Internationales Verkehrswesen
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2017 | Heft 4 November Strategien für Infrastruktur und Verkehr Sicherheits-Trend Digitalisierung www.internationalesverkehrswesen.de Heft 4 l November 2017 69. Jahrgang POLITIK Digitalisierung - ein alter Hut? INFRASTRUKTUR Infrastrukturvorhaben effizienter umsetzen LOGISTIK Proaktives Risikomanagement für-Kritische Infrastruktur MOBILITÄT Verkehrsmittelwahl: Reisezeiten und Stadtverkehrsplanung TECHNOLOGIE Sicherheitskonzepte für Auto-, Bahn- und Flugverkehr SAVE THE DATE ! 6. - 8. März 2018 Messe Karlsruhe Partner +++ E-Ticketing +++ Integriertes Fahrgeldmanagement +++ Echtzeit-Fahrgastinformation +++ Software +++ Verkehrsmanagement +++ Sicherheitssysteme +++ Infotainmentsysteme +++ Kombinierter Verkehr +++ Autonomes Fahren +++ und weitere +++ Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 3 Eberhard Buhl EDITORIAL Mehr Sicherheit durch Digitalisierung - für wen? R und um das Thema Mobilität stehen Digitalisierung, Automatisierung und die entsprechenden Sicherheitsaspekte derzeit besonders im Fokus. Smartphone-Applikationen für eine flexible „Tür-zu-Tür-Mobilität“ haben Carsharing und Ridesharing, mobile Reiseplanung oder mobiles Bezahlen in Bus und Bahn gewissermaßen kinderleicht und alltagstauglich gemacht, wie auf Seite 7 zu lesen ist. Das autonome - oder besser: mehr oder weniger hoch automatisierte - Fahren wiederum wird nicht nur an Stammtischen zur Zukunfts- und Schicksalsfrage des Autofahrens stilisiert: Am Individualverkehr festgemacht, taugt der Themenkreis durchaus zum Aufreger. Politik, Wissenschaft und Forschung tun sicher gut daran, das Thema eher sachlich zu betrachten - und voranzutreiben. Eine VDI-interne Umfrage vor einigen Monaten ergab nicht ganz unerwartet, dass die befragten Ingenieure das autonome Fahren beziehungsweise die Automatisierung des Verkehrs mit 37 % an der Spitze der aktuellen Mobilitätsthemen sehen. Gleichermaßen akute Fragen wie Alternative Antriebe (30 %), Infrastruktur (15 %) oder Öffentlicher Verkehr (10 %) landeten hier eher auf den hinteren Plätzen. Ebenfalls ganz aktuell hat der Verband der Motorjournalisten VdM (www.motorjournalist.de) ein umfassendes Kompendium zum autonomen Fahren herausgebracht, das sich unter dem Schlagwort „Roboter mit Moral - Die neuen Verkehrsteilnehmer? ” mit dem weiten Themenspektrum fahrerloses Automobil beschäftigt. Welche Chancen und Herausforderungen bieten sich im urbanen Umfeld, aber auch für ländliche Regionen? Wie wird die Digitalisierung und Automatisierung der Mobilität von jüngeren und von älteren Menschen wahrgenommen? Und wie viel der oft beschworenen Verkehrssicherheit bringt die Automatisierung des Individualverkehrs wirklich? Sicher ist: Selbstfahrende Autos und Busse eröffnen ganz neue zusätzliche Möglichkeiten, von A nach B zu kommen - und wieder zurück. Klar ist auch, dass durch die technisch längst beherrschte Sensor-Kommunikation der Erfahrungshorizont eines Car2X-Fahrzeugs signifikant um Informationen der Infrastruktur oder anderer Fahrzeuge erweitert wird: Die digitalisierten Autos können „um die Ecke sehen“, reagieren blitzschnell und ermüden nicht. Zweifelsfrei können sie das besser als der Mensch, versprechen in dieser Hinsicht also objektiv mehr Sicherheit. Wissenschaftsautoren wie der St. Galler Professor Andreas Herrmann wollen denn auch „den Menschen so schnell wie möglich aus dem Verkehr ziehen“, wie kürzlich auf Spiegel online zu lesen war. Das ist publikumswirksam, doch mit Vorsicht zu genießen: Wenn Statistiken vermelden, dass heute - je nach Interpretation der Fakten - etwa 6 % der Unfälle auf technisches Versagen zurückzuführen sind, heißt das keineswegs, dass bei den verbleibenden 94 % der Fälle stets der Mensch versagt hat. Denn eines hat der Mensch der Maschine voraus: Die Fähigkeit, in kritischen Situationen intuitiv Entscheidungen zu treffen. Die technischen Herausforderungen beim automatisierten Fahren sind zwar einigermaßen komplex, könnten jedoch verglichen mit gesellschaftlichen Fragen vergleichsweise trivial sein. Auch wenn der Bericht der Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren im Juni des Jahres einige erste Leitlinien aufgestellt hat: Die klassische Fangfrage, ob im Zweifelsfall die Mutter mit Kinderwagen oder der Rentner mit Rollator zu überfahren wäre, lässt sich durch sorgfältiges Programmieren einer Steuersoftware nicht beantworten. Ein Ethik-Modus, der vorrangig das Leben der Autoinsassen schützt, wäre ohnehin rechtlich und moralisch höchst fragwürdig. All diesen spannenden Fragen und Erkenntnissen rund um die Mobilität von morgen räumt Internationales Verkehrswesen in der vorliegenden und voraussichtlich auch in weiteren Ausgaben einigen Platz ein. Das jedenfalls ist sicher. Herzlich Ihr Eberhard Buhl Redaktion Internationales Verkehrswesen Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 4 30 Indiens Maritime Agenda 2020 Der Vielvölkerstaat auf dem Subkontinent will internationales Niveau erreichen Dirk Ruppik 32 Kritische Infrastrukturen in der Logistik Methodische Unterstützung eines proaktiven Risiko managements Michel Huth Sascha Düerkop POLITIK 10 Ein Weihnachtsgeschenk aus Europa Update zur Verordnung (EG) Nr.-1370/ 2007 Matthias Knauff 14 Digitalisierung - ein alter Hut? Fünf Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft Martin Beims Roland Fleischer INFRASTRUKTUR 18 Funktionalisierung der Straßenverkehrsinfrastruktur Möglichkeiten und Potentiale infrastrukturintegrierter Sensoren, Generatoren, Kollektoren und Aktuatoren Markus Oeser Dirk Kemper Adrian Fazekas Phillip-Armand Klee Lukas Renken 22 Partizipation und Deeskalation bei der Planung von Infrastrukturvorhaben Ergebnisse aus drei Jahren interdisziplinärer Forschung in Niedersachsen Nils C. Bandelow Colette S. Vogeler 26 Barrierefreier ÖPNV Teil II - Strategien zur systematischen Umsetzung Rainer Hamann Sebastian Schulz LOGISTIK Foto: Mussklprozz/ Wikimedia SEITE 22 Quelle: NordNordWest/ Wikimedia SEITE 32 Foto: Thomas Riegler/ pixelio.de SEITE 14 Sie finden Internationales Verkehrswesen mit umfangreichem Archiv und aktuellen Terminen unter: www.internationalesverkehrswesen.de TERMIN PMRExpo 2017 28.-30.11.2017 - Köln (DE) Internationale Fachmesse für Professionellen Mobilfunk und Leitstellen Informationen und Tickets: www.pmrexpo.de Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 5 INHALT November 2017 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 17 Bericht aus Brüssel 70 Forum Veranstaltungen 73 Impressum | Gremien 74 Vorschau | Termine AUSGABE 1/ 2018 Digitalisierung in der Praxis - ÖPNV - Schiene/ Straße/ Luft - Automatisiert Fahren - Ländlicher Raum erscheint am 22. Februar 2018 49 Verlässliche Adaptive Software- Architekturen im Auto Von Fail-Silent zu Fail- Operational Gereon Weiß 52 Neues Datenanalyse-Tool für die Radverkehrsplanung Digitalisierung ermöglicht neue Wege in der Erhebung und Auswertung von Radverkehrsdaten Kerstin Oschabnig Elisabeth Gressl 54 Ausgezeichnete Hindernisse Die Luftfahrt-Datenbank Lido/ SurfaceData Michael Sauter 56 Mehr Sicherheit im Verkehr ist machbar Sofia Salek de Braun 58 Angriffs- und Betriebssicherheit im Bahnbetrieb Umfassende Konzepte zum Schutz kritischer Infrastrukturen im Eisenbahnsektor Lars Schnieder WISSENSCHAFT 63 Anforderungsgemäße und konsistente Systementwicklung Strukturierung der Anforderungen an ein technisches System im Schienenverkehr Hansjörg Manz Foto: pixabay.de SEITE 35 Foto: Tokamuwi/ pixelio.de SEITE 54 35 Reisezeiten und Stadtverkehrsplanung Zeitaufwandsanalysen als Basis einer effizienten Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl Peter Pez Antje Janßen 40 Mobilitätsmonitor Nr. 5 - November 2017 Christian Scherf Frank Hunsicker Benno Bock Lena Damrau Julia Epp Benno Hilwerling Marc Schelewsky Anke Schmidt WISSENSCHAFT 44 Einflussfaktoren auf Checkin-Wartezeiten am Beispiel des-Flughafens Hamburg Peter Bießlich Björn Schwetge Klaus Lütjens Volker Gollnick MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 6 IM FOKUS Innovatives Testgelände für den Straßenbau D ie Bundesanstalt für Straßenwesen (duraBASt) hat nach zwei Jahren Bauzeit ein rund 25 000 m 2 großes und etwa einen Kilometer langes Areal ein neues Demonstrations-, Untersuchungs- und Referenzareal in Betrieb genommen. Auf dem Gelände im Autobahnkreuz Köln-Ost werden neue und innovative Baustoffe, Bauweisen und Bauverfahren getestet, um die Straßeninfrastruktur auf die künftige Herausforderungen wie Zunahme des Güterverkehrs, Klimawandel, Energiewende und Rohstoffknappheit vorzubereiten. Ziel des duraBASt ist es, Innovationen deutlich schneller als bisher in die Baupraxis überführen zu können. Die weltweit einzigartige Versuchseinrichtung ermöglicht durch die Erstellung von Untersuchungsfeldern und Demonstratoren realitätsnahe Erprobungen im Maßstab 1 : 1, bei denen neue Baustoffgemische, Bauweisen oder Bauverfahren zeitraffend belastet und auf ihre Dauerhaftigkeit hin geprüft werden. So kann die Zeitspanne zwischen Forschung und Regeleinsatz von Innovationen deutlich verkürzt werden. Die Demonstrations- und Untersuchungsareale sollen dabei nicht allein von der BASt, sondern auch von der Bauindustrie zu Entwicklungs- und Untersuchungszwecken genutzt werden. Zusätzlich auf dem Gelände verwirklichte Referenzstrecken dienen der Qualitätssicherung von Messfahrzeugen, die für die Zustandserfassung und -bewertung von Fahrbahnoberflächen eingesetzt werden. Realisiert wurde das duraBASt gemeinsam mit dem Landesbetrieb Straßen.NRW im Rahmen des Forschungsprogramms „Die Straße im 21. Jahrhundert“. www.durabast.de Zustell-Roboter PostBOT unterstützt Postboten D ie Deutsche Post testet im hessischen Bad Hersfeld erstmals einen Roboter, der Zusteller auf ihrer Tour begleitet und beim Transport der Sendungen unterstützt. In zwei Zustellbezirken wird der elektrisch fahrende PostBOT dem Zusteller automatisch folgen und dabei sechs Briefbehälter mit Sendungen transportieren. Somit werden die Postboten nicht nur vom Gewicht der Sendungsmenge entlastet, sie haben auch die Hände frei, um die Sendungen einfacher zu verteilen. Mit dem Test will die Deutsche Post herausfinden, wie Roboter den Menschen im körperlich anspruchsvollen Zustellalltag künftig unterstützen können. Der PostBOT wurde auf Basis eines Roboters der französischen Firma „Effidence S.A.S“ unter enger Einbindung von Zustellerinnen und Zustellern der Deutschen Post speziell für den Transport von Briefen und Päckchen entwickelt. Der Roboter kann Lasten bis zu 150 Kilo transportieren. Mittels Sensoren erkennt er die Beine der Zusteller und folgt diesen auf Schritt und Tritt auf dem Gehweg. Hindernissen weicht er aus oder stoppt. Der robust gebaute Post- BOT ist für den Einsatz bei allen Witterungsbedingungen geeignet. Durch ergonomisch platzierte Bedienelemente an beiden Seiten des Geräts ist er besonders rücken- und gelenkschonend konzipiert. Der Test ist zunächst auf rund sechs Wochen ausgelegt. Anschließend werden die Ergebnisse aus der Praxis ausgewertet. Sie stellen eine wichtige Grundlage für Folgetests und Weiterentwicklungen dar. So will der Konzern ab 2018 auch selbstfahrende, dem Paketzusteller autonom folgende Modelle seines elektrischen Lieferwagens StreetScooter testen. www.dpdhl.de Quelle: BASt Foto: Deutsche Post DHL/ Bernd Georg Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 7 IM FOKUS Handy-Ticket am liebsten für Bahnreisen genutzt B aden-Württemberg ist führend bei Nutzung und Kauf von Handy-Tickets, Bayern dagegen Schlusslicht. Das ergab eine internetrepräsentative Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Innofact unter 1039 Deutschen bundesweit und unter 1663 Deutschen in den verschiedenen Bundesländern, die im Auftrag der unabhängigen digitalen Bahnplattform Trainline durchgeführt wurde. Dabei zeigt sich unter anderem auch, dass die Bundesbürger gerade bei Bahnreisen offen für mobile Lösungen sind: 18 % der Befragten bevorzugen die Buchung von Bahntickets über das Smartphone und 26 % nutzen ein Handy-Ticket auf Reisen. Damit hat das Handy-Ticket für den Zug die Popularität bei Flug (18 %) und im öffentlichen Nahverkehr (16 %) klar hinter sich gelassen. Auch bei der mobilen Buchung hat die Bahn gegenüber dem Flugzeug (12 %) und dem Fernbus (8 %) die Nase vorn. Im Südwesten wohnen die besonders mobil-affinen Bahnreisenden: In Baden-Württemberg gaben 22 % der Befragten an, regelmäßig Fahrkarten über ihr Smartphone zu buchen, gefolgt von den Saarländern mit 21 % und den Schleswig-Holsteinern mit 20 %. Schlusslicht sind die Bayern mit 9 %. Auch Waren werden zunehmend mobil bezahlt: Rund 44 % nutzen dafür regelmäßig Online-Dienste wie PayPal, und auch bei den 60bis 69-Jährigen kommt das Bezahlen per Smartphone gut an: Mehr als die Hälfte der Silver Surfer (56 %) können sich vorstellen, die Technologie zu nutzen. www.trainline.de Mit Handy sicher bezahlen ohne Datenspur E lektronisches Bezahlen ist längst Alltag - allerdings auf Kosten der Privatsphäre: Um einer Manipulation der Konten durch Fremde vorzubeugen, wird der Kunde bei jedem Zahlungsvorgang identifiziert, die Details seiner Transaktion werden der zentralen Datenbank mitgeteilt. Dies führt zu einer Datenspur, die durch den Anbieter oder durch Dritte missbraucht werden könnte. Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Ruhr-Universität Bochum entwickelten nun die Grundlagen für ein sicheres und anonymes System, das gleichzeitig auch alltagstauglich sein soll. Das von ihnen entwickelte Protokoll „black-box accumulation plus“ (BBA+) verlagert dabei alle notwendigen Kontoinformationen auf die verwendete Karte oder das Smartphone und garantiert mithilfe kryptographischer Methoden deren Vertraulichkeit. Gleichzeitig bietet BBA+ aber auch Sicherheitsgarantien für den Betreiber des Bonus- oder Zahlungssystems: Das Protokoll garantiert den korrekten Kontostand und ist mathematisch so konstruiert, dass die Identität eines Nutzers aufgedeckt wird, sobald jemand mit einem manipulierten Konto bezahlen will. BBA+ ist die Weiterentwicklung eines anonymen Bonuskarten- Systems, das von der KIT-Forschungsgruppe entwickelt wurde. Allerdings war dabei zum Sammeln und Einlösen von Punkten eine Internetverbindung nötig, um einen Missbrauch zu verhindern. Das neue Protokoll garantiert nun die Privatsphäre und Sicherheit der Kunden auch im Offline-Betrieb - wichtig auch für die Funktionsfähigkeit an U-Bahn-Stationen oder Mautbrücken, wo möglicherweise keine schnelle Internetverbindung existiert. www.kit.edu/ kit/ 22818.php Bild: PTV Foto: Gabi Zachmann/ KIT Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 8 IM FOKUS Bosch eröffnet innovativen IT-Campus D ie Bosch-Gruppe hat in Stuttgart ein Kompetenzzentrum eröffnet, in dem die Fäden der weltweiten Bosch-IT zusammenlaufen. Weil internetfähige Produkte und datenbasierte Dienstleistungen immer wichtiger für das Unternehmen würden, ändere sich auch die Rolle der Informationstechnologie, sagt Prof. Dr. Stefan Asenkerschbaumer, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH und zuständig für IT. Der Campus sei neuer zentraler Hub zur Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle und vereine das Beste aus zwei Welten: den Produkten und Erfahrungen eines über Jahrzehnte etablierten Technologiekonzerns und der Dynamik eines jungen IT-Unternehmens. Bosch hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 jedes neue elektronische Produkt zu vernetzen und darauf basierende Services zu entwickeln. Auch Architektur und Ausstattung des IT-Campus zeigen diesen Wandel und wurden nach dem bereits an anderen Bosch- Standorten bewährten Konzept „Inspiring Working Conditions (IWC)“ mit offenen Büroflächen, kreativ gestalteten Workshop- Bereichen, Telefonräumen und Ruheräumen eingerichtet. Dazu kommen unter anderem ein sogenanntes User-Experience- Studio für die besonders in der IT-Welt verbreitete Innovationsmethode „Design Thinking“ sowie ein IT-Space, in dem sich Mitarbeiter einen Überblick über das gesamte Hard- und Software-Angebot verschaffen und sich persönlich beraten lassen können. Rund 2000 des 7500 Mitarbeiter großen Bereichs arbeiten auf dem innovativ ausgestatteten Campus, der den Transformationsprozess von Bosch hin zu einem IoT- Unternehmen weiter beschleunigen soll. www.bosch.com/ de/ explore-and-experience/ connected-world Autonom fahren auf dem Bus-Betriebshof A utonomes Fahren ist ein wichtiger Baustein neuer Mobilitätskonzepte - nicht nur im PKW-Bereich. Eine Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Forschungszentrums Informatik FZI am KIT und der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) zeigt im Modell, wie autonomes Fahren auf dem Bus-Betriebshof funktionieren und zur Kostensenkung beitragen kann. Auf dem Betriebshof durchläuft ein Linienbus viele Stationen, bis er für das Fahrpersonal wieder zur Abfahrt bereitgestellt wird. Die Mitarbeiter aus den Werkstätten fahren ihn nach der Übergabe durch den Fahrer zur Wartungshalle, wo das Fahrzeug zunächst betankt und grob gereinigt wird. Von dort geht es weiter über die Waschanlage zur Instandhaltung. Erst dann ist das Fahrzeug wieder abholbereit und fahrfertig für den Busfahrer. Das Forschungsteam hat die Abläufe analysiert und festgestellt, dass die Fahrt zur Waschanlage, die Außenreinigung und die Fahrt zum Abstellplatz ebenso wie der Abstellvorgang selbst vollständig automatisierbar sind. Das Auftanken, die Innenreinigung und die Versorgung der Busse mit Druckluft sollen Industrieroboter übernehmen. Von der Automatisierung ausgeschlossen bleibt lediglich die Fahrt vom Übergabepunkt zur Halle, weil sie als vom Gesetzgeber vorgeschriebene Testfahrt gilt. Das System basiert auf Standardtechnologien für automatisierte Fahrzeuge und ist kompatibel mit der normalen Straßenverkehrsinfrastruktur außerhalb des Betriebsgeländes. Der teilautonome Bus-Betriebshof bietet wirtschaftliches Potenzial: Allein für die rund 150 SSB-Busse, die im Betriebshof Stuttgart- Gaisburg täglich gewartet werden, könnten künftig die Personalkosten um mehr als 100 000 Euro pro Jahr gesenkt werden. Das Konzept ist auch skalierbar. Als Use Cases für autonome Nutzfahrzeuge sind weitere ÖPNV-Betriebshöfe oder auch Speditionsdepots und Autobahnrastplätze denkbar. www.ssb-ag.de - www.itiv.kit.edu/ 4731.php Foto: Bosch Foto: Laila Tkotz, KIT Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 9 Von Versäumnissen, Wunschkonzerten und-ökonomischem Unsinn D ie neue Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ist auch Anlass, über Prioritäten der Verkehrspolitik nachzudenken. Ein „Weiter so wie gehabt“ ist sowohl der Umwelt wie auch dem Steuerzahler nicht zuzumuten. So stellen sich - außerhalb der stark emotionalisierten Diskussion um die angeblich das Mobilitätsglück bringenden autonom fahrenden Autos - einige vernachlässigte Fragen und Handlungserfordernisse. Wenn die international vereinbarten Klimaziele von Deutschland erreicht werden sollen, ist eine Attraktivitätssteigerung des ÖPNV mit Modal-Split-Effekten unabdingbar. Zwar steigen in den Agglomerationsräumen die Nutzerzahlen kontinuierlich an. Sie stoßen jedoch derzeit bereits auf aus Nutzersicht kaum hinnehmbare Kapazitätsüberlastungen mit längerfristig nicht akzeptierbaren Zumutungen. Die Ursachen dieser Misere liegen vor allem in den Infrastrukturdefiziten des schienengebundenen ÖPNV. Ihre Milderung - von Beseitigung zu sprechen wäre eine Situationsverkennung - erfordert zusätzliche Investitionsmittel mit hohen Milliardenbeträgen, aber auch Jahrzehnte umfassende Zeitaufwendungen für Planung(! ), Baurechte(! ) und Baumaßnahmen. Neben der Absicherung der Klimaziele geht es auch um die Entlastung der Flächenbeanspruchung durch PKW und LKW in den Agglomerationsräumen. Es verwundert, mit welcher Hartnäckigkeit die Planung einer Elektrifizierung der LKW auf Autobahnen mit Hilfe von Oberleitungen politisch und mit Finanzhilfen unterstützt wird. Ökonomisch handelt es sich um Unsinn, die Autobahnen mit kostenintensiven und störanfälligen Oberleitungen und Platooning als Alternative zum elektrifizierten Schienengüterverkehr aufwerten zu wollen. Mit Steuerzahlergeld lassen sich absurde Vorstellungen wieder einmal fördern. Eben mit diesem Geld muss letztlich auch die geplante Halbierung der Trassenpreise im Schienengüterverkehr ausgeglichen werden. Das aber führt inzwischen zu weitergehenden Wünschen: Halbierung der Trassenentgelte in Deutschland auch für den SPNV und den Personenfernverkehr. Nur über die Finanzierung wird (noch) geschwiegen. Wunschkonzert eben. Dass damit ein wesentliches Element der Bahnreform von 1994 (Regionalisierung des SPNV) in entscheidenden Elementen verändert und damit das gesamte Finanzierungs- und Verantwortungskonzept ausgehebelt wird, sollte nicht verschwiegen werden. Es fällt auf, dass ein Verkehrsträger in der politischen Diskussion weitestgehend unbeachtet bleibt: die Binnenschifffahrt. Und dies, obwohl hier erhebliche Kapazitätsreserven mit vergleichsweise günstigen Umweltauswirkungen vorliegen. Die Schifffahrt leidet unter starken Wasserstandschwankungen bei den natürlichen Wasserwegen, unter sehr restriktiv wirkenden Brücken- und Schleusenengpässen im Kanalnetz und auf den kanalisierten Flüssen sowie unter organisatorischen Abwicklungsproblemen durch Stauungen in den Westhäfen. Hinzu kommen Befürchtungen einer Wettbewerbsbenachteiligung durch Trassenpreissenkungen im Schienengüterverkehr. Immerhin leistet die Binnenschifffahrt rd. 60 % des Transportaufkommens des Schienengüterverkehrs in Deutschland, und dies auf lediglich 7240 km Wasserstraßen. Viele Verlader des Industriestandortes Deutschland sind auf die Leistungen dieses privatwirtschaftlich organisierten Verkehrsträgers angewiesen, bei dem besonderes unternehmerisches Geschick existenznotwendig ist. Dennoch steht er seit Jahren im Abseits, was sich verkehrspolitisch in seit Jahrzehnten sehr niedrigen Infrastrukturinvestitionen für Ersatz- und Ausbaumaßnahmen spiegelt. Ob dies auch damit zusammenhängt, dass der Hauptkonkurrent ein staatliches Schienengüterverkehrsunternehmen ist? ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Ökonomisch handelt es sich um Unsinn, die-Autobahnen mit kostenintensiven und störanfälligen Oberleitungen für LKW elektrisch aufwerten zu wollen. Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 10 Ein Weihnachtsgeschenk aus-Europa Update zur Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 EU-Politik, 4. Eisenbahnpaket, Aufgabenträger, Wettbewerb, Strategie Die Verordnung (EU) 2016/ 2338 zur Änderung der VO 1370/ 07 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste tritt am 24. Dezember 2017 in Kraft. Die Änderung zielt im Kern auf eine Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnsektor ab. Der Beitrag stellt die wesentlichen Neuerungen und deren Konsequenzen dar. Matthias Knauff D urch das 4. Eisenbahnpaket ist die VO 1370/ 07 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße 1 erstmals geändert worden. Die Verordnung (EU) 2016/ 2338 zur Änderung der VO 1370/ 07 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste 2 tritt am 24. Dezember 2017 in Kraft. Die Änderung zielt im Kern auf eine Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnsektor ab. Im Folgenden sollen die wesentlichen Neuerungen und deren Konsequenzen dargestellt werden. Neuerungen Inhalt öffentlicher Dienstleistungsaufträge In Bezug auf den Gegenstand öffentlicher Dienstleistungsaufträge wird Art. 4 Abs. 1 lit.- a VO 1370/ 07 dahingehend geändert, dass hinsichtlich der vom Betreiber zu erbringenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen auf deren nähere Konkretisierung durch die Verordnung und ergänzende Spezifikationen abzustellen ist. Derartige gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen können, wie in Art. 1 Abs. 2 UAbs. 2 VO 1370/ 07 n.F. nunmehr explizit vorgesehen, auch grenzüberschreitender Natur sein, sofern die zuständige Behörde des anderen Mitgliedstaates zustimmt. Die bisherige Definition gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen 3 wird durch einen neuen Art. 2a VO 1370/ 07 ergänzt, der hinsichtlich der Festlegung der (detailgenauen 4 ) Spezifikationen gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen klarstellt, dass eine Zusammenfassung kostendeckender Dienste mit nicht kostendeckenden Diensten möglich und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Überdies müssen sie im Einklang mit „den politischen Zielen, die in den Strategiepapieren für den öffentlichen Verkehr in den Mitgliedstaaten aufgeführt sind“, stehen, diese Ziele „auf kostenwirksame Weise erreicht“ und soll „die finanzielle Nachhaltigkeit der Erbringung öffentlicher Personenverkehrsdienste gemäß den in der Politik für den öffentlichen Verkehr festgelegten Anforderungen langfristig gesichert werden.“ 5 Mit Blick auf die bei der Erbringung der Verkehrsleistungen eingesetzten Arbeitnehmer betont Art. 4 Abs. 4a und 4b VO 1370/ 07 n.F. die Geltung sozial- und arbeitsrechtlicher Verpflichtungen einschließlich der Regelungen über den Betriebsübergang. Art. 4 Abs. 6 VO 1370/ 07 n.F. sieht vor, dass vorgegebene Sozialebenso wie die bislang Foto: pixabay.de POLITIK Marktöffnung Schienenpersonenverkehr Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 11 Marktöffnung Schienenpersonenverkehr POLITIK schon in der Norm geregelten Qualitätsstandards in den Vergabeunterlagen und den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen enthalten sein müssen. Punktuell verschärft werden überdies die Transparenzpflichten nach Art. 7 VO 1370/ 07. Vergaberegeln 1. Beschränkung der Direktvergabe bei Eisenbahnverkehrsleistungen Die Beschränkung der Möglichkeit der bislang nach EU-Recht voraussetzungslosen Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen bildet den Kern der VO 2016/ 2338. Künftig darf eine Direktvergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen über öffentliche Personenverkehre mit Eisenbahnen vorbehaltlich entgegenstehenden nationalen Rechts nur noch unter spezifischen Voraussetzungen erfolgen; andernfalls ist ein wettbewerbliches Vergabeverfahren nach Art. 5 Abs. 3 VO 1370/ 07 6 durchzuführen. Die in Art. 5 Abs. 2 VO 1370/ 07 vorgesehene Möglichkeit der Direktvergabe an interne Betreiber schließt Eisenbahnverkehrsleistungen weiterhin ein. Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 VO 1370/ 07 n.F. sieht jedoch vor, dass sich im Falle einer Direktvergabe an einen internen Betreiber durch eine Gruppe von Behörden deren geografischer Zuständigkeitsbereich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken darf. Zudem erfolgt eine konzeptionelle Vorgabe dahingehend, dass sie nur den Verkehrsbedarf städtischer Ballungsräume und ländlicher Gebiete oder beides decken darf. Ziel ist es, flächendeckende Inhouse-Vergaben im Eisenbahnverkehr zu vermeiden. 7 Art. 5 Abs. 3a VO 1370/ 07 n.F. gestattet unter außergewöhnlichen Umständen eine einmalige vorübergehende Direktvergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge über Eisenbahnverkehrsleistungen mit einer Laufzeit von höchstens fünf Jahren. Exemplarisch 8 werden als derartige Umstände Fälle benannt, „in denen eine Reihe wettbewerblicher Vergabeverfahren bereits von der zuständigen Behörde oder anderen zuständigen Behörden durchgeführt werden, die die Zahl und die Qualität der Angebote beeinträchtigen könnten, welche voraussichtlich eingehen, wenn der Auftrag im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens vergeben würde, oder Änderungen am Umfang eines oder mehrerer öffentlicher Dienstleistungsaufträge erforderlich sind, um die Erbringung öffentlicher Dienste zu optimieren.“ Des Weiteren kann gemäß Art. 5 Abs. 4a VO 1370/ 07 n.F. „die zuständige Behörde entscheiden, öffentliche Dienstleistungsaufträge für öffentliche Schienenpersonenverkehrsdienste direkt zu vergeben, wenn a) ihres Erachtens die Direktvergabe aufgrund der jeweiligen strukturellen und geografischen Merkmale des Marktes und des betreffenden Netzes, und insbesondere der Größe, Nachfragemerkmale, Netzkomplexität, technischen und geografischen Abgeschnittenbzw. Abgeschiedenheit sowie der von dem Auftrag abgedeckten Dienste gerechtfertigt ist und b) ein derartiger Auftrag zu einer Verbesserung der Qualität der Dienste oder der Kosteneffizienz oder beidem im Vergleich zu dem zuvor vergebenen öffentlichen Dienstleistungsauftrag führen würde.“ Im Hinblick auf die Formulierung der Anforderungen in Art. 5 Abs. 4a VO 1370/ 07 n.F. verfügt die zuständige Behörde über einen Beurteilungsspielraum; eine Nachprüfungsmöglichkeit muss jedoch gegeben sein. Sofern auf Grundlage der Vorschrift eine Direktvergabe erfolgt, müssen in dem öffentlichen Dienstleistungsauftrag messbare, transparente und überprüfbare Leistungsanforderungen, insbesondere in Bezug auf Pünktlichkeit, Zugfrequenz, Qualität des Rollmaterials und Personenbeförderungskapazität, sowie spezifische Leistungsindikatoren und „wirksame und abschreckende“ Sanktionen einschließlich einer Aussetzung oder Kündigung für den Fall der Schlechtleistung enthalten sein. Mindestens alle fünf Jahre ist die zuständige Behörde zu einer Bewertung der Leistungen des direkt beauftragten Eisenbahnverkehrsunternehmens verpflichtet. Art. 5 Abs. 4b VO 1370/ 07 n.F. gestattet überdies eine Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen, die „nur den Betrieb von Schienenpersonenverkehrsdiensten durch einen Betreiber betreffen, der gleichzeitig die gesamte Eisenbahninfrastruktur, auf der die Dienstleistungen erbracht werden, oder den größten Teil davon verwaltet,“ sofern es sich dabei um eigenständige örtliche und regionale Schienennetze für Personenverkehrsdienste sowie nur für die Durchführung von Schienenpersonenverkehrsdiensten im Stadt- oder Vorortverkehr bestimmte Netze handelt. Die maximale Laufzeit derartiger Aufträge beträgt grundsätzlich zehn Jahre. 2. Wettbewerbliches Vergabeverfahren In Bezug auf das wettbewerbliche Vergabeverfahren nach Art. 5 Abs. 3 VO 1370/ 07 sieht Art. 4 Abs. 8 VO 1370/ 07 n. F. vor, dass die zuständigen Behörden künftig „allen interessierten Parteien relevante Informationen für die Vorbereitung eines Angebots … zur Verfügung [stellen] und … dabei den legitimen Schutz vertraulicher Geschäftsinformationen [gewährleisten].“ Diese Informationen sind den Behörden von dem jeweiligen Betreiber zur Verfügung zu stellen und betreffen alle für die Verkehrsleistung aufgrund des zu vergebenden öffentlichen Dienstleistungsauftrags wesentlichen 9 Aspekte. Exemplarisch benannt werden „Informationen über Fahrgastnachfrage, Tarife, Kosten und Einnahmen …, sowie Einzelheiten der Infrastrukturspezifikationen, die für den Betrieb der erforderlichen Fahrzeuge bzw. des erforderlichen Rollmaterials relevant sind“. Für Schieneninfrastrukturbetreiber wird zudem eine Pflicht zur Unterstützung der zuständigen Behörden bei der Bereitstellung aller einschlägigen Infrastrukturspezifikationen statuiert. Art. 5a VO 1370/ 07 n.F. sieht vor, dass die zuständigen Behörden zu prüfen haben, ob bei Durchführung wettbewerblicher Vergabeverfahren in Bezug auf Eisenbahnverkehrsleistungen „Maßnahmen getroffen werden müssen, um einen effektiven und diskriminierungsfreien Zugang zu geeignetem Rollmaterial zu gewährleisten.“ Soweit dies unter Berücksichtigung von auf dem Markt vorhandenen Leasingangeboten erforderlich erscheint, müssen die Maßnahmen angemessen und beihilferechtskonform sein. Exemplarisch 10 benennt Art. 5a Abs. 2 S. 2 VO 1370/ 07 n.F. den Erwerb und die Bereitstellung des Rollmaterials durch die zuständige Behörde (lit. a), ggf. in Kooperation mit anderen zuständigen Behörden (lit. d) und mit der in Art. 5a Abs. 3 VO 1370/ 07 n.F. normierten Folge, dass alle verfügbaren Informationen über die Kosten für die Instandhaltung des Rollmaterials und seinen physischen Zustand in die Vergabeunterlagen aufzunehmen sind, die Übernahme einer Bürgschaft für dessen Erwerb durch den Betreiber (lit. b) oder eine Übernahmeverpflichtung zum Zeitpunkt des Endes der Laufzeit des öffentlichen Dienstleistungsauftrags (lit. c). Unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3b VO 1370/ 07 n.F. kann ein eingeleitetes wettbewerbliches Vergabeverfahren künftig zu einer Direktvergabe führen. Hat unter der Voraussetzung einer (fakultativen) Bekanntmachung der beabsichtigten Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags für öffentliche Schienenpersonenverkehrsdienste im EU-Amtsblatt mit allen relevanten Angaben nach Ablauf einer Frist von mindestens 60 Tagen ab Veröffentlichung „a) nur ein Betreiber Interesse bekundet …, an dem Verfahren zur Vergabe des öffentlichen Dienstleistungsauftrags teilzunehmen, b) dieser Betreiber ordnungsgemäß nachgewiesen …, dass er tatsächlich in der Lage sein wird, die Verkehrsdienstleistung unter Einhaltung der im öffentlichen Dienstleistungsauftrag festgelegten Verpflichtungen zu erbringen, [sofern] POLITIK Marktöffnung Schienenpersonenverkehr Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 12 c) der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Parameter der Auftragsvergabe ist und d) keine vernünftige Alternative besteht, können die zuständigen Behörden mit diesem Betreiber Verhandlungen aufnehmen, um den Auftrag ohne weitere Veröffentlichung eines offenen Verfahrens zu vergeben.“ Trotz des fehlenden Wettbewerbs ist die Ausgleichsleistung in diesem Falle gemäß Art. 6 Abs. 1 VO 1370/ 07 n.F. nicht nach dem sonst bei Direktvergaben maßgeblichen Anhang zu berechnen. 11 Eine Verpflichtung zum Übergang in die wettbewerbsfreie Vergabe lässt sich Art. 5 Abs. 3b VO 1370/ 07 n.F. allerdings nicht entnehmen. Ab 3. Dezember 2019 können die zuständigen Behörden gemäß Art. 5 Abs. 6a VO 1370/ 07 n.F. entscheiden „[u]m den Wettbewerb zwischen den Eisenbahnunternehmen zu steigern, … dass Aufträge für öffentliche Schienenpersonenverkehrsdienste, die Teile desselben Netzes oder Streckenpakets betreffen, an unterschiedliche Eisenbahnunternehmen zu vergeben sind. Zu diesem Zweck können die zuständigen Behörden vor Beginn des wettbewerblichen Vergabeverfahrens entscheiden, die Zahl der Aufträge zu begrenzen, die an ein und dasselbe Eisenbahnunternehmen vergeben werden.“ Die Regelung entspricht der Loslimitierung im allgemeinen Vergaberecht. 12 3. De minimis- und KMU-Direktvergaben In Bezug auf de minims-Vergaben wird Art.-5 Abs. 4 VO 1370/ 07 um höhere Schwellen für SPNV-Leistungen ergänzt, die 7 500 000 EUR oder 500 000 km betragen. Für die ebenfalls in der Vorschrift geregelten KMU-Direktvergaben im ÖPNV werden die maximal verfügbaren 23 Fahrzeuge nunmehr klarstellend 13 als „Straßenfahrzeuge“ qualifiziert. Übergangsregelungen Gemäß Art. 8 Abs. 2 VO 1370/ 07 n.F. „i) gilt Art. 5 [n.F.] ab dem 3. Dezember 2019 für die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für Personenverkehrsdienste auf der Straße und auf anderen schienengestützten Verkehrsträgern als der Eisenbahn, wie Untergrund- oder Straßenbahnen; ii) gilt Art. 5 [n.F.] ab dem 3. Dezember 2019 für öffentliche Schienenpersonenverkehrsdienste; iii) finden Art. 5 Abs. 6 und Art. 7 Abs. 3 ab dem 25. Dezember 2023 keine Anwendung mehr. Die Laufzeit von Aufträgen, die gemäß Art. 5 Abs. 6 zwischen dem 3. Dezember 2019 und dem 24. Dezember 2023 vergeben werden, beträgt höchstens zehn Jahre.“ Letzteres gilt nach Art. 8 Abs. 2a VO 1370/ 07 auch für öffentliche Dienstleistungsaufträge für öffentliche Schienenpersonenverkehrsdienste, die auf der Grundlage eines anderen als eines fairen wettbewerblichen Vergabeverfahrens ab dem 24. Dezember 2017 bis zum 2. Dezember 2019 direkt vergeben werden, sofern nicht Art. 4 Abs. 4 VO 1370/ 07 eine längere Laufzeit gestattet. 14 Überdies sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, bis zum 2. Dezember 2019 Maßnahmen zu treffen, um Art. 5 VO 1370/ 07 n.F. schrittweise anzuwenden. Konsequenzen Für Deutschland hat die Änderung der VO 1370/ 07 durch die VO 2016/ 2338 nur geringe Konsequenzen. Die Vergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen unterstellt § 131 GWB (z.T. i.V.m. § 154 Nr. 3 GWB) ohnehin dem Vergaberecht, so dass eine voraussetzungslose Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 6 VO 1370/ 07 schon bisher nicht erfolgen konnte. 15 Für Konzessionsvergaben im SPNV ist allerdings künftig Art. 5 Abs. 3b VO 1370/ 07 zu beachten, da die Vorschrift nicht unter dem Vorbehalt entgegenstehenden nationalen Rechts steht. 16 Unter den sonstigen Änderungen erfordert vor allem Art. 2a VO 1370/ 07 n.F. eine Reaktion des deutschen Gesetzgebers. Vorgeschlagen wurde bereits eine Weiterentwicklung der Nahverkehrspläne und ihre Qualifikation als Strategiepapiere im Sinne der Verordnung. 17 Am besten entspräche der deutschen Rechtsordnung eine Lösung, welche die Bestimmung der politischen Ziele im ÖPNV (einschließlich SPNV) mit zunehmendem Konkretisierungsgrad beginnend von der Bundesüber die Landesebene bis hin zu den Aufgabenträgern durch gesetzliche wie auch sonstige normative und planerische Instrumente festlegt, so dass konzeptionelle Vorstellungen (unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten und durch den Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre im ÖPNV gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 PBefG besonders hervorgehobenen Interessen der Verkehrsunternehmer 18 ) und Bestellung von Verkehren stärker als bisher miteinander verbunden würden ■ 1 ABl. EG 2007 L 315/ 1. 2 ABl. EU 2016 L 354/ 22. 3 Näher Winnes, DÖV 2009, 1135 ff. 4 Linke, NZBau 2017, 331 (332). 5 Ausweislich Erw. 9 zur VO 2016/ 2338 hat dies jedoch „keinen Anspruch auf eine bestimmte finanzielle Ausstattung“ für die bestellenden Behörden zur Folge. 6 Näher dazu Knauff, in: Goede/ Stoye/ Stolz (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Vergaberecht, 2017, Kap. 17 Rn. 28 ff. 7 Linke, NZBau 2017, 331 (335). 8 Linke, NZBau 2017, 331 (336). 9 Zur nicht unproblematischen Abgrenzung näher Linke, NZBau 2017, 331 (334). 10 Linke, NZBau 2017, 331 (338). 11 Linke, NZBau 2017, 331 (337), qualifiziert dies zu Recht als „bemerkenswert“. 12 Linke, NZBau 2017, 331 (338); siehe zur Loslimitierung etwa Antweiler, in: Burgi/ Dreher (Hrsg.), Beck‘scher Vergaberechtskommentar I, 3. Aufl. 2017, § 97 Rn. 60 f. 13 Vgl. Saxinger, in: Saxinger/ Winnes (Hrsg.), Recht des öffentlichen Personenverkehrs, Stand 7/ 2017, Art. 5 Abs. 4 VO 1370/ 2007 Rn. 15. 14 Zu weiteren Wirksamkeit innerhalb bestimmter Zeiträume anderweitig vergebener öffentlicher Dienstleistungsaufträge siehe Art. 8 Abs. 3 VO 1370/ 07. 15 Vgl. BT-Drucks. 18/ 6281, S. 117; Fandrey, in: Kulartz/ Kus/ Portz/ Prieß (Hrsg.), GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 131 Rn. 32. Zu den Besonderheiten der Regelung von SPNV- Vergaben in § 131 GWB im Überblick Mutschler-Siebert/ Dorschfeldt, VergabeR 2016, 385 ff. 16 Linke, NZBau 2017, 331 (339). 17 Dafür Linke, NZBau 2017, 331 (332 f.). 