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Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
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2016
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Strategien für die Mobilität von morgen Verkehr neu denken POLITIK Kostenloser ÖPNV - eine Utopie? LOGISTIK Urbane E-Logistik in der Praxis MOBILITÄT Neue Herausforderungen für Stadt- und Verkehrsplaner TECHNOLOGIE Transportströme darstellen mit Data-Mining Straße als Lebensraum begreifen Der Architekt und Stadtplaner Albert Speer im Interview www.internationalesverkehrswesen.de Heft 3 l September 2014 66. Jahrgang World Rail Market Study A study commissioned by UNIFE - The European Rail Industry Conducted by Roland Berger Strategy Consultants WORLD MARKET STUDY forecast 2012 to 2017 Commissioned by UNIFE - The European Rail Industry Conducted by Roland Berger Strategy Consultants DVV Media Group GmbH Worldwide Rail Market Study - status quo and outlook 2016 A study commissioned by UNIFE, the Association of the European Rail Industry and conducted by Roland Berger Strategy Consultants DVV Media Group THE EUROPEAN RAIL INDUSTRY DVV Media Group Special rate for InnoTrans exhibitors! forecast 2014 to 2019 WORLD study RAIL MARKET DVV Media Group GmbH THE EUROPEAN RAIL INDUSTRY Commissioned by Conducted by New! Th e l ar g e st st ud y o f i ts k i n d Based on a survey conducted in the 55 largest rail markets worldwide, the UNIFE World Rail Market Study provides market volumes and growth predictions from 2014 to 2019. Based on the testimony of UNIFE members and rail experts from all around the globe, the WRMS gives an account of short-term and long-term growth for all rail product segments and regions. Strategic conclusions are elaborated for each product segment and region based on the order intake of UNIFE members, a sophisticated forecasting model and the expertise of selected high-level decision-makers in the most important rail markets in the world political and economic scenarios. Contact: Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 3 Knut Ringat EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, ab dieser Ausgabe wird ein Mitglied des Herausgeberkreises abwechselnd für ein- Heft das Impressum übernehmen. Dass ich in meiner Funktion als Präsident der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft und als Sprecher der Geschäftsführung des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV) dies als erster wahrnehmen darf, ehrt mich - und setzt mich in eine Plicht gegenüber Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich übernehme Verantwortung. Verantwortung übernehmen, und dies wird immer mehr zum bestimmenden Thema allen Handelns rund um die Bereitstellung von Infrastruktur, ist die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre, ja Jahrzehnte. Die großen Aufgaben unserer Branche, der Erhalt und Ausbau der Infrastruktur, die Neugestaltung der Finanzierung und die immer stärker wachsende Vernetzung, die Multimodalität, nehmen uns alle in die Plicht. Nur gemeinsam wird es uns gelingen, Anwohner von großen Infrastrukturvorhaben zu überzeugen oder auch Abgeordnete dazu zu bewegen, inanzielle Grundlagen zu gewährleisten, die einen bezahlbaren Verkehr gestalten können. Zu unserem Beitrag, unserer Verantwortung gehört es, dass wir klar Stärken und vor allen Dingen unsere Schwächen analysieren. Die von mir für dies Heft eingeladenen Autoren beispielsweise sind allesamt Experten der Mobilität. Prof. Dr. Jörg Schönharting beschäftigt sich mit der Stadt der Zukunft, Dr. Lars Schnieder mit Strategien für einen modernen ÖPNV. Zusammen mit Beiträgen von Experten aus Politik, Logistik und Technologie hofen wir so, eine schlagkräftige, moderne Ausgabe des Internationalen Verkehrswesens produziert zu haben. Einig sind wir uns in einem Belang: Zum Wohle unserer Gesellschaft müssen wir gemeinsam Verkehr neu denken. Neben dem dringend notwendigen Erhalt und Ausbau unserer Verkehrswege müssen wir den Mut zu Innovationen aubringen, uns Querdenken erlauben und einen ofenen Diskurs führen. Und dazu brauchen wir Experten aus anderen Fachbereichen: Stadtplaner, Zukunftsforscher, Politiker, Bürgerrechtler, Anwälte, engagierte Privatleute. Nur im Diskurs, und dies zeigt sich deutlich, können wir etwas bewegen. Der RMV will diesen Weg gehen, in dem wir nach über sechs Jahren erstmals wieder einen Regionalen Nahverkehrsplan zur Entwicklung des ÖPNV im Rhein- Main-Gebiet aulegen. Fast fünf Jahre haben unsere Experten daran gesessen, einen Masterplan für die Herausforderungen des ÖPNV im Rhein-Main-Gebiet zu erstellen. Mit den Überlegungen zur Angebotsentwicklung stellen Thomas Busch und Prof. Dr. Josef Becker Ergebnisse in diesem Heft vor. Wir freuen uns, Ihnen unsere Lösungsansätze zu präsentieren. „Beteiligt Euch! “, habe ich etwas salopp als Motto über dieses Editorial geschrieben. Doch gibt es sicherlich einen Konsens in unserer Branche, dass wir nur gemeinsam die Herausforderungen der kommenden Jahre meistern werden. Zur Beteiligung, sehr verehrte Leserinnen und Leser, will ich Sie aber auch zu diesem Magazin aufrufen, welches viele von uns seit Jahren mit ausgezeichneten Experten und hervorragenden Artikeln begleitet. Werden auch Sie Teil des Internationalen Verkehrswesens! Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und freue mich auf weiterhin spannende Beiträge. Ihr Knut Ringat Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH „Beteiligt euch! “ Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 4 POLITIK 12 Direktlüge durch Emirates zwischen Deutschland und den-USA Richard Klophaus 18 Reform des französischen Eisenbahnwesens 2014 Ralf Schnieders 20 Wettbewerb bei Metros, Stadt- und Straßenbahnen Option für deutsche Großstädte? Florian Krummheuer 24 Kostenloser ÖPNV Utopie oder plausible Zukunft? Kai Gondlach 27 Benzin - Wann der Grif zur Zapfpistole teuer wird Manuel Frondel Alexander Kihm Nolan Ritter Colin Vance 30 Steigende Energiepreise und ihre Wirkung auf planerische Strategien Sven Altenburg Marcus Peter LOGISTIK 50 Logistikgeschenke zum Hundertsten Logistikprojekte in der Türkei Dirk Ruppik 52 HOLM - ein interdisziplinäres Kooperations-Modell Jürgen Schultheis 54 Nutzung der Binnenschiffahrt auf Rhein und Elbe Anja Scholten Benno Rothstein 56 Bundeswasserstraße Schlei? Kommentar Dr.-Ing. Andreas Kossak 57 Seetransport von Automobilen Klaus Harald Holocher 60 Fluktuation von Berufskraftfahrern Möglichkeiten einer aktiven Personalbindung Rudolf Large Tobias Breitling Nikolai Kramer 63 Elektromobilität im städtischen Wirtschaftsverkehr Wolfgang Aichinger 66 KV-E-Chain Vollelektrische Lieferkette im-Kombinierten Verkehr Philip Michalk Klaus-Günter Lichtfuß Herbert Sonntag INFRASTRUKTUR 36 Visionen einer Mobilität für die Stadt der Zukunft Jörg Schönharting Stefan Wolter 39 Erhalten - Gestalten - Vorausschauen Kommentar Wolfgang H. Schulz 40 Infrastruktur-Modernisierung macht Nahverkehr in Nordhessen leistungsfähiger Wolfgang Dippel Martin Witzel 44 Damit Deutschland vorne bleibt Die Länderinitiative für Verkehrsinfrastruktur Eberhard Krummheuer 46 Neuere Entwicklungen im Schienengüterverkehr Brasiliens Armin F. Schwolgin Sie finden Internationales Verkehrswesen mit umfangreichem Archiv, aktuellen Branchenmeldungen und Terminen unter: www.internationalesverkehrswesen.de Foto: NVV Foto: Transmission Foto: Rainer Sturm/ pixelio.de THEMA THEMA THEMA THEMA THEMA THEMA 34 Straße als Lebensraum begreifen Ein Interview mit dem Architekten und Stadtplaner Albert Speer Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 5 INHALT September 2014 MOBILITÄT 68 Junge Leute - Abwendung vom-Auto? Ein Faktencheck Volker Schott 71 What Cities Want Roland Priester Montserrat Miramontes Gebhard Wulfhorst 75 City 2.e Elektroautos im Stadtquartier Veronique Riedel Oliver Schwedes 78 Urbane Mobilität im Umbruch? Free-Floating-Carsharing Friedemann Brockmeyer Sascha Frohwerk Stefan Weigele 81 Zielkonlikte im dynamischen Verkehrsmanagement Stefan Grahl 84 Bewertung von Fahrplankonzepten Trutz von Olnhausen Ronald Glembotzky 90 Planerische Strategien für die-Angebotsentwicklung Thomas Busch Josef Becker WISSENSCHAFT 93 Szenario-Methode in der Verkehrswissenschaft Martin Jähnert TECHNOLOGIE DVWG-Nachrichten 127 Deutscher Mobilitätskongress 2014 Thorsten Fromm 128 Verkehrswissenschaftliche Nachrichten 131 DVWG-Veranstaltungen RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 1 1 Kurz + Kritisch 33 Bericht aus Brüssel 117 Forum, Veranstaltungen, Lehre, Meinung 133 Impressum | Gremien 134 Vorschau | Termine AUSGABE 4/ 2014 Verkehrsstrukturen: Sicher, global, wirtschaftlich erscheint am 17. November 2014 96 Strategien für den ÖPNV der Zukunft Lars Schnieder Karsten Lemmer 98 TraViMo Transportstrom- Visualisierungs-Modell Regionales Data-Mining Bernd Buthe Peter Jakubowski Dorothee Winkler 102 Scheibenbremse und Güterwagen Mark Stevenson Dietmar Gilliam Johannes Nicolin 104 Zulassungsprozesse für Fahrzeuge in Deutschland Straße, Luft und Schiene im Vergleich - Teil 1: Straße Hermann Winner WISSENSCHAFT 108 TransMilenio goes green Sven Körner Enrico Brandes 112 Elektriizierung des Schwerlastverkehrs Wissenschaftliche Begleitforschung zum Projekt ENUBA Frank Hartung Sven Lißner Falk Richter Alexander Schemmel Giso Wundratsch Foto: Rolf Handke/ pixelio.de Foto: Scania THEMA THEMA THEMA THEMA THEMA THEMA THEMA Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 6 Alpha Trains: Regioshuttle im modernen Gewand D er Eigentümer und Vermieter von Schienenfahrzeugen, Alpha Trains Europa, und der Wartungsspezialist für Schienenfahrzeuge, Euromaint Rail, präsentieren auf der diesjährigen Innotrans das Re- Design der Regioshuttle RS1 von Stadler, die mittlerweile 15 Jahre alt sind. Ganz oben auf der Liste der Arbeiten stand, die Regiozüge barrierefrei und behindertengerecht umzubauen. Die Toilettenzellen mussten dazu vollständig herausgerissen und durch geräumigere ersetzt werden. Rollstuhlfahrer können sich nun mit einem Wendekreis von 1,5 m bewegen. Über eine Rampe kommen zudem auch Fahrgäste mit Fahrrädern problemlos in die Fahrzeuge. Damit mehr Zweiräder in den Zügen Platz inden, wurden die Sitzplätze neu angeordnet. Während auf der einen Wagenseite Sitzgruppen geblieben sind, sind auf der anderen Seite nun Klappsitze zu inden. Darüber hinaus verfügen die Regioshuttle neu über moderne Videoüberwachungs-, Fahrgastzähl- und Fahrgastinformationssysteme. Gegen Graitiangrife erhielt der Außenlack eine besondere Schutzschicht. Somit entsprechen die Züge nun den modernsten Standards und stehen Neufahrzeugen laut Alpha Trains in nichts nach. Das Unternehmen hat den Umbau der Züge geplant und überwacht, die Arbeiten am Zug hat Euromaint Rail im sächsischen Delitzsch vorgenommen. Die ersten zwei Züge sind bereits ausgeliefert, bis Ende 2014 sollen weitere 13 Einheiten folgen, die ebenfalls an die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) verleast werden für das Netz Ostbrandenburg. Wenn der Verkehrsvertrag nach zehn Jahren ausläuft, gehen die Züge zurück an Alpha Trains zur weiteren Vermarktung. (Jessica Buschmann / zp) Neu gestalteter Regioshuttle für die NEB Foto: Alpha Trains IM FOKUS Vollert: Hybrid-Roboter für Rangierarbeiten V ollert Anlagenbau, bekannt für ortsfeste und autarke Rangiersysteme für Neben- und Anschlussbahnen, zeigt auf der Messe Innotrans erstmals eine besonders umweltfreundliche Hybrid-Antriebsgeneration aus der autarken Rangier-Robot-Baureihe. Die dieselelektrische Antriebstechnik verspricht einen deutlich reduzierten Kraftstofverbrauch, entsprechend geringere Schadstofemissionen und durch einen Partikelilter noch einmal weniger Rußpartikel im Abgas. Die Drehzahl des Dieselmotors passt sich dabei kontinuierlich an die benötigte Leistung an durch Kombination von Drehstrom- und Gleichstromtechnik. Der Generator wird über ein Verteilergetriebe mit dem Dieselmotor verbunden und der Elektromotor als Achsantrieb mit einem Stirnradgetriebe kombiniert. Durch diese Konstruktion ist die Verwendung kleinerer Dieselmotoren möglich, gleichzeitig steht ein konstant hohes Drehmoment zur Verfügung mit entsprechender Schubkraft vom Stand weg. (zp) Voith: Energieabsorber aus Faserverbundkunststof F ront Ends sind bei Unfällen höchsten Belastungen ausgesetzt und benötigen daher spezielle Struktur- und Energieverzehrelemente. Voith Turbo stellt auf der Innotrans 2014, die Ende September in Berlin stattindet, erstmalig einen seitlichen Energieabsorber aus glasfaserverstärktem Kunststof (GFK) und Aluminium vor. Er wiegt laut Hersteller lediglich ein Drittel des konventionellen Modells aus Stahl und ergänzt das variable Fahrzeugkopkonzept Galea, kann aber auch in andere Frontsysteme integriert werden. Galea ist modular aufgebaut, besteht vorwiegend aus GFK und ist für Schienenfahrzeuge im Personennah- und Fernverkehr entwickelt worden. Neben dem Galea-Konzept zeigt Voith auf der Messe die Bugnase der neuen ICx- Züge für den Fernverkehr der Deutsche Bahn AG. Sie sollen von 2016 an die bisherigen Intercity/ Eurocity sowie später die ICE1- und ICE2-Fahrzeuge ersetzen und zeichnen sich durch aerodynamisches Design und Nutzlächenoptimierungen aus, die Gewichts- und Energieeinsparungen ermöglichen. Darüber hinaus sind etwa CFK-Abschleppkupplungen und Powerpacks für Dieselantriebe zu sehen. (zp) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 7 IM FOKUS Deutsche Handelsschiffahrt: Modernisierung der Flotte D ie deutschen Reeder steuern mit einer grundlegenden Modernisierung ihrer Flotten gegen das anhaltende Konjunkturtief in der weltweiten Handelsschiffahrt an. Der Schwerpunkt der Modernisierungsoffensive liegt dabei auf der Digitalisierung und Vernetzung der Flotten, der weiteren Senkung des Treibstofverbrauchs und nicht zuletzt dem Einsatz immer größerer Schife. Das geht aus der jährlichen, mittlerweile zum sechsten Mal durchgeführten Branchenumfrage des Beratungshauses PwC hervor. Über voll ausgelastete Flotten berichten derzeit nur zwei von drei Reedern. Dies ist der mit Abstand niedrigste Wert seit 2009 (53-%). Auch die konjunkturellen Branchenperspektiven werden 2014 pessimistischer beurteilt: Aktuell sehen 60- % der Reeder keine kurzfristige Erholung der weltweiten Schiffahrtsmärkte. PwC geht aufgrund der Antworten davon aus, dass der Weltmarkt auf absehbare Zeit von einem Verdrängungswettbewerb geprägt bleibt, auf dem sich die eizientesten und kapitalstärksten Reeder durchsetzen werden. Zwei von drei Unternehmen planen für 2014/ 2015 die Anschafung neuer Schife - laut Studie der höchste Wert seit Jahren. Die Studie „Größer, internationaler, digitaler: Perspektiven für deutsche Reedereien“ ist im Juli erschienen und kann kostenlos unter www.pwc.de bestellt werden. (zp) Fraunhofer IPA: Batteriezellen mit Intelligenz versehen U m den Batteriewechsel im Wartungsfall bei Elektroautos zu vereinfachen, kosteneizient zu gestalten und Werkstattaufenthalte zu verkürzen, haben Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) eine intelligente Batteriezelle für ein modulares Batteriemanagementsystem (BMS) entwickelt und patentieren lassen. Das BMS aus standardisierten Hardwarekomponenten kommt ohne zentrales übergeordnetes System aus. In die Zellgehäuse ist eine elektronische Schaltung integriert, so dass die Zellen selbst ein verteiltes BMS bilden, ein Gedächtnis haben, Selbstdiagnosen durchführen können und etwa ihre Ladehistorie kommunizieren können. So sind alte oder defekte Zellen zu erkennen und können aus dem Gesamtsystem entfernt werden. Wertbestimmende und herstellerabhängige Komponenten wie das crashsichere Gehäuse oder Elektronikkomponenten bleiben dabei erhalten, es muss nicht das komplette Batteriesystem ausgetauscht werden und die Lebensdauer der Gesamtbatterie verlängert sich. (zp) Diskret aufgebauter Demonstrator der intelligenten Zellen Foto: Fraunhofer IPA Contitech: Luftfedern für extreme Einsätze O b Saudi Arabien oder Kasachstan: Extreme Temperaturen stellen hohe Anforderungen an die Federsysteme von Schienenfahrzeugen. Auf der Innotrans 2014 Ende September präsentiert die Contitech AG unter anderem die neu entwickelte K-Luftfeder, die Tiefsttemperaturen von bis zu minus 50°C standhält. Neben Megi®- Federn und Luftfedersystemen hat das Unternehmen für die Messe auch Balgzylinder in Pantografen, Wasserschläuche für den Bahnbetrieb und Faltenbalgstofe für Schienenfahrzeuge im Gepäck. Im Vordergrund stehen Lösungen für den wachsenden Nahverker in Ballungsräumen. (zp) DNV GL: Mehr Energieeizienzpotenzial in der Schiffahrt W ährend führende maritime Unternehmen ein Jahr nach der verplichtenden Einführung des Ship Energy Eiciency Management Plans (SEEMP) ihren Energieverbrauch um 10-% und mehr reduzieren konnten, hat die Mehrheit der Branche bisher nur sehr geringe Einsparungen von 1 bis 3-% erreichen können. Das ist das Ergebnis der Ende Juli veröfentlichten Energy Management Study 2014 der Klassiikations- und Beratungsgesellschaft DNV GL. Ihre Erfolge erzielten die Spitzenreiter durch Maßnahmen, die über die üblichen wie Wetterrouting und Hilfsdieseloptimierung hinausgehen. Kernpunkte ihrer Konzepte sind: 1. Einführung komplexer Maßnahmen, die auch eine Kooperation mit Geschäftspartnern erfordern 2. Klare Verankerung von Verantwortlichkeiten im Unternehmen 3. Einführung eines Performance Managements zur kontinuierlichen Überprüfung der Verbrauchsdaten und Ziele 4. Begleitung der Maßnahmen durch Training und Kommunikation. DNV GL geht davon aus, dass diese Unternehmen sich nicht darauf fokussiert haben, den Regularien zu entsprechen, sondern gleich ein auf die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens abgestimmtes Konzept entwickelt haben. Dies führte bei vielen Reedereien auch zu höheren Charterraten und Flottenauslastungen. Zahlreiche Schifsmanager, -eigentümer und -betreiber mit zusammen mehr als 2000 Schifen in Betrieb, die pro Jahr Kraftstof im Wert von etwa 25 Mrd. USD verbrennen, nahmen an der Studie teil. (zp) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 8 IM FOKUS Eberspächer: Brennstofzelle für LKW-Nebenaggregate E in Hilfsstromaggregat für LKW auf Brennstofzellenbasis stellt die Eberspächer Climate Control System GmbH auf der diesjährigen IAA Nutzfahrzeuge vor. Statt mit Wasserstof arbeitet die Brennstofzelle mit Diesel, der entsprechend in Strom umgewandelt wird und dann alle Verbraucher an Bord versorgen kann. Aus einem Liter Diesel kann das motorunabhängige System eine Leistung von bis zu 3,0 kWh erzeugen. Während der Fahrt wird die Batterie gespeist, im Stand versorgt die Brennstofzelle die elektrischen Verbraucher im LKW. So können laut Hersteller nicht nur die Umweltbilanz, sondern auch die Wirtschaftlichkeit entscheidend verbessert werden. Der Generator werde entlastet, der anderenfalls für die Bereitstellung der elektrischen Leistung etwa doppelt so viel Kraftstof benötigen würde. Auch weitere, bisher an den Antriebsmotor gekoppelte Verbraucher könnten künftig elektrisch betrieben werden. Basis der Auxiliary Power Unit (APU) von Eberspächer ist eine Hochtemperaturbrennstofzelle, die aus Brenngas fossilen Ursprungs Strom erzeugen kann. Dieses Brenngas entsteht in einem so genannten Reformer. Hier wird zuerst Diesel mit Luft vermischt; anschließend durchströmt das Gemisch einen Katalysator. Dabei wird wasserstof- und kohlenmonoxidhaltiges Brenngas erzeugt. (zp) Daimler: Future Truck fährt ohne Fahrerunterstützung S chon 2025 könnten LKW autonom auf der Straße unterwegs sein - wenn die Rahmenbedingungen bis dahin stimmen. Seine Jungfernfahrt hat der „Future Truck 2025“ von Mercedes-Benz bereits im Juli auf der A14 bei Magdeburg absolviert, unterstützt vom neu entwickelten Assistenzsystem „Highway Pilot“, einer Art Autopilot. Nun wird das Fahrzeug im September auf der IAA Nutzfahrzeuge vorgestellt. Nach Angaben des Herstellers kann der LKW auf Autobahnen und Fernstraßen bei Geschwindigkeiten bis 85 km/ h komplett selbstständig fahren - eizient, sicher, vernetzt mit Fahrer, Spediteur, Infrastruktur und anderen Fahrzeugen und damit insgesamt nachhaltiger. Bisher schon eingesetzte Assistenzsysteme wie Abstandsregeltempomat, automatischer Bremsassistent, Stabilitätsregelungs- oder Spurhalteassistent und Neuentwicklungen wie „Predictive Powertrain Control“, die Informationen über Topograie und Streckenverlauf mit dem Antriebsstrang vernetzt und so für eine Kraftstof sparende Fahrweise sorgt, werden mit weiteren und verbesserten Technologien verknüpft. Zusammen sorgen sie für optimierte Beschleunigungs- und Bremsphasen, die den Verbrauch senken, geringere erforderliche Sicherheitsabstände, weniger menschliche Fehler, geringere Staugefahr, ein niedrigeres Unfallrisiko und damit kalkulierbarere Transportzeiten. Daimler hat sich vorgenommen, in diesem Zukunftsmarkt die Nummer eins zu sein und rechnet sich attraktive Umsatz- und Ertragschancen aus. Damit die Rahmenbedingungen bis Mitte des kommenden Jahrzehnts stimmen, treibt das Unternehmen den Dialog mit Politik, Behörden und anderen Beteiligten voran. Die Chancen seien gut, denn beim autonomen Fahren gingen wirtschaftliche und technologische Ambitionen Hand in Hand mit dem Nutzen für Gesellschaft und Umwelt. (zp) Aus Diesel wird elektrischer Strom: das Grundprinzip des Diesel-Brennstofzellensystems. Graik: Eberspächer Volvo Trucks: Keine Zugkraftunterbrechung beim Schalten D amit künftig keine Zugkraft mehr verloren geht, wenn der LKW-Fahrer anfährt oder etwa am Berg einen anderen Gang einlegt, bietet Volvo nun das automatisierte Schaltgetriebe I-Shift mit Doppelkupplung an. Zwei Antriebswellen und eine Doppelkupplung sollen dafür sorgen, dass das System bei einem notwendigen Gangwechsel parallel den neuen Gang über die zweite Kupplung einlegt. Anschließend entscheide die Automatik, welcher der Gänge benötigt werde. Dabei werden gleichzeitig die Kupplung des nicht mehr benötigten Gangs geöfnet und die der neuen Schaltstufe geschlossen. So bleibe die Zugkraft auch beim Gangwechsel erhalten, ähnlich wie bei einer Vollautomatik. Zu Kraftstofeinsparungen soll die Technik nicht führen. (ben/ zp) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 9 IM FOKUS Elektroautos eizient induktiv laden B ei elektromagnetischer Induktion überträgt ein Magnetfeld Strom über die Luft. Bisher waren es die mangelnde Eizienz bei der Energieübertragung und die Kosten für die Installation solcher Systeme in die Infrastruktur, die gegen die berührungslose Ladung von Elektromobilen sprachen. Nun haben die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie (IISB) eine Möglichkeit entwickelt, E-Fahrzeuge von der Vorderseite aus statt über den Boden mit bis zu 15 cm Abstand zwischen Fahrzeug und Boden zu laden. Das Auto berührt die Induktionsquelle fast, so dass die Durchmesser der Spulen wesentlich kleiner sein können als bei der Bodenvariante - 10 statt 80-cm. Das System ist so eizienter sowie kostengünstiger und es ist weniger wahrscheinlich, dass Hindernisse den Energieluss stören. Die Ladesäulen übertragen die Energie nach Angaben der Wissenschaftler mit einem Wirkungsgrad von 95- %. Aktuelle E- Modelle seien über Nacht aufgeladen. (zp) Detroit Electric fertigt E-Sportwagen in Europa E ine Höchstgeschwindigkeit von 249 km/ h und eine Beschleunigung von 0 auf 98 km/ h in 3,7 Sekunden sollen den zweisitzigen Elektrosportwagen „Limited Edition SP: 01“ von Detroit Electric auszeichnen, dessen Serienstart für Ende 2014 in Europa und Asien sowie im ersten Quartal 2015 in den USA geplant ist. Gefertigt werden die Autos in einer neuen Produktionsstätte in Leamington Spa in Großbritannien. Verkauf und Marketing sollen über Houten in den Niederlanden laufen. Hauptsitz des Unternehmens ist Detroit. Die Wagen erhalten eine bidirektionale Batterietechnik. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts fertigte Detroit Electric rund 13 000 E-Fahrzeuge. 2008 wurde die Marke wiederbelebt. Nun sollen neben dem SP: 01 unter anderem ein E-Sportwagen 2+2 und eine E-Limousine gebaut werden, diese allerdings in Michigan, USA. (zp) Test des SP: 01 Prototyps Foto: Detroit Electric Kögel und Krone bieten jeweils eigene Trailerachsen A uf der IAA Nutzfahrzeuge 2014 Ende September präsentiert Kögel seine komplett neue Trailerachse, entwickelt mit eigenem Know-how und der Kompetenz von Zulieferern. Besonders gut aufeinander abgestimmte und hochwertige Komponenten wie Achslenker, Achsrohr, Wheelend, Gummilagerbuchse, Achsbock, Stoßdämpfer, Luftfederbalg und Bremse sollen optimale Fahr- und Wartungseigenschaften garantieren. Das integrierte Fahrwerksystem werde künftig das neue starke Rückgrat der Kögel-Fahrzeuge sein, da es optimal auf die Trailer des Herstellers abgestimmt sei und deren Fahreigenschaften weiter verbessere, ist aus dem Unternehmen zu hören. Das Kögel Trailerfahrwerk bietet ein neues Konzept: Eine formschlüssige Verbindung von Bremssattelhalter und Achslenker dient als intelligente Bremskraftübertragung über den Achslenker direkt in das Chassis ohne den bisher üblichen Umweg über das Achsrohr. Zudem ist die Gummilagerbuchse neu entwickelt worden. Bei Krone läutete die Präsentation der Krone Trailer Axle, die vom zur Gruppe gehörenden Achsenhersteller Gigant Trenkamp & Gehle auf Basis der Gigant-Achse für Standardaulieger entwickelt wurde, einen Strategiewechsel ein: Der Auliegerproduzent will künftig neben Fahrzeugen, in denen Komponenten von Premiumzulieferern verbaut sind, auch solche verkaufen, deren einzelne Komponenten das Krone- Logo tragen, um die Wertschöpfung zu vertiefen. Für die Kunden bedeutet dies, nur einen Ansprechpartner bei Wartung, Service und Reparatur zu haben. Die Krone- Gruppe will bis 2018 20 Mio. EUR in den Gigant-Standort Dinklage investieren, um unter anderem eine zweite Produktionslinie zu errichten, die ausschließlich für den Bau der Krone-Trailerachsen vorgesehen ist. (zp) Die Trailerachse von Kögel Foto: Kögel Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 10 IM FOKUS Air Dolomiti: Projekt „Green Sky“ treibt Umweltschutz W ir müssen die Bayern überzeugen, das Auto stehen zu lassen.“ Das sagte kürzlich nicht etwa ein Vertreter der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), sondern Michael Kraus, der seit diesem Monat im Ruhestand beindliche, bisherige Präsident und Vorstandsvorsitzende von Air Dolomiti, der drittgrößten Fluggesellschaft Italiens. Kraus bezog sich dabei auf die Flugverbindungen der 100-prozentigen Lufthansa-Tochter zwischen München und beispielsweise Verona, Florenz, Venedig oder Bergamo. Schneller und umweltfreundlicher als mit dem eigenen PKW komme man mit einer Embraer 195 hin und zurück. Zehn dieser Flugzeuge hat Air Dolomiti auf elf Destinationen zwischen München und Italien im Einsatz, hinzu kommen die Relationen Frankfurt - Verona, München - Dubrovnik und München - Zürich. 2013 wurden mehr als 1,7 Mio. Passagiere befördert. Die Flieger können laut Kraus mit einem Verbrauch von weniger als 4 l Kerosin pro Passagier auf 100 km, niedrigen Emissionswerten, geringer Lärmentwicklung, niedrigen Wartungskosten und Turn-around-Zeiten ähnlich wie bei einer Boeing 737 oder einem kleinen Airbus aufwarten. Hinzu komme die Initiative „Green Sky“ von Air Dolomiti, die im Januar 2011 startete und nie beendet sein werde, so Kraus. Um die ökologische Nachhaltigkeit des Unternehmens zu verbessern, werden neue, von der italienischen zivilen Luftfahrtbehörde ENAV festgelegte Luftstraßen belogen. Zusammen mit der Behörde und Ingenieuren von Embraer wurden zudem im Rahmen des Projekts neue Flugproile ausgearbeitet, um den alltäglichen Betrieb der E195 zu optimieren. Bei An- und Ablügen versuchen die Piloten, die Sink- und Steigphasen nicht mehr zu unterbrechen. Die Reisegeschwindigkeit wurde leicht reduziert. Alle Schritte zusammen führen nach Unternehmensangaben zu einer merklichen Reduktion des Kraftstofverbrauchs und der CO 2 -Emissionen. Kraus rechnet besonders bei den Materialien, der Flügelform und den Antrieben mit weiteren Verbesserungen im künftigen Flugzeugbau. Die Flotte von Air Dolomiti hat ein Durchschnittsalter von knapp drei Jahren. - Nicht zuletzt, weil im Rahmen des Lufthansa-Sanierungsprogramms „Score“ die Muttergesellschaft beschlossen hat, keine Flüge mehr mit Propellermaschinen durchzuführen oder durchführen zu lassen. Das führte bei Air Dolomiti zur Einstellung einiger Relationen und zum Verkauf der kleinen Turboprops; die letzte wurde im Herbst 2013 ausgemustert. Neben dem stetigen Wandel zum Wohle der Umwelt hat sich auch das Geschäftsmodell der Airline verändert. Zwar sind mehr als die Hälfte des Geschäfts noch immer Umsteigelüge für Lufthansa und Firmenlugkontingente, die über Lufthansa verkauft werden. Doch mittlerweile operiert Air Dolomiti mit fünf der zehn Flieger in Eigenregie auf eigenen Relationen und mit einem anderen Preissystem, das dem von Low-Cost-Gesellschaften ähnelt. Vorteil gegenüber diesen Unternehmen: mehr Flüge pro Relation. Die Gesellschaft war für 2013 mit dem Ergebins der Flüge unter Code EN zufrieden. Bewährt sich das Modell, will Air Dolomiti weitere Flieger hinzunehmen. Um das Angebot noch attraktiver zu machen, wird ein Autovermieter gesucht, der garantiert, dass die Gäste an den italienischen Flughäfen einen Fiat 500 - auf Wunsch auch als Cabrio - mieten können. Das wäre dann noch ein Grund mehr, sein eigenes Auto in Bayern stehen zu lassen. (zp) Eine Embraer 195 bietet 120 Passagieren Platz. Foto: Air Dolomiti Neue Märkte geben Airlines Aufwind V ier von fünf Vorstandschefs der Airline- Branche halten die Verlagerung der okönomischen Wachstumszentren in der Welt für die größte Herausforderung der kommenden Jahre. Nach einer Umfrage unter 39 CEOs von Luftfahrtunternehmen, die das Beratungshaus PwC in Zusammenarbeit mit der Internationalen Luftverkehrsvereinigung IATA durchgeführt hat, werden steigende Passagierzahlen vor allem aus der wachsenden chinesischen Mittelschicht resultieren. Um von diesem Wachstum zu proitieren, wollen die europäischen Gesellschaften weitere Kooperationen und Joint Ventures eingehen, um mehr Flüge und ein dichteres Streckennetz anbieten zu können. Direkte internationale Zusammenschlüsse scheinen dagegen eher unwahrscheinlich, da Fluggesellschaften häuig staatliche Anteilseigner haben. Im Wettbewerb der Geschäftsmodelle von Low Cost Carriern und Legacy Carriern sehen die Low Cost Carrier ihre weiteren Wachstumschancen in höherwertigen Angeboten und die Legacy Carrier in optimierten Kostenstrukturen, um Low-Cost-Produkte anbieten zu können. Nach Meinung der Berater müssen die Airlines allerdings erst einmal mehr über ihre Kunden und deren Bedürfnisse wissen. Entsprechend werde die Auswertung der verfügbaren Kundendaten in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen. (zp) Mehr zum Global Airline CEO Survey unter: www.pwc.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 11 Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Wenn man ein Ministerium im politischen Gewicht und in der Öfentlichkeitsbeurteilung nachdrücklich negativ beeinlussen will, bedarf es nur-weniger-Spielzüge. Wie man ein Verkehrsministerium ins Abseits stellt. D as deutsche Bundesverkehrsministerium war nie eine erste Adresse für sich als ministrabel haltende Politiker, wohl aber in vielen Legislaturperioden ein Hort fachkompetenter und auch engagierter Mitarbeiter. Die Verkehrs- und Logistikbranche hat die politische Schwäche des Ministeriums viel beklagt und auch darunter gelitten. Immerhin leitete es in der vorigen Legislatur ein sehr aktiver Minister, der sich fachliche Kompetenz erarbeitete und die Ressortbelange im Rahmen seiner Möglichkeiten öfentlich und auch in der damaligen Regierungskoalition nachdrücklich vertrat, was jedoch nicht folgenlos für ihn blieb. Wenn man ein Ministerium im politischen Gewicht und in der Öfentlichkeitsbeurteilung nachdrücklich negativ beeinlussen will, bedarf es nur weniger, aber besonders wirksamer Spielzüge. Etwa: Man schließe einen Koalitionsvertrag, der die dringenden Finanzmittel, die zur existenziell unabdingbaren Substanzerhaltung der Verkehrsinfrastruktur erforderlich und durch zahlreiche Untersuchungen belegt sind, auf das politisch noch als tragbar angesehene, aber völlig unzulängliche Volumen reduziert. Man lasse sich vor der Regierungsbildung auf ein EU-rechtlich unzulässiges, jedoch höchst umstrittenes und in den Koalitionsvertrag aufgenommenes Mautmodell mit einer Belastung nur für ausländische PKW ein, das die notwendigen Finanzmittel nicht erbringt, jedoch einen hohen Bürokratieaufwand erfordert und zu heftigen Reaktionen der Nachbarstaaten führt. Und man lasse durch eine lange und verfahrende Mautdiskussion zu, dass das Verkehrsministerium von Politik, Medien und einer wachsenden Öfentlichkeit mehr als Inkompetenzzentrum denn als leistungsfähige Fachbehörde beurteilt wird. Man entscheide, dass der aktive frühere Minister durch einen Parteifreund ersetzt wird, der weder Fachkompetenz noch die notwendige Kommunikationserfahrung mitbringt und zudem mehr politisch eingeengt wird als seine Vorgänger. Man lasse vom Verkehrsministerium in dieser kritischen Lage einen Bundesverkehrswegeplan bis 2030 aufstellen, für den die Länder trotz der ihnen bekannten Mittelengpässe und entsprechender Ministeriumshinweise, also wider besseres Wissen, Neubaumaßnahmen im Umfang von über 100 Mrd. EUR für den Bundesfernstraßenbereich angemeldet haben. Es stehen aber für Neu- und Ausbau nur maximal 50 Mrd. EUR zur Verfügung, da der Hauptteil der Mittel in die dringenden Ersatzinvestitionen einließt, ergänzt durch die Mittelbindungen für im Bau beindliche Projekte. Für das Ministerium eine weitere Konliktlage. Im Bundesverkehrsministerium ist mehr Sachverstand vorhanden, als die Politik es wahrnehmen will. Aber dieser Sachverstand ist politisch eingefangen, wird nicht wie möglich genutzt oder als politisch inopportun übergangen. Das öfentliche Ansehen des Ministeriums wird durch Politikstrategien weiter belastet. Und was hört diese Öfentlichkeit sonst noch aus dem Ministerium? Ende Juli die Information, dass ein Gesetzentwurf zur Einführung der Gurtanschnallplicht für Taxifahrer fertig gestellt wurde. Beeindruckend. Ein nicht im Abseits stehendes Ministerium hätte möglicherweise eine bessere Finanzmittelausstattung für die Verkehrsinfrastruktur, eine Verhinderung der erheblichen Zusatzbelastung des elektrisch betriebenen Schienenverkehrs durch das neue EEG, eine zukunftsfähige und dringend benötigte Finanzmittel erbringende PKW-Maut und eine Einbeziehung der mit inzwischen wöchentlich 6500 Fernbusfahrten bedeutenden Bahnkonkurrenten in eine Mautregelung bewirken oder zumindest in eine breite Sachdiskussion führen können. Möglicherweise sind die entsprechenden Sachunterlagen im Ministerium vorhanden. Wahrscheinlich in verschlossenen Schränken. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 12 POLITIK Luftverkehrsrechte Emirates Direktflüge durch Emirates zwischen Deutschland und den USA Wirtschaftliche Potenzialanalyse unter Beachtung rechtlicher und operativer Rahmenbedingungen Seit Oktober 2013 nutzt die in Dubai ansässige Fluggesellschaft Emirates internationale Verkehrsrechte, sogenannte Freiheiten der Luft, für Nonstop-Flüge von Mailand nach New York. Eine weitere Netzexpansion der Fluggesellschaft ist angesichts der Zahl der georderten Flugzeuge zu erwarten. Der Beitrag untersucht das wirtschaftliche Potenzial von Emirates-Flügen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten unter Beachtung der rechtlichen und technisch-operativen Rahmenbedingungen und nennt mögliche Zielorte für solche Flugstrecken. Die Potenzialanalyse zeigt, dass selbst bei weiter liberalisierten Luftverkehrsabkommen das Angebot von Emirates-Flügen auf Nordatlantik-Strecken voraussichtlich begrenzt bleibt. Dieses Ergebnis kann bedeutsam sein für die Luftverkehrspolitik der Europäischen Union und national für die Entscheidung, ob Emirates Verkehrsrechte für die deutsche Hauptstadt erhalten soll. Der Autor: Richard Klophaus E mirates als mit Abstand größte Fluggesellschaft der Golfregion konnte im letzten Jahrzehnt ein enormes Passagierwachstum verzeichnen. Zunächst stand die Verkehrsentwicklung zwischen Europa und Zielorten im Fernen Osten, Indien, Afrika und Australasien über das Emirates-Drehkreuz in Dubai (DXB) im Vordergrund. Später folgte eine Netzexpansion nach Westen, um Passagiere von China und Indien nach Amerika zu fliegen. Seit Oktober 2013 ist Emirates mit einer Flugroute von DXB über Mailand- Malpensa (MXP) nach New York-John F. Kennedy (JFK) auch in den Wettbewerb um den transatlantischen Markt zwischen den Vereinigten Staaten (US) und der Europäischen Union (EU) eingetreten. Emirates ist kein Mitglied einer globalen Airline-Allianz und hat in Deutschland keine regionale Netzkooperation mit einer anderen Fluggesellschaft etabliert. Die Europäische Kommission beschreibt in ihrer Mitteilung „Luftfahrtaußenpolitik der EU - Bewältigung zukünftiger Herausforderungen“ [1] den Wandel der Wettbewerbsstrukturen im internationalen Luftverkehr. Hervorgehoben wird darin der Aufstieg von Fluggesellschaften aus den Golfstaaten, die internationale Umsteigeverbindungen über ihre Drehkreuze anbieten. Europäische Politiker und Luftfahrtbehörden haben ihre Aufmerksamkeit bislang auf Verkehre der 6. Freiheit der Luft gerichtet, also auf Umsteigeverkehre über die Drehkreuze in der Golfregion, die durch eine Kombination von Nachbarschaftsverkehren der 3. und 4. Freiheit der Luft entstehen und zu Marktanteilsverlusten der europäischen Foto Alexander Dreher_pixelio.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 13 Luftverkehrsrechte Emirates POLITIK Drehkreuze im interkontinentalen Luftverkehr geführt haben. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich dagegen mit bislang vergleichsweise wenig beachteten 5. Freiheitsverkehren, konkret mit Nordatlantik-Flügen der Emirates. Allerdings führten Emirates-Flüge zwischen Mailand (MXP) und New York (JFK) schon kurz nach der Einführung zu einer rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Zwischenergebnis, dass ein italienisches Gericht angeordnet hat, die Flüge wieder einzustellen [2]. Das Ergebnis des Berufungsverfahrens steht noch aus, Emirates setzt die MXP-JFK-Flüge so lange fort. Der Aufstieg der Golf-Carrier ist Gegenstand wissenschaftlicher Veröfentlichungen, etwa zum Geschäftsmodell von Emirates [3] oder der Entwicklung des Streckennetzes [4]. Die Auswirkungen neuer Umsteigeverbindungen über die Drehkreuze der Golfregion auf die Verkehrsströme zwischen Deutschland und Asien hat Grimme [5] untersucht, De Wit [6] analysierte die komparativen Kostenvorteile der Golf-Carrier. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Verkehrsrechten der 5. Freiheit waren Gegenstand einer Studie von Intervistas Consulting [7]. Das Beratungsunternehmen CAPA untersuchte die von Emirates angebotenen 5. Freiheitsverkehre mittels Flugplandaten: Danach konzentriert sich die Fluggesellschaft bislang auf Strecken von und nach Australien [8]. Prognosen zu einem künftigen Angebot an 5. Freiheitsverkehren durch Emirates sind bisher nicht veröfentlicht worden. Wichtige Daten hierzu sind nur den Netzplanern der Fluggesellschaft bekannt. Die folgende Potenzialanalyse für Emirates- Flüge zwischen Deutschland und den USA führt zu Aussagen in Form von Vermutungen zur weiteren Netzexpansion von Emirates, die so nicht eintrefen müssen, aber dennoch die Informationsbasis für politische Entscheidungsträger und Luftfahrtbehörden verbessern. Rechtliche Rahmenbedingungen Jeder Staat besitzt Souveränität über seinen Luftraum. Die Errichtung internationaler Luftverkehre hängt daher von der Erlaubnis des Landes ab, dessen Luftraum genutzt werden soll. Kommerzielle Verkehrsrechte werden dabei in Luftverkehrsabkommen zwischen Staaten wechselseitig gewährt. Die Verkehrsrechte werden als Freiheiten der Luft bezeichnet und sind von der International Civil Aviation Organization im „Manual on the Regulation of International Air Transport“ deiniert [9]. Die hier vor allem bedeutsame 5. Freiheit ist deiniert als Recht, Passagiere und Fracht zwischen zwei ausländischen Staaten zu transportieren, so lange der Start- oder Endpunkt solcher Flugketten im registrierten Heimatstaat der Fluggesellschaft liegt [10]. Dabei müssen alle an der Flugkette beteiligten Staaten diese Freiheit gewähren. Voraussetzung für durch Emirates ausgeführte Flüge zwischen MXP und JFK war daher eine Genehmigung durch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), durch die USA sowie durch Italien. Seit den 1980er Jahren wurden weltweit restriktive Luftverkehrsabkommen durch liberalere Open-Skies-Abkommen ersetzt, in denen auch 5. Freiheitsrechte gewährt werden. Heute existieren solche Open-Skies-Abkommen zwischen den USA und der EU sowie zwischen den USA und den VAE. Jedoch hat weder die EU noch jeder einzelne Mitgliedstaat der EU ein Open-Skies-Abkommen mit den VAE. Italienische Behörden haben die Emirates- Direktlüge zwischen MXP und JFK daher in einem speziellen Verfahren bewilligt. Fehlende 5. Freiheitsrechte können von einer Fluggesellschaft grundsätzlich durch eine Kombination von 3. und 4. Freiheitsrechten umgangen werden. So befördert Lufthansa ihre Passagiere zwischen Italien und den USA durch das Angebot von Umsteigeverbindungen über Deutschland. Hauptnachteil solcher Umsteigeverbindungen gegenüber Direktverbindungen sind längere Reisezeiten für die Fluggäste. Durch die geographische Lage des Emirates-Drehkreuzes in Dubai kann der Golf-Carrier fehlende 5. Freiheitsrechte für Nordatlantikstrecken nicht ausgleichen. Auch wenn die 5. Freiheit prinzipiell gewährt ist, können Rechtsklauseln in die zwischenstaatlichen Luftverkehrsabkommen aufgenommen werden, die eine kommerzielle Ausübung der 5. Freiheit einschränken. In diesem Zusammenhang sind die Benennung („Designation“) von Fluggesellschaften sowie Vorgaben zu Frequenzen, Kapazitäten, Flugzeugtypen, Flugplänen und Tarifen zu nennen (vgl. [9]). Ferner sind 5. Freiheitsrechte regelmäßig auf bestimmte Städte-bzw. Flughafen-Paare beschränkt. Restriktive Luftverkehrsabkommen der VAE mit den meisten Mitgliedstaaten der EU schränken die Möglichkeiten von Emirates ein, Linienverkehre auf EU-US-Strecken zu etablieren. Deutschland hat von den großen EU-Staaten das liberalste Luftverkehrsabkommen mit den VAE. Artikel 2 des am 2. März 1994 in Abu Dhabi unterschriebenen Luftverkehrsabkommens zwischen Deutschland und den VAE erlaubt den 5. Freiheitsverkehr. Allerdings können Fluggesellschaften der VAE nur bestimmte Flughäfen in Deutschland anliegen. So kann Emirates heute von und nach Frankfurt (FRA), München (MUC), Düsseldorf (DUS) sowie Hamburg (HAM) liegen, nicht aber in die Hauptstadt Berlin. Technisch-operative Einflussfaktoren Ein wesentlicher Punkt, der bei der Entwicklung neuer Interkontinentalstrecken mit Großraumlugzeugen berücksichtigt werden muss, ist eine ausreichende Flughafeninfrastruktur. Das bezieht sich nicht nur auf eine ausreichende Länge der Start- und Landebahn, sondern auch auf weitere wichtige Flughafeneinrichtungen. Derzeit operiert Emirates auf 5. Freiheitsstrecken mit einer Distanz von mehr als 6000 km mit der Boeing 777-300ER, dem größten zweistrahligen Flugzeug der Welt [8]. Dies gilt auch für die MXP-JFK-Strecke. Selbst an Flughä- Bild 1: Emirates-Zielorte in Europa und den Vereinigten Staaten 2014 (Datenquelle: Emirates) POLITIK Luftverkehrsrechte Emirates Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 14 fen, die nur wenig über der Meereshöhe liegen, ist für eine Boeing 777-300ER im Langstreckeneinsatz und mit Höchstabluggewicht eine Startbahnlänge von ca. 3000 m erforderlich. Bild 1 zeigt alle Emirates-Zielorte in Europa und den Vereinigten Staaten. Ab August 2014 wird Chicago (ORD) der neunte US-Zielort des Carriers. Die Flugrouten der Emirates-Nonstop-Flüge zwischen DXB und Los Angeles (LAX) bzw. San Francisco (SFO) verlaufen über Asien, die Flugrouten nach Seattle (SEA) und zu den anderen US- Zielorten dagegen über Europa. Für die in Bild 1 genannten Flughäfen hat Emirates die Frage ausreichend vorhandener Infrastruktur für Langstreckenlüge mit einer Boeing 777 positiv beantwortet. Allerdings können bei Langstreckenlügen mit diesem Gerät zwischen weit auseinander liegenden Flughäfen Nutzlasteinschränkungen auftreten, wenn die Startbahnlänge weniger als 3000-m beträgt. In der EU umfasste das Emirates-Streckennetz im April 2014 in Großbritannien fünf Städte bzw. sechs Flughäfen, in Deutschland vier Flughäfen und damit die maximale von der deutschen Regierung erlaubte Zahl, jeweils drei Städte in Frankreich und Italien, zwei in Spanien und weitere elf Zielorte in den 23 anderen EU-Mitgliedsstaaten. Von den 28 europäischen Städten, die Emirates durch Nonstop-Verbindungen mit seinem Heimatlughafen und Drehkreuz verbindet, beinden sich 17 in den fünf nach der Einwohnerzahl größten EU-Ländern. Der auf diese fünf Länder entfallende Anteil an den Flugfrequenzen ist noch größer. Dies gilt besonders für Großbritannien mit täglich sieben Emirates-Flügen zwischen DXB und London- Heathrow (LHR) bzw. London-Gatwick (LGW). An allen von Emirates in Deutschland angelogenen Flughäfen bestehen Nachtlugverbote. Dadurch resultiert eine zusätzliche planerische Herausforderung für Emirates, wenn Flüge zwischen Dubai und Deutschland mit Nordatlantik-Flügen zeitlich zu koordinieren sind. Im Folgenden wird aber angenommen, dass Emirates für kommerziell aussichtsreiche Nordatlantik- Flüge keine unüberwindbaren Beschränkungen von Flugzeug- und Crew-Rotationen an den deutschen Flughäfen vorindet. Das soll auch im Hinblick auf verfügbare Start- und Landezeitfenster (Slots) und Kapazitäten für die Flugzeugwartung gelten. Wirtschaftliche Einflussfaktoren Erst wenn die rechtlichen und technischoperativen Rahmenbedingungen kommerzielle Entscheidungen über die Nutzung von 5. Freiheitsrechten ermöglichen, werden die folgenden wirtschaftlichen Überlegungen rund um die „3 Ks“ (Kosten, Kunden, Konkurrenz) des Netzmanagements von Fluggesellschaften relevant. Kosten Jede zusätzliche Landung und jeder zusätzliche Ablug ist für eine Fluggesellschaft mit Kosten verbunden. Kommerzielle Zwischenstopps führen zu längeren Rotationen von Flugzeug und Crew, erhöhen also die Abwesenheitszeiten von der Heimatbasis einer Fluggesellschaft. Mit zusätzlichen Stopps steigt zudem das Risiko von Störungen im Flugbetrieb. Für einen stabilen Flugplan müssen größere Puferzeiten eingeplant werden. Andererseits sind gerade bei Nonstop-Flügen von mehr als 15 Stunden auch Kostenersparnisse durch Zwischenstopps möglich, etwa durch die Vermeidung einer erweiterten Cockpit-Besatzung. Bei ultralangen Nonstop-Flügen können außerdem Einschränkungen bei der beförderbaren Nutzlast auftreten. Leere Economy-Sitze oder eine beschränkte Frachtzuladung führen in der Konsequenz neben Erlösverlusten auch zu höheren Stückkosten. Die Aufteilung solcher Nonstop-Flüge auf zwei Flugsegmente wirkt dann in Richtung niedrigerer Stückkosten. Entsprechend kann es für Emirates gerade bei ultralangen Linienlügen zwischen DXB und Los Angeles (LAX), San Francisco (SFO) und Seattle (SEA) von Vorteil sein, zumindest einen Teil der bislang angebotenen Nonstop-Dienste durch zwei kürzere Flugsegmente mit einem kommerziellen Stopp in Europa zu ersetzen. Die Eröfnung einer neuen Flughafenstation ist für eine Fluggesellschaft kostspielig. Kosteneinsparungen sind durch die Konzentration auf eine beschränkte Zahl von Stationen möglich. Aus diesem Grund ist es wenig wahrscheinlich, dass Emirates für Direktlüge zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten solche Zielorte wählt, die von der Fluggesellschaft bisher nicht bedient werden. Dafür spricht auch das Beispiel der MXP-JFK-Route. Hier wurden zwei im Emirates-Streckennetz schon vorhandene Flugziele miteinander verbunden. Kunden Der Großraum London ist das mit Abstand größte europäische Gateway für transatlantische Passagiere, gefolgt von Frankfurt und Paris (Tabelle 1). Wenn es um Städtepaare geht, sind Nordatlantik-Routen von bzw. nach New York die mit Abstand verkehrsreichsten (Tabelle 2). Zwischen der EU und den VAE ist London-Dubai die mit Abstand verkehrsreichste Strecke, gefolgt von Paris- Dubai und Frankfurt-Dubai. Die Mehrzahl der Passagiere auf den genannten Strecken sind Umsteiger. So enthalten auch die Passagierzahlen zwischen London, Paris oder Frankfurt und New York in einem erheblichen Umfang Umsteiger mit anderen Reiseursprüngen und -zielen. Tabelle 1 und Tabelle 2 beziehen sich auf einzelne Flugsegmente, also auf Nonstop- Flüge zwischen zwei Flughäfen, die nicht mit dem Ausgangs- oder Endpunkt (Origin & Destination, O&D) der Flugreisen von Passagieren zusammenfallen müssen. Nur auf den verkehrsreichsten EU-US-Strecken ist die lokale Nachfrage so groß, dass das ganze Jahr über Nonstop-Flüge mit mehr als einer täglichen Frequenz angeboten werden können. Dies gilt zum Beispiel für die Strecken zwischen New York und den europäischen Metropolen London und Paris, da diese Städte ein sehr großes Einzugsgebiet (Catchment) und einen erheblichen Anteil von Geschäftsreisenden aufweisen. Die tatsächlichen Passagierzahlen können sich deutlich vom Nachfragepotenzial für eine Flugverbindung unterscheiden. Die Nachfrage für bestimmte Flugverbindungen kann durch nur begrenzt vorhandene Sitzplatzkapazitäten oder hohe Ticketpreise beschränkt sein, etwa bei einem unzureichenden Angebot an Linienlügen. Eine solche Annahme bestehender, aber unbefriedigter Nachfrage kann die Entscheidung von Emirates beeinlusst haben, Direktlüge zwischen MXP und NYC anzubieten. Die Aufnahme kommerzieller Stopps in Europa kann die Gesamtauslastung von Emirates-Flügen im Vergleich zu Nonstop- Flügen von DXB in die Vereinigten Staaten erhöhen. Allerdings ist auch der Efekt auf den erzielbaren Durchschnittserlös (Yield) zu berücksichtigen. Im Vergleich zu einer Nonstop-Verbindung nimmt die Zahlungsbereitschaft zeitsensitiver Reisender durch zusätzliche Landungen und Starts sowie verlängerte Reisezeiten aufgrund von Umwegen bei Umsteigeverbindungen ab. Umsteigeverbindungen sind im Allgemeinen Rang Großraum Passagiere 1 London 7 454 271 2 Frankfurt 3 099 317 3 Paris 3 038 558 4 Amsterdam 2 252 515 5 München 955 595 6 Rom 902 498 7 Madrid 898 080 8 Dublin 828 322 9 Manchester 609 138 10 Brüssel 537 007 Tabelle 1: Die zehn EU-Großräume mit den meisten Passagieren in die USA 2013 (einfache Strecke) Datenquelle: DLR Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 15 Luftverkehrsrechte Emirates POLITIK bei Passagieren weniger beliebt als Nonstop-Verbindungen. Allerdings kann es auch Passagiere geben, die bei einem sehr langen Flug die Reiseunterbrechung durch einen Zwischenstopp positiv beurteilen. Die (theoretische) Flugdistanz DXB- MXP-JFK beträgt 11 120 km, die Nonstop- Flugdistanz DXB-JFK 11 002 km. Für Passagiere ist die Gesamtreisedauer wichtiger als die reine Flugzeit, die unmittelbar mit der zurückzulegenden Flugdistanz zusammenhängt. Im Gegensatz zu einem Nonstop-Flug DXB-JFK wird die Gesamtreisedauer bei DXB-MXP-JFK in Richtung Osten um 3 Stunden (+ 24 %) und in Richtung Westen um 4,5 Stunden (+ 32 %) verlängert. Eine Verringerung der Gesamtreisedauer bei diesen Umsteigeverbindungen ist schwierig, zumal ein geplanter Zeitbedarf für den Turnaround eines Langstreckenlugzeugs von weniger als zwei Stunden es fast unmöglich macht, auftretende Unregelmäßigkeiten im Betrieb zu kompensieren, selbst an nicht überlasteten Flughäfen. Eine Herausforderung für die Planung von Direktlügen durch Emirates besteht in der Verknüpfung der beiden Endpunkte des transatlantischen Segmentes mit Anschlusslügen, die der Nachfrage nach solchen Anschlusslügen entsprechen. Jede Nachfrageprognose für neue DE-US-Direktlüge durch Emirates ist schwierig. Die aktuellen und angekündigten US-Destinationen (Stand: April 2014), die nonstop durch die drei großen Golf-Carrier angeboten werden, geben einen Hinweis zur vorhandenen Nachfrage auf diesen Strecken. Emirates, Etihad und Qatar Airways bedienen alle JFK von ihren jeweiligen Heimatlughäfen. Bei vollständiger Umsetzung der angekündigten neuen Flugverbindungen werden diese drei Carrier bis Ende 2014 auch Verbindungen nach Dallas (DFW) und Chicago (ORD) anbieten. Damit werden insgesamt drei US-Zielorte durch alle drei Golf-Carrier angelogen. Los Angeles (LAX), Washington-Dulles (IAD) und Houston (IAH) werden von zwei dieser drei Carrier bedient, Boston (BOS), Seattle (SEA) und San Francisco (SFO) nur von Emirates, Miami (MIA) und Philadelphia (PHL) nur von Qatar Airways. Nachfrage nach DFW und IAH kommt insbesondere aus der Öl- und Gasbranche. Golf-Carrier wie Emirates können Langstreckenlüge nach DFW oder IAH trotzdem nicht alleine durch lokale Verkehre aufrechterhalten. Sie benötigen Umsteigeverkehre über ihre Drehkreuze von/ nach Fernost, Indien und Afrika. Konkurrenz Deutschland und die USA sind entwickelte Luftverkehrsmärkte mit einem im globalen Vergleich künftig eher geringen Verkehrswachstum. Starken Wettbewerb für DE-US- Direktlüge durch Emirates gäbe es an den beiden größten deutschen Flughäfen Frankfurt (FRA) und München (MUC) durch Lufthansa und deren Star Alliance-Partner. Ähnlich würden Flüge in die großen US- Drehkreuze vermutlich zu einer starken Wettbewerbsreaktion beim jeweils betrofenen US-Carrier führen. So wird das Delta- Drehkreuz in Atlanta (ATL) heute nicht von Emirates angelogen, wohl auch, weil Emirates dort über keine geeignete Partner-Airline für Anschlusslüge zu Zielen über ATL hinaus verfügt. Im Gegensatz dazu besteht am Flughafen JFK eine Kooperation mit Jetblue Airways. Der Flugplan von Emirates beinhaltet allerdings auch IAH. Nach dem Zusammenschluss von United und Continental ist IAH nunmehr das größte United- Drehkreuz und hat damit ORD abgelöst. Außerdem beinhaltet der Emirates-Flugplan auch DFW, eines der wichtigsten Drehkreuze für American, sowie IAD mit einem großen Kapazitätsangebot durch United auf Strecken nach Europa. IAD ist zudem ein United-Drehkreuz. In Deutschland hat Emirates 5. Freiheitsrechte in der Vergangenheit für eine Direktverbindung von Hamburg (HAM) nach JFK genutzt. Damals stand der Carrier in Konkurrenz zu den von Continental angebotenen Linienlügen zwischen Hamburg (HAM) und New York-Newark (EWR). Emirates setzte auf der Strecke eine Boeing 777- 300ER ein. Die Flüge waren so getaktet, dass die Verbindung DXB-HAM unverändert beibehalten werden konnte. Emirates bot die Strecke HAM-JFK zwischen 2006 und 2008 an. Trotz des wirtschaftlich starken Einzugsgebietes von Hamburg scheiterte die Strecke. Die Auslastung für HAM- JFK blieb hinter den Erwartungen zurück. Ein Grund waren fehlende Anschlussverbindungen an beiden Endpunkten, die Continental anbieten konnte. Im Gegensatz dazu kann Emirates heute auf der Strecke MXP-JFK auch Anschlusslüge ab JFK über ein Codesharing mit Jetblue Airways anbieten. Beim Codesharing werden von einer anderen Airline durchgeführte Flüge unter der eigenen Flugnummer vermarktet. Bei MXP-JFK kommt hinzu, dass Alitalia über eine relativ schwache Marktposition als Heimatluggesellschaft (Home Carrier) in Italien verfügt. Der künftige Erfolg von DE-US-Direktlügen durch Emirates ist wesentlich von der Kooperation mit anderen Fluggesellschaften in der EU und den USA abhängig. Codesharing fördert den Zugang zu Auslandsmärkten, etwa durch die regionale Zu- und Abbringung von Passagieren zu den von Emirates mit Langstreckenlugzeugen angelogenen Flughäfen. Mit Jetblue Airways wurde Codesharing im US-Markt etabliert. Kommerzielle Vereinbarungen zwischen Emirates und Partner-Airlines kön- Rang Strecke Passagiere 1 London (LHR) - New York (JFK) 1 435 621 2 London (LHR) - Los Angeles (LAX) 710 226 3 Paris (CDG) - New York (JFK) 650 289 4 London (LHR) - New York (EWR) 555 958 5 London (LHR) - Chicago (ORD) 544 715 6 London (LHR) - Miami (MIA) 464 382 7 London (LHR) - San Francisco (SFO) 457 736 8 London (LHR) - Washington (IAD) 447 122 9 London (LHR) - Boston (BOS) 417 642 10 Frankfurt (FRA) - New York (JFK) 354 082 11 London (LGW) - Orlando (MCO) 326 761 12 Amsterdam (AMS) - Detroit (DTW) 312 232 13 Madrid (MAD) - New York (JFK) 299 178 14 Frankfurt (FRA) - Chicago (ORD) 295 530 15 Frankfurt (FRA) - San Francisco (SFO) 295 366 16 Amsterdam (AMS) - New York (JFK) 294 413 17 London (LHR) - Houston (IAH) 280 230 18 Paris (CDG) - Atlanta (ATL) 274 872 19 Dublin (DUB) - New York (JFK) 273 336 20 Paris (CDG) - Los Angeles (LAX) 271 891 Tabelle 2: Die 20 verkehrsreichsten EU-US-Flughafenpaare 2013 (einfache Strecke) Datenquelle: DLR POLITIK Luftverkehrsrechte Emirates Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 16 nen zudem die Kooperation bei Vielliegerprogrammen, eine abgestimmte Flugplanung oder die gemeinsame Nutzung von Flughafeneinrichtungen beinhalten. Denkbar ist auch ein strategisches Investment, z.B. durch den Teilerwerb einer Fluggesellschaft. Die Suche nach einem geeigneten Partner in Deutschland könnte sich für Emirates als schwierig erweisen. Air Berlin ist als zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft mit Etihad verbunden, Germanwings als drittgrößte deutsche Fluggesellschaft ist eine Lufthansa-Tochter. Von den drei großen Golf-Carriern hat Etihad die Führung bei der Entwicklung regionaler Zubringerverkehre für sein Langstreckennetz übernommen, etwa durch den Kauf eines Anteils von 33,3 % der Darwin Airlines, die Flüge mit Turboprop-Flugzeugen zwischen europäischen Städten anbietet. Zwischenzeitlich wurde Darwin Airlines in Etihad Regional umbenannt. Emirates könnte dieser Vorgehensweise folgen, um seinen Zugang zu regionalen Luftverkehrsmärkten zu sichern und diese mit 5. Freiheitsverkehren zu verknüpfen. Mögliche Zielorte für DE-US Direktflüge der Emirates Trotz bestehender 5. Freiheitsrechte sind FRA und MUC für Emirates keine geeigneten Kandidaten, um Direktverbindungen in die USA anzubieten. Es kann davon ausgegangen werden, dass Emirates einen Kopfan-Kopf-Wettbewerb an diesen beiden Drehkreuzen der deutschen Heimatluggesellschaft Lufthansa meiden wird. FRA, MUC und zu einem geringeren Maße auch DUS sind Hochburgen der Lufthansa und der Star Alliance. DUS ist außerdem die Hauptbasis für Air Berlin-Langstreckenlüge. Da Etihad knapp 30 % der Anteile von Air Berlin besitzt, steigen Asien-Reisende der Air Berlin heute meist in Abu Dhabi auf von Etihad durchgeführte Flüge um. Der Langstreckenfokus von Air Berlin liegt deshalb auf Amerika. Für Berlin als mit Abstand größte Stadt Deutschlands besitzt Emirates keine Verkehrsrechte. Die Wiederaufnahme von US-Flügen von/ nach HAM ist damit die einzige derzeit realistische Möglichkeit für Emirates, um überhaupt US-Direktverbindungen aus Deutschland anzubieten. Unter der Annahme, dass nur lokaler Verkehr aus einem Einzugsgebiet eines Flughafens verfügbar wäre, um die Sitzkapazitäten auszulasten, wäre New York die wahrscheinlichste Stadt in den USA, als ganzjährig nachgefragtes Ziel mit einem signiikanten Anteil Premium-Passagiere. In New York würde Emirates aller Voraussicht nach JFK und nicht EWR als Ziellughafen wählen, da Emirates durch die Kooperation mit Jetblue von JFK aus Anschlusslüge innerhalb der USA anbieten kann. Boston (BOS) ist auch ein wichtiger Standort von Jetblue. Obwohl alle großen US-Gesellschaften BOS anliegen, nutzt keine davon BOS als primäres oder sekundäres Drehkreuz. Das macht BOS zu einem potenziellen Kandidaten, um Emirates als Zielort für 5. Freiheitsverkehre von und nach Europa zu dienen. Bei Ultra-Langstreckenlügen von DXB zu Städten wie LAX und SFO kann ein Zwischenstopp in Deutschland zu Kosteneinsparungen führen. Dies macht LAX und SFO zu denkbaren Flughäfen für 5. Freiheitsverkehre über Deutschland. Die Nonstop-Flugdistanz zwischen DXB und Miami (MIA) beträgt etwa 12 500 km mit einer Flugzeit von rund 16 Stunden. Auch hier verspräche der Zwischenstopp in Deutschland einige Kosteneinsparungen. MIA wird heute von Emirates aber nicht angelogen. Alternativlughäfen zu MIA wären Orlando (MCO) und Fort Lauderdale (FLL). Ein gemeinsames Problem aller Routen nach Florida ist eine touristisch geprägte und saisonal schwankende Nachfrage. Diese eignet sich weniger für das Emirates-Produkt mit z. B. dem Angebot einer First-Class-Kabine. Fazit Das künftige Wachstum von Emirates wird verstärkt von 5. Freiheitsverkehren abhängig, wenn die bestellten Langstreckenlugzeuge nicht durch Passagiere der 3. und 4.- Freiheit ausgelastet werden können. Die meisten Luftverkehrsabkommen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und den VAE gestatten keine 5. Freiheitsverkehre. Deutschland stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar. Jedoch können nationale Behörden ausländischen Fluggesellschaften auch fallweise die 5. Freiheit der Luft gewähren, um die Streckennetze der Heimatluggesellschaften zu ergänzen. Die Anbindung an das globale Luftverkehrsnetz und eine bessere Auslastung vorhandener Flughafeninfrastruktur sind Argumente, die für eine solche Genehmigung von 5. Freiheitsverkehren sprechen. Ein Beispiel ist die Gewährung von Verkehrsrechten für Emirates auf der Strecke MXP-JFK. Allerdings hat ein italienisches Gericht im April 2014 angeordnet, die erst im Oktober 2013 eingeführte Strecke wieder einzustellen. Emirates setzt den Dienst bis zum Ergebnis der Berufung fort, das Urteil macht aber deutlich, dass eine Netzexpansion über die 5. Freiheit bei konkurrierenden Fluggesellschaften zu Protesten führt. Industrieverbände und Gewerkschaften fordern ihre Regierungen dann auf, die Verkehrsrechte für ausländische Carrier zu begrenzen. Aufgrund des regulatorischen Rahmens und aus wirtschaftlichen Gründen ist es unwahrscheinlich, dass Emirates in den kommenden Jahren mehr als eine Handvoll direkter Verbindungen zwischen der EU und den USA anbieten wird. UK repräsentiert den kommerziell wichtigsten Markt für solche Strecken. In Deutschland ist derzeit wohl nur die Wiederbelebung der Strecke von und nach HAM möglich, obwohl Emirates auch Verkehrsrechte der 5. Freiheit von und nach FRA, MUC und DUS besitzt. Der Erfolg aller künftig von Emirates durchgeführten DE-US-Direktlüge hängt wesentlich von Partnerschaften mit anderen Fluggesellschaften ab. Deren Aufgabe wäre es, die Nachfrage an den beiden Endpunkten der Nordatlantik-Strecke über das Einzugsgebiet der von Emirates angelogenen Flughäfen hinaus zu bedienen. Unter den Golf-Carriern ist bei der Entwicklung solcher Partnerschaften bislang Etihad führend, nicht Emirates. ■ LITERATUR [1] Europäische Kommission (2012): The EU’s External Aviation Policy - Addressing Future Challenges, http: / / ec.europa.eu/ transport/ modes/ air/ international_aviation/ external_aviation_policy/ doc/ comm(2012)556_en.pdf , September 2012 [2] Cameron, D. (2014): Italian Court Rules Against Emirates’ Milan-New York Route. In: The Wall Street Journal, http: / / online.wsj.com, April 2014 [3] O’Connell, J. F. (2011): The rise of the Arabian Gulf carriers: An insight into the business model of Emirates Airline, in: Journal of Air Transport Management, 17. Jg., S. 339-346 [4] Hooper, P., Walker, S., Moore. C., und Al Zubaidi, Z. (2011): The development of the Gulf region’s air transport networks - The first century, in: Journal of Air Transport Management, 17. Jg., S. 325-332 [5] Grimme, W. (2011): The growth of Arabian airlines from a German perspective - A study of the impacts of new air services to Asia, in: Journal of Air Transport Management, 17. Jg., S. 333-338 [6] De Wit, J. G. (2014): Unlevel playing field? Ah yes, you mean protectionism, in: Journal of Air Transport Management, 20. Jg., im Druck [7] Intervistas Consulting (2009): The Impact of International Air Service Liberalization on the United Arab Emirates, Juli 2009 [8] CAPA (2013): Emirates Airline considers expanding fifth freedom flights - with mixed success so far, http: / / centreforaviation.com, August 2013 [9] ICAO (2004): Manual on the Regulation of International Air Transport (Doc 9626), Montreal [10] Lufthansa (2012): Sicherheit für faire und ausgewogene Marktzugänge, in: LH-Politikbrief, http: / / www.lufthansagroup.com/ fileadmin/ downloads/ de/ politikbrief/ 10_2012/ LH-Politikbrief-Oktober- 2012-Verkehrsrechte-Freiheiten.png, Oktober 2012 Richard Klophaus, Prof. Dr. Competence Center Aviation Management (CCAM), Hochschule Worms klophaus@fh-worms.de *Attendance at the European Rail Summit will be limited to invited delegates only. For more details, and to register your interest in participating or in watching the proceedings online, visit www.europeanrailsummit.com Register now for the European Rail Summit Hosted in Brussels by Railway Gazette and Eurailpress, the European Rail Summit Commission and Council, along with senior railway representatives and across the Single Market, helping to reduce greenhouse gas emissions, But how is this to be achieved in practice? can European companies harness opportunities around the world? Register now Don’t miss this high-level event for the rail industry. Register today at www.europeanrailsummit.com* Key topics: Presidency Global Perspective the Single European Transport Area include: Lutz Bertling Joachim Herrmann Michael Hinterdobler Christian Kern Libor Lochman Guillaume Pepy Marcel Verslype 4 November 2014 Networking Cocktail Michael Hinterdobler, Head of Bavarian Representation to the EU 5 November 2014 Welcome Joachim Herrmann, Bavarian State Minister of the Interior, Building & Transport Keynote address Priorities of the incumbent EU Presidency Maurizio Lupi, Italian Minister for Infrastructure & Transport Session I A Vision for Rail in Europe Alexander Dobrindt, German Minister for Transport & Digital Infrastructure (invited) Jo-o Aguiar Machado, Director-General, DG MOVE (invited) Christian Kern, CEO, ÖBB, and Chairman, CER Guillaume Pepy, President, SNCF Session II Impulse Speech Masaki Ogata, Executive Vice Chairman, JR East (invited) Round table discussion Frédéric Cuvillier, French Secretary of State for Transport, Sea & Fisheries (invited) Rüdiger Grube, CEO, DB AG Clare Moriarty, Director General Rail Executive, UK Department of Transport Luc Lallemand, CEO, Infrabel Case Study Dr Johannes Niggl, CEO, Bayerischen Eisenbahngesellschaft Session III Impulse Speech Jim Squires, President, Norfolk Southern Round table discussion Communication (invited) Dr Alexander Hedderich, CEO, DB Schenker Rail (invited) Jakub Karnowski, President, PKP SA (invited) Session IV Impulse Speech Lutz Bertling, COO & President Bombardier Transportation Round table discussion Marcel Verslype, Executive Director, ERA Libor Lochman, Executive Director, CER Philippe Citroën, Director General, UNIFE Dr Jochen Eickholt, CEO Siemens Rail Systems (invited) Closing Panel Priorities of the forthcoming EU Presidency *Attendance at the European Rail Summit will be limited to invited delegates only. For more details, and to register your interest in participating or in watching the proceedings online, visit www.europeanrailsummit.com Register now Sponsors Supported by Supporters POLITIK Eisenbahnreform Frankreich Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 18 Reform des französischen Eisenbahnwesens 2014 Am 22. Juli 2014 hat der Senat, die zweite Kammer des französischen Parlaments, dem Gesetz über die Eisenbahnreform zugestimmt und damit den Weg zu einer seit mehreren Jahren geplanten, erneuten Eisenbahnreform in Frankreich geebnet. Die Reform soll in der Reform von 1997 angelegte Deizite beseitigen und Lösungen für altbekannte Herausforderungen wie die Verschuldung und die Öfnung der Eisenbahnmärkte bringen. Der Autor: Ralf Schnieders H intergrund der erneuten Eisenbahnreform 1 sind die großen Herausforderungen, vor denen das französische Eisenbahnsystem steht: Die Verschuldung lag 2012 bei ca. 41,5 Mrd. EUR und droht um 1,5 - 2 Mrd. EUR jährlich weiter anzusteigen 2 . Mehrere Eisenbahnunfälle 3 haben in das öffentliche Bewusstsein gerückt, dass die Instandhaltung des französischen konventionellen Schienennetzes jahrelang vernachlässigt wurde. Zudem hat die SNCF (Société Nationale des Chemins de fer Français) seit der Marktöfnung im Schienengüterverkehr im Jahr 2006 in Rekordzeit Marktanteile verloren 4 . Im Schienenpersonenverkehr könnte im Falle einer Marktöfnung Ähnliches bevorstehen. Die jetzige Reform korrigiert die französische Eisenbahnreform von 1997: Die erste Säule der Reform von 1997 war die Trennung der Schieneninfrastruktur von der SNCF und ihre Übertragung auf die neu gegründete öfentliche Anstalt Réseau ferré de France (RFF). Bei der SNCF verblieben die Fahrzeuge sowie die Bahnhöfe und Depots. Diese Trennung war insofern halbherzig, als die SNCF weiterhin praktisch den Betrieb und die Instandhaltung der Infrastruktur im Auftrag von RFF, d. h. für die Rechnung von RFF und gegen entsprechendes Entgelt ausführt. Die zweite Stoßrichtung der Reform war die Übertragung eines Großteils der Altschulden der SNCF (Ende 1996 bei ca. 35,9 Mrd. EUR) 5 auf RFF (in Höhe von ca. 20,5 Mrd. EUR) im Gegenzug zur Übertragung des Infrastruktureigentums. Schließlich leitete die Reform von 1997 als drittes Element die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs ein. Mit der Gründung von RFF und der Übertragung eines großen Teils der Altschulden von der SNCF auf RFF konnte zum einen die vom europäischen Gemeinschaftsrecht geforderte Trennung der sogenannten wesentlichen Funktionen - Zugtrassenvergabe und Festsetzung der Wegeentgelte - von den Verkehrsunternehmen vollzogen werden 6 , zum anderen die geforderte Entschuldung des Verkehrsunternehmens 7 SNCF, ohne die Schulden in den allgemeinen Staatshaushalt zu überführen. Inhalte der Reform Eckpunkte der Reform hatte der französische Verkehrsminister Frédéric de Cuvillier erstmals im Oktober 2012 präsentiert 8 . Integration von SNCF und RFF in eine Holding-Struktur Die komplizierte Aufgabenteilung von SNCF und RFF hat sich immer mehr als kostspielig und nicht praxisgerecht erwiesen. Kritisiert wurden die Mehrkosten, eine generell schlechte Abstimmung zwischen SNCF und RFF und insbesondere die wenig berechenbare Planung und Durchführung der Gleisbauarbeiten durch RFF und SNCF 9 . Die Reform sieht nun eine Holdingstruktur ähnlich derjenigen der Deutschen Bahn AG vor (Bild 1): Der öfentlichen Holding-Anstalt „SNCF“ unterstehen künftig der Netzbetreiber „SNCF Réseau“ („SNCF Netz“) und die Eisenbahnverkehrsunternehmen „SNCF Mobilités“. SNCF Réseau vereinigt die bisherige RFF (mitsamt dem Eigentum an der Schieneninfrastruktur) sowie die bisherigen SNCF-Direktionen Direction des circulations ferroviaires (Netzbetrieb) und SNCF Infra (Netzinstandhaltung). Leitungsorgane der SNCF sind der Aufsichtsrat und das Direktorium: Das Direktorium der SNCF besteht künftig aus zwei Personen, die nur einvernehmlich entscheiden können: Der Präsident der SNCF ist gleichzeitig Präsident von SNCF Mobilités, der Vize-Präsident der SNCF ist gleichzeitig Präsident von SNCF Réseau. Die Bestellung und Abberufung des letzteren unterliegt dem Genehmigungsvorbehalt der Regulierungsbehörde. Bei Uneinigkeit der beiden Direktoriumsmitglieder entscheidet der vom Staat ernannte Vorsitzende des Aufsichtsrats der Gruppe SNCF, in dem der Staat über die Mehrheit verfügt. Die Rege- Französischer Staat SNCF Holding-Anstalt SNCF Réseau Eisenbahninfrastrukturunternehmen SNCF Mobilités Eisenbahnverkehrsunternehmen, Transporteur Bild 1 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 19 Eisenbahnreform Frankreich POLITIK lung enthält zusätzliche Vorkehrungen zur personellen Unabhängigkeit des Leitungspersonals von SNCF Réseau von den Eisenbahnverkehrsunternehmen. Ein Dekret normiert weitere Sicherungen durch örtliche Trennung sowie eine Trennung der IT- Systeme. SNCF Réseau übt die sog. wesentlichen Funktionen aus und betreibt die Infrastruktur, hält sie instand und baut sie aus. Es schließt mit dem Staat eine zehnjährige Leistungsvereinbarung ab. Darin werden Leistungsziele und -kennzahlen festgelegt, ebenso wie die Ziele hinsichtlich der Infrastrukturentgelte und ihrer geplanten Entwicklung, ferner die Finanzierung der Instandhaltung der Infrastruktur und ihrer Erneuerung. Auch die Gruppe SNCF und SNCF Moblilities schließen zehnjährige Ziel-Vereinbarungen mit dem Staat. Begrenzung der Neuverschuldung des Eisenbahnsystems Die Leistungsvereinbarung mit SNCF Réseau soll auch eine weitere Beschleunigung des Anstiegs der Neuverschuldung aufgrund von Infrastrukturinvestitionen verhindern. SNCF Réseau darf künftig Infrastrukturgroßprojekte mit Eigenmitteln nur noch bis zu bestimmten Grenzwerten inanzieren. Oberhalb der Grenze müssen der Staat bzw. die Regionen die Finanzierung tragen. Ferner wird künftig die Gruppe SNCF einen Teil der Dividende, die sie bislang komplett an den französischen Staat abführen musste, einbehalten bzw. SNCF Réseau zur Verfügung stellen können. Zusätzlich erhoft man sich Eizienzsteigerungen infolge der neuen Holding-Struktur des französischen Eisenbahnwesens und allgemein im Eisenbahnunternehmen. Weiterhin hat der Staat in Aussicht gestellt, künftig mehr Geld für die Instandhaltung und für Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Schließlich wird eine regionale Unternehmensteuer eingeführt, die den regionalen Aufgabenträgern für den SPNV zugutekommen und einen Betrag von ca. 450 Mio. EUR p. a. einbringen soll. Rechtsverordnung zur Arbeitszeit und Branchentarifvertrag Die Rechte der französischen Eisenbahner regeln derzeit zwei parallele Rechtsregime: das traditionelle Regime der Eisenbahner der SNCF, das demjenigen eines Beamten vergleichbar ist und sehr günstige Regelungen zu Arbeits- und Ruhezeiten, Kündigungsschutz sowie Sozialleistungen enthält auf der einen Seite und ein Branchentarifvertrag für nach dem Arbeitsgesetzbuch Beschäftigte auf der anderen Seite. Dies ermöglicht es den Wettbewerbern der SNCF, wesentlich lexibler und produktiver am Markt zu agieren als die SNCF 10 . Das Reformgesetz sieht nun den Erlass einer Rechtsverordnung zu Fragen der Arbeitszeit vor, die sowohl auf die Eisenbahner der SNCF Anwendung indet als auch auf die privaten Wettbewerber. Sodann beauftragt das Gesetz die Sozialpartner, in einer Branchenvereinbarung die sozialen Arbeitsbedingungen für den gesamten Eisenbahnsektor festzulegen. Inwieweit sich diese Regelwerke in der Zukunft nachteilig auf den intramodalen bzw. den intermodalen Wettbewerb auswirken werden, wird maßgeblich von den konkreten Regelungen abhängen, die hier gefunden werden. In der Vergangenheit hat es sich jedenfalls als äußerst schwierig erwiesen, Besitzstände der Beschäftigten der SNCF zu beschneiden. Stärkung der Kompetenzen der Eisenbahn- Regulierungsbehörde Dem Genehmigungsvorbehalt der Eisenbahnregulierungsbehörde unterliegen künftig die Infrastrukturnutzungsentgelte hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Entgeltbildungsgrundsätze und der Entgelthöhen ebenso wie die Nutzungsentgelte für die Personenbahnhöfe und Serviceeinrichtungen. Die Regulierungsbehörde wird angehört vor dem Abschluss des zehnjährigen Rahmenvertrages zwischen dem Staat und der Gruppe SNCF über die zu erreichenden Entwicklungsziele, vor dem Abschluss der zehnjährigen Leistungsvereinbarung des Staates mit SNCF Réseau, vor der jährlichen Berichterstattung über die Umsetzung dieses Vertrages durch SNCF Réseau und vor der Aufstellung des Jahresbudgets von SNCF Réseau. Ferner muss die Regulierungsbehörde eine begründete Stellungnahme über die Finanzierung von Infrastrukturgroßprojekten und die notwendigen Finanzierungszuschüsse an SNCF Réseau abgeben. Ausblick Der französische Staat schaft mit der Reform die Instrumente, um seinen strategischen Einluss auf die SNCF zu stärken, vor allem durch den Abschluss der zehnjährigen Leistungs- und Entwicklungsvereinbarungen mit den drei öfentlichen Anstalten, aber auch durch seine Rolle im Aufsichtsrat der SNCF. Zahlreiche Elemente der Reform müssen indes erst noch durch Dekrete konkretisiert werden. Die EU überarbeitet derzeit mit dem Vierten EU-Eisenbahnpaket die Trennungsanforderungen für Eisenbahnen und will dabei insbesondere die Anforderungen an Holding-Modelle verschärfen 11 . Die französische Regierung hat sich mit der Reform für ein eben solches Modell entschieden, dabei allerdings zahlreiche Vorkehrungen zur Sicherung der Unabhängigkeit von SNCF Réseau und der Transparenz der Finanzströme vorgesehen. Der (noch amtierende) Verkehrskommissar Siim Kallas hat indes bereits wissen lassen, die französische Reform „gehe in die richtige Richtung“ 12 . Keine dauerhafte Lösung dürfte die Reform für die Verschuldungsfrage bringen: Die Maßnahmen sollen gewährleisten, dass die Verschuldung bis 2025 „lediglich“ auf 60- Mrd. EUR ansteigen soll statt auf 80- Mrd.