Internationales Verkehrswesen
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2017 | Heft 3 August Digitale Verkehrssysteme im Fokus Automatisierte Mobilität www.internationalesverkehrswesen.de Heft 3 l August 2017 69. Jahrgang POLITIK Schienenpersonenfernverkehr - Mehr Chancen durch mehr Wettbewerb? INFRASTRUKTUR Verkehrseinrichtungen systematisch optimieren MOBILITÄT Elektrisch, autonom und geteilt - der Blick auf die Zukunft der Mobilität TECHNOLOGIE Emissionen - Innovationen: Tragfähige Lösungen sind gefragt Hier klicken Sie richtig! IV online: Neuer Look - mehr Nutzen Die Webseite von Internationales Verkehrswesen hat ein neues Gesicht bekommen. Die aktuellen Webseiten unseres Magazins bringen eine frische Optik und eine Reihe neuer Funktionalitäten. Vor allem aber: Die Webseite ist im Responsive Design gestaltet - und damit auch auf Mobilgeräten wie Smartphones und Tablets bestens lesbar. Schauen Sie doch einfach mal rein! Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl M.A., Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Schliffkopfstraße 87 | 72270 Baiersbronn-Buhlbach +49 (0)7449.91386.43 | office@trialog.de Informiert mit einem Klick Das finden Sie auf www.internationalesverkehrswesen.de: • Aktuelle Meldungen rund um Mobilität, Transport und Verkehr • Termine und Veranstaltungen in der aktuellen Übersicht • Übersichten, Links und Ansprechpartner für Kunden und Leser • Autoren-Service mit Themen, Tipps und Formularen • Beitragsübersicht und Abonnenten-Zugang zum Heftarchiv © Clipdealer www.internationalesverkehrswesen.de Anzeige U2.indd 1 15.08.2017 14: 40: 42 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 3 Knut Ringat EDITORIAL Automatisierte Mobilität A utomatisierung, autonomes Fahren, vollautomatische Fahrzeuge, fahrerloser Betrieb … es gibt viele Begriffe für ein hoch aktuelles, komplexes Thema, das in den nächsten Jahren die Mobilitätslandschaft entscheidend verändern wird. Die sich wandelnden Anforderungen von Bevölkerung und Wirtschaft an Verkehr und Mobilität sowie die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung bedingen sich dabei gegenseitig und bringen schon heute völlig neue, vor allem vernetzte und integrierte Mobilitätsansätze und -angebote hervor. Damit stehen wir nicht nur vor der großen Chance, den Kunden ein neuartiges, maßgeschneidertes Angebot machen zu können, sondern auch vor enormen Herausforderungen. Viele wesentliche Fragen - technische, sicherheits- und datenschutzrelevante, gesellschaftliche sowie ethische - sind noch offen. Diese müssen formuliert, diskutiert und beantwortet werden, um eine solide, verantwortungsvolle Basis für die Umsetzung einer automatisierten Mobilität zu schaffen. So hat Bundesminister Alexander Dobrindt unter anderem eine Ethik-Kommission unter Leitung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio eingesetzt, die Leitlinien zum automatisierten Fahren erarbeiten sollte. Im Juni dieses Jahres legte das Experten-Gremium aus 14 Wissenschaftlern der Fachrichtungen Ethik, Recht und Technik nun seinen Bericht vor. Damit wurden weltweit erstmals Leitlinien entwickelt, die die Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz automatisierter Fahrzeuge sein können. Hinsichtlich der Entwicklung und Erprobung von Fahrzeugtechnik steht derzeit vor allem die Automobilindustrie im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Hier wurden in wenigen Jahren große Fortschritte in der Entwicklung von autonomen Last- und Personenkraftwagen erzielt sowie erste Tests erfolgreich absolviert. Dabei ist das automatisierte Fahren an sich keine Erfindung der vergangenen Jahre. Schienengebundene Verkehrsmittel sind hier die eigentlichen Vorreiter dieser Entwicklung. So verkehrt beispielsweise in Deutschland bereits seit 2008 eine vollautomatische U-Bahn in Nürnberg im Mischbetrieb mit konventionellen Zügen. Auch unsere europäischen Nachbarn setzen schon seit Jahren auf diesen Trend. Laut einer europaweiten Umfrage der Allianz pro Schiene wird inzwischen jährlich bereits rund eine Milliarde Fahrgäste von selbstfahrenden U-Bahnen im europäischen Stadtverkehr befördert. Doch auch im Bahnverkehr bleibt viel zu tun, bis eine Vollautomatisierung des Betriebs möglich ist. Wie im Straßenverkehr sind auch hier digitale Testfelder zur Erprobung und Erforschung im Realverkehr nötig. Der Öffentliche Personennahverkehr wird, wie schon im schienengebundenen Verkehr, autonome Straßenfahrzeuge für seine Mobilitätsangebote nutzen. Eine große Chance bietet sich in der Anbindung des ländlichen Raumes. Hier wird es aufgrund der sinkenden Bevölkerungs- und Schülerzahlen zunehmend schwieriger, ein flächendeckendes und vor allem finanzierbares Angebot darzustellen. Kleinere, individuell einsetzbare, autonome Fahrzeuge können hier eine Lösung sein. Bis zum regulären Einsatz vollautomatisierter Fahrzeuge wird noch einige Zeit vergehen. Währenddessen sollten wir unsere Erfahrungen aus Ride-Sharing-Projekten sowie der technologischen Entwicklung nutzen, um zum Beispiel erste Konzepte mit fahrerbesetzten Kleinfahrzeugen „on demand“ umzusetzen. Liebe Leserinnen und Leser, Digitalisierung und Automatisierung werden die Struktur der Mobilität verändern. Allerdings sind noch viele Fragen zu klären, Praxistests zu bewältigen und Forschungsprojekte abzuschließen. In der vorliegenden Ausgabe des Internationalen Verkehrswesens stellen Wissenschaftler und Praxisbeteiligte ihre Projekte und Untersuchungen vor. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Ihr Prof. Knut Ringat Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH Foto: RMV/ Jana Kay Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 4 36 Interoperabler Schienenverkehr in Europa Perspektiven und Herausforderungen bei der Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraumes Fabian Stoll Andreas Schüttert Nils Nießen 40 Automatisiertes Fahren im Mobilitätssystem Spannungsbogen zwischen Ethik, Mobilitätsausübung, technischem Fortschritt und Markterwartungen Heinz Dörr Viktoria Marsch Andreas Romstorfer 46 Zukunft der Mobilität 2025+ Auszüge aus der Zukunftsstudie Münchner Kreis VII Rahild Neuburger 48 Auch flexibles Carsharing nutzt-dem ÖPNV! Mittelbare Effekte aus mehr Multimodalität und geringerem PKW-Besitz Gerd-Axel Ahrens Rico Wittwer Stefan Hubrich POLITIK 10 Verkehrsträger müssen voneinander lernen Standpunkt Florian Eck 11 Der Fall Locomore Wettbewerb im deutschen Schienenpersonenfernverkehr Lisa Feuerstein Torsten Busacker Jingjing Xu 14 Welches zusätzliche Potenzial hat die Schiene im Fernverkehr? Wirkung ordnungspolitischer Maßnahmen zur Senkung der Reisekosten Falko Nordenholz Christian Winkler Wolfram Knoerr LOGISTIK INFRASTRUKTUR 18 Barrierefreier ÖPNV Teil I - Wege zur systematischen Umsetzung Rainer Hamann Sebastian Schulz 22 Ungelöste Sicherheitsprobleme auf tschechischen Straßen Erkenntnisse aus einer durchgeführten Sicherheitsinspektion Adéla Johanidesová Josef Kocourek 28 Ägypten - Transitkorridor zwischen Ost und West Dirk Ruppik 30 Umgang mit wassergefährdenden Stoffen Anne Rausch 32 Autonome Palettentransporter für tonnenschwere Lasten Christopher Rimmele 34 „Innovationen fördern“ Interview Im Gespräch mit den Geschäftsführern des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Dr. Ben Möbius und Axel-Schuppe. MOBILITÄT Foto: Hamann SEITE 18 Quelle: Aashay Baindur/ Wikimedia SEITE 28 Foto: Locomore SEITE 11 Sie finden Internationales Verkehrswesen mit umfangreichem Archiv und aktuellen Terminen unter: www.internationalesverkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 5 INHALT August 2017 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 17 Bericht aus Brüssel 89 Forum Veranstaltungen 93 Impressum | Gremien 94 Vorschau | Termine AUSGABE 4/ 2017 Sicherheit durch Digitalisierung - Safety + Security - Luftverkehr - See- und Binnenschifffahrt - Infrastruktur erscheint am 2. November 2017 73 Technologischer Wandel im Flugverkehr Wie moderne Triebwerke den Flugverkehr effizienter machen und Emissionen reduzieren Ulrich Wenger 76 Wie hoch sind die realen Emissionen von Diesel-PKW wirklich? Das Handbuch für Emissionsfaktoren HBEFA 3.3 unter der Lupe Udo J. Becker Wolfram Schmidt 80 Zügig die IT-Landschaft im Nahverkehr absichern Wie ein Verkehrsbetrieb mit Schwachstellen-Management Sicherheitslücken bekämpft Barbara Schrettle WISSENSCHAFT 82 Nutzung satellitenbasierter Ortung als sicherer und zugelassener Ortungssensor im-Schienenverkehr Hansjörg Manz 86 Innovationen im Verkehrssektor Analyse der Bedingungen für erfolgreiche technologische Neuerungen Thomas Austermann 52 Polizeiliche Mobilität der Zukunft Chancen und Herausforderungen von Elektromobilität und vernetzten Funkstreifenwagen Isabella Geis Alina Steindl 56 Pilotbetrieb mit autonomen Shuttles auf dem Berliner EUREF-Campus Erfahrungsbericht vom ersten Testfeld zur integrierten urbanen Mobilität der Zukunft Frank Hunsicker Andreas Knie Gernot Lobenberg Doris Lohrmann Ulrike Meier Sina Nordhoff Stephan Pfeiffer WISSENSCHAFT 60 Akzeptanz für automatisiertes Fahren Die Chance auf eine nachhaltige Verkehrswende? Elisabeth Dütschke Uta Schneider Michael Krail Anja Peters 64 Kommunales Engagement im Ausbau von Carsharing für den ländlichen Raum Ann-Kathrin Seemann Sebastian Knöchel 68 Auswirkung vollautomatisierter PKWs auf die Verkehrsmittelwahl Sebastian Wödl Christina Pakusch Paul Bossauer Gunnar Stevens Foto: Kai Michael Neuhold/ DB SEITE 56 Foto: Airbus/ Antony Pecchi SEITE 73 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 6 IM FOKUS Tour-Zeiten besser im Blick D amit Speditionen, Entsorger oder Servicedienstleister ihre Kunden genauer über die Ankunftszeiten eines LKW informieren können, hat Softwareanbieter Couplink Group jetzt das PTV-Modul „Drive&Arrive“ in seine Telematik-Lösungen integriert. So werden Faktoren wie Straßensperrungen oder die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei der Tourplanung automatisch berücksichtigt. Alle Beteiligten bekommen über das Couplink-Webportal und mobile Endgeräte kontinuierlich die aktuelle Ankunftszeit des LKW (Estimated Time of Arrival, ETA) mitgeteilt. Logistik-Kunden werden bereits bei Tourbeginn exakt über die geplante Ankunftszeit informiert, können mittels „Track and Tracing“ den aktuellen Stand verfolgen und werden automatisch über mögliche Verzögerungen benachrichtigt. Das System berechnet die ETA per „Predictive Analytics“ mit einem komplexen Algorithmus, der temporäre und permanente Straßensperrungen, die Staurelevanz für die geplante Tour und sogar Wetterdaten einbezieht. Außerdem werden die spezifischen Attribute des Fahrzeugs - etwa Gesamtgewicht, zulässige Höchstgeschwindigkeit und Ganglinien - sowie Lenk-, Pausen- und Ruhezeiten der Fahrer automatisch erkannt und berücksichtigt. Implementiert ist das ETA-Modul „PTV Drive&Arrive“ bereits bei der württembergischen Spedition Rüdinger, die seit zwölf Jahren Telematik-Lösungen von Couplink nutzt. Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Standards schaffen: VDE|DKE entwickelt Ladesäulen-Normen E iner der Gründe, warum Elektromobilität so schleppend vorangeht, ist die mangelnde Ladeinfrastruktur. Bislang ist selbst der Informationsaustausch zwischen Ladesäulen und Abrechnungssystemen noch nicht standardisiert. Um der Ladeinfrastruktur auf die Sprünge zu helfen, haben die VDE-Normungsexperten den VDE|DKE-Arbeitskreis „Backend Kommunikation für Ladeinfrastruktur“ gegründet und die neue Normenreihe IEC 63110 initiiert. Sie hat mit Blick auf Interoperabilität und Flexibilität ein standardisiertes Management von Ladevorgängen zum Ziel. Dazu gehören die Anforderungen für den notwendigen Datenaustausch, um ein Elektromobilitäts-Ökosystem zu etablieren, wobei sowohl der Kommunikationsfluss zwischen den verschiedenen Akteuren als auch der Datenfluss in das elektrische Energieversorgungsnetz abgedeckt werden soll. Auch die IT-Sicherheit und die Anbindung der Elektromobilität an das Smart Grid sollen bei der Entwicklung der IEC 63110 berücksichtigt werden. Parallel zur IEC 63110 arbeiten die Experten im VDE an der Netzintegration von Elektromobilität. Denn mit wachsender Durchdringung der Elektromobilität wird die Bedeutung „netzverträglicher Ladevorgänge“ immer größer. Ziel ist es, eine volkswirtschaftlich sinnvolle Balance zwischen Netzausbau und der 24/ 7-Verfügbarkeit einer maximalen Ladeleistung an allen Ladepunkten zu finden. Der VDE lädt die hierbei betroffenen Kreise ein, auf Augenhöhe und gemeinsam Mechanismen für nutzerfreundliche und gleichzeitig netzverträgliche Ladevorgänge zu beschreiben. Die Normenreihe 63110 ist Teil des vom Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie geförderten Projektes „Datensicherheit und Datenintegrität in der Elektromobilität beim Laden und eichrechtskonformen Abrechnen“ (kurz: DELTA) und wurde von VDE|DKE bei der IEC (International Electrotechnical Commission) eingeleitet. www.vde.com/ topics-de/ mobility/ elektromobilitaet Bild: Rüdinger Spedition GmbH Grafik: VDE Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 7 IM FOKUS Erster eHighway für Oberleitungs-LKW in Deutschland B is Ende 2018 soll Siemens eine Oberleitungsanlage für elektrifizierten Straßengüterverkehr auf einer zehn Kilometer langen Strecke errichten. Über die Oberleitung wird der elektrische Antrieb eines Hybrid-LKW mit Strom versorgt. Siemens hatte den eHighway erstmals 2012 vorgestellt, derzeit gibt es Feldversuche in Schweden und Kalifornien Das vom Land Hessen beauftragte Projekt soll auf der Autobahn A5 zwischen den Anschlussstellen Zeppelinheim/ Cargo City Süd des Frankfurter Flughafens und Darmstadt/ Weiterstadt gebaut werden. Mit diesem Feldversuch im Rahmen des von Hessen Mobil geleiteten und vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit geförderten Verbundprojekts „Elektrifizierter, innovativer Schwerlastverkehr auf Autobahnen“ (ELISA), wird der eHighway erstmals auf einer öffentlichen Straße in Deutschland erprobt. Mit der Pilotanlage soll der praktische Nachweis erbracht werden, dass sich Oberleitungssysteme gut in den Straßenraum integrieren können. Der Betrieb soll in reale Transportketten eingebunden sein und die Machbarkeit der klimaneutralen Güterlieferung im urbanen Raum Frankfurt belegen. Der Transport auf dem eHighway ist doppelt so effizient wie der Straßentransport mit Verbrennungsmotoren. Das bedeutet nicht nur eine Halbierung des Energieverbrauchs, sondern auch eine Verringerung der lokalen Luftverschmutzung. Kernelement des Systems ist ein intelligenter Stromabnehmer in Kombination mit einem seriellen Hybridantrieb: Entsprechend ausgerüstete LKW versorgen sich während der Fahrt aus der Oberleitung mit elektrischer Energie und fahren dann lokal CO 2 emissionsfrei. Auf Straßen, die nicht mit Oberleitungen ausgestattet sind, treibt ein Generatormotor die Lastwagen an. www.internationales-verkehrswesen.de/ ehighway-in-deutschland Hochautomatisierte Fahrzeuge im Verkehr simulieren I n dem Maße, wie Steuerungsabläufe in Fahrzeugen bis hin zum autonomen Fahren automatisiert werden, ändern sich zwangsläufig auch die Verkehrsabläufe. Kritiker der neuen Technologien verweisen auf die Fehleranfälligkeit der Systeme. Unbestritten ist jedoch, dass die größte Fehlerquelle im Verkehr der Mensch selbst ist: In der aktuellen Übergangsphase mit teilautonomen und konventionellen Fahrzeugen im Verkehr ist die Unvorhersehbarkeit menschlicher Reaktionen daher ein gravierendes Sicherheitsrisiko, auf das die Steuerungssysteme der Fahrzeuge abgestimmt werden müssen. Da sich sicherheitskritische Situationen im realen Straßenverkehr nicht untersuchen lassen, nutzen Automobilhersteller Mikrosimulationssoftware wie PTV Vissim, mit der sich Verkehrsgeschehen variabel simulieren lässt. Die Software für mikroskopische Verkehrssimulation erlaubt es, mögliche Abläufe bei jedem Automatisierungsgrad umfassend virtuell zu evaluieren. Die Mikrosimulation des Verkehrsablaufs stellt dabei das verkehrliche Umfeld realitätsnah dar. Mikrosimulation ist nicht nur in der Lage, alle innerorts und außerorts bekannten Verkehrssituationen abzubilden, sie kann auch die Verhaltensmuster hinter dem Lenkrad wie regionale Fahrkultur oder unterschiedliche Fahrweise berücksichtigen. Wo spezifische Weiterentwicklungen der Software für die Anwendung des autonomen Fahrens notwendig sind, werden sie in direkter Absprache mit den Kunden umgesetzt. Beispielsweise kann mit PTV Vissim simuliert werden, wie sich andere Verkehrsteilnehmer im Normalfall und in Extremsituationen verhalten und welche dynamischen Situationen aus der Interaktion von Menschen und autonomen Fahrzeugen entstehen. Das Ziel: ideale Verkehrssituationen mit optimal fließendem Verkehr und- maximaler Sicherheit der Verkehrsbeteiligten. http: / / vision-traffic.ptvgroup.com/ de/ produkte/ ptv-vissim/ Bild: PTV EUROPEAN TRANSPORT CONFERENCE 2017 Annual Conference of the Association for European Transport 04-06 October 2017 Casa Convalescència, Barcelona, Spain. The 45 th European Transport Conference Bookings for 1-3 days are now being taken... This year’s ETC boasts a range of first-class speakers from across the transport industry and in-depth sessions on policy issues, best practice and research findings. Arranged over 3 days, each day there will be a minimum of 9 parallel sessions, with between three and four papers presented in a themed session. Researchers, lecturers, analysts, advisers and managers will all be in attendance to share their expertise in a broad range of subjects from Value of Time; Connected and Autonomous Vehicles; to Mobility as a Service. AET or ECTRI Members 1 Day* 2 Days* 3 Days/ Rover* - Individual Member £300 €360 £595 €720 £795 €960 - Organisation Member £290 €350 £575 €700 £760 €920 Non-Members £340 €410 £670 €820 £930 €1,125 The conference provides an excellent opportunity for all participants to network with transport experts from around the world and become part of a specialist community. To view the programme and book your place, please visit www.etcproceedings.org or contact Sabrina Winter at sabrina@tftp-training.co.uk *All fees shown are subject to 20% VAT. Discounts are available for new member states of the EU andYoung Researchers and Practitioners. Please see website for full details. J000097f Full booking Int Verk 88x126.indd 1 16/ 08/ 2017 11: 30 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 8 IM FOKUS Nachhaltiger Containerumschlag bei Contargo D as Duisburg Intermodal Terminal (DIT) hat einen Hybrid Reach Stacker von Konecranes in Betrieb genommen. Neben dem Prototyp, der seit vier Jahren in Helsingborg arbeitet, ist dies weltweit der zweite Konecranes Hybrid Reach Stacker im Einsatz. Ein drittes Exemplar wird demnächst an das Contargo-Terminal in Emmelsum ausgeliefert. Das DIT erwartet von diesem Gerät eine Reduzierung von CO 2 - Emissionen und Kosten. Der finnische Hersteller Konecranes entwickelte 2013 den ersten Hybrid Reach Stacker der Welt. Der nun bei Contargo eingesetzte SMV 4531 TB5 HLT hat einen seriellen Hybridantrieb aus Dieselmotor, elektrischem Generator und elektrischem Fahrmotor. Der Dieselmotor mit 230 kW Leistung läuft mit einer maximalen Drehzahl von 1800 U/ min im optimalen Verbrauchsbereich. Der Schwerlaststapler hebt bis zu 45 t und verbraucht im Normalbetrieb mindestens 30 % weniger Kraftstoff als ein gleichwertiges, dieselbetriebenes Modell. Antrieb und Hebesystem des Stackers werden mit Generator-Elektromotoren betrieben: Die Brems- und Lastabsenkenergie wird wieder eingespeist und zur späteren Verwendung gespeichert, was Treibstoffverbrauch und Umweltbelastung deutlich reduziert. Auch die Hydraulikpumpen des Hybrid Reach Stackers werden elektrisch betrieben und elektronisch gesteuert. Die Geschwindigkeit der Pumpen, die den hydraulischen Druck zum Heben und Steuern liefern, kann damit unabhängig von der Geschwindigkeit des Dieselmotors gesteuert werden. Das ermöglicht ein deutlich schnelleres Ansprechen bei maximaler Leistungsanforderung sowie ein geringeres Geräuschniveau im Fahrbetrieb. www.contargo.net Foto: Contargo Big-Data-Verkehrsanalysen für München T elefónica NEXT bietet gemeinsam mit Intraplan, einem Beratungsunternehmen im Verkehrssektor, detaillierte Datengrundlagen und Analysen für die Verkehrsplanung in München an. Mithilfe anonymisierter Mobilfunkdaten aus dem Netz von Telefónica Deutschland berechnen die Partner Bewegungsströme. Die Erkenntnisse daraus sollen bisherige Verkehrsanalysen umfangreich ergänzen. Um das Potenzial der Mobilfunkdaten besonders bei Veranstaltungen aufzuzeigen, berechneten die Partner exemplarisch das voraussichtliche Verkehrsaufkommen zu den Heimspielen des TSV 1860 München, der seit der aktuellen Saison wieder im traditionsreichen Grünwalder Stadion spielt. Für die Münchner Region haben die Experten in den vergangenen Monaten eine detaillierte Datenbasis aufbereitet. Damit sind diverse Analysen möglich, beispielsweise die Unterteilung nach Verkehrsmitteln wie Bus, S-Bahn oder Auto, nach Pendlern oder Details zum grenzüberschreitenden Verkehr Richtung Österreich. Basis sind Mobilfunkdaten, die im Regelbetrieb von Telefónica Deutschland entstehen und über ein TÜV-zertifiziertes Verfahren anonymisiert sind. So ist kein Rückschluss auf Einzelpersonen möglich. Die Entwicklung des Verfahrens erfolgte in enger Abstimmung mit der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Täglich entstehen auf diese Weise bundesweit mehr als fünf Milliarden Datenpunkte. In einem Forschungsprojekt hat auch das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation erst kürzlich das Potenzial dieser Mobilfunkdaten für die Verkehrsplanung bestätigt. In München werden nach Schätzungen der Stadt bis Ende 2030 rund 1,8 Mio. Menschen leben, 16 % mehr als 2015. Daraus resultieren mehr Autos auf den Straßen und ein höherer Bedarf an öffentlichen Verkehrsmitteln. Für eine nachhaltige Verkehrsplanung sind solche Städte und Verkehrsbetriebe auf präzise Daten angewiesen. Bisherige Erhebungen sind allerdings häufig aufwendig und geben stark situationsbedingte Schwankungen, wie bei Fußballspielen, oftmals nicht genau wieder. Bild: Intraplan Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 9 EU-Straßenpaket und Masterplan Schienengüterverkehr: mehr als Deklarationen? I n der EU herrscht bei den Abgabensystemen für die Nutzung der Straßeninfrastruktur ein umfänglicher Wildwuchs. Der soll nach den Vorstellungen der EU-Kommission ab 2023 ein Ende haben, so zumindest verlautbart es das sog. Straßenpaket, das unter dem allerdings nichtssagenden Titel „Europa in Bewegung“ im Mai dieses Jahres präsentiert wurde. Ab 2023 sollen nur noch fahrleistungsabhängige Nutzungsentgelte zulässig sein. Dieses sinnvolle Vorhaben wird für den Straßengüterkehr auch umsetzbar sein. Wesentlich schwieriger, da politisch heikler, wird es sich für den PKW gestalten, anvisiert ist 2027. Denn umwelt- und ökonomische Rationalität dürften sich hier wesentlich größeren Widerständen gegenübersehen. Enttäuschend ist, dass letztlich jedoch die Mitgliedsstaaten entscheiden, ob überhaupt Benutzungsabgaben eingeführt und in welchem Umfang Umweltkosten einbezogen werden. Damit bleibt der unerwünschten Vielfalt nationaler Abgabenregelungen weiterhin die Tür geöffnet. Völlig unbefriedigend sind bei genauerem Hinsehen auch die Kommissionsvorschläge für eine Beseitigung der immer krasser werdenden Probleme, die aus den sehr unterschiedlichen Sozialstandards für LKW-Fahrer resultieren. Die Durchsetzbarkeit der Vorschläge, sei es politisch oder/ und organisatorisch-administrativ, erscheint mehr deklaratorisch als realisierungsfähig. Hier wurde das Kompromissagieren der Kommission wieder besonders deutlich, gehen doch die Interessen der Mitgliedsstaaten und ihrer einflussreichen Lobbygruppen bei diesen Sachfragen weit auseinander. Auf mehr zustimmende Kommentare ist der 42-seitige deutsche „Masterplan Schienengüterverkehr“ gestoßen. Fast scheint eine Begeisterung erkennbar zu sein, als stünde der Durchbruch zur viele Jahre lang ersehnten Renaissance dieses Verkehrsträgers, dem in dem letzten Jahrzehnt wenig politisch wirksame Unterstützung zuteil wurde, vor der Tür. Allerdings musste der zusätzliche Belastungen tragen, denen der Wettbewerber LKW nicht unterliegt, etwa bei den Energiesteuern und den erneuerbaren Energiemaßnahmen sowie den Umweltzertifikaten. Ziel des Strategiepapiers Masterplan ist (wieder einmal) die Erhöhung des Marktanteils des Schienengüterverkehrs auf deutlich über 20 % mit Hilfe von zehn Maßnahmenkategorien. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass wirklich Neues kaum erkennbar ist, wird einmal von der Ankündigung einer Halbierung der Trassenpreise im Jahre 2018 abgesehen. Vorgesehen sind hierfür 347 Mio. EUR, die aus nicht abgerufenen Haushaltsmitteln finanziert werden. Die anderen Vorschläge des Plans dürften in einer Masterarbeit als Prüfungsleistung wenig Punkte bringen. Viele der Handlungsaufforderungen werden seit Jahren diskutiert, sind teilweise - wie die Entwicklung innovativer Güterwagen - bereits in der Realisierungsphase, wie etwa bei der SBB Cargo. Der Umbau wichtiger Strecken und Knoten für die Nutzung von 740 m-Zügen soll vorangetrieben werden, ebenso Automatisierung und Digitalisierung wie auch der notwendige infrastrukturelle Kapazitätsausbau. Die Zugänglichkeit zum Schienenverkehr soll generell für Nutzer erleichtert und die Sozialstandards zwischen den konkurrierenden Verkehrsträgern harmonisiert werden. Das kommt alles sehr bekannt vor und die Erfahrung zeigt, dass kurz- und mittelfristige Umsetzungen vor allem Wunschdenken sind. So richtig diese und andere Forderungen sind: die einzig konkrete und zumindest für 2018 weitgehend gesicherte Maßnahme ist die Trassenpreishalbierung. Fraglich ist allerdings, ob die von einigen Kommentatoren hieraus erwartete Umsatzsteigerung um 20 bis 30 % realistisch ist. Angesichts der Qualitätsprobleme bei wesentlichen Teilen des Schienengüterverkehrs, beurteilt aus der Sicht der aktuellen und vor allem der zu gewinnenden Kunden, scheinen solche Preiselastizitäten und damit Zuwächse vor allem auf Hoffnungen zu basieren. Dass inzwischen für den SPNV auch schon Wünsche einer Trassenpreissenkung zur Kompensation erwarteter Fehlbeträge zwischen den vereinbarten Steigerungen der Regionalisierungsmittel (1,8 % p. a.) und den zukünftig erwarteten höheren Anhebungen der Trassenpreise laut wurden, verdeutlicht die Sensitivität dieses Themas. Zuständig für dies alles sind Parlament und Bundesregierung nach der Bundestagswahl. Und dann werden viele Karten neu gemischt. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 10 Verkehrsträger müssen voneinander lernen Der Mobilitätsstandort Deutschland liegt bei der Entwicklung autonomer Systeme weltweit im Spitzenfeld. Entgegen allen Unkenrufen haben Industrie und Forschung im traditionell starken Bereich der Deutschen, dem Mobilitätssektor, enorme Fortschritte bei der Automatisierungstechnik erzielt. Ein Kommentar von Dr. Florian Eck, Stellvertretender Geschäftsführer Deutsches Verkehrsforum. A uch der Bund hat wichtige Meilensteine erreicht: Für das hochautomatisierte Fahren im Straßenverkehr wurde in vielen Punkten Rechtssicherheit hergestellt, das digitale Testfeld auf der A9 schuf einen geeigneten Rahmen für die Erprobung von Prototypen und neuen Funktionen und im Masterplan Schienengüterverkehr ist ausdrücklich die Automatisierung der Schiene vorgesehen. Zudem bewertete die von Bundesverkehrsminister Dobrindt eingesetzte Ethikkommission in ihrem Endbericht die Entwicklung der Automatisierung als grundsätzlich positiven und wichtigen Baustein, um mehr Effizienz und Nachhaltigkeit im Verkehr zu erzielen. Was das Auto von der Bahn lernen kann - und umgekehrt Die einzelnen Verkehrsträger sind unterschiedlich weit entwickelt und haben unterschiedliche Schwerpunkte. Im Luftverkehr sind Autopiloten, automatische Landesysteme und zentrale Flugsicherung bereits seit Jahrzehnten etabliert. Dennoch ist die Anwesenheit eines Piloten erforderlich, der im Notfall einschreiten kann. Im Schienenbereich erleichtern die Spurführung und die Leit- und Sicherungstechnik die Automatisierung. Geschlossene Systeme wie Peoplemover, U-Bahnen oder Werksbahnen sind bereits autonom unterwegs. Größere Herausforderungen ergeben sich bei frei zugänglicher Infrastruktur, offenen Bahnsteigen oder Mischverkehren. Beim KFZ sammelt man seit vielen Jahren Erfahrungen mit Assistenzsystemen, die jetzt zunehmend miteinander vernetzt werden, um den hochautomatisierten bis hin zum autonomen Betrieb der Fahrzeuge zu ermöglichen.Dabei gilt es, die Vielzahl äußerer Einflüsse und Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen. In der Seeschifffahrt zeigen die Experimente der Systemhäuser und der Werften, dass autonom verkehrende Schiffe keine Zukunftsmusik sind. Ähnlich wie im Luftverkehr gehören automatische Navigationssysteme zum Stand der Technik. In der Weiterentwicklung sollen situationsabhängige Ausweichmanöver bis hin zur Hochautomatisierung gefahren werden. Ziel ist der autonome Schiffsverkehr ab 2020 über lange Strecken. Die einzelnen Verkehrsträger müssen im Prozess der weiteren Automatisierung voneinander lernen, Best Practices aufgreifen und sich zu technischen, rechtlichen und ethischen Fragen austauschen. So hat der Schienenverkehr mit den „Regeln der Technik“ und Anforderungen „der gleichen Sicherheit“ an autonome Fahrzeuge bereits Erfahrungen mit seinen Zulassungsbehörden gesammelt. Das Gleiche gilt für den Luftverkehr. Andererseits wird die Umfelderkennung mit Lasern und Kameras durch die neuen Entwicklungen im Straßenverkehr deutlich voran gebracht - hiervon können wiederum Schienenverkehrsunternehmen und Schifffahrt profitieren. Jetzt müssen die Testfelder so erweitert werden, dass sie den unterschiedlichen Umgebungen im künftigen automatisierten Alltag gerecht werden. Für den Straßenverkehr müssen dafür die Testregionen auf den städtischen Raum ausgedehnt werden. Im Schienenverkehr rückt nach der erfolgreichen Automatisierung der U-Bahn in Nürnberg der Personen- und Güterverkehr im Bereich der Eisenbahnbetriebsordnung in den Fokus. Verkehrswege aufrüsten Für die Automatisierung der Verkehrsmittel muss auch die Infrastruktur aufgerüstet werden. Dies ist vor allem für den Bund eine investive Aufgabe. Für das Schienennetz bedeutet das die sukzessive Digitalisierung der Leit- und Sicherungstechnik sowie konsequente Ersatzinvestitionen auf Basis von ETCS / ERTMS. Für den Straßenverkehr muss ein solches digitalisiertes System erst aufgebaut werden. Auch die Versorgung mit mobilem Breitband entlang der Verkehrsadern spielt eine wichtige Rolle: Deutschland muss bei der Entwicklung und Umsetzung von 5G-Netzen Vorreiter sein. Wichtig ist eine gemeinsame Lernkurve. Jede einzelne Automatisierungsstufe wird von den Stakeholdergruppen wie Anwendern, Industrie, Zulassungsbehörden und Bürgern kritisch begleitet. Sicherheit hat daher oberste Priorität, Nutzen-Kosten-Erwägungen bilden den Handlungsrahmen. Es wird für viele Anwendungsfälle zunächst bei einer teilweisen Automatisierung bis hin zum hochautomatisierten Betrieb bleiben. Dabei müssen alle Beteiligten ihre Erfahrungen sammeln und gemeinsam an der schrittweisen Erweiterung des Erfahrungshorizontes arbeiten. Besonders gefordert sind die Zulassungsbehörden, denen die Auslegung der Anforderung eines gleichen Sicherheitsniveaus von der steuernden Maschine gegenüber dem Menschen obliegt. Die zunehmende Automatisierung und Vernetzung des Verkehrs schafft große Potentiale, die Mobilität völlig neu zu organisieren und dabei die Sicherheit, die Energieeffizienz und die Infrastrukturkapazität zu erhöhen. Deutschland muss hierbei nicht nur Leitanbieter werden, sondern von diesen Entwicklungen als Leitanwender profitieren. ■ Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 11 Der Fall Locomore Wettbewerb im deutschen Schienenpersonenfernverkehr Wettbewerb, Schienenpersonenfernverkehr, Einflussfaktoren, qualitative Analyse Seit Beginn der sukzessiven Liberalisierung des europäischen Eisenbahnmarktes Anfang der 1990er Jahre entscheiden sich immer wieder Unternehmen dazu, eigenwirtschaftlichen Schienenpersonenfernverkehr im Wettbewerb zu etablierten Staatsunternehmen anzubieten. Dennoch sind die meisten europäischen Länder - so auch Deutschland - noch immer von großen Staatsunternehmen mit hohem Marktanteil dominiert. Trotz stetig wachsender Mobilitätsmärkte und wenigen Anbietern scheint ein Markteintritt unattraktiv zu sein. Die jüngste Insolvenz von Locomore bestätigt diese These. Lisa Feuerstein, Torsten Busacker, Jingjing Xu A ls eines der ersten Länder in Europa liberalisierte Deutschland den nationalen Eisenbahnmarkt. Seit der Bahnreform von 1994 ist Wettbewerb im Schienengüter-, Schienenpersonennah- und Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) möglich. Durch den funktionierenden Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehrsmarkt, wo etwa ein Drittel der Zugleistung von Wettbewerbern erbracht wird, galt Deutschland lange als Vorreiter der Liberalisierung in Europa [1, 2]. Einige Beispiele aus der Vergangenheit und der Gegenwart zeigen jedoch auf, dass Wettbewerb im SPFV-Markt im Gegensatz dazu extrem anspruchsvoll ist. InterConnex, ein Tochterunternehmen der heutigen Transdev GmbH, stieg in 2002 in den Markt ein und betrieb die Strecke Warnemünde-Leipzig, nachdem die DB das Interregio Netzwerk eingestellt hatte. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, auch weitere Strecken zu bedienen, stellte InterConnex im Dezember 2014 die Verkehre ein. In 2012 nahm das private Unternehmen Hamburg-Köln-Express (HKX) den Betrieb auf der Strecke Hamburg-Köln mit bis zu drei täglichen Zugpaaren in direktem Wettbewerb zur DB Fernverkehr auf. Nach dem erfolglosen Versuch, auch Frankfurt am Main anzubinden, und einigen wirtschaftlichen Problemen reduzierte HKX die Leistung und verbindet Hamburg und Köln aktuell nur noch an Wochenenden. Nachdem Locomore auch am Markteintritt des HKX beteiligt war, startete das private Eisenbahnunternehmen im Dezember 2016 eigene Verkehre mit einer täglichen Verbindung zwischen Stuttgart und Berlin, in direktem Wettbewerb zu DB Fernverkehr. Trotz 70 000 Fahrgästen in den ersten 100 Tagen konnte sich das Angebot nicht durchsetzen [3]. Locomore meldete am 11.05.2017 Insolvenz an und stellte am 12.05.2017 vorerst den Betrieb ein [4]. Neben den beschriebenen Markteintritten bereiteten die beiden privaten Unternehmen MSM und derschnellzug.de in 2012/ 2013 sowie 2015/ 2016 erfolglos einen Markteintritt vor und scheiterten. Die genannten Praxisbeispiele werfen die Frage auf, warum Wettbewerb im deutschen SPFV-Markt so schwierig ist - trotz der gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen. In der existierenden Fachliteratur ist kein Ansatz zu finden, der Einfluss auf Wettbewerb im SPFV gesamthaft betrachtet. Delphi-Studie In 2016 wurde daher in einer europaweiten Delphi-Studie die Frage gestellt, welche Faktoren Wettbewerb im SPFV positiv und negativ beeinflussen und somit Wettbewerb fördern oder hindern. Das Delphi-Panel bestand aus 30 Experten mit Erfahrung zu eigenwirtschaftlichem Wettbewerb im SPFV in Deutschland, Tschechien, Italien, Österreich, Schweden und der EU im Allgemeinen. Befragt wurden hochrangige Experten aus Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVUs), Forschung und Beratung sowie Politik und Institutionen. 67 % aller Befragten verfügten über eine Arbeitserfahrung von mehr als zehn Jahren in der In- Foto: Locomore Wettbewerb POLITIK POLITIK Wettbewerb Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 12 dustrie, 33 % aller Experten hielten CEO- oder Vorstandsposten. Die Studie bestand aus drei Runden digitaler Fragebögen: In der ersten Runde wurden die Einflussfaktoren abgefragt, in den weiteren Runden wurde die Intensität der Einflussnahme bewertet. Die Rücklaufquote betrug in der ersten Runde 83 %, in der zweiten Runde 100 % und in der dritten Runde 92 %. Die Intensität der Einflussfaktoren wurden auf einer Skala von 0 bis 4 bewertet (0 = kein Einfluss, 4 = sehr starker Einfluss) und nach ihrem Mittelwert aufsteigend aufgereiht. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Top 25-Einflussfaktoren, die im Folgenden als Rahmen für die Analyse von Marktantrittsplanung, Betrieb und Insolvenz von Locomore verwendet werden. Die Studie zeigt auf, dass vor allem wirtschaftliche Faktoren den Wettbewerb beeinflussen, gefolgt von politisch-rechtlichen Faktoren. Der Fall Locomore Locomore GmbH & Co. KG wurde in 2007 von Derek Ladewig gegründet mit dem Ziel, ein neues, umweltfreundliches und erschwingliches Mobilitätskonzept auf die Schiene zu bringen, das eine Alternative zur DB Fernverkehr darstellt. Ladewig ist studierter Verwaltungswissenschaftler und war vor der Gründung von Locomore als Spezialist für Verkehr und Eisenbahn, unter anderem als bahnpolitischer Referent im Bundestag, tätig. Locomore war maßgeblich an der Initiierung des HKX beteiligt und Gründungsgesellschafter; Ladewig übernahm die Geschäftsführung. In 2011/ 2012 stieg Locomore laut eigenen Angaben aufgrund von strategischen Differenzen mit dem HKX- Hauptinvestor RDC Deutschland aus und gab seine Anteile an HKX weitestgehend ab. Nach dem Ausstieg aus HKX begann Locomore damit, einen eigenen Marktantritt vorzubereiten und startete im Dezember 2016 mit einer täglichen Verbindung auf der Linie Stuttgart - Berlin. Zum Markteintritt hielt Ladewig 61,5 % der Geschäftsanteile, 22,5 % wurde von stillen Teilhabern gehalten und 16 % durch das Locomore Team [5]. Nach fünf Monaten Bahnbetrieb, diversen Problemen am gemieteten Wagenmaterial und nach stetig steigenden, aber nicht ausreichend hohen Ticketerlösen musste Locomore Mitte Mai Insolvenz anmelden [4]. Die Entwicklung von Locomore ist seit der Unternehmensgründung durch unterschiedliche Einflussfaktoren geprägt, in verschiedenen Phasen traten jeweils andere Faktoren in den Vordergrund. Im Folgenden werden die Haupteinflussfaktoren genauer thematisiert. Die Ergebnisse basieren auf einer Fallstudie der Autoren, die auf offiziellen Berichten und Dokumenten, Studien, Experteninterviews sowie Pressemeldungen basiert. Planungsphase Bereits in der Planungsphase wirken unterschiedliche Einflussfaktoren auf neu eintretende Wettbewerber ein, wie der Zugang zu attraktiven Trassen (1; siehe Tabelle 1) und Schienenfahrzeugen (6), der Zugang zu Bahnanlagen (7), der Zulassungsprozess (8), der Unternehmergeist der Akteure (12) sowie den Zugang zu Finanzierung (16). Beispiele der letzten Jahre zeigen, dass diese bereits vor dem eigentlichen Markteintritt zum Scheitern führen können. Locomore meisterte die größten Hürden während der Planungsphase gut. Was für MSM und derschnellzug.de unmöglich gewesen war, gelang Locomore: Das Unternehmen erhielt Zugang zu attraktiven und passenden Trassen auf dem hoch frequentierten Korridor Stuttgart-Berlin. Nach langjährigen Erfahrungen mit HKX beantragte Locomore frühzeitig Rahmenvertragstrassen bei DB Netz und sicherte sich somit die notwendigen Fahrwege bis 2020. Auch der Zugang zu Bahnanlagen wie Bahnhöfe und Abstellanlagen gelangen Locomore. Schwieriger gestaltete sich der Zugang zu ausreichender Finanzierung: Trotz umfassender Suche und zahlreichen Gesprächen mit Investoren und Banken gelang Locomore keine Sicherung von klassischen Finanzierungsmitteln. Vor allem die generell niedrige Profitabilität in der Industrie, genau wie die Ungewissheit bezüglich des Verhaltens des Marktführers machten die Suche nach Finanzierung in Deutschland schwierig. Aus diesem Grund entschied sich Locomore für ein Crowdfunding-Verfahren und sammelte bis Januar 2017 über 700 000 EUR, um die operativen Kosten der ersten Betriebsmonate zu-decken. Die mangelnde Finanzierung in der frühen Planungsphase machte Locomore einen Zugang zu neuen Schienenfahrzeugen unmöglich, obwohl bereits Gespräche mit Herstellern geführt worden waren. Der fehlende Markt für gebrauchte Triebzüge und Wagen machte es schwierig, günstiges Rollmaterial zu erwerben beziehungswiese zu mieten. Locomore entschied sich für eine Kooperation mit der SRI Rail Invest GmbH. SRI erwarb alte IC-Wagen in den Niederlanden und ließ sie in Rumänien eigens für Locomore modernisieren. Der Zulassungsprozess der Wagen gestaltete sich dabei als unproblematisch. Nr. Einflussfaktor Mittelwert 1 Zugang zu attraktiven Trassen 3,27 2 Marktpotenzial und Marktgröße der Verbindung oder des Netzwerks 3,18 3 Existenz von intermodalem Wettbewerb 2,86 4 Niedrige Profitabilität in der Industrie 2,86 5 Infrastrukturkosten 2,86 6 Zugang zu Schienenfahrzeugen 2,82 7 Zugang zu Bahnanlagen (Stationen, Instandhaltung, etc.) und Daten 2,68 8 Zulassungsprozess 2,64 9 Fehlende technische Harmonisierung in der EU 2,59 10 Einstellung der Politik und Regierung zu Wettbewerb 2,50 11 Zahlungsbereitschaft der Kunden 2,45 12 Unternehmergeist 2,43 13 Zugang zu Vertriebssystemen 2,41 14 Law in Action 2,36 15 Entflechtung von Infrastruktur und Betrieb 2,27 16 Zugang zu Finanzierung 2,27 17 Möglichkeit für Cherry Picking 2,23 18 Zustand von und Investition in Infrastruktur 2,18 19 Quersubventionierung von EVUs und mangelnde Transparenz 1,91 20 Vorhandensein von Netzwerkeffekten für das Staatsunternehmen 1,90 21 Vorhandensein von (starken) Gewerkschaften 1,86 22 Law in the Books 1,81 23 Anpassung an Kundenerwartungen 1,73 24 Vorhandensein von notwendigem Personal 1,73 25 Leistung und Auftreten des Staatsunternehmens 1,68 Tabelle 1: Einflussfaktoren auf Wettbewerb im SPFV, bewertet auf einer Skala von 0 = kein Einfluss bis 4 = sehr starker Einfluss. Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 13 Wettbewerb POLITIK Neben den hier bereits beschriebenen Einflussfaktoren spielte auch der Unternehmergeist in der Planungsphase von Locomore eine Rolle: Vor allem die Erfahrungen, die Ladewig und sein Team mit HKX gesammelt hatten, unter anderem im Bezug auf Beantragung von Trassen und Wagenmodernisierung, haben Locomore in der Planungsphase maßgeblich geholfen. Betriebsphase Ist der Markteintritt geschafft, zeigen Beispiele wie HKX und InterConnex, wie schwierig es ist, Wettbewerb auf der Schiene stabil und profitabel zu gestalten. Auch Locomore rang nach Markteintritt mit einigen Einflussfaktoren wie Marktgröße und Marktpotential (2), der Existenz von intermodalem Wettbewerb (3), Infrastrukturkosten (5) sowie der Zahlungsbereitschaft der Kunden (11) und Zugang zu Vertriebssystemen (13). Durch das Verbinden von zwei Metropolen wie Stuttgart und Berlin sowie das Anfahren weiterer Großstädte wie Frankfurt am Main erhoffte sich Locomore ausreichend Marktgröße und Marktpotential. DB Fernverkehr betreibt die Linie bereits erfolgreich und bietet eine Direktverbindung im Zweistundentakt an. Locomore trat mit einem täglichen Zugpaar an. Um profitabel operieren zu können, benötigte Locomore eine Auslastung von mindestens 50% mit 1000 verkauften Tickets pro Tag. In den ersten 100 Tagen beförderte Locomore 70 000 Passagiere, das Ziel von 1000 verkaufen Tickets pro Tag wurde dabei nur an Hochlasttagen wie Freitagen und Sonntagen erzielt. Darüber hinaus führte das modernisierte, aber dennoch ältere Rollmaterial zu technischen Störungen, überdies waren noch nicht alle Wagen zum Betriebsstart modernisiert. Um den Betrieb zu stabilisieren, reduzierte Locomore die Leistung auf die fünf nachfragestärksten Tage in der Woche. Tickets verkaufte Locomore über eigene Vertriebskanäle, vor allem online, über die Servicehotline und an Bord der Züge. Es war Locomore nicht gelungen, in das Vertriebssystem der DB aufgenommen zu werden. Einen weiteren Einfluss übte die intermodale Konkurrenz in Form von Fernbussen auf Locomore aus: Mit einer durchschnittlichen Anzahl von mehr als 70 Verbindungen zwischen Stuttgart und Berlin haben Fernbusunternehmen in den Jahren seit der Marktliberalisierung in 2013 einen fundierten Kundenstamm aufgebaut. Fernbusbetreiber adressieren vor allem preissensible Reisende - ähnlich wie Locomore. Darüber hinaus hat der Preiskampf der Busbetreiber in den letzten Jahren zu einer geänderten Preiswahrnehmung geführt: Die Zahlungsbereitschaft der Kunden ist noch geringer als vor der Marktliberalisierung. Als Reaktion auf die günstige Buskonkurrenz passte auch DB Fernverkehr das Preisniveau an und bot einen höheren Prozentsatz günstigerer Tickets an. Dies spürte auch Locomore, welches, um das Auslastungsziel zu erreichen, viele günstige Tickets anbieten musste. In 2014 war dies bereits ein entscheidender Grund für den Marktaustritt von InterConnex gewesen. Der geringen Zahlungsbereitschaft der Kunden steht die hohe Kostenbelastung im SPFV entgegen, unter der auch Locomore litt: Allein die Höhe der Infrastrukturkosten wird auf 25 bis 30 % der Gesamtkosten geschätzt [6]. Darüber hinaus kaufte Locomore die Traktionsleistung inklusive Lokomotive bei Hector Rail ein und beschäftigte nur das Servicepersonal an Bord sowie einen schlanken Overhead selbst. Insolvenz Am 11.05.2017 meldete Locomore in Berlin Insolvenz an und betreibt vorerst keine Verkehre mehr. Die Insolvenz ist ebenfalls durch eine Anzahl von Einflussfaktoren zu erklären, einige davon zeichneten sich bereits in der Planungs- und Betriebsphase ab, wie Marktgröße und Marktpotential (2), niedrige Profitabilität in der Industrie (4), geringe Zahlungsbereitschaft (11) sowie Zugang zu Finanzierung (16). Während die schlechte wirtschaftliche Lage des InterConnex über die Jahre durch Transdev getragen wurde und Henry Posner III als geduldiger Investor hinter RDC Deutschland die roten Zahlen des HKX akzeptiert, hatte Locomore aufgrund der geringen Finanzierungssumme keine weitere Absicherung und war auf den sofortigen Erfolg der Verkehre angewiesen. Dies führte letztendlich zur Zahlungsunfähigkeit. Das erwartete Marktpotential konnte nicht wie geplant realisiert werden und die Auslastung betrug nicht dauerhaft 50 %. Die niedrige Profitabilität in der Industrie zeigte sich in der geringen Zahlungsbereitschaft der Kunden, welche zu geringen durchschnittlichen Ticketpreisen buchten, die kein profitables Wirtschaften erlaubten. Die Kostenstruktur in der Eisenbahnindustrie sorgte damit für ein negatives Ergebnis, was nicht aufgefangen werden konnte. Aktuell ist Locomore auf der Suche nach Investoren und Partnern, die einen Weiterbetrieb auf der Strecke und im nächsten Schritt eine Expansion möglich machen. Abschluss Der Fall Locomore zeigt, dass Wettbewerb im deutschen SPFV noch immer schwierig ist und von vielen Einflussfaktoren abhängt. Die generell geringe Profitabilität der Industrie, die letztlich zur Insolvenz von Locomore führte, wurde durch den Markteintritt der Fernbusse in 2013 noch weiter verschlechtert. Dazu kommen vor allem die Schwierigkeit, ausreichende Finanzierung zu erhalten sowie der Zugang zu Rollmaterial - der Locomore zwar zunächst gelungen ist, aber über die Unstabilität auch zum Scheitern beigetragen hat. Es hat sich gezeigt, dass die Trennung von Infrastruktur und Betrieb in Deutschland für Locomore gut funktioniert hat und Trassen gefunden werden konnten. Es konnte keine Diskriminierung der DB gegenüber Locomore aufgezeigt werden. Ein Großteil der in der Delphi Studie erarbeiteten Top 25-Einflussfaktoren erwiesen sich als relevant in der Planungs-, Betriebs- und Insolvenzphase von Locomore und konnten somit in ihrer Wirksamkeit für den deutschen Markt bestätigt werden. ■ LITERATUR [1] Kirchner, Christian (2011): Rail Liberalisation Index 2011. Market opening: comparison of the rail markets of the Member States of the European Union, Switzerland and Norway. Herausgegeben von IBM Deutschland GmbH, Brüssel [2] Deutsche Bahn AG (2016): Wettbewerbsbericht 2016, https: / / www. deutschebahn.com/ file/ de/ 11877804/ rQAC0F2MrPToryGj9rSdati- 3fiw/ 11698752/ data/ 160712_wettbewerb.pdf, [abgerufen am 09.07.2017] [3] Locomore (2017): Betriebsupdate und Bilanz, https: / / locomore.com/ de/ aktuelles/ 2017-04-06/ , [abgerufen am 16.07.2017] [4] Locomore (2017): Locomore GmbH & Co. KG hat Insolvenz angemeldet (aktualisiert), https: / / locomore.com/ de/ aktuelles/ 2017-05-11/ , [abgerufen am 23.05.2017] [5] Locomore (2017): Über Locomore, https: / / locomore.com/ de/ ueber, [abgerufen am 09.07.2017] [6] Finger, Matthias; Messulam, Pierre (2015): Rail economics and regulation. In Matthias Finger, Pierre Messulam (Hrsg.): Rail Economics, Policy and Regulation in Europe. Cheltenham, UK: Edward Elgar Publishing Limited, pp. 1-21 Torsten Busacker, Prof. Dr. Professor an der Fakultät für Tourismus, Hochschule München torsten.busacker@hm.edu Jingjing Xu, Prof. Dr. Associate Dean Research an der Fakultät für Business, University of-Plymouth jingjing.xu@plymouth.ac.uk Lisa Feuerstein, M.Sc. Doktorandin, University of Plymouth lisa.feuerstein@plymouth.ac.uk POLITIK Verkehrsverlagerung Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 14 Welches zusätzliche Potenzial hat die Schiene im Fernverkehr? Wirkung ordnungspolitischer Maßnahmen zur Senkung der-Reisekosten Fernverkehr, Schienenverkehr, Verkehrsverlagerung, Verkehrsprognose 2030, Umweltwirkung Der vorliegende Artikel zeigt, welche modalen Verlagerungseffekte durch ordnungspolitisch begründete Maßnahmen zur Senkung der Reisekosten zugunsten des Schienenpersonenfernverkehrs realisiert werden könnten. Als mögliche Maßnahmen werden eine Senkung der Mehrwertsteuer sowie Senkungen weiterer politisch beeinflussbarer Nebenkosten untersucht. Die Berechnung des Verkehrsverlagerungspotenzials erfolgt auf Grundlage der Verkehrsprognose 2030 des BMVI. Mit dem Emissionsmodell TREMOD werden Reduktionen des Endenergieverbrauches und der CO 2 -Emissionen berechnet. Falko Nordenholz, Christian Winkler, Wolfram Knoerr D er Klimaschutzplan der Bundesregierung sieht bis zum Jahr 2050 vor, die gesamten Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 80 bis 95 % zu reduzieren. Hierzu wird für den Verkehrssektor eine nahezu vollständige Dekarbonisierung angestrebt [1]. Gleichzeitig fordert das Energiekonzept der Bundesregierung, den Endenergieverbrauch im Verkehr gegenüber 2005 um 40 % zu senken [2]. Trotz der ambitionierten umweltpolitischen Ziele für den Verkehrssektor muss die Mobilität von Menschen und Gütern weiterhin gewährleistet bleiben. Die Verlagerung des Personenverkehrs vom motorisierten Individualverkehr auf alternative Mobilitätsformen oder Verkehrsträger kann ein Weg sein, diese Ziele umzusetzen. Für die Alltagsmobilität existieren auf kommunaler oder regionaler Ebene vielfältige Konzepte, um entsprechende Verkehrsverlagerungen zu erzielen. Die Langstreckenmobilität steht hier noch weniger stark im Fokus. Obwohl der Schienenverkehr auf Langstrecken eine schnelle und ökologisch vorteilhafte Alternative bietet, wird der überwiegende Teil des Fernverkehrs in Deutschland mit dem Auto durchgeführt. Um die angestrebten umweltpolitischen Ziele zu erreichen, hätten weitere Verlagerungen auf die Schiene einen positiven Effekt. Der aktuelle Bundesverkehrswegeplan setzt hierzu einen Fokus auf Verbesserungen der Schieneninfrastruktur, die zu Beschleunigungen und damit Reisezeiteinsparungen führen. Im vorliegenden Beitrag werden Ergebnisse einer durch die Autoren des Beitrags erstellten Studie [3] vorgestellt, die sich mit einer darüber hinausgehenden Attraktivitätssteigerung des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV) beschäftigt. Betrachtet werden dabei Wege innerhalb Deutschlands mit einer Entfernung von über 100 km. Vorgestellt werden hier denkbare regulatorische und preispolitische Maßnahmen, die Verringerungen der Reisekosten für die Verkehrsteilnehmer bewirken können. Die Maßnahmen werden hinsichtlich ihrer verkehrlichen und ökologischen Wirkung bewertet, wofür sie mit einem Referenzszenario verglichen werden. Das Referenzszenario entspricht dabei den Ergebnissen der Verkehrsprognose 2030 des Bundes (VP 2030). Als Zeithorizont der Analyse und des Vergleichs dient das Prognosejahr 2030. Ableitung von Maßnahmen und eines Kostenszenarios Eine wesentliche Grundlage für die Untersuchung ist eine umfassende Literaturstudie für Großbritannien, welche detailliert Einflussgrößen auf das Wahlverhalten der Menschen für oder gegen den Schienenverkehr kategorisiert und analysiert [4]. Diese Arbeit diente als wichtige Grundlage für die hier vorgestellte Studie, deren Erkenntnisse auf den deutschen Markt übertragen wurden. Die Autoren erläutern zahlreiche Faktoren und deren Einfluss auf die Entscheidung der Verkehrsmittelwahl. Sie führen hierzu eine Unterscheidung in harte, weiche und komplementäre Faktoren ein. Unter harten Faktoren werden Einflussgrößen subsumiert, deren Wirkungen sich unmittelbar in metrischen Skalen formulieren lassen. Dies sind beispielsweise Reisezeiten und Reisekosten. Die Wirkung der weichen Faktoren ist nicht unmittelbar quantifizierbar, sondern hängt von der subjektiven Bewertung des Einzelnen ab. Dies kann beispielsweise eine komfortable Aufbewahrung des Reisegepäcks oder die Verfügbarkeit von WLAN während der Reise sein. Bei komplementären Faktoren handelt es sich hingegen um individuelle Größen, die nicht oder nur schwer von außen beeinflussbar sind. Hierzu zählen etwa der kulturelle Hintergrund einer Person, deren Alter oder die Mitführung von Gepäck bei der Reise. Die bei dieser Literaturstudie gewonnenen Erkenntnisse wurden auch im Rahmen eines Workshops mit Fachexperten und Interessensvertretern diskutiert. Ein Resultat des Workshops ist, dass die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Verkehrsmittelwahl die Reisezeiten und Reisekosten sind. Dies deckt sich mit Beobachtungen zahlreicher empirischer Studien zum Verkehrsverhalten der Menschen. Im vorliegenden Beitrag wird ausschließlich die Wirkung der Senkung von Reisekosten im SPFV untersucht. Bei der Definition des Kostenszenarios stehen mögliche Maßnahmen zur Kostenreduzierung im Fokus, die seitens des Bundes beeinflusst werden können. Konkret wird im Szenario von einer Befreiung des Schienenverkehrs von der Mehrwertsteuer Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 15 Verkehrsverlagerung POLITIK und der Stromsteuer einschließlich der Umlage im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ausgegangen. Darüber hinaus erfolgt die Annahme der Halbierung der Trassenpreise. Unter der Annahme, dass die Kostenreduzierungen vollständig bei den Endkunden ankommen, ergibt sich durch die Maßnahmen in Summe eine Reduzierung der Reisekosten (Kilometerpreise) um ca. 25 % gegenüber dem Referenzszenario. Das Kostenszenario unterscheidet sich ausschließlich durch diese Kostenänderungen vom Referenzszenario. Die politische Umsetzbarkeit der genannten Optionen kann hier nicht ausführlich diskutiert werden. So würde aber die Senkung der Trassengebühren auf die Grenzkosten zu einer Halbierung der Trassenpreise führen. Dass entsprechende Reduzierungen möglich sind, zeigt der jüngst vorgestellte Masterplan Schienengüterverkehr [5], der eine Halbierung der Trassenpreise für den Güterverkehr vorsieht. Reformpotenzial besteht grundsätzlich auch bei der Mehrwertsteuer. So werden bislang für Fahrten im ÖPNV, definitionsgemäß Fahrten mit weniger als 50 km Reiseweite, der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 % angewendet, für längere Fahrten hingegen der volle Satz von 19 %. Eine Absenkung des Steuersatzes für den Fernverkehr oder sogar - wie im Kostenszenario angenommen - eine vollständige Befreiung des gesamten Schienenpersonenverkehrs von der Mehrwertsteuer wäre denkbar. Diese Regelung wird in einigen anderen europäischen Staaten bereits angewendet [6]. Ermittlung des Verlagerungspotenzials Für die Quantifizierung des Verlagerungspotenzials ist die Anwendung eines Verkehrsmittelwahlmodells für den Fernverkehr in Deutschland erforderlich. Hierfür kommt ein sogenanntes Pivot-Point-Modell zur Anwendung, das Nachfrageänderungen bezogen auf einen Ausgangszustand ermittelt [7]. Der Ausgangszustand entspricht hier dem Referenzszenario, dessen Ergebnis die verkehrsmittelfeinen Nachfragematrizen der VP 2030 [8] sind. Die VP 2030 wurde als Grundlage des aktuellen Bundesverkehrswegeplans erstellt. Deutschland ist dabei räumlich in 412 Verkehrszellen unterteilt, was der NUTS3-Einteilung zum Stand 31.12.2010 entspricht. Die im Rahmen der VP 2030 ermittelten Nachfragematrizen sind unterschieden nach Verkehrsmitteln und Fahrtzwecken. Für die Berechnungen der hier vorgestellten Studie werden nur Fahrten mit einer Reiseweite von über 100-km betrachtet. Für das Kostenszenario werden neue Verflechtungsmatrizen für jedes Verkehrsmittel im Fernverkehr bestimmt, wobei ausschließlich die Änderungen der Reisekosten Eingang finden. Um diese modalen Verlagerungen zu ermitteln, sind neben den VP-Verflechtungsmatrizen zusätzlich Informationen der Präferenzen der Verkehrsteilnehmer gegenüber Änderungen der Reisekosten notwendig. Hierfür wird auf Ergebnisse der deutschlandweiten Zeitwertstudie zurückgegriffen, die im Rahmen der Erstellung des Bundesverkehrswegeplans 2030 durchgeführt wurde [9]. Das entwickelte und angewandte Pivot- Point-Modell ermittelt die Nachfrage differenziert nach den in Tabelle 1 aufgezählten Kategorien. Für detailliertere Ausführungen des Modellansatzes sei auf [3] verwiesen. Die Anwendung des Modells liefert für das Kostenszenario neue Nachfrageergebnisse, welche die Wirkung der Maßnahmen auf die Verkehrsmittelwahl im Fernverkehr zeigen. Die Ergebnisse sind in Form der Verkehrsleistung in Bild 1 den Zahlen des Referenzszenarios gegenübergestellt. Zunächst ist zu erkennen, dass der Anteil der Eisenbahn steigt. Dabei erhöht sich der Anteil an der erbrachten Gesamtverkehrsleistung von 15 auf 17 %. Der Anteil des MIV fällt von 77 auf 75 %. Sowohl die Verkehrsleistung als auch die entsprechenden Anteile des Bus- und Luftverkehrs gehen ebenfalls leicht zurück. Festzustellen ist, dass das Verlagerungspotenzial mit den betrachteten Maßnahmen als eher gering einzuschätzen ist. Der Grund hierfür liegt vor allem an der vergleichsweise schlechten Konkurrenzfähigkeit der Eisenbahn im Fernverkehr abseits der gut erschlossenen Großstädte. So wirken die Kostenreduzierungen im Wesentlichen auf Relationen mit einem guten oder zumindest vorhandenen Fernverkehrsanschluss der Eisenbahn. Ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland kann davon jedoch nicht profitieren und ist im Fernverkehr weiterhin stark auf den MIV angewiesen. Abschätzung der Wirkungen auf den Endenergieverbrauch und CO 2 -Emissionen Der Endenergieverbrauch und die CO 2 - Emissionen werden mit dem TRansport Emission MODel TREMOD [10] berechnet. Die Annahmen für das Referenzszenario basieren wie auch die Annahmen zur Verkehrsnachfrage auf der VP 2030. Bezüglich der Entwicklung der Flottenzusammensetzung und deren Merkmale (Effizienzentwicklung, Emissionsverhalten, Nutzungsmuster) sowie die zukünftige Entwicklung von Energieträgern nach Typ (Strom oder Kraftstoff), Herkunft (konventionelle oder erneuerbare Energien) und Eigenschaft (z. B. Kohlenstoff-Gehalt), wird weitgehend den Annahmen des TREMOD-Trendszenarios gefolgt. Allerdings wird im Kostenszenario die Veränderung der Verkehrsleistung (Personen-km) im Vergleich zum Referenzszenario für alle Modi berücksichtigt. Darüber hinaus wird angenommen, dass der zusätzlichen Verkehrsnachfrage insbesondere zu Spitzenzeiten durch ein höheres Sitzplatzangebot (längere Züge) begegnet wird. Zudem wird eine leicht höhere mittlere Ka- Verkehrsmittel Fahrtzweck Eisenbahn Arbeit Bus Ausbildung MIV Einkaufen Flugzeug Geschäftlich Urlaub Sonstiges Tabelle 1: Differenzierte Verkehrsmittel und Fahrtzwecke 46,9 53,4 236,7 231,7 11,1 10,8 12,3 11,8 0 50 100 150 200 250 300 350 Kostenszenario Referenzszenario Verkehrsleistung (Mrd. Pkm) Flugzeug Bus MIV Eisenbahn Bild 1: Entwicklung der Verkehrsleistung im-Referenz- und Kostenszenario POLITIK Verkehrsverlagerung Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 16 pazitätsauslastung von Fernverkehrszügen von 56 % gegenüber 51 % im Analysefall angenommen. Details zu den getroffenen Annahmen finden sich in [3]. Die erzielten Verkehrsverlagerungen wirken sich auch auf den Endenergiebedarf und die CO 2 -Emissionen des Verkehrs aus. Trotz der Berücksichtigung eines leicht höheren Endenergieaufwandes im Schienenverkehr, der sich aus dem zusätzlichen Sitzplatzangebot ergibt, resultiert ein geringerer Gesamtendenergieaufwand als im Referenzszenario. Bei den CO 2 -Emissionen wird ein Rückgang um 2,5 % erreicht. Die Veränderung der Energiekennzahlen des Fernverkehrs ist im Vergleich zum Ist-Zustand 2010 in Bild 2 und Bild 3 dargestellt. Die Bilder 2 und 3 zeigen, dass bereits auf Basis der in der VP 2030 angenommenen Entwicklungen erhebliche Rückgänge in CO 2 -Emissionen und Endenergieverbrauch erzielt werden können. Bei einer Umsetzung der Maßnahmen des Kostenszenarios wären aber noch weitere Einsparungen möglich. Fazit Reisekosten sind eine der wichtigsten Einflussgrößen bei der Wahl eines Verkehrsmittels. Dies gilt generell, aber vor allem auch für den Fernverkehr. In diesem Verkehrssegment zeichnet sich der Schienenverkehr durch seine hohe Energieeffizienz und seinen geringen CO 2 -Ausstoß aus. Daher spielt der SPFV eine wichtige Rolle bei der Erzielung wichtiger klimapolitischer Ziele. Im vorliegenden Beitrag wurden hierfür Maßnahmen zur Reduzierung der Nutzerkosten im SPFV analysiert, die durch den Bund unmittelbar beeinflussbar sind. Denn auf die Preisgestaltung von Unternehmen kann der Bund im eigenwirtschaftlich organisierten Fernverkehrsmarkt keinen direkten Einfluss nehmen. Er kann allerdings den Rechtsrahmen so ausgestalten, dass die Nebenkosten des Schienenverkehrs niedrig sind und so Lenkungseffekte erzielen. Die untersuchte Senkung der Nutzerkosten durch Entlastung des Schienenverkehrs bei Mehrwertsteuer, Stromsteuer und Trassenpreisen könnte politisch mit schneller Wirkung beschlossen werden. Die Betrachtung der Ergebnisse zeigt allerdings, dass mögliche Kostenreduzierungen mittels preispolitischer Maßnahmen zwar eine Wirkung erzielen, diese jedoch vergleichsweise moderat ausfallen. Neben der Reduzierung der Reisekosten sind daher auch Beschleunigungsmaßnahmen erforderlich. Zudem ist es notwendig, eine stärkere Verknüpfung von Nah- und Fernverkehr zu realisieren. So könnten auch Menschen, die nicht unmittelbaren Zugang zum Schienenfernverkehr haben, von attraktiveren Angeboten im Gesamtsystem Schiene profitieren. Ein Schritt in diese Richtung kann ein integraler Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild sein. Das Projekt „Deutschland-Takt“ ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. ■ LITERATUR [1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (2016): Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung; Berlin. [2] Bundesregierung (2010): Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung; Berlin. [3] F. Nordenholz, C. Winkler, W. Knörr (2015): Endbericht Verkehrsverlagerungspotenzial auf den Schienenpersonenfernverkehr in Deutschland im Auftrag des BMVI. [4] S. Blainey, A. Hickford und J. Preston (2012). Barriers to Passenger Rail Use: A Review of the Evidence. Transport Reviews, Vol.32, No. 6, S. 675-696. [5] BMVI, Allianz pro Schiene, BDI, DB AG, DSLV, DVF, kombiverkehr, NEE, SGKV, Wirtschaftsvereinigung Stahl, VDB, VDV und VPI (2017): Masterplan Schienengüterverkehr; Berlin. [6] Europäische Union (2016): VAT rates applied in the Member states of the European Union. URL: http: / / ec.europa.eu/ taxation_customs/ sites/ taxation/ files/ resources/ documents/ taxation/ vat/ how_vat_ works/ rates/ vat_rates_en.pdf. [7] J. de Dios Ortuzar, L. Willumsen (2011): Modelling Transport; 4th-Edition, Wiley; Chichester. [8] ITP, BVU (2014): Verkehrsverflechtungsprognose 2030 Los 3: Erstellung der Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen unter Berücksichtigung des Luftverkehrs; Berlin. [9] TNS Infratest, ETH Zürich (2015): Ermittlung von Bewertungsansätzen für Reisezeiten und Zuverlässigkeit auf der Basis eines Modells für modale Verlagerungen im nicht-gewerblichen und gewerblichen Personenverkehr für die Bundesverkehrswegeplanung; Berlin. [10] W. Knörr, C. Heidt et al. (2015): Aktualisierung „Daten- und Rechenmodell: Energieverbrauch und Schadstoffemissionen des motorisierten Verkehrs in Deutschland 1960-2035“ (TREMOD) für die Emissionsberichterstattung 2016 (Berichtsperiode 1990-2014). Im Auftrag des Umweltbundesamtes. Projektnummer 54329, Heidelberg. Christian Winkler, Dr. Institut für Verkehrsforschung, DLR, Berlin christian.winkler@dlr.de Wolfram Knörr ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg wolfram.knoerr@ifeu.de Falko Nordenholz Institut für Verkehrsforschung, DLR, Berlin falko.nordenholz@dlr.de 1,5 0,6 0,7 25,4 21,5 21,0 1,9 1,6 1,6 2,8 2,7 2,6 0 5 10 15 20 25 30 35 Kostenszenario Referenzszenario 2010 CO2-Emissionen (Mill. Tonnen) Flugzeug Bus MIV Eisenbahn 26,4 25,9 31,6 Bild 2: Entwicklung der CO 2 -Emissionen des Fernverkehrs im Jahr 2010 als Vergleich, im Referenz- und Kostenszenario 9,4 8,7 9,1 303,6 259,8 254,4 22,7 19,6 19,5 31,2 30,5 29,2 0 50 100 150 200 250 300 350 400 Endenergieverbrauch (PJ) Flugzeug Bus MIV Eisenbahn 318,6 312,2 366,9 Kostenszenario Referenzszenario 2010 Bild 3: Entwicklung des Endenergieverbrauchs des Fernverkehrs im Jahr 2010 als Vergleich, im Referenz- und Kostenszenario Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 17 I n Brüssel sorgt man sich um den freien Handel. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist der EU der wichtigste Globalisierungspartner abhanden gekommen. Die protektionistischen Tiraden des Mannes im Weißen Haus disqualifizieren ihn für die Staatengemeinschaft, deren Wirtschaftsleistung zu rund einem Drittel vom Handel mit dem Rest der Welt abhängt. Da ist es gut, dass es China gibt. Im Gegensatz zu den USA kommen aus dem Reich der Mitte freihandelsfreundliche Töne. China ist der größte Handelspartner der Union, und die EU ist der zweitwichtigste Lieferant von Waren und Dienstleistungen für die Chinesen. Mit der „Neuen Seidenstraßen-Initiative“ versuchen die Politiker in Peking, die Handelsverbindungen mit Europa noch zu stärken. Aber: Im vergangenen Jahr belief sich im Reich der Mitte die Rechnung für Importe aus der EU auf 170 Mrd. EUR. Im gleichen Jahr musste die Union für Einfuhren aus China in die Union 345 Mrd. EUR aufbringen: Aus Brüsseler Sicht übertraf der Wert der Importe den der Exporte um mehr als das Doppelte. Bei den Investitionen ist das Missverhältnis noch drastischer: China hat in der EU fünfmal so viel Geld für Firmenkäufe und Beteiligungen in die Hand genommen wie die Europäer im Reich der Mitte. Als Anfang Juni Spitzenpolitiker beider Seiten zum Gipfeltreffen zusammentrafen, kamen auch diese Relationen zur Sprache. Und prompt lief es nicht so rund: Die EU-Politiker weigerten sich, die „Neue Seidenstraßen-Initiative (One Belt One Road) der Chinesen bedingungslos zu unterstützen. Möglicherweise hatte der belgische Wissenschaftler Jonathan Holslag den EU-Politikern - Holslag berät den ersten Vizepräsidenten der EU-Kommission - ins Gewissen geredet. Sehr vereinfacht gesagt, warnt der belgische Politik-Professor und -Berater schon seit längerer Zeit davor, den Chinesen allzu leicht auf den Leim zu gehen. Denn sie wollen Freiheit vor allem auf den ausländischen Märkten, weniger daheim. So müssen ausländische Firmen in China nach wie mit Marktzugangshemmnissen und Schikanen rechnen. In Europa hingegen können sich chinesische Unternehmen ungehindert engagieren. Dabei genießen sie unfaire Vorteile. Die resultieren aus ihrer unangefochtenen Stellung auf dem heimischen Markt und dem quasi unbeschränkten Kapitalzufluss. Mit dem Staat im Hintergrund ist die Finanzierung von Investitionen im Ausland leicht. Leichter jedenfalls als in Unternehmen, die von Geschäftsbanken und privaten Kapitalgebern abhängen, wenn sie Geld in die Hand nehmen wollen. Hinzu kommt: Die Entwicklung weg von den staatlich beeinflussten Firmen in China, auf die viele in Europa gehofft hatten, scheint gestoppt. Immer noch gibt es 150 000 von ihnen, und ihre Investitionen haben die von Privatfirmen überholt. Dabei nehmen sie das Geld nicht gewinnorientiert in die Hand, sondern sie orientieren sich an strategischen Interessen der Regierung in Peking. Im Gegensatz zu Erwartungen der Europäer ersetzt die chinesische Führung ihre Exportorientierung auch nicht durch eine Stärkung des nationalen Konsums, der ausländischen Lieferanten nutzen könnte. Im Gegenteil: China bereitet sich mit massiven Investitionen in die eigene Industrie auf eine neue Ausfuhrwelle vor. Dabei - analysiert Holslag - versucht die Regierung, die gesamte Lieferkette nach Europa unter ihre Kontrolle zu bekommen - genau so, wie es ihr bei der Einfuhr von Rohstoffen aus Afrika bereits gelungen ist: von der westafrikanischen Mine bis zum ostafrikanischen Hafen, von der Schifffahrtslinie bis zur Veredelungsfabrik. Vereinfacht wird die Strategie, weil China sich in EU-Unternehmen und in europäische Infrastruktur einkaufen kann - wie etwa die Übernahme von Griechenlands größtem Hafen durch das staatliche Unternehmen Cosco zeigt. In Teilen der europäischen Hafenwirtschaft löst das zu Recht Besorgnis aus. Deshalb klang auf der Konferenz der Organisation Europäischer Seehäfen (Espo) in Barcelona bereits die Forderung an, dass die europäischen Staaten ihre Häfen als strategische Einrichtungen betrachten müssen. Investoren aus Drittstaaten dürften daran keine Mehrheitsanteile halten. Schon gar nicht, wenn sie aus China kommen: Denn Peking hält strikt an Kapitalbeschränkungen für ausländische Investoren fest. So provoziert Chinas Verständnis des freien Austauschs von Waren, Dienstleistungen und Kapital bereits eine protektionistische Abwehrhaltung in Europa. So sympathisch es klang, als Chinas Präsident Xi Jinping sich zur Globalisierung bekannte, nachdem sein US-Kollege sie verteufelte: Das Verständnis von freiem Handel ist derzeit im Reich der Mitte ein anderes als in der EU. Und der staatliche Einfluss auf die Wirtschaft darf nicht zu einem komparativen Vorteil Chinas werden. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Freihandel - staatlich gelenkt Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 18 INFRASTRUKTUR Barrierefreier ÖPNV Barrierefreier ÖPNV Teil I - Wege zur systematischen Umsetzung ÖPNV, Barrierefreiheit, Haltestellenkataster, Nahverkehrsplanung Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) macht Vorgaben für den Nahverkehrsplan und erwartet die vollständige Barrierefreiheit bis zum 01.01.2022. Die Umsetzung dieses Ziels und etwaige Abweichungen von der gesetzten Frist setzen eine realistische Maßnahmenplanung und zeitliche Vorgaben im Nahverkehrsplan (NVP) voraus. Oftmals fehlen den Aufgabenträgern verlässliche Datengrundlagen und Informationen, vor allem wenn sich die Haltestelleninfrastruktur nicht in eigener Baulastträgerschaft befindet. Wie gehen die Aufgabenträger damit um? Die Autoren berichten in Teil I des Beitrags über die Grundlagen und ihre Erfahrungen mit der Thematik. Teil II wird in der nächsten Ausgabe von Internationales Verkehrswesen konkrete Strategien zur systematischen Umsetzung behandeln. Rainer Hamann, Sebastian Schulz S chon frühzeitig, 1995 und 2001, hatte sich die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV) mit den im Arbeitskreis „Nahverkehrspläne“ erarbeiteten Arbeitspapieren 1 „Überlegungen zur Aufstellung von Nahverkehrsplänen„ und „Überlegungen zur Fortschreibung von Nahverkehrsplänen unter Berücksichtigung offener Fragen der Regionalisierung“ unter Beteiligung des Autors Hamann an die Aufgabenträger gewandt und dazu aufgefordert, die Belange behinderter Menschen im Nahverkehrsplan zu behandeln. Die Anfang der 90er Jahre entstandenen Nahverkehrspläne sollten sich aufgrund entsprechender Vorgaben in den Landes- ÖPNV-Gesetzen des Themas Barrierefreiheit annehmen. Vielfach blieb es bei allgemeinen Formulierungen und Zielvorstellungen, konkrete Maßnahmen oder gar zeitliche Umsetzungsvorgaben fehlten oft. Gesetzliche Vorgaben, Verbandspositionierungen Das seit 01.01.2013 geltende PBefG 2 hat in § 8, Abs. 3, die Umsetzung der Barrierefreiheit im ÖPNV präzisiert: „Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Die in Satz 3 genannte Frist gilt nicht, sofern in dem Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden. Im Nahverkehrsplan werden Aussagen über zeitliche Vorgaben und erforderliche Maßnahmen getroffen.“ Dies geschah sicherlich nicht zuletzt deshalb, weil • nach Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) am 01.05.2002 3 (Forderung nach Herstellung von weitgehender Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr), und • nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (vom 13.12.2006); in Deutschland durch das Zustimmungsgesetz vom 21.12.2008 am 26. März 2009 4, 5 • sowie nach eher schleppenden freiwilligen Umsetzungen seitens der mit dem ÖPNV Befassten sich nun der Gesetzgeber in der Pflicht sah, durch Vorgaben den Druck auf die Aufgabenträger, Baulastträger und Verkehrsunternehmen zu erhöhen. Umstritten ist seitdem die Auslegung dieser Vorgabe in Hinblick auf die Umsetzung. Die Aufgabenträger und kommunalen Baulastträger haben sich über ihre kommunalen Spitzenverbände positioniert und vertreten die Auffassung 6 : • „,Vollständige Barrierefreiheit zum 01.01.2022‘“ ist eine politische Zielbestimmung. • NVP haben keinen verbindlichen Rechtscharakter, und es gibt keinen subjektiven Anspruch auf die Umsetzung einzelner Maßnahmen. • Der Gesetzgeber hat mit der Zielbestimmung eines barrierefreien ÖPNV bis 2022 keine neuen technischen Anforderungen definiert: „Barrierefreiheit“ bleibt auch weiter ein Prozess der Annäherung an ein Ideal und ein Kompromiss zwischen den Bedürfnissen unterschiedlicher Gruppen von Menschen. Eine Freiheit von Hemmnissen für alle Formen von Behinderungen ist realistischerweise nicht zu erreichen. • Die Definition örtlicher Standards zur Barrierefreiheit auf Basis der allgemein anerkannten Regeln der Technik obliegt den Auf- Bild 1: Bushaltestelle, bereits überwiegend barrierefrei ausgebaut Bild: Hamann Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 19 Barrierefreier ÖPNV INFRASTRUKTUR gabenträgern in Abstimmung mit den Verkehrsunternehmen, Baulastträgern und den Verbänden, Beauftragten und Beiräten der Betroffenen. • Die Umsetzung der bei Aufstellung eines NVP erarbeiteten Maßnahmenprogramme zur Barrierefreiheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie kann nur im Zusammenspiel von Aufgabenträgern, Baulastträgern und Verkehrsunternehmen erreicht werden und steht unter dem Vorbehalt des seitens aller Beteiligten Möglichen und vernünftigerweise (finanziell, personell, organisatorisch) Leistbaren.“ In ihrem zitierten Papier werden die wesentlichen Aspekte eines barrierefreien ÖPNV benannt: • „die Haltestelleninfrastruktur, • die Gestaltung und Ausstattung der Fahrzeuge, • die Kommunikation mit den Kunden sowie • der Betrieb und die Unterhaltung der Anlagen. Nur in deren Zusammenspiel ist Barrierefreiheit im ÖPNV auf Basis des heutigen Standes der Technik sicher zu stellen.“ Hierzu wird weiterhin empfohlen, Prioritätensetzungen inkl. Kostenkalkulationen sowie Finanzierungsmöglichkeiten zu evaluieren. Anerkannt wird das Zwei-Sinne- Prinzip - bei wesentlichen Informationen und Orientierungshilfen müssen immer zwei der drei Sinne Hören, Sehen und Tasten angesprochen werden. Darauf aufbauend werden konkrete Vorschläge für die „Bestandsaufnahme und den Aufbau eines Haltestellenkatasters“, für die „Prioritätenbildung“ sowie für „Ausnahmen im Nahverkehrsplan“ und einen „Maßnahmenplan“ gemacht. Ausführliche Tipps zur „Beteiligung Betroffener und Zusammenspiel der Akteure“ sowie ein Kapitel zur „Finanzierung“ runden das Positionspapier ab. In der aktuellen ÖPNV-Planung werden vornehmlich diese Verbandspositionen als Orientierungs- und Interpretationshilfe herangezogen. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hat sich in seinen VDV-Mitteilungen 7038 7 ebenfalls eingehend mit dem Thema befasst. Obwohl sich das PBefG „nicht unmittelbar an die Verkehrsunternehmen, sondern an die für die Aufstellung der Nahverkehrspläne (NVP) zuständigen Aufgabenträger richtet“, … „besteht aufseiten der Verkehrsunternehmen dennoch die Notwendigkeit einer Positionierung bezüglich der Auslegung und Umsetzungsmöglichkeiten bzw. -grenzen einer „vollständigen Barrierefreiheit“.“ ... Die Mitteilung dient als Argumentationshilfe für die Verkehrsunternehmen bei der Beteiligung am bzw. bei der Aufstellung des NVP.“ Offensichtlich setzen die Verbände nicht auf die in § 62 Abs. 2 PBefG 1 gegebene Öffnungsklausel für den Landesgesetzgeber, die eine Fristverlängerung oder dauerhafte Ausnahmen von Einzelmaßnahmen beschließen könnten, sondern empfehlen, Barrierefreiheit konstruktiv umzusetzen. Schließlich gibt es zur barrierefreien Ausgestaltung im Verkehr nicht erst seit gestern umfangreiche Literatur, technische Vorschriften wie die DIN oder Regelwerke der FGSV sowie zahlreiche Modellprojekte mit durchaus wegweisenden, vielfach neuen technisch umsetzbaren Entwicklungen. Viele Gebietskörperschaften berücksichtigen bei Neu- und Umbaumaßnahmen durchaus schon jahrelang die Vorgaben und Leitfäden zur Barrierefreiheit. Durch die unterschiedliche Handhabung des Themas je nach Aufgaben- und Baulastträger ist innerhalb der letzten Jahrzehnte jedoch ein bunter Mix verschiedenster Umsetzungsformen und Ausbauzustände entstanden (Bilder 1 bis 4). Einige Akteure waren frühzeitig aktiv, stehen heute jedoch vor dem Dilemma, mit ihrer de facto barrierefreien Infrastruktur nicht mehr den neuesten gültigen Standards zu entsprechen. Manche Gebietskörperschaften dagegen haben das Thema aus verschiedensten Gründen bisher nicht oder nur unzureichend betrachtet und stehen in Zeiten schwieriger Haushaltslagen vor allem vor einem Finanzierungsproblem. Dass die Formulierung von Ausnahmetatbeständen, die der Gesetzgeber als Hintertüre offen gelassen hat, nicht als „Persilschein“ zu verstehen ist, ist jedoch auch in der Fachwelt, bei den Verbänden und bei den handelnden Akteuren mittlerweile Konsens. Wie geht man aber nun vor Ort tatsächlich mit den (finanziellen) Gegebenheiten und den Anforderungen des PBefG um? Umsetzungsstrategien Hilfestellungen Einige Landesverkehrsministerien haben ihren Aufgabenträgern zur Umsetzung Vorgaben gemacht oder Handreichungen gegeben. So hat Schleswig-Holstein 2011 seiner „Landesverordnung über die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs mit Bussen und U-Bahnen“ die zu berücksichtigende Anlage beigefügt: „Checkliste zur Barrierefreiheit in regionalen Nahverkehrsplänen zur Orientierung der Aufgabenträger, der Behindertenverbände und der Genehmigungsbehörden“ einschließlich dem empfohlenen Anhang des von der FH Erfurt für das Land Thüringen 2010 verfassten „Checklisten zu Mindeststandards für barrierefreie Linienbusse, Stadtbushaltestellen, Regionalbushaltestellen“. Thüringen schreibt die ebengenannten, in ihrem Auftrag von der FH Erfurt erarbeiteten Check- Bild 3: Bushaltestelle mit dynamischer Fahrgastinformation, befestigt, aber nicht gänzlich barrierefrei ausgebaut Bild: Hamann Bild 2: Städtische Bushaltestelle, befestigt, aber nicht gänzlich barrierefrei ausgebaut Bild: Hamann Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 20 INFRASTRUKTUR Barrierefreier ÖPNV listen vor. Hamburg hat mit allen Beteiligten einen Leitfaden 8 erarbeitet. Trotz der vielen Handreichungen und guten praktischen Hinweisen herrscht dennoch vielerorts ein gewisses Maß an Hilf- und Ratlosigkeit. In Befragungen 9 wurden die Probleme und Hemmnisse der Gebietskörperschaften deutlich. Die meistgenannten sind: • Zu teuer: Es bedarf einer Bestandsaufnahme, eines Konzeptes und eines umsetzbaren Finanzierungsplans. Planung und Ausführung müssen finanziert werden. • Personell nicht leistbar: Das Personal für die nötigen Planungsaufgaben und deren Umsetzungsbetreuung steht nicht zur Verfügung. Da vielfach die Verkehrsunternehmen in der Praxis die Rolle und Haltung des Dienstleisters bzw. reinen Carriers einnehmen, verbleiben die Anforderungen bzw. Planungen von immobiler Infrastruktur bei den Straßenbaulastträgern. Einige Bundesländer, wie z. B. Hessen, fördern den barrierefreien Ausbau mit Millionenbeträgen. Die Fahrzeuge der Verkehrsunternehmen sind zumindest in (groß)städtischen Bedienungsgebieten nach heutigem Verständnis überwiegend barrierefrei, weil die Hersteller nur noch richtliniengerechte Fahrzeuge anbieten. Vor allem in ländlichen Bereichen werden aber - mindestens vielfach in den (Schüler-)Spitzenzeiten - Überlandbusse und auch Reisebusse eingesetzt, die z. B. keine stufenlosen Ein- und Ausgänge haben. In diesen Fällen helfen barrierefreie Haltestellen nach den aktuellen Regeln der Technik selbstverständlich nicht weiter. Die teils aus verschiedenen Fahrzeugtypen zusammengesetzten Fuhrparks der Verkehrsunternehmen mit der immobilen Infrastruktur im Sinne der Barrierefreiheit in Einklang zu bringen, bleibt mindestens eine Herausforderung, welche die Mitarbeit von Unternehmen und Dienstleistern an den vom jeweiligen Aufgabenträger geplanten Maßnahmen erfordert. Trotz aller nötigen Koordinierung sind die Aufgabenträger dazu verpflichtet, Standards und Prioritäten für den Haltestellenausbau festzulegen. Für die Bedarfsfeststellung und das Finanzierungsvolumen muss vorab eine Analyse des Bestands erfolgen, in der Regel ein sogenanntes Haltestellenkataster oder zumindest eine hinreichende Informationsbasis erstellt werden. Oft aus der Not geboren, drängt sich den Aufgabenträgern auch hierbei „der Weg des geringsten Widerstands“ auf, der vielfach gleichbedeutend mit einer Art Beschwerdemanagement ist („Umbau nur bei dringendem Bedarf“). Vielfach zwangsweise - wegen knapper kommunaler Mittel - ist die Erstellung und Vorhaltung einer Informationsbasis als Planungsgrundlage die Ultima Ratio. In den Landkreisen sind oft 80 bis 90 % der Haltestellen nicht barrierefrei (Bild 4). Erschwerend kommt hinzu, dass hier mehrere unterschiedliche Straßenbaulastträger für die Haltestellen zuständig sind und viele Gebietskörperschaften mit entscheiden wollen, welche Haltestellen auf ihrem Gebiet wie und mit welcher Priorität umgebaut werden sollen. Logisch, dass es daher oftmals heißt: „Barrierefreiheit bis 2022 ist nicht leistbar! “ Damit jedoch schwindet die (politische) Motivation, sich mit der Problematik eingehend zu beschäftigen. Aus praktischer Sicht scheint es dagegen angebracht, von anderer Seite an die Herausforderung heranzutreten: Büro Stadt- Verkehr etwa ermittelt - wo die Ein- und Aussteigerzahlen verfügbar sind - den prozentualen Anteil der Fahrgäste, die nach der Analyse über die Beschaffenheit der Haltestellen schon heute an barrierefreien Haltestellen ein- und aussteigen können. Trotz teils niedriger Umbauquoten sind dies nach ersten Berechnungen in verschiedenen Gebietskörperschaften erstaunlicherweise schon relativ viele Kunden. Wenn man darüber hinaus von den noch nicht barrierefreien Haltestellen die zu definierenden Ausnahmen abzieht, z. B. Haltestellen, die außerorts im Bankett am Straßenrand ohne Verbindung zum öffentlichen Fußwegenetz liegen, d.h. die unabhängig auszubauen schlicht sinnlos wäre, dann verbleibt in aller Regel ein recht übersichtlicher potenzieller Anteil barrierefrei auszubauender Haltestellen. Gemessen an den Ein- und Aussteigerzahlen kann auch hier wiederum mit geringen Mitteln ein hoher Wirkungsgrad erreicht werden. Erfahrungen aus verschiedenen Landkreisen haben gezeigt, dass schon bei drei bis fünf Umbaumaßnahmen bereits mehr als 50 % der Fahrgäste barrierefrei erreicht werden können und Hauptwegeketten dadurch sogar vollständig, sprich von Einstieg über Umstieg bis Ausstieg, barrierefrei werden. Diese oft in den Daten versteckten Potentiale herauszufiltern sollte Ziel jeder Maßnahmenplanung und Priorisierung sein. Haltestelle Prioritätensetzung für den Ausbau Über die o.g. Basis hinaus, hat die Bundesarbeitsgemeinschaft ÖPNV der Kommunalen Spitzenverbände grundsätzliche Vorschläge zur Prioritätenbildung beim Haltestellenausbau gemacht, die individuell ebenfalls mit Leben gefüllt werden können. Kompliziertere aber (vielleicht) gerechtere Modi mit Hilfe von Kriterien und einem Punktesystem zur Bewertung erfordern sehr viel Aufwand, können jedoch eine solide sowie quantifizierte Grundlage zur Entscheidungsfindung darstellen. So könnte man differenzieren nach der Haltestellen-Kategorie, nach Ein-/ Aussteigern und der Funktion im Netz, könnte die Anzahl vorhandener „besonderer“ Einrichtungen im Einzugsbereich - ggf. noch mit unterschiedlichem Gewicht - bewerten. Ferner könnten die Stadtteile entsprechend ihrem Anteil älterer Wohnbevölkerung (> 65 Jahre) bezogen auf die Fläche in mehreren Gewichtungsstufen unterschieden werden. Zu viele zu bewertende Kategorien und Kriterien bergen jedoch auch die Gefahr, dass Informationen zeitaufwändig gesammelt werden müssen und daraus letztlich Bild 4: Unbefestigte Bushaltestelle auf dem Land Bild: Hamann Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 21 Barrierefreier ÖPNV INFRASTRUKTUR eine Überpriorisierung einer Vielzahl an Haltestellen resultiert, welche den Prozess eher verkompliziert als vereinfacht. Ein komplexes Bewertungssystem muss demnach so austariert sein, dass ein mindestens ausgewogenes Ergebnis herauskommt. Die Priorisierung von Haltestellen für den kurzbis mittelfristigen Ausbau lässt sich aber auch mit nur wenigen Parametern (z. B. über die reine Anzahl von Ein- und Aussteigern) vereinfachen. Je nach Struktur und Kompetenzverteilungen innerhalb von Gebietskörperschaften können verschiedene Detail- und Informationstiefen einer Planungsdatenbank zu einer zielgerichteten, effizienten Umsetzung führen. Gut aufgestellten Fachverwaltungen mit „kurzem Draht“ zu Entscheidungsträgern, Verkehrsunternehmen und Verbänden können komplexe Bewertungssysteme durchaus empfohlen werden, während sich in Gebietskörperschaften mit „schwieriger Gemengelage“ eher vereinfachte Priorisierungskriterien anbieten. Die Umsetzung vollständiger Barrierefreiheit erfordert schlussendlich keine Universalanalyse jeglicher physischer und sozialer Faktoren, sondern auf die Belange der Betroffenen ausgerichtete, praktikable und finanzierbare Lösungen. In jedem Fall müssen Kategorisierung und Bewertungssystematik nachvollziehbar sein. Die zu bewertenden Kategorien und Kriterien sind vorab transparent zu definieren. Der Priorisierungsmodus muss handhabbar und für alle Prozessbeteiligten akzeptabel sein. Er sollte z. B. ermöglichen, Mittel volkswirtschaftlich sinnvoll und im Sinne einer integrierten Planung einzusetzen, z. B. in Zusammenhang mit bereits geplanten Straßenbaumaßnahmen. Dazu bedarf es einer guten Koordinierung der Bauplanung und der Beantragung von Fördermitteln und/ oder ein jährliches Budget entsprechender Verfügungsmittel im Haushalt. Liegt ein Haltestellenkataster vor, können weitere, sich an Finanzierung und Zeitplanung orientierende Differenzierungen vorgenommen werden, die beispielsweise aus einer Kombination verschiedener Merkmale heraus Prioritäten festlegen. So lässt sich pragmatisch-vereinfacht der Haltestellenausbauzustand aufnehmen, z. B. nach A unbefestigt (mit unbefestigten Haltestellen hat jeder Kunde Schwierigkeiten), B befestigt, aber nicht barrierefrei ausgebaut, C bereits teilweise barrierefrei ausgebaut und D bereits überwiegend barrierefrei ausgebaut. Auf solch einer vereinfachten Basis können dann strategisch finanzielle Mittel für eine bestimmte Anzahl jährlich umzubauender A-, B-, oder C-Haltestellen bereitgestellt oder beantragt werden. In der Praxis hat sich zudem bewährt, den Stand und die Planungen des barrierefreien Umbaus auf Karten bzw. Plänen zu dokumentieren, sodass Priorisierungen und weitere Planungen auch optisch-geographisch berücksichtigt werden können, um z. B. Konzentrationen und Versorgungslücken zu vermeiden. Somit kann verschiedenen Zielsetzungen Rechnung getragen werden, z. B. dem oft formulierten Wunsch, möglichst auf jeder Linie oder in jedem Ortsteil/ Wohngebiet mindestens eine zentrale barrierefreie Haltestelle vorzuhalten. Mit einer entsprechenden Vermarktung erreicht man damit nicht zuletzt eine bessere Akzeptanz bei Politik und Bevölkerung und wird eventuell sogar zusätzliche Kunden gewinnen. Praxisplanung: Haltestellenkataster Als Datenbasis zur Haltestelleninfrastruktur werden in einigen Gebietskörperschaften bereits seit vielen Jahren Katasterdatenbanken eingesetzt. Die Erfahrungen landauf landab zeigen jedoch ein - positiv formuliert - sehr heterogenes Bild von Informationsgehalt, Zustand und Funktion dieser Datenbanken. Größtenteils liegen, wenn überhaupt, nur „lose“ Tabellenblätter vor, die im besten Fall sporadisch von Einzelpersonen aktualisiert werden. Nicht selten gibt es bei unterschiedlichen Akteuren und Abteilungen parallel geführte Informationslisten (Unterhaltung, Zuständigkeit und Besitz, Fahrplan und Nutzung), oft ohne Kenntnis voneinander. Im Falle einer Umbauplanung oder Priorisierung existieren also schon an entsprechenden Stellen die notwendigen Informationen - die allerdings müssen jedes Mal erneut über lange und mühsame Behördenwege erfragt werden. Diese Art der Informationsvorhaltung ist in jedem Fall nicht mehr zeitgemäß. Mit der fortschreitenden Digitalisierung von Datenbeständen, die in zunehmendem Maße auch bei kommunalen Institutionen Einzug erhält, eröffnen sich neue Möglichkeiten zur integrierten und partizipativen Planung. Katasterdatenbanken sind nur eine dieser neuen Formen der Datenverarbeitung und Planungswerkzeuge. Im Zuge des barrierefreien Ausbaus von oftmals kommunaler Infrastruktur können neuartige, digital nutzbare oder sogar cloud-basierte Haltestellenkataster eingesetzt werden. ■ Teil II wird in Internationales Verkehrswesen 4|2017 erscheinen und konkrete Strategien zur systematischen Umsetzung behandeln. 1 FGSV (Hrsg.), Autorenkollektiv: Arbeitspapier 36, Überlegungen zur Aufstellung von Nahverkehrsplänen, Köln, 1995 FGSV (Hrsg.), Autorenkollektiv: Arbeitspapier 53, Überlegungen zur Fortschreibung von Nahverkehrsplänen unter Berücksichtigung offener Fragen der Regionalisierung, Köln, 2001 2 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 08.08.1990 (BGBl I S. 1690), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 14.12.2012 (BGBl I S. 2598) 3 Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1467, 1468), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 19. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3024) geändert worden ist. Es ist gem. Art. 56 Abs. 1 dieses G am 01.05.2002 in Kraft getreten 4 UN-Behindertenrechtskonvention (vom 13.12.2006) „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (in Deutschland durch ein Zustimmungsgesetz am 24.02.2009 in Kraft getreten) 5 Das Bundessozialgericht urteilte am 29.04.2010 unter AZ: B9 SB 2/ 09 R: Die UN-Behindertenrechtskonvention ist geltendes Recht in Deutschland. http: / / www.bag-selbsthilfe.de/ tl_files/ sh_2_2012_recht_ und_soziales_unmittelbare_anspr%C3%BCche_aus_ der_un-brk_s._31.doc (29.02.2016) https: / / www.kestner.de/ n/ verschiedenes/ presse/ 2010/ UN-Behindertenrechtskonvention.htm 6 Bundesarbeitsgemeinschaft ÖPNV der kommunalen Spitzenverbände, Arbeitsgruppen „Planung“ und „Vergabe“, ad-hoc-Arbeitsgruppe, Vollständige Barrierefreiheit im ÖPNV, Hinweise für die ÖPNV-Aufgabenträger zum Umgang mit der Zielbestimmung des novellierten PBefG, September 2014 7 VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.), Autorenkollektiv: VDV-Mitteilungen 7038, BEKA, August 2015, Köln 8 Hamburger Verkehrsverbund GmbH (HVV): Barrierefreier Neu-, Um- und Ausbau der Bushaltestellen im Hamburger Verkehrsverbund, Februar 2016 9 Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Hrsg.): Forschungsprojekt FE 70.0703/ 2003, STUVA, IbGM, Auswirkungen des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG) und zur Änderung anderer Gesetze auf die Bereiche Bau und Verkehr, November 2004 Rainer Hamann, Dr.-Ing. Büro StadtVerkehr Planungsgesellschaft mbH & Co. KG, Außenstelle Schleswig-Holstein, Karby (DE) hamann@buero-stadtverkehr.de Sebastian Schulz, M.Sc. Projektmanager, energydesign Co. Ltd, Shanghai (CN) sebastian.schulz@energydesign-asia. com Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 22 INFRASTRUKTUR Straßenzustands-Überwachung Ungelöste Sicherheitsprobleme auf tschechischen Straßen Erkenntnisse aus einer durchgeführten Sicherheitsinspektion Straßenverkehr, Verkehrsicherheit, Sicherheitsanalyse, Sicherheitsinspektion der Landverkehrswege, Management der Verkehrsinfrastruktursicherheit Die Tschechische Technische Universität in Prag führte im Jahr 2015 eine Sicherheitsinspektion auf dem TEN-T-Netz in der Tschechischen Republik sowie auf ausgewählten Straßen 1. Klasse durch, die das geplante TEN-T-Netz ersetzen sollen. Der Beitrag fokussiert auf die grundlegende Übersicht der häufigsten Mängel und gleichzeitig auf die neu entwickelte Web-Anwendung CEBASS, die dem Straßenverwalter ein effektives und systematisches Management beim Prozess der Mängelbeseitigung ermöglicht. Er beschreibt die bei der Sicherheitsinspektion entwickelte Klassifikation, die sich im Vergleich zur herkömmlichen Methode besser für die Durchführung von Sicherheitsinspektionen eignet. Adéla Johanidesová, Josef Kocourek I m Jahr 2015 wurde in der Tschechischen Republik auf den Landverkehrswegen des TEN-T-Netzes sowie auf ausgewählten Straßen 1. Klasse, die in das TEN-T-Netz nicht eingeordnet sind und dieses ersetzen sollen, eine Sicherheitsinspektion durchgeführt. Im Rahmen dieser Inspektionen wurden alle Autobahnabschnitte in der Tschechischen Republik (ca. 780 km) sowie ausgewählte Schnellstraßen (ca. 430 km) und Straßen 1. Klasse (ca. 890 km) analysiert. Die gesamte Länge des analysierten Netzes beträgt 2100 km. Der tragende Teil der Inspektion (die sogenannte „Haupt-Inspektion“) wurde von April bis Juni 2015 durchgeführt. Die Sicht- und Witterungsverhältnisse waren standardmäßig. Die Auswertung der Sicherheitsinspektion erfolgte anhand der Tschechischen Verordnung Nr. 317/ 2011 Sb., §7a sowie anhand der gültigen Methodik 121/ 2013-520-TPV/ 1 „Sicherheitsinspektion der Landverkehrswege“. Gewählte Vorgehensweise bei der-durchgeführten Sicherheitsinspektion Zur Identifikation der verkehrssicherheitsrelevanten Mängel wurde das Straßennetz mit einem Inspektionswagen durchfahren, der mit speziellen Geräten für die Datensammlung ausgestattet war. Zusätzlich wurden die Straßen aus der Sicht des Nutzers - eines Autofahrers - auf Verständlichkeit und Sicherheit hin beurteilt. Im Prinzip bedeutet die Durchführung einer Sicherheitsinspektion, die zwei Grundprinzipen - „selbsterklärende“ und „fehlertolerante“ Wege - mit dem Ziel höherer Sicherheit zu erreichen. Die Prüfung erfolgte in beiden Fahrtrichtungen. Der Fahrer, Fußgänger bzw. Radfahrer nimmt die Umgebung einer Straße in jeder Richtung anders wahr: Was in der einen Richtung ungefährlich ist, kann in der anderen Richtung gefährlich sein. Der Verfasser fokussierte sich auf eine detaillierte Mängelbeschreibung, nennt andererseits aber auch allgemeingültige Vorschläge für Sanierungsmaßnahmen, die als Empfehlung dienen können. Ausnahmen stellen teilweise zwei systematische Maßnahmen dar, die in den folgenden Kapiteln dieses Aufsatzes detailliert beschrieben sind. Diese Maßnahmen stehen im Zusammenhang damit, dass das Auditorenteam auf die derzeit nicht konzeptionell gelöste Problematik der Verkehrssicherheit im Bereich von Ausfahrten, Einmündungen und Parkplätzen sowie im Bereich von Bushaltestellen auf Landstraßen aufmerksam machen will. Bei außerörtlichen Straßen wurde primär auf die Sicherheit der motorisierten Verkehrsteilnehmer Wert gelegt, bei innerörtlichen Straßen fokussierte die Untersuchung auf die Sicherheit der besonders verletzlichen Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radfahrer. Jeder verkehrssicherheitsrelevante Mangel wurde im Formular (Bild 1) festgehalten. Neben Grundinformationen wie Nummer und Kategorie der Straße, Fotodokumentation, Beschaffenheit und Art des Mangels, GPS-Lage, Sicherheitsrisiko, Vorschlag für die Sanierungsmaßnahmen und Aufwand für die Maßnahme kann das Formular auch zusätzliche Informationen wie Anmerkungen oder die lokal zulässige Geschwindigkeit enthalten. Ergebnis der Arbeit mit dem Formular kann es sein, über den Aufwand bei der Realisierung der vorgeschlagenen Maßnahme und die Höhe des erkannten Risikos zu informieren. Zur Vereinfachung wurde die Lösungsschwierigkeit mit den Ampelfarben Rot, Gelb und Grün gekennzeichnet. Die Bedeutung der einzelnen Varianten ist in Tabelle 1 dargestellt. Zur effektiven und systematischen Erfassung und Behebung von Mängeln entwickelte das Team der Tschechischen Technischen Universität Prag die neue Web-Anwendung CEBASS (etwa: Zentrum der Evidenz für die Sicherheitsanalyse des Verkehrsnetzes) mit Datenbank. Diese Anwendung wurde für die Datenerhebung und -bewertung bei der Inspektion benutzt und anschließend der Straßenverwaltung ŘSD ČR für ein effektives Management bei der Mängelbehebung zur Verfügung gestellt. Dort wird CEBASS seit März 2016 eingesetzt. Dank CEBASS kann der Straßenverwalter seine Stellungnahmen zu allen erfassten verkehrssicherheitsrelevanten Mängeln abgeben und gleichzeitig den Zustand der Behebung aktualisieren (Bild 2). Die Anwendung läuft in Echtzeit. Deshalb können an einem Vorschlag zur Mangelbehebung mehrere Spezialisten arbeiten, die nicht an einem PC sitzen müssen. Die Anwendung ermöglicht es, jedem Mangel den aktuellen Lösungszustand zuzuordnen und mit Textkommentaren zu ergän- Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 23 Straßenzustands-Überwachung INFRASTRUKTUR zen. Der App-Nutzer kann somit wählen, dass der Mangel „In Bearbeitung“ oder „Behoben“ ist oder dass er ein „Risiko nicht akzeptiert“. Auf Basis dieser Daten werden verschiedene statistische Auswertungen erstellt (Bild 3). Die für den Straßenverwalter wohl interessanteste ist die Darstellung der „Aufteilung der Mängel nach Aufwand“, der „Aufteilung der Mängel nach Gefahr“ und des aktuellen Standes der Arbeiten in Tortendiagrammen (Bild 4). Die Sicherheitsinspektionen fokussieren vor allem auf Mängel, die sich auf die Verkehrssicherheit auswirken. Um die gewünschte Klarheit und Verständlichkeit der Risiken zu erreichen, wurden die identifizierten Mängel in thematisch passende Gruppen unterteilt. Die Objektkategorisierung (Gruppensortierung) berücksichtigt nicht nur den gemeinsamen Mangelcharakter (Bau- und Transportparameter), sondern auch die Art und Weise der erwarteten Sanierungsmethode. Kategorisiert werden die Mängel in 14 Grundgruppen: • Feste Hindernisse (z. B. Verkehrszeichen (VZ), Lichtsignale oder andere Verkehrsanlagen (VA), Vegetation, feste Abflusskanal-Portale bei Wasserdurchlässen oder Schallschutzwänden, Pfeiler/ Pfosten im Straßenbereich, Masten für elektrische Leitungen, Straßenbeleuchtung, usw.) • Rückhaltesysteme (fehlende oder ungeeignete Leitplanken, falsche Abmessungen, unzureichender Übergang zwischen den Leitplanken, zu kurze Anlauflänge, zu kurze Leitplanke vor Pfeilern, VZ, VA, SOS-Boxen, Bäumen, Brücken oder anderen festen Hindernissen) • Kreuzung (fehlende oder falsche VZ/ VA, verschlissene Markierung, schlechte Sichtverhältnisse oder Übersichtlichkeit, Bauzustand/ Verkehrsregelung, usw.) • Abschnitt zwischen Kreuzungen (falsche/ fehlende/ mangelhafte VZ oder VA, ungenügende Sichtverhältnisse für Halten oder Überholen, Bauzustand, Verkehrsregelung, Trassierung, usw.) • Ausfahrt, Einmündung, Parkplatz (fehlerhafte/ schlechte Ausführung von VZ oder VA, fehlende oder verschlissene Markierung, fehlerhaft/ falsch bezeichneter Parkplatz, schlechte Sichtverhältnisse oder Übersichtlichkeit, usw.) • Bahnübergang (fehlende VZ/ VA, fehlerhafte Markierung, Sichtbedingungen und Bemerkbarkeit, Bauzustand, usw.) • Bushaltestelle (fehlende VZ/ VA, fehlende/ verschlissene Markierung, ungeeignete Haltestellenausführung, schlechte Bedingungen für Fußgänger, usw.) • Fußgängerübergang (Zustand und Position der VZ/ VA, fehlende/ verschlissene Markierung, Sichtverhältnisse oder Übersichtlichkeit, Bauzustand bzw. Übergangslänge, fehlende Elemente für körperlich benachteiligte Personen, fehlende oder falsch ausgeführte Beleuchtung, usw.) • Zugangsbedingungen für Fußgänger (Zustand der Übergänge oder Gehwege, unterbrochene Gehwege, fehlerhafte Ausführung der Straßenübergänge, usw.) • Technischer Zustand der Fahrbahn (Straßenrand, Fahrbahnschäden, usw.) • Straßenkörper (tiefe/ steile Gräben/ Einschnitte, steile Böschungen, usw.) • Übergang von außerörtlichen zu innerörtlichen Straßen (fehlende oder fehlerhafte Beschilderung, usw.) • Maßnahmen zur Verkehrsbeschleunigung (erlaubte Geschwindigkeit, Überholmöglichkeit schaffen, usw.) • Werbungsanlage (festes Hindernis, störender Effekt, usw.) Die oben genannten Grundkategorien enthalten in der Regel 220 Unterkategorien, die eindeutig die Art und Beschaffenheit der lokalisierten Mängel angeben. Farbe Beschreibung Komplizierte Lösung Finanz- und zeitaufwändige Lösung (z.B. Ausbau des Kreisverkehrs). Diese umfasst Verhandlungs- und Genehmigungsprozesse, Erstellung der Dokumentation, Sicherheitsaudit, usw. Administrative Lösung Erhöhte Administration - Vorschlag für Aufstellung geeigneter Verkehrszeichen bzw. kleine Bauarbeiten. Einfache Lösung Einfache Lösung (z. B. Auslichten von Bäumen, die Verkehrszeichen verdecken, Hervorhebung oder Erneuerung der Verkehrszeichen, Aufstellung der Leitpfosten). Tabelle 1: Erläuterung der verwendeten Farben zur Darstellung des sog. „Lösungsaufwands“ [2] Bild 1: Beispiel eines Formulars für die Aufzeichnung der bei der Sicherheitsinspektion festgestellten Mängel. Alle Abbildungen: CVUT Bild 2: Mangelbeschreibung (rechts) und Bereich mit Anmerkungen für den Straßenverwalter (links) Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 24 INFRASTRUKTUR Straßenzustands-Überwachung Die statistische Auswertung Häufigkeit und Schwere der Mängel auf den überwachten Straßen Bei der durchgeführten Sicherheitsinspektion wurden auf dem überwachten Straßennetz 22 927 verkehrssicherheitsrelevante Mängel identifiziert, davon fast 37 % aus der Kategorie „Hohes Risiko“. Andererseits lag fast ein Viertel aller Mängel in der Kategorie mit minimalem Risikofaktor. Ein allgemeiner Überblick der identifizierten Risiken am gesamten TEN-T-Netz und den ausgewählten Straßen 1. Klasse, die das geplante TEN-T ersetzen, ist aus der Tabelle 2 ersichtlich. Wie erwartet, ist bei der negativen Beurteilung die Grundkategorie „Festes Hindernis“ am häufigsten vertreten. Die letzte Grundkategorie, die in der Bewertung mehr als einmal vertreten ist, ist die „Kreuzung“. Insbesondere handelt es sich um einen Mangel in Form von „fehlende/ verschlissene Markierung“ und „unzureichende Verkehrsregelung“. Die häufigsten Mängelursachen sind Werbungsanlagen, die keine feste Barriere darstellen, sondern einen störenden Einfluss auf die Verkehrsteilnehmer haben (Bild 3). Als feste Barriere befinden sich die Werbungsanlagen knapp hinter den ersten zehn häufigsten Mängeln. Dies liegt daran, dass diese Vorrichtungen weiter in die „Werbungsanlage auf einem verformbaren Gestell“ und „Werbungsanlage auf einem nicht verformbaren Gestell“ unterschieden werden. Dies betrifft 780 der insgesamt 3191 Mängel (Tabelle 2). Im Rahmen der Sicherheitsinspektion wurden im Bereich der Autobahnen insgesamt 2984 Mängel und im Bereich der Schnellstraßen 2111 Mängel identifiziert, die übrigen 17 832 Mängel auf anderen Straßen 1. Klasse. In Tabelle 3 sind Häufigkeit und Wichtung der Mängel dargestellt. Wird die Zahl der identifizierten Mängel auf die Länge der überwachten Straßen bezogen, ergibt sich die Häufigkeit pro Kilometer Länge der einzelnen Straßenabschnitte. In Bild 5 ist deutlich zu sehen, dass die wenigsten Mängel auf richtungsgetrennten Straßen wie Autobahnen und Schnellstraßen vorkommen - auf Straßen 1.-Klasse sind Mängel mehr als vierbis fünfmal häufiger. Die ersten Inspektionen wurden im Jahr 2010 nur auf den Straßen des TEN-T-Netzes durchgeführt (laut Gesetz und Verordnung), und die meisten Mängel waren dort bereits behoben. Systematische Maßnahmen Feste Wasserdurchlässe Die Untersuchung und Bewertung zeigt, dass manche Ausfahrten heute nicht mehr ihren Zweck erfüllen: Die Durchlässe werden weder instand gehalten noch instand gesetzt (statische Mängel bei 35 % aller Ausfahrten) und sind z. B. einige Jahre nach einem Unfall immer noch beschädigt. Bei einer Straßensanierung sollten nicht funktionierende und nicht freigegebene Ausfahrten entfernt werden (Beispiele siehe Bild 6 und Bild 7). Mängel-Kategorie Anzahl der Mängel Risiko Hoch Mittel Niedrig Festes Hindernis 7161 4116 2602 443 Werbungsanlage 3191 180 591 2420 Rückhaltesysteme 3031 1691 1009 331 Kreuzung 2155 263 1 373 519 Fußgängerübergang 1724 828 803 93 Bushaltestelle 1523 830 435 258 Ausfahrt/ Einmündung/ Parkplatz 1477 27 702 748 Abschnitt zwischen Kreuzungen 1329 87 843 699 Zugangsbedingungen für Fußgänger 765 315 398 52 Übergang von außerörtlichen zu innerörtlichen Straßen 203 0 199 4 Straßenkörper 192 124 57 11 Technischer Zustand der Fahrbahn 111 3 79 29 Maßnahmen zur Verkehrsbeschleunigung 44 0 2 42 Bahnübergang 21 6 13 2 ∑ 22 927 8470 8806 5651 Tabelle 2: Häufigkeit des Mängelvorkommens und des Risikos einzelnen Grundgruppen der Mängel Bild 3: Statistik der am häufigsten identifizierten Mängel Bild 4: Beispiel für das Leitungsmanagement zur Mängelbehebung seitens des Straßenverwalters Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 25 28. bis 30. November 2017 Koelnmesse Eine Veranstaltung von: Weitere Informationen senden wir Ihnen gerne zu. Ihre Ansprechpartnerin: Nicole Gotta Telefon +49 (0) 30/ 28 44 94-213 • nicole.gotta@ew-online.de Die europäische Leitmesse für Professionellen Mobilfunk und Leitstellen • Fachmesse • PMR-Konferenz • Leitstellenkongress • Fachforen • Fachtagung PMR für EVU • PMRExpo Career Koelnmesse Eingang Ost Halle 10.2 / Congress-Centrum Ost Deutz-Mülheimer Straße 35 50679 Köln 2017 Besuchen Sie die PMRExpo! Infos unter: www.pmrexpo.de oder Bubbles: Parris Cope/ Fotolia Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 26 INFRASTRUKTUR Straßenzustands-Überwachung Auch sollten die Böschungsköpfe optimiert werden, um bei einem Aufprall gegen die Vorderseite (das Portal) die Verletzungs- Wahrscheinlichkeit für Fahrzeuginsassen zu minimieren. Dies lässt sich durch eine Änderung der Neigung der Böschungsköpfe erreichen. Diese Lösung wird heute realisiert, obwohl der Fachöffentlichkeit keine validen Studien bezüglich des Einflusses dieser geneigten Böschungsköpfe auf die Unfall- und Nachunfallbewegung des Fahrzeugs vorliegen. Es handelt sich um eine empirisch ermittelte Möglichkeit zur Erhöhung der Sicherheit. Eine Studie könnte die positiven Auswirkungen überprüfen; eventuelle Forschungsprojekte sollten nicht nur auf die Analyse der Verkehrsunfälle bei bereits realisierten Böschungsköpfen, sondern auch auf optimale Materialien und optimale Portalneigung fokussieren. Eine weitere neue Lösung stellen integrierte Stoßdämpfer (Anprallschutz) dar. Es handelt sich um Ausfahrten, die schon einzelne Deformationsblöcke enthalten. Die Deformationsblöcke haben die Eigenschaft, die Lastübertragung von Fahrzeugen (in vertikaler Richtung) aufzunehmen; sie sind dazu noch so konstruiert, dass sie sich bei einem Seitenaufprall verformen. Nicht zuletzt ist es möglich, auch andere mehr oder weniger herkömmliche Lösungen zu prüfen, etwa vorangestellte Stoßdämpfer (Absorber mechanischer Energie eines aufprallenden Fahrzeugs) oder Rückhaltesysteme (Beton- oder Stahlbarrieren). Bushaltestellen an Außerortsstraßen Die Verkehrssicherheit im Bereich von Bushaltestellen außerhalb geschlossener Ortschaften ist ein anderes Problem, das konzeptionell nicht gelöst wird, obwohl es dort jährlich zu erheblichen gesamtgesellschaftlichen Schäden kommt. Im Rahmen der Sicherheitsinspektion wurden 367 Problemstellen gefunden und Systemlösungen vorgeschlagen. Eines der Ziele in diesem Fall war es, die Fachöffentlichkeit zu überzeugen, diese Problematik komplex zu lösen. Im Busverkehr wird nicht nur innerstädtisch der Einsatz von Niederflurfahrzeugen Standard. Zusammen mit richtigen und modernen Haltestellen verbessert dies den Zugang zum öffentlichen Verkehr für körperlich benachteiligte Personen (barrierefreier Zugang) und wirkt sich positiv auf den Komfort der Reisenden aus. An den untersuchten Bushaltestellen wurden vier Grundmängel festgestellt: • Fehlende Verkehrszeichen • Fehlende/ verschlissene Markierung • Nicht geeignete Haltestellenanordnung und Typ der Haltestellen • Schlechte Bedingungen für Fußgänger - etwa beim Zugang zur Haltestelle Grundsätzlich sind die letzten zwei Gruppen die risikoreichsten. Die Bilder 8 und 9 zeigen die standardmäßige Haltestellenausführung an den Außerortsstraßen im primären Straßennetz der Tschechischen Republik. Aus den durchgeführten Sicherheitsinspektionen lassen sich auch die wesentlichen Charakterzüge der Entwicklungsproblematik außerörtlicher Haltestellen herausfinden. Aus diesem Grund schlagen die Autoren folgendes vor: • Entwicklung von Haltestellen, die einen positiven Einfluss auf die Präferenz des öffentlichen Verkehrs haben und die mehr Komfort und Verkehrssicherheit anbieten • Ausbau der Bushaltestellen auf der Fahrspur vermeiden und diese Lösung als Sondermöglichkeit nur in begründeten Fällen anwenden • Komplexe Beurteilung der Lage aller Haltestellen an Außerortsstraßen aus der Sicht der Trassierung und Vergleich mit den Wegen nicht motorisierter, schutzbedürftiger Verkehrsteilnehmer Fazit Auf dem inspizierten Hauptstraßennetz der Tschechischen Republik wurden auf etwa 2100 km Länge insgesamt 22 927 verkehrssicherheitsrelevante Mängel identifiziert. Davon waren fast 37 % Mängel mit hohem Risikofaktor. Die Ergebnisse wurden in 14- Grundgruppen sortiert, wobei die Gruppe „festes Hindernis“ am häufigsten vertreten ist. Die meisten Mängel betreffen Werbungsanlagen. In diesem Fall stellen diese keine Barriere dar, sondern stören den motorisierten Verkehrsteilnehmer. An zweiter und dritter Stelle stehen verschiedene Arten der Vegetation wie etwa einzeln stehende Bäume oder Baumgruppen. Bezogen auf die Länge der einzelnen Straßenarten (Autobahnen, Schnellstraßen, Straßen 1. Klasse) wurde festgestellt, dass die Mängel auf Straßen 1. Klasse am häufigs- Straßenart Anzahl der Mängel Risiko Hoch Mittel Niedrig Autobahnen 2984 864 939 1181 Schnellstraßen 2111 865 605 641 Straßen 1. Klasse 17 832 6741 7262 3829 Tabelle 2: Gesamtzahl der Mängel nach Referenz bzw. Straßenart Bild 5: Anzahl der Mängel pro Kilometer Straße Bild 7: Festes Portal eines Wasserdurchlasses auf der I-52 bei km 34-35 Bild 6: Festes Portal eines Wasserdurchlasses auf der I-35 bei km 82-81 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 27 ten vorkommen (zehn Mängel pro Kilometer in einer Richtung) - somit mehr als vierbzw. fünfmal häufiger als auf Schnellstraßen bzw. Autobahnen. Die Autoren konzentrierten sich im Bewertungsbericht zur Sicherheitsinspektion unter anderem detailliert auf die ungelösten Themen der tschechischen Straßen. Dies sind vor allem feste Wasserdurchlässe im Bereich von Ausfahrten sowie Bushaltestellen an außerörtlichen Straßen. Hier wurden mögliche Lösungen vorgeschlagen, die derzeit eher Ergebnisse theoretischer Überlegungen und empirisch gewonnener Kenntnisse darstellen und sich für ein Forschungsvorhaben eignen. ■ QUELLEN [1] CDV; Metodika provádění bezpečnostní inspekce pozemních komunikací, Brno (CZ): CDV, 2013 [2] Kocourek J.; Posuzování závažnosti dopravních konfliktů a rizik při provádění bezpečnostních inspekcí pozemních komunikací; Praha (CZ): ČVUT FD, 2010, habilitační práce [3] CDV; Řešení kritických míst na pozemních komunikacích v extravilánu metodika provádění, Brno (CZ): CDV, 2013 [4] Mičunek T. et al.; Kategorizace bezpečnosti samostatných sjezdů vzhledem k nárazu vozidel. Praha: ČVUT v Praze, Fakulta dopravní, Ústav soudního znalectví v dopravě, 2014. 