18 Siehe umfassend die Beiträge in Knauff (Hrsg.), Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit im ÖPNV, 2017. Matthias Knauff, Prof. Dr., LL.M. Eur., Rechtswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insb. Öffentliches Wirtschaftsrecht, Friedrich-Schiller-Universität Jena matthias.knauff@uni-jena.de Regionalbahn und Stadtbahn der Albtal Verkehrs-Gesellschaft AVG im Hauptbahnhof Freudenstadt Foto: Erich Westendarp/ pixelio.de Wir machen es möglich. Mit unserer kommunalen Förderung für Klimaschutz durch Radverkehr. Jetzt informieren und zwischen 15. Februar und 15. Mai 2018 Förderung beantragen. www.klimaschutz.de/ radverkehr Mit persönlicher Beratung vom Projektträger Jülich: (030) 20199 - 34 22 POLITIK Unternehmensstrategie Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 14 Digitalisierung - ein alter Hut? Fünf Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft Vernetzung, Internet of Things, Cyberkriminatität, Datenschutz, Standarisierung, Hypervernetzung Was bedeutet eigentlich Digitalisierung? Eine Befragung von zehn Managern würde höchstwahrscheinlich zehn verschiedene Antworten ergeben - stark abhängig davon, wie relevant der Befragte das Thema für das eigene Umfeld einschätzt. Ähnliches gilt für die Begriffe Industrie 4.0 und Big Data. Ignorieren Unternehmen die inzwischen unübersehbaren Entwicklungen bewusst? Und wie neu sind die Themen wirklich? Martin Beims, Roland Fleischer D as Schlagwort Digitalisierung scheint Schnee von gestern zu sein - so inflationär, wie dieser Begriff in den letzten zehn Jahren zum Einsatz kam. Doch stecken zahlreiche Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft dahinter. Die digitalen Neuerungen, wie etwa die Elektromobilität, führen zu einem enormen Technologie- und Strukturwandel, der die Wertschöpfungskette durcheinanderwirbelt. Diese vermehrte Interaktion von Mensch und Maschine wirft neue ethische Fragen auf. Einige der häufig genannten Schlagwörter bedürfen daher einer genaueren Betrachtung, denn die Digitalisierung hat Konsequenzen für alle Lebensbereiche. Der digitale Wandel ist weitaus mehr als eine technologiegetriebene Entwicklung: Es handelt sich vor allem um einen sozialen Prozess, der den Menschen mehr denn je ins Zentrum rückt. Digitales Abbild der Welt Seit den frühen Achtzigerjahren schreitet die Digitalisierung unaufhaltsam voran. Digitalisieren lässt sich einfach alles. Kaum ein Bereich bleibt vom digitalen Wandel unberührt - diese Entwicklung macht auch vor der sozialen Interaktion keinen Halt. Inzwischen basieren komplette Geschäftsmodelle und Konzerne ausschließlich auf digitalen Produkten und Leistungen. Ein digitales Abbild der Welt entsteht. Informationen entwickeln sich zum zentralen Produktionsparameter und sind inzwischen oft bedeutender für den Geschäftserfolg als klassische Anlagegüter. Ideen und Innovationen werden zum zentralen Erfolgsfaktor. Die Besitzer von Informationen und Daten verkörpern die Großgrundbesitzer der modernen Geschäftswelt. Symb-IoT-isch Im Mittelpunkt der Digitalisierungsprozesse standen bisher vor allem Informationen aus der Interaktion mit Menschen. Inzwischen rückt auch die digitale Transformation von Dingen immer stärker in den Vor- Foto: Thomas Riegler/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 15 Unternehmensstrategie POLITIK dergrund. Geräte stellen Informationen zu ihrer Identität und ihren Eigenschaften, aber auch zu ihrer Umgebung bereit. Diese Daten lassen sich über ein globales Netzwerk abrufen und beeinflussen. Die Vernetzung von Objekten und Geräten, auch bekannt als das Internet of Things (IoT), stellt eine Verbindung zwischen realer und virtueller Welt her. Um die Daten der Geräte einzusammeln, auszuwerten und zur Nutzung bereitzustellen, sind spezielle Dienste erforderlich. Ebenfalls unabdingbar: Anbieter, die nach der Informationsverarbeitung Handlungsanweisungen an die Objekte zurückgeben. Erst im Zusammenspiel der Geräte und Dienstleister im IoT lassen sich völlig neue Wirtschaftsräume erschließen. Vom Marketingbegriff zum Schlagwort Ein Teilkomplex des IoT ist die „Industrie 4.0“. Ursprünglich ein Begriff aus dem Marketing der deutschen Bundesregierung 1 , entwickelte sich dieser Ausdruck in den letzten zehn Jahren zu einem gängigen Begriff. Schon seit Längerem nutzt die Industrie die Vernetzung von Geräten für sich: Maschinen lesen etwa selbstständig die Informationen an Werkstücken, um die exakten Arbeitsabläufe darauf abzustimmen. Manuelle Eingriffe sind nur noch selten notwendig - die Kommunikation erfolgt von Maschine zu Maschine. Dies ermöglicht schon die automatisierte Fertigung sehr kleiner Stückzahlen. Digitalisierung, Internet of Things und Industrie 4.0 - all diese Entwicklungen haben tiefgreifende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Berührungspunkte gibt es mit allen Lebensbereichen, und die Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen: 1. Ethik: Selbstbestimmt, aber-einsam? Je „vollständiger“ das digitale Abbild der Welt wird, desto weniger persönliche Interaktion erscheint noch nötig. Schon länger treffen Computer sogenannte Mikroentscheidungen meist besser als ihre menschlichen Kollegen. Diese Entwicklung manifestiert sich etwa in der automatischen Paketzustellung oder in selbstfahrenden Autos. Wie lange dauert es, bis Computer in der Lage sind, komplexe, zukunftsoffene Entscheidungen zu treffen? Durch den vermehrten Einsatz von Technologie zur Abarbeitung faktenbasierter Entscheidungen nimmt Technik Akademikern immer mehr Arbeit ab. Diese Entwicklung betrifft auch das alltägliche Leben: Die Automobilindustrie steht vor einer Revolution. Elektromobilität und autonomes Fahren halten Einzug in die Branche und werden auch vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur aktiv gefördert. So betont etwa Ex- Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, dass sich Europa zum Leitmarkt für automatisiertes Fahren entwickeln soll. 2 Mit den ethischen Problemen der Elektromobilität beschäftigte sich 2016 eine extra hierfür einberufene Ethik-Kommission. Vereinbart wurden erste Leitlinien, die eine Zulassung automatisierter Fahrsysteme erlauben - allerdings im Hinblick auf Sicherheit, menschliche Würde, Entscheidungsfreiheit und Datenautonomie besondere Anforderungen stellen. 3 So zeigt sich, dass gerade die Verschiebung der Wertschöpfung von menschlicher zu maschineller Tätigkeit ein soziales Grundproblem aufwirft. Immer weniger menschliche Arbeit scheint nötig. Die Konsequenz darf allerdings nicht sein, künstlich einkommensgenerierende Beschäftigung zu erfinden. Es gilt vielmehr, Alternativen für die Verteilung der Kaufkraft auf die Konsumenten zu suchen, sodass die Digitalisierung auch zur Steigerung der Lebensqualität aller Beteiligten führt. 2. Sicherheit: Datenmengen schutzlos ausgeliefert? Immer mehr Daten zu Personen, Orten, Objekten und Produkten sind digital verfügbar. Diese schützenswerten Informationen haben einen immensen Wert. Dabei bleibt die Digitalisierung nicht lokal beschränkt, sondern erfolgt in der globalen Welt des Internets. Besonders die Persönlichkeitsrechte und Freiheiten erfahren durch zunehmende Überwachung, Manipulationen und Cyberkriminatität eine neue Art der Bedrohung. Aufgrund der vermehrten Nutzung dieser digitalen Datenmengen vergrößert sich die Angriffsfläche für digitale Kriminalität: Allein im Jahr 2015 entstanden über 430 Millionen neue Instanzen von Malware und in Dreiviertel der gängigen Websites existieren gravierende Sicherheitslücken. 4 Angriffe auf Daten und Systeme lassen sich immer schlechter vorhersehen, gleichzeitig werden digitale Informationen in den Unternehmen immer relevanter. Laut einer Studie der Bundesdruckerei legen Unternehmen zwar großen Wert darauf, Digitalisierung nicht auf Kosten der Sicherheit zu forcieren. Allerdings lässt sich beobachten, dass gerade in kleineren Unternehmen die Maßnahmen zum digitalen Schutz meist lückenhaft umgesetzt werden. 5 54 % der Betriebe hatten in den vergangenen 24 Monaten einen konkreten IT-Sicherheitsvorfall. Trotzdem sehen 61 % die hohen Kosten als Hemmnis für die Gewährleistung und die Verbesserung ihrer IT-Security. Fast die Hälfte der befragten Unternehmen erkennt einen hohen Verbesserungsbedarf bei organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen. Insbesondere gilt dies für größere Unternehmen, während kleinere ihren IT-Schutz verstärkt durch personelle Maßnahmen verbessern möchten. Allein im Jahr 2017 gehen 60 % der Unternehmen von steigenden Investitionen für diesen Bereich aus. 3. Datenqualität: Qualität und Quantität Was nützt die umfangreiche digitale Abbildung der Welt, wenn sie erhebliche Mängel oder Lücken aufweist? Vollständige und richtige Daten spielen für Unternehmen eine immer größere Rolle. Je stärker Geschäftsprozesse digitalisiert werden, desto größer der potentielle Schaden durch fehlerhafte Daten. Die Aufmerksamkeit, aber auch das Budget für die Sicherung der Datenqualität und der Bereitstellung der richtigen Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort und an die richtigen Adressaten müssen deutlich steigen. Auch in der digitalen Strategie der Bundesregierung heißt es: „Zentraler Rohstoff des digitalen Wandels sind Daten. (…) Die Schlüsselkompetenzen erfolgreicher Unternehmen werden auf lange Sicht in der Erfassung, Verarbeitung, Verknüpfung und dem Schutz von Daten liegen (…)“. 6 Ohne den Rohstoff „Daten“ lässt sich die Digitalisierung kaum bewältigen. Eine Studie von Lünendonk aus dem Jahr 2016 mahnt an, dass viele Unternehmen für die Herausforderungen der Digitalisierung noch nicht ausreichend gerüstet sind. Nur 15 % der 155 befragten Unternehmen sehen sich beispielsweise beim Stammdatenmanagement gut aufgestellt. 85 % stufen sich hier als „mittelmäßig“ oder gar „schlecht“ ein. 7 Dabei handelt es sich bei Stammdaten um- die informationelle Basis eines jeden Unternehmens. Wenn es schon an der Verwaltung und effektiven Nutzung der grundlegenden Daten scheitert, wie sieht es dann erst mit Informationen aus, die darüber hinausgehen? Der allgemeine Trend entwickelt sich weg vom rein quantitativen Datensammeln und erweitert sich zusehends um eine qualitative Komponente: Big Data wandelt sich zu „Thick Data“. Spezifische, granulare Informationen über die Erwartungen und Bedürfnisse der Kunden, Konsumenten und Mitarbeiter - das ist die Zukunft des Datensammelns. 4. Standards: Unausweichlich Nur mit Normen bereit für die Digitalisierung: Je mehr Komponenten die Kommunikation umfasst, desto wichtiger sind einheitliche Regeln für Identifizierung und POLITIK Unternehmensstrategie Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 16 Einordnung von Informationen. Für die Anbieter digitaler Dienste gestaltet sich dies als genauso essentiell, wie für die Informationskunden. Aber: Standardisierung bleibt auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Der Erfolg der digitalen Transformation hängt von der Verfügbarkeit standardisierter, bezahlbarer Sensoren und Aktoren ab. Gerade für junge, innovative Unternehmen mit naturgemäß schmalerer Kapitaldecke hat die Verfügbarkeit günstiger Standardkomponenten als Basis für die Entwicklung große Bedeutung. Müssen alle Komponenten aufwändig individuell entwickelt und proprietäre Schnittstellen mit vielen anderen Elementen synchronisiert werden, bremst das nicht nur Innovation, sondern übersteigt oft auch die finanziellen Möglichkeiten von Startups. Auch der Technologieverband VDE positioniert sich klar: „Ohne Standarisierung keine Digitalisierung“. Unternehmen sind gefordert, den digitalen Wandel mit Standards und Normen aktiv zu gestalten. Die Politik muss dafür geeignete Rahmenbedingungen schaffen und die Unternehmen unterstützen, während die Normungsinstitute ihre Anforderungen an die Digitalisierung anpassen müssen. 8 Nur so lässt sich das ganze Potenzial der digitalen Transformation heben. 5. Datenmenge: Unerschöpflich In den letzten Jahrzehnten ist die Datenmenge in der digitalen Welt geradezu explodiert. Noch halten die aktuellen Speichermöglichkeiten mit dieser Entwicklung Schritt. Allerdings besteht die Herausforderung darin, diese Datensätze durch entsprechende Datenbanktechnologien und Analysewerkzeuge auszuwerten und zu wertvollen Informationen zu verbinden. Laut statistischem Bundesamt steigt die Datenmenge weltweit von rund 8,6 Zettabyte (1-Zettabyte = 1021 Byte) aus dem Jahr 2015 auf rund 40 Zettabyte in 2020. Mit diesen 40 Zettabyte wird es dann 57mal mehr Daten als Sandkörner an den Stränden der Erde geben. Dieser Umfang entpuppt sich als eine große Herausforderung für die zugrundeliegende Infrastruktur. Ohne Anpassungen der Technologien verschwinden zukünftig Informationen ungenutzt in der Datenflut. Auch die umfassende Nutzung von Cloud-Lösungen lässt die Ansprüche an effizienten Infrastrukturen und optimale Netzabdeckung kontinuierlich ansteigen. Goldman Sachs prognostiziert für Cloud- Computing bis 2018 ein Plus von 30 % und entwickelt sich damit langfristig zur Basistechnologie der Digitalisierung. 9 Unternehmen müssen sich fragen, wie sich der stetig steigende Datenverkehr bewältigen lässt - infrastrukturell wie kulturell. Der Mensch im Fokus Der Mensch scheint in dieser digitalisierten Welt nur noch eine Nebenrolle zu spielen, doch der Eindruck täuscht. Zum einen ist diese Entwicklung kein Selbstzweck, sondern dient der Realisierung von Nutzen für Kunden, zum anderen müssen die Infrastrukturen für die Digitalisierung erstellt, erhalten und weiterentwickelt werden. Industrie 4.0 schürt - wie viele der vorangegangenen historischen Evolutionsschritte der Wirtschaft - Ängste. Von den Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, ist in jedem Fall auch der Arbeitsmarkt betroffen. Einerseits werden bestimmte Tätigkeiten einfach nicht mehr gefragt sein, andererseits eröffnen sich durch die Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten. Der Wandel vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb beispielsweise wird auf der einen Seite zu einem Verlust von Arbeitsplätzen führen. Auf der anderen Seite entwickeln sich völlig neue Märkte, die wiederum neue Betätigungsfelder entstehen lassen. Allein in Deutschland sind laut Verband der Internet-Wirtschaft etwa 300 000 Arbeitnehmer direkt in der Internet-Branche beschäftigt - ein Wirtschaftszweig, der vor zwei Jahrzehnten noch nicht nennenswert existent war. Und das ist erst der Anfang: Die Zahl der Beschäftigten in der digitalen Wirtschaft wird weiter wachsen. Digitalisierung als Chance Der erste Schritt, den vielfältigen Herausforderungen entgegen zu treten, ist ein mentaler: die Erkenntnis nämlich, dass die Digitalisierung den Beginn einer neuen Epoche des Lebens und des Wirtschaftens markiert, in der herkömmliche Modelle immer weniger greifen. Die Dynamik des digitalen Wandels wirkt sich weiter aus - die Ära der Hypervernetzung hat gerade erst begonnen. 10 Unternehmen, die diese Erkenntnis nicht ausblenden, sondern sich für die vernetzte Komplexität und einen ganzheitlichen Ansatz öffnen, legen den Grundstein für den Erfolg im digitalen Zeitalter. Die fortschreitende Digitalisierung bedeutet nicht nur eine Herausforderung für die Technologiebranche, sondern für die gesamte Gesellschaft. Zukünftig werden ganz andere Kenntnisse und Fertigkeiten nötig sein als heute. Im eher schwerfälligen, föderalistischen System ist Geschwindigkeit gefragt, um die neue Generation auf die Herausforderungen einer digitalen Welt gut vorzubereiten. Statt einfach Wissen anzusammeln, kommt es vermehrt darauf an, Zusammenhänge zu erkennen und Relevantes von Irrelevantem in stetig wachsenden Datenbergen zu unterscheiden. Es besteht jedoch kein Grund, den Veränderungen ängstlich zu begegnen, wenn sich die Gesellschaft den neuen Herausforderungen technisch, gesellschaftlich und menschlich stellt. IT-Organisationen und den CIO kommt dabei nicht nur technisch eine zentrale Rolle zu. ■ 1 http: / / www.forschungsunion.de/ pdf/ forschungsunion_ perspektivenpapier_2013.pdf; https: / / www.bmbf.de/ de/ zukunftsprojekt-industrie-4-0-848.html; https: / / www. hightech-strategie.de/ . 2 h t t p s : / / w w w. b u n d e s r e g i e r u n g . d e / C o n t e n t / D E / Artikel/ 2017/ 09/ 2017-09-15-digitales-testfeld-deu-fra-lux. html. 3 h t t p s : / / w w w . b m v i . d e / S h a r e d D o c s / D E / Pressemitteilungen/ 2017/ 084-dobrindt-bericht-der-ethikkommission.html. 4 https: / / www.vodafone.de/ media/ downloads/ pdf/ 5-thesen-zur-digitalisierung.pdf. 5 https: / / www.bundesdruckerei.de/ en/ system/ files/ whitepaper/ whitepaper-studie-it-sicherheit.pdf.pdf. 6 https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Publikationen/ Digit a l e - W e l t / d i g i t a l e s t r a t e g i e - 2 0 2 5 . p d f ? _ _ blob=publicationFile&v=16 , S.6 (2015). 7 http: / / luenendonk.de/ mailing/ Download/ ITK/ Stammdatenstudie_Luenendonk_f051216.pdf (2016). 8 Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln: Whitepaper „Potentiale von Standards für die deutsche Wirtschaft“ (2017). 9 https: / / www.vodafone.de/ media/ downloads/ pdf/ 5-thesen-zur-digitalisierung.pdf. 10 https: / / www.vodafone.de/ media/ downloads/ pdf/ 5-thesen-zur-digitalisierung.pdf. Martin Beims Geschäftsführer aretas GmbH, Aschaffenburg martin.beims@aretas.de Roland Fleischer, Dr. Geschäftsführer aretas GmbH, Aschaffenburg roland.fleischer@aretas.de Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 17 F rankreich und Deutschland sind die größten Volkswirtschaften der EU. Trotzdem gibt es zwischen beiden Staaten gerade mal fünf Eisenbahngleise. Zwischen Straßburg und Offenburg, zwischen Saarbrücken und Metz sowie - für schweren Güterverkehr nur bedingt tauglich - zwischen Karlsruhe und Straßburg. Viel besser lässt sich kaum illustrieren, dass es in Europa 26 nationale Schienennetze gibt (auf Malta und Zypern fahren keine Züge) - aber kein europäisches Netz. Investitionen in grenzüberschreitende Strecken sehen die nationalen Verkehrs- und Finanzpolitiker nicht als vordringliche Aufgabe an. Sie setzen die knappen Budgetmittel lieber anderswo in ihren Ländern ein. Eine Staatengemeinschaft, deren Ziel es immer noch ist, den Frachtverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, muss für ein (Schienen-) Verkehrsnetz sorgen, das dem gemeinsamen Markt entspricht: Anbindung auch der peripheren Regionen, ausreichende Verbindungen zwischen wichtigen Volkswirtschaften, Verknüpfungen von Häfen mit dem Hinterland, das oft genug über nationale Grenzen hinaus reicht. Für ein solches Netzwerk setzt sich die EU-Kommission seit langem ein. Mit einigem Erfolg. Denn deren Vorschlag von transeuropäischen Verkehrsnetzen, der Ausweis von neun Kernnetz-Korridoren und das Finanzierungsinstrument der Connecting Europe Facility (Cef ) zählen zu den großen infrastrukturpolitischen Leistungen der EU. Mit dem Cef-Topf und seine Zweckbindung an einen „europäischen Mehrwert“, konkret also an die Beseitigung von Lückenschlüssen im grenzüberschreitenden Verkehr, kann die EU-Kommission Infrastrukturprojekte für ein europäisches Netz ko-finanzieren. Der Cef-Rahmen von gut 24 Mrd. EUR in der laufenden Finanzperiode bis 2020 (im Sieben-Jahres-Zeitraum zuvor standen nur gut 8 Mrd. EUR zur Verfügung) ist bis auf einen Restbetrag vergeben. Der wird im nächsten Jahr ausgeschrieben. Deshalb rückt in Brüssel die Frage in den Vordergrund, wie viel Geld im nächsten mittelfristigen Finanzrahmen bis 2027 zur Verfügung stehen wird. Der Bedarf ist gigantisch: Um das transeuropäische Kernverkehrsnetz wie vorgesehen bis 2030 fertig zu stellen, werden im nächsten Jahrzehnt 500 Mrd. EUR gebraucht. Zählt man die notwendigen Ausgaben für das flächendeckende Netz, das auch wichtige Nebenstrecken umfasst und bis 2050 vollendet sein soll, sowie für Stadtlogistik und intelligente Verkehrssysteme hinzu, müssen bis 2030 sogar 1,5 Billionen EUR aufgebracht werden. Das hat die EU-Kommission berechnet. Diesen astronomischen Ausgaben allein für die Verkehrsinfrastruktur stehen im künftigen EU-Budget sinkende Einnahmen gegenüber: Nach dem Brexit wird mit Großbritannien einer der Staaten ausfallen, die mehr Geld in den EU- Haushalt gepumpt als daraus abgezogen haben. Da die Verhandlungen über die Trennung der Insel von der Union nicht von der Stelle kommen, ist noch völlig unklar, wie viel kleiner der künftige EU-Etat sein wird. Aus Sicht der Verkehrspolitiker kommt bedauerlicherweise hinzu, dass geringeren Einnahmen auch steigende Ausgaben an anderer Stelle gegenüberstehen. Vor allem die Migration aus Afrika und Vorderasien wird in der künftigen Finanzplanung hohe Summen erfordern. So wird der finanzielle Spielraum für EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger trotz der überall anziehenden Konjunktur eng werden. In dieser wirklich nicht hoffnungsfrohen Situation ist es richtig, dass der Verkehrssektor sich rechtzeitig vor den Verhandlungen über die mittelfristige Finanzplanung der Union in Position bringt. Die EU-Transportexperten können darauf verweisen, dass sie das Instrument Cef aktuell effizient einsetzen. Und dass sie bereits an dessen Weiterentwicklung zur Cef2 arbeiten. Sie wollen die Zuschüsse aus dem Topf effizienter mit Darlehen aus anderen Quellen und mit privaten Investitionen verbinden. Zuschüsse der Cef soll es nur noch dort geben, wo Infrastrukturprojekte nicht „marktfähig“ sind - wo es also schwer ist, Darlehen oder Privatinvestitionen aufzutreiben. So hart und schwierig der Kampf um die notwendigen Mittel für die Verkehrsinfrastruktur werden wird - es gibt Zeichen, die einen gewissen Optimismus erlauben: Ende September plädierten die elf EU-Korridor-Koordinatoren - vom Ungarn Péter Balázs über den Deutschen Kurt Bodewig bis zum Polen Pawel Wojciechowski - dafür, die Cef zum zentralen Instrument für die Infrastrukturfinanzierung zu machen. Und bei ihrem informellen Treffen in der estnischen Hauptstadt Tallinn stellten die EU-Verkehrsminister klar, dass sie an dem Finanztopf festhalten wollen. Das ist noch keine Garantie für ausreichende Mittel - aber ein Zeichen. Immerhin. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Großer Finanzbedarf - kleine Töpfe Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 18 INFRASTRUKTUR Automatisierung Funktionalisierung der Straßenverkehrsinfrastruktur Möglichkeiten und Potentiale infrastrukturintegrierter Sensoren, Generatoren, Kollektoren und Aktuatoren Ladetechnologie, Car-to-Infrastructure-Communication, Energie Harvesting Straßen werden derzeit hauptsächlich als Flächen zur Abwicklung des Güter- und Personenverkehrs genutzt, Funktionen zur Unterstützung der Elektromobilität, des hochautomatisierten Fahrens oder der individuellen Verkehrsbeeinflussungen sind kaum integriert. Im Artikel werden hierzu technische Lösungsansätze vorgestellt und deren Potentiale kurz umrissen. Fokussiert wird auf Ansätze zur straßeninfrastrukturintegrierten Verkehrsdatenerzeugung, zur Verkehrsbeeinflussung sowie zur Energiegewinnung und -übertragung. Markus Oeser, Dirk Kemper, Adrian Fazekas, Phillip-Armand Klee, Lukas Renken J edes Jahr verlieren in Deutschland ca. 3300 bis 3600 Menschen ihr Leben bei Straßenverkehrsunfällen [1]. Diese Zahl hat sich seit dem Jahr 2010 nur noch geringfügig verändert und repräsentiert einen Teil des Risikos, dem Menschen im Straßenraum ausgesetzt sind. Eine signifikante Reduktion dieser Größe kann voraussichtlich nur noch durch fahrzeugintegrierte Assistenz- und infrastrukturintegrierte Warnsysteme erreicht werden. Der Straßenverkehr birgt jedoch auch andere Risiken für Mensch und Umwelt, wie beispielsweise eine erhöhte NO x -Belastung in der Nähe stark befahrener Straßen. Mehr als die Hälfte der Messstationen an diesen Straßen lagen in Deutschland im Jahresmittelwerte über dem Grenzwert von 40 μg pro Kubikmeter Luft [2]. Lösungen zeichnen sich durch sauberere Verbrennungsmotoren und vor allem durch den flächendeckenden Übergang zur Elektromobilität ab. Weitere Risiken, wie die kaum noch planbaren Reisezeiten des motorisierten Individualverkehrs in Ballungsräumen [3] kommen hinzu. Derzeit werden Straßen lediglich als Flächen zur Verkehrsabwicklung genutzt. Die Funktionalisierung der Straßenverkehrsinfrastruktur kann auf dem Weg hin zu einer modernen und nachhaltigen individuellen Mobilität einen wichtigen Beitrag leisten und die gegenwärtigen Probleme lösen. Technische Ansätze sind bereits vorhanden und könnten systematisch in die bestehende und neu zu bauende Straßenverkehrsinfrastruktur integriert werden. Die Straße als Verkehrsdatenerzeuger Konventionelle Methoden zur Verkehrserfassung liefern i.d.R. aggregierte, querschnittbezogene Daten. So werden u.a. durch Induktionsschleifen, Laserdetektoren oder Infrarotanlagen lokale Daten erhoben und ausgewertet. Hierdurch können beispielsweise die mittlere Geschwindigkeit der Fahrzeuge, die Verkehrsstärke und fahrzeugtypische Charakteristiken wie die Fahrzeugklasse, die Silhouette und/ oder die Achsanzahl ermittelt werden. In der Fläche bzw. entlang der Strecke ist eine Erfassung mittels Videodetektion möglich. Hierbei können wie in Tunneln [4] oder an Streckenabschnitten mit temporärer Seitenstreifenfreigabe ortsfeste Kameradaten analysiert, Streckenbelegungen erfasst oder die Trajektorien der Fahrzeuge ermittelt und kameraübergreifend verfolgt werden. Dabei lassen sich Mikroverkehrsdaten wie beispielsweise die (relativen) Geschwindigkeiten und Beschleunigungen der Fahrzeuge in Echtzeit ableiten und auf sicherheitsrelevante Parameter wie den TTC-Wert (time to collision) schließen. Im Bereich außerhalb von Tunnel und temporären Seitenstreifenfreigaben liegen i. d. R. keine Videodaten vor. Hier können beispielsweise Drohnen eingesetzt werden [5]. Probleme der bildbasierten Detektion bestehen meist in der Qualität der Videoaufnahme (Blendung bei Nacht) und den Wetterbedingungen (Regen, Nebel). Eine andere Möglichkeit der Fahrzeugdetektion liegt in der Verwendung von flächendeckenden Sensoren, z. B. MEMS-Beschleunigungssensoren oder Körperschallsensoren. Diese Sensoren weisen Abmessungen im Bereich weniger Millimeter auf Bild 1: Fahrzeugdetektion des Konzeptes der „Sensitiven Straße“ Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 19 Automatisierung INFRASTRUKTUR und können in Deckschichten von Straßen integriert werden (siehe Bild 1). Die aufgenommenen Mikroverkehrsdaten werden im Sensor vorprozessiert, an „Roadside-Units“ übergeben und beispielsweise an Verkehrsrechenzentralen weitergeleitet. In den Rechenzentralen werden die Daten aggregiert, mit anderen Informationen verschnitten, plausibilisiert und Informationen zur Verkehrssteuerung ermittelt. Weitere Informationen wie die Sicht-, Temperatur-, Regen- und Windverhältnisse oder die Glätte der Fahrbahn werden bereits heute auf wichtigen Strecken punktuell ermittelt und an Verkehrsrechenzentralen übermittelt. Zudem können mit WIM-Sensoren (weight in motion) Achslastdaten während der Fahrt aufgenommen werden-[6]. Die Straße als Verkehrsbeeinflusser Kollektive Verkehrsbeeinflussung Derzeit existieren verschiedene Systeme der kollektiven Verkehrsbeeinflussung. Die prominentesten Vertreter sind Wechselverkehrsanlagen. Diese werden von Verkehrsrechenzentralen automatisch und in Ausnahmefällen manuell gesteuert und sind für eine abschnittsbezogene Verkehrsbeeinflussung geeignet. Neben Geschwindigkeitsvorgaben können Verkehrsinformationen oder Umleitungsempfehlungen übertragen werden. Mit diesen Anlagen können der Verkehrsfluss homogenisiert und Unfälle sowie Staus bis zu einem gewissen Grad vermieden werden. Das Konzept „Smart Highways“ des Designers Daan Rosegaarden und des niederländischen Bauunternehmens Heijmans [7] arbeitet neben selbstleuchtenden Straßenmarkierungen (Glowing Lines) mit LED- Markierungen, die in Abhängigkeit der Temperatur oder der Verkehrssituation ihre Position, Helligkeit oder Farbe ändern (Dynamic Lines, Dynamic Paint). Einige Ansätze dieses Projektes finden auf der Straße N329 in den Niederlanden bereits eine erste Anwendung. Die Wirkung auf die Fahrer und die Befolgungsrate wird derzeit u.a. in dem von der EU geförderten Projekt „Measures for Behaving Safely in Traffic“ (Me- BeSafe) untersucht [8]. Durch die Weitergabe gezielter Information soll ein maximales Maß an Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmer und eine Optimierung der Streckenkapazität unter Berücksichtigung aller relevanter Bedingungen (Wetter, Helligkeit, etc.) erreicht werden. Individuelle Verkehrsbeeinflussung Das von der EU geförderten Projekt „Measures for Behaving Safely in Traffic“ (Me- BeSafe) zielt neben der kollektiven Verkehrsbeeinflussung auch auf die individuelle Verkehrsbeeinflussung ab. Im Rahmen dieses Projektes werden „Nudging“-Maßnahmen entwickelt und implementieret. Hierbei werden Potentiale eines beleuchteten Fahrbahnbelages zur Steigerung der Befolgung von Geschwindigkeits- und Spurvorschreibungen untersucht [9]. Weitere neue Ansätze der individuellen Verkehrssteuerung liegen mit dem Konzept der „Sensitiven Straße“ vor (siehe Bild 2). Hierbei werden Informationen der Verkehrsrechenzentralen, die (wie oben beschrieben) vorher von infrastrukturintegrierter Sensorik generiert wurden, über „Roadside Units“ an einzelne Fahrzeuge übermittelt (infrastructure to car communication). Eine zielgerichtete Bereitstellung der relevanten Informationen zur Unfall-, Stau- und Gefahrenvermeidung ist auf diese Weise über ein sicheres Netz möglich. Weiterhin könnte über derartige Systeme hochautomatisierte oder sogar fahrerlose Fortbewegung von Fahrzeugen sicher realisiert werden. Die Straße als Energieerzeuger PV-Module auf Straßen Derzeit existieren verschiedene Ansätze, mit welchen durch infrastrukturintegrierte Photovoltaikmodule regenerativ Energie aus Verkehrsflächen gewonnen wird. Im Projekt „SolaRoad“ [9] wurde nördlich von Amsterdam ein 100 m langer Fahrradweg mit PV-Modulen bestückt. Hierüber kann die Energieversorgung von drei durchschnittlichen Haushalten erfolgen. Die realisierte Lösung basiert auf vorgefertigten Betonplatten der Abmessung 2,5 x 3,5 m, auf welche PV-Zellen appliziert wurden. Die Oberfläche der Module besteht aus texturiertem Glas, um eine ausreichende Griffigkeit zu gewährleisten. Weitere Schritte werden derzeit vom „SolaRoad“-Konsortium unternommen, um diese Technologie für Fußwege, Plätze oder Höfe nutzbar zu machen. Eine Nutzung für Bereiche mit höheren Verkehrslasten (Straßen) ist geplant. Im Rahmen des vom französischen Umweltministerium finanzierten Projektes „Wattways“ [10] sollen Straßen mit einer Gesamtlänge von 1000 km mit PV-Modulen bestückt werden. Dabei werden auf existierende Straßenoberflächen flexible und texturierte PV-Module mit einer Abmessung von 15 x 15 cm aufgebracht und miteinander verschaltet. Mit einer Modulfläche von 7000 m 2 (dies entspricht näherungsweise der Oberfläche einer zweistreifigen Straße mit einer Länge von 1 km) könnte die Stromversorgung der Straßenbeleuchtung eines durchschnittlichen französischen Ortes mit 5000 Einwohnern abgedeckt werden. Für den Betrieb einer Lichtsignalanlage wären 15 m 2 PV-Modulfläche notwendig. Das wohl bekannteste Photovoltaikprojekt auf Straßen, „Solar Roadways“ [11], wird neben einer öffentlichen Anschubfinanzierung in Höhe von 750 000 USD größtenteils über Crowdfunding finanziert. Der technologische Ansatz besteht in der Verlegung vorgefertigter, befahrbarer sechseckiger PV-Module, die miteinander verschaltet werden. In diese Module sind neben den Photovoltaikzellen auch LED Anzeigen integriert, mit welchen, ähnlich wie beim „Smart Highways“-Konzept Informationen zur Verkehrsbeeinflussung übertragen werden können. Weiterhin können die Module Bild 2: Konzept der „Sensitiven Straße“ Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 20 INFRASTRUKTUR Automatisierung beheizt werden, um eine permanente Schnee- und Eisfreiheit der Flächen zu gewährleisten. In Deutschland strebt das Start-Up Unternehmen „Solmove“ [12] die Nutzung der Straßenoberflächen für Photovoltaik an (Bild 3). Zunächst sollen schwach befahrende Flächen (Wege, Plätze, Radwege, Nebenstraßen) mit „Solmove“-Modulen bestückt werden. Die Module bestehen aus mehreren funktionalen Schichten und einem hochfesten und kratzsicheren Deckglas, welches eine spezielle Noppenstruktur und Texturierung aufweist [13]. Durch die Noppenstruktur wird die Drainage des Oberflächenwassers sichergestellt und der Nachteil des ungünstigeren Einfallswinkels der horizontal ausgerichteten Module kompensiert. Die Texturierung gewährleistet eine ausreichende Griffigkeit. Wie beim „Solar Roadways“-System sollen die Module mit LEDs ausgerüstet werden. Energieerträge von 100 kWh pro Jahr und Quadratmeter werden derzeit realisiert. Generatoren in Straßen Piezoelektrische Generatoren wandeln mechanische Energie, die in Form von Deformationen des Straßenaufbaus von den Fahrzeugen eingetragen wird, in elektrische Energie um. Eine erste Lösung liegt mit dem Konzept der Firma „Innowattech“ [14] vor. Hierbei werden Module piezoelektrischer Generatoren in die Radlastpfade von Straßendecksichten eingelassen und miteinander verschaltet. Nach Firmenangaben können auf diese Weise auf einer Strecke von 1 km Länge, die stündlich von 600 LKW mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/ h befahren wird, pro Stunde 200 kW elektrische Energie erzeugt werden. Ein experimenteller Nachweis dieser Angaben oder eine prototypisch ausgestattete Strecke liegen allerdings bis dato nicht vor. Mikroelektromechanische Systeme (MEMS) (siehe z. B.: Baugher [15]) wandeln ebenfalls mechanische Energie in elektrische Energie um. Das Baugher-System nutzt dafür piezoelektrische Generatoren gemäß [16]. Hiermit können Kleinstmengen an elektrischer Energie erzeugt werden, die beispielsweise zur Stromversorgung von Sensoren oder Aktuatoren in Straßen nutzbar sind. „Underground Power“ [17] ist eine italienische Firma, die sich seit 2011 mit der Wandlung von mechanischer Energie in elektrische Energie auf Straßen befasst. Das Konzept basiert auf sogenannten „Rubber Tiles“, die in Straßen eingelassen und bei einer PKW- oder LKW-Überfahrt nach unten gedrückt werden. Aus dieser Bewegung wird mit einem linearen induktiven Generator Strom erzeugt. Durch den erhöhten Rollwiderstand auf der mit den „Rubber Tiles“ ausgestatteten Fläche werden die Fahrzeuge gleichzeitig abgebremst. Das System eignet sich besonders vor Fußgängerübergängen, Kreisverkehren oder in Wohnstraßen, auf welchen gezielt Geschwindigkeitsreduktionen realisiert werden sollen. Weiterhin liegen mit den Arbeiten [18, 19, 20] MEMS vor, welche die mechanische Energie der Deformation der Straße in Gas- oder Flüssigkeitsströme umwandeln, die dann induktive Mikrogeneratoren antreiben und auf diese Weise Kleinstmengen an elektrischer Energie erzeugen, die beispielsweise für den Betrieb autarker Sensorsysteme genutzt werden kann. Die Straße als Energieüberträger Induktive Energieübertragung Schnelles und bequemes Laden von E-Fahrzeugen kann kontaktlos über induktive Energieübertragung realisiert werden. Dabei entsteht in einer Primärspule, die in die Straße eingelassen ist, ein magnetisches Feld, welches in der Sekundärspule, die im Fahrzeug verbaut ist, eine Spannung induziert. Die Firma Primove hat diese Technologie für das stationäre Laden von PKW, Bussen und Straßenbahnen entwickelt. Weiterhin liegen Lösungen für die induktive Energieübertragung während der Fahrt für alle Fahrzeugtypen vor [21]. Sensoren in der Straße detektieren die betreffenden Fahrzeuge und lösen die Energieübertragung aus. Das hierfür notwendig magnetische Feld wird lediglich unterhalb der Fahrzeuge segmentweise aufgebaut und sofort abgeschaltet, wenn das Fahrzeug das betreffende Segment verlässt. Andere Verkehrsteilnehmer, wie Fußgänger oder Radfahrer gelangen nicht in den Wirkbereich des Feldes. Die Unterseite der e-Fahrzeuge wird mit Aluminiumplatten versehen, sodass empfindliche Bauteile und die Fahrzeuginsassen abgeschirmt sind. Mit dem Primove-System können Ladeleistungen von 20 bis etwa 200-kW und Wirkungsgrade von über 90 % realisiert werden. Konduktive Energieübertragung Von der Firma Siemens wird derzeit ein System zur kontaktbasierten Energieübertragung für LKW entwickelt, das dem von Oberleitungsbussen in Städten ähnelt. LKW werden mit Stromabnehmern versehen, über die elektrische Energie während der Fahrt ins Fahrzeug eingespeist wird [22]. In Streckenabschnitten ohne Oberleitung werden die LKW mit Hybridmotoren betrieben. Ziel dieser Technologie ist die flächendeckende Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs. Wirkungsgrade der Energieübertragung liegen ähnlich hoch wie bei der induktiven Übertragung. LKW können während der Fahrt Energie austauschen. Bei einer Talfahrt können LKW durch das sogenannte Motorbremsen Energie erzeugen und ins Netz einspeisen, die anderen LKW zur Verfügung gestellt werden kann. Die Technologie wird derzeit implementiert. Es existiert ein sogenannter eHighway mit einer Länge von 2 km in Schweden. Ein weiterer Streckenabschnitt, der mit entsprechenden Oberleitungen ausgerüstet ist, wird in Kalifornien (USA) realisiert. Fazit Die Straßenverkehrsinfrastruktur der Zukunft wird viele neue Aufgaben erfüllen müssen, wenn eine weitere Reduktion der Risiken des Straßengüter- und Personenverkehrs für die Verkehrsteilnehmer und die Umwelt gewährleistet werden soll. Ziele wie die Elektromobilität, das hochautomatisierte Fahren oder der sichere Betrieb von autonomen Fahrzeugen können nur erreicht werden, wenn die Straßenverkehrsinfrastruktur zielgerichtet funktionalisiert wird. Die hierfür erforderlichen Lösungsansätze liegen in vielen Fällen bereits vor. Die Bild 3: „Solmove“- Konzept [12] Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 21 Automatisierung INFRASTRUKTUR Forschung und Entwicklung muss sich zukünftig neben den technischen Fragestellungen auch den ökonomischen Aspekten solcher Systeme widmen. Allerdings ist hier ein gesamtwirtschaftlicher Blick geboten. Wenn es gelingt, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, die Kapazität des Netzes zu optimieren und die Belastungen des Straßengüter- und Personenverkehrs für Mensch und Umwelt zu vermindern, entsteht ein hoher gesamtwirtschaftlicher Nutzen, der die Kosten einer zielgerichteten Funktionalisierung der Straßenverkehrsinfrastruktur weit übersteigen wird. ■ LITERATUR [1] Statistisches Bundesamt (2014), Pressemitteilung vom 24. Februar 2017 - 65/ 17 [2] Bundesumweltamt (2015), Pressemitteilung vom 09.02.2015 - 05/ 15 [3] ADAC (2016), Staubilanz, https: / / www.adac.de/ _mmm/ pdf/ statistik_staubilanz_0117_231552.pdf [4] Fazekas, A., Bommes, M., & Oeser, M. (2013). Vehicle Tracking using 3D Particle Filter in Tunnel Surveillance. Proceedings of the 3rd International Conference on Models and Technologies for Intelligent Transportation Systems [5] DROVA (2017), http: / / www.isac.rwth-aachen.de/ cms/ ISAC/ Forschung/ Projekte/ Planung/ ~oeky/ DROVA/ [6] Obrien, E. (2011), History of Weigh-in-Motion & Technologies, 1st International Seminar of Weigh in Motion, Santa Catarina, Brasilien [7] Careless, J. (2014), Advancing asphalt roadways into the future, Asphalt: The magazine of Asphalt Institute, http: / / asphaltmagazine. com/ advancing-asphalt-roadways-into-the-future/ [8] MeBeSafe (2017), http: / / www.isac.rwth-aachen.de/ cms/ ISAC/ Forschung/ Projekte/ Planung/ ~nzih/ MeBeSafe/ [9] SolaRoad (2017), http: / / www.solaroad.nl/ [10] Wattways (2016), http: / / www.wattwaybycolas.com/ en/ [11] Solar Roadways (2015), http: / / www.solarroadways.com/ [12] Solmove (2017), http: / / www.solmove.com/ [13] Renken, L. & Oeser, M. (2017): „Klimawandel - Berücksichtigung beim Bau von Straßen” Kolloquium Kommunales Verkehrswesen - Tagungsband [FGSV-Nr. 002/ 117], ISBN 978-3-86446-179-8, Münster [14] Innowattech (2010), Innowattech Alternative Energy Harvesting System Roads Solution [15] Baugher 2013, Patent No. US20130193930 [16] Arman, H. & Kim, S.