eJournals

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
21
2018
701
2018 | Heft 1 Februar Innovative Strategien für die Mobilität von morgen Digitalisierung - Theorie und Praxis www.internationalesverkehrswesen.de Heft 1 l Februar 2018 70. Jahrgang POLITIK Wo schnelle Antworten auf drängende Rechtsfragen gefordert sind LOGISTIK Straße, Wasser, Luft - welche Lösungen neue Chancen bieten MOBILITÄT Verkehrsmittelwahl: Alles eine Frage der richtigen Technik? TECHNOLOGIE Mehr Sicherheit durch intelligente Automatisierung Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 3 Hans-Dietrich Haasis EDITORIAL Digitalisierung: Fluch oder Segen? D igitalisierung ist in aller Munde. Experten erläutern deren Chancen für die Wirtschaft und für einzelne Unternehmen, Laien sind verblüfft über die erwarteten Veränderungen in der Zukunft. Aber was bedeutet Digitalisierung letztlich für die Unternehmen der Verkehrswirtschaft und der Logistik? Hier gehen, so zumindest meine Einschätzung, die Vorstellungen noch weit auseinander. Entsprechend gibt es Unternehmer, welche eher taktisch abwarten, andere wiederum versuchen, über einzelne Forschungsprojekte sich Wettbewerbschancen zu erarbeiten. Eines ist allen bewusst: Digitalisierung, digitale Transformation oder digitaler Wandel ist mehr als nur die Nutzung von Smartphones und die Bereitstellung von Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet. Digitalisierung wird unser Leben, unser Zusammenleben und unser Wirtschaften verändern. Durch die digitale Transformation werden die Kundin und der Bürger, ihr Einkaufsverhalten, ihr Mobilitätsverhalten und seine Kommunikationsgewohnheiten über die durch sie und ihn bereitgestellten Daten zunehmend ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Big-Data-Analysemethoden werden diese Datenmengen nach Mustern durchsuchen und uns individualisierte Produkt- und Dienstleistungsangebote zusammenstellen. An die Stelle einer getakteten Planung und Steuerung von Produktion und Logistikdienstleistung rückt die Bereitstellung auf Abruf bzw. „on demand“ - etwa über eine digitale Service Mall in der Cloud. Prozesse steuern vernetzte autonome Systeme, beispielsweise auch Transport- und Umschlagsysteme, durch Interaktion zunehmend selbst. Vor genau 40 Jahren, also zu Beginn meines damaligen Studiums, erschien die deutsche Fassung des Buches „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ von Joseph Weizenbaum. Der Computerpionier fokussiert in diesem Buch bei aller Bewunderung für die technischen Möglichkeiten unter anderem auf die Selbstbestimmung des Menschen gegenüber technischen Entwicklungen, auf den menschlichen Verstand und auf den politischen Willen, auch ethisch begründete Ansprüche bei der Realisierung und im Umgang mit diesen Entwicklungen zu berücksichtigen. Sind diese Aspekte nicht auch heute mehr denn in unser Bewusstsein zu rücken? Digitalisierung wird ohne Zweifel helfen, unsere Lebensqualität zu erhöhen, Wirtschaftsprozesse zu verbessern und Dienstleistungsangebote zu individualisieren. Wirtschaftliche Effizienzpotentiale bei logistischen und transportwirtschaftlichen Produkten können erschlossen werden. Gleichwohl führen neue Informationsbereitstellungs- und Geschäftsmodelle auch zu neuen Akteurskonstellationen, bei denen die bisher üblichen Kooperationsarrangements nicht notwendigerweise mehr aufrechterhalten werden müssen. Sie werden vielmehr etwa durch Plattformlösungen und in die Cloud ausgelagerte nachfragegetriebene Prozesse ersetzt. Software übernimmt die Aufgaben der Disponenten. Logistische Dienstleistungen können von neuen Anbietern digitaler Infrastrukturen, von Kommunikationsunternehmen oder von Informationsanbietern bereitgestellt und betrieben werden. In diesem Zusammenhang sind zumindest mittelfristig Marktverschiebungen und Fragen der Marktbeeinflussung kritisch zu beobachten, zu analysieren und zu hinterfragen. Nicht zuletzt ergeben sich Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, auf die Anforderungen an die Berufsausbildung und auf die psychischen Herausforderungen bei der Kommunikation zwischen Mensch und digitalem System. Dennoch: Lassen Sie uns die Chancen der Digitalisierung aufgreifen, unsere Geschäftsmodelle und unsere Prozesse überdenken, um so durch die Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung voneinander und miteinander zu lernen und diejenigen Innovationen zu nutzen, welche unser Leben und unser Miteinander erleichtern. Ich wünsche Ihnen hierzu viele gute Ideen, und natürlich viel Freude beim Lesen dieser Ausgabe von Internationales Verkehrswesen. Herzlich Ihr Hans-Dietrich Haasis Univ.-Prof. Dr., Lehrstuhl für Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 4 38 Vernetzte Logistik per Smartphone-App Monika Tonne 40 Unbemannter Frachttransport im Luftverkehrssystem Michael Schultz Annette Temme Dirk Kügler 43 Schifffahrt auf kleinen Gewässern in Großbritannien als Vorbild für Deutschland? Anja Scholten Benno Rothstein 46 Der Löwe setzt auf Wachstum Singapurs Logistik-Megaprojekte für die Zukunft Dirk Ruppik WISSENSCHAFT 48 Disposition mit Zeitfenstervorgaben Assistenzsysteme und Entlastungspotenziale für den Spediteur Ralf Elbert Anne Friedrich Dominik Thiel POLITIK 12 Das Thema Verkehr in den „Jamaika“-Koalitionsgesprächen auf Bundesebene Andreas Kossak 16 Die Mobilisierung von preissensibler Nachfrage in einer digitalisierten Welt Die Entstehung von vier Quasi-Monopolen im deutschen Fernverkehrsmarkt Andreas Krämer 21 Verwertung von Slots im Rahmen der Insolvenzabwicklung von Fluggesellschaften Arne Schulke Nina Naske 24 Zulassung hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge Die Rolle von Produktregulierung, Konformitätsbewertung, Produktbeobachtung und Marktüberwachung Lars Schnieder René S. Hosse WISSENSCHAFT 28 Digitaler Knoten 4.0 Vorstellung des Forschungsprojekts und Rechtsfragen des innerstädtischen Mischverkehrs im Kreuzungsbereich Marc Engelmann Philipp Laux INFRASTRUKTUR WISSENSCHAFT 32 Evaluation eines Standortpotenzialmodells für E-Ladeinfrastruktur Bewertung des Hamburger Standortpotenzialmodells anhand aktueller Ladedaten der 600 Ladepunkte Timotheus Klein Christian Scheler INTERNATIONAL TRANSPORTATION 1/ 2018 Urban Mobility - Safety & Security - Infrastructure - Planning - Best Practice Publication Date: 16 May 2018 Further information: www.internationales-verkehrswesen.de/ english-edition/ LOGISTIK Foto: Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, Hamburg SEITE 32 Foto: CBOA, www.cboa.org.uk SEITE 43 Foto: pixabay.de SEITE 21 Aktuelle Themen, Termine und das umfangreiche Archiv finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 5 INHALT Februar 2018 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 27 Bericht aus Brüssel 84 Forum Workshop Automatische Mittelpufferkupplung Veranstaltungen 89 Impressum | Gremien 90 Vorschau | Termine AUSGABE 2/ 2018 Transport & Logistik - Internationale Transportkorridore - Geschäftsmodelle - (Binnen-)Schifffahrt erscheint am 07. Juni 2018 69 Intelligente Überwachung mobiler Objekte in Seehäfen Nina Vojdani Thomas Lück 72 Ein Meilenstein für die autonome Schifffahrt Erste (teil)autonome Fähren in-Norwegen Kevin Daffey 74 Intelligente Bildverarbeitung Eine Basistechnologie für Automatisierung und Digitalisierung Eric Steck 76 In-service condition monitoring of rail tracks On an on-board low-cost multisensor system for condition based maintenance of railway tracks Benjamin Baasch Michael Roth Jörn Christoffer Groos 80 Wie Automatisierung das Störungsmanagement im Schienenverkehr verbessern könnte Eine internationale Untersuchung Lasse Gerrits Danny Schipper Foto: pixabay.de SEITE 59 Quelle: www.openstreetmap.org SEITE 76 Beilagenhinweis Dieser Ausgabe liegt eine Information der Technischen Universität Darmstadt bei. Wir bitten um Beachtung. 53 Urbane Mobilität - auf dem Weg zu Mobility on Demand Standpunkt Ralf Frisch 55 Mobilität als soziales System Klaus Füsser WISSENSCHAFT 59 Entwicklung eines Bewertungsmodells für die Fahrradfreundlichkeit von Stadtteilen am Beispiel Berlin Sven Hausigke 65 Inter, Multi, Mono: Modalität im-Personenverkehr Eine Begriffsbestimmung Kathrin Viergutz Benedikt Scheier MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 6 IM FOKUS Live-Betrieb für Güterwagen-Monitoring gestartet D as Bonner Startup-Unternehmen Rail- Watch hat gemeinsam mit dem Bremer Senat und dem Partner VTG in Bremerhaven die erste Multi-Messstation seines Wayside Monitoring-Systems für Güterzüge in Betrieb genommen. Die Anlage wurde in der Einfahrt zum Hafenterminal installiert und liefert seit Jahresbeginn Daten. Partner VTG unterstützt - gemeinsam mit einem Kunden - den Livebetrieb und validiert die Messergebnisse durch Mehrfachmessungen und Werkstattprüfungen. Ein erster Abgleich bestätigte den Daten eine hohe Konsistenz und Genauigkeit. Güterwagenhalter, Eisenbahnverkehrsunternehmen und Schienennetzbetreiber sollen so stets genau informiert sein, in welchem technischen Zustand die Fahrzeuge sind und wann sie voraussichtlich in die Werkstatt müssen. Künftig sollen die Fahrzeuge auch selbstständig mit den Instandhaltungsbetrieben kommunizieren und automatisch zur Inspektion, Wartung oder Reparatur einchecken, so wie LKW dies heute bereits tun. Das soll den Schienengüterverkehr zuverlässiger, effizienter und besser planbar machen. Sensoren und Kameras erheben während der Durchfahrt der Güterzüge automatisch und radgenau Informationen über die technischen Zustände von Rädern, Bremsen und Radläufen, identifizieren schadhafte Achslager und Flachstellen, registrieren die Radlasten und dokumentieren den optischen Zustand jedes einzelnen Fahrzeugs. Die Messergebnisse werden über einen Server in einer Cloud zusammengeführt, von der RailWatch-Software ausgewertet und über ein Internetportal an die beauftragenden Unternehmen bereitgestellt. Aus Mehrfachmessungen ermittelt die Software Verschleißtrends und optimale Wartungs- und Instandhaltungszeitpunkte. Langzeit-Informationen werden in einer virtuellen Wagenakte zusammengeführt. Die Informationen stellt RailWatch - jeweils kundenspezifisch aufbereitet - Güterwagenhaltern, Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf einer Plattform im Dashboard-Format zur Verfügung. Über eine API-Schnittstelle lässt sich das Informationssystem auch direkt in mobile Applikationen und Webseiten sowie in eigene Unternehmenssoftware wie beispielsweise SAP ERP integrieren. Bremerhaven ist der viertgrößte Containerhafen und größte Automobil-Umschlagplatz Europas. Der überwiegende Teil des Güterverkehrs zum und aus dem Hinterland läuft über das 183 km lange Schienennetz der Bremischen Hafeneisenbahn - pro Woche rund 600 Züge, die zu rund 40 % mit Automobilen beladen sind. In den nächsten Jahren will RailWatch seine Messstationen europaweit ausbauen, vornehmlich in den Einfahrten großer Güterverkehrsterminals. www.rail-watch.com Messstelle zur Erfassung der Fahrzeugdaten Foto: RailWatch EU vernetzt Blockchain-Experten D ie EU-Kommission will die europäische Zusammenarbeit in der innovativen Blockchain-Technologie stärken. Dazu hat sie eine neue Beobachtungsstelle und das EU-Forum für die Blockchain-Technologie auf den Weg gebracht. Ziel ist es, Informationen zu sammeln, Trends zu beobachten und zu analysieren, Herausforderungen anzugehen und das sozioökonomische Potenzial dieser neuen Technologie auszuloten. Eine Blockchain ist eine dezentrale Datenbank, die auf vielen Computern verteilt ist. Dabei werden die Informationen nicht zentral auf einem Server, sondern dezentral auf vielen Rechnern gespeichert. Jede Interaktion der Teilnehmer wird in dem gesamten Netzwerk in sogenannten Blocks gespeichert; so führt das gesamte Netzwerk Buch über die Datenbank und sichert damit die Richtigkeit der Vorgänge. Die Blockchain-Technik gilt als wichtiger Durchbruch, da sie bei Online-Geschäften ein hohes Maß an Rückverfolgbarkeit und Transparenz gewährleistet. Sie wird sich auf digitale Dienstleistungen auswirken und die Geschäftsmodelle in einer Vielzahl von Bereichen verändern, etwa in der Logistik, bei öffentlichen Dienstleistungen oder Bezahlvorgängen. Erfunden wurde die Blockchain- Technik ursprünglich, um das dezentrale Geldsystem „Bitcoin“ zu ermöglichen: Der Bitcoin-Betrag, den jeder Einzelne besitzt, wird nur lokal auf dem heimischen Computer in einer sogenannten virtuellen Geldbörse gespeichert. Nun soll ein offenes grenzüberschreitendes Forum entstehen, das die besten Experten Europas zusammenführt und in dem Blockchain-Techniker, Innovatoren, Bürger, Interessenträger aus der Wirtschaft, öffentliche Verwaltungen, Regulierer und Aufsichtsbehörden miteinander neue Ideen entwickeln. https: / / ec.europa.eu/ digital-single-market/ en/ blockchain-technologies Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 7 IM FOKUS Mobilitätsplattform - auch für autonom fahrende ÖPNV-Flotten I n Kooperation mit dem Automobilzulieferer ZF baut das Berliner Mobilitäts- Startup door2door seine On-Demand-Mobilitätsplattform weiter aus. Dabei vernetzt die Plattform sowohl Personen als auch Logistikgüter; beides wird gleichzeitig transportiert und vollständig in das ÖPNV-System einer Stadt integriert. Die Mobilitätsplattform eignet sich auch für Verbindungen mit Plattform- und Hardware-Lösungen für autonomes Fahren von Automobilzulieferern. Bislang wurden Lösungen für On-Demand-Mobilität und autonome Fahrzeuge getrennt voneinander entwickelt. Die door2door-Plattform ermöglicht es nun Städten, Nahverkehrsunternehmen und Mobilitätsanbietern, autonom fahrende Flotten eigenständig zu betreiben und sie in vollem Umfang in das Nahverkehrsnetz einzubetten. Dabei kommuniziert die door2door-App mittels Spracherkennung von Microsoft direkt mit dem Nutzer. Ist eine Fahrt gebucht, erfolgt die Identifikation per Gesichtserkennung über ein Selfie des Passagiers oder via QR-Code auf dem Smartphone. Passagiere, Absender und Empfänger von Paketen können anhand der Gesichts- und Spracherkennungs-Software identifiziert werden. Die App bietet außerdem komfortable Servicefunktionen: So erhalten beispielsweise Nutzer, die sich in einer unbekannten Stadt aufhalten und nach einer guten Pizzeria suchen, auf ihren Präferenzen basierende Vorschläge. Der Algorithmus berücksichtigt dabei Online-Bewertungen und rechnet die aktuelle Fahrzeit mit einem Shuttle zum ausgewählten Ziel aus. www.door2door.io Bild: PTV Können Sie sich eine Stadt vorstellen, in der Reisende ihren Weg nahtlos multimodal zurücklegen, vom Fahrrad über Carsharing-Angebote zur Bahn wechseln und das letzte Stück zu Fuß gehen? Ein reibungsloser Ablauf erfordert punktgenaue Informationen. Hier kommen wir ins Spiel. Wir haben uns auf Lösungen spezialisiert, die Ihnen dabei helfen, Ihr Verkehrsnetz zu optimieren. Damit schaffen Sie nicht nur eine lebenswerte Umgebung, sondern prägen Ihr Stadtbild neu. Das PTV MaaS Accelerator Program ermöglicht es Ihnen ein ausgereiftes Ökosystem zu gestalten, das neue Mobilitätsformen mit Öffentlichen Personennahverkehrsangeboten verknüpft. Während wir mit unseren Technologien den Weg für Smart Cities ebnen, steht und fällt die Zukunft mit Ihnen. Wie? Besuchen Sie uns auf der IT-Trans 2018 an Stand F3 und finden Sie es heraus. NUTZEN SIE DAS POTENZIAL NEUER MOBILITÄTSFORMEN! Erfahren Sie mehr über die Zukunft der Mobilität: ptv.to/ mobilitaetderzukunft Besuchen Sie uns vom 06. - 08. März auf der IT-Trans an Stand F3 Anz_IT_Trans_DE_210x139mm_01-2018.indd 1 26.01.2018 14: 44: 07 Rufbusse und autonome Fahrzeuge auf derselben Plattform managen Foto: door2door IM FOKUS Technologien und Lösungen auf der IT-Trans 2018 V om 6. bis 8. März 2018 kommen internationale IT- und ÖPV- Experten in der Messe Karlsruhe zusammen, um auf der IT- Trans an den Mobilitätslösungen von morgen zu arbeiten (siehe auch Seite 88). Teil der IT-Trans-Konferenz sind Themen des Öffentlichen Verkehrs, besonders auch Digitalisierung und autonomes Fahren im öffentlichen Verkehr, standardisiertes nahtloses Reisen sowie Smart Ticketing. Im Ausstellungsbereich zeigen rund 250 Firmen aus mehr als 30 Ländern Produkte und Dienstleistungen - unter anderem aus dem Bereich Fahrgeldmanagement, Reiseinformationen, multimodalem Verkehr sowie Fahrgast- und Verkehrsmanagement. Eines der Schwerpunktthemen von Konferenz und Fachmesse ist Mobility-as-a-Service (MaaS). Der öffentliche Personenverkehr von heute wird ergänzt durch eine Vielzahl innovativer Mobilitätsoptionen. Integrierte Mobilitätsplattformen wie MaaS integrieren diese Angebote in eine übergreifende Struktur. Autonom gesteuerte Fahrzeuge werden die multimodale, vernetzte und geteilte Mobilität künftig um eine weitere Komponente ergänzen. Hier einige der Innovationen im Überblick. Axon Vibe: MaaS-Plattform D as Schweizer Unternehmen Axon Vibe bietet eine standortbasierte kontextuelle MaaS-Plattform an, die menschliche Verhaltensmuster erkennt und prognostiziert. Verkehrsunternehmen nutzen diese Technologie, um damit eine auf die individuellen Bedürfnisse von einzelnen Reisenden ausgerichtete multimodale Mobilität anbieten zu können. Dazu steuert die Plattform die mobilen Apps der ÖPV-Betreiber und vereinfacht die Prozesse für Endnutzer deutlich: Passende Zusatzdienste wie etwa die Buchung eines Leihfahrrads für die „letzte Meile“ werden dem Reisenden unaufgefordert angeboten. Die Leistungen der Plattform von Axon Vibe: Smart Travel Assistance: Fahrgäste erhalten personalisierte Nachrichten und Warnungen basierend auf ihren individuellen Vorlieben und im Zusammenhang mit dem jeweiligen Kontext. Seamless Ticketing: ÖPV-Betreiber können über die Plattform automatisch die Ein-, Um- und Ausstiegsorte der einzelnen Passagiere über verschiedene Transportmittel hinweg erfassen und diese Informationen nutzen, um digitale Tickets verbrauchergerecht abzurechnen (Be-in/ Be-out). Ancillary Revenue: Das Kontextmarketing- und Cross-Selling-Potenzial von Drittangeboten wird gefördert, neue Einnahmequellen für ÖPV-Betreiber lassen sich generieren. www.axonvibe.com MaaS-Plattform für multimodale Mobilität Bild: Axon Vibe moovel: Multimodal und flexibel unterwegs mit der App D ie moovel Group als Tochterunternehmen von Daimler arbeitet an einem Betriebssystem für urbane Mobilität, das digital, vernetzt und on demand Zugang zu passenden Mobilitätsoptionen bietet. Die neueste Angebotsentwicklung ist moovel on-demand für intelligentes Routing unter Einbindung von Echtzeitdaten und das Bündeln von Fahrten. Ein Algorithmus bündelt die Fahrtanfragen, so dass sich mehrere Fahrgäste ein Fahrzeug teilen können („Ridesharing“). Die Routen sind entsprechend dynamisch, Fahrt- und Ankunftszeiten wie auch die optimalen Start- und Endhaltestellen werden jeweils individuell berechnet. Die Lösungen moovel App und moovel transit ergänzen die Präsentation auf der Messe. www.moovel.com Die moovel transit App Foto: moovel Group Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 8 IM FOKUS IVU: E-Mobilität, mobiles Ticketing und digitales Arbeiten I VU Traffic Technologies zeigt erweiterte Lösungen der IVU.suite, um Elektro-Busse effizient zu nutzen und nahtlos in den betrieblichen Alltag zu integrieren. Neu ist die IVU.ticket.app für den Fahrscheinkauf auf dem Smartphone und eine Lösung für bargeldloses Bezahlen im Bus. Und das IVU. pad, digitaler Arbeitsplatz für Fahrer und mobile Mitarbeiter, hat zahlreiche neue Funktionen erhalten. Die IVU.suite ist das Standardsystem von IVU für den öffentlichen Personenverkehr und soll Planern und Disponenten den effizienten Einsatz von Elektro-Bussen erleichtern. Sie kennt die Eigenschaften der Fahrzeuge, die Lademöglichkeiten und Streckensituationen und unterstützt mit passenden Vorschlägen. Besonderer Fokus liegt auf der integrierten Verwaltung von E-Bussen und Dieselfahrzeugen, die auf einer Oberfläche gemeinsam disponiert werden können. Die neue IVU.ticket.app für mobiles Ticketing enthält eine Verbindungssuche und erzeugt VDV-KA-konforme Barcodetickets für die Fahrt mit Bus und Bahn. Nutzer können sich mit bestehenden Facebook- oder Google-Konten anmelden und ihre Bezahlmethode für einen schnellen Ticketkauf direkt in der App hinterlegen. In Verbindung mit der Abrechnungssoftware IVU.fare stehen Auswertungsfunktionen zur Verfügung. Darüber hinaus versteht sich der Bordrechner IVU.ticket.box jetzt auch auf das bargeldlose Bezahlen mit Kredit- und Debitkarte - auf Wunsch kontaktlos ohne Pin- Eingabe. Das IVU.pad, die Tablet-Software für die digitale Kommunikation mit mobilen Mitarbeitern, kommt mit zahlreichen Neuerungen. Unter anderem enthält es jetzt einen vollwertigen digitalen Dienstfahrplan, der Triebfahrzeugführer durchgängig begleitet. Auch wird das Tablet jetzt offline-fähig und informiert auch, wenn das Fahrzeug im Funkloch steht. www.ivu.de Technologien und Lösungen auf der IT-Trans 2018 PTV: MaaS Modeller berechnet Leistung und Ertrag D ie Modellierung des bestehenden Personenverkehrs mit neuen Mobilitätskonzepten spielt eine wesentliche Rolle, um MaaS-Geschäftsmodelle in der Praxis erfolgreich umzusetzen, z. B. bei der Integration zusätzlicher Flotten. Um diese möglichst detailliert abzuschätzen, kommt der PTV MaaS Modeller ins Spiel. Die Software-Lösung ermöglicht es Flottenbetreibern, die genaue Anzahl der benötigten Fahrzeuge einschließlich der voraussichtlichen Unterhaltskosten zu ermitteln. Vor Einführung eines Shared-Mobility- Angebots lassen sich mit dem PTV-Tool zahlreiche Leistungskennzahlen unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen des Anbieters berechnen. Zudem basiert die PTV-Technologie auf den spezifischen Verkehrsdaten und Verkehrsnachfragemodellen der Städte, um das volle Potenzial eines jeden Geschäftsmodells auszuschöpfen. Weitere Informationen auf Seite 53. www.ptvgroup.com Optibus: Lösungen für ÖPV-Planung und -Betrieb D er israelische Anbieter Optibus bietet eine dynamische Echtzeit-Plattform an, die den optimalen Gebrauch von Ressourcen im öffentlichen Personenverkehr und für Flottenbetreiber ermöglicht. Optibus verwendet proprietäre Algorithmen und webbasierte Technologie, um die Fahrgastnachfrage und unerwartete Ereignisse mit einzubeziehen. Dadurch können Echtzeit-Änderungen vorgenommen und Beeinträchtigungen vermieden werden. Folgende Lösungen stellt das Unternehmen vor: • Optibus OnSchedule: Den Gebrauch von Fahrzeugen und Fahrern optimieren • Optibus Charge: Das Aufladen von Elektrobussen planen • Optibus OnDemand: Öffentliche Verkehrsmittel als Dienstleistung www.optibus.co IVU.ticket.app für den Fahrscheinkauf auf dem Smartphone Foto: IVU Beispiel-Screen der OnSchedule-Lösung Foto: Optibus Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 9 Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 10 IM FOKUS ATO-Tests auf der Betuweroute E inen Testbetrieb mit Automatic Train Operation (ATO) wollen der niederländische Infrastrukturbetreiber ProRail, das Bahnfracht-Unternehmen Rotterdam Rail Feeding (RRF) und Bahnausrüster Alstom in diesem Jahr auf der Betuweroute einrichten. Eine RRF-Lok soll die rund 100 km lange Strecke zwischen dem Hafen Rotterdam und dem CUP Valburg Frachtterminal in Overbetuwe automatisch zurücklegen. Diese Tests werden mit Automatisierungsgrad GoA Level 2 auf der mit ERTMS ausgerüsteten Betuweroute durchgeführt, einer 150 km langen zweigleisigen Güterverkehrsstrecke, die Rotterdam mit Deutschland verbindet und zum europäischen Frachtkorridor A gehört. Die Strecke wurde von Alstom zwischen Rotterdam und Zevenaar mit ETCS Level 2 ohne ortsfeste Lichtsignale ausgerüstet. Während der Tests wird ein Lokführer die Funktionen überwachen. Außerdem soll in Valburg das automatische Rangieren getestet werden. Alstom hat bereits ATO-Erfahrung im Metro-Betrieb und erwartet auch bei der Güterbahn operative und wirtschaftliche Vorteile ohne teure Änderungen bei der Infrastruktur. Gian-Luca Erbacci, Senior Vice- President Europe von Alstom, ist überzeugt, dass automatisierter Schienenverkehr für Bahnkunden attraktiver, umweltfreundlicher und wettbewerbsfähiger sein wird. Rund 600 Maut-Kontrollsäulen an Bundesstraßen B ereits 2016 wurden für Testzwecke an einzelnen Standorten stationäre Maut- Kontrollsäulen seitlich neben der Fahrbahn aufgebaut, nun folgen weitere rund 600-Säulen als technische Vorbereitung zur Ausweitung der LKW-Maut auf alle Bundesstraßen zum 01.07.2018. Die vier Meter hohen blauen Kontrollsäulen ergänzen die mobilen Kontrollen des Bundesamtes für Güterverkehr auf den Bundesstraßen und überprüfen, ob vorbeifahrende Fahrzeuge mautpflichtig sind und die Gebühr ordnungsgemäß entrichten. Auf Bundesstraßen werden keine Kontrollbrücken aufgebaut wie auf Autobahnen, technisch sind sie aber mit ähnlichen Funktionen ausgestattet: Passiert ein Fahrzeug die Kontrollstelle, werden ein Übersichts-, ein Seitenansichts- und ein Kennzeichenbild erstellt. Die On-Board-Unit (OBU) des Fahrzeugs sendet die durch den Fahrer eingestellten sowie die intern gespeicherten Daten an die Kontrollsäule. Hat der Fahrer die Achszahl richtig eingestellt und ist die OBU funktionsbereit, werden die Bilddaten verworfen. Kontrollsäulen überprüfen nicht die Geschwindigkeit, sondern ausschließlich die Einhaltung der Mautpflicht für Kraftfahrzeuge und Fahrzeugkombinationen ab 7,5 t zulässigem Gesamtgewicht. Für die Erfassung von Fahrzeugen durch Kontrollsäulen gelten die gleichen, im Bundesfernstraßenmautgesetz (BFStrMG) festgehaltenen Vorgaben wie für Kontrollbrücken. Dabei werden ausschließlich Daten von mautpflichtigen Kraftfahrzeugen, bei denen der Verdacht auf einen Mautverstoß besteht, an ein Kontrollzentrum weitergeleitet und nach Abschluss des Verfahrens gelöscht. Hat der Kunde die Maut ordnungsgemäß bezahlt, werden die Daten noch in der Kontrollsäule sofort gelöscht. www.toll-collect.de Betuweroute und ATO-Teststrecke Quelle: Bukk/ Wikimedia mit Anpassungen Maut-Kontrollsäule in Köln Foto: TollCollect/ Itterman Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 11 Zusätzliche Finanzmittel allein sind keine Problemlösung O b in der neuen Legislaturperiode die Verkehrs- und Logistikwirtschaft ihre aus den Sondierungsgesprächen der Parteien begründete Hoffnung auf nachhaltige Verbesserungen der Finanzmittelausstattung für Infrastrukturprojekte und den kapazitätsmäßig ebenfalls weitgehend an seinen Grenzen arbeitenden ÖPNV erfüllt sieht, ist noch nicht in trockenen politischen Tüchern. Unvergessen bleibt die Situation von 2013, als im Koalitionsvertrag entgegen vorherigen Beschlüssen der Fachgruppen erhebliche Kürzungen der finanziellen Zusagen vorgenommen wurden. Dies führte zu beträchtlicher Verärgerung der Verkehrspolitiker: Umverteilung der Mittel zugunsten anderer Sektoren. Das Paket der Erwartungen ist beachtlich. So soll der erfreuliche Investitionshochlauf beibehalten werden und beim ÖPNV eine Aufstockung der GVFG-Mittel des Bundes von 360 Mio. EUR sukzessive bis auf 1 Mrd. EUR jährlich erfolgen. Umgesetzt werden muss der Beschluss aus 2017, die Trassenpreise im Schienengüterverkehr deutlich zu senken; dies wird in den vier Jahren summiert bis zu 1,4 Mrd. EUR erfordern. Und deutlich soll der Bund die Digitalisierung der Bahn im Hinblick auf die weitere Implementierung des ETCS durch Milliarden-Zuschüsse unterstützen, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Wie teuer dies ist und wie lange es dauert, bis der unternehmerische Nutzen diese Aufwendungen ausgleicht, zeigt das Beispiel der Schweiz mit ihrer netzumfassenden Einführung des ECTS. Dort wird mit 20 Jahren gerechnet, aber die Regierung hat mit hoher Finanzmittelbereitstellung das Großprojekt ermöglicht. Wenn dann berücksichtigt wird, dass - so die Aussagen der Finanzpolitiker - für die neue Legislatur nur rd. 45 Mrd. als freie Zusatzmittel zur Verfügung stehen, um die Sozial-, Bildungs-, Sicherheits- und Umweltpolitiker kämpfen, dann sind die finanzpolitischen Risiken für die Verkehrs- und Logistikwirtschaft durchaus beachtlich. Allerdings lassen sich viele grundlegende Probleme dieses Sektors nicht nur durch die erwünschten Finanzmittelzuflüsse lösen. Völlig unklar ist, wie die Finanzmittel in überschaubaren Zeitabständen in Projekte mit Baurecht umgesetzt werden können. Unabdingbar ist dazu eine wesentliche Verkürzung der Planungs- und Genehmigungsprozesse; dies erfordert neue, aber politisch schwierig durchzusetzende gesetzliche Regelungen. Darüber hinaus sind die öffentlichen Planungs- und Genehmigungskapazitäten wegen des gravierenden Mangels an personeller Ausstattung nicht in der Lage, ausgeweitete Aufgaben zu übernehmen. Die Ursachen dieser Entwicklung, seit Jahren voraussehbar, liegen im Personalabbau der Planungs- und Genehmigungsbehörden und vor allem in der völlig unangemessenen und nicht wettbewerbsfähigen Vergütung des Fachpersonals. So lange sich hier nicht Wesentliches ändert, bleibt die Forderung nach höheren Finanzmittelzuweisungen nur ein Aspekt der Problemlösung. Ähnliches gilt für den aktuellen Personalmangel bei Lokführern, LKW-Fahrern und Paketdiensten. Wenn der Verkehrs- und vor allem der Logistikbereich immer wieder die rote Laterne bei den Vergütungen zugewiesen bekommen und darüber hinaus das Berufsimage der Logistik sich ziemlich im Keller bewegt, so ist das keine neue, sondern leider eine recht alte Situation. Da helfen auch jährliche Logistiktage nichts. Vielleicht führt aber dieser immer bedrohlich wirkende Personalmangel endlich dazu, die bisherigen Geschäftsmodelle zu verändern. Digitalisierung ohne analoge Kapazitäten funktioniert eben nicht, und die kosten Geld - was die Kunden im Online-Handel zu zahlen haben und nicht das Service- Personal. Untersuchungen sprechen davon, dass sich bis 2025 in Deutschland die Zahl der Pakete gegenüber heute fast auf 5 Mrd. verdoppeln wird. Dies aber mit wesentlich höheren Anforderungen an die logistische Qualität wie Sofortlieferung und Tageszustellung und stark ausgeweiteter Lebensmittelpalette, aber auch mit weiterer Überlastung vieler Innenstädte und noch komplexerer Zustellsysteme. Ein Systemkollaps ist auch eines der Zukunftsszenarien. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Die finanzpolitischen Risiken für die Verkehrs- und Logistikwirtschaft sind durchaus beachtlich POLITIK Verkehrsstrategie Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 12 Das Thema Verkehr in den „Jamaika“-Koalitionsgesprächen auf Bundesebene Straßenverkehr, Alternative Antriebe, Energieverbrauch, Umweltverträglichkeit, Emissionen Zu den strittigsten Themen der Verhandlungen um die Bildung einer „Jamaika-Koalition“ auf Bundesebene für die Legislaturperiode 2017-2021 gehörte der „Verkehr“. Dabei ging es allerdings im Kern nicht um Verkehr im sachlich adäquaten komplexen Wortsinn, sondern in erster Linie um Automobiltechnik unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit. Die Problematik in diesem Zusammenhang wäre heute nicht auch nur annähernd so brisant, wenn Politik, Industrie und Kommunen den Weg verfolgt hätten, der bereits vor über 40 Jahren als dringend geboten postuliert worden war. Punktuelle „Sofortprogramme“ mögen als Anstöße in die richtige Richtung geeignet sein; nachhaltige Lösungen sind jedoch nur durch ganzheitliche Ansätze mit realistischen Zeithorizonten und wirkungsvollen Kontrollmechanismen zu erreichen. Andreas Kossak Z u den brisantesten und strittigsten Themen der Verhandlungen um die Bildung einer „Jamaika- Koalition“ auf Bundesebene für die Legislaturperiode 2017-2021 gehörte der Komplex, der unter dem Schlagwort „Verkehr“ firmierte [1, 2]. Dabei ging es allerdings im Kern nicht um Verkehr im sachlich adäquaten komplexen Wortsinn, sondern in erster Linie um Automobiltechnik unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit. Seit Jahren werden in zahlreichen Deutschen Städten und Regionen die von der EU definierten Grenzwerte noch zulässiger Stickoxyd-Belastungen vor allem in Brennpunkten des Straßenverkehrs immer häufiger und immer drastischer überschritten - ausschlaggebend durch Dieselmotoren [3, 4]. Aufgrund dessen ist mit drastischen Sanktionen von Seiten der EU zu rechnen. Nachdem bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland läuft, ohne dass dem mit dem gebotenen Nachdruck und dem erforderlichen Erfolg entgegengewirkt worden ist, droht die Kommission nun mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof [5]. Dabei handelt es sich bei den Vorgaben der EU durchaus nicht um überzogene oder gar unnötig „komfortable“ Vorschriften, sondern eher um Obergrenzen von gerade noch als akzeptabel einzuordnenden Belastungen der Umwelt. Viel zu selten wird in diesem Zusammenhang herausgestellt, dass in Folge der von durch den Straßenverkehr verursachten Umweltbelastungen mehr als zehnmal so viele Personen sterben, wie durch Unfälle. Da die betreffenden Todesfälle jedoch nicht zeitlich unmittelbar mit einem aktuellen Ereignis in Verbindung gebracht werden können, wird dieser Umstand offenkundig sowohl von der Automobilindustrie als auch von der Politik ignoriert oder wenigstens verdrängt [6]. In den betreffenden Koalitionsverhandlungen hatte die Partei der „Grünen“ erwartungsgemäß die am weitesten gehenden Forderungen vertreten. Sie fordert einen schnellen völligen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor - möglichst bis zum Jahr 2030 [7]. Insbesondere die CSU sieht dadurch jedoch die „individuelle Mobilität der Menschen“ eingeschränkt und „den Industriestandort Deutschland im Bereich der Automobilindustrie“ gefährdet [1]. Von den erklärten Gegnern der Verbrennungsmotoren wurden vor allem die Umstellung auf Elektromobilität und die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs gefordert. Nachdem das Anfang dieses Jahrzehnts gesetzte politische Ziel von einer Million Elektro-PKW in Deutschland bis zum Jahr 2020 absehbar bei Weitem nicht erreicht wird, soll nun als kurzfristig umsetzbare Maßnahme wenigstens eine Umstellung von Bussen des ÖPNV auf elektrische Antriebe gefördert werden. Die davon zu erwartende Wirkung wäre selbst im besten Fall allerdings nicht einmal der berühmte „Tropfen auf den heißen Stein“. Die seit Jahren diskutierte Einführung von temporären Fahrverboten besonders umweltschädlicher Fahrzeuge in hoch belasteten Zonen war dagegen unter den Parteien nicht konsensfähig und wurde auch von den Kommunen abgelehnt. Als erstes Ergebnis der Verhandlungen hatte „Die Bundesregierung … mit den Kommunen ein Sofortprogramm von einer Milliarde Euro (in 2018) zur Verbesserung der Luftqualität vereinbart. Damit sollen Fahrverbote vermieden werden ...“ Laut Bundeskanzlerin gehe es dabei auch um „moderne Verkehrsführung und Logistik“. Die Wende hin zu umweltfreundlichem Verkehr solle über das Jahr 2018 hinaus mit weiteren Programmen gefördert und verstetigt werden. Das sei dann eine Aufgabe für die neue Regierung [7]. Das betreffende „Programm“ ist alles andere als überzeugend - zumal in Hinblick auf das Label „Verkehr“. Selbst bei der Handhabung des Themas Elektromobilität im Straßenverkehr wird offensichtlich der Tatbestand verdrängt, dass es sich dabei prinzipiell um die Anwendung des „St. Florians-Prinzips“ handelt: „Verschon’ mein Haus, zünd’ andere an“. Inzwischen ist vielfach nachgewiesen, dass die ökologische Gesamtbilanz der Elektroautomobile nicht nur nicht besser, sondern zumindest auf absehbare Zeit sogar noch deutlich schlechter ist, als selbst die der aktuell auf deutschen Straßen fahrenden Fahrzeuge [8] - und das, obschon deren Weiterentwicklung hinsichtlich Energieverbrauch und Umweltverträglichkeit in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auch von der deutschen Automobilindustrie nicht nur sträflich vernachlässigt, sondern durch zunehmend ans Tageslicht kommende Manipulationen sogar noch beträchtlich konterkariert worden ist-[9]. Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 13 Verkehrsstrategie POLITIK Ein Blick 45 Jahre zurück Die Problematik in diesem Zusammenhang wäre heute nicht auch nur annähernd so brisant, wenn Politik, Industrie und Kommunen den Weg verfolgt hätten, der bereits vor über 40 Jahren - zunächst primär unter dem Eindruck der Mineralölkrisen - auch politisch als dringend geboten postuliert, dann aber vor dem Hintergrund der Entspannung der Treibstoffverfügbarkeit weitestgehend vernachlässigt worden war. Seit Anfang der 1970er Jahre wurden weltweit intensive Überlegungen angestellt und Untersuchungen durchgeführt hinsichtlich der Weiterentwicklung des Automobil-Verkehrssystems vor dem Hintergrund der zunehmend virulenten negativen Auswirkungen und zu erwartenden Veränderungen der Rahmenbedingungen. Das gilt nicht zuletzt auch für die Bundesrepublik. Die 1970er Jahre Im Jahr 1973 hatte das „Bundesministerium für Forschung und Technologie“ (BMFT) ein „Statusseminar“ zu den Förderungsgebieten „Neuartige Antriebe“ und „Katalysatoren“ veranstaltet. Dessen Ausrichtung lag in den Händen des TÜV Rheinland, aufgrund seiner Funktion als „Projektbegleiter“ der in diesem Zusammenhang geförderten Projekte. Die Beiträge und Diskussionen anlässlich des Seminars wurden noch im selben Jahr vom BMFT in Buchform veröffentlicht. Dessen Titel lautete: „Auf dem Weg zum Auto von morgen“ [10]. Im Vorwort stellte der zuständige Minister Prof. Dr. Horst Ehmke den „unbestreitbaren Vorzügen“ des Kraftfahrzeugs „für den einzelnen Bürger, für unser öffentliches Leben und für unsere Volkswirtschaft“ ausdrücklich auch die „gewichtigen Nachteile“ gegenüber: • „Der Verkehrsraum, besonders in den Städten, wird übermäßig in Anspruch genommen. • Die Belastung der Umwelt nähert sich kritischen Grenzen. • Der Energieverbrauch ist bedenklich hoch. • Die Gefährdung von Leben, Gesundheit und Sachwerten, die heute vom Kraftfahrzeug ausgeht, hat fast untragbare Ausmaße angenommen.“ In den anschließend dokumentierten „Grundsätzen des BMFT für die Förderung und Forschung und Entwicklungsvorhaben …“ heißt es zum Komplex „Kraftfahrzeugantriebe“ einleitend: „Die heute fast ausschließlich mit Verbrennungsmotoren ausgerüsteten Kraftfahrzeuge • belasten durch unwirtschaftliche Ausnutzung der Kraftstoffe in hohem Maße die Energiereserven auf Mineralölbasis, • führen zu Umweltbelastungen durch schädliche Abgasbestandteile wie Kohlenmonoxid, Stickoxide, Kohlenwasserstoffe, Ruß und Blei sowie Lärmentwicklung.“ In seiner Einführung gab der zuständige Abteilungsleiter im BMFT die generelle Richtung der erforderlichen F+E - Aktivitäten wie folgt vor: „Es geht also um das Optimum an Umweltschutz, Wirtschaftlichkeit, Zuverlässigkeit und Energieverbrauch …“; offenkundig nicht von ungefähr wird dabei der Umweltschutz an erster Stelle genannt. Die 1980er Jahre Um 1980 legte die Bundesregierung ein breit angelegtes Forschungsprojekt unter der Bezeichnung „Szenario Automobil 2000“ auf. Im Rahmen des Projektes wurden zeitlich parallel laufende Aktivitäten im Ausland ausgewertet; der Verfasser dieses Beitrages war der dafür zuständige Projektleiter. In dieser Funktion wurde er zu einem Hearing des US-amerikanischen Kongresses im Zusammenhang einer breit angelegten Studie mit dem Titel „Changes in the future Use and Characteristics of the Automobile Transportation System“ [11] eingeladen; deren Bearbeitung lag in den Händen des „Office of Technology Assessment“ (OTA) des US-Kongresses. Zu den Kern-Befunden der betreffenden Studie gehörten folgende Feststellungen: • „Die Nation wird einen schwerwiegenden Petroleummangel erfahren und ein fortwährendes Luftverschmutzungsproblem in den Städten, das zu einem nicht unerheblichen Anteil dem Automobilverkehrssystem zuzurechnen ist, wenn die gegenwärtige Politik unverändert weiter Bestand hat und sich der gegenwärtige Trend der zunehmenden Automobilnutzung fortsetzt. • Wegen der Energie-, Umwelt-, Sicherheits- und Ökonomie-relevanten Implikationen sind weitere deutliche Veränderungen sowohl in der Charakteristik als auch in der Nutzung des Automobilverkehrssystems erforderlich, um die negativen Einflüsse auf die Gesellschaft und die Ökonomie zu minimieren.“ Der Ansatz der Studie ging also sehr zu Recht weit über die Automobiltechnik hinaus und beschäftigte sich mit dem Gesamtsystem des motorisierten Individualverkehrs. Im Verlauf der genannten Anhörung internationaler Fachleute und hochrangiger Industrievertreter fragte ein Kongressvertreter die anwesenden Forschungschefs der weltweit größten Automobilkonzerne, ob es möglich sei, den mittleren Flottenverbrauch von Neu-PKW auf 3 l/ 100 km zu senken - und wenn ja, wie lange die Umstellung dauern würde. Und das bei einer damaligen Ausgangslage von deutlich über 10 l/ 100 km in den USA. Die einvernehmliche Antwort lautete: • „Ja, das ist möglich. • Ohne staatliche Förderung ist mit einer Zeitspanne von drei Fahrzeuggenerationen zu rechnen - also mit gut 20 Jahren; bei angemessener staatlicher finanzieller Unterstützung wäre die Umstellung in rd. zehn Jahren möglich.“ • Es folgte die entscheidende Einschränkung: „But, it has to be mandated“ („aber es muss bindend verfügt werden“). Der Projektleiter der Studie, Robert Maxwell, hat im Rahmen des „International Symposium on Traffic and Transportation Technologies“ anlässlich der „Internationalen Verkehrsausstellung IVA’79“ in Hamburg über das Projekt berichtet und dabei zum Abgas-Thema ausgeführt [12]: „Bei der Reduzierung der Abgase sind beträchtliche Fortschritte erzielt worden. Da sich die Kraftfahrzeuge jedoch während der Hauptverkehrszeiten in den Stadträumen zunehmend stauen und die Abgasreguliervorrichtungen der im Betrieb befindlichen Fahrzeuge verschleißen, ist möglicherweise ein landesweites Programm zu erstellen, das regelmäßige Inspektion und Instandhaltung von Kraftfahrzeugen und zeitweilige Fahrbeschränkungen vorsieht, damit der erforderliche Standard sauberer Luft erhalten bleibt.“ Kraftstoffverbrauch und -Effizienz, Anteile der Verkehrsträger Zwischen Kraftstoffverbrauch, Fahrleistung und Umweltwirkung besteht ein enger Zusammenhang. Der CO 2 -Ausstoß ist direkt abhängig vom Verbrauch, da Kohlenstoff in Benzin und Diesel gebunden ist. In der Bundesrepublik ist [13, 14] • der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch von PKW und Kombi im Zeitraum 1980 bis 2016 (Bild 1) von 10,1 l/ 100-km (Otto-Motor 10,2, Diesel-Motor 9,1) über 9,2 l/ 100 km (9,5 bzw. 7,7) in 1991 (nach der Wiedervereinigung) auf 7,2-l/ 100 km (7,7 bzw. 6,8) zurückgegangen; das sind 28,7 % (gesamt) bzw. 24,5 % (Otto) und 25,3 % (Diesel). • seit 1991 die Verkehrsleistung im motorisierten Individualverkehr (Personenkilometer - Pkm) im Bundesgebiet („Binnenländischer Verkehr“) von 713,5 Mrd. auf 947,1 Mrd. Pkm in 2015 angestiegen; POLITIK Verkehrsstrategie Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 14 das ist ein Zuwachs um rd. 33 %. Die Einsparungen beim spezifischen Verbrauch der PKW sind also durch die Zunahme der Verkehrsleistungen erheblich überkompensiert worden. • der Anteil des für das Verkehrsgeschehen in den Städten besonders wichtigen „Öffentlichen Straßenpersonenverkehrs“ (einschließlich städtischer Bahnen) an den gesamten Verkehrsleistungen im Personenverkehr von 10,2 % in 1985, über 9,3 % in 1991 auf 6,8 % in 2016 zurückgegangen - trotz absoluter Steigerungen. • der Anteil des Straßengüterverkehrs an den Güterverkehrsleistungen (Tonnenkilometer - tkm) im „Binnenländischen Verkehr“ (einschließlich Straßengüternahverkehr) von 49,0 % in 1980 (alte Bundesländer) über 61,5 % in 1991 auf 71,0 % in 2016 angestiegen; der Kraftstoffverbrauch in Straßengüterverkehr hat im Zeitraum von 1991 bis 2016 um rd. 27 % zugenommen. • der Anteil des Dieselkraftstoffs am Gesamt-Kraftstoffverbrauch im Straßenverkehr innerhalb der letzten 20 Jahre von 38,5 % auf 62,5 % angestiegen. In der Bundesrepublik hat es also seit den warnenden Stimmen vor über vier Jahrzehnten zwar immerhin eine durchaus nennenswerte Reduzierung des spezifischen Kraftstoffverbrauchs im PKW-Sektor gegeben; die ist allerdings weit entfernt von den seinerzeit als geboten angesehenen Größenordnungen. Aufgrund gestiegener Fahrleistungen hat das selbst im motorisierten Individualverkehr sogar noch zu einem beträchtlichen Verbrauchs-Zuwachs geführt (Bild 2). Der starke Zuwachs im Straßengüterverkehr, sowohl beim Verbrauch als auch beim Anteil an den Leistungen insgesamt, steht dabei für ein völliges Versagen der seit Jahrzehnten von den Bundes-Regierungen aller politischen Couleur propagierten Verlagerung beträchtlicher Anteile von Gütern von der Straße auf die Schiene und die Binnenschifffahrt; das hat nicht zuletzt auch zu einer erheblichen Steigerung der Umweltbelastung durch den Straßenverkehr geführt. Höchst bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass von der deutschen Automobilindustrie versucht wurde, unter Anwendung spezieller Software und technischer Einrichtungen den Eindruck zu erwecken, als seien ihre Produkte deutlich energieökonomischer und umweltverträglicher geworden, als das tatsächlich der Fall ist. Kürzlich sind Abweichungen beim Kraftstoffverbrauch in der Fahrpraxis gegenüber den Hersteller-Angaben von 42 % festgestellt geworden [15]. In 2013 sollte der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch von Neuwagen laut Herstellerangaben bei 6,1- l/ 100 Kilometer bei Benzinern und 5,4 l bei Diesel-Autos gelegen haben [16]. Nach Angaben aus dem Bundesverkehrsministerium lauteten die Vergleichszahlen allerdings 7,8 l bzw. 6,9 l; die Differenzen betragen damit in beiden Fahrzeugkategorien durchschnittlich 28 % - mit entsprechenden Konsequenzen für die Umwelt [14]. Die beträchtlichen Abweichungen resultieren teilweise aus Verbrauchs-Unterschieden unter Laborbedingungen gegenüber der Verkehrswirklichkeit; bei den Abgaswerten kommen allerdings auch gezielte Manipulationen zum Tragen. Im ersten Fall sind die für die Vorgaben bzw. für die Zulässigkeit der zur Anwendung kommenden Labortests zuständigen technischen Institutionen in der Verantwortung. Die Einordnung der Manipulationen der Abgaswerte ergibt sich aus den gesicherten Erkenntnissen nicht nur hinsichtlich der Gesundheitsschädigung, sondern explizit auch der inzwischen unstrittigen erheblichen Mortalitätsrate als deren Folge [6], die durch kein industriepolitisches Argument aufgewogen werden kann. In Deutschland wäre zu erwarten gewesen, dass der „Technische Überwachungs- Verein“ (TÜV) regelmäßig wirkungsvolle Kontrollen durchführt und Abweichungen ggf. politikwirksam dokumentiert. Das offensichtliche Versagen vergleichbarer Prüfinstitutionen auch in anderen europäischen Ländern hat die EU kürzlich zum Anlass genommen, die Einrichtung eines „TÜV für den TÜV“ in Angriff zu nehmen, um „künftig die Autozulassungen in der gesamten Union strenger kontrollieren“ zu können-[17]. Nicht zuletzt verwundert es allerdings auch, dass die betreffenden Missstände nicht von den zahlreichen relevanten Lehrstühlen und -Instituten an deutschen Universitäten wirkungsvoll(er) öffentlich gemacht worden sind. Das ist möglicherweise zu einem nicht unwesentlichen Anteil durch ein „Follow the money“-Prinzip der Bewertung von Forschungsaktivitäten erklärbar, bei dem bezahlte Forschungsaufträge den Lehrbetrieb mitfinanzieren. Andererseits hat allerdings auch die Politik nicht angemessen auf relativ frühe durchaus konkrete Hinweise reagiert [9]. In den USA haben die Ergebnisse der Studie von 1979 [11] lange Zeit ebenfalls keine nachhaltigen Konsequenzen gehabt. Erst im Jahr 2012 hat der damalige US-Präsident Obama per Verordnung („it has to be mandated“! ) ein höchst ehrgeiziges Ziel formuliert. Danach soll der mittlere Verbrauch Bild 1: PKW-Kraftstoffverbrauch. Die Angaben in den Statistiken sind, vor allem aufgrund wiederholt veränderter Definitionen hinsichtlich von Zeitreihen teilweise inkonsistent; das ändert aber nichts Grundsätzliches an der Substanz der daraus abzuleitenden Kernaussagen. Quelle: [13, 14]; eigene Darstellung Bild 2: Kraftstoffverbrauch im Straßenverkehr Quelle: [13, 14]; eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 15 Verkehrsstrategie POLITIK von Neufahrzeugen bis zum Jahr 2025 auf 4,3 l/ 100 km gesenkt werden; im Jahr 2007 waren es noch 11,7 l/ 100 km [18]. Das wäre- immerhin eine Reduzierung des Verbrauchs auf nahezu ein Drittel innerhalb von 18 Jahren. Nach Berechnungen am renommierten Verkehrsforschungsinstitut der Universität von Michigan lag der Durchschnittswert in 2014 bei 9,3 l/ 100km; das ist gleichbedeutend mit einer Effizienzsteigerung von 26 % in sieben Jahren. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik wurde innerhalb von 26 Jahren eine durchschnittliche Effizienzsteigerung von knapp 29 % erreicht. Ob das von Präsident Obama formulierte Ziel tatsächlich zeitgerecht erreicht wird, ist zwar eher fraglich - zumal unter der neuen Administration und der damit verbundenen drastischen Änderung in der Umweltpolitik. Immerhin hatte die „Environmental Protection Agency“ (EPA) der USA (vergleichbar mit dem Umweltbundesamt in Deutschland) aber noch Ende 2016 einen ausführlichen Bericht zu den positiven Trends bei den Abgasemissionen und der Treibstoffeffizienz von PKW und leichten Nutzfahrzeugen herausgegeben sowie weitere Anstrengungen der Industrie eingefordert [18]. Bemerkenswerterweise haben sich gerade führende deutsche Autobauer vehement gegen die Umweltauflagen in den USA gestemmt und offenkundig nachfolgend auch durch im wahrsten Sinne sträfliche Manipulationen versucht, diese zu umgehen [19]. Das hat schließlich zur Verurteilung zu Strafzahlungen in zweistelliger Milliarden- Euro-Höhe geführt und sogar zu langjährigen Gefängnisstrafen für führende Manager, deren man vor Ort habhaft werden konnte [20] - obschon dieselben wohl kaum die originären Verantwortlichen der Manipulationen gewesen sind. Appell zum Handeln So sinnvoll in diesem Zusammenhang „Sofortprogramme“ und Radikalforderungen zu Einzelkomplexen als Anstoß für notwendige Veränderungen auch sein mögen - sachgerechte und nachhaltige Lösungen sind nur durch der Komplexität der Thematik angemessene ganzheitliche Ansätze mit realistischen Zeithorizonten und wirkungsvollen Kontrollmechanismen zu erreichen. In diesem Fall gehören dazu: • Anspruchsvolle quantitative und zeitliche Zielsetzungen der Minderung des spezifischen Kraftstoffverbrauchs, des Ausstoßes umweltschädlicher Abgase sowie der ökologischen Gesamtbilanz von Kraftfahrzeugen sowohl traditioneller als auch alternativer Antriebstechnologien [21, 22]. Die Ziele müssen wissenschaftlich fundiert untermauert und politisch bindend verfügt werden; ihre Annäherung muss durch unabhängige Prüfstellen kontrolliert, wesentliche Abweichungen müssen wirkungsvoll geahndet werden. • Prüfung und ggf. Inangriffnahme der Umsetzung aller Möglichkeiten der Reduzierung des motorisierten Straßenverkehrs. Dies umfasst - eine wirkungsvollere Verkehrslenkung, - ein besseres Baustellenmanagement, - die Einführung von entfernungsabhängigen Straßenbenutzungsgebühren und von City-Maut, - die tatsächliche Verlagerung erheblicher Anteile des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene und die Binnenschifffahrt, - die Intensivierung nahverkehrsorientierter Stadt - und Regionalentwicklung, - die Förderung neuer Formen geteilter Mobilität und von nicht motorisierten Mobilitätsformen - letzteres vor allem durch eine attraktive Infrastruktur. • Beim Verkehrsmanagement geht es auch um die bessere Nutzung des Potentials der zunehmenden Digitalisierung; tatsächlich wird allerdings selbst das bereits seit Jahrzehnten in dieser Hinsicht verfügbare Instrumentarium bisher nur unzureichend genutzt. • Die klassische Form geteilter Mobilität ist der öffentliche Personenverkehr. Die Verbesserung der Angebote gerade im öffentlichen Personennahverkehr ist eine wichtige Option in diesem Zusammenhang. Sie scheitert bisher häufig an den Kosten. Die Nahverkehrsindustrie fordert regelmäßig zusätzliche staatliche Fördergelder - derzeit beispielsweise rd. 20 Mrd. EUR [23, 24]. Eine eher gebotene Lösung ist die Aktivierung der weltweit vielerorts längst üblichen Nutznießer-Mitfinanzierung [25]. Gefragt sind also längerfristig angelegte wirkungsvolle, nachhaltige und konzertierte Aktivitäten von Bund, Ländern und Kommunen. ■ LITERATUR [1] Meyer-Fünffinger, A. u. Bader. N.: Verkehr birgt Zündstoff; www. br.de/ nachrichten/ jamaika-sondierungen, 14. 11. 2017 [2] dpa: Jamaika-Unterhändler verhaken sich beim Thema Verkehr; www. nwzonline.de/ politik, 14. 11. 2017 [3] Bauchmüller, M u. Schneider, S.: 28 deutschen Städten drohen Fahrverbote; www.sueddeutsche.de/ wirtschaft, 27.11.2017 [4] Hengstenberg, W.: Abgasskandal - Düsseldorf drohen Fahrverbote; Spiegel Online 27. 11. 2017 [5] Grabitz, M.: EU-Kommission will Deutschland verklagen; Tagesspiegel, 15. 11. 2017 [6] Thomas, A.: Real-world conditions will limit AV safety gains; ITS International, März / April 2017 [7] O.V.: Diesel-Gipfel - Eine Milliarde für Saubere Luft; www.tagesschau.de, 28.11. 2017 [8] Kaden, W.: Die Elektrolüge; Bilanz, Dezember 2017, Beilage „Welt am Sonntag“ [9] O.V.: Schon 2010 Brief an Ministerium - ADAC warnte Bund vor Abgasskandal; n-tv, 26. 08. 2016 [10] Bundesministerium für Forschung und Technologie BMFT (Hrsg.): Auf dem Weg zum Auto von morgen; Köln 1973 [11] OTA Office of Technology Assessment, Congress of the United States: Changes in the Future Use and Characteristics of the Automobile Transportation System; Washington D.C. Februar 1979 [12] Maxwell, R.: The Automobile in the socio-economic System of the Future; Proceedings - International Symposium on Traffic and Transportation Technologies, IVA `79, Hamburg 1979 [13] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (Hrsg.): Verkehr in Zahlen 2005/ 2006; Berlin 2005 [14] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.); Verkehr in Zahlen 2017/ 2018; Berlin 2017 [15] O.V.: Mehrkosten und Umweltbelastung - Verbrauch bei Neuwagen 42 % höher als angegeben; RP online, 6. 11. 2017 [16] O.V.: Klimaschutz - Benzinverbrauch von US-Autos stark gesunken; Spiegel Online, 14. 10. 2014 [17] Crolly, H. u. Doll, N.: Der TÜV für den TÜV kommt - Brüssel will künftig die Autozulassung in der gesamten Union strenger kontrollieren; Die Welt, 8. 12. 