- EUR bei einem Szenario ohne die Reform 13 . Aus diesem Grund hatten die Abgeordneten der konservativen Opposition der UMP der Reform die Zustimmung versagt. Die hohe Verschuldung wird weiterhin die intermodale Wettbewerbsfähigkeit des französischen Schienenverkehrs beeinträchtigen. ■  1 Loi n° 2014-872 du 4 août 2014 portant réforme ferroviaire, veröfentlicht im Journal oiciel vom 5. August 2014.  2 Assemblée nationale Dok.nr. 1468, Projet de loi portant réforme ferroviaire, étude d’impact, 15 octobre 2013, Seite 27 f.  3 Entgleisung im Bahnhof von Brétigny-sur-Orge im Jahre 2013 mit 7 Toten und zahlreichen Verletzten, im Juli 2014 der Aufahrunfall von Denguin mit 40 Verletzten.  4 Der Marktanteil der SNCF betrug im Jahr 2013 noch 67% (Quelle: Autorité de régulation des activités ferroviaires: Rapport d’activité 2013, S. 26).  5 Conseil supérieur du service public ferroviaire: Rapport d’évaluation de la réforme du secteur du transport ferroviaire vom 28.11.2001, S. 15.  6 Vgl. Art. 7 RL 2012/ 34/ EU.  7 Vgl. Art. 9 RL 2012/ 34/ EU.  8 S. auch die vorbereitenden Berichte: Jean Louis Bianco: Réussir la réforme du système ferroviaire, April 2013 sowie Jacques Auxiette: Un nouveau destin pour le service public ferroviaire français: Les propositions des Régions, April 2013.  9 Vgl. den Bericht des französischen Rechnungshofes: Le réseau ferroviaire - une réforme inachevée, une stratégie incertaine, Paris 2008 sowie zuletzt als Beispiel für mangelnde Koordination die Großbestellung von Regionalzügen durch SNCF, die für viele Bahnsteige zu breit sind, vgl. Canard enchainé vom 21.5.2014 und FAZ vom 22.5.2014. 10 Auch die SNCF-Schienengüterverkehrstochter VFLI beschäftigt ihre Angestellten allerdings nach dem Branchentarifvertrag und behauptet sich erfolgreich am Markt. 11 Vgl. den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der RL 2012/ 34/ EU, Dokumentennr. KOM(2013) 29 inal. 12 Siim Kallas in: Les Echos vom 17.7.2014. 13 Lemonde.fr vom 23.7.2014: La réforme ferroviaire passe l‘étape de l‘Assemblée, http: / / www.lemonde.fr/ economie/ article/ 2014/ 07/ 22/ la-reforme-ferroviaire-deinitivementadoptee-par-l-assemblee_4460836_3234.html Ralf Schnieders, Dr. iur. Fachbereichsleiter Europäische Eisenbahnangelegenheiten, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V., Berlin schnieders@vdv.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 20 Wettbewerb bei Metros, Stadt- und Straßenbahnen - Option für deutsche Großstädte? Die Marktöfnungsabsichten der EU-Verkehrspolitik sind im deutschen kommunalen Verkehrsmarkt nicht angekommen. Anders als im Schienenpersonennahverkehr oder bei regionalen Busangeboten ist der ÖPNV der meisten deutschen Großstädte bislang ein wettbewerbsfreier Raum geblieben. Die Direktvergabe an kommunale Unternehmen ist die Regel. Dass Wettbewerb bei kommunalen Bahnen möglich ist, zeigen zahlreiche Beispiele aus dem Ausland. Dabei werden auch Vor- und Nachteile der Inhouse-Lösung und integrierter Verkehrsunternehmen deutlich. Eine Marktöfnung bei kommunalen Bahnsystemen in Großstädten würde die kommunale Nahverkehrsplanung grundlegend verändern. Der Autor: Florian Krummheuer W ettbewerb um den kommunalen Metro-, Stadt- und Straßenbahnverkehr scheint derzeit nicht auf der politischen Agenda zu stehen. Weder Bund- und Landesgesetzgeber noch die kommunalen Aufgabenträger scheinen diese Option forcieren zu wollen. Damit ist die in der Verordnung 1370/ 2007 lediglich als Ausnahme vorgesehene In-House-Vergabe in Deutschland zur Regel geworden. Die deutschen Kommunen und ihre Unternehmen betonen bei städtischen ÖPNV- Systemen mit Schieneninfrastruktur die technischen und betriebswirtschaftlichen Vorzüge integrierter Verkehrsunternehmen und verweisen auf die in der BOStrab begründete Systemeinheit von Fahrweg und Betrieb 1 . Jedoch zeigen Lösungen im Ausland, dass externe, nicht vom Aufgabenträger beherrschte Verkehrsunternehmen in der Lage sind, solche Bahnen zu betreiben. Im Folgenden werden die Erfahrungen mit Ausschreibungswettbewerb in großstädtischen Systemen betrachtet. Grundlage ist eine an der TU Dortmund abgeschlossene Dissertation 2 des Autoren. Bei einer externen Vergabe wird das Verkehrsunternehmen nicht - wie bei der Inhouse-Vergabe - „beherrscht wie eine eigene Dienststelle“, sondern am Markt ausgewählt. Dafür müssen organisatorische Voraussetzungen geschafen werden. Gegenüber der internen Vergabe verändern sich die Akteursstrukturen, Wertschöpfungsstufen werden aufgeteilt. Dieses sogenannte Unbundling gilt bei technischen Infrastrukturen als Voraussetzung für eine Marktöfnung 3 . Dabei entsteht Aufwand. In den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere in der Neuen Institutionenökonomik, wird hierbei von Transaktionskosten gesprochen 4 . Prinzipiell unterscheiden sich die Modelle „Inhouse“ und „externer Betreiber“ durch den Abstimmungsaufwand. In der Logik der Transaktionskostentheorie liegen diese Kosten bei komplexen, speziisch abgestimmten Systemen höher als bei weniger komplexen Systemen. 5 Die Transaktionskosten werden häuig als Argumente gegen die Einführung von Wettbewerb im ÖPNV angeführt 6 . Oft sind POLITIK Marktöfnung ÖPNV Foto: Florian Krummheuer Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 21 Marktöfnung ÖPNV POLITIK die entsprechenden ökonomischen Untersuchungen abstrakt. Aus einer stärker planungswissenschaftlichen Sicht interessiert, welche Folgewirkungen Transaktionen und Interaktionen in der Nahverkehrsplanung haben. Statt einer monetarisierten Bewertung der Modelle interessiert, welche Interaktionen hohen Abstimmungsaufwand verursachen. Empirische Grundlage Es wurden in Europa rund 40 Beispiele mit externen Betreibern bei kommunalen Bahnen identiiziert. In einer webbasierten Expertenbefragung von Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen wurde rund die Hälfte aller Systeme erfasst. Vertieft wurde dies durch Fallstudien in Lyon, der Tyneand Wear-Region und Stockholm. Die folgenden qualitativen Befunde basieren auf einem recht einheitlichen Bild müssen angesichts der Vielzahl von dokumentierten Organisationsformens aber abstrakte Tendenzaussagen bleiben. Route- und Network-Contracting Die Unterscheidung zwischen der Vergabe von Verkehrsleistungen in Linienbündeln (Route-Contracting) und kompletten integrierten und ggf. multimodalen Netzen (Network-Contracting) lässt sich mit unterschiedlicher Gewichtung in der Praxis nachvollziehen (vgl. Tabelle 1). Beim Route-Contracting sind die Aufgabenträger stärker für die planerische Integration verantwortlich. Sie erlangen eine hohe Routine bei der zeitlich gestafelten Ausschreibung ihrer Teilsysteme. Denn wer jedes Jahr ausschreibt, weiß worauf zu achten ist. Sie müssen zudem stärker koordinieren, damit ein integriertes Gesamtsystem entsteht. Das geht zwangsläuig zu Lasten der Gestaltungsfreiheit bei den Verkehrsunternehmen und verschiebt die planerischen Ressourcen zu den Bestellerorganisationen. Kompetenzaufbau bei Aufgabenträgern Insgesamt zeigt sich, dass für externe Vergaben bei den Bestellern mehr Kompetenzen vorgehalten werden. Aufgabenträger, die ein komplexes großstädtisches Verkehrssystem mit Bahnsystemen vergeben, haben folgende Eigenschaften: • Eigene Organisation: In fast allen Fällen werden die weitreichenden Aufgabenträgerfunktionen nicht von den Gebietskörperschaften selber, sondern von eigenständigen Rechtspersonen wahrgenommen (Regieorganisationen), deren originäre und alleinige Aufgabe die Sicherstellung des ÖPNV ist. • Erhebliche personelle Ressourcen: Die Organisationen beschäftigen sowohl Fachleute für die Netz- und Angebotsplanung und Vergabespezialisten. Hinzu kommen auf der Bestellerseite Techniker, die sich mit der Bahninfrastruktur und den Fahrzeugen befassen. • Tools und Daten: Verkehrsplanung als Abfolge aus Analyse und Konzeptentwicklung benötigt Datengrundlagen. Das Daten- und Auswertungs-Know-how liegen bei den Aufgabenträgern. • Auftrag und Legitimation: Die Aufgabenträgerorganisationen werden politisch kontrolliert. In den Fallstudien haben die Aufgabenträgerorganisationen zwar eine privatwirtschaftliche Rechtsform, sie werden aber eng durch politische Kräfte gesteuert. Verkehrsunternehmen vor Ort: Schlanke Töchter großer Konzerne Auf der Seite der Verkehrsunternehmen zeigt sich ein gegensätzliches Bild. Es dominieren als Betreiber große Konzerne einschließlich der Wettbewerbstöchter der Staatsbahnen. Für konzeptionelle Fragen stehen den Verkehrsunternehmen vor Ort wenig Personal und kaum einschlägige Tools zu Verfügung. Vereinzelt werden Ressourcen der Konzerne genutzt. Zu den Eigenheiten kommunaler Bahnsysteme gehört die hohe Humankapitalspeziität. Die Verkehrsunternehmen werden regelmäßig verplichtet, Fahr- und Werkstattpersonal vom vorherigen Betreiber zu übernehmen. Ein Betreiberwechsel führt dann nur zum Austausch des ohnehin kleinen lokalen Overheads der Verkehrsunternehmen. Stadt/ Region bzw. System Land Route/ Network- Contracting Netzlänge nur Bahn (km) Anzahl Tram/ Metro Fahrzeuge Kopenhagen (Metro) Dänemark Route 21 34 Görlitz Deutschland Network 15 15 Bordeaux Frankreich Network 41 74 Lille Frankreich Network 68 k.A. Lyon Frankreich Network 79 145 Mulhouse Frankreich Network 19 22 Nizza Frankreich Network 9 28 Rouen Frankreich Network 15 28 Saint Etienne Frankreich Network 12 35 Dublin (Luas Tram) Irland Route 40 66 Uttrecht Niederlande Network 23 39 (Sneltram) Bergen (Bybanen) Norwegen Route 10 15 Porto (Metro) Portugal Route 70 120 Norrköping Tram Schweden Route 19 k.A. Stockholm Tunnelbanan Schweden Route 106 471 Stockholm Tvärbanan/ Nockebybanan Schweden Route 17 31 Barcelona (Trambaix und Trambesòs) Spanien Route 29 41 Madrid (Parla-Straßenbahn) Spanien Route 36 44 Zaragoza Spanien Route k.A. 12 Birmingham (Midland Metro) Vereinigtes Königreich Route k.A. 16 London (Croydon Tramlink) Vereinigtes Königreich Route 28 24 London (Docklands) Vereinigtes Königreich Route 33 149 Manchester (Metrolink) Vereinigtes Königreich Route 36 47 Newcastle (Tyne and Wear) Vereinigtes Königreich Route 72 90 Nottingham Vereinigtes Königreich Route 15 15 Sheield Vereinigtes Königreich Route 29 25 Tabelle 1: Untersuchte Fallbeispiele POLITIK Marktöfnung ÖPNV Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 22 Die wettbewerblichen Vergaben von kommunalen Bahnsystemen zeichnen sich alle durch enge vertragliche Vorgaben aus. Das ist teilweise den technischen Speziika dieser Systeme geschuldet: Die Ausschreibungen sind in der Regel konstruktiv gestaltet, die Linienwege sind nun einmal durch die Infrastruktur vorgegeben. Auch die Flotte ist gesetzt. Kaum Steuerung über Nachfrage und Risiken Eine überraschend geringe Rolle als Anreizinstrument spielt die Kundennachfrage. Insbesondere im Route-Contracting zeigt sich, dass der Fahrgastzuspruch nur sehr begrenzt als Steuerungsimpuls für die Verkehrsunternehmen eingesetzt werden kann. In großstädtischen Systemen hängt der Kundenzuspruch von Qualität und Funktionsfähigkeit des von mehreren Unternehmen erbrachten Gesamtsystems ab. Daher wird das Erlösrisiko in der Regel nicht von den Unternehmen getragen (Brutto-Verträge). Dieses Ausschreibungsdesign und die umfangreiche Risikoübernahme durch die Besteller wird den an Ausschreibungen teilnehmenden Verkehrsunternehmen die Kalkulation der Leistung erleichtert. Insbesondere wird ihnen die Abschätzung der Nachfrageentwicklung über den Vergabezeitraum erspart. Die Nachfragemacht des Fahrgastes wird allerdings kaum zur Steuerung genutzt. Langfristige Infrastrukturverantwortung bleibt bei Aufgabenträgern Überwiegend wurde in den Betreibermodellen nur der Betrieb im Wettbewerb vergeben. Verantwortung für Infrastruktur und Fahrzeuge bleibt fast immer bei den Aufgabenträgern. Teilweise wird die Reinigung oder die leichte Instandhaltung von Stationen und Strecken durch die Verkehrsunternehmen erbracht. Die schwere Instandsetzung, die Planung und Umsetzung von Erneuerungs- und Ersatzinvestitionen hingegen obliegt den Bestellerorganisationen. Vielfach bedauern die Experten in den Verkehrsunternehmen, dass Sie hier ihr Knowhow und aus der Betriebserfahrung resultierendes Optimierungspotenzial nicht einbringen können. Ähnlich verhält es sich mit den Fahrzeugen. Regelmäßig überschreitet die Lebenserwartung der U-, Stadt- oder Straßenbahnfahrzeuge die Vertragslaufzeiten der Verkehrsverträge. Diese hochspeziischen Fahrzeuge werden daher von den Aufgabenträgerorganisationen vorgehalten und den Verkehrsunternehmen für den Betrieb überlassen. Diese Übertragung von Verfügungsrechten geht einher mit einer umfangreichen Begutachtung des Fahrzeug- und Infrastrukturbestandes. Obwohl die Aufgabenträgerorganisationen den Betrieb an die Verkehrsunternehmen abgegeben haben, können Sie nicht auf Kompetenzen hierzu verzichten. Sie begutachten den Zustand der Anlagen in der Regel ständig und kontrollieren die beauftragten Unternehmen auf diese Weise. Im Rahmen von Vertragsaufnahmen und gegen Ende der Vertragslaufzeit setzt jeweils ein intensives Monitoring der Infrastruktur ein. Es wird begleitet von - aus Sicht einiger Experten als schwierig bezeichneten - Verhandlungen über deren Erhaltungszustand. Hier geht es um die zentralen Produktionsmittel der Verkehrsunternehmen. Von deren zuverlässiger Verfügbarkeit hängt ab, ob die Kalkulation mit aufgeht. Neben den verfügungsrechtlichen Grenzen - die Aufgabenträger und Fahrzeugeigentümer erlauben keine Veränderungen - verhindern die langfristigen Investitionszyklen unternehmensseitige Investitionen oder Innovationen. Selbst wenn die Fahrzeuge verändert werden dürften, lohnen sich regelmäßig keine Umbauten für die Verkehrsunternehmen. Denn derartige Investitionen rentieren sich erst in Zeiträumen, welche die Dauer der jeweiligen Verkehrsverträge deutlich übersteigen. Hier können die international agierenden Verkehrskonzerne ihr unter Umständen vorhandenes Know-how und ihre Erfahrung nicht einbringen. Es zeigt sich: Werden Verfügungsrechte an Infrastruktur und Fahrzeugen auf verschiedene Akteure aufgeteilt, erschwert dies Innovationen bei den zentralen Betriebsmitteln. Politische Steuerung sichergestellt Im Rahmen der Privatisierungspolitik der letzten Jahrzehnte entzündeten sich Debatten um die Legitimation der öfentlichen Daseinsvorsorge. Nicht zuletzt resultiert der Widerstand gegen die Privatisierungspolitik aus der Befürchtung, dass Dienstleistungen und Güter der Daseinsvorsorge zum Spielball internationaler Konzerninteressen werden und die kommunale Politik ihre sozialpolitische Funktionen nicht mehr im Sinne der Bürger steuern kann. Im Falle der untersuchten Betreibermodelle scheint sich diese Befürchtung im Wettbewerb um kommunale Bahnsysteme nicht zu bestätigen. Die vertraglichen Konstellationen setzen den Unternehmen, wie geschildert, sehr enge Vorgaben, und das Anlagevermögen bleibt in der Regel in öfentlicher Hand. Die Verkehrsunternehmen können weder das Angebot auf lukrative Strecken zusammenstreichen noch die Ticketpreise verändern. Wesentliche Eigenschaften des Verkehrsangebotes werden durch die Bestellerorganisationen festgelegt. Deren Organe werden kommunalpolitisch kontrolliert und demokratisch legitimiert. Wettbewerb bei kommunalen Bahnen möglich, aber aufwändig Die große Zahl funktionierender Modelle zeigt: Eine Trennung zwischen Gewährleistungsverantwortung und Leistungserbringung lässt sich wie im Schienenpersonennahverkehr auch im Bereich kommunaler Bahnsysteme umsetzen. Insofern gibt es keine Begründung dafür, diesen Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge von einer Marktöfnung und einem Wettbewerb der Anbieter auszunehmen. Angesichts der oftmals genannten Ziele für den Wettbewerb (Kostenreduktion, mehr Kundenorientierung und Innovationen) kann möglicherweise sogar eine gewisse Wettbewerbsrendite erzielt werden. Nicht erreicht werden dagegen mit einer Marktöfnung ein Mehr an Kundenorientierung und auch nicht Innovationen für eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der komplexen technischen Verkehrssysteme in den Großstädten. Vielmehr erscheint in umgekehrter Hinsicht die Gefahr groß, dass wegen aufgegebener Verbundvorteile einer Inhouse-Vergabe mit dem Auftrag an den externen Wettbewerber eine innovative Weiterentwicklung der Systeme erschwert wird. Denn viele Ressourcen und Knowhow werden transaktionskostenintensiv bei der Abstimmung und wechselseitigen Kontrolle der Akteure gebunden. Die deutschen Großstädte können als Aufgabenträger und Gesellschafter weiterhin die In-House-Vergabe wählen. Angesichts der Bedeutung ihrer Verkehrsunternehmen für die Stadtentwicklung, sozialpolitische Fragen und für die Funktionsfähig- In Lyon umfasst das Network-Contracting neben den Bahnsystemen auch Bus- und O-Buslinien. Foto: Krummheuer keit der Städte werden sich die Unternehmen und ihre Produktionsmittel weiterentwickeln müssen. Für die Inhouse-Vergabe an kommunalen Unternehmen sprechen daher insgesamt: • Es ergeben sich Synergien aus der Gesamtverantwortung für das integrierte Gesamtsystem. • Die Investitionsgüter können von langfristig eingebundenen Verkehrsunternehmen besser entwickelt werden. • Anreizinstrumente über den Kundenzuspruch funktionieren bei einer umfassenden Leistungserstellung durch das Verkehrsunternehmen, wenn es - mittelbar - das Erlösrisiko trägt. Der lange auch von den kommunalen Verkehrsunternehmen erwartete Wettbewerb hat bereits im Vorhinein Wirkungen entfaltet und zu Kostensenkungen, mehr Kundenorientierung und verbesserten Organisationsformen geführt 7 . Mit der „In-House-Vergabe“ sind die kommunalen Unternehmen allerdings von diesem Restrukturierungsdruck befreit. Gleichwohl sollten die kommunalen Verkehrsunternehmen aber ihre Optimierungs-Prozesse weiter fortführen. Im Spannungsfeld zwischen politischer Einlussnahme, Fahrgastorientierung, ökonomischer Eizienz und ökologischer Verantwortung stehen sie vor anspruchsvollen Aufgabenstellungen. Wenn die kommunalen Verkehrsunternehmen diesen gesellschaftlichen Verplichtungen gerecht werden, lassen sich In- House-Vergaben als Ausnahme-Regelungen weiterhin rechtfertigen. Die Marktöfnung ist in jedem Fall aber eine Option, die von der Politik gezogen werden kann. Hieran werden sich die kommunalen Verkehrsunternehmen messen lassen müssen. ■ 1 König, Herbert; Sieg, Ulrich 2009: Systemeinheit oder Trennung? Organisation von Tram und U-Bahn: Argumentationspapier des Verwaltungsrates TRAM des VDV-zur Organisation von Betrieb und Infrastruktur bei Bahnen nach BOStrab. In: Der Nahverkehr - Öfentlicher Personennahverkehr in Stadt und Region, Jg. 27, H.-1/ 2: -7-10 Und: VDV [Verband Deutscher Verkehrsunternehmen] 2001: Funktion des Betriebsleiters nach BOStrab bei Umstrukturierungen der Verkehrsunternehmen. VDV Mitteilungen,-Nr. 7013. o.O. 2 Krummheuer, Florian 2014: Marktöfnung bei kommunalen Bahnen. Metros, Stadt- und Straßenbahnen im Wettbewerb. Wiesbaden Springer VS. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr.-Ing. Christian Holz-Rau, Dortmund und Prof. Dr. Jörg Bogumil, Bochum 3 Mayntz, Renate 2009: Über Governance: Institutionen und Prozesse politischer Regelung. Frankfurt, New York: Campus Verlag Seite 129: „To create a market unbundling and deconcentration must come together“. - Oder aus ökonomischer Perspektive: Knieps, Günter; Weiß, Hans-Jörg (Hg.) 2009: Fallstudien zur Netzökonomie. Wiesbaden: Gabler oder: Hedderich, Alexander 1996: Vertikale Desintegration in Schienenverkehr: Theoretische Basisüberlegungen und Diskussion der Bahnstrukturreform in Deutschland. Hamburg: Deutscher Verkehrsverlag 4 Vgl. dazu im Wesentlichen: Williamson, Oliver E. 1990a: Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus: Unternehmen, Märkte, Kooperationen. Tübingen: Mohr 5 Die von Williamson (a.a.O.) eingeführten und stark ausdiferenzierten Kriterien ‚Häuigkeit’ und ‚Speziität’ werden hier nicht näher erläutert. Sie dienten als Grundlage für die empirische Untersuchung. 6 vgl. Szabo, Oliver 1999: „Nachhaltigkeit“ als Leitbild für den öfentlichen Personennahverkehr: Systemtheoretische und institutionenökonomische Beiregionaler ÖPNV-Netzwerke. Dissertationen,- Bd. 87. Berlin: dissertation.de. Seite 97; Hedderich (a.ao.: 70); Resch 2008: 22 und Resch, Hubert; Neth, Dieter 2008: Direktvergabe oder Ausschreibungen in ÖPNV- Systemen: Aktualisierung der vergleichenden Studie zu Transaktionskosten aus 2004 um die Jahre 2005 und 2006 - Kurzfassung. Ein Projekt der Hans-Böckler-Stiftung. Bremen, Mössingen 7 Hirschhausen, Christian von; Cullmann, Astrid 2008: Next Stop Restructuring? : A Nonparametric Eiciency Analysis of German Public Transport Companies. Discussion Papers, Nr. 831. Berlin Florian Krummheuer, Dr. ehem. Mitarbeiter des Fachgebiets für Verkehrswesen und Verkehrsplanung der TU Dortmund. florian.krummheuer@ tu-dortmund.de Die ganze Welt setzt auf die Schiene. Setzen Sie auf uns. DB International Für Menschen. Für Märkte. Für morgen. www.db-international.de Abu Dhabi Metro, © atelier4d Architekten Berlin Engineering. System Consulting. Business Consulting. Wir entwickeln weltweit intelligente Verkehrssysteme für dynamische Wirtschaftsregionen. Von der Idee bis zur Realisierung, für Projekte jeder Größenordnung - made by Deutsche Bahn. Wir freuen uns auf Ihren Besuch auf dem DB-Stand im neuen CityCube Berlin InnoTrans Berlin, 23. - 26. September 2014 POLITIK ÖPNV-Nulltarif Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 24 Kostenloser ÖPNV: Utopie oder plausible Zukunft? Das Thema „kostenloser ÖPNV“, „fahrscheinfreier ÖPNV“ oder „Nulltarif im ÖPNV“ kann aus verschiedenen Blickwinkeln gesehen werden. Im Zentrum dieses Beitrags stehen unterschiedliche Umsetzungen des Nulltarifs und die Frage der Finanzierung. Der Text basiert auf der zukunftswissenschaftlichen Masterarbeit des Autors, für die Experteninterviews mit ÖPNV-Stakeholdern geführt wurden, sowie den aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet. Diskutiert wird, ob und unter welchen Voraussetzungen kostenloser ÖPNV plausibel ist. Im Ergebnis wird der beitragsinanzierte Nulltarif als plausibles Szenario erörtert. Der Autor: Kai Gondlach D er Anteil des Öfentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) am gesamten Personenverkehrsaukommen ist seit den 1980ern konstant auf niedrigem Niveau bei etwa 10 %. Im selben Zeitraum hat der Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) von 50 auf 59 % zugelegt. Nicht umsonst ist Deutschland als Autofahrernation bekannt; der „Autoverkehr [ist] immer noch rechtlich, iskalisch und personell wesentlich besser auf der kommunalen und regionalen Ebene verankert als der ÖV.“ [1] Individualverkehr verspricht - der Name lässt es bereits vermuten - den Nutzern ein hohes Maß an Individualität, Spontaneität, Komfort, Freiheit und Status. Schließlich entscheiden sie selbst, wann sie wohin fahren und wer auf dem Nachbarsitz Platz nimmt - wenn überhaupt. Jedoch sind die durch den MIV verursachten externen Kosten, zum Beispiel durch Staus, Verkehrsunfälle und Umweltverschmutzung, ungleich höher als beim ÖPNV [2]. Aus dieser Ausganglage ergibt sich das Urteil, dass der MIV zumindest in Gebieten mit einer funktionierenden ÖPNV-Infrastruktur objektiv gesehen viele Nachteile mit sich bringt. Der ÖPNV schneidet in den Kategorien Freiheit, Unabhängigkeit und Flexibilität [3] relativ schlecht ab. Dafür haben Busse und Bahnen eine deutlich bessere Bilanz in puncto „Lärm- und Schadstofemissionen, der Unfallhäuigkeit und der Flächenbeanspruchung“ [4]. Leider ist der ÖPNV in seiner aktuellen Verfassung ofensichtlich keine ernst zu nehmende Konkurrenz für den MIV. Eine traditionell starke Autolobby und die mangelhafte Attraktivität des ÖPNV sind nur zwei Ursachen von vielen. Objektiv gesehen spricht alles für eine Verkehrsverlagerung im Modal Split vom MIV zum Umweltverbund (ÖPNV, Fahrrad, Fußgänger). Dennoch bleibt die Verkehrsmittelnutzung seit vielen Jahren mehr oder weniger konstant. Lösung „Kostenloser ÖPNV“? Der Nulltarif im ÖPNV ist immer wieder Gesprächsthema, beispielsweise in Form einer „Nutzerinanzierung durch [ein] Deutschlandticket (wie BahnCard 100 mit City plus) für Alle“ [5]. Gefordert wird von unterschiedlichen Fraktionen mit unterschiedlichen Motiven, keine Fahrgelder mehr für die Nutzung des ÖPNV zu erheben. In der Regel wird damit mindestens eines der folgenden Ziele verfolgt: • „Veränderung des Modal Split (Zusammensetzung der Anteile der verschiedenen Verkehrsmittel an der Verkehrsmittelnutzung im Personenverkehr) zugunsten des ÖV • Senkung der Treibhausgas- und Lärmemissionen im Verkehrssektor • Optimierung der Verkehrs- und Stadtplanung • Verbesserung der Verkehrssicherheit“ [6] • Sozialpolitische und iskalische Motive Verschiedene Städte haben weltweit Modelle entwickelt oder unterschiedliche Konzepte ausprobiert. Tabelle 1 stellt ausgewählte Beispiele vergleichend gegenüber. Grundsätzlich hat sich bei der Einführung verschiedener Konzepte des Nulltarifs gezeigt, dass die Nutzerzahlen im ÖPNV in der Folge stark gestiegen sind. Das verkehrspoliti- Dauer Geltungsbereich Finanzierung Hasselt 1997-2013 Stadt Hasselt (ca. 70 000 Einwohner, EW) Umwidmung Haushaltsmittel, fahrscheinfrei für Fahrgäste Tallinn 2013- Stadt Tallinn (ca. 420 000 EW) Umwidmung Haushaltsmittel, kostenlos nur für Bürger/ innen Templin 1997-2003 2013- Stadt (ca. 14 000 EW) + Touristen; Touristen + optional Bürger/ innen Kurgebühr; Kurgebühr + optionale ÖPNV-Gebühr Lübben 1998-2002 Stadt (ca. 14 000 EW) Umwidmung Haushaltsmittel, fahrscheinfrei für Fahrgäste „Bürgerticket“ (Modell) - Heidelberg (ca. 150 000 EW) ÖPNV-Abgabe 180-240 EUR pro Jahr (p. a.) - Rheinland-Pfalz (ca. 4 Mio. EW) ÖPNV-Abgabe 192 EUR p. a. - Potsdam (ca. 160 000 EW) ÖPNV-Abgabe 100 EUR p. a. - Tübingen (ca. 90 000 EW) ÖPNV-Abgabe 100-150 EUR p. a. - Darmstadt (ca. 148 000 EW) Kostenlos für Fahrgäste - Marburg (ca. 70 000 EW) ÖPNV-Abgabe 50-100 EUR p. a. - Hamburg (ca. 1,7 Mio. EW) ÖPNV-Abgabe 170 EUR p. a. - Berlin (ca. 3,4 Mio. EW) ÖPNV-Abgabe 120-130 EUR p. a. + PKW-Abgabe Tabelle 1: Eigene Darstellung. [6] S. 55f. Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 25 ÖPNV-Nulltarif POLITIK sche Ziel einer Verkehrsverlagerung zugunsten des ÖPNV wurde also erreicht. In den vier betrachteten Modellstädten wurden ergänzend zur „Scheinfreiheit“ lankierende Maßnahmen ergrifen, um den erwarteten Ansturm von Fahrgästen bewältigen zu können; es wurden unter anderem Takte verdichtet, neue Fahrzeuge angeschaft, neue Strecken eingeführt und Straßen für den ÖPNV umgewidmet. Doch auch ein zentraler negativer Efekt darf nicht unberücksichtigt bleiben: so fand nicht nur eine Verlagerung vom MIV statt, sondern auch ehemalige Fußgänger/ innen und Radfahrer/ innen fuhren nun mit Bus und Bahn. Zusätzlich kann davon ausgegangen werden, dass viel „unnötiger“ Verkehr induziert würde, sobald die Fahrt „kostenfrei“ wäre. Auch befürchten Kritiker, dass Verkehrsunternehmen ohne Fahrentgelte weniger Anreiz hätten, Qualität zu liefern. Das zeigt, dass der reine Wegfall der Fahrscheine nicht ausreicht, um die gewünschte Verkehrsverlagerung zu erreichen (siehe [7], [8], [9]). Vielmehr verlangt ein ausgewogenes Konzept nach einem umfangreichen Maßnahmen-Mix aus Push-and-pull-Instrumenten, um einerseits die Attraktivität des ÖPNV zu erhöhen, auf der anderen Seite den MIV zu schwächen (z. B. durch Anpassungen im Parkraummanagement, Steuererhöhungen usw.) und gleichsam andere Umweltverbund-Teilnehmer/ innen am Umsteigen zu hindern. Denn, wie es vielleicht der Verkehrsclub Deutschland ausdrücken würde: Der beste Verkehr ist der, der gar nicht motorisiert stattindet. Dazu gesellt sich ein grundlegendes Problem des ÖPNV: Jede Region ist anders, sowohl bezogen auf die Verkehrsmittelnutzung als auch auf die Voraussetzungen für den Betrieb. Großstädte eignen sich grundsätzlich gut für den Nulltarif, da die ÖPNV- Akzeptanz hoch, die Straßen überfüllt, die Luftemissionen an der Grenze sind und eine gut ausgebaute Infrastruktur vorliegt. In manchen ländlichen Regionen lohnt sich demgegenüber schon heute kein Busbetrieb mehr. Hier sind vielmehr innovative Alternativkonzepte gefragt, die die Mobilität der Bevölkerung sicherstellen - als Beispiele sei hier nur kurz auf den Rubus, Bürgerbus und Kombibus (alle in Brandenburg) hingewiesen. Aktuell arbeiten unter anderem Potsdam (Stadtverwaltung), Berlin (Die Grünen), Erfurt, Leipzig und Bremen an Umsetzungsstrategien für den Nulltarif [10]. Finanzierung Die zentrale Schwierigkeit des Nulltarifs besteht in der Finanzierung. Immerhin müssen die Kosten kompensiert werden, die durch den Betrieb, die Erhaltung und den Ausbau der Infrastruktur entstehen. Aktuell geschieht dies durch ein hochgradig komplexes Gelecht aus Nutzerentgelten, Landes-, Bundes- und EU-Zuschüssen. Da aber die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen kaum Spielraum lassen, haben die o. g. Modellstädte durchweg auf eine Umwidmung von Haushaltsmitteln bzw. erhobenen Kurgebühren zurückgegrifen. Diese Einnahmen sind allerdings nur schwer anpassbar, weshalb die Kosten in fast allen betrachteten Städten irgendwann nicht mehr getragen werden konnten. Stattdessen wurden einige Konzepte erarbeitet, die eine Mobilitätsabgabe in Form einer allgemein verplichtenden Gebühr - analog zur Rundfunkgebühr - vorschlagen. Eine derartige ÖPNV-Abgabe, die von allen Bürger/ innen gezahlt werden müsste, könnte zweckgebundene Mittel in den Haushalt spielen und sowohl Betrieb als auch Investitionen decken. Die Höhe der ÖPNV-Gebühr liegt nach unterschiedlichen Berechnungen bei 8-20 EUR im Monat pro Bürger/ in (siehe Tabelle 1). Dies erscheint als vertretbare Summe. Bei jeder Berechnung darf allerdings nicht vergessen werden, die voraussichtlichen Kosten für (Erst-)Investitionen und lankierende Maßnahmen mitzudenken, damit das Angebot auch tatsächlich für alle Teilnehmer/ innen des Umweltverbundes attraktiv gestaltet wird. Auch die Befragungen von zentralen ÖP- NV-Stakeholdern im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg haben ergeben, dass die ÖPNV-Gebühr ein durchaus plausibles Modell darstellt. Die befürwortenden Argumente zielen vor allem auf den sozialen und ökologischen Vorteil einer Mehrnutzung des ÖPNV sowie die Vorteile aus Sicht der Verkehrsplanung. Gegenargumente stellen die Finanzierung von Investitionen in den Mittelpunkt, was darauf hindeutet, dass ein funktionierender Nulltarif sich vor allem dieser Thematik widmen und die Höhe der Gebühr entsprechend bemessen müsste (siehe [6], S. 62 f). Auf die Verkehrsunternehmen hätte eine Systemumstellung ambivalente Auswirkungen: Vertrieb, Tariierung und Fahrgeldmanagement wären dann nicht mehr nötig. Die Arbeitsplätze in diesen Bereichen würden wegfallen. Da allein der Vertrieb ca. 8-15% des Etats von Verkehrsunternehmen ausmacht, würde dies jedoch auch eine immense Kosteneinsparung bedeuten. Gleichzeitig werden viele neue Jobs geschafen durch einen erhöhten Bedarf an Fahrzeugführern und Beschäftigten für den Ausbau und Erhalt der Infrastruktur. Fazit und Ausblick Ein Nulltarif ohne intelligente Gegeninanzierung ist eine Utopie. Es ist auch fraglich, ob er die Lösung des Problems im Verkehrsmittelmix ist oder ob dafür andere verkehrspolitische Maßnahmen besser geeignet sind. Wer nur einen Hammer als Werkzeug hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Deshalb sollte genau überprüft werden, Zugkräftige Produkte ... 2014 e-ketten ® der E2 micro Familie für kleinste Bauräume, z. 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Die Gebührenberechnung muss sowohl die Betriebskosten als auch voraussichtliche Investitionen abdecken. • Push-and-pull: Zusätzlich zur Abschaffung des Tickets sind ergänzende Maßnahmen erforderlich, um das Ziel einer Verkehrsverlagerung auf den Umweltverbund zu erreichen. Auf der einen Seite können durch eine Schwächung des MIV Haushaltsmittel für den Umweltverbund frei werden, wobei die Kosten dieser Maßnahmen im Blick behalten werden müssen. Auf der anderen Seite sollten Fußgänger/ innen und Radfahrer/ innen Anreize für das „Nicht-Einsteigen“ erhalten, wie beispielsweise durch privilegierte Strecken (Beispiel „Fahrradschlange“ in Kopenhagen oder die geplante Fahrradautobahn in London). Darüber hinaus könnten inanzielle Anreize für den bewussten Verzicht auf motorisierte Fortbewegung die Fußgänger/ innen und Radfahrer/ innen davon abhalten, ihre bisherigen Gewohnheiten zu verändern (Beispiel Pendlerpauschale auch für diese Personengruppen oder stärkere inanzielle Belastung der MIV- Nutzer/ innen). Unterm Strich bedarf es einer umfangreichen wissenschaftlichen Widmung in Form einer Machbarkeitsstudie, um die erhoften positiven Efekte weiter zu beleuchten und potenzielle Fallstricke zu erkennen. ■ LITERATUR  [1] Monheim, Heiner / Schroll, Karl Georg (2005): Von der Defensive zur Ofensive - mehr Akzeptanz für innovative Konzepte im Öfentlichen Verkehr bei professionellen Akteuren. In: Verkehrszeichen, Jg. 21, Nr. 2; S. 2.  [2] Becker, Udo J. / Becker, Thilo / Gerlach, Julia (2012): Externe Autokosten in der EU-27. Überblick über existierende Studien. Dresden: Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, Technische Universität Dresden; S. 36 f.  [3] Pripl, Jürgen et al. (2010): Verkehrsmittelwahl und Verkehrsinformation. Emotionale und kognitive Mobilitätsbarrieren und deren Beseitigung mittels multimodalen Verkehrsinformationssystemen - EKoM Endbericht, Wieb: Kuratorium für Verkehrssicherheit; S. 85.  [4] Böhler, Susanne (2010): Nachhaltig mobil. Eine Untersuchung von Mobilitätsdienstleistungen in deutschen Großstädten. In: Raumplanung, Informationskreis für (Hrsg.), Band V8, Dortmund: Dortmunder Beiträge zur Raumplanung; S. 48.  [5] Monheim, Heiner (2012): Verkehrspolitik neu ausrichten. Eine Abrechnung mit den Fehlentwicklungen deutscher Verkehrspolitik. In: Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Perspektive Mobilität - Herausforderungen im gesellschaftlichen Wandel. DVWG Jahresband 2011/ 2012, Berlin; S. 12-22, Zitat S. 20.  [6] Gondlach, Kai (2013): Disruptive Entwicklung ‚Kostenloser ÖPNV‘: Utopie oder plausible Zukunft? Risiken und Chancen für die Deutsche Bahn. Unveröfentlichte Masterarbeit an der Freien Universität Berlin; S. 6.  [7] Aberle, Gerd (2012): „Kostenloser“ ÖPNV? - Irrtum und Irrweg. In: Internationales Verkehrswesen, Jg. 64, Nr. 2; S. 11  [8] Verkehrsclub Deutschland (2011): Entwurf VCD Position: ÖPNV zum Nulltarif - kein Königsweg; S. 8  [9] Gondlach, Kai (2013): Disruptive Entwicklung ‚Kostenloser ÖPNV‘: Utopie oder plausible Zukunft? Risiken und Chancen für die Deutsche Bahn. Unveröfentlichte Masterarbeit an der Freien Universität Berlin; S. 43, 64f. [10] Gehrke, Marvin / Groß, Stefan (2014): Fahrscheinfrei im ÖPNV. IVP- Discussionpaper 2014 (3); Herausgeber: Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung der Technischen Universität Berlin, online unter http: / / www.ivp.tu-berlin.de/ fileadmin/ fg93/ Dokumente/ Discussion_Paper/ DP3_Gehrke.pdf (Zugrif am 07.08.2014). Kai Arne Gondlach, MA Zukunftsforschung; BA Soziologie, Politik und Verwaltung Innovation & Marketing Manager, Potsdam/ Lauchhammer/ Berlin mail@gondlach.de „ IV “ Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 27 Benzin - Wann der Grif zur-Zapfpistole teuer wird Die Kraftstofpreise sind in der Regel sonn- und feiertags am höchsten und am frühen Abend am günstigsten für den jeweiligen Tag. Dies sind zwei von vielen interessanten Ergebnissen, die auf Basis von Millionen Preisinformationen für das Jahr 2014 gewonnen wurden und im folgenden Beitrag dargestellt werden. Die Autoren: Manuel Frondel, Alexander Kihm, Nolan Ritter, Colin Vance K aum ein Thema erfährt auf Dauer eine derart hohe Aufmerksamkeit wie die Höhe der Kraftstofpreise. Neben dem zumeist als zu hoch empfundenen Preisniveau stehen vor allem die häuigen und starken Preisanpassungen an den Tankstellen in der Kritik (Frondel et al. 2012). Weil die Preisentwicklung auf dem Kraftstofmarkt sowohl von Verbrauchern als auch von Politikern als Ergebnis einer missbräuchlichen Ausnutzung von kartellartiger Marktmacht angesehen wird (Beirat BMVBS 2012), beschloss der Gesetzgeber mit dem Markttransparenzgesetz die umfassende staatliche Aufsicht über die Preispolitik der Mineralölkonzerne. Demgemäß müssen die Betreiber der über 14 000 Tankstellen in Deutschland dem Bundeskartellamt seit dem 1. September 2013 detailliert Auskunft über ihre Preise geben sowie darüber, wann und in welchem Umfang sie die Preise an den Zapfsäulen erhöhen oder senken. Diese Daten, die der staatlichen Markttransparenzstelle für Kraftstofe gemeldet werden müssen, werden inzwischen 26 Verbraucher-Informationsdiensten in Echtzeit zugänglich gemacht. Als Resultat stehen nunmehr Abermillionen von Preisinformationen für die vergangenen Monate zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund untersucht dieser Beitrag die Preispolitik an deutschen Tankstellen, die wesentlich von einem Oligopol von Mineralölunternehmen bestimmt wird, das aus den fünf Anbietern Aral, Shell, Jet, Esso und Total besteht. 1 Dazu werden hier die Preise der Kraftstofsorte Diesel für die sechs Wochen zwischen dem 28. Mai und dem 8. Juli 2014 betrachtet. Für diese Wochen wird insbesondere analysiert, an welchen Wochentagen im Allgemeinen die höchsten Preise zu verzeichnen sind. Entgegen dem subjektiven Empinden der Autoren sind in diesem Zeitraum in der Regel die höchsten tagesdurchschnittlichen Preise jeweils an Sonn- und Feiertagen festzustellen. So sind die Tagesdurchschnittspreise für Diesel an Christi Himmelfahrt (29. Mai 2014) und am Pingstmontag (9. Juni 2014) in der jeweiligen Woche am höchsten (Tabelle 1). Dieses Muster zeigt sich ebenso für die übrigen, hier nicht dargestellten Kraftstofsorten, Super E10 und Super E5. Behält man die hier benutzte Deinition einer Woche mit Wochenstart am Mittwoch und dem entsprechenden Ende am darauffolgenden Dienstag bei, ist dasselbe Muster mit wenigen Ausnahmen auch für die übrigen Wochen des Jahres 2014 festzustellen. So wiesen insbesondere die Tagesdurchschnittspreise am 1. Januar die höchsten Werte für die erste Woche des Jahres 2014 auf. Diese Ergebnisse scheinen das immer wieder vorgebrachte Vorurteil zu bestäti- 28.5.-3.6 4.6.-10.6. 11.6.-17.6. 18.6.-24.6. 25.6.-1.7. 2.7.-8.7. Mittwoch 1,3848** (0,000) 1,3662** (0,000) 1,3661** (0,000) 1,3827** (0,000) 1,3987** (0,000) 1,3758** (0,000) Donnerstag 1,3930** (0,000) 1,3766** (0,000) 1,3811** (0,000) 1,4041** (0,000) 1,4015** (0,000) 1,3890** (0,000) Freitag 1,3889** (0,000) 1,3672** (0,000) 1,3888** (0,000) 1,4006**(0,000) 1,3991** (0,000) 1,3894** (0,000) Samstag 1,3897** (0,000) 1,3811** (0,000) 1,3951** (0,000) 1,4028** (0,000) 1,4055** (0,000) 1,3895** (0,000) Sonntag 1,3718** (0,000) 1,3808** (0,000) 1,3996** (0,000) 1,4029** (0,000) 1,4046** (0,000) 1,3909** (0,000) Montag 1,3850** (0,000) 1,3829** (0,000) 1,3958** (0,000) 1,4020** (0,000) 1,3981** (0,000) 1,3822** (0,000) Dienstag 1,3831** (0,000) 1,3782** (0,000) 1,4008** (0,000) 1,4021** (0,000) 1,3809** (0,000) 1,3817** (0,000) # Beob. 91 411 90 138 92 604 92 106 92 356 92 081 ** Signiikant auf 1%-Niveau, Standardfehler in Klammern. Tabelle 1: Tagesdurchschnittspreise für Diesel in Euro pro Liter, 28. Mai bis 8. Juli 2014 Foto: Rainer Sturm_pixelio.de Kraftstofpreise POLITIK POLITIK Kraftstofpreise Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 28 gen, dass die Autofahrer von den Mineralölunternehmen an Feiertagen besonders zur Kasse gebeten werden. Allerdings muss für die in der Tabelle 1 dargestellten Tagesdurchschnittspreise konstatiert werden, dass die Unterschiede zwischen den Wochentagen zwar ausnahmslos statistisch signiikant, aber jeweils relativ gering sind und in der Regel um die 2 bis 3 ct je Liter liegen. Damit hält sich das Ausmaß eines potentiellen Preiswuchers an Feiertagen in engen ökonomischen Grenzen und beträgt weniger als 2 % des jeweiligen Wochendurchschnitts. Darüber hinaus bleibt hier in Ermangelung entsprechender Informationen über die verkauften Mengen unklar, ob die an Feiertagen geringfügig höheren Tagesdurchschnittspreise nicht das Resultat einer vergleichsweise hohen Nachfrage und damit unter Wettbewerbsgesichtspunkten völlig legitim sind. Ein noch weitaus stabileres Muster indet sich für die Preisunterschiede zwischen 28.5.-3.6 4.6.-10.6. 11.6.-17.6. 18.6.-24.6. 25.6.-1.7. 2.7.-8.7. Aral 1,4028** (0,000) 1,3973** (0,000) 1,4143** (0,001) 1,4230** (0,000) 1,4249** (0,001) 1,4102** (0,001) Esso 1,3930** (0,001) 1,3870** (0,001) 1,4000** (0,001) 1,4022** (0,001) 1,4048** (0,001) 1,3929** (0,001) Jet 1,3555** (0,001) 1,3455** (0,001) 1,3607** (0,001) 1,3718** (0,001) 1,3670** (0,001) 1,3553** (0,001) Shell 1,4153** (0,000) 1,4014** (0,000) 1,4208** (0,000) 1,4321** (0,000) 1,4286** (0,000) 1,4077** (0,001) Total 1,3965** (0,001) 1,3847** (0,001) 1,4008** (0,001) 1,4117** (0,001) 1,4111** (0,001) 1,3990** (0,001) Übrige 1,3715** (0,000) 1,3625** (0,000) 1,3746** (0,000) 1,3847** (0,000) 1,3823** (0,000) 1,3707** (0,000) # Beob. 91 411 90 138 92 604 92 106 92 356 92 081 ** Signiikant auf 1%-Niveau, Standardfehler in Klammern. Tabelle 2: Wochendurchschnittspreise für Diesel in Euro pro Liter nach Anbietern, 28. Mai bis 8. Juli 2014 28.5.-3.6 4.6.-10.6. 11.6.-17.6. 18.6.-24.6. 25.6.-1.7. 2.7.-8.7. Aral 3,8684** (0,025) 3,6736** (0,023) 3,9241** (0,025) 3,9530** (0,026) 3,9622** (0,024) 4,0143** (0,024) Esso 4,3305** (0,035) 4,2779** (0,034) 4,4066** (0,033) 4,9329** (0,037) 5,0355** (0,040) 5,0792** (0,038) Jet 3,8429** (0,046) 3,6944** (0,044) 3,8090** (0,044) 4,0128** (0,046) 4,1871** (0,046) 4,2257** (0,043) Shell 4,9452** (0,027) 4,1103** (0,023) 4,6247** (0,025) 4,7743** (0,027) 4,7787** (0,026) 4,9688** (0,025) Total 4,3311** (0,041) 4,1122** (0,038) 4,3187** (0,042) 4,4071** (0,043) 4,4715** (0,042) 4,4611** (0,041) Übrige 4,0908** (0,017) 3,9004** (0,015) 4,0518** (0,016) 4,0547** (0,017) 4,1550** (0,016) 4,2091** (0,016) # Beob. 91 411 90 138 92 604 92 106 92 356 92 081 ** Signiikant auf 1%-Niveau, Standardfehler in Klammern. Tabelle 3: Preisänderungshäuigkeit pro Tag für Diesel, 28. Mai bis 8. Juli 2014 28.5.-3.6 4.6.-10.6. 11.6.-17.6. 18.6.-24.6. 25.6.-1.7. 2.7.-8.7. Aral 0,1034** (0,001) 0,0975** (0,001) 0,1025** (0,001) 0,1091** (0,001) 0,1150** (0,001) 0,1138** (0,001) Esso 0,1187**(0,001) 0,1230** (0,001) 0,1243** (0,001) 0,1289** (0,001) 0,1384** (0,001) 0,1398** (0,001) Jet 0,0631** (0,000) 0,0597** (0,001) 0,0663** (0,001) 0,0681** (0,000) 0,0667** (0,000) 0,0665** (0,000) Shell 0,1303** (0,001) 0,1277** (0,001) 0,1304** (0,001) 0,1313** (0,000) 0,1385** (0,001) 0,1288** (0,001) Total 0,1144** (0,001) 0,1122** (0,000) 0,1197** (0,000) 0,1198** (0,000) 0,1273** (0,000) 0,1272** (0,000) Übrige 0,0914** (0,000) 0,0898** (0,000) 0,0918** (0,000) 0,0895** (0,000) 0,0930** (0,000) 0,0924** (0,000) # Beob. 91 411 90 138 92 604 92 106 92 356 92 081 ** Signiikant auf 1%-Niveau, Standardfehler in Klammern. Tabelle 4: Durchschnittliche Preisdiferenz pro Tag in Euro pro Liter für Diesel, 28. Mai bis 8. Juli 2014 Bild 1: Durchschnittspreise für Diesel in EUR/ l nach Tageszeit, 28. Mai bis 3. Juni 2014 1,34 1,36 1,38 1,40 1,42 1,44 EUR/ liter MI., 23 Uhr DO., 5 Uhr DO., 19 Uhr FR., 23 Uhr SA., 5 Uhr SA., 19 Uhr SO., 23 Uhr MO., 5 Uhr MO., 19 Uhr Tag und Uhrzeit Diesel Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 29 Kraftstofpreise POLITIK Anbietern. Die im Wochendurchschnitt ausnahmslos günstigsten Preise inden sich für Jet-Tankstellen. Bei Diesel liegen die Wochendurchschnitte von Jet bis zu 6 ct je-Liter unter denen der Wettbewerber (Tabelle 2). Mit wenigen Ausnahmen ändern Jet- Tankstellen auch am wenigsten häuig die Preise pro Tag (Tabelle 3), im Wochendurchschnitt betrachtet etwa vier Mal, Esso- und Shell-Tankstellen hingegen im Wochenmittel eher um die fünf Mal am Tag. Auch die Diferenzen zwischen Tageshöchstpreis und dem niedrigsten Tagespreis sind bei Jet-Tankstellen am kleinsten, im Wochenmittel liegen diese Diferenzen um die 6 ct je Liter, bei Shell-Tankstellen kann die mittlere Preisdiferenz auch mehr als doppelt so hoch ausfallen (Tabelle 4). Die günstigsten Preise lassen sich für die frühen Abendstunden verzeichnen, bevor die Preise im Laufe der Abendstunden wieder anziehen und um 23 Uhr ihr Maximum erreichen (Bild 1). Auf diesem hohen Niveau bleiben die Preise regelmäßig bis 5 Uhr morgens, bevor sie im Tagesverlauf wieder sinken, um gegen 19 Uhr erneut wieder ihr Minimum zu erreichen. Die Regelmäßigkeit dieses Verlaufs ist frappierend und zeigt sich nicht nur für Diesel in der in Abbildung 1 angegebenen Woche vom 28. Mai bis 3. Juni, sondern für sämtliche Wochen zwischen dem 28. Mai und dem 8. Juli 2014. Solche und weitere Auswertungen indet man künftig im RWI-Benzinpreisspiegel auf der Homepage des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) unter dem Linkwww.rwi-essen.de/ benzinpreisspiegel. ■ 1 Am 1.7.2014 gab es in Deutschland 14-242 Tankstellen, 2-377 gehörten zu Aral, 1-995 zu Shell, 1-097 zu Total, 1-012 zu Esso und 782 zu JET (EID 2014: 6). LITERATUR: Beirat BMVBS (2012), Staatliche Eingrife in die Preisbildung auf dem Benzinmarkt? Internationales Verkehrswesen 64 (5): 2-4. EID (2014) Tankstellen. Energie Informationsdienst 2/ 2014, Hamburg. Frondel, M., C. M. Schmidt und M. Sievert (2012), Hohe Benzinpreise - kein Grund für Aktionismus. Internationales Verkehrswesen 64 (5): 2-4. Alexander Kihm, Dr. Freiberuflicher Berater, Berlin alex@kihm.cc Nolan Ritter, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenzbereich Umwelt und Ressourcen, RWI, Essen. nolan.ritter@rwi-essen.de Colin Vance, Prof., Ph.D., stellvertretender Kompetenzbereichsleiter Umwelt und Ressourcen, RWI Essen und Jacobs University Bremen colin.vance@rwi-essen.de Manuel Frondel, Prof. Dr. Kompetenzbereichsleiter Umwelt und Ressourcen, RWI Essen und Ruhr-Universität Bochum. manuel.frondel@rwi-essen.de Zukunft denken. W3 Universitätsprofessur Schienenfahrzeug- und Transportsysteme FAKULTÄT FÜR MASCHINENWESEN Zum 01.07.2016 wird eine Persönlichkeit gesucht, die dieses Fach in Forschung und Lehre vertritt. Das Aufgabengebiet umfasst vielfältige schienenfahrzeugtechnische Themen, wobei aktuell die Fahrwerkstechnik, Brems- und Gleitschutztechnik und weitere Themen zur Verschleißminderung im Rad-Schiene-Kontakt im Mittelpunkt der Forschungsaufgaben stehen. Gleichermaßen gewünscht ist die Beschäftigung mit den Fragestellungen moderner Transportaufgaben und den dafür notwendigen Techniken (Fahrzeuge, Fördermittel, Umschlagtechnik) sowie des intermodalen Verkehrs. Die Stelleninhaberin bzw. der Stelleninhaber ist verantwortlich für die Lehre in der Schienenfahrzeugtechnik sowie in der Fördertechnik. Voraussetzungen sind ein abgeschlossenes Universitätsstudium, Promotion und zusätzliche wissenschaftliche Leistungen, die durch eine Habilitation, im Rahmen einer Juniorprofessur, einer wissenschaftlichen Tätigkeit an einer Hochschule, Forschungseinrichtung, in Wirtschaft, Verwaltung oder einem anderen gesellschaftlichen Bereich erbracht wurden. Des Weiteren werden didaktische Fähigkeiten erwartet. Eine in Lehre und Forschung fakultätsübergreifende Zusammenarbeit mit den im Themenkomplex „Mobilität und Transport“ tätigen Lehrstühlen wird erwartet. Den Bewerbungsunterlagen sollen Belege über Lehrerfolge beigefügt werden. Ihre schriftliche Bewerbung richten Sie bitte bis zum 15.11.2014 an den Dekan der Fakultät für Maschinenwesen der RWTH Aachen, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt, 52056 Aachen. Auf Wunsch kann eine Teilzeitbeschäftigung ermöglicht werden. Die RWTH ist als familiengerechte Hochschule zertifiziert und verfügt über ein Dual Career Programm. Wir wollen an der RWTH Aachen besonders die Karrieren von Frauen fördern und freuen uns daher über Bewerberinnen. Frauen werden bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt berücksichtigt, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen. Bewerbungen geeigneter schwerbehinderter Menschen sind ausdrücklich erwünscht. Politik Energiepreise Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 30 Steigende Energiepreise und ihre Wirkung auf planerische Strategien Erfahrungen aus einem transdisziplinären Forschungsprojekt In der Verkehrsplanung wird die Robustheit vorhandener Strukturen gegenüber deutlich gestiegenen Energiepreisen nur selten in Szenarien untersucht. Im Rahmen eines BMBF-geförderten Forschungsprojektes wurden die Auswirkungen höherer Energiepreise auf die räumliche Entwicklung sowie das Verkehrsverhalten modellhaft abgebildet und in ein Planspiel integriert. In diesem Planspiel haben Entscheidungsträger experimentelle Strategiepfade auf Basis von Modellergebnissen entwickelt. Die Notwendigkeit solcher Preisszenarien wird in diesem Artikel diskutiert und vor dem Hintergrund der Projektergebnisse reflektiert. Die Autoren: Sven Altenburg, Marcus Peter V erkehr verlangt noch immer den umfangreichen Einsatz fossiler Energieträger. Rund 87 % der Personenverkehrsleistung werden über die Verwendung direkter Erdölerzeugnisse realisiert ([1], eigene Auswertungen auf Basis von Verkehr in Zahlen 2010/ 2011). Der künftige Ölpreis wird in erheblichem Maße mitentscheiden, auf welche Art und zu welchen Kosten Ortsveränderungen realisiert werden können. Ohne belastbare Aussagen zur künftigen Preisentwicklung kann keine Prognose den Anspruch erheben, die wichtigen Einlussfaktoren auf die Verkehrsentwicklung vollständig abzubilden. Zwar werden Annahmen zu Rohölpreisen in Rahmenszenarien regelmäßig berücksichtigt, gleichwohl stellt sich die Frage, ob die bislang üblichen Preisannahmen vor dem Hintergrund erheblicher Schwankungen ausreichend sind. kraftstofpreise in der Verkehrsprognose Etablierte Verkehrsprognosen und Planungskonzepte stützen sich zumeist auf ein Annahmegelecht aus moderat steigenden Rohölpreisen sowie dämpfend wirkenden Einkommenszuwächsen und Eizienzsteigerungen. Beispielhaft genannt sei hier die „Verkehrsverlechtungsprognose 2030“ - eine der entscheidenden Grundlagen für die bedarfsgerechte Schwerpunktsetzung und Priorisierung bei der Entwicklung des BVWP 2015 [2]. Für das Jahr 2030 wird hier ein realer Ölpreis von 120 USD/ bbl (Basis 2010) angenommen, welcher mit den Einschätzungen etablierter Institutionen übereinstimmt [3]. Unter besonderer Berücksichtigung der Anpassungsmechanismen bei der Mineralölsteuer sowie angenommener Verbrauchsrückgänge durch Eizienzsteigerungen, wird von einer efektiven jährlichen Kostensteigerung bei Kraftstoffen um 0,5 % ausgegangen. Der Preis des Rohöls Die Preisentwicklung von Rohöl unterliegt vielfältigen Faktoren. Vor der Schablone tatsächlicher Preiszuwächse ist ein strukturelles Unterschätzen der Preisentwicklung erkennbar (Bild 1). Exemplarisch zu nennen ist die erste Preisspitze im Jahre 2008 mit einem Barrelpreis von über 100 $ - ein noch kurz zuvor als unrealistisch bewertetes Preisniveau ([4], S. 11). Insbesondere in Nordamerika wird mit der Erschließung unkonventioneller Vorkommen (Deinition und Abgrenzung: [5]) aktuell die Hofnung nach niedrigerer Importabhängigkeit und gedämpfter Preisentwicklung verbunden [6]. Während die verringerte Exportabhängigkeit bereits empirisch nachweisbar ist [7], bleibt der Bild 1: Vergleich von Rohölpreisprognosen und tatsächlicher Entwicklung. (Eigene Darstellung) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 31 Energiepreise Politik Jahr Rohölpreis $/ bbl Preis Benzin, Diesel €/ l Heizölpreis €/ l Erdgaspreis €/ kWh Strompreis €/ kWh ÖV-Preis (Basis 2010) 2015 200 2,20 1,47 0,13 0,29 +5 % 2025 400 3,50 2,75 0,15 0,40 +10 % Tabelle 1: Energiepreisszenarien 2015 und 2025 Quelle: Eigene Szenarien globale Preisefekt ungewiss. Zu berücksichtigen ist, dass diese Verfahren erst durch den relativ hohen Preis konventionellen Öls marktfähig geworden sind. Gordon verweist außerdem auf die Abhängigkeit von neuen und hochenergieintensiven Produktionstechniken sowie die schwierige Zugänglichkeit und ungewöhnliche Zusammensetzung dieser Vorkommen ([5], S.- 6). Zusätzlich erschweren die komplexen rechtlichen, geologischen und ökologischen Faktoren die globale Übertragbarkeit dieser Entwicklung, in einem „beständig hohen Preisniveau“ wird indes eine Grundvoraussetzung gesehen ([8], S. 10). Die Kraftstofkosten allein reichen bei der Efektabschätzung von Preisniveaus nicht aus. Nur eine Erweiterung um Aussagen zur Eizienz und Einkommensstruktur führt zu einer realistischen Einordnung der Efekte. Das Zusammenspiel dieser drei Faktoren bedeutet jedoch auch eine dreifache Unsicherheit in Bezug auf die weitere Entwicklung. Efekte von Preissteigerungen Die Preiselastizität bei Kraftstofen wurde bislang als relativ gering eingeschätzt. Vergangene Studien konnten zeigen, dass höhere Preise nur zum Teil durch eine geringere Fahrleistung kompensiert wurden. Insgesamt wurde ein Anstieg der gesamten Mobilitätsaufwendungen beobachtet, was zu Ausgaberückgängen bei anderen Haushaltsbudgets führte [10]. Bei moderaten Preisanstiegen ist diese Neujustierung der Haushaltsbudgetierung mit relativ geringen Efekten verbunden. Es ist jedoch zu untersuchen, wie diese Anpassungen zu realisieren sind, wenn die Preise in erheblich größerem Maße steigen. Dabei wird grundsätzlich unterstellt, dass sowohl Einkommenszuwächse als auch technologische Neuerungen nicht in der Lage sind, diese Preiszuwächse auszugleichen. Szenarien sind ein geeignetes Mittel bei der Abbildung notwendiger Anpassungsstrategien. Bereits in der Vergangenheit konnte am Beispiel eines integrierten Landnutzungs- und Verkehrsmodells die Bedeutung einer solchen Szenarienbetrachtung gezeigt werden [11]. Die Möglichkeit solcher Berechnungen und die multiplen Unsicherheiten hinsichtlich der Mobilitätsaufwendungen, lassen die ausschließliche Festlegung auf ein moderates Energiepreisniveau als riskant erscheinen und die entscheidende Frage unbeantwortet: Was passiert, wenn es anders kommt? Das Projekt €lAN Ziel des BMBF-geförderten Projekts €LAN war die experimentelle Folgenabschätzung deutlich steigender Energiepreise. Innerhalb dieses Vorhabens wurde ein für diese Zwecke entwickeltes integriertes Siedlungs- und Verkehrsmodell der Metropolregion Hamburg mit einem Planspiel kombiniert. Auf Basis von Energiepreisszenarien oberhalb gängiger Prognosen (Tabelle 1) wurden die vielfältigen Auswirkungen auf das Siedlungs- und Verkehrssystem nachgebildet. Die zusammenhängende Betrachtung von räumlicher Entwicklung und Verkehrsverhalten ermöglicht die Berücksichtigung hoher Energiepreisniveaus bei Standortentscheidungen von privaten Haushalten und Unternehmen. Die Wirkung ist abhängig von der Höhe der Kraftstofpreise und kann die Standortwahl bei ohnehin anstehenden Umzügen beeinlussen aber auch zur Auslösung von Umzügen führen (siehe auch [12]). Insgesamt ergibt sich in Abhängigkeit von sozioökonomischen (Einkommen, PKW- Besitz etc.), soziodemographischen (Alter, Haushaltszusammensetzung etc.), infrastrukturellen und individuellen sozialen Faktoren (Netzwerke, Freizeitgestaltung etc.) eine erhebliche Varianz hinsichtlich der Auswirkungen von Energiepreissteigerungen. In einem ersten Schritt wurden in den Planspielen Entscheidungsträger der kommunalen Ebene mit einem Benzinpreisniveau von 2,20 EUR/ l konfrontiert und aufgefordert, aus Einzelmaßnahmen bestehende experimentelle Handlungsstrategien zu entwickeln. Im nächsten Schritt erfolgte eine Modellneuberechnung unter Berücksichtigung dieser Einzelmaßnahmen sowie die neuerliche Übergabe der Ergebnisse in das Planspiel. Nun bestand die Möglichkeit, die eingeschlagenen Strategiepfade anzupassen und das Maßnahmenrepertoir zu erweitern. Darüber hinaus wurde ein Benzinpreisniveau von 3,50 EUR/ l zugrunde gelegt. Die Wirkungen dieser Maßnahmen ergab eine neuerliche Modellberechnung. Alle durchgeführten Berechnungen und resultierenden Modellergebnisse wurden strukturiert und in einer gemeinsamen Abschlussveranstaltung mit allen Planspielteilnehmern vorgestellt. Reaktionen der Praxisebene Stark steigende Energiepreise wurden von den Planspielteilnehmern als Risiko wahrgenommen und entsprechende Preisszenarien als gerechtfertigt bezeichnet. Dementsprechend bestand von Beginn an eine hohe Motivation, dieses Thema eingehend zu diskutieren und mögliche Handlungsansätze zu entwickeln. Innerhalb der einzelnen Planspieltermine traten die Interessensunterschiede zwischen städtischen und eher peripheren Regionen deutlich zutage. Erkenntnisreich waren die großen thematischen Überschneidungen mit der Diskussion um die demographische Veränderung. In der Gleichzeitigkeit von Kostensteigerungen und Bevölkerungsabnahme wird ein wichtiger Einluss auf die großräumige Verteilung der Einwohner und ihrer Mobilitätsmuster gesehen. Folglich zielten die entwickelten Maßnahmen nicht nur darauf ab, den Druck auf Seiten der Energiekosten zu reduzieren, sondern für die eigenen und potenziellen Einwohner attraktiver zu werden. Dass diese Strategie nicht in allen Gemeinden und Kreisen gleichermaßen zum Erfolg werden kann, ist ofenkundig. Die einzelnen Maßnahmen sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Dabei wird zwischen energie- und mobilitätskostensenkenden sowie kompensierenden und konkurrierenden Maßnahmen unterschieden. Kompensierende Maßnahmen erhöhen die Attraktivität der Gemeinde für jeden einzelnen Einwohner, unabhängig von der tatsächlichen Bevölkerungsentwicklung. Konkurrierende Maßnahmen wirken sich hingegen nur bei einer tatsächlichen Nachfrage positiv aus, ihre Wirksamkeit über das Gesamtgebiet ist abhängig von der Bevölkerungszahl. Unter Berücksichtigung tatsächlich „gespielter“ Maßnahmenbündel wurden die Unterschiede zwischen den Lagen und des daraus resultierenden Handlungsdrucks offensichtlich. Ländliche Gemeinden mit MIV-abhängigen Strukturen sehen lediglich in einer Erhöhung des PKW-Besetzungsgrades sowie in einem rasanten technologischen Fortschritt eine begrenzte Perspektive. Alle Handlungen sind auf eine Begrenzung der Abwanderung ausgerichtet. POLITIK Energiepreise Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 32 Gebiete mit guter oder ausbaufähiger ÖV- Anbindung konzentrierten ihren Finanzmitteleinsatz auf eine weitere Verbesserung der Angebotssituation, auch über den Ausbau von Rad-Abstellstationen und die Förderung von Zubringerdiensten. Gerade in den Oberzentren sowie den auf Hamburg zugerichteten Siedlungsachsen besteht die Sorge vor einer Überhitzung des Wohnungsmarktes. Abhilfe soll eine weitere Innenwicklung schafen. Interessanterweise wurden von den Planspielteilnehmern keine Forderungen nach Veränderung der Pendlerpauschale oder Senkung von Energiesteuern formuliert. Es war ein großes Bewusstsein dafür vorhanden, dass ein Umgang mit dem Thema höhere Energiekosten zum großen Teil ein Handeln vor Ort erfordert. Wirkungen der Maßnahmen Aufgrund von Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Maßnahmen ist keine direkte Zuordnung von Efekten möglich. In der Summe zeigte sich jedoch, dass die entwickelten Maßnahmen lediglich in der Lage sind, den entstandenen Handlungsdruck abzufedern, nicht aber den vorhergesagten Trend umzukehren. Die deutliche Steigerung der ÖV-Fahrleistung in Hamburg sowie auf den Siedlungsachsen bei gleichzeitiger Reduktion der Fahrleistung im MIV, führt zu relativ konstanten Verkehrskosten und ist direkt den entwickelten Maßnahmen zuzuordnen. Überdies zeigte sich, dass im ländlichen Raum, der bei Verkehrskostensteigerungen als Problemgebiet angesehen werden könnte, höhere inanzielle Aufwendungen für die Raumüberwindungen durch niedrigere Wohnkosten kompensiert werden können. Größere Abwanderungen sind gleichwohl nicht zu stoppen. Die Modellergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass in Mittelzentren eine begrenzte Positiventwicklung zu erwarten ist. Ein koordiniertes und abgestimmtes Vorgehen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften muss dringend angemahnt werden, da gerade kleinere Gemeinden und Städte nicht über den nötigen inanziellen Rahmen verfügen, um dem entstehenden Handlungsdruck allein zu begegnen. Fazit Die mit Planungsentscheidungen vertrauten Praxispartner konnten auf ein umfangreiches Sortiment vorbeugender und reaktiver Handlungsansätze zurückgreifen. Nicht alle dieser Maßnahmen sind jedoch geeignet, dem entstehenden Handlungsdruck in qualiizierter Weise zu begegnen. Konkurrierende Maßnahmen bergen die Gefahr der Fehlallokation öfentlicher Gelder. Auch zeigte sich die Unterschiedlichkeit der Betrofenheit zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Wohnstandortwechsel und Neustrukturierungen innerhalb der persönlichen Verkehrsnachfrage führen zu einer großlächigen Nachfrageverschiebung im Raum. Nur mit erheblichen Anstrengungen wird dieser Strukturumbau zu schafen sein. Dabei dürfen Eizienzsteigerungen bestehender öfentlicher Infrastrukturen nicht außer Acht gelassen werden, um zumindest einen Teil der ländlichen Versorgung zu konservieren. Nur unter Zuhilfenahme „pessimistischer“ Energiepreisszenarios können die nötigen Handlungsroutinen entwickeln werden, um den skizzierten Anforderungen zu begegnen. ■ Der Beitrag basiert auf Ergebnissen des Projektes €LAN Energiepreisentwicklung und Landnutzung (Projektpartner u. a.: Institut für Finanzwissenschaften an der Universität Köln, Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung Universität Stuttgart). Dieses Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 033L016A gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröfentlichung liegt bei den Autoren. LITERATURVERZEICHNIS [1] DIW, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2011): Verkehr in Zahlen 2010/ 2011. Berlin. [2] Intraplan Consult GmbH (Hrsg.), BVU Beratergruppe, Ingenieurgruppe IIV GmbH & Co KG und Planco Consulting GmbH (2014): Verlechtungsprognose 2030. München. [3] IEA, International Energy Agency (2011): World Energy Outlook 2011. Paris. [4] BFE, Bundesamt für Energie der Schweizerischen Eidgenossenschaft (2007): Die Energieperspektiven 2035 - Exkurse. Bern. [5] Gordon, Deborah (2012): Understanding Unconventional Oil, In: Carnegie Endowment For International Peace (Hrsg.): The Carnegie Papers. Washington, D.C. [6] PWC, PricewaterhouseCoopers LLP (2013): Shale oil: the next energy revolution. London. [7] EIA, U.S. Energy Information Administration (2013): Annual Energy Outlook 2013: with Projections to 2040. Washington, D.C. [8] BGR, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstofe (2013): Energiestudie 2013. Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Rohstofen (17). Hannover. [9] ifmo, Institut für Mobilitätsforschung (2010): Zukunft der Mobilität. Szenarien für das Jahr 2030 - Zweite Fortschreibung. München. [10] Hautzinger et al. (2004): Analyse von Änderungen des Mobilitätsverhaltens - insbesondere der PKW-Fahrleistung - als Reaktion auf geänderte Kraftstofpreise. Heilbronn. [11] Wegener, Michael; Wegener, Peter (2007): Urban Land Use, Transport and Environment Models. In: disP, 2007 (3), S. 45-65. [12] Fatmi, Mahmudur; Habib, Muhammad; Salloum, Stephanie (2014): Investigation of Household´s Short-term and Long-term Responses to the Increase in Gasoline Price. 2014 World Symposium on Transport and Land Use Research, 24.-27 Juni 2014, Delft (Niederlande). Sven Altenburg, Dipl.-Geogr. Wiss.-Mitarbeiter, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technischen Universität Hamburg- Harburg; seit 01.08. bei der Prognos AG, Berlin sven.altenburg@prognos.com Marcus Peter, M.Sc. Wiss.-Mitarbeiter, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technische Universität Hamburg- Harburg, Hamburg marcus.peter@tuhh.de Kategorie Maßnahmen Mobilitätskosten senken Innenentwicklung, Stadt der kurzen Wege Wohnraumentwicklung als Innenentwicklung und Verdichtung Stärkung zentraler Orte Verschiedene Nahversorgungskonzepte Mobilitätsberatung Pendlerparkplätze Anrufsammeltaxis Ausbau ÖPNV Ausbau Elektromobilität Mobilitätsmanagement E-Everything Energiekosten senken Energetische Gebäudesanierung (privat + öfentlich) Verhaltensschulungen und Energieberatung Kompensierende Maßnahmen Breitbandversorgung Ärztliche Versorgung auf dem Land Bessere Seniorenbetreuung Konkurrierende Maßnahmen Ausweisung neuer Wohngebiete Ausweisung neuer Gewerbegebiete Ausbau Kinderbetreuung Schafung attraktiver Wohnlagen Tabelle 2: Maßnahmen aus dem Planspiel Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 33 Z u Beginn der neuen Legislaturperiode in der EU hat sich ein Klassiker auf die EU-Bühne zurückgeschlichen: die Kabotage. Nein, es gibt keine neue Inszenierung des amtierenden Regisseurs Siim Kallas, dessen Vertrag im Brüsseler Haus Ende Oktober ausläuft. Es ist vielmehr so, dass einzelne Mitglieder des EU- Ensembles sich bereits vor der Sommerpause im Werkstatt-Theater an neuen Interpretationen des klassischen Stofs versuchten, in dessen Zentrum der Konlikt zwischen der garantierten Freiheit des Binnenmarktes und dem notwendigen Schutz von Arbeitern und Unternehmern im Transportgewerbe steht. Vor ziemlich genau einem Jahr hat Kallas eine groß angekündigte Inszenierung kurzerhand vom Spielplan abgesetzt. Zu groß war der angekündigte Widerstand im Europäischen Parlament (EP) und bei einem großen Teil der EU- Verkehrsminister gegen eine Liberalisierung des Gütertransports auf der Straße. Die Ressortchefs wollten erst einmal den Bericht über die „Lage auf dem Straßengüterverkehrsmarkt in der Union“ lesen, den Kallas ihnen noch schuldig war. Als der das Script im Frühjahr mit deutlicher Verspätung präsentierte, machte er allen klar, dass ihm Beschränkungen der Kabotage nach wie vor ein Dorn im Auge sind. Das rief andere Autoren auf die Bühne: Der französische Verkehrs-Staatssekretär Frédéric Cuivillier führt derzeit den Kampf gegen eine Liberalisierung der Kabotageregeln an. Er präsentierte eine Erklärung, mit denen seine - westeuropäischen - Ministerkollegen weitgehend einverstanden sind. Die nord- und südosteuropäischen nicht. Letztere pochen - völlig zu Recht - auf die Freiheiten des Binnenmarktes, die Unternehmen in ihren Ländern durch einige „archaische Beschränkungen“ verwehrt würden. Darin sehen sie eine gegen das EU-Recht verstoßende Diskriminierung. Hinzu kommt: Die geltenden Vorschriften sorgen für unproduktive Leerfahrten, die hohe gesellschaftliche Kosten verursachen. Das ist auch die Auffassung von Kallas, die er in der letzten Sitzung des EP-Verkehrsausschusses vor der Sommerpause noch einmal klar zum Ausdruck brachte. Dem steht die Argumentation der „alten“ EU-Staaten („EU-12“) gegenüber. Sie verweisen auf das zwischen den Unionsstaaten bestehende Gefälle bei den Sozial- und Steuergesetzen, auf die fehlende Umsetzung der seit 2009 geltenden Kabotage-Vorschriften in einigen EU-Ländern und auf die völlig unterschiedliche Sanktionierung von Verstößen gegen das existierende Recht. Darin sehen die Regierungen dieser Staaten die Haupt-Hindernisse für einen fairen Wettbewerb im Straßengüterverkehr. Das Dilemma zwischen der Freiheit des Binnenmarktes und den sozialpolitischen Diskrepanzen scheint unlösbar. Denn es verweist auf einen zentralen Webfehler in der EU: Der angestrebten unionsweiten Liberalisierung auf vielen-Feldern steht keine Angleichung der Sozialgesetzgebung in den Mitgliedstaaten gegenüber. Wenn es um grundsätzliche Webfehler geht, an denen die Politik scheitert, könnte man Hofnung auf Wissenschaft und Think-Tanks setzen, die gewöhnlich Brüsseler Debatten bereichern. Zum Thema Kabotage hat das kürzlich das Centrum für Europäische Politik (cep) getan. Wer von dessen „Analyse“ allerdings einen sinnvollen Beitrag erwartet hat, sieht sich schwer enttäuscht. Die marktliberalen Experten aus Freiburg machen es sich lächerlich einfach: Für sie gibt es kein ordnungspolitisches Argument für Beschränkungen. Deren Lockerung senke deswegen die Preise für Straßengütertransporte. Fehlende Harmonisierung des Sozial- und Arbeitsrechts innerhalb der Mitgliedstaaten der Union (kein gleicher Lohn für gleiche Arbeit)? Das ist für die Freiburger Autoren kein Problem. Denn der nach dem Ende aller Beschränkungen eizientere Straßenverkehr wirke sich tendenziell positiv auf Wachstum und Beschäftigung aus. Punkt. Mehr meinen die Marktgläubigen nicht sagen zu müssen zu dem Thema, das Transportwirtschaft und Politik in den westlichen EU-Staaten umtreibt. Der Markt wird es schon richten. Das ist skandalös wenig. So deutet nichts drauf hin, dass die Proben auf den diversen Werkstatt-Bühnen sinnvolle Impulse für eine weiterführende Neuinterpretation des Kabotage-Dramas liefern könnten. Auch ihnen fehlt die Dramaturgie, die den Kernkonlikt zwischen Freiheit im Binnenmarkt und fehlender sozial- und arbeitspolitischer Harmonie in der EU lösen könnte. Das ist bedauerlich. Vorhang! ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Der Vorhang fällt - und alle Fragen ofen Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 34 INFRASTRUKTUR Stadtplanung „Straße als Lebensraum begreifen“ Was macht Städte attraktiv und lebenswert? Kann es die ideale Stadt geben, wie sie seit Jahrhunderten immer wieder gefordert wird? Und wie lässt sich in bestehenden Stadtstrukturen und bei wachsenden Einwohnerzahlen das zunehmende Bedürfnis nach Mobilität umsetzen? Ein Gespräch mit dem Frankfurter Architekten und Stadtplaner Albert Speer über mögliche Lösungen - und wie sich Städte auf die anstehenden Veränderungen einstellen können. Herr Professor Speer, zunehmend stehen Städte vor großen Herausforderungen: Einwohnerzahlen wachsen dramatisch an, Verkehrsprobleme und Umweltbelastungen nehmen deutlich zu. Müssen Städte künftig von Grund auf neu gedacht, neu konzipiert werden, damit sie überhaupt noch lebenswert sind? Ich glaube nicht, dass wir die Stadt grundsätzlich neu erinden müssen, aber wir müssen die Strukturen an sich wandelnde Situationen und Gesellschaften anpassen. Es gehörte zum Zeitgeist der Wirtschaftswunder-Jahre, dass man die Suburbanisierung gefördert und Trabantenstädte vor die Stadt auf die grüne Wiese gebaut hat. Im Deutschland der 70er oder 80er Jahre wollte dann kaum noch jemand in der Innenstadt leben. So wurde aus der gewachsenen Stadt der kurzen Wege die Stadt der langen Wege. Eine Verödung der Innenstädte war die Folge, ein Trend, der sich jetzt gerade wieder umkehrt. Denn mittlerweile ist klar, dass die Zersiedlung im Umland ihren Preis hat - und damit meine ich nicht nur das durch die Pendlerpauschale subventionierte Häuschen im Grünen. Wir brauchen lebendige Innenstädte, in denen Wohnen, Arbeiten und Einkaufen wieder nebeneinander stattinden. Ist es im Bestand überhaupt machbar, flexibel auf Wachstum oder Schwund der Bevölkerung zu reagieren - oder auf eine zunehmend alternde Gesellschaft? Städte ändern ohnehin ständig ihr Gesicht, das lässt sich gar nicht auhalten. Als Stadtplaner können wir dabei steuernd eingreifen. Ein Beispiel: Viele ältere Menschen ziehen auch deshalb wieder in die Stadt, damit sie ihre Besorgungen fußläuig im kleinen Radius erledigen können. Der Bäcker ist gleich um die Ecke, das Kino, der Arzt. Eine unkomplizierte Nahmobilität ohne große Hürden ist für eine lebenswerte Stadt zwingend notwendig. Brauchen wir also eine andere Sichtweise auf Stadtgestaltung und Verkehrsplanung? Allerdings. Bisher erstellte man Verkehrsgutachten nach folgenden Prioritäten: Das erste Kapitel behandelte den Motorisierten Individualverkehr, das zweite Kapitel den Öfentlichen Verkehr, das dritte den Radverkehr und erst das vierte Kapitel den Fußgängerverkehr. Das Auto steht heute aber nicht länger im Zentrum der Betrachtungen. Deutlich wird der Paradigmenwechsel bei London Transport. Hier stellt man die Reihenfolge erstmals auf den Kopf: Gleich das erste Kapitel muss sich mit dem Fußgängerverkehr befassen. Das heißt ja nicht zwangsläuig, dass in dem Gutachten insgesamt etwas anderes drin steht. Wenn ich aber als Verkehrsingenieur zuerst über den Fußgängerverkehr nachdenke, gehe ich anders an die Planung heran. Vor kurzem habe ich diese Idee unseren Planungspartnern in Riad vorgestellt - die waren begeistert. Und auch hier in Deutschland ist das Konzept sicher sinnvoll. Was bedeutet das konkret für die Verkehrsplanung? Wenn wir bisher eine Straße geplant haben, dann gewissermaßen von innen nach außen: Wir gehen davon aus, wie viele Autos pro Stunde da fahren sollen, und dimensionieren sie danach, entweder eine Spur pro Fahrtrichtung, zwei Spuren oder mehr. Was übrig bleibt, verteilen wir auf Parkplätze, Radwege und Gehwege - von innen nach außen. Begreifen wir die Stadt aber als Lebensraum, müssen wir die Straße von außen nach innen denken, also bei der sogenannten Randnutzung beginnen. Wie viel Platz brauchen Cafés für Tische, Läden- für Warenauslagen? Welchen Raum brauchen Fußgänger und Radfahrer? Wo-bringen wir Bushaltestellen, Tram- oder U-Bahn-Zugänge unter? Erst wenn all das seinen Platz hat, geben wir den Rest dem Auto. Sie sind als Stadtplaner weltweit gefragt. Worin unterscheiden sich Planungsprozesse in den verschiedenen Metropolen der Erde. Lassen sich europäische Konzepte mit denen Asiens oder Afrikas vergleichen? Da gibt es große Unterschiede, hauptsächlich auch abhängig von den politischen Gegebenheiten. Chinesische Mega-Städte etwa wuchern ringförmig von innen nach außen, weil immer mehr Landbevölkerung in die Metropolen drängt. Hinter diesem ausufernden Wachstum stehen aber die Organisationsstrukturen einer zentralistischen, über Jahre beständigen Regierung. Das Geld ist da, um Veränderungen wirklich anzupacken, gerade beim öfentlichen Verkehr. Shanghai zum Beispiel lässt sich beim öfentlichen Nahverkehr mittlerweile mit Paris und London vergleichen, das konnte ich über lange Zeit beobachten. In nur zwei Jahrzehnten wurde hier ein U-Bahn-Netz mit heute 13 Linien aufgebaut. Von den Menschen wurde die Metro ganz schnell angenommen. Denn sie ist billig und funktioniert und entlastet die Innenstadt vom Straßenverkehr. Die neu entstehenden monofunktionalen Wohnstrukturen in den Außenzonen mit schier endlosen Reihen von Hochhäusern sind natürlich weniger ideal, es sind Trabantenstädte wie früher im Kleinen auch in Deutschland, ohne eigene Identität. Und oftmals ohne funktionierende Infrastruktur? Leider, und genau das erzeugt zusätzlichen Verkehr, aus diesen reinen Wohnsiedlungen heraus in die Innenstädte oder zu anderen Orten, an denen dann Versorgung stattindet. In Ägypten und anderen afrikanischen Ländern zum Beispiel lässt sich so etwas schwer in den Grif bekommen, weil das Wachstum meist informell passiert, weil sich Leute ohne planerisches Zutun einfach ansiedeln. In China wächst das weitgehend organisiert, mit groß angelegten Planungen, Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 35 Stadtplanung INFRASTRUKTUR Albert Speer jun. studierte Architektur an der TU München und gründete 1964 ein Büro für Stadt- und Regionalplanung in Frankfurt am Main; 1984 folgte zusammen mit Kollegen das Büro AS&P - Albert Speer & Partner, das aktuell 160 Mitarbeiter beschäftigt. Ein Büro in Shanghai wurde 2001 eröfnet. Seit 1970 ist Speer Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Die Technische Universität Kaiserslautern berief ihn 1972 an den Lehrstuhl für Stadt- und Regionalplanung, wo er den Studiengang Raum- und Umweltplanung mit aufbaute. Als Gastprofessor an der ETH Zürich war er von 1994 bis 1997 tätig. ZUR PERSON und man kann mithilfe der vorhandenen administrativen Strukturen auch einiges umsteuern. Um Fehlentwicklungen zu korrigieren? Durchaus. Bei Projekten unseres Büros in Shanghai stellen wir fest, dass die Idee der dezentralen Konzentration - also kompakte Siedlungen rund um zentrale Städte, viel Grün dazwischen plus die passenden Mobilitätsstrukturen - in China zunehmend als zukunftsfähig erkannt wird. Seit einigen Jahren entwickeln wir beispielsweise in der nordostchinesischen Industriestadt Changchun eine neue Wohn- und Geschäftsstadt nach ökologischen Gesichtspunkten. Dort geht es um nachhaltige Nutzungsvielfalt, ein integriertes Konzept mit grünen Achsen, Parks und Plätzen für eine halbe Million Einwohner und einer öfentlichen Verkehrsinfrastruktur mit Metronetz, Fahrrad- und Fußwegen. Das lässt sich mit dem Schlagwort Transit Oriented Development belegen - die Stadt wird entlang von ÖPNV- Achsen entwickelt. Das klingt, als brauche man für so groß angelegte und visionäre Bauvorhaben staatliche Strukturen wie in China ... ... nicht unbedingt. Auch in Kairo gibt es seit Jahrzehnten die sehr gute Idee, Entlastungsstädte rund um die Kernstadt zu errichten und durch leistungsfähige ÖPNV- Achsen zu erschließen. Im Jahr 1979 wurde direkt an der Grenze zur Wüste, westlich der Pyramiden die Satellitenstadt Madinat as-Sadis min Uktubar für vier Millionen Einwohner gegründet, benannt nach einer Militäraktion im Jom-Kippur-Krieg. Im Rahmen eines Masterplans haben wir auf eine gesunde Mischung gedrungen: nicht nur Wohnbauten, auch Industrie und Gewerbe, Verwaltung, Universität und Schulen sollten angesiedelt werden. Weil sich nur mit einer funktionierenden Infrastruktur verhindern lässt, dass die Menschen weiter nach Kairo pendeln und das Verkehrschaos dort noch verschlimmern. Leider fehlt hier oft das Geld für die konsequente Umsetzung, die ÖPNV- und Straßenverbindungen sind noch längst nicht so weit, wie sie sein sollten. Ist es in den reichen Golf-Staaten einfacher, Verkehrsprojekte im überschaubaren Zeitrahmen durchzuführen - beispielsweise in Riad? Riad ist die autogerechte Stadt schlechthin, schachbrettartig angelegt mit rechtwinkligen Straßenzügen. Vor 20 Jahren gab es in Riad praktisch keinen öfentlichen Nahverkehr. Jetzt wird in die bestehende Stadt ein komplett neues ÖPNV-Netz eingebaut. Innerhalb weniger Jahre entsteht ein 178 Kilometer langes Metronetz mit dazugehörigen Buslinien unterschiedlicher Bedeutungen, also mit Zubringer- und Quartierbussen. Das hört sich einfacher an, als es ist, als Planer haben wir da einige Aufgaben zu lösen: Wo soll auf den sechs oder acht Fahrspuren breiten Straßen ein Linienbus fahren? Wo bringe ich Bushaltestellen an - und wie können die Leute dort hinkommen? Also wird trotz des Ölreichtums auf der arabischen Halbinsel auch Nachhaltigkeit immer mehr zum Thema? Natürlich wächst in Arabien das Bewusstsein, dass fossile Ressourcen endlich sein können. Statt Öl und Gas wird zunehmend Solarenergie genutzt, da indet schon ein Umdenken statt. Auch im Bereich der Verkehrsentwicklung: Dubai hat schon eine Metro, Riad baut eine, auch Katar setzt auf Eisenbahnen und Metros. Im Emirat Abu Dhabi entsteht ja mit Masdar der Prototyp einer nachhaltigen Stadt, wo Themen wie Versorgung durch erneuerbare Energien, CO 2 - Neutralität und Verzicht aufs Auto durchdekliniert werden. Kann Masdar Vorbild für innovative Stadtplanungen sein? Nun ja, selten hat man als Planer die Chance, eine komplett neue Stadt aufzubauen. Meistens geht es darum, wie wir mit bestehenden Siedlungen umgehen, wie wir sie sinnvoll umbauen können - und da liegen die Herausforderungen in Kairo oder Frankfurt natürlich ganz anders. Masdar lässt sich deshalb nicht einfach auf bestehende Städte übertragen. Ich sehe das eher als nützlichen Praxistest, als Modelllabor für eine Stadt der Zukunft. Man kann viel dabei lernen. ■ Das Gespräch führte Eberhard Buhl. Fotovermerk: AS&P - Albert Speer & Partner GmbH, Foto: Jens Braune Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 36 Visionen einer Mobilität für die Stadt der Zukunft Die Mobilitätsentwicklung der vergangenen 65 Jahre hat unsere Stadtlandschaften vielfältig verändert, in der Regel nicht zu deren Vorteil. Die Städte haben in den Verkehrsschneisen, die Autobahnen und Schienentrassen geschlagen haben, an Lebensqualität eingebüßt. Ausgangszustand ist die Autostadt: Wo stehen wir und welche Strategien können Alternativen bieten? Die Autoren: Jörg Schönharting, Stefan Wolter N eue Ziele prägen die Stadtverkehrsplanung: Das politische Ziel, den Klimaschutz und die Energiewende auch in den Städten umzusetzen, überlagert sich mit den klassischen, nach wie vor gültigen Zielen nach besserer Luft, weniger Lärm, mehr Sicherheit, mehr Flächen für Aufenthalt und Fußgänger und eine Finanzierung der Mobilität durch den Nutzer. Nur: Die Stadtbevölkerung muss mitspielen, sie ist letztlich der Entscheidungsträger, wie ein Angebot genutzt wird. Klimaschutz bedeutet eine radikale Abkehr von den Verbrennungsantrieben hin zu emissionsfreien Antrieben. Im Folgenden werden, aubauend auf von der Stiftung Mercator geförderten Untersuchungen zu „Neuen Verkehrskonzepten für die Stadt der Zukunft“, Strategien aufgezeigt, mit denen die Ziele einer nachhaltigen Mobilität erreicht werden können [1]. Strategie 1: Nahversorgung an den Wohn- und Arbeitsplatzstandorten unterstützen Kurze Wege bilden die Grundlage einer nachhaltigen Mobilität. Eine kompakte Siedlungsgestaltung, eine wohnungsnahe Ausstattung mit Versorgungs-, Dienstleistungs-, Freizeit- und Erholungseinrichtungen und eine Funktionsmischung von wohnen, arbeiten und ausbilden fördern die Nahmobilität. Komfortable Fußwege zu den Versorgungseinrichtungen und die Aufenthaltsqualität der zentralen Bereiche der Nahversorgung stärken die Nahmobilität. Neubaugebiete sollen als Mischgebiete ausgelegt werden. Strategie 2: Stärkung des Radverkehrssystems Das Fahrrad wird in der Mobilität der Zukunft wieder eine bedeutende Rolle spielen. Fahrradhighways ermöglichen direkte, schnelle und beleuchtete Verbindungen bis zu 10 km im Alltagsverkehr. Pedelecs können an öfentlichen Ladestationen während der Tätigkeiten der Nutzer am Ziel aufgeladen werden. Neue Logistiksysteme übernehmen den Warentransport mit Lastenfahrrädern. Und das Radwegenetz wird vom Straßenbetriebsdienst instand gehalten. INFRASTRUKTUR Stadtverkehrsplanung Foto: Iván Melenchón Serrano/ MorgueFile Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 37 Stadtverkehrsplanung INFRASTRUKTUR Wohnquartiere verfügen über Q uartiersgaragen, die mit der Vermietung von Wohnungen gekoppelt sind. In den zentralen Bereichen sind unter- oder oberirdische Lösungen mit automatischen Parkeinrichtungen verfügbar. Radfahren ist gesund und trendig und kann, wie die Beispiele aus Dänemark und den Niederlanden zeigen, zu jeder Jahreszeit ausgeübt werden. Pedelecs ermöglichen eine stress- und schweißfreie Fahrt zwischen Quelle und Ziel. Das wieder entdeckte Radverkehrssystem in der Stadt der Zukunft hat eklatant positive Auswirkungen auf Klimaschutz und Energiebedarf. Die Akzeptanz für den Ausbau des Radverkehrssystems und dessen Nutzung ist in der Stadtbevölkerung groß [2]. Strategie 3: Nutzen statt Besitzen, Rent a Bike und Carsharing Obwohl in Deutschland mehr Fahrräder als Einwohner registriert sind, gibt es einen erheblichen Anteil an Haushalten, die über kein eigenes Fahrrad verfügen. Hier ist das Rent a Bike-System von besonderem Interesse, auch weil man sich nicht um alles kümmern muss. Rent a Bike kann auch als Teil des Öfentlichen Verkehrs verstanden werden, es dient dann als Zubringer von und zur Haltestelle. Untersuchungen zeigen, dass diese Kombination Reisezeitvorteile gegenüber dem reinen ÖPNV aufweist. Beim quasi-stationsungebundenen Rent a Bike-System wird das Fahrrad an einer Station übernommen, genutzt und an einer anderen Station in Zielnähe wieder abgegeben. Rent a Bike-Fahrräder fahren mit und ohne elektrische Unterstützung. Nutzen statt Besitzen ist auch das Motto von Carsharing-Systemen. Stationsungebunden ist dabei das wichtige Stichwort. Beim stationsungebundenen Carsharing- System (SUC) werden Fahrzeuge reserviert oder spontan genutzt, am Ziel dann abgestellt und freigegeben. Stationsungebundenes Carsharing ersetzt bei jungen Menschen („Generation Smartphone“) zunehmend das eigene Auto. Die junge Kundschaft spart dabei die Anschafungs- und Betriebskosten eines eigenen Autos. Zukünftig wird das Leihfahrzeug auf Wunsch automatisch an den Standort des Kunden gebracht. Dann spart man sich noch den kleinen Fußweg. Auch im kommunalen Wirtschaftsverkehr werden zukünftig autonome Fahrzeuge eingesetzt [3]. So innovativ das SUC auch ist, die Wirkungen des stationsungebundenen Carsharing sind beschränkt. Der Hauptefekt für die Stadt ist die Mehrfachnutzung der eingesetzten Fahrzeuge, sodass der Stellplatzbedarf sinkt [1]. Im Stadtverkehr der Zukunft wirkt es als notwendiges Ergänzungssystem mit Komfortcharakter. D. h., der neue Öfentliche Verkehr funktioniert nur mit dieser Ergänzung in einer vernetzten Umgebung. Carsharing selbst wird aber dauerhaft ein Nischendasein fristen. Strategie 4: Mobilität wird elektrisch Die Zukunft des Autos wird elektrisch sein. Der Stromverbrauch durch Elektromobilität (100 % der PKW) liegt bei etwa 1/ 3 des Verbrauchs der privaten Haushalte [4]. Einer der Vorteile des elektrischen Antriebs ist die deutlich höhere Energieeizienz des Elektromotors im Vergleich zum Verbrennungsmotor und die bereits heute bessere CO 2 -Eizienz. Der LKW-Verkehr fährt mit Brennstofzellen auf Wasserstobasis. Lademöglichkeiten stehen bei großen Arbeitgebern, Einkaufszentren, in Parkhäusern und zu Hause zur Verfügung. Der zeitliche Verlauf des Strombedarfs durch Elektrofahrzeuge ist von der Ladestrategie abhängig. Günstig sind das Laden zu Hause und das Laden beim Arbeitgeber. Beim vernetzten Laden ergeben sich interessante Geschäftsmodelle, wobei dann geladen wird, wenn der Strompreis gering ist (Bild 1). Über das elektrische Fahren mit regenerativer Energie werden CO 2 -Emissionen vollständig vermieden (Bild 2). Die Akzeptanz der Stadtbevölkerung ist positiv. Einzelne Lifestylegruppen sind schon heute ofen für konkrete Änderungen [2]. Elektromobilität bedeutet eine Revolution für die Automobilwirtschaft: Das über Jahrzehnte angesammelte Knowhow einer ganzen Industrie inkl. den Ausbildungspro- 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 0: 00 1: 00 2: 00 3: 00 4: 00 5: 00 6: 00 7: 00 8: 00 9: 00 10: 00 11: 00 12: 00 13: 00 14: 00 15: 00 16: 00 17: 00 18: 00 19: 00 20: 00 21: 00 22: 00 23: 00 kWh / h Uhrzeit 816 616 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 A B CO 2 -Emissionen [t] pro Tag Szenario Bild 1: Zeitliche Verteilung des Strombedarfs [kWh pro Stunde] bei Auladestrategie 3 (am Arbeitsplatz laden, wenn ausreichend Standzeiten (> 2 h) vorliegen), 10 %-Szenario, Bsp. Köln. Bild 2: Vergleich der CO 2 -Emissionen des Status Quo (Szenario A) und eines Elektromobilität- Szenarios in Essen (Szenario B: ca. 33 % der MIV-Binnenfahrten und 10 % der Fahrten im Wirtschaftsverkehr (Kfz < 3,5 t zul. GG) in Essen werden durch Elektrofahrzeuge ersetzt). Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 38 Infrastruktur Stadtverkehrsplanung grammen an Hochschulen und Universitäten werden kurzfristig durch Neues zu ersetzen sein. strategie 5: flächenmanagement durch besseres Verkehrsmanagement Das Stadtgeschwindigkeitsniveau von Tempo 30 wird als Standard eingeführt. Shared Space ermöglicht Mischnutzung des öfentlichen Straßenraums in ausgewählten Bereichen. Durchgangsverkehre werden um die Quartiere mittels Verkehrsmanagement umgeleitet. Pendler nutzen den Öfentlichen Verkehr oder P+R, B+R und entlasten Straßen. „Grüne Wellen“ reduzieren den Energieverbrauch. Der Lkw-Verkehr erhält aus Gründen des Lärmschutzes ein Tag- und Nachtnetz zugewiesen. Die Bestimmung der Verkehrslage wird mit dichterer Sensorik und Floating Car Data immer besser. Umweltsensitive dynamische Verkehrssteuerung sichert die Luftqualität und reduziert Eingrife [5]. Automatische unter- oder oberirdische Parkhäuser entlasten den öfentlichen Straßenraum. Parallel werden die öfentlichen Flächen, die bisher zugeparkt sind, für Aufenthalt und Zufußgehen umgewidmet. Wohnen in verdichteten Gebieten wird wieder attraktiv. strategie 6: Der neue Öfentliche Verkehr Das Angebot des Öfentlichen Verkehrs wird mit Leihfahrrädern, elektrischen Leih- Autos und elektrischen Taxen verknüpft, die die „letzte Meile“ abdecken und dem ÖPNV eine neue Angebotsqualität ermöglichen [1]. Neue Angebote für spontane Mitfahrgemeinschaften erhöhen den Besetzungsgrad. Neue Plattformen zur Bündelung von Lieferverkehren reduzieren den Wirtschaftsverkehr um 20 % und mehr [6]. Schnelle Züge binden die Stadt an das Umland an. Die Infrastruktur wird mit den Fahrzeugen vernetzt, die Fahrzeuge kommunizieren online untereinander. Verkehrsteilnehmer erhalten Informationen über besondere Zustände der Infrastruktur und können bessere Entscheidungen für ihre aktuelle und tägliche Mobilität trefen [7]. Durch die Vernetzung werden für den Fahrgast umfassende und komfortable Möglichkeiten zu Information, Buchen, Reservieren und Bezahlen des multimodalen Angebots geschafen. Einsteigen - aussteigen - Ende des Monats Abrechnung. Ein Anbieter, eine Rechnung. strategie 7: Vernetzte Mobilität in einer vernetzten stadt Die über IT getriebene Entwicklung ermöglicht eine Vernetzung von Energieproduktion, Gebäudenutzung und Mobilität [8]. Der Gebäudeeigentümer produziert auf seinem Dach mittels PV oder Windkraft Strom, gibt ihn an Ladestellen der Elektromobilität ab oder speichert den erzeugten Strom. Damit entstehen lokale Stromproduzenten mit völlig neuen Geschäftsmodellen. Aufgrund der Vernetzung können diese Prozesse intelligent gesteuert werden, sei es, um Netzüberlastungen zu vermeiden, sei es, um den erforderlichen Energiebedarf bereitzustellen. Ökonomische Optimierungen werden möglich. Mobilität wird mit den täglichen Aktivitäten vernetzt. Die vernetzte Stadt als Zukunftsvision ist voller Chancen für eine individuelle Ausgestaltung. Die technischen Entwicklungen dauern, auch gibt es die Probleme der Standardisierung der neuen Technologien. Es wird Zeit vergehen, bis ausgereifte und bezahlbare Lösungen verfügbar sind. Die Stadtbevölkewww.trolleymotion.eu am 17.+ 18. November 2014 Freie und Hansestadt Hamburg, Handwerkskammer I n t e r n a t i o n a l e E-BUS-KONFERENZ 4. Die vierte internationale E-Bus-Konferenz liefert einen aktuellen und umfassenden Überblick der heutigen Antriebs- und Versorgungssysteme, zeigt Anwendungen aus der Praxis und hinterfragt die verschiedenen Konzepte aus der Sicht von Wissenschaft und Forschung, sowie von Praktikern. Sie zeigt die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre seit der letzten Konferenz auf und berichtet über Erfolg - und Fehlschläge, vielversprechende Ansätze sowie die technischen und betrieblichen Anforderungen und Optimierungsnotwendigkeiten. Für Entscheidungsträger in Verwaltung und Politik, aus Verkehrsunternehmen und Industrie, für Wissenschaft und Berater bietet die Konferenz einen einzigartigen und kompletten Überblick über alle Technologien und Anwendungen. Für jeden Teilnehmer soll die Frage beantwortet werden: E-Bus, ja klar, aber wie? Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 39 Stadtverkehrsplanung INFRASTRUKTUR rung trennt sich nur schwer von liebgewordenen Gewohnheiten, ein Eingrif von außen in die Lebensverhältnisse stößt auf Widerstände. Auch sind die notwendigen Informationen zu den neuen Erfordernissen und Möglichkeiten noch nicht in den Köpfen der Stadtgesellschaft verankert. Und die Stadtpolitik tut sich schwer, neue Wege zu gehen, die Nutzer des liebgewordenen Autos verunsichern könnten. Die Einkommensentwicklung der Bevölkerung spielt eine große Rolle bei Investitionsentscheidungen. Wie sich Einkommen entwickeln werden, darüber kann spekuliert werden. Solange Einkommen im Durchschnitt eher sinken, wird dies der neuen Mobilität in die Hände spielen. Es bleibt also die Vision, dass sich das Leben in der Stadt mit den genannten Mobilitäts- und Vernetzungskomponenten eines Tages gesünder, sicherer und familienfreundlicher abspielen wird. ■ LITERATUR [1] Biniok, K., Schönharting, J., Serwa, M., Wessely, A., Wolter, S.: Neue Verkehrskonzepte für die Stadt der Zukunft, Beitrag zur Bewerbung der Metropole Ruhr für die European Green Capital, Projektbericht der TRC GmbH, Essen 2013 (n.v.). [2] Fitzner, G.: Neue Verkehrskonzepte für die Stadt der Zukunft, Stated Preferences Haushaltsbefragung in Essen. Projektbericht des Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI), Essen 2013 (n.v.). [3] Flämig, H.: Autonome Fahrzeuge für die Logistik. In: Internationales Verkehrswesen, Heft 2, 2014. [4] Biniok, K., Schönharting, J., Wessely, A., Wolter, St.: Energieverbrauch und Ladestrategien für Elektromobilität in Metropolräumen aufgezeigt am Beispiel colognE-mobil (Köln) In: Straßenverkehrstechnik, Heft Oktober 2011, Kirschbaum Verlag GmbH, Bonn, 2011. [5] Diegmann, V. 2014: Umweltwirkungen von dynamischen Verkehrsbeeinlussungsmaßnahmen eine Übersicht mit Fallbeispielen. In: Straßenverkehrstechnik Heft April 2014, Kirschbaum Verlag GmbH, Bonn, 2014. [6] Brunner, M., Schönharting, J., Schönharting, V., Wolter, S.: Entwicklungsprojekt Bündelung von Lieferservices. Projektbericht, Essen, Mai 2014 (n.v.) [7] Wolter, Stefan: Individuelle und dynamische Navigation unter Berücksichtigung von Restkapazitäten im Straßennetz. In: H. Prof / W. Pascha / J. Schönharting / D. Schramm (Hrsg.): Schritte in die künftige Mobilität - Technische und betriebswirtschaftliche Aspekte. Springer Gabler Verlag, Wiesbaden, 2013. [8] colognE-mobil II - Elektromobilitätslösungen für NRW, Teilprojekt 5.1: Photovoltaik als dezentraler Energielieferant für Elektromobilität Jörg Schönharting, Prof. em. Dr. techn. TRC Transportation Research & Consulting GmbH, Essen schoenharting@trc-transportation. com Stefan Wolter, Dipl.-Ing. TRC Transportation Research & Consulting GmbH, Essen wolter@trc-transportation.com STANDPUNKT Erhalten - Gestalten - Vorausschauen Ein Kommentar von Prof. Dr. habil Wolfgang H. Schulz, Leiter des Amadeus Center for Mobility Studies | CfM an der Zeppelin Universität, Friedrichshafen E ine bedarfsgerechte Verkehrsinfrastruktur ist und bleibt der wichtigste Faktor für den Erfolg einer Volkswirtschaft. Damit besteht die Notwendigkeit, Erhaltungs- und Erneuerungsinvestitionen durchzuführen, um zu vermeiden, dass Verkehrsverhältnisse sich verschlechtern, Nutzerkosten steigen, die Produktivität sinkt und Beschäftigung abgebaut wird. Erhaltung um jeden Preis kann dabei aber nicht die Devise sein. Die Verteilung der inanziellen Mittel kann nur eizient erfolgen, wenn tatsächlich intermodaler und intramodaler Wettbewerb garantiert werden können. Die Entfesselung des intermodalen Wettbewerbs darf nicht tabuisiert werden. Daher liegt die Aufgabe der Verkehrspolitik in einer wettbewerbsneutralen Erhaltung der volkswirtschaftlichen Kerninfrastruktur. Allerdings muss klar gesehen werden, dass für die Zukunft der qualitative Ausbau der Verkehrsinfrastruktur immer wichtiger wird. Qualitativ heißt, dass die Efizienz der Infrastruk turnutzung erhöht wird. Die Efizienzerhöhung kann erreicht werden durch preisliche, techni sche und organisatorische Maßnahmen. Die Kapazitätsauslastung muss durch intelligente Preismodelle verbessert werden. Die Aufgabe der Verkehrspolitik ist es aber hier, dafür zu sorgen, dass derartige Maßnahmen sozialpolitisch verträglich umgesetzt und keine künstli chen Mobilitätsbarrieren aufgebaut werden. Insofern hat die Verkehrspolitik im Sinne der so zialen Marktwirtschaft eine gestalterische Aufgabe. Im Bereich der Straßenverkehrsinfra strukturnutzung spielen die neuen Car2X-Technologien in Zukunft eine Rolle. Sie können zur Verkehrssicherheit beitragen und aufgrund der Vernetzung sowohl die Auslastung der Ver kehrsinfrastruktur als auch den Zeitaufwand der Verkehrsteilnehmer deutlich verringern. Administrative Hürden müssen dabei überwunden werden. Gerade Car2X-Technologien zeigen auch, dass technische Systeme ihre volle Wirkung nur dann entfalten, wenn sie europaweit und nicht nur in einer nationalen Lösung umgesetzt werden. Das bisherige Problem organisatori scher Lösungen war, dass sie sich auf klassische Geschäftsmodelle bezogen haben. Neue An bieter außerhalb der traditionellen Betreiber werden die Organisation des Marktes verändern und damit auch die Durchsetzung neuer Technologien sowie neuer Preismodelle forcieren. Der intermodale Wettbewerb erhält damit Impulse aus einem intersektoralen, also branchen übergreifenden Wettbewerb. Damit besteht ein erheblicher Bedarf der Abstimmung zwischen Wettbewerbs- und Verkehrspolitik. Das dritte wesentliche Element der Verkehrspolitik im Bereich der Infrastruktur ist die vorausschauende Gestaltung. Wie die Mobilität der Zukunft aussieht, lässt sich nur erahnen, aber die Politik muss mögliche Systemwechsel unterstützen. Die heutige Verkehrspolitik ori entiert sich an Einnahmen und nicht an einer zukunftsweisenden Strategie. Es kann nicht im mer nur um die Kostenbelastung der Verkehrsteilnehmer gehen. Lösungen müssen durchge setzt werden, damit Möglichkeiten für strategische Weiterentwicklungen geschaffen werden. Es ist ein gewisser Mut zur Entscheidung gefordert. Manchmal muss die Politik auch bereit sein, einen Transrapid zu bauen. ■ Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 40 Infrastruktur-Modernisierung macht Nahverkehr in Nordhessen leistungsfähiger Seit seiner Gründung 1994 setzt der Nordhessische VerkehrsVerbund (NVV) als Aufgabenträger für den Nahverkehr in Nordhessen neben der Entwicklung von innovativen Produkten wie der europaweit ausgezeichneten Fünf-Minuten-Garantie oder dem bundesweit einmaligen Pilotprojekt „Mobilfalt“ auf die Modernisierung und den Ausbau der Infrastruktur. Ziel aller Maßnahmen ist es, die Zugangshemmnisse für die Fahrgäste weiter zu reduzieren, die Verkehrsstationen attraktiver und serviceorientierter zu gestalten und so den Einstieg in den öfentlichen Nahverkehr immer leichter zu machen. Dabei setzt der NVV auf die Projektunterstützung durch DB International. Die Autoren: Wolfgang Dippel, Martin Witzel I n den letzten 20 Jahren sind im Verkehrsgebiet des NVV neue Bahnhöfe und Stationen ebenso dazu gekommen wie neue Strecken. Aktuell wird der Streckenabschnitt Korbach-Frankenberg reaktiviert. In vielen Projekten hat die DB International den NVV als Projektsteuerer und mit Ingenieurplanungen unterstützt. Begonnen hat die Zusammenarbeit beim „Programm 55“, in dem NVV-weit Verkehrsstationen modernisiert und die Bahnsteige für einen barrierefreien Einstieg auf 55 cm erhöht wurden. Ein großes Projekt war und ist die RegioTram rund um Kassel, deren Stadtbahnzüge sowohl auf Gleisen der Eisenbahn (nach EBO) als auch der Straßenbahn (nach BOStrab) verkehren. In den Jahren hat sich auch eine gute Zusammenarbeit mit der DB RegioNetz Infrastruktur GmbH entwickelt, die mit der Kurhessenbahn in Nordhessen eines der fünf RegioNetze der DB AG in Deutschland betreibt. RegioTram überzeugt Fahrgäste in Nordhessen Mit der RegioTram wurden die wichtigsten, in einem 30-/ 40-km-Radius auf Kassel zulaufenden Strecken der Region und das Straßenbahnnetz der Stadt Kassel zu einer Einheit. Die Fahrgäste nutzen dabei die jeweiligen Systemvorteile - die hohen Geschwindigkeiten der regionalen Eisenbahn und die dichte innerstädtische Erschließung des Straßenbahnnetzes -, wenn sie umsteige- und barrierefrei unterwegs sind. Mit einer Durchfahrmöglichkeit im Kasseler Hauptbahnhof und eigenem Bahnsteig sind seit dem 19. August 2007 das Eisenbahn- und das Straßenbahnnetz miteinander verbunden (Bild 1). Das RegioTram-Netz hat heute eine Streckenlänge von 184 km, aber nur 6 km mussten neu gebaut werden. Die vier Streckenäste verbinden die Kasseler Innenstadt direkt mit den Mittelzentren Melsungen, Hofgeismar, Wolhagen und Schwalmstadt- Treysa (Bild 2). Die Linien bedienen im Kas- Bild 1: Preisgekrönte RegioTram-Station im Kasseler Hauptbahnhof Foto: N. Klinger INFRASTRUKTUR Nahverkehr Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 41 Nahverkehr INFRASTRUKTUR seler Straßenbahnnetz alle Haltestellen und können in diesem ganz normal wie die Tram benutzt werden. In Kassel selbst wurden drei neue Stationen und 600- m zusätzliche Strecke realisiert. Starke Fahrgastzuwächse seit 2007 Seitdem die RegioTram direkt in die Kasseler Innenstadt fährt, sind die Fahrgastzahlen regelrecht in die Höhe geschnellt. Waren es 2007 noch 1,8 Mio. auf allen Streckenästen, so nutzten 2008 bereits 2,4 Mio. und 2011 sogar knapp 3,3 Mio. Fahrgäste das Angebot (Bild 3). Die Strecken nach Wolhagen, Hofgeismar, Melsungen und Schwalmstadt-Treysa wurden sukzessive in Betrieb genommen und verzeichnen in den letzten vier Jahren 76 % mehr Fahrgäste. Erklärungen für die gute Bilanz gibt es einige. Das attraktive Angebot ist bekannt, hat sich in den Köpfen verfestigt. Die Regio- Tram-Station in der Nähe spielt bei der Wohnortwahl eine immer größere Rolle. Die Fahrgäste haben in Bezug auf Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Komfort der RegioTram schon zum zweiten Mal in Folge Bestnoten erteilt, so dass sie beim NVV- Kundenbarometer als eindeutiger Liebling hervorgeht. Um weiter besser zu werden, befragt der NVV regelmäßig in repräsentativen Erhebungen mehr als 1300 Fahrgäste zu Angebot und Service im öfentlichen Nahverkehr in der Region. Das Resultat des Kundenbarometers kann sich sehen lassen, die Zufriedenheit ist weiter gestiegen (Bild 4). Das Besondere am RegioTram- System Die RegioTram ist mit einer S-Bahn zu vergleichen. Typisch für eine S-Bahn ist jedoch deren eigene Infrastruktur, so wie in Ballungsräumen wie Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main. Das nordhessische Regio- Tram-Konzept baut dagegen bei der Verknüpfung von Straßenbahn- und Eisenbahn-Netz soweit wie möglich auf bestehender Infrastruktur auf. Nur die absolut notwendigen Infrastrukturmaßnahmen wurden realisiert. Die Nutzung von Hybridfahrzeugen mit Diesel- und Elektroantrieb ersetzt beispielsweise die Elektriizierung von Nebenstrecken. Für den Betrieb des Netzes werden 28- Fahrzeuge des Herstellers Alstom eingesetzt. Davon sind 18 Zweisystem-Fahrzeuge, so genannte E/ E-Wagen, die im Straßenbahnnetz mit 600 Volt Gleichspannung und im Eisenbahnnetz mit 15 KV Wechselspannung unterwegs sind. Die übrigen zehn Züge sind innovative Zweikraft-Triebwagen mit Elektro- und Dieselantrieb (E/ D-Wagen). Sie fahren im Innenstadtbereich mit elektrischem Antrieb und werden beim Wechsel auf nichtelektriizierte Streckenabschnitte binnen 20 s auf Dieselbetrieb umgeschaltet. Die überaus umweltfreundlichen Regio- Tram-Fahrzeuge können bis zu 60 % ihrer Bremsenergie wieder zurück ins Netz einspeisen. Die 37 m langen Fahrzeuge verfügen über eine maximale Einstiegshöhe von maximal 20 cm, so dass mobilitätseingeschränkte Fahrgäste und Fahrgäste mit Kinderwagen sicher und bequem ein- und aussteigen können. Für Rollstuhlfahrer gibt es ausklappbare Rampen. Mehr Akzeptanz durch neue, moderne Verkehrsstationen Die Neu- und Umbauten der Stationen im Schwalm-Eder-Kreis, zum Beispiel Melsungen-Bartenwetzerbrücke (Bild 5), und weiterer zehn Stationen im Landkreis Kassel, u. a. in Ahnatal-Casselbreite und Espenau-Mönchehof, tragen zur Erhöhung des Nutzens für die Bürger bei. Die benötigte Investitionssumme in die Infrastruktur beträgt insgesamt rund 100 Mio. EUR und ist damit im Vergleich zu anderen Stadtbahn-/ S-Bahn- Systemen außergewöhnlich niedrig. Bild 2: Liniennetz der RegioTram Kassel 2014 Grafik: NVV Diemel Diem el Weser Leine Fulda Werra Twistesee Edersee Sc hwalm Fulda Schwalm Nethe Bever Schwülme Nieme Erpe Esse Twiste Orpe Twiste Wilde Ahna Nieste Losse Wehre Pfieffe Ems Elbe Itter Wohra Efze Sauer W arme tenau 216 17 17 511 144 511 59 144 55 507 504 519 519 519 502 519 530 502 504 520 555 530 525 525 527 530 413 417 413 411 427 426 427 426 445 423 423 422 422 423 424 410 427 427 426 423 544 479 470 477 477 463 527 472 473 473 470 481 481 460 471 472 370 461 544 527 527 442 400 442 445 320 320 310 376 370 440 251 310 521 514 152 511 511 512 514 154 154 154 152 144 55 154 402 401 65 403 444 446 442 442 440 440 400 500 446 441 446 446 180 193 194 195 194 195 192 181 190 140 140 141 141 130 131 185 190 192 191 171 191 195 214 214 214 214 42 30 32 30 34 32 172 133 47 117 144 144 516 516 516 526 526 515 526 572 505 508 ZRL T92 505 216 216 51 459 472 411 415 411 411 411 478 526 446 470 560 370 370 222 222 214 191 515 516 506 505 519 510 502 502 519 514 521 521 512 413 400 407 544 MR-70 530 526 530 460 470 473 473 475 473 420 420 420 420 411 419 401 403 401 401 402 17 520 520 555 520 505 376 525 512 190 504 521 521 441 441 441 441 441 445 320 407 514 514 544 194 535 526 64 457 457 310 450 30 194 173 133 140 117 117 463 461 423 491 130 423 185 192 446 400 446 490 507 519 526 530 497 497 497 64 515 154 144 152 442 442 442 442 411 420 424 423 59 171 130 46 133 130 110 120 120 490 507 507 508 508 506 490 130 120 210 210 210 210 210 210 205 205 205 205 206 206 206 207 207 207 217 217 218 217 218 218 220 220 221 221 221 221 221 223 223 224 224 224 224 221 200 200 200 218 251 251 250 250 250 382 315 315 310 310 341 350 300 300 311 316 302 301 301 302 305 308 306 308 308 320 306 305 306 304 304 304 34 VSN214 194 190 193 42 132 516 397 397 408 417 462 462 475 474 436 407 544 408 144 144 154 154 417 403 500 402 500 500 206 400 400 402 315 510 520 530 525 525 525 320 408 424 410 410 463 493 207 V S N101 454 48 48 454 419 418 506 560 560 152 152 144 154 154 154 53 30 32 408 411 407 408 456 450 330 330 300 511 120 120 112 112 192 130 117 400 491 490 400 407 407 493 490 493 50 132 180 180 140 190 196 37 40 46 130 110 510 505 59 152 53 53 51 53 397 397 506 505 505 510 510 510 510 510 53 53 520 520 555 555 50 500 50 17 37 491 450 450 409 490 493 MR-70 -70 180 185 22 505 505 505 510 555 493 493 493 510 555 190 VSN120 504 504 450 427 52 191 555 500 500 500 510 402 NPH530 120 191 NPH535 NPH535 NPH530 192 420 420 420 130 47 110 110 110 196 131 132 140 100 401 400 402 50 65 511 511 519 530 490 409 510 RMV396 117 55 55 152 55 52 53 59 55 52 55 59 55 196 111 140 140 50 50 50 450 450 490 493 141 R1 RE3 (KBS435) RB89 (KBS 430) (KBS 356) R7 RB85 R7 R1 RE1 RE3 RE3 (RB89) RE1 RE3 R4 R4 R4 R5 RE1 R1 R5 RE30 R5 R7 R5 RE30 (R39) RE30 R6 R4 R4 R4 R39 R5 SE30 RE30 R1 RE1 R1 R1 RE1 (in Bau) (in Bau) (RB89) (RB89) RE30 (R39) 4 Marsberg Hann. Münden Bad Hersfeld Korbach Warburg Homberg (Efze) Bad Wildungen Bebra Witzenhausen Vellmar Bad Arolsen Frankenberg (Eder) Rotenburg an der Fulda Hessisch Lichtenau Kaufungen Niestetal Lohfelden Adelebsen Wahlsburg Liebenau Volkmarsen Espenau Fuldatal Staufenberg Eichenberg Friedland Fuldabrück ald Neuental Malsfeld Morschen Knüllwald Waldkappel Cornberg Friedewald Ronshausen Ludwigsau Neukirchen Neuenstein Schwarzenborn Frielendorf Gilserberg Rauschenberg Gemünden (Wohra) Rosenthal Oberweser Trendelburg Diemelstadt Reinhardshagen (SG) Dransfeld Nieste Breuna Calden Twistetal Diemelsee Vöhl Waldeck Naumburg Niedenstein Schauenburg Söhrewald Helsa Großalmerode Meißner Berkatal Gudensberg Bad Zwesten Edertal Frankenau Lichtenfels Haina (Kloster) Jesberg Spangenberg Alheim Wohratal Habichtswald Lichtenau Borgentreich Rosdorf Bad Emstal Bühren Niemetal Scheden Jühnde Ahnatal Edermünde Felsberg F l u g h a f e n Ka s s e l Scherfede Westheim Süd Twiste Wetterburg Mengeringhausen Ehringen Niedervellmar Beisefürth Altmorschen Heinebach Lispenhausen Gertenbach Speele Ihringshausen Hedemünden Friedlos Zennern Ungedanken Mandern Wega Wiera Fritzlar R R R R R R R R R R R RT3 RT3 RT RT4 RT4 RT5 RT5 RT5 RT9 RT9 RT9 Wolfhagen- Altenhasungen Zierenberg- Rosental Calden- Fürstenwald A.-Heckershausen Ahnatal- Casselbreite KS- Hbf Vellmar-Obervellmar Espenau-Mönchehof KS- Holländische Straße KS- Auestadion KS-Wilhelmshöhe Vellmar-Osterberg/ EKZ KS-Jungfernkopf KS-Harleshausen KS-Kirchditmold KS-Oberzwehren Baunatal-Rengershausen KS-Leipziger Straße Baunatal-Guntershausen Melsungen- Röhrenfurth Melsungen- Bartenwetzerbrücke Felsberg-Altenbrunslar Borken-Singlis Schwalmstadt-Treysa Neuental-Schlierbach Neuental-Zimmersrode Felsberg-Wolfershausen Zierenberg- Oberelsungen Melsungen Felsberg- Gensungen Edermünde-Grifte Körle Guxhagen Wabern Grebenstein Immenhausen Hofgeismar Hofgeismar-Hümme Wolfhagen Zierenberg Borken Ahnatal- Weimar Kassel Baunatal Schwalmstadt Bild 3: RegioTram- Fahrgäste pro Jahr in 1000 (Linien RT3 bis RT5) Grafik: NVV Bild 4: RegioTram-Fahrgäste pro Jahr in 1.000 (Linien RT3bis RT5); ©: NVV Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 42 INFRASTRUKTUR Nahverkehr Neue Wege gehen: Einbindung der Kurhessenbahn Die Umsetzung des RegioTram-Konzepts des NVV beeinlusste auch maßgeblich die Modernisierung des 22 km langen, nicht elektriizierten Streckenabschnitts Vellmar- Obervellmar - Wolhagen im DB RegioNetz Kurhessenbahn. Die Streckenbaumaßnahmen, die Erneuerung von Ingenieurbauwerken (25 Brücken, 1 Tunnel), der Ausbau von neun Bahnhöfen und Haltepunkten sowie die Modernisierung oder der Rückbau von Bahnübergängen zeigen das Spektrum der Maßnahmen. Mit der deutlichen Anhebung der Streckengeschwindigkeit und dem Einsatz moderner dieselelektrischer Fahrzeuge der RegioTram sollten weitere Fahrgastpotenziale erschlossen werden. Aufgrund der Erfahrungen mit Zweisystembahnen wurde dem Büro Erfurt der DB- International die Projektsteuerung für den infrastrukturellen Ausbau dieses künftigen RegioTram-Streckenastes übertragen. Die vereinbarten Leistungen umfassten die Organisation aller notwendigen Schritte von der Planung bis zur Umsetzung einschließlich der Steuerung von Terminen, Kosten und betrieblichen Anforderungen. Seit Dezember 2013 verkehren die Regio- Tram-Züge hier im 30-Minuten-Takt, alternierend zu der Regional-Express-Verbindung. Derzeit erarbeitet das Büro Erfurt die Teilschlussverwendungsnachweise für die einzelnen, vom Bund und vom Land Hessen geförderten Maßnahmen auf der Kurhessenbahn. Volkswirtschaftlicher Nutzen und regionale Entwicklung Neben den wirtschaftlichen Efekten führt das RegioTram-System in Nordhessen aber auch zu volkswirtschaftlichem Nutzen. So hat sich der Modal-Split (Nutzung von Auto, ÖPNV, Fahrrad und Zufußgehen) in Nordhessen zugunsten des ÖPNV um 3 % in den letzten Jahren verbessert und so für weniger Abgase, weniger Staus und bessere Wohnbedingungen gesorgt. Darüber hinaus trägt das System dazu bei, den ländlichen Raum positiv zu entwickeln. Immer mehr Kommunen begreifen eine RegioTram-Station als Standortfaktor, denn durch die Anbindung an die Regio- Tram können die Einwohnerzahlen konstant gehalten und die Folgen des demograischen Wandels gemildert werden. Der Erfolg ruht auf vielen Schultern Ein so umfangreiches Projekt hat viele Unterstützer auf der kommunalen Ebene und Beteiligte bei den Unternehmen. Deren Aktivitäten sind zu koordinieren und untereinander abzustimmen, alle Beteiligten sind mit aktuellen Informationen zu versorgen. Finanzierung, Baurecht und die Koordinierung der Planung waren die wesentlichen Aufgaben der DB International im Rahmen der Projektsteuerungsleistungen, die in Zusammenarbeit der Büros in Erfurt und Frankfurt am Main erbracht wurden. Planungsseitig haben die Büros Frankfurt am Main und Berlin der DB International die Systemwechselstelle zwischen EBO und BOStrab im Gleisvorfeld des Kasseler Hauptbahnhofs umgesetzt. Die Systemwechselstelle mit angrenzenden Fahrleitungsanlagen mussten auf der Gleich- und Wechselspannungsseite angepasst werden. Die Oberleitungsanlage im EBO-Anlagenbereich und im Bereich der BOStrab inklusive Tunneleinführung für Zweisystemfahrzeuge mit Systemwechselstelle für die RegioTram Kassel mit einer Abschnittslänge von 600 m (mehrgleisig) wurde ebenfalls durch DB International geplant. Internationale Würdigung Das RegioTram-Konzept ist auch international gefragt. Seit 2009 setzt ein EU-Projekt im Rahmen der europäischen Förderlinie „Interreg IV b“ auf das nordhessische Know-how. Das Projekt „SINTROPHER“ untersucht nachhaltige und eiziente Verkehrslösungen, um die Erreichbarkeit dünn besiedelter, ländlicher oder peripher gelegener Regionen zu verbessern. Wie in Nordhessen mit der RegioTram bereits realisiert, sollen auch für andere europäische Regionen nutzerfreundliche, nahtlose Schnittstellen zwischen lokalen und regionalen Verkehren sowie zu den Fernbahnen entwickelt werden. Dabei ließen die Erfahrungen und das Wissen über das nordhessische RegioTram-System in einen internationalen Austausch ein. Fazit Seit Dezember 2013 ist das nordhessische RegioTram-System vorerst vollendet, und auf den RegioTram-Strecken Richtung Melsungen, Wolhagen und Hofgeismar sind die Züge im 30-Minuten-Takt unterwegs. 50- Delegationen mit über 800 Besucherinnen und Besuchern aus 15 Ländern Europas, Asiens und Amerika kamen nach Kassel, um die RegioTram zu erleben und die hier gemachten Erfahrungen für ihre eigene regionale Verkehrsentwicklung zu nutzen. Und bei den Bürgern in der Stadt Kassel und der Region kommt die besondere Qualität der Infrastruktur mit barrierefreier-Erschließung für die RegioTram nach wie vor gut an. Das beweisen letztendlich die kontinuierlich wachsenden Fahrgastzahlen. ■ Wolfgang Dippel Geschäftsführer Nordhessischer VerkehrsVerbund, Kassel wolfgang.dippel@nvv.de Martin Witzel Projektleiter DB International GmbH, Büro Erfurt martin.witzel@db-international.de Bild 5: Neue Station in Melsungen-Bartenwetzerbrücke Foto: NVV Bild 5: RegioTram - Image 1 = -2, 2 = -1, 3 = 0, 4 = +1, 5 = +2 Bequemlic hkeit Großstädt isch Modernität Sympathie Schönheit Zuverläss igkeit Schnelligkeit Auf fälligkeit Luxus Mittelw erte nur bei Bekanntheit der RT 5,0 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 Bild 4: Imagekurve der RegioTram Grafik: NVV-Kundenbarometer 2011 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 43 Advertorial INFRASTRUKTUR Seilbahnen im Stadtverkehr Geringere Umweltbelastung, weniger Staus und mehr-Fahrkomfort Weltweit wächst die Nachfrage nach Seilbahnen, die urbane Transportaufgaben übernehmen. Mit modernen Bahnen lassen sich viele aktuelle Verkehrsprobleme lösen: Sie sind schnell und vergleichsweise kostengünstig realisierbar, benötigen wenig Platz und entlasten mit geringen Energiekosten sowie Emissionen die Umwelt nachhaltig. Zudem zählen Seilbahnen laut Statistischem Bundesamt zu den sichersten Verkehrsmitteln. E inwohner und Besucher von Ankara erleben seit dem Frühjahr 2014 eine neue Art der urbanen Fortbewegung. In der türkischen Hauptstadt realisiert LEITNER ropeways gleich drei Seilbahnen im Stadtgebiet. Eine kuppelbare 10er Kabinenbahn verbindet seit dem Frühjahr 2014 auf 3228 Meter Länge den Stadtteil Şentepe mit der Metrostation Yenimahalle und mit der Hauptverkehrsader. Durch diese Art der Anbindung des Stadtteils an den öfentlichen Personennahverkehr wird der Straßenverkehr erheblich entlastet. Die einzelnen Stationen sind durch ihr modernes Design und die außergewöhnliche Architektur ein optisches Highlight. Bei der Bahn handelt es sich um das größte urbane Seilbahnprojekt auf dem eurasischen Kontinent. Auch in der deutschen Hauptstadt wird man bald die Vorteile einer Seilbahn genießen können. Anlässlich der Internationalen Gartenausstellung (IGA Berlin 2017) wird dort erstmals wieder seit 50 Jahren eine Seilbahn entstehen. Die 10er Kabinenbahn wird LEITNER ropeways bauen. Mehr als zwei Millionen Gäste werden zu diesem einzigartigen Gartenfestival aus dem In- und Ausland erwartet. Bis zu 3000 Besucherinnen und Besucher werden das Ausstellungsgelände, das die Gärten der Welt, den Kienberg und Teile des Wuhletals umfasst, dann mit der Seilbahn pro Stunde und Richtung aus der Vogelperspektive erleben können. Die Fahrt eröfnet den Blick auf das IGA- Gelände mit seinen Wasser- und Themengärten sowie den internationalen Gärten der Welt. Die insgesamt 1,5 km lange Panoramafahrt endet nach rund fünf Minuten am Blumberger Damm, wo die Besucherinnen und Besucher direkt im Anschluss die Ausstellungshalle erkunden können. Ein weiteres Beispiel für die positiven Auswirkungen des Einsatzes von Seilbahnen im urbanen Umfeld indet sich in Südtirol: In nur zwölf Minuten schweben die Menschen vom Stadtzentrum in Bozen auf den Ritten und zu einigen der schönsten Aussichtsplätze der Berge rund um die Landeshauptstadt. 2009 wurde die neue, 4,5 km lange Umlaufseilbahn gebaut. Neben der Erschließung eines attraktiven Auslugsziels für Touristen sollte vor allem der Straßenverkehr zwischen Bozen und dem beliebten Höhenzug entlastet werden. Die erste Dreiseilumlaubahn in Italien wurde ein voller Erfolg. Rund eine Million Passagiere nutzen die Bahn pro Jahr. Der Verkehr auf der Straße wurde reduziert und die Bedeutung des Ritten als Auslugsziel sowie die Attraktivität als Wohngebiet steigerten sich deutlich. Diese Beispiele verdeutlichen die zahlreichen Vorteile, die seilgezogene Transportmittel im urbanen Verkehr bringen: Seilbahnen entlasten den Stadtverkehr, sie bringen ökologische Vorteile und sorgen für mehr Lebensqualität in Städten, sie benötigen wenig Platz, werden durch keinen Stau beeinlusst und gehören zu den sichersten Verkehrsmitteln. ■ Seilbahn zur IGA Berlin 2017 Foto: Kolb Ripke Architekten/ LEITNER ropeways GD10 Yenimahalle, Ankara/ TR Foto: LEITNER ropeways Weitere Informationen: LEITNER AG / SpA Brennerstraße 34 | Via Brennero, 34 39049 Sterzing / Vipiteno (I) Tel. +39 0472 722 111 Fax +39 0472 724 111 info@leitner-ropeways.com www.leitner-ropeways.com Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 44 INFRASTRUKTUR Länderinitiative Damit Deutschland vorne bleibt Länderinitiative engagiert sich zusammen mit Bürgern für-den Standort Deutschland Wirtschaft und Wissenschaft sind sich seit langem einig: Deutschland fährt seine Verkehrsinfrastrukturen auf Verschleiß. Konsequenzen drohen für die individuelle Mobilität wie für den Wirtschaftsstandort. Doch die Politik will bislang nicht wahrhaben, wie groß der Nachholbedarf ist. Die Initiative „Damit Deutschland vorne bleibt“, eine breite Allianz aus Verbänden und Unternehmen, hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, mit sachlicher Aufklärungsarbeit die Öfentlichkeit für das Thema zu mobilisieren - mit dem weiter gehenden Ziel, angesichts der Dringlichkeit der Probleme mit dem Druck der Bürger für einen politischen Stimmungsumschwung zu sorgen. Der Autor: Eberhard Krummheuer E in junger Schlaks im beige-braunen Anzug taucht in Video-Spots, auf Anzeigen-Seiten, Postern und Plakaten auf. Es ist Max. Max, der Mobilisator (Bild 1). Mal puttet er einen Minigolf-Ball in ein Straßenschlagloch, dann steht er in einer Brückenbaustelle, steigt in eine U-Bahn oder hält das Ohr schon mal an Flüsterasphalt. Dabei erzählt er stets etwas über Infrastruktur - wie wichtig sie für uns alle ist und warum wir sie in gutem Zustand erhalten sollten. Max, der Mobilisator, ist das freundliche Gesicht der Infrastruktur-Initiative. Jugendlich unbekümmert, mal ein bisschen frech, aber immer eindringlich informativ und plakativ. Über 50 Unternehmen und Organisationen haben sich im letzten Jahr nach und nach zur Initiative „Damit Deutschland vorne bleibt“ zusammengeschlossen. Zu den Mitgliedern gehören Industriekonzerne wie Alstom Deutschland, Verbände wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der Deutsche Städtetag, der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Automobilclubs ACE und ACV. Stark repräsentiert sind die Verkehrsunternehmen und die Bahnen - ging doch der Anstoß für die Initiative vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) aus. Zu den Förderern zählt der Bundesverband der Deutschen Industrie, der sich immer wieder bei aktuellen Anlässen mit Sachverstand und seinen handelnden Personen einbringt. So entstand in kurzer Zeit und unter dem Druck der Ereignisse - erinnert sei nur an erste Brückensperrungen im Autobahnnetz - eine starke Gemeinschaft, die branchenübergreifend die Weichen für eine bessere Infrastruktur stellen will. Seit die Daehre- Kommission, benannt nach dem früheren Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Karl-Heinz Daehre (CDU), Ende 2012 einen alarmierenden Sanierungsstau feststellte und für 15- Jahre Investitionen von jährlich 7,2 Mrd. EUR für den Erhalt von Straßen, Schienen und Wasserstraßen für notwendig erachtete, wächst auch in der öfentlichen Wahrnehmung das Bewusstsein: Leistungsfähige Infrastrukturen sind der Motor für eine erfolgreiche Wirtschaft und bilden die Grundlage für Lebensqualität, Sicherheit und Wohlstand. Sanierungs- und Ausbaubedarf werden jedoch oft zu spät erkannt. Das will die Infrastruktur-Initiative ändern. Ihr Ziel ist es, bei den Bürgerinnen und Bürgern ein neues Bewusstsein für den Stellenwert von Infrastruktur zu schafen. Hierzu setzt sie auf einen gesamtgesellschaftlichen Dialog, der das Thema Infrastruktur in den Fokus rückt und dort nachhaltig verankert. Die Initiative versteht sich nicht als Lobby-Organisation. Sie sieht die über die Interessen ihrer Mitglieder hinaus gehende gesellschaftliche Verplichtung, Lebensqualitäten und Standortvorteile sowie die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu erhalten. Darüber will sie umfassend und sachlich informieren und bietet eine Plattform für den Austausch. Sie will die Politik in die Plicht nehmen, den nachhaltigen Erhalt der Infrastruktur nicht zu vernachlässigen und dafür Handlungsdruck über den Bürger, über Wählerinnen und Wähler auszulösen. Während der Monate des Bundestagswahlkampfs 2013 machte die Initiative erstmals öfentlich auf ihre Themen aufmerksam. Beispielsweise über die im Frühjahr verabredete Medienpartnerschaft mit dem Verlagshaus Springer. In den Publikationen der Welt-Gruppe wurden die Infrastrukturthemen anschaulich dem breiten Leser- Publikum dargestellt und auf einem „Infrastrukturgipfel“ im Berliner Verlagshaus vertieft. Auch mithilfe anderer Medien wurde das Anliegen der Initiative weithin und auf hohem Niveau publiziert, u. a. mit einer Beilage der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und einer Extra-Ausgabe des „Zeit Magazin“, in der sich namhafte Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft zum Thema äußerten. Mit dem „Deutschland-Tag des Nahverkehrs“ unterstützten 30 kommunale Verkehrsunternehmen, allesamt Mitglieder der Bild 1: Max der Mobilisator mit dem Hinweis auf die zentrale Website der Initiative Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 45 Länderinitiative INFRASTRUKTUR Initiative, Mitte September 2013 mit lokalen Informationsverstaltungen die Forderung „Damit Deutschland vorne bleibt“. Sichtbares Zeichen waren und sind Busse und Bahnen, die über mehrere Monate in den Farben und mit den Logos der Initiative im Linienverkehr unterwegs sind. Parallel dazu wurden die Ergebnisse der von den Länderverkehrsministern eingesetzten Kommission „Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturinanzierung“ unter Führung des früheren Verkehrsministers Kurt Bodewig (SPD) in Berlin unter Beteiligung von zahlreichen Landespolitikern präsentiert. Die Untersuchung bestätigte erneut den von der Daehre-Kommission ermittelten Nachholbedarf zum Erhalt der Infrastrukturen in der beschriebenen Tragweite und im inanziellen Umfang. Noch vor dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen empfahlen die Länderverkehrsminister den Regierungsparteien, entsprechende Umsetzungsstrategien in den Koalitionsvertrag aufzunehmen - was dann zur Enttäuschung aller Beteiligten allenfalls ansatzweise geschah. Für die Initiative, die mittlerweile in der Rechtsform einer GmbH unter dem Namen INFRA Dialog Deutschland mit Sitz in Berlin operiert, war das fehlende Verständnis der Regierungsparteien für die Bedeutung einer funktionalen, leistungsstarken Verkehrsinfrastruktur noch einmal Motivation, die begonnene Auklärungsarbeit mit zusätzlichem Engagement fortzusetzen - ohne Polemik, vielmehr sachlich, informativ, hintergründig. Der Zustand der Verkehrswege ist für viele Medie ein inzwischen immer wieder behandeltes Thema. Auch namhafte Branchenvertreter - beispielsweise sei hier der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Dr. Rüdiger Grube - und auch Landespolitiker verwiesen in Interviews auf die die bedrohliche Lage. Mit der Website „Damit Deutschland vorne bleibt“ baut die Initiative eine Sammlung mit Daten, Fakten, Meinungen zum Thema Verkehrsinfrastruktur auf - in Wort, Bild, Graik und Video. Über Suchfunktionen ist dieser Informationspool als Nachschlagewerk nutzbar, verlinkt zudem mit weiteren Quellen. Außerdem greift die Website aktuelle Entwicklungen zum Thema Infrastruktur auf; sie beobachtet den politischen Raum und berichtet von eigenen Veranstaltungen. Max, der Mobilisator, ist naturgemäß auf der Website auch vertreten, zudem plegt er seinen „Max-Blog“. Über ihn äußert sich die Initiative pointiert zu ihren Themen und entsprechenden Ereignissen - wie etwa im Juli zur Diskussion um die PKW-Maut. Gleichzeitig wirbt Max für Veranstaltungen der Initiative, wirbt bei Bürgern um aktive Beteiligung und/ oder Vorschläge. Dieses Angebot des Bürgerdialogs indet zunehmend Resonanz. Der bereits zitierte Blog zur Pkw-Maut lockte eine ganze Reihe von Lesern zu eigenen Kommentaren. Sachlichen Input liefert auch der monatlich produzierte Newsletter. Er berichtet von aktuellen Entwicklungen rund um das Thema. Über den gezielt angesprochenen Verteilerkreis aus Politik und Mitgliedern hinaus sind die Newsletter-Angebote auch in die Website für jedermann zugänglich integriert. Eine zusätzliche Breitenwirkung wird künftig dadurch erzielt, dass die Inhalte auch als „Themendienst“ an Redaktionen und Journalisten, die sich mit Verkehrsfragen beschäftigen, weiter gegeben werden. Die Auklärungsarbeit wird ergänzt durch öfentliche Veranstaltungen (Bild 2). Im laufenden Jahr wird mit „Länderkonferenzen“ in den einzelnen Bundesländern der Versuch unternommen, das Anliegen der Initiative aus dem politischen Berlin auf die regionalen Ebenen und in die Landespolitik zu tragen, letztlich, um das Angebot des Bürgerdialogs zu konkretisieren. Es handelt sich um verkehrspolitische Diskussionsrunden mit lokaler Färbung, in denen neben der Politik auch die Wirtschaft und die Mitglieder der Initiative zu Wort kommen und über Nutzen sowie Bedeutung exemplarischer Verkehrsinfrastrukturprojekte diskutieren. Zusätzlich ist über das Internet die Möglichkeit geschafen worden, den Bürger direkt anzusprechen und ihn nach seinen guten Ideen für eine bessere Infrastruktur vor Ort zu fragen. Über einen Medienpartner, jeweils eine große Regionalzeitung am Veranstaltungsort, wird im Vorfeld und der Nachbereitung eine hohe Breitenwirkung erzielt. Zu den weiteren öfentlichen Auftritten zählen im September 2014 ein weiterer Infrastrukturgipfel der „Welt“ und am folgenden Tag eine Sternfahrt von mehr als zwei Dutzend Bussen kommunaler Verkehrsunternehmen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Berlin. Gerade Aktivitäten wie diese Sternfahrt zeigen deutlich, dass Infrastruktur eben nicht nur ein politisches Thema im „fernen“ Berlin ist, sondern in seiner gesamten Tragweite vor Ort angekommen ist. Der Verschleiß der Infrastruktur, aber auch Engpässe durch fehlenden Ausbau tun vor Ort weh, nicht nur den Verkehrsunternehmen, sondern auch ihren Fahrgästen. Dafür gibt es unendlich viele weitere Beispiele, von Brückensperrungen aus Sicherheitsgründen in den Kommunen bis hin zu den verrottenden Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals. Schon heute zeichnet sich ab, dass der Standort Deutschland im internationalen Vergleich an Qualität und an Ranking verliert. Ob Weltbank oder Weltwirtschaftsforum - diese Institutionen registrieren erste Anzeichen dafür, dass der Verfall der Infrastruktur zu sinkender Attraktivität unseres Landes in der globalisierten Welt führt. Im Umkehrschluss lässt sich nur folgern: Eine Politik, die nicht beherzt den Verschleiß unserer Infrastrukturen bekämpft, ist letztlich eine Politik gegen den Standort Deutschland. Für diese nüchterne Erkenntnis will die Initiative die Bürger sensibilisieren. ■ Eberhard Krummheuer Kommunikations-Konzepte, Haan ekrummheuer@web.de Bild 2: Bürgerdialoge im Rahmen von Länderkonferenzen, wie hier in München, unterstreichen den Nutzen und die Bedeutung von Verkehrsinfrastruktur Projekten. Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 46 Infrastruktur Schienengüterverkehr in Brasilien Neuere Entwicklungen im-Schienengüterverkehr Brasiliens Der Ausbau des Schienenverkehrs in Brasilien hat mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes nicht Schritt gehalten. Die Veränderung des Modal Split zeigt bisher keinen Erfolg. Ein Großteil der Projekte wird nicht oder nur verspätet umgesetzt und Verzögerungen von mehreren Jahren beim Bau sind üblich. Nun sind auch noch alle drei wesentlichen Güterbahnen im Besitz großer Industrieunternehmen. Ein Statusbericht. Der Autor: Armin F. Schwolgin G emessen an der geographischen Ausdehnung des Landes und seiner Wirtschaftskraft ist das Eisenbahnwesen in Brasilien nach wie vor unterentwickelt [1]. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass der Schienengüterverkehr in Brasilien seit der Konzessionierung von Strecken und des Betriebs an private, integrierte Bahnunternehmen deutliche Fortschritte erzielt [2]. Trotzdem hat sich am Modal Split im Güterverkehr des Landes so gut wie nichts geändert. Das Verkehrsaukommen auf der Schiene bleibt seit Jahren bei etwa 25 %. Die dem Plano Nacional de Logística e Transportes (PNLT) zu Grunde liegende Plangröße für 2025 lautet 35 % [3]. Der Anteil der Schiene an der Verkehrsleistung wird aktuell auf 19,5 % geschätzt [4]. Am Ende der ersten Amtszeit von Präsidentin Dilma Roussef, die sich im Oktober 2014 zur Wiederwahl stellt, ist der Schienengüterverkehr durch vier wesentliche Entwicklungen gekennzeichnet: • Weitere Konzentration des Bahnwesens in den Händen von Industrie- und Agrarunternehmen • Nur schleppender Fortschritt bei der Planung und dem Bau von dringend benötigten neuen Strecken • Ins Stocken geratene Liberalisierung des Netzzugangs auf den Neubaustrecken • Eine insgesamt zu geringe Bereitstellung von Finanzierungsmitteln für den erforderlichen Ausbau der Infrastruktur, v. a. im Verkehrsbereich konzentration der Güterbahnen bei-Verladern Viele Darstellungen des brasilianischen Eisenbahnwesens folgen in ihrer Struktur der Ende der 90er Jahre vorgenommenen Vergabe der Konzessionen [5]. Diese Betrachtung verstellt jedoch den Blick auf die tatsächlichen Marktanteile und den Wettbewerb sowie auf die weitere Entwicklung auf dem Bestandsnetz. Die oiziellen Statistiken verschleiern, dass die America Latina Logística (ALL) und ihre vier Tochtergesellschaften, die allesamt als Eisenbahninfrastruktur- (EIU) und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) tätig sind, mit 11 738 Streckenkilometer der wichtigste Spieler im Schienengüterverkehr ist. Mit der Brado Logística und der Ritmo Logística verfügt der Konzern zudem über zwei weitere Unternehmen im Bereich des Schienengüterverkehrs [6]. Bislang gab es unter den führenden Eisenbahnunternehmen mit der ALL nur ein reines Bahnunternehmen. Die beiden nächstgrößeren Bahnen gehören zu dem größten Bergbauunternehmen des Landes (Vale) und zu einem führenden Mischkonzern (CSN Companhia Siderúrgica Nacional). Mit der angekündigten Übernahme der ALL durch die Ruma, eine Tochtergesellschaft des Zucker- und Ethanol-Unternehmens Cosan, wird auch das bisher größte Eisenbahnunternehmen durch einen Mischkonzern kontrolliert werden [7]. Cosan ist zukünftig nicht nur der größte Einzelaktionär, sondern zugleich ein sehr großer Kunde. Die Fusion muss jedoch noch von der ANTT und dem Kartellamt CADE genehmigt werden [8]. Damit sind jetzt alle drei wesentlichen Bahnunternehmen im Besitz von großen Industrieunternehmen mit einem sehr hohen eigenen Transportaukommen. neubaustrecken mit Verzögerungen Die Planung und den Bau der geplanten Neubaustrecken hat die staatliche Valec - Engenharia, Construções e Ferrovias S.A. übernommen. Neben vielen kleineren Projekten geht es vor allem um die großen Traversalen in Nord-Süd-Richtung und den beiden West-Ost Strecken (vgl. Bild 1). Im Betrieb ist ein Teilstück der Ferrovia Norte Sul zwischen Açailândia und Palmas, das von der Vale S. A. als EIU und EVU betrieben wird. Ob es gelingt, die wesentlichen Neubaustrecken in absehbarer Zeit fertigzustellen und dann auch in Betrieb zu nehmen, erscheint aus heutiger Sicht durchaus frag- Streckenkürzel Name Streckenlänge in km EF - 151 FNS Ferrovia Norte - Sul 4.200 EF - 334 FIOL Ferrovia de Integraç-o Oeste - Leste 1.572 EF - 354 FICO Ferrovia de Integraç-o Centro - Oeste 4.600 EF - 267 Ferrovia do Pantanal 758 EF - 232 Transnordes ino 620 Summe Neubaustrecken 11.750 Bild 1: Wesentliche Neubaustrecken für Güterbahnen in Brasilien Quelle: http: / / www.valec.gov.br/ acoes_programas/ Downloads/ MapaFerroviasValec_10_02_2014.pdf Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 47 Schienengüterverkehr in Brasilien INFRASTRUKTUR lich. Wesentliche Ursachen für den schleppenden Fortschritt sind mangelhafte Ingenieurgutachten, Probleme bei der Erteilung der Umweltgutachten und den erforderlichen Enteignungen der Grundbesitzer. Hinzu kommt der Mangel an Schienenmaterial. Bei der Lieferung aus China hat es neben Qualitäts- und Finanzierungsproblemen auch „Anzeichen für Unregelmäßigkeiten“ [9] gegeben. Freier Netzzugang bislang noch absolute Ausnahme Von einem Eisenbahnnetz im eigentlichen Sinn des Wortes kann in Brasilien nicht gesprochen werden, weil in der Vergangenheit überwiegend Stichstrecken angelegt wurden, die nur selten miteinander in Verbindung standen oder stehen. Als weiteres Hindernis kommen die unterschiedlichen Spurbreiten hinzu. Mit der Privatisierung im Wege der Konzessionierung bestimmter Strecken an private Eisenbahnunternehmen wurde der Gedanke eines modernen Hub-and-Spoke-Systems, das unternehmensübergreifend genutzt werden kann, völlig verdrängt. Nach der gegenwärtigen Rechtslage haben die neuen, integrierten privaten Eisenbahnunternehmen auf den Linien des Altnetzes das exklusive Nutzungsrecht. Durch die Verhinderung des Open Access wird nicht nur die operative Eizienz des Gesamtsystems, sondern auch der Wettbewerb eingeschränkt, ein Zustand, den die etablierten Eisenbahnunternehmen seit Jahren verteidigen [10]. Freiwillige Ausnahmen von dem rechtlich abgesicherten Netzmonopol der jeweiligen Eisenbahnunternehmen sind kaum zu inden. Ein kleines Beispiel ist die Strecke der ALL von S-o Paulo nach Santos, auf der Vale ein Durchfahrtsrecht hat [11]. Der zweite Ausnahmefall betrift Brado Logística und MRS. Aus logistischer Sicht wird durch die Gewährung eines Transitrechtes an Brado zumindest partiell ein Beitrag zur Senkung der in Brasilien noch immer sehr hohen Logistikkosten geleistet. Durch die vertraglich vereinbarte Nutzung des Fremdnetzes reduziert sich für Brado die Transportdauer von Campinas nach Santos von 48 auf 19 Stunden. Hierdurch werden Treibstof-, Personal- und Kapitalkosten reduziert und die Gesamtkapazität erhöht [12]. Die beiden bekannten Ausnahmen zeigen, dass ein freies Durchfahrtsrecht noch am ehesten verhandelbar ist, die Aufnahme und Entladung entlang der Strecke des EIU ist aber noch immer nicht durchsetzbar. Mit Programa de Investimentos em Logística (PIL) hat Brasilien im August 2012 nicht nur ein Investitionsprogramm von fast 100 Mrd. Reais (33,2 Mrd. EUR) für den Ausbau und die Erweiterung des Schienenverkehrs aufgelegt, sondern sieht auch ein neues Konzessionsmodell für Neubaustrecken mit freiem Netzzugang vor. Nach dem Modell sollen die Konzessionen im Bahnbereich eine Laufzeit von 35 Jahren haben-[13]. Das Ziel des PIL besteht darin, das Netz der Breitspur-Güterbahnen erheblich auszubauen und Höchstgeschwindigkeiten von 80 km/ h zu ermöglichen. Bisher liegen die Durchschnittsgeschwindigkeiten eher bei gut 20 km/ h. Potenzielle Konzessionäre müssen sich verplichten, in den ersten fünf Jahren erhebliche Investitionen vorzunehmen, die allerdings zu 70 % von öfentlichen Banken zu günstigen Konditionen inanziert werden. Als mögliche neue Konzessionäre werden reine Netzbetreiber (EIU), vor allem aber Transportunternehmen (EVU) genannt. Letztere sollen freien Netzzugang auf allen Neubaustrecken haben. Bewerben können sich Unternehmen, welche die technischen und operativen Voraussetzungen erfüllen. Allerdings scheint es bisher keine Interessenten zu geben. Dies liegt auch daran, dass es für die unabhängigen EVU (Operadores Independentes) noch keine gesetzliche Regelung gibt [14]. Das Vergabeverfahren ist, soweit es bisher bekannt ist, zudem sehr komplex (vgl. Bild 3). Fehlende Finanzierung Die Deizite der brasilianischen Infrastruktur, insbesondere der Verkehrsinfrastruktur sind in verschiedenen aktuellen Studien in Brasilien und im Ausland relativ übereinstimmend zusammengefasst worden. McKinsey und die brasilianische Inter B. Consultaria kommen im Hinblick auf den Investitionsbedarf zu ganz ähnlichen Werten [15]. Danach müsste das Land allein für den Ersatzbedarf rd. 3 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aufwenden. Hinzu kommt ein erheblicher Erweiterungsbedarf, so dass McKinsey insgesamt von 5 % bis 6,5 % des BIP ausgeht, Inter B. von 4 % bis 4,5 %. Historisch lag der Anteil bei gut 2 %; mit 2,46 % wurde im Jahre 2008 ein Hochpunkt erreicht. Auch hinsichtlich der Ursachen und Probleme sind sich die beiden Beratungsunternehmen annähernd einig: risikobehaftete regulative Rahmenbedingungen, unzureichendes Projektmanagement und Projektcontrolling, Planungsfehler und fehlendes Kapital. Der Versuch, chinesische oder russische Investoren (China Railway Construction 30.117 km Gesamtsumme 1.915 km Weitere EVU/ EIB 28.202 km Zwischensumme 1.674 km MRS Logís i ca 33,37% Transnordes i na Logís i ca S.A. 75,92% CSN Companhia Siderúrgica Na ional S. A. großes St ahlu nternehmen 10.583 km Estrada de Ferro Vitória a Minas EFCM Estrada de Ferro Carajás EFC Ferrovia Centro-At l an i co FCA Weitere Logis i kunternehmen, z. B. Docenave (Schi fffahrt), Login Logís i ca Int ernacional, Termi nal -Betriebe etc. V ale S.A. großes Bergbauunternehmen 11.738 km América La i na Logís i ca Malh a Sul América La i na Logís i ca Malh a Oeste América La i na Logís i ca Malh a P aul ista América La i na Logís i ca Malh a Norte Weitere Logis i kunternehmen: Brado Logís i ca, Ritmo Logís i ca America La ina Logís i ca börsenno i erte Ges ell scha t mit Großak i onären Streckenlänge Integrierte Bahngesellscha t en (EIU/ EVU) Beherrschender Konzern Bild 2: Integrierte Bahnunternehmen auf dem Bestandsnetz Eigene Zusammenstellung auf Basis der Daten der ANTF [2], S. 29 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 48 INFRASTRUKTUR Schienengüterverkehr in Brasilien Corporation, China Railway Engineering Corporation, RZD International) für die neuen Strecken zu gewinnen [16], unterstreicht, dass es im Lande selbst ofensichtlich wenige bis keine inländischen Interessenten gibt. Tatsächlich sind überhaupt nur sechs bis acht inländische Unternehmen in der Lage, Projekte dieser Größenordnung zu inanzieren und zu managen. Auch fehlt es an entsprechenden Fachkräften. Diese Engpässe resultieren vor allem daraus, dass die in Betracht kommenden Unternehmen ihre Kapazitäten bereits in den beiden Vorjahren beim Erwerb der Konzessionen für Autobahnen und Flughäfen ausgeschöpft haben. Ganz wesentlich ist aber das mangelnde Vertrauen der Investoren in die staatliche Valec, die über 35 Jahre das Auslastungsrisiko der Neubaustrecken trägt (vgl. Bild 3). Ob Valec diese Last übernehmen kann oder politisch dauerhaft tragen darf, wird von interessierten Unternehmen bezweifelt. Man spricht in diesem Zusammenhang vom „Risiko Valec“. Um den privaten Investoren dieses Risiko abzunehmen, hat sich die Regierung im Juli 2014 entschlossen, einen Fonds mit Staatsanleihen zu schafen, der von einem privaten Treuhänder verwaltet wird [17]. Ausblick Blickt man auf die letzten zwei Dekaden zurück, dann ist zu konstatieren, dass der Ausbau des Schienenverkehrs in Brasilien mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes nicht Schritt gehalten hat. Die Veränderung des Modal Split, den die Regierung mit verschiedenen Programmen (PNLT und PIL) erreichen wollte, zeigt bisher keinen diesbezüglichen Erfolg, da ein Großteil der Projekte nicht oder nur verspätet die Planungsphase verlassen hat und Verzögerungen beim Bau von mehreren Jahren üblich sind. Selbst wenn neue Verbindungen, wie die erste Teilstrecke der Nord-Süd-Magistrale, endlich fertig sind, stehen der Inbetriebnahme noch Hindernisse entgegen, weil die erforderlichen regulatorischen Rahmenbedingungen für die Konzessionierung nach dem Prinzip des Open Access noch nicht endgültig ixiert wurden oder es schlicht an Investoren mangelt. Diesen fehlt zurzeit das Vertrauen. Ob die Ende Juli 2014 gegründete Entwicklungsbank der BRICS-Staaten hier Abhilfe schafen und auch Projekte in Brasilien selbst inanzieren kann, ist eher unwahrscheinlich [18], zumal die Kapitalausstattung von 50 Mrd. USD im Vergleich zu den erforderlichen Infrastrukturinvestitionen allein in Brasilien viel zu gering ist. ■ LITERATUR  [1] Vgl. Confederaç-o Nacional do Transporte (CNT): Pesquisa CNT de Ferrovias 2011, Brasília 2011, S. 9 -10.  [2] Vgl. Agéncia Nacional de Transportes Terrestres (ANTT): Evoluç-o do transporte ferroviário, Brasília, Februar 2014; Assoiciaç-o Nacional dos Transportadores Ferroviários (ANTF): Balanco do transporte ferroviário de cargas no Brasil de 2012, S-o Paulo 3. April 2013.  [3] Vgl. Perrupato, Marcelo: PNLT. Plano Nacional de Logística e Transportes. Permanente, Intermodal, Participativo e Integrado. Um Plano de Estado, Nacional e Federativo, Vortrag an der Universidade Santa Maria am 27.4.2012.  [4] Vgl. Eyer de Araujo, Jo-o Guilherme Mattos: Um retrato da navegaç-o de cabotagem no Brasil, ILOS Januar 2013, www.ilos.com.br./ ilos_2014/ publicacoes/ artigos-2013, abgerufen am 30.6.2014.  [5] Vgl. dazu vor allem die Studie der ANTT, a.a.O.  [6] Vgl. Martins, Bruno: Brado Logística espera crescer 60% com operações no corridor Mato Grosso-Santos, in: Portal Transporta Brasil vom 24.11.2014.  [7] Vgl. o. V.: ALL e Rumo selam fus-o e encerram litígo bilionario, in: Valor Econômico vom 9.5.2014.  [8] Vgl. o. V.: Uni-o de ALL es Rumo deve icar para 2015, in: O Estado de S-o Paulo vom 8. Mai 2014.  [9] o. V.: Após 27 anos, trecho da Norte-Sul será inaugurado, in: O Estado de S-o Paulo vom 19.5.2014. [10] Vgl. Schwolgin, Armin F.: Bahnreform soll Kapazitäten erhöhen. Freier Netzzugang für alle Privatbahngesellschaften geplant, in: DVZ Deutsche Verkehrs - Zeitung vom 4.3.2010, S. 12. [11] Vgl. OSEC Business Network Switzerland: The Brazilian market for railway technologies, Zürich Dezember 2010, S. 20, Karte 3. [12] Vgl. José, Victor: Brado passa a utilizar malha da MRS para transporte de Campinas (SP) ao Porto des Santos (SP), in: Portal Transporta Brasil vom 7.1.2014. [13] Vgl. Secretaria Executiva de Atendimento ao Investidor: Concessões Ferroviariás, in: www.logisticabrasil.gov.br/ ferrovias2, abgerufen am 13.7.2014. [14] o. V.: Estatal Valec convida operadores ferroviários independentes, que ainda n-o existem por falta de regulamentaç-o, in: Estado de S-o Paulo vom 19.5.2014. [15] Vgl. McKinsey Global Institute (Hrsg.): Connecting Brazil to the World: A path to inclusive Growth, o. O. Mai 2014; Pinheiro, Armando Castelar; Frischtak, Cláudio Roberto (Hrsg.): Gargalos e soluções na infraestrutura de transportes, Rio de Janeiro 2014. [16] Vgl. o. V.: Leilões de ferrovias poder-o ter parceiras entre Brasil e China, in: Valor Econômico vom 10.7.2014; o. V.: Brasil quer atrair russos para ferrovias, in: Estado de S-o Paulo vom 8.7.2014. [17] Vgl. o. V.: Governo acaba com ‘risco Valec’ de ferrovias, in: O Estado de S-o Paulo vom 12.7.2014. [18] Vgl. dazu Rüb, Matthias: Russische Wafen für Südamerika, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.7.2014, S. 6; Welter, Patrick: Konkurrenz für den Währungsfonds, ebenda, S. 17. Armin F. Schwolgin, Prof. Dr. Studiengangsleiter BWL - Spedition, Transport und Logistik (Bachelor), Wiss. Leiter Logistikmanagement (Master), Duale Hochschule Baden-Württemberg Lörrach schwolgin@dhbw-loerrach.de Födera i ve Republik Brasilien Valec Engenharia, Contruções e Ferrovias S. A. neue Konzessionäre als EIU unabhängige EVU Operador Ferroviario Independente (OFI) Verlader (ggf. Werksbahnen) Netzgebühr Tarifa de Fruiç-o Vergabe der Konzession Abtretung aller Nutzungsrechte Zahlung eines Bereitstellungstarifes Vergabe von Unterkonzessionen Konzessionsabgabe Bild 3: Schafung eines freien Netzzugangs in Brasilien Executive Master in Mobility Innovations macht aus Transportexperten Manager innovativer Mobilität Inhalt: Wirtschaftliche, soziale, kulturelle, ökologische und technologische Schlüsselaspekte globaler Mobilität für neue Geschäftsmodelle | Zielgruppe: Berufstätige im Transport- und Logistiksektor aus Unternehmen, Verwaltungen und NGOs | Kontakt: Frauke Rogalla, Tel.: 07541 6009 1605, E-Mail: frauke.rogalla@zu.de Nach den Kuhhandeln der Vergangenheit: Wie bewegt die rastlose Gesellschaft die Mobilität der Zukunft? A B B . : [ D U C A N ] C C B Y - S A 2 . 