie beispielsweise (((eSIM 2020 (be in, be out), DYNAMO und namo (dynamische Reisebegleitdienste), haben wir bereits wichtige Meilensteine auf dem Weg ins digitale ÖPNV-Zeitalter erreicht. Auch in der Weiterentwicklung des Tarifes kommt dem RMV die Digitalisierung zugute. Als erster Verkehrsverbund Deutschlands testet der RMV ab April in einem großflächigen Pilotversuch einen innovativen Relationstarif RMVsmart - ausschließlich über das Smartphone. Denn hier erlaubt die vorhandene Technik, auch sehr komplexe Strukturen zu hinterlegen und gleichzeitig den Kunden eine einfachere Bedienung zu gewährleisten. Nur in Zusammenarbeit bisheriger mit neuen Systemanbietern kann die neue Welt mit standardisierten Schnittstellen im ÖPNV Deutschlands bewegt werden. Unsere Branchenanforderungen sollten gebündelt werden, so dass unsere Branche interessant wird für Systemanbieter, die bei Banken und Telekommunikationsgesellschaften schon seit Jahren beweisen, dass komplexe und globale Prozesse verschiedener Partner für diversifizierte gemeinsame Kunden und Kundenportale kein Hexenwerk sind. Es wird nur gelingen, eine eigene Branchenantwort für den künftigen Vertrieb zu finden, wenn dieser seine Basis bei unseren Verkehrsunternehmen und deren Produkten behält und nicht ausschließlich in der aktiengetriebenen Welt der Internetkonzerne. Prof. Knut Ringat Sprecher der Geschäftsführung und Geschäftsführer der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH Foto: RMV/ Jana Kay Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 4 POLITIK 12 Streiks und die Zuverlässigkeit der Verkehrsbedienung Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur in Kurzfassung 15 Bundesfernstraßengesellschaft umsetzen, Planungssicherheit herstellen Standpunkt Thomas Hailer 16 Intelligente Pedelecs fördern Ein Ansatz zur nachhaltigen Verbesserung unseres Mobilitätsverhaltens Marco Bachmann Sebastian Amrhein Michael Kaloudis 20 Aufbruch ins Zeitalter der Permamobilität - Ende des Stillstands Standpunkt Thomas Sauter-Servaes 21 Nisto Bewertungsrahmen für-eine intelligente Mobilitätsplanung Imre Keseru Jeroen Bulckaen Cathy Macharis Irina Weißbeck Hannah Behrens LOGISTIK 39 Effizienter Container-Umschlag durch digitalisierung IT macht Kombinierten Verkehr schneller Holger Bochow Henrik Hanke 42 Malaysia will Hochlohn-Land werden Mit dem Logistics and Trade Facilitation Masterplan auf dem Weg zum „Bevorzugten Logistik-Gateway“ Dirk Ruppik INFRASTRUKTUR 24 Mobilität neu denken Möglichkeiten der kommunalen Mobilitätssteuerung am Beispiel-der Städte Wolfsburg und Würzburg Sandra Wappelhorst Daniel Hinkeldein Adrien Cochet-Weinandt 29 Eisenbahninfrastruktur in regionaler Hand Wege zu einer schnellen Realisierung von Netzerweiterungen in städtischen Ballungsräumen Wolfgang Arnold Günter Koch WISSENSCHAFT 32 Prognostizierte Wirklichkeit? Analyse von prognostizierten und tatsächlichen Verkehrsaufkommen bei Verkehrsinfrastrukturprojekten Thilo Becker Susan Hübner Sven Lißner Falk Richter Rosemarie Baldauf Udo Becker 36 Offene Service-Plattform für-den Fuhrparkbetrieb Flexibles Mobilitäts- und Energiemanagement durch Bündelung von Services über offene Schnittstellen Julien Ostermann Kristian Lehmann Kavivarman Sivarasah Sie finden Internationales Verkehrswesen mit umfangreichem Archiv und aktuellen Terminen unter: www.internationalesverkehrswesen.de Foto: Günter Koch Foto: Dirk Ruppik Foto: Pixabay EXTRATEil IT-TRANS vom 1. bis 3. März 2016 45 „den ÖPNV dynamischer, effizienter und für Kunden attraktiver gestalten“ Im Interview: Jarl Eliassen, Experte für Information & Ticketing beim Internationalen Verband für öffentliches Verkehrswesen (UITP) 46 daten und Fakten zur IT-Trans 47 Fahrgastinformation interaktiv, dynamisch, informativ 47 Bedarfsverkehre auf dem Land 48 digitalisierung im Abokauf 49 die grüne papierlose Haltestelle Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 5 iNHAlT Februar 2016 50 Intermodalität besser verstehen Analyse komplexer Mobilitätsmuster mittels smartphonebasiertem GPS-Tracking Robert Schönduwe Marc Schelewsky Lena Damrau Robert Follmer 54 digitalisierung kommt bei den-Verkehrsteilnehmern an Die Multimodalität nimmt weiter-zu Florian Eck 56 digital Natives mobil Die virtuelle und räumliche Mobilität junger Menschen Kathrin Konrad Dirk Wittowsky 59 Vernetzte Mobilität der Zukunft erfahrbar machen Die Rolle von Reallaboren für einen etwas anderen Ansatz des automatisierten Fahrens Frank Hunsicker Simon Schäfer-Stradowsky Udo Onnen-Weber 62 Autonomes Fahren - Game Changer für die Zukunft der Mobilität Eine einstige Utopie wird Realität Lukas Foljanty Thuy Chinh Duong TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 1 1 Kurz + Kritisch 23 Bericht aus Brüssel 84 Forum Medien 85 Impressum | Gremien 86 Vorschau | Termine AusgAbE 2/ 2016 Logistik 4.0 Intelligente Lösungen für Transport und Verkehr erscheint am 14. April 2016 74 Verkehrsplanerische Nutzung von E-Ticketing-daten CiCo-Fahrgeldsysteme liefern Grundlagen für die Planung von ÖV-Angeboten Peter Mott 78 digitalisierung für mehr Sicherheit Spezialisierte Kamerasysteme im-Öffentlichen Personenverkehr Edwin Beerentemfel WISSENSCHAFT 80 Assistenzbasierte Spracherkennung für Fluglotsen Synergien aus der Kombination von Assistenzsystemen mit-Spracherkennern Hartmut Helmke Jürgen Rataj Jörg Buxbaum Foto: Pixabay Foto: Pixabay MOBILITÄT WISSENSCHAFT 66 Multimodal divide Zum sozialen Ungleichgewicht materieller Verkehrsmitteloptionen Sören Groth 70 Big data im Fernbusverkehr Planung von Fernbusverbindungen durch die Analyse von Informationen aus Social Media-Plattformen Goran Sejdic Ute David Corinna Fohrholz Christian Glaschke Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 6 IM FOKUS Airbus: Mehr Aufträge erhalten, aber weniger Auslieferungen als-Boeing erledigt S ie bleiben ewige Konkurrenten, die Flugzeugbauer Airbus und Boeing. Der US-Konzern hat 2015 erneut den Titel des weltgrößten Flugzeugherstellers geholt. Der europäische Rivale Airbus dagegen brüstet sich mit besonders vollen Auftragsbüchern. Ende 2015 waren dort 6787 Bestellungen notiert. Der Berg wächst, denn bei Airbus verzögern sich häufig die Auslieferungen. 2015 haben 635 Einheiten die Hallen verlassen, gab der Konzern im Januar auf der Jahrespressekonferenz in Paris bekannt. Boeing hat mit 762 Stück bedeutend mehr fertige Flugzeuge abgeliefert und 2015 Aufträge für 768 neue Maschinen eingesammelt. Bei Airbus sind 1036 Neubestellungen eingegangen. Der Iran kündigte im Januar an, ebenfalls 127 Passagierflugzeuge bei den Europäern einkaufen zu wollen. Besonders nachgefragt sind die Mittelstreckenjets wie der A320neo, von dem Mitte Januar 2016 die erste Einheit ausgeliefert wurde. Sie ging an Lufthansa, die insgesamt bisher 116 dieser Flieger und von einer längeren Variante des A321neo bestellt hat. Für den A320 soll die Produktion ausgeweitet werden. Auch der neue Großraumflieger A350 soll gut angenommen werden. Allerdings läuft hier die Produktion nur langsam hoch. Wenige Aufträge gibt es dagegen für den Jumbo-Jet 747-8 von Boeing und den A380 des Airbus-Konzerns, trotz der Ankündigung des Irans, acht A380 zu ordern. Airbus will die A380-Produktion zurückfahren, Boeing die Fertigung der 747-8-Frachter um die Hälfte reduzieren. (dpa/ zp) Die Fertigung des A320neo in der Airbus-Fabrik in Alabama, USA Foto: Airbus Corp. Gesunkene Treibstoffkosten: Rekordgewinne der Fluggesellschaften D ie im internationalen Luftfahrtverband Iata zusammengeschlossenen Fluggesellschaften profitieren vom billigen Kerosin. Die weltweite Dachorganisation hat im Dezember ihre bisherige Gewinnprognose für 2015 von 29,3 auf 33 Mrd. USD heraufgesetzt. Das wären knapp 90 % mehr als 2014 mit 17,4 Mrd. USD. Im kommenden Jahr soll der Branchengewinn weiter auf 36,3 Mrd. USD steigen. Lufthansa geht trotz diverser Streiks im vergangenen Jahr von einem Ebit vor Zinsen und Steuern in 2015 von 1,75 bis 1,95 Mrd. EUR aus. Das teilte der Konzern Anfang Januar mit. 2016 baut das Unternehmen besonders auf Eurowings, um die Kosten des Unternehmens zu senken. Die niedrigen Treibstoffkosten würden allerdings auch für weiter sinkende Ticketpreise sorgen. Trotzdem will Lufthansa das gesamte Passagiergeschäft um 7 % ausweiten. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen hat ihre Prognose für 2015 beim Passagierzuwachs ebenfalls nach oben korrigiert: Statt von 2,8 % geht sie nun von knapp 4 % und insgesamt 216 Mio. Fluggästen aus. Im Frachtbereich dagegen ist bei den deutschen Flughäfen ein Minus für 2015 von voraussichtlich 0,5 % zu erwarten. Bei zusammen 4 054 131 t sind die Ausladungen um 1,1 % zurückgegangen, während die Einladungen geringfügig um 0,1 % zugelegt haben. Fraport hat bereits das Frachtergebnis 2015 vorgelegt: Das Frachtaufkommen am Frankfurter Flughafen ist 2015 um 2,3 % auf rund 2,1 Mio. t gesunken. Als Ursachen werden die Schwäche des Welthandels und die wirtschaftlichen Probleme in den Schwellenländern angegeben. Lufthansa Cargo hat im vergangenen Jahr 1,6 Mio. t Fracht und Post geflogen. Die Gesamtmenge nahm um 2 % ab. Die Turbulenzen in China, der starke US-Dollar und Streiks werden als Ursachen angeführt. Künftig wollen Lufthansa Cargo und United Cargo bei der Fracht zwischen den USA und Europa kooperieren. Dazu stimmen die Airlines unter anderem die IT-Systeme und die Frachtabfertigung aufeinander ab. Im Passagierbereich arbeiten Lufthansa und United Airlines seit Jahren zusammen. (zp) Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 7 IM FOKUS 2020: Hochautomatisiertes Fahren möglich N ach Ansicht von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ist es 2020 so weit: Fahrzeuge können dann serienmäßig mit hochautomatisierten Systemen ausgestattet werden, um sich teilweise selbstständig im Straßenverkehr zu bewegen - Fahren mittels Autopilot auf Autobahnen. Doch auch über Autobahnen hinaus denkt Dobrindt: In diesem Jahr soll das digitale Testfeld Autobahn an der A9 auf Stadtteile von Ingolstadt erweitert werden, damit Unternehmen auch automatisiertes Fahren im realen Stadtverkehr testen können. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und anderer für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) hat die Potenziale des hochautomatisierten Fahrens für Deutschland ermittelt und Ende 2015 vorgestellt. Darin wird ebenfalls festgestellt, dass hochautomatisiertes Fahren auf Autobahnen bereits 2020 technisch ausgereift sein wird. Die Forscher gehen davon aus, dass die Technologien große Chancen für Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland bieten werden. Die deutsche Automobilindustrie sei derzeit weltweiter Leitanbieter bei Fahrerassistenzsystemen und damit verbundenen Technologien. Aufgrund der hohen Marktanteile im Bereich von Premium- und Oberklassefahrzeugen würden deutsche Hersteller zunächst auch bei hochautomatisierten Fahrzeugen Leitanbieter sein. Allerdings werde der Wettbewerbsdruck durch Anbieter aus anderen Ländern massiv wachsen. Das Gutachten „Hochautomatisiertes Fahren auf Autobahnen - Industriepolitische Schlussfolgerungen“ hält zudem fest, dass mit dem hochautomatisierten Fahren große Potenziale für das Verkehrssystem und die Reduzierung der externen Kosten des Straßenverkehrs einhergehen. Die Konkurrenz in Europa schläft schon heute nicht: Die Allianz Renault-Nissan etwa will bis 2020 Technologien für hochautomatisiertes Fahren in mehr als zehn massenmarkttauglichen Modellen zu erschwinglichen Preisen anbieten. Gestartet wird in diesem Jahr mit der „Single Lane Control“, die es Fahrzeugen erlaubt, sich auf Autobahnen ohne Spurwechsel autonom fortzubewegen. Das System schließt den Stop-and-go-Verkehr ein. Für 2018 ist die „Multiple Lane Control“ geplant, die auch Spurwechsel auf Autobahnen ermöglicht. 2020 soll der Stadtverkehr einbezogen werden. Zusätzlich planen die Partner die Einführung einer Reihe von Software-Anwendungen, die Arbeit, Unterhaltung und Verbindung zu sozialen Netzwerken vom Fahrzeug aus erleichtern. Damit Deutschland weiterhin beim Thema hochautomatisiertes Fahren die Nase vorn hat, hat das BMWI Mitte Januar ein weiteres Forschungsprojekt gestartet. Geplant ist, im Rahmen von Pegasus (Projekt zur Etablierung von generell akzeptierten Gütekriterien, Werkzeugen und Methoden sowie Szenarien und Situationen zur Freigabe hochautomatisierter Fahrfunktionen) die Grundlagen für Testmethoden für hochautomatisiertes Fahren, insbesondere auf Autobahnen bis Tempo 130 km/ h, zu entwickeln. Am Projekt sind 14 Industriepartner sowie zwei wissenschaftliche Einrichtungen und eine technische Prüforganisation beteiligt. Es läuft bis Juni 2019. Neu ist auch das Tech Center a-drive, das Mitte Januar in Baden-Württemberg eröffnet wurde. Die Universität Ulm, das FZI Forschungszentrum Informatik sowie das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) führen hier ihre Kompetenzen auf dem Gebiet des automatisierten Fahrens zusammen. Praxispartner ist die Daimler AG. Ziel des Zentrums: die Verbesserung der Robustheit der Wahrnehmungs- und Handlungsplanung automatisierter Fahrzeuge. Wann allerdings das Wiener Übereinkommen über den Verkehr von 1968 geändert wird, ist noch nicht klar. Dort ist derzeit festgeschrieben, dass jedes Fahrzeug einen Fahrer haben muss. Fahrerlose Fahrzeuge werden also noch länger nicht eingesetzt werden können - auch, weil weitere rechtlichen Rahmenbedingungen fehlen. Zudem sind vor Einführung erhebliche Investitionen in die Infrastruktur erforderlich, um die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen und zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur flächendeckend zu ermöglichen. (zp) Continental koordiniert das vom BMWI geförderte Forschungsverbundprojekt „Ko-HAF - Kooperatives hochautomatisiertes Fahren“. Kooperativ steht hierbei für die Interaktion zwischen mehreren hochautomatisierten Fahrzeugen. Das Projekt ist Mitte 2015 gestartet und bis November 2018 geplant. Quelle: Continental AG Laborerfolg: Kerosin aus Abgasen F raunhofer-Forscher verschiedener Institute haben es gemeinsam im Labor schon geschafft: Sie haben Abgase mit Hilfe genetisch veränderter anaerober Bakterienstämme zu Alkoholen und Aceton fermentiert, haben die Stoffe zu einem dieselartigen Zwischenprodukt umgesetzt, das bereits als Schiffsdiesel eingesetzt werden könnte, dann in weiteren Prozessschritten Diesel hergestellt, der chemisch mit dem vergasertauglichen Tankstellenkraftstoff identisch ist, und mit einer einfachen Destillation daraus dann Kerosin sowie Spezialchemikalien hergestellt. Bisher kann die Fermentation von Synthesegas allerdings noch nicht in einem industriellen Maßstab umgesetzt werden. Genutzt werden könnten Abgase von Industrieanlagen. Nach Angaben der Forscher ist der Weg bis zu einer industriellen Relevanz dieses Verfahrens allerdings noch weit. (zp) Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 8 IM FOKUS Seefracht: Große Schiffe, große Allianzen F ür manche ist Größe alles. Für Reedereien bedeutet Größe Marktmacht. Das sieht man beispielsweise bei Hapag Lloyd und CSAV, bei Cosco und China Shipping, die mit ihren Linienreedereien CSCL und Coscon den viertgrößten Containercarrier formen wollen, und bei den Reedereikonsortien wie 2M von Maersk und MCM, G6 oder Ocean 3. Andere dagegen haben Probleme mit Größe, beispielsweise die Häfen- und Terminalbetreiber sowie Hinterlandoperateure mit den Ultra Large Container Ships (ULCS). Während für die Reedereien durch ihren Einsatz die Stückkosten pro Container sinken, sorgen in den Häfen die Umschlag-Peaks bei der Be- und Entladung dieser Schiffe für Engpässe auf den Terminals und vor allem bei den An- und Abfuhren der Container mit Bahn, Binnenschiff und LKW. Die Infrastruktur kann nicht mithalten. Das liegt einerseits sicher tatsächlich an den Peaks, andererseits aber auch am lange nicht erfolgten Ausbau und Zustand der Infrastruktur. Die Frage, ob die ULCS notwendig sind, stellt sich nicht. Sie sind bestellt, bis 2018 werden noch rund 100 weitere ausgeliefert. Andererseits sind Überkapazitäten entstanden, die die Auslastung der gesamten Flotte beeinträchtigen. Auf einer Konferenz der Federation of European Private Port Operators (Feport) im Dezember wurde über Lösungsmöglichkeiten gesprochen, die die Schifffahrtsunternehmen an den erforderlichen Investitionen in den Häfen beteiligen könnten. Die Steuerung über Hafengebühren ist im Gespräch. Derzeit erhalten Megaschiffe in den Häfen eher Rabatte als dass sie Zuschläge zahlen müssen. Letztendlich sind die Häfen jedoch davon abhängig, von den Reedereien weiterhin angelaufen zu werden. Und da sind wir wieder bei den Zusammenschlüssen der Reedereien: Je mehr sich der Markt konsolidiert und sich Reedereien in Allianzen zusammenschließen, desto weniger Kunden gibt es, um die die Häfen buhlen können. (zp) Nationales Hafenkonzept: Konkrete Maßnahmen M it 155 Einzelmaßnahmen will die Bundesregierung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Häfen stärken, die Infrastruktur in den Häfen und die Hinterlandanbindungen ausbauen sowie qualifizierte Ausbildung und Beschäftigung sichern. Dies geht aus dem Nationalen Hafenkonzept hervor, welches das Bundeskabinett Mitte Januar beschlossen hat. Es definiert die Ziele der Hafenpolitik für die kommenden zehn Jahre: Stärkung der Häfen, indem sie fit gemacht werden für das global-digitale Zeitalter. Der strategische Leitfaden enthält konkrete Maßnahmen für alle Beteiligte wie Bund, Länder, Kommunen sowie die Hafen- und Logistikwirtschaft. Dazu gehören • die Digitalisierung der Hafenwirtschaft durch Auf- und Ausbau von Breitbandnetzen, Forschungs- und Technologieprogrammen. • die Engpassbeseitigung bei den seewärtigen Zufahrten, etwa die Anpassung der Fahrrinnen der Unter- und Außenelbe sowie der Unter- und Außenweser. • die Engpassbeseitigung bei den landseitigen Anbindungen der Häfen. Dobrindt hat beispielsweise ein 350 Mio. EUR schweres Ausbauprogramm für die Schienenanbindungen der Häfen aufgelegt. • die Engpassbeseitigung bei den Binnenwasserstraßen, beispielsweise am Rhein. Zudem soll die Bundesagentur für Arbeit mit bis zu 30 Mio. EUR die gezielte Qualifizierung von 1000 Personen zu Facharbeitern für die Einstellung in den deutschen Seehäfen fördern. Diverse Interessenverbände haben sich bereits positiv zum nationalen Hafenkonzept geäußert. (zp) Containerlärm: Simple Idee für komplexes Problem D ass ein Hafen Lärm macht, ist keine Neuigkeit. Wer lärmempfindlich ist, muss ja nicht in seine Nähe ziehen. Trotzdem beschäftigen sich findige Köpfe mit der Lärmminderung - nicht zuletzt, weil auch die Mitarbeiter der Hafenbetriebe, der LKW-Unternehmen und die Besatzungen der Schiffe betroffen sind. Ohrenschützer sind nur bedingt tauglich, denn sie mindern gleichzeitig die Wahrnehmung von Gefahren und Anweisungen. Eine Lösung für Container, die auf Trailern von Zugmaschinen an und von Bord von Ro-Ro-Schiffen gefahren werden, haben Mitarbeiter der Unikai Lagerei- und Speditionsgesellschaft mbH in Hamburg entwickelt. Die Container geraten auf der Laderampe und durch Bodenunebenheiten am Kai in Bewegung, der Stahl des Containers schlägt dann auf den darunter liegenden Stahl des Chassis. Nach mehreren Versuchen mit Gummimatten und Dämmplatten werden nun Dreiecke aus mit Eisengittern verstärkten Polyurethanplatten in den Ecken der Containerhalterungen auf den Trailern verschraubt. So entstehen statt bis zu 105 dB(A) in fünf Metern Entfernung nur noch wahrnehmbare 85 dB(A). Die Erfindung wurde Ende 2015 mit dem Signal Iduna Umwelt- und Gesundheitspreis der Handwerkskammer Hamburg ausgezeichnet. Einige Unternehmen haben bereits gefragt, ob sie diese Lösung ebenfalls nutzen können. (zp) Maersk Line gehört sowohl zu den großen Reedereien als auch zu denen mit besonders großen Containerschiffen. Foto: Maersk Line Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 9 IM FOKUS EU-Klimaziele: Bahnen werden es allein nicht schaffen B edingt durch die EU-Klimapolitik und angesichts der kritischen Auslastung des Straßennetzes gewinnt der Schienengütertransport im Wettbewerb der Verkehrsträger zunehmend an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund hat der Schweizer Telematikanbieter Fela Management AG eine Studie mit dem Titel „Mehr Zugkraft für die Güterbahn - Wie Bahn- und Flottenbetreiber von Telematiksystemen profitieren“ veröffentlicht. Darin beschreibt das Unternehmen, wie Telematiksysteme die Konkurrenzfähigkeit des Schienengüterverkehrs gegenüber anderen Transportmöglichkeiten verbessern können. Dazu gehören eine erhöhte betriebliche Effizienz der Bahnbetreiber, schnellere Transportvorgänge, eine höhere Streckenauslastung, effizientere Umläufe und eine steigende Transportsicherheit. Zudem enthält das Papier Praxisbeispiele und eine Checkliste mit Informationen, worauf Bahnbetreiber bei der Auswahl eines Telematiksystems achten sollten. Die Studie finden Sie unter: www. fela.biz/ wp-telematik/ ? type=98&print=1 Wie die Ziele des EU-Weißbuchs Verkehr 2011 für das Jahr 2050 - massive Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs auf Schiene und Wasserstraße, Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 60 % gegenüber den Werten von 2005 - noch zu erreichen sind, wird im Forschungsprojekt „LivingRail“ untersucht. An ihm arbeitet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI zusammen mit Partnern aus Politik, Verwaltung, Industrie, Bahnunternehmen und Wissenschaft. Die internationale Studie zeigt, dass die europäischen Bahnen diese Aufgaben nicht allein bewältigen können. Ihr Anteil am Modal Split stagniert nach Zahlen des Statistischen Amts der EU für 2013 im Personenverkehr bei 9 % und im Güterverkehr bei 17 %. Ein Wandel der Mobilitätskultur sei notwendig. Zudem müsse die EU mit Hilfe ihrer Mitgliedsstaaten den begonnenen Reformprozess hin zu einem einheitlichen und liberalisierten Eisenbahnraum fortsetzen. Gleichzeitig müssten die Bahngesellschaften die Umwandlung von Staatsunternehmen hin zu kundenorientierten Marktakteuren schaffen. Ohne massive Investitionen in die europäischen Schienennetze werden die Ziele des EU-Weißbuchs nach Angaben der Forscher jedoch nicht erreicht: Die Gesamtkosten für Investitionen und sonstige Maßnahmen werden für die gesamte EU von heute bis zum Jahr 2050 mit 37 bis 57 Mrd. EUR pro Jahr beziffert. Jährlich stünden 57 bis 71 Mrd. EUR durch erhöhte Einnahmen der Bahnen sowie 10 bis 20 Mrd. EUR durch Quersubventionierungen über Straßenbenutzungsgebühren zur Verfügung. Langfristig soll daher die Finanzierung aus eigenen Einnahmen der Bahnen mit geringfügiger Quersubventionierung aus Straße und Luftverkehr möglich sein. Gelingt die Umsetzung der Verlagerungsziele, wird der CO 2 - Ausstoß um 45 % reduziert. Das verbleibende Viertel an CO 2 -Reduktionen soll laut Projektbericht durch Verbesserungen und Verkehrsvermeidung im Straßen- und Luftverkehr erreicht werden. Weitere Informationen: www.livingrail.eu (zp) Schweiz: Schienengüterverkehr wird weiter gefördert D er Güterverkehr auf Straße und Schiene in der Schweiz hat 2014 um 2,8 % zugenommen und damit einen neuen Höchststand erreicht. Das teilte das schweizerische Bundesamt für Statistik (BFS) im Dezember 2015 mit. 2014 betrug die Transportleistung auf der Straße 17,5 Mrd. tkm (2013: 17,2, plus 1,7 %), auf der Schiene waren es 10,8 Mrd. tkm (2013: 10,3, plus 4,6 %). Die Bahnen erreichten damit 2014 einen Marktanteil von 38 %. Der alpenquerende Schienengüterverkehr ist weiter gewachsen, die Zahl der LKW-Fahrten durch die Schweizer Alpen hat sich auf rund 1 Mio. pro Jahr reduziert. Aufgrund dieser Daten aus dem Verlagerungsbericht 2015 hat der Schweizer Bundesrat Anfang Dezember weitere Maßnahmen beschlossen, um die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene zu fördern: Einerseits soll Anfang 2017 die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) für LKW erhöht werden. Andererseits ist geplant, von 2017 bis 2021 die Trassenpreise so anzupassen, dass vor allem lange schwere Güterzüge durch die Alpen profitieren. Darüber hinaus hat der Bundesrat Anfang Dezember in der Revision der Verordnung über die Lärmsanierung der Eisenbahnen verbindliche Emissionsgrenzwerte festgelegt, die von 2020 an gelten sollen. Güterwagen mit Grauguss-Bremssohlen dürfen dann in der Schweiz nicht mehr fahren. Ausgenommen sind historische und Dienstfahrzeuge. Verstöße werden mit Bußgeldern von bis zu 20 000 CHF geahndet. In der neuen Bestimmung sind zudem die zentralen Kriterien zur Gewährung von Finanzhilfen für den Erwerb und Betrieb von besonders leisen Güterwagen sowie die Ressortforschung im Bereich Eisenbahnlärm und Maßnahmen an der Fahrbahn geregelt. Zur Verbesserung der Schieneninfrastruktur hat der Bund in der im September 2015 verabschiedeten Leistungsvereinbarung 2017 bis 2020 die Subventionen an die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) für Betrieb, Erhalt und Erneuerung der Infrastruktur in diesem Zeitraum bereits um 15 % auf rund 7,6 Mrd. CHF aufgestockt. Im Januar präsentierte nun das Schweizer Bundesamt für Verkehr (BAV) einen Bericht, wie die stetig steigenden Kosten in den Griff zu bekommen seien. Das Papier enthalte Empfehlungen und Maßnahmen, mit welchen die Lebensdauer der Infrastruktur verlängert und der finanzielle Mehrbedarf begrenzt werden soll, berichtet die „Neue Luzerner Zeitung“. (ici/ zp) Die Transportleistung auf der Schiene wächst in der Schweiz und durch die Schweizer Alpen wie hier am Gotthard weiter. Foto: SBB Cargo Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 10 IM FOKUS Paketmarkt: Amazon organisiert Teile der Logistik neu A mazon jetzt auch als Seefrachtspediteur? Zumindest hat der Versandhändler eine Lizenz als Non Vessel Operating Common Carrier (NVOCC) für seine chinesische Tochter Beijing Century Joyo Courier Service Co., LTD bei der Federal Maritime Commission der USA (FMC) beantragt. Gerüchte um eine eigene Flugzeugflotte oder zumindest geleaste Flieger, die in den USA bereits eingesetzt werden, gibt es ebenfalls. Bedeutend weiter sind da schon die Amazon-Pläne, in Deutschland einen eigenen Paketdienst zu gründen. In Großbritannien liefert das US-Unternehmen bereits selbst aus. In Olching bei München werden im Pilotzentrum von Amazon Logistics schon täglich 20 000 Pakete im eigenen Netz umgeschlagen. Damit steigt einer der Haupttreiber des Mengenwachstums im Kurier-, Express- und Paketmarkt selbst ins Geschäft ein. Die Auslieferung von Olching aus übernehmen Transporteure mit eigenen Fahrzeugen und fest angestellten Fahrern ohne den Einsatz von Subunternehmern, um die gewünschte Qualität zu gewährleisten. Sie ist erforderlich, um die Kundenbeziehung zu sichern, und der Hauptgrund für die Umstellung. Darüber hinaus macht ein eigenes Zustellsystem den Online-Händler unabhängiger von Logistikkonzernen. Zudem will Amazon verstärkt E-Fahrzeuge für die Auslieferung einsetzen. Auch, um die Akzeptanz der Anwohner für Anlieferungen in den Abendstunden zu erhöhen. Ein Unternehmen, das die fehlende Amazon-Paketmenge zu spüren bekommen wird, ist neben anderen die Deutsche Post. Sie konnte zumindest in der Weihnachtszeit das Amazon-Lieferversprechen nicht immer einhalten. Im Paketmarkt ist sie mit 43 % Marktanteil Branchenführer. Doch bei nicht gewährleisteter Qualität nutzen auch die immer wieder unterstellten und regelmäßig dementierten Quersubventionierungen aus dem Briefgeschäft und die Mehrwertsteuerbefreiung der Postleistungen bei Brief- und Paketlieferungen an Privatadressen nichts. (zp) Telematik: Immer komfortablere Lösungen im Angebot M obile Endgeräte wie Smartphones können immer mehr Aufgaben in der Logistik übernehmen. So zeigt die auf mobile Telematiklösungen spezialisierte TIS GmbH, Bocholt, im März 2016 auf der Logimat einige neue Apps, etwa für ein durchgängiges Auftragsmanagement. Für das Daten-Handling bietet TIS zwei Konzepte an: Bei Tislog mobile Enterprise verfügt das Endgerät über eine eigene Datenbank und kann daher auch im Offline-Modus arbeiten. Bei Tislog mobile Smart befinden sich die Daten hingegen zu keiner Zeit auf dem Endgerät. Ein weiteres Messeexponat ist mit Tislog Office eine Lösung für die automatische Vordisposition von Zustell- und Abholaufträgen etwa für den Sammelgutumschlag. Das System basiert auf einem Netzplan, in dem die verfügbaren Fahrzeuge und die bekannten Restriktionen der Anliefer- und Abholadressen hinterlegt sind. Damit können laut Hersteller große Sendungsmengen einzelnen LKW zugeordnet und im Vorfeld die bestehenden Terminvorgaben geprüft werden. Die Lösung soll erkennen, ob Liefertermine aufgrund von Restriktionen nicht eingehalten werden können, und zeigt dies dann an. Für wiederkehrende Abholaufträge können Regeln hinterlegt werden. Tislog Office verfügt über eine Schnittstelle für bestehende Speditionssoftware. (zp) TIS zeigt auf der Logimat unter anderem neue mobile Endgeräte von Zebra und Honeywell. Quelle: TIS Expansion: Axit auch in China und den USA D as Produkt ist bereits weltweit unterwegs, der Erfinder folgt. Seit dem vierten Quartal 2015 ist das deutsche Softwareunternehmen Axit GmbH, Frankenthal, in Dallas in den USA und in Peking in China vertreten. Die Siemens-Tochter arbeitet an ihrer Internationalisierungsstrategie. Über die von Axit betriebene IT-Plattform AX4 können Logistiker bereits ihre weltweiten Lieferketten per Mausklick über eine Cloud steuern. Das erspart es den Kunden, eine eigene IT-Infrastruktur vorzuhalten. Das Unternehmen gehört seit April 2015 zu Siemens Postal, Parcel & Airport Logistics (SPAL) und arbeitet vor allem an Cloudbasierten, unternehmensübergreifenden Supply-Chain-Management-Lösungen für den internationalen Markt. (zp) Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 11 Modal Split-Verbesserungen für den Schienenverkehr? B is Mitte März 2016 können bei der EU-Kommission Förderanträge für das Projekt „Shift to Rail“ eingereicht werden; 170 Mio. EUR stehen zur Verfügung. Man reibt sich die Augen: War das Thema nicht bereits vor mehr als 20-Jahren immer wieder Gegenstand vieler Projekte mit staatlicher Finanzmittelbereitstellung zur Unterlegung der gebetsmühlenartig vorgetragenen Forderungen nach einer nachhaltigen Marktanteilssteigerung des Schienenverkehrs? Der Blick auf die Modal-Split-Realität ist ernüchternd, trotz aller Forderungen und Hoffnungen der nationalen und EU-Verkehrspolitik. Dies gilt vor allem für den Güterverkehr. Seit zehn Jahren stagniert der Marktanteil der Schiene im binnenländischen Verkehr bei rd. 17 % trotz Bahnreform und zahlreicher EU-Aktivitäten. Gestiegen ist lediglich der intramodale Anteil der Wettbewerber der DB AG. Der Straßengüterverkehr belegt fest einen Marktanteil von 71 %, gestärkt auch durch den rasanten Anstieg der oft als Subunternehmer tätigen ausländischen Anbieter, die 2014 mit 27,3 % der gesamten Güterverkehrsleistung das verdeutlichen, was auf den Autobahnen täglich zu beobachten ist. Diese für den Schienenverkehr völlig unbefriedigende Entwicklung wird vor allem auf die unterschiedlichen Preisstrukturen und die hieraus wirkenden Wettbewerbsvorteile des Straßengüterverkehrs zurückgeführt. Natürlich besitzen die Preisunterschiede eine wichtige Entscheidungsbedeutung für die verladende Wirtschaft. Insofern ist es mehr als ärgerlich, wenn die Politik die bereits hohen Produktionskosten des Schienenverkehrs, verglichen mit denen des Straßenverkehrs, durch spezielle Belastungen wie Stromsteuer, Abgaben zur Förderung der erneuerbaren Energien und des Pflichterwerbs von Emissionsrechten weiter steigert. Belastungen also, die der umweltfreundlichere und überwiegend elektrische Energie aus erneuerbaren Energiequellen nutzende Verkehrsträger tragen muss, nicht aber der fossile Brennstoffe einsetzende LKW. Dieser profitiert zusätzlich von den niedrigen Treibstoffpreisen und der EU-rechtlich erzwungenen Absenkung der Straßenmaut. Von hoher Entscheidungsrelevanz für den Modal Split im Güterverkehr sind und waren immer die logistischen Systemeigenschaften der Verkehrsträger, die - und das wird gern unterschlagen - systembedingt sehr unterschiedlich sind. Die in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegenen logistischen Anforderungen von Industrie und Handel an die Transportwirtschaft stellen den Schienenverkehr vor wesentlich größere Herausforderungen und Schwierigkeiten als den Straßengüterverkehr. Der Kombinierte Verkehr kann diese Probleme nur abmildern. Wie es im neuen „World Transport Report“ zu der mehr als optimistischen Prognose kommt, im Zeitraum bis 2040 wachse die Schiene so deutlich stärker als der Straßengüterverkehr, dass sie ihren Marktanteil um fünf Prozentpunkte steigern und die Straße acht Punkte verlieren würde, bleibt hinsichtlich der gesetzten Annahmen spekulativ. Aber politisch klingt das gut. Auch im Personenverkehr stagniert der Marktanteil der Schiene seit Jahren, trotz der erfreulichen qualitativen und aufkommensstarken Entwicklung im SPNV durch die Regionalisierung. Die extremen Zuwächse im Fernbusverkehr, der täglich durchschnittlich 1360 Kurse anbietet und einen extremen Preiswettbewerb praktiziert, stammen nach aktuellen Schätzungen zu bis zu 30 % aus Abwanderungen vom Schienenfernverkehr. Sie gefährden die bisherigen Marktanteile der Schiene zusätzlich zu den aus Nachfragersicht nicht hinnehmbaren Qualitätsmängeln. Die neuerdings aufgetretenen sicherheitsrelevanten Risikobereiche in städtischen Bahnhofsbereichen fördern ebenfalls nicht die Bahnnutzung. Dass der Fernbus wie der Straßengüterverkehr von kostentreibenden Abgaben und zusätzlich von jeder Straßenmaut befreit ist, komplettiert das Bild der Umsetzungsschwierigkeiten jeder „Shift to Rail“-Initiative. Auch die geplante Förderung der Elektro-PKW durch Subventionen und städtische Vorrangrechte sowie die politische Begeisterung für voll digitalisierte PKW dürften die Attraktivität des Individualverkehrs zukünftig weiter sichern. Neue Studien zur Marktanteilserhöhung der Schiene werden alte Erkenntnisse neu aufbereiten und ergänzen. Ohne politische Rahmenveränderungen werden sie außer gut gemeinten Ratschlägen wenig an realen Effekten bringen. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche „Die logistischen Systemeigenschaften der-Verkehrsträger sind - und das wird-gern-unterschlagen - systembedingt sehr-unterschiedlich.“ Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 12 Streiks und die Zuverlässigkeit der Verkehrsbedienung Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur in Kurzfassung Arbeitskampf, Gewerkschaft, gesamtwirtschaftliche Folgekosten Bereits 2008 befasste sich der Wissenschaftliche Beirat beim (damaligen) BMVBS in einer Stellungnahme mit dem Thema Zuverlässigkeit im Verkehrswesen. Damals wurden verschiedene wichtige Einflussfaktoren identifiziert, jedoch wurden mögliche Auswirkungen von Arbeitskämpfen auf die Zuverlässigkeit der Verkehrsbedienung einschließlich der damit verbundenen temporären Unterbrechungen nationaler wie internationaler Logistik- und Wertschöpfungsketten sowie die daraus resultierenden hohen gesamtwirtschaftlichen Folgekosten im In- und Ausland ausgeklammert. S eit 2007 ist die Anzahl von Arbeitskämpfen im Verkehrswesen, insbesondere durch die gestiegene Streikbereitschaft kurzfristig nicht ersetzbarer Spezialisten, erheblich angestiegen. Seit ihrem dreitägigen Ausstand im April 2014 legten die Piloten des Lufthansa- Konzerns bis September 2015 insgesamt dreizehn Mal die Arbeit nieder, was zum Ausfall von insgesamt 8500 Flügen führte, auf die ca. eine Million Passagiere gebucht waren. Beim einwöchigen Streik der Lufthansa-Kabinenbesatzungen Mitte November 2015 musste das Unternehmen 4700 Flüge streichen; von dieser längsten Arbeitsniederlegung in der Geschichte der Lufthansa waren etwa 550 000 Passagiere betroffen. Schließlich traten auch die in der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) organisierten Zugführer 2014 sechsmal in großflächige Warnstreiks. Auch in anderen Teilbereichen des Verkehrsmarktes nimmt die Streikhäufigkeit seit geraumer Zeit deutlich zu; das belegt die nachstehende Übersicht für Deutschland, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: • Lokomotivführer (2007, 2011, 2013, 2014) • Schleusenwärter (Juli und August 2013) • Fluglotsen (EU-weit im Januar und Februar 2014; kurzfristige Absage des für Deutschland geplanten Ausstandes) • Fluggastkontrollen (2012, 2013, 2014 und 2015 in Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt/ Hahn, Frankfurt/ Main sowie zuletzt Foto: Pixabay POLITIK Streikfolgen Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 13 Streikfolgen POLITIK Stuttgart, Köln und erneut Hamburg und Düsseldorf ) • Flughafen-Vorfeldaufsicht (Februar 2012 in Frankfurt) • Flughafen-Bodenverkehrsdienste (April 2012 in Frankfurt) • Flugbegleiter (LH, August und September 2012, November 2015); sowie • Luftfahrzeugführer (LH: 1996, 2001, 2010 sowie 2014; Augsburg Airways: Mai 2013) Auch wenn die Anzahl der Streiktage in Deutschland im internationalen Vergleich absolut gesehen noch immer sehr gering ausfällt - allerdings bei einer deutlichen Zuwachsrate im Dienstleistungsbereich in den vergangenen Jahren -, ist damit zu rechnen, dass insbesondere im Verkehrsbereich die Anzahl von Arbeitskämpfen zunehmen wird. Außerdem werden diese Streiks - auch wenn sie nur wenige Stunden dauern - mit substantiellen gesamtwirtschaftlichen Kosten durch Schädigung einer bedeutenden Zahl unbeteiligter Dritter und mit großen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einhergehen. Eine wesentliche Ursache der zunehmenden Streikhäufigkeit ist die wachsende Anzahl von Spartengewerkschaften, die durch einen besonders hohen Organisationsgrad von für die Leistungserbringung unverzichtbaren Spezialisten gekennzeichnet sind. Neben den beiden bereits erwähnten Spartengewerkschaften zählen dazu im Verkehrsbereich unter anderem die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), die Technik Gewerkschaft Luftfahrt (TGL), die Arbeitnehmergewerkschaft im Luftverkehr (AGiL), die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) sowie die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO). Den Spartengewerkschaften gelingt es in der Regel, durch derartige Arbeitskampfmaßnahmen für ihre Mitglieder nachweislich deutlich bessere Tarifabschlüsse im Vergleich zu den üblichen Standards der Branche, also den Tarifabschlüssen der großen Arbeitnehmerorganisationen, durchzusetzen. Hierdurch steigt die Attraktivität dieser Organisationen für Mitarbeiter der betroffenen Unternehmen, was sich in einem kontinuierlichen Anstieg ihrer Mitgliederzahlen zu Lasten der etablierten Großgewerkschaften zeigt, die eine im Vergleich deutlich heterogenere und daher schwerer organisierbare Mitgliedschaft aufweisen. Der zunehmende zwischengewerkschaftliche Wettbewerb führt offenbar dazu, dass die Arbeitskampf- und Tarifstrategien der Spartengewerkschaften immer häufiger auch von den Großgewerkschaften nachgeahmt werden. Im Verkehrssektor trifft dies insbesondere auf ver.di zu, die wichtigste Gewerkschaft im öffentlichen Dienst Deutschlands. Ein Sonderproblem von Arbeitskampfmaßnahmen in Dienstleistungsbranchen im Vergleich zu Industrie und Gewerbe ergibt sich des Weiteren aus der Nichtlagerfähigkeit des Produkts. Werden konkret Beförderungsdienstleistungen bestreikt, resultieren daraus volkswirtschaftlich gesehen stets ganz besonders hohe negative Externalitäten, d. h. substantielle wirtschaftliche Schädigungen einer großen Anzahl unbeteiligter Dritter (unbeteiligt in dem Sinne, dass sie nicht an den Tarifverhandlungen beteiligt sind). Entscheidende Ursache hierfür ist aus Sicht der betroffenen Kunden das Fehlen akzeptabler, also kurzfristig verfügbarer sowie qualitativ, quantitativ und preislich vergleichbarer Substitute zu den bestreikten Verkehrsangeboten. So werden beispielsweise Passagiere von Fluggesellschaften oder Eisenbahnunternehmen, aber auch die verladende Wirtschaft, die bei einem Ausstand kurzfristig nicht auf alternative Verkehrsmittel ausweichen können, von den Tarifparteien quasi in „Geiselhaft“ genommen. Angesichts der starken internationalen Vernetzung der nationalen Verkehrssysteme kommt es im Streikfall zudem regelmäßig zu negativen grenzüberschreitenden Externalitäten in erheblichem Ausmaß. Auch die deutsche Politik ist sich mittlerweile dieses Problems bewusst. Als Lösung favorisiert wurde die gesetzliche Wiederherstellung der sogenannten Tarifeinheit. Auf der Grundlage des Koalitionsvertrages der amtierenden Bundesregierung wurde im Mai 2015 vom deutschen Bundestag das sogenannte Tarifeinheitsgesetz verabschiedet. Es sieht vor, dass, soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden, in einem Betrieb nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft anwendbar ist, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Der Wissenschaftliche Beirat stellt allerdings in Frage, ob eine derartige gesetzliche Verpflichtung zur Tarifeinheit ausreichend und wirksam ist, dem Problem der zunehmenden Streikhäufigkeit im Verkehrswesen wirksam zu begegnen. Dies gilt unabhängig von der hier nicht zu behandelnden Frage der Verfassungskonformität des Gesetzes. Zwar trifft zu, dass ohne die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Aufhebung der Tarifeinheit von 2010 Spartengewerkschaften nicht den Einfluss besäßen, den sie seither zugunsten ihrer Mitglieder in Tarifauseinandersetzungen geltend machen können. Das Prinzip der Tarifeinheit selbst beinhaltet jedoch keine Regularien für das Führen von Arbeitskämpfen. Insbesondere enthält es keine Einschränkungen der Art, dass Streiks unter konkreten Randbedingungen nicht zulässig wären oder anderen als den derzeit geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen unterlägen. Die Wiedereinführung der Tarifeinheit stellt somit keine hinreichende Voraussetzung zur Lösung des Problems der Streiks im Verkehrswesen dar. Demgegenüber formuliert der Wissenschaftliche Beirat auf der Basis einer ökonomischen und juristischen Analyse der Problematik und dem Vergleich der arbeitskampf- und tarifvertragsrechtlichen Regelungen anderer Länder mit dem deutschen Status quo unter Beachtung der grundgesetzlich geschützten Koalitionsfreiheit folgende Empfehlungen: Foto: Pixabay POLITIK Streikfolgen Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 14 Dem unmittelbaren Verantwortungsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zuzurechnen und diesem empfohlen werden • Maßnahmen zur Verbesserung der Informationsqualität der Bevölkerung über das während eines Streiks verfügbare intra- und intermodale Beförderungsangebot, insbesondere zu alternativen intermodalen Reiseketten; sowie • weitere dauerhafte oder zumindest temporäre Marktöffnungen wie die 2013 vollzogene Liberalisierung des Fernbusmarktes. Denkbar wären beispielsweise - ab Ankündigung eines Streiks - die Aufhebung der Fahrplanpflicht im Fernlinienbusverkehr, des Sonntagsfahrverbots für Lkw sowie sämtlicher noch bestehender Kabotageverbote. Darüber hinaus empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung unter gemeinsamer Federführung des BMVI und des BMAS, die aufgrund erheblicher negativer Externalitäten bedeutenden gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgekosten von Arbeitskampfmaßnahmen im Verkehrswesen durch den Erlass spezieller Regularien für die Durchführung von Arbeitskämpfen zu vermindern: • Zunächst sollten Arbeitskampfmaßnahmen im Verkehrswesen künftig nur dann zulässig sein, wenn sie so rechtzeitig angekündigt werden, dass die Arbeitgeberseite genügend Zeit besitzt, einen Streikfahrplan zu veröffentlichen und die Kunden genügend Zeit besitzen, entsprechend zu reagieren. Die Ankündigungsfristen sollten nach Verkehrsträger und Entfernung differenziert werden, beispielsweise von zwei Tagen für den innerstädtischen ÖPNV bis zu zwei Wochen für den interkontinentalen Flugverkehr. Damit ist dem potenziellen Missbrauch gewerkschaftlicher Macht zu Lasten der am Verhandlungsprozess ausgeschlossenen unbeteiligten Dritten im öffentlichen Interesse wirksam entgegengewirkt. Gleichzeitig würde der Arbeitskampf das bestreikte Unternehmen wirtschaftlich mit unverminderter Härte treffen. Speziell auf dem Luftverkehrsmarkt setzt dies allerdings voraus, dass den vertraglich hier aufgrund oft besonders restriktiver Buchungs- und Tarifbedingungen ungewöhnlich stark an die bestreikte Fluggesellschaft gebundenen Passagieren unmittelbar nach Ankündigung der Arbeitskampfmaßnahme bis zu deren Ende von der Fluggesellschaft kostenfreie Stornierungen sowie Umbuchungen - auch auf konkurrierende, jedoch nicht bestreikte Anbieter - zu ermöglichen sind. Eine entsprechende Regelung von Ankündigungsfristen müsste der Gesetzgeber einführen. • Erforderlich sind daneben klare gesetzliche Vorgaben zur Gewährleistung einer angemessenen Mindestversorgung der Nachfrager, also der Kunden im Passagier- und Güterverkehr, im Streikfall. Dies darf nicht, wie derzeit üblich, nach ständiger Rechtsprechung des BAG ausschließlich den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben; unterworfen sind sie in diesem Zusammenhang bislang lediglich dem in der bundesdeutschen Praxis kaum justiziablen Prinzip der Verhältnismäßigkeit, demzufolge die durch den Arbeitskampf betroffenen Bürger in ihren eigenen Grundrechten nicht über Gebühr eingeschränkt werden dürfen. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine originäre hoheitliche Aufgabe des Gesetzgebers zur Sicherstellung der grundsätzlichen Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens. Eine entsprechende gesetzliche Regelung wird angeregt. • Vor der Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen sollte der Gesetzgeber die Tarifparteien des Weiteren grundsätzlich zur Durchführung eines Schiedsverfahrens unter Leitung eines unabhängigen und dem Gemeinwohl verpflichteten Schlichters beim Scheitern der Tarifverhandlungen verpflichten. Bis zum Ende des Schlichtungsverfahrens sollte unbedingt Friedenspflicht herrschen. In der speziellen Variante der „Compulsory final offer arbitration“ - die im angelsächsischen Raum eine gewisse Verbreitung gefunden hat - müsste sich der Schlichter im Falle einer Nichteinigung der Tarifparteien für das letzte Angebot einer der beiden Seiten entscheiden. Dies könnte im Extremfall auch per Losentscheid erfolgen. Wegen des Zufallscharakters dieses Verfahrens dürfte sich der Druck auf beide Seiten, eine Einigung im Vorfeld zu erzielen, erhöhen (wohlgemerkt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Arbeitgeberseite einer harten Budgetrestriktion unterliegt). Schließlich empfiehlt der Beirat der Bundesregierung, auf die Änderung die für den Flugverkehr geltende EU-Verordnung 261/ 2004 hinzuwirken: Die rechtliche Einordnung von Streiks als „höhere Gewalt“ ist für den Bereich der Beförderungsdienstleistungen unangemessen und verschiebt einen bedeutenden Teil der Streikkosten auf die Kunden. Streik ist jedoch keine höhere Gewalt, sondern die Entscheidung von Wirtschaftssubjekten im Arbeitskampf. Eine dem entsprechende Änderung der Verordnung, verbunden mit einer Ausweitung der Kundenrechte hinsichtlich von Schadensersatz, Stornierung und Umbuchung würde die Streikkosten bei den am Arbeitskampf nicht beteiligten Kunden reduzieren. Mit diesen Empfehlungen will der Wissenschaftliche Beirat ausdrücklich keine Beurteilung der Streikanlässe und der Arbeitsplatzsituation der Streikenden vornehmen. Vielmehr sollen konstruktive Vorschläge für eine ausgewogene, auch die Interessen der betroffenen Nutzer angemessen berücksichtigende Lösung von Tarifkonflikten zur Diskussion gestellt werden. ■ Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Prof. Dr.