Internationales Verkehrswesen
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2017 | Heft 2 April Parken, Lagern, Bewegen Transportströme steuern POLITIK Güter auf die Bahn? Der rechtliche Rahmen INFRASTRUKTUR Parkflächen-Bewirtschaftung: Von Japan lernen? LOGISTIK Innovative Logistikkonzepte: Autonom, elektrisch, integriert MOBILITÄT Autonome ÖV-Systeme, Luftverkehr, Verkehrsverhalten TECHNOLOGIE Lösungen für den Warenverkehr von morgen www.internationalesverkehrswesen.de Heft 2 l April 2017 69. Jahrgang Hier klicken Sie richtig! IV online: Neuer Look - mehr Nutzen Die Webseite von Internationales Verkehrswesen hat ein neues Gesicht bekommen. Die aktuellen Webseiten unseres Magazins bringen eine frische Optik und eine Reihe neuer Funktionalitäten. Vor allem aber: Die Webseite ist im Responsive Design gestaltet - und damit auch auf Mobilgeräten wie Smartphones und Tablets bestens lesbar. Schauen Sie doch einfach mal rein! Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl M.A., Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Marschnerstraße 87 | 81245 München +49 89 889518.71 | office@trialog.de Informiert mit einem Klick Das finden Sie auf www.internationalesverkehrswesen.de: • Aktuelle Meldungen rund um Mobilität, Transport und Verkehr • Termine und Veranstaltungen in der aktuellen Übersicht • Übersichten, Links und Ansprechpartner für Kunden und Leser • Autoren-Service mit Themen, Tipps und Formularen • Beitragsübersicht und Abonnenten-Zugang zum Heftarchiv © Clipdealer www.internationalesverkehrswesen.de Anzeige U2.indd 1 25.10.2016 10: 00: 42 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 3 Hartmut Fricke EDITORIAL Strukturen effizienter nutzen U nverändert wächst das Transportaufkommen in Deutschland - sowohl auf den Straßen am Boden als auch in der Luft, sowohl bei Transportkilometern als auch beim Frachtaufkommen - mit über 3 % in 2016. Die Frage der optimalen Bewirtschaftung der bundesdeutschen Autobahnen stand spätestens seit Vorlage des Berichts der sogenannten Fratscher-Kommission vom April 2015 zur Einführung einer Bundesfernstraßengesellschaft neuerlich im Fokus. Die Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ hatte in ihrem Gutachten für den Bundeswirtschaftsminister eine Infrastrukturgesellschaft für Planung, Bau, Betrieb und Finanzierung von Bundesfernstraßen aus einer Hand vorgeschlagen. Im Dezember 2015 hat das BMVI erste Eckpunkte einer solchen Bundesautobahngesellschaft präsentiert, die aber auf Landesebene auf der Basis der Vorschläge der Bodewig II-Kommission in 2016 abgelehnt wurden. Sie schlug stattdessen die Weiterentwicklung der bestehenden Auftragsverwaltung auf Bundesebene vor. Mittlerweile einigte man sich über die Zukunft des Finanzausgleichs auf die Einrichtung einer Bundesfernstraßengesellschaft (Infrastrukturgesellschaft Verkehr) spätestens zum 1. Januar 2021; nach drei Jahren ist eine Evaluation der Rechtsform vorgesehen. Weiterhin soll auch ein Fernstraßen-Bundesamt als Aufsichts- und Planfeststellungsbehörde etabliert werden, alles im Sinne eines optimierten, dabei aber stets fairen Wettbewerbs mit Blick auf Ökologie und Ökonomie. Die Zukunftsfähigkeit des Schienengüterverkehrs steht hingegen noch auf wackeligen Füßen: Aufgrund veralteter Technik und Gerätschaft - die Güterwagenflotte umfasst in Deutschland etwa 60 000 Wagen - bedarf es noch substanzieller Anstrengungen, um „die Schiene“ so zu stabilisieren, dass sie langfristig ihre ökologisch und ökonomisch sinnvolle sowie politisch angedachte umweltfreundliche Rolle im Gütertransport erfüllen kann. Infrastrukturmängel zwingen die Güterzüge häufig in Überholungsgleise mit Halten. Zeitverluste und höhere Energiekosten sind die Folge. Diese Defizite zu überwinden, erfordert jedoch einen Bruch mit den bisherigen Standards im Waggonbau, da der zentrale Erneuerungsbedarf die Systemkomponenten eines Güterzuges betrifft: die Kupplung, die Strom- und Datenverkoppelung und damit die Brems-, Sicherheits- und Kontrollsysteme des Zuges. Hier bedarf es politisch der Etablierung und Förderung eines neuen EU-weiten Wagenmaterial-Standards. Im Luftverkehr schließlich bewegen wir uns nach den großen, nunmehr langsam aber systematisch voranschreitenden Umsetzungen eines Einheitlichen Europäischen Luftraums (SES) auch in Deutschland in Richtung eines völlig neuen Transportmodells, dem der unbemannt fliegenden Luftfahrzeuge (UAS) - begonnen mit ferngesteuerten Transportdrohnen bis hin zum Lufttaxi -, zu dem sich diesmal nicht ein IT- oder Big Data-Unternehmen aus den USA, sondern Airbus Industrie bekennt. Wir erleben aktuell die Geburt eines neuartigen Verkehrsträgers, eines Hybrids aus neuer Transporttechnologie: kommerzielles Fliegen in niedrigen, bodennahen Flughöhen auf neuen Routen und neue Funktionalität. Anders als bei der Elektromobilität auf der Straße müssen diese Fahr- und Flugzeuge nicht in Konkurrenz zu bestehender Technologie ihren Marktzugang finden. Sie profitieren von additiven, völlig neuen Geschäftsmodellen. Ihre Entwicklung wird durch den Markt getrieben, nicht durch die Politik. Insofern erleben wir hier auch nicht die Geburtsstunde eines „privaten“ Luftverkehrs, sondern jene einer neuen kommerziellen Verkehrsart. Die aktuell privat anmutenden Anwendungen werden in zunehmendem Maße von neuen geschäftlichen Anwendungen überlagert werden. Liebe Leser, das Erfordernis der Leistungssteigerung unserer Verkehrsträger ist somit in allen Bereichen sichtbar - Grund für die Titelwahl der Ihnen vorliegenden April-Ausgabe des IV. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Herzlichst Ihr Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil. Leiter der Professur Technologie und Logistik des Luftverkehrs, Fakultät Verkehrswissenschaften der TU Dresden Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für-Verkehr und digitale Infrastruktur Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 4 POLITIK 10 „Wir brauchen keinen Plan B“ Im Gespräch: Erich Staake, Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG 12 Güterbahn zwischen Wunsch und Wirklichkeit Der rechtliche Rahmen zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene Bernd H. Kortschak LOGISTIK 24 Entsorgungsverkehre auf dem Wasser Löst das Binnenschiff den Entsorgungsdruck in der Landwirtschaft? Thomas Decker 26 Autonomes Rangieren auf der Bremischen Hafeneisenbahn Innovationen auf der letzten Meile im Bahnverkehr Iven Krämer Frank Arendt 28 FTI-Potenziale an Schnittstellen für Air Cargo Schnittstellen zwischen Logistik, Landverkehr und Luftfahrt entlang der Air-Cargo-Transportketten Heinz Dörr Viktoria Marsch Andreas Romstorfer 33 Luftfracht der Zukunft Neue Modelle integrierter Logistikketten am Beispiel des Flughafens München Marie-Louise Seifert Andreas Schmidt Korbinian Leitner 36 Gute Hoffnung am Kap Südafrika investiert Milliarden in die Logistik-Infrastruktur Dirk Ruppik 38 Elektrifizierungspotential kommerzieller Kraftfahrzeug- Flotten im Wirtschaftsverkehr Wulf-Holger Arndt Norman Döge INFRASTRUKTUR 16 Autobahngesellschaft und öffentlich-private Partnerschaft Andreas Kossak 20 Parken in Japan Kay W. Axhausen Makoto Chikaraishi Hajime Seya INTERNATIONAL TRANSPORTATION 1/ 2017 Governance - Managing Public Transport - Park & Move - Infrastructure by PPP - Safety & Security - Automation Publication Date: 08 May 2017 Further information: internationales-verkehrswesen.de/ international-transportation-2017 Foto: Kay W. Axhausen SEITE 20 Quelle: Fraport AG SEITE 28 Foto: Klaas Hartz/ pixelio.de SEITE 10 Sie finden Internationales Verkehrswesen mit umfangreichem Archiv und aktuellen Terminen unter: www.internationalesverkehrswesen.de 41 Die letzte Meile neu gedacht Logistik als Gemeinschaftsprojekt des Einzelhandels Patrick Schulte 42 Güter auf die Bahn? Standpunkt Dirk Engelhardt WISSENSCHAFT 44 Bewertung innovativer Verkehrskonzepte Eine Wirkungsabschätzung für die flächendeckende Einführung des Lang-LKW Niels Schmidtke Laura Baumann Karl-Heinz Daehre Fabian Behrendt 48 Beitrag des Schienengüterverkehrs zur Energiewende Ergebnisse einer Studie zu Verlagerungspotenzialen auf den Schienengüterverkehr in Deutschland Anika Lobig Gernot Liedtke Wolfram Knörr Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 5 INHALT April 2017 53 Entwicklungstrends bei ausgewählten europäischen Fluggesellschaften Katrin Kölker Steffen Wenzel Peter Bießlich Bernd Liebhardt Klaus Lütjens Volker Gollnick 58 Mobilitätsmonitor Nr. 4 - April 2017 Benno Bock Lena Damrau Bert Daniels Julia Epp Frank Hunsicker, Sina Nordhoff Christian Scherf Robert Schönduwe Benjamin Stolte Vipul Toprani 62 Änderungen im Verkehrsverhalten? Ein Faktencheck Markus Schubert Ralf Ratzenberger 68 Autonome Autos und öffentlicher Nahverkehr - Zukunft realistisch einordnen Andreas Kossak 72 Sozio-ökonomische Wirkungen der Flughäfen in Deutschland Forschungsstand und kritische Bewertung Jens Hujer TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 15 Bericht aus Brüssel 94 Forum Veranstaltungen 97 Impressum | Gremien 98 Vorschau | Termine AUSGABE 3/ 2017 Automatisierte Mobilität - Neue Systeme - mehr Sicherheit? - Personentransport: Schiene, Straße und Luft im Wettbewerb - Automatisierte Transportlösungen - Mobilitäts-Strategien erscheint am 28. August 2017 82 NGT CARGO - Schienengüterverkehr der Zukunft Joachim Winter Mathias Böhm Gregor Malzacher David Krüger 86 Digitale Lösungen für den Schienengüterverkehr von morgen VTG AG vernetzt ihre gesamte europäische Waggonflotte Niko Davids 89 Smart Data verkürzen Fahrzeiten Felix Köbler 90 „Ihre Route wird neu berechnet“ Wie Big Data den Warenverkehr optimiert Johannes Glossner Dieter Wallmann 92 Auf digitalen Wegen Sendungsverfolgung Elena Wagner MOBILITÄT WISSENSCHAFT 78 Verkehrssystemforschung am DLR - Mobil in Deutschland 2040 Teil 2: Die Szenarien des VEU-Projekts Stefan Seum Mirko Goletz Tobias Kuhnimhof Foto: postauto.ch SEITE 68 Grafik: DLR SEITE 82 Beilagenhinweis Dieser Ausgabe liegt eine Information des Instituts für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT) der ETH Zürich bei. Wir bitten um Beachtung. Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 6 IM FOKUS Weniger Rußemissionen durch Biotreibstoffe in der Luftfahrt E ine Beimischung von 50 % Biotreibstoff reduziert im Reiseflug die Rußpartikel- Emissionen eines Flugzeugtriebwerks um 50 bis 70 % gegenüber der Verbrennung von reinem Kerosin. Dies zeigt eine Studie, die auf gemeinsamen Forschungsflügen der NASA, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und des kanadischen National Research Council (NRC) beruht. Die Ergebnisse liefern weltweit erstmals wichtige Anhaltspunkte darüber, wie Biotreibstoffe in der Luftfahrt nicht nur die Emissionen im Umfeld von Flughäfen mindern, sondern auch im Reiseflug zu einer klimafreundlichen Entwicklung des Luftverkehrs beitragen können. Flugzeugtriebwerke stoßen Rußpartikel aus. Die wirken als Kondensationskeime für kleine Eiskristalle, die als Kondensstreifen sichtbar werden. Die Eiskristalle der Kondensstreifen können bei entsprechenden Bedingungen mehrere Stunden bestehen und hohe Wolken bilden, sogenannte Kondensstreifen-Zirren, die eine ähnlich große Klimawirkung wie alle bisher in der Atmosphäre gesammelten Kohlendioxid-Emissionen des Luftverkehrs zusammen haben sollen. Um die Rußentwicklung der verschiedenen Treibstoffe zu messen, flog das DLR- Forschungsflugzeug Falcon im Abgasstrahl des NASA-Forschungsflugzeugs DC-8, das zum Vergleich abwechselnd mit regulärem Jet A1-Flugtreibstoff und einer 1: 1-Mischung aus Jet A1 und dem Biotreibstoff HEFA (Hydroprocessed Esters and Fatty Acids) aus dem Öl von Leindotter-Pflanzen betrieben wurde. Zuvor durchgeführte Messungen hatten nur Aufschluss über die Rußentstehung bei Biotreibstoffen am Boden geliefert, allerdings herrschen im Flug andere Umgebungsbedingungen. Die vom Armstrong Flight Research Center der NASA am kalifornischen Standort Palmdale ausgehende Flugversuchskampagne war Teil des Forschungsprojekts ACCESS (Alternative Fuel Effects on Contrails and Cruise Emissions Study) an dem sich das DLR auf Einladung der NASA beteiligte. Bild: NASA Der Weg zu ausfallsicheren Funknetzen K ommunikationsnetze müssen in Zukunft flexibel auf virtuelle Cyber-Stürme und reale Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Flutkatastrophen reagieren. Ist der Schaden von Ausfällen heute noch überschaubar, so hätte der Ausfall der Kommunikationsnetze in künftigen sicherheitskritischen Anwendungen wie etwa im Produktionsprozess 4.0, beim autonomen Fahren oder bei Tele-Operationen fatale Folgen. Daher müssen „resiliente“ Netze mit Funkzugang erforscht, entwickelt und aufgebaut werden. Das ist die zentrale These des neuen VDE-Positionspapiers „Resiliente Netze mit Funkzugang“, das der Technologieverband zur CeBIT vorstellte. Resilienz bezeichnet dabei nicht nur die Widerstandsfähigkeit gegen externe und interne Störeinflüsse, sondern auch die Regenerationsfähigkeit und Lernfähigkeit sowie die Sensitivität und Antizipationsfähigkeit der benötigten sicheren Kommunikationsinfrastruktur. Die Experten des VDE untersuchen in der Studie den Bedarf und die Anforderungen an resiliente Netze exemplarisch unter anderem für die Bereiche Automotive, Industrie 4.0, Logistik 4.0, Luft- und Raumfahrt, aber auch Kommunikationsnetze für Public Safety und Umweltüberwachung. Deutschland hat nach Ansicht des VDE hervorragende Ausgangsbedingungen, um im Forschungsfeld „Resilienz“ international Impulse zu setzen. Allerdings müsse dafür noch einiges getan werden. „Resilience Engineering“ solle als eigenständiges Fachgebiet etabliert, der Mehrwert durch die Erhöhung der Netzsicherheit und der Nachhaltigkeit untersucht und frühzeitig Finanzierungs- und Förderungsinstrumente für innovative Start-ups geschaffen werden. Um die Resilienz von Netzen auf internationaler Ebene gewährleisten zu können, gilt es zudem, die Standardisierung und regulatorische Anpassungen voranzutreiben sowie Methoden zur Modellierung und Evaluation resilienter Netze zu entwickeln. http: / / www.vde.com Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 7 IM FOKUS Quantencomputer für die Verkehrsfluss-Optimierung A ls weltweit erstes Automobilunternehmen erprobt der Volkswagen Konzern intensiv die Nutzung von Quantencomputern. Hierzu arbeitet Volkswagen mit dem kanadischen Quantencomputing-Spezialisten D-Wave Systems zusammen. Die seit 2011 vorgestellten Rechner des kanadischen Unternehmens D-Wave gelten als sogenannte Adiabatische Quantencomputer. In einem ersten Forschungsprojekt haben IT-Experten von Volkswagen auf einem D-Wave 2000Q einen Algorithmus zur Verkehrsflussoptimierung entwickelt und erprobt. Dabei wurde auf Grundlage der Daten von 10 000 öffentlichen Taxis in Beijing gezeigt, dass sich mithilfe eines Quantencomputers der Verkehrsfluss in der Mega- Metropole optimieren lässt. Weitere Projekte sollen folgen, wobei weiterer Aufbau von Fachwissen und unternehmerisch sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten im Fokus stehen sollen. Cybersicherheit für die Bahn von morgen D urch die Digitalisierung der Leit- und Sicherungstechnik (LST) können die Betriebsabläufe verbessert und die Transportleistungen erhöht werden. Die Nutzung standardisierter Datennetze macht die Sicherungstechnik jedoch auch anfällig für potentielle Hackerangriffe. Denkbare Folgen solcher Angriffe reichen von Verspätungen bis zu Unfällen mit Auswirkungen auf Leib und Leben. Das neue Forschungsprojekt „Hardwarebasierte Sicherheitsplattform für Eisenbahn-Leit- und Sicherungstechnik“ - kurz ,Haselnuss‘ - entwickelt ein Sicherheitssystem, das gegen Angriffe schützt und die langen Lebenszyklen der Bahn-Infrastruktur berücksichtigt. Erstmals praktisch erprobt wird die neuartige Lösung im Testzentrum der DB Netz AG und im Eisenbahnbetriebsfeld Darmstadt. Im Projekt ,Haselnuss‘ arbeiten die DB Netz AG, das Fraunhofer SIT, die SYSGO AG sowie die TU Darmstadt mit dem Profilbereich CYSEC zusammen. Die Partner entwickeln eine hardwarebasierte IT-Sicherheitsplattform, die an die speziellen Anforderungen der Bahn angepasst ist. Ein mehrschichtiges Sicherheitskonzept sorgt dafür, dass auch im Falle eines Angriffs das System Bahn seine wichtigsten Aufgaben erfüllen kann. Besondere Herausforderung bei ,Haselnuss‘ ist aber, die Plattform so auszulegen, dass sie auch in 20 Jahren noch nutzbar ist. Das Projekt startete Anfang 2017 und hat eine Laufzeit von drei Jahren. Es wird vom Bildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Zuge der neuen Hightech-Strategie gefördert. Weitere Informationen auf der Webseite https: / / haselnuss-projekt.de Bild: Fraunhofer SIT Die Containerterminals der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) sind Knotenpunkte eines Netzwerks, das Häfen mit Wirtschaftsregionen im Binnenland verbindet. Als führender europäischer Hafen- und Transportlogistiker bietet die HHLA hocheffizienten Containerumschlag für die größten Schiffe der Welt und leistungsfähige Containertransporte aus einer Hand - in Hamburg, Odessa, in Mittel- und Osteuropa, zwischen Nordsee, Ostsee und Mittelmeer. UM- SCHLAG- BAR Besuchen Sie uns auf der transport logistic in der Halle B3, Stand 209/ 310, und im Freigelände 702/ 1. Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 8 IM FOKUS Neuregelung für Drohnenflüge in Kraft I n zwei Stufen treten neue Regeln für den Betrieb automatischer und ferngesteuerter Drohnen in Kraft. Die Initiative von Bundesminister Alexander Dobrindt soll vor allem die steigende Gefahr von Kollisionen, Abstürzen oder Unfällen mindern, aber auch den Schutz der Privatsphäre verbessern. Nun ist für den Betrieb unbemannter Luftfahrtsysteme unterhalb von 5 kg Gesamtgewicht grundsätzlich keine Erlaubnis mehr erforderlich. Das generelle Betriebsverbot, wenn sich das Fluggerät außer Sichtweite des Bedieners befindet, wird zugleich aufgehoben. Landesluftfahrtbehörden können diese Art des Betriebs künftig auch für schwerere Geräte erlauben. Nicht betreiben darf man Drohnen ab 0,25 kg Gewicht über Wohngrundstücken oder wenn das Gerät optische, akustische oder Funksignale übertragen oder aufzeichnen kann - Foto- und Videoaufnahmen sind also generell verboten, ebenso Flüge in und über sensiblen Bereichen wie etwa Einsatzorten von Polizei und Rettungskräften oder Menschenansammlungen sowie in An- und Abflugbereichen von Flughäfen. Auch Flughöhen über 100 m sind mit vereinzelten Ausnahmen tabu. Die zuständige Behörde kann Ausnahmen von den Verboten zulassen Ab 1. Oktober 2017 gilt für Drohnen ab 0,25 kg eine Kennzeichnungspflicht, wobei dauerhaft und fest mit dem Fluggerät verbundene, feuerfeste Plaketten mit Namen und Anschrift versehen sein müssen. Für Fluggeräte ab 2 kg Gewicht ist je nach Einsatz eine gültige Pilotenlizenz, eine Prüfung durch eine vom Luftfahrt-Bundesamt anerkannte Stelle oder eine Einweisungs-Bescheinigung durch einen Luftsportverein vorgeschrieben, das Mindestalter ist auf 14-Jahre festgelegt. Weitere Informationen auf der Webseite unter www.bmvi.de/ drohnen Digitale Plattformkonzepte in der Logistik D er Wandel ist längst da: Flexible Startups und große Händler, die selbst die Logistik übernehmen, mischen mit Konzepten wie „Same-Day-Delivery“ oder „Crowd-Sourcing“ den Logistikmarkt auf. Die heutigen Technologien erleichtern neuen Anbietern den Markteintritt deutlich. Darauf müssen etablierte Logistikdienstleister möglichst schnell reagieren und entsprechende Lösungen entwickeln - mit schnelleren Lieferungen, automatisierten Prozesse und niedrigen Kosten. Eine Studie der Unternehmensberatung BearingPoint will hier einen Überblick geben. Als direkte Konkurrenz zu Frachtbörsen positionieren sich vor allem in den USA Start-ups, die ihre Dienste als günstige und einfach zu handhabende Alternative anbieten. Die jungen Unternehmen versprechen eine unkomplizierte Abwicklung, automatische Auftragszuordnung (Matching) und Preisbestimmung oder Echtzeitverfolgung. Crowd-Sourcing für die „letzte Meile“ zum Kunden ist ein weiterer Aspekt, denn knapp ein Drittel der Verbraucher (29 %) erwartet eine Lieferung bereits am nächsten Tag, im Jahr 2009 waren es nur 14 %. Die in der Studie untersuchten Anwendungen zeigen, wie sich das Konzept der Same-Day-Belieferungen erfolgreich umsetzen lässt. Analog zu Mitfahrgelegenheiten für Personen lässt sich auch für Pakete oder Gegenstände über spezielle Plattformen ungenutzter Platz im Auto buchen, was gleichzeitig die Fahrtkosten reduziert. Allerdings dürfte diese Form des privaten Warenversands kaum eine ernsthafte Gefahr für Paketdienstleister darstellen. Die Lösungs-Landschaft ist laut Studie insgesamt noch sehr heterogen - sowohl in Bezug auf den Reifegrad als auch im Hinblick auf die geografische Verbreitung der Plattformen. Die zunehmende Zahl erfolgreicher Start-up-Konzepte zeige jedoch, dass es sich für etablierte Unternehmen durchaus lohne, sich detailliert mit diesen Ansätzen auseinanderzusetzen. Die Studie ist auf der Webseite unter www.bearingpoint.com verfügbar. Bild: Pixabay Bild: BearingPoint Research Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 9 Was nicht gebraucht wird: eine neue Bahnreform B ereits am Tag nach dem Rücktritt des bisherigen Vorstandsvorsitzenden der DB AG meldeten sich die Befürworter einer anderen Bahnpolitik lautstark und von einigen Medien begierig aufgenommen zu Wort. Es waren die altbekannten Forderungen nach einer stärkeren Einflussnahme des Eigentümers Bund und der Politik auf die unternehmerischen Entscheidungen des Vorstandes, möglichst durch eine neue Bahnreform, welche wesentliche der früheren Bundesbahn-Regelungen im Sinne einer starken Sozialorientierung der Entscheidungsprozesse durch politische Vorgaben wieder beleben sollten. Eine solche Umkehrung der Bahnreform von 1994 kann nur von jenen gewünscht werden, welche die katastrophalen Folgen der damaligen Verwaltungsorganisation Bundesbahn, die entsprechend der früheren Regelungen im Grundgesetz wie die Finanz- und Zollverwaltung des Bundes zu führen war, nicht erlebt oder verdrängt haben. Die Bahnreform von 1994 war der existenzsichernde Einschnitt für die Staatsbahn und der einen funktionsfähigen Eisenbahnverkehr in Deutschland durch die Marktöffnung des Netzes für viele in- und ausländische Bahnunternehmen sichernde Vorgang. Das schließt partielle Korrekturen und Anpassungsprozesse nicht aus, die sich aus den immer komplexer werdenden Anforderungen der Märkte ergeben. Das deutsche, mittlerweile sehr ausdifferenzierte Bahnsystem und vor allem auch die Leistungsstruktur der DB AG werden weltweit positiv bewertet. Dass der Wettbewerb im SPNV sehr attraktiv für viele erfolgreiche Wettbewerber der DB AG ist, aber gleichzeitig beim früheren Monopolisten zu Marktanteilsverlusten führen kann und auch führt, zeigt sich für die Kunden entsprechend in wesentlich verbesserten Qualitäten und - für die Aufgabenträger der Länder und für die Endkunden - in niedrigeren Preisen. Sie führen auch dazu, dass deutlich höhere Angebotsleistungen eingekauft werden können. Und noch eines sollte immer wieder in Erinnerung gerufen werden: die deutliche Trennung von unternehmerischen Aufgaben der Bahnunternehmen und sozialstaatlichen Aufgaben, die sich insbesondere im SPNV sehr deutlich zeigen. Durch die mit der Bahnreform 1994 eingeführten und vom Bund finanzierten neuen Verantwortlichkeiten wurden die Länder mit dieser Daseinsvorsorgeaufgabe betraut und entsprechend finanziert, aktuell mit 8,2 Mrd. EUR p.a. Die Bahnen müssen sich entsprechend ihrer Leistungsmöglichkeiten im Wettbewerb um die Nahverkehrsaufträge unternehmerisch bewerben. Damit wurde mit der Bahnreform der wichtigste Schwachpunkt der Bundesbahnpolitik beseitigt: die unklaren Verantwortlichkeiten für politisch geforderte Leistungen. Hinsichtlich der Netzverantwortlichkeiten wurde eine in etwa entsprechende Regelung durch grundgesetzliche Vorgaben erreicht. Entscheidend ist auch, dass von diesen sehr veränderten Rahmenbedingungen nicht nur die DB AG, sondern alle im deutschen Netz aktiven Bahnunternehmen profitieren - und letztlich die Kunden. Dass die DB AG immer wieder mit Qualitätsproblemen zu tun hat, folgt auch aus der besonderen Störanfälligkeit des Systems Schienenverkehr, was im Vergleich mit dem Straßenverkehr übersehen wird. Bei Netzstörungen, etwa durch Bauarbeiten oder Unfälle, können nur selten kurzfristig Ausweichstrecken genutzt werden. Dies wirkt sich häufig für Stunden netzweit aus. Auch sind die Steuerungssysteme im Schienenverkehr ungleich komplexer als im selbstorganisierenden Straßenverkehr. Mehrere Güterbahnen in Europa sind Verlustbringer. Dies liegt auch daran, dass die Kosten- und Preisstrukturen, wie auch häufig die Qualitätsprofile, nicht den letztlich durch den LKW gesetzten Benchmarks entsprechen. Und wenn dann noch, wie in Deutschland, die DB AG einen Umsatzanteil von rd. 50 % im besonders fragilen Einzelwagenverkehr aufweist, der im direkten Wettbewerb zum LKW steht, ist die Situation außerordentlich schwierig, zumal die meisten anderen großen Bahnen keinen Einzelwagenverkehr durchführen. Außerdem sind die Innovationsaktivitäten für den Gütertransport unvergleichlich niedriger als im LKW-Sektor. Eine neue Bahnreform ist kontraproduktiv und unnötig. Es gilt, die Schwächen der Leistungsprozesse kritisch zu analysieren und entsprechend im Sinne einer wettbewerblich ausgerichteten Kundenorientierung zu reduzieren. Wirtschaftlichkeit, Rentabilität und Kundenausrichtung sind Bestandteile einer erfolgreichen Unternehmenspolitik. Dass der Staat die umweltfreundlichen und E-Mobilität in hohem Maße praktizierenden Bahnunternehmen von Sonderbelastungen im Vergleich mit dem Straßenverkehr entlastet, wie etwa der Stromsteuer, EEG-Umlage und Umweltzertifikate, sollte politisch endlich verinnerlicht werden. Sicherung eines leistungsfähigen und umweltbedeutsamen Schienenverkehrs ist nicht nur eine Angelegenheit beliebter Reden. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche POLITIK Interview Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 10 „Wir brauchen keinen Plan B“ Wenn die Wirtschaft brummt, sind Transportkapazitäten gefragt, und für die Duisport-Gruppe war 2016 ein gutes Jahr. Doch Renationalisierung und Protektionismus könnten die Lage schnell verändern. Fragen an den Vorstandsvorsitzenden der Duisburger Hafen AG, Erich Staake. Herr Staake, die Zahlen der Duisport-Gruppe fürs vergangene Jahr sehen gut aus - kann 2017 ähnlich gut werden? Wir haben nach wie vor kein einfaches wirtschaftliches Umfeld. Zum Beispiel sind relevante Umschlagzuwächse in den Seehäfen nicht zu erkennen. Im Gegensatz zum maritimen Bereich sehe ich allerdings auf den neuen transkontinentalen Handelsrouten Potential für Wachstum. Daher stehen die Chancen gut, dass 2017 ein gutes Jahr werden könnte. Aber das ist kein Selbstläufer. Wie stabil erscheint derzeit das wirtschaftliche Umfeld für Duisport-Aktivitäten? Im maritimen Bereich sind in der Vergangenheit irrwitzige Überkapazitäten bei Schiffen und Terminals aufgebaut worden. Die meisten Seehäfen und großen Reedereien haben massive Probleme. Wir merken das auch in unserem Geschäft. Wir versuchen allerdings gegenzusteuern. Als Logistikdrehscheibe mit unseren intermodalen Konzepten im Hinterland ist uns das in der Vergangenheit gut gelungen. Das zeigen unsere bislang von Jahr zu Jahr steigenden Umsätze. Wir schreiben keine roten Zahlen, wir verdienen Geld. Welche Duisport-Geschäftsfelder lassen da ein besonderes Wachstum erwarten? Wir sehen Potentiale im Bereich unserer logistischen Dienstleistungen entlang der Supply Chains und dem damit verbundenen Containervolumen. Im Übrigen wird der Infra- und Suprastrukturbereich ausgebaut. Und letztlich wird unser Auslands-Engagement die Entwicklung der Duisport-Gruppe stimulieren. Entwickelt sich denn die Neue Seidenstraße wie erwartet? Wir freuen uns über die wachsende Bedeutung der China-Züge, die bereits über 20 Mal direkt zwischen Duisburg und verschiedenen Zielen in China verkehren. Das wird weiterhin Fahrt aufnehmen, zumal China jetzt die USA als wichtigsten Handelspartner Deutschlands abgelöst hat. Unser internationales Netzwerk entlang der Neuen Seidenstraße zwischen Duisburg und Chengdu, dem chinesischen Silicon Valley, wird Duisport und seinen Kunden dabei helfen, den Handel mit China zu forcieren und entlang der Seidenstraße gemeinsame Projekte in Angriff zu nehmen. Durch die Tendenz zu Renationalisierung und Protektionismus könnten auch die Schienenwege rund um das Schwarze Meer betroffen sein. Gibt es dafür einen „Plan B“? Derzeit sehe ich nicht, dass wir einen Plan B benötigen. US-Präsident Trump hat den Chinesen wirtschaftliche Sanktionen angedroht. Das könnte die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den asiatischen und europäischen Märkten intensivieren. Trump hat überdies angekündigt, den Import von Autos durch hohe Einfuhrzölle zu erschweren. Schon heute liefern Audi und VW vom Duisburger Hafen aus Einzelteile im CKD-Verfahren in ausländische Märkte, weil dafür die Importsteuern niedriger sind als bei komplett exportierten Autos. Daimler wird noch in diesem Jahr vom Duisburger Hafen aus sein SKD-Geschäft für den NAFTA- Raum abwickeln. Auch wenn wir punktuell profitieren könnten, betrachten wir allerdings jede Form von Protektionismus und Renationalisierung mit großer Sorge. Nur ein freier Handel sorgt für Wachstum und Wohlstand. Welche Bereiche haben Sie darüber hinaus im Fokus? Wir gehen die Herausforderungen der Digitalisierung in einer Vielzahl von Projekten an. Auf logport III haben wir beispielsweise ein digitales Terminal eingerichtet, bei dem alle beim Umschlag wesentlich beteiligten Maschinen und Verkehrsträger vernetzt sind. Weiterhin werden wir noch in diesem Jahr gemeinsam mit Partnern aus der Industrie ein Startup-Lab in Duisburg einzurichten. Der Fokus liegt hier auf der Zusammenarbeit von Unternehmen aus Industrie und Logistik mit Start-ups. Damit sollen einerseits die Entstehung neuer Geschäftsmodelle, Anwendungen und Technologien gefördert werden. Andererseits sollen die Unternehmen am Standort sowie aus der Region von den Anregungen und Entwicklungen der jungen Unternehmen profitieren. Gehört dazu auch der Schutz der Umwelt? Für uns sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz integrale Bestandteile aller Geschäftsfelder, Projekte und Aktivitäten. Wir haben die Bedeutung nachhaltiger Logistik sehr früh erkannt und verbinden dies mit technischen Innovationen, einer ökologischen Transportkette sowie einer effizienten Flächennutzung. Mit dem Unternehmen Innogy arbeiten wir beispielsweise an innovativen Lösungen für die Gewinnung von Solarenergie und den Einsatz von Elektromobilität im Duisburger Hafen. In einer Kooperation mit RWE planen wir aktuell einen LNG-Bunker und eine Verteilstation für das Flüssiggas im Hafen. Und welche Wünsche haben Sie an die Politik? Umwelt- und Naturschutz darf nicht dazu führen, dass Infrastrukturprojekte durch eine überbordende Gesetzesmaschinerie behindert und verhindert werden. Wir brauchen beispielsweise zur weiteren Expansion Flächen für die Ansiedlung von Logistikunternehmen. Eine reibungslos funktionierende Logistikkette ist die Basis für eine florierende Industrie. Bei allen Infrastrukturmaßnahmen darf der Umweltschutz nicht zu Verwerfungen führen, bei denen Kröten und Wasserfenchel mehr Beachtung finden als dringend benötigte neue Arbeitsplätze für Menschen. ■ Erich Staake ist Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg ZUR PERSON Foto: Duisport/ Rolf Köppen Automatisiertes Fahren spart Zeit. So haben Pendler mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben. Das ist Ingenuity for Life. Städte wie Barcelona, Paris, New York und Istanbul müssen die Infrastruktur modernisieren, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Intelligente und zukunftsorientierte Nahverkehrssysteme für zufriedene Fahrgäste und Bahnbetreiber - genau das bieten Nahverkehrsbetreiber ihren Fahrgästen durch Einsatz der CBTC-Funkzugbeeinflussung von Siemens für ihre vollautomatisierten Metrolinien. Mit einer schnelleren Fahrt zur Arbeit wird der Morgen noch schöner. siemens.de/ mobility Besuchen Sie uns auf der UITP, Montreal 15.-17. Mai, 2017 Automatisiertes Fahren spart Zeit. So haben Pendler mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben. Das ist Ingenuity for Life. Städte wie Barcelona, Paris, New York und Istanbul müssen die Infrastruktur modernisieren, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Intelligente und zukunftsorientierte Nahverkehrssysteme für zufriedene Fahrgäste und Bahnbetreiber - genau das bieten Nahverkehrsbetreiber ihren Fahrgästen durch Einsatz der CBTC-Funkzugbeeinflussung von Siemens für ihre vollautomatisierten Metrolinien. Mit einer schnelleren Fahrt zur Arbeit wird der Morgen noch schöner. siemens.de/ mobility SIEM_Automated_Driving_210x297_IntVerkehrswesen_D_39L.indd 1 13.04.17 16: 31 POLITIK Schienengüterverkehr Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 12 Güterbahn zwischen Wunsch und Wirklichkeit Stimmt der rechtliche Rahmen zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene? Straßengüterverkehr, Deregulierung, Wettbewerb In politischen Sonntagsreden wird regelmäßig die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene propagiert. Die Umwandlung zur DB AG hat die Bahn in ihrer Wettbewerbsfähigkeit nur geschwächt - sowohl von der EU-Rechtssetzung her als auch der deutschen Verkehrspolitik. Sie ist jedoch noch immer die einzig darstellbare E-Mobility-Alternative für den Güterverkehr, die es zu retten gilt, bevor es zu spät ist. Bernd H. Kortschak I mmer wieder wird in Sonntagsreden der nationalen Verkehrspolitiker, aber auch in den Weißbüchern der EU betont, wie wichtig aus übergeordneten Zielen die Verlagerung von Straßengüterverkehr auf die Schiene ist. Doch mit der Entscheidung des Umweltministeriums, Fahrdrähte für LKW auf Autobahnen in Hessen und Schleswig-Holstein zu fördern 1 , wird der Nachteil der spurgebundenen Schiene mit dem Nachteil der geringeren Querschnittskapazität verknüpft, ohne bei einer Gesamtbetrachtung einen Energie- oder Umweltvorteil zu erringen. Denn auf den Lademeter bezogen, kann auf der Schiene das doppelte Volumen und bis zum dreifachen Gewicht gegenüber dem LKW verladen werden 2 . Auch die Bevölkerungsmehrheit bevorzugt die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene 3 . Obwohl die deutsche Politik betont, dass auch die Ausweitung des Aktionsradius der Lang-LKW von 25,5 m Länge und der Verlängerung der Sattelauflieger auf 17,8 m für sieben Jahre die Schiene nicht benachteilige 4 , passen sie nicht mehr in die Taschenwagen. Ein weiterer 30 %-iger Produktivitätsvorteil für die Straße, wenn für den zunehmenden Anteil der Volumensgüter im Straßengüterverkehr künftig statt bisher drei nur mehr zwei LKW-Einheiten notwendig sein werden, um die gleiche Menge zu versenden, und dabei 25 % Kraftstoff und ein Drittel der Fahrer eingespart werden können. 5 Der rechtliche Rahmen Deregulierung beginnend mit Richtlinie 440/ 91 Die Öffnung der Märkte im Zuge der parallel dazu erfolgten Umsetzung des Binnenmarktkonzeptes brachte einen drastischen Preisverfall für die Schiene (Bild 1), der aber insbesondere deshalb gravierend ausfiel, weil der infolge der geringeren Netzbil- Bild 1: Erlösverfall bei Eisenbahnen auf ca. 10 % durch Umsetzung der Richtlinie 440/ 91 EWG Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 13 Schienengüterverkehr POLITIK dungsfähigkeit der Schiene wesentliche Vor- und Nachlauf auf der Straße vom Deckungsbeitragsbringer zum Kostentreiber mutierte (Bild 2). 6 So forderten bereits 1993 einige EU-Parlamentarier in Hinblick auf die im Weißbuch der Kommission zum Verkehrssektor vom 7.12.1992 geforderte „Nachhaltigkeit“: „Es geht nicht an, das Verhältnis Schiene-Straße noch weiter zum Nachteil der Bahn zu verschlechtern.“ 7 Denn die parallel erfolgte nationalstaatliche Deregulierung entfesselte eine LKW- Produktivitätssteigerung auf bis zu 250 000 beladene Fahrzeugkilometer pro Jahr, während die Laufleistung im Wagenladungsverkehr bei 15 000 km pro Jahr stagnierte. 8 Dagegen hatte Karel van Miert im Weißbuch von 1992 vorausschauend „Sustainable mobility“ gefordert und dabei nicht nur die Marktöffnung im Auge gehabt, sondern die „Verwirklichung eines effizienten integrierten europäischen Verkehrssystems“ 9 Bild 3). Um aber Wettbewerb zu ermöglichen und Quersubvention auszuschließen, zerschnitt die Richtline 440/ 91 das Rad-/ Schiene-System an ihrem Systemmerkmal in zwei Teile: Die Schiene kam zur Infrastruktur, während das Rad den aus dem öffentlichen Bereich herausgelösten und privaten Bilanzierungsvorschriften unterliegenden Eisenbahnverkehrsunternehmen zugewiesen wurde. Die Kostenverrechnung erfolgt primär bilanzorientiert und nicht leistungsorientiert. 10 Darüber hinaus wird vernachlässigt, dass ökonomisch der vorrangig betriebene Personenverkehr defizitär war, was nur durch den Überschuss abwerfenden Ganzugsverkehr kompensiert werden konnte. Die Schaffung eines geförderten einheitlichen europäischen Eisenbahnraumes Obowohl bereits Palacio de Loyola es „unglaublich“ fand, dass der vermehrte EDV-Einsatz bei der Bahn die Inkompatibilität gefördert habe, statt zu verkleinern 11 , wurde die Vision eines IT-basierten einheitlichen europäischen Eisenbahnraumes geschaffen, der insbesondere über die Technischen Standards Interoperabilität (TSI) die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs auf der langen Strecke steigern sollte. 12 Doch die bisherige Umsetzung dieser „Technical Pillars“ im Rahmen des ersten, zweiten, dritten und vierten Eisenbahnpakets entpuppten sich bisher als kontraproduktiv für die Schiene: Sie verteuerten nach der CER die Systemkosten des Rad-/ Schiene-Systems in den letzten 15 Jahren, ohne für wirtschaftliche Kompensation zu sorgen. 13 Der forcierte Hochgeschwindigkeits- Personenfernverkehr und die politisch vorangetriebene Verdichtung mit Schienenpersonennahverkehr verringerte infolge der Geschwindigkeitsspreizung die Kapazität für den Bahngüterverkehr, bewirkte aber auch eine Verschlechterung der zeitlichen Leistungsfähigkeit infolge der Trassenlage „ Bild 3: Innovativer Bahngüterverkehr der Zukunft Preis pro LKW-km Kosten pro LKW-km LKW-Fahrleistung p.a.. Vor- und Nachlauf Fernverkehr + + Trassengebühren für Eisenbahnverkehrsunternehmen Trassengebühren für Eisenbahnverkehrsunternehmen Bild 2: Nationale Deregulierung und Verbot der Quersubventionierung verändern die „Terms of Trade“. POLITIK Schienengüterverkehr Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 14 und/ oder die Notwendigkeit von Umwegfahrten. 14 Was in Deutschland fehlt, ist, was Seegers- Krückeberg bereits 1999 in einem Schreiben an Herrn von Peter vom deutschen Verkehrsministerium angemahnt hat: Welches Produkt bzw. welche Dienstleistung fordert der Kunde von heute von der Bahn? Und wie kann sich die Bahn dann wettbewerbskonform aufstellen? 15 Was die EU-Förderungen betrifft, so hat jüngst der Europäische Rechnungshof gerade dem letzten zehnjährigen Förderprogramm Marco Polo ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. 16 Die EU hat danach das Ziel einer nachhaltigen Verkehrsverlagerung durch Anstoßen innovativer Investitionen verfehlt. 17 Ein alternativer Weg wäre, nicht einzelne technische Lösungen durch Gesetzeskraft mit TSI festzuzurren, sondern die TSI stattdessen in der Formulierung von Kompatibilitäts- und Schutzzielen zu präzisieren. 18 Zusammenfassung und Ausblick Die Ausrichtung des Produkts am Markt auch im Schienengüterverkehr kann nur gelingen, wenn innerhalb der Bahn die Verrechtlichung des Zusammenwirkens der einzelnen Fachdienste zurück gedrängt und eine einheitliche europäische Betriebsvorschrift etabliert wird. Während die Richtlinie 440/ 91EWG noch eine klare betriebliche Vorgabe zur Folge hatte, nämlich die, dass nur mehr lange und schwere Züge auf die Strecke gelassen werden sollten, um den Schienengüterverkehr wettbewerbsfähiger zu machen 19 , so ist eine vergleichbare eindeutige Konsequenz der Richtlinie 2012/ 34 nicht mehr zu entnehmen. 20 So meinte einer der bedeutendsten Innovatoren in der Rangiertechnik bereits 1997, dass es nützlich sein könnte, „die offiziellen Richtlinien für einen Augenblick auf die Seite zu tun, sich umzuschauen, selbst nachzudenken, warum irgendetwas in den Richtlinien steht und ob es (noch) Sinn macht“. 21 „CER urges EC to improve rail cargo‘s regulatory framework instead of worsen it“ 22 . „Die Bahnbranche fordert daher, spätestens in der kommenden Legislaturperiode die staatlichen Rahmenbedingungen neu zu justieren“ 23 - mögen die EU-Kommission und die nationalen Aufsichts- und Wettbewerbsbehörden zu einem schnellen Zusammenwirken finden, um hier überlebenswichtige Ausnahmen zu gewähren. Das werden sie allerdings nur dann tun können, wenn auch die Bahn ihre Hausaufgaben macht und den Sendungsübergang ihrer Wagen im „Future Freight Train“ (Bild 3) in verlässlichen und planbaren 60 Minuten schafft. Ein Weiter-so-wie-bisher wird es nicht geben. 24 ■ 1 Vgl. o. V. (2017): Hessen und Schleswig-Holstein testen Oberleitungs-LKW in: Verkehrsrundschau vom 02.02.2017, S.-1, http: / / www.verkehrsrundschau.de/ hessen-und-schleswig-holstein-testen-oberleitungs-lkw-1876304.html, 21.03.2017, 09: 56 2 Vgl. Kortschak, B. (2013): Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit im Einzelwagenverkehr durch Supply Chain Management, in: Supply Chain Management 13 (2013) 1, 13-16, S. 15 3 Scharfenorth, U. (2014): Car-Sharing allein ist keine Lösung, in: der Freitag vom 28.01.2014, S. 1, https: / / www.freitag.de/ autoren/ scharfenorth/ car-sharing-allein-ist-keine-loesung, 21.03.2017, 10: 12 4 Vgl. o. V. (2017): „It is safe, saves fuel and will lead neither to the shifting of traffic to the road“ N.N. (2017), p. 1 5 In einer Studie der TH Wildau geht man von einer Rückverlagerung von 7,6 % von der Schiene auf die Sraße aus. Vgl. o. V. (2016): Gigaliner: Das müssen die Autofahrer über die neuen XXL-Trucks wissen, FOCUS online vom 28.12.2016, in: http: / / www.focus.de/ auto/ ratgeber/ sicherheit/ lang-lkwkommen-2017-gigaliner-das-muessen-autofahrer-ueberdie-neuen-xxl-trucks-wissen_id_6414920.html, 21.03.2016, 10: 25 6 Vgl. Kortschak, B. (1993): Richtlinie 440/ 91 Quersubventionierung ade? In: Internationales Verkehrswesen 45 (1993) 3, S.103-110, S. 103 ff 7 Erdmenger, J. (1993). Verkehrspolitik, in: Weidenfeld, W.; Wessels, W. (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 1992-93, Bonn, S. 181-187, S. 183; Lang, M. (2008): Die Eisenbahnen Deutschlands und Frankreichs Bewertung des Liberalisierungs- und Harmonisierungsprozesses anhand eines Reformvergleichs, Diss Univ. Regensburg, Frankfurt/ M., S. 168 ff. 8 Vgl. Kortschak, B. (2016): Legal obstacles concerning the ecological necessary Shift from Road to Rail, EU-Workshop on Improving Attractiveness and Competitiveness of Railways in the Danube Region, Ljubljana 21-22 November 2016, Folie 7-10 9 Erdmenger (1993), S. 183 10 Von der Verordnungen (EWG) Nr. 1192/ 69 des Rates vom 26. Juni 1969 bis zuletzt VO (EU) 2015/ 909 vom 12. Juni 2015 ein ungelöstes Problem, auf das wiederholt Oettle hingewiesen hat. Vgl. Oettle, K. (2003): Konturen künftiger Eisenbahndienste, in: Ritzau, H.-J. et al. (Hrsg.): Die Bahnreform - eine kritische Sichtung, Pürgen, S. 125-220, S. 138; zum dadurch hervorgerufenen Rückbau von betrieblich sinnvollen, aber nicht fahrplanbedingt genutzten Anlagen und Weichen vgl. Kramer, U. (2002): Das Recht der Eisenbahninfrastruktur: von der Staatsbahn zu privatrechtlichen Wirtschaftsunternehmen. Diss. Univ. Marburg, Stuttgart, S.-257 f 11 Vgl. Hof, H. (2000): Fünf nach zwölf! In: Internationale Transport Zeitschrift (ITZ) 62/ 2000, S. 23-24, S. 23 12 Vgl. dazu die „technical pillars“ der ersten, zweiten, dritten und des vierten Eisenbahnpakets. Siehe dazu die Übersicht bei Lechner, K. (2017): Das Eisenbahnrecht der Europäischen Union, Vortrag, 13. FER-Jahrestagung: Die Eisenbahnen im Recht 2017, Passau 15. 02. 2017 13 „EU laws adopted over the past 15 years pervade all aspects of rail freight operations. Whereas most of these rules aim to improve rail freight competitiveness in the long run, their implementation elicits unexpected costs for rail freight operators in the short and medium term, jeopardising their profitability and sometimes their very viability.“ CER (eds.) Annual Report 2015-16, Brussels 14.02.2017, p.38 14 So stellte die EU-Kommission bereits 2008 fest: „Die alteingesessenen Eisenbahnunternehmen waren nicht in der Lage, die von ihren Kunden geforderte Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu bieten, so dass die Schiene gegenüber anderen Verkehrsträgern, vor allem der Straße, an Terrain verlor.“. EU Kommission (2008): Mitteilung über Gemeinschaftliche Leitlinien für staatliche Beihilfen an Eisenbahnunternehmen, ABl. C 184/ 13 vom 22.07.2008; Der Marktanteil im Güterverkehr auf der Schiene in tkm fiel euroopaweit von 12,6 % im Jahre 1995 auf 11 % in 2011. Vgl. EU Commission (2014): Fourth Report on monitoring development in the rail market, COM (2014) 353 final, p.- 10. Auch in Deutschland ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten: So waren noch im Integrationsszenario des Bundesverkehrswegeplans 1999 für 2015 insgesamt 148 Mrd. tkm auf der Bahn angesetzt worden - Vgl. Engelmann, Jens (2003): Zielorientierte Forschung und Entwicklung für den Schienengüterverkehr, Diss TU Berlin, Schriftenreihe A des Instituts für Land- und Seeverkehr, Berlin, S.- 8 mwH) - 114,3 Mrd. tkm wurden dann 2015 tatsächlich erreicht. Vgl. Statistisches Bundesamt (2016): 315 Millionen Tonnen Güter auf der Schiene im Jahre 2015, in: https: / / www.destatis.de/ DE/ PresseService/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2016/ 02/ PD16_062_461.html; jsessionid=858BE25B F500A2B9D5E6637BD90A187C.cae4; 27.03.2016 15 Vgl. Seegers-Krückeberg, Dieter (1999): Schreiben vom 8. November 1999 an Herrn von Peter, zuständig für die Eisenbahn, im Bundesministerium für Verkehr in Bonn, S.-1 16 Vgl. Europäischer Rechnungshof (2016) (Hrsg.): Sonderbericht Der Schienengüterverkehr in der EU: noch nicht auf den richtigen Kurs, Luxemburg August, S.-8 17 Vgl. Apostolides, Zoë (2013): EU auditors call for end to Marco Polo-style subsidy programmes, in: http: / / automotivelogistics.media/ intelligence/ eu-auditors-call-for-endto-marco-polo-style-subsidy-programmes; 19.03.2016. Zu den deutschen Verhältnissen siehe Müller, S.; Liedtke, G.; Lobig, A. (2016): Chancen und Barrieren für Innovationen im deutschen Schienengüterverkehr: Eine innovationstheoretische Perspektive; in: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft 87 (2016) 3, S. 177-205 18 Vgl. Kersten, H.-G. (2015): Innovation brauchen Wettbewerb, in Eisenbahntechnische Rundschau (ETR) 65 (2015) 5, S.-38-41, S.-41 19 Vgl. Kortschak (1993), S.-110 20 Vgl. näher zu Sicherheitsaspekten: Kaupat, Chr. (2013): The reduction of railway regulation in Europe, in: european railway review from 21 November 2013, http: / / www.europeanrailwayreview.com/ 19394/ rail-industry-news/ the-reduction-of-railway-regulation-in-europe/ ; 11.02.2017 21 König, H. (1997): Probleme moderner Rangiertechnik Manuskript zur Vorlesung an der FH Erfurt vom 20.1.1997, S.-12 (unveröffentlicht) 22 Header einer Presseaussendung der Gemeinschaft der Europäischen Bahnen und Infrastrukturunternehmen (CER) in Brüssel vom 11. Januar 2017 23 Westenberger, P.: Aussendung vom 03.04.2017, 11: 07 h 24 So hat McKinsey bereits 2007 der DB prophezeiht, dass der Wagenladungsverkehr, wenn er so wie bisher betrieben wird, 2017 vorbei sein wird. Vgl. Haberzettl, W. (2007): Die Irrtümer der Bahn-Liberalisierer in: Der Standard vom 28. März 2007, in: derstandard.at/ 2733887/ Kommentar-der-Anderen-Die-Irrtuemer-der-Bahn-Liberalisierer; 17.3.2016, 12.55 Bernd H. Kortschak, Prof. Dr. Dr. Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Logistik, Fakultät Wirtschaft-Logistik-Verkehr, Fachhochschule Erfurt kortschak@fh-erfurt.de Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 15 D er Vortrag von Violeta Bulc auf der Veranstaltung des Verbandes der Europäischen Fertigfahrzeug-Logistiker ging zu Ende. Die Verkehrskommissarin hatte alles gesagt über ihr Lieblingsthema, die Digitalisierung. Dennoch wollte sie das Rednerpult noch nicht freigeben. Denn es läge ihr auf dem Herzen, etwas hinzuzufügen. Es folgte „zum 60. Geburtstag der EU“ ein emotionales Plädoyer für die Union: Jeder im Saal solle sich bewusst machen, was mit dem Staatenbund verloren ginge. Jeder solle mit Kraft dessen Existenz sichern. Ähnlich überraschend für die Zuhörer war eine Rede der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Sie teilte den Politikern und Militärs mit, wie sehr die EU in der Welt bewundert werde. Wegen des Kampfes gegen den Klimawandel. Wegen der Verlässlichkeit der Institutionen und der Politik. Wegen des Eintretens für die Menschenrechte. Man glaubt es kaum: Das führende Brüsseler Personal tritt offensiv für die Verteidigung der EU ein. Es sind dieselben Kommissare, die während der Brexit-Kampagne in Großbritannien nicht einmal auf die schlimmsten „faked news“ der EU-Gegner reagieren wollten. Und auch das: Woche für Woche gehen in diversen Städten quer durch die Union mehr Bürger auf die Straße, um für die EU zu demonstrieren. Offenbar geht derzeit so etwas wie ein Ruck durch Europa. Seit 2008 befindet sich die Union im Krisenmodus. Die Finanzkrise, die Migrationskrise, der Austritt der Briten, der anti-europäische Populismus in diversen Mitgliedsländern, die offene Missachtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien in anderen - das waren die Themen, mit denen die EU in den vergangenen Jahren von sich reden machte. Nicht, dass sie schon vom Tisch wären. Aber jetzt werden sie plötzlich anders betont: Die Währungsunion ist in der - aus den USA importierten - Finanzkrise in Turbulenzen geraten, aber nicht auseinandergebrochen. Der größte Flüchtlingsansturm scheint überstanden - wenn auch durch ein fragiles Abkommen mit der Türkei. Und derzeit sieht es nicht so aus, als fände der Brexit Nachahmer. Im Gegenteil: Er scheint als abschreckendes Beispiel eher zum Zusammenhalt der Union der 27 beizutragen. Denn in Umfragen steigt die Zustimmung zur EU selbst in Staaten mit stark antieuropäischen Parteien. In den Niederlanden gewann der explizite EU-Gegner Geert Wilders zwar Sitze hinzu. Aber es waren weniger als erwartet. Dafür gehören ausgewiesen pro-europäische Parteien zu den Gewinnern der dortigen Parlamentswahlen. So positiv all das klingt, es wäre fatal anzunehmen, die krisengeschüttelte EU sei schon über den Berg. Leichtfertig, so zu tun, als sei das Risiko eines Auseinanderfallens bereits gebannt, als würde Europa zwangsläufig durch jede Krise nur stärker. Klar ist heute: Die europäische Integration hat nur dann eine Chance, wenn sie stärkeren und dauerhaften Rückhalt in der Bevölkerung erhält. Die Menschen in den Mitgliedstaaten müssen erkennen, dass die EU Vorteile hat - ihnen also den oft zitierten „europäischen Mehrwert“ bietet. Nur das macht sie resistent gegen Sirenengesänge für weniger Europa und mehr nationale Souveränität. Die EU-Kommission hat vor einem Monat ein Weißbuch mit verschiedenen Optionen für die Union vorgelegt. Sie reichen von einer Rückkehr zum bloßen Binnenmarkt, über ein Weiterdurchwursteln wie bislang, verschiedene Geschwindigkeiten in der Entwicklung der Union bis hin zu einem Integrationssprung nach vorne. Die gemeinsame Erklärung aller Staats- und Regierungschefs auf dem Geburtstagsgipfel Ende März in Rom formuliert eine Art Zukunftsplan für ein „sicheres“, ein „wohlhabendes“, ein „stärkeres“ und ein „soziales Europa“. Vor allem am letzten Punkt wird sich entscheiden, ob der Rückhalt der Menschen zwischen dem Schwarzen Meer und dem Atlantik (zurück-) gewonnen werden kann. Und er belegt, wie dick das Brett ist, das allein dabei zu bohren ist. Das lässt sich derzeit sehr gut an den Auseinandersetzungen in einem kleinen Sektor, dem Straßengüterverkehr beobachten. Hier gilt es einkommens- und sozialpolitische Differenzen zwischen Südost- und Nordwesteuropa in Einklang zu bringen, ohne das Reglement des Binnenmarktes zu verletzen. Im Straßengüterverkehr will die EU-Kommission das Brett bis Ende Mai gebohrt haben. Dann will sie ihre Straßeninitiative vorlegen. Noch ist nicht sicher, ob das funktioniert. Im weitaus größeren Spektrum - Rettung und Weiterentwicklung der EU - kommt es darauf an, wie ernst die Chefs der künftig 27 Mitgliedstaaten die Erklärung von Rom nehmen. Davon wird abhängen, was von dem Satz zu halten ist, der - vor zehn Jahren bereits formuliert - jetzt wieder oft zu lesen ist: „Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint.“ ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Der Ruck durch Europa Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 16 INFRASTRUKTUR Finanzierung Autobahngesellschaft und öffentlich-private Partnerschaft Verkehrsinfrastruktur, Fernstraßen, Bundesfernstraßengesellschaft, ÖPP-Projekt, Maut Das politische Gerangel um die Etablierung einer „Autobahngesellschaft“ und die Beteiligung Privater an-der Finanzierung der Bundesfernstraßen sowie die Diskussionen um die Einführung einer „Ausländermaut“ für PKW tragen in mancher Hinsicht skurrile Züge. Eine Chronologie - und ein nachdrücklicher Appell zum Handeln. Andreas Kossak E nde des Jahres 2016 wurde in der Tagespresse berichtet, dass sich Bund und Länder „nach monatelangem Gerangel um Kompetenzen und Geld … darauf geeinigt (haben), die Verwaltung der Fernstraßen neu zu ordnen“ [1]. Danach solle „künftig allein der Bund für die Autobahnen zuständig“ sein. Das würde insbesondere bedeuten, „dass Bauvorhaben in Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen, sogenannte ÖPP-Projekte, nicht mehr blind als Mittel zum schnellen und günstigen Straßenbau bejubelt werden. Auch ein Verkauf der Bundesfernstraßengesellschaft ist vorerst vom Tisch“ [1]. Die Logik dieser Argumentation erschließt sich zwar nicht unbedingt; das ist aber durchaus nicht untypisch für das Thema. Der Bund ist seit jeher Aufgabenträger der Bundesfernstraßen; er hat lediglich die Auftragsverwaltung für Bau und Betrieb den jeweils betroffenen Bundesländern übergeben. Die in den vergangenen Jahren praktizierten ÖPP-Projekte im Fernstraßenbau sind nicht etwa „blind“ von den Bundesländern praktiziert worden, sondern auf der Grundlage von Bundesgesetzen. Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ Tatsächlich dauert das „Gerangel“ um das betreffende Thema bereits wesentlich länger als lediglich einige Monate. Anfang 2015 wurde vermeldet, dass „die Strategen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) jetzt einen alten Plan hervorgekramt (haben), der in ähnlicher Art schon einmal formuliert worden ist. Im September 2000 war das.“ [2]. Damit war der Schlussbericht vom 5. September 2000 der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten unabhängigen „Kommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ gemeint - in der Regel seither nach ihrem Vorsitzenden als „Pällmann-Kommission“ bezeichnet [3]. An erster Stelle der „Kernpunkte der Empfehlungen“ der Kommission heißt es darin: • „Umgehende Gründung einer Bundesfernstraßenfinanzierungsgesellschaft; ab 2001 Ausstattung mit allen Mauteinnahmen zum ausschließlichen Einsatz für die Bundesfernstraßen; Auflegung eines kreditfinanzierten Kurzfristprogramms mit Refinanzierung über Mauteinnahmen; später Weiterentwicklung der Gesellschaft zu einer oder mehreren Betreibergesellschaft(en) für BAB (Bundesautobahnen) und Bundesstraßen.