46 Bild 9: Bushaltestelle auf der I-35 bei km 151-150 Bild 8: Bushaltestelle auf der D-10 bei km 19-20 Adéla Johanidesová, Ing. Fakultät für Verkehrswesen (ČVUT FD), Tschechische Technische Universität, Prag (CZ) gajdoade@fd.cvut.cz Josef Kocourek, doc. Ing., Ph.D. Fakultät für Verkehrswesen (ČVUT FD), Tschechische Technische Universität, Prag (CZ) kocoujos@fd.cvut.cz Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik Innovative Komponenten • Fahrzeuge • Systeme innotrans.de 18.-21. SEPTEMBER • BERLIN InnoTrans 2018 THE OF FUTURE MOBILITY Kontakt Messe Berlin GmbH Messedamm 22 · 14055 Berlin T +49 30 3038 2376 F +49 30 3038 2190 innotrans@messe-berlin.de Int.Verkehrswesen_InnoTrans2018_102x297_de.indd 1 11.08.2017 12: 45: 05 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 28 Ägypten - Transitkorridor zwischen Ost und West Große Pläne: Ägypten plant einen umfassenden Ausbau des Transportsystems. Milliarden US-Dollar werden insbesondere durch chinesische Investoren in Häfen, Schienen- und Straßenverbindungen fließen. Dirk Ruppik B edingt durch die unsichere politische und wirtschaftliche Lage hat die Arabische Republik Ägypten ihre Ausgaben für Infrastruktur in den letzten Jahren stark eingeschränkt. Allerdings hat der im Juni 2014 gewählte Präsident Abdel Fattah El Sisi im Jahr 2015 die Vollendung wichtiger Infrastrukturprojekte zur Priorität erklärt. Neben wichtigen Energieversorgungsprojekten wurde der Bau des neuen Suezkanals mit einer Verdopplung der Kapazität in Auftrag gegeben. Aber die Republik tut sehr viel mehr, als nur Probleme zu beseitigen. Sie will zu einem wichtigen Transitkorridor für See- und Lufttransport zwischen Europa, Asien, Afrika und den Nahen Osten werden. Suez: Warten auf den Erfolg Ein Jahr nach der frenetisch gefeierten Eröffnung des Neuen Suezkanals sieht die Realität anders aus als gewünscht. Die am 6. August 2015 eröffnete, rund 7,6 Mrd. EUR teure Kanalerweiterung hatte die mögliche Transitkapazität von 49 auf 97 Transite täglich erhöht, da nun Schiffe über fast die ganze Kanallänge in zwei Richtungen gleichzeitig verkehren können (Bild 1). Es wurde geschätzt, dass sich die Wartezeiten für den Transit von elf auf drei Stunden verringern. Die Einnahmen sollten sich gemäß des Vorsitzenden der Suez Canal Authority (SCA) Admiral Mohab Mamish von 5,1 Mrd. EUR 2014 auf 12,5 Mrd. EUR im Jahr 2023 mehr als verdoppeln. Laut der unabhängigen ägyptischen Zeitung Mada Masr „haben sich viele Versprechungen als übertrieben erwiesen. Die Erträge sind mit dem globalen Handel gefallen.“ 1 Die Zeitung weiter: „Moody’s Investors Service setzte zuvor für die Erfüllung dieser Prognose ein Wachstum des globalen Handels von zehn Prozent voraus. Gemäß der World Trade Organization vom September 2016 lag die Prognose für das globale Handelswachstum aber nur bei 1,7 Prozent. Das 25-Jahres-Mittel erreichte nie mehr als fünf Prozent.“ Die Daten der SCA zeigen, dass die Erträge durch Gebühren in 2015 Bild 1: Der „Neue Suez Kanal“ (rot) erlaubt fast durchgängig Gegenverkehr. Quelle: Port Said Hafenverwaltung LOGISTIK Ägypten Straßenbrücke über den Sueskanal bei El Qantara Bild: Aashay Baindur/ Wikimedia Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 29 Ägypten LOGISTIK um rund 270 Mrd. EUR gegenüber 2014 gefallen sind. Und bei Transit und Tonnage zeigt die offizielle Statistik auch von 2015 auf 2016 einen deutlichen Rückgang (Bild 2). Umfassende Transformation des Hafensystems Die Regierung Ägyptens plant weiterhin den Ausbau der Häfen von 120 Mio. t auf 370 Mio. t Umschlagvolumen in 2030. Dabei wird u. a. die Red Sea Port Authority neue Liegeplätze und Einrichtungen in neun Häfen schaffen. Der größte Hafen Alexandria handelt 60 % des Außenhandels des Landes. Das Suez Canal Container Terminal (SCCT) in East Port Said (World Shipping Council 2015: 3,6 Mio. TEU, +5,9 %, weltweit Platz 41) und Damietta sind die größten Containerhäfen im Lande. Alexandria, El-Dekhila, Damietta, West Port Said, East Port Said, Abadiya, Sokhna und Safaga sind Tiefseehäfen mit Liegeplätzen von mindestens 12 m Wassertiefe. Die Hafenverwaltung von Alexandria wird gemäß eigener Aussage den größten Hafen in Ägypten und dem Nahen Osten bauen. Bis 2027 sollen eine Logistikindustriezone und ein Gewerbegebiet im Wert von 120 Mrd. EGP (Ägyptische Pfund; 6,1 Mrd. EUR) entstehen. Laut Port Master Plan steht zudem eine umfassende Transformation von East Port Said bevor, die die Entwicklung einer Industrie- und Verwaltungszone sowie einer Wohnanlage für 1,5 Mio. Menschen und Tourismusbereiche umfasst. Das Vorhaben ist Ägyptens größtes aktuelles Investmentprojekt. Der Ausbau ist in mehreren Phasen für 497 Mio. USD (460- Mio. EUR) bis 2030 geplant. Dabai wird die Kapazität von Port Said zunächst von 4 Mio. TEU (in 2015) auf 7 Mio. TEU angehoben. Bis 2019 ist geplant, die Kapazität auf 11-Mio. t zu erweitern. Innerhalb von nur drei Monaten wurde im Februar 2016 die Ausbaggerung des East Port Said-Seitenkanals für 34 Mio. EUR fertiggestellt, der die Zu- und Abfahrt von Schiffen gewährleisten wird, ohne die Convoys im Suezkanal zu behindern. China hilft - auch bei der Sanierung von Straßen Der Einfluss Chinas im Land nimmt weiter zu. Geplant ist eine Sonderwirtschaftszone (SEZONE) am Golf von Suez nahe des Hafens Sokhna mit einem Zugang zu den wichtigen Märkten in Europa, dem Nahen Osten und in Afrika. Die chinesische TEDA Holding wird zunächst 400 Mio. USD (372 Mio. USD) investieren. Sokhna am Südende des Suezkanals entwickelt sich rasant zu einem neuen Industriehub für Ägypten und den Handel mit Asien und dem Nahen Osten. In Ägypten werden 94 % der gesamten Fracht auf der Straße transportiert. Laut Masterplan wird die Erneuerung des Straßensystems 8 Mrd. USD (7,4 Mrd. EUR) über die nächsten fünf bis zehn Jahre benötigen. Dabei wird die chinesische Regierung gemäß Oxford Business Group im Rahmen der bereits besprochenen Projektvereinbarungen die Sanierung von 24 000 km Straßen übernehmen. Das Transportministerium will Straßen zwischen Safaga-El Quseir-Marsa Alam am Roten Meer (Kosten 79 Mio. EUR), von Ras Sudr nach Sharm Al-Sheikh auf dem Sinai (66 Mio. EUR) und von Alexandria nach Abu Simbel im Landessüden (595 Mio. EUR) bauen. Weiterhin ist geplant, sieben Logistikdörfer und Häfen für Trockenschüttgut zu bauen, um die Straßen zu entlasten. Bei der Finanzierung soll die Privatwirtschaft eine große Rolle spielen. Ein weiteres Logistikzentrum wird in Madinat as- Sadis min Uktubar nahe Kairo entstehen und einen Zugang zu den Häfen Alexandria und Dekhela am Mittelmeer erhalten. In Ägypten gibt es laut Transportministerium keinen Logistikanbieter mit einer durchgehenden Distributions-Infrastruktur. Generell mangelt es an Dienstleistungen im Bereich Straßentransport. Schiene: Per Katapult in die Zukunft Laut Transportministerium konzentrieren sich 57 % des Schienennetzes, 6700 km lang mit 820 Bahnhöfen, im Nildelta und entlang des Nilflusstals. Nur 63 km des Schienennetzes sind elektrifiziert, 28,4 % der Schienenwege zweispurig ausgelegt. Bisher werden nur rund 5 % der gesamten Fracht via Schiene transportiert. Zur Sanierung des Schienennetzwerks in Ägypten hat die China Railway Construction Company als Teil eines Konsortiums im Januar 2016 ein Rahmenabkommen im Wert von 1,1 Mrd. USD abgeschlossen. Die Regierung des Landes hat im März 2015 eine Absichtserklärung über ein Hochgeschwindigkeitszugprojekt von Alexandria via Kairo und Luxor nach Assuan unterzeichnet. Es soll in drei Phasen umgesetzt werden. In der ersten Phase ist geplant, die Verbindung zwischen Kairo und Alexandria zu bauen, die zweite Phase (acht Jahre Bauzeit, Baukosten 6 Mrd. USD) würde zwischen Kairo und Luxor verlaufen. 2 Die Arabisch-Deutsche Handels- und Industriekammer rechnet für das gesamte Projekt rund 13 Mrd. USD. 3 Die Züge werden mit 350 km/ h verkehren und damit die Strecke von Alexandria bis Assuan in 3 bis 4 h zurücklegen. Es ist geplant, den Schienenweg zwischen Luxor und Assuan innerhalb von fünf Jahren zu bauen. Eine weitere vorgeschlagene Strecke für Fracht und Passagiere liegt zwischen der 10. Ramdan City und Kairo mit 652 Mio. EUR geschätzten Baukosten. Auch Luxor, größte oberägyptische Stadt und antike Tempelstätte, und die Tourismus-Hochburg Hurghada sowie später der Hafen Safaga am Roten Meer sollen per Schiene verbunden werden. Neben chinesischen Investoren und der russischen Staatsbahn RZD ist unter anderem auch Siemens in diesem Bereich aktiv. ■ 1 Pesha Magid: 1 year on: Where does ‘New Suez Canal’ stand? In: Mada Masr online, 06.08.2016. https: / / www.madamasr.com/ en/ 2016/ 08/ 06/ feature/ economy/ 1-year-on-where-does-new-suez-canal-stand/ (abgerufen: 14.07.2017) 2 Siehe auch: Mohamed Abdelnaby, Mahmoud A. M. Ali, Jürgen Siegmann (2016): Economical assessment of the High Speed Railway. Proposed Cairo - Luxor HSR line as case study. In: Internationales Verkehrswesen (68), Heft 4, S. 34-39 3 Ghorfa Arab-German Chamber of Commerce and Industry: Ägypten baut Schienennetz aus. https: / / ghorfa.de/ de/ aegypten-schieneninfrastruktur-15-mrd (abgerufen 14.07.2017) Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de 0 5,000 10,000 15,000 20,000 25,000 0 200,000 400,000 600,000 800,000 1,000,000 1,200,000 1975* 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Vessels Net Ton (1000) Year No. & Net Ton Evolution (1975 - 2016) No. (Vessels) Net Ton (1000) Bild 2: Die Zahl der Transits (blau) sank von 17 483 Schiffen in 2015 auf 16 833 im Jahr 2016, die Tonnage (rot) von 998 auf 974 Mio. t netto. Quelle: SCA Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 30 Umgang mit wassergefährdenden Stoffen Gewässerschutz, Umschlaganlagen, Umschlagflächen Die neue Anlagenverordnung ist in Kraft getreten. Auch Umschlaganlagen sind betroffen. Ein juristischer Überblick zu den nun gültigen Anforderungen. Anne Rausch B isher waren die Anforderungen für Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen auf Landesebene geregelt. Die Landesverordnungen wurden jetzt durch die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) abgelöst. Die neue Verordnung legt bundeseinheitliche Vorgaben zum Gewässerschutz fest. Sie beinhaltet unter anderem technische Anlagenanforderungen sowie organisatorische Vorgaben für Betreiber. Zudem regelt die neue Verordnung die Einstufung von Stoffen und Gemischen in Wassergefährdungsklassen (WGK). Die AwSV gilt für ortsfeste Anlagen zum Abfüllen, Herstellen, Behandeln, Verwenden und Lagern wassergefährdender Stoffe. Sie gilt auch für Anlagen, in denen regelmäßig wassergefährdende Stoffe umgeschlagen werden. Die neue Verordnung ist damit auch für die Hafen- und Logistikwirtschaft relevant. „Umschlagen“ im Sinne der AwSV ist das Laden und Löschen von Schiffen, soweit es unverpackte wassergefährdende Stoffe betrifft. Auch das Umladen von wassergefährdenden Stoffen in Behältern oder Verpackungen von einem Transportmittel auf ein anderes ist „Umschlag“ im Sinne der AwSV. Zur Umschlaganlage zählen auch Flächen, auf denen Behälter oder Verpackungen im Zusammenhang mit dem Transport vorübergehend abgestellt werden. Die Fläche wird deshalb nicht zu einer Lageranlage. Technische Anforderungen für Umschlaganlagen Wie bisher werden an sämtliche Anlagen, in denen mit wassergefährdenden Stoffen umgegangen wird, Grundsatzanforderungen gestellt. Anlagen müssen dicht sein und austretende wassergefährdende Stoffe zurückgehalten werden. Rückhalteeinrichtungen müssen flüssigkeitsundurchlässig sein und dürfen keine Abläufe haben. Für Umschlagflächen sieht die neue Verordnung Sonderregeln vor. Danach müssen Umschlagflächen für (sämtliche) flüssigen wassergefährdenden Stoffe zwar flüssigkeitsundurchlässig sein. Ein bestimmtes Rückhaltevolumen wird hingegen nicht gefordert. In der Vergangenheit war dies für Umschlaganlagen, in denen ordnungsgemäß verpackte Flüssigkeiten der Wassergefährdungsklasse 1 umgeschlagen wurden, teilweise nicht vorgesehen. Der Verordnungsbegründung kann entnommen werden, dass Anlagen, die lediglich WGK-1-Stoffe umschlagen, dem Verordnungsgeber nicht bekannt sind. 1 Wenn solche Anlagen dennoch vorhanden sind oder geplant werden sollten, kann dies zu einem erheblichen Mehraufwand führen. Das in Umschlaganlagen anfallende Niederschlagswasser ist zudem ordnungsgemäß als Abfall zu entsorgen oder als Abwasser zu beseitigen. Letzteres setzt voraus, dass Rückhalteeinrichtungen für den Fall des Austritts wassergefährdender Stoffe bestehen. Außerdem müssen die wasserrechtlichen Anforderungen und örtlichen Einleitbedingungen eingehalten werden. Eine betriebliche Abwasserbehandlungsanlage kann erforderlich sein. Umschlagflächen für feste wassergefährdende Stoffe benötigen gegebenenfalls keine Rückhaltung. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Stoffe in geeigneten und vor der Witterung geschützten Behältern oder Verpackungen oder geschlossenen oder vor Witterungseinflüssen geschützten Räumen befinden. Die Bodenfläche des Raumes muss zudem den betriebstechnischen Anforderungen genügen. Hierfür muss sicher- Foto: Martin Moritz/ pixelio.de LOGISTIK Umweltschutz Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 31 Umweltschutz LOGISTIK gestellt sein, dass die Behälter und Verpackungen sicher stehen und beispielsweise nicht umkippen können. Auch für Anlagen zum Laden und Löschen von Schiffen wird zumindest teilweise keine Rückhaltevorrichtung verlangt. Schiffsseitig ist dies weiterhin nicht erforderlich. Sonderanforderungen gelten allerdings für das Laden und Löschen unverpackter flüssiger wassergefährdender Stoffe. Für Schüttgüter wird jetzt zudem vorgegeben, dass geeignete Maßnahmen zu treffen sind, um den Eintrag in oberirdische Gewässer zu verhindern. Diese Anforderung ergab sich bisher bereits aus dem Wasserhaushaltsgesetz. Für Umschlaganlagen des intermodalen Verkehrs gelten erleichterte Anforderungen. Hierzu zählen Anlagen, in denen wassergefährdende Stoffe in Ladeeinheiten oder Straßenfahrzeugen auf einen anderen Verkehrsträger umgeladen werden, beispielsweise von Güterzug auf LKW. Die Ladeeinheit darf dabei nicht geöffnet werden. Für solche Anlagen genügt es, wenn die Umschlagflächen in Beton- oder Asphaltbauweise befestigt sind, sodass das dort anfallende Niederschlagswasser nicht auf der Unterseite austreten kann. Das Niederschlagswasser ist ebenfalls ordnungsgemäß als Abwasser zu beseitigen oder als Abfall zu entsorgen. Umschlaganlagen des intermodalen Verkehrs müssen zudem über flüssigkeitsundurchlässige Havariebereiche verfügen. Auf diesen Havariebereichen müssen beschädigte Ladeeinheiten oder Straßenfahrzeuge abgestellt und austretende wassergefährdende Stoffe zurückgehalten werden können. Rangierflächen sind keine Umschlagflächen Kontrovers diskutiert wurde bisher, ob Verkehrsflächen, die dem Rangieren von mit wassergefährdenden Stoffen beladenen Transportmitteln dienen, den Anforderungen für Umschlagflächen genügen müssen. Die neue Verordnung beendet diese Diskussion. Es wird ausdrücklich klargestellt, dass dies nicht der Fall ist. Auf Rangierflächen ist ausschließlich das Transportrecht anwendbar. Organisatorische Vorgaben Neben den technischen Anforderungen enthält die neue Verordnung zahlreiche organisatorische Vorgaben. Die Vorgaben gehen teilweise über die bisherigen landesrechtlichen Regelungen hinaus beziehungsweise konkretisieren diese. Besonders zu beachten sind die erhöhten Dokumentationspflichten. Zudem enthält die AwSV Vorgaben für Schadensbegrenzungsmaßnahmen bei Betriebsstörungen und zur Instandsetzung. Geregelt sind auch die Anzeigepflichten bei Neuanlagen, wesentlichen Änderungen und Betreiberwechseln sowie Vorgaben zur Beseitigung von Mängeln. Änderungen und Ausweitungen der Prüfpflichten für Umschlaganlagen Mit der neuen Verordnung ändern sich die Vorgaben für die Überprüfung von Umschlaganlagen. Einer wiederkehrenden Prüfpflicht unterliegen jetzt auch die Umschlaganlagen der Gefährdungsstufe B. 2 Die Überprüfung hat alle zehn Jahre durch einen Sachverständigen zu erfolgen. Für die Umschlaganlagen der Stufen C und D bleibt es bei der bereits bisher schon geltenden fünfjährigen Prüfpflicht. Für Umschlaganlagen im intermodalen Verkehr sowie für Anlagen in Schutz- und Überschwemmungsgebieten gelten abweichende Anforderungen. Zudem werden die Inbetriebnahmeprüfung und die Prüfung nach wesentlichen Änderungen für Umschlaganlagen ausgeweitet. Hierzu gehört nun auch die Nachprüfung nach einjähriger Betriebszeit. Bedeutung für Bestandsanlagen Bestandsanlagen werden durch die neue Verordnung geschützt. Die technischen Anforderungen des bisher geltenden Landesrechts gelten für Bestandsanlagen grundsätzlich fort. Eine Nachrüstung ist nur auf behördliche Anordnung erforderlich. Die Befugnis der Behörden, Anlagennachrüstungen zu verlangen, wird durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beschränkt. Für Umschlaganlagen auf Gleisen wird ausdrücklich klargestellt, dass nicht verlangt werden kann, dass die Anlage flüssigkeitsundurchlässig nachgerüstet wird. Die organisatorischen Vorgaben gelten seit dem 01.08.2017 uneingeschränkt. Die Anlagendokumentation muss entsprechend den Vorgaben der AwSV überarbeitet werden. Bei anzeigepflichtigen Anlagen hat zudem unverzüglich eine Anzeige zu erfolgen, sofern der Behörde die Anlage noch nicht bekannt ist. Verstöße gegen die Vorgaben können mit Bußgeldern von bis zu 50 000-EUR geahndet werden. ■ 1 BR-Drucks. 144/ 16B, S. 172. 2 Die Einstufung in Gefährdungsstufen erfolgt gemäß § 39 AwSV anhand der Wassergefährdungsklassen sowie des Volumens/ der Masse der gehandhabten Stoffe. Anne Rausch, Dr. Rechtsanwältin, CMS Hasche Sigle Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB, Köln anne.rausch@cms-hs.com Von Europas Nr. 1: Verladestationen all-inclusive • Industrietore, Ladebrücken, Torabdichtungen und Vorsatzschleusen • 24-Stunden-Service: rund um die Uhr für Sie da • DOBO System: für hygienische Transporte, geschlossene Kühlketten und geringe Energiekosten 202-17 (gewerbliche Endkunden) Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 32 Autonome Palettentransporter für tonnenschwere Lasten Elektrisch angetriebene Transportfahrzeuge für bis zu 30 t Nutzlast im Begegnungsverkehr bei der Uzin-Utz AG - beidseitig vollautomatische Be- und Entladung trotz verschieden hoher Laderampen D ie ersten autonom fahrenden LKW stellte der Ulmer Anbieter von Bodenverlegesystemen Uzin Utz bereits 2002 in den Dienst. Diese dieselgetriebenen Fahrzeuge ähnelten Standard-LKW und wirkten mit ihren leeren Fahrerhäusern und sich von selbst drehenden Lenkrädern reichlich fremdartig. Nun wurden diese Fahrzeuge durch E-Wiesel AGV von Kamag ersetzt, die autonom bis zu 30 t schwere Paletten transportieren. Neben einer neuen Steuerungstechnik für den fahrerlosen Begegnungsverkehr wurde auch das bauliche Konzept des elektrisch angetriebenen Fahrzeugs völlig verändert: E-Wiesel benötigen kein Fahrerhaus und gleichen daher eher den in der Intralogistik schon bewährten Flurförderfahrzeugen oder Selbstfahr-Lafetten als üblichen Nutzfahrzeugen. Der Elektroantrieb und die gesamte Steuerungstechnik stammen vom Kamag- Partnerunternehmen Götting und sind zwischen den Achsen unter dem Koffer verbaut. So lassen sich die Transporter problemlos auf beiden Seiten be- und entladen, während die früheren Fahrzeuge wegen des eigentlich unnötigen Fahrerhauses stets Wendemanöver fahren mussten. Im Ulmer Werk der Uzin Utz AG verbinden zwei E-Wiesel AGV zwei Produktionsstätten mit dem Zentrallager - Produktion und Lager liegen jeweils rund 200 m auseinander. Während die palettierten Erzeugnisse wie Fliesenkleber oder Verlegemörtel früher mit herkömmlichen LKW transportiert wurden, wobei die Fahrer bis zu 50 monotone Fahrten am Tag mit Schrittgeschwindigkeit absolvierten, läuft nun der gesamte Transportprozess komplett automatisch ab. Selbst Lade- und Entladevorgänge erledigen die E-Wiesel gewissermaßen selbst: Die Fahrzeuge docken sich an die unterschiedlich hohen Rampen der einzelnen Hallen an und ziehen dann beim Ladevorgang mittels eines Kettenförderantriebs vollautomatisch 14 Paletten ein. Gleichzeitig fährt ein „Ladefinger“ aus und versorgt den Akku mit Strom. Mit rund 700 t Transportleistung pro Tag tragen die E-Wiesel AGV von Kamag zur effizienten Produktion bei der Uzin Utz AG, die außerdem jährlich rund 16 000 l Dieseltreibstoff einspart, wesentlich bei. Auch seien die autonomen Fahrzeuge gegenüber unflexiblen und sperrigen Rollenfördersystemen oder dem Transport mit konventionellen Flurförderfahrzeugen deutlich sicherer und günstiger, so das Unternehmen. Sicherheitsprobleme jedenfalls erwartet Uzin Utz nicht: Kreuzt ein Fußgänger die Route oder blockiert ein Auto die Fahrbahn, stoppt das E-Wiesel und setzt erst seine Fahrt fort, wenn der Weg wieder frei ist. Insgesamt sorgen redundant angelegte Systeme wie Laserscanner und mechanische „Bumper“ für ein hohes Maß an Sicherheit. ■ Christopher Rimmele/ red christopher.rimmele@tii-group.com Foto: Tii-Group LOGISTIK Automatisierung www.plassertheurer.com „Plasser & Theurer“, „Plasser“ und „P&T“ sind international eingetragene Marken Der Hybrid-Motorturmwagen HTW 100 E³ arbeitet emissionsfrei und leise, ob im Tunnel oder in dicht verbauten, urbanen Bereichen. Der elektrische Antrieb über neueste Akkutechnik reduziert Lärm- und CO 2 -Emissionen. Die Kapazität ist für 12 Stunden Einsatz ausgelegt und modular erweiterbar. Ein ausgeklügeltes Thermomanagement in Kombination mit einer Außenluft-Wärmepumpe sorgt für gleichmäßige Leistung unabhängig der Umgebungstemperatur. Oberleitungsarbeiten mit Akkupower Economic Ecologic Ergonomic HOCHLEISTUNG I PRÄZISION I ZUVERLÄSSIGKEIT Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 34 LOGISTIK Interview „Innovationen fördern“ Die Forderung „Mehr Güter auf die Bahn“ ist nicht wirklich neu, allerdings scheint die technische und infrastrukturelle Entwicklung auf der Schiene hinter dem stark wachsenden Transportbedarf weiter zurückzufallen. Kann der „Masterplan Schienengüterverkehr“ Abhilfe schaffen? Wo steht die deutsche Bahnindustrie? Und wo liegen die Hindernisse auf dem Weg zum „Schienengüterverkehr 4.0“? Ein Gespräch mit den Geschäftsführern des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Dr. Ben Möbius und Axel Schuppe. Deutschland tut sich schwer damit, Innovationen im Verkehrsbereich umzusetzen. Nun wurde vor wenigen Wochen der „Masterplan Schienengüterverkehr“ vorgestellt. Kann der den Knoten lösen? Möbius: Er hat fraglos das Potenzial dazu. Das Konzept des Runden Tisches dient ja dem richtigen Ziel, dass der Schienengüterverkehr innovativer und effizienter wird. Aus unserer Sicht ist das ein großer Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Logistik. Im Kern: zu mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Klimaschutz. Gerade die Senkung der Trassenpreise wird einen enormen Schub für den digitalen Schienengüterverkehr schaffen. Uns liegt der Lärmschutz sehr am Herzen. Die Maßnahmen stehen im Einklang mit den Beschlüssen der Bundesregierung: der Einführung einer Innovationsprämie für superleise Güterwagen und dem Verbot lauter Güterwagen ab Fahrplanwechsel 2020/ 21. Ziel muss es jetzt sein, dass erstens zentrale Bausteine des Masterplans Eingang finden in den nächsten Koalitionsvertrag. Und dass sie zweitens ehrgeizig umgesetzt werden für den Schienengüterverkehr 4.0. Trassenkosten halbieren, ein Forschungsprogramm zur Bahn-Modernisierung auflegen - welche der Maßnahmenpakete halten Sie für vorrangig, um den Transport auf der Schiene zu fördern, attraktiver zu machen? Möbius: Die Politik muss das eine tun und darf das andere nicht lassen. Der Masterplan Schienengüterverkehr umfasst zehn Maßnahmenpakete. Im Vordergrund stehen eine leistungsfähige Infrastruktur, die bessere Nutzung von Innovationspotenzialen und ein fairer politischer Ordnungsrahmen. Es werden fünf Sofortmaßnahmen festgelegt. Zum Beispiel ist ein Testfeld für die Digitalisierung und Automatisierung der Zugbildung im Güterverkehr geplant. Das Konzept für ein Bundesprogramm „Schiene 4.0“ soll Innovationen fördern. Die senken zugleich die Lebenszykluskosten. Nur mit einem umfassenden Ansatz gelingt die Logistik von morgen. Schuppe: Viele Technologien für den Schienengüterverkehr von morgen sind ja heute schon verfügbar - Stichworte digital, vernetzt, leise. Für die technologischen Lösungen, die in unserem liberalisierten Schienenverkehrsmarkt mit vielen unterschiedlichen Rollen einen direkten Kundennutzen aufzeigen, verspüren unsere Mitgliedsunternehmen eine sich deutlich belebende Nachfrage. Dazu gehören klar solche Themen wie Datenboxen für Güterwagen sowie daten- und zustandsorientierte Wartung. Lokomotiven aus Deutschland sind weltweit führende High-Tech-Produkte, in denen sich Kraft und Zuverlässigkeit mit digitaler Intelligenz verbinden. Für die Technologien, die auf ihrem Weg Hindernisse zu liegen haben, steckt der Masterplan Schienengüterverkehr den Weg ab, diese Innovationen systematisch einzusetzen. Es muss gelingen, Klimaschutz, ökonomische Effizienz und Multimodalität in der Logistik noch besser zu verbinden. Dafür ist ein Schienengüterverkehr dann der Schlüssel, wenn er „State of the Art“ ist. Das muss der Anspruch sein. Kann Digitalisierung - derzeit ja oft als Lösung aller Probleme gehandelt - wirklich helfen, eine lang vernachlässigte Schieneninfrastruktur zukunftstauglich zu machen? Möbius: Nicht alleine. Eins greift ins andere. Die Schieneninfrastruktur besteht ja bei Weitem nicht nur aus rein digitalen Komponenten. Denken Sie an Gleise, Weichen, Streckenelektrifizierungen. Diese Hardware muss stimmen auf höchstem technischen Niveau. Dafür sind Investitionen entscheidend. Aber zugleich muss und kann die Infrastruktur dank digitaler Lösungen intelligenter werden. Leit- und Sicherungstechnik, Bahnübergangssysteme, automatisiertes Fahren - „Schiene 4.0“ macht die Infrastruktur effizienter. Die Basis legt die europäische Leit- und Sicherungstechnik ERTMS. Da müssen wir schneller werden. Außerdem brauchen wir mehr Elan für elektronische Stellwerke. So sieht grenzüberschreitender Verkehr auf der Schiene im 21. Jahrhundert aus, ohne absurde Mehrsystemausrüstungen an Bord. Digital lässt sich die Zugtaktung erhöhen, die U-Bahn kommt dann häufiger. Unterm Strich bedeutet Digitalisierung: Der Schienenverkehr wird attraktiver. Und noch klimaschonender. Zum Beispiel brauchen automatisiert fahrende U-Bahnen 30 Prozent weniger Energie - das ist 30 Prozent mehr Klimaschutz. Enorme Chancen! Schuppe: Vollautomatisiertes, fahrerloses Fahren ist auf der Schiene Realität mit außerordentlicher gesellschaftlicher Akzeptanz. Die- Kartographie reicht von Vancouver, Las Vegas und Sao Paulo über Tokio, Dubai und Singapur bis nach London, Rom, Mailand, Paris, Lyon, Barcelona, Kopenhagen und Wien. In Deutschland verkehren fahrerlose U-Bahnen bisher nur in Nürnberg. Schon seit-über drei Jahrzehnten fahren überdies auf Kurzstrecken vollautomatisierte People-Mover, meist in extrem enger und hochflexibler bedarfsorientierter Taktung. Beispielsweise an Flughäfen, etwa in Frankfurt am Main, Paris und neuerdings am Flughafen München. Die Bahnindustrie ist hier anderen Sektoren voraus. Digitalisierung eröffnet große Chancen, diese Technologien weiterzuentwickeln. Werden wir also nach dem hoch automatisierten Fahren auf der Straße bald auch fahrerlose Fern- und Güterzüge sehen? Schuppe: Heute sind fahrerlose Züge vor allem in geschlossenen Systemen wie U-Bahnen und Tunneln, Hochbahnen, auf Flughäfen erfolgreich im Einsatz. Künftig wird eine vollständige Automatisierung auch außerhalb von geschlossenen Systemen möglich sein. Eine Debatte, die den Gesetzgeber bei der Weiterentwicklung des nötigen Rahmens für die Einführung solcher Systeme in Deutschland unterstützt, muss jetzt geführt werden. Doch automatisiertes Fahren auf der Schiene zeichnet sich durch unterschiedliche Lösungen aus. Neben dem vollautomatisierten Betrieb, der für bestimmte Strecken sinnvoll ist, spielen ausgetüftelte digitale Assistenzsysteme für den Fahrer zunehmend eine Schlüsselrolle. Eine Verbindung rechnergestützter automatisierter Prozesse mit der Kompetenz eines Fahrers ist oft die richtige Lösung. Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 35 Interview LOGISTIK Ob teil-, halb- oder vollautomatisiertes Fahren: Die Frage darf nicht zum Glaubenssatz geraten, sondern ist projektscharf auszulegen. Sämtliche Stufen des automatisierten Fahrens sind Erfolgsparameter für die Zukunft des Schienenverkehrs. Vollautomatisierte Lösungen in offeneren Systemen kann ich mir beispielsweise zuerst bei Rangier- oder Depotverkehren oder in der Zugbereitstellung und -wegführung gut vorstellen. Die Basis bilden eine intakte, digital ertüchtigte Infrastruktur, eine leistungsfähige fahrzeugseitige Sensorik und eine sichere Kommunikation. Der „Masterplan“ ist entstanden am Runden Tisch des BMVI: Brauchen wir in Deutschland mehr Runde Tische, damit Innovationen mehrheitsfähig werden? Möbius: Ja, ich glaube schon. Die Bahnindustrie hält diesen Prozess des Runden Tisches jedenfalls für einen Riesenfortschritt. Beides, die Förderung von Innovationen und ein fairer Ordnungsrahmen, ist enorm wichtig. Aber wo stehen wir? - Die Bahnindustrie in Deutschland verfügt über das Knowhow für Schienengüterverkehr 4.0. Das beweisen wir tagtäglich an vielen Orten auf der Welt: in der Hitze des Persischen Golfes ebenso wie in der Kälte Skandinaviens - „made in Germany“. Aber wir haben zu wenig „make in Germany“. Wir müssen doch den Anspruch haben, auch Leit-Markt zu sein, also Innovationen bei uns umzusetzen. Wir brauchen Pilotprojekte, anwendungsorientierte Forschungsförderung, Impulse, damit Innnovationen in den Markt kommen. Dazu kann das Format Runder Tisch, wenn es ernst gemeint ist, entscheidend beitragen. In der Bevölkerung ist oft die Lautstärke der Züge ein wichtiger Grund, den Neu- und Ausbau der Schienenwege zu blockieren. Das „Gesetz zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen“ soll wesentlich zur Reduzierung des Lärms beitragen. Kann das genügen? Schuppe: Das „Gesetz zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen“ ist ein wichtiger Meilenstein für die Halbierung des Schienenlärms bis 2020. Das können wir nur begrüßen. Für die Eigentümer von leisen neuen oder umgerüsteten Güterwagen ist damit klar, dass ab Ende 2020 mit lauten Güterwagen kein wirtschaftlich erfolgreicher Schienengüterverkehr mehr betrieben werden kann und ihr eigenes Engagement Früchte tragen wird. Auch die durch den Bundestag noch einmal gegenüber dem Regierungsentwurf enger gefassten Ausnahmen und Befreiungen des Gesetzes sind wichtig, weil damit das beabsichtigte Signal an die Halter lauter Wagen noch unmissverständlicher ausgefallen ist. Ich glaube, dass auf dem Weg bis 2020 und danach noch schneller gute Effekte erzielt werden können, wenn die Verbreitung sehr leiser Güterwagen mit weiteren Anreizen unterstützt werden würde. Am Beispiel der Einführung von Euro 5- und Euro 6-LKW hat der Straßensektor in den letzten 15 Jahren vorgemacht, wie das geht: Pekuniäre Anreize für Investitionen besonders emissionsarme Zugmaschinen und die Staffelung der Maut haben eine bemerkenswerte Steuerungswirkung erzielt. Welche Auswirkungen könnte dieses Gesetz auf den Fahrzeugmarkt in Europa haben? Schuppe: Die Parlamentarier haben mit dem Gesetz - erfreulich einmütig - Klarheit für die Branche in Europa geschaffen: Wer künftig Güter durch das Transitland Deutschland auf der Schiene transportieren will, so die Botschaft, muss spätestens ab 2021 auf leise Technologien setzen. Güterwagen werden nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern für den grenzüberschreitenden Verkehr umgerüstet oder neu entwickelt werden müssen. Das ist auch eine Chance für einen Technologieschub „made in Europe“. Ein Domino-Effekt wird nicht ausbleiben. Das ist eine große Entlastung für viele Menschen in Europa. Exportorientierte Branchen in Deutschland fürchten weltweit wachsende protektionistische und nationalistische Tendenzen und folglich schmerzliche Exporteinbußen. Teilen Sie diese Befürchtungen? Möbius: Die Bahnindustrie in Deutschland ist eine stark exportorientierte Industrie. Die Exportquote liegt bei rund 50 Prozent. Das spiegelt die Technologieführerschaft unserer Häuser. Darauf können wir stolz sein. Deutschland und Europa müssen vitales Interesse daran haben, dass dies so bleibt, um Wohlstand hierzulande zu sichern. Wir verstehen uns als Bannerträger der offenen Märkte. Denn im globalen Wettbewerb sind wir erfolgreich. Aber natürlich gibt es am Horizont teils ziemlich dunkle Wolken. Arbeitsplätze in Deutschland sind dann gefährdet, wenn der globale Wettbewerb verzerrt ist. Unfaire Wettbewerbsbedingungen - Marktabschottung, überzogene Lokalisierungspflichten, überbordende Staatsinvestitionen - führen leicht zu einer fatalen Abwärtsspirale. Genau das darf nicht passieren. Entscheidend sind klare, faire Regeln, das sprichwörtliche Level-Playing-Field … … wie beim neuen Freihandelsabkommen mit Japan? Möbius: Mir macht die Einigung der Europäischen Union und Japans über die Grundzüge des Freihandelsabkommens Mut. Es war reichlich Geduld gefordert. Aber jetzt gibt es eine klare Festlegung: Die sogenannten Betriebssicherheitsklauseln auf japanischer Seite sollen fallen. Sie stellen für die europäische Bahnindustrie eine diskriminierende non-tarifäre Barriere zum japanischen Markt dar. Vorgesehen ist nun eine Übergangsperiode von einem Jahr nach Inkrafttreten des Abkommens. Solche Fortschritte sind mühsam, aber essenziell wichtig. In wenigen Wochen wird gewählt. Was schreiben Sie einer kommenden Bundesregierung ins Stammbuch? Möbius: Wenn ich die klassischen drei Wünsche frei hätte? Innovationen fördern durch ein Bahnforschungsprogramm, Innovationen fordern durch nachhaltige Ausschreibungen, Impulse und Pilotprojekte, den freien und fairen Wettbewerb stärken durch eine selbstbewusste nationale und europäische Außenwirtschaftspolitik ■ Dr. Ben Möbius ist seit 2015 Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland mit den Schwerpunkten Fahrzeuge und Komponenten über Servicegeschäft, Infrastruktur und Verkehrspolitik sowie Marktentwicklung und Mittelstand. Er ist Mitglied in zahlreichen Kommissionen sowie unter anderem im Herausgeberbeirat von Internationales Verkehrswesen. ZUR PERSON Foto: VDB Dipl.-Ing. Axel Schuppe ist seit 2005 Verbandsgeschäftsführer. Er studierte Elektro- und Informationstechnik und ist beim VDB mit den Aufgabenbereichen Forschungspolitik und -förderung, Betriebsleittechnik und Zugsicherung, Umwelt, Qualität, Sicherheit und Technische Gremien befasst. ZUR PERSON Foto: VDB Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 36 Interoperabler Schienenverkehr in Europa Perspektiven und Herausforderungen bei der Schaffung eines-einheitlichen europäischen Eisenbahnraumes Interoperabilität, Grenzüberschreitender Schienenverkehr, TSI, Trans-European Network, ERTMS Aufgrund meist historisch gewachsener Inkompatibilitäten der nationalen Eisenbahnnetze und nationaler Unterschiede bei der Fahrplanung und Disposition ergeben sich im grenzüberschreitenden Schienenverkehr Wettbewerbsnachteile im Vergleich zu den konkurrierenden Verkehrsträgern. Die Beseitigung von Hindernissen des grenzüberschreitenden Verkehrs und die weitergehende Harmonisierung nationaler Anforderungen stellen wesentliche verkehrspolitische Ziele der Europäischen Union dar, welche durch regulative Bemühungen ordnungsrechtlicher, technischer und betrieblicher Art mittelfristig realisiert werden sollen. Fabian Stoll, Andreas Schüttert, Nils Nießen D er europäische Eisenbahnbetrieb wird noch immer durch vielfältige, teilweise historisch gewachsene Inkompatibilitäten der nationalen Eisenbahnnetze eingeschränkt, auch wenn besonders im grenzüberschreitenden Güterverkehr relativ große Marktanteile auf den Verkehrsträger Schiene entfallen. Als supranationale Organisation ist die Europäische Gemeinschaft, heute Europäische Union, seit den frühen 1990er Jahren im Rahmen regulativer Vorstöße bestrebt, ordnungsrechtliche, technische und betriebliche Anforderungen des Eisenbahnbetriebs zu vereinheitlichen. Der Zielzustand eines leistungs- und wettbewerbsfähigen internationalen Zugverkehrs nützt zunächst dem europäischen Binnenmarkt, ist aber gleichzeitig notwendig, um die Dekarbonisierung des Verkehrssektors voranzutreiben. Bedeutung des grenzüberschreitenden Schienenverkehrs in Europa Während sich der grenzüberschreitende Schienenpersonenverkehr dank kurzer Reisezeiten und komfortabler Züge besonders auf Relationen des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes etabliert hat, verlor er abseits dieser Magistralen häufig an Marktanteilen. Einige Angebote wurden aufgrund des hohen Konkurrenzdrucks durch innereuropäische Low-Cost-Airlines und den Fernbusverkehr reduziert, zusätzlich wirkte sich auch die strategische Entscheidung zur Reduktion des Nachtzugangebotes negativ aus (vgl. [1]). 2014 ließen sich rund 5,8 % der gesamteuropäischen Personenverkehrsleistung auf der Schiene auf grenzüberschreitende Verkehre zurückführen [2]. Im Länderranking (EU-28) belegte Deutschland beim internationalen Personenverkehr einen mittleren Platz. Etwa 5,6 % der Personenkilometer (Pkm) deutscher Zugleistungen fielen grenzüberschreitend an (vgl. Bild 1). Der Schienengüterverkehr in Europa profitiert stark von der exportorientierten Wirtschaft, infolgedessen immer mehr Gü- Grenzüberschreitender Schienenpersonenfernverkehr. Quelle: VIA MOBILITÄT Standardisierung Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 37 Standardisierung MOBILITÄT ter in den großen Seehäfen umgeschlagen werden. Besonders auf langen Distanzen zeigt sich der Verkehrsträger Schiene im Vergleich zum Straßengütertransport als leistungs- und konkurrenzfähig. Im Jahr 2014 wurden 51,1 % der gesamteuropäischen Verkehrsleistung auf der Schiene grenzüberschreitend erbracht [3]. In Deutschland beträgt der Anteil etwa 49,9 % (vgl. Bild 2). Die Bedeutung des Verkehrsträgers Schiene im grenzüberschreitenden Güterverkehr zeigt sich auch beim Modal Split, auf den im Jahr 2014 etwa 44,4 % der Verkehrsleistung entfielen [4]. Der Bundesrepublik Deutschland kommt - gemessen an der absolut per Schiene abgewickelten Verkehrsleistung - nicht nur beim nationalen, sondern auch beim internationalen Güterverkehr die bedeutsamste Rolle innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu. Dabei nehmen der Seehafenhinterlandverkehr von und nach Rotterdam/ Amsterdam, der alpenquerende Güterverkehr mit dem Handelspartner Italien sowie der Verkehr von und nach Österreich den größten Stellenwert ein (vgl. [5]). Aufgrund der weitreichenden Verkehrsbeziehungen Deutschlands ist der weitere Abbau von Interoperabilitätshindernissen auf der europäischen Ebene auch ein zentrales Interesse Deutschlands. Europäische Interoperabilitäts- Richtlinien im Eisenbahnverkehr Bei der Betrachtung des Themas Interoperabilität im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr ist zwischen technischen und betrieblichen Interoperabilitätshürden zu unterscheiden. Technische Hürden resultieren vor allem aus unterschiedlichen Spurweiten, Strom- und Oberleitungssystemen, Begrenzungslinien, Radsatzlasten sowie Zugsicherungs- und Kommunikationssystemen. Betriebliche Hürden gestalten sich weitaus vielfältiger, ergeben sich vielfach im Rahmen unternehmensübergreifender Prozesse und entziehen sich zum Teil der Kompetenz der EU-Regulierungsbehörden. Die Planung grenzüberschreitender Zuglaufwege, sogenannter Fahrplantrassen, erfordert eine länderübergreifende Abstimmung und bereitet insbesondere bei Abweichungen vom Fahrplan Schwierigkeiten. Infolgedessen kann sich die Übergabe von Zügen an Staatsgrenzen (grenzüberschreitende Disposition) verzögern. Gründe hierfür sind u.a. die abweichenden netzspezifischen Priorisierungen von Zugprodukten, überschneidungsfreie Bearbeitungsgrenzen der Disponenten der nationalen Schienennetze sowie die in der Regel abweichenden Betriebssprachen. Seit über 20 Jahren verfolgt die Europäische Union den Ausbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes (Trans-European Network, kurz TEN), das im Eisenbahnverkehr neun Prioritätsachsen (core network corridors) umfasst. Zur Erhöhung der technischen Interoperabilität haben sich die Anrainerstaaten vertraglich dazu verpflichtet, Eisenbahnkorridore vollständig zu elektrifizieren und mit dem European Rail Traffic Management System (ERTMS) auszurüsten, das aus dem Zugsicherungssystem European Train Control System (ETCS) und dem Funksystem GSM-R besteht (vgl. [6]). Um die grenzüberschreitende Nutzung von Schienennetzen zu erleichtern und eine weitere Harmonisierung der technischen sowie betrieblichen Anforderungen der europäischen Staaten zu ermöglichen, wurde durch die Richtlinie 2001/ 16/ EG die Einführung der Technischen Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI) beschlossen. Diese enthalten u. a. Anforderungen an die technischen Einrichtungen von Strecken und Fahrzeugen (vgl. Bild 3). Eine Anwendung der TSI ist dabei nur für Neu- und Ausbaumaßnahmen, nicht aber für Bestandsstrecken verpflichtend [7]. Ein zentraler Regelungsinhalt der TSI im Teilsystem Infrastruktur ist die Festlegung einheitlicher Streckenstandards. Durch die Harmonisierung sollen national unterschiedliche Anforderungen, etwa bei maximal möglichen Radsatzlasten oder Zuglängen, zukünftig der Vergangenheit angehören. Auch für Triebfahrzeuge und Wagen wurden bestehende Inkompatibilitäten reduziert (Teilsystem Fahrzeuge). Dies betrifft etwa Kupplungen, Bremsanlagen oder Bedienelemente im Führerstand. Die TSI Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung (ZSS) formuliert Mindestanforderungen an das Zugsicherungssystem, die Sprach- und Datenkommunikation sowie die Zugortung (Teilsystem ZSS). Mit dem Teilsystem Energie verfolgen die TSI darüber hinaus eine Standardisierung von Leistungsparametern der Energieversorgung. An den vier unterschiedlichen, in der EU dominierenden Stromsystemen (25 kV 50-Hz sowie 15 kV 16,7 Hz Wechselstrom und 3-kV sowie 1,5 kV Gleichstrom), wird jedoch festgehalten. Mit dem Teilsystem Betrieb greifen die TSI vor allem Probleme bei der Disposition von Zugfahrten des Güterverkehrs auf, aber auch bei der Ausbildung von Triebfahrzeugführern. Dies umfasst u.a. die verpflichtende Anwendung von Verfahren zur Disposition in Echtzeit, insbesondere in Verspä- 80 60 40 20 0 10 % 20 % 30 % LT LU AT SI BE CZ LV FR SK EE DK DE IE NL HR HU SE PL FI EL PT UK ES IT NO RO BG Anteil grenzüberschreitender Schienenpersonenverkehr Verkehrsleistung in Mrd. Pkm Ø 5,8 % Ø 16 Mrd. Pkm Bild 1: Anteil des grenzüberschreitenden Schienenpersonenverkehrs und der Verkehrsleistung je-EU-Mitgliedsland 2014 Quelle: VIA 120 100 80 60 40 20 0 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % LV LU SI DK EE NL SK HU EL BE AT LT HR CZ IT DE PL FR SE FI NO BG PT RO ES UK IE Anteil grenzüberschreitender Schienengüterverkehr Verkehrsleistung in Mrd. Tkm Ø 51,1 % Ø 15,6 Mrd. Tkm Bild 2: Anteil des grenzüberschreitenden Schienengüterverkehrs und der Verkehrsleistung je-EU-Mitgliedsland 2014 Quelle: VIA Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 38 MOBILITÄT Standardisierung tungsfällen, und die Festlegung auf ein definiertes Vorgehen, um die Übergabe von Zügen zwischen zwei Infrastrukturbetreibern zu vereinfachen. Die berufliche Qualifikation von Triebfahrzeugführern soll durch verpflichtende Schulungen entsprechend der täglichen Betriebserfordernisse verbessert werden. Gemäß Richtlinie 2014/ 82/ EU müssen Triebfahrzeugführer beispielsweise Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 der Betriebssprache des entsprechenden Schienennetzbetreibers nachweisen. Bestehende Interoperabilitätsprobleme trotz EU-Bemühungen Trotz weitreichender regulativer Bemühungen der Europäischen Union bleiben viele grundlegende Hindernisse für den grenzüberschreitenden Schienenverkehr bestehen. So werden in den TSI-Verordnungen länderspezifische Sonderfälle definiert, die als Normabweichungen geduldet werden, da „geografische, topografische, städtebauliche oder die Kohärenz mit dem bestehenden System betreffende Zwänge vorliegen“ [8]. Infrastrukturell betrifft dies im Wesentlichen die Existenz unterschiedlicher Bahnstrom-, Sicherungs- und Kommunikationssysteme, die den Einsatz von Mehrsystemlokomotiven und -triebzügen erfordern (Bild 4). Solche, vor allem im grenzüberschreitenden Personenfernverkehr und Seehafenhinterlandverkehr dominierenden Fahrzeuge, gaben in den letzten Jahren an mehreren Grenzübergängen den Anstoß, Trennstellen des Strom- und Sicherungssystems umzubauen. Traditionelle Standorte im Bahnhof, die den Traktionswechsel zwischen nationalen Bahngesellschaften ermöglichten, entfielen zugunsten von Systemwechselstellen auf Gleisen der freien Strecke. Die Umbauten wurden von Infrastrukturbetreibern aufgrund ihres kostensenkenden Potenzials bei gleichzeitiger Erhöhung der Zuverlässigkeit forciert, erwiesen sich jedoch nachteilig für grenzüberschreitende Schienenverkehre kurzer Distanz. Einzelne Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) bemängeln, dass die Wirtschaftlichkeit des „kleinen Grenzverkehrs“ aufgrund deutlich höherer Investitions- und Betriebskosten von Mehrsystem-Elektrotriebfahrzeugen im Vergleich zu vormals eingesetzten Einsystem-Elektrolokomotiven nicht mehr gegeben ist. Dies führt zum Einsatz von Diesellokomotiven auf eigentlich elektrifizierten Strecken. Hier zeigt sich, dass sich interoperabilitätssteigernde Technik nicht für alle Marktakteure gleichermaßen positiv auswirkt. Trotz der vorhandenen technischen Befähigung für den Betrieb in mehreren Ländern beschränkte sich die Einsatzfähigkeit ausländischer Lokomotiven in der Vergangenheit teilweise auf ausgewählte Strecken. So durften die 2006 von der französischen Staatsbahn SNCF beschafften Dreisystem- Elektrolokomotiven der Produktplattform Alstom Prima trotz vorhandenem deutschem Zugsicherungssystem nur auf dem Korridor Trier-Ehrang - Köln-Gremberg eingesetzt werden [9]. Die bereits zu Beginn der technischen Entwicklung der heutigen Mehrsystemlokomotiven in den 2000er Jahren aufgetretenen bürokratischen Zulassungshürden, vor allem infolge länderspezifisch angepasster technischer Bauteile [10], sind bis heute ein Problem. Schienenfahrzeughersteller bemängeln damals wie heute unterschiedliche nationale Zulassungsphilosophien sowie Interpretationsspielräume bei der Anwendung der TSI-Normen. Durch die Richtlinie 2011/ 18/ EU soll gewährleistet werden, dass die Zulassung eines Fahrzeuges in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union auf andere Staaten übertragbar ist und nur noch hinsichtlich der technischen Kompatibilität netzspezifischer Komponenten des Fahrzeuges für das jeweilige Schienennetz geprüft werden darf. Die im Mai 2016 begonnene Bündelung von bislang nationalstaatlich aufgeteilten Zulassungskompetenzen in der europäischen Eisenbahnagentur (ERA) wird daher von Triebfahrzeugherstellern und EVU als dringend erforderlich begrüßt. Neben der Vereinheitlichung des Zulassungsprozesses sind die Hauptaufgaben der ERA darüber hinaus in der Angleichung sowie der Überwachung der Einhaltung der TSI durch die nationalen Schienennetzbetreiber zu sehen. Das europäische Zugsicherungssystem ETCS bereitet einigen EVU technische Probleme und wurde als Kostentreiber eingestuft. Zwar unterstützen die Marktakteure den geplanten Endzustand eines europaweit einheitlichen Systems, die bis dahin angewandten technischen Zwischenlösungen stehen hingegen zunehmend in der Kritik. Damit die Kompatibilität zwischen ETCS-Technologie und länderspezifischen TSI PRM| VO (EU) 1300/ 2014 eingeschränkt mobile Personen Anforderungen u.a. an: - Bahnhofsbereiche und Fahrzeuge - Informationsbereitstellung - Kauf & Entwertung von Fahrkarten Teilsystem Fahrzeuge TSI WAG | VO (EU) 2015/ 924 Güterwagen Anforderungen u.a. an: - Kupplungen - Lauf- und Bremsverhalten - Brandschutz TSI LOC&PAS| VO (EU) 1302/ 2014 Lokomotiven und Personenwagen Anforderungen u.a. an: - Kupplungen - Lauf- und Bremsverhalten - Sanitäranlagen und Türsysteme TSI SRT| VO (EU) 1303/ 2014 Sicherheit in Eisenbahntunneln Maßnahmen u.a. zur: - Evakuierung und Rettung - Sicherheit von Reisenden & Personal TSI NOI| VO (EU) 1304/ 2014 Lärm Grenzwerte u.a. für: - Standgeräusche von Triebfahrz. - An- und Vorbeifahrgeräusche - Innengeräusche im Führerstand TSI INF| VO (EU) 1299/ 2014 Infrastruktur Anforderungen u.a. an: - Strecken nach TSI-Streckenklassen - Betrieb und Instandhaltung Teilsystem Infrastruktur TSI ENE| VO (EU) 1301/ 2014 Energie Anforderungen u.a. an: - Energieversorgung - Oberleitungen und Stromabnehmer Teilsystem Energie TSI ZZS| VO (EU) 2016/ 919 Zugsteuerung, -sicherung, Signalgebung Anforderungen u.a. an: fahrzeug- und streckenseitiges ETCS - Betrieb und Instandhaltung Teilsystem ZZS TSI OPE| VO (EU) 2015/ 995 Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung Anforderungen u.a. an: - Personalschulung und -gesundheit - Durchführung von Zugfahrten TSI TAF| VO (EU) 1305/ 2014 Telematikanwendungen für den GV Anforderungen u.a. an: - Güter- und Zugverfolgung in Echtzeit - Rangier- und Zugbildungssysteme - Trassenbuchungssysteme TSI TAP| VO (EU) 2016/ 527 Telematikanwendungen für den PV Anforderungen u.a. an: - Instandhaltungs-Software - Fahrgastinformationssysteme - Buchungs- und Zahlungssysteme Teilsystem Betrieb Teilsystemübergreifende TSI Bild 3: Übersicht über TSI-Teilsysteme Quelle: VIA Bild 4: Mehrsystem- Elektrolokomotive der BR 186 im transalpinen Güterverkehr Quelle: VIA Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 39 Standardisierung MOBILITÄT Altsystemen gewährleistet ist, werden individuelle Softwarelösungen benötigt, die zugelassen und regelmäßig aktualisiert werden müssen. Dies verringert die Verfügbarkeit der Triebfahrzeuge und erhöht die Fehleranfälligkeit im Betriebsalltag. Die Ablösung nationaler Sicherungssysteme durch lediglich in einem Land einsetzbare ETCS-Versionen ist aus Sicht der EVU kein Erfolgsmodell. Es zeichnet sich ab, dass die Umsetzung eines europaweit einheitlichen Zugsicherungs- und Kommunikationssystems noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Während einige Länder, etwa Luxemburg oder Dänemark, ETCS zügig umsetzen, melden z. B. die Niederlande, Frankreich oder Deutschland Verspätungen bei der Einführung. Eine Studie im Auftrag der EU kommt zu dem Schluss, dass neben technischen Problemen die hohen Systemkosten sowie die schwierige Haushaltslage mancher Staaten die rasche ETCS-Einführung behindern [11]. Trotz der TSI-gestützten Harmonisierung eisenbahnbetrieblicher Prozesse ist zu erwarten, dass die Ausbildung von Triebfahrzeugführern in den Bereichen Sprache und länderspezifische Verhaltensweisen sowie die Disposition von grenzüberschreitenden Zugfahrten auch zukünftig zeit-, kosten- und personalintensiv bleibt. Seit 2014 haben Güterverkehrsunternehmen im Rahmen der Strategie „Corridor One-Stop- Shop“ (C-OSS) die Möglichkeit, auf den TEN-Korridoren so genannte „Pre-arranged Paths“ (PaPs) zu bestellen, d. h. für den Güterverkehr vorgeplante und reservierte Zugtrassen, die gegenüber nationalen Trassenanmeldung priorisiert werden [12]. In Deutschland ist der C-OSS-Ansatz auf sechs Korridoren vorgesehen (vgl. Bild 5). Die in der Praxis häufig anzutreffenden kurzfristigen Trassenanmeldungen, aber auch Verspätungen von Zügen erfordern jedoch weiterhin eine Abstimmung der Disponenten verschiedener Netzbetreiber über Staatsgrenzen hinweg. Im ungünstigen Fall muss eine Trasse vor dem Grenzübertritt vom Netzbetreiber neu geplant werden, sodass zwischen der Trassenanfrage und einer möglichen Abfahrt im Zweifel mehrere Stunden vergehen. Fazit Der grenzüberschreitende Schienenverkehr bietet für die Personenbeförderung wie für den Gütertransport umwelt- und verkehrspolitische Systemvorteile. Während sich der internationale Schienenpersonenfernverkehr vor allem auf Hochgeschwindigkeitsstrecken abspielt, stellt der grenzüberschreitende Schienengüterverkehr auf längeren Distanzen häufig eine wirtschaftlichere Alternative im Vergleich zum LKW dar. Die Wettbewerbsvorteile des Schienenverkehrs werden jedoch aufgrund meist historisch gewachsener, technischer und betrieblicher Inkompatibilitäten nationaler Eisenbahnsysteme geschmälert. In der Folge können die Erwartungen von Marktteilnehmern hinsichtlich der Punkte Zuverlässigkeit, Flexibilität und Beförderungszeit teilweise nicht erfüllt werden. Hinzu kommt ein allgemein erhöhter Organisationsaufwand, der dem Ausbau von Marktanteilen auf der Schiene entgegensteht. Die Beseitigung von Interoperabilitätshürden und der Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs sind zentrale Bestandteile der Verkehrspolitik der Europäischen Union. Regulative Vorgaben im Bereich der TSI und die Implementierung des ERTMS sind hierfür wichtige Voraussetzungen, doch ist zu erwarten, dass die Schaffung eines interoperablen europäischen Eisenbahnraums zukünftig noch weiterer Anstrengungen der Politik, von Infrastrukturbetreibern und Verkehrsunternehmen bedarf. ■ QUELLEN [1] Bienick, M. (2015): Lücken im europäischen Fernbahnnetz. In: Eisenbahn-Revue International, Ausgabe 04/ 2015, S.202-206. [2] Europäische Kommission (2016): Rohdaten zum fünften Bericht über die Überwachung der Entwicklung des Schienenverkehrsmarktes (Fig. 11). Brüssel, Stand: 08.12.2016. Online unter https: / / ec.europa.eu/ transport/ sites/ transport/ files/ 5th-rmms-report-figures.zip [3] Europäische Kommission (2016): Rohdaten zum fünften Bericht über die Überwachung der Entwicklung des Schienenverkehrsmarktes (Fig. 16). Brüssel, Stand: 08.12.2016. Online unter https: / / ec.europa.eu/ transport/ sites/ transport/ files/ 5th-rmms-report-figures.zip [4] Eurostat (2016): Grenzüberschreitender jährlicher Straßengüterverkehr nach Be- und Entladungsland (Mio. tkm). Stand: 29.09.2016. Online unter http: / / appsso.eurostat.ec.europa.eu / nui/ submitView- TableAction.do# [5] Statistisches Bundesamt (2014), Fachserie 8, Reihe 2, Eisenbahnverkehr, S. 21. [6] Verordnung (EU) Nr. 1315/ 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 über Leitlinien der Union für den Ausbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 661/ 2010/ EU. [7] siehe z.B. TSI des Teilsystems „Infrastruktur“ nach Verordnung (EU) Nr. 1299/ 2013, Art. 2 Abs. 1ff. [8] vgl. Richtlinie 2008/ 57/ EG vom 17. Juni 2008, Art. 2 Abs. l S. 1. [9] vgl. Schäfer & Gleitsmann (2007): Der Güterverkehr Deutschland - Frankreich. In: Eisenbahn-Kurier, Ausgabe 10/ 2007, S. 34-40. [10] vgl. Hoppe & Stapff (2005): Vom einheitlichen Europa keine Spur. In: Internationales Verkehrswesen (57), Ausgabe 03/ 2005, S. 101ff. [11] vgl. PwC (2015): Study to develop tailor-made solutions for use of innovative financing to support deployment of ERTMS - Final Report v4.0 for the European Commission DG Move, online abrufbar unter https: / / ec.europa.eu/ transport/ themes/ infrastructure/ studies / infrastructure-studies_en [12] vgl. DB Netz (2013): NetzNachrichten, Ausgabe Dez. 2013, S. 1 u. 3. [13] vgl. DB Netz (2016): Rail Freight Corridors in Germany, online abrufbar unter http: / / fahrweg.dbnetze.com/ fahrweg-de/ international/ europ_korridore/ europ_korridore_allg. html Andreas Schüttert, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Verkehrswissenschaftliches Institut der RWTH Aachen Forschungsbereich Eisenbahnbetriebswissenschaft schuettert@via.rwth-aachen.de Nils Nießen, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Universitätsprofessor, Leiter des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der RWTH Aachen niessen@via.rwth-aachen.de Fabian Stoll, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Verkehrswissenschaftliches Institut der RWTH Aachen Forschungsbereich Verkehrswirtschaft stoll@via.rwth-aachen.de Bild 5: Güterverkehrskorridore in Deutschland und geplante Inbetriebnahme Darstellung nach [13] Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 40 MOBILITÄT Automatisierung Automatisiertes Fahren im-Mobilitätssystem Ein Spannungsbogen zwischen Ethik, Mobilitätsausübung, technischem Fortschritt und Markterwartungen Wertmaßstäbe, Mobilitätsgruppen, Szenerien, Interaktionen, Testanordnungen Digitalisierung und Automatisierung bemächtigen sich der Mobilität als Daseinsbedürfnis und des Verkehrssystems als dienende Infrastruktur. Die Ausrüstung der Verkehrsmittel, vor allem der Kraftfahrzeuge, schafft veränderte Bedingungen für die Ausübung der Mobilität durch die Bevölkerungsgruppen in ihren Lebensräumen. Nutzen und Nachteile sind daher aus deren Blickwinkel in Wechselwirkung mit den fahrzeugseitigen Automatisierungstechnologien, die teilweise oder gänzlich ein fahrerloses Bewegen der Fahrzeuge im Verkehrsnetz ermöglichen werden, zu beleuchten. Heinz Dörr, Viktoria Marsch, Andreas Romstorfer D as Mobilitätssystem ist als Daseinsanspruch aller mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten ausgestatteten Mobilitätsgruppen anzusehen. Die Fragen der Gestaltung der Mobilität in der Zukunft betreffen nicht allein die technologischen Aspekte (Stichwort 4.0), sie sind auch mit den gegensätzlichen Leitvorstellungen entweder der zentralen Lenkung oder der individuellen Bewegungsfreiheit, soweit es die öffentliche Verkehrsinfrastruktur zulässt, zu verknüpfen. Daran, und nicht nur am Kundennutzen des Autokäufers, werden Nutzen und allfällige Nachteile der Automatisierungstechnologien im Verkehrssystem zu beurteilen sein. Schließlich sollten die Anwendungsbereiche (Use Cases) einen gesellschaftlichen Mehrwert im Sinne von gesteigerter Verkehrssicherheit und einer breit gestreuten Mobilitätsentfaltung erzielen. 