-G. (2011) Ultra-wide Bandwidth Piezoelectric Energy Harvesting, Department of EECM, Massachusetts Institute of Technology [17] Underground Power (2017), http: / / upgen.it/ en/ undergroundpower-lybra-speed-absorber/ [18] Guckel, H. (1998), Progress in magnetic Microactuators, Microsystem Technologies [19] Zorlu, O. & Külah, H. (2013), A MEMS-based energy harvester for generating energy from non-resonant environmental vibrations, Sensors and Actuators A: Physical, vol. 202, pp 124-134 [20] Xionga, H. & Wang, L. (2016) Piezoelectric energy harvester for public roadway: On-site installation and evaluation, International Journal of Applied Energy, vol. 174, pp. 101-107 [21] Primove (2017), http: / / primove.bombardier.com/ de.html [22] Siemens (2015), https: / / www.siemens.com/ press/ de/ feature/ 2015/ mobility/ 2015-06-ehighway.php Phillip-Armand Klee, M. Sc. RWTH Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Straßenwesen, RWTH Aachen klee@isac.rwth-aachen.de Lukas Renken, Dipl.-Ing. Geschäftsführer, Ingenieurgesellschaft für Straßenwesen Aachen mbH renken@isac-gmbh.com Adrian Fazekas, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Straßenwesen, RWTH Aachen fazekas@isac.rwth-aachen.de Dirk Kemper, Dr.-Ing. Oberingenieur, Lehrstuhl und Institut für Straßenwesen, RWTH Aachen kemper@isac.rwth-aachen.de Markus Oeser, Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Institutsdirektor, Lehrstuhl und Institut für Straßenwesen, RWTH Aachen oeser@isac.rwth-aachen.de Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN g Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Das Fachmagazin Transforming Cities informiert Fach- und Führungskräfte viermal jährlich branchenübergreifend über Hintergründe, Entwicklungen und Perspektiven der Veränderungen in urbanen Regionen und ihren Einzugsgebieten. Es greift die Herausforderungen auf, denen sich Gestalter, Verwalter und Erhalter im urbanen Kontext zunehmend gegenüber sehen und vertieft diese Themen mit Beiträgen anerkannter Experten aus Wissenschaft und Praxis. Anspruch des Magazins ist die ganzheitliche Analyse und Aufbereitung von Kernfaktoren zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen. Es wendet sich an die Entscheider in Verwaltungen und Stadtwerken, an Planungs- und Konstruktionsbüros, Hochschulen und Institute sowie Unternehmen. Jetzt: Transforming Cities ein Jahr lang zum halben Preis lesen, als Printausgabe oder ePaper, anschließend zum Normalpreis: www.transforming-cities.de/ starterabo/ Den urbanen Wandel gestalten Technisch-wissenschaftliche Beiträge zur Transformation von Städten TRIALOG PUBLISHERS VERLAGSGESELLSCHAF T | SCHLIFFKOPFSTR ASSE 22 | 72270 BAIERSBRONN-BUHLBACH | TELEFON: (0) 7449 91386-36 | FA X: (0) 7449 91386-37 Eigenanzeige.indd 1 14.08.2017 17: 13: 15 INFRASTRUKTUR Großprojekte Partizipation und Deeskalation bei der Planung von-Infrastrukturvorhaben Ergebnisse aus drei Jahren interdisziplinärer Forschung in-Niedersachsen Infrastrukturplanung, Konfliktforschung, interdisziplinäre Eskalationsforschung, Verkehrsplanung, politische Kommunikation In Niedersachsen forschen seit 2014 wissenschaftliche Teams aus den Sozial-, Rechts-, Ingenieurwissenschaften und der Psychologie zur Eskalation von Konflikten um Großvorhaben. Diese Konflikte basieren nicht nur auf dem jeweiligen lokalen Gegenstand, sondern können auch zur Arena gesamtgesellschaftlicher Auseinandersetzungen werden. Sie folgen einer sich selbst verschärfenden Eigendynamik. Deeskalationsstrategien müssen daher so früh wie möglich ansetzen. Sie müssen viele Aspekte beachten, die von den Teildisziplinen des Forschungsverbunds für eine Gesamtmodellierung erarbeitet werden. Nils C. Bandelow, Colette S. Vogeler S eit dem Konflikt um Stuttgart 21 steht die Frage nach den Ursachen gewaltsamer Eskalation bei großen Verkehrsprojekten im Fokus des gesellschaftlichen und politischen Interesses. Welche Faktoren tragen dazu bei, dass Konflikte bei einigen Großprojekten eskalieren und bei anderen nicht? Welche Instrumente führen zur Akzeptanz von Planungsvorhaben in der Bevölkerung? Ausgehend von diesen Fragestellungen startete im Oktober 2014 das im Rahmen des „Niedersächsischen Vorab“ von der VolkswagenStiftung geförderte Verbundprojekt „Eskalationsforschung zur Kommunikation großer Infra- Abrissarbeiten und Proteste am Stuttgarter Hauptbahnhof. Foto: Mussklprozz/ Wikimedia Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 22 Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 23 Großprojekte INFRASTRUKTUR struktur- und Bauvorhaben“. Seit drei Jahren untersucht das interdisziplinär zusammengesetzte Team von Forscherinnen und Forschern der Universitäten Braunschweig, Göttingen und Hannover das Zusammenspiel von sozialwissenschaftlichen, rechtlichen, technischen und psychologischen Faktoren im Kontext von Eskalationsprozessen bei Infrastruktur- und Bauvorhaben in Deutschland. Ziel ist die Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen für legitime, partizipative, sachlich angemessene und von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragene Planungen und Umsetzungen von Großprojekten. Die Ergebnisse können gleichermaßen von Behörden, Projektträgern und Projektbetroffenen genutzt werden und sollen einen Beitrag zur Vermeidung von gewaltsamer Konflikteskalation leisten. Das Forscherteam hat das bisher disziplinär uneinheitliche Konzept der Eskalation empirisch präzisiert und damit die Grundlage für die Messung unterschiedlicher Eskalationsstärken geschaffen. Die Skala beinhaltet 19 Verhaltenskategorien. Betroffene und Beteiligte von Konflikten nehmen etwa illegale Aktionen als konfliktverschärfend wahr, sehen aber bei Falschinformationen, psychischer Gewalt, Gewalt gegen Sachen und gegen Menschen weitere Eskalationsverschärfungen. Eine Herausforderung bei der Planung von Großprojekten und anderen lokalen Ereignissen mit Konfliktpotential (etwa dem G20-Gipfel in Hamburg) liegt darin, dass gesamtgesellschaftliche Konflikte, etwa eine generelle Unzufriedenheit mit Beteiligungsmöglichkeiten, Personen oder Ergebnissen von Politik, mit dem eigentlichen Gegenstand verbunden werden können. Daraus kann sich ein erhöhtes Eskalationspotential ergeben. Hohes Potential muss nicht heißen, dass Konflikte eskalieren. Es bedeutet aber, dass ein lokaler Auslöser eine Eskalationsdynamik einleiten kann. Dieser Dynamik kann mit Sachargumenten nicht mehr entgegengewirkt werden. Auch politische, rechtliche, technische und andere Rahmenbedingungen können den einmal begonnenen Eskalationsprozess verstärken. Sie sind aber nicht ursächlich verantwortlich dafür. Deeskalation muss daher immer vorbeugend erfolgen. Sie muss einerseits darauf zielen, Legitimitätsdefizite der Politik ganzheitlich zu minimieren. Zum anderen müssen Planungen spezifische situative Faktoren berücksichtigen, um zu verhindern, dass ein Projekt zur Arena größerer Konflikte wird. In den folgenden Abschnitten werden zentrale Einflussfaktoren aus den verschiedenen disziplinären Perspektiven vorgestellt und anschließend zusammengeführt. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht hängt das Eskalationspotential eines Konflikts damit zusammen, ob neben materiellen Interessen auch grundlegende Normen betroffen sind, die nicht über Tauschverfahren ausgeglichen werden können. Normenkonflikte finden sich etwa bei umstrittenen Technologien. Sie können aber auch aus anderen Politikbereichen übertragen werden. Dies passiert in Deutschland unter anderem, wenn Großprojekte zum Gegenstand des Parteienwettbewerbs werden, wie es bei Stuttgart-21 zu beobachten war. Ein weiterer und in der öffentlichen Debatte viel diskutierter Einflussfaktor auf die Entstehung und die Entwicklung von Protesten kann die massenmediale Kommunikation darstellen. Ist der Protest selbst Gegenstand der Medienberichterstattung, kann dies zu Imitationseffekten und hierdurch vermehrtem Protest führen. Jedoch deuten die Ergebnisse einer quantitativen Analyse des sozialwissenschaftlichen Teilprojekts zum Fallbeispiel Stuttgart 21 darauf hin, dass der Einfluss der medialen Kommunikation auf Konflikte um Infrastruktur- und Bauvorhaben wahrscheinlich überschätzt wird: Zwar kann die Berichterstattung Proteste verschärfen, eine ursächlich-auslösende Wirkung besteht jedoch nicht [1]. Gleichzeitig belegen die Analysen den häufig geäußerten Vorwurf, dass die Medienberichterstattung nicht alle in einem Konflikt existierenden Positionen gleichermaßen widerspiegelt. Eine quantitative Medieninhaltsanalyse zeigt, dass die Berichterstattung das Meinungsspektrum deutscher (Politik-)Akteure nicht ausgewogen wiedergibt. Eine nicht ausgewogene Medienberichterstattung birgt die Gefahr der zunehmenden Polarisierung einzelner Positionen und befördert das Entstehen von Misstrauen zwischen Akteuren im politischen Konflikt. Ein aus rechtswissenschaftlicher Perspektive deeskalativ wirkendes Instrument kann die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 III VwVfG darstellen, die den Vorhabenträger dazu anhält, die Öffentlichkeit über die Planungen zu informieren und in die Planungen zu involvieren. Obwohl diese Öffentlichkeitsbeteiligung noch freiwillig ist und die Letztentscheidung über das jeweilige Projekt bei der zuständigen Behörde verbleibt, ist zu erwarten, dass das Ergebnis eines solchen Beteiligungsverfahrens in der weiteren Planung berücksichtigt wird. Aktuell gibt es eine wissenschaftliche Diskussion darüber, ob die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung verbindlich gemacht werden sollte [2]. Eine solche Verbindlichkeit unterstützen im Wahlkampf zur Niedersachsen-Wahl 2017 alle großen Parteien. Sie verursacht jedoch nicht nur unmittelbare Kosten. Es besteht auch das Risiko, dass eine schlecht durchgeführte Beteiligung - etwa ein als exklusiv wahrgenommenes Beteiligungsverfahren - das Eskalationspotential sogar befördern kann. In föderalen Systemen wie der Bundesrepublik Deutschland muss zudem die Beteiligung auf allen Entscheidungsebenen koordiniert werden [3]. Zentral bei allen Formen der institutionalisierten Beteiligung durch den Vorhabenträger ist die Einbeziehung aller subjektiv und potentiell betroffener Akteure sowie die transparente und offensive Kommunikation auch der formalen Grenzen des Beteiligungsverfahrens. Eine weitere Herausforderung sowohl im Planungsprozess als auch im potentiellen Beteiligungsverfahren stellt das von verschiedenen Akteuren zum Teil extrem unterschiedlich bewertete Nutzen-Kosten- Verhältnis von Infrastruktur- und Bauvorhaben dar. Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur liegen dem Bundesverkehrswegeplan formalisierte Nutzen-Kosten-Berechnungen zugrunde - diese sind jedoch keineswegs unstrittig. Insbesondere die bei Großprojekten systematische Tendenz der Unterschätzung von Kosten und Überschätzung des Nutzens, die sich teilweise erst in der Bauphase offenbaren, führt zu Widerständen in der Bevölkerung [4]. Eine im Rahmen des Braunschweiger ingenieurswissenschaftlichen Teilprojekts durchgeführte Ex-Post-Analyse offenbarte sogar eine durchschnittliche Kostensteigerung von etwa 70 bis 90 % [5]. Neben diesen formalisierten Kosten- und Nutzen-Berechnungen spielen subjektiv empfundene Belastungen eine wichtige Rolle für die Konfliktdynamik: Die individuelle Bewertung der Kosten, vor allem die befürchtete Lärmbelastung, kann subjektiv sehr unterschiedlich ausfallen. Der empfundene Schaden hängt dabei nicht nur von der wissenschaftlichen Bewertung ab, sondern kann von einer grundsätzlichen Verletzung von eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen beeinflusst werden. Eine im Rahmen des Verbundprojekts durchgeführte Befragung unter Gegnern des Projekts Stuttgart 21 zeigt, dass ein tiefgreifender zugrundeliegender Wertekonflikt den inhaltlichen Konflikt überlagerte [6]. Der teilweise sogar gewaltsame Widerstand gegen Stuttgart 21 wurde maßgeblich von Personen getragen, die ein auffällig geringes Vertrauen in die Institutionen und Personen der parlamentarischen Parteiendemokratie haben. Der Konflikt kann damit teilweise als Projektionsfläche für viel allgemeineren Protest interpretiert werden. Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 24 INFRASTRUKTUR Großprojekte Auseinandersetzungen um Infrastrukturvorhaben können weiterhin durch persönliche Konflikte zwischen den konkurrierenden Konfliktparteien und durch verzerrte Wahrnehmungen verschärft werden. Die in der Politikfeldanalyse als „Devil Shift“ und „Angel Shift“ bezeichnete verzerrte Fremd- und Eigenwahrnehmung, der an einem Konflikt beteiligten Akteure, ist ein zentraler Einflussfaktor auf das Eskalationsniveau [7]. Die Verteufelung der gegnerischen Seite im Konflikt geht einher mit der starken Idealisierung der Konfliktpartei. Anhand einer quantitativen Befragung von Gegnern und Befürwortern von „Stuttgart 21“ (über 1000 Umfrageteilnehmer) wurde aufgezeigt, dass nahezu alle Akteure von einer verzerrten Fremd- und Eigenwahrnehmung betroffen sind und sowohl die Macht als auch die Bösartigkeit- der jeweiligen Gegenseite stark überschätzen. Häufig wird im Prozess versäumt, frühzeitig unter den Konfliktparteien Verständnis für die Sichtweise der jeweiligen Gegenseite zu entwickeln [6]. Sobald sich stark verfestigte Koalitionen mit einer hohen ideologischen Distanz formieren, erschwert dies die Rückführung zu sachlicher Problemlösung. Diese ideologische Distanz führt aus politikfeldanalytischer Sicht im Konflikt zur Bildung von gegnerischen Koalitionen, während geteilte Werte und Grundannahmen zentral zur Bildung und Verfestigung von Koalitionen beitragen. Ein gemeinsames Wertesystem führt auch zu einem höheren Vertrauen zwischen Akteuren, hingegen ist das Vertrauen bei einer hohen ideologischen Distanz am geringsten ausgeprägt. Aus psychologischer Perspektive ist Vertrauen ein zentraler Einflussfaktor auf die Protestbereitschaft und das Protestverhalten von Bürgerinnen und Bürgern. Bei der Planung von Infrastruktur- und Großprojekten ist das Vertrauen, das den Vorhabenträgern entgegen gebracht wird entscheidend. Ist das Vertrauen von subjektiv betroffenen Akteuren in die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger hoch, sind Proteste weniger eskalativ. Die transparente Kommunikation und Darstellung des Projektvorhabens einschließlich der potentiellen Betroffenheiten können zur Vertrauensbildung beitragen. Auch die partizipative Einbindung betroffener Bürgerinnen und Bürger und die Möglichkeit zur Einflussnahme können das Vertrauen positiv beeinflussen [8]. Ähnlich wie im Bereich der verzerrten Wahrnehmung gilt aber auch hier: Einmal entstandenes Misstrauen ist kaum mehr aufzulösen und kann zu langfristig anhaltendem Protest beitragen. Für Beteiligungsverfahren bedeutet dies, dass diese nur dann deeskalativ wirken, wenn die hohen Erwartungen involvierter oder betroffener Akteure in Bezug auf Transparenz, Gerechtigkeit, Unvoreingenommenheit und Einflussmöglichkeiten erfüllt werden. Beteiligungsverfahren, die diesen Maßstäben nicht gerecht werden, können im Gegenteil in einem erhöhten Eskalationsniveau münden. Ob es bei Infrastruktur- und Bauvorhaben schließlich zu gewaltsamer Eskalation kommt, ist von einem Zusammenspiel verschiedener Ursachenkomplexe abhängig: Ideologisierte Gruppen wenden entweder reaktiv Gewalt an, wenn der Staat selbst mit Gewalt gegen legitimen Protest vorgeht, oder setzen proaktiv am Ende eines iterativen Prozesses Gewalt als letztes Mittel der Projektverhinderung ein. Dem Baustart kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Von großen Bau- und Infrastrukturprojekten betroffene Anwohnerinnen und Anwohner handeln gewaltsam, beispielsweise durch Sachbeschädigung eines Zaunes, wenn das Projekt zentrale Wertvorstellungen tangiert und aus Sicht der Betroffenen keine Möglichkeiten der Projektverhinderung mehr existieren - der Baustart symbolisiert diesen Moment im Prozess [9]. Was sind also Elemente deeskalativer Planung von Infrastruktur- und Bauvorhaben und welche Faktoren tragen zur Akzeptanz einzelner Vorhaben bei? Zentral ist ein persönlicher und vertrauensschaffender Umgang und die direkte Ansprache der Betroffenen in möglichst kleinen Gruppen. Insbesondere müssen dabei die subjektiven Problemsichten der betroffenen Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden. Die individuell empfundenen Belastungen können dabei von den durch scheinbar objektive Gutachten oder wissenschaftliche Befunde identifizierten Betroffenheiten abweichen. Beteiligungsverfahren müssen diese subjektiven Betroffenheiten adressieren. Ein Schwerpunkt jeder Beteiligung ist die persönliche Diskussion zwischen den Konfliktparteien, um Verständnis für die verschiedenen Perspektiven zu generieren. Vermeintliche Sachargumente spielen hier nur eine deeskalierende Rolle, wenn noch keine verfestigte Positionierung stattgefunden hat. Unter spezifischen Bedingungen kann eine informelle Beteiligung von Vertretern potentiell negativ Betroffener dazu führen, dass eine Lösung angestrebt wird, die nach Möglichkeit extreme Härten für Einzelne verhindert. Solche Verfahren können damit Eskalationsprozesse vermeiden und staatliche Steuerungsfähigkeit stärken, sie führen aber nicht zu einer technisch optimalen Lösung. Technisch und wirtschaftlich optimale Lösungen müssten neue Regelungen zum Umgang mit Ausgleichszahlungen für negativ Betroffene beinhalten. ■ LITERATUR [1] Eisenmann, Thomas; Lindloff, Kirstin; Weiß, Isabel (2017): Media Coverage as a Trigger of Escalation? Agenda-Setting and Framing in the Case of the Infrastructure Project „Stuttgart 21“. Manuskript im Begutachtungsverfahren. [2] Lindloff, Kirstin; Lisetska, Katharina; Stender-Vorwachs, Jutta (2017): Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Planung von Schieneninfrastruktur. In: Eisenbahntechnische Rundschau, 1+2, S. 42 - 47. [3] Fraune, Cornelia; Knodt, Michèle (2017): Challenges of Citizen Participation in Frastructure Policymaking in Multi-Level Systems - The Case of Onshore Wind Energy Expansion in Germany. In: European Policy Analysis, Bd. 3, H. 2, doi: 10.1002/ epa2.1022. [4] Flyvberg, Bent (2014): What you should know and about megaprojects and why. An overview. In: Project Management Journal, Bd. 45, H. 2, S. 6-19. [5] Lisetska, Katharina (2017): Effizienzsteigerung in der Planung von Infrastrukturprojekten durch Bürgerbeteiligung, Im Erscheinen. [6] Vogeler, Colette S. und Bandelow, Nils C. (2016): Devil Shift und Angel Shift in eskalierten politischen Konflikten am Beispiel von Stuttgart 21. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft, Bd. 26, H. 3, S. 301-324. [7] Sabatier, Paul A.; Hunter, Susan; McLaughlin, Susan (1987): The Devil Shift: Perceptions and Misperceptions of Opponents. In: Western Political Quarterly, Bd. 40, H. 3, S. 449-476. [8] Thies, Barbara (2017): Vertrauen und Protestbereitschaft: Erkenntnisse aktueller Eskalationsforschung. In: Wertermittlungsforum, 34, S. 157-160. [9] Heidrich, Sebastian; Bandelow, Nils C. (2017): Wenn der Bagger rollt: Warum politische Konflikte um große Infrastrukturprojekte gewaltsam eskalieren. Manuskript im Begutachtungsverfahren. Nils C. Bandelow, Prof. Dr. Professor für Politikwissenschaft, Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre und Politikfeldanalyse, Technische Universität Braunschweig nils.bandelow@tu-braunschweig.de Colette S. Vogeler, Dr. Post-Doc im Fach Politikwissenschaft, Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre und Politikfeldanalyse, Technische Universität Braunschweig colette.vogeler@tu-braunschweig.de BESTELLUNGEN: Tel.: +49 7953 883-628 Fax: +49 40 228679-503 E-Mail: office@pmcmedia.com Online: www.pmcmedia.com PER POST: PMC Media House GmbH Kundenservice D-74590 Blaufelden Handbuch Eisenbahnbrücken Das neue Grundlagenwerk! 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Im Zuge des barrierefreien Ausbaus von oftmals kommunaler Infrastruktur können neuartige, digital nutzbare oder sogar cloud-basierte Haltestellenkataster eingesetzt werden. In Teil I des Beitrags berichteten die Autoren über die Grundlagen und ihre Erfahrungen mit der Thematik. Der vorliegende Teil-II behandelt konkrete Strategien zur systematischen Umsetzung. Rainer Hamann, Sebastian Schulz V on einem gut geführten, digital zugänglichen Haltestellenkataster profitieren neben ÖPNV- Sachbearbeitern und Straßenbauern gleichermaßen auch die Verkehrsunternehmen und ggf. Betroffenenverbände. Wichtig ist die Gewähr für eine langfristige, dauerhafte Pflege desselben. Denn was nützt ein Haltestellenkataster, wenn es nicht aktuell gehalten wird? Als „Eintagsfliege“, nicht selten im Zusammenhang mit Nahverkehrsplänen konzipierte Bestands-Datenbanken verlieren erfahrungsgemäß schnell ihren eigentlichen Wert und sind bei ausbleibender Pflege nicht mehr als Zeit- und Geldverschwendung. Systemaufbau Beim Aufbau komplexer Datenbanken und Informationssystemen müssen vorab die wichtigsten Eckpunkte geklärt werden, um typische „Geburtsfehler“ von digitalen Datensystemen zu vermeiden und eine langlebige und stabile, fortschreibungsfähige Plattform zu schaffen: • Welchen Zweck soll die Datenbank bzw. das Haltestellenkataster erfüllen? • Welche Informationen werden aufgenommen? • Wer soll die Datenbank nutzen, mit welchen Berechtigungen? • Wer kümmert sich um die Pflege und um Aktualisierungen? • Welche Auswertungsmöglichkeiten müssen gewährleistet werden? Nur wenn die oben genannten Fragen weitestgehend vorab geklärt sind, sollte mit dem Aufbau des Haltestellenkatasters begonnen werden. Erfahrungsgemäß verfügen Verkehrsunternehmen und/ oder die zuständigen Baulastträger bereits über ein Mindestmaß an Informationen oder gar Datenbanken, die zur erstmaligen Erstellung dienlich sein können. Sollten bereits funktionierende und aktuelle Systeme bestehen, ist bei einem ergänzenden Aufbau die Kompatibilität zu beachten. Aber auch bei erstmaligen Systemen ist zu beachten, dass nicht alle Informationen vor Ort erhoben werden können, so dass weiterer Input zwingend auch aus anderen sekundären Quellen benötigt wird. Auch hier gilt es, sich den Gegebenheiten individuell anzupassen, um das Mögliche zu realisieren. Die Frage nach Sinn und Zweck eines Haltestellenkatasters ist allerdings von zentraler Bedeutung. Vielfach neigen Datenbanken dazu, unübersichtlich, unhandlich und unstrukturiert zu sein bzw. zu werden. Wird beispielsweise eine Datenbank zur reinen Haltestellenpflege vorgehalten, sind Detailinformationen zu baulichen Maßen oder zur Haltestellenumgebung eher zweitrangig. Geht es bei einem Kataster vor allem um Investitionskostenberechnungen für z.B. den barrierefreien Ausbau, sind bauliche Maße und Zustände hinreichend genau zu dokumentieren. Hier kann es schon einen Unterschied machen, ob die Breite von Aufstellflächen beispielsweise mit „größer als 1,50 m“ angegeben wird, oder exakt „2,78-m“ beträgt. Der Grad der Detaillierung spielt eine gewichtige Rolle, sowohl bei der Kalkulation des Erhebungsaufwands vor Ort, als auch bei der Handhabbarkeit der Datenbank zu einem späteren Zeitpunkt. Ebenso von Bedeutung ist die Fortschreibungsfähigkeit des Haltestellenkatasters. Erfahrungsgemäß ist ein erhobener Stand nach wenigen Monaten schon wieder veraltet und entspricht in Teilen nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten. Deshalb ist es wichtig, die Investitionen in ein Haltestellenkataster nicht als Strohfeuer zu verheizen, sondern vorab den dauerhaften Nutzen sicherzustellen. Dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen und sollte frühzeitig von allen Beteiligten festgelegt werden. Dabei hilft es, Zuständigkeiten zu klären und sie und die jeweiligen Aufgaben in einer Vereinbarung festzuhalten. Gerade in Landkreisen und ländlichen Bereichen, wo oftmals mehrere Straßenbaulastträger zuständig sind, muss ein - nicht immer einfacher - Weg zur dauerhaften Nutzung gefunden werden, im besten Fall unter Mitarbeit mehrerer oder aller betroffenen Baulastträger und Verkehrsunternehmen. Sofern aktuellere Informationen zu einer Haltestelle vorliegen, können diese über ein für alle Akteure zugängliches Kataster vom entsprechend Zuständigen aktualisiert werden. Datenaufnahme So hat auch Büro StadtVerkehr für diese Bedarfe verschiedene Datenbanksysteme entworfen, getestet und angewendet. Wie bereits beschrieben, sollte der Aufwand des Systemaufbaus und der Informationsbeschaffung eng mit dem späteren Nutzen in Einklang stehen. Um die Erstaufnahme vor Ort möglichst zeitsparend und effizient durchzuführen, wurde basierend auf einem vorgefertigten Baukastensystem eine mobile App (Anwendungssoftware für Mobilgeräte) entwickelt (Bild 1). Damit kann die Aufnahme eines herkömmlichen Bussteigs mit mehr als 50 verschiedenen Kriterien einschließlich Foto(s) und GPS-Koordinaten über ein handelsübliches Smartphone oder Tablet in rund zehn Minuten erledigt werden. Per WLAN- oder mobiler Datenverbin- Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 27 Barrierefreier ÖPNV INFRASTRUKTUR dung werden die gesammelten Informationen in eine Cloud übermittelt, die maßgerecht auf die Struktur des späteren Katasters abgestimmt ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt, aber auch später, können weitere vor Ort nicht sichtbare Informationen hinzugefügt werden. Dies können Informationen zur Umgebung sein, Fahrgastzahlen und Fahrplandaten oder auch Details der Zuständigkeit und Pflege. Berücksichtigen muss man bei jeder Haltestellenanalyse unabhängig von den örtlichen Gegebenheiten die Anzahl der Teilhaltestellen sowie die Fahrkilometer von Haltestelle zu Haltestelle. Diese summieren sich immens, je größer das Untersuchungsgebiet ist. Schon für kleine Gebiete kann der Erhebungsaufwand die reine Zeit zur Eingabe pro Bussteig deutlich übersteigen. Nicht nur die Fahrtzeiten zwischen den Haltestellen, sondern auch immer wieder unvorhersehbare Ereignisse (Baustellen, stark frequentierte Haltestellen, Witterungsbedingungen, fragende Passanten und Anwohner usw., fehlende Parkmöglichkeiten) können die Erhebung vor Ort verzögern. Es ist daher immer genügend Zeit für eine gründliche Aufnahme einzuplanen. Dennoch ist es geboten, den Personalaufwand so gering wie möglich zu halten. Es liegt in der Natur der Sache, dass unterschiedliche Personen trotz intensiver Schulung unterschiedliche Ansichten und Einschätzungen haben. Werden bestimmte Kriterien vor Ort bewertet, kann es bei zu vielen verschiedenen Erhebern zu unerwünschten Ungleichgewichten und Diskrepanzen bei der Einschätzung kommen. Auch wenn Kriterien und Angaben in eindeutigster Weise gewählt und erläutert wurden, sind unterschiedliche Bewertungen nicht auszuschließen. Daher sollte ein Erheberteam aus nicht mehr als drei bis vier Personen bestehen und der Zeitaufwand in Abhängigkeit dieser Größenordnung kalkuliert werden. Am Ende sollte es bei einem Kataster nicht nach der Zeit, sondern nach der Qualität der erhobenen Daten gehen. Auswertungsmöglichkeiten Sind die Informationen der Erstaufnahme vollständig erfasst, lassen sie sich in verschiedenster Weise zu Auswertungen entsprechend der ursprünglichen Zweckbestimmung heranziehen (Bild 2). Die von Büro StadtVerkehr entwickelten Datenbanksysteme können je nach Zweck auf unterschiedlichen Plattformen genutzt werden. Denkbar sind Haltestellenkataster von einfachen Access-/ SQL-Datenbanken bis hin zu komplexeren webbasierten GIS-Anwendungen. Entsprechend dem jeweiligen System können verschiedene interaktive Selektions- und Auswertungstools angewandt werden, die von einfachen Fragestellungen bis hin zu Umbau-Priorisierungen und Kalkulationen reichen. Den Auswertungsmöglichkeiten sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt, sofern die korrekten Informationen erhoben worden sind. Spätestens hier schließt sich der Kreis des Haltestellenkatasters und seiner Nutzbarkeit. Ein Haltestellenkataster ist immer nur so gut wie die Qualität und Aktualität seiner Inhalte. Fortschreibung und Pflege Zur dauerhaften Pflege und Nutzung des Haltestellenkatasters sollten entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Je nach Gebietskörperschaft bzw. Personalverfügbarkeit sollte es einen kleinen Personenkreis geben, der mit der Pflege und Aktualisierung der Datenbank betraut und mit den Handhabungen vertraut ist. Im günstigsten Fall ist das Haltestellenkataster ohne zusätzliche Softwareanforderungen nutzbar, entweder über die gängigen Programme (z. B. MS Office-basiert) oder über den Web-Browser. Hierbei ist selbstverständlich der Datenschutz zu beachten, vor allem wenn die Datenbank neben den sichtbaren Merkmalen auch Unternehmensdaten (z .B. Fahrgastzahlen, Pflegezuständigkeiten, etc.) oder weitere, teils sensible Informationen (z. B. Besitzstrukturen, Umbaukosten, Förderungen und Zweckbindungen, etc.) beinhaltet. Intranet-basierte Systeme sind hier oftmals das bevorzugte Mittel der Wahl (Bild 3). Vollständig automatisieren lässt sich die Aktualisierung allerdings nicht. Daher ist es wichtig, dass systemunabhängig bereits vorab die Kompetenzen und Aufgaben zur Fortschreibung der Datenbank praktikabel und einvernehmlich mit allen Beteiligten (z. B. Aufgabenträger, Straßenbaulastträger, Verkehrsunternehmen, Datenschutzbeauftragtem, IT-Abteilung) festgelegt werden. Je nach Zweck und Inhalten ist bei webbasierten Lösungen auch die Informationsbeschaffung von Dritten eine innovative Möglichkeit. Öffentliche Web-GIS Anwendungen oder z.B. auch einfache Online-Formulare können Bürgern die Möglichkeiten geben, auf aktuelle Situationen oder Veränderungen an den Haltestellen aufmerksam zu machen. Bild 1: Eingabeformular der App für die Datenerhebung Bild: Büro StadtVerkehr Bild 2: Tabellarische Übersicht der Datenbank nach der Eingabe Bild: Büro StadtVerkehr Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 28 INFRASTRUKTUR Barrierefreier ÖPNV Eine Vernetzung mit weiteren Datenbanken bei den Verkehrsverbünden oder -unternehmen ist ebenfalls denkbar, sollte jedoch von Beginn der Planungen und vor der Datenaufnahme abgestimmt werden. Auch eine Verknüpfung mit Routing-Apps bzw. mobilen Fahrplandiensten kann angestrebt werden, wenngleich der Aufwand für solche komplexen Systeme deutlich höher und kostspieliger anzusehen ist. Eine weitere aktuelle Entwicklung bei den Verkehrsverbünden und -unternehmen ist die Integration von Themen der Intermodalität, wie z. B. Informationen zu P&R- Stellplätzen, B&R- Anlagen sowie Fahrradabstellplätzen, Fahrradverleihsystemen, CarSharing-Stellplätzen oder das Vorhandensein von E-Ladestationen für Räder und Autos. Auch wenn viele dieser Merkmale noch an wenigen heutigen Haltestellen vorhanden sind, lohnt die perspektivische Aufnahme dieser Kategorien zur späteren Weiterentwicklung und Planung. Ein digitales Haltestellenkataster bietet also Fachplanern und Entscheidungsträgern bei guter Ausführung die Übersicht, die es zur seriösen Umsetzung der Barrierefreiheit im ÖPNV benötigt. Nutzen in Bezug auf Ausnahmetatbestände Ein weiterer strategischer Nutzen von Katasterdatenbanken dient der Formulierung von Ausnahmetatbeständen nach § 8, Abs. 3, PBefG. Bei vielen Aufgabenträgern drängen sich nicht selten verschiedene Detailfragen in der gesetzeskonformen Planung auf, die durch abgestimmte Katasterinformationen auf eine solide Argumentationsbasis gestellt werden können. Dies umfasst z. B. Fragen zu behindertengerechten Umgestaltungen früherer Jahre, die nach heutigen Richtlinien veraltetet sind, zu Mindest- und Höchstmaßen sowie zu topographischen und räumlichen Gegebenheiten, die evtl. nur eine weitgehende, aber keine vollständige Barrierefreiheit zulassen. Mithilfe fundiert erhobener Katasterdaten ist die Darlegung von Ausnahmen und Härtefällen unter allen Beteiligten von Fachplanern bis hin zu Politik und Betroffenen möglich. Dementsprechend ist ein Haltestellenkataster nicht nur als Informationsbasis zu verstehen, sondern vor allem als prozessbegleitendes Planungs- und Kommunikationswerkzeug. Abstimmung zwischen Haltestellen und Fahrzeugen Auch die Fahrzeuge der Verkehrsunternehmen sollen qua Gesetz „vollständig“ barrierefrei werden. Inwieweit die vorhandenen Fahrzeuge des ÖPNV bereits den Vorgaben zur Barrierefreiheit entsprechen, sollte von einem kleinen Team aus Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen sowie unter Beteiligung der/ des Behindertenbeauftragten und/ oder einzelner Behindertenverbände gemeinsam evaluiert werden. Dabei können Grundlagen wie z. B. die sogenannte EU- Busrichtlinie (RL 2001/ 85/ EG)10 1 und die umfangreichen Ausschreibungsunterlagen erläutert werden, womit sicherlich Vertrauen geschaffen wird und späterer Kritik viel „Wind aus den Segeln“ genommen werden kann. Beispielsweise erfolgt die Beschaffung und der Einsatz von Niederflurbussen im Stadtverkehr gemäß umfangreicher Vorschriften. Danach sind auch Busse zulässig, die nur über einen niederflurigen Ein- und Ausstieg verfügen und in denen ggf. nur einige Sitze ohne Stufe erreicht werden können. Der Aufgabenträger muss letztlich entscheiden, welche Fahrzeugstandards er über den Nahverkehrsplan und in Ausschreibungen definiert. Im übertragenen Sinn gilt das Gesagte auch für Straßenbahnen, Stadtbahnen, usw. Die Verkehrsunternehmen sollten in einem weiteren Arbeitsschritt feststellen, ob die eingesetzten Fahrzeuge den Anforderungen entsprechen, bzw. einen Maßnahmen-, Zeit- und Kostenplan (ggf. für Nachrüstungen von Fahrzeugen) vorlegen, aus dem hervorgeht, wann ein gemeinsam definierter barrierefreier Fuhrpark zur Verfügung stehen wird. Konzessionslaufzeiten sind bei der Wirtschaftlichkeit und Zumutbarkeit von Investitionen zu beachten. Gemeinsam wird die wirtschaftlichste Methode zum Erreichen der vollständigen Barrierefreiheit gefunden. Das Ziel sollte sein, möglichst zeitnah mit geringstmöglichem finanziellem Aufwand einen hohen behindertengerechten Standard zu erreichen. Beispielsweise kosten Kneeling und/ oder Hublifte zusätzliches Geld bei der Fahrzeugbeschaffung, die hydraulischen Systeme sind zudem fehleranfällig und erfordern hohen Reparatur- und Wartungsaufwand. Insofern kann es volkswirtschaftlich sinnvoller sein, die Haltestellen im Rahmen von barrierefreien Umbauten auf den jeweiligen Fuhrpark abzustimmen. Es wird vorgeschlagen, Ergebnisse zwischen Aufgabenträger, Verkehrsunternehmen und Verbänden in Zielvereinbarungen festzuschreiben und/ oder in die Fortschreibungen von Nahverkehrsplänen und in der Umbauplanung der Haltestelleninfrastruktur aufzunehmen. Bei der Gelegenheit könnten ebenfalls Festlegungen zur Ausstattung von ÖPNV-Bussen mit Partikel- und NOx-Minderungssystemen, die im Realbetrieb funktionieren, getroffen werden. Denn selbst moderne Busse haben oft weder einen Partikelfilter an Bord, noch verfügen sie über eine wirksame Stickoxid-Abgasreinigung im normalen Fahrbetrieb. Aufgaben- Bild 3: Kataster- Übersicht der Datenbank nach der Aufbereitung Bild: Büro StadtVerkehr Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 29 Barrierefreier ÖPNV INFRASTRUKTUR träger sind mittlerweile berechtigt, Umweltstandards in ihren Ausschreibungen festzulegen. Zukünftig werden Aspekte der Feinstaubminderung und Abgasreinigung eine zunehmend wichtige Rolle im ÖPNV spielen, der bereits heute Rechnung getragen werden kann. Internationale Beispiele zeigen außerdem, dass das Thema Elektrifizierung von Straßenfahrzeugen im ÖPNV zu einem gesicherten Trend wird. Auch in Deutschland werden über kurz oder lang die Aufgabenträger, zuerst sicher in den Großstädten, mit diesem Thema im Zuge der Feinstaubdiskussion und Stickoxydkonzentration konfrontiert. Zielgerichtete Koordinationen zwischen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern können auch hier innovativen, emissonsfreien Antriebssystemen zwischen Fahrzeugen und Haltestellen einen gewissen Diskussionsspielraum geben. Berücksichtigung von Fahrgastinformationen, Betrieb und Service Im Bereich „Information“ ist die tatsächliche Ausführung von z. B. Aushängen oder der dynamischen Fahrgastinformation eher eine grundsätzliche Angelegenheit und muss nicht zwingend in Katasterdatenbanken für jede Haltestelle aufgenommen werden. Entscheidet man sich jedoch für eine Aufnahme, dann sollte sich der Datengehalt auf die unterschiedlichen Ausstattungsmerkmale, z.B. das Vorhandensein einer dynamischen Fahrgastinformation, eines Liniennetzplans, oder von Umgebungsplänen beschränken. Weitere Detailinformationen - vom Fahrplanaushang in der richtigen barrierefreien Höhe bis hin zu Evaluierungen von Lesbarkeit und Schriftgrößen - sollten nur in sinnvoll begründeten Fällen erhoben werden. Erfahrungsgemäß sind Fahrpläne in Gestaltung und Größe standardisiert, so dass eine Vor-Ort-Erfassung keinen zusätzlichen Nutzen erbringt, der im Verhältnis zum Erfassungsaufwand steht. Fälle von verrutschten, beschädigten oder fehlenden Fahrgastinformationen sollten im Rahmen der obligatorischen Haltestellenpflege behandelt werden. Eine Arbeitsgruppe aus Behindertenbeauftragtem, Aufgabenträger und den Verkehrsunternehmen sollte die grundsätzlichen Vorschläge zur Umsetzung barrierefreier Information im Zwei-Sinne-Prinzip unabhängig von Katasterdatenbanken erarbeiten. Auf diese Weise kann es zu einer gemeinsamen Bestandsaufnahme kommen, mit der weiterhin Vertrauen zwischen Anbietern und ÖPNV-Kunden geschaffen wird. Optimierungen der Informationsübermittlung können in der Regel effizienter und besser durch Verkehrsunternehmen und -verbünde direkt, als durch Aufgaben- und Baulastträger umgesetzt werden. Für den Bereich „Betrieb und Service“ bzw. „Nutzbarkeit im Betrieb“ nimmt das Haltestellenkataster ggf. bereits Zuständigkeiten für z. B. Reparaturen und Winterdienst auf. Für die Fahrpersonalschulung gelten gesetzliche Vorgaben, ebenso für Beschriftungen und Symbole sowie Servicestellen. Darüber hinaus gehende weitere Aufgaben lassen sich nur in freiwilligen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten festhalten. Verkehrsunternehmen und andere Beteiligte sollten die für ihre Zuständigkeitsbereiche geplanten und durchgeführten Maßnahmen darstellen, fortschreiben und jährlich dem Aufgabenträger berichten. Dies dient der Qualitätssicherung, die auch entsprechend ausgeschrieben bzw. in Dienstleistungsverträgen aufgenommen werden kann. Anpassungen der Haltestelleninfrastruktur können daraus erfolgen, ebenso mögliche abgeleitete Kriterien für das Haltestellenkataster, wie z.B. die nachrichtliche Erfassung von Pflegeintervallen, Zuständigkeiten und ggf. Kontaktinformationen. Ebenso können Haltestellendatenbanken auch zur vollständigen Pflege- und Managementkoordinierung weiterentwickelt werden, falls dies nicht bei den Dienstleistern bereits vorhanden ist. Fazit Barrierefreier ÖPNV ist vielerorts noch eine Mammutaufgabe. Haltestellenkataster bedürfen intensiver analytischer Vorarbeiten, um deren spätere Nutzbarkeit zu gewährleisten. Die im Rahmen der hier beschriebenen Vorgehensweise erzielten Ergebnisse sollten immer auch politisch mitgetragen werden. So können die erhobenen Informationen im Haltestellenkataster bzw. in Zielvereinbarungen im Rahmen von Nahverkehrsplanfortschreibungen oder ÖPNV- Konzepten herangezogen werden, und es lassen sich detaillierte Umsetzungskonzepte und Prioritätenlisten bei gut geführten Datengrundlagen mit geringem Aufwand auch kurzfristig erstellen. Eine Argumentation wird auf der Basis quantitativer Daten aus erster Hand sowohl zur zeitlichen Festlegung umzubauender Haltestellen als auch zur Darlegung von Ausnahmetatbeständen möglich. Ebenso erlauben Analysen und vereinbarte Verbesserungen in den Bereichen „Fahrzeuge“, „Information“ sowie „Betrieb und Service“ stringente Planungen mit Augenmaß, nicht nur im Sinne des Gesetzes, sondern vor allem auch aus Sicht der Fahrgäste. ■ 1 Richtlinie 2001/ 85/ EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. November 2001 über besondere Vorschriften für Fahrzeuge zur Personenbeförderung mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz und zur Änderung der Richtlinien 70/ 156/ EWG und 97/ 27/ EG (ABl. L 42 vom 13.02.2002, S. 1), (EU-Busrichtlinie), geändert durch Richtlinie 2006/ 96/ EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 81), berichtigt durch Berichtigung (ABl. L. 125 vom 21.05.2003, S. 14) Rainer Hamann, Dr.