Internationales Verkehrswesen
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2018 | Heft 2 Juni Marktchancen strategisch besser nutzen Transport und-Logistik www.internationalesverkehrswesen.de Heft 2 l Juni 2018 70. Jahrgang POLITIK Verkehrswege öffnen - Verkehrswege sichern INFRASTRUKTUR Städtebauliche Auswirkungen des Online-Handels LOGISTIK Logistikmarkt - Schiffsverkehre mit Potenzial MOBILITÄT Regionalflughäfen: Geschäftsreisende abgehängt? TECHNOLOGIE Blockchain - Anwendungen für die Logistik 1 Jetzt Ticket buchen! Berlin, 27.-28. Juni 2018 Europas größte Fachmesse für Automatisiertes Fahren, Connected Car und Mobilitätslösungen www.concarexpo.com VERANSTALTER #concarexpo Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 3 Sebastian Kummer EDITORIAL Transport und Logistik im Wandel D ass der Wandel einen stetigen Begleiter im Verkehrs- und Logistikbereich darstellt, ist nichts Neues. Wie vielschichtig, umfassend und komplex diese Transformationsprozesse allerdings sind, zeigen nicht zuletzt zahlreiche aktuelle Entwicklungen, wobei vor allem deren Konvergenz zur besonderen Aufgabe für unsere Branche wird. So müssen sich Manager und Unternehmer einerseits kurz- und mittelfristigen Herausforderungen, wie beispielsweise drohenden Einschränkungen im internationalen Handel aufgrund von Zöllen oder der Wiedereinführung von US-Sanktionen gegen den Iran, stellen und es darüber hinaus gleichermaßen als ihren Auftrag verstehen, geostrategisch relevante Projekte wie den Ausbau der Neuen Seidenstraße und die daraus resultierenden Veränderungen globaler Güterströme und wirtschaftspolitischer Machtverhältnisse zu antizipieren. Außerdem zeigt sich eigentlich Woche für Woche mehr, dass die fortschreitende Digitalisierung nicht nur das Leben der Menschen, sondern vor allem auch die Mobilität, den Transport und die Logistik radikal verändern wird. Wie stark die disruptive Kraft hier ist, zeigen nicht zuletzt die vielen in diesem Bereich gegründeten Startups. Verantwortliche Entscheidungsträger sind daher nicht nur gefordert, aktuelle Geschäftsmodelle zu überdenken, sondern müssen diese häufig komplett neu entwickeln. So gefährlich diese Entwicklung für etablierte Unternehmen auch sein mag, bieten sich zugleich dennoch sehr große Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Wenn es Aufgabe der Politik ist, Systeme nachhaltig zu gestalten, müssen neben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch soziale und ökologische Wirkungen bedacht werden. Bezüglich der sozialen Wirkungen wurde die Veränderung der Arbeitswelt schon früh diskutiert. Die Richtung ist weitgehend klar: (Aus)Bildung, (Weiter)Bildung und, wenngleich oft nicht ganz eindeutig kommuniziert, aber genauso wichtig, die (Allgemein)Bildung. Am wenigsten konkret und sehr ambivalent ist die Auswirkung der Digitalisierung auf die Ökologie. Im Bereich des Verkehrs könnten autonom fahrende Fahrzeuge helfen, Unfallzahlen zu reduzieren. Kooperative Logistikplattformen und Blockchain-Lösungen könnten dazu beitragen, die Fahrzeugauslastung zu erhöhen und die Effizienz zu steigern. Allerdings sind die Geschäftsmodelle, die mit der Digitalisierung verbunden sind, eher auf eine Beschleunigung der wirtschaftlichen Aktivitäten und damit der verbundenen Personen- und Güterverkehre ausgelegt. Man muss kein Technikfeind sein, um zu erkennen, dass viele Digitalisierungstechnologien sich Umweltschutz auf die Fahnen schreiben, aber im Grunde auch den Ressourcenverbrauch beschleunigen werden. So ist Tesla zwar gut für den Durchbruch der Elektromobilität, aber Sportwagen, Luxuslimousinen und SUVs sind ökologisch eher bedenklich. Die u. a. Bitcoin zugrundeliegende Blockchain löst gerade eine Technologiewende aus, aber der Energieverbrauch, der damit in vielen Bereichen einhergeht, ist noch gigantisch. Kritisch zu hinterfragen ist auch der „Run“ der digitalen Multimillardäre in den Weltraum. Nicht nur, dass die dazu benötigten Flugkörper ungeheure Mengen an Energie verschlingen und früher oder später ein ökologisches Problem werden. Es zeigt außerdem, dass diejenigen, die die Digitalisierung vorantreiben, denken, dass diese nicht zur Rettung der Welt führt, sondern eher, dass wir künftig neue Lebensräume brauchen. Angesichts der globalen Dimension der digitalen Veränderung ist guter Rat an die Politik teuer. Der US-Ökonom und Managementtheoretiker Michael Porter aber hat gezeigt, dass straffe Umweltauflagen aufgrund des Effizienzdrucks mittelfristig gut für die Industrie sind. Die Fähigkeit privatwirtschaftlicher Akteure und der öffentlichen Hand, auf die Vielzahl von Veränderungen und die damit verbundenen Herausforderungen zu reagieren, bildet eine wesentliche Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand. Mein Wunsch an die europäische Politik, Unternehmen und die Forschung wäre es, im Bereich der Digitalisierung der Nachhaltigkeit eine größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Das vorliegende Heft gibt dazu aus verkehrspolitischer, unternehmerischer und wissenschaftlicher Perspektive wieder wichtige Anregungen. Sebastian Kummer Univ. Prof. Dr., Vorstand des Institutes für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 4 34 Low Carbon Logistics Nachhaltige Logistiklösungen für die letzte Meile in Kleinund-Mittelstädten Clemens Weiss Clara Burzlaff 37 Wettbewerbskräfte im Logistikmarkt der Zukunft Auswirkungen der Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle von Third-Party Logistics Providern Erik Hofmann Mathias Mathauer POLITIK 10 Sicherer Bahnhof Untersuchung der Auswirkungen von Sicherheitskontrollen auf den Fahrgastfluss Lukas Asmer Andrei Popa 14 Internationalisierung von Flüssen in Südamerika Mannheimer Akte als Vorbild für das Flussnetz des Paraná - Paraguay Armin F. Schwolgin 18 Kritik der Reform der Bundesfernstraßenverwaltung Standpunkt Andreas Kossak 19 Die Quote als Antrieb für E-Fahrzeuge in China Förderung der E-Mobilität mit verkehrspolitischen Instrumenten in der Volksrepublik China Matthias Gather Christian Vollrath Zubin You INFRASTRUKTUR 24 Verkehrlich-städtebauliche Auswirkungen des Online-Handels Wie können die zunehmenden Lieferverkehre in den Städten konfliktfrei abgewickelt werden? Sven Altenburg Klaus Esser Dirk Wittowsky Sören Groth Hans-Paul Kienzler Judith Kurte Anna-Lena van der Vlugt WISSENSCHAFT 28 Entwicklung eines Kernnetzes für Oberleitungs-LKW Tobias Bernecker Markus Schubert Florian Hacker Gregor Nebauer Sven Kühnel Jens Boysen LOGISTIK Foto: Tobias Bernecker SEITE 28 Foto: geralt/ pixabay.de SEITE 37 Foto: pixabay.de SEITE 19 40 XXL-Containerschiffe - eine-kritische Reflexion Ulrich Malchow 44 Löst der indische Tiger den chinesischen Drachen ab? Dirk Ruppik 46 Was verbirgt sich hinter der neuen Seidenstraßen-Initiative? Chinas Entwicklungsmodell international vernetzter Transport- und Wirtschaftskorridore Carsten Müller Michael Huth 51 Strukturen der europäischen Fährschiffstonnage Empirische Untersuchung der RoPax- und RoRo-Tonnage in Europa Sönke Reise Caroline Haugrund 56 Transporte von Flüssignährstoffen per Binnenschiff Geschäftsmodell - Transportkorridore - Technik Thomas Decker WISSENSCHAFT 59 Simulation des Entscheidungsverhaltens verdeutlicht Marktpotenzial Hafen- und Verkehrsträgerwahl für Containertransporte aus dem südwestdeutschen Hinterland Ralf Elbert Katrin Scharf Frederik Meyer Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 5 INHALT Juni 2018 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 23 Bericht aus Brüssel 88 Forum Veranstaltungen 89 Impressum | Gremien 90 Vorschau | Termine AUSGABE 3/ 2018 Schiene vs. Straße? - Güterverkehr - Infrastruktur - Mobilitätsstrategien - Politikbewertung erscheint am 13. September 2018 78 Web-basierte Dienste für die Mobilitätsplanung im Alltag Nutzungsverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Österreich Julia Christina Schilder Juliane Stark WISSENSCHAFT 82 Blockchain-Anwendungen in-der Logistik Otto Jockel Sebastian Stommel Foto: pixabay.de SEITE 64 Quelle: pixabay SEITE 78 Aktuelle Themen, Termine und das umfangreiche Archiv finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de 64 Niedrigwasser am Bodensee und die Auswirkungen auf die Schifffahrt Anja Scholten Benno Rothstein 67 All-Electric-Tourism - nachhaltige Bodenseereisen Radtourismus mit neuen Chancen Helene Schmelzer Thomas Sauter-Servaes 70 Mobilitätsmonitor Nr. 6 - Mai-2018 Lena Damrau Frank Hunsicker Lisa Ruhrort Christian Scherf Robin P. G. Tech 74 Regionalflughäfen ohne Netz Die deutschen Regionalflughäfen sind für den Geschäftsreiseverkehr schlecht angebunden Christoph Brützel MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 6 IM FOKUS Autonome Kleinbusse und Do-it-yourself-Autos I nnovative Konzepte für Mobilität und Fahrzeugproduktion standen im Fokus einer kürzlich abgehaltenen Tagung der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik WGP. Dabei beschrieben die WGP-Wissenschaftler vor allem neuartigen Anforderungen an die Produktionstechnik von morgen. Erforderlich seien unter anderem innovative Sensor-Aktor-Systeme und Energiespeicher-Medien, aber beispielsweise auch demontierbare und recycelbare Karosserien bzw. Fahrzeugstrukturen. Die Professoren hatten hier unter anderem ein Do-it-yourself-Fahrzeug vor Augen - gewissermaßen ein „Ikea-Auto“. Die Forschung müsse hierfür vor allem E- Motoren und E-Achse weiterentwickeln, neue Batteriesowie Füge- und Anbindungskonzepte ermöglichen und nicht zuletzt die Batteriezellenfertigung voranbringen. Als Szenario für die kommende urbane Mobilität zeichnete beispielsweise Prof. Günther Schuh, Geschäftsführer des Aachener Elektrofahrzeug-Herstellers e.GO Mobile und zugleich Mitglied des Direktoriums des wzl Werkzeugmaschinenlabors der RWTH Aachen, das Bild einer hoch flexiblen Fortbewegung: Sein für die zweite Jahreshälfte 2018 angekündigtes, kostengünstiges und extrem haltbares Elektromobil sei nur einer von vielen Bausteinen zukünftiger Gesamtkonzepte, denn Mobilität in der modernen Stadt werde künftig komplett anders organisiert. Es werde umfassende Angebote von miteinander vernetzten, autonom fahrenden oder von Hand gelenkten Fahrzeugen geben, seien es Kleinbusse, Motorräder oder Fahrräder. Das jeweilige über Smartphone gebuchte Gefährt wird - so die Vision - in Park-and-Ride-Häusern abgeholt. Autonom fahrende Kleinbusse sammeln Fahrgäste bis zu einer bestimmten Anzahl und fahren dann eine festgelegte Strecke ab. Menschen mit Behinderungen können komplette Mobilitätsvarianten buchen, die sie direkt zu ihrem Ziel bringen. Auf der CEBIT vom 11. bis 15. Juni in Hannover will e.GO die 2. Generation des autonomen Elektrokleinbusses e.GO Mover, der zusammen mit der Zukunfts Venture GmbH der ZF Friedrichshafen AG entwickelt wurde, das angekündigte Stadtauto e.GO Life sowie neue Mobilitätslösungen für den großstädtischen Bereich vorstellen. www.e-go-mobile.com Die 2. Generation des autonomen Elektrokleinbusses e.GO Mover Quelle: e.GO Datenschutz: Cloud-Dienste europaweit zertifizieren Z unehmend werden auch sensible und kritische Daten und Algorithmen nicht mehr auf Serverbänken vor Ort, sondern flexibel nutzbar „in der Cloud“ abgelegt - und da sollten höchste Sicherheitskriterien angelegt sein. Allerdings ist der Markt der Cloud-Service-Anbieter und ihrer Sicherheits-Zertifizierungen praktisch unüberschaubar geworden. Das vom Institut für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordinierte Forschungsprojekt „Auditor“ (EuropeAn CloUD ServIce DaTa PrOtection CeRtification) will hier Klarheit schaffen: Die Projektpartner erarbeiten eine Datenschutzzertifizierung von Cloud-Diensten, die auf Basis der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) als Standard europaweit eingesetzt werden soll. Ziel ist es, diese nachhaltig anwendbare Datenschutzzertifizierung zu entwickeln, beispielhaft umzusetzen und zu erproben. Dies soll allen Beteiligten zugute kommen: Cloud-Kunden erhalten eine Datenschutz-Garantie, Cloud- Anbieter können sich diese Sicherheit offiziell bestätigen lassen, Zertifizierungsstellen erhalten einheitliche Standards und die Daten des Endverbrauchers sind geschützt. Zunächst entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Kriterienkatalog für eine Zertifizierung nach DS- GVO. Diese Kriterien sollen bereits so weit standardisiert sein, dass sie Grundlage für eine DIN-SPEC bilden - eine Art Vorstufe zur DIN-Norm. Diese wiederum dient dann als Basis für eine europäische Norm und die Entwicklung eines EU-weit anerkannten Datenschutz-Zertifizierungsschemas. Anschließend erarbeiten die Projektpartner ein Konzept für das Anwenden dieser Qualitätssicherung und nehmen dabei besonders Organisationsstrukturen und Verfahren für die Zertifizierung in den Blick. Dafür werden etwa modulare Zertifizierungs- und Auditierungsprozesse spezifiziert und Geschäftsmodelle für das Verfahren untersucht. An dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Projekt sind mehr als 25 Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft beteiligt, darunter das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Microsoft Deutschland, SAP und der TÜV. www.kit.edu Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 7 IM FOKUS Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik Innovative Komponenten • Fahrzeuge • Systeme innotrans.de 18.-21. SEPTEMBER • BERLIN InnoTrans 2018 THE OF FUTURE MOBILITY Kontakt Messe Berlin GmbH Messedamm 22 · 14055 Berlin T +49 30 3038 2376 F +49 30 3038 2190 innotrans@messe-berlin.de Int.Verkehrswesen_InnoTrans2018_102x297_de.indd 1 11.08.2017 12: 45: 05 IT-Sicherheit für das Auto von morgen J e mehr Elektronik die Autos lenkt, beschleunigt und bremst, desto wichtiger wird der Schutz vor Cyber-Angriffen. Deshalb erarbeiten 15 Partner aus Industrie und Wissenschaft bis März 2021 im Verbundvorhaben mit dem Namen „Security For Connected, Autonomous Cars (SecForCARs) neue Ansätze für die IT-Sicherheit im selbstfahrenden Auto. Zwar verfügen Fahrzeuge bereits heute über vielfältige Kommunikationsschnittstellen und immer mehr automatisierte Fahrfunktionen wie etwa Abstands- und Spurhalteassistenten. Allerdings wird sich die Elektronikarchitektur kommender, vernetzter und hoch automatisierter Modelle deutlich von der bisheriger Fahrzeuge unterscheiden. Sie muss viel mehr Daten in viel kürzerer Zeit erfassen und zuverlässig verarbeiten und soll zugleich alle Fahrfunktionen „in Echtzeit“ steuern können. Vernetzte Autos bieten beim automatisierten Fahren potenziell viele Vorteile. Zum Beispiel erhöht sich die Sicherheit, wenn sie sich untereinander vor Straßenschäden oder Glatteis warnen. Gleichzeitig muss jedoch die Bordelektronik massiv vor Angriffen von außen geschützt sein - die Sicherheitsanforderungen steigen enorm. Mit seinem Fokus auf selbstfahrende Autos hebt sich SecFor- CARs deutlich von bisherigen Forschungs-Initiativen zur IT-Sicherheit im Automobil ab. und betrachtet ein breites Fragen-Spektrum. Wie lassen sich vernetzte und automatisierte Fahrzeuge sicherer entwickeln? Wie testet man solche Fahrzeuge auf Sicherheitslücken? Wie erreichen Automobilhersteller und Technologiepartner, dass nachträglich auftretende Lücken schnellstmöglich geschlossen werden? Das Projekt bringt Experten aus der IT-Sicherheit und dem automatisierten Fahren zusammen. Als Automobilhersteller sind Volkswagen und Audi beteiligt. Die Zulieferindustrie ist durch Infineon Technologies und Robert Bosch vertreten, die Unternehmen Escrypt, Itemis, Mixed Mode und Schutzwerk repräsentieren Tool- Hersteller und die Security-Industrie. Ausgewählte Forschungsinstitute, Universitäten und Hochschulen wie die Universität Ulm, die Technischen Universitäten Braunschweig und München, die Freie Universität Berlin, die Hochschule Karlsruhe sowie die Fraunhofer- Institute AISEC und IEM sichern den Transfer aktueller Forschungsergebnisse in das Projekt. Das Verbundvorhaben wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und von Infineon geleitet. Audi AICON - Studie für das autonome Fahren Quelle: Audi Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 8 IM FOKUS E-Auto oder Verbrenner? D er Kaufpreis entscheidet weiterhin wesentlich darüber, ob sich EU-Bürger ein Elektroauto kaufen wollen. Das ist eine der Kernaussagen der Studie „Quantifying the factors influencing people’s car type choices in Europe“, die JRC im Auftrag der Europäischen Union erstellt hat. Dazu wurden im Juni 2017 mehr als 1200 Autofahrer in Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Spanien und dem Vereinigten Königreich zu ihren Kaufkriterien befragt. Die Studie aktualisiert eine gleich gelagerte Befragung aus dem Jahr 2012. Dabei zeigte sich beispielsweise, dass fast die Hälfte der Befragten bis heute nie den Kauf eines Batterie- oder Brennstoffzellen-Autos in Erwägung gezogen haben. Insgesamt ist der Kaufpreis weiterhin wichtigstes Kriterium (77 %), wobei der Anteil der Befragten, die E-Autos derzeit für „sehr teuer“ halten, von 75 % (2012) auf 69 % gesunken ist. Während die Höchstgeschwindigkeit ebenso wie die Lademöglichkeiten heute keine entscheidende Rolle mehr spielen, tragen Treibstoff- und Unterhaltskosten nun deutlich zur Kaufentscheidung bei. Die Studie steht online zur Verfügung unter: http: / / dx.doi.org/ 10.2760/ 695017 Autonome Schifffahrt: Transdisziplinäre Forschung I m neu gegründeten bundesweiten Netzwerk „SKAS - Systeme und Komponenten für autonome Schifffahrt“ arbeiten 14 Professuren aus fünf Fakultäten der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) intensiv an dem Thema autonome Schifffahrt. Das Netzwerk aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Institutionen will transdisziplinär Systeme, Komponenten, Sensoren, Technologien und