1 Automatisierungsoptionen im Verkehrsträgersystem Platooning versus individuelle Wegebahnung Prinzipiell sind spurbzw. fahrdrahtgeführte Verkehrssysteme prädestiniert für die Automatisierung des Betriebes im Verkehrsnetz. Die Schienenbahnen haben schon vor Jahrzehnten mit der Linienzugbeeinflussung bei Eisenbahnen und mit dem fahrerlosen Betrieb von U-Bahnen diesbezüglich einiges vorweggenommen, was beim Verkehrsträger Straße erst mit hohem Aufwand hergestellt werden müsste. Vor allem für den Schwerverkehr auf Fernverkehrsstrecken wird über den Einsatz von entsprechend ausgerüsteten Lang-LKW sowie deren interkonnektive Ausstattung - gemeint ist der Datenaustausch in Echtzeit mit anderen relevanten Fahrzeugen und mit der benützten Wegeinfrastruktur - nachgedacht, um beispielsweise das Fahren im Platooning zu ermöglichen, wobei mehrere Fahrzeuge zu einer Art Zugverband telematisch zusammengeschlossen werden. Die Initiative liegt gegenwärtig bei der industriellen Forschung und Entwicklung, wofür Experimentierstrecken auf Autobahnen (in Deutschland die A 9, in Österreich ist die Westautobahn im Gespräch) technisch vorbereitet werden. Dabei wird die 5.- Generation des Mobilfunks eine Schlüsselfunktion bekommen 2 . Weitergedacht stellt sich die Frage, wie die Schnittstellen zwischen einem hochgerüsteten „Premiumnetz“ und dem nachgeordneten Straßennetz in den Ballungsräumen bzw. in den Regionen verkehrsorganisatorisch gestaltet werden werden (Bilder 1 und 2). Industriepolitische Strategien Die politischen Strategiepapiere der EU, in Deutschland und Österreich folgen weitgehend den Visionen der Stakeholder aus der Automobilwirtschaft 3 . Dahinter steht als Triebfeder die Befürchtung der Autohersteller bzw. der Erzeugerländer, von den USA, China und Ostasien auf den Absatzmärkten überholt zu werden. Es geht um den Erhalt der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auf längere Sicht. Sind also bislang industriepolitische Motive themenbestimmend gewesen, müssen nun verkehrspolitische Überlegungen nachgeholt werden, weil der gesetzliche Rahmen, wie das Straßenverkehrsrecht, für den Betrieb auf der Straße anzupassen ist. 4 Grundrechte und Neuordnung der Verantwortlichkeiten Die unvermeidliche Regelung des Verantwortungsübergangs von der lenkenden Person zur zunächst programmierten und schließlich selbstlernenden künstlichen Intelligenz der Fahrzeugsteuerung löst eine Kaskade an zu erforschenden, zu klärenden und zu entscheidenden Sachfragen aus. Daher werden die Technologen nicht mehr allein die Themenführerschaft beanspruchen können, wiewohl der interdisziplinäre Dialog mit ihnen geführt werden sollte. Das beginnt mit gesellschaftsrelevanten Überlegungen der Mobilitätspolitik und schlägt auf ethische Grundwerte zurück, die die Grundlage für die Legistik und die Judikatur bilden werden. Auf die Gerichte könnte einiges an richtungsweisenden Entscheidungen zugetragen werden, sollten die gesetzlichen Regelungen den komplizierten Herausforderungen nicht sachlich ausreichend gerecht werden. 5 Ethische Momente und Wahrnehmungsbereitschaft Das „Frosch-Problem“ oder die Ereignis- Eintrittsschwelle Welche Herausforderungen mit der Entwicklung der Sensorik verbunden sind, sei Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 41 Automatisierung MOBILITÄT an einem simplen Beispiel verdeutlicht: Ein Frosch hüpft auf die Fahrbahn. Mit dem bisherigen Stand der Technik liegt es allein an der Wahrnehmung des Lenkers, ob er dieses minimale Ereignis überhaupt bemerkt - und wenn, an seiner spontanen Entscheidung, wie er darauf reagiert. In der Praxis wird der Frosch, wenn er Pech hat, plattgefahren, und in den meisten dieser Fälle wird der Fahrer diesen Vorfall gar nicht bemerkt haben. Nennenswerte Schäden sind darob keine zu erwarten. Der hüpfende Frosch stellt also kein gravierendes Problem für den Verkehrsablauf dar, außer, er wird von vielen seiner Artgenossen begleitet, deren unberechenbare Dynamik die Sensorik verwirrt. Für die Entwicklung und Einstellung der Sensorik werfen schon geringfügige Ereignisse Grundsatzfragen auf, die etliche ethische, fahrpraktische und automatisierungstechnologische Aspekte umfassen. Erstens: Ist das lebende Objekt als solches, welches das Ereignis auslöst, erheblich genug, um eine gesteuerte Verhinderungsreaktion auszulösen. Zweitens: Ereignet sich ein solcher Vorfall häufig genug, dass es gerechtfertigt ist, systemisch Vorsorge für eine Reaktion zu treffen und die Objekterkennung und ihre Bewertung in Hinblick auf Schadensfolgen darauf einzustellen. Drittens: Wie geht die Sensorik mit einem Schwarm hüpfender Frösche um? Handelt es sich in der Situationsbewertung um unzählige, nahezu gleichzeitige Einzelereignisse, deren Abschluss nicht genau vorhergesagt werden kann, oder wird eine Schwarmlogik für bestimmte Objektgruppen, deren Auswahl wiederum eine ethische Entscheidung verlangen wird, entworfen? Dieses wenig maßgebliche Frosch-Problem zeigt parabelhaft auf, welche Schwellenwerte der Erheblichkeit, Häufigkeit und Vorhersehbarkeit von Ereignissen dem Steuerungsverhalten der Automatisierungstechnik zu Grunde zu legen sein werden. Verhältnis Fahrzeug - Mensch - Öffentlicher Raum Das Kraftfahrzeug als Solitär Derzeit vermittelt die Fachdebatte den Eindruck, dass ein Kraftfahrzeug in der Automatisierungsforschung und Komponentenentwicklung als ein Solitär-Objekt betrachtet wird, das eine Singularität in der Ereignisauslösung bzw. -bewältigung darstellt. Eine Aufbereitung der Umgebung, in der entlang eines Fahrweges Ereignisse auftreten, die eine automatisiert ablaufende Reaktion erforderlich machen, scheint derzeit nur auf sehr abstrakter Ebene und nur für Einzelereignisse, wie sie im Verkehrsfluss unmittelbar geschehen, stattzufinden. Road Map bis zum autonomen Fahrzeug Auf der Road Map der fahrzeugseitigen Automatisierung sind fünf Entwicklungsstufen (SAE-Levels) 6 bis zur vollen Autonomie des Fahrzeugbetriebes definiert, was letztlich einen personallosen oder gar insassenfreien Fahrbetrieb bedeutet. Je höher der Automatisierungsgrad am Fahrzeug ist, desto mehr steigt der Bedarf an Datenaustausch mit adjazenten Fahrzeugen (v2v) im Verkehrsstrom und mit der örtlichen Verkehrsbeeinflussungsinfrastruktur (v2i), aber auch mit der durchfahrenen Umgebung, von der sich beispielweise Fahrzeuge aus Anlagen des ruhenden Verkehrs in den Hauptverkehrsstrom einflechten. Eine weitere Stufe in der Interkonnektivität wird der Sprung zur zentralen Verkehrslenkung sein, die die Verkehrsbewegungen der individuellen Fahrzeuge in einem größeren Verkehrsraum übernimmt. Für eine solche übergeordnete Vernetzung bedarf es erstens eines möglichst flächendeckenden und hoch gesicherten Mobilfunknetzes (5G) sowie zweitens einer nahezu in Echtzeit gepflegten hochauflösenden Geoinformationsplattform. Außerdem sind Fragen zu beantworten, wie mit der informationellen Selbstbestimmung oder der individuellen Wahlfreiheit des Mobilitätsmodus als zivilen Rechten umgegangen werden soll. Der Ergebnisbericht der Ethikkommission des deutschen Verkehrsministers (BMVI) ist diesbezüglich ein erster Schritt, der den Diskurs eröffnet hat. Aber ethische Grundsätze müssen in die Anforderungsprofile der Testanordnungen und Zulassungsbedingungen einfließen, also aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln operationalisiert werden 7 . Technologische Wirkungskette „Sensorik - Steuerung - Motorik“ Die Automatisierungsfunktionalitäten bestehen grob gesprochen • aus der Sensorik verschiedener sich mehr oder minder ergänzender Positions- und Detektionstechnologien (wie Radar, Kamera, Laser, GPS), • aus der die Signale interpretierenden Software, die ihrerseits mit Datenbanken (z. B. zur Objekterkennung) und mit Daten aus der Cloud (z. B. zur Beurteilung des Verkehrszustands im Wegenetz) hinterlegt sein muss, und schließlich • aus der darauf reagierenden (mittels Entscheidungsalgorithmen) und steuernden (mittels Befehlsalgorithmen) Software, die auf das Fahrwerk (Lenkung) und den Antriebsstrang (Fahrdynamik) wirken, um so dem Fahrer als Bild 2: Stadtautobahnen wie die BAB 100 in Berlin stellen eine Vielzahl an Herausforderungen für automatisiertes Fahren. Bild 1: Als ideale Teststrecken erweisen sich mindestens dreistreifige Richtungsfahrbahnen mit viel Voraus-Sicht wie die BAB 9 (nahe Rastplatz Streitau). Alle Abbildungen: arp Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 42 MOBILITÄT Automatisierung Arbeitserleichterung zu assistieren oder ihn zeitweilig bis gänzlich zu ersetzen. Dabei wird die Frage zu lösen sein, auf welchem Automatisierungslevel welche Zulassungskriterien als Pflichtenheft angewendet werden, wenn die alleinige Verantwortung des Kraftfahrzeuglenkers unwirksam wird. Ist ein Fahrzeug mit einer Vielzahl an Automatisierungsfunktionalitäten bestückt, stellt sich die Frage des systemischen Zusammenwirkens, das zu fahrdynamischen Steuerungsbefehlen führt. Wird es eine „End-to-End“-Befehlskette einer Detektionstechnologie für den Zweck einer bestimmten Funktionalität (wie Abstands- und Spurhaltung) geben oder wird, wenn die Tests Schwächen einer Technologie aufzeigen sollten, eine verknüpfend interpretierende Plattform eingezogen, die algorithmische Entscheidungen über Steuerungsbefehle mehrfach absichert? Besonderes Augenmerk wird dem „Backend“, also der Beobachtung der Annäherungen auf der Fahrzeugrückseite, zu widmen sein. Das betrifft etwa den Spurwechsel oder das Einfädeln auf die Autobahn. Humane Wirkungsstufen der Fahrerabsenz „hands off - eyes off - mind off“ Eine gesicherte Wissensbasis über das fahrdynamische Verhalten von Fahrzeugen mit Automatisierungs-Funktionalitäten liegt noch nicht vor, sodass ihr Verhalten in Verkehrsflüssen und ihre Wirkung auf die Verkehrsqualität mit den bewährten Verkehrsplanungs-Tools derzeit schwerlich simuliert werden können. Erst dokumentierte Fahrleistungen unter Praxisbetriebsbedingungen werden Aufschluss über die Erfüllung von Sicherheitsanforderungen des software-determinierten Fahrverhaltens geben. Damit können die Spielregeln für die drei Wirkungsstufen der Fahrerabsenz „hands off“, „eyes off“, „mind off“ für einen maßgeblichen Zeitraum und für bestimmte Netzabschnitte festgelegt werden. Für das Verkehrsmanagement ist sodann der Verkehrszustand am Fahrweg (Level of Service) im Zeitgang mitzubedenken. Man wird nicht herumkommen, die menschliche Fahrpraxis und die normierten sowie die verorteten Randbedingungen der Verkehrsabläufe als Maßstäbe heranzuziehen. Automatisierte Fahrzeugbewegungen im öffentlichen Raum Eine räumlich tiefer gehende Analyse des Einflusses der verkehrsinfrastrukturellen und städtebaulichen Umgebungsstrukturen auf die automatisierten Fahrzeugbewegungen steht noch weitgehend aus. Andererseits sind die industriellen Forschungen des Automotivsektors mit einer hohen Geheimhaltungsstufe versehen, sodass aus demokratiepolitischen Überlegungen ein sachlich-realistischer Diskurs aufgrund der Inanspruchnahme öffentlicher Räume und der breiten Betroffenheit Dritter einzufordern ist. Gleichzeitig ergibt sich eine öffentliche Verantwortung dafür, die mittels einer umfassenden Regelungskompetenz vor allem über das Kraftfahrgesetz und die Straßenverkehrsordnung bundesweit ausgeübt wird. In weiterer Folge könnten regionale Verwaltungsbehörden örtliche Verkehrsregelungen bzw. -beschränkungen erlassen, die z. B. auch die Einsatzbedingungen bestimmter Automatisierungs-Funktionalitäten mit einschließt. Die internationale Harmonisierung nationaler Regelungen geschieht im Rahmen der sogenannten Wiener Konvention auf der Verhandlungsebene der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UN-ECE), der auch Nicht-EU-Staaten am europäischen Kontinent und Japan angehören 8 . Einbettung in das Mobilitätssystem Bislang gibt es viele Narrative über die Einsatzreife, die medial verbreitet werden. Ein unabhängiges und objektiviertes Monitoring des Entwicklungsstandes der Automatisierungstechnologien findet jedoch nicht statt. Inwieweit neben den Automotiv-Entwicklungsingenieuren weitere Fachdisziplinen auf dem Forschungspfad bis zur Implementierung der hochautomatisierten SAE- Levels beigezogen werden sollten, lässt sich ansatzweise anhand folgender Einbettungsstufen absehen: a. Einbettung in das Fahrzeug (Fahrwerk, Karosserie, Antriebs- und Lenkungssteuerungssystem) b. Einbettung in den Verkehrsfluss der Fahrzeuge auf den Fahrbahnen der Laufwege bzw. in die Hierarchie der Verkehrsnetze (von der Wohnstraße bis zum Autobahnnetz) c. Einbettung in das technische Verkehrssystem (mit seinen verkehrsteilnehmenden Gruppen) d. Einbettung in das gesellschaftliche Mobilitätssystem (mit seinen Interessentengruppen) e. Einbettung in den städtebaulichen Hintergrund der Lebensumwelt (Ausprägung von „Mobilitätsgesellschaften“ in Siedlungs- und Wirtschaftsräumen unterschiedlicher Struktur) Testsystematik aus Sicht der Stadt- und Verkehrsplanung „X2V“ Um zu realen Testanordnungen zur Feststellung der Verkehrstauglichkeit von automatisierten Kraftfahrzeugen zu gelangen, Bild 4: Bewegungsflächen für die nichtmotorisierten Mobilitätsgruppen bei regelkonformem Verhalten Bild 3: Szenerie eines urbanen Knotens zweier Hauptverkehrsstraßen als Interaktionsraum von Mobilitätsgruppen sowie Szenengenerator zum Zweck realer Testanordnungen für die Entwicklung von Automatisierungsszenarios Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 43 Automatisierung MOBILITÄT bedarf es u. E. für die Auswertung erfasster Daten aus der Verkehrsbeobachtung, für die Prognose potenzieller Verkehrsabläufe und für die Ausarbeitung von Szenarios eines planungsräumlich definierten Forschungsdesigns, welches dem Forschungsansatz „X2V“ (! ) folgend die Trias umfasst: 1 Erfassung der rahmensetzenden Szenerien (Bild 3) 2 Beobachtung und Einordnung der ablaufenden Szenen 3 Entwurf von Szenarios zur Technologie- Implementierung Projiziert auf die Maßstabsebenen der Ereignisse und der verkehrsplanerischen Aspekte sind es: A Bewegungsräume (Trajektorien und Bewegungsschläuche von Fahrzeugen und Personen, s. Bild 4) B Interaktionsräume (Annäherungen von Fahrzeugen bzw. VerkehrsteilnehmerInnen, s. Bild 5) C Geschehnisräume (fahrzeugübergreifende Verkehrssituationen zwischen mehreren Mobilitätsgruppen, s. Bild 6) D Verkehrsräume (Netzteile, in denen sich komplexe Verkehrsabläufe, wie Ausweichverkehre, abspielen) Testanordnungen nach Bewegungsraum - Interaktionsraum - Geschehnisraum Die dargestellte, großzügig angelegte Straßenkreuzung in einem städtischen Neubaugebiet eignet sich als Beispiel für die methodische Entwicklung von komplexen Testanordnungen hervorragend, weil dort nahezu alle Mobilitätsgruppen interaktiv zusammentreffen und in ihrem Verkehrsverhalten beobachtet werden können, sodass eine solche Szenerie die Quelle für eine Fülle von Szenen im Detail liefert, die in weiterer Folge in die Formulierung von Szenarien und schließlich in eine Modellierung zur Simulation einfließen können. Ein solcher Knoten ist somit jener Ort der Bewährung für hochautomatisierte KFZ-Bewegungen, den die Automatisierungs-Technologien bestehen müssen, wenn eine breite Anwendung künftig realisiert werden soll. Das hier ausgeführte Beispiel in Wien-Floridsdorf ist frei gewählt und spielt keine konkrete Rolle als Testfall (Bild 3). Fazit und Ausblick Am mutig geäußerten Anspruch, den Genius Mensch - bei all seinen erkannten Fehlleistungen im Straßenverkehr - zu ersetzen oder zu übertreffen, sollten die Automatisierungs-Funktionalitäten in den Praxistests gemessen werden. Die relativierte Rolle des Menschen ist aber auch dahingehend zu thematisieren, als der Fahrer als Rückfallebene möglicherweise eine undankbare oder sogar letztverantwortliche Rolle bei Fehleranfälligkeiten der Automatisierungsfunktionalitäten übernehmen soll. Überhaupt ist der Verantwortungsübergang nach rückwärts zu den Herstellern klarzustellen. Allein sich auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch des KFZ in der Hersteller-Verantwortung zurückzuziehen, wird bei einer so hochkomplexen Technologie mit Auswirkungen auf die Mobilitätsintegrität drittbetroffener VerkehrsteilnehmerInnen nicht mehr ausreichen. Die mühsam erreichten Standards bei der Mobilitätsgestaltung unserer Lebens- Bild 5: Ermittlung kritischer Interaktionsräume anhand der Grünphasen im VLSA-Umlauf Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 44 MOBILITÄT Automatisierung welt, wie zur Barrierefreiheit, zur Verkehrsberuhigung oder zur Frage der ungefährdeten Nutzbarkeit öffentlicher Räume, geraten unter Druck der technologischen Entwicklungstreiber, wenn potenzielle Nebeneffekte nicht ausreichend antizipiert werden. Der Fortschritt sollte auf breiter Front von Nutznießungen erfolgen und möglichst keine Ausschluss-Effekte zeitigen. Insbesondere sollten das Sicherheitsgefühl allgemein und das Sicherheitsniveau überprüfbar gesteigert werden können, um die Implementierung der Automatisierungstechnologien im Mobilitätssystem am Ende des Tages zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. ■ 1 BMVIT, ITS Austria, ECSEL-Austria, A3PS, AustriaTech, ASFi- NAG, ÖBB, FFG, Austrian industry and Austrian research & academia (2016): Austrian Research, Development & Innovation Roadmap for Automated Vehicles; Vienna, Graz, Villach. 2 So haben die nationalen Autobahnbetreiber entlang des Korridors Rotterdam-Frankfurt am Main-Wien gemeinsam ein Pilotprojekt gestartet, das die Aufrüstung auf Teststrecken (C-Road-Pilot Sites) für die Konnektivität „Vehicle2Infrastructure“ ausloten und testen wird. In Deutschland wurde die BAB 9 Potsdam-München als Testfeld für die Intelligenten Verkehrssysteme (ITS) auserkoren. 3 European Road Transport Advisory Council (ERTRAC) (2015): Automated Driving Roadmap. ERTRAC Task Force “Connectivity and Automated Driving”. Brussels. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2015): Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren. Berlin. Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) (2016): Automatisiert-vernetzt-mobil: Aktionsplan automatisiertes Fahren. Wien. 4 Eine thematisch umfassende Einführung bietet der bei Springer Open erschienene Sammelband: MAURER, M.; GERDES, J. Ch., LENZ, B. u. WINNER, H. (Hrsg.) (2016): Autonomous Driving. Technical, Legal and Societal Aspects. Berlin-Heidelberg. 5 Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2017): Bericht der Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren. Berlin. 6 SAE (Standards Automotive Engineering) International hat fünf Stufen der Automatisierung definiert, die von den Assistenzsystemen über die Teilautomatisierung (Fahrer muss System überwachen und jederzeit die Steuerung voll übernehmen können), die Hochautomatisierung (Fahrer muss der Aufforderung zur Übernahme der Steuerung nachkommen) bis zur Vollautomatisierung (Fahrer ist in definierten Anwendungsfällen von der Steuerung befreit und kann sich anderen Tätigkeiten in diesem Zeitraum widmen) reicht. Die höchste Stufe ist das Autonome Fahren des KFZ („Driverless“) mit oder ohne Insassen, wobei auch die Apparaturen für die Steuerung wegfallen. 7 Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017): Bericht der Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren. 8 Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa UN ECE hat traditionell eine Koordinationsrolle, um den Personen- und Wirtschaftsverkehr technisch zwischen den Staaten in Europa interoperabel zu machen. Die Abstimmung erfolgt zu Themenfeldern, wie Elektromobilität oder Harmonisierung des Kraftfahr- und Straßenverkehrsrechtes, in „Working Parties“. Viktoria Marsch, Dipl.-Ing. Ingenieurin für Verkehrslogistik und Ressourcenmanagement, arp-planning.consulting.research, Wien viktoria.marsch@arp.co.at Andreas Romstorfer, Dipl.-Ing. (FH), MA Ingenieur für Logistik, Transport und Verkehrsdienste, arp-planning.consulting.research, Wien a.romstorfer@arp.co.at Heinz Dörr, Dipl.-Ing. Dr. rer. nat. Beratender Ingenieur für Raum- und Verkehrsplanung, arp-planning. consulting.research, Wien heinz.doerr@arp.co.at Bild 6: Die verkehrsteilnehmenden Mobilitätsgruppen als interagierende Bewegungskörper im Verkehrsablauf anhand des Geschehnisraumes eines urbanen Hauptstraßenknotens Ihr (neuer) Kontakt zur Redaktion Eberhard Buhl, Redaktionsleitung Telefon: +49 7449 91386.44 E-Mail: eberhard.buhl@trialog.de Veranstalter: Wissenschaftliche Partner: Vernetzte Mobilität - mehr als mobile Netze 4. bis 6. Oktober 2017 House of Logistics & Mobility (HOLM) Frankfurt am Main 7 Alle Informationen und Anmeldung unter www.deutscher-mobilitaetskongress.de Kongressschwerpunkte • Netze, Drehkreuze, Knoten - Ausgestaltung, Chancen, Herausforderungen • Intelligente Infrastrukturen und Technologien • Intermodale Mobilität • Fahrradmobilität • Vernetzung des Öffentlichen Verkehrs • Visionen, Perspektiven, Chancen - Wie sind wir morgen mobil? Specials • Sicherheit im Verkehr • Nachhaltigkeit und Ethik in der Mobilität • Zukunftswerkstatt des Jungen Forums der DVWG Abendveranstaltung: Kulinarische Schifffahrt auf dem Main Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 46 MOBILITÄT Digitale Transformation Zukunft der Mobilität 2025+ Auszüge aus der Zukunftsstudie Münchner Kreis VII Mobilitätsdienste, Mobilitätserfüllung, Wertschöpfung, Dienstleistung, Infrastrukturpolitik Die neue Zukunftsstudie Münchner Kreis Phase VII stellt das Thema vernetzte, intelligente Mobilität in den Mittelpunkt. Im Vordergrund stehen dabei nicht jene, häufig in Studien diskutierte Themen wie die Auswirkungen der Digitalisierung auf etablierte Wertschöpfungsstrukturen oder die Frage, wer die zukünftige Schnittstelle zum Kunden besetzt. Vielmehr geht es um eine ganzheitliche Betrachtung der Mobilität, wie sie sich im Zuge der digitalen Transformation zukünftig darstellen wird. Rahild Neuburger D igitalisierung verändert nicht nur etablierte Wertschöpfungsstrukturen oder führt zum vermehrten Auftreten von Plattformen; sie verändert auch die Anforderungen und Bedürfnisse, die Kunden zukünftig an Mobilität stellen. Vor diesem Hintergrund verfolgt die aktuelle Zukunftsstudie vielmehr das Ziel, das Thema „zukünftige Mobilitätserfüllung 2025+“ umfassend zu behandeln und zentrale Herausforderungen, die sich für unterschiedliche Akteure (v.a. Politik, Unternehmen, Nutzer) ergeben, herauszuarbeiten. Das zentrale Ergebnis der vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie geförderten interdisziplinären Studie*, an der insgesamt 17 Player aus der Mobilitätsindustrie, aber auch aus der IKT-Industrie mitwirkten, ist die Identifizierung und Analyse von neun kritischen Themenfeldern: 1) Anonymität in der Mobilität von morgen ist eine Illusion. Zukünftige Mobilität ohne Verwendung persönlicher Daten geht nicht; erforderlich ist die Schaffung wirksamer, einheitlicher Regeln für Europa. 2) Offliner bleiben auf der Strecke. Der zukünftige Mobilitätszugang ist digital - um Offliner zu gewinnen, muss zum einen der Nutzen des digitalen Zugangs geschaffen und vermittelt werden; zum anderen sind robuste Zugangsschnittstellen zu entwickeln. 3) Feindliche Übernahme - Personen und Güter reisen zukünftig fremd. Globale Plattformen verursachen eine radikale Veränderung der Wertschöpfung. Umso wichtiger wird es, offene und freie Marktplätze zu erhalten. 4) Das Infrastrukturverständnis von gestern blockiert die Infrastrukturpolitik von morgen. Der Infrastrukturpolitik fehlt der ganzheitliche Ansatz. Dringend muss die Kompetenz für domänenübergreifende und beschleunigte infrastrukturpolitische Entscheidungen aufgebaut werden. 5) Raus aus dem Silodenken! Das Denken in Entweder-/ Oder-Kategorien schränkt die Mobilität ein. Potenziale einer flexiblen Verknüpfung aller Mobilitätsoptionen müssen geschaffen und ausgeschöpft werden. 6) Anbieter im Blindflug - Kennen sie ihre Kunden noch? Klassische Mobilitätsanbieter sind zu langsam im Aufgreifen der Kundenbedürfnisse, so dass neue Mobilitäts- Ökosysteme ohne sie gestaltet werden. Kundenzentrierung ist als Erfolgsfaktor in den Fokus zu stellen. 7) Mobilität ist mehr als Ankommen. Der Zusatznutzen beeinflusst zunehmend die Wahl des Verkehrsmittels. Neue Qualitäten des Transports an sich; aber auch zusätzliche Angebote zur Gestaltung der Zeit unterwegs werden mitentscheidend und als Wettbewerbsvorteil nutzbar. 8) Virtuelle Mobilität substituiert physische Mobilität. Es geht auch ohne physische Mobilität und es wird auch funktionieren. Virtuelle Mobilität in Arbeits- und Lebenswelt muss als echte Mobilitätsalternative begriffen werden. 9) Bis zum Stillstand - Güter und Menschen stehen im Wettbewerb um Verkehrsraum. Die Logistik treibt die zukünftigen Mobilitätsinnovationen. Personen- und Güterverkehr in der intelligenten Stadt müssen als Systemverbund verstanden und betrieben werden. Für alle neun Themenfelder werden in der Studie zentrale Herausforderungen und Handlungsempfehlungen herausgearbeitet. Exemplarisch seien drei Themenfelder herausgegriffen. Mobilität ohne digitale Spaltung „Die Nutzung von Mobilitätsdiensten ohne die Verwendung digitaler Zugangstechnik muss auch in Zukunft flächendeckend gewährleistet werden“. 51 % der in der Studie befragten internationalen Experten (n = 498) stimmten dieser These zu und bestätigten damit implizit, dass die oft erwähnte Gefahr einer digitalen Spaltung auch die Gestaltung und Implementierung neuer Mobilitätskonzepte tangiert. Die Verfügbarkeit von Breitbandinternet und die Verbreitung von mobilen, internetfähigen Endgeräten sind die essentiellen Voraussetzungen dafür, dass zukünftige Mobilität weitgehend über digitale Services angeboten werden kann. So können viele neue Mobilitätsservices nur deshalb angeboten werden, weil alle Beteiligten (Anbieter, Transportmittel und Reisende) digital vernetzt sind. Ein Beispiel sind stationsunabhängige Car-Sharing-Angebote, welche Smartphone-Nutzern rund um die Uhr On- Demand-Mobilität anbieten. Digitale Technologien stellen also die Basis für die erforderliche Vernetzung dar und sind gleichzeitig Treiber der Entwicklung von innovativen Mobilitätsdiensten. Der Zugang zu diesen innovativen Mobilitätsdiensten ist jedoch meist ausschließlich über digitale Kanäle möglich. So gibt es beispielsweise für standortunabhängige Sharing-Angebote keine Ticketautomaten und es besteht keine Möglichkeit, telefonisch ein Auto zu reservieren. Für einen Großteil der Gesellschaft und insbesondere für die Generation der Digital Natives stellt dies kein Problem dar. Aber - nach dem Digital Index 2016 der Initiative D21 gibt es in Deutschland etwa 17 Millionen Menschen, die das Internet überhaupt nicht nutzen und somit auf neu entstehende Mobilitätsservices nicht zugreifen können. Da sich dieser Trend schon seit längerer Zeit altersunabhängig zeigt, ist auch im Jahr 2025 mit einer relevanten Zahl von Personen zu rechnen, die keinen Zugang Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 47 Digitale Transformation MOBILITÄT zum Internet haben oder haben möchten. Diese sog. Offliner stehen künftig vor Zugangsbarrieren, sind von Teilen der Mobilität ausgeschlossen oder haben einen direkten finanziellen Nachteil, weil sie ein nondigitales Mobilitätsverhalten bevorzugen. Bei der Entwicklung, Gestaltung und Implementierung neuer Mobilitätsangebote ist daher von vorneherein die digitale Barrierefreiheit zu gewährleisten. Handytickets, die Abschaffung des Ticketautomaten oder auch die individuelle Zusammenstellung von Reisen über digitale Plattformen schließen digitale Randgruppen aus. Erforderlich ist zum einen die Entwicklung alternativer Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Mobilitätsservices, ohne dass neue administrative oder finanzielle Hürden aufgebaut werden. Flankierend erscheinen zum anderen Maßnahmen, die Akzeptanz und Vertrauen in digitale Kanäle schaffen, erforderlich zu sein. Dies kann nur dann gelingen, wenn die Nutzer verstehen, dass ihnen die digitale Bereitstellung eines digitalen Mobilitätsdienstes einen spürbaren Vorteil bringt. Die Gestaltung möglichst intuitiver und einfacher Zugangsmöglichkeiten oder auch die Implementierung von Erprobungsräumen kann hier hilfreich sein. Politischer Wandel im Infrastrukturverständnis „Die heutige Infrastrukturpolitik mit ihren dezentralen Planungsprozessen blockiert die erfolgreiche Entwicklung zukunftsfähiger, vernetzter Mobilitätskonzepte“. 64 % der in der Studie befragten internationalen Experten (n = 498) stimmten dieser These zu und bewiesen damit die Relevanz dieses weiteren Themenfeldes der Studie. Der bestehenden Verkehrsinfrastrukturpolitik liegt ein äußerst komplexer Planungs-, Anforderungs-, Gestaltungs-, Budgetierungs- und Realisierungsprozess zugrunde, der sich oft nur auf einzelne Infrastrukturen (Straße, Schiene, technische Infrastruktur) bezieht und der Ganzheitlichkeit zukünftiger Mobilitätserfüllungssysteme noch keine Rechnung trägt. Dieses Denken wird der Realität zukünftig entstehender Mobilitätssysteme nicht gerecht. So bleibt beispielsweise das Potenzial von Elektroautos ungenutzt, wenn keine flächendeckende Ladeinfrastruktur zur Verfügung steht. Fehlt eine hochverfügbare, mobile Breitbandkommunikations-Infrastruktur, werden sich das autonome Fahren und die zu dessen Umsetzung erforderlichen innovativen Nutzungs- und Abrechnungssysteme nicht durchsetzen können. Diese für die Integration der Infrastrukturen und deren Ausbau und Aufbau benötigten infrastrukturübergreifenden Sichten und Zusammenhänge, das Identifizieren und Gestalten von zusätzlich erforderlichen, neuen technischen Infrastrukturen und die Berücksichtigung der Konvergenzen zwischen den Infrastrukturen sind methodisch und politisch jedoch nicht verankert. Im Gegenteil - innerhalb der Infrastrukturen für Mobilitätssysteme überwiegen bei Planungen häufig Fortschreibungen. Die Infrastrukturpolitik bleibt damit auf engen Pfaden verhaftet, auf denen sie sich seit jeher bewegt. Die Dynamik in der Wandlung von Infrastrukturanforderungen erfordert jedoch das Verlassen dieser Pfadabhängigkeit - insbesondere, wenn es um die Gestaltung und Entwicklung zukünftiger Mobilitätssysteme geht. Denn letztlich sind Digitalisierung der bestehenden Infrastrukturen für funktionierende Mobilitätslösungen und Forcierung neuer digitaler Infrastrukturen entscheidende Enabler für die Evolution der Mobilität. Ihre beschleunigte politische Wegbereitung ist somit von fundamentaler Bedeutung. Es wird deutlich: Zukünftige Mobilitätsinfrastrukturen werden viele bisher getrennt geplante Infrastrukturen und Modalitäten verbinden. In Konsequenz müssen Planung und Gestaltung zukünftiger Infrastrukturen modalitätsübergreifend stattfinden. Erforderlich hierfür ist die Systemperspektive, die die Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Elementen eines Mobilitätserfüllungssystems (Akteure, Produkte/ Services, digitale und nicht digitale Infrastrukturen, regulative Rahmenbedingungen) berücksichtigt und alle Akteure mit einbezieht. Ein rein nach branchenspezifischen Wertschöpfungsketten oder nach digitalen und klassischen Infrastrukturen differenziertes Planen und Handeln ist vor dem Hintergrund des Anspruchs einer intelligent vernetzten Mobilität 2025+ nicht mehr zielführend. Klassische Mobilitätsanbieter verlieren den direkten Kontakt zum Kunden „Branchenfremde Anbieter werden zukünftig die Mobilitätsmärkte dominieren, weil klassische Mobilitätsanbieter den direkten Kontakt zum Kunden verloren haben“. Diese These, der in der Studie lediglich 34 % der internationalen Experten (n = 498) nicht zugestimmt haben, verdeutlicht auch hier die Problematik. Kundenorientierung oder - modern ausgedrückt „User-Centricity“ - ist keine neue Maxime. Im Jahr 2025+ wird die Forderung nach Kundenorientierung jedoch ganz neue Dimensionen erreichen. Innovative Mobilitätsangebote sind auf jeden einzelnen Menschen mit seinen unterschiedlichen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Werten zugeschnitten. Es wird nicht mehr „Die Kunden“, sondern „Den Kunden“ geben, denn die Nutzer eines intelligenten, integrierten Mobilitätserfüllungssystems agieren als individuelle Personen mit spezifischen Bedürfnissen und Wünschen. So werden sie auch wahrgenommen und mit intelligenter Software-Unterstützung bedient. Für alle direkten (z. B. „ich komme von A nach B“) und indirekten (z. B. „ich möchte dabei gut unterhalten werden“) Mobilitätsbedürfnisse und Anforderungen von Personen wird es bezahlbare Lösungen geben. Diese werden so konkret auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtet sein, dass eine hohe Nutzerzufriedenheit gewährleistet sein wird. So ist durchaus ein Szenario denkbar, dass ein digitaler Mobilitätsassistent seinem Nutzer an fast jedem Ort der Welt passende Verkehrsmittel vorschlägt und situativ passende Umgebungs- oder Konsuminformationen anbietet. Je nach Ort, Reiseanlass, Zeit und Nutzungsverhalten werden die Mobilitätsbedürfnisse des Nutzers in Echtzeit analysiert und vom Assistenten in ein individuelles Informationsangebot übersetzt. Software-definierte Services werden dabei über Plattformen zur Verfügung gestellt, die automatisiert individuelle Lösungen bereitstellen können. In Folge verlagert sich die Kundenschnittstelle vom Anbieter einzelner Lösungen hin zum Anbieter einer Plattform, über die die entsprechenden Angebote und Dienstleistungen vernetzt und integriert angeboten werden. Wenn klassische Anbieter den direkten Kontakt zum Reisenden über die nächsten Jahre nicht weiter verlieren möchten, ist ein schnelles Umdenken bzw. Reagieren erforderlich. Dies betrifft zum einen die Entwicklung und Gestaltung der einzelnen Services und Dienste; zum anderen aber insbesondere auch die Gestaltung der Schnittstelle zum Kunden. Zukünftig wird möglicherweise derjenige erfolgreich sein, dem es gelingt, Mobilität als Dienstleistung anzubieten, deren einzelne Komponenten von unterschiedlichen Anbietern erbracht werden und über eine Plattform dem Kunden angeboten werden. Individuelle Fahrzeuge gleich welcher Art sind dann nicht mehr erforderlich. ■ * Münchner Kreis (Hrsg.): Mobilität.Erfüllung.System. Zur Zukunft der Mobilität 2025+ - Zukunftsstudie Münchner Kreis Band VII, München 2017. Kostenloser Download: https: / / www.muenchner-kreis.de/ download/ zukunftsstudie7.pdf Rahild Neuburger, Dr. Ludwig-Maximilians-Universität München, Projektteam Münchner Kreis Zukunftsstudie neuburger@lmu.de Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 48 MOBILITÄT Carsharing Auch flexibles Carsharing nutzt dem ÖPNV! Mittelbare Effekte aus mehr Multimodalität und geringerem-PKW-Besitz Verkehrsverhalten, Multimodalität, stationsgebundenes Carsharing, flexibles Carsharing, ÖPNV, Kannibalisierung Die Ziele des Klimaschutzplanes 2050 können nur erreicht werden, wenn mehr - vor allem lange - Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Anhand der Ergebnisse einer Nutzerbefragung von car2go-Kunden in Hamburg und von Erkenntnissen aus den großen deutschen Haushaltbefragungen wird die Bedeutung von Multimodalität für das Verkehrsverhalten in Städten aufgezeigt. Zunehmend nutzen Menschen zwischen 35 und 50 Jahren Carsharing und werden damit unabhängiger vom PKW- Besitz. Ohne eigenes Auto sind sie multimodaler und öfter mit dem ÖPNV unterwegs. Damit stärkt und unterstützt auch das flexible Carsharing den ÖPNV. Gerd-Axel Ahrens, Rico Wittwer, Stefan Hubrich I n den Jahren 2011/ 2012 und erneut 2015/ 2016 wurden im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg zunächst 14 200 Erstanmelder des neu installierten flexiblen Carsharings „car2go“ und vier Jahre später eine Stichprobe aus dem inzwischen auf 148 500 Personen angewachsenen Kundenpool in der Region Hamburg zur Teilnahme an einer Befragung eingeladen. Die Charakteristik und das Verhalten der Teilnehmenden sollten u. a. auch mit Ergebnissen der für die Region aufgestockten Haushaltsbefragung „Mobilität in Deutschland (MiD) 2008“ verglichen werden. Im Rahmen dieser Erhebung konnten erste Befunde zu den interessierenden Wirkungen des flexiblen Carsharing auf den ÖPNV (Nutzen oder Schaden) gewonnen werden. Unmittelbare Ursache-Wirkungs- Beziehungen lassen sich jedoch mit derartigen Nutzerbefragungen nicht herstellen. Relevant sind primär mittelbare Erklärungsfaktoren sowie ortsspezifische Randbedingungen. Deshalb sollen hier für diesen Kontext wichtige Zusammenhänge und aktuelle Forschungsergebnisse reflektiert werden. Ergebnisse der o. g. Erhebung werden in dieser Betrachtung noch nicht dargestellt. Der Nutzen des traditionellen, stationsgebunden Carsharings für den fließenden und ruhenden motorisierten Individualverkehr (MIV), die Umwelt und den ÖPNV wird heute nicht mehr in Frage gestellt und ist vielfach belegt [1]. Große Teile der Kunden besitzen kein Auto oder schaffen es ab. Die Folge sind u. a. weniger Fahrleistung mit KFZ und geringerer Parkplatzbedarf. Für die Evaluation des flexiblen Carsharings ließen jedoch einige vordergründige Interpretationen und Auswertungen von Nutzerbefragungen u. a. in Amsterdam Zweifel hinsichtlich analoger Wirkungen und voreilige Behauptungen aufkommen [2,- 3]. So wurde formuliert, dass diese, zunächst von der Automobilindustrie entwickelten Angebotsformen auch anderen Zielen dienen, unökologisch seien, mehr Autoverkehr erzeugen und den ÖPNV kannibalisieren. Diese Einschätzungen wurden bereits schlüssig widerlegt [4], auch vom zunächst kritischen Bundesverband Carsharing (bcs), der aus diversen Untersuchungen vergleichende Übersichten zu erheblichen Entlastungswirkungen von stationsgebundenen und (in geringerem Umfang) auch von flexiblen Systemen veröffentlichte [5]. Die Ergebnisse der in Hamburg durchgeführten und noch nicht veröffentlichten Nutzerbefragungen von car2go-Kunden zeigten u. a., dass ca. 50 % von ihnen kein Auto im Haushalt hatten. In der regionalen Vergleichsbevölkerung betrug dieser Anteil Foto: car2go Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 49 Carsharing MOBILITÄT nur 28 % (Stichprobe der MiD 2008 für die das gesamte HHV-Gebiet umfassenden Region Hamburg; auch die Nutzer von ca2go sind räumlich weit in der Region verteilt). Diese Unterschiede erlauben Rückschlüsse auf das Verkehrsverhalten: Mehr als die Hälfte der car2go-Kunden besitzt eine Zeitkarte des HVV, sie nutzen den ÖPNV, die eigenen Füße und das Fahrrad intensiver als die Vergleichsbevölkerung. In diesem Beitrag sollen ursächlich relevante mittelbare Effekte von Multimodalität und PKW-Besitz reflektiert werden. Dazu geben die Zeitreihen von Mobilitätskennwerten aus kontinuierlichen Erhebungen, vorzugsweise Längsschnitterhebungen wie dem „Deutschen Mobilitätspanel“ [6], aber auch aus stichtagsbezogenen Erhebungen wie „Mobilität in Deutschland (MiD)“ [7] und „Mobilität in Städten - SrV“ [8] weitergehend Aufschluss. Multimodalität und „PKW-Verfügbarkeit“ Ob und in welchem Maße der ÖPNV auch durch flexibles Carsharing beeinflusst wird, lässt sich nicht vordergründig allein über die Frage an Carsharing-Nutzer beantworten, wie sie ohne das Carsharing-Angebot diesen Weg erledigt hätten. Natürlich werden dann alle vorher verfügbaren alternativen Verkehrsmittel genannt. Diese Angaben aber 1 : 1 in Verdrängungs- oder Kannibalisierungseffekte zu übersetzen, wäre eine verkürzte Annahme, die mittelbare Zusammenhänge und ortsspezifische Randbedingungen unberücksichtigt lässt. Die neuen Mobilitätsangebote, allen voran das flexible Carsharing mit den ergänzenden multimodalen Online-Informationen, machen offensichtlich weniger abhängig vom PKW(-Besitz). Empirische Befunde belegen signifikante Verhaltensänderungen insbesondere bei jungen Erwachsenen, die als mittelbare Effekte dieser Angebote bei der Evaluation eine gewichtige Rolle spielen sollten (vgl. neben den drei letztgenannten Quellen v. a. [9] u. [10]). Hinzu kommt, dass durch die flexiblen Carsharing-Angebote ein sprunghafter Anstieg von Carsharing-Nutzern zu verzeichnen war, die sich nicht mehr - wie bei den stationsgebundenen Angeboten - primär aus der Gruppe ökologisch orientierter Menschen rekrutierten, sondern vor allem junge Berufstätige mit vergleichsweise hohen Einkommen ansprachen. Bereits mit den Auswertungen zum SrV 2008 und im Rahmen einer Untersuchung zu Interdependenzen zwischen Fahrrad- und ÖPNV-Nutzung wurden in Dresden relativ früh Multi- und Intermodalität sowie die Relevanz der „PKW-Verfügbarkeit“ als ursächliche Bestimmungsgrößen des Modal Split untersucht [11]. Bezogen auf die Multimodalität (Wege pro Zeiteinheit mit unterschiedlichen Verkehrsmodi; Intermodalität: Nutzung verschiedener Verkehrsmodi auf einem Weg) zeigten die Daten des Mobilitätspanels 1996 bis 2005, dass damals mit 46 % fast die Hälfte der Bevölkerung im Laufe einer Woche „monomodal“ also ausschließlich mit dem Auto unterwegs war (siehe Bild 1). Claudia Nobis hat in ihrer Dissertation „Multimodale Vielfalt - Quantitative Analyse multimodalen Verkehrshandelns“ [12] die Zusammenhänge umfassender untersucht und dargestellt. Sie kommt mit Daten des Mobiltätspanels der Jahre 1999 bis 2008 auf Durchschnittswerte des Anteils der Auto- Monomodalen von knapp 43 % und allein für das Jahr 2008 von 41 %. Unter der Oberfläche dieser in der Zeitreihe relativ stabilen Anteilswerte stellte sie fest, dass die Auto- Monomodalität bei den Jüngeren abnimmt und bei den Älteren wächst. Dieser Befund wird bestätigt durch die Entwicklung der „PKW-Verfügbarkeit“ nach Altersklassen. Mit „PKW-Verfügbarkeit“ werden Personen gekennzeichnet, die über einen gültigen Führerschein verfügen und bei denen mindestens ein PKW im Haushalt vorhanden ist. Bild 2 zeigt Auswertungen des Deutschen Mobilitätspanels für die gesamte Bundesrepublik (links) und SrV-Auswertungen für die großen SrV-Vergleichstädte (>100 000 EW, rechts). Es wird deutlich, dass die über 35-jährigen Erwerbsfähigen mit über 80 % insgesamt (und in den Städten auf geringerem Niveau knapp unter 80 %) auf höchstem Niveau motorisiert sind. Bei der Gruppe der jungen Erwachsenen (18-35 Jahre) nimmt das Niveau deutlich ab. Es lag 2012 bei 67 bzw. 59 % mit weiter abnehmender Tendenz. Hingegen stieg die „PKW-Verfügbarkeit“ im Bundesdurchschnitt bei den Senioren von 56 % im Jahre 2003 auf 73 % in 2012. In den großen SrV- Städten lag der Wert im Jahre 2013 mit 65 % niedriger, ebenfalls mit steigender Tendenz. Etwa seit dem Jahr 2010 haben damit die Senioren eine höhere „PKW-Verfügbarkeit“ als die jungen Erwachsenen. Höhere Fitness, immer mehr Seniorinnen mit Führerschein, ein hoher Anteil relativ wohlhabender Rentner und tradierte Verhaltensweisen mit größerer Auto-Affinität sind Ursachen dieser Ausprägung. Betrachtete man nur die Bild 1: Multi- und Monomodalität in Deutschland 1996 bis 2005 Bild 2: Entwicklung der „PKW-Verfügbarkeit“ (Führerschein und PKW im Haushalt) Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 50 MOBILITÄT Carsharing Entwicklung in der Gesamtpopulation, würden die gegenteiligen Tendenzen bei den jungen Erwachsenen, der Hauptgruppe der Carsharing-Kunden, im Verborgenen bleiben. Bis in die Jahre 2030/ 2040 treten die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegsgeneration (ca. bis 1970) ins Rentenalter ein. Sie repräsentieren eine überproportional große Bevölkerungsgruppe mit maßgebendem Einfluss auf die Ausprägung von Mobilitätskennwerten (ebenso wie auf Wahlergebnisse). Die Mobilität der Zukunft, Zielvorstellungen und Strategien sollten aus planerischer Sicht jedoch stärker an den Verhaltensweisen und Zukunftstrends bei den jüngeren Menschen orientiert werden. Claudia Nobis stellt dazu in ihrer Zusammenfassung fest: „In Summe legen Multimodale weniger Kilometer mit dem Auto zurück als monomodale Autofahrer. Ihr CO 2 -Fußabdruck fällt je nach Datensatz um 20 bis 34 Prozent geringer aus als der von ausschließlichen Autofahrern.“ Sie verweist zutreffend auf die Relevanz der Weglängen und dass insbesondere bei weiten Wegen der Modal-Shift von großer Bedeutung ist. Hier ist wiederum der ÖPNV das wichtigste alternative Verkehrsmittel (vgl. z. B. auch das Szenario „Nutzen statt besitzen“ in [13] und [14]). Diese Befunde werden unterstrichen und in ihrer quantitativen Größenordnung noch klarer durch die Analyse der Verkehrsleistungen je Verkehrsmittel oder der Modal-Split-Werte der SrV-Zeitreihe ab 1990 für Personengruppen mit und ohne „PKW- Verfügbarkeit“. Dabei ist der Zusammenhang, dass Menschen ohne PKW verstärkt die Carsharing-Angebote nutzen und umgekehrt Carsharer verstärkt keinen eigenen PKW besitzen, von Bedeutung. Bild 3 zeigt die täglich zurückgelegten Kilometer mit dem Auto und mit Öffentlichen Verkehrsmitteln von jungen Erwachsenen und Senioren jeweils mit und ohne „PKW-Verfügbarkeit“. Wer ein Auto hat, nutzt dieses auch für die meisten Kilometer. Für Menschen ohne Auto ist hingegen der ÖPNV das wichtigste Verkehrsmittel. Dabei legen die jungen Erwachsenen mit ihrem jeweiligen Hauptverkehrsmittel deutlich mehr Kilometer zurück. Auch die SrV-Zeitreihen zum Modal Split zeigen, dass Kinder und Jugendliche sowie Menschen ohne einen PKW im Haushalt erwartungsgemäß den ÖPNV deutlich häufiger nutzen. Autos gebrauchen sie in geringerem Umfang, vor allem als Mitfahrer, für etwa 20 % ihrer Wege. Bei der immer kleiner werdenden Gruppe der Rentner ohne „PKW-Verfügbarkeit“ liegt dieser Wert im Mittel sogar unter 10 %. Demgegenüber nutzen die Menschen mit „PKW-Verfügbarkeit“ diesen für fast 60 % ihrer Wege. Diese Werte verdeutlichen das Änderungspotenzial im Verkehrsverhalten von Carsharern, die ihr Auto abschaffen. Sie legen größenordnungsmäßig um den Faktor drei weniger Wege mit dem Auto zurück und tragen damit in signifikantem Maße zur stärkeren Nutzung des Umweltverbundes bei. Die Größenordnung und das Potenzial dieser Bevölkerungsgruppe sind nicht zu unterschätzen. Es ist primär der Anteil von Ein- und Zweipersonenhaushalten, die in Städten mit gutem ÖPNV ohne eigenes Auto relativ komfortabel leben und ihre Mobilität realisieren können. Anders ist die Situation großer Haushalte, für Familien mit Kindern einzuschätzen. Ihr Anteil ist allerdings rückläufig und betrug 2013 in den SrV-Städten 18 %, im Bundesdurchschnitt 25 %. So liegt in Berlin der Anteil von Haushalten ohne PKW bereits bei weit über 40 %. Somit liegt es nahe, autofreies urbanes Leben im Rahmen einer nachhaltigen und an Klimazielen orientierten Verkehrspolitik zu fördern. Auch der Bundesverband Carsharing dokumentiert inzwischen Ergebnisse unterschiedlicher Forschungsvorhaben, nach denen die flexiblen Carsharer gegenüber dem Durchschnitt der Bevölkerung weniger motorisiert sind [5]. Der Unterschied zur Durchschnittsbevölkerung ist jedoch kleiner als bei denen, die stationsgebundene Systeme nutzen. Dabei ist festzustellen, dass viele Nutzer in den entsprechend ausgestatteten Städten beide Systeme gebrauchen. Somit sollte die getrennte Beurteilung der Systeme durch die Wirkung der kombinierten Nutzung der Carsharing-Systeme ergänzt werden. Auch hierzu bestätigt der bcs bereits, dass die Kombination der Angebote in jeder Hinsicht deutlich größeren Nutzen stiftet [15]. Größenordnung des mittelbaren Verlagerungspotenzials bezogen auf den Gesamtverkehr noch marginal Hinzu kommt, dass das Carsharing trotz der erheblichen Wachstumsdynamik mit bald 1,3 Mio. Carsharern in Deutschland (entspricht bundesweit 1,6 %; in großen Städten sicher bald schon mehr als 10 %) den Modal Split der Gesamtpopulation noch zu wenig beeinflusst, um hier von signifikanten Effekten sprechen zu können. Diverse Nutzerbefragungen zeigen, dass die stationsgebundenen Carsharer von dem Angebot lediglich einbis zweimal in zwei Monaten Gebrauch machen, die flexiblen Carsharer etwa einbis zweimal in einem Monat, je nachdem ob auch die 30 bis 50 % der registrierten „Nicht- oder Kaum-Nutzer“ mitgerechnet werden. Damit sind das von relativ wenigen Menschen auch nur entsprechend wenige Wege (bezogen auf Hauptverkehrsmittel werden durchschnittlich 3,0 bis 3,5 Wege pro Person und Tag zurückgelegt). Übertrieben optimistisch hochgerechnet ergäbe sich in einer Stadt mit bereits hoch angenommenen zwei Carsharing-Wegen pro Carsharer und Monat für diese Personen eine Anzahl von 0,066 (= 2/ 30) Wegen pro Carsharer und Tag. Bei ebenfalls hoch angenommenen 10 % Carsharern entspräche dies nur einer Anzahl von 0,0066 Wegen von den durchschnittlich ca. 3,0 bis 3,5 Wegen der Gesamtpopulation. Diese 0,0066 Wege pro Einwohner und Tag sind eine Größenordnung, die stichtagsbezogen von keiner Nutzer- oder Haushaltsbefragung zuverlässig erfasst werden könnten. Daraus Bild 3: MIV- und ÖPV-Verkehrsleistung von jungen Erwachsenen und Senioren mit und ohne „PKW-Verfügbarkeit“ Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 51 Carsharing MOBILITÄT [8] Mobilität in Städten - SrV: siehe Ahrens, G.