-Ing. Büro StadtVerkehr Planungsgesellschaft mbH & Co. KG, Außenstelle Schleswig-Holstein, Karby (DE) hamann@buero-stadtverkehr.de Sebastian Schulz, M.Sc. Projektmanager, energydesign Co. Ltd, Shanghai (CN) sebastian.schulz@energydesign-asia. com Ihr (neuer) Kontakt zur Redaktion Eberhard Buhl, Redaktionsleitung Telefon: +49 7449 91386.44 E-Mail: eberhard.buhl@trialog.de Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 30 LOGISTIK Indien Indiens Maritime Agenda 2020 Der Vielvölkerstaat auf dem Subkontinent will internationales Niveau erreichen Infrastruktur, Seehafen, Schiffsverkehr, Transshipment Hub, Containerumschlag Die indische Regierung will mithilfe der Maritimen Agenda bis 2020 die Hafenkapazität auf 3200 Mio. t erhöhen und die Hafenperformanz auf internationalen Standard bringen. Sechs neue Haupthäfen an der Ost- und Westküste sind geplant. Bis 2020 soll der Marktanteil des Landes am internationalen Schiffbau auf 5 % gesteigert werden. Dirk Ruppik I ndien besitzt eine Küstenline von rund 7500 km. Mit 13 Haupthäfen und rund 200 Nebenhäfen steht die Republik auf Platz 16 der Schifffahrtsnationen weltweit. Die Bedeutung des Bereichs für die Wirtschaft des Landes wird deutlich, wenn man bedenkt, dass laut Schifffahrtsministerium 95 % des Handelsvolumens Indiens (70 % des Handelswertes) auf dem Seeweg transportiert werden. Insgesamt werden und wurden während des 12. Fünfjahresplans (2012 bis 2017) rund 24 Mrd. EUR (ca. 180 Mrd. indische Rupien, INR) in den Hafenbereich fließen. Als Haupthäfen gelten • Chennai, Ennore und Tuticorn (Bundesstaat Tamil Nadu), • Cochin (Kerala), • Kandla (Gujarat), • Kalkutta (Westbengalen), • die Häfen Mumbai und Jawaharlal Nehru Port Trust (Maharashtra), • Mormugao (Goa), • New Mangalore (Karnataka), • Paradip (Orissa), • Vishakhapatnam (Andhra Pradesh) sowie • Port Blair (Andamanen und Nikobaren). Etwa 75 % des gesamten Frachtvolumens werden über diese Häfen gehandelt. Infrastruktur ist Indiens Achillesferse In Bezug auf die Infrastruktur ist China der Republik Indien Jahrzehnte voraus. Indien ist ebenso wie das Land der Mitte ein relativ inhomogen entwickeltes Land (Bild 1). Neben Regionen wie Bangalore und New Dehli, wo sich Hightech und Infrastruktur konzentrieren, existieren auch sehr unterentwickelte Regionen wie der bevölkerungsreichste Staat in Nordindien, Uttar Pradesh (200 Mio. Einwohner). Im Rahmen eines noch unter dem alten Ministerpräsidenten Manmohan Singh im Juni 2012 ausgerufenen Infrastrukturinvestmentprogramms (12. FJP) sollen eine Billion USD (rund 800 Mrd. EUR) in den Bau zweier Häfen in Dugarajapatnam (Andrah Pradesh) und Sagar (Westbengalen), drei Flughäfen in Kerala, Goa und am Stadtrand von Mumbai sowie in Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 18 000 MW bis Ende 2017 investiert werden. Zudem ist geplant, das Straßennetzwerk um 9500 km zu erweitern und einen „Eisenbahnkorridor“ zu bauen. Die Ausweitung bestehender Häfen, Flughäfen, des Eisenbahnnetzwerkes und der Kohleproduktion gehören ebenfalls zum Programm. Die Hälfte der Investitionssumme soll der Privatsektor beisteuern. Maritime Programme Die indische Regierung unternimmt große Anstrengungen, um den maritimen Sektor des Landes zu überholen und auf den neusten Stand zu bringen. Von 2005 bis 2012 wurden im Rahmen des National Maritime Development Programme (NMDP) 276 Projekte im Wert von rund 12 Mrd. USD (10,5 Mrd. EUR) identifiziert, mit denen Liegeplätze überholt oder neu geschaffen, Schifffahrtskanäle vertieft, die Anbindung von Häfen an das Straßen- und Schienennetz verbessert und die Ausrüstungen in ausgewählten Häfen erneuert wurden. Im Januar 2011 ersetzte die Regierung das NMDP mit der umfassenderen Maritime Agenda 2010-2020, mit der in erster Linie die Hafenkapazität bis 2020 auf 3200 Mio. t erhöht und die Hafenperformanz auf internationalen Standard gebracht werden. Weiterhin ist geplant, die Küstenseeschifffahrt auszuweiten und störungsfreien multimodalen Transport zu gewährleisten. Sechs neue Haupthäfen an der Ost- und Westküste sollen entstehen. An der Ostbzw. Westküste sollen Mumbai (JNPT), Kochi, Chennai und Visakhapatnam zu sogenannten Hub-Häfen entwickelt werden. Hafenbecken und Liegeplatztiefe sollen für Hub-Häfen nicht unter 17 m und für Haupthäfen nicht unter 14 m liegen. Der Schiffbauindustrie soll der „Infrastruktur-Status“ gewährt und damit die Förderungsoptionen verbessert werden. Der Anteil Indiens am internationalen Schiffbau soll auf 5 % gesteigert werden. In diesem Rahmen ist geplant, die Cochin Shipyard auszubauen. Durch die Agenda werden insgesamt 2780 Mrd. INR (rund 38 Mrd. EUR) in den Schifffahrtssektor fließen. Der Privatsektor wird einen großen Anteil an der Finanzierung erhalten. Rund 40 % des Investments sind den Haupthäfen angedacht. Gewaltiger Ausbau der Umschlagskapazität und Steigerung der Effizienz Um mit dem Wachstum des Landes mithalten zu können, muss die indische Regierung bzw. Wirtschaft gemäß der Maritimen Agenda bis 2020 eine zusätzliche Hafenkapazität von 3200 Mio. t schaffen, um 2500 Mio. t Fracht umzuschlagen zu können. Grundsätzlich muss die Leistung des Hafensystems gesteigert werden. Im Rahmen des ehrgeizigen Sagarmala-Projekts ist laut der indischen News- und Media-Webseite „Firstpost“ geplant, sechs weitere Haupthäfen zu bauen. Im National Perspective Plan (NPP) werden der Hafen Sagar in Westbengalen, Paradip Outer Habour in Odisha, Enayam in Tamil Nadu, Vadhavan in Maharashtra, Machilipatinam oder Vodarevu in Andrah Pradesh sowie Cuddalore oder Shikazhi in Tamil Nadu genannt. Die detail- Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 31 Indien LOGISTIK lierten Hafenpläne werden noch erstellt. Vadhavan handelt im Augenblick 40 % des gesamten Containeraufkommens des Landes. Momentan werden 4,16 Mio. t Fracht jährlich umgeschlagen, im neuen Hafen sollen es 40 bis 60 Mio. t sein. Das Paradip Outer Habour Project wird den Küstentransport von Kohle für Kraftwerke in Süd- und Westindien ermöglichen. Der neue Hafen wird eine Kapazität von 175,5 Mio. t pro Jahr besitzen. Der geplante Hafen Sagar soll als Unterstützung der Häfen Kalkutta und Haldia dienen. Die erste Phase wird acht Liegeplätze mit einer Tiefe von 15 m umfassen. Laut dem Vorsitzenden des Kolkata Port Trust, R. P. S. Kahlon, wird er nach Vollendung der zweiten Phase mit ebenfalls acht Liegeplätzen 50 Mio. t Schüttgut und Containerfracht handeln können. Enayam in Tamil Nadu soll zum internationalen Transshipment Hub ausgebaut werden und Fracht für Indien, die momentan über Singapur, Malaysia und Sri Lanka verschifft wird (15 % des indischen Gesamtumschlags), anziehen. Weiterhin können durch den Hafen fünf bis sechs Tage Überfahrtzeit nach Afrika, in die EU und in den Nahen Osten gespart werden. Ein weiteres Ziel ist, Frachtströme von Bangladesh und Myanmar in die EU, Afrika und die USA anzuzapfen. Die beiden anderen vorgeschlagenen Häfen in Andrah Pradesh und Tamil Nadu werden dem Kohle- und Zementumschlag dienen. Ob der geplante Hafen in Durgarajapatnam jemals gebaut wird, ist noch nicht geklärt, da Bedenken in Bezug auf seine Wirtschaftlichkeit bestehen. Die Häfen Krishnapatnam und Chennai befinden sich in unmittelbarer Nähe. Die neuen Häfen sollen die gesammte Frachthandlingskapazität um 466 t jährlich erhöhen. Weitere 980 Mio. t Kapazität sollen durch die Erweiterung der anderen Haupt- und Nebenhäfen bis 2025 dazukommen. Weiterhin arbeitet Indien an der Umsetzung des Sethusamudram-Kanals, einer Wasserstraße durch den als Adamsbrücke bezeichneten Riffbogen zwischen Indien und Sri Lanka, die den Seeweg zu indischen Häfen verkürzen und Kosten senken soll (Bild 2). Indischer Schiffbau soll größeren Marktanteil erhalten Laut der Maritimen Agenda existieren in Indien 27 Schiffswerften, davon acht staatliche und 19 in privater Hand. Bisher können in der Republik nur Schiffe bis 110 000 t Leergewicht gebaut werden, was im internationalen Vergleich eher gering ist. Die indischen Werften können bisher mit wichtigen Schiffsbauländern wie China (Marktanteil 37 %) und Südkorea (Marktanteil 35 %) nicht mithalten und werden meist durch chinesische Werften überboten. Als wesentliche Mangelbereiche wurden der Fertigungsbereich, die Technologie, die Ressourcen und die Ausbildung erkannt. Ein weiteres Problem ist die fehlende staatliche Subventionierung. Dennoch formuliert die Regierung ihre Vision für 2020: „Indien wird in 2020 eine gut entwickelte Schiffsbau- und Schiffsreparatur-Industrie auf internationalem Niveau besitzen, die autark Handelsschiffe bauen und reparieren kann. Der Bereich wird große Investitionen anziehen und vielversprechende Arbeitsmöglichkeiten bieten.“ Bis dahin soll der eigene Marktanteil bei 5 % liegen. Besonders bei Reparaturen will Indien aufsteigen und wichtige Reparatur- Hubs wie Colombo, Dubai, Singapur und Bahrain überholen. Der eigene Marktanteil soll hier bei 10 % bis 2020 liegen. Weiterhin ist geplant, die Kompetenz bei Forschung und Entwicklung sowie Konstruktion zu auszubauen. In 2016 wurde gemäß Marine Link ein Förderprogramm der Regierung für die nächsten zehn Jahre ins Leben gerufen. Der Gesamtwert beträgt 40 Mrd. INR (ca. 544 Mio. EUR). Dabei sollen indische Schiffswerften zunächst 20 % des Vertragspreises bzw. des reellen Marktpreises für jedes zu bauende Schiff als Förderung erhalten. Danach wird die Förderung alle drei Jahre um 3 % gesenkt, bis dann 2026 11 % erreicht werden. Die Regierung will Schiffe ab 2025 nur noch von indischen Schiffswerften kaufen. ■ Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Bild 1: Bevölkerungsdichte in den Bundesstaaten Indiens Grafik: Wikimedia Bild 2: Der Sethusamudram Shipping Canal (blaue Linie) soll Schifffahrtswege deutlich verkürzen. Quelle: Wikitravel Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 32 LOGISTIK Resilienz Kritische Infrastrukturen in-der Logistik Methodische Unterstützung eines proaktiven Risikomanagements Risikomanagement, Infrastruktur, kritische Infrastruktur, Logistik, Sicherheit Wenn logistische Infrastruktur aufgrund bestimmter Einflüsse nicht mehr nutzbar ist, können erhebliche Versorgungsstörungen für Unternehmen und die Gesellschaft entstehen. Um diesen Gefahren durch „kritische Infrastrukturen in der Logistik“ vorzubeugen, ist ein Risikomanagement sinnvoll. Dabei müssen Risiken identifiziert, analysiert und bewertet werden, um dann Steuerungsmaßnahmen abzuleiten. Um kein Risiko zu übersehen, sollte strukturiert und methodisch fundiert vorgegangen werden. Ein Methodenkoffer hilft dabei, die richtigen Tools für diese Aufgabe auszuwählen. Michel Huth, Sascha Düerkop D er Ortsname Rastatt hat in den vergangenen Wochen traurige Berühmtheit erhalten, weil sich im August 2017 aufgrund von Bauarbeiten an einem Eisenbahntunnel die Gleise der Rheintalbahn abgesenkt hatten. Durch die Absenkung wurde der gesamte Schienenverkehr auf der Rheintalbahn - täglich rund 120 Fern- und Regionalzüge im Personenverkehr sowie bis zu 200 Güterzüge - erheblich beeinträchtigt. Im Bereich des Güterverkehrs schätzt das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen, dass neben den Mehrkosten für Personal und Fahrzeugeinsatz ein Umsatzverlust der Güterbahnen von 12 Mio. EUR pro Woche realisiert wird. 1 Die Folgen für Industrie und Handel, für die eine Versorgung mit Rohstoffen, Bauteilen und Handelswaren essenziell ist, sind nicht beziffert, werden aber als hoch angesehen: „Ich rechne mit Schließungen von Werken“ meint beispielsweise der Verwaltungsratsvorsitzende der Hupac AG, Hans-Jörg Bertschi. 2 Damit wird deutlich: Zumindest ein Teil der logistischen Infrastruktur muss als kritisch angesehen werden, denn ein Ausfall dieser Infrastrukturen würde - wie „Rastatt“ zeigt - zu nachhaltig wirkenden Versorgungsengpässen sowie zu erheblichen Schäden für die Logistikbranche sowie andere Industriezweige führen. 3 Risikomanagement unerlässlich Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, die Risiken für kritische Infrastrukturen in der Logistik nicht nur zu kennen, sie bewertet und priorisiert zu haben, sondern auch, dass entsprechende Steuerungsmaßnahmen entwickelt und umgesetzt sind, um derartige Gefahren proaktiv handhaben zu können. Mit anderen Worten: Um die Sicherheit kritischer Infrastrukturen in der Logistik zu gewährleisten, ist ein entsprechendes Risikomanagement notwendig. Dieser Thematik widmet sich auch die Hochschule Fulda. In zwei Projekten, die im Rahmen der Innovationsförderung des „House of Logistics and Mobility“ (HOLM) gefördert werden, werden gemeinsam mit dem Kompetenzportal RiskNET GmbH als Projektpartner Gestaltungsempfehlungen für das Risikomanagement erarbeitet. Das erste Projekt „RIMA-KIL“ - kurz für: „Risikomanagement für kritische Infrastrukturen in der Logistik“ - wurde im Frühjahr 2017 abgeschlossen; Ergebnisse dieses Projekts werden nachfolgend vorgestellt. Im zweiten Projekt „BARM-KIL“, das noch bis Ende Februar 2018 läuft, werden Best- Practice-Ansätze erhoben und bewertet, um daraus Gestaltungsempfehlungen abzuleiten, wie ein Risikomanagement für kritische Infrastrukturen in der Logistik entwickelt und umgesetzt werden sollte. Phasenkonzept des Risikomanagements Dass ein Risikomanagement für kritische Infrastrukturen in der Logistik notwendig ist, hatte vor wenigen Jahren auch die Bundesregierung erkannt. So wurden in der „Sicherheitsstrategie für die Güterverkehrs- und Logistikwirtschaft“ zumindest Zielvorstellungen skizziert, wie ein Risikomanagement auszugestalten sei. 4 Andererseits blieben die dargestellten Ansätze auf einem allgemeinen Niveau, so dass konkrete Umsetzungsempfehlungen fehlten. 5 Risikomanagement wird allgemein als Konzept angesehen, bei dem iterativ mehrere Phasen durchlaufen werden. Wenn dem Ansatz der International Organization for Standardization (ISO) gefolgt wird, lässt sich Risikomanagement durch das in Bild 1 dargestellte Phasenschema beschreiben. 6 Zu Beginn ist der Rahmen für das Risikomanagement zu spezifizieren. Dieser betrifft unter anderem die Verantwortlichkeiten für Durchführung und Dokumentation, anzuwendende Methode, Schwellenwerte für Risiken oder die IT-Unterstützung für das Risikomanagement. Daran schließt sich die Risikobeurteilung an. In dieser Phase, die durch drei Schritte gekennzeichnet ist, werden die notwendigen Informationen erzeugt, um anschließend zielorientiert Risiken handhaben zu können. In einem ersten Schritt Risiken zu „entdecken“, ist Aufgabe der Risikoidentifikation. Bei der Risikoanalyse als zweiten Schritt werden die erkannten Risiken genauer hinsichtlich Ursachen und Wirkungen untersucht. Im dritten Schritt müssen Risiken bewertet werden, um eine Priorisierung zu ermöglichen. Die Ergebnisse der Risikobeurteilung fließen in die Risikosteuerung, die nächste Phase des Kreislaufs, ein. Dabei werden risikopolitische Steuerungsmaßnahmen entwickelt, um entweder die Ursachen eines Risikos oder dessen Auswirkungen (oder sogar beides) zu bekämpfen. Ziel dieser Phase ist, das Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 33 Resilienz LOGISTIK Risikoniveau zu reduzieren. Ergänzt werden diese drei wesentlichen Phasen durch eine begleitende Überwachung und Kontrolle von Risiken und zugehörigen Steuerungsmaßnahmen sowie durch eventuell sinnvolle Kommunikations- und Beratungsaktivitäten. Risikobeurteilung mit elementarer Bedeutung Fokus des Projekts „RIMA-KIL“ ist die Risikobeurteilung, im Rahmen derer die notwendigen Informationen für die Risikosteuerungen erarbeitet werden. Wichtig ist: Nur wenn die Risikobeurteilung sorgsam durchgeführt wird, wenn keine Risiken „übersehen“ werden, wenn Ursachen und Wirkungen von Risiken bekannt sind und wenn eine möglichst objektive und quantifizierende Risikobewertung erfolgt, lassen sich für die richtigen, d.h. die priorisierten Risiken die richtigen Maßnahmen ableiten. Andersherum ausgedrückt, gilt der Satz: Garbage in, garbage out. Sehr häufig, so die Erkenntnis von empirischen Erhebungen zum Risikomanagement in der Logistikbranche, ist das Risikomanagement allerdings auf einem noch niedrigen Reifegrad. Das bedeutet unter anderem, dass in der Phase der Risikobeurteilung nur ein geringer Methodeneinsatz erfolgt. Zwar werden Brainstorming, Checklisten und Mitarbeiterbefragungen als „einfache“ Methoden von 67 % und mehr der Unternehmen eingesetzt; andere etablierte, allerdings teilweise auch komplexere Methoden wie die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA), aber auch Szenario-Technik oder die Fehlerbaumanalyse werden dagegen nur von einer Minderheit der Unternehmen genutzt. 7 Methodenkoffer für die Risikobeurteilung Die Konsequenzen von realisierten Risiken, die sich auf kritische Infrastrukturen in der Logistik auswirken, können erheblich sein - und zwar für einzelne Unternehmen, für bestimmte Branchen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes. „Rastatt“ hat dies, wie oben skizziert, verdeutlicht. Es lassen sich viele weitere Beispiele finden, in denen die immense Bedeutung von Risiken klar wird, die kritische Infrastrukturen in der Logistik betreffen. Der durch kriegerische Handlungen zerstörte Flughafen von Donezk, die Terroranschläge auf Flughafen und U-Bahn in Brüssel, die seit Jahren gesperrte Camino Columbia Toll Road, Streiks in logistischen Knotenpunkten, die Explosion im Hafen von Tianjin, aber auch der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull sind ausgewählte Ereignisse, die zu einer massiven Störung logistischer Prozesse - und damit zu Engpässen in der Versorgung - geführt haben. 8 Umso wichtiger ist, derartigen Risiken mit gravierender Bedeutung möglichst frühzeitig zu kennen und einzuschätzen, um gezielte Maßnahmen zur Handhabung entwickeln zu können. Ein einfaches Brainstorming mag erste Ergebnisse bringen, reicht aber oftmals nicht aus. Aus diesem Grund bestand ein wesentliches Ziel des Forschungsprojekts „RIMA- KIL“ darin, einen „Methodenkoffer“ zu entwickeln. 9 Der Methodenkoffer beinhaltet 25 Methoden, die im Rahmen der Risikobeurteilung (also bei Identifikation, Analyse und Bewertung von Risiken) eingesetzt werden können. Die ausgewählten Methoden lassen sich in Kollektionsmethoden und Suchmethoden einteilen. Kollektionsmethoden lassen sich vor allem für bereits bekannte Risiken einsetzen, wohingegen Suchmethoden darauf fokussieren, bisher unbekannte Risiken zu entdecken. Bei den Suchmethoden können analytische sowie Kreativitätsmethoden unterschieden werden. Bild 2 gibt einen Überblick über die Methoden. Eine tabellarische Übersicht über die Methoden ist allerdings kaum geeignet, eine substanzielle Unterstützung für die Gestaltung des Risikomanagements darzustellen. Aus Sicht des Risikomanagers ist es wichtig, die richtige Methode in der richti- Bild 1: Phasenschema zum Risikomanagement nach ISO Bild 2: Überblick über die Methoden zur Risikobeurteilung Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 34 LOGISTIK Resilienz gen Situation anzuwenden. Das lässt sich mit einem Vergleich zu einem Handwerker verdeutlichen: Ein Handwerker hat unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen - einen Nagel in die Wand schlagen, ein Loch für einen Dübel bohren, eine Rohrschelle befestigen. Um diese Aufgaben zu erfüllen, muss er sehr genau wissen, welches Werkzeug in seinem Koffer welche Eigenschaften aufweist und für welche Aufgabe es geeignet ist. Dementsprechend sind für die im Methodenkoffer aufgeführten Methoden Eigenschaften und Anwendungsbereiche zu spezifizieren. Konkrete Unterstützung für den Risikomanager Damit ein Risikomanager die passende(n) Methode(n) auswählen kann, wird jedes Werkzeug in dem Koffer durch die folgenden Elemente charakterisiert: • Beschreibung und Einsatzzweck, • Anwendungsbeispiel (falls vorhanden), • Phase des Risikomanagements, in der die Methode eingesetzt werden kann, • Inputgrößen und Datenbedarf, • Output der Anwendung, • zeitlicher Aufwand für den Methodeneinsatz, • personeller Aufwand für den Methodeneinsatz (unter anderem auch erforderliche Qualifikation der Beteiligten), • Reifegrad des zugrundeliegenden Risikomanagements, • Stärken und Schwächen der Methode, • abschließende Einschätzung des Einsatzpotenzials für das Risikomanagement kritischer Infrastrukturen in der Logistik. Der Methodenkoffer bietet somit nicht nur eine Übersicht, sondern auf mehr als 100 Seiten konkrete Bewertungen und Kurzanleitungen an. Er unterstützt damit einen Risikomanager, die jeweils geeignete Methode zu wählen, um Risiken für kritische Infrastrukturen in der Logistik proaktiv und zielgerichtet zu identifizieren, zu analysieren und zu bewerten. Nächste Schritte Das Wissen um das Handwerkzeug ist das eine - die Anwendung dieses Wissens das andere. Der Methodenkoffer kann nur ein Angebot sein, eine methodisch-fundierte Informationsbasis für die Risikosteuerung zu erarbeiten. Institutionen und Unternehmen müssen sich aber auch darauf einlassen, mit diesen Methoden zu arbeiten. Doch wenn das Ziel eines höheren Sicherheitsniveaus erreicht werden soll, führt an einer systematischen Risikobeurteilung kein Weg vorbei. ■ 1 Vgl. Heinrici, T. (2017): Nach Sperrung im Rheinkorridor: Logistiker finden neue Wege, in: DVZ, Nr. 66 (18.8.2017), S. 3. 2 Vgl. Heinrici, T. (2017): „Da werden Werke schließen“, in: DVZ, http: / / www.dvz.de/ rubriken/ landverkehr/ singleview/ nachricht/ da-werden-werke-schliessen.html (abgerufen am 25.9.2017). 3 Damit wird der Definition kritischer Infrastrukturen (im Allgemeinen) gefolgt: „Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden.“ Vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (2017): Kritische Infrastrukturen, http: / / www. kritis.bund.de/ DE/ AufgabenundAusstattung/ KritischeInfrastrukturen/ kritischeinfrastrukturen_node.html (abgerufen am 27.9.2017). 4 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2015): Sicherheitsstrategie für die Güterverkehrs- und Logistikwirtschaft - Schutz kritischer Infrastrukturen und verkehrsträgerübergreifende Gefahrenabwehr, http: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ DG/ sicherheitsstrategie.pdf? __blob=publicationFile (abgerufen am 25.9.2017). 5 Vgl. dazu die konstruktive Kritik bei Huth, M./ Romeike, F. (2015): Schutz kritischer Infrastrukturen und verkehrsträgerübergreifende Gefahrenabwehr, in: RISIKO MANAGER, Nr. 4, S. 10-13. 6 Vgl. dazu auch Romeike, F./ Huth, M. (2016): Struktur des Risikomanagements in der Logistik, in: Huth, M./ Romeike, F. (Hrsg., 2016): Risikomanagement in der Logistik: Konzepte - Instrumente - Anwendungsbeispiele, Springer Gabler, Wiesbaden, S. 49-84. 7 Vgl. Lohre, D./ Huth, M. (2016): Besonderheiten des Logistik-Risikomanagements bei Logistikdienstleistern, in: Huth, M./ Romeike, F. (Hrsg., 2015): Risikomanagement in der Logistik: Konzepte - Instrumente - Anwendungsbeispiele, Springer Gabler, Wiesbaden, S. 301-314. 8 Vgl. zu diesen und weiteren Beispielen Düerkop, S./ Huth, M. (2017): Transportation Under Threat - A PESTLE Analysis for Critical Logistical Infrastructures, erscheint in Kürze in: ICTA2017 Conference Proceedings (ISBN: 978-99968-0-609- 4). 9 Vgl. zum Methodenkoffer sowie den dokumentierten Methoden Huth, M./ Düerkop, S./ Romeike, F. (2017): RIMA-KIL - Risikomanagement für kritische Infrastrukturen in der Logistik: Abschlussbericht, in: Discussion Papers in Business and Economics, Nr. 19, Hochschule Fulda, Fachbereich Wirtschaft (Hrsg.), Fulda. Michael Huth, Prof. Dr. Fachbereich Wirtschaft, Hochschule Fulda michael.huth@w.hs-fulda.de Sascha Düerkop, M.Sc. M.Sc. Fachbereich Wirtschaft, Hochschule Fulda sascha.dueerkop@w.hs-fulda.de Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 office@trialog.de | www.trialog-publishers.de Unsere neuen Kontaktdaten Redaktionsleitung: Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de redaktion@internationales-verkehrswesen.de Leserservice/ Vertrieb: Tel.: +49 7449 91386.39 service@trialog.de Anzeigenservice: Tel.: +49 7449 91386.46 anzeigen@trialog.de Dispo/ Onlinetechnik: Tel.: +49 7449 91386.47 dispo@trialog.de Verlag und Redaktion sind umgezogen Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 35 Reisezeiten und Stadtverkehrsplanung Zeitaufwandsanalysen als Basis einer effizienten Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl Reisezeit, Verkehrsmittelwahl, Stadtverkehr, Verkehrsplanung, Radverkehr, Pedelec Reisezeitexperimente in Lüneburg, Hamburg und Göttingen zeigten, dass die Geschwindigkeitsrelationen von Verkehrsmitteln stark von den Grundstrukturen der Wegeführung und der Bevorrechtigung bzw. Benachteiligung abhängen. Eine Haushaltsbefragung zur Mobilität in Göttingen belegte, dass die realen Reisezeitrelationen sich in den subjektiven Einschätzungen wiederfinden. Die Beeinflussung der Reisezeiten bietet sich an, um via Verkehrsmittelwahl die Anteile am Modal Split in Richtung mehr Umwelt- und Sozialverträglichkeit zu steuern. Peter Pez, Antje Janßen E inen Zielort schnell zu erreichen, ist ein Hauptmotiv städtischer Verkehrsmittelwahl [1], auch wenn z. B. bei Wochen-, Baumarkt-/ Gartencentereinkäufen oder Spazierwegen andere Faktoren dominieren. Die Verkehrsmittelwahl wird auf Basis von Verkehrszählungen oder Befragungen zum Modal Split quantitativ gemessen. Er ist die wichtigste Messgröße für eine nachhaltige Verkehrspolitik bzgl. Flächenverbrauch, Lärm, Abgas- und Feinstaubbelastung sowie Unfallgefahren. Eigentlich läge es deshalb nahe, via Reisezeiten auch den wesentlichen Grund für Entscheidungen über Transportmodi quantitativ zu erfassen. Da dies aber in der Realität nicht geschieht, entwickelte die Leuphana Universität eine Systematik für Reisezeitexperimente und erprobte sie 2012/ 13 in Lüneburg, Hamburg und Göttingen. Eine Haushaltsbefragung zur Mobilität der Göttinger Bevölkerung 2015/ 16 [2] konnte ergänzend die Kohärenz von gemessenen Relationen und subjektiven Einschätzungen nachweisen. Die Ergebnisse werfen die Frage auf, ob Reisezeitmessungen in Kombination mit Mobilitätsbefragungen nicht viel stärker für eine strategische Positionierung der kommunalen Verkehrsplanung genutzt werden sollten. Parameter der Reisezeitexperimente Lokalzeitungen dokumentieren gelegentlich „Wettrennen“ zwischen Verkehrsmittelteilnehmern auf ein oder zwei Strecken. Solche Berichte sind illustrativ bis symptomatisch, können aber die Bedingungen einer Stadt weder repräsentativ widerspiegeln noch Vergleichbarkeit mit anderen Städten gewähren. Zwei jüngere Studien in Bremen und Schwerin versuchten, dieses Manko zu überwinden [3.] Messtechnisch stellen jedoch auch diese nicht zufrieden: In Bremen wurden zwar Strecken von verschiedenen Quellorten in Richtung Innenstadt untersucht, aber Tangentialstrecken und das Pedelec nicht berücksichtigt; das Pedelec wurde in Schwerin mit einbezogen, leider beschränkte sich die Studie aber auf die Verkehrsrelation von nur einem Wohngebiet ins Stadtzentrum. Das von der geographischen Abteilung der Leuphana Universität Lüneburg entwickelte System ermöglicht nun eine höhere Flächendeckung, Aussagekraft, Differenzierungsfähigkeit und Vergleichbarkeit: • Mittels fünf Quell- und vier Zielorten entsteht ein in alle Himmelsrichtungen ausgedehntes Netz von 20 Strecken. Foto: pixabay.de Modal Split MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 36 MOBILITÄT Modal Split • Die Quellorte umfassen verschiedene Wohnareale (Altstadt, Gründer- oder Zwischenkriegszeitviertel, Wohnblock- oder Großwohnsiedlung, aufgelockerte Reihen-/ Doppel-/ Einfamilienhausbebauung), sodass auch unterschiedliche soziale Einzugsgebiete implizit mitberücksichtigt sind. • Die Zielorte streuen ebenfalls über die- Stadtfläche und repräsentieren das- Stadtzentrum als wichtige Arbeitsplatz- und Einkaufskonzentration, Gewerbe-/ Industriegebiete, Hochschulen und Freizeiteinrichtungen sowie bei starker Pendlerverflechtung den Bahnhof. • Messgänge/ -fahrten erfolgen zur Hauptverkehrszeit (morgens, spätnachmittags/ abends; hier: 7.00-8.30 Uhr, 16.30- 18.30 Uhr), Normalverkehrszeit (9.00- 15.30 Uhr) sowie abends (ab 20.00 Uhr)/ am Wochenende (Sa. ab 14.30 Uhr, So.); in jeder der drei Zeiten wurden Messfahrten auf den Strecken in beide Richtungen durchgeführt. • Von Haustür zu Haustür wurden Wege zu Fuß, mit konventionellem Fahrrad, Pedelec , ÖPNV (in Hamburg: U-/ S-Bahnen, Busse, auch mit Stadtrad als Ergänzung) und PKW zurückgelegt. • Im nichtmotorisierten Verkehr wurde zusätzlich nach Belastungs- und Verhaltensvorgaben differenziert: Ohne/ mit Gepäcktransport (Fußgänger 4 kg, Radverkehr 8 kg) sowie strikte Verkehrsregelakzeptanz versus „Normalverhalten“ (weder sich selbst noch andere gefährdend oder belästigend). Unter diesen Voraussetzungen wurden insgesamt zwischen 2500 km (Lüneburg) und 5800 km (Hamburg) zurückgelegt. Den Erhebungsaufwand leisteten Seminargruppen mit 20 bis 25 Personen. Erfolgt dieser nicht semesterbegleitend, sondern zeitlich komprimiert wie in Göttingen, erfordert dies den Zeitraum einer Woche. Allerdings zeigte die Auswertung, dass nicht alle Differenzierungen nötig sind. So werden die Messwerte von Fußgängern und Radlern von den unterschiedlichen Verkehrszeiten so gut wie nicht beeinflusst, bei den Radlern spielt der Gepäckeinfluss kaum, bei Pedelecnutzern und Fußgängern gar keine Rolle. Bei Letzteren wirkt sich auch die Differenzierung der Verkehrsregelsensibilität messtechnisch nicht aus. Insgesamt deutet sich an, dass der Erhebungsaufwand ohne Beeinträchtigung der Messergebnisse, abhängig von der städtischen Topographie, um 30 bis 50 % reduzierbar ist. Messergebnisse Die Reisezeit besteht aus der Unterwegszeit im Hauptverkehrsmittel, aus Zugangswegen zum Stellplatz/ zur Haltestelle und zum Zielort sowie etwaigen Wartezeiten. Geh- und Wartezeiten wurden als „nicht fahrwegbezogener Zeitaufwand“ (nfZ) zusammengefasst und bilden in Reisezeitgraphiken den Ordinatenabschnitt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit des Hauptverkehrsmittels bestimmt die Steigung der Reisezeitlinie. Die Abszisse repräsentiert Luftlinienentfernungen, denn nur diese sind zwischen allen Verkehrsmitteln gleich, während die Realdistanzen der gewählten Routen aufgrund unterschiedlicher Netzdurchlässigkeit variieren (Tabelle 1). Bild 1 zeigt das Reisezeitdiagramm für Lüneburg (im Erhebungszeitraum 72 000 Ew.). Dies kann auch exemplarisch für die anderen Experimentorte gesehen werden, da die grundlegende Abfolge der Geschwindigkeitsvorteile in allen Orten gleich ist: Im untersten Distanzbereich ist man zu Fuß gegenüber allen anderen Verkehrsteilnehmern im Vorteil. Schon nach 130 bis 150 m sind Radelnde schneller, der PKW nach rund 400 m. Letzterer bietet nach dem Radverkehr bei längeren Distanzen die schnellste Option. Der ÖPNV schneidet hinsichtlich der Reisezeit im Vergleich zu KFZ- und Radverkehr eher ungünstig ab. In Lüneburg und Göttingen, wo der ÖPNV durch inner- 4,815 2,090 0,407 1,056 0 5 10 15 20 25 30 35 40 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Zeit [min] Weg [km] 0,132 km Pedelec/ Fuß 0,146 km Rad/ Fuß Lüneburg Hamburg Göttingen Zu Fuß 124,04 % 116,71 % 127,14 % Fahrrad 124,70 % 126,27 % 136,04 % Pedelec 125,88 % 117,73 % 136,04 % PKW 139,70 % 147,15 % 152,79 % (HH: Metro-) Bus 160,37 % 132,78 % 144,14 % U/ S + Bus/ Fuß - 153,03 % - U/ S + Fahrrad - 145,37 % - U/ S + Stadtrad - 141,27 % - Tabelle 1: Abweichung gegangener/ gefahrener Realentfernungen zur für alle Verkehrsmittel gleichen Luftliniendistanz Bild 1: Reisezeitexperiment Lüneburg-2012 NfZ in Min. Luftliniengeschwindigkeit, km/ h Realdistanzgeschwindigkeit, km/ h LG HH GÖ LG HH GÖ LG HH GÖ Fuß 0 0 0 4,45 4,13 3,84 5,11 4,87 4,89 Rad 1,51 1,23 0,91 13,97 10,04 11,53 17,26 11,79 14,00 Pedelec 1,49 1,63 0,96 17,50 14,52 14,98 21,82 16,82 18,81 PKW 4,86 4,64 2,75 21,91 21,64 21,74 30,44 31,60 29,15 Bus 10,68 18,76 11,77 11,93 11,46 11,43 20,94 19,76 16,22 U/ S + Bus/ Fuß - 21,00 - - 20,26 - - 32,40 - U/ S + Fahrrad - 15,54 - - 25,01 - - 36,48 - U/ S + Stadtrad - 18,89 - - 15,21 - - 22,57 - Tabelle 2: Geschwindigkeitsmessergebnisse, gemittelt über alle Strecken, Zeiten und Verhaltensvorgaben Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 37 Modal Split MOBILITÄT städtischen Busverkehr geprägt ist, sind die Reisezeiten im Vergleich zum Radverkehr nicht konkurrenzfähig. Dies ist neben niedrigen Geschwindigkeiten auch durch hohe Geh- und Wartezeiten bedingt. Interessant ist die starke Schnittpunktverschiebung durch Elektrifizierung des Fahrrades: Während man mit dem konventionellen Rad gegenüber dem Auto bis zu einer Entfernung von 2,09 km im Vorteil ist, bringt es das Pedelec auf über 4,8 km. Bei den beiden Differenzierungen Cityverkehr und Hauptverkehrszeit steigt der Attraktivitätsradius des Pedelecs gegenüber dem Auto sogar auf 10 bis 11 km Luftlinie, womit man selbst aus den Vororten Lüneburgs schneller irgendwo im Stadtgebiet ist als per Auto. Die Vergrößerung des Reisezeitvorteils auf der linearen Strecke von 2,09 auf 4,8-km entspricht einer Ausdehnung des Attraktivitätsradius um 130 %, obwohl die Durchschnittsgeschwindigkeit des E-Fahrrades „nur“ um 25 % höher liegt (vgl. Tabelle 2) - vor allem bedingt durch stark geminderte Steigungs- und Gegenwindeinflüsse und eine rasche Wiederbeschleunigung nach Stopps. Rechnet man den Radius in die Fläche um (π · r 2 ), ergibt sich eine Verfünffachung des Attraktivitätsbereiches von 13,7 auf 72,8 km 2 . Die starke Wirkung des Pedelecs in den Reisezeitstrukturen liegt an der Geometrie linearer Funktionen: Verlaufen zwei Geraden ähnlich und schneiden sie sich in einem flachen Winkel, so bewirkt eine geringe Änderung der Steigung (= Geschwindigkeit) bei einer Geraden bereits eine deutliche Verschiebung des Schnittpunktes. Dieselbe Wirkung hat eine Variation des Ordinatenabstandes. So bewirkte die große innerstädtische Verkehrsberuhigung in Lüneburg 1993 eine Erhöhung des nfZ beim PKW von einer Viertelminute. Die veränderten Reisezeitrelationen zogen eine erdrutschartige Verringerung des PKW- Verkehrs um 14,5 % nach sich; sein Wert im Modal Split nahm um 7,7 % in den Verkehrszählungen und bei den Befragungen sogar um 13,2 % ab [4] - der Wandel Lüneburgs zur „Radfahrerstadt“, wie es in den Lokalmedien heißt, war damit eingeleitet. Weniger radverkehrsgünstig fielen die Ergebnisse in Hamburg (1,8 Mio. Ew.) und Göttingen (116 000 Ew.) aus. Zwar bestätigte sich die Beschleunigungswirkung des Pedelecs, die Attraktivitätsbereiche lagen im Vergleich zum PKW auch in diesen Städten bei mindestens dem Doppelten des konventionellen Fahrrades, jedoch auf viel niedrigerem Ausgangsniveau. In Hamburg wird der Reisezeitvorteil des normalen Fahrrades vom Auto schon nach 1 km egalisiert und auch das Pedelec ist nur bis zu 2,1- km günstiger (Bild 2). Hier schlagen sich die deutlich autoaffineren Strukturen der Hansestadt nieder mit zahlreichen Verkehrsachsen, die die Stadtfläche mit zwei Fahrspuren pro Richtung und grünen Ampelwellen erschließen. Demgegenüber wird das Fahrrad meist auf Ra(n)dwege im Konflikt mit parkenden Fahrzeugen und Fußgängern verdrängt. Die deutlich gehemmte Fortbewegung der Nichtmotorisierten gewährt dem gut ausgebauten Hamburger U- und S-Bahnnetz, im mittleren Distanzbereich dem Zweiradverkehr überlegen zu sein. Am schnellsten im Umweltverbund ist dabei die Kombination aus ÖPNV und mitgenommenem Fahrrad. Sie ist die einzige ÖV-Variante, die dem Auto reisezeittechnisch Konkurrenz machen kann, wenn auch nur beim citybezogenen Verkehr und erst ab einer Luftliniendistanz von 11,2 km. Die Ergebnisse in Göttingen (Bild 3) liegen nahe an denen in Hamburg - mit einer Ausnahme: Bei den Citystrecken schnitten das konventionelle Fahrrad und erst recht das Pedelec deutlich besser ab als in den beiden anderen Städten. Ihr Schnelligkeitsvorteil gegenüber dem PKW lag bei 4,25 km Luftlinie für das Fahrrad ohne und 71 km (! ) mit elektrischer Trittunterstützung, wobei der letztgenannte Wert wegen Überschreitung des Stadtbereiches nur ein rechnerischer ist. Die Ursache für die Abweichung gegenüber den beiden anderen Untersuchungsstädten liegt in der am weitesten fortgeschrittenen Verkehrsberuhigung im Stadtkern. Spätestens hier zeigt sich: Die Schnelligkeitsrelationen der Verkehrsmittel werden in erheblichem Maße von den politisch/ planerisch initiierten Strukturen beeinflusst mit erheblicher Wirkung auf die Gunst/ Ungunst von Transportmitteln. Dies zeigte sich auch in einem weiteren Detail: Während in Lüneburg und Hamburg die Differenzierung „Normalverhalten“ versus „strikte Verkehrsregelakzeptanz“ deutliche Unterschiede in den Radlergeschwindigkeiten generierte, tauchte derartiges in Göttingen kaum auf - Durchfahrerlaubnisse bei Einbahnstraßen und Gehwegen/ Fußgängerbereichen, Durchfahrverbote nur für KFZ (StVO-Zeichen 260 statt 250), Flexibilisierung bei Abbiegegeboten und die Kennzeichnung unechter Sackgassen bewiesen in ihrer sensiblen und flächigen Anwendung die Möglichkeit einer radlerfreundlichen Umsetzung von Ordnungsrecht. 