“ In der Erläuterung der „Komponenten des Lösungsansatzes“ wird die betreffende Empfehlung unter anderem damit begründet, dass mit der Gründung der Gesellschaft der „Multiplikatoreffekt privatwirtschaftlicher Finanzierung“ genutzt werden solle. Bei Vorlage des Berichts wurde mit dem Beginn der Erhebung der entfernungs-/ belastungsabhängigen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen durch schwere LKW ( ≥ 12 t zulässiges Gesamtgewicht) am 1. Januar 2003 ausgegangen; so war das von der Bundesregierung im Herbst 1999 festgelegt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die in 1995 eingeführte Eurovignettenpflicht für dieselben Fahrzeugklassen und Straßen in Kraft bleiben. Als Rechtsform für die Gesellschaft wurde die Aktiengesellschaft (AG) empfohlen, „weil sie • in anderen Infrastrukturbereichen erprobt und bewährt ist, • den späteren Zutritt für Private ermöglicht und • die erforderliche Transparenz der Geschäftstätigkeit gewährleistet“. Die nachfolgenden fünf Kernpunkte der Empfehlungen behandeln die schrittweise völlige Umstellung der Finanzierung der Bundesfernstraßen von der Steuerfinanzierung auf die direkte Nutzerfinanzierung einschließlich der „Entlastung der Nutzer von Verkehrssteuern Zug um Zug … sobald und in dem Ausmaß, in dem das Einnahmevolumen aus Nutzerentgelten die (bereits latente) Finanzierungslücke … übersteigt“ (Bild 1). Abschließend empfiehlt die Kommission: • „Erweiterung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes (von 1994) prinzipiell auf alle Maßnahmen des Fernstraßenbaus; • ab 2001 Ausschreibung von Maßnahmen, die privatwirtschaftlich Erfolg versprechend sind; • Vergabe von Betreiberkonzessionen durch den Bund oder die Finanzierungsgesellschaft.“ Zu den Komplexen „Privatisierung“ und „Beteiligung Privater“ (PPP/ ÖPP) heißt es in der Begründung des „Lösungskonzeptes“: • Privatisierung bei Beibehaltung der Infrastrukturverantwortung fortführen! Der mit der Privatisierung der Telekom, der Post, des Luftverkehrs und der Bahn eingeschlagene Weg sollte fortgeführt und auf alle Bundesverkehrswege und alle Aufgaben ausgedehnt werden, die sich für eine Ausgliederung aus der Bundesverwaltung eignen; dabei ist sicher zu stellen, dass die Infrastrukturverantwortung und der Einfluss auf die Steuerung der Infrastrukturentwicklung beim Bund bleiben. • Möglichkeiten für die Beteiligung Privater verbessern und erweitern! Nach der gültigen Gesetzeslage sind die Möglichkeiten der Privatfinanzierung und Beteiligung Dritter an der Finanzierung sowie des privaten Projektmanagements stark eingeschränkt. Die Beschränkungen sollten beseitigt werden. Die private Finanzierung sollte aus- Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 17 Finanzierung INFRASTRUKTUR schließlich auf der Basis einer Refinanzierung durch Nutzerentgelte praktiziert werden. Die Empfehlungen der Kommission waren die konsequente Reaktion auf den Befund einer bereits latenten gravierenden Instandhaltungskrise der Bundesverkehrswege als Folge unzureichender Finanzierung und mangelhafter Effizienz der Verwendung der eingesetzten Mittel. Sie wurden seinerzeit von Politikern aller Lager und den Repräsentanten aller relevanten Lobby-Organisationen uneingeschränkt begrüßt; ihre schnelle Umsetzung wurde gefordert. Wie bisher verfahren wurde Anstelle einer „Bundesfernstraßenfinanzierungsgesellschaft“ wurde in 2001 eine „Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft“ (VIFG) gegründet, zuständig für alle Bundesverkehrswege (Straße, Schiene, Binnenwasserstraßen). Als Rechtsform wurde nicht die von der Kommission empfohlene AG gewählt, sondern die GmbH. Die Gesellschaft wurde nicht mit den Einnahmen aus der Eurovignette versehen. Der Termin für den Beginn der Erhebung der entfernungsabhängigen LKW-Maut musste zunächst vom 1. Januar 2003 auf den 31. August 2003 verschoben werden. Zu diesem Datum wurde von der Bundesrepublik der Eurovignetten-Vertrag gekündigt. Nach weiteren Verzögerungen erfolgte der Beginn der Erhebung schließlich am 1. Januar 2005. Mit Herannahen dieses Termins wurde politisch entschieden, 50 % der Netto-Einnahmen den Bundesfernstraßen zuzuordnen, 38 % den Bundesschienenwegen und 12 % den Bundeswasserwegen. Nach Beginn der Gebührenerhebung wurden die Einnahmen nicht etwa zur Schließung der unstrittigen Finanzierungslücke verwendet, sondern zum Anlass genommen wurden, den steuerfinanzierten Teil des Investitionshaushaltes entsprechend zu reduzieren. Darüber hinaus erfolgte die Zuordnung der Finanzmittel an die VIFG nicht etwa direkt, sondern nach Vereinnahmung durch das Bundesfinanzministerium aus dem allgemeinen Finanzhaushalt. Damit wurde gegen zentrale Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ und grundlegende Prinzipien der Nutzerfinanzierung verstoßen. Vor dem Hintergrund der kritischen Lage des Bundeshaushaltes entbrannte in 2005 dann auch noch eine öffentliche politische Diskussion um die Ausweitung der Gebührenerhebung zur Stärkung des allgemeinen Haushalts [4]. Noch im Frühjahr 2004 hatte der für das Thema zuständige Vizepräsident des ADAC in seinem Statement im Rahmen eines parlamentarischen Abends in Berlin zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierung die schnellstmögliche Umsetzung der Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ im „Maßstab 1: 1“ gefordert [4]. In Reaktion auf die nachfolgenden politischen Entscheidungen schlug die Zustimmung der relevanten Verbände in strikte Ablehnung der Umstellung der Finanzierung der Bundesfernstraßen auf Nutzerfinanzierung um. Inoffiziell ist die Ablehnung bis heute in der Regel mit der unausgesprochenen Einschränkung versehen: „bis die Politik in diesem Zusammenhang ihre Glaubwürdigkeit überzeugend nachgewiesen hat“. Tatsächlich setzte sich die von der Kommission konstatierte Unterfinanzierung und Handhabung der verfügbaren Mittel praktisch unverändert fort. Das nahm der seinerzeitige Vorsitzende Dr. Wilhelm Pällmann zum Anlass, zehn Jahre nach Berufung der Kommission - vor der Bundestagswahl 2009 - gemeinsam mit dem Verfasser dieses Beitrags, mit Unterstützung von Vertretern relevanter Verbände und Unternehmen einen „Appell zum Handeln“ in Buchform zu veröffentlichen [5, 6]. Darin wurden nicht zuletzt die Kernpunkte des Kommissionsberichts in Erinnerung gerufen. Die „Autobahngesellschaft“ Abgesehen von einer Erweiterung der Aufgaben der VIFG [7] sowie der nominellen Zuordnung aller Mauteinnahmen nur noch zu den Bundesfernstraßen, hatte sich in Sachen Betreibergesellschaft nachfolgend wenig Bemerkenswertes getan. Das änderte sich mit dem eingangs zitierten „Gerangel“. In der öffentlich dokumentierten Diskussion verfolgten danach „Sigmar Gabriel, Wolfgang Schäuble und die Geldbranche … offenbar den Plan, den Bau und Betrieb der staatlichen Infrastruktur von privaten Investoren erledigen zu lassen. Das wäre dreist“ [8]. Im Frühjahr 2015 wurde dann gemeldet, dass Bundesverkehrsminister Dobrinth eine „Revolution beim Straßenbau“ plane; er wolle eine „staatliche Gesellschaft für Fernstraßen gründen … die private Finanzierungen in Anspruch nehmen kann“, das „wäre eine kleine Revolution“ [9]. Im Herbst 2015 firmierte die Realisierung einer „Verkehrsinfrastrukturgesellschaft“ als „Vorschlag einer Kommission unter der Federführung des DIW-Präsidenten Marcel Fratzscher“, die von Bundeswirtschaftsminister Gabriel eingesetzt worden war. Die Gesellschaft solle „Planung, Bau, Betrieb und Finanzierung von Bundesfernstraßen ‚aus einer Hand‘ gewährleisten … Überdies hält es die Fratzscher-Kommission zumindest für möglich, dass jene Gesellschaft das Recht auf eigenständige Kreditaufnahmen erhält“ [10]. Ende November 2016 las man schließlich: „Ein Verkauf der Bundesfernstraßengesellschaft ist vorerst vom Tisch. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hätte diese Gesellschaft, nicht die Straßen selbst, am liebsten an private Investoren übertragen. Seine Infrastrukturexperten hatten in einem Gesetzentwurf für die neue Gesellschaft geschrieben, dass lediglich die Mehrheit der Anteile beim Bund bleiben solle. Je mehr Privatanleger mit von der Partie seien, desto effizienter würden die Straßen verwaltet.“ Nunmehr hätten sich aber Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Verkehrsminister Alexander Dobrinth „gegen diesen Plan … verbündet“ [1]. Laut dem zwischen den beiden Ministerien abgestimmten Gesetzentwurf solle die Gesellschaft in vollständigem Eigentum des Bundes stehen. Die knapp 13 000 km Autobahnen und rd. 1300 km (autobahnähnlich ausgebaute und mit Autobahnen verknüpfte) Bundesstraßen sollen künftig wie das Schienennetz verwaltet werden. Eine „Fernstraßenbehörde“ solle für hoheitliche Aufgaben zuständig sein, der „Bundesfernstraßengesellschaft“ solle Bau, Betrieb und Erhalt der betreffenden Straßen übertragen werden. Als Gesellschaftsform solle die GmbH gewählt werden; dies sei angeblich ein Kompromiss zwischen einer Behörde und einer AG. Laut Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, sei eine GmbH „leichter zu steuern als eine AG“ [1]. Die seit vielen Jahren auch in Deutschland regelmäßig als leuchtendes Beispiel für eine erfolgreich agierende Autobahngesellschaft zitierte österreichische „Autobah- Bundesfernstraßen Von Steuerzu Nutzerfinanzierung 0 3 6 9 12 15 18 21 Lkw 12 t BAB Lkw < 12 t BAB Pkw BAB Lkw 12 t B Lkw < 12 t B Pkw B Transaktionskosten Finanzierungslücke Budget Kompensation Steuer : Maut = 1: 1 "interne" Kosten Maut - Einnahmen Bild 1: Prinzip des Paradigmenwechsels auf Basis der Zahlen von 2000 [2] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 18 INFRASTRUKTUR Finanzierung nen- und Schnellstraßen-Finanzierungs- Aktiengesellschaft“ (ASFINAG) ist dagegen tatsächlich eine AG. Sie wurde bereits im Jahr 1992 gegründet, finanziert sich im Wesentlichen aus Mautgebühren und operiert gänzlich ohne staatliche Zuschüsse. Alle Mauteinnahmen gehen direkt in Bau, Erhaltung und Betrieb des Fernstraßennetzes [11]. Die neue deutsche „Autobahngesellschaft“ soll dem Vernehmen nach aus bereits bestehenden Gesellschaften gebildet werden, die in ihr „aufgehen oder (darin) einbezogen werden“. Genannt sind die Projektmanagementgesellschaft DEGES, die VIFG und Toll-Collect [1]. Der (vorläufige) Ausgang des „Gerangels“ in diesem Zusammenhang belegt nicht zuletzt die in jüngster Zeit in der Politik wieder beträchtlich gewachsenen Vorbehalte gegenüber einer Beteiligung der Privatwirtschaft an Infrastrukturprojekten. „Autobahngesellschaft“ und ÖPP/ PPP Nach [1] sieht man beim Bund (derzeit) Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft skeptisch. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium soll verlauten: „Da muss man vorsichtig sein, allein das Stichwort ÖPP löst Gegenreaktionen in der Bevölkerung aus.“ Solche Partnerschaften seien nur in Einzelfällen denkbar. Diese Position ist allerdings schwerlich mit den Fakten und Erfahrungen in allen Ländern weltweit vereinbar, die eine solide langjährige Praxis mit der Durchführung gerade auch von komplexen Infrastrukturprojekten in öffentlich-privater Partnerschaft haben (Tabelle 1). Das trifft bemerkenswerterweise aber auch für die Bundesrepublik zu. So wird in einem gemeinsam vom Bundesverkehrsministerium und dem Bundesrechnungshof in Auftrag gegebenen und Ende Dezember 2015 vorgelegten Gutachten explizit festgestellt: • „… die Erfahrungen mit ÖPP im Bundesfernstraßenbau (sind) positiv, • alle Projekte wurden frühzeitig fertig gestellt, • der Kostenrahmen aller Projekte wurde … eingehalten, • die Qualität der Leistungen wird von den Straßenbauverwaltungen der Länder als gut bis sehr gut qualifiziert“ [12]. Zudem habe der Bundesrechnungshof den in ÖPP realisierten Projekten „eine höhere Haushaltstransparenz als der konventionellen Variante bescheinigt…“ und dass „von der ÖPP-Beschaffungsvariante wesentliche Impulse auf die öffentliche Verwaltung“ ausgehen würden. „Autobahngesellschaft“ und Benutzungsgebühren Die „Pällmann-Kommission“ hat die von ihr empfohlene „Fernstraßenfinanzierungsgesellschaft“ und die nachfolgende(n) Betreibergesellschaft(en) in direkten Zusammenhang mit der umfassenden Umstellung von Steuerfinanzierung auf Nutzerfinanzierung gebracht. Das stand in vollem Einklang mit der bereits in 1995 von der EU-Kommission im Grünbuch „Faire und Effiziente Preise im Verkehr“ formulierten und nach wie vor unverändert gültigen Verkehrspolitik der Kommission [14]. Mit der Einführung entfernungsbzw. belastungsabhängiger Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen durch schwere LKW ( ≥ 12 t zulässiges Gesamtgewicht) am 1.- Januar 2005 wurde prinzipiell der erste Schritt im Sinne der Umstellung in der Bundesrepublik getan. Grundsätzlich könnte bereits die Einführung der Eurovignette als Vorstufe eingeordnet werden. Seither erfolgten lediglich geringfügige Erweiterungen der Gebührenerhebung im Straßengüterverkehr. Als Reaktion auf einen sich weiter verschlechternden Zustand der Verkehrsinfrastruktur setzte die Verkehrsministerkonferenz der Länder im Einvernehmen mit dem Bundesverkehrsministerium in 2012 eine politische Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ („Daehre- Kommission“) ein [15]. Der Verfasser dieses Beitrages hatte im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums im Rahmen der Arbeit der Kommission ein Migrations-Szenario für die schrittweise völlige Umstellung der Finanzierung der Straßeninfrastruktur aller Aufgabenträger auf direkte entfernungs-/ belastungsabhängige Nutzerfinanzierung erarbeitet und mit dem zuständigen Generaldirektor bei der EU-Kommission erfolgreich abgestimmt [16]. Die Aufnahme des Konzepts in die Empfehlungen der Kommission scheiterte dann aber am Widerstand einzelner Bundesländer. Es folgte die peinliche Geschichte der von der CSU im Bundestagswahlkampf 2013 geforderten „Ausländer-Maut“. Deren Einführung wird in der laufenden Legislaturperiode vom neuen Bundesverkehrsminister und vormaligen CSU-Generalsekretär Dobrinth seither unter der Bezeichnung „Infrastrukturabgabe“ vehement weiter verfolgt. Das Projekt ist in fast jeder relevanten Hinsicht fragwürdig. Zudem wäre zu erwarten, dass eine Umsetzung die von der Sache her gebotene, schrittweise umfassende Umstellung auf belastungsabhängige Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur für absehbare Zeit eher blockieren als fördern würde. Appell zum Handeln Die Dauer und die Facetten des „Gerangels“ um die Etablierung einer „Autobahngesellschaft“ und um die Beteiligung Privater an der Gesellschaft und an der Infrastrukturfinanzierung sowie die Diskussionen um die Einführung einer „Ausländermaut“/ „Infrastrukturabgabe“ für PKW tragen in vieler Hinsicht fragwürdige, teilweise eher skurrile Züge. Über nunmehr 16 Jahre nach Veröffentlichung des Schlussberichts der „Pällmann-Kommission“ gebietet das einen erneuten Appell zum Handeln im Sinne eines ganzheitlichen, nachhaltigen Prozesses. Dabei sollte die Etablierung der „Autobahngesellschaft“ als wichtiger Meilenstein in Richtung einer oder mehrerer Betreibergesellschaften für alle Bundesfernstraßen verstanden werden. Die Beteiligung Privater daran sollte nicht ausgeschlossen werden. Der Anteil und das Spektrum der Finanzierung und Realisierung, gerade auch großer und komplexer Projekte in öffentlich priva- Risiko Öff. Hand Teils Ö Teils P Privat Entwurf Landbeschaffung Umweltverträglichkeit Bau Baugrund Leitungsverlagerung Betrieb und Instandhaltung Markt / Nachfrage Latente Defekte Gesetzesänderungen Höhere Gewalt Konkurrierende Anlagen Tabelle 1: Generelle Risiko-Allokationen im Straßensektor; Beispiel UK [13] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 19 Finanzierung INFRASTRUKTUR ter Partnerschaft, sollte erheblich erweitert werden. Insbesondere sollte endlich auch die vollständige Umstellung der Finanzierung der Straßen aller Aufgabenträger auf direkte belastungsabhängige Nutzerfinanzierung (ggf. ergänzt durch Nutznießerfinanzierung) EU-konform konzipiert und in geeigneten Schritten realisiert werden. In Erwartung der Umsetzung der Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ in dieser Hinsicht galt die Bundesrepublik Anfang des letzten Jahrzehnts weltweit als Vorbild. Das wurde bereits nach wenigen Jahren politisch verspielt. Eine Wiederherstellung des betreffenden Status wäre ein international viel beachtetes Highlight der Verkehrspolitik mit tatsächlicher Impulswirkung auf europäischer Ebene. ■ LITERATURVERZEICHNIS [1] Doll, N. und Gassmann, M.: Öffentliches Ärgernis. In: Die Welt, 27. November 2016 [2] Kröger, M.: Schäubles Fernstraßen AG: Schnellstraßen in privater Hand - was bringt das? In: Spiegel Online, 11. Februar. 2015 [3] Kommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung: Schlussbericht, 5. September 2000 [4] Kossak, A.: Pro und Contra Pkw-Maut. In: Der Nahverkehr 1-2/ 2006 [5] Kossak, A. und Pällmann, W. (Hrsg.): 10 Jahre Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung - Aktualisierter und erweiterter Appell zum Paradigmenwechsel! In: Edition Internationales Verkehrswesen, DVV Media Group 2009 [6] Kossak, A.: Transport Infrastructure Finance - A call to action; Etc, etc. In: The international road pricing and electronic toll collection review, November / Dezember 2009 [7] www.vifg.de [8] Schumann, H,: Privatisierung für Allianz & Co. In: Der Tagesspiegel, 26. Februar 2015 [9] Kamann, M.: Dobrinth plant Revolution beim Straßenbau. In: Die Welt 21. April 2015 [10] Gassmann, M.: Privates Geld für Sanierung der Straßen. In: Die Welt, 4. September 2015 [11] www.asfinag.at [12] Die Deutsche Bahnindustrie: Stellungnahme zum Bericht „Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) des Bundesministeriums für Verkehr und Digitale Infrastruktur an den Rechnungsprüfungsbericht im Deutschen Bundestag vom 18. 12. 2015. Berlin, Stadt 07. 01. 2016 [13] US-DOT FHWA: Public Private Partnerships for Highway Infrastructure - Capitalizing on International Expericence. In: International Technology Scanning Program, Washington D.C. 2009 [14] Kommission „Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“: Schlussbericht vom 30. September 2013 [15] Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“: Schlussbericht; im Dezember 2012 [16] Kossak, A. : German Road VMT Scenario; Präsentation, TRB Joint Subcommittee on VMT Revenues. Washington D.C. 14. Januar 2013 Andreas Kossak, Dr.-Ing. Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com Fachausstellung und Fachtagung für Planung, Bau und Betrieb von Einrichtungen des ruhenden Verkehrs Karlsruhe, 21. - 22.06.2017 Kostenfreie Eintrittskarte sichern! parken-messe.de/ eintrittskarten Im „ruhenden Verkehr” die Überholspur nutzen Folgen Sie uns @PARKEN2017 #PARKEN17 Erfahren Sie alles über Bezahlsysteme, Instandhaltung, Smart Mobility, uvm. Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 20 INFRASTRUKTUR Parkflächen-Bewirtschaftung Parken in Japan Parkierung, Preise, Shoup, Asien, Japan Die Diskussion rund um das Parken, dessen Menge und Preise, verfängt sich meist in relativen Kleinigkeiten, da ihr oft radikale Alternativen fehlen. Die Situation in Japan ist eine solche Alternative, da dort die Parkplätze fast ausschließlich privat bewirtschaftet werden und deren Preise über den Tag und auf kurze Distanzen stark variieren. Parkplatzsuche wird dort nicht als Problem wahrgenommen. Der Beitrag schildert die Situation in Japan und insbesondere in Hiroshimas Innenstadt, dem Zentrum eines Ballungsraums mit mehr als einer Million Einwohner. Die Parkplatzgebühren in der 8 km 2 großen Innenstadt variieren um den Faktor 25. Der Ort der höchsten Gebühren verschiebt sich um 1,25 km von Tag zu Nacht. Kay W. Axhausen, Makoto Chikaraishi, Hajime Seya E s ist allgemein bekannt, dass PKW im Durchschnitt 95 % ihrer Zeit stehen und dafür im Schnitt drei bis vier Parkstände benötigen. Die Bereitstellung dieser Plätze wurde in den 1930-iger Jahren zum Problem. Es wurde in der Regel dadurch gelöst, dass die Grundstücksbesitzer sie in der Regel kostenlos zur Verfügung stellen müssen und dass da, wo die öffentliche Hand sie zur Verfügung stellt, diese nur administrative Gebühren erheben respektive Einschränkungen machen darf, die sicherstellen sollen, dass die Plätze angemessen oft umgeschlagen werden. Für Anlieger werden Ausnahmen gemacht, die die Plätze den Anliegern zu Vorzugsgebühren vorbehalten. Wie sieht eine Stadt aus, in der die Parkplatzgebühren nachfrageabhängig sind? Diese Regelungen waren von Anfang an umstritten, da die behördlich festgesetzten Mindestmengen je nach Sichtweise zu hoch oder zu niedrig waren. Der Verzicht auf nachfrageabhängige Marktpreise macht diese Diskussionen schwierig, da es unklar ist, welche Nachfrage und welche Anzahl Parkstände angemessen wären. Solange für große Teile der Parkstände administrative Gebühren bezahlt werden müssen, können private Anbieter in der Regel keine nachfragegerechten Gebühren erheben und ihre Kosten decken. Es ist aber klar, dass die fehlenden oder niedrigen Gebühren den Autoverkehr fördern und dass die sich natürlich ergebenden Externalitäten des Suchverkehrs nicht durch den Bau weiterer subventionierter Parkstände stadtverträglich zum Verschwinden gebracht werden können. In dieser Situation waren die Vorschläge Shoups (2005), die tageszeit-spezifischen Gebühren auf jedem Straßenabschnitt oder Parkhaus so festzulegen, dass zu jedem Zeitpunkt mindestens ein freier Parkstand vorhanden, also keine Parkplatzsuche notwendig ist, eine Herausforderung. In den USA sind in einer Reihe von Experimenten diese Vorschläge mit Erfolg umgesetzt worden - z. B. SFPark in San Francisco (Millard-Ball, Weinberger und Hampshire (2014); dieselben (2013); Pierce und Shoup (2013); Chatman und Manville (2013); aber siehe Barter (2010) für eine weniger optimistische Sicht). Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass alle Beteiligten zeigen, was ihnen der Parkplatz zu einem bestimmten Zeitpunkt und Ort wert ist. Private Anbieter wüssten, ob sich weitere private Parkhäuser und -plätze lohnen oder nicht. Die Anbieter gebührenfreier Parkplätze wüssten, wie hoch ihre Subvention des PKW-Verkehrs ist. Die Steuerbehörden könnten den Wert der Firmenparkplätze sicher einschätzen. Dies gilt natürlich auch in Wohngebieten, wo heute „Blaue Zonen“ zwar nicht die Konkurrenz der Anlieger untereinander zum Verschwinden bringen, wo aber Dritte zugunsten der Anlieger ausgeschlossen werden können. In der Stadt Zürich etwa kostete 2015 eine jährliche Parkberechtigung in den „blauen Zonen“ 300 CHF, während private Anbieter für einen Parkstand je nach Lage zwischen 40 und 700 CHF pro Monat verlangen können (Sarlas, Sinan und Axhausen (2016)) (Bild 1). Es ist klar, dass Shoups Ansatz den bekannten, aber in der Regel ungeliebten status-quo aufrütteln würde. Man kann eine solche Welt natürlich simulieren oder in einem beschränkten Experiment testen. Waraich, Dobler, Weis und Axhausen (2013) konnten mit Simulationen für Zürich zeigen, dass Shoups Ansatz dort zu Preiserhöhungen und -senkungen führen würden und dass die Stadt im Ganzen niedrigere Einnahmen zu erwarten hätte. Die Preismuster am Ende des SFPark-Experiments zeigten, dass es oft nur 100 Meter sind, die die Preise um die Hälfte fallen lassen (siehe Bild 2). Aber noch klarer und vorbildhafter wären Städte, in denen solche Preise schon Jahrzehnte erhoben werden und wo auch der Bild 1: Monatliche Mietpreise für private Parkstände 2015 Quelle: Sarlas, Sinan und Axhausen (2016), Abbildung 1 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 21 Parkflächen-Bewirtschaftung INFRASTRUKTUR Bodenmarkt auf diese Situation reagieren konnte. Dieser Beitrag wird in der Folge ein solches Beispiel im Detail beschreiben: die Parkplatzsituation der Stadt Hiroshima - wobei vorab die allgemeine Situation in Japan kurz erläutert wird. Parkieren in Japan Die städtischen Straßenbreiten sind aus historischen Gründen im Mittel sehr gering, was dazu führt, dass es praktisch keine Straßenparkplätze gibt, wie man das in Europa und Amerika gewöhnt ist (Sorensen, 2002). Der Straßenraum der wenigen breiten Hauptverkehrsstraßen wird für den fließenden Verkehr benötigt (siehe Bild 3). Im Gegenzug müssen die PKW-Halter beim Erwerb einen Parkstand nachweisen (Motor Vehicle Storage Act, 1962). Das schafft einen Markt für private Anbieter für diejenigen PKW-Halter, die über keinen Parkstand auf den meist kleinen Grundstücken ihrer Häuser verfügen. Die Bereitstellung von Parkplätzen und -ständen ist durch eine Reihe von Gesetzen geregelt, die in Axhausen, Chikaraishi und Sema (2015) ausführlicher diskutiert werden. Zentrales Ergebnis ist, dass a) privat bewirtschaftete Parkstände den Markt beherrschen und b) es für Grundbesitzer sehr einfach ist, vorhandene Flächen als Parkplätze zu nutzen, aber dann auch wieder zu überbauen. Bodensteuern für bebaute Grundstücke sind niedriger, aber die immer weiter sinkenden Kosten für die Parksysteme machen eine solche Zwischennutzung für die Bodenbesitzer interessant. So können und werden selbst kleinste Flächen als Parkplatz genutzt werden (siehe Bild 4). Die Bewirtschaftung wird in der Regel spezialisierten Firmen überlassen. Time24 Co. Ltd. betrieb 2011 39 % aller Plätze, gefolgt von Mitsui Fudosan Realty Co. Ltd. mit einem Marktanteil von 12 %. Die Anzahl solcher Plätze wächst stetig weiter (Japan Parking Business Association, 2012; siehe Tabelle 1 dort). Die Gebühren werden nach Tagestyp (Werktag und Wochenende) und Tageszeit variiert. Die Grenze zwischen den Tageszeiten ist flexibel und hängt von der Nachfrage in den Abendstunden ab. Die Dauer der Gebühreneinheit variiert zwischen 12 und 60- min, was den Betreibern erlaubt, den Umschlag zu beeinflussen, und den Kunden erlaubt, ungenutzte Zeiten zu reduzieren. In vielen Fällen legen die Betreiber maximale Gebühren fest, zum Beispiel für Fahrzeuge, die für die ganze Nacht abgestellt werden. Mit diesen Stellschrauben können die Betreiber die Preise der lokalen Nach- Bild 2: Morgendliche Parkgebühren im Frühling 2015 an Werktagen für die Straßen des SFPark Experiments Daten: www.sfpark.org und ein GIS Karte von Adam Millard-Park; Karte: Axhausen, Chikaraishi und Seya (2015), Abbildung 1 0 10,000 20,000 30,000 40,000 50,000 60,000 0 1,000,000 2,000,000 3,000,000 4,000,000 5,000,000 6,000,000 1959 1964 1969 1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009 2014 Number of on-street parking spaces Number of off-street parking spaces Parking spaces prescribed by city planning Obligatory parking spaces Paid parking spaces on registered lots Paid parking spaces on non-registered lots Total off-street spaces On-street parking spaces Metered spaces On-street parking 2007 Bild 3: Anzahl der Parkstände in Japan seit 1958 Daten: MLIT (2014); Japan Parking Business Association (2012); Japan Research Center for Transport Policy (2014). Bitte die neu verfügbaren Zahlen ab 2007 beachten. Bild 4: Beispiel eines Kleinparkplatzes in Higashi-Hiroshima Foto: Axhausen, Februar 2015 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 22 INFRASTRUKTUR Parkflächen-Bewirtschaftung frage anpassen. Das Bezahlen mit Smartphone war 2015 noch nicht sehr üblich, aber es wird erwartet, dass es auch in Japan häufiger werden wird. Parkplatzsuche ist kein Diskussionsthema in Japan. Es gibt auch keine entsprechenden Studien. Das vorhandene System setzt Shoups Vorschläge natürlich nicht Eins-zu-Eins um, aber es nähert es gut an, wie der nächste Abschnitt beispielhaft an der Situation in Hiroshima im Detail vorstellt. Die Innenstadt Hiroshimas Hiroshima wurde vor etwa 400 Jahren als Residenz des lokalen Fürsten gegründet. Die heutige Innenstadt liegt südlich des historischen Palast- und Burgbezirks. Mit 176 % ist das Verhältnis von Tageszu Nachtbevölkerung in diesem Stadtteil das höchste in ganz Westhonshu (Chugoku-Region der Hauptinsel Japans). Hiroshimas Stadtzentrum mit den entsprechenden Behörden, Läden, Firmen und Vergnügungseinrichtungen liegt hier. Der Verkehrsmittelanteil des PKW lag in der Innenstadt 2008 bei 20 %, der ÖV (Bus, Straßenbahn, Zug) bei 30 %, und die restlichen Wege wurden zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt. Der PKW-Anteil ist niedrig, doch die PKW- Anzahl groß, da die Region 1,2 Millionen Einwohner hat. Mit einer Begehung wurden alle Parkplätze der Innenstadt erfasst und deren Preissysteme erhoben. Insgesamt wurden 950 Parkplätze gefunden, die sich über 8-km 2 und 180 km Straße verteilen. Bild 5 zeigt die stündlichen Gebühren für den Tag und die Nacht. Die Verschiebung des Ortes der höchsten Preise zeigt, wie sich die Preise der Nachfrage anpassen und wo das Einkaufs- und das nächtliche Vergnügungszentrum liegen. An manchen Orten werden nachts sogar keine Gebühren mehr erhoben. Tabelle 1 zeigt, wie stark alle Elemente der Preise differenziert werden, um jeden Parkplatz der Nachfrage anzupassen: Dauer der Gebühreneinheit, deren Preis, Maxima, Wechsel von Tageszu Nachtpreisen. Eine umfassende statistische Analyse der Preise und ihrer Abhängigkeiten von der räumlichen Konkurrenz und Nachfrage findet sich in Seya, Axhausen und Chikaraishi (2015). Was können wir von Japan lernen? Das Beispiel zeigt, dass es möglich ist, die Parkraumnachfrage über räumlich und zeitlich differenzierte Preise zu steuern. Die Flexibilität in der Flächennutzung und die niedrigen Managementkosten erlauben den Grundbesitzern, den Markt für Parkstände einfach zu nutzen und zu verlassen. Räumliche Monopole sind daher schwer zu etablieren. Der Markt liefert die erwarteten Ergeb- Variable Werktage Wochenende Tag Nacht Tag Nacht Dauer der Gebühreneinheit [min.] Wertebereich 10-100 10-180 15-90 20-180 Median 30 60 30 60 Mittel 34 58 34 59 Gebühr pro Einheit [¥] Wertebereich 50-600 50-400 0-1,000 0-300 Median 100 100 100 100 Mittel 147 115 147 110 Stundensatz [¥/ h] Wertebereich 60-1,600 33-1,600 67-2,000 0-800 Median 300 100 300 100 Mittel 288 145 295 135 Maximale Gebühr [¥] Wertebereich 300-38,400 0-6,300 0-3,000 0-2,000 Median 1,200 500 1,000 500 Mittel 2,390 766 996 566 Das Maximum ergibt sich als die Gesamtgebühr für einen Aufenthalt während der jeweiligen Gültigkeit des stündlichen Preises, oder als das ausgewiesene Maximum für einen 12h- oder 24h-Aufenthalt. Die Mittelwerte sind die Mittelwerte über die Parkplätze ohne Gewichtung ihrer Größen. Tabelle 1: Parkgebühren in der Innenstadt Hiroshimas. 1 JPY (¥) = 0,0085 EUR (04.04.2017) Bild 5: Stündliche Gebührensätze während der werktäglichen Arbeitszeiten (links) und Nachtzeiten (rechts) Quelle: Axhausen, Chikaraishi und Seja (2015) Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 23 Parkflächen-Bewirtschaftung INFRASTRUKTUR nisse. Parkplatzsuche ist kein Thema. Angesichts der Menge und Verteilung der Parkplätze gibt es auch keinen Grund zur Annahme, dass die PKW-Fahrer viele zusätzliche Kilometer fahren, obwohl auch hier der eine oder andere Spezialrabatt des Einzelhandels die Zielwahl beeinflusst. Die Gebühren bilden die Nachfrage und das Angebot ab. Das Risiko der Parkplätze liegt bei den privaten Anbietern und nicht mehr beim Steuerzahler - wie bei vielen europäischen Gemeinden, die Parkhäuser betreiben. Während die verkehrlichen Externalitäten des Parkens in Japan kein Thema sind, haben die Städte die Kontrolle über die Flächennutzung weitgehend verloren. Das wäre eine Sorge in den städtebaulich viel starker kontrollierten Städten Deutschlands und Europas. Für deutsche und europäische Städte stellt sich die Frage, ob man zu einem solchen Preissystem wechseln möchte. Die heutigen privaten Preise zeigen ja schon eine gewisse Differenzierung, aber die administrativen Gebühren der Straßenparkstände und der gemeindlichen Parkhäuser verzerren diese. Die letzten 80 Jahre haben dazu geführt, dass die Städte vor allem am Stadtrand über zu viele Parkplätze verfügen. Hier müsste man den Besitzern eine Umnutzung erlauben, die ja als Innenentwicklung erwünscht wäre, oder die Besitzer fänden Wege, ihre Parkplätze so zu unterteilen, dass doch gewisse Einnahmen möglich sind. In den Innenstädten, wo die Bewohner um Parkstände konkurrieren und entweder abends ihre Fahrzeuge nicht mehr bewegen oder längere Suchzeiten und Zugangswege nach Hause akzeptieren, ist die Situation schwieriger. Hier könnte die Einführung nachfragegerechter Preisen mit dem Bau von Nachbarschaftsgaragen verknüpft werden, obwohl das angesichts der städtebaulichen Anforderungen eine teure Lösung wäre. Die Sorge, dass ein gewisser Teil der Autobesitzer bei einem solchen Preissystem auf sein Fahrzeug verzichten muss, muss sorgfältig behandelt werden. Hier ist aber daran zu denken, dass viele Städte in ihren Innenstädten Neubauten erlauben, die nicht mehr für alle Wohnungen Parkstände vorsehen. Die Bereitstellung von Carsharing-Angeboten und später autonomen Fahrzeugen wäre Teil dieser Maßnahmen. Die Umstellung für die Einzelhändler und Restaurants wäre grundsätzlicher: Je nach lokaler Nachfrage werden die Preise fallen oder steigen. Die Kunden erreichen die Läden ohne Suchzeit und mit kürzeren Zugangswegen. Wir würden erwarten, dass die Parkdauern auf den beliebtesten Straßenabschnitten mit hohen Preisen zurückgehen und dass sich Fahrer mit höherer Bereitschaft, zu Fuß zu gehen, oder niedrigerer Zahlungsbereitschaft an den Rand der Innenstädte begeben. Parkgebühren sind kein Ersatz für Straßengebühren. Die theoretische Literatur hat das klar gezeigt (siehe z.B. Van Nieuwkoop (2014) oder Calthrop, Proost und van Dender (2000)). Shoup hat Parkgebühren nie als Instrument zur Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl gesehen, aber das könnte in einem kleinen Umfang passieren. Hier wäre es aber besser, die allfälligen Einnahmen der Parkstände direkt für die Verbesserung des ÖV-Angebots oder zur Senkung seiner Preise einzusetzen. Ausblick Dieser Beitrag hat gezeigt, dass es möglich ist, die Externalitäten des Parkens - Suchverkehr, Verlangsamung des anderen Verkehrs, Lärm und Abgase - durch räumlich und zeitlich differenzierte Preise zu reduzieren oder ganz zu beseitigen. Sicher müssen deutsche und europäische Städte ihren eigenen Weg finden, aber im Zeitalter der Innenentwicklung ist ein aktiver Markt für das Parken eine wesentliche Stütze für dieses Ziel, da er klare Signale dazu gibt, wie viele Parkstände zu welchem Preis benötigt werden. Das SFPark-Experiment hat die Diskussion um das Parken erneuert und wir hoffen, dass unser Bericht über Japan dazu beiträgt, diese Diskussion auch in Deutschland zu vertiefen. ■ Dieser Aufsatz ist eine Kurzfassung von Axhausen, Chikaraishi und Seja, 2015. LITERATUR ADB (2011): Parking policy in Asian cities, Asian Development Bank, Mandaluyong City. Axhausen, K.W., M. Chikaraishi und H. Seya (2015): - Parking - Learning from Japan, Arbeitsberichte Verkehrs- und Raumplanung,-1095, IVT, ETH Zürich. Barter, P.A. (2010): Off-street parking policy: Towards a robust marketbased alternative, Transport Reviews, 30 (5) 571-588. Calthrop, E., S. Proost und K van Dender (2000): Parking policies and road pricing, Urban Studies, 37 (1) 63-76. Chatman, D.G. und M. Manville (2013): Too little, too soon? A preliminary evaluation of congestion-based parking pricing in San Francisco, working paper, University of California Berkeley, Berkeley. ITE (2004): Parking generation, 4th edition, Institute of Transportation Engineers, Washington D.C. Japan Parking Business Association (2012): A Market Research Survey on Coin-Operated Parking Spaces: An Analysis of Small-Scale (<500 m 2 ) Parking Spaces, Japan Parking Business Association (CD-ROM) (in Japanese). International Association of Traffic and Safety Sciences (IATSS) (2012) Urban Development from Parking: Towards an Urban Renaissance, Gakugei-Pub., Kyoto (in Japanese). Kobayakawa, S. (2015): Parking Management System in Japan, presentation at the Special Seminar series of the International Project Lab at the Department of Civil Engineering, University of Tokyo, Tokyo, June 2015. 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(2013): Parking Reform Made Easy, Island Press, Washington, D.C. Kay W. Axhausen, Prof. Dr.-Ing. Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), ETH Zürich (CH) axhausen@ethz.ch Makoto Chikaraishi, Dr. ASMO Center, Hiroshima University, Higashi-Hiroshima (JP) chikaraishim@hiroshima-u.ac.jp Hajime Seya, Ph. Dr. Associate Professor, Department of Civil Engineering, Kobe University, Kobe (JP) hseya@people.kobe-u.ac.jp 1 http: / / www.mlit.go.jp/ toshi/ toshi_gairo_tk_000070.html Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 24 LOGISTIK Binnenschifftransport Entsorgungsverkehre auf-dem-Wasser Löst das Binnenschiff den Entsorgungsdruck in der Landwirtschaft? Binnenschiff, Mittellandkanal, Nährstoffkreislauf, Gülle, Agrogüter Das Forschungsprojekt „GüllOst“ der Rheinischen Fachhochschule Köln (Standort Neuss) zielt ab auf ein Logistik-Konzept, das die durch sogenannte „Nährstoffbörsen“ oder „Güllebanken“ verursachten Quell-, Ziel- und Transitverkehre für organischen Dünger zu optimieren sucht. Ziel ist dabei insbesondere, entsprechende LKW-Verkehre auf Binnenschiffe zu verlagern und dabei den Mittellandkanal als den Weg des Hauptlaufs in den Fokus zu rücken. Thomas Decker G ülle hat sich - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit - zu einem internationalen Wirtschaftsgut entwickelt. So wurden beispielsweise in 2012 mehr als 1,7 Mio. t aus den Niederlanden nach Deutschland exportiert, Tendenz steigend. Parallel dazu entwickelten sich sog. „Nährstoffbörsen“, „Nährstoffkontore“ oder „Güllebanken“, über die diese „Nebenprodukte der Landwirtschaft“ gehandelt werden [1]. Aufgrund der EU-Milchkontingent-Freigabe ist zudem ein weiterer Anstieg der ohnehin schon viel zu hohen Güllemengen zu erwarten. Auch eine Verschärfung der Düngeverordnung trägt dazu bei, sodass z.B. Maisreste wie Gülle behandelt werden müssen und Landwirte dann noch weniger direkt ausbringen können. Trinkwasseruntersuchungen ergeben inzwischen regelmäßig, dass in Deutschland anhaltend gegen die Nitratrichtlinie verstoßen wird [2]. Die Straße zur Abfuhr der Gülle (z.B. von Gelderland oder NRW zur Hildesheimer Börde oder zur Magdeburger Börde bzw. nach Sachsen-Anhalt über die Autobahn A2) wird darüber hinaus bis Ende des Jahrzehnts an ihre Grenzen stoßen, sodass nur noch die Wasserwege zur Abfuhr der Gülle aus den Überschussregionen hin zu möglichen Bedarfsregionen bleiben. Status Quo Entsorgungsverkehre werden in Einzelfällen mittlerweile per Binnenschiff und beispielsweise auch über den Mittellandkanal abgewickelt. Die Mehrheit der Entsorgungsverkehre - mit Ausnahme der LKW- Vorlaufverkehre zum Binnenschiff - wird allerdings nach wie vor über LKW-Direktverkehre abgewickelt. Festzuhalten ist jedenfalls, dass dies mit Blick auf die extrem hohen Entsorgungsbedarfe der Überschußregionen bei gleichzeitig unterversorgten Bedarfsregionen bei weitem nicht ausreicht, um von einer ökologisch nachhaltigen Transportkette sprechen zu können. Die Bauernschaften, die heute noch mit tendenziell steigenden Entsorgungskosten rechnen und wegen zunehmender rechtlicher Restriktionen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, sehen sich dabei inzwischen einem Kuriosum gegenüber. So existieren in den Niederlanden einerseits z.B. noch Separiervorgaben von 50 %, ab 1.1.2016 dann von 60 % usw. und Entsorgungskosten von bis zu 30 EUR je 1000 Liter. Andererseits werden Landwirten aber mittlerweile auch Entgelte zwischen 5 und 25 EUR je Kubikmeter Gülle bezahlt. Ausdrücklich zu betonen ist, dass Binnenschiffstransporte mit Gülle im Einzelfall bereits jetzt wirtschaftlich zu sein scheinen, sobald entsprechende Abnahmebetriebe gefunden sind. So waren beispielsweise zwei Tankschiffe mit jeweils 1200 t Gülle nach einem Hauptlauf von lediglich rund 350 km am Nachlaufpunkt innerhalb eines Tages abverkauft [3]. Vereinzelte Binnenschiffstransporte von den Niederlanden bis nach Österreich stehen schließlich ebenfalls bereits in Rede. Daher ist davon auszugehen, dass derlei Transporte bei veränderten politischen Rahmenbedingungen durch zusätzliche Entsorgungsgebühren oder sogar Abnahmeentgelte etc. weiter zunehmen könnten. Konzept Ausgehend von den niederländisch-deutschen Überschussregionen North Brabant, Gelderland, Midden Limburg, Teilen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens ist daher zu prüfen, ob sich deren überschüssige Gülle via Binnenhäfen an Maas und Rhein über den Mittellandkanal bis hin zu den Bedarfsregionen wie etwa der Hildesheimer oder auch der Magdeburger Börde sinnvoll abtransportieren lassen (Bild 1) [4]. Zwischenlagerstätten vor oder in den Häfen Hildesheim oder Magdeburg könn- Bild 1: Mögliche Transportwege von den Überschusszu den Bedarfsregionen Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 25 Binnenschifftransport LOGISTIK ten dabei eine wichtige Rolle spielen - ausdrücklich auch gegen allfällige Bedenken der örtlichen Hafenverwaltungen. Auch auf Reede liegende Tankschiffe entlang des Mittellandkanals könnten per se als Zwischenlagerstätte fungieren. Gülle sollte jedenfalls - so die Proposition - auf direktem Wege auf unterversorgte Felder gelangen und möglichst nicht via vorgeschalteter Separation etc. aufwendig behandelt werden. Um nun eine Verlagerung von Gülletransporten von der Straße auf die Wasserwege zu erwirken, müssen die bisherigen LKW-Direktverkehre als Vorlauf ausgelegt werden, etwa in der Form eines klassischen Milk-runs. Als potenzielle Sammelstellen im Vorlauf kommen in den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - folgende Häfen in Betracht: Wanssum für Nord-Limburg, Zevenellen für Midden Limburg und SO-Brabant, Emmerich für Teile von Gelderland und die DeltaPort-Häfen zum Beispiel für weite Teile Nordrhein-Westfalens [5]. Im Anschluss daran werden die Flüssignährstoffe in den genannten Häfen in Tankschiffe verfüllt. Der Hauptlauf der Transportkette verläuft insoweit dann über den Rhein-Herne-Kanal und/ oder den Dortmund-Ems-Kanal in Richtung Mittellandkanal. In den Zielhäfen wird die Gülle wieder abgepumpt und auf die unterversorgten Felder der jeweiligen Bedarfsregionen verteilt. Diese Nachläufe werden im Auftrag der Bauernschaft durch Lohnunternehmer durchgeführt, welche die Gülle vorzugsweise durch injizierende und daher möglichst verlustarme Ausbringungsverfahren in die Böden einarbeiten. Die Ausbringung über herkömmliche Prallteller bleibt dabei nach wie vor eher den eigenmechanisierten Landwirten vorbehalten. Einige Häfen wie z. B. DeltaPort am Niederrhein haben jedenfalls laut Wasserstraßen-, Hafen- und Logistikkonzept des Landes Nordrhein-Westfalen bereits spezifizierte Entwicklungspotenziale, um in den Umschlag oder die Zwischenlagerung von Flüssignährstoffen einzusteigen [6]. Ausblick Zur weiteren Forcierung des Forschungsprojekts ist die Rheinische Fachhochschule Köln (Standort Neuss) aktuell mit mehreren Kooperationspartnern im Gespräch. So prüft derzeit eine deutsche mittelständische Werft, wie sich die bis 2018 frei werdenden rund 50 Einhüllen-Tanker sinnvoll zweitverwenden ließen. Diese Einheiten werden danach nicht mehr für den Einsatz von Ölprodukten etc. zugelassen, sodass eine alternative Nachfolgenutzung in vorliegendem Kontext möglich erscheint. Eine Zwischenlagerung von Gülle in einem auf Reede liegenden Tankschiff wurde in einem Einzelfall auf dem Wesel-Datteln- Kanal ebenfalls bereits geprüft, dies allerdings zur stetigen Befüllung einer - mittlerweile nicht genehmigten - Biogasanlage in Hünxe. Zudem zeigt ein internationaler 3-PL- Logistikdienstleister mit rund 8000 Beschäftigten großes Interesse, die nach eigenem Bekunden überraschend hohen und wachsenden Güllebzw. Festmistmengen in den Niederlanden und Deutschland über seine bestehende Binnentankschiffflotte zu transportieren. Zu konzedieren ist an dieser Stelle, dass mit den aufgezeigten Verlagerungsoptionen der Verkehrsströme zugunsten des Binnenschiffs lediglich verkehrliche Überlasten auf den Straßen verbessert würden. Die grundsätzlichen Probleme der Überdüngung und der daraus resultierenden politisch gegensätzlichen Positionen zwischen Wasser- und Bauernlobby würden dabei freilich nicht gelöst. Als elektronischer Marktplatz zur Steuerung dieser kombinierten Verkehre böten sich schließlich ein nationales „Meldeprogramm Wirtschaftsdünger“ oder ein „Wirtschaftsdüngerkataster“ an. Die bisherigen Versuche einzelner Bundesländer greifen insoweit zu kurz. Eine derartige Meldestelle käme als staatlicher Organisation jedenfalls der Forderung nach einer notwendig „diskriminierungsfreien“ Datenbank zur Erfassung einschlägiger Transporte am ehesten nach. ■ QUELLEN [1] Decker, T. (2014): Transport von Agrogütern mit Binnenschiffen zur Versorgung von Biomassekraftwerken, in: Neusser Schriften, 1. Jg., (1) 2014, Ergebnisbericht zum EUREGIO-Forschungsprojekt HARRM, 25 S. [2] Becker, S./ Schießl, M. (2017): Kacke am Dampfen, in: Der Spiegel, (3) 2017, S. 74-75 [3] Uken, M. (2013): Millionen mit dem Mist, in: Zeit Online, o.S. [4] Granzow, A. (2016): Gülle als Zukunftsmarkt für die Binnenschifffahrt, in: SUT Schiffahrt und Technik, 35. Jg., (4) 2016, o.S. [5] Decker, T. (2016): Versorgung von Biomassekraftwerken mit Agrogütern - Bimodale Strategien für Binnenreeder, in: Internationales Verkehrswesen, 67 Jg., (2) 2015, S. 25-28 [6] MBWSV Ministerium für Bauen, Wohnen, Städteentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (2016): Wasserstraßen-, Hafen- und Logistikkonzept des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 59-62 Thomas Decker, Prof. Dr. Studiengangleiter Logistics and Supply Chain Management, Professur für Transport- und Verkehrslogistik, Rheinische Fachhochschule Köln gGmbH, Standort Neuss thomas.decker@rfh-neuss.eu info@vtg.com • www.vtg.de DIGITAL INTERMODAL CUSTOMIZED Treffen Sie uns auf der Messe transport logistic vom 9. bis 12. Mai 2017 in München, Freigelände (FGL), Gleis 3/ 1, und Halle B6, Stand 322 VTG - CONNECTING WORLDS! Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 26 LOGISTIK Prozessautomatisierung Autonomes Rangieren auf der Bremischen Hafeneisenbahn Innovationen auf der letzten Meile im Bahnverkehr Letzte Meile, Schienengüterverkehr, Digitalisierung, Automatisierung Der Betrieb im Bereich der Hafeneisenbahnen in deutschen und europäischen Häfen ist durch eine hohe Anzahl an Akteuren und einer fehlenden übergreifenden Planung und Optimierung aller komplexen Prozesse gekennzeichnet. Innovative Technologien und Geschäftsprozesse sind geeignet, wichtige Schritte auf dem Weg zum Ziel einer Gesamtoptimierung zu leisten. Iven Krämer, Frank Arendt E in wesentlicher Teil der europäischen Schienengüterverkehre hat seinen Ursprung bzw. sein Ziel in einem See- oder Binnenhafen. Den Häfen selbst kommt damit für das System Schiene und die hier dringend erforderliche Innovationsorientierung eine deutlich größere Rolle als die der reinen Schnittstelle von See- und Landtransporten zu. Gerade den Häfen mit eigener Bahn-Infrastruktur fällt hier eine besondere Verantwortung zu. Insofern besteht die Zielrichtung der Bremischen Hafeneisenbahn, die bereits jetzt einen europaweit führenden Bahnanteil im Modal-Split aufweist, darin, die Möglichkeiten der Digitalisierung umfassend aufzugreifen. Wesentliche Schritte dafür liegen in der Optimierung und stufenweisen Automatisierung der bahnbetrieblichen Prozesse auf der letzten Meile einschließlich der notwendigen modernen und transparenten IT-Systeme bis hin zur Gestaltung autonomer Rangierprozesse. Hierfür wurde gemeinsam mit mehreren Partnern aus der Industrie, dem Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und verschiedenen Forschungseinrichtungen beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ein Projektantrag im Rahmen eines Programms zur Förderung Innovativer Hafentechnologien (IHATEC) eingereicht. Die grundlegenden Überlegungen für einen autonomen Rangierbetrieb werden nachfolgend skizziert. Ausgangslage - „Seit Jahrzehnten bewährter Bahnbetrieb“ Allgemein bekannt und zugleich erschreckend ist, dass der Bahntransport trotz seiner positiven Umweltwirkung über die vergangenen Jahrzehnte vergleichsweise wenig innovationsorientiert war. Deutlich wird dies aus der Hafenperspektive darin, dass ein Seeschiff mit einer Transportkapazität von heute bis zu 22 000 Containern nur wenige Minuten nach dem Anlegen im Hafen bereits be- und entladen wird. Ähnlich verhält es sich im Hinterlandverkehr mit LKW oder auch mit dem Binnenschiff. In diesen Fällen sind die hafenbetrieblich-logistischen Prozesse grundsätzlich so gestaltet, dass zwischen der Ankunft im Terminal und der Be- und Entladung der Waren keine Leerläufe und unnötige Wartezeiten entstehen. Um dies zu ermöglichen, erfolgte - maßgeblich getrieben durch die Terminalbetreiber - kontinuierlich eine Anpassung von Technologien und Prozessen. Anders verhält es sich leider im Bahnverkehr, denn hier wird auf einen „seit Jahrzehnten bewährten Bahnbetrieb“ gesetzt. Konkret bedeutet dies, dass nach der Einfahrt eines Zuges in das Hafengebiet bzw. analog dazu auch in ein Inlandterminal zunächst die Streckenlok vom Zug getrennt wird. Danach erfolgt der Transport der Züge bzw. Waggons per Rangierlok zu den Terminals, in denen zunächst Kontrollarbeiten am Zug und an der Ladung erforderlich werden. In der Konsequenz erfolgen die ersten Ladungsbewegungen an einem Güterzug erst Stunden nach der Ankunft im Hafengebiet. Ähnlich verhält es sich nach Abschluss der Ladearbeiten. Züge mit Importwaren benötigen durch die vorgeschriebenen Bremsproben, durch Ladungskontrollen und Rangierarbeiten im Mittel etwa zwei Stunden, bevor sie das Hafengebiet zu ihren Zielorten im europäischen und im nationalen Güterverkehr verlassen können. Das bedeutet, dass die Schiene im Operation auf der letzten Meile deutlich benachteiligt ist - und dies in erster Linie durch bahnbetriebliche Regelungen und Vorschriften. Im kombinierten Verkehr auf den europäischen Güterverkehrskorridoren ließe sich folglich allein durch eine Optimierung des Bahnbetriebs auf der letzten Meile mindestens 20 % Produktivitätssteigerung erzielen. Der Handlungsbedarf ist offenkundig, und es erscheint geradezu fahrlässig, dass viele der bisherigen Bahn-Innovationsvorstöße erfolglos geblieben sind. So sind automatische Kupplungen, automatische Bremsproben, Fernsteuerungen von Zügen, automatisierte Ladungskontrollen, Hindernisdetektionen und viele weitere bahntechnische Optimierungen längst technisch möglich bzw. erprobt. Sie konnten sich, von Einzellösungen abgesehen, am Markt bislang aber u. a. wegen aufwändiger Zulassungsprozesse nicht etablieren, so dass die Schiene ohne eine klare Hinwendung zu technischen Innovationen und digitalen Prozessoptimierungen im Verkehrsträgervergleich weiter zurückzufallen droht. Beispiel Hafenbahnbetrieb in-Bremerhaven Das diskriminierungsfrei zugängliche Hafen-Eisenbahnnetz in Bremerhaven ist Teil des öffentlichen Infrastrukturunternehmens Bremische Hafeneisenbahn. Es gehört zur Freien Hansestadt Bremen, die sich mit ihren betrieblichen und technischen Dienstleistern um die Infrastruktur kümmert. Auf den Gleisen der Bremischen Hafeneisenbahn verkehren inzwischen regelmäßig über 30 europäische Eisenbahnverkehrsunternehmen, weitere 50 verfügen über entsprechende Nutzungsverträge. Diese Unternehmen verbinden die Bremischen Häfen mit den Zielen und Ursprungsorten im nationalen und europäischen Hinterlandverkehr. Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 27 Prozessautomatisierung LOGISTIK Zum Status quo übernehmen mehrere im Wettbewerb zueinander stehende Rangierdienstleister die Aufgabe, die Züge bzw. Waggons, die in Bremerhaven vorwiegend mit Automobilen und Containern beladen sind, von den Einfahrtsgleisen zu den Umschlagterminals und umgekehrt zu transportieren. Sie übernehmen diese Dienstleistung im Auftrag der jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmen, die wiederum dafür Sorge tragen, dass die elektrisch betriebenen Streckenlokomotiven mit den jeweiligen Lokführern für die Ein- und Ausfahrt aus dem Hafengebiet rechtzeitig zur Verfügung stehen. Aktuell werden am Standort Bremerhaven an 360 Tagen des Jahres im 24/ 7-System insgesamt 13 Rangierlokomotiven unterschiedlicher Bauart und unterschiedlichen Alters, vollständig auf Dieselbasis, betrieben. Zum Betrieb einer Rangierlok sind jeweils der Lokführer und ein Rangiermitarbeiter notwendig. Die Einsatzplanung erfolgt über die ebenfalls vor Ort mit Büroarbeitsplätzen ansässigen Disponenten der entsprechenden Rangierunternehmen. Der eigentliche Fahr- und Rangierbetrieb erfolgt nach den Vorgaben der Betriebsführung der Bremischen Hafeneisenbahn, wobei die dortigen Disponenten die entsprechende Gleisnutzung vorgeben und die Fahrdienstleiter auf den Stellwerken die Fahrtstrecken festlegen und freigeben. Die Umschlagbetriebe definieren mit dem Be- und Entladen der Waggons letzlich den Gesamttakt für die Zugbewegungen. Grundsätzlich folgen in Bremerhaven die Lade- und Löschprozesse sowohl im Containerals auch im Automobilverkehr zuvor definierten Slotzeiten. Die tatsächlichen Abläufe berücksichtigen darüber hinaus die jeweiligen Ladezustände der Waggons, so dass möglichst keine Leerläufe und Wartezeiten entstehen. Eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen den Terminals, der Hafenbahn-Betriebsführung und den Rangierdienstleistern besteht nicht, so dass der Kommunikation und Abstimmung der Beteiligten untereinander eine besondere Rolle zukommt. Im Zuge dieser Kommunikation wurde und wird auch gemeinsam über weitergehende Optimierungen des Bahnbetriebes nachgedacht und man hat sich auf die langfristige Zielrichtung eines autonomen Rangierbetriebes verständigt, z. B. auch um dem wachsenden Nachwuchsproblem bei Lokführern Rechnung zu tragen. Zielstellung des autonomen Rangierbetriebes (Rang-E 4.0) Ein vollständig autonomer Rangierbetrieb ist dabei als Langfristperspektive zu bewerten, der viele Zwischenschritte der Prozessautomatisierung und auch die Schaffung entsprechender infrastruktureller und rechtlicher Voraussetzungen vorausgehen müssen. Ein maßgeblicher Zwischenschritt wird die Einführung eines zentral ferngesteuerten Rangierbetriebes sein, der bei einem aktiven Engagement aller am Bahnprozess Beteiligten bereits im kommenden Jahrzehnt möglich ist. Die grundlegende Überlegung besteht darin, den Gesamtprozess des Hafeneisenbahn-Rangierbetriebes autonom zu gestalten. Im Ergebnis würden weniger Lokomotiven als bisher am Standort zum Einsatz kommen. Die elektrisch betriebenen autonomen Rangierlokomotiven Rang-E 4.0 würden die heute wegen mangelnder Abstimmung und Optimierung üblichen Leerfahrten nahezu vollständig vermeiden. Sie würden die Fahrtaufträge aufgrund einer vollständigen Vernetzung bzw. optimierter IT-Schnittstellen mit den Terminalbetrieben und mit der Hafeneisenbahn-Betriebsführung sowie gegebenenfalls auch mit der DB Netz AG und den Eisenbahnverkehrsunternehmen stets vorausschauend und kapazitätsoptimiert durchführen und so zu einer Prozessoptimierung im Schienengüterverkehr beitragen. Konzepte aus aktuellen Innovationsfeldern wie Industrie 4.0, Internet der Dinge, Digitalisierung im Hafen und Selbststeuerung logistischer Einheiten finden hier ein praxisbezogenes Anwendungsfeld. Eine selbständig agierende Rangierlokomotive Rang-E 4.0 müsste über sämtliche Statusinformationen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen wie der Bremischen Hafeneisenbahn, der Hafen-Terminals aber natürlich auch der DB Netz AG verfügen, so dass sie stets einen vollständigen Überblick über die betriebliche Situation hätte. Zugleich müsste über standardisierte IT- Schnittstellen ein kontinuierlicher Zugriff auf Informationen zu den jeweiligen Systemzuständen mit Planungen und Störungen, zu den Lade- und Löschzeiten in den Terminals, zu geplanten Slots, zu den tatsächlichen An- und Abfahrtzeiten der Züge, zur Verfügbarkeit der Lokführer etc. gesichert werden. Auf Basis dessen wäre die autonom operierende Rangierlokomotive Rang-E 4.0 in der Lage, stets zu wissen, welche Rangieraufträge als nächstes, übernächstes und überübernächstes zu erledigen wären, wodurch sich automatisch eine optimierte Nutzung von Fahrstraßen und eine optimierte Belegung von Gleisen (Infrastrukturoptimierung) ergäbe. Sie würde sich bzgl. der Aufträge mit den anderen Rangierlokomotiven abstimmen (z. B. im Sinne einer Auktion, wie sie zur Optimierung in selbststeuernden Systemen bereits eingesetzt wird), die notwendige Infrastruktur buchen und wäre im Störungsfall in der Lage, diesen weitgehend selbstständig im Verbund mit ihren „Kolleginnen“ aufzulösen. Im Vergleich zu den heute üblichen bahnbetrieblichen Abläufen im Hafengebiet bräuchte Rang-E 4.0 keine Pausen und würde emissionsfrei fahren. Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass vor der Einführung eines solchen autonomen Rangierbetriebes auf der Bremischen Hafeneisenbahn eine Vielzahl betrieblicher, eisenbahnrechtlicher, unternehmerischer, finanzieller und organisatorischer Fragen zu klären wäre bzw. ist. Das Gebot der Stunde Wie bereits dargestellt, ist die Zielstellung eines vollständig autonom betriebenen Rangierbetriebes auf einer der bedeutendsten europäischen Hafeneisenbahnen (noch) eher symbolischer Natur, aber dennoch lassen sich mit dieser Perspektive erhebliche Effizienzgewinne mit der konkreten Verfolgung und Umsetzung von Zwischenschritten erreichen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Themenfelder der Funkfernsteuerung von Lokomotiven sowie Automatisierungen in den Bereichen der Bremsprobe, der Kupplung, der Zugabfertigung, der Kontrolle der Zugkonfiguration, der Zugschlusserkennung usw. In all diesen Bereichen gibt es technische Lösungen und zum Teil auch praktische Anwendungsfelder. Diese zum Wohle des gesamten Bahnsektors miteinander zu verbinden und zum gemeinsamen Durchbruch zu bringen, ist das Gebot der Stunde. Es gilt folglich, den im Eisenbahnsektor weit verbreiteten Ansatz des „Bewahrens des Bewährten“ aufzubrechen und zu einer klaren Innovationsorientierung zu gelangen, wie sie im Bereich des Straßengüterverkehrs vollkommen selbstverständlich ist. Wir arbeiten daran, die ersten Schritte auf dem Weg zur Realisierung dieser Vision im Land Bremen in Angriff zu nehmen. ■ Iven Krämer, Dr. Referat Hafenwirtschaft und Infrastruktur, Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, Bremen iven.krämer@wuh.bremen.de Frank Arendt, Prof. Dr. Wissenschaftlicher Geschäftsführer für Informationslogistik, Professor im Studiengang Integrated Safety and Security Management (ISSM), Leiter des Institute for Safety and Security Studies (ISaSS), Hochschule Bremerhaven arendt@isl.org Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 28 LOGISTIK Luftfracht FTI-Potenziale an Schnittstellen für Air Cargo Schnittstellen zwischen Logistik, Landverkehr und Luftfahrt entlang der Air-Cargo-Transportketten Luftfrachttransportkette, Air Cargo Centers, Landverkehrserzeugung, Akteursfunktionen, Schnittstellennavigator, Forschung - Technologie - Innovation (FTI), FTI-Potenziale Die für das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) durchgeführte Studie ACCIA hat in einer Gesamtschau die Qualitäten und die Herausforderungen der Abwicklung in der Kette der Luftfrachtprozesse aufgezeigt. 1 Dabei wurde ein allgemein anwendbares Verkehrserzeugungsmodell eines Air Cargo Terminals im Landverkehr entworfen. Die Luftfrachttransportkette wurde von der Quelle bis zur Senke als universell einsetzbarer Schnittstellennavigator samt der involvierten Akteure und ihrer Funktionen abgebildet. Angriffspunkte für Optimierungen wurden in definierten Anwendungsfeldern festgemacht. Heinz Dörr, Viktoria Marsch, Andreas Romstorfer D er Transport von Luftfrachtsendungen mit dem Flugzeug stellt nur einen Teil der gesamten Luftfrachttransportkette dar und muss mit den Nebenläufen auf den Verkehrsträgern des Landverkehrs abgestimmt werden. Die Bereiche Logistik, Güterverkehr und Luftfahrt interagieren dabei eng miteinander, um eine effiziente Luftfrachttransportkette zu gewährleisten (Bild 1). Luftfrachttransportketten - eine komplexe Herausforderung für Analytiker und Praktiker Zur Wachstumsentwicklung im Luftfrachtverkehr gibt es unterschiedliche Einschätzungen, weil u. a. jüngst die geopolitische Lage einen protektionistischen Zug erhalten hat. Zudem hat die Hochseeschifffahrt ihre Transportangebote qualitativ verfeinert und der transkontinentale Eisenbahngütertransport Europa-Fernost tritt auf dem Verkehrsmarkt immer mehr in Erscheinung, wenn die Eile der Sendungen nicht das alleinige Motiv für den Transportmodus bildet. Als generelle Merkmale prägen Sendungseinheiten mit eher geringem Gewicht und überdurchschnittlich hohem Mengenwert der Waren das Luftfrachtaufkommen. Die luftfrachtbezogene Transport- und Logistikwirtschaft wird durch das harte Wettbewerbsumfeld, die Volatilität auf den Weltgütermärkten und die steigenden Kundenanforderungen einerseits sowie die Sicherheitsanforderungen andererseits ständig vor Herausforderungen gestellt. Als Luftfracht werden heutzutage nahezu alle Güter geflogen, sofern sie nicht die Massenleistungsfähigkeit der Luftfahrzeuge übersteigen. Die versendende und empfangende Luftfrachtkundschaft ist sowohl nach Branchen als auch regional in den Quellen und Senken breit gestreut. Außerdem gibt es eine enge Koppelung mit der Passagierluftfahrt, die spontane Kundenaufträge auch auf weniger frachtintensiven Relationen als Beiladung „Belly Load“ mitbedient, während Linien-Frachtflüge eine auf Kontraktlogistik abgestimmte Berechenbarkeit, also Stamm-Verlader, brauchen, wie es z. B. bei KEP-Diensten oder bei den luftfrachtaffinen Branchen Elektronikgeräte oder Pharmazeutika der Fall ist. Nicht zuletzt sind Flüge von Frachtmaschinen für Sonderbzw. Chartertransporte manchmal der einzig gangbare Verkehrsweg, um ungewöhnliche Güter, seien es nun lebende Tiere oder ganze Fahrzeuge oder Industrieaggregate, zu peripheren Zielen wohlbehalten zu befördern. Straßengüterverkehre in der Luftfrachttransportkette In der landseitigen Luftfrachtbeförderung ist nahezu ausschließlich der Straßengüterverkehr im Einsatz (Bild 2). Allerdings geschieht das in zweierlei Modi, nämlich im Zu- und Ablaufverkehr zu den Flughäfen, aber auch als Luftfrachtersatzverkehr (Road Feeder Service = RFS) zwischen zwei Flughäfen, meist von einem regionalen Spoke- Flughafen zu einem interkontinentalen Hub-Flughafen. Im Allgemeinen lassen sich folgende Arten von Straßengüterverkehren unterscheiden, nämlich Langläufe als RFS, die gesichert als Luftfracht und mit einer Flugnummer versehen unterwegs sind, Zubringer- und Verteilverkehre mit dem Hinterland über konsolidierende Logistikzentren der Speditionen sowie lokale Frachtüberstellverkehre am Flughafenareal landseitig und aus der Standortnachbarschaft. Die Fahrten, die als Teilläufe im Zuge einer Luftfrachttransportkette auftreten, machen aber nur marginale Anteile am gesamten Schwerverkehrsaufkommen im Fernstraßennetz aus. Im Übrigen ist anzumerken, dass jede Tonne Nutzlast im Straßenverkehr um einiges emissionsärmer befördert wird als im Lufttransport. Verkehrserzeugungsmodell eines Air Cargo Centers im Straßenverkehr Über das durch Luftfrachtsendungen ausgelöste Verkehrsaufkommen im Straßennetz gibt es keine direkte verkehrsstatistische Erfassung, u. a. weil Datenschutz und Sicherheitsbedenken entgegenstehen. Bei Spoke-Flughäfen ist das LKW-Aufkommen angesichts des übrigen Straßengüterverkehrs zumeist marginal. Bei Hub-Flughäfen kann das LKW-Aufkommen auf den Zulaufrouten aber schon zweistellige Prozent-Anteile am Schwerverkehrsaufkommen errei- Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 29 Luftfracht LOGISTIK chen, was sich zu den täglichen Verkehrsspitzen unangenehm für die Luftfracht- Straßentransporte auswirkt. Daher sind mehrstündige Pufferzeiten für die Ankunft im Air Cargo Center (ACC) des Flughafens und für das Handling dort üblicherweise einkalkuliert. Bei den Gates zu den Cargo- Terminals am Flughafengelände könnten Verkehrszählungen stattfinden, werden aber selten gemacht, um die Kunden des Air Cargo Centers, also Speditionen und Straßentransporteure, nicht zu verärgern. Jedoch kann aus den Daten der Luftverkehrsstatistik in einer modellhaften Rechnung auf das Straßenverkehrsaufkommen rückgeschlossen werden (Bild 3), verbunden mit dem Vorteil einer Anonymisierung (außer das Luftfrachtaufkommen wäre sehr gering) und mit dem Umstand, dass empirische Informationen, die zu Annahmen, z.B. über die verwendeten Nutzfahrzeugtypen, führen, die Güte eines solchen Modells ausmachen. So sind aus der Luftfahrtstatistik die über einen Flughafen als Luftfracht ausgehenden (Export) und hereinkommenden (Import) Transportaufkommen (in Tonnen) bekannt, sowohl was die mittels Luftfahrzeug beförderte als auch die im Luftfrachtersatzverkehr (RFS) auf der Straße transportierte Luftfracht betrifft. Davon zu unterscheiden sind die Transportumschläge, die ein ACC als intermodale Schnittstelle empfängt (inbound) und die es wieder verlassen (outbound). Darin sind die Nebenläufe von Luftfracht von den Quellen der Versender und zu den Senken der Empfänger enthalten. Nicht zu vergessen sind die Dispositionsfahrten zur Bereitstellung oder Rückstellung der LKW, da es sich systembedingt um hochgradig unpaarige Verkehre handelt, sodass häufig Leerfahrten zumindest von oder bis zum Stützpunkt der Transporteure anfallen. Im Übrigen ist zu erwähnen, dass die RFS-Transporte schon mit LUFTFRACHTQUELLE LUFTFRACHTSENKE SL LB ZL AL VV KL-ZV KL slot Flughafenareal A Landseite Luftseite Bodenabfertigung Flugsicherung AustroControl Luftstraße Ö. Luftstraße Ausland slot Flughafenareal B FLUG- HAFEN road feeder service Eilgüterzüge (optional) LUFTFAHRT STRASSEN- LÄUFE SCHIENEN- VERKEHR Sporadische Verladerstandorte Industrielle oder Großhandelsverladestandort in regelmäßiger Bedienung Individuelle Abholverkehre in Sammelbezirken Abhollogistik spontan Kontraktlogistik regelmäßig/ standardisiert AL KL Sammellogistik individuell/ standardisiert SL Individuelle Zustellpunkte im Verteilverkehr (VV) im Lieferbezirk (LB) Industrieller Zulieferverkehr in der Kontraktlogistik (KL-ZV) Sporadische Zustellverkehre an wechselnde Standorte Konsolidierungsstandorte von Logistikdiensten straßenseitig Bahn-Güterterminal für Schienenzulauf zum Flughafen LF-Terminal der Speditionen am Flughafen LF-Bahnterminal (optional) LF-Terminal der Flughafen-Bodenabfertigung (ein oder mehrere Bodendienste) Fracht ugzeug Passagier ugzeug mit Frachtbeiladung Autobahn oder Schnellstraße - Zulaufrouten A+S Regionale (städtische) Hauptstraße - Zulaufrouten R Industriesammelstraße - Flächenbedienung I Regionales (städtisches) Erschließungsnetz - Flächenbedienung E Flughafenanschlussbahn Schienenverkehr (optional) Frachtbewegungen am Flughafen Luftseite Landseite Flugsicherung Staat X Bodenabfertigung VERKEHRSLOGISTISCHE PROZESSKETTE LUFTFRACHT ZULAUF LANDSEITE ABLAUF LANDSEITE LUFTSEITE TRANSPORT-MODI Vehrkehrsgraphen nach Fahrwegkategorien SAMMELVERKEHR VERTEILVERKEHR Luftfahrt ODER VISIONÄRE VERKEHRSMITTEL UND -TRASSEN Nebenläufe auf der Straße mit verschiedenen Nfz-Klassen road feeder service RFS (Straßenersatzverkehr) Bild 1: Verkehrslogistische Prozesskette Luftfracht Bild 2: Air Cargo Center Luxembourg als intermodale Schnittstelle Land-Luft Quelle: LuxairCARGO Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 30 LOGISTIK Luftfracht aufgebauten ULDs (Unit Load Devices) erfolgen, von denen im Sattelzug-Trailer nur einige wenige untergebracht werden können, sodass die Nutzlast kaum mehr als 9 t erreicht. Trotz dieser unterdurchschnittlichen Auslastung sind die Straßentransporte immer kostengünstiger als die Flugkilometer. Akteure und Akteursfunktionen Die an der Luftfrachttransportkette beteiligten Akteure sind mit ihrem Dienstleistungsangebot unterschiedlich breit aufgestellt, was bedeutet, dass die Zuschreibung einer Funktion an einer Schnittstelle nicht immer eindeutig ausfällt, wenn Akteure nicht nur solche Funktionen ausüben, wie es in der Rollenverteilung zwischen Kunden, Speditionen, Cargo Handling, Ground Handling und Airlines sowie den regulierenden Basisdiensten (wie Zoll, Air Operations, Air Control) zu vermuten wäre. So muss etwa ein ULD nicht erst im ACC eines Flughafens aufgebaut werden, wenngleich das die Regel ist (Bild 4). Airlines haben das Kerngeschäft Lufttransport, können aber vor- und nachgeschaltete Dienste z. B. über Tochterfirmen anbieten. Auch ist das Ground Handling auf den Vorfeldern soweit liberalisiert, dass mehrere Anbieter an einem Flughafen stationiert sein können. Daher haben die Studienverfasser den Begriff der „Akteursfunktionen“ eingeführt, die von einem oder mehreren Akteuren alternativ ausgeübt werden dürfen (Bild 5). Sequenzen, Prozessbereiche und Schnittstellen als Leitschnur in der Luftfrachttransportkette Die Luftfrachttransportkette kann erstens aus verkehrsgeographischer Sicht als Quelle- Ziel-Relation von Transportläufen im Verkehrswegenetz, zweitens aus Sicht der Verantwortungsbereiche der Akteure in Sequenzen und diese drittens in verortbare Prozessbereiche (Lagerstandort, Rampe, Laufweg, Vorfeld etc.) verkehrslogistischer Prozesse (wie Lade-, Konsolidierungs-, Umschlag- und Kontrolltätigkeiten) gegliedert werden. Die Prozessbereiche beschreiben sowohl die Lokalisierung als auch die Zuständigkeitsgrenzen von Akteuren. Die an einer Schnittstelle stattfindende Behandlung der Luftfrachtsendungen betrifft nicht nur die physischen Prozesse bei der Übergabe der Sendungen, sondern auch den Übergang in der Verantwortlichkeit für die Sendungen. Um zu einer auch grafisch ansprechenden Systematik der Schnittstellenlandschaft für unterschiedliche Luftfrachttransportketten zu gelangen, wurden die Schnittstellen zunächst nach ihrer technisch-funktionellen Charakteristik als informationsseitig (Datenflüsse von organisatorischer Relevanz), infrastrukturseitig (Leistungsmerkmale der verfügbaren Infrastruktur) und prozessseitig (erforderliche Arbeitsprozesse aufgrund der Sendungsstruktur und der Sicherheitsregularien) strukturiert. Darüber hinaus wurden die Schnittstellen nach dem Grad der Unabdingbarkeit eingestuft, da manche unbedingt an einem bestimmten Ort Bild 3: Verkehrserzeugungsmodell eines Air Cargo Centers im Straßenverkehr Bild 4: Flugzeugmusterspezifischer ULD- Aufbau im Ground Handling (mit freundlicher Genehmigung von LuxairCARGO) Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 31 Luftfracht LOGISTIK eingehalten werden müssen, manche in Zuge der Transportkette mehrfach oder örtlich variabel auftreten können und manche z. B. bei besonderen Anforderungen aufgrund der Fracht optional zugeschaltet werden. Im nächsten Schritt wurde die zeitlichräumliche Verteilung der Schnittstellen festgemacht, indem die Luftfrachttransportkette in aktionsräumliche Sequenzen gegliedert und diese sodann in die standörtlichen Prozessbereiche „Inbound“, „Standort“, Outbound“ und „Transport“ unterteilt wurden. Einzelne Sequenzen können dabei ausfallen oder auch wiederholt werden. Anschließend wurden die Schnittstellen nach ihrer Transportmodalität geordnet, ob sie sich auf den Transportlauf mit dem Flugzeug ( ), im RFS ( ) oder mit dem LKW im Nebenlauf ( ), auf die Sendung selbst ( ) oder auf einen möglichen ULD- Einsatz im Nebenlauf ( ) beziehen. Das Ergebnis bezeichnen wir als Schnittstellennavigator, weil dieser für die Mehrzahl der Luftfrachttransportketten als Orientierungswerkzeug für Evaluierungen, Optimierungen und zur Abschätzung von Entwicklungspotenzialen eingesetzt werden kann (Bild 6). FTI-Potenziale in Anwendungsfeldern und Prozessbereichen Bei der Erarbeitung des Schnittstellennavigators wurden die Schnittstellen einer Stärken-Schwächen-Diskussion unterzogen, um Hinweise für potenzielle Angriffspunkte vor Ort und für Anwendungsfelder von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu geben. Dabei wurde jede Schnittstelle auf ihre Tauglichkeit bewertet, ob sie an lokalisierten Angriffspunkten von Prozessbereichen, also z.B. im Cargo Handling oder am Vorfeld, in den dafür definierten FTI-Anwendungsfeldern Personalisierung, Formatisierung, Digitalisierung, Automatisierung und Dekarbonisierung FTI-Potenziale erwarten lassen und welche Schwerpunkte sich herausstellen. Der Begriff FTI (kurz für Forschung, Technologie und Innovation) wurde dazu weiter als nur akademisch aufgefasst und beinhaltet eine Fülle von Angriffspunkten für Verbesserungs-, Aufrüstungs- oder Umstellungsmaßnahmen im Zuge der Luftfrachttransportketten. Im summarischen Ergebnis ziehen sich die Aspekte der Personalisierung als roter Faden durch alle Anwendungsfelder, sei es, weil der Ersatz des Menschen oder dessen Qualifizierung als Herausforderung anstehen. Beim Anwendungsfeld Formatisierung, das Instrumente zur Strategie und Steuerung umfasst, stehen proprietäre Lösungen im Widerstreit mit übergreifend harmonisierten Prozessen. Hierbei liegt das größte Potenzial in der Durchgängigkeit und Transparenz der Prozesskette, was akteursübergreifend eine Durchleuchtung derselben zur Voraussetzung hat, die tief in die betriebsinternen Strukturen eingreifen kann. Angesichts der Vielzahl der beteiligten Akteure müssen derartige Initiativen organisatorisch auf einer überschaubaren Plattform, z. B. mindestens auf der Ebenen der Sequenzen, angesiedelt sein. Das setzt Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der involvierten Akteure voraus, die schon an den Luftverkehrsknoten-Flughäfen Platz greifen sollte. Die davon abhängende Digitalisierung ist eine Infrastruktur und zugleich ein Werkzeug, zu dem derzeit noch etliche Schwächen ausgemacht wurden. An das Anwendungsfeld Automatisierung werden große Erwartungen geknüpft. Wenn die Automatisierung von Prozessen im proprietären Entscheidungsbereich von Akteuren liegt und solange nicht öffentliche Räume von automatisierten Geräten und Verkehrsmitteln benützt werden, ist eine solche Aufrüstung unmittelbar umsetzbar. Der Einsatz von Robotik und Mechatronik ist allerdings intralogistisch standortabhängig noch in sehr unterschiedlichem Ausmaß realisiert worden. Die generelle Durchdringung der Prozessbereiche entlang der Luftfrachtprozesskette mit Automatisierungstechnologie sollte an Qualitätszielen orientiert werden, weil Ambivalenzen, z. B. in Bezug auf den Einsatz der Humanressourcen, auftreten werden. Beim Anwendungsfeld Dekarbonisierung ist vom Hauptverursacher Lufttransport auszugehen, denn alle anderen prozessbedingten Emissionen sind demgegenüber wenig maßgeblich, wenngleich vor Ort jederzeit im Land- und im Bodenverkehr diesbezügliche Schritte gesetzt werden können. Fazit Ein zentrales Forschungsanliegen war es, die Komplexität von Luftfrachttransportketten möglichst vollständig, nachvollziehbar und repräsentativ darzulegen, sodass nahezu alle vorkommenden Schnittstellen Bild 5: Verortung der Akteursfunktionen entlang der Sequenzen und Prozessbereiche Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 32 LOGISTIK Luftfracht und die dabei involvierten Akteure aufgezeigt werden können. Außerdem wurde ein Modell zur Verkehrsgenerierung der Air Cargo Terminals im Landverkehr entworfen. Über die im Zuge von Lokalaugenscheinen und Fachgesprächen identifizierten Schnittstellen und deren Verortung in der Transportkette sowie mit der Zuordnung von Akteuren können für technologisch-organisatorische Anwendungsfelder an verkehrslogistischen Angriffspunkten sowohl generelle Verbesserungs- und Entwicklungspotenziale als auch Forschungslücken festgemacht werden. Diese müssen aber für konkrete Fälle von den zuständigen Akteuren aufgegriffen werden. Als Leitschnur dazu dient der Schnittstellennavigator. ■ 1 Die Studie „ACCIA - F&E-Potenziale in den Luftfrachtprozessen in Österreich“ wurde als Forschungs- und Entwicklungsdienstleistung für das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) durchgeführt und 2016 abgeschlossen. Am Forschungskonsortium haben federführend das Ziviltechnikerbüro arp-planning.consulting.research sowie DHL Global Forwarding (Austria) GmbH und die Flughafen Wien AG mitgewirkt. Viktoria Marsch, Dipl.-Ing. Ingenieurin für Verkehrslogistik und Ressourcenmanagement, arp-planning.consulting.research, Wien viktoria.marsch@arp.co.at Andreas Romstorfer, Dipl.-Ing. (FH), MA Ingenieur für Logistik, Transport und Verkehrsdienste, arp-planning.consulting.research, Wien a.romstorfer@arp.co.at Heinz Dörr, Dipl.-Ing. Dr. rer. nat. Beratender Ingenieur für Raum- und Verkehrsplanung, arp-planning. consulting.research, Wien heinz.doerr@arp.co.at Bild 6: Schnittstellennavigator für Luftfrachttransportketten Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 33 Strategie LOGISTIK Luftfracht der Zukunft Neue Modelle integrierter Logistikketten am Beispiel des-Flughafens München Luftfracht, Logistikkette, Versand, Integrator, Air Cargo, Flughafen München Neue Anforderungen an das internationale Versandwesen sorgen besonders in der Luftfracht für veränderte Logistikkonzepte. Die Komplexität einer klassischen Luftfrachtkette wird durch digitale und automatisierte Prozessabwicklung reduziert und es entstehen neue Formen der Kooperation unter den beteiligten Akteuren. Klassische Luftfracht-Carrier suchen verstärkt den direkten Anschluss an die Produktion. Parallel dazu erweitern Luftfrachtspediteure ihr Dienstleistungsportfolio und bieten zunehmend integrierte Logistikleistungen an. Marie-Louise Seifert, Andreas Schmidt, Korbinian Leitner E ffiziente und intelligente Verkehrs- und Logistikströme sind entscheidende Faktoren für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Industrie- und Wirtschaftsstandorten. Sie sind die Grundlage zur vernetzten Fertigung und der Vernetzung von Unternehmen auf nationaler und internationaler Ebene. Der Luftfrachtverkehr ermöglicht den Unternehmen die Bedienung und Erschließung neuer ausländischer Märkte und darüber hinaus das Agieren in weltweit geteilten Wertschöpfungsketten. Damit sichert sich insbesondere die deutsche Wirtschaft ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. 1 Wert und Volumen Die Luftfracht und ihre Geschwindigkeit auf langen Distanzen spielen insbesondere im interkontinentalen Handel mit Amerika, Asien, Afrika, Australien und Neuseeland eine wichtige Rolle. 2 Typischer Weise ist der durchschnittliche Wert einer Luftfrachtsendung deutlich höher als bei anderen Verkehrsträgern, d. h. während das absolute Luftfrachtvolumen im Vergleich relativ gering ausfällt, ist der per Luftfracht transportierte Warenwert besonders hoch. Bild 1 stellt die gehandelte Warenmenge Deutschlands dem Warenwert gegenüber. Dargestellt sind deutsche Importe und Exporte des so genannten „Extrahandels“ mit Ländern außerhalb der Europäischen Union. 3 Ökonomische Bedeutung Das globale Luftfrachtaufkommen, gemessen in Frachttonnenkilometer (FTK), ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Die anhaltende Globalisierung wird dieses Wachstum weiter fortsetzen. Da der Transport per Luftfracht in der Regel unmittelbar und ohne längere Warte- und Lagerzeiten erfolgt, eignet sich das globale Luftfrachtaufkommen auch als Indikator für die gesamtwirtschaftliche konjunkturelle Entwicklung weltweit. Sie geht der allgemeinen Entwicklung im Welthandel voraus und kann damit als Frühindikator interpretiert werden. 4 Bild 2 zeigt die Korrelation der beiden Wachstumspfade. 5 Zusammensetzung der Luftfrachtkette Der Lufttransport kann in Form einer Transportkette dargestellt werden. Je nach Anforderung an den Versand stehen zwei verschiedene Transportdienstleister zur Verfügung. Wählt man den ‚klassischen Luftfrachtspediteur‘, nimmt die Ware ihren Weg entlang der ‚klassischen Luftfrachtkette‘. Hierbei wirken viele einzelne Akteure zusammen, um den Warentransport insgesamt abzuwickeln (vgl. Bild 3). Sie setzt sich idealtypisch zusammen aus Absender, Versandspediteur, Airline, Empfangsspediteur und Empfänger, wobei Versand- und Empfangsspediteur zwei Niederlassungen ein und derselben Firma sein können. Die klassische Luftfrachtkette ist damit von einer Vielzahl an Schnittstellen gekennzeichnet, an denen die Ware umgeschlagen, d. h. übergeben wird. Allerdings transportiert der klassische Luftfrachtspediteur nahezu jede Art und Form von Gütern und Warengruppen. Dagegen bildet der so genannte ‚Integrator‘ die gesamte Transportkette in eigener Regie ab, d. h. die einzelnen Schritte werden „aus einer Hand“ heraus ohne Beteiligung Dritter erbracht. Ein Integrator transportiert auf diese Weise größten Teils standardisierte Sendungen normierter Größenordnung und Gewichtsklassen. Beispielsweise ist das maximal zulässige Gewicht auf 31,5- kg begrenzt. Der Vorteil ist, dass der Transportablauf dieser kleineren Frachtgüter in den Logistikzentren hoch automatisiert über Paketbänder erfolgen kann. Da- 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Menge Import Wert Import Menge Export Wert Export 99,3 71,1 94,7 75,5 0,7 28,9 5,3 24,5 Luftfracht sonstige Verkehrsträger Bild 1: Im- und Exporte Deutschlands aus Übersee Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 34 LOGISTIK Strategie durch spart der Integrator Kosten und erzielt einen größerern Durchlauf. 6 Nicht alle Waren und Produkte, die per Luftfracht versendet werden sollen, entsprechen allerdings den Standards dieses Leistungsportfolios. Erweiterte Anforderungen Beide Formen der Transportdienstleistung waren bisher mehr oder weniger in „friedlicher Koexistenz“ vorzufinden. Der Wettbewerbsdruck am Luftfrachtmarkt hat in den letzten Jahren jedoch spürbar zugenommen, was sich u. a. an der Höhe der Margen im Versand ablesen lässt. Insbesondere haben die Anforderungen seitens der Versender in Form erhöhter Flexibilität, Zuverlässigkeit und Transparenz in der Lieferkette zugenommen. Besonderes Augenmerk legen die Kunden etwa auf standardisierte Verfahren des ,tracking & tracing‘, um ihre Sendung nachverfolgen zu können. Hinzu kommen Mehrwertdienste zum Versand, beispielsweise Lagerhaltung, Kommissionierung der Waren und Verpackung, die an die spezifischen Wünsche und Bedürfnisse der Kunden angepasst werden. Dies hat, vereinfacht gesagt, dazu geführt, dass der klassische Luftfrachtspediteur sein Portfolio in Richtung Integrator erweitert und u. a. standardisierte Transportverfahren anbietet. Umgekehrt versuchen Integrator zunehmend auch komplexere Transporte darzustellen, die bisher überwiegend von Spediteuren abgewickelt worden sind. Neue Kooperationen Der beschriebene Wettbewerbsdruck führt zu einer strukturellen Veränderung in der Luftfrachtbranche. Beispielsweise kooperieren zunehmend Luftfracht-Carrier mit Versendern, um die Standorte eines Unternehmens direkt zu versorgen. In der Branche spricht man von ‚Werkversorgungsflügen‘, die von Spediteuren oder so genannten ‚Charterbrokern‘ gehandled werden. Direkte Transporte werden von Unternehmen auch deshalb organisiert, um Waren zuverlässig und zum richtigen Zeitpunkt am Markt platzieren zu können. Vorreiter dieser Entwicklung sind Unternehmen aus der Textilbranche, der High-Techals auch der Automobilindustrie. Diese Entwicklung geht in manchen Bereichen sogar noch einen Schritt weiter: Erste Unternehmen integrieren die gesamte Versandlogistik inklusive des Lufttransports zurück ins eigene Haus. So hat beispielsweise der Online-Versandhändler Amazon in den USA bereits eigene Transportflugzeuge angeschafft, um zeitnah die Versandware in den lokalen Distributionszentren für die Auslieferung bereitzustellen. Hierbei sind direkte Kooperationen mit den Luftfracht-Carriern denkbar, sollten eigene Kapazitäten nicht ausreichen. Integrierte Luftfrachtkette Die Rückführung von Logistikprozessen in die hauseigene Distribution ist ein Beispiel der integrierten Luftfrachtkette. Alternativ können die bisher separat an der Luftfrachtkette beteiligten Akteure ihre (Teil-) Prozesse zusammenführen und dem Kunden einen einzigen, geschlossenen und durchgehend nachverfolgbaren Versandprozess anbieten. Die Entwicklung einer zunehmend integrierten Luftfrachtkette wird von weiteren Faktoren getrieben. Neben neuen Standorten und zusätzlicher Abfertigungskapazitäten kommen neue Flugzeugtypen zum Einsatz. Darüber hinaus wächst das Bewusstsein aller Akteure der Luftfracht, dass die Vernetzung und Verwendung einheitlicher Standards bei Systemen und Infrastruktur entscheidend sind für den kommerziellen Erfolg der Branche. Neue Standorte Für den schnellen und direkten Transport wird die Luftfracht zunehmend dezentral versendet. Während in Deutschland bisher der Flughafen Frankfurt der zentrale Standort in der Luftfracht war, werden Transporte nun auf weitere Gateways verlagert. Diese ‚Evolution‘ lässt sich konkret anhand der Luftfrachtentwicklung am Flughafen München erkennen. Wie Bild 4 zeigt, hat sie sich im Vergleich zu Frankfurt überdurchschnittlich positiv entwickelt. 7 Neue Abfertigungskapazitäten Seit den 2000er Jahren haben deutsche Verkehrsflughäfen massiv in die Erweiterung ihrer Abfertigungskapazitäten für Luftfracht investiert. Insbesondere sind der Neubau der ‚Cargo City Süd‘ in Frankfurt und die großflächige Erweiterung des Cargo-Terminals am Flughafen München hervorzuheben. Neues Gateway München Der Standort München hat die Entwicklungen in der Luftfracht vorausschauend erkannt und das Air Cargo Center entsprechend erweitert. Im Rahmen der Planungen wurde besonders auf kurze Wege zur schnellen Frachtabfertigung geachtet. Damit kann die Fracht zwischen dem Lager des Spediteurs und der Abfertigungshalle der Fluggesellschaft direkt umgeschlagen werden. Es entfallen aufwendige Zwischentransporte mit LKWs. Damit verringert sich auch das Risiko von Beschädigungen und Verspätungen. 8 Ein weiterer Vorteil am Standort München ist die Vielzahl an Interkontinentalverbindungen. Bild 2: Entwicklung des Luftfrachtaufkommens (rot) versus Entwicklung des Welthandels Transport Abgangsflughafen Abgangsort Zielort Empfangsflughafen Bild 3: Akteure der klassischen Luftfrachtkette (eigene Darstellung) Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 35 Strategie LOGISTIK Neue Flugzeugmuster Luftfracht kann sowohl in reinen Frachtfliegern als auch als Beiladung auf Passagierflugzeugen transportiert werden. Die Beiladung im ‚lowerdeck‘ der Maschinen wird im Fachjargon auch als ,belly-load‘ bezeichnet. Die Größe und Traglast des Frachtraums in Passagierflugzeugen ist mit Einführung neuer Flugzeugmuster zunehmend größer geworden. 9 Während alte Flugzeuge wie die Boeing 757-200 bzw. 767-300 eine maximale Zuladung von durchschnittlich 4 bzw. 11- t hatten, können die heute eingesetzten Maschinen, wie die Boeing 777-300 und 787- 800, eine Zuladung von bis zu 19 t erreichen (vgl. Bild 5). Die erweiterten Kapazitäten zur Frachtbeiladung führen dazu, dass Luftfracht in größeren Mengen auf immer mehr direkten und regelmäßigen Verbindungen mittransportiert werden kann, gänzlich unabhängig vom Angebot reiner Frachtflieger. 10 In München werden nahezu 80 % der verflogenen Fracht in den Bäuchen von Passagierflugzeugen verladen. Dies generiert zusätzliche Erträge von etwa 15 % auf den angebotenen Flugverbindungen. Neue Hubs Im Zuge neuer Formen der Zusammenarbeit schließen sich Spediteure zu Einkaufsgemeinschaften zusammen und kaufen beispielsweise Warenumschlagskapazitäten bei Lagerbetreibern an den Flughäfen ein, die gemeinsam genutzt werden. Am Standort München etablieren zudem immer mehr Speditionsunternehmen so genannte „Consolhubs“, die als solche bisher nur in Frankfurt betrieben wurden. Sie dienen als zentrale Sammelstelle bei der Zusammenführung von unterschiedlichen Luftfrachtsendungen aus Süddeutschland und den angrenzenden Nachbarländern wie Italien und Österreich. Fazit Neue Anforderungen an das internationale Versandwesen sorgen für strukturelle Veränderungen im Luftfrachtmarkt und generieren neue Formen der Kooperation zwischen den beteiligten Akteuren an der Luftfrachtkette. Effiziente Handlingsprozesse und die regelmäßig zur Verfügung stehenden Frachtkapazitäten auf Interkontinentalverbindungen etablieren den Air Cargo Hub München weiter als zweites Fracht- Gateway in Deutschland. ■ 1 Pompl, Wilhelm (2006): Luftverkehr: Eine ökonomische und politische Einführung. Springer Verlag. 2 Statistisches Bundesamt (2016): Außenhandel, zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel, Fachserie 7, Reihe 1; Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft (2016): Report Luftfahrt und Wirtschaft, www.bdl. aero. 3 Waren, wie beispielsweise Erdgas, die per Rohrleitung transportiert werden, sind nicht berücksichtigt. 4 Jansen, Jean-Peter (2002): Die zukünftige Entwicklung der Luftfracht in Neuntes Kolloquium Luftverkehr an der Technischen Universität Darmstadt, Herausgeber: Arbeitskreis Luftverkehr der Technischen Universität Darmstadt, Darmstadt 2002. 5 IATA (2017) und IATA, Annual Review 2016, www.iata.org. 6 Cossel, von, Johannes (2011): Analyse der zeitlichen Konnektivität von Luftfrachtgesellschaften. Reihe Arbeitspapiere Güterverkehr und Logistik, Nr. 5, Herausgeber: Institut für Wirtschaftspolitik und Wirt-schaftsforschung (IWW). 7 Eigene Angaben der Flughäfen Frankfurt und München. 8 Paffenberger, Ulrich (2015) Der Fracht wachsen Flügel, in: Wirtschaft - Das IHK-Magazin für München und Oberbayern (02/ 2015). 9 Noß, Martina und Wenzel, Daniel (2015): Luftfracht(er) markt - Einschätzungen und Prognosen, in: Nord/ LB: Sector Research: „Aviation Special Cargo“ vom 8. Juli 2015. 10 Lufthansa Cargo: (o. J.): “Networking the world”; Flughafen München Andreas Schmidt, Fachbetreuer Luftfracht, Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, München, schmidt@muenchen.ihk.de Korbinian Leitner, Dr. Referatsleiter Verkehrsinfrastruktur und Logistik, Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, München leitner@muenchen.ihk.de Marie-Louise Seifert, Referentin für Luftverkehr und Logistik, Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, München marie-louise.seifert@muenchen.ihk.de 0 4 8 12 16 20 B 757-200 (Inbetriebnahme 1983) B 767-300 (Inbetriebnahme 1983) B 777-300 (Inbetriebnahme 2004) B 787-800 (Inbetriebnahme 2011) in Tonnen durchschnittliche Ladekapazität in Tonnen 80 100 120 140 160 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Flughafen München Flughafen Frankfurt Bild 5: Durchschnittliche Ladekapazität verschiedener Flugzeugmodelle Bild 4: Indexvergleich der Frachtentwicklung an den Flughäfen Frankfurt und München Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 36 LOGISTIK Südafrika Gute Hoffnung am Kap Südafrika investiert Milliarden in die Logistik-Infrastruktur Infrastrukturausbau, Frachttransport, Schienengüterverkehr, Containerterminal, Transportnetzwerke Die Regenbogennation durchläuft eine krisenreiche Zeit mit politischen Skandalen, fallenden Rohstoffpreisen und Energiekrisen. Dennoch sehen viele einen Silberstreif am Horizont: Ein milliardenschwerer Ausbau der Infrastruktur hat begonnen. Dirk Ruppik D ie Republik an der Südspitze Afrikas befindet sich in einer schwierigen Phase. Skandale und Vorwürfe der persönlichen Bereicherung und Korruption gegen den Präsidenten Jacob Zuma sowie die Einflussnahme reicher Familien wie der Gupta-Familie auf die Politik erschüttern das Land mit fast 56 Millionen Einwohnern in seinen Grundfesten. Entscheidungen in staatlichen Ministerien und Unternehmen werden laut eines Untersuchungsberichts gezielt beeinflusst, um privaten Geschäftsinteressen zu dienen. Die ohnehin schwache Wirtschaftskonjunktur und das Investitionsklima werden durch die Vorfälle zusätzlich negativ beeinflusst. Wichtige Gesetzesvorhaben stecken bereits seit Jahren fest. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts fiel gemäß Weltbank in 2016 auf 0,6 %. Für 2017 (1,1 %) und 2018 (rund 2 %) wird eine leichte Erholung prognostiziert. Der Infrastrukturausbau wurde seit Jahren vernachlässigt, was zu einer weiteren Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums führt. Trotzdem rangiert die Republik beim Logistics Performance Index der Weltbank noch auf Platz 20 von weltweit 160 Ländern. Er unterteilt sich in die sechs Kategorien Zoll, Infrastruktur, internationaler Versand, Logistikleistung, Nachvollziehbarkeit und Pünktlichkeit. Die Punktzahlen der einzelnen Kategorien werden mittels eines gewichteten Durchschnitts zu einer Gesamtzahl aggregiert, die eine Rangliste der untersuchten Staaten ergibt. Neben dem Fachkräftemangel bei gleichzeitig extrem hoher Arbeitslosigkeit von 26,6 %, häufigen Streiks, dem Missmanagement in Staatsunternehmen, der Energiekrise, der hohen Inflation und politischen Unsicherheit, wird der Staat am Kap der Guten Hoffnung durch externe Faktoren wie fallende Rohstoffpreise gebeutelt. Zudem kam es 2015/ 16 aufgrund des Wetterphänomens El Niño zu einer extremen Dürre mit schweren Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Südafrika besitzt insbesondere für die deutsche (BMW, Mercedes-Benz, VW) und europäische Automobilindustrie einen hohen Stellenwert. Deutschland ist laut Germany Trade & Invest nach China das wichtigste Lieferland. Südafrika wiederum verfügt über eines der größten Goldvorkommen der Welt, fördert und verkauft Diamanten, Kohle, Platin, Eisen, Mangan, Kupfer, Erdöl, Uran und Blei. Die Republik ist das viertwichtigste Land für die Eisenerzversorgung Chinas. Weiterhin besitzt das aufgrund seiner gemischten Bevölkerung als Regenbogennation bekannte Land große Erdölvorkommen. Ausbau der Infrastruktur mit milliardenschweren Programm Die Studie „Logistics Barometer 2016“ der Universität Stellenbosch ermittelt für 2014 ein Frachtaufkommen von 848 Mio. t (+ 8,4 % gegenüber 2013). Für 2015 werden 865 Mio. t genannt, für 2016 jedoch aufgrund geringerer Exporte im Bergbaubereich ein nur 856 Mio. t. Mehr als 80 % der allgemeinen Fracht wird per LKW transportiert, auf der Schiene rollen vor allem Rohstoffe für den Export. Die Logistikkosten lagen in 2014 bei 11,2 % des BIP (Deutschland 8,6 %). Laut Vorhersage wird sich das Frachtvolumen in den nächsten 30 Jahren mehr als verdoppeln. Daher muss die Infrastruktur dringend ausgebaut werden. Die staatliche Transnet, die Eisenbahnen, Häfen und Pipelines betreibt, hat in 2012 ihre „Market Demand Strategy“ (2015 - 2022) veröffentlicht, mit der sie versucht, „identifizierte Wachstumspotenziale innerhalb der nächsten Jahre zu nutzen“. Dann allerdings müssen alle Engstellen beseitigt sein, die die Entwicklung Südafrikas bremsen könnten. Karl Socikwa, Geschäftsführer Transnet Port Terminals, glaubt, dass das Land nach der Krisenzeit schon bald zur wachsender Nachfrage zurückkehren wird. Demnach ist geplant, die existierende Schienen-, Hafen- und Pipeline-Infrastruk- Kapstadt. Foto: Damien du Toit/ Wikimedia Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 37 Südafrika LOGISTIK tur mit einem 337 Mrd. ZAR (Südafrikanische Rand; rund 23 Mrd. EUR) schweren Investmentprogramm zu erweitern, um die Kapazität zu erhöhen und die Marktnachfrage zu befriedigen. Der Transport von Fracht soll zunehmend von der Straße auf die Schiene verlagert werden, um Kosten und Emissionen zu reduzieren. Für den Ausbau des Schienengüterverkehrs sind daher 211 Mrd. ZAR (rund 14,6 Mrd. EUR) vorgesehen. Weitere 7,2 Mrd. EUR fließen in die Erweiterung der Seehäfen und rund eine Milliarde in die Entwicklung des Pipeline- Netzwerkes. Insgesamt soll die Produktivität und Effizienz des gesamten Transportnetzwerkes verbessert werden, damit das Land weiterhin der führende Logistikhub in Subsahara-Afrika bleibt und seinem Konkurrenten Nigeria die Stirn bietet. Revitalisierung der Eisenbahn für den Frachttransport Die Republik besitzt das vierzehnlängste Eisenbahnnetzwerk der Welt. Historisch hat es sich im Zuge der Entwicklung des Bergbaus und anderen Schwerindustrien sowie der Land- und Forstwirtschaft entwickelt. Es ist mit Eisenbahnetzwerken in Namibia, Botswana, Mozambik, Zimbabwe und Swasiland verbunden. Allerdings wurde in den letzten 30 Jahren kaum in die Erhaltung oder gar Erweiterung investiert. Durch die Market Demand Strategy soll auch das Eisenbahnnetzwerk insbesondere in Hinblick auf den Frachttransport von Eisenerz und Kohle revitalisiert werden. Ein großer Anteil des Lokomotiven-Neubauprogramms (1064 Einheiten) ging an die chinesischen Hersteller China North und South Rail, der Rest an Bombardier (240) und General Electric. Im August 2016 eröffnete Bombardier eine neue Produktionsstraße für Antriebssysteme. Gemäß Transnet sollen alle Lokomotiven bis auf die ersten 70 auch zur Unterstützung des heimischen Arbeitsmarktes in den eigenen Werken in Koedoespoort, Pretoria und Durban gebaut werden. Am Ende des Programms in 2022 soll der Frachtumschlag per Schiene ansteigen, von 226,6 Mio. t (2014/ 15) auf 362 Mio. t. In diesem Zuge wird auch der Durban-Gauteng- Eisenbahnkorridor ausgebaut, an den der Hafen Durban angeschlossen ist. Hafen Durban in der Warteschleife Rund 96 % der Exporte werden über den Seeweg versendet. Die aus- und eingehende Fracht stammt meist aus Afrika, Asien, Europa und dem Doppelkontinent Amerika. Das Land besitzt acht Handelshäfen: Richards Bay, Durban, East London, Ngqura, Port Elizabeth, Mossel Bay, Cape Town und Saldanha. In den Haupthäfen wird die Kapazitätsnachfrage gemäß Transnet von 255 Mio. t in 2015 auf 314 Mio. t in 2022 pro Jahr anwachsen - im Jahr 2046 sogar auf 543 Mio. t. Alle Häfen zusammen handelten laut dem amerikanischen Journal of Commerce in 2015 rund fünf Millionen 20 Fuß- Standardcontainer (TEU). Für 2022 werden 6,4 Mio. TEU, für 2046 sogar 13,9 Mio. TEU prognostiziert. Richard’s Bay besitzt den größten Kohleterminal der Welt und Mossel ist das bedeutenste Ölterminal Südafrikas. Der tiefste Hafen des afrikanischen Kontinents ist der Containerhafen Ngqura. Durban war bis vor kurzem der größte Containerhafen in der südlichen Hemisphäre, wurde aber vom indonesischen Jakarta überholt. Drei von fünf Containern werden über den Hafen Durban verschifft. Folglich ist das größte Ausbauprojekt im Lande die Erweiterung des alten Containerhafens auf Salisbury Island. Laut der südafrikanischen Engineering News werden in Phase 1 (Pier 1) 2,4 Mio. TEU Kapazität (momentan 700 000 TEU) hinzugefügt. Die Arbeiten sollen von 2018 bis 2023 dauern. In einem Folgeprojekt wird Pier 2 um 500 000 TEU Kapazität erweitert, dann wird die Gesamtkapazität des Durban Containerhafens 5,3 Mio. TEU betragen. Den Neubau des sogenannten „Dig Out- Port“ 20 km südlich des bisherigen Hafens (teilweise auf 800 Hektar Gelände des alten Flughafens) hat die Regierung aufgrund der wirtschaftlichen Lage auf Eis gelegt. Für das Projekt waren in der bisherigen Planung Investitionen von rund 74 Mrd. ZAR (etwa 5-Mrd. EUR) vorgesehen, die Fertigstellung bis 2050 sollte 9,5 Mio. TEU jährliches Umschlagvolumen auf 16 Liegeplätzen bringen. Das Layout umfasst auch ein Automobil-Terminal mit einer Handlingskapazität von 300 000 Fahrzeugen pro Jahr. Zudem soll der Hafen ein Glied im Durban- Gauteng-Frachtkorridor werden. Die Provinz Gauteng ist das wirtschaftliche Herz Südafrikas. Im Zuge der zunehmenden Automobilproduktion (2015: 0,764 Mio., 2022: 1,1 Mio., 2046: 2,7 Mio.) werden neben Durban auch die Häfen Elizabeth und East London erweitert. Wobei Durban 71 % aller Fahrzeuge, Port Elizabeth 19 % und East London 10 % handelt. ■ Neue Class 44-Lokomotiven für den Schienengüterverkehr. Foto: Wikimedia/ André Kritzinger Containerhafen von Durban Foto: Transnet Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 38 LOGISTIK Elektrifizierung Elektrifizierungspotential kommerzieller Kraftfahrzeug- Flotten im Wirtschaftsverkehr Elektromobilität, Wirtschaftsverkehr, Smart Grid, Fahrzeugflotten, Elektrische Netze, Batterien, Speichertechnologie Im Projekt komDRIVE der TU Berlin mit den Kooperationspartnern Forschungszentrum Jülich und Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg wurde das Elektrifizierungspotenzial kommerzieller Kraftfahrzeugflotten im städtischen Wirtschaftsverkehr untersucht. Wulf-Holger Arndt, Norman Döge Z iel des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beauftragten Konsortiums war es, im Projekt komDRIVE die Möglichkeit zu untersuchen, diese Flotten als dezentrale Energie-Ressource in städtischen Stromverteilnetzen zu nutzen. Diese Integration schafft unter anderem ein Speichermedium zum Ausgleich von Stromangebots- und Nachfrageschwankungen bzw. zur Frequenzstabilisierung. Auf diesem Wege könnten durch die Bereitstellung von Speicherkapazitäten sogenannte vergütete Systemdienstleistungen (SDL) angeboten werden, die für Flottenbetreiber im Wirtschaftsverkehr einen zusätzlichen Anreiz zum Umstieg auf elektrisch angetriebene Fahrzeuge in Wirtschaftsverkehrsflotten bieten könnten. Dies ist eine Maßnahme, um die Dominanz der umweltschädlichen Dieselantriebe im städtischen Wirtschaftsverkehr zu verringern und den Ausbau dezentral erzeugter Energie zu fördern. Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden umfangreiche Fahrzeug-Erhebungen, Analysen von Verkehrsdaten, Emissions- und Netz-Simulationen und auch technische Untersuchungen vorgenommen. Hier sollen ausgewählte Ergebnisse beschrieben werden, ein Buch mit allen Ergebnissen des Vorhabens ist Ende 2016 erschienen. Analyse der Fahrtdaten von Wirtschaftsverkehrsfahrzeugen Zur Abschätzung des Einsatzpotenzials von Elektrofahrzeugen in Wirtschaftsverkehrsflotten wurde die Erhebung Kraftfahrzeugverkehr in Deutschland 2010 1 (KiD 2010) vertiefend ausgewertet. Die Analysen ermittelten das Elektrifizierungspotential der Flotten hinsichtlich der Tagesfahrleistungen im städtischen Wirtschaftsverkehr nach Wirtschaftszweigen für die Fahrzeugklassen PKW und LKW mit einer Nutzlast kleiner als 3,5-t. Bild 1 zeigt die Spannweite der Tagesfahrleistung nach Wirtschaftszweigen. Elektrisch angetriebene Referenzfahrzeuge wurden herangezogen, um die Tagesfahrleistungen der Auswertungen mit dem aktuellen technischen Stand vergleichen zu können. Für die PKW waren dies E-Wolf Omega 0.7 Cargo, Renault Kangoo Z.E.; für leichte Nutzfahrzeuge (LNF) Mercedes Vito E-Cell, Iveco Daily 35S. Bei den Referenzfahrzeugen der Fahrzeugklasse PKW ist eine elektrische Reichweite von 154 bzw. 170- km nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) angegeben. Dieser Wert kann je nach Zuladung, Wetterverhältnissen und Nutzung von Nebenaggregaten wie der Klimaanlage stark schwanken. Als Referenz ist in den Abbildungen die häufig besprochene Grenze von 100 km eingezeichnet. Bei den LNF liegen die Reichweiten der Referenzfahrzeuge nach dem NEFZ jeweils bei 130 km. Bei den gewerblich genutzten PKW liegt der Median der Tagesfahrleistung laut KiD 2010 in allen Wirtschaftszweigen - teilweise deutlich - unter 100 km. Ausnahme ist der Zweig M (Erbringung von freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen). Allerdings kann diese Verteilung nicht als repräsentativ angesehen werden, da die Fallzahl bei diesem Zweig lediglich bei vier liegt. Geht man von einer elektrischen Reichweite von 100 km aus, ließen sich in allen Wirtschaftszweigen über 50 % der PKW durch Elektrofahrzeuge ersetzen. Zudem gibt es einige Zweige (A, D, E, I, K, N und Q), Bild 1: Tagesfahrleistungen für LNF (LKW kleiner 3,5 t Nutzlast) im städtischen Wirtschaftsverkehr nach Wirtschaftszweigen (Daten aus KiD 2010) Quelle: Arndt, W.-H. et al. 2016 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 39 Elektrifizierung LOGISTIK wo auch das obere Quartil unter der 100-km-Grenze liegt. In diesen Branchen ließe sich folglich ein noch größerer Anteil der Fahrten mit Elektrofahrzeugen bewältigen. Dabei ist die Vergleichsreichweite mit 100 km recht niedrig angesetzt. Die größten Potentiale liegen in den Branchen D (Energieversorgung), E (Wasserversorgung etc.), N (Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen) und Q (Gesundheits- und Sozialwesen). Bei den LNF lässt sich Ähnliches beobachten. Auch hier liegen alle Mediane deutlich unter der 100-km-Grenze (Bild 1). Zudem liegt das Quartil lediglich bei den Zweigen C, G, H, M, N, R und S über den 100 km Tagesfahrleistung. Auch in dieser Fahrzeugklasse ließen sich große Anteile von Fahrzeugen durch E-Fahrzeuge ersetzen. Die vielversprechendsten Zweige sind D (Energieversorgung), E (Wasserversorgung etc.), F (Baugewerbe/ Bau), O (Öffentliche Verwaltung) und Q (Gesundheits- und Sozialwesen). Insgesamt ist das Potenzial für den Einsatz von Elektrofahrzeugen im städtischen Wirtschaftsverkehr in nahezu allen Branchen als hoch zu bewerten. Jedoch muss hier einschränkend erwähnt werden, dass die zitierten Statistiken nur die Fahrten im Wirtschaftsverkehr umfassen. Zusätzliche Fahrten im Privatverkehr mit demselben Fahrzeug wurden hier nicht berücksichtigt. Analysen von Flotten im Wirtschaftsverkehr Innerhalb des Vorhabens wurden verschiedene Flottenbetreiber interviewt und deren Fahrzeugeinsatzdaten gemessen. Die Abfrage der Haupteinsatzzeiten (Mehrfachantwort von vier Stunden Zeitfenstern möglich) ergab, dass der Großteil der Flotten im Zeitraum zwischen 8 und 16 Uhr täglich operiert und etwas weniger zwischen 16 und 20 Uhr (Bild 2). Allerdings bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Wirtschaftszweigen. Während zum Beispiel die Betreiber aus dem Baugewerbe antworteten, dass ihre Fahrzeuge hauptsächlich zwischen 8 und 16 Uhr im Einsatz sind, gaben die Antwortenden aus dem Wirtschaftszweig „Verkehr- und Nachrichtenübermittlung“ an, dass ihre Flotten über den ganzen Tag hinweg im Einsatz sind. Die am wenigsten genutzten Zeitfenster wären somit jene zwischen 20 Uhr und 8 Uhr. In diesen Zeitraum ist die Mehrzahl der Fahrzeuge der antwortenden Betreiber, mit Ausnahme der Wirtschaftszweige „Verkehrs- und Nachrichtenübermittlung“ und „Grundstücks- und Wohnungswesen“, nicht oder kaum im Einsatz. Somit ist eine ausreichende Zeitspanne für die Integration der Wirtschaftsverkehrsfahrzeuge in das Stromnetz (Ladung der Batterie) vorhanden. Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Möglichkeit, das Einzelfahrzeug bzw. die Flotte elektrifizieren zu können, ist der Zugang zu bzw. die notwendige Nachrüstung von Ladeinfrastruktur am Fahrzeugstandort nach Betriebsschluss und während der Standzeiten (z.B. zum Be- und Entladen). Bezüglich des Fahrzeugstandortes nach Betriebsschluss gab eine geringe Mehrheit der Flottenbetreiber an, dass die Fahrzeuge nach dem Einsatz in der Nähe der Wohnung des Fahrers anstatt auf dem eigenen Betriebsgelände geparkt würden. Ein dezentrales Abstellen der Fahrzeuge würde, gerade im Innenstadtbereich, bedeuten, dass Fahrer, die ihr Fahrzeug mit nach Hause nehmen und im öffentlichen Straßenraum parken, auf eine öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen wären. Eine Flotte, deren Fahrzeuge nach Betriebsschluss auf dem Firmengelände verbleiben, kann mit wenig Aufwand mit Ladeinfrastruktur versorgt werden (sowohl monetär als auch organisatorisch). Diese Fahrzeuge können einfacher für das Anbieten von Systemdienstleistungen in Stromnetzen durch Aggregatoren von Speicherkapazitäten gepoolt werden. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass diese Fahrzeuge nach Dienstschluss nicht zusätzlich für private Fahrten genutzt werden, was das Zeitfenster, in dem SDL angeboten werden können, vergrößern würde. Folglich ist das Elektrifizierungspotential in jenen Wirtschaftszweigen größer, in denen das Fahrzeug nach Betriebsschluss auf dem Betriebshof verbleibt. Einige Flottenbetreiber haben bereits eingehende Erfahrungen mit elektrischen KFZ sammeln können. So wurden im Kurierbereich überwiegend positive Erfahrungen mit Elektrofahrzeugen gemacht. Besonders das Fahrgefühl wird von den Nutzern als entspannend empfunden. Öffentliche Ladestrukturen und Informationen sind derzeit noch in zu geringem Umfang vorhanden. Vorurteile gibt es besonders bei großen Fahrzeugen, die noch von „Kinderkrankheiten“ geplagt werden. Es fehlen Informationen aus Langzeitanalysen (z. B. Wertverfall, Wartung) und einheitliche, realistische und individuell zugeschnittene Schätzungen zur Wirtschaftlichkeit von elektrischen Fahrzeugflotten. Um Elektromobilität zu fördern, werden neben Subventionierungs-bzw. Abschreibungsmöglichkeiten - was durch die Anschaffungsprämie von der Bundesregierung bereits aufgegriffen wurde - vor allem Ausleih- und Testmöglichkeiten gewünscht. Der Informationsbedarf ist groß (Kosten, Fahrzeuge, Anschaffung, usw.). Er sollte durch individuelle Aufklärung der Unternehmen und Nutzer gedeckt werden. Das bedeutet sowohl praktische Testmöglichkeiten als auch theoretische Analysen, ob und welche E-Fahrzeuge für spezielle Anforderungen Sinn machen - z. B. in Form von Checklisten. Simulation der Potenziale zur Emissionsreduktion Die oben beschriebenen Recherchen und Erhebungen waren eine wichtige Grundlage für die Simulationen der Potenziale der Elektrifizierung deren Wirkungen auf die Reduktion von Emissionen aufgrund der geringeren spezifischen Emissionsraten vor allem von batterieelektrischen Fahrzeugen (BEV). Zusammenfassend lassen sich aus den Analysen der Fahrprofile folgende Schlussfolgerungen ableiten: Hohe durchschnittliche Tagesfahrleistungen bedeuten auch eine große Streuung bei den täglichen Wegstrecken. Damit sinkt der Elektrifizierungsgrad für größere Werte, auch wenn diese noch kleiner sind als die mögliche Reichweite für BEV. Ein Elektrifizierungsgrad von 100 % konnte nur bei durchschnittlichen Tagesfahrleistungen von deutlich unterhalb der maximalen BEV-Reichweite beobachtet werden. Diese Erkenntnis ist insbesondere für spätere TCO-Berechnungen relevant, da eine Wirtschaftlichkeit der BEV bei großen durchschnittlichen Tagesfahrstrecken zu erwarten ist, diese dann aber durch BEV nicht zwingend abgebildet werden können, obwohl die maximale Reichweite der Fahrzeuge dies zulassen würde. Bild 2: Haupteinsatzzeiten der Fahrzeuge im eigenen Fuhrpark (n = 90, Mehrfachauswahl möglich) Quelle: Arndt, W.