-A.; Hubrich, S.; Ließke, F.; Wittig, S.; Wittwer, R. (2015): Ergebnisse der Haushaltsbefragung „Mobilität in Städten - SrV 2013“. Straßenverkehrstechnik, Heft 7 und https: / / tu-dresden.de/ bu/ verkehr/ ivs/ srv [9] ifmo - Institut für Mobilitätsforschung (2011): Mobilität junger Menschen im Wandel - multimodaler und weiblicher. ifmo-Studien, München [10] Wittwer, R. (2014): Zwangsmobilität und Verkehrsmittelorientierung junger Erwachsener: Eine Typologisierung. Habilitation, Schriftenreihe des Institutes für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, Technische Universität Dresden, Heft 16 [11] Ahrens, G.-A.; Aurich, T.; Böhmer, T.; Klotzsch, J.; Pitrone, A. (2009): Interdependenzen zwischen Fahrrad- und ÖPNV-Nutzung - Analysen, Strategien und Maßnahmen einer integrierten Förderung in Städten, Vorhaben im Rahmen der Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplanes im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung [12] Nobis, C. (2013): Multimodale Vielfalt - Quantitative Analyse multimodalen Verkehrshandelns. Dissertation, Humboldt-Universität Berlin [13] Ahrens, G.-A.; Becker, U.; Böhmer, T.; Richter, F.; Wittwer, R. (2013): Potenziale des Radverkehrs für den Klimaschutz. Texte 19/ 2013, Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau [14] Ahrens, G.-A.; Klotzsch, J.; Wittwer, R. (2014): Autos nutzen statt besitzen - Treiber des multimodalen Verkehrsverbundes. Zeitschrift für die gesamte Wertschöpfungskette Automobilwirtschaft, Heft 2 [15] bcs - Bundesverband Carsharing (2015): Kombinierte Carsharing- Angebote - das Beste aus zwei Welten verbinden. Carsharing fact sheet Nr. 1 Kannibalisierungseffekte durch die Carsharing-Angebote auf den ÖPNV abzuleiten, erscheint allein vor diesem Hintergrund gewagt, zumal ja die oben dargelegten mittelbaren Effekte in ähnlicher Größenordnung nicht nur gegenzurechnen wären, sondern als allein relevante Wirkungen zu evaluieren sind. Fazit Deutlich wurde, dass sowohl stationsgebundene als auch flexible Carsharing-Angebote dazu beitragen, dass insbesondere junge Erwachsene in Städten zunehmend ohne eigenen PKW leben. Im Resultat nutzen Carsharing-Kunden im Vergleich mit der gesamten städtischen Population den Umweltverbund in stärkerem Maße. Dies sind überwiegend jüngere, gebildete und wohlhabende Schichten der Bevölkerung. Hierdurch werden entlastende Effekte im Sinne einer nachhaltigen und an Klimazielen orientierten Verkehrsentwicklung erreicht, die es mit geeigneten Maßnahmen verkehrspolitisch zu fördern gilt. Die in Deutschland noch subventionierte und vielfach privilegierte „PKW-Verfügbarkeit“ führt dazu, dass der für viel Geld angeschaffte oder als Firmenfahrzeug zur Verfügung gestellte PKW auch in der Regel die erste Option bei der Verkehrsmittelwahl ist, obwohl damit Staus, Energieverbrauch, Emissionen und Flächenbedarf überproportional einhergehen. Insofern spricht vieles dafür, verkehrspolitisch die Strategie „Nutzen statt besitzen“ zu stärken, indem weitere Incentives insbesondere für öffentliche Leihfahrzeuge geschaffen und Subventionen/ Privilegien für ineffizient nur privat genutzte Fahrzeuge schrittweise abgeschafft werden. ■ QUELLEN: [1] bcs - Bundesverband Carsharing: siehe https: / / carsharing.de [2] Suiker, S.; van den Elshout, J. (2013): Wirkungsmessung Einführung car2go in Amsterdam. Beitrag zum nationalen Verkehrswissenschaftskongress, Hertogenbosch/ NL, 06.11.2013 [3] Krietemeyer, H.; Isfort, A.; Specht, N. (2015): Nutzt oder schadet Carsharing dem ÖPNV? - Ergebnisse einer TNS-Infratest-Untersuchung für den Münchner Verkehrs- und Tarifverbund zu stationsbasierten und Free Floating Carsharing - Chancen und Risiken für den ÖPNV. Der Nahverkehr, Heft 12 [4] Eckhardt, C. F. (2016): Von der Mär der Kannibalisierung - Warum gerade das flexible Car Sharing der ideale Partner des ÖPNV ist - ein Debattenbeitrag. Der Nahverkehr, Heft 3 [5] bcs - Bundesverband Carsharing (2016): Wirkungen verschiedener Carsharing-Varianten auf Verkehr und Mobilitätsverhalten. Carsharing fact sheet Nr. 3 [6] Deutsches Mobilitätspanel: siehe http: / / mobilitaetspanel.ifv.kit. edu/ [7] Mobilität in Deutschland-MiD: siehe http: / / www.mobilitaet-indeutschland.de/ mid2008-publikationen.html Rico Wittwer, PD Dr.-Ing. habil. Wiss. Mitarbeiter, Lehrstuhl für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, TU Dresden rico.wittwer@tu-dresden.de Stefan Hubrich, Dipl.-Ing. Wiss. Mitarbeiter, Lehrstuhl für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, TU Dresden stefan.hubrich@tu-dresden.de Gerd-Axel Ahrens, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Seniorprofessor, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, Technische Universität Dresden gerd-axel.ahrens@tu-dresden.de Tätigkeitsbereich Die chinesische Regierung verfolgt nicht nur einen dynamischen Wachstumskurs, sondern beschäftigt sich auch mit den Umwelt- und Klimaauswirkungen von Urbanisierung und Modernisierung in chinesischen Metropolen. Daher ist China ein wichtiger Partner des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) zugunsten einer klimafreundlicheren Verkehrsentwicklung und pro Elektromobilität. Im Auftrag des BMUB und weiterer Bundesministerien unterstützt die GIZ bereits seit einigen Jahren relevante chinesische Regierungsinstitutionen auf nationaler und kommunaler Ebene zugunsten einer umwelt- und klimagerechteren Verkehrspolitik. Ihre Aufgaben Als Leiter (m/ w) der Deutsch-Chinesischen Partnerschaft für klimafreundlichen Verkehr sind Sie für die Steuerung und Durchführung mehrerer Aufträge verantwortlich, die alle auf eine umwelt- und klimagerechtere Verkehrspolitik abzielen. Somit erwartet Sie ein interessantes Betätigungsfeld, bei dem Sie an Veränderungen sichtbar mitwirken können. • Ihnen obliegt die Steuerung von Projekten im Bereich der finanziellen Umsetzung sowie der Personalführung • Sie beraten politische Akteure auf nationaler Ebene zum Klimaschutz im Stadtverkehr, im Güterverkehr und zu Elektromobilität • Sie stellen die Fachlichkeit in Ihrem Team sicher • Sie kooperieren mit der deutschen Wirtschaft und erschließen Trends zugunsten eines klimagerechteren Verkehrs Ihr Profil Sie haben nach einem relevanten Hochschulstudium mehrere Jahre Berufserfahrung im Management von Projekten gesammelt, die im Klima- oder Verkehrssektor angesiedelt waren. Dabei haben Sie mehrjährige Führungserfahrung erworben. Sie treten gegenüber Ministerien angemessen auf und wissen, wie man Veränderungen vorantreibt und zugleich den Anliegen von Kooperationspartnern Rechnung trägt. Sie bringen interkulturelle Sensibilität mit und kommunizieren in verhandlungssicherem Englisch sowohl bei repräsentativen Aufgaben als auch innerhalb Ihres Teams. Weiterführende Informationen finden Sie hier: www.giz.de/ jobs, Job ID 33013. www.giz.de/ jobs Die GIZ - leiden schaftlich dabei www.giz.de/ jobs Leiter (m/ w) Deutsch-Chinesische Kooperationsprojekte im Themenfeld nachhaltiger Verkehr - China VR/ Peking Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 52 Bild: pixabay.de MOBILITÄT Digitalisierung Polizeiliche Mobilität der-Zukunft Chancen und Herausforderungen von Elektromobilität und-vernetzten Funkstreifenwagen Elektromobilität, vernetzte Fahrzeuge, Funkstreifenwagen, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben Veränderungen in der Fahrzeugtechnologie, wie alternative Antriebe oder vernetzte Fahrzeuge, beeinflussen nicht nur die zivile Mobilität. Auch Fahrzeuge von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), beispielsweise Polizeibehörden, stehen vor Veränderungen, die bislang wenig Beachtung in der Forschung finden. Auf Grundlage einer Untersuchung des Fraunhofer IML wird gezeigt, welche Rolle alternative Antriebstechnologien für Funkstreifenwagen spielen und was durch V2X-Kommunikation auf Polizeibehörden als Chancen und Herausforderungen zukommt. Isabella Geis, Alina Steindl A utomobilität steht vor einer Wende. Umwelt, Verkehrseffizienz und Verkehrssicherheit stehen im Fokus der Aufmerksamkeit von Forschung und Entwicklung. Zwei große Trends treiben daher die Fahrzeugentwickler: • alternative Antriebe und • vernetzte Fahrzeuge. Heute werden 98 % der PKW in Deutschland mit Benzin oder Diesel betrieben [1]. Politik und Automobilindustrie fokussieren sich jedoch auf die Elektromobilität. Ziel ist der emissionsarme Einsatz von PKW. Grund hierfür sind vor allem klimapolitische Ziele und damit verbundene Vorgaben der Bundesregierung. Diese sehen vor bis 2020 rund 40 % und bis 2030 rund 55 % der ausgestoßenen und klimaschädlichen Emissionen gegenüber 1990 einzusparen [2] (siehe Bild 1). Gleichzeitig hält auch die Digitalisierung im Fahrzeug Einzug. Um Verkehrseffizienz und Verkehrssicherheit zu verbessern, setzen Forschung und Entwicklung auf die Vernetzung von Fahrzeugen untereinander und mit der Infrastruktur (V2X-Kommunikation). Es wird erwartet, dass diese Entwicklungen erheblichen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten und den Verkehr haben werden. Auch Fahrzeuge von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) werden von diesen Trends beeinflusst. Dieser Aspekt findet in der Forschung jedoch bislang wenig Beachtung. Die Mobilität der Polizei: Anforderungen und Herausforderungen Mobilität ist die Grundvoraussetzung für jegliche polizeiliche Arbeit und daher mehr als eine Ortsveränderung. Der Funkstreifenwagen ist zentrales Element der polizeispezifischen Mobilität. Sichere, flexible und bedarfsgerechte Einsätze müssen ohne Ausnahme jederzeit möglich bleiben. Der mobile Arbeitsplatz muss funktionsfähig sein und den spezifischen Anforderungen des Polizeidiensts entsprechen. Die stetige Präsenz, schnelle Reaktionsfähigkeit und Flexibilität der Polizei ist entscheidend für die gesellschaftliche Stabilität und Sicherheit. Zudem ist auch die Präsenz der Polizeibeamten und ihrer Funkstreifenwagen vor Ort wichtiger Bestandteil der Arbeit. In einer Studie (2017) zur „Mobilität der Polizei im Jahr 2025“ untersuchte das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML im Auftrag des niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport, welche Rolle alternative Antriebstechnologien für Funkstreifenwagen spielen und was durch V2X-Kommunikation auf Polizeibehörden als Chancen und Herausforderungen zukommt. Elektromobilität im Polizeieinsatz - eine Alternative? Auf dem Weg in einen emissionsfreien Straßenverkehr könnten Polizeibehörden einen Beitrag leisten, wenn es möglich ist, den Funkstreifenwagen-Fuhrpark teilweise oder ganz auf alternative Antriebe umzustellen. Um jedoch die tatsächliche Eignung alternativer Antriebe für den Polizeieinsatz prüfen zu können, bedarf es eines Abgleichs der Leistungsfähigkeit des Antriebs mit den Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 53 Digitalisierung MOBILITÄT Anforderungen an einen Funkstreifenwagen. Diese variieren mit • dem Aufgabenfeld (Einsatz- und Streifendienst oder Ermittlungsdienst), • der Lage der Dienststelle (urban oder ländlich) und • dem situativen Einsatz. Insbesondere beim Einsatz von Elektrofahrzeugen müssen hierbei Restriktionen beachtet werden. Zwar nähert sich das Elektrofahrzeug hinsichtlich dieser Faktoren immer weiter dem konventionellen Fahrzeug an, Unterschiede sind jedoch weiterhin deutlich erkennbar. Laden des elektrischen Funkstreifenwagens - aber wo? Aufgrund der begrenzten Reichweiten von Elektrofahrzeugen liegt besondere Relevanz auf dem Ausbau einer öffentlichen Ladeinfrastruktur. Dies ist für die Polizei hinsichtlich der Möglichkeit während des Dienstes zu laden essentiell. Insbesondere aufgrund langer Ladezeiten bedarf es einer ausreichenden Flächenabdeckung von Schnellladesäulen, um weiterhin einsatzbereit zu sein und flexibel agieren zu können. Eine Erhebung des Bundesverbands für Energie- und Wasserwirtschaft e.V. zur Elektromobilität zum Jahresende 2016 zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt insgesamt lediglich 7407 öffentliche Ladepunkte zur Verfügung stehen. Dies stellt zwar im Vergleich zum Halbjahr davor eine Steigerung von mehr als 11 % dar, jedoch beschränkt sich der Ausbau hauptsächlich auf den urbanen Raum [3]. Die NPE sieht für das Jahr 2020 einen Bedarf von 70 000 Normalladepunkten und 7100 Schnellladepunkten vor [4]. Ob dieser Bedarf bis 2020 erfüllt werden kann, ist fraglich. Die Gesamtkosten für Aufbau und Betrieb von Ladesäulen überschreiten die zu erwartenden Einnahmen durch Ladesäulen bisher merklich. Ein selbsttragender Aufbau von Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum ist daher laut NPE bisher nicht zu beobachten [5]. Neben dem Zugang zu öffentlicher Ladeinfrastruktur zeigt sich im Hinblick auf den polizeilichen Einsatz von Elektrofahrzeugen ein hoher Bedarf an eigener Ladeinfrastruktur an Dienststellen oder häufig frequentierten Orten. Eine Investition in eine eigene Schnellladeinfrastruktur ist jedoch aufgrund der hohen Kosten und knappen Budgets bei der Polizei nur schwer möglich. Größe der Fahrzeuge, Raumstruktur und Einsatzzweck Die Beamten geben an, dass der Einsatz von Hybridfahrzeugen im Einsatz- und Streifendienst mit ausreichenden Volumina denkbar und attraktiv wäre. Darüber hinaus sind in Abhängigkeit des Standorts der Dienststelle reine Elektrofahrzeuge auch interessant, insbesondere in Großstädten. In ländlichen Regionen hingegen kann ein reines Elektrofahrzeug aufgrund der großen Einsatzradien keineswegs bedarfsorientiert eingesetzt werden. Elektrofahrzeuge sind auf dem Markt heute vor allem in kleineren Fahrzeugklassen mit geringem Innenraumvolumen und Ladefläche verfügbar. Dies kollidiert mit dem hohen Umfang an mitzuführender polizeilicher Ausrüstung. Vor allem im ländlichen Raum muss jederzeit ausreichend Equipment für jeden Einsatzzweck mitgeführt werden, weil eine Rückkehr zur Dienststelle aufgrund weiter Entfernungen häufig nicht möglich ist. Im Ermittlungsdienst haben die Fahrzeuge höhere Standzeiten und zumeist sind die Fahrten vorher geplant (z. B. bei geplanten Festnahmen oder Durchsuchungsfahrten). Die begrenzten Reichweiten und langen Ladevorgänge widersprechen einem Einsatz von Elektrofahrzeugen als zivile Funkstreifenwagen im Ermittlungsdienst deshalb nicht. Das mitzuführende Equipment im Ermittlungsdienst ist im Vergleich zum Einsatz- und Streifendienst weniger umfangreich, so können selbst kleinere Fahrzeugklassen, in denen Elektrofahrzeuge hauptsächlich verfügbar sind, verwendet werden. Akzeptanz und Erfahrungen mit-der-Einsatztauglichkeit Die bereits gesammelten Erfahrungen mit Elektrofahrzeugen sind abhängig von Modell und Ausstattung im Allgemeinen jedoch positiv. Negativen Einfluss auf das Stimmungsbild hat die unzureichende Leistung der Ladeinfrastruktur an der Dienststelle. Eine Ladung mit einer haushaltsüblichen Steckdose nimmt längere Zeit in Anspruch und wurde von den Beamten als hinderlich beschrieben. Es zeigte sich außerdem, dass eine gute Einweisung in die Nutzung der Elektrofahrzeuge für Beamte als essentiell angesehen wird, um die Akzeptanzhürden diesbezüglich von vorherein zu minimieren. Die Beamten können sich durchaus vorstellen, dass das Elektrofahrzeug durch das leise Motorengeräusch ermittlungstaktische Vorteile hat und die positive Außenwahrnehmung der Polizei erhöht. Zukünftig wird erwartet, dass sich die Leistung und Verfügbarkeit von Elektrofahrzeugen immer weiter an den Bedarf der Polizei annähert. Die Reichweiten werden höher, die verfügbaren Fahrzeugklassen umfangreicher, auch schreitet der Ausbau der Ladeinfrastruktur voran. Zudem ergab die Untersuchung des Fraunhofer IML im Rahmen der Studie, dass sich die Anschaffungskosten für Elektrofahrzeuge aufgrund von Skaleneffekte beim Absatz und sinkender Batteriekosten reduzieren. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass die Anschaffungskosten von konventionellen Fahrzeugen aufgrund der zunehmenden Serienausstattung weiter steigen werden. Der vernetzte Funkstreifenwagen Wird ein Funkstreifenwagen produziert, passiert dies auf Grundlage des zivilen Basisfahrzeugs. Das heißt, dass in diesem Bereich das Grundgerüst eines Fahrzeugs geschaffen wird, welches für den Funkstreifenwagen angepasst, auf- oder umgerüstet wird. Dies bedeutet allerdings auch, dass technologische Entwicklungen, die im zivilen Bereich serienmäßig verbaut werden, auch im Funkstreifenwagen Anwendung finden. Es zeigt sich, dass der zivile Bereich im Segment der Vernetzung stark aufrüstet, ■ Reduktion der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 ■ um 40% im Jahr 2020 ■ um 55% im Jahr 2030 ■ um 70% im Jahr 2040 ■ Reduktion des Endenergieverbrauchs im Verkehrssektor gegenüber 2005 ■ um 10% im Jahr 2020 ■ um 40% im Jahr 2050 Klimaschutz- und Energieziele Bild 1: Klimaschutz und Energieziele bis 2050 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 54 MOBILITÄT Digitalisierung da Automobilhersteller planen, ihre Fahrzeuge serienmäßig zu vernetzen. Für die Polizei hat das zur Folge, dass auch die Funkstreifenwagen mit entsprechender Technologie ausgestattet sein werden. Daraus können sich Möglichkeiten ergeben, Funkstreifenwagen gezielt nach den Bedarfen der Polizei zu vernetzen und digital anzuschließen. Einsatzmöglichkeiten für den vernetzten Funkstreifenwagen durch V2X-Kommunikation Im Rahmen der Untersuchung des Fraunhofer IML konnten eine Reihe von Einsatzmöglichkeiten identifiziert werden. Jedoch ist zu beachten, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch vor dem Hintergrund rechtlicher Bestimmungen erlaubt ist. Der rechtliche Rahmen wird hierbei nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Länderebene vorgegeben. Dennoch konnten zwei als besonders hilfreich hervorgehobene Funktionen aus dem Bereich des vernetzten Funkstreifenwagens identifiziert werden: • das automatisierte und gezielte Navigieren des Funkstreifenwagens durch die Leitstelle, • das Ansteuern einzelner Verkehrselemente (z. B. „Grüne Welle“, Einsatzfahrzeugwarnung, Absenken von Wegesperren). Für das gezielte und automatisierte Navigieren des Funkstreifenwagens übermittelt die Leitstelle konkrete Zielkoordinaten an das Navigationssystem des Fahrzeugs, außerdem eine Anfahrtroute beziehungsweise verschiedene Anfahrtrouten für unterschiedliche Fahrzeuge. Dadurch können wertvolle Sekunden gewonnen und gleichzeitig Fehler aufgrund einer akustischen Übermittlung von Koordinaten vermieden werden. Das Ansteuern einzelner Verkehrselemente ermöglicht das schnelle Vorankommen von Einsatzfahrzeugen. Dieser Aspekt ist für Polizei, Rettungswagen oder Feuerwehr gleichermaßen wichtig und interessant. Durch das Senden einer Einsatzfahrzeugwarnung können Kreuzungen schneller überfahren oder Rettungsgassen schneller gebildet werden. Allerdings ist es wichtig, dass sich diese Funktion im BOS-Einsatz auch deaktivieren lässt, damit die Polizei selbst entscheiden kann, wann es einsatztaktisch besser ist, auf eine Warnung zu verzichten. Das Schalten einer grünen Welle bei Lichtsignalanlagen für Einsatzfahrzeuge ist eine Möglichkeit, Kreuzungen im Notfall vom Verkehr freizuhalten. Im Unterschied zur Einsatzfahrzeugwarnung wird hier in die Verkehrssteuerung und damit den Verkehrsfluss eingegriffen. Hierbei wird insbesondere der wohl dosierte Einsatz dieses Mittels in den Vordergrund gestellt. Das heißt, es muss geprüft werden, ob tatsächlich für alle Einsatzfahrzeuge eine entsprechende Möglichkeit geschaffen werden soll (Rettungswagen, Notarzt, Feuerwehr, Polizei) oder ob diese Art des Eingriffs in den Verkehrsfluss durch Fahrzeugkommunikation nur auf wenige Einsatzfahrzeuge beschränkt werden sollte. Polizeispezifische Vernetzung - der-mobile Arbeitsplatz Die Vernetzung des Funkstreifenwagens kann auch über die V2X-Kommunikation hinausgehen. Bereits heute gibt es in Deutschland und im Ausland Ansätze, um die Funktionalität eines Funkstreifenwagens als mobilen Arbeitsplatz zu verstärken. Die eingesetzte Technologie unterscheidet sich erheblich je nach Behörde. Dies ist insbesondere auf unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen zurückzuführen. Die Umrüstung von Funkstreifenwagen zu mobilen Arbeitsplätzen umfasst z.B. Bordcomputer und Tablets, die mit dem Behördennetz verbunden sind. Dadurch wird es möglich, Fälle vor Ort zu bearbeiten und das Übertragen von Notizen in der Dienststelle zu reduzieren. Standortdaten über den Funkstreifenwagen können direkt übermittelt werden. In Großbritannien setzt man unter anderem auf automatische KFZ- Kennzeichenerkennung. Herausforderungen des vernetzten Funkstreifenwagens Nicht zu unterschätzen sind jedoch die Herausforderungen, die auf Behörden zukommen, wenn der Funkstreifenwagen vernetzter wird. Zunächst ist durch die zunehmende technologische Ausstattung der Fahrzeuge ein Preisanstieg zu erwarten, der knappe Budgets herausfordert. Investitionen in einen vernetzten Funkstreifenwagen müssen genau gegen einsatztaktische Vorteile abgewogen werden. Wie auch im zivilen Bereich ist Datenschutz ein wichtiges Feld, das es gemeinsam mit Personalräten der Behörden und dem Gesetzgeber zu lösen gilt. Des Weiteren gilt es für Behörden, Datensicherheit zu gewährleisten und technische Lösungen zu implementieren, die unabhängig vom zivilen Netz und nicht angreifbar sind (siehe Bild 2). Diese Herausforderungen bedürfen Investitionen und Zeit, um entsprechende Kompetenzen und Infrastrukturen aufzubauen. Dafür braucht es auch die Unterstützung und Zielsetzung der Politik. Und schlussendlich müssen auch Automobilhersteller daran arbeiten, den vernetzten Funkstreifenwagen für Behörden alltagstauglich zu machen und die Mensch-Technik-Interaktion auf die Nutzer anzupassen. Jedes Element des Funkstreifenwagens muss gut zu bedienen und leicht aufzufinden sein. Wenn das Einschalten der Sondersignalanlage daran scheitert, dass der Beamte mit Handschuhen den Touch Screen nicht bedienen kann, sinkt auch die Akzeptanz. Bei aller Digitalisierung müssen die wichtigsten Funktionen stets einfach und schnell zugänglich sein. Der enge Austausch von Behörden und Herstellern kann dieser Herausforderung begegnen. Fazit Aus dem Einsatz von Elektromobilität und vernetzten Fahrzeugen ergeben sich für Polizeibehörden beziehungsweise BOS-Flot- Schutz der Bevölkerung Vernetzung der polizeilichen Fahrzeug otte Digitale Sicherheit Datensicherheit Eigenschutz Bild 2: Datensicherheit als oberstes Ziel der Flottenvernetzung Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 55 Digitalisierung MOBILITÄT tenbetreiber neue Möglichkeiten (Bild 3). Es- wird also für BOS-Flottenbetreiber und die Forschung in Zukunft darum gehen, die Behörden für die neuen Technologien vorzubereiten, sodass diese als Chance genutzt werden können. Forschung, Hersteller, Politik und Behörden müssen hierfür an einem Strang ziehen. ■ LITERATUR [1] Kraftfahrtbundesamt (2017). Jahresbilanz des Fahrzeugbestandes am 1. Januar 2017, https: / / www.kba.de/ DE/ Statistik/ Fahrzeuge/ Bestand/ b_jahresbilanz.html, abgerufen am 03.07.2017. [2] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (2015). Klimaschutz in Zahlen: Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik: Ausgabe 2015. Berlin, Deutschland. http: / / www.bmub.bund.de/ fileadmin/ Daten_BMU/ Pools/ Broschueren/ klimaschutz_in_zahlen_bf.pdf. [3] BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (2017). BDEW-Erhebung Elektromobilität am 24. März 2017, https: / / www.bdew.de/ internet.nsf/ id/ bdew-erhebung-elektromobilitaetde, abgerufen am 05.07.2017. [4] Nationale Plattform Elektromobilität (2014). Fortschrittsbericht 2014 - Bilanz der Marktvorbereitung. Herausgeber: Gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität der Bundesregierung, http: / / schaufenster-elektromobilitaet.org/ media/ media/ documents/ dokumente_news/ NPE_Fortschrittsbericht_2014.pdf, abgerufen am 03.07.2017. [5] Nationale Plattform Elektromobilität (2015). Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Deutschland: Statusbericht und Handlungsempfehlungen 2015. Herausgeber: Gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität der Bundesregierung. Berlin, Deutschland. http: / / schaufenster-elektromobilitaet.org/ media/ media/ documents/ dokumente_news/ NPE_Ladeinfrastruktur_fuer_Elektrofahrzeuge_ in_Deutschland_Statusbericht_und_Handlungsempfehlungen_2015.pdf, abgerufen am 03.07.2017. Isabella Geis Projektleiterin Mobilität, Fraunhofer- Institut für Materialfluss und Logistik, Center für Logistik und Mobilität, Frankfurt isabella.geis@iml.fraunhofer.de Alina Steindl Projektleiterin Mobilität, Fraunhofer- Institut für Materialfluss und Logistik, Projektzentrum Verkehr, Mobilität und Umwelt, Prien am Chiemsee alina.maria.steindl@prien.iml. fraunhofer.de Geringe Bedeutung von Gasfahrzeugen Elektromobilität gewinnt an Bedeutung und wird bedarfsgerechter Elektrofahrzeuge & Hybridfahrzeuge Alternative Antriebstechnologien Vernetzungsgrad zivile Fahrzeuge & FUSTW C2X-Kommunikation bald in Serienausstattung Aufrüstung IT-Sicherheit Vernetzte Fahrzeuge & Digitale Kompetenz Vernetzung und digitale Sicherheit Bild 3: Möglichkeiten und Herausforderungen für BOS-Flottenbetreiber durch neue Technologien Können Sie sich eine Stadt vorstellen, in der Reisende ihren Weg nahtlos multimodal zurücklegen, vom Fahrrad über Carsharing-Angebote zur Bahn wechseln und das letzte Stück zu Fuß gehen? Ein reibungsloser Ablauf erfordert punktgenaue Informationen. Hier kommen wir ins Spiel. Wir haben uns auf Lösungen spezialisiert, die Ihnen dabei helfen, Ihr Verkehrsnetz zu optimieren. Damit schaffen Sie nicht nur eine lebenswerte Umgebung, sondern prägen Ihr Stadtbild neu. Das PTV MaaS Accelerator Program ermöglicht es Ihnen ein ausgereiftes Ökosystem zu gestalten, das neue Mobilitätsformen mit Öffentlichen Personennahverkehrsangeboten verknüpft. Während wir mit unseren Technologien den Weg für Smart Cities ebnen, steht und fällt die Zukunft mit Ihnen. Wie? Besuchen Sie www.ptvgroup.com und finden Sie es heraus. NUTZEN SIE DAS POTENZIAL NEUER MOBILITÄTSFORMEN! Scannen Sie diese Seite und erleben Sie die Zukunft der Mobilität. Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 56 MOBILITÄT Autonomes Fahren Pilotbetrieb mit autonomen Shuttles auf dem Berliner EUREF-Campus Erfahrungsbericht vom ersten Testfeld zur integrierten urbanen Mobilität der Zukunft Autonome Shuttles, hochautomatisiertes Fahren, Testfeld, Reallabor, EUREF-Campus, Nutzerakzeptanz Auf dem Berliner EUREF-Campus befindet sich seit November 2016 das erste öffentlich zugängliche Testfeld für hochautomatisierte Shuttles in Deutschland. Bei den täglichen Linienfahrten mit Fahrgästen und im Mischbetrieb mit anderen Verkehrsteilnehmern konnte eine Menge wichtiger Erfahrungen gesammelt werden. Neben Erkenntnissen zur technischen Weiterentwicklung standen Fragen zur Nutzerakzeptanz im Vordergrund. Ausgehend vom erfolgreichen Linienbetrieb kann nun die Pilotierung komplexerer Use Cases beginnen, die den Weg zur intelligenten Mobilität von morgen weiter ebnen helfen. Frank Hunsicker, Andreas Knie, Gernot-Lobenberg, Doris Lohrmann, Ulrike Meier, Sina Nordhoff, Stephan-Pfeiffer D as automatisierte Fahren ist mehr als nur ein kurzweiliger Trend - in immer kürzeren Abständen werden Fahrzeuge präsentiert und neue Pilotversuche angekündigt. Unter der Domäne der Automobilindustrie werden auf einer Reihe von Testfeldern meist klassische Verbrennerfahrzeuge im (teil-)automatisierten Fahrbetrieb erprobt. Parallel dazu sind kleinere Hersteller wie Local Motors, EasyMile oder Navya erst seit wenigen Jahren dabei, hochautomatisiert fahrende sowie elektrisch betriebene Shuttles als neuen Baustein des öffentlichen Verkehrs zu testen und zu vermarkten. Die Unterschiede hinsichtlich strategischer Ausrichtung und technischer Performance sind jedoch gravierend: Während die Automobilindustrie zwar einen elaborierten Stand der Technik erreicht hat, aber im Grunde weiterhin die Fortentwicklung des klassischen MIV betreibt, verstehen sich die neuen Player als Mitgestalter einer neuen Form des individualisierten, öffentlichen Verkehrs. Als heute noch relativ neue Technologie sind autonome Shuttles 1 unterschiedlichster Größenordnung im Verkehr der Zukunft digital vernetzt und - natürlich elektrisch angetrieben - auch Teil einer regenerativen Energieversorgung. Für eine moderne, intelligente Stadt sind hohe Bündelungsfunktionen und individuelle Nutzungsprofile wichtige Kriterien. Autonome Fahrzeuge füllen damit eine strategisch bedeutsame Lücke zwischen klassischen spurgeführten Liniendiensten und dem Individualverkehr. Notwendig dafür ist neben einer robusten Verfügbarkeit ein Betrieb, der „on demand“ zur Verfügung steht. Reallabore und Testfelder bieten sich an, um bereits heute den vernetzten Mobilitätsalltag der Zukunft simulieren und in Piloten „niedrigschwellig“ die Vorteile und Anwendbarkeit für Nutzer und Stakeholder erlebbar machen zu können. 2 Das erste Testfeld in Deutschland mit einem autonomen Shuttle wurde von der Deutschen Bahn im November und Dezember 2016 auf dem Werksgelände von DB Schenker in Leipzig realisiert: Ein selbstfahrender Bus Modell EZ10 des französischen Fahrzeugherstellers EasyMile diente hier der Wegbeschleunigung für die ca. 1100 Mitarbeiter auf dem Firmengelände. Die Strecke hatte eine Länge von 1500 m und die Fahrten erfolgten nach einem festen Fahrplan. Reallabor EUREF-Campus in Berlin Das erste öffentlich zugängliche Testfeld für autonome Shuttles in Deutschland befindet sich auf dem Privatgelände des EUREF- Campus in Berlin-Schöneberg. Auf dem 5,5- ha großen früheren Gaswerk-Gelände wird seit 2010 schrittweise ein moderner Büro- und Wissenschaftscampus mit dem Anspruch eines intelligenten Stadtquartiers der Zukunft errichtet. Der EUREF-Campus ist ein halböffentlicher Erprobungsraum, d.h. Voraussetzungen, die im öffentlichen Straßennetz nicht zeitnah genehmigungsfähig sind, lassen sich hier schnell in die Tat umsetzen, weil der Zugang zum Areal kontrollierbar ist. Da dennoch PKW, Lieferwagen, Radfahrer und Fußgänger unterwegs sind, bietet er eine ideale Erprobungsfläche unter möglichst realitätsnahen Bedingungen. Neben den derzeit über 2500 Beschäftigten ergibt sich durch die Vielzahl von Besuchern von Fachveranstaltungen und Events sowie nahezu täglichen Besuchen von nationalen und internationalen Gästegruppen für die Testfahrten ein sehr hoher Multiplikatoreffekt. Pilotbetrieb Nachdem der Prototyp des autonomen Shuttles Typ „Olli“ von Local Motors bereits seit Juni 2016 auf dem EUREF-Campus für den Einsatz aufgerüstet wurde, begann Ende November 2016 der erste über einen längeren Zeitraum von insgesamt über acht Monaten währende Test-Linienbetrieb mit einem autonomen Shuttle (Bild 1). Das Shuttle fuhr an Werktagen von 9 bis 17 Uhr im Halbstundentakt sowie zu besonderen Anlässen im Rahmen von Veranstaltungen. Projektpartner waren das InnoZ als Pilotbetreiber und Koordinator sowie die Deutsche Bahn, Local Motors, die Berliner Agentur Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 57 Autonomes Fahren MOBILITÄT für Elektromobilität eMO, die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe sowie die EUREF AG. Übergeordnetes Ziel war es, die Innovation frühzeitig und unter Berücksichtigung aller sicherheitsrelevanten Aspekte mit Testnutzern zu erproben, Erfahrungen zu sammeln und zu dokumentieren sowie mit diesem Wissen die nächsten sinnvollen Anwendungsschritte vorzubereiten. Insgesamt wurden über 2200 Fahrgäste transportiert, die über drei fixe Haltestellen - u. a. am Campus-Eingang - Zugang hatten. Die Streckenlänge variierte zwischen ca. 800 und 1000 m, da aufgrund der nach wie vor regen Bautätigkeit auf dem Campus mehrere Linienvarianten befahren werden mussten. Aus rechtlichen Gründen musste immer ein sogenannter Steward, ein mit dem Fahrzeug vertrauter Fahrtbegleiter, an Bord sein, der im Notfall eingreifen kann, kurze Fahrabschnitte bei Unregelmäßigkeiten manuell steuert und als Ansprechpartner für die Fahrgäste fungiert. Vor Aufnahme des Linienbetriebes wurden sieben Stewards durch Local Motors geschult, die nach Dienstplan unter der Regie des InnoZ zum Einsatz kamen. Ihre Aufgabe war es zudem, den Buchungskalender für externe Gäste zu koordinieren, die Befragungen zu begleiten, ein Fahrtenbuch zu führen sowie darin u.a. Störungen und besondere Ereignisse zu dokumentieren. Die Beschäftigten des EUREF-Campus wurden zu Beginn auf den außergewöhnlichen Testbetrieb hingewiesen und zugleich neugierig gemacht; ebenso sind Anwohner aus den umliegenden Stadtteilen mit einer Flugblattaktion informiert worden. Eine Informationstafel an der Zufahrt zum Gelände machte v.a. motorisierte Gäste auf den Pilotbetrieb aufmerksam. Da das Shuttle von Local Motors derzeit nur für eine Geschwindigkeit von 8 km/ h zugelassen ist, wurde die Höchstgeschwindigkeit für alle motorisierten Verkehrsteilnehmer auf dem Campus auf 10 km/ h gesenkt. Während des gesamten bisherigen Betriebszeitraums kam es zu keinem Zeitpunkt zu Unfällen oder zur Gefährdung weder von Fahrgästen noch von anderen Verkehrsteilnehmern. Wichtigste Erfahrungen aus dem-Pilotbetrieb Autonome Shuttles agieren im Prinzip wie Schienenfahrzeuge. Den in ihrem Bordcomputer einmal eingelesenen Routen, den sog. Trajektorien, folgen sie automatisiert, während die bordeigene Sensorik diese ständig mit der erfassten Umgebung abgleicht (Bild 2). Dadurch kommt das Shuttle bei Hindernissen wie bspw. geparkten Lieferwagen oder bei querenden Fußgängern zum Stehen. Beim Prototyp von Local Motors mussten somit in der Regel mehrmals kleine Teilstrecken pro Fahrt im manuellen Modus per Joystick durch den Steward überbrückt werden, da das Fahrzeug noch nicht eigenständig um Objekte herum manövrieren konnte. Autonome Shuttles befinden sich nach wie vor im Forschungs- und Entwicklungsstadium. Das Zusammenspiel zwischen Fehlererfassung, Fehlerdeutung und automatisierter Lösung ist noch verbesserungswürdig. Dennoch sind die Fahrzeuge aufgrund der vergleichsweise niedrigkomplexen Einsatzanforderungen bereits wesentlich früher als PKW auf dem Automatisierungspfad fahrerlos einsetzbar. Die Zulassung für den öffentlichen Straßenraum ist in Deutschland zwar derzeit in Arbeit, aber sie wird an eng gefasste Rahmenbedingungen hinsichtlich Verkehrsdichte und Geschwindigkeiten gekoppelt sein. Sehr positiv ist das dauerhaft ungebrochene Interesse am Pilotbetrieb auf dem EUREF-Campus zu bewerten. Auch lange nach der Pressekonferenz mit Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und dem damaligen Bahnchef Rüdiger Grube im Dezember 2016 sind tägliche Anfragen aus Bild 1: Der Prototyp des autonomen Shuttles von Local Motors ist seit November 2016 auf dem EUREF-Campus unterwegs. Foto: Kai Michael Neuhold/ Deutsche Bahn Bild 2: Das Shuttle folgt automatisch den in seinem Bordcomputer eingelesenen Routen, den sogenannten Trajektorien. Foto: Kai Michael Neuhold/ DB Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 58 MOBILITÄT Autonomes Fahren dem In- und Ausland sowie der Tages-und Fachpresse die Regel. Aus Sicht der Deutschen Bahn AG konnte auf dem Testfeld EUREF-Campus erstmalig ein Shuttle „live“ mit Kunden getestet, erste Erfahrungen im operativen Betrieb gemacht und wichtige Kundenwünsche zu den Themen Geschwindigkeit, Ausstattung und Sicherheit gesammelt werden. Zudem wurden die Anforderungen der Kunden an „On-Demand-Mobilität“ analysiert. Sie werden bei der Ausgestaltung neuer Anwendungsfälle mit berücksichtigt. Auch Local Motors erhielt während des Testbetriebs auf dem EUREF-Campus wichtige Impulse, beispielsweise, die eingesetzte Sensortechnik neu zu gestalten und weitere Verbesserungen bei der Bilderkennung vorzunehmen. Zur Umgebungswahrnehmung kommen hier laserbasierte Lidar- Sensoren zum Einsatz, die optisch Abstände und Geschwindigkeiten messen. Der Test unter verschiedenen Wetterbedingungen war ebenfalls sehr hilfreich: Während Regen die Fahrt nicht beeinträchtigte, wurde Hagel von den Sensoren in der Anfangsphase als Hindernis wahrgenommen. Für den Hersteller waren auch konkrete Erfahrungen bei der Mensch-Technik-Interaktion nützlich, so z. B. mit dem Journalisten, der die Grenzen des Systems persönlich testen wollte und urplötzlich direkt vor das fahrende Shuttle sprang. Allein der physikalisch gegebene Bremsweg war selbst bei 8 km/ h Höchstgeschwindigkeit zu lang, um den Journalisten nicht zu berühren. Das Beispiel zeigt, dass nicht nur die Technik weiterentwickelt werden muss, sondern dass auch die Menschen den Umgang mit diesem neuen System erlernen müssen. Erste Ergebnisse Fahrgast-Empirie Im Rahmen des Pilotvorhabens konnten erstmals im Inland über einen längeren Zeitraum reale Erfahrungen mit einem autonomen Shuttle gesammelt werden. Von den rund 2200 Fahrgästen konnte knapp ein Drittel mittels Fragebogen, der nach der Fahrt via Tablet-Computer ausgehändigt wurde, befragt werden. Diese Personen waren überwiegend männlich, zwischen 20 und 50 Jahre alt und mehrheitlich nicht auf dem EUREF-Campus beschäftigt. Es zeigte sich, dass sie dieser Art Fahrzeug gegenüber überwiegend sehr positiv eingestellt waren und dessen Einsatz im öffentlichen Personenverkehr insgesamt für eine gute Idee hielten (s. a. Bild 3 links). 3 Sie konnten sich einen Einsatz sowohl im ländlichen als auch im städtischen Raum sehr gut vorstellen. 4 Wie zu erwarten war, wurde die geringe Geschwindigkeit des Fahrzeugs von 8 km/ h deutlich negativer bewertet (s. a. Bild 3 rechts). 5 Was die Zuverlässigkeit, die Sicherheit und die Nützlichkeit bzw. den Komfort für den Arbeitsweg angeht, machte sich noch Kritik in der Befragtengruppe laut. 6 Diese Ergebnisse entsprechen allerdings den vorherigen Erwartungen, da der Steward in bestimmten Situationen noch eingreifen und manuell steuern muss. Neben dem Fragebogen als quantitatives Erhebungsinstrument wurden die Eindrücke und Wahrnehmungen der Fahrgäste durch die Stewards gesammelt und ausgewertet. Es zeigte sich, dass aber auch hier das Shuttle insgesamt sehr positiv angenommen wurde. Deutlich ist allerdings auch, dass die Vorab-Erwartungen der Fahrgäste die tatsächlichen technischen Fähigkeiten des Fahrzeuges noch überstiegen. Dieses Ergebnis ist nicht erstaunlich, wenn man an die ambitionierten Ankündigungen diverser Akteure denkt, die vollautomatisiertes bzw. autonomes Fahren in jeder erdenklichen Verkehrssituation in den nächsten Jahren versprechen. Folglich ist ein Erwartungsmanagement notwendig, das potenzielle Fahrgäste über die Einsatzgrenzen autonomer Shuttles aufklärt sowie realistische Erwartungen als akzeptanzfördernde Maßnahme entwickelt. 7 Ausblick Zum Test und zur Demonstration der Technologie war der erfolgreiche Linienbetrieb mit dem autonomen Shuttle auf dem EU- REF-Campus ein wichtiger und notwendiger, aber eben nur ein allererster Schritt. Sicherlich wird es reale Einsatzfelder für einen schlichten Linienbetrieb mit solchen Fahrzeugen geben, aber ihre eigentlichen Stärken kann die Technik erst dann ausspielen, wenn sie als Mobilitätsoption für Kunden ‚on demand‘ abrufbar und dementsprechend für Betreiber hochflexibel einsetzbar ist. Die wesentlichen Effizienzgewinne werden zwar erst bei wirklich fahrerlosem Betrieb zu erzielen sein, doch ist es wichtig, das System auf dem Weg dorthin nach und nach in beherrschbaren Versuchsanordnungen zu ertüchtigen. Neben dem Einsatz auf großen Arealen und Campi kommt hierfür die vielzitierte „letzte Meile“ in Frage, beispielsweise zur feinteiligen Anbindung von S- und U-Bahnhöfen in Städten und an deren Peripherie oder von Zugangsstellen des Schienen- und des übergeordneten Busverkehrs im ländlichen Raum. An dieser Schnittstelle können autonome Shuttles helfen, neue Nachfragepotenziale zu erschließen, die vom klassischen ÖPNV nur schwerlich zu heben sind. Nicht zuletzt ergibt sich auch technisches Entwicklungspotenzial, etwa durch die Umrüstung auf induktives Laden, was beim Einsatz mittelgroßer Flotten die Wirtschaftlichkeit sowie auch die Attraktivität von Shuttles erheblich verbessert. Im und um das Reallabor EUREF-Campus wird der mit dem Pilotbetrieb eingeschlagene Weg zur intermodalen Systemlösung in den nächsten Monaten konsequent weitergegangen. Alle genannten Use Cases sollen hier nach und nach gemeinsam mit Testnutzern und Partnern weiterentwickelt werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Ausdehnung des Regelbetriebes auf ausgewählte Strecken im öffentlichen Straßenraum. Um den Mobilitätsmarkt der Zukunft mitzugestalten, wird die Deutsche Bahn kontinuierlich in öffentlichen Testfeldern neue Mobilitätsprodukte testen und weiter- Bild 3 links und rechts: Beispielhafte Auswertungen der Fahrgast-Befragung Quelle: InnoZ GmbH Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 59 Autonomes Fahren MOBILITÄT entwickeln. So ist noch für 2017 der erste Betrieb eines Shuttles im öffentlichen Straßenverkehr geplant. Weitere Testfelder sind bereits im Stadium der konkreten Planung. Mittelfristig wird das autonom fahrende Shuttle dann auch ohne Begleitperson zum Einsatz kommen. Local Motors plant, die Fortentwicklung der Technik des autonomen Systems Schritt für Schritt weiter zu optimieren. Hierzu gehören u. a. die Verbesserung des Fahrkomforts, die Erhöhung der Geschwindigkeit oder die Ausweitung des Fahrkorridors, um auch bei kreuzendem Verkehr autonom fahren zu können. Allerdings werden die weiteren Entwicklungsarbeiten bis auf Weiteres in den USA stattfinden. Für die Hauptstadtregion bedeutete das Pilotprojekt den Einstieg in die autonome Mobilität. Als Standort des ersten Probetriebs mit einem autonomen Shuttle im Linienbetrieb konnte Berlin seine Vorreiterrolle bei innovativen Mobilitätskonzepten unterstreichen. Im nächsten Schritt werden die gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen von Folgeaktivitäten und weiteren Use Cases verstetigt und weiterentwickelt. Die viel zitierte Vision des universell einsetzbaren, CO 2 -freien Robotaxis als jederzeit auf Abruf disponibler Mobilitätsressource, als konsequente Weiterentwicklung einer zukunftsfähigen, intelligenten Mobilität, rückt mit jedem autonomen Testfeld ein Stück näher. Private Eigentumsrechte an einem eigenen Fahrzeug wären nicht mehr notwendig. Die schnelle Verfügbarkeit sichert eine hohe Kundenakzeptanz und ermöglicht eine weitaus effizientere Nutzung des kostbaren öffentlichen Raumes. Es ist immer noch ein langer Weg dahin, er ist jetzt aber deutlich erkennbar. ■ 1 Der Begriff „autonome Shuttles“ wird von den Autoren in diesem Artikel vereinfachend verwandt, wenngleich es sich strenggenommen um hochautomatisierte Fahrzeuge handelt, solange ein begleitender Steward an Bord ist. 2 Näheres zur Rolle von Reallaboren bei Pilotbetrieben mit autonomen Shuttles: Hunsicker, F. et al. (2016): „Vernetzte Mobilität der Zukunft erfahrbar machen“. Internationales Verkehrswesen (68) 1/ 2016. München 3 N= 487; nicht beantw.= 53; M= 1.23, SD= 0.88, auf einer Skala von 1 =sehr gut bis 6= sehr schlecht 4 N= 487; Ländlich: nicht beantw.= 50; M= 1.97, SD= 1.24; urban: nicht beantw.= 49; M= 2.03, SD= 1.2; jew. auf einer Skala von 1= sehr gut bis 6= sehr schlecht 5 N= 487; nicht beantw.= 53; M= 3.58, SD=1.32, auf einer Skala von 1= sehr gut bis 6= sehr schlecht 6 N= 487; Zuverlässigkeit: nicht beantw.= 68; M= 2.68, SD= 1.15; Nützlichkeit/ Komfort: nicht beantw.= 65; M= 2.81, SD= 1.28; Sicherheit: nicht beantw.= 51; M= 2.67, SD= 1.28; jew. auf einer Skala von 1=sehr gut bis 6= sehr schlecht 7 vgl. Nees, M.A. (2016): Acceptance of Self-Driving Cars: An Examination of Idealized versus Realistic Portrayals with a Self-Driving Car Acceptance Scale. Proceedings of the Human Factors and Ergonomics Society 2016 Annual Meeting, pp. 1449-1453 Doris Lohrmann Projektmanagerin, ehemals Local Motors Berlin GmbH dorislohrmann@gmx.de Gernot Lobenberg Leiter Agentur für Elektromobilität eMO, Berlin gernot.lobenberg@emo-berlin.de Stephan Pfeiffer Senior Manager, Konzernentwicklung, Deutsche Bahn AG, Frankfurt am Main stephan.pfeiffer@deutschebahn.com Sina Nordhoff Wissenschaftl. Mitarbeiterin, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin sina.nordhoff@innoz.de Ulrike Meier Geschäftsführerin Meier Consulting, Berlin ulrike.meier@umeier-consulting.com Andreas Knie, Prof. Geschäftsführer, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin andreas.knie@innoz.de Frank Hunsicker Programmleiter Automatisiertes Fahren, Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin frank.hunsicker@innoz.de Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 office@trialog.de | www.trialog-publishers.de Unsere neuen Kontaktdaten Redaktionsleitung: Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de redaktion@internationales-verkehrswesen.de Leserservice/ Vertrieb: Tel.: +49 7449 91386.39 service@trialog.de Anzeigenservice: Tel.: +49 7449 91386.46 anzeigen@trialog.de Dispo/ Onlinetechnik: Tel.: +49 7449 91386.47 dispo@trialog.de Verlag und Redaktion sind umgezogen Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 60 MOBILITÄT Wissenschaft Akzeptanz für automatisiertes Fahren Die Chance auf eine nachhaltige Verkehrswende? Akzeptanz, empirische Studien, Nachhaltigkeit, Verkehrswende Automatisiertes Fahren wird als Baustein einer nachhaltigen Verkehrswende diskutiert. Erste Studien zur gesellschaftlichen Akzeptanz liegen nun vor. Der Beitrag geht auf Basis einer Literatur-Aufarbeitung der Frage nach, wie ein gesellschaftlich akzeptierter Weg zu einem automatisierten Verkehrssystem aussehen könnte. Insgesamt zeichnet sich ab, dass sowohl bei Bürgerinnen und Bürgern als auch in der Forschung die Vorstellung eines automatisierten motorisierten Individualverkehrs dominiert, was zu einem höheren Verkehrsaufkommen führen könnte. Elisabeth Dütschke, Uta Schneider, Michael Krail, Anja Peters D ie Entwicklung automatisierter Fahrzeuge schreitet voran und Prototypen werden bereits im Straßenverkehr getestet. Auch in der öffentlichen Diskussion ist das Thema angekommen. So berichten Medien über neueste technische Entwicklungen. Unfälle mit automatisierten Fahrzeugen werden gesellschaftlich stark debattiert. Der Begriff automatisiertes Fahren wird für ganz unterschiedliche Ausprägungen der Automatisierung verwendet. In einer in Deutschland verbreiteten Klassifizierung des Verkehrsministeriums, die auf diejenige der Bundesanstalt für Straßenwesen BASt aufbaut [1, 2], wird jenseits der ersten „driver only“ Stufe (Stufe 0), zunächst Stufe 1 „assistiert“ definiert. Diese beinhaltet bspw. Fahrerassistenzsysteme wie Spurhaltesysteme oder Parkassistenten, bei denen der Fahrer das System dauerhaft überwachen und jederzeit zur Übernahme der Fahrzeugführung bereit sein muss. Eine Teilautomatisierung liegt vor, wenn das System die Quer- und Längsführung in bestimmten Situationen übernimmt; der Fahrer muss aber auch hier jederzeit zur Übernahme bereit sein (Stufe 2). Ab Stufe 3, hochautomatisiert, muss das System nicht mehr dauerhaft überwacht werden, zumindest nicht in allen Situationen. Kann das System Fahrsituationen nicht mehr bewältigen, kann es den Fahrer einbeziehen (Stufe 3) oder selbst einen risikominimalen Zustand, etwa durch Anhalten, herbeiführen (Vollautomatisierung, Stufe 4). In der autonomen Stufe 5 wird der Fahrer dann endgültig zum Passagier, während die Fahraufgabe allein vom Systems ausgeführt wird. Insbesondere die Stufen höherer Automatisierung implizieren das Potential einer radikalen Systemveränderung im Bereich Mobilität. Vor diesem Hintergrund sind Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz der Technologie von besonderer Bedeutung. Dies umfasst Fragen nach der Wahrnehmung der Technologie durch potenzielle Nutzer, nach möglichen Bedenken und Ängsten sowie der Absicht, diese Technologie zu nutzen oder zu kaufen. Aber auch die soziopolitische Akzeptanz, d.h. die grundsätzliche Akzeptabilität der Technologie und das vorherrschende gesellschaftliche Klima, ist bedeutsam. Akzeptanz wird hier verstanden als die Annahme einer neuen Technologie sowohl in passiver als auch aktiver Ausprägung. Dies beinhaltet neben konkreten Nutzungsabsichten auch die breitere Akzeptanz, sich etwa mit anderen Verkehrsmitteln in einem System zu bewegen, das automatisierte Fahrzeuge beinhaltet. Neben Verhalten und Verhaltensintentionen interessieren auch Einstellungen gegenüber der Technologie. Vorgehen Literaturaufarbeitung In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland, aber auch im internationalen Raum zunehmend Arbeiten zur Akzeptanz von automatisierten Fahrzeugen veröffentlicht. Diese stammen zum einen aus der Wissenschaft; zum anderen haben aber auch viele Verbände oder Vereine aus dem Mobilitätsbereich sowie Unternehmen aus dem Automobilbereich oder Beratungs- und Marktforschungsinstitute bereits eine Reihe von Akzeptanzun- Moderne Vision urbaner Mobilität: Audi Urban Future Award 2012 Quelle: www.audi-urban-future.com Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 61 Wissenschaft MOBILITÄT tersuchungen durchgeführt. Um diese aufzuarbeiten, wurde eine systematische Literaturrecherche anhand von Fachdatenbanken und mit festgelegten Schlagworten im deutschen und internationalen Raum durchgeführt. Es wurden nur Akzeptanzstudien zu den oben genannten Stufen 2 bis 5 berücksichtigt. Da sich die Technologie und damit auch die Akzeptanz schnell weiterentwickeln, erfolgte eine Beschränkung auf Studien aus den vergangenen fünf Jahren (2012 bis Anfang 2017). Insgesamt wurden 52 Arbeiten, davon 49 Studien, als relevant identifiziert, von denen die allermeisten in den vergangenen beiden Jahren erschienen sind. Zwei Drittel davon sind englische Publikationen, ein Drittel deutsche. Ein Großteil der Studien (40 %) verwendet Daten aus Deutschland, bei den verbleibenden handelt es sich um internationale, auch ländervergleichende Arbeiten, überwiegend, aber nicht ausschließlich aus der EU und den USA. Schwerpunkte der Arbeiten Bild 1 gibt einen Überblick zu den Schwerpunkten der betrachteten Arbeiten. Es zeigt sich, dass sich die Akzeptanzforschung vorzugsweise mit hohen Stufen, insbesondere autonomem Fahren der Stufe 5 befasst. Mit Blick auf die Fahrzeugarten steht der PKW im Mittelpunkt: Weniger als ein Viertel betrachten andere Fahrzeugarten wie Kleinfahrzeuge oder den öffentlichen Verkehr. Dementsprechend überwiegt auch das Szenario der Privatnutzung im motorisierten Individualverkehr (>85 %), andere Nutzungsszenarien, wie Sharing-Konzepte, werden nur in wenigen Studien betrachtet. Befunde Im Folgenden liegt der Fokus, der Auslegung der Mehrheit der Studien folgend, zunächst auf dem motorisierten Individualverkehr mit Fahrzeugen im Privatbesitz. Es zeigt sich, dass bereits ein größerer Teil der Befragten in den diversen, häufig repräsentativ angelegten Studien von automatisierten bzw. autonom fahrenden Fahrzeugen gehört hat, typische Anteile liegen bei 55-70 % [3-6]. Viele Studien betrachten zudem die wahrgenommenen Vor- und Nachteile der Technologie. Als wichtigen Vorteil des automatisierten und vernetzten Fahrens sehen die Befragten eine höhere Sicherheit, indem durch die Nutzung der Systeme weniger Unfälle entstehen [6-9]. Mit deutlichen Sicherheitseffekten wird jedoch erst dann gerechnet, wenn die Mehrzahl der Fahrzeuge automatisiert fährt [8]. Häufig genannt werden auch Bequemlichkeit und Komfort sowie die Reduktion von Stress beim Autofahren [4, 7, 10-12], insbesondere in monotonen oder stressigen [9] oder eher lästigen Fahrsituationen wie der Parkplatzsuche [13]. Weitere Vorteile der Technologie können aus Sicht der Befragten die Reduktion von Staus sein [14], die Sicherstellung von Mobilität im Alter [7], ein besseres Zeitmanagement sowie soziale Aspekte, wie eine leichtere Kommunikation mit den Mitfahrern [15]. Zudem sind nach Meinung der Befragten Umweltvorteile, etwa durch effizienteres Fahren, oder auch niedrigere Versicherungsprämien aufgrund geringerer Unfallzahlen vorstellbar [6]. Auf der Negativseite stehen die Angst vor technischem Versagen bzw. der Zweifel an der technischen Zuverlässigkeit [7, 8] im Mittelpunkt. Einige Studien zeigen darüber hinaus, dass der Mensch im Vergleich zur Technologie für den besseren Fahrer gehalten wird [6, 16]. Weitere Bedenken bzw. wahrgenommene Nachteile der Technologie sind ein Kontrollverlust [7, 17] und ein möglicher Verlust von Fahrspaß [7, 18]. Bis zu einem gewissen Grad gibt es auch Bedenken hinsichtlich Datenschutzfragen [6, 7] oder IT-Sicherheit [19] sowie ungeklärte Haftungsfragen [4, 10-12, 18]. Vereinzelt wurden auch hohe Kosten [12, 20], ein vermuteter Verlust von Arbeitsplätzen [4, 10, 11] und Angst vor der Abhängigkeit von der Technologie [8] genannt. Ein wichtiges Thema ist darüber hinaus die Bereitschaft zur Nutzung der Technologie. Viele Studien ermitteln, dass bei ca. einem Drittel oder mehr der Befragten eine Nutzungsbereitschaft gegeben ist [7, 21, 22]. Jeweils bis zu einem weiteren Drittel der Befragten in diesen Studien können sich die Nutzung nicht vorstellen oder sind sich unsicher. Der Anteil der Aufgeschlossenen ist tendenziell der größte: Bei der Interpretation der Ergebnisse sowie Schlussfolgerungen bzgl. der weiteren Entwicklung der Akzeptanz besteht jedoch noch eine große Unsicherheit, und vieles spricht dafür, dass auch 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Automatisierungsstufe unklar Max Stufe 3 Max Stufe 4 Inkl. Stufe 5 Fahrzeugarten k.A. / unklar gesamte Bandbreite Kleinfahrzeug ÖV Pkw Nutzungsart diverse privat privat, Sharing privat, Sharing, VoD Sharing Bild 1: Struktur der identifizierten Arbeiten. Abkürzungen: k.A. = keine Angabe; ÖV = öffentlicher Verkehr; VoD = vehicle on demand Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 62 MOBILITÄT Wissenschaft die spezifische Formulierung der Fragestellung die genauen Antwortmuster beeinflusst. Zudem erweist sich in einer Studie der London School of Economics and Political Science Consulting [23] mit fast 12 000 Bürgerinnen und Bürgern aus europäischen Ländern noch eine andere Thematik als relevant im Zusammenhang mit der antizipierten Nutzung autonomer Fahrzeuge: Eine nennenswerte Anzahl der Befragten (30-40 %) möchte nur ungern die Straße mit autonomen Fahrzeugen teilen. Mit Blick auf Mischverkehre werden auch Bedenken geäußert, dass das eigene automatisierte Fahrzeug bzw. der anderweitig beschäftigte Fahrer andere Verkehrsteilnehmer ängstigen könnte [15]. In einer Arbeit von Howard und Dai [12] befürworten 38 % der Befragten sogar eine getrennte Verkehrsführung automatisierter und fahrergesteuerter Fahrzeuge. Befragte einer Studie von Kyriakidis und Kollegen [24] äußern zudem die Erwartung, dass ihnen vollautomatisiertes Fahren als leichter, teilautomatisiertes Fahren aber schwerer als konventionelles, fahrergesteuertes Fahren erscheint, was ebenfalls auf Implikationen für eine Übergangsphase vom heutigen zum autonomen Verkehrssystem verweist. Einzelne Studien untersuchten innovativere, weitergehende Ansätze im Bereich autonomes Fahren wie Car- und Ridesharing mit autonomen Fahrzeugen oder deren Einbindung in den öffentlichen Verkehr. Hier findet sich eine Abhängigkeit der Nutzungsintention von Performanzeinschätzungen (Zukunftsaussichten und Vorteile im Vergleich zu aktuellen Angeboten), wahrgenommener Einfachheit der Nutzung (leicht zu erlernen) und sozialen Normen [25, 26]; zudem werden entsprechende Angebote eher von Personen präferiert, die bereits alternative Verkehrsangebote nutzen [27]. Konzepte wie „shared taxi“ (autonom fahrende, geteilte Taxis) können sich nur rund ein Viertel der Befragten vorstellen, die Mehrheit äußert sich ablehnend [13]. Insgesamt zeichnen die Studien ein zurückhaltenderes Bild aus Akzeptanzsicht verglichen mit den Arbeiten im Bereich motorisierter Individualverkehr im Privatbesitz. Potentiale für autonomes Fahren und Nachhaltigkeit Zusammenfassend weist die Analyse der bisher vorliegenden Akzeptanzstudien auf Diffusionspotentiale für automatisiertes Fahren hin: Interesse und Offenheit bei potentiellen Käufern scheinen vorhanden zu sein und gehen auch mit Mehrpreisbereitschaften einher [6, 28], wobei auch der Automatisierungsgrad eine Rolle spielt [24]. Typische Preisbereitschaften bewegen sich dabei im Bereich von wenigen tausend Euro Aufpreis. Als Hürde zeichnet sich jedoch eine Übergangsphase mit geringen Automatisierungsstufen und Mischverkehren ab, in der zudem auch noch relativ hohe Aufpreise notwendig sein könnten. Hierbei ist aus Akzeptanzsicht zu berücksichtigen, dass sich gerade dann auch besondere Herausforderungen im Sicherheitsbereich ergeben werden (vgl. [29] zur Problematik der Übernahme durch den Fahrer insbesondere in Gefahrensituationen) und Komfortgewinne durch alternative Tätigkeiten während des Reisens noch nicht erzielt werden können. Weiterhin zeichnet sich ab, dass sich Marktpotentiale kurzbis mittelfristig vermutlich am leichtesten im Bereich des motorisierten Individualverkehrs erzielen lassen, indem automatisiertes Fahren eine zusätzliche Komfortfunktion des privaten PKW darstellt. Disruptivere Konzepte, bei denen Nutzen und Teilen statt Besitzen im Kern stehen, treffen weniger klar die Bedürfnisse zumindest der heutigen Bevölkerung, und ein entsprechender Diffusionspfad bedarf insofern vermutlich politischer Weichenstellungen. Wenn automatisiertes Fahren vor allem herkömmliches Autofahren bequemer macht, folgt daraus eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine starke Zunahme des Autoverkehrs mit allen bekannten negativen Folgen. ■ Hinweis zum Fördermittelgeber: Die hier verwendete Literaturbasis und -auswertung wurde zusammengestellt im Rahmen eines Auftrags der wissenschaftlichen Begleitung der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie (MKS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). LITERATUR [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2015): Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren. Leitanbieter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten. http: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ DG/ broschuere-strategie-automatisiertes-vernetztes-fahren.html. Zugriff am 03.08.2017 [2] Gasser TM, Arzt C, Ayoubi M et al. (2012): Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung [3] Continental AG (2013): Continental-Mobilitätsstudie 2013 [4] Fraedrich E, Lenz B (2016): Societal and Individual Acceptance of Autonomous Driving. In: Maurer M, Gerdes JC, Lenz B et al. (eds) Autonomous Driving: Technical, legal and social aspects. Springer Berlin Heidelberg, pp 621-640 [5] Fraedrich E, Lenz B (2016): Taking a Drive, Hitching a Ride: Autonomous Driving and Car Usage. In: Maurer M, Gerdes JC, Lenz B et al. (eds) Autonomous Driving: Technical, legal and social aspects. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg, pp 665-685 [6] Schoettle B, Sivak M (2014): A SURVEY OF PUBLIC OPINION ABOUT AUTONOMOUS AND SELF- DRIVING VEHICLES IN THE U.S., THE U.K., AND AUSTRALIA. Report No. UMTRI-2014-21, Michigan [7] ACV Automobil-Club Verkehr (2015): ACV Akzeptanzstudie: Autonomes Fahren, Köln [8] ADAC (2016): ADAC-Umfrage „Autonomes Fahren“ [9] Continental AG (2015): Continental-Mobilitätsstudie 2015 [10] Fraedrich E, Lenz B (2014): Automated Driving: Individual and Societal Aspects. Transportation Research Record: Journal of the Transportation Research Board 2416: 64-72. doi: 10.3141/ 2416-08 [11] Fraedrich E, Lenz B (2014): Autonomes Fahren - Mobilität und Auto in der Welt von morgen: Ausblick zur Akzeptanz des autonomen Fahrens im Projekt „Villa Ladenburg“ der Daimler und Benz Stiftung. Technikfolgenabschätzung - Theorie und Praxis (23): 46-53 [12] Howard D, Dai D (2014): Public Perceptions of Self-driving Cars: The Case of Berkeley, California. Prepared for the 93rd Annual Meeting of the Transportation Research Board, Berkeley, CA 94720 [13] World Economic Forum/ Boston Consulting Group (2015): Self-driving Vehicles in an Urban Context: Pressemitteilung vom 24.11.2015 [14] DEKRA e.V. (2015): Studie zur Akzeptanz autonomer Fahrzeuge Fahrerloses Reisen in der Zukunft, vor 60 Jahren dargestellt in der Werbebroschüre „America’s Electric Light and Power Companies“. Quelle: Saturday Evening Post, 1957/ The Everett Collection Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 63 Wissenschaft MOBILITÄT [15] Pettersson I, Karlsson IM (2015): Setting the stage for autonomous cars: A pilot study of future autonomous driving experiences. IET Intelligent Transport Systems 9(7): 694-701. doi: 10.1049/ iet-its.2014.0168 [16] Eimler SC, Geisler S (2015: ) Zur Akzeptanz Autonomen Fahrens - Eine A-Priori Studie. In: A. Weisbecker, M. Burmester & A. Schmidt (ed) Mensch und Computer 2015. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Stuttgart, S. 533-540. [17] Simon K, Jentsch M, Bullinger AC et al. (2015): Sicher aber langweilig? : Auswirkungen vollautomatisierten Fahrens auf den erlebten Fahrspaß. Z. Arb. Wiss. 69(2): 81-88. doi: 10.1007/ BF03373944 [18] Ernst & Young GmbH (2013): Autonomes Fahren - die Zukunft des PKW-Marktes? . Was Autofahrer von Fahrzeugen mit Autopilot halten und wie sie über Fahrer-Assistenzsysteme denken [19] The Boston Consulting Group (2015): Revolution in the driver‘s seat: The road to autonomous vehicles, Boston, USA [20] Trommer S, Fraedrich E, Kolarova V et al. (2016): Exploring user expectations on autonomous driving [21] bitkom Research (2017): Autonomes Fahren und vernetzte Mobilität [22] Zmud J, Sener IN, Wagner J (2016): Self-Driving Vehicles Determinants of Adoption and Conditions of Usage. Transportation Research Record(2565): 57-64. doi: 10.3141/ 2565-07 [23] London School of Economics and Political Science (LSE) Consulting, Goodyear (2016): Think Good Mobility: Autonomous vehicles: negotiating a place on the road. A study on how drivers feel about interacting with Autonomous Vehicles on the road [24] Kyriakidis M, Happee R, Winter J de (2015). Public opinion on automated driving: Results of an international questionnaire among 5000 respondents. Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour 32: 127-140. doi: 10.1016/ j.trf.2015.04.014 [25] Alessandrini A, Alfonsi R, Site PD et al. (2014): Users’ Preferences towards Automated Road Public Transport: Results from European Surveys. Transportation Research Procedia 3: 139-144. doi: 10.1016/ j.trpro.2014.10.099 [26] Madigan R, Louw T, Dziennus M et al. (2016): Acceptance of Automated Road Transport Systems (ARTS): An Adaptation of the UTAUT Model. Transportation Research Procedia 14: 2217-2226. doi: 10.1016/ j.trpro.2016.05.237 [27] Krueger R, Rashidi TH, Rose JM (2016): Preferences for shared autonomous vehicles. Transportation Research Part C-Emerging Technologies 69: 343-355. doi: 10.1016/ j. trc.2016.06.015 [28] Detecon Consulting (2016): Autonomes Fahren: Wenn das Lenkrad zur Sonderausstattung wird: Eine empirische Untersuchung der Akzeptanz autonom fahrender Fahrzeuge [29] Schlag B (2016): Automatisiertes Fahren im Straßenverkehr - Automatisiertes Fahren im Straßenverkehr - Offene Fragen aus Sicht der Psychologie. Zeitschrift für Verkehrssicherheit 62(2) Michael Krail, Dr. Competence Center Nachhaltigkeit und Infrastruktursysteme, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Karlsruhe michael.krail@isi.fraunhofer.de Anja Peters, Dr. Competence Center Nachhaltigkeit und Infrastruktursysteme, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Karlsruhe anja.peters@isi.fraunhofer.de Uta Schneider Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Karlsruhe uta.schneider@isi.fraunhofer.de Elisabeth Dütschke, Dr. Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Karlsruhe elisabeth.duetschke@isi.fraunhofer.de 102x297_Int_Verkehrswesen_final.indd 1 14.08.17 13: 55 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 64 MOBILITÄT Wissenschaft Kommunales Engagement im Ausbau von Carsharing für den ländlichen Raum Carsharing, ländlicher Raum, kommunales Engagement, nachhaltige Mobilität, Stakeholder Die qualitative Studie setzt sich mit dem Mobilitätskonzept Carsharing im ländlichen Raum auseinander und beschreibt den gegenwärtigen Stand der Forschung, gefolgt von dem methodischen Ansatz sowie den Ergebnissen der Analyse, die mit einem Logikmodell visualisiert werden. Die Ergebnisse zeigen auf, dass Carsharing über Wachstumspotenzial in ländlichen Gebieten verfügt. Dabei spielen insbesondere die kommunale Unterstützung, Bürgerengagement sowie die Integration potentieller Stakeholder eine Schlüsselrolle bei der Steigerung des Potenzials dieser Mobilitätsform in ländlichen Gebieten. Ann-Kathrin Seemann, Sebastian Knöchel M obilität ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Alltags und eine wichtige Voraussetzung für jegliche Form wirtschaftlichen Handelns. Sowohl der Personenals auch der Güterverkehr sind momentan von großen Veränderungen geprägt: Neben dem Ausbau der Elektromobilität und den Entwicklungen im Bereich autonomes Fahren, zeigen vor allem innovative Mobilitätsdienstleistungen und Geschäftsmodelle, oftmals verbunden mit voranschreitender Digitalisierung, ein hohes Optimierungspotential auf. Die ländlichen Regionen sind dabei im Allgemeinen durch große Herausforderungen im Bereich Mobilität gekennzeichnet, die sich unter anderem auf eine geringe Bevölkerungsdichte und die daraus resultierende Notwendigkeit zum Zurücklegen von großen Wegstrecken zurückführen lassen [1]. Nach Wagner et al. [2] erschweren rückläufige Fahrgastzahlen eine wirtschaftliche bzw. kostendeckende Bereitstellung des ÖPNV. Dies schränkt die ohnehin finanziell belasteten öffentlichen Haushalte und somit die Finanzierung der Infrastruktursysteme weiter ein, so dass sich die Aufrechterhaltung einer bedarfsgerechten Infrastruktur in den Bereichen Mobilität, Gesundheit und Digitalisierung in vielen ländlichen Bereichen Deutschlands zu einer ernstzunehmenden Herausforderung entwickelt [3]. In den letzten Jahren kam es zu einer stetigen Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Parallel dazu entdecken viele Menschen die Möglichkeit und die daraus resultierenden Vorteile, verschiedene Dinge gemeinschaftlich zu teilen, statt diese alleinig zu besitzen. Die gesteigerte Akzeptanz der sogenannten „sharing economy“, kombiniert mit der Entwicklung neuer Technologien, eröffnet neue Möglichkeiten zur Organisation der persönlichen Mobilität [4]. Durch die Auseinandersetzung mit nachhaltigen und bedarfsgerechten Mobilitätslösungen wie Carsharing, soll langfristig auch im ländlichen Raum eine Verhaltensänderung im Sinne von individueller Mobilität ohne Kraftfahrzeuge in Privatbesitz erzielt werden [5]. Lindloff et al. [6] identifizieren die politischen Akteure als wesentliche Treiber für den Ausbau von Carsharing. Cohen und Kietzmann [7] untersuchen in ihrer Studie, welche Form der Zusammenarbeit zwischen Carsharing-Betreibern und lokalen Kommunalverwaltungen eine nachhaltige Mobilität erreichen kann. Gerade in ländlichen Regionen können kommunale Akteure individuelle und an den lokalen Bedarf angepasste Mobilitätslösung basierend auf dem Carsharing-Ansatz installieren [8]. Ziel dieser Arbeit ist es, den Forschungsstand zu Carsharing in ländlichen Regionen zu erweitern, indem der Fokus darauf gelegt wird, wesentliche Treiber dieser Mobilitätsform in ländlichen Regionen zu erkennen, Hemmnisse zu identifizieren, Potentiale abzuleiten sowie mögliche Handlungsoptionen aufzuzeigen. Zudem soll geklärt werden, welche Gründe dafür sprechen Carsharing in ländlichen Regionen zu förden. Studiendesign Als Untersuchungsgegenstand für die vorliegende Studie dienen ländliche Regionen in Deutschland, insbesondere in Baden-Württemberg. Für die Analyse wurden Kommunen als Untersuchungsgenstand ausgewählt, die nach der OECD-Definition [9] in den ländlichen Raum einzuordnen sind. Um eine repräsentative Aussage treffen zu PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 29.05.2017 Endfassung: 31.07.2017 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 65 Wissenschaft MOBILITÄT können, wurden über das ganze Bundesgebiet 20 semistrukturierte Experteninterviews durchgeführt. Diese Vorgehensweise ermöglicht einen freien und uneingeschränkten Dialog mit allen Stakeholdergruppen bezüglich deren Einschätzungen zur Thematik von Carsharing im ländlichen Raum [10]. Hierbei wurden 20 Carsharing-Anbieter und Kommunen hinsichtlich alternativer Mobilitätsmöglichkeiten in ländlichen Regionen über den Zeitraum September bis Dezember 2015 befragt, die bereits Erfahrungen mit Carsharing-Systemen im ländlichen Raum sammeln konnten. Beide Gruppen von Stakeholdern verfügen folglich über spezifisches Expertenwissen, welches sie zu wichtigen Interviewpartnern macht, da es sich hierbei um die zentralen Akteure beim Ausbau von Carsharing-Systemen handelt. Befragte Gruppierung N Carsharing-Anbieter (bundesweit) 10 Kommunen (Fokus Baden-Württemberg) 10 Insgesamt 20 Tabelle 1: Übersicht Experten-Interview Ergebnisse Carsharing im ländlichen Raum - Einschränkungen im Vergleich zum urbanen Raum Nach der Einschätzung der etablierten und kommerziell betriebenen Carsharing-Anbieter gelten ländliche Regionen im Gegensatz zu städtischen als schwieriges Geschäftsfeld. Ein gut ausgebauter ÖPNV sowie eine hohe Bevölkerungsdichte stellen die beiden wesentlichen Voraussetzungen für einen Erfolg von Carsharing dar und sind in ländlichen Regionen nicht gegeben. Darüber hinaus entstehen für die Betreiber hohe Kosten durch den Ausbau der benötigten Vertriebsinfrastruktur. Kann hierbei der aus urbanen Regionen gewohnte Qualitätsstandard nicht garantiert und aufrecht erhalten werden, befürchten vor allem die etablierten überregionalen Betreiber einen Reputationsverlust, der für das Geschäftsmodell langfristige Schäden nach sich ziehen könnte. Nach den Aussagen der befragten Betreiber kann Carsharing demnach auf dem Land eher stationsbasiert etabliert werden, jedoch müssen die Stellplätze auch hier strategisch sinnvoll gewählt werden, um eine möglichst hohe Frequentierung garantieren zu können. Zumeist sind Standorte an Bahnhöfen oder andere zentrale „Points of Interest“ in den jeweiligen Ortskernen sehr gut geeignet [2]. Vernetzung und Integration in den ÖPNV Laut sämtlichen Interviewpartner kann Carsharing als kommunale Mobilitätsdienstleistung im Idealfall dazu dienen, vorhandene Angebotslücken im ÖPNV sowie zwischen dem öffentlichen Nahverkehr und dem Individualverkehr zu schließen. So können in ländlichen Regionen sogenannte Mobilitätshubs geschaffen werden, an denen der ÖPNV auf Carsharing trifft und eine schwellenlose intermodale Mobilität ermöglicht. Weiter kann Carsharing in Verbindung mit anderen Formaten wie bspw. Bürger- oder Rufbussen einen nichtausgelasteten Linienverkehr ersetzen. Diese bedarfsorientierte Mobilität kann dabei helfen, Kosten im ÖPNV einzusparen, da Ressourcen zielgerichtet dort eingesetzt werden, wo sie benötigt werden. Nach den Experten liegt das Ziel des Ausbaus von Carsharing im ländlich Raum darin, den Bürgern durch die Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs mit zusätzlichen Dienstleistungsangeboten ein möglichst breit aufgestelltes Angebot und eine hohe Integration aller zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel zu bieten und damit zu einer gesteigerten Attraktivität der Kommune beizutragen. In Verbindung mit IT-Applikationen entsteht dadurch eine qualitativ hochwertige und verknüpfte Mobilitätsdienstleistung, die wiederum in überregionale Systeme integriert werden kann. Das Smartphone dient hierbei als Schnittstelle für die unterschiedlichen Verkehrsträger und trägt in koordinierender Form zum Gelingen der lokalen Mobilitätskette bei. Rolle der Kommunen und potentielle Kooperationspartner Förderung als Starthilfe Die Auswertung der Interviews zeigt, dass die Einführung und Förderung von Carsharing in ländlichen Regionen stark politisch motiviert ist und die Gemeinden dabei als Treiber des jeweiligen lokalen Projekts fungieren. Für die befragten Interviewpartner stellen die Bürgermeister eine zentrale Entscheidungsinstanz dar. Ist der jeweilige Amtsinhaber Carsharing gegenüber aufgeschlossen und erkennt mögliche Potentiale, so wirkt sich dies positiv auf den Ausbau der Mobilitätsform in der jeweiligen Kommune aus. Hull [11] und Daley et al. [12] bestätigen dies in ihren Studien. Kooperation als Grundlage einer besseren Auslastung Um bedarfsgerechte und bürgerfreundliche Mobilitätslösungen zu generieren, sind nach Meinung aller Interviewpartner die Kommunen auf lokale Partner angewiesen. Nur durch eine gezielte Zusammenarbeit können Potentiale des Carsharing besser ausgeschöpft und zugleich die Kosten für die betreffenden Kooperationspartner gesenkt und nutzungsorientiert verteilt werden. Die so entstehenden Mobilitätsformen bilden dementsprechend eine auf die lokalen Gegebenheiten individuell entwickelte Mobilitätslösung ab und sind folglich nicht automatisch auf andere Gebietskörperschaften übertragbar. Aus den Interviews geht eine Vielzahl an möglichen Kooperationspartnern für die Kommunen hervor. Ortsansässige Unternehmen, kommunale Partner wie Stadtwerke und Sparkassen, der ÖPNV, (Sport-) Vereine, soziale Einrichtungen und sonstige Akteure sind entweder direkt im Carsharing-Programm integriert, d.h. ihre Mitarbeiter oder Mitglieder können die Angebote (vergünstigt) nutzen oder die jeweiligen Akteure verfügen über ein fixes Zeitkontingent für vereinzelte Fahrzeuge, wodurch eine gewisse Grundauslastung gewährleistet ist. Zugleich nutzen Gemeinden die betreffenden Fahrzeuge auch für interne Dienstzwecke, wodurch sie ihren eigenen Fuhrpark reduzieren oder sogar ganz ersetzen können. Weiteres Wachstum könnte laut den befragten Carsharing-Betreibern mit „corporate carsharing“ erschlossen werden. Bei diesem Konzept verzichten Firmen auf kostspielige Fuhrparks und nutzen stattdessen die Car- Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 66 MOBILITÄT Wissenschaft sharing-Angebote der lokalen Betreiber. Aus Sicht der Gesprächspartner kann die Bereitstellung von Carsharing die Attraktivität einer Kommune als Standort steigern und dadurch dazu beitragen, den Arbeitnehmern in der Region den Arbeitsweg zu erleichtern. Kommunale Organisation von Carsharing Neben der kompletten Übertragung der Mobilitätsdienstleistung auf einen externen Partner, existieren noch weitere Organisationsformen, in denen die Kommunen eine unterschiedlich stark ausgeprägte Rolle spielen. So betreiben manche Kommunen die Organisation des Carsharing in Eigenregie und greifen nur auf die Flotte eines überregionalen Carsharing-Anbieters zurück. Die kommunalen Interviewpartner verweisen diesbezüglich auf unterschiedliche Erfahrungen. Die mangelnde Flexibilität der Projektpartner, die für eine individuelle und bedarfsgerechte Lösung essentiell ist sowie die langwierigen Wartungsprozesse der Fahrzeuge werden dabei als negativ bewertet. Hier wären aus ihrer Sicht lokale Partner erwünscht, um einerseits schnell agieren zu können und andererseits die lokale Wertschöpfung zu steigern. Die Interviewergebnisse zeigen allerdings Schwierigkeiten für kleine ortansässige Firmen auf, die hohen Investitionen für eine betreffende Flotte zu tragen. Oftmals betreiben die Kommunen daher ihr Mobilitätskonzept komplett in Eigenregie, d.h. sie koordinieren das Carsharing, stellen die Fahrzeugflotte bereit und sind auch für ihre Wartung zuständig. Fazit Die Ergebnisse zeigen, dass die Mobilitätsform Carsharing auch in ländlichen Regionen über weiteres Wachstumspotential verfügt. Zentraler Erkenntnisgewinn der Studie ist die wesentliche Rolle von kommunaler Unterstützung, Bürgerengagement sowie die Integration potentieller Stakeholder, um das Potential dieser Mobilitätsform im ländlichen Raum zu steigern. Die kommunale Unterstützung entspringt hierbei vor allem dem Wunsch nach umwelt- und bürgerfreundlichen Mobilitätslösungen, aus der Möglichkeit zum Schließen von Versorgungslücken und eventuellen Kosteneinsparungen, aber auch aus Gründen des kommunalen Marketings sowie der Schaffung von Vorteilen im überregionalen Standortwettbewerb. Ferner ist der Ausbau von Carsharing in vielen Regionen politisch gewollt und speziell die Bürgermeister spielen bei der Projektinitiierung eine bedeutende Rolle. Weiter kann gezeigt werden, dass die auf den jeweiligen Bedarf ausgerichteten Nutzungsformen einen wesentlichen Faktor für den Erfolg von Carsharing in den ländlichen Regionen darstellen. Dies bedeutet für die Praxis, dass eine reale Einschätzung des Bedarfs für die betreffende Gemeinde essentiell ist und sich dieser Aspekt auch in der jeweiligen Organisationsform widerfinden muss. Es gilt demnach die Potentiale zu erkennen und abzuschöpfen, wobei die ortsansässigen Unternehmen miteingebunden werden sollten, um weitere standortbezogene Wertschöpfungsvorteile zu generieren. Des Weiteren besteht die Notwendigkeit, die Vernetzung mit dem betreffenden ÖPNV weiter voranzutreiben. Zum besseren Verständnis und Gesamtüberblick werden die Studienergebnisse in einem ergebnisorientierten Logic-Model (Bild 1) dargestellt. Hierbei handelt es sich um ein grafisches Wirkungsmodell zur Veranschaulichung des linearen Zusammenhangs von Ursache und Wirkung einer Maßnahme oder eines Programms. Es werden die Beziehungen zwischen den Ressourcen, Ak- Bild 1: Ergebnisorientiertes Logic-Model zur Stakeholder-Analyse Output Umwelt- und bürgerfreundliche am lokalen Bedarf ausgerichtete Mobilitätslösung Hemmnisse: disperse Siedlungsstrukturen, Kosten, Kundeneinstellung (Präferenzen und Werte) Input Individuelle (Bürger) Ressourcen: • Zeit • Mobilitätsbedürfnisse • Kapital (Tickets) • Bürgerengagement Ressourcen kommunaler Unternehmen & Partner • Mobilitätsbedürfnisse der Angestellten • Kapital / Lokales Engagement • Betriebliches Mobilitätsmanagement Kommunale Ressourcen: • Kapital • Personal • Kommunale Unterstützung (Wirtschaftsförderung) • Inter- und Intrakommunale Zusammenarbeit Staatliche Ressourcen: • Kapital (Fördergelder, Finanzierung ÖPNV) • Träger ÖPNV • Ausschreibung • Daseinsvorsorge Aktivitäten Schließung von Versorgungslücken Potentialeinschätzung für betreffende Gemeinde Transparente Darstellung der lokalen Mobilitätsbedürfnisse Projektinitiierung (Bürgermeister oder Graswurzelbewegung) Bürgerbeteiligung Bürgerengagement Einbinden der lokalen Partner Wahl der passenden Organisationsform Lokale Planungsplattform Kommunale Unterstützung Aufklärungsarbeit & Kampagne Mittelfristiger Outcome Ressourceneinsparung Ausbau Ladeinfrastruktur für e-Fahrzeuge Verminderte Verkehrsbelastung Reduzierung PKWs Sicherstellung der Daseinsvorsorge Langfristiger Outcome Verbesserung Vernetzung ÖPNV & Digitalisierung Lokales und individuelles Verkehrskonzept Flächendeckendes Carsharing Dreidimensionale Nachhaltigkeit Stadtbezogene Wertschöpfungskette Verändertes Konsumentenverhalten (an Mobilität angepasst) Reduzierung 2. und 3. Wagen Positives Stadtmarketing & Standortvorteil Hemmnisse Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 67 Wissenschaft MOBILITÄT tivitäten und Ergebnissen des betreffenden Evaluationsobjekts aufgezeigt. In diesem Fall fasst das Modell alle Akteure, Prozesse und Resultate zusammen, die wesentlich bei der Implementierung von Carsharing im ländlichen Raum sind. Sämtliche Stakeholder in den jeweiligen Kommunen, wie beispielsweise Bürger, kommunale Unternehmen, Kommunalverwaltung sowie Land oder Bund, sind in unterschiedlicher Form am betreffenden Carsharing-Projekt beteiligt. Die Akteure bringen ihre Ressourcen im Entstehungsprozess ein und liefern somit wichtigen Input für das Projekt. Die daraus resultierenden Aktivitäten können als Bausteine für die weitere Projektplanung und -durchführung eingeordnet werden. Neben diesen Aktivitäten wurden jedoch auch Hemmnisse identifiziert. Geographische Gegebenheiten sowie insbesondere Kosten und Kundenbedürfnisse bilden im ländlichen Raum große Herausforderungen für die Etablierung eines erfolgreichen Carsharing-Systems. Kann der Einfluss dieser negativen Störfaktoren minimiert werden, entsteht als Output eine umwelt- und bürgerfreundliche, am lokalen Bedarf ausgerichtete Mobilitätslösung. Dies hat wiederum Auswirkungen, die als mittelfristiger und finaler Outcome bezeichnet werden. Unter mittelfristigem Outcome wurden kurz- und mittelfristige Folgen durch die Einführung eines lokalen Carsharing-Systems identifiziert, wie beispielsweise die Reduzierung von PKWs oder eine bessere Ressourcenverwendung. Als finaler Outcome sind die langfristigen Ziele und Auswirkungen von Carsharing zu betrachten, wie beispielsweise ein verändertes Mobilitätsverhalten oder ein positives Stadtmarketing. Sofern es gelingt sämtliche Ressourcen und die damit verbunden lokalen Akteure in das betreffende Carsharing-Projekt einzubinden, verfügt Carsharing durchaus über Potential im ländlichen Raum und kann zu einer Reihe positiver Neben- und Synergieeffekte führen. Die Aussagekraft der Studie unterliegt einigen Limitationen. Durch das qualitative Studiendesign wird die prognostische Funktion der Untersuchung eingeschränkt. Die erläuterten Ergebnisse und Theorien spiegeln daher einen stark kontextbezogenen Charakter wider. Unterschiedliche lokale Herausforderungen wie bspw. topographische Bedingungen, wurden in der Analyse nicht weiter berücksichtigt, zudem verfügt die Studie über keine Daten bezüglich der tatsächlichen Auslastung der Fahrzeuge. Aus diesem Grund sollten sich zukünftige Forschungsanstrengungen darauf konzentrieren zu analysieren, • welche Maßnahmen Kommunen ergreifen um eine höhere Auslastung der lokalen Carsharing-Flotte zu generieren; • inwiefern sich die Einstellung zum Carsharing und das Mobilitätsverhalten der Bewohner einer Kommune nach der Einführung eines lokalen Carsharing- Projekts verändert hat; • wie ortsansässige Partner und Unternehmen auf Carsharing-Projekte reagieren; • inwiefern sich mögliche Veränderungen der äußeren Rahmenbedingungen auf das kommunale Carsharing-Projekt auswirken; z.B. die Abwahl eines Bürgermeisters, der als treibende Kraft hinter einem lokalen Carsharing-Projekt steht, oder die Kürzung von Fördergeldern. ■ LITERATUR [1] Küpper, P. (2011). Auf dem Weg zu einem Grundangebot von Mobilität in ländlichen Räumen: Probleme, Ursachen und Handlungsoptionen. Arbeitsberichte der ARL: Aufsätze, 152-168. [2] Wagner, A., Hollbach-Grömig, B., & Langel, N. (2012). 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Sebastian Knöchel, M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Abteilung für Public und Non-Profit Management, insbesondere Verkehr/ Logistik und Öffentliche Wohnungswirtschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sebastian.knoechel@vwl.uni-freiburg.de Ann-Kathrin Seemann, JProf. Dr. Juniorprofessorin für die Abteilung für Public und Non-Profit Management, insbesondere Verkehr/ Logistik und Öffentliche Wohnungswirtschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ann-kathrin.seemann@vwl.uni-freiburg.de Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 68 MOBILITÄT Wissenschaft Auswirkung vollautomatisierter PKWs auf die Verkehrsmittelwahl Autonomes Fahren, Selbstfahrtechnik, Verkehrsmittelwahl, Self-Driving Cars, Shared Autonomous Vehicles Das autonome Fahren wird die Mobilität revolutionieren. Um die Auswirkung der Vollautomation auf die Eigenschaften der Verkehrsmittel und die Präferenzen der Nutzer besser zu verstehen, haben wir die Nutzenwerte neuen Verkehrsmodi im Vergleich zu den bestehenden Verkehrsmodi analysiert und im Rahmen einer Online-Umfrage von potentiellen Nutzern in Form eines vollständigen Paarvergleichs bewerten lassen. Die Studie zeigt, dass der Privat-PKW, unabhängig davon ob traditionell oder vollautomatisiert, zwar nach wie vor das präferierte Verkehrsmittel ist, im direkten Vergleich das Carsharing jedoch viel stärker von der Vollautomation profitiert. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass das vollautomatisierte Carsharing verstärkt in Konkurrenz zum ÖPNV tritt. Sebastian Wödl, Christina Pakusch, Paul Bossauer, Gunnar Stevens D ie Auswirkung autonomer Systeme auf das Alltagsleben der Menschen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Dies wird aktuell kaum so stark diskutiert wie beim Thema des autonomen Fahrens. Allgemein wird darunter das selbstständige, zielgerichtete Fahren eines Fahrzeugs im realen Verkehr ohne Eingriff des Fahrers verstanden (Maurer et al., 2015). Entsprechend dem J3016-Standard (SAE International, 2016) lassen sich hier sechs Stufen der Automatisierung unterscheiden: keine Automation, Assistenzsysteme, Teilautomatisierung, Bedingte Automatisierung, Hochautomatisierung und als letzte Stufe die Vollautomatisierung. In dieser letzten Stufe soll das Fahrzeug vollständig vom Computer kontrolliert und notfalls in den „risikominimalen Systemzustand“ (z. B. zum Stillstand) gebracht werden. Bis zur Vollautomation kommt der Gestaltung der Kontrollübergabe eine wichtige Rolle zu (Walch et al., 2015). Die führenden Automobilhersteller und IT-Konzerne im Bereich des autonomen Fahrens gehen jedoch aktuell davon aus, dass innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre die Vollautomation Serienreife erlangen könnte. Hierdurch werden auch neue, innovative Vehicle-on-Demand Dienste, (Fagnant & Kockelman, 2014; Foljanty & Duong, 2016; Pakusch et al., 2016), wie selbstfahrende Taxis bzw. selbstfahrende Carsharing-Dienste möglich. Verschiedene Autoren erwarten hierdurch eine signifikante Reduzierung des Privat-PKWs, begleitet mit einem starken Anstiegs des Carsharing-Einsatzes (Fagnant et al., 2015). Neben der technischen Machbarkeit spielen ethische und rechtliche Aspekte (Riek & Howard, 2014) sowie die Nutzerakzeptanz eine wichtige Rolle. So zeigen verschiedene Studien, dass die Mehrheit der Bevölkerung im Allgemeinen positiv gegenüber autonomen Autos eingestellt ist und sich vorstellen kann, sie zu kaufen und/ oder zu nutzen (Payre et al., 2014; Rödel et al., 2014). Dabei erhöht sich die Akzeptanz, wenn die Benutzer die Möglichkeit haben, die Kontrolle über das Auto zu übernehmen und selbst steuern zu dürfen (EY, 2013). Ferner spielen Alter, Geschlecht, sowie Vorerfahrung mit teilweise autonomen Autos eine Rolle (Pakusch & Bossauer, 2017; Nordhoff, 2014; Rödel et al., 2014). Gleichzeitig berichten Studien, dass sich Nutzer um Datenschutz, allgemeine Sicherheit und rechtliche Haftungsfragen sorgen (Howard & Dai, 2014). Die Verkehrsmittelwahl hängt zudem stark davon ab, welche Alternativen dem Nutzer zur Verfügung stehen (Knapp, 2015). Um ein besseres Verständnis für die Auswirkung der Vollautomation auf das künftige Verkehrsverhalten zu bekommen, haben wir eine Online-Umfrage zur Verkehrsmittelwahl unter Einbezug des autonomen Fahrens durchgeführt, deren Ergebnisse im Folgenden vorgestellt werden sollen. Verkehrsmittelwahl Unter Alltagsmobilität versteht man „jede Ortsänderung außerhalb der eigenen Wohnung, die im Zusammenhang mit den dem Alltagsleben zuzuordnenden Aktivitäten von Personen steht“ (Gorr, 1997). Sie ist Voraussetzung dafür, dass bestimmte Aktivitäten überhaupt erledigt werden können - wie z. B. zur Arbeit fahren, Einkaufen gehen, Freunde treffen, etc. Dafür stehen verschiedene Verkehrsmittel bzw. Transportdienstleistungen (kurz: Verkehrsmodi) zur Verfügung, aus denen das Individuum wählen kann, um seinen Mobilitätsbedarf zu befriedigen. Hierbei wurden eine Reihe von Faktoren identifiziert (Gorr, 1997; Knapp, 2015; Stock & Bernecker, 2014), welche die Verkehrsmittelwahl beeinflussen - u. a. demographische und sozioökonomische Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 69 Wissenschaft MOBILITÄT Faktoren wie Alter, Geschlecht und Einkommen, psychographische Faktoren wie Werte und allgemeine Einstellung z. B. zum Umweltschutz, geographische Faktoren wie Wohn- und Zielort und auch situative Faktoren wie Fahrtzweck und Tageszeit spielen eine Rolle. Daneben weisen die Verkehrsmodi verschiedene Charakteristika auf, die deren Attraktivität bestimmen. Diese Charakteristika lassen sich nach Stock und Bernecker (2014) zu acht Kategorien zusammenfassen: Sicherheit: Die wahrgenommene Sicherheit spielt eine Rolle bei der Verkehrsmittelwahl, wobei die Wahrnehmung sich nicht unbedingt in den Unfallstatistiken widerspiegeln muss. Durchgängigkeit: Ein Verkehrsmodus sollte den Nutzer ohne Unterbrechung vom aktuellen Aufenthaltsort zu seinem Zielort bringen. Umstiege, aber auch das Aufsuchen von Einstiegs- und Ausstiegs-Orten vermindern die Qualität des Verkehrsmodus. Reisezeit: Zeit ist eine kostbare Ressource. Deshalb stellt die durchschnittliche Reisezeit eines Verkehrsmodus ein wichtiges Entscheidungskriterium dar. Verfügbarkeit: Die Möglichkeit, unabhängig von Dritten selbst über Abfahrtszeit, Geschwindigkeit und Route bestimmen zu können, stellt ein hohes Gut dar. Reisekosten: Ein weiter Faktor sind die wahrgenommenen Kosten. Ein Vergleich der wahren Kosten wird dabei durch verschiedene Tarifsysteme, leistungsbezogene Kosten und Fixkosten etc. erschwert. Transport von Gepäck: Der Transport von Gepäck und Gütern wird durch die Gestaltung, Auslastung und Vorschriften unterschiedlich gut unterstützt und beeinflusst so die Verkehrsmittelwahl. Reisegenuss: Neben pragmatischen Qualitäten spielen auch Komfort, Fahrspaß und Behaglichkeit sowie das Erleben der Reisestrecke eine Rolle bei der Verkehrsmittelwahl. Zertifikatserfordernis: Mangelnde Fahrkompetenz bzw. der Nachweis der Kompetenz durch Zertifikate kann insbesondere für Jüngere, Ältere, Behinderte und Ärmere die Verkehrsmittelwahl beeinflussen bzw. einschränken. Ein bestimmter Verkehrsmodus wird dann präferiert, wenn es entsprechend seiner Charakteristika erstens die Anforderungen der Mobilitätsaufgabe erfüllt (notwendiger Nutzenwert) und zweitens im Vergleich zu den anderen zur Wahl stehenden Verkehrsmodi einen höheren Nutzen verspricht (relativer Nutzenwert) (Gorr, 1997). D. h. beim relativen Nutzenwert sind weniger die absoluten Eigenschaften (absolute Kosten, absolute Sicherheit, etc.) entscheidend, sondern wie diese im Verhältnis zu den anderen Verkehrsmodi stehen. In der Regel gibt es zur Befriedigung der Alltagsmobilität einen präferierten Hauptverkehrsmodus, auf den man routinemäßig zurückgreift (Gorr, 1997). Bei Kurzstrecken wird dabei häufig in Betracht gezogen, diese zu Fuß oder per Fahrrad zu erledigen. Bei längerer Strecke wird im Alltag von den meisten Personen der Privat- PKW bevorzugt, gefolgt vom öffentlichen Personenverkehr (dpa. (n.d.)., 2015). Daneben ist die Beliebtheit von Carsharing in den letzten Jahren stark gestiegen (Witzke, 2015). Durch das autonome Fahren wird diese Auswahlmöglichkeit durch die vollautomatisierten Varianten des Privat-PKWs und des Carsharings vergrößert. Deshalb soll im Folgenden abschätzt werden, wie sich diese technische Innovation auf die Charakteristika und den relativen Nutzenwert der neuen Verkehrsmodi auswirken könnte. Vollautomatisierter Privat-PKW Als erstes Betrachten wir hierzu den vollautomatisierten Privat-PKW. Hierbei gehen wir insbesondere auf die relativen Veränderungen in Bezug zum klassischen Privat- PKW ein. Sicherheit: Statistiken zeigen, dass bezogen auf den Personenkilometer das Unfallrisiko beim PKW größer als mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist. Laut Statistisches Bundesamt (2016) sind 88% der Unfälle mit Personenschäden auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund wird allgemein davon ausgegangen, dass die Vollautomatisierung die Sicherheit im Straßenverkehr erhöht (Rödel et al., 2014). Hinsichtlich der wahrgenommenen Sicherheit zeigen Studien jedoch, dass Befragte sich meist für die besseren Fahrer halten und in Bezug auf die Vollautomatisierung noch große Unsicherheiten bestehen (Eimler & Geisler, 2015). Durchgängigkeit: Ein großer Vorteil des Privat-PKWs gegenüber dem ÖPNV besteht darin, dass man durchgängig, d.h. ohne umzusteigen, zum Zielort fahren kann. Einzig das Aufsuchen bzw. das Finden eines Parkplatzes verringert die Durchgängigkeit des PKWs. Dies verbessert sich durch die Vollautomatisierung. Das vollautomatisierte Fahrzeug kann den Fahrgast direkt vor der Haustür abholen, am Zielort rauslassen, um anschließend eigenständig zu einem Parkplatz in der Nähe zu fahren. Verfügbarkeit: Es ist von der gleichen, hohen Verfügbarkeit wie bei heutigen PKWs auszugehen. Reisezeit: Es wird keine große Veränderung gegenüber der heutigen Fahrzeit von PKWs erwartet. Reisekosten: Langfristig wird die Selbstfahrtechnik zum Standard gehören und die Fahrzeuge nicht teurer sein als heute (Fagnant et al., 2015). Gepäcktransport: Es gibt situationsbedingte Verbesserungen, wenn der Nutzer das Fahrzeug nicht mit seinem Gepäck aufsuchen muss, sondern vom vollautomatisierten PKW abgeholt wird. Reisegenuss: Die Vollautomatisierung befreit Insassen von der Fahraufgabe, sodass sie anderen Tätigkeiten nachgehen können. Dies kann die Quality of Time stark verbessern und den Fahrkomfort steigern. Studien wie (EY, 2013) zeigen jedoch, dass einige Befragte Angst haben, dass durch die Vollautomatisierung der Spaß am Fahren sinkt, und die Option begrüßen, das Steuer selbst übernehmen zu können. Zertifikatserfordernis: Gegenüber dem heutigen Privat-PKW erlaubt die Vollautomatisierung auch Menschen ohne Fahrerlaubnis oder mit eingeschränkter Fahrkompetenz, das Verkehrsmittel zu nutzen. Vollautomatisiertes Carsharing Im Folgenden sollen die Veränderungen der Vollautomatisierung auf das Carsharing diskutiert werden. Sicherheit: Durch die Übernahme der Fahraufgabe durch einen Computer findet eine ähnliche Steigerung der Sicherheit wie beim Privat-PKW statt. Carsharing- Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 70 MOBILITÄT Wissenschaft Nutzer sind i.d.R. jedoch Wenigfahrer (Witzke, 2015). Deshalb könnte man annehmen, dass sich diese Personengruppe beim Fahren unsicherer fühlt und deshalb die Verringerung des Unfallrisikos durch die Vollautomatisierung besonders schätzt. Durchgängigkeit: Personen, die Carsharing bisher nicht nutzen, bemängeln die Durchgängigkeit beim heutigen Carsharing (Witzke, 2015), da der Nutzer beim stationsbasierten Carsharing zunächst zu einer Carsharing- Station gelangen und das Fahrzeug wieder bei festgelegten Station abstellen muss bzw. beim free-floating Carsharing zum Abstellort gelangen und das Fahrzeug in festgelegten Stadtgebieten abstellen muss. Deshalb ist Carsharing heute meist nur in Städten mit einem gut ausgebauten ÖPNV attraktiv. Im Vergleich zum ÖPNV und klassischen Carsharing wird bei der Vollautomatisierung die Durchgängigkeit durch das eigenständige Abholen und Parken stark verbessert. Verfügbarkeit: Modellsimulationen gehen davon aus, dass durch die automatische Relokation und das automatische Abholen die Verfügbarkeit stark erhöht wird, sodass der Nutzer im Schnitt weniger als eine Minute auf ein Fahrzeug warten muss (Fagnant et al., 2015). Dadurch gewinnt das vollautomatisierte Carsharing bei den Nutzenwerten stark gegenüber der klassischen Variante sowie dem ÖPNV und verringert den Abstand zum Privat-PKW. Jedoch ist die wahrgenommene Verfügbarkeit immer noch geringer, da nicht garantiert werden kann, dass das Auto jederzeit abfahrbereit vor der Tür steht, sondern mit einer variierenden Anfahrtszeit gerechnet werden muss. Reisezeit: Gegenüber dem heutigen Carsharing verkürzt sich durch die hohe Durchgängigkeit auch die Fahrzeit, da der Nutzer nicht erst (mit dem ÖPNV) zum Abholort gelangen muss. Die reine Fahrzeit wird somit ähnlich der mit einem (vollautomatisierten) Privat-PKW sein, zuzüglich der genannten Wartezeit. Reisekosten: Die Vollautomatisierung erlaubt eine effiziente Relokation der Fahrzeuge und infolgedessen auch eine höhere Auslastung. Dies führt zu sinkenden Kosten gegenüber dem klassischen Carsharing. Gepäcktransport: Es werden keine großen Veränderungen zum heutigen PKW erwartet. Jedoch ergibt sich zum heutigen Carsharing der Unterschied, dass der Nutzer das Gepäck nicht zur Abholstation tragen muss. Damit bietet das vollautomatisierte Carsharing-Fahrzeug den gleichen Komfort wie der (vollautomatisierte) Privat-PKW. Reisegenuss: Es ist mit den gleichen Eigenschaften wie beim vollautomatisierten Privat-PKW zu rechnen. Jedoch haben Carsharing-Nutzer oft ein eher pragmatisches Verhältnis zum Fahren (Witzke, 2015), weshalb die Befreiung von der Fahraufgabe wahrscheinlich eher positiv empfunden wird. Zertifikatserfordernis: Wie beim Privat-PKW hat die vollautomatisierte Variante den Vorteil gegenüber dem heutigen Carsharing, dass der Nachweis der Fahrkompetenz entfallen kann. Methodologie Zur Untersuchung der Auswirkung der Vollautomation auf die Verkehrsmittelwahl wurde eine Online-Umfrage durchgeführt, deren Fragebogen aus drei Teilen bestand: Zunächst wurden allgemeine Informationen zur Person und dem aktuellen Mobilitätsverhalten abgefragt. Im zweiten Teil wurde den Teilnehmern ein Video 1 angeboten, das mit dem autonomen Fahren allgemein und in Gestalt von vollautomatisierten Carsharing vertraut machen sollte. Der letzte Teil bestand aus einem vollständigen Präferenzbzw. Dominanzpaarvergleich (Bortz & Döring, 2013). Hierzu musste der Befragte bei zehn Paaren, bei denen jeweils zwei Verkehrsmodi angezeigt wurden, das jeweils präferierte Hauptverkehrsmittel auswählen. Als Hilfestellung wurde eine kurze Erläuterung der einzelnen Merkmale des Verkehrsmodus präsentiert (vgl. Bild 1). Die Erläuterung basierte dabei auf der oben dargelegten, literaturgestützten Analyse der Verkehrsmodi. Der Fragebogen wurde in Pre-Tests auf Verständlichkeit geprüft und entsprechend überarbeitet. Anschließend wurde die Befragung in verschiedenen sozialen Netzwerken und Onlineplattformen beworben und vom 16.12.2016-16.01.2017 freigeschaltet. Insgesamt wurde die Umfrage von 277 Teilnehmern vollständig ausgefüllt. Die Teilnehmer waren zu 45,1 % männlich und 54,9 % weiblich. Das Durchschnittsalter der Befragten liegt bei 28,7 Jahren, 68,6 % von ihnen leben in der Stadt, 31,4 % auf dem Land. Von den 277 Befragten besitzen 97,1 % eine Fahrerlaubnis, 67,8 % einen eigenen PKW und 51,6 % ein Langzeitticket für den ÖPNV. Das Bildungsniveau der Stichprobe ist recht hoch (91,9 % mit Hochschulreife, 7,6 % mit mittlerer Reife). Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse der einzelnen Paarvergleiche sind in der Präferenzmatrix zusammengefasst (Tabelle 1). Die Beurteilungen der Teilnehmer sind konsistent. Der mittlere Konsistenzkoeffizient der Paarvergleichsurteile beträgt 0,95 % (Bortz & Döring, 2013); der Großteil der Befragten hat also eine bewusste oder unbewusste individuelle Präferenzordnung. Der Wert einer Zelle gibt dabei an, wie häufig der Verkehrsmodus in der Spalte gegenüber dem Verkehrsmodus in der Zeile bevorzugt wurde. So besagt z. B. der Wert 176 bzw. 63,5 %, dass der Privat- PKW von 176 Befragten, also 63,5 %, gegenüber dem ÖPNV bevorzugt wurde. Die Werte sind fettgedruckt, wenn die Nutzerpräferenz größer 50 % ist. Ein Stern markiert, wenn der Wert entsprechend eines rechtseitigen Binomialtests signifikant ist (p-Wert< 0.05). Zur Bestimmung des Rangs wurde die Spaltensumme der Paar- Bild 1: Paarvergleich in der Online-Umfrage Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 71 Wissenschaft MOBILITÄT vergleiche gebildet und nach ihrer Größe geordnet (Bortz & Döring, 2013). Die Ergebnisse zeigen, dass ein relativ hoher Anteil der Teilnehmer (36,5 %) den ÖPNV gegenüber dem Privat-PKW bevorzugt. Dies kann damit erklärt werden, dass das urbane, studentische Milieu überproportional in der Stichprobe vertreten ist, bei dem die Präferenz für ÖPNV u. a. durch Studententickets, gut ausgebauten Nahverkehr, etc. relativ hoch ist. Trotzdem liegt der Privat-PKW auf Rang 1 bzw. die vollautomatisierte Variante auf Rang 2, gefolgt vom ÖPNV, während die Carsharingbasierten Modi auf den letzten Plätzen landen. D.h. trotz teilweise diagnostizierter Abwendung der urbanen Jugend vom Autobesitz, scheint auch für sie der (vollautomatisierte) Privat-PKW von großer Bedeutung zu sein. Um Veränderungen in der Präferenzstruktur genauer zu untersuchen, sollen die Ergebnisse der Paarvergleiche genauer analysiert werden. Beim Privat-PKW zeigt der direkte Paarvergleich von vollautomatisierter vs. traditioneller Variante keine eindeutige Präferenz. Zwar liegt die traditionelle Variante leicht vorne (54,2 %), der Unterschied ist jedoch nicht signifikant. Dieses Ergebnis spiegelt die Analyse von Abschnitt 2. wider. Die vollautomatisierte Variante weist in Summe etwa gleiche Nutzenwerte auf; Zwar kann sie in einigen Bereichen z. B. durch die bessere Durchgängigkeit punkten, jedoch bestehen womöglich bei der wahrgenommenen Sicherheit und dem wahrgenommenen Fahrspaß Vorbehalte. Demgegenüber wird das vollautomatisierte gegenüber dem traditionellen Carsharing mit 64,6 % signifikant bevorzugt (p-Wert < 0.05). Auch hier gehen das Ergebnis der Umfrage und die Analyse der relativen Nutzenwerte in Abschnitt 2. einher. Der hohe Wert von 64,6 % deutet daraufhin, dass die Vollautomation beim Carsharing eine starke Akzeptanz findet, weil hier Nachteile wie mangelnde Verfügbarkeit, Durchgängigkeit, Flexibilität und hohe Kosten, (Witzke, 2015; Meurer et al., 2014) ganz oder teilweise wegfallen. Hinzu kommt, dass Carsharing Wenigfahrer und bisherige ÖPNV-Nutzer anspricht, bei denen die Vorteile der Vollautomation, wie Erhöhung der Unfallsicherheit und Wegfall einer Fahrkompetenz, besonders ins Gewicht fallen. Es fällt weiterhin auf, dass beim Carsharing 64,6 % der Befragten die vollautomatisierte Variante bevorzugen, während es beim Privat-PKW nur 45,8 % sind. Um zu überprüfen, ob solche Differenzen zwischen je zwei Anteilswerten signifikant sind, wurde jeweils der Binomialtest für zwei Stichproben durchgeführt (Toutenburg & Knöfel, 2009). Die zuvor genannte Differenz in den Nutzerpräferenzen ist signifikant (p-Wert <0.05). Dies deutet darauf hin, dass die Akzeptanz der Vollautomation abhängig vom Nutzenzuwachs des jeweiligen Verkehrsmodus ist. Aus Nutzersicht bringt die Vollautomation beim Privat-PKW also eher geringfügige Verbesserungen, während sie den Nutzen und somit die Attraktivität von Carsharing stark erhöht. Entsprechend interessant ist, wie sich die Präferenzen im Fall der Vollautomation zwischen Privat-PKW und Carsharing verschieben. In der traditionellen Variante gibt es eine signifikante Präferenz von 81,2 % für den Privat-PKW. In der vollautomatisierten Variante gibt es zwar auch eine signifikante Präferenz für den Privat-PKW, aber diese sinkt signifikant auf 70,4 % (p-Wert < 0.05). D. h. die relativen Nutzenwerte von Privat-PKW und Carsharing gleichen sich in Zukunft etwas an. Deshalb ist zu vermuten, dass die Vollautomatisierung von Carsharing zu einer Vergrößerung des Marktpotentials und einer Ausweitung des Modus im Gesamt-Modalsplit verhelfen kann. Hierbei gilt es, auch die indirekten Auswirkungen der Vollautomation auf den ÖPNV zu beachten. Die Paarvergleiche des ÖPNV mit den Carsharing-Varianten zeigt, dass durch die Vollautomation die Präferenz für den ÖPNV von 63,5 % auf 49,8 % signifikant sinkt (p-Wert < 0.05). Auch dies war aufgrund der relativen Nutzungswertanalyse erwartbar. So wird beim Carsharing die Verfügbarkeit sowie die Durchgängigkeit durch die Vollautomation verbessert. Außerdem verschwindet durch den Wegfall des Nachweises der Fahrkompetenz ein Alleinstellungsmerkmal des ÖPNV gegenüber dem PKW. Dies trifft im Prinzip auch für den Privat-PKW zu. Überraschenderweise zeigt sich durch die Vollautomation des Privat-PKW eine Steigerung der Präferenz für den ÖPNV von 36,5 % auf 41,2 %. Durch die Vollautomation verliert der Privat-PKW also an Attraktivität gegenüber dem ÖPNV. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass durch mangelndes Technikvertrauen heutige Autofahrer lieber auf den ÖPNV ausweichen würden, als sich in einen vollautomatisierten PKW zu setzen. Fazit Das autonome Fahren stellt eines der großen Forschungs- und Entwicklungsthemen dieser Zeit dar (Maurer u. a., 2015). Um die Auswirkungen auf den Menschen zu verstehen, reicht jedoch eine rein technische Betrachtung nicht aus. Auch Nutzerakzeptanzstudien, die das selbstfahrende Auto nur isoliert betrachten, greifen zu kurz. Um die Auswirkung der Vollautomation auf das Mobili- PKW Vollautom. PKW Carsharing Vollautom. Carsharing ÖPNV PKW 127 45,8 % 52* 18,8 % 72* 26,0 % 101* 36,5 % Vollautomatisch PKW 150 54,2 % 93* 33,6 % 82* 29,6 % 114* 41,2 % Carsharing 225* 81,2 % 184* 66,4 % 179* 64,6 % 181* 65,3 % Vollautomatisch Carsharing 205* 74,0 % 195* 70,4 % 98* 35,4 % 138 49,8 % ÖPNV 176* 63,5 % 163* 58,8 % 96* 34,7 % 139 50,2 % Summe 756 669 336 472 534 Rang 1 2 5 4 3 Tabelle 1: Präferenzmatrix mit den absoluten und relativen Häufigkeiten des Paarvergleichs (n=277) Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 72 MOBILITÄT Wissenschaft tätsverhalten besser zu verstehen, gilt es die neuen Verkehrsmodi im Vergleich zu den bestehenden Verkehrsmodi zu analysieren und zu bewerten. Deshalb haben wir in diesen Beitrag den Ansatz der relational bestimmten Nutzenwerte aus der Verkehrsforschung übernommen (Gorr, 1997). Die Verkehrsforschung hat insbesondere eine Reihe von Einflussfaktoren für die Verkehrsmittelwahl wie Reisezeit, Verfügbarkeit, etc. bestimmt, auf die nutzerzentrierte Forschung zum autonomen Fahren aufbauen kann. In diesem Beitrag haben wir gezeigt, wie die vollautomatisierten Varianten bestehender Verkehrsmodi aus dieser Perspektive analysiert werden können. Die Analyse hat gezeigt, dass in Bezug auf den relativen Nutzenwert das Carsharing in viel stärkerem Maße von der Vollautomation profitiert als der Privat-PKW. Dies zeigte sich auch in der empirischen Studie, bei der im direkten Vergleich der traditionellen vs. vollautomatisierten Variante Carsharing gegenüber dem Privat- PKW weit besser abschnitt. Insofern kann dies als Bestätigung der These der Attraktivitätssteigerung des Carsharing durch Vollautomation (Fagnant et al., 2015) gelesen werden. Aufgrund der hohen Attraktivität des Privat-PKWs bedeutet eine Verringerung des relativen Abstands nicht, dass es zu einer signifikanten Reduzierung von Privat-PKWs kommt. So kommt in der Studie z. B. der Privat-PKW bzw. dessen vollautomatisierte Variante weiterhin auf die vorderen Ränge. Hinzu kommt, dass das vollautomatisierte Carsharing verstärkt in Konkurrenz zum ÖPNV tritt. Einschränkend gilt es jedoch zu beachten, dass die Studie in Bezug auf Alter und Bildungsgrad nicht repräsentativ ist und die Ergebnisse deshalb nicht unmittelbar auf die Gesamtbevölkerung übertragbar sind. Ferner wurde die Präferenzstruktur der Nutzer nur indirekt erfasst, ggf. durch das Informationsvideo beeinflusst und kann sich vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung in Zukunft verändern. Deshalb gilt es, Studien zur Nutzerakzeptanz und in Bezug auf die zu untersuchende Nutzergruppe in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Das autonome Fahren sollte dabei jedoch immer im Gesamtkontext der existieren Verkehrsmodi und deren jeweiligen Eigenschaften betrachtet werden. Die Stärke des hier dargelegten Forschungsdesigns der Paarvergleiche ist es, sowohl den Gesamtkontext zu berücksichtigen, also auch detaillierte Einblicke in die Präferenzstrukturen der Nutzer zu erhalten. ■ 1 https: / / www.youtube.com/ watch? v=6WTNBZZGOIs LITERATURVERZEICHNIS Bortz, J., & Döring, N. (2013). Forschungsmethoden und Evaluation. Springer-Verlag. dpa. (n.d.). (2015). Nutzung der Verkehrsmittel im Alltag in Deutschland | Umfrage. Abgerufen 17.03.2017, https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 2267/ umfrage/ alternativeverkehrsmittel-zum-eigenen-auto/ Eimler, S. C., & Geisler, S. (2015). Zur Akzeptanz Autonomen Fahrens - Eine A-Priori Studie. In Mensch & Computer Workshopband (S. 533-540). EY, (Ernst & Young). (2013). Autonomes Fahren - die Zukunft des Pkw-Marktes? Fagnant, D. J., & Kockelman, K. M. (2014). 