2,115 1,081 1,801 6,275 4,119 1,297 0,230 7,970 0 5 10 15 20 25 30 35 40 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Zeit [min] Weg [km] (ÖPNV hier in Kombination mit Stadtteilbus/ Fuß und Mitnahmefahrrad für Zu-/ Abgang) 0,159 km Rad/ Fuß 0,398 km Pedelec/ Fuß Bild 2: Reisezeitexperiment Hamburg 2012/ 2013 2,451 km 0,961 km 0,226 km 1,186 km 0 5 10 15 20 25 30 35 40 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Zeit [min] Weg [km] 0,085 km Pedelec/ Fuß 0,090 km Rad/ Fuß 0,040 km Rad/ Pedelec Bild 3: Reisezeitexperiment Göttingen 2013 Realdistanz Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 38 MOBILITÄT Modal Split Wegeprotokolle und Reisezeitfrage in Göttingen Bei der individuellen Verkehrsmittelwahl sind nicht ausschließlich die realen Reisezeiten entscheidend, sondern wie die unterschiedlichen Zeitbedarfe von den Verkehrsteilnehmern wahrgenommen werden. Zwar ist anzunehmen, dass sich Realität und Einschätzung über die Zeit annähern - umso rascher, je „multimodaler“ das Verkehrsverhalten ist -, aber lässt sich dies verifizieren? Die LK Argus Kassel GmbH führte im Auftrag der Stadt Göttingen und des ZVSN eine Mobilitätsbefragung der Haushalte in der Stadt und den Nachbargemeinden Rosdorf und Bovenden durch ([2], Nettostichprobe n = 5956 Personen). Die Befragung beinhaltete das Führen von Wegeprotokollen für einen Stichtag und ergänzend Fragen zu Gründen der Verkehrsmittelwahl sowie zur Einschätzung von Reisezeiten mit verschiedenen Verkehrsmitteln für bis zu drei ausgewählte Wege des Stichtags. Auch bei den Wegeprotokollen wurden keine „objektiven“ Wegelängen und Reisezeiten auf Basis der Angaben zu Quelle und Ziel ermittelt, sondern die Einschätzungen der Befragten zu Wegelängen und Wegedauern übernommen. Die Erhebung belegt zum einen die Dominanz schnelligkeitsbezogener Motive bei der Verkehrsmittelwahl. So wird von der Göttinger Bevölkerung bei Nutzung der Verkehrsmittel Fahrrad und PKW mit jeweils etwa ein Drittel der Meldungen der Grund Zeit/ Schnelligkeit am häufigsten genannt. Aus den Angaben zu Wegelängen und Reisezeiten lassen sich die eingeschätzten Durchschnittsgeschwindigkeiten berechnen und den Werten des Reisezeitexperimentes gegenüberstellen (Tabelle 3). Eine direkte Vergleichbarkeit ist dabei nicht möglich, da in der Haushaltsbefragung der nfZ (nicht fahrwegbezogener Zeitaufwand, d. h. Geh- und Wartezeiten) nicht explizit erhoben wurde und im Nachhinein nicht sauber aus den Angaben herauszurechnen ist. Dennoch zeigt sich in der Tendenz eine gute Übereinstimmung. Am deutlichsten ist dies beim Fußverkehr, der keinen nfZ enthält, die anderen Geschwindigkeiten liegen ohne Berücksichtigung des nfZ gleichmäßig unterhalb der Ergebnisse des Reisezeitexperiments. Dies zeigt, dass die real anzutreffenden Reisezeitrelationen im Durchschnitt auch tatsächlich wahrgenommen werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich bei der Reisezeitfrage, bei der die Wege, für die Angaben gemacht wurden, von den Befragten selbst ausgewählt wurden, insgesamt höhere Geschwindigkeiten ergeben als bei den Wegeproto- Experimentgeschwindigkeiten Berechnete Geschwindigkeiten der Haushaltsbefragung zum Mobilitätsverhalten Luftliniendistanz Realdistanz nach Wegeprotokollen nach Reisezeitfrage, Realdistanz Luftliniendistanz Realdistanz Fuß 3,84 4,89 3,21 4,83 5,48 Rad 11,53 14,00 8,10 11,88 12,84 Pedelec 14,98 18,81 10,34 14,24 15,65 PKW 21,74 29,15 12,62 20,36 22,59 Bus 11,43 16,22 6,60 11,33 15,09 Tabelle 3: Verkehrsmittelgeschwindigkeiten in Göttingen gemäß Reisezeitexperiment und Haushaltsbefragung im Vergleich 3% 34 min. 37% 16 min. 42% 12 min. 16% 21 min. zu Fuß Fahrrad Pedelec Moped, Motorrad Pkw Bus 38 13 13 14 28 0 10 20 30 40 50 zu Fuß Pedelec Moped, Motorrad Pkw Bus Zeit in Minuten Verkehrsmittel 41 19 15 13 35 0 10 20 30 40 50 zu Fuß Fahrrad Pedelec Moped, Motorrad Bus Zeit in Minuten Verkehrsmittel 43 18 14 13 13 0 10 20 30 40 50 zu Fuß Fahrrad Pedelec Moped, Motorrad Pkw Zeit in Minuten Verkehrsmittel Bild 4: Angaben zur durchschnittlichen Reisezeit nach Verkehrsmittel für Wege zwischen 3 bis unter 5 km Länge und Einschätzungen zur Reisezeit alternativer Verkehrsmittel Quelle: [2] 75 28 7 3 2 25 20 44 33 20 9 4 31 0,2 0,5 0,5 0,3 0,5 1,1 0,4 4 22 43 56 62 67 33 0,5 5 16 21 26 27 12 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Verkehrsmittelwahl Göttingen (Binnenwege) nach Wegelängen in % zu Fuß Fahrrad Pedelec Pkw Bus Bild 5: Verkehrsmittelwahl der Göttinger Bevölkerung auf Wegen innerhalb von Göttingen (Binnenwege) nach Wegelängen (Basis Wegeprotokolle der Haushaltsbefragung Göttingen 2015/ 2016) Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 39 Modal Split MOBILITÄT kollen. Gleichzeitig sind die Einschätzungen der Reisezeiten zu den alternativen, nicht genutzten Verkehrsmitteln häufig ungünstiger als von den Nutzern (siehe auch Bild 4). Beim Bus wird dies am deutlichsten: So geben die Busnutzer an, für einen Weg zwischen 3 und 5 km 21 Minuten zu benötigen, die Einschätzungen zur Reisezeit mit dem Bus liegen dagegen beim Fahrradfahrer bei 28 Minuten, beim PKW-Nutzer bei 35 Minuten. Die Verkehrsmittelwahl hat auch etwas mit der Wahrnehmung von Reisezeiten der aktuell nicht genutzten Verkehrsmittel zu tun. Bild 5 zeigt für alle Wegelängen auf Wegen innerhalb Göttingens, wie die Reisezeiten mit der Verkehrsmittelwahl korrelieren. So dominiert der Fußgängerverkehr im Distanzbereich bis 1 km. Im Bereich von 1 bis 3-km Wegelänge hat das Fahrrad den höchsten Anteil, der Fußgängeranteil ist noch leicht überdurchschnittlich, die Busnutzung beginnt. Zwischen 3 und 5 km überwiegt der motorisierte Verkehr (einschließlich Busverkehr) bereits leicht, in den Entfernungsklassen darüber nimmt dessen Dominanz weiter zu. Ab einer Entfernung von 5 km wird der Bus häufiger als das Fahrrad genutzt, der PKW ist mit 56 % Anteil das dominierende Verkehrsmittel. Diese Dominanz nimmt mit den Entfernungen ab 7 km bzw. 10 km weiter zu. Die Anteile des Busverkehrs wachsen mit den Entfernungen ebenfalls an. Die Ergebnisse der Haushaltsbefragung zum Mobilitätsverhalten in Göttingen passen gut zu den Experimentresultaten in Göttingen. Hierbei darf man die Schnittpunkte der Reisezeitlinien nicht als scharfe Ausschlussgrenzen der Attraktivitätsbereiche missverstehen, denn das Verkehrsmittelwahlverhalten wird neben den Reisezeiten auch durch andere Faktoren beeinflusst. Zu nennen sind hier insbesondere die Verkehrsmittelverfügbarkeit und verschiedene weitere Auswahlmotive (Gewohnheit, Gepäcktransport, gesundheitliche Einschränkungen etc.), die dazu führen, dass auch andere Verkehrsmittel als die jeweils schnellsten genutzt werden (siehe auch Bild 6). Fazit Es hat sich gezeigt, dass Reisezeitexperimente die Schnelligkeitsrelationen von Transportvarianten und damit einen sehr wichtigen Aspekt von Verkehrsmittelqualitäten quantitativ abbilden können; die Werte sind sowohl zwischen Städten als auch im Zeitabstand, z. B. als Maßnahmenevaluierung, vergleichbar. Es läge nahe, die Methodik künftig ergänzend zu Modal-split-Erhebungen einzusetzen, um nicht nur Aufschluss über die Verkehrsstruktur, sondern auch deren Gründe zu erhalten. Die Haushaltsbefragung in Göttingen konnte hierzu belegen, dass die Reisezeitrelationen wahrgenommen werden und mit der Verkehrsmittelwahl korrelieren. Bei grundsätzlicher Ähnlichkeit der Abfolge der schnellsten Verkehrsmittel unterscheiden sich die Attraktivitätsradien zwischen den Experimentstädten sowie in der Differenzierung nach Zielorten und Verkehrszeiten erheblich. Die Ausprägung des Verkehrssystems pro MIV oder pro Umweltverbund hat dabei einen erheblichen Einfluss. Die Elektrifizierung des Radverkehrs birgt große Chancen für Zugewinne des Radverkehrs im Modal Split zu Lasten des PKW und könnte damit die Umwelt- und Sozialverträglichkeit des Stadtverkehrs wesentlich verbessern. Die volle Ausprägung dieses Potenzials gelingt jedoch nur in einer Kombination aus radverkehrsfreundlicher Politik/ Planung und KFZ-Verkehrsberuhigung z. B. durch PKW-verdrängende Maßnahmen in Stadtzentren, zentralisiertes Quartierparken statt Parken vor der Haustür in Wohngebieten sowie die Senkung der Geschwindigkeiten auf der Strecke. ■ QUELLEN [1] Franzen, A. (1997): Umweltbewusstsein und Verkehrsverhalten. Empirische Analysen zur Verkehrsmittelwahl und der Akzeptanz umweltpolitischer Maßnahmen. Rüegger, Chur (Schweiz). Gorr, H. (1997): Die Logik der individuellen Verkehrsmittelwahl. Theorie und Realität des Entscheidungsverhaltens im Personenverkehr. Focus, Gießen. Held, M. (1982): Verkehrsmittelwahl der Verbraucher. Beitrag einer kognitiven Motivationstheorie zur Erklärung der Nutzung alternativer Verkehrsmittel. Wirtschaftspsychologische Schriften der Universitäten München und Augsburg 8. Duncker u. Humblot, Berlin. Pez, P. (1998): Verkehrsmittelwahl im Stadtbereich und ihre Beeinflußbarkeit. Eine verkehrsgeographische Analyse am Beispiel von Kiel und Lüneburg. Kieler Geographische Schriften 95. Univ. Kiel, Geogr. Inst., Kiel. Preisendörfer, P. (1999): Umweltbewusstsein und Verkehrsmittelwahl. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen 113. Wirtschaftsverlag NW, Bergisch Gladbach. [2] LK Argus Kassel GmbH im Auftrag der Stadt Göttingen sowie des Zweckverbandes Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen: Haushaltsbefragung zum Mobilitätsverhalten 2015/ 2016 Göttingen/ Rosdorf/ Bovenden.www.goettingen.de/ staticsite/ staticsite.php? menuid= 1239&topmenu=274 [3] BMVBS - Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2012a): Bremen - Erreichbarkeit der Innenstadt Bremen. Untersuchung unterschiedlicher Verkehrsmittel abgeschlossen. Verfügbar unter http: / / www.nationaler-radverkehrsplan.de/ neuigkeiten/ news.php? id=3621. Zugegriffen: 01.03.2017. Verwiesen wird dort auf die Studie ADAC Weser-Ems e. V. ADAC Test „Erreichbarkeit der Innenstadt Bremen“. Eine Untersuchung unterschiedlicher Verkehrsmittel in Zusammenarbeit mit Radio Bremen. Bremen 2012. Der Link zu der 8-seitigen pdf-Zusammenfassung ist jedoch nicht mehr aktiv. BMVBS - Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2012b): Mecklenburg-Vorpommern - Fahrrad und Pedelec sind laut „Schweriner Versuch“ die sinnvollsten Pendlerfahrzeuge im Stadt-Umland-Verkehr. Verfügbar unter http: / / www.nationalerradverkehrsplan.de/ neuigkeiten/ news.php? id=3881. Zugegriffen: 01.03.2017. [4] Pez, P. (2000): Verkehrsberuhigung in Stadtzentren. Ihre Auswirkungen auf Politik, Ökonomie, Mobilität, Ökologie und Verkehrssicherheit - unter besonderer Berücksichtigung des Fallbeispiels Lüneburg. Archiv für Kommunalwissenschaften 39. Jg., Heft 1, 2000, S.-117-145, hier: S. 137. Antje Janßen, Dipl.-Ing. Geschäftsführerin, LK Argus Kassel GmbH, Kassel janssen@lk-argus.de Peter Pez, Apl. Prof. Dr. Institut f. Stadtu. Kulturraumforschung, Leuphana Universität Lüneburg pez@uni.leuphana.de 1,1 1,1 1,7 2,4 2,9 3,2 5,3 5,6 6,1 6,4 8,1 8,4 9,3 10,4 13,2 13,7 0% 10% 20% 30% Topographie Sicherheit Wegekette gesundheitliche Einschränkung Transport Flexibilität schlechte Parkplatzmöglichkeiten Entfernung gutes ÖPNV-Angebot Umweltschutz Kosten Bequemlichkeit Wetter kein anderes verfügbares Verkehrsmittel subjektiv beste Lösung/ Gewohnheit Zeit/ Schnelligkeit Bus Bild 6: Hauptgründe für die Wahl des Verkehrsmittels Bus in Göttingen Quelle: [2] Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 40 MOBILITÄT InnoZ Mobilitätsmonitor Mobilitätsmonitor Nr. 5 - November 2017 Konjunktur, Personenverkehrsmarkt, Energieträger, Intermodalität, Carsharing, Elektromobilität, elektronischer Zahlungsverkehr, autonomes Fahren Das InnoZ und seine Partner erstellen ein Monitoring aus Basisdaten zum Personenverkehrsmarkt in Deutschland. Vergleiche mit weiteren Daten veranschaulichen den Stand der Verkehrswende, d. h. die Entstehung eines nachhaltigen, vernetzten und automatisierten Mobilitätssystems. Die Besonderheit dabei ist die vergleichende Betrachtung von Gesamt- und Nischenmärkten mittels externer Datenquellen sowie eigener Erhebungsformen. Christian Scherf, Frank Hunsicker, Benno Bock, Lena Damrau, Julia Epp, Benno Hilwerling, Marc Schelewsky, Anke Schmidt D ie vorliegende Ausgabe des Mobilitätsmonitors erscheint erstmals mit Unterstützung der Stiftung Mercator. 1 Alle Ausgaben finden Sie unter innoz.de/ de/ monitor. Konjunkturelles Personenverkehrsmarktumfeld für 2017 2 In Deutschland wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im 1. Halbjahr 2017 um 2,0 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum und blieb damit Wachstumstreiber in Europa. Die gute Konjunktur stützt sich auf eine hohe Binnennachfrage, steigende Exporte und eine rege Investitionstätigkeit. Die real verfügbaren Einkommen stiegen per 2. Quartal mit 1,8 % nicht mehr so stark wie im Jahr zuvor, bedingt durch den Anstieg der Verbraucherpreise seit Jahresbeginn. Für das Jahr 2017 wird insgesamt ein Anstieg des BIPs um ebenfalls 2,0 % erwartet. Die verfügbaren Realeinkommen werden vsl. um etwa 1,7 % zulegen. Auch die Anzahl der Erwerbstätigen wuchs in den ersten sechs Monaten 2017 robust um weitere 1,4 %. Die Arbeitslosenquote sank per August auf 5,7 %. Im weiteren Jahresverlauf 2017 wird die Zahl der Erwerbstätigen voraussichtlich um ca. 650 000 Personen (plus 1,5 %) zunehmen. Die Preise im öffentlichen Verkehr stiegen leicht an, bspw. bei den Verbundtarifen um 1,7 % oder beim Schienenverkehr um 2,0 %, jeweils kumuliert zum Aug. 2017. Die Preise im Luftverkehr steigen seit Jahresmitte und liegen derzeit noch auf Vorjahresniveau. Der Kraftfahrer-Preisindex als Maß für die Preisentwicklung im motorisierten Individualverkehr (MIV) stieg erstmals seit 2014 wieder an, per August 2017 um 3,5%. Grund sind die insbesondere zu Jahresbeginn gestiegenen Kraftstoffpreise (per August: Benzin um 6,7 %, Diesel um 9,8 %) als Folge des steigenden Ölpreises. Der PKW- Bestand stieg 2016 weiter an, zum 01.01.2017 mit 1,6 % auf nun ca. 45,8 Mio. PKW. Die Neuzulassungen erhöhten sich per August 2017 um 2,9 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Insgesamt wirken sich die Rahmenbedingungen größtenteils positiv auf die Verkehrsnachfrage aus. Die steigenden Kraftstoffpreise wirken jedoch dämpfend auf MIV und Luftverkehr. Modale Sicht: Der Personenverkehrsmarkt 3 Wie Bild 1 zu entnehmen ist, wird für das Jahr 2017 mit einer weiteren Zunahme der Verkehrsleistung von insgesamt 1,3 % ggü. 2016 gerechnet, aber leicht abgeschwächt gegenüber dem Zuwachs im Vorjahr. Grundsätzlich wirken die gute Konjunktur, der Bevölkerungszuwachs und der expandierende Arbeitsmarkt stimulierend. Der MIV wird allerdings beeinträchtigt von den wieder ansteigenden Kraftstoffpreisen und legt voraussichtlich nur noch um 1,2 % zu. Ähnliches gilt für den innerdeutschen Luftverkehr, bei dem sich über die steigenden Kerosinpreise hinaus auch mehrere Streiks bemerkbar machen. Neben der Konjunktur belebt hier der starke Wettbewerb auf mehreren Hauptrelationen die Nachfrage. Unsicherheiten bestehen nach wie vor bezüglich der Übernahme innerdeutscher Verbindungen von Air Berlin. Für 2017 rechnen wir mit einem Nachfrageplus von etwa 2,2 %. 2012 2016 Ausblick 2017 p.a p.a p.a Fuß Rad SPV ÖSPV Luftverkehr (innerdeutsch) MIV 1.159,5 1.219,3 1.235,1 0,0% 0,8% 1,3% 1,1% 2,5% -0,5% 1,2% 1,2% -0,5% 2,0% 1,4% 2,3% 0,1% 2,8% 1,4% 1,4% 1,3% -0,5% 2,0% 1,3% 3,2% 0,5% 2,2% 1,2% 76,0 10,3 88,8 34,6 1.089,7 35,3 914,6 81,9 10,4 93,9 34,3 82,3 10,7 96,9 34,2 1.148,1 1.163,3 36,8 37,6 2015 1.202,7 81,8 10,1 91,8 34,6 1.132,0 36,1 948,3 961,9 973,4 700 850 1000 1150 1250 Personenkilometer in Mrd. © InnoZ GmbH Bild 1: Personenverkehrsleistung (Pkm) nach Verkehrsmitteln 2012 und 2015-2017 und jeweilige prozentuale Veränderung Quellen: SSP/ BAG 2017, StBA 2017a, eig. Schätzungen Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 41 InnoZ Mobilitätsmonitor MOBILITÄT Die Verkehrsleistung des ÖSPV 4 wird 2017 um etwa 0,5 % zulegen. Im Liniennahverkehr machen sich zum einen die guten sozioökonomischen Rahmendaten bemerkbar, zum anderen sinken die Schülerzahlen kontinuierlich, v. a. im ländlichen Raum. Der Fernbuslinienverkehr wird nach dem Rückzug anderer Anbieter inzwischen von „Flixbus“ dominiert. Die Marktkonsolidierung führte seit Ende 2016 zu einer Reduktion des Angebotes auf den Fernbusstrecken. Dennoch wird die Verkehrsleistung im Gesamtjahr ähnlich wie per Juli (2,9 %) vsl. über dem Stand von 2016 liegen. Der Schienenpersonenverkehr (SPV) profitiert im Nahwie im Fernverkehr von der steigenden Zahl Erwerbstätiger, von wachsenden Realeinkommen und 2017 zusätzlich von steigenden Kraftstoffpreisen. Für die Schiene rechnen wir mit einem Verkehrsleistungsplus - ähnlich wie im ersten Halbjahr - von gut 3 % auch im Gesamtjahr 2017. Wie in den Vorjahren ist mit einem leichten Rückgang beim Fußgängerverkehr sowie einem Zuwachs im Radverkehr zu rechnen, was sich aber auf die Gesamtverkehrsleistung nur geringfügig auswirkt. Auch die modalen Anteile der einzelnen Verkehrsträger bleiben im Vergleich zum Vorjahr nahezu konstant. Die Kontinuität der Verkehrsleistungsanteile gilt selbst für die Verteilung nach Energieträgern, wie nachfolgend gezeigt. Kontakt: frank.hunsicker@innoz.de Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-markt Verteilung der Verkehrsleistung nach Energieträgern Ausgabe Nr. 1 (Monitor Nov. 2015, Bild 21) zeigte die Personenverkehrsleistung (in Pkm) über alle Verkehrsmittel, nach genutzten Energieträgern in Deutschland für das Jahr 2014. Bild 2 zeigt dazu im Vergleich die entsprechenden Werte für das Jahr 2016. Betrachtet wurde die Veränderung der jeweiligen Anteile der Energieträger zwischen den Jahren 2014 und 2016. Bei Benzin und Diesel ist die Verkehrsleistung zusammen um ca. 25 Mrd. Pkm gestiegen. Der Einsatz von Erd- und Autogas als Kraftstoff ging - gemessen an der Verkehrsleistung - hingegen um ca. 0,6 Mio. Pkm zurück. Deutlich zulegen konnten Biokraftstoffe (um gut 7 Mrd. Pkm), während der Anteil der übrigen Energieträger sich nur geringfügig änderte. Strom aus erneuerbaren Energien hatte mit ca. 0,2 Mrd. Pkm den geringsten Zuwachs von allen dargestellten Energieträgern. Eine Verkehrswende in Deutschland ist auf der Ebene separat betrachteter Verkehrsmittel (Bild 1) und Energieträger kaum sichtbar. Daher sind zusätzlich Querschnittsbetrachtungen nötig, um etwaige Veränderungen im Verkehrsverhalten zu erkennen. Im Folgenden wird die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel pro Weg (Intermodalität) betrachtet. Kontakt: benno.hilwerling@inno2grid.com Intermodalität unter Wettereinfluss Erweitert man die obere, modalspezifische Sichtweise um die intermodale Verkehrsmittelwahl, erfordert dies nicht nur einen umfassenderen Blick auf Verkehrsdaten, sondern auch den Einbezug von Umwelteinflüssen. Die Daten für Bild 3 wurden durch die Smartphonetracking-App „modalyzer“ von März 2016 bis September 2017 aufgezeichnet (www.modalyzer.com). Die Daten basieren auf 17 172 Wegen von 79 Personen. Gefiltert wurde nach intermodalen Kombinationen PKW - ÖPNV bzw. Fahrrad - ÖPNV, unabhängig von der Nutzungsreihenfolge. Die Ausgangspunkte aller Wegeketten lagen in Berlin und im Berliner Umland. Neben den Trackingdaten wurden die Daten der Wetterstation 433 (Tempelhofer Feld) im gleichen Zeitraum betrachtet. Dabei ist zwischen Niederschlags- und Trockenstunden zu unterscheiden. Die Zuordnung bezieht sich auf die Stunde, in der jeweils der erste Abschnitt der Wegekette begann. Zudem wurde zwischen Werk- und Wochenendtagen unterschieden. Die Prozentzahlen geben die Anteile der betreffenden Verkehrsmittelkombination an der Gesamtmenge aller erfassten Kombinationen je Wetterlage wieder. So wurden z. B. an Werktagen 3,6 % aller Wege, die in Trockenstunden begannen, mit der intermodalen Kombination Fahrrad - ÖPNV zurückgelegt. In Niederschlagsstunden waren es 2,9 %. Bei der Kombination PKW - ÖPNV fällt der Anteil an der Gesamtmenge aller Kombinationen, die in Stunden mit bzw. ohne Niederschlag begannen, nahezu gleich groß aus. An Wochenenden ist das Verhältnis etwa umgekehrt: Während bei der Kombination Rad © InnoZ GmbH Muskelkraft Strom (erneuerbar) Gesamt: 2016: 1218,7 2014: 1180,8 Strom (fossil & atomar) Biokraftstoe Kerosin Gas (Erd- & Autogas) Diesel Benzin Alle Angaben in Mrd. Pkm 71,2 (70,5) 35,2 (35,0) 68,1 (63,4) 61,6 (54,0) 10,4 (9,9) 12,4 (13,0) 366,8 (348,0) 593,0 (587,0) (2014) 2016 Bild 2: Energieträger nach Personenverkehrsleistung in Deutschland 2014 (innerer Ring) und 2016 (äußerer Ring), in Mrd. Pkm; Abweichung von Bild 1 ist rundungsbedingt Quellen: BMWi 2017, DB 2017, KBA 2017, StBA 2017b, eig. Berechnung © InnoZ GmbH Berlin 1,2 % 1,2 % 2,9 % 3,6 % 1,5 % 2,9 % 2,1 % 1,8 % Montag bis Freitag Samstag und Sonntag N=17.172 Wege, 79 Personen Niederschlag Trockenheit Bild 3: Anteil intermodaler Kombinationen PKW-ÖPNV und Fahrrad- ÖPNV nach Wetter und Wochentag an der Gesamtmenge aller erfassten Kombinationen; N=17.172 Wege, 79 Personen in Berlin und Umgebung Quellen: DWD 2017, Erhebung mit modalyze Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 42 MOBILITÄT InnoZ Mobilitätsmonitor - ÖPNV kaum ein Unterschied erkennbar ist, liegt der Anteil der Kombination PKW - ÖPNV in Stunden ohne Niederschlag deutlich höher als mit Niederschlag. Somit ist an Werktagen ein Wettereinfluss auf Kombinationen mit Fahrrad-Bestandteil anzunehmen. An Wochenenden scheint der Einfluss hingegen bei Kombinationen mit PKW-Bestandteil stärker. Dieses Beispiel zeigt die Bedeutung einer mehrdimensionalen Betrachtung von Faktoren (Verkehrsmittel, Wetterlagen, Wochenzeit etc.), um intermodale Wahlentscheidungen einzuordnen. Die Wahloptionen umfassen jedoch nicht nur die Verkehrsmittel, sondern auch Dienstleistungen wie Carsharing, dessen Veränderung nun exemplarisch vorgestellt wird. Kontakt: lena.damrau@innoz.de Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-modi Shared Mobility: Elektro-Carsharing Carsharing gilt weiterhin als Wachstumsmarkt, doch ist es auch ein Einstieg in die Elektrifizierung? Meist sind E-Autos in der Anschaffung teurer als vergleichbare „Verbrenner“. Im deutschen Carsharing sind sie zwar häufiger als im Privatbesitz vertreten, aber ebenso in der Minderzahl ggü. konventionellen Antrieben (bcs 2017). Bild 4 zeigt, dass Multicity (Citroën) bislang unter den größeren Flotten eine Ausnahme war. Es startete 2012 als erstes rein elektrisches Carsharing Deutschlands. Im August 2017 bestand noch gut die Hälfte der Flotte aus E-Autos; Ende Oktober wird das Angebot in Berlin ganz eingestellt (Multicity 2017). BeeZero in München setzt ausschließlich auf Wasserstoff: Alle 50 Autos der Flotte besitzen Brennstoffzellen. Insgesamt fährt im Carsharing etwa jedes zehnte Auto elektrisch, während im gesamten PKW-Bestand nur etwas mehr als jeder tausendste PKW elektrisch ist - inkl. Plug- In-Hybride (bcs 2017). Ein Grund kann die unterschiedliche Dichte und Ausbaustufe der Energieinfrastrukturen sein, die wir nun betrachten. Kontakt: anke.schmidt@wzb.eu Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-sharing Nachhaltige Mobilität: Ladeinfrastruktur und Tankstellendichte im Vergleich Die Infrastrukturen spezifischer Kraftstoffe und Antriebe sind quantitativ unterschiedlich entwickelt. Ihre Verfügbarkeit ist in Relation zur jeweiligen Flottengröße zu sehen. Bild 5 zeigt die statistische Durchschnittsverteilung von PKW je Kraftstoffart pro Zapfsäule bzw. öffentlichem Ladeanschluss in Deutschland. 5 Für Benzin und Diesel kommen ca. 344 bzw. 173 PKW auf eine Zapfsäule. Wesentlich geringer liegt die Fahrzeugzahl bei Erdgas (44 PKW pro Zapfsäule) und Autogas (35 PKW pro Zapfsäule). Bei Wasserstoff kommen lediglich neun-PKW auf eine Zapfsäule. Pro Ladeanschluss wird dieser Wert noch einmal unterboten: zwei E-Autos (inkl. PlugIn-Hybride) teilen sich statistisch einen Ladeanschluss. Dies liegt unter dem Durchschnitt anderer Staaten mit vergleichsweise vielen Elektroautos, wie China, USA und Norwegen. Der Bestand öffentlicher Ladeanschlüsse ist somit in Deutschland im Verhältnis zur Zahl der E-Autos relativ hoch. Dies gilt sowohl gegenüber anderen Kraftstoffen als auch im internationalen Vergleich. Zu berücksichtigen ist jedoch die gegenüber der Betankung fossiler Kraftstoffe und Wasserstoff längere Nutzungszeit pro Fahrzeug, was einen erhöhten Infrastrukturbedarf bedeuten kann. 6 Das Beispiel Infrastruktur zeigt, dass konventionelle und alternative Mobilitätsoptionen im Kontext von Umfeldentwicklungen verglichen werden sollten. Kontakt: anke.schmidt@wzb.eu Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-nachhalt © InnoZ GmbH 3 Min. 5 Min. 120 Min. Pkw pro Tank-/ Ladeanschluss Strom (NOR) Strom (USA) Strom (CHN) Strom (DEU) Autogas Erdgas Wassersto Diesel Benzin 344 Pkw 173 Pkw 9 Pkw 44 Pkw 35 Pkw 2 Pkw 4 Pkw 13 Pkw 14 Pkw 3 Min. 5 Min. 120 Min. © InnoZ GmbH DriveNow (3.200 Pkw) 11% 14% 15% 2% 4% 0% 57% 100% car2go (3.860 Pkw) Flinkster (4.000 Pkw) Stadtmobil (2.500 Pkw) Cambio (1.500 Pkw) Greenwheels (300 Pkw) Multicity (337 Pkw) BeeZero (50 Pkw) Anteil Elektroautos Bild 4: Anteil der Elektroautos in Carsharing-Flotten ausgewählter Anbieter in Deutschland Quelle: Eig. Erhebung Bild 5: PKW pro Tankbzw. Ladeanschluss in Deutschland sowie international (Strom) mit durchschnittlicher Tank-/ Ladezeit pro PKW Quellen: eafo 2017, OFV AS 2017, IEA 2017, KAB 2017, Statista 2017b, Statistics Norway 2017, eig. Berechnung Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 43 InnoZ Mobilitätsmonitor MOBILITÄT Mobilitätsumfeld Digitalisierung I: Zahlungsoptionen in Mobilitätsapps Über den Erfolg alternativer Mobilitätsoptionen entscheidet neben der energetischen auch die elektronische Vernetzung. Das InnoZ untersuchte im Frühjahr 2017 insgesamt 71 Mobilitätsapps aus den Bereichen ÖV, Sharing, Integration und weiterer mobilitätsnäher Dienste. 7 Davon boten 39 zur Zeit der Erhebung mindestens eine elektronische Zahlungsoption. Die Übersicht in Bild 6 zeigt, dass Kreditkarten und Lastschriftverfahren die häufigsten Zahlungsoptionen sind und bei allen App-Arten auftreten. Der Bezahldienst PayPal kam hingegen in den untersuchten Sharing-Apps nicht vor. Insgesamt selten anzutreffen ist auch die Zahlung via Mobilfunkrechnung, die vorwiegend in ÖV-Apps angeboten wird. Zur digitalen Integration verschiedener Apps bieten sich daher aktuell die Zahlungsoptionen Kreditkarte und Lastschrift an. Der Ausblick widmet sich einem weiteren Digitalisierungsfeld, dem automatisierten Fahren. Mobilitätsumfeld Digitalisierung II: Automatisierte Fahren in Kalifornien Neben der IT-Verknüpfung wird das Marktumfeld zukünftig entscheidend durch Automatisierung geprägt: Google Driverless Car (heute Waymo) war - gemessen an der Fahrzeugzahl und Fahrstrecke - bis November 2016 führend im Test automatisierter Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen Kaliforniens (Bild 7). In der betrachteten Zeit wuchs die eingesetzte Testflotte von Google von ca. 20- auf etwa 50 Fahrzeuge. Im selben Zeitraum steigerte GM seine Flotte von 0 auf 20 Fahrzeuge und lag damit im Sept. 2016 mit deutlichem Abstand nach Google auf Platz 2. Auch bei der Fahrstrecke dominiert Waymo. Deutsche Hersteller (Bosch, Daimler, VW) fielen bei den öffentlichen Praxistests in Kalifornien hinsichtlich Flottengröße und Fahrleistung kaum ins Gewicht. Auch der Einstieg von Tesla veränderte das Bild in dieser Zeit kaum. In Deutschland dürfte der Anteil europäischer Hersteller höher liegen. Hier fehlen allerdings öffentlich zugängliche Daten, da im Unterschied zu Kalifornien keine einheitliche Publikationspflicht der zuständigen Behörden besteht. Kontakt: christian.scherf@wzb.eu, marc.schelewsky@innoz.de (Zahlungsoptionen); benno.bock@innoz.de (automatisiertes Fahren) Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-digi 1 Der Mobilitätsmonitor ist Teil des Projekts „Verkehrs- und Energiewende als Herausforderung für die sozialwissenschaftliche Forschung“, gefördert durch die Stiftung Mercator. 2 Datenquellen: FERI 2017, IfW Kiel 2017, KBA 2017, StBA 2017a, eigene Schätzungen. 3 Datenquellen: ADV 2017, SSP/ BAG 2017, StBA 2017a, eig. Schätzungen. 4 ÖSPV umfasst den öffentlichen Straßenpersonenverkehr (Bus, Stadtbahn, Straßenbahn u. U-Bahn). 5 Geschätzte durchschnittliche Anzahl an Zapfsäulen pro Tankstelle: 6 (Benzin/ Diesel), 2 (Erd-/ Autogas), 1 (H 2 ). 6 Geschätzte durchschnittliche Betankungs-/ Ladezeit: 3 Min. (Benzin/ Diesel/ H 2 ), 5 Min. (Erd-/ Autogas), 120 Min. (Strom). 7 ÖV-Apps: Verkehrsbetriebe u. -verbünde (n=12); Integrations-Apps: Apps zur Integration verschiedener Verkehrsmittel (n=9); Sharing-Apps: Carsharing, Bikesharing u. Scootersharing (n=8); Weitere Apps: U. a. Taxi, On-Demand-Dienste u. Parkplatzsuche (n=10). Abkürzungen: App = Applikation, InnoZ = Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel, IT = Informationstechnik, ÖV = Öffentlicher Verkehr, WZB = Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Pkm = Personenkilometer QUELLEN Alle Quellen online unter innoz.de/ de/ monitor-quellen © InnoZ GmbH Gefahrene Kilometer (in Tsd.) Anzahl der Fahrzeuge 0 10 20 30 40 50 60 70 80 30 60 90 120 150 01.11.16 01.09.16 01.07.16 01.05.16 01.03.16 01.01.16 01.11.15 01.09.15 01.07.15 01.05.15 01.03.15 01.01.15 01.11.14 01.09.14 Honda GM Ford BMW VW Tesla Nissan Daimler Google Delphi Bosch Anzahl Apps 5 10 15 20 25 30 35 ÖV-Apps, ohne Taxi Sharing-Apps Integrations-Apps Weitere Apps SOFORT- Überweisung EC-Karten u. ä. Mobilfunkrechnung PayPal Lastschriftverfahren Kreditkarten © InnoZ GmbH Bild 7: Gefahrene km (oben) und Anzahl automatisierter Testfahrzeuge (unten) auf öffentlichen Straßen Kaliforniens nach Zeitpunkt und Unternehmen; kumuliert, Sept. 2014 bis Sept. 2016 Quellen: CA 2017, eig. Berechnung Bild 6: Elektronische Zahlungsoptionen ausgewählter Mobilitätsapps in Deutschland, n=39 Quelle: Eig. Recherche Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 44 MOBILITÄT Wissenschaft Einflussfaktoren auf Check-in-Wartezeiten am Beispiel des Flughafens Hamburg Flughafen, Check-in, Warte- und Servicezeiten, Stress Passagiere empfinden Wartezeiten während ihrer Reise als verlorene Zeit. Auf Flugreisen treten Wartezeiten jedoch häufig an verschiedenen Prozessstellen innerhalb eines Flughafens auf und können Unzufriedenheit oder sogar Stress auslösen. Am Beispiel des Flughafens Hamburg werden Einflussfaktoren analysiert, die speziell beim Check-in zu zeitlichen Prozessverzögerungen führen. Auf Basis der Ergebnisse einer Beobachtungsstudie werden Empfehlungen aufgezeigt, wie einerseits Wartezeiten und anderseits Konfusion und Stress unter den Passagieren am Check-in vermieden werden können. Peter Bießlich, Björn Schwetge, Klaus Lütjens, Volker Gollnick W arten ist ein alltägliches Phänomen und tritt auf, wenn die Nachfrage nach einem Service das Angebot überschreitet. Gründe hierfür können u.a. eine Knappheit an Serviceschaltern oder ein zu geringes Platzangebot für die Ausführung des Service sein [1]. In Zusammenarbeit mit dem Flughafen Hamburg wurde eine mehrtägige Beobachtungsstudie durchgeführt, die einerseits die Messung von Warte- und Servicezeiten am Check-in-Schalter beinhaltet und andererseits die Gründe hinterfragt, warum sich Passagiere schon frühzeitig am Check-in-Schalter anstellen, obwohl dieser noch nicht geöffnet hat. Ein Fokus liegt auf der Disponierung der Check-in-Schalter durch die Fluggesellschaften, d.h. dem Zeitpunkt der Öffnung und die Anzahl der Schalter. Die Ergebnisse diese Studie tragen zum Projekt PASSME - Personalized Airport System for Seamless Mobility and Experience 1 - bei, das durch die Europäische Union gefördert wird. Die Ziele von PASSME sind die Reduzierung unerwünschter Prozesszeiten innerhalb des Flughafens um 60 Minuten, die Bereitstellung von Echtzeitinformationen für Passagiere über die zukünftige Nachfrage an Flughafenprozessstellen und die Entwicklung von passagierorientierten Lösungen, die den Flughafenaufenthalt angenehmer machen. Um diese Ziele zu erreichen, müssen Flughafeninfrastrukturen und -prozesse prognostizierbar, anpassbar, verlässlich und effizient sein. PASSME konzentriert sich auf vier Ansätze, die voraussichtlich an den Flughäfen Amsterdam Schiphol oder Hamburg implementiert und bewertet werden. Der erste Ansatz ist ein System zum Leiten von Passagierflüssen, das auf Echtzeitdaten von Flughafensensoren und den persönlichen Endgeräten der Passagiere zurückgreift. Somit können Prognosen von Passagierflüssen, Wegezeiten und Wartezeiten bereitgestellt werden. Ein weiterer Ansatz befasst sich mit der Entkopplung der Reisewege von Passagieren und deren Gepäck. Dritter Ansatz von PASSME ist die Umgestaltung von Prozessen und Anlagen bei Flughäfen und Fluggesellschaften, insbesondere am Gate und beim Boarding. Eine Anwendung (App) für Smartphones oder andere persönliche Endgeräte ist der vierte Ansatz. Diese versorgt die Passagiere mit personalisierten Informationen, vor allem zur Wegfindung und -führung, so dass das Vertrauen der Passgiere steigt und Stress reduziert wird. Weiterhin können Informationen zwischen Passagier und Flughafen ausgetauscht werden, um „informierte“ Entscheidungen zu treffen. Theoretischer Hintergrund Die Erforschung der sogenannten Warteschlangentheorie geht auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück, als Überlastungen im Telefonverkehr aufkamen. 1909 veröffentlichte erstmals der dänische Mathematiker A. K. Erlang „The Theory of Probabilities and Telephone Conversations“ [2]. Später setzten E. C. Molina [3] und T. C. Fry [4] Erlangs Arbeit auf diesem Gebiet fort. In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren schritten die Arbeiten zur Warteschlangentheorie schnell voran. Einen PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 17.08.2017 Endfassung: 29.09.2017 Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 45 Wissenschaft MOBILITÄT guten Überblick hierzu bietet T. L. Saaty [5]. Seitdem gibt es zahlreiche Anwendungen dieser Theorie in den Gebieten der Wahrscheinlichkeitstheorie (z. B. [6]), des Operations Research [7, 8], der Management Dienstleistungen [9] und des Verkehrswesens [10]. Wartzeiten an Flughäfen können zum Verpassen des Fluges führen, was Kosten für Passagiere und Fluggesellschaften verursacht. Dabei beeinflussen alle Prozessbeteiligten, auch die Passagiere, durch ihr individuelles Verhalten die Dauer von Wartezeiten. Prager et al. [11] bewerteten die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von geringeren Wartezeiten an der Passkontrolle der vier verkehrsreichsten Flughäfen der USA. Den Ergebnissen der Studie folgend, sind ein Anstieg des BIP um 81,5 bis 260,7 Mio. USD und die Generierung von 651 bis 2152 neuen Jobs möglich. Neben diesen Effekten zeigen Rose et al. [12] in ihrer Studie, dass eine Veränderung der Wartzeiten zu einer signifikanten Veränderung der Nachfrage führen kann. Weiterhin sind Ansätze zur Modellierung und Simulation des Passagierverhaltens innerhalb von Flughafenterminals Gegenstand der Forschung [13, 14]. Dieser Artikel trägt zur Quantifizierung von Warte- und Servicezeitenzeiten am Flughafen bei und zeigt auf, durch welche äußeren Einflusse und individuellen Verhaltensweisen diese verstärkt werden. Beobachtungsstudie am Flughafen Hamburg Der Flughafen Hamburg ist der fünftgrößte Flughafen Deutschlands und fertigte im Jahr 2016 16,2 Mio. Passagiere und 145 000 Flugbewegungen ab, was durchschnittlich 111 Passagieren pro Flug entspricht [15]. Die beiden Terminals sind über die sogenannte Plaza verbunden, wo die zentrale Sicherheitskontrolle verortet ist. Von dort gelangen die Passagiere über die Pier zu den Abfluggates (siehe Bild 1). Die durchgeführte Beobachtungsstudie (02.02.- 03.03.2017) bestand aus zwei Phasen, wobei eine Verknüpfung von Elementen der persönlichen Befragung sowie der qualitativen und quantitativen Beobachtung erfolgte. Der Prozess begann 30 bis 60 min vor Öffnung des ersten Check-in-Schalters im Beobachtungsfeld und der Fokus lag zunächst auf den Passagieren, die sich bereits anstellten, ehe die Schalter öffneten. Da durch reines Beobachten nicht festgestellt werden konnte, wo deren Beweggründe lagen, wurde eine Kurzbefragung konzipiert. Ab Öffnung des ersten Schalters begann der Beobachtungsprozess, welcher sich durch bestimmte Kriterien charakterisieren lässt. Unsere Studie lief nicht teilnehmend, verdeckt, teilstandardisiert, im Feld und als Fremdbeobachtung ab (vgl. [17, 18]). Insgesamt wurden 27 Check-in-Vorgänge an verschiedenen Wochentagen und verschiedener Fluggesellschaften beobachtet, die in 79 Kurzbefragungen mit wartenden Passagieren und 300 Beobachtungen von Warte- und Servicezeiten mündeten. Ergebnisse der Kurzbefragung Für die Kurzbefragung konnten bis zu sieben Passagiere je Check-in-Vorgang befragt werden. Jedoch trat ein vorheriges Anstellen nicht bei allen Vorgängen ein. Beim Common Check-in einiger Fluggesellschaften lag dieser Zustand oftmals nur in den sehr frühen Morgenstunden vor. Aber nicht alle Fluggesellschaften, die für ihre Flüge Common Check-in anboten, öffneten ihre Schalter durchgängig. Über den Tag gesehen, wurden alle Schalter immer wieder geschlossen, z. B. bei Ryanair und easyJet. Alle Befragten gaben an aus privaten Gründen zu reisen. Die Antwortmöglichkeiten wurden komplett offen gestaltet, so dass aus den gegebenen Antworten sechs Cluster abgeleitet wurden: 1) Visuelle Beeinflussung: Fluggäste lassen sich durch visuelle Einflussfaktoren zum frühzeitigen Anstellen in der Warteschlange verleiten. Zu diesen gehören die Schalteranzeigen, das Erscheinen von Personal am Schalter oder das vorzeitige Anstellen anderer Fluggäste. 2) Erfahrungswerte der Passagiere: Aufgrund bisheriger Erfahrungen bei Flugreisen entscheiden sich die Fluggäste, mit zeitlicher Vorlaufzeit beim Check-in einzutreffen. 3) Zeitige Gepäckaufgabe: Die frühzeitige Aufgabe des Gepäcks ist Anreiz für ein frühzeitiges Anstellen um im Flugreiseprozess entspannter weiter zu verfahren. 4) Vermeidung von Zeitdruck: Frühzeitiges Anstellen geht einher mit der Planung von Zeitpuffern um zeitlichen Druck während des Check-in und anschließender Prozessschritte zu vermeiden. 5) Anreiseweg zum Flughafen: Für viele Fluggäste beginnt der Reiseprozess mit anderen Verkehrsmitteln. Zur Sicherheit wird dieser Vorlauf mit zeitlichem Puffer geplant, was bei einem Verlauf ohne Verzögerungen für ein frühzeitiges Erscheinen am Check-in sorgt. 