-H. et al. 2016 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 40 LOGISTIK Elektrifizierung Die Fahrprofile unterschiedlicher Branchen sind, trotz der Einschränkung auf den innerstädtischen Wirtschaftsverkehr, sehr differenziert (siehe Analysen bei PKW). Der Elektrifizierungsgrad kann daher nur sehr grob für komplette Fahrzeugklassen bestimmt werden. Die Analysen der leichten LKW haben zudem gezeigt, dass die Fahrprofile selbst innerhalb der Branchen (Beispiel KEP) sehr inhomogen ausfallen können, sodass selbst ein branchenweiser Elektrifizierungsgrad mit großen Unsicherheiten belastet ist. Zur Bestimmung des Elektrifizierungsgrades ist mindestens eine Betrachtung von Einzelflotten notwendig. Bei Hinzunahme der Erkenntnisse aus den Fahrprofilen der Einzelfahrzeuge lässt sich ein mögliches Elektrifizierungspotential individuell bestimmen. Durch die Untersuchungen des Fachgebiets FVB der TU Berlin konnte eine tendenziell offensive Fahrweise mit großen Beschleunigungen und Verzögerungen über einen weiten Geschwindigkeitsbereich bei leichten LKW beobachtet werden, deren Ursache in erhöhtem Termindruck und engen Zeitplänen vermutet wird. Aufgrund der eingeschränkten Datenlage sind diese Analysen jedoch nur beschränkt aussagekräftig. Die beschriebenen Faktoren gingen in die anschließenden Simulationen der Elektrifizierungspotenziale und deren Emissionswirkungen ein. Lokale Simulationen drei verschiedener Arten von täglichen Emissionen - CO 2 , CO und Feinstaub - im Wirtschaftsverkehr wurden in einem Modellgebiet in Berlin für die Jahre 2015, 2020 und 2030 gerechnet. Die Ergebnisse ergaben zum Beispiel , dass die Feinstaubemissionen von LKW (> 3,5-t) im Modellgebiet von 2,5 kg/ d im Jahr 2015 auf 1,0 kg/ d im Jahr 2020 und 0,3 kg/ d im Jahr 2030 sinken. Laut HBEFA 3.2 beträgt der Emissionsfaktor für Feinstaub 2030 nur ca. 10 % im Vergleich mit 2015 für LNF und SNF. Der Feinstaub-Emissionsfaktor für PKW sinkt 2030 auf etwa 1/ 3, aber der Anteil konventioneller Fahrzeuge sinkt 2030 auf 73 % mit 17 % Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge (PHEV) und 8 % BEV. All dies führt zur drastischen Abnahme der Feinstaubemissionen. Mithilfe eines Energiesystem-Modells, welches durch das IEK-STE des Forschungszentrums Jülich in Rahmen des Projektes weiterentwickelt wurde, konnten, für den gesamtdeutschen Raum, die Verteilungen der Fahrleistungen im Wirtschaftsverkehr sowie die Energieverbräuche und CO 2 -Emissonen für 2015, 2020 und 2030 errechnet werden. Tabelle 1 zeigt die errechneten Anteile des städtischen Verkehrs, Wirtschaftsverkehrs und städtischen Wirtschaftsverkehrs an der jeweiligen Gesamtfahrleistung im Szenario. Das Energiesystemmodell berechnet neben den Kosten und Energieströmen auch die energiebedingten CO 2 -Emissionen des Gesamtsystems und der Sektoren (keine Emissionen aus stofflich bedingten Produktionsprozessen wie zum Beispiel der nicht energetische bedingte Anteil der Zementherstellung). Der Anteil des Wirtschaftsverkehrs an den gesamten CO 2 -Emissionen beträgt mit den getroffenen Annahmen im Referenzszenario im Jahr 2030 43,8 % und der städtische Anteil ca. 22 % bezogen auf die Gesamtemissionen. Durch die unterstellte Elektrifizierungsstrategie des Wirtschaftsverkehrs vornehmlich bei PKW sowie leichte und mittelschwere LKW können im Wirtschaftsverkehr insgesamt im Vergleich zu einem BAU-Szenario 3,2 Mio. t pro Jahr eingespart werden; davon städtisch bedingt 2,9 Mio. t. Der Beitrag zur CO 2 -Einsparung durch die Elektrifizierung der EV- Wirtschaftsflotte ist nennenswert und stellt einen Baustein für eine Reduktionsstrategie im Verkehrssektor dar. Die CO 2 -Einsparung wird durch Ladeszenarien, Windcharakteristiken etc. beeinflusst. Elektrische Fahrzeuge (EV) können bei den gesetzten Zielen der Energiewende Bestandteil von kostenoptimalen Reduktionsstrategien sein. Insbesondere das Ziel zur Endenergieeinsparung im Verkehr (40 % bis 2050) erweist sich als wichtiger Treiber für den EV-Einsatz im Privat- und Wirtschaftsverkehr. Die Auswirkungen des angenommenen Bestands an EV im Wirtschaftsverkehr auf das gesamte Energieversorgungssystem in Deutschland sind nicht signifikant. Der Primärenergieverbrauch durch den Einsatz von EV sinkt 2030 sehr geringfügig. Der Einsatz von Mineralölprodukten sinkt im Vergleich zum Ausgangszustand 2015 um 8,4 % im Jahr 2030. Es findet kein signifikanter Zubau an Kraftwerksleistung für EV- Nutzung im Wirtschaftsverkehr statt, sondern eine Mehrauslastung bestehender Kapazitäten. ■ 1 http: / / www.kid2010.de LITERATUR: Arndt, W.-H. et al. 2016: Wulf-Holger Arndt, Norman Döge, Stefanie Marker (Hrsg.): Elektrifizierungspotential kommerzieller Kraftfahrzeug- Flotten im Wirtschaftsverkehr als dezentrale Energie-Ressource in städtischen Verteilnetzen - komDRIVE, Universitätsverlag der TU Berlin, 2016, http: / / dx.doi.org/ 10.14279/ depositonce-4984 Norman Döge, Dipl.-Geogr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forschungsbereich „Mobilität und Raum“, Zentrum Technik und Gesellschaft, TU Berlin doege@ztg.tu-berlin.de Wulf-Holger Arndt, Dr.-Ing. Leiter Forschungsbereich „Mobilität und Raum“, Zentrum Technik und Gesellschaft, TU Berlin wulf-holger.arndt@tu-berlin.de Angaben in % Jahr Städtischer Verkehr Wirtschaftsverkehr Städtischer Wirtschaftsverkehr % vom gesamten Straßenverkehr Anteil an der PKW-Fahrleistung gesamt 2015 60,9 14,1 8,6 2020 61,0 14,4 8,8 2030 61,2 16,2 9,9 Anteil an der LKW-Fahrleistung gesamt 2015 70,4 100 70,4 2020 71,3 100 71,3 2030 73,6 100 73,6 Anteil an der PKW- und LKW-Fahrleistung gesamt 2015 62,1 25,5 16,8 2020 62,5 26,4 17,5 2030 63,1 28,8 19,5 Tabelle 1: Errechnete Anteile des städtischen Verkehrs, Wirtschaftsverkehrs und städtischen Wirtschaftsverkehrs an der jeweiligen Gesamtfahrleistung im Szenario Quelle: Arndt, W.-H. et al. 2016 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 41 Online-Handel LOGISTIK Die letzte Meile neu gedacht Logistik als Gemeinschaftsprojekt des Einzelhandels Im Zuge der digitalen Transformation sieht sich auch der Einzelhandel mit der Herausforderung der Last Mile Logistik konfrontiert. Dass sich sogar Same Day Delivery mit einer sehr persönlichen Note umsetzen lässt, demonstriert das regionale Internetkaufhaus Lokaso. Patrick Schulte D as vom Verbraucher zunehmend frequentierte Online-Shopping gräbt dem Einzelhandel die Umsätze ab. Der kann sich jedoch wegen des enormen Aufwands, der mit der Entwicklung einer eigenen IT- und Logistik-Infrastruktur verbunden sind, nicht effektiv wehren. Längst sind die Internet-Riesen mit ihren optimierten Prozessen in die unterschiedlichsten Marktsegmente bis hin zum Lebensmittelhandel vorgedrungen. Was kann der Einzelhandel entgegensetzen? Da stellen sich grundlegende Fragen: Warum nutzen Verbraucher das Online Shopping? Und welche Vor- und Nachteile gibt es? Es ist vor allem eine Frage der Flexibilität und der Bequemlichkeit, die für diesen Vertriebskanal spricht. Verbraucher können rund um die Uhr und von zu Hause aus einkaufen, die Waren werden wie gewünscht geliefert. Werden jedoch verschiedene Shops frequentiert, wird es umständlich und eventuell auch teuer: Nur die Branchengrößen können die kostenlose Auslieferung gewährleisten, schon die Online-Präsenz an sich stellt für viele Einzelhandelsgeschäfte eine zu hohe Hürde dar. Die Lösung: Gemeinschaftsprojekt mit regionalem Bezug Die Idee der nordrhein-westfälischen Agentur Billiton Internet Services, ein regionales Internetkaufhaus ins Leben zu rufen, erscheint da nur folgerichtig: Die ausgefeilte IT-Struktur wird von verschiedenen Händlern, Dienstleistern und Unternehmen innerhalb einer bestimmten Region gemeinsam genutzt. Jedes Geschäft wird mit seinen Produkten auf der gemeinsamen Plattform durch bedarfsgerechte Schnittstellen aktiviert, das wichtige Online-Marketing wird inklusive der Aktualisierung der Angebote vom Spezialisten effektiv realisiert. Sogar die Logistik wird in eigener Regie als Gemeinschaftsprojekt umgesetzt. Erfolgreiches Pilotprojekt „Lokaso.Siegen“ Was dem Einzelnen unmöglich ist, nämlich als Handelsgeschäft einen Online-Kanal inklusive eigener Logistik effizient zu betreiben, wird in der Gemeinschaft zum Erfolgskonzept. Der regionale Bezug, dem die Lokaso-Internetkaufhäuser folgen, macht dabei den entscheidenden Unterschied aus: Die zur Umsetzung in jeder Region etablierte Lokaso-Betreibergesellschaft zeichnet auch für die Auslieferung der bestellten Waren verantwortlich. Mit eigenen Fahrzeugen, die mit Kühlung und Tiefkühlung ausgestattet sind, werden zweimal täglich die Bestellungen in den teilnehmenden Geschäften eingesammelt, auf die Besteller aufgeteilt und in Körben ausgeliefert. Die Vorteile liegen auf der Hand: Einerseits kann eine enorme Bandbreite an Waren aus den unterschiedlichsten Geschäften gleichzeitig bearbeitet werden, was dem ursprünglichen Charakter eines Kaufhauses entspricht und dem Verbraucher effektiv Wege einspart. Andererseits kommen sogar frische Lebensmittel und Tiefkühlware zeitnah und zuverlässig zu Hause an, selbst Pfandflaschen können bei der Anlieferung wieder mitgegeben und verrechnet werden. Der Begriff „Same Day Delivery“ erhält also eine ganz neue Dimension, wenn aus der gehetzten Ablieferung von Paketen das freundliche Gespräch mit dem Lokaso-Fahrer wird, der den Warenkorb im wahren Sinne des Wortes und ohne zusätzliches Verpackungsmaterial nach Hause trägt. Die Praxis gibt der Idee Recht: Lokaso. Siegen läuft seit September 2016 und die steigende Anzahl der Bestellungen, aber auch der sukzessive wachsende durchschnittliche Bestellwert sprechen für sich. Nicht nur die Verbraucher nehmen das Angebot immer besser an, vor allem der Einzelhandel zeigt sich begeistert. Durch die Kraft der Lokaso-Gemeinschaft ist die einst bedrohliche Konkurrenz aus dem Internet handhabbar geworden. ■ Patrick Schulte Geschäftsführer Lokaso GmbH, Siegen patrick.schulte@lokaso.net Foto: Lokaso Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 42 LOGISTIK Standpunkt Güter auf die Bahn? E igentlich gehören Güter ja nicht auf die Bahn, sondern zum Empfänger - und zwar in der richtigen Art, Menge, Beschaffenheit und natürlich rechtzeitig. Wenn dann auch noch der Preis stimmt, ist alles in Ordnung. Um diese Anforderungen erfüllt zu bekommen, stehen den Empfängern unterschiedliche Verkehrsträger zur Verfügung, die mit spezifischen systemimmanenten Vor- und Nachteilen behaftet sind. Diese werden in der verkehrspolitischen Diskussion jedoch oft vernachlässigt zugunsten einer Reduzierung auf den Preis als einzigen Grund für die Verkehrsmittelwahl. Vielfach ist der mantraartig wiederholte Satz zu hören, die eigentlich „auf die Bahn“ gehörenden Güter würden mit dem LKW transportiert, weil dieser zu billig sei. Deshalb wurden und werden iterativ Verteuerungen aller Art für den Straßengüterverkehr gefordert - sowohl direkte Kostenerhöhungen als auch indirekte z. B. über Gewichts- oder Längenbeschränkungen aller Art. Viele dieser Forderungen sind in den vergangenen Jahrzehnten auch tatsächlich umgesetzt worden. Inwieweit dieses „Drehen an der Preisschraube“ den gewünschten Effekt nach sich zog, zeigt eine nähere Betrachtung von Bild 1, in dem der Modal Split im Güterverkehr von 1950 bis 2016 in Deutschland dargestellt wird (die Daten für 2015 und 2016 sind z. T. noch vorläufiger Natur). Wir greifen hier auf die prozentualen Anteile auf der Basis „Tonnenkilometer“ zurück, da diese Kennziffer aufgrund der darin berücksichtigten Transportentfernung aussagekräftiger ist als die reine Tonnage - bei der reinen Tonnage-Betrachtung läge der Anteil des Straßengüterverkehrs seit der Nachwendezeit bei über 80 %. Wenn wirklich nur der Frachtpreis für die Verkehrsträgerwahl ausschlaggebend wäre, sollte sich die eine oder andere Delle nach Umsetzung der markantesten direkten oder indirekten Verteuerungen für den Straßengüterverkehr im Verlauf der LKW-Anteilskurve finden lassen. Beginnen wir mit der ab 01.12.1951 von 22 m auf 20 m reduzierten höchstzulässigen Lastzuglänge: Der Anteil des LKW stieg im Folgejahr von 21,0 % auf 22,5 % und 1953 sogar auf 26,3 %. Ab 01.05.1956 war der zweite LKW-Anhänger verboten. Der Anteil des LKW erhöhte sich im Folgejahr von 27,9 % auf 28,0 % und lag ab 1958 durchgängig oberhalb der 30 %-Marke. 1964 reagierte die damalige Deutsche Bundesbahn mit einer massiven Senkung ihrer Güterverkehrstarife um durchschnittlich rund ein Viertel auf den vermeintlichen Preiswettbewerb. Vermeintlich deswegen, weil die Tarife im Straßengüterverkehr bis 1993 grundsätzlich so ausgestaltet waren, dass der LKW seine Transportleistungen nicht billiger anbieten konnte als die Deutsche Bundesbahn. Dennoch erhöhte sich der Anteil des LKW 1965 gegenüber dem Vorjahr von 35,8 % auf 36,1 %. Ab dem 01.04.1999 wurde bis 2003 die fünfstufige Ökosteuer eingeführt. Dennoch lag 2003 der LKW-Anteil mit 70,5 % erstmals über der 70 %-Marke. Auch die Einführung der LKW-Maut in Deutschland zum 01.01.2005 korrespondierte nur kurzzeitig mit einem Rückgang des LKW-Anteils auf 69,4 % gegenüber 69,7 % aus dem Vorjahr. Die durchschnittlich 50 %-ige Erhöhung der LKW- Maut zum 01.01.2009 zog noch im selben Jahr einen LKW-Anteil von 71,2 % nach sich - neuer Rekord! Überlegungen, diese Verteuerungen seien nur nicht ausreichend dimensioniert gewesen, um sich auf den Modal Split durchzuschlagen, muss jedoch anhand des Beispiels „Schweiz“ eine Absage erteilt werden. Denn die dort 2001 eingeführte LSVA (Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe) beträgt ein Mehrfaches der deutschen LKW-Maut. Trotzdem ist der Schienenanteil im Schweizer Güterverkehr nach Einführung der LSVA anstatt zu steigen, gesunken (siehe Bild 2). Bis einschließlich 2015 war der Schienenanteil im Schweizer Güterverkehr niedriger als vor Einführung der LSVA. Für den rein alpenquerenden Güterverkehr durch die Schweiz (siehe Bild 3) gilt dasselbe. Allerdings liegen hier schon die Zahlen für 2016 vor: Erstmals war im vergangen Jahr der Schienenanteil im alpenquerenden Verkehr durch die Schweiz höher als vor Einführung der LSVA. Aufgrund des zuvor Gesagten liegt es nahe, nichtmonetäre Ursachen für die Verkehrsträgerwahl in Betracht zu ziehen, die für den LKW sprechen. Stichwort Flexibilität: Man kann aus eisenbahnbetriebstechnischen Gründen nicht einfach schnell mal einen Zug von z. B. Süditalien nach Norddeutschland fahren. Abgesehen von dem dafür benötigten, doch recht beträchtlichen Ladungsaufkommen, müsste man in drei Ländern eine den zeitlichen Anforderungen der Kunden entsprechende Fahrplantrasse (so vorhanden) beantragen, wobei berücksichtigt werden muss, wie lang und schwer der Zug sein wird, was für eine Lok (Diesel oder Elektro/ Zugkraft/ Höchstgeschwindigkeit) benötigt wird, welche Wagen zum Einsatz kommen sollen (Geschwindigkeitsklassen), wie der konkrete Leitungsweg des Zuges aussieht (welche Grenzübergänge) - denn die vorhanden Strecken unterscheiden sich z. B. nach den auf ihnen Die verkehrspolitische Diskussion im Warentransport kreist seit Jahrzehnten um den Slogan „Güter gehören auf die Bahn“. Aber warum eigentlich? Betrachtungen über den Wettbewerb der Verkehrsträger im Warentransport von Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V., Frankfurt am Main. Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 43 Standpunkt LOGISTIK maximal zugelassenen Achslasten, Geschwindigkeiten oder auch Lichtraumprofilen (maximale Höhe und Breite der Waggons und der auf ihnen befindlichen Ladung). Der Preis muss unabhängig davon natürlich auch noch stimmen. Ist dies alles bedacht, fährt der Zug jedoch noch lange nicht los. Der Zug muss von Rangierern und einer Rangierlok aus den richtigen Waggons (so vorhanden) zusammengestellt und die Waggons von einem Zugabfertiger bezettelt werden. Jeder Waggon hat in einem Zettelkasten einen sog. Laufzettel, auf dem Leitungsweg und Grenzübergang notiert sind, damit man unterwegs z. B. beim Umrangieren auch weiß, wohin die Ladung gehört. Ein Wagenmeister muss kontrollieren, dass Waggons und Ladung in Ordnung sind. Die Stellwerksbesatzung muss den Zug sicher vom Bahnhofsbereich auf das Streckengleis leiten. Unterwegs müssen jede Menge Fahrdienstleiter dem Zug auf ihrem jeweiligen Streckenabschnitt die Weichen und Signale stellen. Für die Hauptstrecke werden mehrere Lokführer benötigt, die nicht nur eine Zulassung für den betreffenden Lok-Typ haben, sondern auch für den jeweiligen Fahrtabschnitt „Streckenkenntnis“ nachweisen müssen, d. h. den betreffenden Abschnitt schon mehrfach unter Aufsicht gefahren sind, sowie die Landessprache beherrschen müssen, um die Kommunikation mit den Fahrdienstleitern sicherzustellen. An den Grenzübergängen wechselt im Normalfall nicht nur die Bahngesellschaft, sondern auch das Stromsystem und das Signalsystem, mittels dem Lok und Strecke miteinander kommunizieren; ohne Mehrsystemlok bedeutet dies einen zeitaufwändigen Lokwechsel, für den wieder Rangierpersonal benötigt wird. Außerdem erfolgt an den Landesgrenzen eine ebenfalls zeitaufwändige Übergabe und Kontrolle der Zugbegleitpapiere. Am Zielbahnhof angekommen, ist wieder eine Stellwerksbesatzung für die Einfahrt vom Streckengleis in den Bahnhofsbereich notwendig. Alles Weitere verläuft umgekehrt analog zum oben ausgeführten Procedere. Welche nichtmonetären Argumente sprechen noch für den LKW? Da wäre die Eigentümerstruktur: Während in 45 000 zumeist familiengeführten Unternehmen des Gewerblichen Güterkraftverkehrs ebenso viele Chefs mit ihren durchschnittlich 14 (! ) Mitarbeitern sich einer erdrückenden Konkurrenz aus den MOE-Staaten Mittel- und Osteuropas gegenübersehen, hat der Staatskonzern „Deutsche Bahn AG“ im Güterverkehr lediglich eine dreistellige Anzahl von Wettbewerbern zu fürchten. Da überrascht es nicht sonderlich, dass kürzlich auf einer Schienengüterverkehrsveranstaltung des Regionalverbandes „FrankfurtRheinMain“ im Beisein von Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir Vertreter der verladenden Wirtschaft bemängelten, bei neuen Projekten im Schienengüterverkehr sei der richtige Ansprechpartner im DB-Konzern kaum zu finden. Weiterhin spielen dem LKW und seiner Flexibilität der sog. Güterstruktureffekt mit immer kleiner werdenden Sendungsgrößen aufgrund der immer weiter sinkenden Fertigungstiefe, die Just-intime-Logistik mit ihren häufigen und oft erst kurzfristig angeforderten Lieferfrequenzen sowie der wachsende Onlinehandel in die Hände. Laut einer DHL-Prognose erwartet man dort für den Zeitraum von 2012 bis 2018 eine Verdoppelung der Päckchen pro Kopf von 12 auf 24. Die Massengutverkehrsträger Eisenbahn und Binnenschiff sind hier durch ihre Wegegebundenheit eindeutig im Nachteil. Dem kann nur der Kombinierte Verkehr abhelfen. In ihm verbinden sich die spezifischen Vorteile der verschiedenen Verkehrsträger: Bündelung großer Mengen über lange Entfernungen mit Bahn und Binnenschiff sowie flächendeckende Feinverteilung mit dem LKW. Das Fazit: Alle Verkehrsprognosen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte verweisen auf einen Güterverkehr, der so stark ansteigt, dass man alle Verkehrsträger brauchen wird, um ihn bewältigen zu können. Deshalb ist unserer Ansicht nach geboten, gemeinsam über Lösungen zu diskutieren, wie die begrenzt vorhandenen Ressourcen an Zeit, Geld und Energie so eingesetzt werden können, dass jeder Verkehrsträger seine Vorzüge möglichst effizient zur Geltung bringen kann - alleine, oder in Kombination mit anderen Verkehrsträgern. ■ Aktualisiert: März 2017 Quellen: DIW, Berlin; ITP+Ralf Ratzenberger, München; Statistisches Bundesamt, Wiesbaden; Kraftfahrt-Bundesamt, Flensburg; TCI Röhling, Waldkirch und Berechnungen des BGL 0 100 200 300 400 500 600 700 1950 1952 1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Milliarden Tonnenkilometer Transportleistung der Verkehrsträger im Bundesgebiet 1950-2016 Total Lkw Eisenbahn Binnenschiff Pipeline Flugzeug Aktualisiert: März 2017 Quelle: Bundesamt für Statistik, Neuchatel 42% 42% 40% 39% 40% 39% 40% 39% 39% 36% 37% 37% 36% 37% 38% 39% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Schweiz: Schienenanteil am gesamten Güterverkehr nach tkm 2000-2015 - Vor und nach der Einführung der LSVA anno 2001 - BGL/ Bul, aktualisiert am 27.03.2017 Quelle: Bundesamt für Verkehr, Bern 70% 66% 64% 64% 65% 65% 66% 64% 64% 61% 63% 64% 64% 66% 68% 69% 71% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Anteil an der transportierten Tonnage Schweiz: Schienenanteil nur Alpenquerender Güterverkehr 2000-2016 (Vor und nach der Einführung der LSVA anno 2001) Bild 3 Bild 2 Bild 1 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 44 LOGISTIK Wissenschaft Bewertung innovativer Verkehrskonzepte Eine Wirkungsabschätzung für die flächendeckende Einführung des Lang-LKW Wirkungsforschung, Indikatormodell, Verkehrskonzepte, Makrologistik Um die effiziente Nutzung der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur objektiv beurteilen zu können, ist ein kennzahlen- und prognosebasiertes Vorgehensmodell entwickelt worden, welches den Vergleich verschiedener verkehrslogistischer Zukunftsszenarien ermöglicht. Am Beispiel des Lang-LKW als innovativer Transportlösung können Auswirkungen auf die Verkehrsträger Straße, Schiene und Binnenwasserstraße in Form eines Szenarienvergleichs mithilfe eines einheitlichen Vergleichsindikators (VLVI) untersucht werden. Niels Schmidtke, Laura Baumann, Karl-Heinz Daehre, Fabian Behrendt K ein wirtschaftlicher Bereich ist so eng mit der individuellen und gesellschaftlichen Existenz verknüpft wie das volkswirtschaftliche Verkehrssystem. Der Güterals auch der Personenverkehr sind für wirtschaftliches Wachstum und den Wohlstand einer Gesellschaft eine zentrale Voraussetzung [1, 2]. Vor allem die Bundesrepublik Deutschland weist angesichts der zentralen Lage in Europa sowie weitreichender Wirtschaftsverflechtungen eine große Abhängigkeit von einer leistungsfähigen und flexiblen Verkehrsinfrastruktur auf [3]. Im Ranking des Logistics Perfomance Index (LPI), der die Leistungsfähigkeit der Logistik durch eine Expertenumfrage bestimmt, belegt Deutschland im Jahr 2016 wiederholt den ersten Platz [4]. Im Hinblick auf die infrastrukturelle Ausstattung liegt Deutschland bei der Bewertung der Säule „Infrastruktur“ im Rahmen des Global Competitiveness Index jedoch nur auf dem achten Platz, Tendenz fallend [5]. Dieser zunehmende Substanzverlust der deutschen Verkehrsinfrastruktur ist bereits durch die Bund-Länder-Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ (2012) mit einer jährlichen Finanzierungslücke von 7,2 Mrd. EUR zur Ertüchtigung der vorhandenen Infrastruktur und zum Abbau vernachlässigter Investitionen ermittelt worden [6]. Deutlich wird diese Entwicklung durch den sinkenden Modernitätsgrad, der den relativen Zeitwert der vorhandenen Infrastruktur angibt (vgl. Bild 1). Gleichzeitig zeigt sich innerhalb des Güterverkehrssystems Deutschland seit Jahren ein Anstieg der Güterverkehrsleistung [7]. Es wird deutlich, dass die Belastung der Verkehrsinfrastruktur zunimmt und der Bedarf an einer Optimierung der stattfindenen Verkehre besteht. Umso wichtiger ist es heute, im Vorhinein die Wirkung verkehrspolitischer Entscheidungen abzuschätzen und auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen aussprechen zu können. Beschreibung des Vorgehensmodells Ein an der Otto-von-Guericke-Universität sowie am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg entwickeltes Vorgehensmodell untersucht die Auswirkungen multidimensionaler Einflüsse von verschiedenen Zukunftsszenarien auf Güterverkehrssysteme [8], um somit eine Entscheidungsunterstützung geben zu können. Die Wirkungsabschätzung wird durch die Anwendung eines kennzahlen- und prognosebasierten Vorgehensmodells realisiert, welches sich aus fünf Vorgehensschritten zusammensetzt (vgl. Bild 2). Im Rahmen der Vorgehensschritte Systemabgrenzung und -analyse werden verkehrslogistische Kennzahlen (z. B. Transportaufkommen, mittlere Transportweite) systematisch erfasst und anhand einer Relevanzanalyse gegenüber den Zielstellungen des Bundesverkehrswegeplans 2030 (BVWP) [9] (u. a. „Erhaltung und Modernisierung der Substanz“, „Senkung der Transportkosten“) geprüft. Zum Aufbau von spezifischen Kennzahlensystemen je Verkehrsträger (Straße, Schiene, Binnenwasserstraße) erfolgt eine qualitative Bewertung der Kennzahlen über eine Einflussanalyse [10], die die relevanten Kennzahlen miteinander in Beziehung setzen. Im Hinblick auf die Prognosefunktion werden die relevanten Kennzahlen anhand geeigneter Prognoseverfahren basierend auf historischen Daten fortgeschrieben. Diese bilden die Grundlage für eine Wirkungsabschätzung verschiedener Zukunftsszenarien durch die Anwendung einer mehrstufigen Berechnungssystematik und die Ausgabe von Gesamtindikatoren (VLVI) (vgl. Bild 3). PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 22.02.2017 Endfassung: 29.03.2017 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 45 Wissenschaft LOGISTIK Vor dem Hintergrund einer heterogenen Datenqualität bietet die Berechnungssystematik durch die Berechnung eines Gesamtindikators (VLVI) eine einheitslose Vergleichsgröße und liefert eine Aussage darüber, wie sich ein Szenario im Vergleich zur errechneten Prognose (Basisszenario) verhält. Die prozentualen Abweichungen als entscheidendes Messkriterium werden mit hergeleiteten Gewichtungsfaktoren, die sich aus der Relevanzanalyse gegenüber den Zielstellungen des BVWP 2030 [9] ergeben, multipliziert und unter Berücksichtigung der spezifischen Verkehrsteilung (Modal-Split-Anteile je Verkehrsträger) in dem Gesamtindikator zusammengefasst. Die Höhe des Gesamtindikators gibt an, um wie viel Prozentpunkte sich das Gesamtsystem positiv oder negativ in Bezug zum Basisszenario verändern würde. Der Fokus des Beitrags liegt auf den Vorgehensschritten Szenarienkonzeption, -berechnung und -vergleich (vgl. Bild 2), wohingegen für die detaillierten Vorarbeiten auf [8] verwiesen wird. Um die Berechnungssystematik auf ihre Aussagekraft hin zu überprüfen, ist eine Ex-post-Analyse am Beispiel der Mauteinführung 2005 für das Prognosejahr 2015 durchgeführt worden. Eine ursprünglich positive Entwicklung des Verkehrssystems durch die Reinvestition der erwarteten Mehreinnahmen [11] ist durch die gleichzeitige Reduzierung des steuerfinanzierten Anteils [12] ausgeblieben. Die Ergebnisauswertung des tatsächlichen Ist-Szenarios zeigt einen Substanzverlust der deutschen Verkehrsinfrastruktur, die sich mit den Erkenntnissen der o.g. Bund-Länder-Kommission deckt [5], sodass von einer hinreichend genauen Abbildung der Realität ausgegangen wird. Anwendungsbeispiel Lang-LKW Aufgrund der aktuellen Debatte in Deutschland stellt die Zulassung des überlangen Lastkraftwagens (Lang-LKW) (max. 25,25 m) in der volumenorientierten Variante ein gutes Beispiel für die Anwendung des vorgestellten Indikatormodells dar. Das zulässige Gesamtgewicht bleibt beim Lang-LKW auf 40 t (44 t im Kombinierten Verkehr) beschränkt, das Ladevolumen erhört sich jedoch von 100 m 3 auf 150 m 3 . Beim Transport großvolumiger Güter können pro Fahrt 1,55 Fahrten eines konventionellen LKW eingespart werden [11]. Wie sich die Einführung eines Lang-LKW auf den Güterverkehr auswirkt, ist in Fachkreisen umstritten [13, 14], daher werden drei Zukunftsszenarien mit unterschiedlichen Verkehrsverlagerungseffekten untersucht (vgl. Bild 4). Die in den Szenarien berücksichtigte Verlagerung von Transporten vom konventionellen LKW zum Lang-LKW variiert zwischen 3 und 7 % der Fahrleistung und deckt damit die ganze Spanne der als affin geltenden Transporte (Punkt-zu-Punkt-Verkehre > 25 km, Komplettladungen mit einer Auslastung >70 %) ab [13]. Da durch das Binnenschiff hauptsächlich schwere Schüttgüter transportiert werden, wird eine Verlagerung von der Binnenwasserstraße auf die Straße als unwahrscheinlich bewertet [14] und daher in dieser Betrachtung ausgeschlossen. Dem Bild 5 sind die prozentualen Abweichungen der Kennzahlen je Szenario, die sich durch den Vergleich des Prognose- und Szenariowerts ergeben, zu entnehmen. Im festgelegten Prognosejahr 2025 werden für das Verkehrsaufkommen der Straße 3536,7 Mio. t prognostiziert Bild 1: Entwicklung des Güterverkehrssystems Deutschland [6, 7] Bild 2: Vorgehensschritte des kennzahlen- und prognosebasierten Vorgehensmodells [8] Bild 3: Systematik zur Berechnung des Gesamtindikators [8] Bild 4: Vorgehensschritt 3 - Szenarienkonzeption Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 46 LOGISTIK Wissenschaft (= Prognosewert), während am Beispiel des Szenario 2.1 von einer Verlagerung von 7,6 % des Schienenaufkommens (für das Jahr 2025 = 27,9 Mio. t) ausgegangen wird [14], sodass der Szenariowert für das Straßenverkehrsaufkommen 3564,6 Mio. t beträgt. Dadurch ergibt sich eine Abweichung von + 0,79 % zwischen den beiden Werten, die analog dazu mit den Abweichungen der anderen Kennzahlen und in Multiplikation mit den spezifischen Gewichtungsfaktoren in Verkehrsträgerindikatoren resultieren (vgl. Bild 3). In Bezug auf die Kennzahlen mittlere Transportweite und durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke ist der Szenariowert abhängig vom prozentualen Anteil der eingesetzten Lang-LKW. Für Lang- LKW beträgt z.B. die mittlere Transportweite 240 km [13], die prognostizierte Transportweite für konventionelle LKW hingegen nur 168,1 km. Die angegebene prozentuale Abweichung je Szenario ergibt sich dann durch eine Verrechnung mit dem Verlagerungspotential von 3-bis 7 % der LKW-Transporte auf Lang-LKW. Sowohl die reduzierte Anzahl an Fahrzeugen auf den Straßen als auch die höhere Achsanzahl der Lang-LKW, die zu einer geringeren Straßenbelastung führen [13], begründen die Annahme eines verbesserten Zustandes und Beschaffenheit der Straßeninfrastruktur im Prognosejahr 2025 für das Szenario 1 („Quality-of-roads“-Indikator: + 2,5 %). Für die Szenarien 2.1 und 2.2 kann keine eindeutige Tendenz zur Entwicklung der Straßeninfrastruktur abgeschätzt werden, da durch die Verlagerungseffekte von 7,6 % bzw. 3,8 % [14] zusätzliches Transportvolumen auf die Straße kommt, welches bisher mit dem Güterzug transportiert worden ist. Sowohl für den Straßenals auch Schienengüterverkehr ergeben sich in jedem Szenario positive Verkehrsträgerindikatoren und damit eine zu erwartende Verbesserung der Teilverkehrssysteme (vgl. Bild 6). Durch die Verlagerung von Gütern auf die Straße wird die Schieneninfrastruktur entlastet und bei gleichbleibenden Finanzausgaben eine Zustandsverbesserung erreicht. In den Szenarien 2.1 und 2.2 zeigt sich, dass die positiven Einflüsse des Lang-LKW den Auswirkungen des zusätzlichen Volumens auf der Straße überwiegen, sodass selbst bei größtmöglicher angenommener Verlagerungswirkung eine vorteilhafte Entwicklung des Teilverkehrssystems Straße mit +0,46 prognostiziert wird. Im Szenarienvergleich wird deutlich, dass Änderungen im Schienengüterverkehr aufgrund der Abhängigkeit vom Modal Split (Verkehrsleistung) geringer ins Gewicht fallen als im Straßengüterverkehr, sodass im Rahmen der genannten Falluntersuchungen das Szenario 1 Einführung Lang- LKW ohne Einfluss auf den Schienengüterverkehr mit einem Verlagerungspotential von 3 % der LKW-Transporte die vorteilhafteste Gesamtentwicklung mit + 1,67 beschreibt. Neben der Beurteilung über die Entwicklung des Verkehrssystems kann eine Aussage über Einflüsse auf spezifische Kennzahlen gegeben werden. In der Detailbetrachtung kommt es neben geringeren Verkehrsdichten auf der Straße zu einer Senkung des mittleren Transportkostensatzes um bis zu - 1,72 %, der externen Verkehrskosten sowie des Leerkilometeranteils der LKW. Zusammenfassung und Ausblick Im Ergebnis stellt die Beurteilungsmethodik eine qualitative und quantitative Entscheidungsunterstützung für Bild 5: Vorgehensschritt 4 - Szenarienberechnung (Szenarienbildungstableau) Bild 6: Vorgehensschritt 5 - Szenarienvergleich (Dashboard) Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 47 Wissenschaft LOGISTIK Vertreter aus Politik und den Wirtschaftsbereichen Verkehr und Logistik dar, mit der sowohl neue Problemlösungsvorschläge verglichen als auch die Vor- und Nachteilhaftigkeit sowie Potentiale neuer Maßnahmen und Konzepte (Zukunftsszenarien) eruiert werden können. Das Vorgehensmodell bietet dabei die Möglichkeit, verschiedene Expertenmeinungen zusammenzufassen und mit hinreichend genauen Prognosen mögliche Zukunftsszenarien (Trendszenarien) mit geringem Aufwand abzubilden und zu vergleichen. Die Bewertungen weiterer innovativer Verkehrskonzepte wie z.B. Autonomes Fahren können durch die Abbildung verschiedener Automatisierungsgrade (teilautomatisiert, vollautomatisiert, fahrerlos) [15, 16] in einem Szenarienvergleich realisiert werden. ■ QUELLEN [1] Daehre, K.-H., Behrendt, F., Trojahn, S. (2012): Sicherung einer nachhaltigen und soliden Verkehrsinfrastruktur für den Wirtschaftsstandort Deutschland, DVWG-Jahresband 2011/ 2012, Berlin., S.112-113 [2] Heiserich, E.; Helbig, K.; Ulmann, W. (2011): Logistik: Eine praxisorientierte Einführung, Gabler Verlag, Wiesbaden, S.78f [3] Schenk, M.; Behrendt, F.; Trojahn, S.; Müller, A. (2014): Verkehrsinfrastruktur - Entwicklungschancen durch effiziente Logistik, Jahrbuch Logistik 2014, Korschenbroich, S. 95ff [4] The World Bank (2016): Connecting to Compete 2016 - Trade Logistics in the Global Economy, Washington, S.X [5] Schwab, K., Sala-i-Martin, X. (2016): The Global Competitiveness Report 2016-2017, Insight Report, World Economic Forum, S.188f [6] Daehre, K.-H. (2012): Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung, Abschlussbericht der Kommission, Magdeburg, S.7,37 [7] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Verkehr in Zahlen 2016/ 17, DVV Media Group GmbH, 45. Jahrgang, Hamburg, S.244f [8] Behrendt, F. (2016): Entwicklung eines Vorgehensmodells zur Untersuchung multidimensionaler Einflüsse auf Güterverkehrssysteme, Dissertation, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg, S.75ff.,85 [9] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Bundesverkehrswegeplan 2030 - Entwurf März 2016, Berlin, S.5 [10] Illés, B.; Glistau, E.; Coello Machando, N. (2007): Logistik und Qualitätsmanagement. Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg, Miskolc, S.137 [11] Doll, C., Schade, W. (2005): How using the Revenues of the German HGV motorway system efficiently and equitable under different regulatory frameworks and institutional settings, 4th Infra-Train Conference 2005, Berlin, S.2 [12] Bernecker, T. (2013): Optionen zur Finanzierung der Bundesfernstraßen - Schlussbericht, Hochschule Heilbronn, Stuttgart, S.44 [13] Bundesanstalt für Straßenverkehrswesen (2016): Feldversuch mit Lang-LKW - Abschlussbericht, Bergisch Gladbach, S.12,15,27,32,34 [14] Sonntag H., Liedtke G. (2015): Studie zu Wirkungen ausgewählter Maßnahmen der Verkehrspolitik auf den Schienengüterverkehr in Deutschland - Modal Split der Transportleistungen und Beschäftigung, Berlin, S.15 [15] Kässer, M. et al. (2016): Delivering Change - The transformation of commercial transport by 2025, McKinsey & Company, München [16] Cacilo, A. et al. (2015): Hochautomatisiertes Fahren auf Autobahnen - Industriepolitische Schlussfolgerungen, Studie Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, S.3 Laura Baumann Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF, Magdeburg laura.baumann@iff.fraunhofer.de Niels Schmidtke, M.Sc. Lehrstuhl für Logistische Systeme, Institut für Logistik und Materialflusstechnik (ILM), Otto-von- Guericke-Universität (OvGU), Magdeburg niels.schmidtke@ovgu.de Karl-Heinz Daehre, Dr. rer. nat. Minister a.D., Ehemaliger Vorsitzender der Bund-Länder-Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ Fabian Behrendt, Dr.-Ing. Geschäftsstellenleitung des Fraunhofer-Verbunds Produktion der Fraunhofer-Gesellschaft, Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF, Magdeburg fabian.behrendt@iff.fraunhofer.de Von Europas Nr. 1: Verladestationen all-inclusive • Industrietore, Ladebrücken, Torabdichtungen und Vorsatzschleusen • 24-Stunden-Service: rund um die Uhr für Sie da • DOBO System: für hygienische Transporte, geschlossene Kühlketten und geringe Energiekosten 202-17 (gewerbliche Endkunden) Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 48 Beitrag des Schienengüterverkehrs zur Energiewende Ergebnisse einer Studie zu Verlagerungspotenzialen auf den Schienengüterverkehr in Deutschland Schienengüterverkehr, Verlagerung, Energieverbrauch, CO 2 -Emissionen, Infrastruktur, Multimodalität Die Verlagerung von Güterverkehren von der Straße auf die Schiene kann einen Beitrag zur Senkung des Energieverbrauchs im Verkehr leisten. Eine Studie im Auftrag des BMVI hat das Ziel, die Verlagerungspotenziale auf den Schienengüterverkehr und die Wirkungen auf den Endenergieverbrauch und die CO 2 -Emissionen abzuschätzen. Die Ergebnisse zeigen, dass eine wirksame Reduktion nicht alleine durch infrastrukturelle und technologische Maßnahmen erreicht werden kann, sondern durch eine Umgestaltung des Schienengüterverkehrssystems hin zu innovativen Dienstleistungskonzepten unterstützt werden muss. Anika Lobig, Gernot Liedtke, Wolfram Knörr D er Anteil des Schienengüterverkehrs (SGV) an der Gesamtgüterverkehrsleistung in Deutschland stagniert seit Beginn der 1990er Jahre bei etwa 18 %. Die bisherigen Anstrengungen zur Steigerung sind ohne Erfolg geblieben. Die Verlagerung von Gütern von der Straße auf die energieeffizientere Bahn könnte jedoch einen wichtigen Beitrag zu dem Ziel der Bundesregierung leisten, den Endenergieverbrauch und die CO 2 -Emissionen des Verkehrssektors zu senken. Vor diesem Hintergrund beauftragte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eine Studie im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie, um mögliche Verlagerungspotenziale und damit verbundene Einsparungen beim zukünftigen Endenergiebedarf und bei CO 2 -Emissionen abzuschätzen. Foto: Pixabay LOGISTIK Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 49 Wissenschaft LOGISTIK Methodisches Vorgehen im Überblick Die Quantifizierung von Verlagerungspotenzialen und Umweltwirkungen erfordert in einem ersten Schritt die Entwicklung konsistenter Maßnahmenpakete. Hierbei werden technologische und organisatorische Maßnahmen zur Verbesserung des SGV recherchiert und anschließend mithilfe der Function-Analysis-System-Technique (FAST) [1, 2] zu Maßnahmenpaketen zusammengestellt. Die anschließende Bildung von Szenarien beinhaltet die Entwicklung dreier Szenarien, die sich hinsichtlich der Intensität des staatlichen Eingreifens unterscheiden. In diesem Schritt werden ebenfalls die entwickelten Maßnahmenpakete den Szenarien zugeordnet. Daran schließt sich die Wirkungsanalyse an, welche sowohl die verkehrlichen Auswirkungen der Szenarien mithilfe eines makroskopischen Verkehrsmittelwahlmodells als auch die ökologischen Umweltwirkungen mithilfe des Emissionsmodells TREMOD [3] ermittelt. Schließlich werden Handlungsfelder entwickelt, die auf die Weiterentwicklung der politischen- Rahmenbedingungen für den SGV abzielen, um so das ermittelte Verlagerungspotenzial realisieren zu können. Entwicklung konsistenter Maßnahmenpakete Auf der Grundlage einer Recherche von möglichen technologischen, betrieblichen, ökologischen, infrastrukturellen, fiskalischen und regulativen Einzelmaßnahmen zur Verbesserung des SGV werden konsistente Maßnahmenpakete zusammengestellt (siehe Tabelle 1). Hierbei werden die folgenden beiden Aspekte berücksichtigt. Erstens ist es erforderlich, dass die Maßnahmenpakete hinsichtlich einer Bewertung der zu erwartenden Wirkungen quantifizierbar sind. Um Veränderungen bei der Verkehrsmittelwahl zu bewirken, müssen die Maßnahmenpakete die wesentlichen Parameter des Verkehrsmittelwahlverhaltens beeinflussen. Diese Parameter sind die Transportkosten, die Transportzeit und die Zuverlässigkeit. Zweitens können zwischen den recherchierten Einzelmaßnahmen Zusammenhänge bestehen. Diese können sich gegenseitig überflüssig machen. Zum Beispiel führt die zeitliche Entmischung von schnellen und langsamen Zügen auf einzelnen Streckenabschnitten dazu, dass der Bau von Überholgleisen obsolet wird. Ferner sind bestimmte Maßnahmen nur in Kombination sinnvoll. So setzt die Erhöhung der Zuglänge den entsprechenden Ausbau von Überholgleisen voraus. Die Wirkungen von Einzelmaßnahmen können sich bei gleichzeitiger Umsetzung auch verstärken. Beispielsweise ist für eine deutliche Verbesserung der Dienstleistungszuverlässigkeit im SGV eine Erhöhung der Pünktlichkeit von Prozessen in Terminals in Kombination mit einer verbesserten Fahrplanflexibilität und stabilen Betriebsabläufen auf der Strecke sinnvoll. Die Bündelung von Einzelmaßnahmen zu Maßnahmenpaketen erfolgt mithilfe der FAST-Methode. Diese ermöglicht unter Berücksichtigung von Maßnahmeninterdependenzen eine zielgerichtete Entwicklung von Maßnahmenpaketen in Hinblick auf die drei genannten Parameter. Bildung von Szenarien Die Politik beeinflusst durch das Setzen von Rahmenbedingungen, durch Infrastrukturinvestitionen oder die Förderung von technologischen Innovationen die Entwicklung des Modal Split. Abgestuft nach der Intensität des staatlichen Engagements werden drei Szenarien gebildet, in denen die entwickelten Maßnahmenpakete in Politikprogrammen kombiniert werden. Im Szenario „Infrastruktur“ nimmt der Staat ausschließlich seine klassischen hoheitlichen Aufgaben be- Maßnahmenpaket Beschreibung Senkung betrieblicher Transport- Kosten 1 Bruttozuggewicht auf über 2000 t erhöhen • Zuglänge beträgt maximal 740 m, maximale Achslast bei 22,5 t pro Achse • Einsatz automatischer Kupplung und Anpassung der Rahmenkonstruktion des Güterwagens erforderlich 2 Zuglänge auf 740 m erhöhen • Zuggewicht beträgt max. 2000 t • Infrastrukturelle Anpassungen in Bahnhöfen und auf der freien Strecke • Einsatz einer verbesserten Bremsteuerung, z. B. einer elektropneumatischen Bremssteuerung 3 Betriebsbedingte Halte vermeiden • Zeitliche Entmischung schneller und langsamer Züge • Erhöhung der Anzahl Überholgleise • Frühzeitige Information über das Signalbild an den Lokführer, um Zuggeschwindigkeit so anzupassen, dass Abbremsen und Halten vermieden werden. 4 Energieeffizienz erhöhen • Einsatz leichterer Werkstoffe • Fahrwiderstand verringern • Aerodynamik verbessern • Steigerung des Anteils der Energierückspeisung beim Bremsen • Zusätzliche Elektrifizierung von Strecken Transportzeit reduzieren 5 Güterumschlag beschleunigen • Umschlag für kranbare Ladeeinheiten des Kombinierten Verkehrs teilautomatisieren • Neuartige (ggf. automatisierte) Umschlagprozesse für nicht-kranbare Ladeeinheiten in Pilotprojekten testen und fördern 6 Be- und Entladungsvorgänge beschleunigen • Automatische Datenerfassung, -verarbeitung und -übermittlung zwischen Versender/ Empfänger, Terminals, Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) • Austausch zugbezogener Daten zwischen Infrastrukturbetreiber und am Transport beteiligten EVU 7 Zugbildung beschleunigen • Autonome/ teilautomatisierte Rangierprozesse und automatisches Kuppeln von Wagen, Bremsleitungen und ggf. Datenübertragungskupplungen • Bremsprobe, nur allein durch Triebfahrzeugführer • Automatische Fahrzeugzustandsüberwachung • Energiespeicher für einen eigenen Antrieb und Kommunikation direkt im Güterwagen Zuverlässigkeit erhöhen 8 Verspätungen reduzieren • Reservezeiten bei Lok- und Personalübergang einplanen • Ausreichende Kapazitäten für Wagenmeister und Rangierer zur Zugbildung/ -auflösung vorhalten Tabelle 1: Entwicklung von Maßnahmenpaketen Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 50 LOGISTIK Wissenschaft züglich der Schieneninfrastruktur wahr und schafft eine zuverlässige Schieneninfrastruktur, ein leistungsfähiges Zugsicherungssystem und ein Terminalnetz für den Kombinierten Verkehr (KV), welches den abzusehenden Nachfragesteigerungen gerecht wird. Die privaten Akteure hingegen setzen diejenigen technischen Maßnahmen um, die sich für sie betriebswirtschaftlich rentieren. Zu diesem Zweck erfolgt eine Abschätzung der Rentabilität der Maßnahmenpakete. Es zeigt sich, dass die technologischen Maßnahmenpakete einen Nutzen für die privaten Akteure generieren, sofern diese von allen Akteuren gleichzeitig eingeführt werden. Für einzelne Akteure alleine zahlt sich die Maßnahme jedoch aufgrund hinderlicher Netzwerkeffekte häufig nicht aus. Ein Beispiel dafür stellt das Maßnahmenpaket ‚Bruttozuggewicht erhöhen‘ dar, welches die Ausstattung der Güterwagen mit einer automatischen Kupplung vorsieht. Die Wagen sind dann inkompatibel mit dem übrigen Wagenpark, sodass eine Umrüstung unwahrscheinlich erscheint. Im Ergebnis dieser Analyse werden im Szenario „Infrastruktur“ nur die Maßnahmenpakete ‚Zuglänge auf 740 m erhöhen‘, ‚Energieeffizienz erhöhen‘ und ‚Betriebsbedingte Halte vermeiden‘ berücksichtigt (siehe Tabelle 2). Das Szenario „Technologieupgrade“ beinhaltet das Szenario „Infrastruktur“ und ergänzt dieses um ein Technologieförderprogramm. Hier bezuschusst der Staat durch eine Förderung die Mehrkosten für die entwickelten Maßnahmenpakete auf Seiten der privaten Akteure mit dem Ziel, Investitionsrisiken der Akteure zu minimieren bzw. die Refinanzierung von erst langfristig wirksamen Innovationen zu ermöglichen. Dies trägt zur Überwindung von hemmenden Effekten bei und ermöglicht eine Umsetzung aller Maßnahmenpakete. Das Szenario „Multimodalität“ basiert im Gegensatz zu den anderen beiden Szenarien auf der Vision des EU- Weißbuchs der Europäischen Union [4]. Dieses beschreibt ein multimodales Güterverkehrssystem, welches ab Transportentfernungen von 300 km zunehmend auf Transportangeboten des SGV oder der Binnenschifffahrt basiert. Für den SGV werden neue Zugangsmöglichkeiten geschaffen. Da der bisherige KV aufgrund seiner Technologie und Organisationsform nur für einige spezielle Transportnachfragesegmente wie dem Hafenhinterlandverkehr oder dem kontinentalen KV über lange Strecken geeignet ist, müssen darüber hinaus gehende multimodale Knoten aufgebaut werden. Diese lassen einen massenleistungsfähigen Umschlag von Sendungen unterhalb einer Komplettladung (Containerladung) und eine Vermischung der Produktionssysteme des Einzelwagenverkehrs und des KV auf der Schiene zu. Sie stellen darüber hinaus eine Schnittstelle für logistische Zusatzdienstleistungen dar, wie dies in Österreich und Deutschland bereits in Beispielen praktiziert wird. In diesem Szenario wird angenommen, dass der Staat ein Programm für die Entwicklung und Demonstration multimodaler Technologien aufsetzt und ein dichtes Netz aus multimodalen Terminals entsteht. Die privaten Akteure setzen alle vorherigen Maßnahmenpakete um und nutzen die multimodalen Terminals für ihre Dienstleistungen. Wirkungsanalyse Für die Analyse der Wirkungen der beschriebenen Szenarien kommt ein auf Basis der Verkehrsverflechtungsprognose 2030 des Bundes [5] kalibriertes makroskopisches Verkehrsmittelwahlmodell zum Einsatz. Dieses entspricht im Basisjahr 2010 und dem Referenzfall 2030 der Verkehrsleistung der Verkehrsverflechtungsprognose des Bundes (siehe Tabelle 3). Die Werte werden als Vergleichsgrößen für die eigenen Berechnungen herangezogen. Der Einfluss der Maßnahmenpakete auf die modellseitigen Parameter wurde in Form von Zu- und Abschlägen auf die Transport- und Umschlagkosten beziehungsweise -zeiten geschätzt. Dies ermöglicht die Berücksichtigung von gegenläufigen Einflüssen: So erhöhen sich für das Maßnahmenpaket ‚Energieeffizienz erhöhen‘ die Fahrzeugvorhaltekosten (aufgrund modernerer Fahrzeugtechnik), aber gleichzeitig sinken die Energiekosten aufgrund eines geringeren Energieverbrauchs. Anschlie- Nr. Maßnahmenpaket Szenario „Infrastruktur“ Szenario „Technologieupgrade“ Szenario „Multimodalität“ 1 Bruttozuggewicht auf über 2000 t erhöhen - X X 2 Zuglänge auf 740-m erhöhen X X X 3 Betriebsbedingte Halte vermeiden X X X 4 Energieeffizienz erhöhen X X X 5 Güterumschlag beschleunigen - X X 6 Be- und Entladevorgänge beschleunigen - X X 7 Zugbildung beschleunigen - X X 8 Verspätungen reduzieren - X X 9 Annahme: Etablierung multimodaler Dienstleistungen - - X Tabelle 2: Zuordnung der Maßnahmenpakete zu den Szenarien 2010 2030 Verkehrsleistung [Mrd. Tkm] 607,2 837,6 Gesamtendenergieverbrauch [PJ] 559 596 CO 2 -Emissionen [Mio. t] 48,0 48,7 Tabelle 3: Ausgangswerte für die Analyse Modal Split der Verkehrsleistung Ist 2010 Prognose 2030 Szenario „Infrastruktur“ Szenario „Technologieupgrade“ Szenario „Multimodalität“ Straße 72 % 73 % 71 % 66 % 56 % Schiene 18 % 18 % 20 % 27 % 35 % Binnenwasser 10 % 9 % 9 % 8 % 8 % Tabelle 4: Ergebnisse der Szenarien im Vergleich und in Bezug zur Verkehrsverflechtungsprognose 2030 [5] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 51 Wissenschaft LOGISTIK ßend erfolgt die Analyse der Verlagerungswirkungen (siehe Tabelle 4). Im Szenario „Infrastruktur“ erhöht die Verbesserung der Schieneninfrastruktur den Modalanteil des SGV geringfügig von 18 % im Prognosejahr 2030 auf 20 %. Die Infrastrukturmaßnahmen allein wirken nur in einem geringen Umfang, da die privatwirtschaftlichen Unternehmen aufgrund von weiteren Hemmnissen die Möglichkeiten einer verbesserten Infrastruktur nicht voll ausschöpfen können. Im Szenario „Technologieupgrade“ gelingt es, durch ein paralleles Technologieupgrade die Chancen einer verbesserten Infrastruktur adäquat auszunutzen, sodass erhebliche Zusatzwirkungen auf den Modal-Split erreicht werden: Der Anteil des SGV steigt auf insgesamt 27 % an. Im Szenario „Multimodalität“ gilt per Setzung die Annahme, dass 50 % der Straßengüterverkehre über 300-km auf die Verkehrsträger Schiene und Binnenwasserstraßen aufgeteilt werden. Dies erhöht den Anteil multimodaler Transporte und der Bahnanteil steigt auf 35 %. Die Verlagerungspotenziale bilden die Grundlage für die Abschätzung der Umweltwirkungen. Aufgrund der Annahme, dass alle Verkehrsträger bis zum Jahr 2030 energetisch effizienter werden, kann bereits im Referenzfall 2030 trotz der Verkehrsleistungszunahme um 38 % gegenüber 2010 der Anstieg des Endenergie- Verbrauchs auf + 6,6 % begrenzt werden. Weiter wird angenommen, dass sowohl der Anteil der elektrischen Traktion beim SGV als auch der Anteil der CO 2 -freien Energieträger an der Stromerzeugung bis 2030 weiter zunehmen werden. Dies hat zur Folge, dass die CO 2 - Emissionen des Güterverkehrs im Referenzfall bis 2030 „nur“ um + 1,5 % gegenüber 2010 ansteigen. Die politisch geforderte, deutliche Reduktion der CO 2 -Emissionen wird jedoch nicht erreicht. Die in den Szenarien abgeleiteten Potenziale zur Verlagerung von Transporten auf den SGV führen zu einer Reduktion des Endenergiebedarfs und der CO 2 -Emissionen (Bild 1). Im Szenario „Infrastruktur“ ist dieser Effekt mit einer Minderung von 1,1 Mio. t CO 2 gegenüber dem Referenzfall 2030 angesichts der Gesamtmenge von 48,7 Mio. t noch gering. Mehr als die dreifache Reduktion wird im Szenario „Technologieupgrade“ erreicht. Erst das Szenario „Multimodalität“, bei dem sich die Verkehrsleistung im SGV nahezu verdoppelt, erreicht mit - 8,6 Mio. t eine deutliche Reduktion der CO 2 -Emissionen und damit eine Minderung gegenüber 2010 um über 16 %. Handlungsfelder Die Ableitung von Handlungsempfehlungen baut auf den vorhergehenden Analysen und der Identifikation möglicher Hemmnisse auf. Dies wird ergänzt durch die Erkenntnisse aus drei Fachworkshops zu den Themen Infrastruktur, Multimodale Terminals und Innovationen im Rollmaterial und durch die Ergebnisse von Experteninterviews zu vertiefenden Fragestellungen. Es werden die folgenden vier Handlungsfelder identifiziert (siehe Bild 2). Handlungsfeld Infrastruktur: Eine leistungsfähige und flexible Infrastruktur bildet die Grundlage für zuverlässige Transportketten auf der Schiene. Darüber hinaus ist die Erleichterung des Zugangs von bisher als straßenaffin eingestuften Transportgütern auf die Schiene entscheidend. Hierbei spielen der Erhalt von Gleisanschlüssen und die Ausweitung der bestehenden KV-Förderung auf Umschlagstechnologien, die nicht der engen KV- Definition der aktuellen Förderrichtlinie [6] entsprechen und Erweiterungen darstellen, eine Rolle. Handlungsfeld Organisatorische Innovationen: Die bestehenden Förderrichtlinien sehen einen finanziell aufwändigen Nachweis der Machbarkeit neuer Technologien vor, der von Investoren schwer zu erbringen ist. Es empfiehlt sich, entsprechende Markt- und Machbarkeitsstudien zu fördern. Zur Erleichterung der Markteinführung dieser Technologien bieten sich Demonstrationsprojekte an, die durch einen Innovationswettbewerb ausgewählt und durch Kooperationen zwischen Bild 1: Prognostizierte Veränderung der CO 2 -Emissionen im Güterverkehr im Jahr 2030 in den Szenarien Bild 2: Handlungsfelder zur Gestaltung eines wirtschaftlich attraktiven Schienengüterverkehrs Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 52 LOGISTIK Wissenschaft Inventoren, Forschung und Logistik durchgeführt werden. Ein Vorbild hierfür könnte das österreichische Programm „Mobilität der Zukunft“ [7] sein. Handlungsfeld Rollmaterial: Der Nutzen von Innovationen muss bei den Akteuren des SGV ankommen. Die bestehenden Preis- und weiteren Anreizsysteme sind daher dahingehend zu prüfen und gegebenenfalls zu modifizieren, sodass das Anreizsignal bei den über die Transportdurchführung verantwortlichen Entscheidern ankommt. Die Möglichkeit einer Beihilfe zur Erstattung der Mehrkosten für innovative und wirtschaftlich sinnvolle Technologien, zum Beispiel nach Schweizer Vorbild [8], ist zu prüfen. Handlungsfeld Rahmenbedingungen: Die Akteure im SGV investieren nur dann, wenn sie sich dadurch zukunftsfähig ausrichten. Dies erfordert einen übergeordneten Entwicklungsrahmen für ein zukunftsfähiges Güterverkehrssystem, welches ein Zusammenspiel aller Verkehrsträger darstellt. Nachgelagerte verkehrsträgerspezifische Roadmaps zur Umsetzung und Förderungen im SGV sind mit diesem Entwicklungsrahmen abgestimmt und technologieoffen gestaltet. So wurden beispielsweise im Energiesektor Handlungspfade (Roadmaps) zur Erreichung von Klimaschutzzielen und der Energiewende auf nationaler Ebene definiert [9]. Gut gemeinte Regulierungen zum Schutz neuer Unternehmen im SGV sind auf ihre Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Innovationshemmnisse hin zu untersuchen. Zusammenfassung Die Auswertungen der Modellergebnisse zeigen, dass eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende durch eine Verlagerung im Güterverkehr dann am erfolgreichsten sein wird, wenn es gelingt, den Modal-Split des SGV in dem Maße anzuheben, wie dies das Szenario „Multimodalität“ annimmt. Dazu sind zwei Faktoren von zentraler Bedeutung: Erstens müssen die privaten Akteure in die Lage versetzt werden, in volkswirtschaftlich sinnvolle neue Technologien unter der Maßgabe einer Nutzenerwartung zu investieren und diese in verbesserten Angeboten einzusetzen. Zweitens müssen neue Angebotsformen der Multimodalität entwickelt und am Markt etabliert werden, um Sendungen, die nicht der engen KV-Definition entsprechen, für den Schienengüterverkehr zu gewinnen, so dass die Bahn vom Wachstum des Transportmarktes mit Stückgütern sowie Konsum- und Industriegütern profitieren kann. Dazu dürfen Versender nicht merken, dass ihr Transportgut in einem multimodalen System transportiert wird. Massenleistungsfähige Umschlaganlagen für Güter aller Art gehören genauso zu einem visionären Güterverkehrssystem wie ein Hochgeschwindigkeitsgüterzug wie der NGT Cargo (siehe Beitrag in dieser Ausgabe). ■ LITERATUR [1] Borza, J.: FAST Diagrams: The Foundation for Creating Effective Function Models, 2011 [2] Wixson, J.: Function Analysis and Decomposition using Function Analysis Systems Technique, 2003 [3] Knörr. W., Heidt, C. et al: Aktualisierung „Daten- und Rechenmodell: Energieverbrauch und Schadstoffemissionen des motorisierten Verkehrs in Deutschland 1960-2035“ (TRE- MOD) für die Emissionsberichterstattung 2016 (Berichtsperiode 1990-2014). Im Auftrag des Umweltbundesamtes. [4] Europäische Kommission (Hrsg.): Weißbuch - Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem, Brüssel, 2011 [5] Schubert, M. und andere: Verkehrsverflechtungsprognose 2030, im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, Schlussbericht 2014 [6] Eisenbahnbundesamt (Hrsg.): Richtlinie zur Förderung von Umschlagsanlagen des Kombinierten Verkehrs nicht bundeseigener Unternehmen, Stand: 04.01.2017 [7] Bundesverkehrsministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (Hrsg.): Mobilität der Zukunft, Wien, 2012 [8] Der Schweizerische Bundesrat: Verordnung über den Gütertransport durch Bahn- und Schifffahrtsunternehmen (GüTV), Stand 01.01.2017 [9] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Roadmap Energiepolitik 2020. Neues Denken - Neue Energie, 2009 Gernot Liedtke, Prof. Dr. Abteilungsleiter Wirtschaftsverkehr, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung, Berlin gernot.liedtke@dlr.de Anika Lobig, Dipl.