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Paul Bossauer Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin paul.bossauer@h-brs.de Gunnar Stevens, Prof. Dr. Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftsinformatik, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin gunnar.stevens@h-brs.de Christina Pakusch Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin christina.pakusch@h-brs.de Sebastian Wödl Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin sebastian.woedl@smail.wis.h-brs.de Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 73 Technologischer Wandel im-Flugverkehr Wie moderne Triebwerke den Flugverkehr effizienter machen und Emissionen reduzieren Flugzeugbau, Triebwerke, Treibstoffverbrauch, Emissionen, Effizienz Weltweit nimmt die Mobilität von Personen und Gütern zu. Internationale Lieferketten lassen das Frachtgeschäft über alle Verkehrssektoren hinweg stark wachsen. Neben dem stark gestiegenen Güterverkehr wächst auch der Personenverkehr stetig. Menschen reisen per motorisierten Individualverkehr auf der Straße, mit der Bahn oder dem Flugzeug. Dabei treffen die Meisten die Entscheidung für den jeweiligen Verkehrsträger auf Basis von Reisezeit und Kosten. Vor allem beim Transportmittel Flugzeug werden neben dem Preis für das Ticket auch die ökologischen Kosten für Viele immer wichtiger. Ulrich Wenger D ie zivile Luftfahrt boomt. Ein Ende des Wachstums ist derzeit nicht in Sicht. In den nächsten 20 Jahren wird es bei einem durchschnittlichen jährlichen Luftverkehrswachstum von rund 4,4 % 1 zu einer Verdopplung der weltweiten Flugzeugflotte kommen. Durch den rapiden Anstieg der Passagierzahlen werden die Treibhausgas- Emissionen im Flugverkehr noch bis 2020 ansteigen. Ab 2020 sollen die Emissionen dann aber auch bei einem weiter steigenden Luftverkehrsaufkommen, unter anderem durch auf Emissionshandel basierende Offsets, stabil bleiben. Um beim Treibhausgasausstoß mittelfristig eine Reduktion zu erzielen, müssen die Emissionen pro Passagier weiter drastisch gesenkt werden. Auch wenn die Luftfahrtindustrie gegenwärtig sehr gute Zeiten erlebt, kann sie es sich daher nicht leisten, sich auf ihrem Erfolg auszuruhen. 2011 hat die von der EU-Kommission einberufene High-Level Group zum Thema Luftverkehr die strategischen Ziele der europäischen Industrie im sogenannten „Flightpath 2050“ formuliert. Um die international führende Rolle der europäischen Luftfahrtindustrie zu gewährleisten, wurden drei Handlungsziele identifiziert: Erhöhung der Investitionen in neue Technologien, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit im weltweiten Luftverkehrsmarkt und eine besser integrierte Luftverkehrspolitik. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass ein harter Wettbewerb unter den Fluggesellschaften sowie ambitionierte Klimaziele den Druck erhöhen, stets neue innovative und effiziente Lösungen zu entwickeln. Ständige Verbesserungen an Flugzeugen machen die Luftfahrt sparsamer, umweltfreundlicher und leiser. Die Flugzeugtriebwerke bieten hierbei eines der größten Potenziale. Forschungs- und Entwicklungszyklen sind in der Luftfahrt sehr kapitalintensiv und komplex. Hinzu kommt, dass die Zyklen wesentlich länger sind als beispielsweise Der Airbus A350 ist mit den derzeit effizientesten Triebwerken der Welt ausgerüstet, den Trent XWB aus dem Hause Rolls-Royce. Foto: Airbus/ Antony Pecchi Triebwerktechnik TECHNOLOGIE Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 74 TECHNOLOGIE Triebwerktechnik in der Autoindustrie und bis zu 20 Jahre andauern. Daher ist ein klarer Fahrplan für neue Vorhaben wichtig. Zu diesem Zweck haben sich zahlreiche nationale und europäische Organisationen, Unternehmen und Verbände in dem einflussreichen europäischen Luftfahrtforschungsbeirat ACARE (Advisory Council for Aviation Research and Innovation in Europe) zusammengeschlossen. ACARE hat sich unter anderem zu ehrgeizigen Klima-Zielen für den Luftverkehr verpflichtet (Tabelle 1). Der Verbrauch sowie die Emissionen sollen deutlich gesenkt und der wahrgenommene Lärm reduziert werden. Hierzu wurde 2012 von ACARE die Strategic Research and Innovation Agenda (SRIA) veröffentlicht. Die Agenda bietet der Industrie einen Fahrplan zur Emissionsreduzierung. Die bisherigen Reduktionsziele für 2020 (ACARE-2020-Ziele) und 2050 (Flightpath-2050-Ziele) wurden zusammengeführt und durch Zwischenziele für 2035 ergänzt. Die europäische Luftfahrt verpflichtet sich darin, den Kraftstoffverbrauch und die CO 2 -Emissionen pro Passagierkilometer bis 2050 um 75 % im Vergleich zu 2000 zu senken. Bis 2020 ist eine Reduzierung von 50 % vorgesehen. Zudem sollen die Stickoxid-Emissionen (NO x ) bereits bis 2020 um 60 % und bis 2050 um 90 % pro Passagierkilometer sinken. Der wahrgenommene Lärm soll bis 2050 gegenüber 2000 um 65 % reduziert werden. Die Flugzeugtriebwerke müssen den größten Teil zur Reduzierung von Stickoxidemissionen beitragen. Bei den CO 2 -Emissionen und dem Kraftstoffverbrauch müssen die Triebwerke bis 2050 für eine Reduzierung von rund 30 Prozentpunkten sorgen (s. Bild 1). Die Industrie hat in den letzten Jahrzehnten schon viel erreicht. Bei dem ersten düsenbetriebenen Verkehrsflugzeug, der Boeing 707, lag der durchschnittliche Kerosinbedarf Ende der 1950-er Jahre pro Passagier noch bei über 8 l auf 100 km. Ende der Achtzigerjahre lag der Durchschnittsverbrauch des A310 nur noch bei etwas über 4 l. Der A380 erreicht bereits 3 l. Mit dem Trent XWB aus dem Hause Rolls-Royce (Bild 2), dem derzeit weltweit effizientesten Triebwerk, in Verbindung mit dem hochmodernen Airbus A350-900, konnte der Kerosinbedarf pro Passagier auf 2,9 l/ 100 km weiter gesenkt werden. 2 Blickt man auf Deutschland, so hat sich das Volumen des Luftverkehrs hierzulande seit dem Jahr 1990 mehr als verdreifacht (plus 231 %). Die jährlich benötigte Kerosinmenge ist aber in diesem Zeitraum nur um 85 % gestiegen. Das heißt: Absolut produziert dieses Verkehrssegment zwar mehr Klimagase, pro Kopf konnte der Verbrauch aber um 42 % gesenkt werden. Der durchschnittliche Verbrauch der deutschen Flotte pro Person und 100 km beträgt jetzt nur noch 3,64 l. Fortschritte bei Effizienz und Aerodynamik im Flugzeug- und Triebwerksbau haben hierzu ganz wesentlich beigetragen. 3 Nur durch eine enorme Anstrengung im Bereich Forschung und Entwicklung konnte diese beeindruckende Innovationsleistung gelingen, die das Potenzial der Luftfahrtindustrie eindrucksvoll zeigt. Vieles von dem Erreichten wurde mithilfe von Fördermitteln der Bundesrepublik und der Europäischen Union ermöglicht. Auch für die Zukunft ist die öffentliche Förderung von Forschung und Entwicklung in der Luftfahrtindustrie gesichert. Die Bundesregierung plant zwischen 2016 und 2020 insgesamt 755 Mio. EUR in das Luftfahrtforschungsprogramm zu investieren. 152 Mio. EUR sollen bereits im Jahr 2017 bereitgestellt werden. Zusätzlich sollen im Rahmen der europäischen Technologieinitiative „Clean Sky“ bis 2020 rund 75 % Reduktion von CO 2 pro Passagier-km bis 2050 50 % bis 2020 90 % Reduktion von NO x -Emissionen bis 2050 60 % bis 2020 65 % Reduktion des wahrgenommenen Lärms bis 2050 50 % bis 2020 Tabelle 1: Der Advisory Council for Aviation Research and Innovation in Europe (ACARE) hat ambitionierte Technologie-Ziele für 2050 gesetzt (gegenüber 2000). ACARE goal -75% CO 2 overall reduction: • -30% Rolls-Royce contribution ACARE goal -90% NOx overall reduction: • -75% Rolls-Royce contribution • -15% from operational efficiency improvements ACARE goal -65% aircraft noise reduction: • -45dB cumulative • Operational improvements and aircraft design will give significant further reductions CO 2 (Engine) NOx (Engine) Noise (Aircraft) ACARE (Advisory Council for Aviation Research and Innovation in Europe) Flightpath 2050 target 10 0 -10 -20 -30 -40 -50 Trent 800 (Boeing 777) dB 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Trent 500 (Airbus A340) Trent 900 (Airbus A380) Trent 1000 (Boeing 787) Trent 800 % CO 2 or fuel burn 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Trent 500 Trent 900 Trent 1000 Trent XWB -5 -10 -15 -20 -25 -30 0 -15 -30 -45 -60 -75 % margin relative CAEP6 2000 Trent 800 2010 2020 2030 2040 2050 Trent 500 Trent 900 Trent 1000 Trent XWB Trent family Technology demonstrator engine targets Advance UltraFan TM Advance UltraFan TM UltraFan TM Trent XWB (Airbus A350XWB) Advance Bild 1: Die Triebwerksgenerationen bei Rolls-Royce werden kontinuierlich effizienter, emissionsärmer und leiser. Bild 2: Zahlreiche Innovationen machen das Trent XWB von Rolls Royce zum derzeit effizientesten Triebwerk der Welt. Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 75 Triebwerktechnik TECHNOLOGIE 1,6- Mrd. EUR in verschiedene nationale Luftfahrtforschungsprojekte fließen. 4 Aber auch die Industrie investiert jährlich einen Milliardenbetrag in ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Die Ausgaben der Industrie summierten sich 2015 insgesamt auf 4,2 Mrd. EUR in dem Bereich Luft- und Raumfahrt, was etwa 12 % des Branchenumsatzes entspricht. 5 2016 investierte allein Rolls-Royce 1,59 Mrd. EUR in Forschung und Entwicklung, den Großteil davon in die Entwicklung neuer Triebwerkstechnologien. 6 Rolls-Royce Deutschland forscht in Dahlewitz bei Berlin (Bild 3) bereits an der übernächsten Generation von Flugzeugtriebwerken - dem sogenannten UltraFan TM , einem Triebwerk, das erstmals ein Getriebe für die Übertragung sehr hoher Leistungen von bis zu 70 MW einsetzt. Diese Triebwerke der übernächsten Generation sollen mindestens 25 % sparsamer werden als die Trent Triebwerke der ersten Generation, die den Airbus A330 angetrieben haben. Erste Testflüge mit dem neuen Triebwerk sind ab 2021 geplant. Die stetigen Verbesserungen der Antriebstechnologie allein können die steigenden Emissionen des stark wachsenden Flugverkehrs allerdings nicht kompensieren (Bild 4). Insgesamt können die Effizienzziele im Flugverkehr nur im Dreiklang erzielt werden: Neben effizienten Triebwerken und innovativen Flugzeugen gehört dazu auch eine intelligente Luftverkehrsleitung. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat im Bereich der Routenoptimierung bereits einiges erreicht. Die durchschnittliche Abweichung von der Idealflugroute konnte seit 2010 um ein Drittel verbessert werden, von 5,5 km auf 3,7 km im Jahr 2016. Mit den dadurch eingesparten Kilometern hätte man 140 Mal um die Erde fliegen können. Alleine im Jahr 2016 wurden somit rund 70 500 t weniger CO 2 ausgestoßen. 7 Im Bereich der Luftverkehrsleitung liegen allerdings noch weitaus größere Potenziale, sofern der einheitliche europäische Luftraum effektiv umgesetzt würde. Die Herausforderungen sind groß - und so ist bei alledem auch unkonventionelles Denken gefordert. So kann man durch intelligent festgelegte Flugrouten beispielsweise die negative Wirkung von Kondensstreifen auf das Klima reduzieren. Die Untersuchungen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben gezeigt, dass eine klima-optimierte Flugführung bei nur moderatem technischem Aufwand möglich ist. Dabei werden die Routen so gelegt, dass Emissionen dort entstehen, wo sie die geringsten negativen Auswirkungen auf das Klima haben. Die Klimawirkung von Flugzeugemissionen konnte so um durchschnittlich 10 % verringert werden. In der Studie zu Nordatlantikflügen wurde nachgewiesen, dass eine solche Routenführung in Summe nur zu einem unwesentlich höheren Kraftstoffverbrauch führt. Zudem stellt dies eine Möglichkeit dar, dass Flugzeuge aller Alters- und Effizienzklassen ihre Umweltauswirkungen reduzieren können. Eine weitere Option bieten alternative Kraftstoffe. Hierbei kann es sich sowohl um bio-basierte als auch synthetische Flüssigkraftstoffe handeln, auch elektrische Antriebe sind nicht ausgeschlossen. Falls Flugzeuge der Zukunft beispielsweise über viele kleine, über den ganzen Flügel verteilte Propeller verfügen würden, müsste ein passender Antrieb die Energie für diese Schuberzeuger und die Flugzeugsysteme liefern. Dann könnte es sich als vorteilhaft erweisen, die notwendige Energie mit einer hocheffizienten Gasturbine zu erzeugen und an Bord elektrisch zu verteilen. Durch solche Innovationen und die generell sehr hohen Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung ist man sich in der Luftfahrtindustrie sicher, die ambitionierten Klimaziele erreichen zu können. ■ 1 http: / / www.aircraft.airbus.com/ market/ global-marketforecast-2017-2036/ 2 https: / / www.lufthansagroup.com/ de/ themen/ flottenentwicklung/ 2-liter-klasse.html 3 https: / / www.bdl.aero/ de/ veroffentlichungen/ klimaschutzreport_2017/ # 4 https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Textsammlungen/ Technologie/ Schluesseltechnologien/ luftfahrttechnologien.html 5 https: / / www.bdli.de/ meldungen/ luft-undraumfahrtindustrie-setzt-wachstumskurs-2015-fort 6 http: / / www.bbaa.de/ aktuelles/ news/ 946-rolls-royceuniversity-technology-centres-feiern-10-jahre-forschungfuer-umweltvertraegliche-triebwerke 7 https: / / www.bdl.aero/ de/ veroffentlichungen/ klimaschutzreport_2017/ # Ulrich Wenger, Dr.-Ing. E.h. Head of Engineering & Technology, Rolls Royce Deutschland Ltd & Co KG, Blankenfelde-Mahlow ulrich.wenger@rolls-royce.com Bild 3: In Dahlewitz bei Berlin produziert Rolls-Royce unter anderem das Trent XWB und forscht bereits an der übernächsten Triebwerksgeneration. Bild 4: Trotz signifikanter Verbesserungen bei Triebwerken und im Flugzeugdesign bedarf es weiterer Anstrengungen, um die Emissionen im wachsenden Luftverkehr zu stabilisieren. Quelle: IATA/ BDL Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 76 TECHNOLOGIE Diesel-Emissionen Wie hoch sind die realen Emissionen von Diesel-PKW wirklich? Das Handbuch für Emissionsfaktoren HBEFA 3.3 unter-der-Lupe Emissionen, Abgasgrenzwerte, Luftqualität, Fahrverbote, NEFZ-Prüfzyklus Es dürfte seit einigen Jahren bekannt sein: Die europäischen Städte haben an verkehrlich hochbelasteten Stellen ein Luftqualitätsproblem, insbesondere bei Partikel- und Stickstoffoxid-Immissionen. Dafür sind die Emissionen aus Fahrzeugen mit Dieselmotoren, vor allem auch aus Diesel-PKW, maßgeblich mitverantwortlich. Wie kam es zur heutigen Situation - und welche Lehren sind daraus zu ziehen? Udo J. Becker, Wolfram Schmidt D ie allmähliche Verschärfung der europäischen und nationalen fahrzeugspezifischen Abgasgrenzwerte [in g/ km] war ursprünglich mit der Hoffnung verknüpft worden, dass - wenn etwa der Grenzwert auf die Hälfte abgesenkt wird - durchaus auch vergleichbare Emissionsreduktionen in der Realität erwartet werden können. Dort, wo der Dieselmotor dominanter Emissionsfaktor ist, hoffte man damit auch auf signifikante Verbesserungen der Immissions-Luftqualität. Diese Hoffnungen haben sich aber nicht erfüllt: • Zum einen, weil die Einhaltung der fahrzeugseitigen Grenzwerte nur in einem realitätsfernen Prüfzyklus unter genau definierten Bedingungen geprüft wurde; • zum zweiten, weil die allmähliche Zunahme der Fahrzeuganzahlen und der Fahrleistungen selbstverständlich ebenfalls emissionserhöhend wirkt bzw. erreichte Reduktionen wieder zunichte macht; • zum dritten, weil die kontinuierliche Erhöhung von mittleren Fahrzeuggewichten und Leistungskenngrößen, die sich etwa im Trend zu SUV-Fahrzeugen widerspiegelt, ganz andere Energiemengen benötigt, die sich ebenfalls ceteris paribus emissionserhöhend auswirken; • zum vierten, weil die Steigerung der Leistungskenngrößen der Fahrzeuge in den Bereich mehrerer hundert kW auch dazu führte, dass diese Leistungen von den Fahrzeuglenkern auch abgerufen werden - was zu einem „dynamischen“, inhomogenen Verkehrsablauf mit vielen Beschleunigungen und Bremsvorgängen führt: Das aber wirkt, zuweilen noch stärker als die Fahrleistungserhöhungen, stark emissionserhöhend. Auch dürfte seit Jahrzehnten bekannt sein: Die Bedingungen für die Einhaltung der Abgasgrenzwerte im Rahmen der Typprüfung, mit denen die erhofften Emissionsminderungen geprüft werden sollten, unterscheiden sich maßgeblich von den Betriebs- und Emissionsbedingungen in der Realität. Die Grenzwerte werden im Wesentlichen zwischen Fahrzeugherstellern und Politik ausgehandelt, dabei aber herrscht ein Wissensgefälle zwischen beiden Seiten des Verhandlungstisches. Im Gegensatz zur heute oft gehörten Position, dass die unwissende Politik den Automobilherstellern einen leider völlig ungenügenden und betrugsanfälligen NEFZ-Prüfzyklus (Neuer Europäischer Fahrzyklus) verordnet hat, war es bei den europäischen Beratungen dazu so, dass vor allem die Automobilindustrie auf dem sog. NEFZ bestand: Man hätte durchaus auch die wesentlich dynamischeren amerikanischen FTP-Zyklen verwenden oder diese für Europa noch weiter dynamisieren können. Dass letztlich ein zahmer NEFZ Grundlage der gesetzlichen Regelungen wurde, liegt vor allem auch an den damaligen Bemühungen der Fahrzeugindustrie und in diesem Fall weniger an der Politik. Damit aber war auch seit mindestens 1993 allen Umweltämtern, Baubehörden und Genehmigungsbehörden klar: Wer die Emissionen der Fahrzeuge im realen Stadtverkehr bestimmen will, braucht reale Emissionsfaktoren und damit eine andere, realistischere Datenbasis als die Typprüf- Grenzwerte. In eigentlich allen Bereichen der Gesellschaft sind Gesetze üblicherweise so konzipiert, • dass ein bestimmtes gefährliches Verhalten unter allen möglichen Bedingungen garantiert ausgeschlossen werden kann: Wer ein Gebäude erstellt, muss sicherstellen, dass auch bei maximaler Geschossbelastung und bei starkem Wind sowie bei denkbar schlechtesten (zugelassenen! ) Baustoffen und bei Frost und Hitze die Standsicherheit gewährleistet ist. Im Fahrzeug-Zulassungsbereich wählte man dagegen juristisch gesehen den entgegengesetzten Weg, in dem man verlangte, • dass bestimmte, als gefährlich betrachtete Emissionsgrenzwerte von den Fahrzeugen nur dann eingehalten werden, wenn im Testlabor auf dem Prüfstand bei genau definierter, optimierter Temperatur mit minimaler Beladung und vielfach optimierten Fahrzeugzuständen unrealistische Fahrsituationen nachgefahren werden, die etwa dem (steigenden) Geschwindigkeits- und Beschleunigungspotential dieser Fahrzeuge keinesfalls entsprechen. Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 77 Diesel-Emissionen TECHNOLOGIE Um den Straßenbauämtern, Umweltämtern, Gesundheitsbehörden und anderen Interessierten eine geeignete Datenbasis möglichst realer Emissionsfaktoren anzubieten, wurde vor allem von den deutschsprachigen Ländern das „Handbuch für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs“ (HBEFA) 1 entwickelt. Verschiedene öffentlich zugängliche Mengen realer Emissionen wurden dort zusammengetragen. Ein prinzipielles Problem lag allerdings darin, dass immer dann, wenn eine neue Grenzwertstufe beschlossen worden war, zunächst ja keine Messungen der realen Emissionsfaktoren für solche Fahrzeuge vorhanden waren: Diese Fahrzeuge kamen ja erst auf den Markt, sodass man dann retrospektiv Messwerte für diese Fahrzeuggruppe erhielt. Zu Beginn einer jeden Grenzwertstufe mussten die Bearbeiter des HBEFA also „spekulieren“: Aus nur wenigen Messungen musste man einen Wert dafür ableiten, wie sehr die Verschärfung der Grenzwerte auch zu einer Reduktion der realen Emissionsfaktoren beitragen würden. Waren dann die neuen Grenzwertstufen ausreichend mit realen Fahrzeugen vertreten und lagen ausreichend Messwerte dafür vor, konnte man im Nachhinein die vorläufigen Emissionsfaktoren durch realistischere ersetzen. Man kann den Bearbeitern des HBEFA nun sicherlich keinen Vorwurf daraus machen, dass sie in jeder neuen Grenzwertstufe darauf hofften, die Automobilindustrie würde signifikante Emissionsreduktionen für die Praxis erreicht haben. Damit aber entstand das berühmte „Hase-und-Igel- Spiel“: a) Bei Einführung einer neuen Grenzwertstufe (mit wenigen Messdaten) wurden für das HBEFA eher optimistische Emissionsfaktoren unterstellt, b) nach einigen Jahren und nach Vorliegen ausreichend großer Datenmengen mussten im nächsten Update diese zu kleinen Werte dann wieder nach oben angepasst werden, c) da in der Immissions-Realität der Städte aber nicht die erhofften Reduktionen auftraten, musste eine neue Grenzwertstufe beschlossen werden. - Und nun beginnt das Spiel wieder bei Schritt a). Damit wurden aber auch laufende HBEFA-Aktualisierungen notwendig. Die aktuelle HBEFA-Version 3.3 Vor kurzem ist die aktuelle Version 3.3 des HBEFA erschienen: Darin sind die jüngeren Erkenntnisse etwa auch aus den Messungen der „Untersuchungskommission Volkswagen“ enthalten. Somit werden auch Fahrzeuge berücksichtigt, die etwa die Abgasreinigungsfunktionen (etwa „zum Schutz des Motors“) bei Temperaturen unterhalb der Typprüfungstemperatur ganz oder teilweise außer Kraft setzen. Im HBEFA 3.3 wird dies nun erstmalig dadurch berücksichtigt, dass bei Diesel-PKW der Abgasnormen Euro-4 bis Euro-6 im Bereich zwischen 0 °C und 20 °C eine Funktion zur temperaturabhängigen Korrektur der NO x -Emissionsfaktoren integriert wurde. Der Bearbeiter muss also nun erstmals angeben, welche Umgebungstemperatur am Untersuchungstag in der Stadt herrschte. Die daraus resultierenden NO x -Emissionsfaktoren für Diesel-PKW unterscheiden sich z. T. deutlich von den Werten, die in früheren HBEFA-Versionen angenommen worden waren, und liegen durchweg höher. Die Hoffnungen, die etwa in die Grenzwertstufe Euro-5 gesetzt wurden, können damit leider nicht verifiziert werden. Bild 1 zeigt die Entwicklung der in HBEFA hinterlegten realen Emissionsfaktoren im Zeitverlauf für Innerorts-Hauptverkehrsstraßen mit V max = 50 km/ h und bei flüssigem Verkehrszustand. Dargestellt sind von links nach rechts die in aufeinanderfolgenden HBEFA-Versionen enthaltenen Emissionsfaktoren. Man erkennt: • Die Euro-1- und Euro-2-Fahrzeuge halten unter diesen Bedingungen sogar real den damaligen Grenzwert von 0,97 g/ km ein, alle HBEFA-Versionen haben bei diesen Fahrzeuggruppen ungefähr gleiche reale Emissionsfaktoren. • Bei den Euro-3- und Euro-4-Fahrzeugen sind etwa von HBEFA 2.1 zu HBEFA 3.1 deutliche Anpassungen zu erkennen: Hier mussten die Emissionsfaktoren nach oben angepasst werden. • Auffällig sind die Sprünge bei den Euro- 5- und Euro-6 Fahrzeugen von HBEFA 3.1 bis HBEFA 3.3: Die Emissionsfaktoren steigen von 0,46 g/ km auf 0,75 g/ km und von 0,16 g/ km auf 0,45 g/ km (wobei das Kollektiv der Euro-6-Fahrzeuge hier noch klein ist). • Bemerkenswert ist auch die Verschlechterung der Emissionsfaktoren von Euro-4 zu Euro-5: Im bundesdeutschen Mittel stößt ein Euro-5-Diesel-PKW demnach um 50 % höhere NO x -Realemissionen aus als ein Euro-4-Diesel- PKW. Steuerrechtliche Bevorzugungen (etwa bei der KFZ-Steuer) oder ordnungsrechtliche Bevorzugungen (etwa Einfahrtserlaubnisse in Umweltzonen) lassen sich damit - zumindest hinsichtlich der Stickoxid-Emissionen - nicht vereinbaren. • Anzumerken ist, dass derzeit erst wenige Messungen für Euro-6-Fahrzeuge vorliegen: Hier befindet man sich noch im Zustand größerer erhoffter Emissionsminderungen. Es kann aber auch vermutet werden, dass in der nächsten HBEFA- Aktualisierung ggf. auch dieser Wert nochmals disaggregiert bzw. aktualisiert werden muss. Bei dem gewählten Fall der städtischen Hauptverkehrsstraße mit Tempo 50 handelt es sich übrigens nicht um einen einzelnen Ausreißer: Die entsprechenden HBEFA-Emissionsfaktoren für die anderen städtischen Verkehrssituationen auf Hauptverkehrsstraßen mit der Höchstgeschwindigkeit 50 km/ h (dicht, gesättigt, stop-andgo) weisen alle analoge Verläufe auf. In allen HBEFA-Versionen bis zur Version 3.2 war davon ausgegangen worden, dass 3 2. Die aktuelle HBEFA-Version 3.3 Vor kurzem ist die aktuelle Version 3.3. des HBEFA erschienen: Darin sind die jüngeren Erkenntnisse etwa auch aus den Messungen der „Untersuchungskommission Volkswagen“ enthalten. Somit werden auch Fahrzeuge berücksichtigt, die etwa die Abgasreinigungsfunktionen (etwa „zum Schutz des Motors“) bei Temperaturen unterhalb der Typprüfungstemperatur ganz oder teilweise außer Kraft setzen. Im HBEFA 3.3 wird dies nun erstmalig dadurch berücksichtigt, dass bei Diesel-Pkw der Abgasnormen EURO-4 bis EURO-6 im Bereich zwischen 0°C und 20°C eine Funktion zur temperaturabhängigen Korrektur der Emissionsfaktoren integriert wurde. Der Bearbeiter muss also nun erstmals angeben, welche Umgebungstemperatur am Untersuchungstag in der Stadt herrschte. Die daraus resultierenden Emissionsfaktoren für Diesel-Pkw unterscheiden sich z.T. deutlich von den Werten, die in früheren HBEFA-Versionen angenommen worden waren. Die aktuellen Emissionsfaktoren liegen deutlich höher. Bei NO x ergeben sich im Einzelfall sogar absolute Emissionserhöhungen. Die Hoffnungen, die etwa in die Grenzwertstufe EURO-5 gesetzt wurden, können damit leider nicht verifiziert werden. Abbildung 1: Entwicklung der in verschiedenen HBEFA-Versionen zugrunde gelegten realen Emissionsfaktoren auf Innerorts-Hauptverkehrsstraßen für die sechs EURO-Grenzwertstufen Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der in HBEFA hinterlegten realen Emissionsfaktoren im Zeitverlauf für Innerorts-Hauptverkehrsstraßen mit V max = 50 km/ h und bei flüssigem Verkehrszustand. Dargestellt sind von links nach rechts die in aufeinanderfolgenden HBEFA-Versionen enthaltenen Emissionsfaktoren. Man erkennt: EURO-1 (1993) EURO-2 (1997) EURO-3 (2001) EURO-4 (2006) EURO-5 (2011) EURO-6 (2015) Grenzwert (nachrichtlich) 0,97 0,9 0,5 0,25 0,18 0,08 HBEFA 2.1 (2004) 0,68 0,6 0,45 0,3 HBEFA 3.1 (2010) 0,66 0,71 0,74 0,47 0,46 0,16 HBEFA 3.2 (2014) 0,64 0,68 0,64 0,44 0,56 0,17 HBEFA 3.3 / Temp. D-mittel (2017) 0,64 0,68 0,64 0,5 0,75 0,45 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 g/ km Grenzwert / HBEFA-Version Reale HBEFA-NOx-Emissionsfaktoren Diesel-PKW Deutsche Flotte, Innerorts-Hauptverkehrsstraße Tempo 50 flüssig HBEFA 3.3: Deutsche Jahresmitteltemperatur Bild 1: Entwicklung der in verschiedenen HBEFA-Versionen zugrunde gelegten realen Emissionsfaktoren auf Innerorts-Hauptverkehrsstraßen für die sechs Euro-Grenzwertstufen Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 78 TECHNOLOGIE Diesel-Emissionen Abgasreinigungsanlagen bei Diesel-PKW bei allen Außentemperaturen wirksam sind. Nach derzeitigem europäischem Recht erfolgt die Typprüfung nur bei Temperaturen zwischen 20 und 25 °C. Zum „Schutz des Motors“ dürfen derzeit dabei Abgasreinigungsanlagen in ihrer Funktion eingeschränkt werden; bei der juristischen Abwägung dieser Klausel musste der „Schutz der menschlichen Gesundheit“ zurückstehen. Die nun vorliegenden Messwerte zeigen allerdings, dass die Außentemperatur einen signifikanten Einfluss auf die Funktion der Abgasreinigung besitzt. In HBEFA 3.3 wurde deshalb eine neue Temperaturabhängigkeit eingeführt: Für Emissionsabschätzungen von Diesel-PKW muss man nun angeben, welche Temperatur im fraglichen Zeitraum im Untersuchungsgebiet geherrscht hat. Bei kalten Temperaturen ergeben sich nun deutliche Zuschläge für die Emissionsfaktoren. Bild 2 zeigt für die derzeit relevanten Fahrzeuggruppen Euro-4, Euro-5 und Euro-6 die nun zugrunde zu legende Temperaturabhängigkeit: Für jede Fahrzeuggruppe werden in der Abbildung • die Emissionsfaktoren nach HBEFA 3.1 (i. A. ermittelt über 20 °C, aber implizit für die deutsche Jahresmitteltemperatur anzuwenden) • die Emissionsfaktoren nach HBEFA 3.2 (i. A. ermittelt über 20 °C, aber implizit für die deutsche Jahresmitteltemperatur anzuwenden) • die Emissionsfaktoren nach HBEFA 3.3 (für Temperaturen über 20 °C) • die Emissionsfaktoren nach HBEFA 3.3 (für die deutsche Jahresmitteltemperatur) • die Emissionsfaktoren nach HBEFA 3.3 (für Temperaturen unter 0 °C) dargestellt. Bild 2 zeigt, dass sich die HBEFA 3.3-Berechnungsergebnisse für Euro-4-Diesel- PKW bei Minusgraden von den Ergebnissen nach HBEFA 3.1 und 3.2 sowie von den Ergebnissen bei Plusgraden unterscheiden (neuer Wert: 0,60 g/ km). Bei Euro-5 und Euro-6 verändern sich die Werte drastisch: Bei Euro-5 liegen die Emissionsfaktoren im Frostbereich etwa doppelt so hoch wie nach den bisherigen Ansätzen und in der absoluten Höhe wiederum über Euro-4. Bei Euro- 6-Fahrzeugen sind die Zuschlagsfaktoren nochmals größer: Während in HBEFA 3.1 bzw. in HBEFA 3.2 bisher 0,16 g/ km bzw. 0,17 g/ km angenommen wurden, werden für Minusgrade nun 0,62 g/ km zugrunde gelegt. Die Implikationen dieser Veränderungen für deutsche Kommunen, für die Berechnungen in Luftreinhalteplänen und für deutsche Verwaltungsgerichte dürften immens sein: • De facto müssen alle Luftreinhaltepläne dringend nach HBEFA 3.3 und nach Temperaturabhängigkeiten überarbeitet werden. Bei Minusgraden können dabei etwa die Emissionen für Euro-6-Diesel- PKW (für die „Blaue-Zone-Plaketten“ diskutiert werden) je nach Anwendungsfall auf das Dreibis Vierfache der jetzt errechneten Werte steigen. • Dies wird nochmals drängender, wenn Luftreinhaltepläne oder Einfahrverbote wegen der Partikelproblematik für das Winterhalbjahr zu erstellen sind. • Euro-6-Diesel-PKW können nicht mehr per se als grundsätzlicher Beitrag zur Reduktion der NO x -Emissionen gesehen werden: Vermutlich sind in der Gruppe Euro-6 große Unterschiede zwischen NEFZ-Emissionsfaktoren und WLTP- Emissionsfaktoren (und nach den Konformitätsfaktoren) zu erwarten. Die nun vorliegenden Daten bestätigen indirekt auch die bisherige Arbeitsweise der HBEFA-Verantwortlichen: Bei Euro-4-Diesel-PKW sind die Unterschiede zwischen verschiedenen Temperaturen weniger gravierend. Die bisherige Annahme, die über 20 °C gemessenen Reduktionen über alle Temperaturstufen unterstellen zu dürfen, war also gerechtfertigt. Erst bei den nochmals schärferen Stufen Euro-5 und Euro-6 wurden dann in den Fahrzeugen verstärkt temperaturabhängige Regelungen eingeführt, und bei Euro-6 sind diese entscheidend für die Berechnungsergebnisse. Da damit der Anteil der Diesel-PKW- Emissionen an den gesamten Stickoxid- Emissionen ebenfalls weiter steigt, dürfte sich der gesellschaftliche, politische und juristische Druck verstärkt auf Diesel-PKW konzentrieren. Das Potenzial aller Maßnahmen, die nicht bei Diesel-PKW ansetzen, wird damit nochmals geringer. Konsequenzen für verkehrliche Emissionsbilanzen Wie wirken sich nun diese Veränderungen auf die Emissions- und Immissionsberechnungen aus? Werden die Veränderungen nur marginal sein oder steht zu befürchten, dass die Diesel-Emissionen im Vergleich zu den anderen Verursachergruppen um so viel höher ausfallen werden, dass auch die gesamten berechneten Verkehrsemissionen absolut und relativ signifikant ansteigen würden? Erleichternd wirkt, dass derzeit in HBEFA keine Temperaturabhängigkeiten für Benzin-PKW, LKW und Busse vorgegeben werden. Diese Werte können also beibehalten werden. Allerdings ist auch hier noch ein Hindernis versteckt, das die „leichten Nutzfahrzeuge“ betrifft: Die Mehrzahl der leichten Nutzfahrzeuge in Deutschland wird mit Dieselmotoren betrieben. Diese Dieselmotoren entsprechen technisch aber in der Regel den auch in Diesel-PKW eingebauten Motoren. Deshalb ist anzunehmen, dass auch für leichte Nutzfahrzeuge Zuschlagsfaktoren für Temperaturen unterhalb plus 20 °C entwickelt werden müssen. Diese Zuschlagsfaktoren liegen derzeit noch nicht vor, die Verwaltungsgerichte werden sie aber vermutlich rasch einfordern. Plausibel wäre es deshalb, wenn bis zum Vorliegen genauerer Ergebnisse die Bearbeiter von Luftreinhalteplänen die oben beschriebenen Die- Bild 2: Temperaturabhängigkeit der NOx-Emissionsfaktoren für Euro-4, Euro-5 und Euro-6 Diesel-PKW, Hauptverkehrsstraße innerorts, in den verschiedenen HBEFA-Versionen 5 Abbildung 2: Temperaturabhängigkeit der NO x -Emissionsfaktoren für EURO-4, EURO-5 und EURO-6 Diesel-Pkw, Hauptverkehrsstraße innerorts, in den verschiedenen HBEFA-Versionen Abbildung 2 zeigt, dass die HBEFA 3.3. - Berechnungsergebnisse für EURO-4 Diesel-Pkw bei Minusgraden sich von den Ergebnissen nach HBEFA 3.1 und 3.2. sowie von den Ergebnissen bei Plusgraden unterscheiden (neuer Wert: 0,60 g/ km). Bei EURO-5 und EURO-6 verändern sich die Werte drastisch: Bei EURO-5 liegen die Emissionsfaktoren im Frostbereich etwa doppelt so hoch wie nach den bisherigen Ansätzen und in der absoluten Höhe wiederum über EURO-4. Bei EURO-6-Fahrzeugen sind die Zuschlagsfaktoren nochmals größer: Während in HBEFA 3.1 bzw. in HBEFA 3.2 bisher 0,16 g/ km bzw. 0,17 g/ km angenommen wurden, werden für Minusgrade nun 0,62 g/ km zugrunde gelegt. Die Implikationen dieser Veränderungen für deutsche Kommunen, für die Berechnungen in Luftreinhalteplänen und für deutsche Verwaltungsgerichte dürften immens sein: - De facto müssen alle Luftreinhaltepläne dringend nach HBEFA 3.3 und nach Temperaturabhängigkeiten überarbeitet werden. Bei Minusgraden können dabei etwa die Emissionen für die EURO-6-Diesel-Pkw (für die „Blaue-Zone-Plaketten“ diskutiert werden) je nach Anwendungsfall auf das Dreibis Vierfache der jetzt errechneten Werte steigen. - Dies wird nochmals drängender, wenn Luftreinhaltepläne oder Einfahrverbote wegen der Partikelproblematik für das Winterhalbjahr zu erstellen sind. - EURO-6-Diesel-Pkw können nicht mehr per se als grundsätzlicher Beitrag zur Reduktion der NO x -Emissionen gesehen werden: Vermutlich sind in der Gruppe EURO-6 große Unterschiede zwischen NEFZ-Emissionsfaktoren und WLTP-Emissionsfaktoren (und nach den Konformitätsfaktoren) zu erwarten. Die nun vorliegenden Daten bestätigen indirekt auch die bisherige Arbeitsweise der HBEFA- Verantwortlichen: Bei EURO-4-Diesel- Pkw sind die Unterschiede zwischen verschiedenen Tempera- PKW D Euro-4 PKW D Euro-5 PKW D Euro-6 HBEFA 3.1 0,47 0,46 0,16 HBEFA 3.2 0,44 0,56 0,17 HBEFA 3.3 T > +20°C 0,43 0,56 0,32 HBEFA 3.3 D-mittel 0,50 0,75 0,45 HBEFA 3.3 T < 0°C 0,60 1,00 0,62 0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 NOx-Emissionsfaktor in g/ km NOx-Emissionsfaktoren auf Innerorts-Hauptverkehrsstraßen Diesel-PKW der Abgasnormen EURO-4 bis EURO-6 HBEFA-Versionen 3.1, 3.2 und 3.3 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 79 Diesel-Emissionen TECHNOLOGIE sel-PKW-Zuschlagsfaktoren auch für leichte Diesel-Nutzfahrzeuge ansetzen würden. Allen Berechnungen, die für leichte Nutzfahrzeuge keine Zuschläge ansetzen, könnte der Vorwurf gemacht werden, nicht nach aktuellem Wissenstand gehandelt zu haben. Wie werden denn die Veränderungen der berechneten Gesamtemissionen sein? Zur Beantwortung dieser Frage wurden Modellrechnungen für die gesamte deutsche PKW- Flotte (Diesel- und Benzin-Fahrzeuge) für mittlere Autobahn-, Außerorts- und Innerortsfahrmuster durchgeführt. Die bundesdeutsche Fahrzeugflotte des Jahres 2017 wurde mit identischen Fahrleistungen sowohl nach HBEFA 3.2 als auch nach 3.3 modelliert. Daraus ergeben sich dann wiederum „mittlere bestands- und leistungsgewichtete PKW-Emissionsfaktoren“. Wer also weiß, wie viele Fahrzeugkilometer die gesamte PKW-Flotte in einer Stadt zurücklegt, kann diese Verkehrsleistung mit den in Bild 3 angegebenen mittleren Emissionsfaktoren multiplizieren. Diese geben damit auch einen Eindruck der Veränderungen wieder, die sich beim Übergang von HBEFA 3.2 nach HBEFA 3.3 einstellen dürften. Aus Bild 3 kann größenordnungsmäßig abgeleitet werden: • Auf Autobahnen steigt der mittlere NO x - Emissionsfaktor von 0,4 g/ km auf 0,53 g/ km. Demnach könnte erwartet werden, dass die PKW-Emissionen insgesamt auf Autobahnen durch die HBEFA-Aktualisierung um etwa ein Drittel steigen werden. • Auf Außerortsstraßen steigen die mittleren Emissionsfaktoren von 0,24 g/ km auf 0,33 g/ km, also um knapp 40 %. • Auf Innerortsstraßen bedeutet die Erhöhung um 0,1 g/ km ebenfalls eine um ein Drittel höhere Gesamtemission. Die Veränderungen, die sich durch den Umstieg von HBEFA 3.2 nach 3.3 ergeben, sind also auch insgesamt signifikant und dürfen keinesfalls vernachlässigt werden. Zusammenfassung und Folgerungen Die Überarbeitung der HBEFA-Emissionsfaktoren nach Version 3.3 ergibt aus unserer Sicht qualitativ deutlich andere (und realistischere) Ergebnisse als die Ergebnisse aus den Vorgängerversionen. Es ist davon auszugehen, dass die Verwaltungsgerichte diese Ergebnisse „nach bestem derzeitigen Wissensstand“ einfordern werden. Damit aber werden die berechneten Diesel-PKW- Emissionen und die gesamten verkehrlichen Emissionen nochmals deutlich ansteigen. Der prozentuale Anteil aller anderen Verursachergruppen wird zurückgehen, sodass der Druck auf Maßnahmen für Diesel- Fahrzeuge nochmals zunehmen dürfte. Nach den nun vorliegenden Ergebnissen dürfte sich die Hoffnung, dass mit zunehmendem Euro-6-Fahrzeugbestand die Abgasproblematik gelöst werden kann, zerschlagen. Aus unserer Sicht können zumindest die derzeitig im Markt vorhandenen Fahrzeuge keinen entscheidenden Beitrag zur Problemlösung liefern. In Deutschland werden derzeit „Software-Updates“ als wichtigste Handlungsmaßnahme diskutiert. Ob dadurch aber tatsächlich messbare Emissionsreduktionen (im Bestand! ) erzielt werden können, bleibt abzuwarten, ist aber in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen eher skeptisch zu sehen. Die Umweltverbände bzw. die technischen Automobilclubs dürften aber für die Problematik sensibilisiert sein und werden sicherlich Praxismessungen durchführen. Aus Sicht der Autoren führt an einer deutlichen Reduktion der Fahrleistungen von Diesel-PKW kein Weg vorbei. Keine andere Maßnahme kann aus unserer Sicht so rasch die aus Gründen des Menschenschutzes gebotenen Reduktionen herbeiführen. Der Aufschrei in der Bevölkerung dürfte erwartungsgemäß groß sein. Wir sind allerdings der Meinung, dass diese Maßnahme - bezogen auf die gesamtgesellschaftlichen Nutzen und Kosten - langfristig die insgesamt kosteneffizienteste Maßnahme ist: • Dieser Ansatz signalisiert allen Herstellern und Nutzern die Dringlichkeit des Problems. • Ein wesentlicher Vorteil von Marktwirtschaften ist, dass sehr rasch Alternativlösungen von den Herstellern angeboten werden. Selbstverständlich entstehen dabei Umstellungskosten, aber aus unserer Sicht ist das die Maßnahme, die den Herstellern langfristig am meisten hilft: Denn sie entwickeln dann Lösungen, die überall benötigt werden und die den Bestand der Unternehmen und der Arbeitsplätze langfristig sichern. • Die Nutzer werden ebenfalls nach Alternativen suchen: Und die Nutzer sind die einzigen, die alle Alternativen für sich prüfen und abwägen können. Wo immer und wann immer in den vergangenen Jahren gravierende Veränderungen in Verkehrsplanung und Verkehrspolitik umgesetzt wurden (LKW-Maut, congestion charges, City-Maut o.ä.), waren die Ängste anfangs groß - und nach kurzer Zeit hatten die Nutzer für sich sinnvolle Alternativen entdeckt. Da sich Alle umstellen müssen und nicht nur ein Einzelner, entstehen sofort sinnvolle Angebote, die Allen nutzen: etwa Fahrgemeinschaften, mehr Fahrradverkehr, ein attraktiverer ÖV oder auch wieder attraktivere Nahbereiche, Nahversorgungen und Stadtteilzentren. Aus unserer Sicht führt an Fahrverboten für Diesel-PKW kein Weg vorbei - und sie helfen den Unternehmen und der Bevölkerung gleichermaßen. ■ 1 http: / / www.hbefa.net/ e/ index.html Udo Becker, Prof. Dr.-Ing. Lehrstuhl für Verkehrsökologie, Fakultät Verkehrswissenschaften Friedrich List, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, TU Dresden udo.becker@tu-dresden.de Wolfram Schmidt Lehrstuhl für Verkehrsökologie, Fakultät Verkehrswissenschaften Friedrich List, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, TU Dresden wolfram.schmidt@tu-dresden.de Bild 3: Veränderungen, die sich durch den Umstieg von HBEFA 3.2 nach 3.3 ergeben. 7 Aus Abb. 3 kann größenordnungsmäßig abgeleitet werden: - Auf Autobahnen steigt der mittlere NO x -Emissionsfaktor von 0,4 g/ km auf 0,53 g/ km. Demnach könnte erwartet werden, dass die Pkw-Emissionen insgesamt auf Autobahnen durch die HBEFA-Aktualisierung um etwa ein Drittel steigen werden. - Auf Außerortsstraßen steigen die mittleren Emissionsfaktoren von 0,24 g/ km auf 0,33 g/ km, also um knapp 40%. - Auf Innerortsstraßen bedeutet die Erhöhung um 0,1 g/ km ebenfalls eine um ein Drittel höhere Gesamtemissionen. Die Veränderungen, die sich durch den Umstieg von HBEFA 3.2 nach 3.3 ergeben, sind also auch insgesamt signifikant und dürfen keinesfalls vernachlässigt werden. 4. Zusammenfassung und Folgerungen Die Überarbeitung der HBEFA-Emissionsfaktoren nach Version 3.3 ergibt aus unserer Sicht qualitativ deutlich andere (und realistischere) Ergebnisse als die Ergebnisse aus den Vorgängerversionen. Es ist davon auszugehen, dass die Verwaltungsgerichte diese Ergebnisse „nach bestem derzeitigen Wissensstand“ einfordern werden. Damit aber werden die berechneten Diesel-Pkw-Emissionen und die gesamten verkehrlichen Emissionen nochmals deutlich ansteigen. Der prozentuale Anteil aller ande- Ø-Autobahnen Ø-Ausserorts Ø-Innerorts HBEFA 3.2 0,40 0,24 0,30 HBEFA 3.3 0,53 0,33 0,40 0,00 0,10 0,20 0,30 0,40 0,50 0,60 g/ km Verkehrssituation NO x -Emissionsfaktoren nach HBEFA 3.2 und 3.3 für die gesamte PKW-Flotte (Benzin und Diesel) mittlere Verkehrssituationen / D 2017 Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 80 TECHNOLOGIE Datensicherheit Zügig die IT-Landschaft im-Nahverkehr absichern Wie ein Verkehrsbetrieb mit Schwachstellen-Management Sicherheitslücken bekämpft IT-Security, IT-Sicherheit, Netzwerküberwachung, Schwachstellenmanagement, Nahverkehr, Vulnerability Management Beim Personennahverkehr läuft im Hintergrund eine komplexe IT-Infrastruktur, die vor Hackerangriffen geschützt sein muss. Damit dieses Sicherheitsziel nicht in Gefahr gerät, hat sich ein führender deutscher Nahverkehrsanbieter an Axians IT Security gewandt. Die IT-Sicherheitsexperten implementierten die Lösung „SecurityCenter“ von Tenable. Eine kontinuierliche Netzwerküberwachung sowie Vulnerability Management befähigen das Verkehrsunternehmen nun dazu, die gesamte IT-Umgebung transparent zu machen. So lassen sich Sicherheitslücken schnell identifizieren und sofort Abwehrmaßnahmen ergreifen. Barbara Schrettle W ie in nahezu allen Unternehmen ist auch beim Nahverkehr die IT das Rückgrat des täglichen Geschäfts: Verkehrsmittel können nur dann sicher und zuverlässig rollen, wenn der IT-Betrieb störungsfrei läuft. Alle Systeme und auch Endgeräte wie etwa Kassenautomaten sind davon anhängig. Eine solche aufwändige und verzweigte IT-Infrastruktur stellt jedoch ein attraktives Ziel für Hacker dar. Gerade wenn eine IT-Landschaft komplex und über Jahre gewachsen ist, stellt der effektive Schutz Unternehmen vor eine gewaltige Herausforderung. Es ist schwierig, hier Schwachstellen und somit potenzielle Angriffsziele zu entdecken. Dazu kommt, dass oft zu kleine IT-Teams nicht die Kapazitäten für eine umfassende Inventur haben. Dabei ist es wichtig, präzise und aktuell zu erfassen, welche Systeme, Dienste und Software in welcher Konfiguration betrieben werden. Die Bestandsaufnahme sollte auf Automatismen beruhen, die dauerhaft greifen. In dieser Situation fand sich ein führender deutscher Nahverkehrsanbieter wieder. Er beschäftigt mehrere Tausend Mitarbeiter und betreibt Lokomotiven, Reisezugwagen, Triebwagen, Busse und Straßenbahnen. Für die deutschlandweite Präsenz sorgen zahlreiche Tochtergesellschaften. Das Unternehmen wollte handeln. Als vordergründige Vorgabe formulierte es, ein Schwachstellen-Management einzuführen. Das sollte zum eigentlichen Ziel führen: die eigene IT transparenter und sicher machen. Im IT-Inventar die Schwachstellen finden In der heterogenen IT-Umgebung des Nahverkehrsanbieters läuft eine Vielzahl von Servern, Clients und Kassensystemen. Darauf sind unterschiedliche Betriebssysteme und Software-Lösungen im Einsatz. Unterschiedliche Patch-Stände bieten weitere Angriffsflächen. Neue IT, etwa von Tochterunternehmen, ließ sich bisher nur schwer eingliedern, weil die Transparenz über die historisch gewachsene IT-Struktur fehlte. Das kleine Security-Team steckte großen Aufwand in die manuelle Überwachung des komplexen Systems. Ihm fehlte die Unterstützung, um die begrenzten Ressourcen priorisiert und effektiv für den größtmöglichen Sicherheitsgewinn einzusetzen. Daraus leitete sich folgendes Vorgehen ab: Als erstes sollte eine automatisierte Inventurliste angelegt werden, die zeigt, welche IT-Assets im Unternehmen im Einsatz sind. Darauf aufbauend wollte man den Sicherheitsstatus der Systeme überprüfen. Das sollte Informationen über mögliche Schwachstellen liefern und dazu dienen, diese Schwachstellen zielgerichtet zu beheben. Eine Lösung, die effiziente Prozesse für Inventarisierung und durchgängiges Patch- Management bietet, fehlte bisher. Schwachstellen-Scanner: stationär und mobil einsetzbar Der Nahverkehrsanbieter wandte sich an seinen langjährigen Trusted Partner Axians IT Security, einen herstellerunabhängigen Anbieter für IT-Sicherheit. Nach einer Evaluation fiel die Entscheidung auf Tenables „SecurityCenter“: Der Schwachstellen- Scanner inventarisiert und bietet außerdem ein umfangreiches Vulnerability Management. Er deckt also beide Anforderungen ab und punktet zusätzlich durch Funktionsvielfalt und flexibel anpassbares Reporting. Nachdem die IT-Infrastruktur analysiert war und die Scan-Zonen identifiziert wurden, ließ sich planen, wie viele Netzwerksegmente man brauchte. Die Sicherheitsexperten entwarfen im nächsten Schritt die Architektur und stellten das „SecurityCenter“ bereit. Technische Voraussetzung dafür ist eine mittelgroße virtuelle Maschine in einer sicheren Zone. Für die wichtigsten Netze hat Axians stationäre Scanner installiert. Ein zusätzlich eingeführter mobiler Scanner auf einem Laptop hat die Aufgabe, die verbleibenden Netze zu analysieren. Im Vorfeld definierten die Sicherheitsexperten den Scan-Umfang - ob es beispielsweise mehrere, auch externe Netze zu berücksichtigen gilt -, die Scan-Ziele und die Scan-Informationsflüsse. Dabei legten sie fest, dass Informationen über gefundene Schwachstellen an die Techniker gehen und Reports an den Chief Information Security Officer. Cyberkriminellen das Leben schwer-machen Das Projekt war nach rund sechs Arbeitstagen vor Ort abgeschlossen, seit Mitte 2016 setzt der Nahverkehrsanbieter die Lösung Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 81 Datensicherheit TECHNOLOGIE ein. Er kann mit kontinuierlicher Netzwerküberwachung sowie Vulnerability Management und Analytics die gesamte IT-Umgebung sichtbar machen, um Lücken zu finden. Der Schwachstellen-Scanner informiert darüber, welche Software an welcher Stelle des Unternehmens eingesetzt wird und auf welchem Stand sie sich befindet. Die Ergebnisse vergleicht er mit dem maximal möglichen Sicherheitsniveau. Den Sicherheitsverantwortlichen wird so vor Augen geführt, wo kritische Punkte sind und worauf sie sich konzentrieren müssen. Sie können nun priorisieren, anstatt dauerhaft eine riesige IT-Landschaft zu überwachen. Das erspart ihnen viel Aufwand. Das Praxisbeispiel zeigt, wie sich mit proaktivem Schwachstellen-Management ein effektiver Schutz gegen einen großen Teil der gängigen Angriffsszenarien erreichen lässt. Die Reaktionszeiten sind deutlich kürzer, weil kaum noch Sicherheitsvorfälle auftreten, und bei einem Vorfall kann das Sicherheits-Team schneller reagieren. Sebastian Haas, IT-Consultant bei Axians IT Security: „Einem hoch qualifizierten Hacker wird man mit einem Vulnerability Scanner zwar nicht zuvorkommen können, wohl aber Attacken mit automatisierten Tools, die bekannte Schwachstellen ausnutzen. Sie machen den Großteil der üblichen Cyber-Angriffe aus.“ Entscheidend sei, dass einem Angreifer der Aufwand im Vergleich zu den Erfolgsaussichten viel zu hoch erscheint. „Mit unserer Lösung haben wir die einfachen Wege abgeschnitten.“ Der Schwachstellen-Scanner hat noch mehr zu bieten Der Nahverkehrsanbieter nutzt derzeit nur einen Teil der Möglichkeiten von „Security- Center“. Nach Bedarf ist die Lösung auch für künftige Szenarien erweiterbar und kann sich stetig steigenden Bedürfnissen des Unternehmens anpassen. So lässt sie sich zum Beispiel auch zur passiven Netzwerküberwachung einsetzen. Dies hat den Vorteil, dass die Lösung anders als bei aktiver Überwachung keine Lasten am System erzeugt - sie sendet keine Pakete ins Netzwerk, sondern hört passiv mit. Auftretende Datenströme werden an das Monitoring System gespiegelt und dort analysiert. Auf diese Weise lässt sich erkennen, welche Assets wirklich mit dem Internet kommunizieren und von dort aus erreichbar sind, und ob die kommunizierende Software Schwachstellen aufweist. Außerdem kann der Schwachstellen- Scanner auf Wunsch auch mobile Geräte überwachen, die das Unternehmen verlassen, wenn etwa Mitarbeiter unterwegs sind oder zuhause arbeiten. Die Lösung ist darüber hinaus in der Lage, Compliance-Verstöße zu erfassen, weil der Hersteller Regelwerke wie BSI Grundschutz oder ISO 27000 von Haus aus mitliefert. Eigene Unternehmensrichtlinien lassen sich zusätzlich abbilden und kontinuierlich überwachen. Für einen solchen Ausbau, der noch mehr Sicherheitsfunktionen bietet und die gesamte IT- Struktur des Verkehrsanbieters abdeckt, stehen weiterhin die Sicherheitsberater von Axians zur Verfügung. So kann der Nahverkehrsanbieter die eingesetzten Lösungen regelmäßig überprüfen und an die neuesten Anforderungen anpassen. ■ Barbara Schrettle Freie Journalistin, München barbara.schrettle@akima.de Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN g Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Das Fachmagazin Transforming Cities informiert Fach- und Führungskräfte viermal jährlich branchenübergreifend über Hintergründe, Entwicklungen und Perspektiven der Veränderungen in urbanen Regionen und ihren Einzugsgebieten. Es greift die Herausforderungen auf, denen sich Gestalter, Verwalter und Erhalter im urbanen Kontext zunehmend gegenüber sehen und vertieft diese Themen mit Beiträgen anerkannter Experten aus Wissenschaft und Praxis. Anspruch des Magazins ist die ganzheitliche Analyse und Aufbereitung von Kernfaktoren zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen. Es wendet sich an die Entscheider in Verwaltungen und Stadtwerken, an Planungs- und Konstruktionsbüros, Hochschulen und Institute sowie Unternehmen. 