2017 [18] United States Environmental Protection Agency (EPA): Light-Duty Automotive Technology, Carbon Dioxide Emmissions and Fuel Economy Trends 1975 through 2016; Washington D.C. November 2016 [19] O.V.: Kraftstoffverbrauch - Deutsche Autobauer stemmen sich gegen US - Umweltauflagen; Handelsblatt, 17.11. 2011 [20] O.V.: Sieben Jahre Haft und obendrauf noch die Kündigung - VW- Manager wird hart bestraft; Focus online, 8. 12. 2017 [21] Becker, J.: Benziner und E-Autos - Wie umweltverträglich sind die Dieselalternativen? Süddeutsche Zeitung 3. 08. 2017 [22] O.V.: Sauber Auto fahren? Mit Erdgas geht das; Süddeutsche Zeitung, 07.12. 2017 [23] VDV - Die Verkehrsunternehmen: Richtung Zukunft? Schneller Bitte! Anzeige vom 12. 11. 2017 [24] O.V.: 20 Milliarden Euro vom Bund für ÖPNV gefordert; heise.de, 14,11,2017 [25] Kossak, A: Transit Oriented Development und Value Capture - Investitionsimpulse und Wertsteigerungen als Folge des Baus von Stadtbahnen; Eisenbahntechnische Rundschau ETR 3 / 2016 Andreas Kossak, Dr.-Ing. Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com POLITIK Wettbewerb Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 16 Die Mobilisierung von preissensibler Nachfrage in einer digitalisierten Welt Die Entstehung von vier Quasi-Monopolen im deutschen Fernverkehrsmarkt Monopolbildung, Digitalisierung, Verkehrsmittelwahl, Intermodaler Wettbewerb, Relevanter Markt In den letzten Jahren wurde Reisen in Deutschland günstiger, und zwar nicht nur aufgrund vergleichsweise niedriger Kraftstoffpreise, sondern auch aufgrund eines verstärkten Wettbewerbs. So entstand durch die Marktliberalisierung von Fernbusreisen ein völlig neues Marktsegment. Auch der Markt für Mitfahrgelegenheiten entwickelt sich dynamisch weiter. Jüngste Gegenbewegungen zeigen sich im Airline-Bereich: Nach der Air Berlin-Insolvenz wird der Lufthansa vorgeworfen, ihre Monopolstellung auszunutzen und die Ticketpreise anzuheben. Marktbeherrschende Stellungen liegen aber auch in den anderen Sparten vor: Flixbus bei Fernbusreisen, BlaBlaCar bei Mitfahrgelegenheiten und die Deutsche Bahn im Schienenfernverkehr. Andreas Krämer D ie veränderte Wettbewerbssituation im deutschen Markt für Fernverkehrsreisen (stärkeres Angebot von Low-Cost-Airlines, neue Anbieter, deren Geschäftsmodelle stark auf Digitalisierung basieren, wie Fernlinienbusse und BlaBlaCar als führende Mitfahrzentrale) setzt auch die etablierten Mobilitätsdienstleister unter Zugzwang [1]. Die wachsende Bedeutung preissensibler Nachfrage Dies hat zwei Implikationen: Erstens haben sich die Möglichkeiten, längere Reisen in Deutschland zu niedrigen Kosten zu unternehmen, in den letzten fünf Jahren deutlich verbessert. BlaBlaCar bietet Mitfahrgelegenheiten an, die deutlich unterhalb der variablen Kosten der PKW-Nutzung liegen. Bei Fernbussen waren zu Zeiten des intensivsten Preiskampfes Preise von weniger als 1 ct/ km möglich (Megabus, Mitte 2015). Bei Flugreisen hat sich nicht nur der Anteil sogenannter Low-Cost-Carrier in 2017 erhöht, auch sind die Preise der Hauptkonkurrenten Eurowings, Ryanair und Easyjet gefallen [2]. Die Deutsche Bahn kommuniziert im Fernverkehr Sparpreise ab 19,90 EUR und Ryanair bietet in 2017 Flüge zwischen Berlin und Köln ab 9 EUR an [3]. Zweitens ist festzustellen, dass Nachfragesegmente mit hoher Preissensitivität innerhalb des Mobilitätsmarktes (Reisen ab 50 km Entfernung einfache Strecke) volumenmäßig an Bedeutung gewinnen. Nur so ist zu erklären, dass Ryanair in den letzten Jahren den Rivalen Lufthansa in punkto Passagierzahlen weltweit übertreffen konnte oder dass innerhalb kürzester Zeit mit Fernbusreisen ein Marktsegment mit ca. 18- Mio. Fahrten (national, 2016) entstehen konnte. Neben dieser qualitativen Herleitung, lassen sich auch empirische Belege finden. Die Studie MobilitätsTRENDS 2016 (Kooperationsstudie von exeo und der Rogator AG, n=5.000, Online) kommt zum Beispiel zum Ergebnis, dass der Anteil preissensibler Bahnreisender (Nutzer und Erwäger der Bahn) von 63 % (2014) auf 70 % (2016) angestiegen ist. Gleichzeitig ergeben sich Veränderungen bezüglich der im Markt bestehenden Referenzpreise. So sinkt der mittlere Preisgünstigkeitspunkt (Preis, den die Befragten auf einer Strecke von 300 km für günstig halten) für das Verkehrsmittel Fernbus im Segment der Busnutzer [4]. Für Bahnnutzer, die in der Vergangenheit den Fernbus genutzt haben, gilt Ähnliches: Die Referenzpreise, die von den Reisenden bei der Verkehrsmittelwahl als Anker- und Orientierungsgröße herangezogen werden [5], sinken tendenziell infolge der Erfahrungen mit (unerwartet) niedrigen Preisen. Gleichzeitig wirft die Strukturentwicklung die Frage auf, ob im Rahmen einer stärkeren Teilmonopolisierung längerfristig günstige Reisemöglichkeiten wie bisher bestehen werden und welche Rolle die zunehmende Digitalisierung dabei spielt. Ein Mobilitätsmarkt - Vier Quasi-Monopole Erhebliche Strukturveränderungen Nach der Insolvenz der zweitgrößten deutschen Airline ist nun auch im Flugverkehr ein Quasi-Monopol entstanden. Nachdem die Deutsche Bahn seit Jahrzehnten das Geschäft von Bahnfernreisen in Deutschland dominiert, sind in den letzten Jahren fast unbemerkt weitere Quasi-Monopole entstanden (vgl. Bild 1). Dies betrifft das Mobilitätssegment von Mitfahrgelegenheiten, das mittlerweile vom französischen Startup BlaBlaCar beherrscht wird. Aber auch Fernbus-Reisen: Im vierten Jahr der Marktliberalisierung hat es das Unternehmen Flixbus geschafft, nach Übernahmen oder Ausscheiden der wichtigsten Konkurrenten (2016) einen Marktanteil von deutlich über 90 % zu erzielen. Der intramodale Wettbewerb ist damit im Prinzip zum Erliegen gekommen [4]. Dabei waren die Erwartungen an den liberalisierten Fernbus- Markt sehr hoch. Während im ersten Jahr der Marktöffnung noch etwa 40 unterschiedliche Anbieter aktiv waren [6], wird der Markt wenige Jahre später von Flixbus Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 17 Wettbewerb POLITIK beherrscht. Auch die letzte große Strukturbereinigung, bei der sich die Lufthansa erst als Retter positioniert und dann später für massive Preissteigerungen kritisiert wurde, wurde zunächst aus Sicht von Politik und Öffentlichkeit längere Zeit wohlwollend beobachtet. Drei zusätzliche Teilmonopole in nur drei -Jahren Wenn, wie die Lufthansa im November 2017 vorrechnet, jeden Tag 60 000 Sitzplätze im innerdeutschen Flugverkehr fehlen und die Kapazität nicht kurzfristig bereitgestellt werden kann, dann bieten sich für die Flugreisenden folgende Optionen: Erstens, gar nicht zu fliegen (dies stellt für die meisten keine echte Option dar). Zweitens - sofern freie Kapazitäten verfügbar sind - trotzdem zu fliegen (und zu akzeptieren, dass der Flug bei sehr hoher Auslastung weniger komfortabel und gleichzeitig deutlich teurer ist; vereinfacht wird davon ausgegangen, dass Lufthansa der einzige Airline-Anbieter ist). Oder drittens, auf eine Verkehrsmittelalternative wie PKW, Bahn oder Fernbus auszuweichen. Über diese Nachfragewirkungen wird üblicherweise der relevante Markt definiert [7]. Allerdings ist die Verkehrsmittelwahl stark habitualisiert, d.h. in die Verkehrsmittelwahl werden nicht alle objektiv möglichen Alternativen einbezogen. Für die führenden Unternehmen in den jeweiligen Mobilitätssegmenten ergeben sich daher Chancen, bestehende Spielräume für Preiserhöhungen besser auszuschöpfen. Gleichzeitig führt die Monopolbildung dazu, dass Angebot und Kapazitäten an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Bestes Beispiel dafür sind die Kapazitätsbereinigungen bei Reisen mit dem Fernbus ab Herbst 2016. Sie führten dazu, dass sich erstmals Sättigungstendenzen einstellten [8]. BlaBlaCar: Potenzieller Disruptor Klassische Mitfahrzentralen oder auch Online-Dienste wie BlaBlaCar setzen darauf, Nachfrage nach Mitfahrgelegenheiten und Angebotskapazitäten digital zu koordinieren, ohne dabei selbst Kapazitäten bereitzustellen. Fahrer, die eine Autofahrt planen, können ihre freien Plätze unter Angabe der Wegstrecke und des Preises anderen Mitgliedern anbieten. Interessierte Mitfahrer kontaktieren den Fahrer. Sie reisen dann zusammen und der Mitfahrer zahlt dem Fahrer eine Kostenbeteiligung. Das Unternehmen selbst beziffert die angebotenen Sitzplatzkapazitäten auf blablacar.de auf ca. 12- Mrd. km. Bei einer durchschnittlichen Entfernung von 300 km entspricht dies ca. 40 Mio. potenziellen Fahrten (allerdings findet nicht jede angebotene Fahrt auch einen Mitfahrer). Ein 100 %-iger Shared-Economy-Ansatz BlaBlaCar selbst gibt den Preis pro Fahrt von 5 EUR/ 100 km als Richtwert an. Durch eigene Preisrecherchen aus 2016 wurde das bestätigt, wobei im Fall einer kurzfristiger Buchung eine PKW-Fahrt zu Kosten von ca. 4 bis 7 ct/ km möglich war [9]. Damit unterlaufen die Angebotspreise nicht nur die Wettbewerber Fernlinienbus, Bahn und Airline. Eine Fahrt von München nach Berlin kostet aktuell beispielsweise bei Bla- BlaCar etwa 30 bis 35 EUR. Damit entsteht eine Win-Win-Win-Situation (Fahrer, Mitfahrer, Vermarkter). Im Durchschnitt liegen die wahrgenommenen Kosten der PKW-Nutzung bei ca. 17 ct/ km auf längeren Strecken [10]. Es ist somit sinnvoll, als potenzieller Nachfrager die Mitfahrgelegenheit auch dann zu nutzen, wenn ein eigener PKW verfügbar sein sollte. Für PKW-Fahrer, die freie Sitzplätze für die Fahrt anbieten, besteht die Möglichkeit einer Kostensenkung. So lassen sich zumindest die Kraftstoffkosten erheblich senken. Schließlich verdient die Plattform über die erhobene Provision. Wie wettbewerbsfähig BlaBlaCar ist, lässt sich anhand eines aktuellen Preisvergleichs für Relationen innerhalb des Flächenlandes Bayern erkennen (Jan. 2018). Während auf stark genutzten Strecken durchaus ein relevantes Angebot an Mitfahrgelegenheiten zustande kommt und die Preise in Anbetracht der Reisezeitvorteile des PKW gegenüber Flixbus sehr attraktiv erscheinen, kommt bei vier der recherchierten Fälle kein Angebot zustande (Bild-2). Vom Erreichen der kritischen Masse kann bei BlaBlaCar daher nicht die Rede sein [9]. Sollte dies gelingen, besteht die Chance, den Mobilitätsmarkt viel stärker zu verändern, als dies Flixbus gelungen ist. Marktkonsolidierung und Monetarisierung Die Ridesharing-Plattform mitfahrgelegenheit.de war in Deutschland lange Zeit die wichtigste Anlaufstelle für die Vermarktung von PKW-Mitfahr-Möglichkeiten, verlor aber 2013 die Marktposition, als eine Vermittlungsgebühr von 11 % des Fahrpreises eingeführt wurde. Als Gewinner ging das französische Startup BlaBlaCar aus dieser Umwälzung des Mitfahr-Marktes hervor. 2015 übernahm BlaBlaCar mit der carpooling.com GmbH den Betreiber der Plattformen mitfahrgelegenheit.de und mitfahrzentrale.de. Bereits vor der Übernahme kam BlaBlaCar nach eigenen Angaben auf einen Marktanteil von 40 % [11]. Das Angebot in Deutschland war bis August 2016 kostenfrei. Im vergangenen Jahr führte BlaBlaCar zwei entscheidende Neuerungen ein. Zum einen gab es ein neues Online-Bezahlsystem, zum anderen wird seit 2016 eine Vermittlungsgebühr für Mitfahrer erhoben (abhängig von der gefahrenen Strecke), die unter den Kunden zu heftigen Reaktionen führte. Für eine längere Strecke, etwa die von Hamburg nach Köln, beträgt sie etwa zwei bis drei Euro [12]. Der nächste Schritt, dem Ziel des Massenmarktes näherzukommen, war im September 2017 die Ankündigung, Mitfahrgelegenheiten bei Google Maps zu integrieren. Fernlinienbus (Flixbus): Nachfrageboom dank Digitalisierung Nachdem der Markt für Reisen mit dem Fernlinienbus 2013 liberalisiert wurde, ergab sich in den ersten drei Jahren eine besonders starke Angebotsausdehnung. Diese war wiederum erstens eine Folge der Digitalisierung und zweitens der Geschäftsmodel- 4 Quelle: exeo Strategic Consulting AG / Rogator AG 1) Wie viele Reisen über 50 km Entfernung (einfache Strecke) haben Sie in den letzten 12 Monaten in Deutschland unternommen und wie verteilen sich diese Reisen auf die folgenden Verkehrsmittel. Hinweise: Wenn es mehrere Reisen waren, überlegen Sie bitte, wie viele Reisen Sie üblicherweise pro Monat oder Woche unternehmen und multiplizieren Sie entsprechend. Eine Reise besteht aus Hin- und Rückfahrt. PKW (inkl. Mitfahrer / Mietwagen) Mitfahrzentrale Bahn Flugzeug Fernlinienbus Sonstiges Genutztes Verkehrsmittel 1) Modalanteil in Deutschland (2016) > 99 % Marktanteil im Bahnfernverkehr (Monopolkommission 2017) Nach dem Aus von Air Berlin zusammen mit Tochter Eurowings führend bei Inlandsflügen (2017) > 90 % Marktanteil seit 2016 (Übernahme Megabus, Postbus; Ausstieg von BLB) Seit der Übernahme von Mitfahrgelegenheit.de und Mitfahrzentrale.de (2015) dominierend 1 2 3 4 x Quasi-Monopol, zeitliche Reihenfolge Intramodale Konkurrenzsituation in Deutschland (Anfang 2018) 78,8% 0,2% 12,2% 2,1% 2,5% 3,1% Bild 1: Vier Quasi-Monopole im deutschen Mobilitätsmarkt (Reisen > 50 km einf. Entfernung) POLITIK Wettbewerb Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 18 le der führenden Anbieter, insbesondere der Startups MeinFernbus und Flixbus [5]. Überkapazitäten, Preiskampf und Marktkonsolidierung Die Vermarktung der Fernbusreisen über spezielle Online-Portale ermöglichte einerseits die Ansprache eines sehr großen Marktes, anderseits ermöglichte die Leistungserbringung über Subdienstleister eine schnelle Angebotsausdehnung, weil diese eigene Kapazitäten in die Kooperation einbrachten. Der Einstieg von US-amerikanischen Investmentgesellschaften führte zudem dazu, dass nach Übernahme der Nr. 1 (MeinFernbus) durch die Nr. 2 (Flixbus) ausreichende Liquidität für das weitere Wachstum bereitgestellt werden konnte. Das neu geschaffene Unternehmen Flixbus konnte sich so innerhalb weniger Jahre sowohl gegen die potenten deutschen Großkonzerne Deutsche Bahn und Deutsche Post als auch gegen Wettbewerber aus dem Ausland (National Express und Megabus) durchsetzen. Der Markteintritt von Megabus (2015) und die Übernahme des Kontinentaleuropa-Geschäfts durch Flixbus (2016) sind besonders bemerkenswert. Schließlich handelt es sich bei Megabus um einen etablierten und profitablen Anbieter, der in Großbritannien und den USA seit längerem erfolgreich agiert [13]. Nach dem Markteintritt von Megabus wurden die ohnehin niedrigen Preise für Reisen mit Fernlinienbussen massiv unterlaufen. Dies zeigt eine Preisanalyse auf wichtigen Kernrelationen Mitte 2015: Auf vier der zehn untersuchten Strecken stand Megabus im direkten Wettbewerb mit etablierten Anbietern und bot Preise von 1,50 EUR für eine einfache Strecke (z.B. München - Nürnberg oder Berlin - Hannover) an [5]. Monopolbildung und Marktsättigung In 2016 kommt der Fernbus in Deutschland auf einen Modalanteil von ca. 2,5 %. Seit Flixbus ab Ende 2016 den Fernbusmarkt mit einem Marktanteil von mehr als 90 % dominiert, sind starke Erhöhungen des FLB- Marktanteils innerhalb Deutschland nicht zu erwarten. Zwar wurde die Anzahl der Linien in 2017 punktuell erhöht (Bild 3), das hohe Niveau in der Anzahl der Fernbuslinien wie in 2015 und 2016 wird jedoch nicht mehr erreicht. Gleichzeitig mit der faktisch entstehenden Monopolsituation ist die Dynamik der Marktentwicklung verlorengegangen. In der jüngsten Mittelfristprognose (Sommer 2017) kommt das BAG [14] für Fernlinienbusse in den Jahren bis 2018 auf ein Fahrgastvolumen, das mit 23 Mio. unter dem Höchstwert von 2016 liegt (24 Mio.). Kein echtes Modell der Shared Economy Für die Verbraucher ergeben sich durch die Marktliberalisierung eindeutige Vorteile: Sie haben mit dem Fernbus eine zusätzliche Alternative im Linienfernverkehr und erhalten dadurch Mobilität zu extrem günstigen Preisen. Weitere Aspekte in der Marktbewertung sind jedoch nicht eindeutig. Es kommt nicht zur gewünschten - und vor der Marktliberalisierung prognostizierten - primären Substitution des PKW. Im Gegenteil: Die Zusammenstellung der verfügbaren empirischen Studien belegt relativ eindeutig, dass Fernbus und Bahn in einem besonders starken Substitutionsverhältnis stehen [5]. Werden PKW-Reisen substituiert, betrifft dies verstärkt auch Mitfahrgelegenheiten. Beides trübt die „eindeutig positive Umweltbilanz“. Auch auf Anbieterseite bleibt die Frage offen, ob sich hier eine Win-Win-Situation einstellt. Schließlich investieren die Busunternehmen massiv in neue Kapazitäten und tragen einen Großteil des wirtschaftlichen Risikos. Abschließend dürfte zumindest die Frage erlaubt sein, ob das Bundeskartellamt grundsätzlich hätte Möglichkeiten nutzen können, einer Quasi-Monopolbildung entgegenzuwirken. Teilweise wird dieses Vorgehen infrage gestellt und eine Diskussion zum kartellrechtlich wichtigen Begriff des relevanten Markt aufgeworfen [15]. Dieser wird von den betroffenen Unternehmen (mit Monopolverdacht) durchgängig als Gesamtmarkt aller Mobilitätsanbieter (inkl. PKW) in Deutschland gesehen. Bahnfernverkehr: Die Digitalisierung von Angeboten (Sparpreise) Im Schienenpersonenfernverkehr dominiert die Deutsche Bahn (DB). Bis auf wenige Ausnahmen auf Einzelstrecken ist seit Jahren im Schienenpersonenfernverkehr kaum aktiver Wettbewerb zu beobachten [16]. Den letzten Versuch, in den eigenwirtschaftlichen Schienenpersonenfernverkehr einzutreten, unternahm das Eisenbahnverkehrsunternehmen Locomore. Nach der Insolvenz in 2017 ist das Unternehmen mit neuem Eigentümer und als Kooperations- 5,0 6,0 19,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn München - Regensburg 124 km FP: 44 5,0 10,0 19,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn München - Nürnberg 170 km FP: 57 29,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn Erlangen - Passau 236 km FP: 51 15,9 29,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn Garmisch-P. - Bamberg 318 km FP: 82 Würzburg - Passau 328 km FP: 69 Kein Angebot Kein Angebot Kein Angebot [1: 40] [1: 19] [1: 51] Anfrage 5 Tage vor Reise [2: 10] [1: 44] [1: 10] [2: 16] [2: 21] [4: 40] [3: 00] [2: 49] [6: 00] [3: 31] [3: 38] Kein Angebot 13,9 8,0 19,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn München - Regensburg 124 km FP: 44 5,0 10,0 29,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn München - Nürnberg 170 km FP: 57 12,0 29,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn Erlangen - Passau 236 km FP: 51 15,9 29,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn Garmisch-P. - Bamberg 318 km FP: 82 15,9 25,0 35,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn Würzburg - Passau 328 km FP: 69 Kein Angebot Kein Angebot [1: 40] [1: 19] [1: 51] Anfrage 1 Tag vor Reise [2: 10] [1: 44] [1: 10] [3: 55] [2: 16] [2: 21] [4: 40] [3: 00] [2: 49] [6: 00] [3: 31] [3: 38] BayernTicket (25 EUR) xxx km Entfernung lt. Routenplaner FP=Flexpreis ICE/ EC/ IC (unrabattiert) Bahn = Verfügbarer Sparpreis [Stunde: Minute] [1: 40] 15,0 29,9 Flixbus BlaBlaCar Bahn Quelle: exeo Strategic Consulting AG Bild 2: Preisvergleich Flixbus, BlaBlaCar und Deutsche Bahn nach Relation/ Buchungsanfrage in EUR (Do., 11.01.2018, Start 7-13 Uhr) Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 19 Wettbewerb POLITIK partner von Flixbus wieder aktiv [17]. Den faktisch größten Konkurrenten des DB Fernverkehrs stellt DB Regio dar (Reisen mit bis zu 50 km einfache Entfernung). Stärkere Vermarktung von zuggebundenen Angeboten Die Deutsche Bahn hat auf den verschärften Wettbewerb auch preislich reagiert und setzt im Fernverkehr verstärkt auf zuggebundene Angebote, um insbesondere preissensible Nachfragesegmente anzusprechen [18]. Sparpreise ermöglichen eine hohe Ersparnis gegenüber dem Flexpreis (als Höchstpreis), insbesondere dann, wenn die Buchung frühzeitig erfolgt. Bereits im Jahr 2016 hat der Sparpreis den Flexpreis der DB als wichtigste Ticketkategorie abgelöst: Bei Reisen ab 50 km einfache Strecke werden in 32 % der Fälle Sparpreise genutzt, in 2014 lag der Wert noch bei 26 % (Bild 4). Zur stärkeren Akzeptanz beigetragen haben Änderungen der Tarifkonditionen (verkürzte Vorauskauffrist ab 2014, 25% Rabatt auf Sparpreise auch für Kunden mit Bahn- Card 50 ab 2016, vorher erhielten nur Bahn- Card 25-Kunden diesen Rabatt), aber auch die damit teilweise einhergehenden verbesserten Buchungsprozesse (in den letzten Jahren ist nicht nur das Sparpreissegment, sondern auch der Anteil digitaler Tickets stark angestiegen). Sparpreise als treibender Faktor für das Preis-Leistungs-Verhältnis Die deutlich stärkere Inanspruchnahme des Sparpreises belegt, dass die Kunden die Abwägungsentscheidung zwischen eingeschränkter Flexibilität in der Zugauswahl einerseits und Senkung des Fahrpreises anderseits verstanden haben, und zunehmend zugunsten der Sparpreise entscheiden. Die Vorteile für die DB liegen auf der Hand: Die zuggebundenen Angebote erreichen erstens aus Kundensicht Bestwerte im Preis- Leistungs-Verhältnis. Während in Deutschland die Nutzer eines Sparpreises die Bahnfahrt zu 71 % als preiswürdig bezeichnen, erreicht das Flexpreis-Segment nur 30 %. Zweitens kann zusätzliche Nachfrage mobilisiert und auf die bestehenden Angebotskapazitäten verteilt werden. Dies führt drittens zu einer höheren Auslastung und damit geringeren mittleren Kostenbelastung je Reisenden. Sparpreis-Angebote von 19,90 EUR mit klarer-Signalwirkung Vor allem das Angebot günstiger Eckpreise ab 19,90 EUR führt dazu, dass sich die Wettbewerbsposition der Bahn durch zuggebundene Sparpreise erheblich verbessert hat. In Kombination mit der BahnCard ergeben sich dann für eine Bahnfahrt mittlerer Strecke (400 km) Preise von knapp 15 EUR bzw. umgerechnet 3,7 ct/ km. In diesem Fall werden nicht nur die Kosten des PKW deutlich unterschritten, sondern z.T. auch die Preise der Fernbus-Anbieter. Gerade weil Sparpreise nicht flächendeckend und immer mit begrenzter Verfügbarkeit angeboten werden, kann die DB mit diesem Angebot zielgerichtet auf Konkurrenz reagieren. Lufthansa: Preiserhöhung als Gegenbewegung In der breiten Öffentlichkeit verstärkt sich die Befürchtung, dass Fliegen in Deutschland zukünftig deutlich teurer werden könnte, als dies bisher der Fall war. Nachdem die Übernahme der insolventen Air Berlin im Sommer von vielen geradezu „herbeigesehnt“ wurde, zeigen sich mittlerweile recht deutliche Konsequenzen. Im innerdeutschen Flugverkehr herrscht Ende 2017 ein Kapazitätsengpass. In dieser Situation ist es nur konsequent, dass die Ticketpreise steigen. Auch, wenn das Lufthansa- Management beteuert, dass die Preise nicht gezielt angehoben werden, änderte dies nichts daran, dass die Preise in die Höhe gehen. Dafür sorgen die Buchungssysteme der Airlines und ein dynamisches Pricing, welche sensibel auf Nachfrageänderungen reagiert. Das Bundeskartellamt hatte die Preisgestaltung der Lufthansa Ende Dezember 2017 gerügt und Bedenken hinsichtlich der marktbeherrschenden Position der Airline geäußert [19]. Nicht nur die Marktsituation (geringe Kapazitäten, geringer intramodaler Wettbewerb) begünstigt höhere Preise, sondern auch die gute Kundenbeziehung sowie der aus Kundensicht wahrgenommene Mehrwert der Lufthansa. Selbst unter Konkurrenzbedingungen ist es für die Lufthansa möglich, ein deutliches Preispremium gegenüber Low-Cost-Anbietern zu erzielen. Die eigenen empirischen Untersuchungen beziffern die Aufpreisbereitschaft der Flugreisenden für Lufthansa gegenüber Ryanair auf etwa 40 % [20]. Preissensible Fluggäste werden dagegen eher durch Eurowings angesprochen, wobei deren Preise im Low- Cost-Segment relativ hoch sind. Zwar bietet -20% -15% -10% -5% 0% 5% 10% 15% 20% 0 50 100 150 200 250 300 350 Jan. 13 Juli 13 Jan. 14 Juli 14 Jan. 15 Juli 15 Jan. 16 Juli 16 Jan. 17 Juli 17 Anzahl Linien Monatliche Veränderung in % Fusion Flixbus MeinFernBus Exit Postbus/ Megabus/ BLB Markteintritt Megabus Günstigster Preis III. Konsolidierung II. Preiswettbewerb / -krieg I. Kapazitätswachstum Ø >4 Ct Ø 3,9 Ct Ø 2,4 Ct Ø 3,8 Ct Ø >5 Ct Ø 3,9 Ct Quelle: exeo Strategic Consulting AG; Simplex Fernbusreport Monopol Marktbeobachtung 10 Kernrelationen Marktentwicklung In Phasen Bild 3: Entwicklungsphasen im deutschen Fernlinienbus-Reisemarkt (2013-2017) 1) Mit welchem Ticket sind Sie von ... (Start) nach ... (Ziel) gereist? 2) Wie bewerten Sie das Preis-Leistungs-Verhältnis des genutzten Verkehrsmittels für die Reise von ... nach ...? Skala: 1=sehr gut bis 6=sehr schlecht. 71% 29% 0% top-2 indifferent low-2 Sparpreis (Zugbindung) 30% 55% 15% top-2 indifferent low-2 Flexpreis (mit/ ohne BahnCard-Rabatt) Genutztes Ticket Flexpreis / Normalpreis (mit/ ohne BahnCard-Erm.) Sparpreis (mit Zugbindung) BahnCard 100 / Streckenzeitkarte Sonstiges Ticket (z.B. Verbundticket) 2016 2014 24% 32% 11% 33% N klein N klein 36% 26% 4% 34% Genutztes Ticket bei der letzten Bahnreise 1) Preis-Leistungs-Verhältnis 2 Quelle: exeo Strategic Consulting AG / Rogator AG Bild 4: Nutzungsanteil und Bewertung des Preis-Leistungs-Verhältnisses Spar- und Flexpreise POLITIK Wettbewerb Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 20 seit Januar 2018 die britische Billig-Airline Easyjet innerdeutsche Flüge an (zwischen Berlin und München, Düsseldorf, Stuttgart sowie Frankfurt), der Effekt auf das Preisniveau für Flugtickets in Deutschland dürfte aber insgesamt vernachlässigbar sein. Ausblick - Weiter Wettbewerb um preissensible Nachfragesegmente Die bis vor wenigen Jahren sehr robusten Strukturen in Mobilitätsmarkt sind angebots- und nachfrageseitig bedingt. Speziell die Entscheidung für den PKW ist weiterhin stark habitualisiert. Allerdings werden die Strukturen (langsam) aufgebrochen. Angebotsseitig ergeben sich gegenläufige Wirkungen: Zum einen bestehen rein formal mehr Optionen für die Verkehrsmittelwahl, zum anderen formieren sich je Teilsegment Quasimonopole, die einen intramodalen - aber indirekt auch den intermodalen - Wettbewerb einschränken: • Folge der Monopolisierung von Teilmärkten ist zum Teil eine Leistungseinschränkung, wenn die dominierenden Unternehmen im Teilmarkt ihre Kapazitäten optimieren. Dies wurde im Falle von Flixbus deutlich, nachdem in 2016 wichtige Konkurrenten entweder übernommen wurden (Megabus, Postbus) oder aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ihr Angebot einstellten (Berlin- LinienBus). • Für die im Teilsegment führenden Unternehmen ergeben sich je nach Relation, Kundensegment und Wettbewerbssituation monopolistische Preisspielräume, die von den Unternehmen genutzt werden, insbesondere dann, wenn die Kunden auf ein Verkehrsmittel fokussiert sind. • Die Preisspreizung im Markt wird erhöht, weil sich insbesondere auf stark genutzten Relationen die höchste intermodale Wettbewerbsintensität ergibt. Hier erhalten preissensible Reisende die besten Chancen für niedrige Reisekosten (Dynamic Pricing). • Bei preissensiblen Nachfragesegmenten nimmt die Fixierung auf nur ein Verkehrsmittel tendenziell ab. Dies liegt zum einen an attraktiven Alternativen, die insbesondere die neuen Wettbewerber BlaBlaCar und Flixbus darstellen, zum anderen aber auch an einer stärkeren Transparenz, die durch Mobilitätsportale (auch eine Folge der digitalisierten Welt) erzeugt und verstärkt wird. Auch bei den beschriebenen veränderten Rahmenbedingungen wird grundsätzlich weiterhin Preisdruck bestehen. Schließlich spielt das Segment der preissensiblen Reisenden für den relevanten Markt der „Quasi-Monopolisten“ BlaBlaCar, Flixbus, DB Fernverkehr (und eingeschränkt Lufthansa) eine tragende und zunehmend wichtige Rolle. Allerdings verfügen die Unternehmen mit Quasi-Monopolstellung über verschiedene Möglichkeiten, sich dem intermodalen Wettbewerb zu entziehen. Zum Beispiel indem sie die Digitalisierung nutzen, um Produkte und Services stärker auf die Kundenbedürfnisse auszurichten, so die Kundenloyalität zu steigern und gleichzeitig die Preissensitivität in Kundenbindung umzuwandeln. Dies unterstreicht die Bemühungen der Anbieter, sich von der Abhängigkeit von Vermarktungsportalen zu lösen und Kunden über die eigene Website gezielt und- zukünftig stärker individualisiert zu betreuen. ■ LITERATUR [1] Krämer, A. (2016): Zukunft Bahnpersonenverkehr: Wie wettbewerbsfähig ist das deutsche Bahnsystem unter veränderten Konkurrenzbedingungen? ZEVrail 140 (4), S. 138-145 [2] DLR: Low Cost Monitor. 2/ 2017 - Der aktuelle Markt der Low Cost Angebote von Fluggesellschaften im deutschen Luftverkehr, Herbst 2017 [3] Krämer, A., Hercher, J. (2017): Billiganbieter erobern den Fernreisemarkt. Planung & Analyse, Jg. 45, Heft 4, S. 60-61 [4] Krämer A., Wilger G., Bongaerts, R. (2017): Fernlinienbusse - eine Erfolgsgeschichte? ! Marktbedingungen - Geschäftsmodelle - Entwicklungsperspektiven, KSV Verlag, Köln 2017. [5] Lowe, B., Lynch, D., & Lowe, J. (2017). Pricing and Consumers in a Changing World. [6] Krämer, A.; Jung, M. (2014): Zwischen Preiswettbewerb und Preiskampf - Das Spannungsfeld zwischen Nachfrageboom und Preiserosion bei Reisen mit Fernlinienbussen. Internationales Verkehrswesen, 66(4), 2014, S. 58 - 60 [7] Eisenkopf, A.; Hahn, C.; Schnöbel, C. (2008). Marktabgrenzung und Wettbewerb im Personenverkehr - zur Bedeutung des intermodalen Wettbewerbs aus der Perspektive des Schienenpersonenverkehrs. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, 79(1), S. 35-73 [8] Check my bus (2017): Deutscher Fernbusmarkt 2016 wächst nur leicht auf 25,3 Millionen Fahrgäste. Abruf am 12.1.2017 unter http: / / www.newstix.de/ ? session=abe05a85cbac79f5e73915dafe02d347&si te=actual&startentry=10&entmsg=true&mid=34764#sthash.oY- P4uTZ6.dpuf [9] Krämer, A.; Bongaerts, R. (2017): Wie Digitalisierung die Wettbewerbsposition der Bahn verändert. Internationales Verkehrswesen, 69(2), Feb. 2017, S. 26-30 [10] Krämer, A. (2016): Kostenwahrnehmung bei PKW-Reisen - Empirische Analyse zur Schätzung der PKW-Kosten und der wahrgenommenen Kostenkomponenten bei Autofahrern im DACH-Gebiet. Internationales Verkehrswesen, 68(4), 2016, S. 16-19 [11] Bay, L. (2014): „Wer nur Blondinen unter 30 sucht, fliegt raus“, Interview mit Deutschland-Chef Olivier Bremer, Handelsblatt v. 15.5.2014, Download unter http: / / www.handelsblatt.com/ unternehmen/ industrie/ blablacar-chef-bremer-mitfahrer-sind-ueberwiegendjuenger-und-weiblich/ 9891802-2.html [12] Schönleben, D. (2016): Ärger um Gebühren: BlaBlaCar erklärt sich. Wired v. 14.07.2016, Download unter https: / / www.wired.de/ collection/ business/ aerger-um-gebuehren-der-deutschlandchef-vonblablacar-erklaert-sich [13] Schwieterman, J.P. (2016): The Remaking of the Motor Coach: 2015 Year in Review of Intercity Bus Service in the United States. Download am 2.8.2017 unter https: / / www.researchgate.net/ publication/ 291357169 und Antolin, B., Schwieterman, J. P. (2016): RUNNING EXPRESS - 2017 Outlook for the Intercity Bus Industry in the United States. Download am 2.8.2017 unter https: / / www.researchgate.net/ publication/ 312974814_Running_Express_2017_Outlook_for_ Intercity_Bus_Service_in_the_United_States [14] BAG: Kurzfristprognose Sommer 2017, Gleitende Mittelfristprognose für den Güter- und Personenverkehr des Bundesamtes für Güterverkehr, erscheinen am 19.09.2017, Download unter https: / / www. bag.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Verkehrsprognose/ Verkehrsprognose_Sommer_2017.html [15] Schlesiger, C. (2016): Warum 80 Prozent Marktanteil kein Monopol sind. Wirtschaftswoche v. 4.8.2016, Download unter http: / / www. wiwo.de/ unternehmen/ dienstleister/ fernbusmarkt-warum- 80-prozent-marktanteil-kein-monopol-sind/ 13973404.html [16] Monopolkommission (2017): Bahn 2017: Wettbewerbspolitische Baustellen, Sondergutachten 76, Download unter http: / / www. monopolkommission.de/ images/ PDF/ SG/ s76_volltext.pdf [17] Doll, N. (2017): Flixbus und Locomore schmieden einen Pakt gegen die Bahn. WELT online v. 16.8.2017, Download unter https: / / www. welt.de/ wirtschaft/ article167712802/ Flixbus-und-Locomoreschmieden-einen-Pakt-gegen-die-Bahn.html [18] Krämer, A., Hercher, J. (2016): MobilitätsTRENDS 2016 - Sparpreise: Wirkungsvolles Instrument der Bahn im Wettbewerb Bonn, Dezember 2016. Verfügbar unter https: / / www.rogator.de/ files/ content/ Unternehmen/ Studie/ exeo_MobilitätsTRENDS_Sparangebote%20 der%20Bahnen_im_D-A-CH-Gebiet.pdf [19] Busse, C. (2017): Bundeskartellamt rügt Lufthansa. Süddeutsche Zeitung online, v. 28.12.2017, Download unter http: / / www.sueddeutsche.de/ wirtschaft/ nach-air-berlin-pleite-bundeskartellamtruegt-lufthansa-1.3806188 [20] Krämer, A., Hercher, J. (2017): Das Geschäftsmodell von Ryanair aus Verbrauchersicht. Bonn, 24.4.2017, Download verfügbar unter https: / / www.researchgate.net/ publication/ 316433160_Das_Geschaftsmodell_von _Ryanair_aus_Verbrauchersicht Andreas Krämer, Prof. Dr. Vorstandsvorsitzender der exeo Strategic Consulting AG, Bonn; Professor für Pricing und Customer Value Management/ CRM an der University of Applied Sciences Europe, Fachbereich BiTS, Iserlohn andreas.kraemer@exeo-consulting.com SUMMARY In recent years travelling in Germany has become cheaper, not only due to lower fuel prices but also because of increased competition. As a consequence of the liberalized market for intercity bus trips a new market segment was created. In addition, the market for ridesharing is also dynamically developing and offers journeys at very low cost. The latest counter-movement can be found in the airline sector: After the Air Berlin bankruptcy, Lufthansa is accused of taking advantage of its monopoly position and raising ticket prices. However, besides Lufthansa there are other dominant market positions in other subsectors: Flixbus for intercity busses, BlaBlaCar for ridesharing and Deutsche Bahn for long-distance rail traffic. Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 21 Verwertung von Slots im Rahmen der Insolvenzabwicklung von Fluggesellschaften Luftfahrt, Insolvenz, Slots, Zeitnischen, Verkehrsrechte, Airline Die Luftfahrtbranche hat in der Vergangenheit, wie auch derzeit gerade, Phasen starken Wachstums durchlaufen. Die Flughafeninfrastruktur weltweit kann diesen Wachstumsraten kaum folgen, was zu Kapazitätsengpässen an zentralen Flughäfen führt. In diesen Fällen werden die Zeitnischen für An- und Abflüge nach international verbindlichen Richtlinien durch einen öffentlichen Koordinator zugeteilt. Die-Rechte an den Slots sind selbständig nicht übertragbar. Für die Airlines (Slotholders) stellen die Zeitnischen wegen der mit ihnen verbundenen Ertragspotenziale gleichwohl wertvolle Wirtschaftsgüter dar. Aber wie lassen sich Slots im Falle einer Airline-Insolvenz verwerten? Arne Schulke, Nina Naske D as Flugzeug als kommerzieller Verkehrsträger stellt besondere infrastrukturelle Ansprüche. Anders als beispielsweise ein LKW muss es zwingend auf einem speziell dafür ausgelegten und dafür zugelassenen Flughafen starten und landen. Diese Infrastruktur ist nicht nur sehr aufwändig und teuer, sie ist auch in jüngster Zeit zunehmend unpopulär. Fast jeder größere deutsche Flughafen unterliegt inzwischen einem Nachtflugverbot zum Lärmschutz der umliegenden Großstädte. Dies schränkt die Zahl der möglichen Starts und Landungen pro Tag zusätzlich zu verkehrstechnischen und eventuellen Bewegungskontingentierungen ein. Slots als rares Gut Zeitnischen für Starts und Landungen, sogenannte Slots, sind daher an verkehrsreichen Flughäfen ein knappes Wirtschaftsgut. Manche Slots sind hoch begehrt, da „klassische“ Fluglinien in Hub-and-Spoke-Netzwerken organisiert sind. Daher müssen Umsteigeverbindungen in Wellen organisiert werden, um für den Kunden attraktive Verbindungen zu ermöglichen. Die Lufthansa beispielsweise hat die Flughäfen in Frankfurt und München zu ihren Hubs erklärt, womit diese Flughäfen für die Attraktivität ihres Verbindungsnetzwerks zentrale Bedeutung erlangen. Besonders zu den Tagesrandzeiten ergeben sich an größeren Verkehrsflughäfen Engpässe, da dort stationierte Flugzeuge zur optimalen Nutzung möglichst kurz nach Ende der Nachtruhe eingesetzt werden und abends möglichst spät landen sollen. Komplexe Koordination Es ist zu vermuten, dass Airlines für eine große Zahl von Slots weltweit einen hohen Preis zu zahlen bereit wären. Allerdings können Flughäfen nicht frei mit diesen Rechten handeln und sie höchstbietend verkaufen. Dies ist sicherlich der strategischen Rolle des Luftverkehrs für die Weltwirtschaft geschuldet. Weltweit hat man sich stattdessen auf ein Koordinationssystem für die Vergabe der Slots an bestimmten Flughäfen verständigt, also auf eine Form der Wettbewerbsregulierung. Dabei orientiert man sich am „Grundgesetz“ des weltweiten Luftverkehrs, der Chicago- oder auch ICAO-Konvention, und deren Auslegung im Rahmen der World Slot Guidelines durch die IATA [1]. Maßgeblich für deutsche Flughäfen ist die EU-Verordnung (EWG) Nr. 95 von 1993 [2], die seither mehrfach überarbeitet wurde. Die Verordnung (EWG) Nr. 95/ 1993 regelt unter anderem das generelle Vergabeverfahren von Slots an den kritischen Flughäfen, das durch jeden Mitgliedsstaat in nationales geltendes Recht umgewandelt wurde. Eine zentrale Rolle im Verfahren spielt ein für die Vergabe zuständiger Koordinator, der vom jeweiligen Mitgliedsstaat benannt werden und von außer Frage stehender Unparteilichkeit sein soll. Die Europäischen Koordinatoren kooperieren in der Praxis miteinander im Rahmen der European Airport Coordinators Organisation (EUACA) und haben gemeinsam die Euro- Foto: pixabay.de Luftverkehr POLITIK POLITIK Luftverkehr Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 22 pean Slot Guidelines als Konkretisierung der EU-Verordnung erarbeitet. Auf globaler Ebene ist das Pendant zur EUACA die Worldwide Airport Coordinators Group, kurz WWACG [3]. In der Verordnung (EWG) Nr. 95/ 1993 werden drei Typen von Flughäfen unterschieden: Zunächst solche, die vom Koordinator nicht beeinflusst werden müssen (klassifikationslose Flughäfen oder Level 1 Airports), weiter die sogenannten flugplanvermittelten Flughäfen (Level 2) und die besonders kritischen koordinierten Flughäfen (Level 3). Flugplanvermittelt sind solche Flughäfen, an denen nur an bestimmten Uhrzeiten, Wochentagen oder saisonal Engpässe auftreten, die durch Vermittlung unter den Fluglinien beseitigt werden können. Auf koordinierten Flughäfen hingegen erfolgt die Vergabe der gesamten Slots durch den Koordinator. Für beide Vergabeverfahren hat Deutschland die Flughafenkoordination der Bundesrepublik Deutschland als eigene öffentliche Rechtspersönlichkeit unter Aufsicht des Bundesverkehrsministeriums gegründet. Sie finanziert ihre Tätigkeit durch Gebührenerhebung von Fluglinien und Flughäfen. Die EU-Verordnung fordert von ihr eine Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach den Grundsätzen der Transparenz, der Neutralität und der Nichtdiskriminierung. Vorrangiges Ziel ist die Wahrung von Flugplankontinuität durch sogenannte Großvaterrechte, die Slotholders fortgesetzten Zugriff auf bestehende Slots garantieren. Daneben soll aber auch der Wettbewerb gefördert werden, was durch prioritäre Vergabe freier oder frei werdender Slots an sogenannte „Neubewerber“ ermöglicht werden soll. Nach der EU-Verordnung ist, vereinfacht gesagt, ein „Neubewerber“ jede Airline, die an dem betreffenden Flughafen bisher keine oder nur sehr wenige Slots hat. Die Vermittlung bzw. Vergabe erfolgt halbjährlich jeweils vor der Erstellung der Sommer- und Winterflugpläne der Airlines. Tabelle 1 zeigt die aktuellen Statistiken für den Sommerflugplan 2018 (S18) für die sieben kritischen und daher koordinierten Flughäfen in Deutschland. Rechtliche Einordnung der Slots Die Verordnung (EWG) Nr. 95/ 1993 beinhaltet genauere Festlegungen zum Rechtscharakter der Slots. Artikel 2 Buchstabe a) der Verordnung (EWG) Nr. 95/ 1993 besagt, die Zeitnische sei „die von einem Koordinator gemäß dieser Verordnung gegebene Erlaubnis, die für den Betrieb eines Luftverkehrsdienstes erforderliche Flughafeninfrastruktur eines koordinierten Flughafens an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Uhrzeit, die von einem Koordinator nach dieser Verordnung zugewiesen wurden, in vollem Umfang zum Starten oder Landen zu nutzen.“ Die Zeitnische zeigt sich damit als eine Nutzungserlaubnis eigener Art, deren genauer Inhalt und Reichweite sich aus den Einzelheiten der Verordnung (EWG) Nr. 95/ 1993 ergibt. Die Airline kann einen ihr zugeteilten Slot nutzen. Für wie lange sie ihn behält, nach welchen Bedingungen sie denselben Slot erneut bekommt oder unter welchen Voraussetzungen sie die Zeitnische verliert, ergibt sich aus der EU-Verordnung. Können Slots gehandelt werden? Dabei gehört es zu den für manche Beobachter durchaus erstaunlichen Tatsachen der Luftverkehrsbranche, dass Slots auch „gehandelt“ werden. Doch sogar die EU- Kommission hat schon vor einigen Jahren klargestellt, dass sich ein „Verbot“ des Slothandels zwischen Luftfahrtunternehmen den derzeit geltenden Rechtsvorschriften nicht entnehmen lässt [5]. Stattdessen findet sich in der Verordnung (EWG) Nr. 95/ 1993 die folgende Regelung: „Artikel 8a Zeitnischenmobilität (1) Zeitnischen können […] b) übertragen werden i) zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften sowie zwischen Tochtergesellschaften derselben Muttergesellschaft, ii) durch den Erwerb der Kontrolle des Kapitals eines Luftfahrtunternehmens, iii) bei vollständigen oder teilweisen Übernahmen, wenn die übertragenen Zeitnischen direkt mit dem übernommenen Luftfahrtunternehmen verbunden sind, c) getauscht werden, und zwar einzeln zwischen Luftfahrtunternehmen.“ Einen Verkauf von Slots im juristischen Sinn kann es danach nicht geben. Aber Airline A und Airline B können Slots untereinander tauschen, und wenn Airline A dabei einen Slot überträgt, der wirtschaftlich mehr wert ist als der Slot, den Airline B im Tausch dafür abgibt, dann wird sich das Rechtsgeschäft mit juristischer Sorgfalt durchaus auch so gestalten lassen, dass Airline B zugleich auch noch eine Ausgleichszahlung leistet. Oder aber die Airline B erwirbt die Airline A oder zumindest Teile der Airline A und die Slots werden im Zuge dieses Geschäfts mit übertragen. Denkbar sind dabei viele Gestaltungen, vom Kauf sämtlicher Geschäftsanteile bis hin zur Übernahme einzelner Unternehmensteile mitsamt den zugehörigen Slots. Die Details solcher Geschäfte können zahlreich und aufwendig werden, lassen sich aber mit luftfahrtkundiger Rechtsexpertise bewältigen. Folgen einer Insolvenz Auch im Fall der Insolvenz einer Airline gelten die Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 95/ 1993 grundsätzlich unverändert. Ausgangspunkt bleibt deshalb auch im Fall der Insolvenz einer Airline das Verständnis der Zeitnische als nach der Verordnung (EWG) Nr. 95/ 1993 erteilte Nutzungserlaubnis. Diese Nutzungserlaubnis besteht während des Zeitraums, für den sie erteilt wurde, und das Luftfahrtunternehmen erwirbt zudem einen Anspruch auf erneute Zuteilung derselben Slots in der nächsten Flugplanperiode, wenn diese zu mindestens 80 % auch tatsächlich genutzt wurden (Artikel 8 Abs. 2 Verordnung (EWG) Nr. 95/ 1993). Es gibt dabei noch etliche Einzelheiten zu beachten, aber es existieren keine Sonderregeln für den Fall einer Insolvenz. Zugleich ist damit auch die Insolvenz des Unternehmens keine Ausnahme, die es erlaubte, vom Erfordernis mindestens 80 %iger Nutzung abzusehen. Slot distribution S18 requested allocated S18 Historics New Entrants S18 Historics New Entrants DUS 212 041 68,0 % 4,4 % 156 712 92,0 % 1,5 % FRA 352 594 87,0 % 1,9 % 352 478 87,0 % 1,9 % HAM 1115 672 81,6 % 3,0 % 116 016 84,4 % 3,0 % MUC 299 444 86,8 % 1,8 % 299 812 86,7 % 1,8 % STR 91 379 78,4 % 2,3 % 91 291 78,5 % 2,3 % SXF 69 208 79,8 % 2,8 % 69 228 79,8 % 2,8 % TXL 215 777 55,8 % 16,7 % 164 396 73,3 % 6,7 % Total 1 356 115 1 249 933 Tabelle 1: Anzahl und Verteilung der Slots zwischen bestehenden „Slotholders“ und Neubewerbern [4] Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 23 Luftverkehr POLITIK Damit kann sich für die Airline die Notwendigkeit ergeben, die weitere Nutzung ihrer Slots sicherzustellen, um diese nicht zu verlieren. Droht einer Airline die Insolvenz oder steht diese bevor, kann das natürlich schwierig werden. So war etwa den öffentlichen Verlautbarungen der deutschen Bundesregierung zu entnehmen, dass der mit einer Bürgschaft des Bundes gewährte Kredit der KfW an die Air Berlin besonders dazu gedient habe, den Flugbetrieb aufrecht zu erhalten und so die Slots weiter zu bedienen und zu erhalten [6]. Doch wenn einer Airline das Insolvenzverfahren droht oder gar bereits eröffnet ist, ergeben sich Besonderheiten aufgrund anderer Rechtsvorschriften. Diese Besonderheiten wiederum wirken sich auch auf die Zeitnischenvergabe aus. Kein „slot-fähiges“ Luftfahrtunternehmen ohne Betriebserlaubnis Gut erklären lässt sich dies zunächst am Beispiel der vor kurzem in die Insolvenz geratenen britischen Monarch Airlines. Der britische Koordinator behauptete, die Monarch Airlines sei infolge des Insolvenzverfahrens kein Luftfahrtunternehmen mehr, weil der Flugbetrieb eingestellt sei, und deshalb könne Monarch auch die erteilten Slots nicht verwerten; die Slots seien in den Pool zurückgefallen. Die Insolvenzverwalter (administrators) der Monarch sahen das ganz anders und in der zweiten Instanz gab ihnen der Court of Appeal in London schließlich Recht mit der Begründung, das Unternehmen sei so lange ein Luftfahrtunternehmen, wie es über eine gültige Betriebserlaubnis verfüge [7]. Damit die nach der Verordnung (EG) Nr. 1008/ 2008 [8] erteilte Betriebserlaubnis erhalten bleibt, muss das Luftfahrtunternehmen fortlaufend auch seine finanzielle Leistungsfähigkeit nachweisen. Erst der Blick in die Einzelheiten lässt dabei erkennen, weshalb gleichwohl auch ein Insolvenzverfahren nicht automatisch den Verlust der Betriebserlaubnis bedeutet. Denn gefordert ist nicht der „Geschäftserfolg“, sondern der Nachweis, dass das Luftfahrtunternehmen „während eines Zeitraums von zwölf Monaten seinen tatsächlichen und möglichen Verpflichtungen nachkommen kann“ (Artikel 9 Absatz 1 Verordnung (EG) Nr. 1008/ 2008). Gefordert ist also nicht Gewinn, sondern Liquidität. Zudem lässt sich auch eine finanzielle Umstrukturierung anstreben, denn für diesen Fall kann die zuständige Luftfahrtbehörde eine auf maximal zwölf Monate befristete vorläufige Genehmigung erteilen, sofern die Flugsicherheit (safety) nicht beeinträchtigt ist und Aussicht auf einen zufrieden stellenden finanziellen Umbau besteht (Artikel 9 Absatz 1 Verordnung (EG) Nr. 1008/ 2008). Der Einzelfall entscheidet Das Schicksal der Slots einer in die Insolvenz geratenen Airline ergibt sich damit aus dem Zusammenspiel vieler Rechtsvorschriften. Als Daumenregel kann formuliert werden: Die Slots sind für die Insolvenzmasse verloren, wenn nicht rechtzeitig jemand die Weichen stellt: Die Nutzung der Slots darf nicht unter 80 % fallen und die Betriebserlaubnis muss erhalten bleiben. Solange dies gelingt, bleiben ein Tausch von Slots oder bei einer Unternehmensübernahme auch eine Übertragung von Slots möglich. Folglich gelingt im Fall einer Insolvenz die wirtschaftliche Verwertung von Slots auch nur auf diesem Wege. So wird insbesondere die Übernahme einer gescheiterten Airline für ihre Wettbewerber interessant. Denn während sich Flugzeuge oder Personal am Markt finden lassen, ist das bei Slots an den koordinierten Flughäfen natürlich ganz anders. Die intensive Diskussion der Rolle von Slots im Falle von Air Berlin und ihre Töchter belegt dies deutlich [9]. Allerdings ergibt das zu erwartende Interesse der Wettbewerber noch keine ausreichende Antwort auf die andere Frage, ob der Insolvenzverwalter einer Airline ihre Slots erhalten oder einen „Slothandel“ unternehmen muss. Die Frage lässt sich auch nicht pauschal beantworten, denn die Antwort ergibt sich erst aus der konkreten Anwendung der die Arbeit des Insolvenzverwalters regelnden Vorgaben der Insolvenzordnung und hängt dabei ganz maßgeblich von den vielen faktischen Details des Einzelfalls ab. Allerdings wird den Insolvenzverwalter dabei umso eher eine Pflicht zu Erhalt und Verwertung der Slots treffen, je deutlicher sich abzeichnet, dass sich die nötige Liquidität für eine Fortsetzung des Flugbetriebs beschaffen lässt, und je mehr Anhaltspunkte es dafür gibt, dass sich Interessenten für ein „Slotgeschäft“ finden lassen. Im Fall der Air Berlin dürfte sich übrigens die Frage nach einer Pflicht des Insolvenzverwalters zu Erhalt oder Verwertung von Slots gar nicht erst besonders dringlich gestellt haben. Denn schon kurz nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ordnete das Amtsgericht Charlottenburg als Insolvenzgericht die Eigenverwaltung an, und dies ist zunächst auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens so geblieben [10]. Treibende Kraft war und ist deshalb weiterhin die Geschäftsleitung, die den Generalbevollmächtigten Frank Kebekus hinzugeholt hat, während dem Sachwalter Lucas Flöther die Aufsicht und Überwachung übertragen ist (§§ 270, 274 InsO) und es für bedeutsame Rechtsgeschäfte der Zustimmung des Gläubigerausschusses bedarf (§ 276 InsO). Eine Notwendigkeit, einen unwilligen Entscheider zum Erhalt der Slots oder deren Verwertung - im Zuge der Veräußerung von Tochtergesellschaften oder auf andere Weise - zu zwingen, dürfte sich deshalb bisher vermutlich gar nicht erst ergeben haben. ■ LITERATUR [1] Zu den ICAO-Grundsätzen vgl. Slot Allocation, Working paper des ICAO-Sekretariats zur Vorlage beim 6. Treffen der Weltweiten Luftverkehrskonferenz am 18.-22.3.2013 in Montreal, abrufbar unter https: / / www.icao.int/ Meetings/ atconf6/ Documents/ WorkingPapers/ ATConf6-wp011_en.pdf. Die IATA Worldwide Slot Guidelines 8.1 Edition (abrufbar unter http: / / www.iata.org/ policy/ slots/ slot-guidelines.aspx). [2] Verordnung (EWG) Nr. 95/ 93 des Rates vom 18. Januar 1993 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft (ABl. L 014, 22.1.1993, S. 1), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 545/ 2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 95/ 93 des Rates über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft (Abl. L 167, 29.6.2009, S. 24-25). [3] http: / / www.wwacg.org. [4] http: / / www.fhkd-speicher.org/ statistics/ s18/ , abgerufen am 11.1.2018 [5] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 95/ 93 vom 30.04.2008 (KOM(2008)227). [6] Erklärung der Bundeswirtschaftsministerin und Koordinatorin der Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrt, Frau Brigitte Zypries, am 15.08.2017. [7] R (Monarch Airlines Ltd) v Airport Coordination Ltd, [2017] EWCA Civ 1892, Court of Appeal, Entscheidung vom 22.11.2017. [8] Verordnung (EG) Nr. 1008/ 2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. L 293, 31.10.2008, S. 3). [9] z.B. Spiegel Online vom 14.12.2017: Das Lufthansa-Märchen (http: / / www.spiegel.de/ wirtschaft/ unternehmen/ lufthansa-und-nikiwas-wirklich-hinter-dem-nein-der-eu-kommission-steckta-1183328.html). [10] Amtsgericht Charlottenburg, Insolvenzgericht, Entscheidung vom 01.11.2017, 36a IN 4301/ 17 u.a. (zu finden unter https: / / www.insolvenzbekanntmachungen.de). Arne Schulke, Prof. Dr. Professor for Management Control and Leadership, Aviation Management Department, IUBH Campus Studies, Bad Honnef a.schulke@iubh.de Nina Naske, M.A. Rechtsanwältin, Naske Legal, Braunschweig nnaske@naske-rechtsanwaelte.eu POLITIK Automatisiertes Fahren Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 24 Zulassung hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge Die Rolle von Produktregulierung, Konformitätsbewertung, Produktbeobachtung und Marktüberwachung Digitalisierung, Automatisierung, Assistenz, Zulassung, Verkehrssicherheit Bereits heute bieten technische Systeme dem Fahrer Entlastung durch Assistenzfunktionen. Hoch- und vollautomatisierte Systeme, die ohne menschliches Eingreifen selbstständig die Fahrbahnspur wechseln, bremsen und lenken können, sind grundsätzlich technisch verfügbar oder auf dem Sprung in die Serienreife. Es fehlt bislang noch ein Rechtsrahmen zur Zulassung hoch- und vollautomatisierter Kraftfahrzeuge. Die rasante Entwicklung der Technik nötigt Politik und Gesellschaft dazu, kurzfristig Zulassungsprozesse des hoch- und vollautomatisierten Fahrens rechtsverbindlich zu definieren. Lars Schnieder, René S. Hosse T echnischen Entwicklungen im Automobilbau führen künftig dazu, dass technische Systeme in bestimmten Fahrmanövern die Fahrzeugführung übernehmen können [1]. Diese automatisierten Systeme erkennen ihre Grenzen und fordern den Fahrzeugführer bei Bedarf zur (Wieder-)Übernahme der Fahrzeugführung auf. Derart weitreichende technische Entwicklungen erfordern gesetzliche Regelungen zum Zusammenwirken von Fahrzeugen mit automatisierten Fahrfunktionen und dem Fahrer. Die vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzte Ethik-Kommission zum vernetzten Fahren hat ethische Leitlinien für den zukünftigen Rechtsrahmen ausgearbeitet. Mit der Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes wurden einige der Empfehlungen der Ethik-Kommission bereits im Oktober 2017 in nationales Recht überführt. Bezüglich der Zulassung automatisierter Fahrfunktionen erklärt die Ethik-Kommission ausdrücklich, dass die technische Entwicklung dem Prinzip der eigenverantwortlichen Handlungsfreiheit der Hersteller zu folgen hat. Diese Freiheit hat dort ihre Schranken, wo überragende Interessen der Allgemeinheit oder grundlegende Wertentscheidungen der Rechtsordnung gefährdet sind (vgl. [2]). Dieses Verständnis deckt sich mit der im (europäischen) Produkthaftungsrecht handlungsleitenden Maxime des „Neuen Ansatzes“ (New Approach). Demnach wird das Einschreiten des Staates auf ein entbehrliches Mindestmaß beschränkt. Der Industrie wird bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit ein größtmöglicher Handlungsspielraum gewährt. Bereits heute sind in anderen Bereichen der Zulassung technischer Systeme (Cassis-de-Dijon- Rechtsprechung, [3]) bewährte Verfahren der Produktregulierung, Konformitätsbewertung, Produktüberwachung und Marktüberwachung für die Zulassung hochautomatisierter Fahrfunktionen anwendbar. Diese müssen - im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern - um spezifische Bausteine ergänzt werden. Produktregulierung - Wissenschaft und Technik als Maßstab des rechtlich Gebotenen In seiner Rechtsprechung („Airbagurteil“) stellt der Bundesgerichtshof unmissverständlich klar [4], dass jedes Produkt schon in der Konzeptions- und Planungsphase dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik (vgl. Definition in [5]) entsprechen muss. Die Zulassung von Straßenfahrzeugen in Europa erfolgt gemäß Typprüfung, auch Homologation genannt, nach den ECE- und EG-Richtlinien (vgl. [6]). Die Typgenehmigung erfolgt, sobald die Konformität des Fahrzeugs gegenüber dem anzuwendenden Regelwerk (den ECE-Richtlinien) nachgewiesen ist. Der bestehende Ansatz der Erfüllung von ECE-Richtlinien stößt in mehrererlei Hinsicht an seine Grenzen. Erstens wird bislang im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern der Aspekt Funktionale Sicherheit (z. B. nach ISO 26262) unzureichend betrachtet. Die Funktionale Sicherheit ist in den ECE-Richtlinien bislang nur vage abgedeckt. Beispielsweise beschreibt Anhang 6 der ECE-Regelung R79 (Lenkanlage von Kraftfahrzeugen) ansatzweise Sicherheitsaspekte elektronischer Einrichtungen für die Fahrzeuglenkung. Zweitens liegt für die Zulassung hochautomatisierter Fahrfunktionen im System der ECE-Regelungen ein Dilemma vor: • UN-ECE-Regelung als a-priori-Vorgaben für die Entwicklung zulassungsfähiger Systeme: Das klassische System detaillierter UN-ECE-Regelungen stößt als „Code of practice“ für hochautomatisierte Fahrfunktionen an seine Grenzen. UN-ECE Regelungen geben en detail praxisbewährte technische Merkmale vor. Eine empirisch abgesicherte Betriebsbewährung liegt für automatisierte Systeme aktuell nicht vor - genau weil bislang noch keine Zulassung ausgesprochen wurde. • UN-ECE-Regelungen als A-posteriori-Harmonisierung: Bislang eilten die UN-ECE- Regelungen bereits existierenden Produktkategorien hinterher. Es wurden im Feld gesammelte Best Practices, für deren Erprobung im Zweifel immer noch der Fahrer die Rückfallebene war, in diesen Regelungen kodifiziert. Für hoch riskante Technologien, wie das hoch- oder vollautomatisierte Fahren, ist dieser Ansatz einer nachträglichen Kodifizierung nicht möglich. Allerdings ist durch die Komplexität der technischen Systeme eine A-priori-Vorgabe mit dem für eine rechtssichere Zulassung gebotenen Detailgrad auch nicht möglich. Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 25 Automatisiertes Fahren POLITIK Drittens erfordert der gemäß der Ethik- Kommission anzusetzende Maßstab einer „positiven Risikobilanz“ für die Zulassung von hoch- und vollautomatisierten Fahrzeugen eine Präzisierung. Dem Anspruch des Standes von Wissenschaft und Technik folgend müssen Anleihen an in anderen Rechtsdomänen bewährte methodische Vorgehensweisen genommen werden (z. B. Arzneimittelzulassung). In jedem Fall muss vor dem Inverkehrbringen eine Gefährdungseinschätzung des inhärenten Restrisikos durch den Hersteller erfolgen. Der Neuigkeitsgrad automatisierter Fahrfunktionen stellt die Hersteller vor das methodische Problem, inwieweit eine Gefährdungseinschätzung überhaupt vor Inverkehrbringen erfolgen kann und ein Sicherheitsgewinn hochautomatisierter Systeme gegenüber dem menschlichen Fahrer valide argumentiert werden kann (vgl. ethische Regel 1 in [2] sowie [7]). Ein Blick in die Zulassung anderer Risikotechnologien verdeutlicht, dass technisch unvermeidbare Restrisiken einer Einführung des automatisierten Fahrens bei Vorliegen einer grundsätzlich positiven Risikobilanz nicht entgegenstehen dürfen (vgl. ethische Regel 3 in [2] sowie [7]). Konformitätsbewertung - Akkreditierung und Zertifizierung Bereits heute wird die Typgenehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt nach Vorlage eines Prüfberichts ausgesprochen. Dieser wird in der Regel von einem im jeweiligen Land nach DIN EN ISO 17025 akkreditierten Technischen Dienst erstellt. Ausgebildete und anerkannte Sachverständige führen die Prüfaktivitäten auf Einrichtungen des akkreditierten Technischen Dienstes, in Prüflaboren oder auf Prüfständen des Fahrzeugherstellers entsprechend den nachzuweisenden ECE-Regularien durch. Im Zuge der schrittweisen Einführung des automatisierten und vernetzten Fahrens müssen nach Ansicht der Ethik-Kommission unabhängige Prüfinstitute zukünftig Aufgaben wahrnehmen, die weit über die bislang von den Technischen Diensten wahrgenommenen Prüfaufgaben hinaus gehen [8]. Diese künftig mit der Konformitätsbewertung hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktionen befassten Stellen müssen das in sie gesetzte Vertrauen bestätigen. Die Akkreditierung der Konformitätsbewertungsstellen (Inspektionsstellen und Prüflabore) durch unabhängige Dritte (den Akkreditierungsstellen) stellt sicher, dass diese über die erforderliche Fachkompetenz, die Ausrüstung, die Infrastruktur und das Personal verfügen, um ihre Aufgaben fachgerecht wahrnehmen zu können [9]. Auch wenn die grundlegende Verantwortungsstruktur der Eigenschaftsabsicherung grundsätzlich angelegt ist, stellt sich dennoch die Frage, auf welcher methodischen Grundlage eine Konformitätsbewertung (und Zertifizierung) zukünftig stattfinden soll. Hierbei müssen durch allgemein anerkannte Regeln der Technik (vgl. Produktregulierung) standardisierte Testkonzepte entwickelt werden. Nach [10] bestehen hierbei Probleme in der Testfallgenerierung und der Testdurchführung. Bislang bestehende Ansätze der Testfallgenerierung und Testdurchführung sind nicht auf das hochautomatisierte Fahren übertragbar: • Testfallgenerierung: Bislang wird in der Absicherung von Automatisierungsfunktionen aufgrund der Fahrfähigkeit des Fahrers die Testfallgenerierung auf Beispielsituationen beschränkt. Die Annahme ist, dass - wenn der Testfahrer die Beispielsituation bewältigen kann - jeder andere Fahrer mit Fahrerlaubnis auch die weiteren nicht getesteten Funktionen im Einsatz bewältigen wird. • Testdurchführung: Aktuell wäre immer ein Testfahrer im Fahrzeug notwendig. Es besteht dann aber die Gefahr, dass durch den Einsatz von Testfahrern die anderen Verkehrsteilnehmer beeinflusst werden und ein verändertes Verhalten zeigen. Marktüberwachung - Zentralisierte Bildung einer Best Practice Unter Marktüberwachung im Sinne des „New Approachs“ versteht man Tätigkeiten und Maßnahmen, durch die sichergestellt werden soll, dass • sowohl die in Verkehr gebrachten Produkte mit den Anforderungen der Produktregulierung übereinstimmen und somit keine Gefährdung für die Gesundheit, Sicherheit oder andere im öffentlichen Interesse schützenswerte Bereiche darstellen, • als auch die die korrekte und einheitliche Anwendung der Produktregulierung durch die Hersteller im EU-Binnenmarkt sichergestellt ist und somit ein einheitliches Sicherheitsniveau in der EU erreicht wird. Bereits heute führt das KBA als Marktüberwachungsbehörde eine Marktüberwachung durch. Zur Risikoanalyse und Risikobeurteilung von Produktfehlern nach der Markteinführung - im Hinblick auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Rückrufaktionen - nutzen die EU und das deutsche KBA Tabellen des Schnellwarnsystems RAPEX (Rapid Exchange of Information System, vgl. [11, 12]). Diese bislang bestehenden Ansätze der Marktüberwachung sind zukünftig - wie bereits in anderen Verkehrsträgern üblich (vgl. [13, 14, 15]) - durch unabhängige Unfalluntersuchungen zu ergänzen (vgl. ethische Regel 8 in [2]. Die Unfallschwere und -häufigkeit automatisierter Fahrzeuge kann in der Öffentlichkeit zu verstärkten Bedenken hinsichtlich ihrer Sicherheit führen. Die Veröffentlichung von Untersuchungsergebnissen schafft Transparenz und fördert das Vertrauen. Darüber hinaus offenbaren sich Potenziale zur sicherheitsgerichteten Weiterentwicklung des Straßenverkehrs. Für eine effektive Ausübung der Überwachungstätigkeiten müssen Marktüberwachungsbehörden und Unfalluntersuchungsstellen zukünftig einen Zugang zu allen erforderlichen Beweismitteln, Daten und Informationen im Zusammenhang mit dem Gegenstand einer Untersuchung erhalten. Nur so können sie ihren Überwachungsauftrag wahrnehmen und feststellen, ob gegen geltende Vorschriften verstoßen wurde. Hierbei ist noch rechtlich zu klären, wer in Besitz der betreffenden Beweismittel oder Daten (z.B. gemäß §63a des novellierten Straßenverkehrsgesetzes Daten wie Position- und Zeitangaben des Wechsels der Fahrzeugsteuerung zwischen Fahrzeugsteuerung und Fahrzeugführer sowie technische Störungen von hoch- und vollautomatisierten Systemen) ist, wo diese sich befinden oder in welchem Format sie vorliegen. Produktbeobachtung - Kontinuierliche Weiterentwicklung im Markt befindlicher Produkte Im Anschluss an eine sorgfältige Entwicklung (zur Vermeidung von produkthaftungsrechtlich relevanten Konstruktionsfehlern) ist ein Hersteller verpflichtet, ein automatisiertes Fahrzeug nach dem Inverkehrbringen zu beobachten. Dies dient dazu, bislang unbekannte Gefahren aus Produktfehlern (Konstruktionsfehler, Fertigungsfehler, Instruktionsfehler) zu erkennen und nachträglich geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Danach ist ein Automobilhersteller gehalten, mögliche Gefahren zu erkennen (die auch bei nichtbestimmungsgemäßer oder missbräuchlicher Verwendung auftreten können) um mit entsprechenden Maßnahmen wie beispielsweise Rückrufaktionen, Nachbesserungen oder Benutzerinformationen (Instruktionspflicht) zu reagieren [12]. Als Beispiel hierfür wird in der Regel die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zitiert. Demnach sind Hersteller oder Betreiber zur Vermeidung einer deliktischen Produzentenhaftung nach §823 BGB zu einer Beobachtung ihrer ausgelieferten Produkte (bzw. auch POLITIK Automatisiertes Fahren Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 26 Kombinationen ihrer Produkte mit denen anderer Hersteller) verpflichtet (vgl. „Honda-Fall“ [16]). Auch hier ist ein Zugriff auf Nutzerdaten von den Herstellern gewünscht, rechtlich aber noch ungeklärt. Implikationen für die Zulassungsarchitektur des hochautomatisierten Fahrens und Fazit Die Zulassung hoch- und vollautomatisierter Straßenfahrzeuge stellt aktuell nach wie vor eine große Herausforderung dar. Aus Sicht der Autoren wird die Zulassung hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge durch stringente Anwendung des New Approaches im gültigen Rechts- und Zulassungsrahmen der Automobilindustrie erreicht. Bild 1 zeigt, wie stark die einzelnen Säulen dieses „Hauses der Zulassung hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktionen“ bislang ausgeprägt sind. Konkret bestehen bezüglich der weiteren Ausbildung der einzelnen Säulen die folgenden Potenziale: • Produktregulierung: Es braucht harmonisierte Normen für die definitorische Schärfung des Begriffs der Risikobilanzierung. Wie in anderen Regulierungsbereichen üblich muss dieser Zulassungsmaßstab im Rechtsrahmen verankert werden. Das Instrument der harmonisierten Normen garantiert ein einheitliches Sicherheitsniveau des Straßenverkehrs im Europäischen Binnenmarkt. Es gelten für alle Marktteilnehmer die gleichen Regeln. • Konformitätsbewertung: Die Konformitätsbewertung softwarebasierter Sicherheitssysteme für Sicherheitsanwendungen ist noch nicht explizit Gegenstand der Zulassung. Für das Inverkehrbringen hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge wird muss eine unabhängige Konformitätsprüfung durch akkreditierte Stellen etabliert werden. Dies ist Voraussetzung für die Beweislastumkehr im Produkthaftungsfall. Eine Schärfung von Testkonzepten ist dringend geboten. Dies schließt bereits den frühzeitigen Test virtueller Fahrzeuge in virtuelle Umgebungen mit ein [10]. • Produktbeobachtung: Bestehende Problemlagen des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Fahrzeugbesitzer und Fahrer und der Datenspeicherung von Fahrdaten für die Zwecke der Strafverfolgung und Unfalluntersuchung müssen gelöst werden. Die Verfügbarkeit von Fahrdaten ist allerdings auch für die Absicherung des hoch- und vollautomatisierten Fahrens selbst erforderlich. Eine mögliche Mitigation der Datenschutzproblematik kann durch Schaffung öffentlichen Produktbeobachtungsstellen erreicht werden. • Marktüberwachung: Vorhandene Strukturen zur Marktüberwachung sind zukünftig in Anlehnung an bestehende Regulierungsansätze anderer Verkehrsträger zu ergänzen. Eine besondere Bedeutung erhält hierbei die Untersuchung von Unfällen. Dies schafft die Basis zur gezielten Realisierung der Sicherheitspotenziale des hoch- und vollautomatisierten Fahrens. ■ LITERATUR [1] SAE J3016: Taxonomy and Definitions for Terms Related to On-Road Motor Vehicle Automated Driving Systems, SAE J3016-201401 [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Abschlussbericht der Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren. Berlin (2017) [3] EuGH Urteil vom 20. 2. 1979 — Rechtssache 120/ 7 [4] Bundesgerichtshof Urteil vom 16.06.2009, Aktenzeichen: VI ZR 107/ 08 „Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers für die Fehlauslösung von Airbags“ [5] Bundesministerium der Justiz: Handbuch der Rechtsförmlichkeit. Berlin 2008 [6] Richtlinie 2007/ 46/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 (ABl. L 263 vom 9.10.2007 [7] Winkle, Thomas: Sicherheitspotenzial automatisierter Fahrzeuge: Erkenntnisse aus der Unfallforschung. In: Maurer, Markus et al. (Hrsg.): Autonomes Fahren. Springer (Berlin) 2015, S. 351-376 [8] Schmidt, Martin; Rau, Marcus; Bauer, Bernhard; Helmig, Ekkehard: Rechtliche Folgen der ISO 26262 - Funktionale Sicherheit - Umgang mit Unabhängigkeit, Rechtlichen Rahmenbedingungen und Haftungsfragen. In: Hanser automotive 11/ 2011, S. 38-42 [9] Schnieder, Lars: Öffentliche Kontrolle der Qualitätssicherungskette für einen sicheren und interoperablen Schienenverkehr. In: Eisenbahntechnische Rundschau 66 (2017) 4, S. 38-41 [10] Wachenfeld, Walther: Die Freigabe des autonomen Fahrens. In: Maurer, Markus et al. (Hrsg.): Autonomes Fahren. Springer (Berlin) 2015, S. 440-464 [11] Europäische Union: Entscheidung der Kommission zur Festlegung von Leitlinien für die Verwendung des gemeinschaftlichen Systems zum raschen Informationsaustausch RAPEX gemäß Artikel 12 und des Meldeverfahrens gemäß Artikel 11 der Richtlinie 2001/ 95/ EG über die allgemeine Produktsicherheit. Amtsblatt der Europäischen Union L22 [12] Winkle, Thomas: Entwicklungs- und Freigabeprozess automatisierter Fahrzeuge: Berücksichtigung technischer, rechtlicher und ökonomischer Risiken. In: Maurer, Markus et al. (Hrsg.): Autonomes Fahren. Springer (Berlin) 2015, S. 611-635 [13] Richtlinie 2004/ 49/ §G des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 95/ 18/ EG des Rates über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen und der Richtlinie 2001/ 14/ EG über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung („Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit“). Veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 164 (30.04.2004) [14] Becker, Matthias: Unabhängige Unfalluntersuchung in Deutschland. In: Eisenbahningenieur 62 (2011) 9, S. 68-69 [15] Grauf, Hans-Heinrich: Untersuchen von gefährlichen Ereignissen - der Weg zur Sicherheit. In: Eisenbahntechnische Rundschau 50 (2001) 4, S. 169-176 [16] Bundesgerichtshof Urteil vom 09.12.1986, Aktenzeichen: VI ZR 65/ 86 „Honda-Fall - Motorrad-Lenkerverkleidung“ Lars Schnieder, Dr.-Ing. Leiter Assessment Service Center, ESE Engineering und Software Entwicklung GmbH, Braunschweig lars.schnieder@ese.de René S. Hosse, Dipl. Wirtsch.-Ing. Lead Assessor Automotive, ESE Engineering und Software Entwicklung GmbH, Braunschweig rene.hosse@ese.de Bild 1: Haus der HAF-Zulassung gemäß New Approach Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 27 D er Ausbau der Oberrheinstrecke zwischen Karlsruhe und Basel, die Verlängerung der Betuwe-Linie von Emmerich nach Oberhausen, die Beseitigung von Engpässen auf der Verbindung von Wendlingen nach Ulm - alle diese großen Schienen-Infrastrukturprojekte haben eines gemeinsam: Einen keineswegs geringen Teil ihrer Kosten trägt die EU. Es ist die Connecting Europe Facility (Cef ), die das Geld dafür springen lässt - und daneben auch noch nicht unbedeutendes „Kleinzeug“ ko-finanziert: etwa die Kattwyk-Brücke im Hamburger Hafen. Die Cef ist ein Finanzierungsinstrument, das im bis 2020 laufenden Mittelfristigen Finanzrahmen (MFR) für Energie-, Breitband- und Verkehrsprojekte erstmals eingesetzt wurde - mit großem Erfolg. Das meiste Geld aus dem Topf (rund 24 Mrd. EUR) floss und fließt seit 2014 in die Transportnetze. Nie zuvor hat die EU in einem Sieben-Jahres-Rahmen so viel Geld für den Verkehr springen lassen. Das soll im nächsten MFR für die Zeit von 2021 bis 2027 mindestens genauso sein, wünschen sich die Transportverbände. Und sie schauen mit einiger Erwartung auf die Experten der EU-Kommission, die unter Leitung von Haushaltskommissar Günther Oettinger an dem siebenjährigen Etatplan für das nächste Jahrzehnt basteln. Der Deutsche - das bescheinigen ihm politische Freunde wie Gegner - macht einen „Super-Job“. Muss er auch. Denn er hat sinkende Einnahmen (Großbritannien verlässt die Union) mit höheren Ausgaben (Migration, Verteidigung, Innere Sicherheit) in Einklang zu bringen und muss gleichzeitig dafür sorgen, dass ausreichende Mittel für Forschung, Digitalisierung und Infrastruktur zur Verfügung stehen. Die EU soll wettbewerbsfähig bleiben. Oettinger wünscht sich, dass die Mitgliedstaaten ihm einen finanziellen Rahmen in Höhe von 1,1 % des EU-Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung stellen. Seit Herbst des vergangenen Jahres antichambrieren Transportlobbyisten, um Oettinger auf die Bedeutung der Cef für den Verkehr aufmerksam zu machen. Das ist ihre Aufgabe. Dennoch sollten sie realistisch sein. Denn trotz der bereits bekundeten Bereitschaft einiger Mitgliedstaaten, mehr Geld an die EU zu überweisen, wird der Haushaltskommissar im nächsten MFR weniger für die Cef übrig haben. Deshalb diskutieren die Weitsichtigen unter den Bittstellern bereits Strategien, wie sichergestellt werden kann, dass dennoch genug Geld in den Verkehrssektor fließt, um - zumindest - die Infrastrukturvorhaben zu vollenden. Eine der Ideen in dieser Debatte bezeichnet Violeta Bulc, die Verkehrskommissarin, als „Streamlining“, andere sprechen von Bündelung: Dahinter steckt der Gedanke, die Mittel für Transportprojekte aus verschiedenen Quellen (etwa Regional- und Kohäsionsfonds oder auch dem Forschungsprogramm Horizon 2020) zusammenzufassen und den Cef Kriterien zu unterwerfen. Die verlangen einen europäischen Mehrwert und bestimmen, dass nicht verwendetes Geld nach Brüssel zurückfließt und anderen Cef-Projekten zu Gute kommt. Ein weiteres Denkmodell fordert, die Cef- Mittel auf das Transeuropäische Kernverkehrsnetz mit seinen neun Korridoren zu beschränken und sie nicht weiter auch für das erweiterte Netz zu verwenden. Diskutiert wird ebenfalls, die Kofinanzierungsraten der Cef zu senken, sodass die Mitgliedstaaten einen höheren Eigenanteil aufbringen müssten. In diesem Zusammenhang gewinnt bei den in zahlreichen Zirkeln geführten Debatten ein Begriff zunehmend an Bedeutung: Konditionalisierung . Das bedeutet, die Mittelvergabe an das Erfüllen bestimmter Voraussetzungen zu knüpfen. Damit ist hier nicht die Konditionalität auf der großen politischen Ebene gemeint, die Oettinger auch ins Spiel gebracht hat: Ländern, die den Wertekanon der Union nicht respektieren, streicht Brüssel die Überweisungen. Das hat kaum Chancen. Ernster zu nehmen ist der Vorschlag, die Mittelvergabe für Infrastrukturinvestitionen an die Erfüllung sonstiger Pflichten zu knüpfen. Verkehrskommissarin Violeta Bulc sprach in diesem Zusammenhang von „Korridor-Logik“, und einer ihrer Experten präzisierte: Man könne die Förderung grenzüberschreitender Infrastrukturvorhaben von derzeit maximal 40 auf 30 % senken, wenn die Empfänger der Mittel nicht genug tun, um den Betrieb auf den Korridoren zu beschleunigen. Der Mann hat Recht: Es macht keinen Sinn, Milliarden in Tunnelprojekte zu stecken - wenn der Bahnverkehr, den der teure Tunnel ja schneller machen soll, weiterhin durch Lok- und Lokführerwechsel oder an jeder Grenze angesetzte Zuginspektionen verlangsamt wird. Das Wort „Konditionalität“ fällt in den Debatten über den Mittelfristigen Finanzplan so häufig, dass es bestimmt in die Cef-Regularien nach 2020 eingehen wird. Die potenziellen Antragsteller sollten sich darauf einstellen. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN In der EU reden sie verstärkt über Geld Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 28 POLITIK Wissenschaft Digitaler Knoten 4.0 Vorstellung des Forschungsprojekts und Rechtsfragen des innerstädtischen Mischverkehrs im Kreuzungsbereich Innerstädtischer Mischverkehr, hoch- und vollautomatisiertes Fahren, vernetzte Infrastruktur, intelligente Systeme, Testfeld, Mobilitätsrecht Auf dem Testfeld AIM (Anwendungsplattform Intelligente Mobilität) in Braunschweig arbeitet ein Konsortium aus Wissenschaft und Industrie an dem Projekt „Digitaler Knoten 4.0“. Dabei wird die vernetzte, effiziente und sichere Steuerung von Mischverkehren, bestehend aus automatisierten und vernetzten Kraftfahrzeugen und konventionellen Verkehrsteilnehmern, an Kreuzungen erforscht. Die Ergebnisse sollen als Blaupause für zukünftige Mobilitätslösungen dienen. Neben technologischen Herausforderungen wirft das Projekt für die Beteiligten auch umfassende rechtliche Fragen für die Regelung des Kreuzungsverkehrs der Zukunft auf. Marc Engelmann, Philipp Laux A utomatisiertes und vernetztes Fahren als Beitrag zur Lösung moderner Mobilitätsprobleme rückt zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit und wird von Automobilherstellern und Mobilitätsanbietern als nächster Evolutionsschritt der Fahrzeugentwicklung angesehen. Der Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland soll Leitanbieter und Leitmarkt für diese Zukunftstechnologie sein. 1 Neben zahlreichen Projekten zum automatisierten und vernetzten Fahren auf Autobahnen, gilt es auch im innerstädtischen Mischverkehr, die Einbindung neuer Technologien zu erforschen. Unter Mischverkehr ist der Straßenverkehr unter Beteiligung von automatisierten und manuell gesteuerten Fahrzeugen, sowie den übrigen Verkehrsteilnehmern (z. B. Fußgänger und Fahrradfahrer) zu verstehen. Dies stellt aufgrund der höheren Anzahl verschiedener potenzieller Verkehrsteilnehmer und ihrer Wechselwirkung eine komplexere Regelungsmaterie dar, als es auf Autobahnen oder isolierten Testfeldern der Fall wäre. Die Verkehrsregelung an innerstädtischen Kreuzungen der Zukunft soll durch das Projekt Digitaler Knoten 4.0 erforscht werden. Es soll die vernetzte, effiziente und sichere Steuerung von Mischverkehren an innerstädtischen Knotenpunkten (Kreuzungen) untersuchen und im realen Straßenverkehr an zwei mit Sensorik ausgestatteten Forschungskreuzungen im Testfeld „Anwendungsplattform für Intelligente Mobilität“ (AIM) in Braunschweig erproben. Ziel ist dabei die Konzeptionierung, Realisierung, Erprobung und Bewertung eines multiplizierbaren kooperativen Gesamtsystems „digitale urbane Straßenkreuzung“. Mit der praktischen Erprobung wird der Regelbetrieb von automatisiertem und vernetztem Fahren im gemischten Verkehr an innerstädtischen Kreuzungen vorbereitet. Das Projektkonsortium besteht aus mehreren Partnern aus Wissenschaft und Industrie 2 . Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Verkehr digitale Infrastruktur mit 5,8 Mio. EUR. 3 Dabei sollen wesentlich neue Ergebnisse gegenüber dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik gewonnen werden, die letztlich eine „Blaupause“ für innerstädtische Kreuzungen und Knotenpunkte in Deutschland liefern sollen. Neben zahlreichen technischen Fragen im Zusammenhang mit integrierten Kooperations-, Informations- und Kommunikationskonzepten zwischen Fahrzeugen, anderen Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern und Radfahrern, Kreuzungsinfrastruktur und einer optionalen Vorsignalisierung stellen sich über die generell mit dem automatisierten und vernetzten Fahren verknüpften rechtlichen Fragen neue Probleme, die spezifisch den innerstädtischen Mischverkehr und dessen Regelung betreffen. Die generellen Fragen zum autonomen und vernetzten Fahren erstrecken sich über alle Bereiche des Rechts. Im Bereich des Völkerrechts sind insbesondere zulassungsrechtliche Vorschriften zu beachten, sowohl in Form des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr als auch in Form der UN/ ECE-Regeln. Auf europarechtlicher Ebene gilt es sowohl zulassungsrechtliche 4 als auch datenschutzrechtliche Vorschriften, namentlich in Form der Datenschutz-Grundverordnung 5 , zu beachten. Darüber hinaus regelt das nationale Recht viele Bereiche, in denen das autonome und vernetzte Fahren Rechtsfragen vom Verfassungsrecht über das Strafrecht oder Haftungsrecht bis hin zum Straßenverkehrsrecht aufwirft. Insbesondere das Straßenverkehrsrecht und der Datenschutz sind unter dieser Prämisse im Rahmen des Projektes zu beachten. Mit der Änderung des Straßen- Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 29 Wissenschaft POLITIK verkehrsgesetzes 6 hat der Gesetzgeber erste Weichen gestellt, um den hoch- und vollautomatisierten Kraftfahrzeugverkehr zu ermöglichen. Ungeachtet der Gesetzesänderung werden im Rahmen des Projekts Rechtsfragen zum innerstädtischen Kreuzungsverkehr aufgeworfen, die es durch die integrierte Betrachtung des kooperativen Gesamtsystems Digitaler Knoten 4.0 zu erforschen gilt. Dies dient nicht nur dem Forschungsprojekt, sondern soll allgemein gültige Lösungen für den zukünftigen Mischverkehr an Kreuzungen hervorbringen. Einige der Rechtsfragen, werden anhand der verschiedenen Anwendungsszenarien auszugweise erläutert. Anwendungsszenarien Im Rahmen des Projekts wird der Kreuzungsverkehr in fünf zu regulierende Szenarien unterteilt. Diese sind: das automatisierte gerade Überqueren der Kreuzung, das kooperative Linksabbiegen bzw. Rechtsabbiegen sowie der kooperative Spurwechsel unmittelbar vor der Kreuzung und eine optionale Vorsortierung des automatisierten Kraftfahrzeugverkehrs. Dabei ist zu beachten, dass die ersten drei Szenarien jeweils mit verschiedenen Variablen innerhalb des Kreuzungsbereichs zu erarbeiten sind. Zu diesen Variablen gehört das Lichtsignal der eigenen Fahrspur, der aus zwei Richtungen kreuzende nicht-motorisierte Verkehr, andere vorausfahrende Fahrzeuge (sog. Kolonnenverkehr), Variablen vorausfahrender Fahrzeuge, die sich auf das eigene Fahrgeschehen auswirken, und der Gegenverkehr. Daneben sind Kreuzungsüberquerungen, die über die Schaltzeit der Lichtsignalanlage (LSA) hinausgehen, sowohl von motorisierten als auch nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmern, stets zu beachten. Insgesamt ergibt sich in diesem Kontext eine Vielzahl an Möglichkeiten, die nicht nur hohe Anforderungen an die technischen Lösungen im Fahrzeug und die Infrastruktur stellen, sondern auch an die Umfeldwahrnehmung, ob sensorisch oder durch Positionsdaten aus mobilen Geräten und vernetzten Fahrzeugen. Das komplexe technische Zusammenwirken wirft diverse rechtliche Fragen auf. Straßenverkehrsrechtliche Gesichtspunkte Straßenverkehrsrechtliche Fragen stellen sich in allen Anwendungsszenarien. Ausgehend von der aktuellen Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) ergeben sich verschiedene Konfliktpunkte bei der Nutzung automatisierter und vernetzter Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr. Im Bereich des Kreuzungsverkehrs stellt sich zum Beispiel die Frage, wie automatisierte Kraftfahrzeuge, die sich streng an die StVO halten, mit Sonderrechten für Polizei- und Rettungsfahrzeuge i. S. d. § 35 StVO umgehen. Sonder- und Einsatzfahrzeuge müssten Kommunikationsschnittstellen erhalten oder automatisierte Kraftfahrzeuge müssten sensorisch mit Hilfe der Kreuzungsinfrastruktur in der Lage sein diese wahrzunehmen und den Kreuzungsbereich freizuhalten oder frei zu räumen, ohne dabei andere Fahrzeuge zu gefährden. Über Einzelfallprobleme hinaus stellen sich grundsätzliche Fragen im kooperativen Verkehr bei Verkehrssituationen, die keine einfache Übertragung der Regeln der StVO auf das automatisierte System zulassen. Solche Regelungen finden sich v.a. im Bereich der nötigen Kommunikation zwischen Verkehrsteilnehmern. Sie knüpfen an eine Kommunikation der Fahrzeugführer untereinander an. Wie dies im Mischverkehr i. S .d. der StVO stattfinden soll, ist bislang nicht reglementiert. Beispiele für die notwendige Kommunikation zwischen Fahrzeugführern finden sich zahlreich. Einerseits muss die Wahrnehmung der Fahrtrichtungsanzeiger anderer PKW bei kooperativem Linksabbiegen voreinander grundsätzlich gewährleistet sein. Andererseits kann eine besondere Verkehrslage oder Gestaltung der Kreuzung ein Abbiegen nacheinander erfordern gem. § 9 Abs. 4 StVO. In diesem Zusammenhang muss ein automatisiertes und vernetztes Kraftfahrzeug in der Lage sein, den Abbiegevorgang regelkonform umzusetzen, was sich bei derzeitiger Rechtslage nicht einfach gestalten dürfte. Ähnlich verhält es sich bei einem gleichzeitigen Spurwechsel zweier Fahrzeuge von zwei äußeren auf eine mittlere Fahrspur oder dem Vorfahrtsverzicht (siehe Bild 2). Das Spektrum der bevorstehenden straßenverkehrsrechtlichen Probleme bei der Einbindung automatisierter und vernetzter Kraftfahrzeuge in den innerstädtischen Kreuzungsverkehr geht jedoch über die genannten Beispiele weit hinaus. Datenschutzrechtliche Fragen Bei der automatisierten Durchführung der Fahraufgabe und im Zusammenspiel mit der intelligenten Infrastruktur sowie dem Aufeinandertreffen verschiedener Verkehrsteilnehmer werden große Datenmengen und Informationen benötigt. Sämtliche Sinneseindrücke, die ein menschlicher Fahrer verarbeitet und das Fahrzeug entsprechend der StVO steuert, müssen durch Sensoren erfasst und als Daten verarbeitet und schlussendlich durch die Vorrichtungen des Fahrzeugs in die automatisierte Fahrfunktion umgewandelt werden. Die Vorrichtungen und Versuchsanordnungen sehen verschiedene Szenarien vor, die jeweils unterschiedliche Kreuzungsszenarien regeln und unterschiedliche Informationen benötigen. So findet beim Überqueren der Kreuzung eine Kommunikation des Fahrzeugs mit der Kreuzungsinfrastruktur statt. Ebenso sammelt die Kreuzungsinfrastruktur Daten über nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer und gibt deren Positionsdaten an das Fahrzeug weiter. Beim Spurwechsel durch ein automati- Bild 1: Vorsignalisierung und Vorsortierung beim Linksabbiegen Bildquellen: Autoren Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 30 POLITIK Wissenschaft siertes und vernetztes Fahrzeug ist ein Datenaustausch zwischen den Fahrzeugen notwendig um die Fahraufgabe aufeinander abzustimmen. Im Rahmen des automatisierten Linksabbiegens wird die Erkennung nicht-motorisierter Verkehrsteilnehmer anhand von Mobilgeräten erprobt. Daten über deren Aufenthaltsort im Digitalen Knoten werden über WLAN oder Mobilfunk übermittelt und bilden damit die Grundlage für die Situationsinterpretation. Sämtliche erfassten Daten dienen der Automatisierung und Regelung des Kreuzungsverkehrs, um diesen für automatisierte und vernetzte Fahrzeuge zu ertüchtigen und dadurch auch die Sicherheit und Effizienz des Mischverkehrs an innerstädtischen Kreuzungen für alle Verkehrsteilnehmer zu erhöhen. Zur Messung der Verkehrseffizienz und damit auch der Rechtfertigung der Einführung der neuen Technologie wird zudem eine Datenbasis zur Definition der Effizienzparameter, wie dem Verweilen im Kreuzungsbereich, dem Kraftstoffverbrauch, oder dem Schadstoffausstoß, benötigt. Zudem ist bei der Erfassung der Daten der Verkehrsteilnehmer zwischen strategischer Erfassung (weit vor der Kreuzung) und operativer Erfassung (im Nahbereich der Kreuzung) zu unterscheiden. Eine Vorsortierung der automatisierten und vernetzten Fahrzeuge auf einer speziellen Abbiegespur setzt ebenfalls die Kommunikation der betroffenen Fahrzeuge untereinander und mit der Kreuzungsinfrastruktur voraus. Der Projektaufbau wirft daher einige Fragen zum Datenschutzrecht und dem generellen Umgang mit den generierten Daten auf. Zunächst wird festzustellen sein, inwieweit es sich bei den anfallenden Daten um personenbezogene Daten i.S.d. Datenschutzrechts handelt. Erst dann ist dessen Anwendungsbereich eröffnet. Jedoch liegt der Schluss nahe, da die Verknüpfung von Persönlichkeitsdaten, seien dies nun Halterdaten oder Mobilfunkdaten, mit Ortsangaben aus dem Kreuzungsgeschehen im Digitalen Knoten die Erstellung persönlicher Bewegungsprofile der betroffenen Verkehrsteilnehmer ermöglicht und damit personenbezogene Daten, Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person, vorliegen. Fraglich ist zudem wer als verantwortliche Stelle i.S.d. Datenschutzrechts für welche Art von Daten herangezogen wird. Datenaustausch zwischen Passanten als Verkehrsteilnehmern mit Lichtsignalanlagen der öffentlichen Hand ist anders zu beurteilen als Datenaustausch zwischen Automobilhersteller und Halter bzw. Fahrer. Dies ist v.a. an den verschiedenen Erlaubnisnormen zur Datenverarbeitung festzumachen und für eine spätere Implementierung der erforschten Systeme in den Regelbetrieb der Kreuzung relevant. Technische Maßnahmen zur Datensicherheit spielen aufgrund der Sensibilität der Öffentlichkeit für Daten und deren Sicherheit zudem eine erheblich Rolle für die Akzeptanz einer auf deren Verarbeitung angewiesenen Technologie. Das StVG enthält zudem seit der letzten Novellierung explizite Regelungen zur Datenverarbeitung bei Kraftfahrzeugen mit hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion. § 63a Abs. 1 StVG sieht vor, dass Kraftfahrzeuge i.S.v. § 1a StVG Positions- und Zeitangaben speichern, wenn ein Wechsel der Fahrzeugsteuerung zwischen menschlichem Fahrzeugführer und dem automatisierten System erfolgt. Die im Rahmen des Digitalen Knoten 4.0 eingesetzten Fahrzeuge müssten in Zukunft diesen Voraussetzungen gerecht werden. Die datenschutzrechtliche Relevanz neuartiger Regelungen für den sicheren Ablauf von Kreuzungsbewegungen und für das Verkehrswesen generell ist, aufgrund der leicht zu erstellenden Datensätze und der Intensität der Informationen eines Bewegungsprofils für die informationelle Selbstbestimmung der Bürger, sehr groß. Die Regelung des zukünftigen Mischverkehrs an innerstädtischen Kreuzungen wirft zahlreiche rechtliche Fragen auf. Ob sie mit der derzeitigen Rechts- und Gesetzeslage zu vereinbaren sein wird, bedarf noch weiterer Untersuchungen. ■ 1 Bundesregierung, „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren - Leitanbieter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten“ (Strategie AVF), 16. September 2015. 2 DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., AVL - Software und Functions GmbH, NORDSYS GmbH, OECON Products & Services GmbH, OFFIS e.V. - Institut für Informatik, Technische Universität Braunschweig: Institute für Fahrzeugtechnik (IfF), Regelungstechnik (IfR), Verkehr und Stadtbauwesen (IVS), Rechtswissenschaften (IRW), Schlothauer & Wauer Ingenieurgesellschaft für Straßenverkehr mbH, Volkswagen AG. 3 https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Pressemitteilungen/ 2016/ 205-dobrindt-foerderbescheide-digitale-testfelder.html, letzter Aufruf 12.01.2018. 4 Beispielhaft sei die Verordnung (EG) Nr. 661/ 2009 des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 genannt. 5 Amtsblatt der Europäischen Union, L 119, 4. Mai 2016. Tritt am 25.05.2018 in Kraft. 6 Achtes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (8. StVGÄndG) v. 16.06.2017 BGBl. I S. 1648 (Nr. 38); Geltung ab 21.06.2017. Marc Engelmann, Ref. iur. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für-Rechtswissenschaften der TU Braunschweig und-Forschungsreferent der Forschungsstelle Mobilitätsrecht marc.engelmann@tu-braunschweig.de Philipp Laux, Ass. iur. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für-Rechtswissenschaften der TU Braunschweig und-Forschungsreferent der Forschungsstelle Mobilitätsrecht p.laux@tu-braunschweig.de Bild 2: Spurwechsel (blau) sowie Linksabbiegen (rot) eines automatisierten und vernetzten KFZ im Kreuzungsbereich Paris 2018 12.-14. Juni Ehrengast mit Unterstützung von Veranstalter in Zusammenarbeit mit Unterstützungskomitee © GIE Objectif transport public - Februar 2018 - Thinkstock - www.transportspublics-expo.com Besucherinformation: IMF GmbH Tel. : +49 (0) 221 13 05 09 22 e-mail : a.daian@imf-promosalons.de GIE018_ salon_Annonce Presse_AL_210x297mm.indd 1 26/ 01/ 2018 14: 30 Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 32 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Evaluation eines Standortpotenzialmodells für-E-Ladeinfrastruktur Bewertung des Hamburger Standortpotenzialmodells anhand aktueller Ladedaten der-600-Ladepunkte Elektromobilität, Potenzialanalyse, Ladeinfrastruktur, Evaluation Ein wesentlicher Schritt zur Elektrifizierung des motorisierten Individualverkehrs besteht in der Bereitstellung einer angemessenen Ladeinfrastruktur. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat frühzeitig mit der Installation von E-Ladesäulen begonnen, so dass nun Erfahrungswerte aus zwei Jahren vorliegen. Damit wurde das in Hamburg verwendete Standortpotenzialmodell evaluiert und weiter entwickelt. Es wird gezeigt, dass das verwendete Standortpotenzialmodell zweckmäßig ist und dass die Auslastung der Ladeinfrastruktur erheblich von einer deutlichen Kennzeichnung der betreffenden Parkstände abhängt. Timotheus Klein, Christian Scheler D ie Freie und Hansestadt Hamburg hat sich mit Hilfe der stadteigenen Gesellschaften hySolutions und Stromnetz Hamburg früh als Wegbereiter der Elektromobilität positioniert und 2014 begonnen, eine flächendeckende Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge (battery electric vehicles, BEV) einzurichten. Zur Standortfindung und -priorisierung wurde ein geodatenbasiertes Modell entwickelt, mit dem die damaligen Erwartungen und Erfahrungen zum Nutzerverhalten [1, 2] sowie verkehrspolitischen Zielsetzungen wie die Förderung der Multimodalität berücksichtigt wurden. Eine der verkehrspolitischen Zielsetzungen bezieht sich explizit auf die Ausrichtung der öffentlichen Ladeinfrastruktur auf die Bedarfe des freefloating Carsharing, um eine Elektrifizierung dieser Flotten zu unterstützen. Inzwischen liegen die Nutzungsdaten eines Jahres von ca. 300 Ladestandorten bzw. 600 Ladepunkten vor, so dass eine Evaluierung des Standortfindungsmodells und eine nachträgliche Optimierung bzw. Kalibrierung möglich sind. Die Installation und Wartung öffentlicher Ladeinfrastruktur ist unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten problematisch. Wenn der abgenommene Strom vom Verbraucher vergütet wird, rechnet sich ein 22 kW- Ladepunkt mit niedrigen Baukosten (rund 4000 EUR) ab einer Nutzungsintensität von 4 bis 8 % bzw. ca. täglich- 1-stündiger Belegung, bei höheren Baukosten (10 450- EUR) jedoch erst über 40 % bzw. 9 bis 10 h [3]. Eine wirtschaftliche Quote Ladestation zu Fahrzeugbestand (C/ V) liegt laut Wirges et al. [3] in Größenordnungen um 0,01 Ladestationen pro E-Fahrzeug. 2013 wurde in einer britischen Studie berichtet, dass nur 9 % des Ladevorgänge an öffentlich zugänglichen Ladepunkten erfolgten [4]. Dieser Befund deckt sich mit Beobachtungen in den USA und in Großbritannien, nach denen nur 1 bis 15 % des Fahrstroms aus öffentlichen Ladesäulen kommt [3]. Modellhafte Betrachtungen, die den Energiebedarf, die private Ladeinfrastruktur am Wohn- und Arbeitsstandort und eine minimale Auslastung der öffentlichen Ladeinfrastruktur berücksichtigen, lassen langfristig einen eher geringen Bedarf an öffentlicher Ladeinfrastruktur erwarten [3]. Es ist insofern unwahrscheinlich, dass sich eine flächendeckende Versorgung mit öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur wirtschaftlich betreiben lässt. Validierte Modelle zur Standortbestimmung liegen deshalb weiterhin im Interesse der hierfür verantwortlichen Gebietskörperschaften, um einen effizienten Einsatz der verfügbaren Mittel zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass die Installation von Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum weder unproblematisch noch unumstritten ist [5, 6] und daher stichhaltig begründet werden sollte. Im Folgenden wird zunächst auf den Stand der Forschung und Praxis eingegangen. Im Anschluss daran PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 17.11.2017 Endfassung: 23.01.2018 Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 33 Wissenschaft INFRASTRUKTUR werden die im Rahmen dieser Evaluation verwendeten Datensätze beschrieben. Die Evaluation selber stellt zunächst die Potenzialabschätzung von 2014 mit den beobachteten Ladevorgängen gegenüber. Im Anschluss daran wird mit Hilfe von aktuellen und leicht zugänglichen Strukturdaten untersucht, welche Faktoren sich positiv auf eine intensive Nutzung der Ladeinfrastruktur auswirken. Stand der Forschung und Praxis Der Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur wird generell eine erhebliche Bedeutung für die Einführung der Elektromobilität eingeräumt [1, 7, 8]. Das Vorhandensein einer Ladestation in 1 bis 3 km Entfernung steigert bei 63 % der Befragten einer YouGov-Studie die Kaufabsicht für einen elektrischen PKW [9]. Hierbei spielt auch die Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum eine wichtige Rolle, die in einer Befragung 70 % der knapp 300 befragten E-Mobilisten monatlich oder öfter nutzen [10]. Ziel sollte es daher sein, die E-Ladeinfrastruktur da zu platzieren, wo sie aus Nutzerperspektive benötigt wird. Als Indikatoren einer solchen „idealen Ladeinfrastruktur“ gelten in räumlicher Hinsicht eine gute Erkennbarkeit bzw. Auffindbarkeit und Beschilderung einerseits, sowie eine flächendeckende Verfügbarkeit, besonders an Orten des täglichen Bedarfs sowie an Schnellstraßen und Autobahnen andererseits. Als wesentliches Problem wird die Fehlbelegung durch Verbrennerfahrzeuge genannt [11]. Weiterhin kommt der Sichtbarkeit der E-Ladeinfrastruktur eine gewisse Bedeutung zu, da das Unwissen über deren Vorhandensein als Hemmnis beim Umstieg auf elektrische Fahrzeuge identifiziert wurde [12]. Ein weiteres Argument für den Ausbau öffentlicher Ladeinfrastruktur besteht möglicherweise darin, dass sie helfen kann, Lastspitzen im Stromnetz abzubauen. Ausgehend von einer geringen Reichweite (115 km) und ausschließlich privater Ladeinfrastruktur haben sich in der Modellierung von BEV-Besitz und -Verwendung besonders wochentags ausgeprägte Elektrizitätsnachfragespitzen am frühen Abend gezeigt, die sich zudem mit der dann ohnehin gegebenen Nachfragespitze überlagern [13]. Eine gelegentliche Ladung an elektrotechnisch gut angebundenen Ladestandorten kann hier zu einer Verminderung von Lastspitzen beitragen. Die Lage der Ladestationen zählt zu den wichtigsten Faktoren, von denen die Zufriedenheit mit der Ladeinfrastruktur abhängt [10, 11]. Bei der Platzierung von Ladeinfrastruktur ist grundsätzlich zwischen drei Maßstabsebenen zu differenzieren: der zwischengemeindlichen bzw. landesweiten Ebene, der innergemeindlichen Ebene und der straßenräumlichen Ebene. Für die flächendeckende Versorgung einer Region oder eines Landes mit Ladeinfrastruktur sind Standortmodelle zweckmäßig, die z.B. Entfernungsraster berücksichtigen, wie in der Metropolregion Hannover, Göttingen, Braunschweig, Wolfsburg [11]. Auf der regionalen Ebene spielt auch die Thematik der Reichweitenverlängerung elektrischer Fahrzeuge eine stärkere Rolle [14]. Weiterhin ist auf großräumiger Ebene die Betrachtung von Fahrzeugbestand und Pendlerverflechtungen zweckmäßig, wie bei einem Modell für die Region Stuttgart [3]. Für die Analyse der Pendlerverflechtungen in Standortwahlmodellen dieser Maßstabsebene sprechen auch psychologische Aspekte, da Personen, die einen größeren Teil ihrer Wege mit dem Auto zurücklegen, im Phasenmodell der Verhaltensänderung (Transtheoretical Model of Change) zur Anschaffung eines BEV in der Regel weiter fortgeschritten sind als multimodale Personen [12]. Diese Personen denken öfter kritisch über ihre private Motorisierung nach. Darüber hinaus wirken sich regionale Strukturen unter Umständen stärker auf das Verkehrsverhalten aus als kleinräumige Strukturparameter wie z. B. die Nutzungsmischung [15]. Zur Lokalisierung auf der innergemeindlichen Ebene gibt es zahlreiche Annahmen, die allerdings gewisse Muster erkennen lassen. In einer Literaturauswertung zu Annahmen des Ladebedarfs, wurde dieser vor allem in Schwerpunkten der Verkehrsnachfrage insgesamt bzw. in Spitzenstunden, im Zusammenhang mit Pendlerverflechtungen, Parkdauern, Arbeitsplätzen und Wohnbevölkerung ausgemacht [16]. Weiterhin wird der Ladevorgang aufgrund seiner Dauer mit anderen Tätigkeiten kombiniert. Ein Großteil der Nutzer ist ab einem Aufenthalt von 15 Minuten bereit, einen Ladevorgang zu starten [10]. Laden am Arbeitsplatz wird ähnlich komfortabel beurteilt wie eine Lademöglichkeit zu Hause. Auch Einkaufen kommt in Frage, vor allem bei regelmäßigen Einkäufen. Generell sind regelmäßig angesteuerte Ziele geeignet [17]. Die Standortsuche auf innergemeindlicher Ebene kann dementsprechend unter Berücksichtigung des Verkehrsaufkommens (Zielverkehrsüberschuss), bei Einkaufszentren und Discountern, sowie sonstigen Point Of Interests (POI) erfolgen [6]. Zur Standortbestimmung in Rostock wurde ein weiter differenziertes Bewertungssystem entwickelt, in dem Points of Interest nach Aufenthaltsdauer, Nutzungshäufigkeit und Aufkommen motorisierter Nutzer klassifiziert und gewichtet wurden [18]. Ein weiterer Aspekt der Standortbestimmung besteht darin, vorhersehbaren Bedarf zu versorgen, der z. B. bei der Elektrifizierung von Taxen, kommunalen Flotten und Carsharing-Fahrzeugen anhand der Stationen oder, im Falle von Free-Floating-Carsharing, anhand deren Nutzerprofilen prognostiziert werden kann [6]. Darüber hinaus können im Hinblick auf die Reichweitenverlängerung der Stadtrand bzw. Ausfallstraßen in Betracht gezogen werden [6]. Während der Standortbestimmung in Hamburg hat sich gezeigt, dass aufgrund der Vielzahl an räumlichen und programmatischen Anforderungen an den Standort der Ladesäule eine Identifikation von großmaßstäblichen Suchräumen (rund 500 m) zielführend sind. So sind u.a. auf straßenräumlicher Ebene weitere Kriterien zu berücksichtigen, zu denen auch die konkurrierenden Nutzungen des öffentlichen Raums zählen, der durch Ladeinfrastruktur zusätzlich beansprucht wird [19]. Aus Nutzer- und Betreibersicht sind die Erreichbarkeit im Sinne der Anfahrbarkeit, die Sichtbarkeit, das Vorhandensein der technischen Stadtinfrastruktur und der Anschlusskosten [6] relevant. Die Frage nach der Ladeleistung am Standort wird hier ausgeklammert, da eine größere Anzahl langsamer Wechselstrom-(AC)-Ladesäulen generell als wichtiger erachtet wird als der aufwendigere Ausbau von Gleichstrom-(DC-)-Schnellladesäulen [10] und letztere offenkundig an Standorten sinnvoll sind, in denen ein hohes Aufkommen von Fahrzeugen auf längeren Strecken mit Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 34 INFRASTRUKTUR Wissenschaft exklusiv genutzten Stellplätzen zum Ausschluss von Fehlbelegungen zusammenkommen. Darüber hinaus ist aufgrund der heterogenen technologischen Entwicklung derzeit noch nicht absehbar, ob alle Fahrzeuge / Batterien in absehbarer Zeit DC-ladefähig sein werden. Verwendete Daten Die Potenzialabschätzung für die gleichmäßige und systematische Verortung von Ladesäulen im Bundesland Hamburg erfolgte unter Berücksichtigung der Wohn-, Gewerbe- und Freizeitdichte, der Entfernung zu Einkaufsmöglichkeiten oder zu sonstigen Zielen, bei denen aufgrund des typischen Besucherverhaltens von einer gewissen Affinität zur Elektromobilität ausgegangen wurde. Auch eine gute ÖPNV-Erschließung wurde dem Potential zugute gerechnet. Hintergrund hierfür ist die gewünschte programmatische Ausrichtung der Ladeinfrastruktur auch auf die Bedürfnisse des free-floating Carsharing. Hierbei soll vor allem dem intermodalen Charakter dieser Systeme Rechnung getragen werden. Die Gesamtbewertung für eine Rasterzelle wurde durch einfache Addition der einzelnen Scores berechnet (Tabelle 1). Diese Scores wurden für insgesamt 52 115 wabenförmige Rasterzellen im Bundesland Hamburg berechnet. Die sechseckigen Rasterzellen haben eine Fläche von ca. 1,5-ha und einen Umkreisdurchmesser von 150 m. Von diesen wurden bis Ende Mai 2017 189 mit einem oder mehreren öffentlichen Ladepunkten ausgestattet. In 29- Rasterzellen befanden sich Ladepunkte an Parkplätzen mit Bodenmarkierung. An den Ladepunkten wurden zwischen dem 09.02.2015 und dem 23.05.2017 über 68-000 Ladevorgänge an öffentlichen Ladesäulen registriert, davon allein im April 2017 ca. 4500. Dabei wurde auch ein Verbrauchswert in kWh und die Dauer des Ladevorgangs erfasst. Für die Bewertung der Standorte unter Berücksichtigung des Ist-Zustands Mitte 2017 wurden aktuelle, allgemein zugängliche Daten ausgewertet (Tabelle 2). Dabei wurden potenzialrelevante Faktoren in der jeweiligen Einheit ausgewiesen, ohne eine Klassifizierung im Hinblick auf den Scoring-Wert vorzunehmen. Eine reproduzierbare manuelle Bereinigung der OpenStreetMap-Datensätze war im Rahmen der Evaluation nicht möglich, die entsprechenden Einflussfaktoren wurden für die Evaluation der Standortbewertung mit aktuellen Daten daher nicht berücksichtigt. Methode Zunächst werden die Entwicklung der Ladeinfrastruktur, die Anzahl der Ladevorgänge und die abgegebene Strommenge zwischen Mai 2015 und April 2017 dargestellt. Um die wesentlichen Einflussfaktoren für die Auslastung der Ladeinfrastruktur zu bestimmen, werden im Anschluss daran die Korrelationskoeffizienten unter Berücksichtigung der Ladedaten vom April 2017 berechnet. Von Interesse ist dabei einerseits die Potenzialbewertung aus dem Jahr 2015, die kritisch zu hinterfragen ist. Andererseits ist eine Gegenüberstellung mit den aktuellen Strukturdaten erforderlich, um abschließend Empfehlungen für den weiteren Ausbau der Infrastruktur geben zu können. Die Korrelationskoeffizienten allein sind jedoch nicht ausreichend für eine Evaluation. Da die Ladedaten nur für realisierte Standorte vorliegen, ist die geringe oder nicht vorhandene Nachfrage an schlecht bewerteten Standorten nicht bekannt. Von den 52115 Rasterzellen tragen also nur ca. 180 vorab gut bewertete Standorte zum Ergebnis bei. Zum zweiten hat sich früh gezeigt, dass eine auffällige Bodenmarkierung der für das Laden ausgewiesenen Parkstände erheblich zur Reduzierung der Fehlbelegung durch Verbrenner beiträgt. Aufgrund der hohen Fehlbelegung der Parkstände ist die Bodenmarkierung ein dominierender Faktor, der den Einfluss anderer struktureller Faktoren sehr stark überlagert. Um aus den Ladedaten der Standorte ohne Bodenmarkierung Rückschlüsse auf die Relevanz struktureller Faktoren zu ziehen, wurde deshalb im Sinne einer Korrespondenzanalyse untersucht, wie sich die Nachfrage in den Rasterzellen mit der höchsten Wohn-, Freizeit- oder Gewerbedichte etc. darstellt. Ergebnisse Allgemeine Trends Mai 2015 bis April 2017 Zwischen Mai 2015 und April 2017 stieg die Anzahl der Ladesäulen mit mindestens einem Ladevorgang im Monat in Hamburg von drei auf 183, wobei in 95 bis 4483 La- Strukturgröße, Einheit Quelle Score 0 Score +1 Score +2 Wohndichte [ha BGF / km²] ALKIS < 30 30-75 >= 75 Gewerbedichte [ha BGF / km²] ALKIS < 10 10-100 >= 100 Freizeitdichte [ha BGF / km²] ALKIS < 7,5 7,5-50 >= 50 Einkaufsmöglichkeiten (Einkaufszentren und Supermärkte) [m Distanz Centroid Rasterzelle bis POI] Open- StreetMap, manuell bereinigt und ergänzt < 150 150-300 >= 300 E-Mobilitäts-affine Ziele (Universität, Bücherhallen, Sportzentren, Schwimmhallen, Museen, Zoo, Theater, Behörde, Ämter, Rathaus) [m Distanz Centroid Rasterzelle bis POI] Open- StreetMap, manuell bereinigt und ergänzt < 150 150-300 >= 300 ÖPNV Angebotsqualität (Takt [Min.] Hauptverkehrszeit HVZ) HAFAS- Datensatz HVV, werktags > 10 / kein 5-10 <= 5 Tabelle 1: Scoring-Beiträge in der Potenzialbewertung von 2014 Strukturgröße, Einheit Quelle BGF Wohnen [m² BGF] ALKIS Wohndichte [ha BGF / km²] ALKIS BGF Gewerbe [m² BGF] ALKIS Gewerbedichte [ha BGF / km²] ALKIS BGF Freizeit [m² BGF] ALKIS Freizeitdichte [ha BGF / km²] ALKIS ÖPNV Angebotsqualität (Takt [Min.] HVZ) HAFAS-Datensatz HVV, werktags Bodenmarkierung [ja/ nein] Ladesäulendatenbank Einkaufsmöglichkeiten (Einkaufszentren (EKZ) und Supermärkte) [m Distanz Centroid Rasterzelle bis POI] OpenStreetMap, automatisch bereinigt Entfernung bis Autobahn [km] Routing auf OpenStreetMap-Netz Entfernung bis Hauptstraße oder Autobahn [km] Routing auf OpenStreetMap-Netz Score (2014) s. Tabelle 1 Tabelle 2: Mögliche Faktoren zur Potenzialbewertung Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 35 Wissenschaft INFRASTRUKTUR devorgängen zwischen 680 und 46 985 kWh pro Monat verbraucht wurden. Das entspricht ca. 38 kWh in 3,6 Ladevorgängen pro Monat und Fahrzeug (ohne Krad) aus dem Hamburger Bestand von Anfang Mai 2017 (Tabelle-3). Sowohl der Verbrauch als auch die Dauer der Ladevorgänge korrespondieren mit der Witterung und vergrößern sich um den Jahreswechsel herum. Dies zeigt sich sowohl in Bezug auf die Ladesäulen, als auch in Bezug auf die Ladevorgänge und die Anzahl der Ladevorgänge (Bild 1 und Bild 2). Die Anzahl der Ladevorgänge je Ladesäule scheint dabei leicht rückläufig, die Spitzen des Winters 2015/ 2016 werden im Winter 2016/ 2017 nicht mehr erreicht. Als Ursache kommen z. B. die Witterung oder das gestiegene Angebot an Ladeinfrastruktur in Frage, die Betrachtung über zwei Jahre lässt hier noch keine belastbaren Rückschlüsse zu. Die Auslastung der Ladesäulen mit Bodenmarkierung auf den zugehörigen Parkständen liegt höher als bei denen ohne Bodenmarkierung. So lag der monatliche Verbrauch bei den markierten Standorten ab Dezember 2015 durchweg über 15 kWh, ab Januar 2016 gab es mindestens 30 Ladevorgänge und die durchschnittliche Belegung der Ladesäulen lag deutlich über 6 Stunden. Standortpotenzialbewertung 2014 - Ladevorgänge und kWh vs. Score Die Gegenüberstellung der Standortpotenzialbewertung mit den Ladevorgängen und dem Verbrauch ist auf den ersten Blick ernüchternd (Bild 3). Auch wenn sich der Zusammenhang zwischen Ladevorgängen und Potenzialbewertung visuell deutlich und positiv mit einem Korrelationskoeffizienten R von 0,182 darstellt, ist das