-Ing. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung, Berlin anika.lobig@dlr.de Wolfram Knörr, Dipl. Wirtsch.-Ing. Themenleiter, ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH wolfram.knoerr@ifeu.de Redaktionsleitung: Eberhard Buhl Tel.: +49 89 889518.71 | eberhard.buhl@trialog.de Mediaservice: Hellfried Zippan Tel.: +49 89 889518.74 | hellfried.zippan@trialog.de Ihr direkter Draht zu uns ... Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 53 Entwicklungstrends bei ausgewählten europäischen Fluggesellschaften Fluggesellschaft, Entwicklungstrends, Quantitative Analyse Im folgenden Artikel werden für ausgewählte Fluggesellschaften Kennzahlen ermittelt und deren Entwicklung der letzten zehn Jahre nachverfolgt. Die Kennzahlen decken einen großen Bereich des Betriebs einer Fluggesellschaft ab und umfassen neben Bestandsgrößen auch angebotsseitige, finanzielle und geographische Aspekte. Die Analyse der verschiedenen Kennzahlen ermöglicht einen Überblick über deren spezifische Entwicklung im Zeitverlauf sowie einen Vergleich der Fluggesellschaften. Katrin Kölker, Steffen Wenzel, Peter Bießlich, Bernd Liebhardt, Klaus Lütjens, Volker Gollnick F luggesellschaften stellen eine der wichtigsten Gruppen von Akteuren im Lufttransportsystem dar. Sie bestimmen im Wettbewerb untereinander und mit anderen Verkehrsträgern die Qualität und die Struktur des Angebots von Lufttransportdienstleistungen. Von den Geschäftsmodellen der Fluggesellschaften hängen die Netzstruktur sowie der- Bedarf und der Einsatz von Flugzeugtypen mit unterschiedlichen Leistungsmerkmalen wie z. B. Reichweite und Sitzplatzkapazität ab. Um Aussagen über die aktuelle und zukünftige Angebotsstruktur im Luftverkehr zu treffen, besteht ein Interesse, einzelne Fluggesellschaften untereinander zu vergleichen und in ihrer zeitlichen Entwicklung zu beschreiben. Die bisherige Literaturrecherche hat ergeben, dass keine Veröffentlichung, welche die Entwicklungstrends ausgewählter Charakteristika von Fluggesellschaften aufzeigt, existiert. Für diese Aufgabe wurden daher zunächst die wichtigsten Struktur- und Leistungsmerkmale von Fluggesellschaften identifiziert. Für die Darstellung dieser Merkmale wurde ein zehnachsiges Netzdiagramm (auch als Spinnennetzdiagramm bezeichnet) gewählt, weil damit sowohl eine große Anzahl an Merkmalen als auch deren zeitliche Entwicklung übersichtlich aufgetragen und verglichen werden kann. Für das Netzdiagramm stellen sich Fragen zur Ausrichtung, Bewertung und Normierung der Kennzahlen auf den zehn Achsen. Es wird die Konvention getroffen, dass positive Merkmalsausprägungen außen auf den Netzdiagrammen angesiedelt sind. Wie im Falle des Flottenalters sind bei manchen Merkmalen zahlenmäßig besonders niedrige Werte als gut zu bewerten. Am Beispiel des später näher erläuterten Merkmals Zentralität wird zudem deutlich, dass bei manchen Merkmalen nicht offensichtlich ist, ob hohe oder niedrige Werte positiv zu bewerten sind. Um eine Vergleichbarkeit der Kennzahlen zwischen den Fluggesellschaften herzustellen, wird der beste Jahreswert eines Merkmals über alle betrachteten Fluggesellschaften auf den Wert Eins für alle Netzdiagramme normiert. Die anderen Werte dieses Merkmals aus anderen Jahren und anderen Fluggesellschaften werden dazu in Relation gesetzt. Im weiteren Verlauf dieses Artikels wird exemplarisch auf die ausgewählten Merkmale und deren vergleichende Entwicklung bei den Fluggesellschaften Lufthansa, Turkish Airlines, easyJet und Air Berlin im Zeit- Foto: Pixabay Luftfahrt MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 54 MOBILITÄT Luftfahrt raum 2006 - 2015 eingegangen, welche auf dem europäischen Luftverkehrsmarkt in Konkurrenz zueinander stehen. Die Auswahl der Fluggesellschaften erfolgte mit der Maßgabe möglichst unterschiedlicher Geschäftsmodelle, um deren spezifische Unterschiede aufzuzeigen, wobei der Fokus auf den beiden größten deutschen Fluggesellschaften liegt. Die Analyse kann auf beliebige Luftverkehrsgesellschaften übertragen werden. Die Ergebnisse basieren auf einer umfassenden Datenanalyse der kommerziellen Datenbanken Ascend Online Fleet Database [1], Sabre Market Intelligence [2] sowie den Bilanzen der untersuchten Fluggesellschaften. Passagiernetzwerk Die Passagiernachfrage ist ein zentraler Treiber für ökonomische Entscheidungen, aber auch Entwicklungen innerhalb einer Fluggesellschaft. Basierend auf Nachfrageprognosen entscheiden Fluggesellschaften unter anderem, welche Routen betrieben und welche Ticketpreise gesetzt werden. Entscheidungen hinsichtlich der Sitzplatzkapazität bei der Ausarbeitung des Flugplans finden ebenfalls auf Basis der prognostizierten Nachfrage statt und bestimmen damit, zu welchen Tageszeiten und mit welchem Flugzeugtyp die Strecken bedient werden [7]. Zur Beschreibung des Passagiernetzwerkes einer Fluggesellschaft wurden die drei Kennzahlen jährliches Passagieraufkommen (Passagiere), Anzahl der bedienten Märkte (Märkte) und der Parameter zur Messung der Direktheit der Passagierrouten (Direktheit) berechnet. Neben dem stetigen globalen Wachstum der Passagiernachfrage der vergangenen Jahre [8] sind deutliche Trends im europäischen Raum sichtbar. Während weltweit die RPK (Revenue Passenger Kilometres, Personenkilometer) in den vergangenen Jahren um durchschnittlich 5,2 % stiegen, erhöhten sich die ASK (Available Seat Kilometres, Sitzplatzkilometer) bedingt durch einen wachsenden Sitzladefaktor lediglich um 4,2 % [2]. Diese Abweichung ist auf innereuropäischen Flügen noch deutlicher zu beobachten, wohingegen bei Langstreckenflügen von und nach Europa der Unterschied und damit das Wachstum des Sitzladefaktors geringer ist (Bild 1). Der aktuelle Sitzladefaktor liegt bei durchschnittlich 84 % auf europäischen Flügen [2] und kann nicht unbegrenzt weiter wachsen. Bei einem weiteren Wachstum der Passagierzahlen, müssen die Fluggesellschaften zwingend mehr Flüge durchführen oder größere Flugzeuge betreiben. Die untersuchten Fluggesellschaften haben sehr unterschiedliche Passagiernetzwerke, welche aus topologischer Sicht durch die Direktheit der Reiserouten der Passagiere gekennzeichnet sind. Diese beschreibt die Anzahl der Umstiege auf Passagierrouten. Je weniger Passagiere umstei- 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 Passagiere Direktheit Märkte Allianz Rentabilität Flottenalter Sitzplatzkapazität Streckenlänge Zentralität Flugbewegungen Lufthansa 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 Passagiere Direktheit Märkte Allianz Rentabilität Flottenalter Sitzplatzkapazität Streckenlänge Zentralität Flugbewegungen Turkish Airlines 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 Passagiere Direktheit Märkte Allianz Rentabilität Flottenalter Sitzplatzkapazität Streckenlänge Zentralität Flugbewegungen easyJet 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 Passagiere Direktheit Märkte Allianz Rentabilität Flottenalter Sitzplatzkapazität Streckenlänge Zentralität Flugbewegungen Air Berlin 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Bild 2: Dateninduzierte Analyse der Entwicklung ausgewählter Fluggesellschaften (0 entspricht dem Minimum und 1 dem Maximum über alle Fluggesellschaften und alle Jahre), Datenquellen: [1-6] 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 RPK Weltweit ASK Weltweit RPK Innereuropäisch ASK Innereuropäisch RPK von/ nach Europa ASK von/ nach Europa Bild 1: Entwicklung der RPK (Revenue Passenger Kilometres) und ASK (Available Seat Kilometres) Datenquelle: [2] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 55 Luftfahrt MOBILITÄT gen und je geringer die Anzahl der Umstiege ist, desto höher ist die Direktheit des Netzes. Turkish Airlines und Lufthansa operieren ein sehr indirektes Netz mit Drehkreuzen in Istanbul bzw. Frankfurt und München, wobei nach einem Anstieg der Direktheit bis 2012 die Netze beider Fluggesellschaften wieder indirekter werden. Obwohl beide ein sehr indirektes Netz betreiben, bietet Lufthansa eine weit höhere Zahl von Märkten an, wie aus den Netzdiagrammen (Bild 2) ersichtlich ist. Das liegt zum einen an der weit höheren Anzahl an Flugbewegungen, welche auch die Flugbewegungen der Kurz- und Mittelstreckenflüge der Eurowings umfassen. Zum anderen ist das Netzwerk stark beeinflusst durch eine ausgeprägte Allianz mit anderen Fluggesellschaften. Daher wurde die Kennzahl Allianz eingeführt, welche die Anzahl der Passagiere misst, welche auf Routen reisen, die von verschiedenen Fluggesellschaften bedient wurden. Dazu zählt sowohl ein Wechsel der Fluggesellschaft, als auch der Fall, bei dem ein Flug durch eine andere Fluggesellschaft als Codeshare durchgeführt wird [9]. Durch eine Ausweitung des Angebots von Fluggesellschaften in Form von neuen Routen, höheren Frequenzen oder einer höheren Sitzplatzkapazität, kann zusätzliche Nachfrage induziert werden. In den Netzdiagrammen wird deutlich, wie unterschiedlich die Voraussetzungen für erhöhte Passagierzahlen sind. Bei Lufthansa wird ein größeres Beförderungsvolumen durch eine Steigerung der Sitzplatzkapazität ermöglicht (siehe auch Abschnitt Flotten). Selbiges gilt für Turkish Airlines, die zugleich auch die Anzahl der Flugbewegungen signifikant erhöhten. Da easyJet eine weitgehend einheitliche Flotte betreibt, ist hier eine Korrelation nur zwischen der Anzahl der Flugbewegungen und dem Passagiervolumen zu erkennen. Finanzen Die europäischen Netzwerk-Carrier wie Lufthansa, Air France oder British Airways konkurrieren im globalisierten und deregulierten Markt mit Low-Cost-Carriern wie easyJet, Ryanair oder Wizz Air auf regionaler Ebene und im Interkontinentalverkehr mit Fluggesellschaften aus dem Nahen Osten wie Emirates und Etihad. Zu letzteren kann auch Turkish Airlines wegen seiner geografischen Nähe und seines ähnlichen Geschäftsmodells gezählt werden. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Geschäftsmodelle sind die unterschiedlichen Strukturen. Das Geschäftsmodell der Low-Cost-Carrier fußt darauf, die Betriebskosten möglichst gering zu halten, um günstige Ticketpreise anbieten zu können. Dies wird beispielsweise durch schlanke Verwaltungen, große einheitliche Flotten sowie niedrige Gehälter erreicht. Nahöstliche Fluggesellschaften profitieren ebenfalls von geringeren Kosten, weil sie aus Regionen mit niedrigeren Löhnen, Infrastrukturkosten und Steuern operieren [10]. Europäische Netzwerk-Carrier haben hingegen über lange Zeiträume gewachsene und relativ starre Verwaltungs- und Gehaltsstrukturen. Neben Sparprogrammen etablieren die Fluggesellschaften eigene Billigfluggesellschaften wie Hop! oder Eurowings, um dem entgegenzuwirken. Sowohl die Low-Cost-Carrier als auch die nahöstlichen Fluggesellschaften entwickeln sich äußerst stark, während die Netzwerk- Carrier ein deutlich geringeres Wachstum aufweisen. Zur Quantifizierung des wirtschaftlichen Erfolges wurde die Kennzahl Rentabilität ausgewählt, welche die operative Marge repräsentiert. easyJet und Turkish Airlines weisen in der Regel eine höhere Rendite (durchschnittliche operative Marge 2006-2015: easyJet 6,9 % mit zuletzt deutlichem Aufwärtstrend; Turkish Airlines 7,1 %) im Vergleich zu den Netzwerk-Carriern (Lufthansa: 4,3 %) aus. Air Berlin orientierte sich nach seinen Anfangszeiten als Charterflieger am Ende des Jahrtausends zum Billig-Linienflug hin und schrieb zuletzt immer höhere Verluste (siehe Bild 3). Flotten Fluggesellschaften befassen sich in der Flottenplanung - basierend auf dem prognostizierten Bedarf nach Lufttransport - mit den Fragen, wie viele Flugzeuge und welche Flugzeugtypen im Planungszeitraum benötigt werden, wann existierende Flugzeuge außer Dienst gestellt werden sollen, wann neue Flugzeuge beschafft und wie diese finanziert werden. Dabei stehen in erster Linie ökonomische, aber auch zunehmend ökologische Entscheidungsfaktoren im Fokus. Übergeordnetes Ziel ist die Erfüllung der ökonomischen Ziele der Fluggesellschaft. Strategische und operative Ziele der Flottenplanung sind z. B. die Fähigkeit zur Bedienung bestimmter Märkte, so- -500 0 500 1,000 1,500 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Nettogewinn J ahr Lufthansa [M.EUR] Turkish Airlines [M.USD] easyJet [M.GBP] Air Berlin [M.EUR] Bild 3: Entwicklung des Nettogewinns, Datenquellen: [3] - [6] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 56 MOBILITÄT Luftfahrt wohl mittelals auch kurzfristige Flexibilität bzgl. Änderungen am Markt, eine Komplexitätsreduktion innerhalb der Flotte und ein positives Image der Fluggesellschaft (bspw. durch den Einsatz moderner Flugzeuge). [11] Daher werden zur Beschreibung der Flotte einer Fluggesellschaft das durchschnittliche Flottenalter der gesamten Flotte und die durchschnittliche Sitzplatzkapazität herangezogen. Die Anzahl der Flugzeuge in Europa hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre stetig erhöht. Gleichzeitig steigt auch die durchschnittliche Kapazität der Flugzeuge bedingt durch begrenzte Luftraum- und Flughafenkapazitäten und um die Betriebskosten pro Sitzplatzkilometer durch die Ausnutzung positiver Skaleneffekte zu reduzieren. So nimmt beispielsweise bei der Lufthansa die Anzahl kleinerer Regionalflugzeuge stetig ab, da diese zunehmend durch Narrow-Body-Flugzeuge abgelöst werden. Auch innerhalb der einzelnen Flugzeugkategorien steigt die durchschnittliche Sitzplatzanzahl: So ist die durchschnittliche Flugzeuggröße bei den Regionalflugzeugen um 47 %, bei den Narrow-Body- und Wide- Body-Flugzeugen jeweils um mehr als 7 % gestiegen. Daraus resultierend können bei gleicher Anzahl an Flugbewegungen mehr Passagiere befördert werden. Trotz eines Wachstums der Anzahl der Flugzeuge um insgesamt 18 % ist die Zahl der verfügbaren Sitze daher überproportional um 34 % gestiegen. Diese Entwicklung ist deutlich in Bild 4 zu erkennen. Eine weitere Zunahme der Kapazität ist nur begrenzt möglich, da einerseits bereits ein großer Anteil der Regionalflugzeuge der untersuchten Fluggesellschaften ausgeflottet wurde und andererseits bereits häufig der größte Flugzeugtyp einer Familie (beispielsweise Airbus A321 mit ca. 200 Sitzplätzen) betrieben wird. Da diese Flugzeuge auf wenig frequentierten Strecken nicht effizient eingesetzt werden können, ist es zusätzlich weiterhin notwendig, kleinere Flugzeuge aus den jeweiligen Klassen zu nutzen. Somit zeigt sich insgesamt, dass das innereuropäische Wachstumspotential durch den Einsatz größerer Flugzeuge mit den derzeit verfügbaren Flugzeugtypen begrenzt ist. Zusätzliche Kapazitätssteigerungen können daher langfristig nur durch eine effizientere Nutzung des Luftraumes und durch die Erhöhung von Flughafenkapazitäten erreicht werden [12]. Das Flottenalter bestimmt wesentlich die Effizienz der eingesetzten Flugzeuge. Einerseits sinkt beispielsweise der spezifische Treibstoffverbrauch bei neuen Flugzeugtypen. Anderseits steigt der Treibstoffverbrauch eines Flugzeuges im Laufe der Zeit aufgrund von zusätzlicher Masse durch Instandhaltungsmaßnahmen und weiterer Ineffizienzfaktoren. EasyJet besitzt als Low-Cost-Carrier eine einheitliche Flotte mit nur zwei Flugzeugtypen aus einer Familie, womit eine hohe Kommunalität erreicht wird. Weiterhin sind die Kapitalbindungskosten für die relativ kleinen Flugzeuge geringer als bei Langstreckenflugzeugen. Durch ein stetiges Flottenwachstum von durchschnittlich mehr als 10 % p.a. mit dem Kauf neuer Flugzeuge besitzt easyJet eine relativ junge Flotte, was in einem hohen Wert in Bild 2 resultiert. Allerdings erhöht sich das durchschnittliche Flottenalter stetig, da aufgrund des Kapazitätsaufwuchses wenig alte Flugzeuge ausgeflottet werden. Im Vergleich dazu besitzt die Lufthansa eine im Schnitt deutlich ältere Flotte. Dies wird vergleichend in Bild 2 deutlich. Insbesondere ein großer Anteil der Langstreckenflotte befindet sich aktuell am Ende der Nutzungsperiode (Boeing 747-400, Airbus A340). Durch aktuelle Flottenprojekte (A350, 747-8i, 777-9) wird in den nächsten Jahren eine Verringerung des durchschnittlichen Flottenalters und damit einhergehend eine Effizienzerhöhung realisiert. Flugbewegungen Eine mögliche Reaktion einer Fluggesellschaft auf Nachfragesteigerungen ist die Erhöhung der Frequenz auf einer Route. Ein ausgewählter Parameter zur Beschreibung der Flugbewegungen ist daher die jährliche Frequenz auf allen Routen. Vor allem an deutschen Großflughäfen ist die Möglichkeit der Erhöhung der Frequenz stark eingeschränkt, da diese teilweise an ihren infrastrukturellen Kapazitätsgrenzen operieren und freie Slots und Standplätze fehlen. Betroffen davon ist u. a. die Lufthansa mit ihren Drehkreuzen an den Flughäfen Frankfurt und München. Wie aus den Netzdiagrammen ersichtlich wird, blieben die jährlichen Flugbewegungen der Lufthansa von 2006 bis 2015 auf einem hohen Niveau von ca. 650 000 konstant (vgl. Bild 5). Im Gegensatz dazu ist die Konkurrenz deutlich aufgewachsen. Turkish Airlines und easyJet erfuhren im gleichen Zeitraum Steigerungen der Flugbewegungszahlen um 250 % respektive 195 %. Bei Air Berlin ist allerdings ein abnehmender Trend in den letzten Jahren deutlich erkennbar. Nach einer Ver- 0 100,000 200,000 300,000 400,000 500,000 600,000 700,000 800,000 2006 2008 2010 2012 2014 F lugbewegungen J ahr Lufthansa Turkish Airlines easyJet Air Berlin Bild 5: Entwicklung der Flugbewegungszahlen, Datenquelle: [2] Bild 4: Entwicklung der Flottengröße der Lufthansa und der durchschnittlichen Sitzplatzkapazität nach Luftfahrzeug- Klassen Datenquelle: [1] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 57 Luftfahrt MOBILITÄT dopplung der Flugbewegungen bis 2010 gingen diese wieder stark zurück. Neben der Frequenz wurden die Kennzahlen der durchschnittlichen Streckenlänge sowie die Zentralität des Netzes ausgewählt, um die Verteilung der Flugbewegungen zu spezifizieren. Die durchschnittliche Streckenlänge hat sich sowohl bei Lufthansa als auch bei Air Berlin moderat um durchschnittlich 150 km gesteigert. Beide flogen 2015 durchschnittlich 1300 km lange Strecken. Turkish Airlines hingegen hat sein Langstreckenangebot von 2006 bis 2015 massiv ausgebaut. In absoluten Zahlen stieg die Streckenlänge von durchschnittlich 1300 km auf knapp 1900 km. easyJet fokussiert sich weiterhin auf das Kurz- und Mittelstreckengeschäft, so dass die Streckenlänge nahezu konstant blieb. Ein weiteres typisches Maß zur Beschreibung des Flugbewegungsnetzwerkes einer Fluggesellschaft ist die sogenannte Betweenness-Zentralität. Dieser Indikator beschreibt die Zentralität eines Knotens im Netzwerk und ist gleich der Anzahl der kürzesten Pfade zwischen zwei beliebigen Knoten, die über den betrachteten Knoten führen. In einem Netzwerk einer Fluggesellschaft repräsentieren die Flughäfen die Knoten und eine hohe Zentralität eines Knotens entspricht damit einem Flughafen, der in der Regel als Drehkreuz im Netzwerk agiert. Die Entropie der Betweenness Zentralität aller Knoten fasst die Werte zu einem einzigen Wert zusammen. Unter der Entropie kann somit die Unordnung des Netzwerkes verstanden werden. easyJet zeigt eine sehr hohe Entropie, das heißt, dass deren Netzwerk als breit gestreut betrachtet werden kann. Im Gegensatz dazu besitzt das Netzwerk von Turkish Airlines eine sehr niedrige Entropie, kann dementsprechend als geordnet oder stärker zentralisiert bezeichnet werden. Jedoch ist ein Trend erkennbar, dass die Entropie immer mehr zunimmt (siehe Bild 2). Eine Frage, die sich bei dieser Betrachtung stellt, ist, ob die Entropie mit der Direktheit des Passagiernetzwerkes korreliert. Diese These trifft für die Netzdiagramme von easyJet und Air Berlin durchaus zu. Jedoch widerlegt das Netzdiagramm von Lufthansa die These. Das ausgeprägt indirekte Lufthansa-Netzwerk zeigt eine mittlere Entropie. Der Grund liegt in der Netzwerkstruktur mit mehreren Drehkreuzen bei Lufthansa. Etwa die Hälfte aller Origin-Destination-Verbindungen verläuft zwar über Frankfurt, jedoch besitzt München einen Anteil von fast 22 %. Des Weiteren verursacht die Hinzunahme des dezentralen Eurowings-Netzwerkes eine höhere Entropie. Ersterer Punkt wird ebenfalls bei Turkish Airlines sichtbar. In 2006 führten über 90 % der OD-Verbindungen von oder nach Istanbul-Atatürk. Mittlerweile haben die Flughäfen Ankara und Istanbul-Sabiha Gökçen an Bedeutung gewonnen, sodass trotz gleichbleibender Direktheit die Entropie steigt. Zusammenfassung und Ausblick Mithilfe der ausgewählten Merkmale der Fluggesellschaften lässt sich eine Charakterisierung und die vergleichende Betrachtung der Entwicklung der verschiedenen Fluggesellschaften im Zeitverlauf vornehmen. In einem Netzdiagramm können diese Merkmale in ihrem zeitlichen Verlauf je Fluggesellschaft dargestellt werden, was aber Entscheidungen im Hinblick auf Ausrichtung, Bewertung und Normierung der Merkmalsausprägungen erforderlich macht. Die nähere Betrachtung der einzelnen Merkmale zeigt wesentliche Entwicklungstrends. Dies ist insbesondere ein auf 84 % gestiegener Sitzladefaktor. Das Wachstum der Passagierzahlen bei der Lufthansa ist zusätzlich durch eine höhere durchschnittliche Sitzkapazität je Flugzeug erreicht worden, während bei easyJet und Turkish Airlines auch die Flugbewegungen deutlich angestiegen sind und für diese zu einer Verdopplung bzw. Verdreifachung der Passagierzahlen geführt haben. Ein weiteres Wachstum der Passagierzahlen allein über die Sitzkapazität je Flug erscheint nur begrenzt erreichbar, da die Möglichkeiten über eine dichtere Bestuhlung, die Ausmusterung von Regionalflugzeugen und der Umstieg auf den größten Typ einer Flugzeugfamilie weitgehend ausgeschöpft sind. Bis auf easyJet weisen die Fluggesellschaften eine Steigerung der Streckenlänge auf, welche im Falle der Lufthansa und Air Berlin moderat und im Falle von Turkish Airlines erheblich ist. Bei der operativen Marge liegt die Lufthansa mit durchschnittlich 4 % im Zeitraum 2006-2015 deutlich hinter den Konkurrenten easyJet und Turkish Airlines mit ca. 7 %, wobei sich Lufthansa und Turkish Airlines hier aber zuletzt angenähert haben. Air Berlin schreibt dagegen seit Jahren Verluste und befindet sich Ende 2016 in einer wesentlichen Restrukturierung. Als Ausblick erlaubt die hier vorgenommene Darstellung ausgewählter Merkmale von Fluggesellschaften deren schnelle Charakterisierung und in automatisierter Form auch das frühzeitige Erkennen von Veränderungen und Trends in der Angebotsstruktur des Lufttransports. Auch modellhafte Veränderungen an bestehenden Fluggesellschaften oder neue Betriebskonzepte auf Basis neuer Flugzeuge oder geänderter Randbedingungen können auf diese Weise visualisiert werden. ■ QUELLEN [1] Ascend (2016): Online Fleet Database. Ascend Worldwide. London. [2] Sabre (2016): Airport Data Intelligence (ADI). Sabre Airline Solutions. [3] Lufthansa Group: Geschäftsberichte 2006-2015. [4] Turkish Airlines: Annual Reports 2006-2015. [5] easyJet plc: Annual reports and accounts 2006-2015. [6] airberlin group: Financial reports 2006-2015. [7] Wenzel, S.; Kölker, K.; Bießlich, P.; Lütjens, K. (2015): Approach to Forecast Air Traffic Movements at Capacity-Constrained Airports. Journal of Aircraft, 52 (5), Seiten 1710-1714. [8] Airbus S.A.S. (2016): Global Market Forecast. Mapping Demand 2016 / 2035. [9] Bießlich, P.; Lehner, S.; Lütjens, K. (2015): Do Birds of a Feather Flock Together? - Linking Airline Similarity and Collaboration. 19th ATRS World Conference, Singapur. [10] O’Connell, J.F. (2011): The rise of the Arabian Gulf carriers: An insight into the business model of Emirates Airline. Journal of Air Transport Management 17, 339-46, 2011. [11] Rosskopf, M. (2013): Modell zur Planung und Bewertung von Airline- Flotten nach ökonomischen und ökologischen Kriterien. DLR-Forschungsbericht 2013-31, Hamburg. [12] Wenzel, S.; Deutschmann, A. (2013): Entwicklung und Erprobung eines Konzeptes zur Integration von Fracht in ein Total Airport Management System, DLRK 2013, Stuttgart. Steffen Wenzel, M.Sc. DLR Lufttransportsysteme, Hamburg steffen.wenzel@dlr.de Peter Bießlich, Dipl.-Ing. DLR Lufttransportsysteme, Hamburg peter.biesslich@dlr.de Bernd Liebhardt, Dr.-Ing. DLR Lufttransportsysteme, Hamburg bernd.liebhardt@dlr.de Klaus Lütjens, Dipl.-Vw. DLR Lufttransportsysteme, Hamburg klaus.luetjens@dlr.de Katrin Kölker, Dipl.-Math. DLR Lufttransportsysteme, Hamburg katrin.koelker@dlr.de Volker Gollnick, Dr.-Ing. Prof., DLR Lufttransportsysteme, Hamburg volker.gollnick@dlr.de Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 58 MOBILITÄT InnoZ Mobilitätsmonitor Mobilitätsmonitor Nr. 4 - April 2017 Konjunktur, Personenverkehr, Personenverkehrsmarkt, Energiemarkt, Multimodalität, Carsharing, Schnellladeinfrastruktur, Digitalisierung Das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) erstellt ein regelmäßiges Monitoring mit Umfeld- und „klassischen“ Verkehrsmarktdaten sowie ergänzenden Mobilitätsdaten zum Personenverkehr in Deutschland. Die Besonderheit ist die Verbindung unterschiedlicher Aggregationsebenen aus konventionellen Datenquellen und eigenen Erhebungsformen. Weitere Grafiken und Erläuterungen finden Sie unter www.innoz.de. Benno Bock, Lena Damrau, Bert Daniels, Julia Epp, Frank Hunsicker, Sina Nordhoff, Christian Scherf, Robert Schönduwe, Benjamin Stolte, Vipul Toprani D iese aktuelle Ausgabe von Internationales Verkehrswesen bringt eine Zusammenfassung der aktuellen Monitor-Ergebnisse. Weitere Daten und Grafiken sind im Netz unter www.innoz.de zu finden. Konjunkturelles Personenverkehrsmarktumfeld 1 Die deutsche Wirtschaft wuchs 2016 um 1,9 % gegenüber dem Vorjahr. Haupttreiber waren die umfangreichen privaten (+ 2 %) und staatlichen (+ 4 %) Konsumausgaben bei sehr niedriger Preissteigerung. Die real verfügbaren Einkommen stiegen um 2,3 % an. Die Zahl der Erwerbstätigen übertraf das Vorjahr um 1 % und stieg auf ein weiteres Rekordhoch von 43,7 Mio. Personen (Inländer-/ Wohnortprinzip). Für 2017 wird mit einem leicht abgeschwächten Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von ca. 1,6 % gerechnet, ebenfalls getrieben durch die gute Lage am Arbeitsmarkt (+ 1 % Erwerbstätige), weiter steigende Exporte und eine hohe Binnennachfrage. Die Dynamik der Binnennachfrage wird aber durch die stärker steigende Inflationsrate abgeschwächt (ölpreisbedingt vsl. nahe 2 %). Dadurch dürften die Realeinkommen der privaten Haushalte im laufenden Jahr nur noch um gut 1% zulegen und deren Konsumausgaben weiter stimulieren. Die Ausgaben des Staates für Flüchtlinge dürften 2017 kaum weiter ansteigen. Nicht zuletzt wirkt sich die niedrigere Anzahl an Arbeitstagen 2017 leicht dämpfend auf die Konjunktur aus. Der Kraftfahrer-Preisindex als Maß für die Preisentwicklung im motorisierten Individualverkehr (MIV) sank 2016 um 1,3 %, v. a. aufgrund des niedrigen Preisniveaus bei den Kraftstoffen. So sanken die Preise beim Benzin um knapp 7 %, beim Diesel um gut 8 %. Die Preise im öffentlichen Verkehr stiegen hingegen an - kaum merklich bei der Schiene (0,1 %), eher deutlich bei den Verbundtarifen (2,6 %). Der Luftverkehr (- 0,3 % ggü. Vorjahr) profitierte weiterhin von den im Gesamtjahr 2016 sehr niedrigen Ölpreisen. Insgesamt dürfte die Preisentwicklung primär dem MIV zugutekommen. Der PKW- Bestand stieg 2016 weiter an, zum 1.1.2017 mit 1,6 % auf nunmehr 45,8 Mio. PKW. Die Neuzulassungen erhöhten sich im Jahr 2016 um 4,5 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Modale Sicht: Der Personenverkehrsmarkt 2 Im Jahr 2016 stieg die Verkehrsleistung bei allen motorisierten Verkehrsträgern an - wenn auch unterschiedlich stark. Insgesamt wird mit einem Zuwachs von 1,7 % gegenüber 2015 gerechnet (Bild 1). Die positive Entwicklung wurde getragen von der guten konjunkturellen Lage, steigenden Realeinkommen, der steigenden Zahl von Erwerbstätigen und den günstigen Preisen für Kraftstoffe. Letzteres kommt v.a. dem MIV (+ 1,5 %) sowie dem innerdeutschen Luftverkehr (+ 2,8 %) zugute. Die Nachfrage im Schienenpersonenverkehr (SPV; + 3,3 %) profitierte neben den vorteilhaften ökonomischen und demografischen Rahmenbedingungen überdies von einem Basiseffekt (Streiks in 2015) sowie von der „Preisoffensive“ im Fernverkehr. Der ÖSPV 3 verzeichnete im Nahwie im Fernverkehr ein Verkehrsleistungsplus (insgesamt + 1,2 %). Der Buslinienfernverkehr wuchs allerdings mit ca. 4 % nicht mehr so rasant wie in den Vor- © InnoZ GmbH 2012 2016 2015 Ausblick 2017 p.a p.a p.a Personenkilometer in Mrd. Rad Fuß SPV ÖSPV Luftverkehr (innerdeutsch) MIV 700 800 900 1000 1100 1200 1.159,5 1.200,6 1.220,0 1.232,2 0,8% 2,0% 0,0% -0,5% 1,2% 1,7% 0,9% 3,3% 1,8% 1,2% -0,5% 2,8% 1,2% 1,6% 1,0% 1,2% 1,5% 2,0% -0,5% 1,0% 1,5% 0,5% 1,5% 1,0% 76,0 10,3 88,8 35,3 1.089,7 34,6 914,6 80,2 10,1 91,3 36,1 81,1 10,4 94,3 36,8 81,6 10,6 95,7 37,6 1.129,9 1.148,8 1.160,4 34,6 34,4 34,2 948,3 962,9 972,5 Bild 1: Personenverkehrsleistung (Pkm) nach Verkehrsmitteln 2012 und 2015-2017 Quelle: SSP/ BAG (2017), StBA (2017), eig. Schätzungen Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 59 InnoZ Mobilitätsmonitor MOBILITÄT jahren; der Liniennahverkehr wurde v.a. in den Verdichtungsräumen stärker nachgefragt. Insgesamt wurden Busse und Bahnen im vergangenen Jahr von so vielen Menschen benutzt wie nie zuvor: Das Aufkommen erreichte über 11,4 Mrd. Fahrgäste. Für 2017 wird sich der Zuwachs bei den motorisierten Verkehrsträgern voraussichtlich leicht abschwächen. Zwar bleibt die Konjunktur belebt und der Arbeitsmarkt dynamisch, aber das höhere Kraftstoffpreisniveau wirkt sich sowohl direkt auf die Nachfrage v.a. des MIV aus, als auch indirekt, indem die gestiegene Teuerungsrate den Ausgabenspielraum bei den realen Haushaltseinkommen einschränkt. Für den MIV ist nur noch ein Zuwachs von gut 1% bei der Verkehrsleistung gegenüber dem Vorjahr zu erwarten, beim innerdeutschen Luftverkehr von 1,5 %. Hier ist nach der Übernahme vieler Air-Berlin-Relationen durch Lufthansa/ Eurowings nur noch mit einem eingeschränkten Preiswettbewerb zu rechnen. Der Umfang an Personenkilometern des SPV wird sich vsl. nur noch um etwa 1,5 % ausweiten. Zwar wirkt das sozio-ökonomische Umfeld nach wie vor überwiegend positiv, doch es entfällt der positive streikbedingte Basiseffekt (s. o.). Ähnlich verhält es sich mit dem ÖSPV: Auch hier ist mit ca. 0,5 % ein gegenüber 2016 abgeschwächtes Wachstum zu erwarten, das nach Marktkonsolidierung auch vom Buslinienfernverkehr nicht zusätzlich befeuert wird. Insgesamt kann 2017, über alle motorisierten Verkehrsträger betrachtet, mit einem Zuwachs der Verkehrsleistung von gut 1% gegenüber dem Jahr 2016 gerechnet werden. Wie in den Vorjahren sind ein leichter Rückgang beim Fußgängerverkehr sowie ein Zuwachs im Radverkehr erwartbar, was sich aber auf die Gesamtverkehrsleistung nur geringfügig auswirkt. Auch die modalen Anteile der einzelnen Verkehrsträger bleiben im Vergleich zum Vorjahr nahezu konstant. frank.hunsicker@innoz.de, bert.daniels@innoz.de Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-markt Intermodalität: Arbeitswege Intermodalität 4 auf Arbeitswegen 5 unterscheidet sich hinsichtlich regulärer bzw. irregulärer Arbeitszeiten. Personen mit regulären Arbeitszeiten haben ein stabiles Zeitfenster, in dem ihre Arbeitszeit sowohl beginnt als auch endet. Personen mit irregulären Arbeitszeiten haben eine stark schwankende Uhrzeit, zu der sie am Arbeitsort erscheinen bzw. diesen verlassen. 6 Die Daten wurden mit der Smartphone-App modalyzer von 43 Teilnehmern generiert (www.modalyzer.com). Auf Wegen von und zur Arbeit werden deutlich mehr Umstiege innerhalb des ÖV in Kauf genommen als auf anderen Wegen. Der Anteil intermodaler Wege - d. h. Umstiege zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln - ist hingegen fast gleichgroß (Bild- 2). Personen mit regulären Arbeitszeiten sind weniger intermodal als Personen mit irregulären Arbeitszeiten (Bild 3). Im Schnitt legen Personen mit irregulären Arbeitszeiten 9 % ihrer Wege intermodal zurück, Personen mit regulären Arbeitszeiten nur 3,2 %. Werden nur die Arbeitswege betrachtet, ist der Unterschied noch größer: Personen mit irregulären Arbeitszeiten legen durchschnittlich 14,2 % dieser Wege intermodal zurück, Personen mit regulären Arbeitszeiten nur 3,8%. lena.damrau@innoz.de, robert.schoenduwe@innoz.de Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-modi Shared Mobility: Bikesharing im Siebenjahresvergleich Wie in den Vorjahren konnte die Carsharing-Branche auch 2016 wieder ein deutliches Gesamtwachstum erzielen. Dies zeigt sich vor allem an dem abermals angestiegen Kundenstamm des sog. Free-floating-Carsharing ohne Stationen (bcs 2017). Mit über 1,2 Mio. Fahrberechtigten übertraf der Wert den Ausblick von vor einem Jahr, der unter 1-Mio. Kunden für 2016 lag (s. Monitor April 2016; innoz.de/ de/ monitor-sharing). Gegenüber 2010 hat insgesamt ein deutliches Wachstum im Bikesharing stattgefunden (Bild 4). Die Anzahl der öffentlichen Radstationen wuchs auf knapp 3600, was mindestens das Fünffache gegenüber 2010 entspricht. Die Anzahl der Städte bzw. Kreise mit Bikesharing verdoppelte sich fast auf über 80. Die höchste Radstationsdichte pro Einwohner hat aktuell Frankfurt a.M. Auf den Plätzen zwei und drei folgen das benachbarte Mainz und als ländlich-touristisch geprägter Landkreis Vorpommern-Greifswald. München hat nach Frankfurt a.M. die höchste absolute Stationszahl, wobei hier zusätzlich ein stationsloses „Flexsystem“ 7 besteht. Berlin und Hamburg können als Stadtstaaten mit einer hohen Stationsdichte © InnoZ GmbH Monomodal - Wege mit Verkehrsmitteln einer Art, inkl. intramodaler Umstiege (z.B. zwischen S-Bahn 1 und S-Bahn 2) Umstiege - Wechsel zwischen Verkehrsmitteln einer Art (z.B. zwischen S- und U-Bahn) Intermodal - Wechsel des Verkehrsmittels (z.B. zwischen Pkw und ÖV) Wege von zu Hause zur Arbeit (und zurück) Andere Wege 87% 71% 7% 6% 23% 5% Bild 2: Verkehrsverhalten auf Arbeitswegen (l.) und anderen Wegen (r.); n = 43, Diff. zu 100 % rundungsbedingt Quelle: Erhebung mit modalyzer und eig. Berechnung © InnoZ GmbH keine intermodalen Wege max 5% intermodale Wege über 5% bis max. 10% intermodale Wege über 10% bis max. 25% intermodale Wege über 25% bis max. 50% intermodale Wege über 50% intermodale Wege 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Reguläre Arbeitszeiten Irreguläre Arbeitszeiten Anteil der Personen in der jeweiligen Gruppe (in %) Bild 3: Anteile der Personen mit intermodalen Arbeitswegen, unterschieden nach irregulären und regulären Arbeitszeiten Quelle: Erhebung mit modalyzer und eig. Berechnung Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 60 MOBILITÄT InnoZ Mobilitätsmonitor punkten (Bild 5). Die Veränderungsraten gegenüber 2010 zeigen ebenfalls ein spezifisches Wachstum je Bundesland: Berlin erfuhr durch die Umstellung vom „Flexsystem“ auf Stationen hohe Zuwächse. Doch auch die drei Flächenländer Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen treten durch eine besonders dynamische Entwicklung seit 2010 hervor. In Hessen ist die Stationsdichte sogar mit Berlin und Hamburg vergleichbar. Auch in puncto Flächenabdeckung stehen Bayern und Hessen vergleichsweise vorn. benno.bock@innoz.de, benjamin.stolte@innoz.de Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-sharing Nachhaltige Mobilität: Wasserstofftankstellen Ebenso wie anfangs die batterieelektrische Ladeinfrastruktur, steht auch die Brennstoffzelle vor der Herausforderung des sog. „Henne-Ei-Problems“ zwischen Infrastrukturbedarf und Fahrzeugnachfrage (s. Monitor Nov. 2015). Erste Brennstoffzellenfahrzeuge sind jedoch im Handel; 2017/ 18 sollen weitere Modelle auf den internationalen Markt kommen. Die Tankstellenzahl erhöht sich nur langsam. In Deutschland folgt der Aufbau von Wasserstofftankstellen dem globalen Trend (Bild 6). Bis 2019 ist aufgrund der Ausbauziele von H 2 Mobility ein zunehmendes Wachstum der Tankstellenzahl zu erwarten (H 2 Mobility 2017). julia.epp@innoz.de, vipul.toprani@innoz.de Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-nachhalt © InnoZ GmbH Deutschland Australien Asien Südamerika Nordamerika Europa (inkl. DEU) 0 50 100 150 200 250 300 2019 2016 2015 2014 2013 Anzahl Tankstellen 0 200 400 600 800 1000 Baden-Baden Berlin Nürnberg Mannheim Karlsruhe Hamburg Leipzig Heidelberg Speyer Potsdam Mülheim an der Ruhr Bochum Dresden Darmstadt Kassel Köln München Vorpommern-Greifswald Mainz Frankfurt am Main © InnoZ GmbH Bikesharingstationen pro Mio. Einwohner Bikesharingstationen 2010 Bikesharingstationen 2017 Bild 4: TOP 20-Städte und -Kreise mit Bikesharingstationen; ohne „Flexsysteme“ Quelle: www.citybik.es, eig. Erhebung und Berechnung © InnoZ GmbH Bikesharing-Stationen/ Mio Einwohner absolute Veränderung der Stationsanzahl ggü. 2010 Bremen Sachsen-Anhalt Bundesdurchschnitt -50 150 250 350 450 550 650 750 0 20 40 60 80 100 120 140 160 Hessen Berlin Bayern Hamburg Nordrhein-Westfalen Sachsen Mecklenburg-Vorpommern Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Brandenburg Niedersachsen Schleswig-Holstein Thüringen Saarland Bild 5: Bikesharingstationen pro Mio. Einw. und absolute Veränderung ggü. 2010 nach Bundesländern Quelle: eig. Erhebung und Berechnung Bild 6: Anzahl der Wasserstofftankstellen in Deutschland und global; 2019 Schätzung Quelle: eigene Darstellung auf Datenbasis von TÜV Süd/ LBST, www.h2stations.org Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 61 InnoZ Mobilitätsmonitor MOBILITÄT Mobilitätsumfeld Digitalisierung: Testfelder automatisierten Fahrens & digitale Semestertickets Hochautomatisiertes Fahren stellt hohe rechtliche und technische Anforderungen, so dass es zunächst in bestimmten Räumen getestet wird (Bild 7). Neben Teststrecken auf bayerischen, niedersächsischen und saarländischen Autobahnen zur Erprobung der schrittweisen Automatisierung von Privat-PKW („evolutionärer Pfad“) entstehen vermehrt Räume zur Erprobung autonomer Shuttles („revolutionärer Pfad“). Für die nächsten Jahre antizipieren wir den vermehrten Einsatz von Shuttle-Bussen. Die Mehrzahl der deutschen Universitäten hat Semestertickets zur Vergünstigung des örtlichen ÖPNV, die oft nach dem Solidaritätsprinzip von allen Studierenden der jeweiligen Uni getragen werden. Von der Option, neue Medien über Semestertickets anzubieten, wird bislang kaum Gebrauch gemacht (Bild 8): Nur an rund 6 % der Unis werden ÖV-Fahrscheine (auch) digital angeboten. Dies erreicht ca. 7 % der fast 1,7- Mio. Studierenden an den untersuchten Unis (n = 85; ohne FH). Das Gros von rund 71 % der Unis bzw. 76 % der Studierenden kann nur auf „analoge“ Formen des Semestertickets wie Kartenaufdruck, -aufkleber oder Papierfahrschein zugreifen. sina.nordhoff@innoz.de, christian.scherf@innoz.de Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-digi 1 Datenquellen: StBA (2017), KBA (2017), IfW Kiel (2017), FERI (2017), eig. Schätzungen 2 Datenquellen: StBA (2017), SSP/ BAG (2017), ADV (2017), eig. Schätzungen 3 ÖSPV umfasst den öffentlichen Straßenpersonenverkehr (Bus, Stadtbahn, Straßenbahn u. U-Bahn). 4 Intermodal: Min. zwei verschiedene Verkehrsmittel wurden genutzt (ungeachtet Umstiege im ÖV). Fußwege sind nur intermodal, wenn der längste Teil des Weges zu Fuß zurückgelegt wurde. 5 Wege vom Wohnzum Arbeitsort sowie in die entgegengesetzte Richtung. 6 Trennung der Gruppen basiert auf dem Interquartilsabstand: Wenn dieser entweder bei der Ankunfts- oder der Abfahrtszeit größer 1 ist, also über die Hälfte der Werte mehr als eine Stunde auseinander liegt, gelten die Arbeitszeiten als irregulär. 7 Freie Rückgabe an jeder Kreuzung im Operationsgebiet möglich. QUELLEN ADV - Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (2017): ADV- Monatsstatistik 12/ 2016. Berlin. bcs - Bundesverband CarSharing (2017): Aktuelle Zahlen und Daten zum CarSharing in Deutschland, online unter: https: / / carsharing.de/ alles-ueber-carsharing/ carsharing-zahlen/ aktuelle-zahlen-datenzum-carsharing-deutschland (letzter Aufruf 28.03.2017). FERI - FERI Investment Research (2017): Lage und Perspektiven der Weltwirtschaft, März 2017. Bad Homburg. H 2 Mobility (2017): H 2 -Stationen, online unter: http: / / h2-mobility.de/ h2stationen/ (letzter Aufruf 29.03.2017). IfW Kiel - Institut für Weltwirtschaft Kiel (2017): Deutsche Konjunktur im Frühjahr 2017. In: Kieler Konjunkturberichte Nr. 29 (2017/ Q1). Kiel. KBA - Kraftfahrt-Bundesamt) (2017): Jahresbilanz des Fahrzeugbestandes am 1. Januar 2017, online unter: http: / / www.kba.de/ DE/ Statistik/ Fahrzeuge/ Bestand/ b_jahresbilanz.html? nn=644526 (letzter Aufruf 28.03.2017). Monitor Nov. 2015: in Internationales Verkehrswesen (67), Ausgabe 4/ 2015, S. 48-62. Monitor April 2016: in Internationales Verkehrswesen (68), Ausgabe 2/ 2016, S. 49-68. SSP/ BAG - SSP Consult/ BAG-Luftverkehr (2017): Gleitende Mittelfristprognose für den Güter- und Personenverkehr, Mittelfristprognose Winter 2016/ 2017. Waldkirch/ Köln. StBA - Statistisches Bundesamt (2017): Verschiedene Datenbankauswertungen unter https: / / www.destatis.de/ DE/ Startseite.html (letzter Aufruf 28.03.2017). © InnoZ GmbH Form des Semestertickets nach Universitäten in Prozent Form des Semestertickets nach Studierenden in Prozent 76% 71% 8% 9% 7% 9% 6% 14% keine Angabe (Auskunft verweigert oder im Rahmen der Recherche nicht ermittelbar) „Analoges“ SemTicket (z.B. Aufdruck, Aufkleber oder separater Ausdruck) n = 85 n = 1.681.347 Digitales SemTicket (im Chip einer Karte oder in einer App) ohne SemTicket (ohne Berücksichtigung außer-universitärer ÖV-Angebote für Studierende) 3 5 7 1 2 6 8 Start geplant für Ende 2017 Zubringer-Shuttle zum Kurort Bad Birnbach (Bayern) seit Sept. 2015 Digitales Testfeld Autobahn A9 Bayern seit Nov. 2016 seit März 2017 Shuttle-Demonstrator EUREF-Campus Berlin Start geplant für 2018 CityMobil2 (Bewerbungsphase) Bremen Testfeld Niedersachsen Braunschweig Start geplant für Nov. 2017 Testfeld Autonomes Fahren Baden-Württemberg Karlsruhe Nov. 2016 - Dez. 2016 Test EZ 10/ Navya bei DB Schenker Leipzig Vorführung EZ 10/ Navya beim VV Rhein-Neckar Mannheim 1 2 3 4 5 6 7 8 einmalig im Jan. 2017 (Teststrecke bis Ende 2017 geplant) Deutsch-französisches Testfeld Merzig/ Metz 9 seit Feb. 2017 © InnoZ GmbH www.innovationslandkarte.de/ automated_driving Auswahl 4 9 9 Bild 8: Form des Semestertickets nach Anteil der Universitäten (l.) und Studierenden (r.) Quelle: eigene Erhebung und Berechnung Bild 7: Aktuelle und geplante Testfelder zum automatisierten Fahren; Auswahl Quelle: eig. Erhebung, www.innovationslandkarte.de/ automated_driving Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 62 MOBILITÄT Verkehrsverhalten Änderungen im Verkehrsverhalten? Ein Faktencheck Führerscheinquote, Mobilitätskonzepte, Carsharing Die Gesellschaft ist im Umbruch, das Verkehrsverhalten wandelt sich dramatisch, junge Leute sind heute ganz anders mobil als noch vor zehn Jahren - diese und ähnliche Thesen werden derzeit häufig in der Öffentlichkeit und auch in Teilen der Fachwelt aufgestellt. Doch stimmt das wirklich? Markus Schubert, Ralf Ratzenberger D ieser Artikel beschäftigt sich mit einigen häufig genannten Aussagen und überprüft sie auf ihre Validität. Im Mittelpunkt stehen dabei drei Themenkomplexe: • Bedeutung des PKW-Verkehrs - verbreitete These: „Die Führerscheinquote bei jungen Leuten sinkt, PKW-Besitz und PKW-Nutzung spielen für sie eine immer geringere Rolle.“ • Ergebnisse der MiD 2008 - verbreitete These: „Der PKW-Verkehr wächst nicht mehr.“ • Aufkommen neuer Mobilitätskonzepte - verbreitete These: „Flexible Mobilitätskonzepte gewinnen an Bedeutung, Carsharing revolutioniert den Verkehrsmarkt.“ PKW-Besitz und Führerscheinquote Die Auffassung, dass die Bedeutung des PKW-Verkehrs bei jungen Leuten abnimmt, wird von den Vertretern dieser Ansicht gestützt durch die Aussagen, • dass die Führerscheinquote bei jungen Leuten sinken beziehungsweise der Führerschein heute später erworben würde als früher, • und dass für junge Leute PKW-Besitz und PKW-Nutzung eine immer geringere Rolle spielen, somit die Affinität zur PKW-Nutzung sinken würde. Beides könnte dazu führen, dass die künftige gesamte Entwicklung von PKW- Bestand und Dichte nicht mehr nach dem Muster der letzten Jahrzehnte verlaufen wird. Statistisch lässt sich die erste These nicht erhärten. Die folgende Abbildung, die auf der ADAC Verkehrs- und Unfallstatistik [ADAC (2015)] basiert, zeigt vielmehr, dass die Fahrerlaubnisquote in der Altersgruppe der 18 bis 24-Jährigen im Zeitraum von 2008 bis 2012 kontinuierlich von 69,3 % auf 71,5 % gestiegen ist. 1 Anschließend ist der Wert jedoch gesunken, darunter in den beiden Jahren 2014 und vor allem 2015 spürbar, was in den statistischen Werten für den Anfang des jeweiligen Folgejahrs sichtbar wird (Bild 1). Dies darf allerdings nicht als Trend „weg vom Führerschein“ interpretiert werden. Vielmehr ist die Zahl der Einwohner in dieser Altersgruppe, also die Bezugsgröße für die Fahrerlaubnisquote, die im Zeitraum von 2011 bis 2013 um jahresdurchschnittlich 1,5 % zurückgegangen war, im Jahr 2014 nur noch um 0,7 % gesunken und im Jahr 2015 sogar um 1,7 % gestiegen. Letzteres war natürlich auf die hohen Einwanderungen zurückzuführen. Im Jahre 2015 belief sich der gesamte Außenwanderungssaldo auf 1,14 Mio. Personen und hat sich damit gegenüber 2014 (0,55 Mio.) verdoppelt und gegenüber dem Durchschnitt von 2011 bis 2013 (0,36 Mio.) verdreifacht. Der entsprechende Wert für die Altersgruppe von 18 bis 24 des Jahres 2015 liegt noch nicht vor, dürfte aber in ähnlichem Ausmaß zugenommen habe wie die Gesamtzahl; allein im Jahr 2014 betrug der Anstieg 43 %. Ein größerer Teil von ihnen wird den Führerschein erst einige Zeit nach dem Zuzug erwerben. Dies hat die gesamte Fahrerlaubnisquote des Jahres 2015 erheblich und die von 2014 auch noch spürbar vermindert. Für die Jahre vor 2008 wurden vom KBA keine statistischen Angaben zum Führerscheinbesitz veröffentlicht. 2 Alle Aussagen hierzu, die sich auf Zeiträume vor 2008 beziehen, stützen sich ausschließlich auf Befragungen wie die MiD 2002 und 2008 und das Mobilitätspanel, aber nicht auf Statistiken. Ähnliches gilt für die These, junge Leute verzichteten zunehmend auf ein eigenes Fahrzeug. Bild 2 zeigt, dass der Anteil der PKW-Halter in der Altersklasse von 18 bis 24 Jahren in den letzten Jahren nicht nur nicht gesunken, sondern von 2010 bis 2013 sogar gestiegen ist. 3 Die effektive PKW-Verfügbarkeit dieser Altersgruppe ist noch höher, weil die Fahrzeuge häufig auf Elternteile zugelassen sind. Dennoch sollte der zeitliche Verlauf der statistischen Werte die tatsächliche Entwicklung annähernd korrekt wiedergeben. Der Anstieg um zusammen 7,2 % zwischen 2010 und 2014 ist dabei sogar überproportional stark (alle Altersgruppen: 4,5 %). Der leichte Rückgang in den Jahren 2014 und 2015, der in den Wer- 693 698 704 711 715 711 703 691 664 650 660 670 680 690 700 710 720 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Fahrerlaubnisse pro 1.000 Einwohner der Altersklasse Jahr Bild 1: Fahrerlaubnisquote der 18bis 24-Jährigen (jeweils 1.1.) Quelle: KBA, Statistisches Bundesamt Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 63 Verkehrsverhalten MOBILITÄT ten für den 1.1.2015 bzw. 1.1.2016 sichtbar wird, ist vor allem auf die hohe Zahl der Zuwanderer zurückzuführen (Bild 2). Im Zusammenhang mit dem Motorisierungsgrad junger Erwachsener wird auch immer wieder argumentiert, das Automobil verliere immer mehr seine Funktion als Statussymbol, insbesondere bei jüngeren Personen („Smartphone statt Auto“). Das ist zwar richtig, aber erstens nicht neu und zweitens ist der private PKW für die allermeisten, auch jüngeren Personen nach wie vor ein mehr oder minder unverzichtbarer Gebrauchsgegenstand. Aus diesem Grund trifft das o. a. Argument weniger die Kaufentscheidung für den PKW an sich, sondern die für bestimmte Hersteller. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die PKW-Verfügbarkeit eine eindeutige Abhängigkeit von der Gemeindegröße aufweist, wie Bild 3 zeigt. Während in kleineren Gemeinden mit weniger als 20 000 Einwohnern der Anteil der Haushalte mit einem PKW bei oder knapp unter 90 % liegt, ist dieser Wert in Großstädten mit ca. 65 % deutlich niedriger [Shell, 2014]. Dies ist einerseits dadurch begründet, dass in großen Städten anteilig deutlich mehr kurze Wege bestehen, die dann auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad unternommen werden können. Vor allem ist in großen Städten in der Regel auch das ÖPNV-Angebot besser ausgebaut und die Restriktionen für den Individualverkehr (Verkehrsdichte, Parkplatzangebot) sind erheblich höher, so dass dort eher eine Alternative zum PKW zur Verfügung steht als anderswo. Durch die Verschiebungen in der Bevölkerungsstruktur mit deutlichen Zuwächsen in der jüngeren Vergangenheit bei der städtischen Bevölkerung ergeben sich - unabhängig von den Altersklassen -weitere Effekte auf die Verkehrsmittelanteile. Für den Zeitraum von 2006 bis 2015 zeigt Tabelle 1, dass bei nur leicht steigender Gesamtbevölkerung die Bevölkerung in Städten mit über 250 000 Einwohnern um rund 9 % zugenommen hat. Dies schlägt sich im Verkehrsaufkommen und im Modal-Split nieder und führt dazu, dass der Anteil des MIV am Verkehrsaufkommen sinkt. Betrug er im Jahr 2005 noch 57,1 %, so lag er im Jahr 2014 nur noch bei 55,3 %. Der Anteil des MIV an der Verkehrsleistung ist im genannten Zeitraum hingegen exakt konstant geblieben, er liegt bei 75,8 % [ViZ 2016/ 17, S. 227 und 229]. Basierend auf dem Mobilitätspanel (MOP) und Vergleichen zwischen der MiD 2008 und der MiD 2002 leitet IFMO einen deutlichen Rückgang des MIV-Anteils am Verkehr der 20bis 29-Jährigen ab [ifmo 2011, S. 9]. Jedoch zeigt ein langfristiger Vergleich der KONTIV-/ MiD-Erhebungen seit 1976, dass der MIV-Anteil in dieser Altersgruppe - sowohl bezogen auf das Verkehrsaufkommen als auch bezogen auf die Verkehrsleistung - eher konstant geblieben ist. Der Vergleich der beiden MiD lässt also den vom Mobilitätspanel suggerierten Rückgang der PKW-Nutzung nur beim Verkehrsaufkommen, nicht aber in der -leistung erkennen. Bezieht man in diese Auswertung darüber hinaus noch die gestiegene gesamtmodale Mobilität mit ein, so ist die PKW-Nutzung dieser Altersgruppe in absoluten Zahlen sogar gestiegen, allenfalls erscheinen die Ergebnisse der MiD 2002 und 2008 als leichter „Ausreißer“ nach oben bzw. nach unten (Bild 4 und 5). Schränkt man die betrachteten Wege auf den Entfernungsbereich ab 50 km ein, so ergibt sich ein ähnliches Bild. Während das Mobilitätspanel - bei auffälligen Schwankungen - einen Rückgang des MIV-Anteils Einwohner in 1.000 Zuwachs in % Einwohner in 1.000 Zuwachs in % Zuwachs in % vor Zensus nach Zensus 2006 2011 2006- 2011 2011 2015 2011- 2015 2006- 2015 Großstädte ab-250.000 Einwohner 17 032 17 732 4,1 17 229 18.021 4,6 8,9 Großstädte 100.000-250.000 Einwohner 7896 7957 0,8 7785 8035 3,2 4,0 Rest 57 387 56 155 -2,1 55 314 56 120 1,5 -0,7 Summe Deutschland 82 315 81 844 -0,6 80 328 82 176 2,3 1,7 Tabelle 1: Einwohnerentwicklung nach Gemeindegröße 157 162 166 168 168 166 164 155 160 165 170 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Bild 2: PKW-Halter pro 1000 Einwohner in der Altersklasse von 18 bis 24 Jahre (jeweils 1.1.) Quelle: KBA, Statistisches Bundesamt) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Unter 2.000 2.000 - 5.000 5.000 - 20.000 20.000 - 50.000 50.000 - 100.000 100.000 - 500.000 Über 500.000 Gesamt Anteil Haushalte mit PKW in % Gemeindegröße (Einwohner) Bild 3: PKW-Verfügbarkeit nach Gemeindegröße Quelle: Shell 2014 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 64 MOBILITÄT Verkehrsverhalten bei den 20bis 29-Jährigen suggeriert [MOP 2010], lässt der Vergleich der KONTIV- und MiD-Erhebungen einen solchen Trend nicht eindeutig erkennen. Gleiches gilt auch für die Verkehrsleistung, wo ebenfalls kein eindeutiger Trend festgestellt werden kann (Bild 6 und 7). Darüber hinaus sollte festgehalten werden, dass erstens selbst groß angelegte Statistiken wie die MiD 2002 und MiD 2008 im Quervergleich problematisch sind und zweitens die Haupteinflussfaktoren der Mobilitätsentwicklung zwischen 2002 und 2008 eher dämpfend auf den Individualverkehr eingewirkt haben. Auf beides wird im folgenden Abschnitt noch genauer eingegangen. Ergebnisse der MID 2008: Interpretation und seitherige Entwicklung Interpretation der Ergebnisse der MiD 2008 Die zentralen Ergebnisse der MiD 2008 sind in der folgenden Tabelle 2 zusammengefasst dargestellt, und zwar pro Tag und - um sie mit statistischen Ergebnissen vergleichen zu können - pro Jahr (2002: 365 Tage, 2008: 366 Tage) sowie als Veränderungen zwischen 2002 und 2008. Demnach wuchs die Nachfrage bei den Verkehrsmitteln des sog. „Umweltverbunds“, der aus dem öffentlichen Verkehr (ÖPV) und dem nichtmotorisierter Verkehr (Fahrrad- und Fußwege) besteht, mit 9 % (Aufkommen) bzw. 7 % (Leistung) spürbar stärker als beim Individualverkehr (-1 % bzw. +5 %). 4 Dieses Ergebnis fand in der Öffentlichkeit einen hohen Nachhall; vom (damaligen) BMVBS wurde es dahingehend interpretiert, dass „umweltfreundliche Verkehrsmittel auf dem Vormarsch sind“ [BMVBS 2009, S. 2]. Zunächst ist anzumerken, dass das Ergebnis für den „Umweltverbund“ nahezu ausschließlich auf das kräftige Wachstum des öffentlichen Verkehrs zurückzuführen ist. Dagegen ist im (gesamten) nichtmotorisierten Verkehr die Verkehrsleistung zwischen 2002 und 2008 über eine Stagnation nicht hinaus gekommen. Hier wiederum wurden Zuwächse des Fahrradverkehrs durch Abnahmen der Fußwege nahezu vollständig ausgeglichen. Dieses Ergebnis ist plausibler als das für die Wegezahl des nichtmotorisierten Verkehr (+10 %), das zumindest in einem gewissen Ausmaß durch verbesserte Erhebungsmethoden zustande gekommen sein dürfte. 