Kommunikationsleistungen für teil- oder vollautonome Schiffe entwickeln und erforschen. Beteiligt ist auch der Kieler Forschungscluster „Ozean der Zukunft“. Koordiniert wird das Netzwerk von der EurA AG. Die Digitalisierung der Schifffahrt ist ein Zukunftsfeld, auf dem derzeit die Karten global verteilt werden. Bei SKAS liegt der Fokus nicht ausschließlich auf der vollständigen Autonomie der Fahrzeuge. Es werden vielmehr auch Aspekte wie Teilautonomie in Form von Assistenzsystemen zum automatisierten Anlegen betrachtet. Da hier neben China auch Skandinavien führend ist, werden aktuell bestehende Kontakte zu Forschungspartnern in Norwegen und Finnland ausgebaut. Bereits im vergangenen Jahr starteten erste Projekte zum autonomen Fahren in ländlichen Regionen mit der Entwicklung „NAF-Bus - nachfrageorientierter autonom fahrender Bus“ und weiteren Teilprojekten. Derzeit entwickelt die Arbeitsgruppe Technologietransfer der CAU und des Exzellenzclusters Future Ocean weitere Projektskizzen zu autonomen Verkehrskonzepten unter Einbindung autonomer Schiffe. Denkbar ist beispielsweise eine Pilotlinie, die das West- und das Ostufer der Kieler Förde durch die kombinierte Nutzung autonomer Bus- und Fährlinien besser vernetzt. Die Kombination aus elektrisch angetriebenen autonomen Buslinien mit elektrisch betriebenen autonomen Fähren soll in einer Modelllinie auf der Kieler Förde zwischen dem CAU-Campus, dem FH Campus und dem GEOMAR realisiert werden. Erste Projekttreffen mit Unternehmen sowie Experten aus Forschung, Politik und Verwaltung zur strategischen Weiterentwicklung des Themas fanden bereits statt. www.uni-kiel.de Das eigene Lager besser im Blick D ie Kunden auf Bestellungen oder Aufträge warten zu lassen, verbaut die Chance auf langfristige Geschäftsbeziehungen. Wie beim Onlineshopping im Privatbereich erwarten zunehmend auch Entscheider im geschäftlichen Umfeld maximale Schnelligkeit, Flexibilität und Effizienz. Für Unternehmen gilt es daher, rechtzeitig auf neue Anforderungen an die Supply Chain zu reagieren. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Supply Chain bewirkt, dass die Zahl der parallel ablaufenden Prozesse stetig ansteigt. Besonders die Übertragung von Daten erfordert in diesem Zusammenhang, Abläufe zu optimieren oder ganz neu aufeinander abzustimmen. Vorliegende Informationen zielführend zu nutzen, stellt in diesem Zusammenhang die Grundlage dar. Maschinen, die älter sind, aber noch funktionieren, lassen sich über flexible Schnittstellen miteinander verknüpfen. Softwarelösungen wie der grafische Materialflussrechner von sysmat für automatisierte Anlagen und Automatiklager arbeiten mit den vorhandenen Daten und ermöglichen es Unternehmen, Optimierungspotenziale aufzudecken und Fehlerquellen zu erkennen, indem sie Anwendern auf einer grafischen Oberfläche einen Überblick über Abläufe im Lager verschaffen. So lassen sich „unrund“ laufende Vorgänge besser entdecken, anpassen und in der Folge bessere Ergebnisse erzielen. Der grafische Materialflussrechner wird hierfür zwischen die Anlagen geschaltet und führt diese so zusammen. Unnötige Neuanschaffungen spart die Software aus und verlängert die Flottenzugehörigkeit der Maschinen. Die Abstimmung aller beteiligten Komponenten aufeinander kann Unternehmen also einen entscheidenden Vorteil im Wettbewerb verschaffen. www.sysmat.de Wichtigste Entscheidungskriterien beim Autokauf (in %) Quelle: EU 2018 Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 9 Politikrisiken für die Deutsche Bahn D ie neue Regierungskoalition will den politischen Einfluss auf die DB AG verstärken. Es sollen vermehrt „volkswirtschaftliche Ziele“ neben denen eines Wirtschaftsunternehmens verfolgt werden. Unklar bleibt, was denn diese „volkswirtschaftlichen“ Kriterien überhaupt beinhalten. Denn volkswirtschaftlich verantwortungsvolles Verhalten der Bahn schließt als wesentliche Komponente auch und insbesondere eine hohe Leistungsqualität ein sowie durch Investitionen gesicherte und an den sich verändernden Markt- und Wettbewerbsbedingungen ausgerichtete Produktivitätsstrategien und die Erwirtschaftung der notwendigen Refinanzierungsmittel. Das verlangt auch der mit der Bahnreform 1994 entscheidend veränderte Art.-87e-Grundgesetz. Die ersten Umsetzungsschritte einer verstärkten politischen Einflussnahme sind bereits vollzogen. Im Aufsichtsrat der DB AG werden die WIrtschaftsvertreter durch Staatssekretäre und Parlamentarier ersetzt. Als Aufsichtsratsvorsitzender fungiert ein freigestellter Staatsekretär aus dem Bundesverkehrsministerium. Damit sind nur Gewerkschaftsvertreter und Politiker mit hoher Interessengebundenheit in diesem Gremium. 24 Jahre nach der Bahnreform nun also der Schritt zurück, wobei offensichtlich die Rechtsform der AG als störend empfunden wird. Dies alles erinnert mit Schrecken an die frühere Bundesbahn. Sie wurde als staatliches Sondervermögen mit eigenem Verwaltungsunterbau von einem ausschließlich mit Politikvertretern und Gewerkschaftern besetzten Verwaltungsrat kontrolliert und weitestgehend geleitet, der alle relevanten Aktivitäten des Vorstandes genehmigen musste. Die Bundesbahn wurde qualitativ und wirtschaftlich desaströs ruiniert, was 1993 zu einem Bilanzverlust von- fast 16 Mrd. DM bei einem Umsatz von 25 Mrd. DM. führte. Die- Personalaufwendungen lagen um 2,1 Mrd. DM über dem Umsatz! Aber wer weiß heute noch davon und von den vielen Ursachen der Bahnkrise. Wer ist noch in der Lage und bereit, mahnend die Stimme gegen den Zeitgeist mit dessen Fundamentalkritik an privatwirtschaftlichen Komponenten der Bahnführung zu erheben? Keinesfalls der neue Aufsichtsrat und wohl auch nicht der Vorstand der DB AG. Dass bei der DB AG manches nicht zufriedenstellend und kritikwürdig läuft, ist unbestritten, aber kein akzeptierbarer Grund, von ordnungspolitischen Kehrtwendungen in die Vergangenheit zu träumen. Ja, die Verspätungen im Personenverkehr sind ärgerlich und medienwirksam, haben jedoch ein komplexes Ursachenmuster. Das gilt auch für den seit Jahren (übrigens bei allen Schienenbahnen mit umfänglichem Einzelwagenanteil) kränkelnden und verlustbringenden Güterverkehr. Ähnliches gilt für die Defizite bei der Kundeninformation und die immer noch Besorgnis erregenden Produktivitätshemmnisse, insbesondere im Schienengüterverkehr. Verkehrs- und Umweltpolitik fordern eine nachhaltige Erhöhung des Bahnanteils, dies schon seit Jahren, aber mit keinem oder sehr mäßigem Erfolg. Viel zu wenig berücksichtigt die Politik, dass auf den Hauptabfuhrstrecken infrastrukturelle Kapazitätsengpässe eine störungsfreie Verkehrsabwicklung erschweren. Wenn vor diesem Hintergrund vollmundig immer wieder die Ausweitung des Marktanteils zumindest implizit als umsetzbar unterstellt wird, weil offensichtlich auch seitens der Bahn Überlastungsanzeigen sehr ungern erfolgen, ist dies schwer nachvollziehbar. Der Hinweis auf die Möglichkeiten der Digitalisierung erscheint in diesem Zusammenhang allerdings nicht zielführend, werden die Probleme der hohen Streckenbelastungen durch Mischverkehre und die sehr langen Umsetzungszeiträume bei den unvermeidbaren Infrastrukturinvestitionen berücksichtigt. Verstärkte politische Einflussnahmen auf die Unternehmensführung der DB AG sind ein zweischneidiges Unterfangen. Einerseits engen die aktienrechtlichen Vorgaben dies ein, andererseits verwischen die Verantwortlichkeiten für das unternehmerische Handeln. Die bahnpolitische Risikobilanz wirkt wenig vertrauenserweckend. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche „Die ersten Umsetzungsschritte einer verstärkten politischen Einflussnahme sind bereits vollzogen“ Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 10 Sicherer Bahnhof Untersuchung der Auswirkungen von Sicherheitskontrollen auf den Fahrgastfluss Security, Fahrgastsimulation, Sicherheitskontrollen, Bahnhof Das Schienenverkehrsnetz in Deutschland zählt zu einem der am besten ausgebauten, aber ebenso komplexesten Verkehrssysteme der Welt. Dabei zeichnet sich das System vor allem durch freie Zugangsmöglichkeiten und eine hohe Flexibilität für die Reisenden aus. Vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus steigt die Forderung nach Sicherheitskontrollen im Schienenverkehr. Welche Auswirkungen flughafenähnliche Sicherheitskontrollen auf den Fahrgastfluss an einem Bahnhof hätten, untersuchte das DLR-Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr in einem Forschungsprojekt. Lukas Asmer, Andrei Popa D ie Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass Europa und Deutschland immer stärker im Fokus des internationalen Terrorismus stehen. Dabei sind die Folgen der Anschlagsserie vom 11. September 2001 bis heute spürbar. Nicht nur, dass sich das Bewusstsein der Bevölkerung gewandelt hat [1], sondern auch die Sicherheitsbemühungen wurden, gerade im Luftverkehr, auf internationaler Ebene um ein Vielfaches