Bestimmtheitsmaß dieses Zusammenhangs mit R 2 = 0,03 äußerst niedrig. Die Gegenüberstellung des Verbrauchs in kWh mit dem Scoring Wert liefert ein ähnliches Bild (R = 0,141 und R 2 = 0,0197). Um eine etwas deutlichere Aussage zu den Zusammenhängen zwischen Ladevorgängen und Verbrauch einerseits und den quantifizierbaren Einflussfaktoren andererseits zu gewinnen, wurde die Frage formuliert, ob bei den Rasterwaben mit der stärksten Ausprägung der jeweiligen Faktoren eine eher über- oder unterdurchschnittlich häufige und verbrauchsintensive Nutzung zu beobachten ist. Dabei wurden die 2017 berechneten Faktoren verwendet. Ausgehend von einem Mittelwert von ca. 0,8 Ladevorgängen im April 2017, die mit den etwa 25 Ladevorgängen pro Ladesäule (Bild 2) korrespondiert, zeigt sich z. B. bei den 1 % Rasterwaben mit der höchsten Gewerbedichte eine mit ca. 1,6 Ladevorgängen deutlich intensivere Nutzung (Bild 4). Hierbei ist zu beachten, dass 100 % ca. 180 Rasterwaben entsprechen, die Fallzahl beim 1 %-Quantil also sehr klein ist. Hingegen zeigen Bereiche mit hohen Wohndichten oder in unmittelbarer Nähe zu Hauptstraßen eine eher niedrige Nachfrage. Je nachdem, ob man Ladevorgänge oder Verbrauch (Bild 5) betrachtet, weichen die Ergebnisse für die Bereiche etwas voneinander ab. Relativ deutlich können sich Bereiche mit hoher Freizeit- und Gewerbedichte absetzen, während eine hohe Wohndichte eher mit einer geringeren Nachfrage einher zu gehen scheint. Die ÖPNV-Erschließungsqualität, die hier durch die Zug-(bzw. Bus)-Folgezeit in den Hauptverkehrszeiten quantifiziert wurde, stellt in diesem Zusammenhang möglicherweise selber nur einen Indikator für urbane Dichte dar, die der Nachfrage eher zuträglich ist. Unter Berücksichtigung der Markierung der den Ladesäulen zugeordneten Stellplätze ergibt sich ein sehr viel klareres Bild (Tabelle 4). Zunächst einmal zeigt sich eine starke positive Korrelation zur Markierung der den Ladesäulen zugeordneten Parkstände. Doch auch bei dieser Selektion zeigt sich, dass die Wohndichte im Umfeld nur zum Verbrauch bei markierten Parkständen positiv korreliert, was mit längeren Standzeiten der Fahrzeuge plausibel erklärt werden kann. Hinsichtlich der Anzahl der Ladevorgänge ist die Wohndichte durchweg negativ korreliert. Freizeit- und Gewerbedichte sind hingegen durchweg positiv korreliert mit einem maximalen Koeffizienten HH, April 2017 Zugmaschine PKW Bus Krad Lkw Sonst Privat - 278 - 82 10 - Gewerblich 1 775 6 46 158 14 Tabelle 3: In Hamburg gemeldete KFZ mit Elektroantrieb, April 2017 (Kraftfahrtbundesamt, 2017) 0 5 10 15 20 0 50 100 150 200 250 300 350 400 Mai 15 Jun 15 Jul 15 Aug 15 Sep 15 Okt 15 Nov 15 Dez 15 Jan 16 Feb 16 Mrz 16 Apr 16 Mai 16 Jun 16 Jul 16 Aug 16 Sep 16 Okt 16 Nov 16 Dez 16 Jan 17 Feb 17 Mrz 17 Apr 17 kWh/ Ladesäule kWh/ Ladevorgang Bild 1: kWh pro Ladesäule und pro Ladevorgang zwischen Mai 2015 und April 2017 0 10 20 30 40 50 60 70 80 0: 00 1: 00 2: 00 3: 00 4: 00 5: 00 6: 00 7: 00 8: 00 Mai 15 Jun 15 Jul 15 Aug 15 Sep 15 Okt 15 Nov 15 Dez 15 Jan 16 Feb 16 Mrz 16 Apr 16 Mai 16 Jun 16 Jul 16 Aug 16 Sep 16 Okt 16 Nov 16 Dez 16 Jan 17 Feb 17 Mrz 17 Apr 17 Dauer/ Ladevorgang Dauer/ Ladesäule [h] Ladevorgänge/ Ladesäule Bild 2: Dauer von Ladevorgang, Belegung der Ladesäulen und Anzahl der Ladevorgänge je Ladesäule zwischen Mai 2015 und April 2017 Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 36 INFRASTRUKTUR Wissenschaft von 0,6 für Ladevorgänge bei markierten Parkständen mit hoher Gewerbedichte im Umfeld. Die Korrelation bei ÖPNV und bei Entfernung zu Supermärkten und Einkaufszentren sowie zum Haupt- und Fernstraßennetz ist nur schwach. Die fast durchweg negativen Korrelationskoeffizienten für die untersuchten Entfernungsmaße sind sachlich plausibel. Abschließend wurden die Potenzialbewertung-Scores untersucht. Bereits der Scoring-Wert von 2014 weist dabei eine positive Korrelation zu Ladevorgängen und Verbrauch auf. Diese kann jedoch unter Berücksichtigung der vorliegenden Daten deutlich verbessert werden, wenn eine alternative Berechnung des Scoring-Wertes durch eine Linearkombination mit einfachen numerischen Gewichten vorgenommen wird. Die Gewichtung der Faktoren für ein verbessertes Scoring-Verfahren (Tabelle 5) wurde durch zweifache sequentielle manuelle Optimierungen der Gewichtung erreicht, nachdem die Verwendung des in MS-Excel implementierten Optimierungsalgorithmus („Solver“) ins Leere lief: Eine maximale Korrelation zwischen Bewertungs-Score und Ladevorgängen als Zielwert führte nur zu geringen Bestimmtheitsmaßen um 0,11. Der so berechnete neue Scoring-Wert weist sowohl für die markierten als auch für die Gesamtheit der markierten Ladestandorte eine wesentlich stärkere Korrelation auf, mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,62 für Ladevorgänge bei markierten Parkständen. Dieser entspricht einem Bestimmtheitsmaß von R 2 = 0,38. Gegenüber dem Bestimmtheitsmaß der Scoring-Werte von 2014 (vgl. Tabelle 4) stellt dieser eine deutliche Verbesserung dar, ist aber immer noch relativ gering. Allerdings spricht die Zahl der Einflussgrößen, die hier nicht berücksichtigt wurden, gegen höhere Bestimmtheitsmaße: Die Potenzialbewertung erfolgte anhand einer beschränkten Auswahl allgemein zugänglicher Geodaten. Nicht betrachtet wurden die Nutzerseite und die Konkurrenzsituation zwischen öffentlicher und privater Ladeinfrastruktur. Ebenfalls ausgeblendet wurden Gebiete außerhalb Hamburgs und Bereiche, die in der Standortpotenzialbewertung 2014 eine schlechte Bewertung erhalten hatten und daher heute über keine Ladeinfrastruktur verfügen. Diskussion und Fazit Die in Hamburg beobachtete Auslastung der Ladeinfrastruktur ermöglicht bisher keinen wirtschaftlichen Betrieb, selbst bei geringen Anschlusskosten ist die Auslastung mit durchschnittlich vier bis fünf Stunden pro Monat weit von den als Schwellenwert genannten 4 % (ein bis zwei Stunden pro Tag) entfernt. Auch die Standorte mit Bodenmarkierung erreichen diesen Schwellenwert derzeit noch nicht. Eine Ursache besteht möglicherweise im zögerlichen Markthochlauf für E-Fahrzeuge und im gewerblichen Charakter der Fahrzeugflotten. So wird derzeit ein Großteil der gewerblichen Flotte in Hamburg auf privaten Flächen geladen (DHL, UPS etc.). Für die Hamburger Akteure stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob ein weiterer zügiger Ausbau der Ladeinfrastruktur kurzfristig sinnvoll ist. Die Ergebnisse der Evaluation sprechen eher dafür, die vorhandenen Standorte mit Bodenmarkierungen zu versehen und die weiteren Entwicklungen im Fahrzeugbestand und in der Auslastung der bestehenden Ladeinfrastruktur zu verfolgen. Bei der Optimierung der Potenzialbewertung ist zu beachten, dass die hier betrachteten Einflussgrößen unterschiedliche Korrelationen zu Verbrauch einerseits und Anzahl der Ladevorgänge andererseits haben. y = 0,05x + 0,5144 R² = 0,0331 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 0 2 4 6 8 10 12 14 Ladevorgänge / Tag April 2017 Scoring-Wert Potenzialbewertung 2014 Bild 3: Ladevorgänge (April 2017) nach Scoring-Wert Potenzialbewertung (2014) D Korrespondenz Ladevorgänge 0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40 1,60 1,80 Ladevorgänge pro Tag, April 2017 höchste Wohndichte höchste Gewerbedichte höchste Freizeitdichte kürzeste Taktfolge niedrigste Distanz EKZ/ Supermarkt niedrigste Distanz Hauptstraße Bild 4: Ladevorgänge in Rasterwaben D Korrespondenz kwh 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 kWh pro Tag, April 2017 höchste Wohndichte höchste Gewerbedichte höchste Freizeitdichte kürzeste Taktfolge niedrigste Distanz Einkauf niedrigste Distanz Hauptstraße Bild 5: Verbrauch (kWh) in Rasterwaben Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 37 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum ist leichter unter Verweis auf eine große Zahl Begünstigter zu rechtfertigen. Zum anderen ist auf den politisch avisierten Markthochlauf für E-Fahrzeuge zu verweisen. Es ist davon auszugehen, dass mit steigenden E-Fahrzeugzahlen in absehbarer Zeit auch die Nutzungszahlen steigen werden. Darüber hinaus ist das nicht messbare Sicherheitsversprechen, welches durch die Möglichkeit des Zwischenladens und des kostenlosen Parkens auf E-Ladeplätzen ausgeht, bei der Etablierung der E-Ladeinfrastruktur letztlich nicht zu vernachlässigen. Insgesamt hat sich in der Untersuchung gezeigt, dass die für die Platzierung der Ladeinfrastruktur in Hamburg verwendete Potenzialabschätzung zweckmäßig ist, auch wenn sie durch eine veränderte Auswahl und Gewichtung der einzelnen Faktoren verbessert werden kann. Die aus Literaturauswertungen und Plausibilitätsüberlegungen gewonnenen Annahmen zu potenzialrelevanten Faktoren wurden überwiegend bestätigt, wie z. B. der Einfluss gewerblicher und Freizeit-Nutzungen im Umfeld eines Standorts. Im Hinblick auf zukünftige Standortkonzepte stellen die Ergebnisse der Untersuchung eine hilfreiche empirische Basis für die Potenzialschätzung dar. Eine auch nur vorläufig abschließende Bewertung der Standortfaktoren ist jedoch problematisch, da sich nicht nur die Zusammensetzung der Flotten und der Elektrofahrzeugnutzer ändert, sondern auch das Angebot an privater Ladeinfrastruktur. ■ Unser besonderer Dank geht an die Mitarbeiter der Stromnetz Hamburg GmbH, dem Betreiber der öffentlichen Ladeinfrastruktur in Hamburg, die uns im Zuge der Standortbewertung und -evaluation mit wichtigen Informationen unterstützt haben. Der Dank geht namentlich an Herrn Börger, Herrn Voelkel und Herrn Bomke. LITERATUR [1] Sommer, Klaus: Continental-Mobilitätsstudie 2011. Präsentationsfolien. Hannover, s.n., 15.12.2011 [2] Rothfuchs, Konrad und Scheler, Christian: Genau am richtigen Ort. der gemeinderat. 2017, Bd. 60, 5/ 2017, S. 22-23 [3] Wirges, Johannes; Linder, Susanne; Kessler, Alois: Modelling the Development of a Regional Charging Infrastructure for Electric Vehicles in Time and Space. European Journal of Transport and Infrastructure Research (EJTIR). 2012, 12(4), S. 391-416 [4] Bevis, Keith; Smyth, Austin; Walsh, Sue: Plugging the Gap - Can Planned Infrastructure Address Resistance to Adoption of Electric Vehicles. ETC 2013 Konferenzbeitrag. Frankfurt / M., AET 2013, 2013 [5] Hamann, Rainer: Elektromobilität mit unliebsamen Nebenwirkungen. PlanerIn. 2017, 5/ 17, S. 50-52 [6] Blümel, Hermann und Reil, Frithjof: Praxisbeispiel: Das Berliner Modell der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge im öffentlichen Raum. Präsentation beim VHW Vertiefungsseminar Elektromobilität - Ladeinfrastrukturen im öffentlichen Raum als Chance und Herausforderung für Kommunen. Berlin, s.n., 27. April 2017 [7] Liao, Fanchao; Molin, Eric und van Wee, Bert: Consumer preferences for electric vehicles: a literature review. Transport Reviews. 2017, 37(3), S. 252-275 [8] Trip, Jan Jacob und Konings, Rob: Supporting electric vehicles in freight transport in Amsterdam. Delft University of Technology. Delft : s.n., 2014. Report written within the framework of Activity 7.4 of the Interreg IVB project E-Mobility NSR, file nr. 35-2-6-11 [9] Buckstegen, Nikolas: Großes E-Mobility-Potenzial liegt brach: Gefahr für deutsche Autobauer wächst. [Online] 5. Januar 2017. [Zitat vom: 15. September 2017.] https: / / yougov. de/ news/ 2017/ 01/ 05/ grosses-e-mobility-potenzial-liegt-brach-gefahr-fu/ . [10] BuW: Bedarfsorientierte Ladeinfrastruktur aus Kundensicht. Handlungsempfehlungen für den flächendeckenden Aufbau benutzerfreundlicher Ladeinfrastruktur. Frankfurt am Main : Deutsches Dialog Institut GmbH, 2017. Begleit- und Wirkungsforschung Schaufenster Elektromobilität (BuW) Ergebnispapier 35 [11] BuW: Status quo Ladeinfrastruktur 2016 Workshop Dokumentation. Frankfurt am Main : Deutsches Dialog Institut GmbH, 2016. Begleit- und Wirkungsforschung Schaufenster Elektromobilität (BuW) Ergebnispapier 36 [12] Langbroek, Joram H.; Franklin, Joel P. und Susilo, Yusak O: Changing towards electric vehicle use in Greater Stockholm. European Journal of Transport and Infrastructure Research (EJTIR). 2017, 17(3), S. 306-329 [13] Weiss, Christine; et al.: Assessing the Effects of a Growing Electric Vehicle Fleet Using a Microscopic Travel Demand Model. European Journal of Transport and Infrastructure Research (EJTIR). 2017, 17(3), S. 330-345 [14] Taefi, Tessa T: Viability of electric vehicles in combined day and night delivery: a total cost of ownership example in Germany. European Journal of Transport and Infrastructure Research (EJTIR). 2016, 16(4), S. 600-618 [15] Naess, Peter: Urban form and travel behaviour: Experience from a Nordic context. The Journal of Transport and Land Use. 2012, 5(2), S. 21-45. http: / / jtlu.org [16] Schüßler, Maximilian; Niels, Tanja und Bogenberger, Klaus: Model-based estimation of private charging demand at public charging stations. European Journal of Transport and Infrastructure Research (EJTIR). 2017, 17(1), S. 153-169 [17] Daubitz, Stefanie; Riedel, Veronique und Schwedes, Oliver: Schnellladen von Elektroautos. Internationales Verkehrswesen. 2015, 67(3), S. 44-47 [18] ARGUS Stadt- und Verkehrsplanung: Standortbestimmung E-Ladeinfrastruktur Rostock. Hamburg : s.n., 2017. Gutachten im Auftrag der Stadtwerke Rostock AG [19] Schröter, Frank: Elektromobilität als Herausforderung für die Stadtgestalt. Rolf von der Horst [Hrsg.], STADT und RAUM. August 2017, 38(4), S. 196-200 Timotheus Klein, Dipl.-Ing. Fachbereichsleiter Verkehrsmodelle und GIS, ARGUS Stadt und Verkehr Partnerschaft mbB, Hamburg t.klein@argus-hh.de Christian Scheler, M.Sc. Projektleiter, ARGUS Stadt und Verkehr Partnerschaft mbB, Hamburg c.scheler@argus-hh.de Faktor Alle Parkstände Nur markierte Parkstände Ladevorgänge Verbrauch Ladevorgänge Verbrauch Markierung 0,3454 0,3523 Dichte Wohnen -0,1865 -0,1226 -0,0580 0,1653 Dichte Gewerbe 0,2764 0,2378 0,6021 0,4641 Dichte Freizeit 0,1532 0,1269 0,2019 0,2096 ÖPNV -0,0051 0,0125 -0,0882 -0,0781 Entfernung EKZ/ Supermarkt -0,0443 0,0036 -0,1264 -0,1431 Entfernung BAB -0,0551 -0,0669 -0,0366 -0,0846 Entfernung Hauptstraße -0,0981 -0,0733 -0,0251 0,0186 Score (2014) 0,1818 0,1405 0,2510 0,2851 Score neu 0,3003 0,2545 0,6196 0,4921 Tabelle 4: Korrelationskoeffizienten für verschiedene Einflussgrößen Faktor Dichte Wohnen Dichte Gewerbe Dichte Freizeit ÖPNV Entf. EKZ/ Supermkt. Entf. BAB Entf. Hauptstr. Gewicht -0,15 19,00 10,00 -0,30 -0,50 0 -10,00 Tabelle 5: Gewichtungsfaktoren für neuen Score Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 38 Vernetzte Logistik per Smartphone-App Tourenplanung, Disposition, Kommunikationssystem Lieferscheine in Papierform sind nicht mehr zeitgemäß. Ob Auftragsdaten, optimierte Routen oder digitale Unterschrift - alle wichtigen Informationen können heute per App automatisch und sicher ausgetauscht werden. Dadurch findet eine Vernetzung entlang der gesamten Lieferkette statt. Monika Tonne N och vor zehn Jahren verstand man unter Telematik hochpreisige, fest installierte Systeme mit Bordrechnern. Und die fand man nur in Transportfahrzeugen großer Speditionen, die sich diesen Vorteil leisten konnten. Heute ist die Auswahl an Systemen vielfältig, besonders innovativ sind sie als App auf Smartphones und Tablets. Doch während Tracking und Tracing bereits weit verbreitet sind, ist die Digitalisierung im Sinne einer konsequenten Vernetzung von Unternehmen, Fahrern und Kunden in der Logistik noch nicht so weit fortgeschritten, wie sie es sein könnte. Abliefernachweis, Lieferschein und Auftragsbestätigung werden oft noch als Blatt Papier zur Verfügung gestellt und verwaltet. Dabei bietet die mobile Telematik kostengünstige Lösungen, um digitale Prozesse in großen wie kleinen Unternehmen gewinnbringend zu etablieren. Telematik-Apps wie smart! matics des Softwareanbieters Couplink, die auf allen Endgeräten und mit allen mobilen Betriebssystemen laufen, machen sich erfolgreich das Prinzip „Bring Your Own Device“ (BYOD) zunutze. Wer für das Unternehmen unterwegs ist, ob als Fahrer oder Servicemitarbeiter, installiert einfach die App auf seinem Smartphone und der Datenaustausch mit der Zentrale beginnt. Seitens der Zentrale läuft die Kommunikation über ein Webportal. Bei smart! matics etwa meldet sich der Disponent im webbasierten „Cockpit“ an, wo er seine Mitarbeiter auf einer Karte sieht und sie flexibel disponiert (Bild 1). Statusmitteilungen und der Verbleib der Ware sind jederzeit ersichtlich und können auch den Kunden zur Verfügung gestellt werden. In Zeiten von Same- Day-Delivery, individueller Zustellung nach Ort und Zeit und dem Angebot zusätzlicher Dienstleistungen wie etwa der Installation nach Lieferung wollen Kunden genau über ihren Auftrag Bescheid wissen; die Echtzeitdaten einer App-Lösung kommen diesem Wunsch entgegen. Die App als Telematik-Multitool Neben Tracking und Tracing eröffnet die App zusätzliche sichere Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Mitarbeiter und Disposition. So können Nachrichten ver- Quelle: Couplink Group AG LOGISTIK Telematik Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 39 Telematik LOGISTIK schickt oder mit Fotos Zwischenfälle direkt vor Ort dokumentiert werden. Eine einzige App wird so zum praktischen Multitool: Sie ist Navigationshilfe und archiviert vom Stundenzettel über die Material- und Arbeitszeiterfassung bis hin zum digital unterschriebenen Servicebericht alle relevanten Daten. Die einfache Bedienbarkeit sorgt dafür, dass selbst neue Mitarbeiter innerhalb kürzester Zeit eingearbeitet sind. Die automatische Übermittlung an das Cockpit dient der Zentrale als Grundlage für Ad-hoc-Umstrukturierungen und Routenoptimierungen. Über Schnittstellen stehen die Daten auch im vorhandenen ERP-, Datenbank- oder Verwaltungsprogramm bereit. Je mehr Schnittstellen ein Telematik-Anbieter bereits entwickelt hat - bei dem Software- und Beratungsunternehmen Couplink beispielsweise sind es aktuell rund- 50 Schnittstellen -, desto reibungsloser und sicherer verlaufen die Implementierung und der Austausch mit Systemen der Kunden. Branchenspezifische Lösungen Gerade für Speditionen bietet sich die appbasierte Telematik an. Sie setzen immer häufiger auf Subunternehmer, die sie möglichst einfach in ihre Prozesse integrieren müssen. Nutzen deren Fahrer nach der Devise BYOD ihr Smartphone, wird eine einheitliche Planung möglich: Per Anmeldung über die App beziehen Speditionen auch die externen Fahrer mit in ihre Planung ein. Der Kunde erhält immer gleichbleibenden Service und weiß stets, wo seine Waren sind; egal wer sie liefert. Mit mobiler Telematik werden weit mehr als nur logistische Prozesse digitalisiert. Mit einer leicht individualisierten App sieht der Alltag eines Entsorgungsunternehmens etwa wie folgt aus: Die App gibt dem Fahrer die Route zum Einsammeln des Abfalls vor und optimiert sie bei Bedarf. Ein Mitarbeiter dokumentiert einen falsch befüllten Container per Foto, und etwas später bestellt er neue Arbeitshandschuhe im E- Shop. Denn mit der App lassen sich auch branchenspezifische Besonderheiten berücksichtigen, etwa für Kurierdienste, Schwerguttransporte oder die Verwaltung von Kühldaten und Containern. Die Software kann so zusammengestellt werden, wie es das jeweilige Unternehmen benötigt. Mit dem passenden Modul können sogar ohne Programmieraufwand individuelle Workflows eigenständig definiert und in die App integriert werden. Selbst Tacho- und Fahrzeugdaten lassen sich mittels einer App-Lösung auslesen. Hierzu bedarf es lediglich einer zusätzlichen Blackbox, die auch Lenk- und Ruhezeiten aus dem Tacho auf die Anzeige des Disponenten bringt. Logistik per Smartphone zu vernetzen, funktioniert also ganz selbstverständlich: App-basiert kann mit wenig Aufwand - finanziell wie seitens der IT - ein umfassendes, kontinuierliches Datenmanagement entlang der gesamten Lieferkette gewährleistest werden. ■ Monika Tonne Vorständin der Couplink Group AG, Aldenhoven info@couplink.com Bild 1: Disponenten- Ansicht der Anwendung im „Cockpit“ Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 office@trialog.de | www.trialog-publishers.de Unsere neuen Kontaktdaten Redaktionsleitung: Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de redaktion@internationales-verkehrswesen.de Leserservice/ Vertrieb: Tel.: +49 7449 91386.39 service@trialog.de Anzeigenservice: Tel.: +49 7449 91386.46 anzeigen@trialog.de Dispo/ Onlinetechnik: Tel.: +49 7449 91386.47 dispo@trialog.de Verlag und Redaktion sind umgezogen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 40 Unbemannter Frachttransport im Luftverkehrssystem Luftfrachtverkehr, unbemannte Flugzeuge, Integration, Luftverkehrssystem Die Bedeutung unbemannter Luftfahrzeuge für zivile Anwendungen nimmt stetig zu. Dabei ist zu erwarten, dass in Zukunft im Besonderen auch Frachtflugzeuge im Langstreckenflug unbemannt operieren werden. Im DLR-Projekt UFO (unmanned freight operations) wurden grundlegende Randbedingungen für eine effiziente Integration in das Luftverkehrssystem analysiert, operationelle Konzepte entwickelt und anhand von verschiedensten Einsatzszenarien erfolgreich demonstriert. Michael Schultz, Annette Temme, Dirk Kügler D ie zentrale Herausforderung für den Betrieb unbemannter Frachtflugzeuge ist die nachhaltige Integration dieser Flugzeuge in das aktuelle und das zukünftige Luftverkehrssystem, ohne dabei den unbemannten und bemannten Verkehr voneinander zu trennen. Im Projekt unmanned freight operations (UFO) haben die DLR-Institute für Flugführung, Flugsystemtechnik, Kommunikation und Navigation, Luft- und Raumfahrtmedizin sowie die DLR-Organisationseinheit Lufttransportsysteme gemeinsam Einsatzszenarien definiert, neue Unterstützungssysteme, Verfahren und Technologien sowohl für Lotsen als auch Piloten entwickelt und abschließend validiert. Weiterhin wurde die Integration unbemannter Frachtflugzeuge in die Abläufe an Verkehrsflughäfen, während des Streckenfluges sowie bei Start und Landung untersucht. Dabei ist das Projekt auch über den heutigen Stand der Technik hinausgegangen und hat konkrete Lösungsansätze für den von der Flugsicherung kontrollierten Luftraum bereitgestellt. Obwohl unbemannte Technologien im militärischen Bereich bereits regelmäßig eingesetzt werden, kann das hier akzeptierte Risiko kein Maßstab für die Sicherheitsanforderungen im zivilen Luftverkehr darstellen. Im zivilen Luftverkehr darf die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls je Flugstunde nicht größer als 1,55·10-8 sein (Eurocontrol, 2001). Die hohen Anforderungen an die Sicherheit erfordern eine konsequente Zertifizierung aller eingesetzten Geräte, Technologien und Verfahren. Die Umrüstung bereits vorhandener (Fracht-) Flugzeuge und Nutzung als unbemannte Flugzeuge im weltweiten Luftfrachttransport (siehe Bild 1) würde eine vollständige Integration in das Luftverkehrssystem bis 2028 ermöglichen, wie es in der Integrations-Roadmap der European RPAS Steering Group (2013) vorgesehen ist. Projektziele und Motivation Die Hauptziele des Projektes UFO liegen in der Entwicklung von nachhaltigen Betriebskonzepten und angepassten Verfahren/ Technologien für den unbemannten Luftfrachttransport sowie der validen Nachweisführung der Operationalisierbarkeit dieser innerhalb des weltweiten Luftverkehrssystems. Einsparungspotentiale unbemannter Frachtflüge liegen in der Reduktion des eingesetzten Personals, da pro Frachtflugzeug je nach Einsatzszenario acht bis zwölf Piloten für eine effiziente Umlaufplanung notwendig sind. Die hieraus abzuleitenden absoluten Einsparpotentiale sind aufgrund der Flottengröße im Personentransport mit 26,2 Mrd. USD noch wesentlich größer als im Frachttransport mit 1- Mrd. USD (UBS, 2017). Unbemannte Frachtflugzeuge bieten dann den Vorteil, dass die Piloten jetzt am Boden flexibler eingesetzt werden können, da sie das Flugzeug immer vom selben Ort aus überwachen und steuern. So werden längere Arbeitszeiten vermieden sowie eine ausgewogenere und an die Arbeitslast/ -aufgabe angepasster Arbeitsablauf ermöglicht. Auch wäre es vorstellbar, die Flugführungsaufgabe nach Flugphasen aufzuteilen Bild 1: Umrüstung aktuell verfügbarer Flugzeuge zu unbemannten Frachtflugzeugen Quelle DLR, Konzeptentwurf LOGISTIK Luftfracht Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 41 Luftfracht LOGISTIK (Start, Landung, Streckenflug, Rollführung) oder sogar in einem Formationsflugszenario zusammenzuführen, bei dem ein einzelner Pilot einen Verband von Frachtflugzeugen steuert und überwacht. Wenn Arbeitszeit und Dienstplanung der Operateure keine limitierenden Faktoren in der Optimierung des Frachttransports mehr sind, könnten zum Beispiel langsamere Frachtflugzeuge Treibstoff sparen und damit sowohl ökonomisch als auch ökologisch effizienter betrieben werden. Für den Nachweis einer effizienten Integration unbemannter Frachtflugzeuge in das Luftverkehrssystem wurden drei Forschungsschwerpunkte definiert. • Als erstes wurden mögliche Betriebskonzepte für die Nutzung von unbemannten Frachtflugzeugen ausgearbeitet und anhand von ökonomischen, verfahrenstechnischen und ökologischen Kriterien bewertet. • In einem zweiten Schritt wurden systematisch Grundlagen für die Flugsteuerung definiert. Dafür wurden Zulassungsprozesse gesichtet und beurteilt sowie eine beispielhafte Architektur für die funktionale Zustandsüberwachung erarbeitet. • Im dritten Schritt wurde ein Konzept zur Gesamtintegration von Frachtflugzeugen in das Luftverkehrssystem erstellt und validiert. Hierfür wurden Lösungen zur Führung unbemannter Frachtflugzeuge im kontrollierten Luftraum ausgearbeitet, die Randbedingungen für den luftseitigen Betrieb an Verkehrsflughäfen untersucht und geeignete Betriebsverfahren konzipiert sowie Kommunikations-, Navigations- und Überwachungskonzepte entwickelt. Projektgliederung Um die Projektziele zu erreichen, wurde das Projekt in fünf Arbeitspakte aufgeteilt: (1) Betriebskonzepte, (2) Systemauslegung und Lufttüchtigkeit, (3) Integration in das Luftverkehrssystem, (4) Kommunikation, Navigation, Überwachung sowie (5) Konzeptvalidierung und -bewertung. Für die Definition der Betriebskonzepte und den hiermit verbundenen funktionalen Anforderungen wurden mögliche Einsatzszenarien mit einer großen Anwendungsbandbreite untersucht. Fokussiert wurde hier auf die Analyse und Definition der Anforderungen an die Flugzeugkonfiguration, -technik und die notwendige Infrastruktur. In einem iterativen Prozess wurde, aufbauend auf den Einsatzszenarien, die funktionellen Anforderungen in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachexperten abgeleitet und in einem Anforderungskatalog zusammengestellt. Durch die Definition der Frachtlogistikkette konnten relevante Bestandteile für das Betriebskonzept identifiziert und die Systemgrenzen des unbemannten Frachttransportes definiert werden. Zusätzlich wurden die Auswirkungen unbemannter Frachtflüge auf die Infrastruktur abhängig von den spezifischen Anforderungen betrachtet (z.B. luftseitige Bodeninfrastruktur für Be-/ Entladung und Wartung) und verschiedene Anpassungsmaßnahmen entwickelt. Durch konsequente Berücksichtigung der Frachtlogistikkette konnte dem Aufwand für die Operationalisierung der entwickelten Betriebskonzepte dem zu erwartenden ökonomischen Mehrwert gegenübergestellt und bewertet werden (Wertschöpfung). Im zweiten Arbeitspaket zur Systemauslegung und Lufttüchtigkeit unbemannter Frachtflugzeuge wurden Sicherheitsanforderungen aus bestehenden Regularien/ Zulassungsprozessen abgeleitet. Zudem wurden Überwachungsfunktionen für Flugsteuerungssysteme entwickelt, implementiert, erprobt (Software-in-the-Loopsowie Hardware-in-the-Loop-Simulationen) und validiert. Hierfür wurden funktionale Anforderungen an die Software abgeleitet (z. B. sense and avoid-Funktionalitäten, Automationsgrade am Boden oder im Streckenflug) und formale Methoden für die Verifikation eingesetzt (insbesondere model checking und runtime monitoring). Für die Integration unbemannter Frachtflugzeuge in das Luftverkehrssystem wurden im dritten Arbeitspaket spezifische Operationen und Prozeduren ausgearbeitet und in einem Flugführungskonzept zusammengeführt. Dafür wurden die (neuen) Rollen, Aufgaben und Interaktionen von und zwischen Piloten und Lotsen definiert. Neben dem operationellen Konzept (z.B. notwendige Bodeninfrastrukturen, Flughafenprozesse, Rollführungskonzepte, Anflugrouten/ -verfahren) wurden spezifische Anforderungsprofile für Piloten und Lotsen abgeleitet. In Bild 2 ist beispielhaft eine spezifische Nutzerschnittstelle zur Führung des unbemannten Luftverkehrs dargestellt. Im vierten Arbeitspaket wurden die technischen Anforderungen an Kommunikation, Navigation und Überwachung aus europäischen/ internationalen Vorgaben für den Betrieb unbemannter Flüge abgeleitet. Die Identifikation geeigneter Technologieansätze war der Ausgangspunkt für einen Gesamtkonzeptentwurf. So wurden beispielsweise relevante Frequenzbereiche für die Luft-/ Bodenkommunikation untersucht oder auch die Anforderungen an Datenlinks für Steuerung und Kontrolle (C2, command and control) und Navigations-/ Überwachungsverfahren definiert. Für die abschließende Konzeptvalidierung und -bewertung wurde ein Validierungsplan erstellt, die Validierung von Teilsystemen und Konzeptentwürfen (z.B. Integration von Systemkomponenten) durchgeführt sowie die erzielten Ergebnisse dokumentiert und bewertet. Die menschliche Leistungsfähigkeit wurde in diesem Zusammenhang in Anlehnung an einen im Rahmen von SESAR entwickelten und angepassten HPAP (human performance assessment process) Ansatz gemessen (vgl. Biede und Pelchen-Medwed, 2017). Projektablauf Für die Integration des unbemannten Frachtverkehrs in das Luftverkehrssystem wurden drei verschiedene Einsatzszenarien ausgewählt. Zusammen decken diese Szenarien ein breites Spektrum verschiedener Integrationsfragestellungen ab. Beispielhaft ausgewählt wurden: (1) Transport von Bild 2: Nutzerschnittstelle zur Führung und Überwachung von unbemannten Frachtflugzeugen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 42 LOGISTIK Luftfracht Werksgütern zwischen zwei Fabrikstandorten (1,5 t Nutzlast, vergleichbar Cessna 208 Caravan), (2) Langstreckenfrachttransport (umgerüstete Boeing B777F) sowie (3) ein Hilfsgütertransport gekennzeichnet durch eine große Menge an Gütern, die den gleichen Transportweg haben (Formationsflug). Bild 3 gibt einen Überblick über die adressierten Integrationsaspekte. Das Szenario des Langstreckenfrachttransportes hat die größten Anforderungen an die Luftverkehrsintegration, da bemannte und unbemannte Flugzeuge sowohl im kontrollierten Luftraum gemeinsam operieren als auch die bereits heute ausgelasteten Verkehrsflughäfen nutzen. Bei der Integration an hoch frequentierten Verkehrsflughäfen sollen insbesondere durch unbemannte Frachtflugzeuge keine negativen Effekte für den konventionellen Verkehr entstehen. Hierzu wurden Lotsenunterstützungssysteme so erweitert, dass der Lotse Besonderheiten des unbemannten Luftfahrzeugs erkennen und entsprechend mit dem Piloten am Boden interagieren kann. Diese neuen Entwicklungen zur Lotsenunterstützung wurden in einer Versuchskampagne für das Szenario des Langstreckenfrachttransportes, an der auch Fluglotsen der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beteiligt waren, mit großem Erfolg im Validierungszentrum Luftverkehr des Instituts für Flugführung validiert. Auch die Weiterentwicklungen der Bodenkontrollstation konnten im Rahmen dieser Versuche getestet werden. Die durch die Versuche gewonnenen Erfahrungen haben dazu beigetragen, die Unterstützung für den Piloten am Boden weiter voranzutreiben. Die möglichen Betriebsverfahren unbemannter Frachtflugzeuge hängen von den Gegebenheiten am Flughafen ab. So könnten bemannte oder unbemannte Schleppfahrzeuge zum Einsatz kommen, aber ebenso sind eine Fernsteuerung durch spezielle Piloten oder auch autonomes Rollen denkbar. Im Projekt UFO wurden die verschiedenen Möglichkeiten und Randbedingungen analysiert und verschiedene Konzepte ausgearbeitet. In der Demonstration im Leitstand des Validierungszentrums Luftverkehr wurde ein Verfahren realisiert, bei dem die Übergabe des Luftfahrzeugs von der Bodenkontrollstation an den Schlepperfahrer an einem definierten Übergabepunkt nach Verlassen der Landebahn stattfindet. Nach der Ent- und Beladung sowie einem erneuten Schleppen zurück zur Startbahn übernimmt der Pilot das unbemannte Flugzeug unmittelbar vor dem Startvorgang (siehe Bild 4). Zusammenfassung und Ausblick Das DLR-Projekt UFO (unmanned freight operations) hat gezeigt, dass die Integration des unbemannten Frachttransports in das Luftverkehrssystem bereits heute technisch und organisatorisch möglich ist. Die fünf beteiligten DLR-Institute haben fachlich spezifische Lösungsbeiträge konzipiert und demonstriert, um eine in absehbarer Zukunft umsetzbare Integration zu realisieren. Die im Projekt erzielten Ergebnisse sowie die Bandbreite und vielfältigen Aspekte der Integration des unbemannten Luftfrachtverkehrs wurden im ‚Symposium Unbemannter Frachter‘ im Oktober 2017 vor einem Fachpublikum präsentiert. Die Vielzahl entwickelter Lösungsansätze wird dazu beitragen, die noch offenen technischen, organisatorischen und betrieblichen Fragestellungen zu klären. Das Anfang 2018 gestartete DLR-Projekt CityATM setzt die Forschungsarbeiten im Bereich des unbemannten Luftverkehrs fort und fokussiert auf die Entwicklung eines zukünftigen Luftraum-Managementsystems für unbemannte und bemannte Luftraumteilnehmer, insbesondere für Flüge in urbanen Gebieten (Geister und Korn, 2017). ■ LITERATUR Biede, Sonja; Pelchen-Medwed, Renee (2017): Effectiveness of the application of the Human Performance Assessment Process in SESAR 1, 12th USA/ Europe ATM Seminar, Seattle Geister, Dagi; Korn, Bernd (2017): Concept for Urban Airspace Integration, DLR Blueprint Eurocontrol (2001): ESARR 4 - Risk assessment and mitigation in ATM European RPAS Steering Group (2013): Roadmap for the integration of civil Remotely-Piloted Aircraft Systems into the European Aviation System UBS (2017) Flying solo - how far are we down the path towards pilotless planes? , Q-Series August 2017 Annette Temme, Dr.-Ing. Projektleiterin UFO, Abteilung Luftverkehrssysteme, Institut für Flugführung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig annette.temme@dlr.de Dirk Kügler, Prof. Dr.-Ing. Direktor Institut für Flugführung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig dirk.kuegler@dlr.de Michael Schultz, Dr.-Ing. Leiter der Abteilung Luftverkehrssysteme, Institut für Flugführung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig michael.schultz@dlr.de Bild 3: Wesentliche Aspekte der Integration unbemannter Frachtflugzeuge in das Luftverkehrssystem Bild 4: Integration und Validierung unbemannter Frachtflugzeuge am Verkehrsflughafen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 43 Binnenschifffahrt LOGISTIK Schifffahrt auf kleinen Gewässern in Großbritannien als Vorbild für Deutschland? Wasserwege, Kanäle, urbane Versorgung, Wirtschaftlichkeit In einigen europäischen Nachbarländern herrschen weitaus schlechtere Voraussetzungen für die Binnenschifffahrt als in Deutschland. Die wenigsten Länder verfügen über eine so effiziente Wasserstraßen wie beispielsweise den Rhein. Dennoch forcieren nicht wenige die Verlagerung von Transporten von der Straße auf das Binnenschiff. Anja Scholten, Benno Rothstein I nsbesondere beim innerstädtischen Transport, der mehr und mehr durch Staus behindert wird, gibt es in einigen europäischen Ländern Ansätze, diesen vermehrt mit Binnenschiffen durchzuführen. Dies beinhaltet sowohl den Transport von Baumaterialien als auch die Belieferung von Supermärkten und den Abtransport von Abfall bzw. Recyclingmaterialien [1]. In der Folge stellt sich die Frage, ob die Ansätze, die dort gewählt werden, um trotz schlechterer Ausgangsbedingungen einen wirtschaftlichen Binnenschiffstransport zu generieren, nicht als Vorbild dienen können, die Binnenschifffahrt auf deutschen Wasserstraßen an potentiell häufigere und intensivere Niedrigwasserereignisse anzupassen bzw. die Binnenschifffahrt auf deutschen Gewässern mit geringerer Transportgunst als dem Rhein wieder zu beleben. Als Beispiel soll hier die Binnenschifffahrt auf den Wasserstraßen Großbritanniens herangezogen werden. Neben Küstenmotorschiffen und kleineren Seeschiffen, die durch die Ästuare auch ein Stück weit ins Landesinnere fahren können, gibt es auch in Großbritannien eine reine Binnenschifffahrt [2]. Dabei handelt es sich zumeist um Transporte zwischen britischen Seehäfen und Binnenhäfen. Der Verkehr zwischen ausländischen Seehäfen und britischen Binnenhäfen stellt jedoch einen höheren Anteil der Binnenschifffahrt auf britischen Gewässern dar als der reine Inlandstransport. Bei diesen beiden Transportarten hat flüssiges Massengut den größten Anteil (38 %), gefolgt von trockenem Massengut, das rund ein Drittel der Transportmenge ausmacht. Landesgrenzen überschreitend (also mit Küstenmotorschiffen) werden vor allem Container und Rohöl sowie Mineralölprodukte transportiert [2]. Im reinen Binnenverkehr hingegen stellen Steine, Erden und Baustoffe den größten Anteil, gefolgt von Haushaltsabfällen. Letzteres ist vor allem zur Abfallbeseitigung in London üblich. Anders als in Deutschland werden in Großbritannien vor allem kurze Transporte mit maximal 10 km Länge per Binnenschiff vorgenommen (37 % der Transporte werden über diese Distanz durchgeführt, in erster Linie Steine und Erden). Die durchschnittliche Transportentfernung liegt bei 41 km. Müll wird dabei im Mittel 56 km überdurchschnittlich weit transportiert, Flüssigkeiten hingegen nur etwa 22 km [2]. Ähnlich wie in Deutschland stellt auch in Großbritannien die zunehmende Größe der Schiffe ein Hauptproblem bei der Nutzung der Flüsse und Kanäle dar. Auf vielen kleineren Flüssen und Kanälen ging die Transportmenge deshalb deutlich zurück oder die Transporte wurden sogar ganz eingestellt. Seit einigen Jahren gibt es aber Bestrebungen, diese wieder verstärkt zu nutzen [2]. So sollen beispielsweise auf dem Fluss Mersey und dem Manchester Ship Kanal in den nächsten Jahren 300 000 TEU transportiert werden, da diese das entstehende Tiefsee- Containerterminal mit einem Binnen-Containerterminal bei Manchester verbinden. Infolge der sehr viel kleineren Flüsse und Kanäle in Großbritannien (im Vergleich zu Deutschland) hat das durchschnittliche Binnenschiff dort nur eine Tonnage von etwa 252 t. Dabei bildet London zwar einen Schwerpunkt für die Binnenschifffahrt, die dort eingesetzten Schiffe sind aber im Schnitt kleiner als solche in anderen Wasserstraßengebieten. Vor allem die Schlepp- und Schubschifffahrt spielt hierbei eine große Rolle [2]. Für Unternehmen, die diese Transportart wählen, lohnt sich der Transport per Binnenschiff trotz der geringen Distanzen und Mengen je Binnenschiff dennoch ökologisch und/ oder ökonomisch. Gerade bei der Bauindustrie, also dem Transport von Steinen, Erden und Baustoffen, wird das Binnenschiff auch als schwimmendes Lager verwendet, da die Kapazitäten für Lager vor Ort vor allem in Ballungsgebieten sehr begrenzt sind. Zudem sind, aufgrund der nicht auftretenden Verkehrsstaus, die Transporte auf der Wasserstraße besser planbar und verlässlicher als die auf der Straße. Dementsprechend ergibt sich - infolge der hohen Verkehrsdichte auf den Straßen verbunden mit Staus, Verspätungen und steigenden Kosten - ein großes Wachstumspotential für die Binnenschifffahrt in Großbritannien-[2]. In der Folge werden einige Beispiele für eine effiziente und ökonomische Binnenschifffahrt auf kleinen Flüssen und Kanälen mit kleinen Schiffen aufgeführt. Transport von Abfall Dies geschieht momentan vor allem auf der Themse, auf der im Schnitt 2500 t täglich aus London zu Müllhalden in Essex transportiert werden. Aufgrund der großen Mengen und des geringen Wertes eignet sich dieses Gut besonders für den Transport per Binnenschiff [3]. Die Kapazitäten werden weiter ausgebaut, um etwa 700 000 t pro Jahr transportieren zu können und so 100 000 LKW-Fahrten einzusparen [4]. Transport von Überseewein für die Supermarktkette Tesco Dieser wird nun dreimal wöchentlich auf dem Manchester Ship Canal und dem Fluss Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 44 LOGISTIK Binnenschifffahrt Mersey vom Seehafen Liverpool flussaufwärts transportiert - bis zu 160 20-Fuß- Container je Schiff. Als Gründe für die Verkehrsverlagerung von der Straße auf das Wasser werden hier eine Verminderung der CO 2 -Emissionen um 80 %, die Reduzierung von Straßenschäden durch LKW und die Verhinderung von Staus angegeben. Die Hauptverbindungsstraße zwischen Liverpool und Manchester verläuft über den größten Teil der Strecke parallel zum Mersey und dem Kanal. Die Verpackungs- und Verteilungsstation von Tesco liegt nur etwa 50 m vom Kanal entfernt. Um den Transport (noch) wirtschaftlicher zu gestalten, nehmen die Schiffe auf dem Rückweg sowohl Leercontainer als auch Exportgüter mit [5, 6]. Vorerst wurden drei Fahrten pro Woche durchgeführt, mit denen insgesamt 600 000 l Wein transportiert werden, 2007 wurden so 50 LKW-Fahrten pro Woche kompensiert. In Zukunft sollen bis zu 3500 LKW-Fahrten pro Jahr durch Binnenschifftransporte ersetzt werden [4]. Weitere Projekte für den Transport auf dem Wasser statt auf der Straße sind angedacht [5]. Transport von Sand und Kies für den Baustoffhersteller CEMEX Seit März 2005 werden jährlich 200 000 t Sand und Kies auf dem Fluss Severn für das Unternehmen von der Kiesgrube etwa 3 km nördlich mit Spezialschiffen mit einer Tragfähigkeit von 180 t zur Weiterverarbeitung ins Werk transportiert, um dort gewaschen und sortiert zu werden [7]. Dafür sind täglich vier bis sieben Fahrten notwendig. In Zukunft sollen im Anschluss hieran 65 000 t sortierte und gesäuberte Materialien zur Weiterverarbeitung ins Betonwerk der Firma südlich von Glouchester gebracht werden - ebenfalls per Binnenschiff. Gründe für die vorgenommene und angestrebte Verkehrsverlagerung sind neben ökonomischen auch ökologische Gründe. Hinzu kommt die Vermeidung von (weiteren) Staus, Lärm und Erschütterung sowie die Verschmutzung der genutzten Straßen durch Baulaster. Zudem verbrauchen die Schiffe für die gleiche Transportmenge nur halb so viel Treibstoff wie beim LKW-Transport [7]. Transport von Projektladungen (z.B.-schwere und/ oder sperrige Teile) auf dem Fluss Trent Hierzu gehören beispielsweise ein 135 t schwerer Transformator aus einem ehemaligen Kraftwerk in Staythorpe in den Hafen in Goole und zwei je 280 t schwere Verstärker für das nationale Leitungsnetz [8]. Dies zeigt die trotz der Einschränkungen durch historische Brücken etc. vorhandenen Leistungskapazitäten dieses Wasserwegs (siehe Bild 1 und Bild 2). Transport von Projektladungen auf weiteren Flüssen mithilfe eines Pontons Auf diese Art und Weise kann ein Großteil der 1500 auf der Straße transportierten Projektladungen auf Flüssen oder entlang der Küste transportiert werden, statt als überlanger und überbreiter Transport mit einer Geschwindigkeit zwischen fünf und zwölf Meilen pro Stunde (etwa 8 bis 20 km/ h) die Straßen zu blockieren. [10] Transport von Sand und Schotter auf dem Grand Union Kanal in West London Hierbei werden jährlich 60 000 t Sand und Schotter von einer Kiesgrube zu einem Betonwerk befördert und dabei die überfüllten Straßen Londons umgangen. Vier Schiffe fahren hierzu einbis zweimal täglich mit einer Ladung von 70 t etwa fünf Meilen (etwa 7 bis 8 km) pro Strecke und vermeiden so jährlich 6000 LKW Fahrten. Die Schiffe haben hierbei einen maximalen Tiefgang von vier-Fuß drei Inches, also weniger als 1,50 m. Obwohl Sand und Schotter die letzten Meter per LKW transportiert werden müssen, lohnt sich der Schiffstransport auch finanziell und soll wenn möglich auch auf weitere Werke, die derzeit unter anderem noch per Bahn beliefert werden, ausgedehnt werden-[11.] Transport von Kohle und Diesel auf-kleinen Kanälen in England und Wales Sowohl einige Anwesen entlang der Kanäle als auch Hausboote sind auf Festbrennstoffe und Diesel zum Heizen und Kochen angewiesen (Bild 3). Dabei können Ladungen von bis zu 20 t dieser Materialien mitgenommen werden, ebenso übergroße oder unhandliche Haushaltsgegenstände. Zusätzlich werden auch Baumaterialien auf diesen kleinen Binnenschiffen verfrachtet, was sich vor allem bei begrenzter Erreichbarkeit über Straßen als hilfreich erweis [12]. Transport von Schutt, vor allem von Baustellen am Wasser Auf diese Weise kann der Schutt nicht nur kontinuierlich abtransportiert werden, statt auf die zurückkommenden LKW warten zu müssen. Auch ist mehr Platz auf den Baustellen vorhanden, der nicht für die Zufahrt freigehalten oder durch wartende Fahrzeuge blockiert wurde. Auf diese Weise wurden die Abläufe beschleunigt und effizienter [13]. Transport von Baumaterialien auf dem Wasserweg Hierfür haben sogar extra zwei neue Baustoffhandlungen in London am Wasser eröffnet. Dabei werden Ladungsmengen von 60 bis 70 t je Boot verschifft. So ist unter anderem aufgrund der schlechten Erreichbarkeit einiger Baustellen per Straße dieser Transport in London sowohl effizient als auch kostengünstig. Zudem sind, anders als Bild 1: Aufnahme einer 160 t schweren Ladung in Staythorpe Bildquelle: [9] Bild 2: Binnenschiff auf dem Fluss Trent in Newark Bildquelle: [9] Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 45 Binnenschifffahrt LOGISTIK beim Straßentransport, die Transporte verlässlich und kommen zur vereinbarten Zeit an, statt durch Staus verlangsamt zu werden-[14]. Transport von Baumaterialien und Schutt in London Dies im Rahmen der Neu- und Umbauten für die Olympischen Spiele in London 2012, die zum Teil auch per Binnenschiff durchgeführt wurden. In den nächsten Jahren sollen die hierdurch „wiederentdeckten“ Teile des Kanalnetzes in London weiter aus- und umgebaut werden und sowohl der Naherholung als auch dem Transport dienen-[15]. Die hier genannten Beispiele für kosteneffiziente Transporte, insbesondere die letzten vier, mögen kleinräumige Ausnahmen sein, die nur aufgrund der lokalen Begebenheiten (enge Bebauung, schlechte Straßen etc.) wirtschaftlich sind. Sie zeigen aber, dass auch kleinste Schiffe und kurze Transportentfernungen, also Transporte, die in Deutschland traditionell in erster Linie von LKW übernommen werden, wirtschaftlich per Binnenschiff durchgeführt werden könnten. Transporte dieser Art nehmen auch in anderen Regionen Europas zu. So hat sich beispielsweise die Firma Baxter - Hersteller von Infusionsbeuteln und weiterem medizinischem Material in Lessen/ Belgien - für den Binnenschiff- und gegen den LKW- Transport entschieden. Dabei werden Container aus den Seehäfen Rotterdam oder Antwerpen per Binnenschiff bis 35 km vor die Werkstore transportiert, wo sie im Containerhafen Avelgern auf LKW umgeladen werden. Grund hierfür ist vor allem die höhere Verlässlichkeit der Transporte. Seit 2007 wird nicht nur der Import, sondern auch der Export auf diesem Weg durchgeführt [16]. In Utrecht wird beispielsweise das so genannte „beer boat“, ein Schiff mit Elektromotor, eingesetzt, um die am Kanal liegenden Restaurants und Gaststätten zu beliefern [1, 17]. Aufgrund des großen Erfolgs des Projekts hat die Stadt Utrecht ein weiteres, größeres Boot gekauft, um hiermit unter anderem auch zur Müllentsorgung beizutragen [1]. In Amsterdam werden sogar Päckchen per Schiff und auf den letzten Metern per Fahrrad ausgeliefert [1]. Dies bedeutet zum einen, dass die Binnenschifffahrt vor allem in Regionen mit unzureichenden Straßen - ob nun aufgrund der Qualität (z. B. schlechte Erreichbarkeit) oder der Quantität (Staus) - wirtschaftlich sinnvoll ist. Zum anderen bedeutet es aber auch, dass die Binnenschifffahrt, anders als häufig propagiert, auch abseits großer Mengen, wie sie auf dem Rhein transportiert werden, und mit Tiefgängen weit unter 1,50 m wirtschaftlich sein kann. Gleiches gilt auch für Transporte über kurze Strecken. Während einige der hier genannten Projekte zuerst von den lokalen Behörden angestoßen oder unterstützt wurden, haben sie sich inzwischen als wirtschaftlich sinnvoll herausgestellt und werden von den involvierten Firmen weiter betrieben. Ähnliche Modelle lassen sich prinzipiell auch auf deutschen Gewässern und in deutschen Großstädten abseits des Rheins durchführen. ■ LITERATUR  [1] Janjevic & Ndiaye (2014): Inland waterways transport for city logistics: a review of experiences and the role of local public authorities, WIT Transactions on The Built Environment, Vol 138, https: / / www. witpress.com/ Secure/ elibrary/ papers/ UT14/ UT14024FU1.pdf, letzter Zugriff: 10.06.17  [2] ZKR (2011): Europäische Binnenschifffahrt - Marktbeobachtungen 2011/ 2 - Situation von Angebot und Nachfrage zur Jahresmitte 2011 und Ausblick auf 2012, Hrsg: Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, Strasbourg  [3] AINA (2004): Planning for Freight on InlandWaterways, Transport Energy - Best Practice; Association of Inland Navigation Authorities, Departement for Transport, Departement for Environment, Food and Rural Affairs, http: / / assets.dft.gov.uk/ publications/ pgr-freightwaterfreight-pfiw/ fullguide.pdf  [4] Sea and Water (2008): A vision for UK freight trends towards 2018 and beyond; http: / / ria.org.ro/ ria/ file/ VisionForUkFreight.pdf, letzter Zugriff: 10.06.17  [5] Leatherbarrow (2007): Supermarket chain backs Liverpool - Manchester water shuttle, http: / / www.clydeport.co.uk/ index.php? site id=6&page id=653, letzter Zugriff: 10.06.17  [6] CBOA (o.J.a): Wine goes by green barge to Tesco, Commercial Boat Association, http: / / www.cboa.org.uk/ downloads/ case-study-winegoes-by-green-barge-to-tesco.pdf, letzter Zugriff: 15.10.17  [7] CBOA (o.J.b): CEMEX aggregates moved on the River Severn, Commercial Boat Association, http: / / www.cboa.org.uk/ downloads/ case-study-cemex_aggregates_river_severn.pdf, letzter Zugriff: 15.10.17  [8] CBOA (o.J.c): The Inland Navigator demonstrates the River Trent’s freight carrying potential, Commercial Boat Association, http: / / www.cboa.org.uk/ downloads/ case-study-river_trent_abnormal_ land.pdf, letzter Zugriff: 15.10.17  [9] CBOA (Commercial Boat Association): http: / / www.cboa.org.uk/ photo-album.html, letzter Zugriff: 10.06.17 [10] CBOA (o.J.d): Record breaking voyage on the River Trent, Commercial Boat Association, http: / / www.cboa.org.uk/ downloads/ casestudy-record_breaking_river_trent.pdf, letzter Zugriff: 15.10.17 [11] CBOA (o.J.): 450 000 tonnes of gravel traffic on the Grand Union Canal, West London, Commercial Boat Association, http: / / www. cboa.org.uk/ downloads/ case-study-denham-aggregates.pdf, letzter Zugriff: 15.10.17 [12] CBOA (o.J.): Coal deliveries and diesel by narrowboat, Commercial Boat Association, http: / / www.cboa.org.uk/ downloads/ case-studyhousehold_fuel_deliveries.pdf, letzter Zugriff: 15.10.17 [13] CBOA (o.J.): Construction - excavated material, Commercial Boat Association, http: / / www.cboa.org.uk/ downloads/ case-study-city_ centre_excavated_material.pdf, letzter Zugriff: 15.10.17 [14] CBOA (o.J.): Construction - aggregates, Commercial Boat Association, http: / / www.cboa.org.uk/ downloads/ case-study-denham-aggregates.pdf, letzter Zugriff: 15.10.17 [15] Canal & River Trust (2016): Olympic Legacy - Waterways Framework, https: / / canalrivertrust.org.uk/ refresh/ media/ thumbnail/ 25827-queen-elizabeth-olympic-park.pdf, letzter Zugriff: 10.06.17 [16] Binnenvaart (2008): Binnenvaart voor snelheit, volume en efficientie, http: / / www.binnenvaart.be/ en/ downloads/ documents/ binnenvaart-snelheid.pdf, letzter Zugriff: 10.06.17 [17] PTEG (2015): Urban Transport Group. Delivering the future, http: / / www.urbantransportgroup.org/ system/ files/ general-docs/ Delivering%20the%20future%20FINAL%20020315.pdf, letzter Zugriff: 10.06.17 Anja Scholten, Dr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Hochschule Konstanz HTWG anja.scholten@gmx.de Benno Rothstein, Prof. Dr. habil. Professur Geowissenschaftliches Ressourcenmanagement, Hochschule Konstanz HTWG rothstein@htwg-konstanz.de Bild 3: Transportkähne auf einem kleineren Kanal Bildquelle: [9] Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 46 Der Löwe setzt auf Wachstum Singapurs Logistik-Megaprojekte für die Zukunft Südostasien, Hafenkapazität, Wirtschaftsleistung, Flughafenausbau Der Stadtstaat Singapur macht sich auf, anstehende Herausforderungen in der Zukunft schon jetzt zu lösen. Im Logistikbereich gehören dazu auch Umsiedelung und Zusammenlegung fast aller Terminals ins südwestliche Tuas sowie der weitere Ausbau von Changi. Wie Hongkong will auch Singapur hochwertiges verabeitendes Gewerbe sowie Forschung und Entwicklung in den Stadtstaat ziehen. Dirk Ruppik S ingapur will sich in einen globalen Logistik-Hub verwandeln. Gemäß dem Masterplan von 2013 plant die ostasiatische Finanz- und Schifffahrtsmetropole die Kapazität des bereits geschäftigsten Flughafens Südostasiens Changi zu verdoppeln. Changi wird nach Auskunft des Transportministeriums eine dritte bereits existierende Startbahn vom Militär übernehmen. Der Auftrag für den Ausbau der dritten Start- und Landebahn wurde bereits an ein Konsortium aus Samsung C&T Corporation und dem Singapurer Bauunternehmen Koh Brothers Ende 2015 vergeben. Weiterhin soll der weltweit zweitgeschäftigste Seehafen nach Containervolumen ab 2027 komplett in den westlich gelegenen Industriebezirk Tuas verlagert werden. Dadurch kann in Tanjong Pagar nahe dem zentralen Geschäftsbezirk eine neue Waterfront City gebaut werden. Die Kapazität des Hafens wird dann gemäß des früheren Transportministers Lui Tuck Yew von 30,62 Mio. TEU (20-Fuß-Standardcontainer) in 2015 auf 65 Mio. TEU verdoppelt werden. Durch den Infrastrukturausbau soll der Stadtstaat der wichtigste Hub in Südostasien bleiben. Durch die globale Konjunkturschwäche hat sich auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Löwenstadt abgeschwächt. In 2015 lag es bei 2,3 %, fiel 2016 laut Weltbank auf 1,8 %, und die Prognose für 2017 erreicht 2,2 %. Generell besitzt Singapur eine exzellente Infrastruktur (Logistics Performance Index 2016 der Weltbank auf Platz 5), eine leistungsfähige und korruptionsfreie Verwaltung sowie ein striktes Freihandelsregime mit zahlreichen Freihandelsabkommen. Ein mit der EU verhandeltes Abkommen wartet derzeit auf die Zustimmung der nationalen Parlamente. Zu den Nachteilen im Stadtstaat gehören die Landknappheit, die fehlenden eigenen Rohstoffvorkommen und damit eine starke Abhängigkeit vom Markt, die Angewiesenheit auf ausländische Arbeitskräfte sowie die starke Konkurrenz mit den benachbarten Schwellenländern. Der Dienstleistungssektor nimmt eine enorm starke Stellung ein und erreicht eine Wirtschaftsleistung von zwei Dritteln des BIP. Dazu gehören u. a. Handel, Finanzbereich, Tourismus sowie Logistikdienstleistungen. Im verarbeitenden Bereich fokussiert man auf höherwertige Produkte. Neuer Hafen und Waterfront City Das Pasir Panjang Terminal (PPT) wurde trotz des für 2027 geplanten Umzugs der bisher bestehenden fünf Terminals (Tanjong Pagar, Keppel, Brani, Pasir Panjang Terminal 1 und 2) nach Tuas bis Ende 2017 noch aus- Stadtansicht von Singapur 2009 Quelle: Wikimedia LOGISTIK Singapur Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 47 Singapur LOGISTIK gebaut. Der Bau von Phase 3 und 4 erweitert die Containerhandling-Kapazität um 50 % auf 50 Mio. TEU. Bei vollständiger Inbetriebnahme werden 15 neue Liegeplätze auf 6000 m Kailänge zur Verfügung stehen. Mit bis zu 18 m Wassertiefe können auch Megacontainerschiffe abgefertigt werden. Der Betreiber PSA Singapore Terminals investiert in den Ausbau 3,5 Mrd. Singapur Dollar (SGD), rund 2,3 Mrd. EUR. Die Automatisierung des Terminals spielt eine bedeutende Rolle: Sie umfasst einen automatisierten Containerhof und unbemannte Brückenkrane, die durch entsprechende intelligente Systeme gesteuert werden. Dadurch soll insbesondere die Be- und Entladung von Containerschiffen mit mehr als 10 000-TEU effizienter gestaltet werden. Der erste Teil der neuen Pasir Panjang Terminals ist seit 23. Juni 2015 in Betrieb. Der geplante Umzug der Terminals (inkl. PP 1 u. 2) wird für die neue Waterfront City - die zudem auf 1000 ha vom Meer gewonnenem Land von Shenton Way to Pasir Panjang gebaut wird - bis zu 600 ha Land freimachen. In zehn Jahren werden die ersten Terminals in Tuas in Betrieb gehen, die Stadtterminals ziehen ab 2027 um. Dadurch entfällt der Transport zwischen den einzelnen Terminals, und sowohl Produktivität als auch Größeneffekte werden gesteigert. Laut der Londoner Agentur Drewry könnte Singapur in Sachen Kapazität zum weltweit größten Hafenstandort avancieren. Gigantischer Ausbau des Flughafens Changi Der Flughafen Changi mit derzeit 66 Mio. Passagieren (Pax) Kapazität wird diese durch mehrere Projekte bis 2025 auf 135 Mio. Pax pro Jahr mehr als verdoppeln. Nach Terminal 4 mit einer zusätzlichen Kapazität von jährlich 16 Mio. Pax ist die Eröffnung von Terminal 5 für zusätzlich 50 Mio. Pax jährlicher Kapazität für 2025 geplant. Laut Airports Council International erreichte Changi in 2016 mit 58,7 Mio. Pax weltweit Platz 17 beim Flughafenranking. Bis 2020 soll zudem eine dritte Start- und Landebahn auf der südöstlichen Seite des Flughafens vom Militär übernommen und von 2,75 km auf 4 km verlängert werden. Schon 2019 soll zwischen den Terminals 1, 2 und 3 eine neue Vielzweckhalle mit Geschäften, Hotels, einem Parkhaus und Gärten auf 134 000 m 2 eröffnet werden. Weiterhin ist eine Industriezone im Nordosten des noch zu bauenden Terminals 5 geplant, die laut Flughafenverwaltung das langfristige Wachstum der Logistik- und Luftfahrtindustrie sichern soll. Logistik-Cluster im Zeichen des-Löwen Die Löwenstadt plant für die Zukunft und strukturiert sich um, denn in 2030 werden hier 6,5 bis 6,9 Mio. Bürger Platz finden müssen. Nicht nur die Umlagerung des kompletten Hafens, die Ausweisung von neuen Wohn- und Entwicklungsgebieten sowie die neue Waterfront City sind wegweisend, sondern auch der Umbau der Industrie. Der Stadtstaat ist bereits ein Dienstleistungszentrum. Dieser Bereich wird weiter ausgebaut werden, wobei die herstellende Industrie nicht ganz verschwinden soll. Arbeitsintensive Industrien werden in die benachbarten Länder Malaysia und Indonesien umgesiedelt, wobei der Firmenhauptsitz weiterhin in Singapur bleiben soll. Hightech- und wissensbasierte Produkte aus der Präzisions- und Medizintechnik, Pharma- und Biotechnologie, Luftfahrttechnik sowie Elektronik und IT-Technologie sollen vermehrt im Stadtstadt gefertigt werden. Es ist geplant, zudem die Forschung und Entwicklung vermehrt zu fördern. Singapur hat sich in den letzten Jahren in ein Logistik-Cluster mit vielen internationalen Logistikunternehmen entwickelt. Trotz der hohen Geschäftskosten entscheiden sich mehr und mehr (Logistik-)Unternehmen aufgrund der strategischen Lage, der sehr guten Infrastruktur sowie der effizienten Zoll- und rechtlichen Prozesse für den südostasiatischen Stadtstaat. Der bevorstehende Umzug in das neue Hafenviertel in Tuas zieht bereits internationale Logistikunternehmen an. So plant das australische Logistikunternehmen Toll ein automatisiertes Logistikzentrum mit 100 000 m 2 Fläche im Wert von 228 Mio. SGD (148 Mio. EUR), das Mitte 2017 fertiggestellt werden soll. Expressdienstleister DHL eröffnete sein neues Südostasien-Hub mit 23 600 m 2 innerhalb der Freihandelszone am Flughafen Changi für 85 Mio. EUR Ende Oktober 2016. Es kann 628 t Fracht pro Tag und 14000 Versendungen pro Stunde handeln. Das Unternehmen unterhält mehrere Hubs für die Asien-Pazifik-Region in Schanghai, Hongkong, Bangkok und Singapur. ■ WEITERE INFORMATIONEN Transportministerium Singapur: http: / / www.mot.gov.sg Flughafen Changi: http: / / www.changiairport.com Ministry for National Development Singapore: http: / / app.mnd.gov.sg/ Hafenbetreiber PSA Singapur: www.singaporepsa.com Urban Redevelopment Authority Singapore: www.ura.gov.sg Gesamtkarte des Stadtstaates Singapur Quelle: weltkarte.com Singapore Changi Airport Quelle: R.Aehnelt/ Wikimedia Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 48 LOGISTIK Wissenschaft Disposition mit Zeitfenstervorgaben Assistenzsysteme und Entlastungspotenziale für-den Spediteur Zeitfenstermanagement, Dispositionssoftware, Assistenzsysteme, Straßengüterverkehr Teilentscheidungen im Dispositionsprozess mit Zeitfenstervorgaben werden literaturbasiert und durch eine Prozessaufnahme identifiziert und in einem Fokusgruppeninterview validiert. 