0 Start: Januar 2015 zu.de/ mobi Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 50 LOGISTIK Türkei Logistikgeschenke zum Hundertsten Die Türkei plant gewaltige Logistikprojekte, doch die instabile politische Lage könnte die erforderlichen ausländischen Direktinvestitionen stoppen und die Projekte gefährden. Der Autor: Dirk Ruppik D ie in den letzten Jahren aufstrebende Türkei muss nun einige Schläge entgegen nehmen. Aufgrund der politischen Lage hat die internationale Rating-Agentur Standard & Poor’s (S&P) im Februar ihren Ratingausblick für das Land am Bosporus von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt. Die langfristige Bonitätsnote wurde bei BB+ belassen. Für 2014 sagt die Agentur ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur 2,4 % voraus, 2015 soll das BIP-Wachstum auf 2,0 % sinken. Die Europäische Kommission erwartet für 2014 ein reales Wachstum der türkischen Wirtschaft von 2,5 %. Dagegen rechnet die türkische Regierung nach wie vor mit 4,0 % Wachstum. Die Weltbank wiederum schätzt die Zunahme des BIP auf 3,5 %. Um die ehrgeizigen Entwicklungs- und Wachstumziele umzusetzen, ist die Türkei im hohen Maße von ausländischen Direktinvestitionen abhängig. Diese sind durch die Korruptionsafäre um Premierminister Erdoğan, seinen autoritären Führungsstil und die daraus entstehenden politischen Verwerfungen gefährdet. Nach der für Recep Tayyip Erdoğan so erfolgreichen Präsidentenwahl am 10. August 2014 ist die Situation nicht einfacher geworden - selbst die türkische Wirtschaft fürchtet einen Rückgang der Direktinvestitionen, der auch den geplanten logistischen Ausbau des Landes am Bosporus gefährden könnte. 1 Gute Prognosen für Logistikdienstleistungen Dabei gibt es viele Faktoren, die für ein unternehmerisches Engagement in der Türkei sprechen. Zunächst fällt die günstige geograische Lage auf (Bild 1). Von der Türkei aus können leicht Konsumenten in Europa, dem Nahen Osten, Asien und Afrika versorgt werden. Zudem liegt das Land traditionell an wichtigen Handelsstraßen wie der Gewürz- und Seidenstraße. 2012 ist die türkische Republik laut Invest in Turkey, Website der staatlichen Agentur für Wirtschafts- und Investitionsförderung der Türkei (ISPAT) 2 , zur „16.-größten Volkswirtschaft der Welt und zur sechstgrößten Volkswirtschaft im Vergleich mit den 27 EU-Ländern in Bezug auf BIP und Kaukraftparität geworden“. Der aufstrebende Mittelstand in einem Land mit 2013 fast 77 Mio. Einwohnern verspricht eine zunehmende Kaufkraft. Weiteres Argument für den Standort sind nach Ansicht des Beratungsunternehmens Jones Lang LaSalle die zahlreichen Pläne zum Ausbau der industriellen Kapazitäten und die Verbreitung von Outsourcing in vielen Bereichen. Sie sind ein Indikator dafür, dass der Transport- und Logistiksektor in den nächsten Jahren weiter wachsen wird. Das Land muss allerdings die Abhängigkeit von Energie- und Rohstoimporten verringern, die ein chronisches Handels- und Leistungsbilanzdeizit erzeugen und somit eine Wachstumsbremse darstellen. Ehrgeizige Logistikprojekte Die Verkehrsinfrastruktur der mittlerweile als „China Europas“ bezeichneten Republik Türkei soll massiv ausgebaut werden. Bisher Bild 2 : Marmarameer in Istanbul, vom Topkapi-Palast aus gesehen Foto: CherryX/ Wikipedia Bild 1: Geografisch günstige Lage der Türkei Quelle: Türk. Ministerium für Transport, maritime Angelegenheiten und Kommunikation Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 51 Türkei LOGISTIK werden - laut Ministerium für Transport, maritime Angelegenheiten und Kommunikation - rund 75 % der Fracht auf der Straße transportiert. Das Türkische Statistische Institut 3 meldet, dass sich 2013 die Importe laut um 6,4 % vermehrt haben, die Exporte allerdings um 0,4 % schrumpften. Im Vorjahr lag umgekehrt der Export-Zuwachs bei 13 %, und die Importe gingen um 1,8 % zurück. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) iel laut Weltbank auf 2,2 %, eine Folge der restriktiven Wirtschaftspolitik der Regierung und der Geldpolitik der Zentralbank. Zudem führte die Abschwächung des privaten Konsums, der einen großen Anteil am BIP hat, zu einem Schrumpfen des Wirtschaftswachstums. Bis 2016 soll das BIP jedoch wieder bei rund 4 % liegen. Der Exportwert wird sich gemäß mittelfristigem Regierungsprogramm zwischen 2013 und 2016 von 112-Mrd. EUR (153,5 Mrd. USD) auf 147 Mrd. EUR (202,5 Mrd. USD) erhöhen. Laut Prognose soll der Wert der Importe von 183 Mrd. EUR auf 222 Mrd. EUR ansteigen. Daher muss die Infrastruktur dringend ausgebaut werden - und der türkische Staat will bis 2023 145-Mrd. EUR in diesen Bereich investieren, davon 60 % aus staatlicher Hand. Zu den ehrgeizigen Vorhaben gehört beispielsweise der „Kanal İstanbul“, ein zum Bosporus paralleler Kanal, der das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbinden soll (Bild 2). Der 48 km lange, 150 m breite und 25-m tiefe Kanal wird westlich des Bosporus verlaufen und soll nach dem Wunsch der Regierung bis 2023 zum 100. Jahrestag der Gründung der Türkei fertiggestellt sein - was bei der Größe des Projekts allerdings utopisch erscheint. Auf dem Kanal könnten bis zu 160 Schife pro Tag verkehren, der stark befahrene Bosporus (täglich etwa 255 Schife, darunter zahlreiche Öltanker) würde dadurch entlastet werden. Die Kosten für das Projekt werden auf 8-10 Mrd. USD (6 bis 7,5-Mrd. EUR) geschätzt. Weiterhin sind drei Containerhäfen in Bau bzw. noch in der Planungsphase: Çandarlı (Kapazität: 12 Mio. TEU, zwei Phasen) in der nordägäischen See, Filyos im westlichen Schwarzen Meer (Container, Eisenerz und Öl, Kapazität 25-Mio. t) und Mersin (11,4 Mio. TEU, fünf Phasen) im Mittelmeer. Çandarlı wird somit zum größten Hafen im Mittelmeer avancieren. Ebenso ist der Ausbau des Istanbuler Hafens Ambarlı Liman (7,2 Mio. TEU in 2012) zum Containerhub geplant. Der Güterumschlag in den Seehäfen wird gemäß Fünjahresplan (2014-2018) von 248 Mio. auf 615 Mio. t und der Umschlag in den Containerhäfen von 3,9- Mio. auf 13,8 Mio. TEU steigen. Zusätzlich steht die Privatisierung von Häfen an. Die Planung des dritten Flughafens in der Hauptstadt Istanbul war im Februar aufgrund eines Berichtsentschlusses wegen Umweltbedenken ins Stocken geraten. Der neue Flughafen soll aus sechs Landebahnen, 16 Rollbahnen, 165 Fluggastbrücken und einem 6,5 Mio. m 2 großen Flugfeld bestehen. Die Kosten werden sich auf 10 Mrd. Türkische Lira (TRY), etwa 3,5 Mrd. EUR) belaufen. Bau und Betrieb des Flughafens wird das Limak-Konsortium übernehmen. Weitere Projekte sind eine dritte Brücke über den Bosporus für 4,5 Mrd. EUR, die Zulaufstrecken für den 13,6 km langen Marmaray-Eisenbahntunnel in der Straße von Istanbul und ein landesweites Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz. Wenn ab voraussichtlich 2015 die Marmaray-Strecke und anschließend die Verbindung Kars- Tbilisi-Baku (Bild 4) in Betrieb gehen, wird eine ununterbrochene Eisenbahnverbindung von London via Türkei bis ans Kaspische Meer und weiter nach China bestehen. Laut Fünjahresplan sollen die bisher sehr niedrigen Anteile des Schienentransports am gesamten Transportvolumen in den kommenden zehn Jahren auf 15 %, die des Seetransports auf 10 % erhöht werden. Bleibt nur abzuwarten, wie sich das Land unter einem Staatspräsidenten Erdoğan weiterentwickeln wird. ■ 1 Hasnain Kazim: Wirtschaftsklima in der Türkei: Industrieverband fürchtet den Erdogan-Efekt; in: Spiegel online, 12.08.2014; http: / / www.spiegel.de/ wirtschaft/ soziales/ tuerkische-wirtschaft-sieht-erdogans-wahlsieg-skeptischa-985716.html (Stand: 22.08.2014) 2 http: / / www.invest.gov.tr 3 http: / / www.turkstat.gov.tr Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist mit Büro in Thailand dirk.ruppik@gmx.de Bild 3: Die neue „Eiserne Seidenstraße” führt von Westeuropa über die Türkei nach Asien. Quelle: Türk. Ministerium für Transport, maritime Angelegenheiten und Kommunikation Bild 4: Bahnstrecken zwischen Kars (Türkei) und Baku (Aserbaidschan) am Kaspischen Meer Grafik: Maximilian Dörrbecker/ Wikipedia Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 52 LOGISTIK House of Logistics and Mobility HOLM - ein interdisziplinäres Kooperations-Modell Hessen verfügt mit der Region FrankfurtRheinMain seit langem über ein weltweit vernetztes Drehkreuz für Personen, Güter und Informationen im Zentrum Europas. Mit dem House of Logistics and Mobility (HOLM) will das Land seine Wettbewerbsfähigkeit im Logistik- und Mobilitätssektor weiter ausbauen. Im HOLM werden Wissenschaftler und Manager interdisziplinär und branchenübergreifend unter einem Dach an Lösungen für eine nachhaltige Logistik und Mobilität arbeiten. Der Autor: Jürgen Schultheis S pätestens seit Beginn der industriellen Revolution bedarf es des Wissens und der Erfahrung von Experten aus zahlreichen Disziplinen und Branchen, um die Verfügbarkeit der richtigen Güter am richtigen Ort zur richtigen Zeit erfolgreich planen und organisieren (Logistik) sowie die umfassende Teilhabe an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Austauschprozessen zufriedenstellend gewährleisten zu können (Mobilität). Mit den „Revolutionen der Erreichbarkeit“ [1], die mit der industriellen Revolution eingesetzt haben, und dem dynamischem Prozess der Globalisierung im Sinne eines nahezu allumfassenden und weltweit organisierten Austauschs von Gütern, Produkten und Informationen, sind Ansprüche und Herausforderungen, denen sich die Logistik- und Mobilitätsbranche gegenübersieht, weiter gewachsen. Auf der einen Seite bilden die Beförderung von Menschen und der Transport von Gütern und Informationen die Grundlage für ökonomischen Erfolg und Wohlfahrt. Auf der anderen Seite wachsen mit der Zahl beförderter Menschen und der Menge transportierter Güter und Informationen der Energieverbrauch und die Belastung der Umwelt. Die Herausforderungen sind heute ebenso zahlreich wie komplex: Wie sich etwa Wirtschaftswachstum und die Zahl und Menge beförderter Menschen und transportierter Güter vom Energieverbrauch entkoppeln lässt, ist nur ein Thema von vielen, auf die Wissenschaftler und Manager der Branche eine Antwort geben müssen. Big Data, Vernetzung und Intermodalität, Infrastrukturinanzierung, lange Planungsprozesse, geringe Akzeptanz für den Infrastrukturausbau, wachsende Disparität von Stadt und Land wie der demographische Wandel insgesamt sind Themen, die kaum geringere Bedeutung haben. Die Wege hin zu Antworten und Lösungen, die auch von der Gesellschaft eingefordert werden, sind vielfältig. Mit der Initiative für und die Gründung der House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH haben sich Land Hessen, Stadt Frankfurt und der HOLM Verein mit seinen mehr als 200 Mitgliedern für einen besonderen, in dieser Form neuen Weg entschieden, um diese Antworten zu inden. Organisation und Arbeitsweise des HOLM, das am 3. Juni 2014 von Hessens Ministerpräsident Volker Bouier in Frankfurt in unmittelbarer Nähe zum Flughafen eröfnet worden ist, sind durch mehrere Faktoren bestimmt: Die Kompetenz der Metropolregion FrankfurtRheinMain im Bereich Logistik und Mobilität ist historisch begründet, funktional bewährt und hoch entwickelt. Als Folge dieser entwickelten Infrastruktur und Kompetenz haben sich in der Metropolregion zahlreiche Unternehmen der Logistik- und Mobilitätsbranche niedergelassen, die leistungsfähige Cluster bilden und einen attraktiven Arbeitsmarkt für Unternehmen und Beschäftigte schaffen. Zentralität und exzellente Erreichbarkeit [2] des Standortes ermöglichen bei geringen Transaktionskosten physische Präsenz, die eine wichtige Voraussetzung für kreative Prozesse und erfolgreiche Kooperationen ist. Kompetenz, Zentralität und die Erreichbarkeit des Standortes mit seinen zahlreichen Hochschulen, Start Ups und weltweit tätigen Unternehmen schafen nahezu ideale Voraussetzungen für die Arbeit im House of Logistics and Mobility. Wissenschaftler und Manager von 20 Hochschulen und bis zu 40 Unternehmen kommen im HOLM unter einem Dach zusammen, um interdisziplinär und branchenübergreifend zu kooperieren. Das Konzept erfüllt die speziischen Anforderungen der Wissensgesellschaft. Hier gilt im Allgemeinen, was vom Unternehmenserfolg im Besonderen gesagt worden ist. Er „hängt geradezu von der Interaktion in den ,richtigen’ Netzwerken an den richtigen Standorten (localities of lear- Fotos: HOLM Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 53 House of Logistics and Mobility LOGISTIK ning) ab“ [3]. Vor diesem Hintergrund versteht sich HOLM im Zentrum der Metropolregion FrankfurtRheinMain auch als locality of cooperation, innovation and implementation. Das HOLM-Gebäude mit seinen sechs Stockwerken mit 17 000 Quadratmeter Fläche schaft für die Arbeitsweise des Teams und der Projektgruppen die räumliche Voraussetzung, um Kompetenzen, Initiativen und Projektergebnisse regional bündeln, national vernetzen und international sichtbar machen zu können. Das Haus verfügt über einen teilbaren Audimax für bis zu 500-Personen, über mehrere Hörsäle für jeweils bis zu 45 Personen, ofene Gemeinschaftsarbeitsplätze und Büroräume. Das Gebäude bietet eine ofene, für repräsentative Veranstaltungen geeignete Empore für bis zu 200 Personen und die zentrale, den Innenraum prägende Treppenskulptur X- Celerator, die auf allen Stockwerken als Begegnungsläche für Gespräche und Trefen genutzt werden kann. Bis zu 500 Personen können im HOLM an der Bessie-Coleman- Str. 7 arbeiten. Das Gebäude hat das Frankfurter Büro Albert Speer & Partner AS&P entworfen, das Innenraumkonzept ist in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) entwickelt worden. Face-to-face-Kontakte, bei denen explizites und implizites Wissen (tacit knowledge) über die jeweiligen Grenzen der Disziplinen und Branchen hinaus ausgetauscht werden und Vertrauen als wesentliche Basis für die Arbeit in informellen Gruppen aufgebaut wird, sind eine Voraussetzung, um kreative Prozesse zu initiieren. Sie bilden die Grundlage für den „Produktionsprozess“ der Wissensgesellschaft. Ein geeigneter Ort für solche Kontakte und für die anwendungsorientierte Projektarbeit ist eine neutrale Fläche, auf der keiner der am Prozess Beteiligten Revierverhalten und Dominanz entwickelt. HOLM bietet diese neutrale Fläche mit unterschiedlichen Raumangeboten für die Projektarbeit. Zufallsbegegnungen spielen dabei eine Rolle und werden durch die ofene Raumstruktur ermöglicht und befördert: Ideen, die bei solchen Begegnungen ausgearbeitet werden, können unmittelbar im X- Celerator - den ofenen Brücken im Übergang der Ebenen - oder auf der Empore erörtert und entwickelt werden. Der Innenraum - der östliche, begrünte Teil ist oben ofen, der westliche Teil des Gebäudes überdacht - ermöglicht uneingeschränkte Sichtbeziehungen von jedem Ort des Hauses aus und erleichtert die wechselseitige Kontaktaufnahme. Eigentümer des Gebäudes ist der Investor Lang & Cie. Die HOLM GmbH hat das Haus für die Dauer von 30 Jahren gemietet. Der Betrieb wird aus Mieten, Veranstaltungen, Fördergeld und Sponsoring von Unternehmen inanziert. Inzwischen halten Professoren Vorlesungen im House of Logistics and Mobility, die ersten Unternehmen haben ihre Repräsentanzen und Büros bezogen. Hochschulen und Unternehmen arbeiten bereits in verschiedenen Expertenkreisen, Projekten und Arbeitsgruppen auf der HOLM-Plattform zusammen: Beim EU-Projekt Co-gistics kooperiert HOLM europaweit mit 33- Partnern, um den CO 2 -Ausstoß im Straßengüterverkehr zu reduzieren. Aubau und Entwicklung des Projektes geben ein Beispiel für die Arbeitsweise des HOLM: Auf der regionalen Ebene führt HOLM die Unternehmen T-Systems, Fraport, DB Schenker und Deutsche Post DHL zusammen. T-Systems bringt eine App in das Projekt ein, mit der LKW-Fahrer stets informiert sind, ob sie eizient und umweltschonend fahren. DB Schenker, Deutsche Post und Fraport testen das Programm in ihren Fahrzeugen. Die neutrale Ebene für die Kooperation ist das HOLM, das wiederum das Vorhaben auf europäischer Ebene in das Cogistics-Projekt einbindet. Die Metropolregion FrankfurtRheinMain ist eines der Pilotgebiete. Erste Ergebnisse zeigen, dass beim Dieselverbrauch Einsparungen zwischen 5 und 12 % möglich sind. Mit SoCool@EU hat das HOLM zusammen mit europäischen Partnern ein Instrumentarium entwickelt, mit dem die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen im Bereich Logistik ermittelt werden kann. Das Instrumentarium hilft ferner, Regionen wettbewerbsfähiger zu machen. Weitere Themen am HOLM: Der persönlich-adaptive Mobilitätsmanager, der Mobilität aus einer Hand gewährleisten wird. Dabei handelt es sich um eine App, die in Realzeit über Angebot und Nutzung verschiedener Verkehrsmittel informiert, den Kunden über Verspätungen von Zügen und Flugzeugen auf dem Laufenden hält, Preisinformationen gibt und am Monatsende die Verkehrsleistungen zum günstigen Preis abrechnet; die Optimierung der Frankfurter Wirtschaftsverkehre mit den Arbeitsgruppen Last Mile Logistics, Bauverkehre und Datengrundlage; die Optimierung der Digital Supply Chain, Big Data in der Logistik, die LKW-Zulaufsteuerung zu den Cargo Cities am Flughafen und zur Messe in Frankfurt, die Verbesserung der Versorgungsleistung beteiligter Hilfsorganisationen beim Transport und vor Ort in Krisenfällen weltweit, um die Logistikkosten zu senken (Humanitäre Logistik) und die Logistik von Lithium-Ionen-Batterien. Neben Themen, Experten- und Arbeitskreisen und den Projekten inden im HOLM zahlreiche Veranstaltungen wie etwa der Deutsche Mobilitätskongress (12./ 13.November) statt. „Das HOLM steht für die Innovationskraft und Leistungsfähigkeit des Landes Hessen und der Unternehmen, die den Logistik- und Mobilitätsstandort prägen“, sagte Ministerpräsident Volker Bouier zur Eröfnung des HOLM [4]. Und das HOLM könnte eines von mehreren Modellen sein, um Europa, wie es in der Lissabon-Strategie des Europäischen Rates heißt [5], zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. ■ LITERATUR [1] Schmitz, Stefan (2001): Revolutionen der Erreichbarkeit. Gesellschaft, Raum und Verkehr im Wandel, Opladen 2001 [2] Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2006): ESPON Atlas - Mapping the structure of the European territory, Bonn 2006. http: / / www.espon.eu/ main/ Menu_Publications/ Menu_ESPON- 2006Publications/ esponatlas.html [3] Kujath, Hans-Joachim, Schmidt, Suntje (2007): Wissensökonomie und die Entwicklung von Städtesystemen. Working Paper, Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) http: / / www. irs-net.de/ publikationen/ working-papers/ [4] „Ein tolles Gebäude mit Atmosphäre“ - Ministerpräsident Bouier eröfnet HOLM und betont Bedeutung von Logistik und Mobilität für die Volkswirtschaft; http: / / bit.ly/ eroef [5] Europäischer Rat, 23. und 24. März 2000, Lissabon; http: / / www.europarl.europa.eu/ summits/ lis1_de.htm Jürgen Schultheis, Politologe (M.A.), Leiter Kommunikation & PR im House of Logistics and Mobility (HOLM), Frankfurt am Main juergen.schultheis@ frankfurt-holm.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 54 LOGISTIK Binnenschiffahrt Nutzung der Binnenschiffahrt auf Rhein und Elbe Vergleich der Nutzung der Binnenschiffahrt auf Rhein und-Elbe durch die verladende Wirtschaft unter Einluss des-Klimawandels Schwankende Fahrrinnentiefen stellen eine Herausforderung für die verladende Wirtschaft dar, die auf kostengünstigen Transport von Massengütern per Binnenschif angewiesen ist. Basierend auf Unternehmensbefragungen wurde ein Modell entwickelt, das die Vulnerabilität von Unternehmen gegenüber schwankenden Fahrrinnentiefen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft berechnen kann. Ausgewählte Ergebnisse der Befragung und der Modellergebnisse werden hier vergleichend für Rhein und Elbe dargestellt. Die Autoren: Anja Scholten, Benno Rothstein F ast jede deutsche Stadt über 500 000 Einwohner ist per Binnenschif zu erreichen [1]. In Deutschland wurden 2005 ca. 11 % der binnenländischen Verkehrsleistung per Binnenschif erbracht (per Bahn ca. 17 %) [2]. Die regionale Bedeutung kann deutlich höher sein: In Nordrhein-Westfalen ist die Binnenschiffahrt mit einem Marktanteil von 25 % nach der Straße der zweitwichtigste Verkehrsträger [3]. Massengutaine Unternehmen, d. h. Unternehmen, die auf den Transport von Massengut angewiesen sind wie z. B. Steinkohlekraftwerke, haben sich traditionell an Flüssen niedergelassen, um die Wasserstraße als günstigen, verlässlichen Transportweg zu nutzen. In Niedrigwasserzeiten reduziert sich jedoch die Transportkapazität der Binnenschife, während die Transportnachfrage fast gleich bleibt. Hierdurch wird die Versorgungssicherheit der Unternehmen beeinträchtigt. Entsprechend haben Niedrigwasserperioden in der Vergangenheit (z. B. 2003) schon zu Einschränkungen der Produktion geführt [4]. Da der Klimawandel die Häuigkeit und Intensität von Niedrigwasserereignissen beeinlussen kann, ist es notwendig, die potentiellen Auswirkungen desselben auf Unternehmen quantiizieren zu können. Deshalb wurde im KLIWAS Projekt ein Modell entwickelt, das die Auswirkungen von schwankenden Wasserständen auf die Lagerhaltung von Unternehmen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft berechnet. Hierdurch kann die Vulnerabilität von Unternehmen gegenüber Transporteinschränkungen per Binnenschif erstmals quantiiziert werden [4]. Zudem erlaubt es das Modell, Anpassungsmaßnahmen mit einzubeziehen und ihre Wirksamkeit zu quantiizieren. Für die Anwendung des Modells sind Unternehmensdaten notwendig, die durch Befragungen zwischen 2007 und 2012 erhoben wurden. Hier werden Ergebnisse der Unternehmensbefragungen an Rhein und Elbe erstmals vergleichend dargestellt, bevor die Resultate des Vulnerabilitätsmodells für beide Flüsse erläutert werden. Merkmale der verladenden Wirtschaft entlang von Rhein und Elbe An Rhein und Elbe wurden jeweils etwa 250-Unternehmen direkt bezüglich der Umfrage angeschrieben, gut 60 bzw. knapp 40 Firmen nahmen daran teil. Die hier dargestellten Merkmale der verladenden Wirtschaft beziehen sich explizit auf die befragten Unternehmen und sind nicht allgemeingültig. Soweit verfügbar, stimmen sie jedoch weitgehend mit allgemein erhobenen statistischen Daten überein. Eine detailliertere Auswertung der Umfrage für den Rhein indet sich in [5], die Ergebnisse für die Elbe werden hier erstmals veröfentlicht. Die an der Befragung teilnehmenden Unternehmen an Rhein und Elbe unterscheiden sich deutlich in Bezug auf ihre Transportcharakteristika: • 37,5 % der antwortenden Unternehmen an der Elbe transportieren unter 1000 t/ Jahr, einige (12,5 %) transportieren jedoch bis zu 3 000 000 t/ Jahr - im Schnitt sind es gut 700 000 t/ Jahr. Davon werden zwischen 1 und 30 % (im Mittel 148 000 t/ Jahr) per Binnenschif transportiert. Am Rhein haben nur 10,5 % der Unternehmen angegeben unter 15 0000 t/ Jahr zu transportieren, 31,5 % transportieren mehr als 1 500 000 t/ Jahr - allein per Binnenschif, das bei den dortigen Unternehmen einen Anteil am Gesamttransport zwischen 1 und 95 % hat. • An der Elbe bevorzugen alle antwortenden Unternehmen Schifsgrößen mit bis zu 1350 t Tragfähigkeit mit einem Tiefgang von 2,50 m, während am Rhein 87 % der Unternehmen Schifsgrößen über 1000 t mit Tiefgängen von 3,50 m bevorzugen. 15 % der Unternehmen setzen am Rhein Schife von über 3000 t ein. Das auf dem Rhein beliebte Großmotorschif (110 · 11,4 m) [5], das auch auf der Elbe zulässig ist, wird von den befragten Unternehmen dort nicht bevorzugt. • Auch bezüglich der Bedeutung des Flusses als Standortfaktor unterscheiden sich Rhein und Elbe. Während der Rhein für über 70 % der Unternehmen einen entscheidenden Einluss auf die Ansiedlung hatte [5], war dies an der Elbe nur für 44 % der Unternehmen der Fall. Dabei ist ein Fluss dieser Größe sowohl als Wasserstraße als auch als Kühl-/ Brauchwasserquelle bedeutsam. • Am Rhein haben 16 % der antwortenden Unternehmen Anschluss an vier Verkehrsmodi. Dies hat an der Elbe keins der Unternehmen. Im Gegenteil: An der Elbe haben 33 % Anschluss an nur einen Verkehrsträger (5 % am Rhein). Die Unternehmen am Rhein können somit theoretisch leichter auf andere Verkehrsträger ausweichen. Hierfür sind je- Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 55 Binnenschiffahrt LOGISTIK doch zusätzlich die richtigen Anschlüsse an den Lagern nötigt [5]. • Die befragten Unternehmen an der Elbe verfügen über leicht größere Lagerkapazitäten im Verhältnis zu ihrem täglichen Rohstobedarf als die Unternehmen am Rhein [4], nämlich im Schnitt 15 Tage (am Rhein 13 Tage). Es inden sich bei den antwortenden Unternehmen jedoch auch einige mit Lagerkapazitäten von 45, 120 oder sogar 300 Tagen. Somit können die Unternehmen an der Elbe etwas länger ohne Transport produzieren als die am Rhein. Vulnerabilität der verladenden Wirtschaft durch den Klimawandel Um die Vulnerabilität (Verwundbarkeit) von massengutainen Unternehmen gegenüber Niedrigwasserereignissen quantiizieren zu können, wurde im KLIWAS Projekt ein Modell entwickelt, das auch die Abschätzung der Auswirkungen des Klimawandels und vorgenommener Anpassungsmaßnahmen erlaubt. Weitere Informationen inden sich in [4] und [5]. Bei den Berechnungen werden ausschließlich die klimatischen Rahmenbedingungen variiert. Alle anderen Bedingungen (Wirtschaftsentwicklung etc.) bleiben unverändert. Informationen zu den verwendeten Szenarien inden sich bei [6], [7] und [8]. Die Nulllinie repräsentiert die Stärke der Vulnerabilität (gemessen als prozentuale Abweichung von der optimalen Lagerhaltung) der Unternehmen von 1961-1990 und damit das Niveau, mit dem die Unternehmen heute umgehen. Eine Zunahme der Vulnerabilität zeigt sich in negativen Abweichungen von der optimalen Lagerhaltung, d.h. das Eduktlager ist zu leer oder das Produktlager zu voll. Für den Rhein wird hier exemplarisch das Mittel aus drei Unternehmen eines Verladertyps (Schifsgröße 3000 t, Transportanteil über 40 %) dargestellt (Bild 1). Weitere Beispiele inden sich unter anderem bei [4], [5] und [9]. Nahe Zukunft • Optimistisches Szenario (CCLM B1): keine negativen Änderungen • Pessimistisches Szenario (CCLM A1b): ganzjährig negative Abweichungen mit Minimum in Oktober/ November (bis zu -17 %) Ferne Zukunft • Optimistisches Szenario: negative Abweichungen in der ersten Jahreshälfte (-10 %), Minimum im Oktober von -26 % • Pessimistisches Szenario: ganzjährig größere Abweichungen über -15 %, Minimum im November (-45 %) Für die Elbe wurden zwei andere Szenarien als Hüllkurven identiiziert und über zwei Unternehmen gemittelt: Nahe Zukunft • Optimistisches Szenario (RCA): nur minimale Abweichungen im September • Pessimistisches Szenario (HCQ0): Abweichungen bis zu -7 % im Winter Ferne Zukunft • Optimistisches Szenario: nur minimale Abweichungen • Pessimistisches Szenario: Abweichungen bis zu -11 % im Winter Insgesamt lässt sich feststellen, dass, anders als beim Rhein, die Abweichungen an der Elbe mit maximal -11 % gering sind. Zur Identiikation, ob die Unterschiede zwischen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 -45% -40% -35% -30% -25% -20% -15% -10% -5% 0% Rhein CCLM A1B Rhein CCLM B1 Elbe RCA Elbe HCQ0 Monat Abweichungen vom optimalen Lager (%) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 -45% -40% -35% -30% -25% -20% -15% -10% -5% 0% Rhein CCLM A1B Rhein CCLM B1 Elbe RCA Elbe HCQ0 Monat Abweichungen vom optimalen Lager (%) Nahe Zukunft Ferne Zukunft Bild 1: Vergleich der Vulnerabilität von Unternehmen an Rhein und Elbe unter Randbedingungen der Hüllkurven Modelle Quelle: eigene Berechnungen mit Fahrrinnentiefen der BfG Nahe Zukunft Ferne Zukunft Bild 2: Vergleich der Vulnerabilität von Unternehmen an Rhein und Elbe unter Randbedingungen des RACMO Modells Quelle: eigene Berechnungen mit Fahrrinnentiefen der BfG 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 -5,0% -4,0% -3,0% -2,0% -1,0% 0,0% Rhein Elbe Monat Abweichungen vom optimalen Lager (%) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 -5,0% -4,0% -3,0% -2,0% -1,0% 0,0% Rhein Elbe Monat Abweichungen vom optimalen Lager (%) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 56 LOGISTIK Binnenschiffahrt Rhein und Elbe auch bei gleichen Szenarien und ähnlichen Transportcharakteristika auftreten, wurden Unternehmen mit ähnlichen Charakteristika unter gleichen Klimawandelszenarien (RCA und RACMO - beide projizieren eher geringe Änderungen des Ablusses für Rhein und Elbe) verglichen. Unter den Randbedingungen des RCA Modells weisen die Unternehmen an beiden Flüssen quasi keine Zunahme der Vulnerabilität auf, weshalb dieses hier nicht dargestellt wird. Auf Bild 2 wird beim Vergleich von Rhein und Elbe deutlich, dass die Variabilität und Saisonalität für die Unternehmen an der Elbe in beiden Zeitscheiben (2021-2050 und 2071-2100) höher sind. Sichtbar wird auch die für die ferne Zukunft steigende Vulnerabilität im Herbst an beiden Flusssystemen. Während die Abweichungen für die nahe Zukunft an Elbe und Rhein vom Betrag her ähnlich sind, sind die Abweichungen am Rhein für die ferne Zukunft mit -4 % höher als an der Elbe mit -2 %. Fazit Die Unternehmen an Rhein und Elbe haben sehr unterschiedliche Transportstrukturen (s. o.). Dadurch scheinen die befragten Unternehmen an der Elbe im Durchschnitt besser an schwankende Wasserverhältnisse und Einschränkungen der Binnenschiffahrt angepasst zu sein als die Unternehmen am Rhein. Dies liegt sowohl am geringeren Transportanteil der Binnenschife am Gesamttransport als auch an der etwas längerfristigen Lagerhaltung. Zudem verzichten sie (laut Befragung) auf Just-in-Time- Transporte (am Rhein nutzen 16 % der Unternehmen diese Transportform). Diese Unterschiede sagen vor allem etwas über die (von den Verladern so wahrgenommene) geringe Verlässlichkeit der Elbe als Transportweg aus, jedoch nichts über ihre Anpassung an den Klimawandel. Die unterschiedlichen Transportstrukturen wirken sich auch aus, wenn die Vulnerabilität von für die jeweiligen Flüsse typische Unternehmen (s. o.) berechnet wird. Am Rhein gibt es in der fernen Zukunft maximale Abweichungen von bis zu -45 %, während an der Elbe nur maximal Änderungen von -11 % auftreten. Werden jedoch ähnlich strukturierte Unternehmen an Rhein und Elbe unter gleichen Klimaszenarien betrachtet, liefert das Vulnerabilitätsmodell ähnliche Ergebnisse. Die in diesem Vergleich gezeigten Unternehmen sind jedoch aus den oben genannten Gründen nicht typisch für die Rheinregion. ■ LITERATUR: [1] Oertel (2003): Statistische Aspekte des Verkehrswesens, Universität Heidelberg [2] Verkehr in Zahlen (2006/ 07): Verkehr in Zahlen, Hrsg.: BMVBS, Deutscher Verkehrs-Verlag GmbH, Hamburg [3] Hönemann (2005): Klimawandel und Klimaauswirkungen als Herausforderung für Unternehmen der Binnenschiffahrt, Vortrag bei der Fachkonferenz Rheinklima des BMVBS am 15.04.05 in Bonn [4] Scholten, Rothstein, Baumhauer (2014): Mass-cargo-aine industries and climate change; Climatic Change Volume 122, Issue 1-2 [5] Scholten, A. (2010): Massenguttransport auf dem Rhein vor dem Hintergrund des Klimawandels. Würzburger Geographische Arbeiten 104. Würzburg. [6] Nilson, Carambia, Krahe, Larina, Belz, Promny (2011): Auswirkungen des Klimawandels am Rhein, Tagungsband KLIWAS, 2. Statuskonferenz am 25./ 26.10.2011. Weißensee Verlag. Bonn. [7] BfG (2013): KLIWAS Schriftenreihe-11/ 2013; Auswirkungen des Klimawandels auf Wasserstraßen und Schiffahrt; Koblenz [8] Nilson, E., Krahe, P., Lingemann, I., Horsten, T., Klein, B., Carambia, M., Larina, M., Maurer, T (2014): Auswirkungen des Klimawandels auf das Ablussgeschehen und die Binnenschiffahrt in Deutschland. KLIWAS-Schriftenreihe 02/ 2014: DOI: 10.5675/ Kliwas_43/ 2014_4.01 [9] Scholten, Rothstein (2012): Auswirkungen von Niedrigwasser und Klimawandel auf die verladende Wirtschaft, Binnenschiffahrt und Häfen entlang des Rheins. Würzburger Geographische Arbeiten. 107. Würzburg. Anja Scholten, Dr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin; Universität Würzburg/ HTWG Konstanz anja.scholten@uni-wuerzburg.de Benno Rothstein, Prof. Dr. habil. Professur Geowissenschaftliches Ressourcenmanagement; HTWG Konstanz rothstein@htwg-konstanz.de STANDPUNKT Bundeswasserstraße Schlei? Ein Zwischenruf von Dr.-Ing. Andreas Kossak, Kossak Forschung und Beratung, Hamburg D ie Bundesverkehrswege aller Sektoren sind seit Jahrzehnten gravierend unterinanziert. In Reaktion darauf hat das Bundesverkehrsministerium unter anderem eine „Neue Netzstruktur“ für die Bundeswasserwege entwickelt. Kernpunkt ist eine schärfere Diferenzierung nach Bedeutungsklassen und die Konzentration der verfügbaren Mittel auf Wasserstraßen der oberen Kategorien. Die Schlei in Schleswig Holstein ist im aktuellen Entwurf „ganz am Ende“ eingestuft. Das hat ein Bündnis aus Betrieben, Vereinen und Verbänden der betrofenen Region zum- Anlass genommen, sich mit einer Petition an das Kieler Verkehrsministerium zu wenden. Ziel ist es, die Landesregierung solle sich beim Bund dafür einsetzen, dass das betrefende Gewässer nicht abgestuft wird, zumindest aber sollten die Erhaltungsmittel dafür nicht gekürzt oder gar gestrichen werden. Der schleswig-holsteinische Verkehrsminister Reinhard Meyer war wiederholt pressewirksam „vor Ort“ und hat seine Unterstützung signalisiert. In ihrem Schlussbericht vom 5. September 2000 hat die von der Bundesregierung eingesetzte „Kommission Verkehrsinfrastrukturinanzierung“ (Pällmann-Kommission) unter anderem angemahnt, die Abgrenzung der Trägerschaften für die Verkehrswege zu überprüfen und ggf. neu fest zulegen sowie auf eine „Finanzierung durch den Nutzer, den Nutznießer und/ oder den Veranlasser“ umzustellen, „so weit das unter den Rahmenbedingungen der einzelnen Verkehrssektoren möglich ist“. Beides bezog sich explizit auch auf die Wasserstraßen. Das Spektrum der Argumente in der genannten Petition repräsentiert eine fast klassische Beschreibung des Wesens der Kategorie „Schibare Landesgewässer“. Die 16 000 Unterschriften dazu belegen ein breites Potential von Nutzern und Nutznießern, die für eine Mitinanzierung der erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung der Funktionen der Schlei infrage kommen. Vor diesem Hintergrund ist eine Beschränkung auf den Ruf nach Geldern vom Bund riskant und nicht problemgerecht. ■ Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 57 Neufahrzeuglogistik Logistik Seetransport von Automobilen Hafeninfrastruktur und Hafeneisenbahnen als logistische-Engpässe? Nach der Wirtschaftskrise kam es zu weltweiten Strukturänderungen von Automobilproduktion und -nachfrage. Dies brachte Veränderungen für den Fahrzeugumschlag in den Nordrangehäfen und den Seehafenhinterlandverkehr, der sich stärker auf die Schiene verlagerte. Die entsprechenden Entwicklungen werden analysiert und Lösungsansätze zur Reduktion der Infrastrukturknappheit insbesondere der-Hafeneisenbahnen aufgezeigt. Der Autor: Klaus Harald Holocher D er weltweite Seetransport von Fahrzeugen ist von 13,5 Mio. Stück im Jahre 2008 auf 15,325 Mio. in 2013 angestiegen. Wie Bild 1 zeigt, brach das Transportaukommen allerdings im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 2008 auf 2009 um ein Drittel ein. Der seewärtige Außenhandel mit Neufahrzeugen wurde lange Zeit von japanischen Fahrzeugexporten geprägt. Seit der Wirtschaftskrise hat Japan jedoch Marktanteile verloren, während Korea seinen Anteil in etwa halten konnte. Der „Rest der Welt“ (v.a. Exporte aus Europa, USA und Mexiko) konnte seinen Anteil an den weltweiten Fahrzeugseetransporten im Jahre 2013 auf über 52 % steigern 1 . grundlagen des seetransports von-Automobilen Die Veränderungen im Seetransport von Neufahrzeugen beruhen auf verschiedenen Trends der Autoproduktion und der Autoverkäufe. Die Fahrzeugproduktion wird in die Nähe der Absatzmärkte verlagert. PKW japanischer und koreanischer Marken laufen in Europa und USA vom Band, während deutsche Autohersteller auch in Amerika oder China sowie an kostengünstigeren europäischen Standorten wie Spanien oder Mittel- und Osteuropa produzieren. Aufgrund der Produktionsverlagerung fallen einige Neufahrzeugtransporte im Überseeverkehr weg oder werden durch Kurzstreckenseetransporte ersetzt. Der Seetransport von Fahrzeugen lässt sich - in Analogie zum Containerverkehr - prinzipiell in drei Segmente einteilen: • Überseeverkehre (Deepsea) • Transshipmentverkehre (seeseitiger Vorbzw. -Nachlauf zu Überseeverkehren) • Kurzstreckenseeverkehre Die genannten Transportmengen beziehen sich ausschließlich auf die Überseeverkehre, es fehlen beispielsweise Kurzstreckenverkehre mit den Fahrtgebieten Skandinavien/ Ostsee, Britische Inseln, Iberische Halbinsel und Mittelmeer sowie Transshipmentverkehre, die in den Nordrangehäfen einen beträchtlichen Teil der umgeschlagenen Automobile ausmachen. Schon im Jahr 2011 konnten die deutschen, belgischen und niederländischen Nordrangehäfen wieder mehr Fahrzeuge umschlagen als vor der Wirtschaftskrise. Während der Fahrzeugversand (Export) zwischen 2008 und 2013 von 4,620 auf 5,687- Mio. Fahrzeuge anstieg, blieb der Empfang (Import) deutlich unter den alten Höchstwerten. Diese Entwicklung gilt auch für die deutschen Häfen: der Fahrzeugumschlag stieg zwar seit 2008 von knapp 3,5- auf über 4 Mio. an, die Importe ielen jedoch und ihr Umschlaganteil sank von 33 % auf 20 %. Dies liegt an der Exportstärke der deutschen Automobilindustrie.- Selbst bei den Importen handelt es sich- zu einem großen Teil um PKW deutscher Marken, die in Übersee produziert wurden. Neufahrzeuglogistik im Hinterlandverkehr der seehäfen Bild 2 zeigt die Umschlagmengen von neuen PKW und (in geringem Umfang) auch von Nutz- und Gebrauchtfahrzeugen sowie von anderer rollender und rollbar gemachter Ladung. Der Umschlag betrift fast ausschließlich den Außenhandel (Export und Import) von Automobilen; innerdeutsche Seetransporte von Fahrzeugen kommen kaum vor. Transshipmentverkehre gibt es in Emden und Bremerhaven: die Fahrzeuge werden als Seedurchfuhrgut zwischen zwei Schifen umgeladen und nutzen nicht den landseitigen Hinterlandverkehr, gleichwohl wird jedes Fahrzeug einmal als Import und einmal als Export gezählt. Exportfahrzeuge erreichen die Versandhäfen in großvolumigen, gebündelten Strömen direkt aus den Automobilwerken in Deutschland und den südöstlichen Nach- 6,2 3,3 4,4 4 4,3 4,2 2,7 2,1 2,8 3,2 3,2 3,1 4,6 3,6 4,9 5,8 6,9 8,0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Millionen Fahrzeuge Fahrzeugexporte nach Herkunftsregionen ex Rest der Welt ex Korea ex Japan Bild 1: Seetransport von Automobilen nach Versandregionen (in Mio. Stück) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 58 Logistik Neufahrzeuglogistik barstaaten. Hierfür sind Schienentransporte mit Ganzzügen besonders geeignet. Nicht nur aus Kosten-, sondern auch aus Ökologiegründen - DB Schenker Rail Automotive bietet beispielsweise CO 2 -neutrale Schienentransporte an - versuchen die Automobilhersteller, die Bahn noch intensiver zu nutzen, selbst auf Kurzstrecken wie zwischen dem Bremer Mercedes-Werk und dem Autoterminal in Bremerhaven. Binnenschifstransporte von Neufahrzeugen inden nur auf Rhein und Donau, nicht aber im Einzugsbereich der deutschen Seehäfen statt. Volkswagen plant allerdings, Neufahrzeuge von Wolfsburg nach Emden per Binnenschif zu befördern. Bei Importfahrzeugen erfolgt der landseitige Nachlauf meistens in Streuverkehren, da die PKW an die zahlreichen Autohändler verteilt werden. Hierfür eignet sich der Straßentransport, nur in wenigen Fällen werden die leer ins Binnenland zurückfahrenden Autozüge genutzt, um PKW zu Inlandsterminals der Automobillogistiker zu transportieren. Engpässe und Planungen bei-automobilbezogener Hafeninfrastruktur Um die steigende Anzahl von Exportfahrzeugen transportieren zu können, sind zusätzliche Schife und Züge notwendig. Diese erfordern mehr RoRo-Liegeplätze und gegebenenfalls mehr Kapazitäten in den Seezufahrten und bei der Eisenbahninfrastruktur. In den Automobilterminals werden mehr Aufstellplätze benötigt, zumal die PKW gegebenenfalls länger auf den Abtransport warten müssen. In den deutschen Häfen wird daher die entsprechende Infrastruktur ausgebaut. NiedersachsenPorts sieht den Automobilumschlag als Wachstumsfeld, daher soll in 2014 im Hafen Emden ein neuer Dalbenliegeplatz mit RoRo-Anleger fertiggestellt werden, der die Umschlagskapazität um 125 000 Fahrzeuge steigern wird. Die Planungen für eine Amerikapier als Lückenschluss zwischen Emskai und Emspier sollen vorangetrieben werden. VW Logistics hat 2000 weitere PKW-Stellplätze zwischen Hafen und Emder VW-Werk eingerichtet. Wegen steigender Schifsgrößen wurde Ende 2012 eine Vertiefung des Außenems beantragt. In Cuxhaven investiert NiedersachsenPorts in die Infrastruktur seiner Hafeneisenbahn, so dass künftig drei Gleise für die Aufstellung von (Auto-)Ganzzügen bereit stehen werden. Auf dem Cuxport-Terminal gab es Überlegungen zum Bau eines Autohochregals um neue Stellplätze zu schafen. Wegen des inzwischen beschlossenen Baus des Liegeplatzes 4 mit zusätzlichen 300 m langen Kaje und Betriebs- und Lagerlächen, die auch als Aufstelllächen für Automobile genutzt werden können, hat sich dies erübrigt. Um die seewärtige Erreichbarkeit des BLG- Autoterminals in Cuxhaven zu verbessern, plant NiedersachsenPorts die Errichtung eines Dalbenliegeplatzes im Amerikahafen. Die Probleme, die Terminals des Hamburger Hafens auf der Straße zu erreichen, dürften hinlänglich bekannt sein. Auch beim Bahntransport gibt es Schwierigkeiten, so sind die Zufahrtgleise zum O’Swaldkai - hier betreibt die Firma Unikai den größten Hamburger Autoterminal im August 2014 für 20 Tage gesperrt, um die einzige Zufahrtbrücke zum Terminal zu sanieren. Lösungsansätze am Beispiel der bremischen Hafeneisenbahn in Bremerhaven In Bremerhaven wurde die seewärtige Erreichbarkeit der Autoterminals durch den Neubau der Kaiserschleuse signiikant verbessert. Um zusätzliche Aufstelllächen für Automobile zu gewinnen, plant der Terminalbetreiber BLG die Errichtung eines weiteren Autoregals. Eine besondere Herausforderung stellt die Erreichbarkeit der Bremerhavener Autoterminals über die Gleise der Hafeneisenbahn dar. Hafeneisenbahnen erschließen die Häfen schienenseitig und verbinden die überregionalen, von der DB Netz betriebenen, Schienenstrecken mit den Gleisen auf den Hafenterminals, wo die Züge be- und entladen werden. Bremerhaven ist wahrscheinlich der Hafen, in dem weltweit die meisten Fahrzeuge (als Handelsgut) umgeschlagen werden. Jährlich etwa 1,2 Mio. Fahrzeuge - 80-% der Exportautos - erreichen die dortigen Autoterminals auf der Schiene und nutzen dafür die Serviceeinrichtungen der Hafeneisenbahn. Die Bremische Hafeneisenbahn hält in Bremerhaven 82 km Gleise (davon 29 km elektriiziert), 281 Weicheneinheiten, ein Stellwerk, zwei Vorstellgruppen (Weddewarder Tief und Imsumer Deich), die Bahnhofsteile Kaiserhafen und Nordhafen sowie einen Teil des Bahnhofs Speckenbüttel vor; sie erschließt damit Gleisanschlüsse und Ladestellen von 10 öfentlichen und privaten Eigentümern. 2 Bild 3 zeigt die Aufgabenverteilung bei der Bremischen Hafeneisenbahn zwischen Eisenbahninfrastruktur-Unternehmen, der Infrastrukturmanagement- Gesellschaft (bremenports) und dem Betriebsführer (DB Netz AG), d.h. die Zuständigkeiten für das (Schienen)-Netz. Aufgrund der Deregulierung der EU haben Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU, Zugangsberechtigte) das Recht, das Schienennetz - auch das Netz der Bremische Hafeneisenbahn - diskriminierungsfrei zu nutzen. Die Züge von mehr als 50- EVU müssen über die Gleise der DB Netz und der Hafeneisenbahn zu den Gleisanschlüssen und Ladestellen der Hafenunternehmen geleitet werden. Insbesondere bei den nicht regelmäßig verkehrenden Sonderzügen bedeutet dies einen erheblichen Abstimmungsaufwand zwischen den vielen Beteiligten. Die Zugzahlen (Summe aus Ein- und Ausgangszügen) auf der Hafeneisenbahn in Bremerhaven sind in den vergangenen Jahren in einem nicht vorhergesehenen Maß angewachsen. Ausgehend von durchschnittlich 443 Zügen pro Woche in 2010 wurden 2013 bereits 567 Züge (in der Spitze 670-Züge) abgefertigt. Die Autozüge haben mit einem Zuwachs von fast 75 % (von 140 auf 244 Züge pro Woche) überproportional zu diesem Anstieg beigetragen. Der von bremenports im Herbst 2011 vorgelegte Masterplan Hafeneisenbahn Bremerhaven war von wesentlich moderateren Steigerungen ausgegangen und sah 2.079 1.015 215 181 2.179 1.231 367 266 1.231 821 178 183 2.128 1.250 350 229 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 Bremische Häfen Emden Cuxhaven Hamburg Fahrzeugumschlag in 1.000 Fahrzeugen (Säulen) Versandanteile in Prozent (kleine Fenster, Linien) 2008 2009 2010 2011 2012 2013 60% 70% 80% 90% 100% Bremische Häfen 60% 70% 80% 90% 100% Emden 60% 70% 80% 90% 100% Cuxhaven 60% 70% 80% 90% 100% Hamburg Bild 2: Fahrzeugumschlag und Versandanteile 2008-2013 Quelle: Klaus Harald Holocher Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 59 Neufahrzeuglogistik LOGISTIK für das Jahr 2025 lediglich 210 Autozüge pro Woche vor. Die Dringlichkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen zeigte sich, als im Oktober 2011 ein einwöchiger Zugangsstopp von Sonderzügen zur Hafeneisenbahn verhängt wurde, weil es Baustellen gab und die Hafenbahn mit Leerwaggons zugestellt war. Dieser Stau traf insbesondere die Sonderzüge mit Exportautos. Um ihre Fahrzeuge fristgerecht verschifen zu können, hatten damals die Automobilhersteller mehrere Züge nach Emden umleitet und von dort die Automobile per Seeschif zu den Bremerhavener Autoterminals transportieren lassen. Um die Knappheit an Eisenbahninfrastruktur zu überwinden, schlug der Masterplan preisliche, organisatorische, bauliche und betriebliche Handlungsempfehlungen 3 vor, einige Maßnahmen und ihre Umsetzung werden nachfolgend erläutert. In den Nutzungsbedingungen und bei der Entgeltstruktur wurden wesentliche Neuerungen für eine eiziente Nutzung der hoch ausgelasteten Infrastrukturbereiche eingeführt. Ab dem Jahr 2012 setzt ein neues Preissystem mit zeitabhängigen Komponenten deutliche Anreize für kürzere Aufenthaltszeiten auf der Hafeneisenbahn. Allerdings lassen sich die Umlaufplanungen der Eisenbahnverkehrsunternehmen durch Preismaßnahmen nur begrenzt beeinlussen. Für den Automobilumschlag wurde 2014 von der BLG ein Slotsystem eingeführt, das sich am bereits seit mehreren Jahren im Containerbereich bewährten Verfahren orientiert. Slots sind fest vorgegebene Zeitfenster, während derer Züge im Terminal zur Ent- und Beladung bereit stehen. Für einen Autozug (halber Ganzzug) wird z. B. eine Verweildauer von drei Stunden eingeplant. Die Slots sollen mit den Fahrplänen der Züge und der Trassenbelegung im Hinterlandverkehr abgestimmt werden, um einen schnellen Umlauf zu gewährleisten. Hierdurch wurde die Planbarkeit der Abfertigung von Autozügen deutlich verbessert. In baulicher Hinsicht wurden bei der Hafeneisenbahn Bremerhaven zwei wesentliche Infrastrukturerweiterungen eingeleitet. Seit Juni 2014 werden die Gleise im Bahnhofsteil Kaiserhafen für die heute üblichen Standardzuglängen von über 700 m erweitert und zusätzliche Gleise für die direkte Einfahrt elektriiziert. Die bestehende, zentral gelegene Vorstellgruppe Imsumer Deich wird bis Ende 2016 um acht weitere vollelektriizierte Ein- und Ausfahrgleise ergänzt. Außerdem planen Bremen und die DB Netz wesentliche Um- und Ausbauprojekte am der Hafeneisenbahn vorgelagerten Bahnhof Speckenbüttel. Bis zum Abschluss der Maßnahmen ist nicht auszuschließen, dass die Infrastruktur der Hafeneisenbahn bei Spitzenbelastungen, Baumaßnahmen oder betrieblichen Störungen und Unregelmäßigkeiten kurzfristig an ihre Kapazitätsgrenzen stößt. In solchen Fällen wird von der Hafeneisenbahn und der DB Netz gemeinsam eine dispositive Zulaufsteuerung eingeleitet: Züge, für die zeitnah keine Einfahrgleise auf der Hafeneisenbahn zur Verfügung stehen, werden dann im Bereich der zuführenden Strecken zwischenabgestellt und anschließend auf der Grundlage festgelegter Vorrangkriterien abgerufen. Oberstes Ziel ist dabei, die planmäßigen Abläufe schnellstmöglich wieder herzustellen. Fazit und Ausblick Mit ca. 4 Mio. umgeschlagenen Fahrzeugen haben die deutschen Nordseehäfen im Jahr 2011 die Vorkrisenwerte wieder überschritten. Bei stagnierendem Gesamtumschlag nehmen die Fahrzeugexporte seitdem weiter zu, während die Importe schrumpfen. Ca. 80 % der über deutsche Häfen exportierten Automobile erreichen diese per Bahn direkt aus den Montagewerken. Die stetig steigenden Volumina stellen erhebliche Anforderungen an die Eisenbahninfrastruktur im Hinterland der Seehäfen sowie an die Hafeneisenbahnen. Um diese zu bewältigen, wurden in den Häfen Bremerhaven, Cuxhaven und Emden Schifsliegeplätze und Aufstelllächen für Autos erweitert und die Hafeneisenbahnen um neue Gleise ergänzt. Insbesondere in Bremerhaven, wo mehr als 1,2 Mio. Automobile die Kajen über die Bremische Hafeneisenbahn erreichen, wurden preisliche (zeitabhängige Gleisnutzungsentgelte), organisatorische (Slot-Verfahren) und bauliche Aktivitäten (Verlängerung, Neubau und Elektriizierung von Gleisen) ergrifen, aber auch dispositive Maßnahmen, um Staus auf der Schiene zu vermeiden. Durch eine stärkere Kombination von Seehafenhinterlandtransporten und nationalen bzw. innereuropäischen Transporten werden die deutschen Automobilhersteller künftig die Nutzung der Schiene für den Neufahrzeugtransport intensivieren. Daimler richtet ein logistisch anspruchsvolles Hub-Konzept für Schienenverkehre mit einem Nord-Hub in Bremen und dem Süd- Hub in Sindelingen ein. Shuttlezüge transportieren dann nicht nur Exportfahrzeuge aus den süddeutschen Werken zu den Seehäfen, vielmehr werden die bislang leeren Waggons auf dem Rückweg Importfahrzeuge (z. B. aus US-Produktion) und im Bremer Werk hergestellte Autos mitnehmen, die dann vom Süd-Hub aus verteilt werden. Der VW-Konzern kombiniert bereits seit längerem Hafenhinterlandtransporte mit südgehenden Fahrzeugtransporten aus Emder Produktion. ■ 1 MOL, Investor Guidebook, Tokyo, verschiedene Jahrgänge. 2 Bremenports: Masterplan Hafeneisenbahn Bremerhaven, Bremerhaven, 31.08.2011, S. 18 f. 3 Ahlswede, Andreas, Jan Janssen und Iven Krämer: Wachstum als Herausforderung, Güterbahnen, Heft 1/ 2013, S.8 - 14, hier S. 12f. Klaus Harald Holocher, Prof. Dr. Professor für Europäische Verkehrswirtschaft und Hafenmanagement an der Jade Hochschule, Elsfleth holocher@jade-hs.de Der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen (Stadtgemeinde Bremen) Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) Bremische Hafeneisenbahn bremenports GmbH & Co. KG Unterhaltung, Planung und Bau der Infrastruktur, Bewirtschaftung des Sondervermögens Hafen DB Netz AG Betriebsführung, Notfallmanagement Fachfirmen Unterhaltungs- und Bauleistungen Geschäftsbesorgungsvertrag, Fachaufsicht Auftrag Aufträge Der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr (Freie Hansestadt Bremen) Landeseisenbahnaufsicht Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen Regulierungsbehörde Aufsichtsfunktionen Arge Bahnmeisterei Bremen/ Bremerhaven Inspektion, Wartung und Instandhaltung Auftrag Zugangsberechtigte Eisenbahnverkehrsleistungen / Rangierdienst Nutzungsvertrag, Entgeltabrechnung Betriebsplanung, Disposition Bild 3: Organisationsstruktur der Bremischen Hafeneisenbahn Quelle: Der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, Referat 31, Bremen 14.08.2014 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 60 Fluktuation von Berufskraftfahrern Möglichkeiten einer aktiven Personalbindung Die deutsche Transportwirtschaft wird zunehmend geprägt durch den Mangel an Berufskraftfahrern. Hinzu tritt eine vergleichsweise hohe Fluktuation. Ausschlaggebend dafür ist die fehlende Bindung der Kraftfahrer an ihren Beruf und an ihren Arbeitgeber. Als ursächlich für diese fehlende Bindung können die-unzureichende Zufriedenheit mit dem Beruf, die mangelnde organisationale Unterstützung und insbesondere die Arbeitsbedingungen gesehen werden. Auf der Grundlage einer durchgeführten Untersuchung wird dieser Zusammenhang betrachtet. Ebenso werden Verbesserungspotenziale im Arbeitsalltag von Berufskraftfahrern aufgezeigt und Handlungsmöglichkeiten abgeleitet. Die Autoren: Rudolf Large, Tobias Breitling, Nikolai Kramer A ktuelle Pressemeldungen wie „LKW-Fahrermangel: Berufskraftfahrer dringend gesucht! “ oder „Fahrermangel bremst Wachstum“ verdeutlichen die gegenwärtige Relevanz des Berufskraftfahrermangels für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft. Nach Studien des TÜV Rheinland und des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) beklagt rund die Hälfte aller befragten Unternehmen einen entsprechenden Mangel an Fahrpersonal [1] und bewertet diesen als unternehmerisches Risiko [2]. Mit Blick in die Zukunft wird die demograische Entwicklung diese Situation weiter verschärfen. Der Berufskraftfahrermangel ist an erster Stelle für Unternehmen des gewerblichen Güterkraftverkehrs relevant, da im Mittelpunkt ihrer Leistungserstellung die Ausführung von LKW-Verkehren steht. Gesamtwirtschaftliche Relevanz erlangt diese Problematik durch die Schlüsselrolle der Transportwirtschaft, welche darin begründet ist, dass Industrie und Handel auf den räumlichen Transfer ihrer Waren angewiesen sind [3]. Ein zunehmendes Problembewusstsein spiegelt sich in Pressemitteilungen, wie „Fahrermangel: Der Kampf um Köpfe hat begonnen“, wider. Die Ausbildung, Rekrutierung und Bindung von Berufskraftfahrern und die damit verbundenen Chancen und Risiken rücken folglich verstärkt in den Fokus der Akteure [4], [1]. Fluktuation und Personalbindung Eng verknüpft mit dem Phänomen des Berufskraftfahrermangels ist ein zunehmender Wechsel sowohl des Arbeitgebers als auch des Berufs des Kraftfahrers [5]. Über 90 % der Transportunternehmen verzeichnen aktuell bereits eine eher stark oder stark ausgeprägte Fluktuation von Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern [1]. Eine der größten Herausforderungen für transportierende Unternehmen ist es folglich, die Fluktuation einzudämmen und eine längerfristige Bindung des Personals an den eigenen Betrieb zu erreichen [4]. Entsprechend geben über 50 % der in der Studie des BME befragten Unternehmen an, dass sie zukünftig verstärkt auf die Per- LOGISTIK Fahrermangel Foto: Paul-Georg Meister/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 61 Fahrermangel LOGISTIK sonalbindung als Ansatz zur Begrenzung der Fluktuation setzen [2]. Unter Personalbindung kann zunächst die von Mitarbeitern empfundene Verbundenheit sowie deren Bindung an ein Unternehmen verstanden werden [6]. Im instrumentellen Sinne umfasst die Personalbindung alle Maßnahmen eines Unternehmens, die darauf abzielen, die eigenen Mitarbeiter zu beeinlussen, beim Unternehmen zu verbleiben [6]. Grundlegendes Ziel ist dabei, die Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu stabilisieren und zu festigen [6]. Gründe für die Fluktuation Für die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Bindung des Fahrpersonals sind insbesondere psychologische Aspekte, wie die emotionale Verbundenheit, die Arbeitszufriedenheit oder die empfundene Unterstützung durch den Arbeitgeber, entscheidend. Forschungsarbeiten bezogen auf die US-amerikanische Transportbranche zeigen diesbezüglich auf, dass die genannten Aspekte wesentlich von den Arbeitsbedingungen beeinlusst werden [7], [8]. Eine von den Autoren in Deutschland durchgeführte Untersuchung basierend auf einer Befragung von 624 Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern verdeutlicht, dass die Zufriedenheit mit dem Beruf, die organisationale Unterstützung und insbesondere die Arbeitsbedingungen einen erheblichen Einluss auf die emotionale Bindung und die Fluktuation ausüben [9]. Die Grundstruktur der untersuchten Wirkungsbeziehungen ist in Bild 1 graisch veranschaulicht. Dabei kann gezeigt werden, dass die für die Fluktuation wesentlichen Größen, wie die Verbundenheit von Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern zu ihrem Beruf (occupational commitment) oder zu ihrem Arbeitgeber (organizational commitment), durch unterschiedliche arbeits- und berufsbezogene Faktoren beeinlusst werden [9]. Die Arbeitsbedingungen von LKW-Fahrern bilden die Basis für eine starke Bindung und geringe Fluktuation [9]. Als weitere wichtige Faktoren innerhalb dieses Wirkungszusammenhangs zeigen sich zudem die Arbeitszufriedenheit der Berufskraftfahrer und die empfundene Unterstützung durch den Arbeitgeber [9]. Eine als positiv wahrgenommene Unterstützung durch den Arbeitgeber führt zur zunehmenden Bindung an das Unternehmen und auch an den Beruf. Ebenso fördert die Zufriedenheit mit dem Beruf des Kraftfahrers sowohl die Bindung an den Beruf als auch an den Arbeitgeber [9]. Wiederum bilden die Arbeitsbedingungen die Grundlage für diese beiden Faktoren, denn die Arbeitsbedingungen von Berufskraftfahrern haben einen wesentlichen Einluss auf die Zufriedenheit mit dem eigenen Beruf und auf die wahrgenommene Unterstützung durch den Arbeitgeber [9]. Verbesserungspotenzial Die Arbeitsbedingungen von Berufskraftfahrern sind häuig durch lange Arbeitszeiten, geringe Entlohnung und ein hohes Ausmaß an körperlicher und psychischer Beanspruchung geprägt [10]. Berufskraftfahrer sind dabei verschiedenen belastenden Bedingungen, wie z. B. ständigem Zeit- und Termindruck oder sozialer Isolation, ausgesetzt [11]. Daneben erfahren Kraftfahrer häuig nur geringe Anerkennung durch das Management und die Gesellschaft [11]. Die angesprochene empirische Untersuchung der Autoren über den Arbeitsalltag von Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern in Deutschland bekräftigt die Existenz dieser besonderen Problembereiche und zeigt damit ein Verbesserungspotenzial für den Arbeitsalltag dieser Berufsgruppe auf (siehe Bild 2). Eher positiv werden die Variation der Arbeitsaufgaben und der Umgang mit Kollegen bewertet. Weitere Aspekte wie Zeitdruck, die zu erbringende Arbeitsmenge sowie das Verhalten von Vorgesetzten und die Art, wie Arbeitsanweisungen erfolgen, werden als mäßig zufriedenstellend eingestuft. Dagegen werden die Entlohnung, die Arbeitszeiten sowie die Bedingungen am Arbeitsplatz von den Berufskraftfahrern als Bild 2: Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen [9] Bild 1: Untersuchte Wirkungsbeziehungen der empirischen Untersuchung [9] Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 62 LOGISTIK Fahrermangel eher unbefriedigend erachtet. Entsprechend können 77,0 % der 624 befragten Personen der Aussage, sie seien zufrieden mit ihrer Entlohnung, nicht zustimmen. Diesbezüglich wird ersichtlich, dass die Entlohnung ein wesentliches Potenzial zur Verbesserung des Arbeitsalltags eröfnet. In gleicher Weise wird die Arbeitszeit durch die Berufskraftfahrer als nicht befriedigend wahrgenommen. So können 70,8 % der befragten Kraftfahrer der Aussage nach einer Zufriedenheit mit ihrer Arbeitszeit nicht zustimmen. Die Ergebnisse der Untersuchung unterstützen somit das bereits gezeichnete Bild der Arbeitsbedingungen von Berufskraftfahrern. Der Arbeitsalltag von Berufskraftfahrern ist von langen und unregelmäßigen Arbeitszeiten gekennzeichnet und nicht wenige Berufskraftfahrer leisten regelmäßig Überstunden [12]. Im Falle des Fernverkehrs kommen lange Abwesenheitszeiten von zuhause hinzu [4]. Diese Situation wird folglich von den Berufskraftfahrern als besonders problematisch eingestuft und führt zu vergleichsweise hoher Unzufriedenheit. Auch in der Gestaltung der Arbeitszeit liegt somit ein erhebliches Verbesserungspotenzial. Die Bedingungen am Arbeitsplatz werden ebenso als nicht befriedigend bewertet. 65,8 % der Kraftfahrer lehnen die Aussage nach der Zufriedenheit mit den generellen und umgebungsbedingten Arbeitsbedingungen ab. Deshalb können auch Faktoren wie die Ausrüstung sowie der Zustand und Komfort des LKW Ansatzpunkte darstellen, welche die Zufriedenheit von Berufskraftfahrern positiv und damit deren Wechselbereitschaft negativ beeinlussen. Die aufgezeigten empirischen Ergebnisse decken sich mit den Einschätzungen anderer Studien. Nach einer Analyse des Bundesamtes für Güterverkehr sind eine höhere Vergütung sowie die Einschätzung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsumfelds beim neuen Arbeitgeber Hauptantriebskräfte für einen Stellenwechsel und spielen für die Entscheidung über den Arbeitgeber eine maßgebliche Rolle [12]. Handlungsempfehlungen und Lösungsansätze Hinsichtlich der aufgezeigten Verbesserungspotenziale - Entlohnung, Arbeitszeit und Bedingungen am Arbeitsplatz - können Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis abgeleitet werden. Diese drei Größen stellen Ansatzpunkte dar, die Bindung von Berufskraftfahrern an das Unternehmen aktiv zu beeinlussen. Darüber hinaus können Transportunternehmen die Bindung an ihr Unternehmen durch eine angemessene Unterstützung der Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer erhöhen. Diese vorgeschlagenen Maßnahmen weisen jedoch deutliche Kostenefekte auf. So stehen Transportunternehmen gegenwärtig vor der Herausforderung, den Nutzen der Bindung des Fahrpersonals gegenüber damit verbundenen Kostenerhöhungen abwägen zu müssen. Grundsätzlich ist deshalb fraglich, in welchem Ausmaß einzelne Unternehmen vor dem Hintergrund des intensiven Kostenwettbewerbs innerhalb der Branche derartige Maßnahmen zur Personalbindung umsetzen werden. Die ausgeprägte Fluktuation entzieht jedoch Transportunternehmen, die keine geeigneten Maßnahmen der Personalbindung ergreifen, mittelfristig die Grundlage ihrer Leistungserstellung. Dieses Dilemma ist auf Ebene der Einzelunternehmen kaum zu lösen. Zudem können Unternehmen aufgrund der herrschenden Bedingungen zur Erbringung von Straßengüterverkehrsleistungen die Bindung der Berufskraftfahrer an ihren Beruf nur indirekt und damit in einem geringen Maße beeinlussen. Der Grad der Verbundenheit mit dem Beruf ist vorrangig eine Folge der von Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern empfundenen Zufriedenheit mit ihrem Beruf. Gleiches gilt analog für die Erwartungen von potenziellen Berufsanfängern. Einzelne Unternehmen verfügen deshalb unter den gegebenen Produktionsverhältnissen über nur geringe Möglichkeiten, das Angebot an Berufskraftfahrern insgesamt zu erhöhen. So kommt zwar der Bemühung von Unternehmen, die Attraktivität der Berufsausbildung zur Berufskraftfahrerin bzw. zum Berufskraftfahrer zu erhöhen, eine wesentliche Bedeutung zu. Insgesamt stehen jedoch Transportunternehmen am Arbeitsmarkt für Berufskraftfahrer im Wettbewerb um ein gegebenes, begrenztes Arbeitskräfteangebot. Das Phänomen der Fahrerknappheit kann somit als Resultat des Wettbewerbs um Arbeitskraft zwischen der Straßengüterverkehrsbranche und anderen Wirtschaftsbereichen gesehen werden. Chancen zur Erhöhung der Attraktivität der gesamten Branche und damit des Berufs der Kraftfahrerin und des Kraftfahrers können daher vor allem auf unternehmensübergreifender Ebene gesehen werden. Eine Verständigung über die Tragweite dieser Problematik und die Entwicklung unternehmensübergreifender Lösungsansätze erfordern die Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren, wie den Branchenverbänden, den beteiligten Tarifparteien und aufgrund der Schlüsselrolle der Transportwirtschaft auch der staatlichen Stellen. ■ LITERATUR  [1] TÜV Rheinland: Aktuelle Studie: Fahrermangel bei Lkw bedroht auch die Verkehrssicherheit, Köln 2012, Einzusehen auf den Seiten des TÜV Rheinland: http: / / www.tuv.com/ news/ de/ deutschland/ ueber_uns/ presse/ meldungen/ newscontentde_110278.html/ Aktuelle Studie: Fahrermangel bei Lkw bedroht auch die Verkehrssicherheit  [2] Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME): Risikomanagement in Transport und Logistik 2015, Frankfurt und Lörrach 2012, Einzusehen auf den Seiten des BME: htt p : / / www. b m e. d e/ fil e a d m i n/ b il d e r/ P D F/ W itte n b r i n k_ BME_2012_Langfassung_Stand_07_11_2012_.pdf  [3] Large, R.: Betriebswirtschaftliche Logistik, Band 1: Logistikfunktionen, München und Wien 2012  [4] Peirowfeiz, R. und Large, R.: Mangel an Berufskraftfahrern im Güterverkehr. Ursachen, Folgen und Lösungsansätze, Kurzbericht der Kooperationsstelle Arbeitswelt und Wissenschaft der Universität Stuttgart, Nr. 01/ 2013, Stuttgart 2013  [5] Cantor, D.E., MacDonald, J.R. und Crum, M.R.: The Inluence of Workplace Justice Perceptions on Commercial Driver Turnover Intentions, Journal of Business Logistics, Vol. 32, No. 3, 2011  [6] von Hofe, A.: Strategien und Maßnahmen für ein erfolgreiches Management der Mitarbeiterbindung, Hamburg 2005  [7] Johnson, J.C., Bristow, D.N., McClure, D.J. und Schneider, K.C.: Determinants of Job Satisfaction Among Long-Distance Truck Drivers: An Interview Study in the United States, International Journal of Management, Vol. 28, No. 2, 2011  [8] Kemp, E., Koop, S.W. und Kemp, E.C.: Take this Job and Shove It: Examing the Inluence of Role Stressor and Emotional Exhaustion on Organizational Commitment and Identiication in Professional Truck Drivers, Journal of Business Logistics, Vol. 34, No. 1, 2013  [9] Large, R., Breitling, T. und Kramer, N.: Driver Shortage and Fluctuation - Occupational and Organizational Commitment of Truck Drivers, Association Internationale de Recherche en Logistique (Hrsg.): RIRL 2014. The 10th International Conference on Logistics and SCM Research, Marseille 2014 [10] Large, R., Kramer, N. und Hartmann, R.K.: Procurement of logistics services and sustainable development in Europe: Fields of activity and empirical results, Journal of Purchasing and Supply Management, Vol. 19, No. 3, 2013 [11] Shattell, M., Apostolopoulos, Y., Sönmez, S. und Griin, M.: Occupational Stressors and the Mental Health of Truckers, Issues in Mental Health Nursing, Vol. 31, No. 9, 2010 [12] Bundesamt für Güterverkehr (BAG): Marktbeobachtung Güterverkehr, Auswertung der Arbeitsbedingungen in Güterverkehr und Logistik, Köln 2013 Tobias Breitling Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Allg. BWL, Logistik und Beschafungsmanagement, Betriebswirtschaftliches Institut, Universität Stuttgart tobias.breitling@bwi.uni-stuttgart.de Nikolai Kramer Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Allg. BWL, Logistik und Beschafungsmanagement, Betriebswirtschaftliches Institut, Universität Stuttgart nikolai.kramer@bwi.uni-stuttgart.de Rudolf O. Large, Prof. Dr. Lehrstuhlinhaber, Lehrstuhl für Allg. BWL, Logistik und Beschafungsmanagement, Betriebswirtschaftliches Institut, Universität Stuttgart rudolf.large@bwi.uni-stuttgart.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 63 Urbane E-Logistik LOGISTIK Elektromobilität im städtischen Wirtschaftsverkehr Die Elektromobilität bringt neuen Schwung in ein zunehmend wichtigeres Thema: Werden sich E-Nutzfahrzeuge im städtischen Wirtschaftsverkehr in absehbarer Zeit etablieren können? Welche Vorteile lässt eine stärkere Verbreitung elektrischer Nutzfahrzeuge erwarten? Und welche innovativen Geschäftsmodelle gibt es bereits? Der Autor: Wolfgang Aichinger E ine Gewissheit wird jeden Tag im Straßenverkehr wieder bekräftigt: Mit dem Wirtschaftsverkehr sind in den Städten und Regionen zahlreiche Herausforderungen verknüpft. Handlungsdruck in den Städten nimmt zu Denn obwohl die Fahrzeuglotten der Logistikbranche in den letzten Jahren deutlich umweltfreundlicher wurden, stammt ein großer Teil der Emissionen im Straßenverkehr von leichten und schweren Nutzfahrzeugen. Daten darüber sind nicht einfach zu gewinnen, für Baden-Württemberg liegen sie aber zum Beispiel auf Landesebene für das Jahr 2010 vor. Im Südwesten gehen 28 % des CO 2 -Ausstoßes, 53 % der Stickstofoxid- Emissionen (NO x ) sowie 41 % der Feinstaubemissionen im Straßenverkehr auf den Wirtschaftsverkehr zurück. Deutschlandweit mühen sich Kommunen, die schlechte Luftqualität in den Grif zu bekommen. Von Seiten der Europäischen Kommission drohen herbe Strafzahlungen, falls beispielsweise in München, Berlin oder im Ruhrgebiet die Stickstofdioxidbelastung bis 2015 nicht auf ein akzeptables Maß reduziert wird. Die Logistikbranche betont, dass die speziischen Emissionen der Fahrzeuge seit Mitte der Neunzigerjahre deutlich zurück gegangen seien. Dies zeigt sich auch in Bild-1. Zumindest teilweise wurden diese Fortschritte jedoch durch einen Anstieg der transportierten Tonnenkilometer um knapp 55 % zwischen 1995 und 2010 wieder aufgewogen. Laut der Verkehrsprognose des Bundesverkehrsministeriums ist bis 2030 mit einer weiteren Zunahme des Güterverkehrsaufwands auf der Straße um rund 39 % zu rechnen. Durch den rasant wachsenden Wirtschaftsverkehr geht die tatsächliche Belastung durch Luftschadstofe also nicht im gleichen Maße zurück, wie die Fahrzeuge sauberer werden. Eizientere Motoren und umweltfreundlichere Treibstofe allein lösen das Problem nicht. Ähnlich verhält es sich mit weiteren Herausforderungen, beispielsweise in Bezug auf Lärmschutz, Staus oder die starke Abnutzung der Straßeninfrastruktur durch schwere Nutzfahrzeuge. Wenn durch den rasch zunehmenden Internethandel und andere Entwicklungen in Zukunft noch mehr Lieferfahrzeuge durch die Städte fahren - wie lebenswert sind diese dann? Wie eizient wird Logistik unter solchen Bedingungen überhaupt noch gestaltet werden können? In der stark kostengetriebenen Logistikbranche steht die Suche nach eizienteren Lösungen für die Innenstädte mittlerweile immer häuiger auf der Tagesordnung. Auch ein „grüneres“ Image wird zusehends wichtiger. Quer durch Deutschland und dem benachbarten Ausland werden derzeit- in Forschungsprojekten und innovativen Unternehmen neue Ansätze zur Gestaltung der städtischen Logistik untersucht. Elektromobilität ist jeweils Teil der Lösung. Konkurrenzfähig mit neuen Fahrzeugtypen Noch vor wenigen Jahren ein absolutes Nischenthema, stehen Lasten-Pedelecs heute vielerorts im Mittelpunkt des Interesses. Ähnlich wie ein Tesla erregen mit Elektromotor unterstützte Lastenräder wie das „iBullit“ im Straßenverkehr viel Aufmerksamkeit und wirken als positiver Werbeträger (Bild 2). Bedeutsamer aus unternehmerischer Sicht ist jedoch der Kostenvergleich. Laut Herstellerangaben liegen die jährlichen Gesamtkosten bei unter einem Viertel der Kosten eines vergleichbaren Kraftfahrzeuges: Das Lastenrad benötigt keine Versicherung und zeichnet sich im laufenden Betrieb durch geringe Wartungskosten und zu vernachlässigende Energiekosten aus. Zusätzlich entstehen operative Vorteile, da für den Radverkehr freigegebene Einbahn- Bild 1: Besonders die speziischen Stickstof- und Feinstaub-Emissionen von LKWs gingen zwischen 1995 und 2010 zurück. Quelle: Deutsches Institut für Urbanistik nach Umweltbundesamt Bild 2: Lastenräder mit Elektroantrieb eignen sich für bis 100 kg Zuladung. Foto: Amac Garbe/ DLR Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 64 Logistik Urbane E-Logistik straßen in Gegenrichtung befahren werden dürfen oder die Suche nach Haltemöglichkeiten entfällt. In welcher Weise das zulassungs- und führerscheinfreie „iBullit“ mit seiner großräumigen, stabilen Transportkiste für bis zu 100 kg Zuladung eine ökologische Alternative im Lieferverkehr ist und Autofahrten ersetzen kann, untersucht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Bei Kurier- und Expressdiensten in insgesamt acht Städten werden aus betriebswirtschaftlicher Sicht Verlagerungspotenziale von PKW-Kurierfahrten identiiziert und die damit einhergehende Reduktion von Umweltbelastungen ermittelt. Insgesamt 40 „iBullitt“-Lastenräder sowie ein CargoCruiser-Dreirad für bis zu 300 kg Zuladung werden dafür eingesetzt. Die vorläuigen Ergebnisse sind ermutigend und auch für klassische Fahrradkuriere interessant. Im Schnitt sind mit dem Pedelec 67 Last-km pro Tag möglich, rund 20 % mehr als mit herkömmlichen Rädern. Mittlerweile wurden alle in Berlin im Zuge des Projekts eingesetzten Lasten-Pedelecs an die Fahrer verkauft, da der Umstieg entsprechende Vorteile zeigte. Das sehen auch andere Unternehmen so. Der Zustelldienst UPS nutzt beispielsweise in Dortmund, Hamburg und Köln Lastenräder für die sogenannte „letzte Meile“. In den Niederlanden ersetzte DHL 33 LKW durch ebenso viele Lastenräder, was neben rund 150 000 kg CO 2 auch 430 000 EUR jährliche Kosten eingespart hat. Neue geschäftsmodelle durch Mikrokonsolidierung Immer häuiger wird auch die Kombination aus schweren und leichten Nutzfahrzeugen versucht. Die Idee ist einfach: LKW bringen Waren aus dem suburbanen Depot zu innerstädtischen Umschlagspunkten, von denen leichte Elektrofahrzeuge die Waren auf der „letzten Meile“ ausliefern. Vor allem aus Sicht der Kommunen ist dieses Modell attraktiv: weniger Emissionen in den dicht verbauten Innenstädten, weniger Stau, weniger Unfälle - so lauten die Hofnungen (Bild 3). In den engen Straßen Londons agiert das Unternehmen GnewtCargo erfolgreich nach diesem Modell. Allein mit elektrischen Nutzfahrzeugen transportiert es im Auftrag von Einzel- und Onlinehändlern Lieferungen, die vorher in einem eigenen Mikrokonsolidierungszentrum zu passenden Touren zusammen gestellt wurden. Das innovative Konzept ist emissionsfrei, wirtschaftlich konkurrenzfähig und grundsätzlich übertragbar. Ähnliche Erfahrungen werden in den Niederlanden oder Frankreich gemacht, zum Teil mit Unterstützung der öfentlichen Hand. So hat die Stadt Amsterdam den Erwerb von vier sogenannten Cargohoppern bezuschusst, die ein Unternehmen für die emissionsfreie Belieferung von in der Umweltzone gelegenen Supermärkten, Einzelhändlern oder Baustellen einsetzt (Bild- 4). Auch hier bildet ein innenstadtnahes Verteilzentrum das Rückgrat des Konzepts, das im laufenden Betrieb kostendeckend funktioniert. In Paris ist eine ganze Reihe stadtnaher Hubs im Einsatz, mitunter in umfunktionierten Tiefgaragen. Weitere sind im Entstehen. Für den deutschen Markt fehlen noch tragfähige Lösungen. Die Berliner Entwicklung „Bentobox“ zeigte aber bereits während eines von der EU geförderten Testlaufs, dass durch den Einsatz der innerhalb des S-Bahn-Rings gelegenen Verteilstation bei gleicher Servicequalität rund 20 % Prozesskosten eingespart werden können. Die größten Herausforderungen bei all diesen Ansätzen sind, in dicht verbauten Stadtquartieren entsprechende Flächen zu gewinnen und ein wirtschaftlich tragfähiges Betreibermodell für die Umschlagläche zu entwickeln. Entzerrung von Lieferzeiten mit-E-Fahrzeugen Elektrofahrzeuge sind durch das Entfallen der Motorgeräusche potenziell deutlich geräuschärmer als herkömmliche Fahrzeuge. Dies kann besonders im Wirtschaftsverkehr interessant sein, da beispielsweise im Schwerlastbereich die Motorengeräusche bis 50 km/ h überwiegen. In mehreren aktuellen Projekten wird derzeit untersucht, ob durch leisere Elektrofahrzeuge eine Ausdehnung der Lieferzeiten in lärmempindlichen Stadtteilen möglich ist und welche Anpassungen auf rechtlicher, technischer oder betrieblicher Seite dafür nötig sind. Besonders in der Belieferung von Einzelhandelsstandorten werden Potenziale gesehen. In den Städten Dortmund, Karlsruhe und Köln wird derzeit im Projekt „Geräuscharme Nachtlogistik“ (GeNaLog) unter Mitwirkung der Firmen T€Di, Rewe und Doego an geräuscharmer Belieferung geforscht. Aus Unternehmenssicht spricht die im Mehrschichtbetrieb höhere Auslastung des Bild 3: Durch das Mikrokonsolidierungszentrum entfallen Fahrten zum suburbanen Depot. Quelle: Deutsches Institut für Urbanistik nach Gnewt Cargo Bild 4: In den engen Straßen der Amsterdamer Innenstadt ersetzt der Cargohopper LKW- Fahrten. Quelle: Transmission Fahrzeugs für solche Ansätze, wodurch sich höhere Anschafungs- oder Umrüstungskosten besser amortisieren. Wichtig ist, die Be- und Entladevorgänge geräuscharmer zu gestalten. Zudem stellen sich betriebliche Herausforderungen wie zum Beispiel der Arbeits- und Warensicherheit. Im Gegenzug für eventuell erforderliche Genehmigungen für die ausgedehnten Lieferzeiten erwarten sich die Kommunen eine Entzerrung des Straßenverkehrs. Die TU Berlin verfolgt mit der Spedition Meyer & Meyer im Projekt „NaNu“ das Ziel, E-Nutzfahrzeuge in der Größenklasse 7,5 t durch ein Batteriewechselsystem für einen 24-stündigen Mehrschichtbetrieb zu nutzen. Des Weiteren soll die Nutzung von Umschlagdepots und Fahrzeugen in der Nacht ordnungsrechtlich geklärt werden. Ein Thema für Unternehmen und Kommunen Neben einer großen Zahl an innovativen Unternehmen entdecken auch immer mehr Kommunen den städtischen Wirtschaftsverkehr als zentrales Handlungsfeld. Durch das zu erwartende Verkehrswachstum und strengere Grenzwerte für Luft- und Lärmemissionen steigen die lokalen Herausforderungen. Innovative Lösungen, die rasch zu Verbesserungen der Umwelt- und Lebensqualität führen, sind daher gefragt. Städte wie Stuttgart, Dortmund oder Köln gehen mit gutem Beispiel voran, und haben bereits durch Runde Tische oder ähnliche Instrumente einen aktiven Dialog mit den Unternehmen begonnen. Dabei zeigt sich, dass Kommunen auch ein Interesse haben, mit eigenen Fördermaßnahmen zusätzliche Anreize für den Einsatz von E- Nutzfahrzeugen zu setzen. Als Ordnungsbehörden tun Kommunen dies beispielsweise durch strengere Umweltzonen. So beabsichtigt die Stadt London mittlerweile sogar, ab 2020 eine Tagespauschale für Fahrzeuge einzuheben, die nicht dem Euro 6 Standard entsprechen. Aber auch bei der kommunalen Beschaffung von Fahrzeugen, Waren und Dienstleistungen ist es möglich, ökologische Kriterien zu berücksichtigen. Und nicht zuletzt können Städte helfen, die Unternehmen vor Ort mit Informationen über dieses neue Thema zu versorgen. Neben Probefahrten und Testangeboten können Kommunen zum Beispiel auch Fuhrparkanalysen oder Beratung über Finanzierungsmöglichkeiten vermitteln. Fazit Der Einsatz von Elektromobilität kann sowohl Unternehmen als auch Städten dienen. Mit Routenlängen zwischen 50 und 100 km, vielen Stop-and-go-Fahrten, einem hohen Anteil periodischer Verkehre und regelmäßigen Stopps liegen im städtischen Wirtschaftsverkehr häuig günstige Voraussetzungen für die Nutzung von E-Fahrzeugen vor. Damit zählt der Wirtschaftsverkehr mit Sicherheit zu den spannendsten und am besten geeigneten Anwendungsgebieten der Elektromobilität. Ein breiter werdendes Fahrzeugspektrum und der Boom bei Lasten-Pedelecs erlauben, dass Lieferketten neu gedacht und optimiert werden können. Auch andere Trends, zum Beispiel neue Ansätze der City- Logistik oder erste Versuche zur Entzerrung von Lieferzeiten, können unter Einsatz von E-Nutzfahrzeugen deutliche Verbesserungen in den Städten und Regionen mit sich bringen. Neugier ist sicherlich eine gute Voraussetzung, um Elektrofahrzeuge auch im Wirtschaftsverkehr einzusetzen. Immer mehr Unternehmen weisen aber nach, dass auch das betriebswirtschaftliche Kalkül ausreichend gute Gründe liefert. ■ Der Autor hat für das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in der vom Bundesverkehrsministerium geförderten Begleitforschung „Stadtentwicklung und Verkehrsplanung“ der Modellregionen Elektromobilität eine Reihe vielversprechender Einsatzmöglichkeiten für E-Nutzfahrzeuge aus kommunaler Perspektive untersucht. Unter dem Titel „Elektromobilität im städtischen Wirtschaftsverkehr“ wurden Projekterfahrungen und Empfehlungen für die Praxis nun in einer kompakten Broschüre veröfentlicht. Weitere Informationen unter www.difu.de. Wolfgang Aichinger, Dipl.