5 Dabei ist die Zunahme der Fahrradverkehrsleistung, verbunden mit der Abnahme der Fußwege, nicht als Substitution zwischen diesen beiden Verkehrsarten zu interpretieren. Vielmehr ist die zusätzliche Fahrradmobilität entweder neu entstanden (Freizeitverkehr) oder sie hat vorher motorisierte Fahrten substituiert. Der Rückgang 45,0 50,0 55,0 60,0 65,0 70,0 75,0 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 MIV-Anteil am Verkehrsaufkommen der 20 bis 29-Jährigen (in %) Jahr IFMO MOP 2000-2009 KONTIV 76 KONTIV 82 KONTIV 89 MID 2002 MID 2008 KONTIV/ MiD-"Zeitreihe" Bild 4: MIV-Anteil an allen Wegen der 20 bis 29-Jährigen 45,0 50,0 55,0 60,0 65,0 70,0 75,0 80,0 85,0 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 MIV-Anteil an der Verkehrleistung der 20 bis 29-Jährigen (in %) Jahr MOP 2000-2009 KONTIV 76 KONTIV 82 KONTIV 89 MID 2002 MID 2008 KONTIV/ MiD-"Zeitreihe" Bild 5: MIV-Anteil an der Personenverkehrsleistung der 20bis 29-Jährigen 50,0 55,0 60,0 65,0 70,0 75,0 80,0 85,0 90,0 95,0 100,0 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 MIV-Anteil am Verkehrsaufkommen über 50 km der 20 bis 29-Jährigen (in%) Jahr IFMO MOP 2000-2009 KONTIV 76 KONTIV 82 KONTIV 89 MiD 2002 MiD 2008 KONTIV/ MiD-"Zeitreihe" Bild 6: MIV-Anteil an allen Wegen über 50 km der 20bis 29-Jährigen Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 65 Verkehrsverhalten MOBILITÄT der Fußwegleistung dürfte dagegen vor allem auf siedlungsstrukturelle Entwicklungen (Suburbanisation) und ähnliche Effekte (z. B. Zielwahl bei Einkaufswegen) zurückzuführen sein. Der erwähnte, im Vergleich zum Umweltverbund geringe Anstieg der Individualverkehrsleistung (5 %) kam zu einem wesentlichen Teil durch die Kraftstoffpreisentwicklung zustande, von der der MIV im Betrachtungszeitraum spürbar gebremst wurde. Der Kraftstoffpreisindex stieg von 2002 bis 2008 um 38 %, d. h. um 5,5 % p.a. Dies liegt weit über der allgemeinen Preissteigerungsrate (insgesamt 11 % bzw. 1,8 % p.a.). Real errechnet sich eine Verteuerung um insgesamt 24 % bzw. 3,6 % p. a. Der Effekt auf die Verkehrsleistung des MIV kann - bei sehr grober Schätzung und ohne jede Berücksichtigung von Anpassungsreaktionen - auf 3 bis 5 % geschätzt werden. D.h. wenn die Nutzerkosten real konstant geblieben wären, wäre die MIV-Leistung in diesen sechs Jahren nicht um 5 %, sondern um 8 bis 10 % gestiegen. Dies überträfe bereits das Wachstum der Verkehrsarten des „Umweltverbunds“. Hinzu kommt das geringe Wachstum der verfügbaren Einkommen bzw. der privaten Konsumausgaben. Letztere sind in diesem Zeitraum um lediglich 0,5 % p. a. gewachsen. Beide Effekte besitzen für jüngere Personen eine überdurchschnittliche Bedeutung. Denn diese Altersgruppe ist stark mit Personen besetzt, die über ein weit unterdurchschnittliches Einkommen verfügen, nämlich Studenten, Oberstufenschüler und andere Auszubildende. Über das in der MiD erhobene Haushaltseinkommen kann das nicht abgebildet werden, denn auch in einem (Familien-) Haushalt mit einem höheren Einkommen haben die Kinder, die noch in der Ausbildung stehen, ein vergleichsweise geringes ausgabefähiges Budget und reagieren deshalb überdurchschnittlich sensibel auf Preissteigerungen. Auch die bereits im Erwerbsleben stehenden Personen dieser Altersstufe beziehen in der Regel ein geringeres Einkommen als ältere Erwerbstätige. Der in der MiD gemessene Rückgang des Anteils des MIV am (wegebezogenen) Modal-Split in der Altersgruppe der 18 bis 24-Jährigen von 65 % auf 57 % ist mit Sicherheit zu einem erheblichen Teil auf die beiden genannten Einflüsse zurückzuführen. Die damals, auch in Teilen der Fachwelt, zu vernehmenden Aussagen, dass sich darin ein steigendes Umweltbewusstsein jüngerer Personen manifestiere, sind bestenfalls als verfrüht zu bezeichnen. Es ist empirisch zwar nicht belegbar, dennoch dürfte das Umweltbewusstsein eher in älteren Altersgruppen gestiegen sein als bei den jungen Erwachsenen. Am Rande sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass selbst das vergleichsweise geringe Wachstum der MIV- Leistung zwischen 2002 und 2008 gemäß MiD (+5 %) spürbar höher ist als das nach den Modellrechnungen des DIW (0,9 % [ViZ 2016/ 17, S. 218 f.]) Entwicklung des MIV seit 2008 Seit dem Jahr 2008 hat sich die Entwicklung der Haupteinflussfaktoren entscheidend verändert. Sie werden im Folgenden nochmals zusammengefasst dargestellt ( jeweils Veränderung in % p. a.): 2008/ 02 2015/ 08 PKW-Bestand: 0,7 1,2 Private Konsumausgaben: 0,5 1,0 Kraftstoffpreisindex (nominal): 5,5 -0,5 MIV-Verkehrsleistung: 0,2 0,9 50,0 55,0 60,0 65,0 70,0 75,0 80,0 85,0 90,0 95,0 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 MIV-Anteil an der Verkehrsleistung von Wegen über 50 km der 20 bis 29- Jährigen (in %) Jahr MOP 2000-2009 KONTIV 76 KONTIV 82 KONTIV 89 MID 2002 MID 2008 KONTIV/ MiD-"Zeitreihe" Bild 7: MIV-Anteil an der Personenverkehrsleistung von Wegen über 50 km der 20bis 29-Jährigen Pro Tag Pro Jahr MiD 2002 MiD 2008 V’änd. % MiD 2002 MiD 2008 V’änd. % Aufkommen (Mio. Pers.) MIV (Fahrer + Mitf.) 164 162 -1,2 59 860 59 292 -0,9 ÖPV 23 24 4,3 8395 8784 4,6 Fahrrad 24 28 16,7 8760 10 248 17,0 Fußweg 62 67 8,1 22 630 24 522 8,4 „Umweltverbund“ 109 119 9,2 39 785 43 554 9,5 Insg. 273 281 2,9 99 645 102 846 3,2 Leistung (Mio. Pkm) MIV (Fahrer + Mitf.) 2410 2532 5,1 879 650 926 712 5,4 ÖPV 451 498 10,4 164 615 182 268 10,7 Fahrrad 85 90 5,9 31 025 32 940 6,2 Fußweg 99 94 -5,1 36 135 34 404 -4,8 „Umweltverbund“ 635 682 7,4 231 775 249 612 7,7 Insg. 3045 3214 5,6 1 111 425 1 176 324 5,8 Ds. Fahrtweite (km) MIV (Fahrer + Mitf.) 14,70 15,63 6,4 ÖPV 19,61 20,75 5,8 Fahrrad 3,54 3,21 -9,2 Fußweg 1,60 1,40 -12,1 Insg. 11,15 11,44 2,5 Tabelle 2: Ergebnisse der MiD 2008 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 66 MOBILITÄT Verkehrsverhalten Zwischen 2002 und 2008 ist die MIV- Verkehrsleistung nur sehr schwach gewachsen. In diesem Zeitraum stiegen der PKW- Bestand nur moderat, die Konsumausgaben sehr verhalten und die Kraftstoffpreise deutlich. Zwischen 2008 und 2015 expandierten sowohl der PKW-Bestand als auch die Konsumausgaben annähernd doppelt so stark. Die Kraftstoffpreise nahmen zunächst weitaus schwächer zu und im Gesamtzeitraum, wegen des Preisverfalls an dessen Ende, sogar ab. Alle drei Faktoren wirkten also deutlich expansiver als zuvor und führten deshalb zu einem deutlich höheren Wachstum der Verkehrsleistung (0,9 % p. a.) als in der Vorperiode (0,2 % p.a.). Flexible Mobilitätslösungen und Carsharing In der öffentlichen Diskussion, aber auch in der Fachwelt lässt sich derzeit der Eindruck gewinnen, es gäbe einen massiven Trend hin zu flexibleren Mobilitätslösungen mit fallweiser Entscheidung für ein Verkehrsmittel beziehungsweise - auch das ein vielbeschworener Trend - für eine Kombination aus mehreren Verkehrsmitteln. Eine zentrale Rolle spielt in solchen Argumentationen oftmals das Carsharing, welches im Bedarfsfall statt eines eigenen PKW genutzt würde. Hierzu wurden zunächst drei aktuelle Studien ausgewertet, um Erkenntnisse über die Strukturen der Nutzer zu gewinnen: • Für die Share Studie des UBA liegen Zwischenergebnisse vor. 6 • Civity hat eine Untersuchung zum Carsharing durchgeführt, die auf Standortabfragen der Fahrzeuge beruht. 7 • Car2go und DriveNow haben die Ergebnisse einer Kundenbefragung veröffentlicht. 8 Share Studie des UBA Die Share Studie des UBA liegt im Zwischenergebnis vor. Es handelt sich um eine Vorher/ Nachher-Befragung von Teilnehmern mit einer Pilotgruppe und einer Kontrollgruppe. Teilnehmer sind zumeist jüngere Personen mit einem überdurchschnittlichen Bildungsstand. Zwischen 23 % (Stuttgart) und 44 % (Köln) der befragten Carsharing-Nutzer verfügen in ihrem Haushalt nicht über einen eigenen PKW. Zum Vergleich: In Städten über 250 000 Einwohnern verfügen durchschnittlich 35 % der Haushalte nicht über einen eigenen PKW. Somit stimmt die Größenordnung für dieses Merkmal zwischen den befragten Nutzern und der Gesamtbevölkerung überein, das heißt, es ist offenbar nicht so, dass die Carsharing-Nutzer überproportional oft keinen eigenen PKW zur Verfügung haben. Von den Nutzern, die angeben, keinen PKW im Haushalt zur Verfügung zu haben, nennen zwischen 23 und 29 % „Umweltgründe“ als Begründung hierfür (Mehrfachnennungen möglich). Auf der anderen Seite verfügen aber wiederum zwischen 17 und 32 % der befragten Nutzer sogar über zwei oder mehr PKW in ihrem Haushalt. Bei den Carsharing-Nutzern mit PKW-Verfügbarkeit war während der Teilnahme am Carsharing ein leichter Rückgang der Nutzung des eigenen PKW feststellbar. 5 % der Nutzer gaben in der Nachher-Befragung an, den PKW abgeschafft zu haben. Allerdings haben auch 2 % einen neuen PKW angeschafft, so dass der Netto-Effekt deutlich kleiner ist. Von den Nutzern, die ihren PKW abgeschafft haben, nennen jedoch nur etwa 20 % als Grund hierfür die Attraktivität des Carsharing-Angebotes. Bei Letzterem ist allerdings zu beachten, dass hier die Fallzahlen in der Befragung sehr gering sind und somit die Interpretation mit Vorsicht erfolgen sollte. Es ist somit aus den vorliegenden Daten noch nicht eindeutig zu ermitteln, ob das Carsharing überwiegend der Ausstieg aus dem PKW-Besitz oder der Einstieg in den PKW- Besitz ist. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Carsharing-Nutzer verfügt über ÖV- Zeitkarten und/ oder Bahncards. Nach drei Monaten Carsharing-Nutzung (ab Anmeldung) ließ sich keine Veränderung in der Nutzung des ÖPNV und des Fahrrads feststellen. Auch wenn noch keine belastbaren und endgültigen Ergebnisse vorliegen, scheint sich doch bereits abzuzeichnen, dass das Carsharing eher ein Ausdruck von „Lifestyle“ ist, als dass es von tatsächlicher prägender verkehrlicher Wirkung wäre. Eine quantitative Analyse und Hochrechnung der Gesamtzahlen steht hier noch aus. Carsharing-Studie von Civity Civity erstellte eine Big Data Studie zum Free Floating Carsharing (FFC). Darin wurden mittels 115 Mio. automatisierter Standortabfragen der Fahrzeuge 18 Mio. Anmietungen/ Fahrten weltweit abgebildet. Die Ergebnisse untermauern die geringe verkehrliche Relevanz des Marktsegments Carsharing. Gemäß der Autoren steht fest: „FCC löst die verkehrlichen Probleme der Ballungsräume nicht“. Ein Großteil der mittels FFC zurückgelegten Fahrten sind Kurzstreckenfahrten, die laut den Autoren „häufig genauso gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad zurückgelegt werden könnten“. Sie interpretieren FFC in diesem Sinne als „motorisierte Bequemlichkeitsmobilität“, vor allem im „After-Work- und Freizeitverkehr“. Diese Aussagen untermauert auch Bild 8, das die mittleren Reiseweiten in Berlin für die einzelnen Verkehrsmittel einander gegenüberstellt. Die PKW-Verfügbarkeit steigt durch die Carsharing-Angebote zwar tendenziell, die Auswirkungen auf die Modalwahl sind aber eher begrenzt. Auch die Nutzung der Carsharing-Fahrzeuge ist mit 62 Minuten pro 24 Stunden nur geringfügig höher als die eines klassischen PKW in Städten mit 30 bis 45 Minuten. Die Nutzung dieser Fahrzeuge ist damit ähnlich ineffizient, und auch in Sachen Flächenverbrauch wird durch das Carsharing kein echter Effizienzgewinn erzielt. Kundenbefragung von Car2go/ DriveNow Eine Nutzerbefragung von 2900 Kunden der Free Floating Carsharing Anbieter Car- 2go und DriveNow erbrachte die Erkenntnis, dass rund die Hälfte der Nutzer kein eigenes Auto besitzt. Dieser Wert liegt also deutlich über dem Durchschnitt und auch merkbar über den Werten aus der UBA-Studie. 37 % der Nutzer geben dabei an, ihren PKW in den letzten Jahren abgeschafft zu haben. Die Gründe hierfür können allerdings vielschichtiger Natur sein, es muss nicht zwingend ein Zusammenhang mit 12,9 10,1 9,5 8,4 6,4 5,8 5,4 4,9 3,4 0,9 0 2 4 6 8 10 12 14 S-Bahn ÖPNV PKW U-Bahn Taxi Free-Floating-Carsharing Bus Straßenbahn Fahrrad Fußgänger Bild 8: Mittlere Reiseweiten im Vergleich Quelle: Civity Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 67 Verkehrsverhalten MOBILITÄT dem Carsharing-Angebot bestehen. Auch dieser Wert liegt signifikant über dem in der UBA-Studie ermittelten Wert. Zwei Drittel der Nutzer dieser Carsharing-Angebote nutzen darüber hinaus täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich den ÖPNV. Ein Viertel der Nutzer nimmt mindestens mehrmals pro Woche das Carsharing-Angebot wahr. Zu beobachten ist dabei insbesondere eine Verlagerung bei der Verkehrsmittelwahl vom ÖPNV auf das Carsharing, wenn das ÖV-Angebot als unattraktiv wahrgenommen wird. Zusammenfassend werden in dieser Studie erheblich stärkere Wirkungen des Carsharing ermittelt, als dies in den beiden vorgenannten Studien der Fall ist. Zu den Gründen können hier keine belastbaren Aussagen getroffen werden. Bedeutung für den gesamten PKW-Verkehr Um die Bedeutung des Carsharing richtig einordnen zu können, sollen zunächst einige Vergleichszahlen aus der Statistik genannt werden. Zum 1.1.2016 gab es in Deutschland im Bereich Carsharing 16 100 Fahrzeuge, von denen 9100 stationär und 7000 stationsunabhängig („free-floating“) eingesetzt waren [bcs 2016]. Gegenüber dem 1.1.2015 war dabei ein Zuwachs dieses Bestandes um 4,5 % oder 700 Fahrzeuge zu verzeichnen. Damit wiederum hat sich die Dynamik bereits deutlich abgeschwächt: In den beiden Vorjahren belief sich der prozentuale Anstieg auf 10,4 % (2015) bzw. 24,0 % (2014) und das absolute Plus auf 1450 bzw. 2700 PKW. Das Free-floating-Segment hat zum 1.1.2016 allerdings noch um 9,4 % zugelegt. Der Anteil der Carsharing-Fahrzeuge am gesamten PKW-Bestand in Deutschland beträgt damit lediglich 0,36 % o . Auch der Anteil des Zuwachses am gesamten Bestandszuwachs in Deutschland des Jahres 2015 (678 000) lag bei nur 0,1 % (2015: 0,3 %, 2014: 0,6 %). Zum Vergleich: Den 16 100 Fahrzeugen im Carsharing stehen rund 36 000 Mietwagen und etwa 54 000 Taxis gegenüber, zuzüglich 3000 weiterer Fahrzeuge, die sowohl als Taxi als auch als Mietwagen genutzt werden [BZP 2016]. Auch dieser Vergleich zeigt sehr anschaulich die geringen Gesamtmengen des Carsharing in Deutschland, auch wenn die Dynamik in diesem Segment unbestritten hoch ist. Ähnlich sieht es bei den Nutzern der Carsharing-Angebote aus. Insgesamt umfasst dieser Markt 1 260 000 Fahrberechtigte [bcs 2016, zum 1.1.2016], worin aber noch 28 % Mehrfachanmeldungen enthalten sind. Gegenüber dem Vorjahr ist dieser Wert zwar einerseits sehr dynamisch gewachsen, nämlich um 21 % bzw. 220 000 Personen. Andererseits wird auch hier bereits eine Abschwächung der Dynamik sichtbar, denn in den beiden Vorjahren stieg die Zahl um 37 % (2015) und 67 % (2014) sowie um 283 000 bzw. 304 000 Personen. TÜV Rheinland/ BBE Automotive schätzen, dass bis zum Jahr 2020 etwa 2 Mio. Nutzer registriert sein könnten. Bei entsprechender Förderung dieser Mobilitätsform halten sie sogar eine Größenordnung von 3 Mio. Nutzern für möglich. Setzt man die im Carsharing Fahrberechtigten ins Verhältnis zu den Führerscheinbesitzern in Deutschland, so erhält man einen Anteil von 2,1 % (2016). 9 Bereinigt man die Carsharing-Fahrberechtigten um die Mehrfachanmeldungen, so liegt dieser Wert sogar nur bei 1,5 %. Auch hier gilt also wieder die Feststellung, dass es sich zwar um ein Marktsegment mit derzeit hoher Dynamik handelt, dass sich aber die Gesamtmengen auf einem sehr niedrigen Niveau bewegen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Wirkung von Carsharing-Angeboten auf den Verkehr in Deutschland derzeit - auch unter Berücksichtigung der dynamischen Entwicklung - oftmals deutlich, teilweise sogar drastisch überschätzt wird. ■ 1 Für die Berechnung der in Bild 1 ausgewiesenen Werte wurden die Einwohnerzahlen auf der Basis des Zensus 2011 herangezogen. In der Publikation des ADAC wurden noch diejenigen nach dem vorherigen Stand verwendet. Deshalb unterscheiden sich die berechneten Quoten geringfügig. 2 Das „Zentrale Fahrerlaubnisregister“ (ZFER) wurde erst mit der Einführung des EU-Kartenführerscheins zum 1.1.1999 gegründet. Vorher ausgestellte Führerscheine sind darin nicht erfasst. Somit sind aussage-fähige Werte für die Altersgruppe der 18 bis 24-Jährigen ohnehin erst ab 2006 (1.1.) möglich. 3 Nach dem Alter der Fahrzeughalter differenzierte Daten werden vom KBA erst ab 2010 (1.1.) veröffentlicht („FZ 23“). 4 Dabei handelt es sich um die im März 2010 revidierten Ergebnisse. Im Vergleich zu den vorherigen Ergebnissen, die in den Präsentationen vom Juni, August und September 2009 dargestellt wurden, wurden vor allem die Werte für den ÖPV des Jahres 2002 spürbar angehoben, so dass dessen Anstieg nunmehr spürbar schwächer ausfällt (Leistung: +10,4 % statt +16,7 %). Dies gilt somit auch für den gesamten „Umweltverbund“ (+7,4 % statt +11,6 %). http: / / www.mobilitaet-in-deutschland.de/ mid2008-publikationen.html 5 Bei der Erhebung im Jahr 2008 wurde nach Aussage von Infas ein höherer Aufwand betrieben, um die Angaben der Teilnehmer zu plausibilisieren. Dazu gehörten auch mehrfache Nachfassaktionen. Diese wiederum führen dazu, dass vor allem die kurzen Wege, die sonst bei der Beantwortung eher vergessen werden, diesmal häufiger angegeben wurden als im Jahr 2002. Dies betrifft vor allem die nichtmotorisierten Wege, die eher vergessen werden als motorisierte. 6 Öko-Institut e.V., Institut für sozial-ökologische Forschung in Kooperation mit Car2Go, Forschung zum Neuen Carsharing - Wissenschaftliche Begleitforschung zu car2go im Rahmen des Projektes „share“, Zwischenergebnisse Stand Juni 2014, gefördert vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Der Abschluss der Studie war für 2016 vorgesehen. Endergebnisse sind bisher noch nicht veröffentlicht worden. 7 civity Management Consultants: Matters 1: Urbane Mobilität im Umbruch? Verkehrliche und ökonomische Bedeutung des Free-Floating-Carsharings, 8 Car2go und DriveNow: Pressemitteilung vom 12.3.2015: Flexibel und nachhaltig: Free Floating-Carsharing spricht neue Zielgruppen an und unterstützt die Ziele einer Stadt 9 Dieser Anteil ist bezogen auf die hochgerechnete Zahl aller Führerscheinbesitzer gemäß der MiD 2008 in Höhe von 59,76 Mio. [ViZ 2016/ 17, S. 120). Seitdem dürfte sich der Wert nicht wesentlich erhöht haben. QUELLEN [ADAC 2015] ADAC Fachinformation Ressort Verkehr, https: / / www.adac. de/ _mmm/ pdf/ statistik_4_01_fahrerlaubnisse_vg_242588.pdf [bcs 2016] Bundesverband Carsharing (bcs), Aktuelle Zahlen und Daten zum CarSharing in Deutschland, http: / / carsharing.de/ alles-uebercarsharing/ carsharing-zahlen [BMVBS 2009] BMVBS, Bedeutung der Untersuchung „Mobilität in Deutschland 2008“ aus der Sicht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtwicklung, Berlin 2009 http: / / www.mobilitaet-in-deutschland.de/ pdf/ Bedeutung%20 der%20Untersuchung%20MiD% 20 2008%20aus%20Sicht%20des%20BMVBS.pdf [BZP 2016] Deutscher Taxi- und Mietwagenverband e.V. (BZP), Zahlen und Fakten, www.bzp.org/ Content/ INFORMATION/ Zahlen_Fakten/ index. php? Z_highmain=4&Z_highsub=10&Z_highsubsub=0 [ifmo 2011] ifmo Institut für Mobilitätsforschung, Mobilität junger Menschen im Wandel - multimodaler und weiblicher, München 2011 [MiD 2008] Publikationen zur MiD 2008: www.mobilitaet-in-deutschland.de/ mid2008-publikationen.html [MOP 2010] Karlsruher Institut für Technologie, Deutsches Mobilitätspanel (MOP) - wissenschaftliche Begleitung und erste Auswertungen, Bericht 2010, Karlsruhe 2011, und frühere Jahrgänge [Shell, 2014] Shell PKW-Szenarien bis 2040, www.prognos.com/ uploads/ tx_atwpubdb/ 140900_Prognos_Shell_Studie_PKW-Szenarien2040.pdf [ViZ 2016/ 17] DIW (Bearb.) / BMVI (Hrsg.), Verkehr in Zahlen 2016/ 2017 Markus Schubert, Dr.-Ing. Geschäftsführender Gesellschafter , Intraplan Consult GmbH, München markus.schubert@intraplan.de Ralf Ratzenberger, Dipl.-Kfm. Selbständiger Verkehrsconsultant und Kooperationspartner von Intraplan Consult, München ralf.ratzenberger@intraplan.de Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 68 MOBILITÄT Autonomes Fahren Autonome Autos und öffentlicher Nahverkehr - Zukunft realistisch einordnen Verkehrssysteme, Bus Rapid Transit, Carsharing, Ridesharing, Pilotstrecken Autonomes Fahren gilt derzeit manchen als perfekte Lösung ihrer Mobilitäts-Bedürfnisse, die schon bald Realität sein wird, anderen als fragwürdige Vision mit nur mäßigen Zukunftschancen. Wie sollte sich die Nahverkehrswirtschaft in dieser Situation positionieren? Ein Statusbericht. Andreas Kossak D ie Diskussion um die Zukunft autonomer Autos im Stadtverkehr bewegt sich aktuell • von durch wirtschaftliche Interessen geprägten Aktivitäten der relevanten Industrien und Unternehmen, • über einen naiven Hype von Laien, die von den versprochenen Zukunftsperspektiven fasziniert sind, • an Politik und Verkehrswirtschaft gerichtete Aufforderungen, sich zeitnah der beschworenen Mobilitätsrevolution zu stellen, • bis zu zunehmend kritischen Stimmen, die die zahlreichen harten Grenzen aufzeigen (Komplexität der urbanen Umwelt, Störanfälligkeit von Hochtechnologie, ethische und juristische Fragen, Privatsphäre, Hacking/ Cyberkriminalität, Hygiene, Kosten etc.) [1, 2]. Zu den Schwerpunkten der Beschäftigung mit dem autonomen Fahren gehört die künftige Rolle des ÖPNV und gehören die Anforderungen an die Nahverkehrs-Wirtschaft, sich so in den erwarteten Prozess einzubringen, dass nicht die Szenarien zahlreicher selbst ernannter Mobilitäts- und Zukunftsforscher Wirklichkeit werden, nach denen der ÖPNV künftig gar nicht mehr vorkommt. Einen exemplarischen Eindruck vom aktuellen Status der Beschäftigung mit dem Thema vermitteln die folgenden Veröffentlichungen: • „Autonomes Fahren im Stadt- und Regionalverkehr“; Memorandum emeritierter Verkehrs-Professoren (Berlin/ Wien 25.10.2016) [3]. • „Modellergebnisse geteilter autonomer Fahrzeugflotten des oeffentlichen Nahverkehrs“ (MEGAFON-Studie), Universität Stuttgart (12. 12. 2016) [4]. • UITP Policy Brief: „Autonomous Vehicles: A Potential Game Changer for Urban Mobility“ (Brüssel, Januar 2017) [5] Es liegt nahe, die darin verfolgten Ansätze sowie die formulierten Schlussfolgerungen und Empfehlungen an aktuellen Positionen führender unabhängiger Spezialisten zur Zukunft des autonomen Fahrens zu messen. Dazu einige Beispiele: • Vorsitzender des Nationalen Verkehrssicherheitsrates der USA [6]: „Voll-autonome Automobile sind unwahrscheinlich“. • Fazit aus der „Automated Vehicles Conference 2016“ des Transportation Research Board (TRB) der nationalen Akademien der Wissenschaften der USA [7]: „Zu sagen, es gebe noch eine Menge Unsicherheiten, wäre eine Untertreibung“. • Kommentare zur Ankündigung von Automobilherstellern, schon kurzfristig große Flotten autonomer PKW im Straßenverkehr einzusetzen [6]: - „Um diese Ziele zu erreichen, müssen sie irgendetwas auf die Beine stellen, das Taxi-Dienste mit geringer Geschwindigkeit auf einigen Straßen bietet - und hoffen, dass es nicht regnet.“ - „Zu dem Zeitpunkt mag es möglich sein, einen abgesperrten Bereich zu definieren, in dem autonome Autos ohne Fahrer fahren können; die Herausforderung wird sein, solche Bereiche groß genug zu machen, dass darin sinnvolle Mobilitätsdienste angeboten werden können.“ • „Was wir sehen werden, ist die schrittweise Einführung von jeweils höheren Graden des teil-automatischen Fahrens. Die technischen Herausforderungen für voll-autonomes Fahren sind … auf absehbare Zeit nicht zu bewältigen“ [2]. Teil-automatisierter „Future-Bus“ von Daimler Foto: Daimler Buses Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 69 Autonomes Fahren MOBILITÄT Zunehmend in Frage gestellt wird also sehr zu Recht auch schon das „hoch-automatisierte“ Fahren (Level 3 von 5 Stufen bis zum „autonomen Fahren“). Dabei soll der Fahrer in der Lage sein, auf ein Alarm-Signal hin, „unverzüglich“ die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen. Nach Untersuchungen von Unfallforschern kann es 10 bis 15 Sekunden dauern, bis der Fahrer die Kontrolle übernommen hat und reagieren kann [8]. Bei einer Geschwindigkeit von 50- km/ h legt das Fahrzeug in diesem Zeitraum 140 bis 210 Meter zurück; bei 30 km/ h sind es immer noch 85 bis 125 Meter. Akute Gefahrensituationen sind also in der Regel nicht beherrschbar. „Teil-automatisiertes“ Fahren (Level 2, mit Fahrpersonal) in Sonderzonen (Campus, Einkaufsstraßen, Gewerbegebiete, Industrieanlagen, ländlicher Raum etc.) und Sonderachsen (Bus Rapid Transit, ÖPNV- Zubringer etc.) ist dagegen unter spezifischen Betriebsbedingungen (Geschwindigkeitslimit, Abschirmung) schon heute möglich und wird bereits in mehreren Testbetrieben praktiziert (z. B. Postauto in Sitten / Schweiz, Shuttle Service in Lyon, ÖPNV- Zubringer in Singapur [5, 9, 10, 11, 12]). In absehbarer Zeit werden auch räumlich limitierte bzw. geschützte Anwendungen in Städten gänzlich ohne Fahrpersonal möglich sein - allerdings keinesfalls im allgemeinen urbanen MIV. Memorandum emeritierter Verkehrs-Professoren Im Memorandum emeritierter Verkehrs- Professoren heißt es einleitend [3]: „In jüngster Zeit werden viele Erwartungen und Hoffnungen bezüglich der Einsatzmöglichkeiten … ‚automatisch fahrender’ Fahrzeuge geweckt … Sind die Erwartungen hinsichtlich der Problemlösungskapazitäten realistisch oder fehlleitend? Handelt es sich eher um eine evolutionäre oder um eine revolutionäre bzw. disruptive Weiterentwicklung der lokalen und regionalen Verkehrssysteme? “ Gleichwohl wird als Ausgangslage festgestellt: „Die Entwicklung und der Einsatz ‚autonomer Fahrzeuge’ werden erfolgen - unabhängig davon, ob sich Städte und Regionen rechtzeitig darauf einstellen.“ Ausgewählte Kernsätze zur Bedeutung für den ÖPNV: • „Es erfolgt eine verstärkte Auflösung von Systemgrenzen zwischen ÖPNV, Sharing-Systemen, Nachbarschaftstransporten, Taxisystemen… Dabei sind bevorzugt Zubringersysteme und Shuttle- Dienste für den Einsatz automatisch motorisierter Fahrzeuge geeignet, um… das Erreichen von Hauptachsen des ÖPNV zu gewährleisten.“ • „Einsatzbereiche ergeben sich… vor allem auch für… den spurgebundenen ÖPNV (Spurbus, Bus-Rapid-Transit-Systeme, Busse auf Busfahrstreifen ...), da die Freiheitsgrade bei diesen Systemen ohnehin reduziert sind …“. • „Zudem kann eine Erweiterung des ÖP- NV-Systems in Form von Sharing-Angeboten und durch bedarfsorientierten Einsatz von autonomen („öffentlichen“) Kleinbussen/ PKW bei geringer ÖPNV- Nachfrage erfolgen …“ • „… viele der möglichen Mobilitätsdienste (stellen) auf Grund ihrer neuen Systemeigenschaften ‚neue Verkehrsmittel’ sowohl im motorisierten Individualverkehr, im ÖPNV und in den intermodalen Diensten dar.“ • „Die erwünschte Systemintegration von ÖPNV und Car-Sharing-Angeboten wird aller Voraussicht nach beschleunigt werden, was zu einem Rückgang der gesamten Fahrzeuganzahl führen kann …“ • „Letztendlich steht hier eine Entwicklung bevor, von der wir noch wenig wissen und die deshalb einen großen Forschungsbedarf bezüglich des Mobilitätsverhaltens aufweist.“ Das „Memorandum“ ist also einerseits durch die gebotene Zurückhaltung hinsichtlich des Tempos der Entwicklung und der Einordnung des Einflusses autonomer Autos auf das künftige Mobilitätsverhalten gekennzeichnet. Andererseits wird ihr Einsatz aber in schon heute entscheidungsrelevanter Frist nicht in Frage gestellt. Eine Auseinandersetzung mit den harten „Ausschlusskriterien“ [1, 2] erfolgt nicht. MEGAFON-Studie Die MEGAFON-Studie ist sowohl vom Ansatz her, als auch in methodischer Hinsicht ausdrücklich an der „Lissabon-Studie“ der OECD orientiert [13], obschon diese von führenden Verkehrswissenschaftlern sehr zu Recht als höchst fragwürdig eingeordnet wird. Die Studie basiert auf der unrealistischen Annahme der totalen Umstellung des motorisierten Individualverkehrs auf autonome PKW (AV = autonomous vehicles) und der weitgehenden bis umfassenden „Teilung“ ihrer Nutzung bereits in absehbarer Zukunft. Die durchgeführten Simulationen gelten als „nicht hochrechenbar und (sogar) gefährlich“ [14]: • Der zugrunde gelegte städtische Verkehr zu Hauptverkehrszeiten unterscheidet sich beträchtlich vom Spektrum der Fahrten in den übrigen Tageszeiten. • Die Annahmen zum Ausmaß des Ridesharing sind völlig unrealistisch; sie basieren auf methodisch unzulässigen Hochrechnungen. • Die Simulationen beinhalten nicht die Vororte, die aber die große Mehrzahl der täglichen Fahrten generieren. • Die Schlussfolgerung, dass lediglich rd. 10 % der derzeit genutzten Fahrzeuge erforderlich seien, ist fehlleitend, weil die längeren Fahrten innerhalb sowie von und zu den Vororten unterschlagen wurden. • Den Annahmen liegen extreme Verhaltensweisen zu Gunsten von Ridesharing und Extremwerte zum Bestand und zur Teilung voll-autonomer Fahrzeuge zu Grunde. Im Eingangskapitel heißt es [4]: „Zu welchem Zeitpunkt es fahrerlose PKW und Busse geben wird und die Fahrzeuge im gesamten Straßennetz einsetzbar sind, ist im Moment nicht abschätzbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass es autonom fahrende Fahrzeuge im Straßenverkehr geben wird, ist aber so hoch, dass sich die Verkehrsplanung mit dem Thema beschäftigen sollte. Fahrerlose Fahrzeuge ermöglichen ein anderes Verkehrsangebot. Es wird erwartet, Teilautonomer City-Postbus im schweizerischen Sitten Foto: postauto.ch Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 70 MOBILITÄT Autonomes Fahren dass dieses Angebot u.a. die folgenden Eigenschaften aufweist: • Der Autoverkehr wird sicherer. • Das Autofahren wird komfortabler, da die Fahrzeit im Fahrzeug für fahrfremde Tätigkeiten genutzt werden kann. • Die Leistungsfähigkeit des Straßennetzes wird steigen. • Ein fahrerloses Umsetzen der Fahrzeuge ermöglicht neue Mobilitätsangebote beim Carsharing und Ridesharing bzw. Rideselling. Es ermöglicht außerdem attraktive intermodale Ortsveränderungen, bei denen ein Sharing-Fahrzeug den Fahrgast in Gebieten mit schlechtem ÖPNV-Angebot zur Bahn bringt.“ Die Beschreibung steht in vollem Einklang mit den Verheißungen der Industrie. Als Ziel der Studie wird formuliert, „mögliche Wirkungen autonomer Fahrzeuge auf den Verkehr in Stadtregionen mit Hilfe von Szenarien beispielhaft zu untersuchen.“ Die Szenarien unterscheiden sich durch den Anteil der Teilungs-Modi der autonomen Fahrzeuge: • NS = No Sharing (Fahrzeuge im Privatbesitz), • CS = Car Sharing (Fahrzeuge Bestandteil eines Carsharing - Systems) und • RS = Ride Sharing / Selling (Fahrzeuge Teil eines öffentlichen Systems). Die Mehrzahl der Szenarien basiert auf 100 % autonomen PKW. Bei einigen ist ein Rückgrat von öffentlichen Bahnen zugrunde gelegt; der Zu- und Abbringerverkehr erfolgt dabei mit autonomen PKW. Als Kernergebnis der Studie wird konstatiert, dass „AV dann eine positive Wirkung haben werden, wenn die Verkehrsmittelwahl so beeinflusst werden kann, dass • ein Hochleistungs-ÖV-Angebot (Schiene, hochwertiges Bussystem) erhalten bleibt oder verbessert wird und • viele Ortsveränderungen mit Ridesharing abgewickelt werden.“ Einschränkend wird betont: „Diese aus verkehrsplanerischer Sicht wünschenswerte Entwicklung wird aber nicht ohne flankierende Maßnahmen eintreten …“, genannt werden u. a. : • Reduzierung der Regelgeschwindigkeit für KFZ in Städten. • Entwicklung spezieller Ridesharing- Fahrzeuge, die den vielfältigen unterschiedlichen Anforderungen der Nutzer gerecht werden. • Erhalt von Buslinien auf Verkehrsachsen und Ausbau mit Elementen eines Bus Rapid Transit Systems. • Einführung/ Ausweitung differenzierter Straßenbenutzungsgebühren und Parkgebühren mit Bevorzugung öffentlicher Car-/ Ridesharing Angebote. • Zufahrtsbeschränkungen für private Fahrzeuge … zu den Innenstädten. • Entwicklung einer einheitlichen Plattform für den ÖPNV in Deutschland (Tickets, Abrechnung, Buchung). Das alles sind Maßnahmen, die auch unabhängig von der Einführung autonomer PKW zum Vorteil der Wettbewerbsfähigkeit des ÖPNV in Frage kommen. Im abschließenden Kapitel „Ausblick“ werden erwartungsgemäß „Fragestellungen (formuliert), die in Folgestudien oder -projekten angegangen werden könnten“. Genannt werden u. a.: • Pilotprojekte mit nicht-autonomen Ridesharing-Flotten (Shuttles) als Ergänzung zum ÖPNV-Angebot. • Ausbau des Ridesharing unter Führung des ÖPNV (Kundenanmeldung, Tarife etc.) für bestimmte Teilmärkte als Ergänzung in zeitlicher oder räumlicher Hinsicht oder als Premium-Angebot mit Direktverbindung. • Einrichtung und Betrieb von Pilotstrecken für AV-Ridesharing als Ergänzung zum ÖPNV, kleinräumige Simulation einer „AV-Ridesharing-Welt“ … Die beiden erstgenannten Projekte sind AV-unabhängig. Bei den „Pilotstrecken“ muss es sich nicht um autonomes Fahren (Level 5) handeln. Fazit: Zahlreiche Kern- Ergebnisse und -Empfehlungen sind durchaus plausibel. Sie haben Gültigkeit auch für realistische Szenarien der Mobilitätszukunft; zu deren Herleitung hätte es allerdings nicht des betreffenden Untersuchungsaufwandes bedurft. UITP Policy Brief Die Einleitung lautet: „Stelle Dir bezahlbare, nachhaltige und bequeme Mobilitätsoptionen für alle Bürger vor, einschließlich weniger mobiler Personen, Älterer, Kinder und Leuten, die in vorstädtischen oder ländlichen Regionen leben. Autonome Fahrzeuge können helfen, eine solche Zukunft zu bauen“. Die Hauptkapitel sind überschrieben: • „Eine neue Chance für ein jederzeit verfügbares öffentliches Verkehrssystem“ • „Weniger Verkehr, 80 % weniger PKW“. Als Anknüpfungspunkte des Papiers werden ebenfalls explizit die „Lissabon-Studie“ [13] sowie die „VDV-Studie“ (MEGAFON) [4] genannt. Es wird also eine baldige völlige Umstellung des „klassischen“ MIV auf autonome Autos sowie ein stark ausgeprägtes Car Sharing und/ oder Ride Sharing/ Selling zugrunde gelegt. Eine dynamische Ausbreitung von Car Sharing und Ride Sharing/ Selling ist tatsächlich zu erwarten [15, 16], wenn auch eher nicht in dem angenommenen Ausmaß. Die Kern-Annahme zur nahen Zukunft und der Rolle autonomer Autos ist dagegen zumindest unrealistisch. Gleichwohl werden „Länder und Städte“ dringend aufgefordert, die schnelle Einführung von autonomen PKW zu fördern. Begründet wird das damit, dass die weitestgehende Teilung von AVs und ihr vollautomatischer Betrieb zwingende Voraussetzungen dafür seien, dass der klassische ÖPNV verbessert werden könnte. Die tatsächliche Verfügbarkeit voll autonomer PKW soll danach bereits für die frühen 2020er Jahre Wirklichkeit werden. Damit ist jedoch keinesfalls zu rechnen. Gleichwohl sind auch in diesem Fall mehrere Komponenten der abschließend formulierten Empfehlungen grundsätzlich gültig, wenn die Verknüpfung mit AVs „ausgeblendet“ wird; dazu gehören: • Limitierung von Einzelbesetzungsgraden von PKW: Benutzungsgebühren (im Sinne einer Erhöhung des PKW-Besetzungsgrades), Parkraum-Management, Sonderzonen für geteilte Fahrzeuge • Zurückgewinnung von für Parkierungsanlagen genutzte Flächen für andere Pilotprojekt mit Robotaxi auf dem Euref-Campus in Berlin Foto: Kai Michael Neuhold/ DB Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 71 Autonomes Fahren MOBILITÄT Nutzungen, integrierte Stadt- und Mobilitätsplanung • Schaffung integrierter Mobilitätsplattformen • Überprüfung neuer Mobilitätsdienste hinsichtlich der Modal-Split-Ziele und der Verbesserung der städtischen Lebensqualität • Unterstützung geteilter Fahrzeugnutzung in allen Formen durch Förderung und Steuer-Vergünstigungen • Ausdehnung der Kompetenzen öffentlicher Nahverkehrsunternehmen / - Körperschaften auf alle städtischen Mobilitätsdienste • Förderung von Synergien zwischen ÖPNV und privaten Shared-Mobility- Akteuren Fazit Die Nahverkehrswirtschaft wäre gut beraten, sich an realistischen, evolutionären Entwicklungen der Mobilitätsbedingungen zu orientieren. Andernfalls läuft sie Gefahr, von den tatsächlichen Veränderungen „überholt“ zu werden. Mittelfristig wird es zwar tatsächlich teilweise eine Annäherung an hoch-automatisiertes Fahren geben - im MIV und im ÖPNV; eine Auseinandersetzung damit sollte deshalb durchaus zeitnah erfolgen. Zu den Kernkomplexen werden jedoch die dynamische Entwicklung eines breiten Spektrums von Mobility-Sharing im Individualverkehr (PKW, Fahrrad) und Veränderungen im Mobilitätsverhalten zählen. Davon kann und wird der ÖPNV profitieren, wenn sich die Wirtschaft daran aktiv, federführend und koordinierend engagiert. Das schließt eine Beschäftigung mit Extremszenarien des autonomen Fahrens nicht aus; diese sollten jedoch auch als solche gehandhabt werden. ■ LITERATUR [1] Kossak, A.: Back to reality - the future of autonomous cars; International Transportation, Special Edition 2, Oktober 2015 [2] Kossak, A.: Autonomous vehicles will notfor the foreseeable future - substitute classical urban transport; 3rd European Conference on Sustainable Urban Mobility Plans; Bremen, 12. / 13. 04 2016 [3] Beckmann, K. und Sammer, G.: Autonomes Fahren im Stadt- und Regionalverkehr; Memorandum für eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung aus der integrierten Sicht der Verkehrswissenschaft, Berlin/ Wien 25.10. 2016. [4] Lehrstuhl Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik, Universität Stuttgart: „Modellergebnisse geteilter autonomer Fahrzeugflotten des oeffentlichen Nahverkehrs“ (MEGAFON); Auftraggeber VDV, SSB, VVS; Schlussbericht 12.12.2016. [5] UITP: Policy Brief: Autonomous Vehicles: A Potential Game Changer for Urban Mobility, Brüssel, Januar 2017 [6] Poole, R.(Reason Foundation): Quotable Quotes; Surface Transportation Innovations #156, September 2016 [7] Poole, R.(Reason Foundation): Highlights of the 2016 TRB Automated Vehicle Conference; Surface Transportation Innovations #156, September 2016 [8] O.V.: Kritik an Dobrinths Roboterauto-Gesetz - zu unpräzise; dpa, 25. 02. 2017 [9] Hägler, M. : Daimler stellt autonom fahrenden Bus vor; Süddeutsche.de, 19. 07. 2016 [10] Kossak, A.: Autonomes Fahren wird im Stadtverkehr auf absehbare Zeit keine Rolle spielen; Vorlesung an der TU Dresden; 3. 11. 2016 [11] Przybilla, S.: Wie ist es, im Bus ohne Lenkrad mitzufahren; Süddeutsche.de, 3. 02. 2017 [12] Brackel, B.v.: Kleiner Revoluzzer auf Rädern; FR-online, 5. 03. 2017 [13] International Transport Forum - OECD: Shared Mobility: Innovation for Liveable Cities / Urban Mobility System Upgrade (Lissabon Studie); Paris 2015 [14] Poole, R.(Reason Foundation): Will Autonomous Vehicles Transform Our Urban Areas? Surface Transportation Innovations #155, August 2016 [15] Kossak, A.: Chancen und Grenzen des Carsharing - Lenkungswirkung realistisch einordnen! In: Internationales Verkehrswesen 4/ 2016 [16] Kossak, A.: APTA- Bericht „Shared Mobility und die Wandlung des Öffentlichen Personennahverkehrs“; in: Der Nahverkehr 1-2/ 2017 Andreas Kossak, Dr.-Ing. Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com Themenschwerpunkte: − Zukunftsszenarien autonomer Fahrzeuge − Rahmenbedingungen für autonome Fahrzeuge im ÖPNV − Projekte autonomer Fahrzeuge im ÖPNV − Automatisierung und Autonome Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr − Internationale Erfahrungen und Visionen mit Autonomen Fahrzeugen − Forschungsroadmap für autonome Fahrzeuge für den ÖPNV − Diskussionen − Networking im Ausstellungsbereich Weitere Informationen: VDV-Akademie GmbH, Kamekestraße 37-39, 50672 Köln, akademie@vdv.de 2. VDV-Zukunftskongress Autonomes Fahren im öffentlichen Verkehr am 22./ 23. Juni 2017 in Berlin © VDV-Akademie GmbH Veranstaltungsort: Palais Kulturbrauerei Schönhauser Allee 36 10435 Berlin Anmeldungen und Programm unter: www.vdv-akademie.de/ tagungen-seminare/ Dies ist eine Veranstaltung von: Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 72 MOBILITÄT Luftverkehr Sozio-ökonomische Wirkungen der Flughäfen in Deutschland Forschungsstand und kritische Bewertung Regionalökonomische Effekte, Flughäfen, Sozio-ökonomische Wirkungen, Verkehrsinfrastruktur In einer globalisierten Welt kommt der Diskussion um Bau und Erhalt von Flughäfen in Deutschland eine zentrale Bedeutung zu. Die politischen Entscheidungen darüber erfordern valide empirische Studien, die alle möglichen Effekte berücksichtigen müssen. Dazu sind die direkten, indirekten, induzierten, katalytischen und externen Effekte zu berechnen. Insbesondere sind jedoch auch Substitutions- und Verlagerungseffekte zu berücksichtigen. Für politische Entscheidungen über den Bau bzw. Ausbau von Flughäfen sind empirische Befunde zu allen Wirkungskategorien als wissenschaftliche Grundlage gleichermaßen wichtig. Jens Hujer E ine hochentwickelte Verkehrsinfrastruktur ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine dynamische sozio-ökonomische Entwicklung westlicher Industrieländer. Dabei kommt insbesondere dem Luftverkehr vor dem Hintergrund einer zunehmenden gesellschaftlichen und ökonomischen Globalisierung eine hohe Bedeutung zu. Bedeutung des Luftverkehrs in Deutschland So zeigen die Ergebnisse des Prognos Zukunftsatlas 2013, der die Kriterien Demografie, Wohlstand und soziale Lage, Arbeitsmarkt sowie Wettbewerb und Innovation berücksichtigt und die Stärke und die Dynamik der Regionen bewertet, dass vor allem die Regionen in Deutschland sehr hohe Zukunftschancen besitzen, die von der Nähe eines großen Flughafens profitieren, beispielsweise die Regionen um Frankfurt/ Main, Stuttgart und München. Betrachtet man die Entwicklungen im Luftverkehr in den vergangenen Jahren (Luftverkehrsbericht 2015) 1 , so zeigt sich, dass die Zahl der Passagiere, die von 27 ausgewählten Flughäfen in die Zielgebiete Deutschland, Europa und andere Kontinente abgeflogen sind, ausgenommen wegen der Ereignisse des 11.- September 2001 und der Finanzkrise 2008/ 2009, stetig zugenommen hat. Diese Tendenz zeigt sich auch an der aktuellen Entwicklung: Im Jahr 2016 stieg die Zahl der von deutschen Flughäfen abreisenden Passagieren um 3,4 % auf 111.9-Mio. Der Auslandsverkehr nahm 2016 um 3,6 % zu, das Wachstum des Interkontinentalverkehrs betrug 0,5 %. Den höchsten Zuwachs hatte Europa mit 4,5 % und 69,2-Mio. Passagieren in 2016, den niedrigsten Deutschland mit 2,8% (Tabelle 1). Die zeitliche Entwicklung der Flugbewegungen (Passagiersowie Fracht- und Postflüge im Linien- und Charterverkehr) in die Zielregionen Deutschland, Europa und interkontinentale Destinationen zeigt, dass die Starts im Inlandsverkehr zwischen 2002 und 2015 um 12 % zurückgegangen sind, während der grenzüberschreitende Verkehr um 30 % zunahm. Der Anteil des Inlandsverkehrs lag in 2002 bei 33 %, in 2015 bei 25 %. Die entsprechenden Anteile im grenzüberschreitenden Verkehr waren 67 % bzw. 75 %. Dabei entfielen auf die Flugbewegungen in die europäischen Ziele in diesem Zeitraum zwischen 85 % und 88 %. 2 Für den Wirtschaftsstandort Deutschland hat der Luftverkehr vor allem wegen der starken Exportorientierung und der Attraktivität bei der Standortwahl eine zentrale Bedeutung. 3 So wurden in 2012 Außenhandelsgüter im Wert von 204 Mrd. EUR über den Luftweg transportiert. Dies sind 10,1 % des Gesamtwerts der von Deutschland in 2012 importierten und exportierten Güter. Für in- und ausländische Unternehmen, die insbesondere auf den internationalen Märkten tätig sind, ist die Anbindung an das internationale Luftverkehrsnetz unabdingbar und auch für die Standortwahl und zukünftige Investitionsentscheidungen von zentraler Bedeutung. 4 Eine repräsentative Umfrage des ifo Instituts für 2012 im Rahmen der Erhebungen zum Geschäftsklimaindex bei über 7000 Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungen bestätigt diese Befunde auch empirisch. 5 Im März 2013 hat das ifo Institut einmalig folgende Zusatzfrage an die Unternehmen gestellt: „Wie wichtig ist für ihr Unternehmen eine Flugverbindung zu Zielen in (a) Deutschland, (b) Europa, (c)- weltweit? “ Dabei wurden vier Kategori- 2016 2015 Veränderung % Passagiere gesamt 111.902 108.203 3,4 Nach Zielgebiet Deutschland 23.736 23.081 2,8 Ausland 88.166 85.122 3,6 Europa 69.158 66.202 4,5 Interkontinental 19.008 18.920 0,5 Tabelle 1: Entwicklung der Anzahl der Passagiere an deutschen Flughäfen nach Zielregionen 2015/ 2016 Quelle: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 28.02.2017 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 73 Luftverkehr MOBILITÄT en der Wichtigkeit unterschieden. Die empirische Analyse der Umfrage hat gezeigt, dass deutsche Industrieunternehmen den Luftverkehr mit 73,6 % für sehr wichtig oder wichtig halten. Die entsprechenden Werte für Dienstleister sind 51,8 % und für Handelsunternehmen 42,8 % (Bild 1). Betrachtet man insbesondere die exportstarken deutschen Schlüsselindustrien Maschinenbau, Pharmazeutische Industrie und Kraftfahrzeugbau, so wird die Bedeutung des Luftverkehrs für deren wirtschaftliche Aktivitäten noch deutlich höher geschätzt. So wird die Kategorie sehr wichtig/ wichtig im Sektor Maschinenbau mit 89,6 %, in der Pharmazeutischen Industrie mit 85,9 % und im Fahrzeugbau mit 79,6 % bewertet (Bild 2). Auch für die Entwicklung des Tourismus in Deutschland ist der Luftverkehr von herausragender Bedeutung, und zwar sowohl für Reisen aus Deutschland in weltweite Ziele (Outgoing Tourismus) als auch für Reisen aus dem Ausland nach Deutschland (Incoming Tourismus). Einer Analyse der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) für 2012 zufolge wurden in 2012 insgesamt 49 % aller privaten und geschäftlichen Reisen aus Deutschland in das Ausland mit dem Flugzeug unternommen. Das Auto benutzten 37 %, 7 % den Bus und 5 % die Bahn. Auch beim Incoming Tourismus kam dem Luftverkehr die höchste Priorität zu. So reisten 51 % der Gäste mit dem Flugzeug ein, 42 % mit dem Auto, 4 % mit dem Zug und 3 % mit dem Reisebus. Die positiven Beschäftigungswirkungen des Incoming Tourismus werden vom Zentrum für Recht und Wirtschaft des Luftverkehrs für 2012 auf 367 900 geschätzt. 6 Schließlich leistet der Luftverkehr einen positiven Beitrag zur Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland. 7 Im Luftverkehr waren in 2012 bei Fluggesellschaften, der Flugsicherung und in der zivilen Luftverkehrsindustrie insgesamt 324 500 Personen beschäftigt. Davon entfielen auf die Flughäfen 105 800 Arbeitsplätze. Die empirischen Befunde zur Bedeutung des Luftverkehrs haben gezeigt, dass auch langfristig sowohl national als auch international eine weiterhin dynamische Entwicklung dieser Branche zu erwarten ist. Insbesondere für Deutschland als exportorientiertes Land ist die Anbindung an das internationale Luftverkehrsnetz unabdingbar, ebenso ist dies für eine Standortwahl insbesondere von innovativen Unternehmen eine der wichtigen Voraussetzungen. Dies wird auch durch Einschätzung von Schlüsselsektoren in Deutschland im Hinblick auf die Bedeutung des Luftverkehrs für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten bestätigt. Schließlich haben die ökonomischen Effekte des Tourismus durch den Luftverkehr im vergangenen Jahrzehnt stark zugenommen und zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland geführt. Direkte, indirekte und induzierte ökonomische Effekte: Quantifizierung und Interpretation Zur Bestimmung der unterschiedlichen sozio-ökonomischen Wirkungen des Luftverkehrs ist eine Vielzahl empirischer Studien, insbesondere für die großen Flughäfen in den USA, beispielsweise für Washington, San Francisco, Minneapolis, erstellt worden. Auch für die europäischen Flughäfen werden in einer neuen Studie 8 die ökonomischen Effekte für 2013 differenziert nach einzelnen Ländern berechnet. Für Deutschland wurden für alle wichtigen Flughäfen, wie Frankfurt/ Main, München, Berlin, Hamburg, Hannover und Köln- Bonn, aber auch für Regionalflughäfen, wie Frankfurt-Hahn, Kassel-Calden, Dortmund, Lübeck und Zweibrücken detaillierte Analysen für die ökonomischen Wirkungen durchgeführt (zu einem Überblick 9 ). Die gesamtwirtschaftlichen und regionalen Effekte des Luftverkehrs beinhalten sowohl Nutzen als auch externe Kosten in der Wertschöpfungskette. Als Grundlage empirischer Studien sind deshalb Konzepte zur Operationalisierung der einzelnen Wirkungskategorien zu entwickeln und inhaltlich zu diskutieren. 10 11 12 Zunächst werden die Effekte aus der Produktion von Luftverkehrsdienstleistungen erfasst. Als direkte Effekte der Flughafenaktivitäten werden dabei die Wertschöpfung und die Beschäftigung von Flughafenbetrieben bezeichnet, die mit Hilfe von Unternehmensbefragungen quantifiziert werden können. Indirekte Wirkungen der Flughafenaktivitäten entstehen dadurch, dass die Unternehmen auf dem Flughafen Aufträge an Dienstleister und Liefe- Bild 1: Bedeutung des Luftverkehrs nach Wirtschaftssektoren Quelle: ifo-Institut (2013), S.-7; Rürup, Reichart (2014), S.-15 Bild 2: Bedeutung des Luftverkehrs in ausgewählten Schlüsselindustrien Quelle: ifo-Institut (2013), S.-7ff.; Rürup, Reichart (2014), S.-16 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 74 MOBILITÄT Luftverkehr ranten außerhalb des Flughafens vergeben, die wiederum Vorleistungen von anderen Unternehmen beziehen. Sie wirken als Multiplikatoren für Wertschöpfung, Beschäftigung und Einkommen. Schließlich resultieren induzierte Effekte aus der zusätzlichen Konsumnachfrage aus den Erwerbseinkommen sowohl der Beschäftigten des Flughafens als auch der Lieferanten. Zur Berechnung der indirekten und induzierten Effekte wird insbesondere die Input-Output-Methodik verwendet. Sie basiert auf Input-Output-Tabellen, die von den statistischen Ämtern, in Deutschland vom Statistischen Bundesamt, für die einzelnen Jahre veröffentlicht werden. Dabei werden die sektoralen Vorleistungsverflechtungen einer Volkswirtschaft abgebildet. Um die sektoralen Effekte der Flughafenaktivitäten zu berechnen, wäre es allerdings notwendig, regional differenzierte Input- Output-Tabellen zu verwenden, um die spezifische regionale ökonomische Struktur des Flughafenumlands berücksichtigen zu können. In Deutschland sind regionale Input-Output-Tabellen bisher nicht verfügbar, sodass zumeist nationale Input-Output-Tabellen oder regional angepasste Tabellen unter Verwendung regionaler Wirtschaftsdaten zugrunde gelegt werden. 13 Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass die amtliche Statistik die Input-Output-Tabellen oft nur mit zeitlicher Verzögerung veröffentlicht. Hujer, et al. (2004) entwickeln zur Berechnung der regionalen ökonomischen Effekte des Flughafens Frankfurt/ Main für 1999 eine Input-Output-Tabelle für Hessen unter Verwendung von Lokationskoeffizienten, in denen regionale und gesamtwirtschaftliche sektorale Bruttoproduktionswerte in Beziehung zueinander gesetzt werden. Die gesamtwirtschaftlichen Inputkoeffizienten werden mit den Lokationskoeffizienten gewichtet, um somit die sektorale Struktur der Region zu approximieren. Für die quantitative Ermittlung der Effekte wird die Methodik des Input-Output-Modells verwendet. 14 Vergleicht man direkte, indirekte und induzierte Effekte, so sind diese im Hinblick auf die inhaltliche Interpretation durch unterschiedliche Kausalitäten gekennzeichnet. 15 Die direkten und indirekten Effekte sind eng mit den Luftverkehrsaktivitäten verknüpft, denn ohne diese würden die Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte auf dem Flughafen und die ökonomischen Wirkungen aufgrund der Auftragsvergabe an Unternehmen außerhalb des Flughafens wegfallen. Bei der Interpretation der induzierten Effekte sind jedoch ökonomische Anpassungsreaktionen und die Absorptionsfähigkeit der Wirtschaft zu berücksichtigen. „Ohne Luftfahrt würde nur dann der ganze Betrag des induzierten Effekts wegfallen, wenn die Beschäftigten aus den direkten und indirekten Effekten auch längerfristig keine andere Stelle in anderen Branchen finden würden und somit kein Einkommen hätten, das sie in der Volkswirtschaft in Form von Konsumausgaben wieder ausgeben können. Dies ist jedoch lediglich in einer schweren konjunkturellen Rezession zu befürchten. Ansonsten dürfte ein bedeutender Teil der im direkten und indirekten Effekt erfassten Beschäftigten eine Stelle in einer anderen Branche finden.“ 16 Auch Thießen (2014) weist auf diese Substitutionseffekte hin, die letztlich zu einer Reduktion der berechneten Gesamtwirkungen führen. Bei der Interpretation und Bewertung ist also zu beachten, dass die quantitativ ausgewiesenen Wirkungen inhaltlich lediglich Bruttoeffekte darstellen. Zur Ermittlung der Nettoeffekte wären Annahmen über den Anpassungsgrad einer Volkswirtschaft in speziellen konjunkturellen Situationen zu treffen. Im Hinblick auf eine inhaltliche Interpretation der ökonomischen Effekte werden auch die Verlagerungseffekte diskutiert, die eventuell zu einer Überschätzung führen könnten, „weil ein Teil der zusätzlichen Passagiere auf dem ausgebauten Flughafen keine neuen Passagiere seien, sondern nur von anderen Flughäfen verlagert würden“. 17 In der Studie für den Flughafen Frankfurt/ Main wurden mögliche Verdrängungseffekte für europäische große Hubs, mittlere und kleinere deutsche Flughäfen untersucht. 18 Die empirischen Befunde geben lediglich Hinweise, dass „allenfalls eine gewisse Verlagerung von Passagieren von großen europäischen Hubs sowie von mittelgroßen deutschen Flughäfen stattgefunden hat“. 19 Quantitative Schätzungen wurden jedoch nicht durchgeführt. Schließlich greift Thießen (2007) die These des „leeching behaviour“ auf. „Demzufolge werden in Regionen mit verbesserter Luftverkehrsinfrastruktur höherwertige Arbeitsplätze relativ attraktiver. Die Chancen für Arbeit mit hoher Produktivität steigen, dies setzt entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte voraus. Es kommt dazu, dass die produktiven Arbeitskräfte aus anderen Regionen ,ausgesaugt‘ werden. Vom Flughafen entfernt gelegene Regionen verlieren hochwertige Arbeitsplätze und fallen im Wettbewerb der Regionen zurück.“ 20 Auch Bogai, Wesling (2011) weisen auf die Bedeutung der Produktivitätseffekte für eine Bewertung der Wirkungen von Flughafeninvestitionen auf die ökonomische Entwicklung von insbesondere benachbarten Regionen hin. Sowohl die Substitutionseffekte aufgrund der Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft als auch die Verlagerungs- und Produktivitätseffekte sind insbesondere für Analysen der ökonomischen Wirkungen von Regionalflughäfen im Hinblick auf politische Entscheidungen über Bau bzw. Ausbau von ganz entscheidender Bedeutung. Die dadurch zu erwartende Verringerung der gesamten Effekte sollte zumindest grob abgeschätzt werden. Ein wichtiger Indikator für eine wirtschaftspolitische Bewertung ist neben dem Wertschöpfungsmultiplikator insbesondere der Beschäftigungsmultiplikator, der als Quotient der Summe von indirekten und induzierten Beschäftigten zu den direkten Beschäftigten definiert ist. Er gibt an, wie viele Beschäftigte zusätzlich im Umland pro Flughafenbeschäftigten tätig sind. ATAG (2008) berechnet für Nordamerika für 2006 einen Wert von 1,58 und für Europa 1,75. Für Deutschland weist Oxford Economics (2011) für 2009 einen Beschäftigungsmultiplikator von 1,52 aus. Die empirischen Studien für die Flughäfen Frankfurt/ Main, München und Köln-Bonn zeigen folgende Ergebnisse: Für den Flughafen Frankfurt/ Main wird für 2012 ein Multiplikator von 1,24, für 2008 ein Wert von 1,26 und für 2000 ein Wert von 1,65 geschätzt. 21 In einer Studie von Hujer, et al. (2004) wurde für 1999 ein entsprechender Multiplikator von 1,77 berechnet. Für den Flughafen München ist der gesamtwirtschaftliche Beschäftigtenmultiplikator nach Angaben der IHK München (2015) für 2012 mit 1,13 und für 2006 mit 1,64 ermittelt worden. Im Vergleich dazu ist der entsprechende Wert für 2000 mit 1,95 noch deutlich höher. 22 Für den Flughafen Köln-Bonn wird für 2006 ein gesamtwirtschaftlicher Multiplikator von 1,98 geschätzt. 