40 Softwarelösungen zur Tourenplanung und -optimierung werden anhand ihres Webauftritts auf Möglichkeiten zur Unterstützung bei diesen Teilentscheidungen untersucht. Deutlich wird, dass gebuchte Zeitfenster vielfach berücksichtigt werden, einer Vollintegration von Zeitfensterbuchungen in Softwarelösungen jedoch noch Schnittstellenprobleme und Probleme bei der Datenqualität als Barrieren entgegenwirken. Ralf Elbert, Anne Friedrich, Dominik Thiel I n Anbetracht des steigenden Transportaufkommens werden aktuelle Herausforderungen von Unternehmen der Transportbranche, wie der wachsende Fachkräftemangel beim Beruf des Kraftfahrzeugfahrers [1], Kapazitätsengpässe der Straßen- und Schieneninfrastruktur [2] sowie die Verschärfung von Problemen an der Laderampe [3], vielfach diskutiert. Im Zentrum stehen häufig operative Probleme, die bei der Durchführung der Transporte und der Anlieferung bzw. Abholung auftreten und unmittelbar den Kraftfahrzeugfahrer betreffen. Es zeigt sich jedoch, dass neben Berufskraftfahrern auch Disponenten von den aktuellen Herausforderungen betroffen sind und sich Handlungsbedarf zur Unterstützung sowie zur Vorbeugung eines Fachkräftemangels abzeichnet [4]. Zunahme der Komplexität durch Zeitfensterrestriktionen Die speditionelle Auftragsdisposition bezeichnet die operative Entscheidung über die kurzfristige Einplanung von Transportaufträgen auf betriebseigene Fahrzeuge oder selbstständige Frachtführer [5]. Die Einplanung nimmt der Disponent in der Regel mit der Zielsetzung der Planung von kostenminimalen Touren, realisiert durch eine Minimierung der Gesamtstreckenlänge, vor. Insgesamt ist die Planungsaufgabe als unsicherheitsbehaftete, komplexe und multikriterielle Entscheidung einzuordnen, die es unter Zeit- und Kostendruck sowie unter Einbeziehung von verschiedenen Softwarelösungen und Systemen zu treffen gilt [6]. Neben der Festlegung der eigentlichen Tour sind weitere abhängige Teilentscheidungen, beispielsweise zum Selbsteintritt oder Fremdeintritt, zu treffen, welche durch abweichende Zielkriterien das Ergebnis der Tourenplanung beeinflussen können [7]. Unsicherheiten verursachen neben verkehrs- und witterungsbedingten Störgrößen auch technische, organisatorische und personelle Engpässe [8]. Vielfältige, anwendungsfallspezifische Restriktionen schränken die Anzahl der Alternativen ein und führen zu einer vergleichsweise hohen Planungskomplexität [9]. Die Restriktionen können das Transportgut bzw. den Transportauftrag hinsichtlich spezifischer Produkteigenschaften, Vorschriften zur Transportsicherheit oder auch die Kombinierbarkeit von Aufträgen betreffen [10]. Darüber hinaus begrenzen die Kapazitäten des Speditionsunternehmens in Form von Fuhrpark- und Personalrestriktionen die Tourenplanung [9]. Globale Restriktionen wirken beispielsweise durch Gesetzesvorschriften und Arbeitszeitregelungen auf das Planungsproblem ein [9]. Außerdem können bei der Tour selbst durch eine maximale Gesamtlänge und -dauer sowie durch Restriktionen bei Kunden oder an Depots räumliche und zeitliche Begrenzungen der Be- und Entladung entstehen [9]. In den letzten Jahren haben sich durch die zunehmende Implementierung von Zeitfenstermanagement- Systemen (ZMS) starre, zeitliche Restriktionen bei der Be- und Entladung durchgesetzt [11]. Industrie- und Handelsunternehmen implementieren ZMS vorrangig, um Kapazitätsproblemen an ihren Laderampen entgegenzuwirken [12]. Neben der Entzerrung der LKW-Ankünfte ist es aus ihrer Sicht vorteilhaft, dass ZMS zu einer Erhöhung der Transparenz und Planungssicherheit für eine gleichmäßige Auslastung der Rampenmitarbeiter beitragen [13]. Konträr zu dieser Effizienzsteigerung PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 15.12.2017 Endfassung: 31.01.2018 Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 49 Wissenschaft LOGISTIK zeichnet sich im Hinblick auf die Tourenplanung ab, dass der Trend zu ZMS die Dispositionsfähigkeit zunehmend beschränkt und es kaum noch ermöglicht, effiziente Touren ohne Umwege und Wartezeiten als Puffer zu planen [14]. So erhöht die Rampenproblematik maßgeblich die Arbeitsbelastung des Disponenten [15]. Eine angepasste Bereitstellung von dispositionsrelevanten Informationen und intelligente Assistenzsysteme zur Unterstützung des Disponenten sind nötig, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden [16]. Assistenzsysteme zur Unterstützung des-Disponenten Transportunternehmen sind aufgrund der steigenden Anforderungen an den Disponenten und zum Erhalt ihrer zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit zunehmend zur Nutzung von Dispositionssoftware bereit [9]. Bereits im Jahr 1996 wurde eine Studie zur Implementierung von Entscheidungsunterstützungssystemen zur computergestützten Tourenplanung durchgeführt [17]. 2007 konnte nachgewiesen werden, dass der Einsatz von Tourenplanungssoftware potenziell zu Kosteneinsparungen, verbesserten Servicezeiten und höheren LKW-Auslastungen führen kann [18]. Marktstudien aus den Jahren 2013 und 2015/ 2016 geben einen Überblick über verfügbare Softwareprodukte und zeigen auf, dass Softwarelösungen teilweise einfache bzw. mehrfache standortbezogene Zeitfenster berücksichtigen [9, 19]. Nicht ersichtlich ist in den Studien jedoch, wie die zunehmenden Zeitfensterbuchungen den Prozess der Tourenplanung beeinflussen bzw. verändern und ob die teilweise bereits vorhandene Berücksichtigung in Softwarelösungen im Dispositionsprozess eine Verbesserung bzw. Entlastung des Disponenten bewirkt. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird der Prozess der Tourenplanung mehrheitlich auf einer vergleichsweise hohen Aggregationsebene dargestellt. Teilentscheidungen zur Berücksichtigung von Zeitfensterrestriktionen werden nicht hinreichend untersucht [5]. An dieser Forschungslücke anknüpfend, besteht das Ziel dieses Beitrags in einer systematischen Aufbereitung des aktuell zunehmend relevanten Einflusses von Zeitfensterrestriktionen auf den Prozess der Tourenplanung. Dieser Zielsetzung soll durch die Beantwortung der folgenden Forschungsfragen für den exemplarischen Anwendungsfall einer zeitfenstergesteuerten Anlieferung nachgegangen werden: 1. Welche Teilentscheidungen werden im Prozess der Tourenplanung mit Zeitfensterrestriktionen getroffen? 2. Inwieweit können bestehende Softwarelösungen den Disponenten bei diesen Teilentscheidungen unterstützen? Methodisches Vorgehen Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein zweistufiger Ansatz gewählt, bestehend aus einer systematischen Recherche und der anschließenden Validierung der Ergebnisse in einem Fokusgruppeninterview. Für die erste Forschungsfrage wurde zunächst eine systematische Literaturrecherche zur Identifikation von Anhaltspunkten für eine Darstellung des Prozesses der Tourenplanung mit Zeitfensterbuchung in der wissenschaftlichen Literatur durchgeführt. Die Recherche erfolgte in den Datenbanken Science Direct, EBSCO HOST und Scopus unter Verwendung des Suchalgorithmus „(vehicle dispatch* OR route planning OR vehicle scheduling) AND (transport OR logistic* OR time slot)” und des deutschsprachigen Äquivalents für die Datenbank WISO. Zur Ergänzung der Ergebnisse der Literaturrecherche wurde mit drei Disponenten eines großen deutschen Logistikdienstleisters an zwei Tagen im Mai 2017 eine Aufnahme der Prozessschritte bei der Tourenplanung mit Zeitfensterrestriktionen durchgeführt. Die Auseinandersetzung mit der zweiten Forschungsfrage erfolgt im ersten Schritt durch eine Schlagwortsuche in der Suchmaschine Google und das Hinzuziehen der Ergebnisse der beiden bereits vorliegenden Marktstudien aus den Jahren 2013 und 2015/ 2016 [9, 19]. Mit Abwandlungen des Begriffs „Tourenplanungssoftware“ und mittels der beiden Marktstudien konnten 51 Softwareanbieter identifiziert werden. Von diesen haben 40 Softwarelösungen einen hinreichend aussagekräftigen Webauftritt, anhand dessen der Funktionsumfang untersucht werden konnte (siehe Anhang). Im zweiten Schritt fand zur Validierung der Ergebnisse ein zweistündiges, persönliches Fokusgruppeninterview mit drei Unternehmensvertretern, die in Tabelle 1 näher charakterisiert werden, statt [20]. Zum Start der Diskussion wurden der Fokusgruppe die Ergebnisse der Literaturrecherche, die ergänzende Prozessaufnahme sowie die Analyseergebnisse der 40 Softwarelösungen präsentiert. Branche Größe des Unternehmens Funktion des Fokusgruppenmitgliedes Speditionsunternehmen Kleines und mittleres Unternehmen Geschäftsführer Verladendes Unternehmen Großes Unternehmen Leiter Logistik und Versand Anbieter von Tourenplanungssoftware Großes Unternehmen Senior Consultant Logistics Tabelle 1: Mitglieder der Fokusgruppe Systematisierung der Teilentscheidungen im-Dispositionsprozess mit Zeitfensterrestriktionen Im Rahmen der Literaturrecherche konnte festgestellt werden, dass bei der Erforschung der Tourenplanung mit Zeitfenstervorgaben Publikationen im Bereich der Ablauf- und Tourenplanung dominieren [21]. Primär wird das „Traveling Salesman Problem with Time Windows“ und somit ein klassisches Reihenfolgenproblem untersucht [22]. Neben Zeitfenstern werden teilweise weitere Restriktionen wie die Begrenzung der Lenkzeiten in mathematische Modellierungen intergiert [23]. Deutlich wurde bei der Literaturrecherche, dass neben der großen Anzahl von Veröffentlichungen mit mathematischen Modellierungen detailliertere Auseinandersetzungen mit dem operativen Prozess der Tourenplanung in der wissenschaftlichen Literatur unterrepräsentiert sind. Wenige Veröffentlichungen schlüsseln aus einer Prozesssicht allgemeine Teilentscheidungen auf, wobei keine spezifische Einflussnahme durch Restriktionen untersucht wird [5]. In Bild 1 werden die Ergebnisse der Literaturrecherche zusammenfassend unter der Vo- Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 50 LOGISTIK Wissenschaft raussetzung dargestellt, dass Transportaufträge bereits als durchführbar eingestuft und nicht auf dem Spotmarkt verkauft werden [5]. In Bild 1 ist ersichtlich, dass sich die Disposition in Teilentscheidungen zur Tourenplanung und zur Planung der Selbst- und Fremdeintritte aufteilt. Dies kann auch in umgekehrter Reihenfolge erfolgen, wobei dann in der Regel nur bei Selbsteintritt eine Tourenplanung durchgeführt wird [24]. Die Tourenplanung selbst teilt sich in zwei übergeordnete Teilentscheidungen auf. Zuerst sind im Rahmen eines Zuordnungsproblems die Bedarfsmengen von mehreren Kunden einer Tour zuzuweisen [8]. Hierbei ist eine Wahl bezüglich des Verkehrsträgers, des Verkehrsmittels und zur Bildung verkehrsgerechter Ladungen zu treffen [10]. Anschließend ist ein Reihenfolgenproblem zu lösen, indem unter einer bestimmten Zielsetzung und der Berücksichtigung auftretender Restriktionen eine Rundtour geplant wird. Für die Touren ist anschließend eine Entscheidung zwischen Selbsteintritt und Fremdeintritt zu treffen. Bei Selbsteintritt ist die Anzahl der eigenen Fahrzeuge und Kraftfahrzeugfahrer den Touren zuzuweisen. Erfolgt eine Fremdvergabe, so ist der Verkauf an Transportunternehmen zu koordinieren und die Bepreisung der fest disponierten Touren abzustimmen [7]. Weiterführende Erkenntnisse zur Einflussnahme der Zeitfensterrestriktion auf den Prozess der Tourenplanung liefern die Ergebnisse der Prozessaufnahme, die mit drei Disponenten eines großen Speditionsunternehmens durchgeführt wurde. Dabei wurde ein Prozessflussdiagramm zur Tourenplanung mit Zeitfenstervorgaben losgelöst von weiteren Teilentscheidungen zum Selbst- und Fremdeintritt erstellt (siehe Bild 2). Wie in Bild 2 dargestellt, wird durch Zeitfensterrestriktionen zusätzlicher Abstimmungsaufwand durch die Beteiligung weiterer Akteure erforderlich. Dieser Fall tritt ein, wenn im ZMS kein Zeitfenster zur Buchung verfügbar ist und durch eine direkte Kontaktaufnahme versucht wird, ein zusätzliches Zeitfenster freischalten zu lassen. Es setzt sich ein Koordinationsmechanismus in Gang, bei dem der Disponent zunächst Kontakt zum Lagerhausbetreiber aufnimmt. Falls dies und auch eine Kontaktaufnahme über den Verlader keinen Erfolg verschafft, ist als letztmögliche Konsequenz vom Verlader eine manuelle Verschiebung der Tour auf den nächsten Tag vorzunehmen, sodass im Extremfall eine erneute Einplanung einer Tour stattfinden muss. Bei der anschließenden Validierung des aufgenommenen Prozessflusses der Disposition im Fokusgruppeninterview wurde von den Unternehmensvertretern aufgezeigt, dass fallabhängig Interaktionen in einer anderen Reihenfolge auftreten bzw. teilweise entfallen. Beispielsweise entfällt die koordinierte Kontaktaufnahme zum Lagerhausbetreiber und Verlader häufig im Nahverkehr durch die feste Zuteilung von Zeitfenstern ohne Buchungen. Neben einer Differenzierung in Nah- und Fernverkehr kann laut der Fokusgruppe auch die Größe des Speditionsunternehmens zu unterschiedlichen Prozessausprägungen führen. So wird die Zeitfensterbuchung von kleinen und mittleren Speditionsunternehmen in der Regel schon vor der Tourenplanung vorgenommen, wodurch bereits Potenziale zur Tourenverbesserung limitiert werden. Außerdem wird die direkte Kontaktaufnahme zum Lagerhausbetreiber häufig durch Vorgaben des Verladers begrenzt bzw. unterbunden. Werden Zeitfenster verpasst, so entsteht laut der Fokusgruppe weiterer Abstimmungsaufwand zwischen den Akteuren zur Anpassung der Tour. Evaluierung der Teilentscheidungen bei-ausgewählten Softwarelösungen 40 Softwarelösungen zur Tourenplanung bzw. -optimierung wurden anhand ihres Webauftritts auf Unterstützungsmöglichkeiten bei Teilentscheidungen der Disposition, insbesondere bei der Berücksichtigung von Zeitfensterrestriktionen, untersucht. Bezug nehmend auf Bild 1 wurde daher zunächst überprüft, ob die Software neben der Tourenplanung auch die Fremdvergabe an Transporteure abbildet. Bei der Tourenplanung selbst wurde ausgewertet, ob Zeitfenstervorgaben berücksichtigt und individuelle Restriktionen hinterlegt werden können. Diese Funktionalität könnte genutzt werden, um eigenständig Zeitfenster zu definieren. Darüber hinaus wurde untersucht, ob eine Eventmanagement-Funktion zur Warnung vor drohenden Verspätungen, eine Live-Tracking Funktion und die Berücksichtigung der aktuellen Verkehrslage möglich sind. Diese Funktionalitäten könnten den Disponenten auf nicht erreichbare Transportau+räge Selbsteintri4 Tourenplanung Fremdeintri4 Zuordnungsproblem Reihenfolgenproblem Einhaltung von Restrik? onen AnlieferzeiBenster ? Ladungen Touren Festlegung der Bepreisung der Tour Zuweisung von Touren zur Fahrzeugflo4e und zu Fahrern € … … Bild 1 Bild 1: Teilentscheidungen im Dispositionsprozess Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 51 Wissenschaft LOGISTIK Zeitfenster vorbereiten und eine Umplanung erleichtern (siehe Bild 3). Insgesamt ist in Bild 3 zu beobachten, dass Softwareanbieter vermehrt Funktionalitäten anbieten, um gebuchte Zeitfenster direkt bei der Tourenplanung berücksichtigen zu können. 24 der 40 untersuchten Softwarelösungen werben mit dieser Funktion, während 34 Softwarelösungen eine Berücksichtigung von eigenen Restriktionen ermöglicht. Im Fokusgruppeninterview wurde hervorgehoben, dass sich hierbei die Funktionalität der Softwarelösungen erheblich unterscheiden kann. Das Spektrum reicht von einer reinen Hinterlegung der Öffnungszeiten, über die statische Festlegung von Zeitfenstern pro Tour bis zur Möglichkeit der dynamischen Berücksichtigung. Eine Tendenz zur Integration einer Live-Tracking Funktion sowie einer Eventmanagement- Funktion, Berücksichtigung der aktuellen Verkehrslage und Möglichkeit zur Berücksichtigung der Fremdvergabe an Transportunternehmen konnte anhand des Webauftritts und des Fokusgruppeninterviews nicht hinreichend abgeschätzt werden. Problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang, dass zu den Funktionalitäten vermehrt keine Angaben vorhanden waren. Fazit und Ausblick Aus der Literaturrecherche und der Prozessaufnahme sowie der Diskussion in der Fokusgruppe kann insgesamt der Schluss gezogen werden, dass der Prozess der Tourenplanung durch Zeitfenstervorgaben komplexer wird. So sind oftmals in Abstimmung mit weiteren Akteuren zusätzliche Teilentscheidungen zu treffen. Die Analyse der 40 Softwarelösungen verdeutlicht, dass eine Tendenz zur Unterstützung des Disponenten durch die Integration von Zeitfenstern und weiteren individuellen Restriktionen erkennbar ist. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, um den Funktionsumfang etwa in struk- Zeitfensterbuchung Disponent Lagerhausbetreiber (Anlieferstelle) Verlader (Auftraggeber) Start Setzt die Bestellnummer manuell auf den nächsten Tag Kontaktaufnahme zum Lagerhausbetreiber (Telefon) Kontaktaufnahme mit Verlader (Telefon) Zeitfenster verfügbar (mit passender Palettenanzahl)? Kontaktaufnahme mit Lagerhausbetreiber (Telefon) Ja Kann Zeitfenster freimachen? Ja Später überprüfen, ob günstigeres Zeitfenster verfügbar Ende Ja Nein Durchführung der Tourenplanung Finalisierung der Tour mit Zeitfenstern Nein Nein Auftrag auf nächsten Tag verschiebbar? Kann Zeitfenster freimachen? Nein Ja Zeitlich günstiges Zeitfenster? Nein Ja Bild 2: Prozessflussdiagramm zur Tourenplanung mit Zeitfenstervorgaben Bild 3: Auswertung ausgewählter Softwarelösungen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 52 LOGISTIK Wissenschaft turierten Telefoninterviews detaillierter zu untersuchen und um Aussagen über zukünftige Entwicklungen der Softwarelösungen treffen zu können. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung bietet die zunehmende Verfügbarkeit von Vergangenheitsdaten Potenziale zur weiterführenden Entlastung des Disponenten. Unter dem Stichwort „teilautomatisierte Disposition“ ist es vorstellbar, dass der Disponent auf der Basis von in der Vergangenheit getroffenen Dispositionsentscheidungen Vorschläge für Teilentscheidungen im Prozess der Tourenplanung mit Zeitfenstervorgaben erhält. Idealerweise könnte eine Vollintegration von ZMS in Softwarelösungen zur Tourenplanung realisiert werden. Einer solchen Zukunftsvision sprechen laut dem Fokusgruppeninterview aktuell die Heterogenität der Systeme und fehlende Strukturen zur Sicherstellung der erforderlichen Datenqualität entgegen. ■ ANHANG: ANALYSIERTE SOFTWARELÖSUNGEN Nr. Name der Software Name des Unternehmens 1 Acetos TMS-Software Acteos GmbH & Co. KG 2 AuReS light (Termingenerator) reisewitz OHG 3 Cadis Kratzer Automation AG 4 Car_O Unternehmensberatung Konrad Schneider GmbH 5 CarLo inTOUR Soloplan GmbH Software für Logistik und Planung 6 CATRIN alfaplan Management-Software und Consulting GmbH 7 COSware COS Gesellschaft für Computersysteme, Organisation und Softwareentwicklung mbH 8 DeDaS reisewitz OHG 9 DISPATCH NOW FLS GmbH 10 Flutaro Automation Flutaro UG (haftungsbeschränkt) 11 Flutaro Planning Flutaro UG (haftungsbeschränkt) 12 LFS.TMS Ehrhardt + Partner GmbH & Co. KG 13 Logistiqo Logistiqo GmbH 14 Maptrip Truck infoware GmbH 15 Modul Dispo-/ Tourenplanung C-Informationssysteme GmbH 16 MultiRoute gb consite GmbH Geomarketing Software & Beratung 17 OPHEO initions innovative IT solutions AG 18 ORTEC Routing and Dispach ORTEC GmbH 19 Paragon Integrated Fleets Paragon Software Systems plc 20 ParCon easyTrack ParCon Consulting GmbH 21 PLANTOUR PASS IT-Consulting Dipl.-Inf. G. Rienecker GmbH & Co. KG 22 PRACAR Wanko Informationslogistik GmbH 23 ProfiTour Profi.S Gesellschaft für logistische Softwareentwicklung unf Operations Research mbH 24 PROTOUR - Tourenplanung Prologos Planung und Beratung Dr. Gietz, Henneberg, Kindt OHG 25 PSItms Disposition PSI Logistics GmbH 26 PTV Smartour PTV Planung Transport Verkehr AG 27 Smartlane Smartlane GmbH 28 StreetSync RouteSolutions Inc. 29 TOPIX Tourenplanung TOPIX Business Software AG 30 TOptaaS KOCH Software Consulting GmbH 31 Toursolver Mappoint DataGis GmbH 32 Track Pilot PLT - Planung für Logistik & Transport GmbH 33 Track-POD Geros Technologijos Ltd. 34 TRAMPAS Dr. Städtler Transport Consulting GmbH & Co. KG 35 TransIT GTS Systems and Consulting GmbH 36 Via logis T.A.G. Software GmbH 37 WinSped LIS Logistische Informationssysteme AG 38 Workwave Route Manager WorkWave LLC 39 4flow Vista 4flow AG 40 4Ward COMTRiX EDV Dienstleistungen GmbH LITERATURVERZEICHNIS [1] Rode, J. (2017): Es fehlen Fahrer - und Weitsicht. In: Lebensmittel Zeitung (2017) 44, S. 2. [2] Pankratz, G. (2002): Speditionelle Transportdisposition - Modell- und Verfahrensentwicklung unter Berücksichtigung von Dynamik und Fremdvergabe. Deutscher Universitätsverlag. Wiesbaden, 2002. [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hrsg.) (2014): Handbuch. Schnittstelle Laderampe - Gute Beispiele. Berlin, 2014. [4] Frische, T.-O. (2017): Was bringt die Dispo-Zukunft? In: Deutsche Verkehrs-Zeitung (DVZ) (2017) Heft BDISP, S. 2. [5] Jurczyk, A.J. / Kopfer, H. / Krajewska, M.A. (2006): Speditionelle Auftragsdisposition eines mittelständigen Transportunternehmens. In: Internationales Verkehrswesen 6 (2006), S. 275-279. [6] Wenger, W. (2010): Multikriterielle Tourenplanung. Diss. Universität Hohenheim. GWV Fachverlage GmbH. Wiesbaden, 2010. [7] Kopfer, H. / Krajewska, M.A. (2006): Inter- und intraspeditionelle Auftragsdisposition. In: Industrie Management 3 (2006), S. 75-77. [8] Heiserich, O.-E. (2002): Logistik - Eine Praxisorientierte Einführung. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler. Wiesbaden, 2002. [9] Schipior, D. (2013): Transport- und Tourenplanung. Verfahren und Software zur Lösung komplexer Tourenplanungsprobleme. Diplomica Verlag GmbH. Hamburg, 2013. [10] Schulte, C. (2009): Logistik. Wege zur Optimierung der Supply Chain. Verlag Franz Vahlen. München, 2009. [11] Helmke, B. (2014), Transparenz ist der Schlüssel. In: Verkehrsrundschau (2014) 26, S. 36-39. [12] Kümmerlen, R. (2016): Radikalkur für die Rampe. In: Deutsche Verkehrs-Zeitung, o. Jg., o. S. [13] Loderhose, B. (2015): Tesco steuert Rampen mit Mercareon. In: Lebensmittel Zeitung (2015) 47, S. 37. [14] Cordes, M. (2015): Stimmt die Chemie noch? In: Verkehrsrundschau (2016) 32-33, S. 18-22. [15] Bollig, S. (2015): Der Disponent. In: Deutsche Verkehrs-Zeitung (DVZ) (2015) 25, o. S. [16] Frische, T.-O. (2017): Der Disponent von morgen. In: Deutsche Verkehrs-Zeitung (DVZ) (2017) Heft BDISP, S. 4. [17] Bargl, M. (1996): Akzeptanz und Effizienz computergestützter Dispositionssysteme in der Transportwirtschaft. Diss. Karlsruhe. [18] Schmidt, K. (2007): Erfolgsfaktoren in Speditionen. Diss. Universität Dortmund, 2007. [19] Ramsauer, T. / Drexl, M. / Avenhaus-Betz, J. (2015): Software zur Tourenplanung. Marktstudie 2015/ 2016. Fraunhofer Verlag. Nürnberg und Mainz, 2015. [20] Döring, N. / Bortz, J. (2016): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 5. Auflage. Springer Verlag. Berlin Heidelberg, 2016. [21] Bushuev, M.A. / Guiffrida, A.L. (2012): Optimal position of supply chain delivery window: Concepts and general conditions. In: International Journal of Production Economics 137 (2012), S. 226-134. [22] Dumas, Y. / Desrosiers, J. / Soumis, F. (1991): The pickup and delivery problem with time windows. In: European Journal of Operational Research 54 (1991), S. 7-24. [23] Kok, A. L. / Hans, E. W. / Schutten, J.M.J. / Zijm, W.H.M. (2010): A dynamic programming heuristic for vehicle routing with time-dependent travel times and required breaks. In: Flexible Services and Manufacturing Journal 22 (2010) 1-2, S. 83-108. [24] Kopfer, H. / Wieland Kopfer, H. / Stache, U. (2008): Strategien für die Auftragsdisposition in Speditionsunternehmen. In: Borfeldt, D.A. et al. (Hrsg.) (2008): Intelligent Decision Support - Intelligente Entscheidungsunterstützung. Springer Gabler. Wiesbaden, 2008. Ralf Elbert, Prof. Dr. Leiter des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt elbert@log.tu-darmstadt.de Anne Friedrich, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt a.friedrich@log.tu-darmstadt.de Dominik Thiel, M.Sc. Promotionsstudent, Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt thiel@log.tu-darmstadt.de Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 53 Standpunkt MOBILITÄT Urbane Mobilität - auf dem Weg zu Mobility on Demand Themen wie Verkehrsstaus und gesundheitsschädliche Emissionen beschäftigen die Gesellschaft vor allem in urbanen Räumen seit vielen Jahren - weitgehend erfolglos. Wie kann „Mobility as a Service“ die Lösung bringen? Ein Beitrag von Ralf Frisch, Solution Director MaaS - Mobility as a Service bei der PTV Group, Karlsruhe. D er Mobilitätsmarkt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Wir sehen uns in der Welt des Verkehrs vor allem mit drei Megatrends konfrontiert: • Digitalisierung und Vernetzung. Wir sind rund um die Uhr überall auf der Welt vernetzt. Als Endverbraucher kann ich Informationen über verschiedene Endgeräte (Smartphone, Smartwatch, Tablet, etc.) jederzeit abrufen und teilen. • Viele Unternehmen haben das Potenzial im Geschäftsfeld Mobilität erkannt und investieren enormes Kapital für eine erfolgreiche Umsetzung neuer Geschäftsmodelle. Besonders On-Demand- Services spielen hier eine große Rolle. • Die Technologie autonomer Fahrzeuge erreicht einen straßentauglichen Zustand. Auch hier ist vor allem die Vernetzung eine treibende und entscheidende Kraft. Alles wird schneller, besser, smarter - auch die Stadt. Der Begriff „Smart City“ ist längst auch in Deutschland angekommen. Für mich ist eine Stadt dann „smart“, wenn sie für neue Technologien offen ist. Das gilt vor allem für den Verkehr. Er wird in der Stadt der Zukunft eine zentrale Rolle spielen und steht gerade vor umwälzenden Veränderungen. Die neuen Megatrends schaffen die Grundlage für MaaS - Mobility as a Service. Einhergehend mit einem Paradigmenwechsel im Wertesystem der Gesellschaft ist der Weg frei für individuelle Mobilität ohne Besitz, Stichwort: Ride Sharing. Ob Bikesharing oder autonome Elektrofahrzeuge - Städte müssen ihren Bürgern ein multimodales Verkehrssystem bieten, das auf die vielfältigen Mobilitätsbedürfnisse eingeht und diese bestenfalls über eine einzige Plattform zugänglich macht. Zukunftsmusik? Nicht in meinen Augen. Es gibt bereits positive Beispiele, die erfolgreich Schule machen. Die digitale Anlaufstelle für Mobilitätsdienstleistungen in Wien - „Upstream“ - ist eine öffentliche Plattform mit dem Ziel alle digitalen Mobilitätsservices zusammenzubringen und somit für Transparenz und Vernetzung zu sorgen. Der Reisender zahlt pro Reise, ganz gleich wie viele Services involviert sind, und nicht pro Betreiber. Interessanter Fakt: Das Konzept wurde von den Wiener Stadtwerken und den Wiener Linien ins Leben gerufen und wird gemeinsam von beiden betrieben. Die Stadt Wien hat demnach früh erkannt, dass sie sich proaktiv an der Thematik beteiligen muss, um den Anschluss und die Hoheit über den Verkehr nicht zu verlieren. Dieses Angebot entspricht für mich dem Zeitgeist und ist der Inbegriff von nachhaltiger Mobilität und Verbraucherfreundlichkeit. Welche Rolle spielt da noch der öffentliche Nahverkehr? Der öffentliche Verkehr hat sich als Rückgrat städtischer Verkehrsnetze bewährt, und neue Konzepte wie Carsharing und Mitfahrangebote sollen mit diesem verknüpft werden. Mobility-as-a- Service (MaaS)-Flotten schließen die Lücke, wenn es um bedarfsorientierte Angebote geht. Die ÖPNV-Betreiber werden nicht darum herumkommen, sich zu wandeln, um zu bestehen. Wenn dies nicht schnell genug passiert, übernehmen den Job andere. Dabei ist es eine grandiose Chance für die Betreiber. Wenn sie ihre schienengebundenen Angebote clever mit On-demand-Services verknüpfen, werden sie vom Betreiber zum umfassenden Mobilitätsdienstleister und verzeichnen damit sogar mehr (begeisterte) Fahrgäste. Bleibt die Frage, ob die Gefahr besteht, dass die Anbieter neuer Mobilitätsservices den klassischen Linienverkehr kannibalisieren. Die Frage ist berechtigt. „Junge“ Unternehmen wie Uber und Lift, aber auch deutsche Start-ups wie Door2Door haben das Thema Verkehr für sich entdeckt. Das Potenzial neuer Mobilitätsformen ist nicht nur enorm, sondern es kann auch sehr rentabel werden, spätestens wenn die Fahrzeuge autonom unterwegs sind und der Fahrer eingespart werden kann. Deshalb investieren sie große Summen in ihre Geschäftsmodelle. Um nicht verdrängt zu werden, müssen etablierte Unternehmen ihre Herangehensweise aufbrechen, eine Zusammenarbeit anstreben und sich vernetzen. Nur so können ÖV-Unternehmen sicherstellen, dass sie die Mobilität von morgen mitgestalten werden. Es ist deshalb wichtig, eine klare Strategie zu entwickeln - und sie auch zu fahren. Beispielsweise kann Wildwuchs eingedämmt werden, wenn die Stadt, wie in Wien ge- Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 54 MOBILITÄT Standpunkt NACHGEFRAGT Was bringt MaaS für Kommunen? Fragen an Ralf Frisch, Solution Director MaaS - Mobility as a Service bei PTV Herr Frisch, welchen Weg sehen Sie, um künftig gerade in der Stadt wieder ein lebenswertes Umfeld zu schaffen? In den nächsten Jahren wird die Anzahl der Fahrzeuge auf unseren Straßen vermutlich weiter steigen. Das heißt: Wer den Autoverkehr in der Stadt minimieren und die Luftverschmutzung senken will, wird um das Thema MaaS nicht herum kommen. Nur durch die künftig gemeinsame Nutzung autonomer Fahrzeuge kann das Verkehrsaufkommen reduziert werden. Die private Motorisierung wird jedoch nicht über Nacht drastisch sinken. Zudem sind moderne Technologien und Anreize an den Autobesitzer erforderlich, die sicherstellen, dass sämtliche Angebote der unterschiedlichen Verkehrsträger nahtlos ineinandergreifen, ständig verfügbar sind und somit das Angebot so attraktiv machen auf ein privates Fahrzeug zu verzichten. Diese Zukunft setzt einen Wandel im Denken des Einzelnen, der Industrie und des Dienstleistungsangebots voraus. Wie wichtig sind Echtzeitdaten in dem von Ihnen gezeichneten Zukunftsszenario? Hohe Verkehrsaufkommen können nur durch vorausschauendes Handeln des Verkehrsmanagers reduziert werden. Dafür muss er nicht nur wissen, was gerade auf den Straßen passiert, sondern auch, was passieren könnte - möglichst bevor der Stau entsteht. Agieren statt reagieren. Diesen Ansatz verfolgen wir mit Echtzeitlösungen wie PTV Optima. Die modellbasierte Lösung bietet präzise Verkehrsinformationen für das gesamte Verkehrsnetz in Echtzeit und gibt zuverlässige Prognosen für die kommenden 60 Minuten. Schnell lässt sich voraussagen, wie sich beispielsweise ein gesperrter Streckenabschnitt auf andere Bezirke auswirken kann. Echtzeitdaten sind die Grundlage für zuverlässige und präzise Prognosen - selbst unerwartete Ereignisse wie beispielsweise Unfälle sind auf diese Weise analysierbar. Welchen Vorteil sehen Sie für Städte, die eng mit Technologieanbietern und Automobilherstellern zusammenarbeiten? Partnerschaften und Kooperationen mit Technologieanbietern und Automobilherstellern bilden für Städte einen Pluspunkt, wenn es um den intelligenten Verkehr der Zukunft geht. Dank ihrer engen Beziehungen zu Entscheidungsträgern auf politischer und rechtlicher Ebene verfügen Städte über umfassende Kenntnisse in Bezug auf den Betrieb öffentlicher Verkehrssysteme. Technologieunternehmen wiederum zeigen auf, wie man Daten intelligent einsetzt, um eine reibungslose Planung und Implementierung sicherzustellen. Darüber hinaus bieten sie modernste Tools, um das Mobilitäts-Ökosystem der Städte nachhaltig und effizient zu steuern und zu optimieren. So versorgen Automobilhersteller Städte nicht nur mit Elektrofahrzeugen oder Bike- und Ride-Sharing-Angeboten, sondern beraten sie auch zu sauberen Fahrzeugtechnologien. Gemeinsam mit dem öffentlichen Sektor treiben sie Innovationen voran. schehen, eine tragende Rolle übernimmt und die Rahmenbedingungen schafft, an die sich alle zu halten haben. Aufbauend auf der Erfahrung und der Marktkenntnis der letzten 40 Jahre hat PTV ein Produktportfolio entwickelt, das Stadtverwaltungen, Mobilitätsanbieter und Automobilhersteller dabei unterstützt, die Mobilität der Zukunft zu verstehen und MaaS-Konzepte erfolgreich zu implementieren. Mit dem PTV MaaS Modeller als erstem Modul einer gesamten MaaS-Strategie (MaaS Accelerator Programm) lassen sich zunächst Schritt für Schritt Betrieb und Steuerung von MaaS simulieren und optimieren um dann mit dem MaaS Dispatcher als zentralem Modul des MaaS Operators sogar in den tatsächlichen Betrieb zu gehen. Und das in jeder beliebigen Stadt der Welt. Städte können mit dieser Software untersuchen, wie sich Mobility as a Service auf die Verkehrsdichte und das Stadtbild auswirken könnten. Fakt ist, dass der Mobilitätsmarkt von neuen Technologien und Entwicklungen, aber auch bisher unbekannten Mitspielern lebt. Um ein lebenswertes Umfeld zu schaffen, sollten wir diese begrüßen und Synergien nutzen - als Verbraucher, aber auch als Unternehmen. Vor 20 Jahren wurde das Konzept des Anruf-Sammel- Taxis (AST) eingeführt - im Grunde nichts anderes als Mobility as a Service, doch mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Zugang über Smartphones heute sehr viel einfacher ist. Für mich ist in Zukunft alles ÖPNV, sprich: öffentlich, zugänglich, günstig, aber vor allem überall verfügbar! ■ Dashboard PTV MaaS Modeller für eine Beispielberechnung einer Fahrzeugflotte Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 55 Mobilitätssysteme MOBILITÄT Mobilität als soziales System Mobilitätsplanung, Systemtheorie, Krise, Systemsprung, Best Practice, kooperatives Handeln Dieser Artikel beschreibt die Struktur von Mobilitätssystemen und diskutiert Strategien zu deren Beeinflussung. Mobilitätssysteme sind soziale Systeme, die sich eigenwillig nach ihrer System internen Logik verhalten. Sie setzen planerischen Eingriffen große Widerstände entgegen. Oft sind es erst massive Krisen, die Veränderung möglich machen. Dann funktioniert das bekannte Handlungsrepertoire nicht mehr, es muss nach neuen Lösungen gesucht werden. Erfolgreiches Management entwickelt sich dann zum kooperativen Handeln aller Akteure. Klaus Füsser V erkehr wird oft als die „Ortsveränderung von Personen, Gütern und Informationen“ bezeichnet, Mobilität als die „Häufigkeit des Unterwegsseins“. Während Verkehrsplanung vorwiegend Verkehrsmittel und Verkehrsanlagen betrachtet, legt Mobilitätsplanung ein besonderes Augenmerk auf die Beeinflussung von Verkehrsteilnehmern. Verkehrsplanung orientiert sich in ihren Theorien eher an technischen Systemen, Mobilitätsplanung an sozialen. Verkehrsplanung betrachtet beispielsweise Kraftfahrzeuge, die von rational handelnden und berechenbaren Maschinenführern gelenkt werden oder Planungsprozesse, die wie ein technischer Regelkreis funktionieren. Technische und soziale Systeme Jede Planerin und jeder Planer erfährt allerdings, dass oft nicht die „beste“ technische Ingenieurslösung zum Zuge kommt, sondern das, was Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aushandeln. Die Mobilitätsplanung benötigt daher ein neues theoretisches Basismodell zur Beschreibung von Mobilität und zur Entwicklung von wirksamen Eingriffsmöglichkeiten. Dazu können wir auf die Theorie sozialer Systeme von Niklas Luhmann (vgl. Luhmann, Rosa 173-215) zurückgreifen. Luhmann beschreibt die moderne Gesellschaft als funktional differenziert: In der Neuzeit haben sich aus einem vormodernen Gesamtsystem (feudale Gesellschaft) gesellschaftliche Teilsysteme gebildet. Dies war notwendig, um der zunehmenden Komplexität der Gesellschaft gerecht zu werden. Wichtige Teilsysteme sind u. a. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Recht. Jedes dieser Systeme arbeitet nach einer eigenen inneren Logik, mit dem es auf äußere Einwirkungen reagiert. So betrachtet das Wirtschaftssystem alles unter dem Blickwinkel des Geldverdienens: Man bekommt bei einer Bank nur einen Kredit, wenn zu erwarten ist, dass man ihn auch zurückzahlen kann, und nicht etwa, weil man ein netter Mensch ist oder für ein ethisch sinnvolles Projekt Geld braucht. Mobilität können wir nicht gänzlich einem der obigen Teilsysteme zuordnen: Güterverkehr könnte man als Teilsystem der Wirtschaft (Logik des Teilsystems: Geld) betrachten, ebenso wie den Personenverkehr als Berufs-, Geschäfts- und Einkaufsverkehr. Der Freizeitverkehr jedoch, der mehr als die Hälfte aller Verkehrsleistungen im Personenverkehr ausmacht, ist eher ein Teilsystem der Gesellschaft (Logik des Teilsystems: Anerkennung). 1 Welchem System Mobilität nun zugeordnet ist, hat erheblichen Einfluss auf Strategien der Mobilitätsplanung und des Mobilitätsmanagements. Während im Wirtschaftssystem das Ziel meist möglichst schnell erreicht werden soll, kann im Gesellschaftssystem der Weg mit seinen Erholungs- und Erlebniseffekten selbst zum Ziel werden. Der Hinweis „Der Weg ist das Ziel“ ist im Stau des motorisierten Berufsverkehrs unpassend, im Freizeitradverkehr auf einer landschaftlich reizvollen Route jedoch sinnvoll. Das Mobilitätssystem wird auch kaum auf Appelle einer ökologischen oder ethischen Dimension reagieren. Es kann als Teilsystem der Wirtschaft allerdings über Reisezeiten und Reisekosten angeregt werden, in der gesellschaftlichen Dimension über Lebensstilvorschläge und Imagewerte. Die Struktur von Systemsprüngen Wenn ein soziales System von seiner Umwelt irritiert wird, reagiert es in seiner eigenen Logik auf diese Herausforderung. Dies funktioniert in der Regel gut, solange Art und Intensität der Störung dem System bekannt sind. Es kann diese leichten Irritationen sinnvoll verarbeiten. Bei außergewöhnlichen BEISPIEL 1: STRUKTUR UND PHASEN DER VERÄNDERUNG Phase 1: Stagnation Bisher hat alles funktioniert. Nun tauchen Probleme und Konflikte auf. Das bisherige Handlungsrepertoire zur Steuerung eines Systems funktioniert nicht mehr. Phase 2: Polarisation Man probiert etwas Neues aus, oft das Gegenteil vom Alten. Vertretern von Altem stehen Vertreter von Neuem gegenüber. Mal setzt sich die eine Seite durch, mal die andere. Es entsteht eine Pattsituation. Oft wird heftig gerungen und gestritten. In der Gesamtbilanz verändert sich jedoch wenig. Phase 3: Diffusion Das System schaukelt sich auf, die Konflikte nehmen zu und dies trotz allen Agierens. Es ist eine Phase der Ratlosigkeit. Niemand weiß mehr, wie den Problemen beizukommen ist. Phase 4: Kontraktion Die Situation kann sich noch weiter zuspitzen. Es gibt offensichtlich zurzeit keine Lösungsmöglichkeit. Letztendlich bleibt nichts anderes übrig, als die Ratlosigkeit zu akzeptieren. In dieser Phase ist es sinnvoll, sich ganz auf das notwendige Alltagsgeschäft zu beschränken, in Kommunikation mit allen wichtigen Akteuren zu bleiben (vor allem auch mit denen, die man bisher als Verursacher des Problems betrachtet hat). Wenig sinnvoll ist es, Großprojekte oder groß angelegte Aktionen durchzuführen. Hilfreich ist oft, viele Verbesserungen in kleinem Maßstab auszuprobieren und zu evaluieren. Phase 5: Expansion Nach dem Phasenmodell folgt der Kontraktion die Expansion. „Am Horizont dämmert eine unerwartete Lösung auf“. Die alte Struktur wird überwunden und das System springt auf eine neue Ebene. Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 56 MOBILITÄT Mobilitätssysteme Störungen oder in Situationen, in denen die Eigenlogik des Systems sich von seiner Umwelt so weit entfernt hat, dass es deren Informationen/ Störungen nicht mehr versteht, kann ein System in eine Krise geraten, die ggf. sogar zur Zerstörung des Systems führt (z. B. Dauerstau, Treibstoffverknappung, Klimawandel). Bisherige Lösungsansätze funktionieren dann nicht mehr, neue Lösungen sind noch nicht vorhanden oder werden noch nicht erkannt, manchmal werden altbekannte Lösungsansätze selbst zum Problem, da „ein immer mehr desselben“ ein System in immer größere Krisen treiben kann (Aufschaukeln des Systems). In der Managementtheorie würde man von einem Lock-in eines Entwicklungspfades sprechen (vgl. Steinmann, 262). Lock-in bedeutet, dass die alten Kausalitäten „wenn das geschieht, mache das“ nicht mehr funktionieren. Wenn ein System an eine Grenze gekommen ist, sind Lösungsansätze notwendig, die einen Systemsprung ermöglichen. Lösungsstrategien können sich dann deutlich von dem unterscheiden, was bisher als Lösung funktioniert hat. Oft spricht man dann von Lösungen 2. Ordnung (vgl. Watzlawick u. a. 1974), nämlich Lösungen, die den bisherigen Rahmen sprengen. Ein anregendes Konzept zur Beschreibung der Struktur des Systemsprungs (siehe Beispiel 1) findet man bei Staemmler und Bock. Vom Dorf zum Städtenetz Bis zum Mittelalter war Verkehr ein Verkehr der kurzen Wege, in der Stadt fußläufig und auch im Umland meist auf die Entfernung von einer halben bis ganzen Tagesreise zu Fuß begrenzt. Städte konnten in dieser biologischen Ordnung 2 nur so groß werden, wie das Umland sie versorgen konnte. Das hieß auch, dass ein Verkehrssystem so leistungsfähig sein musste, dass Waren schnell genug (um nicht zu verderben) und effektiv genug (um Transporteure und Zugtiere zu versorgen) in die Stadt gelangen konnten. Mit der Industrialisierung und dem Eisenbahnverkehr wuchsen Städte entlang der Schienenwege, mit dem Kraftfahrzeugverkehr und entsprechender Straßeninfrastruktur noch einmal und vor allem in der Fläche. Im sogenannten „Scrambled Egg City Model“ (nach Cedric Price, britischer Architekt 1934-2003) wird dies beschrieben (Bild 1). Mit einer neuen Phase der Globalisierung entstehen weltweite Verkehrsbeziehungen, die globale Urbanisierung nimmt weiter zu, aus Millionenstädten werden Megastädte und Städtenetze. Heute werden Siedlungen, die ans globale Verkehrsnetz angeschlossen sind, über weltweite Verbindungen ver- und entsorgt. Diese Veränderungen der Stadtstruktur in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln können als Systemsprünge des Siedlungs-Verkehrssystems interpretiert werden. Die Kritik an der autoorientierten Planung der Nachkriegszeit führte seit den 1970er Jahren zu einem Paradigmenwechsel in der Verkehrswissenschaft. Generalverkehrsplanung nannte sich nun Verkehrsentwicklungsplanung und suchte auf der Grundlage von zuvor entwickelten und auch gesellschaftlich kommunizierten Zielen, die Zukunft des Verkehrs zu gestalten. In vielen Bereichen war und ist diese Planung erfolgreich: Innenstädte, die man zuvor als verödet bezeichnete (vgl. König; Schubert), werden wieder lebenswert und auch kommerziell erfolgreich. Man spricht von einer Renaissance der Städte. Nachhaltiger Verkehr wurde zu einem Oberziel, man besann sich wieder des ÖPNV und auch des Rad- und Fußverkehrs. Auch sah man die Notwendigkeit, den MIV (Motorisierter Individualverkehr) und bedingt auch den Straßengüterverkehr auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen. Die „Stadt der kurzen Wege“ wurde zu einem städtebaulichen Leitmotiv. Dennoch stieg die Motorisierung weiter an, eine Trendwende war nicht abzusehen. Die immer wieder prognostizierte Sättigung im Bereich des PKW-Besitzes sowie im Bereich der Personen- und der Güterverkehrsleistungen ließ und lässt vermutlich auch heute noch weiter auf sich warten. 3 Während in der BRD in den letzten Jahren in vielen Bereichen der Wirtschaft die CO 2 -Emissionen trotz Wirtschaftswachstum deutlich sanken 4 , sind im Verkehrssektor kaum Einsparungen zu verbuchen. Dies liegt neben anderem an der Zunahme europäischer Ost-West-Verkehre sowie globaler (Güter-)Verkehre seit den 1990er Jahren. Heute wird eine geringe Erhöhung des Wirtschaftswachstums mit stark überproportionalem Gütertransport bezahlt. 