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Sowohl zur effizienten Zugsicherung auf Nebenstrecken als auch für ETCS eignet sich die satellitenbasierte Ortung als sichere Sensorik. Dieser Artikel befasst sich im Überblick mit der Nutzung satellitenbasierter Ortung im Schienenverkehr. Hansjörg Manz S eitens der Europäischen Union (EU) wurden und werden viele Maßnahmen getroffen, um den grenzüberschreitenden Schienenverkehr zu harmonisieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine Harmonisierung von streckenseitiger und fahrzeugseitiger Signalisierungstechnik notwendig. Bei Einsatz der satellitenbasierten Ortung wäre aufgrund des Verzichts auf streckenseitige Ausrüstungskomponenten abgesehen von verschiedenen Spurweiten lediglich die Harmonisierung der fahrzeugseitigen Signalisierungstechnik erforderlich. Vorteile der satellitenbasierten Ortung In diesem Kapitel werden die vielfältigen Vorteile der satellitenbasierten Ortung im Schienenverkehr dargestellt - vom wirtschaftlichen Betrieb über den Verzicht auf streckenseitige Infrastruktur bis zur Erhöhung der Streckenkapazität jeweils mit Fokus die Nutzung für ETCS. Wirtschaftlicher Betrieb von Nebenstrecken Die Mitgliedsstaaten der EU zuzüglich Schweiz und Norwegen verfügen derzeit über ein Schienennetz von 223 000 km [1] von denen etwa 118 000 km [2] Nebenstrecken sind. Diese sind teilweise nicht wirtschaftlich zu betreiben und daher von einer Stilllegung bedroht - in Deutschland wurden z. B. 5134 km des Streckennetzes seit 1994 stillgelegt, 93 % davon bis 2004 [3]. Somit besteht besonders auf Nebenstrecken ein hoher Bedarf an kosteneffizientem und für den Fahrgast attraktivem Betrieb. Verzicht auf streckenseitige Infrastruktur Die streckenseitige Infrastruktur wie etwa Achszähler müssen intensiv gewartet sowie instandgehalten werden und sind Witterung und Vandalismus ausgesetzt. Bei vergleichsweise wartungsarmen Sensoren wie Radio Frequency Identification (RFID) oder Balisen ist zu beachten, dass diese zwar geringere Herstellungskosten als z.B. die Systeme Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) oder Linienförmige Zugbeeinflussung (LZB) haben, jedoch nur eingesetzt werden können, wenn sie an einer kartografisch bestimmten Stelle im Gleis verlegt sind und über die gesamte Lebenszeit dort verbleiben. Erhöhung der Streckenkapazität Eine Vielzahl der weltweiten Strecken wird mit blockbasierten Zugbeeinflussungssystemen betrieben, wobei die Blöcke bis zu 20 km lang sein können, was deren Kapazität stark einschränkt. In Deutschland sind die Blockabstände meist wesentlich kürzer, dennoch kann die Kapazität des deutschen Schienennetzes durch eine Optimierung der Leit- und Sicherungstechnik um 20 Mrd. tkm erhöht werden [4], was ca. 20 % der Transportleistung des deutschen Schienennetzes entspricht. Die Steigerung der Kapazität würde eine höhere Wettbewerbsfähigkeit und somit einen höheren Marktanteil ermöglichen. Dafür sollte das Abstandshalteverfahren „Moving Block“ eingeführt werden, welches eine kontinuierliche (satellitenbasierte) Ortung benötigt. ETCS als europäisches Zugbeeinflussungssystem Für die Nutzung von ETCS sind fahrzeug- und streckenseitige Komponenten notwendig, es sind bspw. drei bis Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 83 Wissenschaft TECHNOLOGIE zwölf Balisen pro Kilometer Gleis zu installieren [5]. Auf Hochgeschwindigkeitsstrecken betragen die Gesamtkosten für Signaltechnik bei ETCS Level 2 ca. 300 000 Euro pro Kilometer [6]. An dieser Stelle bietet eine satellitenbasierte Ortungseinheit wesentliche Vorteile, da lediglich eine fahrzeugseitige Einrichtung notwendig ist und somit keine Interaktionen mit der Strecke betrachtet werden müssen. Struktur der Zugbeeinflussung in Europa In diesem Kapitel wird die Struktur der Zugbeeinflussung betrachtet, um daraus die notwendigen Schritte für die Nutzung der satellitenbasierten Ortung ableiten zu können. In den folgenden Abschnitten wird zunächst die Entwicklung und Anwendung der Zugbeeinflussung in Europa dargestellt, darauf aufbauend der Wandel zur europäischen Zugbeeinflussung erörtert. Anschließend wird auf die technische Umsetzung von ETCS und dessen Nutzung in Europa eingegangen. Entwicklung und Anwendung der Zugbeeinflussung in-Europa Aufgrund ihrer national getrennten Entwicklung unterscheiden sich die verschiedenen europäischen Systeme meist signifikant voneinander. Aus dieser Vielfältigkeit resultieren Hindernisse für die von der EU geforderte Interoperabilität zwischen den Nationalstaaten Europas. Eine Übersicht über die wesentlichen in Europa eingesetzten Zugbeeinflussungssysteme ist in Bild 1 dargestellt. Wandel zur europäischen Zugbeeinflussung Speziell die in Bild 1 dargestellte Diversität an Zugbeeinflussungssystemen war eine entscheidende Motivation für die Entwicklung von ERTMS (European Rail Traffic Management System), welches sich zu einem Maßstab der Zugbeeinflussung entwickelt hat, der weltweit in 38 Ländern angewandt wird. ERTMS besteht aus dem Zugbeeinflussungssystem ETCS, einem Kommunikationssystem (GSM-R) und dem Europäischen Zugmanagementsystem (European Train Management Layer - ETML) [7]. Technische Umsetzung von ETCS ETCS wurde in fünf Leveln geplant, davon ermöglichen Level 1 bis 3 technische Interoperabilität [8]. In Level 1 erfolgt die Signalisierung ausschließlich über die Strecke, ab Level 2 sind keine streckenseitigen Signale mehr vorhanden. Die Ortung erfolgt dabei mit Hilfe von Balisen, die durch virtuelle Balisen ersetzt werden können, welche bei Überfahrt dieselbe Handlung auslösen wie eine im Gleisbett verlegte Balise. Bei Level 3 wird auf die streckenseitige Zugvollständigkeitsüberprüfung verzichtet. Nutzung von ETCS in Europa In vielen Nationalstaaten Europas wird die Einführung von ETCS forciert, weil die bestehenden Zugbeeinflussungssysteme veraltet und ineffizient sind. ETCS wird gegenwärtig schrittweise auf den TEN des Schienenverkehrs, welche 47 % des Schienennetzes der EU umfassen, eingeführt. So haben sich Belgien, Dänemark und die Schweiz für eine landesweite Einführung von ETCS um 2020 entschieden. Ortung im Schienenverkehr Die Ortung im Schienenverkehr ist für dessen sichere Betriebsführung von großer Bedeutung. Flankenschutz, Folgefahrschutz und Gegenfahrschutz werden durch die Kenntnis der Fahrzeugposition ermöglicht, Schutz vor Entgleisungen durch Überwachung der Geschwindigkeit [9]. In den nächsten Abschnitten werden die zur Ortung nutzbaren Sensoren strukturiert sowie ein Überblick über fahrzeugseitige Sensoren und die digitale Karte gegeben. Strukturierung der zur Ortung verwendeten Sensoren Auf Grundlage der Kenntnis über das Wesen von Sensoren können diese gegliedert werden, was in Bild 2 entsprechend ihres Wirkprinzips und ihrer Verortung erfolgt. Diese Analyse ist die Grundlage für die Sicherheitsnachweisführung und Erstellung der Systemarchitektur im weiteren Verlauf dieser Arbeit. Fahrzeugseitige Sensoren und digitale Karte Für die Unterstützung der satellitenbasierten Ortung im Schienenverkehr sind lediglich fahrzeugseitige Sensoren relevant. Am meisten eignen sich der Inertialsensor, der Raddrehzahlgeber, der Radarsensor und der Wirbelstromsensor. Der Inertialsensor ist im Inneren des Fahrzeugs montiert und ermittelt die Beschleunigung. Der Raddrehzahlgeber zählt durch den direkten Kontakt zwischen Fahrzeug und Infrastruktur die Umdrehungen des Rades, was jedoch mit Schlupf behaftet ist. Ein Radarsensor misst durch den Dopplereffekt elektromagnetischer Wellen die Bewegung des Fahrzeugs, die Geschwindigkeit, Strecke, Richtung und Beschleunigung. Der Wirbelstromsensor wurde als verlässlicher schlupffreier Sensor zur Wegstreckenmessung mittels magnetischer Interferenz für nicht sicherheitsrelevante Anwendungen im Schienenverkehr entwickelt [11], jedoch bis- LVZ EBICAB 900 KVB, TVM, BRS LZB, INDUSI ATP BACC , RSDD EVM ALSN EBICAB 700 SHP ALSN LVZ ASFA , TVM, BRS EBICAB 700 diverse ALSN AWS , TBL, PDS, TPWS EBICAB 700 ALSN ALSN ALSN LZB, INDUSI, andere LZB, INDUSI INDUSI nicht bekannt ZUB 121 , SIGNUM ATBL , TBL ATBL , TBL, BRS BRS diverse ZUB 123 Bild 1: Zugbeeinflussungssysteme in Europa nach [8] Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 84 TECHNOLOGIE Wissenschaft her nicht im Regelbetrieb eingesetzt. Für jede Strecke, auf der ein Zug mit satellitenbasierter Ortung verkehren soll, ist eine digitale Karte notwendig, um alle Elemente der befahrenen Streckenabschnitte darzustellen. Sicherheitsnachweisführung für die satellitenbasierte Ortung im Schienenverkehr Im Sicherheitsnachweis wird die sichere Systementwicklung formal und projektspezifisch mit dem Ziel der Vollständigkeit dokumentiert. Dabei ist es von Bedeutung, dass alle für das Erreichen des Sicherheitsziels notwendigen spezifischen Techniken und Maßnahmen abgedeckt werden. Falls gewisse Punkte nicht vollständig abgedeckt wurden, können sicherheitsbezogene Anwendungsbedingungen erstellt werden, ohne deren Implementierung die Gesamtsicherheit des Systems gefährdet ist. Dabei werden zum jeweiligen Stand der Entwicklung bestehende Mängel aufgelistet und Vorschläge zu deren Behebung angeboten. Zur Nutzung der satellitenbasierten Ortung im Schienenverkehr werden im nächsten Abschnitt sinnvoll einsetzbare Sensoren dargestellt, im folgenden Abschnitt wird deren sichere Kombination zu einer Ortungseinheit betrachtet. Sensorik zur sicheren Ortung Für eine gleisselektive Ortung im Schienenverkehr sollte die Ortungseinheit aus Sensorik, Ortung und Geodatenbank bestehen. Die kontinuierliche Verarbeitung der Sensorausgänge erfolgt in einem echtzeitfähigen System, welches die Ortungsinformationen in festgelegten, kurzen Abständen liefert. Zur Unterstützung der Sensoren können Informationen aus dem Stellwerk bezüglich der Weichenlage und positionsbezogene Informationen über die Abschnittsbelegung genutzt werden. Der GNSS-Empfänger berechnet seine Position kontinuierlich aus den von den Satelliten gesendeten Positionsdaten und den gemessenen Laufzeiten zwischen Satellit und Empfänger in einem Koordinatensystem. Für den Fall der Nichtverfügbarkeit oder Ungenauigkeit von GNSS ist ein domänenspezifisches Hodometer notwendig. Inertialsensoren können unterstützend genutzt werden. Die Sensoren sind austauschbar, wenn sie die Anforderungen erfüllen. Um Einflüsse durch Schlupf zu vermeiden, wird sich hier für den Wirbelstromsensor entschieden, da dieser als relativ unempfindlich gegenüber Schlupf gilt. Eine zu nutzende digitale Karte ist auf dem Auswerterechner installiert und enthält geometrische und topologische Informationen sowie relevante Daten des Verkehrsnetzes, als Vorbereitung für die Datenfusion sind Filter sinnvoll [12]. Die Fusion der Daten des GNSS- Empfängers und des Hodometers erfolgt in der Ortungsfusionskomponente über Koppelortung oder Multisensorverfahren [11]. Sichere Kombination der Sensorik zur Ortungseinheit In der Ortungsfusionskomponente werden die Eingangsinformationen auf Konsistenz geprüft. Das ange- Sensoren Elektromagnetische und akkustische Sensoren Fahrzeugseitige Sensoren Infrastrukturseitige Sensoren Kombinierte Sensorsysteme zur Ortung Kombinierte satellitenbasierte Systeme Menschliche Sinnesorgane als Sensorsystem Ultraschall (akustisch) Radar (elektromagnetisch) Lidar/ Ladar (elektromagnetisch) Tachometer Beschleunigungssensoren Induktive Sensoren Hallsensoren Hodometer Punktförmige Zugbeein ussung Krokodil der SNCF über Schleifkontakte Induktive Zugsicherung Transponderbasierte Systeme RFID System Eurobalise (für ETCS) GPS Galileo Auge Ohr Laser-Scanner (elektromagnetisch) (Stereo-) Kamerasysteme Radimpulsgeber Wirbelstromsensor Linienförmige Zugbeein ussung LZB GLONASS COMPASS GNSS- Ergänzungssysteme WAAS CWAAS EGNOS MSAS SNAS GAGAN QZSS Induktionsschleifen in der Infrastruktur Personen-/ Fahrgastzählung Achszähler Gleisstromkreis Lichtschranke Bild 2: Gliederung von Sensoren nach [9] und [10] Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 85 Wissenschaft TECHNOLOGIE strebte Sicherheitslevel des Schienenverkehrs wird durch redundante Strukturen gewährleistet, womit trotz Nutzung industrieller Komponenten die Ortungsinformationen als sicher betrachtet werden können. Zur weiteren Nutzung der Daten wird ein Konfidenzintervall zur betrieblichen Verwendung angegeben. Die Fusion der Daten der digitalen Karte und der Ortungsfusionskomponente erfolgt in der Ortungseinheit mit Hilfe eines automatischen Kartenabgleichs (Map Matching) unter Nutzung der Bewegungseigenschaften des Schienenverkehrs. Dabei werden die durch die Ortung ermittelten Daten mit einer digitalen Karte verknüpft. Um diesen Vorgang mit der erforderlichen Präzision und Genauigkeit durchführen zu können, sind hohe Qualität und Aktualität der digitalen Karte wichtig. Zur sicheren Ortung des Zuges werden von jedem Sensortyp zwei diversitäre Sensoren verwendet. Durch einen Datenfusionsalgorithmus wird damit die exakte Position des Zuges in Echtzeit berechnet. Zusätzlich hat die Ortungseinheit die Aufgabe, die Gültigkeit der Ortungsinformation durch selbstüberprüfende Algorithmen anzugeben. Aus den anforderungsgemäßen Sensoren lässt sich nach dem Ortsaspekt die Architektur der Ortungseinheit darstellen (Bild 3). Bei der Fahrzeugarchitektur sind Hard- und Softwareschnittstellen zu berücksichtigen, welche die Übertragung der Informationen von den Sensoren zur Ortungseinheit, von dort zum Zug sowie weiter zum Zugbeeinflussungssystem gewährleisten. Zusammenfassung In diesem Artikel wurden zunächst die Vorteile der satellitenbasierten Ortung eingeführt sowie die Ortung allgemein strukturiert. Darauf aufbauend wird die zu nutzende Sensorik dargestellt, was in der Sicherheitsnachweisführung und der Systemarchitektur der sicheren satellitenbasierten Ortungseinheit für den Schienenverkehr mündet. In einem weiteren Beitrag wird die Strukturierung der Anforderungen für die Systementwicklung betrachtet. Das wesentliche Ergebnis der in diesem Artikel dargestellten Arbeit ist die Realisierbarkeit der sicheren satellitenbasierten Ortung im Schienenverkehr zusammen mit einer dafür nutzbaren Systemarchitektur, die angewandt werden kann. ■ Der Beitrag stellt einen Teil der Ergebnisse der Dissertation des Autors dar. Hansjörg Manz: „Zur Sicherheitsnachweisführung einer bordautonomen satellitenbasierten Ortungseinheit für den Schienenverkehr“, ISBN 978-3-8440-4784-4 LITERATUR [1] UIC (2013): Railway Statistics - Synopsis 2012, Paris, 2013. http: / / www.uic.org/ spip. php? article1347 [2] Europäische Kommission (EC) (2013a): Length of TEN-T roads per country and link type. http: / / ec.europa.eu/ transport/ themes/ infrastructure/ ten-t-policy/ transport-mode/ doc/ road_tab1.pdf, Rev. 2013-10-16 [3] EBA (2013): Liste der stillgelegten (DB-) Strecken seit 01.01.1994 http: / / www.eba.bund. de/ SharedDocs/ Publikationen/ DE/ Infrastruktur/ Stilllegung/ stilllegung_brd.xls? __ blob=publicationFile&v=3, Rev. 2013-07-08 [4] Holzhey, M.(2010): Ausbaukonzeption für einen leistungsfähigen Schienengüterverkehr in Deutschland Schienennetz 2025/ 2030. Förderkennzeichen 363 01 244; UBA-FB 001400, Dessau-Roßlau, 2010 [5] Beyer, S.; Fußy, M. (2014): Herausforderungen bei der Realisierung des DB-Projektes VDE-8. Hrsg: DVV Media Group: Int. Signal+Draht Kongress, Fulda, 2014 [6] Yarman, S. (2015): Latest Communication and Signalization Technologies in Railways. In: IC-ARE‘15. Hrsg: Universität Istanbul: International Congress on Advanced Railway Engineering, Istanbul, 2015 [7] VDV (2008): ERTMS Das Leitsystem für Europas Schiene. Hintergrundpapier 4/ 2008, Berlin, 2008 [8] Meyer zu Hörste, M. (2004): Methodische Analyse und generische Modellierung von Eisenbahnleit- und -sicherungssystemen. TU Braunschweig, Dissertation. 571, VDI-Verl., Düsseldorf, 2004 [9] Maschek, U. (2015): Sicherung des Schienenverkehrs. Grundlagen und Planung der Leit- und Sicherungstechnik, 3., überarb. u. erw. Aufl. 2015, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden, 2015 [10] Schnieder, E. (2007): Verkehrsleittechnik. Automatisierung des Straßen- und Schienenverkehrs; mit 45 Tabellen, Springer, Berlin [u.a.], 2007 [11] Hasberg, C. (2011): Simultane Lokalisierung und Kartierung spurgeführter Systeme. 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RAMS Manager, ESE Engineering und Software- Entwicklung GmbH, Braunschweig hansjoerg.manz@ese.de Ortsaspekt Fahrzeugarchitektur Aufstellungsort Raum Technische Anlage Teilanlage Kombinationsgruppe Anlagenkomplex 1 n 1 n 1 n n 1 enthält 1 1 1 1 n 1 1 n Ort Einbauort n 1 1 EVC Ortungseinheit 1 1 1 1 STM 1 1 Ortungsfusionskomponente Auswerterechner 1 1 1 1 GNSS- Baugruppe Wirbelstrombaugruppe 1 2 1 2 Fahrzeugdach Inertial- Baugruppe 1 2 Fahrzeugchassis Geräteschrank 1 1 Digitale Karte 1 1 1 1 1 1 n 1 enthält Einbauort Technische Zugausrüstung optional Bild 3: Fahrzeugarchitektur der satellitenbasierten Ortungseinheit entsprechend des Ortsaspekts Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 86 TECHNOLOGIE Wissenschaft Innovationen im Verkehrssektor Analyse der Bedingungen für erfolgreiche technologische Neuerungen Innovation, Diffusion, Technologien, Container, Magnetschwebebahn, autonomes Fahren Die Geschichte des Verkehrswesens wird seit jeher durch kleine und große technische und organisatorische Neuerungen bestimmt. Wenn auch enorme Fortschritte unsere Lebensräume und Lebensweisen geprägt haben, ist bis heute der Wunsch nach einem nachhaltigen Verkehrssystem, das modernen ökonomischen, ökologischen und sozialen Bedürfnissen entspricht, noch nicht erfüllt worden. Das Erreichen eines solchen nachhaltigen Verkehrswesens erfordert den Einsatz neuer Technologien. Viele Faktoren nehmen Einfluss darauf, ob sich eine neue Technologie am Markt durchsetzen kann. Dieser Beitrag untersucht jene Faktoren, die Innovationen im Verkehrswesen und deren Diffusion beeinflussen. Thomas Austermann D ie vielfältigen Wirkungen des Verkehrs und seine maßgebende Rolle im kohlenstoffbasierten Wirtschaftsmodell machen Innovationen und deren Diffusion im Verkehrswesen zu einer Grundvoraussetzung für den Übergang in ein postfossiles, nachhaltiges Wirtschaftssystem [1]. Aus der wirtschaftswissenschaftlichen Innovations- und Diffusionstheorie sind allgemeine Faktoren bekannt, die die Verbreitung einer neuen Technologie fördern oder hemmen können. Diese gehen dabei über die von Merki gesammelten Gemeinsamkeiten vergangener Innovationen im Verkehrssektor hinaus, die unter den folgenden Stichworten schneller, weiter, mehr, billiger und sicherer zusammengefasst werden können [2]. Im Folgenden werden zunächst die wirtschaftswissenschaftlichen Hintergründe von Innovationen aufgegriffen, um ein grundlegendes Verständnis der dahinter liegenden makro- und mikroskopischen Prozesse zu schaffen. Die Analyse von potentiellen, empirisch ermittelten Einflussgrößen des Innovationserfolgs anhand vergangener und aktueller Innovationen im Verkehrssektor soll anschließend zeigen, ob und inwiefern dabei- einzelne Einflussfaktoren eine besondere Rolle einnehmen. Die Grundlage für das heutige Innovationsverständnis liefert der österreichische Ökonom Joseph Alois Schumpeter, der ökonomischen Wandel als Folge der „Durchsetzung neuer Kombinationen“ beschreibt [3]. Auf diese Weise generieren Unternehmer einen vorübergehenden Wettbewerbsvorteil, den Konkurrenten versuchen, durch Imitation auszugleichen. In der Folge kann es zu einer Verdrängung der zuvor existierender Produkte und Verfahren kommen. Schumpeter bezeichnet dieses Ergebnis als einen „Prozess der schöpferischen Zerstörung“, mit dem er ein wesentliches Marktprinzip beschrieben hat. Dessen Bedeutung ist durch den internationalen Wettbewerb und den damit einhergehenden kürzeren Produktlebens- und Innovationszyklen noch gestiegen. Innovationen haben damit auch einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Volkswirtschaften, sodass die Innovationstätigkeit als Hinweis auf deren Wachstumsfähigkeit interpretiert werden kann [4]. Nach Beobachtungen von Nikolai D. Kondratieff rufen Innovationen jedoch kein kontinuierliches Wirtschaftswachstum hervor, sondern verursachen konjunkturelle Wachstumsschübe [5]. Die nach ihm benannten langen Konjunkturwellen können auf besonders einschneidende Basisinnovationen zurückgeführt werden, wie z. B. der Dampfmaschine, die als Auslöser des ersten Kondratieff- Zyklus gilt. Innovationen können damit als Ursprung von Wirtschaftswachstum und gesellschaftlichem Wohlstand gesehen werden [6]. Schumpeter und Kondratieff beweisen in ihren Ausführungen ein weit ausholendes Innovationsverständnis, das in der modernen Literatur häufig noch weiter eingegrenzt wird. Die verschiedenen Definitionen haben vor allem die Beschreibung bestimmter Investitionsmerkmale gemein. Vahs und Brem identifizieren unter anderem den Neuheitsgrad, die Unsicherheit, die Komplexität und den Konfliktgehalt eines neuen Produktes oder Prozesses als Gemeinsamkeit geläufiger Definitionen [4]. Über die unmittelbaren ökonomischen Effekte hinaus wirken Innovationen außerdem auf das ökologische und soziale Umfeld, in denen Innovationen durchgesetzt werden. Diese Wirkungen können dabei sowohl positiv als auch negativ sein, sodass Innovationen sowohl Problemverursacher als auch Problemlöser sein können [7]. Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 87 Wissenschaft TECHNOLOGIE Das Auslösen der ökonomischen Verwertung einer Invention kann in Form eines Technology Push oder eines Market-Pull geschehen. Außerdem können exogene Faktoren in der Umwelt von Unternehmen und Kunden zum Auslöser von Innvationen werden, z. B. gesetzliche Anforderungen, steigende Wettbewerbsintensität (wie von Schumpeter beschrieben) oder bedeutungsvolle Basisinnovationen (wie von Kondratieff beschrieben) [4]. Ob eine Innovation erfolgreich ist, hängt von deren zeitlicher Ausbreitung innerhalb eines sozialen Systems ab (Diffusion) [8]. Dabei können die Adoptoren je nach Zeitpunkt der Innovationsübernahme gruppiert und ihnen verschiedene Eigenschaften zugewiesen werden. Zu diesen Eigenschaften gehören unter anderem das Ausmaß der Risikobereitschaft und Abenteuerlichkeit sowie die Kontrolle über finanzielle Ressourcen [9]. Der Diffusionsprozess kann durch vielfältige Barrieren unterbrochen werden und damit den Innovationsprozess verzögern oder scheitern lassen. Diese können sowohl auf Marktseite bei den Adoptoren als auch innerhalb des verwertenden Unternehmens auftreten (z. B. Kenntnis-, Fähigkeits- oder Willensbarrieren). Grundsätzlich gilt: Je weiter die Diffusion bei Markteintritt von Imitatoren fortgeschritten ist, desto größer ist der Erfolg des innovierenden Unternehmens. Für das Innovationsmanagement ist folglich interessant, durch welche Faktoren die Diffusion und damit der Innovationserfolg beeinflusst werden kann. Aus der wirtschaftswissenschaftlichen Innovations- und Diffusionsforschung sind allgemeine Faktoren bekannt, die den Diffusionsverlauf mitbestimmen. Dazu gehören zunächst die Merkmale des Adoptionsobjektes (innovationsspezifische Faktoren), zu denen unter anderem die relative Vorteilhaftigkeit, Kompatibilität, Beobachtbarkeit und das wahrgenommene Risiko zählen. Außerdem gibt es die Merkmale der Adoptionsumwelt (umweltbezogene Faktoren), die ökonomischer (Marktgröße, verfügbare Komplementärprodukte, etc.), politisch-rechtlicher (Verbote, Subventionen, etc.), technischer oder sozio-kultureller (Technikakzeptanz) Natur sein können. Sowohl die innovationsspezifischen als auch die umweltbezogenen Faktoren haben einen direkten Einfluss auf die Adoptionsentscheidung. Im Konsumgüterbereich ist die Entscheidung darüber hinaus von adoptorbezogenen Faktoren (Merkmale des Adoptionssubjekts), die intraindividuell (Selbstbewusstsein, Aufgeschlossenheit, Einkommen, Bildungsniveau, etc.) und interindividuell (Interaktion mit sozialem Umfeld) sind, abhängig. Im Industriegüterbereich wird die Adoptionsentscheidung dagegen meist durch spezielle Entscheidungskriterien objektiviert, die im Wesentlichen die Merkmale des Adoptionsobjektes adressieren [10]. Auf innerbetrieblicher Basis haben auch unternehmensinterne Faktoren, wie z. B. die Innovationsstrategie und der Informationsfluss, Einfluss auf die Diffusion einer Innovation. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Einflussgruppen kann diesen eine indirekte Wirkung unterstellt werden, die über die Wahrnehmung des Adoptionssubjekts Einfluss auf die Adoptionsentscheidung nimmt. Sie prägen die Innovationen und formen die Merkmale des Adoptionsobjektes. Auch bei Innovationen im Verkehrswesen können die wesentlichen Elemente der Innovationstheorie wiedergefunden werden, was drei Fallstudien zu den Innovationen Magnetschwebebahn Transrapid, Containersystem und autonomes Fahren bestätigen. Bei der Analyse dieser Innovationen hinsichtlich der Einflussfaktoren auf den Innovationserfolg werden wegen des tendenziell indirekten Einflusses der unternehmensinternen Faktoren und der Individualität der Merkmale des Adoptionssubjekts diese nicht näher betrachtet. In den Fallstudien spiegelt sich die große Vielfalt möglicher Innovationen mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften im Verkehrswesen wieder. So ermöglichen es die Fallstudien, einen Überblick über die Einflüsse auf Innovationen im Verkehrssektor zu geben und gegebenenfalls allgemeine Rückschlüsse auf die Erfolgsfaktoren zu ziehen. Für den Transrapid in Deutschland haben sich die Ausprägungen der innovationsspezifischen Faktoren Beobachtbarkeit, Erprobbarkeit, Kommunizierbarkeit, Reifegrad und Marktpositionierung als diffusionsfördernd herausgestellt. Demgegenüber scheinen relative Vorteilhaftigkeit, Kompatibilität, Komplexität und wahrgenommenes Risiko eher diffusionshemmend und letztlich auch -stoppend gewesen zu sein. Auch die Merkmale der Adoptionsumwelt mit Ausnahme der politisch-rechtlichen Umwelt müssen bei den letzten Projekten in Deutschland bereits als diffusionshemmend eingestuft werden. Im Fall des Transrapid hat sich die Ausprägung der einzelnen Einflussfaktoren während der Entwicklungs- und Planungszeit deutlich verändert. Die Zeit spielt damit ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle im Innovationsprozess. In der zweiten Fallstudie zum Containersystem lassen sich bei der Untersuchung der innovationsspezifischen Faktoren die von Merki bereits festgestellten Merkmale erfolgreicher Innovationen im Verkehrssektor feststellen. Sie spiegeln sich besonders in den aus der Verwendung der Container resultierenden Effekte der Ladungshomogenisierung und -unitarisierung wider. Als Konsequenz haben sich für das Containersystem sowohl relative Vorteilhaftigkeit, Beobachtbarkeit, Erprobbarkeit, Reifegrad und wahrgenommenes Risiko sowie die ökonomischen und politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen als diffusionsfördernd herausgestellt. Dagegen haben sowohl Kompatibilität und Komplexität der Innovation durch die Vielzahl beteiligter Akteure als auch die technische und sozio-kulturelle Umwelt einen drosselnden Effekt auf die Diffusionsgeschwindigkeit entwickelt. Die dritte Fallstudie beschäftigt sich mit dem autonomen Fahren, wobei dessen Betrachtung als einheitliche Transrapid 09 auf der Versuchsanlage Emsland Bild: Wikimedia Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 88 TECHNOLOGIE Wissenschaft Innovation irreführend ist. Vielmehr stellen autonome Fahrzeuge das Resultat einer Vielzahl inkrementeller Innovationen im Bereich der Fahrzeugtechnik dar (Fahrerassistenzsysteme), wobei die Wirkung der Kombination aller inkrementellen Innovationen deutlich größer ist, als die Effekte einzelner vermuten lassen. Genauso wie der Container zeichnet sich auch das autonome Fahren durch eine zusätzliche Eigenschaft aus: Beide stellen Netzeffektgüter dar, deren Vorteilhaftigkeit mit dem Grad der Ausbreitung steigt. Im Fall autonomer Fahrzeuge kann sogar von einem Systemgut gesprochen werden, dessen wesentliche Vorteile erst mit fortschreitender Diffusion sichtbar werden. Für das autonome Fahren sind neben Kompatibilität, Reifegrad und wahrgenommenen Risiko auch die soziokulturelle und politische Umwelt als Diffusionshemmer zu bezeichnen, die zum Teil zeitabhängig sind und mit fortschreitender Entwicklung der zugrunde liegenden Technologien an Bedeutung verlieren bzw. sich sogar zu diffusionsfördernden Faktoren entwickeln können. Bezieht man bei der Bewertung des autonomen Fahrens die Unterschiede zwischen privater und gewerblicher Nutzung mit ein, sind die Vorteile für den gewerblichen Verkehr aus heutiger Sicht noch etwas größer als im privaten Bereich, da die Gewichtung und Ausprägung der Faktoren durch die abweichende Betrachtungsweise gewerblicher Adoptionssubjekte anders ausfällt. Eine wesentliche Herausforderung bei der Untersuchung der genannten Innovationen liegt bereits in der Bestimmung des Adoptionssubjekts. Die Entscheidung zur Adoption einer Innovation ist im Regelfall eine Investitionsentscheidung, weshalb derjenige, der die notwendigen finanziellen Mittel zur Adoption aufbringt, als Adoptionssubjekt benannt werden kann. Im Verkehrswesen ist das Adoptionssubjekt jedoch nicht immer eindeutig zu bestimmen, z. B. wenn die Adoption einer Innovation infrastrukturelle Anpassungen oder das Investitionsvolumen Kooperationen erfordert. Für viele Innovationen muss dadurch weniger von einem Adoptionssubjekt sondern mehr von einer Adoptorengruppe gesprochen werden. Die betrachteten Innovationen zeigen, dass eine unterschiedliche Bewertung der Ausprägung der einzelnen Faktoren durch die potentiellen Adoptoren nicht Ausnahme, sondern Regel ist. Dazu kommt, dass die Faktoren gruppenübergreifende Wechselwirkungen zeigen, sodass eine getrennte Betrachtung der Faktoren nicht zielführend ist. Es geht immer um die Wahrnehmung aller Faktoren in Kombination. Auch wenn es häufig so scheint, können die innovationsspezifischen Faktoren besonders im Verkehrswesen nicht auf die relative Vorteilhaftigkeit und das wahrgenommene Risiko reduziert oder zusammengefasst werden. Für einige Faktoren können aus den Fallstudien gemeinsame Indikatoren ermittelt werden, zu denen die von Merki beschriebenen Trends für die relative Vorteilhaftigkeit oder der Umfang notwendiger Infrastrukturanpassungen für die Komplexität einer Innovation gezählt werden können. Allgemein scheint bei Verkehrsinnovationen die Adoptionsumwelt gegenüber den Merkmalen des Adoptionsobjektes eine etwas wichtigere Rolle einzunehmen, als es bei Innovationen mit geringeren Wirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Soziales der Fall ist. Wie groß die Gewichtung zunächst von Indikatoren bei Bewertung eines einzelnen Faktors und anschließend bei der Bewertung einer Innovation ist, kann aber nicht beantwortet werden. Neben Unterschieden zwischen den Innovationen sind dafür vor allem die Eigenschaften des Adoptionssubjekts für eine Gewichtung zu berücksichtigen. Insgesamt präsentieren sich Innovations- und Diffusionsprozesse im Verkehrswesen als komplexe Systeme, in denen es zu vielfältigen wechselseitigen Beziehungen kommt. Ein Vergleich von Innovationen derselben Art, d. h. mit gleichen oder zumindest ähnlichen Eigenschaften hinsichtlich des Potentials zu verkehrlichen Veränderungen sowie hinsichtlich der Adoptoren(-gruppen), könnte die Grundlage für eine detaillierte Untersuchung von Indikatoren und Bewertung der Wichtigkeit von Einflussfaktoren bilden. Um eine solche Untersuchung zu ermöglichen, müssten jedoch zunächst entsprechende Kriterien zur Einstufung von Innovationen im Verkehrssektor entwickelt werden. Die traditionelle Einteilung des Verkehrssektors in Personen- und Güterverkehr, öffentlicher Verkehr und Individualverkehr, etc. scheint dafür nicht ausreichend, da sich auch zwischen diesen Bereichen immer wieder Überschneidungen und Wechselwirkungen offenbaren. Die notwendige Übersicht für eine zielführende Beeinflussung der Adoptionsentscheidung innerhalb dieses komplexen Systems dürfte kaum zu erreichen sein. ■ Der Beitrag ist die Zusammenfassung einer Master-Arbeit am Lehrstuhl für Güterverkehrswesen und Transportlogistik an der Bergischen Universität Wuppertal, die von der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft DVWG mit dem Henry-Lampke-Preis 2017 für Nachwuchswissenschaftler ausgezeichnet wurde. LITERATUR [1] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Hrsg. Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation Hauptgutachten 2011. 2., veränd. Aufl., Red.-Schluss: 17.03.2011. Welt im Wandel. Berlin, 2011. 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Oktober beim kommenden EcoMobility Weltkongress in Kaohsiung, der zweitgrößten Stadt auf der Insel Taiwan, auf dem Programm. Lebenswert. Geteilt. Intelligent. Diese drei Oberthemen prägen das internationale Zusammentreffen städtischer Entscheidungsträger mit Experten aus führenden internationalen Verkehrsorganisationen. Zu den Hauptrednern gehören: • Limin Hee, Forschungsdirektorin Centre for Liveable Cities Singapore • Robin Chase, Gründerin von Zipcar, Buzzcar and GoLoco • Konrad Otto-Zimmermann, Kreativdirektor von The Urban Idea und Entwickler der EcoMobility Festivals • Clayton Lane, Geschäftsführer Institute for Transportation and Development Policy (ITDP) • sowie Bürgermeister von fortgeschrittenen Städten wie Utrecht (Niederlande), Busan (Südkorea), Penang (Malaysia), Freiburg und Liverpool (Großbritannien). Die 15 Workshops befassen sich mit aktuellen Fragen, darunter den Systemen zur gemeinsamen Nutzung von Fahrzeugen, integrierten Mobilitätsdienstleistungen, IT und Stadtverkehr, menschenorientierter Stadtplanung und Stadtverkehrs-Fahrzeuge der Zukunft. Der EcoMobility-Weltkongress ist Teil des EcoMobility World Festivals 2017 in Kaohsiung Ein solches Festival demonstriert den Städten, welche markanten Schritte sie in Richtung „Ecomobility“ als zukunftsorientierter Stadtverkehrskultur unternehmen können und müssen. So wird das alte Stadtquartier Hamasen im Monat Oktober in einen Pilotbereich für Ökomobilität verwandelt - also für Zufußgehen, Rad fahren, öffentlicher Nahverkehr und gemeinsam genutzte Fahrzeuge sowie leichte Elektrofahrzeuge. Ein Monat. Ein Stadtquartier. Ökomobil. Das Festival, das alle zwei Jahre in einer anderen Stadt inszeniert wird, simuliert die Zukunft des urbanen Verkehrs in einer echten Stadt - mit echten Menschen und in Echtzeit. Es erlaubt den Stadtverwaltungen, mit kreativen Lösungsansätzen zur Gestaltung lebenswerter Städte zu experimentieren. Gleichzeitig gibt es den Bewohnern die Chance, vielfältige und neue Optionen für ihre Mobilität zu finden: Optionen, die verschiedene Verkehrsmittel integrieren, allen gleichen Zugang verschaffen und damit sozial inklusiv sind, die Gesundheit fördern und insgesamt die Lebensqualität erhöhen. Kaohsiung, eine Stadt mit 3 Mio. Einwohnern, ist beispielgebend für nachhaltigen Stadtverkehr in Asien. Bürgermeisterin Chen Chu hat derzeit auch den Vorsitz des Netzwerks besonders fortgeschrittener Städte „EcoMobility Alliance“ inne. Sie fördert den Umweltverbund, die Minderung verkehrsbedingter CO2-Emissionen sowie innovative Mobilitätssysteme. Kaohsiung hat die Infrastruktur zur gemeinsamen Nutzung von Rädern und Elektrofahrzeugen geschaffen, eine neue Straßenbahnlinie um die Stadt gebaut und die Erweiterung seiner Metro in der Planung. Autonomes Fahren soll in Kaohsiung intensiv und kontrovers diskutiert werden wird: Ein autonom fahrender Minibus wird als Shuttle Bürger und Besucher zum Testfahren animieren. Daher ist dieses Festival so besonders: Einwohner sowie nationale und internationale Gäste können nicht nur über Verkehrsbedürfnisse und -ansätze sprechen, sie können auch sehen, ausprobieren und Erfahrungen für ihre Alltagsmobilität gewinnen. Monika Zimmermann Stellvertretende Generalsekretärin ICLEI, Bonn (DE) monika.zimmermann@iclei.org AUF EINEN BLICK Kaohsiung und „ICLEI - Städte für Nachhaltigkeit“ laden ein Das EcoMobility World Festival 2017 wird während des ganzen Monats Oktober im traditionsreichen Stadtteil Hamasen von Kaohsiung stattfinden. Zum EcoMobility-Weltkongress vom 02.-04. Oktober 2017 werden Hunderte lokaler Entscheidungsträger und Mobilitätsexperten erwartet. Die Teilnahme an Festival und Kongress ist kostenfrei. Information und Registrierung: www.ecomobilityfestival.org Bilder: ICLEI FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 90 45th European Transport Conference Preview: 04-06 October 2017, Casa Convalescència, Barcelona (ES) T he Freight and Logistics committee of the European Transport Conference concerns actual issues such as freight and the environment, impact of strategic logistics on freight systems, freight policy development, city logistics, trans-national networks, air cargo transport, ports and maritime policy. The programme at ETC 2017 includes: • Freight transport modelling developments and applications in Europe • Bikes in e-commerce and urban logistics • Sustainable ports, marine and land transportation • Freight transport policy for rail, air and ports • Transport law issues in labour and horizontal co-operation • A technical visit to the Port Three days of in-depth presentations on policy issues, best practice and research findings across the broad spectrum of transport • 8 to 10 parallel sessions each day • Presentations on topics and projects in any stage of research, planning or implementation • Keynotes from significant names in world transport • A full social programme for further networking opportunities • Technical visits based on examples of good practice in Barcelona • Over 240 presentations plus debates, plenaries and workshop sessions For further information please contact: sabrina@tftp-training.co.uk Parking in the City Lounge Vorschau: 18th EPA Congress and Exhibition, 20.-22.09.2017, Rotterdam (NL) T op-Referenten aus Politik, Wissenschaft und Industrie präsentieren in Rotterdam vom 20.-22.09.2017 Innovationen, Anwendungen und Trends im Bereich Parken. Gastgeber der Veranstaltung ist der Verband für Parken in den Niederlanden (VEXPAN). Als Schwerpunkte stehen im Fokus: • Decriminalizing and digitization of parking in public domain • Use of parking data and privacy issues • Electric vehicles: charging at parking facilities • Impact of connected and autonomous vehicles on parking Dazu Peter Martens, stellvertretender Vorsitzender von VEXPAN, Verband für Parken in den Niederlanden: „Wie sollen wir den wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen gerecht werden? Als Vorreiter die Initiative ergreifen - oder lieber abwarten, wo die Reise hingeht? Der kommende EPA Kongress in Rotterdam bietet eine gute Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen.“ Über 30 Fachvorträge, Plenary und Parallel Sessions, Panel Diskussionen, Exhibitor´s Speakers Corner und ein attraktives Rahmenprogramm erwartet die Teilnehmer in Rotterdam. Unter anderem wird Pex Langenberg, stellvertretender Bürgermeister von Rotterdam, das „City Lounge”- Konzept für nachhaltige urbane Entwicklung und Mobilität erläutern. Am zweiten Kongresstag werden in vier Sessions die Themen „Parking today“, „Technology“, „Policy“ und „E-charching and parking“ intensiv beleuchtet. Referenten von Unternehmen, Forschungsinstituten und Universitäten präsentieren ihre neuesten Forschungsergebnisse und gewähren einen Einblick in länderspezifische Besonderheiten. Am letzten Kongresstag widmen sich die Vorträge und Diskussionen unter anderem der Zusammenarbeit zwischen Automobilindustrie und Parksektor im Hinblick auf das autonome Parken in Parkhäusern. Teilnehmer erfahren von den technischen und operativen Herausforderungen der Umsetzung sowohl heute als auch in einer voll automatisierten Zukunft. Eine Podiumsdiskussion mit Zulieferern und Städtevertretern beschäftigt sich mit der Rolle von „smart parking“ im Zusammenhang mit intelligenten Verkehrssystemen und „smart cities“. EPA Awards Die EPA Awards werden am ersten Tag für herausragende Objekte und Konzepte in den Kategorien Neubau, Renovierung, Parken auf der Straße, Innovation und Marketing vergeben. In jeder der fünf Kategorien wird ein Award vergeben, die „Shortlist“ mit Favoriten ist auf der Kongress-Webseite veröffentlicht. In den Kongressgebühren ist auch der Besuch der begleitenden Ausstellung enthalten. Das detaillierte Programm sowie die Anmeldung zu Kongress und Rahmenprogramm stehen online unter epacongress.eu zur Verfügung. Veranstaltungstermine und Vorschauen immer aktuell unter www.internationales-verkehrswesen.de Veranstaltungen FORUM Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 91 Widerstandsfähigkeit von Supply Chains durch Resilienz stärken Vorschau: 5. Internationale Fachkonferenz „EXCHAiNGE - The Supply Chainers’ Conference“, 26.-27.09.2017, House of Logistics and Mobility (HOLM), Frankfurt am Main W ie lassen sich weltweite Supply Chains widerstandsfähiger machen? Professionelle Handlungsstrategien aufgrund global-demographischer Veränderungen oder nach Störfällen stehen im Fokus der „EXCHAiNGE 2017 - The Supply Chainers’ Conference“. Vom 26. bis 27. September 2017 kommen in Frankfurt am Main Entscheidungsträger aus den Bereichen Supply Chain Management, Finanzen, Logistik und Einkauf auf der 5. Internationalen Fachkonferenz „EX- CHAiNGE - The Supply Chainers’ Conference“ zusammen, um über Herausforderungen und Trends zu diskutieren. Weitere Agendapunkte: Kultur zur digitalen Transformation, Digitale Souveränität, Nachhaltiges Wirtschaften, Open Innovation. Im Fokus: Resilienz vs. Effektivität Lieferketten sind anfällig und Störungen nicht immer vorhersehbar. Wirken sich Terrorismus, kriegerische Konflikte und Naturkatastrophen auch auf Produktion, Versorgung und Logistik aus, müssen Supply Chainer umgehend vordefinierte belastbare Handlungsoptionen einleiten. Auch erfordern Klimawandel, Ressourcenverknappung und starke demographische Veränderungen weitsichtige Konzepte. Viele Verantwortliche betrachten dabei lediglich den traditionellen Effizienzfaktor. „Das gefährdet die Wertschöpfungssysteme insgesamt“, mahnt Klaus Krumme, Geschäftsführer am Zentrum für Logistik & Verkehr der Universität Duisburg-Essen, der als Gesamtmoderator durch die zweitägige Konferenz führt. Rein auf Kosten- oder Ökoeffizienz ausgerichtete Supply Chains böten weder Puffer noch notwendige Variabilitäten oder alternative Ressourcen, um auf Störungen schnell und sicher reagieren zu können. Eine vom Menschen gesteuerte Systemresilienz, also die Fähigkeit, nach unvorhersehbaren Einflüssen auf ein System zu reagieren und weiter zu bestehen, sei ein bedeutender Erfolgsfaktor für moderne Supply Chains. Auf der EXCHAiNGE erfahren die Teilnehmer, wie eine Neubetrachtung und Neugestaltung der Supply Chains durch Resilienzdesign klappen kann. Die Session-Themen Resilienz vs. Effizienz. Wie kann der Supply Chainer das Unternehmen wirtschaftlich, ökologisch und sozial zukunftssicherer gestalten? Kultur zur digitalen Transformation. Welche Menschen, Spielregeln und kollaborativen Methoden führen zum Erfolg? Nachhaltiges Wirtschaften. Wie sich Akteure im Spannungsfeld zwischen Kooperation, Profit und Verantwortung neu positionieren können. Open Innovation in der Supply Chain. Schnell umsetzbare Beispiele für den Umgang mit eigenen Wissensträgern, innovativem Prozessdesign und den Charakteristika performanter Schnittstellen und Knotenpunkte zwischen Unternehmen. Digitale Souveränität. Wie es Daten-Eigentümern gelingt, digitale Souveränität zu wahren. Supply Chain Best Practices - Details hinter den Kulissen. Konzepte bewerbender Unternehmen in Sachen Supply Chain Management Award 2017. Der Supply Chain Management Award wird zum zwölften Mal verliehen, vergeben von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, und dem Fachmagazin „Logistik heute“. Schirmherrin ist Dorothee Bär, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie Koordinatorin der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik. Weitere Infos: www.exchainge.de Solutrans 2017 Vorschau: Internationale Messe für Straßentransport und Stadtverkehr, 21.-25.11.2017, Lyon (FR) A ls internationale Messe für Lösungen im Straßentransport und Stadtverkehr ist die Solutrans die einzige Veranstaltung Frankreichs, die alle Branchenakteure (Fahrzeughersteller, Karosseriebauer, Zubehör- und Reifenanbieter, usw.) zusammenbringt. Ausgerichtet vom französischen Karosserieverband FFC („Fédération Française de Carrosserie“) steht die Solutrans unter der Schirmherrschaft des französischen Wirtschafts- und Finanzministeriums. Den Branchenerwartungen und -herausforderungen entsprechend geht es bei der Solutrans 2017 um sechs Leitthemen: • Betrieb der Zukunft: Robotik, 3D-Druck, Simulation, virtuelle Realität, erweiterte Realität, Internet der Dinge, Big Data etc. • Neue Antriebs- und Energieformen • Connected Cars • City Logistik • Bildung und Ausbildung • Cyber-Sicherheit Vier Veranstaltungen drehen sich speziell um das Thema Innovation. Mehr Information und Anmeldung: www. solutrans.eu FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 92 PMRExpo 2017 Vorschau: 17. PMRExpo, 28.-30.11.2017, Köln D ie internationale Fachmesse PMRExpo hat sich in den letzten Jahren zur europäischen Leitmesse für professionellen Mobilfunk und Leitstellen entwickelt. Sie wird 2017 wiederum wachsen: Aufgrund der enormen Ausstellernachfrage wurde die Ausstellungsfläche fünf Monate vor Veranstaltungsbeginn um 360 m 2 auf nunmehr etwa 4400 m 2 erweitert. Über 4000 Besucher aus Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), Ministerien, Behörden, Industrie, Energieversorgungsunternehmen und Fachhandel werden 2017 in der Kölner Messe erwartet. Wachstum und Internationalisierung der PMRExpo basieren auch auf der ständigen Weiterentwicklung ihres Programms. Hierzu zählen die PMR-Konferenz, der Leitstellenkongress, eine Fachtagung für die Energiewirtschaft und täglich wechselnde Fachforen. Das zweitägige Career-Programm für Studenten und Young Professionals wird 2017 noch weiter ausgebaut. Fachtagung für die Energiewirtschaft Die eintägige Fachtagung beleuchtet am 29. November PMR-Themen, die speziell auf die Belange der Energieversorgungsunternehmen ausgerichtet sind. Zu den Themen zählen: sichere Kommunikation für die kritische Infrastruktur, Energie, Best Practice, Wasserstoff, Netzersatzanlagen zur Stromversorgung von Funksystemen, Smart-Meter- Gateway-Kommunikationslösungen, Kommunikationslösungen bei Verteilnetzbetreibern, Kommunikation in Meldestellen, Multichannel-Alarmierung und das Netz 450connect. Aktuelle Informationen: www.pmrexpo.de Aktive Sicherheit und automatisiertes Fahren (IEDAS) Vorschau: 3. Interdisziplinärer Expertendialog, 25.-26.10.2017, Essen D as Thema „Aktive Sicherheit und automatisiertes Fahren (IEDAS)“ steht im Mittelpunkt der zweitägigen Tagung, die das Haus der Technik e. V. (HDT) am 25. und 26. Oktober 2017 in Essen veranstaltet. Unter der Leitung von Prof. Dipl.-Ing. Klaus Kompaß, Leiter Fahrzeugsicherheit bei der BMW Group in München, betrachten und diskutieren Experten und Teilnehmer die aktuellen und zukünftigen Entwicklungen. Die Automatisierung der Fahraufgabe, die immer stärkere Übernahme von Fahrzeug-Führungsaufgaben durch das Regelsystem und die damit verbundene Rollenveränderung von Mensch und Maschine gehören zu den aktuellen Top-Themen in der Entwicklung zukünftiger Transportsysteme. Die Mobilität von morgen wird sich durch das automatisierte Fahren in Summe stark verändern, unter anderem durch die starke Notwendigkeit von Vernetzung und Standardisierung. Der Expertendialog möchte dazu einen Beitrag leisten. Im Unterschied zu vielen anderen Tagungen liegt eine starke Betonung auf dem Dialog: Kurze Fachbeiträge mit ausreichend Gelegenheit zur Diskussion und zum Austausch. Die Besetzung des Fachbeirats belegt den interdisziplinären Charakter, der sich auch in den ausgewählten Beiträgen widerspiegelt. Prof. Klaus Kompaß, Leiter der Tagung und Leiter Fahrsicherheit bei BMW Group: „Unser Expertendialog bietet eine breite Sichtweise auf diese Themen und bringt z. B. Vertreter aus wissenschaftlichen Institutionen, von Versicherern und Behörden mit den Automobilherstellern und Zulieferern in einmaliger Weise zusammen.“ Fach- und Führungskräfte insbesondere aus dem Umfeld der Fahrzeughersteller, Zulieferer, Entwicklungs-Dienstleister der Fahrzeugsicherheit, Automobilindustrie, Versicherer, technische Überwachungsvereine aber auch Behördenvertreter sowie Verkehrspsychologen und Unfallforscher erhalten während der Tagung eine Übersicht über aktuelle und kommende Entwicklungen. Die Teilnehmer hören Beiträge von der Robert Bosch GmbH, der Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt), dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), CARISSMA (TH Ingolstadt), Continental Teves, EDAG Engineering, BMW, MBTech Group, KTI, dem UK Department of Transport, Thatcham Research, der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit dem europäischen Verband der Fahrzeughersteller ACEA, den TUs Braunschweig, Dresden und München sowie von weiteren namhaften Branchenvertretern und Stakeholdern. Die Vorträge werden simultan in Deutsch und Englisch übersetzt. Informationen und Anmeldung: www.hdt.de/ active-safety Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 93 Erscheint im 69. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de | iv-redaktion@t-online.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 54 vom 01.01.2017. Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr plus International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 193,00 (zzgl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 215,00 Einzelheft: EUR 50,00 (inkl. MWSt.) Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print und E-Paper sowie den Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH, München Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Cars on a road intersection Foto: Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Mobilität und Logistik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Jürgen Peters Dr., Geschäftsführer Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin Christian Piehler Dr.-Ing., Programmdirektor Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Associate Partner, Oliver Wyman, Berlin Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Jürgen Siegmann Prof. Dr.-Ing. habil., Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, TU Berlin Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 94 Liebe Leserinnen und Leser, die aktuelle Diskussion um technologischen Wandel vor allem des Straßenverkehrs ist von drei Schlagworten geprägt: Neben Digitalisierung und Elektrifizierung ist dies ganz konkret das automatisierte Fahren in all seinen Ausprägungen, mit seinen Weiterungen und Folgen. Auch die vorliegende Ausgabe von Internationales Verkehrswesen hat sich mit diesen Themen beschäftigt - denn so viele Fragen sind noch ungeklärt. Haben wir in diesem Heft den Fokus auf politische und technologische Aspekte zum Mobilitätswandel gelegt, wollen wir in der nächsten Ausgabe von Internationales Verkehrswesen Schwerpunkte auf die Themen Infrastruktur, Planung und Sicherheit legen. Dabei werden unsere Autoren unter anderem der Frage nachgehen, welche Chancen und Möglichkeiten sich aus der Forderung nach Sicherheit durch Digitalisierung ergeben und ob diese mit Blick auf die Resilienz nicht sogar ein Widerspruch ist. Hier sind unter anderem Beiträge zu den Aspekten „Safety“ und „Security“ für alle Verkehrsträger vorgesehen - vom Elektrofahrrad bis zum Flugzeug. Seien Sie also gespannt: Internationales Verkehrswesen 4/ 2017 wird am 2. November erscheinen - und Ihnen hoffentlich wieder zahlreiche Erkenntnisse bringen. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 14.-17.09.2017 Frankfurt am Main (DE) 2. New Mobility World Shaping the Future Mobility across Industries - im Rahmen der IAA PKW Veranstalter: VDA-Abteilung Ausstellungen Kontakt: NMW Projektbüro, Dirk O. Evenson, +49 30 7262 199 71, newmobilityworld@evenson.de https: / / newmobility.world 14.-24.09.2017 Frankfurt am Main (DE) IAA PKW 67. Internationale Automobil-Ausstellung Veranstalter: Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA), Berlin, +49 30 897842-0, www.vda.de www.iaa.de 20.-21.09.2017 Kaiserslautern (DE) Lebensdauer alternder Brücken - prüfen und vorausschauen Deutsch-niederländisches Symposium für Bauverwaltung, Bauausführende, Prüfingenieure und Tragwerksplaner sowie Forschende Veranstalter: TU Kaiserslautern sowie TNO, Fachgebiet Werkstoffe im Bauwesen der TU Darmstadt, Vereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure VSVI www.dafstb2017-kl.de 20.-22.09.2017 Rotterdam (NL) 18th EPA Congress and Exhibition 2017 Parking in the City Lounge Veranstalter: Mesago Messe Frankfurt GmbH Kontakt: Nadja Raff, Tel. +49 711 61946-251, nadja.raff@mesago.com www.mesago.de 26.09.2017 Graz (AT) Internationale Tagung des Arbeitskreises Eisenbahntechnik (Fahrweg) der Österreichischen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft - ÖVG Fahrwegoptimierung des Rad/ Schiene-Systems - Verfügbarkeit der Infrastruktur Veranstalter: Österreichische Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft - ÖVG http: / / www.oevg.at/ veranstaltungen/ events/ 2017/ fahrwegoptimierung-des-radschiene-systemsverfuegbarkeit-der-infrastruktur 26.-27.09.2017 Frankfurt am Main (DE) EXCHAiNGE 2017 The Supply Chainer’s Conference | 5. Internationale Fachkonferenz Veranstalter: EUROEXPO Messe- und Kongress-GmbH www.exchainge.de 04.-06.10.2017 Frankfurt am Main (DE) Deutscher Mobilitätskongress 2017 Vernetzte Mobilität - mehr als mobile Netze Veranstalter: Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft e. V., Berlin Kontakt: DVWG Hauptgeschäftsstelle, hgs@dvwg.de www.deutscher-mobilitaetskongress.de 04.-06.10.2017 Barcelona (ES) 45. European Transport Conference 2017 Veranstalter: Association for European Transport Kontakt: Training for Transportation Professionals, Henley-in-Arden, Warwickshire B95 5AW (GB) Sabrina@tftp-training.co.uk www.etcproceedings.org 09.-11.10.2017 Stuttgart (DE) EVS30 „International Electric Vehicle Symposium & Exhibition“ Gastgeber: World Electric Vehicle Association (WEVA), European Association for Battery, Hybrid and Fuel Cell Electric Vehicles (AVERE) Veranstalter: Messe Stuttgart, info@messe-stuttgart.de Kongressorganisation: Sandra Bilz, Tel.: +49 711 656960-5704, sandra.bilz@messe-sauber.de www.messe-stuttgart.de/ evs30 25.-26.10.2017 Essen (DE) Aktive Sicherheit und automatisiertes Fahren Active safety and automated driving IEDAS - 3. Interdisziplinärer Expertendialog Veranstalter: Haus der Technik e. V. Informationen und Anmeldung: www.hdt.de/ active-safety 25.-27.10.2017 Berlin (DE) 34. BVL-Logistikkongress Veranstalter: BVL Bundesvereinigung Logistik Kontakt: Dr. Christian Grotemeier, Tel.: +49 421 1738410, grotemeier@bvl.de www.bvl.de/ dlk TERMINE + VERANSTALTUNGEN 14.09.2017 bis 27.10.2017 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten: Herr Frau Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden) Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen. Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de/ agb_trialogpublishers.pdf heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo Jahresbezugspreis Inland EUR 213,35 inkl. MwSt. und Versand Jahresbezugspreis Ausland EUR 215,- (mit VAT-Nr.) / EUR 237,73 (ohne VAT-Nr.), inkl. Versand WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www.trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, z.Hd. Eberhard Buhl, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. Abo-Bestellung bitte senden an: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft z.Hd. Eberhard Buhl Leserservice Internationales Verkehrswesen Schliffkopfstraße 22 72270 Baiersbronn-Buhlbach Fax: +49 (0)7449 91386 37 E-Mail: service@trialog.de Ja, ich will Internationales Verkehrswesen regelmäßig lesen! StudiAbo (Aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung) Jahresbezugspreis Inland EUR 85,34 (inkl. MwSt. und Versand). Jahresbezugspreis Ausland EUR 95,09 (inkl. MwSt. und Versand). Das Jahres-Abonnement umfasst die gedruckte Ausgabe plus ePaper/ PDF und Archivzugang (ab 1/ 1949). Vertriebsanzeige IV.indd 1 15.08.2017 15: 14: 29 2017 | Heft 3 August