23 Daneben sind jedoch auch die regionalen Multiplikatoren von hohem politischen Interesse, da sie zeigen sollen, welche Effekte für das engere Flughafenumland zu erwarten sind. Die Größe der Multiplikatoren ist jedoch entscheidend von der gewählten räumlichen Abgrenzung abhängig, beispielsweise Bundesland oder Regierungsbezirk, deshalb ist eine vergleichende Analyse von regionalen Multiplikatoren problematisch. Schließlich werden in einigen Studien auch die fiskalischen Wirkungen errechnet. Grundlage ist dabei die Bruttolohn- und -gehaltssumme aus den direkten, indirekten und induzierten Effekten, die anteilsmäßig auf die unterschiedlichen Steuerarten verteilt werden. Empirische Ergebnisse zu den fiskalischen Wirkungen der Flughafenaktivitäten wurden beispielsweise von Booz Allen Hamilton, et al. (2008) für den Flughafen Köln-Bonn im Jahr 2006, von Hujer (2008) für den Flughafen München in 2000 sowie von Heuer, Klophaus (2007) Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 75 Luftverkehr MOBILITÄT für den Regionalflughäfen Frankfurt-Hahn in 2005 und von Klophaus (2013) für Kassel-Calden in 2012 vorgestellt. Katalytische Effekte: Messkonzepte und empirische Befunde Neben den Wirkungen aus der Produktion von Luftverkehrsaktivitäten sind im Rahmen einer umfassenden empirischen Analyse-Konzeption relevante Effekte aus der Nutzung der Flugverkehrsdienstleistungen zu operationalisieren 24 . Die Luftverkehrsanbindung ist für die Attraktivität des Standorts im Hinblick auf die zunehmenden internationalen Handelsverflechtungen von zentraler Bedeutung. Die daraus resultierenden katalytischen Effekte sind entweder passagier- oder unternehmensbezogen, d.h. sie werden entweder durch die Ausgaben von Flugpassagieren oder durch Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit für Unternehmen generiert. Die Effekte des Incoming-Tourismus in Deutschland wurden für die Jahre 2002 und 2007 in einer Studie von Harsche, et al. (2008) geschätzt. Als Datengrundlage dienten Informationen zur Anzahl der Ankünfte und zu den Ausgaben der Luftverkehrseinreisenden aus über 45 Herkunftsländern. Die quantitativen Analysen zeigten, 25 dass die durch die Kaufkraft der mit dem Flugzeug nach Deutschland eingereisten Gäste in 2007 ein Produktionswert von 15,5 Mrd. EUR ermittelt werden konnte. Daraus ergibt sich eine Bruttowertschöpfung in Höhe von 1,8-Mrd. EUR und eine Bruttolohn- und Gehaltssumme von 4,37 Mrd. EUR. Der Effekt auf den Arbeitsmarkt wird mit 391 670 berechnet (Tabelle 2). Dieser Befund wird durch die Ergebnisse in der Studie von ifo- Institut (2013) bestätigt. Peter, et al. (2014) haben in ihrer Analyse für den Frankfurter Flughafen den Incoming-Tourismus ermittelt. Für das Jahr 2012 sind insgesamt 3,54 Millionen ausländische Fluggäste eingereist, davon übernachteten 2,43 Millionen in der Metropolitanregion Frankfurt/ Rhein-Main und hatten Umsätze in Höhe von 835,67 Mio. EUR. Dies entspricht rund 0,4 % des Bruttoinlandsprodukts 2009 der Metropolitanregion Frankfurt/ Rhein-Main. Die ökonomischen Wirkungen des Outgoing-Tourismus, die zu einer Reduktion der Gesamteffekte führen können, werden jedoch nicht berechnet. Auch in den Studien für München (Basler, Bulwien (2007)) und für Kassel-Calden (Klophaus (2013)) können sie wegen fehlender Daten nicht berücksichtigt werden. Thießen (2014) schätzt, dass die Relation der Outgoingzu Incoming-Reisenden bei größeren Flughäfen etwa 70: 30, bei kleineren Flughäfen 80: 20 beträgt. Bei der inhaltlichen Interpretation der passagierseitig-katalytischen Effekte ist zu beachten, dass den Passagieren im Falle einer Angebotsreduktion im Luftverkehr andere Transportmittel zur Verfügung stehen. „For instance, airports are said to attract new businesses as a result of improved connectivity. Connectivity may, however, be achieved by other means, such as highspeed railways or new communication and information technologies.“ 26 In welchem Maße diese Optionen genutzt würden oder ob auf eine Einreise ohne den Luftverkehr völlig verzichtet wird, ist quantitativ nur schwer abzuschätzen. Zur Bestimmung der unternehmensbezogenen katalytischen Wirkungen, die vor allem aus der Standortattraktivität resultieren, wurden unterschiedliche Messkonzepte entwickelt und empirisch umgesetzt. In einer Studie für den Frankfurter Flughafen entwickeln Baum, et al. (2003) einen Indikator, der die Qualität der Luftverkehrsanbindung inhaltlich erfassen soll. Als wesentliche Einflussfaktoren werden Passagieraufkommen, Anzahl der Destinationen und Frachtvolumen berücksichtigt. Darüber hinaus werden Indikatoren des Flugangebots, wie Anzahl der Direktverbindungen, einbezogen und unter Verwendung von Gewichtungsfaktoren zu einem Luftverkehrswertigkeitsindex zusammengefasst. Mit Hilfe von Zeitreihen-Regressionsanalysen können die Beziehungen zwischen ökonomischen Kenngrößen und dem Index der Luftwertigkeit geschätzt und Elastizitäten empirisch bestimmt werden. Besonders wichtig sind dabei die Wirkungen auf die Arbeitsproduktivität und die Wertschöpfung. Die Schätzwerte der Regressionsfunktion können auch dazu verwendet werden, alternative Szenarien bei unterschiedlichen Annahmen über das erwartete Passagier- und Frachtvolumen zu berechnen. Basler, Bulwien (2007) quantifizieren die katalytischen Effekte für den Flughafen München in 2006 lediglich exemplarisch. Sie verwenden dabei das Konzept der Erreichbarkeit und schätzen zunächst die Effekte durch Reduktion des Reiseaufwandes der Passagiere. Sie berechnen für 2006 insgesamt 1,9 Mio. Passagiere, die der zusätzlichen Originärnachfrage von und nach München im Planungsfall gegenüber dem Prognosenullfall entsprechen. Davon zieht der Flughafen München zu seinen Gunsten rund 1,6 Mio. Originärpassagiere vom Wachstum anderer Flughäfen und der Eisenbahn ab. Damit reduziert sich in den meisten Fällen der Reiseaufwand dieser Passagiere.“ 27 Aufgrund des Zeitkostensatzes entsprechend dem Bundesverkehrswegeplan ergibt sich eine Reisezeiteinsparung von etwa 20,8 Mio. EUR im Jahr. Daneben werden auch die katalytischen Effekte durch den Neuverkehr mit 0,3 Mio. Passagieren berechnet. Es wird der zusätzliche Umsatz durch zusätzliche Exporte aufgrund dieser Passagiere mit 1,09 Mrd. EUR im Jahr geschätzt. 28 Schließlich werden die Wirkungen auf die Standortwahl von Unternehmen im Hinblick auf Produktivitätsfortschritte und Wettbewerbsvorteile lediglich qualitativ diskutiert. Peter, et al. (2014) verwenden in ihrer empirischen Studie für den Flughafen Frankfurt/ Main keinen exemplarischen Ansatz, sondern ein allgemeines quantitatives Konzept zur Messung der katalytischen Effekte. In ihrem Modell wird die sog. Erreichbarkeit operationalisiert, um den Standortvorteil einer Region zu erfassen. Dieser methodische Ansatz wurde von BAKBASEL auf der Grundlage von sogenannten aktivitätsbasierten Gravitationsindikatoren entwickelt. Diese „gewichten alle möglichen Zielpunkte der Erreichbarkeit aufgrund ihrer Attraktivität und diskontieren jedes Ziel mit der Reisezeit (Raumwiderstand)“. 29 Der Erreichbarkeitswert einer Region wird mathematisch als Funktion der Aktivität am Zielort - approximiert durch das regionale Bruttoinlandsprodukt - und dem Raumwiderstand als minimale Reisezeit zwischen Ursprungs- und Zielregion formuliert. Die empirischen Befunde für 2010 zeigen, dass Frankfurt/ Main den höchsten kontinentalen (Zielorte innerhalb Europas) Erreichbarkeitsindex unter den 414 einbezogenen Standorten hat. Dies ist sowohl durch die geographische Lage als auch durch die ausgebaute Infrastruktur und das Netz der Verkehrsdienst- Effekte über alle betrachteten Branchen 2002 absolut 2007 absolut Veränderung 2002 bis 2007 absolut in % Produktionswert (in Mrd. EUR) 12,40 15,55 3,15 25,37 Spezifische Bruttowertschöpfung (in Mrd. EUR) 6,52 8,31 1,80 27,57 Spezifische Brutto- und Gehaltsumme (in Mrd. EUR) 3,43 4,37 0,95 27,59 Gesicherte Arbeitsplätze 299 858 391 670 91 812 30,62 Tabelle 2: Ökonomische Effekte der Kaufkraft von Luftverkehrseinreisenden nach Deutschland Quelle: Harsche, et al. (2008), S.128 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 76 MOBILITÄT Luftverkehr leistungen begründet. Diese Spitzenposition hält Frankfurt seit 2008. Auch bei der globalen (Zielorte außerhalb Europas) Erreichbarkeit hat Frankfurt seit 2006 jeweils den höchsten Wert und liegt vor Amsterdam, London und Paris. Peter, et al. (2014) haben für den Frankfurter Flughafen eine Szenario-Analyse durchgeführt, die die Auswirkungen eines Wegfalls des Flughafens für die Erreichbarkeit simuliert. Sowohl der kontinentale als auch der globale Erreichbarkeitsindex würden erheblich sinken. So fällt Frankfurt im Ranking der globalen Erreichbarkeit auf den 215. Platz (unter 414 europäischen Regionen) zurück, und andere Konkurrenzstandorte profitieren davon. In der empirischen Analyse von Harsche, et al. (2008) werden die unternehmensseitig-katalytischen Effekte mit Hilfe verschiedener methodischen Ansätze untersucht. Zunächst wurde eine Befragung einer Stichprobe von 100 im Flughafenumland von Flughäfen in Deutschland 30 tätigen internationalen Unternehmen durchgeführt, um die Bedeutung der Luftverkehrsanbindung für ihr Investitionsverhalten und ihre Standortentscheidungen zu bewerten. Es wurden insgesamt elf Untersuchungsregionen, beispielsweise Hamburg, Hannover, Berlin, Rhein-Main, München berücksichtigt. Die Unternehmen wurden nach der Bedeutung verschiedener Standortfaktoren befragt, wobei sowohl „harte“ Kriterien, wie Kostenstruktur, als auch „weiche“ Indikatoren, wie Stabilität der politischen Verhältnisse, einbezogen wurden. Wichtigste Kriterien für die Standortattraktivität sind für die 100 befragten Unternehmen das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, die Verkehrsanbindung über die Straße, das Luftverkehrsnetz und die Möglichkeiten zur Erschließung des deutschen Marktes. Fragt man nach der Bedeutung der Luftverkehrsanbindung für die Tätigkeitsfelder in diesen Unternehmen, so zeigt sich, dass dieser für den Bereich Marketing, Vertrieb und Absatz mit 76 Nennungen (wichtig/ sehr wichtig) die höchste Bedeutung zukommt. Ein weiterer zentraler Aspekt für die unternehmensseitig-katalytischen Effekte sind empirische Analysen zu den Auswirkungen einer Luftverkehrsanbindung auf Produktivität, Investitionen, Beschäftigung und Innovationen. In der Studie von Harsche, et al. (2008) wurde ein Panel-Datensatz von jährlichen Informationen von 1995 bis 2005 für 439 Kreise und kreisfreie Städte in Deutschland erstellt und für die ökonometrischen Schätzungen verwendet. Im methodischen Ansatz wird die Luftverkehrsanbindung durch die Kenngröße „Verkehrsgunst“ erfasst. Sie wird als durchschnittlicher Zeitaufwand je Kreis bzw. kreisfreier Stadt definiert, um alle Flugziele zu erreichen bzw. um von allen anderen Regionen im Luftverkehr erreicht zu werden. Ein hoher Wert dieses Indikators bedeutet eine lange Reisezeit und damit eine schlechte Erreichbarkeit. Die ökonometrischen Schätzergebnisse zeigen, 31 dass eine um 1 % bessere Verkehrsgunst eine höhere Arbeitsproduktivität um 0,65 % und höhere Investitionen um 5,36 % erwarten lässt. Für das Beschäftigungsniveau ergibt sich bei einer 1 % besseren Verkehrsgunst eine Erhöhung um 0,22 % und für die Innovationen als Anzahl der Patentanmeldungen eine Zunahme um 4,96 %. Die bisher entwickelten und in den empirischen Analysen angewendeten Ansätze zur Erfassung der passagier- und der unternehmensbezogenen katalytischen Effekte erfordern zumeist vielfältige Informationen aus zuverlässigen Umfrage-Daten, regional differenzierte ökonomische Daten aus der amtlichen Statistik, Daten zu den Luftverkehrsaktivitäten allgemein und speziell auch Informationen für den jeweiligen Flughafen. Die Qualität dieser Daten ist von entscheidender Bedeutung für die Anwendung der ökonometrischen Methoden und für die Validität der inhaltlichen Interpretation. Externe Effekte: Kategorien und Messkonzepte In einem umfassenden, integrativen Konzept der Nettowirkungen sind schließlich auch die externen Effekte des Luftverkehrs zu berücksichtigen. Für Flughäfen Deutschland liegen bislang nur wenige Studien vor, die neben den direkten, indirekten, induzierten und katalytischen Effekten auch die externen Umwelteinflüsse abschätzen. Baum, et al. (1998) haben in ihrer empirischen Analyse für den Flughafen Köln-Bonn zur Quantifizierung der externen Effekte eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik der Universität Karlsruhe und von INFRAS, Zürich zugrunde gelegt. 32 Sie berechnen die externen Kosten für die Bereiche Lärm, Luftverschmutzung und Klima für 1995 mithilfe der in Tabelle 3 zusammengefassten externen Kosten für die drei Umwelt-Kategorien. Auf dieser Grundlage schätzen Baum, et al. (1998) die externen Kosten des Luftverkehrs beim Flughafen Köln-Bonn auf 228- Mio.DM für den Personenverkehr und 290 Mio.DM für den Frachtverkehr (Tabelle-4). Schmid, et al. (2003) analysieren in einer sehr differenzierten Studie für den Flughafen Frankfurt/ Main für 2000 die Kostenkategorien Luftschadstoffe, Lärm, Unfälle, Natur und Landschaft sowie Klima. Um die einzelnen Umwelteinflüsse vergleichen zu können, wird eine monetäre Bewertung angestrebt. Das zentrale Problem dabei besteht darin, dass die sogenannten intangiblen Güter keine Marktpreise haben. Um die Effekte dennoch zu bewerten, werden direkte oder indirekte Methoden angewendet. Die direkte Bewertung erfolgt aufgrund von Schätzungen der Zahlungsbereitschaft der Individuen aus Befragungen im Hinblick auf eine Verminderung der unterschiedlichen Schadenskategorien. Dieser „Contingent-Valuation“-Ansatz wird in empirischen Studien häufig verwendet. Dagegen wird mit Hilfe von indirekten Verfahren der Wert eines öffentlichen Gutes aus dem Marktverhalten durch einen hedonischen Preis-Ansatz ermittelt. Beispielsweise werden für die Bewertung der Lärmbelästigung der Wertverlust von Immobilien und die Mietpreisminderung als Indikatoren herangezogen. 33 Neben der Ermittlung der Gesamtkosten für die externen Effekte ist eine Analyse der marginalen externen Kosten für eine umfassende Bewertung wichtig. 34 Dies sind Kosten, die durch den Start oder die Landung eines zusätzlichen Flugzeugs entstehen. Dabei ist insbesondere die Zeit der Flugbewegung, das Abfluggewicht, die Flugroute, der Flugzeugtyp und die Triebwerkskonfigurationen zu berücksichtigen. Die empirischen Befunde zu den gesamten und marginalen externen Kosteneffekten der betrachteten Umwelteinflüsse fasst Schmid (2003), S.-168 ff. zusammen. Neuere Ergebnisse zu externen Effekten des Luftverkehrs liegen für die Schweiz vor. Lärm Luftverschmutzung Klima Gesamt DM je 1000 Pkm 8,95 13,89 25,43 48,27 DM je 1000 Tkm 44,27 40,64 129,74 244,64 Tabelle 3: Relative externe Kosten des Luftverkehrs in Deutschland 1995 Quelle: Baum, et al. (1998) Personenverkehr Güterverkehr Verkehrsleistungen 4.724 Mio. Pkm 1.185 Mio. Tkm Relative externe Kosten 48,27 DM/ 1000 Pkm 244,64 DM/ 1000 Tkm Externe Kosten 228 Mio. DM 290 Mio. DM Tabelle 4: Externe Kosten des Luftverkehrs für den Flughafen Köln-Bonn Quelle: Baum, et al. (1998), S. 163 Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 77 Luftverkehr MOBILITÄT Eine Analyse der Kostenkategorien Klima, Lärm, Luftverschmutzung, Natur und Landschaft sowie Unfall wird für die Zivilluftfahrt in der Schweiz in einer Studie des Bundesamts für Zivilluftfahrt, et al. (2011) vorgestellt. Peter, et al. (2009) berechnen die externen Kosten des Flughafens Zürich im Jahr 2008. Die Kosten wurden insgesamt auf 248 Mio. CHF geschätzt. Davon entfielen mit 201 Mio. CHF 81 % auf Klimakosten, die Kosten für Lärm betrugen 28 Mio. CHF, für Luftverschmutzung 15 Mio. und für Natur und Landschaft 4 Mio. CHF. Bei der Analyse der externen Effekte zeigt sich, dass eine Operationalisierung und vor allem eine quantitative Erfassung mit erheblichen methodischen Problemen verbunden ist, und die Qualität der verfügbaren Daten oft nicht gesichert ist. Trotz dieser Nachteile ist eine empirische Analyse der Wirkungen des Luftverkehrs auf die einzelnen Kategorien der Umwelt unabdingbar für eine umfassende Studie zum Luftverkehr und insbesondere zu den Wirkungen der Flughafenaktivitäten. Gerade für eine Bewertung von Ausbauplänen von Flughäfen kann darauf nicht verzichtet werden. Fazit und Ausblick Bei einer zunehmenden Globalisierung, bei einer dynamischen Entwicklung der Handelsbeziehungen und der weltweiten Vernetzungen der ökonomischen Entwicklungen kommt insbesondere dem Flugverkehr eine zentrale Bedeutung zu. Diese Tendenzen führen zu den Diskussionen um den Ausbau von Großflughäfen, wie Frankfurt/ Main und München, aber auch um den Bau oder Erhalt von Regionalflughäfen in Deutschland. Die politischen Entscheidungen darüber erfordern jedoch valide empirische Studien, die alle möglichen Effekte berücksichtigen müssen. Zunächst sind dabei die direkten, die indirekten und induzierten Wirkungen zu berechnen, deren Zuverlässigkeit von einer möglichst aktuellen validen Datenbasis aus Befragungen und vom Einsatz problemadäquater methodischer Ansätze, wie regionale Input-Output-Tabellen abhängig ist. Insbesondere ist jedoch auch die inhaltliche Interpretation der ökonomischen zu beachten, Substitutions- und Verlagerungseffekte zu berücksichtigen, um Überschätzungen zu vermeiden. Die Messung der katalytischen Effekte ist sowohl im Hinblick auf die verfügbaren Daten als auch auf die anzuwendenden Methoden noch komplexer. Jedoch wurden in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. 35 Die empirischen Analysen zu den externen Effekten wurden jedoch vernachlässigt. Sicherlich ist die Bestimmung der Umwelteinflüsse mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da sie nur durch eine monetäre Bewertung vergleichbar sind. Für politische Entscheidungen über den Bau bzw. Ausbau von Flughäfen sind empirische Befunde zu allen Wirkungskategorien als wissenschaftliche Grundlage gleichermaßen wichtig. Weiterhin können Szenario-Analysen dazu dienen, zukünftige Entwicklungsprozesse zumindest tendenziell abzuschätzen. Allerdings können die Entscheidungsträger den verschiedenen Einflussfaktoren in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen politischen Zielsystem andere Gewichte zuordnen und somit letztlich zu divergierenden Entscheidungen kommen. ■ 1 Vgl. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (2016) 2 Vgl. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (2016) 3 Vgl. Rürup, Reichart (2014) 4 Vgl. Rürup, Reichart (2014) 5 Vgl. ifo-Institut (2013) 6 Vgl. ifo-institut (2013), S.-12 ff. 7 Vgl. ifo-institut (2013), S.-15 8 Vgl. InterVISTAS (2015) 9 Vgl. Zak, Getzner (2014) 10 Vgl. Peter, et al. (2014, 2011) 11 Vgl. Harsche, et al. (2008) 12 Vgl. Hujer (2008) 13 Vgl. Zak, Getzner (2014) 14 Vgl. Hujer (2008), S.-40 ff. 15 Vgl. Peter, et al. (2014, 2011) 16 Peter, et al. (2014), S.-11 17 Peter, et al. (2014), S.-24 18 Vgl. Peter, et al. (2014) 19 Peter, et al. (2014), S.-31 20 Thießen (2004), S.-25 21 Vgl. Peter, et al. (2014), S.-18 22 Vgl. Hujer (2008), S.-107 23 Vgl. Booz Allen Hamilton, Prognos, Airport Research Center (2008) 24 Vgl. Harsche, et al. (2008) 25 Vgl. Harsche, et al. (2008), S.-136 ff. 26 Zak, Getzner (2014), S.-109 27 Vgl. Basler, Bulwien (2007), S.-85 28 Vgl. Basler, Bulwien (2007), S.-88 29 Vgl. Peter, et al. (2014), S.-78 30 Vgl. zur räumlichen Abgrenzung: Harsche, et al. (2008), S.-54 31 Vgl. Harsche, et al. (2008), S.-137 ff. 32 Vgl. INFRAS, IWW (1994) 33 Vgl. dazu auch die umfangreiche Studie von Getzner, Zak (2012) zur Kostenkategorie Lärm 34 Vgl. Friedrich, Bickel (2001) 35 Vgl. beispielsweise: Cooper, Smith (2005), Baum, et al. (2008), Harsche, et al. (2008), Peter, et al. (2014) LITERATUR ATAG - Air Transport Action Group (2008): The economic and social benefits of air transport 2008, Oxford. Basler, E.; Bulwien, H. (2007): Auswirkungen des Vorhabens 3. Start- und Landebahn auf Wirtschaft und Siedlung im Flughafenumland, Zürich, München. Baum, H., Esser, K., Kurte, J., Schneider, J. (2003): Standortfaktor Flughafen Frankfurt/ Main - Bedeutung für die Struktur, Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Region Rhein-Main, Frankfurt/ Main. Baum, H., Kurte, J., Schneider, A. (1998): Der volkswirtschaftliche Nutzen des Flughafens Köln-Bonn, Köln. Bogai, D.; Wesling, M. (2011): Beschäftigungseffekte von Großflughäfen - eine kritische Bestandsaufnahme. In: Jahrbuch für Regionalwissenschaften, 31, 75-91. 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Jens Hujer, Prof. Dr. Studiengangleiter Verkehrsbetriebswirtschaft und Personenverkehr, Hochschule Heilbronn jens.hujer@hs-heilbronn.de Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 78 MOBILITÄT Wissenschaft Verkehrssystemforschung am DLR - Mobil in-Deutschland 2040 Teil 2: Die Szenarien des VEU-Projekts Verkehrsszenarien, Szenariotechnik, Explorative Szenarien, Verkehrsforschung, Zukunft des Verkehrs, Verkehrsentwicklung Szenarien zukünftiger Entwicklungen des Verkehrssystems leisten einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung von Entscheidungsprozessen. Das ist auch das Ziel der DLR- Szenarien im Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt (VEU). Für die Entwicklung von Szenarien stehen verschiedene methodische Ansätze zur Verfügung. Im ersten Teil des Beitrags wurden die Vor- und Nachteile erörtert und das Vorgehen im Rahmen der VEU-Szenarien dargestellt. Der vorliegende zweite Teil des Beitrags präsentiert die Storylines der entwickelten VEU-Szenarien. Stefan Seum, Mirko Goletz, Tobias Kuhnimhof D as institutionell geförderte Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt (VEU) am Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) ist ein Projekt von zwölf Instituten der Helmholtz-Gemeinschaft [1]. Es zielt darauf ab, verschiedene zukünftige Entwicklungspfade des Verkehrssystems in Deutschland 2040 unter ökologischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten zu analysieren. Hierfür wurden denkbare Szenarien entwickelt, die im weiteren Verlauf des VEU-Projektes die Grundlage für die modellseitige Berechnungen des Verkehrs und der Wirkungen liefern. Die möglichen Entwicklungspfade des Verkehrssystems wurden in VEU mit Hilfe einer Szenario-Technik entwickelt, die explizit zum Ziel hat, die nationalen (bzw. europäischen) Stellschrauben und Handlungsoptionen für die Beeinflussung der Entwicklung des Verkehrssystems zu identifizieren (siehe Teil 1 [2]). Im vorliegenden Beitrag werden nun die beiden Szenarien „geregelter Ruck“ und „freies Spiel“ präsentiert, die neben einem Referenzszenario das Ergebnis dieses Szenario-Prozesses darstellen. Die beiden Szenarien zeigen Entwicklungen auf, die wir unter bestimmten Umständen für denkbar halten. Wir haben uns bei dem Szenario „freies Spiel“ bewusst dafür entschieden, eine Entwicklung zuzulassen, die weiterhin auf einer fossilen Ausrichtung des Verkehrssystems beruht. Unter bestimmten Umständen halten wir dies für eine mögliche Entwicklung, und einige Aspekte, etwa die Kraftstoffpreisentwicklung der letzten Jahre, deuten sogar in diese Richtung. Ziel des VEU Projektes ist es, die Konsequenzen der Szenarien für das Verkehrssystem und die Umwelt zu modellieren. Für beide Szenarien gelten dieselben Rahmenbedingungen bezüglich der Makro-Faktoren: Im Jahr 2040 leben in Deutschland 76,8 Mio. Menschen, das Brutto- Inlandsprodukt hat seit 2010 im Mittel um 1,14 % jährlich zugenommen und der Preis für ein Barrel Rohöl liegt 2040 bei 140 USD (zu Preisen von 2010). Im Hinblick auf viele andere Faktoren, die für den Verkehr der Zukunft und seine Wirkungen maßgeblich sind, unterscheiden sich die Szenarien deutlich. Die Darstellung der Szenarien erfolgt aus der Sicht des Jahres 2040 - also im Rückblick auf heute. „Geregelter Ruck“ - Das Energiewende- Gewinner-Szenario Nach einer Phase stärkerer Abgrenzung von Nationalstaaten begann in den 2020er Jahren eine Zeitperiode die von internationaler Kooperation und einer Bewe- Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 79 Wissenschaft MOBILITÄT gung hin zur stärkeren globalen „Governance“ geprägt war. Die Weltgemeinschaft, allen voran Deutschland und Europa, reagierte auf die knapper werdenden fossilen Ressourcen und richteten ihre Produktion und Konsum zunehmend an sozial-ökologischen Werten aus. In den Klimaschutzverhandlungen, die sich dem Paris-Abkommen von 2015 anschlossen, wurden weitreichende Übereinkünfte erzielt. In der Folge wurde ein globales Emissionshandels-System (ETS) eingeführt, dem sukzessive auch die Entwicklungs- und Schwellenländer beitraten und das die Sektoren internationaler Luft- und Seeverkehr einschließt. Seit nunmehr mehr als zwei Jahrzehnten dominieren die Leitmotive Ressourcenschonung, Emissionsminderung und Internalisierung von Umweltkosten die europäische und deutsche Umwelt-, Energie- und Industriepolitik. Es hat sich bestätigt, dass Wirtschaftswachstum, politische Stabilität und innere Sicherheit langfristig nur im Einklang mit Nachhaltigkeitszielen erreichbar sind. Die Reduktion von Treibhausgasen und die Unabhängigkeit von fossilen Energiequellen sind dabei zentrale Bausteine. Das Vorantreiben von innovativen Technologien hat sich zudem als Wettbewerbsvorteil erwiesen. Stark fluktuierende Strommengen waren wesentliche Impulsgeber für die Entwicklung von Puffer- und Speicherlösungen und die Integration von Energie- und Verkehrssystem. Große Innovationssprünge wurden insbesondere bei der Erzeugung von synthetischen Energieträgern aus Strom (Wasserstoff, H 2 , und Power to Liquid, PtL) sowie bei Puffer- und Speichertechnologien erreicht. Die Kosten konnten dabei durch die Umsetzung europäischer Strategien gesenkt werden. Die Bereitstellung elektrischer Energie in Deutschland und Europa basiert heute maßgeblich auf erneuerbaren Energien und der Verkehr ist in vielen Bereichen elektrifiziert. Dies hat sich als der richtig Weg gezeigt, denn dadurch fiel der Preisanstieg fossiler Energieträger, trotz Angebotsverknappung, vergleichsweise moderat aus. Neben Technologieförderung wurden Anreize umgesetzt, um die Entwicklung, die Akzeptanz und auch die Marktintegration neuer, CO 2 -armer Technologien zu fördern. So wurden in den 2020er und 2030er Jahren nationale Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität wie etwa Kaufanreize, Parkraumkonzepte und Ladeinfrastrukturen umgesetzt. Es wurden Maßnahmen ergriffen, die den Besitz und die Nutzung von energie-intensiven Fahrzeugen unattraktiv machen und beispielsweise eine konsequente CO 2 -basierte KFZ-Besteuerung eingeführt. Für die verbliebenen Verbrennungsmotoren wurden strenge Grenzwerte für Schadstoffe und Energieverbrauch erlassen. Auch die Lärmbelastung des Verkehrs hat sich aufgrund verschärfter Grenzwerte reduziert. Die Förderung einer nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur erlangte ebenfalls Priorität. Die Mittel zur Finanzierung des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs (ÖV) wurden nach 2020 stark angehoben. Gleichzeitig sind die Umweltkosten des Straßenverkehrs durch Gebühren auf dessen Nutzer umgelegt. In der Konsequenz bildet heute (2040) ein leistungsfähiges und zuverlässiges Bahnnetz das Rückgrat der Verkehrsinfrastruktur, und in den Städten ist die Infrastruktur für den Umweltverbund (Fuß-, Rad- und ÖV) exzellent. Gut vernetzt, schnell und zuverlässig sind einige Schlagworte, die für das Reisen in öffentlichen Verkehrsmitteln heute gelten. Durch eine höhere Auslastung und Maßnahmen wie Mehrwertsteuersatz-Senkungen konnte der Preis für den ÖV gegenüber dem Individualverkehr niedrig gehalten werden. Neben dem Schienengüterverkehr steht dem Ferngüterverkehr mit elektrischen Oberleitungen an allen wichtigen Autobahnen die Infrastruktur zur Elektrifizierung zur Verfügung. Bedeutsam waren auch die Impulse, aus Gründen der Lebensqualität den motorisierten Individualverkehr im Stadtraum zurückzudrängen. Hierzu wurde dem ÖV, sowie dem Fuß- und Radverkehr Vorrang eingeräumt. Straßen- und Parkräume wurden zugunsten von mehr Raum für Fußgänger und Fahrradfahrer eingeschränkt und Parkgebühren insbesondere für einpendelnde Fahrzeuge stark angehoben. Um dem Fahrrad-Boom gerecht zu werden, wurden vielerorts Fahrspuren in sogenannte Fahrrad-Highways umgebaut. Es wurde massiv in Infrastrukturen an den Knotenpunkten Fuß-Rad-ÖV investiert. Als Alternative zum privaten Individualverkehr wurden flexible Angebote wie Car-Sharing und öffentliche Leihfahrräder gefördert. Güter dürfen in Umweltzonen nur mit LKW und Lieferwagen mit alternativen Antrieben (H 2 oder elektrisch) oder mit Lastenfahrrädern transportiert werden. Die Wirkungen all dieser beschriebenen Maßnahmen und Rahmenbedingungen manifestieren sich zum Beispiel in einem gegenüber 2010 deutlich gesunkenen PKW-Bestand auf nunmehr 35 Mio. PKW (Bild 1), vor allem getrieben durch weniger Privat-PKW-Besitz insbesondere in urbanen Räumen. Zu dieser Entwicklung hat maßgeblich beigetragen, dass Regulierungen privater PKW, gepaart mit Angebotsverbesserungen im ÖV und von Sharing-Optionen gerade bei Jüngeren zu dem Verzicht auf einen eigenen PKW führte. Gleichzeitig ist ein Trend zu leichteren Fahrzeugen und kleineren Motoren zu verzeichnen. Batterie-elektrische sowie Plug-In und andere Hybridfahrzeuge machen einen großen Teil der heute neu zugelassenen Fahrzeuge aus. Die Menschen in Deutschland sind „multi-modaler“ und nutzen flexibel alle Angebote, die Ihnen zur Verfügung gestellt werden. 13,1 15,9 16,7 11,4 21,5 20,7 15,8 24,5 6,2 6,4 2,7 9,0 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0 45,0 50,0 Basisjahr 2010 Referenz 2040 geregelter Ruck 2040 freies Spiel 2040 Gesamtfahrzeugbestand VEU-Szenarien nach Hubraum-Klassen [Mio. Fahrzeuge] >=2.0l 1.4l<2.0l <1.4l Bild 1: Entwicklung des Fahrzeugbestandes und der Verteilung der Motorengrößenklassen in 2040 gegenüber 2010 in den Szenarien „Referenz“, „geregelter Ruck“ und „freies Spiel“. Datengrundlage [3]; 2040 DLR eigene Berechnungen] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 80 MOBILITÄT Wissenschaft Als Fazit kann man rückblickend feststellen, dass die Menschen in Deutschland Energie-Wende-Gewinner sind. Mit viel Tatkraft und Vorausschau wurde in den letzten Dekaden die Energie- und Verkehrswende vor dem Hintergrund drohender Ressourcenverknappung und steigender globaler Temperaturen solide umgesetzt. Der Bedarf an fossilen Ressourcen ging massiv zurück. Ein extremer Anstieg von Energiepreisen konnte verhindert werden. Heute (2040) liegt der Rohölpreis bei 140 USD pro Barrel. „Freies Spiel“ - Das Wohlfahrt-nach- Marktkräften-Szenario Global leitete sich nach 2016 eine Periode ein, wo Wettbewerb und Konkurrenz zwischen Staaten ebenso wie zwischen Ideen und Produkten dominierten. Man setzte damals auf weiterhin ausreichend verfügbare fossile Ressourcen und fokussierte sich auf Fragen nationaler Entwicklungen. Rückblickend war dies eine richtige Entscheidung, denn fossile Energieträger können weiterhin den gestiegenen globalen Bedarf decken, ohne dass es zu signifikanten Preissprüngen gekommen wäre. Die Tonne Rohöl kostet heute 140 USD pro Barrel.In den Folgeverhandlungen nach dem Klimaschutzabkommen von Paris in 2015 waren sich die Staaten uneins über Ursache und Gegenmaßnahmen zur globalen Erwärmung. Das europäische Emissionshandelssystem wurde in den 2020er Jahren eingestellt und Klimaschutzpolitiken wurden nicht weiter verschärft, um nachteilige Pfadabhängigkeiten durch einseitige Technolgieförderung zu verhindern. Die eigendynamische wirtschaftliche Entwicklung gewann in den 2020er und 2030er Jahren Priorität, zumal aufgrund der ausreichend vorhandenen fossilen Energien der bis dato geforderte Wandel zu alternativen Technologien ökonomisch hemmend wirkte. Auf europäischer Ebene sind leistungsfähige und altbewährte Strukturen der Energieversorgung gut ausgebaut. Alternative Technologien werden zwar weiterhin beforscht, eine extra Förderung erfahren sie aber heute nicht mehr. Aufgrund steigender Systemkosten bei der Integration erneuerbarer Energiequellen in das Energiesystem waren die alternativen Technologien zur Stromerzeugung im Wettbewerb unterlegen. Hinzu kam der Unmut der Bevölkerung, zusätzliche finanzielle Belastungen von Umwelttechnologien tragen zu müssen. Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland und eine solide Basis der öffentlichen Finanzen konnte so sichergestellt werden. E-Fahrzeuge und auch Brennstoffzellenfahrzeuge sind heute in einigen Nischenanwendungen (z. B. Car- Sharing in großen Städten) umgesetzt. Der Verbrennungsmotor ist aber nach wie vor der dominierende und beliebte Antrieb für die individuelle Mobilität. Die Förderprogramme der Bundesregierung zur Elektromobilität liefen in den 2020er Jahren konsequenterweise aus. Emissionsgrenzwerte wurden entsprechend auf das, was technisch machbar und finanziell tragbar ist, abgeschwächt. In den vergangenen Dekaden wurden insbesondere die Straßeninfrastruktur sowie große Flughäfen weiter ausgebaut. Dadurch ist die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur trotz zunehmenden Verkehrs voll erhalten geblieben. Seit nunmehr einigen Jahren ist auch der Giga- Liner auf den deutschen Straßen ein alltägliches Bild und hat die Transportkosten im Güterverkehr senken können. In Bezug auf den ÖV sank die Bereitschaft, unrentable Angebote langfristig aufrecht zu erhalten und zu finanzieren. Da die Schüler- und Ausbildungsverkehre mit erheblichen Folgen für Auslastung und Finanzierung des ÖPNV ebenfalls stark zurückgingen, kam es ab 2020 zu einer Konzentration auf gut ausgelastete Linien. Obwohl in Kernstädten heute ein hohes Serviceangebot des ÖV angeboten werden kann, wurden auch hier unrentable Strecken ausgedünnt oder eingestellt. Dadurch weist die Versorgung mit öffentlichem Verkehr Lücken auf, und für viele alltägliche Wege mangelt es dem ÖV leider an Zuverlässigkeit und (gefühlter) persönlicher Sicherheit. Das bevorzugte Verkehrsmittel für alltägliche Wege ist deshalb auch heute der private PKW. Der wichtigen Rolle des PKW ist städteplanerisch Rechnung getragen worden, indem der Verkehrsfluss verbessert und ausreichend Parkmöglichkeiten geschaffen wurden. Die Renaissance des Fahrrads, die bis 2020 zu beobachten war, hielt dagegen nicht weiter an, da sich das Fahrrad insbesondere bei der wachsenden Gruppe der älteren Menschen nicht weiter etablieren konnte. Hier bieten die individuelle Motorisierung sowie spezifische Mobilitätsangebote die besseren Optionen, eine Mobilität für alle zu gewährleisten. So ist zwischen 2010 und 2040 der PKW-Bestand, vor allem getrieben durch privat genutzte PKW, auf ca. 45-Mio. PKW weiter gestiegen. Treiber dieser Entwicklung waren vor allem eine zusätzliche Motorisierung in Mehrpersonenhaushalten sowie der steigende Führerschein- und PKW-Besitz auf dem Lande. Auch hat sich der Trend zu Leistungssteigerungen im PKW weiter fortgesetzt (Bild 1). Als Fazit kann man rückblickend feststellen, dass sich die Gesellschaft und ihr Wohlstand als stabil erwiesen haben und die Menschen in Deutschland ihre individuellen Bedürfnisse einschließlich der Mobilität vollumfänglich gestalten können. Die Schreckensvisionen knapper werdender fossiler Ressourcen haben sich nicht realisiert und bei moderaten Preissteigerungen (der Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 81 Wissenschaft MOBILITÄT Rohölpreis bei 140 USD pro Barrel) sind die Menschen heute so mobil wie eh und je. Ausblick Mit beiden Szenarien haben wir zwei denkbare Entwicklungen dargestellt. Im „geregelten Ruck“ ermöglichen sowohl die Umstände als auch der politische Wille eine Transformation des Verkehrssystems. Im „freien Spiel“ verhindern die Umstände eine Transformation und es fehlt der politische Wille, die Umstände entsprechend zu beeinflussen. Aus heutiger Sicht erscheinen beide Szenarien denkbar. Dies liegt zum Beispiel daran, dass nach wie vor große Unsicherheit über die Vorkommen fossiler Brennstoffe sowie die zukünftige Bereitschaft, diese auch unter ökologisch zweifelhaften Rahmenbedingungen zu fördern, herrscht. In der Folge ist die Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe sehr ungewiss, was maßgeblich dazu beiträgt, dass die beiden dargestellten, sehr unterschiedlichen Verkehrsszenarien denkbar erscheinen. Die Szenarien bilden nun die Basis für die Identifikation und die Setzung von Eingangsparametern für nachgelagerte Modellierungsschritte. In einem umfassenden Netzwerk von Modellen werden die beteiligten Institute in den kommenden Monaten die Wirkungen der Entwicklungen analysieren und damit die Konsequenzen für das Verkehrssystem und die Umwelt aufzeigen. Im Zentrum steht die Verkehrsentwicklung selber - einschließlich Verkehrsnachfrageentwicklung, Verkehrsmittelwahl, Technologieentwicklung sowie den Konsequenzen für Lärm, Luftqualität und das globale Klima. ■ REFERENZEN [1] Seum et al. (2016): The DLR Transport and the Environement Project - building competency for a sustainable future. In: Sausen, R.; Unterstasser, S.; Blum, A.: Proceedings of the 4th International Conference on Transport, Atmosphere and Climate (TAC-4), DLR Forschungsberichte 2015-38, S. 192-198 [2] Verkehrssystemforschung am DLR - Mobil in Deutschland 2040. Teil 1: Der methodische Szenario-Ansatz im Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt. In: Internationales Verkehrswesen (69) 2017, Heft 1, S. 60-63 [3] HBEFA, handbook emission factors for road transport, Version 3.2, www.hbefa.net Mirko Goletz Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin mirko.goletz@dlr.de Stefan Seum Projektleiter Verkehrsentwicklung und Umwelt, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin stefan.seum@dlr.de Tobias Kuhnimhof, Dr.-Ing. Abteilungsleiter Personenverkehr Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin tobias.kuhnimhof@dlr.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Die Kernpunkte des Peer Review-Verfahrens: • Angenommene Manuskripte gehen an jeweils zwei Gutachter der entsprechenden Fachrichtung anonymisiert zur Begutachtung. • Gutachter nehmen ihre Begutachtung anhand eines standardisierten Bewertungsbogens vor, kommentieren die Bewertung schriftlich und empfehlen danach die uneingeschränkte Annahme zur Veröffentlichung, die Überarbeitung in bestimmten Punkten oder die Ablehnung. • Die Redaktionsleitung teilt den Autoren die Entscheidung der Gutachter umgehend mit, bei Bedarf zusammen mit den Überarbeitungsauflagen. Die Gutachten selbst werden nicht an die Autoren weitergeleitet - die Gutachter bleiben also für die Autoren anonym (double blind). Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 89 889518.73 eberhard.buhl@trialog.de Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 82 NGT CARGO - Schienengüterverkehr der Zukunft Güterverkehr, Einzelwagenverkehr, autonom, Zukunft, Schiene Trotz unbestrittener Vorteile und vielfacher Anstrengungen steigt der Anteil des Schienengüterverkehrs (SGV) am Modal-Split innerhalb der Europäischen Union (EU) momentan nicht. Eine von der EU beabsichtigte Güterverkehrsverlagerung von der Straße auf andere Verkehrsträger, hauptsächlich auf die Schiene, findet nicht statt. Vor diesem Hintergrund entwickelt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) mit dem NGT CARGO-Triebwagenzug als zentralem Forschungsobjekt ein ganzheitliches Logistikkonzept mit dem Ziel, den Anteil der Schiene am Güterverkehr in der EU deutlich zu erhöhen. Joachim Winter, Mathias Böhm, Gregor Malzacher, David Krüger B is zum Jahre 2030 ist mit einer Erhöhung der Gesamtgüterverkehrsleistung in der Bundesrepublik Deutschland um 38 % zu rechnen [1]. Gemeinsam mit der ebenfalls prognostizierten Zunahme der Personenverkehrsleistung ist im Rahmen dieser Entwicklung auch von einer Erhöhung des Schadstoffausstoßes und der Ressourcenbeanspruchung durch den Verkehr auszugehen. Um bei weiterhin gegebener Wettbewerbsfähigkeit dem Fortschreiten dieser Entwicklungstendenz entgegenzuwirken, formulierte die EU-Kommission im Jahr 2011 im Weißbuch „Verkehr“ zehn Entwicklungsziele für den Verkehrssektor für die Jahre 2030 und 2050 [2]. Einen zentralen Punkt stellt dabei die Verlagerung von 30 % der Straßengüterverkehrsleistung über 300-km bis 2030 und 50 % bis 2050 auf andere Verkehrsträger, hauptsächlich auf die Schiene, dar. Der Anteil des Schienenverkehrs am Modal-Split der Güterverkehrsleistung soll damit deutlich erhöht werden. Aktuelle Statistiken [3] zeigen jedoch, dass sich dieser Bahnanteil in den letzten Jahren nicht maßgeblich verändert hat. Bisherige EU-Programme mit dem Ziel, den Güterverkehr von der Straße auf andere Verkehrsträger - insbesondere auf die Schiene - zu verlagern, haben diese Zielsetzung nicht erreicht [4]. Bei einem weiteren Fortschreiten der aktuellen Entwicklungstendenzen werden die Ziele des Weißbuches Verkehr im Bereich des Schienengüterverkehrs (SGV) weder im Jahr 2030 noch im Jahr 2050 erfüllt werden [5, 6]. Um diese Entwicklung umzukehren und im Wettbewerb mit den anderen Verkehrsträgern erfolgreich bestehen zu können, sind innovative Logistik-, Produktions- und Fahrzeugkonzepte für den SGV notwendig. Im Rahmen des Projektes Next Generation Train (NGT) [7] entwickeln die Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) mit dem Fahrzeug NGT CARGO als zentralem Forschungsobjekt ein innovatives Gesamtkonzept zur Steigerung der Attraktivität im SGV. Das DLR erforscht im Bereich Verkehr zukunftsweisende Zugkonzepte. Die Hauptziele sind hierbei die Verkürzung der Reise- und Transportzeiten bei geringem spezifischen Energiebedarf, Lärmreduktion, Komfortsteigerung, Verbesserung der Fahrsicherheit sowie Verringerung des Verschleißes und der Lebenszykluskosten. In diesem Rahmen wurde bereits ein Betriebskonzept für zwei Züge der NGT-Familie entwickelt. Der Hochgeschwindigkeits-Triebwagenzug (NGT HST) verkehrt mit Fahrplan-Geschwindigkeiten bis 400 km/ h auf Hochgeschwindigkeits-Hauptstrecken, ergänzt durch einen bis zu 230 km/ h schnellen Intercity-Triebwagenzug (NGT LINK), der die Fahrgäste aus dem Umland an die Knotenbahnhöfe der Hochgeschwindigkeitsstrecke des HST befördert. Aktueller Stand im Schienengüterverkehr Aktuell werden innerhalb der EU lediglich 10,8 % des zwischenstaatlichen und 17,2 % der Binnengüterverkehrs-Leistung auf der Schiene erbracht [3]. Wird die Entwicklung des Anteiles des SGV an der Gesamtgüterverkehrsleistung innerhalb und zwischen Alle Abbildungen: Autoren/ DLR TECHNOLOGIE Schienengüterverkehr Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 83 Schienengüterverkehr TECHNOLOGIE den aktuell 28 Mitgliedsstaaten der EU betrachtet, so ist zu konstatieren, dass sich dieser Anteil seit 2000 nicht erhöht hat (Bild 1), obwohl die gesamte Gütertransportleistung stetig steigt. Trotz einer deutlichen Zunahme der Gesamtgüterverkehrsleistung von 7,3 % im internationalen und 9,9 % im Binnenverkehr konnte keine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene beobachtet werden. Wird die auf der Schiene erbrachte Güterverkehrsleistung in die Produktionsgruppen Ganzzugverkehr, inklusive kombiniertem Verkehr (KV) und Einzelwagenverkehr (EWV) differenziert, so ist zu erkennen, dass der Anteil des EWV an der gesamten SGV- Leistung - über die letzten Jahre betrachtet - kontinuierlich abnimmt (Bild-2). Die Abnahme der Güterverkehrsleistung im EWV steht damit im Zusammenhang, dass in den vergangenen Jahren in Europa ca. 35 % aller Rangierbahnhöfe sowie eine Vielzahl privater Gleisanschlüsse stillgelegt wurden [8]. Betrachtet man die Anteile des EWV an der gesamten SGV-Leistung einzelner europäischer Länder, so ergibt sich allerdings ein inhomogenes Bild. Die Spannweite reicht von Ländern wie Dänemark oder Spanien, in denen der EWV komplett eingestellt wurde, bis zu Ländern wie Deutschland oder Tschechien, in denen der EWV einen Anteil von bis zu 45 % an der gesamten SGV-Leistung besitzt. Kennzeichnend für den EWV ist ein aufwendiger Prozessablauf. Besonders die Zugbildung und -trennung sowie die Abholung und Zustellung der einzelnen Wagen stellen ressourcen- und zeitintensive Prozesse dar, welche 30 bis 40 % der Gesamtkosten verursachen. Für diese Prozesse müssen permanent Personal und Fahrzeuge vorgehalten werden, deren Produktivität jedoch nur 30-bis 55 % beträgt [9]. Im Verlauf eines einzelnen Transportvorganges kann es vorkommen, dass eine Vielzahl an Kupplungsvorgänge durchgeführt werden muss. Das Kuppeln erfolgt in weiten Teilen Europas manuell. Die häufigen Kuppelvorgänge führen u.a. zu langen Stillstandszeiten der Einzelwagen, welche in einer durchschnittlichen Systemgeschwindigkeit von 18 km/ h im EWV resultieren [10]. Verbunden mit dieser Geschwindigkeit können in Deutschland zwischen Abholung eines Einzelwagens beim Versender und seiner Zustellung bis zu 36 Stunden vergehen [11]. Herausforderungen für den Schienengüterverkehr Bei einem weiteren Fortschreiten der aktuellen Entwicklungstendenzen wird das Wachstum der verkehrsträgerübergreifenden Güterverkehrsleistung innerhalb Europas hauptsächlich durch den vermehrten und häufigeren Transport kleinteiliger Sendungen, zum Großteil Konsumgüter, generiert. In traditionell bahntypischen Bereichen, wie beispielsweise dem Montanverkehr, ist nur ein sehr geringes Wachstum zu erwarten [12]. Es ist zu konstatieren, dass das Wachstum im Güterverkehr in Bereichen stattfindet, welche von der Eisenbahn hauptsächlich durch den EWV abgedeckt werden. Wie bereits beschrieben, verläuft die Entwicklung des europäischen EWV konträr zu dieser Entwicklung. Trotz Vorteilen wie beispielsweise einer hohen Leistungsfähigkeit, einer hohen Energieeffizienz, geringen betriebswirtschaftlichen Kosten und niedrigen externen Kosten [13], welche der SGV bieten kann, ist eine Umkehrung dieser Tendenz zum augenblicklichen Zeitpunkt nicht zu erkennen [14]. Für die meisten Akteure im SGV ist der Transportpreis das entscheidende Kriterium, um im intermodalen Wettbewerb bestehen zu können. Diese Tatsache führt dazu, dass Innovationen in diesem Bereich für alle Transportmittel vorrangig auf die Reduzierung der Produktionskosten existierender Systeme zielen [15]. Die Kosten für Neuerungen müssen aus dem laufenden Betrieb erwirtschaftet werden. Vor diesem Hintergrund werden im SGV-Bereich trotz vorhandenem Innovationspotential meist nur technische Neuerungen, welche mit minimalem Kapitaleinsatz zu einer zeitnahen Reduzierung der Kosten führen, implementiert und beschränken sich häufig auf Detailoptimierungen bestehender Systeme. Im Eisenbahnbereich erfordert die breite Einführung neuer technischer Innovationen jedoch oft einen hohen initialen Kapitaleinsatz, während die monetären Vorteile dieser Lösungen häufig erst über einen längeren Zeitraum quantifizierbar werden. Dies erfordert eine langfristige und nachhaltige Strategie, welche sich mit einer primär kostenfixierten Sichtweise nur schwer umsetzen lässt, ohne die momentane Wettbewerbsfähigkeit zu verringern. Deswegen werden technisch ausgereifte Innovationen, trotz unbestrittener Vorteile, nicht flächendeckend implementiert. Diese Kausalität führt zu einem selbsthemmenden System, in dem Innovationen nur schwer entwickelt und zur breiten Anwendung gebracht werden können. Dadurch wird die Zukunftsfähigkeit und perspektivische Wettbewerbsfähigkeit des SGV in den kommenden Jahren weiter reduziert. Eine Vorbereitung auf kommende Herausforderungen, wie beispielsweise die Integration des SGV in die Industrie 4.0 wird dadurch deutlich erschwert. Vor diesem Hintergrund muss evaluiert werden, in welchen Bereichen des SGV 42,4% 41,0% 39,6% 39,8% 36,7% 37,1% 36,5% 57,6% 59,0% 60,4% 60,2% 63,3% 62,9% 63,5% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Einzelwagenverkehr Ganzzugverkehr internationaler GV 0 5 10 15 20 25 30 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 Anteil am Modal-Split der Güterverkehrsleistung [%] binnen GV internationaler GV Bild 1: Anteil der Schiene an der Gesamtgüterverkehrsleitung innerhalb der EU 28 [3] Bild 2: Schienengüterverkehr nach Produktionsarten Quelle: Eurostat, Daten für D, LT, PL, RO, SK, SI, FI, SE und CH. Werte für 2009 interpoliert Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 84 TECHNOLOGIE Schienengüterverkehr Handlungsbedarf besteht, um die Marktposition des SGV zukünftig ausbauen zu können und die daraus abgeleiteten Neuerungen umzusetzen. Wie bereits dargelegt, ist ein Großteil des Wachstums im Gesamtgüterverkehr in einem Bereich zu erwarten, der von der Bahn durch den EWV abgedeckt wird. Aus diesem Grund ist der Fokus für einen wachstumsorientierten SGV auf eine Verbesserung und Optimierung dieser Produktionsmethode zu legen. Basierend auf dem Anforderungsprofil und den Kundenwünschen für dieses Marktsegment muss evaluiert werden, wie die Bahn ihre Stärken nutzen kann und welche Schwachstellen der EWV aufweist. Aus den Schwächen werden Innovationsfelder abgeleitet, in denen Handlungsbedarf besteht. Beispielsweise konnten bereits im Forschungsvorhaben SPIDER PLUS der EU [16] konkrete Zielsetzungen identifiziert werden, deren Umsetzung die Zukunftsfähigkeit des SGV auch im Jahr 2050 gewährleisten soll. Als Schlüsselelemente konnten dabei eine Automatisierung des kompletten Produktionsprozesses sowie die Entwicklung von lärmarmem und leichtbauoptimiertem Rollmaterial identifiziert werden. Aus der Sicht vieler Kunden weist der momentane EWV im Vergleich zu seinen Konkurrenten, hauptsächlich gegenüber dem Gütertransport auf der Straße, vor allem in den Punkten Flexibilität, Laufzeit, Kosten, Lärmemission, Pünktlichkeit sowie der Möglichkeit zur Sendungsverfolgung Nachteile auf [17, 18]. Hauptqualitätsmerkmal für die Kunden stellt neben der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit vor allem die Flexibilität des Transportmittels dar. Im heutigen Produktionsprozess ist ein Vorlauf von mindestens fünf Tagen zwischen Bestellung und Transport im EWV üblich. Der starre Betriebsablauf im Eisenbahnwesen erfordert diesen langen Vorlauf, um die benötigten Ressourcen an Personal und Material sowie die benötigten Trassen fristgerecht zur Verfügung stellen zu können. Der aus Kundensicht nur schwer im Vorfeld planbare Transportbedarf erfordert aktuell vom SGV-Unternehmen die Vorhaltung der benötigten Ressourcen, welche ihre potentiell mögliche Produktivität nur begrenzt ausnutzen können (Ausnutzungsgrad 30 bis 55 %) [9]. Dieser Betriebsablauf steht im Gegensatz zu dem vom Markt geforderten häufigen Transport kleinteiliger, im Transportvolumen stark schwankender, Sendungen. Häufig kann der tatsächliche benötigte Transportbedarf nicht fünf Tage im Voraus abgeschätzt werden. Weiterhin verringert der betriebliche Ablauf die Produktivität des EWV. Die Zusammenstellung und Auflösung der gesamten Zugverbände geschieht zeit- und personalintensiv heute überwiegend manuell. Aus den oben geschilderten Umständen lassen sich zwei Handlungsfelder ableiten. Zu einem sollte der Betriebsablauf im EWV weitestgehend automatisiert werden zum anderen darauf aufbauend die Flexibilität des EWV erhöht werden. Dadurch entsteht ein Mehrwert der Dienstleitung EWV, welcher die Wettbewerbsfähigkeit und die Akzeptanz deutlich steigern kann und damit die Verlagerungsstrategie der EU aktiv unterstützt. NGT CARGO-Zugkonzept Um die oben genannten Handlungsfelder zu bedienen, entwickeln die Wissenschaftler am DLR mit dem NGT CARGO den Güterzug der nächsten Generation. Der NGT CARGO soll als neuartiges Gesamtkonzept zur Steigerung der Attraktivität im SGV beitragen, indem er durch einen hohen Automatisierungsgrad die Flexibilität und durch eine intelligente Abfertigung und höhere Geschwindigkeiten die Kapazität des SGV- Systems erhöht. Die automatisch fahrenden NGT CARGO-Züge werden je nach Bedarf aus CARGO-Einzelwagen und leistungsstarken Triebköpfen zusammengestellt. Die CARGO-Einzelwagen verfügen über einen eigenen Antrieb mit geringerer Leistung sowie einen fahrzeugseitigen Basis-Energiespeicher. Dieser Energiespeicher ermöglicht einen energieautarken Betrieb der Einzelwagen mit einer Basis-Reichweite, welche für die meisten Anforderungen ausreichend ist. Sollte es erforderlich sein, die Reichweite eines Einzelwagens zu erhöhen, können zusätzliche Energiespeicher modular ergänzt werden. Dadurch sind sie in der Lage, autonom und autark, einzeln oder als CARGO- Einzelwagen-Verband, Gleisanschlüsse zu bedienen (Bild 3). Die Zugbildung und Trennung erfolgt dabei autonom ohne den Einsatz von Rangierlokomotiven und -personal. Die CAR- GO-Einzelwagen und Triebköpfe sind untereinander mit automatischen Kupplungen verbunden. Jeder CARGO-Einzelwagen ist mit einer Ortungssensorik ausgestattet und kann so jederzeit lokalisiert werden. Dem Kunden stehen damit exakte Angaben zum aktuellen Status und zur zu erwartenden Ankunftszeit seiner Lieferung zur Verfügung. Kommt es zu Abweichungen, beispielsweise durch einen gestörten Betriebsablauf, werden diese umgehend an den Kunden kommuniziert. Für den Betrieb im Hochgeschwindigkeitsbereich wird ein CARGO-Einzelwagen- Verband, in Abhängigkeit der erforderlichen Zusatzleistung, mit ein bis zwei Triebköpfen zu einem vollständigen CARGO- Triebwagenzug zusammengestellt (Titelbild, Bild 4). Die Triebköpfe stellen die zusätzliche Traktionsleistung zur Verfügung, welche für den Hochgeschwindigkeitsverkehr notwendig ist. Die Anzahl der CARGO-Einzelwagen und Triebköpfe kann je nach Kundenanforderung unter Anpassung der Höchstgeschwindigkeit variiert werden, wobei sich der NGT CARGO in der schnellsten Konfiguration betrieblich mit dem Personenzug NGT HST (400 km/ h) kombinie- Bild 3: NGT CARGO-Einzelwagen und Belademodul für den Nahbereich Bild 4: NGT CARGO-Triebwagenzug (Triebkopf und Einzelwagen) Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 85 Schienengüterverkehr TECHNOLOGIE ren lässt. In der Konfiguration als Triebwagenzug ist auch der Einsatz des NGT CAR- GO im interkontinentalen Güterverkehr zwischen Europa und Asien angedacht und möglich. Über eine fernwirkende Kupplung können mehrere NGT CARGO-Triebwagenzüge ohne mechanische Verbindung virtuell miteinander gekuppelt werden. Die Fahrzeuge befinden sich dabei in einem definierten Abstand, der fahrdynamisch über die aufeinander abgestimmte Regelung der Antriebs- und Bremsanlage realisiert wird. Virtuell gekoppelte Triebwagenzüge sind betrieblich als eine Zugeinheit zu sehen. Die Kupplung mit den anderen Zügen der NGT- Familie (NGT HST und NGT LINK) ist ebenfalls vorgesehen. Zusätzlich wird dadurch ein dynamisches Flügeln ermöglicht. Das bedeutet, dass die Triebwagenzüge als Ganzes während der Fahrt infolge der Verwendung der fernwirkenden Kupplung gestärkt oder geschwächt werden können. Diese virtuelle Kupplung der Personen- und Gütertriebzüge macht es zum einen möglich die vorhandenen Streckenkapazitäten optimal zu nutzen und erhöht zum anderen die betriebliche Flexibilität des NGT CAR- GO. Der NGT CARGO kombiniert eine flexible Feinverteilung im EWV mit geringem personellem Aufwand und kurzen Transportzeiten. An offenen Gleisanschlüssen und in zentralisierten Logistikzentren werden diverse Ladungsträger automatisch be- und entladen. Mit dem NGT CARGO werden auch kleine Mengen hochwertiger oder eilbedürftiger Güter bedarfsgerecht, schnell und zu angemessenen Kosten transportiert. Zusammenfassung und Ausblick Das Konzept des NGT CARGO zeigt, wie der Güterverkehr der Zukunft aussehen kann. Mit dem NGT CARGO-Triebwagenzug und dessen autonom fahrbaren Einzelwagen wird ein ganzheitliches Logistikkonzept mit einer geschlossenen intermodalen Transportkette von Tür zu Tür für den Güterverkehr der Zukunft entwickelt. Basierend auf dem Marktsegment mit den größten Wachstumschancen, dem EWV, wird ein Konzept für einen flexiblen, bedarfsgerechten, schnellen und variablen SGV entwickelt, welches für unterschiedliche Transportaufgaben geeignet ist. Neben einer Reduzierung der Kosten, hauptsächlich durch die eine weitestgehende Automatisierung des Transportprozesses, erfüllt dieses Konzept vor allem den Kundenwunsch nach einem flexiblen und ressourcenschonenden Gütertransportmittel. Das Gesamtkonzept NGT CARGO soll zur Steigerung der Attraktivität des SGV beitragen. Im Spannungsfeld zwischen Innovation und Wirtschaftlichkeit wird ein Güterverkehrssystem konzipiert, dass dabei helfen kann, das ambitionierte Ziel der EU, eine Verlagerung von 30 % des Straßengüterverkehrs über 300 km auf andere Verkehrsträger bis zum Jahre 2030 und von 50 % bis zum Jahre 2050 zu erreichen. Dieser Artikel gibt eine erste Übersicht über das grundlegende Konzept des NGT CARGO. Die Details der einzelnen Teilaspekte dieses Konzeptes (wie beispielsweise das detaillierte Logistik- und Betriebskonzept) sowie die Fahrzeugarchitektur, Konstruktion und das Antriebskonzept werden in weiteren Schritten erarbeitet. ■ LITERATUR [1] Schubert, M.: Verkehrsverflechtungsprognose 2030 - Schlussbericht, 2014 [2] Europäische Kommission: Weißbuch - Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem, Brüssel, 2011 [3] European Commission: EU transport in figures - Statistical Pocketbook 2016, Luxemburg, 2016 [4] Europäischer Rechnungshof: Waren die Marco-Polo-Programme im Hinblick auf die Verkehrsverlagerung von der Straße auf andere Verkehrsträger wirksam? , Sonderbericht, Luxemburg , 2013 [5] CER: Rail freight status report 2013 - Rail freight after a decade of EU rail policy, Brüssel, 2013 [6] Europäischer Rechnungshof: Der Schienengüterverkehr in der EU: noch nicht auf dem richtigen Kurs, Sonderbericht, Luxemburg, 2016 [7] Winter, J. 