-Ing. Raumplaner und Consultant Nachhaltige Mobilität, Berlin wolfgangaichinger@yahoo.de Schnell, stabil, sicher: Ladebrücken mit RFID-Technik • zeitsparende, automatische Warenerfassung • stoßsichere Integration unter der Ladebrücke • zuverlässiger Datenaustausch durch kurze Funkwege RFID-14 (CeMAT) Nur bei Hörmann Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 66 Bild 1: Der Terberg YT202-EV im Berliner Westhafen (Foto: TH Wildau) KV-E-Chain - Vollelektrische Lieferkette im Kombinierten Verkehr Der intermodale Transport durch den Kombinierten Verkehr mit den Verkehrsträgern Schiene-Straße gilt als eine der zukunftsweisenden und umweltfreundlichen Formen des Güterverkehrs. Aufgrund der begrenzten Flächenerschließung durch den Schienenverkehr bestehen diese Lieferketten auf der letzten Meile aus einem meist dieselgetriebenen Vor- oder Nachlauf auf der Straße. Das Projekt KV-E-Chain als Teil des Programms „Schaufenster Elektromobilität“ der Bundesregierung will das nun ändern. Die Autoren: Philip Michalk, Klaus-Günter Lichtfuß, Herbert Sonntag H auptziel des Projekts „KV-E- Chain“ ist die Demonstration einer voll-elektrifizierten, Lieferkette im Kombinierte Verkehr. Die Elektrifizierung soll dabei auf allen Stufen der Lieferkette umgesetzt werden: Transport im Zentrallager oder Umschlagknoten beim Versender, Umschlag des Containers auf die Bahn, Transport durch die Bahn im Hauptlauf, Umschlag im Zielterminal und Transport im Nachlauf zum Empfänger. Das Projekt besteht aus vier Partnern: der Forschungsgruppe Verkehrslogistik der Technischen Hochschule Wildau, die das Projekt initiiert hat, es koordiniert und die wissenschaftliche Begleitung verantwortet; der Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft (kurz BEHALA), die einen elektrischen LKW für den Straßen- Nachlauf betreibt und außerdem Betreiberin des Berliner Westhafens und damit des größten KV-Terminals in der Hauptstadtregion ist; der DHL, die den Schienenhauptlauf verantwortet und deren Kunden durch den elektrisch angetriebenen LKW der BEHALA beliefert werden; und der Berliner Energieagentur, die eine Solaranlage im Westhafen betreibt. Die Solaranlage soll im Laufe des Projektes zumindest einen Teil des Ladestroms für den eingesetzten LKW bereitstellen. Das spektakulärste Element der vollelektrischen Lieferkette besteht sicher aus dem eingesetzten Elektro-LKW, der im Schienennachlauf des Kombinierten Verkehrs eine zulässige Gesamtmasse von 44 t erreicht. Während die Elektrifizierung des Schienenhauptlaufs der Transportkette fast schon selbstverständlich ist und der Umschlag mit einem elektrischen Portalkran erfolgt, stellte der Einsatz eines für den Kombinierten Verkehr geeigneten LKW eine besondere Herausforderung dar: Der eingesetzte Terberg YT202-EV (Bild 1) wurde ursprünglich als Terminaltraktor konzipiert. Im Rahmen des Projektes KV-E- Chain erhielt das Fahrzeug aber eine Straßenzulassung und kann nun im Güternahverkehr eingesetzt werden. Der LKW ist mit einem Siemens-Gleichstrommotor ausgestattet, der eine Leistung von 140 kW LOGISTIK Elektrifizierung Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 67 Elektriizierung LOGISTIK bei- einem maximalen Drehmoment von 720- Nm erbringt. Die Energieversorgung wird durch zwei Lithium-Ionen-Akkumulatorpakete mit einer Kapazität von insgesamt 112 kWh sichergestellt. Das Fahrzeug ist seit Juni 2014 im Demonstrationseinsatz vom Standort Westhafen aus. Kosten und Kostenstrukturen elektrischer Nutzfahrzeuge Die Forschungsgruppe Verkehrslogistik hat im Rahmen des Projektes KV-E-Chain die Beschafung- und Betriebskosten einer Reihe elektrischer Nutzfahrzeuge analysiert. Generell lässt sich feststellen, dass elektrische Nutzfahrzeuge derzeit in der Beschafung etwa um den Faktor 2 bis 3 teurer sind als ihre jeweiligen konventionell angetriebenen Pendants. Während Beschafungskosten recht einfach über die Hersteller zu recherchieren sind, existieren noch zu wenige Erfahrungswerte, um eine zuverlässige Abschätzung der Betriebskosten zu erlauben. Basierend auf Herstellerangaben und Erfahrungen aus Projekten mit kleineren Fahrzeugen, kann dennoch eine „typische“ Kostenstruktur für ein Elektrofahrzeug in diesem Nutzfahrzeugbereich generiert werden. In Bild 2 wurden die drei wichtigsten Kostenkomponenten „Wartung“, „Energie/ Diesel“ und „Abschreibung“ für zwei iktive Nutzfahrzeuge ( jeweils mit Diesel und mit Elektroantrieb) einander gegenübergestellt. Der Rechnung liegen ein Strompreis von 0,15 EUR und ein Dieselpreis von 1,40 EUR zugrunde. Die Abschreibungsdauer beträgt in beiden Fällen fünf Jahre und es wurde eine jährliche Preissteigerung der Strombzw. Dieselkosten von 10 % angenommen. Im Beispiel ist das Elektrofahrzeug in der Anschafung etwa dreimal so teuer wie das entsprechende Dieselfahrzeug. Durch die geringeren Wartungs- und Energiekosten, relativiert sich der Kostenüberhang gegenüber dem Dieselfahrzeug allerdings auf nur noch 30 %. Batterien sind nach wie vor eine der kostspieligen Komponenten eines Elektrofahrzeugs. Die Preise für Batterien unterscheiden sich nach verwendeter Technik und Hersteller, aber für Lithium-Ionen Akkus kann ein typischer Endpreis von ca. 400 EUR bis 500 EUR pro kWh angenommen werden [1]. Zwar wird die erwartete erhebliche Reduktion dieser Kosten entscheidend zur Wirtschaftlichkeit beitragen, ergänzend spielt die Batterielebensdauer eine signiikante Rolle für die Höhe der Betriebskosten eines elektrischen Nutzfahrzeugs. Die Batterielebensdauer hängt stark von der sogenannten „Depth of Discharge“ DoD ab, also der Entladung bei Gebrauch, gemessen in Prozent der Kapazität. Die Lebensdauer, gemessen in möglichen Ladezyklen, nimmt bei hohen DoD-Werten überproportional stark ab. So kann eine Verdoppelung der Batterielebensdauer alleine dadurch erreicht werden, dass die Batterien statt nach einer Entladungstiefe von 70 %, bereits nach einer Entladungstiefe von 45 % geladen werden [2]. Diese Besonderheiten elektrischer Nutzfahrzeuge machen neue, stärker an den Betriebsprozessen orientierte, Kalkulationsmodelle notwendig. Die Entwicklung entsprechender Kostenoptimierungsmodelle ist dabei nur eines der Forschungsziele des Projektes. Neue Möglichkeiten im praktischen Einsatz Eine wichtige Projektkomponente ist die Erprobung der Möglichkeiten der Elektromobilität als Teil einer Transportkette. Neben den ofensichtlichen Vorteilen für Mensch und Umwelt eröfnen die geringen Geräuschemissionen und der Wegfall von Schadstofemissionen des Fahrzeugs neue Einsatzzwecke. Die nächtliche Belieferung, beispielsweise von Warenhäusern und Einkaufszentren, wird durch die geringe Geräuschentwicklung des Fahrzeugs auch in Wohngebieten denkbar. Eine interessante Möglichkeit bietet sich dadurch zum Beispiel bei der Entlastung von Anlieferungsrampen durch die Nutzung erweiterter Lieferfenster. Der Wegfall von Abgasen erschließt neue Möglichkeiten in der Gestaltung von Logistikprozessen, wenn beispielsweise ein Fahrzeug zur Be- und Entladung direkt in eine Halle einfahren kann, die Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren versperrt bliebe. Dabei kommt der Einsatz im Nahbereich eines City-Terminals auch den besonderen Eigenschaften eines Elektrofahrzeugs entgegen: Eine hohe Reichweite wird zu einem nachrangigen Einsatzkriterium. Das ermöglicht den Einbau kleinerer Batterien und damit eine Verringerung der Beschafungskosten. Geringere Tourenlängen und der Pendelverkehr zwischen Terminal und Zielort ermöglichen außerdem ein häuiges Nachladen und damit tendenziell geringere Entladungstiefen der Batterien, die sich positiv auf die Batterielebensdauer und damit auf die Betriebskosten auswirken. ■ QUELLEN: [1] Russell et al (2012): “Battery technology charges ahead.”, MCKinsey - Sustainability & Resource Productivity. Detroit. [2] Hartmann, Richard (2008): “Aging Model for Lithium-Ion Cells.” Akron. Klaus-Günter Lichtfuß, Dipl.-Ing. Leiter Abteilung Logistik, BEHALA - Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH, Berlin k.lichtfuss@behala.de Herbert Sonntag, Prof. Dr.-Ing. Leiter der Forschungsgruppe Verkehrslogistik, TH Wildau herbert.sonntag@th-wildau.de Philip Michalk, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Verkehrslogistik, TH Wildau philip.michalk@th-wildau.de Bild 2: Kostenstrukturvergleich der wichtigsten Kostentreiber zwischen Elektro- und Dieselfahrzeug (Dieselfahrzeug = 100 %) (Quelle: TH Wildau - Werte wurden aus Interviewantworten von Herstellern und Nutzern generiert) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 68 MOBILITÄT PKW-Besitz Junge Leute - Abwendung-vom Auto? Der Motorisierungsgrad junger Leute ist zwischen 2000 und 2008 unbestreitbar gesunken. Doch was ist daraus zu schließen? Werden Autos von Jüngeren heutzutage nicht mehr geschätzt? Bleiben sie für den Rest ihres Lebens dem Auto fern? Droht der Automobilindustrie ein langsames „Aussterben“ ihrer inländischen Nachfrage? Der folgende Faktencheck soll zeigen, welche Aussagen aus dem bis 2008 festzustellenden sinkenden Motorisierungsgrad abzuleiten sind und welche nicht. Der Autor: Volker Schott E s scheint in der öfentlichen Diskussion ganz überwiegender Konsens zu sein, dass der sinkende Motorisierungsgrad jüngerer Leute auf eine kulturelle Distanzierung vom Auto zurückzuführen sei. Vor allem für die Automobilindustrie ist das eine hochinteressante Fragestellung. Ist die Autoabstinenz nur auf pragmatische Gründe zurückzuführen und erfolgt die Autoanschafung insofern nur in einem späteren Alter als früher? In diesem Fall wäre die Dämpfung des PKW-Bestands in Deutschland, die diese Autoabstinenz mit sich bringt, einmalig und würde ceteris paribus nur zu einer einmaligen Niveausenkung der Gesamtnachfrage nach PKW in Deutschland führen, selbst dann, wenn künftig alle nachfolgenden Jüngeren die gleiche Autoabstinenz aufwiesen. Beunruhigender wäre für die Automobilindustrie, wenn es sich wirklich um eine kulturelle Distanzierung handelte, weil junge Leute dann das in ihren jungen Jahren praktizierte Mobilitätsverhalten für den Rest ihres Lebens beibehielten. Die PKW- Nachfrage würde dadurch in den kommenden Jahrzehnten immer weiter sinken, weil sich die Autoabstinenz jeder Generation zu der der vorangegangenen Generationen aufsummieren würde. Natürlich sichert es größere Aufmerksamkeit und suggeriert Überlegenheit im Vorausdenken, wenn man die große Zeiten-, Kultur- und Mobilitätswende nahen sieht, als wenn man sich in eine diferenzierte, ausgewogene Diskussion mit vielleicht etwas unspektakuläreren Ergebnissen begibt. Dies mag auch der Grund sein, warum viele Beiträge zu dem Thema in einem Teil der Fachpublikationen, aber vor allem in Tagespresse und Rundfunk so einseitig und schlecht fundiert sind. Bisweilen werden, um die These der kulturellen Distanzierung zu belegen, sachfremde Zusammenhänge konstruiert und unliebsame Informationen einfach weggelassen. Zum Beispiel führen zahlreiche Tageszeitungen zu dem Thema an, das Smartphone habe das Auto als Statussymbol verdrängt, und berufen sich hierfür auf eine Befragung der Unternehmensberatung Progenium. Was dabei unter den Tisch fällt: Hier wurden gar nicht speziell junge Leute befragt, sondern Autobesitzer allgemein. Zudem rangiert das Smartphone mit seinem dort abgefragten Statuswert zwar vor Autos von Volumenher- Bild 1: Anzahl der PKW-Neuzulassungen in Deutschland in verschiedenen Szenarien Quelle: Eigene Darstellung Foto: Julien Christ/ pixelio.de MOBILITÄT PKW-Besitz Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 69 PKW-Besitz MOBILITÄT stellern, aber ganz weit hinter dem von Premiumfahrzeugen. 1 Alternativ dient als Beleg zuweilen auch die Studie „Jugend und Automobil 2010“. Sie kommt zu dem Fazit, dass die „emotionale Bindung der jungen Generation an das Statusobjekt Auto deutlich nachlässt“. 2 Das überrascht aus zweierlei Gründen: Zum einen kann eine Entwicklung aus dem Datenmaterial der Studie gar nicht abgeleitet werden, weil kein Vergleichswert aus der Vergangenheit vorliegt. Zum anderen kommt die gleiche Studie auf den vorangegangenen Seiten zu eher gegenteiligen Ergebnissen: 3 • Für junge Männer ist Design das wichtigste Kriterium beim Autokauf. • „Design“ wird von jungen Leuten (nach Qualität) auch am zweithäuigsten genannt, wenn sie gefragt werden, welches Kriterium das Image einer Marke am stärksten prägt. • 74 % der jungen Frauen und 81 % der jungen Männer verbinden mit ihrem Auto mehr als nur Fortbewegung. • Ein Leben ohne Auto können sich nur 21 % der jungen Leute vorstellen. Bestätigung erfahren diese Ergebnisse durch spätere Befragungen u.a. der TNS Infratest GmbH einerseits und der PSB Research andererseits: 4 Der TNS-Untersuchung zufolge gibt es keine nennenswerte Abweichung zwischen jungen Leuten und dem Durchschnitt der Bevölkerung in der Einstellung zum Auto. Von den 18bis 29-Jährigen gaben • 63 % an, es sei ihnen wichtig, ein eigenes Auto zu besitzen, • nur 21 % an, auf ein eigenes Auto verzichten zu können, • 81 % an, das erste eigene Auto sei etwas ganz Besonderes. Nach der Automotive Zeitgeist-Studie von PSB inden von den 18bis 34-Jährigen • 79 % das Auto wichtig für „socializing“ (Freunde trefen), • 64 %, dass ein Auto die Persönlichkeit besser wiederspiegelt als ein Handy und • 70 %, dass ein Auto ein „must-have“ ist. Wenn es also augenscheinlich nicht die Wertschätzung des Autos ist, die sich bei jungen Leuten verändert hat - was sonst könnte sich verändert haben, das zu dem zwischen 2000 und 2008 zu beobachtenden abnehmenden Motorisierungsgrad geführt hat? Hier lohnt sich ein Blick auf die sozioökonomischen Rahmenbedingungen, die eine klare statistische Korrelation mit dem PKW-Besitz aufweisen. Dieses sind Einkommenshöhe, Haushaltsgröße und Urbanitätsgrad: 5 Je höher das Haushaltseinkommen, desto höher die Anzahl der im Haushalt verfügbaren PKW. Nun ist aber das Einkommen in jungen Haushalten spürbar zurückgegangen. Ein junger Haushalt erzielte 1998 im Mittel ein Einkommen pro Person von 2300 EUR pro Monat, 2008 waren es nur noch 2150 EUR. 6 Dabei dürfte sich auch der höhere Studentenanteil bemerkbar machen, der den Einkommensdurchschnitt drückt. Mitte der 90er Jahre studierten circa 27 % eines Jahrgangs. Im Jahr 2009 betrug dieser Anteil bereits 45 %. 7 Auch der schwieriger gewordene Berufseinstieg spielt in den Einkommensrückgang jüngerer Haushalte mit hinein. Statt einer Festanstellung sind die ersten Berufsjahre heute durch Praktika und vorläuige Zweijahresverträge gekennzeichnet, was die Lebensphase inanzieller Unsicherheit verlängert und die Neigung zu größeren Anschafungen dämpft. Zu diesem Befund passt auch die Feststellung, dass 80,7 % der jungen Alleinlebenden und 77,4 % der jungen Zwei-Personen-Haushalte als Grund für ihre Autolosigkeit die Kosten angeben. Alle anderen Kriterien spielen so gut wie keine Rolle. 8 Es kommt hinzu, dass der inanzielle Spielraum junger Leute für die Autonutzung seit Ende der Neunzigerjahre nicht nur nachfrageseitig unter Druck geraten ist, sondern zusätzlich auch angebotsseitig. Während sich der allgemeine Verbraucherpreisindex und der Verbraucherpreisindex für Kraftstofe bis 1998 relativ gleichförmig entwickelt haben, kam es durch die Einführung der Ökosteuer in mehreren Stufen ab 1999 bis 2003 zu einer 38-prozentigen Verteuerung von Kraftstof, während die allgemeinen Verbraucherpreise nur um 7 % anstiegen. 9 Aufällig ist dabei das zeitliche Zusammenfallen dieses Preisanstiegs ab 1998 mit dem Beginn des abnehmenden Motorisierungsgrades junger Leute. Eine ebenso wichtige Rahmenbedingung für den PKW-Besitz ist die Haushaltsgröße. Mehrpersonenhaushalte neigen eher zur PKW-Anschafung, weil eine höhere zeitliche Fahrzeugauslastung die ixen Kosten und ein höherer Besetzungsgrad die variablen Kosten der PKW-Nutzung senkt. Allerdings waren 1998 noch 31 % der jungen Haushalte Einpersonenhaushalte, 2008 waren es aber schon 41 %. 10 Eine weitere Rolle spielt der Anteil an Ballungsraum-Bewohnern. Da Ballungsräume gut mit Öfentlichen Verkehrsmitteln versorgt sind, ist die Neigung zur PKW-Anschafung hier kleiner als bei Landbewohnern. Auch hier hat es zwischen 1998 und 2008 Veränderungen gegeben. 1998 lebten 50% der jungen Haushalte in Ballungsräumen, 2008 waren es 53 % - nicht zuletzt wegen des dortigen Studienangebotes. 11 Somit sind also nicht nur bei gleichzeitig schmaler werdendem Budget die direkten Kosten der Autonutzung (Kraftstofpreis, kleinere Haushaltsgrößen) angestiegen, sondern auch ihre Opportunitätskosten (bessere ÖPNV-Versorgung jüngerer Leute als früher, ÖPNV-Nutzung mit Semesterticket). Insofern stellt sich die Lebenssituationen junger Leute heutzutage schlicht als weniger PKW-ain dar als noch vor 20 Jahren. Die Frage ist nun, ob die so sozialisierten Leute ihr Mobilitätsverhalten auch beibehalten, wenn sie älter werden. Dies scheint nach heutigem Kenntnisstand nicht der Fall zu sein. Im Alter zwischen 15 und 35 Jahren ist die PKW-Verfügbarkeit im Haushalt heutzutage deutlich weniger ausgeprägt als das beispielsweise noch 1998 der Fall war. Spätestens ab dem 35. Lebensjahr ist die PKW-Verfügbarkeit heute aber wieder genauso hoch wie bei den Gleichaltrigen des Jahres 1998. Das heißt: Zwar neigt man in der Lebensphase, die durch Auszug von zu Hause, Studium (evtl. mit anschließendem Auslandsaufenthalt) und Berufseinstieg geprägt ist, eher zu PKW-Abstinenz als früher. Sobald man aber berulich weitgehend etabliert ist und eine Familie gründet, ist das Auto als Verkehrsmittel wieder genauso wichtig wie eh und je. Dazu passt ins Bild, dass die Familiengründung als übli- Bild 2: Anteil Personen in Haushalten mit PKW Quelle: Institut für Mobilitätsforschung, 2011 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 70 MOBILITÄT PKW-Besitz cher Anlass zur PKW-Anschafung durch die längeren Ausbildungszeiten und unsichereren Berufseinstiege heutzutage später erfolgt als noch Mitte der 90erJahre. 12 Dies zeigt sehr deutlich, dass die Abnahme des Motorisierungsgrades jüngerer Leute nicht auf eine kulturelle Distanzierung zurückzuführen ist. Das wäre auch schon deswegen unwahrscheinlich, weil die heutige junge Generation viel stärker „automobil sozialisiert“ ist als vorangegangene Generationen. Nichts prägt das spätere Mobilitätsverhalten stärker als die Mobilitätserfahrungen, die man selbst als Kind und Jugendlicher macht. Als Angehörige der „Rücksitzgeneration“ werden Kinder und Jugendliche heute viel öfter als früher zum Sportverein oder zu den Spielkameraden mit dem Auto gefahren. Frühere Generationen nahmen das Fahrrad. 13 Der rückgängige Motorisierungsgrad jüngerer Leute hat also viel mehr pragmatische Gründe. Die Autoanschafung ist dementsprechend nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Dies würde auch dafür sprechen, dass die PKW-Nachfrage in Deutschland durch die Autoabstinenz jüngerer Leute nur eine dauerhafte Niveauverschiebung nach unten macht, dass aber nicht mit einer im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer weiter abnehmenden PKW-Nachfrage zu rechnen ist. Dabei hängt das Ausmaß der Niveauverschiebung davon ab, wie weit der Motorisierungsgrad der Menschen in ihrer autoabstinenten Lebensphase abfällt. Die Abnahme des Motorisierungsgrades zeigte ohnehin eine degressive Entwicklung und kam im Jahr 2008 ofenbar zum Stehen, bevor sie wieder in eine leichte Aufwärtsbewegung überging. 14 Dies lässt - zumindest nach heutigem Stand - vermuten, dass die PKW-Nachfrage hierzulande ceteris paribus künftig nicht weiter zurückgeht, sondern sich auf dem gegenwärtigen Niveau mindestens stabilisiert. Nicht zuletzt muss man auch hinterfragen, ob ein sinkender Motorisierungsgrad überhaupt ein geeignetes Indiz für eine vermeintlich zunehmende Autoabstinenz darstellt. Der Motorisierungsgrad macht schließlich nur eine Aussage zum Verhältnis der privat zugelassenen PKW zu einer bestimmten (Alters-)gruppe - dieser Anteil geht jedoch seit Jahren zugunsten gewerblicher Zulassungen zurück. 15 Zumindest bei den „älteren Jüngeren“ dürfte ein Teil des rückläuigen Motorisierungsgrades darauf zurückzuführen sein, dass heute mehr Beschäftigte als früher über einen Firmenwagen verfügen und sich daher keinen eigenen PKW mehr anschafen müssen. Dass die Wertschätzung für das Auto nach wie vor gegeben ist, heißt nicht, dass die Rolle des Autos in unserer Gesellschaft keiner Veränderung unterliegt. Sie bezieht sich aber weniger auf die Bedeutung des Autos für unsere Mobilität als viel mehr auf die Anforderungen, die man an das Auto selbst stellt. Zum einen wachsen sicherlich die Anforderungen an die Umweltfreundlichkeit der Fahrzeuge. 16 Im Zuge der Vernetzung und Digitalisierung werden aber auch Anforderungen an das Auto gestellt, die für frühere Generationen noch gar nicht zur Diskussion standen. Mehr als die Hälfte der heutigen 18bis 25-Jährigen möchte nicht nur Musik im Auto hören, sondern aktuelle Songs aus dem Autoradio gleich herunterladen. Mehr als 30% wollen E-Mails sicher von unterwegs versenden - zum Beispiel über Spracheingabe - und über soziale Netzwerke wie Facebook Kontakt zu Freunden aufnehmen. 17 90 % der 18bis 34-Jährigen erwarten, dass ihr Auto „eine Fortsetzung ihres Lebens ist, nicht eine Unterbrechung“. 18 In der Tat wäre daher künftig eine kulturelle Distanzierung junger Leute vom Auto zu befürchten, wenn die Automobilindustrie diesen Anforderungen nicht gerecht würde. Denn der Öfentliche Verkehr ermöglicht eine Nutzung der Reisezeit für alternative Verwendungen und produktive Zwecke besser als das heute für denjenigen gilt, der im Auto am Steuer sitzt. Entsprechende Technologien wie die Spracherkennung zum Diktieren von E-Mails und für das Vorlesenlassen sind im oberen Fahrzeugsegment aber schon seit kurzem verfügbar. Sie dürften im Laufe der nächsten Jahre in die breite Masse wandern. Auch vor diesem Hintergrund gewinnt die Möglichkeit, sich bei Bedarf vollautomatisiert fahren zu lassen, was spätestens für die nächste Dekade zu erwarten ist, an Bedeutung. Eine Distanzierung vom Auto ist also auch auf lange Sicht nicht zu befürchten. ■  1 Vgl. z.B. Westdeutsche Allgemeine Zeitung, www.derwesten.de/ politik/ smartphone-loest-auto-als-statussymbolab-id6887469.html, 16. Juli 2012; Vgl. PROGENIUM: Auto ohne Status, 24.08.2010  2 Vgl. FHDW, Center of Automotive Management, Jugend und Automobil 2010. Eine empirische Studie zu Einstellungen und Verhaltensmustern von 18 bis 25-jährigen in Deutschland, Bergisch Gladbach 2010, S. 41  3 Vgl. ebd. , S. 29, 36, 41, 42  4 TNS Infratest GmbH, Einstellung zum Automobil - Unterschiede zwischen Alt und Jung? . Untersuchung im Auftrag des VDA, Juni 2013. PSB Research, Automotive Zeitgeist Studie im Auftrag der Fordwerke GmbH, 2013  5 Den statistischen Zusammenhang zeigen infas/ DLR im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Wohnungswesen, Mobilität in Deutschland 2008, Tabellenband, Bonn/ Berlin 2010, S. 7 f.  6 Vgl. Institut für Mobilitätsforschung, Mobilität junger Menschen im Wandel - Multimodaler und weiblicher, München 2011, S. 20  7 Vgl. Schönduwe, R, Bock, B., Deibel, I.-T., Alles wie immer, nur irgendwie anders? . Trends und Thesen zu veränderten Mobilitätsmustern junger Menschen, Berlin 2012, S. 25  8 Vgl. Mobilität in Deutschland 2008, S. 9  9 Vgl. Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindizes für Deutschland, Jahresbericht 2013, S. 10 f. S. 160 f. 10 Vgl. Institut für Mobilitätsforschung, 2011, S. 21 11 Vgl. ebd. 12 Vgl. Schönduwe, R., …,2012, S. 25: Eine Kennzahl auf Basis des Mikrozensus, die diesen Trend belegt, ist der Anteil von Personen mit Kindern unter 18 Jahren im Haushalt. Dieser ging in der Altersklasse der 25bis 35-Jährigen von 46,1 % im Jahr 1996 auf 34,5 % im Jahr 2008 zurück 13 Vgl. Follmer, R., Scholz, J., Mobilität der Zukunft - bedürfnisorientiert statt technikixiert, in Internationales Verkehrswesen (65) 3, 2013, S. 55 14 Im Gegensatz zu Kuhnimhof konnte die „Shell“-Prognose „PKW-Szenarien 2030“, die im Jahr 2009 erstellt wurde, den jüngsten Aufwärtstrend noch nicht erkennen. Aber auch sie geht angesichts langjähriger degressiver Entwicklung ab spätestens 2015 von einer weitgehenden Stagnation des Motorisierungsrades Jüngerer aus. 15 Seit dem Jahr 2000 ist der Anteil privat zugelassener PKW an allen PKW von 51 % auf 38 % zurückgegangen. 16 Dies ist für junge Leute immerhin das siebtwichtigste Kriterium beim Autokauf. Vgl. FHDW, Center of Automotive Management, Jugend und Automobil 2010, S. 28 17 Vgl. FHDW, Center of Automotive Management, „i-Car“: Die junge Generation und das vernetzte Auto“ 18 PSB Research, Automotive Zeitgeist Studie im Auftrag der Fordwerke GmbH, 2013 Volker Schott, Dr. Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA), Abteilung Verkehrspolitik, Berlin schott@vda.de Bild 3: Anzahl der Fahrzeuge pro 1000 Personen nach Altersgruppe (private Zulassungen, PKW-Bestand) Quelle: Kuhnimhof, T. (ifmo), “Autokauf durch junge Leute - aufgehoben oder aufgeschoben? ”, Präsentation anlässlich des Fachsymposiums „Junge Leute - Abwendung vom Auto? “ am 20.09.2013 auf der IAA, Frankfurt a.M. Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 71 Stadtentwicklung Mobilität What Cities Want Systemanalyse und Expertenbefragung zur Mobilität in-Städten weltweit Mit der weltweit rapide ansteigenden Urbanisierung stehen immer mehr Städte steigendem Verkehrsaufkommen und den negativen Folgen für Umwelt und Gesellschaft gegenüber. Eine Studie der Technischen Universität München betrachtet die Hintergründe der Entwicklung aus Sicht eines Gesamtsystems und zeigt auf, wie 15 internationale Städte auf die Herausforderungen reagieren. Die Autoren: Roland Priester, Montserrat Miramontes, Gebhard Wulfhorst H eute leben weltweit erstmals mehr Menschen in Städten als- in ländlichen Gebieten. Im- Jahr 2030 sind es Prognosen der Vereinten Nationen zufolge bereits 60 %, und 2050 werden sogar mehr als zwei Drittel der Menschheit in Städten leben [1]. Mit der Urbanisierung steigen die Mobilitätserfordernisse der Bevölkerung und damit das Verkehrsaukommen. Viele Städte kämpfen in der Folge mit immer höheren Lärm- und Luftschadstofemissionen, Staus und zunehmender Flächenbeanspruchung durch den Motorisierten Individualverkehr. Auf globaler Ebene kommt es zu einem steigenden Energie- und Ressourcenverbrauch sowie für den Klimawandel kritischen CO 2 - Emissionen. Vor diesem Hintergrund ging das Fachgebiet für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung der Technischen Universität München im Rahmen des Forschungsvorhabens „What Cities Want“ im Auftrag von MAN SE der Frage nach, mit welchen Strategien Städte die Mobilität in Zukunft gestalten wollen und welchen Herausforderungen sie sich dazu stellen müssen. Methodisches Vorgehen Für die Bearbeitung der Studie wurde eine Kombination unterschiedlicher Methoden gewählt. In einem ersten Schritt wurde ein holistisches Systemmodell nach der Methode des Sensitivitätsmodells von Frederic Vester [2] aufgebaut, um die komplexen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen im System der „Mobilität in Städten“ beschreiben und erklären zu können. Vor allem diente das Systemmodell auch der Generierung von Forschungsfragen für die anschließende empirische Phase der Studie. Diese zweite Phase bestand aus einer Fallstudienanalyse internationaler Städte und hatte deren aktive Beteiligung zum Ziel. Auf Basis des Systemmodells wurde für den empirischen Teil der Studie ein Fragebogen entwickelt, der nach den Strategien, Treibern und Hindernissen für die städtische Verkehrs- und Stadtplanung fragt. Die 15 für die Befragung ausgewählten Städte Ahmedabad, Beirut, Bogotá, Johannesburg, Istanbul, Kopenhagen, London, Los Angeles, Lyon, Melbourne, München, Sankt Petersburg, S-o Paulo, Shanghai und Singapur stehen für ein breites Spektrum hinsichtlich Größe, Wachstumsrate, Einwohnerdichte, Verkehrssystem sowie ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Für die Befragung wurden die Leiter der Stadt- und Verkehrsplanungsbehörden kontaktiert. Diese hochrangigen Experten wurden im Anschluss an die schriftliche Befragung zu einem zweitägigen Workshop in München eingeladen. In einem bereichernden Austausch wurden die jeweils unterschiedliche Ausgangslage und die Gemeinsamkeiten in den grundsätzlichen Zusammenhängen und Zukunftsstrategien deutlich. Die Ergebnisse für die einzelnen Städte und die in einem „generischen Code“ erkannten übertragbaren Empfehlungen sind in einer umfassenden Broschüre dokumentiert [3]. Das Systemmodell Städte sind komplexe, dynamische Systeme, die sich kontinuierlich weiterentwickeln, sich aber auch abrupt verändern, sich manchmal in Teilen komplett neu erinden und gleichzeitig ein hohes Maß an Stabilität besitzen, genauso wie die Fähigkeit zur Selbstorganisation und zur Anpassung an sich wandelnde Rahmenbedingungen. Die erfolgreiche Entwicklung und Umsetzung zukunftsfähiger Strategien für die Mobilität in Städten ist nur möglich, wenn man die vielfältigen Wirkungszusammenhänge im System Stadt erkennt und beachtet. Deshalb sind in dieser Studie die Einlussgrößen auf das Mobilitätssystem der Städte als Variab- Aktive Variablen Kritische Variablen Pufernde Variablen Reaktive Variablen Dichte ÖPNV-Infrastruktur Bevölkerungsstruktur Gesetzeslage Stau ÖPNV-Angebotsqualität Lokale Wirtschaft Soziale Gerechtigkeit Straßeninfrastruktur Städtische Politik Wegedauer Bodenpreise Verkehrssicherheit PKW-Besitz Umweltbelastung Energieverbrauch Rad-/ Fußwege Verwaltung Kommunaler Haushalt Image der Stadt Stadt-Umland- Beziehungen Verkehrsanteil MIV Verkehrsanteil ÖPNV Verkehrsanteil Radfahrer/ Fußgänger Nachhaltiges Mobilitätsverhalten Mobilitätskosten Intermodalität Innovative Mobilitätsdienste Neue Technologien Tabelle 1: Die Variablen urbaner Mobilität und ihre Rolle im Gesamtsystem Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 72 MOBILITÄT Stadtentwicklung len dargestellt und in ihren komplexen Wechselwirkungen untersucht worden. Mit Hilfe des Ansatzes der Systemanalyse ließen sich 29 Variablen identiizierten, die die grundlegenden Zusammenhänge im System „Mobilität in Städten“ umfassend beschreiben (Tabelle 1). Weiterhin lieferte die Methode für das tiefergehende Verständnis wertvolle Informationen über den jeweiligen Charakter dieser Variablen und über ihre Wirkungsbeziehungen zueinander im Gesamtsystem. Aktive Variablen sind die wesentlichen Steuerungsgrößen eines Systems, die eine wichtige Bedeutung als Auslöser von Veränderungsprozessen haben. Kritische Variablen bezeichnen hingegen Systemelemente, die von zahlreichen Einlussfaktoren abhängen und gleichzeitig viele Folgewirkungen haben. Pufernde Variablen sorgen für eine Dämpfung der Entwicklungsdynamik einer Stadt und spielen mit Blick auf die Steuerungs- und Regelungsvorgänge des Gesamtsystems eine sehr wichtige Rolle, während sich reaktive Variablen als Erfolgskriterien der Veränderung anbieten. Werden nun über die direkten Wirkungen zwischen zwei Variablen hinaus die Wirkungsketten von mehreren Variablen abgebildet, erhält man das Wirkungsgefüge des zu untersuchenden Systems. Das Wirkungsgefüge für das im Rahmen dieser Studie bearbeitete Systemmodell „Mobilität in Städten“ ist in Bild 1 dargestellt. Die Farbgebung spiegelt die jeweilige Rolle der Variablen wider. Zu erkennen sind die 29 Systemvariablen sowie die Wirkungsbeziehungen zwischen diesen. Durchgezogene Pfeile stehen für gleichsinnige Wirkungen, gestrichelte Pfeile für gegensinnige Wirkungen. Fast alle Variablen sind in Wirkungsketten von mehreren Variablen, so genannte Regelkreise, eingebunden. Aus einer Vielzahl der Regelkreise wurden drei identiiziert, die für die Entwicklung der Städte und ihres Mobilitätsystems von besonderer Bedeutung sind: • „Wirtschaftliche Entwicklung und Urbanisierung“ • „Umweltbelastung und Klimawandel“ sowie • „Implementierung von Strategien“ Perspektiven für die Verkehrs- und Stadtentwicklung Diese Regelkreise haben sich auch in den Analysen der einzelnen Fallbeispiele und der gemeinsamen Diskussion der Ergebnisse als zentrale Ansatzpunkte zur Entwicklung von zukunftsfähigen Strategien herauskristallisiert. Im Folgenden werden sie in dieser Hinsicht näher erläutert. Wirtschaftliche Entwicklung und Urbanisierung Im Regelkreis „Wirtschaftliche Entwicklung und Urbanisierung“ (Bild 2) ist ausgehend von der Funktion der Stadt als Standort von Unternehmen und Arbeitsplätzen ein anhaltender Bevölkerungszuwachs zu beobachten. Außerdem sorgt die Teilhabe am lokalen Produktionsprozess für größeren individuellen Wohlstand, der wiederum den PKW-Erwerb und eine vielfach rasant steigende Motorisierung ermöglicht. Daran ist in einer ersten Phase, ohne Intervention Bild 1: Wirkungsgefüge des Systems „Mobilität in Städten“ Bild 2: Regelkreis „Wirtschaftliche Entwicklung und Urbanisierung“ Bild 3: Strategische Prioritäten für die Stadtentwicklung Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 73 Stadtentwicklung MOBILITÄT von außen, auch ein höheres KFZ-Verkehrsaukommen gekoppelt. Die zunehmende Verkehrsbelastung beeinträchtigt die Wohn- und Aufenthaltsqualität in der Stadt, so dass es die Suburbanisierung mit immer weiträumigeren, regionalen Verlechtungen verstärkt wird. Dadurch steigen die Verkehrsmengen weiter an und die Straßeninfrastruktur stößt an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Folge sind Verkehrsstaus, die sich schließlich negativ auf die Attraktivität und die lokale Wirtschaft einer Stadt niederschlagen können. Diese Stausituation ist oft ein symptomatischer Auslöser für Strategien und Maßnahmen im Verkehrsbereich. Im Bereich der Siedlungsentwicklung steht nach der Befragung der 15 Untersuchungsstädte aus diesem Grund das Ziel einer kompakten Stadtentwicklung ganz oben auf der Agenda der strategischen Prioritäten (Bild 3). Globaler Klimawandel und lokale Umweltbelastungen Der zweite Regelkreis skizziert die Wirkung von globalen Klimagasemissionen einerseits und lokalen Umweltbelastungen andererseits auf die Motivation der Städte, Strategien für nachhaltige Mobilität zu implementieren (Bild 4). Er liefert auch ein Erklärungsmuster dafür, weshalb für die meisten Städte im Rahmen der Befragung von den lokalen Umwelteinwirkungen ein stärkerer Einluss auf die lokale Verkehrsplanung ausgeht (7 in Bild 5) als vom Klimawandel (3-in Bild 5). Verkehrslärm und Luftverschmutzung werden in den Städten unmittelbar als Beeinträchtigung der Lebensqualität wahrgenommen. Der Druck auf die städtische Politik, Strategien zur Problemlösung zu ergreifen, ist stark. Der Klimawandel hingegen äußert sich in einem langfristigen Prozess, so dass Folgen für die lokale Lebensqualität in der Mehrzahl der Städte heute noch nicht wahrgenommen werden und somit der Einluss auf die lokale Verkehrsplanung geringer ausfällt (Bild 5). Mehrheitlich wird daher das Thema Klimawandel über gesetzliche Normen und Richtlinien der nationalen Regierungen wie etwa CO 2 -Emissionsgrenzwerte in die Städte transportiert, die ihrerseits aufgefordert werden, Strategien zu erarbeiten oder bestimmte Maßnahmen umzusetzen. Der Regelkreis zeigt aber auch eine dritte Wirkungsbeziehung ausgehend von der Variable Klimawandel auf die Mobilitätsstrategien der Städte ab. Dies ist in der Realität der Fall, wenn Städte sich selbst verplichten, über die staatliche Vorgaben hinaus, eigens gesteckte Ziele hinsichtlich der CO 2 -Reduktion zur erfüllen. Ein solch ehr- Bild 4: Regelkreis „Umweltbelastung und Klimawandel“ Bild 5: Bedeutung unterschiedlicher Einflussfaktoren auf die Verkehrsplanung Bild 6: Bisherige und zukünftige Vorhaben im Verkehrsangebot Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 74 MOBILITÄT Stadtentwicklung geiziges Beispiel ist die dänische Hauptstadt Kopenhagen, die an ihrem Ziel bis 2025 CO 2 -neutral zu sein festhält, auch wenn etwa nicht alle Maßnahmen von der nationalen Regierung unterstützt werden. Im Rahmen der Städte-Befragung wurde auch konkret danach gefragt, auf welche speziischen Konzepte die Städte setzen, um die KFZ-Fahrleistung bzw. den Verbrauch fossiler Energie zukünftig zu reduzieren. Im Ergebnis zeigt sich, dass die mit Abstand größte Bedeutung dem Ausbau alternativer Verkehrsträger zukommt. So sind in der Mehrzahl der Untersuchungsstädte - nach dem bereits erfolgten Ausbau der Straßeninfrastruktur - aktuell Strategien zur Stärkung der Nahmobilität und die Erweiterung des ÖPNV-Angebots fest eingeplant (Bild 6). Auch der Elektromobilität soll durch den Aubau einer Ladeinfrastruktur Vorschub geleistet werden. Erfolgreiche Umsetzung von Strategien vor-Ort Der dritte Regelkreis (Bild 7) skizziert eine erfolgreiche Prozessgestaltung zur Umsetzung von Strategien für nachhaltige Mobilität. Dabei zeigt sich als entscheidende Voraussetzung ein politischer Konsens zu langfristig angelegten Zielen der Verkehrsplanung, die von einer funktionsfähigen Verwaltungsebene getragen werden. Die hohe Bedeutung der politischen Steuerung spiegelt sich auch im Ergebnis der Städte- Befragung wider (Bild 5). Die Einzelfallanalyse zeigt mit dem Beispiel von Ahmedabad, dass es vor allem die gut organisierte Planungsbehörde mit ihrer langfristigen Entwicklungsperspektive ist, die die Stadt von anderen Städten Indiens unterscheidet und damit die Grundlage für den Erfolg der Verkehrsstrategie bildet. Neben der politischen Unterstützung und fachlichen Kompetenz muss die Verwaltungsebene ebenso über die notwendigen monetären Mittel verfügen - der wichtigste Einlussfaktor überhaupt auf die lokale Verkehrsplanung im Rahmen der Befragung (Bild 5). Da die städtischen Haushalte zu einem großen Teil aus den lokalen Steuereinnahmen gespeist werden, muss dem Regelkreis entsprechend darauf geachtet werden, dass die verkehrsplanerische Strategie nicht gegen, sondern gemeinsam mit der ansässigen Wirtschaft entwickelt wird. Andererseits ist die Partizipation der Bürger einer Stadt unerlässlich, um einen im Konsens getragenen Prozess mit der notwendigen politischen Unterstützung abzusichern. Erfolgreich umgesetzte Strategien für eine nachhaltige urbane Mobilität können die Attraktivität der Städte und das Vertrauen in die Selbsterhaltungskräfte des Systems Stadt Schritt für Schritt stärken. ■ QUELLEN: [1] United Nations Human Settlements Programme 2008: State of the world‘s cities: Harmonious cities. London: UN-HABITAT [2] Vester, F. 2000: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität. Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. [3] MAN SE (Hrsg.) 2013: What Cities Want - Wie Städte die Mobilität der Zukunft planen. Eine Studie von TU München und MAN. München. Download unter www.sv.bgu.tum.de Montserrat Miramontes, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung, Technische Universität München montserrat.miramontes@tum.de Gebhard Wulfhorst, Prof. Dr.-Ing. Leiter des Fachgebiets für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung, Technische Universität München gebhard.wulfhorst@tum.de Roland Priester, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung, Technische Universität München roland.priester@tum.de Bild 7: Regelkreis „Implementierung von Strategien“ © Rainer Sturm, pixelio.de IHR KUR ZE R DR AHT ZUM ANZEIGEN -T E AM Silke Härtel Anzeigenleitung Tel.: +49 (40) 23714-227 silke.haertel@dvvmedia.com Tim Feindt Anzeigenverkauf Tel.: +49 (40) 23714-220 tim.feindt@dvvmedia.com Telefax Anzeigen-Team: +49 (40) 23714-236 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 75 Ladeinfrastruktur MOBILITÄT City 2.e - Das Elektroauto in-stark verdichteten Stadtquartieren Der öfentliche Raum in Städten ist stark begrenzt - die meisten PKW-Besitzer/ innen parken jedoch als „Laternenparker“ im öfentlichen Straßenraum. Um diese Gruppe für die Nutzung von Elektrofahrzeugen zu gewinnen, ist unter anderem eine zuverlässige, leistungsfähige und bedarfsorientierte Ladeinfrastruktur notwendig. Im Verbundprojekt City 2.e wurde ein Konzept für eine öfentliche und halböfentliche Ladeinfrastruktur erarbeitet. Das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung (IVP) der Technischen Universität Berlin untersuchte dazu das Verkehrs- und Mobilitätsverhalten dieser Nutzergruppe. Die Autoren: Veronique Riedel, Oliver Schwedes Ö fentliche Räume sind Orte für bestimmte städtische Funktionen des Verkehrs, des Handels, der Repräsentation oder der Erholung; ihre Gestaltung bestimmt maßgeblich die Lebensqualität in unseren Städten. Gerade dort sind diese Räume aber besonders begrenzt und die verschiedenen Nutzungsansprüche, welche an ihn gestellt werden, bedingen eine sorgfältige Interessenabwägung zwischen seinen unterschiedlichen Funktionen. Ausgehend vom Ziel der Bundesregierung, dass bis zum Jahr 2020 eine Million am Stromnetz auladbare Elektrofahrzeuge und sogenannte Plugin-Hybrid-Fahrzeuge auf deutschen Straßen fahren sollen, stellt sich unter anderem die Frage, wo und wie diese Fahrzeuge mit Strom beladen werden sollen. Für den überwiegenden Teil der heutigen Elektroautofahrer/ innen stellt sich ein privater PKW-Stellplatz mit einer eigenen Lademöglichkeit als bevorzugte Lademöglichkeit dar. In Deutschland verfügen jedoch nur ca. 30 % der Autobesitzer/ innen über einen privaten Stellplatz. Vor allem in stark verdichteten Stadtquartieren parken die meisten PKW-Besitzer/ innen im öfentlichen Raum, eine lächendeckende Bestückung mit Ladesäulen ist hier weder wünschenswert noch umsetzbar. Damit diese Gruppe dennoch für die Nutzung von Elektrofahrzeugen gewonnen werden kann, ist unter anderem eine zuverlässige, leistungsfähige und am Bedarf orientierte Ladeinfrastruktur notwendig. Um ein diferenziertes Bild über die Strategien der potentiellen Nutzergruppe bezüglich der Gestaltung ihrer Mobilität und der damit zusammenhängenden Einlussfaktoren zu erhalten, müssen die Einstellungen, Nutzungsmotive und Mobilitätsorganisation bei der alltäglichen Verkehrsmittelnutzung betrachtet werden. Das Forschungsprojekt Die Planung einer solchen Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge stellt eine Herausforderung dar, die im Rahmen des vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit inanzierten Verbundprojektes City 2.e aufgegrifen wurde. Ziel des einjährigen Projektes war es, ein erstes Konzept zu entwickeln, das sich am Aubau und Betrieb von Ladeinfrastruktur im öfentlichen und halb-öfentlichen Raum für die potentielle Nutzergruppe der sogenannten „Laternenparker/ innen“ orientiert. Als Laternenparker/ innen wurden dabei diejenigen Personen deiniert, die in ihrem Haushalt Zugrif auf ein eigenes Auto haben, über 18 Jahre alt sind und ihr Auto im öfentlichen Straßenraum parken. Im Rahmen von City 2.e hat das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung (IVP) der Technischen Universität Berlin eine umfangreiche Nutzeranalyse durchgeführt, die der Untersuchung des Verkehrs- und Mobilitätsverhaltens von Laternenparker/ innen diente. Die Betrachtung konzentrierte sich hierbei auf ein räumlich abgegrenztes Untersuchungsgebiet im Stadtteil Prenzlauer Berg des Berliner Bezirk Pankow, der als hochverdichteter innerstädtischer Raum exemplarisch für viele Innenstädte Deutschlands steht. Im Rahmen dieses Arbeitspaketes wurden zwei Ziele verfolgt: • Erstens sollten Grundlagen ermittelt werden für attraktive Verkehrskonzepte, die eine Mobilität ohne eigenes Auto ermöglichen, um so Anreizstrukturen und Handlungsoptionen zielgerichtet gestalten zu können. Dieses Ziel basierte auf der Vermutung, dass ein Teil der Laternenparker/ innen in urbanen Zentren das Auto bzw. den Stellplatz nur „hält“, häuig auf andere Verkehrsmittel zurückgreift und damit in Zukunft keinen privaten PKW benötigt. • Zweitens wurden aus dem aktuellen Verkehrs- und Mobilitätsverhalten und den derzeitigen Nutzungsmotiven der Laternenparker/ innen, die zukünftigen Anforderungen an eine Ladeinfrastruktur für private Elektroautos abgeleitet. Diesem zweiten Ziel lag die Annahme zugrunde, dass ein Teil der Laternenparker/ innen auch in Zukunft auf das private Auto angewiesen sein wird oder dieses zumindest nicht abschafen möchte. Um diese beiden Ziele zu erreichen, wurden die Motive, Rahmenbedingungen und Potentiale für die Bereitschaft zur Abschaffung des eigenen Autos innerhalb der Gruppe der Laternenparker/ innen mit Hilfe von qualitativen Interviews analysiert. Dabei wurde zusätzlich eine Kontrastgruppe herangezogen, um die Optionen zu ermitteln, welche sich durch ein multimodales Verkehrsverhalten für Laternenparker/ innen ergeben. Diese sogenannten „Multimodalen ohne Auto“ gestalten ihre Alltagsmobilität ohne eigenes Auto und können daher wichtige Hinweise für Maßnahmen und Rahmenbedingungen einer alternativen Verkehrsmittelwahlentscheidung liefern. Im Rahmen des qualitativen Forschungsdesigns wurden 60 problemzentrierte, leitfadengestützte Einzelinterviews durchgeführt, die je zur Hälfte aus der Gruppe der Laternenparker/ innen und aus der Gruppe der Multimodalen ohne Auto rekrutiert wurden. Die Auswertung basiert auf einer qualitativen Inhaltsanalyse des umfangreichen Interviewmaterials. Aus der aktuellen Verkehrsmittelnutzung sowie der Einstellung gegenüber alternativen Nutzungskonzepten und der Bereitschaft der Laternen- Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 76 MOBILITÄT Ladeinfrastruktur parker/ innen, das Auto abzuschafen oder weniger einzusetzen, erfolgte die Identiizierung verschiedener Typen innerhalb dieser Gruppe (vgl. auch Bamberg 2013). Ergebnisse Laternenparker/ innen sind bereits multimodal unterwegs Die Laternenparker/ innen in Prenzlauer Berg nutzen das Auto wenig. Eine Auswertung der SrV 2008 zeigt einen hohen MIV- Anteil bei dienstlichen Wegen (54 %), Fahrten zur Arbeit (42 %) und Freizeitwegen (36 %). Dies lässt auf ein multimodales Verkehrsverhalten schließen, bei dem auf das Auto zugunsten anderer Verkehrsmittel verzichtet wird, denn zwei Drittel aller Wege dieser Laternenparker/ innen werden mit dem Umweltverbund zurückgelegt. Ihre Alltagsmobilität bewältigen sie somit ähnlich wie die Multimodalen ohne Auto. Die Gründe für die Autonutzung sind sehr-verschieden Betrachtet man die Untersuchungsgruppen der qualitativen Studie, so nutzen lediglich 13 der 30 Laternenparker/ innen das private Auto für tägliche Wege. Die Gründe für diesen Einsatz unterscheiden sich jedoch deutlich und es konnten insgesamt vier Formen der alltäglichen Autonutzung im Alltag identiiziert werden, wovon zwei eine hohe Bereitschaft zeigen, auf das eigene Auto zu verzichten: • „Zwangsnutzer“ - würden gerne ihr Auto abschafen, sind aber aus persönlichen Sachzwängen darauf angewiesen (Arbeit, Familie etc.). • „Vorhalter“ - wären bereit, ihr Auto abzuschafen, wenn sich die alternativen Angebote für einige bestimmte Zwecke (Transport, Auslüge ins Umland) verbessern würden. Zwei weitere Gruppen werden das eigene Auto weiterhin behalten, aber möglicherweise in Zukunft weniger nutzen: • „Optionisten“ - sind unter den jetzigen Umständen nicht bereit, auf das eigene Auto ganz zu verzichten. Bei einer Verbesserung alternativer Angebote würden sie aber ihre Autonutzung reduzieren. • „Priorisierer“ - bevorzugen das Auto, ohne Alternativen in Erwägung zu ziehen. Bei ihnen gibt es keine Bereitschaft zur Autoabschafung. Die emotionale Bindung an das Auto ist-gering Für einen Teil der Laternenparker/ innen ist keine emotionale Bindung an das Auto nachweisbar, sie sind ofen gegenüber Alternativen. Die klassischen Extramotive beim Besitz eines Autos wie Fahrspaß und das Auto als Statussymbol scheinen eine eher geringe Bedeutung für einen Großteil der heutigen Laternenparker/ innen zu haben, da die Vorteile des Autos in der Stadt nur sehr eingeschränkt sind. Diejenigen, die in früheren Lebensphasen Emotionen hinsichtlich der Autonutzung herausstellen, schätzen die Bedeutung des Autos in ihrer aktuellen Lebenssituation deutlich sachlicher ein. Kosten bleiben ein entscheidender Faktor Kostenersparnis ist ein wichtiges Motiv für die Verkehrsmittelwahl. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse zeigen vor allem die Diskrepanz in der Wahrnehmung zwischen den Kosten des eigenen Autos und Alternativen, wie etwa dem ÖPNV. Kostengestaltung und -transparenz sind somit wichtige Ansatzpunkte, die eine multimodale Verkehrsmittelnutzung unterstützen. Damit die tatsächlichen Autokosten stärker in das Bewusstsein rücken und Optionen des Umweltverbunds attraktiver werden, müssen Möglichkeiten geschafen werden, einen einfachen und schnellen Kostenvergleich durchführen zu können, z. B. mittels einer verkehrsmittel-übergreifenden App oder einer unkomplizierten Mobilitätsberatung. Schlussfolgerungen für die Ladeinfrastruktur In der Gesamtbetrachtung der zuvor vorgestellten Typisierung kann festgestellt werden, dass es für drei der vier identiizierten Teilgruppen der Laternenparker/ innen die Option für eine Verhaltensänderung in Richtung Mobilität ohne eigenes Autos gibt. Eine genauere Analyse hat gezeigt, dass für zwei der vier Proband/ innen der „Priorisierer“ die Perspektive besteht, zukünftig zur Gruppe der „Optionisten“ zu wechseln, ein Teil der „Optionisten“ wiederum wird sich zu „Vorhaltern“ entwickeln und aus den „Vorhaltern“ werden sich einige Probanden in Zukunft multimodal ohne eigenes Auto bewegen. 1 Für sie stellt der Umstieg auf eine kollektive Auto-Nutzungsoption wie z. B. E-Carsharing oder Mietwagenangebote eine attraktive Alternative dar, die ihren Autonutzungsmotiven größtenteils gerecht werden kann. Insbesondere zwei Faktoren konnten für die Suche nach Alternativen zum privaten Auto als begünstigend herausgearbeitet werden: Zum einen ist für viele Befragte der hohe Stressfaktor des Autofahrens in der Stadt ein zentraler Grund, auf andere Transportmittel zurückzugreifen. Dies gilt insbesondere zu Zeiten starken Verkehrsaukommens, den damit verbundenen Konliktsituationen mit anderen Verkehrsteilnehmer/ innen und der geringen Chance einen Parkplatz zu inden. Der zweite Einlussfaktor, der die Attraktivität der privaten Autonutzung schmälert, ist ein ungünstiges Kosten- Nutzen-Verhältnis (vgl. auch Krämer-Badoni/ Burwitz 2002). Ein entsprechend wirksames Parkraummanagement kann somit eine passende Maßnahme sein, um die Autonutzung zu verringern oder eine Autoabschaffung zu unterstützen. Bezogen auf das Elektroauto kann dies erreicht werden, wenn Laden und Parken auf eine Weise kombiniert werden, dass sie weniger Stress erzeugen als die herkömmliche Parkplatzsuche. Dabei ist es wichtig, dass eine zuverlässige Nutzung möglich ist (Zugang zu Ladeinfrastruktur, technische Zuverlässigkeit). Solche Maßnahmen sind im Hinblick auf das Ziel, den Individualverkehr mit dem Auto zu reduzieren, jedoch vorrangig in Bezug auf Carsharing und privates Autoteilen sinnvoll. So kann ein entsprechendes Parkraummanagement eine besitz-ungebundene Automobilität fördern. Bild 1: Parksituation in der Kolmarer Strasse, Berlin Prenzlauer Berg Ladeinfrastruktur MOBILITÄT Die Gruppe der „Zwangsnutzer“ hingegen ist für entsprechende Maßnahmen, die eine Mobilität ohne eigenes Auto fördern sollen, aufgrund der persönlichen Sachzwänge nicht empfänglich. Stattdessen könnten für diese Gruppe eigene Elektroautos eine Alternative bilden. Damit ist weniger eine lächendeckende als vielmehr eine bedarfsorientierte Ladeinfrastruktur notwendig, um Elektromobilität zu stärken, ohne die innerstädtische Automobilität als Ganzes zu fördern. Wenngleich alle Gruppen grundsätzlich einen Stellplatz in unmittelbarer Nähe zur Wohnung präferieren, zeigen die Untersuchungsergebnisse dennoch eine hohe Toleranz für fußläuig erreichbare Entfernungen zwischen der Wohnung und der Parkmöglichkeit. Daraus kann geschlossen werden, dass grundsätzlich eine hohe Bereitschaft besteht, auch den Weg zu einem Anwohner-Parkhaus zurückzulegen, wenn dort eine Lademöglichkeit für private Elektroautos angeboten würde. Die untersuchten Laternenparker/ innen, die in einer parkraumbewirtschafteten Wohnumgebung leben, sind derzeit allerdings kaum bereit, mehr als bisher für das Parken auszugeben. Da die aktuellen Stellplatzsuchzeiten sowie die Entfernungen zum Wohnhaus bei dem geringen Preis, der für die Parkvignette zu zahlen ist, akzeptiert werden, ist unter den gegebenen Bedingungen zu erwarten, dass es keine höhere Zahlungsbereitschaft für einen Stellplatz in einem Anwohnerparkhaus gibt. Würde ein solcher Stellplatz allerdings mit zusätzlichen Leistungen kombiniert (mehr Sicherheit, Ladestationen, individueller Stauraum z. B. für Winterreifen oder Dachkofer), dann würde mit der wachsenden Attraktivität dieser Stellplätze auch die Bereitschaft steigen, eine höhere Parkgebühr zu zahlen. Diese Kombination bietet somit ein hohes Potential für eine lokal konzentrierte Ladeinfrastruktur. Fazit Eine lächendeckende Ladeinfrastruktur für alle Laternenparker/ innen in verdichteten Stadtquartieren ist weder eine realistische (Kosten) noch eine wünschenswerte Perspektive (Flächenverbrauch). Eine Alternative bildet die Förderung multimodaler Mobilität. Dazu ist das Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen von großer Bedeutung, die sowohl die Weiterentwicklung alternativer Verkehrsangebote unterstützen, als auch die Attraktivität der privaten Autonutzung in der Stadt reduzieren. Der Koexistenz und der sinnvollen Ergänzung der einzelnen Verkehrsarten ist bei der Planung besondere Beachtung zu schenken. Dabei ist es wichtig, diese verkehrspolitischen und planerischen Maßnahmen möglichst passgenau auf die jeweiligen Nutzergruppen abzustimmen. Die hier vorgestellte Typisierung der Laternenparker/ innen, die eine Prädisposition zur Autoabschafung haben, unter Berücksichtigung unterschiedlicher Stufen der Verhaltensänderung, soll eine solche Entwicklung zielgruppenspeziischer Maßnahmen und die Entwicklung speziischer Steuerungsmöglichkeiten unterstützen. ■ LITERATUR Bamberg, S. (2013). Changing environmentally harmful behaviors: A stage model of self-regulated behavioral change. Journal of Environmental Psychology, 34, 151-159. Krämer-Badoni, Th., Burwitz, H. (2002). Autolose Mobilität : Teil 1 Autolose Mobilität in Bremen, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Wuppertal. 1 Eine ausführliche Ergebnisdarstellung kann dem Abschlussbericht entnommen werden (downloadbar unter www.ivp.tu-berlin.de). Veronique Riedel, Dipl.-Ing. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, Institut für Land- und Seeverkehr, Technische Universität Berlin veronique.riedel@tu-berlin.de Oliver Schwedes, Prof. Dr. Fachgebietsleitung, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, Institut für Land- und Seeverkehr, Technische Universität Berlin oliver.schwedes@tu-berlin.de 12. Nov. 2014 Messe Offenburg Messe Offenburg-Ortenau GmbH · Schutterwälder Str. 3 · 77656 Offenburg FON +49 (0) 781 9226-54 · FAX +49 (0) 781 9226-77 · ecomobil@messe-offenburg.de · www.ecomobil-offenburg.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 78 MOBILITÄT Carsharing Urbane Mobilität im Umbruch? Verkehrliche und ökonomische Bedeutung des Free-Floating-Carsharing Der vorliegende Artikel basiert auf einer Untersuchung der aktuellen Veränderungen in den urbanen Mobilitätsmärkten am Beispiel der Free-Floating-Carsharingsysteme der civity Management Consultants. Dazu wurden weltweit über einen Zeitraum von einem Jahr rund 115 Mio. Datensätze erfasst und mehrstufig ausgewertet. Mit Hilfe dieses Datensatzes, lassen sich rund 18 Mio. Anmietungen nachbilden. Im Fokus standen die Bewertung der verkehrlichen und ökonomischen Relevanz der Systeme und die Ableitung von Empfehlungen für die Stadt- und Verkehrsplanung, für Mobilitätsdienstleister und Anbieter von Free-Floating-Carsharing. Die Autoren: Friedemann Brockmeyer, Sascha Frohwerk, Stefan Weigele W eltweit etablieren derzeit Automobilkonzerne sogenannte Free-Floating-Carsharing-Systeme (FFC) in Großstädten. Schicke Kleinwagen können per Smartphone ausgeliehen werden und in- einem deinierten Stadtgebiet überall wieder abgestellt werden. Abgerechnet wird im Minutentakt, Spritgeld und Parkgebühren sind dabei inklusive. Die Free- Floating-Systeme haben das Carsharing aus der Ökoecke befreit und für ein breites, pragmatisches, urbanes Milieu zugänglich gemacht. Angebote wie car2go und DriveNow haben den öfentlichen Verkehr wachgerüttelt und verunsichern die Taxibranche, sie stehen beispielhaft für die Veränderungen im urbanen Mobilitätsmarkt. Verkehrliche Bewertung Wesentliches Element des FFC ist die Möglichkeit der Einwegfahrt (daher auch die Bezeichnung: Oneway-Carsharing). Nach Angaben von car2go sind 90 % aller Fahrten Oneway-Fahrten 1 und nur 10 % Return- Fahrten. Über alle Free-Floating-Fahrten und -Systeme weltweit ergibt sich eine durchschnittliche Reiseweite von 5 km für das FFC. Ein Wert, der deutlich unter den Reiseweiten des motorisierten Individualverkehrs (MIV) liegt und nur leicht über den Reiseweiten, die mit Bus und Straßenbahn zurückgelegt werden. Weit über die Hälfte der Fahrten liegen in Entfernungsbereichen unter 5 km (Bild 1). Unsere Analysen belegen demnach, dass es sich bei Fahrten mit FFC-Fahrzeugen im hohen Maß um motorisierte Nahmobilität handelt. Betrachten wir die werktägliche Nachfrage nach FFC, so können wir folgende Beobachtungen machen: • FFC verfügt über eine wesentlich stärker ausgeprägte Verkehrsspitze als andere Verkehrsträger. • Die stärkste Verkehrsspitze beim FFC ist am Abend und nicht am frühen Vormittag. • Die Verkehrsspitze beim FFC liegt nach der allgemeinen nachmittäglichen Verkehrsspitze am frühen Abend zwischen 18 und 20 Uhr. • Die vergleichsweise gering ausgeprägte Morgenspitze folgt der allgemeinen Verkehrsspitze mit ca. zwei Stunden Verspätung zwischen 8 und 10 Uhr. • Nachts ist der Nachfrageeinbruch nicht ganz so stark ausgeprägt wie im öfentlichen Verkehr. In Kombination mit der Analyse der räumlichen Nutzung lassen sich weitere Rückschlüsse auf die Nutzungsstruktur ziehen: • Die Nachfragespitze beim FFC liegt tendenziell im After-Work- und Freizeitverkehr. • Hier konkurriert FFC mit dem (teureren) Taxiverkehr und mit dem (ausgedünnten) öfentlichen Verkehr. • FFC-Systeme werden weniger von klassischen Berufspendlern genutzt als vielmehr von kreativen Milieus mit lexibleren Arbeitszeiten und einem späteren Arbeitsbeginn. Bild 1: Verteilung der Reiseweiten in Berlin Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 79 Carsharing MOBILITÄT Im bundesweiten Durchschnitt wird ein- PKW nur eine- Stunde am Tag bewegt, 23- Stunden dagegen steht er überwiegend im öfentlichen Raum herum. Innerstädtisch liegt dieser Wert zwischen 30 und 45-Minuten aller drei Anbieter hinweg, wird ein Free-Floating-Fahrzeug lediglich rund 39 Minuten am Tag produktiv genutzt. Taxis und Fahrzeuge des öfentlichen Verkehrs schneiden dagegen deutlich besser ab (Bild-2). Für Berlin haben wir für den Zeitraum April 2013 bis März 2014 in Summe ein Nachfragevolumen von rund 3 Mio. Anmietungen für alle drei FFC-Anbieter ermittelt. Bezogen auf den Berliner Mobilitätsmarkt bedeutet dies, dass alle drei Anbieter zusammen einen Modal-Split-Anteil von lediglich 0,1 % erreichen und somit im Verkehrsgeschehen eine kaum wahrnehmbare Rolle ausfüllen (Bild 3). Unsere Analysen der weiteren Städte zeigen grundsätzlich ein sehr ähnliches Bild. Ökonomische Bewertung Entscheidend für das Geschäftsmodell der Anbieter ist die Frage, welche Nutzungsarten/ Mobilitätsbedürfnisse befriedigt werden. Aufgrund der im Vergleich hohen Grenzkosten der Nutzung, wird FFC immer ein ergänzendes und kein Grundverkehrsmittel bleiben. FFC positioniert sich als Self-Service-Taxi für Kunden, deren Grenzkosten der Mobilität nahezu bei Null liegen, da sie zum Beispiel eine Zeitkarte für den öfentlichen Verkehr besitzen oder über ein Fahrrad verfügen. Aufgrund ihrer speziischen Fahrtenstruktur (Nahmobilität, Freizeitverkehr) gelingt es den FFC-Systemen einerseits, neue Erlösströme zu generieren und das Mobilitätsmarktvolumen insgesamt zu vergrößern. Andererseits werden Erlöse von anderen Verkehrsträgern abgezogen, indem Fahrten und Erlöse verlagert werden. Gleichzeitig sind die Preise bzw. Erlössätze pro Anmietung vergleichsweise hoch. So liegt der Preis für eine vergleichbare Fahrt zwar deutlich unter dem Preis für die Fahrt mit einem Taxi, aber auch deutlich über dem Preis einer Fahrt mit dem öfentlichen Verkehr. Neue Erlösströme werden vor allem bei- Kunden mit bislang niedrigen Mobilitätsgrenzkosten generiert, indem einzelne-Wege vom ÖPNV bzw. vom Fahrrad auf das FFC verlagert werden, ohne dass die Erlöse für den ÖPNV oder das Fahrrad aufgrund nicht vorhandener Grenzkosten sinken. Erfolgsfaktoren der Systeme Der ökonomische Erfolg der FFC-Systeme hängt erlösseitig insbesondere von der Auslastung der Fahrzeuge und dem Erlös pro Anmietminute ab. Nach unseren Analysen ist die Auslastung der Fahrzeuge dabei insbesondere von vier Faktoren abhängig. Bisherige Betriebsdauer des Systems Unsere Auswertungen zeigen, dass ein wesentlicher Treiber für den Erfolg in der Betriebsdauer der Systeme liegt. Für die nachfolgende Analyse der Erfolgsfaktoren haben wir die Fahrten pro Fahrzeug für alle Systeme auf eine durchschnittliche Betriebslaufzeit von 24 Monaten harmonisiert, um einen sachgerechten Vergleich zu ermöglichen. Fahrzeugdichte im Geschäftsgebiet Die Fahrzeugdichte im Geschäftsgebiet hat einen relevanten Einluss auf die Auslastung der FFC-Systeme. Aus unseren Analysen lässt sich für europäische Städte ableiten, dass zusätzliche Fahrzeuge einen nachfragesteigernden Efekt haben. Bei einigen Städten lassen sich jedoch auch eine gewisse Sättigung und eine abnehmende Grenznachfrage feststellen. Für die Anbieter ist es daher relevant, die optimale Fahrzeugdichte pro Geschäftsgebiet zu identiizieren (Bild 4). Diese ist von weiteren Faktoren, wie zum Beispiel der Siedlungsdichte, der Diversität der Nutzung, der ÖPNV-Qualität, aber auch der Fahrzeugqualität, abhängig. Ausgestaltung des Geschäftsgebietes Die Größe und der Zuschnitt des Geschäftsgebietes entscheiden darüber, wie viel potenzielle Nachfrage erschlossen werden kann. Erfolgversprechend ist es, mit einem möglichst kleinen Geschäftsgebiet möglichst viele innerstädtische Verkehrsquellen und -ziele zu erfassen. Ein Indikator für die Ausgestaltung des Geschäftsgebietes ist die Siedlungsdichte. Je dichter eine Stadt bzw. das Geschäftsgebiet besiedelt ist, umso einfacher können potenzielle Kunden erschlossen werden. Unsere Regressionsanalyse zwischen der Siedlungsdichte im Geschäftsgebiet und der harmonisierten Auslastung (Bild 5) zeigt für europäische Städte einen klaren Trend: Je dichter das Bedienungsgebiet besiedelt ist, desto höher ist die Auslastung der Systeme. Angebotsqualität des öfentlichen Verkehrs im Geschäftsgebiet In einem weiteren Analyseschritt haben wir untersucht, welchen Einluss die Qualität des öfentlichen Verkehrs auf den Erfolg der FFC-Systeme hat. Die Qualität des öfentlichen Verkehrs wird mit der Kennzahl „Haltestellenabfahrten pro km 2 Siedlungsläche“ im Geschäftsgebiet abgebildet. Die Regressionsanalyse zwischen der Qualität des öfentlichen Verkehrs und der harmonisierten Auslastung zeigt klar: Je dichter das Angebot an öfentlichen Verkehrsmitteln ist, desto höher ist die Auslastung der Systeme (Bild 6). Bild 2: Durchschnittliche Produktivminuten im Vergleich Bild 3: Modal-Split in Berlin Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 80 MOBILITÄT Carsharing Fazit Verkehrliche Bewertung FFC ist in hohem Maß motorisierte Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich. Die Fahrten weisen vergleichsweise geringe Entfernungen auf, und ein hoher Anteil der Fahrten lässt sich dem After-Work- und Freizeitverkehr zuordnen. Die bestehenden FFC-Systeme erreichen aufgrund ihrer geringen Flottengröße und ihrer geringen Auslastung keine nennenswerte verkehrliche Relevanz in den jeweiligen lokalen Verkehrsmärkten. Ein FFC-Fahrzeug wird im weltweiten Durchschnitt rund 39 Minuten am Tag gefahren und steht über 23 Stunden unproduktiv im Straßenraum. Ein privater PKW wird innerstädtisch zwischen 30 und 45 Minuten efektiv genutzt. Ökonomische Bewertung FFC ist ein Add-on-Mobilitätsystem. Den Anbietern gelingt es, mit einem neuen Produkt, zusätzliche Erlösströme zu generieren und die Mobilitätsausgaben der Kunden zu erhöhen. Aufgrund ihrer speziischen Fahrtenstruktur wird die Nachfrage von Verkehrsträgern mit geringen Grenzkosten für den Kunden, wie zum Beispiel dem Fahrrad oder ÖPNV, auf die FFC-Systeme verlagert und zusätzliche Erlöse für das FFC-System generiert. Erfolgsfaktoren Der Erfolg der Systeme wird durch mehrere Faktoren determiniert. Zum einen die optimale Fahrzeugdichte im Geschäftsgebiet: Systeme mit tendenziell eher kleinen Gebieten und einem hohen Fahrzeugbesatz sind erfolgreicher. Zum anderen ermöglicht die Konzentration des Geschäftsgebiets auf dicht besiedelte Milieu-Stadtteile, so dass wichtige Verkehrsquellen und relevante Zielgruppen erschlossen werden, den Erfolg der Systeme. Der Erfolg der Systeme korrespondiert klar mit der Qualität des öffentlichen Verkehrs in den Städten: Je besser der öfentliche Verkehr, umso erfolgreicher sind die FFC-Systeme. ■ 1 Vgl. Leo, Andreas: car2go - connected smart vehicles, 2013. Die Anzahl der Fahrten pro Fahrzeug folgt dabei in Abhängigkeit von den Monaten der Betriebsdauer einer nichtlinearen Funktion Sascha Frohwerk, Dr. Consultant, civity Management Consultants GmbH & Co. KG, Berlin sascha.frohwerk@civity.de Stefan Weigele Partner, civity Management Consultants GmbH & Co. KG, Hamburg stefan.weigele@civity.de Friedemann Brockmeyer Consultant, civity Management Consultants GmbH & Co. KG, Berlin friedemann.brockmeyer@civity.de Bild 4: Optimale Fahrzeugdichte im Geschäftsgebiet Bild 5: Einluss der Einwohnerdichte Bild 6: Einluss der Qualität des öfentlichen Verkehrs Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 81 Verkehrsmanagement MOBILITÄT Zielkonlikte im dynamischen Verkehrsmanagement Ursachen und Lösungswege Zielkonlikte entstehen, wenn mehrere Ziele angestrebt werden, die zueinander konträr sind. Die Aufgabe, Zielkonlikte im dynamischen Verkehrsmanagement zu lösen, resultiert vor allem aus dem mittlerweile umfänglichen Einsatz von Verkehrsmanagementsystemen. Hinzu kommt die zunehmend stärkere Sensibilisierung der Öfentlichkeit hinsichtlich Planung und Nutzung der Verkehrsinfrastruktur. Auf Grundlage praktischer Erfahrungen werden manifeste und latente Zielkonlikte identiiziert und analysiert sowie mit Hilfe strukturierter Zielauswahl- und Optimierungsverfahren Lösungswege aufgezeigt. Der Autor: Stefan Grahl S icher, schnell und mit geringem Aufwand das gewünschte Reiseziel zu erreichen, ist Anliegen aller Verkehrsteilnehmer. Ein ungestörter Betriebsablauf und die volle Nutzbarkeit der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur sind wichtige Ziele für Baulastträger und Verkehrsunternehmen. Straßenanlieger erwarten uneingeschränkten Zugang zu Grundstücken und möglichst wenig Belastungen durch den Verkehr. Passanten wollen hohe Aufenthaltsqualität. Diese verschiedenen Ziele werden selten konliktfrei erreicht. Ursachen, Wirkungsweisen und Folgen derartiger Zielkonlikte sind für das Verkehrsmanagement bislang nur partiell erfasst und nicht vertieft untersucht worden. Häuig versucht man Lösungen zu inden, wenn die unterschiedlichen Interessen bereits kollidieren. Deshalb wurde im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen das Forschungsprojekt „Zielkonlikte im dynamischen Verkehrsmanagement“ bearbeitet [1]. Die Untersuchungen bezogen sich auf den öfentlichen und individuellen straßengebundenen Verkehr. Ein kurzer einführender Leitfaden kann beim Autor angefordert werden. Wissenschaftliche Grundlagen D er Begrif „Dynamisches Verkehrsmanagement“ entstand im Zusammenhang mit Pilotprojekten der Initiative „Mobilität in Ballungsräumen“ (1999-2003) und wird in Publikationen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) deiniert [2], [3]. Das Ziel des dynamischen Verkehrsmanagements ist es, mit geeigneten Strategien die Stabilität des Verkehrssystems zu erhalten bzw. (den Regelablauf ) wiederherzustellen (Bild 1). Der Übergang von einem stabilen in ein instabiles Verkehrssystem kann durch Ereignisse ausgelöst werden, die unvorhergesehen (z. B. Störfall), teilweise planbar (z. B. Baustellenstau) oder örtlich und zeitlich planbar (z. B. City-Marathon) eintreten. Dabei ist die Instabilität meist mit einem der drei Zustände verbunden: • Verkehrsraum voll verfügbar, jedoch Verkehrsüberlastung • Verkehrsraum eingeschränkt verfügbar • Verkehrsraum nicht verfügbar. Zwei kurz skizzierte Beispiele sollen die Problematik veranschaulichen: Beispiel 1 Infolge einer größeren Havarie muss der Verkehr auf einer Hauptverkehrsstraße längere Zeit unterbrochen werden. Das wirkt sich auf alle Verkehrsarten und Anwohner aus und bindet Polizei, Tiebauamt und Verkehrsbetriebe. Die Havarie soll schnellstmöglich beseitigt, der Verkehrsablauf im betrofenen Bereich nur im notwendigen Umfang eingeschränkt und die Auswirkungen auf anschließende Gebiete gering gehalten werden (Ziele). Um den Havariebereich verkehrlich zu entlasten und den Verkehrsablauf zu sichern (Strategie), werden zwei Szenarien geprüft: eine kleinräumige und eine großräumige Verkehrsumlenkung mit den entsprechenden Maßnahmen. Beispiel 2 Eine Großveranstaltung im Stadion führt in einem (Straßen-) Teilnetz zu stark erhöhtem Verkehrsaukommen, das die vorhandenen Kapazitäten für den ließenden und ruhenden Verkehr überschreitet. Davon betrofen sind der reguläre öfentliche (ÖV) und motorisierte Verkehr (MIV) im Bereich sowie die Stadionbesucher, die Polizei, Verkehrsbetriebe und Veranstalter. Ziele sind die Aufrechterhaltung des regulären Ver- Bild 1: Systembezug des dynamischen Verkehrsmanagements Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 82 MOBILITÄT Verkehrsmanagement kehrsablaufs sowie die zeitgerechte An- und Abreise der Besucher. Als geeignete Strategie wird die Abwicklung des Besucherverkehrs durch intermodale Reiseketten angesehen. Bei der Festlegung und Anwendung von Strategien sowie der für ihre Umsetzung erforderlichen Maßnahmen können Zielkonlikte auftreten. Eine geeignete Methode, sie aufzudecken und zu behandeln, ist die Entscheidungsanalyse. Dabei geht man vom Ist- Zustand (Zeitpunkt 0) und vom angestrebten Soll- Zustand (Zeitpunkt +1) eines Systems aus. Der Soll-Zustand wird durch ein Zielsystem mit Ober-, Unter- und Elementarzielen beschrieben [4]. Dieser technokratische Lösungsansatz wird mit der soziologischen Konliktbewältigung verbunden. Hierfür eignet sich z. B. die Harvard-Methode des sachbezogenen Verhandelns. Es wird die wirkungsvolle und dauerhafte Lösung des Konliktes angestrebt. Diese gelingt umso eher, wenn Verständnis für die Interessen der jeweilig anderen Konliktbeteiligten entwickelt und gemeinsam eine Win-Win-Lösung geschaffen wird [5]. Strukturierung von Zielkonflikten Im dynamischen Verkehrsmanagement treten häuig folgende Konfliktarten auf: • Verkehrliche Zielkonlikte • Zielkonlikt zwischen Verkehr und Bauen • Umweltbezogene Zielkonlikte • Zielkonlikte durch infrastrukturelle Deizite • Organisationsübergreifende Zielkonlikte • Zielkonlikte, die sich aus dem Mobilitäts-/ Verkehrsverhalten ergeben Bei der Analyse von Zielkonlikten wird zuerst gefragt, wer direkt und indirekt beteiligt ist. Beim dynamischen Verkehrsmanagement (VM) sind das in der Regel drei Gruppen: VM-Akteure, Verkehrsteilnehmer und Betrofene. Sie werden als Konfliktsubjekte bezeichnet. Zu den VM-Akteuren gehören vor allem Straßenbaulastträger, ÖV- Unternehmen, Polizei und Feuerwehr, Parkhausbetreiber und Großveranstalter, z. B. Messegesellschaften. Eine wichtige Rolle spielen Kommunikationsdienstleister. Als Betrofene gelten private und gewerbliche Anlieger sowie besonders umweltsensible Bereiche, z. B. Landschaftsschutzgebiete. Konfliktobjekte sind die Elemente des Verkehrssystems Straße mit ihren baulichen und technischen Ausrüstungen wie z.B. Autobahnen, Landstraßen, Hauptverkehrsstraßen, dazugehörige ÖV-Trassen oder Veranstaltungsorte. Konfliktfelder ergeben sich primär aus den situativen Nutzungsansprüchen der Konliktsubjekte an die Konliktobjekte (Bild 2). Weitere Konlikte entstehen u.a. als Folge von Nutzungsrestriktionen wie z. B. Umweltzonen. Erkennen und Behandeln von Zielkonflikten Die Konliktbearbeitung im dynamischen Verkehrsmanagement unterscheidet sich danach, ob sie in der Prozessphase Strategieplanung oder Strategiemanagement stattindet. Im Vordergrund steht die präventive Behandlung möglicher Zielkonlikte schon im Planungsstadium. Dafür werden Zielsysteme generiert und Optimierungsverfahren eingesetzt. Schon die vorgenannten Beispiele lassen auf eine Vielzahl möglicher Zielkonlikte schließen. Es ist daher sinnvoll, Zielsysteme zuerst generell, d. h. situationsunabhängig zu generieren. Außerdem werden die Unter- und Elementarziele wegen ihrer großen Vielfalt so genannten Zielbereichen zugeordnet (Bild-3). Für eine konkret zu bewältigende Situation müssen zunächst die Konliktsubjekte festgestellt und deren Ziele bestimmt werden. Daraus lässt sich das erforderliche situative Zielsystem generieren. Mit der Festlegung von quantitativen oder qualitativen Indikatoren für die Elementarziele wird dieses Zielsystem operationalisiert, und in der Folge kann die Zielerreichung beurteilt werden [6]. Nach Möglichkeit verwendet man Indikatoren, die bei der jeweiligen Strategieplanung ohnehin zu ermitteln Bild 2: Zusammenhang Konfliktsubjekte, -objekte und -felder Bild 3: Generelles Zielsystem Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 83 Verkehrsmanagement MOBILITÄT sind, z. B. Qualitätsstufen für den Verkehrsablauf. Die einzelnen Ziele sind mit Zielgewichten zu versehen. Ebenso müssen für die Indikatoren Grenzwerte festgelegt werden, die nicht über- oder unterschritten werden dürfen. Die Strategie selbst wird Zielfunktion für die Optimierung der Zielerreichung. Im Beispiel 1 handelt es sich um eine Minimierung von Auswirkungen der Havarie, in Beispiel 2 um eine Maximierung des Verkehrs-/ Transportangebots für die Großveranstaltung. Die Ermittlung einer optimalen Lösung kann in einfachen Fällen mittels PC-Standardprogrammen erfolgen. Komplexe Zusammenhänge bedürfen der mathematischen Modellbildung und -rechnung. In jedem Fall erforderlich ist die Berechnung oder Schätzung der Indikatoren des Zielsystems. Nach Möglichkeit sollten mehrere Szenarien für die Auswahl und Anwendung verkehrlicher und nicht verkehrlicher Maßnahmen gebildet werden, um die unterschiedlichen Ziele der Beteiligten besser berücksichtigen zu können. Zielkonfliktlösung beim Strategiemanagement Im operativen Betrieb kommt es auf schnelle und richtige Entscheidungen an, zu denen die Auswahl, Prüfung und Aktivierung vorab deinierter Strategien gehört (Strategiemanagement). Konlikte entstehen hier vor allem, wenn mehrere kritische Situationen zeitgleich auftreten und die zu ihrer Bewältigung notwendigen Maßnahmen sich gegenseitig ausschließen. Das wäre der Fall, wenn die in Beispiel 1 genannte Havarie auf einer Hauptverkehrsstraße genau dann auftritt, wenn dort der zusätzliche Besucherverkehr zu einer Großveranstaltung, Beispiel 2, bewältigt werden soll. Je nach Zeitpunkt und Schwere der Havarie muss die vorgesehene Routenführung zum P&R-Platz angepasst und möglicherweise auf ÖV-Sonderverkehre im betrofenen Bereich verzichtet werden, gegebenenfalls ist der Veranstaltungsbeginn anzupassen. Die Zielkonliktlösung im Strategiemanagement ist zunächst eine planerische Aufgabe. Mit Hilfe einer Konliktmatrix wird geprüft, welche Maßnahmen kompatibel sind und welche sich gegenseitig ausschließen. Für letztere sind dann Prioritäten entweder deinitiv festzulegen oder mit Hilfe eines Optimierungsverfahrens zu bestimmen. Bewährt haben sich regelmäßige Analysen darüber, welche Situationen häuig auftreten und wie sie bewältigt wurden, welche Wirkungen und Probleme sich einstellten. Zusammenfassung Zielkonlikte im dynamischen Verkehrsmanagement resultieren im Wesentlichen daraus, dass sich Anforderungen der Konliktsubjekte (Akteure, Verkehrsteilnehmer, Betrofene) an die Konliktobjekte (zumeist Verkehrsinfrastruktur) zeitlich und räumlich ausschließen bzw. zu nicht akzeptablen verkehrlichen und nicht verkehrlichen Wirkungen führen. Für die Behandlung derartiger Zielkonlikte sind tragfähige und alltagstaugliche Kommunikationsstrukturen zwischen den Konliktsubjekten erforderlich. Hier haben sich „Runde Tische“ zur baulastträgerübergreifenden Strategieabstimmung und standortbezogene Arbeitsgruppen wie „Arena/ Messe“ in Düsseldorf und ähnliche in Berlin, Frankfurt am Main und Nürnberg bewährt. Eine Bürgerbeteiligung ist vor allem dann sinnvoll, wenn es sich um Betrofene von Maßnahmen handelt, die regelmäßig ergrifen werden, z. B. bei Großveranstaltungen oder Baustellen längerer Dauer. Auch Hinweise aus der Bevölkerung zu Wirkungen von verkehrsbeeinlussenden Maßnahmen können hilfreich sein. Im dynamischen Verkehrsmanagement nicht lösbare Zielkonlikte führen oftmals zur Notwendigkeit, die Probleme durch bauliche oder verkehrsorganisatorische Maßnahmen zu beseitigen. Dabei ist zu prüfen, ob die Konlikte bereits beim Regelablauf des Verkehrssystems auftreten und dort zuerst gelöst werden müssen. ■ LITERATUR [1] Grahl, S.; Müller, S. (2013): Zielkonflikte im dynamischen Verkehrsmanagement, Schlussbericht zu FE 03.0465/ 2010/ KGB, Bundesanstalt für Straßenwesen Bergisch Gladbach [2] FGSV 381 (2003): Hinweise zur Strategieentwicklung im dynamischen Verkehrsmanagement, Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), Köln [3] FGSV 381/ 1 (2011): Hinweise zur Strategieanwendung im dynamischen Verkehrsmanagement, Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), Köln [4] Klein, R.; Scholl, A.