verschärft. Als Konsequenz zeigt sich eine Verlagerung der Aktivitäten terroristischer Organisation. Denn immer häufiger rücken andere, scheinbar leichter angreifbare, Ziele in den Fokus. Sowohl die versuchten Anschläge in Köln (2006) und Bonn (2012), der Anschlag bei Würzburg (2016), die Tragödien in Madrid (2004), London (2005) und Brüssel (2016), als auch der vereitelte Anschlagsversuch in einem Thalys-Zug im Sommer 2015, verdeutlichen diese Entwicklung. Auffällig dabei ist, dass immer häufiger der öffentliche Personenverkehr als Anschlagsziel zu identifizieren ist. Nicht zuletzt nach dem Anschlagsversuch auf den Thalys-Zug 2015 wurden die Forderungen nach mehr Sicherheit im Schienenverkehr spürbar. Die Forderungen gingen vom Ausbau der Videoüberwachung, über die Erhöhung der Anzahl an Sicherheitspersonal, bis hin zur Forderung, den Schienenverkehr zu einem sicherheitsüberprüften System umzugestalten. Mitte November 2015 verkündete Thalys, fortan eine Sicherheitsüberprüfung der Fahrgäste an den Bahnhöfen in Paris und Lille einzurichten. Ergänzt werden sollte die Maßnahme um die Bahnhöfe in Brüssel, Amsterdam und Köln [2, 3]. Wie schwierig eine solche Umsetzung für den deutschen Schienenverkehr wäre, zeigt die seit Jahren diskutierte Anbindung des Eurostar-Zuges an das deutsche Schienennetz. Der Zug soll auf der Strecke von Köln, durch den Eurotunnel, nach London verkehren. Voraussetzung dafür ist allerdings die Sicherheitsüberprüfung aller Fahrgäste und deren Gepäck. Bis heute konnte keine entsprechende Lösung für eine mögliche Sicherheitskontrolle am Foto: Copyright Aufmacher POLITIK Sicherheit Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 11 Sicherheit POLITIK Hauptbahnhof in Köln gefunden werden [4,-5]. Projektziele und Motivation Das DLR-Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr beschäftigt sich seit Jahren mit Themenfeldern der Luftsicherheitsforschung und Personensimulationen. Die dort gewonnenen Erfahrungen wurden nun vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohungslage im Schienenverkehr auf den Verkehrsknoten Bahnhof angewandt. Ziel der Untersuchung war es, völlig neuartige Kenntnislagen im Bereich der Sicherheitsforschung sowie der verkehrlichen Betrachtung der Fahrgastabfertigung im Bahnhof zu generieren. Dabei wurden mit Hilfe von mikroskopischen Simulationen die Auswirkungen von Sicherheitskontrollen auf den Fahrgastfluss an einem Bahnhof untersucht. Im Speziellen wurden Ergebnisse erzielt, die Auskunft geben über • die zu erwartenden Wartezeiten vor den Kontrollstellen, • die zu erwartenden Warteschlangenlängen vor den Kontrollstellen, • sowie die Anzahl an Fahrgästen, die aufgrund der Sicherheitskontrollen ihren Zug nicht rechtzeitig erreichen. Simulationsmodell Um die Auswirkungen von flughafenähnlichen Sicherheitskontrollen an einem Bahnhof zu untersuchen, wurde eine mikroskopische Simulation ausgewählt. Dabei ermöglicht diese Art der Betrachtung, die Komplexität sowie das Wirkungsgefüge der Fahrgastprozesse an einem Bahnhof abzubilden. Als Grundlage der Untersuchung diente der Braunschweiger Hauptbahnhof, der mit einer kommerziellen Simulationssoftware modelliert wurde. Dieses Abbild des Realsystems wurde in Kooperation mit den Bedarfsträgern entwickelt und stellt eine maßstabsgetreue Nachbildung eines typischen, deutschen Hauptbahnhofs dar. Hinzukommend wurden für die Simulationen Echtdaten des Realsystems berücksichtig, wie • die Anzahl der Fahrgäste im Tagesverlauf, • die Ankunftsverteilung der Fahrgäste bezogen auf ihren Zug, • die Prozesszeit der Sicherheitskontrolle, • die Laufgeschwindigkeit der Fahrgäste sowie • die Körperproportionen der Fahrgäste. Simulationsszenarien Im Rahmen der Simulationen wurden unterschiedliche Szenarien untersucht. Dabei wurden die Anzahl der Sicherheitskontrollen sowie die Ankunftszeiten der Fahrgäste am Bahnhof variiert. Anhand dieser zwei Einflussfaktoren wurden mit Hilfe einer Parameterstudie die Auswirkungen von flughafenähnlichen Sicherheitskontrollen auf den Fahrgastfluss an einem Bahnhof untersucht. Aufgrund der baulichen Gegebenheiten des Braunschweiger Bahnhofs wurde angenommen, dass mindestens neun flughafenähnliche Sicherheitskontrollstellen benötigt werden, um eine flächendeckende Sicherheitsüberprüfung an allen Bahnhofseingängen zu gewährleisten. Weiterführend wurde die Anzahl an Sicherheitskontrollen fortlaufend bis zu 18 Kontrollstellen, zwei pro Eingang zur Bahnhofshalle, erhöht. Zusätzlich zur Variation der Anzahl an Sicherheitskontrollstellen, wurde mit der Parameterstudie getestet, ob die Veränderung der Ankunftszeit der Fahrgäste einen Einfluss auf die Simulationsergebnisse hat. Unter der Annahme einer Normalverteilung wurden die mittleren Ankunftszeiten der Fahrgäste von 30, 40 und 50 Minuten vor Abfahrt ihres Zuges untersucht (siehe Bild 1). Die Ankunftszeiten enthalten eine Pufferzeit, die dafür sorgt, dass alle Fahrgäste mindestens zehn Minuten vor Abfahrt ihres Zuges auf dem Bahnhofsvorplatz generiert werden. Somit wurde gewährleistet, dass alle Fahrgäste genügend Zeit haben den Weg bis zu ihrem Gleis zurückzulegen. Die Annahme der Pufferzeit basiert auf Angaben des Buchungsportals der Deutschen Bahn, die für die zurückzulegende Strecke bis zum Gleis sieben Minuten angeben [6] sowie die hinzukommende Prozesszeit der Sicherheitskontrollen [7]. Nicht berücksichtigt werden mögliche Wartezeiten an den Sicherheitskontrollen. Hinzukommend wurde angenommen, dass alle Fahrgäste, die mit dem Zug den Bahnhof erreichen, bereits sicherheitskontrolliert wurden. Simulationsergebnisse Auf Basis der zuvor beschriebenen Szenarien wurde ein realer Betriebstag am Hauptbahnhof Braunschweig simuliert. Dabei wurde der Fokus auf die Wartezeiten, die Warteschlangenlängen vor den Kontrollstellen sowie die Zahl der Fahrgäste, die auf- Level of Service Wartezeit Beschreibung Overdesign < 5 Minuten Überangebot Optimum 5 - 10 Minuten akzeptable Wartezeit Suboptimal > 10 Minuten nicht akzeptable Wartezeit Tabelle 1: Wartezeiten an der Sicherheitskontrolle nach LoS der IATA [5] Bild 1: Ankunftsverteilungen der Fahrgäste Bild 2: Mittlere Wartezeiten (inkl. Standardabweichung) in Minuten unter Berücksichtigung des LoS-Konzeptes der IATA POLITIK Sicherheit Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 12 grund der Sicherheitsüberprüfung ihren gewünschten Zug nicht rechtzeitig erreichen, gelegt. Die Simulationen haben dabei konkrete Ergebnisse zu den oben genannten Fragstellungen geliefert. So ist beispielswiese zu erkennen, dass eine Verschiebung der mittleren Ankunftszeit um zehn bzw. 20 Minuten nur eine geringe Auswirkung auf die mittlere Wartezeit (siehe Bild 2) bzw. die mittlere Warteschlangenlänge hat. Auf der anderen Seite führt eine Erhöhung der Anzahl an Sicherheitskontrollen dazu, dass mehr Fahrgäste ihren gewünschten Zug rechtzeitig erreichen (siehe Bild 3). Allerdings ist eine nahezu planmäßige Abfertigung aller Fahrgäste ausschließlich bei 18- Kontrollstellen möglich. Bereits bei 16- Kontrollstellen könnten über 90 % der Fahrgäste unter den gegebenen Bedingungen rechtzeitig abgefertigt werden. Wird lediglich eine minimal Konfiguration von neun Sicherheitskontrollstellen betrachtet, so ist mit mittleren Wartezeiten von über zwei Stunden zu rechnen. Daraus resultierend würden gerade einmal knapp über 10 % der Reisenden ihren Zug rechtzeitig erreichen. Dazu kommt, dass vor allem die Wartezeit vor den Prozessstellen einen entscheidenden Faktor für den Komfort der Reisenden darstellt. Da es im Schienenverkehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Erkenntnisse hinsichtlich der Wartezeiten vor den Sicherheitskontrollen gibt, wurde zur Auswertung der Ergebnisse ein aus dem Luftverkehr stammendes Bewertungsverfahren herangezogen. Dabei handelt es sich um das „Level-of-Service“-Konzept (LoS) der IATA (International Air Transport Association). Die IATA teilt dabei in ihrem „Airport Development Reference Manual“ (ADRM) die Servicezeiten an den Prozessstellen in die drei Kategorien „overdesign“, „optimum“ und „suboptimal“ ein. Dabei wird bei der Sicherheitskontrolle von den in Tabelle 1 aufgeführten Wartezeiten ausgegangen [8]. Der Vergleich der in Bild 2 dargestellten mittleren Wartezeiten (inklusive Standardabweichungen) zeigt, dass nach dem LoS der IATA bereits bei 16 Kontrollstellen eine akzeptable Wartezeit erreicht werden kann, gleich welches Szenario zu Grunde liegt. Interessant erscheint dabei die Tatsache, dass laut LoS mit 17 bzw. 18 Kontrollstellen sogar ein Überangebot an Kontrollstellen in Bezug auf die Wartezeit gegeben ist. Wobei zu bedenken ist, dass aus Fahrgastsicht eine Wartezeit selten als „zu kurz“ eingestuft wird. Bei einer Anzahl von weniger als 15 Sicherheitskontrollen ist in allen Szenarien das Level-of-Service nicht mehr akzeptabel. Aufgrund der Tatsache, dass die unterschiedlichen