-Ing. Manfred Boltze Darmstadt Prof. Dr. Alexander Eisenkopf Friedrichshafen Prof. Dr.-Ing. Hartmut Fricke Dresden Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich Stuttgart Prof. Dr. Hans-Dietrich Haasis Bremen Prof. Dr. Günter Knieps Freiburg Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr Speyer Prof. Dr. Kay Mitusch Karlsruhe Prof. Dr. Stefan Oeter (Vorsitzender) Hamburg Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher Ulm Prof. Dr. Gernot Sieg Münster Prof. Dr.-Ing. Jürgen Siegmann Berlin Prof. Dr. Bernhard Schlag Dresden Prof. Dr. Wolfgang Stölzle St. Gallen Prof. Dr.-Ing. Dirk Vallée Aachen Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner Darmstadt Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 15 Standpunkt POLITIK Bundesfernstraßengesellschaft umsetzen, Planungssicherheit herstellen M arode Brücken, bröckelnde Straßen, veraltete Schleusen und Stellwerke und zu viele Engpässe sind in der langen Zeit der Vernachlässigung entstanden. Jetzt heißt es, vordringlich in den Erhalt zu investieren und vor allem die knappen Gelder an den richtigen Stellen einzusetzen. Von rund 10,8 Mrd. EUR im Jahr 2015 steigen die Investitionen des Bundes auf 13,4 Mrd. in 2018 für Straße, Schiene und Wasserstraße. Der Zuwachs um 30 % entbindet aber nicht von der Pflicht, die Gelder noch effizienter als bisher zu verbauen. Dazu bedarf es weitergehender Reformen. Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) hat hierzu in seinem „Zukunftsprogramm Verkehrsinfrastruktur“ den notwendigen Rahmen vorgezeichnet. Einige Maßnahmen wurden bereits angestoßen. So nimmt der Bund nun mehr Geld in die Hand und lässt eine Überjährigkeit des Verkehrshaushaltes zu. Auch die Bewirtschaftung aller Bundesfernstraßen durch die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft VIFG sowie die Nutzung der Planungs- und Projektmanagementexpertise der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH DEGES seitens der Bundesländer sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Die zwischen Bund und Ländern aufgeteilte Verantwortung im Bereich der Bundesfernstraßen für die Finanzierung einerseits und die Planung und Realisierung andererseits hat zu Ineffizienzen geführt, so dass eine bundesweit einheitliche Weiterentwicklung und Modernisierung gefährdet ist. Darüber hinaus sind ein effektives Controlling und nötige Transparenz bei der Planung, Finanzierung und Realisierung der Bundesfernstraßen für den Bund selten oder unzulänglich gegeben. Um diese Defizite zu adressieren, muss im Konsens zwischen Bund und Ländern eine Bundesfernstraßengesellschaft etabliert werden, die • sich im vollständigen staatlichen Eigentum befindet, • privatrechtlich agiert und organisiert ist, • für Bundesautobahnen - mittelfristig ggfs. auch für Bundesstraßen - zuständig ist, • eine Steuerungs- und Koordinierungsfunktion gegenüber den Auftragsverwaltungen der Bundesländer ausübt, • damit für Planung, Finanzierung, Bau, Betrieb und Erhalt aus einer Hand verantwortlich zeichnet, • ihre Mittel effizient und mehrjährig zur Durchfinanzierung von Projekten einsetzt, • auf Nutzerentgelte, Steuermittel und kurzfristige begrenzte Kredite zurückgreift, • und privates Kapital auf Projektebene mobilisiert. Die Bundesländer müssen auf diesem Weg mitgenommen werden, denn trotz der Reform der Auftragsverwaltung und der stärkeren Zentralisierung liegt die Kompetenz vor Ort bei den Ländern und Kommunen. Eine weitere Voraussetzung für den Aufbau ist die Änderung des § 90 GG hinsichtlich der Organisation der Auftragsverwaltung. Erfreulich ist, dass schon intensiv fraktions- und ressortübergreifend sowohl auf Bundesals auch auf Landesebene ergebnisoffen über die Struktur und Realisierung einer Bundesfernstraßengesellschaft diskutiert wird. Viele Fehlentwicklungen bei der Verkehrsinfrastruktur liegen jedoch nicht nur in einer mangelnden zentralen und übergeordneten Steuerung und Koordinierung begründet, sondern auch in einer unzureichenden Planungssicherheit für alle Akteure. Ursachen dafür sind eine unstetige Finanzierung und eine aktuell immer noch nicht realisierte Priorisierung der Infrastrukturprojekte. Die Maßnahme der Einrichtung einer Bundesfernstraßengesellschaft darf daher nicht alleine stehen, sondern muss vor allem von folgenden Reformen begleitet werden: • eine echte Priorisierung der Finanzmittel ausgerichtet an Projekten mit übergeordneter Bedeutung, • eine bedarfsgerechte über- und mehrjährige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur, • eine ausreichende Bereitstellung von Geldern für die Planung, • eine Effizienzsteigerung und Optimierung der verbliebenden Aufgabenbereiche der Auftragsverwaltung der Länder vor Ort verbunden mit einem Benchmarking der Auftragsverwaltungen untereinander und • die stärkere Einbindung von privatem Know-How und Kapital auf der Projektebene (Stichwort: ÖPP). Dieses Ansetzen mehrerer Hebel ist der einzige Weg, der langfristig bei den Bundesfernstraßen zu mehr Effizienz, niedrigeren Lebenszykluskosten und beschleunigtem Bau und Erhalt führt. Die Grundsteine für eine solche ganzheitliche Reform müssen noch in dieser Legislaturperiode gelegt werden. Im Rahmen ihrer gemeinsamen politischen und volkswirtschaftlichen Verantwortung zur Daseinsvorsorge sind die Bundesländer ebenso wie der Bund in der Pflicht, hierzu zügig ein schlüssiges Konzept vorzulegen. ■ Thomas Hailer, Geschäftsführer Deutsches Verkehrsforum, Berlin hailer@verkehrsforum.de Der Bund wird nach Jahrzehnten der Stagnation endlich mehr Geld in die Verkehrsinfrastruktur investieren. Ein Kommentar des Geschäftsführers Deutsches Verkehrsforum, Thomas Hailer. POLITIK Nachhaltige Mobilität Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 16 Intelligente Pedelecs fördern Ein Ansatz zur nachhaltigen Verbesserung unseres Mobilitätsverhaltens Pedelec, GPS, digitale Karten, Geschwindigkeitszonen, Elektromobilität Pedelecs erfreuen sich stetig steigender Beliebtheit in der Bevölkerung. Sie sind rechtlich dem Fahrrad gleich gestellt und erreichen durch Motorunterstützung eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/ h. Dies verhindert allerdings ihre Wahrnehmung als Substitut zum Kraftfahrzeug und sie stellen keine vollwertige Mobilitätsalternative dar. Durch Zusammenführung von GPS-Technologie, digitalem Kartenmaterial und zusätzlicher Mikroelektronik kann eine neuartige Elektrorad-Kategorie geschaffen werden, welche die Höchstgeschwindigkeit flexibel erhöht oder autonom begrenzt. Autoren: Marco Bachmann, Sebastian Amrhein, Michael Kaloudis D ie Zahl der auf unserem Planeten lebenden Menschen steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an und wird für das Jahr 2050 auf 9,55 Mrd. prognostiziert [1, 2]. Besonders mit dem Fortschreiten der Industrialisierung von Schwellenländern und dem damit verbundenen Drang nach Erfüllung des Bedürfnisses Mobilität vieler Personen wird die Auseinandersetzung mit unserem Mobilitätsverhalten erforderlich. Die Kombination aus diesen Faktoren äußert sich in steigendem Verkehrsaufkommen im Individualverkehr großer Bevölkerungsgruppen. Die negativen Folgen in Form von Lärmbelastung, Luftverschmutzung oder Überlastung von Verkehrsinfrastrukturen sind nicht nur im fernen Indien oder China zu beobachten, sondern zeichnen sich bereits jetzt in großem Maße auch in westlichen Ballungsräumen ab. Deutschland ist hiervon keineswegs ausgenommen. Der große Teil der durch Straßenverkehrslärm belasteten Bevölkerung [3] oder hohe Jahresmittelwerte für Feinstaubkonzentrationen in der Luft [4] in betroffenen deutschen Gebieten sprechen eine deutliche Sprache. Um diesen Entwicklungen entgegen zu wirken, definiert die Bundesregierung verschiedene Maßnahmen. Hierzu zählt unter anderem der Nationale Entwicklungsplan Elektromobilität, mit dem 2009 die Basis geschaffen wurde, um zukunftsfähige Mobilitätskonzepte in der Gesellschaft zu etablieren. Er hat zum Ziel, sowohl die Forschung und Entwicklung von batterieelektrisch betriebenen Fahrzeugen als auch ihre Marktvorbereitung und Markteinführung in Deutschland voran zu bringen [5]. Mit seiner weiteren Konkretisierung zum Regierungsprogramm Elektromobilität im Jahre 2011 soll sich Deutschland zum Leitanbieter Elektromobilität weiter entwickeln. Zielgrößen, wie die Zahl der auf deutschen Straßen fahrenden Elektrofahrzeuge für die Jahre 2020 (mind. 1 Mio.) und 2030 (mind. 6 Mio.) wurden definiert und der Ausbau regenerativer Energiegewinnung zur Elektrifizierung von Fahrzeugen beschlossen [6]. Besondere Bedeutung wird auch elektrisch betriebenen Zweirädern zuteil, die ebenfalls Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ersetzen sollen und somit als integraler Bestandteil neuer Mobilitätskonzepte betrachtet werden können. Nationaler Radverkehrsplan Die Beliebtheit des Fahrrades in Deutschland als umweltfreundliches Fortbewegungsmittel steigt seit Jahren kontinuierlich (Bild 1). Es ist praktisch frei von Lärm- und Schadstoffemission, zeichnet sich durch geringen Flächenbedarf aus und ist sehr flexibel einsetzbar. Längst sind die Potenziale des Fahrradverkehrs zur Entlastung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) auf nationaler Regierungsebene erkannt und schlagen sich in einer zielgerichteten Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik nieder. Mit dem Nationalen Radverkehrsplan 2020 (NRVP) ist ein Instrument geschaffen worden, um die Rahmenbedingungen für den weiteren Ausbau des Radverkehrs festzuschreiben. Der Bund agiert hierbei als Förderer, Impulsgeber, Moderator und Koordinator verschiedenster Projekte zur Umsetzung definierter Maßnahmen und verfolgt das übergeordnete Ziel, den Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen in Deutschland auf 15 % zu erhöhen [7]. Hierdurch soll auch eine Bild 1: Fahrräder in deutschen Haushalten in den Jahren 2000 und 2014 Quelle: [15, 16] Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 17 Nachhaltige Mobilität POLITIK Erhöhung des Standortfaktors Lebensqualität besonders in urbanen Gebieten erzielt werden. Die Entlastung von Verkehrswegen bei gleichzeitiger Reduktion der Flächeninanspruchnahme durch abgestellte KFZ und die Verringerung von Schadstoff- und Lärmimmission in verdichteten Lebensräumen, beschreiben positive Begleiterscheinungen steigender Fahrradmobilität. Mobilitätsverhalten in deutschland und Substitutionspotenziale Um den Nutzen eines Pedelecs bei der Umsetzung der Ziele aus dem NRVP quantifizieren zu können, ist es nötig, zuerst die Gesamtverkehrsleistung der deutschen Bevölkerung zu betrachten und im nächsten Schritt mögliche Substitutionspotenziale mit anderen Verkehrsarten zu identifizieren. Hierfür werden regelmäßig Erhebungen zum Mobilitätsverhalten durch verschiedene Institute durchgeführt und veröffentlicht. Die Grundlage für die nachfolgende rechnerische Betrachtung bilden Daten aus der im 43. Jahrgang erschienenen Ausgabe des Taschenbuches „Verkehr in Zahlen 2014/ 2015“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Es wird als ganzheitliches verkehrsstatistisches Standardwerk in Deutschland angesehen, nachdem es auch andere themenbezogene Studien und Erhebungen berücksichtigt, um eine vollständige Datengrundlage bereit zu stellen. Laut [8] haben mobile Personen im MIV allein im Jahre 2012 im Bundesgebiet 914,6 Mrd. Personenkilometer (Pkm) mit dem Motorrad oder dem KFZ zurückgelegt. Gemessen an der Gesamtverkehrsleistung entspricht dies ca. 80,5 % aller zurückgelegten Pkm und 82,5 % des gesamten Verkehrsaufkommens. Hiervon sind nur für Wege zur Arbeitsstelle im Kalenderjahr 2012 insgesamt 180,8 Mrd. Pkm von 10 511- Mrd. Personen zurückgelegt worden. Für den gleichen Betrachtungszeitraum ermittelte das Statistische Bundesamt, dass 49 % aller Berufspendler, unabhängig vom genutzten Verkehrsmittel, weniger als 10 km und weitere 27 % zwischen 10 km und 25 km für den täglichen Weg zur Arbeit zurücklegen [9]. Bemerkenswert ist dabei, dass die genannten Werte über einen mehrjährigen Betrachtungszeitraum nur sehr geringen Schwankungen unterliegen und somit eine plausible Berechnungsbasis bilden. Würde lediglich ein Prozent dieser Wege durch die Nutzung eines Pedelec ersetzt werden, so entspräche dies einer Verkehrsverlagerung von bis zu 1,374 Mrd. km pro Jahr und einer gleichzeitigen Erhöhung der nationalen Radverkehrsleistung um 3,9 % (siehe auch Bilder 2, 3 und 4). Zudem kann mit einer Reduktion von 0,2 Mio. Tonnen Treibhausgasemission jährlich gerechnet werden, nachdem pro gefahrenem Kilometer 148,4 g CO 2 gegenüber einem durchschnittlichen KFZ eingespart werden [10] (Bild 5). das Pedelec als KFZ-Substitut Durch seine elektrische Tretkraftunterstützung bietet das Pedelec dem Nutzer die Möglichkeit, hügelige Topographien mit deutlich verringerter Anstrengung und größerer Geschwindigkeit als mit einem herkömmlichen Fahrrad zu überwinden oder Bild 2: Jährliche Radverkehrsleistung in Mrd. Pkm Quelle: [8] Bild 3: Radverkehrsanteile deutscher Landeshauptstädte Quelle: [17] Bild 4: Radverkehrsanteile europäischer Mitgliedsstaaten Quelle: [18] POLITIK Nachhaltige Mobilität Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 18 sich von Gegenwind weniger als zuvor ausbremsen zu lassen. Weiterhin ist belegt, dass man sich im Stadtverkehr auf dem Pedelec bei Entfernungen von bis zu 10 km schneller als mit jedem anderen Verkehrsmittel fortbewegen kann [11], da neben der Fahrbahn auch Parkanlagen, Radwege und Busspuren befahren werden dürfen. Ebenfalls kann das Pedelec als Teil einer multimodalen Transportkette im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) genutzt werden. Positive Nebeneffekte wie der aktive Beitrag zur eigenen Gesundheit und die Reduktion direkter Lärm- und Schadstoffemission sind ebenfalls klare Aspekte, die für die Nutzung eines Elektrorades anstatt eines konventionellen KFZ sprechen. Mögliche Nutzungshemmnisse Nachdem die Vorteile der Pedelec-Nutzung beleuchtet wurden, soll im Folgenden auf Aspekte eingegangen werden, die potenzielle Nutzer noch daran hindern, ihr eigenes KFZ durch ein modernes Elektrorad zu ersetzen. Hierbei muss klar zwischen subjektiven und objektiven Faktoren unterschieden werden, wobei erstere sich häufig nur in der persönlichen Einstellung zum Mobilitätsverhalten begründen und durch eigene Gewohnheiten erklären lassen. Hierzu zählt auch die Angst vor Imageproblemen durch den Verlust eines Statussymbols, welches in Deutschland nach wie vor das Auto darstellt. Ein wesentlich greifbarerer Aspekt, der gegen die Nutzung eines Pedelec für den täglichen Arbeitsweg spricht, begründet sich in der immer noch selbst aufzuwendenden Antriebsenergie. Trotz der zusätzlichen elektrischen Motorunterstützung ist vor allem das Fahren von größeren Geschwindigkeiten weiterhin mit nicht unerheblicher körperlicher Anstrengung verbunden. Abhängig von Fahrstrecke und Reisetempo kann der Fahrer ohne die richtige Sportbekleidung schnell ins Schwitzen kommen, wenn er in entsprechend kurzer Zeit sein Ziel erreichen möchte. Konstruktionsbedingt und durch seinen straßenverkehrsrechtlichen Status als Fahrrad beträgt die Höchstgeschwindigkeit der Mehrheit der in Deutschland benutzten Pedelecs lediglich 25- km/ h bei einer maximalen Nenndauerleistung von 250 W. Besonders für Personen, die auf die Nutzung von Straßen im Mischverkehr angewiesen sind, ist diese Geschwindigkeit allerdings zu gering. Sie reicht nicht aus, um im fließenden Stadtverkehr mitschwimmen zu können oder längere Distanzen in suburbane Gebiete in adäquatem Tempo zurückzulegen, weshalb das KFZ nach wie vor das Mittel der Wahl bleibt. Schnelle Pedelecs sind keine Alternative Der größte Anteil der auf dem Markt befindlichen Elektroräder entfällt mit 95 % auf herkömmliche Pedelecs. Schnelle Pedelecs (S-Pedelecs) mit einer durch Motorunterstützung erreichbaren Höchstgeschwindigkeit von 45 km/ h füllen derzeit lediglich eine Marktnische mit einem Anteil von weniger als 5 % [11]. Dies begründet sich im Wesentlichen durch Auflagen und Restriktionen, die der Nutzer umsetzen und beachten muss. Obwohl sich diese Form des Elektrofahrrades äußerlich kaum von seiner 25 km/ h Version unterscheidet, wird es rechtlich einem Kraftfahrzeug gleichgestellt und unterliegt somit sämtlichen Gesetzen und Ordnungen des Straßenverkehrsrechtes. Das Befahren von Fußgängerzonen oder innerörtlichen Fahrradwegen ohne entsprechende Beschilderung sowie die Flächennutzung von Fahrradparkplätzen oder Gehsteigen sind verboten. Desweiteren besteht Führerschein-, Helm- und Versicherungspflicht. Vor allem Personen, die für Berufswege zwischen ihrem Wohnort in suburbanen exponierten Gebieten und Stadtzentren pendeln, verwehren sich trotz aller Vorteile bisher der Möglichkeit, solche Strecken mit einem S-Pedelec zurückzulegen, obwohl es das geeignete Verkehrsmittel hierfür darstellt. Im Stadtverkehr kann man mit ihm im fließenden Verkehr mitschwimmen, nachdem dortige Durchschnittsgeschwindigkeiten ohnehin nur bei ca. 30 km/ h liegen [12]. Die Bundesregierung geht mit der geplanten Änderung der StVO zur Freigabe von Radwegen für E-Bikes und S-Pedelecs außerhalb geschlossener Ortschaften vorerst einen Schritt in die richtige Richtung [13]. Vor allem auf Ein- und Ausfallstraßen mit erhöhtem Verkehrsaufkommen kann das enorme Gefahrenpotenzial, welches auf die großen Geschwindigkeitsunterschiede der verschiedenen Verkehrsteilnehmer zurückzuführen ist, durch die Trennung von KFZ- und Fahrradverkehr deutlich verringert werden. Zuständigen Straßenverkehrsbehörden wird es zudem in Zukunft freigestellt, auch innerorts Radwege mit entsprechenden Zusatzschildern („E-Bikes frei“) auszustatten, um deren Nutzung für schnelle Elektroradler zu ermöglichen. Diese Maßnahmen führen jedoch nur bedingt dazu, mehr Menschen zur Nutzung von E-Bikes oder S-Pedelecs zu bewegen, solange für sie stets der Status des Kraftfahrzeuges mit den geschilderten Nachteilen erhalten bleibt. Aktuell ist das Einfahren in Fußgängerzonen oder die Flächen- Bild 5: Szenario CO 2 -Einsparungspotenzial Quelle: [8] Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 19 Nachhaltige Mobilität POLITIK nutzung von Gehsteigen oder Abstellanlagen nach wie vor verboten und lediglich- den langsameren Elektroradlern vorbehalten. Smart-Bike-Konzept Durch Zusammenführung verschiedener Technologien am Pedelec könnte eine neuartige Elektrorad-Kategorie geschaffen werden, die sich die Vorteile der beiden bisher genannten Modellvarianten zunutze macht. Mit dem Einsatz zukunftsfähiger GPS-Technologie in Verbindung mit digitalem Kartenmaterial erhält ein solches Smart-Pedelec eine intelligente Einheit, die in der Lage ist, ihren zeitdiskreten Standort, unabhängig davon ob gerade ein Radweg, Parkanlage oder Verkehrsstraße genutzt wird, präzise zu bestimmen und zu erkennen. Gleichzeitig wird durch das Motormanagement die durch Unterstützung maximal erreichbare Höchstgeschwindigkeit flexibel geregelt und bei Bedarf autonom begrenzt. So sind verschiedene Szenarien sowohl für herkömmliche Pedelecs als auch ihre schnelle Version denkbar. Hierfür werden anhand des Kartenmaterials relevante Bereiche von den Stadtverwaltungen oder Kommunen definiert und der Hardware in Form von Koordinatenzonen digital zur Verfügung gestellt. Es kann beispielsweise auf innerstädtischen Fahrradwegen mit entsprechender Kennzeichnung („E-Bikes frei“) oder auf Fahrradwegen außerhalb geschlossener Ortschaften, die zum Fahren höherer Geschwindigkeiten geeignet sind, die erreichbare Höchstgeschwindigkeit auf die eines S-Pedelecs erhöht werden. Beim Verlassen dieser Umgebung wird unmittelbar der 25-km/ h-Modus des zulassungsfreien Elektrorades wiederhergestellt. In sensiblen Gebieten, wie Fußgängerzonen, Parkanlagen oder sonstigen verkehrsberuhigten Bereichen kann zudem eine weitere Herabsetzung der Unterstützung (< 25 km/ h) erfolgen, so dass die Akzeptanz durch andere Verkehrsteilnehmer und die Einsetzbarkeit beider Elektroradversionen im gleichen Zuge gesteigert werden. Der jeweilige aktuelle Fahrmodus könnte dabei durch ein Lichtsignal an die Umgebung und andere Verkehrsteilnehmer kommuniziert werden. Für den Nutzer bedeutet dies, dass er einerseits von der geplanten Initiative der Bundesregierung, Radwege zu öffnen, profitiert und sich andererseits absolut gesetzeskonform in allen weiteren Bereichen des öffentlichen und nicht öffentlichen Straßenverkehrs bewegen kann. Personen die ein solches Smart-Bike in Verbindung mit der entsprechend Zulassung und Versicherung nutzen wird es ermöglicht, mit erheblich geringerem Kraftaufwand einen höheren Geschwindigkeitsdurchschnitt in definierten Zonen zu erreichen und gleichzeitig die Vorteile der Fahrradnutzung im Alltag kompromisslos zu integrieren. Ferner ist davon auszugehen, dass das Unfallpotenzial weiter gesenkt werden kann, da Smart-Bike- Nutzer zum einen von anderen Verkehrsteilnehmern nicht mehr als langsames Hindernis wahrgenommen werden und zum anderen berechtigt sind, gesonderte Radverkehrsinfrastruktur zu nutzen. Laut [14] entsteht die Mehrzahl kritischer Situation im Längsverkehr durch Fahrstreifen- und Vorfahrtsmissachtung oder durch Konflikte mit ein- und abbiegenden motorisierten Verkehrsteilnehmern. Es wurde zudem festgestellt, dass S-Pedelec-Fahrer wegen ihres höheren Geschwindigkeitspotenzials nicht signifikant stärker gefährdet sind als langsamere Pedelec- oder Fahrradfahrer, in kritische Situationen zu gelangen. Fazit Ein Pedelec ist nicht nur praktisch und vergleichsweise preisgünstig, es kann gerade in Innenstädten von Mittel- und Oberzentren als Verkehrsmittel helfen, viele gesellschaftspolitische Probleme zu lösen. Die negativen Einflüsse von Luftschadstoff- und Lärmimmission oder Platzmangel auf die Lebensqualität der Menschen werden verringert. Um das elektrisch unterstützte Zweirad unter Betrachtung infrastruktureller und kommunaler Bedingungen für potenzielle Nutzer noch attraktiver zu gestalten, wird es allerdings notwendig sein, die erreichbare Maximalgeschwindigkeit zu erhöhen. Dennoch muss im Hinblick auf die Akzeptanz bei Fußgängern und nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern eine gleichzeitige standortabhängige Regulierung derselben stattfinden. Der im September 2015 erschienene Abschlussbericht der Studie „Pedelection. Verlagerungs- und Klimaeffekte durch Pedelec-Nutzung im Individualverkehr“ unterstützt in weiten Teilen genannte Aspekte und fordert eine enge Verzahnung von Anwendung und Begleitforschung [10], die hinsichtlich dieser Thematik mit erhöhter Priorität behandelt werden sollte. Im Rahmen der ehrgeizigen Ziele der Bundesregierung, Elektromobilität auf deutschen Straßen zu etablieren, wird Pedelecs ein enormes Potential zugesprochen. Damit diese allerdings nachhaltig und schnell erreicht werden, muss noch stärker über Neuregelungen in Gesetz- und Rechtsprechung nachgedacht werden, um eine gemeinsame Grundlage für Innovation und Sicherheit unter Einbindung von Forschung und Entwicklung zu schaffen. ■ liTERATuR [1] UN DESA: Weltbevölkerung von 1950 bis 2015 (in Mrd.), 2015. http: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1716/ umfrage/ entwicklungderweltbevoelkerung/ , abgerufen am: 13.11.2015 [2] UN DESA: Prognose zur Entwicklung der Weltbevölkerung von 2010 bis 2100 (in Milliarden), http: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1717/ umfrage/ prognose-zur-entwicklung-der-weltbevoelkerung/ , abgerufen am: 13.11.2015 [3] Umweltbundesamt: Umweltbewusstsein in Deutschland 2014. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, 2015 [4] Umweltbundesamt: Jährliche Auswertung Feinstaub (PM10) - 2014 (Excel-Version), 2015. www.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 358/ dokumente/ pm10_2014_3.xlsx, abgerufen am: 30.11.2015 [5] Bundesregierung: Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung, 2009 [6] Bundesregierung: Regierungsprogramm Elektromobilität, 2011 [7] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nationaler Radverkehrsplan 2020. Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln, 2012 [8] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.): Verkehr in Zahlen. Hamburg: DVV Media 2014 [9] Wingerter, C.: Berufspendler: Infrastruktur wichtiger als Benzinpreis, Wiesbaden 2014 [10] Lienhop, M., Thomas, D., Brandies, A., Kämper, C., Jöhrens, J. u. Helms, H.: Pedelection. Verlagerungs- und Klimaeffekte durch Pedelec-Nutzung im Individualverkehr, 2015 [11] Wachotsch, U., Kolodziej, A. u. Specht, B.: E-Rad macht mobil. Potenziale von Pedelecs und deren Umweltwirkung, 2014 [12] Ahrens, G.-A.: Sonderauswertung zur Verkehrserhebung „Mobilität in Städten - SrV 2008“, Dresden 2009 [13] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Fahrradfreundliche Reform der Straßenverkehrs-Ordnung. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen - Drucksache 18/ 5184, Berlin 2015 [14] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.: Neues Risiko Pedelec? , 2014 [15] Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2010. Für die Bundesrepublik Deutschland mit Internationalen Übersichten. Wiesbaden 2011 [16] Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch. Deutschland und Internationales. Wiesbaden 2015 [17] Bracher, T. u. Hertel, M.: Radverkehr in Deutschland. Zahlen, Daten, Fakten, Berlin [18] European Commission: Quality of transport. Report. Special Eurobarometer, Luxembourg, 2014 Michael Kaloudis, Prof. Dr. Fakultät Ingenieurwissenschaften, Hochschule Aschaffenburg michael.kaloudis@h-ab.de Marco Bachmann, B. Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fakultät Ingenieurwissenschaften, Hochschule Aschaffenburg marco.bachmann@h-ab.de Sebastian Amrhein, M. Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fakultät Ingenieurwissenschaften, Hochschule Aschaffenburg sebastian.amrhein@h-ab.de POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 20 Aufbruch ins Zeitalter der-Permamobilität - Ende-des Stillstands W as sich zunächst nach einer weiteren technologischen Evolutionsstufe im Automobilbau anhört, wird bereits in absehbarer Zeit revolutionäre Auswirkungen auf das gesamte Verkehrssystem und unser Mobilitätsverhalten haben. Es bedeutet nicht weniger als das Ende des Stillstands, den wir seit Jahrzehnten auf vielen Ebenen des Verkehrssystems erleben. Noch sehen wir beim „autonomen Fahren“ ein klassisches Auto vor dem inneren Auge, vielleicht ohne Lenkrad und Gaspedal, aber weiterhin in den gewohnten Proportionen. Blickt man zurück auf den Systemwechsel von der Kutsche zum Automobil erscheint es allerdings logisch, dass die Automatisierung vollkommen andere Fahrzeugkonzepte hervorbringen bringen wird. Denkbar wäre ein COV, ein Commuter Vehicle, das die heutigen Sport Utility Vehicles (SUV) in Abmessungen und Gewicht übertreffen wird. Denn mit dem automatischen Fahren verlieren lange Pendlerdistanzen endgültig ihren Schrecken. Das Auto wird zum Road Office, die Fahrtdauer analog zum Home Office als Arbeitszeit angerechnet. Nicht Leistung und Geschwindigkeit stehen im Fokus des Nutzers, sondern Komfort, Vernetzung und alternative Nutzungskonzepte. Ein eigenes Ökosystem digitaler und analoger Dienstleistungen wird sich rund um das selbstfahrende Auto etablieren. Angesichts dieses Anforderungsprofils haben plötzlich Google, Uber & Co. die besseren Startbedingungen, um das Auto von morgen zu entwerfen. Mit Hochdruck arbeiten daher die großen Autohersteller an der Transformation zu Mobilitätsdienstleistern. Ford kooperiert mit Google, General Motors investiert eine halbe Milliarde Dollar in den taxiähnlichen Service Lyft und Daimler bietet auf der hauseigenen App moovel verschiedene Mobilitätsangebote aus einer Hand. Die Luft für reine Autobauer wird dünner. Mit der um ein Vielfaches bequemeren und zeiteffizienteren Raumüberwindung im COV schwingt das Pendel der Urbanisierung zurück. Das günstigere und grünere Leben auf dem Land haucht alten Dörfern neues Leben ein. Was Starbucks heute ist, könnten COVs für Arbeitsnomaden der Zukunft sein: ein angesagter Third Place irgendwo zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Dass ein derartiges Fahrzeug in der Stadt im Jahr 2015 keinen Parkplatz mehr finden würde, ist 2025 ohne Belang. Es benötigt keinen Stellplatz mehr, da es nach dem Absetzen seines Besitzers ohne Pause im Taxi-Modus für diesen Geld verdient - vielleicht auch nachts im Lieferbetrieb. Als rollende Variante der Wohnungsvermittlungsbörse airbnb tritt ein riesiger Schwarm dieser privaten Sharing-Fahrzeuge gegen professionelle Flottenbetreiber an, die mit speziellen Vehikeln andere Marktsegmente bedienen werden. Wendige Einsitzer mit ungestörter Privatsphäre werden nach dem Nespresso-Prinzip den starren Linienbetrieb von Bussen und Bahnen attackieren. Kapsel statt Kanne auch im Verkehr. Kleinbusähnliche Mobile können dagegen verschiedene Mobilitätswünsche zu gemeinsamen Fahrten verknüpfen und als Sammeltaxi extrem kostengünstig eine Tür-zu-Tür-Beförderung ermöglichen. Die Mobilität wird zu einem großen Experimentierfeld innovativer On-Demand-Mobilitätsservices. Die bislang undurchlässigen Mauern zwischen privater Automobilität, Taxi und kollektivem ÖV werden fallen, Personen- und Güterverkehr in der redesignten Postkutsche der Moderne verstärkt wieder kombiniert. Digitale Mobilitätsplattformen ermöglichen eine Echtzeit-Transparenz über sämtliche Optionen, berechnen in Millisekunden die optimale Kopplung von Beförderungsanfragen und -kapazitäten. Das Auto wird zum Anhängsel des Smartphones, die Algorithmen im Hintergrund mindestens ebenso wichtig wie die Robotik im Fahrzeug. Dieses Internet der rollenden Dinge läutet das Zeitalter der Permamobilität ein. Verzeichnen private Personenwagen heute im Durchschnitt tägliche Standzeiten von rund 23 Stunden oder über 95 % ihrer Lebensdauer, wird ihr Betrieb nun von der Effizienzwelle eingeholt. Henry Fords Fließbandprinzip der Automobilindustrie als Inbegriff der Effizienzsteigerung erreicht mit 100 Jahren Verzögerung als Fließbandmobilität der Permamobile den motorisierten Straßenverkehr. Die aus dem Wegfall der Parkplätze resultierenden Flächengewinne entsprechen einem gigantischen innerstädtischen Landerschließungsprogramm. Die Herausforderung wird sein, den notwendigen Neuordnungsprozess der freiwerdenden Verkehrsflächen für eine nachhaltige Steigerung der innerstädtischen Lebensqualität zu nutzen. Werden die Flächen nicht genutzt, um muskelkraftbetriebene Fortbewegungsformen in ihrer Attraktivität deutlich zu steigern, werden sich die Effizienzgewinne eines robotisierten Straßenverkehrs schnell zum Nachteil entwickeln: Stark sinkende Mobilitätskosten verbunden mit Qualitätssteigerungen werden Nutzungsfrequenz und Reiseweiten des Autos 4.0 explodieren lassen. Dann droht der nächste Stillstand. ■ Dr.-Ing. Thomas Sauter-Servaes Studiengangleiter Verkehrssysteme, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Winterthur (CH) thomas.sauter-servaes@zhaw.ch Der amerikanische Fahrzeughersteller General Motors geht davon aus, dass binnen zehn Jahren die ersten fahrerlosen Taxis auf den Straßen verkehren werden. Tesla-Gründer Elon Musk ist in seinen Prognosen noch optimistischer. Doch unabhängig vom tatsächlichen Zeitpunkt darf es als relativ sicher angesehen werden, dass der motorisierte Straßenverkehr der Zukunft maschinen- und nicht menschengesteuert stattfindet. - Eine Einschätzung von Thomas Sauter-Servaes. Foto: privat Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 21 Projekt-Evaluation POLITIK Nisto Bewertungsrahmen für-eine intelligente Mobilitätsplanung Mobilitätsprojekte, Evaluationswerkzeug, Nachhaltigkeit In dem europäischen Kooperationsprojekt Nisto (New Integrated Smart Transport Options), das von der Europäischen Kommission im Rahmen des Förderprogramms Interreg IVB ko-finanziert wurde, wurde von Juni 2013 bis Dezember 2015 ein benutzerfreundlicher und integrierter Bewertungsrahmen für die Evaluation von kleinmaßstäbigen Mobilitätsprojekten, mit einem Projektbudget bis zu 2 Mio. EUR, entwickelt. Für Verkehrsplaner, Behörden, Forscher und NRO bietet das Nisto-Toolkit verschiedene Möglichkeiten, eine mobilitätsbezogene Problemstellung zu lösen, zu bewerten und zu vergleichen. Autoren: Imre Keseru, Jeroen Bulckaen, Cathy Macharis, Irina Weißbeck, Hannah Behrens D ie Mobilitäts- und Verkehrsplanung steht vor großen Herausforderungen: der Urbanisierung, dem demografischen Wandel und der Entwicklung neuer Technologien. Daher ist es wichtig, dass die verschiedenen Bewertungsansätze zur Lösung mobilitätsbezogener Problemstellungen in einem konsequenten Verfahren auf eine ausgewogene wie demokratische Weise ausgewählt werden. In Europa werden derzeit von Verkehrsplanern sowie Behörden mehrere Methoden verwendet, Mobilitätsprojekte zu bewerten. Die angewandten Werkzeuge decken ein großes Spektrum an Ansätzen, Verkehrsmodi, Ausführlichkeit, Nutzerfreundlichkeit und Flexibilität ab. Bei unserer Überprüfung der gegenwärtigen Praxis haben wir allerdings festgestellt, dass kleinmaßstäbige Mobilitätsprojekte, die Veränderungen des Verkehrsverhaltens adressieren, aufgrund von fehlenden Evaluationswerkzeugen oder finanziellen Einschränkungen oft gar nicht oder nur teilweise analysiert werden. Deshalb wurde in dem europäischen, transnationalen Kooperationsprojekt Nisto (New Integrated Smart Transport Options), das von der Europäischen Kommission im Rahmen des Förderprogramms Interreg IVB ko-finanziert wurde, im Zeitraum von Juni 2013 bis Dezember 2015 ein neuer, benutzerfreundlicher, flexibler und integrierter Bewertungsrahmen speziell für die Evaluation von kleinmaßstäbigen Mobilitätsprojekten, mit einem Projektbudget bis zu 2-Mio. EUR, entwickelt. Innerhalb des Projektkonsortiums waren sieben Partner und weitere neun unterstützende Subpartner aus Belgien, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland am Projekt und dem damit einhergehenden transnationalen Austausch beteiligt. Entwickelt für Verkehrsplaner, Behörden, Forscher und Nichtregierungsorganisationen, bietet das Nisto-Toolkit verschiedene Möglichkeiten, eine mobilitätsbezogene Problemstellung in städtischem oder regionalen Kontext zu lösen, zu bewerten und zu vergleichen. Der Bewertungsrahmen ist besonders für eine frühzeitige Bewertung von Projektalternativen geeignet, wenn de- Bild 1: Entwicklungsphasen gemäß Nisto Evaluation Framework Foto: Pixabay POLITIK Projekt-Evaluation Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 22 taillierte Daten zu den Auswirkungen der Maßnahmen noch nicht vorhanden sind. Er ist aber genauso nach der Projektumsetzung anwendbar, um den Projekterfolg auszuwerten. Der Nisto Bewertungsrahmen basiert auf einer gleichrangigen Nachhaltigkeitsbewertung der drei Säulen: Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt; der engen Einbeziehung von Interessensgruppen in den Bewertungsprozess und dem Monitoring von Richtlinien sowie Projektzielen (Bild 2). Seit der Abschlusskonferenz in Brüssel am 16. November 2015 unter dem Titel Smart Mobility Planning - The innovative Evaluation Toolkit ist der Nisto Bewertungsrahmen als Online-Werkzeug kostenfrei auf der Website www.nistotoolkit.eu verfügbar. Der Nisto Bewertungsrahmen bietet zwei Evaluationswerkzeuge an: die Bewertung von Nachhaltigkeit mittels der multikriteriellen Entscheidungsanalyse (engl.: Multi-Criteria Analysis (MCA)) und die Bewertung der Präferenzen von Interessensgruppen durch die Multi-Akteur Multi-Kriterien Analyse (engl.: Multi-Actor Multi- Criteria Analysis, MAMCA). Daneben werden eine Anleitung und Orientierungshilfen für das Monitoring von Richtlinien und Projektzielen zur Verfügung gestellt. Ein Projekt kann mit dem Status quo und zwei weiteren Projektalternativen verglichen werden. Beim Vergleich der Alternativen gibt der der Nutzer anhand einer qualitativen Skala (von sehr positiv bis sehr negativ) die jeweiligen Auswirkungen für jedes Evaluationskriterium an. Die Evaluation der Nachhaltigkeit mittels der multikriteriellen Entscheidungsanalyse basiert auf der Auswertung der 16- Nisto Kernkriterien, die anhand von 35-Indikatoren bestimmt werden und unter den drei Säulen der Nachhaltigkeit aufgeteilt sind, wodurch alle Aspekte nachhaltiger Mobilität berücksichtigt werden. Die Bewertungskriterien und deren Gewichtungen wurden mittels Recherche zu existierenden Bewertungsansätzen, Analyse von Best-Practice-Beispielen, Befragungen und Feedback von Interessensgruppen in Nordwesteuropa u. a. im Rahmen von regionalen Workshops und der Analyse von Evaluationsprozessen in neun bereits abgeschlossen Mobilitätsprojekten festgelegt. Diese Werte können jedoch verändert werden, um sie an lokale Prioritäten anzupassen. Der Bewertungsrahmen gibt zudem vordefinierte Gewichtungen an, die auf einer Befragung von Regierungsvertretern verschiedener politischer Ebenen der Partnerländer basieren. Bei der Evaluation der Interessensgruppen durch die Multi-Akteur Multi-Kriterien Analyse werden die Präferenzen von maximal vier Gruppen mit städtischem und regionalen Mobilitätsbezug (Regierung, Bürger, Unternehmen, Verkehrsdienstleister) berücksichtigt. Eine spezifische Zusammenstellung von Kriterien wurde jeder Interessensgruppe zugeordnet, die von den jeweiligen Vertretern selbst gewichtet wird, um die Bedeutung der einzelnen Kriterien zu definieren. Zur Gewichtung bietet der Bewertungsrahmen ein Werkzeug für eine paarweise Bewertung an, wodurch jede mögliche Kriterienkombination vergleichend gegenübergestellt werden kann. Eine direkte Angabe der Gewichtungen ist ebenfalls möglich. Die Ergebnisse beider Evaluationsmethoden werden mithilfe verschiedener Graphen dargestellt, die sowohl die Auswirkungen der Projektalternativen auf die drei Säulen der Nachhaltigkeit und die 16 Nisto Kernkriterien anzeigen als auch die Auswirkung der verschiedenen Alternativen auf jeweilig involvierte Interessensgruppen. In seiner Entwicklungsphase wurde der Nisto Bewertungsrahmen in mehreren kleinmaßstäbigen Mobilitätsprojekten angewandt, um ihn zu testen und Erfordernisse für weitere Verbesserungen zu identifizieren. Dadurch bietet er Nutzern heute einen einfachen Weg, kleinmaßstäbige Mobilitätsprojekte zu evaluieren, indem die Bewertung von Nachhaltigkeit und der Präferenzen von Interessensgruppen miteinander kombiniert werden. Somit kann die Auswertung auf neutrale Weise vorgenommen werden, wobei die Ausführung eines Projekts anhand der drei Säulen der Nachhaltigkeit bewertet wird und die drei Säulen dabei als gleichwertig betrachtet werden. Gleichzeitig stellt das Werkzeug sicher, dass eine ausgewählte Alternative nicht nur nachhaltig ist, sondern auch von einer Mehrheit der Interessensgruppen befürwortet wird. ■ www.nistotoolkit.eu Imre Keseru, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, MOBI-Research Centre, ‚Vrije Universiteit Brussel imre.keseru@vub.ac.be Jeroen Bulckaen Wissenschaftlicher Mitarbeiter, MOBI-Research Centre, Vrije Universiteit Brussel jeroen.bulckaen@vub.ac.be Cathy Macharis, Prof. Dr. MOBI Research Centre, Vrije-Universiteit Brussel cathy.macharis@vub.ac.be Irina Weißbeck Projektmanagement Mobilität, Regionalmanagement Nordhessen GmbH, Kassel weissbeck@regionnordhessen.de Hannah Behrens Projektassistenz Mobilität, Regionalmanagement Nordhessen GmbH, Kassel behrens@regionnordhessen.de Bild 2: Überblick der 16 Nisto Kernkritierien mit der jeweiligen Nachhaltigkeitssäule Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 23 U nmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges ging in Wien alles seinen gewohnten Gang. Die Titel der Zeitungen beherrschte die Frage, wer zum Begräbnis des ermordeten Thronfolgers und seiner Frau geladen war. Auf den folgenden Seiten ging es um die hochsommerlich schläfrige Börse und die Ferienziele der Prominenz. Alles schien weiter zu gehen wie immer - und doch war kurz darauf alles vorbei. Der niederländische Schriftsteller Geert Mak, der die Stimmung in der österreichischen Hauptstadt im August 1914 beschreibt, fragt sich, ob „uns nicht im Moment dasselbe widerfährt“. Wir nehmen vielleicht wahr, dass sich die Europäische Union in einer extrem schlechten Verfassung befindet - aber wir nehmen es sicher nicht ernst. Alles geht weiter - aber nie war die Gefahr so groß, dass schon bald alles vorbei ist. War das grenzenlose Miteinander-wollen Jahrzehnte lang Ideal und Grundlage für Prosperität in Europa, gilt es plötzlich als Bedrohung. Politische Kräfte, die für die nationale Abschottung eintreten, erhalten Zulauf, der vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Parteien, die offen gegen Grundfesten der westlichen Demokratie eintreten, übernehmen Regierungen - wie in Ungarn und Polen. Die Staaten der Visegrád- Gruppe - Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei - verweigern sich der innereuropäischen Solidarität und lehnen es, anders als vereinbart, ab, Flüchtlinge aufzunehmen. Grenzzäune und -kontrollen, deren Verschwinden jahrelang der sichtbarste und „publikumswirksamste“ Ausdruck der europäischen Einheit war, tauchen mehr und mehr auch zwischen den Schengen-Staaten wieder auf. Jahrelang stritt man in der EU über Details: den „schwerfälligen Bürokratismus“ der Institutionen, die Regeln für Schwefel im Schiffskraftstoff oder über Belastungen, die Betroffene als überzogen, unnötig und einseitig befanden. Heute geht es ums Ganze - der Sinn des zusammenwachsenden Europas wird in Frage gestellt, der Nationalstaatsgedanke offen propagiert. Und wir zucken mit den Achseln. Dabei gibt es kaum einen Sektor, der die Wiederkehr der Nationalstaaten, Grenzen und Schlagbäume so fürchten muss wie die Transport- und Logistikbranche. Sie hat vom Wegfall der Grenzen profitiert und sollte sich nur mal kurz in Erinnerung rufen, wie kompliziert noch Ende der 1960er Jahre ein LKW-Transport von Duisburg ins gerade mal 100 km entfernte Eindhoven war. Wie lang die Schlangen an den Grenzübergängen an normalen Tagen waren. Und bis wo die Lastwagen standen, wenn die Zöllner in Belgien oder anderswo gerade mal wieder Dienst nach Vorschrift machten oder gar streikten, um ihr Gehalt aufzubessern. Schön und gut, wird der eine oder andere vielleicht sagen: Aber davon sind wir doch noch weit entfernt. Irrtum: Der flämische Transport- und Logistikverband (TLV) registrierte Zeitverluste seiner Mitglieder von einer bis drei Stunden an der Grenze, als die französischen Behörden nach den Anschlägen von Paris - legalerweise - die Grenzkontrollen wieder einführten. Der Verband spricht von Millionenverlusten. Der Abgrund ist also gerade für die Transport- und Logistikbranche schon erkennbar. Grund genug also gerade für die Unternehmer dieses Sektors nicht nur mit den Achseln zu zucken, sondern aktiv und engagiert für eine funktionierende EU einzutreten. Das ist gar nicht so mühsam. Unternehmer und Verbände könnten aktiver als sie es jetzt machen - wenn sie es denn überhaupt tun - all jenen entgegen treten, die auch in Deutschland mit nationalistischen und anti-europäischen Parolen zu punkten versuchen. Sie könnten immer wieder klar machen, was das für ihre Geschäfte und damit auch für die Arbeitsplätze im Land bedeutet. Denkbar wäre weiterhin, Kontakte zu den Bundes- und Landtagsabgeordneten zu suchen. Sie könnten ihnen aufzeigen, was es für den drittgrößten Sektor in der deutschen Volkswirtschaft bedeutet, wenn Europa scheitert. Und schließlich: Die Älteren unter Ihnen könnten den Jungen in den Unternehmen dringende Nachhilfe in Sachen EU geben. Viele Beschäftigte in den Firmen haben nie etwas anderes erlebt als das grenzenlose Europa. Sie nehmen es als gegeben hin, weil ihnen die alten Zeiten fremd sind, die keineswegs gut waren. Erinnern Sie daran, machen Sie den jungen Leuten klar, dass die EU - bei allem gelegentlichen Ärger über die da oben in Brüssel - etwas ist, was es zu erhalten gilt. Lassen Sie - anders als in Wien vor gut 100 Jahren - nicht alles einfach weitergehen. So verhindern Sie am ehesten, dass schon bald alles vorbei ist. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Aus der Geschichte lernen - jetzt Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 24 INFRASTRUKTUR Mobilitätszentren Mobilität neu denken Möglichkeiten der kommunalen Mobilitätssteuerung am-Beispiel der Städte Wolfsburg und Würzburg Mobilitätszentren, Mobilitätsstationen, Sharingsysteme, E-Sharing, Stellplatzsatzung Der Verkehr hat in den Städten in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Überlastete Straßennetze, Staus, Schadstoffbelastungen in der Luft und Lärm sind nur einige negative Folgen dieser Entwicklung. Die Förderung innovativer Mobilitätansätze kann wesentlich zu einer Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Städten beitragen. Aus kommunaler Sicht erschweren allerdings häufig bestehende Rechtsrahmen, fehlende Finanzmittel oder mangelnder politischer Wille die Umsetzung innovativer Projekte. Dennoch haben Kommunen innerhalb dieser Spannungsfelder viele Spielräume, um neue Wege in Richtung einer nachhaltigen Mobilität zu gehen. Autoren: Sandra Wappelhorst, Daniel Hinkeldein, Adrien Cochet-Weinandt A lternative Mobilitätsformen und -angebote haben sich seit einigen Jahren in den Großstädten als integraler Bestandteil einer nachhaltigen Mobilitätskultur etabliert. Kleinere Städte können von diesen Entwicklungen im Sinne eines Trickle-down- Effekts profitieren, wenn sie darauf vorbereitet sind und ihre kommunalpolitischen Möglichkeiten und Instrumente entsprechend einsetzen. Wie dies genau aussehen kann, zeigen innovative Ansätze in den Städten Wolfsburg und Würzburg: In der Stadt Wolfsburg bietet das kürzlich eröffnete Elektromobilitätszentrum E-Sharing-Angebote an und fördert als Mobilitätsplattform gleichzeitig aktiv den Austausch und die Gestaltung der Mobilität von morgen. In der Stadt Würzburg werden Sharing-Angebote in Kooperation mit der Wohnungswirtschaft umgesetzt und neue planungsrechtliche Wege gegangen, um langfristig den motorisierten Individualverkehr (MIV) zu reduzierenundgleichzeitigumweltfreundliche Verkehrsmittel zu fördern. Mobilität in der Stadt Wolfsburg Die Stadt Wolfsburg sieht sich seit vielen Jahren mit zunehmenden Verkehrszahlen und wachsenden Verkehrsproblemen konfrontiert. Ursächlich hierfür sind zum einen positive Bevölkerungszuwächse der vergangenen Jahre und zum anderen die anhaltende wirtschaftliche Dynamik mit kontinuierlich wachsenden Arbeitsplatzzahlen sowie innerstädtischer Verdichtung. Nicht zuletzt auch aufgrund des Stammwerks des Automobilkonzerns Volkswagen (VW) pendeln täglich viele Werktätige mit dem MIV in die Stadt. Aber auch der Binnenverkehr trägt insbesondere während der morgendlichen und abendlichen Pendlerspitzen maßgeblich zu den städtischen Verkehrsproblemen bei. Das Auto ist weiterhin das dominierende Verkehrsmittel, entsprechend hoch ist der Anteil des MIV am Modal Split in der Stadt Wolfsburg. Öffentliche Verleihsysteme ergänzen seit 2009 das Verkehrsangebot in der Stadt [1-5] (Bild 1). Um den wachsenden Verkehrszahlen zu begegnen ist es ein wesentliches Anliegen der Stadt, den Umstieg auf umweltverträgliche Verkehrsmittel zu stärken und den nicht vermeidbaren MIV möglichst effizient abzuwickeln. Dazu werden neue Wege gegangen und innovative Mobilitätsdienstleistungen getestet. Pilotprojekt eMobility Cube Wolfsburg Die Stadt Wolfsburg betreibt seit Oktober 2015 ein temporäres Elektromobilitätszent- Bild 1: Strukturelle Daten der Stadt Wolfsburg Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 25 Mobilitätszentren INFRASTRUKTUR rum in direkter Nachbarschaft zum Hauptbahnhof, den sogenannten eMobility Cube. Das Pilotprojekt wurde im Rahmen des vom Land Niedersachsen geförderten Schaufenster Elektromobilität der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen- Wolfsburg betrieben (Projektlaufzeit 01/ 2014 bis 12/ 2015). Seit Januar 2016 führt die Stadt Wolfsburg das Projekt in Eigenregie fort. Die Idee, die hinter dem Projekt steht, ist weltweit einzigartig: Verschiedene E-Sharingsysteme werden verbunden, auf einer Abrechnung angeboten, in Kombination mit herkömmlichen Verkehrsträgern wie dem ÖPNV als integraler Bestandteil des Systems Stadt verstanden und um zusätzliche Dienstleistungen (z. B. Information, Beratung, Austausch und Erprobung) und Services (z. B. Vermietung von Kurzzeitarbeitsplätzen und eines Konferenzraumes) erweitert. Ziel ist es, Menschen und Mobilität im Mikrokontext zu verbinden und als Ausgangspunkt für innovative gesamtstädtische und regionale Mobilitätslösungen der Zukunft zu nutzen. Darüber hinaus sollen neue Formen der Elektromobilität in Kombination mit Sharingsystemen für Bürger, Pendler und Besucher erfahrbar gemacht werden. Schließlich soll der eMobility Cube dazu beitragen, den Bereich um den Wolfsburger Hauptbahnhof zu einem zentralen Umsteigepunkt zwischen verschiedenen Fortbewegungsmitteln weiterzuentwickeln. Baustein Elektromobilitätszentrum Zentrale Anlaufstelle ist der eMobility Cube, der im Oktober 2015 eröffnet wurde. Er verfügt über eine Ausleihstation für E-Autos und Pedelecs und ermöglicht aufgrund seiner direkten Nachbarschaft zum Wolfsburger Hauptbahnhof eine barrierefreie, multimodale Anschlussmobilität (Bild 2). Zudem finden sich im eMobility Cube Kurzzeitarbeitsplätze, ein Konferenzraum sowie ein Ausstellungsraum, in dem regelmäßig Veranstaltungen zu stadt-, mobilitäts- und projektbezogenen Themen stattfinden. Am Informationsschalter stehen die Mitarbeiter des e-TEAMs sieben Tage die Woche für Fragen zur Verfügung. Baustein E-Carsharing und Pedelecsharing Das Projekt eMobility Cube baut auf einem Netz von derzeit fünf E-Carsharing-Fahrzeugen an drei Standorten im Stadtgebiet von Wolfsburg auf, die im Sinne des One- Way-Systems an einer dieser Stationen wieder abgestellt werden können. Darüber hinaus stehen 50 Pedelecs an zehn Stationen innerhalb Wolfsburgs zur Verfügung. Auch hierbei handelt es sich um ein One-Way- System, die Fahrräder können frei an jeder dieser Stationen wieder zurückgestellt werden. Weitere öffentliche Ladestationen finden sich über das Wolfsburger Stadtgebiet verteilt (Bild 3). Seit Mai 2015 wurde die Infrastruktur, d.h. das Sharingangebot mit E- Autos und Pedelecs sowie die Ladeinfrastrukturen, sukzessive in der Stadt Wolfsburg aufgebaut. Um die Fahrzeuge nutzen zu können, ist eine Anmeldung über die Homepage emobilitycube.de oder eine persönliche Anmeldung beim eTEAM im eMobility Cube notwendig [6]. Sowohl die kostenfreie App „eM- Cube“ als auch die Mobilitätskarte, die sogenannte eMobility Card, bieten Zugang zu den vollautomatisch ausleihbaren Fahrzeugen. Mit der App können über Smartphone die E-Fahrzeuge gesucht, spontan gebucht, geöffnet und genutzt werden und nach Ende der Fahrt an einer freien Ladestation zurückgegeben werden. Die Abrechnung erfolgt über eine integrierte Rechnung. Temporäre Arbeitsplätze können über die genannte Homepage gebucht werden. Alle drei Angebote werden über ein System gebucht und auf einer Rechnung gebündelt. Damit ist ein erster wichtiger Schritt vollzogen worden hin zur Vision „Ein einfacher Check-in mit dem Mobiltelefon erlaubt die unkomplizierte Benutzung von Bus & Bahn - die Rechnung kommt am Monatsende.“ [7] Das Interesse an den neuen Mobilitätsangeboten und Services seit Betriebsbeginn Ende Mai 2015 ist groß: So hat sich die Zahl der angemeldeten Kunden über die vergangenen Monate kontinuierlich erhöht und lag Ende Dezember 2015 bei knapp 900 (Bild 4). Die positive Entwicklung der Kundenzahlen geht einher mit hohen Ausleihzahlen im E-Carsharing und E-Bikesharing. Lediglich in den niedersächsischen Sommerferien (Kernmonat August) fiel die Zahl der gebuchten Fahrten geringer aus. Baustein Nutzerperspektive auf-das-System Neben dem Test der Angebotsbausteine spielt die Nutzerintegration eine wichtige Rolle, um Erfahrungen und Daten für weitere verkehrsplanerische Strategien für die Stadt Wolfsburg zu sammeln. Dazu wurden von Seiten des InnoZ-Telefoninterviews, Fokusgruppendiskussionen und Online-Befragungen mit über 700 Kunden durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Gesamtzufriedenheit mit beiden Sharingsystemen unter den Nutzern hoch ausfällt. Umweltfreundlichkeit, Innovativität und Wirt-  Bild 2: Elektromobilitätszentrum eMobility Cube mit Ausleihstationen für E-Autos und Pedelecs Foto: InnoZ GmbH  Bild 3: E-Carsharing und Pedelecsharing am eMobility Cube Foto: InnoZ GmbH Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 26 INFRASTRUKTUR Mobilitätszentren schaftlichkeit sowie Praktikabilität und Fahrspaß der Elektrofahrzeuge werden sehr positiv bewertet. Weiterhin werden der gute Service des e-TEAMS, die One-Way- Option, der Sofortzugang rund um die Uhr und die einfache Zugänglichkeit als besonders attraktiv betrachtet. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass 78 % der E-Carsharing-Nutzer und 77 % der E-Bikesharing-Nutzer planen, die Sharingsysteme zukünftig weiterhin zu nutzen. Die Nutzer planen allerdings mehrheitlich nicht, den eigenen PKW zugunsten des Sharingsystems abzuschaffen. Das öffentliche Sharing kann aber dazu motivieren, zunächst kein (weiteres) Auto kaufen: • „Ich habe extra kein Auto mehr, weil ich dies nicht mehr in der Stadt benötige. Der Grund ist: Wenn ich mal eins brauche, gibt es die Möglichkeit, es bei Ihnen zu mieten und der Umwelt etwas Gutes zu tun.“ • „Bei Nicht-Besitz eines PKW hat man die Möglichkeit, kostengünstig eins für eine kurze Zeit zu nutzen bei Bedarf - spontane Buchung möglich.“ Die Untersuchungen haben ebenfalls ergeben, dass die Probanden es gerade in einer Autostadt wie Wolfsburg als wichtig erachten, sich von alten Mobilitätsgewohnheiten zu lösen und sich in Richtung neuer Mobilitätsangebote weiter zu entwickeln. Verbesserungsbedarf äußern die Probanden v. a. in den Bereichen Anzahl der Stationen, Systemstabilität und Erweiterung des Fahrzeugangebots auf weitere Modelle. Darüber hinaus zeigt sich, dass eine Reduktion von MIV-Fahrten erkennbar ist: So hätten 20 % der E-Bikesharing-Nutzer ihren Weg mit dem MIV (PKW als Fahrer oder Taxi) zurückgelegt, wenn es das Sharingsystem nicht gegeben hätte; 26 % der E-Carsharing-Wege wäre sonst mit dem eigenen PKW, als Mitfahrer oder Taxi zurückgelegt worden. D. h. immerhin 1 / 5 bzw. 1 / 4 der MIV- Wege wird durch die Sharingsysteme ersetzt. Der öffentliche Verkehr wird hingegen kaum, wie häufig vermutet, kannibalisiert: Der Anteil der Personen, die anstelle des Sharings den ÖV genutzt hätten, liegt lediglich bei 2 % (E-Bikesharing-Nutzer) bzw. 7 % (E-Carsharing-Nutzer). Mobilität in der Stadt Würzburg Die Stadt Würzburg sieht sich ebenfalls zunehmenden Verkehrsproblemen ausgesetzt, die vor allem durch einen kontinuierlichen Anstieg des MIV verursacht werden. So ist auch hier der Anteil des MIV am Modal Split erwartungsgemäß hoch [3, 8, 9] (Bild 5). Wie in der Stadt Wolfsburg geht es auch in der Stadt Würzburg darum, die Verkehre möglichst nachhaltig abzuwickeln, beispielsweise durch die Ergänzung von Mobilitätsdienstleistungen um öffentliche Verleihsysteme [10, 11]. Auch im Rahmen des integrierten Klimaschutzkonzeptes aus dem Jahr 2012 wird innerhalb des Verkehrssektors das größte CO 2 -Einsparpotenzial gesehen [9]. Strukturelle Veränderungen in der jüngeren Vergangenheit haben in der Stadt Würzburg neue Perspektiven für innovative Mobilitätslösungen geschaffen. So war die Stadt lange Zeit eines von vier Verwaltungszentren der amerikanischen Streitkräfte in Süddeutschland. Infolge der organisatorischen Umstrukturierungen wurde der Standort Würzburg mit seinen etwa 6000 Soldaten sukzessive ab dem Jahr 2007 geschlossen. Die größte Konversionsfläche Würzburgs ist das sogenannte Leighton- Areal (Leighton-Barracks) im Stadtbezirk Frauenland, ca. 4 km östlich der Würzburger Innenstadt, mit einer Größe von etwa 134,5 ha (Bild 6). Rahmenplan Hubland Um die Liegenschaft zügig einer Nachnutzung zuführen zu können, wurde ab 2008 ein intensiver Planungsprozess gestartet. Bild 4: Anzahl registrierter Kunden und Buchungen Quelle: InnoZ GmbH Bild 5: Strukturelle Daten der Stadt Würzburg Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 27 Mobilitätszentren INFRASTRUKTUR Der städtebauliche Rahmenplan Hubland bildet die Grundlage für die darauf aufbauenden Bebauungspläne [12]. Im neuen Stadtteil Hubland sollen die Universitätserweiterung, universitätsaffines Gewerbe, eine große öffentliche Parkanlage (Landesgartenschau 2018), ein Stadtteilzentrum mit Nahversorgung und Wohnraum für ca. 4500-Menschen entstehen. Die Förderung stadtverträglicher Mobilität ist eines der Planungsziele, welches in den Bürgerplanwerkstätten erarbeitet und im Rahmenplan Hubland weiterentwickelt und beschlossen wurde. Durch einen bewussten und zeitgemäßen Umgang mit den Mobilitätsbedürfnissen der Bewohner soll die Entwicklung eines nachhaltigen Stadtteils mit einer angemessenen urbanen Dichte und einer hohen Qualität des öffentlichen Raums ermöglicht werden. Der nicht-motorisierte Verkehr soll in seiner Bedeutung gestärkt werden. Dazu gehören ein gut ausgebautes Fuß- und Radwegenetz und ein guter Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs durch eine neue Straßenbahnlinie und neue Buslinien. Baustein öffentliche Mobilstationen Aufbauend auf den Zielsetzungen in der Rahmenplanung wird als Baustein eines attraktiven Mobilitätskonzeptes für die Bürger im neuen Stadtteil Hubland ein Konzept von Mobilstationen umgesetzt (Bild 7). In den Mobilstationen werden nicht nur Bike & Ride-Plätze zum Umsteigen in die Fahrzeuge des ÖPNV angeboten, sondern auch Alternativen zum MIV in Form von Carsharing und Angeboten zur E-Mobilität (Pedelec, bzw. E-Bike-Ladestationen, Ladestationen für Elektroautos) bereitgestellt. Die Betreuung der Mobilstationen überträgt die Stadt im Rahmen des Parkraumbewirtschaftungsvertrages auf die Würzburger Stadtverkehrs-GmbH (SVG). Ein professionelles Carsharing-Angebot ermöglicht es Nutzern mit einem automatisierten Chipkartenzugang, Fahrzeuge unterschiedlicher Größe und Ausstattung stundenweise zu nutzen. Dafür fallen variable Kosten bei der jeweiligen Nutzung an, die zu einer Kostentransparenz führen. So hat der Bürger die Möglichkeit, auf die teure Anschaffung und Unterhaltung eines privaten PKWs zu verzichten, ohne jedoch auf die Vorzüge der Verfügbarkeit eines Autos in Ergänzung zur Nutzung des ÖPNV verzichten zu müssen. Durch dieses Konzept kann im Durchschnitt eine Reduzierung des mit dem Auto zurückgelegten Kilometeranteils um ca. 50 % erreicht werden, was den anderen Verkehrsträgern (ÖPNV, Fahrrad, Taxi) zugutekommt sowie die Attraktivität und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum durch ein geringeres Verkehrsaufkommen (Reduzierung des motorisierten individuellen ruhenden und fließenden Verkehrs) nachhaltig verbessert. Die Mobilstationen und ein professionelles Mobilitätsmanagement sollen demnach Bürger zur Nutzung der vielfältigen stadtverträglichen Mobilitätsangebote anstelle der privaten Kfz-Nutzung bewegen und so die Entwicklung eines nachhaltigen Stadtteils fördern. Baustein Stellplatzsatzung Im Art. 47 fordert die bayerische Bauordnung bei der Errichtung von Anlagen, bei denen ein Zu- und Abfahrtsverkehr zu erwarten ist, die Herstellung von Stellplätzen in ausreichender Zahl, Größe und Beschaffenheit [13]. Genaueres regelt die Stellplatzsatzung [14]. Diese lässt jedoch Möglichkeiten der Reduzierung des Stellplatzbedarfes durch Maßnahmen des Mobilitätsmanagements außer Acht. Aus diesem Grunde wurde, um die Zielsetzung aus der Rahmenplanung zu fördern und aufgrund der geplanten Mobilstationen mit Alternativen zum MIV, für den Stadtteil Hubland die Stellplatzsatzung geändert. Die Anforderungen an die Beschaffenheit von Fahrradstellplätzen wurden erhöht, während eine generelle, lagebedingte Ablösemöglichkeit für PKW- Stellplätze von bis zu 30 % der erforderlichen PKW-Stellplätze im Wohnungsbau gleichzeitig eingeführt wurde. Die bezahlten Ablösegelder fließen in das Stellplatzablösekonto, aus dem eine Refinanzierung des Baus der Mobilstationen ermöglicht werden kann. Baustein Kooperation mit der Wohnungswirtschaft Mit interessierten Bauträgern im Wohnungsbau in unmittelbarer Nähe zu geplanten Mobilstationen entwickelt die Stadt im Rahmen von Bebauungsplänen oder im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren Bild 6: Auszug Erläuterungsbericht Rahmenplanung Hubland Quelle: Stadt Würzburg 2010 Bild 7: Mobilstationen innerhalb des Rahmenplanes Hubland - Stele Mobilstation Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 28 INFRASTRUKTUR Mobilitätszentren (städtebauliche Verträge und Durchführungsverträge) in Kooperation ein Umsetzungskonzept zur Sicherung des Carsharings. Dabei wird im Prinzip die Zahlung der Ablöse für nicht hergestellte Stellplätze (maximal 30 % der erforderlichen Stellplätze) durch eine Verpflichtung zur Garantie der Aufrechterhaltung des Carsharings auf Zeit substituiert. Für den Fall, dass die ersetzende Maßnahme des Mobilitätsmanagements später eingestellt wird, sind entsprechende Ersatzklauseln vorgesehen. Der Kooperationspartner aus der Wohnungswirtschaft bedient sich in der Regel eines externen professionellen Dienstleisters, um die mit der Stadt vereinbarten Qualitätskriterien einhalten zu können. Für den Dienstleister garantiert der Kooperationspartner aus der Wohnungswirtschaft eine Grundauslastung, bzw. Grundmiete für die Fahrzeuge. Die Verknüpfung mit der Wohnungswirtschaft und dem ÖPNV ermöglicht eine integrierte Lösung für den Stadtteil. Dieses Modell wurde im Rahmen von Pilotprojekten bereits im Vorfeld der Entwicklung am Hubland in anderen Stadtteilen innerhalb der Stadt Würzburg erprobt. Fazit und Ausblick Sowohl die Ansätze in der Stadt Wolfsburg als auch in der Stadt Würzburg zeigen, dass von Seiten der Kommunen vielfältige Möglichkeiten bestehen, innovative Mobilitätslösungen zu fördern und umzusetzen, um langfristig eine nachhaltige Mobilitätskultur in kleineren Großstädten zu etablieren. Dazu bedarf es allerdings neben finanziellen Ressourcen auch den Mut und den Veränderungswillen insbesondere von Seiten der Kommunen, bestehende Mobilitätssysteme neu zu denken und die entsprechenden kommunalpolitischen Instrumente an die veränderten Bedürfnisse, Anforderungen und Rahmenbedingungen anzupassen. Die vorgestellten Maßnahmen bieten vor allem in kleinen Großstädten und Mittelstädten das Potenzial, um für neue Mobilitätsformen zu sensibilisieren und den Modal Split sukzessive in Richtung umweltverträglicher Verkehrsmittel zu verändern. Für Kommunen bieten die vorgestellten Maßnahmen einen praktischen Denkanstoß, neue Wege der Mobilität zu gehen und als wesentlichen Bestandteil einer integrierten Energie- und Verkehrsentwicklung einzubinden [15]. So können beispielsweise Sharingsysteme mit konventionellen und elektrischen Fahrzeugen an einfach zugänglichen Mobilitätsstationen und -zentren die Attraktivität des Mobilitätsangebotes im Bereich ÖPNV erhöhen und damit die Lebensqualität in der Stadt nachhaltig verbessern. Nur durch den Ausbau derartig emissionsarmer, Spaß bringender und verlässlicher Angebote lassen sich langfristig die Verkehrsprobleme in den Städten lösen. ■ QuEllEN [1] Stadt Wolfsburg (2015a): Bevölkerungsbericht 2015. Wolfsburg. [2] Stadt Wolfsburg (2015b): Arbeitsmarktbericht 2015. Wolfsburg. [3] Kraftfahrt-Bundesamt (2015): Fahrzeugzulassungen (FZ) - Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Gemeinden 1. Januar 2015. Flensburg. [4] WVI - Prof. Dr. Wermuth Verkehrsforschung Infrastrukturplanung GmbH (2013): Mobilitätsuntersuchung für den Großraum Braunschweig - Zusammenfassung der Ergebnisse zu Haushaltsbefragung, Fahrgasterhebung und Verkehrsmodellierung für Analyse und Prognose - Abschlussbericht. [5] Drive-Carsharing (2016): Kooperation mit der Wolfsburg AG ab Mai 2009. In: https: / / www.drive-carsharing.com/ news/ kooperationwolfsburg-ag/ . Stand 12.01.2016. [6] Stadt Wolfsburg (2015c): eMobilityCube In: http: / / microsite.stadt. wo l f s b u r g . d e / e m o b i l i t yc u b e / w p c o n t e n t / u p l o a d s / s i tes/ 16/ 2015/ 06/ 2015_05_28_emobilitycube_flyer_anleitung_ ecar_2_final.pdf. Stand 25.10.2015. [7] Canzler, Weert; Knie, Andreas (2011): Einfach aufladen. München. [8] Stadt Würzburg (2016): Würzburg in Zahlen. In: http: / / www.wuerzburg.de/ de/ buerger/ statistikstadtforschung/ index.html. Stand 05.01.2016. [9] B.A.U.M. Consult GmbH; Institut für Energietechnik IfE GmbH an der Hochschule Amberg; Technische Universität München Fachgebiet für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung (2012): Integriertes Klimaschutzkonzept für die Stadt Würzburg [10] Scouter (2016): Carsharing in Würzburg. In: https: / / scouter.de/ wuerzburg/ . Stand 12.01.2016. [11] nextbike (2016): Fahrradverleih in Würzburg. In: http: / / www.nextbike.de/ de/ wuerzburg/ . Stand 12.01.2016. [12] Stadt Würzburg (2010): Erläuterungsbericht Rahmenplanung Hubland. Würzburg. [13] Freistaat Bayern (2007): Bayerische Bauordnung (BayBO) - Bekanntmachung der Neufassung der Bayerischen Bauordnung vom 14. August 2007. [14] Stadt Würzburg (2014): Stellplatzsatzung der Stadt Würzburg. Würzburg. [15] Canzler, Weert; Knie, Andreas (2013): Schlaue Netze: Wie die Energie- und Verkehrswende gelingt. München. daniel Hinkeldein, Dr.-Ing. Projektleiter, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin daniel.hinkeldein@innoz.de Adrien Cochet-Weinandt Stadtplaner, Fachbereich Stadtplanung, Projektgruppe Mobilstationen, Stadt Würzburg adrien.cochet-weinandt @stadt.wuerzburg.de Sandra Wappelhorst, Dr.-Ing. Senior Expertin, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin sandra.wappelhorst@innoz.de Bild 8: Mobilitätskonzept - Mobilitätsmanagement Hubland Quelle: Cochet-Weinandt 2015 Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 29 Eisenbahninfrastruktur INFRASTRUKTUR Eisenbahninfrastruktur in-regionaler Hand Wege zu einer schnellen Realisierung von Netzerweiterungen in städtischen Ballungsräumen Planung, Regionalisierung, Privatbahnen, Gebietskörperschaften Konzepte und Planungen für regionale Eisenbahninfrastrukturen müssen neu gedacht werden, um auch künftig konkurrenzfähig umgesetzt werden zu können. Beispiele aus der Region Neckar-Alb sowie Stuttgart werden vorgestellt. Autoren: Wolfgang Arnold, Günter Koch I n Baden-Württemberg gibt es eine lange Tradition im Bau und Betrieb von nichtbundeseigenen Eisenbahnen (NE-Bahnen). Bis heute bestimmen deren Infrastrukturen in einigen Landesteilen die Schienenerschließung in der Fläche nicht unwesentlich. Die meisten Unternehmen werden als gemeinsame Eisenbahninfrastrukturbzw. Eisenbahnverkehrsunternehmen (EIU oder EVU) geführt und versuchen, mit geringem organisatorischem Aufwand unter bestmöglicher Nutzung von Synergien eine wirtschaftliche Betriebsführung zu erreichen. Das Regelwerk (NE-Vorschriften) erlaubt oftmals kostengünstigere Lösungen im Vergleich zu bundeseigenen Strecken. Die lokale Verbundenheit der Mitarbeiter und ihre Einbindung in kommunale Entscheidungsstrukturen schaffen die Möglichkeiten für effizientes Arbeiten. Die Kommunikationswege sind meist kurz. So wurden in den vergangen Jahren etliche, zum Teil schon stillgelegte Strecken von NE-Bahnen übernommen und zu neuem Leben erweckt. Die Fahrgastzuwächse waren teilweise so groß, dass nach kurzer Zeit die Infrastruktur ausgebaut und das Fahrtenangebot erhöht werden musste. Beim Aufbau neuer Infrastrukturen ist eine regionale Aufstellung von großem Vorteil. Die Einbindung von Betroffenen wie Bürgern, Unternehmen oder Gebietskörperschaften ist durch eine räumliche Nähe der Vorhabensträger leichter möglich und es lassen sich in vielen Fällen die Schnittstellen einfacher handhaben oder gar vermindern. In der Region Karlsruhe/ Heilbronn wurde bereits in besonderer Weise bewiesen, wie zügig ein Neu- und Ausbau von Eisenbahninfrastrukturen durch engagierte Gebietskörperschaften sowie ein regional aufgestelltes Unternehmen erfolgen kann. In Deutschland werden alle Eisenbahnen nach den Vorgaben des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) konzessioniert und nach der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung (EBO) errichtet und betrieben. Das AEG unterscheidet dabei in bundeseigene und nichtbundeseigene Bahnen, oft auch „Privatbahnen“ genannt. Diese Unterscheidung eröffnet NE-Bahnen die Chance, über den- grundsätzlichen Rahmen hinaus, lokale und häufige kostengünstigere Lösungen für die Betriebsführung zu wählen. Auch führen hier nicht mehr Bundesbehörden die Aufsicht. In Baden-Württemberg ist dafür die Landeseisenbahnaufsicht (LEA) fachlich zuständig, die durch das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) wahrgenommen wird. Sie prüft aber nach Richtlinien der NE-Bahnen. Die NE-Bahnen haben den Vorteil, dass sie sich bei der technischen Ausgestaltung ihrer Anlagen, selbstverständlich unter Beachtung aller sicherheitsrelevanten Vorgaben, eine nicht zu unterschätzende Gestaltungsfreiheit haben. Auch können Prioritäten durch die Eigentümer selbst gesetzt werden, ohne die notwendige Einbindung von übergeordneten Gremien. Sehr häufig übernehmen Gebietskörperschaften, regionale Verkehrsverbünde oder Verkehrsunternehmen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) die Federführung für die ersten Planungsstufen von der Konzeptentwicklung bis zur Vorplanung. Genau dort können die notwendigen Verkehrsangebote am besten entwickelt werden, weil die Vorbereitung der politische und verfahrenstechnische Durchsetzbarkeit sowie die Finanzierung parallel bearbeitet werden können. In den weiteren Projektphasen ist großer technischer und auch bahnbetrieblicher Sachverstand gefragt, um die komplexen Zusammenhänge zu durchdringen und auch die betrieblichen Aufgabenstellungen entwickeln zu können. Idealerweise erfolgt die weitere Bearbeitung dann durch erfahrene Infrastrukturbetreiber mit Bahnhintergrund. Bei den meisten Eisenbahnvorhaben erfolgt die Umsetzung durch die Deutsche Bahn, wie dies auch üblicherweise bei der Stuttgarter S-Bahn der Fall ist. Wegen der vielen anderen Vorhaben im Großraum Stuttgart stehen jedoch für neue Projekte die notwendigen Planungs- und Steuerungskapazitäten nicht zur Verfügung. Daher hat der Verband Region Stuttgart (VRS) als Aufgabenträger der Stuttgarter S-Bahn für die geplante S2-Verlängerung von Filderstadt-Bernhausen nach Neuhausen einen anderen Weg für den S-Bahn-Ausbau gewählt. Er hat mit den Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) vereinbart, dass sie die weitere Planung durchführen. Die SSB verfügen über eine jahrzehntelange Erfahrung mit der Implementierung von Neubauvorhaben der Schiene, insbesondere bei Tunnelstrecken mit ihren komplexen Aufgabenstellungen. Durch die Aktivitäten bei der stadteigenen Hafenbahn steht auch entsprechend geschultes Personal für Eisenbahnstrecken zur Verfügung. Verlängerung der S-Bahn S2 in-Stuttgart Die Verlängerung der S-Bahn S2 von Filderstadt-Bernhausen nach Neuhausen auf den Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 30 INFRASTRUKTUR Eisenbahninfrastruktur Fildern ist ca. 3,9 km lang und schließt an die Flughafen-S-Bahn an, die heute in Filderstadt-Bernhausen endet (Bild 1). Die Strecke wird als nichtbundeseigene Eisenbahninfrastruktur von der SSB geplant, gebaut und betrieben. Die SSB tritt hier als Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach §6 AEG auf. Die Strecke wird teilweise niveaugleich, teilweise aber auch unterirdisch bzw. im Einschnitt geführt. Zwischen Sielmingen und Neuhausen ist sie eingleisig. Die Kostenschätzung ergab notwendige Investitionen von 125 Mio. EUR (Stand 2014). Das Projekt „Verlängerung der S2“ stützt sich auf Erkenntnisse aus aktuellen SSB- Stadtbahnmaßnahmen, die ebenfalls im Bereich der Filder-Ebene geplant sind. Die SSB bereiten dort die Verlängerung der Stadtbahn U6 von Fasanenhof Schelmenwasen bis Flughafen / Messe vor. Deshalb konnten entsprechende Erfahrungen, z.B. bei Ökologie, Bodenschutz, Landwirtschaft und Entwässerung, von der U6 auf die S2 übertragen werden. Das Stadtbahnprojekt befindet sich im Planfeststellungsverfahren. Im ersten Quartal 2017 soll dort mit dem Bau begonnen werden. Das Ziel, die S2-Verlängerung als NE- Bahn mit optimierten Investitionsaufwendungen und möglichst umweltverträglich zu verwirklichen, hat auch zu technischen Anpassungen geführt. Zum Beispiel wurde der Gleisabstand auf 3,80 m reduziert, was direkt auch die Massenansätze und damit die Kosten senkte. Bei den Stationen konnten pragmatische Lösungen und solche Materialien gewählt werden, wie sie auch schon bei der Stadtbahn im Einsatz sind. Als sehr komplex erwiesen sich die Schnittstellen zu DB Netz, da hier im Bernhausener Tunnel die vorhandenen Rahmenbedingungen, insbesondere des Brandschutzes und der Leit- und Sicherungstechnik neu zu konfigurieren waren. Die Planung der technischen Ausrüstung war immer auf dem kritischen Weg und folgte der Variantendiskussion und der abschließenden Variantenentscheidung. Nach Betriebssimulationen und Leistungsfähigkeitsuntersuchungen wurde aus der durchgehend zweigleisigen Strecke eine abschnittsweise eingleisige Trasse entwickelt. Da die S2-Verlängerung auch von der DB Regio als Eisenbahnverkehrsunternehmen bedient werden soll, die mit dem gesamten S-Bahnbetrieb vom VRS beauftragt ist (Bild-2), waren bestehende betriebliche und verkehrliche Aspekte, die sich aus dem Gesamtnetz ergeben und besonders in den Tunnelabschnitten wirksam wurden, mit zu berücksichtigen. Um eine Angleichung der technischen Rahmenbedingungen bei Fahrweg, Leit- und Sicherungstechnik sowie Energieversorgung zwischen den Bahnen sicherzustellen, wurden Planungs- und Prüfungsaufgaben für die S2 durch die DB International GmbH im Auftrag der SSB übernommen. Mit der Genehmigungsplanung wurde 2014 begonnen. Die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens ist für Mitte 2016 vorgesehen. Im Herbst 2018 soll mit dem Bau begonnen werden. Die Inbetriebnahme ist für die Fahrplanperiode 2021/ 22, in der auch Stuttgart21 in Betrieb gehen wird, vorgesehen. Regional-Stadtbahn Neckar-Alb Ein weiteres wichtiges Projekt in der Metropolregion Stuttgart ist die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb (RSB) mit ihren Zentren Tübingen und Reutlingen. Dort soll ein neues Regional-Stadtbahn-Netz mit mehr als 200 km Länge und einem voraussichtlichen Investitionsvolumen von 575 Mio. EUR (Preisstand 2006) entstehen. Neben einigen Neubaustrecken, die als Straßenbahn in den beiden Städten erreichtet werden, besteht das übrige Netz aus vorhandenen oder wieder zu reaktivierenden Strecken. Dabei sind gleich sechs Eisenbahninfrastrukturunternehmen betroffen. Dies sind neben DB Netz AG, DB Station&Service AG und DB Energie GmbH die Hohenzollerische Landesbahn (HzL), die Erms-Neckar-Bahn AG (ENAG) und der Zweckverband ÖPNV im Ammertal (ZöA). Dazu kommt noch der der Zollernalbkreis als Eigentümer der derzeit stillgelegten, aber zu reaktivierenden Talgangbahn in Albstadt (Bild 3). Für die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb sind die Rahmenbedingungen gegenüber der S2 einfacher, da alle eisenbahntechnischen Verknüpfungen zwischen bundes- und nichtbundeseigenen Bahnen bereits heute existieren und die verkehrlichen Schnittstellen durch den Aufgabenträger, das Land Baden-Württemberg, bereits in geplanten oder laufenden Ausschreibungen der Verkehrsleistungen berücksichtigt sind. Die Verknüpfungspunkte zwischen der DB Netz und den Stadtbahnstrecken, die nach BOStrab betrieben werden, stellen aber noch eine besondere technische und betriebliche Herausforderung dar. Dabei kann aber auf die Erfahrungen an anderen Orten zurückgegriffen werden, z. B. Karlsruhe, Saarbrücken oder Kassel. Der erste Bauabschnitt der RSB umfasst mit dem Modul 1 die Elektrifizierung und den Ausbau von Ermstalbahn (ETB) und Ammertalbahn (ATB) mit insgesamt etwa Bild 1: Übersicht zur S-Bahn-Verlängerung S2 Bild 2: S-Bahn auf der Linie S2 in Leinfelden Foto: Günter Koch Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 31 Eisenbahninfrastruktur INFRASTRUKTUR 33,7 km, sowie den Neubau von vier Haltepunkten an der Neckar-Alb-Bahn (Plochingen -) Metzingen - Reutlingen - Tübingen (-- Horb). Dadurch wird es künftig möglich sein, umsteigefreie Verbindungen im Halbstundentakt auf der Relation Herrenberg - Tübingen - Reutlingen - Metzingen und Bad Urach anzubieten, die mit modernen elektrischen Triebfahrzeugen bedient werden. Diese Fahrzeuge bieten auch eine höhere Kapazität an Sitz- und Stehplätzen als die in die Jahre gekommenen Regio- Shuttle, so dass damit auch ein weiterer Fahrgastzuwachs verkraftet werden kann. Die ENAG übernahm mit ihrem Ingenieurteam nicht nur federführend den Ausbau ihrer eigenen Strecke, sondern auch als Koordinator bzw. Vorhabensträger die Verantwortung für die anderen NE-Strecken sowie bei den Maßnahmen an der DB-Infrastruktur. Auf die Management- und Planungserfahrung aus Stuttgart - Mitarbeiter der SSB bzw. der Hafenbahn sind bereits heute in diesem Bereich für die ENAG tätig - kann hier direkt zurückgegriffen werden. Wesentliche Planungsaufgaben übernahm im Auftrag der Vorhabensträger die DB International, um das Eisenbahn-Know-how des DB-Konzerns im notwendigen Umfang einzubringen und die Schnittstellen zur DB-Infrastruktur sicherzustellen. Eine besondere Herausforderung im Rahmen der RSB ist der Ausbau der Zollern- Alb-Bahn (ZAB), die auf 60 km nicht nur elektrifiziert, sondern auch abschnittsweise zweigleisig ausgebaut werden soll. Die Weiterentwicklung des Fahrplanes erfolgt durch DB International in enger Abstimmung mit den Vorhabens- und Aufgabenträgern, sowie DB Netz und DB Energie. Dabei werden Fahrplanerstellung und Infrastrukturplanung iterativ bearbeitet. Die Region mit ihren NE-Bahnen treibt hierbei in Zusammenarbeit mit dem Land, vertreten durch die Nahverkehrsgesellschaft Baden- Württemberg (NVBW), aktiv den Planungsprozess voran, der Planungsprozess Bei Vorhaben wie der S2-Verlängerung oder der Regional-Stadtbahn können die Regionen schon rein kapazitiv die notwendigen Planungen nicht allein stemmen, wohl aber als Treiber wesentliche Aufgaben in die Hand nehmen. Die Einbindung kompetenter Fachplaner und Gutachter schafft die erforderlichen Kapazitäten. Wenn am Ende auch viele Leistungen in der Region selbst erbracht werden, fördert dies den Ausbau der regionalen Kompetenz insgesamt. Räumliche Nähe zu Planern und- Gutachtern beschleunigt zudem die Prozesse. So gut wie kein Infrastrukturprojekt wird letztlich so realisiert, wie es einmal begonnen wurde. Die Beteiligung der Bürger und Gebietskörperschaften, Änderungen in den Vorschriften, Fragen des Umwelt- und Naturschutzes, die Anforderungen der künftigen Kunden und letztendlich Finanzierungsfragen formen ein Projekt während seiner Lebenszeit. Gelegentlich dauert der Planungsprozess Vielen viel zu lange. Aber am Ende zählt nur das Ergebnis. Hier unterscheiden sich gerade regionale Infrastrukturprojekte in Deutschland noch deutlich von denen in anderen Ländern. Die Vorhabensträger hierzulande halten den Planungs- und Realisierungsprozess so lange und so weit wie möglich in den eigenen Händen, kümmern sich selbst um die Finanzierung zu günstigen Konditionen und behalten so die Option der inhaltlichen Nachsteuerung bei der Planung und beim Bau. Dieses Verfahren gibt letztlich auch kleineren Ingenieurbüros und Baufirmen eine Chance am Markt. Auch von den Regionen sind derartigen Bahnprojekte in der Vergangenheit nicht immer reibungsfrei abgewickelt worden. Die Beteiligten haben aber daraus gelernt und zeigen in aktuellen Projekten, dass Planung und Bau mit regionalen Ressourcen durchaus effizient abgewickelt werden können. Ausblick Das Regelwerk der europäischen Bahnen wird zunehmend von dem Gedanken der Interoperabilität geprägt. Damit sollen Hochgeschwindigkeits- und Güterverkehre innerhalb Europas einfacher verkehren können. Durch die Forderungen nach Interoperabilität und dem diskriminierungsfreien Zugang zur Infrastruktur werden oftmals pragmatische Ansätze in der Region, wie sie in der Vergangenheit zu wirtschaftlichen Lösungen geführt haben, nicht mehr möglich. Die strikte Trennung zwischen Betrieb und Infrastruktur sorgt zwar für Kostentransparenz, wird aber durch einen erhöhten Verwaltungs- und Schnittstellenaufwand erkauft. Wer künftig den Schienenverkehr in den Regionen weiter wirtschaftlich erstellen und betreiben will, muss auch offen sein für regionale Lösungen. ■ Wolfgang Arnold, Dipl.-Ing. Technischer Vorstand und Vorstandssprecher, SSB Stuttgarter Straßenbahnen AG, Stuttgart wolfgang.arnold@mail.ssb-ag.de Günter Koch, Dipl.-Ing. Leiter Kompetenzzentrum Straßenbahn/ Metro, Region Deutschland Südwest, DB International GmbH, Karlsruhe guenter.koch@db-international.de Bild 3: Übersicht Regional-Stadtbahn Neckar-Alb Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 32 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Prognostizierte Wirklichkeit? Analyse von prognostizierten und tatsächlichen Verkehrsaufkommen bei Verkehrsinfrastrukturprojekten Verkehrsprognosen, Evaluation, Verkehrsinfrastrukturprojekte, Verkehrsmodellierung, Verkehrsentwicklungsplanung Eine Untersuchung von Straßenbauprojekten in Sachsen zeigt, dass prognostizierte Verkehrsaufkommen die tatsächlich eingetretene Verkehrsentwicklung meistens übersteigen. Dieses Ergebnis bestätigt sich ebenfalls in anderen Untersuchungen. Ursächlich dafür sind insbesondere fehlende Informationen zu den Modellannahmen sowie allgemeine methodische Herausforderungen. Für künftige Verkehrsentwicklungsprojekte lassen sich daraus die Notwendigkeit einer verpflichtenden flächendeckenden Überprüfung der Zielerreichung sowie Maßnahmen zur Erhöhung der Treffsicherheit von Prognosen ableiten. Autoren: Thilo Becker, Susan Hübner, Sven Lißner, Falk Richter, Rosemarie Baldauf, Udo-Becker D ie möglichst genaue Prognose zukünftiger Verkehrsentwicklungen ist insbesondere bei der irreversiblen und kostenintensiven Entscheidung über Infrastrukturprojekte von großer Bedeutung. Somit ist auch klar, dass entsprechend der Grundsätze der Verkehrsentwicklungsplanung [1, 2] nach Umsetzung der Maßnahme eine Überprüfung der Realisierung der mit der Maßnahme verbundenen Ziele erfolgen sollte. Dazu gehört neben der Erreichung von möglicherweise definierten strukturellen Zielen der Projekte auch die Erfüllung der Verkehrsprognosen. Diese können entscheidenden Einfluss auf die Dimensionierung, die Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Bewertung oder auch die Abschätzung der im Planfeststellungsverfahren betrachteten Umweltfolgen haben. Allerdings ist ein Vergleich zwischen prognostizierten Werten und dem tatsächlich eingetretenen Verkehrsaufkommen trotz aller geltenden Empfehlungen noch nicht als Standard in der Praxis der Verkehrsplanung etabliert. Methodik eines Vergleichs von Prognose und Wirklichkeit am Beispiel Sachsens Im exemplarischen Untersuchungsgebiet Sachsen wurde ein Vergleich zwischen den prognostizierten und tatsächlichen Entwicklungen von planfestgestellten Infrastrukturprojekten durchgeführt. Betrachtet wurden 68- Straßenabschnitte auf Bundesautobahnen, jeweils 39- Bundesstraßen- und Staatsstraßenabschnitte sowie 64 innerstädtische Straßenabschnitte im Stadtgebiet Dresden. [3] Voraussetzung für die Aufnahme von Straßenbauprojekten in den Vergleich ist neben der Verfügbarkeit von Prognose und Zähldaten die vollständige Realisierung des Gesamtprojekts. Die meisten betrachteten Straßenbauprojekte sind spätestens seit dem Jahr 2009 für den Verkehr freigegeben und weisen als Prognosehorizont das Jahr 2010 auf. Die Verkehrsprognosen werden hauptsächlich mit den realen Verkehrsstärken des Jahres 2010 verglichen. Einige Straßenbauprojekte weisen den Prognosehorizont 2015 auf und werden mit aktuellen Zählwerten verglichen. Diese Projekte sind alle seit mehreren Jahren eröffnet, so dass eine Stabilisierung der Verkehrsnachfrage als gesichert angenommen werden kann. Die Verkehrsprognosen von Infrastrukturprojekten sind in den jeweiligen Planfeststellungsunterlagen enthalten. Diese sind laut Gesetz über den für das Bauvorhaben zuständigen Baulastträger zugänglich und einsehbar. Bei der praktischen Durchführung der Recherche standen der Archiveinsicht allerdings Schwierigkeiten wie fehlende Zuständigkeiten, Personalbzw. Zeitmangel oder ein Umzug/ Umbau des Archives entgegen, so dass ergänzend auf Kopien der Unterlagen bei ehrenamtlich tätigen Trägern öffentlicher Belange zurückgegriffen wurde. Die benötigten Verkehrszahlen des Jahres 2010 sind aus der Verkehrsmengenermittlung der BASt [4] sowie der Verkehrsmengenkarte der Stadt Dresden [5] vergleichsweise leicht zu ermitteln. Daran schließt sich ein Soll-Ist-Vergleich an. Aufgrund oft fehlender Angaben zu Schwerverkehrsanteilen innerhalb der Prognosedaten werden diese nicht vertiefend betrachtet. Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 33 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Der relativ einfach gestaltete Soll-Ist-Vergleich wird als Boxplot für alle Straßenklassen dargestellt. Zusätzlich zur Darstellung der prozentualen Datenabweichung wird im Anschluss eine Varianzanalyse durchgeführt. Diese dient zur Kontrolle, ob tatsächlich ein signifikanter Unterschied der Prognosedaten zu den Realdaten vorliegt, oder ob die Abweichungen so gering sind, dass sie zufällig sein können. Insgesamt lassen die Ergebnisse trotz der vergleichsweise kleinen Stichprobe eine allgemeine Beurteilung der Qualität der Verkehrsprognosen zu. Ergebnis des Vergleichs von Prognose und Wirklichkeit Innerhalb aller Straßenklassen konnten systematische Abweichungen der tatsächlich eingetretenen Belastungen von den prognostizierten Werten beobachtet werden. Im Durchschnitt lagen die Prognosewerte dabei um 33 % zu hoch. Bild 1 zeigt die Vergleichsergebnisse der prognostizierten und tatsächlichen Verkehrsdaten der betrachteten Straßenabschnitte untergliedert nach Straßenklassen. Der Median stellt die Mitte der nach ihrer Größe geordneten Stichprobe dar. Weiterhin sind die Maximalwerte einer Überbzw. Unterschreitung der jeweils betrachteten Prognose abgebildet. Diese Werte können deutlich als Ausreißer betrachtet werden. Der Großteil der Abweichungen zwischen Prognose und tatsächlichen Verkehrsbelastungen liegt im Bereich einer Prognoseüberschätzung von etwa 30 % bis 60 % (Bild 2). Die durchgeführte Varianzanalyse bestätigt, dass eine zufällige Abweichung der Zählwerte von den Prognosewerten nahezu ausgeschlossen und von einer systematischen Überschätzung der Verkehrsnachfrage gesprochen werden kann [3]. Werden exemplarisch vollständig fertiggestellte Autobahnen mit dem Prognosehorizont 2010 betrachtet, lassen sich differenzierte Schlussfolgerungen zu einzelnen Strecken ziehen. Beim Neu- und Ausbau der Autobahn A 14 zwischen dem Schkeuditzer Kreuz bei Leipzig und dem Dreieck Nossen bei Dresden sind Überschätzungen von 20 % bis 51 % angenommen worden, was absoluten Werten von 9000 bis 42 100 KFZ/ 24h entspricht. Beim Ausbau der Autobahn A 4 unterscheiden sich die Ergebnisse im Streckenverlauf. In den beiden Abschnitten zwischen Hainichen und Siebenlehn treten die einzigen Unterschätzungen bei Autobahnen auf (-14 % und -16 %). Abschnitte mit deutlichen Überschätzungen überwiegen allerdings wie beispielsweise der absolute und relative Maximalwert im Bereich des Leipziger Messegeländes mit 42 100 KFZ/ 24 h bzw. 53 %. Einordnung der Ergebnisse in vergleichbare Untersuchungen Insgesamt beschäftigen sich nur wenige Studien mit der Genauigkeit von Verkehrsprognosen. Die mehrheitliche Abweichung der prognostizierten Verkehrsnachfrage vom tatsächlichen Verkehrsaufkommen bestätigt sich dennoch sowohl für andere Länder als auch für andere Verkehrsmittel [6]. Beim Vergleich mehrerer Autobahnabschnitte in Deutschland kommen Gather & Kosok (2013) [7] ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die tatsächliche Verkehrsnachfrage unter den prognostizierten Werten liegt. Dabei ergibt sich eine Spannbreite der Abweichungen von 8 % bis 61 %, die mittlere Überschätzung von etwa 32 % deckt sich mit den Ergebnissen für Sachsen. Studien zu Abweichungen im Ausland ermitteln teilweise genauere Prognosen bzw. eine bessere Ausgewogenheit zwischen Über- und Unterschätzungen. Die Analyse der Genauigkeiten von Verkehrsnachfrageprognosen in Norwegen zeigt beispielsweise, dass Prognosen für Mautstraßen relativ gut zutreffen. Dagegen wird im Kontrast zu Deutschland bei Prognosen mautfreier Straßen die Verkehrsnachfrage im Allgemeinen unterschätzt [8]. Auf internationaler Ebene bestätigen sich weiterhin systematischen Abweichungen zwischen Prognose und Wirklichkeit von oftmals mehr als 20 %, die allerdings in beide Richtungen auftreten können (vgl. dazu [9] oder [10]). diskussion der Ursachen für Abweichungen Die Ursachen insbesondere für die Überschätzung von Verkehrsprognosen sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Im Fokus der Kritik von Verkehrsprognosen stehen in der Literatur oftmals die Verwendung unzureichender Modelle sowie ihre unsachgemäße Anwendung. Für die Annahme derartiger methodischer Mängel bei den Prognosen im Untersuchungsgebiet Sachsen liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Klare Defizite lagen und liegen in Sachsen in den begrenzten Informationen zu den Annahmen der Prognosen. Viele Annahmen der Prognosen sind generell nicht öffentlich zugänglich. Die wenigen verfügbaren Annahmen legen nahe, dass die Überschätzungen auf die lineare Fortschreibung von Trends zur Motorisierung und Verkehrsmittelwahl auf Zahlen der 64% 78% 84% 69% 84% -6% 3% -15% -1% -15% 36% 48% 42% 28% 36% -20% -10% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% Abweichungen zwischen Prognosewerten und Zählungen Oberes Quantil Höchste Überschätzung durch Prognose Höchste Unterschätzung durch Prognose Unteres Quantil Median Bild 1: Boxplot der Abweichungen zwischen Prognosewerten und Zählungen (dargestellt: Median, oberes Quantil (80 %), unteres Quantil (20 %), Maximal- und Minimalwert). Quelle: [3], S. 27] Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 34 INFRASTRUKTUR Wissenschaft 1990er Jahre beruht. Auch Fehleinschätzungen bei der Bevölkerungsentwicklung spielen sicherlich eine Rolle, können aber nicht alles erklären. Neben diesen technischen Ursachen der Überschätzung von Verkehrsprognosen sieht Flyvbjerg (2004) [11] zusätzlich psychologische, wirtschaftliche und politischinstitutionelle Gründe (Tabelle 1). Aus psychologischer Sicht werden bestimmte Tendenzen bei der Prognose durch mentale Neigungen und Vorstellungen der beteiligten Akteure erklärt. Demzufolge bewerten Projektträger und Planer ihr Vorhaben besonders positiv und optimistisch. Dieses Interesse beteiligter Akteure an der Umsetzung von Bauvorhaben wirkt sich ebenfalls auf der ökonomischen Ebene auf die Rationalität der Prognosen aus. Auch politische Interessen und Machtverhältnisse fließen in Verkehrsprognosen ein. In diesem Zusammenhang stellt sich die zentrale Frage, inwieweit Prognostiker dazu neigen, die Interessen der Projektträger zu unterstützen. Schlussfolgerungen Die Ex-post-Auswertung am Beispiel von Sachsen zeigt, dass die verwendeten Prognosewerte fast immer zu hoch waren (im Durchschnitt um 33 %). Natürlich ist es immer einfacher, eine alte Prognose im Nachhinein zu kritisieren, als eine neue Prognose zu erstellen. Dennoch ist diese Kritik wichtig, denn nur so können Schlussfolgerungen für neue Prognosen gezogen werden und nur so ist es möglich, Fehlsteuerungen zu vermeiden. Schließlich gilt: „Ein Experte ist ein Mann, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat.“ (Winston Churchill) Bemerkenswert ist, dass die konkret diskutierten Prognosen für die Bundesautobahnen in Sachsen alle auf Prognosedaten aus dem Jahr 2001 basieren. Zwischen 1990 und 2000 ist die Bevölkerung bereits um 8 % zurückgegangen [12]. Auch aus wirtschaftlicher Sicht konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr von „Wendeeuphorie“ gesprochen werden. Somit besteht die Möglichkeit, dass die dargestellten Überschätzungen kein Einzelphänomen in Sachsen sind, sondern ähnliche Effekte bundesweit bei Kommunal- und Kreisstraßen, Landesstraßen und Bundesfernstraßen gleichermaßen auftreten. Auf allen Ebenen werden kontinuierlich Verkehrsentwicklungspläne fortgeschrieben, ohne dass eine hinreichende Evaluation der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen der Vergangenheit stattfindet. Der aktuell bearbeitete Bundesverkehrswegeplan mit seinen 1703 Projektanmeldungen allein für Bundesfernstraßen stellt nur eines von vielen Beispielen dar. Ursachen für Abweichungen Beispiele Technische Ursachen Ungenaue bzw. unsachgemäße Annahmen Zu starke Gewichtung von vorhergehenden Daten und Ergebnissen Fehleinschätzungen oder Widersprüchlichkeiten bei gegenwärtigen Verkehrszahlen Nichtübertragbarkeit von Modellen auf andere Kontexte (bspw. andere Länder) Psychologische Ursachen Tendenz von Menschen und Organisationen zum Optimismus Optimismus in der Beurteilung und Begutachtung Wirtschaftliche Ursachen Projektbezogene Interessen von Firmen und Beratern Politisch-Institutionelle Ursachen Interessen, Macht und Institutionen Umsetzung des angenommenen politischen Willens durch Berater Tabelle 1: Ursachen für überschätzte Verkehrsprognosen. [11, 6, 3] -20% 0% 20% 40% 60% 80% 100% 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 160 170 180 190 200 Prozentuale Abweichung Prognosewert-Zählung Abschnittsnummer Bild 2: Verteilung der prozentualen Überschätzungen der Verkehrsprognose aller betrachteten Straßenabschnitte im Vergleich zum Zählwert. Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 35 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Wichtig ist, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen und sich auch auf wissenschaftlicher Ebene auf die Ursachensuche zu begeben. Für die hier betrachteten Prognosen liegen die zugrundeliegenden Annahmen nicht vollständig vor. Somit können nur sehr allgemeine Aussagen getroffen werden. Für eine tiefere Analyse sind zunächst die Investitionsmittelgeber selbst gefragt, die die Veröffentlichung der Prognoseangaben ermöglichen bzw. erzwingen müssen. Solange auf dieser Ebene keine Ursachenbetrachtung erfolgt, ist im Hinblick auf die Zukunft zu konstatieren, dass ohne vollständige Offenlegung und Begründung von Annahmen keine Entscheidungen auf Basis von nicht nachvollziehbaren Prognosen getroffen werden sollten. Generell ist der Versuch als fraglich einzustufen, alle Festlegungen bei den Rahmenbedingungen in einer einzigen Prognose zu kombinieren und damit die zukünftige Entwicklung erfassen zu wollen. Stattdessen sollten mindestens „drei in sich konsistente Szenarien für die Globalprognose [gebildet werden], in denen die wichtigsten Einflussfaktoren auf das Verkehrsaufkommen, insbesondere die Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung, sowie die Annahmen über künftige Nutzerkosten und verkehrspolitische Entwicklungen variiert werden“ [13]. Zusätzliche Szenarien für ausgeprägte Stagnationsbzw. Schrumpfungsprozesse sollten die Ergebnisse ergänzen. Damit kann die unvermeidbare Unsicherheit von Langfristprognosen unterstrichen werden. In allen darauf aufbauenden Entscheidungsgrundlagen wie etwa der gesamtwirtschaftlichen Bewertung sollten alle Szenarien im Sinne einer Sensitivitätsanalyse ebenfalls einfließen. ■ HiNwEis Der Lehrstuhl für Verkehrsökologie der TU Dresden sammelt seit 1994 Daten zu Prognosen bei Verkehrsplanungen und Planfeststellungsverfahren. Im Jahr 2013 beauftragte die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag den Lehrstuhl für Verkehrsökologie mit der Aufarbeitung und Analyse der Daten. liTERATuR [1] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2013): Hinweise zur Verkehrsentwicklungsplanung. Köln: FGSV Verlag. ISBN 978-3-86446-058-6. [2] Wefering, Frank; Rupprecht, Siegfried; Bührmann, Sebastian; Böhler-Baedeker, Susanne (2014): Guidelines. Developing and Implementing a Sustainable Urban Mobility Plan. European Platform on Sustainable Development. Online im Internet: http: / / www.eltis. org/ sites/ eltis/ files/ sump_guidelines_en.pdf (Stand: 15.01.2016). [3] Becker, Udo; Richter, Falk; Stelzner, Rosemarie; Lißner, Sven (2014): Verkehrsprognosen in Sachsen: Vergleich der Prognosen und der IST-Entwicklung bei Sachsens Straßenbauprojekten. Gutachten im Auftrag der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag. Dresden. [4] Bundesanstalt für Starßenwesen (2010): Automatische Zählstellen auf Autobahnen und Bundesstraßen. Online: www.bast.de/ DE/ Verkehrstechnik/ Fachthemen/ v2-verkehrszaehlung/ Verkehrszaehlung.html? nn=605390 (Stand: 15.01.2016). [5] Landeshauptstatd Dresden (2012): Verkehrsmengenkarte 2011. Landeshauptstadt Dresden, Stadtplanungsamt (Hrsg.). Online im Internet: www.dresden.de/ verkehrsmengenkarte (Stand: 15.01.2016). [6] Schrefel, Christian; Schrefel, Magdalena ; Hajszan, Regina (2008): Verkehrsprognosen: Kultur der Fehlinformation. Literaturstudie im Auftrag des Grünen Klubs im Parlament. Wien. [7] Gather, Matthias; Kosok, Philipp (2013): Analyse der regionalwirtschaftlichen Effekte des Fernstraßenbaus anhand ausgewählter Autobahnprojekte. Erfurt. [8] Welde, Morten; Odeck, James (2011): „Do Planners Get it Right? The Accuracy of Travel Demand Forecasting in Norway“. In: European Journal of Transport and Infrastructure Research, 11/ 1, S. 80-95. [9] Flyvbjerg, Bent; Skamris Holm, Mette ; Buhl, Soren (2005): „How (In)accurate Are Deman Forecasts in Public Works Projects? - The Case of Transportation“ In: Journal of the American Planning Association, 71/ 2, S. 131-146. [10] Bain, Robert (2009): „Error and optimism bias in toll road traffic forecasts“. In: Transportation, 36/ 5, S. 469-482. [11] Flyvbjerg, Bent (2004): Procedures for Dealing with Optimism Bias in Transport Planning. Guidance Document. Report No. 58924. British Department for Transport. [12] Statistisches Landesamt Sachsen (2015): Bevölkerungsentwicklung im Freistaat Sachsen. Kamenz. Online im Internet: https: / / www.statistik.sachsen.de/ download/ 010_GB- Bev/ K_Tabellen_2014.pdf (Stand: 15.01.2016). [13] Nagel, Kai; Winter, Martin; Beckers, Thorsten; Röhling, Wolfgang; Liedtke, Gernot; Scholz, Aaron (2010): Endbericht zum Forschungsprojekt „Analyse der verkehrsprognostischen Instrumente der Bundesverkehrswegeplanung“. Berlin. Susan Hübner, B. Sc. Studentische Mitarbeiterin, Lehrstuhl für Verkehrsökologie, TU Dresden susan.huebner@tu-dresden.de Sven Lißner, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Verkehrsökologie, TU Dresden sven.lissner@tu-dresden.de Thilo Becker, Dipl.-Ing., M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Verkehrsökologie, TU Dresden thilo.becker@tu-dresden.de Falk Richter, Dr.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Verkehrsökologie, TU Dresden falk.richter@tu-dresden.de Rosemarie Baldauf, Dipl.-Ing. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrstuhl für Verkehrsökologie, TU Dresden rosemarie.baldauf@tu-dresden.de Udo Becker, Prof. Dr.-Ing. Lehrstuhlinhaber, Lehrstuhl für Verkehrsökologie, TU Dresden verkehrsoekologie@tu-dresden.de Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 36 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Offene Service-Plattform für den Fuhrparkbetrieb Flexibles Mobilitäts- und Energiemanagement durch Bündelung von Services über offene Schnittstellen Offene Schnittstellen, Mobilitätssysteme, Energiemanagement, flexible Abrechnungsmodelle, Micro-Services, Service-Plattform Immer mehr Architekturen werden in Micro-Services aufgeteilt. Dabei gewinnt die Interaktion zwischen einzelnen Service-Komponenten und über verschiedene Systemgrenzen hinweg immer mehr an Bedeutung, um neue Mehrwerte für einen Kunden zu schaffen. Das Fraunhofer IAO entwickelt eine für den Fuhrparkbetrieb optimierte, offene Service- Plattform, die verschiedene Mobilitäts- und Energiesysteme kombiniert. Der Fokus liegt besonders auf der Integration von Drittanbieter-Services über offene Schnittstellen als auch auf Konzepten für die dafür notwendigen neuen Abrechnungsmodelle. Autoren: Julien Ostermann, Kristian Lehmann, Kavivarman Sivarasah B ereits heute unterliegt unsere Arbeitsumgebung dem Wandel der Digitalen Transformation. Zunehmend werden Prozesse und Arbeitsaufgaben durch die Unterstützung intelligenter IT-Systeme vereinfacht, beschleunigt oder letztendlich erst ermöglicht. Viele Unternehmen stellt dieser Umbruch vor neue Herausforderungen, und verschiedene Branchen sind davon betroffen [1, 2]. Ausschlaggebend ist hierfür vor allem die Bereitstellung von Services in der Cloud und dieser Trend ist auch im Bereich des Fuhrparkmanagement zu sehen. Vorwiegend monolithische und statische Systeme werden hier zunehmend durch cloudbasierte Ansätze ersetzt [3]. Zu klären ist, ob damit die neuen Anforderungen der Kunden an eine moderne Mobilität erfüllt werden können. Eine Software-Lösung für den Kunden erfordert die Integration verschiedenartiger Schnittstellen, was mit zusätzlichen Kosten und einem verwaltungstechnischen Mehraufwand verbunden ist. Die Schaffung von einheitlichen, offenen Schnittstellen und einer Plattform zur Integration verschiedenartiger Internetdiensten ist notwendig, um diesem Mehraufwand entgegen zu wirken [4]. Je nach Anwendungsgebiet, kann eine IT-Lösung für den Fuhrparkbetrieb unterschiedliche Schwerpunkte setzten. Deshalb bezieht sich der Beitrag auf den Anwendungsfall einer Flotte aus gemischtartigen - also sowohl konventionellen als auch elektrischen - PKW und öffentlichem Nahverkehr, die in einem gewerblichen Kontext von verschiedenen Mitarbeitern genutzt werden können. Im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte wie beispielsweise Shared E-Fleet [5], InFlott [6] und eFlotte [7] wurden die Anforderungen für ein Fuhrparkmanagement für den Betriebs eines Mobilitätssystems im geschäftlichen Umfeld untersucht und in Modellversuchen evaluiert. Dabei stellte sich die Herausforderung, verschiedenartige Services bereitzustellen und zu integrieren. Um diese Herausforderungen anzunehmen und bereits jetzt eine Lösung für zukünftig entstehende Probleme zu haben, wird ein cloudbasiertes Software-Konzept für eine offene Service-Plattform für den Fuhrparkbetrieb vorgestellt. Im geschäftlichen Umfeld spielt die Bereitstellung von Mobilität eine wichtige Rolle. Je nach Mitarbeiter, Mobilitätszweck und verwendetem Mobilitätssystem im Unternehmen können sich die Reisemittel unterscheiden. Im Rahmen der bereits erwähnten Forschungsprojekte wurde mit Hilfe eines neuen Softwarekonzepts für Fuhrparkanwendungen ein Großteil von Fuhrparkanforderungen neu angegangen: • Gesonderte Betrachtung und Integration verschiedener Mobilitätsanforderungen - E-Fahrzeuge - Verbrenner- und Hybridfahrzeuge - Einbezug externer Mobilität • Zugangsmanagement • Betrieb in der „Fraunhofer Private-Cloud“ • Lade- und Lastmanagement von E-Fahrzeugen • Motivation zur nachhaltigen Mobilität mittels Gamification 1 Anhand der gewonnenen Erkenntnisse innerhalb der Projekte und Erfahrungen aus dem Eigenbetrieb am Fraunhofer IZS, wurden Prozesse und die notwendige Dienste identifiziert. Eine Herausforderung bei der Umsetzung der Anforderungen ist die Integration der unterschiedlichen Services untereinander, da hierfür verschie- Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 37 Wissenschaft INFRASTRUKTUR denste Technologien einzelner System-Komponenten in Einklang gebracht werden müssen. Deshalb wurde die in Bild 1 dargestellte Architektur konzipiert. Die Architektur ist in drei Schichten aufgeteilt: die Repräsentations-, die Business-Logik- und die Kommunikations-Schicht. Die Schicht Repräsentation stellt dabei die Schnittstelle zum Nutzer dar. Letzterer kann ein Plattform-Nutzer oder ein weiterer Service sein, der „Value-Added Services“ anbietet. Die Möglichkeit der Bereitstellung von Drittanbieter-Services über die Plattform, als auch die Bereitstellung von offenen Schnittstellen für Drittanbieter ermöglicht jederzeit die Erweiterung des Gesamtsystems. In der Business-Logik finden das Management und die Orchestrierung der Services statt. Die auf der Plattform angebotenen Services stellen sowohl Basisfunktionalitäten für die Bereitstellung von Cloud-Services in einer „Software as a Service Platform“ bereit, als auch Services zur Durchführung eines Fuhrparkbetriebs. Entsprechend der von den Autoren in [8] dargestellten Prinzipien, kann hierdurch eine vertikale und horizontale „Business Service“-Integration gewährleistet werden. Zu Basisfunktionalitäten in der horizontalen Ebene zählen die Mehrmandantenfähigkeit, die Bereitstellung von Drittanwender-Services auf der Plattform, das Plattform- Monitoring und die Nutzungsabrechnungs-Komponente. In der vertikalen Ebene werden die plattformeigenen Services orchestriert. Diese Services umfassen: • Stammdatenverwaltung: Registrieren der Nutzer, Unternehmen, Standorte; die eingesetzten Fahrzeuge und bei elektrischen Fahrzeugflotten auch die Ladeinfrastruktur. • Dispositionsmanagement: Der Mobilitätsbedarf der Nutzer muss auf verschiedene Mobilitätssysteme abgebildet werden. Diese melden sich als Service bei der offenen Service-Plattform an und können mit in die Disposition integriert werden. Die letzte Schicht, Kommunikation, dient der Kommunikation der von der Plattform bereitgestellten Services mit Drittanwender-Services. Besonders erschwerend ist hierbei die Definition von Schnittstellen, da die einzelnen Services aus vorhandenen Systemen stammen. Im Bereich des Fuhrparkmanagement sind diese vor allem unternehmensspezifisch. Eine Standardisierung ist durch die unterschiedlichen Marktteilnehmer und deren Konkurrenz zueinander schwierig. Um die offene Service-Plattform umzusetzen, sind die Definition der Schnittstellen und ihre freie Zugänglichkeit besonders wichtig, da diese in der Kommunikations-Schicht das Herzstück der Plattform bilden (Bild 2). Basierend auf den neuen Schnittstellen müssen auch herstellerspezifische Adapter für die ein- und ausgehenden Daten geschrieben werden. Die vorgestellte Architektur für eine offene Service- Plattform bedient die Prinzipien des Cloud-Computing und bietet mit einheitlichen und offenen Schnittstellen für Services einen Quasi-Standard für moderne, cloudbasierte Service-Plattformen. Dies ermöglicht Softwareherstellern und Systemhäusern, die spezielle Lö- Benutzer Drittanbieter-Backend Service Service Service Service Business Logik Repräsentation Kommunikation API GATEWAY GUI Bild 1: Software- Architektur der offenen Service- Plattform anhand eines Schichtmodells Bild 2: Beispiel- Abstraktion der Schnittstellen innerhalb der Kommunikationsschicht Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 38 INFRASTRUKTUR Wissenschaft sungen für bestehende Probleme im Fuhrparkbetrieb entwickeln, ihre Lösungen bei Erfüllung der Standardisierungsrichtlinien der Kommunikationsschicht als Mikro-Services in die offene Service-Plattform zu integrieren. Hierdurch wird eine hohe Wiederverwendbarkeit von Softwarelösungen erreicht. Durch die Integration externer Services, die als isolierte Komponente u.a. auch auf externen Servern betrieben werden können, kann ein modulares, skalierbares, leicht erweiterbares, heterogenes Gesamtsystem aufgebaut werden. Durch diese Bereitstellung und die integrierte Dienste-Orchestrierung ist sie jederzeit den Bedürfnissen nach horizontal und vertikal skalierbar und flexibel. Dies ermöglicht Bezahlungsmodelle, bei denen Kunden nur für die tatsächlich genutzten Ressourcen zahlen. Zusätzliche Kosten entstehen nur, wenn diese notwendig sind. Ferner verdeutlicht die Architektur, dass auch Enterprise-Anwendungen durch ein Zusammenspiel von Mikro-Services abgelöst werden können. Diese Ergebnisse zeigen auch auf, dass beispielsweise durch den Trend zu Share Economy und Elektromobilität in Mobilitätssystemen verschiedene Möglichkeiten zur Verknüpfung von internetbasierten Dienstleistungen existieren. ■ 1 Auch „Spielifikation“; Anwendung spieltypischer Elemente und Prozesse in einem spielfremden Kontext. liTERATuR [1] Y. Lu, C. Liu, B. Ju: Cloud Manufacturing Collaboration: An Initial Exploration, IEEE WCSE 2012, p163-166, November 2012. [2] May Takada, Masaki Yamada, Yuji Kakutani, Ken Sodeyama, Shingo Hane, Takahiro Fujishiro, Shingo Hane, Takahiro Fujishiro, Yoshinori Furuno, and Hiroshi Watanabe. 2014: An Experimental Analysis on Latency Improvement of Cloud-Based Fleet Management System. In Proceedings of the 2014 IEEE/ ACM 7th International Conference on Utility and Cloud Computing (UCC ‚14). IEEE Computer Society, Washington, DC, USA, 505-506. DOI=http: / / dx.doi.org/ 10.1109/ UCC.2014.73 [3] M. Miller: Cloud Computing: Web-Based Applications That Change the Way You Work and Collaborate Online, Indiana: Que, 2008. [4] Jamsa, Kris, 2013: Cloud computing: SaaS, PaaS, IaaS, virtualization, business models, mobile, security and more. Burlington, MA: Jones & Bartlett Learning. Introducing Cloud Computing pp. 1-15. [5] Ostermann, J. et al., 2014: Leveraging Electric Cross-Company Car Fleets through Cloud Service Chains: The Shared E-Fleet Architecture. In 2014 Annual SRII Global Conference. San Jose, CA: IEEE, pp. 290-297. [6] Satikidis, Dionysios, et al., 2015: 15. Internationales Stuttgarter Symposium. EcoGuru - A system for the integrated management of electrified mobility systems pp. 217-232. [7] Scheffler, G., 2012: eFlotten- und Lademanagement. Fraunhofer IAO. Available at: http: / / www.keim.iao.fraunhofer.de/ de/ verbundprojekte/ eflotten--und-lademanagement- -eflotte-.html [Accessed January 25, 2016]. [8] Zhang, L.-J. & Zhou, Q., 2009: CCOA: Cloud Computing Open Architecture. 2009 IEEE International Conference on Web Services, pp.607-616. Kristian Lehmann, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fraunhofer IAO Anwendungszentrum KEIM, Esslingen a.N. kristian.lehmann@iao.fraunhofer.de Julien Ostermann, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fraunhofer IAO, Stuttgart julien.ostermann@iao.fraunhofer.de Kavivarman Sivarasah, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fraunhofer IAO Anwendungszentrum KEIM, Esslingen a.N. kavivarman.sivarasah@iao.fraunhofer.de URBANE S YS TEME IM WANDEL Branchenübergreifende Informationen zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen Ein Projekt von T RIALOG P UBLISHERS  Online-Wissensplattform  Newsletter  Fachmagazin als E-Paper und Print-Ausgabe Das neue Medium für Fach- und Führungskräfte w w w . t r a n s f o r m i n g c i t i e s . d e Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 39 Kombinierter Verkehr LOGISTIK Effizienter Container-Umschlag durch Digitalisierung IT macht Kombinierten Verkehr schneller Digitalisierung, App, Kombinierter Verkehr, Containerumschlag, Hinterlandverkehr Der Kombinierte Verkehr wird als umweltfreundliche Alternative zum reinen Straßentransport vom Bundesministerium für Verkehr gefördert. Doch um die Akzeptanz des Transports mit mehreren Verkehrsträgern bei den Verladern zu erhöhen, müssen neben der Nachhaltigkeit auch der Preis, die Transportdauer und die Zuverlässigkeit stimmen. Die Wettbewerbsfähigkeit hängt nicht nur vom Tempo des Verkehrsmittels ab, sondern auch von der Umschlagsgeschwindigkeit an den Schnittstellen der Transportkette. Deshalb setzt das Container-Hinterlandlogistik-Netzwerk Contargo an den Terminals auf Digitalisierung. Eigens entwickelte IT-Lösungen verringern dabei Warte- und Abfertigungszeiten deutlich. Autoren: Holger Bochow, Henrik Hanke R und 62 % der in Deutschland zurückgelegten Tonnenkilometer entfallen auf die Straße. Angesichts der aktuellen Verkehrsprognosen im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung, die ein Wachstum des Güterverkehrs von fast 40 % bis 2030 vorhersagen, ist davon auszugehen, dass dieser hohe LKW-Anteil die ehrgeizigen Klimaschutzziele der Bundesregierung ausbremsen kann. Fachleute aus Wirtschaft und Politik betrachten daher den Kombinierten Verkehr als wesentliches Element des Klimaschutzes im Güterverkehr. Denn in mehrgliedrigen Transportketten kann jeder Verkehrsträger seine besonderen Vorteile zur Geltung bringen. Den Flaschenhals des Kombinierten Verkehrs bilden die Terminals als Schnittstellen zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern. Jeder LKW durchläuft am Terminal einen Abfertigungsprozess, der aus Anmeldung, Prüfung der Ladeeinheiten, Dokumentation, Ein- oder Ausfahrtskontrolle und Umschlag besteht. Im Normalfall dauert das 30 Minuten, doch in Stoßzeiten kann es zu Wartezeiten und Rückstaus kommen. Wenn dann noch ein technisches Problem auftritt, zum Beispiel eine defekte Krananlage, kann das dazu führen, dass der vorgegebene Ladetermin nicht eingehalten wird. Schlimmstenfalls erreicht der Container seinen nächsten Anschlusstermin im Terminal oder Seehafen nicht. Eine App für Trucker Contargo organisiert Containerverkehre zwischen den Westhäfen, den deutschen Nordseehäfen und dem europäischen Hinterland, dort verfügt das Unternehmen über 25 eigene Terminals. Am Terminal der Contargo Süd am Standort Basel können sich LKW-Fahrer seit einigen Monaten lange Wartezeiten sparen: Im Online-Anmeldesystem des Terminals (STAR) sehen sie nicht nur freie Slots, sondern können diese bei Bedarf auch gleich selbst buchen. Durch die sequenzierte, vorangemeldete Slot-Vergabe für einfahrende LKW konnte Contargo in Basel die Umschlagsgeschwindigkeit per LKW reduzieren und den Durchsatz somit erhöhen. Bereits seit einiger Zeit wurde in der Contargo-Gruppe über die Einführung eines Slot-Managements an den Terminals diskutiert. Im Jahr 2013 spitzte sich die Lage am Terminal in Basel zu, die Warteschlange wurde immer länger. Insbesondere im Export zwölf bis vier Stunden vor Abfahrt der Binnenschiffe gab es Engpässe bei der LKW-Abfertigung, denn jedes LKW- Unternehmen disponierte frei und unabhängig von den verfügbaren Umschlagskapazitäten am Basler Terminal. So kam es zu Wartezeiten von bis zu sechs Stunden. Häufig entstanden den LKW-Unternehmen dadurch Mehrkosten, die von ihren Auftraggebern nicht übernommen wurden. Zudem gingen die Wartezeiten von den Lenkzeiten der Fahrer ab. Aber auch für Contargo war die Situation nachteilig, denn die vorhandenen Kran-und Umschlagsgeräte konnten unter diesen Umständen nicht gleichmäßig und damit optimal genutzt werden. Zunächst machte Contargo die LKW- Unternehmen in der Schweiz auf die regelmäßigen Wartezeiten aufmerksam und bat um umsichtigeres Disponieren. Als das nicht fruchtete, machten sich Management und IT-Abteilung im Frühsommer 2013 auf die Suche nach einer Lösung. Schnell kristallisierte sich heraus, dass eine Web-Applikation zur Online-Terminvergabe selbst entwickelt werden sollte. Als Vorbild dienten Slot-Managementsysteme, wie sie bereits ähnlich bei Verladern genutzt werden. Aus der Praxis für die Praxis Für das Projekt gründete sich innerhalb des Unternehmens eine eigene Arbeitsgruppe. Sie bestand aus Mitarbeitern des Terminals, die sich mit den operativen Abläufen vor Ort auskannten, und Mitarbeitern der IT- Abteilung. Zunächst mussten die Herausforderungen analysiert und in sogenannten Anwendungsfällen (Use cases) abgebildet werden. Daraus entstanden dann User Storys, die sich daran orientierten, was welche Person warum durchführt. Diese User Storys wurden dem Terminal-Alltag entnommen, sind also keine bloße Theorie. Die erarbeiteten Anforderungen wurden nicht als Lösung beschrieben, sondern als Problemstellung bzw. Prozess. So konnten sie optimal in einen Gesamtprozess eingepasst werden. Auf dieser Grundlage wurde ermittelt, welche Funktionalitäten eine erste Version des Programms bieten sollte. Diese wurden in der Pilotversion untergebracht, die im Zuge der Nutzung seither kontinuierlich weiter entwickelt wird. Aus der täglichen Arbeit sowie sich ändernden Rahmenbedingungen ergeben sich laufend neue Ideen Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 40 LOGISTIK Kombinierter Verkehr und Anpassungen. Diese Vorgehensweise entspricht dem sogenannten SCRUM-Ansatz. Dieser sieht eine schrittweise Entwicklung und Umsetzung vor. Deshalb ist es auch schwer zu sagen, wie lange die Entwicklung des Programms gedauert hat: Die eigentliche Entwicklung bis zur Pilotphase (Live Test) dauerte knapp drei Monate. In der Pilotphase wurde das Programm zunächst mit einem, später mit zwei Unternehmen getestet. In dieser Zeit konnte Contargo selbst Sicherheit im Umgang mit dem neuen Prozess gewinnen und erste Erfahrungen aus dem Alltag einfließen lassen. Die positive Resonanz der beiden Testpartner motivierte das Team. Im Mai 2015 wurde die Applikation allen Unternehmen zur Verfügung gestellt. Richtig fertig wird so eine App jedoch nie, denn sie muss ständig an die dynamische Realität angepasst werden. Slot-Management reduziert Wartezeiten Aktuell sieht es so aus, dass sich LKW-Fahrer gegen eine geringe Gebühr in das Anmeldesystem einloggen können. STAR steht als Web-Applikation zur Verfügung (Bild 1). Die Anwendung reagiert responsiv und ist daher frei von gerätspezifischen Barrieren. Eine mobile App steht ebenfalls im Google Play Store für Android-Systeme zur Verfügung. Die Applikation basiert auf einer vereinfachten Tagesdarstellung wie in einem Kalender, die jeden Slot innerhalb der Geschäftszeiten mit einer farblich gekennzeichneten verfügbaren Kapazität darstellt. Die LKW-Unternehmen melden ihre Container verbindlich zum Umschlag an. Dafür geben sie verschiedene container- und transportrelevante Informationen ein. Der Slot-Manager bei Contargo kann anhand der Anmeldeinformationen die Auftragsprüfung im Vorfeld durchführen und damit wiederum Wartezeiten im Gatevorgang verkürzen, die Anfrage bestätigen oder auch verschieben. Der Kunde kann in seinem eigenen Bereich, dem „Partner Cockpit“, erkennen, ob der Container, den er abholen oder bringen möchte, bei Contargo bereits als Auftrag bekannt ist (Bild 2). Je länger die Applikation in Gebrauch ist, umso mehr nehmen die regelmäßigen Wartezeiten ab. Die LKW-Unternehmen können ihre Fahrzeuge jetzt „gezielter“ fahren lassen. Zwar müssen sie dafür auf einen Teil ihrer Dispositionsfreiheit verzichten, jedoch ermöglichen die verkürzten Wartezeiten eine bessere Planbarkeit und sparen zudem durch die schnellere Abfertigung auch noch Zeit und Geld. Positiver Nebeneffekt: Feinstaub, Lärm und klimaschädigende CO 2 -Emissionen können verringert werden. Diese guten Ergebnisse haben Contargo dazu veranlasst, aktuell weitere User Storys aus der Contargo-Gruppe aufzunehmen, um die App mittelfristig auch an anderen Terminals einführen zu können. OCR-Technik für Binnenterminals Neben der App in Basel diskutiert Contargo weitere Maßnahmen, um die Abfertigung an den Terminals zu beschleunigen. Eine davon ist die Installation sogenannter OCR- Gates. OCR (Optical Character Recognition) ermöglicht während der Fahrt durch das Gate das automatische Lesen der Kennzeichen von Ladeeinheiten, Waggons oder LKW. Über eine Bild-Kontrolle können sogar Containerzustand und das Vorhandensein des Container-Siegels überprüft werden. Zur weiteren Beschleunigung werden automatische Schranken, Self-Check-in und die automatische Fahrzeugleitung zu einem bestimmten Stellplatz gehören. Diese moderne Prozesskette soll die Durchlaufzeiten der Fahrzeuge an dem Terminal optimieren. Im nordrhein-westfälischen Voerde baut Contargo seit November 2015 ein neues trimodales Terminal aus. Contargo wird dort an 300 Metern Kailänge und zwei Gleisen mit je 315 Metern Länge voraussichtlich jährlich etwa 85 000 TEU umschlagen. Voerde-Emmelsum wird das erste Terminal im Netzwerk der Contargo sein, an dem OCR- Gates zum Einsatz kommen, und ist somit eine Art Pilotprojekt. In den Seehäfen ist die OCR-Technik zwar schon weit verbreitet, aber im Hinterland wird sie bisher nur vereinzelt genutzt. Planungssoftware gegen Congestion Für die Binnenschifffahrt stellen wiederum die Wartezeiten in den Seehäfen ein großes Hindernis dar. Die Congestion betraf in den letzten Jahren insbesondere den Hafen Rotterdam. Aus unterschiedlichen Gründen kommt es dort an einigen Terminals regelmäßig zu Verzögerungen bei der Abfertigung von Binnenschiffen. Die in den Häfen wartenden Schiffe bedeuten für Contargo nicht nur erheblichen Organisationsaufwand, sondern auch Kosten für zusätzlich zu charternden Schiffsraum, Überstunden an einigen Terminals und schnelleres Fahren der Schiffe. Hinzu kommen unzufriedene Kunden, weil Anschlüsse nicht erreicht werden oder ein Zuschlag pro Container (Congestion Surcharge) erhoben werden muss. Im Hafen von Rotterdam suchen seit einigen Jahren alle Beteiligten im Programm „Nextlogic“ gemeinsam nach einer Lösung für dieses Problem. Auch Contargo gehört dazu. Die Planungssoftware „BREIN“ soll die Wartezeiten für Binnenschiffe verringern helfen. Anfang 2017 soll die Software zur Supply-Chain-Optimierung in einen Praxistest in großem Maßstab starten. Dann sollen beispielsweise Terminal- und Depot-Slots neutral zugewiesen und aktuelle Änderungen berücksichtigt werden. Logistiker sind für reibungslose Kommunikation verantwortlich Alle diese Beispiele zeigen, dass die verschiedenen Partner im Kombinierten Verkehr reibungslos miteinander kommunizieren müssen und der Schlüssel dafür die IT ist. Da sich Contargo nicht nur als Logistiker für Container, sondern auch für Informationen sieht, richtet das Unternehmen ein besonderes Augenmerk auf digitale Lösungen. Das begann bereits vor fast 20 Jahren mit dem von Contargo entwickelten Tarifinformationssystem IMTIS. Das Programm wurde seither von Jahr zu Jahr weiter entwickelt und ist inzwischen ein webbasiertes System, das jeder kostenlos über die Contargo-Webseite erreichen kann. Die Nutzer können mit ihm nicht nur die Dauer, die Gesamt- und Mautdistanz sowie den Preis eines Transports im Kombinierten Verkehr berechnen, sondern auch die dabei entstehenden CO 2 -Emissionen. Aus diesem Programm entstand eine weitere branchenspezifische Anwendung: Das Intermodale Routing Informations System (IRIS). Seit einigen Monaten ist diese Software, die Streckenführung, Gesamtkilometer, Mautkilometer, Planfahrzeiten und CO 2 -Ausstoß berechnen kann, als Open- Source-Software frei zugänglich. IRIS kann unter der OpenSource-Lizenz AGPLv3 auf GitHub heruntergeladen und den eigenen Ansprüchen entsprechend weiterentwickelt werden. Optimierte Schnittstellen und Transparenz machen den Kombinierten Verkehr zukunftsfähig. Indem die IT dazu beiträgt, Logistikprozesse zu standardisieren, werden sie verständlicher und preiswerter. Gleichzeitig sollte sie den Dienstleistern immer so viel Flexibilität lassen, dass individuelle Kundenwünsche berücksichtigt und kurzfristig auf Marktschwankungen oder andere Veränderungen der Rahmenbedingungen reagiert werden kann. An den Terminals trägt sie dazu bei, die vorhandenen Kapazitäten bestmöglich auszulasten, um die Wertschöpfung zu verbessern und den Kunden einen guten Service zu bieten. Zusammengefasst: Bei immer komplexeren Abläufen und weiter steigenden Umschlagsmengen tragen intelligente IT-Lösung entscheidend zum Erfolg des Kombinierten Verkehrs bei. ■ Holger Bochow Geschäftsführer Contargo AG, Basel hbochow@contargo.net Henrik Hanke IT-Manager Contargo GmbH & Co. KG, Duisburg hhanke@contargo.net 02-16 (gewerbliche Endverbraucher) Energiesparen inklusive: Sectionaltore SPU Thermo • 67-mm dicke Lamellen mit bester Wärmedämmung: U-Wert bis zu 0,33-W/ (m²·K) • thermisch getrennte Schlupftür mit extraflacher Edelstahl-Schwelle • günstige Antriebslösung mit dem WA 300 Sehen Sie den Kurzfilm zum WA-300 unter: www.hoermann.com/ videos * Industrie-Sectionaltor SPU-67 Thermo im Vergleich zum SPU-42 Industrietorantrieb WA-300 Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 42 LOGISTIK Infrastrukturausbau Ostasien Malaysia will Hochlohn-Land-werden Mit dem Logistics and Trade Facilitation Masterplan auf-dem-Weg zum „Bevorzugten Logistik-Gateway“ Süddostasien, Fünf-Jahres-Plan, Logistics and Trade Facilitation Masterplan Mit einem Fünf-Jahres-Plan der Regierung will Malaysia zum Hochlohn-Land avancieren - und ein Logistics and Trade Facilitation Masterplan für erstklassige Logistik soll das südostasiatische Land dabei unterstützen. Er beinhaltet drei Aktionsphasen: die Beseitigung von Engpässen, die Verstärkung des Inlandswachstums sowie die Erhöhung des lokalen Einflusses der Logistikindustrie. So will Malaysia bis 2020 „Preferred Logistics Gateway“ nach Asien werden. Autor: Dirk Ruppik M itte 2015 hat Malaysia seinen- neuen Fünf-Jahres-Plan (2016-2020) verabschiedet. Ein Hauptziel ist, Hochlohn- Land zu werden und auch den geringer verdienenden Bevölkerungsschichten durch mehr Bildung höhere Einkommen zu verschaffen. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt derzeit schon um den Faktor 3 bzw. Faktor-2 über dem der Nachbarländer Indonesien bzw. Thailand - 2020 prgnostiziert Germany Trade and Invest (Gtai) ein jährliches Brutto-Nationaleinkommen um 54 100 Malayische Ringit (RM, rund 11 000- EUR) pro Kopf. Der Hauptantrieb für den Wirtschaftsaufschwung soll aus dem Privatsektor kommen. Das Wirtschaftswachstum soll in diesem Fünf-Jahres-Zeitraum bei 5 bis 6 % liegen (2014 bei 6 %), jedoch bringen Ölpreisverfall und schwaches globales Wirtschaftswachstum Unsicherheiten. Die Stärken des Landes mit rund 28 Mio. Einwohnern liegen in einer vergleichsweise guten Infrastruktur, Öl- und Gasreserven, gut ausgebildeten (meist englischsprachigen) Arbeitskräften, Rechtssicherheit und der Förderung ausländischer Investitionen. Nachteile sind eine starke Abhängigkeit von Öl- und Gasreserven, hohe Verschuldung privater Haushalte, hohes Haushaltsdefizit und Korruption. Mittlerweile ist die Herstellung arbeitsintensiver Produkte in Malaysia zu teuer geworden, daher wird sich die Industrie zunehmend auf die Fertigung höherwertiger und wissensbasierter Produkte fokussieren. Die wichtigsten Lieferländer hinter China und Singapur sind Japan und die USA, Deutschland folgt auf Platz 8. Beim Logistics Performance Index (LPI) 2014 der Weltbank rangiert Malaysia auf Platz 25 von 160 Ländern - noch vor China (28), der Türkei (30) und Thailand (35). Im Jahr 2014 wurden rund 98,5 % der Fracht laut der staatlichen Planungskommission Economic Planing Unit (EPU) auf See ins Land gebracht, der Rest überwiegend auf dem Luftweg. Den größten Frachtumschlag aller Seehäfen verbuchte mit 200,3 Mio. t (40 % des gesamten Frachtvolumens) der Hafen Kelang, wobei 63 % aller Güter containerisiert sind. Im Ranking des Containervolumens durch das amerikanische Journal of Commerce (JOC) liegt Kelang weltweit auf Platz 12, der Hafen Tanjung Pelepas auf Platz 18. Bei der Luftfracht liegt der Kuala Lumpur International Airport (KLIA) mit 77 % gehandeltem Frachtvolumen unangefochten in Führung, Penang folgt mit 12 %. Schienenfracht wird hauptsächlich über Padang Pesar an der Grenze zu Thailand abgewickelt (34 %). Logistics and Trade Facilitation Masterplan (LTFM, 2015-2020) Obwohl das südostasiatische Land bislang schon die beste Infrastruktur der Region besitzt, will die Regierung umfangreiche Infrastrukturprojekte angehen. Zur Förderung der Logistikindustrie wurde ein Logistik Masterplan verabschiedet, dessen Maßnahmen teilweise zur besseren Implementierung auch in den Fünf-Jahres-Plan aufgenommen wurden. Danach ist geplant, 130-Mrd. RM (26,4 Mrd. EUR) in schnellere Breitbandnetze, Krankenhäuser und die geplante Schnellzugverbindung von Kuala Lumpur nach Singapur sowie den Pan- Borneo-Highway zu investieren. Weitere 26,4-Mrd. EUR werden für die Bildung bzw. Berufsausbildung aufgewendet. Gleichzeitig will man sich weniger abhängig von den eigenen Ölreserven machen. Der Logistikplan der EPU setzt den Kurs für die Logistikindustrie bis 2020 und enthält fünf strategische Veränderungen: • Stärkung des institutionellen und gesetzgeberischen Rahmenwerks, • Ausweitung des Handels, • Entwicklung von Infrastruktur und der Nachfrage nach Transportdienstleistungen, • Stärkung der Technologie und des Humankapitals sowie die • Internationalisierung der Logistikdienste. Die Einführung läuft in drei Phasen (Bild- 1): Beseitigung von Engpässen, Verstärkung des Inlandswachstums und Stärkung des regionalen Einflusses. Malaysia will damit bis 2020 das „Preferred Logistics Gateway“ nach Asien werden. Die Förderung des Handels und der Logistik ist auch sicher vor dem Hintergrund des ASEAN Transport Strategic Plans zu sehen, dessen finale Phase in diesem Jahr durchgeführt wird. In Phase 2, der Verstärkung des Inlandswachstums von 2016 bis 2019, soll ein integriertes „Hub- und Spoke“-Logistiknetzwerk entstehen. Dazu gehört die Entwicklung des internationalen Flughafens in Kuala Lumpur (KLIA) zum Luftfrachthub Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 43 Infrastrukturausbau Ostasien LOGISTIK und des Hafens Kelang zum maritimen Zentrum. Zudem sollen „Frachtdörfer“ und Frachtzentren entstehen, die Fähigkeiten der Logistikdienstleister ausgebaut und gefördert werden. Weiterhin besteht die Absicht, private Betreiber auf Public-Private- Partnership-Basis für Eisenbahnbetrieb und -infrastruktur zu gewinnen. Schließlich ist geplant, dass der lokale Einfluss der Industrie ab 2020 unter anderem durch die Stärkung des E-Commerce und einer effizienteren Stadtlogistik erhöht werden. Hauptmängel bei der Transportinfrastruktur In Malaysia ergänzen sich die Transportmodi bisher nicht, sondern konkurrieren eher miteinander. Zusammen mit einer schlechten Erschließung des Hinterlandes führt dies zu einer geringeren Nachfrage nach Schienenfrachttransport. Wegen der mangelnden Nutzung der Schiene und fehlender Verbindungen auf der „letzten Meile“ ist der Zugang zum Schienenfrachtservice generell schwach ausgebildet, die schlechte Anbindung der Haupthäfen verursacht Verspätungen sowie höhere Inlandstransport- und -handlingskosten. Für die Abwicklung der Exportprozeduren benötigen Versender in Malaysia elf Tage und für der Abwicklung der Importprozeduren acht Tage - in beiden Fällen nahezu doppelt so lang wie im benachbarten Singapur. Der Flughafen KLIA bietet nur wenige Direktflüge nach Europa, was zu einem Abwandern eines hohen Frachtvolumens in die Nachbarstaaten Thailand und Singapur führt. Hafen Kelang schon bald in-den-Top-10 In den Ausbau der unterstützenden Infrastruktur des Hafens Kelang will Malaysia zur Exportunterstützung 300 Mio. RM (60,5 Mio. EUR) investieren. Das amerikanische Journal of Commerce (JOC) berichtete, die Hafenverwaltung sei aufgrund des großen Erfolgs der 2006 eröffneten Port Klang Free Zone (PKFZ) und der Expansion der Northport- und Westport-Terminals zuversichtlich, noch 2016 zu den Top 10 der umschlagstärksten Häfen zu gehören. Der Nordhafen hat seine Kapazität auf 5,6 Mio. TEU erhöht, der Westhafen auf 14 Mio. TEU; gehandelt wurden 2014 rund 2,5 bzw. 8,4 Mio. TEU. Momentan erweitert der Northport das Container Terminal 4 auf 513 m Kailänge mit 17 m Wassertiefe, um Megacontainerschiffe abfertigen zu können. Tanjung Pelepas (PTP) als zweitgrößter Hafen des Landes, ein natürlicher Tiefwasserhafen nahe Singapur mit 15 bis 19 m Tiefe und um 10,5 Mio. TEU Kapazität pro Jahr, Bild 1: Maßnahmen des Logistics and Trade Facilitation Masterplan (LTFM) für Malaysia Quelle: EPU; Download MOT Bild 2: Tanjung Pelepas kann als einziger Hafen Südostasiens auch langfristig mehr Containerverkehr aufnehmen. Foto: Ruppik Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 44 LOGISTIK Infrastrukturausbau Ostasien besitzt momentan 14 Liegeplätze und insgesamt 57 Kaikräne für Containerschiffe. Er ist bereits sowohl an die Schnellstraßen als auch an das malayische Schienennetz angeschlossen. Der Hafen-Masterplan sieht am Ende der Entwicklung 95 Liegeplätze und eine Umschlagskapazität von 150 Mio. TEU vor. PTP ist damit der einzige Hafen Südostasiens, der langfristig immer mehr Containerverkehr aufnehmen kann (Bild 2). die Eisenbahn erwacht aus dem dornröschenschlaf Die erste Schienenverbindung Malaysias entstand 1885 zwischen der Zinn-Abbaustadt Taiping und Port Weld. Während der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg wurde das bestehende Eisenbahnnetz zerstört und teilweise abgebaut, nach Kriegsende begann England mit dem Wiederaufbau des 2418 km langen Schienennetzes. Das heutige Inter-City-Netz besteht aus nur zwei Hauptlinien, der Westküstenlinie zwischen Singapur und Padang Besar in Perlis an der thailändischen Grenze sowie der Ostküstenlinie zwischen Gemas in Negeri Sembilan und Tumpat in Kelantan. Zusätzlich existiert eine 134 km lange Linie im malayischen Staat Sabah auf Borneo, die Tanjung Aru nahe Kota Kinabalu und Tenom im inneren Sabahs verbindet. Insgesamt nur 438 km sind zweigleisig angelegt (Bild 3). Das Eisenbahnsystem lag lange im Dornröschenschlaf - bisher werden nur 3 % der Güter im Inland auf der Schiene transportiert, dagegen 90 % auf der Straße und 7 % auf dem See- und Luftweg. Nun sind einige zukunftsweisende Projekte geplant. Teilabschnitte der Ostküstenlinie sollen modernisiert und Teile der Westküstenlinie zweispurig ausgebaut werden. Das Frachtvolumen soll in den nächsten Jahren insbesondere mit der zweispurigen Auslegung durch Eisenbahnbetreiber Keretapi Tanah Malayu (KTM) und die Fertigstellung der durchgehenden Verbindung zwischen Singapur und Kunming (China) steigen. Ein Großprojekt ist der Bau der 330- km langen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Kuala Lumpur und Singapur bis 2020, die rund 43 Mrd. RM (8,7 Mrd. EUR) kosten soll. Die Geschwindigkeit der Züge wird bei 220 km/ h liegen. Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong bezeichnet allerdings öffentlich den Zeitrahmen bis 2020 für unrealistisch. Straßen: Zunehmend im Wettbewerb um Investitionen Malaysia besitzt ein Netzwerk von 94 500-km Primär- und Sekundärstraßen, davon 70 970-km asphaltiert; 580 km hochwertiger Schnellstraße zwischen Kuala Lumpur und Singapur bzw. Verbindungen zum Hafen Klang und anderen Destinationen sind eingerechnet. Allerdings ist die Straßeninfrastruktur in Ostmalaysia - in Sarawak und Sabah auf Borneo - immer noch unterentwickelt. Der Infrastrukturplan sieht daher den Bau von 1663 km Pan-Borneo-Schnellstraße zwischen Sabah und Sarawak vor. Das Projekt wird auf 27 Mrd. RM (5,5 Mrd. EUR) veranschlagt und umfasst überwiegend die Erweiterung und den zweispurigen Ausbau der bestehenden Fernstraßen. Die gesamten Investitionen in den Infrastrukturbereich waren bereits von 5,3 Mrd. (2005) auf 14,3 Mrd. RM (2013) gestiegen und sollen bis 2025 jährlich um 9 % steigen. Dies entspricht dem Investitionswachstum in anderen umliegenden Ländern. Ein nach wie vor großes Problem ist allerdings die fehlende Kooperation zwischen Regierung und Privatsektor in diesem Bereich. ■ QuEllEN Germany Trade and Invest (Gtai): http: / / www.gtai.com/ Weltbank: http: / / www.worldbank.org/ Economic Planing Unit (EPU): http: / / www.epu.gov.my Transportministerium Malaysia (MOT): http: / / www.mot.gov.my/ my; Download: http: / / www.mot.gov.my/ en/ logistic/ the-logistics-andtrade-facilitation-masterplan/ background (abgerufen 07.01.2016) Hafen Kelang http: / / www.pka.gov.my/ Hafen Tanjung Pelepas http: / / www.ptp.com.my/ Keretapi Tanah Malayu (KTM, Malayische Eisenbahn) http: / / www.ktmb.com.my/ dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Bild 3: Die bestehenden Inter-City-Linien in Malaysia und Sabah Quelle: KTM Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 45 „Den ÖPNV dynamischer, effizienter und für Kunden attraktiver gestalten“ Vom 1. bis 3. März 2016 findet in der Messe Karlsruhe die IT-TRANS, Internationale Konferenz und Fachmesse für IT-Lösungen im öffentlichen Personenverkehr, statt. Welche IT-Trends treiben die Mobilitätsbranche derzeit um - und was wird die IT-TRANS 2016 zu diesen Themenfeldern bringen? Ein Gespräch mit dem Experten für Information & Ticketing beim Internationalen Verband für öffentliches Verkehrswesen (UITP), Jarl Eliassen Herr Eliassen, was können wir vom Programm der iT-TRANs 2016 erwarten? Die kontinuierliche Digitalisierung und die Nutzung von IT im städtischen Verkehr ist ein starker Trend, der sich auf den öffentlichen Verkehr auswirkt. Dieser Trend veranlasst uns auch dazu zu überdenken, auf welche Weise unsere Branche mit anderen Mobilitätsoptionen, dem urbanen Umfeld und unseren Kunden in Zusammenhang und in Verbindung steht. Dieser Trend zeigt sich auch im jüngsten sehr raschen Wachstum des Marktes „Intelligente Transportsysteme“ (ITS) für den öffentlichen Personenverkehr. Sein Volumen in Europa erreichte 1,03 Mrd. EUR im Jahr- 2014. Erwartungen zufolge soll dieser Markt im Jahr 2019 auf 1,46 Mrd. EUR wachsen. ist das ein typisch europäisches Phänomen? Das gilt nicht nur für Europa: Aktuelle Initiativen des Internationalen Verbands für öffentliches Verkehrswesen (UITP), wie etwa die Gründung einer IT-Arbeitsgruppe in Indien oder eines Seminars für Smart Cities in Brasilien mit über 100 Teilnehmern, verzeichneten große Erfolge. Dies spiegelt sich auch im Konferenzprogramm mit Rednern aus aller Welt wieder - von Moskau bis Sao Paolo, aus den USA und Asien. wo liegen die Herausforderungen, wo die Chancen? Die massive Zunahme an Daten, die öffentlichen Verkehrsbetrieben zur Verfügung stehen, verändert die betrieblichen Abläufe der Branche. Diese Daten schaffen das Potenzial für eine Revolution der Kundenservices im öffentlichen Personenverkehr, und genau das wird auch den Schwerpunkt des Foto: IT-TRANS IT-Trans 2016 EXTRA Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 46 EXTRA IT-Trans 2016 Konferenzprogramms der IT-TRANS 2016 darstellen. Das Programm gewährt einen tiefen Einblick in fünf zentrale Bereiche, in denen der öffentliche Personenverkehr mithilfe von IT-Lösungen dynamischer, effizienter und für Kunden attraktiver gestaltet werden kann: • Digitalisierung von Fahrt und Kundenerlebnis, beispielsweise durch die Bereitstellung zusätzlicher Reiseinformationen und E-Ticketing • Wie öffentliche Verkehrsbetriebe Daten am besten nutzen können • Untersuchung der Rolle des öffentlichen Personenverkehrs in den intelligenten Städten von morgen • Vorteile und Herausforderungen der Einführung integrierter Mobilitätsdienstleistungen • Rechnergestützte Betriebsleitsysteme (Intermodal Transport Control Systems - ITCS) als „Datenwirbelsäule“ des Betriebs im öffentlichen Personenverkehr sie erwähnten die Digitalisierung als Hauptprogrammpunkt. welche Auswirkungen hat sie auf die betreiber und behörden des öffentlichen Personenverkehrs genau? Die Beziehung des öffentlichen Personenverkehrs zu seinen Kunden ändert sich aufgrund des verfügbaren Wissens über diese, aber auch wegen der steigenden Kundenerwartungen rasant. Mit einem Wort: Die Kunden werden anspruchsvoller. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Apps bewirkt, dass Kunden nun immer höhere Erwartungen an den öffentlichen Personenverkehr stellen. Öffentliche Verkehrsbetriebe werden diese Kundenschnittstelle beibehalten. Es eröffnen sich aber auch Chancen für die Zusammenarbeit mit anderen. wie ist das zu verstehen? Durch die Digitalisierung können zahlreiche Akteure und Transportmittel zusammengebracht werden. Mit ihrer Hilfe können Verkehrsbetriebe und Behörden zusätzliche Leistungen, wie etwa neue Mobilitätsdienstleistungen, in ihre Kompetenzbereiche und ihr Angebot integrieren sowie integrierte Mobilitätsplattformen entwickeln oder deren Entwicklung unterstützen. Digitalisierung ist auch ein Mittel auf dem Weg zu einem effizienteren Betriebsablauf, indem das Potenzial großer Datenmengen und Sensortechniken für eine bessere Instandhaltung und Verwaltung sowie einen besseren Betrieb der Verkehrsmittel, Infrastruktur und Fahrzeuge genutzt wird. Schließlich führt sie zur technologischen Weiterentwicklung und der Herausbildung neuer Akteure und Dienstleistungen - von Apps zum Ticketverkauf für individuelle Fahrten bis hin zu automatisierten Fahrzeugen. Diese neuen Mobilitätsakteure ziehen derzeit ja große Aufmerksamkeit auf sich. was können wir von ihnen erwarten? Neue Mobilitätsanbieter können eine gewisse Konkurrenz für den öffentlichen Personenverkehr darstellen, in dem Sinne, dass sie die Aufmerksamkeit politischer Entscheidungsträger auf sich ziehen. Diese Dienstleistungen werden letztlich ihren Platz in der städtischen Mobilitätslandschaft finden und die konventionellen Dienstleistungen des öffentlichen Personenverkehrs auf eine gewisse Weise ergänzen. Dazu muss es einen klar definierten Rahmen für ihren Wirkungsbereich geben. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass ein starkes öffentliches Verkehrsnetz das „Rückgrat” eines effizienten städtischen Verkehrswesens ist und bleibt. Genau darin müssen wir investieren. Das Ticketing im öffentlichen Personenverkehr entwickelt sich ständig weiter. Was gibt es Neues bei dieser Technologie? Wir können mehrere Trends bei der Bereitstellung von Lösungen für E-Ticketing erkennen - von der Kombination unterschiedlicher Technologien bis zu verschiedenen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Zahlung. Smart Cards und mobiles Zahlen sind beide auf dem Vormarsch und beruhen auf unterschiedlichen Technologien, wie beispielsweise Nahfeldkommunikation (NFC). In einigen Städten lässt sich auch ein steigendes Angebot von kreditkartenbasierten Lösungen beobachten. und welche Auswirkungen werden automatisierte Fahrzeuge auf die städtische Mobilität haben? Die IT-TRANS ist eine Gelegenheit zum Austausch und zur Diskussion der neuesten Entwicklungen in Bezug auf automatisierte Fahrzeuge. Dabei soll vor allem eingeschätzt werden, wie sich diese auf die städtische Mobilität auswirken können. Die Diskussionen drehen sich um das aktuelle Dokument des VDV zu automatisierten Fahrzeugen sowie um den Pilotversuch und das Forschungsprogramm zu automatisierten Fahrzeugen der Land Transport Authority (LTA) in Singapur. Wir stehen außerdem am Beginn einer neuen Welle von Pilotprojekten für automatisierte Dienstleistungen im Straßengüterverkehr, wie beispielsweise dem von Car Postal in der Schweiz angekündigten Pilotprojekt. Es bleiben überwiegend unbekannte Faktoren bezüglich des großflächigen Einsatzes von automatisierten Straßenfahrzeugen bestehen. Es gibt jedoch wenig Zweifel daran, dass diese bei einem großflächigen Einsatz erhebliche Auswirkungen auf den Stadtverkehr haben werden. Dies könnte beispielsweise einen Wendepunkt für Car- Sharing-Dienstleistungen darstellen, eine Herausforderung, die unsere kombinierte Mobilitätsplattform genau untersuchen wird. ■ DATEN uND FAKTEN 1. bis 3. März 2016: iT-TRANs in der Messe Karlsruhe Die IT-TRANS, Internationale Konferenz und Fachmesse für IT-Lösungen im öffentlichen Personenverkehr, feierte ihre Premiere im Jahr 2008 in Karlsruhe. Innerhalb kurzer Zeit hat sich die alle zwei Jahre stattfindende Veranstaltung als wichtigste Plattform der Branche etabliert. Veranstalter sind der Internationale Verband für öffentliches Verkehrswesen (UITP) und die Karlsruher Messe- und Kongress-GmbH. Die IT-TRANS richtet sich an alle Akteure des öffentlichen Personenverkehrs und insbesondere an Entscheidungsträger in öffentlichen und privaten Verkehrsbetrieben, in Verkehrsbehörden und Verbänden. Auf der dreitägigen Konferenz stellen internationale Referenten praxisnah in Sessions, Workshops und Präsentationen Innovationen vor und geben Empfehlungen für die praktische Umsetzung von IT-Lösungen im öffentlichen Personenverkehr. Mehr als 200 internationale Unternehmen und Dienstleister präsentieren in der Fachmesse ihre neuesten Produkte und Dienstleistungen. Weitere Informationen unter www.it-trans.org. Jarl Eliassen ist Experte für Information & Ticketing bei der UITP in Brüssel (BE) ZUR PERSON Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 47 IT-Trans 2016 EXTRA PSI - Halle 1, Stand F15 Auf dem Land mobil - Bedarfsverkehre verwalten und-steuern Demografischer Wandel, ständig steigender Kostendruck und neue Reisegewohnheiten sorgen vor allem in den ländlichen Regionen für Probleme bei der Durchführung eines kostendeckenden und dabei für die Bevölkerung attraktiven und ausreichenden öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). F lexible Leistungsangebote im öffentlichen Verkehr - sei es im Gelegenheits- oder auch Linienverkehr - werden für die flächendeckende Versorgung mit ÖPNV- Leistungen immer wichtiger. Dabei sollen Verkehrsmittel nur dann eingesetzt werden, wenn tatsächlicher Bedarf besteht. Eine Lösung bietet der Bedarfsverkehr mit einer ganzen Reihe verschiedener Möglichkeiten - vom Haltestellenstopp bei Bedarf über den Sammel- und Rufbus im Linienverkehr bis zum Anruf-Linientaxi oder Anruf-Sammeltaxi. Die Grundidee besteht darin, Fahrzeuge nur an den Orten und zu den Zeitpunkten einzusetzen, an denen ein Bedarf besteht. PSI Transcom hat eine Lösung entwickelt, die den Bedarfsverkehr organisiert und die Verkehrsträger dabei unterstützt, die Zusammenarbeit zu gestalten, die Kunden zu informieren und die Leistungen ab- BBR Verkehrstechnik - Halle 1, Stand F11 Interaktiv, dynamisch, informativ BBR Verkehrstechnik zeigt Software zur dynamischen Fahrgastinformation „ARIANE“ A uf der IT-TRANS 2016 stellt BBR Verkehrstechnik erstmalig sein modular aufgebautes Fahrgastinformationssystem MOFIS und dessen Herzstück - die Software ARIANE - vor. Sie dient unter anderem als zentrale Datendrehscheibe für Systeme zur dynamischen Fahrgastinformation (DFI). Außerdem sind die Bestandteile des umfangreichen MOFIS-Portfolios zu sehen, darunter auch die multimodale Mobilitätsplattform MOFIS MEDIA.MIP. Mit ARIANE präsentiert der Braunschweiger Bahntechnik-Spezialist eine Software, die als zentrale Datendrehscheibe für die dynamische Fahrgastinformation fungieren kann. Sie verfügt über eine integrierte Datenbank und berechnet Abfahrtsprognosen. Auf Wunsch sendet sie diese von zentraler Stelle an die Anzeigemedien der Haltestellen sowie an Fremdsysteme wie etwa Datendrehscheiben der Verkehrsverbünde. Basis dieser Berechnungen sind Standortinformationen der Fahrzeuge, die die Software von ITCS-Systemen, Stellwerken oder von Koppelspulen erhält und auswertet - kombiniert mit Reisezeitlisten und Soll- Fahrplänen. Zum Datenaustausch unterstützt ARIANE dabei die gängigen VDV- Standardschnittstellen (VDV452, VDV453, VDV454 und VDV461). Die Software verfügt über eine hohe Skalierbarkeit, die optimal auf die individuellen Bedürfnisse eines jeden Verkehrsbetriebes zugeschnitten ist. So kann ARIANE im Vollausbau als DFI-Server und Datendrehscheibe genauso eingesetzt werden wie als reines DFI-System oder nur als Datendrehscheibe. Neben ARIANE umfasst das MOFIS Softwareportfolio den MOFIS Bedienplatz-Manager und den MOFIS Bedienplatz als direkte Schnittstelle zwischen Betriebspersonal und dem MOFIS System. Verschiedene Fahrgastinformations-Anzeiger in LED-, TFT- und LTN-LCD-Technik sowie solarbetriebene und interaktive Touchsysteme runden die Produktfamilie ab. Die multimodale Mobilitätsplattform MOFIS MEDIA.MIP mit bis zu 46 Zoll großem Touchscreen bietet als Full-HD-Anzeiger interaktive Angebote für ÖV-Fahrgäste: dynamische Fahrgastinformation, Verbindungssuche, Aushanginformationen, Touristeninformation, Hotelauskunft und eine aktive Indoor-Wegeleitung. Die Informationen sind in mehreren Sprachen verfügbar, zoombar und dank einer Text-to-Speech- Funktion barrierefrei zugänglich. BBR optimierte die Bedienbarkeit des Geräts auf Basis einer vom VDV beauftragten Usability- Studie. Das Gerät ist bereits in Köln und Stuttgart in Betrieb und soll künftig auch beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr sowie dem Schweizer Betreiber TPC eingesetzt werden. ■ Die multimodale Mobilitätsplattform MOFIS MEDIA.MIP bietet als Full-HD-Anzeiger interaktive Angebote für ÖV-Fahrgäste. Grafik: BBR Verkehrstechnik Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 48 EXTRA IT-Trans 2016 PTnova - Halle 1, Stand G5 Digitalisierung im Abokauf Neues Modul reduziert Verwaltungsaufwand und verbessert den Kundenservice A uf der IT-TRANS 2016 präsentiert HanseCom ein neues PTnova Modul, das Prozesse bei Abos und Jahreskarten sowohl für Verkehrsunternehmen als auch Endkunden optimieren kann. Durch die Integration eines Online-Services direkt auf der Website des Verkehrsunternehmens können Kunden Abos rund um die Uhr online bestellen und verwalten. Der Vorteil für Verkehrsunternehmen: Der Verwaltungsaufwand wird reduziert, Vertriebsprozesse automatisiert und der Kundendialog verbessert. Die Verwaltung von Abokunden auf der Website des Verkehrsunternehmens ist eine Erweiterung zum Vertriebshintergrundsystem PTnova. Das Web-Frontend kann dem jeweiligen Corporate Design angepasst werden und ist für die Nutzung auf Smartphones und Tablets optimiert. Alle Eingabemasken sind über Webservices direkt mit PTnova verbunden. Personenbezogene Daten werden im Frontend nicht gespeichert. Alle Datenbestände werden in Echtzeit synchronisiert, sodass Mitarbeiter in den verschiedenen Abteilungen immer auf aktuelle Daten zugreifen. So können sich Verkehrsunternehmen modern präsentieren, neue Kunden gewinnen und gleichzeitig ihre Mitarbeiter entlasten. ■ Beispiel einer Online-Aboverwaltung für Kunden. Foto: PTnova zurechnen. Das Besondere an dieser Lösung ist, dass die Bedarfsverkehrskomponente sofort mit PSItraffic/ ITCS ausgeliefert oder später nachgerüstet werden kann. Die verschiedenen Bedienformen sind konfigurierbar, und so kann stets die passende Lösung implementiert werden. Durch die Verbesserung des Leistungsangebots bei planbaren Kosten ergibt sich für die Verkehrsunternehmen ein echter Vorteil. Falls das Fahrgastaufkommen keinen Verkehr in einem bestimmten Zeittakt rechtfertigt, muss nicht im Stundentakt ein Bus auf die Strecke geschickt werden, sondern nur dann, wenn er auch wirklich gebraucht wird. Ein bestimmter Teil der Fahrten kann bei entsprechendem Bedarf mit kleineren Fahrzeugen durchgeführt werden. Nicht gefahrene Kilometer reduzieren außerdem die Kosten und schonen die Umwelt. Schließlich wird auch die Abrechnung mit Subunternehmen transparenter und einfacher. Im freien Flächenverkehr besteht die Herausforderung, einzelne Fahrten zu einer verknüpften Tour zu verbinden. Eine Aufgabe, die im ÖPNV neu, in der Logistik beim Transport von Gütern aber bereits Standard ist: Paketlieferungen werden zu täglich neu zu organisierenden Touren zusammengestellt, da täglich andere Kunden anzufahren sind. PSI Transcom hat seit vielen Jahren eine Lösung mit komplexen Optimierungen entwickelt und kann diese flexibel in PSItraffic einsetzen und damit eine in der Praxis bewährte Lösung für den freien Flächenverkehr anbieten. Da ein Fahrzeug immer günstiger fährt, je mehr Fahrgäste mitfahren, müssen, wenn es keinen Fahrplan und keine Haltestellen mehr gibt, alle Fahrgäste in einer optimierten Reihenfolge abgeholt und wieder verteilt werden. Daher wird bei PSI Transcom aktuell intensiv eine Routenoptimierung entwickelt und als Modul in PSItraffic implementiert. ■ Foto: Omnipart Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 49 IT-Trans 2016 EXTRA TAF mobile - Halle 1, Stand B10 Die grüne papierlose Haltestelle - interaktiv und digital Abfahrtzeiten live und digital an der Haltestelle. Auskünfte und Verkehrsmittel interaktiv via Touchscreen auswählen. Bus- und Bahn-Tickets mit dem Smartphone oder online schnell und einfach kaufen. Wie also sieht eine moderne Haltestelle von morgen aus - was ist Vision und was ist Notwendigkeit im Nahverkehr der Zukunft? D er öffentliche Personennahverkehr in Deutschland (ÖPNV) und weltweit ist ein Wachstumsmarkt. Mobile Ticketangebote werden zunehmend nachgefragt. Verkehrsunternehmen stehen vor der Herausforderung, herkömmliche Systeme wie etwa Ticketautomaten oder Haltestellenaushänge abzulösen und moderne Kommunikationskanäle wie digitale Haltestellenanzeiger und mobiles Ticketing zu forcieren. Laut aktuellen Studien kauft bereits jeder dritte Fahrgast sein Ticket via Smartphone oder Onlineshop, 94 % aller Deutschen surfen im Internet, 50 % verwenden täglich ein Smartphone. Kinder wachsen multimedial als „Digital Natives“ auf. Sie sind die Fahrgäste von heute und morgen. Sie erwarten, stets zu erfahren, wann genau der Bus oder die Bahn fährt und ob es Verspätungen gibt. Der Trend ist nicht zu ignorieren. Die Europäische Kommission hat eine „Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderung 2010-2020: Erneuertes Engagement für ein barrierefreies Europa“ verabschiedet. Die Strategie zeigt auf, was seitens der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu tun ist, damit Menschen mit Behinderungen ihre Rechte uneingeschränkt wahrnehmen können. Konkret soll bis 2022 vollständige Barrierefreiheit im europäischen Stadtverkehr gewährleistet werden. das Konzept „Grüne papierlose Haltestelle“ Verkehrsbetriebe können in Zukunft den Anforderungen ihrer multimedialen Fahrgäste an einen modernen Nahverkehr gerecht werden, indem sie ihre Kommunikation über verschiedene Medien und Kanäle anbieten. Die TAF mobile GmbH aus Jena stellt Lösungen für eine moderne papierlose ÖPNV- Kommunikation via „All Screen“-Strategie bereit. Gemeinsam mit Partner Surtronic hat TAF ein Konzept zur „grünen papierlosen Haltestelle“ für Verkehrsunternehmen entwickelt und spezielle Produkte definiert. Dabei steht „grün“ für umweltbewusst und „papierlos“ für digitale Information. So dient das kompakte Solar-Display „flexPaper“ der autarken Ausstattung von Haltestellen. Ergänzt wird es durch weitere großflächige Indoor-und Outdoor-Bildschirme (DFI-Abfahrtsmonitore). Für Fahrgastunterstände oder Mobilitätsportale empfiehlt TAF den Verkehrsunternehmen interaktive Touch-Displays. Ticketkäufe und Reiseinfos können über verschiedene Apps wie etwa easy.GO, Onlineshop-Systeme, mobile Webangebote und Widgets für Desktops bzw. Smartphones angezeigt werden. dynamische Fahrgastinformation auf großflächigen Abfahrtsmonitoren Spezielle großflächige Abfahrtsmonitore sind die Auskunftssysteme an Haltestellen der nächsten Generation. Mit dynamischer Fahrgastinformation (DFI) zeigen moderne ÖPNV-Bildschirme Fahrgästen im öffentlichen Personenverkehr die aktuell angebotenen Fahrten an Bus-, Bahn- oder U-Bahnhöfen. Insbesondere an hoch frequentierten Knotenpunkten sind die Anzeiger mit Abfahrtzeiten, Fahrplanabweichungen oder Betriebsstörungen zu empfehlen. Sie lassen sich unkompliziert und an nahezu jedem Platz montieren und sind umweltfreundlich. Mit DFIs lassen sich auch Zusatzinformationen wie etwa Wetter, News, Werbung und Störungen effektiv anzeigen. Durch die Bereitstellung von Soll- und Ist-Daten kann jeder Fahrgast Entscheidungen über Planbarkeit und Pünktlichkeit treffen, d. h. beispielsweise wann und wie welches Verkehrsmittel genutzt werden kann. Die Datenversorgung erfolgt auf konventionelle Weise und über alle gängigen Kommunikationsschnittstellen. Der Fahrplan der einzelnen Fahrzeuge wird laufend mit ihrem tatsächlichen Standort abgeglichen und ergänzt. In enger Kooperation mit der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (rnv) als initiierendem Anwender hat TAF mobile für deren Verkehrsgebiet diese IT-Lösungen in der Umsetzung und Realisierung. Hier sind „flexPaper“-Displays derzeit im Test und DFI-Großbildschirme für digitale Fahrgastinformationen z. B. am Hauptbahnhof Heidelberg und in den rnv-Kundenzentren bereits im Einsatz. ■ Die „grüne papierlose Haltestelle“ Grafik: TAF DFI-Abfahrtsmonitor am Hauptbahnhof Heidelberg Foto: rnv Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 50 MOBILITÄT Mobilitätsverhalten Intermodalität besser verstehen Analyse komplexer Mobilitätsmuster mittels smartphonebasiertem GPS-Tracking Intermodalität, Multimodalität, GPS-Tracking, Erhebungsmethoden Kaum ein Strategiepapier im Verkehrsbereich kommt heute ohne ein klares Bekenntnis zur Förderung von Multi- und Intermodalität aus. Insbesondere Intermodalität ist bisher jedoch nur in Ansätzen verstanden. Es fehlten bisher geeignete Erhebungsmethoden, mit denen die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel auf einem Weg exakt erfasst werden kann. Neue digitale und GPS-basierte Erhebungsmethoden lösen dieses Problem. Im Beitrag werden Ergebnisse aus dem Projekt multimo präsentiert, in dem mehr als 1100-Personen über einen Zeitraum von jeweils zwei Wochen ihr Verkehrsverhalten mittels GPS-Tracking bzw. Online-Wegetagebuch aufzeichneten. Autoren: Robert Schönduwe, Marc Schelewsky, Lena Damrau, Robert Follmer D ie Vernetzung der Verkehrsmittel soll in Zukunft dafür sorgen, dass Menschen schneller, stressfreier und ökologischer ans Ziel gelangen. Insbesondere in Agglomerationen bekommt der private PKW zunehmend Konkurrenz durch alternative Angebote und neue Mobilitätsdienstleistungen. Nachdem jahrzehntelang versucht wurde, mit neuen Straßen der Blechlawine Herr zu werden, sollen nun Pedelec und Carsharing in Kombination mit Bus und Bahn die Lösung für städtische Verkehrsprobleme herbeiführen. Auch nachfrageseitig sind erste Anzeichen für einen Bewusstseinswandel zu beobachten: Die Liebe zum Automobil scheint zu erkalten [1]. Der private PKW wird zum Opfer seines eigenen Erfolgs. Einst als Vehikel des freien Individuums in pluralisierten Gesellschaften verehrt, wird der PKW in Städten immer häufiger ausgebremst und ist oftmals für die Bewältigung des komplexen Alltags postmoderner Netzbürger nicht mehr die beste Wahl. Während der PKW-Nutzer noch auf Parkplatzsuche ist, navigieren die Innovatoren mit ihren Smartphones scheinbar mühelos durch die mobile Angebotsvielfalt der Städte - so die Theorie. Eine Vielzahl digitaler Helfer vereinfacht Zugang, Buchung und Abrechnung von Mobilitätsdienstleistungen und ermöglicht so es, in jeder Situation das jeweils passende Verkehrsmittel zu nutzen. Diese Vision einer effizient organisierten, inter- und multimodalen Verkehrswelt ist mittlerweile gleichermaßen fester Bestandteil der Strategiepapiere von Kommunen [2], ÖV-Anbietern [3], Automobilherstellern [4] und Interessensverbänden [5]. definition von Inter- und Multimodalität Auch in der Verkehrsforschung wird dem Trend zur Inter- und Multimodalität immer stärkere Beachtung geschenkt. Dabei wird deutlich, dass noch einige Hürden zu überwinden sind, um die Vision der neuen Verkehrswelt Wirklichkeit werden zu lassen. Bereits hinsichtlich der Definition von Inter- und Multimodalität besteht Uneinigkeit. Multimodalität beschreibt die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel innerhalb eines Zeitraums, wobei meist eine Woche betrachtet wird (vgl. Bild 1). Soweit besteht Konsens. Welche Verkehrsmittel berücksichtigt werden, wie Fußwege zu handhaben sind und ob der gewählte Zeitraum angemessen ist, sind hingegen Fragen, die derzeit noch diskutiert werden. Zwar existieren zahlreiche Kennzahlen, die es erlauben, multimodales Verkehrsverhalten zu quantifizieren und damit eine Vergleichbarkeit herzustellen, diese werden jedoch nur eher selten angewandt (für einen Überblick siehe [6]). Zudem plädieren insbesondere Kommunen für eine Erweiterung des Blickwinkels. Für Städte ist nicht nur die individuelle Perspektive des Verkehrsverhaltens relevant, sondern auch die Bewertung des Verkehrssystems hinsichtlich multimodaler Möglichkeiten vor Ort. Geeignete Indikatoren für eine derartige Bewertung städtischer Verkehrssysteme fehlen bisher. Intermodalität wird als Teilmenge der Multimodalität betrachtet und beschreibt die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel auf einem Weg (vgl. Bild 1). Auch Intermodalität wird, über diesen Minimalkonsens hinaus, unterschiedlich definiert. Multimodalität Intermodalität In jeder Situation das passende Verkehrsmittel Die effiziente Reisekette Bild 1: Intermodalität als Teilmenge von Multimodalität Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 51 Mobilitätsverhalten MOBILITÄT Kennzeichnet ein Umstieg vom Bus zur S- Bahn bereits einen intermodalen Weg? Werden Fußwege berücksichtigt? Ist eine Mindestanzahl genutzter Verkehrsmitteln notwendig, um einen Weg als intermodal bezeichnen zu können? Diese und weitere Fragen werden derzeit noch diskutiert. Vom Wegezum Etappenkonzept Da eine einheitliche Definition von Inter- und Multimodalität bisher fehlt, verwundert es nicht, dass auch die Datenlage derzeit noch eingeschränkt ist. Sowohl die genutzten Kenngrößen als auch die Erhebungsinstrumente erfassen das individuelle Verkehrsverhalten nicht im benötigten Detailgrad. Während zur Erfassung multimodalen Verkehrshandelns vor allem Längsschnittdaten mit Angaben zum individuellen Verkehrshandeln über einen längeren Zeitraum (beispielsweise zwei Wochen) notwendig wären, ist zur Analyse von Intermodalität vor allem eine exakte Aufzeichnung aller genutzten Verkehrsmittel erforderlich. Wichtigste Basisgröße zur Beschreibung des Verkehrsgeschehens ist nach wie vor das Wegekonzept. Dieses geht auf das KONTIV-Design zurück, das in den 1970er- Jahren entwickelt wurde und vorwiegend Orientierungsgrößen zur verkehrsplanerischen Bewältigung der Massenmotorisierung liefern sollte. Aussagen zur Intermodalität können mit dem Wegekonzept nicht getroffen werden. Es fehlen Informationen zu Umstiegen und der Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel auf einem Weg. Die Notwendigkeit einer möglichst genauen Erfassung des individuellen Verkehrshandelns wird weitgehend anerkannt, allein der Aufwand zur Erhebung dieser Etappeninformationen erschien bisher zu hoch. So heißt es beispielsweise in einer Methodenstudie, die im Vorfeld der MiD 1 2002 durchgeführt wurde: „Die Erhebung detaillierter Informationen zu jeder Wegeetappe würde den Umfang jedes Instrumentariums für eine bundesweite Erhebung sprengen und darüber hinaus bei den Befragten zu Akzeptanzproblemen führen“ ([7], S. 17). Sowohl in der MiD als auch in der SrV 2 wurde letztlich ein Mittelweg gewählt, um den Aufwand für die Befragten gering zu halten und gleichzeitig möglichst vollständige Informationen zu erheben. Die Befragten wurden gebeten, für jeden Weg alle Verkehrsmittel sowie die Reihenfolge der genutzten Verkehrsmittel anzugeben. Zusätzlich wurde in der SrV gefragt, mit welchem Verkehrsmittel der längste Streckenabschnitt zurückgelegt wurde. Damit liegen zumindest Angaben zur Verkehrsmittelwahl vor, räumliche und zeitliche Informationen sind jedoch nicht vorhanden. Veröffentlichte Kennzahlen großer Verkehrserhebungen wie der MiD berücksichtigen diese Angaben jedoch nicht und beziehen sich fast ausschließlich auf Hauptverkehrsmittel. Zukünftig werden die Anforderungen an den Detailgrad der erhobenen Daten ansteigen. Die Weiterentwicklung von Verkehrsmodellen und Änderungen des Angebots und der Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen machen diese Entwicklung erforderlich. Für viele Fragestellungen sind Etappenkonzepte unverzichtbar, entsprechend wird in vielen Ländern angestrebt, den Informationsgewinn zu steigern und dabei den Befragungsaufwand gering zu halten. Im Schweizer Mikrozensus Verkehr wird beispielsweise seit 1994 ein Etappenkonzept angewandt und somit sehr genaue Daten zu den genutzten Verkehrsmitteln erhoben [8]. Insgesamt gilt jedoch auch international, dass Wegeinformationen relativ einheitlich erhoben werden, bei Etappeninformationen ein Standard jedoch noch fehlt. Es lässt sich somit festhalten, dass Etappen- und Wegekonzepte zwar mit je eigenen Vor- und Nachteilen verbunden sind, es jedoch zunehmend wichtig wird, Informationen zum Verkehrshandeln in hohem Detailgrad zu erheben (vgl. Tabelle 1). Die technischen Voraussetzungen dafür sind gegeben, wie die folgenden Erfahrungen aus dem Projekt multimo zeigen. das Projekt multimo Im Folgenden werden Ergebnisse aus dem Projekt „multimo“ (www.multimo.mobi) vorgestellt. Im Mittelpunkt des Projekts stand die Analyse des Zusammenspiels neuer Verkehrsangebote wie etwa Carsharing und Fahrradverleihsysteme mit den bewährten Angeboten des öffentlichen Verkehrs. Das Projekt wurde von infas und InnoZ in Kooperation mit den Verkehrsunternehmen und -verbünden BVG, VBB, VBN, DVB, GVH, KVB, VRS, LVB, SSB, MVV, HVV, RMV, VRR sowie dem VdV - Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und der Porsche AG durchgeführt. Im Fokus standen Kundenbedürfnisse und Erwartungen an die neuen Angebote sowie die Erprobung neuer Erhebungsmethoden. Die Erhebung wurde im Mai 2015 durchgeführt. Die Teilnehmer wurden durch die Projektbeteiligten mittels Hinweisen auf Webseiten, in Publikationen der Verkehrsunternehmen und über Social Media frei rekrutiert. Entsprechend handelt es sich nicht um ein repräsentatives Sample. Insgesamt zeichneten 1152 Personen ihre Mobilitätsmuster über einen Zeitraum von mindestens zehn Tagen auf. Die Mehrheit der Teilnehmer ist zwischen 18 und 60 Jahre alt. Jüngere und ältere Menschen sind unterrepräsentiert. Männer sind mit einem Anteil von 63% im Vergleich zum Anteil in der Gesamtbevölkerung von 49 % überrepräsentiert. Die Teilnehmer sind zu einem hohen Anteil vollzeiterwerbstätig (60 %) und haben ein Studium abgeschlossen (51 %). Sie beurteilen zudem die eigene wirtschaftliche Situation überwiegend als gut bzw. sehr gut und leben sehr häufig in autolosen Haushalten. GPS-Tracking und Online- Wegetagebücher Die Teilnehmer der Studie wurden gebeten, ihr Mobilitätsverhalten über einen Zeitraum von 14 Tagen aufzuzeichnen. Dabei konnten sie freiwillig zwischen zwei Erhebungsinstrumenten wählen: Smartphone- Apps (iOS und Android) und Online-Wegetagebücher. Zum Einsatz kam die App „mo- Etappen Wege Vorteile • Umsteigebeziehungen werden erfasst • Zu- und Abgangswege zu ÖV-Haltestellen werden erfasst • Hohe räumliche Genauigkeit: Erfassung aller, auch kurzer, Ortsveränderungen und Verkehrsmittelnutzungen bei GPS-Tracking • Hohe zeitliche Genauigkeit: erlaubt beispielsweise die Analyse von Wartezeiten • Erlaubt genaue Analyse gegenwärtig wichtiger Entwicklungen wie Inter- und Multimodalität • Hinreichender Input für aggregierte Verkehrsmodelle und zur Erstellung von Quell-Ziel-Matrizen • Hohe Vergleichbarkeit durch konsistente Zeitreihen • Hohe internationale Vergleichbarkeit Nachteile • Bei Verwendung von Mobilitätstagebüchern: Erhöhter Erhebungsaufwand • Aggregation zu Wegen ist technisch möglich, Konsistenz von Zeitreihendaten muss hinsichtlich möglicher Verzerrungen überprüft werden • Aktuelle Fragestellungen zur Entwicklung des Verkehrsverhaltens können nicht beantwortet werden • Verlust an räumlichen Informationen • Verlust an zeitlichen Informationen • Mangelhafter Detailgrad für disaggregierte Verkehrsmodelle Tabelle 1: Vor- und Nachteile von Wege- und Etappenkonzepten Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 52 MOBILITÄT Mobilitätsverhalten dalyzer“ (www.modalyzer.com) (vgl. Bild 2). Diese zeichnet nicht nur genaue räumliche und zeitliche Etappeninformationen auf, sondern erkennt auch automatisch die genutzten Verkehrsmittel. Dies ermöglicht eine weitgehend passive Aufzeichnung aller Bewegungen der Studienteilnehmer. Online-Wegetagebücher bieten hingegen vor allem den Vorteil, dass zusätzliche Informationen zu den Wegen erfasst werden können. So wurde beispielsweise erhoben, ob es sich bei den berichteten Wegen um Routinewege handelte und ob Auskunftsdienste genutzt wurden. Prinzipiell können Zusatzinformationen auch in der App erhoben werden, dies würde jedoch dem angestrebten passiven Charakter der Datenerhebung widersprechen. Für die Nutzung der App entschieden sich 686 Personen. 978 Teilnehmer wählten die Online-Wegetagebücher. In der Auswertung wurden nur Teilnehmer berücksichtigt, die an mindestens 10 Tagen Angaben zu ihrer Mobilität machten. Insgesamt waren dies 475 (App) bzw. 677 (Online-Wegetagebuch) Personen. Neben der Aufzeichnung der Wege wurden von allen Teilnehmern weitere Angaben mittels einer Online-Befragung erhoben. Intermodalität im Alltag Im Projekt multimo wurde Intermodalität folgendermaßen definiert: Ein intermodaler Weg ist dadurch gekennzeichnet, dass mindestens zwei Etappen innerhalb eines Weges mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt wurden. Fußwege werden nur gezählt, wenn der längste Teilabschnitt des Weges ein Fußweg ist. Umstiege innerhalb des ÖPNV werden nicht als Wechsel von Verkehrsmitteln betrachtet. Intermodalität spielt im Alltag bisher nur eine untergeordnete Rolle. Aufgrund des Samplings war davon auszugehen, dass ÖV-Kunden und Personen, die eine hohe Affinität für Mobilitätsdienstleistungen zeigen, in der multimo-Stichprobe überrepräsentiert sind. Selbst in dieser selektiv ausgewählten Stichprobe ist der Anteil intermodaler Wege vergleichsweise gering. Nur bei 8,5 % der ca. 47 000 Wege wurden- unterschiedliche Verkehrsmittel genutzt. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer ist nur (sehr) selten intermodal unterwegs. Wie Bild 3 zeigt, haben 381 Teilnehmer im Zeitraum von mindestens 10 Tagen auf keinem ihrer Wege Verkehrsmittel kombiniert. 67,5 % der Teilnehmer haben maximal 10% intermodale Wege, d.h. es wurden maximal zwei intermodale Wege pro Woche zurückgelegt (in Bild 3 grau markiert). Es wird aber auch deutlich, dass ein kleiner Anteil der Befragten sehr häufig intermodal unterwegs ist, 19 Teilnehmer kombinierten sogar auf mehr als 50 % der Wege unterschiedliche Verkehrsmittel. Der öffentliche Verkehr ist Treiber der Intermodalität. Eine Betrachtung des Modal split in Abhängigkeit von der Intensität der Intermodalität zeigt, dass Personen mit einem hohen Anteil intermodaler Wege häufiger den ÖV nutzen und weniger Fußwege zurücklegen (vgl. Bild 4). Unklar ist, ob dies eine Wahlfreiheit der Nutzer widerspiegelt oder im ÖV schlicht häufiger die Notwendigkeit besteht, intermodal unterwegs zu sein. Die Darstellung des Modal split zeigt auch, dass Carsharing bisher nur eine sehr marginale Rolle einnimmt. Intermodalität bietet bisher vor allem Effizienzvorteile im Fernverkehr. Je höher der Anteil intermodaler Wege einer Person, desto größer sind die durchschnittlichen Distanzen, die diese Personen pro Tag zurücklegen (vgl. Bild 5). Offensichtlich gehört die Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsmittel im Fernverkehr bereits zum Bild 2: Smartphonebasiertes GPS-Tracking mit-der App „modalyzer“ Bild 3: Anteil intermodaler Wege (n = 1152 Personen) Bild 4: Intensität der Intermodalität und Modal split (n = 1.152 Personen) Bild 5: Intensität der Intermodalität und Distanzen (n = 1.152 Personen) Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 53 Mobilitätsverhalten MOBILITÄT Alltag, auf kürzeren Strecken fehlen hingegen noch Möglichkeiten zur Kombination von Verkehrsmitteln auf einem Weg. Dieses Ergebnis zeigt aber auch, dass Intermodalität bisher nur auf bestimmten Wegen und für bestimmte Zielgruppen eine sinnvolle Alternative darstellt. Deshalb sind detaillierte Analysen individueller Mobilitätsmuster notwendig, um beispielsweise die Gestaltung intermodaler Auskunftsdienste zu verbessern. Falsch verbunden? Hürden für die Intermodalität im Alltag. In der begleitenden Online-Erhebung wurden die Teilnehmer gebeten, in offenen Fragen Angaben zu Problemen bei der Kombination von Verkehrsmitteln zu machen. Dabei zeigte sich, dass fehlende Schnittstellen und die Unzuverlässigkeit von Angeboten derzeit noch die größten Hürden darstellen. Mangelnde Zuverlässigkeit äußere sich beispielsweise darin, dass Carsharing-Fahrzeuge und Leihräder nicht wie erwartet zur Verfügung stehen oder Umsteigezeiten zwischen öffentlichen Verkehrsmitteln zu kurz sind und dies zu Reisezeitverlängerungen führt. Hinsichtlich der Schnittstellen wurde beispielsweise bemängelt, dass sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder fehlen, die Kompatibilität zwischen Leihangeboten nicht gegeben und die Fahrradmitnahme in Bussen und Bahnen eingeschränkt ist. Fazit Neue Methoden der Datenerhebung und -analyse sind notwendig, um inter- und multimodales Verkehrsverhalten besser verstehen und somit zielgerichteter fördern zu können. Für eine Prognose des Markterfolgs intermodaler Mobilitätsdienstleistungen sind empirische Daten zur intermodalen Verkehrsmittelnutzung notwendig. Ein Methodenmix, wie im Projekt multimo angewandt, bietet dafür die besten Voraussetzungen. Folgende Handlungsempfehlungen lassen sich aus dem Projekt multimo ableiten. Es gilt erstens, die vorgestellten Erhebungsinstrumente weiter zu optimieren und neue, digitale Erhebungsmethoden zu nutzen [9]. Konkret ist derzeit der zu hohe Akkuverbrauch noch die größte Hürde für den Einsatz des GPS-Tracking. Technische Verbesserungen der Apps und neue Gerätegenerationen werden die Probleme aber in kurzer Zeit obsolet werden lassen. Ein Methodenmix, wie in multimo angewandt, wird mittelfristig die besten Ergebnisse liefern. Zweitens muss in der Verkehrsforschung ein noch breiterer Diskurs über die Möglichkeiten dieser neuen Erhebungsmethoden angestoßen werden. Dabei muss auch die Zweckmäßigkeit bisher verwendeter Basisgrößen für die Bewegung im Raum hinterfragt werden. Zudem ist eine erhöhte Methodenkompetenz für die Datenauswertung notwendig, die auch in der universitären Ausbildung Berücksichtigung finden muss. Drittens sollten die neuen empirischen Möglichkeiten genutzt werden, um das Verkehrsverhalten besser erklären und verstehen zu können (vgl. Bild 6). Der detaillierte Einblick in Mobilitätsmuster sollte darüber hinaus genutzt werden, um bestehende Angebote zu verbessern und neue Mobilitätsdienstleistungen, Tarifstrukturen und Preissysteme zu entwickeln. ■ 1 MiD: repräsentative Erhebung zum Verkehrshandeln in Deutschland (Mobilität in Deutschland) 2 SrV: repräsentative Erhebung zum Verkehrshandeln in Städten (System repräsentativer Verkehrserhebungen) liTERATuR [1] Schönduwe, Robert; Benno Bock & Inga-Theres Deibel, 2012: Alles wie immer, nur irgendwie anders? Trends und Thesen zu veränderten Mobilitätsmustern junger Menschen. Berlin. (= InnoZ-Baustein, 10). [2] Sandrock, Michael & Gerd Riegelhuth (Hrsg.), 2014: Verkehrsmanagementzentralen in Kommunen. Eine vergleichende Darstellung. Wiesbaden. [3] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), 2013: Der ÖPNV: Rückgrat und Motor eines zukunftsorientierten Mobilitätsverbundes. Positionspapier. Köln. [4] Roland Berger Strategy Consultants (Hrsg.), 2014: Shared mobility. How new businesses are rewriting the rules of the private transportation game. München. [5] Canzler, Weert & Andreas Knie, 2015: Die neue Verkehrswelt. Mobilität im Zeichen des Überflusses: schlau organisiert, effizient, bequem und nachhaltig unterwegs. Berlin. [6] Nobis, Claudia, 2014: Multimodale Vielfalt. Quantitative Analyse multimodalen Verkehrshandelns. Dissertation, Humboldt-Universität Berlin. Berlin. [7] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) & Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) (2001): KONTIV 2001 - Kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten. Methodenstudie. Endbericht. Projektnummer 70.631/ 2000. Berlin, Bonn. [8] Bundesamt für Statistik (Schweiz) & Bundesamt für Raumentwicklung (Schweiz) (2004): Mikrozensus zum Verkehrsverhalten 2005. Detailkonzept. Neuchâtel, Bern. [9] Schelewsky, Marc; Helga Jonuschat; Benno Bock & Korinna Stephan (Hrsg.), 2014: Smartphones unterstützen die Mobilitätsforschung. Neue Einblicke in das Mobilitätsverhalten durch Wege-Tracking. Wiesbaden. Bild 6: Hot spots intermodaler Verkehrsmittelnutzung in Berlin als Beispiel für räumliche Auswertungen der Trackingdaten Marc Schelewsky, Dipl.-Soz. Fachgebietsleiter Digital Solutions, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel GmbH, Berlin marc.schelewsky@innoz.de Lena damrau, Dipl.-Psych. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel GmbH, Berlin lena.damrau@innoz.de Robert Schönduwe, Dr. Senior Experte Digital Solutions, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel GmbH, Berlin robert.schoenduwe@innoz.de Robert Follmer, Dipl.-Soz. Bereichsleiter, Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, Bonn r.follmer@infas.de Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 54 MOBILITÄT Digitale Dienste Digitalisierung kommt bei den Verkehrsteilnehmern an Die Multimodalität nimmt weiter-zu Mobilitätsdienste, Verkehrsmittelwahl, Standortdaten, Ortbarkeit Die Bürger werden künftig weniger auf ein Verkehrsmittel fixiert sein. Denn sie haben eine zunehmend größere Auswahl an alternativen Mobilitätsangeboten, wie Anruf-Sammeltaxi, Leihfahrräder oder Car- Sharing. Damit steigt jedoch auch die Komplexität der Verkehrsmittelwahl und der Mobilität an sich. Mobile Dienste zur Information oder auch zur Abrechnung und zum Ticketing werden daher in Zukunft immer wichtiger. Neue Erkenntnisse hierzu liefert eine Repräsentativbefragung von Infas im Auftrag des Deutschen Verkehrsforums (DVF). Autor: Florian Eck D ie Mobilität der Zukunft ist multimodal, zeigte bereits eine Umfrage des DVF im Jahr 2012. Damals bekannten sich immerhin 47% der Bundesbürger dazu, im Alltag nicht nur auf ein Verkehrsmittel festgelegt zu sein. Bei einer aktuellen Befragung von Infas im Auftrag des DVF zur Alltagsmobilität und der Nutzung von Mobilitätsdiensten zeigte sich in dieser Hinsicht ein weiter verstärkter Trend. Bei den regelmäßigen Autofahrern nutzen demnach 12 % zusätzlich mindestens wöchentlich Busse und Bahnen, 31 % das Fahrrad. Die Stammkunden von Bussen und Bahnen nutzen zu 31 %- mindestens wöchentlich auch das Fahrrad, zu 47 % auch das Auto. Bei den Fahrradnutzern ist diese Multimodalität noch stärker ausgeprägt: 74 % der (fast) täglichen Radfahrer nutzen mindestens wöchentlich auch das Auto, 25 % Busse und Bahnen. Zu diesem multimodalen Trend kommt der Anspruch der Nutzer, die einzelnen Fortbewegungsmodi im Alltag zu kombinieren und so intermodale Mobilitätsketten zu bilden. Um hier die Transparenz zu erhöhen und die Verkehrsteilnehmer zu unterstützen, haben sich in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von mobilen digitalen Diensten etabliert. Sie informieren im Vorfeld oder auf der Route, weisen auf Verbindungen oder Mietfahrzeuge hin, stellen Tickets aus, ersetzen den Parkschein und ermöglichen das Bezahlen von Mobilitätsdienstleistungen. Digitale Medien werden so auch für Mobilitätsangebote unverzichtbar. Smartphone auf dem Vormarsch Mit den für digitale Dienste notwendigen Endgeräten sind die Bundesbürger grundsätzlich gut ausgestattet: Rund 60 % haben mittlerweile ein Smartphone, 32 % ein Tablet und setzen diese mobilen Endgeräte auch für Mobilitätsdienste ein. Von den mobilen Nutzern haben 53 % zusätzlich noch einen stationären PC, 72 % einen Laptop. Beim genaueren Hinsehen spaltet sich jedoch die Gesellschaft in „Digital Natives“ und nicht angebundene Bevölkerungsgruppen. Immerhin fast 1 / 5 der Bürger haben kein digitales Endgerät, bei den Ü70 ist jeder zweite gar nicht angebunden, während alleine die Smartphonequote bei den 18 bis 29-jährigen mit 94 % fast vollständig ist. Diese unterschiedliche Ausstattung der Zielgruppen und die daraus resultierende „digitale Kluft“ muss bei der weiteren Gestaltung der Informations- und Vertriebsangebote rund um die Mobilität mit berücksichtigt werden. Mit anderen Worten: Auch der analoge Zugang muss sichergestellt sein. digitale dienste kommen an Im Folgenden wird die Gruppe der Smartphone- und Tabletnutzer herausgegriffen, um die mobile Nutzung der Dienste genauer zu analysieren. Die beiden Spitzenreiter unter den mobilitätsbezogenen Diensten sind Navigation (mit 28 % täglicher/ wöchentlicher Nutzung) und Fahrplanauskunft (mit 18 % täglicher/ wöchentlicher Nutzung). Gerade im Ballungsraum ist der Nutzungsanteil hier überdurchschnittlich hoch (Bild 1). Bei den Stamm- und Gelegenheitsnutzern der Busse und Bahnen ist das digitale 7 9 4 0 1 0 21 9 10 1 2 0 17 13 7 2 4 0 25 24 16 2 14 3 30 44 63 94 79 96 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Routenplaner/ Navigation Fahrplanauskunft Stauinfos Info CarSharing Fahrschein-/ Ticketkauf Miete eines Fahrrads Nennungen in % | Nutzer von Tablet, Smartphone täglich wöchentlich monatlich seltener nie Bild 1: Nutzung von Mobilitätsdiensten Quelle: Infas/ Deutsches Verkehrsforum (Dez 2015) Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 55 Digitale Dienste MOBILITÄT Angebot angekommen: Regelmäßige Bahnnutzer mit Mobilgerät nutzen zu 41 % auch täglich die Fahrplaninformationen. Selbst bei den Gelegenheitsnutzern gibt nur bis zu 44 % Nicht-Nutzer der Informationsdienste. Stauinfos hingegen werden im Vergleich als digitaler Dienst über Smartphone / Tablet weniger abgerufen als Fahrplaninfos. Trotzdem ergeben sich rund 14 % tägliche oder wöchentliche Nutzungen, aber auch 63 % Nicht-Nutzer. Der Trend bei Bus- und Bahnnutzern weist jedoch auf eine zunehmende Akzeptanz im multimodalen Umfeld hin. Informationen und Buchungsmöglichkeiten zum Car-Sharing weisen bundesweit eine sehr geringe Nutzungintensität auf, da diese Dienste mit rund 1 Millionen registrierter Kunden und 15 400 PKW insgesamt auch noch nicht weit verbreitet sind. Angesichts der zweistelligen Wachstumsraten in diesem Bereich bei Fahrzeugen und Kunden kann jedoch auch hier in Zukunft mit einer proportional zunehmenden Inanspruchnahme der digitalen Dienste gerechnet werden. 