(2004): Planung und Entscheidung, Verlag Vahlen [5] Artner, J. Ritter, M. (2008): Konfliktsoziologie, TU Dresden, wikibooks.org (07/ 2013) [6] Domschke, W., Drexl, A. (2011): Einführung in Operations Research, Springer Verlag (8. Auflage) Stefan Grahl, Dr.-Ing. Inhaber, Grahl Ingenieurbüro für Systeme des Schienen- und Straßenverkehrs, Dresden stefangrahl@t-online.de 17. September 2014, 09: 00 - 16: 00 Uhr, House of Logistics and Mobility (HOLM), Frankfurt am Main Anmeldung bis 12. September 2014 www.mobil-in-hessen.de Auf dem Weg zum mobilen Hessen 2020 12. Hessischer Mobilitätskongress 2014 © Editor77 | Dreamstime.com Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 84 MOBILITÄT Fahrplangestaltung SPNV Bewertung von Fahrplankonzepten Eine Betrachtung unter dem Aspekt der Stakeholder-Interessen Mit Beginn der Bahnreform im Jahr 1994 erhöhte sich die Zahl der Akteure und Schnittstellen auf dem Schienenverkehrsmarkt erheblich. Die heutige Entwicklung von Angebotskonzepten im Bahnverkehr ist daher ein komplexer und vielschichtiger Prozess, dessen Resultat als Ergebnis aus dem Zusammenwirken der Stakeholder bezeichnet werden kann. Unter Beachtung dieser These werden die Anforderungen der Stakeholder an den Fahrplan im Schienenpersonennahverkehr untersucht und zur Bewertung von Fahrplankonzepten verwendet. Die Autoren: Trutz von Olnhausen, Ronald Glembotzky D ie Verknüpfung der Interessen der Stakeholder, also aller mittelbar und unmittelbar beeinlussten Akteure, gewinnt in vielen Bereichen an Bedeutung. Im Fahrplanwesen des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) wurden als Stakeholder identiiziert: • Fahrgäste • Gesellschaft (z. B.: Initiativen, Verbände, Lobbyisten) • Aufgabenträger • Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) • Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) Im Folgenden werden die Anforderungen der Stakeholder an den Fahrplan aufgezeigt und einer Bewertung unterzogen. Die daraus abgeleiteten Bewertungskriterien werden dazu verwendet, die bisher sehr subjektiv geprägte Fahrplanbewertung aus dem Blickwinkel der Stakeholder-Interessen objektiver zu gestalten. Die Bewertungskriterien greifen dabei auf alle Aspekte der Planungsschritte im SPNV (Bild 1) zurück, stellen die Fahrplanung aber als Dreh- und Angelpunkt zwischen Angebots- und Betriebsplanung in den Mittelpunkt. Die Fahrplanung ist von den in Bild 2 dargestellten Zwängen umgeben und wird von den Interessen der Stakeholder ummantelt. Durch die objektive Bewertung verschiedener Varianten kann eine für alle Stakeholder zufriedenstellende Variante ermittelt werden. Dies wird exemplarisch anhand eines theoretischen Fahrplankonzepts aufgezeigt. Entwicklung und Ergebnisse der Bewertungskriterien Anforderungen an den Fahrplan Durch Sichten relevanter Fachliteratur sowie das Führen von Fachgesprächen mit verschiedenen Vertretern der Stakeholder werden in einem ersten Schritt die Anforderungen an den Fahrplan im SPNV ermittelt. Die Anforderungen unterliegen keinem Anspruch auf Vollständigkeit und sollten kontinuierlich weiterentwickelt werden. Gewichtung der Anforderungen Nach Ermittlung der Anforderungen werden in einem zweiten Schritt diese auf Basis der in Tabelle 1 dargestellten Grundlagen nach dem Punktbewertungsverfahren bewertet. Die Ergebnisse der Gewichtung der Anforderungen sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Bild 2: Zwänge der Fahrplangestaltung Bild 1: Planungsschritte im Schienenpersonennahverkehr Bild 3: Entwicklung der Bewertungskriterien Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 85 Fahrplangestaltung SPNV MOBILITÄT In weiteren Betrachtungen kann auch auf komplexere Bewertungsverfahren zurückgegrifen werden. Beispielsweise eignet sich die Methode nach dem Analytical Hierarchy Process [6] um eine aussagekräftige Einschätzung eines einzelnen Stakeholders zu erhalten. Durchführung der Bewertung In einem dritten Schritt werden die Bewertungskriterien nach dem in Bild 3 dargestellten Schema entwickelt. Die gewichteten Anforderungen, die durch die Stakeholder einer Bewertung unterzogen werden, werden im Anschluss zur besseren Vergleichbarkeit normiert. So hat jeder Stakeholder in der Ausgangssituation die gleiche Summe an Punkten. Dies hat zudem den Vorteil, dass verschiedene Bewertungsverfahren angewendet und durch die Normierung auf einen Stand gebracht werden können. Nach dieser Normierung werden die Bewertungsergebnisse mit den Korrekturfaktoren Einluss und Wichtigkeit multipliziert (Tabelle 3). So wird garantiert, dass ein Stakeholder mit geringem Einluss bzw. Wichtigkeit weniger Anteil an den Bewertungskriterien erreicht. In einer durchgeführten Sensitivitätsanalyse erfolgte eine Variierung der Gewichtung der Anforderungen wie auch für die verwendeten Werte der Korrekturfaktoren, als Ergebnis kann das Bewertungsverfahren als stabil angesehen werden. Zielmatrix Die Ergebnisse der Bewertungskriterien münden in der Zielmatrix (Tabelle 4). Zur Verdeutlichung der Ergebnisse wurden die- Stakeholder Grundlage Fahrgäste Eigene Einschätzung auf Basis von [1]. Gesellschaft Eigene Einschätzung auf Basis von [2]. Aufgabenträger Bewertung durch [3] in Fachgesprächen ermittelt. Eisenbahnverkehrsunternehmen Bewertung durch [4] in Fachgesprächen ermittelt. Eisenbahninfrastrukturunternehmen Bewertung durch [5] im Fachgespräch ermittelt. Tabelle 1: Grundlage für die Gewichtung der Anforderungen Gewichtung der Anforderungen Fahrgäste Gesellschaft Aufgabenträger Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahninfrastrukturunternehmen Direktverbindungen 5 2 4 4 2 Reisegeschwindigkeit 4 3 4 3 5 Pünktlichkeit 4 4 3 5 4 Anschlussgewährleistung 4 4 5 4 1 Reisekette 3 5 5 4 4 Häuigkeit 3 3 3 3 4 Regelmäßigkeit 3 3 3 3 3 Merkbarkeit 3 4 4 4 1 Taktverkehre 3 5 4 4 4 Integraler Taktfahrplan 3 5 5 3 1 Umlaufoptimierung 1 3 4 5 1 Dienstplanoptimierung 1 2 3 5 1 Keine Überholung 1 3 1 3 3 Betriebsqualität 2 3 2 3 4 Fahrplanpufer 3 3 3 3 3 Instandhaltungsfenster 1 1 1 2 3 Trassenbündelung 1 1 3 1 4 Trassenkosten 1 3 5 3 1 Trassenerlöse 1 1 1 1 5 Infrastrukturanpassung 1 2 1 2 5 Tabelle 2: Gewichtung der Anforderungen 1 Unwichtig, 2 Eher unwichtig, 3 Teils/ teils, 4 Eher wichtig, 5 Wichtig Korrektur der Bewertungsergebnisse Fahrgäste Gesellschaft Aufgabenträger Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahninfrastrukturunternehmen Einluss 1,5 1 2 1 1 Wichtigkeit 2 1 2 1,5 1,5 Tabelle 3: Korrektur der Bewertungsergebnisse 1 Geringer Einluss/ Wichtigkeit, 1,5 Mittlerer Einluss/ Wichtigkeit 2 Starker Einluss/ Wichtigkeit Zielmatrix Fahrgäste Gesellschaft Aufgabenträger Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahninfrastrukturunternehmen Direktverbindungen 20 2 16 6 3 Reisegeschwindigkeit 16 3 16 5 8 Pünktlichkeit 16 4 12 8 7 Anschlussgewährleistung 16 4 20 6 2 Reisekette 12 5 20 6 7 Häuigkeit 12 3 12 5 7 Regelmäßigkeit 12 3 12 5 5 Merkbarkeit 12 4 16 6 2 Taktverkehre 12 5 16 6 7 Integraler Taktfahrplan 12 5 20 5 2 Umlaufoptimierung 4 3 16 8 2 Dienstplanoptimierung 4 2 12 8 2 Keine Überholung 4 3 4 5 5 Betriebsqualität 8 3 8 5 7 Fahrplanpufer 12 3 12 5 5 Instandhaltungsfenster 4 1 4 3 5 Trassenbündelung 4 1 12 2 7 Trassenkosten 4 3 20 5 2 Trassenerlöse 4 1 4 2 8 Infrastrukturanpassung 4 2 4 3 8 Tabelle 4: Zielmatrix der Bewertungskriterien Rot Geringes Interesse, Orange Eher geringes Interesse, Gelb Eher starkes Interesse, Grün Starkes Interesse Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 86 MOBILITÄT Fahrplangestaltung SPNV se farblich hinterlegt, sodass sich schnell erkennen lässt, welche Interessenspräferenzen aus Sicht aller Stakeholder bestehen. Auf den Werten der Zielmatrix basieren die weiteren Untersuchungen und Ergebnisse. Aufällig ist beispielsweise, dass ein EIU im Vergleich mit den anderen Stakeholdern stark gegenläuige Interessen aufweist. So werden die Kriterien Anschlussgewährleistung, Merkbarkeit, Integraler Taktfahrplan, Umlaufsowie Dienstplanoptimierung nur vom EIU als gering bewertet. Analog dazu sind die Kriterien Instandhaltungsfenster, Trassenbündelung und Trassenerlöse von großem Interesse für ein EIU, werden aber von anderen Stakeholdern als gering bewertet. Ergebnisse Durch Summierung der Spalten der Zielmatrix lassen sich die Stakeholder-Anteile an den Bewertungskriterien ableiten; dabei ergibt sich folgende Reihenfolge: • Aufgabenträger (36 %) • Fahrgäste (27 %) • EVU (14 %) • EIU (14 %) • Gesellschaft (9 %) Sehr deutlich nimmt der Aufgabenträger als Besteller der Verkehrsleistung im Nahverkehr die Schlüsselrolle ein. An zweiter Position steht die Gruppe der Fahrgäste. Dies begründet sich durch die Generierung der Verkehrsnachfrage. EVU und EIU liegen im unteren Mittelfeld, obwohl durch sie die Erbringung der Verkehrsleistung erst möglich wird. Die Gesellschaft erreicht den geringsten Stakeholder-Anteil. Aus der Summierung der Zeilen lässt sich die Priorität der Bewertungskriterien (Bild 4) ableiten. Die Reihenfolge der Kriterien gibt Aufschluss über die Priorität aus Sicht aller Stakeholder. Kriterien, die hierbei einen hohen prozentualen Anteil erreichen, sind als wichtig einzustufen. Bewertung eines theoretischen Fahrplankonzepts Um die Praxistauglichkeit darzustellen, wird im Folgenden ein theoretisches Fahrplankonzept (Bild 5) mit drei verschiedenen Varianten vorgestellt und einer Bewertung unterzogen. Dabei werden ausgewählte Kriterien herangezogen. Betrachtet werden dabei folgende Varianten: • In Variante 1 (Bild 6) sind die SPNV-Linie 1-3 als Zu- und Abbringer auf den Integralen Taktfahrplan (ITF) -Knoten in A ausgerichtet und bieten damit optimale Umsteigebeziehungen von und zum Fernverkehr. Eine akzeptable Verbindung auf der Relation D-B ist nur mit einem Umstieg in C realisierbar, aufgrund der Knotenausrichtung aller SPNV-Linien kann aber nur eine unattraktive Umsteigezeit realisiert werden. • Variante 1.1 (Bild 7) ist eine Erweiterung der vorgestellten Variante 1, die zeitlichen Lagen werden unverändert beibehalten. Durch die Realisierung eines Flügelkonzeptes wird zusätzlich die Direktverbindung auf der Relation B-D hergestellt. Das Kuppeln und Entkuppeln indet in C statt. Im Vergleich zu den Varianten 1 und 2 werden somit höhere Aufwendungen für das EVU bzw. Kosten für den Aufgabenträger erforderlich, als vorteilhaft erweisen sich dafür die größere Anzahl an umsteigefreien Direktverbindungen. • Variante 2 (Bild 8) sieht eine Verschiebung der Linie RB 2 und eine Abkopplung vom ITF-Knoten in A vor, mit den Ziel einen attraktiven Übergang in C herzustellen. Der ITF-Knoten wird folglich nur alle zwei Stunden von der Linie RE 3 erreicht. Variante 1 und 2 kommen mit der gleichen Zugkilometerzahl aus und unterscheiden sich lediglich in der Verschiebung der zeitlichen Lage der Linie RB 2. Für eine spätere Vergleichbarkeit der Triebfahrzeugumläufe wurden grundsätzlich alle Züge aus zwei Triebwagen geplant. Bewertung Die Bewertung wurde im Punktbewertungsverfahren durchgeführt, im Autorenteam auf Sinnhaftigkeit diskutiert, und Punkte der Bewertungsskala von 1 (nicht erfüllt) über 2 (eher nicht erfüllt) sowie 3 (teils/ teils) und 4 (eher erfüllt) bis 5 (erfüllt) vergeben (Tabelle 5). Für die Kriterienbewertung wurde ein konliktfreier Fahrplan mittels des Fahrplankonstruktionsprogrammes FBS konstruiert. Dadurch konnte beispielsweise für das Kriterium Umlaufoptimierung die genaue Zahl der notwendigen Fahrzeuge ermittelt werden: • Variante 1: 6 Triebwagen (5 Punkte) • Variante 1.1: 7 Triebwagen (4 Punkte) • Variante 2: 8 Triebwagen (3 Punkte) Bild 4: Priorität der Bewertungskriterien aus Stakeholder-Sicht Bild 5: Liniennetz des Fahrplankonzepts Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 87 Fahrplangestaltung SPNV MOBILITÄT Für detailliertere Betrachtungen können die Voruntersuchungen zu den einzelnen Kriterien im Aufwand erhöht werden bzw. mit schon vorhandenen Untersuchungen verknüpft werden, um die Aussagekraft weiter zu steigern. Ergebnis Im Detail weisen alle drei Varianten verschiedene Vor- und Nachteile auf. Dies bestätigt sich auch im Ergebnis der einzelnen Bewertungskriterien wie in Bild 9 zu erkennen ist. Bei der Summierung aller Ergebnispunkte liegt Variante 2 (1612 Bewertungspunkte) deutlich hinter den Varianten 1 (1984 Bewertungspunkte) und 1.1 (2051 Bewertungspunkte) zurück. Die minimal erreichbare Punktzahl beträgt 450, die maximal erreichbare 2251 Punkte. Die Variante 1.1 optimiert die Ausgangsvariante 1 durch eine höhere Anzahl an Direktverbindungen und damit der Reisegeschwindigkeit sowie Anschlussgewährleistung wobei ein Mehreinsatz von Triebwagen in Kauf genommen wird. Dabei wird das Kriterium Umlaufoptimierung im Vergleich zu Variante 1 und 2 als ungünstiger erachtet. Auch aus Sicht der Stakeholder wird die Variante 1.1, wie in Bild 10 zu erkennen, favorisiert. Handlungsempfehlungen Die entwickelten Bewertungskriterien stellen einen Anfang in der Forschung und Entwicklung von aussagekräftigen Wirkzusammenhängen zwischen den identifizierten Stakeholdern im Kontext des Fahrplans sowie den Angebotsvarianten dar. Die entwickelten Bewertungskriterien im SPNV könnten in weiteren Schritten verfeinert werden. So sollten detaillierte Befragungen bei den Aufgabenträgern, den gesellschaftlichen Gruppen sowie den Fahrgästen durchgeführt werden. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass die Ausprägung der Kriterienbewertung bei einzelnen Stakeholdern unterschiedlich ausfällt. Ein weiteres Forschungsgebiet ergibt sich mit der Frage, inwieweit die gefundenen Bewertungskriterien sich auch in Zukunft als stabil erweisen. Verschiedene Ein- 0 50 100 150 200 250 300 Trassenkosten Trassenbündelung Umlaufoptimierung Taktverkehre Merkbarkeit Regelmäßigkeit Häufigkeit Reisekette Anschlussgewährleistung Reisegeschwindigkeit Direktverbindungen Bewertungspunkte Bewertungskriterien Minimum Variante 1 Variante 1.1 Variante 2 Maximum Bild 6: Bildfahrplan der Variante 1 Bild 7: Bildfahrplan der Variante 1.1 Bild 8: Bildfahrplan der Variante 2 Bild 9: Ergebnisse des Variantenvergleichs Variantenvergleich Variante 1 Variante 1.1 Variante 2 Minimum Maximum Direktverbindungen 3 5 3 1 5 Reisegeschwindigkeit 4 5 4 1 5 Anschlussgewährleistung 4 5 4 1 5 Reisekette 5 5 3 1 5 Häufigkeit 5 5 5 1 5 Regelmäßigkeit 5 5 3 1 5 Merkbarkeit 4 4 2 1 5 Taktverkehre 5 5 5 1 5 Umlaufoptimierung 5 4 3 1 5 Trassenbündelung 5 4 3 1 5 Trassenkosten 4 2 4 1 5 Tabelle 5: Variantenbewertung Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 88 MOBILITÄT Fahrplangestaltung SPNV lussfaktoren wie der demographische und gesellschaftliche Wandel und ökonomische wie ökologische Herausforderungen werden komplexe Änderungen und Anpassungsprozesse nach sich ziehen. Dies hat indirekte und direkte Einlüsse auf die Rahmenbedingungen des Prozesses der Fahr- und Angebotsplanung und damit den Fahrplan selbst. Fazit Das vorgestellte Bewertungsverfahren stellt ein transparentes Verfahren zur Bewertung von Angebotsvarianten unter Berücksichtigung der Anforderungen aller Stakeholder zur Verfügung. Je besser die Zusammenhänge und deren Folgewirkungen bei der Fahrplanung verstanden werden, desto aktiver kann in die Prozesse der Infrastruktur- und Fahrplanung im kurzwie auch langfristigen Bereich eingegrifen werden, um nach Möglichkeit alle Stakeholder einzubinden. Weiterhin eignet sich das Bewertungsverfahren zur Beratung einzelner Stakeholder, die dabei konkrete und bewertbare Anforderungen einließen lassen können. Durch den Schritt weg von einer Einzeloptimierung jedes Stakeholders hin zu einer Gesamtoptimierung können bisher nicht entdeckte Potentiale identiiziert und aktiv in die Betrachtung einbezogen werden. ■ LITERATUR [1] Stakeholder-Bewertung Fahrgäste: Vgl. Perry, Jesko (1998): Nutzenorientierte Marktsegmentierung: Ein integrativer Ansatz zum Zielgruppenmarketing im Verkehrsdienstleistungsbereich, Wiesbaden. Vgl. Douglas Economics (2004): Value of Rail Travel Time. Vgl. Wardmann, Mark (2001): A review of British evidence on time and service quality valuations. Transportation Research Part E: Logistics and Transportation Review, Vol. 37, April-July 2001, S. 107 f. [2] Stakeholder-Bewertung Gesellschaft: Vgl. Allianz pro Schiene e.V.; Publikationen - Download und Bestellung, https: / / www.allianz-pro-schiene.de/ publikationen/ (29.03.2014, 17: 25 MEZ). Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV e.V. (Hg.): Positionen und Ziele, http: / / bag-spnv.de/ positionen-ziele (29.03.2014, 17: 52 MEZ). Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV e.V. (Hg.): Ein Leitbild für die Ei-senbahn im Jahr 2030 in Deutschland, S. 14, verfügbar: http: / / bag-spnv.de/ positionen-ziele? ile=iles/ bagspnv/ startseite/ positionen-ziele/ downloads/ 2009-10-12_leitbild_2030.pdf (29.03.2014, 17: 42 MEZ). Vgl. Grüne Liga e.V.; Müller, Lothar (Hg., 2007): Perspektiven für eine Bahn für Alle, Neue Zielsetzungen für Wachstum der Bahn, Berlin, http: / / www.bahn-fuer-alle.de/ pages/ buendnis/ was-wir-wollen.ph p? searchresult=1&sstring=deutschland+takt#wb_3 (29.03.2014, 22: 39 MEZ). Vgl. Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (Hg., 2014): Startseite, Berlin, http: / / www.evg-online.org/ index_html? -C= (29.03.2014, 18: 29 MEZ). Vgl. Bahn von unten; Öinger, Hans-Gerd (Hg. 2014): Startseite, Wiesbaden, http: / / www.bahnvonunten.de/ ? page_id=65 (29.03.2014, 22: 49 MEZ). Vgl. Pro Bahn e.V. (Hg., 2002): Positionen, Grundforderungen aus Fahrgastsicht, Berlin, http: / / www.pro-bahn.de/ disk/ forder.htm (29.03.2014, 22: 25 MEZ). Vgl. Pro Bahn e.V. (Hg., 2000): Positionen, Der Nah- und Regionalverkehr auf der Schiene hat Zukunft, 12 Thesen aus der Sicht der Fahrgäste, Berlin, http: / / www.pro-bahn.de/ disk/ regford.htm (29.03.2014, 22: 33 MEZ). Vgl. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hg., 2014): Positionssuche, Köln, http: / / www.vdv.de/ positionensuche.aspx (29.03.2014, 19: 11 MEZ). Vgl. Verkehrsclub Deutschland e.V. (Hg., 2014): Deutschlandtakt und -tarif, Berlin, http: / / www.vcd.org/ deutschlandtakt.html (29.03.2014, 18: 47 MEZ). Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg., 2013): Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, Deutschlands Zukunft gestalten, S. 42, verfügbar: http: / / www.bundesregierung.de/ Content/ DE/ _Anlagen/ 2013/ 2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf; jsessionid=88924616863DB0CDC3670224650F 173. s4t2? __blob= publicationFile&v=2 (28.03.2014, 23: 01 MEZ). Vgl. Bündnis 90/ Die Grünen (Hg., 2013): Bundestagswahlprogramm 2013 von Bündnis 90/ Die Grünen, Zeit für den Wandel, S. 174, verfügbar: http: / / www.gruene.de/ ileadmin/ user_upload/ Dokumente/ Wahlprogramm/ Wahlprogramm-barrierefrei.pdf (28.03.2014, 23: 11 MEZ). Vgl. Die Linke (Hg., 2013): Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013, verfügbar: http: / / www.die-linke.de/ wahlen/ archiv/ archiv-fruehere-wahlprogramme/ wahlprogramm-2013/ wahlprogramm-2013/ iv-gesellschaft-sozial-oekologisch-und-barrierefrei-umbauenund-die-wirtschaft-demokratisieren/ mobilitaet-fuer-alle-mit-weniger-verkehr-flexibel-oekologisch-barrierefrei-bezahlbar/ (28.03.2014, 23: 18 MEZ). [3] Stakeholder-Bewertung Aufgabenträger: Fachgespräch mit Dipl.-Ing. Volker Heepen, Consultant bei der BSL Transportation Consultants GmbH & Co. KG, ehemaliger Geschäftsführer der Nahverkehrsservicegesellschaft Thüringen mbH und ehemaliger Vizepräsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr, Erfurt, am 11.04.2014. Fachgespräch mit Dipl.-Wirt.-Ing. Peter Forst, Leiter Netzentwicklung und Schienenverkehr im Geschäftsbereich Verkehrs- und Mobilitätsplanung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus, am 11.04.2014. [4] Stakeholder-Bewertung EVU: Fachgespräch mit Thomas Hofmann, Sprecher des Verkehrsbetriebs Thüringen der DB Regio Südost, Erfurt, am 15.04.2014. Fachgespräch mit Astrid Rohrbeck, Leiterin Planung der Süd Thüringen Bahn GmbH, Erfurt, am 14.04.2014. Fachgespräch mit René Siegling, Mitarbeiter Planung der Süd Thüringen Bahn GmbH, Erfurt, am 15.04.2014. Fachgespräch mit Robert Zehrer, Mitarbeiter Planung der Erfurter Bahn GmbH, Erfurt, am 14.04.2014. [5] Stakeholder-Bewertung EIU: Fachgespräch mit Daniel Pöhle, Mitarbeiter Langfristfahrplan/ Kapazitätsmanagement bei der DB Netz AG, Zentrale in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main, am 09.04.2014. [6] Analytical Hierarchy Process: Vgl. Saaty, T. L. (1994a): Highlights and critical points in the theory and application of the Analytic Hierarchy Process. In: European Journal of Operational Research, Vol. 74 (1994), No. 3, pp. 426-447. Vgl. Saaty, T. L. (1994b): How to Make a Decision: The Analytic Hierarchy Process. In: Interfaces, Vol. 24 (1994), No. 6, pp. 19-43. Vgl. Saaty, T. L. (2000): The Fundamentals of Decision Making and Priority Theory with the Analytic Hierarchy Process. 2. Aul., Pittsburgh 2000. Vgl. Saaty, T. L. (2001): Decision Making with Dependence and Feedback: The Analytic Network Process. 2. Aul., Pittsburgh 2001. Vgl. Saaty, T. L.; Vargas, L. G. (1994): Decision Making in Economic, Political, Social and Technological Environments: The Analytic Hierarchy Process. Pittsburgh 1994. Trutz von Olnhausen, B. Eng. Masterstudent, Fachbereich Planung und Betrieb im Verkehrswesen, Technische Universität Berlin trutz.v.olnhausen@googlemail.com Ronald Glembotzky, Dipl.-Wirt. Ing. (FH) Mitarbeiter, Fachgebiet Eisenbahnwesen, Fachhochschule Erfurt ronald.glembotzky@fh-erfurt.de 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 Eisenbahninfrastrukturunternehmen Eisenbahnverkehrsunternehmen Aufgabenträger Gesellschaft Fahrgäste Bewertungspunkte Stakeholder Minimum Variante 1 Variante 1.1 Variante 2 Maximum Bild 10: Ausrichtung der Varianten siemens.com/ mobility Bequemer von der Metro in die Tram. Und in den Park. Mit intelligenter Vernetzung von A nach B. Zuverlässigkeit, Sicherheit und Attraktivität sind entscheidend im Schienenverkehr - für zufriedene Fahrgäste und wettbewerbsfähige Mobilitätsangebote. Wir bieten Ihnen dazu ein einzigartiges, integriertes Portfolio: durchgängige IT-Plattformen zur Optimierung des Fahrbetriebs, zuverlässige Stellwerks- und Bahnübergangstechnik, innovative Ticketing-Systeme, effiziente Schienenfahrzeuge sowie maßgeschneiderte Service- und Beratungsleistungen. Und Integration geht für uns noch weiter. Mit unserem umfassenden Know-how zur Optimierung des Verkehrs auf Schiene und Straße werden wir mit intelligenter IT alle Verkehrsträger immer perfekter miteinander vernetzen damit Reisende noch schneller, sicherer und entspannter von A nach B gelangen. Die Technologien dazu sind da. Die Konzepte auch. Lassen Sie uns gemeinsam die Mobilität von morgen gestalten. Experience integrated mobility. Answers for infrastructure and cities. A19100 -V901- F114 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 90 MOBILITÄT Angebotsentwicklung Planerische Strategien für die-Angebotsentwicklung Neue Ansätze beim Rhein-Main-Verkehrsverbund für-das-ÖPNV-Angebot der Zukunft Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) ist regionaler Aufgabenträger im Öfentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für eine Region mit über fünf Millionen Einwohnern. Neben dem Ballungsraum Frankfurt RheinMain gehören auch weite Teile Süd- und Mittelhessens zum Verbundgebiet. Der RMV stellt sich kontinuierlich neuen Herausforderungen, denn die Veränderungen des Verkehrsmarktes werden durch eine Vielzahl von Einlüssen immer dynamischer. So hat der Verbund die Erarbeitung des Regionalen Nahverkehrsplans dazu genutzt, alle Bestandteile des ÖPNV - insbesondere auch die Angebotsplanung - grundsätzlich zu hinterfragen und zukunftsfähig zu gestalten. Die Autoren: Thomas Busch, Josef Becker Ö PNV ist nicht Selbstzweck, sondern erfüllt als Dienstleister die Verkehrsbedürfnisse der Kunden. Deshalb stellt der Rhein- Main-Verkehrsverbund (RMV) den Kunden selbst und seine Wünsche in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Der 2013/ 14 beschlossene Nahverkehrsplan liefert hierfür ein Gesamtkonzept auf strategischer Ebene. Verkehrsmarkt der Zukunft Der Verkehrsmarkt insgesamt beindet sich in einem massiven Veränderungsprozess. Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen, tendenziell sogar mit wachsender Geschwindigkeit. Deshalb müssen nicht nur Überlegungen zu den gegenwärtigen Kundenwünschen, sondern auch zu den zukünftigen Anforderungen angestellt werden. Der hierbei besonders relevante demograische Wandel umfasst die Alterung der Bevölkerung sowie die Wanderungsbewegung aus den ländlichen Regionen in die Städte, insbesondere in den jüngeren Bevölkerungsgruppen. Die Städte gewinnen wirtschaftlich und raumstrukturell an Bedeutung, da sich hier im Zuge der Globalisierung zunehmend die Arbeitsplätze konzentrieren. Auch das Nutzungsverhalten der Kunden ändert sich in Richtung einer zunehmend lexibleren Verkehrsmittelwahl und sich ändernden Nutzungszeitpunkten (zum Beispiel steigende Nachfrage am Abend und an Wochenenden). Technologische Innovationen bieten zukünftig neue Chancen in vielen Bereichen des ÖPNV - zum Beispiel in Information und Vertrieb. Auf all diese Veränderungen muss der ÖPNV reagieren beziehungsweise diese gestalten. Standards Neu und grundlegend für die Weiterentwicklung des ÖPNV im RMV sind die im Nahverkehrsplan festgeschriebenen Standards für alle Bereiche des ÖPNV. Diese sollen zu einem verbundweit einheitlichen Angebot beitragen. Sie sind aber auch lexibel genug, um die örtlichen Gegebenheiten adäquat abzubilden. Beispielweise gibt es zur einheitlichen Angebotsplanung Standards für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und den regionalen Busverkehr sowie Eizienzstandards, die zeigen, bei welcher Nachfrage welches Verkehrsmittel und welche Bedienung angeraten sind. Die Bedienungsstandards müssen einerseits im Hinblick auf die Daseinsvorsorge ein Mindestangebot deinieren und andererseits marktorientierte Zusatzangebote beschreiben. Daher sind neben Mindestangeboten auch Kriterien zur nachfragegerechten Angebotsgestaltung festgeschrieben worden. Kernaufgabe Angebot Ein in der Planung und Durchführung hochwertiges Angebot ist Voraussetzung für die Akzeptanz beim Fahrgast und damit auch für den Erfolg des ÖPNV insgesamt. Doch die heute bekannten Angebote gelangen zunehmend an ihre Grenzen und müssen deshalb grundlegend überdacht und weiterentwickelt werden. Dabei unterscheiden sich die Herausforderungen im Ballungsraum und im ländlichen Raum deutlich. ÖPNV im Ballungsraum Im Ballungsraum stoßen die Angebote im SPNV zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Streckenkapazitäten sind - insbesondere im Zulauf auf Frankfurt - ausgereizt, so dass keine zusätzlichen Züge mehr fahrbar sind. Auch die Zuglängen können oft nicht erhöht werden, da die Bahnsteiglängen bereits ausgeschöpft werden. Gleichzeitig wird in und zwischen den Zentren ein wachsendes Verkehrsaukommen prognostiziert. Die bereits heute bestehenden Kapazitätsengpässe werden sich somit noch weiter verschärfen. Alle Optimierungsmöglichkeiten, die einem Verbund beziehungsweise einem Besteller zur Verfügung stehen, sind ausgeschöpft. Die Lösung des Problems ist im Infrastrukturausbau zu inden. Die notwendigen Maßnahmen sind im Wesentlichen im Leitprojekt Frankfurt RheinMain plus beschrieben und wurden vor Kurzem hier im Internationalen Verkehrswesen dargestellt (siehe Busch, Forst, Becker, 2014). Nach einer längeren Vorlaufphase, in der die Teilprojekte optimiert und besser aufeinander abgestimmt sowie Finanzierungsmöglichkeiten geprüft wurden, beinden sich mittlerweile wesentliche Maßnahmen im Planungs- und Genehmigungsprozess. Die Umsetzung wichtiger Teilprojekte aus dem Leitprojekt Frankfurt RheinMain plus bietet die Möglichkeit, neue Angebotskonzepte anzugehen. Insbesondere ist es notwendig, die schnellen Verkehre zwischen den Zentren zu stärken, da hier Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 91 Angebotsentwicklung MOBILITÄT hohe verkehrliche Potentiale für den ÖPNV erwartet werden. Hierfür wurde ein neues Express-Netz deiniert („Hessen-Express“, Bild 1), das sowohl auf der vorhandenen Infrastruktur aus dem bestehenden Angebot heraus entwickelt wird als auch geplante beziehungsweise diskutierte neue Infrastruktur aufgreift. Diese ist für den Schnellverkehr zwischen Wiesbaden, Frankfurt (Flughafen beziehungsweise Hauptbahnhof ) und Darmstadt nötig. Ein wesentliches neues Netzelement für das „Hessen-Express“- Netz stellt die Wallauer Spange als Verbindung zwischen den Streckenästen Wiesbaden und Frankfurt der Neubaustrecke Köln-RheinMain dar. Für eine schnelle Anbindung von Darmstadt wäre darüber hinaus eine Nordanbindung des Darmstädter Hauptbahnhofs an die geplante Neubaustrecke Rhein/ Main-Rhein/ Neckar notwendig. ÖPNV im ländlichen Raum In der Region besteht die Herausforderung darin, auch bei sinkenden Bevölkerungszahlen und rückläuigem Schülerverkehr ein attraktives Angebot bereit zu stellen. Rückgrat des ÖPNV in der Region ist und bleibt nach den vorliegenden Prognosen der SPNV. Dessen Bedeutung wird sogar weiter zunehmen, da er eine schnelle Anbindung an die größeren Städte herstellt und somit für eine wachsende Zahl von Pendlern attraktiv ist. Teilweise erreichen die Angebote eine Auslastungsgrenze, die einen Ausbau der Kapazitäten notwendig macht. Auf solchen Strecken werden neue Betriebskonzepte (zum Beispiel Verlängerung der S5 bis Usingen) sowie ein damit gegebenenfalls verbundener Ausbau der Infrastruktur geprüft. Der vorhandene Linienbusverkehr muss bezüglich der Angebotsgestaltung und Organisation vollständig überdacht werden. Linien mit lokaler Verkehrsfunktion sollen den lokalen Aufgabenträgern zugeordnet, regionale Linien stärker auf regionale Verkehrsbedürfnisse ausrichtet werden. Ein hierfür besonders wichtiger Ansatz sind die Schnellbusse. In Räumen und Zeiten schwacher Verkehrsnachfrage sind hingegen in vielen Fällen lexible Bedienungsformen (zum Beispiel Rubus) sinnvoll, um ein Grundangebot bereitstellen zu können. Für diese Bedienungsformen wurden im Nahverkehrsplan Standards (zum Beispiel zu Produktgruppen und zur Namensgebung) deiniert, damit diese verbundweit einheitlich gestaltet und somit vom Kunden besser wahrgenommen und genutzt werden. Der RMV befürwortet in diesem Zusammenhang auch einen zentralen Ansprechpartner, der den Kunden verbundweit Planung und Buchung seiner Reise aus einer Hand bietet. Schnellbusse Auf wichtigen Relationen ohne Schieneninfrastruktur ist der Einsatz von Schnellbussen eine interessante Option. Eine hohe Nachfrage wird hier insbesondere auf tangentialen Linien gesehen, die am Rande des Ballungsraums verkehren und die radial verlaufenden S-Bahn-Äste verbinden. Dieses Angebot erspart den Fahrgästen die bisher notwendigen „Über-Eck-Fahrten“. Eine erste Pilotlinie - die Schnellbuslinie 260 - hat auf der Relation Königstein-Oberursel- Bad Homburg-Karben am 30. Juni 2014 ihren Betrieb aufgenommen (Bild 2). Diese Bild 1: Hessen-Express Alle Abbildungen: RMV 261 260 260 Königstein Kronberg Bahnhof Groß- Karben Ober- Erlenbach Petterweil Oberursel Bahnhof Bad Homburg HG- Hochtaunus- Klinik HG- Bahnhof Opel- Zoo HG-Kurhaus In die Bad Homburger Louisenstraße 25 min Ohne Umstieg nach Königstein Schnell erreichbar aus Königstein und Karben Zum Altstadtbummel nach Oberursel 16 min Zur Hochtaunusklinik Bad Homburg 8 min Bild 2: Schnellbuslinie 260 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 92 MOBILITÄT Angebotsentwicklung Schnellverbindung wird zwei Jahre lang getestet. In die dann anstehende Neuausschreibung des Linienbündels ließen die gesammelten Erfahrungen ein. Denkbar ist auch eine Verlängerung der Linie über Königstein hinaus nach Hoheim am Taunus und weiter bis nach Wiesbaden. Darüber hinaus kann auf Grundlage der Erkenntnisse das neue RMV-Produkt „Schnellbus“ weiterentwickelt werden. Auch auf anderen Korridoren wurde ein Bedarf für schnelle Buslinien festgestellt. Diese können sukzessive im Laufe der Ausschreibung der jeweiligen Linienbündel näher untersucht und gegebenenfalls umgesetzt werden. Barrierefreiheit Der RMV arbeitet schon seit Verbundgründung an einem barrierefrei gestalteten ÖPNV, der für alle Nutzergruppen attraktiv ist. Die Barrierefreiheit gewinnt im Hinblick auf die älter werdende Bevölkerung immer weiter an Bedeutung. Das Personenbeförderungsgesetz sieht in der 2013 in Kraft getretenen Fassung vor, dass der ÖPNV im Zuständigkeitsbereich des Gesetzes (v. a. Bus, U- und Straßenbahn) grundsätzlich bis 2022 vollständig barrierefrei sein muss. Der RMV arbeitet an der Umsetzung dieses Ziels mit und beschreibt in seinem Nahverkehrsplan einen Weg dort hin. Auch im Eisenbahnverkehr sollte das Ziel einer vollständigen Barrierefreiheit erreicht werden. Der Nahverkehrsplan setzt Prioritäten bezüglich des barrierefreien Ausbaus der Bahnhöfe, um möglichst schnell möglichst vielen Reisenden eine barrierefreie Wegekette anbieten zu können. Verknüpfung zwischen den Verkehrsträgen Der RMV versteht sich als Mobilitätsdienstleister, der über den ÖPNV hinaus dem Fahrgast ein attraktives Mobilitätsangebot zur Verfügung stellt. Um dies zu erreichen, setzt der RMV an den Verknüpfungsstellen zwischen den Verkehrsmitteln an. Insbesondere die Schnittstellen zum Fußgängerverkehr, zum Radverkehr und zum motorisierten Individualverkehr müssen optimiert werden. Beim Fußgängerverkehr unterstützt der RMV die Kommunen bei der Erstellung von Konzepten zur Nahmobilität, zum Beispiel bezüglich direkter Wegeführung, Orientierung und Barrierefreiheit im Umfeld von Bahnhöfen. Aufgrund des - laut vielen Prognosen - stark wachsenden Radverkehrs kommt dem Bike+Ride eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund der immer beliebter werdenden Elektrofahrräder, die den Einzugsbereich der Bahnhöfe und Haltestellen - und damit des ÖPNV insgesamt - weiter vergrößern. Für die Fahrräder im Allgemeinen und für die oft teuren Elektrofahrräder im Besonderen müssen geeignete Abstellmöglichkeiten in ausreichend großem Umfang bereitgestellt werden. Teil hiervon sind auch abschließbare Abstellmöglichkeiten und Ladevorrichtungen. Auch Park+Ride wird an vielen Stationen weiter an Bedeutung gewinnen. Dabei sind die Verbindung zum CarSharing und die Ausstattung für Elektrofahrzeuge eine neue Herausforderung, auf die es sich einzustellen gilt. Der RMV unterstützt die Verknüpfung zu anderen Verkehrsmitteln beispielsweise auch mit seinem zur Mobilitätskarte aufgewerteten eTicket (Bild 3), das bereits jetzt den Zugang zum CarSharing und zu Leihrädern einiger Anbieter ermöglicht und in Zukunft weitere Angebote zusammenführen soll. Kundengerechte Angebote müssen hinsichtlich Informationen, Nutzung und Abrechnung einfach sein, was wiederum eine weitere Standardisierung und Optimierung der Schnittstellen erfordert. Fazit Im Rahmen der Erstellung seines Nahverkehrsplans hat der RMV den ÖPNV neu durchdacht und die strategischen Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung seines Angebots festgeschrieben. Dabei spielen die strukturellen Änderungen des Verkehrsmarktes eine herausragende Rolle. Der Fahrgastzuwachs im Schienenpersonennahverkehr im RMV führt dazu, dass die Auslastungsgrenzen auf vielen Bahnverbindungen erreicht sind. Zur Gestaltung eines kundengerechten ÖPNV ist der Ausbau der Infrastruktur an den Engpassstellen unabdingbar. Die Schnellverkehre zwischen den Oberzentren, aber auch zwischen regional wichtigen Mittelzentren, sollen entsprechend der wachsenden Nachfrage gestärkt werden. Dies geschieht einerseits auf der Schiene („Hessen-Express“) und andererseits - abseits des Schienennetzes - durch Schnellbusverbindungen. In Räumen und Zeiten schwacher Verkehrsnachfrage können lexible Bedienungsformen eine neue Bedeutung gewinnen. Hierzu hat der RMV Standards deiniert, die den Erfolg neuer Produkte unterstützen sollen. Der RMV sieht sich dabei als Mobilitätsdienstleister, der nicht nur den ÖPNV optimiert, sondern auch die Schnittstellen zu anderen Verkehrsmitteln herstellt und so ein lexibles Gesamtangebot bereitstellt. Hierbei kommt der Mobilitätskarte des RMV als Zugangsmedium zu verschiedenen Angeboten im Zuge der intermodalen Wegekette eine besondere Bedeutung zu. Mit diesen Ansätzen zur Weiterentwicklung des Angebots sieht sich der RMV für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet. ■ QUELLEN Busch, Thomas; Forst, Peter; Becker, Josef: Ausbau der Eisenbahninfrastruktur in der Region Frankfurt RheinMain, in: Internationales Verkehrswesen, 66. Jahrgang, Heft 2, Mai 2014 Thomas Busch Prokurist und Leiter des Geschäftsbereichs Verkehrs- und Mobilitätsplanung, Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim a. Ts. T_Busch@rmv.de Josef Becker, Prof. Dr. Professor für Schienenverkehrswesen, Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt am Main josef.becker@fb1.fh-frankfurt.de Bild 3: eTicket RheinMain - die Mobilitätskarte Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 93 Wissenschaft MOBILITÄT Szenario-Methode in der Verkehrswissenschaft Inadäquater Einsatz - ungenutzte methodische Potentiale Die Szenario-Methode ist ein erfolgversprechendes Instrument für die Verkehrswissenschaft. Bisher wird sie jedoch sehr uneinheitlich eingesetzt. Es ist zu befürchten, dass Deizite bei der Verwendung der Methode unzureichende Ergebnisse zur Folge haben, die wegen der Verwirrung um Begrife und Verfahrensschritte unentdeckt bleiben. Um Klarheit zu gewinnen, typologisiert der Beitrag die Forschungsprojekte innerhalb der Verkehrswissenschaft, die mit Szenarien arbeiten, und nimmt eine methodologische Beurteilung vor. Der Autor: Martin Jähnert W enn über die Mobilität der Zukunft debattiert wird, ist es ein gewaltiges Problem, dass niemand die Zukunft kennt. Versuche, diesem Dilemma durch Prognosen (d. h. Vorhersagen) beizukommen, sind aussichtslos angesichts einer sich rasant ändernden und hoch komplexen Wirklichkeit. Auch den Kriterien der Wissenschaftlichkeit genügen diese Versuche nicht. Dass der Problematik der unbekannten Zukunft auch anders als prognostisch begegnet werden kann, zeigt die neuere Zukunftsforschung [1]. In teils deutlicher Abgrenzung zur Prognostik stellt sie Instrumente zur Verfügung, die dazu dienen, mit der Unbestimmtheit der Zukunft zurecht zu kommen, anstatt sie zu kaschieren. Eines der wichtigsten dieser Werkzeuge ist die Szenario-Methode. In diesem Artikel wird die Szenario-Methode vorgestellt, wie sie die neuere Zukunftsforschung kennt, um dann die These zu begründen, warum sie für die Verkehrswissenschaft besonders erfolgversprechend ist. Daran schließt die Frage an, ob die Methode in der Verkehrswissenschaft adäquat eingesetzt wird. Diese Frage ist relevant, denn durch die inadäquate Nutzung einer Methode entstehen unzureichende Ergebnisse und vorhandenes Potential wird nicht ausgeschöpft. Mit der Beantwortung dieser zentralen Frage schließt der Artikel. 1 Zur Szenario-Methode Unter dem Begrif „Szenario-Methode“ wird in der Wissenschaft generell, aber auch innerhalb der Zukunftsforschung, sehr Unterschiedliches verstanden. Gemeinsam ist den Verständnisweisen, dass es sich um eine Methode zur Erzeugung von Bildern von der Zukunft handelt. Aus der Selbstbeschreibung der neueren Zukunftsforschung ergibt sich jedoch eine deutliche Eingrenzung: Die Abgrenzung zur Prognostik erlaubt keinen Versuch der Vorhersage. Auch bedingte Prognosen, sogenannte „Wenn-dann-Szenarien“, verharren im prognostischen Paradigma, kaschieren dieses aber durch variable Prämissen. Die Frage, für die die Szenario-Methode Antworten ermöglicht, muss daher lauten: „Was könnte passieren? “ und nicht: „Was passiert, wenn Ereignis A oder Ereignis B eintritt? “. [2] Ergebnis eines Szenario-Prozesses sind daher mehrere unterschiedliche Bilder, die zeigen, wie die Zukunft aussehen könnte. Dazu müssen diese Bilder in sich widerspruchsfrei sein. Vor der methodologischen Beurteilung folgt zunächst eine kurze Beschreibung der Szenario-Methode, wie sie die neuere Zukunftsforschung kennt. Ablauf des Szenario-Prozesses Nach der Bestimmung und präzisen Abgrenzung des Szenariofeldes, d. h. des Bereiches der Wirklichkeit, der für die beteiligten Personen interessant ist, werden Einlussfaktoren gesammelt, die zur Beschreibung des Zustandes des Szenariofeldes dienen. Aus diesen Einlussfaktoren werden mindestens sechs besonders relevante ausgewählt, die von hier an Schlüsselfaktoren genannt werden. Diese komplexitätsreduzierende Auswahl erfolgt in einem Szenario-Prozess nicht rein intuitiv, sondern methodisch unterstützt, da Komplexität sonst inadäquat reduziert werden könnte. Die folgende Schlüsselfaktorenanalyse ist der zentrale und wichtigste Schritt des ganzen Prozesses, denn hier werden die Protagonist/ innen gezwungen, die Zukunft in mehreren Alternativen zu denken. Es soll herausgearbeitet werden, wie sich die einzelnen Faktoren von der Gegenwart aus bis zu einem deinierten Zeitpunkt entwickeln könnten. Dabei geht es nicht um Wahrscheinlichkeiten, sondern um Möglichkeiten. Alle möglichen Entwicklungen spannen einen Raum auf, den es umfassend und distinkt strukturierend zu beschreiben gilt. Die ausformulierten, möglichen Entwicklungen werden Projektionen genannt. Entscheidend ist dabei die Alternativität, d.h. Überschneidungsfreiheit der Projektionen. Ein Szenario ist eine Kombination von Projektionen. Dabei muss von jedem Schlüsselfaktor genau eine Projektion im Szenario enthalten sein und es müssen min- Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 94 MOBILITÄT Wissenschaft destens zwei deutlich unterschiedliche Szenarien generiert werden. Entscheidend ist, dass die Projektionen, die zu einem Szenario zusammengefasst werden, sich gegenseitig nicht widersprechen. Beispielsweise sind die Entwicklungen „intensiver Straßennetzausbau“ und „sinkende Straßenverkehrsleistung“ nur schwer gleichzeitig denkbar. Angesichts von mindestens sechs Schlüsselfaktoren mit jeweils mindestens zwei Projektionen ist das menschliche Gehirn bei der Auswahl konsistenter, also widerspruchsfreier Kombinationen, schnell überfordert. Deswegen empiehlt sich der Einsatz einer Konsistenzanalyse. Sie ermöglicht durch die Gegenüberstellung aller Projektionen in einer Matrix die sequentielle Einschätzung der Konsistenz, d.h. des Zueinanderpassens aller Projektionen. Da jedem Projektionenpaar dann ein qualitativer Konsistenzwert zugeordnet worden ist, kann nun auch für jede theoretisch mögliche Kombination von Projektionen ein Konsistenzwert errechnet werden. Kombinationen mit den höchsten Konsistenzwerten kommen dann in Frage, zu Szenarien erklärt zu werden. Es ist allerdings nicht so, dass von der Konsistenz eines Zukunftsbildes auf dessen Eintrittswahrscheinlichkeit geschlossen werden kann. Eine Auswahl muss noch getrofen werden, weil sich die höchst-konsistenten Kombinationen oft sehr wenig voneinander unterscheiden, z. B. in nur einer Projektion. Die entstehenden Szenarien sind aber umso wertvoller, je deutlicher sie einander kontrastieren. Es muss daher abgewogen werden zwischen den Forderungen der Konsistenz und der Unterschiedlichkeit. Die so ausgewählten Kombinationen sollten im letzten Schritt zu anschaulichen Zukunftsbildern verarbeitet werden. Das kann, je nach Kontext, auch graphisch, narrativ oder sogar schauspielerisch realisiert werden. Abweichungen von dieser grundsätzlichen Vorgehensweise sind denkbar. Erhalten bleiben sollte dabei aber der nicht-prognostische Charakter. Wert der Szenario-Methode für die Verkehrswissenschaft Die Szenario-Methode ist für die Verkehrswissenschaft sehr erfolgversprechend. Vier zentrale Argumente unterstützen diese Behauptung: • Sie ist vor allem geeignet für die Beobachtung besonders weitreichender Forschungsfelder, die keine sehr detaillierte Beobachtung zulassen, wenn nicht große Bereiche des Feldes ausgespart bleiben sollen. Das Verkehrswesen ist ein solches Feld. • Daran anschließend dient sie der adäquaten (! ) Reduktion von Komplexität, die zunächst durch die weitwinklige Perspektive auf das Forschungsfeld entsteht. • Sie ist als „Prozess strukturierter Kommunikation“ [3] besonders geeignet zur Organisation inter- und transdisziplinärer Arbeit. Die Verkehrswissenschaft arbeitet inter- und transdisziplinär. • Der Szenario-Methode ist das durchdachte, nichtprognostische, sondern multiple Überschreiten des Zeithorizontes der Gegenwart fest eingeschrieben. Damit passt sie zur Verkehrswissenschaft, die ebenso zukunftsorientiert ist. Aber wird das Potential, das die Methode ofensichtlich für die Verkehrswissenschaft anbietet, auch genutzt? Sind die zentralen Gedanken der neueren Zukunftsforschung, die den berechtigten Bedenken gegen die Prognostik Rechnung tragen, in Form der Szenario-Methode bereits in den Methodenkasten der Verkehrswissenschaft gelangt? Der erste Blick auf verkehrswissenschaftliche Projekte, die mit Szenarien arbeiten, ergibt ein äußerst difuses Bild, das durch uneinheitliche Begrilichkeiten und scheinbar sehr unterschiedliche Verständnisweisen der Methode geprägt ist. Die Übersicht in Bild 1 ermöglicht eine methodologische Beurteilung: Darin symbolisiert jeder grüne Punkt ein Projekt 2 . Die Typologie der Projekte, dargestellt durch die drei Spalten in Bild 1, stammt von Lena Börjeson und anderen [2] und erwies sich als nützlich, weil sie strikt zwischen „predictive“ und „explorative“ unterscheidet. „Was-wäre-wenn-Szenarien“, die eher bedingte Prognosen darstellen, fallen hierbei in die Kategorie „predictive“. Diesem Typisierungsvorschlag wird gefolgt, denn eine Aussage „Wenn Ereignis A, dann passiert …“ relektiert die Unsicherheit der Zukunft nur unwesentlich mehr als die Aussage „Das wird passieren! “. Explorative Szenarien sollen aber Antworten sein auf die Frage: „Was könnte passieren? “. Daher sind die vier Projekte, die in Bild 1 in der linken Spalte zu inden sind, aus methodologischer Sicht problematisch. Sie stellen eher Prognosen auf und kaschieren damit die erhebliche Unsicherheit der Zukunft. In der mittleren Spalte sind elf Projekte zu inden, in denen explorative Szenarien erzeugt wurden. Dies geschah jedoch auf sehr unterschiedliche Weise. In sechs Projekten wurde mit höchstens drei Schlüssekfaktoren gearbeitet. Wiederum drei davon nutzen das Verfahren der vollständigen Permutation. Dabei werden alle Kombinationen von Projektionen zu Szenarien verarbeitet. Bei drei Schlüsselfaktoren zu je zwei Projektionen ergibt dieses Vorgehen bereits acht Szenarien. Die vollständige Permutation ist daher nur mit sehr wenigen Schlüsselfaktoren sinnvoll einsetzbar. In der einschlägigen Methodenliteratur werden mindestens sechs Schlüsselfaktoren gefordert [4]. Es ist daher davon auszugehen, dass die Komplexitätsreduktion bei nur drei Schlüsselfaktoren zu radikal ist, vor allem Bild 1: Ergebnisgrafik Szenario-Methode in der Verkehrswissenschaft Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 95 Wissenschaft MOBILITÄT angesichts des so vielfältigen Forschungsgegenstandes „Verkehrswesen“. Widersprüche im Bundesverkehrswegeplan 2015 In den drei anderen Projekten, die mit höchstens drei Schlüsselfaktoren arbeiten, sind teils gravierende methodologische Widersprüchlichkeiten zu konstatieren. Ein besonders weitreichendes Beispiel: Im Szenario- Prozess innerhalb des Bundesverkehrswegeplans 2015 wurden drei Szenarien generiert, von denen eines ausgewählt wurde, um der dann folgenden modellgestützten Prognose Input zu liefern. Dieses Szenario setzt einen „umweltpolitisch ambitionierten Gestaltungswillen voraus“ und erfordert „eine anspruchsvolle, aber realistische Gestaltung der zukünftigen verkehrspolitischen Leitlinien.“[5] Das bedeutet, dass die (eigentlich noch unbekannten) Leitlinien, die sich am Ergebnis der folgenden Prognose orientieren sollten, hier bereits als Ausgangspunkt vorausgesetzt werden. Hier beißt sich gewissermaßen die Katze in den Schwanz - allerdings nicht überraschend, denn es ist ein prizipieller Widerspruch, die Zukunft gleichzeitig gestalten und vorhersagen zu wollen. Zwei der fünf Szenario-Projekte, die mit sechs Schlüsselfaktoren arbeiten, dokumentieren den Schritt der Szenario-Generierung aus den Projektionen nicht. Daher kann sich die Beurteilung nur auf den Grad der Komplexitätsreduktion beziehen: Dieser bewegt sich angesichts der Anzahl der Schlüsselfaktoren in dem Rahmen, den die Methodenliteratur vorgibt. In dem Projekt, das im Bild 1 mit „keine Konsistenzanalyse“ gekennzeichnet ist, wurde nicht untersucht, ob die erzeugten Zukunftsbilder in sich stimmig bzw. widerspruchsfrei sind. Eine Konsistenzanalyse, wie sie in den zwei Projekten mit grünen Häkchen in der mittleren Spalte Anwendung fand, wäre aus methodologischer Sicht sinnvoll gewesen. Das Projekt, in dem normative Szenarien erstellt wurden und das demnach in der rechten Spalte von Bild 1 zu finden ist, stellt einen Einzelfall dar. Methodologisch ist, abgesehen von einer nur schwer nachvollziehbaren Dokumentation der Vorgehensweise, im Sinne der Methodenliteratur vorgegangen worden. Fazit Aus Perspektive der neueren Zukunftsforschung ist daher zu konstatieren, dass in mehr als der Hälfte der gesichteten Projekte entweder bedingte Prognosen aufgestellt wurden, die Komplexität des Gegenstandes unangemessen radikal reduziert worden ist oder teils gravierende methodologische Unstimmigkeiten auftreten. Nur drei der (ausreichend dokumentierten) Projekte sind aus methodologischer Sicht unproblematisch. Die Grundposition der neueren Zukunftsforschung, in alternativen Zukünften zu denken und so die Kontingenz der Zukunft zu reflektieren statt auszublenden, ist in der Verkehrswissenschaft, wenn die hier betrachteten Szenario-Projekte der Beurteilung zugrundegelegt werden, noch nicht in dem Maße verbreitet, wie es Zukunftsforscher/ innen wünschenswert erscheint. 1 Der Beitrag basiert auf der Abschlussarbeit des Autors im Masterstudiengang Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin, betreut von Frau Prof. Dr.- Ing. Ch. Ahrend (TU Berlin) und Herr Prof. Dr. G. de Haan (FU Berlin). 2 Zum genaueren Vorgehen sei hier auf die ausführliche Dokumentation im Rahmen meiner Arbeit verwiesen, online verfügbar unter http: / / tinyurl. com/ szenarien-verkehrswissenschaft QUELLEN [1] Steinmüller, K. (2010): Zukunftsforschung: Hundert Jahre Geschichte. In: swissfuture. Magazin für Zukunftsmonitoring 3/ 2010. Luzern. [2] Börjeson, L./ Höjer, M./ Dreborg, K.-H./ Ekvall, T./ Finnveden, G. (2005): Towards a user‘s guide to scenarios a report on scenario types and scenario techniques. Royal Institute of Technology. Stockholm. [3] Kollosche, I. (2011): Verkehrspolitik und Zukunftsforschung - Zur Symbiose von Verkehrsplanung und Szenariotechnik. In: Schwedes, O. (Hrsg.) (2011): Verkehrspolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften/ Springer. Wiesbaden. [4] Glenn, J. (2009): Scenarios. In: Gordon, T/ Glenn, J. (Hrsg.) (2009): The Millennium Project: Futures Research Methodology V3.0. D.C. United States. [5] BVU/ ITP/ IVV/ Planco (2013): Sozio-ökonomische und verkehrspolitische Rahmenbedingungen der Verkehrsprognose. Zusammenfassende Darstellung im Rahmen der Verkehrsverflechtungsprognose 2030 sowie Netzumlegungen auf die Verkehrsträger. Martin Jähnert, M.A. Zukunftsforschung Masterstudiengang Zukunftsforschung, Freie Universität Berlin martin_jaehnert@web.de Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleitung Telefon (040) 23714-223 Telefax (089) 889518-75 eberhard.buhl@dvvmedia.com IHR KURZER DR AHT ZUR REDAKTION © freni/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 96 TECHNOLOGIE ÖPNV-Entwicklung Strategien für den ÖPNV der-Zukunft Zunehmende räumliche Disparitäten, steigender Wirtschaftlichkeitsdruck und veränderte technologische Paradigmen stellen den Öfentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) vor große Herausforderungen. In urbanen Räumen beschleunigt dies die Entwicklung eines in seinen Grundzügen immer noch wiederzuerkennenden Nahverkehrs. Ländliche Räume brauchen revolutionäre Innovationen in Verkehrstechnologie und -organisation zur Erhaltung der Lebensfähigkeit des Nahverkehrs. Eine Übersicht zu Situation und Lösungsansätzen. Der Autor: Lars Schnieder D er ÖPNV besteht als Verkehrssystem aus den Systemkonstituenten Verkehrsobjekt, Verkehrsorganisation, Verkehrsmittel und Verkehrsinfrastruktur (vgl. Bild 1) [1]: • Verkehrsobjekte: beförderte Personen oder Sachgüter • Verkehrsorganisation: rechtlicher und organisatorischer Rahmen • Verkehrsmittel: eingesetzte Straßen- und Schienenfahrzeuge • Verkehrsinfrastruktur: verteiltes Informations- und Kommunikationssystem mobiler Einrichtungen und ihrer Anbindung an die Leitstelle Verkehrsobjekte - Wer und wie viele werden wir sein? Bis 2050 verringert sich die Bevölkerung in Deutschland von 80 auf 57 Millionen Menschen. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung von 78 auf 89 Jahre. Die Altersstruktur der Bevölkerung und ihre räumliche Verteilung verändern sich [2], [3]. Diese vier Trends überlagern sich mit drastischen Konsequenzen für die Verkehrsbedienung auf dem Lande. Sinkende Schülerzahlen entziehen hier dem ÖPNV die Finanzierungsgrundlage. Schulschließungen verlängern die Schulwege und erhöhen die Kosten [4]. ÖPNV in seiner heutigen Form ist in ländlichen Räumen existenzgefährdet. Zeichnet sich in den Städten der Weg evolutionärer Innovationen mit dem Ziel höherer Sicherheit und Eizienz ab, erfordert der Erhalt des Nahverkehrs in der Fläche disruptive Innovationen. Verkehrsorganisation - eine tragfähige Basis für Planung und Finanzierung des Nahverkehrs Verkehrsverbünde wandeln sich zu Mobilitätsverbünden und organisieren zukünftig die Vernetzung von Mobilitätsdiensten [5]. Erfolgreiche Angebote inter- und multimodaler Mobilitätsdienste müssen Herausforderungen des Genehmigungs-, Beihilfe- und Vergaberechts lösen [6], [7]. Aktuell werden Nahverkehrsleistungen in öfentlicher Trägerschaft erbracht. In den Städten sind dies privatrechtliche, aber in kommunalem Besitz beindliche Unternehmen [8]. Wirksam werdende Schuldenbremsen engen die Spielräume für bedarfsgerechte Zuwendungen ein [4]. Der Wirtschaftlichkeitsdruck für Verkehrsunternehmen steigt. Kommunen erbringen Verkehrsleistungen verstärkt in privatwirtschaftlicher Trägerschaft. Werden erzielte Einsparungen in den ÖPNV reinvestiert, wird das Leistungsangebot verbessert und die Nachfrage stimuliert. Bei der bestehenden Zwecktrennung der Verkehrssysteme werden Personen und Güter getrennt befördert. Ein Ansatzpunkt für den Erhalt des Nahverkehrs in der Fläche liegt in der Auhebung der Zwecktrennung. Vorhandene Ressourcen (Busse, Personal, Infrastruktur) werden für zusätzliche Dienstleistungen nutzbar. Güter kommen zum Personenverkehr (Kombibusse) oder Personen kommen zum Wirtschaftsverkehr (Personenmitnahme durch Plegedienste). Gelingt eine Lösung vor allem transport- und haftungsrechtlicher Fragen, können einfache Streckennetze und die regelmäßige fahrplangestützte Bedienung fortbestehen. Für den Nahverkehr gilt das Fürsorgeprinzip in der Versorgung mit Verkehrsleistungen. Bürgerschaftliches Engagement durchbricht diesen Grundsatz bislang nur vereinzelt (Bürgerbus). Das Solidaritätsprinzip tritt in ländlichen Räumen stärker hervor. Die schrumpfende Bevölkerung erfordert ein stärkeres Eintreten füreinander. Alternative Verkehrsformen wie die Zusteigermitnahme erfordern die Kennzeichnung der Fahrzeuge, Legitimierungen der Fahrer, Festlegung von Tarifen und Haltestellen sowie die Integration in Auskunfts- und Buchungssysteme. Ofen bleibt, ob eine auf Ehrenamtlichkeit basierende Verkehrsbedienung langfristig verlässlich ist. Verkehrsmittel - zukünftige Fahrzeugkonzepte sichern die Nachhaltigkeit der Mobilität Das globale Ölförderungsmaximum ist überschritten. Steigende Energiekosten erzwingen eine höhere Energieeizienz und die Verwendung anderer Energieträger. Bislang konnten sich im Busverkehr nur Erdgasbusse in nennenswerter Zahl als Alternative etablieren. Mit der regelmäßigen Verkehrsbedienung auf wiederkehrenden Routen ist der ÖPNV für den Betrieb elektrischer Fahrzeuge ideal. Hohe Investitionskosten und die ofene Frage der Wiederverwendbarkeit und Entsorgung von Speichermedien stehen aktuell ihrer lächendeckenden Einführung entgegen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die erwartete Kostendegression für Batterien (- 60 % bis 2020) Investitionen motiviert, oder ob gezielte Anreize gesetzt werden müssen. Aktuell prägen herstellerspeziische Standards der Fahrzeug- und Antriebskonzepte den Markt. Eine stärkere Bild 1: Konstituenten des Verkehrssystems ÖPNV Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 97 ÖPNV-Entwicklung TECHNOLOGIE Marktdurchdringung alternativer Antriebe im Busverkehr erfordert herstellerübergreifende Standards. Standardisierung vereinfacht den Verkehrsunternehmen die Vorhaltung von Ersatzteilen und fachkundigen Instandhaltungspersonals. Der Busfahrer ist aktuell für den Fahrzeugbetrieb voll verantwortlich. Nach den von der Bundesanstalt für Straßenwesen deinierten Automatisierungsgraden (Grade of Automation, GOA) entspricht dies der Betriebsart driver only (GOA0). Hierbei greift keine Assistenz in die Längs- und Querführung ein [9]. Im Busverkehr zeichnen sich Entwicklungen zum assistierten Fahren (GOA1, Fahrer übt dauerhaft Quer- oder Längsführung aus) oder teilautomatisierten Fahren (GOA2, System übernimmt Quer- und Längsführung; Fahrer überwacht die Systemfunktion dauerhaft) ab. Für singuläre Anwendungsfälle ist das vollautomatisierte Fahren (GOA4) realistisch. Beispiele hierfür sind Einsatzszenarien im Depot oder in Bus Rapid Transit Systemen mit vom restlichen Straßenverkehr unabhängiger Trassierung. Weitere Anwendungsfelder eines hoch- und vollautomatisierten Fahrens im Fahrgastbetrieb sind für Busse wegen ofener rechtlicher Fragen aktuell nicht in Sicht. Im Schienenverkehr zeichnen sich höhere Automatisierungsgrade [10], [11] in Deutschland durch laufende Fahrzeugbeschafungen ab (Hamburg, GOA2; München und Berlin, GOA3). Höhere Automatisierung bietet wirtschaftliche Vorteile und eine variablere Anpassung des Fahrzeugeinsatzes an Lastspitzen. Verkehrsinfrastruktur - Paradigmenwechsel in der Gestaltung leittechnischer Systeme Die Verkehrsinfrastruktur umfasst die Fahrgastinformation, den Vertrieb und die systemtechnische Gestaltung leittechnischer Systeme. Für die Fahrgastinformation zeichnen sich die folgenden Entwicklungen ab: • Kollektive Fahrgastinformationen werden aktuell noch allen Fahrgästen undiferenziert angeboten. Zukünftig erhält jeder Fahrgast eine individuelle auf ihn zugeschnittene Fahrgastinformation. • Von der kontextlosen zur kontextsensitiven Fahrgastinformation: Aktuell wird durch fehlendes Wissen über individuelle Nutzerkontexte die Fahrgastinformation nicht optimal auf den Fahrgast zugeschnitten. • Zukünftig werden nationale Ansätze einer unternehmens- und verbundübergreifenden Fahrplanauskunft (DELFI) in Richtung einer europaweiten Fahrplaninformation (EU-Spirit) ausgebaut. Gleichzeitig werden Fahrplandaten um Echtzeitdaten ergänzt. Für den Vertrieb ist die folgende Entwicklungsrichtung absehbar: • Die den Nahverkehr prägende standardisierte (unpersönliche) Dienstleistung wird von einer personalisierten Dienstleistung abgelöst. Kundenwünsche werden auf der Grundlage von den Kunden freiwillig gelieferter Daten direkt in neue Dienstleistungen umgesetzt (Customer Relationship Management). • Nach lokalen und regionalen Pilotvorhaben ist die allgemeine (inter)nationale Einführung des elektronischen Tickets absehbar. Ticketingdaten beschreiben das tatsächlich realisierte Mobilitätsverhalten und ermöglichen eine genauere Planung der räumlichen und zeitlichen Verkehrsbedienung. Darüber hinaus sinken Vertriebskosten. In den nächsten Jahren wandelt sich die leittechnische Infrastruktur: • Monolithische leittechnische Systeme werden auf Basis wohl deinierter Schnittstellen modularisiert. Dies erhöht den Wettbewerb vergleichbarer Einzelkomponenten und verkürzt Entwicklungszyklen. Für die Verkehrsunternehmen folgen hieraus wirtschaftliche und technische Risiken der Systemintegration. • Die Proprietarität weicht einer Ofenheit und Standardisierung von Software, Protokollen und Schnittstellen. Dies bietet zwar wirtschaftliche Vorteile, jedoch schützten proprietäre Formate bislang gegen unberechtigte Zugrife von außen. Zukünftig muss ein höheres Augenmerk auf der Authentiizierung, Verschlüsselung und Datenintegrität liegen. • Der Betrieb dedizierter Infrastrukturen wird durch die Teilhabe an geteilten Infrastrukturen abgelöst. Die Bestandssysteme erreichen das Ende ihrer technologischen Lebensdauer und die (Mit-)Nutzung vorhandener Infrastruktur (öfentlicher Mobilfunk, Rechnernetzwerke in der Cloud) lockt mit geringeren Investitions- und Betriebskosten. Allerdings verzichten die Unternehmen auf eigene IT-Kompetenz. Auch müssen alternative Konzepte vor dem Hintergrund des möglichen Umgangs Externer mit unternehmenskritischen Daten sorgfältig geprüft werden. Fazit In der Zukunft wird das System ÖPNV, wie wir es heute kennen, verwundbarer. Die technologischen Entwicklungen, Transformationen von Wertschöpfungs- und Lieferketten (z. B. Outsourcing) sowie die Unwägbarkeiten in der Finanzierung des Nahverkehrs infolge demographischer Verwerfungen sind hierfür ursächlich. Die Gestaltung eines zukunftssicheren Nahverkehrs erfordert einen Kraftakt aller Beteiligten. Technologische Innovationen müssen im gesamten System (Verkehrsinfrastruktur, Verkehrsmittel) einen Beitrag zu höherer Kosteneizienz und Flexibilität leisten. Gleichzeitig muss ein lexibler rechtlicher Regelungsrahmen es ermöglichen, Innovationen in Technologie und Geschäftsmodellen auch tatsächlich umzusetzen. ■ LITERATUR  [1] Schnieder, E. (Hrsg.); 2007: Verkehrsleittechnik - Automatisierung des Straßen- und Schienenverkehrs. Berlin.  [2] Statistisches Bundesamt, 2009: Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung.Wiesbaden.  [3] United Nations, Department of Economic and Social Afairs, Population Division, 2012: World Urbanization Prospects: The 2011 Revision, CD-ROM Edition. New York.  [4] Ringat, K., 2013: Der ÖPNV im Wandel - Auswirkungen auf Unternehmenssteuerung und Controlling. In: Schneider, C. (Hrsg.); 2013: Unternehmenssteuerung und Controlling im ÖPNV - Instrumente und Praxisbeispiele. Hamburg.  [5] Gertz, C.; Gertz, E.; 2012: Vom Verkehrszum Mobilitätsverbund. Die Vernetzung von inter- und multimodalen Mobilitätsdienstleistungen als Chance für den ÖV. http: / / www.vdv.de/ vdv-positionspapiermmm.pdfx? forced=true (download 18.01.2014)  [6] Knieps, M.: Entwicklung der Verkehrsverbünde in Deutschland. In: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (Hrsg.): Verkehrsverbünde - Durch Kooperation und Integration zu mehr Attraktivität und Eizienz im ÖPNV. Hamburg, S. 12-27.  [7] Niemann, J.; Koch, H.; 2012: Multimodale Verkehrsangebote im Personenverkehr. In: Der Nahverkehr 04/ 2012, S. 44 - 47.  [8] Tschandl, M.; Schentler, P., 2013: Empfehlungen und Gestaltungsansätze zur Optimierung der Planung und Budgetierung. In: Schneider, C. (Hrsg.); 2013: Unternehmenssteuerung und Controlling im ÖPNV - Instrumente und Praxisbeispiele. Hamburg.  [9] Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), 2012: Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung, BASt-Bericht F83. Bergisch- Gladbach. [10] International Electrotechnical Commission (IEC), 2006: Railway applications - Urban guided transport management and command/ control systems - Part 1: System principles and fundamental concepts. Genf. [11] The Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE), 1999: IEEE Standard for Communications-Based Train Control (CBTC) Performance and Functional Requirements (IEEE Std 1474.1-1999). New York. Lars Schnieder, Dr.-Ing. Abteilungsleiter Intermodalität und ÖPNV, Institut für Verkehrssystemtechnik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Braunschweig lars.schnieder@dlr.