Ankunftsverteilungen der Fahrgäste nur einen geringen Einfluss auf Simulationsergebnisse haben, sind in Bild 4 exemplarisch die Warteschlangenlängen anhand des Szenarios 1 dargestellt. Dabei ist der Fokus vor allem auf die Ausprägung der mittleren Warteschlangenlängen im Tagesverlauf gelegt. Die Veränderung der Anzahl der Sicherheitskontrollen zwischen neun und 18 weist ebenfalls auf, dass mit zunehmender Anzahl an Kontrollstellen die Warteschlangenlängen im Mittel geringer werden. Wobei fast alle Varianten es ermöglichen, die aufgebauten Warteschlangenlängen bis zum Tagesende abzubauen, bleibt die Warteschlange bei neun Sicherheitskontrollen bis zum Betriebsschluss kurz nach Mitternacht bestehen. In allen anderen Varianten ist es in den Nicht-Spitzenstunden zwischen 9: 00 Uhr und 13: 00 Uhr möglich, die Wartschlangen sogar fast vollständig abzubauen. Besondere Herausforderungen bei der planmäßigen Abfertigung entstehen dabei vor allem in den Spitzenstunden zum Berufsverkehr am Morgen sowie zum Feierabendverkehr am Nachmittag. Diese Erkenntnis ist vor allem mit der zunehmenden Anzahl an Reisenden und der Anzahl angebotener Verbindungen zu diesen Reisezeiten zu erklären. Diskussion und Fazit Die Simulationen haben ergeben, dass es ausschließlich unter großem Ressourcenaufwand (18 Sicherheitskontrollen) möglich wäre die Fahrgastabfertigung am Hauptbahnhof Braunschweig aufrechtzuerhalten. Bei der Bereitstellung von weniger als 18- Kontrollstellen ist eine planmäßige verkehrliche Abfertigung der Fahrgäste nicht möglich. Inwieweit eine solche Ressourcenbereitstellung wirtschaftlich tragbar wäre und ob eine mögliche Anpassung des Fahrplans eine Reduzierung der Sicherheitskontrollen ermöglichen würde, gilt es in nachfolgenden Arbeiten zu klären. Die im betrachteten Szenario vorausgesetzte Annahme, dass bereits alle Fahrgäste, die den Bahnhof per Zug erreichen, an anderen Stationen sicherheitsüberprüft wurden, scheint von besonderer Schwierigkeit. Eine flächendeckende Einführung von Sicherheitskontrollen wäre vor dem Hintergrund der großen Anzahl und unterschiedlichen Kategorien an Bahnhöfen undenkbar. Nicht nur, dass an großen Verkehrsknoten (wie Berlin oder Hannover) ein deutlich höheres Fahrgastaufkommen als am betrachteten Bahnhof zu verzeichnen ist. Vor allem stellt die Sicherheitsüberprüfung des Nahverkehrs und der ländlichen Haltepunkte ein großes Problem dar. Der Nahverkehr würde als Verkehrsmittel deutlich an Komfort verlieren, da für viele Reisende, trotz kurzer Reisewege, mit langen Wartezeiten zu rechnen ist. 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 0: 00 1: 00 2: 00 3: 00 4: 00 5: 00 6: 00 7: 00 8: 00 9: 00 10: 00 11: 00 12: 00 13: 00 14: 00 15: 00 16: 00 17: 00 18: 00 19: 00 20: 00 21: 00 22: 00 23: 00 0: 00 wartende Personen Uhrzeit 9 Siko 10 Siko 11 Siko 12 Siko 13 Siko 14 Siko 15 Siko 16 Siko 17 Siko 18 Siko Bild 3: Anzahl der Fahrgäste, die ihren Zug erreicht haben Bild 4: Anzahl wartender Personen mit zunehmender Anzahl an Sicherheitskontrollen (Siko) im Szenario 1 Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 13 Sicherheit POLITIK Ein mögliches Konzept könnte daher sein, in Metropolregion sogenannte Satellitenbahnhöfe einzuführen. Diese würden dazu dienen, den Regionalverkehr in den Metropolregionen zu bündeln und nach einer Sicherheitsüberprüfung die Fahrgäste an den Metropolbahnhof anzubinden (siehe Bild 5). Die Metropolbahnhöfe würden an dieser Stelle als Fernverkehrsbahnhöfe fungieren und die einzelnen Metropolregionen miteinander verbinden. Somit wäre es möglich, den Regionalverkehr weiterhin aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die großen Verkehrsknotenbahnhöfe zu sicherheitsüberprüften Gebäuden umzugestalten. Ebenso würde es zu einer Entzerrung des Verkehrsaufkommens an einem zentrierten Bahnhof kommen und die dort anfallenden Sicherheitsprozesse beschleunigen. Abschließend bleibt allerdings festzuhalten, dass abgesehen von Kontrolltechnologien, die in den nächsten Jahren eine neuartige Sicherheitsüberprüfung möglich machen, es nur schwer vorstellbar ist, den gesamten Schienenverkehr zu einem sicherheitsüberprüften System umzugestalten. Nicht nur, dass der anfallende Ressourcenaufwand mit hohen Investitionen verbunden ist, sondern auch, dass der Schienenverkehr wahrscheinlich an Attraktivität, Schnelligkeit und Zustimmung verlieren wird. Wichtiger erscheint an dieser Stelle der Ausbau gegenwärtiger Sicherheitstechniken, die Erhöhung der Anzahl und Schulung des Sicherheitspersonals an den Bahnhöfen und in den Zügen sowie eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten, um schlussendlich für einen Bedrohungsfall bestmöglich vorbereitet zu sein. ■ LITERATUR: [1] Vgl. R+V Versicherung (2017): R+V-Studie: Die Ängste der Deutschen https: / / www.ruv.de/ static-files/ ruvde/ downloads/ presse/ aengsteder-deutschen-2017/ grafiken/ RV-Aengste-2017-Grafiken.pdf, 12.04.2018 [2] Vgl. Delonge, Angela (2015): Sicherheitskontrollen an deutschen Thalys-Bahnhöfen in Aachner Zeitung http: / / www.aachener-zeitung.de/ lokales/ region/ keine-sicherheitskontrollen-an-deutschen-thalys-bahnhoefen-1.1251234, 29.03.2018 [3] Vgl. Lybeer, Peter und Schamböck, Raffaela (2015): Einführung von Sicherheitsschleusen an Bahnhöfen in Paris und Lille im Dezember 2015, https: / / www.thalys.com/ img/ pdf/ presse/ release/ de/ 1450356606_17.12.2015._Pressemitteilung_Sicherheit.pdf, 29.03.2018 [4] Vgl. Rietig, Thomas (2015): ICE nach London „zurückgestellt“ https: / / schienestrasseluft.de/ 2015/ 07/ 23/ ice-nach-london-zurueckgestellt, 29.03.2018 [5] Vgl. o. V. (2017): ICE Köln-London weiter auf Eis gelegt im WDR https: / / www1.wdr.de/ nachrichten/ koeln-ice-london-koeln-zukunftsmusik-100.html, 29.03.2018 [6] Vgl. Deutsche Bahn (2018): entnommen aus dem Buchungsportal der Deutschen Bahn AG für den Fußweg zwischen ÖPNV (Bahnhofsvorplatz) und Bahnhof (Gleisbereich) [7] Vgl. Deutschmann, A.; Stroot, S.; Schiele (2011): M. Zivile Sicherheit: Abschlussbericht „Critical Parts“ Projektbericht, DLR IB 126-2/ 2011 [8] Vgl. IATA (2014): Airport Development Reference Manual, 10th Edition, Seite 191ff Lukas Asmer, M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Luftverkehrsforschung, Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr, Deutsches Zentrum für-Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig lukas.asmer@dlr.de Andrei Popa, Dipl.-Wirtsch.-Ing (FH)/ M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Flughafenforschung, Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr, Deutsches Zentrum für-Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig andrei.popa@dlr.de Bild 5: Darstellung Konzept Satellitenbahnhöfe Hauptbahnhof Hannover Bahnhof Lehrte Bahnhof BS-Gliesmarode Hauptbahnhof Braunschweig Map data©2017 GeoBasis-DE/ BKG(©2009), Google nicht sicherheitsüberprüfte Verbindung sicherheitsüberprüfte Verbindung sicherheitsüberprüfte Metropolverbindung POLITIK Binnenschiffahrt Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 14 Internationalisierung von Flüssen in Südamerika Mannheimer Akte als Vorbild für das Flussnetz des Paraná - Paraguay Verkehrswege, Infrastruktur, Völkerrecht, nationale Gewässer Die Binnenschifffahrt in Südamerika hat ein großes Potential, wird aber aufgrund infrastruktureller Probleme und politischer Hindernisse nur unzureichend genutzt. Eine an europäische Vorbilder angelehnte Internationalisierung des Flusssystems Paraná - Paraguay könnte dem Verkehrsträger Binnenschiff in den beiden großen Anrainerstaaten Brasilien und Argentinien, aber auch in Paraguay, Uruguay und Bolivien starken Auftrieb verleihen. Ob die Initiative der brasilianischen Wirtschaft aus dem Sommer 2016 Erfolg hat, muss angesichts der Interessengegensätze der Teilnehmerstaaten und der andauernden politischen Instabilität, vor allem in Brasilien, gegenwärtig bezweifelt werden. Armin F. Schwolgin I In Europa führte die Freiheit der Schifffahrt auf der offenen See bereits zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts dazu, dass auch die Freiheit der Schifffahrt auf Flüssen auf die politische Agenda kam. In der Akte des Wiener Kongresses von 1815 wurde die Freiheit der Schifffahrt auf den schiffbaren Flüssen, die zwei oder mehr Staatsgebiete durchfließen, zum Programm, das nach und nach umgesetzt wurde. Die Mannheimer Akte, die Donau-Akte und die Mosel-Akte [1] sind bis heute wegweisend und finden in letzter Zeit in Südamerika mehr Beachtung. Internationale und internationalisierte Flüsse Nach dem Völkerrecht gehören Flüsse zum Staatsgebiet der jeweiligen Staaten. Sofern sie nicht international oder internationalisiert sind, gelten sie als nationale Gewässer. Als internationale Flüsse werden in der Literatur vielfach Flüsse verstanden, die wegen ihrer Verbindung zum Meer international zugänglich sind, das Gebiet mehrerer Staaten durchfließen oder die Grenze zwischen zwei Staaten bilden. Von diesen werden internationalisierte Flüsse unterschieden, die dadurch gekennzeichnet sind, dass ihre Verwaltung dem Staat oder den Staaten, zu deren Gebiet(en) sie gehören, ganz oder teilweise entzogen sind [2]. Die Befugnisse liegen dann bei einer internationalen Institution, die mehr als nur eine beratende Funktion hat. Insofern wird die Souveränität des oder der Anliegerstaaten eingeschränkt. Internationalisierung des Amazonas von 1887 Nach Dahm/ Delbrück/ Wolfrum gab es bis Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in Südamerika „nur wenige Verträge über die Flußschiff[f]ahrt“ [3]. Das Abkommen über die Binnenschifffahrt auf dem Flusssystem des Paraná - Paraguay, vielfach als „Hidrovia Paraná - Paraguay“ (HPP) bezeichnet, das seit 1995 in Kraft ist, kann wegen seines multilateralen Charakters als eine politische und juristische Wende betrachtet werden. Das Abkommen stellt somit eine Abkehr von der seit Mitte des 19.