1 Auch das mobile Ticketing ist bundesweit im Alltag mit 80 % Nicht-Nutzern und überwiegenden Gelegenheitsnutzern noch sehr gering verbreitet. Nur 1 % nutzen es täglich, 2 % eher wöchentlich und 14 % seltener als monatlich. Die digitale Bereitstellung von Parkscheinen nehmen lediglich 2 % der Bürger täglich in Anspruch. Die Fahrradmiete über App wird von 3 % selten und 96 % der mobilen Anwender nie genutzt. Positionsfreigabe nur zögerlich Mobilitätsdienste sind in vielen Fällen auf eine genaue Standortangabe der Benutzer angewiesen. Hier zeigt sich jedoch, dass viele Bürger zögern, ihre Daten ohne Einschränkung zur Verfügung zu stellen (Bild-2). Lediglich 11 % der Nutzer mobiler Endgeräte geben ihre Positionsdaten generell frei. Das Gros der Nutzer legt jedoch einen sensiblen, differenzierten Umgang an den Tag: 23 % entscheiden über die Freigabe je nach App, 40 % schalten gezielt situationsbezogen frei. Andererseits sperren 36 % diese Übermittlung grundsätzlich. Bei den Gründen für den restriktiven Umgang mit den Positionsdaten werden die generelle Zurückhaltung bei der Preisgabe persönlicher Daten genannt, der Wunsch nach informationeller Selbstbestimmung, aber auch mangelndes Vertrauen in Diensteanbieter und die mangelnde Transparenz. Bei jüngeren (18-29 Jahre) möchte jeder zweite nicht genau geortet werden (Bild-3). Fazit Die Befragung zeigt, dass die Bürger in der Multimodalität angekommen sind, denn sie legen sich in ihren Alltagswegen zunehmend nicht auf ein Verkehrsmittel fest. Auch die Verbreitung der Endgeräte für eine intelligente Vernetzung und Information im Mobilitätsbereich hat in den letzten Jahren enorm zugenommen und ist bei der jungen Generation nahezu vollständig. Daher dürfte sich der Trend zur Nutzung digitaler Mobilitätsdienste mit dieser und den Folgegenerationen über die Jahre weiter verstärken. Allerdings werden noch nicht alle Angebote umfassend genutzt. Vorreiter sind hier Navigation und Fahrplaninformationen. Wichtig für eine breitere mobile Nutzung ist vor allem die Bereitstellung zuverlässiger Informationen und ein leistungsstarkes mobiles Übertragungsnetz. Beides sind Aufgaben, die für die weitere Digitalisierung der Mobilität zügig angegangen werden müssen. Die nur zögerliche und situationsabhängige Freigabe von Standortdaten durch die Nutzer zeigt eine besondere Sensibilität, aber auch ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber Datenschutzthemen - gerade bei der jüngeren Generation. Die IT-, Telekommunikations- und Mobilitätsunternehmen müssen hier die Bedenken der Kunden ernst nehmen, indem sie gemeinsam das Vertrauen in den Datenschutz noch weiter ausbauen, die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen sowie der Anonymisierung der Daten dokumentieren und durch unabhängige Instanzen prüfen lassen und auf die vom Bürger geforderte Transparenz hinsichtlich der Verwendung der Daten eingehen. Gleichzeitig geht es auch darum, den Kunden vom Mehrwert der standortbezogenen Dienstleistung zu überzeugen. Nur so kommt die Digitalisierung beim Verkehrsteilnehmer an. ■ 1 Informationen nach: http: / / www.carsharing.de/ alles-ueber-carsharing/ carsharing-zahlen [Link vom 15.01.2016] Florian Eck, Dr. Stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums DVF und Lehrbeauftragter „Vernetzung der Verkehrsträger“ an der Technischen Universität Berlin eck@verkehrsforum.de 11 23 40 36 generell je nach App je nach Anlass keine Freigabe Nennungen in % | Nutzer von Smartphone / Tablet 34 29 28 18 14 1 10 0 5 10 15 20 25 30 35 möchte nicht ständig ortbar sein Möglichst wenige Daten preisgeben Selbstbestimmung über Weitergabe Intransparenz was mit Daten passiert kein Vertrauen in Dienste/ Anbieter reduziert Akkulaufzeit Sonstiges Nennungen in % | Nutzer von Smartphone / Tablet, Mehrfachnennungen möglich Bild 3: Gründe für die Nicht-Freigabe von Standortdaten Quelle: Infas/ Deutsches Verkehrsforum (Dez 2015) Bild 2: Bereitschaft zur Freigabe von Standortdaten Quelle: Infas/ Deutsches Verkehrsforum (Dez 2015) Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 56 MOBILITÄT Nutzerverhalten Digital Natives mobil Die virtuelle und räumliche Mobilität junger-Menschen IuK-Technologien, Mobilitätsverhalten, Digitalisierung, Jugendmobilität Die Nutzung von Internet, Smartphone und Co. spielt eine wesentliche Rolle in unserem Alltag, vor allem bei jungen Menschen. Aus verschiedenen Perspektiven wird kontrovers diskutiert, inwieweit der Einfluss von Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) sowie Social Media die Alltagsgestaltung und Mobilität beeinflusst. Empirisch gesicherte Befunde auf Individualebene gibt es bislang jedoch kaum. Um diese komplexen Wechselwirkungen zwischen virtueller und physischer Mobilität empirisch zu erfassen wurde im Projekt U.Move 2.0 das Verhalten junger Menschen erhoben. Autoren: Kathrin Konrad, Dirk Wittowsky D ie digitale Welt ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Alltagsrealität und wirkt sich zunehmend auf unser tägliches Verhalten in Raum und Zeit aus; für einige Teile der Bevölkerung mehr als für andere. Technische Neuerungen wie das Smartphone und das mobile Internet ermöglichen uns, überall online zu sein, mit anderen zu kommunizieren und unzählige Anwendungen (Apps) durchziehen sämtliche Bereiche unseres Lebens, liefern uns aktuelle Informationen und sammeln ebenso Informationen über uns und unser mobiles Verhalten. Durch die rasche Entwicklung und Verbreitung von IuK-Technologien entstehen auch für den Mobilitätsbereich Angebote und Handlungsmöglichkeiten, die das räumliche und zeitliche Verhalten beeinflussen können. Besonders junge Menschen, die als „digital natives“ mit Smartphone und Co. aufgewachsen sind, bewegen sich intensiv in der digitalen Welt. Gleichzeitig sind sie mit überdurchschnittlich vielen Wegen eine äußerst mobile Gruppe. Das Smartphone als persönlicher Mobilitätsassistent vereinfacht beispielsweise den Zugang zu Mobilitätsangeboten und Sharing Fahrzeugen, liefert Echtzeit-Verkehrsinformationen und dient als digitales Ticket. Wie sind aber bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen die virtuelle Mobilität und die physische Mobilität als zwei wichtige Bereiche des Alltags miteinander verwoben? Seit mehreren Jahren thematisieren Studien explizit die Mobilität junger Menschen und nehmen die virtuelle Mobilität als wichtigen Alltagsbaustein in den Fokus. Als wesentlicher Trend wird ein Wandel der Mobilität junger Erwachsener und Jugendlicher beschrieben. Insbesondere ist eine Abkehr vom Auto hin zu einer stärkeren Multimodalität und ÖPNV-Nutzung zu beobachten. Als Gründe werden - allerdings ohne empirische Belege - zum einen veränderte sozioökonomische und soziodemografische Rahmenbedingungen (z. B. längere Ausbildungsphasen, weniger junge Menschen in autoaffinen Lebensphasen), zum anderen ein normativer Wandel (z. B. steigender Pragmatismus und Umweltbewusstsein) genannt (vgl. [1, 2, 3]). Außerdem werden Zusammenhänge zwischen der zunehmenden Digitalisierung und der räumlichen Mobilität der „digital natives“ angenommen. Etwa, dass das Auto seine Bedeutung als Statussymbol zugunsten des Smartphones einbüßt, die Fahrtzeit in Bus und Bahn durch IuK-Technologien anderweitig genutzt werden kann und die ubiquitäre Informationsverfügbarkeit die Wahlmöglichkeiten an Aktivitäten und Zielen ausweitet (z. B. [1, 2]). Daneben gibt es eine Diskussion quantitativer Effekte der virtuellen auf die physische Mobilität, allerdings nicht mit Blick speziell auf junge Menschen (vgl. [4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11]). Mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen untersuchen und diskutieren diese Studien die substituierende (weniger Wege), induzierende (zusätzliche Wege) und modifizierende (veränderte Wege) Wirkung der IuK-Nutzung. Einige Studien befassen sich mit der Messung von Wirkungen einzelner Maßnahmen wie Informationssystemen oder innovativen Mobilitätsapplikationen (z. B. [12]). Zwar kommen sie, je nach inhaltlichem Fokus, zu leicht verschiedenen Ergebnissen, doch werden vorrangig Hinweise auf einen verkehrsinduzierenden Effekt der virtuellen Mobilität beschrieben. In Deutschland werden die Wechselwirkungen zwischen IuK-Technologie und der Mobilität bzw. die kombinierte Datenerhebung individueller räumlicher und virtueller Mobilität bislang kaum empirisch erfasst. Ana- Foto: 722946/ pixabay.de Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 57 Nutzerverhalten MOBILITÄT lysen mit konkreterem Mobilitätsbezug und Fokus auf junge Menschen liegen nicht vor. Wir möchten an dieser Stelle der Frage nachgehen, welche Effekte die virtuelle Mobilität auf die Aktivitäten und Wege, also die physische Mobilität von jungen Menschen hat. die Erhebung - Beschreibung der-daten Als Datenbasis nutzen wir Daten, die im Rahmen des Projekts U.Move 2.0 mit einem Methodenmix der empirischen Sozialforschung erhoben wurden. Die verwendeten Daten stammen aus einer Face-to-face-Befragung 14bis 24-Jähriger im Frühjahr und Sommer 2013 im Ruhrgebiet anhand des Erhebungsinstruments von Hunecke et al. [13], das sich bereits in einigen Studien bewährt hat. Eine Online-Befragung, die in einer zweiten Befragungsstufe im Winter 2013/ 2014 bundesweit stattfand, wird in diesem Beitrag ausgeklammert. Die Probanden wurden in standardisierten und themenzentrieten Interviews zur Nutzung von IuK- Technologien und Social Media sowie zu mobilitäts- und kommunikationsbezogenen Einstellungen befragt. Zusätzlich führten die Jugendlichen über drei Tage ein Wegetagebuch und ein IuK-Protokoll. In der persönlichen Befragung konnten komplexere und umfangreichere Fragen dazu gestellt werden, wie die Befragten den Zusammenhang zwischen ihrer virtuellen und physischen Mobilität einschätzen. Es wurden 180 Personen aus drei Milieus (Prekariat, Bürgerliche Mitte, Kosmopolitisch Intellektuelle) befragt. Die Operationalisierung der Milieus basiert auf der Definition kontrastierender Teilmilieus, welche auf der Milieu- Typologie von SINUS und der Lebensstiltypologie von Otte [14] basiert. Die Daten beinhalten einerseits allgemeine Selbsteinschätzungen der Befragten zum Zusammenhang ihrer virtuellen und physischen Mobilität, andererseits durch die IuK- und Wegetagebücher stichtagsbezogene Angaben, die den vorliegenden Zusammenhang überprüfbar machen. Der Befragung liegen die Überlegungen von Salomon [9] und Mokhtarian [15] zugrunde, die eine Substitution, Induktion und Modifikation von Wegen (also wegfallende, zusätzliche und veränderte Wege) bzw. eine Neutralität (kein Zusammenhang zwischen virtueller und räumlicher Mobilität) diskutieren. Ergebnisse Die Auswertung unterteilt sich in zwei Schritte. Zunächst wird die Wahrnehmungsebene betrachtet, also die von den Befragten selbst berichteten Zusammenhänge von virtueller und physischer Mobilität. In einem zweiten Schritt wird die Verhaltensebene beleuchtet. Hier wird auf Basis der Tagebücher der Zusammenhang zwischen der Nutzung von Multimedia-Geräten und der Mobilität untersucht. Dabei werden die drei Verhaltenseffekt-Typen Substitution, Induktion und Modifikation analysiert. Zur Einordnung der Ergebnisse werden zentrale Kennwerte aus den beiden Tagebüchern vorangestellt: Mit Verkehrsmittelanteilen (gewichtet nach Wochentagen, n-=-2075 gültige Wege) von 34 % ÖPNV, 33 % Fußwegen und 5 % Fahrrad an allen Wegen dominiert der Umweltverbund den Mobilitätsalltag junger Menschen; Autofahrten bleiben mit 26 % dahinter zurück. An einem Tag summieren sich die IuK-Nutzungen durchschnittlich auf 5: 14 Stunden. Mehr als 3 / 4 der IuK-Nutzungen (76 %) finden mit dem Smartphone statt. Kommunikation und Social Media sind die Hauptzwecke der IuK-Nutzungen: rund 40 % sind Chats (SMS oder WhatsApp), über 20 % Nutzungen von facebook und Co. und knapp 16 % klassische Telefonate. Um die Effekte von IuK-Nutzungen auf die Alltagsgestaltung und Mobilität abzuschätzen, wurden zunächst die ProbandInnen nach ihrer eigenen Einschätzung gefragt. In Tabelle 1 sind die mittleren Zustimmungs-Levels einer 5-stufigen Likert-Skala dargestellt. Hierbei zeigt sich, dass Jugendliche und junge Erwachsene ihre physische Mobilität durchaus in Abhängigkeit von Smartphone- und Internetnutzung sowie Social Media sehen (Tabelle 1). Treffen mit FreundInnen werden nach Einschätzung der Befragten durch die Nutzung sozialer Netzwerke eher häufiger als seltener. Durch die virtuelle Kommunikation werden zumindest einige Treffen face-to-face obsolet, möglicherweise bezieht sich die Einschätzung der Befragten aber auch auf solche Treffen, die ohne virtuelle Kontakte gar nicht erst zur Disposition gestanden hätten. Genau umgekehrt verhält es sich mit den Wegen und dem Effekt der virtuellen Mobilität. Die jungen Menschen sind vielmehr der Meinung, die Nutzung sozialer Netzwerke, von Internet und Smartphone befördere ihre Mobilität im Sinne von mehr und längeren Wegen, als dass es sie ersetze. Deutlich abgeschlagen ist die Zustimmung zur Modifikation der physischen Mobilität durch die virtuelle Mobilität. Dies hängt mit dem starken Routinegrad der alltäglichen Mobilität zusammen. Eine ergänzende Auswertung zeigt eine Überschneidung von Induktion und Substitution auf Personenebene: Etwa ein Drittel aller Befragten stimmt den beiden Aussagen stark zu, die Nutzung von Internet und Smartphone führe zu mehr und weniger Wegen. Dasselbe gilt für den Effekt der Nutzung sozialer Netzwerke auf die Anzahl von Wegen. Möglicherweise werden bestimmte Wege (Zwecke) eher substituiert als andere, während andere Wege eher induziert werden. Zusammenfassend deuten die Ergebnisse der Wahrnehmungsebene stärker auf einen Induktionsals auf einen Substitutionseffekt hin. Dabei zeigt sich, dass Induktion und Substitution sich überlappen und selbst auf Personenebene das Wirkungsgefüge von virtueller und physischer Mobilität komplex ist. Die Analyse der IuK-Protokolle zeigt das Zusammenspiel von räumlicher und virtueller Mobilität auf der individuellen Nutzungsebene. Von den Ergebnissen der Wahrnehmungsebene weichen diese Analysen leicht ab (Bild 1). Dies ist aufgrund der unterschiedlichen zeitlichen Bezüge aber plausibel: Zum einen werden allgemeine Einschätzungen der Effekte mit Verhaltensdaten für 3 Tage verglichen, zum anderen stehen auf die Flexibilisierung der Mobilität durch IuK-Technologien fokussierte Fragen Weniger Treffen mit Freunden durch soziale Netzwerke 4,11 Längere Wege durch soziale Netzwerke 3,93 Mehr Wege durch Internet und Smartphone 3,73 Mehr Wege durch soziale Netzwerke 3,70 Weniger Wege durch soziale Netzwerke 3,65 Weniger Wege durch Internet und Smartphone 3,53 Mehr Treffen mit Freunden durch soziale Netzwerke 3,02 Spontanere Treffen mit Freunden durch soziale Netzwerke 2,67 Flexiblere Verkehrsmittelwahl durch Internet und Smartphone 2,56 Flexiblere Routenwahl durch Internet und Smartphone 2,54 n = 175 bis 179 gültige Tabelle 1: Effekte virtueller Mobilität auf Wege und Treffen mit Freunden (Zustimmung) Eigene Berechnungen Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 58 MOBILITÄT Nutzerverhalten der Wahrnehmungsebene im Kontrast zu offeneren Fragen den IuK-Protokollen. Auf der Verhaltensebene basieren die Ergebnisse auf den IuK-Tagebüchern. Darin wurde gefragt, ob die IuK-Nutzungen eines Stichtags mindestens einen Weg substituiert, induziert und/ oder modifiziert haben. Wie bei der Analyse auf Wahrnehmungsebene zeigt sich auch hier, dass eher Wege induziert (8,9 %) als substituiert (7,3 %) werden. Der größte Effekt ist die Modifikation von Wegen, die durch verbesserte Informationen und mehr spontane Aktivitäten zu erklären ist. Hierunter fallen sämtliche Wege-Veränderungen von einer veränderten Verkehrsmittelnutzung über einen Umweg bis zur Fahrt mit einem späteren Bus. Die Befunde zeigen, dass auch innerhalb eines Tages Substitution und Induktion von Wegen durch die virtuelle Mobilität sich nicht ausschließen, sondern überlagern. Der Induktionseffekt wird auch durch eine signifikant positive Korrelation zwischen der Anzahl der IuK-Nutzungen pro Tag und der Anzahl der Wege unterstrichen (Korrelation nach Pearson = 0,16; signifikant auf 5 %-Niveau bei einseitigem Test; IuK- und Wege-Häufigkeiten nach Wochentag gewichtet). Zusammenfassung und Resümee Junge Menschen verbringen täglich viel Zeit mit der Nutzung von IuK-Technologien, insbesondere zur Kommunikation und für Social Media. Die Analysen bestätigen, dass dies mit der physischen Mobilität verwoben ist. Effekte der virtuellen auf die physische Mobilität sind zum einen quantitativ (mehr bzw. weniger Wege), zum anderen gibt es Verhaltensanpassungen, also Modifikationen. Vor dem Hintergrund der starken Routinisierung der Mobilität führt die IuK- Nutzung knapp an jedem zweiten Tag zu mehr, weniger oder veränderten Wege- und Aktivitätsmustern, was unserer Ansicht nach als nennenswerter Effekt bezeichnet werden kann. Der Anteil spontaner Aktivitäten und Verhaltensanpassungen dürfte durch die Digitalisierung weiter ansteigen und die Planbarkeit und Vorhersage von Nachfrageströmen komplexer machen. Bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen trägt die IuK-Nutzung unterm Strich zu mehr Wegen bei. Apps, Social Media und Messaging-Dienste ermöglichen zwar die Loslösung von Raum, Zeit, Institutionen und Aktivitäten voneinander, doch eröffnen sie auch neue Aktivitätsoptionen. Die Informationsbasis wächst, das Repertoire an Gelegenheiten vergrößert sich und damit weiten sich Wahl- und Vergleichsmöglichkeiten und letztendlich Aktionsräume aus. Dabei überlagern sich auf den ersten Blick gegensätzliche Effekte Substitution und Induktion auf Personenebene und verdeutlichen die Komplexität des Zusammenhangs von virtueller und physischer Mobilität. Mit Blick auf den enormen Zeitaufwand junger Menschen für die IuK-Nutzung bei einer gleichzeitig hohen Wegehäufigkeit und einem weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegenden Anteil des Umweltverbunds stellt sich auch die Frage nach einer Gleichzeitigkeit virtueller und physischer Mobilität. So sind mobile Geräte auf der einen Seite individuelle Mobilitätszentrale und Zugangsschlüssel zu Verkehrsmitteln, außerdem ermöglichen sie auch unterwegs Kommunikation und Socialising. Dieser Beitrag konnte die Frage nach Substitution vs. Induktion deutlich aufweiten. Bislang gab es keine empirisch begründeten Aussagen auf Personenebene zur Substitution und Induktion (sowie Modifikation) und der Überlagerung dieser Effekte. Erst anhand der genutzten Mikrodaten wird deutlich, wie sich das sehr aggregierte Resümee „Induktion statt Substitution“ bisheriger Studien im Detail zusammensetzt. Die vorliegenden Ergebnisse sind als Ausgangspunkt weiterer Forschung zu verstehen. Ziel war es nicht, eine vollständige Abbildung von Ursachen für das veränderte Mobilitätsverhalten junger Menschen infolge der Digitalisierung zu liefern, sondern vielmehr einen Diskurs anzuregen. Die Daten aus dem Projekt U.Move 2.0 erlauben dahingehende, auf diesen Beitrag aufbauende Analysen. ■ liTERATuR [1] Institut für Mobilitätsforschung (2011): Mobilität junger Menschen im Wandel multimodaler und weiblicher. Hg. v. Institut für Mobilitätsforschung. München. [2] Kuhnimhof, Tobias; Buehler, Ralph; Wirtz, Matthias; Kalinowska, Dominika (2012): Travel trends among young adults in Germany: increasing multimodality and declining car use for men. In: Journal of Transport Geography 24, S. 443-450. [3] Schönduwe, Robert; Bock, Benno; Deibel, Inga (2012): Alles wie immer, nur irgendwie anders? Trends und Thesen zu veränderten Mobilitätsmustern junger Menschen. Hg. v. Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH. Berlin. [4] Choo, Sangho; Mokhtarian, Patricia L.; Salomon, Ilan (2005): Does telecommuting reduce vehicle-miles traveled? An aggregate time series analysis for the U.S. In: Transportation 32 (1), S. 37-64. [5] Hjorthol, Randi; Gripsrud, Mattias (2009): Home as a communication hub: the domestic use of ICT. In: Journal of Transport Geography 17 (2), S. 115-123. [6] Mokhtarian, Patricia L.; Salomon, Ilan; Handy, Susan L. (2006): The Impacts of ICT on leisure Activities and Travel: A Conceptual Exploration. In: Transportation 33 (3), S. 263-289. [7] Nobis, Claudia; Lenz, Barbara; Vance, Colin (2005): Communication and travel behaviour: two facets of human activity patterns. In: Harry Timmermans (Hg.): Progress in Activity-Based Analysis. Oxford: Emerald Group Publishing Limited, S. 471-488. [8] Nobis, Claudia; Lenz, Barbara (2009): Communication and mobility behaviour - a trend and panel analysis of the correlation between mobile phone use and mobility. In: Journal of Transport Geography 17 (2), S. 93-103. [9] Salomon, Ilan (1986): Telecommunications and travel relationships: a review. In: Transportation Research Part A: General 20 (3), S. 223- 238. [10] Senbil, Metin; Kitamura, Ryuichi (2003): Simultaneous Relationships Between Telecommunications and Activities. Paper presented at the 10th International Conference on Travel Behaviour Research. Luzern. [11] van den Berg, P. E. W.; Arentze, T. A.; Timmermans, H. J. P. (2012): New ICTs and social interaction: Modelling communication frequency and communication mode choice. In: New Media & Society 14 (6), S. 987-1003. [12] Wittowsky, Dirk (2008): Dynamische Informationsdienste im ÖPNV - Nutzerakzeptanz und Modellierung. Schriftenreihe. Institut für Verkehrswesen, Universität Karlsruhe (TH), Heft 68. [13] Hunecke, Marcel; Haustein, Sonja; Böhler, Susanne; Grischkat, Sylvie 2010: Attitude-Based Target Groups to Reduce the Ecological Impact of Daily Mobility Behavior. In: Environment and Behavior 42 (1), S. 3-43. [14] Otte, Gunnar (2013): Lebensstile. In: Steffen Mau und Nadine M. Schöneck (Hg.): Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands, Band 1. 3., grundlegend überarbeitete Auflage. Wiesbaden: Springer VS, S. 538-551. [15] Mokhtarian, Patricia Lyon (1990): A typology of relationships between telecommunications and transportation. In: Transportation Research Part A: General 24 (3), S. 231-242. Kathrin Konrad, Dr.-Ing. Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund kathrin.konrad@ils-forschung.de dirk Wittowsky, Dr.-Ing. Leiter der Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund dirk.wittowsky@ils-forschung.de 7,3% 8,9% 9,9% 1,6% 0% 2% 4% 6% 8% 10% Weg(e) substituiert Weg(e) induziert Weg(e) modifiziert Weg(e) substituiert und induziert Bild 1: Effekte der IuK-Nutzung auf die Wege an den drei Stichtagen (n = 529 Tage) Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 59 Automatisiertes Fahren MOBILITÄT Vernetzte Mobilität der Zukunft erfahrbar machen Die Rolle von Reallaboren für einen etwas anderen Ansatz des automatisierten Fahrens Intermodalität, Automatisierte Mobilität, Digitalisierung, Reallabor Automatisiertes Fahren besteht nicht nur aus dem Ansatz der Autoindustrie, nach und nach weitere Annehmlichkeiten bei Fahrerassistenzsystemen zu erreichen. Eine Forschungsstrategie sollte sich zudem nicht nur darauf konzentrieren, Autobahnabschnitte für hochautomatisierte Fahrzeuge testweise freizugeben. Vielmehr müssen die Chancen des automatisierten Fahrens auch zur Lösung virulenter Probleme genutzt werden, wie bspw. die Stauproblematik in den Ballungszentren oder der brachliegende öffentliche Nahverkehr in immer mehr ländlichen Regionen. Hochautomatisierte Fahrzeuge können hier schnell zu Lösungen beitragen, indem sie - zunächst versuchsweise - Bestandteil einer vernetzten Mobilitätskette werden. Die Vision ist, dass vollautomatisierte, fahrerlose und selbstverständlich elektrisch angetriebene People Mover in den Städten Taxi und Carsharing ergänzen bzw. ersetzen und auch dem ländlichen Raum neue Mobilitätsoptionen ermöglichen. Die Technik gibt es schon, sie muss nur auf geeigneten Testfeldern erprobt werden. Die Partner im Kompetenznetz Intermodale Automatisierte Mobilität (KIAM) setzen auf Reallabore, die den vernetzten Mobilitätsalltag der Zukunft hervorragend simulieren und schon früh ‚niedrigschwellig‘ für Nutzer und Stakeholder erfahrbar machen sowie Nutzen und Anwendbarkeit in den Vordergrund stellen. Autoren: Frank Hunsicker, Simon Schäfer-Stradowsky, Udo Onnen-Weber L eise und wie von Geisterhand gesteuert nähert sich das kleinbusartige Fahrzeug und durchquert die Fußgängerzone am alten Hafen von La Rochelle, verfolgt von den staunenden Augen der flanierenden Touristen. Für die Einheimischen war es hingegen bereits nach wenigen Tagen ein gewohnter Anblick und für manche von ihnen wurde es vorübergehend zum täglichen Transportmittel. Eine kleine Flotte fahrerloser Shuttles verband zwischen Dezember 2014 und April 2015 mehrere Punkte der Innenstadt als quasi-öffentlicher Verkehr miteinander und beförderte dabei fast 15 000 Fahrgäste 1 . Auf dem Weg zum automatisierten Fahren: Was heute schon möglich ist Das Spannende an diesem Modellversuch ist zweierlei: Zum einen handelte es sich bei dem Fahrzeug weder um einen Prototypen eines großen Autoherstellers auf der Grundlage einer vorhandenen und in Serie produzierten Karosserie, noch um das vielzitierte Google Car, das für ganz andere Ziele entwickelt wird. Zum anderen fand die Demonstration nicht auf einem hermetisch abgeriegelten Versuchsgelände statt, sondern im öffentlichen Raum und unter Interaktion mit anderen Verkehrseilnehmern (ein sog. Operator, der notfalls eingreifen konnte, war dabei immer an Bord). La Rochelle war der Auftakt zu weiteren, ebenfalls zeitlich begrenzten Versuchsanleitungen in ausdrücklich urbaner Umgebung, die im Rahmen des von der EU geförderten Projektes „CityMobil2“ 2 im Jahr 2015 umgesetzt werden konnten (Bild 1). Weitere Gastgeberstädte waren Lausanne, Vantaa Bild 1: Teststrecke in La Rochelle Foto: Hunsicker Bild 2: Teststrecke in Vantaa (Finnland) Foto: City of Vantaa/ CityMobil2 Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 60 MOBILITÄT Automatisiertes Fahren (Finnland, Bild 2) und Trikala (Griechenland). Sicher sind wir heute noch weit davon entfernt, den öffentlichen Verkehr im Straßenraum mit seinen hochkomplexen Verkehrssituationen bereits in den nächsten Jahren vollautomatisierten Fahrzeugen zu überlassen. Kein Busfahrer wird vorerst Gefahr laufen, arbeitslos zu werden. Dennoch ist es wichtig, auch in einem vergleichsweise frühen Stadium der technologischen Entwicklung konkrete Anwendungsfälle zu schaffen und sie einer größeren Öffentlichkeit vorzuführen. Nur dann können die technischen Herausforderungen mit Fahrzeug und Infrastruktur erkannt und gemeistert, aber auch administrative oder rechtliche Folgen besser abgeschätzt werden. Mit diesem Praxisansatz bei gleichzeitiger wissenschaftlicher Begleitung konnten und können wichtige Forschungsfragen schneller und zielgenauer beantwortet werden. die Vision des automatisierten Fahrens: Intermodal und für alle erlebbar Zu Recht fragen sich die Leser, warum solche Erfahrungen nicht auch in ihrer Umgebung gemacht werden können. Leider finden offizielle Modellversuche bislang nur im europäischen Ausland, in Nordamerika und Südostasien statt und es sind fast ausschließlich Partner und Hersteller aus dem Ausland involviert. Dabei gäbe es auch hierzulande eine Vielzahl interessanter Use- Cases für hochautomatisierte Fahrzeuge als Bestandteil des öffentlichen Verkehrs und Teil einer vernetzten Mobilität. Die Entwicklung dorthin steht nicht erst am Anfang; es besteht die Gefahr, ohne eigene Testfelder den Anschluss zu verpassen. Genau hier setzt das neu gegründete Kompetenznetz Intermodale Automatisierte Mobilität - kurz KIAM 3 - an. Schon seit geraumer Zeit arbeiten das InnoZ 4 , das Institut für Verkehrssystemtechnik am DLR 5 , das IKEM 6 und das Kompetenzzentrum ländliche Mobilität 7 gemeinsam und mit weiteren Partnern an Zukunftsfragen der Mobilität. Ein immer wiederkehrendes Thema ist der in Deutschland vorherrschende Trend, Mobilität vorrangig entlang der Interessen der Automobilindustrie weiter zu entwickeln. Die Partner bei KIAM fordern einen Paradigmenwandel, bei dem nicht mehr das Fahrzeug, sondern das Mobilitätssystem im Vordergrund steht. Nachdem dieser Paradigmenwandel beim Thema Elektromobilität zu kurz gekommen ist, hat es sich KIAM zur Aufgabe gemacht, bei der Entwicklung des automatisierten Fahrens neue Ziele zu setzen, neue Wege zu finden und neue Partnerstrukturen zu fördern, damit die Mobilität der Zukunft nicht nur vom „schneller, weiter, flächenintensiver“ geprägt sein wird, sondern vielmehr intelligente, vernetzte und an den jeweiligen Zweck angepasste Konzepte in den Vordergrund rücken. Das Netzwerk KIAM setzt dabei im Wesentlichen auf die Automatisierung des Fahrens als Teil einer vernetzten Mobilität. Die Initiatoren sind davon überzeugt, dass das automatisierte Fahren langfristig die Städte lebenswerter machen wird und den ländlichen Raum mit bezahlbarer öffentlicher Mobilität versorgen kann. Sie glauben aber auch, dass dazu ganz neue Systemlösungen gebraucht werden und jedes Thema vorbehaltlos diskutiert werden sollte. Diese Diskussionen sollen zeitgleich mit der Umsetzung im Rahmen von Reallaboren öffentlich und praxisorientiert geführt werden. Die Reallabore sollten jedermann zugänglich sein und die Einsatzfelder Stadt, Stadtumland sowie den ländlichen Raum widerspiegeln. Umsetzung in Reallaboren: Stadt und Land im Mobilitätsfluss Langfristig gesehen haben vollautomatisierte Fahrzeuge das Potenzial, das, was heute „vernetzte Mobilität“ genannt wird und was erst in ersten Ansätzen funktioniert, zu einem konkurrenzfähigen und effizienten Gesamtsystem abzurunden, das breite Kreise der Bevölkerung ansprechen kann. Je nach räumlicher Lage und Bevölkerungsdichte ergeben sich dabei - wie in der klassischen Verkehrsplanung - unterschiedliche Anforderungen. Im städtischen Kontext ist vollautomatisiertes Fahren die logische Weiterentwicklung moderner Ideen zur intelligenten städtischen Mobilität: Voll elektrisch, CO 2 -frei, induktiv geladen, leise, sicher, platzsparend und als Teil einer integrierten Mobilitätskette auf Abruf disponibel. In der längerfristigen Vision verteilt sich eine große Menge vollautomatisierter Carsharing-Fahrzeuge (‚Peoplemover‘ oder ‚Robotaxis‘) nachfrageorientiert in der Stadt und bewegt sich bei Bedarf selbständig zum Kunden hin. Somit wird ein stets verfügbarer flexibler Dienst gewährleistet, der sich als Teil des öffentlichen Mobilitätsangebotes versteht. Darüber hinaus fungieren die Fahrzeuge, wenn sie per induktiver Übertragung mit dem Stromnetz verbunden sind, als bidirektionaler Energiespeicher. Da nur so viele Fahrzeuge wie benötigt ins System eingespeist werden und sie dazu sehr viel platzsparender an den dazu geeigneten Orten (z.B. Parkdecks oder Depots an der Peripherie) während der Ruhe- und Ladezeiten abgestellt sind, entstehen völlig neue Optionen für die Gestaltung des öffentlichen Raumes. Auf dem Weg dahin wird es bei Bedarf Carsharing-PKW geben, die mit niedriger Geschwindigkeit autonom zu einem Kunden rollen, den er als Fahrer konventionell weiterbewegt, bevor sich das Fahrzeug am Ziel der Fahrt wieder selbständig entfernt. Oder es wird vollautomatisierte barrierefreie Kleinbusse geben, die der Fei- HiNTERgRuND Die Chance zur aktiven beteiligung: KiAM Das Kompetenznetz Intermodale Automatisierte Mobilität (KIAM) versteht sich als offenes Netzwerk. Offen für engagierte Institutionen und für Ideen. Nicht zuletzt ergibt sich auch für Industriepartner die Chance, an einer Entwicklung teilzuhaben und sie mitzugestalten, die im Zuge der Digitalisierung unserer Lebenswelten auch den Mobilitätssektor umfassend verändern wird. • KIAM ist kein Forschungscluster, sondern eine Kommunikationsplattform, die neue Partnerstrukturen fördert. Mitwirkende sind sicher diejenigen, die Fragestellungen beantworten: Ingenieure oder Psychologen oder Designer usw., vor allem aber auch diejenigen, die die Fragestellungen erst einmal formulieren: die Menschen vor Ort, die Bürgermeister und Landkreisabgeordneten, Sozialwissenschaftler und Regionalentwickler usw. • KIAM sieht Interdisziplinarität dabei vor allem als den Austausch zwischen Praktikern und Wissenschaftlern und nicht nur unter Wissenschaftlern. • KIAM unterstützt bei der Formulierung von Forschungsfragen, die vom gesellschaftlichen Bedarf ausgehen statt von den technologischen Möglichkeiten. Weil dabei immer der Mensch im Fokus steht, ist technologisches Downsizing durchaus eine der Optionen. • Bei KIAM steht das Arbeiten in Reallaboren im Vordergrund. Dabei werden Forschungsfragen an konkreten Orten mit konkreten Nutzern, im realen Leben dieser Menschen und in hoher Verantwortlichkeit erprobt und evaluiert. Dadurch erhalten sie einen hohen Nutzen und sind sofort wirksam. Weitere Informationen: www.kiam-net.de Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 61 Automatisiertes Fahren MOBILITÄT nerschließung zwischen größeren Achsen von U- oder S-Bahn dienen, für die sich der Einsatz von Großgefäßen nicht lohnt. Letzteres bietet sich auch für suburbane Bereiche als sinnvoller Anwendungsbezug an. Im ländlichen Kontext besteht die Vision in nichts weniger als einer Revolution der Erreichbarkeit: Langfristig werden selbst sehr periphere Ortslagen rund um die Uhr auch ohne eigenen PKW mit einer Art öffentlicher Verkehr erreichbar - anders als heute, da sich der ÖPNV oftmals auf den notwendigen Schülerverkehr mit Bussen beschränkt. Auch hier geht es letztendlich um vernetzte Mobilität, da weitere Strecken aus den Zentren schneller und effizienter im Schienen- oder im Busschnellverkehr überbrückt werden können. Die „letzten Meilen“ erledigen dann fahrerlose Shuttles. Auch hier wird es Übergangsformen geben müssen, wie etwa fahrerlose Kleinbusse, die auf klar definierten Abschnitten und unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen Bahnhöfe und Haltestellen im ländlichen Raum auf exklusiv genutzten Wegen mit kleineren Ortsteilen in der Umgebung verbinden. Für alle potenziellen Use-Cases in städtischen, stadtumlandbezogenen oder ländlichen Räumen ergibt sich eine Reihe von Herausforderungen, die auch für die spezifischen nationalen wie regionalen Rahmenbedingungen in Deutschland frühzeitig getestet werden sollten. Gerade die rechtliche Situation ist zudem von internationalen Straßenverkehrsabkommen vorbestimmt. Konkret bedeutet das: Fahrerloses Fahren ist im Anwendungsgebiet der internationalen Verträge derzeit nicht erlaubt. Doch auch der Rechtsrahmen ist in Bewegung und es mehren sich die Anzeichen einer langsamen Öffnung hin zum automatisierten Fahren. Bis zur Schaffung allgemein gültiger Regelungen setzen die Reallabore auf schon heute bestehende Ermessenspielräume in Ausnahmegenehmigungsvorschriften und Experimentierklauseln. Dass mit deren Hilfe einiges möglich ist, zeigen die eingangs beschriebenen Beispiele, die in Staaten umgesetzt wurden, die ebenfalls den internationalen Verträgen unterliegen. Ein typisch deutsches Problem ist dagegen die Integration des automatisierten Fahrens in die ÖPNV- Finanzierung und in die Vorgaben des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Die Hürden, die hier bestehen, können nach Überzeugung der Autoren am besten durch das Erfahrbarmachen der Vorteile in den Reallaboren überwunden werden. ■ 1 http: / / www.citymobil2.eu/ en/ upload/ Dissemination_materials/ citymobil2%20newsletter%205_v03.pdf 2 http: / / www.citymobil2.eu 3 www.kiam-net.de 4 Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin 5 Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) 6 Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität - Recht, Ökonomie und Politik e.V. 7 KOMOB, Kompetenzzentrum ländliche Mobilität, Hochschule Wismar Simon Schäfer-Stradowsky Geschäftsführer, Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität - Recht, Ökonomie und Politik e.V. (IKEM), Greifswald/ Berlin simon.schaefer-stradowsky@ikem.de Udo Onnen-Weber, Prof. Leiter Kompetenzzentrum ländliche Mobilität, Hochschule Wismar udo@onnen-weber.de Frank Hunsicker Fachgebietsleiter, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin frank.hunsicker@innoz.de PTV Group the world in motion is our home. vision-traffic.ptvgroup.com/ oev Mit PTV Visum planen Sie Ihr ÖV-System nachfrage- und serviceorientiert, denn wenn Reisende das Unterwegssein genießen, stimmt die Qualität des Angebots. Als Weltmarktführer bietet Ihnen unsere Software effiziente Planungsverfahren sowie verständliche umfassende Darstellungs- und Analysemöglichkeiten. 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Im ersten Teil dieses zweiteiligen Beitrags wird das Veränderungspotenzial des vernetzten und autonomen Fahrens dargestellt, das weit über die individuelle Mobilität hinaus vielfältige Bereiche des alltäglichen Lebens betreffen wird und damit öffentliche Akteure vor große Herausforderungen stellen wird. Autoren: Lukas Foljanty, Thuy Chinh Duong S chon auf der Weltausstellung 1939/ 40 stellte General Motors seine Vision autonomen Fahrens auf Highways mit automatischer Abstandsregelung und in die Fahrbahn integrierten, induktiven Ladestationen für elektrisch betriebene Fahrzeuge vor. Mit der Verfügbarkeit leistungsstarker Computer und der rasanten Verbreitung des (mobilen) Internets ist die Umsetzung der einstigen Utopie seit der Präsentation des Google Car (Bild 1) Anfang 2014 in greifbare Nähe gerückt. Dem vernetzten und autonomen Fahren wird fundamentales Veränderungspotenzial im täglichen Leben vorhergesagt, nicht nur für individuelle Mobilität, sondern auch für Arbeit, Siedlungs- und Stadtentwicklung, soziale Vernetzung und Freizeit. Die positiv konnotierten Prognosen sehen Potenzial zur massiven Verringerung der Fahrzeugzahl auf den Straßen, einer effizienteren Nutzung der Infrastruktur und Erhöhung der Lebensqualität durch Wiedergewinnung und Umnutzung von Straßenraum. Fast unisono wird dabei von einer On-Demand Shared Mobility mit autonomen Fahrzeugen ausgegangen, denn autonome Fahrzeuge im Privatbesitz könnten genau zu gegenteiligen Effekten Bild 1: Das fahrerlose Google Car hat weder Pedale noch Lenkrad Foto: Google MOBILITÄT Autonomes Fahren Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 63 Autonomes Fahren MOBILITÄT durch starke Induktion von Neuverkehren führen. Digitale Fahrzeugtechnologien wie Navigationssysteme und Bordcomputer und Fahrassistenzsysteme wie Brems- und Spurhalteassistenten sind heute längst gängig. Radikale Auswirkungen der Automatisierung sind jedoch erst mit dem vollständig autonomen Fahrzeug zu erwarten. Während Google die Marktreife seines Fahrzeugs bereits bis ca. 2020 angekündigt hat, erachtet die Automobilindustrie vollständig fahrerlose Automobile erst ab 2030 für realistisch (Bild 2) [1]. Unbekannt ist auch noch die Geschwindigkeit der Marktdurchdringung. Erst ab einer signifikanten Abnahme konventioneller Fahrzeuge ist mit positiven Effekten autonomer Fahrzeuge zu rechnen. Ob es langfristig nur noch autonome Fahrzeuge oder einen Mischverkehr mit fahrergesteuerten Autos geben wird, ist unentschieden. Sollte das Verbreitungstempo dem anderer bedeutender Fahrzeugtechnologien folgen (z. B. Automatikgetriebe, Airbag, Navigationssystem), ist jedenfalls mit einem jahrzehntelangen Übergang zu rechnen. Zum einen wird neuen Technologien - zumal einer so radikalen wie einem Fahrroboter - zunächst hinsichtlich Zuverlässigkeit, Sicherheit und Mehrwert mit gewisser Skepsis begegnet. Zum anderen ist anfänglich ein Preisaufschlag bei der Anschaffung zu erwarten, der mit wachsender Marktdurchdringung abschmilzt. Darüber hinaus ist das Auto meist eine große, langfristig angelegte Investition, die nicht sofort ersetzt wird, sobald ein neues Modell auf den Markt kommt. Hinzu kommt der hohe Anteil an Käufen von (konventionellen) Gebrauchtwagen, auch nachdem Neuwagen überwiegend als autonome Fahrzeuge angeboten werden [2]. Akteure in Bewegung Mit zunehmender Automatisierung ist neben der Komplexität der Fahrzeugführung selbst auch die der Fahrumgebung zu berücksichtigen. Seit Jahren gibt es Beispiele fahrerloser Fahrzeuge in Umgebungen geringer Komplexität, z. B. in geschlossenen Wegesystemen wie seit 2011 das Pod Parking-System am Flughafen London- Heathrow. Fahrerlose Metrolinien gibt es weltweit seit Jahrzehnten, ebenso fahrerlose Shuttles an Flughäfen. Dagegen sind hohe Automatisierungsstufen in hochkomplexen Umgebungen wie dem innerstädtischen Straßenraum eine große technische Herausforderung, für die es bisher wenige Anwendungsbeispiele gibt. Auf eigenen Fahrspuren im öffentlichen Raum wurden jüngst im Forschungsprojekt „CityMobil2“ fahrerlose Minibusse als Feeder- oder Shuttle-Systeme im ÖV auf kurzen Strecken getestet. Die Elektrofahrzeuge mit einer Kapazität von bis zu acht Personen, die mit 8-20 km/ h fahren, wurden 2014 und 2015 in Frankreich und seither im nordgriechischen Trikala getestet (Bild 3) [3]. Nach den Pilotversuchen werden sie unter dem Namen „WEpods“ ab Frühjahr 2016 erstmals im öffentlichen Straßennetz in Ede (Niederlande) zunächst auf festen Routen zwischen dem Bahnhof Ede/ Wageningen und dem Universitätscampus eingesetzt, perspektivisch evtl. erweitert um eine Appgestützte On-Demand-Funktionalität [4]. Im schweizerischen Sitten erprobt die Post- Auto AG seit Ende 2015 ebenfalls zwei autonome Kleinbusse. Im chinesischen Zhengzhou werden derzeit vollautomatisierte Großbusse im hochkomplexen städtischen Straßenraum getestet. Autonome PKW sind in den USA in mehreren Bundesstaaten auf öffentlichen Straßen im Testbetrieb, und auch auf deutschen Straßen bewegen sich - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - bereits selbstfahrende Testfahrzeuge. Dies sind allerdings öffentlich nicht zugängliche Tests der Fahrzeugentwickler, so dass zwar Erkenntnisse über die technische Funktionsfähigkeit, aber noch keine Rückschlüsse auf etwaige verkehrliche und gesellschaftliche Auswirkungen gezogen werden können. Diese Frage steht hingegen in Singapur im Vordergrund, wo die Land Transport Authority ein sechs Kilometer langes Versuchsnetz für autonome Taxis im One- North District einrichtet. Der Versuch soll beantworten, ob autonome Taxis sich auf festen Routen als Massentransportmittel eignen und ob ein On-Demand-System dazu beitragen kann, die Abhängigkeit vom privaten PKW-Besitz zu reduzieren. Zwei in Singapur ansässige Forschungsinstitute testen ihre Robo-Taxis ab 2016 [5]. Zwar wird Google als der Treiber des Themas wahrgenommen, doch auch Automobilhersteller (z. B. Mercedes Benz, Volvo, Tesla) entwickeln eigene autonome Fahrzeuge. Als Zeichen ihrer Ambitionen erwarben im August 2015 drei große deutsche Autohersteller den Kartendienst Here von Nokia, um für die künftigen autonomen Fahrzeuge die Abhängigkeit von der zur Konkurrenz gewordenen IT-Branche zu reduzieren. Allerdings zielen die IT-Firmen nicht unbedingt auf die Produktion und den Verkauf von Autos per se ab. Es ist auch offen, welche Akteure künftig Autos kaufen und besitzen werden. Dass sich das Paradigma des Fahrzeug-Privateigentums wandelt, ist aber absehbar. Gerade bei autonomen Fahrzeugen könnte der Privatbesitz ganz durch Flotten von Mobilitätsdienstleistern in Sharing-Modellen ersetzt werden. In der Konsequenz müsste die gesamte Auto- Bild 2: Prognostizierte Einführungszeitpunkte der Automatisierungsstufen Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 64 MOBILITÄT Autonomes Fahren mobilindustrie ihre Geschäftsmodelle neu ausrichten. Mittelfristig werden drei Akteursgruppen die Verbreitung autonomer Fahrzeuge prägen: • Software-Lieferanten (z. B. Google), die ihre Software (z. B. „Google Chauffeur“) an Hardware-Hersteller lizensieren (evtl. kostengünstig/ kostenlos, da ihr Kerngeschäft in (datenbasierten) Zusatzdiensten besteht); • Hardware-Produzenten, darunter überwiegend heutige Automobilhersteller, die im Vergleich zu globalen IT-Unternehmen nicht über die Ressourcen verfügen, um inhouse Software zu entwickeln und mit den Innovationszyklen der IT-Branche Schritt zu halten (analog zu Smartphones von zahllosen Herstellern, die mit dem Android-Betriebssystem ausgeliefert werden); • Betreiber (Carsharing-/ Rideselling-Unternehmen), die in großem Umfang autonome Fahrzeuge kaufen und sich dabei weniger an etablierten Automarken orientieren, sondern eigene Fahrzeuganforderungen definieren und die Produktion in großen Ausschreibungen an Hardware-Produzenten vergeben. Insbesondere die Betreiber autonomer Carsharing-Angebote könnten eine Schlüsselrolle in der Umgestaltung des Verkehrssystems der Zukunft einnehmen und den Privatbesitz autonomer Fahrzeuge bedeutungslos machen. Ob dies so eintritt, oder sich das fahrerlose Auto als neues Statussymbol etabliert, kann auch von den kommunalen Strategien der nächsten Jahre, also vor Markteinführung der autonomen Fahrzeuge abhängen. Große, aber ungewisse Auswirkungen Die Auswirkungen autonomen Fahrens sind mangels empirischer Daten derzeit noch überwiegend spekulativ oder bestenfalls modellhaft beschreibbar. Welche dieser Effekte in welcher Intensität tatsächlich eintreten, wird maßgeblich von der Konfiguration des Verkehrssystems abhängen: dem Mischverhältnis autonomer bzw. fahrergesteuerter Fahrzeuge, den Anteilen privat besessener bzw. geteilt genutzter autonomer Fahrzeuge, sowie dem Stellenwert des Umweltverbundes. In Mischverkehren könnten die positiven Effekte autonomen Fahrens nicht nur ausbleiben, sondern negative Effekte eintreten. Bei Sharing-Modellen wird eine simultane Nutzung (Ridesharing) effizienter sein als eine sequenzielle Nutzung (Carsharing/ Rideselling/ Taxi [6]). Autonome Sharing-Fahrzeuge könnten durch Selbstdisposition und reduzierte Standzeiten erhebliche Effizienzgewinne gegenüber konventionellem Carsharing einbringen. Sie könnten sich autonom dorthin begeben, wo zeitnah die höchste Nachfrage erwartet wird, so dass mit weniger Fahrzeugen mehr Angebotsqualität und Systemeffizienz erreicht würde. Die Selbstdisposition könnte aber auch zu spürbarem Mehrverkehr führen, der je nach Ausprägung des Verkehrssystems zwischen 6 und 103 % liegen könnte [7]. Dennoch bieten autonome Fahrzeuge die Chance auf stark reduzierte Verkehrsmengen und eine effizientere Nutzung der Straßeninfrastruktur. Ein dichterer Abstand und gleichmäßigerer Fahrzeugfluss könnte besonders die Kapazität von Autobahnen steigern, und einen weiteren Netzausbau überflüssig machen. Auch könnten massiv Stellflächen eingespart bzw. verlagert werden. Da die Fahrzeuge autonom einen entlegenen Parkplatz ansteuern können, würden zudem weniger fußläufig erreichbare Parkplätze im Innenstadtbereich benötigt. Das Einsparpotenzial liegt bei bis zu 20 % der öffentlichen Parkplätze sowie bis zu 80 % des Parkraums auf Privatgeländen [8]. Mit den Effizienzsteigerungen werden ein reduzierter Ressourcenverbrauch sowie sinkende Umweltbelastungen durch den Straßenverkehr prognostiziert. Ein konstanter, quasi lückenloser Fahrzeugfluss würde allerdings die soziale Brauchbarkeit öffentlicher Räume massiv einschränken. Es ist zudem derzeit noch überaus unklar, wie die Interaktion der Fahrroboter mit menschlichen Verkehrsteilnehmern (mindestens im Rad- und Fußverkehr) in der Praxis funktionieren wird. Denn eine defensive Fahrweise der autonomen Fahrzeuge, die im Sinne der Verkehrssicherheit und in Bezug auf Haftungsfragen von den Herstellern voraussichtlich implementiert werden wird, könnte im Zusammenspiel mit Menschen, die sich teilweise unvorhersehbar, erratisch und möglichweise auch in Missachtung der Verkehrsregeln bewegen, zu starken Effizienzeinbußen des Straßenverkehrs führen. Das so verursachte Stop-and-Go der autonomen Fahrzeuge würde die eigentlichen Effizienzpotenziale der Fahrroboter konterkarieren. Durch Vollautomatisierung könnte ein Großteil der Verkehrsunfälle vermieden werden, die heute zu 90 % durch Fahrfehler verursacht werden und jährlich zu über 1,2- Mio. Verkehrstoten weltweit führen [9]. Allerdings wird es auch mit autonomen Fahrzeugen Unfälle geben, die durch technisches Versagen verursacht, oder in der Interaktion mit dem auch zukünftig von Menschen verantworteten Rad- und Fußverkehr entstehen werden. Die Haftungsfrage wird keine wesentliche Hürde sein (der Verantwortliche für die Software wird sie übernehmen), aber eine kritische rechtlich-ethische Frage muss noch beantwortet werden, die mit dem so genannten Trolley- Problem versinnbildlicht werden kann [10]: Wie soll der Fahrroboter reagieren, wenn in einer Situation jede Handlungsoption zu einem Personenschaden führt? Soll er z. B. zwischen Kind und Erwachsenen wählen - oder zwischen eigenen Insassen und Passanten, zwischen Verkehrsteilnehmern im Recht und solchen, die Verkehrsregeln missachtet haben, oder anhand der Anzahl potenziell betroffener Personen? Im Sinne der gesellschaftlichen Akzeptanz kann die Antwort nicht den Programmierern allein überlassen werden, sondern es ist Aufgabe der öffentlichen Hand dazu einen gesellschaftlichen Diskurs anzustoßen. Da sowohl die Automobilindustrie als auch der IT-Sektor global agieren, werden internationale Vereinbarungen erforderlich sein, die in eine novellierte Fassung der Wiener Konvention einfließen könnten. Ein System mit überwiegend autonomen Sharing-Fahrzeugen bietet große Chancen für mehr Lebensqualität in den Städten. Freiwerdende Straßenflächen könnten für den Rad- und Fußverkehr oder als Aufenthalts-, Erholungs- und Konsumorte genutzt werden. Der deutlich reduzierte Bedarf an Parkhäusern bietet zudem Einnahmechancen für die Städte in der Immobilienvermarktung und kann zu Kostensenkungen beim Immobilienneubau führen. Allerdings gilt es planerisch oder gesetzgeberisch eine Balance zu schaffen zwischen diesen Vortei- Bild 3: Ein „Robucity“ Peoplemover der französischen Firma Robosoft unterwegs in La Rochelle. Foto: Frédéric Le Lan/ Communauté d‘Agglomération de La Rochelle Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 65 Autonomes Fahren MOBILITÄT len und den Nachteilen längerer autonomer Leerfahrten von und zum Parkplatz. Verbleibt die überwiegende Zahl an Fahrzeugen im Privatbesitz oder kommt es zu einem längeren Zeitraum mit Mischmodellen sind erhebliche Rebound-Effekte mit Mehrverkehr und zusätzlichem Flächenverbrauch zu befürchten. Abseits der urbanen Zentren könnte der derzeitige Trend zur Reurbanisierung, u. a. motiviert durch den Wunsch nach reduzierten Pendelwegen und -zeiten, durch die Verfügbarkeit autonomer Fahrzeuge umgekehrt werden in eine „Re-Sub-Urbanisierung“. Da die Fahrzeit in autonomen Fahrzeugen für produktive oder entspannende Tätigkeiten - wie heute schon im ÖV - genutzt werden kann, stiege die akzeptable Zeit für Pendelwege, zumal Reisezeit und Komfort dem ÖV durch den Tür-zu-Tür- Service überlegen sind. Durch Sharing könnten die individuellen Mobilitätskosten deutlich niedriger liegen als beim Privat- PKW, der ein wesentlicher Kostentreiber des Lebens außerhalb der Kernstädte ist. Die Folgen könnten eine stärkere Zersiedlung, Mehrverkehr und ein erhöhter Ressourcenverbrauch sein. Weiterreichend könnte es auf dem Arbeitsmarkt u. a. zu einem erheblichen Arbeitsplatzabbau für LKW-Fahrer, Taxifahrer und ggf. auch Busfahrer kommen. Zudem ist von einem Wandel in der für Deutschland so wichtigen Automobilindustrie auszugehen, mit einer schrumpfenden Produktion und Beschäftigung bzw. einer Verlagerung in andere Länder. Ob neue Arbeitsplätze im Bereich autonomer Fahrzeuge oder der Elektromobilität dies ausgleichen, ist offen. Die Auswirkungen autonomen Fahrens sind derzeit noch nicht sicher prognostizierbar. Unzweifelhaft liegen darin große Chancen, die negativen Folgen des Straßenverkehrs spürbar zu verringern. Ob und in welchem Maße die positiven Effekte eintreten werden ist derzeit noch ungewiss und wird auch stark davon abhängen welche Akteure die „Spielregeln“ der zukünftigen Mobilität gestalten. In Anbetracht der Machtposition einiger der treibenden Akteure des autonomen Fahrens steht die öffentliche Hand vor großen Herausforderungen hierbei eine aktive Rolle einzunehmen. ■ Der zweite Teil des Beitrag erscheint in Ausgabe 2/ 2016 und behandelt die Chancen, Herausforderungen und Handlungsfelder für öffentliche Akteure, veränderte Machtverhältnisse und ihre Auswirkungen auf die Verkehrsplanung der Zukunft. QuEllEN [1] VDA: Automatisiertes Fahren - Schritt für Schritt in die Zukunft. https: / / www.vda.de/ de/ themen/ innovation-und-technik/ automatisiertes-fahren/ schritt-fuer-schritt-in-die-zukunft.html (Zugriff am 09.09.2015) [2] Litman, Todd (2015): Autonomous Vehicles Implementations Predictions - Implications for Transport Planning. http: / / www.vtpi.org/ avip.pdf [3] http: / / www.robosoft.com/ products/ people-transportation/ robucity.html (Zugriff am 17.12.2015) [4] WEPods (o.J.): Over WEPods. http: / / wepods.nl/ pages/ over (Zugriff am 07.10.2015) [5] Joint Release by the Land Transport Authority (LTA) & MOT - Self- Driving Vehicles will Transform Singapore’s Transport Landscape http: / / www.lta.gov.sg/ apps/ news/ page.aspx? c=2&id=e6dc5dff- 8892-4f7f-9a3e-c89d29c0642c (Zugriff am 27.10.2015) [6] Durch den Einsatz autonomer Fahrzeuge wird es keine klare Abgrenzung zwischen Carsharing, Rideselling und Taxidiensten mehr geben, so dass die Autoren den Begriff „Robo-Taxi“ synonym für diese Angebotsformen verwenden. [7] ITF (2015): Urban Mobility System Upgrade: How shared self-driving cars could change city traffic. International Transport Forum, Corporate Partnership Board, Paris. [8] Ebd. [9] World Health Organization (2015): Global Status Report on Road Safety 2015. [10] Lin, Patrick (2015): Why Ethics Matters for Autonomous Cars, in: M. Maurer et al. (Hrsg.): Autonomes Fahren. Springer. Lukas Foljanty, Dipl.