6) Sonstige Gründe: Zu diesen gehören Flugumbuchungen, Probleme beim Online Check-in, Sitzplatzreservierungen, Zeit zur Verabschiedung nach dem Checkin und fehlende Flugerfahrung. Bild 1: Terminalinfrastrukturen am Flughafen Hamburg [16] 3 6 14 7 15 7 17 5 15 4 10 3 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Visuelle Beeinflussung Erfahrungswerte der Passagiere Zeitige Gepäckaufgabe Vermeidung von Zeitdruck Anreiseweg zum Flughafen Sonstige Gründe Anzahl der Nennungen Gründe für frühzeitiges Anstellen Bild 2: Beweggründe für frühzeitiges Anstellen am Check-in von Passagieren mit Wissen (rote Balken, n = 52) / ohne Wissen (blaue Balken, n = 54) über die Öffnungszeiten Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 46 MOBILITÄT Wissenschaft Bild 2 zeigt die Häufigkeitsverteilung über alle Beweggründe. Da einige Passagiere mehrere Gründe angaben, ergeben sich insgesamt 106 Nennungen. Zusätzlich ist aufgezeigt, ob die Passagiere die Öffnungszeiten ihrer Schalter kannten (rote Balken) oder nicht (blaue Balken). Das Interesse an der frühzeitigen Aufgabe des Gepäcks (n = 29) wurde durch die Befragten am häufigsten genannt, um im Anschluss daran die Retail-Geschäfte des Flughafens (Restaurants, Cafés, Shops) ohne Gepäck bequemer besuchen zu können. Der Anreiseweg zum Flughafen (n = 25) wird ebenfalls häufig genannt. Freie Zeitfenster entstehen aufgrund der Einplanung möglicher Verzögerungen (z. B. Stau, Zugverspätungen), die aber nicht immer auftreten. Diese beiden Beweggründe sind aus Sicht der Passagiere nachvollziehbar, lassen sich jedoch kaum steuern und damit vermeiden. Am dritthäufigsten wurde von den Befragten eine visuelle Beeinflussung (n = 20) genannt. Hierbei ist von besonderem Interesse, dass vor allem uninformierte Passagiere auf visuelle Stimuli reagieren. Grundsätzlich ist es überraschend, dass knapp die Hälfte der Befragten nicht die Öffnungszeiten ihres Check-in kennen. Ob dies auf mangelndes Interesse der Passagiere oder schlechtes Informationsmanagement der Fluggesellschaften zurückzuführen ist, kann aber nicht nachvollzogen werden. Ergebnisse der Warte- und Servicezeitenmessung Im Anschluss an die Kurzbefragung wurden Warte- und Servicezeiten erfasst. Die Ergebnisse zeigen Tabelle 1 und Bild 3, wobei nur Economy Class-Schalter betrachtet werden. Bei First- und Business Class-Schaltern treten i. d. R. keine Wartezeiten auf. Die Ergebnisse unterstreichen eine starke Volatilität des Check-in-Prozesses. Einerseits warten knapp 50 % Passagiere gar nicht oder weniger als 5 min. Anderseits stehen 8 % der Passagiere 30 min oder mehr an. Die längste gemessene Wartezeit betrug mehr als eine Stunde. Über alle Beobachtungen ergibt sich eine durchschnittliche Wartezeit von 9: 54 min mit einer Standardabweichung von 13: 02 min. Weiterhin ist ein Unterschied zwischen den Check-in-Verfahren zu erkennen. Passagiere mit Flight Check-in warten im Durchschnitt fast doppelt so lange wie Passagiere mit Common Check-in (12: 15 min vs. 6: 12 min, siehe Tabelle 1). Bei den Servicezeiten ist der Unterschied geringer. Der Flight Check-in dauert im Mittel 2: 58 min und der Common Check-in 2: 00 min. Über alle Beobachtungen ergibt sich eine durchschnittliche Servicezeit von 2: 36 min. Ein Check-in-Vorgang kann aber mehrere Passagiere umfassen, so dass die Servicezeit pro Passagier im Mittel 1: 24 min beträgt. Servicezeiten von mehr als 5 min wurden bei ca. 10 % der Beobachtungen festgestellt und durch Diskussionen über Sperrgepäck oder Pass-/ Visaangelegenheiten verursacht. Einflussfaktoren auf Wartezeiten Ein großer Einflussfaktor auf Wartezeiten ist das systembedingte Einblenden des Schriftzuges „Schalter wird geöffnet“ auf den Schalteranzeigen 30 min vor Öffnung. Dies verleitet speziell uninformierte Passagiere und Wenigflieger (vgl. Bild 2), sich unverzüglich anzustellen, obwohl noch genügend Zeit bis zum Beginn des Prozesses verbleibt. Verstärkt wird diese Reaktion durch den natürlichen „Herdentrieb“ des Menschen: Wenn ein Passagier sich anstellt, reihen sich weitere automatisch ein. Die Pünktlichkeit der Schalteröffnung ist ein weiterer Einflussfaktor. Neun von 27 beobachteten Prozessen starteten verspätet, u. a. ausgelöst durch Verzögerungen beim vorausgehenden Prozess desselben Mitarbeiters. Auch wenn die Verspätungen mit fünf bis 15 min marginal ausfielen, haben sie dennoch großen Einfluss auf die Wartezeiten. Bild 4 zeigt die mittlere Wartezeit in Abhängigkeit von der Zeit des Eintreffens nach Schalteröffnung. Passagiere, die innerhalb von 30 min nach der Öffnung eintreffen, warten fast doppelt so lang wie später eintreffende Passagiere. Folglich verstärkt eine verspätete Schalteröffnung die Schlangenbildung. Die längsten Wartezeiten treten v.a. beim Check-in von Low Cost (LCC) und Charter-Fluggesellschaften auf, wie z. B. bei easyJet, Norwegian und Pegasus Airlines (siehe Tabellen 2 und 3). Durchschnittlich belaufen sich die Wartezeiten beim Flight Check-in auf 21: 01 min und beim Common Check-in auf 11: 37 min. Bei den verblei- Charakteristik Wartezeit [min] Servicezeit [min] Mittelwert (alle Beobachtungen) 9: 54 (±13: 02) 2: 36 (±2: 20) Mittelwert der Flight Check-in (Check-in für eine Flugnummer) 12: 15 (±14: 55) 2: 58 (±2: 37) Mittelwert der Common Check-in (Check-in für mehrere Flugnummern) 6: 12 (±8: 02) 2: 00 (±1: 37) Mittelwert pro Passagier - 1: 24 Tabelle 1: Mittelwerte (in Klammern: Standardabweichung) der Warte- und Servicezeiten (Economy Class) am Check-in 71 76 57 27 22 23 13 11 23,7% 25,3% 19,0% 9,0% 7,3% 7,7% 4,3% 3,7% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 0 10 20 30 40 50 60 70 80 0 0 < t 5 5 < t 10 10 < t 15 15 < t 20 20 < t 30 30 < t 45 t 45 Relativer Anteil (Linie) Anzahl der Nennungen (Balken) Wartezeit [min] Bild 3: Beobachtungen der Wartezeiten (Economy Class) am Check-in 14: 44 07: 57 00: 00 05: 00 10: 00 15: 00 20: 00 0 30 > 30 Wartezeit[min] Zeit des Eintreffens nach Öffnung des Check-In [min] Bild 4: Abhängigkeit zwischen Wartezeit und Zeit nach Check-in-Öffnung (Flight Check-in) Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 47 Wissenschaft MOBILITÄT benden Fluggesellschaften (vornehmlich Full Service Network Carrier) sind die Wartezeiten im Mittel deutlich kürzer und betragen nur 7: 06 min (Flight Check-in) bzw. 2: 53 min (Common Check-in). Diese Fluggesellschaften öffnen, meist aus Kostengründen, nur zwei bis drei Schalter, welche teilweise auch nur von Priority-Passagieren (easyJet) genutzt werden können. Im Vergleich dazu öffnet Emirates acht Schalter für einen Flug, wobei zu beachten ist, dass das eingesetzte Flug zeug (Boeing 777) im direkten Vergleich mit den oben genannten Flügen deutlich größer ist. Jedoch verzeichnet auch die Netzwerkfluggesellschaft Turkish Airlines überdurchschnittliche Wartezeiten, obwohl insgesamt fünf- Schalter geöffnet werden. Ein Grund hierfür ist die Öffnungsstrategie. Der erste Schalter öffnet 3 h vor der geplanten Abflugzeit. Obwohl diese Strategie sehr proaktiv erscheint, bewirkt sie eher einen nachteiligen Effekt. Wenn viele Passagiere diese Strategie kennen, treffen sie eher ein. Da der nachfolgende Schalter erst 40 bis 50 min später öffnet, entstehen vermehrt Wartezeiten zu Beginn des Prozesses. Die Strategie zunächst nur einen Schalter zu öffnen, konnte auch bei den Flügen PC384 und D86501 beobachtet werden. Zusammenfassung und Empfehlungen Die Studie zeigt, dass sich die Wartezeiten am Check-in in Hamburg im Mittel bei 9: 54 min bewegen und knapp 50 % der Passagiere gar nicht oder weniger als 5 min anstehen. Jedoch ist gleichzeitig eine große Volatilität zu beobachten und es treten teilweise längere Wartezeiten von mehr als 30 min auf. Die Gründe, die während der Studie beobachtet werden konnten, sind vor allem visuelle Einflüsse des Flughafensystems (Schalteranzeigen), das verspätete Öffnen der Schalter und die Öffnungsstrategie der Schalter. Des Weiteren ist ein Unterschied zwischen den verschiedenen Verfahren ersichtlich. Common Check-in sind sowohl bei Warteals auch Servicezeiten schneller als Flight Check-in, auch dadurch bedingt, dass Flight Check-in mehrheitlich von Low Cost- und Charter-Fluggesellschaften angeboten werden. Wartezeiten an den einzelnen Prozessstellen sind nicht im Sinne des Flughafens, da ein schlechter Service mit dem Flughafen assoziiert werden kann, auch wenn über die Ressourcenbereitstellung und damit die Prozessqualität die Fluggesellschaften entscheiden. Der Flughafenbetreiber hat nur marginal Einfluss auf die Check-in- Prozesse der Fluggesellschaften, da dieser nur die Infrastruktur zur Verfügung stellt und die Fluggesellschaften entscheiden, wie viele Schalter wann geöffnet werden. Dennoch können folgende Maßnahmen die Qualität des Service, den die Passagiere wahrnehmen, verbessern und ebenso Wartezeiten reduzieren. Die Beobachtungen haben verdeutlicht, dass Abgrenzungen des Wartebereichs Einfluss auf den Check-in- Prozess haben. Wenn keine Abgrenzungen vorhanden sind, gibt es zwischen den Passagieren oft Diskussionen und Stress. Insbesondere bei der Öffnung eines neuen Schalters entsteht eine Eigendynamik unter den wartenden Passagieren. Auch wenn Abgrenzungen nicht direkt die Wartezeiten reduzieren, dienen sie als Orientierungspunkte für eine bessere Ablaufstrukturierung und reduzieren das Konfusions- und Stresslevel. Weiterhin wurde ein positiver Effekt beobachtet, wenn ein zusätzlicher Mitarbeiter die eintreffenden Passagiere einweist oder bei Fragen zur Bordkarte bzw. zu Pass-/ Visaangelegenheiten Hilfestellung gibt. Außerdem könnte der Flughafen die Öffnung einer minimalen Anzahl an Schaltern für alle Flüge vorschreiben, um einen gewissen Servicelevel an allen Prozessstellen sicherzustellen. Dies sollte natürlich in Abhängigkeit von der Größe des eingesetzten Flugzeugs, der Anzahl der verkauften Sitzplätze (Reiseklasse mit/ ohne Freigepäck) sowie dem Anteil der schon online eingecheckten Passagiere geschehen. Eine solche Vereinbarung würde die Redundanz zwischen den Schaltern erhöhen und ein technischer Defekt eines Schalters oder Probleme beim Service einzelner Passagiere würden nicht zu außergewöhnlich langen Wartezeiten führen. Die Öffnungsstrategie steht in engem Verhältnis mit diesem Punkt. Anstatt erst einen Schalter zu öffnen und später weitere, wäre die umgekehrte Strategie die bessere. D. h. es könnte eine Regel eingeführt werden, dass zunächst mindestens zwei Schalter öffnen und zu einem späteren Zeitpunkt einer wieder geschlossen werden kann. Jedoch muss bei diesem Vorgehen sichergestellt werden, dass keine Passagiere vor dem schließenden Schalter anstehen. Vor allem mit direktem Bezug zum Flughafen Hamburg sollte über eine Reduzierung der Vorlaufzeit des Anschaltens der Schalteranzeigen nachgedacht werden, um unnötiger Schlangenbildung vorzubeugen. Angesichts der Erkenntnis, dass knapp 50 % der Passagiere die Öffnungszeiten ihres Check-in nicht kennen, Flugnummer Airline Durchschnittliche Wartezeit [min] Durchschnittliche Servicezeit [min] LX1057 Swiss 00: 02 01: 14 SK1648 SAS 00: 05 03: 24 […] […] […] […] XQ171 SunExpress 09: 42 01: 55 BT254 Air Baltic 11: 13 01: 17 VY1821 Vueling Airlines 12: 58 01: 53 EZY3465 easyJet 15: 34 01: 41 EZY3463 easyJet 17: 41 01: 16 D86501 Norwegian 23: 53 02: 00 TK1662 Turkish Airlines 24: 06 03: 34 PC384(2) Pegasus Airlines 24: 52 03: 34 PC384 Pegasus Airlines 56: 04 04: 15 Tabelle 2: Durchschnittliche Warte- und Servicezeiten am Check-in für ausgewählte Flüge. Charakteristik Wartezeit [min] Servicezeit [min] LCC/ Charter Andere LCC/ Charter Andere Mittelwert der Flight Check-in (Check-in für eine Flugnummer) 21: 01 (±19: 26) 7: 06 (±7: 52) 2: 37 (±1: 50) 3: 13 (±3: 01) Mittelwert der Common Check-in (Check-in für mehrere Flugnummern) 11: 37 (±9: 23) 2: 53 (±4: 40) 1: 53 (±1: 20) 2: 02 (±1: 47) Tabelle 3: Mittelwerte (in Klammern: Standardabweichung) der Warte- und Servicezeiten (Economy Class) am Check-in nach Typen von Fluggesellschaften. Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 48 MOBILITÄT Wissenschaft sollte ebenfalls über ein gezielteres Informationsmanagement seitens der Fluggesellschaften nachgedacht werden. ■ Die Autoren bedanken sich beim Flughafen Hamburg, speziell bei Frau Kathrin Beyer, für ihre professionelle Unterstützung und der Bereitstellung von Daten für diese Arbeit. Das PASSME Projekt hat eine Förderung durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union unter dem Förderkennzeichen 636308 erhalten. Die Ansichten in diesem Artikel reflektieren die Sicht der Autoren und in keiner Weise die Ansichten der Europäischen Komission. Die Europäische Komission ist nicht verantwortlich für die Verwendung der enthaltenen Informationen. 1 Weitere Informationen unter: www.passme.eu. 2 Anmerkung: Bei diesem Prozess kam es zum Zusammmenspiel vieler Faktoren. U. a. gab es technische Probleme mit einem der Schalter. LITERATUR [1] Gross, D., Shortle, J.F., Thompson, J.M. und Harris, C.M.: Fundamentals of Queueing Theory. 4th Edition. Hoboken: Wiley, 2013. ISBN 978-0-471-79127-0. [2] Erlang, A.K.: The Theory of Probabilities and Telephone Conversations. Nyt Tidsskrift for Matematik B., 1909, 20(B), 33-39. [3] Molina, E.C.: Application of the Theory of Probability to Telephone Trunking Problems [online]. 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Reinbek bei Hamburg: rowohlts enzyklopädie im Rowohlt Taschenbuch Verlag, April 2016. rororo rowohlts enzyklopädie. 55678. ISBN 3499556782. [18] Kuß, A., Wildner, R. und Kreis, H.: Marktforschung. Grundlagen der Datenerhebung und Datenanalyse. 5., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2014. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2014. ISBN 3658018631. Klaus Lütjens DLR Lufttransportsysteme, Hamburg klaus.luetjens@dlr.de Volker Gollnick, Dr.-Ing. Prof., DLR Lufttransportsysteme, Hamburg volker.gollnick@dlr.de Björn Schwetge Institut für Lufttransportsysteme, TUHH, Hamburg bjoernschwetge@gmail.com Peter Bießlich DLR Lufttransportsysteme, Hamburg peter.biesslich@dlr.de Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 49 Sicherheit TECHNOLOGIE Verlässliche Adaptive Software- Architekturen im Auto Von Fail-Silent zu Fail-Operational Software, Software-Architekturen, Zuverlässigkeit, Fail-Operational, Autonomes Fahren Durch die zunehmende Automatisierung bis hin zum autonomen Fahren verändern sich auch die elektrisch-elektronischen (E/ E) Architekturen sowie die Anforderungen an die Funktionalität von Fahrzeugen. Das hat zur Folge, dass Software-Architekturen eine zunehmende Flexibilität aufweisen und gleichzeitig eine erhöhte Zuverlässigkeit garantieren müssen. Gereon Weiß D er Automobilverkehr durchlebt derzeit einen radikalen Wandel: Der Fokus verlagert sich weg vom einzelnen Transportmittel hin zu flexibler Mobilität - sogar über das einzelne Fahrzeug hinaus. Diesen Paradigmenwechsel spiegeln auch die aufkommenden Trends am Automobilmarkt [1] wider: Die sich ausbreitende Elektromobilität erfordert eine Veränderung und Vereinfachung der Fahrzeugarchitektur. So entfallen ohne Verbrennungsmotor mechanische Teile oder werden durch elektronische ersetzt. Das hat enormen Einfluss auf die notwendige Verlässlichkeit der eingesetzten IT- und Kommunikationssysteme [2]. Anhand der zahlreichen Ankündigungen der Fahrzeughersteller wird deutlich, dass auch die Automatisierung mit großen Schritten voran schreitet - bis hin zum autonomen Fahren. Dabei erstreckt sich die Entwicklung über verschiedene Stufen, die der Verband der Automobilingenieure SAE International folgendermaßen definiert [3]: In Stufe 0 führt der Fahrer noch alle Steuerungsaufgaben selbst aus, in Stufe 1 assistiert bereits ein Fahrzeugsystem. Teilautomatisiert (Stufe 2) bedeutet, dass das System in bestimmten Anwendungsfällen Steuerungsaufgaben übernimmt. In Stufe 3 beginnt die Hochautomatisierung, das heißt der Fahrer muss das System nicht mehr dauerhaft überwachen, aber jederzeit in der Lage sein, die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen. Über Stufe 4 (vollautomatisiert) führt dann der Weg zum fahrerlosen Roboterauto der Stufe 5. Darüber hinaus sind Fahrzeuge schon heute mit dem Backend bzw. der Cloud und zukünftig auch untereinander und mit der Infrastruktur vernetzt. Dadurch erzeugen sie eine hohe Vernetzung, oder sogenannte Connectivity. Und schließlich sorgen Ansätze neuer Mobilitätsnutzung für eine weitere Differenzierung des Automobilverkehrs. Zum Beispiel die Nutzung über einzelne Verkehrsmittel hinweg, Mobilitätsdienstleistungen oder Shared Mobility Konzepte. Neue Technologien ermöglichen Disruption Diese Trends führen dazu, dass Entwickler vollständig neuer Fahrzeuge höhere Freiheitsgrade genießen, als sie etablierten Fahrzeugherstellern offenstehen. So können beispielsweise neue Mobilitätskonzepte mit Kleinserienfahrzeugen etabliert werden, wie das Beispiel Adaptive City Mobility (ACM) [4] zeigt. In diesem Projekt wird eine flexible Fahrzeugnutzung von E-Fahrzeugen untersucht, sodass diese zum Beispiel sowohl als E-Taxi als auch als Transport- oder Leihfahrzeug genutzt werden können. Diese Anpassungsfähigkeit erfordert unter anderem eine flexible E/ E-Architektur des Fahrzeugs sowie einfache Verfahren zum Batteriewechsel (Bild 1). Anhand solcher Beispiele wird bereits ersichtlich, welche Potenziale sich aktuell durch die rasanten Technologieentwicklungen im IT-Bereich für die E/ E Architekturen von Fahrzeugen ergeben. Darunter fallen besonders folgende Punkte [5]: • Eine erhöhte Rechenleistung und Fortschritte im Bereich Künstliche Intelligenz schaffen die Voraussetzung für neue Automatisierungsgrade des Fahrens. • Zentralisierte Rechenplattformen sorgen für eine Entkopplung der Sensorinformation von einzelnen Steuergeräten. Darüber hinaus stellen sie eine flexible Skalierbarkeit für verschiedene Fahrzeugausstattungen (low bis premium) und -generationen bereit (Bild 2). • Hoch-performante Integrationsplattformen ermöglichen eine deutlichere Hierarchisierung und Optimierung der E/ E- Architektur auf Gesamt-Fahrzeugebene. • Der Wandel von einzelnen Funktionen hin zu dienstorientierten Software-Architekturen in Embedded Systems erlaubt es, die komplexer werdenden Interaktionen und Kombinationen der Funktionen zu handhaben. Diese Änderungen sind auch bereits in AUTOSAR erkennbar, dem Standard für die Entwicklung von Software und eingebetteten Steuergeräten im Fahrzeug. Neben der bisherigen Classic Platform wird an der Standardisierung einer Adaptive Platform [6] gearbeitet, die erhöhte Rechenleistung für höhere Automatisierungsgrade bereitstellt. Im Weiteren müssen insbesondere auch die Interaktion mit Classic, Non-AUTOSAR Plattformen und die Vernetzung mit Backend bzw. Cloud betrachtet werden. Verlässliche Automatisierung Die Freiheitsgrade in der Entwicklung sowie die neuen technologischen Potenziale bergen natürlich die Herausforderung, dass auch die Anforderungen von Automotive- Systemen berücksichtigt werden müssen. Das wird besonders deutlich beim automatisierten Fahren. Dieses steht derzeit an der Schwelle der Entwicklung von einer Teilzur Hochautomatisierung. Damit verbunden sind steigende Anforderungen an die Fahrzeugentwicklung. Das beinhaltet unter anderem die Verbesserung der Situationserkennung unter Verwendung hochgenauer Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 50 TECHNOLOGIE Sicherheit digitaler Karten, eine Fahrstrategieplanung mit Unterstützung durch Künstliche Intelligenz sowie neue Methoden zur Absicherung der geradezu „explodierenden“ Anzahl zu berücksichtigender Fahrsituationen. Das Wichtigste aber ist: Der Mensch scheidet mit höheren Automatisierungsgraden zunehmend als Rückfallebene aus - und dies ab Stufe 5 des automatisierten Fahrens in allen Situationen. Besonders im Fehlerfall erfordert dies ein verändertes Verhalten des Fahrzeugsystems, das in der Lage sein muss, auch bei Fehlern selbst die Kontrolle zu behalten. Es ist daher nicht mehr ausreichend, wie es bisher gängige Praxis war, einzelne Systeme abzuschalten (sogenanntes Fail-Silent-Verhalten). Kritische Funktionen wie die Fahrzeugsteuerung müssen auch im Fehlerfall weiter funktionieren, bis ein sicherer Zustand erreicht werden kann (Fail-Operational-Verhalten). Dies erfordert neue Konzepte, die vor allem auch die Software- und E/ E Architektur im Allgemeinen betreffen. Der aktuelle Entwicklungsstand lässt kein sicheres vollautonomes Fahren zu. So vielversprechend Ansätze aus dem Bereich Künstlicher Intelligenz oder Machine Learning für die Automatisierung auch sein mögen, die Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Verfahren reichen aktuell für sicherheitskritische Systeme [7] wie eine Fahrzeugsteuerung nicht aus. Wichtig ist es daher, eine oder mehrere sichere Rückfallebenen im Fahrzeugsystem zu haben, die sicheres Verhalten auch im Fehlerfall garantieren. Für kritische Funktionen muss im Fehlerfall das sogenannte Fault Tolerant Time Interval (FFTI) eingehalten werden, um wieder einen sicheren Zustand herzustellen. Das FTTI beschreibt die minimale Zeit, die vergeht, bis eine potenzielle Gefahr nach einem Fehler auftreten kann. Ein Beispiel ist die maximal mögliche Ausfallzeit der Lenkfunktion, ohne dass das Fahrzeug unkontrollierbar erscheint. Kann das System aus sich heraus nicht wieder den sicheren Zustand erreichen, muss in einen Emergency Operation Modus gewechselt werden (vgl. Bild 3). Dieser Modus kann schließlich doch noch ein sicheren Zustand herstellen. Dies kann beispielsweise durch den Wechsel in einen Notfallmodus mit reduziertem Funktionsumfang geschehen (z.B. minimalen Fahrzeugsteuerungsfunktionen). Jedoch muss ein solcher Wechsel und der zugrunde liegende Adaptionsmechanismus auch die Anforderungen der sicherheitskritischen Funktionen berücksichtigen und immer verlässlich in einen sicheren Zustand führen. Die Implementierung einer solchen kontrollierten Adaption auf Fahrzeug-Systemebene erlaubt zudem eine erhöhte, kostengünstige Software-Redundanz und Flexibilität. So können je nach verfügbaren Ressourcen auch unterschiedliche Betriebsmodi oder Qualitätsstufen realisiert werden (Graceful Degradation). Verlässlichkeit durch gezielte Redundanz Um eine ausreichende Verlässlichkeit zu erzielen, muss eine grundlegende Redundanz des Systems vorhanden sein, wie beispielsweise eine von einzelnen Steuergeräten entkoppelte Sensorik/ Aktuatorik, zweikanalige Kommunikation oder verlässliche Stromquellen. Basierend darauf kann mit ausreichenden Diagnosemechanismen der betroffenen Rechenplattformen bzw. Electronic Control Units (ECU) ein softwarebasierter Bild 1: Adaptive City Mobility - Fahrzeug mit Batteriewechselkonzept Bild 2: Schema einer zentralisierten und hierarchischen E/ E-Architektur Bild 3: Fault-Tolerant Time Interval and Emergency Operation Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 51 Sicherheit TECHNOLOGIE Adaptionsmechanismus umgesetzt werden, der eine allgemeine Fehlerbehandlung ermöglicht [8]. Ein Vorteil für eine kosteneffiziente Systemauslegung ist hierbei, dass aufgrund des unterschiedlichen kritischen Potenzials nicht alle Funktionen gleich hohe Anforderungen wie gesteigerte Ausfallsicherheit erfüllen müssen. Das heißt: Nicht alle Funktionen müssen durch mehrfache Redundanz abgesichert werden. Für ein solches Mixed-Criticality System ist eine effiziente Planung auf Systemebene notwendig, da die Menge möglicher Konfigurationen schon bei geringer Anzahl betrachteter Fehler und Funktionen stark anwachsen kann. Eine Lösung dieses Problems bietet die Nutzung eines Safe Adaptation Cores, wie er von Fraunhofer ESK mit entwickelt wurde [9]. Dieser stellt eine softwarebasierten Kontrollinstanz für die Erkennung und Behandlung von Fehlern in Echtzeit dar. Bei der Nutzung dieses Adaptionsmechanismus kann eine solche Planung automatisiert im Systementwurf erfolgen [10]. Dieser Ansatz lässt sich in verschiedenen Betriebsumgebungen nutzen, um eine verlässliche und adaptive Software-Architektur zu realisieren. So wurde er unter anderem erfolgreich in der Praxis eingesetzt, um automatisiert AUTOSAR-konforme Systeme zu entwickeln - durchgängig von der Planung bis zur automatischen Generierung von fail-operational Konfigurationen. Neben AUTOSAR-basierten Systemen wurde der Ansatz durch Driver-in-the- Loop-Simulationen untersucht. Dabei wurden zu Testzwecken Fahrsituationen unter Beteiligung eines Fahrers nachgestellt. Diese Simulationen lieferten etwa Erkenntnisse darüber, wie viel Zeit zur Kompensation eines Fehlers vergehen kann: beim Ausfall der Lenkfunktion beispielsweise die Zeit, bis der Fahrer diesen bemerkt, ohne die Kontrolle über das Auto zu verlieren. Darüber hinaus wurde der Safe Adaptation Core-Ansatz in einem realen Elektrofahrzeug mit einer ausfallsicheren Steer-by-Wire-Lenkung sowie heterogenen Hardware-Plattformen und Software-Umgebungen erfolgreich überprüft [11]. Die Ergebnisse zeigen die Vorteile der vorgestellten software-basierten Adaption auf Systemebene. Im Vergleich zu einem mit dem Stand der Technik entwickelten ausfallsicheren System werden Potenziale hinsichtlich Kosten, Gewicht, Größe oder Energie deutlich (siehe Bild 4). Ausblick Ab wann nun solche intelligenten Fail- Operational-Konzepte auch in Serienfahrzeugen Einzug halten, wird vorrangig von der Durchdringung hochautomatisierter Fahrfunktionen abhängig sein. Für einzelne Funktionen und auch in den aktuell kleineren Testfahrzeugflotten für hochautomatisiertes Fahren werden häufig einfache Ausfallsicherheitskonzepte mit mehrfach redundanter Hardware verwendet. Sobald jedoch Hochautomatisierung für mehrere Funktionen und kostenoptimierte Fahrzeugflotten realisiert werden muss, ist ein allgemeines Konzept für Fail-Operational Verhalten unabdingbar. Welcher Hersteller dies frühzeitig umsetzt und von Insellösungen zu einem generischen Konzept wechselt, erfährt einen technologischen Initialschub und erzielt einen Wettbewerbsvorteil für die Entwicklung zukünftiger Fahrfunktionen. Hierauf ist wohl auch mit Hinblick auf neuartige Geschäftsmodelle durch neue Fahrzeugfunktionen besonderes Augenmerk zu richten. Langfristig bietet eine für den Nutzer unsichtbare Eigenschaft des Bordnetzes sicherlich kein Differenzierungsmerkmal. Daher ist auch in diesem Fall eine einheitliche Lösung und Standardisierung sinnvoll, um Entwicklungskosten für Fail-Operational Verhalten mit der Zeit zu minimieren. Zukünftige Automobil-Architekturen werden also stärker zentralisiert, hierarchisch und hochintegriert aufgebaut sein. Die Entwicklungen hin zu dienstorientierten Systemen erlauben eine stärkere Flexibilisierung und Adaptierbarkeit. Da auch sicherheitskritische Funktionen von der zunehmenden Automatisierung des Fahrens betroffen sind, ist eine erhöhte Ausfallsicherheit notwendig - von Fail-Silentzu Fail-Operational-Verhalten. Hierfür können Adaptionen in sichere Fahrzeugkonfigurationen als kostengünstige und flexible Lösung zur Fehlerbehandlung genutzt werden. Mit Fortschreiten der Automatisierungsgrade und Vernetzung der Fahrzeuge untereinander, mit der Infrastruktur oder der Cloud, werden variablere System-Architekturen entstehen. Das heißt, dass auch Fehlerbehandlungsstrategien und die Betrachtung der Verlässlichkeit über Einzelfahrzeuge hinaus erfolgen müssen. Dafür werden wiederum neue Verfahren zu einer erhöhten Fehlertoleranz und Resilienz der vernetzten Intelligent Transportation Systems benötigt. ■ LITERATURVERZEICHNIS [1] McKinsey: Automotive revolution - perspective towards 2030, Advanced Industries, 2016. [2] T. Rosenthal, T. Feismann, P. Schleiß, G. Weiß, and C. Klein: Adaptive Software für sicherheitskritische Funktionen in Batterie-elektrischen Fahrzeugen, AmE 2016, Automotive meets Electronics, VDE/ VDI-Gesellschaft Mikroelektronik, Mikro- und Feinwerktechnik -GMM-, 2016. [3] SAE International: Taxonomy and Definitions for Terms Related to On-Road Motor Vehicle Automated Driving Systems (J3016), 2016. [4] Projekt: Adaptive City Mobility 2. (letzter Zugriff: 14.09.2017)http: / / www.adaptive-city-mobility.de/ [5] M. Traub, A. Maier, and K. L. Barbehön: Future Automotive Architecture and the Impact of IT Trends, IEEE Software, pp. 27-32, May 2017. [6] M. Lunt. (2017): AUTOSAR Adaptive Platform Introduction. ASAM General Assembly. [7] P. Koopman and M. Wagner: Autonomous Vehicle Safety: An Interdisciplinary Challenge. IEEE Intelligent transportation systems magazine, Spring 2017, pp. 90-96. [8] A. Ruiz, G. Juez, P. Schleiss, and G. Weiss: A safe generic adaptation mechanism for smart cars, IEEE 26th International Symposium on Software Reliability Engineering (ISSRE 2015), 2015. [9] SafeAdapt: Safe Adaptive Software for Fully Electric Vehicles. http: / / www.safeadapt.eu (letzter Zugriff: 14.09.2017) [10] P. Schleiss, C. Drabek, G. Weiss, and B. Bauer: Generic Management of Availability in Fail-Operational Automotive Systems, in: The 36th International Conference on Computer Safety, Reliability and Security, 2017. [11] G. Weiss, P. Schleiss, C. Drabek, A. Ruiz, and A. Radermacher: Safe Adaptation for Reliable and Energy-Efficient E/ E Architectures, in: Comprehensive Energy Management - Safe Adaptation, Predictive Control and Thermal Management. Springer International Publishing, 2018, pp. 1-18. Gereon Weiß, Dr. Abteilungsleiter Entwurf & Absicherung Anwendungsarchitekturen, Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik, München gereon.weiss@esk.fraunhofer.de Bild 4: Vergleich Stand der Technik und Safe Adaptation Ansatz Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 52 TECHNOLOGIE Verkehrsplanung Neues Datenanalyse-Tool für-die Radverkehrsplanung Digitalisierung ermöglicht neue Wege in der Erhebung und-Auswertung von Radverkehrsdaten Radverkehr, Radverkehrsdaten, Digitalisierung, Fahrrada-App, Datenanalyse Investitionen in den Radverkehr steigen allmählich. Damit ist jedoch noch nicht sichergestellt, dass auch die richtigen Maßnahmen umgesetzt werden. Ein Radweg, wo niemand Rad fährt, fehlende Anschlüsse oder lange Wartezeiten an Kreuzungen sind nur halb so effektiv. In einem Forschungsprojekt hat Bike Citizens ein Datenanalyse-Tool entwickelt, das Radverkehrsplanern als Werkzeug für die Evaluation, Analyse und Simulation von Radverkehrsdaten dient. Angeboten wird das Tool für Städte und Kommunen zur nachhaltigen Förderung und Optimierung des Radverkehrs. Kerstin Oschabnig, Elisabeth Gressl D ie zunehmende Feinstaubbelastung in urbanen Einzugsgebieten lässt politische Forderungen für Verbote von Diesel- und Benzin-Motoren laut werden. Auf der Suche nach alternativen Verkehrskonzepten nimmt das Fahrrad eine zentrale Rolle ein. Das Resultat: Investitionen in den Radverkehr steigen allmählich. Damit ist jedoch noch nicht sichergestellt, dass auch die richtigen Maßnahmen umgesetzt werden. Ein Radweg, wo niemand Rad fährt, fehlende Anschlüsse, lange Wartezeiten an Kreuzungen - das ist nur halb so effektiv. In einem Forschungsprojekt im Rahmen des ESA Integrated Application Promotion Programmes hat Bike Citizens ein Datenanalyse- Tool entwickelt, das Radverkehrsplanern als Werkzeug für die Evaluation, Analyse und Simulation von Radverkehrsdaten dient [1]. Radverkehrsdaten mit digitalen Anwendungen sammeln Radzählanlagen und Verkehrszählungen sind bis heute die gängigsten Methoden bei der Erfassung von Radverkehrsdaten. Sie Bild 1: Netzwerkdaten mit Fahrzeiten aus Wien. Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 53 Verkehrsplanung TECHNOLOGIE erlauben detaillierte Langzeitbeobachtungen über die Entwicklung des Radverkehrsaufkommens in Abhängigkeit von Witterung, Tageszeit und Jahreszeit. Allerdings liefern die Zählanlagen nur punktuelle, vergangenheitsorientierte Daten, die selbst um weitere Aufzeichnungen und Befragungen ergänzt noch keine Simulationen und Evaluationen durchführen können. Im Gegensatz dazu steht der Einsatz digitaler Tools, die eine flächendeckende Erfassung von Mobilitätsströmen beispielsweise via Smartphone ermöglichen [2]. Bei Bike Citizens erfolgt die Generierung von Daten durch die repräsentative Anwendergruppe urbaner Radfahrer im Alltag ganz nebenbei. Ein Fokus auf Digitalisierung und Radverkehr bringt positive Vorteile für Städte und Kommunen, wie Martin Blum, Radverkehrsbeauftragter und Geschäftsführer der Mobilitätsagentur Wien, erzählt: „Wir bieten Radfahrerinnen und Radfahrern mit der Bike Citizens App einen modernen Service. Natürlich wirkt sich das positiv auf das Image der Stadt aus.“ Eine einzelne Fahrt ist in der Radverkehrsplanung wenig aussagekräftig. Legt man jedoch mehrere Fahrten übereinander, ergeben diese ein umfangreiches Netz an Informationen über die Fahrradmobilität einer Stadt. Bei ausreichender Zahl der Nutzenden können diese Fahrraddaten pro Straßensegment aufschlussreiche Informationen liefern (siehe Bild 1). Frank Tristram von der Mobilitätsberatung Eco Libro [3] erklärt dazu: „Zuverlässige und aussagekräftige Radverkehrsdaten sind schwer zu bekommen. Eine gute Planung basiert nun mal auf Daten und Annahmen. Je besser die Daten sind, umso weniger Annahmen muss man machen.“ Über acht Millionen zurückgelegte Kilometer mit der Bike Citizens App bilden eine geeignete Datengrundlage, um den Radverkehr mit Verkehrsmodellen und digitalen Tools wie Bike Citizens Analytics zu evaluieren und zu simulieren. Bike Citizens Analytics - vom-Gefühl zur Evidenz Bike Citizens Analytics ist ein gemeinsam mit der Universität NHTV in Breda entwickeltes, interaktives Tool zur Analyse, Simulation und Evaluation von Radfahrdaten. Die mit der Bike Citizens App generierten Daten können in das Tool eingespielt und entsprechend von Städten und Kommunen verarbeitet werden. Unabhängig davon können Simulation und Auswertung um weitere externe Datensätze (Radfahrdaten, Öffentliche Verkehrsmittel, ...) ergänzt werden. Angeboten wird das Tool für Städte und Kommunen zur nachhaltigen Förderung und Optimierung des Radverkehrs. Warum Visualisierungen immer mehr Anwendung finden Einzelne Zahlen und Datensätze werden erst aussagekräftig, wenn man sie mit weiteren Datensätzen vergleicht oder kombiniert. Überprüft man beispielsweise das Verkehrsaufkommen an verschiedenen Stellen in der Stadt, veranschaulichen vor allem Visualisierungen die Intensität. Darstellungen wie „Heatmaps“ (Bild 2) vermitteln einen schnellen Gesamteindruck des Radverkehrsaufkommens. Darüber hinaus ermöglichen digitale Tools, wie Bike Citizens Analytics eine Analyse von Verkehrsaufkommen pro Straßenabschnitt, die Darstellung von bevorzugten vs. gemiedenen Routen und Wartezeiten in einer Stadt. Eine Potenzialabschätzung von geplanten Infrastrukturprojekten ist durch die Analyse einzelner Streckenabschnitte (Brücken, Kreuzung, Start-/ Endpunkt) und deren Verbindungen dazwischen möglich. Auf diese Weise konnte Bike Citizens Radverkehrsdaten für das Projekt „Radbahn“ - einen geplanten Radweg unter der Hochbahn U1 in Berlin - liefern. Eine Analyse der Streckenabschnitte zeigt, dass bei Umsetzung des überdachten Radwegs rund ein Drittel der Fahrtzeit vom Start bis Endpunkt der Radbahn im Vergleich zu den bisherigen Wegen eingespart werden kann. Realitätsnahe Planung durch Simulation Dank Datenanalysetools wie Bike Citizens Analytics kann der heutige und zukünftige Radverkehr in Städten und Kommunen realitätsnah simuliert werden. Maßnahmen wie etwa der Bau eines neuen Radweges werden simuliert und bewertet. Damit lässt sich vorab bereits das Potenzial hinsichtlich Häufigkeit und Anzahl abschätzen. Auch lässt sich überprüfen, ob alle wichtigen Anschlüsse (z.B. zur Uni, Einkaufszentren, …) mit bedacht wurden. Laut Frank Tristram verbessert ein solches Datenanalysetool die Qualität der Radverkehrsplanung enorm und unterstützt den modernen Planungsansatz nach dem SUMP-Prinzip. Bike Citizens Analytics legt den Grundstein von der dargebotsorientierten Planung zur bedarfsorientierten Planung. ■ LITERATUR [1] www.bikecitizens.net [2] BMVI-Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Udo Becker und Prof. Dr. Bernhard Schlag, TU Dresden: „Mit Smartphones generierte Verhaltensdaten im Radverkehr - Überprüfung der Nutzbarkeit und Entwicklung eines Auswertungsleitfadens für Akteure der Radverkehrsplanung“. Online: https: / / tu-dresden.de/ bu/ verkehr/ ivs/ voeko/ forschung/ forschungsprojekte/ nrvp (Abgerufen 12.10.2017). Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass App- Daten in der Radverkehrsplanung nutzbar sind. [3] www.ecolibro.de [4] www.bikecitizens.net/ de/ heatmap-neue-visualisierung-vomfahrradverkehr Kerstin Oschabnig, BA Editor/ Bike Citizens, Bike Citizens Mobile Solutions GmbH, Graz (AT) kerstin@bikecitizens.net Elisabeth Gressl Head of Communications/ Bike Citizens, Bike Citizens Mobile Solutions GmbH, Graz (AT) elisabeth@bikecitizens.net Bild 2: Bike Citizens Analytics - eine „Heatmap“ von Berlin-[4] Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 54 TECHNOLOGIE Luftverkehr Ausgezeichnete Hindernisse Aviation, IT, Big Data, Navigation Solutions, Obstacles Die Datenbank Lido/ SurfaceData liefert weltweite Hindernisdaten an Softwareentwickler und Avionikhersteller, und sie gewann den Deutschen Mobilitätspreis 2017. Die Lösung kennt mehr als eine Million Hindernisse auf der ganzen Welt. Davon profitieren Airlines, Flughafenbetreiber, Drohnenproduzenten und Avionikhersteller. Michael Sauter D as Suzhou Zhongnan Center in China wächst seit 2014 in die Höhe. Die ersten Bewohner sollen sechs Jahre nach Baubeginn, also 2020, in den Wolkenkratzer einziehen. Wenn alles nach Plan läuft, ist das Center dann mit 729 m das höchste Gebäude in China - und ein neues Hindernis im Luftraum. Die Datenbank Lido/ SurfaceData von Lufthansa Systems erfasst solche von Menschen erschaffenen Hindernisse und stellt Informationen darüber der Branche zur Verfügung. Für die Lösung wurde Lufthansa Systems mit dem Deutschen Mobilitätspreis 2017 ausgezeichnet. „Um unsere mobile Gesellschaft in Fluss zu halten, ist es wichtig, dass Verkehr und Logistik sicher und verlässlich funktionieren. Die Digitalisierung bietet dafür große Chancen“, sagt Dorothee Bär. Die CSU-Politikerin war Jury-Vorsitzende und bis zur Bundestagswahl 2017 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Mit dem Deutschen Mobilitätspreis machen die Veranstalter intelligente Mobilitätslösungen und digitale Innovationen wie Lido/ SurfaceData öffentlich sichtbar. Blick nach vorn Piloten müssen sich auf ihre Flugzeugsysteme verlassen können, nicht nur bei schlechter Sicht. Radarsysteme erkennen schon länger große Hindernisse wie Berge, die sich direkt unterhalb des Flugzeuges befinden. Lido/ SurfaceData „sieht“ noch mehr. Die Datenbank kennt auch Hindernisse, die sich weit vor dem Flieger befinden oder hinter Bergen liegen. In der Datenbank befinden sich unter anderem Informationen über Wolkenkratzer, hohe Antennen, Kräne, Brücken, Türme, Windräder und Stromleitungen. Insgesamt enthält Lido/ SurfaceData Informationen zu mehr als einer Million Hindernisse auf der ganzen Welt. Avioniksysteme können auf die Datenbank zugreifen und so Piloten rechtzeitig optisch und akustisch vor möglichen Kollisionen mit einem Hindernis warnen. Zudem können Airlines die Daten aus Lido/ SurfaceData für- Flughafenanalysen nutzen. Auch ein Einsatz im Bereich Helikoptersoftware ist möglich. Schon lange wurden Hindernisdaten bei Lufthansa Systems für die Produktion von Flugnavigationskarten verwendet. Auf den Papierkarten waren größere Hindernisse eingezeichnet. Diese Informationen standen den Piloten zur Verfügung. Daneben benötigten die Piloten die Hindernisdaten, um anhand des Geländemodells ihre Mindestflughöhen zu berechnen. Im Jahr 2002 begann die Digitalisierung der Daten. Seitdem pflegt Lufthansa Systems eine interne Datenbank mit Hindernissen für die Luftfahrt. Diese war aber nur auf Anforderungen der eigenen Produkte zugeschnitten. Im Laufe der Zeit stellten die Verantwortlichen fest, dass die Daten auch unabhängig von den eigenen Produkten einen sehr großen Wert haben und die Sicherheit in der Luftfahrt erhöhen können. Daraufhin hat Lufthansa Systems die Datenbank so angepasst, dass sie auch den Ansprüchen der Avionikhersteller genügt. Nun können sie die Hindernisse unter anderem auch als 3D- Modelle visualisieren. Offiziell zertifiziert Digitale Geländemodelle und Datenbanken für Luftfahrthindernisse werden zukünftig immer wichtiger, insbesondere im Hinblick auf autonome unbemannte Fluggeräte. Die Hindernisdaten auf Basis der Datenbank von Lufthansa Systems werden nach RTCA DO-200 aufgearbeitet und erfüllen die RT- CA-Industriestandards DO-276 und DO-291. Intensive Qualitätskontrollen in jeder Phase des Prozesses garantieren ein Produkt höchster Qualität. Zudem zertifizierte die European Aviation Safety Agency (EASA) die Daten von Lido/ SurfaceData nach dem Letter of Acceptance (LoA) Type 1 und wird diese künftig regelmäßig auditieren. Bei den Hindernissen in Lido/ SurfaceData handelt es sich sowohl um feststehende als auch um mobile Objekte, die eine Gefahr für die Sicherheit im Flugverkehr darstellen könnten. Die standardisierte Datenkollektion dieser Hindernisse basiert auf Quellen der Luftfahrtbehörden wie der Aeronautical Information Publications (AIP). Es ist komplizierter als man denkt, die Informationen aus unterschiedlichen Quellen in eine Datenbank zu bringen, denn Qualität und Art der Hindernisdatenpublikationen der ein- Lido/ SurfaceData enthält Informationen zu mehr als einer Million Hindernisse auf der ganzen Welt. Bild: Lufthansa Systems Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 55 Luftverkehr TECHNOLOGIE zelnen Luftfahrtbehörden variieren weltweit sehr stark. Es war eine große Herausforderung, einen globalen einheitlichen Standard zu finden, zumal viele Luftfahrtbehörden sich momentan in einer Übergangsphase von papierbasierten hin zu digitalen Publikationen befinden. Eine Datenbank, viele Nutzer Lido/ SurfaceData ist mit Absicht sehr generisch gehalten. Dadurch können viele unterschiedliche Anwendungen die Daten nutzen. Von der Lösung profitieren zum Beispiel Airlines, Drohnenproduzenten, Avionikhersteller, Procedure Designer, Softwareentwickler und Flughafenbetreiber. Sie alle können dank Lido/ SurfaceData ihre Routen optimieren sowie die Sicherheit und die Effizienz des Flugbetriebs erhöhen. Lido/ SurfaceData wird heute hauptsächlich zur Berechnung der minimalen sicheren Flughöhe in Enhanced Ground Proximity Warning Systemen (EGPWS) beziehungsweise Terrain Awareness and Warning Systemen (TAWS) verwendet. Daneben werden signifikante Hindernisse auch auf den Flugnavigationskarten dargestellt und erleichtern so die Orientierung. Auch Airlines oder Flughafenbetreiber können die Daten für Analysen oder zum Design von Flugverfahren verwenden. All das führt dazu, dass Lido/ SurfaceData die Sicherheit im Luftverkehr verbessert. Vor kurzem wurden erfolgreich erste Testflüge mit einem Synthetic Vision System (SVS) durchgeführt, welches auf Lido/ SurfaceData basiert. Es wird erwartet, dass dieses System zu Beginn des nächsten Jahres operativ in der kommerziellen Luftfahrt zum Einsatz kommt. Stets auf dem aktuellen Stand Unsere Welt verändert sich ständig. Alte Hindernisse verschwinden, neue entstehen. Umso wichtiger ist es, dass die Datenbank stets auf dem aktuellen Stand ist. Zehn Mitarbeiter pflegen Lido/ SurfaceData deshalb regelmäßig mit neuen Daten. Vier weitere Mitarbeiter sind an der Weiterentwicklung der Software beteiligt. Quellen für neue Hindernisse sind momentan vor allem Aeronautical Information Publications von Luftfahrtbehörden rund um den Globus. Die Behörden veröffentlichen diese in der Regel alle 28 Tage. Analog dazu pflegen die Mitarbeiter die Änderungen in die Hindernisdatenbank Lido/ SurfaceData ein. Die Informationen für die Datenbank basieren auf drei verschiedenen Quellen: klassische Textinformationen auf Papier oder in einem PDF, grafische Informationen (zum Beispiel Navigationskarten) und im Idealfall eine digitale maschinenlesbare Quelle. Der Output ist ein volldigitales Produkt basierend auf einer Datenbank, die in diverse Formate exportiert werden kann. Blick in die Zukunft Nicht nur die Inhalte der Datenbank werden ständig aktualisiert, sondern auch die Datenbank selbst wird weiterentwickelt. In naher Zukunft soll Lido/ SurfaceData neben Hindernisdaten um Geländedaten und weitere topografische Daten wie Gewässer und Stadtumrisse erweitert werden. Neben den offiziellen staatlichen Publikationen der Luftfahrthindernisse werden alternative Datenquellen wie Crowd-Sourced Data geprüft, um die Datenbank auszubauen. In Zukunft sollen außerdem aktiv erfasste Daten und vorprozessierte Informationen kombiniert werden können. Dann könnte man Hindernisse aus Lido/ SurfaceData zum Beispiel mit einer Onboard-Infrarotkamera in einer Augmented-Reality-Anwendung kombinieren. Auch die Zahl der Drohnen nimmt ständig weiter zu. Rund 600 000 dieser unbemannten Luftfahrzeugsysteme werden laut der Deutschen Flugsicherung (DFS) voraussichtlich in diesem Jahr allein in Deutschland verkauft. Bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der Drohnen laut DFS auf deutlich mehr als eine Million steigen. Dies stellt die Luftfahrt vor neue Herausforderungen, da unbemannte den gleichen Luftraum nutzen wie bemannte Luftfahrzeuge. In Zukunft profitieren auch unbemannte Flieger von Lido/ SurfaceData. Es ist geplant, die Hindernisdatenbank noch stärker an diese Bedürfnisse anzupassen. Navigationsinformationen über-Flughäfen Lufthansa Systems hat nicht nur Hindernisdaten im Angebot. Mit Lido/ SkyData stellt das Unternehmen auch Navigationsinformationen aus ARINC 424 wie Flughäfen, Heliports, Start- und Landebahnen, Wegpunkte, Navaids, Lufträume und -straßen sowie Flugverfahren zur Verfügung. Die Daten werden ebenfalls alle 28 Tage aktualisiert und sind sowohl einmalig als auch im Abonnement erhältlich. Die European Aviation Safety Agency (EASA) zertifizierte die Standards der Datenproduktion für Lido/ SkyData mit dem (LoA) Type 1. Lido/ SkyData enthält alle ARINC-424-Daten in einem offenen Format, sodass sie für verschiedenste Anwendungen genutzt werden können - darunter zum Beispiel Software-Lösungen für Flugsimulatoren zur Erstellung der Simulationsumgebung oder Navigationslösungen für Drohnen. Zudem können die Daten herstellerunabhängig für alle Flugplanungssysteme genutzt werden. Das offene Format sorgt für die Kompatibilität der Daten, sie werden individuell dem IT-System und den Anwendungen des Kunden angepasst. ■ Michael Sauter Leiter Produktentwicklung Lido/ SurfaceData bei Lufthansa Systems, Raunheim michael.sauter@lhsystems.com Skyline Kuala Lumpur Foto: Shutterstock.com/ BlackCat Imaging Foto: istockphoto.de/ hxdyl Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 56 TECHNOLOGIE Verkehrssicherheit Mehr Sicherheit im Verkehr ist machbar Unfallschwerpunkt, Black Spot, Unfalltypen, Infrastruktur, Verkehrsmodell Unfälle im Straßenverkehr entstehen nur durch menschliches Versagen - so die allgemeine irrige Annahme. Die Realität spricht eine andere Sprache. Sofia Salek de Braun H äufig sind Unfälle keine zufälligen Ereignisse, die ausschließlich zurückzuführen sind auf einen Fehler der Unfallbeteiligten, vielmehr spielen andere Faktoren und Ursachen eine entscheidende Rolle. Kommt es an einer bestimmten Kreuzung oder einem Streckenkorridor gehäuft zu Unfällen, lohnt ein genauer Blick auf Unfalltyp und weitere Umstände. Gibt es möglicherweise Defizite in der Infrastruktur oder ist an dieser Stelle die Verkehrsregelung unklar? Der mittlerweile pensionierte Verkehrssicherheits-Ingenieur Franz Schilberg war der erste, der diesen neuen Ansatz systematisch anging. Der „Vater der Unfalltypensteckkarte“ erkannte nicht nur die Problematik der Unsicherheiten im Straßenverkehr aus Sicht von Straßenbau und Verkehrstechnik, er definierte vor allem einen Unfalltypenkatalog zur Aufdeckung von Unfallursachen. Bis heute ist der Typenkatalog bundesweiter Standard für Unfallstatistiken. Die von ihm initiierten Unfalllisten und Unfalldiagramme sind nach wie vor Grundlage für örtliche Unfalluntersuchung mit dem Ziel, den Unfallort näher zu untersuchen und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Heute arbeiten Polizei und die Unfallkommissionen dafür mit einer elektronischen Unfalltypenkarte. Eine Anwendung, die in elf von 16 Bundesländern bereits Standard ist, ist PTV Vistad-Euska. Mit dem modernen Softwaresystem erfasst man Verkehrsunfalldaten, validiert sie und wertet sie aus (Bild 1). Die Software visualisiert die Unfälle sekundenschnell per Mausklick auf einer Karte. Selbst Unfallskizzen können direkt im System angezeigt werden. So genannte Unfallhäufungsstellen werden dann von den Unfallkommissionen in den Bundesländern und Kommunen mithilfe dieser Skizzen untersucht. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse sprechen die Unfallkommissionen den verantwortlichen Stellen Empfehlungen für sicherheitswirksame Maßnahmen aus. Der Bedarf zur Reduzierung des Unfallgeschehens ist nicht nur in Deutschland spürbar. Verkehrssicherheit spielt überall auf der Welt eine große Rolle. Basel - Die verkehrssicherste Stadt-der Welt Die Kantonpolizei Basel-Stadt, Abteilung Verkehr, hat eine Vision: Sie möchten die verkehrssicherste Stadt der Welt werden. Die verkehrssicherste Stadt der Schweiz sind sie bereits. Gemeinsam mit St. Gallen teilen sie sich laut dem Schweizer Bundesamt für Straßen (ASTRA) den ersten Platz. 1 Seit Jahren setzt sich die Schweiz ein für erhöhte Sicherheit auf ihren Straßen. Die Bemühungen tragen Früchte: Laut AS- TRA sind die Unfallzahlen konstant rückläufig. Um die Verkehrssicherheit weiter zu verbessern und „Vision Zero“ - Ziel: null Verkehrstote - einen Schritt näher zu kommen, verabschiedete das Schweizer Parlament 2012 das Handlungsprogramm „Via Sicura“. Konkret: Die Zahl der lebensgefährlich und schwer Verletzten soll in den kommenden Jahren um 25% reduziert werden. Im Jahr 2016 wurden im Straßenverkehr 216 Verkehrstote und 3785 Schwerverletzte verzeichnet. 2 Im weltweiten Vergleich liegt die Schweiz ganz weit vorne. Gemeinsam mit Norwegen wurde sie 2017 mit dem PIN Award des Europäischen Verkehrssicherheitsrats (ETCS) ausgezeichnet. Damit wurden die Bemühungen der letzten Jahre honoriert. Dank vieler Aktionen und beharrlicher Anstrengung konnte die Anzahl der im Straßenverkehr getöteten Personen zwischen 2010 und 2016 sogar um 34 % reduziert werden. 3 Bild 1: Heat-Map und statistische Auswertung von Unfällen in PTV-Vistad - Euska Bild 2: Analyse von Unfallhäufungsstellen mit PTV Visum Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 57 Verkehrssicherheit TECHNOLOGIE Besonders aktiv treibt die Umsetzung der „Via Sicura“ die Kantonspolizei Basel- Stadt voran. Dafür setzt sie konsequent Maßnahmenpakete um und erzielt positive Effekte. Selbstverständlich sind die Grundsätze der Verkehrssicherheit (Geschwindigkeit, Licht, Vortrittsregelung) fester Bestandteil polizeilicher Kontrollen. Zusätzlich werden Kinder aller Altersklassen in den Schulen direkt aufgeklärt. Die Öffentlichkeit wird mittels Plakaten und Flyeraktionen für dieses Thema sensibilisiert. Die von der ASTRA geforderten Infrastruktur- Sicherheitsinstrumente (ISSI) werden nun nach und nach im Betrieb eingeführt und weiterentwickelt. 4 Längst ist Verkehrssicherheit in der Stadt Basel ein fester Bestandteil der Verkehrsplanungsprozesse und wird ganzheitlich umgesetzt. Dafür arbeitet die Abteilung Verkehr seit kurzem mit einem Verkehrsmodell in PTV Visum (Bild 2). Dieses ist ein Abbild der vorliegenden verkehrlichen Realität. Es ist unterteilt in die Bezirke des Stadtgebiets und enthält das aktuelle Verkehrsangebot, die Siedlungsstruktur (Wohnstätten, Arbeitsplätze) und das Mobilitätsverhalten. Zusätzlich wurden die Unfalldaten der Kantonpolizei Basel-Stadt eingepflegt. Die seit 2011 gesammelten 3300 Einträge wurden auf die Netzstruktur umgelegt und zeigen nun Unfallhäufungsstellen, kritische Straßenabschnitte mit erhöhter Unfallgefahr (Unfallschwerpunkte). Die Unfälle und Netzdaten werden dann zur Unfallprognose und -analyse herangezogen. So können die besonders kritischen Stellen im Netz nach ihrer verkehrlichen Bedeutung bewertet und anhand farblicher Streckenmarkierungen gekennzeichnet werden. Interaktive Tabellen identifizieren Auffälligkeiten und unterstützen die Polizei bei der Erstellung eines Dringlichkeitsrankings. Das sogenannte Network Safety Management (NSM) hilft dabei, potenzielle Verbesserungen der Infrastruktur an den identifizierten Netzabschnitten auch hinsichtlich vermeidbarer Unfallkosten zu evaluieren. Ausgerüstet mit den entsprechenden Tools will die Kantonpolizei Basel-Stadt auch die Verkehrslenkung bei Baustellen optimieren. Dafür setzt die Abteilung Verkehr auf das sogenannte Road Safety Impact Assessment (RIA), das eine Risikobewertung bestehender sowie zukünftiger Infrastruktur ermöglicht. Vereinfachte Unfallprognosemodelle in PTV Visum Safety können für verschiedene Straßentypen angelegt werden. Durch die Angaben zu den Verkehrsmengen aus dem Verkehrsmodell kann eine Bilanz gezogen werden hinsichtlich des prognostizierten Unfallgeschehens für einzelne Straßen oder das komplette Netz. Außerdem können verschiedene Szenarien im Vorfeld untersucht werden. Bei strukturellen Bauvorhaben ist die sicherste Planungsvariante jene, die am effektivsten Unfälle verhindern kann. Bereits vorliegend, aber noch nicht aktiv im Modellgebrauch, sind Radverkehrsdaten. Road Safety Bolivia Während die Schweiz bereits spürbare Verbesserungen mit den eingeleiteten Maßnahmen erzielt, steckt das Thema „Verkehrssicherheit“ in vielen südamerikanischen Ländern noch in den Kinderschuhen. Wenn es um die Verkehrssicherheit geht, verzeichnet Lateinamerika die weltweit höchste Rate an Todesfällen im Straßenverkehr. Gemäß Angaben der Roads Kill Map sterben auf den Straßen Boliviens jährlich 23,2 Menschen pro 100 000 Einwohner. Nicht nur für die Behörden stellt diese Zahl ein Problem dar - sie betrifft jeden einzelnen Bürger. Mit einem Team von Experten aus Wissenschaft, NGOs und der Industrie reiste PTV Ende 2016 ins bolivianische Santa Cruz mit dem Ziel, in praxisorientierten Workshops alle beteiligten Institutionen für das Thema Verkehrssicherheit zu sensibilisieren (Bild 3). Die Reaktionen der Öffentlichkeit und der Behörden vor Ort waren überwältigend. 5 Zum ersten Mal saßen Mitglieder der nationalen, regionalen und lokalen Regierungen gemeinsam mit Vertretern von Polizei, Universitäten, Industrie, Medien und ehrenamtlichen Organisationen an einem Tisch - ein Novum in Bolivien. Gemeinsam mit dem Expertenteam analysierten sie die aktuelle Ist-Situation, lernten neue positive Beispiele und Methoden kennen und erarbeiteten zum Schluss einen Aktionsplan - eine sogenannte „Verkehrssicherheitscharta für Bolivien“, zugeschnitten auf die individuellen Bedürfnisse des Landes, die nun Schritt für Schritt umgesetzt wird. Auf Grund der positiven Resonanz entschloss sich die lateinamerikanische Entwicklungsbank Corporación Andina de Fomento (CAF), den Erfolg durch konkrete Schritte auszubauen. Finanzielle Unterstützung erfährt die CAF dafür von der Global Road Safety Facility (GRSF) - einem Partnerschaftsprogramm der Weltbank. Diese Mittel werden genutzt, um nationale, regionale und kommunale Regierungen in Bolivien bei der Realisierung ihrer Pläne zur Verbesserung der Verkehrssicherheit zu unterstützen. Seit dem Frühjahr 2017 setzt die CAF die Verkehrssicherheitscharta kontinuierlich um und positioniert Verkehrssicherheit als wichtiges Thema, das bei der Infrastrukturentwicklung des Landes berücksichtigt werden soll. Ende März startete die Initiative mit den ersten Kick-Off-Meetings zur Ermittlung der dringlichsten Aspekte. Ziel ist es, schnellstmöglich mit der Umsetzung zu beginnen und die Verkehrssicherheit in Bolivien einen großen Schritt voranzubringen. ■ 1 www.astra.admin.ch/ astra/ de/ home/ dokumentation/ unfalldaten/ staedtevergleich-verkehrssicherheit.html 2 www.astra.admin.ch/ astra/ de/ home/ themen/ verkehrssicherheit/ via-sicura.html 3 www.bfu.ch/ de/ die-bfu/ kommunikation/ medien/ strassenverkehr/ autofahrer/ autofahrer/ preis-fuer-verkehrssicherheit-ist-auch-eine-verpflichtung http: / / etsc.eu/ 20-june-2017-road-safety-performance-index-pin-conference-brussels http: / / etsc.eu/ 11th-annual-road-safety-performance-index-pin-report-2 4 www.astra.admin.ch/ astra/ de/ home/ dokumentation/ unfalldaten/ issi-instrumente.html 5 http: / / compass.ptvgroup.com/ 2016/ 12/ rueckblick-roadsafety-training-in-santa-cruz-bolivia Sofia Salek de Braun Solution Director Traffic Safety, PTV Group, Karlsruhe sofia.salekdebraun@ptvgroup.com Bild 3: Im bolivianischen Santa Cruz wurden alle beteiligten Institutionen für das Thema Verkehrssicherheit sensibilisiert - mit durchweg positiven Reaktionen. Alle Bilder: PTV Group Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 58 TECHNOLOGIE Sicherheit Angriffs- und Betriebs sicherheit im Bahnbetrieb Umfassende Konzepte zum Schutz kritischer Infrastrukturen im Eisenbahnsektor Sicherheitspflicht, Sorgfaltpflicht, Angriffssicherheit, Gefahrenabwehr Im Zuge der Digitalisierung wird die Bahntechnik zunehmend von komplexer Informationstechnik durchdrungen. Anwendungen werden über offene Netze verbunden. Gleichzeitig werden zunehmend handelsübliche Komponenten, Betriebssysteme und Übertragungsprotokolle in Bahnsignalanlagen eingesetzt. Parallel hat die Anzahl der Angriffe auf IT-Systeme stark zugenommen. Tools für solche Angriffe sind teilweise im Internet frei verfügbar. Technologietrends und neue Bedrohungsszenarien verstärken für die Betreiber und Hersteller die Notwendigkeit, sich dem Thema IT-Sicherheit mehr als bisher zu widmen. Lars Schnieder D ie Tragweite, Häufigkeit und Auswirkungen von Sicherheitsvorfällen nehmen zu. Sie sind eine erhebliche Bedrohung für den störungsfreien Betrieb von IT-Systemen. IT-Systeme können zu einem Angriffsziel vorsätzlich schädigender Handlungen werden, die auf die Störung oder den Ausfall des Betriebs zielen. Dies verdeutlicht den Schutzbedarf technischer Systeme gegen Fremdeinwirkungen. Dies wird auch als Angriffssicherheit (englisch: Security) bezeichnet. Unberechtigte Zugriffe auf technische Systeme von außen beeinträchtigen die Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten von Bahnunternehmen, verursachen beträchtliche finanzielle Verluste, untergraben das Vertrauen der Fahrgäste oder beeinträchtigen schlimmstenfalls die funktionale Sicherheit von Bahnsystemen. Der sichere und ordnungsgemäße Betrieb von Bahnsystemen wird als Betriebssicherheit (englisch: Safety) bezeichnet. Die beiden Konzepte Safety und Security stehen nicht separat nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen. Im englischen Sprachgebrauch heißt es „What’s not secure is not safe“. Ohne IT- Sicherheit (Angriffssicherheit, Security) gibt es keine signaltechnische Sicherheit (Betriebssicherheit, Safety). Mittlerweile ist unstrittig, dass ein Nachweis der IT-Sicherheit Teil der „klassischen“ Sicherheitsnachweisführung sein muss. Dieser Beitrag stellt den Rechtsrahmen der IT-Sicherheit für Bahnsysteme dar und stellt mit der tiefgestaffelten Verteidigung (englisch: Defense-indepth) eine umfassende Schutzstrategie vor. Haftungspflichten für die IT-Sicherheit Faktisch entstehen für Bahnunternehmen erhebliche Schäden im Falle eines erfolgreichen Cyberangriffs. Hierbei handelt es sich um haftungsrechtliche Ansprüche (vgl. oberer Ast in Bild 1). Zusätzlich drohen wirtschaftliche Folgen wie der Verlust von Reputation und Marktanteilen. Haftung für Verletzung körperschaftsrechtlicher Sicherheitspflichten Im Schadensfall haften Manager für die Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten persönlich. Es ist primäre Aufgabe der Geschäftsleitung, das Unternehmen in geeigneter Weise gegen Risiken abzusichern und diese zu vermeiden. Dies betrifft die Abwehr aller Gefahren, nicht nur derjenigen, die sich aus der Verwendung von IT ergeben. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt verdeutlicht, dass Geschäftsführer und Vorstände, aber auch leitende Angestellte gesetzlichen Aufsichts- und Kontrollpflichten unterliegen. Demnach müssen sie sich nachhaltig um Vermeidung von Gefahren für das Unternehmen bemühen, zumal diese in der Verletzung von Gesetzen münden können. Die Rechtsprechung stützt sich dabei insbesondere auf die Vorschrift des §91 Abs. 2 AktG (Aktiengesetz), aus dem sich die Pflicht des Vorstandes ergibt, ein Risikomanagement und System zur Früherkennung bestandsgefährdender Gefahren aufzubauen. Dies gilt auch für die Geschäftsleitung einer GmbH. Hinzu kommt die Pflicht der Unternehmensleitung, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes zu handeln. Diese Sorgfaltsverpflichtung ist gesetzlich verankert in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG sowie § 43 GmbHG. Nach der Rechtsprechung gehört die Risikovermeidung zu den Sorgfaltspflichten. Schließlich ergibt sich aus den §§ 130, 30, 9 OWiG (Gesetz über Ordnungswidrigkeiten), dass die Verletzung von Aufsichts-, Sorgfalts- und Kontrollpflichten alleine schon zu einem Bußgeld für das Unternehmen führen kann [1]. Haftung für Verletzung öffentlich-rechtlicher Sicherheitspflichten Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Sicherheitspflichten ist das IT-Sicherheitsgesetz für Eisenbahnunternehmen relevant. Das Gesetz bestimmt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zur obersten Aufsichtsbehörde und verpflichtet Betreiber kritischer Infrastrukturen zu Sicherheitsmaßnahmen nach dem Stand der Technik. Zu den Betreibern kritischer Infrastrukturen gehören acht Sektoren, insbesondere auch Unternehmen aus dem Transportsektor. Das IT-Sicherheitsgesetz trägt Betreibern kritischer Infrastrukturen eine ganze Reihe besonderer Pflichten auf. So sind externe Angriffe auf die IT-Systeme dem BSI zu melden. Es ist dem BSI gegenüber eine durchgängig erreichbare unternehmensinterne Meldestelle zu benennen. Außerdem müssen die IT-Sicherheitssysteme dem branchenspezifischen Stand der Technik entsprechen. Werden die Anforderungen nicht, unvollständig oder nicht zeitgerecht erbracht, sieht der Gesetzgeber Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 59 Sicherheit TECHNOLOGIE Bußgelder in Höhe von bis zu 100 000 EUR pro Fall und Unternehmen vor. Bild 2 zeigt die Konkretisierung des Begriffs kritischer Infrastrukturen im Eisenbahnverkehr. Haftung für Verletzung zivilrechtlicher Sicherheitspflichten Im Sinne repressiver Maßnahmen sanktioniert der Gesetzgeber den „missbilligten Erfolg“ also einen unsicheren Zustand, insbesondere beim Eintritt eines Schadens. Diesen Ansatzpunkt verfolgen Rechtsnormen, die zivilrechtliche Schadensersatzansprüche begründen und Straftatbestände enthalten. Aus den Geltungsbereichen der rechtlichen Regelungen zur Produktsicherheit (Produktsicherheitsgesetz, ProdSG), Produkthaftung (Produkthaftungsgesetz, Prod- HaftG) und der Produzentenhaftung (deliktische Haftung nach §823 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) resultiert die Relevanz von Normen. Die Ersatzpflicht des Herstellers ist demnach dann ausgeschlossen, wenn das Produkt bei Inverkehrbringen dem Stand von Wissenschaft und Technik genügt (Produkthaftung). Auch vor dem Hintergrund der Sorgfaltspflicht eines Herstellers (Produzentenhaftung) erhalten Normen rechtliche Relevanz (vgl. [2]). Strafrechtliche Haftung Eine Straftat ist geknüpft an die Voraussetzungen Tatbestand (d.h. einem Gesetzes- Bild 1: Übersicht negativer Folgen fehlender IT-Sicherheit für Bahnunternehmen Bild 2: Konkretisierung des Begriffs kritischer Infrastrukturen im Eisenbahnverkehr [5] Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 60 TECHNOLOGIE Sicherheit wortlaut entsprechend), Rechtswidrigkeit (d.h. ohne Rechtfertigungsgrund wie Notwehr) und Schuld. Fehlt eine der Voraussetzungen, liegt kein strafbares Handeln vor. Bezüglich strafbaren Handelns sind die folgenden Aspekte zu berücksichtigen: • Handlung und Unterlassen: Das Unterlassen einer vorzunehmenden Handlung kann eine strafrechtliche Handlung darstellen (§13 StGB). Unter Handlung versteht das Gesetz jedes menschliche Verhalten: das aktive Tun, d.h. das Eingreifen in die Außenwelt und das (un-)bewusste Unterlassen eines aktiven Tuns (z. B. die Tötung durch das Unterlassen einer Hilfeleistung). • Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 15 StGB): Vorsatz bedeutet, dass der Täter mit Wissen und Wollen bei der Verwirklichung des Straftatbestandes vorging. Genauer gesagt verlangt das Strafgesetz zunächst die Kenntnis des Täters, dass sein Verhalten strafbar ist, und dann den Willen des Täters, diese strafbare Handlung auch wirklich zu tun. Fahrlässigkeit (z. B. §§ 222, 230 StGB) ist gegeben, wenn der Täter den Tatbestand rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht, ohne es zu erkennen und zu wollen. Der Täter handelt hierbei pflichtwidrig und verletzt seine Sorgfaltspflicht, die sich beispielsweise aus seinem Beruf (z. B. Manager eines Unternehmens), einem Vertrag (z. B. Liefervertrag) vorangegangenem Tun (z. B. vorheriges Zufügen einer Verletzung) ergibt. Stand der Technik als Haftungsprophylaxe Technische Regelwerke bilden einen Maßstab für (rechtlich) einwandfreies technisches Verhalten. Dieser Maßstab ist im Rahmen der Rechtsordnung von Bedeutung. Der Gesetzgeber verzichtet darauf, konkrete technische Spezifikationen in Gesetzen festzulegen. Er öffnet durch einen mittelbaren Normenverweis das Recht für fortschreitende technische Erkenntnisse. Dies geschieht über Generalklauseln - im Falle des IT-Sicherheitsgesetzes den Verweis auf den Stand der Technik. Betreiber Kritischer Infrastrukturen sind nach [3] und [4] verpflichtet, spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten der Rechtsverordnung angemessene organisatorische und technische Vorkehrungen zur Vermeidung von Störungen der Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität und Vertraulichkeit ihrer informationstechnischen Systeme, Komponenten oder Prozesse zu treffen. Betreiber können dem Bundesamt für Informationssicherheit branchenspezifische Sicherheitsstandards (B3S) vorschlagen. Das Bundesamt stellt auf Antrag die Eignung der eingereichten B3S fest, die Schutzziele zu erreichen. Die Feststellung der Eignung erfolgt im Einvernehmen mit der zuständigen Aufsichtsbehörde des Bundes (Eisenbahn-Bundesamt). Die B3S definieren zukünftig ein umfassendes Schutzkonzept im Sinne einer Defense-in- Depth-Strategie. Defense-in-Depth - Tiefgestaffelte Verteidigung Einschlägige internationale Normen zur funktionalen Sicherheit von Bahnanwendungen definieren allgemein den Lebenszyklus von Bahnanwendungen [6], bzw. speziell den Lebenszyklus der hierbei eingesetzten Software [7]. Der Lebenszyklus umfasst eine Folge von Phasen mit Aktivitäten über die gesamte Lebensdauer des betrachteten Systems, von der Anfangsplanung bis hin zur Stilllegung und Entsorgung. Internationale Normen [8] spezifizieren die Prozessanforderungen für die Integration von Security in die Entwicklung automatisierter Produktionsanlagen. Hierfür wird ein Security-Entwicklungslebenszyklus definiert, der von der Definition der Security- Anforderungen über Security by Design, die sichere Implementierung (inkl. Codierregeln), die Verifikation und Validierung, die Security-Mängelbehandlung, das Security- Patch-Management bis hin zum Zurückziehen des Produkts geht. Eine nationale Vornorm [9] greift den Security-Entwicklungslebenszyklus auf und integriert diesen in den Lebenszyklus des umfassenden RAMS- Managements für Bahnanwendungen (vgl. [6]). Der Bedeutung der Bahn als kritische Infrastruktur entsprechend muss auch die Entwicklung von Komponenten für Bahnsteuerungssysteme technische Maßnahmen einer tiefgestaffelten Verteidigung (englisch: Defense-in-Depth) berücksichtigen [10]. Auf diese Weise wird das Vertrauen gesteigert, dass die Security-Risiken, die mit dem Einsatz der Komponente oder des Eisenbahnsteuerungssystems verbunden sind, das akzeptable Restrisikos einhalten. Bild 3 verdeutlicht die einzelnen Elemente der Defense-in-Depth-Strategie. Security Management Ein Managementsystem umfasst alle Regelungen, die für die Steuerung und Lenkung zur Zielerreichung der Institution sorgen. Der Teil des Managementsystems, der sich mit Informationssicherheit beschäftigt, wird als Informationssicherheits-Managementsystem (ISMS) bezeichnet. Das ISMS legt fest, mit welchen Instrumenten und Methoden das Management die auf Informationssicherheit ausgerichteten Aufgaben und Aktivitäten nachvollziehbar lenkt. Zu einem ISMS gehören die grundlegenden Komponenten Management-Prinzipien, Ressourcen, Mitarbeiter sowie der Sicherheitsprozess. Definition der Security-Anforderungen Die internationale Norm [8] beschreibt die Anforderungen an ein System mit Security- Eigenschaften. Auf Basis einer Bedrohungsanalyse werden für einen ausreichenden Schutz erforderliche Security-Fähigkeiten dokumentiert. Der erforderliche Schutzgrad (Angriffssicherheit) wird durch einen sogenannten Security Level (SL) festgelegt. Der Security Level charakterisiert a.) die Zufälligkeit oder Absicht des Angriffes, b.) die verfügbaren Ressourcen des potenziellen Angreifes, c.) das erforderliche Wissen des Angreifers sowie d.) seine für die Attacke vorhandene Motivation. Zur Realisierung des jeweiligen Schutzgrades enthalten die Normen [8] umfassende Kataloge möglicher Security-Fähigkeiten, die für das Produkt selbst oder für ergänzende Anforderungen an die Produktumgebung herangezogen werden können. Konkret handelt es sich - wie in Bild 4 dargestellt - um sieben Basisanforderungen. Hierfür werden Systemanforderungen und Implementierungsempfehlungen vorgegeben. Bild 4 stellt dar, wie z.B. die Basisanforderung „Zugriffskontrolle“ in konkrete Systemanforderungen dekomponiert wird. Diese auf die Umsetzung von Schutzmechanismen bezogenen Anforderungen werden in der Systementwicklung nachverfolgt und ihre Umsetzung im Rahmen der Eigenschaftsabsicherung (Verifikation/ Validierung) nachgewiesen. Security by Design Angriffssicherheit wird als explizite Anforderung in den Entwicklungsprozess aufgenommen. Es werden ganzheitliche Sicherheitsmaßnahmen von der Initialisierung an berücksichtigt, umgesetzt und getestet. Die- Bild 3: Bausteine einer Defense-in-Depth- Strategie für Bahnanwendungen in Anlehnung an [10] Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 61 Sicherheit TECHNOLOGIE ser ganzheitliche Ansatz adressiert das Problem, dass die Anwendung der Maßnahmen in der Systementwicklung allein nicht ausreichend ist. Es kommt vielmehr auf den korrekten Einsatzzeitpunkt an. Dies wird mit einem kurzen Beispiel verdeutlicht: Führt man bei Software kurz vor der Inbetriebnahme einen Eindringungstest (Penetrationstest) durch, der viele denkbare Angriffe durchführt, ohne dass man die Sicherheit bei der Entwicklung explizit berücksichtigt hat, ist es für einen erfahrenen Tester leicht, in die Anwendung einzudringen. Ein Eindringungstest ist folglich nicht sinnvoll ist, wenn das Thema Angriffssicherheit nicht während des Entwicklungsprozesses dezidiert berücksichtigt wurde. Auch können schwerwiegende Sicherheitslücken kurz vor einer geplanten Inbetriebnahme gar nicht oder nur noch mit hohem Aufwand behoben werden. Sichere Implementierung Das Schlagwort „Secure Coding“ bezeichnet in der Softwareentwicklung den Schutz gegen die versehentliche Einführung von Sicherheitslücken. Software- und Logikfehler sind oftmals die Hauptursache für Sicherheitslücken. Durch die Analyse gemeldeter Schwachstellen haben Sicherheitsexperten entdeckt, dass die meisten Schwachstellen aus einer relativ kleinen Anzahl gemeinsamer Programmierfehler resultieren. Durch die Identifikation dieser unsicheren Codierungspraktiken können Schwachstellen in der Software vor der Bereitstellung erheblich reduziert oder eliminiert werden. Zusätzlich werden in diesem Prozessbereich auch Maßnahmen zur Behandlung von Security-Vorfällen von Produkten zu behandeln sein, die konfiguriert wurden, um eine Defense-in-Depth-Strategie in der geplanten Einsatzumgebung umzusetzen (Security-Mängelbehebung). Die Behebung von Mängeln mündet - wie jede Aktualisierung von Software - in einer Wiederholung von Testfällen. Dies soll sicherstellen, dass Modifikationen in bereits getesteten Teilen der Software keine neuen Fehler verursachen. Auch muss die Software für die Anwender in einem angemessenen Zeitraum bereitgestellt werden (Security-Patch-Management). Verifikation und Validierung Das Testen der Security kann zu verschiedenen Zeitpunkten und von unterschiedlichem Personal entlang des Entwicklungs- Lebenszyklus durchgeführt werden, je nach Art des Tests und des Entwicklungsmodells des Herstellers. Zum Beispiel kann das „fuzzing testing“ während der Software-Entwicklung durch das Entwicklungsteam und später durch das Testteam durchgeführt werden. Fuzzing beschreibt hierbei eine Technik für Softwaretests, bei der Zufallszahlen über Eingabeschnittstellen eines Programms verarbeitet werden. Mit diesen zufälligen Daten wird der spätere Einsatz simuliert, bei dem nicht nur plausible Daten verarbeitet werden müssen. Grundsätzlich werden zur Absicherung security-bezogener Eigenschaften von Systemen vier verschiedene Teststrategien unterschieden: • Anforderungsbasiertes Testen verifiziert, dass alle Anforderungen des Security- Lastenhefts erfüllt werden. • Das Testen der Gegenmaßnahmen gegen Bedrohungen leitet Testfälle aus Bedrohungsbäumen (engl. Attack trees) ab. Diese Tests stellen sicher, dass die Gegenmaßnahmen effizient gegen die betrachteten Bedrohungen sind. • Allgemeines Testen von Schwachstellen fokussiert auf den Einsatz von Werkzeugen oder veröffentlichten Anleitungen, um potenzielle Schwachstellen zu entdecken. • Eindringungstests (Penetrationstest) fokussieren den Missbrauch der Verfügbarkeit, Integrität und Vertraulichkeit des Produkts. Security-Richtlinien Für ein Produkt muss eine Dokumentation existieren, die beschreibt, wie das Produkt für die Defense-in-Depth-Strategie des Produkts im Rahmen seiner geplanten Einsatzumgebung zu integrieren, konfigurieren und warten ist. Hierbei handelt es sich nach [12] um auf die Angriffssicherheit bezogene Anwendungsbedingungen des konfigurierbaren Systems. Es gelten hier die gleichen Anforderungen wie an Anwendungsregeln im „klassischen“ Sicherheitsnachweis signaltechnischer Systeme. Demnach müssen auch auf die Angriffssicherheit bezogene Anwendungsregeln eindeutig identifizierbar sein. Sie müssen einen eindeutigen Empfänger wie beispielsweise Projektierungsingenieure, die Inbetriebnahme, die Bediener oder die Instandhalter haben. Auch müssen die Anwendungsregeln ohne weitere Dokumente zu verstehen sein, eindeutig formuliert sein, vollständig beschrie- Bild 4: Systemanforderungen in Abhängigkeit des erforderlichen Schutzgrades [11] Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 62 TECHNOLOGIE Sicherheit ben sein und einem Audit von unabhängiger Stelle standhalten können. Zusammenfassung Security-Angriffe auf Verkehrssysteme und Industrieanlagen können - gewollt oder ungewollt - zu negativen Auswirkungen auf die Betriebssicherheit (Safety) führen. Aus Sicht der Betriebssicherheit sind Maßnahmen zur Gewährleistung der Angriffssicherheit (Security) dann notwendig, wenn ein Risiko im Sinne der Betriebssicherheit auf Grund einer bewussten Manipulation so hoch ist, dass das Produkt nicht mehr die erwartbare Betriebssicherheit bietet. Ein den Normen zur funktionalen Sicherheit für Bahnanwendungen (vgl. [6, 7, 12]) vergleichbarer branchenspezifischer Sicherheitsstandard zur Angriffssicherheit kann das gemeinsame Verständnis einer Vorgehensweise zur Risikoklassifikation und der daraus resultierenden risikoreduzierenden Maßnahmen fördern. Bei der Implementierung von Angriffs- und Betriebssicherheit sollten Synergien genutzt und Widersprüche vermieden werden. Dies wird durch die Synchronisation der Aktivitäten an den relevanten Schnittstellen im Lebenszyklus erreicht [11]. ■ LITERATUR [1] Ehricht, Daniel; Smitka, Philip: Compliance der IT-Security in Eisenbahnverkehrsunternehmen. In: Eisenbahningenieur (2017) 7, S. 21 - 23. [2] Hoppe, Werner; Schmidt, Detlef; Busch, Bernhard; Schieferecker, Bernd: Sicherheitsverantwortung im Eisenbahnwesen. Carl Heymanns Verlag (Köln) 2002. [3] Richtlinie (EU) 2016/ 1148 des europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union. [4] Gesetz zur Erhöhung informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz). Bundesgesetzblatt 2015 Teil 1 Nr. 31, (Bonn) 24.07.2015. [5] Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern - Erste Verordnung zur Änderung der BSI-Kritisverordnung. Bearbeitungsstand 23.02.2017. [6] DIN EN 50126: 2000-03: Bahnanwendungen - Spezifikation und Nachweis der Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Instandhaltbarkeit, Sicherheit (RAMS); Deutsche Fassung EN 50126: 1999. [7] DIN EN 50128: 2012-03: Bahnanwendungen - Telekommunikationstechnik, Signaltechnik und Datenverarbeitungssysteme - Software für Eisenbahnsteuerungs- und Überwachungssysteme; Deutsche Fassung EN 50128: 2011. [8] Normenreihe IEC 62443: Industrielle Kommunikationsnetze - IT-Sicherheit für Netze und Systeme. [9] DIN VDE V 0831-104: 2015-10: Elektrische Bahn-Signalanlagen - Teil 104: Leitfaden für die IT-Sicherheit auf Grundlage IEC 62443. [10] Kobes, Pierre: Leitfaden Industrial Security - IEC 62443 einfach erklärt. VDE Verlag (Berlin) 2016. [11] Schnieder, Lars: IT-Security in sicherheitskritischen Verkehrsinfrastrukturen - Strategien für die Sicherheitsnachweisführung und Begutachtung. in: Transforming Cities 4/ 2016, S. 60 - 64. [12] pr EN 50129: 2016: Railway applications - Communication, signalling and processing systems - Safety related electronic systems for signalling. Lars Schnieder, Dr.-Ing. Leiter Geschäftsbereich Sicherheitsbegutachtung, ESE Engineering und Software-Entwicklung GmbH, Braunschweig lars.schnieder@ese.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Die Kernpunkte des Peer Review-Verfahrens: • Angenommene Manuskripte gehen an jeweils zwei Gutachter der entsprechenden Fachrichtung anonymisiert zur Begutachtung. • Gutachter nehmen ihre Begutachtung anhand eines standardisierten Bewertungsbogens vor, kommentieren die Bewertung schriftlich und empfehlen danach die uneingeschränkte Annahme zur Veröffentlichung, die Überarbeitung in bestimmten Punkten oder die Ablehnung. • Die Redaktionsleitung teilt den Autoren die Entscheidung der Gutachter umgehend mit, bei Bedarf zusammen mit den Überarbeitungsauflagen. Die Gutachten selbst werden nicht an die Autoren weitergeleitet - die Gutachter bleiben also für die Autoren anonym (double blind). Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 63 Wissenschaft TECHNOLOGIE Anforderungsgemäße und konsistente Systementwicklung Strukturierung der Anforderungen an ein technisches System im Schienenverkehr Normierung, Sicherheitsnachweis, Anforderungen, Strukturierung Anforderungen an ein technisches System im Schienenverkehr ergeben sich aus einer Vielzahl von Eingangsdokumenten wie beispielsweise Normen, Gesetzen oder Dokumenten des Betreibers. Dieser Beitrag stellt eine Analyse und strukturierte Darstellung von Anforderungen als Basis für eine anforderungsgemäße und konsistente Systementwicklung unter Beachtung der Vorgaben aller Beteiligten dar. Dieses Vorgehen ist im Schienenverkehr aufgrund der Sicherheitsrelevanz von Systemen von besonderer Bedeutung. Hansjörg Manz D ie Komplexität eines im Schienenverkehr für sicherheitsrelevante Anwendungen zu entwickelnden Systems zeigt sich bereits in der Vielzahl der zu beachtenden Eingangsdokumente, die zudem einem beständigen Prozess des Wandels unterliegen. In diesem Artikel 1 wird zunächst der normative Rahmen dargestellt, der für jedes zu entwickelnde System im Schienenverkehr zugrunde liegt. Darauf aufbauend wird die Entwicklung technischer Systeme analysiert, wo mit Bezug auf den Schienenverkehr ein Prozess der sicheren Systementwicklung dargestellt wird. Diese Betrachtung mündet in einer generischen Systemarchitektur. Bei deren Erstellung ist zu beachten, dass auch eine Abgrenzung zu Komponenten, die nicht Teil des Systems sind, erfolgt. Nach Herausarbeitung der strukturierten Anforderungen und klarer Abgrenzung der Systemarchitektur ist die methodische Grundlage für einen strukturierten Entwicklungsprozess mit dem primären Einsatzbereich Europa gelegt. Normativer Rahmen Für die sicherheitsgerichtete Entwicklung von Systemen sind wesentliche Anforderungen im normativen Rahmen festgeschrieben. Zum Verständnis und zur Strukturierung dieser Grundlagen wird zunächst auf die Entwicklung normativer Dokumente eingegangen. Anschließend werden die Normen der Systemklassifikation dargestellt und die Anforderungen, die an die Entwicklung im Schienenverkehr gestellt werden, extrahiert. Mit diesem Vorgehen wird gewährleistet, dass alle für Entwicklung und Zertifizierung notwendigen Dokumente identifiziert und deren Anforderungen an einen sicheren Schienenverkehr berücksichtigt werden. Damit soll mit vertretbaren Maßnahmen und den zur Verfügung stehenden Ressourcen der Eintritt von Gefährdungen verhindert werden. Entwicklung normativer Dokumente Der normative und legislative Rahmen des Schienenverkehrs in Europa befindet sich seit etwa 1990 mit dem Ziel der Liberalisierung und Harmonisierung in einem steten Wandel. Dabei wurden bspw. nationale durch europäische Gesetze ersetzt. Die wesentlichen gesetzlichen Dokumente im Schienenverkehr sind europaweit gültig. Die durch die Verordnung [EU/ 2004/ 881] geschaffene Europäische Eisenbahnagentur (European Railway Agency - ERA) hat durch den Entwurf von Richtlinien und Verordnungen eine bedeutende Stellung im Gesetzgebungsverfahren. So hat sie die TSI [EU/ 2008/ 57], die Methoden des Sicherheitsmanagements (Common Safety Methods - CSM) und die Sicherheitsziele (Common Safety Targets - CST) erstellt und ist mit deren Überwachung beauftragt. Die entsprechende Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist in Bild 1 zusammengefasst. Als Kernnormen der Systemklassifikation wurden [DIN EN 81346-1; DIN EN 81346-2; DIN ISO 81346-3] identifiziert. Diese Normung „führt allgemeine Prinzipien zur Strukturierung von Systemen, einschließlich der Strukturierung von Informationen über Systeme ein“ [DIN EN 81346-1]. Die Strukturierung eines technischen Systems muss dabei „auf Grundlage einer Bestandteil von Beziehung“ [DIN EN 81346-1] erfolgen. Aufgrund der vorgesehenen Anwendung des eingeführten Vorgehens im Schienenverkehr werden zur detaillierten Strukturierung Normen dieser Verkehrsdomäne verwendet. Eine Systematik zur Kennzeichnung und Strukturierung von technischen Systemen im Schienenver- Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 64 TECHNOLOGIE Wissenschaft 1900 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) 1904 Ursprüngliche Fassung 1967 Letzte Neufassung 2012 Letzte Änderung Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) 1951 Ursprüngliche Fassung 2013 Letzte Änderung 1950 1965 1990 2000 2010 Technische Grundsätze für die Zulassung von Sicherungsanlagen (Mü 8004) 1998 Ursprüngliche Fassung Letzte Neufassung Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener elektrischer/ elektronischer/ programmierbarer elektronischer Systeme (IEC 61508) Letzte Neufassung 2010 1993 Bahnanwendungen - Spezifikation und Nachweis der Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Instandhaltbarkeit, Sicherheit (RAMS) (DIN EN 50126) 1999 Ursprüngliche Fassung Bahnanwendungen - Telekommunikationstechnik, Signaltechnik und Datenverarbeitungssysteme - Software für Eisenbahnsteuerungs- und Überwachungssysteme (DIN EN 50128) Bahnanwendungen - Telekommunikationstechnik, Signaltechnik und Datenverarbeitungssysteme - Sicherheitsrelevante elektronische Systeme für Signaltechnik (DIN EN 50129) 2001 Ursprüngliche Fassung Neufassung 2012 2003 Ursprüngliche Fassung 1980 Ursprüngliche Fassung Railway applications - Specification and demonstration of reliability, availability, maintainability and safety (RAMS) (IEC 62278) 2002 Ursprüngliche Fassung Ergänzung 2012 Erstes Eisenbahnpaket - EU-Richtlinien EU/ 2001/ 12, EU/ 2001/ 13, EU/ 2001/ 14 2001 Ursprüngliche Fassung Zweites Eisenbahnpaket - EU-Richtlinien EU/ 2004/ 49, EU/ 2004/ 50, EU/ 2004/ 51; EU-Verordnung EU/ 2004/ 881 2002 Vorschlag 2004 Umsetzung Drittes Eisenbahnpaket - EU-Richtlinien EU/ 2007/ 58, EU/ 2007/ 59; EU-Verordnungen EU/ 2007/ 1370, EU/ 2007/ 1371 2007 Ursprüngliche Fassung Richtlinie EU/ 1991/ 440 des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft 1991 Ursprüngliche Fassung EU-Verordnung EU/ 2009/ 352 über die Festlegung einer gemeinsamen Sicherheitsmethode für die Evaluierung und Bewertung von Risiken 2009 Verabschiedet Viertes Eisenbahnpaket 2016 Neufassung des ersten Pakets - EU-Richtlinie EU/ 2012/ 34 2012 Verabschiedet Letzte Änderung 2010 Aufgehoben 2004/ 51: Aufgehoben Durchführungsverordnung EU/ 2013/ 402 über die gemeinsame Sicherheitsmethode für die Evaluierung und Bewertung von Risiken 2013 Aufgehoben Verabschiedet Nationale Verordnung Nationales Gesetz Technische Richtlinie Technische Norm Technische Norm Technische Norm Technische Norm Technische Norm EU Richtlinie EU Richtlinie EU Richtlinie EU Verordnung EU Richtlinie EU Verordnung EU Verordnung EU Richtlinie EU Verordnung EU Richtlinie EU Beschluss Beschluss EU/ 2011/ 291 über eine technische Spezifikation für die Interoperabilität des Fahrzeug-Teilsystems ÄLokomotiven und Personenwagen³ des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems 2011 Verabschiedet EU Beschluss Beschluss EU/ 2012/ 88 über die Technische Spezifikation für die Interoperabilität der Teilsysteme ÄZugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung³ des transeuropäischen Eisenbahnsystems 2012 Verabschiedet Richtlinie EU/ 2008/ 57 über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft 2008 Verabschiedet EU Richtlinie EU Empfehlung Empfehlung EU/ 2011/ 217 zur Genehmigung der Inbetriebnahme von strukturellen Teilsystemen und Fahrzeugen gemäß der Richtlinie EU/ 2008/ 57 2011 Verabschiedet Aufgehoben Änderung EU/ 2014/ 88 ersetzt EU/ 2004/ 49 Bild 1: Legislative und normative Dokumente in der EU - historische Entwicklung Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 65 Wissenschaft TECHNOLOGIE kehr ist in [DIN EN 15380-1; DIN EN 15380-2; DIN EN 15380-3; DIN EN 15380-4; DIN EN 15380-5] zu finden. Anforderungen an die Sicherheitsnachweisführung Der Sicherheitsnachweis wird vom Hersteller erstellt und dient dem Gutachter zum Verständnis des entwickelten Systems [May 2010; Pachl 2013]. Die Zulassung ist nach der Integration einer oder mehrerer zertifizierter Komponenten in das Gesamtumfeld eines Systems die Bestätigung, dass das System sicher genutzt werden kann. Die Zertifizierung ist ein Nachweis, der die Einhaltung von Spezifikationen, Normen, Anforderungen und Vertragsbedingungen bestätigt und den Abschluss des Entwicklungsprozesses darstellt, sie kann auch als Teilsystemzulassung bezeichnet werden. Die Entwicklung mündet in der Zertifizierung eines Systems, daher besteht zwischen diesen beiden Prozessen eine enge Verknüpfung. Die Institution, welche die Zertifizierung vornimmt, muss dafür unabhängig akkreditiert sein, wofür die nationale Akkreditierungsstelle, in Deutschland die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS), zuständig ist [DIN EN ISO/ IEC 17011]. Verweise auf bereits zertifizierte Systeme und die dort angewandten Sicherheitsprinzipien sind hilfreich und erleichtern die Begutachtung und Zertifizierung [Schnieder et al. 2011]. Dies schließt den Nachweis der Sicherheit der entwickelten und verwendeten Hard- und Software ein, die entwicklungsbegleitend zu dokumentieren ist [DIN EN 50129]. Der Sicherheitsnachweis besteht aus sechs Teilen, die zusammenfassend in Bild 2 dargestellt und im Folgenden detailliert beschrieben werden. Entwicklung technischer Systeme im-Schienenverkehr Am Anfang der sicheren Entwicklung eines technischen Systems stehen zunächst die aus den betrieblichen Anforderungen resultierenden spezifizierten Funktionen und die Anforderungen an die Sicherheit des Systems. Spezifizierte Funktionen und Sicherheitsanforderungen können konträr sein, da eine gewünschte Funktion auf einem geforderten Sicherheitsniveau schwierig zu erfüllen sein kann. Nach Herbeiführen von Kompromissen zwischen diesen Aspekten sind die- korrekten Funktionen bei Ausfallfreiheit zu entwickeln. Auf Basis derer ist, wie in Bild 3 dargestellt, der Nachweis des korrekten funktionalen Verhaltens zu erbringen. Zur anforderungsgemäßen Entwicklung eines technischen Systems werden zunächst zwei Möglichkeiten der sicheren Systementwicklung betrachtet. Darauf aufbauend wird der generische sicherheitsgerichtete Entwicklungsprozess betrachtet. Abschließend werden die Verantwortlichkeiten im Entwicklungsprozess und somit das Zusammenspiel der verschiedenen Beteiligten betrachtet. Sicherheitsnachweis entsprechend EN 50129 Teil 1: Definition des Systems Teil 2: Qualitätsmanagementbericht Teil 3: Sicherheitsmanagementbericht Teil 4: Technischer Sicherheitsbericht Teil 5: Beziehungen zu anderen Sicherheitsnachweisen Teil 6: Zusammenfassung Abschnitt 1: Einleitung Abschnitt 2: Nachweis des korrekten funktionalen Verhaltens Abschnitt 3: Ausfallauswirkungen Abschnitt 4: Betrieb mit externen Einflüssen Abschnitt 5: Sicherheitsbezogene Anwendungsbedingungen Abschnitt 6: Sicherheitserprobung Spezifizierte Funktion Sicherheitsanforderungen Korrekte Funktionen bei Ausfallfreiheit Nachweis des korrekten funktionalen Verhaltens Bild 2: Struktur des Sicherheitsnachweises entsprechend des normativen Rahmens [DIN EN 50129; May 2010] Bild 3: Prozess der sicheren Systementwicklung Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 66 TECHNOLOGIE Wissenschaft Durchführung der sicheren Systementwicklung Die sichere Systementwicklung kann klassisch durch eine Entwicklung gemäß der in der CENELEC Normung vorgegebenen Prozessschritte oder innovativ durch eine sichere Systemmodellierung entsprechend des STAMP Ansatzes nach [Leveson 2012] durchgeführt werden. Durch die weitreichenden Erfahrungen mit dem CENELEC Ansatz sind für diesen detaillierte Anweisungen und Prozesse zur Durchführung der Nachweisführung verfügbar, die trotz des innovativen Charakters genutzt werden können. Zu Beginn eines jeden sicherheitsgerichteten Entwicklungsprozesses ist ein Sicherheitsziel anzugeben, falls dies nicht geschieht, muss das Sicherheitsziel aus der Systemarchitektur abgeleitet werden. Eine frühzeitige Kommunikation mit allen Beteiligten, insbesondere mit der Sicherheitsbehörde inklusive der notwendigen Antragstellung, kann zu einer Beschleunigung der Zertifizierung beitragen. Behörde und Gutachter sollten jederzeit die Möglichkeit haben, interne Kontrollen und Audits durchzuführen. Generischer sicherheitsgerichteter Entwicklungsprozess Um zu gewährleisten, dass im Entwicklungsprozess alle relevanten Schritte berücksichtigt werden, orientieren sich diese am normativ vorgegebenen V-Modell [DIN EN 50126; IEC 61508]. Eine graphische Prozessdarstellung verdeutlicht die Prozessobjekte und deren Verknüpfungen, weswegen für die generische Darstellung des Produktlebenszyklus bis zur Inbetriebnahme die Petrinetznotation nach [Petri 1962] gewählt wird und in Bild 4 dargestellt ist. Die Schritte des V-Modells sind Zustand oder Zustandsübergang, das jeweils fehlende Element wurde ergänzt. Die generische Struktur des Sicherheitsnachweises [DIN EN 50128] (schwarz) ist kombiniert mit dem normativ vorgeschlagenen Produktlebenszyklus im Schienenverkehr [DIN EN 50126] (grau) dargestellt. Die Beteiligten sind wesentlicher Bestandteil dieser Darstellung und werden als Ressourcen (Stellen / Kreise) dargestellt. Zusätzlich zu den technischen Maßnahmen kann während der Entwicklung die Sicherheit durch Managementmaßnahmen erhöht werden, was bspw. ein beim Hersteller eingeführtes Qualitätsmanagementsystem sein kann. Nach Abschluss der Entwicklung kann die Sicherheit des in Betrieb befindlichen Systems durch betriebliche Maßnahmen wie überprüfende Handlungen des Triebfahrzeugführers erhöht werden. Trotz vielfältig implementierter Sicherungsmaßnahmen ist kein technisches System, Teilsystem oder Bauteil aufgrund seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften komplett ausfallsicher und fehlerfrei [DIN EN ISO 12100], eine völlige Gefährdungsfreiheit ist somit nicht möglich [Schnieder/ Schnieder 2013]. Ressource/ Zustand Funktion, durchgeführt von einer Ressource Konzept [1] Definition von Systemparametern und Anwendungsbereichen [2] Systemdefinition und Anwendungsbedingungen [2] Risikoanalyse [3] Gefährdungslogbuch [3] Ableiten von Anforderungen an Gesamtsystem [4] Systemanforderungen [4] Zuteilung der Systemanforderungen [5] Zugeteilte Systemanforderungen [5] Entwurf und Implementierung [6] Entworfene Komponenten [6] Fertigung [7] Gefertigte Komponenten [7] Installation [8] Komponenten am Zug installiert [8] Systemvalidation (inkl. Sicherheitsanerkennung und Inbetriebsetzung) [9] Validiertes System [9] Systemanerkennung [10] System anerkannt [10] Inbetriebnahme des Systems [11] System in Betrieb und Instandhaltung [11] Beratung Betreiber Information über Beginn der Produktentwicklung Teilnahme Gutachter Teilnahme Begutachtung Erstellen des Sicherheitsnachweises Spezifischer Sicherheitsnachweis Generischer Sicherheitsnachweis Erstellen der Begutachtung Sicherheitsgutachten Hersteller Sicherheitsbehörde Bestätigung, das keine Umstände bekannt sind, die zu einer Ablehnung des Antrags während des Begutachtungsprozesses führen könnten Erstellen der generischen Produktzulassung Generische Produktzulassung Erstellen der spezifischen Produktzulassung Anwendung auf spezifische Produktzulassung Spezifische Produktzulassung Auslieferung Erstellen der zugehörigen Dokumentation Anforderungsspezifikation Sicherheitsanforderungsspezifikation Bild 4: Entwicklungsprozess mit Lebenszyklus verknüpft [DIN EN 50126; DIN EN 50128] Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 67 Wissenschaft TECHNOLOGIE Verantwortlichkeiten im Entwicklungsprozess Zur weiteren Nutzbarkeit wird der Entwicklungsprozess und die damit verknüpfte Zertifizierung nach [Hänsel 2008] entsprechend der notwendigen Prozessschritte und den Verantwortlichkeiten der einzelnen Institutionen gegliedert. Der vorgeschlagene Entwicklungsprozess, unterteilt nach den Verantwortlichkeiten des Herstellers, Betreibers, Gutachters, der Sicherheitsbehörde und des NoBo, ist in Bild 5 dargestellt und basiert auf dem zugrunde liegenden normativen Rahmen und dem in Bild 4 dargestellten generischen sicherheitsgerichteten Entwicklungsprozess. Generische Systemarchitektur Die in diesem Abschnitt dargestellte generische Systemarchitektur baut auf den Erkenntnissen der vorherigen Kapitel auf und kann als Anregung oder Grundlage zukünftiger Entwicklungen im Schienenverkehr genutzt werden. Einleitend werden zunächst die Herausforderungen der Systemstrukturierung dargestellt. Nach Erläuterung der Eigenschaften des Systembegriffs wird eine integrierte generische Systemarchitektur vorgeschlagen. Herausforderungen der Systemstrukturierung Die Struktur eines technischen Systems ergibt sich, wie im vorigen Abschnitt dargestellt, aus dessen Anforderungen. Die Herausforderung bei der Strukturierung eines technischen Systems besteht in einem generischen aber dennoch im Schienenverkehr anwendbaren Vorgehen. Nach [EU/ 2013/ 402] sollen dabei folgende Punkte enthalten sein: • Systemziele, Systemgrenzen, Systemfunktionen, Komponenten, Schnittstellen • Definition der Systemumgebung (z. B. elektromagnetische Beeinträchtigungen) • Bestehende Sicherheitsmaßnahmen und Sicherheitsanforderungen • Bedingungen, welche die Grenzen der Risikobeurteilung bestimmen Als Teil der sicheren Systementwicklung wird der Begriff Verlässlichkeit (RAMS) als „zusammenfassende Bezeichnung zur Beschreibung der Zuverlässigkeit und der Sicherheit“ [Müller 2015] eines Systems eingeführt. Somit ist die Zuverlässigkeit eine zusammenfassende Bezeichnung der Überlebensfähigkeit, Instandhaltbarkeit, Normativer Rahmen Sicherheitsbehörde Gutachter Hersteller Entwicklungsprozess Verifikation & Validation Information durch Eisenbahnbehö rde, Beteiligung des Gutachters Sicherheitsnachweis Antrag auf Genehmigung Teilnahme an Verifikation & Validation Begleitung des Entwicklungsprozesses Gutachten Begutachtung des Sicherheitsnachweises Spezifische Produktzulassung Generische Produktzulassung Begutachtung, Genehmigung Prüfung der Antragstellung/ Ausnahmeanträge Teilnahme an Verifikation & Validation Produktion Betreiber Beratung Anforderungen Notified Body EG-Prüfung gemäß TSI Erstellung EG- Konformitätsbesche inigung & techn. Dossier überwacht Spezifikationen Gesetzgebende Behörde Normungsgremien Gesetze, Verordnungen Normen Akkreditierungsstelle Akkreditierung des Gutachters überwacht Zertifiziertes Produkt Produktauslieferung zum Betreiber Akkreditierung [+ DeBo, AssBo] Bild 5: Entwicklungsprozess und Verantwortlichkeiten nach [Schnieder 2009; DIN EN 50129] Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 68 TECHNOLOGIE Wissenschaft Instandhaltungsvorbereitungsfähigkeit und Verfügbarkeit [Müller 2015] und durch ein System zu gewährleisten [Schnieder/ Schnieder 2013]. Eigenschaften des Systembegriffs Ein System ist entsprechend des oben dargestellten normativen Rahmens die „Gesamtheit miteinander in Verbindung stehender Objekte“ [DIN EN 81346-1], die eine Zielsetzung, bspw. die Ausführung einer Funktion, haben. Zur Strukturierung bietet sich die Nutzung einer Abstraktionshierarchie an, also die Unterteilung in Eigenschaften, Merkmale, Größen, Werte und Einheiten, mit der ein System in eine „Menge von Teilen, die ihrerseits wieder in eine Anzahl in wechselseitiger Beziehung stehender Unterteile zerlegt werden können“ [Schnieder/ Schnieder 2010], gegliedert werden kann. Dabei können bspw. Relationen und Inhaltsattribute dargestellt werden, wofür dem Systembegriff die vier abstrakten Eigenschaften „Zustand“, „Funktion“, „Struktur“ und „Verhalten“ zugeordnet werden. Die Eigenschaft Funktion wird zusätzlich in „Speichern“, „Verarbeiten“ und „Übertragen“ gegliedert [Schnieder/ Schnieder 2010]. Aus dieser Zuordnung ergibt sich ein erster Ansatz zur Systemstrukturierung. Den Eigenschaften „Zustand“ kann bspw. der Zweckbezug und „Verhalten“ eine mathematische Beschreibung [Schnieder/ Schnieder 2010] zugeordnet werden (Bild 6). Integrierte generische Systemarchitektur Basierend auf den Erkenntnissen der vorhergehenden Betrachtungen wird in Bild 7 die generische Systemarchitektur eines technischen Systems dargestellt, die eine Kombination des Funktions- Produkt- und Ortsaspekts nutzt. Der Funktionsaspekt strukturiert dabei die gewünschten Funktionen des technischen Systems als wesentlicher Eingang für die Systementwicklung. Die gewünschten Funktionen des technischen Systems werden durch den Produktaspekt abgebildet und zu einer nutzbaren Systemarchitektur kombiniert. Der Ortsaspekt stellt die räumliche Strukturierung ab, was für die Montage des erstellten Systems genutzt wird. Zusammenfassung In diesem Artikel wurde zunächst der normative Rahmen als Basis für die Entwicklung eines technischen Systems, hier mit Fokus auf den Schienenverkehr, dargestellt. Anschließend erfolgte die Darstellung der Entwicklung eines technischen Systems, die zur Erstellung einer generischen Systemarchitektur genutzt wurde. Die Anwendung des in diesem Artikel vorgestellten Vorgehens ermöglicht die strukturierte Entwicklung eines technischen Systems, womit eine Steigerung der Effizienz der Entwicklung erwartet wird. Zudem soll sichergestellt werden, dass alle an das System gestellten Anforderungen berücksichtigt werden. ■ 1 Der Beitrag stellt einen Teil der Ergebnisse der Dissertation des Autors dar. Hansjörg Manz: „Zur Sicherheitsnachweisführung einer bordautonomen satellitenbasierten Ortungseinheit für den Schienenverkehr“, ISBN 978-3-8440- 4784-4 LITERATUR [DIN EN ISO 12100]: Deutsches Institut für Normung: Sicherheit von Maschinen, Beuth Verlag, Berlin, 2011, Rev. 2011. [DIN EN 15380-1]: Deutsches Institut für Normung: Bahnanwendungen - Kennzeichnungssystematik für Schienenfahrzeuge - Teil 1: Grundlagen, Beuth Verlag, Berlin, 2006, Rev. 2006. [DIN EN 15380-2]: Deutsches Institut für Normung: Bahnanwendungen - Kennzeichnungssystematik für Schienenfahrzeuge - Teil 2: Produktgruppen, Beuth Verlag, Berlin, 2006, Rev. 2006. [DIN EN 15380-3]: Deutsches Institut für Normung: Bahnanwendungen - Kennzeichnungssystematik für Schienenfahrzeuge - Teil 3: Kennzeichnung von Aufstellungs- und Einbauorten, Beuth Verlag, Berlin, 2006, Rev. 2006. [DIN EN 15380-4]: Deutsches Institut für Normung: Bahnanwendungen - Kennzeichnungssystematik für Schienenfahrzeuge - Teil 4: Funktionsgruppen, Beuth Verlag, Berlin, 2013, Rev. 2013. [DIN EN 15380-5]: Deutsches Institut für Normung: Bahnanwendungen - Kennzeichnungssystematik für Schienenfahrzeuge - Teil 5: Systemstruktur, Beuth Verlag, Berlin, 2014, Rev. 2014. [DIN EN ISO/ IEC 17011]: Deutsches Institut für Normung: Konformitätsbewertung - Allgemeine Anforderungen an Akkreditierungsstellen, die Konformitätsbewertungsstellen akkreditieren, 2005, Beuth Verlag, Berlin, 2005, Rev. 2005. Abstraktionshierarchie Begriff Eigenschaften Merkmale Größen Werte Einheiten Zustand Funktion Struktur Verhalten Speichern Verarbeiten Übertragen Zweckbezug Mathematis che Beschreibung System Bild 6: Nutzung der Abstraktionshierarchie zur Systemdarstellung nach [Schnieder/ Schnieder 2010] Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 69 Wissenschaft TECHNOLOGIE [DIN EN 50126]: Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik: Bahnanwendungen - Spezifikation und Nachweis der Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Instandhaltbarkeit, Sicherheit (RAMS), Beuth Verlag, Berlin, 1999, Rev. 1999. [DIN EN 50128]: Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik: Bahnanwendungen - Telekommunikationstechnik, Signaltechnik und Datenverarbeitungssysteme - Software für Eisenbahnsteuerungs- und Überwachungssysteme, 2012-03, Beuth Verlag, Berlin, 2012, Rev. 2012. [DIN EN 50129]: Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik: Bahnanwendungen - Telekommunikationstechnik, Signaltechnik und Datenverarbeitungssysteme - Sicherheitsrelevante elektronische Systeme für Signaltechnik, Beuth Verlag, Berlin, 2003, Rev. 2003. [IEC 61508]: Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik: Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener elektrischer/ elektronischer/ programmierbarer elektronischer Systeme, 2010, Beuth Verlag, Berlin, 2010, Rev. 2010. [DIN EN 81346-1] Deutsches Institut für Normung: Industrielle Systeme, Anlagen und Ausrüstungen und Industrieprodukte - Strukturierungsprinzipien und Referenzkennzeichnung - Teil 1: Allgemeine Regeln, 2010, Beuth Verlag, Berlin, 2010, Rev. 2010. [DIN EN 81346-2] Deutsches Institut für Normung: Industrielle Systeme, Anlagen und Ausrüstungen und Industrieprodukte - Strukturierungsprinzipien und Referenzkennzeichnung - Teil 2: Klassifizierung von Objekten und Kennbuchstaben von Klassen, Beuth Verlag, Berlin, 2010, Rev. 2010. [DIN ISO 81346-3]: Deutsches Institut für Normung: Industrielle Systeme, Anlagen und Ausrüstungen und Industrieprodukte - Strukturierungsprinzipien und Referenzkennzeichnung - Teil 3: Anwendungsregeln für ein Referenzkennzeichensystem, Beuth Verlag, Berlin, 2013, Rev. 2013. [EU/ 2004/ 881]: Europäische Kommission (EC): Verordnung zur Einrichtung einer Europäischen Eisenbahnagentur EU/ 2004/ 881, 2004. [EU/ 2008/ 57]: Europäische Kommission (EC): Richtlinie über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft EU/ 2008/ 57, 2008. [EU/ 2013/ 402]: Europäische Kommission (EC): Verordnung über die gemeinsame Sicherheitsmethode für die Evaluierung und Bewertung von Risiken EU/ 2013/ 402, 2013. [Hänsel 2008]: Hänsel, F.: Zur Formalisierung technischer Normen. TU Braunschweig, Dissertation. 787, VDI-Verlag, Düsseldorf, 2008. [Leveson 2012]: Leveson, N.: Engineering a safer world Systems thinking applied to safety, MIT Press, Cambridge, Mass, 2012. [May 2010]: May, J.C.: Methodische Sicherheitsuntersuchung für einen innovativen Schienenverkehr am Beispiel der fahrzeugautarken Ortung. TU Braunschweig, Dissertation, 2010. [Müller 2015]: Müller, J.R.: Die Formalisierte Terminologie der Verlässlichkeit Technischer Systeme, Springer, Berlin, Heidelberg, 2015. [Pachl 2013]: Pachl, J.: Systemtechnik des Schienenverkehrs. Bahnbetrieb planen, steuern und sichern, 7., überarb. u. erw. Aufl. 2014, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2013. [Petri 1962]: Petri, C.A.: Kommunikation mit Automaten. Universität Bonn, Dissertation, Bonn, 1962. [Schnieder 2009]: Schnieder, E.: Nutzung von Satellitenortungssystemen für Eisenbahnen im rechtlichen Rahmen Use of satellite based localization for railways in legal context, in: ZEVRail, 133 (2009) 9, S. 351-357. [Schnieder/ Schnieder 2010]: Schnieder, E.; Schnieder, L.: Terminologische Präzisierung des Systembegriffs, in: atp edition, 52 (2010) 9, S. 46-59. [Schnieder et al. 2011]: Schnieder, E.; Müller, J.R.; von Buxhoeveden, G.: Der Sicherheitsnachweis nach CENELEC 50129: Effizientes Erstellen und Kommunizieren. Hrsg: VDI: TTZ 2011, 2011. [Schnieder/ Schnieder 2013]: Schnieder, E.; Schnieder, L.: Verkehrssicherheit Maße und Modelle, Methoden und Maßnahmen für den Straßen- und Schienenverkehr, Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg, 2013. Hansjörg Manz, Dr.-Ing. RAMS Manager, ESE Engineering und Software- Entwicklung GmbH, Braunschweig hansjoerg.manz@ese.de Ortsaspekt Produktaspekt Funktionsaspekt Funktionales Einsatzgebiet Hauptfunktion Unterfunktion Auf Aufgabe bezogene Funktion Auf Aktivität bezogene Funktion 1 n 1 n 1 n 1 n Technisches System (Schienenfahrzeug) 1 n Produkt Hauptproduktgruppe Unterproduktgruppe Hauptsystem (1. Systemebene) Untersystem (2. Systemebene) Funktionale Anforderung Systemanforderung Anforderung 1...n 1 Erfüllt �Teilfunktion� Anlagenkomplex Technische Anlage Teilanlage Gerät Baugruppe Bauteil/ Element Kombinationsgruppe spezifiziert spezifiziert Betriebsmittel Einbauort Funktion 1 1 n 1 n 1 Baueinheit n 1 n n 0...1 1 1 1 enthält Funktionseinheit Bild 7: Kombination des Funktions-, Produkt- und Ortsaspekts zur generischen Systemarchitektur FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 70 MoviCi - MOYCOT 2018 Vorschau: Internationales Symposium für urbane Mobilität in der-Smart City des deutsch-kolumbianischen Netzwerks MoviCi, 18.04.-20.04.2018, Medellín (CO) D eutsche Mobilitätsforscher schauen mit Interesse auf die Entwicklungen im Mobilitätsmarkt in Kolumbien, von dem wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden können. Dazu wurde durch das DLR und dessen beiden Institute für Verkehrsforschung und für Verkehrssystemtechnik das deutsch-kolumbianische Expertennetzwerk MoviCi (Movilidad urbana en ciudades intelligentes - Urbane Mobilität in der Smart City) gegründet. Ziel des Netzwerks ist eine Beförderung des Austauschs zwischen deutschen und kolumbianischen Akteuren der Mobilitätswirtschaft - vornehmlich aus Wissenschaft, Industrie, kommunaler Praxis sowie Verkehrsbetrieben - herzustellen. Im Fokus stehen aktuelle Entwicklungen zu einer intelligenten, integrierten und intermodalen Mobilität in der Stadt der Zukunft. Im Rahmen der internationalen Kampagne „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ erfahren sie dabei finanzielle Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Wie und wie rasch wir uns in Städten fortbewegen können, hängt unter anderem von der Kommunikation zwischen den Akteuren im urbanen Raum ab. Neue Mobilitätskonzepte haben das Potenzial, die Lebensqualität in Städten zu erhöhen. Zurzeit schränken Wartezeiten an Haltestellen und Bahnhöfen, Staus, Unfälle und Parkplatznot unsere urbane Mobilität immer weiter ein. Die Digitalisierung eröffnet der urbanen Kommunikation und damit den Konzepten für eine intelligente urbane Mobilität völlig neue Wege. In Kolumbien ist die Dynamik besonders rasant. Wie im Zeitraffer entsteht hier eine Vielzahl neuer Verkehrsdienstleistungen. Das im Jahr 2013 begonnene Projekt Urban Traffic Modeling and Control in der Stadt Medellín (MOYCOT) ist eine kolumbianische Forschungsinitiative um Prof. Jairo Espinosa von der Universidad Nacional de Colombia, Sede Medellín. Sie zielt darauf ab, die Mobilität in der kolumbianischen Metropole Medellín zu verbessern, indem Staus und andere Verkehrsbehinderungen reduziert werden. Vom 18. bis zum 20.04.2018 führen deutsche und kolumbianische Wissenschaftler der Expertennetzwerke MoviCi und MOY- COT dieses Symposium durch, um voneinander zu lernen und gemeinsam Lösungen der urbanen Kommunikation und Mobilität zu entwickeln. Organisiert wird das Symposium durch die Verkehrsforschung des DLR sowie die Universidad Nacional de Colombia, Sede Medellín. Zu dieser zweitägigen Veranstaltung werden rund 150 Teilnehmer erwartet, vornehmlich aus Südamerika und Europa. Die thematischen Sessions unterteilen sich in die sieben Cluster • Verkehrsmodellierung und Simulation, • Verkehrsmanagement und ITS, • Mobilität und Benutzer, • Daten und Methoden, • Mobilität und Smart Cities, • Governance sowie • Stadtverkehr, Fracht und Logistik. Einreichungen werden noch bis November 2017 akzeptiert. Mehr Informationen: http: / / movici.co/ movici-moycot_jointconference_2018 (Spanisch) https: / / easychair.org/ cfp/ movicimoycot-2018 (Englisch) movilidad urbana en ciudades inteligentes movici Seilbahn in Medellín, Kolumbien Foto: pixabay.de Veranstaltungen FORUM Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 71 IT-Trans 2018 IT-Trends und Innovationen für den öffentlichen Personenverkehr Vorschau: Fachmesse für die Digitalisierung des öffentlichen Personenverkehrs, 06.-08.03.2018, Karlsruhe (DE) Z um sechsten Mal veranstalten die Karlsruher Messe- und Kongress GmbH (KMK) und der Internationale Verband für öffentliches Verkehrswesen (UITP) die dreitägige Weltleitmesse IT-Trans. Dort zeigen rund 250 Aussteller aus mehr als 30 Ländern auf 15 000 m 2 neueste Produkte und Dienstleistungen, unter anderem aus Bereichen wie Reiseinformation, Fahrgeldmanagement, Smart Cards, Sicherheit und Software-Systeme sowie Verkehrsmanagement. Start-ups präsentieren intelligente Lösungen Neben bekannten Branchengrößen nehmen zahlreiche Start-ups mit einem Gemeinschaftsstand an der IT-Trans teil, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Unter anderem bringt die Firma Multicomsystem ihre Notruf- und Informationsstelen mit, an denen wartende Fahrgäste bei Notfällen per Knopfdruck barrierefrei Hilfe anfordern sowie Informationen über Verbindungen und Verkehrsmittel erhalten können. Das Schweizer Start-up Fairtiq AG zeigt seine Check-In/ Assisted Check-Out-App, bei der sich Fahrgäste mit nur einem „Wisch“ einloggen und eine gültige Fahrkarte anfordern können: Die App merkt sich den Fahrweg und berechnet nach dem Check-Out die Kosten der optimalen Fahrkarte, dank Bestpreis-Funktion immer zum günstigsten Tarif. Bewegungssensoren im Handy erkennen, wann ein Passagier das Fahrzeug verlässt, und die Anwendung erinnert den Aussteigenden eine Push-Nachricht an das Ausloggen. In über einem Drittel der Schweizer Verbundlandschaft ist die App bereits im Einsatz. Demonstrationsstrecke Autonomes Fahren im ÖPV Erstmals bringt 2018 ein selbstfahrender Bus die IT-Trans-Besucher vom Eingang zur Messehalle und fährt weiter auf einer kurzen Demonstrationsstrecke im Messegelände. Das Elektro-Fahrzeug wird von AMo- Tech, einer Tochtergesellschaft der Trapeze Switzerland GmbH, bereitgestellt und ist zurzeit auf deren Betriebsgelände am Rheinfall als Testobjekt im Einsatz. Der „Trapizio“ kann elf Personen mit maximal 25 km/ h befördern, fährt ohne Lenkrad und hält selbstständig. Weitere Informationen und Anmeldung: www.it-trans.org Start-up-Gemeinschaftsstand Foto: KMK/ Jürgen Roesner Der „Trapizio“ im Einsatz Foto: Trapeze Switzerland Foto: KMK FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 72 Grenzenlos(er) Verkehr ! ? Vorschau: 26. Verkehrswissenschaftliche Tage (VWT), Technische Universität Dresden, 14.-15.03.2018, Dresden (DE) D ie Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der Technischen Universität Dresden veranstaltet seit vielen Jahren Verkehrswissenschaftliche Tage (VWT). Das Thema der kommenden Veranstaltung greift die Fragen nach den Grenzen der Mobilität auf. Verkehr ohne Limit - grenzenlos in die Zukunft? ! Höher, schneller, weiter, häufiger, individueller - was im Alltag gilt, betrifft auch den Mobilitätsbedarf. Mobilität steht für Erfolg und Erfolg erfordert Mobilität des Einzelnen und der Gesellschaft. Die technische Entwicklung geht stetig voran. Sie verspricht maßgeschneiderte Mobilität für jeden und alles. Doch Mobilität führt zu Verkehr und Verkehr kann nicht grenzlos zunehmen. Emissionen, erschöpfte Infrastrukturen, Verkehrsunfallkosten, nationale statt internationaler Strategien - die Grenzenlosigkeit des Verkehrs ist bedroht oder schon obsolet. Neue Denkansätze werden benötigt, um die Grenzen im Verkehr erkennen, verschieben und überschreiten zu können. Die Entkopplung neuer Mobilitätschancen 4.0 vom Wachstum des Verkehrs stellt die große Herausforderung der Verkehrswissenschaften für die nächsten Jahrzehnte dar. Mit wissenschaftlichen Methoden unter technischen, ökologischen, ökonomischen, naturwissenschaftlichen, juristischen, geografischen und psychologischen Gesichtspunkten ist der Verkehr der Zukunft zu gestalten. Verkehrswissenschaftliche Tage - Call for Papers Noch bis zum 15.11.2017 (Einreichung der Kurzfassung) können sich Interessierte mit einem Vortrag zum Thema „Grenzenlos(er) Verkehr ! ? “ an den 26. Verkehrswissenschaftlichen Tagen beteiligen. Mehr Information: www.vwt2018.de TRA 2018 Preview: 7th European Transport Research Arena, 16.-19. April 2018, Vienna (AT) U nder the heading of “A digital Era for Transport”, the Transport Research Arena 2018 (TRA 2018) is to be held on 16- 19th April in Vienna, Austria. The TRA will explore, discuss and demonstrate the major paradigm shifts - Digitisation, Automatisation and Decarbonisation - that will drastically change the way we live, work and use mobility and transport in the future. TRA 2018 will include • Plenary sessions dedicated to important policy challenges addressed by invited keynote speakers • Strategic sessions fostering exchange between industry and policy makers and addressing major innovation fields • A large number of scientific and technical sessions in which reviewed papers will be presented either orally or as posters to the audience • Poster presentations for Outreach Marketplace TRA 2018 is open to • traffic operation managers, transport operators • researchers, academics, students and young researchers, engineers, transport infrastructure managers and owners • SMEs and Start-Ups • industry, vehicle manufacturers and suppliers, ship builders • public authorities, governmental bodies • non-governmental organisations • other transport stakeholders and decision makers. Further information: www.traconference.eu IRSA 2017 Vorschau: 1. International Railway Symposium Aachen zu technischen Entwicklungen und Trends im Schienenverkehr, 28.-30.11.2017, RWTH Aachen (DE) D rei Institute der RWTH Aachen - das Verkehrswissenschaftliche Institut (VIA), das Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe (ISEA) sowie das- Institut für Schienenfahrzeuge und Transportsysteme (IFS) - haben sich zum Research Center Railways (RCR) zusammengeschlossen, einem virtuellen Institut, das fakultätsübergreifend ihre Aktivitäten in der Schienenverkehrsforschung bündelt. Diese Institute veranstalten nun das 1. International Railway Symposium Aachen (IRSA) mit dem Ziel, der Branche eine Plattform zum fachlichen Austausch zu geben. Sie legen dabei Wert auf ein breites, interdisziplinäres Themenspektrum, das den Betrieb, die Infrastruktur und die Fahrzeugtechnik umfasst und für Wissenschaft, Wirtschaft und Politik gleichermaßen interessant ist. Adressiert werden sowohl Vollbahnals auch innerstädtischer Schienenverkehr. Fachleute und Führungskräfte aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sind zur Teilnahme an diesem 1. International Railway Symposium Aachen eingeladen. In Fachbeiträgen aus einem breiten Spektrum der Schienenverkehrsbranche erfahren sie neueste technische Entwicklungen und Trends zu relevanten Themen der Branche. Weitere Informationen: www.irsa.rwth-aachen.de/ Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 73 Erscheint im 69. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de | iv-redaktion@t-online.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 54 vom 01.01.2017. Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr plus International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 193,00 (zzgl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 215,00 Einzelheft: EUR 50,00 (inkl. MWSt.) Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print und E-Paper sowie den Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH, München Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Color Wires in Interior Foto: Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Mobilität und Logistik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Jürgen Peters Dr., Geschäftsführer Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Associate Partner, Oliver Wyman, Berlin Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Detlev Zukunft Dr., Programmdirektion Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 74 Liebe Leserinnen und Leser, die Begriffe Digitalisierung und Automatisierung lassen uns nicht los - schließlich charakterisieren sie eine Entwicklung, die im rasanten Tempo unseren Alltag verändert. Die vorliegende Ausgabe von Internationales Verkehrswesen hat den Fokus vorrangig auf technologische Machbarkeit und Strategien gelegt. Daher wollen wir in der nächsten Ausgabe der Frage nachgehen, was das Schlagwort Digitalisierung im mobilen Alltag ausmacht. Mit dem Themenschwerpunkt Digitalisierung in der Praxis sollen vor allem Anwendungen gezeigt werden, die den ÖPNV im urbanen und ländlichen Raum attraktiver machen, individuelle Mobilität verbessern oder mehr Effizienz und Sicherheit zu Lande, zu Wasser und in der Luft ermöglichen. Als Autoren sind Sie herzlich eingeladen, ihren Beitrag zu diesem Themenkreis zu leisten. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 18. Januar, das Autorenformular zur Einreichung finden Sie auf www.internationales-verkehrswesen. de/ autoren-service. Und als Leser dürfen Sie gespannt sein: Internationales Verkehrswesen 1/ 2018 kommt am 22. Februar 2018 - im 70. Erscheinungsjahr unserer Zeitschrift und hoffentlich wieder erkenntnisreich für Sie. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 14.-17.11.2017 Delhi (IN) IRF World Road Meeting 2017 Safe Roads and Smart Mobility: The Engines of Economic Growth Veranstalter: International Road Federation (IRF) https: / / wrm2017.org 16.-18.11.2017 Leipzig (DE) DMG-Jahrestagung und -Mitgliederversammlung 2017 „Neuer Schub für den Schienengüterverkehr - Innovative Technologien für innovative Logistik” Veranstalter: Deutsche Maschinentechnische Gesellschaft (DMG) - Forum für Innovative Bahnsysteme Kontakt: +49 371 50348-283, volkmar.vogel@voith.com www.dmg-berlin.info 21.-25.11.2017 Lyon (FR) Solutrans 2017 Internationale Messe für Straßentransport und Stadtverkehr Veranstalter: www.comexposium.com www.solutrans.eu 28.-30.11.2017 Köln (DE) PMRExpo 2017 Internationale Fachmesse für Professionellen Mobilfunk und Leitstellen Veranstalter: EW Medien und Kongresse GmbH, www.ew-online.de www.pmrexpo.de 30.11.2017 Hamburg (DE) 25. Workshop „Integrierte Instandhaltung und Ersatzteillogistik“ Veranstalter: Arbeitskreis „Instandhaltung“ der Forschungsgemeinschaft für Logistik e.V. Weitere Informationen: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Günther Pawellek, prof.pawellek@fglhamburg.de 10.—12.01.2018 Essen (DE) InfraTech 2018 „Fundamente für die Zukunft“ Veranstalter: Rotterdam Ahoy Kontakt: Anja Scholten, a.scholten@ahoy.nl www.infratech.de 25.01.2018 Leipzig (DE) 62. Eisenbahntechnische Fachtagung Leitthema 2018: Schnittstellen in der Leit-und Sicherungstechnik (LST) Veranstalter: VDEI-Akademie für Bahnsysteme Anmeldung: www.vdei-akademie.de/ event-detail/ id-62-eisenbahntechnische-fachtagung.htm 20.-21.02.2018 Kalkar (DE) Trans-Log-Intermodal (T-L-I) Dienstleistungen und Produkte rund um Transport, Logistik und Intralogistik Veranstalter: Messe Kalkar Kontakt: Wolfgang von der Linde, T.: +49 2824 910 289, wolfgang.vonderlinde@messekalkar.de www.translogintermodal.com 06.03.- 08.03.2018 Karlsruhe (DE) IT-Trans 2018 IT-Trends und Innovationen für den öffentlichen Personenverkehr Veranstalter: Karlsruher Messe- und Kongress GmbH Information und Anmeldung: www.it-trans.org 14.-15.03.2018 Dresden (DE) 26. Verkehrswissenschaftliche Tage Grenzenlos(er) Verkehr? ! Veranstalter: Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ an der TU Dresden Kontakt: Susanne Nerlich, vwt2018@tu-dresden.de www.vwt2018.de 16.-19.04.2018 Wien (AT) Transport Research Arena 2018 (TRA) Europäische Verkehrsforschungskonferenz: „A Digital Era for Transport“ Veranstalter: AustriaTech GmbH, www.austriatech.at Kontakt: Katharina Schüller, T.: +43 1 26 33 444-48, katharina.schueller@austriatech.at www.traconference.eu TERMINE + VERANSTALTUNGEN 14.11.2017 bis 19.04.2018 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten: Herr Frau Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden) Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen. Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de/ agb_trialogpublishers.pdf heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo Jahresbezugspreis Inland EUR 213,35 inkl. MwSt. und Versand Jahresbezugspreis Ausland EUR 215,- (mit VAT-Nr.) / EUR 237,73 (ohne VAT-Nr.), inkl. Versand WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www.trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, z.Hd. Eberhard Buhl, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. Abo-Bestellung bitte senden an: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft z.Hd. Eberhard Buhl Leserservice Internationales Verkehrswesen Schliffkopfstraße 22 72270 Baiersbronn-Buhlbach Fax: +49 (0)7449 91386 37 E-Mail: service@trialog.de Ja, ich will Internationales Verkehrswesen regelmäßig lesen! StudiAbo (Aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung) Jahresbezugspreis Inland EUR 85,34 (inkl. MwSt. und Versand). Jahresbezugspreis Ausland EUR 95,09 (inkl. MwSt. und Versand). Das Jahres-Abonnement umfasst die gedruckte Ausgabe plus ePaper/ PDF und Archivzugang (ab 1/ 1949). Vertriebsanzeige IV.indd 1 15.08.2017 15: 14: 29 2017 | Heft 4 November