-Jahrhunderts geübten Praxis dar, Flüsse des Subkontinents durch einseitige Erklärungen oder Gesetze für die Handelsschifffahrt anderer Länder zugänglich zu machen. Die Öffnung des Amazonas und seiner Nebenflüsse durch ein Dekret des damaligen Kaisers von Brasilien aus dem Jahre 1866 ist das markanteste Beispiel [4]. Daran erinnert das Monumento à Abertura dos Portos às Nações Amigas in Manaus, welches von dem italienischen Bildhauer Demênico de Angelis geschaffen und im Jahre 1900 auf dem Platz vor der Oper enthüllt wurde (Bild 1). Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Erschließung des Amazonas für die Regierung im fernen Rio de Janeiro kein wirkliches Thema. Der Tradition der früheren Kolonialmacht Portugals folgend, betrieb Brasilien eine Abschottungspolitik. Zum anderen hielt die Dampfschifffahrt erst zu Beginn des Jahres 1853 Einzug auf dem Amazonas (Bild 2). Hierzu gründete der Visconde de Mauá auf Basis des Dekretes Nr. 1037 von 1850 die Companhia de Navegaç-o e Commércio do Amazonas. Diese hatte für 30 Jahre die Konzession für die Schifffahrt Bild 1: Denkmal zur Öffnung des Amazonas für ausländische Schiffe in Manaus Foto: A. F. Schwolgin Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 15 Binnenschiffahrt POLITIK auf dem Amazonas. Im Jahre 1871 verkaufte er die Gesellschaft jedoch an die Amazon Steam Ship Navigation Company Limited in London [5]. Seit Ende der 1840er Jahre übten vor allem die USA und die Nachbarländer Brasiliens starken Einfluss auf das schwache Kaiserreich aus. Von den europäischen Mächten machten sich insbesondere Frankreich und Großbritannien für die Öffnung des Amazonas stark. Der Druck der USA und aller beteiligten Staaten wurde bereits vor 100 Jahren kritisch diskutiert [6]. Bis heute wird in Brasilien neben der Rolle der USA auch die der Nachbarstaaten und der eigenen kaiserlichen Regierung kritisiert. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob sich die Nachbarstaaten eher von eigenen oder fremden Interessen leiten ließen [7]. Nach vielen diplomatischen Verwicklungen und Pressionen hat Brasilien 1866 mit dem kaiserlichen Dekret Nr. 3.749 vom 7.12.1866 den Amazonas, der zu großen Teilen brasilianisches Territorium durchfließt, für die Handelsschifffahrt aller Nationen geöffnet. Das Dekret trat gemäß Art. 1 am 7.9.1867 in Kraft [8]. Die Hidrovia Paraná - Paraguay (HPP) Der Rio Paraná entsteht durch den Zusammenfluss des Paranaíba und des Rio Grand in Brasilien, welches er bis zu den Wasserfällen von Foz de Iguazú durchfließt. Hier bilden Brasilien, Argentinien und Paraguay ein Dreiländereck. Der Rio Paraguay, im brasilianischen Oberlauf Rio Paraguai genannt, ist der wichtigste Nebenfluss des Rio Paraná. Nördlich von Resistance und Corrientes mündet er in den Paraná. Das Flusssystem Paraná-Paraguay ist mit seinen 3442-km nach dem Amazonas das zweitgrößte Flussbecken in Südamerika (Bild 3) [9]. Die Binnenschifffahrt auf der HPP ist mehrfach durch Abkommen geregelt worden. Im Vertrag von Madrid von 1750 wurden nicht nur die Grenzen zwischen den spanischen und portugiesischen Besitztümern geregelt, sondern die Könige fixierten auch die Regeln für die Schifffahrt auf den Flüssen: Bildet der Fluss die Grenze, können beide Nationen diesen befahren, liegen beide Ufer aber auf dem Hoheitsgebiet einer Nation, dann dürfen nur Schiffe dieser den Strom nutzen [10]. Die aktuelle vertragliche Regelung für die HPP stammt aus dem Jahre 1992 und ist bis 2018 befristet [11]. Unabhängig von der Frage einer weiteren Verlängerung weist Marazzi darauf hin, dass die 14 Verordnungen, die neben sechs Zusatzprotokollen Vertragsbestandteil sind, noch nicht in alle nationalen Rechtsordnungen übernommen wurden [12]. Die multinationale rechtliche Konstruktion wird in jüngerer Zeit Experten als nicht weitgehend und nicht effizient genug betrachtet. Initiative der FIESP zur Internationalisierung der HPP Im Sommer 2016 ist der einflussreichste Industrieverband in Brasilien, die Federaç-o das Indústrias do Estado de S-o Paulo (FIE- SP), mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, für die HPP eine supranationale Kommission nach dem Vorbild der europäischen Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (1856) oder der Donaukommission (1856/ 1948) zu schaffen [13]. Nach Auffassung der FIESP könnten durch die Schaffung einer supranationalen Institution für den Paraná - Paraguay alle Anrainerstaaten, also Bolivien, Paraguay, Uruguay, Argentinien und Brasilien, in den Genuss der Vorteile einer größeren wirtschaftlichen Integration gelangen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass hier - wie damals beim Amazonas - auch nationale Befindlichkeiten und die wirtschaftlichen Motive der einzelnen Länder eine Rolle spielen, insbesondere in Brasilien und Argentinien. Während für Argentinien die Häfen San Lorenzo und Rosario (Santa Fé) am unteren Paraná insbesondere für den Export sehr große Bedeutung haben, ist Brasilien vor allem an Massenguttransporten vom Oberlauf des Paraguay (Cáceres und Corumba) interessiert. Bisher wird vorwiegend Eisenerz von Brasilien nach Argentinien transportiert. Bei entsprechender Anbindung der Agrarstaaten Mato Grosso, Mato Grosso do Sul und Goiás an ▲ Bild 3: Flusssystem Rio Paraná - Rio Paraguay Quelle: https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Riodelaplatabasinmap.png ◀ Bild 2: Zusammenfluss des Amazonas (braunes Wasser) und des Rio Negro bei Manaus Foto: A. F. Schwolgin POLITIK Binnenschiffahrt Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 16 den brasilianischen Binnenhafen Cáceres via Eisenbahn und Straße könnten auch Getreide und insbesondere Sojabohnen auf dem Wasserweg exportiert werden. Hier liegen die besonderen Interessen Brasiliens. Durch die Verbesserung der Transporte auf der Binnenwasserstraße ließen sich allein in Brasilien die Logistikkosten für Getreide und Erze um 40 % bis 60 % senken [14]. Die Kritik aus der brasilianischen Wirtschaft an der gegenwärtigen Situation ist keineswegs neu. So kam eine Studie der Weltbank aus dem Jahre 2010 im Hinblick auf die Bemühungen der Vertragsstaaten um eine Verbesserung der Schifffahrt auf der HPP zu einer negativen Bewertung. Sie spricht von Fehlschlägen und Disputen, die konkrete Änderungen der Koordination der einzelstaatlichen Regularien und der Politiken verhindert hätten [15]. Als Folgen wurden der schlechte Zustand der Infrastruktur, Mängel in Betrieb und Logistik sowie Sicherheitsprobleme genannt. Einzelstaatliche Lösungen würden wegen der Asymmetrie von Kosten und Nutzen der erforderlichen Investitionen unterbleiben. Die Schaffung einer supranationalen Einrichtung wird von der Weltbank als schwierig angesehen: „[T]he generation of an international authority (able to charge users) is legally complex.“ [16]. In einem 2012 gehaltenen Vortrag wies Juan Pablo Prosedo aus argentinischer Sicht ebenfalls auf operative Probleme (Infrastruktur, Kenntnisse der Mannschaften auf Schiffen, die unter der Flagge Paraguays fahren) hin [17]. Im selben Jahr kommt auch Carina Marazzi zu einer negativen Beurteilung: „Obwohl seit Unterzeichnung des Abkommens fast 20 Jahre vergangen sind, sind die Ziele […] bisher nur teilweise erreicht worden.“ [18]. Ursächlich hierfür sind die unterschiedliche Wirtschaftskraft und divergierende politische Interessen der Vertragsstaaten. Das Politikversagen wird von Luiz Carlos Ribeiro, einem Vertreter des brasilianischen Transportministeriums, aufgegriffen, der 2012 in einem öffentlichen Vortrag für die HPP in Anlehnung an die Rheinkommission eine supranationale Regelung vorschlug-[19]. Eine verkehrspolitische Kritik wurde 2013 von Guillermo Háskel formuliert, indem er mit Blick auf die bestehende Rechtskonstruktion ausführt, dass „no relevant achievements on the harmonization and/ or regional legislative uniformity have been made since these organisms lack the delegation of national compet[ences].