5 Im Personenverkehr ist die Lage anders, jedoch nicht viel besser: Während auf der einen Seite ein Markt für emissionsärmere Personenkraftwagen und emissionsfreie Fahrräder etabliert wurde, entwickelte sich der Verkauf wenig nachhaltiger SUVs deutlich überproportional. Den gedanklichen Paradigmenwechsel in der Verkehrsplanung wird man noch nicht als Systemsprung bezeichnen können. Er lässt sich eher mit der Phase der Polarisation innerhalb der Struktur der Veränderung beschreiben. Kräfte stehen sich gegenüber, es geschieht „Positives“ und „Negatives“, in der Gesamtschau bleibt es allerdings beim Patt. Der aktuelle „Dieselskandal“ deutet darauf hin, dass Mobilitätssysteme in die Phase der Diffusion oder Kontraktion eingetreten sein könnten. Hier entscheidet sich dann, ob der Systemsprung gelingt oder das System im Alten verhaftet bleibt und untergeht (vgl. Grabitz). Allen ist heute bewusst, dass Verkehr und Stadt Bestandteil eines gemeinsamen Systems sind. Dieses System wird durch die Integration menschlichen Verhaltens zum sozialen System, zum Mobilitätssystem. Das wurde in Zeiten des ungebremsten Straßenbaus noch nicht so deutlich gesehen. Der Straßenbau vertrieb die Menschen aus den Städten und konnte dennoch den Verkehrsstau nicht vermeiden. Es zeigte sich letztendlich, dass der Straßenbau nicht mehr die Lösung des Problems war, sondern selbst zum Problem wurde. Erst scheinbar paradoxe Lösungen, die dem privaten Autoverkehr Flächen entzogen, wie die Anlage von Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Bereichen, Begrenzung von Parkraum und die Reduzierung von Fahrstreifen, konnten Verkehrsprobleme eindämmen und Innenstädte wieder attraktiv machen. Heute stellt sich nun die Frage, ob die europäische Automobilkultur Teil des Problems bleibt oder Teil der Lösung wird. Seit der Einführung weltweiter individuell genutzter Kommunikationsnetze (incl. Smartphone) besteht die Möglichkeit, dass Mobilitätssysteme auf eine neue Ebene springen. Entwicklungen in vielen Großstädten der industrialisierten Länder deuten darauf hin, dass Mobilität der Zukunft Bild 1: Scrambled Egg City Model Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 57 Mobilitätssysteme MOBILITÄT nachhaltiger sein könnte, sofern man bereit ist, neue Wege einzuschlagen. Canzler und Knie zeigen in „Die neue Verkehrswelt“, wie eine Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel zur Intermodalität (Kombination verschiedener Verkehrsmittel für einen Weg) und Multimodalität (Auswahl des sinnvollsten Verkehrsmittels aus einer Anzahl von Möglichkeiten) neue Wege eröffnet. Elektromobilität kann in Kombinationen mit intelligenten Stromnetzen (smart grid) und lokaler Stromerzeugung aus regenerativen Quellen zu neuen Stadtwerksystemen - auch auf dem Lande - ausgebaut werden. Dann ist Fahrzeugbesitz vielleicht nicht mehr Bestandteil eines zukünftigen Mobilitätssystems. Nutzer teilen sich stattdessen Fahrzeuge (etwa beim Carsharing) in einer organisierten Sharing- Ökonomie (vgl. Rifkin). Wir haben es bei diesen Beispielen mit mehreren möglichen Systemsprüngen zu tun: Das System Fahrradverkehr entwickelt sich mit dem System ÖPNV-Verkehr zu einem intermodalen Mobilitätssystem; Verkehrssystem und Stromversorgungssystem verknüpfen sich zu einem System gemeinsamer Infrastrukturen; die Verkehrssysteme MIV und ÖPNV entwickeln sich - zumindest in Teilbereichen - zu einem hybriden Mobilitätssystem, in dem öffentliche Fahrzeuge individuell genutzt werden (siehe Bild 2). Vom Planen zum Kommunizieren, vom Masterplan zur Best-Practice-Lösung Mobilitätssysteme sind im engeren Sinn nicht zu regeln. Es muss beobachtet und evaluiert werden, bevor gemanagt wird. Dies alles geschieht in gesellschaftlichen Systemen, und diese agieren allein über Kommunikation (vgl. Luhmann; Füsser 2016). Habermas schlägt in seiner „Theorie des Kommunikativen Handelns“ (vgl. Rosa 130- 150) eine hilfreiche Kommunikationskultur vor. Kommunikation muss „ehrlich“ sein, man muss das sagen, was man meint. Im Dialog können dann intersubjektive (nicht etwa objektive! ) Wahrheiten gefunden werden, d.h. Ergebnisse festgelegt werden, mit denen alle Beteiligten leben können. Dadurch wird erreicht, dass die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse auch von allen getragen und nicht etwa „hinten herum“ torpediert werden. Dieses kommunikative, also faire und kooperative Handeln unterscheidet sich vom konkurrierenden strategischen Handeln. Hier setzt sich das durch, was für alle angemessen ist und nicht das, was eine Mehrheit bestimmt oder gar eine starke Minderheit erzwingt. Watzlawick (Watzlawick u. a. 1969) und im deutschsprachigen Raum Schulz von Thun haben gezeigt, wie Kommunikation funktioniert und eingeübt werden kann. Hinweise, die auch bei der Gestaltung von Bürgerbeteiligungsverfahren sowie bei Moderationen von Organisationen und Teams hilfreich sein können - beispielsweise bei Kommunikationskonflikten zwischen Behörden oder verschiedenen Abteilungen einer Behörde. Der in Beispiel 2 aufgeführte Maßnahmencluster der Mobilitätsplanung beinhaltet Hauptanforderungen an nachhaltige Mobilitätssysteme und gewährleistet über negative Rückkopplungen, dass Systeme immer wieder in regelbare Bereiche zurückgedämmt werden (vgl. Vester zur Gestaltung überlebensfähiger Systeme). Dieses Maßnahmenrepertoire kann von Planenden nicht so ohne Weiteres umgesetzt werden, denn weitere Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft greifen gemäß ihrer eigenen Logik ein. Dies kann zu unvorhergesehen Ergebnissen führen, manchmal durchaus positiv im Sinne der Nachhaltigkeit (Ökonomie, Ökologie, Soziales), manchmal negativ. Soziale Systeme - also auch Mobilitätssysteme - agieren eben eigenwillig. Dies erklärt auch, warum heute bei größeren Projekten der klassische Planungsablauf (Bestandsaufnahme - Zielfindung --Problemanalyse - Lösungskonzept - Umsetzung) nur noch selten funktioniert. Relevante Akteure müssen in Kommunikationsprozessen einbezogen werden. Adäquate Verfahren etwa der Bürgerbeteiligung müssen dazu allerdings noch entwickelt und institutionalisiert werden. Sinnvolle Eingriffe in Mobilitätssysteme kann man aus Beobachtungen (vgl. Gehl) und Erfahrungen anderer Städte ableiten. Hier sieht man nämlich, wie Systeme und ihre Akteure agieren. So kristallisieren sich Best-Practice-Lösungen heraus (siehe Tabelle 1), die unter bestimmten Randbedingungen zu erfolgreichen Lösungen führen können. Dabei ist jede Stadt ein wenig anders und die Eigenlogik 6 einer Stadt (vgl. Löw) ist ebenso zu berücksichtigen wie die Eigenlogik wichtiger Akteure. Die hier aufgelisteten Best-Practice-Lösungen sollen zur Anregung dienen. Jede dieser Städte hat für ihre Mobilitätsprogramme obige Lösungsbeispiele in komplexe Maßnahmenbündel eingebunden. Die Strategien setzen auf fiskalische, ordnungspolitische und verkehrsplanerische Maßnahmen sowie auf Schulungen zur Verkehrssicherheit und Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit. Bewährt haben sich Push-and-Pull-Ansätze 7 . Es gibt zwar keine direkten kausalen Zusammenhänge, aber ein Vergleich (Mit/ Ohne oder Vorher/ Nachher 8 ) auf der Basis von Indikatoren zeigt, welche Städte mit welchen Maßnah- BEISPIEL 2: MASSNAHMENCLUSTER DER MOBILITÄTSPLANUNG • Förderung der Stadt der kurzen Wege • Förderung des Umweltverbundes, nämlich des Fußverkehrs, des Radverkehrs und des ÖPNV • Zähmung des Autoverkehrs (Mengenbegrenzung, Schadstoffbegrenzung, Geschwindigkeitsbegrenzung, Raumbegrenzung) Anzustreben wäre eine Reduzierung des Motorisierungsgrades auf etwa 150 PKW/ 1000 Ew, eine Reduzierung des Modal-Split-Anteils des MIV auf 15 bis 20 % und eine Reduzierung der Stellplätze im Straßenraum auf die Hälfte (oder sogar ein Drittel) der heutigen Menge. Bild 2: Evolution von Mobilitätssystemen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 58 MOBILITÄT Mobilitätssysteme menbündeln Nachhaltigkeit in ihrem Mobilitätssystem erfolgreich fördern. Fazit und Ausblick Rein technische Ansätze smarter Mobilität möchten u. a. durch Informationsvernetzung, verkehrstechnische Regelungen, Unfall vermeidende automatisierte Fahrzeugtechniken und Energieeffizienz Mobilitätssysteme in nachhaltigere Bereiche lenken. Dies wird vermutlich nicht gelingen, da Lösungen dieser Art - ähnlich wie ein forcierter Straßenbau - Lösungen eines „immer mehr desselben“ sind. Sie werden Probleme von Mobilitätssystemen, die bereits an ihrer Grenze agieren, in ihrem Dilemma belassen. Verbesserungen in der Leistungsfähigkeit werden etwa durch Rebound-Effekte 9 aufgehoben. Sinnvoll sind dagegen Maßnahmen, die Mobilitätssysteme unterstützen, notwendige Systemsprünge zu vollziehen. Ansatzpunkte dazu könnten Multimodalität, Sharing-Ökonomie sowie regionale, mit Mobilitätssystemen gekoppelte regenerative Energie- und Produktionssysteme sein. Hybride Verkehrssysteme könnten den klassischen MIV und ÖPNV ablösen. Ökonomisch erfolgreiche Mischsysteme sind in der Stadt und sogar auf dem Land denkbar (siehe Bild 3). ■ 1 Teilsystem Gesellschaft: Bei Luhmann ist Gesellschaft das Gesamtsystem, das die Teilsysteme Politik, Wirtschaft usw. beinhaltet. Für unsere Zwecke ist es sinnvoll, zusätzlich eine „kleine Gesellschaft“ als Teilsystem einzuführen. 2 Biologische Ordnung: Diesen Begriff habe ich von Robert B. Marks übernommen, der sich auf Fernand Braudel bezieht und damit das Zusammenspiel von Stadt und Land in der vorindustriellen Zeit beschreibt. 3 Daten VIZ 2017/ 2018; Verkehrsleistung Straßengüterverkehr BRD (Mrd. t km): 2000: 346,3; 2005: 402,7; 2010: 457,6; 2015: 460,2 (vorläufiger Wert) Verkehrsleistung PKW-Verkehr BRD (Mrd. P km): 2000: 849,6; 2005: 875,7; 2010: 902,4; 2015: 945,7 Motorisierung BRD (Mio. PKW): 2000: ca. 37,8; 2005: ca. 40,4; 2010: 41,7; 2015: 44,4. Ab 2005 anderes Statistikverfahren. 4 Daten VIZ 2017/ 2018: 2005: Straßenverkehr: 160 Mio. t CO 2 , Haushalte und Kleinverbraucher: 159 Mio. t CO 2 2015: Straßenverkehr: 159 Mio. t CO 2 , Haushalte und Kleinverbraucher: 127 Mio. t CO 2 5 Transportindex: Das Umweltbundesamt verwendet den Transportindex zur Beurteilung der Effektivität eines Transportsystems. Der Transportindex ist der Quotient aus Verkehrsleistung und Bruttoinlandsprodukt. In der BRD nimmt im Personenverkehr der Index ein wenig ab, im Güterverkehr stark zu. 6 Der Begriff „Eigenlogik“ (nach Löw) hat eine gewisse Nähe zum Begriff „Sinn“ (nach Luhmann). Berlin hat eine andere Eigenlogik als München oder Hamburg. Politik hat einen anderen Sinn als Wirtschaft. Das Stadtplanungsamt folgt ggf. einer anderen Eigenlogik als das Verkehrsplanungsamt. Baugenossenschaften betrachten die Welt unter einem anderen Blickwinkel als Investmentfondsgesellschaften. 7 Push-and-Pull-Konzepte „schieben“ Mobilität vom MIV (beispielsweise durch Parkraumbewirtschaftung, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Rückbau von Hauptverkehrsstraßen) weg und lassen diese vom Umweltverbund „anziehen“ (beispielsweise durch den Bau von Radverkehrsanlagen, durch Bevorrechtigung des ÖPNV, durch eine Stadt der kurzen Wege). 8 In Mit/ Ohne-Untersuchungen werden Situationen mit Maßnahmen mit Situationen ohne Maßnahmen verglichen, beispielsweise eine Hauptstraße mit Tempo-30-Regelung gegenüber einer ähnlichen Hauptstraße ohne Tempo-30-Regelung. In Vorher/ Nachher-Untersuchungen wird beispielsweise eine Straße vor dem Umbau mit der gleichen Straße nach dem Umbau verglichen. 9 Rebound-Effekt. Zum Beispiel steigern autonome Fahrzeuge die Leistungsfähigkeit von Straßen. Autofahren wird attraktiver. Fahrzeugkauf und/ oder Fahrzeuganmietung steigen an, Gewinne in der Leistungsfähigkeit werden wieder aufgezehrt. LITERATUR Bundesministerium für Verkehr (verschiedene Jahrgänge): VIZ (Verkehr in Zahlen). Bonn bzw. Berlin Canzler, Weert und Knie, Andreas (2015): Die neue Verkehrswelt. Bochum Füsser, Klaus (2014): Bewertung der Nachhaltigkeit großstädtischer Verkehrssysteme. In: Forum Geo - Bau 4. Berlin, 97-102 Füsser, Klaus (2016): Mobilitätsplanung und Systemtheorie. In: Forum Geo - Bau 7. Berlin, 71-84 Grabitz, Markus (2017): „Das Autozeitalter geht zu Ende“. Gespräch mit Elzbieta Bienkowska (EU-Kommissarin für Industrie). Tagesspiegel vom 20.11.2017 Gehl, Jan (2015): Städte für Menschen. Berlin König, Johann-Günther (2010): Die Geschichte des Automobils. Stuttgart, 150-163 Lerner, Wilhelm (2014): The Future of Urban Mobility. Arthur D. Little Future Lab Löw, Martina (2008): Soziologie der Städte. Frankfurt am Main Luhmann, Niklas (1998): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main Rifkin, Jeremy (2011): Die dritte industrielle Revolution. Bonn Rosa, Hartmut; Strecker, David und Kottmann, Andrea (2007): Soziologische Theorien. Konstanz, 130-150, 173-215 Schubert, Dirk (2014): Jane Jacobs und die Zukunft der Stadt. Diskurse - Perspektiven - Paradigmenwechsel. Stuttgart Schulz von Thun, Friedemann (1981,1989,1998): Miteinander reden 1-3. Reinbek bei Hamburg Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (2013): Berliner Verkehr in Zahlen Staemmler, Frank-M. und Bock, Werner (2004): Ganzheitliche Veränderung in der Gestalttherapie. Köln 2004 Steinmann, Horst und Schreyögg, Georg (2005): Management. Grundlagen der Unternehmensführung. Wiesbaden, 262 Vester, Frederic (1991): Ballungsgebiete in der Krise. München Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H. und Jackson, Don D. (1969): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard (1974): Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern Klaus Füsser Bauassessor; Lehrbeauftragter Verkehrswesen, Beuth Hochschule für Technik Berlin kfuesser@beuth-hochschule.de $ Stadt Best-Practice- Vorschlag Ranking Lerner Ranking Beuth Hongkong Metrosystem Platz 1 Platz 2 Singapur PKW-Kauf - Steuer Platz 6 Platz 5 Stockholm City Maut Platz 2 Platz 9 Amsterdam Radverkehrspriorisierung Platz 3 Platz 5 Kopenhagen Ausbau Radschnellwege Platz 4 Platz 9 Wien ÖPNV Netz Platz 5 Platz 17 Zürich Ausbau Straßenbahnnetz Platz 8 Platz 1 London Fußverkehrsförderung Platz 9 Platz 9 Paris Radverleihsystem Platz 7 Platz 2 Berlin Verkehrsberuhigung Platz 13 Platz 9 vgl. Lerner; Füsser 2014 Tabelle 1: Mögliche Best-Practice-Lösungen Bild 3: Verknüpfungspunkt im ländlichen Raum Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 59 Wissenschaft MOBILITÄT Entwicklung eines Bewertungsmodells für die Fahrradfreundlichkeit von Stadtteilen am Beispiel Berlin Radverkehr, Fahrradfreundlichkeit, quantitatives Bewertungsmodell, Stadtteilebene, Verkehrsplanungserhebungsmethode Erhebungsmethoden in der Evaluation des Radverkehrs nutzen kaum das verfügbare Open-source-Datenangebot, um raumübergreifende, vergleichende Analysen zur Situation der Fahrradfreundlichkeit zu erheben. Im Rahmen der Untersuchung für ein quantitatives Bewertungsmodell zur Messung der Fahrradfreundlichkeit (beeinflussende Faktoren zur Nutzung des Rads) wurden beeinflussende Faktoren identifiziert, Quellen benannt, Bewertungen der Bedeutsamkeit im Modell durchgeführt und Skalierungen durchgefüahrt, um am Beispiel Berlin demonstrativ auf Ebene von Planungsräumen erste Erkenntnisse dazu zu sammeln. Sven Hausigke M it dem Ziel Deutschlands, den CO 2 -Ausstoß bis 2030 um 40 % gegenüber 1990 im Verkehr zu senken (vgl. BMUB 2016), muss eine Wende in der Verkehrsplanung hin zur Verkehrsvermeidung und Nutzung emissionsfreier Verkehrsmittel stattfinden. Die technischen Innovationen reichen nicht aus, da die Fahrleistungen mit dem Auto weiter zunehmen. Diese Aufgabe bewegt immer mehr Städte und Gemeinden dazu, bessere Bedingungen für den raumsparenden, gesunden und umweltschonenden Fuß- und Radverkehr zu schaffen. In den letzten Jahren hat sich der Anteil des Radverkehrs am Modal Split fast überall in Deutschland konstant erhöht (vgl. BMVI 2014), worauf die Bundesregierung mit dem Nationalen Radverkehrsplan sowie viele Städte und Gemeinden mit Radverkehrsstrategien reagiert haben. Allerdings mangelt es in der Radverkehrsplanung an standardisierten Evaluationsmethoden und Kriterien zur Bewertung des Status Quo. Viele Untersuchungen basieren auf qualitativen Einschätzungen, wie dem Copenhagenize Index für Städte weltweit 1 , oder auf Befragungen, wie dem ADFC Fahrradklimatest in Deutschland 2 . Die qualitativen Bewertungsmethoden sind ein guter Ansatz, um die Situation für Fahrradfahrende intuitiv einschätzen zu können, allerdings werden dadurch spezifische Faktoren teilweise über- oder unterschätzt und die Bewertung anhand weicher, teilweise nicht vergleichbarer Faktoren und deren Ausprägungen vorgenommen. International gibt es erste Ansätze quantitativer Evaluationsmethoden auf Grundlage weniger, quantifizierbarer Faktoren, die eine Bewertung der Bikeability (englisches Synonym für Fahrradfreundlichkeit) zulassen (vgl. Bike Score™). Da Städte aber sehr heterogen sind, gibt es in den einzelnen Stadtteilen Unterschiede in den Bedingungen für die Fahrradnutzung, die bei der Bewertung für die gesamte Stadt übergangen werden. Wichtig ist es, zunächst zu klären, wie sich die Fahrradfreundlichkeit in Bezug auf Stadtteile definiert. Die Fahrradfreundlichkeit von Stadtteilen definiert sich durch die Fähigkeiten der urbanen Umwelt, anhand bestimmter Eigenschaften den Fahrradverkehr zur Wahl des persönlichen Verkehrsmittels für Menschen zu begünstigen, indem physisch wie auch psychisch wichtige Rahmenbedingungen für die sichere, schnelle, effektive und komfortable Nutzung des Fahrrads gegeben sind. Für die Identifizierung der beeinflussenden Eigenschaften in einem quantitativen Bewertungsmodell wurde im ersten Schritt eine Literaturanalyse von Studien vorgenommen (vgl. Bild 1), in der alle potenziellen Faktoren mit Einfluss auf die Wahl des Fahrrads als Verkehrsmittel erfasst wurden. Die Untersuchung ergab 37 Faktoren mit einem nachgewiesenen oder hochwahrscheinlichen Einfluss auf den Menschen zur Nutzung des Fahrrads für die Fortbewegung. Neben der quantifizierbaren Messbarkeit und Eindeutigkeit des Einflusses pro oder kontra der Fahrradnutzung müssen die Faktoren das Merkmal markant unterschiedlicher Ausprägungen in verschiedenen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 60 MOBILITÄT Wissenschaft Stadtteilen im Untersuchungsraum Berlin erfüllen. Faktoren, die durch diese Bedingungen ausgeschlossen wurden, waren beispielsweise die Attraktivität der gebauten Umwelt (nicht quantifizierbar), Einkommen der Bürger (widersprüchlicher Einfluss, da Menschen mit hohem wie auch niedrigem Einkommen das Fahrrad nutzen) oder das Wetter (ist innerhalb einer Stadt nahezu gleich). Für alle Faktoren wurden in Berlin Datenquellen unterschiedlicher Qualität erschlossen, die in Tabelle 1 dargestellt werden. Noch sind nicht alle Datensätze flächendeckend für Berlin, vollständig detailliert in allen Attributen, öffentlich zugänglich. Sie basieren teilweise auf Crowdsourcing-Daten aus OpenStreetMap oder BBBike mit ungewisser Reliabilität, Repräsentativität und Objektivität, sodass derzeit nur für Teilbereiche der Stadt alle notwendigen Kriterien zur Untersuchung mit diesem Modell erfüllt wurden. Berlin wurde zur Analyse der Stadtteilräume in 447- Planungsräume als Teil der „Lebensweltlich Orientierten Räume“ von Fachverwaltungen des Senats, den Bezirken und dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg aufgeteilt, die ein städtebaulich funktional zusammenhängendes Gebiet mit ca. 7500 Einwohnern darstellen. Auf dieser Ebene wurde die Untersuchung durchgeführt. Für die Analyse der Verteilung von räumlichen Attributen wurde ArcGIS Version 10.5 genutzt und bei bereits aggregierten Daten zur Verteilung auf Planungsraumebene wurde Microsoft Excel für die Berechnungen verwendet. Wenn Daten auf höherer Ebene als die der Planungsräume vorlagen wie z. B. beim Modal Split-Anteil, wurden die Daten auf der höheren Ebene des Alt-Bezirks dem Planungsraum als Teilfläche zugewiesen. Damit die Bedeutung jedes einzelnen Faktors auf die Fahrradfreundlichkeit adäquat im Bewertungsmodell dargestellt wird, wurde ein Online-Befragungsbogen mit Expert des Radverkehrs in Berlin durchgeführt. Dieses Vorgehen ermöglicht es, die ungleiche Anzahl an beschreibenden Faktoren pro Themenfeld auszugleichen und den Einfluss an Faktoren mit unterschiedlicher Bedeutung für die Wahl des Fahrrads als Verkehrsmittel für die Bewertung intersubjektiv zu beurteilen. Die gewählte Expertise bestand aus dem beratenden Gremium der Berlin Radverkehrsplanung - dem FahrRat Berlin - sowie den Mitgliedern der Berliner Fahrradinitiativen, die sich für bessere Bedingungen im Radverkehr engagieren. Um nicht alle 37 Faktoren in einem Schritt bewerten zu lassen, wurden die Faktoren zunächst einem Themenfeld zugeordnet, das den Einfluss auf den Radverkehr in übergeordneten Sachgebieten beschreibt (vgl. Tabelle 1 und Bild 2). Die Themenfelder decken die drei Dimensionen des Einflusses auf die Fahrradfreundlichkeit in der Stadt- und Verkehrsplanung ab: der Mensch, die gebaute Umwelt und die Mobilität. Die Teilnehmenden des Online- Befragungsbogens mussten den Themenfeldern zunächst eine Bedeutung für die Bewertung der Fahrradfreundlichkeit in Berlin zuordnen, die über eine zehnstufige Likert-Skala erhoben wurde. Anschließend wurden die einzelnen Faktoren der jeweiligen Themenfelder bewertet, damit eine Übersichtlichkeit an zu bewertenden Faktoren für die Befragten bei der Beantwortung gewährleistet wird. Die Bewertung der Bedeutung wurde aber nur für Berlin erhoben und hat somit keinen Anspruch auf eine allgemeingültige Bewertung in allen anderen Städten. Die Ergebnisse der Bewertung zur Bedeutung der Faktoren für die Fahrradfreundlichkeit sind ebenfalls Tabelle 1 zu entnehmen. Als letzter Schritt für die Bewertung der Fahrradfreundlichkeit wurde eine Skalierung der quantitativen Faktoren vorgenommen (vgl. Bild 1). Die Skalierung teilt ein, welche Ausprägung eines Faktors als positiver Einfluss für die Fahrradfreundlichkeit bewertet werden kann. Die Wahl der Skalierung ist ein entscheidendes Kriterium für die abschließende Punktevergabe, woraus die Entscheidung zu entnehmen ist, ob ein Stadtteil fahrradfreundlichere Bedingungen hat oder nicht. Bild 1: Schematischer Ablauf des quantitativen Bewertungsmodells Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 61 Wissenschaft MOBILITÄT Faktor Beschreibung Datenquelle Erhebungszeitraum Bewertung Bedeutung Themenfeld Radverkehrsinfrastruktur 31% Radverkehrsinfrastrukturlänge Radverkehrsinfrastruktur pro bebauter Siedlungsfläche im Stadtteil FISBroker: Radverkehrsanlagen (SenWEB 2015) 2015 4,65% Typ der Radverkehrsanlage Anlagentypen (Fahrradweg, Radfahrstreifen etc.) bewertet nach Verkehrsfluss und -sicherheit FISBroker: Radverkehrsanlagen (SenWEB 2015) 2015 4,96% Knotenpunktdichte Vernetzung der Wege für die Maschenweite des Verkehrsnetzes FISBroker: Detailnetz Straßenabschnitte (SenWEB 2016a) 2016 4,34% Öffentliche Fahrradstellplätze Anzahl der Stellplätze im Stadtteil mit besonderer Gewichtung von Anlagen an ÖPNV- Haltestellen Straßenbefahrung SenUVK (VISS 2017) 2017 4,03% Wegeführung an Kreuzungen Anlagentypen (Fahrradschleuse, Radfahrerfurt) bewertet nach Verkehrssicherheit FISBroker: Radverkehrsanlagen (SenWEB 2015) 2015 4,65% Fahrradleihstation Anzahl an Leihstationen im Stadtteil OSM (SenWEB 2016b), Standorte Leihradstationen (Call a Bike 2017, Nextbike 2017) 2016/ 2017 1,86% E-Bike-Ladestationen Anzahl an Leihstationen im Stadtteil und naher Umgebung (geringe Stationsdichte in Berlin) Standorte E-Ladestationen für Fahrräder (internetstores GmbH 2017, KELAG-Kärntner 2017) 2017 1,55% Fahrradwerkstätten Anzahl von Fahrradwerkstätten und Fahrradpumpen im Stadtteil OSM Standorte (SenWEB 2016b) 2016 2,17% Wegebeschilderung Anzahl an beschilderten Fahrradrouten im Stadtteil Stand der Fahrradwegweisung (SenUVK 2017a) 2017 2,79% Themenfeld Verkehrssicherheit 25% Unfallhäufigkeit mit Radfahrenden Existenz von tödlichen Unfällen und Anzahl an Verkehrsunfällen mit Radfahrenden im Stadtteil Verkehrsunfallstatistik (Der Polizeipräsident in Berlin 2017), Geisterräder (ADFC 2017) 2016/ 2017 3,75% Ein- und Ausfahrten zu-Grundstücken potenziell kreuzender Autoverkehr; Ein- und Ausfahrten pro Länge des Straßennetzes mit besonderer Gewichtung bei kreuzenden Radverkehrsinfrastrukturen Straßenbefahrung SenUVK (VISS 2017) 2017 3,5% Straßenbegleitendes Parken Sicherheitsrisiko durch öffnende Türen und verhinderte Sichtbeziehung; Anteil an Radverkehrsinfrastrukturen mit unmittelbarer Distanz zu Parkstreifen und -buchten Straßenbefahrung SenUVK (VISS 2017) 2017 4% Anzahl an PKW-Fahrten auf der Straße Wahrnehmung Unfallrisiko; Anteil an Straßen mit erhöhten PKW-Verkehrsaufkommen im Stadtteil Verkehrsmengen Umweltatlas (SenSW 2017a) 2014 3,5% Anzahl an LKW-Fahrten auf der Straße Wahrnehmung Unfallrisiko und Unfallfolgen; Anteil an Straßen mit erhöhten Lkw-Verkehrsaufkommen im Stadtteil Verkehrsmengen Umweltatlas (SenSW 2014) 2014 3,5% Straßen mit Geschwindigkeitsbegrenzung Wahrnehmung Unfallrisiko und Unfallfolgen; Anteil an Straßen mit Geschwindigkeitsbegrenzung bewertet nach Maximalgeschwindigkeit im Stadtteil FISBroker (SenWEB 2015) 2015 3,75% Beleuchtete Wege Verkehrssicherheitsrisiko nachts und allgemeines Sicherheitsgefühl; Anteil schlecht beleuchteter Radverkehrsanlagen (zu hohe Distanz zur nächsten Lichtanlage) im Stadtteil FISBroker (SenWEB 2016c) 2016 3% Themenfeld Gesundheit und Erholung 8% Baumdichte Erholungswirkung Grünanlagen; Anzahl Bäume in naher Distanz zu Radverkehrsanlagen im Stadtteil FISBroker (SenWEB 2017) 2017 1,68% Grünflächenanteil Erholungswirkung Grünanlagen; Grünflächenanteil im Stadtteil mit besonderer Gewichtung von Anlagen in Fahrradinfrastrukturnähe FISBroker (SenWEB 2016d) 2016 1,76% Lärmpegel gesundheitsschädliche Beeinträchtigung; Höhe der teilräumlichen Lautstärke im Stadtteil Strategische Lärmkarte (SenSW 2017b) 2016 2% Luftbelastung gesundheitsschädliche Beeinträchtigung; Höhe der teilräumlichen Luftschadstoffkonzentration im Stadtteil Verkehrsbedingte Luftbelastung (SenWEB 2016e) 2015 2,56% Themenfeld soziales und verkehrliches Umfeld 10% Fahrradverfügbarkeit pro HH potenzielle Nutzung des Fahrrads; Anzahl an Fahrrädern pro Einwohner_in im Stadtteil SrV 2013 (SenUVK 2017b) 2013 1,6% Autoverfügbarkeit pro HH potenzielle Präferenz des Autos; Anzahl an Autos pro Einwohner_in im Stadtteil Fahrzeuganmeldungen (AfS BBB 2017a) 2015 1,3% Modal Split-Anteil Fahrradfahrende soziale Akzeptanz der Fahrradkultur; Anteil des Radverkehrs am Modal Split im Stadtteil SrV 2008 (SenStadt 2011) 2008 1,7% Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 62 MOBILITÄT Wissenschaft Dementsprechend muss in der Unterteilung, ab wann und wie viele Punkte vergeben werden, transparent und nachvollziehbar eine realitätsgetreue Lösung erarbeitet werden. Die Durchführung bei den einzelnen Faktoren für das aufgestellte Bewertungsmodell basiert auf unterschiedlichen, faktoradäquaten Systemen von absoluten und relativen Bewertungen für den Untersuchungsraum Berlin mit maximal 3 und minimal 0 Punkten pro Faktor. Ein absolut zu unterteilender Faktor ist beispielsweise die Luftverschmutzung, bei der gesundheitsschädliche Belastungsgrenzen von Emissionen definiert wurden. Die Unterteilung anhand von Absolutwerten ist allgemeingültig und somit weder an den Ort noch an die subjektive Wahrnehmung von Personen gebunden. Leider gibt es nur noch Lärm mit einer weiteren absoluten Einteilung, ab wann Ausprägungen gut oder belastend für die Radfahrenden in einem Stadtteil sind. Relativ zu bewertende Faktoren geben durch ihre Ausprägung keinen eindeutigen Hinweis, ob sie für die Fahrradfreundlichkeit gut oder schlecht sind, sondern beziehen sich auf die Ausprägungen im Raum und werden durch die durchschnittliche Verteilungsdichte oder den Vergleich mit anderen Stadtteilen in Berlin bewertet. Faktor Beschreibung Datenquelle Erhebungszeitraum Bewertung Bedeutung Altersklassenverteilung Junge Menschen fahren häufiger Fahrrad; Anteil von Menschen im Alter von ca. 6 bis 25 Jahren im Stadtteil Einwohnermeldestatistik (AfS BBB 2017b) 2016 1,3% Fahrraddiebstähle Wahrnehmung Sicherheitsrisiko; Anzahl an Fahrraddiebstählen im Stadtteil Kriminalitätsatlas (Abgeordnetenhaus Berlin 2015, Der Polizeipräsident in Berlin 2015) 2014 1,6% leerstehende Gebäude und freie Grundstücke (Sicherheit durch Beobachtung) Wahrnehmung allgemeines Sicherheitsgefühl und Ästhetik; Anzahl leerstehender Gebäude und Anteil unbewohnter Flächennutzungen im Stadtteil nicht bewohnte Grundstücke (SenWEB 2016b), Meldung leerstehender Gebäude (openBerlin e.V. 2017) 2016/ 2017 0,8% Höhe der Autonutzungsgebühren Finanzielle Belastung des Autoverkehrs; Anteil an gebührenpflichtige Parkflächen, Straßen mit Maut und Umweltzone im Stadtteil Parkraumbewirtschaftungszonen (SenUVK 2017c), Umweltzone (SenSW 2017c), Maut (Bundesanstalt für Straßenwesen 2017) 2016/ 2017 1,7% Themenfeld Komfort und Fahrgeschwindigkeit 16% Oberflächenbeschaffenheit der Radverkehrswege Oberflächentypen (Asphalt, Kopfsteinpflaster, Naturwege etc.) bewertet nach Verkehrsfluss und -sicherheit Fahrradwegkartierung (BBBike 2017) 2017 4,64% Lichtsignalanlagen Wartezeiten als Behinderung des Verkehrsflusses; Anteil an Lichtsignalanlagen pro Verkehrsknotenpunkt im Stadtteil OSM Standorte ( SenWEB 2016b), Fahrradwegkartierung (BBBike 2017) 2016/ 2017 4% Fahrradweghindernisse Anzahl an Meldungen zu Verkehrshindernissen (Müll, Baustellen etc.) für den Radverkehr im Stadtteil Mängelmeldungen (Ordnungsamt Berlin 2017) 2017 4,64% Topographie Durchschnittliche Gefälle im Stadtteil Geländehöhen (SenWEB 2009) 2009 2,72% Themenfeld Nahziele (gemischte Stadtnutzung) 10% ÖPNV-Haltestellendichte Potenzielle Nutzung des Umweltverbunds; Dichte von Haltestelle pro bebauter Siedlungsfläche im Stadtteil OSM Standorte ( SenWEB 2016b) 2016 1,6% Einwohnerdichte Ortsnaher Quell- und Zielverkehr bewertet in Zusammenhang mit Arbeitsplatz- und Versorgungseinrichtungsdichte; Bewohner_innen pro bebauter Siedlungsfläche im Stadtteil Einwohnermeldestatistik (AfS BBB 2017b) 2016 1,8% Arbeitsplatzdichte Ortsnaher Quell- und Zielverkehr bewertet in Zusammenhang mit Einwohner- und Versorgungseinrichtungsdichte; sozialversicherungspflichtig Beschäftigte pro bebauter Siedlungsfläche im Stadtteil Unternehmensregister (AfS BBB 2016) 2016 1,7% Versorgungseinrichtungsdichte Ortsnaher Quell- und Zielverkehr bewertet in Zusammenhang mit Einwohner- und Arbeitsplatzdichte; Einrichtungen der Versorgung, Gesundheit, Kultur und Bildung pro bebauter Siedlungsfläche im Stadtteil OSM Standorte ( SenWEB 2016b) 2016 1,8% Erdgeschossnutzung Geschäfte und Dienstleistungen zur Attraktivität und Interaktion; Anzahl Geschäfte im Erdgeschoss pro bebauter Siedlungsfläche im Stadtteil OSM Standorte ( SenWEB 2016b) 2016 1,6% Sehenswürdigkeiten Quell- und Zielverkehrs aus fahrradtouristischer Nutzung; Anzahl an Fotos im Stadtteil flickr-Fotos (SenSW 2016) 2016 1,5% Fahrradfreundlichkeit 100% Tabelle 1: Übersicht der im Projekt bewerteten Faktoren in den sechs Themenfeldern Grüner Faktor: positiver Einfluss auf Fahrradfreundlichkeit bei hoher Ausprägung Roter Faktor: negativer Einfluss auf Fahrradfreundlichkeit bei hoher Ausprägung Gelber Faktor: Einfluss auf Fahrradfreundlichkeit abhängig von der Ausprägung des Faktors negativ wie positiv möglich Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 63 Wissenschaft MOBILITÄT Beispielsweise sind Fahrradleihstationen für den Radverkehr ein förderlicher Faktor, allerdings gibt es dafür keinen absoluten Wert, wie viele von ihnen einen Stadtteil fahrradfreundlich machen. Durch den Vergleich aller Stadtteile lässt sich feststellen, wie viele es im Durchschnitt aller Stadtteile gibt, um daraus zu schließen, wie viele gut (über dem Durchschnitt) und wie viele schlecht sind (unter dem Durchschnitt). Die Bewertung der Ausprägungen ist damit aber nur in Relation zur Stadt selbst zu sehen und kann nicht für andere Untersuchungsräume außerhalb des Untersuchungsraums übernommen werden. Insbesondere die relative Skalierung von Faktoren beschreibt u. U. noch keinen wirklichen fahrradfreundlichen Zustand, wodurch weitere Untersuchungen für eine objektive Bewertung notwendig werden. Eine letzte Kategorie an Skalierungen ist die ausprägungsabhängige, wie sie beispielsweise bei den Oberflächenbeschaffenheiten der Fahrwege angewendet werden muss. Unterschiedliche Materialien haben entweder einen fördernden Charakter, wie glatte und befestigte Oberflächen beispielsweise in Form von Asphalt und Beton aufweisen, oder aber eine hemmende Wirkung, wie ungeglättetes Kopfsteinpflaster oder Schotter. Final erlaubt die Untersuchung einen ersten Einblick, wie fahrradfreundlich - basierend auf quantitativen Bewertungsfaktoren - einzelne Stadtteile in Berlin sind. Mit den gemessenen Daten wird anhand der Einordnung des Wertes in die Skalierung und die Faktoranpassung durch die Gewichtung ein Score erzeugt, der für alle Faktoren insgesamt maximal 100 Punkte ergibt. Durch die Aufschlüsselung in Themenfelder und einzelne Faktoren erlaubt die Untersuchung, nicht nur den allgemeinen Zustand zu bewerten, sondern ebenfalls Probleme in einzelnen Themenfeldern durch bestimmte Untersuchungskriterien aufzuzeigen. Das komplexe Feld fahrradfreundlicher Bedingungen kann somit in seinen einzelnen Komponenten besser verstanden und daraus folgend situationsangepasster in den unterschiedlichen Räumen betrachtet werden. Für die Anwendung dieser Erhebungsmethode zur Messung der Fahrradfreundlichkeit - die als Bestandteil der Evaluation von Planungsinstrumenten, Erarbeitung von Radverkehrsstrategien oder Monitoring von umgesetzten Radverkehrsförderungsmaßnahmen genutzt werden kann - muss das Modell an die jeweiligen Untersuchungsräume und deren Datenlage angepasst werden. In Berlin besteht für viele Faktoren eine Datengrundlage, die bei anderen Städten mit weniger Datenquellen eine Anpassung der Faktorenauswahl notwendig macht. Allerdings ist mit der aktuellen Datengrundlage in Berlin für das Modell nur eine Anwendung an ausgewählten Planungsräumen möglich, für die alle Daten vorliegen: In Zukunft sollte eine Verbesserung der Datenakquise für eine Gesamtbewertung von Berlin angestrebt werden, um vergleichbare Ergebnisse zu generieren. Die Einzelbewertung aller Faktoren nach ihrer Bedeutung im Fragebogen erlaubt es, jeden Faktor bei fehlender Datenquelle oder geringe Reliabilität aus dem Modell zu entfernen, um mit allen anderen Faktoren eine Bewertung durchführen zu können. Mit den beschriebenen Erhebungsmethoden konnte für die Planungsräume Lausitzer Platz in Friedrichshain-Kreuzberg im Innenstadtbereich von Berlin ein Gesamtscore von 55,01 Punkten und für die Dammvorstadt in Treptow-Köpenick im äußeren Stadtbereich eine Punktzahl von 29,48 berechnet werden. In allen Themenfeldern konnte der Lausitzer Platz eine höhere Bewertung der Fahrradfreundlichkeit als die Dammvorstadt erzielen. Lediglich für die Faktoren Fahrradweghindernisse und Luftbelastung konnte die Dammvorstadt besser abschneiden, sodass für den Radverkehr strukturelle Defizite in der Fahrradfreundlichkeit in diesem Stadtteil am Stadtrand gegenüber dem Stadtteil in der Innenstadt zu erkennen sind. Die Ergebnisse zeigen potenzielle Handlungsfelder innerhalb der Stadtteile auf, die zur Strategie- und Maßnahmenentwicklung individuell durch Ortsanalysen und mithilfe lokaler Experten genauer untersucht werden müssen. Für eine intensivere komparative Analyse von Stadtteilen ist es allerdings vonnöten, mehr Stadtteile zu untersuchen und die Erkenntnisse der einzelnen Faktoren zu validieren sowie die Skalierungen anzupassen. Wenn die Daten vollständig sind, ist es in Zukunft auch möglich, das Modell unter Einspeisung der neuen Datensätze zu automatisieren, sodass eine Fortschreibung für das Monitoring nur einen geringen Aufwand erzeugt. Damit das quantitative Bewertungsmodell in der Praxis angewendet wird, bedarf es genügend personeller Ressourcen und den verkehrspolitischen Willen, damit diese Erhebungsmethode Einzug in die Stadt- und Verkehrsplanung findet. ■ 1 http: / / copenhagenizeindex.eu/ about.html 2 http: / / www.fahrradklima-test.de Bild 2: Drei Dimensionen der Fahrradfreundlichkeit in der Stadt- und Verkehrsplanung Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 64 MOBILITÄT Wissenschaft QUELLEN Abgeordnetenhaus Berlin, 17. Wahlperiode (2015): Verfolgt der Senat eine Strategie gegen Fahrraddiebstahl? Drucksache 17/ 15950. http: / / pardok.parlament-berlin.de/ starweb/ adis/ citat/ VT/ 17/ SchrAnfr/ S17-15950.pdf [01.02.2018] ADFC - Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V. (2017): Radverkehr - Sicherheit - Aktionen - Geisterräder. Getöte Radfahrende von 2013 bis 2017. http: / / adfc-berlin.de/ radverkehr/ sicherheit/ aktionen/ 62-geisterraeder.html [08.05.2017] AfS BBB - Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2016): Unternehmensregister im Land Berlin 2014. Stand: 29.02.2016. www.statistik-berlin-brandenburg.de/ publikationen/ stat_berichte/ 2016/ SB_D02-01-00_2014j01_BE.xlsx [18.05.2017] AfS BBB - Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2017a): In Berlin angemeldete Fahrzeuge (ohne Außerbetriebsetzungen) nach LOR-Planungsräumen. Stand: 31.12.2015. Unveröffentlicht, Dateneigentümer: Referat 41. AfS BBB - Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2017b): Einwohnerinnen und Einwohner im Land Berlin. Grunddaten am 31. Dezember 2016, halbjährlich. www.statistik-berlinbrandenburg.de/ publikationen/ stat_berichte/ 2017/ SB_A01-05-00_2016h02_BE.xlsx [18.05.2017] BBBIKE (2017): Version des Programms bbbike.cgi: 11.005 (2017-04-25). Stand der Daten: 2017- 05-17 mit Kartengrundlage von MapServer. Von Slaven Rezic. www.bbbike.de/ cgi-bin/ bbbike.cgi? mapserver=1 [18.05.2017] BMUB - Bundesministerium für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2016): Klimaschutzplan 2050 - Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung. Broschüre | Nr. 2261. www.bmub.bund.de/ fileadmin/ Daten_BMU/ Download_PDF/ Klimaschutz/ klimaschutzplan_2050_bf.pdf [01.04.2017] BMVI - Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2014): Radverkehr in Deutschland. Zahlen, Daten, Fakten. www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ K/ radverkehr-in-zahlen.pdf [01.04.2017] Bundesanstalt für Straßenwesen (2017): Die Mauttabelle. www.mauttabelle.de/ maut.html [01.04.2017] Call a Bike (2017): Rad finden - Berlin. www.callabike-interaktiv.de/ de/ staedte/ Berlin [01.04.2017] Der Polizeipräsident in Berlin (2015): Kriminalitätsbelastung in öffentlichen Räumen (Kriminalitätsatlas Berlin 2015). Karten zur Kriminalitätsverteilung in Berlin. www.berlin.de/ polizei/ _assets/ verschiedenes/ pks/ kriminalitatsatlas_berlin_2015.pdf [18.05.2017] Der Polizeipräsident in Berlin (2017): Verkehrsunfallstatistik. www.berlin.de/ polizei/ aufgaben/ verkehrssicherheit/ verkehrsunfallstatistik/ #radfahrer [01.04.2017] Internetstores GmbH (2017): E-Bike Ladestationen - damit euch nicht der Saft ausgeht. www. fahrrad.de/ e-bike-ladestationen.html [01.04.2017] Kelag-Kärtner Elektrizitäts-Aktiengesellschaft (2017): E-Tankstellen finden. Einstellung: Geeignet für E-Fahrräder und Akkus für E-Fahrräder. www. e-tankstellen-finder.com/ [01.04.2017] Nextbike (2017): Standorte Fahrradverleihstationen. www.deezernextbike.de/ de/ berlin/ standorte/ [01.04.2017] Openberlin e.V. (2017): Leerstandsmeldungen in Berlin. www.leerstandsmelder.de/ berlin [12.05.2017] Ordnungsamt Berlin (2017): Meldung an das Ordnungsamt. Aktuelle Meldungen. https: / / ordnungsamt.berlin.de/ frontend/ dynamic/ #! meldungAktuell [18.05.2017] Overpass Turbo (2017): Datenabfrage Road Surface in Berlin. http: / / overpass-turbo.eu/ [15.05.2017] Senstadt - Senatsverwaltung für Stadtentwicklung VII A 3 (2011): Modal Split nach Bezirken - Auswertung auf Basis der 23 „Alt-Bezirke“. Nach SrV 2008, veröffentlicht im Mai 2011. www.stadtentwicklung.berlin.de/ verkehr/ politik_planung/ zahlen_fakten/ download/ 5_SrV_2008_Modal_split.pdf [01.04.2017] SenSW - Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (2016): Flickr-Bilder je Rasterzelle von 10.000 m². Unveröffentlicht, Dateneigentümer: SenSW SenSW - Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (2017a): Verkehrsmengen 2014 (Umweltatlas). WFS-Datenlink. Aktualisiert: 10.05.2017. http: / / fbinter.stadt-berlin. de/ fb/ berlin/ service.jsp? id=wfs_07_01verkmeng2014@senstadt&type=WFS [11.05.2017] SenSW - Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (2017b): Strat. Lärmkarte Gesamtlärmindex L_DEN (Tag-Abend-Nacht) Raster 2012 (UA). ATOM-Feed-URL. Aktualisiert: 22.05.2015. http: / / fbinter.stadt-berlin.de/ fb/ berlin/ service. jsp? id=a_07_05_14verkehr_gesDEN2012@senstadt&type=FEED [15.05.2017] SenSW - Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (2017c): Umweltzone Berlin. WFS-Datenlink. Aktualisiert: 15.05.2016. http: / / fbinter.stadt-berlin.de/ fb/ berlin/ service. jsp? id=re_umweltzone2007@senstadt&type=WFS&themeType=spatial [15.05.2017] SenUVK - Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2017a): Übersichtskarte mit Stand der Fahrradwegweisung. https: / / ssl.stadtentwicklung.berlin.de/ verkehr/ mobil/ fahrrad/ radrouten/ download/ routen_beschildert.pdf [01.04.2017] SenUVK - Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2017b): SrV 2013 Berlin: mittlerer Fahrradbesitz in den Haushalten differenziert nach 23 Alt-Bezirken. Unveröffentlicht, Dateneigentümer: SenUVK. SenUVK - Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2017c): Parkraumbewirtschaftungszonen in Berlin. WMS-Datenlink. http: / / fbinter.stadt-berlin.de/ fb/ berlin/ service.jsp? id=parkraumbewirt@senstadt&type=WMS [01.02.2018] SenWEB - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (2009): Geländehöhen 2009 (Umweltatlas). ATOM-Feed-URL. Aktualisiert: 30.11.2009. http: / / fbinter.stadt-berlin. de/ fb/ feed/ senstadt/ a_01_08dgm2009/ [01.04.2017] SenWEB - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (2014): Geometrien der LOR-Planungsräume Berlins. Aktualisiert: 28.04.2014. https: / / daten.berlin.de/ datensaetze/ geometrien-der-lor-planungsräume-berlins-stand-072012 [01.04.2017] SenWEB - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (2015): Radverkehrsanlagen - [WMS]. Datensätze: Verkehr. Aktualisiert: 10.11.2015. https: / / daten.berlin.de/ datensaetze/ radverkehrsanlagen-wms [01.04.2017] SenWEB - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (2016a): Detailnetz - Straßenabschnitte - [WFS]. Aktualisiert: 11.11.2016. https: / / daten.berlin.de/ datensaetze/ detailnetz-stra%C3%9Fenabschnitte-wfs [01.04.2017] SenWEB - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (2016b): OpenStreetMap Daten für Berlin. Aktualisiert: 12.12.2016. https: / / daten.berlin.de/ datensaetze/ openstreetmap-daten-f%C3%BCr-berlin [01.04.2017] SenWEB - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (2016c): Öffentliche Beleuchtung. WFS-Datenlink. Aktualisiert: 16.09.2016. http: / / fbinter.stadt-berlin.de/ fb/ berlin/ service.jsp? id=re_beleuchtung@senstadt&type=WFS&themeType=spatial [01.04.2017] SenWEB - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (2016d): Grünanlagenbestand Berlin (einschließlich der öffentlichen Spielplätze) - [WFS]. Aktualisiert: 25.07.2016. https: / / daten.berlin.de/ datensaetze/ grünanlagenbestand-berlin-einschl-der-öffentlichen-spielplätze-grünanlagen-wfs [01.04.2017] SenWEB - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (2016e): Verkehrsbedingte Luftbelastung im Straßenraum 2015 und 2020 (Umweltatlas). Aktualisiert: 10.06.2016. https: / / daten.berlin.de/ datensaetze/ verkehrsbedingte-luftbelastung-im-straßenraum- 2015-und-2020-umweltatlas-0 [01.04.2017] SenWEB - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (2017): Baumbestand Berlin. Aktualisiert: 10.05.2017. http: / / fbinter.stadt-berlin.de/ fb/ berlin/ service.jsp? id=k_ wfs_baumbestand@senstadt&type=WMS [16.05.2017] VISS - Verkehrsinformationssystem Straße Berlin (2017): Datensatz zu Ein- und Ausfahrten sowie Parken. Unveröffentlicht, Dateneigentümer: SenUVK. Sven Hausigke, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Land- und Seeverkehr, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, Technische Universität Berlin sven.hausigke@ivp.tu-berlin.de Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 65 Wissenschaft MOBILITÄT Inter, Multi, Mono: Modalität im Personenverkehr Eine Begriffsbestimmung Öffentlicher Personenverkehr, Monomodalität, Intermodalität, Multimodalität, Intramodalität, Verkehrsmittel, Verkehrsträger, Verkehrsmodus, Verkehrsverhalten Intermodalität, Multimodalität und Monomodalität: In der Literatur werden diese Fachbegriffe vom Begriffsverständnis her teilweise unterschiedlich verwendet. Dieser Beitrag greift verschiedene Quellen zu dem Begriffsverständnis auf und stellt einen Vorschlag zur einheitlichen Verwendung der Begriffe vor. Kathrin Viergutz, Benedikt Scheier I n der Verkehrswissenschaft wird eine Reisekette, die aus der aufeinanderfolgenden Nutzung des Autos und der Bahn besteht, „intermodal“ genannt. Doch wie heißt eine Reisekette, die aus einer Busfahrt und einer darauffolgenden Fahrt mit der Straßenbahn besteht, wenn also innerhalb eines Verkehrsmodus umgestiegen wird? In dieser Frage besteht kein Konsens. Der vorliegende Beitrag geht dieser Frage auf den Grund und grenzt zudem weitere Begriffe der Modalität des Verkehrsverhaltens 1 voneinander ab. Dafür werden die Ergebnisse einer Delphi-Analyse zum Begriffsverständnis ausgewählter Fachbegriffe sowie verschiedene Definitionen der wissenschaftlichen Literatur vorgestellt. Zudem enthält der Artikel einen Vorschlag zur Abgrenzung der betrachteten Begriffe. Intermodalität, Multimodalität, Monomodalität - Insbesondere bei der Bearbeitung von Fragen zur Zukunft der Mobilität sind diese Begriffe omnipräsent. Die Suche nach dem Begriff „intermodal“ erzielt in der Wissenschaftssuchmaschine Google Scholar ungefähr 158000 deutsch- und fremdsprachige Treffer. Beim Begriff „multimodal“ sind es sogar über 1,1 Millionen. Es ist also davon auszugehen, dass es sich dabei um gängige Begriffe handelt, die bei der Beschreibung von Verkehrssystemen bzw. des Verkehrsverhaltens eine wichtige Rolle spielen. Dabei findet sich in der Verkehrs- und Mobilitätsforschung ein stark heterogenes Begriffsverständnis. Ein Beispiel dafür ist der Begriff Intermodalität, der die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel innerhalb einer Reisekette beschreibt und von manchen Forschern ausschließlich auf den Wechsel zwischen zwei Verkehrsmodi bezogen wird, wohingegen andere Forscher darunter auch den Umstieg zwischen zwei Verkehrsmittel als intermodal bezeichnen (z. B. Linienbus → Straßenbahn). Um diese Forschungsbzw. Definitionslücke zu schließen, wurde eine Delphi-Analyse durchgeführt, die unter anderem zum Ziel hatte, einen Konsens der Begriffsauslegung des Begriffs Intermodalität festzustellen. Durchführung einer Delphi-Analyse Die durchgeführte Delphi-Analyse hat das Ziel Wissenschaftler aus der Mobilitäts- und Verkehrsforschung zu ihrem Verständnis des Begriffs Intermodalität zu befragen. Im Rahmen der Analyse wurden die Teilnehmer des Expertenpanels zu ihrem Verständnis von insgesamt neun Begriffen aus der Mobilitäts- und Verkehrsforschung befragt, darunter Smart City, Mobility on demand und Mobility as a Service. Im Folgenden wird auf die Auswertung zu den Begriffen Inter- und Intramodalität eingegangen. Die Auswertung zu den weiteren Begriffen kann der Veröffentlichung unter [4] entnommen werden. Eine Delphi-Analyse ist eine mehrstufige qualitative Expertenbefragung, die vorrangig als Prognoseverfahren eingesetzt wird. Wie Bild 1 zeigt, besteht diese Befragung aus mehreren sogenannten Expertenrunden, in denen den Teilnehmern die Antworten aller Teilnehmer aus den jeweils vorangegangenen Runden präsentiert werden. So sollen durch Stellungnahmen zu den Ergebnissen die Antworten immer stärker präzisiert werden. Dabei gilt bei der Delphi-Analyse die Devise „Qualität vor Quantität“: Ein kleiner Kreis ausgewählter fachkundiger Teilnehmer genügt, um Sachverhalte zu prognostizieren. In dieser Studie bestand das Panel aus 26 Experten aus der Mobilitäts- und Verkehrsforschung. Die durchgeführte Delphi-Analyse besteht aus zwei Runden. In der ersten Runde wurden die Teilnehmer des Panels um ihr Verständnis des Begriffs Intermodalität gebeten. Dafür sollten sie angeben, ob sich der Begriff aus ihrer Sicht ausschließlich auf den Umstieg zwischen Verkehrsmodi (Beispiel: Auto → Bus) bezieht, oder ob damit zusätzlich auch der Umstieg innerhalb eines Verkehrsmodus (Beispiel: Bus → Straßenbahn) bezeichnet Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 66 MOBILITÄT Wissenschaft wird. Zudem wurden die Teilnehmer um freitextliche Antworten zu ihrer eigenen Beschreibung der Begriffe gebeten. In der zweiten Runde wurden den Teilnehmern- die kumulierten Antworten aller Teilnehmer aus Runde- 1 zurückgespielt, sodass sie dazu Stellung beziehen konnten. Wie Bild 2 zeigt, hat die Delphi-Analyse ergeben, dass jeweils die Hälfte der Befragten unter dem Begriff der Intermodalität ausschließlich den Umstieg zwischen Verkehrsmodi, beziehungsweise zusätzlich den Umstieg innerhalb eines Verkehrsmodus, versteht. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Auswertung der freitextlichen Antworten, in denen der Begriff durch die Teilnehmer grundlegend unterschiedlich definiert wurde. Dieses Ergebnis zeigt, dass unter diesen Experten kein homogenes Begriffsverständnis existiert und somit die Notwendigkeit besteht, eine allgemeingültige Abgrenzung des Begriffs vorzunehmen. Literaturanalyse zu den Begriffen Mono-, Inter- und Multimodalität Da die Expertenbefragung, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, ein heterogenes Begriffsverständnis gezeigt hat, folgt nun ein Überblick über die in der wissenschaftlichen Literatur gebräuchlichen Beschreibungen der Begriffe Monomodalität, Intermodalität und Multimodalität. Etymologisch betrachtet besitzen die Vorsilben, die ursprünglich aus dem Lateinischen kommen, folgende Bedeutung: Die Vorsilbe Modus beschreibt das Maß oder die Art und Weise; Mono bedeutet allein oder einzig; Inter hat die Bedeutung zwischen oder unter; Multus steht für viel oder zahlreich. Beutler [6] liefert einen Überblick über die in der wissenschaftlichen Literatur vorhandenen Beschreibungen der betrachteten Begriffe. Außerdem enthält die Webseite des Forschungsinformationszentrums Mobilität und Verkehr des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur eine weitere Sammlung an Definitionen [7]. Die in diesem Abschnitt dargelegten Beschreibungen beziehen sich teilweise auf die Recherche von Beutler und des FIS, werden jedoch durch eine tiefergehende eigene Literaturuntersuchung ergänzt. Monomodalität vs. Multimodalität Monomodalität wird nach Beutler [6] als „… die ausschließliche Nutzung eines Verkehrsmittels für alle Wegezwecke …“ definiert. Nobis beschreibt Monomodalität als ausschließliche Nutzung eines Verkehrsmittels innerhalb eines festgelegten Zeitraumes. Es stellt sich als direkten Gegenpart zur Multimodalität dar, da: „Die Voraussetzung für das Vorliegen von Multimodalität ist die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel innerhalb dieser Zeit.“ [2]. Der festzulegende Zeitraum wird oftmals als eine Woche definiert [8]. Diesen Definitionen folgend, lassen sich die beiden Begriffe klar voneinander abgrenzen. Schwieriger wird es, wenn der Begriff Intermodalität betrachtet wird und gegenüber Multimodalität abgegrenzt werden soll. Intermodalität vs. Multimodalität Manfred Boltze bemerkte bereits 1995, dass der Begriff intermodales Verkehrsmanagement vermehrt verwendet wird ohne dass ein homogenes Verständnis des Begriffs besteht. Intermodal definiert er dabei allgemein als verkehrsmittelübergreifend. Es wurde auch noch nicht von intermodalen Transportkette bzw. Wegeketten gesprochen, sondern von „multimodalen Transportketten“ [9]. Die Nutzung mehrerer Verkehrsmittel innerhalb einer Transportkette bzw. eines Weges wird heute zumeist als Intermodal beschrieben. So definiert Gerike [8] „Die Nutzung mehrerer Verkehrsmittel auf einem Weg“ als Intermodal. Und, dass sich diese Wege durch die Kombination von Rad oder PKW und Öffentlichem Verkehr auszeichnen. Nobis definiert Intermodal mit „Nutzung und damit Kombination verschiedener Verkehrsmittel im Verlauf eines Weges.“ [10] Nach diesen Definitionen ist ein intermodales Verkehrsverhalten auch automatisch ein multimodales Verkehrsverhalten und nach Ahrens eine „… Sonderform multimodalen Verkehrsverhaltens“ [11] sowie eine „Teilmenge der Multimodalität“ [12] (siehe auch Bild 3). Nach der Definition von Chlond & Manz [13] ist Intermodalität die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel im Verlauf eines Weges. Multimodalität im Unterschied dazu ist definiert als wechselnde Verkehrsmittelnutzung bei unterschiedlichen Wegen einer Person in einem bestimmten Zeitraum. Bild 1: Delphi-Analyse: Mehrstufige qualitative Expertenbefragung als Prognoseverfahren Quelle: Statistisches Bundesamt 2003 [5], mit Ergänzungen durch Autoren Bild 2: Ergebnis der Delphi-Analyse zum Verständnis des Begriffs „Intermodalität“ Quelle: Autoren Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 67 Wissenschaft MOBILITÄT Vorschlag zur Verwendung des Begriffs Intermodalität In der Literatur überwiegt, dass es sich bei Intermodalität um wechselnde Verkehrsmittel auf einem Weg und bei Multimodalität bei wechselnden Verkehrsmitteln innerhalb einer Woche handelt. Aber handelt sich es bei der Nutzung von Bus und Straßenbahn innerhalb eines Weges bereits um ein intermodales Verkehrsverhalten oder um ein monomodales? Die Delphi-Analyse ergab ein geteiltes Bild. Entscheidend für eine Abgrenzung ist die Definition von (Verkehrs-) Modus. Die meisten Quellen definieren den Verkehrsmodus nicht direkt, sprechen aber von Verkehrsmittel. Gerike definiert die Begriffe Verkehrsmittel, Verkehrsmodus und Verkehrsträger wie folgt [15]: • Verkehrsmittel sind „Fortbewegungsmittel, die auf den Verkehrsnetzen verkehren“ und „Transportgefäße“, zu denen sowohl Fahrzeuge, wie auch menschliche Füße gehören. • Der Verkehrsmodus beschreibt Verkehrsmittelgruppen, zu denen Verkehrsmittel zusammengefasst werden. Zum Beispiel umfasst der öffentliche Personennahverkehr die Verkehrsmittel Bus, Tram, S-Bahn und U-Bahn. • Der Verkehrsträger beschreibt das „Medium des Fahrwegs“, also beispielsweise die Straße, die Schiene, die Luft oder das Wasser. Dieser Beitrag greift für den folgenden Vorschlag zur Abgrenzung der Begriffe diese Definitionen von Gerike mit auf, mit der einzigen Ausnahme, dass das Verkehrsmittel „Füße“ nicht zu einem Verkehrsmodus zusammengefasst werden kann. Dies würde dazu führen, dass automatisch fast alle Wege intermodal durchgeführt werden, da ein Teil des Weges fast immer zu Fuß zurückgelegt wird (Fußweg zum außer Haus stehenden Auto / Fahrrad oder Weg zur Haltestelle). Es sollte demnach bei der Definition von z.B. intermodalem Verkehrsverhalten nicht von der Nutzung verschiedener Verkehrsmittel geschrieben werden, sondern von der Nutzung verschiedener Verkehrsmodi. Im Beispiel des ÖPNV schließt das bspw. die Straßenbahn und den Bus als einen einzigen Verkehrsmodus mit ein. Dies macht auch insofern Sinn, als dass für den Nutzer hinsichtlich der eigentlich Nutzung des Angebots es keinen Unterschied macht, ob eine Straßenbahn oder ein Linienbus genutzt wird. Um weiterhin beschreiben zu können, dass ein Weg mit mehreren Verkehrsmitteln durchgeführt wird, bietet sich die Verwendung des Begriffs Intramodalität an. Einen Vorschlag zur Abgrenzung der Verwendung der Begriffe Intermodalität und Intramodalität bezogen auf Verkehrsmittel gibt Tabelle 1. Schlussfolgerung Abschließend wird das Fazit gezogen, dass bei der Verwendung der Begriffe Mono-, Multi- und Intermodalität zur eindeutigen Abgrenzung der Begriffe der Fokus auf unterschiedliche Verkehrsmodi und nicht auf Verkehrsmittel gelegt werden sollte. Im Einzelfall kann dies dennoch weiterhin zur uneinheitlichen Verwendung führen, da einzelne Verkehrsmittel nicht klar einem Verkehrsmodus zugeordnet werden können, z. B. ist die S-Bahn Berlin - aufgrund der weitgehenden infrastrukturellen Trennung vom weiteren Eisenbahnregional- und Fernverkehr - eher dem Verkehrsmodus ÖPNV mit Linienbus, Straßenbahn und U-Bahn zuzuordnen, während die S-Bahn Mitteldeutschland einem Regionalzugsystem entspricht. Es ist demnach sinnvoll die Zuordnung der Verkehrsmittel zu den Verkehrsmodi eindeutig vorzunehmen. ■ 1 Beutler [1] spricht bei der Betrachtung des Begriffs Intermodalität von drei Dimensionen, in denen der Begriff betrachtet werden kann: „1. Intermodalität dient der Beschreibung von Verkehrssystemen im Güterverkehr. 2. Intermodalität bezeichnet ein bestimmtes Verkehrsverhalten im Personenverkehr. 3. Intermodalität wird zur Bezeichnung einer verkehrspolitischen Strategie verwendet.“ Dieser Beitrag betrachtet die Begriffe ausschließlich hinsichtlich des Verkehrsverhaltens, wobei Nobis [2] bemerkt, dass die Di- Mo Di Mi Do … Zuhause Arbeit + + … Multimodales Verkehrsverhalten Sonderform von Multimodalität: Intermodales Verkehrsverhalten Bild 3: Beispielhafte Darstellung von multi- und intermodalem Verkehrsverhalten Quelle: Autoren, nach [14] Umstieg zwischen Linienbus Straßen- / Stadtbahn U-Bahn S-Bahn Regionalzug Fernzug Motorisierter Individualverkehr Fahrrad Linienbus intramodal intramodal intramodal intermodal intermodal intermodal intermodal intermodal Straßen- / Stadtbahn intramodal intramodal intermodal intermodal intermodal intermodal intermodal U-Bahn intramodal intermodal intermodal intermodal intermodal intermodal S-Bahn intramodal intramodal intramodal intermodal intermodal Regionalzug intramodal intramodal intermodal intermodal Fernzug intramodal intermodal intermodal Motorisierter Individualverkehr intramodal intermodal Fahrrad intramodal Tabelle 1: Kontextmatrix zur Verwendung der Begriffe Intermodalität und Intramodalität Quelle: Autoren Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 68 MOBILITÄT Wissenschaft mensionen eng miteinander verknüpft sind bzw. sich gegenseitig bedingen. Jones et al. [3] fasst zwei Dimensionen bei der Definition von Intermodalität zusammen: „The shipment of cargo and the movement of people involving more than one mode of transportation during a single, seamless journey“ LITERATUR [1] vgl. Beutler, F. (2004): Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (Ed.): Intermodalität, Multimodalität und Urbanibility. Vision für einen nachhaltigen Stadtverkehr. Berlin. Abrufbar unter: http: / / nbn-resolving.de/ urn: nbn: de: 0168-ssoar-117495, abgerufen am 15.01.2018, S. 8 [2] vgl. Nobis, C. (2013): Dissertationsschrift: Multimodale Vielfalt: Quantitative Analyse multimodalen Verkehrshandelns, Berlin. S. 20 [3] vgl. Jones, Brad W.; Cassady, Richard C.; Bowden, Royce O. (2000): Developing a Standard Definition of Intermodal Transportation. In: Transportation Law Journal, 27 (3), S. 345-352 [4] Viergutz, K.; König, A. (2017): Analyse des Bedeutungsverständnisses neuartiger Schlagwörter in der deutschsprachigen Verkehrs- und Mobilitätsforschung. 