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In: Eisenbahntechnische Rundschau, 5 (2014), S. 10-15 Mathias Böhm, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Fahrzeugkonzepte, Forschungsfeld Technologiebewertung und Systemanalyse, Berlin mathias.boehm@dlr.de Gregor Malzacher, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Fahrzeugkonzepte, Forschungsfeld Fahrzeugarchitekturen und Leichtbaukonzepte, Stuttgart gregor.malzacher@dlr.de Joachim Winter, Dr.-Ing. Projektleiter Next Generation Train (NGT), Institut für Fahrzeugkonzepte, Stuttgart joachim.winter@dlr.de David Krüger, B. Eng. (McGill University) Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Fahrzeugkonzepte, Forschungsfeld Fahrzeugarchitekturen und Leichtbaukonzepte, Stuttgart david.krueger@dlr.de Bild 4: NGT CARGO-Triebwagenzug (Triebkopf und Einzelwagen) Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 86 Digitale Lösungen für den-Schienengüterverkehr von morgen VTG AG vernetzt ihre gesamte europäische Waggonflotte Digitalisierung, Telematik, Geofencing, Energy Harvesting Die VTG führt einen neuen digitalen Dienst ein: Der Marktführer für Waggonvermietung und Schienenlogistik in Europa bietet seinen Kunden künftig für alle Wagen Standort- und Ereignisdaten, die Instandhaltungs- und Logistikprozesse schneller, reibungsloser und effizienter machen. Grundlage für den Dienst bildet ein Telematiksystem, das in den kommenden vier Jahren die gesamte europäische VTG-Wagenflotte vernetzen soll. Niko Davids D ie Digitalisierung ist einer der wichtigsten globalen Trends unserer Zeit und Grundlage für einen enormen technologischen Wandel. Sie hat in vielen Branchen zu disruptiven Veränderungen geführt und komplett neue Geschäftsmodelle hervorgebracht - oder bestehende obsolet gemacht. Auch in der Logistik wird die digitale Transformation weitreichende Auswirkungen haben. Das zeigen die Versuche, die LKW- Hersteller im Bereich des Straßengüterverkehrs momentan unternehmen. So laufen Experimente zum sogenannten Platooning, also dem Fahren in einer vernetzten Kolonne, oder mit fahrerlosen LKW. Neben den etablierten Playern drängen seit einigen Jahren Start-Ups mit innovativen Angeboten auf den Markt, um die Logistik zu digitalisieren. Das Digitalisierungs-Potenzial ist besonders im Schienengüterverkehr groß, denn dort sind zum Teil noch jahrzehntealte Technologien zum Einsatz, darunter mechanische Kupplungen oder die analoge Dokumentation von Prozessen. Digitalisierung ist der entscheidende Schlüssel, um die Zukunftsfähigkeit der Schiene im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern zu sichern und ihre Vorteile im Sinne der Gesell- Foto: VTG TECHNOLOGIE Vernetzung Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 87 Vernetzung TECHNOLOGIE schaft zu nutzen. Und die systemimmanenten Vorteile der Schiene sind beachtlich: So spart der Güterverkehr auf der Schiene im Vergleich zur Straße 80 % CO 2 -Emissionen pro Tonne und Kilometer. Zugleich entspricht das Ladevolumen eines einzigen Güterzugs dem von rund 30 bis 40 LKW - eine spürbare Entlastung für die Straßen. Den Waggons kommt bei der Digitalisierung eine zentrale Bedeutung zu: Sie sind integraler Bestandteil des Schienengüterverkehrs, und spätestens bei internationalen Transporten stellen sie die einzige Konstante im gesamten Prozess dar, während Infrastruktur und Traktion regelmäßig Systembrüchen unterliegen. Als erstes Unternehmen der Branche führt nun die VTG als Marktführer für Waggonvermietung in Europa flächendeckend den digitalen Güterwagen ein. Auf Grundlage einer Telematiktechnologie, die die gesamte europäische Flotte vernetzt, bietet das Unternehmen künftig den neuen Dienst VTG-Connect an. VTG-Connect: Intelligente Funktionen für mehr Effizienz in der Transportkette VTG-Connect bietet eine Reihe prozessoptimierender Funktionen und bringt mehr Transparenz in die Supply-Chain. Mithilfe einer Telematik-Box, dem VTG-Connector, können Nutzer auf Echtzeitinformationen der Waggons zugreifen und zum Beispiel jederzeit die aktuelle Position ihrer Wagen verfolgen. Damit lassen sich Ankunftszeiten und mögliche Verzögerungen exakt überwachen und vorhersagen. Der gesamte Streckenverlauf kann für jedes beliebige Zeitintervall abgefragt werden (Bild 1). Beim sogenannten Geofencing definieren Kunden individuelle geografische Zonen wie zum Beispiel Landesgrenzen oder Hafengebiete. Bei Wechsel der Wagen in eine andere Zone erhält der Anwender eine entsprechende Meldung, um zum Beispiel operative Vorbereitungen für das Be- oder Entladen treffen zu können oder Prozesse wie die Rechnungserstellung auszulösen. Eine Reihe von Alarmfunktionen informiert zudem umgehend bei bestimmten Transportereignissen wie Schockstößen oder längerem Stillstand. Anwender haben damit die Möglichkeit, Informationen zu Umläufen, Nutzungsintensität und Laufleistung auszuwerten und diese Kennzahlen zu nutzen, um die Wagendisposition zu optimieren und damit die Produktivität zu erhöhen sowie gleichzeitig Stillstands- und Umlaufzeiten zu verringern. VTG-Connect legt auch die Basis für eine vorausschauende Instandhaltung: Die Informationen zur genauen Laufleistung der Wagen können in Zukunft bei der Planung von Wartungsintervallen berücksichtigt werden, um diese dann anzusetzen, wenn sie tatsächlich erforderlich sind. VTG-Connector: Hardware-Grundlage für den neuen Dienst Die komplette Waggonflotte in Europa wird in den kommenden vier Jahren mit dem VTG-Connector ausgestattet - der Hardware, die den neuen Dienst ermöglicht. Die rund 30 x 9 x 5 cm große Box, entwickelt in Zusammenarbeit mit der Nexiot AG als Spin-off der ETH Zürich, ist nach IP67- Standard zertifiziert. Demnach ist das Gerät staubdicht und spritzwassergeschützt, so dass zum Beispiel Regen oder die Wagenreinigung keine Probleme verursachen. Stoß- und Schocksensoren zeichnen Erschütterungen im Bereich von +16 bis -16 g auf, ein weiterer Sensor erfasst die Umgebungstemperatur. Der VTG-Connector hat einen Temperatur-Betriebsbereich von -40 bis +85 °C. Bei tieferen Temperaturen wird die Funktion vorübergehend eingeschränkt, das Gerät nimmt aber keinen Schaden. Energy Harvesting für häufigere Taktung - und genauere Positionsbestimmung Zur Energiegewinnung verfügt der VTG- Connector über eine Solarzelle und ist damit für den autonomen Betrieb ausgerüstet. Nach dem Prinzip des Energy Harvesting erzeugt das Solarpanel genügend Energie, um einen leistungsstarken integrierten Lithium-Ionen-Akku zu laden. Sowohl das Erfassen der Position mithilfe des GPS-Empfängers als auch das Senden der Daten ist so deutlich häufiger möglich als bei bisherigen Diensten - im Zehn-Minuten-Intervall. Ist die Solarzelle verschmutzt oder defekt, hält der Akku bei leicht reduzierter Sendehäufigkeit noch mehrere Monate, sodass ausreichend Zeit für einen Reparatureinsatz verbleibt. Auch die dunkle Winterzeit in Nordeuropa ist dadurch überbrückbar. Positionsbestimmung per Satellit, Datenübertragung per Funk Die Positionsbestimmung erfolgt nicht nur per GPS, sondern auch mithilfe der Satellitensysteme Glonass und Galileo. Durch diese Kompatibilität ist der VTG-Connector optimal auf alle Ortungsaufgaben eingestellt. Steht kein Satellitensignal zur Verfügung, ermittelt das Gerät anhand der bekannten Standorte von Mobilfunkmasten eine ungefähre Position, die der exakten Lokalisierung nahe kommt. Die Genauigkeit ist dabei abhängig vom Abstand der Mobilfunkmasten zueinander. VTG-Connect umfasst eine Daten-Flatrate für alle europäischen Länder, mit der die Übertragung per GSM ermöglicht wird. Die Verbindung zu externen Geräten oder Sensoren stellt der VTG-Connector per Funk über WPAN IEEE 802.15.4 im 2,4-GHz-Frequenzband her. Über Funk besteht künftig auch die Möglichkeit, weitere Module anzubinden. Denkbar sind beispielsweise ein externer Sensor für die Temperaturüberwachung von Ladegütern oder ein Verschluss-Schalter. Der genannte Funkstandard ist ein unter Telematik-Herstellern im Rahmen der Industrieplattform Telematik und Sensorik im Schienengüterverkehr (ITSS) festgelegter Standard zur Kommunikation zwischen Sensoren und Telematik-Geräten, an dessen Entwicklung die VTG beteiligt ist. Der Vorteil: Sensoren eines Herstellers sollen mit Telematik-Geräten anderer Hersteller über Bild 1: Funktionsweise des Telematiksystems VTG-Connect Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 88 TECHNOLOGIE Vernetzung diesen Standard kommunizieren können, sodass zum Beispiel Nachrüstung und Austausch mit zugelassenen Sensoren jederzeit möglich sind. Darüber hinaus werden im Zuge der Telematik-Ausrüstung für die einfache Identifizierung der Wagen im Feld auch alle Waggons der europäischen Flotte mit QR-Code-Aufklebern und NFC-Chips ausgestattet. Die werden beispielsweise von kundenspezifischen Apps für Smartphones oder Tablets genutzt. Alle Daten des Dienstes laufen im Online-Portal der VTG zusammen und werden in Dashboards aufbereitet, sodass die relevanten Informationen schnell und übersichtlich verfügbar sind. Darüber hinaus ist eine Anbindung an kundeneigene Systeme möglich. Die gewonnenen Daten werden dabei ausschließlich verschlüsselt übertragen, Auswertung und Verarbeitung erfolgen nach höchsten Sicherheitsstandards in einem deutschen Rechenzentrum. Digitalisierung als Grundlage für die Zukunft der Schienenlogistik Der VTG-Connector bietet in der Grundausstattung alle zentralen Funktionen, die für Wagennutzer von Interesse sind. Sollten Kunden darüber hinaus Informationen zu einzelnen Parametern wünschen, kann die Basisversion durch zusätzliche Hardware- Lösungen erweitert und so an individuelle Nutzerbedürfnisse und konkrete Use-Cases angepasst werden. Denkbar ist zum Beispiel eine exakte Verwiegung von Waggons, die etwa für Holztransporte angefragt wird. Durch die Fokussierung auf die wichtigsten Funktionen lässt sich die Basisversion des Dienstes zu einem sehr attraktiven Preis anbieten. Das ist entscheidend für ein möglichst schneller Roll-out. In den kommenden vier Jahren werden die Wagen nicht nur im Rahmen regulärer Wartung und Instandhaltung dafür ausgerüstet, sondern auch durch gezielte Montage-Aktionen an einzelnen Knotenpunkten. Denn nur durch die flächendeckende Einführung des Dienstes und der entsprechend umfassenden Erhebung der Daten können Supply Chains und Instandhaltungssysteme nachhaltig verändert und verbessert werden. Dafür ist es wichtig, die gewonnenen Daten sinnvoll in den Logistikprozess der Kunden zu integrieren und nutzbar zu machen. VTG arbeitet in dem Zusammenhang mit verschiedenen Partnern an innovativen Lösungen, die in Zukunft neue Workflows ermöglichen könnten - zum Beispiel Augmented Reality-Anwendungen oder ein digitales Touch-Table, mit dem die Disposition einfacher und übersichtlicher wird. Mit VTG-Connect legt das Unternehmen also einen Grundstein für die Digitalisierung der Schienenlogistik. ■ NACHGEFRAGT Fünf Fragen an … Sven Wellbrock, Geschäftsführer VTG Rail Europe GmbH Herr Wellbrock, wie aufwändig ist die Vernetzung Ihrer Wagenflotte? Wir betreiben die größte privatwirtschaftliche Flotte in Europa. Bedenkt man zudem, dass sich die Waggons nicht an einem zentralen Ort befinden, sondern im Dienst unserer Kunden auf dem ganzen Kontinent unterwegs sind, kann man sich vorstellen, dass die Ausrüstung der Flotte mit dem VTG-Connector eine große Aufgabe ist. Was ist das Besondere an Ihrer Lösung? Mit VTG-Connect haben wir einige Hürden gemeistert, die der Digitalisierung bisher im Weg standen. Mit dem Solarmodul etwa werden wir der Tatsache gerecht, dass die Waggons nicht über eine Stromversorgung verfügen. Das Prinzip des Energy Harvesting, bei dem das Solarpanel einen integrierten Akku lädt, ermöglicht wesentlich häufigere Sende-Intervalle als die anderer Dienste. Auch den traditionell sehr langen Produktlebens- und Investitionszyklen der Branche - bei Güterwagen durchschnittlich mehrere Jahrzehnte - werden wir gerecht: Der VTG-Connector wird zwar am Waggon montiert, bleibt aber an sich eine unabhängige Einheit. Was uns besonders wichtig war: Wir wollten den Dienst zu so niedrigen Kosten wie möglich anbieten. Der Schienengüterverkehr ist sehr preissensibel. Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung überhaupt für die Branche? Sie ist essentiell für die Zukunft des Schienengüterverkehrs. Die Daten, die wir unseren Kunden künftig zur Verfügung stellen können, bieten uns völlig neue Möglichkeiten: Durch eine optimierte Disposition beispielsweise kann die Auslastung der Waggons gesteigert und Leerzeiten reduziert werden. Zudem legen die Informationen zu Umlaufzeiten den Grundstein für eine vorausschauende Instandhaltung. Wir können künftig Wartungsintervalle viel genauer vorhersagen als bisher und dadurch Wagenteile austauschen, bevor ein Defekt eintritt. All das hilft uns dabei, die Schiene im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern zu stärken. Wie verändert die Digitalisierung das Kräfteverhältnis zwischen Schiene und Straße? Digitalisierung bietet enormes Potenzial, die Schiene attraktiver zu machen und neue Services anzubieten. Im Bereich des Straßengüterverkehrs gehört digitales Flottenmanagement längst zum Alltag, Experimente zu automatisiertem Fahren und Platooning zeigen, in welche Richtung sich die Branche bewegt. Die Schiene muss dringend selbst aktiv werden, um sich nicht abhängen zu lassen. Mit VTG- Connect wollen wir dazu einen Beitrag leisten. Zudem arbeiten wir an einer Reihe weiterer Lösungen - immer basierend auf unserem Leitgedanken „make rail easy“. Und wie sieht der Schienengüterverkehr von morgen aus? Er wird in den nächsten Jahren erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um seine Wettbewerbsposition im Vergleich zur Straße zu verbessern und in der Digitalisierung auf einen zukunftsfähigen Stand zu kommen. Im Gegenzug hat er die einmalige Chance, sich neu und nachhaltig in die europäische Supply- Chain zu integrieren. Denn kein anderer Verkehrsträger bietet solch gute Voraussetzungen, um mit modernen und in der Basis standardisierten Lösungen die logistischen Anforderungen der europäischen Wirtschaft und zugleich die realen Umweltprobleme des Transportsektors zu lösen. Damit das funktioniert, ist neben der Industrie allerdings auch die Politik gefragt, die die notwendigen Rahmenbedingungen für einen zukunftsfähigen Schienengüterverkehr schaffen muss. Niko Davids, Dr. Head of Innovations & Improvement, VTG Rail Europe GmbH, Hamburg niko.davids@vtg.com Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 89 Routenplanung TECHNOLOGIE Smart Data verkürzen Fahrzeiten Lange Staus, verstopfte Zubringer und Mangel an Parkplätzen: Die Verkehrslage in deutschen Städten raubt vielen Autofahrern den letzten Nerv - und sie ist zugleich teuer. Denn sie kostet gerade kleine und mittelständische Unternehmen wie Handwerksbetriebe oder Dienstleister, die jeden Tag auf den Straßen unterwegs sind, Zeit, Kraftstoff und Geld. Wie eine Smart Data-basierte Service- und Datenplattform helfen soll, den Verkehr zu steuern, zeigt das Projekt „ExCELL“. Felix Köbler D as Verkehrsaufkommen auf den deutschen und europäischen Straßen steigt stetig. Gleichzeitig müssen Transportunternehmen und Dienstleister so schnell wie möglich zu den Kunden gelangen, um Kosten zu optimieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Denn gerade im Dienstleistungssektor wollen Kunden nicht lange auf Handwerker oder Lieferdienste warten und möglichst frei die jeweiligen Termine bestimmen. Das Projekts „ExCELL - Echtzeitanalyse und Crowdsourcing für eine selbstorganisierte City-Logistik“, das im Rahmen des Technologieprogramms „Smart Data - Innovationen aus Daten“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert wird, nimmt sich dieser Problematik an. Ziel des Projekts ist die Entwicklung und Erprobung einer Service- und Datenplattform, die verschiedene Mobilitätsdienstleistungen bereitstellt und verknüpft. Diese Services sollen Unternehmern und v. a. Entwicklern über die Plattform zur Verfügung gestellt werden, um so neuartige und innovative Anwendungen und Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Die im bisherigen Projektverlauf entwickelten Services erlauben die Sammlung sowie eine auf Algorithmen basierende Verarbeitung und Veredelung geographischer und verkehrstechnischer Daten in Echtzeit und deren logische Verknüpfung. Dazu zählt etwa ein Tracking Service, der den aktuellen Standort eines Mobilgerätes oder Fahrzeugs speichert, sowie ein Traffic Event Service, der eine Liste mit aktuellen Verkehrsereignissen bereitstellt. Als erste Datenquelle, um beispielweise die Verkehrslage zu ermitteln, dienen im Pilotraum das „Verkehrs-, Analyse-, Management- und Optimierungs-System“ (VAMOS) der Stadt Dresden sowie Floating Car Data (FCD). VAMOS ist mit Verkehrsdetektoren des städtischen Straßennetzes verbunden, erfasst eine Vielzahl von Daten zum Verkehrsgeschehen und wertet diese für die Verkehrssteuerungsleitsysteme der Stadt Dresden aus. Ein weiterer Pfeiler des ExCELL-Projektes zur Datensammlung und -analyse von verkehrstechnisch und mobilitätsrelevanten Daten stellt das Crowdsourcing dar. Dies erfolgt mithilfe des Tracking Services - etwa in einer Anwendung auf einem mobilen Endgerät - automatisch Bewegungs- und Positionsdaten eines Nutzers gesammelt. Zum anderen stellt die Service-Plattform einen Crowdsourcing Service bereit, der es Nutzern erlaubt, verkehrsrelevante Daten wie beispielsweise eine Verkehrsstörung oder einen Unfall aktiv zu übermitteln. Diese Kontextdaten können genutzt werden, um Analysen und Vorhersagen zu erweiteren und zu verbessern. Zusätzlich zur Meldung, dass ein Stau entsteht, können so Ursachen und Umstände einer Verkehrssituation besser eingeordnet werden. Informationen, die mitunter entscheidend sein können: So macht es einen großen Unterschied, ob eine Straße für einen absehbaren Zeitraum wegen einer Demonstration gesperrt wird, oder ob ein schwerer Verkehrsunfall der Grund ist. Initialer Anwendungsfall: Handwerksbetriebe Der initiale Anwendungsfall fokussiert auf Handwerksbetriebe. Viele Handwerker müssen im Arbeitsalltag sehr mobil sein und machen einen bedeutenden Anteil am innerstädtischen Verkehr aus. So müssen Handwerker im Kundendienst mehrere Fahrten zu meist unterschiedlichen Orten innerhalb eines Tages durchführen, etwa für Materialbesorgungen. Zum anderen stellen Handwerksbetriebe idealtypische Vertreter kleiner und mittelständischer Unternehmen dar. Im Rahmen des Projekts sollen ausgewählte Handwerksbetriebe in Dresden die Anwendung in geplanten Feldtests einsetzen, um ihre Kundentermine und die damit verbundenen An-, Zwischen- und Abfahrten sowie Wegketten auf Basis der aktuellen Verkehrslage zu optimieren. Die Anwendung gleicht dafür kontinuierlich die aktuelle Position mit der zu bewältigenden Strecke ab und warnt Handwerker vor möglichen Verzögerungen in ihrem Terminplan durch erhöhtes Verkehrsaufkommen. Gleichzeitig werden die Verzögerungen teilautomatisiert an die Kunden weiter kommuniziert. Auf diese Weise können Transparenz und Planbarkeit und damit auch die Zufriedenheit für die Kunden gesteigert werden. Nach Evaluierung der initialen Anwendung in den geplanten Feldtests in Dresden soll zum einen eine Ausweitung der Ex- CELL Service- und Datenplattform auf andere Städte und Regionen evaluiert, zum anderen ein weiterer Anwendungsfall realisiert werden. In einem weiteren Schritt soll die Öffnung der Plattform für Drittanbieter - etwa Start-ups aus dem Logistik- und Mobilitätsumfeld - evaluiert werden. Nicht nur im Bereich Logistik und Mobilität gilt jedoch: Die größten Herausforderungen einer sinnvollen Anwendung von Smart Data liegen häufig noch auf Seiten der Anwender. Denn die Digitalisierung hat insbesondere im Mittelstand noch nicht überall Einzug gehalten. Diese Hindernisse gilt es, zu berücksichtigen und ernst zu nehmen, und technische Lösungen innerhalb der geltenden Rechts- und Sicherheitsgrundlage insbesondere hinsichtlich Datenschutz zu erarbeiten. ■ Felix Köbler, Dr. ExCELL-Projekt, Digital Strategy & Experience Consultant, Feld M GmbH, München felix.koebler@feld-m.de Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 90 TECHNOLOGIE Verkehrsdaten „Ihre Route wird neu berechnet“ Wie Big Data den Warenverkehr optimiert Telekommunikation, Breitband, Geodaten, Verkehrsfunk, Navigationssystem, Routenplanung Staus und unvorhergesehene Hindernisse kommen die Logistik teuer zu stehen: Sie kosten Zeit und zusätzlichen Sprit. Eine Lösung besteht darin, die aktuelle Verkehrslage in Echtzeit auszuwerten und Informationen miteinander auszutauschen. Zu diesem Zweck bedarf es eines flächendeckenden Breitbandnetzes und Diensten, die aus großen Datenmengen blitzschnell die passende Route ableiten. Johannes Glossner, Dieter Wallmann L KW bleibt an Brücke hängen“ - dieses kostspielige Missgeschick ist immer wieder eine Schlagzeile wert. Speditionen verlieren aber auch dann Geld, wenn ihr Fahrer rechtzeitig bremst und eine alternative Strecke wählt. Denn Umwege kosten Zeit und Kraftstoff. Ursachen für derlei unbeabsichtigte Kilometer gibt es viele. Dazu gehört die kürzlich eingerichtete Einbahnstraße in der Innenstadt ebenso wie die Baustelle, die eine Straße unpassierbar macht. Das zentrale Ärgernis für Logistikunternehmen bleiben allerdings Staus. Der ADAC meldete in seiner Staubilanz 2016 einen Anstieg der gemeldeten Gesamtstaulänge um 20 % gegenüber 2015 - nun immerhin mit 1,3 Mio. km Gesamtlänge. 1 Schon 2009 errechnete die Industrie- und Handelskammer Nürnberg, dass ein LKW in Deutschland durchschnittlich 114 Stunden jährlich im Stau steht. Das entspricht beinahe drei Arbeitswochen. 2 Angesichts von Handels- und Produktionsabläufen, die zunehmend von On- Demand-Angeboten und Just-in-Time-Prozessen geprägt sind, kommt es auf intelligente Lösungen für die beschriebenen Probleme an. Und das bedeutet nicht ausschließlich immer mehr Straßen und Autobahnen. Vielmehr muss die Logistik beispielsweise in die Lage versetzt werden, bei der Routenplanung unverzüglich auf Staus und Hindernisse zu reagieren. Dazu bedarf es zweierlei: einer funktionierenden Technologie zur Echtzeitübertragung von Verkehrsdaten und eines Partners, der aus diesen Daten valide Empfehlungen ableitet. Breitbandnetz heute und morgen Zur vorherrschenden Übertragungsart für Verkehrsdaten entwickelt sich in Deutschland das mobile Internet, anders als beispielsweise in den USA. Dort sind Flatrates deutlich teurer, weshalb sich Radiostandards als Mittel der Wahl durchgesetzt haben. Was die Verfügbarkeit des mobilen Internets anbelangt, macht Deutschland Fortschritte. Die Bundesregierung hat im Jahr 2016 beschlossen, die Investitionen in den Ausbau des Breitbandnetzes um 1,3 Mrd. EUR auf insgesamt 4,0 Mrd. EUR zu erhöhen. 3 Das Geld dient ausdrücklich dazu, mobiles Internet auch in Regionen zu tragen, in denen sich dies betriebswirtschaftlich für Telekommunikationsunternehmen nicht rechnet. Für die Logistikbranche ist zudem bedeutsam, mittelfristig im gesamten europäischen Wirtschaftsraum zu einer flächendeckenden Versorgung mit mobilem Internet zu gelangen. Schließlich überqueren LKW mit einer Fracht häufig gleich mehrere Grenzen. Nicht zuletzt gilt es, künftige Anwendungen mitzudenken. LKW, die hochautomatisiert oder gar autonom fahren, verlangen weitaus größere Ressourcen als die Dienste, die ihnen jetzt schon zur Verfügung stehen. Big Data professionell handhaben Was mit dem derzeit verfügbaren mobilen Internet bereits möglich ist, zeigt beispielsweise Geodatendienst-Anbieter Here. Das Unternehmen erstellt präzise Karten und kombiniert sie mit historischen und aktuellen Straßenverkehrsdaten. Auf dieser Grundlage werden optimale Routen berechnet und Verkehrsteilnehmer bis ins Detail darüber informiert, was vor ihnen liegt. Dieser komplexe Prozess dauert in der Regel weniger als 60 Sekunden - vom Zeitpunkt der Aufzeichnung aktueller Daten auf der Straße bis zur validen Verkehrsinformation. Die Verkehrsdienste von Here speisen sich aus einer Vielzahl von Quellen. Dazu gehören unter anderem die Daten vernetzter Fahrzeuge, Positionsdaten mobiler Endgeräte und künftig auch die Flottendaten von Audi, BMW und Daimler. Die vollständig anonymisiert gewonnenen Datenmengen aggregiert, verarbeitet und analysiert Here mittels skalierbarer Cloud-Computing Methoden. Für die Übertragung der Verkehrsinformationen kann das Unternehmen je nach Einsatzzweck verschiedene Kanäle anbieten. Während RDS TMC nach wie vor sehr beliebt ist, aber nur eine begrenzte Übertragungsbandbreite bietet, kann per DAB Traffic und vor allem mit Connected Traffic die aktuelle Verkehrssituation umfangreich und feingranular abgebildet werden. Letzteres erlaubt durch eine bi-direktionale Datenverbindung, auch die Informationen des Fahrzeugs entsprechend auszuwerten und die Verkehrsdaten individuell für z.B. die aktuelle Route aufzubereiten. Die Dienste von Here sind über diese Übertragungswege für 92 bis 98 % der Fläche und der Fernstraßen Deutschlands verfügbar und decken auch Seitenstraßen z. B. in Städten ab. Sollte ein Fahrzeug die Verbindung mit dem Internet einmal verlieren, erhält der Fahrer automatisch Basis-Informationen per Rundfunksignal. Steht wieder Internet zur Verfügung, wechselt der Dienst zurück, ohne dass der Fahrer den Wechsel bemerkt. Als Übertragungsstandard nutzt Here das Datenprotokoll TPEG. Kunden können aber auch Lösungen auf eigene Systeme aufsetzen lassen. Große Logistikunternehmen nutzen diese Möglichkeit bereits. Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 91 Verkehrsdaten TECHNOLOGIE Flotten managen und spontan reagieren Die Here Clouddienste verwenden Kartendaten und Verkehrsinformationen, um Programmierschnittstellen (API) unter anderem für die Routenplanung und Navigation zur Verfügung zu stellen. Anbieter von IT- Lösungen, die auf Logistik spezialisiert sind, nutzen diese APIs zur Entwicklung eigener Programme. Mit deren Hilfe können Warentransporte per LKW und Lieferwagen dann geplant und gesteuert werden. Für die Disponenten ergeben sich zwei wesentliche Vorteile: Erkenntnisse über zurückliegende Ereignisse im Straßenverkehr und über das Straßenbild - sogenannte historische Daten - helfen dabei, Transporte zu planen, Fahrzeiten zu kalkulieren und Ankunftszeiten mit den Empfängern zu vereinbaren. Aktuelle Verkehrsinformationen wiederum unterstützen dabei, die Route optimal anzupassen, potentielle Verspätungen zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Über die Here Mobile SDK für Android und IOS in Verbindung mit der Fleet Connectivity Extension lässt sich zudem Fahrernavigation in die Back-End-Systeme integrieren. Der Disponent kann also Fahrziele direkt ans Navigationssystem des LKW senden. Der Fahrer bestätigt auf gleiche Weise die Auftragsannahme und sendet eine kalkulierte Ankunftszeit zurück. Wenn sich während der Fahrt die Verkehrslage auf der berechneten Route ändert, wird im Navigationssystem eine Neuberechnung ausgelöst. Die eventuell abweichende Ankunftszeit erhält der Disponent ebenfalls automatisch. So verfügt er immer über die aktuellen Informationen zur Ankunftszeit einer Lieferung - niemand muss mehr zum Telefon greifen, um Verspätungen anzukündigen. Für den Fahrer erübrigt sich überdies das Eintippen neuer Ziele während der Fahrt. Er muss lediglich die Angaben des Navigationssystems mit einem Klick bestätigen (Bild 1). Lösung des Travelling-Salesman- Problems Während LKW für gewöhnlich stracks von A nach B fahren, steuern Kurierfahrzeuge täglich eine Vielzahl von Adressen an. Here ermöglicht es, vor der Routenplanung zunächst die optimale Reihenfolge der Ziele festzulegen und so die insgesamt kürzeste Fahrdauer zu ermitteln (Bild 2). Auch bei dieser Anwendung sind Verkehrsinformationen nützlich: Liegen beispielsweise einige Adressen innerhalb der Stadt und einige im Umland, wählt der Algorithmus die Ziele so, dass das Kurierfahrzeug den Berufsverkehr vermeidet. Fazit Mit den Here Diensten kann der Warenverkehr optimal geleitet werden. Davon profitieren nicht nur Logistikunternehmen und ihre Auftraggeber. Auch für Umwelt, Städte und Gemeinden ergeben sich aus optimierten Routen im Warenverkehr handfeste Vorteile: Wenn LKW und Transporter Umwege vermeiden, emittieren sie weniger Kohlendioxid und weniger Schadstoffe. Das trägt zum Klimaschutz bei, sorgt in Ballungszentren für bessere Luft und erspart der einen oder anderen Brücke die Bekanntschaft mit dem Führerhaus eines LKW. ■ 1 www.adac.de → Suchwort „ADAC Staubilanz“ 2 www.ihk-nuernberg.de → Suchwort „Straßenverkehrskonferenz 2009 der IHKs der EMN“ 3 www.bmvi.de → Suchwort „Breitbandausbau“ Bild 1: Die Here Fleet Connectivity Extension sorgt für einen unkomplizierten Austausch zwischen Disponenten und ihren Fahrern: Updates zu Aufträgen und Routen kommen via Smartphone. Bild 2: Optimale Routen im Warenverkehr senken die Kosten der Logistikbranche. Zugleich dienen sie dem Umwelt- und Klimaschutz. Johannes Glossner Senior Product Manager Automotive, Here Deutschland, Berlin johannes.glossner@here.com Dieter Wallmann Senior Product Manager Platform for Business, Here Deutschland, Berlin dieter.wallmann@here.com Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 92 TECHNOLOGIE Sendungsverfolgung Auf digitalen Wegen Cloud, Kundenservice, Datenerfassung, optimierte Lieferketten Wo befindet sich meine Sendung, wann kommt meine Bestellung an? Kunden und Empfänger von Waren erwarten diese Informationen in Echtzeit. IDS Logistik wird diesem Anspruch gerecht und hat mit digitalen Lösungen die Produktivität weiter gesteigert. Elena Wagner I ntelligente Kommunikationssysteme und von der Digitalisierung getriebene Geschäftsmodelle gelten derzeit als stärkste Wachstumsmotoren in der Logistikbranche. Denn Verbraucher wünschen sich nicht nur die Möglichkeit, Sendungen in Echtzeit zu verfolgen. Laut einer Untersuchung von Research Now/ Meta- Pack möchten 89 % auch den exakten Lieferzeitraum wissen. Vorausschauende Logistik und optimierte Lieferketten werden so zu Vorteilen im immer schärferen Wettbewerb. Die meisten Logistikunternehmen haben das erkannt: Laut einer Umfrage von Capgemini Consulting und GT Nexus erachten 75 % der Befragten die digitale Transformation als wichtig, und 80 % der Unternehmen sehen dazu die Cloud als Schlüsseltechnologie. Transparente Prozesse Für ein Speditionsnetz wie IDS-Logistik, mit 44 Kooperationspartnern flächendeckend in Deutschland vertreten, ist eine reibungslose Informationsübertragung nicht nur wichtig, sondern unerlässlich. Denn wenn IDS beispielsweise eine Waschmaschine liefert, wird diese Ware auf dem Weg zum Kunden mehrfach umgeschlagen. Wurden früher die Sendungen beim Umladen mit Offline-Scannern registriert und Lieferscheine vom Empfänger per Hand unterschrieben, erfolgt das seit rund zwölf Jahren vollständig online. Mit einem weiteren Schritt in Richtung Digitalisierung hat jetzt IDS seine Prozesse weiter perfektioniert und für Versender und Empfänger noch transparenter gemacht: durch eine lückenlose digitale Dokumentation der kompletten Lieferkette, die von allen Beteiligten durchgängig nachvollzogen werden kann - in Echtzeit. Eine weitere Herausforderung: Die Fahrer der IDS-Partner waren oft nur schlecht erreichbar, etwa wenn sie in entlegenen ländlichen Gebieten unterwegs waren. Bei eiligen Sonderaufträgen und nachträglich eingegangenen Abholaufträgen sind das schlechte Voraussetzungen für schnelle Prozesse und einen guten Kundenservice. „Neben der Erreichbarkeit der Fahrer wollten wir zudem die Ausfallsicherheit unserer Systeme erhöhen“, sagt Jürgen Wolfert, CIO bei IDS-Logistik. „Denn eine zuverlässige Datenübermittlung ist wichtig für einen reibungslosen Ablauf. Fällt sie aus, bleibt die Ware im Empfangsdepot stehen und niemand weiß, woher sie kommt und was ihr Ziel ist.“ Digitalisierung, die sich lohnt Bei 12,9 Mio. Sendungen im Jahr kann eine schnelle Information viel Zeit und Geld sparen. Die Investition in 3600 neue Scanner lohnte sich für IDS doppelt: Durch Machine-to-Machine (M2M)-Technologie übertragen die Geräte jederzeit aktuelle Informationen zu den transportierten Waren an das IDS-Portal in der Cloud. Versender, Empfänger und IDS-Partner sind so stets in Echtzeit über Standort der Sendung und Lieferzeitpunkt informiert. Quittiert der Kunde den Empfang seiner Ware direkt auf dem mobilen Datenerfassungsgerät, steht auch diese Information den Beteiligten innerhalb weniger Minuten zur Verfügung. Ein weiterer Vorteil: Die neuen Scanner haben ein Modul zur LTE- Anbindung - dadurch erhöht sich neben der Performance bei der Datenübermittlung auch die Erreichbarkeit der Fahrer. So lassen sich Abholaufträge auch dann noch vergeben, wenn die Fahrzeuge bereits unterwegs sind. Neben der Logistikplattform werden auch alle IDS-Server im hochsicheren Telekom Rechenzentrum in Frankfurt gehostet, das strengen deutschen Datenschutzbestimmungen unterliegt. „Dadurch können wir unsere Systeme flexibel skalieren und an den aktuellen Bedarf anpassen“, sagt Wolfert. Alle IDS-Partner sind über „Intra- Select“, also über geschützte Multiprotocol Label Switching (MPLS)-Technologie, mit dem Rechenzentrum verbunden. Der Datenaustausch läuft dadurch sicher, schnell und in hoher Qualität. Das gilt auch für die Übertragung der Scannerdaten - die mobilen Geräte sind über eine gesicherte IP-VPN Mobilfunkanwendung mit der Logistikplattform verbunden. Bessere Koordination des Vertriebs Eine komplette digitale Lieferkette: „Dank dieser Telekom-Lösung mit verschiedenen IT-Komponenten aus einer Hand haben wir die internen Prozesse weiter optimiert, die Produktivität der Mitarbeiter noch gesteigert und ihre Sendungsverfolgung in Echtzeit zusätzlich verbessert“, sagt Dr. Michael Bargl, Geschäftsführer der IDS-Logistik. Auch der Vertrieb profitiert von der Digitalisierung: Um die Kundenakquise im zentralen IDS-Vertrieb besser zu koordinieren, hat das Unternehmen den Salesforce Service aus der TelekomCloud bei sich eingeführt. Doppelte Weihnachtsmailings oder Einladungskarten gehören der Vergangenheit an, und auch Marketingmaßnahmen lassen sich wesentlich einfacher und besser steuern. IDS-CIO Jürgen Wolfert: „Die Salesforce-Lösung ist eine runde Sache, und durch die Cloud brauchen wir dafür nicht einmal eigene Server.“ ■ Elena Wagner IT-Autorin, Köln ewagner@palmerhargreaves.com TranCit StarterAbo TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE ZUR STADT IM WANDEL Sichern Sie sich jetzt das Transforming Cities StarterAbo! 4 Ausgaben lesen, nur 2 Ausgaben bezahlen - und 50 % sparen! * * Im ersten Bezugsjahr zum Preis von EUR 60,statt EUR 120,anschließend zum regulären Preis. Printabonnement zuzüglich Versand. Viermal jährlich berichtet Transforming Cities über den Wandel in urbanen Regionen und ihren Einzugsgebieten. Anerkannte Experten aus Wissenschaft und Praxis greifen in ihren Fachbeiträgen die Herausforderungen auf, denen sich Gestalter, Verwalter und Erhalter im urbanen Kontext zunehmend gegenüber sehen. Transforming Cities bereitet diese Themen auf - für Entscheider in Verwaltungen und Stadtwerken, Planungs- und Konstruktionsbüros, Unternehmen, Hochschulen und Institute. Wissen auch Sie mehr über Hintergründe, Entwicklungen und Perspektiven zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen: http: / / www.transforming-cities.de/ starterabo/ Aller Anfang ist leicht! Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Gesellschafter: Eberhard Buhl M.A., Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Marschnerstraße 87 | 81245 München +49 89 889518.71 | office@trialog.de Anzeige.indd 1 24.10.2016 15: 22: 16 FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 94 Connected Car & Mobility Solutions Vorschau: ConCarExpo - Internationale Fachmesse rund um die Themen vernetztes Fahrzeug, automatisiertes Fahren und IT-Sicherheit im Fahrzeug , 05.-06.07.2017, Berlin D ie „ConCarExpo“ ist Europas größte internationale Fachmesse rund um die Themen vernetztes Fahrzeug, automatisiertes Fahren und IT-Sicherheit im Fahrzeug. Unter dem Motto „Connected Car & Mobility Solutions“ präsentieren mehr als 100 Aussteller ihre technischen Lösungen und neue Geschäftsmodelle. Der Verein der Deutschen Ingenieure e.V. (VDI) als neutraler Sprecher der Ingenieure richtet die Con- CarExpo 2017 aus. Im Rahmen der „Con- CarExpo“ finden parallel vier Fachkonferenzen mit über 100 Referenten statt. 4. Internationale VDI-Konferenz - Automated Driving: Automatisiertes Fahren ist einer der Megatrends, der die Automobilindustrie in den nächsten Jahren weitreichend beeinflussen wird: Von der Nutzung über das Design der Fahrzeuge bis hin zu neuen Infrastrukturkonzepten stehen Veränderungen bevor, die auf der Konferenz mit dem Schwerpunkt „Automated Driving“ von führenden Köpfen- der Automobilindustrie diskutiert werden. 4. Internationale VDI-Konferenz - Automotive HMI & Connectivity: Die Schnittstelle von Mensch und Maschine meint nicht bloß die Verbindung von Fahrer und Fahrzeug, sondern auch von Fahrer und Außenwelt. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Technolgien von Fahrera s sistenzsystemen, die die Aufmerksamkeit des Fahrers messen, bis hin zur Vernetzung mit mobilen Endgeräten wird das Fahren durch neue Technologien komfortabler und zugleich sicherer. 3. Internationale VDI-Konferenz - IT-Security for Vehicles: Digitale Vernetzung und Automatisierung in Fahrzeugen gelten als wegweisende Zukunftstrends. Ob GPS-Verbindung oder online steuerbares Infotainment, all diese praktischen Features stellen zeitgleich ein Sicherheitsrisiko dar. Wie dieses zu reduzieren ist und welche neuen Maßnahmen zum Schutz der automobilen Informationstechnik bestehen, diskutieren Experten auf der Konferenz „IT Security for Vehicles“. Internationale VDI-Konferenz - Digital Infrastructure and Automotive Mobility: Damit die digitalen Innovationen wie automatisiertes Fahren in der Realität umsetzbar werden, sind grundlegende Voraussetzungen hinsichtlich eines verständlichen, verlässlichen und schnellen Informationsaustausches zwischen Fahrzeug und Umgebung notwendig. Dazu müssen entsprechende Informations- und Kommunikationsstrukturen geplant und umgesetzt werden, um eine digitale Infrastruktur aufzubauen. Wie diese aussieht und wie ungelöste Fragen zur Finanzierung geklärt werden können, diskutieren internationale Experten aus den Bereichen Automobil, Telekommunikation und IT auf der Fachkonferenz „Digital Infrastructure and Automotive Mobility“. Anmeldung und Programme: VDI Wissensforum Kundenzentrum, wissensforum@vdi.de, +49 211 6214-201, oder auf www.concarexpo.com New Mobility World Vorschau: 2. New Mobility World - Shaping the Future Mobility across Industries im Rahmen der IAA PKW, 14.-17.09.2017, Frankfurt am Main I n diesem Jahr findet die New Mobility World (NMW) im Rahmen der IAA zum- zweiten Mal statt. Mit fünf Themen und drei Eventformaten ist diese Veranstaltung eine umfassende Plattform und das weltweit größte interdisziplinäre Future-Mobility-Event für die Mobilität von-morgen. Die NMW widmet sich den fünf Kernthemen „Connected Car“, „Automated Driving“, „E-Mobility“, „Urban Mobility“ und „Mobility Services“ und bietet mit Hall (Themenpark), Forum (Konferenz) und Parcours (Hands-on) drei interaktive Formate, in der die gesamte Themenwelt rund um die Mobilität der Zukunft abgebildet wird. Die New Mobility World bringt Visionäre und Entscheider zusammen und schlägt damit eine Brücke zwischen globalen Unternehmen, etablierten Herstellern sowie Zulieferern und Startups. Viele bekannte Unternehmen, unter anderem Kaspersky Lab, IBM, Siemens, die Daimler-Töchter Moovel, MyTaxi und Car2Go sowie Bosch, NXP, Merck, T-Systems, TomTom und Continental sollen bei der New Mobility World 2017 die Zukunft der Mobilität neu denken, präsentieren und erlebbar machen. Weitere Informationen und Anmeldung: www.iaa.de/ nmw Veranstaltungen FORUM Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 95 Weltgipfel der Verkehrsminister in Leipzig Vorschau: Weltverkehrsforum 2017 „Governance of Transport“, 31.05.- 02.06.2017, Leipzig J edes Jahr Ende Mai wird Leipzig für drei Tage zur Welthauptstadt des Verkehrswesens. Über tausend Politiker, CEOs, Chefs von UN-Organisationen, NGO-Vertreter und hohe Ministerialbeamte aus rund 70 Ländern reisen dann zum Weltverkehrsforum in die sächsische Metropole. Der jährliche Gipfel der Verkehrsminister aus den 57 im International Transport Forum (ITF) zusammengeschlossenen Staaten - darunter die Riesen-Märkte China, Russland und Indien - ist das einzige internationale Ministertreffen, das regelmäßig in Deutschland stattfindet. Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 das erste Weltverkehrsforum eröffnete, hat sich das Treffen als „Davos des Verkehrs“ etabliert, so der türkische Ministerpräsident (und ehemalige Verkehrsminister) Binali Yildirim. Entstanden aus einer eher regierungsamtlich geprägten Veranstaltung, hat sich das Weltverkehrsforum inzwischen auch zum Magnet für Wirtschaftsführer entwickelt. Die Organisatoren haben sich der Wirtschaft weit geöffnet und laden inzwischen etwa ausgewählte CEOs zu Impulsreferaten in der zentralen Ministersitzung oder zur Teilnahme an Minister-Rundtischen ein. Die Unternehmenslenker wiederum schätzen es, in Leipzig innerhalb von zwei Tagen mit Ministern aus aller Welt ins Gespräch zu kommen, statt auf teure und anstrengende Fernreisen gehen zu müssen. In diesem Jahr findet das Weltverkehrsforum vom 31. Mai bis 2. Juni unter der Überschrift „Governance of Transport“ statt. Es geht um die ordnungspolitischen PARKEN 2017 Vorschau: Planung, Bau und Betrieb von Einrichtungen des ruhenden Verkehrs, 21. - 22.06.2017, Karlsruhe A uf der „Parken 2017“ treffen Aussteller auf Top-Entscheider. Sie zeigen ihre Innovationen, blicken auf neuste Trends und Entwicklungen der Parkierungsbranche und nutzen die fest etablierte Plattform für den persönlichen Geschäftserfolg. Top-Themen sind „Smart Mobility“ und Parkraumbewirtschaftung 2.0 Das Leistungsspektrum auf der Ausstellung erstreckt sich von Bezahlsystemen über Instandhaltung bis hin zum aktuellen Top- Thema „Smart Mobility“. Neben etablierten Unternehmen haben sich innovative Neulinge der Branche, darunter ampido, Easycharge.me, evopark und ParkU für eine Messeteilnahme auf Deutschlands einziger Fachausstellung mit begleitender Fachtagung zu den Themen Planung, Bau und Betrieb von Einrichtungen des ruhenden Verkehrs angemeldet. Wissenslücken schließen auf begleitender Fachtagung Als wichtige Ergänzung zur Fachausstellung findet die Fachtagung des Bundesverbandes Parken e.V. statt. Sie bietet sowohl Ausstellern als auch Teilnehmern die Möglichkeit, mit namhaften Branchen-Experten über aktuelle Trends und künftige Herausforderungen zum Thema ruhender Verkehr zu diskutieren und Wissenslücken zu schließen. „Vertreter der Automobilindustrie informieren über neueste Entwicklungen im Bereich Autonomes Fahren und Parken. Die-steigende Rolle der Digitalisierung und ihre gesellschaftliche Auswirkung kommen ebenfalls zur Sprache“, so Gerhard Trost- Heutmekers, Geschäftsführer Bundesverband Parken e.V. Anmeldeunterlagen, aktuelle Ausstellerliste und weitere Informationen: www.parken-messe.de FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 96 Rahmenbedingungen, gesetzlichen wie administrativen Regelungen und generell die Prozesse der Entscheidungsfindung für bessere Verkehre. Das Thema beschäftigt die ITF-Mitgliedsstaaten nicht nur, weil Investitionen im Verkehrssektor milliardenschwer und langfristig sind - und Fehlentscheidungen folgenreich. Was die Politik umtreibt, ist auch der rasante Wandel durch die Digitalisierung. Diese gebiert gerade neue Geschäftsmodelle und sogar neue Verkehrsträger (Automatisiertes Fahren, Shared Mobility), für die Regeln erst geschmiedet werden müssen. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung Möglichkeiten für neuere - und potenziell leichtere - Formen von Regulierung: Anstatt vorab viele Vorgaben zu entwickeln, könnten die Aufsichtsbehörden sich von den Anbietern in deren Datenstrom einklinken lassen und so verifizieren, ob bestimmte Standards erfüllt werden oder nicht. Wie jedes Jahr wird die Forschungsabteilung des ITF eine geballte Ladung neuer Studien mit nach Leipzig bringen. Hochspannend dürfte dabei vor allem ein angekündigter Report sein, der Szenarien für den Übergang zu selbstfahrenden LKW untersucht. Für dieses Projekt hat das ITF die Speditionsbranche (International Road Transport Union, IRU), Autoproduzenten (Verband der Europäischen Kraftfahrzeughersteller, ACEA) sowie Gewerkschaften (International Transport Workers Federation, ITF) zusammengebracht um gemeinsam Empfehlungen zu erarbeiten, wie insbesondere soziale Folgen der Automatisierung im Straßengüterverkehr aufgefangen werden können. Die Rednerliste enthält neben Politikern wie dem chinesischen Verkehrsminister Xiaopeng Li auch klangvolle Namen jenseits der Politik: Siemens Mobility-Vorstandschef Jochen Eickholt hat zugesagt, ebenso Laurent Troger, der Präsident von Bombardier Transportation, Volvo Car- CEO Hakaan Samuelson und die Chefin des Pariser Metro-Betreibers RATP, Elisabeth Borne, sind darunter. Auch die „neue“ Mobilität ist gut vertreten, etwa mit Sarah Hunter von Googles Ideenschmiede X, Rajendra Rao, dem CEO von Ford Smart Mobility oder Oliver Evans vom US-Start-Up Matternet, der gemeinsam mit Stefan Maurer, Head of Future Transportation bei Mercedes-Benz, den drohnenbestückten „Vision Van“ vorstellen wird. Programm und Anmeldung: http: / / 2017.itf-oecd.org iaf - Internationale Ausstellung Fahrwegtechnik Vorschau: 27. Internationale Ausstellung Fahrwegtechnik, 30.05.-01.06.2017, Münster M it über 200 Ausstellern aus 18 Ländern, Tausenden von Besuchern und einer riesigen Ausstellungsfläche im Innen- und Außenbereich der Halle Münsterland ist die Internationale Ausstellung Fahrwegtechnik die größte internationale Messe auf dem Bereich der Fahrwegtechnik. Neue Maschinen, Geräte, Materialien und Technologien werden in den drei großen Messehallen mit 15 000 m 2 Hallenfläche, auf 6000 m 2 Freifläche und auf mehr als 3000 m Gleisen ausgestellt. Alle namhaften Unternehmen, die auf diesem Gebiet forschen, entwickeln, produzieren oder zuliefern, sind als Aussteller und Besucher vertreten und präsentieren ihre Neuheiten aus den Bereichen Schienentechnik und Gleisoberbau. Die 27. iaf erwartet wieder internationale Besucher aus vielen Ländern. Mit der Kombination aus Fachpräsentation von Maschinen auf dem Freigelände, großer Ausstellung in den Hallen und dem begleitenden Seminarprogramm gilt die iaf weltweit als herausragende Messe für Experten, Unternehmer, Fachbesucher und Interessierte. Gleichzeitig bietet die iaf Unternehmen die Chance, mit eigenen technischen Innovationen an den internationalen Markt zu gehen und so zu expandieren. www.iaf-messe.com 4. Deutscher Mobilitätskongress 2017 Vorschau: Kongress zur Zukunft von Verkehr und Mobilität, 04.-06.10.2017, Frankfurt am Main D er Deutsche Mobilitätskongress steht in diesem Jahr unter dem Motto „Vernetzte Mobilität - mehr als mobile Netze“. Den Auftakt dazu bildet am ersten Kongresstag eine Zukunftswerkstatt, in der junge Wissenschaftler ihre Arbeiten vorstellen. Den Abend beschließt eine Veranstaltung zu Nachhaltigkeit und Ethik in der Mobilität. Am darauffolgenden Tag setzen sich Experten intensiv mit dem Kongressthema auseinander. Das Spektrum reicht dabei von den Herausforderungen an die Infrastrukturnetze über die Möglichkeiten der Digitalisierung bis hin zur gesellschaftlichen Vernetzung des Verkehrsbereichs. Als Höhepunkt findet schließlich der traditionelle Galaabend statt - in diesem Jahr auf dem Main. Am- dritten Kongresstag werden schließlich ein Special zur Sicherheit im Verkehr und interessante Fachexkursionen angeboten. Der Deutsche Mobilitätskongress wird gemeinsam von der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (DVWG), dem Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und dem House of Logistics and Mobility (HOLM) in Frankfurt am Main veranstaltet. Mehr Informationen: www.deutscher-mobilitaetskongress.de Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 97 Erscheint im 69. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag TRIALOG: PUBLISHERS Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Marschnerstr. 87, D-81245 München Tel. +49 89 889518.71 Fax +49 89 889518.75 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 89 889518.72 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 89 889518.73 eberhard.buhl@trialog.de | iv-redaktion@t-online.de Anzeigen Hellfried Zippan Tel. +49 89 889518.74 Fax +49 89 889518.75 hellfried.zippan@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 54 vom 01.01.2017. Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 89 889518.76 Fax +49 89 889518.75 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr plus International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 193,00 (zzgl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 215,00 Einzelheft: EUR 50,00 (inkl. MWSt.) Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print und E-Paper sowie den Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH, München Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Cargo containers in storage area Foto: Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. TRIALOG: PUBLISHERS Verlagsgesellschaft München ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Mobilität und Logistik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Jürgen Peters Dr., Geschäftsführer Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin Christian Piehler Dr.-Ing., Programmdirektor Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Associate Partner, Oliver Wyman, Berlin Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Präsident der DVWG und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Jürgen Siegmann Prof. Dr.-Ing. habil., Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, TU Berlin Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 98 Liebe Leserinnen und Leser, die vorliegende Ausgabe von Internationales Verkehrswesen zeigt, wie tiefgreifend der politische, strukturelle und technologische Wandel auch Transport und Logistik verändert. Digitalisierung und Automatisierung prägen alle Verkehrsträger schon heute in hohem Maße - und werden es künftig noch stärker tun. In diesem Heft liegt der Fokus auf dem Warentransport. In der nächsten Ausgabe werden wir den Blick auf die Situation im Personentransport richten. Der Themenschwerpunkt Automatisierte Mobilität fokussiert auf innovative Mobilitäts-Lösungen und -Strategien, und wir stellen die Frage, ob neue Systeme immer auch mehr Sicherheit bringen können. Der Wettbewerb zwischen Schiene, Straße und Luftverkehr ist ein weiterer Aspekt. Internationales Verkehrswesen 3/ 2017 wird am 28. August 2017 erscheinen. Bereits im Mai kommt International Transportation als englischsprachiges Sonderheft auf den Markt. In dieser internationalen Ausgabe, die alle Abonnenten automatisch auch als gedrucktes Magazin erhalten, beschäftigen sich Autoren aus aller Welt mit dem Thema Governance - Managing Public Transport und berichten von Forschungsergebnissen, Strategien und praktischen Lösungen in verschiedenen Ländern und Regionen. Seien Sie also gespannt! Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 03.-04.05.2017 Frankfurt (DE) CCExpo Critical Communications Expo 2017 Missionskritische Information und Kommunikation, professioneller Mobilfunk (PMR) und Leitstellen für Kritische Infrastrukturen Veranstalter: EMW Exhibition & Media Wehrstedt GmbH Kontakt: +49 34 743-62 092, info@ccexpo.de https: / / ccexpo.de 09.-12.05.2017 München (DE) Transport logistic | AirCargo Europe Veranstalter: Messe München GmbH Kontakt: +49 89 949-20720, info@messe-muenchen.de www.transportlogistic.de 17.-18.05.2017 Düsseldorf (DE) Polis Convention - Urban Development Veranstalter: polis convention GmbH Kontakt: +49 202 248 36-22, kontakt@polis-convention.com www.polis-convention.com 30.05.- 01.06.2017 Münster (DE) 27. Internationale Ausstellung Fahrwegtechnik 2017 Veranstalter: VDEI - Verband Deutscher Eisenbahn-Ingenieure e.V. Organisation: VDEI-Service GmbH, Berlin Kontakt: +49 30 226057-90, info@iaf-messe.com www.iaf-messe.com 31.05.- 01.06.2017 Düsseldorf (DE) Innosecure 2017 Kongress mit Ausstellung für Innovationen in den Sicherheitstechnologien Veranstalter: Mesago Messe Frankfurt GmbH Kontakt: Bernhard Ruess, +49 711 61946-76, bernhard.ruess@mesago.com www.innosecure.de 31.05.- 02.06.2017 Leipzig (DE) 2017 ITF Summit - Governance of Transport Veranstalter: OECD Kontakt: +33 1 45 24 19 80, paula.dunne@oecd.org http: / / 2017.itf-oecd.org 07.-09.06.2017 Budapest (HU) 15. Europäischer Verkehrskongress Veranstalter: Ungarische Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (KTE) Kontakt: Eva Schmidt, EPTS-Generalsekretariat, schmidt@econex.de, www.epts.eu www.epts2017budapest.eu 05.-06.04.2017 Amsterdam (NL) SmartRail Europe Building the digital railway of the future Veranstalter: Global Transport Forum, London (UK) Kontakt: +44 20 7045 0900, marketing@globaltransportforum.com www.smartraileurope.com 13.-14.06. 2017 Venlo (NL) Smart Logistics Expo & Cargo & Logistics Innovation Congress First Global Multimodal Unmanned Cargo Systems Event Veranstalter: Jakajima b.v., Eindhoven www.cargoinnovationconference.com 22.-23.06.2017 Berlin (DE) 2. VDV-Zukunftskongress - Autonomes Fahren im ÖV Veranstalter: VDV-Akademie GmbH in Kooperation mit dem Forum für Verkehr und Logistik e.V. Kontakt: Heike Schieffer, +49 221 57979-103, schieffer@vdv.de www.vdv-akademie.de/ tagungen-seminare/ 2-vdv-zukunftskongress-autonomes-fahren-im-oeffentlichenverkehr/ 05.-06.07.2017 Berlin (DE) ConCarExpo 2017 Veranstalter: VDI Wissensforum GmbH, Düsseldorf Kontakt: Sarah Bettgenhäuser, Tel.: +49 211 6214-327, bettgenhaeuser@vdi.de www.concarexpo.com 30.-31.08.2017 Berlin (DE) 5. Railway Forum Info: IPM GmbH http: / / www.railwayforumberlin.de t.s@ipm-scm.com TERMINE + VERANSTALTUNGEN 03.05.2017 bis 31.08.2017 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten: Herr Frau Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden) Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen. Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de/ agb_trialogpublishers.pdf heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, München, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo Jahresbezugspreis Inland EUR 213,35 inkl. MwSt. und Versand Jahresbezugspreis Ausland EUR 215,- (mit VAT-Nr.) / EUR 237,73 (ohne VAT-Nr.), inkl. Versand WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www. trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, z.Hd. Eberhard Buhl, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Marschnerstr. 87, 81245 München, Fax: +49(0)89/ 889518.75, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. Abo-Bestellung bitte senden an: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft z.Hd. Eberhard Buhl Leserservice Internationales Verkehrswesen Marschnerstr. 87 D-81245 München Fax: +49(0)89/ 889518.75 E-Mail: service@trialog.de Ja, ich will Internationales Verkehrswesen regelmäßig lesen! StudiAbo (Aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung) Jahresbezugspreis Inland EUR 85,34 (inkl. MwSt. und Versand). Jahresbezugspreis Ausland EUR 95,09 (inkl. MwSt. und Versand). Das Jahres-Abonnement umfasst die gedruckte Ausgabe plus ePaper/ PDF und Archivzugang (ab 1/ 1949). Vertriebsanzeige IV.indd 1 15.02.2017 12: 01: 11 2017 | Heft 2 April