-Ing. Berater und Experte für Fahrscheinvertrieb, Tarif und Digitalisierung, KCW GmbH, Berlin foljanty@kcw-online.de Thuy Chinh duong, Dipl.-Math. Beraterin und Expertin für nutzerorientierte Innovationsentwicklung, KCW GmbH, Berlin duong@kcw-online.de TO O L K I T FÜR MOBIL ITÄT S PL ANUNG ONL INE KOS T ENFR EI VER FÜGBAR: www.nistotoolkit.eu Das NISTO Toolkit bietet Planern, Verwaltungen und Forschern eine Methode, Mobilitätsprojekte Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 66 MOBILITÄT Wissenschaft Multimodal Divide Zum sozialen Ungleichgewicht materieller Verkehrsmitteloptionen Materielle Multioptionalität, Verkehrsmitteloptionen, Mobility Poverty, Urban Poor Dem Hype um Multimodalität unterliegt ein stark liberalistisches Gesellschaftsverständnis, wonach sich Jede und Jeder multimodal verhalten könne. Allerdings lässt sich mit Blick auf Studien zu Mobility Poverty (Mobilitätsarmut) vermuten, dass sich die Gesellschaft hinsichtlich der (potentiellen) Ausübung eines multimodalen Verhaltens entlang von sozioökonomischen Faktoren wie Einkommen, formaler Bildung etc. spaltet. Dieser Beitrag fokussiert die Verteilung materieller Verkehrsmitteloptionen und stellt die Multimodalitätsdebatte damit in einen sozioökonomischen Rahmen. Autor: Sören Groth M it den Erkenntnissen über lokale und globale Auswirkungen durch Treibhausgasemissionen, Feinstaube oder Lärm sowie dem Bewusstsein für die Endlichkeit fossiler Rohstoffe, wird die Dominanz des fossilen Verbrennungsmotors seit Jahrzehnten von Politik und Forschung problematisiert. Mit großem Enthusiasmus wird vor diesem Hintergrund seit wenigen Jahren ein Konzert von Trends festgestellt, das auf einen Übergang von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft hindeutet: Die Dynamik bei neuen Mobilitätsdienstleistungen [1], der Cycle-Boom in großen Städten [2], die messbar wachsende Verkehrsmittelflexibilität [3] oder eine Ent-Emotionalisierung des Privatautos junger Städter/ innen [4] werden mitunter als wichtigste Indizien für die multimodale Transformation gesehen. In der Folge rücken Visionen von einem nachhaltigen multimodalen Verkehrssystem in den Vordergrund des Diskurses, wonach Bürger/ innen im Sinne eines „Nutzen-statt-Besitzen-Prinzips“ souverän und situationsspezifisch per Smartphone das geeignetste Verkehrsmittel auswählen. Das Auto avanciert in diesem vernetzten Verkehrssystem als Leihauto zu einer sporadischen Option innerhalb vielfältiger Möglichkeiten alternativer Mobilitätsangebote. Multimodalität wird also als das neue Zauberwort zur nachhaltigen Lösung verkehrsbedingter Probleme propagiert. Dabei scheint dem dualistisch anmutenden Diskurs („schlechtes“ Auto vs. „gute“ Multimodalität) ein stark liberalistisches Gesellschaftsverständnis zugrunde zu liegen, wonach multimodales Handeln einer freien Entscheidung unterliegen würde. Die soziale Frage bleibt darin weitestgehend unbeantwortet. Ein zentraler Grund mag mitunter sein, dass multimodales Mobilitätsverhalten mit Blick auf spezifische Lebenslagen meist auf Basis von „Mittelstandsdatensätzen“ (z. B. MiD oder MOP) untersucht wird. Sozioökonomische Restriktionen zur Realisierung eines multimodalen Verhaltens bei marginalisierten Gruppen, einer sog. Urban Poor (Einkommensarmut, prekäres Beschäftigungsverhältnis, formal niedrige Bildung etc.), gehen darin in der Regel unter, weil sich hinter der Ausübung monomodaler Verhaltensweisen einer breiten wohlhabenden Mittelschicht vielfältige andere Gründe verbergen, etwa die bis heute anhaltende „Liebe zum Automobil“ [5]. Unter Berücksichtigung der Forschung zu einer Transport Poverty (Mobilitätsarmut), die den mangelnden Zugang zu spezifischen Verkehrsmitteln bei dieser Urban Poor problematisiert [6, 7], lässt sich jedoch vermuten, dass sich die Gesellschaft hinsichtlich der (potentiellen) Ausübung eines multimodalen Verhaltens auch entlang von sozioökonomischen Faktoren wie Einkommen, formaler Bildung etc. (in mehr oder weniger große Teile) spaltet. Hier könnte die fortschreitende Entwicklung multimodaler Verkehrssysteme auf „Nutzen-statt-Besitzen-Basis“ eine wichtige soziale Rolle einnehmen, um Multioptionalität für Alle zu gewährleisten. Allerdings läuft auch hier der Enthusiasmus gegenüber der Substitution des ursprünglichen Verkehrsmittelbesitzes durch ein Smartphone (unersetzbar zur app- und onlinebasierten Ortung verfügbarer Leihfahrzeuge, Ausleih- und Rückgabestationen oder Abfahrzeiten sowie den konkreten Ausleihvorgängen) Gefahr, eine neue soziale Ungleichverteilung zu übersehen. Die Spaltung der Gesellschaft in „Onliner/ innen“ und „Offliner/ innen“ bzw. „Besitzer/ innen“ und „Nicht-Besitzer/ innen“ entlang sozioökonomischer Faktoren wird in der Literatur auch als Digital Divide problematisiert [8]. Dieser Digital Divide ließe sich gleichermaßen als Multimodal Divide interpretieren, wenn durch die neuen multimodalen Verkehrssysteme keine neuen Verkehrsmitteloptionen entstünden, weil das Smartphone als Zugangsmedium fehlt. Die Auseinandersetzung mit Verkehrsmitteloptionen im Multimodalitätsdiskurs ist recht jung. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst das Konzept der Multioptionalität als individuelle Voraussetzung für multimodales Verhalten erläutert. Im Anschluss daran wird die These des Multimodal Divides am Fallbeispiel der Stadt Offenbach a. M. untersucht. Dafür werden Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 67 Wissenschaft MOBILITÄT • materielle Verkehrsmitteloptionen in einen Zusammenhang mit sozioökonomischen Faktoren gestellt, • dem korrespondierenden Mobilitätsverhalten gegenübergestellt und • um die Verteilung des Smartphone-Besitzes ergänzt. Konzept: Multioptionalität als individuelle Voraussetzung für multimodales Verhalten Multimodalität ist ein bereits etablierter Begriff, um neben der Beschreibung von Verkehrssystemen oder verkehrspolitischen Strategien das Mobilitätsverhalten von Personen zu charakterisieren [9]. Im Fachdiskurs wird unter Multimodalität die Nutzung von mehr als einem Verkehrsmittel für unterschiedliche Wege innerhalb eines spezifischen Zeitraumes (häufig die 7-Tage-Woche als kulturelle Zeiteinheit für zyklische Wiederholungen von Aktivitäten) verstanden. Diesbezüglich kann begrifflich auch nach der Anzahl genutzter Verkehrsmittel differenziert werden, z. B. Bimodalität als Variation von ausschließlich zwei Verkehrsmitteln, Trimodalität als Variation von drei Verkehrsmitteln, usw. Intermodalität beschreibt die Verkettung von Verkehrsmitteln auf einem Weg und wird als Teilkategorie der Multimodalität verstanden. Als Antonym existiert Monomodalität, worunter die exklusive Nutzung ausschließlich eines Verkehrsmittels für alle Wege verstanden wird, wobei insbesondere die monomodale Nutzung des Autos für alle Wege problematisiert wird. Holzschnittartig lassen sich im Querschnitt der Ergebnisse monomodale Autofahrer/ innen und multimodale Verkehrsteilnehmer/ innen wie folgt voneinander abgrenzen: • Monomodale Autofahrer/ innen sind in der Tendenz berufstätige Männer mittleren Alters [10, 11], die eine hohe PKW-Verfügbarkeit aufweisen [11, 12] und sich mit ihren Familien im Eigenheim [13] am Stadtrand oder im ländlichen Raum verorten lassen [11, 13, 14]. • Multimodale Verkehrsteilnehmer/ innen sind in der Tendenz junge Erwachsene [15] die sich in Studium und Ausbildung befinden [15], folglich ein eher niedriges Einkommen aufweisen [10, 15] und von den nahräumlichen Erreichbarkeitsstrukturen an ihren dichten und nutzungsdurchmischten Wohnstandorten [16] in der Großstadt [14] mit einem guten ÖPNV-Netz profitieren [17]. Multioptionalität bezeichnet nun individuelle Handlungsbedingungen für multimodales Verhalten. Der Multioptionalitätsbegriff ist folglich stärker vom Subjekt her gedacht und beschreibt aus Perspektive einer Verkehrsmittel nutzenden Person verschiedene Optionen, wie Bedürfnisse rund um Mobilität erfüllt werden können [18]. Handlungstheoretisch lässt sich mit dem Soziologen Reinhard Kreckel [19, 20] auf eine Mehrdimensionalität beim Optionsbegriff für individuelles Mobilitätshandeln verweisen: erstens eine materielle Dimension, die das individuelle Portfolio an verfügbaren Verkehrsmitteln umfasst, zweitens eine mentale (symbolische) Dimension, wonach sich Mobilitätshandeln etwa an individuellen Normen, Einstellungen und Wertehaltungen gegenüber Verkehrsmitteln orientiert. Beide Dimensionen können mit Blick auf die Vielfalt von Studien zu Verkehrsmittelverfügbarkeiten einerseits [21] und Einstellungen bzw. Wertehaltungen gegenüber Verkehrsmitteln andererseits [22] als hochgradig verhaltensrelevant angenommen werden. Wenn sich jetzt also Alle multimodal verhalten sollen, dann setzt dies Multioptionalität beim Menschen voraus, wobei also zwischen materieller Multioptionalität, d. h. dem materiellen Zugriff auf mehr als ein Verkehrsmittel, und mentaler Multioptionalität, d. h. der mentalen Offenheit gegenüber der Nutzung von mehr als einem Verkehrsmittel, differenziert werden kann (Bild 1). In Analogie zum Verhalten stehen materielle und mentale Multioptionalität einer materiellen Monooptionalität, d. h. der Zugang zu nur einer Verkehrsmitteloption, sowie mentaler Monooptionalität, d. h. der mentalen Offenheit gegenüber der Nutzung nur eines Verkehrsmittels, gegenüber. Die eingangs formulierte These eines Multimodal Divides- soll im Nachfolgenden unter Berücksichtigung ausschließlich materieller Optionen untersucht werden. Die Datengrundlage stammt aus einer repräsentativen Haushaltsbefragung in der Stadt Offenbach a. M. (rd. 115 000 Einwohner), die in Kooperation mit der sozialwissenschaftlichen und ökologischen Begleitforschung Elektromobilität der Modellregion Elektromobilität Rhein-Main im Jahr 2013 durchgeführt wurde und bei der insgesamt 620 Personen im führerscheinfähigen Alter via Random-Route-Ansatz befragt werden konnten [23]. Die Auswertungen zeigen nachfolgend drei verdichtende Hinweise auf eine Spaltung der Gesellschaft hinsichtlich der (potentiellen) Ausübung von multimodalen Verhalten entlang von sozioökonomischen Faktoren. Es gibt ein soziales Ungleichgewicht materieller Verkehrsmitteloptionen Die Datenauswertungen zeigen: Nicht jeder hat die gleichen materiellen Voraussetzungen, sich multimodal verhalten zu können (Bild 2). Unter Berücksichtigung der (materiellen) Verkehrsmitteloptionen Auto, ÖPNV und Fahrrad lässt sich zwar eine starke Tendenz hin zur Multioptionalität feststellen, also der potentiellen Nutzung von mehr als einem Verkehrsmittel (rd. 71 %). Allerdings ist ein nicht unbeachtlicher Anteil der Befragten monooptional oder gar nonoptional, kann also theoretisch auf nur ein (bzw. kein) Verkehrsmittel uneingeschränkt zurückgreifen (29 %). Auch ist der Zugriff auf alle drei Verkehrsmittel (Trioptionalität) nur einer kleinen Gruppe vorbehalten (rd. 11 %). Unter Berücksichtigung der sozioökonomischen Faktoren verdichtet sich die These eines Multimodal Divides. Bild 1: Materielle und mentale Multioptionalität als Voraussetzung für multimodales Verhalten Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 68 MOBILITÄT Wissenschaft So existiert ein signifikanter Zusammenhang mit Monooptionalität und stereotypischen Merkmalen der sog. Urban Poor: formal niedriger Bildungsstand und Einkommensarmut gemäß der Definition der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder [24], häufig junge Erwachsene oder Senioren. Umgekehrt stehen die Einkommens- und Bildungseliten im jungen und mittleren Erwachsenenalter (mit weniger Ausnahmen) häufiger in einem positiven Zusammenhang mit materieller Multioptionalität. Unter den privilegierten „einkommensarmen Ausnahmen“ materiell Multioptionaler (etwa Bioptionalität ÖPNV und Fahrrad) finden sich vor allem Studierende, die etwa über einen preisgünstigen Solidarbeitrag vom exklusiven Studierendenprogramm des Semestertickets profitieren; ein Angebot, zu dem die Marginalisierten keinen Zugang haben. Materieller Monooptionalität folgt monomodales Verhalten Die Einschränkung von (materiellen) Verkehrsmitteloptionen korrespondiert weitestgehend mit der Nutzung von ausschließlich einem Verkehrsmittel. Umgekehrt münden aber mehrere Verkehrsmitteloptionen nicht zwangsläufig auch in multimodales Verhalten. Bild 3 zeigt: Je mehr Verkehrsmittel uneingeschränkt zur Verfügung stehen, desto weniger werden tatsächlich genutzt. So tendieren Personen mit einer materiellen Monooptionalität noch stark zu monomodalen Verhaltensweisen (71 %) und können nur selten auch auf weitere Verkehrsmittel zurückgreifen (denkbar als Mitfahrer/ in oder über Leihe). Personen, die auf zwei Verkehrsmitteloptionen zurückgreifen können (Materielle Bioptionalität), nutzen bereits schon seltener auch beide Verkehrsmittel. Sie verhalten sich sogar zu rd. 34 % monomodal. Und nur rund 38 %, die drei Verkehrsmitteloptionen haben, nutzen tatsächlich auch alle drei Verkehrsmittel. Das bedeutet: Wenn sich ein Großteil der Einkommens- und Bildungselite mit einem üppigen Portfolio an Verkehrsmitteloptionen monomodal verhält, kommt eine Urban Poor, die sich auch monomodal verhält, bei der reinen Verhaltensabbildung innerhalb der monomodalen Gruppierungen weniger stark zur Geltung. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Berücksichtigung der Verteilung von (materiellen) Verkehrsmitteloptionen als hilfreicher Indikator dar, um monomodales Verhalten aus sozioökonomischen Zwängen heraus problematisieren zu können. Multimodal divide Nun besteht Hoffnung, den Mangel an (materiellen) Verkehrsmitteloptionen bei den marginalisierten Gruppen zu beseitigen, indem der Zwang zum teuren Besitz einzelner Verkehrsmittel durch den Aufbau eines multimodalen Verkehrssystems und durch die Verbreitung von Sharing-Konzepten substituiert wird. Entsprechend ist zu erwarten, dass das Smartphone als Zugangsmedium eine zentrale Stellung einnehmen wird und eine Multioptionalität für Alle gewährleistet. Die Gegenüberstellung von Verkehrsmitteloptionen mit einem Smartphone-Besitz macht jedoch zwei Problemfelder deutlich (Bild 4): Zunächst spiegelt sich im Datensatz ein anfangs angesprochener Digital Divide: eine Spaltung der Gesellschaft in Besitz und Nicht-Besitz der relevanten Informations- und Kommunikationstechnologie [8]. Zweitens besitzen vor allem jene Personen mit einer materiellen Monooptionalität deutlich häufiger kein Smartphone (66 %) als jene Personen mit einer materiellen Multioptionalität. Hier korreliert der Digital Divide mit einem Multimodal Divide. Zwar ließe sich argumentieren, dass die Demokratisierung des Smartphones einem evolutionären Prozess unterläge. Bis dato stellen sich jedoch Zugang und Nutzung des Smartphones ökonomisch voraussetzungsreich dar. So- ist die Finanzierung von Smartphone-Verträgen und-den notwendigen Features zur Nutzung innovativer Mobilitätsangebote (z. B. mobiles Internet mit ausreichendem Datenvolumen, Speicherplatz für die Smartphone-Applikationen etc.) mit hohen Kosten verbunden [25]. Bild 2: Häufigkeitsverteilung materieller Verkehrsmitteloptionen und überdurchschnittlich ermittelte sozioökonomische Merkmale Bild 3: Relation materieller Verkehrsmitteloptionen und Mobilitätsverhalten Bild 4: Relation materielle Verkehrsmitteloptionen und Smartphone-Besitz Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 69 Wissenschaft MOBILITÄT Schluss: Wo bleibt die soziale Nachhaltigkeit? Multimodalität hat sich in den vergangenen Jahren zum Dogma eines nachhaltigen und dem Auto alternativen Verkehrssystems entwickelt. Nicht ganz unproblematisch ist jedoch, dass Multimodalität über eine rein ökologische Perspektive das Etikett „nachhaltig“ erhält: Multimodales Verhalten gilt als „nachhaltig“, weil das ökologisch problematisierte Auto in multimodalen Verhaltensweisen i. d. R. seltener genutzt wird als bei der exklusiven Autonutzung. Positiv wird daher auch die Marktdiversifizierung durch neue Start-Ups in einer Sharing Economy gewertet, die den potentiellen Weg für ein ökonomisch nachhaltiges multimodales Verkehrssystem ebnen, in dem das Auto (als Leihauto) nur noch als sporadische Option fungieren soll. Eine soziale Nachhaltigkeit, wie sie etwa in dem Drei- Säulen-Modell der Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie, Soziales) propagiert wird, scheint dem Multimodalitätskonzept jedoch mit Blick auf die dem Beitrag zugrundeliegenden Forschungsergebnisse nicht inhärent. Im Gegenteil: Vielmehr existiert ein soziales Ungleichgewicht bei materiellen Verkehrsmitteloptionen, das die Gesellschaft hinsichtlich der (potentiellen) Ausübung eines multimodalen Verhaltens aus sozioökonomischen Gründen spaltet. Dieser hier als Multimodal Divide problematisierte Sachverhalt identifiziert vor allem eine marginalisierte Urban Poor (einkommensarm, formal niedrige Bildung, etc.) als Objekte der Ausgrenzung multimodaler Verhaltensweisen: Diese verfügt seltener über mehr als eine Verkehrsmitteloption. Sie verfügt auch seltener über ein Smartphone, ohne das jedoch der uneingeschränkte Zugang zu innovativen Mobilitätsdienstleistungen (wie dem Free-floating-Carsharing oder Fahrradverleihsystemen) und damit multimodalen Verkehrssystemen mit Verkehrsmitteln „on demand“ bis dato kaum denkbar ist. Im Resultat verbleibt das Bild stabiler Ungleichgewichte: Das bestehende soziale Ungleichgewicht wird im Gewand der verkehrssystemischen Veränderung reproduziert. ■ liTERATuR [1] Sommer, C. und E. Mucha (2014): Integrierte multimodale Mobilitätsdienstleistungen. In: Proff, H. (Hrsg.): Radikale Innovationen in der Mobilität. Wiesbaden (Springer Fachmedien Wiesbaden): 499-514 [2] Lanzendorf, M. und A. 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Main soeren.groth@geo.uni-frankfurt.de Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 70 MOBILITÄT Wissenschaft Big Data im Fernbusverkehr Planung von Fernbusverbindungen durch die Analyse von Informationen aus Social Media-Plattformen Fernbusverkehr, Fernbusverbindungen, Web 2.0, Social Media, Big Data Großveranstaltungen wie Festivals oder Messen bieten Fernbusunternehmen die Möglichkeit, ihre Netze temporär zu erweitern und zusätzliche Umsätze zu generieren. Die Fernbusunternehmen stehen dabei vor der Herausforderung, die Nachfrage nach Fernbusverbindungen zu solchen Großveranstaltungen präzise abzuschätzen und zu planen. Dafür können die Unternehmen Informationen über Veranstaltungsbesucher und deren Transportpräferenzen in Social Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter nutzen. Im Projekt „SmartTravel“ werden Instrumente zur Nutzung von Social Media-Daten für die Planung von Fernbusverbindungen entwickelt. Autoren: Goran Sejdić, Ute David, Corinna Fohrholz, Christian Glaschke D urch die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes sind seit dem 1. Januar 2013 neben Bahngesellschaften auch Busunternehmen im innerdeutschen Personenfernverkehr zugelassen. Seit diesem Zeitpunkt wächst der Fernbusmarkt kontinuierlich. So stieg alleine im Jahr 2015 die Anzahl der Fernbuslinien um mehr als 25 % an [1]. Der Fernbusmarkt ist allerdings auch sehr wettbewerbsintensiv, was sich an diversen Marktaustritten zeigt [2]. Eine Antwort auf die hohe Wettbewerbsintensität bietet die Verbesserung der Angebotsplanung, um die Nachfrage nach Fernbusverbindungen gezielter auszuschöpfen. Potenzial bieten reiseintensive Ereignisse wie Festivals, Stadtfeste, Messen und Demonstrationen, über die in Social Media-Plattformen Informationen ausgetauscht werden. Diese reiseintensiven Ereignisse erhöhen die Nachfrage nach Personentransportkapazitäten u. a. mit Fernbussen. Die zielgerichtete Analyse der Nachfrage ermöglicht es, das Angebot an Fernbusverbindungen entsprechend des Bedarfs anzupassen, um zusätzliche Umsätze zu generieren und die Marktposition zu sichern und auszubauen. Bisher basiert die Planung von Fernbusverbindungen vorwiegend auf vergangenheitsbezogenen Informationen wie Erfahrungen. Die Planung kann verbessert werden, indem zukunftsorientierte Informationen über Anzahl, Herkunft und Verkehrsmittelwahl der Veranstaltungsteilnehmer berücksichtigt werden [3]. Informationen über die Transportnachfrage zu reiseintensiven Ereignissen sind zunehmend im Web 2.0 - insbesondere in Social Media-Plattformen - verfügbar. In sozialen Netzwerken angekündigte und diskutierte Veranstaltungen enthalten Informationen über potenzielle Teilnehmer (z.B. sozialer Status und Standort bzw. Wohnort). Über Facebook, Twitter, Foren und Blogs tauschen sich Nutzer über Zeitpunkt und Verkehrsmittel ihrer Reisen aus. Die Zusammenführung der unterschiedlichen Daten liefert entscheidungsunterstützende Erkenntnisse (z. B. Teilnehmerzahlen, Herkunft und Kaufkraft) für die Planung von Fernbusverbindungen [4]. Dies schließt Profitabilitätsanalysen von Fernbusangeboten ein. Bisher existieren keine Instrumente, die es Fernbusunternehmen ermöglichen, die Nachfrage nach Fernbuskapazitäten zu reiseintensiven Ereignissen gezielt zu analysieren. Dies wird erst durch die Analyse der Nachfrage auf Basis von Web 2.0-Daten mit Hilfe von Big Data-Technologien (z. B. In-Memory-Datenbanken, Web Analytics, Apache Mahout) möglich. Im Rahmen des aktuell laufenden Forschungsprojekts „SmartTravel“ wird diese Problemstellung aufgegriffen. In dem Projekt wird eine Software-Anwendung zur Analyse von Web 2.0-Daten entwickelt, mit der Fernbusverbindungen für reiseintensive Ereignisse geplant und auf Profitabilität geprüft werden können. Im Folgenden werden zunächst Potenziale des Web 2.0 für die Planung von Fernbusverbindungen beschrieben. Daraufhin wird erläutert, welche Big Data-Technologien zur Analyse von Web 2.0-Daten herangezogen werden können. Schließlich wird aufgezeigt, wie im Rahmen des Forschungsprojekts „SmartTravel“ diese Big Data-Technologien eingesetzt werden, um eine prototypische Software-Anwendung zu entwickeln. Potenziale von Web 2.0 für die Planung von-Fernbusverbindungen Die Planung von Fernbusverbindungen für reiseintensive Ereignisse setzt eine Prognose von Anzahl, Struktur und Verkehrsverhalten der Reisenden voraus. Dies erfolgt bisher vorwiegend auf Basis von Erfahrungen [5]. Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 71 Wissenschaft MOBILITÄT Dabei sind Informationen über Teilnehmer von reiseintensiven Ereignissen zunehmend im Web 2.0 verfügbar. Mit dem Begriff Web 2.0 werden eine Reihe von Technologien und Anwendungen sowie Verhaltensänderungen von Internetnutzern verbunden [6]. Aus Sicht der Nutzer steht Web 2.0 für eine spezifische Philosophie der Internetnutzung sowie einen veränderten Umgang mit Inhalten und Kommunikation [7]. In diesem Zusammenhang entwickelt sich das Internet von einer reinen Informationsquelle zur „Mitmach-Plattform“, bei der sich die Nutzer aktiv an der Erstellung von Inhalten beteiligen. Beispiele für Web 2.0-Plattformen sind Foren, Blogs und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, in denen sich Nutzer über bevorstehende Ereignisse austauschen. Die Mengen an Daten, die im Web 2.0 zur Verfügung stehen, können erst mit den in den letzten Jahren entwickelten Big Data-Technologien qualifiziert und zeitnah genutzt werden [8]. Big Data ist ein technologisches Phänomen, das anhand von verschiedenen Eigenschaften beschrieben werden kann (Bild 1): „Big Data is high-volume, high-velocity and high-variety information assets that demand cost-effective, innovative forms of information processing for enhanced insight and decision making.“ [9]. Big Data beschreibt große Datenmengen (Volume). Facebook hat täglich über 829 Mio. Nutzer und bei Twitter werden pro Tag mehr als 500 Mio. Tweets veröffentlicht. Die zur Verfügung stehenden Technologien wie Apache Hadoop oder In-Memory Datenbanken erlauben es, große Datenmengen zu halten und analysieren. Das zweite Merkmal ist die hohe Geschwindigkeit (Velocity), mit der die Daten generiert, verarbeitet und analysiert werden können. Die wesentliche Neuerung im Rahmen von Big Data ist die Realisierung in Echtzeit. Im betrieblichen Umfeld stellt die Generierung von Auswertungen und Analysen in Echtzeit eine bahnbrechende Neuerung dar und eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, zeitnah auf Änderungen zu reagieren. Big Data beschreibt Daten in großer Vielfalt (Variety). Einträge in Blogs, Foren und anderen Plattformen liegen als unstrukturierte Daten in Form von Text, Bildern oder Audiodateien vor. Darüber hinaus ändern sich die Daten schnell. Unstrukturierte Daten bieten besonderes Informationspotenzial, stellen allerdings zugleich hohe Anforderungen an die gezielte Nutzung. Zur Analyse und Interpretation von Big Data (Analytics) sind Methoden der automatisierten Erkennung und Nutzung von Mustern, Bedeutungen und Zusammenhängen wie statistische Verfahren, Optimierungsmodelle, Data Mining, Text- oder Bildanalytik erforderlich. Durch den Einsatz solcher Methoden werden bisherige Verfahren der Datenanalyse erheblich erweitert [8]. Diese Merkmale von Web 2.0-Daten bieten besonderes Potenzial für die Prognose der Nachfrage nach Fernbusverbindungen zu reiseintensiven Ereignissen. Blogs, Foren und soziale Medien werden immer stärker genutzt. Besondere Veranstaltungen werden zunehmend im Web 2.0 angekündigt, beworben und diskutiert. Damit ist im Web 2.0 eine große Menge zukunftsbezogener Informationen u.a. über die Besucher von Veranstaltungen und deren Transportpräferenzen vorhanden. Diese Informationen werden bisher größtenteils nicht zur Kapazitätsplanung genutzt [10]. Big data-Technologien zur Analyse von-Web-2.0-daten Zentrale Herausforderung für die Nutzung von Web 2.0-Daten in der Planung von Fernbusverbindungen ist deren Aufbereitung und Auswertung. Lösungen wie Data Warehouse oder Statistik-Software stoßen in der Verarbeitung von großen, unstrukturierten Datenmengen an ihre Grenzen. Die manuelle Auswertung ist nur begrenzt möglich. In den letzten Jahren wurden neue Technologien und Verfahren entwickelt und unter der Bezeichnung Big Data-Technologien subsummiert (Bild 2). Diese Technologien generieren aus einer Vielzahl von strukturierten und unstrukturierten Daten neue Erkenntnisse und Zusammenhänge in Echtzeit. Dies ermöglicht schnellere und bessere Entscheidungen. Für die Datenhaltung und den Datenzugriff steht z. B. die Anwendung Apache Hadoop zur Verfügung. Apache Hadoop ermöglicht es entgegen dem verbreiteten Konzept der redundanzfreien Datenhaltung, Daten in mehreren Datenbanken redundant zu halten. Bei einer konkreten Anfrage wird entschieden, aus welchem der Systeme die Daten bereitgestellt werden. Analysen werden auf viele Rechnerknoten verteilt, sodass Datenvolumina im Petabytebereich verarbeitet werden können. Der MapReduce-Algorithmus zerlegt die Rechenaufgaben in kleine Teile (Map), um diese parallelisiert abzuarbeiten. Anschließend werden die Ergebnisse wieder zusammengeführt (Reduce). So lässt sich der Prozess der Datenverarbeitung besonders effizient gestalten. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Analyse großer Datenmengen. Zur Sicherstellung der Datengrundlage werden im Rahmen von Search & Discovery Informationen in unstrukturierten Datenbeständen durchsucht. Dies erfolgt zielgerichtet auf spezifische Anfragen und ermöglicht das Aufzeigen von neuen Zusammenhängen. Dadurch können relevante Informationen über bestimmte reiseintensive Ereignisse und Teilnehmergruppen im Web 2.0 gefunden werden. Bei der analytischen Verarbeitung von Web 2.0-Daten müssen strukturierte und unstrukturierte Daten aus verschiedenen Quellen berücksichtigt werden. Dies schließt geographische Informationen, Texte, Bilder, Audiodateien, Videos und Inhalte von Webseiten sowie strukturierte Daten aus Datenbanksystemen ein. Im Rahmen von Web Analytics werden insbesondere Daten Analytics Datenvielfalt (Variety) Geschwindigkeit (Velocity) Datenmenge (Volume) Anzahl von Datensätzen und Files Yottabytes Zettabytes Exabytes Petabytes Terabytes Datengenerierung in hoher Geschwindigkeit Übertragung der konstant erzeugten Daten Echtzeit Millisekunden Sekunden│Minuten│Stunden Erkennen von Zusammenhängen, Bedeutungen, Mustern Vorhersagemodelle Data Mining Text Mining Bildanalytik | Visualisierung | Realtime Fremddaten (Web etc.) Firmendaten unstrukturierte, semi-strukturierte, strukturierte Daten Texte | Videos | Bilder | Tweets | Blogs Kommunikation zwischen Maschinen Big Data Bild 1: Merkmale von Big Data [8] Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 72 MOBILITÄT Wissenschaft aus dem Internet gesammelt, analysiert und ausgewertet. Hierfür stehen Methoden wie Page Tagging, Logfile Analyse, Multivariates Testing, Onlineumfragen und Benutzerbeobachtungen zur Verfügung. Aus der Kombination der Methoden können komplette Pfade von Benutzern analysiert sowie ihr Verhalten und ihre Entscheidungen verfolgt werden [11]. Zentraler Bestandteil der analytischen Verarbeitung ist das Data Mining. Data Mining beschreibt die effiziente Suche nach verborgenen, aber wertvollen Mustern in großen unternehmensinternen und unternehmensexternen Datenmengen sowie deren Interpretation und Anwendung [12]. Apache Mahout ist eine Anwendung für das Data Mining mit einer Vielzahl von Algorithmen. Dabei handelt es sich besonders um skalierbare, maschinell lernende Algorithmen auf dem Gebiet des kollaborativen Filterns, Clusterns und der Klassifizierung. Predictive Analytics ist eine Anwendung aus dem Data Mining und umfasst die Prognose von zukünftigen Ereignissen. Unter Einsatz des maschinellen Lernens werden Vorhersagen entwickelt. Dabei werden statistische Algorithmen und Modellierungstechniken angewendet, um aus aktuellen und historischen Daten Muster zu erkennen. Das maschinelle Lernen ist ebenfalls eine Anwendung des Data Mining und zielt darauf ab, Muster und Regelmäßigkeiten zu erlernen. Beispiele für diese Verfahren sind lineare Regressionen, neuronale Netze, Entscheidungsbaumverfahren, Nachbarschaftsklassifizierer und Support Vector Maschines [11]. Big Data-Technologien bieten großes Potenzial für die Analyse von Web 2.0-Daten, um die Nachfrage nach Fernbusverbindungen für reiseintensive Ereignisse zu prognostizieren. Für Analysen und Auswertungen zu spezifischen Problemstellungen sind darauf ausgerichtete technische Anwendungen notwendig. Für die Planung von Fernbusangeboten unter Berücksichtigung von Web 2.0-Daten ist bisher keine Anwendung vorhanden. Fernbusunternehmen nutzen bisher keine Big Data-Technologien zur Analyse von Web 2.0-Daten für die Planung ihrer Fernbusangebote. Im Rahmen des aktuellen Forschungsprojekts „SmartTravel“ wird eine geeignete Software-Anwendung entwickelt. Angestrebte Ergebnisse des Projekts „SmartTravel“ Das Ziel des Projekts „SmartTravel“ ist die Verbesserung der Angebotsplanung für Fernbusverbindungen für reiseintensive Ereignisse durch die Anwendung von Big Data-Technologien zur Analyse zukunftsorientierter Daten aus dem Web 2.0. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wird eine prototypische Anwendung auf Basis der Apache-Anwendung Hadoop und der Data Mining-Anwendung Apache Mahout entwickelt. Diese schließt einen Webcrawler ein, der das Web systematisch nach relevanten Daten durchsucht. Die ausgewählten Webinhalte werden aufgenommen und aufbereitet. Die Ergebnisse werden in einer Datenbank gespeichert und gehen auch in die zukünftigen Analysen ein. Bild 3 zeigt den Aufbau der prototypischen Anwendung. Grundlage ist die Anwendung Hadoop, die frei zugänglich ist und unabhängig vom verwendeten Betriebssystem eingesetzt werden kann. Dies ermöglicht die unmittelbare Umsetzung der Forschungsergebnisse in der Praxis. Für die Speicherung wird ein Hadoop Distributed File System verwendet, ein leistungsfähiges Dateisystem Analytische Verarbeitung Video Audio Geospatial Web Text Semantics Predictive Data Mining Machine Learning Reporting Datenzugriff Batch Processing (Hadoop, MapReduce) Streaming & CEP Search & Discovery Query Visualisierung Dashboards Fortgeschrittene Visualisierung Real-time Intelligence Datenhaltung Hadoop HDFS NoSQL Datenbanken In-Memory Datenbanken Analytische Datenbanken (DW, etc.) Daten- Governance & -Sicherheit Governance Multimandantenfähigkeit Datenverschlüsselung Identity & Access Management Datenintegration Data Ingestion (ETL, ELT) Datenkonnektivität Transaktionale Datenbanken (OLTP) Bild 2: Taxonomie von Big Data- Technologien [11] iNFO Das Projekt „smartTravel“ Das Projekt wird vom International Performance Research Institute (IPRI) in Stuttgart und dem Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government (LSWI) der Universität Potsdam in Kooperation mit mehreren Fernbusunternehmen bearbeitet. Es ist offen für interessierte Unternehmen. Fernbusunternehmen haben die Möglichkeit zur kostenfreien Mitwirkung. Kontakt und weitere Informationen: Goran Sejdić, Tel. (0711) 6203268-8022, E-Mail gsejdic@ipri-institute.com. Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 73 Wissenschaft MOBILITÄT zur Speicherung großer Datenmengen auf mehreren Rechnern. Die Ergebnisdatenbank wird in Form eines Dashboards zur Visualisierung von Ergebnissen aufgebaut. Im Projekt werden solch eine Anwendung aufgebaut, ein Algorithmus zur Analyse der Nachfrage und Planung des Angebots für Fernbusverbindungen zu reiseintensiven Ereignissen entwickelt und in die Anwendung prototypisch implementiert. Fazit Auf Basis von Daten aus Social Media-Plattformen können Fernbusunternehmen ihre Angebotsplanung optimieren und nachfrageorientiert gestalten. Hinsichtlich der Verarbeitung dieser Informationen stoßen konventionelle Softwarelösungen allerdings an ihre Grenzen. Erst durch den Einsatz von Big Data-Technologien kann eine Software-Anwendung entwickelt werden, die die Verarbeitung von Informationen aus Social Media-Plattformen ermöglicht. Im Rahmen des Projekts „SmartTravel“ wird solch eine Software-Anwendung entwickelt. ■ FÖRDERHiNwEis Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsprojekts SmartTravel. Das IGF-Vorhaben 18722 BG der Forschungsvereinigung Verkehrsbetriebswirtschaft und Logistik e. V. - GVB, Wiesenweg 2, 93352 Rohr wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. liTERATuR [1] IGES-Institut (2015), Presseinformation - Fernbusmarkt wächst weiter, Berlin. [2] IGES-Institut (2014), IGES Kompass Mobilität - Fokus Fernbus, Berlin. [3] Schad, H. und De Tommasi, R. 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Mitglied der Institutsleitung, International Performance Research Institute gGmbH, Stuttgart udavid@ipri-institute.com Goran Sejdić, Dipl.-Kfm. techn. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, International Performance Research Institute gGmbH, Stuttgart gsejdic@ipri-institute.com Corinna Fohrholz, Dipl.-Kffr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Potsdam - Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und E-Government, Potsdam corinna.fohrholz@wi.uni-potsdam.de Christian Glaschke, Dipl.-Inform. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Potsdam - Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und E-Government, Potsdam christian.glaschke@wi.uni-potsdam.de Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 74 TECHNOLOGIE Angebotsplanung Verkehrsplanerische Nutzung von E-Ticketing-Daten CiCo-Fahrgeldsysteme liefern Grundlagen für die Planung von ÖV-Angeboten Elektronisches Ticketing, Analyse von Fahrgastwegen, Detailliertes Fahrgastaufkommen, Netz- und Angebotsplanung Elektronische Systeme zur Fahrgelderfassung erfahren im internationalen Bereich eine immer weitere Verbreitung, nicht nur wegen der Möglichkeiten zu einer flexibleren und gerechteren Tarifierung, sondern auch wegen sehr vielfältiger planerischer Nutzungsmöglichkeiten. Zu unterscheiden sind die Erfassungsmodi Check-in (Ci), Check-in-Check-out und Be-in-Be-out. Am Beispiel des Metronetzes in Washington DC wird vorgestellt, wie CiCo-Daten in ein Planungssystem importiert, mit Netz und Fahrplan verknüpft und für verschiedene Analyse- und Planungszwecke genutzt werden. Autor: Peter Mott E lektronische Systeme zur Fahrgelderfassung erfahren insbesondere im internationalen Bereich eine immer stärkere Verbreitung. Nicht nur die Möglichkeit einer flexiblen und angemessenen Tarifierung, sondern auch die planerischer Nutzung machen das elektronische Ticketing so attraktiv. Als angemessen können die Tarife bezeichnet werden, da der Preis entsprechend der tatsächlich zurückgelegten Strecke berechnet wird, als flexibel, da es einfach ist, tageszeit- und damit aufkommensabhängige Preise zu definieren. Nutzen elektronischer Ticketingsysteme Grundsätzlich sind bei einer Nutzungsanalyse der resultierenden Daten für planerische Zwecke zwei Fälle zu unterscheiden: • Reines Check-in (Ci) • Check-in-Check-out (CiCo) beziehungsweise Be-in, Be-out (BiBo) Ci-Systeme mit einem Einheitspreis werden beispielsweise in der Türkei, in den USA und Asien angewendet, CiCo-Systeme mit differenzierten Preisstufen finden sich beispielsweise in vielen Metrosysteme Europas, Amerikas und vor allem Asiens. Das vorliegende Papier zeigt, wie Daten aus elektronischen Fahrgeldsystemen offline in ein Planungssystem eingelesen und dort verarbeitet werden können. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Beispiel der SmarTrip-Card in Washington DC. Vorgehen Daten Bei einfachem Ci fallen Daten zur zeitlichen und räumlichen Verteilung der Ein- und gegebenenfalls Umsteiger an, je nachdem, ob die elektronische Fahrkarte beim Betreten der Station oder beim Betreten des Fahrzeugs erfasst wird. Bei CiCo fallen Daten zu Beginn und Ende einer Fahrt von der Quelle zum Ziel oder sogar jedes Teilweges an, je nachdem, ob die Karte beim Betreten der Station oder beim Betreten des Fahrzeugs erfasst wird. Durch den Bezug zum Fahrzeug werden alle Fahrtabschnitte einzeln und damit auch dazwischen liegende Umsteigevorgänge oder Aufenthaltszeiten aufgezeichnet. Bei BiBo werden alle Karten auf allen Abschnitten jedes Linienteilwegs von Haltestelle zu Haltestelle innerhalb des Fahrzeugs erfasst, so dass letztlich dieselben Informationen wie bei fahrzeugbezogenen CiCo zur Verfügung stehen. In der Regel sind die Datensätze wie folgt angelegt: 1. Bei Ci: Identifikation der Karte, Datum und Zeitpunkt des Ci, Ort des Ci 2. Bei CiCo: Identifikation der Karte, Datum und Zeitpunkt des Ci und des Co, Ort (Station oder Haltepunkt) des Ci und des Co BiBo-Daten können mit dem Fahrzeug-, d. h. linien- und haltepunktbezogenen Fall der CiCo-Daten verglichen werden. BiBo- Systeme ermöglichen so insbesondere bei komplexen Systemen mit zahlreichen Verbindungsoptionen und großem Umsteigeaufkommen an zentralen Stationen eine bei CiCo-Daten häufig nicht gegebene Differenzierung. Mit dem heute üblichen stationsbezogenen CiCo werden die Wegedetails der Fahrgäste komplexer U-Bahnsysteme nicht erfasst. Abhängig von den unterschiedlichen Verfahren zur Erfassung der elektronischen Fahrausweise entstehen auch verschiedene Datenformate: • Ein Datensatz pro Fahrt bei stationsbezogenem CiCo in geschlossenen Systemen, wie zum Beispiel Metros • Ein Datensatz pro Teilweg bei fahrzeugbezogener Erfassung, also bei vollständigem CiCo oder BiBo In der Praxis kommen in einem Verkehrsgebiet häufig Mischformen unterschiedlicher Verfahren vor. Aufbereitung von Wegeinformationen Die mit Ci erfassten Einsteigerdaten, die auch Umsteiger enthalten können, ermöglichen die unmittelbare Darstellung und Analyse der räumlichen und zeitlichen Verteilung des Fahrgastaufkommens wie bei einer reinen Einsteigerzählung. Aussagen zu Besetzung der Fahrzeuge oder gar zu Quelle-Ziel-Relationen der Fahrgäste werden dabei nicht unterstützt. Erst wenn die erfassten Daten mit geeigneten Verfahren zur Korrektur modellbasierter Matrizen Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 75 Angebotsplanung TECHNOLOGIE oder stichprobenartig erhobener Quell- Ziel-Beziehungen verknüpft werden, können aus den aktuellen Zählungen belastbare Quelle-Ziel-Beziehungen abgeschätzt und damit für weitere detaillierte Analysen genutzt werden. Die mit CiCo erfassten Ein- und Aussteigervorgänge lassen wesentlich feinere Analysen zu, allerdings sind auch hier zusätzliche Aufbereitungsschritte notwendig: Werden alle Teilwege eines Fahrgastes einzeln erfasst, ist zunächst festzustellen, welche Teilwege zu einer gemeinsamen Quelle-Ziel-Beziehung gehören, d.h. zu einer bestimmten Fahrt mit mehreren Linien. Eine solche Prüfung kann zum Beispiel durch die Übereinstimmung oder räumliche Verknüpfung der Stationen und der Zeitpunkte zwischen Aus- und Wiedereinstieg erfolgen. Als Ergebnis werden die oben genannten Datensatzinhalte durch Nummern zusammenhängender Teilwege ergänzt. Werden im Falle eines stationsbezogenen CiCo nicht alle Teilwege eines Fahrgastes erfasst, wie beispielsweise in U-Bahnsystemen, müssen in der Aufbereitung der Daten ähnlich wie bei einer Umlegung Annahmen zum Verhalten des Fahrgastes getroffen und mit Hilfe geeigneter Verfahren mögliche Teilwege ermittelt werden. Dies ist dann möglich, wenn es der Hauptzweck der Fahrt ist, möglichst rasch von der Quelle zum Ziel zu gelangen. Schwieriger wird es, wenn der Fahrgast während der Gesamtreise beispielsweise in multifunktionalen Umsteigestationen zusätzliche Aktivitäten unternimmt (Einkaufen, Pausen für Erfrischungen oder Essen etc.), die die eigentliche ideale Fahrzeit deutlich verlängern. Grundsätzliches Ziel der Aufbereitung von CiCo-Daten ist es, den Gesamtweg von der Quellzur Zielhaltestelle einschließlich aller Teilwege detailliert zu rekonstruieren und so alle Wegelängen, Fahr- und Wartezeiten sowie Umsteigevorgänge und gegebenenfalls Tarifinformation zu ermitteln. Import der Wegedaten in ein Verkehrsplanungssystem Das von der PTV Group entwickelte Verkehrsplanungssystem PTV Visum bietet seit vielen Jahren ein Modul für den Import extern erhobener Fahrgastwegedaten [1]. Ursprünglich wurde das Verfahren zur rechnergestützten Plausibilisierung von Befragungsdaten aus konventionellen Fahrgasterhebungen entwickelt. Aufgrund der beschränkten Zeit, die für ein Interview zur Verfügung steht, aber auch weil der Fahrgast während der Befragung seinen Weg eventuell noch nicht detailliert angeben kann, können bei solchen Erhebungen in den Fahrzeugen nur Eckwerte erfragt werden. Aus diesen ist nach der Erhebung mit Hilfe rechnergestützter Verfahren der im Vergleich mit Liniennetz und Fahrplan wahrscheinlichste Gesamtweg zu rekonstruieren und das entsprechende Fahrgastaufkommen den betroffenen Linien zuzuweisen. Ist ein solches Verfahren flexibel hinsichtlich der Parameter und der erlaubten Datenformate, können damit auch die durch die CiCo-Daten beschriebenen Fahrgastwege genau rekonstruiert werden. In PTV Visum erfolgt der Import der externen Wegedaten in drei Teilschritten: dem Einlesen der externen Daten, der Plausibilitätsprüfung und der sogenannten Direktumlegung. Beim Einlesen werden im Wesentlichen die Vollständigkeit und die formale Richtigkeit überprüft. Schon nach diesem ersten Schritt ist eine graphische Darstellung der Ein- und Ausstiegshaltestelle und bei mehreren Teilwegen der Umsteigehaltestellen möglich. Bei der Plausibiltätsprüfung wird mit Hilfe eines Algorithmus aus den eingelesenen Informationen der vom Fahrgast realisierte Weg rekonstruiert. Dabei werden alle vorhandenen Merkmale je Teilweg wie Ein- und Ausstiegshaltestelle, Zeitpunkt des Eincheckens und - soweit vorhanden - Bezeichner von Linie und Richtung berücksichtigt. Über zusätzliche Parameter steuert der Planer, inwieweit von eingelesenen Daten abgewichene oder unvollständige Eingaben ergänzt werden können. So ist beim stationsbezogenen Check-in eine Differenz zwischen dem Zeitstempel des elektronischen Tickets und der Abfahrtszeit sinnvoll. In geschlossenen Systemen mit nur einem Check-in und einem Check-out wird geprüft, ob ein oder mehrere Umstiege zwischen Quelle und Ziel notwendig sind, und bei Bedarf Teilwege ergänzt. Ist im Netzmodell ein Tarifsystem definiert, kann zusätzlich auch die Anzahl der durchfahrenen Zonen und der Fahrpreis ermittelt werden. Je Teilweg werden alle erhobenen und vom Verfahren ergänzten Informationen gespeichert, so dass eine detaillierte tabellarische und grafische Darstellung des Gesamtwegs möglich ist. Im dritten Schritt, der sogenannten Direktumlegung, werden alle plausiblen Teilwege auf Netz- und Fahrplan so abgebildet, dass anschließend alle auch bei einer klassischen Umlegung möglichen Auswertungen erfolgen können. Erfahrungen mit Datensätzen aus bestehenden E-Ticket-Systemen zeigen, dass dieser dreistufige Prozess bis zu eine Million Datensätze in deutlich weniger als einer Stunde importieren kann, so dass reale Aufkommen von mehreren Millionen Transaktionen pro Tag zu verarbeiten