8. Pegasus- Jahrestagung 2017, Aachen. Abrufbar unter: http: / / elib.dlr.de/ 114837/ 1/ AU_TS_Buzzwords_im_Verkehrswesen_Viergutz_K%C3%B6nig_20170922.pdf, abgerufen am 15.01.2018. [5] Statistisches Bundesamt: Vorgrimler, D.; Wübben, D. (2003): Die Delphi-Methode und ihre Eignung als Prognoseinstrument. Abrufbar unter: https: / / www.destatis.de/ DE/ Publikationen/ Wirts chaftStatistik/ G astbeitraege/ DelphiMethode_82003.pdf? __ blob=publicationFile [6] vgl. Beutler, F. (2004): Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (Ed.): Intermodalität, Multimodalität und Urbanibility. Vision für einen nachhaltigen Stadtverkehr. Berlin. Abrufbar unter: http: / / nbn-resolving.de/ urn: nbn: de: 0168-ssoar-117495, abgerufen am 15.01.2018, S. 9 [7] FIS Forschungs-Informations-Zentrum Mobilität und Verkehr (o.J.): Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), Referat G 11. Abrufbar unter: https: / / www. forschungsinformationssystem.de, abgerufen am 15.01.2018 [8] vgl. Gerike, R. (2015): Verkehrsplanung. Einführung, Grundbegriffe Verkehrsplanung. Vorlesungsunterlagen. Abrufbar unter: https: / / tu-dresden.de/ bu/ verkehr/ ivs/ ressourcen/ dateien/ vip/ lehre/ ws/ Verkehrspl_ws1516/ BIW2_07_Grundlagen.pdf? lang=de, abgerufen am 15.01.2018, Folie 80 [9] Boltze, M. (1996): Intermodales Verkehrsmanagement mehr als eine Mode? Internationales Verkehrswesen (48), 1+2/ 1996, S. 11 [10] vgl. Nobis, C. (2013): Dissertationsschrift: Multimodale Vielfalt: Quantitative Analyse multimodalen Verkehrshandelns, Berlin. S. 21 [11] Ahrens, G.-A.; Aurich, T.; Böhmer, T.; Klotzsch, J.; Pitrone, A. (2010): Interdependenzen zwischen Fahrrad- und ÖPNV-Nutzung - Analysen, Strategien und Maßnahmen einer integrierten Förderung in Städten. Endbericht. Dresden, S. 23 [12] Bergmann, G.; Daub, J. (2016): Alternative Mobilität? - Möglichkeiten neuer Wege in der Automobilgesellschaft, Band 2, LIT Verlag Dr. W. Hopf, Berlin, S. 21 [13] Chlond, B. (2013): Multimodalität und Intermodalität. Erschienen in: Nicht weniger unterwegs, sondern intelligenter? Neue Mobilitätskonzepte. Band 11. Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH, Berlin [14] Von der Ruhren, S.; Rindfüser, G.; Beckmann, K.; Kuhnimhof, T.; Chlond, B.; Zumkeller, D. (2003): Bestimmung multimodaler Personengruppen. Schlussbericht FE-Nr. 70.724/ 2003, Forschungsprogramm zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in der Gemeinden, Aachen/ Karlsruhe 2003 [15] vgl. Gerike, R. (2015): Verkehrsplanung. Einführung, Grundbegriffe Verkehrsplanung. Vorlesungsunterlagen. Abrufbar unter: https: / / tu-dresden.de/ bu/ verkehr/ ivs/ ressourcen/ dateien/ vip/ lehre/ ws/ Verkehrspl_ws1516/ BIW2_07_Grundlagen.pdf? lang=de, abgerufen am 15.01.2018, Folie 61-63 Kathrin Viergutz, M.Sc. Doktorandin, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Institut für Verkehrssystemtechnik, Braunschweig kathrin.viergutz@dlr.de Benedikt Scheier, Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH), M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Institut für Verkehrssystemtechnik, Braunschweig benedikt.scheier@dlr.de 6. - 8. März 2018 Messe Karlsruhe Partner +++ E-Ticketing +++ Integriertes Fahrgeldmanagement +++ Echtzeit-Fahrgastinformation +++ Software +++ Verkehrsmanagement +++ Sicherheitssysteme +++ Infotainmentsysteme +++ Kombinierter Verkehr +++ Autonomes Fahren +++ und weitere +++ Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 69 Hafenlogistik TECHNOLOGIE Intelligente Überwachung mobiler Objekte in Seehäfen Real-Time-Location-System, RoRo-Hafen, Informations- und Kommunikationstechnologien, Beacons Dieser Beitrag beschreibt die Integration eines RTLS in die Prozesslandschaft eines RoRo-Terminals zur Überwachung von Trailern innerhalb des Hafengeländes. Durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien soll die Abwicklung der Umschlagsprozesse im Hafen verbessert werden. Das vorgestellte System vereint etablierte Ansätze, wie die GPS-gestützte Positionsbestimmung und die Identifikation der zu lokalisierenden Objekte durch Beacons. Zum Empfang und zur Verarbeitung der Positionsinformationen wird auf die vorhandene Sensorik in Smartphones (MD) zurückgegriffen. Nina Vojdani, Thomas Lück S eehäfen sind wichtige Knotenpunkte von intermodalen Transportketten und ermöglichen den Zugang zu weiteren Verkehrsträgern wie Straße, Schiene oder Luft. Sie stellen damit elementare Schlüsselelemente der internationalen Logistiknetzwerke dar. Die Koordination der innerbetrieblichen und unternehmensübergreifenden logistischen Abläufe in einem Hafen wird durch eine steigende Planungs- und Problemkomplexität erschwert. Diese resultiert unter anderem aus den unterschiedlichen, in einem Seehafen zusammenlaufenden Transportmodi und aus der Vielzahl der beteiligten und unterschiedlichen Akteure. Aus diesem Grund ist die effiziente Planung und Steuerung der logistischen Prozesse ohne die Unterstützung hochentwickelter Informations- und Kommunikationstechnologien in einem Hafen nur schwer umsetzbar. In einer Studie untersuchen Heilig und Voß [1] unterschiedliche Informationssysteme und IT-Technologien, die in Seehäfen Anwendung finden, und nehmen eine Klassifizierung dieser vor. Harris et al. [2] identifizieren verschiedene Anwendungsbeispiele von IT-Technologien in Seehäfen und stellen die Vorteile der Digitalisierung der Häfen in Zusammenhang mit multimodalen Transportketten dar. Dazu gehören beispielsweise die Reduzierung der Be- und Entladezeiten in intermodalen Häfen, verbesserte Nutzung der Terminalinfrastruktur, effiziente Gestaltung der Schnittstellen zwischen verschiedenen Transportmodi am Point of Transshipment, Reduzierung der Betriebskosten und Verbesserung des Kundenservice sowie der Kundenzufriedenheit. Ausgangssituation Der Gütertransport über Fähren kann begleitet oder unbegleitet erfolgen. Nach Passieren eines Trailer-Gates fährt der LKW direkt auf die Fähre oder setzt seinen Trailer auf vorgegebenen Stellplätzen ab. Die Trailer werden anschließend durch Stauereien auf die Fähren transportiert [3]. In einem Anwendungsfall erfolgt die Zuweisung der Trailer zu entsprechenden Stellplätzen bei der Buchung des Fährtransports durch die Zuordnung von Stellplatznummern, die in einem Informationssystem gespeichert werden. Die Eingabe und Aktualisierung der Standortinformationen (Verknüpfung Standort und Trailer, Standortstatus) ist oft durch einen hohen manuellen Aufwand geprägt. Darüber hinaus stimmt die im System hinterlegte Stellplatznummer mit dem tatsächlichen Standort des Trailers auf der Hafenfläche häufig nicht überein. Diese Abweichung resultiert in hohen Suchaufwänden und kann sogar dazu führen, dass der Trailer nicht mehr rechtzeitig auf das vorbestimmte Schiff verladen wird. Aktuelle und verlässliche Angaben zum Standort der Trailer auf der Hafenfläche sind für die effiziente Abwicklung der Be- und Entladesowie der Ein- und Auslagerungsprozesse im Hafen von großer Bedeutung. Aus diesem Grund ist die Überwachung der Stellflächen mit Hilfe eines Real Time Location Systems (RTLS) als Teil eines Hafeninformationssystems (HIS) eine- grundlegende Voraussetzung für eine Verbesserung der Abfertigungsprozesse in Häfen. Das zu realisierende System hat insbesondere den Anspruch, die Trailer in Echtzeit zu lokalisieren, um so eine Steuerung der nachgelagerten Prozesse ohne Verzögerung zu ermöglichen. Darüber hinaus sollen mit der automatischen Datenerfassung Fehler bei der Übermittlung der Positionsangaben vermieden werden. Grenzen klassischer Realisierungsansätze Für die Lokalisierung von Objekten in Outdoorumgebungen werden vor allem Anwendungen auf Basis des Global Positioning Systems (GPS) erstellt. Die ermittelten Positionsinformationen sind aber nicht für jeden beliebig verfügbar. Der Einsatz von GPS wird erschwert, wenn die zu lokalisierenden Objekte über keine eigene dauerhafte Energieversorgung zum Betrieb der GPS-Empfänger verfügen. Weitere Realisierungsansätze für RTLS nutzen Funktechnologien wie Radio Frequency Identifiaction (RFID) oder Wireless Local Area Network (WLAN) und bestehen in der Regel aus Tags, Lesegeräten und einer Software zur Berechnung der Position (genannt Location-Engine). Ein RFID Tag kann entweder am zu lokalisierenden mobilen Objekt befestigt werden oder als stationärer Referenzpunkt dienen. Die vom Tag gesendeten Signale werden vom Location-Sensor, oft auch Lesegerät (engl. Reader), erfasst und gemessen. Unabhängig von der verwendeten Technologie übermittelt der Location-Sensor die Messgrößen des erfassten Signals an den Location-Engine, der diese mit dem Ziel der Positionsbestimmung mit Hilfe unterschiedlicher technischer Verfahren wie beispielsweise Trilateration, Triangulation oder Fingerprinting auswertet [4]. Weit verbreitet ist das Verfahren der Trilateration auf Basis der kabellosen Distanzmessung. Zur eindeutigen Positionsbestimmung des gesuchten Objektes werden für den zweidimensionalen Fall Abstandsmessungen zu mindestens drei ortsfesten Referenzpunkten benötigt. Unter idealen Bedingungen lassen sich die Tags in jeder Umgebung lokalisieren, sofern diese mit einer ausreichenden Anzahl an Lesegeräten ausgestattet Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 70 TECHNOLOGIE Hafenlogistik ist. Auf einem Hafenterminal kann sich die Installation von Infrastruktur in Form einer großen Anzahl von Lesegeräten oder Basisstationen abhängig von der zu überwachenden Fläche als kostenintensiv darstellen. Darüber hinaus können Zugmaschinen, Trailer, Container und mobile Transportmittel Hindernisse für die Funksignale zwischen Tags und Lesegeräten repräsentieren. Dies erfordert eine Befestigung der Lesegeräte in höherer Lage, z. B. an Lichtmasten, so dass die zu ortenden Tags nicht vollständig abgeschirmt und die Signale von den Lesegeräten empfangen werden können. Aufgrund der beschriebenen Probleme werden neue Architekturen für die Implementierung von RTLS benötigt. Beispiele aktueller Realisierungsansätze Das im Rahmen des Projektes ProKon entwickelte Prozess- und Kontrollsystem auf dem RoRo-Terminal in Bremerhaven fokussiert auf die Identifikation und Lokalisierung spezialisierter Ladungsträger im High und Heavy Bereich. Zur Lösung des Problems sieht das entwickelte Konzept die Identifikation der Ladungsträger mittels der RFID-Technologie und die Lokalisierung via GPS vor. Nach dem Entladen wird ein passiver RFID-Tag am Ladungsträger befestigt und im System registriert. Die Identifikation erfolgt während der Ein- und Auslagerung im Zusammenspiel eines Koppelsensors und eines RFID-Lesegeräts, welche auf einem Transportfahrzeug angebracht sind. Darüber hinaus sind die Fahrzeuge mit einem GPS-Modul zur Positionsbestimmung und einem PC ausgestattet. Dieser steuert die angeschlossenen Peripheriegeräte und verarbeitet die durch die Sensoren erfassten Messwerte. Die Kommunikation mit der Terminal-IT erfolgt über ein integriertes WLAN-Modul. Der vorgestellte Ansatz überzeugt durch seine intelligente Technologieverteilung und die damit verbundene Wirtschaftlichkeit, da die kostenintensiven Systemkomponenten nur auf wenigen Fahrzeugen installiert werden und eine technologisch nur minimalnotwendige Ausstattung der Ladungsträger mit passiven RFID-Tags erfolgt [5]. Die großflächige und kostenintensive Installation fester RFID- Lesegräte z. B. an Lichtmasten wie bei einer klassischen RTLS Architektur mit festen Referenzpunkten ist damit nicht notwendig. Ziel der von Bisio et al. [6] beschriebenen Architektur zur Realisierung eines RTLS ist das Tracking hochwertiger Objekte (Assets) auf Baustellen. Das vorgestellte Konzept setzt dabei ebenfalls auf eine intelligente Technologieverteilung und nutzt zur Positionsbestimmung der Objekte GPS. Zur Identifikation werden an den zu trackenden Objekten Bluetooth Low Energy (BLE)-Tags, sogenannte Beacons, angebracht. Im Vergleich zum Projekt ProKon werden Smartphones als Location-Sensor eingesetzt. Die Kernfunktionalität des Systems wird durch zwei Applikationen auf Android Smartphones realisiert, mit denen jeder Mitarbeiter ausgestattet ist. Mithilfe der Anwendung namens Asset Proximity Locator (APL) werden die aktuelle GPS-Position des Smartphones und die empfangene Signalstärke des erfassten Beacons bestimmt und damit das gesuchte Objekt getrackt. In einem Projekt eines Herstellers von intralogistischen Systemen werden für die Indoor-Lokalisierung von Flurförderzeugen Smartphones in Kombination mit der BLE-Technologie eingesetzt. Die Positionsbestimmung eines Staplers erfolgt in Verbindung mit mehreren im gesamten Lager installierten stationären Beacons und einem Smartphone, mit dem jeder Stapler ausgestattet ist. Die errechneten Positionsdaten werden an einen Server übermittelt und können anschließend über eine webbasierte Software für vielfältige positionsbasierte Auswertungen und Berichte genutzt werden. Das System lässt sich durch die Systemkomponenten relativ einfach, schnell und kostengünstig realisieren und flexibel auf andere Hersteller oder Anwendungsszenarien anpassen [7]. Integration eines RTLS in die Prozesse eines RoRo-Hafens Das vom Lehrstuhl für Produktionsorganisation und Logistik (LPL) entwickelte Konzept zur Integration eines RTLS in die Be- und Entladesowie Ein- und Auslagerungsprozesse in einem RoRo-Hafen setzt auf Smartphones als intelligente Sensorik zur Erfassung von Positionsdaten. Im Zusammenspiel mit einer für den Anwendungsfall entwickelten Applikation (Location-Client) erfüllt das Smartphone die notwendigen Anforderungen eines Location-Sensors. Zur Identifikation der Trailer werden Beacons eingesetzt. Der Location-Server als zentrales Backendsystem des RTLS empfängt die Location-Server Rest-Controller Location-Client Sensoren BLE-Manager GPS-Manager Rest-Controller REST Schnittstelle (HTTPS) T T T T T T T MD MD MD Location-Engine Abstandsmessung Trilateration Hafeninformationssystem Stauerei Be- und entladen der Fähre Umschlag der Trailer zwischen Zug, Schiff und Stellflächen Logistikdienstleister / Fuhrunternehmen LKW- und Trailer-Transport T: Trailer MD: Mobile Device : Beacon Bild 1: Konzeptionelle Architektur des RTLS für einen RoRo-Hafen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 71 Hafenlogistik TECHNOLOGIE Daten des Location-Clients, aggregiert diese und berechnet die aktuelle geographische Position der Trailer durch Anwendung des Trilaterationsverfahrens. Über ein Webinterface können die Standortinformationen auf verschiedenen Clients wie beispielsweise Smartphones, Tablet PC oder Computer abgerufen werden und anderen Anwendungen über das HIS zur Verfügung gestellt werden (Bild 1). Nachfolgend werden die Funktionsweise und die Integration des RTLS in die Umschlagprozesse eines RoRo-Hafens für den Export von unbegleiteten Trailern beschrieben. Mit dem Erreichen des Trailer-Gates wird ein Beacon am Trailer befestigt und mit dem entsprechenden Auftrag zur Verladung auf das Schiff im System informationstechnisch verknüpft. Der Fahrer fährt zum ihm zugewiesenen Stellplatz und stellt den Trailer dort ab. Durch den ständigen Verkehr der Zugmaschinen auf dem Hafengelände werden Signale der Beacons, die sich in Reichweite des Smartphones des Fahrers befinden, erfasst. Dieser Ansatz - das Erheben von Daten durch eine Menschenmenge und mitgeführter Sensoren wird als Crowd Sensing bezeichnet [8]. Mithilfe des integrierten GPS-Empfängers des Smartphones wird die aktuelle geographische Position zum Empfangszeitpunkt des Beaconsignals bestimmt. Die ermittelten Positionsparameter, bestehend aus Längengrad, Breitengrad und Höhe, werden mit der empfangenen Signalstärke verknüpft und anschließend an den Location-Server via WLAN oder per Mobilfunknetz übertragen. Der Location-Server ist das zentrale Element des RTLS. Er empfängt die Positionsdaten der Location-Clients, aggregiert diese und berechnet die aktuelle geographische Position der Trailer. Dabei kommen unterschiedliche technische Verfahren zum Einsatz. Durch Auswertung der Signalstärke kann die Entfernung zwischen Beacon und dem Smartphone und damit die Position des Trailers in Bezug auf das Smartphone zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasst werden. Der Beacon befindet sich dann auf einem idealisierten Kreis, wobei das Smartphone der Mittelpunkt ist und der Radius des Kreises dem ermittelten Abstand entspricht. Bewegt sich das zu lokalisierende Beacon innerhalb einer gewissen Zeitspanne nicht, so können die geographischen Positionen des Smartphones, an denen ein Beacon erfasst wurde, als quasi ortsfeste Referenzpunkte angenommen werden. Liegen mindestens drei Referenzpunkte vor, wird durch Anwendung des Trilaterationsverfahrens der Standort des Trailers bestimmt. Die Angaben zum Standort des Trailers werden mit jedem neuen Tracking- Event schrittweise verfeinert. Mit steigender Anzahl von „Datensammlern“ und Tracking Events ergibt sich so ein umfassendes Bild mit den geographischen Positionen der zu lokalisierenden Trailer. Die Nutzer des Systems können sich so jederzeit einen Überblick über die aktuelle Belegungssituation der Stellplätze verschaffen. Zu verladende Trailer können auf dem weiträumigen Gelände gezielt aufgesucht und anschließend mit geeigneten Transportmitteln auf die Schiffe transportiert werden. Der Beacon wird an der Rampe entfernt, das Backenendsystem aktualisiert und der Trailer im System als „Verladen“ markiert. Die technische Machbarkeit des vorgestellten Konzeptes wird durch die protypische Implementierung einer iOS-App bestätigt. Durch die Integration eines RTLS in die Umschlagprozesse eines RoRo-Hafens können folgende Potentiale erschlossen werden: • Stauerei-Unternehmen wird ermöglicht, zu transportierende Trailer verlässlich in Echtzeit zu lokalisieren und so von den Stellplätzen zeitsynchron auf der Vorstaufläche des ankommenden Schiffes bereitzustellen. • Durch Reduzierung der Suchzeiten sind im Umfeld der Stauerei-Unternehmen positive Effekte in Bezug auf den Ressourceneinsatz (Personal und Transportmittel) zu erwarten. • Es wird ein verbesserter Service durch Echtzeitbenachrichtigung der an der intermodalen Transportkette beteiligten Akteure über den Status wie z. B. „Trailer auf Vorstaufläche“ oder „Trailer auf Fähre verladen“ sichergestellt. • Aus den erfassten Positionsdaten können Auswertungen und Kennzahlen zur Auslastung oder Belegung der Stellplätze erstellt werden, um so mögliche Verbesserungen wie beispielsweise die Optimierung von Fahrwegen der Transportmittel einzuleiten. Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen dieses Beitrages wurde ein Konzept zur Integration eines RTLS zur intelligenten Überwachung von mobilen Objekten in RoRo-Häfen beschrieben. Die Standortbestimmung der Trailer erfolgt durch Kombination von Satellitenortung, der signalstärkenbasierten Abstandsmessung und der serverseitigen Auswertung der Daten durch Anwendung der Trilateration. Zur Identifikation der Trailer werden Beacons eingesetzt. Alle sensorisch-technischen Anforderungen (Objektidentifikation und GPS-Positionsbestimmung) werden durch Smartphones realisiert. Die dargestellten Potentiale zeigen, dass die Implementierung eines RTLS positive Auswirkungen auf die Umschlagsprozesse der beteiligten Akteure zur Folge hat. Durch die gewählte Systemarchitektur kann auf den Einsatz kostenintensiver und spezialisierter Systemkomponenten verzichtet und damit eine einfache Integration in die bestehende Infrastruktur sowie in die bestehende Prozesslandschaft ermöglicht werden. Gegenstand zukünftiger Arbeiten ist die weitere Verbesserung der Genauigkeit der Positionsbestimmung durch den Einsatz von Filterverfahren zur Reduzierung der Abweichungen bei der signalstärkenbasierten Abstandsmessung sowie die Untersuchung alternativer Lokalisierungstechniken und Algorithmen. Darüber hinaus ist die Durchführung umfangreicher praktischer Testreihen und Grenzwerttests geplant. ■ LITERATUR [1] Heilig, L; Voß, S. (2017): Information systems in seaports: a categorization and overview. Information Technology and Management, 2017, vol. 18, issue 3, No 2, S. 179-201 [2] Harris, I.; Wang, Y.; Wang, H. (2015): ICT in multimodal transport and technology trends: unleashing potential for the future. Int. J. Production Economics. 159 (2015), S. 88-103 [3] Liu, H.; Darabi, H.; Banerjee, P.; Liu, J. (2007). Survey of wireless indoor positioning techniques and systems. IEEE Transactions on Systems, Man, and Cybernetics, Part C (Applications and Reviews), 37(6), S. 1067-1080 [4] Vojdani, N.; Ruffing, A.; Erichsen, B. (2017): Echtzeitinformationen im Fährverkehr Real Time Traffic Informationen von Fähren zur Unterstützung multi-modaler Transportketten. Jahrbuch Logistik 2017, Wuppertal: unikat Werbeagentur GmbH, 2017, S. 42-45 [5] Isenberg, M.-A.; Virnich, A.; Özsahin, M.-E. (2010): Transparenz im Ro-Ro-Terminal. RFID im Blick. 01/ 2010, Sonderausgabe „RFID in Bremen“, 2010, S. 48-49 [6] Bisio, I.; Sciarrone, A.; Zappatore, S. (2016): A new asset tracking architecture integrating RFID, Bluetooth Low Energy tags and ad hoc smartphone applications. Pervasive and Mobile Computing, 31, S. 79-93 [7] Sonderpublikation zum Wettbewerb International Forklift Truck of the Year, IFOY Award 2017, Huss-Verlag GmbH, 2017, S. 14 [8] Ganti, R. K.; Ye, F.; Lei, H. (2011). Mobile crowdsensing: current state and future challenges. IEEE Communications Magazine, 49(11), S. 32-39 Nina Vojdani, Prof. Dr.-Ing. Lehrstuhlinhaberin, Lehrstuhl für Produktionsorganisation und Logistik, Universität Rostock vojdani@uni-rostock.de Thomas Lück, M.Sc.Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Produktionsorganisation und Logistik, Universität Rostock thomas.lueck@uni-rostock.de Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 72 Ein Meilenstein für die autonome Schifffahrt Erste (teil)autonome Fähren in Norwegen Automatisierung, Fährbetrieb, Energieverbrauch, elektrischer Antrieb Die norwegischen Gemeinden Anda und Lote werden bald die ersten Ortschaften sein, die in den Genuss sicherer und effizienter Überfahrten kommen, bei denen die Fähre von selbst fährt. Die Einführung von Rolls-Royce Autocrossing bringt uns einer Welt, in der Schiffe autonom fahren, einen weiteren Schritt näher. Es vereinfacht den Fährbetrieb und minimiert den Energieverbrauch pro Fahrt. Kevin Daffey R olls-Royce Autocrossing ist das erste System in einer Reihe von Innovationen, die den Fährbetrieb zunehmend automatisieren werden. In der Zukunft werden Fähren wohl aus der Ferne betrieben werden oder komplett autonom fahren. Das Autocrossing-System wurde von dem größten norwegischen Fähren-Betreiber Fjord1 für zwei neue Fähren bestellt, die als Teil der Europastraße 39 zwischen Anda und Lote an der Westküste Norwegens eingesetzt werden sollen. Die beiden neuen, elektrisch betriebenen Fähren sollen im ersten Quartal 2018 ihren Betrieb aufnehmen. Momentan ist Autocrossing so konfiguriert, dass die An- und Ablegemanöver vom Kapitän durchgeführt werden. Ab einem bestimmten Punkt bei der Ausfahrt aus dem Hafen kann dann das Autocrossing-System aktiviert werden. Kurz vor der Anlegestelle im Zielhafen deaktiviert der Kapitän das System wieder und dockt manuell an. Sollte er dazu einmal nicht in der Lage sein, bringt das System selbst die Fähre nahe der Anlegestelle sicher zum Halten. Der Energieverbrauch der Fähren ist vor allem beim Beschleunigen, bei der Überfahrt und beim Verlangsamen hoch. In Bild 1 sind die insgesamt fünf Phasen der Überfahrt dargestellt, wobei es sich bei dem Bereich unterhalb der Zeit-Geschwindigkeits- Kurve um die zurückgelegte Strecke handelt. Wird die Fähre schneller beschleunigt und verlangsamt, kann die Überfahrt bei einer geringeren Geschwindigkeit und somit geringerem Energieverbrauch erfolgen. Die pro Fahrt nötige Gesamtenergie basiert also auf dem Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Phasen (obere Kurve), das vom Autocrossing-System im Hinblick auf unterschiedliche Lasten und Wetterbedingungen so optimiert wird, dass Abfahrts- und Fahrzeiten eingehalten werden. Die Vortriebsmotoren verbrauchen am meisten Energie. Der Energieaufwand kann hier minimiert werden, indem die Fähre bei einem möglichst geringen Stromverbrauch über die Segelstellungsfunktion am Hauptpropeller behutsam auf die erforderliche Fahrgeschwindigkeit beschleunigt wird. Bei vollständig elektrischen Fähren dient diese Vorgehensweise zudem dem Schutz der Batterie. Teilautonome Fähren mit Rolls-Royce Autocrossing Animation: Rolly-Royce Bild 1: Der Energieverbrauch von Fähren bei der Überfahrt lässt sich in fünf Phasen unterteilen. Grafik: Rolls-Royce TECHNOLOGIE Autonome Systeme Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 73 Autonome Systeme TECHNOLOGIE Das Autocrossing-System nutzt Daten von Kreiselkompassen, differentiellen globalen Positionierungssystemen (DGPSs), Geschwindigkeitsprotokollen und Windsensoren. Basierend auf diesen Werten werden die Strahlruder und die Propellersteigung/ drehzahl gesteuert, um bei optimiertem Stromverbrauch die nötige Beschleunigung und Geschwindigkeit zu erreichen und die Fähre auf Kurs zu halten. Auf dem Display im Steuerhaus ist ersichtlich, wo sich die Fähre gerade befindet. Beim Anlegen werden dort Informationen zur Position der Fähre relativ zur Anlegestelle sowie Größen- und Richtungsangaben zu externen Kräften angezeigt, die auf die Fähre wirken. Standardmäßig unterstützt Rolls-Royce Autocrossing die Crew beim effizienten Fährbetrieb. Das System kann jedoch auch in das Energiemanagementsystem von Rolls-Royce eingebunden werden, das in Echtzeit große Datenmengen aus den Onboard-Systemen erfasst und diese in umfassende Informationen zum Energieverbrauch der Fähre umwandelt. So wird der Crew ein effizienter Fährbetrieb erleichtert. Die Informationen können auch über eine sichere Datenverbindung an eine Zentrale an Land übermittelt werden, wo die Fährleistung auf mehreren Strecken analysiert und verglichen werden kann, um die Energieeffizienz der gesamten Flotte zu verbessern und eine bessere Wartungsplanung zu ermöglichen. Neben der Ausstattung von Schiffsneubauten können auch bestehende Fähren mit dem Autocrossing-System nachgerüstet werden und somit ihren Energieverbrauch senken. Besonders problemlos ist eine Nachrüstung, wenn bereits Strahlruder von Rolls-Royce verwendet werden. In einem nächsten Schritt wird eine Lösung für eine noch präzisere Situationswahrnehmung eingeführt, um die Schifffahrt noch sicherer zu machen. Damit werden Wasserfahrzeuge, die die Fähr-Route kreuzen könnten, sowie andere potenzielle Gefahren angezeigt und so der Schutz vor Kollisionen erhöht. Daran schließt sich eine Anlege-Funktion an, die die erste und letzte Phase einer Überfahrt bis hin zur Rampe am Terminal automatisiert (Bild 2). Über ein Anlege-System mit zusätzlichen Sensoren können Entfernungen zu Hafenstrukturen, zum Beispiel zu Hafenmolen im Bereich der Einfahrt oder zur Anlegestelle, Daten zum Hafenverkehr und andere Faktoren ermittelt werden. Das System passt das Antriebssystem so an, dass die Fähre sicher und möglichst energiesparend an ihr Ziel kommt. Sind die entsprechenden Systeme erst einmal installiert, kann die Fähre von einer an Land befindlichen Steuerzentrale aus ferngesteuert werden. Langfristig, wenn Gesetze und andere Faktoren es ermöglichen, könnten Fähren ganz autonom fahren - menschliche Eingriffe wären unter normalen Navigationsbedingungen dann nicht länger nötig, wobei im Bedarfsfall auf die Fern- oder Brücken-Steuerung umgeschaltet werden könnte. ■ CHRONOLOGIE Der Weg zum selbstfahrenden Schiff Der aktuelle Stand der autonomen Schifffahrt bei Rolls-Royce ist das Ergebnis jahrelanger Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit zahlreichen Partnern. März 2015 - Die Advanced Autonomous Waterborne Applications Initiative (AAWA) nimmt ihre Arbeit auf. Das Projekt bringt Universitäten, Werften, Zulieferer und Klassifizierungsgesellschaften zusammen, um die Voraussetzungen für die autonome Schifffahrt zu schaffen. April 2015 - AAWA Projekt beginnt Praxistests. Die finnische Fährreederei Finferries wird Partner des Projekts und führt zahlreiche Sensorik-Tests an Bord der Fähre Stella durch. März 2016 - Erste Animation für zukünftiges Kontrollzentrum für ferngesteuerte Schiffe. In einer Animation zeigt Rolls-Royce ein landbasiertes Kontrollzentrum, von dem aus eine globale Schiffsflotte ferngesteuert werden könnte. Juni 2016 - Erstmals wird ein Handelsschiff ferngesteuert. In Dänemark unternimmt der Schlepper Svitzer Hermod die ersten ferngesteuerten Manöver mit Rolls-Royce Technik. Oktober 2016 - Der Vertrag über die beiden Fähren mit Fjord1 wird geschlossen. Die ersten von Rolls-Royce entwickelten autonom übersetzenden Fähren sollen ab 2018 in Norwegen ihren Betrieb aufnehmen. März 2017 - Kooperation mit Stena Line AB. In Zusammenarbeit mit der schwedischen Reederei soll das erste intelligente Situationswahrnehmungssystem für Schiffe entwickelt werden. Oktober 2017 - Rolls-Royce und Google arbeiten an autonomen Schiffen. Rolls-Royce entwickelt künftig gemeinsam mit Google ein intelligentes System zur Situationswahrnehmung, um die technischen Grundvoraussetzungen für autonome Schifffahrt weiterzuentwickeln. November 2017 - Europäische Raumfahrtbehörde (ESA) unterstützt die Entwicklung autonomer Schiffe. In einer Kooperation mit Rolls-Royce soll die Satellitenkommunikation für die autonome und ferngesteuerte Schifffahrt weiterentwickelt werden. Dezember 2017 - Die Reederei Mitsui O.S.K. Lines steigt in die Entwicklung der intelligenten Situationswahrnehmung ein. Die 165 Meter lange Fähre „Sunflower“ wird als Pilotprojekt von Rolls-Royce ausgerüstet. Januar 2018 - Rolls-Royce eröffnet im finnischen Turku ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum. Gemeinsam mit Partnerfirmen sollen hier Projekte zur autonomen Navigation, zu landgestützten Kontrollzentren und dem Einsatz Künstlicher Intelligenz durchgeführt werden. Kevin Daffey Director Engineering & Technology, Marine, Rolls-Royce, Bristol/ Alesund kevin.daffey@rolls-royce.com Bild 2: Beispiel einer typischen Fährfahrt mit Anlaufen des Hafens in Rot. Die grüne Strecke kann mit Rolls-Royce Autocrossing zurückgelegt werden. Quelle: Rolls-Royce Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 74 TECHNOLOGIE Digitalisierung Intelligente Bildverarbeitung Eine Basistechnologie für Automatisierung und Digitalisierung Echtzeitkontrolle, Videoüberwachung, Bildanalyse, Wayside Train Monitoring Die Automatisierung logistischer Prozesse entlang der Wertschöpfungsketten beinhaltet unter anderem die vollautomatische Überwachung und Registrierung der Ein- und Ausgänge von Waren in der Transport- und Logistikbranche. Eric Steck M it anhaltendem Wirtschaftswachstum geht eine starke Transport- und Logistikwirtschaft einher. Kunden wollen ihre Ware immer schneller erhalten, Retouren bzw. Rücksendungen sollen schnell abgewickelt werden. Gleichzeitig werden logistische Abläufe im Hafen- und Terminalbereich immer komplexer - bei stetig steigenden Anforderungen an Sicherheit, Geschwindigkeit und Transparenz. Tausende Güterwaggons und LKWs werden täglich bewegt, rangiert, be- und entladen. Diese Ströme müssen effektiv koordiniert werden. Hier trifft physische Warenbewegung auf Logistik 4.0, das heißt: auf intelligente IT. So hat die ASE GmbH ein OCR-Gate 1 entwickelt, bei dem Züge und LKWs bei Durchfahrt durch ein Videotor mit hochauflösenden Videokameras gescannt werden. Dabei werden Waggon- und Containernummern, KFZ-Kennzeichen, Gefahrgutnum mern/ -kennzeichen und weitere wichtige Informationen vollautomatisch erfasst, mittels einem intelligenten OCR-Algorithmus in Echtzeit verarbeitet und über Schnittstellen in die Betriebssysteme und Datenbanken der Endkunden eingebunden. Hafenbetreiber oder Eisenbahnverkehrs- und Industrieunternehmen sparen dadurch Kosten gegenüber der derzeit manuellen Erfassung und optimieren innerbetriebliche logistische Prozesse. Die Funktionsweise Radsensoren im Gleis triggern die Anlage und zählen die Achsen. Ein integrierter Microcontroller errechnet daraus die Wagentrennungen und damit die Wagenzahl. Die Transportmittel-Beschriftungen wie UIC- Nummern, Containernummern etc. werden von speziellen Kameras erfasst und einem OCR-Algorithmus zugeführt, der die optischen Daten in alphanumerische Zeichen umwandelt. Parallel werden Plausibilitätsüberprüfungen vorgenommen. Dazu gehört u.a. der Abgleich der Prüfziffer sowie der Vergleich der erkannten Nummern und Zeichen mit einer vorgegebenen Norm, um so zu einer Aussage über die Genauigkeit der Erkennungswahrscheinlichkeit zu kommen. Das Kamerasystem NUMBERCheck von ASE zeichnet sich hier durch Erkennungsraten von über 95 % aus. Wayside Train Monitoring - Streckenseitige Überwachung von-Zügen Die Zunahme des Schienengüterverkehrs weltweit führt zu einem steigenden Bedarf von Zug-Überwachung seitens der Infrastrukturbetreiber. Ging es bei Wayside Train Monitoring anfangs um die reine Zustandsdokumentation für Wartungs- und Instandhaltung, so hat man im weiteren Verlauf verschiedene Möglichkeiten der Sicherheitssteigerung erkannt, etwa die Detektion von Flachstellen und Lademaßüberschreitungen oder die Erkennung von Beladungszuständen. Gefährliche Zustände sollen umgehend einen Alarm auslösen, weniger gefährliche Zustände, die nicht unmittelbar zu einer Gefahr führen, sollen detektiert und zwecks Wartungsplanung gemeldet werden. Die große Herausforderung ist nun, die Vielzahl der gewonnenen Daten zu zentralisieren und ein einheitliches, möglichst länderübergreifendes Datenmanagement zu finden. Für das Wayside Train Monitoring fließen Daten unterschiedlicher Detektionssysteme zusammen. Unter anderem werden mittels „intelligenter“ Videotechnik die Waggonzustände und mögliche Lademaßüberschreitungen optisch überwacht. Beispielsweise strebt die SBB Cargo im Rahmen ihres Asset Management eine Teilentlastung von physischen technischen Kontrollen durch automatische Kamerasysteme auf dem Gleisfeld an. Nach einem ersten Testlauf in Muttenz überwacht die SBB seit kurzem in der Nähe der Serviceanlage RBL- Dietikon ihre Güterwaggons mit NUMBER- Check (Bild 1). Die automatische Erfassung Bild 1: OCR-Säulen zur Schadensdokumentation für SBB Cargo Foto: ASE GmbH Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 75 Digitalisierung TECHNOLOGIE der UIC-Waggonnummern und eine intelligente Bildanalyse ermöglichen eine zuverlässige digitale Zustands- und Schadensdokumentation. Aufgrund der gewonnenen Informationen können reparaturbedürftige Waggons sofort in die Wartungs- und Reparaturplanung einbezogen werden. Überwachung von Zugbewegungen beim belgischen Eisenbahnunternehmen Infrabel Die Bahnhöfe Brüssel-Nord und Brüssel- Süd sind über einen Tunnel mit sechs Gleisen miteinander verbunden. In diesem Tunnel befindet sich auch der stark frequentierte Bahnhof Brüssel-Zentral mit drei Inselbahnsteigen. Der Tunnel wird täglich von bis zu 1100 Zügen befahren, und nahezu alle in Belgien umlaufenden Personenzüge - einschließlich ICE, Thalys, TGV und Eurostar - passieren diesen Tunnel. Das vorhandene belgische Zugleitsystem liefert nur wenige Informationen über den Zug selbst und seine Zusammenstellung. Infrabel wünschte sich mehr Informationen über die tatsächlichen Wagenfolgen und -bewegungen. So wurde auch hier das Nummern-Erkennungssystem NUMBERCheck installiert. Die damit gewonnenen Daten werden mit den Daten des Zugleitsystems verknüpft und ermöglichen so eine umfangreiche Waggonverfolgung. Moderne Systemkomponenten, intelligente Verarbeitung Die Erkennungsanlage besteht aus drei etwa 1,8 m hohen Kamerasäulen (Bild 2), die am nördlichen Ende der Inselbahnsteige des Zentralbahnhofs jeweils im Gleisbett zwischen den Richtungsgleisen positioniert sind. Jede Säule ist zweiseitig aufgebaut und erfasst beide zusammengehörenden Richtungsgleise. In diesen Säulen sind die Kameras, Achserfassung, Beleuchtungstechnik und Netzwerktechnik untergebracht. Am Ende des Bahnsteigs 1 steht ein Schaltschrank, in dem der Auswertungsrechner und der Datenbankrechner die gelesenen Daten analysieren, aufbereiten, auf Plausibilität prüfen, speichern und die Schnittstellen zum Infrabel-Netzwerk und dem Zugleitsystem herstellen. Besondere Anforderungen erfordern höchste Präzision Die Anforderungen an diese Anlage waren sehr hoch: Die Maximalgeschwindigkeit von 60 km/ h erfordert lichtstarke Kameras mit kurzer Belichtungszeit und hohen Bildraten bei niedriger Kompression. Die kurzen Belichtungszeiten zwingen zu hohen Lichtintensitäten, doch gleichzeitig dürfen Lokführer und Passagiere nicht geblendet werden. Erschwerend kam hinzu, dass die Kamerasäulen in nur 80 cm Abstand zu den vorbeifahrenden Zügen stehen und somit große Öffnungswinkel für Kamera und Beleuchtung notwendig machen. Diese Aufgaben wurden durch spezielle Beleuchtungs- und Kameratechnik vollständig gelöst: Das Erkennungssystem ist so ausgelegt, dass Bilder einer vorbeikommenden UIC- oder Materialnummer mehrfach aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen und analysiert werden. Durch dieses Verfahren werden hohe Erkennungsraten erzielt: In diesem Projekt werden bei nur einseitiger Erkennung mehr als 98 % der Waggons richtig erfasst, auch ICE-Züge mit ihren schwach grauen Nummern. Großer Wert wurde auf die Verarbeitungszeiten gelegt, damit sich auch während der Hauptverkehrszeiten keine Datenstaus bilden. Ein übergeordnetes System prüft kontinuierlich die Funktionen der Anlage - Temperaturen, Lüfterdrehzahlen, Radachsen- Sensoren - und führt diverse Statistiken, etwa über die erreichte Erkennungsrate. Zahlreiche Fernwartungsmöglichkeiten und Debugger-Funktionen runden eine effektive Wartung bis in die untersten Signalebenen ab. Im Einsatz für die Automobilindustrie Auch im BMW-Werk Regensburg wird dieses Nummernerkennungssystem für Schiene und Straße eingesetzt. In diesem Werk werden acht unterschiedliche Fahrzeugvarianten produziert. Fehlerfreie Prozesse sind die Voraussetzung dafür, dass Automobile in höchster Qualität gebaut und Kunden begeistert werden. Für die Produktion spielt dabei auch die zuverlässige und transparente Logistik eine große Rolle, nicht nur für die Anlieferung von Komponenten, sondern auch für den Abtransport von Produktionsabfällen: Die im Presswerk entstehenden Blechabfälle werden auf den betriebseigenen Bahngleisen durch DB Cargo zur Wiederverwertung (Einschmelzen) abtransportiert. Für die genaue Ermittlung des Gewichts der Ladungen hat man hier eine Gleiswaage inklusive UIC-Waggonnummernerkennung installiert. Durch die genaue Zuordnung von Waggonnummer und Gewicht ist eine korrekte Vergütung für den Rohstoff möglich. Die Digitalisierung in der Transport- und Logistikbranche ist in vollem Gange und hat - wie man anhand der beschriebenen Beispiele sieht - viele Gesichter. Intelligente Videotechnik ist eines davon. Bis zu einem flächendeckenden, einheitlichen Datenaustausch unter allen Akteuren ist es zwar noch ein weiter Weg, aufzuhalten ist „Big Data“ allerdings nicht mehr. ■ 1 Optical Character Recognition = Optische Zeichenerkennung Eric Steck CEO, ASE GmbH, Bruchsal info@ase-gmbh.eu Bild 2: Kamerasäule im Bahnhof Brüssel-Midi Foto: ASE GmbH Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 76 TECHNOLOGIE Vorbeugende Wartung In-service condition monitoring of rail tracks On an on-board low-cost multi-sensor system for condition based maintenance of railway tracks Preventive maintenance, Condition monitoring, Vehicle-based sensors, Sensor fusion, Anomaly detection Low-cost on-board sensors provide the possibility of cost-effective in-service rail track monitoring. This-will allow a major step forward towards condition-based preventive maintenance that might reduce maintenance cost significantly compared to today’s corrective maintenance schemes. Here, we present a prototype multi-sensor system for quasi-continuous track condition monitoring. This system has been tested in operational environment since 2015, allowing the development and verification of multi-sensorfusion and processing techniques as presented in this article. Benjamin Baasch, Michael Roth, Jörn Christoffer Groos M aintenance costs amount to approximately half of the life cycle costs of railway infrastructures today. In order to reduce them, a transition from periodic or corrective maintenance towards condition based preventive maintenance is indispensable. The latter maintenance strategies require a more or less continuous track monitoring. However, today’s inspection methods are based on visual inspection and on, depending on the size of the railway network, either dedicated service trains or handheld measurement devices. These approaches are time consuming, require the closure of the track segment and are hence expensive. In contrast, on-board sensor systems installed on in-service trains provide a quasi-continuous track inspection without track downtime [1]. Continuous analysis of the acquired data enables the early detection of track defects. Furthermore, the high data acquisition frequency makes preventive maintenance statistically feasible [2]. Simply adopting the sensor setups of inspection vehicles to in-service trains is not economical, especially for small to mid-size railway network operators. This is mainly due to the high costs of the sensors, special operating conditions (e.g. vehicle speed, distance to rail) and sensor maintenance requirements. Sensor systems based on components of the shelf (COTS) provide a lowcost alternative. Particularly, inertial sensors have become increasingly popular for track monitoring from in-service trains [3]. It has been proven that vibration signals measured by Axle-Box Accelerometers (ABA) provide valuable insights on the vehicle track interaction and can be linked to track irregularities such as corrugation, squats, defect welded joints or hollow sleepers [4, 5]. In Figure 1 a time series of ABA data is exemplified, that reflects the vehicletrack-interaction related to the track characteristics. In order to extract information about the track condition from ABA data, multiple challenges have to be addressed. On the one hand, an on-board sensor system for in-service trains needs to be suitable for the harsh environment on railway vehicles and for the retrofit of legacy vehicles. On the other hand, the costs of the system need to be low enough to make it economical, particularly if the installation on many vehicles in the network is necessary to provide high frequency track monitoring. The sensors then need to be tested during operation. Data need to be collected that cover different rail conditions temporally as well as spatially and are big enough for statistical data analyses. Track-selective georeferencing is necessary to relate monitoring data to tracks and positions. Last but not least, appropriate data analysis algorithms need to be developed and tested. The above challenges are discussed in the following sections. Low-cost multi-sensor system DLR is developing and testing low-cost multi-sensor systems based on COTS hardware [5, 6]. A software framework developed at DLR realises the autonomous operation of the monitoring system, the data acquisition and the communication to the background data management system [7]. The collected data are firstly stored on a local storage medium and can later be sent to a server at infrastructure facilities (e.g. train yards) via a wireless local area network (WLAN). Additionally, smaller amounts of data such as status information or position coordinates can be sent through the mobile network. The software framework is modular and can hence be upgraded with additional func- ZUSAMMENFASSUNG Kostengünstige, nachrüstbare Multi-Sensor- Systeme auf Schienenfahrzeugen ermöglichen die kontinuierliche Zustandsüberwachung des Gleisoberbaus im regulären Betrieb. Veränderungen und Schäden können somit frühzeitig erkannt, Wartungsarbeiten dementsprechend durchgeführt und teure Ausfälle vermieden werden. Vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wird seit 2015 ein Prototyp-System auf einer Rangierlokomotive im Braunschweiger Hafen im operativen Einsatz erprobt. Dieses Sensorsystem ermöglicht die georeferenzierte Aufnahme von Achslagerbeschleunigungen, die Aufschluss über den Zustand des Schienennetzes geben. Der so gemessene, umfangreiche Datensatz ist die Grundlage für die laufende Entwicklung und Erprobung von Sensorfusions- und Datenverarbeitungsalgorithmen am DLR. In diesem Artikel werden einige dieser Ansätze vorgestellt und Datenbeispiele aus dem operativen Einsatz gezeigt. Die Ergebnisse zeigen, dass relevante Streckeneigenschaften erkannt und lokalisiert werden können. Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 77 Vorbeugende Wartung TECHNOLOGIE tionalities and algorithms for e.g. real-time condition monitoring. The georeferencing sensor unit comprises a Global Navigation Satellite System (GNSS) receiver and an inertial measurement unit (IMU) for acceleration and angular rate measurements. Here, readily available low-cost components from the automotive industry are used. For research purposes three-component broadband ABAs are employed. The broad bandwidth (0.8 Hz to 8000 Hz) allows the investigation and determination of relevant frequency ranges that will determine the sampling rate for future, probably cheaper sensors with narrower bandwidth for commercial operations. Test site (Braunschweig harbour) To develop, test and improve the sensor system as well as data processing and analysis algorithms, data acquired from in-service railway vehicles under operational conditions are essential. Therefore, DLR is running prototypes of the multi-sensor systems on an industrial rail work network (Figure 2). This local railway network belongs to the “Hafenbetriebsgesellschaft Braunschweig mbH” situated at the inner harbour of Braunschweig, Germany, providing freight handling between railway and inland water transport. On the approximately 15 km long network, two shunter locomotives operate on a daily basis. Both are equipped with multi-sensor systems that have been continuously gathering data since 2015. Thus, ABA data of more than 700 hours or 1300- km of operation have been acquired, building a unique data set of more than 1 TB. The repeated passing over each section of track allows the investigation of track condition changes with time. The operating speed of the shunter locomotives is lower than 30 km/ h. This together with the highsampling rate of the sensor provides a submillimetre range spatial resolution with decimetre range positioning accuracy. Georeferencing Georeferencing refers to the assignment of position coordinates to the ABA data, in order to facilitate the location-dependent analysis that is required for infrastructure monitoring. In addition to geographic coordinates, the position in the railway context also comprises the track ID from a given track data base and the one-dimensional position on the track. In the present work the georeferencing relies on the GNSS position and speed, the IMU acceleration data from the multi-sensor system, and a digital map of the railway infrastructure. The highly accurate map has been developed within the Application Platform for Intelligent Mobility (AIM) [8] based on own measurements and aerial photographs provided by the city of Braunschweig [9]. For several reasons, the combination of the different sensors with the map is essential. First, the low-cost GNSS receiver provides measurements at a maximum rate of only 5 Hz, which gives position stamps with 1.5 m distance at a speed of 7.5-m/ s (27 km/ h). In contrast, the IMU can be sampled at 200 Hz, which translates to a spatial resolution of 3.75 cm and fulfils the demands for the analysis of georeferenced ABA data. Second, GNSS requires unobstructed sky view for accurate positioning and exhibits large errors in e.g. underpasses. Also, reflections of the satellite signals (multipath effects) corrupt the GNSS data. Alternatively, the IMU data (accelerations and turn rates) can be integrated to obtain velocities and positions. However, such deadreckoning approaches suffer from vastly increasing errors without absolute position measurements at regular intervals. The map information is vital in order to exploit the rail-constrained locomotive motion for improved accuracy [10]. The implemented georeferencing uses statistical sensor fusion methods [11] to compute the on-track positions in a postprocessing setting. After investigation of several approaches including advanced RTK-GNSS with base station information [12], a simple two-stage procedure has been found to be most suitable. It is based on a prior division of the data into journeys from start to stop, which can be achieved by investigation of the GNSS speed. First, the GNSS data from such a journey and the railway map are employed to generate path hypotheses, that is, sequences of tracks. The map and all track connections are here represented as a mathematical graph. In most cases only a single path hypothesis complies with the measurement data, otherwise a set of likely hypotheses must be maintained. Figure 1: Exemplary time series of vertical acceleration data. Figure 2: Braunschweig harbour industrial railway network indicated by magenta lines, green symbol indicates position of the locomotive (background image from [15]). Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 78 TECHNOLOGIE Vorbeugende Wartung Given a path hypothesis, the positioning is reduced to a one-dimensional problem in the respective path coordinate frame. An offline version of the Kalman filter (a Rauch- Tung-Striebel smoother) is finally employed to combine the IMU and GNSS data with a mathematical model of the on-track locomotive motion. Results of the georeferencing are smooth and accurate on-track position stamps with a sampling rate of 200 Hz. Velocities and accuracy information (covariance matrices) are provided as by-products. GNSS speed and position errors due to intermittent satellite signal loss are eliminated, even in challenging GNSS environments and with low-cost sensors. Data analysis The analysis of ABA data for condition monitoring of rail tracks from dedicated inspection vehicles or in-service trains has been widely discussed in the literature. However, analysis and interpretation of ABA data is still challenging. The main issue is the complexity of the dynamic wheel-rail interaction, namely the superposition of different vibration signals related to wheel and rail characteristics and noise in the data. Additionally, vehicle-specific and time-varying parameters such as train speed, load and different locomotive/ waggon types affect the acceleration data and hence make direct interpretation (e.g. clustering and classification) of acceleration data difficult. Conventionally, there exist three different types of data analysis algorithms. The first type comprises purely data driven approaches that extract features which can be used as track condition indicator. Algorithms of the second type try to reconstruct the track profile by solving an inverse problem [13] and the third type is a mixture of type one and two [14]. All three types have their own advantages and drawbacks that depend on a priori knowledge of the train and the track, the amount of data and finally the problem to be solved. Here, we show that already simple energy related features offer valuable information on the track condition. However, those features are strongly affected by the speed of the train. Since the train speed varies for different track segments and different passes, features that depend on train speed are hardly comparable. Those features therefore need to be corrected for train speed variability. Since each feature point is georeferenced and has a certain speed associated to it, we can represent the features as function of speed. We can then normalise the features in the speed-feature-value domain over a Figure 3: ABA RMS amplitude versus train speed before (top) and after (bottom) normalisation. Figure 5: RMS amplitude of ABA data in an area with weld joint defects (background image from [9]). Figure 4: RMS amplitude of ABA data in an embankment area for bulk material loading and dumping operations (background image from [9]). Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 79 Vorbeugende Wartung TECHNOLOGIE sliding window. This is done by successively subtracting the mean and dividing by the standard deviation. The resulting values then represent the deviation from the average feature value at similar speed. This approach is only feasible if the range of different track conditions is similar in each velocity window. Strictly speaking, all track segments need to be passed at all different speeds. Clearly, this is impossible to realise during normal operation. However, continuous measurements provide data that reflect the different track conditions at a wide range of speeds and therefore minimise the speed-position correlation. Figure 3 shows the root-mean-square (RMS) amplitude of the ABA signal before and after normalisation. It can be seen that the standard deviation as well as the mean of the RMS amplitude is increasing with speed. After the speed correction, the mean approaches zero and the signal variance becomes speedinvariant. The normalised RMS amplitude can then be represented in the spatial domain using the track position derived from the georeferencing (Figure 4 and Figure 5). High RMS values are striking at distinct positions of the track. In Figure 4 high amplitudes are mostly observed at locations where loading and dumping of bulk material takes place. Here, the high amplitudes indicate the accumulation of dirt and related track defects. Visual inspection of the rail segment in Figure 5 showed that high RMS amplitudes in this area coincide with rail head deformation at welded joints. Conclusion and outlook Condition monitoring systems installed on in-service trains offer a quasi-continuous data acquisition that enables the timely detection of track defects. Hence, their use can improve the safety and reliability of operation, and reduce maintenance costs by means of condition-based preventive maintenance strategies. Additionally, the short monitoring periodicity of the same track segments has the potential to allow the prediction of changes in the track conditions. The use of low-cost COTS makes our systems economical and hence especially interesting for small to mid-size network operators that currently rely on visual inspections only. Those inspections could be complemented by the information retrieved from the on-board condition monitoring, which could improve their efficiency significantly already today. The quality and usability of the retrieved information for network operators will significantly increase in the future as ongoing research activities steadily improve and extend the capabilities of the applied data analysis algorithms. For the localisation and the investigation of the temporal evolution of rail defects, a precise and track selective georeferencing is mandatory. Appropriate strategies were presented. DLR developed a low-cost multisensor system for the acquisition of georeferenced axle-box acceleration data. Since 2015 this system has been used to acquire data on two shunter locomotives operating at the inland harbour Braunschweig, Germany, covering a total distance of more than 1300 km. The collected data build the basis for the development of data analysis algorithms that are subject of past, current and future research at DLR. We showed that energy-related features such as the RMS amplitude are highly correlated with the train speed. We provided a simple strategy to compensate those feature for speed variations. The compensated features then represent known track irregularities well. The data analysis algorithms will be continuously improved and the system tested in different operational environments. ■ REFERENCES [1] R. Schenkendorf, J. C. Groos, and L. Johannes, “Strengthening the Rail Mode of Transport by Condition Based Preventive Maintenance,” IFAC-PapersOnLine, vol. 48, no. 21, pp. 964-969, http: / / elib. dlr.de/ 98110/ , 2015. [2] G. Lederman et al, “Track-monitoring from the dynamic response of an operational train,” Mechanical Systems and Signal Processing, vol. 87, pp. 1-16, 2017. [3] G. Lederman et al, “Track monitoring from the dynamic response of a passing train: A sparse approach,” Mechanical Systems and Signal Processing, vol. 90, pp. 141-153, 2017. [4] M. Molodova, Z. Li, and R. Dollevoet, “Axle box acceleration: Measurement and simulation for detection of short track defects,” Wear, vol. 271, no. 1-2, pp. 349-356, 2011. [5] J. C. Groos, P. Havrila, and L. Schubert, “In-service railway track condition monitoring by analysis of axle box acceleractions for small to mid-size infrastructure operators,” in Proceedings of WCCM 2017 congress, 2017. [6] J. C. Groos, M. Roth, and P. Havrila, “Zustandsüberwachung mit kostengünstigen Multi-Sensor-Systemen,” EI - Eisenbahningenieur, no. 10, pp. 41-45, 2017. [7] L. Schubert, C. Rahmig, M. Scholz, and T. Böhm, “Centralised management of geodata for railway applications,” Signal+Draht, vol. 108, no. 12, pp. 6-14, http: / / elib.dlr.de/ 106495/ , 2016. [8] F. Köster, “Anwendungsplattform für Intelligente Mobilität - Dienstspektrum und Architektur,” ZEVrail, no. 8, pp. 276-282, 2016. [9] Abteilung Geoinformation (Stadt Braunschweig), Luftbildkarte Hafengebiet Braunschweig: (c) Stadt Braunschweig (Abteilung Geoinformation). [10] P. D. Groves, Principles of GNSS, Inertial, and Multisensor Integrated Navigation Systems, 2nd ed. Boston, Mass. [u.a.]: Artech House, 2013. [11] S. Särkkä, Bayesian Filtering and Smoothing. Cambridge, UK: Cambridge University Press, 2013. [12] Teunissen, Peter J. G. and O. Montenbruck, Eds, Springer handbook of global navigation satellite systems: Springer International Publishing, 2017. [13] R. Schenkendorf and J. C. Groos, “Global Sensitivity Analysis applied to Model Inversion Problems: A Contribution to Rail Condition Monitoring,” International Journal of Prognostics and Health Management, vol. 6, no. 4, http: / / elib.dlr.de/ 96495/ , 2015. [14] R. Schenkendorf, B. Dutschk, K. Lüddecke, and J. C. Groos, “Improved Railway Track Irregularities Classification by a Model Inversion Approach,” in Proceedings of the Third European Conference of the Prognostics and Health Management Society 2016: PHME 2016, 2016, pp. 62-69. [15] www.openstreetmap.org/ copyright: (c) OpenStreetMap contributors. Michael Roth, Dr. Scientist at the DLR Institute of Transportation Systems, Braunschweig m.roth@dlr.de Jörn Christoffer Groos, Dr. Scientist at the DLR Institute of Transportation Systems, Braunschweig joern.groos@dlr.de Benjamin Baasch, Dr. Scientist at the DLR Institute of Transportation Systems, Braunschweig benjamin.baasch@dlr.de Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 80 TECHNOLOGIE Schienenverkehr Wie Automatisierung das Störungsmanagement im Schienenverkehr verbessern könnte Eine internationale Untersuchung Schienenverkehrskontrolle, Automatisierung, Netzwerkanalyse, Kommunikation Störungsmanagement im Schienenverkehr ist ein komplexer und arbeitsintensiver Prozess. Zumeist funktioniert es, doch manchmal bricht die Koordination zusammen und das Bahnsystem gerät durcheinander. Wir haben verschiedene europäische Länder verglichen, um zu sehen, wie sie organisiert sind, was sie leisten und was getan werden könnte, um die Leistung zu verbessern. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern. Lasse Gerrits, Danny Schipper Z ugverspätungen sind ärgerlich, besonders wenn man einen Anschlusszug verpasst. Wenn man auf einem kalten Bahnsteig steht und der nächste Zug erst in einer Stunde kommt, fällt es nicht schwer, die Bahn zu kritisieren. Was viele Passagiere nicht realisieren: Das Störungsmanagement - der Prozess der Aufhebung der Störung - ist ein hoch komplexer Prozess, der beträchtliche Koordination zwischen verschiedenen Akteuren des Netzwerks verlangt. Bessere Technologien können die Koordination erleichtern. ProRail (Niederlande) hat die Autoren beauftragt, das Störungsmanagement in verschiedenen Ländern zu vergleichen und herauszuarbeiten, wie es verbessert werden könnte. Dieser Beitrag stellt einige der Hauptergebnisse - mit einem besonderen Augenmerk auf Deutschland - vor. Grundproblem Die Komplexität des Störungsmanagements gründet in zwei Hauptfaktoren. Erstens wird die Verkehrssteuerung in sogenannten Multi-Teams durchgeführt. Die Einführung von Marktmechanismen (z. B. Richtlinie des Rates 91/ 440/ EEC), gefolgt von den Regelungen eines Gemeinsamen Schienenverkehrsmarktes (z.B. Richtlinie 2012/ 34/ EU) haben zu einer Trennung zwischen den Infrastrukturmanagern (IM) und den EVU geführt, in der Folge zur Entstehung vieler privater und halbprivater oder kommerzieller EVU. In der Schienenverkehrssteuerung bedeutet das, dass die IM und die EVU von unterschiedlichen geografischen Standorten aus koordinieren. Und während die gesamte Infrastruktur immer noch von einem IM betrieben wird, ist es unmöglich, die Steuerung von einem einzigen Ort aus zu managen. DB Netz hat Deutschland in sieben Kontrollregionen unterteilt sowie einen nationalen Kontrollraum in Frankfurt am Main eingerichtet. So gesehen ist die Koordination stark dezentralisiert und geografisch zerstreut, man hat es mit einem Multi- Team-Netzwerk zu tun. Außerdem sind Störungen selten statisch. So kann beispielsweise eine Oberleitungsstörung vom IM verlangen, den Verkehr zu stoppen, während eine Reparaturmannschaft an die Stelle geschickt wird. Den Verkehr zu stoppen bedeutet jedoch, dass Züge und Zugbesatzungen nicht an ihrem Zielort ankommen, was in der Folge bedeutet, dass anderswo ein Zug nicht losfahren kann. Was als Oberleitungsstörung in einer Region begann, kann somit schnell zu einem Engpass beim Fahrzeugbestand und bei der Besatzung anderswo werden - selbst wenn die Oberleitung bereits repariert und wieder in Betrieb ist. Kommunikation und Koordination Die beiden oben genannten Faktoren - Multi-Teams und dynamische Störungen - haben einen erheblichen Einfluss auf das Störungsmanagement. Dies wird deutlich, wenn die Kommunikation zwischen allen Akteuren betrachtet wird. Das Multi-Team- Umfeld bedeutet, dass die Akteure einander anrufen oder benachrichtigen müssen, um die für Gegenmaßnahmen benötigten Informationen weiterzuleiten sowie um Möglichkeiten und Einschränkungen bezüglich gewisser Lösungsansätze zu erfragen. So kann DB Netz entscheiden, einen Zug umzuleiten, muss aber mit dem EVU abklären, ob der Fahrzeugführer die Ausweichstrecke kennt. Die Dynamik der Störung bedeutet, dass ein Wechsel gegenüber der Ausgangssituation von den Betreibern erfordert, alle neuen Informationen über das Netzwerk weiterzuleiten sowie zu überprüfen, ob die ursprüngliche Lösung noch gilt oder eine neue Lösung erforderlich und umsetzbar ist.Formaler ausgedrückt: Die Betreiber begeben sich in einen Prozess der gemeinsamen Sinnerzeugung (sense making), der unterteilt werden kann in Kommunikation bezüglich der Sinnerfragung (sense demanding: „Was passiert? “ „Was ist der neueste Stand? “) und Kommunikation bezüglich der Sinngebung (sense giving: „So viel wissen wir“ „Das hat sich geändert“). Kurz gesagt: Je „mehrdeutiger“ die Situation ist, desto intensiver ist die Kommunikation zwischen allen Akteuren und desto mehr Zeit braucht es, bevor eine Lösung vereinbart und umgesetzt wird. Gelegentlich kann die Kommunikation so umfangreich werden, dass sie Teil der Störung wird. Das ist der Punkt, an dem das System zusammenzufallen beginnt. Dieses Narrativ lässt sich durch Aufzeichnen der Informationsströme visualisieren und analysieren, wie Bild 1 und Bild 2 aus einem niederländischen Fall zeigen. Hier steigerte sich eine kleine Störung während der Hauptverkehrszeit im verkehrs- Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 81 Schienenverkehr TECHNOLOGIE reichsten Teil des Netzwerks in eine große Störung. Die erste Grafik zeigt den normalen und vorgesehenen Kommunikationsfluss, die zweite die tatsächliche Kommunikation während der Störung über einen Zeitraum von fast vier Stunden. Abgebildet ist die tatsächliche Kommunikation aus den während der gesamten Störung geführten Telefongesprächen, versandten Nachrichten und E-Mails (die alle standardmäßig aufgezeichnet wurden). Man kann deutlich sehen, dass es größere Unterschiede gibt zwischen der Kommunikation, wie sie sein sollte, und der, wie sie in der Realität während einer Störung ist. Zunächst einmal ist der Umfang beträchtlich, aufgrund der Mehrdeutigkeit bezüglich des Problems. Dies bringt viele operators dazu, auf der Suche nach Sinnerzeugung miteinander zu telefonieren und einander Nachrichten zu schicken. Auch lässt sich beobachten, dass z.B. der Zugdisponent A1 (train dispatcher A1), der Bereichskoordinator (national traffic controller LVL), der für die Störungsbeseitigung verantwortliche national asset manager coordinator (RIIB 2) und der Bereichsdisponent (national traffic coordinator, RLVL) eine überproportionale Menge an Informationen verarbeiten müssen. Das bedeutet, dass sie potenzielle Flaschenhälse im Netzwerk sind. Man sieht auch, dass ein beträchtlicher Anteil der Informationsströme dezentralisiert ist. Praktisch heißt das, dass es wenige Möglichkeiten zur Kontrolle der Informationsströme innerhalb des Netzwerks gibt. Während dieser speziellen Störung war die Mehrdeutigkeit der Situation sowie die Unfähigkeit einiger operators, einen Überblick zu behalten, eng mit den dezentralisierten Informationsströmen verbunden. Eine sachgemäße Netzwerkanalyse kann die Ursachen solcher Zusammenbrüche durch standardisierte Maßeinheiten wie Frequenz (die Anzahl der Interaktionen während der gesamten Zeitspanne), Dichte (die Anzahl der Verbindungen zwischen Knotenpunkten im Gegensatz zur Höchstzahl der möglichen Verbindungen) oder Betweenness- Zentralität 1 enthüllen. Die Situation in Deutschland In Deutschland wird die Komplexität des Prozesses durch die Tatsachen gesteigert, dass erstens das Schienennetz sehr groß und stark dezentralisiert ist und dass zweitens fast 400 EVU innerhalb des Landes operieren, von denen 360 nicht Teil des DB- Konzerns sind. Die zentrale Lage in Europa bedeutet, dass es wichtige internationale Korridore gibt, die grenzübergreifend koordiniert werden müssen. DB Netz überwacht etwa 45000 Zugfahrten täglich, bestehend aus ungefähr 39000 Passier- und etwa 5000 Güterzügen. Insgesamt werden in Deutschland jährlich 76,93 Mrd. Fahrkilometer zurückgelegt. Diese Zahlen allein lassen Deutschland international herausragen. Der Schienenverkehr wird von sieben Betriebszentralen (BZ) aus gesteuert. Jede BZ hat im Schnitt zehn Zugdisponenten, die die Verkehrströme auf speziellen Streckenabschnitten und an Knotenpunkten überwachen. Sie regeln Konflikte zwischen Zügen mithilfe vorgefertigter Dispositionsregeln. Während einer Störung ergreifen sie Erstmaßnahmen zur Isolation des Störungsbereichs mithilfe des Verkehrsleitsystems LeiDis-NK. Sie vermerken auch die Gründe hinter den Verspätungen und Störungen im Verkehrsleitsystem. Die von den Zugdisponenten angeordneten Maßnahmen werden von den Fahrdienstleitern ausgeführt, die Weichen und Signale stellen. Nur ein kleiner Teil der landesweit 12000 Fahrdienstleiter arbeitet in den BZ und nutzt Computer zur Steuerung der Weichen und Signale. Noch immer sind über 3400 lokale Stellwerke in Betrieb, von denen aus Weichen und Signale gestellt werden; manche werden sogar noch über mechanische Hebel handgesteuert. Zusätzlich gibt es zwei oder drei Bereichsdisponenten, die die Arbeit der Zugdisponenten von einem anderen Kontrollraum aus überwachen. Der Bereichsdisponent bearbeitet Anfragen und Beschwerden der EVU, z. B. bezüglich der Verbindungsdienste. Sie regeln auch Störungen in Absprache mit den EVU. Der Netzwerkkoordinator überwacht alle Aktivitäten der BZ. Während größerer Störungen kommuniziert der Koordinator mit den EVU und den benachbarten Zentren. Er oder sie hat auch das letzte Wort im Falle eines Interessenkonflikts oder wenn Mittel der EVU zur Lösung der Störung gebraucht werden. Ein Notfallmanager kommuniziert mit den Notfalldiensten. Eine Netzleitzentrale (NLZ) wurde 1997 in Frankfurt am Main eingerichtet. Hier überwachen drei bis vier Bereichskoordinatoren internationale und nationale Fernverbindungen entlang der Hauptkorridore. Jeder Bereichskoordinator ist für zwei oder mehr BZ verantwortlich. Gemeinsam überwachen sie etwa 800 Passagier- und 1200 Network Traffic Control ProRail Regional Traffic Control Train Dispatcher Network Operations Control Niederländische Eisenbahnen OCCR Regional Traffic Control Centre ProRail Regional Operations Control Centre NS Kommunikation Team Leader Regional Operations Control Node Operations Control Shiftleader Bild 1: Vorgesehener Kommunikationsfluss während einer Störung im niederländischen Schienensystem Bild 2: Tatsächlicher Kommunikationsfluss während einer größeren Störung im niederländischen Schienensystem Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 82 TECHNOLOGIE Schienenverkehr Güterzüge pro Tag. Zusätzlich stimmen sie sich mit den Verkehrssteuerungsstellen in den Nachbarländern ab. Die NLZ hat auch einen Netzkoordinator. Er hat hauptsächlich eine Überwachungsfunktion während extremer Störungen und extremer Wetterbedingungen. Er hat auch das letzte Wort im Falle einer Uneinigkeit zwischen Akteuren auf nationaler Ebene. Während des Normalbetriebs ist der Netzkoordinator hauptsächlich mit der Überwachung des gesamten Schienennetzwerks und mit der Erstellung täglicher Berichte für die Leitungsebene beschäftigt. Bild 3 zeigt die Informationsströme während einer Störung. Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Ländern In unserem Forschungsprojekt verglichen wir DB Netz mit der ÖBB Infra (Österreich), InfraBel (Belgien), Banedanmark (Dänemark), ProRail (Niederlande), Trafikverket (Schweden) sowie Infrastruturas de Portugal (Portugal). Dabei fiel Folgendes auf: Erstens sind die Kommunikationsströme deutlich stärker vertikal organisiert als in den anderen Ländern - wie der Vergleich von Bild 1 und Bild 3 veranschaulicht. Dies ist z.T. auf die Vergangenheit der DB als Teil des öffentlichen Dienstes zurückzuführen. Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass kein anderes Land mit so vielen verschiedenen EVU zu tun hat. Die Anforderung der EG, alle EVU gleich zu behandeln, bedeutet, dass DB Netz transparent und fair im Umgang mit Störungen sein muss. Dies wird durch einen recht formalen Prozess sichergestellt. Es bedeutet aber auch Abstriche bei der Flexibilität. Verglichen mit Dänemark oder den Niederlanden sehen wir in diesen Ländern eine größere „Anfälligkeit“, von den normalen Prozessen abzuweichen, sollte dies praktischer sein. Außerdem stellten wir fest, dass die Kommunikation mit den zahlreichen EVU in Deutschland eine bedeutende Herausforderung darstellt, einfach deshalb, weil in (großen) Störungen so viele von ihnen involviert sind. Dies bedeutet, dass die schiere Anzahl von Kommunikationsvorgängen naturgemäß hoch ist, während dies in anderen Ländern die Ausnahme wäre. Zweitens haben Betriebszentralen erhebliche Autonomie in der Verkehrsverlegung und bei der Umsetzung anderer Maßnahmen. Die Rolle der Netzleitzentrale ist es, die Entscheidungen der verschiedenen Betriebsleitzentralen bezüglich des Fernverkehrs zu koordinieren. Ihre Einbindung in das eigentliche Störungsmanagement an sich hängt von der Situation ab, bleibt aber für gewöhnlich begrenzt. Dies ist so auch in Schweden der Fall, im starken Kontrast z.B. zu Belgien, Dänemark und den Niederlanden, wo die Entscheidungsautorität bei den nationalen Kontrollzentren liegt, die deshalb einen wichtigeren Knotenpunkt im Kommunikationsnetzwerk bilden. In der deutschen Praxis beobachteten wir, dass Intuition in Bezug auf die Entscheidung, in den Betrieb vor Ort einzugreifen, eine wichtige Rolle spielt und es deshalb praktisch keine strengen Abgrenzungen gibt. Diese beiden Punkte bedeuten, dass die Betriebszentralen relativ autonom agieren, sich aber an die vertikale Organisation der Kommunikationsströme halten müssen. Drittens fanden wir heraus, dass - obwohl einige EVU (meist Teile der DB Regio) in den BZ gemeinsam untergebracht sind - die meisten EVU es vorgezogen haben, ihre eigenen Kontrollzentren zu nutzen. In den anderen Ländern mit weniger Wettbewerb sehen wir dagegen eine sehr starke Beziehung zwischen den IM und der historisch dominanten EVU. In all diesen Ländern sind die IM und die EVU gemeinsam im nationalen Kontrollzentrum untergebracht. Die Integration ist in Belgien am stärksten, wo regionale Teams aus operators der Infrabel und der NMBS bestehen. Hier erleichtert die gemeinsame Unterbringung die gemeinsame Sinnerzeugung und Entscheidungsfindung durch persönliche Kommunikation. Eine ähnliche Situation finden wir in den Niederlanden und Dänemark, wo sich operators der IM und der EVU während einer Störung oft im Krisenraum treffen. Österreich kann etwas Ähnliches in Wien vollziehen, nutzt diese Möglichkeit aber nur während größerer Krisen. In Deutschland bemerkten wir eine strengere Trennung zwischen den Prozessen der DB Netz und den EVU. Standardisierte Nachrichten werden via E-Mail, Textnachricht oder Website (strecken.info) gesandt, um schnell alle EVU über eine (geplante oder ungeplante) Störung zu unterrichten, so dass alle ihren Betrieb anpassen können. EVU können auch vom Verkehrsregelungssystem der DB Netz Gebrauch machen, was ihnen einen Echtzeitüberblick über ihre eigenen Züge und potenzielle Verzögerungen verschafft. Jedoch sind sie nicht in der Lage, die Dienste anderer EVU zu überwachen, weil DB Netz potenzielle Diskussionen über unfaire Behandlung vermeiden will. Viertens arbeiten alle Länder an Automatisierungs- und darauffolgenden Zentralisierungsprozessen. Dänemark hofft immer noch darauf, ERTMS l2 voll umzusetzen, während Österreich ältere Technologien gänzlich durch computer-basierte Signal- und Verkehrssteuerung auf seinen Hauptlinien ersetzt. ÖBBs Aramis Verkehrssteuerungssystem beinhaltet automatische Streckenführung, Konflikterkennung und Entscheidungshilfen während Umstellungen. Die Niederlande sind das einzige Land mit vollständig computer-basierter Steuerung und automatischer Streckenführung. Deutschland zeigt hier ein ausgesprochen gemischtes Bild. Einerseits hat man das Schweizer Schienenverkehrsteuerungs- System gekauft, um den Schienenverkehr zu regeln. Es bietet Konflikterkennung und simuliert mögliche Lösungen. Solche Systeme haben beträchtliche Auswirkungen auf die Verkehrsregelung, indem Routinearbeiten der Betreiber automatisiert werden, was den Betreibern die Überwachung großer Gebiete und Verringerung des benötigten Betriebspersonals ermöglicht. Überdies unterstützen diese Systeme die Betreiber darin, „proaktiver“ zu handeln und sich auf die Lösung der Störungen zu konzentrieren. Andererseits gibt es immer noch Teile des deutschen Streckennetzes, die von Hand betrieben werden und wo man von Automatisierung nur träumen kann. Während angeführt werden kann, dass manche Strecken Bereichskoordinator Bereichsdisponent Zugdisponent Netzleitzentrale (NLZ) Betriebszentralen (BZ) Kommunikation Netzkoordinator Fahrdienstleiter Über 400 EVU Bild 3: Kommunikationsfluss während einer Störung im deutschen Schienensystem Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 83 Schienenverkehr TECHNOLOGIE nicht ausreichend ausgelastet sind, um solche Investitionen zu rechtfertigen, könnte man auch argumentieren, dass Automatisierung das Betriebspersonal und somit auch die Anzahl der Kommunikationsvorgänge während einer Störung reduzieren könnte. Möglichkeiten zur Leistungssteigerung Wie gut schneiden DB Netz und die EVU beim Lösen von Störungen im Vergleich mit anderen Ländern ab? Ein einfacher Vergleich etwa der Zeit, die notwendig ist, um Störungen zu lösen, wird stark beschränkt durch die vielen Unterschiede zwischen den Ländern in Bezug auf technische und soziale Aspekte - ganz zu schweigen davon, dass größere Störungen immer ein paar neue Eigenschaften beinhalten. Generell lässt sich daher nicht einfach sagen, die DB Netz sei besser oder schlechter organisiert als anderswo. Wir kommen zu dem Schluss, dass angesichts der hohen Komplexität des Schienensystems und trotz aller öffentlichen Kritik die DB Netz einen auffallend guten Job macht. Es gibt einige Rahmenbedingungen, die die Leistung beeinflussen, so etwa die hohe Anzahl der EVU und die unvermeidbare geografische Streuung, aber DB Netz kann diese nicht ändern. Während die Anzahl der EVU auf absehbare Zeit nicht sinken wird, gibt es andere Wege, die Zahl der Knotenpunkte im Netzwerk zu reduzieren, um die Kommunikationsvorgänge und die Länge der Informationsströme zu verringern. Dies könnte entscheidende Zeit sparen. Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass eine höhere Zahl von Knotenpunkten auch das Risiko birgt, dass Informationsströme verfälscht werden, was wiederum die sinnerfragende Kommunikation erhöht. Eine Reduzierung der Informationsströme an sich sowie der Anzahl der involvierten Knotenpunkte senkt das Arbeitspensum dramatisch und führt daher zu kürzeren Störungszeiten (im Durchschnitt). In Deutschland kann dies hauptsächlich durch Automatisierung und anschließende Zentralisierung erreicht werden. Bei etwa 3400 lokalen Stellwerken und vielen Fahrdienstleitern, die von verschiedenen Orten aus arbeiten, gibt es viel Raum, das Netzwerk zu vereinfachen und die Kommunikation bezüglich der Sinnerzeugung zu verringern - und somit die dafür benötigte Zeit zu verkürzen. Dies wiederum wird dabei helfen, mit den Herausforderungen dynamischer Störungen fertigzuwerden. Weitere Technologiestandardisierung könnte auch helfen, das Arbeitspensum zu senken. Jedoch muss vollständige Zentralisierung nicht immer die beste Lösung sein. Lokale Betreiber wissen in der Regel besser Bescheid über die Situation vor Ort. An sich werden sie immer noch benötigt. Vielmehr sehen wir eine Lösung, bei der Automatisierung überflüssige Knotenpunkte beseitigen kann, während gleichzeitig die Verfügbarkeit lokaler Informationen sichergestellt wird. ■ 1 Betweenness-Zentralität (betweenness centrality) - Ein Knoten hat einen hohen Betweenness-Wert, wenn er Bestandteil besonders vieler kürzester Wege ist und die jeweiligen Paare wenige andere kürzeste Wege haben, auf der der Knoten nicht enthalten ist. Für jedes Knoten-Paar wird daher der Anteil an kürzesten Wegen zwischen ihnen berechnet, die v enthalten. Diese Anteile werden für alle Knoten-Paare aufsummiert, um die Betweenness-Zentralität von v zu berechnen. Quelle: Wikipedia Lasse Gerrits, Prof. Dr. Lehrstuhl für Steuerung innovativer und komplexer technischer Systeme, Universität Bamberg lasse.gerrits@uni-bamberg.de Danny Schipper, M.Sc. Erasmus School of Social and Behavioural Sciences, Erasmus University Rotterdam schipper@essb.eur.nl Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Die Kernpunkte des Peer Review-Verfahrens: • Angenommene Manuskripte gehen an jeweils zwei Gutachter der entsprechenden Fachrichtung anonymisiert zur Begutachtung. • Gutachter nehmen ihre Begutachtung anhand eines standardisierten Bewertungsbogens vor, kommentieren die Bewertung schriftlich und empfehlen danach die uneingeschränkte Annahme zur Veröffentlichung, die Überarbeitung in bestimmten Punkten oder die Ablehnung. • Die Redaktionsleitung teilt den Autoren die Entscheidung der Gutachter umgehend mit, bei Bedarf zusammen mit den Überarbeitungsauflagen. Die Gutachten selbst werden nicht an die Autoren weitergeleitet - die Gutachter bleiben also für die Autoren anonym (double blind). Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de FORUM Veranstaltungen Automatische Mittelpufferkupplung in Zugbildungsanlagen Workshop mit Vertretern von Forschungseinrichtungen und-Eisenbahnunternehmen Automatische Mittelpufferkupplung, Automatisierung, Zugbildungsanlagen Der Workshop „Bewertung des Einsatzes der Automatischen Mittelpufferkupplung in Zugbildungsanlagen“ wurde gemeinsam von der Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr der TU Dresden sowie vom Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen der Universität Stuttgart organisiert und fand im August 2017 an der TU Dresden statt. Themen des Workshops, an dem Vertreter von Forschungseinrichtungen sowie Eisenbahninfrastruktur- und Eisenbahnverkehrsunternehmen teilnahmen, waren die Einführung und der Einsatz einer automatischen Kupplung im Schienengüterverkehr sowie insbesondere die Auswirkungen in und auf Zugbildungsanlagen. Hier eine Zusammenfassung. Rainer König, Ullrich Martin, Fabian Hantsch, Carlo von Molo, Tobias Pollehn, Moritz Ruf I m Europäischen Schienengüterverkehr ist die konventionelle Schraubenkupplung seit 150 Jahren Standard. Während dieser Zeit entwickelte sich die Technik des Systems Eisenbahn weiter. So ist in der Leit- und Sicherungstechnik die Entwicklung vom mechanischen Stellwerk hin zum elektronischen Stellwerk und zur hochkomplexen Betriebszentrale gegangen. Modernere automatische Kupplungssysteme werden weltweit in vielen verschiedenen Varianten eingesetzt, z. B. in den USA seit mehr als 125 Jahren die automatische Janney-Kupplung, eine Mittelpufferkupplung. Derartige automatische Kupplungen bieten viele technische, betriebliche und wirtschaftliche Vorteile. Je nach Ausführung sind sie in der Lage, deutlich höhere Anhängelasten zu bewältigen, elektrische Verbindungen und Datenverbindungen zu kuppeln oder München Nord Rbf Foto: Carlo von Molo Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 84 Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 85 Veranstaltungen FORUM schneller zu kuppeln und zu entkuppeln. Dies wirkt sich im Schienengüterverkehr besonders in denjenigen Bereichen deutlich aus, in denen Züge getrennt und gebildet werden. Ein Beispiel dafür sind Zugbildungsanlagen. Begrüßung und Einführung in-das-Thema Den Workshop eröffnete Professor Rainer König, Inhaber der Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr am Institut für Bahnsysteme und öffentlichen Verkehr der TU Dresden. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen standen das allgemeine Effizienzproblem des Schienengüterverkehrs in Europa sowie die stetig schwindenden Kostenvorteile des Schienengüterverkehrs bei mittleren Distanzen. Er merkte darüber hinaus die schon seit vielen Jahren bei rund sechs Stunden liegende Durchlaufzeit in Zugbildungsanlagen sowie das immer knapper werdende Rangierpersonal an. Die Einführung und Begrüßung abschließend, sprach Professor Ullrich Martin, Direktor des Instituts für Eisenbahn- und Verkehrswesen der Universität Stuttgart, die vielen in Verbindung mit der Einführung einer automatischen Kupplung stehenden Innovationsthemen an, wie z. B. die Automatisierung und Digitalisierung sowie die Einführung des neuen Europäischen Zugsicherungssystems ETCS-Level- 3, das eine zuginterne Zugintegritätsüberwachung auch im Schienengüterverkehr voraussetzt. Präsentationen Mittelpufferkupplung im Schienengüterverkehr Der Referent, Niels Neuberg von der DB Netz AG, Anforderungsmanagement ETCS, erläuterte zunächst, warum eine automatische Mittelpufferkupplung im Schienengüterverkehr auch für ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen interessant ist. Hervorzuheben ist die Einführung des neuen Europäischen Zugsicherungssystems ETCS- Level 3 und die damit verbundene, zwingend notwendige, zuginterne Zugintegritätsüberwachung, zu deren Umsetzung für den Schienengüterverkehr bislang keine praxistaugliche Lösung gefunden wurde. Zahlreiche weitere Themen wie z. B. die Effizienzsteigerung beim Zusammenstellen und Auflösen von Zügen sowie das Senken des Unfallrisikos beim Zusammenstellen der Züge durch Entfall des Betretens des „Berner Raums“ beim manuellen Kuppeln und Entkuppeln, sprechen ebenso für die Einführung einer Mittelpufferkupplung. Der Referent hob abschließend noch besonders die durch den Einsatz einer elektropneumatischen Bremse mögliche Steigerung der Trassenkapazität wegen schnellerem Anlegens und Lösens der Bremsen hervor. Zudem ermöglicht das Fernsteuern von Triebfahrzeugen das Verteilen der Traktion im Zugverband und ist Voraussetzung für das Kuppeln und Flügeln von Güterzügen (siehe Bild 1). Effizienzsteigerung im Schienengüterverkehr am Beispiel MPK+ Carlo von Molo vom Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen der Universität Stuttgart knüpfte an die vorangegangene Präsentation an und stellte die gemeinsam mit der DB Netz AG, Anforderungsmanagement ETCS, entworfene, MPK+ genannte Mittelpufferkuppplung für hohe Anhängelasten mit pneumatischer und elektrischer Leitungsverbindung aus technisch-betrieblicher, sicherheitlicher und wirtschaftlicher Sicht vor. Neben den umfangreichen Anforderungen an eine moderne Mittelpufferkupplung lag der Schwerpunkt des Vortrages auf der Bewertung der Einführung der MPK+ im deutschen Schienengüterverkehr. Im Ergebnis wird festgestellt, dass sich unter den gegebenen Randbedingungen für lang- und kurzfristige Migrationsszenarien insgesamt positive Nutzen-Kosten-Indikatoren ergeben und damit die Einführung der MPK+ auf Grundlage der im vorgestellten Projekt gewählten Kriterien zu empfehlen ist [1]. Abschließend ging der Referent auf Bewertungsansätze sowie Kosten- und Nutzenpotenziale des Einsatzes von automatischen Mittelpufferkupplungen speziell in Zugbildungsanlagen ein und wies auf die zu erwartende höhere Arbeitsproduktivität und Zeitersparnis hin, deren Ausmaß aber Bild 1: Kuppeln und Flügeln von Güterzügen mit über den Zugverband verteilter Traktion Quelle: IEV Bild 2: Mögliche Effekte durch die Automatische Mittelpufferkupplung in Zugbildungsanlagen je nach Zielstellung Quelle: TU Dresden Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 86 FORUM Veranstaltungen bislang nicht näher untersucht wurde. Zuletzt wurde die Bedeutung der Migrationsphase hervorgehoben, die bei verschiedenen Migrationsszenarien - abhängig von den Eigenschaften der zu wählenden Kupplung wie z. B. halbvs. vollautomatisch und der Kupplungsfähigkeit mit der Schraubenkupplung - sich erheblich auf die Bewertung auswirkt, da potenzielle Nutzen vollumfänglich zum Teil erst nach abgeschlossener Migration zum Tragen kommen. Optimierung des Betriebes in Zugbildungsanlagen durch die Automatische Kupplung und ihre Netzwirkungen Moritz Ruf, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden, stellte Untersuchungen zu den betrieblichen Auswirkungen des Einsatzes einer automatischen Mittelpufferkupplung in Zugbildungsanlagen vor. Zuerst erfolgte eine Definition dreier zu betrachtender betrieblicher Szenarien: zum einen den Status Quo, zum zweiten konventionelle Güterwagen mit Mittelpufferkupplung und zum dritten intelligente Güterwagen mit Mittelpufferkupplung, automatischer Bremsprobe und technisch unterstützter Zuguntersuchung. Die betrieblichen Prozesse wurden als mathematisches Modell formuliert, mittels Verfahren des Operations Research gelöst und zu einem Zielbetriebsbild zusammengefügt [2]. Anhand eines Referenzbeispiels wurden zum einen Ressourceneffekte quantifiziert und zum anderen zeitliche Ersparnisse innerhalb der ZBA aufgezeigt (siehe Bild 2). Anschließend erweiterte Tobias Pollehn, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden, die Betrachtung der Wirkungen in den Zugbildungsanlagen auf Netzwerke des Schienengüterverkehrs. Dabei wurde ein akademisches Referenzbeispiel eines Netzwerks entworfen und als Fixed charge multicommodity capacitated network design problem (FMCNDP) modelliert [3]. Zunächst konnte aufgezeigt werden, dass die Reduktion der Durchlaufzeit in der Zugbildungsanlage zu kürzeren Transportzeiten von Quelle zu Senke im Netzwerk führt. Zudem wurde dargestellt, wie sich Netzwerkstrukturen unter Beachtung von Zeitrestriktionen im Netzwerk (maximale Transportzeit von Quelle zu Senke) verhalten. Dabei wurde deutlich, dass die Durchlaufzeitreduktionen in den Anlagen durch den Einsatz der Automatischen Kupplung zu effizienteren Netzwerkstrukturen führen können, da durch die Zeiteinsparungen flexiblere Routings der Wagen durch das Netzwerk möglich werden. Dementsprechend können Wagen effizienter gebündelt und die Auslastung der Züge erhöht werden. Es besteht folglich ein Show Stopper Betrieb Mögliche Lösung des Show Stoppers Betrieb Fehlende Kompatibilität zur Schraubenkupplung führt zu Mehrbedarf an Gleisen in ZBA während Migrationsphase Geschlossene Systeme während Übergang/ Migration Höhenunterschied der Kupplungen bei unterschiedlichen Zuladungen Anpassungen der Regelwerke aufgrund von Änderungen von Betriebstechnologie und -verfahren in ZBA notwendig Festlegung eines technischen Standards für die Automatische Kupplung Unterschiedliche Interessen zwischen EVU und EIU Längere Züge zeitlich verzögert und nur auf ausgewählten Korridoren Überzeugendes Konzept für Automatische Kupplung schaffen, mit dem Entscheidungsträger gewonnen werden Mischverkehr diverser EVU in ZBA Deadline zur Überwindung des Mischbetriebs Tabelle 1: Show Stopper und Lösungsansätze - Betrieb Show Stopper Technik Mögliche Lösung des Show Stoppers Technik Fehlender technischer Standard für Automatische Kupplung Überfrachtung der automatischen Kupplung hinsichtlich der Funktionalitätsanforderungen führt zu technischen Schwierigkeiten und hohen Kosten Festlegung eines technischen Standards durch eine „starke Minderheit“ in der Branche Hoher Aufwand beim Einbau der Automatischen Kupplung in alte Güterwagen Alternative Lösungen (z. B. Rangierroboter) setzen sich durch Anreize zur Umrüstung bzw. Neubeschaffung von Wagen durch europäische „Abwrackprämie“ Sichern von stillstehenden Wagen Sichern der Wagen durch selbstständiges automatisches Bremsen Flankierender Infrastrukturausbau wird nicht rechtzeitig realisiert Nutzen durch längere Züge von vornherein nur als später möglichen Mehrwert ausweisen Tabelle 2: Show Stopper und Lösungsansätze - Technik Show Stopper Geschäftsmodell & Migration Mögliche Lösung des Show Stoppers Geschäftsmodell & Migration Festlegung gemeinsamer Strom- und Datenbusnormen Einige Nutzer müssen gemeinsam voranschreiten und Standard setzen. Falls MPK ohne Strom- und Datenverbindung eingeführt wird, muss Aufwärtskompatibilität sichergestellt werden. MPK mit Strom- und Datenverbindung ist zu-teuer Die Ausrüstung von Güterwagen mit Batterien oder Generatoren zur Versorgung von Zusatzfunktionen ist nicht wesentlich günstiger, aber mit vielen Nachteilen verbunden. Andere Lösungen der zuginternen Zugintegritätsüberwachung sind aufwändiger, teurer und/ oder nicht praxistauglich. Strom- und Datenverbindung der MPK wird nicht von allen Kunden der EVU benötigt Vorteile und Nutzenpotentiale ergeben sich nicht nur für Kunden, sondern auch für EVU. Das Thema kann bei der Finanzierung der MPK berücksichtigt werden. Einheitliche Migrationsstrategie Die Migration hängt direkt mit den Eigenschaften der MPK zusammen und muss daher schon bei den Anforderungen berücksichtigt werden. MPK, die während Migration mit Schraubenkupplung kuppelbar ist, führt zu unendlich langer Migrationsphase Zeitraum der Migration muss vorab festgelegt werden. MPK, die nicht mit Schraubenkupplung kuppelbar ist, muss in kurzem Zeitraum eingeführt werden Migration kann segmentweise umgesetzt werden. Nutzentransfer zwischen Akteuren fehlt Nutzentransfer durch transparentes Modell, welches von sämtlichen Akteuren gemeinsam erarbeitet und akzeptiert wird. Industrie kann geforderte Stückzahlen für zeitnahe Migration nicht leisten Flexibilisierung des Beschaffungsmanagements: Multi-Vendor-Ansatz, Global Sourcing Tabelle 3: Show Stopper und Lösungsansätze - Geschäftsmodell & Migration Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 87 Veranstaltungen FORUM Potenzial zur internen Optimierung der Netzwerke des Schienengüterverkehrs sowie zur Erhöhung der Kundenorientierung durch kurze Transportzeiten auf Basis des Einsatzes der Automatischen Kupplung. Die Automatische Kupplung als Grundlage für die Automation im Bahnbetrieb bei SBB Cargo AG Philipp Thalmann und Aldo Smania von der SBB Cargo AG hoben in ihrem Vortrag die elementare Bedeutung der Automatischen Kupplung für die Automation im Bahnbetrieb hervor. Ausgehend von den Herausforderungen, welchen SBB Cargo im Wagenladungsverkehr gegenübersteht (u. a. hohe Kundenanforderungen, demographischer Wandel), wurde das Big Picture zur Automationsstrategie des Schweizer Schienengüterverkehrs vorgestellt. Von besonderer Bedeutung ist hierbei der „1-Personen-Betrieb“, bei dem Rangieren und Zugbildungen von einer Person durchgeführt werden können. Des Weiteren soll der Einsatz neuer Prüfkonzepte für die Wagentechnische Untersuchung die geforderte Zustandserfassung vom Schutzziel ableiten. Eine weitere Komponente stellt die Ausstattung der Wagen mit intelligenter Sensorik dar (Asset Intelligence), welche einerseits die Kundenorientierung erhöhen und andererseits für interne Use Cases eingesetzt werden kann. Zur Umsetzung der strategischen Ausrichtung wurde gezeigt, wie in dem Pilotprojekt 5-L Demonstratorzug [4] bereits jetzt intelligente Komponenten zum Einsatz kommen und getestet werden. Insbesondere zum Aufwand der Umrüstung von Güterwagen wurden wertvolle Kenntnisse gewonnen. Der Demonstratorzug stellt die Voraussetzung für den Einsatz der Automatischen Kupplung im Kombinierten Verkehr dar. Um die Innovationskraft der Branche zu stärken, wurde von SBB Cargo zudem allgemein der Wandel vom Push-Prinzip, bei dem Wagenhersteller Innovationen eigenständig mit limitierter Marktorientierung entwickeln, zum Pull-Prinzip, bei dem die Produkte auf Basis der vom Markt definierten Anforderungen entwickelt werden, vorgestellt. Diskussion Angeregt durch den Input aus den Vorträgen wurden in drei Rubriken wesentliche Show Stopper identifiziert, die bei der Einführung einer automatischen Kupplung beachtet werden sollten. Insbesondere die Ermöglichung des Eintretens der prognostizierten Effekte spielte eine zentrale Rolle. Nach der Identifizierung wurden Lösungswege erarbeitet, wie die jeweiligen Show Stopper entkräftet werden können. Die Tabellen 1 bis 3 geben einen Überblick, welche Punkte insbesondere diskutiert wurden. Fazit Überzeugende, fachlich fundierte und von Projekterfahrung getragene Beiträge, die die verschiedenen Aspekte der Einführung einer automatischen Mittelpufferkupplung mit den Schwerpunkten Automatisierung und Zugbildungsanlagen beleuchteten, führten zu einem regen fachlichen Austausch zwischen den Teilnehmern aus Wissenschaft und Praxis. Zu den als Show Stopper identifizierten Themenbereichen und Stichpunkten konnten gemeinsam Lösungsansätze erarbeitet werden, welche als Basis für die weitere Diskussion zur Einführung der Automatischen Kupplung dienen. Trotz der festgestellten unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich der Anforderungen an eine einheitliche automatische Mittelpufferkupplung waren sich alle Teilnehmer des Workshops einig, dass deren Einführung mittelfristig zwingend notwendig ist, um die im Schienengüterverkehr dringend notwendige Effizienzsteigerung realisieren zu können. Der Einsatz von automatischen Mittelpufferkupplungen in Zugbildungsanlagen wurde ausführlich diskutiert. Dabei zeigte sich auch vielfältiger weiterer Forschungsbedarf, um mögliche Entwicklungsrichtungen, Auswirkungen sowie Nutzen und Kosten erfassen und bewerten zu können. ■ LITERATUR [1] Martin, Ullrich; von Molo, Carlo (2015): Umfassende Einführung der Mittelpufferkupplung - Perspektiven für Eisenbahninfrastrukturunternehmen. VWI Neues verkehrswissenschaftliches Journal - Band 13. ISBN 9783734766817. Books on Demand GmbH Norderstedt [2] Preis, H.; König, R (2016): Innovationsfeld Zugbildungsanlage (2): Modellentwicklung für eine optimierte Betriebsplanung, 25. Verkehrswissenschaftliche Tage 2016, Dresden [3] Voll, R. (2014). Methoden der mathematischen Optimierung zur Planung taktischer Wagenrouten im Einzelwagenverkehr. Dissertation, Technische Universität Dortmund [4] König, R.; Hecht, M. (2012). Weissbuch Innovativer Eisenbahngüterwagen 2030 Ullrich Martin, Prof. Dr.-Ing. Direktor des Instituts für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart ullrich.martin@ievvwi.uni-stuttgart.de Fabian Hantsch, Dr. Akademischer Rat, Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart fabian.hantsch@ievvwi.uni-stuttgart.de Rainer König, Prof. Dr.-Ing. Professur für Bahnverkehr, Öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Technische Universität Dresden rainer.koenig @tu-dresden.de Tobias Pollehn, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Professur für Bahnverkehr, Öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Technische Universität Dresden tobias.pollehn@tu-dresden.de Moritz Ruf, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Professur für Bahnverkehr, Öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Technische Universität Dresden moritz.ruf@tu-dresden.de Carlo von Molo, Dipl.-Vw. techn. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart carlo.molo@ievvwi.uni-stuttgart.de Termine und Veranstaltungen finden Sie stets aktuell im Web: www.internationales-verkehrswesen.de/ termine_veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 88 FORUM Veranstaltungen IT-Trans 2018 Vorschau: Internationale Konferenz und Fachmesse, 06.-08.03.2018, Karlsruhe (DE) W ieder kommen die internationalen IT- und ÖPV-Experten in der Messe Karlsruhe zusammen, denn die IT-Trans ist der Branchentreffpunkt für alle, die sich für intelligente Lösungen für den öffentlichen Personenverkehr interessieren, zukunftsweisende Technologien vorstellen oder verschiedene Mobilitätsangebote diskutieren. Zum Konferenzprogramm gehören Themen wie die Digitalisierung und autonomes Fahren im öffentlichen Verkehr, standardisiertes nahtloses Reisen sowie Smart Ticketing. Ebenfalls in der Diskussion stehen Open Source und Offene Systeme sowie der Aufstieg der API-Wirtschaft. Außerdem findet man die Auswirkungen der Digitalisierung auf menschliche Ressourcen und Öffentlicher Verkehr und das autonome Fahrzeug auf der Agenda. Mit dem IT Family Dinner (06.03.) und der Karlsruhe Networking Night (07.03.) bietet die IT-Trans zwei Veranstaltungen, um mit Kunden, Partnern und Lieferanten ins Gespräch zu kommen und sich auch außerhalb der Messehalle und der Konferenzräume auszutauschen. Tickets für Konferenz und Fachmesse (vergünstigt bis zum 05.03.) sowie für die Abendveranstaltungen können auf der Messe-Webseite gebucht werden. International Transport Forum - 2018 Summit Preview: Transport Safety and Security, 23.-25.05.2018, Leipzig (DE) T he 2018 Summit on Transport Safety and Security will address issues ranging from terrorism and cyber-security to road safety and extreme weather disruption, including the risks and benefits of automated driving. Safety and security are core concerns for transport. A transport system that is safe and secure enables passengers to travel without fear and allows businesses to ship goods reliably and efficiently. Enhancing transport safety and security is also an essential element in the implementation of two major international agreements, the UN Sustainable Development Goals (SDGs) and the Paris Climate Agreement. The Summit offers a rich programme of inspiring keynote addresses, interactive sessions featuring transport ministers and other ITF stakeholders to debate policy responses to the sector’s challenges. Technical and cultural tours and an exhibition complement this diverse programme of events. The Summit also provides numerous networking opportunities, including bilateral meetings, receptions and more. http: / / 2018.itf-oecd.org Transports Publics 2018 Preview: The European Mobility Exhibition, 12.-14.06.2018, Paris (FR) T ransports Publics, the European Mobility Exhibition, is the not-to-be-missed biennial exhibition for all the key players in public transport and sustainable mobility from across Europe. Over 11,000 highly qualified participants come together over three days in Paris to discuss the latest innovations for urban, interurban and regional transport, as well as green mode transport. Transports Publics is recognised as the leading European showcase for innovations in equipment, services and policies relating to the entire mobility sector, bringing together leading European decision-makers from transport and politics. An innovative partnership between politicians and operators will again bring together all mobility stakeholders in a common initiative: The French Transportation Authorities Association (Groupement des Autorités Responsables de Transport, GART) is the association of elected officials with responsibility for transport, while the Public and Rail Transport Union (Union des Transports Publics et ferroviaires, UTP) represents transport companies. Program, information, and practical details: www.transportspublics-expo.com FAKTEN ZUR IT-TRANS 2018 Datum: 06.-08.03.2018 Öffnungszeiten: 09: 00 bis 18: 00 h (08.03. bis 15: 00 h) Ort: Messe Karlsruhe Tickets: www.it-trans.org/ de/ tickets Shuttle-Service: Kostenfrei zwischen Karlsruhe Hbf (Vorplatz) und Messe Information: Info-Stand, Eingangshalle Karlsruhe Hbf Konferenz-Eröffnung: 06.03.2018, 14: 00 h, Keynote Olivier Van Duüren Weitere Informationen: www.it-trans.org Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 89 Erscheint im 70. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 55 vom 01.01.2018. Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr plus International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 193,00 (zzgl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 215,00 Einzelheft: EUR 50,00 (inkl. MWSt.) Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print und E-Paper mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH, München Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Blurred lights in the city Foto: Shutterstock Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Mobilität und Logistik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Jürgen Peters Dr., Geschäftsführer Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Associate Partner, Oliver Wyman, Berlin Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Detlev Zukunft Dr., Programmdirektion Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 90 Liebe Leserinnen und Leser, mit der vorliegenden Ausgabe von Internationales Verkehrswesen haben wir einen weiten Bogen gespannt: von Fragen politischer und rechtlicher Natur über Lösungen für Transport und Logistik bis hin zu Automatisierungs-Strategien für Straße und Schiene. Mit internationalen Fallbeispielen und Lösungsansätzen wird sich die nächste, durchgehend englischsprachige Ausgabe beschäftigen. International Transportation 1/ 2018 fokussiert auf Urban Mobility in Schwellenländern ebenso wie in Deutschland. Geplant sind Beiträge zu Management und Sicherheit im Alltag, aber auch zur Akzeptanz neuer Mobilitätsformen wie etwa Ridesharing. International Transportation erscheint am 16. Mai. Die nächste deutschsprachige Ausgabe, Internationales Verkehrswesen 2/ 2018, wird Transport und Logistik thematisieren und wieder zahlreiche praxisgerechte Aspekte abdecken - von den Auswirkungen der Digitalisierung auf Geschäftsmodelle von Logistikdienstleistern bis hin zu ungewöhnlichen Einsatzgebieten für Elektro-Lastenfahrräder. Diese Ausgabe erscheint am 07. Juni 2018. Und wie immer sind Sie herzlich eingeladen, Beiträge zu diesem Themenkreis bei der Redaktion einzureichen. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 06.03.- 08.03.2018 Karlsruhe (DE) IT-Trans 2018 IT-Trends und Innovationen für den öffentlichen Personenverkehr Veranstalter: Karlsruher Messe- und Kongress GmbH Information und Anmeldung: www.it-trans.org 14.-15.03.2018 Dresden (DE) 26. Verkehrswissenschaftliche Tage Grenzenlos(er) Verkehr? ! Veranstalter: Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ an der TU Dresden Kontakt: Susanne Nerlich, vwt2018@tu-dresden.de www.vwt2018.de 20.-22.03.2018 Stockholm (SE) Passenger Terminal Conference International Airport Conference and Exhibition Veranstalter: UKi Media & Events, Surrey, RH4 1UP, UK Kontakt: T.: +44 (0) 1306 743744 www.passengerterminal-expo.com 16.-19.04.2018 Wien (AT) Transport Research Arena 2018 (TRA) Europäische Verkehrsforschungskonferenz: „A Digital Era for Transport“ Veranstalter: AustriaTech GmbH, www.austriatech.at Kontakt: Katharina Schüller, T.: +43 1 26 33 444-48, katharina.schueller@austriatech.at www.traconference.eu 18.-20.04.2018 Medellín (CO) Conferencia MOVICI - MOYCOT 2018 Internationales Symposium für urbane Mobilität in der Smart City Veranstalter: Deutsch-kolumbianisches Netzwerk MoviCi Informationen und Kontakte: https: / / easychair.org/ cfp/ movici-moycot-2018 18.-21.04.2018 Friedrichshafen (DE) Aero 2018 The Global Show for General Aviation Veranstalter: Messe Friedrichshafen GmbH Kontakte und Information: www.aero-expo.com 23.-27.04.2018 Hannover (DE) Hannover Messe Integrated Industry - Connect & Collaborate Veranstalter: Deutsche Messe Kontakte und Information: www.hannovermesse.de 24.-26.04.2018 Koblenz (DE) Deutscher Nahverkehrstag Viele Teile - doch kein Ganzes? Veranstalter: Valentum Kommunikation GmbH, Regensburg, Kontakt: T.: +49 941 696463-3 , nahverkehrstag2018@valentum.de www.deutschernahverkehrstag.de 14.-18.05.2018 München (DE) IFAT 2018 Weltleitmesse für Wasser-, Abwasser-, Abfall- und Rohstoffwirtschaft Sonderschau: Nachhaltigkeit im Straßenbau - ressourcenschonende Verfahren und Maschinen sowie langlebige Materialien Veranstalter: Messe München GmbH www.ifat.de/ strassenbau 23.-25.05.2018 Leipzig (DE) International Transport Forum - 2018 Summit Transport Safety and Security Veranstalter: International Transport Forum bei der OECD Kontakte: http: / / 2018.itf-oecd.org/ about http: / / 2018.itf-oecd.org 06.-07.06.2018 Venlo (NL) Cargo Innovation Conference Disruption in Logistics and Freight Veranstalter: Jakajima b.v., Eindhoven (NL), info@jakajima.eu www.cargoinnovationconference.com/ program TERMINE + VERANSTALTUNGEN 06.03.2018 bis 07.06.2018 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten:  Herr  Frau  Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden)  Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen.  Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de/ agb_trialogpublishers.pdf heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo  Jahresbezugspreis Inland EUR 213,35 inkl. MwSt. und Versand  Jahresbezugspreis Ausland EUR 215,- (mit VAT-Nr.) / EUR 237,73 (ohne VAT-Nr.), inkl. Versand WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www.trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, z.Hd. Eberhard Buhl, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. Abo-Bestellung bitte senden an: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft z.Hd. Eberhard Buhl Leserservice Internationales Verkehrswesen Schliffkopfstraße 22 72270 Baiersbronn-Buhlbach Fax: +49 (0)7449 91386 37 E-Mail: service@trialog.de Ja, ich will Internationales Verkehrswesen regelmäßig lesen! StudiAbo (Aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung)  Jahresbezugspreis Inland EUR 85,34 (inkl. MwSt. und Versand).  Jahresbezugspreis Ausland EUR 95,09 (inkl. MwSt. und Versand). Das Jahres-Abonnement umfasst die gedruckte Ausgabe plus ePaper/ PDF und Archivzugang (ab 1/ 1949). Vertriebsanzeige IV.indd 1 15.08.2017 15: 14: 29 2018 | Heft 1 Februar