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 98 TECHNOLOGIE Data Mining TraViMo - Transportstrom- Visualisierungs-Modell Blick in die Zukunft durch regionales Data-Mining Die zunehmende Digitalisierung eröfnet neue Möglichkeiten, das regionale Verkehrsgeschehen zu erfassen und zu analysieren. Jeden Tag werden riesige Mengen verkehrsstatistischer Daten über den Güter- und Personenverkehr generiert und gespeichert. Um aus diesen Daten Erkenntnisse ziehen zu können, bedarf es eizienter Methoden der Aufbereitung und Auswertung. Mit dem Transportstrom-Visualisierungs-Modell (TraViMo) hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) ein regionales Data-Mining Instrument entwickelt, welches für die unterschiedlichsten Zwecke genutzt werden kann. Die Autoren: Bernd Buthe, Peter Jakubowski, Dorothee Winkler Z iel der ersten Ansätze von Data Mining in der Verkehrswissenschaft war es, Wissen aus einem großen Berg Daten zu extrahieren [1]. Dabei verstehen wir unter dem Begrif Data Mining den gesamten Prozess zur Wissensentdeckung aus Datenbanken [2], d.h. die Aubereitung und die Analyseschritte sind von Bedeutung. Dem BBSR stehen verschiedene Techniken und Programme zur Verfügung, um das Data-Mining für raumbezogene Verkehrsanalysen zu nutzen. Unter Einbindung von neuesten Business-Intelligence Techniken hat das BBSR das Transportstrom-Visualisierungs-Modell „TraViMo“ entwickelt. TraViMo ermöglicht die schnelle wie übersichtliche räumlich diferenzierte Auswertung und Darstellung komplexer Analyseergebnisse in kartographischer oder tabellarischer Form. Verkehrsstatistische Grundlagen Für regionale Verkehrsanalysen stehen in Deutschland im Wesentlichen zwei verkehrsstatistische amtliche Grundlagen zur Verfügung. Während die Verkehrsleistungsstatistiken jährlich (z. T. sogar monatlich) vom Statistischen Bundesamt bzw. Kraftfahrtbundesamt veröfentlicht werden, stellt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung in unregelmäßigen Abständen Prognosen der deutschlandweiten Verkehrsverlechtungen der Fachöfentlichkeit zur Verfügung. TraViMo greift auf die Verkehrsverlechtungsprognosen 2025 [3] und 2030 [4] zurück. Die Prognose 2030 umfasst den Straßen- und Eisenbahngüterverkehr sowie die Binnenschiffahrt für das Basisjahr 2010 und das Prognosejahr 2030. Die räumliche Diferenzierung erfolgt innerhalb Deutschlands auf der Ebene der 412 Landkreise und kreisfreien Städte nach dem Gebietsstand zum 31.12.2010. Außerhalb von Deutschland wird mit zunehmender Entfernung die räumliche Diferenzierung grobmaschiger. Die Daten beinhalten alle Transporte, die das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland berühren. So werden neben dem Binnenverkehr, Versand und Empfang aus dem Ausland auch die Transitverkehre durch Deutschland berücksichtigt. Die Daten der Verlechtungsprognose umfassen Informationen über genutzte Quell- und Zielzonen und über die Art der transportierten Güter. Die Verlechtungsprognose 2030 verfügt über eine starke räumliche Diferenzierung, und es liegen neben den Luftlinienverbindungen auch Umlegungsdaten der Verkehrsströme vor. Die sachliche Diferenzierung erfolgt nach 25 Gütergruppen. Die Verlechtungsprognose umfasst eine Datenbank mit ca. 6 Mio. bzw. 23 Mio. Datensätzen für den Güterbzw. Personenverkehr. Bei der regionalwissenschaftlichen Analyse und graphischen Aubereitung von Ergebnissen stoßen herkömmliche Software-Lösungen wie Tabellenkalkulationsprogramme schnell an ihre Grenzen. Um in Gänze mit der Verlechtungsprognose arbeiten zu können, werden vom BBSR neben speziellen Datenbankanwendungen Business Intelligence Techniken eingesetzt. Diese Software-Lösungen bilden auch das technische Grundgerüst von TraViMo. Die Verkehrsleistungsstatistiken des Statistischen Bundesamtes bilden den Schwerpunkt der amtlichen Verkehrsstatistik. Auf jährlicher oder monatlicher Basis werden hier Verkehrsverlechtungsdaten über die Binnen- und Seeschiffahrt sowie über den Eisenbahngüterverkehr bereitgestellt. Neben der Beförderungsmenge in Tonnen (t) werden regionale und güterspeziische Details angegeben [5]. Um die einheitliche Darstellung und zeitliche Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten, wird für die betrachteten Verkehrsträger eine identische sachliche und räumliche Diferenzierung genutzt. Für die regionale Einteilung des Güterverkehrs wird auf das Regionalverzeichnis für die Verkehrsstatistik [6] zurückgegrifen. Das Verzeichnis unterteilt die Welt in 362 Verkehrsbezirke, von denen 100 in Deutschland liegen. Für grobmaschigere Analysen können die 27 Verkehrsgebiete genutzt werden. Während die räumliche Diferenzierung den Quell- und Zielort angibt, liefert die sachliche Diferenzierung der Verkehrsleistungsstatistik die Information, welche Güter transportiert werden. Wegen der großen Vielfalt der transportierten Güter ist es für die Statistik und entsprechende Analysen notwendig, Gruppen von Gütern zu bilden. Die NST/ R als einheitliches Güterverzeichnis für die Verkehrsstatistik umfasst zehn Güterabteilungen, 52 Güterhauptgruppen und 175 Gütergruppen [7]. Das BBSR nutzt aktuell die Verlechtungsdaten der Verkehrsleistungsstatistik auf der Ebene der Güterhauptgruppen für die Jahre 1993 bis 2010. Für eine bessere Vergleichbarkeit und Verknüpfung der Verkehrsstatistiken wurde die NST/ R im Jahr 2011 in die sog. NST- 2007 überführt, die sich an der Klassiikation der Wirtschaftszweige CPA (Classiication of Products by Activity) orientiert und aus insgesamt 20 Güterabteilungen und 81 Gütergruppen besteht [8]. Das Transportstrom-Visualisierungs- Modell des BBSR Aus den zwei zuvor genannten Datenquellen und der Einbindung weiterer Daten- Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 99 Data Mining TECHNOLOGIE quellen hat das BBSR ein Transportstrom- Visualisierungs-Modell für den Güter- und Personenverkehr entwickelt, das für unterschiedlichste Forschungsfragen eingesetzt und angepasst werden kann. In der TraVi- Mo-Version 1.0 werden für den Güterverkehr die Güterverkehrsleistungsstatistiken für die Verkehrsträger Bahn, Binnenschif, Seeverkehr und Straße für die Jahre von 2004 bis 2010 nach NST/ R verarbeitet und mit der Verlechtungsprognose 2025 verknüpft. Für alle Analysen ab dem Jahr 2010 wird die Verkehrsverlechtungsprognose 2030 verwendet. Um auch Fragestellungen zu beantworten, die auf die amtlichen Produktionsstatistiken zurückgreifen, wurden die NST/ R Daten zusätzlich noch in die NST-2007 Klassiikation umgewandelt. Mit TraViMo 1.0 können alle Transporte von und nach Deutschland sowie Verlechtungen innerhalb Deutschlands auf Ebene der Stadt- und Landkreise zwischen 2004 und 2010 nach 81 Gütergruppen ausgewiesen werden. Der Straßengüterverkehr ist auf Basis der Kraftverkehrsstatistiken des Kraftfahrtbundesamtes einbezogen, jedoch handelt es sich hier nicht um eine Vollerhebung, wie bei den anderen Verkehrsträgern, sondern um hochgerechnete Stichprobenergebnisse, die mit einem Stichprobenfehler behaftet sind [9]. Durch die Nutzung weiterer Datenquellen sowie Plausibilitätsprüfungen kann der Aussagegehalt dieser Statistik verbessert und durch vor Ort durchgeführte regionale Verkehrsstromanalysen angepasst werden. Bild 1 zeigt eine beispielhafte Auswertung von TraViMo 1.0 für lüssige Mineralölerzeugnisse für das Jahr 2010. Zur besseren Übersichtlichkeit in der Printform werden nur die Relationen angezeigt, die ein Mindestaukommen von insgesamt 50 000 t pro Jahr aufweisen [10]. Durch diese Filterung sind auf der Karte räumliche Schwerpunkte wie zum Beispiel Leuna oder Hamburg ersichtlich, in denen sich größere Rafinerien oder Tanklager beinden. Mit TraViMo 1.0 können auch Analysen zum Personenverkehr durchgeführt werden. Auf Basis der Verlechtungsprognose 2025 bzw. 2030 werden die Verlechtungsdaten aus dem jeweiligen Basisjahr mit den jährlich vom DIW erarbeiteten verkehrsstatistischen Datengrundlagen „Verkehr in Zahlen“ fortgeschrieben. Bild 2 zeigt für Deutschland relevante Personenverkehrsströme ab 200 000 Fahrten pro Jahr nach Verkehrsträgern. TraViMo 1.0 ist ein Data-Mining-Instrument zur Abschätzung und Visualisierung der für Deutschland relevanten Verkehrsströme im Personen- und Güterverkehr. Die Kombination mit weiteren Datengrundlagen und wissenschaftlichen Modellen erlaubt eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten: • Prognose zukünftiger Verkehrsströme • Abschätzung von Maßnahmen zum Klimaschutz • Schnelle Visualisierung des Verkehrsgeschehens einer ausgewählten Region und Bereitstellung regionaler Verkehrsdaten • Notfallplanung bei einem Verkehrsträgerausfall - Identiikation von besonders wichtigen Transportströmen • Raumplanung - Bewertung der verkehrlichen Wirkungen raumplanerischer Maßnahmen • Abschätzung gesamtwirtschaftlicher Efekte (z. B. Potentialuntersuchungen) • Verkehrsinfrastrukturplanung - Abschätzung verkehrlicher Wirkungen von Investitionen [11] • Branchenspeziische Analysen z.B. Steinkohlelogistik [12] Mit TraViMo 1.0 können Transportströme sekundenschnell aus den amtlichen Statistiken für unterschiedliche Jahre tabellarisch sowie kartographisch dargestellt werden. Im Güterverkehr können die Verkehrsströme sowohl verkehrsträgerspeziisch als auch nach 81 Gütergruppen diferenziert werden. Im Personenverkehr diferenziert TraViMo nach Verkehrsmitteln und den bekannten Verkehrszwecken. Informationen werden auf Kreisebene aubereitet. Durch die Informationen über Quell-Ziel-Verbindungen können Verkehrsverlechtungen analysiert und ein räumlich diferenziertes Verkehrsbild für Deutschland gezeichnet werden. Mit den amtlichen Verkehrsleistungsstatistiken wird TraViMo jährlich ak- Bild 2: Beispiel TraViMo Jahr 2010 für Personenverkehr ab 200.000 Fahrten pro Jahr nach Verkehrsmittel Quelle: BBSR, TraViMo 1.0, 2014 Bild 1: Beispiel TraViMo (1.0) Jahr 2010 für flüssige Mineralölerzeugnisse ab 50 000 t pro Jahr nach Verkehrsträgern Quelle: BBSR, TraViMo 1.0, 2014 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 100 TECHNOLOGIE Data Mining tualisiert. Zudem werden die jeweils aktuellsten Daten aus der Verlechtungsprognose in das Modell eingebaut. Zudem arbeitet das BBSR an der Weiterentwicklung von TraViMo. In der Version 2.0 werden nicht nur die Transporte durch Luftlinien dargestellt, sondern konkrete Routen und die jeweils genutzte Verkehrsinfrastruktur durch die Nutzung von Umlegungsdaten visualisiert. Die Wege des Öls - ein Anwendungsbeispiel Deutschland ist als rohstofarme, hochindustrialisierte Volkswirtschaft abhängig von Rohstoimporten; dies gilt in besonderer Weise für das weiterhin sehr wichtige Rohöl. Nach Zahlen des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle belief sich die inländische Rohölförderung in den Jahren 2010 bis 2013 auf rd. 2,6 Mio. t, während sich in der gleichen Zeit die Importe zwischen 90,2 Mio. t und 93,4 Mio. t bewegten. Das entspricht einer Importquote von gut 97 % beim Rohöl. Das mit Abstand meiste Rohöl wird aus Russland importiert, es folgen die EU-Länder inklusive Norwegen sowie Afrika [13]. Zur Analyse der Struktur der Rohöltransporte in und nach Deutschland mit TraViMo sollen zwei Bereiche herausgegriffen werden; die Rohöltransporte vom Ausland nach Deutschland bis zum ersten Anlandepunkt werden skizziert, auch werden die 13 deutschen Raineriestandorte betrachtet, an denen die Weiterverarbeitung von Rohöl zu den unterschiedlichsten Mineralölprodukten erfolgt [14], [15], [16]. Aufgrund der aktuellen Datensituation für Tra- ViMo wird dabei auf Daten aus dem Jahr 2010 zurückgegrifen. Während die Bahn bei einer Transportmenge von insgesamt 2640 t für den Rohölimport eine marginale Bedeutung hat, ist unter verkehrlichen Aspekten die Seeschiffahrt von großer Bedeutung. Der ebenfalls sehr wichtige Rohrleitungsfernverkehr [17] wird in dieser Betrachtung ausgeklammert. Bild 3 zeigt für 2010 die Herkunft des importierten Rohöls diferenziert nach Transportaukommen in t. Insgesamt gelangten 2010 rund 30 % (rd. 28,8 Mio. t) des gesamten Rohölimports über den Seeverkehr nach Deutschland, davon wiederum mit über 9- Mio. t ein Großteil aus Russland. Zweitwichtigste Importquelle ist der Verbund aus Großbritannien und Nordirland mit immerhin fast 25 % der gesamten seeseitigen Importmenge. Auch Afrika und Norwegen sind mit jeweils über 3 Mio. t bedeutende Rohöllieferanten für Deutschland. Der wichtigste Importseehafen in Deutschland für Rohöl ist Wilhelmshaven, dessen Verkehrsbezirk Oldenburg insgesamt eine Menge von über 19,58 Mio. t aufweist. Es folgen Hamburg mit über 4 Mio. t sowie Itzehoe (Seehafen Brunsbüttel) und Rostock mit mehr als 2-Mio. t. Die Weiterverarbeitung des Rohöls erfolgt in Deutschland in aktuell 13 Rainerien. Während ein Großteil des Rohöls direkt über die entsprechenden Pipelines zu den Rainerien transportiert wird, zeigt die Verkehrsstatistik für das Jahr 2010, dass von den restlichen 29,5 Mio. nur 1,51 % (444 318-t) mit der Bahn und per Binnenschif nur 0,02 % (5643 t) transportiert wurden. Die Kraftstofversorgung von Tankstellen skizziert weitere Wege des Öls. Das Rohöl wird von der Quellregion per Pipeline oder Seeverkehr zur Rainerie transportiert. Von dort aus gelangen die aus Rohöl gewonnenen Produkte über Produktpipelines, Binnenschife oder mit der Bahn per Kesselwagen zu den Tanklagern [18]. So werden aus den Tanklagern die 14 330 Straßentankstellen und rund 350 Autobahntankstellen per Tankwagen mit Kraftstofen beliefert. Betriebswirtschaftliche Abwägungen führen dazu, dass im Nahbereich in der Regel der LKW eingesetzt wird. 2010 wurden über 73,3 Mio. t Mineralölprodukte per Bahn oder Binnenschif in Deutschland bewegt. Davon wurden 34,7 Mio. t mit dem Binnenschif und 38,7 Mio. t mit der Bahn befördert. Die Haupttransportrouten liegen dabei auf der Schiene zwischen Frankfurt/ Oder und Hamburg (3,453 Mio. t) sowie Ingolstadt und München (1,478 Mio. t). Die größten Binnenschiftransporte von Mineralölprodukten verlaufen auf den Abschnitten zwischen Köln und Amsterdam (0,76 Mio. t) sowie Essen und Maastricht (0,707 Mio. t) (Bild 4). Bild 3: Rohölimporte nach Verkehrsträgern und Herkunftsland ohne Pipelines Quelle: BBSR, TraViMo, 2014 Bild 4: Transporte lüssiger Mineralölerzeugnisse per Bahn und Binnenschif von den Rainerien, Jahr 2010 Quelle: BBSR, TraViMo, 2014 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 101 Data Mining TECHNOLOGIE Fazit Mit TraViMo geht das BBSR über die Nutzung neuer Softwarelösungen einen ersten Schritt, um einem breiten Fachpublikum räumliche Verkehrsanalysen und Verkehrsströme zur Verfügung zu stellen. Neben branchenspezifischen Analysen können auch zeitliche Entwicklungen bis ins Jahr 2030 abgebildet werden. Konkrete wissenschaftliche oder verkehrsplanerische Fragestellungen werden von TraViMo bedarfsgerecht mit Filterfunktionen beantwortet. Hierfür stehen nicht nur kartografische, sondern auch tabellarische Auswertungen zur Verfügung. ■ LITERATUR  [1] Becker, Josef; Breser, Christine (2005): Data Mining im Verkehrswesen, in: Internationales Verkehrswesen (57) 6/ 2005, S. 266, Hamburg.  [2] Fayyad Usam; Piatetsky-Shapiro, Gregory; Smyth, Padhraic (1996): From Data Mining to Knowledge Discovery in Databases. In: AI Magazine. 17, Nr. 3, 1996, S. 37-54.  [3] BVU/ ITP (2007): Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverlechtungen 2025, Freiburg/ München.  [4] BVU/ ITP (2014): Verkehrsverlechtungsprognose 2030, Freiburg/ München.  [5] Statistisches Bundesamt (2014): Güterverkehr, https: / / www.destatis.de/ DE/ ZahlenFakten/ Wirtschaftsbereiche/ TransportVerkehr/ _ Doorpage/ Gueterbefoerderung_ol.html, Zugrif am 25.04.2014.  [6] Statistisches Bundesamt (2008): Regionalverzeichnis für die Verkehrsstatistik, Wiesbaden.  [7] Statistisches Bundesamt (2008): Güterverzeichnis für die Verkehrsstatistik Ausgabe 1969, Wiesbaden.  [8] Statistisches Bundesamt (2008a): NST-2007, Wiesbaden.  [9] Kraftfahrtbundesamt (2011): Schriftliche Information im Rahmen einer Datenabfrage durch das BBSR, unveröfentlicht. [10] Buthe, Bernd; Jakubowski, Peter (2014): Verkehrsbild Deutschland - Regionale Analysen durch Data-Minig, in: BBSR-Analysen KOM- PAKT 06/ 2014, S. 11 Bonn. [11] Buthe, Bernd; Göddecke-Stellmann, Jürgen / Winkler, Dorothee (2014): Räumliche Güterverkehrsanalysen - neue Techniken, neue Möglichkeiten, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 3.2014, Räumliche Organisation des Güterverkehrs, Bonn. [12] Buthe, Bernd; Jakubowski, Peter (2013): Robustheit des Verkehrssystems, Anpassungsbedarf bei der Steinkohlelogistik? , in: BBSR- Analysen KOMPAKT 11/ 2013, Bonn. [13] Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (2014): Amtliche Mineralöldaten 2013, im Internet unter: http: / / www.bafa.de/ bafa/ de/ energie/ mineraloel_rohoel/ amtliche_mineraloeldaten/ index. html, Zugrif 5.6.2014. [14] Mineralölwirtschaftsverband (2003): Mineralöl und Rainerien, Hamburg, im Internet unter: http: / / www.mwv.de/ upload/ Publikationen/ dateien/ 140_Oel_Raf_Q4T3Lvk10vbkxPZ.pdf (Zugrif: 05.03.2014). [15] Wild, Florian; Dieler, Julian / Lippelt, Jana (2013) Kurz zum Klima: Der Weg des Benzins und das Raineriesterben, in: ifo Schnelldienst 24/ 2013 - 66. Jahrgang - 23. Dezember 2013, S. 74-76. [16] Mineralölwirtschaftsverband (MWV) (2014): Rainerien in Deutschland, im Internet unter: http: / / www.mwv.de/ index.php/ ueberuns/ rainerien (Zugrif am 05.03.2014). [17] Deutsche Energie-Agentur (Hrsg.) (2011): Ungeliebt, aber unentbehrlich. Bedarf und Produktion von Mineralöl im künftigen Energiemix. Berlin. [18] BP Europa SE (2013): Erdöl bewegt die Welt - Von der Quelle bis zum Verbraucher, S 44f., Bochum. Peter Jakubowski, Dr. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Referat „Verkehr und Umwelt“, Bonn peter.jakubowski@bbr.bund.de Dorothee Winkler Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Referat „Regionale Strukturpolitik und Städtebauförderung“, Bonn dorothee.winkler@bbr.bund.de Bernd Buthe Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Referat „Verkehr und Umwelt“, Bonn bernd.buthe@bbr.bund.de 12./ 13.11.2014 Kap Europa Kongresshaus der Messe Frankfurt am Main Veranstalter: DVWG e.V. Kontakt: +49(0)30 293 60 60, hgs@dvwg.de Informationen und Anmeldung unter www.deutscher-mobilitaetskongress.de Der Trefpunkt der Mobilitätsbranche Mobility 4.0 - Datenfluss und Mobilität Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 102 TECHNOLOGIE Güterwagen Scheibenbremse und Güterwagen Eisenbahnwagen fahren seit langem mit sogenannten Klotzbremsen, deren Wirkprinzip aus der Vor-Pferdekutschenzeit stammt: Bremskräfte werden durch Reibung auf der Radlauläche erzeugt. Bei Reisezugwagen stießen Klotzbremsen mit steigenden Reisegeschwindigkeiten an die Grenzen der physikalischtechnischen Beanspruchbarkeit und Wirtschaftlichkeit und wurden durch höher belastbare Scheibenbremsen abgelöst. Zu deren Vorteilen - leiseres Fahrgeräusch und reduzierte Dynamik der Radaufstandskräfte beim Bremsen - kommt eine spürbare Komforterhöhung für die Reisenden. Und wie sinnvoll sind Scheibenbremsen bei Güterwagen? Die Autoren: Mark Stevenson, Dietmar Gilliam, Johannes Nicolin D er Güterverkehr allgemein stieß in den letzten Jahren durch das stetige Anwachsen der Transportmengen, auch auf der Schiene, an die Akzeptanzgrenze der vom Fahrgeräusch betrofenen, belästigten und gesundheitlich gefährdeten Menschen. Die Politik hat reagiert und zum Schutz ihrer Wähler anspruchsvolle, einzuhaltende Grenzwerte des Schalldruckpegels vorgeschrieben. Die Geräuscheinwirkung auf die Anwohner an den Eisenbahnstrecken kann u. a. durch ortsfeste Einrichtungen wie „schallschluckende Wände“ an den kritischsten Orten, leisere Oberbauarten oder Gleise, neue und weniger exponierte Streckenführungen (infrastrukturelle Maßnahmen) oder fahrplantechnische Maßnahmen wie Geschwindigkeitsbegrenzungen bis hin zum lokalen oder totalen Nachtfahrverbot (V-=-0 km/ h) gemindert werden. Leise Güterwagen Der leiser fahrende Güterwagen ist eine weitere mögliche Maßnahme zur Minderung der durch den Schienengüterverkehr verursachten Geräuschbelästigung. Die AAE - Ahaus Alstätter Eisenbahn AG (AAE AG) als ein führender Vermieter von Standardgüterwagen in Europa hat deshalb frühzeitig die Auswirkungen der aktuell vorhandenen, technisch sicheren und erfolgversprechenden Möglichkeiten zur Fahrgeräuschreduktion (K-Sohle, LL-Sohle, Scheibenbremse) auf die Investitionskosten und die entstehenden, sich akkumulierenden Unterhaltskosten (Life-Cycle Costs, LCC) abgeschätzt und einander gegenübergestellt. Nur so sind die verschiedenen technischen Möglichkeiten fundiert zu beurteilen und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Um die gesetzlich vorgeschriebenen Schalldruckpegel-Grenzwerte von 83 dB(A), gemessen bei einer Vorbeifahrt mit 80-km/ h, einzuhalten, muss die Hauptursache der Entstehung des Fahrgeräuschs beeinlusst werden. Hauptursache des Fahrgeräuschs ist die durch die Rauheit und die Imperfektionen der Schienenlauläche und der Radlauläche bewirkte gegenseitige Erregung von Rädern und Schienen und damit auch der benachbarten, d.h. „akustisch“ angekoppelten Strukturen. Wird die Erzeugung der Laulächenrauheit reduziert, so wird das Rollgeräusch positiv beeinlusst. Eine solche Wirkung ist durch den Einsatz von sogenannten K-Sohlen oder LL-Sohlen erreichbar. Die positive Wirkung der K-Sohlen und LL-Sohlen war aus einigen früheren Anwendungsfällen bereits bekannt und belegt. Diese Sohlen aus einem organisch gebundenen Kompositwerkstof mit eingelagerten glättenden, d.h. schleifenden Substanzen reduzieren die Rauheit der Radlauläche durch Materialabtrag und mindern so das Rollgeräusch bzw. die Anregung von Rad und Schiene. In einer groß angelegten Studie des European Rail Research Institut (ERRI) von 1999 bis 2004 wurde die erwünschte geräuschmindernde Wirkung der K-Sohlen untersucht und bestätigt. Es zeigte sich aber auch leider die gegenüber dem Graugussklotz erhöhte materialabtragende Wirkung der K-Sohlen. Inzwischen liegen fast gleiche Ergebnisse zum Radverschleiß aus dem Europtrain-Projekt auch für die LL-Sohle vor (2010 bis 2012). So ist zwar der Einsatz von K- und LL- Sohlen zur Reduzierung der Fahrgeräusche zielführend, die Grenzwerte werden zuver- Bild 1: Zweiachsiger Containertragwagen Lgnss-D mit Scheibenbremse Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 103 Güterwagen TECHNOLOGIE lässig eingehalten. Die Kosten im Unterhalt der Räder bzw. der Wagen steigen aber nennenswert an und belasten die Wettbewerbsfähigkeit der leiseren Güterbahn. Die Alternative zu den die Radlaulächenrauheit glättenden Kompositbremssohlen (K- oder LL-Sohle) der Klotzbremse ist auch für Güterwagen der Einsatz der bereits erwähnten Scheibenbremse. Die Scheibenbremse war und ist auch für den Güterwaggon keine unbekannte Technologie. So wurden Scheibenbremsen schon von ÖBB, SNCF und DB sowie anderen Bahnen mit zufriedenstellendem Betriebsverhalten eingesetzt. Auch bei dem anspruchsvollen Projekt „InterCargoExpress“ (1991 bis 1995) der Deutschen Bundesbahn und DB AG 1 mit- Wagen der Bauart Sgnss-y 703 und Hbbillss-y 307 für V max 160 km/ h haben sich Scheibenbremsen hervorragend bewährt. Das leise Rollgeräusch war bei diesem Container-Express ofenkundig und wurde inzwischen bei diversen anderen scheibengebremsten Waggons immer wieder messtechnisch bestätigt. Weiter war das gute Verschleißverhalten der Reibbeläge und insbesondere der Radlaulächen ofensichtlich. Ausgehend von den Erfahrungen mit der eingesetzten Technik des „InterCargoExpress“ hat die AAE AG in den Jahren 1999 und 2000 insgesamt 253 zweiachsige Containertragwagen mit Scheibenbremsen an das schweizerische Unternehmen „Die Post“ vermietet und in Verkehr gebracht (Bild 1). Motiviert durch stärker werdende Forderungen der geräuschbelästigten Öfentlichkeit und ermutigt durch die positiven Erfahrungen mit der Scheibenbremse dieser Lgnss-D-Wagen, hat AAE weitere Waggons mit Scheibenbremsen ausgerüstet (Bild 2) und die für das betriebliche Verhalten wichtigen Daten kontinuierlich erfasst und ausgewertet. Die Daten beziehen sich auf die Lauleistung der Wagen, die Verschleißentwicklung der Räder und damit verbundene Reproilierungen sowie die Verschleißentwicklung der Bremsbeläge und Bremsscheiben. Damit lassen sich dann LCC der Scheibenbremse bestimmen. Alle Wagen sind im gemischten Einsatz mit „normaler“ GG-Klotzbremse, für s- oder ss-Regime im Betrieb. Die für die LCC-Abschätzung ermittelten Werte sind damit auf der sicheren Seite, denn die efektivere Scheibenbremse übernimmt aufgrund des gleichmäßigeren Reibwertverlaufs über der Bremszeit einen Teil der Bremsleistung für die im gleichen Zug mitfahrenden, weniger efektiv GG-abgebremsten Wagen. Bei den Werten handelt es sich jeweils um die Mittelwerte der Daten von eingesetzten AAE- Wagen mit und ohne Scheibenbremse. Die Werte, die zum Vergleich mit der K- oder LL- und GG-Sohlenbremse herangezogen werden, stammen aus AAE-eigenen Betriebsversuchen, aus Versuchen mit AAE- Wagen oder aus Versuchsergebnissen Dritter. Schlussfolgerungen Aufgrund der über Jahre gesammelten Daten und Erfahrungen kann gesagt werden: • Scheibenbremsen funktionieren technisch einwandfrei und zuverlässig. • Sie sind (mindestens) so leise wie Klotzbremsen mit K- und LL-Sohle und erfüllen alle einschlägigen EU-Normen. • Obwohl sie (derzeit noch) die höchsten Investitionskosten aller Bremssysteme für Güterwagen aufweisen, liegen die Gesamtkosten aufgrund niedrigerer Betriebskosten unter denen der K- und LL- Sohle. Das Gesamtkostenniveau ist vergleichbar mit dem einer Grauguss-Klotzbremse, die bei Neuanschafungen von Güterwagen seit 2007 aus Lärmschutzgründen bei Neubauten nicht mehr eingesetzt werden kann. Die Hauptgründe für die niedrigen Lebenszykluskosten liegen im geringen Wartungsaufwand (weniger Werkstattaufenthalte) und damit einer deutlich höheren Verfügbarkeit der Wagen. Hinzu kommt ein geringerer Materialverschleiß, der sich insbesondere durch einen reduzierten Radverschleiß zeigt. So hat die AAE AG die Grundsatzentscheidung getrofen, beim Neukauf von Wagen in die Scheibenbremse zu investieren. Andere werden dem sicher folgen. Vorhandene graugussgebremste Wagen, bei denen sich wegen der zu erwartenden geringen Restlebensdauer eine Umrüstung auf Scheibenbremse nicht mehr amortisiert, werden von der AAE AG in den nächsten Jahren auf LL-Sohlen umgerüstet. ■ 1 InterCargoExpress: Güter rollen mit Tempo 160. In: Die Bahn informiert, ZDB-ID 2003143-9, Heft 5/ 1990, S. 14 f. Johannes Nicolin, Dr.-Ing. Leiter Entwicklung und Konstruktion, AAE-Ahaus Alstätter Eisenbahn AG, Baar (CH) info@aae.ch Dietmar Gilliam Leiter Zulassung & Sanierung, AAE-Ahaus Alstätter Eisenbahn AG, Baar (CH) info@aae.c Mark Stevenson CEO, AAE-Ahaus Alstätter Eisenbahn AG, Baar (CH) info@aae.ch Bild 2: Sechsachsiger Gelenk-Containertragwagen der AAE AG mit Scheibenbremse Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 104 TECHNOLOGIE Fahrzeugzulassung Zulassungsprozesse für Fahrzeuge in Deutschland Straße, Luft und Schiene im Vergleich - Teil 1: Straße Alle Akteure im System Bahn bedauern seit geraumer Zeit die zunehmenden Verzögerungen in den Zulassungsprozessen von Schienenfahrzeugen. Die Zulassungsprozesse für Flugzeuge und Automobile verlaufen dagegen scheinbar reibungslos und eizient. Daher befasst sich die beginnende dreiteilige Artikelreihe mit dem Vergleich der Systeme, um hieraus, so weit erkennbar, Lernprozesse anzustoßen und-verbleibende Schwachstellen aufzudecken. - Teil 1 behandelt die Systemunterschiede und die Zulassungsprozesse für Straßenfahrzeuge. Die Autoren: Hartmut Fricke, Jürgen Siegmann, Hermann Winner D as hohe erreichte Sicherheitsniveau sowohl auf der Fahrwegseite als auch bei den Schienenfahrzeugen und deren Zusammenspiel beim Bahnbetrieb darf nicht durch neue Komponenten gefährdet werden. Gesetzliche Regelungen wie die Eisenbahnbau- und -betriebsordnung (EBO) auf Basis des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) deinieren Mindeststandards für das komplexe Zusammenspiel von Fahrzeug und Fahrweg. Noch genauer werden die Erfahrungen aus mehr als 175 Jahren Bahnbetrieb in diversen weiteren Regelwerken festgehalten. Der § 2 der EBO verlangt, dass bei jeder Änderung im System mindestens die gleiche Sicherheit erreicht wird wie bei Verwendung der vorhandenen Komponenten und Betriebsvorschriften. Weil jede Neuerung häuig ein wenig mehr an Sicherheit liefert, droht das System Bahn langfristig an seinem dann erreichten Sicherheitsniveau jede Innovation zu hemmen. Lassen sich aus den Zulassungsprozessen für Straßen- und Luftfahrzeuge Handlungsoptionen ableiten, die zur Beschleunigung der Zulassung auch bei Schienenfahrzeugen führen kann? Systemunterschiede und Vergleichbarkeit Historisch sind die vorwiegend staatlichen Bahnen in Europa nicht einheitlich gewachsen, sie haben sich zeitweise bewusst von Systemen in anderen Ländern abgegrenzt. Mit dem Ziel der Durchlässigkeit der Grenzen, einer universellen Verwendbarkeit von Wagen und Triebfahrzeugen und der Erhöhung der Stückzahlen der diversen Bahnkomponenten - und entsprechender Preisdegression - verfolgt die EU seit mehr als 15- Jahren die Vereinheitlichung der Bahnsysteme und will das u.a. mit den Technischen Spezifikationen Interoperabilität (TSI) erreichen. Da jedes Land sich nach seinen Möglichkeiten und Randbedingungen an die EU-Vorgaben anpassen muss, werden die Bahnsysteme im EU- Raum dennoch mindestens 20 Jahre uneinheitlich sein, bis der Abgleich vollständig erfolgt ist. Aus einem Vergleich der Zulassungsprozesse bei Flugzeugen und Straßenbzw. Schienenfahrzeugen sollen Empfehlungen abgeleitet werden, wie die bereits eingeleiteten Schritte zur Verbesserung der Zulassungen (u. a. Handbuch Zulassung Schiene) im Sinne von best practises noch weiter optimiert werden können. Dazu sind in Tabelle 1 die Eckdaten der- drei Verkehrssysteme zusammengestellt 1, 2 . Luftfahrt Straßenverkehr Eisenbahn Bewegungsoptionen 3-D (Raum) 2-D (Fläche) 1-D (Linie) Bediener Verantwortlicher Fahrzeugführer meist redundant nicht redundant nicht redundant Professionalität der Fahrzeugführer fast vollständig hauptberulich geringer Anteil hauptberulich fast vollständig hauptberulich Ausbildung Theorie > 750 Stunden > 21 Stunden ~ 800 Stunden Praxis > 1500 Stunden > 9 Stunden 1 ~ 400 Stunden Schulung auf Fahrzeugtyp Ja Nein Ja Weiterbildung Erforderlich Nicht erforderlich Erforderlich Technische Rahmenbedingungen Dokumentation Fahrten/ Betriebsstunden Ja Nein Überwachung der Lauleistung, automatische Fahrtenschreiber Instandhaltung, Reparatur Nur von zertiizierten Betrieben Werkstätten, Selbsthilfe Nur von zertiizierten Betrieben, dann auch kleine Werkstätten Unfallanalyse Jeder Unfall/ schwere Störung, durch unabhängige staatliche Stelle In Einzelfällen, durch zertiizierte Gutachter Jeder Unfall/ schwere Störung, durch unabhängige staatliche Stelle Stückzahlen (in Europa) 103 (fallend) 106 (steigend) 103 (fallend, bei steigender Fahrleistung pro Triebfahrzeug) Modellwechsel ca. 20 Jahre ca. 5 - 7 Jahre ca. 20 Jahre für Triebfahrzeuge Tabelle 1: Vergleich der Bedingungen der Verkehrssysteme Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 105 Fahrzeugzulassung TECHNOLOGIE Zulassungsprozesse für Straßenfahrzeuge Anzahl und Basis der Fahrzeugzulassungsprozesse je Jahr In Tabelle 2 sind die absoluten Zahlen der im Jahr 2011 für den Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeuge (Baureihen, Spanne der abgedeckten Derivate) zusammengefasst. Im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern ist dabei hinsichtlich der typischen Stückzahlen im Bereich von einigen Tausend pro Jahr am ehesten die Klasse Omnibus vergleichbar. Dabei handelt es sich um die individuellen Fahrzeugzulassungsprozesse. Denen liegen jedoch bei Serienfahrzeugen Typgenehmigungen zugrunde, die die allgemeine technische Eignung des Fahrzeugs für den Verkehr bescheinigen. Die für die Ausstellung einer Typgenehmigung notwendigen Schritte werden in den folgenden Abschnitten beschrieben. Im Bereich Personenwagen liegt die Anzahl der Typgenehmigungen, die das Kraftfahrtbundesamt (KBA) pro Jahr erteilt, anhand der Ausstellungsdaten der allgemeinen Typschlüsselnummern-Aufstellung des KBAs für PKW für die Jahre 2009 bis 2012 zwischen 1025 und 1420 Typgenehmigungen pro Jahr der Klasse M. Ablauf Zulassungsprozess im Straßenverkehr Grundlage für den Zulassungsprozess zum Straßenverkehr ist die Rahmenrichtlinie 2007/ 46/ EG (früher 70/ 156/ EWG). Neben den allgemeinen Verfahren ist in Deutschland auch jeweils eine Einzelabnahme durch Vollgutachten nach § 21 der StVZO möglich. Grundsätzlich wird zwischen den folgenden Arten von Zulassung unterschieden: • Einphasig • Mehrphasig (für Nutzfahrzeuge und Aubauten) • Gemischte Typgenehmigung Einphasig Bei der einphasigen Zulassung werden die folgenden Schritte ausgeführt: 1. Schritt: Ein akkreditierter technischer Dienst bzw. Gutachter muss bestätigen, dass das Produkt den Regelwerken (den europäischen Sicherheits- und Umweltschutznormen) entspricht (Konformitätsbestätigung bzw. Certiicate of Conformity (CoC)) 2. Schritt: Nachweis eines Qualitätsmanagements in der Produktion (bspw. ISO 9001), um Abweichungen der Serienprodukte zu vermeiden. 3. Schritt: Genehmigungsbehörde des Mitgliedsstaats (in Deutschland das KBA) stellt sodann die EG-Typgenehmigung aus. 4. Schritt: Bei der Zulassung des Einzelfahrzeuges wird diese Typgenehmigung vorgelegt, eine weitere technische Kontrolle erfolgt nicht. In Bild 1 sind die einzelnen Schritte einer Typgenehmigung bzw. für ein CoC dargestellt. Beteiligt sind dabei das Kraftfahrtbundesamt (KBA), der Hersteller sowie ein technischer Dienst (TD). Die Typgenehmigungen unterscheiden mindestens zwischen den folgenden Kriterien: • Fahrzeugklasse, • Aubau, • Kraftstofart oder Energiequelle, • Nennleistung in kW, • Max. Hubraum in cm 3 , • Anzahl der Achsen, • Max. Anzahl der Antriebsachsen, • Max. Anzahl der Sitzplätze (inkl. Fahrersitz), • Max. technisch zulässige Gesamtmasse. Es ist also bei jeder Motorvariante eine neue Typzulassung nötig. Mehrphasig (für Nutzfahrzeuge und Aubauten) Zunächst lässt der Hersteller der ersten Fertigungsstufe die Typgenehmigung eines Fahrgestells durchführen, das die Antriebseinheit, die Räder, die Auhängung, die Bremsanlagen usw. umfasst; hierfür wird dann eine EG-Typgenehmigung ausgestellt. Darauhin setzt der Hersteller der zweiten Fertigungsstufe den Aubau auf das Fahrgestell und führt das vervollständigte Fahrzeug zur Typgenehmigung vor. Fahrzeuge, bei denen ein und derselbe Hersteller Fahrgestell und Aubau ausführt, können im Rahmen des für Personenkraftwagen geltenden, vorgenannten einphasigen Verfahrens genehmigt werden. 3 Gemischte Typgenehmigung Im Falle eines gemischten Typgenehmigungsverfahrens kann die Genehmigungsbehörde einen Hersteller von der Verplichtung zur Vorlage von einem oder mehreren EG-Typ-genehmigungsbögen für Systeme ausnehmen, sofern der Beschreibungsmappe während der Fahrzeuggenehmigungsphase die in Anhang I genannten, für die Genehmigung dieser Systeme notwendigen Angaben beigefügt sind. In diesem Fall ist jeder EG-Typgenehmigungsbogen, auf den die Behörde verzichtet, durch einen Prübericht zu ersetzen. Für die Zulassung wird ein akkreditierter technischer Dienst benötigt. Dieser kann sowohl Zertiizierungsstelle für die Übereinstimmung der Produktion des Fahrzeugs mit den Regularien der Qualitätssicherung Klasse Anzahl PKW 3 170 000 Krafträder 141 465 LKW 280 088 Omnibusse 5042 Tabelle 2: Neuzulassungen von Fahrzeugen im Jahr (Stand 2011) Quelle: KBA Bild 1: Einzelschritte für die Erstellung einer Typgenehmigung/ Certiicate of Conformity (CoC) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 106 TECHNOLOGIE Fahrzeugzulassung als auch Prülabor für die Durchführung der Typprüfung des jeweiligen Fahrzeugs sein. In Bild 2 sind die Zusammenhänge und involvierten Prüfstellen dargestellt. Die Aufgaben sind dabei: Prüflabore: Durchführen oder Beaufsichtigen von Prüfungen, Erstellen von Prüberichten für das Typgenehmigungsverfahren sowie Produktqualitätsüberprüfung (Conformity of Production, CoP). Anzuwenden sind die DIN EN ISO/ IEC 17025 und/ oder DIN EN ISO/ IEC 17020. Zertifizierungsstellen: Beurteilung der Qualitätsmanagementsysteme auf Entsprechung mit den genehmigungsrelevanten Anforderungen und entsprechende Bescheinigungen für das Typgenehmigungsverfahren/ die CoP-System-Überprüfung des KBA. Anzuwenden sind die DIN EN ISO/ IEC 17021. Die zertiizierten Technischen Dienste sind auf der Homepage des KBA gelistet. Die beschriebenen Prüf- und Genehmigungsprozeduren sind weltweit sehr ähnlich. Die Überprüfung der Serienfertigung geschieht zumeist durch Stichproben. Beispielhafte Länge einer Zulassung von Antrag bis Stempel im Straßenverkehr Beispielhafte Meilensteine des Zertiizierungsprozesses zum Erlangen einer Typgenehmigung für ein neues Fahrzeugmuster auf Seiten des Automobilherstellers sind in Bild 3 dargestellt. Insgesamt bedarf es in etwa fünf Monate für ein Typgenehmigungsverfahren. Darin enthalten sind 1. interne Vorbereitung durch Fahrzeughersteller, Beschreibung der Systeme; 2. technischer Dienst z.B. durch TÜV: Erstellung des Prüberichts und 3. die seitens der Genehmigungsbehörde (KBA) benötigte Zeit zur Erteilung der EG-Typgenehmigung. Stückzahlen in der Produktion im Zulassungsbereich Die Zulassungen in Deutschland pro Jahr wurden bereits in Tabelle 2 dargestellt. Um die Spanne der Stückzahlen der Hersteller in der Produktion abzuschätzen, werden in Tabelle 3 die Zulassungsstückzahlen für einzelne Fahrzeugtypen in Deutschland pro Jahr beispielhaft dargestellt. Insgesamt wurden vom VW Golf im Jahr 2012 weltweit 825 591 Fahrzeuge produziert, der Typ Jetta/ Bora kam auf 1 060 824 Exemplare. 5 Die 2007/ 46/ EG Richtlinie unterscheidet hinsichtlich der Zulassungsverfahren noch Kleinserienfahrzeuge, die in zehn Klassen nach den jährlich in der Gemeinschaft verkauften Exemplaren von 75 bis 500 Fahrzeuge pro Jahr begrenzt sind. Wissenskreislauf Hersteller-Betreiber- Technischer Dienst für Hauptuntersuchung- Werkstätten-Hersteller Wer muss in diesem Kreislauf welches Wissen haben? • Zwischen Hersteller und Betreiber: Für PKW ist hier insbesondere der Fahrer derjenige, der informiert sein muss. Dies geschieht hauptsächlich über die Bedienungsanleitung. • Hersteller - Technischer Dienst für Hauptuntersuchung: für Hauptuntersuchung eher allgemeine Schulungen • Für Typprüfung: „Schulung“ vermutlich durch den Betrieb, der die Genehmigung benötigt, als eine Art „Training on the Job“ • Hersteller - Werkstätten: Online-Infodienste und Schulungen (hauptsächlich bei „Markenwerkstätten“) Werkstätten-Hersteller: Bei dem Hersteller zugeordneten „Markenwerkstätten“ können über das Online-Auslesen von Fehlerspeichern theoretisch Daten rückgespeist werden. Zudem werden häuig die durchgeführten Arbeiten gekoppelt an die Fahrzeugidentiikationsnummer (FIN) in der Herstellerkartei gespeichert. Daraus können Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Produkte gewonnen werden. Verantwortung für die Zulassung, bei Gefährdungen durch fahrlässige Zulassung Mangels gesicherter Informationen zu den konkreten Haftungsfragen wird hier nur die folgende Argumentation geführt: Die Hersteller von Fahrzeugen haben ein großes Fahrzeug-Baureihe Zulassungen in Deutschland im Jahr 2012 gesamt 4 Volkswagen Golf, Jetta 240 275 BMW 5er-Serie 42 327 Wiesmann Roadster 96 Tabelle 3: Zulassungsstückzahlen in Deutschland für beispielhafte Fahrzeugtypen Durch das Kraftfahrt-Bundesamt als Technischer Dienst benanntes (anerkanntes) Prü aboratorium1) Typprüfung (Produkt) Typgenehmigungen im EG- und ECE-Rechtskreis3) sowie im nationalen Rechtskreis 4) Konformitätsüberprüfung 1) bei Kleinserien ist in bestimmten Fällen eine Zulassung des Labors nach einem besonderen Verfahren ausreichend 2) unter Berücksichtigung der genehmigungsrelevanten Anforderungen 3) werden ohne weitere Prüfung international im Rahmen der jeweiligen Abkommen anerkannt 4) nach Beauftragung durch das KBA Durch das Kraftfahrt-Bundesamt als Technischer Dienst benanntes (anerkannte) Zerti zierungsstelle Bewertung des Qualitätsmanagementsystems2) Bild 2: Aufgabenverteilung zwischen Prülaboratorium und Zertiizierungsstelle Quelle: www.kba.de Bild 3: Meilensteine des Zertiizierungsprozesses zum Erlangen einer Typgenehmigung für ein neues Fahrzeugmuster 6 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 107 Fahrzeugzulassung Technologie Interesse, die Sicherheit ihrer Produkte zu gewährleisten. Dies ist sowohl in der allgemeinen Verantwortung zu sehen als auch gesetzlich hinterlegt über die Regularien der Produkthaftung. Ein bewusstes Zuwiderhandeln birgt hier nicht nur die Gefahr mehrerer Produkthaftungsfälle zu Ungunsten des Herstellers, sondern eines erheblichen Reputationsverlustes, der zudem noch deutlich vergrößert wird, wenn nachgewiesen werden kann, das bewusst zuwider gehandelt wurde. Wie einschneidend die Folgen eines solchen Ereignisses für einen Hersteller sein können, selbst wenn es sich nur um einen bloßen Verdacht handelt, der sich im Nachhinein als unbegründet herausstellt, zeigten die Fälle des Audi 5000 7 und in neuerer Zeit die „Unintended acceleration“-Problematik bei Toyota 8 . Hinzu kommt die Verantwortung von Führungskräften im Entwicklungsprozess zur Einhaltung der technischen Regeln, die bei nachweisbaren Zuwiderhandlungen direkte juristische Konsequenzen für die Einzelperson nach sich ziehen kann. Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass prominente Fälle deswegen nicht bekannt sind, weil sie durch die bestehenden Prozesse, Methoden und Maßnahmen wirkungsvoll vermieden werden konnten. 9 Zwei Beispiele aus den Jahren 2013/ 14 ofenbaren die Bandbreite in der Praxis. Die „Zündschloss-Probleme“ von General Motors konnten über Jahre hinweg von Seiten des Herstellers verschleiert werden. Sie führen aber jetzt zu dem angesprochenen Schaden mit Schadensersatz- und Strafzahlungen sowie einem erheblichen Reputationsschaden, der zumindest kurzfristig zu Absatzverschlechterungen führte. Dies zeigt, dass für das Funktionieren dieser Regelschleife doch immer mal wieder Beispiele des Fehlverhaltens nötig zu sein scheinen, um das Bewusstsein des Managements zu schärfen, zumindest für diesen Konzern auf seinem Heimatmarkt Nordamerika. Auf der anderen Seite zeigt die Diskussion um die Gefährdung durch das Kältemittel R1234yf, dass Hersteller schon bei ersten Hinweisen auf eine Gefährdung sogar große Zulassungsumwege und -risiken auf sich nehmen, um das Haftungs- und Reputationsverlustrisiko nicht einzugehen. Eine einmal erteilte Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) kann durch das KBA auch wieder zurückgezogen werden, wenn bekannt wird, dass das jeweilige Produkt nicht den Anforderungen entspricht. Mittlere Lebensdauer der Zulassungsobjekte und Instandhaltungsstrategien Das Durchschnittsalter eines PKW in Deutschland beträgt laut KBA 8,7 Jahre. Die Altersverteilung nach Jahr der Erstzulassung ist anteilig in Bild 4 dargestellt. Der Peak im Jahr 4 ist vermutlich auf die als Abwrackprämie bekannte Umweltprämie zurückzuführen. Instandhaltungsstrategien werden durch den Hersteller vorgeschlagen. Herangezogen werden sogenannte „Wartungshefte“, die eine Inspektion sowohl zeitbasiert ( jedes Jahr) als auch lauleistungsbedingt (oder z. B. alle 20 000 km) fordern. Teilweise diagnostizieren auch die Fahrzeuge selbst anhand verschiedener Parameter, wann eine solche Wartung notwendig ist. Eine Nichtbeachtung hat dabei außer dem Erlöschen von evtl. bestehenden Garantieansprüchen keine direkten Folgen. Allerdings sind Halter und Fahrer eines Fahrzeugs laut Straßenverkehrsordnung (StVO) dafür verantwortlich, dass keine Mängel am Fahrzeug bestehen, die die Verkehrssicherheit gefährden (beispielsweise § 23 Abs.-2). Zusätzlich müssen in Deutschland in regelmäßigen Zeitabständen bei Hauptuntersuchungen (§ 29 StVZO) und Abgasuntersuchung der technische Zustand des Fahrzeugs verplichtend geprüft werden. Die maximale Zeitspanne zwischen Hauptuntersuchungen liegt bei PKW bei 36-Monaten für Neufahrzeuge und sonst bei 24 Monaten. Bei Fahrzeugen über 3,5 t ist alle 12 Monate die Hauptuntersuchung fällig. Bei Verkauf der Fahrzeuge ins Ausland ist eine erneute Zulassung im Land des Hauptwohnsitz des Halters notwendig, aber dafür ist i.d.R. keine technische Überprüfung notwendig, solange eine CoC-Bescheinigung (Zulassung gemäß EG Richtlinie) vorliegt. Die EG-Typgenehmigung gilt europaweit. Darüber hinaus gibt es keine einheitliche Regelung. ■ 1 nach Ständer, T.: Eine modellbasierte Methode zur Objektivierung der Risikoanalyse nach ISO 26262; Dissertation Technische Universität Braunschweig, 2011, entnommen aus 2 2 Weitzel, A.; Winner, H.; Cao, P.; Geyer, S.; Lotz, F.; Sefati, M.: Absicherungsstrategien für Fahrerassistenzsysteme mit Umfeldwahrnehmung, Forschungsbericht für BASt, 2013, noch nicht veröfentlicht 3 http: / / europa.eu/ legislation_summaries/ internal_ market/ single_market_for_goods/ motor_vehicles/ motor_vehicles_technical_ harmonisation/ n26100_de.htm 4 Kraftfahrbundesamt: Fahrzeugzulassungen, Neuzulassungen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Herstellern und Handelsnamen Jahr 2012 FZ 4, 2012, verfügbar unter: www.kba.de 5 Geschäftsbericht Volkswagen AG 2012, S. 107 6 Ernstberger, U.: Produktentstehung und -auslegung in der Automobilindustrie, Vorlesungsskript TU Darmstadt, 2013 7 vgl. ”MANUFACTURING the Audi Scare“ http: / / www.manhattan-institute.org/ html/ cjm_18.htm und http: / / www. thetruthaboutcars.com/ 2010/ 03/ the-best-of-ttac-theaudi-5000-intended-unintended-acceleration-debacle/ ; Abruf am 13.01.2013 8 Forkenbrock, G.: A Test Track Protocol for Assessing Forward Collision Warning Driver-Vehicle Interface Efectiveness; 2011, S. 143 und Kirchhof, S.; Peterman, D.: Unintended Acceleration in Passenger Vehicles; Congressional Research Service (Hrsg), 2010 9 Teilweise wörtliches Zitat aus 2, S. 20 f Teil 2: Zulassung von luftfahrzeugen hartmut Fricke, Prof. Dr.-Ing., TU Dresden Teil 3: Zulassung von Schienenfahrzeugen, handlungsoptionen der-Politik Jürgen Siegmann, Prof. Dr.-Ing. habil., TU Berlin hermann Winner, Prof. Dr. rer. nat. Leiter Fachgebiet Fahrzeugtechnik, Technische Universität Darmstadt winner@fzd.tu-darmstadt.de Bild 4: Altersverteilung des PKW-Bestandes in Deutschland, Stand 2013 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 108 TECHNOLOGIE Wissenschaft TransMilenio goes green Ist eines der größten Bus Rapid Transit-Systeme der Welt elektriizierbar? In der Hauptstadt Kolumbiens, Bogotá, befördert das Bus Rapid Transit-System TransMilenio in der Spitzenstunde mit 1200 Dieselbussen bis zu 48 000 Personen pro Stunde und Richtung, Tendenz steigend. Die elektrische Energie wird in Kolumbien zu 80% aus Wasserkraft gewonnen. Es steht die Frage im Raum, wie diese regenerative Energie für einen leistungsfähigen öfentlichen Personennahverkehr nachhaltig genutzt werden kann. In einer Machbarkeitsstudie hat das Dresdner Institut für Bahntechnik GmbH (IFB) die Umstellung auf ein Trolleybussystem untersucht. Die Autoren: Sven Körner, Enrico Brandes D as IFB hat eine Machbarkeitsstudie über die Elektriizierung des Bus Rapid Transit-Systems TransMilenio der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá erstellt. Es sollen Vorschläge erarbeitet werden, die es gestatten, so viele Dieselbusse wie möglich durch Trolleybusse zu substituieren. Aufgrund der eher einer U-Bahn würdigen Verkehrsleistung von bis zu 48 000 Personen pro Stunde und Richtung im morgendlichen Peak ist die Auslegung des elektrischen Netzes insbesondere hinsichtlich der Positionierung der Unterwerke, Fahrleitungsauswahl, Belastung der Betriebsmittel und Einhaltung normativer Vorgaben anspruchsvoll. Im Rahmen der Studie werden der Betriebssimulator OpenTrack und das elektrische Netzberechnungsprogramm OpenPowerNet für die Untersuchungen genutzt [1, 2]. Durch Vorgabe elektrischer Netzkonigurationen werden Abschätzungen über die mögliche Anzahl an Bussen getrofen und die Dimensionierung der elektrischen Betriebsmittel unter Berücksichtigung der Einhaltung normativer Grenzwerte vorgeschlagen. Das Bus Rapid Transit-System Das Bus Rapid Transit-System (BRT), auch bezeichnet als Busway oder Metrobus, ist in Europa allgemein nicht so bekannt wie der schienengebundene Stadtverkehr. Es handelt sich um ein Busliniensystem, bei dem die Busse auf vom Individualverkehr abgetrennten Spuren, meist in der Mitte der Straße, fahren. Die Haltestellen werden meist ebenfalls speziell für diese Busse gebaut, liegen niveaugleich zur Einstiegshöhe der Busse und haben oftmals auch Bahnsteigtüren. Des Weiteren werden Gelenk- oder Doppelgelenkbusse mit hohen Fahrgastkapazitäten und vielen Türen eingesetzt sowie Vorrangschaltungen an Ampelkreuzungen eingerichtet. Der Ticketverkauf und die Entwertung inden ebenfalls außerhalb des Busses statt. Energieerzeugung in Kolumbien Die Energieerzeugung Kolumbiens ist deutlich umweltfreundlicher als die vieler Industrienationen. In 2011 wurden 64 % des Leistungsbedarfs (ca. 14,4 GW) aus Wasserkraft gedeckt, 32 % aus fossilen Brennstofen und die restlichen vier Prozent aus erneuerbaren Energien (z.B. Sonne, Wind). Zum Vergleich: Deutschland bezieht nach Zahlen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) im Jahr 2013 ca. 71,4 % seiner Energie aus fossilen Brennstofen und Kernenergie, 23,4 % aus erneuerbaren Energien (Wind, Biomasse, Wasser, Photovoltaik, Siedlungsabfälle) und 5,2 % aus sonstigen Trägern. Zu den erneuerbaren Energien zählen in Kolumbien nur kleine Wasserkraftwerke unter 20 MW mit einem Anteil von 84 %, Biomasse-Kraftwerke mit 13 % und Windenergiekraftwerke mit 3 %. Die Zuordnung der Wasserkraftwerke zu den erneuerbaren Energien nach der Leistungsgröße hat den Grund, dass durch große Wasserkraftwerke eine hohe Abhängigkeit von Regen besteht; durch den Klimawandel und den damit verbundenen Dürreperioden könnten diese Kraftwerke in Zukunft zu wenig Energiesicherheit bieten. Ein enorm hohes Potenzial zur Energiegewinnung bietet die Windkraft. Durch sehr windreiche Gegenden könnte sogar deutlich mehr als der komplette Energiebedarf Kolumbiens durch sie gedeckt werden. Die Möglichkeit, einen Großteil der elektrischen Energie aus erneuerbaren Energien zu gewinnen und Trolleybusse für das öfentliche Verkehrssystem TransMilenio zu nutzen, besitzt einen umweltfreundlichen Vorbildcharakter und ist zukunftsweisend. TransMilenio Bis zum Jahr 1998 gab es für die Stadt Bogotá kein echtes Verkehrskonzept, sondern nur unzählige private Busunternehmen. Die hohe und ständig wachsende Einwohnerzahl, die mangelhafte Vernetzung der einzelnen Buslinien, das hohe Durchschnittsalter der Busse und Lenkzeiten von zum Teil mehr als 16 Stunden brachten viele Probleme mit sich: lange Staus, ein hoher Schadstofausstoß und viele Unfälle waren die Regel. Der damalige Bürgermeister Enrique Peñalosa ließ die Einwohner Bogotás 1998 über ein ganzheitliches Verkehrskonzept abstimmen. Kernpunkt ist ein neues Busliniensystem „TransMilenio“, welches als BRT-System erbaut und vom Staat Kolumbien und der Stadt Bogotá bezahlt wurde. Nach anfänglicher Skepsis seitens der privaten Betreiber wurde dieses Modell einer „Public-Private“-Partnerschaft zu einem großen Erfolg. Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 109 Wissenschaft TECHNOLOGIE Innerhalb kurzer Zeit übertraf der TransMilenio die Erwartungen von 200 000 Passagieren pro Tag um das Doppelte und entwickelte sich Schritt für Schritt zu einem der wichtigsten Verkehrsmittel im Zentrum Bogotás. Inzwischen nutzen im Mittel täglich 1,4 bis 1,7 Mio. Fahrgäste das schon mehrfach erweiterte System. Die Durchschnittsreisegeschwindigkeit beträgt beachtliche 26 km/ h. Im ganzen Netz werden Busse mit Einfach- (Bild 1) oder Doppelgelenk mit einer Kapazität von 160 bzw. 260 Passagieren eingesetzt. Der 7-min-Takt wird in Stoßzeiten auf Bruchteile von Minuten verdichtet. Oftmals kommen die Busse dennoch an ihre Kapazitätsgrenze. Simulationssystem für die Gesamtsystemanalyse Die Lastlüsse im Energieversorgungsnetz elektrischer Verkehrssysteme werden im Wesentlichen durch die darin fahrenden Fahrzeuge und die Gestaltung der Energieversorgung bestimmt. Der Energiebedarf eines Systems wird durch die jeweilige Streckentopologie, die betrieblichen Anforderungen, die Position der Fahrzeuge im Netz, deren Antriebscharakteristika und die Struktur des Energieversorgungsnetzes beeinlusst. Durch Simulation können sowohl Analysen als auch Prognosen hinsichtlich des Leistungs- und Energiebedarfs sowie der technischen Gestaltung und Dimensionierung der elektrischen Anlagen und Betriebsmittel erstellt werden. Im Rahmen der Studie werden der Betriebssimulator OpenTrack und das elektrische Netzberechnungsprogramm OpenPowerNet verwendet. Beide Programme interagieren in Form einer gekoppelten Online-Simulation, auch Co-Simulation genannt. Eine Co-Simulation wird eingesetzt, wenn die Vorteile der einzelnen Programme mit ihren unterschiedlichen Ansätzen zu einer komplexen Simulation von gekoppelten technischen Systemen vereint werden sollen. Die Arbeitsweise der Programme ist in [3] und [4] beschrieben. Rahmenbedingungen und Vorgehensweise Trolleybusse werden mit Nennspannungen bis 750 V DC ausgeführt und können bei Nennspannungen zwischen 600 V bis 900 V DC, beim Bremsen bis 1000 V DC ohne Einschränkungen betrieben werden. Im Gegensatz zu konventionellen elektrischen Bahnen, bei denen der Strom über den Fahrdraht oder Stromschienen zum Fahrzeug und über die Schienen zurück zum Unterwerk ließt, werden Trolleybusse ausschließlich über zwei Fahrdrähte versorgt. Der elektrische Widerstand bezogen auf die gleiche Fahrleitungslänge ist deshalb bei Trolleybus-Konigurationen deutlich größer als bei konventionellen elektrischen Bahnen. Gibt es eine große Anzahl Fahrzeuge, muss versucht werden, einen kleinen elektrischen Widerstand für die Übertragung des Stromes zu realisieren, um die Spannungstoleranzen einzuhalten. Dies kann durch kürzere Abstände der Unterwerke und parallele Verstärkungsleitungen zu den Fahrdrähten erreicht werden. In dieser Ausführung steigen die Anzahl der Komponenten und der Materialaufwand und damit die Kosten für das System. Verschiedene Ausführungsvarianten des elektrischen Netzes für TransMilenio wurden erstellt, unter Annahme der höchsten Betriebsbelastung simuliert und die Ergebnisse analysiert. Bild 1: Gelenktrolleybus auf eigener Fahrspur und Fußgängerquerung in Bogotá. Bild 2: Korridore und Haltestellen TransMilenio Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 110 TECHNOLOGIE Wissenschaft Die Bewertung der Simulationsergebnisse erfolgt bezüglich der Spannungshaltung gegenüber Normkriterien, Unterwerkspositionen und Unterwerksanzahl, Unterwerksausstattung, technischen Parameter für Gleichrichter und Gleichrichtertransformatoren, Anordnung der Speisepunkte auf der Strecke, Bewertung der Fahrleitungsquerschnitte und der elektrischen Leiter und der Belastung der elektrischen Betriebsmittel. Aufbereitung der Simulations-Eingabedaten Im Rahmen der Umsetzung wird zunächst die Betriebssimulation aufgebaut. Das zu untersuchende TransMilenio-Netz besteht aus 11 Korridoren (A bis J) mit 116 Stationen (Bild 2). Diese Korridore werden zu 25 Hauptlinien kombiniert und von 100 Buslinien über den Tag zwischen 05: 00 Uhr bis 23: 00 Uhr betrieblich bedient. Die verfügbaren GPS-Koordinaten werden für den Betriebssimulator aubereitet. Es ist notwendig über die gesamte Strecke die Höhendaten, insbesondere die Gradienten, zu ermitteln. Neben den Stationen gibt es zahlreiche Lichtsignalanlagen, die in die sicherungstechnischen Modelle des Betriebssimulators integriert wurden. Die Strecke ist durch zahlreiche Neigungswechsel und wenige Radien gekennzeichnet. Für die Simulation werden Daten moderner Gelenk- (GTB) und Doppelgelenktrolleybusse (DGTB) aubereitet. Es ist notwendig, die fahrdynamischen Eigenschaften in Form eines Zugkraft-Geschwindigkeits-Diagramms, von Fahrwiderständen und weiterer Kennwerte sowie der elektrischen Eigenschaften des Antriebs und der elektrischen Hilfsbetriebe fahrzeugspeziisch vorzugeben. Der Antrieb des Fahrzeugs wird zweckmäßig über einen Wirkungsgradverlauf abgebildet. Der Fahrplan wurde für den Takt in der morgendlichen Spitzenstunde aubereitet, da dieser die größte auftretende betriebliche Belastung darstellt. Während dieser Zeit zwischen 07: 00 Uhr und 08: 00 Uhr verkehren 67 der 100 Buslinien mit ca. 1200 Bussen im Streckennetz. Im Rahmen der Machbarkeitsstudie wurde das elektrische Gleichspannungsnetz für die Traktionsstromversorgung der Trolleybusse bestehend aus Gleichrichterunterwerken, Kabeln, Fahrdrähten und Verstärkungsleitungen modelliert und untersucht. Als Grundkoniguration wurde fast ausschließlich die Doppelspeisung vorgesehen. Die Unterwerke wurden für jeden Korridor richtungsspeziisch mit je einer Gleichrichtereinheit modelliert. Als Unterwerksstandorte kommen lediglich die Stationen des Systems in Betracht. Eine komplette Umstellung auf Trolleybusse wird vor allem aus betrieblichen Gesichtspunkten kritisch gesehen. Deswegen wird empfohlen, nur einen deinierten Anteil aller Busse auf Trolleybusse umzustellen. Ergebnisauswahl Zu den klassischen Ausgaben der Betriebssimulation sind stellvertretend die Fahrproile der Fahrzeuge und die Höhenproile der Strecken zu nennen. In Bild 3 sind diese Diagramme gemeinsam dargestellt, wobei die schwarze Kennlinie das Höhenproil symbolisiert. Die simulierte Fahrt verläuft im Diagramm von links nach rechts, teilweise ohne Halt an bestimmten Stationen. Aus der elektrischen Netzberechnung heraus gibt es zahlreiche Ergebnisse in graischer und tabellarischer B_s_01 B_s_02 B_s_03 B_s_04 B_s_05 B_s_06 B_s_07 Portal Norte Toberín Cardio Infantil Mazurén Calle 146 Calle 142 Alcalá Prado Calle 127 Pepe Sierra Calle 106 Calle 100 Virrey Calle 85 Héroes 300 400 500 600 700 800 900 1.000 1.100 0+000 1+000 2+000 3+000 4+000 5+000 6+000 7+000 8+000 9+000 10+000 Voltage [V] Position [km] |U_min_Panto| Infeed Isolator U_nom U_tol (EN 50163) 0 200 400 600 800 1.000 1.200 1.400 1.600 1.800 07: 00: 00 07: 10: 00 07: 20: 00 07: 30: 00 07: 40: 00 07: 50: 00 08: 00: 00 Power [kW] Time P Bild 3: Fahrprofil (blau) und Höhenprofil (schwarz) für eine Linie Bild 4: Minimale Spannung am Stromabnehmer Bild 5: Elektrische Leistung an der Sammelschiene eines Unterwerks Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 111 Wissenschaft TECHNOLOGIE Form. Als ein Nachweis normenrelevanter Kriterien wird von der Auswertung ein Diagramm als untere Einhüllende der minimalen Spannung am Stromabnehmer aller Fahrzeuge erzeugt. Diese Kennlinie sollte sich stets im Bereich der normativ zugelassenen Spannungsgrenzwerte bewegen. Exemplarisch ist für einen Streckenabschnitt dieses Diagramm in Bild 4 dargestellt. Neben der Kennlinie sind Informationen zu den normativen Spannungsgrenzwerten, zu den Einspeisepunkten der Unterwerke, zur Lage der Trenner und für eine bessere Orientierung auch die Position der Stationen eingezeichnet. Für die Unterwerke liegen zeitliche und zeitlich normierte Verläufe von Strom, Spannung und Leistung zum Beispiel an der Sammelschiene (Bild 5) oder für die einzelnen Gleichrichtereinheiten vor. Mit Hilfe dieser Belastungsdaten können am Markt verfügbare elektrische Betriebsmittel hinsichtlich Kurz- und Dauerbelastbarkeit ausgewählt werden. Zahlreiche Ergebnisse der Simulation werden tabellarisch zusammengestellt und dienen der Betriebsmitteldimensionierung (Tabelle 1). Aus den Efektivbzw. Dauerwerten von Strömen und Leistungen können die Nennwerte für Gleichrichter und Gleichrichtertransformatoren abgeleitet werden. Aus den Maximalwerten der elektrischen Größen sind die Kurzzeitbelastbarkeiten aus dem Betrieb bekannt. Die umgesetzte Energie und die Verluste der Gleichrichtereinheit werden angegeben und gehen in den Gesamtenergieumsatz des elektrischen Netzes ein. Neben den einzelnen Verlusten ist immer die Frage interessant, wie groß die Energie ist, die vom Energieversorger gekauft werden muss. Dies kann für jedes einzelne Unterwerk, aber auch für das Gesamtsystem ermittelt und für verschiedene Szenarien gegenübergestellt werden (Bild 6). Abgesehen von den Ergebnisgrößen der stationären elektrischen Betriebsmittel lassen sich auch Fahrzeugübersichten mit zahlreichen Kennwerten erstellen. Die Vielzahl der verfügbaren Simulationsergebnisse wird im Rahmen der Machbarkeit aus technischer Sicht bewertet. Zusammenfassung Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie werden Varianten und Möglichkeiten ermittelt, das Bus Rapid Transit System in Bogotá zu elektriizieren. Trolleybusse fahren lokal emissionsfrei. Durch den speziischen Energiemix in Kolumbien mit einem ausgesprochen hohen Anteil an regenerativer Wasser- und Windkraft ist das Besondere, dass auch für das Gesamtsystem nur geringe Emissionsanteile dem elektrischen Verkehrssystem zugeordnet werden müssten. Für diese Studie werden moderne Simulationsprogramme als Werkzeuge für die Nachbildung des Betriebs und für die Berechnung des elektrischen Netzes genutzt. Durch die Simulationen können sehr schnell Aussagen zu konkreten technischen Ausführungsvarianten des elektrischen Netzes getrofen werden. Im Konkreten werden die zu berücksichtigenden normativen Grenzwerte auf ihre Einhaltung durch die Simulation überprüft. Elektrische Betriebsmittel werden auf Basis der Simulationsergebnisse dimensioniert. Der Strukturaufwand der elektrischen Netzkonigurationen kann variantenspeziisch dargestellt werden. Als Nebenprodukt aus der elektrischen Netzberechnung erhält man zahlreiche weitere betriebsmittelspeziische Kennwerte und allgemeine Größen des Gesamtsystems. Das Fazit: Das leistungsfähigste BRT-System der Welt kann zu großen Teilen elektriiziert werden. ■ LITERATUR [1] www.OpenPowerNet.com [2] www.OpenTrack.ch [3] Stephan, A.: OpenPowerNet - Simulation of Railway Power Supply Systems, Comprail 2008, Toledo-Spanien, Wessex Institute of Technology. [4] Ufert, M., Körner, S.: Bahnbetriebssimulation mit online gekoppelter elektrischer Netzberechnung. In: Verkehr und Technik 66 (2013), H. 11, S. 420-424. Sven Körner, Dipl.-Ing. Projektleiter im Fachbereich Antriebtechnik und Bahnenergieversorgung, Institut für Bahntechnik GmbH, Dresden sk@bahntechnik.de Enrico Brandes, Dipl.-Ing. Projektleiter im Fachbereich Antriebtechnik und Bahnenergieversorgung, Institut für Bahntechnik GmbH, Dresden eb@bahntechnik.de 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 Variante 1 Variante 2 Variante 3 Variante 4 Bild 6: Normierter Gesamtenergiebedarf von 4 Netzvarianten Substation Device Type Signal |I| max A I rms A I rms15 A |S| max kVA |P| max kW P rms kW P rms15 kW E kWh E loss kWh A_n_04 rec_n1 Rec total 1831 818 861 1591 1591 722 760 668 11,367 A_n_04 rec_n2 Rec total 1151 421 458 1013 1013 375 407 332 3,012 Tabelle 1: Übersicht über elektrische Größen von zwei Gleichrichtern Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 112 TECHNOLOGIE Wissenschaft Elektriizierung des Schwerlastverkehrs Wissenschaftliche Begleitforschung der TU-Dresden im Projekt ENUBA Hybridsysteme und rein elektrische Antriebstopologien ermöglichen aktuell im PKW- Bereich, im städtischen Busverkehr sowie bei kommunalen Nutzfahrzeugen Elektromobilität. Derartige Lösungen sind aufgrund der Laderaum- und Gewichtseinschränkungen durch onboard mitzuführende Energiespeicher für schwere Nutzfahrzeuge ungeeignet. Ein möglicher Lösungsansatz steckt in der Elektrifizierung des schweren Straßengüterverkehrs. Im Projekt ENUBA untersuchen die Siemens AG und die TU Dresden als Verbundpartner ein ganzheitliches Konzept zur Elektrifizierung des schweren Straßengüterverkehrs. Die Autoren: Frank Hartung, Sven Lißner, Falk Richter, Alexander Schemmel, Giso Wundratsch V or dem Hintergrund aktuell und zukünftig sich verschärfender Umweltbelastungen insbesondere aus dem Straßengüterverkehr in Deutschland sowie Europa, einhergehend mit den CO 2 -Reduktionszielen der Bundesregierung, wurde durch das Bundesumweltministerium und die Siemens AG das Projekt ENUBA (Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen) ins Leben gerufen. Prognosen bezüglich des nationalen und internationalen Güterverkehrs sagen teils deutliche Steigerungen im Güterverkehrsaukommen bis Mitte des 21. Jahrhunderts voraus. Ein großer Teil des Zuwachses wird im Straßengüterverkehr stattinden. Die starke Abhängigkeit von Erdöl und die unvorhersehbare Entwicklung des Dieselpreises haben bereits heute beträchtliche Auswirkungen auf Wirtschaft und Verkehr. Für den motorisierten Individualverkehr gibt es bereits innovative Konzepte. So existieren im PKW-Bereich sowie bei leichten Nutzfahrzeugen bereits eine Vielzahl alternativer Antriebstechnologien, vor allem Elektromobilitätskonzepte mit stationär nachzuladenden Energiespeichern aber auch alternative Brennstofe wie Gas oder Wasserstof. Lösungen mit onboard mitzuführenden Energiespeichern (Super-Caps, Batterien) sind aufgrund der Laderaum- und Gewichtseinschränkungen für schwere Nutzfahrzeuge jedoch ungeeignet. Deshalb müssen für den schweren Straßengüterverkehr Systeme mit kontinuierlicher Energiezufuhr entwickelt werden. Ein möglicher Lösungsansatz ist die Elektriizierung des schweren Straßengüterverkehrs. Dadurch kann eine Reduktion der CO 2 -Emissionen sowie ein ökonomischer Nutzen erzielt werden. Die benötigte elektrische Energie kann durch konventionelle Kraftwerke, aber auch aus regenerativen Energiequellen erzeugt werden. Für letztere wird bis zum Jahr 2050 ein Marktanteil von 80 % als Zielwert durch die Bundesregierung angestrebt. Technik des ENUBA Systems Beim ENUBA-System erfolgt die Stromversorgung der LKWs extern mit einer Gleichspannung von nominal 670 V. Die Fahrleitungsanlage wird ähnlich wie bei Oberleitungsbussen als zweipolige Oberleitung ausgeführt. Wesentlicher Vorteil einer externen Stromversorgung gegenüber einem Onboard-System ist die Vermeidung großer Energiespeicher (SuperCaps, Batterien) auf den Fahrzeugen. Dabei sind konduktive Systeme unter technologischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten kontaktlosen Konzepten vorzuziehen. Oberleitungssysteme bieten im Gegensatz zu Stromschienen das geringere Gefahrenpotential, einen Kostenvorteil und eine höhere Flexibilität bezüglich der Fahrdynamik eines LKWs. Kernkomponente eines oberleitungsversorgten LKW ist der intelligente Stromabnehmer. Dieser ermöglicht ein automatisches An- und Abbügeln an die Oberleitung bis zu einer Geschwindigkeit von 90 km/ h. Damit wird ein Anbzw. Abbügeln beim Auf-und Abfahren auf elektriizierte Straßenabschnitte während der Fahrt ebenso DC-Unterwerk Öffentliche Energieversorgung Mittelspannungsnetz (3 AC 10 … 30 kV 50 Hz) Hochspannungsnetz (3 AC 110…380 kV 50 Hz) 3AC DC 3AC DC DC 3AC DC 3AC Diesel motor PEM- Generator PEM- Motor Bild 1: Vereinfachtes technisches Konzept des ENUBA-Systems mit Energieversorgung und Fahrzeug als serieller Hybrid (PEM = Permanent erregte Synchronmaschine) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 113 Wissenschaft TECHNOLOGIE möglich wie Überholvorgänge. Des Weiteren gleicht der Stromabnehmer Positionsabweichungen innerhalb des Fahrstreifens aus. Als Antrieb fungiert ein hybridisierter Antriebsstrang. Das Hybridkonzept ist grundsätzlich ofen. Der ökonomischen und ökologischen Bewertung liegt ein Fahrzeugkonzept mit seriellem Antriebsstrang zugrunde (Bild 1). Durch die Hybridisierung wird auch bei Fahrt auf nicht elektriizierten Streckenabschnitten eine unterbrechungsfreie Weiterfahrt gewährleistet. Für kurze Fahrleitungsunterbrechungen kann auf den Fahrzeugen ein entsprechender Energiespeicher vorgesehen werden, der den elektrischen Antriebsmotor bei kurzen Oberleitungslücken mit Energie versorgt. Beim Vorhandensein einer Oberleitung ist ein rein elektrischer Betrieb des LKWs möglich. Weitere Systemmerkmale des ENUBA-Systems sind: • hoher Übertragungswirkungsgrad • Möglichkeit der Bremsenergierückgewinnung • nachgewiesene Sicherheit im Straßenverkehr (Oberleitungsbusse) • keine Einschränkung konventioneller Fahrzeuge bei der Integration in bestehende Straßennetze Aufgaben der TU-Dresden Als Forschungspartner obliegt der interdisziplinären Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der TU Dresden im Auftrage des BMUB die wissenschaftliche Begleitforschung des Projekts. Daneben fungieren die beteiligten Professuren der TU Dresden als Kooperationspartner der Siemens AG zur eingehenden Untersuchung wichtiger technischer, ökologischer und ökonomischer Fragestellungen. Eine Studie zur grundsätzlichen Machbarkeit mittels eines makroskopischen Ansatzes zur ökonomischen und ökologischen Bewertung erfolgte durch die Siemens AG im Zuge von ENUBA 1. Im Zuge der Phase ENUBA 2 fand eine Analyse und Bewertung dieser durch die TU- Dresden statt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse ließen unmittelbar in die aktuelle ökonomische und ökologische Bewertung in ENUBA 2 ein. In dieser wird der Detailgrad und Umfang der Analyse erhöht. Zusätzlich indet unter Beteiligung der TU Dresden mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ein technischer Bewertungsprozess statt. Im Zuge dessen werden mögliche Lösungen für auftretende Problem- und Fragestellungen, die sich aus der Integration des Systems in den Straßenraum ergeben, erarbeitet und begutachtet. Ökonomische Bewertung - Hauptparameter und Szenarien Die ökonomische Bewertung des ENUBA-Systems erfolgt mittels einer grundlegenden Betrachtung für zwei variierende Szenarien, für die der ökonomische Gesamtnutzen ermittelt wird. Dafür wird auf Parameter aus aktuell zugänglichen Studien der Bundesregierung und zahlreichen wissenschaftlichen Institutionen zurückgegrifen. Die ermittelten Parameterausprägungen und deren Entwicklungen werden in einem sogenannten „Basis-Szenario“ für die ökonomische und ökologische Bewertung zugrunde gelegt. Im Sinne einer konservativen Betrachtung wird zur Simulation von ungünstigen Rahmenbedingungen für das ENUBA-System im Szenario „Pro Diesel“ für relevante Hauptparameter eine gleichzeitig ungünstige Werteausprägung angenommen. Folgende Parameterwerte werden für die Szenarien „Basis-Szenario“ und „Pro Diesel“ variiert, da diese einen signiikanten Einluss auf die ökonomische Bewertung des ENUBA Systems haben: • Infrastrukturkosten (EUR/ km) • Mehraufwendungen Oberleitungs-Hybrid-LKW (OH-LKW) (EUR/ LKW) • Dieselpreisentwicklung (% p.a.) • Strompreisentwicklung (% p.a.) • Streckenausbaugeschwindigkeit (km p.a.) Grundsätzlich spiegeln die beiden gewählten Szenarien und die Ausprägung der Hauptparameter die Nutzerakzeptanz sowie die Geschwindigkeit der Einführung des ENUBA Systems wider (Bild 2). Ökologische Bewertung - Parameter und Vorgehen Die ökologische Bewertung umfasst die zu erwartenden Umweltwirkungen des Gesamtprojektes. Diese sind in ihrem Umfang zum Teil abhängig von den gewählten ökonomischen Szenarien. Zusätzlich wird ein Direktvergleich auf Basis der jeweiligen Emissionsfaktoren zwischen einem ENUBA Fahrzeug und einem konventionellen Fahrzeug mit Verbrennungsmotor durchgeführt. Das erklärte Ziel beider Vergleichsmethoden ist der Nachweis von Umweltefekten durch den Einsatz der ENUBA-Technologie. Ökologische Parameter Im Rahmen der ökologischen Bewertung des ENUBA- Systems werden alle relevanten Komponenten analysiert, d. h. physische Belastungen (Lärm und Gefährdung von Natur und Landschaft), verbrauchte Ressourcen (Verbrauch abiotischer Rohstofe, kumulierter Energieaufwand (KEA) und Naturraumbeanspruchung) und stoliche Belastungen (gefährliche Stofe in der Außenluft und Treibhausgas-Emissionen). Im Folgenden soll der Fokus auf der Systematik der ökologischen Bewertung liegen. Bild 3 stellt grundlegende Abhängigkeiten des Bewertungssystems dar. Die Inhalte und Annahmen der aufgeführten technischen Parametersets determinieren zum Teil die Ergebnisse der ökologischen Bewertung erheblich. Will man die Umweltwirkungen einer Maßnahme beschreiben, kommt man nicht umhin, Abgrenzungen zu trefen. Für die Analyse der Umweltwirkungen des ENU- BA-Projektes wurde deiniert, dass Mehr- oder Minderbelastungen aus dem direkten Betrieb der Fahrzeuge, der Herstellung des Kraftstofes bzw. der Elektroenergie, „Basis“-Szenario Szenario „Pro-Diesel“ § geringere mittlere Infrastrukturkosten § geringere Mehrkosten des OH-LKW § höhere Energiekostendifferenz zwischen Strom und Diesel § schnellerer Ausbau der Infrastruktur § höhere mittlere Infrastrukturkosten § höhere Mehrkosten des OH-LKW § geringere Energiekostendifferenz zwischen Strom und Diesel § langsamerer Ausbau der Infrastruktur Bild 2: Relative Werteausprägung der Hauptparameter für „Basis“ Szenario und Szenario „Pro-Diesel“ Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 114 TECHNOLOGIE Wissenschaft der Herstellung der Fahrzeuge und der Herstellung der Infrastruktur gegenüber der Erbringung der Leistungen mit konventionellen Diesel-LKW zu berücksichtigen sind. Die Mehraufwände für die Entsorgung der elektrischen Fahrzeuge gegenüber der Entsorgung von Dieselfahrzeugen werden nicht berücksichtigt, da Überschlagsrechnungen ergaben, dass diese deutlich unter den im Betrieb auftretenden Aufwänden liegen und somit die Ergebnisgenauigkeit nicht erhöht würde. Vorgehen Die ökologische Bewertung des Projektes muss prinzipiell auf zwei verschiedenen Ebenen durchgeführt werden, dem direkten Vergleich der Systeme und der Betrachtung der Auswirkungen für die Gesellschaft durch die Einführung der Technologie. Das Ergebnis des direkten Vergleichs stellt die Emissionsminderung durch einen ENUBA-LKW verglichen mit einem konventionellen Diesel-LKW dar. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft werden hingegen auf die Gesamtemissionen des Straßengüterverkehrs innerhalb der Szenarien bezogen. Schlüsselfragen sind dabei: • Wie werden sich Verbrauchs-/ Emissionsfaktoren der Diesel-LKW entwickeln? • Wieviel Energie verbraucht ein OH-LKW und wie werden sich die Emissionsfaktoren der Strombereitstellung entwickeln? • Wie werden sich die Gesamt- und die elektrischen Fahrleistungen bis 2050 entwickeln? Der betrachtete Zeithorizont sorgt jedoch auch für einige Einschränkungen bzw. zwingt zu Annahmen. So reichen aktuelle technische Prognosen wie HBEFA 3.2 oder TREMOD nur bis ins Jahr 2030 und mussten in ihrer Entwicklung ab 2030 bis 2050 als unverändert konstant angesehen werden. Selbiges gilt für die weitere Entwicklung von Gesetzen (EURO-Norm). Eine weitere Einschränkung stellt der prototypische Aubau des Versuchsfahrzeuges dar. Verbrauchswerte, Emissionen und Wirkungsgrade sind somit nicht repräsentativ. Anhand einer in Fahrversuchen validierten Annahme wird z. B. vereinfacht mit einem Energieverbrauch von 50 % des Dieselfahrzeuges gerechnet. Ökologisches Berechnungstool Für den Energieverbrauch und die stolichen Belastungen werden die Auswirkungen des Projektes bis zum Jahr 2050 betrachtet. Für die Entwicklung der Verbräuche und Emissionen sowohl für Dieselfahrzeuge als auch für OH-LKWs gibt es neben den bereits erwähnten zahlreiche weitere Einlussgrößen, wie z. B.: • Entwicklung der Strommix-Zusammensetzung • Entwicklung der LKW-Flottenzusammensetzung • Entwicklung der Fahrleistungsanteile der LKW- Größenklassen • Entwicklung der Herstellungsaufwände der einzelnen Komponenten Um alle diese Einlüsse abzubilden und die Berechnungen für verschiedene Szenarien durchführen zu kön- Ressourcen Verbrauch abiotischer Rohstoffe, KEA Ökologische Parametersets Ökologische Arbeitspakete Umweltwirkung Differentielle Sachbilanz für Infrastruktur (inkl. Stromabnehmer & Motoren ) Oberleitungsabrieb (Fahrdraht & Schleifleiste) Stoffliche Belastungen Gefährliche Stoffe in der Außenluft & Treibhausgas- Emissionen Physische Belastungen Lärm & Gefährdung von Natur und Landschaft Flächenangaben für Masten und Umspannwerke Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch aus Nutzer- und Gesellschaftssicht Ressourcen Naturraumbeanspruchung Energieemissionsfaktoren Lärmbemessung Energieverbrauch Bild 3: Analyselogik der Umweltwirkungen und Gliederung der Arbeitsmappen Bild 4: Beispielhafter Treiberbaum des Rechentools Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 115 Wissenschaft TECHNOLOGIE nen, wurde ein Rechentool mit der in Bild 4 dargestellten Berechnungsstruktur entwickelt. Berechnet werden die Emissionen/ Energieverbräuche für beide Fahrzeuge jahresfein unter Berücksichtigung der: • Vorkette der − Stromerzeugung (BMU-Leitstudie 2011[1]) − Fahrzeugherstellung (PROBAS [2], Ecoinvent) − Infrastrukturherstellung (PROBAS, Ecoinvent) − Diesel-/ Biodieselherstellung (PROBAS) • Emissionen aus − Oberleitungsabrieb (PROBAS) − Direkten Emissionen (HBEFA 3.1-Verbrauchs-/ Emissionsfaktoren[3]) − Biodieselanteil (TREMOD-Daten) Für die Entwicklung der Zusammensetzung des von den OH-LKW verwendeten Stromes wurden zwei verschiedene Szenarien deiniert. Das Szenario Strommix verwendet die Zusammensetzung nach BMU-Leitstudie 2011, Szenario A [1] und bildet die prognostizierte Entwicklung der bundesdeutschen Stromzusammensetzung ab. Das Szenario „100 % Erneuerbare Energien“ entspricht der Annahme, dass nur Strom aus erneuerbaren Energien genutzt wird. Die Zusammensetzung entspricht dabei ebenfalls den Annahmen der BMU-Leitstudie. Die Diferenzierung nach Produktionsart des verwendeten Stroms ist entscheidend, da sie das Ergebnis wesentlich determiniert. Integration in den Straßenraum - Untersuchungsschwerpunkte Eine wichtige Rolle beim ENUBA-Projekt kommt den Untersuchungen zur Integration des Oberleitungssystems in den Straßenraum zu. Für diese und weitere technische Untersuchungen im Zusammenhang mit dem ENUBA-Projekt spielt der technische Bewertungsprozess in Zusammenarbeit von Siemens, der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der TU Dresden eine zentrale Rolle. Im Rahmen des Bewertungsprozesses werden Fragestellungen bearbeitet, die zu Beginn des Projektes zusammengetragen wurden. Gegliedert in mehrere Teilaufgaben werden diese Fragestellungen in einem Arbeitsmappenkatalog organisiert. In den einzelnen Arbeitsmappen wird die technische Umsetzbarkeit der einzelnen Fragestellungen erläutert. Die Arbeitsmappen werden innerhalb des Katalogs den Bereichen Infrastruktur, Unterhaltung, Unfallmaßnahmen und Fahrzeugsicherheit zugeordnet. Die Arbeit der TU Dresden insbesondere der Professur für die Gestaltung von Straßenverkehrsanlagen bezieht sich überwiegend auf den Bereich Infrastruktur. In Bild 5 sind die Untersuchungsschwerpunkte aufgeführt. Fazit und Ausblick Eine abschließende Beurteilung des Projekts ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, da es sich derzeit in einer durch die beteiligten Bundesministerien initiierten Prüfphase beindet. Mit der Veröfentlichung von Ergebnissen bezüglich eines denkbaren ökonomischen und ökologischen Nutzens ist nicht vor dem 4. Quartal 2014 zu rechnen. Aktuell hat die Siemens AG durch die südkalifornische Umweltbehörde für Luftreinhaltungspolitik den Zuschlag zum Bau einer ca. 3 km langen Teststrecke im Hafenterminalbereich von Los Angeles erhalten. Auf dieser sollen ab Juli 2015 die ersten Oberleitungs-Hybrid-LKW verkehren. Diese Strecke fungiert ein Jahr als Demonstrator. Geplant ist der schrittweise Ausbau zur Anbindung des Bahnterminals an den Hafen von Los Angeles. Eine Entscheidung, inwieweit es eine Erprobung im öfentlichen Raum in Deutschland geben wird, steht bisher aus. ■ LITERATUR [1] Bundesministerium für Natur, Umwelt und Reaktorsicherheit (BMU). (2012). Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland, bei Berücksichtigung der Entwicklungen in Europa und Global. Berlin: BMU. [2] Umweltbundesamt (UBA). (2013). Emissionsbilanz erneuerbarer Energieträger - Bestimmung der Emissionen im Jahr 2012 aus Climate Change 15/ 2013. Dessau Roßlau: UBA. [3] INFRAS. (2010). HBEFA 3.1. Bern, Schweiz. Integration in den Straßenraum Statik der Oberleitungsmasten - Untersuchung der Maststandorte in Abhängigkeit der Seitenraumgestaltung Untersuchung der Durchfahrtshöhen an querenden Bauwerken Statik von Brücken - Elektrifizierung auf Brückenbauwerken Weiterentwicklung straßenseitiges Rettungskonzept Bild 5: Untersuchungsschwerpunkte zur Integration des ENUBA-Systems in den Straßenraum Sven Lißner, Dipl.-Ing. Professur für Verkehrsökologie, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, Technische Universität Dresden sven.lissner@tu-dresden.de Alexander Schemmel, Dipl.-Ing. Professur Gestaltung von Straßenverkehrsanlagen, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, Technische Universität Dresden alexander.schemmel@tu-dresden.de Frank Hartung, Dipl.-Ing. Professur Elektrische Bahnen, Institut für Bahnfahrzeuge und Bahntechnik, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, Technische Universität Dresden frank.hartung@tu-dresden.de Giso Wundratsch, Dipl.-Ing. Professur Elektrische Bahnen, Institut für Bahnfahrzeuge und Bahntechnik, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, Technische Universität Dresden giso.wundratsch@tu-dresden.de Falk Richter, Dr.-Ing. Professur für Verkehrsökologie, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, Technische Universität Dresden falk.richter@tu-dresden.de Ein Standardwerk zur Entwicklung von Verkehr und Verkehrswirtschaft Erscheinungstermin: Dezember 2014 Technische Daten: ISBN 978-3-87154-516-0, ca. 370 Seiten, Format 140 x 180 mm, Broschur Preis : € 62,50 inkl. MwSt., zzgl. Porto Kontakt: DVV Media Group GmbH Telefon: +49/ 40/ 2 37 14 - 440 Fax: +49/ 40/ 2 37 14 - 450 E-Mail: buch@dvvmedia.com Bestellen Sie Ihr Exemplar über buch@dvvmedia.com Das jährlich neu aufgelegte Statistik- Handbuch „Verkehr in Zahlen“ informiert über nahezu alle Aspekte des Verkehrs einschließlich seiner Stellung in der Volkswirtschaft. Es wird von politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen, Banken und der gesamten Transportwirtschaft seit mehr als 30-Jahren genutzt. Diese Informationsquelle gibt eine aktuelle und zuverlässige Übersicht zu allen Daten und Fakten der Mobilität und Verkehrswirtschaft. Verkehr in Zahlen bietet eine verkehrsstatistische Datengrundlage, mit der Strukturveränderungen der Verkehrsmärkte erkannt und Entwicklungen verfolgt werden können. Der Verkehr in Tabellen, Zahlen und Übersichten Jetzt vorbestellen! Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 117 Veranstaltungen FORUM Strategien und Perspektiven zur Senkung des Verkehrslärms Rückblick: Bericht und Ergebnisse eines verkehrsmittelübergreifenden Experten-Workshops im Rahmen des DVWG-Fachforums „Verkehrslärm - Zwischen Mobilitätsbedürfnis und Ablehnung in der Öfentlichkeit“ am 25./ 26. März 2014 in Darmstadt. D er kontinuierliche Anstieg des Verkehrsaukommens erzeugt eine wachsende Lärmbelastung bei allen Verkehrsträgern. Gleichrangig wächst die Sensibilität gegenüber den Schallimmissionen. Somit rückt der Lärm zunehmend in den Fokus der Öfentlichkeit sowie der Unternehmen und führt zu erheblichen Anstrengungen, um beim Schutz vor Lärm weitere Fortschritte zu erzielen. Das gemeinsam zu erreichende Ziel ist klar deiniert, aber der Weg zu leiserem Verkehr birgt aktuell eine Vielzahl an Herausforderungen. Diese wurden während des zweitägigen Fachforums in Bezug auf Lärmentstehung, -wahrnehmung und -beeinlussung dargestellt und diskutiert. Neben der Bedeutung von Technologie und Innovation wurde oft die Wichtigkeit der Kommunikation und Information beim Umgang mit dem Thema hervorgehoben. Die Meinung aller Referenten war, dass die Lärmreduzierung und deren Entwicklung in den letzten Jahren durchaus positiv zu bewerten ist, aber noch lange kein ausreichender Fortschritt erzielt wurde. Motivation Für die Betrofenen haben sich die ergrifenen Lärmschutzmaßnahmen bisher als nicht grundsätzlich umfassend genug erwiesen, da die Beeinlussung der Anwohner gerade bei ausschließlichem Einsatz von passiven Maßnahmen im Außenraum ihrer Häuser weiterhin besteht. Somit bleibt es zukünftig das Ziel, den Lärm möglichst an der Quelle und auf dem Ausbreitungsweg mit den entsprechenden Maßnahmen zu begegnen. Ziel und mögliche Maßnahmen Das Ziel muss sein, einen gemeinsamen Konsens im Zielkonlikt zwischen Verkehrsbedarf und dem dadurch entstehenden Lärm zu inden. Dies kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten gemeinsam weiter an dem Thema arbeiten, und die Beschäftigung mit dieser Thematik auch in- der Öfentlichkeit wahrnehmbar und spürbar ist. Durch weitreichende Kommunikation und Information kann die Transparenz hinsichtlich der Aktivitäten, deren Inhalten und vor allem auch über die erzielten Fortschritte erreicht werden. Eine Dokumentation der Fortschritte ermöglicht es jederzeit die erreichten Veränderungen aufzeigen. Die reine Erfassung und Mitteilung von Messwerten trägt aber nicht zwangsläuig zur Zufriedenheit in der Öfentlichkeit bei. Aufgrund der logarithmischen Beschreibung von Schall ist es schwer darzustellen, dass die z. B. für die Schiene aktuell anvisierten Werte einer Lärmminderung von zehn dB eine Halbierung des Lärms bedeuten. Die Experten waren überwiegend der Einschätzung, dass an der Vermittlung der Information gearbeitet werden muss, um die objektiven Messwerte mit dem subjektiven Empinden zu vereinen. Dies stärke auch die Glaubwürdigkeit aller Beteiligten. Dazu gehöre es auch, kritische Gebiete zu benennen und die Grenzen der technischen Möglichkeiten aufzuzeigen. Methode/ Vorgehen Im Rahmen eines Workshops mit der Leitfrage „Wo steht die Diskussion zum Thema Verkehrslärm im Jahr 2025? “ wurden aus Problem- und Zielstellung folgende Thesen abgeleitet: 1. Die Verantwortlichkeiten sind klar verortet und werden gelebt. 2. Die externen Kosten sind bei allen Verkehrsträgern internalisiert. 3. Es werden Pull-Maßnahmen gefördert. 4. Neue Technologien wurden für Fahrweg und Fahrzeug entwickelt und werden eingesetzt. 5. Der Lärmschutz ist in der gesellschaftlichen Bedeutung dem Naturschutz gleichgestellt. 6. Es erfolgt eine intensive Bürgerbeteiligung. Diese Thesen beschreiben, aus Sicht der Teilnehmer des Workshops, die Idealzustände im Jahr 2025, um im Rahmen der Reduzierung des Verkehrslärms wesentliche Fortschritte zu erzielen. 1. Die Verantwortlichkeiten sind klar verortet und werden gelebt Die Klärung der Verantwortlichkeiten ist abgeschlossen. Es existieren einheitliche und klare Verantwortlichkeiten und die einzelnen Akteure von öfentlicher Hand (z. B. Kommunen, Länder, Bund) bis zur Privatwirtschaft (z. B. EVU, EIU, Hersteller) sind vollständig handlungsfähig. Dies bezieht sich zum Beispiel auf rechtliche Verbindlichkeiten, die Erstellung von Lärmaktionsplänen und deren weitere Verwendung im Rahmen der Lärmsanierung. 2. Die externen Kosten sind internalisiert Die Kosten, die durch den Lärm und seine Bekämpfung bzw. Eindämmung entstehen, werden bzw. sind den Verursachern angelastet. Es besteht ein Bewertungsschema für die Lärmverursachung und ein Konzept zur Verteilung der bisher externalisierten Kosten. Die so gewonnenen Einnahmen werden u. a. zur Lärmvorsorge und -sanierung eingesetzt. 3. Es werden Pull-Maßnahmen gefördert Gegenüber der Internalisierung der Kosten sind neben Pushinsbesondere Pull-Maßnahmen umgesetzt. Diese beinhalten „weiche“ Maßnahmen, die Anreize zur Lärmvermeidung beinhalten. Dies ist zum Beispiel ein lärmabhängiges Mautsystem. Des Weiteren existieren europaweit einheitliche, rechtlich verbindliche Vorgaben zum Umgang mit Lärm und dessen Behandlung. 4. Neue Technologien wurden für Fahrweg und Fahrzeug entwickelt und sind realisiert Im Jahr 2025 sind neue Technologien am Fahrweg und an den Fahrzeugen umgesetzt. Es ist ein ausreichender Kenntnisstand erreicht, um optimale Kombinationen aktiver und passiver Maßnahmen inklusive neuartiger Betriebskonzepte für unterschiedliche örtliche Gegebenheiten auszuwählen. Des Weiteren ist die Lärmsanierung lächendeckend untersucht und umgesetzt, wo dies sinnvoll möglich ist. Die Umrüstung der Güterwagen auf leise FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 118 Bremssohlen ist bereits abgeschlossen. Die Lärmsanierung wurde weitgehend untersucht und umgesetzt, wo dies sinnvoll möglich ist - bis 2030 wird diese lächendeckend abgeschlossen sein. 5. Der Lärmschutz ist in der gesellschaftlichen Bedeutung dem Naturschutz gleichgestellt Im betrachteten Jahr weist der Lärm und der Umgang mit diesem mindestens denselben Stellenwert wie der Naturschutz auf. Damit ist sichergestellt, dass rechtliche, inanzielle und organisatorische Mittel mindestens gleichwertig für beide Bereiche eingesetzt werden. 6. Es erfolgt eine intensive Bürgerbeteiligung Wie bereits oben erwähnt, ist es sehr wichtig die Bürger in die Bekämpfung von Lärm mit einzubinden, da Lärm ein wichtiges Kriterium für Wohnqualität ist. Es liegen gemeinsame, abgestimmte Strategien zur Lärmbekämpfung zwischen den Beteiligten vor. Die Abstimmung der einzelnen Bestandteile einer Strategie erfolgt anhand der Wünsche und Bedürfnisse beider Seiten. Die heutige drohende Radikalisierung der Diskussion wurde abgewendet. Die Lärmsanierung ist aber noch nicht vollendet: ein Teil der heute betrofenen Bürger ist weiterhin betrofen, jedoch - aufgrund leiserer Fahrzeuge und leiserem Fahrweg - weniger als heute. ■ Univ.-Prof. Dr.-Ing. Andreas Oetting, Leiter des Fachgebiets Bahnsysteme und Bahntechnik der TU Darmstadt; oetting@verkehr.tu-darmstadt.de Dipl.-Ing. Sören Griese, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Bahnsysteme und Bahntechnik der TU Darmstadt; griese@verkehr.tu-darmstadt.de Anna-Katharina Keck, M.Sc., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Bahnsysteme und Bahntechnik der TU Darmstadt; keck@verkehr.tu-darmstadt.de Dipl.-Wi.-Ing. Melanie Kraus, Referentin Programmcontrolling, DB Netz AG; melanie.kraus@deutschebahn.com Verkehr für eine Welt im Wandel Rückblick: Das 7. Weltverkehrsforum fand vom 21.-23. Mai im Congress Center Leipzig statt D eutschland war vom 21.-23. Mai 2014 zum siebten Mal in Folge Gastgeber des Weltverkehrsforums. Auf der Konferenz diskutierten die Verkehrsminister der 54 Mitgliedstaaten, die Minister weiterer 16-Gaststaaten sowie hochrangige Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft zum diesjährigen Thema „Verkehr für eine Welt im Wandel“. Insgesamt waren mehr als 1000 hochrangige Teilnehmer angemeldet. Gastgeberland Deutschland war durch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sowie die beiden Parlamentarischen Staatssekretärinnen Katherina Reiche und Dorothee Bär vor Ort vertreten. Deutsche Schwerpunktthemen beim diesjährigen Weltverkehrsforum waren die Digitalisierung und klimafreundlicher Verkehr. Das umfangreiche Programm umfasste 20 Plenarsitzungen, Runde Tischen und Workshops, zahlreiche Me d i e n v e r a n s t a l tungen, technische und kulturelle Exkursionen sowie weitere Events. Ein Auswahl: • Wie man Städte für Menschen entwirft • Big Data im Verkehrsbereich: Anwendungen, Folgen, Grenzen • Transport Outlook: Szenarien bis 2050 • Entwicklungen weiterdenken - Lösungen gestalten • Neue Autos für eine neue Gesellschaft • Die Lieferketten der Zukunft: Wie der Wandel der Weltwirtschaft den Verkehr verändert • Klimawandel und Extremereignisse: Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der Netze in einer Welt im Wandel Die Präsentationen sowie Kurzfassungen, Interviews, Fotoübersichten und weitere Informationen können im Internet abgerufen werden unter: www.internationaltransportforum.org/ 2014 Auch Termin und Thema des nächsten Weltverkehrsforums in Leipzig stehen schon fest: Das International Transport Forum 2015 wird von 27. bis 29. Mai 2015 stattinden und das Thema „Verkehr, Handel und Tourismus“ tragen. ■ HINTERGRUND Das Weltverkehrsforum (englisch: International Transport Forum - ITF) als Sonderorganisation im Geschäftsbereich der OECD ist eine weltweit aktive Kommunikationsplattform. Es wurde am 17. Mai 2006 in Dublin geschafen und geht auf die am 17. Oktober 1953 gegründete Europäische Verkehrsministerkonferenz zurück. Das Weltverkehrsforum tagt seit 2008 einmal jährlich in Leipzig. Es ist zugleich auch Trefen der Verkehrsminister aus 54 Mitgliedstaaten, die in diesem Rahmen den globalen und verkehrsträgerübergreifenden Dialog und Erfahrungsaustausch zwischen Regierungsvertretern und Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft suchen. Im Rahmen der Konferenz mit zahlreichen bi- und multilaterale Terminen werden auch internationele Absprachen getrofen. Bild 1: ITF-Generalsekretär José Viegas (links) und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt begrüßen sich in Leipzig. Quelle: ITF Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 119 Veranstaltungen FORUM Elektromobilität auf der eCarTec Vorschau: Von 21. bis 23. Oktober 2014 findet die eCarTec Munich als 6. Internationale Leitmesse für Elektro- und Hybrid-Mobilität auf dem Gelände der Messe München statt. A ls weltweit größte Fachmesse für Elektro- & Hybrid-Mobilität bildet die eCarTec Munich die komplette Bandbreite in diesem Themenbereich ab. Dazu tragen auch die Sonderschauen „sMove360° - Connected Drive“, „eBikeTec“ und „Mobility Concepts“ sowie die Parallelmesse MATE- RIALICA 2014 als Fachmesse für Lightweight Design bei. Auf der eCarLiveDrive, der messeeigenen In- und Outdoor-Teststrecke, können eCarTec-Besucher unterschiedliche Elektrofahrzeuge in Aktion sehen und teilweise selbst fahren. Einen weiteren Höhepunkt der Messe bildet die Verleihung des „eCarTec Award 2014“ als Bayerischer Staatspreis für Elektro- & Hybrid-Mobilität. Messebegleitende Kongresse: Expertenaustausch auf höchstem Niveau Als messebegleitendes Rahmenprogramm bringen insgesamt 4 Fachkongresse Beiträge zu Trends und innovativen Technologien in den Themenfeldern Elektromobilität, Fahrrad- und E-Bike-Entwicklung, Lightweight in Automotive und Aerospace sowie mobile und stationäre Speichersysteme. 21. und 22. Oktober 2014 6. Internationaler Kongress für Elektro- & Hybrid-Mobilität Kongress mit den Themenschwerpunkten „Von der Elektromobilität zum vernetzten Fahren“, „Antrieb“, „Erfahrungsberichte und Mobilitätslösungen“, „Infrastruktur und Ladetechnik“ sowie „Sicherheit und Batterie“. Dieser Kongress indet im Novotel, Messe München, statt, alle übrigen Veranstaltungen auf dem Messegelände, Eingang Messe West. 21. Oktober 2014 Global Battery Tutorials Tutorials zum Thema Batterie zeigen die neuesten Entwicklungen im Batterie-Bereich. 22. Oktober 2014 5. Internationaler Fahrradentwickler Kongress - Entwicklungsziele transparent gemacht Begleitender Kongress zur eBikeTec zum aktuellen Stand in Sachen Material und Herstellung mit den Themenschwerpunkten „eBike“, „Ergonomie und Komfort“, „Engineering“ und „Betriebsfestigkeit“. 22. und 23. Oktober 2014 10. Internationaler MATERIALICA Kongress - Lightweight Design in Automotive und Aerospace Expertenvorträge zu Lösungen und aktuellen Entwicklungen im Bereich moderner Werkstofe. Weitere Informationen und Anmeldung: www.ecartec.de ■ eCarTec Munich 2014 Weltweit größte Leitmesse für Elektro- & Hybrid-Mobilität 21. - 23. Oktober 2014, Messe München www.ecartec.de Connecting Mobility Markets! begleitender eCarTec Kongress eCarTec Kongress Themenschwerpunkte: • Von der Elektromobilität zum vernetzten Fahren • Antrieb • Erfahrungsberichte & Mobilitätslösungen • Infrastruktur & Ladetechnik • Sicherheit & Batterie FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 120 Den Verkehr der Zukunft denken und organisieren Vorschau: Die „Mobility Convention 2014“ schlägt mit hochrangigen Experten die Brücken zwischen Theorie und Praxis sowie Anbietern und Nachfragern Ü ber die Zukunft des Verkehrs und die notwendige Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsträger wird oft in Zirkeln geredet - aber viel zu selten diskutieren alle beteiligten Akteure die wichtigen Themen gemeinsam. Die „Mobility Convention 2014“ verfolgt genau diesen breiten Ansatz. Unter dem Titel „Transportation of Tomorrow - Enabling Smarter Intermodality“ kommen am 6. und 7. November in Köln renommierte europäische Experten aus allen relevanten Bereichen und Disziplinen zusammen. Die Veranstalter - das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Strategieberatung Roland Berger Strategy Consultants - konnten hochrangige Vertreter aus Industrie und Wissenschaft als Redner und Diskutanten gewinnen. Dazu gehören Top-Manager von High-Tech-Firmen wie Google und Bosch, Autoherstellern wie Daimler und PSA Peugeot Citroën, Bahnunternehmen wie Deutsche Bahn und SNCF sowie Dienstleistern wie Europcar und Q- Park. Der Rahmen für spannende Diskussionen über Mobilitätskonzepte der Zukunft ist passend: Die Convention indet im DLR- Forschungszentrum : envihab statt, das schon durch seine futuristische äußere Hülle beeindruckt und das im Inneren unter anderem Labors zu Weltraum- und Flugphysiologie beherbergt, in denen die Auswirkungen eines Mars-Flugs auf den menschlichen Körper simuliert werden. Die zweitägige Agenda deckt mit zahlreichen Impulsreferaten alle wichtigen Mobilitätsthemen ab. Die Integration der verschiedenen Angebote wird helfen, die Verkehrssysteme vor allem in den Ballungszentren weltweit eizienter zu organisieren - mit geringerer Stauanfälligkeit, höherer Sicherheit und weniger Umweltbelastungen. Dank der intelligenten Vernetzung können Menschen nach Bedarf schnell und problemlos verschiedene Verkehrsträger nutzen, um ihr Ziel zu erreichen. Der erste große Themenblock der Convention wird sich mit den veränderten Rahmenbedingungen von Mobilität befassen: Reise- und Transportwünsche der Nutzer, der Siegeszug der Digitalisierung und eine neue Konsumkultur, bei der das gemeinsame Nutzen von Fahrzeugen wichtiger wird als das Besitzen. Anschließend werden die technologischen Möglichkeiten und Perspektiven zur Vernetzung der Verkehrsträger behandelt. Im dritten Schwerpunkt beleuchten die Experten strategische und operative Wege der Kooperation zwischen verschiedenen Verkehrsträgern und Unternehmen. Im Vorfeld der Veranstaltung hat Roland Berger als eine erste umfassende Diskussionsgrundlage die Studie „Shared Mobility - Wie Unternehmen neue Spielregeln für den Personenverkehr etablieren“ veröfentlicht. Sie gibt einen Überblick, welche Trends den weltweiten Markt für gemeinsam genutzte Fahrzeuge und Mobilitätsangebote treiben und wie sich diese sogenannte Shared Mobility binnen zehn Jahren zu einem Massenphänomen in den Großstädten weltweit entwickeln wird. Zu den vier großen Wachstumsfeldern zählen Carsharing, Bikesharing, Mitfahr- und Taxidienste (Ridesharing) und Parkplatzdienste (Shared Parking). Die Diskussion über Mobilitätskonzepte der Zukunft ist eröfnet - die diesjährige Convention wird sie engagiert und mit Tiefgang weiterführen. ■ Dirk Horstkötter, Global Marketing & Communications, Roland Berger Strategy Consultants Holding GmbH, Berlin MOBILITY CONVENTION 2014 Termin: 6.-7. November 2014 Ort: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Linder Höhe, 51147 Köln Anmeldung: www.mobility-convention.com Download der „Shared Mobility-Studie“: www.rolandberger.com/ mobility Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 12 1 KG Fisser & v. Doornum GmbH & Co. Bernhard-Nocht-Str. 113 20359 Hamburg Phone +49 40 44 186 0 management@ ssership.com ECOMOBIL Workshop 2014 Vorschau: 12. 11. 2014, Messe Ofenburg I m Fokus der Veranstaltung werden die unterschiedlichen Aspekte der Elektromobilität stehen, die in verschiedenen Foren erörtert werden und anschließend beim Get-Together vertieft werden können. Kommunen, Zulieferer, Fahrzeuganbieter sowie Consultants, die im Bereich Stadt- und Verkehrsplanung sowie Elektromobilität aktiv sind oder sich engagieren möchten, inden hier eine Plattform, um ihre Erkenntnisse und Fragestellungen zu diskutieren. Bereits in den vergangenen Jahren nutzten zahlreiche Kongressteilnehmer aus ganz Deutschland, Österreich, Luxemburg, Frankreich und der Schweiz die Veranstaltung als Impulsgeber für Ideen und Kooperationen. Der Themenüberblick: • Erstellung kommunaler Strategien • Mobilität intelligent vernetzen • Infrastruktur • Bauen, Wohnen, Leben - Integration der E-Mobilität • Unternehmerforum & Testfahrten Ausführliches Programm und Anmeldung: www.ecomobil-ofenburg.de ■ Bild: Iris Rothe Veranstaltungen FORUM Bremen: ISL Maritime Conference 2014 A m 1. und 2. Oktober lädt das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik zur ISL Maritime Conference 2014 nach Bremen ein. Wie in den Vorjahren erwarten die Teilnehmer spannende Vorträge, Diskussionen und Prognosen über die aktuelle Lage und Perspektiven der globalen maritimen Branchen. Im Themenfokus der Referenten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik stehen die Schiffahrtsmärkte, Häfen sowie deren Hinterland. Im Rahmenprogramm rund um die Veranstaltung greift die Konferenz auch das 60-jährige Jubiläum des ISL auf. Die ISL Maritime Conference, die seit 2008 wieder alle zwei Jahre in Bremen veranstaltet wird, steht in der Tradition der früheren Liner Shipping Conferences, die das ISL schon in den 70er Jahren für die maritime Wirtschaft, Politik und Wissenschaft veranstaltete. Die ISL Maritime Conference 2014 indet im Rathaus Bremen statt - dem Ort, an dem der Grundstein zum heutigen Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik ISL gelegt wurde. www.isl.org/ conference ■ FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 122 Das Grundlagenwerk für Theorie und Praxis Einführung in die volkswirtschaftlichen Grundlagen Ziele und Instrumente der Verkehrspolitik Nicht nur eine Informationsbasis für Studierende und Praktiker Neuauflage 2014 Preis: € 59,00 inkl. MwSt., zzgl. Versand Jetzt bestellen! Per Telefon: 040-23714-440 oder in unserem Buchshop unter www.dvz.de/ shop Call for Papers: ICPLT 2015 an der TU Dortmund Vorschau: Von 21. bis 22. Juli 2015 indet in Dortmund die 2. Interdisciplinary Conference on Production, Logistics and Traic statt. TU Dortmund und TU Darmstadt rufen Experten aus Wissenschaft und Praxis aus den Bereichen Produktion, Logistik und Verkehr zum Call for Papers bis zum 1.-November 2015 auf. Der Schwerpunkt der Konferenz liegt auf dem Wirtschaftsverkehr als Schnittstelle zwischen Produktion, Logistik und Gesellschaft. T ransport und Mobilität werden aktuell durch vielfältige Trends, einschließlich neuer Produktionstechnologien, Urbanisierung und E-Commerce, beeinlusst. Diese verändern die Nachfrage nach Wirtschaftsverkehr, insbesondere in Agglomerationen, erheblich. Zusätzlich heizen die Zielkonlikte verschiedener Interessensgruppen die Diskussion über den Wirtschaftsverkehr rege an. Einerseits stellt der Wirtschaftsverkehr eine angemessene Güterversorgung und -verteilung sicher. Andererseits hat der Wirtschaftsverkehr aber auch negative Efekte auf Umwelt und Gesellschaft, da er die Lebensqualität durch externe Efekte einschneidend gefährdet. Die Interdisciplinary Conference on Production, Logistics and Traic (ICPLT) versteht den Wirtschaftsverkehr als relevantes Bindeglied für Produktion, Logistik und Gesellschaft. Die anstehende 2nd ICPLT wird von der TU Darmstadt und der TU Dortmund unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr.-Ing. Uwe Clausen und Jun.-Prof. Dr. Hanno Friedrich am 21. und 22. Juli 2015 in Dortmund ausgerichtet. Vor dem oben geschilderten Hintergrund setzt sie sich insbesondere mit den ökonomischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen rund um den Wirtschaftsverkehr auseinander. Dazu sollen innovative Technologien und Strategien präsentiert und diskutiert werden, um die Wechselwirkungen und Interessenskonlikte zwischen den Bereichen Produktion, Logistik und Verkehr besser verstehen zu können. Weitere Informationen zur Fachtagung, zum Call-for-Paper- und Anmeldeverfahren inden Sie auf der Homepage: www.icplt.org. ■ KONTAKT UND WEITERE INFO Prof. Dr.-Ing. Uwe Clausen Institut für Transportlogistik Technische Universität Dortmund Leonhard-Euler-Straße 2, 44227 Dortmund icplt@itl.tu-dortmund.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 123 Berufsbegleitender Universitätslehrgang Logistik & Supply Chain Management An der Wirtschaftsuniversität Wien startet im Herbst 2014 erstmals ein berufsbegleitender Lehrgang Logistik & Supply Chain Management, der auch als Basis für ein Diplom-Studium genutzt werden kann. D er Universitätslehrgang am neuen WU-Campus in Wien bietet eine hochqualitative und praxisbezogene Weiterbildung parallel zum Beruf. Akademische- Lehrkräfte und proilierte Praktiker vermitteln während 18 Monaten zugleich betriebswirtschaftliches Basiswissen und fundierte branchenspeziische Fachkenntnisse. Das Programm umfasst praxisgerechtes Lernen durch Gruppenarbeiten und Fallstudien, aber auch innovative Konzepte wie „Lernen vor Ort“ mit Themenmodulen vor Ort in großen Industrie- und Handelsunternehmen sowie Logistikdienstleistern - Diskussionsrunden mit dem Topmanagement über Praxiserfahrungen und wichtige Entwicklungen in Logistik und SCM eingeschlossen. Die Lehrunterlagen werden über die eLearning Plattform „Learn@WU“ digital zur Verfügung gestellt. Durch geblockte Module freitags und samstags lässt sich der Lehrgang in einem überschaubaren Ausbildungszeitraum planen. Die Lehrgangskosten sind steuerlich absetzbar, der erworbene Titel „Akad. Logistik Supply Chain ManagerInWU“ lässt sich durch drei weitere Semester zum Diplom BetriebswirtInWU ausbauen. ■ KONTAKT UND WEITERE INFO Studienbeginn: November 2014 Infoabend: 30. September 2014 Ort: WU Executive Academy, Campus WU, Welthandelsplatz 1, 1020 Wien Lehrgangsleiter: Univ.-Prof. Dr. Sebastian Kummer Academic Director sebastian.kummer@wu.ac.at Weitere Informationen: Judith Andersch Head of Certificate Programs Judith.Andersch@wu.ac.at Tel.: +43-313 36-4690 Foto: Gugerell/ Wikipedia Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleitung Telefon (040) 23714-223 Telefax (089) 889518-75 eberhard.buhl@dvvmedia.com IHR KURZER DR AHT ZUR REDAKTION © freni/ pixelio.de Lehre FORUM Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 124 Wir brauchen eine neue mentale-Landkarte H eute fängt die Zukunft an! Mit der Auforderung „Verkehr neu denken“ ist ein erster Schritt in Richtung Mobilität der Zukunft getan. Doch wir müssen es auch wollen und entsprechend zielorientiert handeln. Wir müssen erkennen wollen, dass das sich scheinbar eigendynamisch entwickelnde Verkehrswachstum der letzten Jahrzehnte nicht a- priori mehr Mobilität garantiert. Neben gesellschaftlichen Megatrends wird eher eine zersiedelte, disperse Raum- und Siedlungsstruktur signalisiert: mit „gezwungenermaßen“ erforderlichen entfernungsintensiven Ortsveränderungen, hohem Ressourcenverzehr und sozialen wie ökologischen Nutzungskonlikten. Dabei die eindimensionale steigende Kenngröße „Verkehrsleistung“ (in Personenkilometer bzw. Tonnenkilometer) als Synonym für eine hohe Mobilität zu interpretieren, ist eine Sackgasse, da Mobilität nicht automatisch besser ist, wenn die Wege länger werden - oder sind Umwege ein Mobilitätsgewinn? Wir müssen jetzt handeln, um die viel zitierte, aber vielerorts noch nicht erreichte räumliche Mobilitätsvielfalt zu ermöglichen. Die sich durch eine einfache und sichere Zugänglichkeit von Einrichtungen und Gelegenheiten in einer vielfältig gemischten Siedlungs- und Versorgungsstruktur in Verbindung mit einer intakten Verkehrsinfrastruktur und einem attraktiven, bezahlbaren umweltverträglichen Verkehrsmittelangebot auszeichnet. Dazu gehört eine günstige Wohnbzw. logistisch eiziente Standortwahl - ein radikales Umdenken in der Immobilien- und Förderpolitik ist Voraussetzung -, um z. B. mehrere Zielbewegungen zu koordinieren und durch den Aubau multimodaler Verkehrsketten die verschiedenen Verkehrsmittel (einschließlich Füßen und Fahrrad) optimal einzusetzen und den Verkehrsaufwand zu reduzieren. Doch das Dilemma unseres heutigen Wirtschaftssystems ist die „Verkehrsproduktion“, die - selbstzerstörerisch - raumentfernungsintensiv weiter laufen muss, um ein höchst ambivalentes Wachstum zu generieren. Wo indet z.B. der angemessene kritische Diskurs auf die von Prof. Dr. Andreas Knie auf dem Mobilitätskongress 2013 in Frankfurt a. M. postulierte Forderung „Wir können uns die raumentfernungsintensiven Lebens- und Arbeitsstile künftig nicht mehr leisten“ statt? Viele lüchten sich lieber in - durchaus berechtigte - Klagen über Finanzierungsengpässe und Sanierungsstau und fordern den „bedarfsgerechten“ Infrastrukturausbau. Aber woran misst sich, was bedarfsgerecht ist? Und Hinweise auf Verkehr sparende, Ressourcen- und umweltschonende Raumstrukturen sowie auf die impliziten sensiblen kulturellen und gesellschaftlichen Herausforderungen werden ausgespart. Die Perspektive einer uns überrollenden Lawine expandierender Verkehrsleistungen mit bedrohlichen Klima- und Gesundheitsfolgen muss jetzt angegangen werden. Sonst droht eine harte Landung. Die alltägliche Verkehrsproduktion ist weder „normal“ noch „alternativlos“. Deshalb jetzt „Verkehr neu denken“. Mobilitätssicherung für Alle ist mehr als nur technologische Verkehrsmengenbewältigung - deshalb ist eine Strategie jenseits des noch-fossilen, verschwenderischen Wachstumszeitalters nötig. Für das Gelingen brauchen wir eine neue mentale Landkarte mit dem Efekt der „emotionalen Ansteckung“. Eine Raumentwicklung mit verkehrssparenden Siedlungsstrukturen bietet die Chance zur Gestaltung einer zukunftstauglichen Mobilität. Ein Paradigmenwechsel in Richtung postfossiler Mobilität wird zwingend einzuleiten sein. Aber es gibt insgesamt wenige Anstrengungen oder Initiativen, die neue Mobilitäts- und Lebensstile vorantreiben und tradierte Maßstäbe und Bewertungen von Zeit und Geschwindigkeit in Frage stellen. Gleichwohl erfordern Energiesicherheit, Klimawandel, der Verlust an Biodiversität geradezu eine Gestaltung der „Mobilitäts“- Infrastruktur, die verstärkt die räumlichen (Verkehrsverursachungs-)Strukturen einzubeziehen hat. Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen sind auch Grenzen der individuellen Freiheit unausweichlich; ein (Über-)Leben mit den Widersprüchen des homo oecologicus mit dem homo oeconomicus verlangt ungewohnte Wege. Aber brisante Herausforderungen werden immer gerne verdrängt. Denn der von Machtopportunismus geprägte Politiker wird mit diesen Tabuthemen seine Karriere nicht beenden wollen. Gleichwohl sollten die sensiblen Handlungsfelder benannt werden und in Internationales Verkehrswesen eine Plattform inden! „Verkehr neu denken“ - ja, doch dazu gehören auch Berichte, die neben den wichtigen technischen Eizienzfortschritten und bisher unerwähnten Rebound-Efekten über den Tellerrand der Verkehrsträger blicken und die speziischen Ortsveränderungs-Bedürfnisse analysieren. Noch bleibt das Postulat der „interdisziplinären Problembehandlung“ vielfach eine Worthülse. Deshalb ist m.E. die sektorale Verkehrsträgerpräsentation in Internationales Verkehrswesen aufzubrechen, der systemischen, prozessbezogenen Sicht zur Gestaltung der Mobilitäts-„Landschaft“ Platz zu geben und die wissenschaftliche, auch kontroverse Debatte in der DVWG weiter zu entwickeln. Dabei gilt es, die ganze Palette der Fortbewegung mit ihren räumlichen Wechselwirkungen kritisch auf ihre Zukunftstauglichkeit zu diskutieren. Theoretisch inden sich in der Raumordnung auf allen Planungsebenen Zielsetzungen, die verkehrssparende Siedlungsstrukturen fördern und das Mobilitätsmuster beeinlussen können. Doch fehlendes Problembewusstsein und der große Ermessensspielraum der PlanungsträgerInnen bewirken, dass derartige Zielsetzungen nicht oder nur ungenügend umgesetzt werden. Eine verstärkte Diskussion des komplexen Handlungsfeldes Mobilität der Zukunft in der verkehrswissenschaftlichen Veröffentlichungspraxis ist unabdingbar. Eine neue mentale Landkarte und eine zukunftstaugliche Mobilität sind zwei Seiten einer Medaille. Die Wertsteigerung dieser Medaille kann z. B. durch wissenschaftliche Debatten in Internationales Verkehrswesen bewirkt werden. ■ Gerd Würdemann, Niederkassel, Mitglied im Vorstand der Dr. Schmidt Stiftung für Umwelt und Verkehr EIN KOMMENTAR VON FORUM Meinung Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 125 Meinung FORUM Vergleich der Buchungssysteme nicht nachvollziehbar Leserbrief zum Beitrag „Züge über Grenzen“, Internationales Verkehrswesen (66), 2/ 2014, S. 67 I n ihrem Beitrag „Züge über Grenzen“ schreiben die Autoren im Abschnitt „Grenzen in der Gegenwart“ unter anderem über die Nachteile bei nationalen Buchungssystemen der Bahnen und dass „Der Wettbewerb auf der Straße oder in der Luft […] seine Chancen [nutze]“. Insbesondere bei Buchungssystemen und dem Vergleich mit dem Luftverkehr kann ich dieses Argument überhaupt nicht nachvollziehen. Sowohl Nahverkehr - z. B. Erfurter Bahn, Cantus, Südthüringenbahn - als auch grenzüberschreitender Fernverkehr - z. B. Relationen in die Schweiz und nach Österreich (RailJet) - sind auf der Seite der Deutschen Bahn buchbar. Es werden sogar Zugverbindungen von Konkurrenten angezeigt, die keine strategischen Allianzen (um bei Begrifen aus dem Flugverkehr zu bleiben) eingehen. Schaut man sich im Vergleich den Flugverkehr an, kann man auf den Seiten der einzelnen Airlines üblicherweise nur eigene Flüge, maximal die von Allianzpartnern buchen. Alternative Flugverbindungen von Wettbewerbern sind gar nicht auindbar - siehe beispielhaft die Internetpräsenz der Lufthansa. Erheblichen Vorteil stellen hier allerdings Suchmaschinen wie Idealo, Flüge.de oder die Google-Flugsuche dar. Erst diese Anwendungen erlauben einen transparenten Blick auf Fluglagen und Flugpreise. Man sollte daher wohl vielmehr die Frage stellen, warum es unzählige „unabhängige“ Portale zum Preisvergleich von Flügen, aber nur sehr wenige bis keine zum Preisvergleich von Zügen (und Fernbussen) gibt. Vielleicht liegt es unter anderem daran, dass das vorhandene Portal der Deutschen Bahn einen erheblichen Teil der Angebote im Schienenverkehr abdeckt - oder dass die Anzahl der Wettbewerber respektive die zu erwartende Gewinnmarge einfach zu niedrig ist. ■ Alexander Seitz Sprecher des Jungen Forums der BV Thüringen Messe InnoTrans: Wir sind da, wo Ihre Kunden sind! Fach- und Wirtschaftsinformationen rund um Eisenbahn, ÖPNV & Technik 10 Mal InnoTrans , 10 Mal dabei! Eurailpress - offizieller Medienpartner der InnoTrans Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 126 Das Controlling von ÖPNV-Unternehmen steht im Mittelpunkt dieses Buchs. Experten aus ÖPNV-Unternehmen, Wissenschaft und Beratungshäusern stellen Instrumente zur Unternehmenssteuerung praxisnah vor und informieren über aktuelle Entwicklungen. Damit liefert das Buch Anregungen, Ideen und Lösungsansätze für Controllingprobleme. Jetzt bestellen! 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Der Deutsche Mobilitätskongress ist ein gemeinsames Veranstaltungsformat, das die Partner DVWG, HOLM, RMV, ISM und die Messe Frankfurt gemeinsam ausrichten. Als einmal jährlich stattindende Veranstaltung zum Thema Verkehr und Mobilität übernimmt er die Herausforderung, die verantwortlichen Entscheidungsträger und Experten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenzuführen. Unter seinem Dach wollen wir gemeinsam eine Diskussionsplattform für Fachleute verschiedener Disziplinen und Branchen bieten, um praktikable Lösungen zu erarbeiten und entscheidende Impulse für eine umfassende gesellschaftliche Debatte über die Fragen einer nachhaltigen Mobilität zu geben. Im Vorjahr wurde dieser Kongress erstmalig durchgeführt und fand in der Presse und Fachcommunity ein vielbeachtetes Echo. Die DVWG als Veranstalter hat ihre „Feuerprobe“ für eine solche anspruchsvolle Aufgabe erfolgreich bestanden. Den über 250 Teilnehmern aus allen Bereichen der Mobilität wurde ein spannendes und hochkarätiges Programm mit Keynotes herausragender Referenten sowie interessante Fachsessions und Podiumsdiskussionen geboten. In diesem Jahr wird die Bezirksvereinigung FrankfurtReinMain e.V. ihre ausgezeichnete regionale Vernetzung noch stärker einbringen, aktiv an der Gestaltung und Organisation mitwirken und die Veranstalterrolle gemeinsam mit der Hauptgeschäftsstelle übernehmen. Das stetig wachsende Datenvolumen und die damit verbundenen neuen Alternativen für unsere persönlichen Entscheidungen führen zu einem tiefgreifenden Wandel in unserer Gesellschaft. „Big Data“ bestimmt damit nicht nur unser Nutzerverhalten im Internet, es wird auch zu einer Umwälzung unserer Mobilitätslandschaft führen. Grund genug, das Thema „Mobility 4.0 - Datenfluss und Mobilität“ als Leitgedanken für unsere diesjährigen Veranstaltung zu wählen. Am 12. und 13. November 2014 werden im neuen Kongresszentrum der Frankfurter Messe, im KAP EUROPA, zwei informative und fachlich ansprechende Kongresstage mit einer begleitenden Aussteller- und Sponsorenpräsentation stattinden. Namhafte Experten und Wissenschaftler werden sich gemeinsam mit den Teilnehmern in Workshops, Diskussionen und Fachsequenzen darüber austauschen, wie unsere Mobilität mit Hilfe des gewaltigen Datenvolumens unserer Gegenwart komfortabler und nachhaltiger gestaltet werden kann. Neben zahlreichen weiteren prominenten Vertretern aus Politik und Wirtschaft werden Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir und Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann am Kongress teilnehmen. Im Rahmen der Veranstaltung wird am Nachmittag des ersten Kongresstages die „Initiative für eine zukunftsfähige Infrastruktur“ ihre Länderkonferenz Hessen ausrichten. Bestandteile des umfangreichen Veranstaltungsprogramms sind außerdem ein Begrüßungsempfang durch die Stadt Frankfurt am 11.November 2014 im Römer und eine festliche Abendveranstaltung am 12.November 2014 im neuen Gebäude des House of Logistics und Mobility (HOLM) in Gateway Gardens. Auf der Internetseite www.deutscher-mobilitaetskongress.de inden Sie das detaillierte Programm, das laufend aktualisiert wird, ausführliche Informationen zu Preisen und Übernachtungsangeboten sowie umfangreiche Sponsoren- und Ausstellerangebote. Nutzen Sie die günstigen Frühbucherpreise und melden sich online an. Für Ihre Fragen und Anregungen stehen Ihnen die Mitarbeiter der Hauptgeschäftsstelle in Berlin gern zur Verfügung. Ich möchte Sie herzlich einladen, in Frankfurt dabei zu sein! Thorsten Fromm Geschäftsführer DVWG-Bezirksvereinigung FrankfurtRheinMain e.V. Die Organisatoren des Deutschen Mobilitätskongresses 2013 Foto: DVWG Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 128 DVWG Verkehrswissenschaftliche Nachrichten Die Bezirksvereinigung Nordhessen zu Gast am-Flughafen Kassel-Calden Volker Schmitt, Bezirksvereinigung Nordhessen M ehr als 30 Interessierte nahmen am 3.-Juli an einer Exkursion der Bezirksvereinigung Nordhessen zum Flughafen Kassel-Calden teil. Der neu gebaute Flughafen wurde 2013 eröfnet und ersetzt den nahegelegenen 1970 errichteten alten Verkehrslandeplatz Kassel-Calden. Der Flughafen ist wegen geringer Passagierzahlen und eines jährlichen Deizits in Millionenhöhe in der Öfentlichkeit umstritten. Nach einem Rundgang durch das Terminal und auf dem Vorfeld referierte Flughafen-Geschäftsführer Ralf Schustereder über die Potentiale und Perspektiven des Flughafens. Schustereder, seit April 2014 Geschäftsführer des Flughafens, und Dr. Tobias Busch, Verkehrsleiter, führten die Besucher durch das Terminal, die Gepäckabfertigung und das Vorfeld der Allgemeinen Luftfahrt und erklärten sehr aufschlussreich die Anlagen und Einrichtungen des Flughafens. Nach dem Rundgang referierte Flughafen-Geschäftsführer Ralf Schustereder über die aktuellen Herausforderungen der Luftverkehrsbranche und ging auf die Potenziale des Flughafens Kassel ein. Auf Billiglieger zu setzen, sei keine Alternative für Kassel-Calden, machte Schustereder deutlich. Er erläuterte außerdem, wie sich die neuen EU-Beihilferegeln für Regionallughäfen auswirkten: So müsse für bestimmte Investitionen ein echter Bedarf nachgewiesen werden, dabei nehme die EU-Kommission auch die Wirtschaftspläne der Flughäfen unter die Lupe. Im Hinblick auf das Deizit des Flughafens sagte Schustereder, dass eine betriebswirtschaftliche Bewertung zu kurz greife. Im Gewerbegebiet direkt am Flughafen seien namhaften Unternehmen aus der Luftfahrtbranche wie Piper, Eurocopter oder ZF Luftfahrttechnik und darüber hinaus einige Luftfahrtunternehmen und Flugschulen vertreten. Laut einem Gutachten von Prof. Richard Klophaus von der Fachhochschule Worms gebe es mehr als 700 direkte Arbeitsplätze in 19 Betrieben rund um den Flughafen, rechne man induzierte und indirekte Efekte hinzu, seien es 2170 Arbeitsplätze. Die Steuereinnahmen aus diesen Effekten betragen laut Gutachten 34,4 Millionen Euro jährlich. Zudem habe der Flughafen eine hohe Bedeutung für die Erreichbarkeit und Mobilität der Unternehmen in der Region. Ein Filetstück seien die Flächen des alten Flughafens, die als Gewerbegebiet entwickelt werden sollen. ■ nordhessen@dvwg.de (Alle Fotos: Volker Schmitt) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 129 Verkehrswissenschaftliche Nachrichten DVWG Flight Safety - eine Einführung aus der Airline-Perspektive Marcus Kunze, Junges Forum BV Rheinland S eit letztem Jahr führte das Junge Forum Rheinland zu den bestehenden Veranstaltungen ein neues Konzept ein. Neben den Exkursionen zu verschiedenen Verkehrsträgern (die auch weiterhin angeboten werden), bauen wir eine Veranstaltungsreihe zur Vernetzung von Studenten und Young Professionals aus dem Bereich Luftfahrt auf. Die Veranstaltungsreihe nennt sich Cologne Aviation Afterwork Party (CAAP) und wurde im Jahr 2012 von Wolfgang Grimme gegründet. Mitte 2013 übernahm Marcus Kunze die Organisation und integrierte dieses Format in die DVWG. Bisher fanden drei Stammtische statt und in- diesem Jahr sind zwei weitere geplant.- Durchschnittlich nehmen zwischen 15-30 Luftfahrtinteressierte an der Veranstaltung teil. Aufgrund der positiven Resonanz wird nun das Projekt erweitert. Dabei werden Teilnehmer eingeladen, zu einem Thema aus ihrem Arbeitsalltag zu referieren. Ziel ist es, eine optimale Mischung aus „Netzwerken“ und Fachbeiträgen zu erzeugen. Am 6. Mai 2014 fand der erste CAAP- Fachvortrag statt. Nicolaus Dmoch, Pilot und Flight Safety Oicer einer Airline und regelmäßiger Teilnehmer des CAAP, referierte zum Thema ‚Flight Safety aus Airlineperspektive’. 18 Teilnehmer aus verschiedenen Bereichen der Luftfahrt (Piloten, Wissenschaftler, Flughafenplaner, Airline-Mitarbeiter und Luftfahrtberater) besuchten diesen Vortrag. Nicolaus Dmoch zeigte anhand konkreter Beispiele auf, wie sich die Konzepte „Safety“ und „Human Error“ in den letzten hundert Jahren gewandelt haben. Beginnend bei Thomas Selfridge, der während eines Fluges mit Orville Wright am 17. September 1908 verunglückte und als erster toter Passagier in die Luftfahrtgeschichte einging, zeigte er auf, wie zunächst die technischen Aspekte der Flugsicherheit im Vordergrund standen. Mit zunehmender technischer Entwicklung wurden aber auch die Flugzeuge immer komplexer zu handhaben. Diese Komplexität verursachte erhebliche Verluste von Menschen und Material im Krieg ohne Feindeinwirkung - insbesondere bei Trainingslügen. Hier entstand erstmals der Gedanke, die Maschinen dem Menschen anzupassen und nicht den Mensch der Maschine. Dieses war die Geburtsstunde der Human Factors in der Luftfahrt. Ein eindrucksvolles Beispiel dieser Zeit war der Bomber B17. Die Schalter für die Klappen (Flaps) und das Fahrwerk (Gear) lagen in dem Flugzeug sehr nahe beieinander und glichen sich in Form und Größe. Aufgrund der Ähnlichkeit und Unerfahrenheit verwechselten viele Piloten die Schalter. Alphonse Chapanis nahm sich des Problems an und gestaltete die beiden Schalter ihrer Natur nach - der Fahrwerk Hebel wurde mit einem Rad für das Fahrwerk dargestellt, die Klappen erhielten ein kleine Klappe am Hebel. Die Gefahr, beide Schalter zu verwechseln, sank damit erheblich. Mit dem bisher schlimmsten Unfall in der Geschichte der Verkehrsluftfahrt, der Kollision zweier Boeing 747 auf dem Flughafen von Tenerifa im März 1977, war ein entscheidender Punkt erreicht. Zum ersten Mal waren keinerlei technischen Fehlfunktionen für einen Unfall verantwortlich. Der Referent zeigte aber anhand der Hintergründe (zum Beispiel Zeitdruck, sich verschlechterndes Wetter), dass der Begrif des „menschlichen Versagens“ keine erschöpfende Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ liefert. Unfälle dieser Art werden erst verständlich, wenn man sich mit den Handlungsmotiven aller Beteiligter beschäftigt. Zum Abschluss seiner interessanten Präsentation fasste Herr Dmoch alle gewonnenen Erkenntnisse mit einem kurzen theoretischen Abriss zu den Bestandteilen und Aufgaben des Safety Managements zusammen. Obwohl die Unfallrate ein niedriges Niveau erreicht hat, ist die gesamte Luftfahrtindustrie bestrebt, diese Rate noch weiter zu senken, denn aufgrund des zunehmenden Flugverkehrs würde ansonsten auch die absolute Anzahl der Unfälle steigen. Die Teilnehmer erstaunte vor allem, mit welchen einfachen Methoden die Fliegerei zu Beginn der Luftfahrt sicherer gemacht wurde. Wir hofen, dass der CAAP auch in Zukunft Anklang indet und weitere Veranstaltungen zu spannenden Teilaspekten des Verkehrsträgers Luftfahrt in der BV Rheinland angeboten werden können. ■ rheinland@dvwg.de Die DVWG steht seit vielen Jahren mit ihrem Engagement und den verkehrswissenschaftlichen Aktivitäten im Fokus des fachlichen Dialogs zu aktuellen und Grundlagenthemen des Verkehrs. Neben den Fachtagungen, Kongressen, Foren und Workshops stoßen in der Fachwelt vor allem die Veröfentlichungen der B-Reihe auf großes Interesse. B 362 DVWG-Fachforum Verkehrslärm, „Zwischen Mobilitätsbedürfnis und Ablehnung in der Öfentlichkeit“ ISBN 978-3-942488-27-3 Die Verkehrspolitik wird sich in Zukunft verkehrsträgerübergreifend auf stärkere Lärmbelastung durch wachsenden Verkehr einstellen müssen und somit existentiellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber stehen. Um diese zu meistern, ist eine enge Zusammenarbeit der verkehrswirtschaftlichen und verkehrspolitischen Akteure bei Bund, Ländern und Kommunen unter einer wachsenden Bürgerbeteiligung an einer klaren, zukunftsfähigen Strategie zur Reduzierung des Verkehrslärms und den notwendigen Rahmenbedingungen für ihre Umsetzung erforderlich. Im Fachforum Verkehrslärm wurde nicht nur die Sicht der Beteiligten aus dem nationalen Verkehrssektor erörtert, sondern eine gesamtheitliche Vision durch die Integration von verkehrsmittelübergreifenden Workshops zu Regulierung, Finanzierung und strategischem Zielbild ermöglicht. Die Veranstaltung zeigte realistische Bilder der Umsetzung hin zu leisem Verkehr in Deutschland auf, die auf Basis interdisziplinären und unabhängigen Expertenwissens entwickelt wurden. Zahlreiche zukunftsfähige Maßnahmen und deren Wechselwirkungen wurden von Spitzenvertretern sowohl aus der Verkehrsals auch aus der Umweltbranche, Experten aus Verkehrs- und Umweltpolitik, aus Verbänden und wissenschaftlichen Institutionen vorgestellt. Dabei wurden sowohl die teilweise divergierenden Zielsetzungen und Handlungsmaximen als auch die Potentiale und Optionen für eine intensivere Kooperation thematisiert. Die vorliegende CD fasst die Ergebnisse des Fachforums zusammen. NeuerScheINuNGeN IN Der B-reIhe Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 130 DVWG Verkehrswissenschaftliche Nachrichten Nur wer Visionen hat … Abschied vom Stv. Vorsitzenden der Bezirksvereinigung Südbayern Willi Hermsen Dr. Karin Jäntschi-Haucke, Bezirksvereinigung Südbayern e.V. … kann Zukunft erfolgreich gestalten! Unter diesem Motto sprach der bisherige stellvertretende Vorsitzende der DVWG Südbayern, Willi Hermsen, bei seiner Abschiedsveranstaltung am 8. Mai 2014 über die „Zukunft der Luftfahrt“ und stellte seine „(unkonventionellen) Visionen zur weiteren Entwicklung“ dieser Branche zur Diskussion. Seinen evtl. als unrealistisch eingeschätzten Blick in die Zukunft untermauerte er mit Zahlen über die bisherige Entwicklung des Luftverkehrs. So umfasste die Flotte der Lufthansa 1959, dem Jahr seines Starts in die Luftfahrt, 32 Flugzeuge mit 1700 angebotenen Sitzen, heute seien es 70 000. Als wichtigstes Zukunftsthema nannte Hermsen den Übergang von fossilen Energiequellen zu neuen Formen der Energiegewinnung. Scherzhaft bezeichnete er Passagierlugzeuge als Tanker, womit er eindrucksvoll auf deren Verbrauch an endlichen, fossilen Brennstofen hinwies. Nebenbei merkte er an, dass ein Duty Free- Einkauf bei Ankunft viel Sprit einsparen würde. Als saubere und grenzenlose Zukunftsenergie sieht er die Kernfusion (nicht -spaltung! ), zu deren Entwicklung er ein Heer der besten Forscher im Schichtbetrieb rund um die Uhr beauftragen würde. Die Kernfusion als Energiequelle würde allerdings eine radikale Umstellung aller Systeme erfordern. Den Energietransport, auch zum liegenden Flugzeug, sieht er masselos via Strahl. Flugzeuge könnten damit wesentlich leichter gebaut werden. Auch glaubt er, dass Flugzeuge in Zukunft zentral unter automatischer Steuerung geleitet werden und auf die Crew verzichtet werden könnte. Er sprach das Thema Drohnen an und ist überzeugt, dass die Flugzeuge am 11. September 2001 in ihrer Präzision nur ferngesteuert worden sein konnten. Die automatische Steuerung würde es auch erlauben, die vertikale und horizontale Stafelung der Flugzeuge zu verringern und, verbunden mit einer Nutzung des Luftraumes bis 50 000 ft oder mehr, die Kapazitäten des Luftraumes um 40 bis 60 Prozent erhöhen. Auch die Flughafenkapazität ließe sich parallel z.B. durch Automatisierung und gekrümmte Anlugwege verbessern. Der Abstand paralleler Anlüge und damit auch die Startbahnen könnten deutlich verringert werden, für zusätzliche Infrastruktur stünde mehr Platz zur Verfügung. Übrigens sei insbesondere der Tower, das phallische Denkmal jeden Flughafenbzw. Flugsicherungschefs, als ein Relikt der Frühzeit der Fliegerei, als Start und Landung mit grünen oder roten Lampen freigegeben wurden, absolut überlüssig wie eine Kropf, wie das Beispiel der Konzentration der Tower-Aktivitäten von Saarbrücken, Erfurt und Dresden in Leipzig beweist. Auch die Flugsicherung und den Flugbetrieb sieht Hermsen in einem einheitlichen, nicht nationalen Luftraum stärker automatisiert, in dem die Flugzeuge über Selbstsicherungssysteme für Abstand, Höhe und Flächennavigation verfügen. Genauso ginge die Automatisierung für die Passagiere z. B. beim Selbst-Check-in weiter und Flughäfen würden sich zu kommerziellen und gesellschaftlichen Zentren entwickeln. In Hinblick auf die Flugzeugentwicklung sprach Hermsen Klapplügel und Nurlügellugzeuge an und ist überzeugt, dass der Überschallverkehr wegen seines großen Energieverbrauchs allerdings nur für bestimmte Einsatzgebiete, wiederkommen werde. Auf die Perspektiven Wettraumverkehr und Hyperschallverkehr wollte er nicht eingehen, obwohl sie auch zur Zukunft gehören. Hermsen schloss mit dem Wunsch, dass im Jahr 2069 nach weiteren 55 Jahren ein Fantast der nächsten Generation seine Gedanken zum Thema „Zukunft der Luftfahrt - (unkonventionelle) Visionen zur weiteren Entwicklung“ in einer DVWG-Veranstaltung darlegen würde. ■ suedbayern@dvwg.de M it seiner Veranstaltung am 8. Mai 2014 hat sich Willi Hermsen aus dem Vorstand der Bezirksvereinigung Südbayern verabschiedet. Mit Bedauern, jedoch vollem Verständnis für die persönliche Entscheidung, sprach Vorstandskollege Dr. Manfred Rothkopf Worte des Dankes für die jahrelange aktive Unterstützung der DVWG aber auch der Bewunderung für das beruliche Lebenswerk von Willi Hermsen. Die Liebe zur Fliegerei begleitete Hermsen sein ganzes Leben lang. Schon als Werkstudent war er bei der Deutschen Lufthansa in den Bereichen Planung und Betrieb tätig. 1965 bis 1968 leitete er die Abteilung Verkehr und Statistik sowie Öfentlichkeitsarbeit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrslughäfen (ADV) in Stuttgart und war anschließend stellvertretender kaufmännischer Leiter des Flughafens Stuttgart. Von 1970 bis 1988 war er zunächst Referent für Flotten- und Flugplanung, später für Flughafenplanung und -betrieb bei der Deutschen Lufthansa. Im Juli 1998 kam er zur Flughafen München Gesellschaft (FMG) als Geschäftsführer für den Verkehrsbereich mit der Sonderaufgabe, den Umzug und die Inbetriebnahme des neuen Flughafens vorzubereiten. In nur einer Nacht vom 16. auf 17. Mai 1992 wurde der komplette Flughafen reibungslos verlagert. Ab 1991 wurde Hermsen Hauptgeschäftsführer der FMG und legte die Grundlage dafür, dass der neue Flughafen expandierte und zum zweitgrößten Luftverkehrsdrehkreuz in Deutschland wurde. Von 2004 bis 2009 leitete er als Vorsitzender den Aufsichtsrat der Mitteldeutschen Flughafen AG mit den beiden Flughäfen Leipzig/ Halle und Dresden. Schon bald nach seinem Münchner Start zeigte Hermsen Interesse an einer aktiven Mitwirkung an der DVWG. Bei vielen Veranstaltungen und Exkursionen hat er sich stets großzügig engagiert und arbeitete schließlich im Beirat der DVWG Südbayern mit. Seit 2003 ist er im Vorstand, wo er sich losgelöst von berulichen Aufgaben mit Rat und Tat einbrachte. Am 17. Februar 2005 wurde er für seinen großartigen Beitrag für die DVWG Südbayern mit der Verleihung der Karl-Pirath-Medaille geehrt. Wir sind Willi Hermsen zu großem Dank verplichtet und natürlich freuen wir uns, dass Willi Hermsen die DVWG Südbayern weiterhin begleitet und mit seiner besonderen Sicht der Dinge die Veranstaltungen bereichert. Dr. Karin Jäntschi-Haucke, Bezirksvereinigung Südbayern Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 131 Verkehrswissenschaftliche Nachrichten DVWG Zentrale Veranstaltungen Frankfurt 17.10.2014 21. Luftverkehrsforum: „Zukunftsperspektiven des Luftverkehrs in Deutschland unter neuen Rahmenbedingungen“ Brüssel 3.-5.11.2014 12. European Transport Congress „Mobility for a joint Europe“ Frankfurt 12./ 13.11.2014, Frankfurt Deutscher Mobilitätskongress 2014 „Mobility 4.0 - Big Data in der Mobilität“ Indien 23.11.-1.12.2014 DVWG-Auslandsfachexkursion „Das Beste Indiens“ Frankfurt 10.12.2014 9. Nahverkehrsforum „ÖPNV in Ballungsräumen - Aufgaben und Lösungsmöglichkeiten“ Veranstaltungen der Bezirksvereinigungen Freiburg freiburg@dvwg.de 11.11.2014, 18: 15 Uhr Ausbau und Erhalt notwendiger Verkehrsinfrastrukturen - Das Beispiel Schweiz Ort: Universität Freiburg FrankfurtRheinMain e.V. frankfurtrheinmain@dvwg.de 18.09.2014, 9: 00 Uhr Auftaktveranstaltung „Verkehrswissenschaft vernetzt“ Ort: House of Logistics & Mobility (HOLM), Gateway Gardens, 60549 Frankfurt a.M. 09.10.2014, 19: 00 Uhr JuFo-Diskurs: Energieeiziente Mobilität - welchen Beitrag leistet der Schienenpersonenfernverkehr? Ort: DB Fernverkehr AG, Zentrale, Stephensonstraße 1, 60326 Frankfurt am Main Württemberg e.V. wuerttemberg@dvwg.de 29.09.2014, 17: 30 Uhr Kostensteigerungen bei großen Infrastrukturprojekten: Zwischen Emotion und Logik Ort: Verband Region Stuttgart Kronenstr. 25, 70173 Stuttgart Hamburg hamburg@dvwg.de 22.09.2014, 13: 00 Uhr Fachexkursion „ICE-Werk Hamburg- Eidelstedt“ Ort: ICE-Werk Hamburg-Eidelstedt, DB Fernverkehr, Pförtnergebäude, Elbgaustr.110a, Eingang C, 22523 Hamburg 13.10.2014, 17: 00 Uhr Forum Luftverkehr: Aktuelle Trends im internationalen Luftverkehr und Rückwirkungen auf den HAM-Airport Ort: Flughafen Hamburg, Modellschau, Flughafenstraße 1-3, 22335 Hamburg 31.10.2014, 9: 30 Uhr 10. Hamburger Hafentag Ort: Handelskammer InnovationsCampus, Adolphsplatz 6, 20457 Hamburg Oberrhein oberrhein@dvwg.de 23.09.2014, 18: 00 Uhr Stand der Radverkehrsplanung in Karlsruhe Ort: K-Punkt, Ettlinger-Tor-Platz 1a, 76133-Karlsruhe 06.10.2014, 18: 30 Uhr Stammtisch des Jungen Forums Ort: Lokal Pfannestiel, Am Künstlerhaus 53, 76131 Karlsruhe 21.10.2014, 14: 00 Die Kombilösung - Der Fächerwurm legt los Vortrag zum Stand der Bauarbeiten mit anschließender Baustellenführung Ort: K-Punkt, Ettlinger-Tor-Platz 1a, 76133 Karlsruhe Rhein-Ruhr/ WVV e.V. rhein-ruhr@dvwg.de 30.09.2014, 16: 30 Uhr Das DB Regio Zuglabor: Neue Impulse durch die Integration von Kundenbedürfnissen Christine Schaper, Konzernmarktforschung DB Regio AG Ort: Essen Mecklenburg-Vorpommern e.V. mecklenburg-vorpommern@dvwg.de 01.-05.10.2014 Fachexkursion nach Danzig und Gdynia mit Besuch des Gdansk Nordhafens und DCT Container Terminals sowie der Akademia Morska Gdynia und des Hafens Gdynia Niedersachsen-Bremen e.V. mecklenburg-vorpommern@dvwg.de 06.10.2014, 13: 00 Uhr Aktuelle Herausforderungen im Seehafenhinterlandverkehr in Norddeutschland Ort: Lehrte (bei Hannover) 9./ 10.10.2014 Fachexkursion Nord-Ostsee-Kanal und Fehmarnbelt-Querung (mit Besichtigung Eisenbahn-Hochbrücke Rendsburg, Fährhafen Puttgarden, Fehmarnbelt-Querung) 22.10.2014, 14: 00 Uhr Besichtigung bei den Verkehrsbetrieben Peine-Salzgitter im Stahlwerk Salzgitter Ort: Salzgitter Nordbayern nordbayern@dvwg.de 16.10.2014, 16: 00 Uhr Fernbusse in Deutschland - aktuelle Entwicklungen und deren Auswirkungen auf den Schienenpersonenfernverkehr Ort: Technische Hochschule Nürnberg, 90489 Nürnberg, Keßlerplatz 12 Veranstaltungen des Junges Forums München 8.-10.10.2014 Jahres-Fachexkursion „Der Verkehr in der Metropole München“ München 11.10.2014 12. Verkehrswissenschaftliches Zukunftsforum mit Bundesdelegiertenkonferenz des JF Brüssel 3.-5.11.2014 Europa-Exkursion mit Exkursionsauftakt in Aachen und Besuch des European Transport Congress DVWG Hauptgeschäftsstelle Agricolastraße 25, 10555 Berlin Tel. +49 30 2936060, Fax +49 30 29360629 E-Mail: hgs@dvwg.de, Internet: www.dvwg.de NEU Ihr Fahrplan für Rechtsfragen im ÖPNV Gesetze und Kommentar zum ÖPNV-Recht plus online-Zugang zu gerichtlichen Leitentscheidungen Das Praxishandbuch „Recht des ÖPNV“ liefert Ihnen: ▪ Ausführliche Erläuterungen und Kommentierungen aller relevanten Vorschriften des ö entlichen Personenverkehrsrechts ▪ Anwendungsbeispiele aus der Praxis ▪ eine verlässliche Grundlage für die erfolgreiche Bearbeitung rechtlicher Fragestellungen im Personenverkehr Recht des ÖPNV, Praxishandbuch, Hubertus Baumeister (Hrsg.), 1. Auflage 2013, Band 1 Gesetze 660 Seiten, Band 2 Kommentar 854 Seiten, gebunden, EUR 189,- inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten Weitere Infos, Leseprobe und Bestellung: www.eurailpress.de/ oepnvrecht | Telefon: (040) 23714-440 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 133 Erscheint im 66. Jahrgang Herausgeber Prof. Dr.-Ing. Frank Straube (Sprecher) Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag DVV Media Group GmbH Postfach 101609, D-20010 Hamburg Nordkanalstr. 36, D-20097 Hamburg Telefon (040) 2 37 14-01 Geschäftsführer: Martin Weber Detlev K. Suchanek (Verlagsleiter Technik & Verkehr) detlev.suchanek@dvvmedia.com Redaktion Eberhard Buhl, M.A. (verantw.), (Durchwahl: -223) eberhard.buhl@dvvmedia.com Telefax Redaktion: (040) 2 37 14-205 Dr. Karin Jäntschi-Haucke, hgs@dvwg.de (verantw. DVWG-Nachrichten) Redaktionelle Mitarbeit: Kerstin Zapp Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tilman Kummer (Gesamtanzeigenleitung) Silke Härtel (verantw. Leitung) (Durchwahl: -227) silke.haertel@dvvmedia.com Tim Feindt (Anzeigenverkauf) (Durchwahl -220) tim.feindt@dvvmedia.com Telefax Anzeigen: (040) 2 37 14-236 Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 51 vom 1. Januar 2014. Vertrieb Vertriebsleitung: Markus Kukuk markus.kukuk@dvvmedia.com Vertrieb IV: Bernd Thobaben Tel.: (040) 2 37 14-108 bernd.thobaben@dvvmedia.com Leser- und Abonnentenservice Tel. (040) 23714-260 | Fax: (040) 23714-243 Bezugsgebühren: Abonnement-Paket Inland: EUR 150,00 (inkl. Porto zzgl. 7 % MwSt.); Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print, Digital und E-Paper sowie den Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Abonnement Ausland Print: EUR 167,00 (inkl. Porto). Abonnement Ausland Digital: EUR 150,00 Mitglieder der DVWG erhalten die Zeitschrift im Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Einzelheft: EUR 39,50 (im Inland inkl. MwSt.) zzgl. Versand. Copyright: Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fällt insbesondere auch die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronische Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-Rom. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Layoutkonzept: Helmut Ortner Titelbild: Glasgow Transport Museum. Foto: Rheinzink Druck: L.N. Schafrath GmbH & Co. KG, Geldern Herstellung: Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Oizielles Organ: Mitglied/ Member: Eine Publikation der DVV Media Group ISSN 0020-9511 ImpREssum | GREmIEn Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Ben möbius Dr., Abteilungsleiter Mobilität und Kommunikation des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ralf nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg August Ortmeyer Dr., Leiter der Abteilung Dienstleistungen, Infrastruktur und Regionalpolitik im Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK), Berlin uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr michael p. Clausecker Vorsitzender der Geschäftsführung Bombardier Transportation GmbH, Berlin Christian piehler Dr.-Ing., Programmdirektor Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Ronald pörner Prof. Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland e. V. (VDB), Berlin Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Bereichsleiter Geschäftsentwicklung und Sales, Veolia Verkehr GmbH, Berlin Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Präsident der DVWG und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Frank straube Prof. Dr.-Ing., Leiter des Fachgebiets Logistik, Technische Universität Berlin Jürgen siegmann Prof. Dr.-Ing. habil., Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, TU Berlin Alexander Hedderich Dr., Vorsitzender der Geschäftsführung der DB Schenker Rail GmbH und Mitglied des Executive Board der Deutsche Bahn AG, Berlin Erich staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Wolfgang Hönemann Dr., Geschäftsführer Intermodal der Wincanton GmbH, Mannheim ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Christoph Klingenberg Dr., Bereichsleiter Information Management und Chief Information Oicer der Lufthansa Passage Airlines, Frankfurt/ Main matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Direktor Institut für Seewirtschaft und Logistik ISL, Universität Bremen sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolf Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Reinhard Lüken Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes für Schifbau und Meerestechnik e. V., Hamburg Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 134 Liebe Leserinnen und Leser, mit dem Erscheinen dieser opulenten Messe-Ausgabe von Internationales Verkehrswesen beginnt die Zeit der Herbstveranstaltungen und -kongresse - und wieder einmal sollte man überall gleichzeitig dabei sein. Vielleicht reisen Sie ja gern mit der Bahn und haben unterwegs die Ruhe, das aktuelle Heft ausgiebig zu lesen. Lob und konstruktive Kritik sind übrigens ausdrücklich erwünscht - halten Sie damit bitte nicht hinterm Berg. Ich freue mich auf einen anregenden Dialog mit Ihnen. In der folgenden Ausgabe 4/ 2014, die am 17. November erscheint, werden Themen rund um den Schwerpunkt Verkehrsstrukturen: Sicher, global, wirtschaftlich stehen. Verschiedene Beiträge beschäftigen sich mit der Sicherheit des Verkehrs und der Transportgüter selbst - Themen rund um safety und security also. Wir werden den Status, die Perspektiven und Projekte der Infrastruktur- und Stadtentwicklung weltweit beleuchten und einen besonderen Fokus auf europäische Verkehrsnetze legen. Andere Autoren thematisieren Finanzierung, Wirtschaftlichkeit oder Umnutzung von Verkehrsbauten. Sie sehen: Herausgeberkreis und Redaktion werden auch die November-Ausgabe rundum informativ für Sie gestalten. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 17.9.2014 Frankfurt (D) 12. Hessischer Mobilitätskongress Veranstalter: Hessen Trade & Invest GmbH Ort: House of Logitics & Mobility (HOLM) Tel.: +49 611 95017-8661 Info: patrick.schuetz@htai.de, www.htai.de 23.-26.9.2014 Berlin (D) InnoTrans 2014 Info: Messe Berlin GmbH, Tim Hamker Tel.: +49 303038-2376, Fax: +49 30 3038-2190 E-Mail: innotrans@messe-berlin.de 25.9.-2.10.2014 Hannover (D) 65. IAA Nutzfahrzeuge Veranstalter: Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA), Berlin Tel.: +49 30 897842-0, Fax: +49 30 897842-600 www.vda.de 29.9.-1.10.2014 Frankfurt (D) European Transport Conference 2014 Veranstalter: Association for European Transport (AET), Henley-in-Arden, UK; www.aetransport.org Info: www.etcproceedings.org 1.-2.10.2014 Bremen (D) ISL Maritime Conference 2014 Veranstalter: Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) Info und Anmeldung: Leif Peters, ISL Tel.: +49 421 22096-0 info@isl.org, www.isl.org/ conference 21.-23.10.2014 München (D) eCarTec Munich 2014 Kontakt: Moritz Fuchs, Trade Fair & Conference Manager Tel.: +49 (89) 322991-20, Fax: +49 (89) 322991-19 moritz.fuchs@munichexpo.de, www.ecartec.de 3.-5.11.2014 Brüssel (B) 12th European Transport Congress ETC Verkehrskongress der European Platform of Transport Sciences (EPTS) Info: Eva Schmidt, Econex Tel.: +49 (202) 28358-0 schmidt@econex.de, www.epts.eu 4.-5.11. 2014 Brüssel (B) European Rail Summit Veranstalter: Railway Gazette, DVV Media UK Info und Registrierung: www.europeanrailsummit.com 10.-11.11.2014 Dresden (D) Stadtverkehr auf neuen Wegen? Abschlusskonferenz zum 10. Befragungsdurchgang von „Mobilität in Städten - SrV“ Ort: TU Dresden Info: Frank Ließke, TU Dresden, Lehrstuhl für Verkehrs- und Infrastrukturplanung Tel.: +49 (351) 4633-6668 frank.liesske@tu-dresden.de, www.tu-dresden.de/ srv2013 12.11.2014 Berlin (D) Vorfahrt Klimaschutz - Strategien für den Verkehr der Zukunft Jahrestagung 2014 des Öko-Instituts Veranstalter: Öko-Institut e.V. Ort: VKU Forum, Invalidenstraße 91, 10115 Berlin Info: Romy Klupsch, Öko-Institut e.V. Tel.: +49 (761) 45295-224 r.klupsch@oeko.de, www.oeko.de 12.-13.11.2014 Frankfurt/ M. (D) Deutscher Mobilitätskongress 2014 Mobility 4.0 - Datenfluss und Mobilität Info: Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (DVWG), Berlin Tel.: +49 (0)30 293 606-0, Fax +49 (0)30 293 606-29 hgs@dvwg.de, www.deutscher-mobilitaetskongress.de 20.11.2014 Mannheim (D) CODE24 - One Corridor - One Strategy Gemeinsame Regionalentwicklung für den Nord-Süd Korridor Info: Stadt Mannheim anna-katharina.eissfeller@mannheim.de , www.mannheim.de/ stadt-gestalten/ code-24 TERMINE + VERANSTALTUNGEN 17.9.2014 bis 20.11.2014 Weitere Veranstaltungen inden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de, www.dvwg.de www.eurailpress.de, www.schifundhafen.de, www.dvz.de VORSCHAU | TERMINE Antrag auf persönliche Mitgliedschaft (Jahresbeitrag 96 EUR/ Studierende 48 EUR) Eintritt zum Titel, Vorname, Name Beruf, Amtsbezeichnung Geburtsdatum Anschrift (privat) - Straße, Haus-Nr. PLZ, Ort Telefon (privat) Fax (privat) E-Mail (privat) Firma, Institution (dienstlich) Anschrift (dienstlich) - Straße, Haus-Nr. PLZ, Ort Telefon (dienstlich) Fax (dienstlich) E-Mail (dienstlich) Wenn Sie den schriftlichen Kontakt mit der DVWG bzw. die Lieferung der Organzeitschrift „Internationales Verkehrswesen“ an eine dienstliche Adresse wünschen, wählen Sie bitte Kontakt „dienstlich“. Bitte beachten Sie, dass die Angabe der privaten Adresse für eine Anmeldung zwingend erforderlich ist! Kontakt: □ privat □ dienstlich Bezug der Zeitschrift „Internationales Verkehrswesen“: □ ja □ nein Interesse an Informationen zum Jungen Forum der DVWG: □ ja □ nein Ort/ Datum Unterschrift Agricolastraße 25 Tel.: 030 / 293 60 60 www.dvwg.de 10555 Berlin Fax: 030 / 293 60 629 hgs@dvwg.de ■ Preisnachlass erhalten für Publikationen der Schriftenreihe (Bücher und CDs) ■ Gelegenheiten nutzen für den Auf- und Ausbau von Karriere-, Berufs- und Partnernetzwerken ■ exklusiven Zugang erhalten zum Internetportal der DVWG (Mitgliederbereich und Download) ■ persönliche Einladungen erhalten für über 200 Veranstaltungen im Jahr auf Bundesebene und in Ihrer Bezirksvereinigung ■ aktiv mitarbeiten in dem unabhängigen Kompetenzzentrum für Mobilität und Verkehr in Deutschland ■ mitarbeiten im Jungen Forum und der Europäischen Plattform für Verkehrswissenschaften ■ teilnehmen an jährlichen Fachexkursionen ins Ausland Wir vernetzen Verkehrsexperten! Antrag auf körperschaftliche Mitgliedschaft finden Sie unter: www.dvwg.de ■ das „Internationale Verkehrswesen“, die renommierte Fach- und Organzeitschrift, beziehen Mitglied werden und Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft e.V. HOCHLEISTUNG I PRÄZISION I ZUVERLÄSSIGKEIT www.plassertheurer.com „Plasser & Theurer“, „Plasser“ und „P&T“ sind international eingetragene Marken Die neue Kontinuierliche für alle Streckenklassen. Die Unimat 09-4x4/ 4S setzt die Serie unserer wirtschaftlichen, kontinuierlichen und materialschonenden Universalstopfmaschinen erfolgreich fort. Das kompakte Design ermöglicht zusätzliche Streckenklassen, die neue Steuerung Plasser Intelligent Control P-IC 2.0 erlaubt eine ergonomische Bedienung, der elektronische Datenrecorder DRP sichert die präzise Dokumentation der Arbeitsergebnisse. Weichenstopfen leichter gemacht HOCHLEISTUNG I PRÄZISION I ZUVERLÄSSIGKEIT