sind. Analyse des Fahrgastaufkommens am Beispiel der Washington Metro Überblick über das Beispiel Die hier beschriebene Anwendung wurde durch einen Blog der Washington Metropolitan Area Transit Authority (WMATA) initiiert. Die WMATA wurde 1967 gegründet, um in der Hauptstadtregion ein ausgewogenes regionales Transportsystem zu planen, zu entwickeln, aufzubauen, zu finanzieren und zu betrieben [2]. Auf PlanItMetro, dem so genannten Metro’s Planning Blog, wurde Anfang 2015 dazu eingeladen, dort bereitge- Bild 1: Netz der Washington Metro mit Linien und Endhaltestellen Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 76 TECHNOLOGIE Angebotsplanung stellte Nachfragedaten herunterzuladen und zu zeigen, wie diese im Rahmen von Planungssystemen genutzt werden können. Die mit dem SmarTrip-System erfassten Fahrgastdaten wurden in Form aggregierter Quelle-Ziel-Matrizen mit Angaben zu Monat und Jahr, der Tagesart, vorgegebenen Verkehrszeiten und einem Viertelstunden- Intervall sowie den Stationen des Check-in und des Check-out und der Fahrgastzahl bereitgestellt [3]. Auf Nachfrage stellte WMA- TA PTV zu einem späteren Zeitpunkt zusätzlich eine Stichprobe zur Verfügung, die knapp 240 000 zufällig ausgewählte Einzelwege mit den Merkmalen „anonymisierte Karten-ID“ sowie „Stationsname“ und „Zeitpunkt von Check-in und Check-out“ umfasste. Das für die Analyse und Darstellung notwendige Netz und der Fahrplan des Metrosystems ließen sich über das sogenannte General Transit Format Specification (GTFS)-Format ebenfalls sehr einfach aus dem Internet herunterladen [4] und mit Hilfe einer Standardschnittstelle ins Planungssystem importieren. Das für die Analyse verwendete Metronetz umfasst 91 Stationen, davon 22 Endhaltestellen, 6 Metrolinien mit insgesamt 34 Linienrouten und 1640 Zugfahrten an einem durchschnittlichen Werktag in der Zeit von 5 Uhr morgens bis 0: 30 Uhr nachts (siehe Bild 1). Die Nachfragedaten konnten in beiden Formaten eingelesen und dargestellt werden. Insbesondere war es nach geringer Vorverarbeitung möglich, die Transaktionsdaten aus dem SmarTrip-System zu importieren. Die im Folgenden vorgestellten Analysen wurden zur besseren Vollständigkeit mit den zu Viertelstundenintervallen aggregierten stationsbezogenen Matrizen zwischen 6: 30 Uhr und 8: 30 Uhr morgens erstellt. Netzweites Fahrgastaufkommen Für die betrachtete morgendliche Spitzenzeit wurden rund 138 000 Fahrgäste ermittelt. Die Differenzierung nach Direktfahrern und Umsteigern zeigt, dass der Anteil der Direktfahrer mit rund 31 % deutlich kleiner ist als der der Einmalumsteiger (65 %). Nur ein sehr kleiner Teil steigt mehr als einmal um (4 %). Der hohe Umsteigeanteil lässt erwarten, dass in zahlreichen Stationen eine leistungsfähige Infrastruktur für die reibungslose Bewältigung dieser Ströme notwendig ist. Eine Übersicht der Umsteiger je Haltestelle, von Linie und Richtung zu Linie und Richtung, kann für Hinweise zur Fahrgastlenkung in den Stationen sowie die Dimensionierung der Wege, Rolltreppen und Aufzüge genutzt werden - Bild 2 zeigt für eine ausgewählte Station die Umsteiger zwischen den einzelnen Zügen. In diesem Zusammenhang ist es ebenfalls hilfreich, diese Anlagen ebenso wie Stärke und zeitliche Verteilung der Fußgängerströme in einem mikroskopischen Simulationsmodell nachzubilden und für verfeinerte Analysen, wie zum Beispiel Evakuierungsszenarien, detailliert zu simulieren. Aufkommen und Auslastung nach Strecken, Linien und Fahrten Das aus der Rekonstruktion der Fahrgastwege bekannte Aufkommen kann nach Strecken und Linien dargestellt und analysiert werden. Entscheidend für ein zumindest zeitweise an der Kapazitätsgrenze operierendes Hochleistungssystem sind neben der räumlichen Verteilung vor allem Informationen über die genaue zeitliche Verteilung des Fahrgastaufkommens. Deshalb ist es sehr wichtig, sowohl in der konventionellen Umlegung zeitlich sehr differenzierter Quelle-Ziel.Matrizen als auch bei der Nutzung von CiCo-Daten den Zeitbezug zu erhalten. Aufkommen und Auslastung können in PTV Visum ebenso wie andere Kenngrößen für vom Benutzer definierte Analyseintervalle von beispielsweise 15 oder 30 Minuten berechnet und dargestellt werden. Die Auslastungsanalyse kann insbesondere durch klassifizierende Darstellungen unterstützt werden. Werden nur drei Fälle Bild 2: Umsteiger von Fahrt zu Fahrt innerhalb einer Stunde an einer ausgewählten Metro-Station Bild 3: Auslastung in der Morgenspitze von 7: 30 bis 8: 00 Uhr Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 77 Angebotsplanung TECHNOLOGIE - wie die Auslastung der Gesamtkapazität bis zu 65 %, zu 85 % und zu mehr als 95 % - berechnet und farblich unterschieden, wird schnell klar, auf welchen Strecken oder Linien in welchen Zeiträumen kritische Situationen zu erwarten sind (siehe Bild 3) 1 . So kann im strategischen Planungssystem geprüft werden, ob gegebenenfalls größere Fahrzeuge oder kürzere Fahrzeugfolgezeiten Abhilfe schaffen können. Liegen über die Ticketing-Daten die Ein- und Ausstiegzeiten für jeden einzelnen Fahrgast(teil)weg vor, kann jeder Fahrzeugfahrt das daraus resultierende Aufkommen zugeordnet werden. Dies erlauben in PTV Visum sowohl die fahrplanfeine Umlegung als auch die sogenannte Direktumlegung. Deshalb können im Zeit-Weg-Diagramm des grafischen Fahrplans das Fahrgastaufkommen oder die resultierende Auslastung zwischen den einzelnen Haltestellen veranschaulicht werden (siehe Bild 4). Mit Hilfe dieser Darstellung kann der Planer leicht erkennen, welche der Fahrten als kritisch anzusehen sind und wie viele Fahrgäste von einer Änderung des Angebots betroffen wären. Weitere Nutzungsmöglichkeiten Ist das Fahrgastaufkommen pro Fahrt, genauer pro Fahrtabschnitt, bekannt, kann es auch im Rahmen der Umlaufplanung genutzt werden. In modernen leistungsfähigen Verfahren ist es möglich, den im Fahrplan definierten Fahrzeugfahrten statt nur eines vorbestimmten Fahrzeugtyps eine Gruppe austauschbarer Fahrzeugtypen zuzuordnen und es dem Optimierungsverfahren zu überlassen, die kostengünstigste Alternative auszuwählen. Im strategischen Planungssystem PTV Visum kann diese Vorgehensweise sogar um die Berücksichtigung des Fahrgastaufkommens erweitert werden. Es ist also möglich, aus modellbasierten Nachfrageberechnungen erwartete oder aus Fahrgastzählungen oder Ticketingdaten bekannte Fahrgastaufkommen mit der Kapazität der einsetzbaren Fahrzeugtypen zu vergleichen. So kann nicht nur der aus Kostengesichtspunkten günstigste Typ gewählt werden, sondern auch der, der dem Aufkommen am ehesten gerecht wird. Dabei kann fahrtabschnittsweise sogar zwischen dem Vergleich mit der Sitzplatzkapazität beziehungsweise der Gesamtkapazität gewechselt werden. Auf diese Weise kann versucht werden, in Abschnitten mit geringerem Aufkommen und größeren Haltestellenabständen ausreichend Sitzplätze vorzuhalten, während in zentralen Abschnitten mit häufigerem Fahrgastwechsel die Gesamtplatzkapazität dem Aufkommen entsprechen sollte. Zusammenfassung Schon seit einigen Jahren gibt es elektronische Zahlungssysteme, die detaillierte Informationen über das Fahrgastaufkommen oder sogar die von den Fahrgästen realisierten Quell-Ziel-Beziehungen bereitstellen. Leistungsfähige Werkzeuge zur Darstellung und planerischen Nutzung solcher Daten stehen ebenfalls zur Verfügung. Insbesondere die Verarbeitung von Quelle-Zieldaten aus einem CiCo-System bietet sehr vielfältige Möglichkeiten, da jede einzelne Fahrgastfahrt detailliert nachvollzogen werden kann. Durch die Verknüpfung von Angebot und Nachfrage werden so vielfältige, zeitlich und räumlich sehr differenzierte Informationen zur Verfügung gestellt. Beispielhaft seien genannt: • Fahrgastaufkommen nach Haltestellen, Strecken oder Linien • Auslastung der Fahrzeuge • Fahrgelderlöse nach Strecken, Linien oder Betriebszweigen Bei der Optimierung des Fahrzeugeinsatzes ist mit den Ticketingdaten eine kapazitätsabhängige Auswahl geeigneter Fahrzeugtypen möglich. Die Analyse von E-Ticketing-Daten wird derzeit vor allem in Asien genutzt. Hier sind zahlreiche elektronische Ticketsysteme im Einsatz, die mehrere Millionen Transaktionen pro Tag erfassen. Ein aktuelles Ziel ist es, die von den Fahrgästen tatsächlich realisierten Wege zu analysieren, um so geeignete Parameter für die Simulation zukünftiger Szenarien zu ermitteln. Neben der Offline-Verarbeitung für planerische Zwecke ist vorstellbar, die Information über die Verteilung der Fahrgäste innerhalb eines Fahrzeugs oder Zugs sogar online für die Fahrgastinformation zu nutzen, beispielweise um Empfehlungen zum Einsteigen in weniger besetzte Fahrzeugteile zu geben. ■ 1 Im vorliegenden Fall lagen im GTFS-Format keine Angaben zum Fahrzeugeinsatz vor, so dass nach Rücksprache mit WMATA Annahmen zu Wagengröße und Zugbildung für die Abschätzung der Auslastung getroffen werden mussten. QuEllEN [1] http: / / vision-traffic.ptvgroup.com/ fileadmin/ files_ptvvision/ Downloads_N/ 0_General/ 2_Products/ 1_PTV_Visum/ Module_ PTVVisum_DE.pdf [2] http: / / www.wmata.com/ about_metro/ [3] http: / / planitmetro.com/ , die Nachfragedaten stehen dort derzeit nicht mehr zur Verfügung [4] http: / / www.wmata.com/ rider_tools/ developer_resources.cfm, siehe auch http: / / www.gtfs-data-exchange.com/ agency/ wmata/ Bild 4: Fahrgastaufkommen pro Fahrt im grafischen Fahrplan einer Linie Peter Mott, Dr. Ing. Solution Director Public Transport, PTV Group, Karlsruhe peter.mott@ptvgroup.com Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 78 TECHNOLOGIE Video-Analyse Digitalisierung für mehr Sicherheit Spezialisierte Kamerasysteme im Öffentlichen Personenverkehr Digitalisierung, Überwachungssystem, Standardisierung, Netzwerk-Kamera Der gezielte Einsatz spezieller Video-Analysefunktionen wird stark anwachsen - das ist einer der aktuellen Sicherheitstrends im Öffentlichen Personenverkehr. Der Beitrag zeigt im Überblick, was hinter den Entwicklungen steht und welche Herausforderungen sie mit sich bringen. Autor: Edwin Beerentemfel K amerasysteme spielen eine wichtige Rolle im Sicherheitskonzept und werden zunehmend eingesetzt. Sie überwachen meist Orte mit hohem Passagieraufkommen, etwa die öffentlich zugänglichen Bereiche in Bahnhöfen und auf den Bahnsteigen. Weitere Zonen, in denen eine Videoüberwachung sinnvoll ist, sind Ticket- und Infoschalter, Rolltreppen und Aufzüge. In nicht-öffentlichen Bereichen (Personaleingänge, Tunneleingänge, etc.) werden ebenfalls Kameras eingesetzt, allerdings deutlich weniger. Momentan sind nur 10 bis 20 % der deutschen U-Bahnhöfe mit Netzwerk-Kameras ausgestattet. Die Migration von analogen zu digitalen Kameras ist hier noch in vollem Gange. 2016 werden die Netzwerke stark vergrößert, Bahnhöfe haben hier besonders hohen Aufholbedarf. Laut der aktuellen UITP Studie 1 wollen fast drei Viertel der europäischen Verkehrsbetriebe in den kommenden Monaten in ihr Überwachungssystem investieren - davon wiederum 85 % in Netzwerk-Kameras. Das zeigt eine klare Präferenz für IP-Kamerasysteme - dennoch haben analoge Kameras noch einen großen Anteil im öffentlichen Verkehr. 2016 lassen sich vier große Trends im öffentlichen Nah- und Fernverkehr identifizieren, die aus der zunehmenden Digitalisierung folgen. Diese ist nun auch im Personenverkehr angekommen und wird sich in großen Schritten in allen Bereichen ausdehnen. Dazu gehören zum einen die Kameras selbst: Analoge werden durch IP-Kameras ersetzt. Außerdem halten sie Einzug in die IT-Abteilungen, wo sie nun in die Infrastruktur integriert werden, um auch deren Sicherheit vor Angriffen zu gewährleisten. Polizei und andere Behörden werden vermehrt gemeinsam auf das Videomaterial zugreifen und die Nutzung von Video-Analysefunktionen wird stark wachsen. Die Trends im Detail, welche Hintergründe hinter den Entwicklungen stehen und welche Herausforderungen sie mit sich bringen, werden im Folgenden erläutert. Trend 1: Umfassender Einsatz von Kameras Der Einsatz von IP-Kameras wird sich deutlich erhöhen, da für auswertbare Bilder HDTV-Qualität erforderlich ist. Nur so können die Bilder auch genutzt und im Detail analysiert werden. Die meisten Betreiber verfolgen beim Austausch einen Schritt-für- Schritt-Ansatz. Dabei müssen nicht sofort alle analogen Kameras ersetzt, sondern die analogen Systeme durch Nutzung von Encodern für Netzwerke umgerüstet werden. Öffentliche Verkehrsbetriebe setzen Kameras in drei Bereichen ein: • Zum einen finden sie in der mobilen Überwachung Verwendung, d.h. an Bord der Züge. Die Kameras nehmen das Geschehen nur auf, übertragen es allerdings nicht in Echtzeit an die Sicherheitszentrale. Wer Zugriff auf die Videos benötigt, muss sich selbst im Zug befinden oder darauf warten, dass der Zug in einem Bahnhof hält. Dieser Bereich ist bereits sehr gut in die Überwachungsnetzwerke integriert und stellt daher keinen Fokus in 2016 dar. • Zum anderen werden Depots und Bahnübergänge mit Kameras gesichert. In Europa werden hauptsächlich Depots überwacht, wo die Züge gewartet und gereinigt werden. Dabei spielt die Perimeter-Überwachung (zum Beispiel Überwachung von Zäunen) eine große Rolle, um festzustellen, ob Graffiti- Sprayer auf das Gelände gelangen. In Schwellenländern, wie in Asien, werden vor allem Bahnübergänge gesichert. • Die Überwachung im dritten Bereich, den Bahnhöfen, wird in 2016 deutlich zunehmen. Der Trend geht hin zu großen Netzwerken mit einer hohen Anzahl an Kameras, die Bahnhöfe großflächig abdecken. Große deutsche Städte haben bis zu 200 Bahnhöfe, die zusammen ein Kamera-Netzwerk bilden. Ein solches umfasst in der Regel zwischen ein paar tausend bis zu 10 000 Kameras. Allein ein- großer Hauptbahnhof hat mehr als 200- Kameras, eine U-Bahn-Station ungefähr 50. Trend 2: SNMP - Nutzung standardisierter gemeinsamer Plattformen IT-Abteilungen werden in 2016 immer häufiger die Verwendung von Standard-Plattformen fordern, um auch Netzwerk-Kameras in ihre IT-Infrastruktur zu integrieren. Nur so können sie wirkungsvoll für die Sicherheit des Netzwerks sorgen. Analoge Kameras lagen bisher nicht in der Verantwortung der IT-Abteilungen. Netzwerk-Kameras, die großflächig eingesetzt werden, müssen aber auf der einen Seite professionell gemanagt werden und auf der anderen Seite die internen Sicherheitsvorgaben erfüllen. Hier setzt das Simple Network Management Protocol (kurz SNMP) an, das sich zu einem Standard entwickelt hat, den die meisten Managementprogramme unterstützen. Es ermöglicht grundsätzlich die Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 79 Video-Analyse TECHNOLOGIE Überwachung und Steuerung verschiedener Netzwerkelemente (z. B. Router, Drucker, Kameras, usw.) von einer zentralen Station aus. Zu den Aufgaben des Netzwerkmanagements zählen die Überwachung von Netzwerkkomponenten, deren Fernsteuerung und Fernkonfiguration sowie Fehlererkennung und Fehlerbenachrichtigung. Somit vereinfacht SNMP auch das Management verschiedener Kameras in großen Netzwerken, das zum Beispiel das Backup oder Wiederherstellungen umfasst sowie die Neu-Einrichtung, wenn Kameras ausgetauscht werden müssen. Zudem können mit SNMP auch andere Anwendungen, wie etwa die Echtzeit-Überwachung, umgesetzt werden. Das eröffnet gleichzeitig neue Möglichkeiten insbesondere für Umgebungen mit hoher Sicherheitsstufe: Kameras erhalten nur Zugriff auf das Netzwerk, wenn sie sich selbst vorher authentifizieren. So wird auch das oft angebrachte Argument widerlegt, Netzwerk-Kameras seien nicht sicher: In der Videoüberwachung wird die IT-Sicherheit immer häufiger direkt in die Kameras eingebettet - mit allen gängigen IT-Sicherheitsfunktionen, wie zum Beispiel Verschlüsselung. Auf diesem Weg werden die Kameras ebenso gesichert wie andere IT-Komponenten. Trend 3: Echtzeitzugriff auf vernetzte Kameras Sicherheitsrelevante Vorfälle ereignen sich meist nicht nur an einem Ort, sondern an mehreren - zum Beispiel dann, wenn ein Täter aus einem Laden über die Fußgängerzone in die U-Bahn flüchtet. Immer öfter haben daher verschiedene Einsatzkräfte wie Polizei, Feuerwehr und örtliche Behörden in Echtzeit Zugriff auf alle Videobilder und können sich auf diese Weise sofort einen Überblick der Situation verschaffen. Die einzelnen Kameras liefern Bilder der verschiedenen Orte des Geschehens und unterschiedliche Blickwinkel, die Vernetzung der Kameras bietet wiederum ein Gesamtbild. Auf dieser Basis können Sicherheitsdienste und Behörden (wie Ende 2015 in Brüssel) Situationen schnell umfassend bewerten. Strategisch kritische Entscheidungen über das weitere Vorgehen können nur anhand einer Gesamtübersicht der aktuellen Lage gefällt werden. Trend 4: Internet of Things - Analysetools Hochleistungs-Prozessoren, große Fortschritte in der Bildqualität und intelligente Software-Algorithmen haben den Weg für Video-Analysefunktionen geebnet. 2016 werden diese Zusatzfunktionen häufiger genutzt und neuartige Video-Analyse angewendet. Videoüberwachung wird häufiger funktionsübergreifend eingesetzt, da sie neben sicherheitsrelevanten auch wichtige Daten für den operationellen Betrieb liefert. Der Trend wird nun dahin gehen, dass Kameras nicht nur als reine Überwachungskameras operieren, sondern auch als Sensoren eingesetzt werden. Das können zum Beispiel Rauch- und Feuermelder sein. Oder sie können zur Überwachung der Kapazitätsauslastung zum Beispiel angeben, wie viele Leute sich auf einem Bahnsteig befinden. Übersteigt der Wert eine gewisse Grenze werden die Mitarbeiter alarmiert. Sie können dann geeignete Maßnahmen ergreifen, Notausgänge öffnen oder auf andere Weise helfen, Panik und Unfälle zu vermeiden. Mit Hilfe von Mikrofonen identifizieren die Kamerassysteme aggressives Verhalten. Dabei unterscheiden sie zwischen verschiedenen Ausrufen wie lautem Grüßen und wütendem Schreien. Die Kameras können auch als Frühwarn- Rauchmelder 2 in Tunnelröhren fungieren. Herkömmliche Rauchmelder sind normalerweise an der Decke befestigt und benötigen viel Zeit bis sie Alarm geben, da der Rauch erst bis zur Decke aufsteigen muss. Kameras können Rauch viel früher identifizieren. Je schneller er entdeckt wird, desto weniger Schaden kann entstehen. Analysetools helfen Schaden und Ausfallzeiten der Züge abzuwenden, was Zeit und Geld spart. Sie tragen zur Steigerung des Umsatzes bei, indem sie erkennen, wenn Personen Ticketschranken überspringen. In den Niederlanden werden die Türen von Tramwaggons überwacht und Gesichtscharakteristiken mit einer Datenbank bekannter Schwarzfahrer abgeglichen. Bei einer Übereinstimmung wird der Fahrer benachrichtigt. Über 50 % der öffentlichen Verkehrsbetriebe in Europa wollen in Zukunft solche Funktionen in ihr Überwachungssystem integrieren. Fazit Insgesamt zeigt sich eine klare Tendenz hin zu Netzwerk-Kameras bei zukünftigen Investitionen. Auch die Echtzeitauswertung der Analyse ist im öffentlichen Verkehrsbereich im Kommen. Sie hilft den Sicherheitskräften, kritische Vorfälle schneller zu erkennen, da sie konkrete Hinweise erhalten, statt hunderte von Kamera-Live-Feeds beobachten zu müssen. Trotz des Trends zur Echtzeit-Überwachung mithilfe von Netzwerk-Lösungen bleibt aufgenommenes Material sehr hilfreich und wird auch in Zukunft genutzt. Die Cloud - die in vielen Bereichen der Trend schlechthin für 2016 ist - hat dagegen noch keine große Bedeutung für das öffentliche Verkehrswesen, da sie nicht viele Vorteile für die Branche mit sich bringt. Videomaterial muss nicht lange gespeichert werden, sondern schnell verfügbar sein. Auf lange Sicht werden aber einige Prozesse in die Cloud wandern. Dazu gehört die Datenverarbeitung der Analysefunktionen, denn diese benötigt eine hohe Rechenleistung. ■ 1 Durchgeführt von der Organisation UITP, dem Internationalen Verband für öffentliches Verkehrswesen, zusammen mit Axis Communications 2 Video unter https: / / www.youtube.com/ watch? v=CazpoD9XyBk Edwin Beerentemfel Manager Business Development, Middle Europe, Axis Communications, Rotterdam/ München info-de@axis.com Vernetzte Analysetools erkennen notorische Schwarzfahrer direkt beim Einsteigen. Quelle: Axis Communications Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 80 Assistenzbasierte Spracherkennung für Fluglotsen Synergien aus der Kombination von Assistenzsystemen mit Spracherkennern Arrival-Management, Assistenzsystem, Fluglotse, Spracherkennung, Sprachkontext Assistenzsysteme unterstützen Nutzer in unterschiedlichsten Domänen bei komplexen Aufgaben. Weicht ein Nutzer von Systemvorschlägen ab, vergeht oft ein längerer Zeitraum, bis das System angemessen reagiert. Grund dafür ist die fehlende Kenntnis des Systems bzgl. der Motive des Nutzers abzuweichen. Diesem Problem begegnet der hier vorgestellte Arrival-Manager AcListant durch „Zuhören“ bei der Kommunikation zwischen Lotse und Piloten. Im Folgenden wird das neue Konzept der assistenzbasierten Spracherkennung eingeführt und seine Leistungsfähigkeit am Beispiel des Arrival- Managements dargelegt. Autoren: Hartmut Helmke, Jürgen Rataj, Jörg Buxbaum I n vielen Lebensbereichen unterstützen Assistenzsysteme Nutzer bei der Bewältigung komplexer, zeitkritischer Aufgaben. So werden an hochfrequentierten Flughäfen die Fluglotsen vermehrt- durch Anflugassistenzsysteme (Arrival-Manager, AMAN) bei der Erzeugung einer maximalen Landerate unterstützt. Weicht ein Nutzer von Vorschlägen des Systems ab, vergeht längere Zeit, bis das System angemessen auf die Entscheidung des Operateurs, den Vorschlägen des Systems nicht zu folgen, reagiert und die Unterstützung anpasst. Grund dafür ist häufig die fehlende Kenntnis des Systems bzgl. der Motive des Nutzers für eine Abweichung von Systemvorschlägen. Diesem Problem begegnet der vorgestellte Arrival-Manager AcListant durch „Zuhören“. Beim Verfolgen der Kommunikation zwischen Lotse und Piloten erhält das System Informationen zum zukünftigen Vorgehen der Beteiligten. In Validierungsläufen mit Lotsen unterschiedlicher Nationalitäten erreichte der spezielle Spracherkenner Erkennungsraten oberhalb von 95 % - eine entsprechend schnelle und exakte Anpassung der Assistenz wurde damit möglich. Foto: Pixabay TECHNOLOGIE Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 81 Wissenschaft TECHNOLOGIE Problemstellung Wie beschrieben haben Unterstützungssysteme Probleme, wenn sie den Menschen in seinen Handlungen nicht verstehen. Jedermann kennt die Situation beim Autofahren, vom Navigationssystem zum „Wenden“ aufgefordert zu werden, weil man entgegen des Systemvorschlages nicht in die vorgesehene Straße einfährt. In ähnlicher Art und Weise entstehen auch Abweichungen zwischen den vom Lotsen gegebenen Anweisungen und den Anweisungen, die das Assistenzsystem dem Lotsen vorschlägt. So wird ein Flugzeug mit einem medizinischen Notfall an Bord an anderen Flugzeugen vorbei auf kürzestem Weg zur Piste geleitet, ohne sich in die bestehende Anflugreihenfolge einordnen zu müssen. Solche Anpassungen an eine sich plötzlich veränderte Situation werden in der Luftfahrt zwischen dem Lotsen und dem betroffenen Piloten über Sprechfunk verabredet. Im Fall des Flugzeuges mit dem Notfall verändert sich die Strategie, mit der der Lotse den Verkehr nun führt, erheblich. Heutige Arrival-Manager nutzen das im System hinterlegte „Wissen“ zur Bildung von Anflugreihenfolgen, um dem Lotsen optimale Vorschläge zum Aufbau einer Anflugreihenfolge zu liefern. Bei Abweichungen zwischen der Strategie des Lotsen und der Strategie des Systems nutzen konventionelle Arrival-Manger die „Beobachtung“ des Luftverkehrs mittels Radardaten zur Anpassung an die realen Flugbewegungen. Somit basiert die Unterstützung des Lotsen auf Annahmen des Assistenzsystems bezüglich der zukünftigen Situationen unter Verwendung von historischen Daten. Da sich in diesen Daten eine Veränderung der Strategie in der Führung erst bei der Ausführung vereinbarter Manöver zeigt, werden über einen gewissen Zeitraum Anweisungsvorschläge vom Assistenzsystem basierend auf einer unzutreffenden Strategie geliefert. Diese Vorschläge sind für den Lotsen nicht brauchbar. Die durch die Sondersituation wachsend komplexe Aufgabe wird nicht mehr unterstützt. Dieser Umstand führt zu erheblichen Akzeptanzproblemen bei derartigen Systemen. Damit liegt wie oben beschrieben die große Herausforderung bei Assistenzsystemen darin, die Unkenntnis bezüglich der Intention des Lotsen zu überwinden. Lösungsansatz In der Flugverkehrskontrolle (Air Traffic Control, ATC) basieren die Handlungen der Beteiligten auf dem Situationsbild, das sich aus den Radardaten und der Kommunikation der Beteiligten aufbaut. Diese Kombination aus einem sensorbasierten Lagebild verbunden mit kommunikationsbasierter Handlungsplanung findet sich in verschiedenen Domänen. Gemeinsam ist in diesen Umfeldern, dass die Absichten der Beteiligten durch Kommunikation untereinander vereinbart und anschließend so umgesetzt werden. Im ATC-Umfeld gibt der Fluglotse Anweisungen und Freigaben, die im Normalfall von den Piloten so umgesetzt werden. Ausgehend von der Problembeschreibung und der beschriebenen Arbeitssituation besteht der Lösungsansatz des hier vorgestellten neuen Konzeptes im Mithören, Verstehen und Nutzen der Kommunikation zwischen den Beteiligten im ATC-Umfeld. Damit wird es für das Assistenzsystem möglich, seine Vorschläge zur Problemlösung auf den aktuell getroffenen Entscheidungen zwischen den Beteiligten und somit auf die gemeinsame Intention auszurichten. Mit diesem Vorgehen basiert die Unterstützung nicht mehr auf Annahmen des Systems, sondern auf einem abgesprochenen gemeinsamen Vorgehen. Dieses Konzept erfordert einen Spracherkenner zum Mithören der Kommunikation zwischen Piloten und Lotsen. Der Spracherkenner muss eine Fehlerrate im unteren einstelligen Prozentbereich besitzen, um eine zuverlässige Unterstützung zu ermöglichen. Möglich wird dies mit einem Kontextbezug der Spracherkennung. Bei diesem Konzept wird das aktuelle Wissen des Assistenzsystems bzgl. der weiteren situativen Entwicklung genutzt, um den Sprachraum des Erkenners dynamisch einzuschränken. Der Spracherkenner verbessert somit nicht nur das Assistenzsystem, sondern das Assistenzsystem verbessert auch den Spracherkenner. Basierend auf der erkannten Kommunikation zwischen Lotse und Pilot ist das Assistenzsystem wiederum in der Lage, passendes aktuelles Wissen über die zukünftige Situation zu erzeugen und dem Spracherkenner zur Reduktion des Sprachraumes zur Verfügung zu stellen. Bild 1: Systemarchitektur der assistenzbasierten Spracherkennung Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 82 TECHNOLOGIE Wissenschaft Dieser allgemeine Ansatz wurde genutzt, um den Arrival-Manager AcListant (Active Listening Assistant) aufzubauen. Aus der Kommunikation zwischen dem Lotsen und den beteiligten Piloten wird die Strategie des Lotsen zum Aufbau einer Anflugreihenfolge ermittelt und vom Assistenzsystem im Folgenden bei seiner unterstützenden Planung berücksichtigt. Der konkrete Aufbau beruht auf einem allgemeinen Ansatz und somit kann dieses Vorgehen auch auf andere Domänen übertragen werden. Assistenzbasierte Spracherkennung Die folgende Abbildung beschreibt das Konzept der assistenzbasierten Spracherkennung, das gemeinsam vom DLR und der Universität des Saarlandes entwickelt wurde. Ein Assistenzsystem (hier der Arrival-Manager 4D- CARMA des DLR) analysiert die aktuelle Situation im Luftraum und sagt zukünftige Zustände voraus. Die Ausgaben des Assistenzsystems, Kontext genannt, werden vom „Hypothesen-Generator“ verwendet, um zukünftige mögliche Kommandos des Lotsen vorherzusagen (Bild 1). Die Hypothesen sind Eingang in den Spracherkenner-Teil (rechter Teil in Bild 1). Sie werden zum dynamischen Aufbau des aktuellen Sprachsuchraums verwendet. Das Sprachsignal der Sprachaufzeichnung wird in einen Merkmalsvektor umgewandelt. Davon ausgehend wird vom Worterkenner die Folge von Wörtern geliefert, die im aktuellen Suchraum liegt und bei gegebenem Merkmalsvektor am wahrscheinlichsten ist. Die wahrscheinlichste Wortfolge könnte z. B. lauten: “Lufthansa four nine six thank you normal speed however maintain one seven zero knots or greater to six miles final descend altitude three thousand …”. Hierbei interessiert nicht jedes einzelne Wort. Benötigt werden lediglich die im Fettdruck dargestellten relevanten Konzepte. Die Aufgabe, die Konzepte zu extrahieren, übernimmt die „Kommandoextraktion“, die z. B. die Kommandos „DLH496 SPEED_OR_ABOVE 170, DLH496 DESCEND 3000“ erzeugt. Die erkannten Kommandos gehen zurück an die Plausibilitätsprüfung, die nochmals prüft, ob die erkannten Kommandos in der aktuellen Situation sinnvoll sind. Ist das der Fall, werden sie zur Anpassung der Situation an das Assistenzsystem weitergeben. Weitere Details können [1] entnommen werden. Systemvalidierung Die Abschlussvalidierung des entwickelten Prototypen AcListant fand von Februar bis März 2015 im Simulator des DLR in Braunschweig mit elf Fluglotsen aus Deutschland, Österreich und Tschechien statt. Der Basisaufbau für die Validierung bestand aus einem Lotsenarbeitsplatz für das Anflugmanagement und zwei Pseudopiloten-Stationen. Als Luftraum wurde der Flughafennahbereich von Düsseldorf ausgewählt. Auf dem Bildschirm links oben in Bild 2 werden dem Lotsen die vom Spracherkenner erkannten Kommandos angezeigt. Die Eingaben des Spracherkenners werden sofort für eine mögliche Plananpassung vom Arrival Manager genutzt und die aktuell geplante Trajektorie dem Lotsen für ein an- Bild 2: Validierung des AcListant-Systems im Februar 2015 im ATMOS Bild 3: Subjektive Lotsenbewertung von Sequenz- und Trajektorien-Übereinstimmung bei unterschiedlichen Unterstützungsgraden Bild 4: Manuelle Eingabe aller Anweisungen mit Maus und Tastatur Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 83 Wissenschaft TECHNOLOGIE gesprochenes Flugzeug auf dem Haupt-Radarschirm in der Bildmitte in Gelb angezeigt. Der Bildschirm ganz rechts dient zur Abfrage der Arbeitsbelastung. In den Versuchen wurden zwei unterschiedliche Hypothesen geprüft: 1. Der AcListant-AMAN unterstützt den Lotsen besser als ein Standard-AMAN. 2. Der AcListant-AMAN unterstützt den Lotsen auch besser als ein AMAN, der anstelle der Spracheingabe eine Eingabe per Maus und Tastatur besitzt. Zur Prüfung beider Hypothesen wird jeweils das Vergleichsszenario (Baseline) Standard-Arrival-Manager-Unterstützung mit der aktuellen Arbeitsweise der Düsseldorfer Lotsen verwendet. Der AMAN ermittelt somit die Intension des Lotsen lediglich aus den Radardaten. Die gegebenen Lotsenkommandos stehen dem AMAN nicht zur Verfügung. Bei Hypothese 1 wird diese Basis-Unterstützungsleistung gegenüber der Unterstützung durch Spracherkennung als zusätzlichen Eingabekanal verglichen. Bei Hypothese 2 werden Maus und Tastatur für zusätzlichen Input gewählt. Auf diese Weise lässt sich der spezifische Einfluss der Spracherkennungserweiterung beim AMAN untersuchen. Insgesamt bearbeitete jeder der elf Lotsen nach einem Training sechs verschiedene Szenarien mit den unterschiedlichen Unterstützungsgraden und Eingabemöglichkeiten (siehe [1]). Ergebnisse Die Unterstützungsleistung des Assistenzsystems wird in diesem Fall über die Betrachtung der Zeitdauer der Abweichung zwischen der vom AMAN geplanten Trajektorie des Flugzeugs und der tatsächlich geflogenen Trajektorie bestimmt. Je geringer diese Abweichung ist, desto geringer ist die Zeit, in der das Assistenzsystem mit einer vom Lotsen abweichenden Strategie Vorschläge zur Führung des Luftverkehrs unterbreitet. Diese Zeitdauer konnte nahezu um den Faktor 3 reduziert werden. Beim AcListant-System gab es nur während 5,0 % der Zeitdauer des Versuchslaufs eine Abweichung der beiden Trajektorien gegenüber 14,8 % mit der Baseline. Geplante und tatsächliche Sequenz stimmten beim AcListant- AMAN im Durchschnitt zwei Minuten früher überein. Eine zügige Übereinstimmung bei der Strategie zwischen Lotse und Assistenzsystems ist vor allem bei Strategiewechseln für die Akzeptanz durch die Nutzer von hoher Bedeutung. Beim Strategiewechsel muss für alle Flugzeuge geklärt werden, ob eine Anpassung an die neue Strategie erforderlich ist, womit eine hohe Arbeitslast verbunden ist. Speziell diese Arbeitslastspitzen werden durch den AcListant-AMAN aufgefangen. Die objektiven Messwerte stimmen mit den subjektiven Lotsenfeedbacks überein. Die Lotsen wurden alle fünf Minuten aufgefordert, Schulnoten für die Sequenz- und Trajektorienplanung zu vergeben. Bild 3 zeigt in Blau die Lotsenbewertung der Übereinstimmung der Sequenzplanung und in Rot die der geplanten und geflogenen Trajektorien. Bei der Baseline bewerten die Lotsen die Überstimmung zwischen System und ihrem mentalen Modell bei der Sequenzplanung mit 1,9 und bei der Trajektorien- Übereinstimmung mit 2,5. Im Fall des AcListant-Systems ist die Zufriedenheit der Lotsen bei der Sequenzplanung mit 1,7 und bei der Trajektorien-Übereinstimmung mit 2,2 deutlich besser. Entsprechende Ergebnisse zeigt der Vergleich zwischen AcListant und dem mausunterstützten AMAN in der Bildmitte. Dies liegt an der zusätzlichen Arbeitsbelastung und daran, dass die Eingabe per Maus nicht so zuverlässig erfolgte. So wurden 91,9% der gegebenen Kommandos vom Spracherkenner bei einer Fehlerrate von 2,2 % erkannt. Mit der Maus wurden lediglich 77,6 % der Kommandos korrekt eingeben, der Rest wurde entweder falsch oder gar nicht eingegeben. Weitere Details können [2] entnommen werden. Im November und Dezember 2015 fand eine erneute Versuchskampagne zur Quantifizierung der Reduktion der Lotsenarbeitsbelastung mittels Spracherkennerunterstützung statt. Hierbei wurden von acht Lotsen über 11 000 Kommandos gegeben. Die Erkennungsrate konnte weiter auf 95 %, bei 1,7 % Fehlerrate, gesteigert werden. Zusammenfassung In diesem Artikel wurde die assistenzbasierte Spracherkennung am Beispiel eines Lotsenunterstützungssystems präsentiert. Diese ermöglicht eine Verbesserung der Assistenzleistung, indem das Assistenzsystem neben den Radardaten die Kommunikation zwischen Lotse und Piloten nutzt. Die Kombination von Assistenzsystem mit Spracherkennung führt nur durch die vom Assistenzsystem dynamisch bereit gestellten Kontextinformationen zu den erforderlichen Kommandoerkennungsraten von 95% und mehr. Auch in vielen anderen Domänen sind solch signifikante Verbesserungen von Assistenzleistungen durch die Verwendung von Assistenzbasierter Spracherkennung aus Sicht der Autoren möglich. ■ liTERATuR [1] Helmke, H., Rataj, J. et al.: Assistant-Based Speech Recognition for ATM Applications; in: 11th ATM R&D Seminar (ATM2015), Lissabon, Portugal, Juni 2015 [2] Gürlük, H., Helmke, H. et al.: Assistant Based Speech Recognition - Another Pair of eyes for the Arrival Manager; 34th Digital Avionics Systems Conference (DASC), Prag, Tschechien, Sep. 2015 Jürgen Rataj, Dipl.-Ing. Abteilungsleiter Lotsenassistenz, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig juergen.rataj@dlr.de Hartmut Helmke, Hon. Prof. Dr.-Ing. Projektleiter AcListant, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig hartmut.helmke@dlr.de Jörg Buxbaum, Dipl.-Ing. Leiter R&D-Team Air Traffic Management, DFS Deutsche Flugsicherung GmbH, Bereich Planung und Innovation, Langen joerg.buxbaum@dfs.de FORUM Medien Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 84 Autonomes Fahren Wo wir heute stehen und was noch zu tun ist Daimler und Benz Stiftung (Hrsg.) Ladenburg, München/ Berlin 178 Seiten, broschiert EUR 14,90 [D] EUR 15,40 [A] ISBN 978-3-492-05780-6 Es ist nicht die Frage, ob es kommen wird, sondern einzig, wann und in welchem Umfang: Hoch automatisierte Fahrzeuge - meist als „autonome Fahrzeuge“ in den Schlagzeilen, sind zweifellos mehr als bloßer Trend. Sie besitzen das Potenzial, die Mobilität in unserer Gesellschaft grundlegend zu verändern. Wie aber kann und soll das geschehen? Viele der offenen Fragen rund um das autonome Fahren thematisiert das neue Buch der Daimler und Benz Stiftung. Es bereitet die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Experten aus dem von der Stiftung unterstützten interdisziplinären Förderprojekt „Villa Ladenburg - Autonomes Fahren“ in allgemein verständlicher Form auf. Dazu gehören Aspekte des Personen-, Berufs- oder Güterverkehrs: Wie etwa werden sich die technologischen Innovationen auf Arbeitsmarkt und Industrie auswirken? Aber auch Sicherheits- und Gesellschaftsthemen stehen auf der Agenda: Was kann geschehen, wenn sich ein Fahrcomputer selbstständig macht? Verändern sich unsere Städte durch autonome Fahrzeuge - und ist unsere Gesellschaft überhaupt reif für autonomes Fahren? Zahlreiche Fotos, Übersichten und Diagramme veranschaulichen den Stand der aktuellen technischen und gesellschaftlichen Diskussion. Zahlreiche historische Fundstücke aus Literatur und Film illustrieren aber auch, dass die Idee vom „Roboter- Auto“ bereits eine lange Tradition hat. Insgesamt also ein lohnender Überblick. red Elektrofahrzeuge für die Städte von morgen Interdisziplinärer Entwurf und Test im designStudio NRW Heike Proff, Matthias Brand, Kurt Mehnert, J. Alexander Schmidt, Dieter Schramm (Hrsg.) 2016, 250 S., Hardcover (auch als eBook verfügbar) EUR 49,99 (D), EUR 51,39 (A) ISBN 978-3-658-08457-8 Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Stadtverkehrs mit hohen, auch gesundheitsgefährdenden Emissionen durch Verbrennungsmotoren scheint die Zeit wirklich reif zu sein für intermodale urbane E- Mobilität. Und ja: Elektromobilität wird kommen - wenn auch langsamer als von Vielen erhofft. Denn die heute angebotenen Elektrofahrzeuge übersteigen nicht nur die Preisbereitschaft der Käufer, sondern gehen meist am Kundenbedarf vorbei. Nötig wären für urbane, umweltbewusste und innovationsorientierte frühe Käufer vor allem kompakte Batteriefahrzeuge im- Einstiegssegment, die statt des herkömmlichen Motorhaube-Fahrgastzelle- Designs innovative Gestaltungsansätze aufweisen. Ziel des Projekts „Designstudio NRW“ war es daher, Ideen zur „New Smart E-Mobility“ zu entwickeln, die bei Kundenanforderungen ansetzt und durch Designsprache und technologische Eigenschaften begeistert. Betriebswirte, Psychologen, Designer, Stadtplaner und Ingenieure haben im Rahmen des Projekts das Konzept einer neuen Lade- und multimodalen Mobilitätsumgebung entworfen - das NRWCar als Designkonzept in einer virtuellen Stadtumgebung 2030. Die fünf Herausgeber lehren als Professoren an den verschiedenen Fakultäten der Universität Duisburg-Essen und der Folkwang-Universität und präsentieren in diesem Buch die Ergebnisse dieser spannenden interdisziplinären Entwicklung eines Elektrofahrzeuges. red Modelling Public Transport Passengers Flows in-the Era of Intelligent Transport Systems Guido Gentile, Klaus Nökel (Hrsg.) 2016, 641 Seiten, Hardcover EUR 129,99 ISBN 978-3-319-25080-9 Der Veröffentlichung dieses engl i s c h s p r a c h i g e n Lehrbuchs zur „ÖV-Modellierung in Zeiten intelligenter Verkehrssysteme“ waren vier Jahre intensiven Austauschs und Forschung im Rahmen der TransITS COST Action, einem von der Europäischen Union geförderten Programm, vorausgegangen. Hier untersuchten Forscher aus 21 europäischen Ländern, von welchen auf dem Markt befindlichen ITS-Entwicklungen zur Echtzeit-Betriebssteuerung von ÖV-Fahrzeugen, ÖV-Priorisierung und dynamische Fahrgastinformation der öffentliche Verkehr wie profitieren könnte. Die Herausgeber, Prof. Guido Gentile von der Universität La Sapienza in Rom und Dr. Klaus Nökel, Vice President Product Management & Software Development bei der PTV Group, haben die Ergebnisse nun in diesem Lehrbuch, das sich an Praktiker und Entscheider wie an Forscher und Studierende wendet, aufgearbeitet. Sie geben Praktikern und Planern ein Formelwerk an die Hand, das detailliert auf unterschiedliche Umlegungsverfahren im Modell eingeht und die Wirkung verschiedener ITS-Technologien erläutert. red Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 85 Erscheint im 68. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag DVV Media Group GmbH Postfach 10 16 09, D-20010 Hamburg Nordkanalstraße 36, D-20097 Hamburg Tel. +49 40 23714-01 geschäftsführer Martin Weber Verlagsleiter Detlev K. Suchanek Tel. +49 40 23714 227 | detlev.suchanek@dvvmedia.com Redaktion Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 40 23714-223 | Fax: +49 40 23714-205 eberhard.buhl.extern@@dvvmedia.com Redaktionelle Mitarbeit Kerstin Zapp Anzeigen gesamtanzeigenleitung Tilman Kummer Anzeigenleitung Silke Härtel (verantw.) +49 40 23714-227 | silke.härtel@dvvmedia.com Anzeigenverkauf Tim Feindt +49 40 23714-220 | tim.feindt@dvvmedia.com Anzeigentechnik Patrick Schröter +49 40 23714-127 | patrick.schroeter@dvvmedia.com Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 52 vom 01.01.2015. Vertrieb leiter Marketing & Vertrieb Markus Kukuk +49 40 23714-291 | markus.kukuk@dvvmedia.com unternehmenslizenzen Digital/ Print Oliver Brandt +49 8191 3055039 | oliver.brandt@dvvmedia.com leser- und Abonnentenservice Tel. +49 40 23714-260 | Fax +49 40 23714-243 kundenservice@dvvmedia.com Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist ausdrücklich untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte (auch Mitarbeiter, sofern ohne personenbezogene Nutzerlizenzierung) weiterzugeben. Bezugsgebühren Abonnement-Paket inland: EUR 193,00 zzgl. MWSt.; Abonnement-Paket Ausland: EUR 215,00 Einzelheft: EUR 50,00 (inkl. MWSt.) Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print, Digital und E-Paper sowie den Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Organschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld druck L.N. Schaffrath GmbH & Co. KG, Geldern Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Vector Circuit Board; Foto: ClipDealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der DVV Media Group ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Mobilität und Logistik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg August Ortmeyer Dr., Leiter der Abteilung Dienstleistungen, Infrastruktur und Regionalpolitik im Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Jürgen Peters Dr., Geschäftsführer Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin Christian Piehler Dr.-Ing., Programmdirektor Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Associate Partner, Oliver Wyman, Berlin Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Präsident der DVWG und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Jürgen Siegmann Prof. Dr.-Ing. habil., Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, TU Berlin Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Wolfgang Hönemann Dr., Geschäftsführer Rhenus PartnerShip, Duisburg Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 86 Liebe Leserinnen und Leser, die vorliegende Ausgabe fokussiert vor- allem auf Informations- und Kommunikationstechnologien als Treiber des Mobilitätswandels, Internationales Verkehrswesen 2/ 2016 wird sich stärker mit Transport- und Logistikthemen beschäftigen. Unter dem Schwerpunkt Logistik 4.0 - Intelligente Lösungen für Transport und Verkehr wird die Ausgabe unter anderem Container-Hinterlandverkehre, grenzüberschreitende Transportrelationen und Möglichkeiten für den Kombinierten Verkehr thematisieren, ebenso die Auswirkungen des demographischen Wandels und der Cloud-Technologie auf logistische Strategien. Auch Sicherheitsthemen kommen nicht zu kurz - etwa die Bedrohungslage durch Piraterie in ostasiatischen Gewässern oder der Aspekt „gefährlicher Schiffe“ in der Tankschifffahrt. In den Mobilitäts-Beiträgen werden Sie von kundenfreundlichen ÖPNV- Strategien lesen, von neuen Akteuren und Machtverhältnissen beim „autonomen Fahren“ und den Auswirkungen dieser Entwicklung auf die kommunale Verkehrsplanung. Ebenfalls im Heft: eine neue Ausgabe des InnoZ Mobilitätsmonitors mit aktuellen Trends und Zahlen. Internationales Verkehrswesen 2/ 2016 erscheint am 14. April 2016 - und ich hoffe, Sie lesen uns weiterhin mit Interesse. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 29.02.- 01.03.2016 Berlin (DE) 4. Railway Forum Info: IPM GmbH http: / / www.railwayforumberlin.de t.s@ipm-scm.com 01.-03.03.2016 Karlsruhe (DE) iT-Trans Internationale Konferenz und Fachmesse Veranstalter: UITP und Karlsruher Messe- und Kongress-GmbH Info: http: / / www.it-trans.org Kontakt: jochen.georg@messe-karlsruhe.de 15.-17.03.2016 Köln (DE) Passenger Terminal Conference & EXPO 2016 Internationale Ausstellung und Konferenz für Passagierterminal-Design, -Sicherheit, -Technologie und -Verwaltung Veranstalter: UKIP Media & Events Ltd. Info: www.passengerterminal-expo.com Kontakt: +44 1306 743744, a.obrien@ukintpress.com 05.-08.04.2016 Amsterdam (NL) intertraffic Amsterdam 2016 Fachmesse für Infrastruktur, Verkehrsmanagement, Sicherheit und Parken Veranstalter: Amsterdam RAI Info: www.intertraffic.com Kontakt: +31-20-5491212, mail@rai.nl 12.-13.04.2016 Leipzig (DE) new mobility - Fachmesse und Kongress Produkte und Dienstleistungen zur künftigen Mobilität in vernetzten Infrastrukturen Veranstalter: Leipziger Messe GmbH Info: www.new-mobility-leipzig.de Kontakt: +49 341 678-8983, info@new-mobility-leipzig.de 20.-23.04.2016 Friedrichshafen (DE) Aero - internationale Fachmesse für Allgemeine luftfahrt Veranstalter: Messe Friedrichshafen Info: www.aero-expo.com Kontakt: +49 7541 708-404 25.-29.04.2014 Hannover (DE) Hannover Messe 2016 Industriemesse mit „Energy - Internationale Leitmesse für integrierte Energiesysteme und Mobilität“ Veranstalter: Deutsche Messe Info: www.hannovermesse.de Kontakt: +49 511 89-0 18.-20.5.2016 Leipzig (DE) international Transport Forum (iTF) - summit 2016 »Green and Inclusive Transport« Veranstalter: OECD Info: www.internationaltransportforum.org Kontakt: paula.dunne@oecd.org 01.-04.06.2016 Berlin (DE) ilA 2016 - internationale luft- und Raumfahrtausstellung Veranstalter: Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI) und Messe Berlin GmbH Info: www.ila-berlin.de Kontakt: ila@messe-berlin.de 31.05.- 02.06.2016 Berlin (DE) Metropolitan solutions Konferenzmesse für Smart und Green Cities Veranstalter: Deutsche Messe, Hannover Kontakt: +49 511 89-0 info@messe.de Info: www.metropolitansolutions.de 29.-30.06.2016 Düsseldorf (DE) CONCAREXPO 2016 International Expo & Congress for Connected Cars & Mobility Solutions Veranstalter: VDI Wissensforum GmbH, Düsseldorf Kontakt: +49 211 6214-201 wissensforum@vdi.de Info: www.concarexpo.com TERMiNE + VERANsTAlTuNgEN 29.02.2016 bis 30.06.2016 weitere Veranstaltungen finden sie unter www.internationalesverkehrswesen.de www.eurailpress.de, www.schiffundhafen.de, www.dvz.de VORSCHAU | TERMINE Das Standardwerk für die Schienenlogistik Speziell für Transportunternehmen, Logistikdienstleister, Speditionen und Studierende Jetzt bestellen für nur EUR 59,- (inkl. MwSt., zzgl. 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