“ [20]. Mit den „Organismen“ zielt Háskel auf das sogenannte „Comité Intergubernamental de la Hidrovia“ (CIH) und die „Comisión del Acuerdo“ ab. Die CIH ist für die technischen Fragen auf der Wasserstraße zuständig; sie rangiert auf der dritten Verwaltungsebene unterhalb der Transport- und Außenministerien der beteiligten Länder [21]. In eine ähnliche Richtung geht die Kritik der brasilianischen FIESP. Sie verlangt die Verlagerung der Zuständigkeiten auf die Ministerebene, um alle anstehenden Fragen politisch direkt entscheiden zu können. Bisher verheddert sich nach ihrer Ansicht die CIH in Fragen der Investitionen, des Umweltschutzes und der Energieerzeugung, die vom Komitee der Minister nicht entschieden werden. Eine weit bessere Lösung wäre nach Ansicht der FIESP jedoch die Schaffung einer supranationalen Institution nach dem Vorbild der Rheinkommission. Diese könne dann alle anstehenden Fragen direkt und besser lösen. Auf jeden Fall solle die Wirtschaft dabei mitwirken. Wirtschaftliche Chancen Unabhängig von möglichen rechtlichen Veränderungen bietet das Flussgebiet des Paraná - Paraguay mit seinen Anrainerstaaten Argentinien, Brasilien, Bolivien, Paraguay und Uruguay große wirtschaftliche Chancen. „In Südamerika gibt es wegen unzureichend genutzter Infrastruktur und ineffizienter Transportabwicklung enorme Wachstumspotenziale.“ [22]. Trotz der vielfältigen wirtschaftlichen und politischen Risiken in diesen Märkten sollten ausländische Binnenschiffsunternehmen die Entwicklung aufmerksam verfolgen, denn das Transportaufkommen in der Region bietet gute Möglichkeiten, ein etabliertes Geschäftsmodell zu exportieren. Imperial Logistics International hat sich mit der 2013 gegründeten Imperial Shipping Paraguay S.-A. bereits in diesem Markt engagiert und verfügt über eine Flotte von sieben Schubboten und 84 Leichtern [23] (Bild 4). Zu den wichtigsten Gütern zählen Mineralien, landwirtschaftliche Produkte, Klinker, Öl und Kraftstoffe sowie Container. Zukünftig will Imperial auch Kalkstein, Zement, Gas und Lebensmittel transportieren [24]. Im März 2018 hat Imperial Logistics zusammen mit einem lokalen Joint Venture Partner ein Hafenterminal in der paraguayischen Hafenstadt Concepción reaktiviert, um Transporte brasilianischer Agrarprodukte wirtschaftlicher und ökologischer abwickeln zu können [25]. Diskussion um eine Internationalisierung der HPP geht weiter Die Forderung der brasilianischen FIESP aus dem Jahre 2016 steht nicht mehr allein im Raum. Ende 2016 hat sich der Botschafter Paraguays in Bolivien ähnlich geäußert, als er öffentlich die Schaffung einer „plurinationalen“ Einrichtung forderte, die von einem Vorstandsvorsitzenden und vier weiteren Vorstandsmitgliedern geführt werden solle [26]. Die Debatte um die Internationalisierung der HPP geht in den beteiligten Ländern zwar weiter, aber die Einschätzung der Weltbank aus dem Jahre 2010, nach der das gesamte Thema der HPP im Vergleich zu anderen Politikfeldern wenig Interesse findet und deshalb nicht im Zentrum der Agenden der jeweiligen Regierungen steht [27]. Nach einer Veröffentlichung des Instituto de Relações Internacionais e Comércio Exterior (IRICE) sollen der brasilianische Präsident Michel Temer und sein Außenminister José Serra (am 22.03.2017 aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten) dem Vorschlag der Schaffung einer supranatio- Bild 4: Schubschiff Herkules XV von Imperial Logistics International auf dem Rio Paraná- Paraguay Quelle: Imperial Logistics Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 17 Binnenschiffahrt POLITIK nalen Paraná-Paraguay-Kommission positiv gegenüberstehen [28]. Angesichts der anhaltenden politischen Turbulenzen sowie der Unsicherheiten über die Kandidatenaufstellung und den Wahlausgang im Oktober 2018 sind hinter der Idee einer von Brasilien getriebenen supranationalen Kommission für den Paraná - Paraguay aber große Fragezeichen zu setzen. Am 22. Februar 2018 hat Paraguay turnusgemäß den Vorsitz des Comité Intergubernamental de la Hidrovia von Brasilien übernommen. In einer Pressemeldung der staatlichen brasilianischen Presseagentur Agencia Brasil wurden die im laufenden Jahr anstehenden Aufgaben des CIH klar angesprochen [29]: • Klärung institutioneller Fragen der CIH, • Aktualisierung von Vorschriften, • Verlängerung des Vertragswerkes über die HPP auf unbestimmte Zeit, • Festlegung eines permanenten Sitzes des Sekretariats der CIH. Die Frage, warum diese Aufgaben nicht schon unter dem Vorsitz Brasiliens im letzten Jahr gelöst wurden, insbesondere, warum es zu keiner unbefristeten Vertragsverlängerung kam, wird freilich nicht erwähnt. ANMERKUNGEN [1] Vgl. Zentralkommission für die Rheinschifffahrt: Historischer Abriss. Einführung, in: ccr-zkr.org/ 11010100, abgerufen am 2.7.2017; Donaukommission: Die Donaukommission, in: http: / / www.danubecommission.org/ dc/ de/ donaukommission/ sowie Dieselbe: Übereinkommen über die Regelung der Schifffahrt auf der Donau, in: http: / / www.danubecommission.org/ dc/ de/ donaukommission/ ubereinkommen-uber-die-regelung-der-schifffahrt-auf-der-donau/ , beide abgerufen am 2.7.2017; Die Moselkommission (Hrsg.): Die Verantwortung gegenüber der Schifffahrt verpflichtet uns zu Umsicht, Weitsicht und Tatkraft, Trier 2012 [2] Vgl. Bleckmann, Albert: Grundgesetz und Völkerrecht. Ein Studienbuch, Berlin 1975, S. 132 [3] Dahm, Georg; Delbrück, Jost; Wolfrum, Rüdiger: Völkerrecht Band I/ 1, 2. völlig neu bearbeitete Auflage, Berlin 1989, S. 392 [4] Vgl. Decreto no. 3.749 de 7 de Decembro de 1866, in: Coleçaõ de Leis do Imperio do Brasil - 1866, pagina 362 Vol. 1 pt. II [5] Vgl. El-Kareh, Almir Chaiban: A compania de navigaç-o e commércio do Amazonas e a defesa da Amazônia Brasileira: “O imaginado grande banquete comercial”, Niteroi 2003, in: http: / / www.abphe.org.br/ arquivos/ 2003_almir_chaiban_el_ kareh_a-companhia-de-navegacao-e-comercio-do-amazonas-ea -d e fe s a -d a -a m a zo n i a -b ra s il e ira -o-i m a g i n a d o-g ra n d e banquete-comercial.pdf, abgerufen am 24.6.2017 [6] Vgl. Martin, Percy Alvin: The influence of the United States on the opening of the Amazon to the World’s Commerce, in: The Hispanic American Historical Review, Vol. 1, No. 2 (May 1918), S. 146-162 [7] Vgl. Palm, Paulo Roberto: A Abertura do Rio Amazonas à Navegaçao International e o Parlamento Brasileiro, Brasilia 2009, S. 34 ff [8] Vgl. Decreto no. 3.749 de 7 de Decembro de 1866, a. a. O. [9] Die anderen Becken sind das nordöstliche Becken mit dem Pindaré und Paranaíba, das Becken des S-o Francisco, das Tocatins-Araguaia Becken, das Tietê-Paraná Becken, das südöstliche Becken des Paraiba do Sul und das südliche Becken mit dem Jacui-Guaíba, dem Camaqua und der Lagua dos Patos Atlantic südlich von Porto Alegre [10] Vgl. Engelk Alvez, Therezinha Marley: A fixaç-o das fronteiras, in: História do Brasil, hrsg. von Bloch Editores zum 150. Staatsjubiläum, Vol. III, Rio de Janeiro 1972, S. 579 - 580 [11] Vgl. Marazzi, Carina: Die Wasserstraße Hidrovia Paraguay - Paraná - ein Überblick, in: Internationale Aspekte der Binnenschifffahrt, hrsg. von C. Schäfer, Baden-Baden 2012, S. 434 - 57, hier S. 47 [12] Vgl. Marazzi, a. a. O., S. 55 sowie das Protokoll der XLIV Sitzung des Comité Interguber - namental de la Hidrovia Paraguay-Parana vom 16.12.2016, http: / / hidrovia.org/ userfiles/ Acta%20de%20la%20XLIV%20 Reuion%20del%20CIH%20%28 Brasilia%29.pdf, abgerufen am 7.4.2018 [13] Vgl. Barboso, Rubens: Autoridade supranational para hidrovia, in: O Estado de S. Paulo vom 23.8.2016, S. A 2 sowie derselbe: Autoridade supranational para a hidrovia Paraná-Paraguai, in: Briefings vom 28.6.2016, Rubens: Autoridade Supranational para a Hidrovia Paraná - Paraguai, in: Briefing, hrsg. von der IRICE am 28.6.2016, http: / / irice.com.br/ autoridade-supranacional-para-hidrovia-parana-paraguai/ , abgerufen am 30.8.2016 [14] Vgl. Barboso (23.8.2016), a. a. O. Für den Bereich des Tietê - Paraná, wo wegen der Trockenheit in den letzten Jahren auf den Straßengüterverkehr ausgewichen werden musste, werden im Vergleich zum kombinierten Verkehr Bahn-Binnenschiff Mehrkosten von 30 % angegeben, vgl. o. V.: Tietê-Pananá já permite a retomada de operações multimodales, in: Guia Marítimo/ logweb vom 24.2.2016, http: / / www.logweb.com.br/ tiete-parana-ja-permite-retomadade-operacoes-multimodais/ , abgerufen am 24.6.2017 [15] Vgl. The World Bank: Southern Cone Inland Waterways Transportation Study. The Paraguay-Paraná Hidrovía: Its Role in the Regional Economy and Impact on Climate Change, Washington D.C. 2010, S. vii [16] Dieselbe, S. ix [17] Vgl. Prosedo, Juan Pablo: Hidrovia Paraguay-Parana infrastructure development. Obstacles and challenges, Vortrag London 2012, in: http: / / www.maniobradebuques.com/ pdf/ articulos/ hidrovia_Parana_Paraguay_Report.pdf, abgerufen am 25.6.2017 [18] Marazzi, a. a. O., S. 55 [19] Vgl. Ribeiro, Luiz Carlos R.: Commission for the navigation of the Rhine. Inland waterway transport in times of globalsation. Preparatory workshop on the side event Paraguay-Paraná Inland waterway, Marseille 13.3.2012 [20] Háskel, Guillermo: South America rediscovers waterways, in: Buenos Aires Herald vom 30.9.2013, http: / / www.buenosairesherald. com/ article/ 141760/ south-america-rediscovers-waterways, abgerufen am 24.6.2017. The printed text reads “competition”, which seems to be a wrong translation from the Spanish original [21] Vgl. dazu im Detail Marazzi, a. a. O., S. 48ff [22] Carsten Taucke, COO von Imperial Logistics International, zitiert nach Dünner, Hans-Wilhelm; Nutsch, Michael: Volldampf voraus in Europa und Übersee. Imperial Logistics International setzt auf Binnenschifffahrt und Vernetzung, in: Schifffahrt und Technik Nr. 6/ 2016, S. 22-24, hier S. 24 [23] Vgl. Dünner/ Nutsch, a. a. O. und o. V.: Super-Schub für Südamerika, in: Imperial News Nr. 1/ 2016, S. 4-5 [24] Vgl. Kleiner, Jens: “Old economy goes global” - Binnenschifffahrt auf neuen Wegen. Wie ein tradiertes Konzept auf eine neue Region und einen neuen Markt übertragen wird, Vortrag im Rahmen des 14. Lörracher Logistik Forums, in: Innovationen in Logistikmanagement und Logistiktechnik, Band 7 der Schriftenreihe des Lörracher Logistik Forums e. V., hrsg. von A. F. Schwolgin, E. H. Trump und F. O. Bayer, Lörrach 2017, S. 199-208, hier S. 205 [25] Vgl. Doepgen, Christian: Hafen neu geboren. Paraguay als Drehscheibe für brasilianische Güter, in: ITZ Internationale Transport Zeitschrift Nr. 13-14 2018, S. 23 sowie Pressemitteilung von Imperial Logistics International B. V. Co. KG vom 15.3.2018 [26] o. V.: Piden optimizar la hidrovía Paraguay-Paraná, in: Revista Marítima vom 24.12.2016, http: / / rm-forwarding.com/ 2016/ 12/ 24/ piden-optimizar-la-hidrovia-paraguay-parana/ abgerufen am 8.4.2018 [27] The World Bank, a. a. O., S. 65f [28] Vgl. Barboso (28.6.2016), a. a. O. [29] o. V.: Parauay propone mejorar funcionamiento de hidrovía, in: ABC Color vom 27.2.2018, http: / / www.abc.com.py/ edicion-impresa/ politica/ paraguay-propone-mejorar-funcionamiento-de-hidrovia-1678624.html, abgerufen am 6.4.20189; o. V.: Paraguai assumirà presidência temprária da hidorovia Paraguai-Paraná, in: http: / / agenciabrasil.ebc.com.br/ economia/ noticia/ 2018-02/ paraguai-assumira-presidencia-temporaria-da-hidrovia-paraguai-parana, abgerufen am 6.4.2018 Armin F. Schwolgin, Prof. Dr. Studiengangsleiter BWL-Spedition, Transport und Logistik, Duale Hochschule Baden-Württemberg , Lörrach; Adjunct Professor Beijing Wuzi University, Distinguished Professor Yanching Institute of Techology‘ schwolgin@dhbw-loerrach.de Termine und Veranstaltungen finden Sie stets aktuell im Web: www.internationales-verkehrswesen.de/ termine_veranstaltungen POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 18 Kritik der Reform der Bundesfernstraßenverwaltung Die Bundesfernstraßenverwaltung soll umfassend reformiert, Verwaltungs- und Finanzstrukturen neu-geordnet werden. Großer Wurf oder Schritt in-die falsche Richtung? Ein Kommentar von Dr.-Ing. Andreas Kossak, Planungsbüro Kossak Forschung & Beratung, Hamburg B undesverkehrsminister Andreas Scheuer hat am 19. April dieses Jahres im Rahmen der Verkehrsministerkonferenz der Länder in Nürnberg Einzelheiten der „Größten Reform in der Geschichte der Autobahnen“ mitgeteilt - tatsächlich geht es um die Bundesfernstraßen. Im Kern soll die bisher gültige Auftragsverwaltung durch die Länder zugunsten einer Zentralisierung beim Bund abgelöst werden. Dafür sollen eine „Infrastrukturgesellschaft Autobahnen“ (IGA) und ein „Fernstraßenbundesamt“ (FBA) etabliert werden. Damit soll das lt. früheren Pressemeldungen „jahrelange Gerangel um Kompetenzen und Geld“ beendet werden. Der ursprüngliche Vorschlag dazu wird der vom Bundeswirtschaftsminister eingesetzten „Fratzscher-Kommission“ aus dem Jahre 2015 zugeschrieben. Derart umfangreiche Neuordnungen von Verwaltungs- und Finanzstrukturen mit zahlreichen Beteiligten, Betroffenen und Interessenlagen verlaufen in aller Regel nicht reibungslos und auch nur selten in allen wesentlichen Komponenten sachgerecht - zumal, wenn ideologische Positionen eine Rolle spielen. Das hat sich auch in diesem Fall bereits im Vorfeld manifestiert; es war ebenso für die Umsetzung zu erwarten und ist dem Vernehmen nach bereits evident. Die nunmehr verfolgte Konzeption gilt ohnehin als Kompromiss. Ein maßgebliches Manko ist darüber hinaus im zentralen Thema der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur begründet. Dazu hatte die Bundesregierung bereits vor fast 20 Jahren eine hochrangige Expertenkommission eingesetzt, die seither nach ihrem Vorsitzenden benannte „Pällmann-Kommission“. Diese Kommission hatte im Kern eine schrittweise vollständige Umstellung der Finanzierung der Bundesfernstraßen von der traditionellen Steuerfinanzierung auf direkte, belastungsabhängige Nutzerfinanzierung empfohlen. Die Gesamtheit ihrer Empfehlungen - einschließlich des organisatorischen Rahmens - wurde damals von Politikern aller Lager und Repräsentanten aller relevanten Lobby-Organisationen uneingeschränkt begrüßt, ihre schnelle vollständige Umsetzung wurde gefordert. Die Empfehlungen zur Finanzierung standen in vollem Einklang mit der Politik der EU- Kommission, wie sie im Jahr 1995 im „Grünbuch: Faire und effiziente Preise im Verkehr“ niedergelegt worden war. Deutschland galt danach nicht nur europaweit, sondern sogar weltweit als Vorreiter und als viel beneidetes Vorbild auf dem betreffenden Gebiet. Das währte allerdings nur kurze Zeit. In Reaktion auf die seit dem Herbst 2004 getroffenen politischen Entscheidungen in drastischem Widerspruch zu den Empfehlungen der Kommission schlug die Zustimmung in massive Ablehnung um. Die begonnene Umstellung auf Nutzerfinanzierung wurde nur zögernd und partiell fortgeführt. Es folgte die unsägliche Geschichte der von der CSU im Bundestagswahlkampf 2013 geforderten „Ausländer-Maut“. Deren Einführung wurde in der nachfolgenden Legislaturperiode vom neuen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrinth unter der Bezeichnung „Infrastrukturabgabe“ vehement weiter verfolgt und schließlich verabschiedet. Das „Projekt“ ist in fast jeder relevanten Hinsicht fragwürdig. Seine Umsetzung wird bzw. würde die von der Sache her gebotene, europakonforme Lösung für absehbare Zeit blockieren. Ein wesentlicher struktureller Schwachpunkt der nun geplanten Reform ist die festgelegte Rechtsform der Infrastrukturgesellschaft. Die Pällmann-Kommission hatte die Rechtsform der Aktiengesellschaft (AG) empfohlen, „weil sie in anderen Infrastrukturbereichen erprobt und bewährt ist, den späteren Zutritt für Private ermöglicht und die erforderliche Transparenz der Geschäftstätigkeit gewährleistet“. Gewählt wurde stattdessen die Rechtsform der GmbH, weil sie „die Möglichkeit der engen Steuerung … durch den Bund bietet“. Es wird dringend geraten, die eingeleitete Reform noch einmal systematisch auf Strukturmängel hin zu überprüfen, sie von ideologischem Ballast und den von Interessen geleiteten Schwachstellen zu befreien sowie sie insbesondere mit einem schlüssigen und EUkompatiblen Konzept für eine umfassende Umstellung auf Nutzerfinanzierung zu verknüpfen. ■ Foto: privat Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 19 Die Quote als Antrieb für E-Fahrzeuge in China Förderung der E-Mobilität mit verkehrspolitischen Instrumenten in der Volksrepublik China Politische Zielsetzungen, preispolitische Instrumente, regulatorische und strukturpolitische Instrumente, Verkaufsquote Ab 2019 verpflichtet die chinesische Regierung alle Fahrzeughersteller zu einem Mindestabsatz von verkauften E-Fahrzeugen. Damit kommt die Verkaufsquote ein Jahr später als geplant, stellt aber weiterhin eine große Herausforderung für die Automobilhersteller dar: Bei mindestens 10 % aller verkauften PKW soll es sich um elektromobile PKW handeln (BEV oder PHEV). Dabei ist die Quote nur ein mögliches, der zahlreichen verkehrspolitischen Instrumente, die in China angewandt werden, um den Einsatz von E-Fahrzeugen als mögliche Alternative zur konventionellen individuellen Mobilität zu fördern. Matthias Gather, Christian Vollrath, Zubin You E ine Ladung mit Strom aus regenerativen Energien vorausgesetzt, bieten batterieelektrische Fahrzeuge trotz noch vorhandener technologischer Nachteile einen adäquaten und umweltfreundlichen Ersatz für konventionelle Fahrzeuge im Straßenverkehr. Die Gründe für die Förderung der E-Fahrzeuge in der Volksrepublik China (VRC) beschränken sich jedoch nicht ausschließlich auf den globalen Klimaschutz. Dies zeigt sich bspw. darin, dass ein Großteil des Stroms, der in China produziert wird und letztendlich auch die Batterien der mittlerweile über 950 000 zugelassenen E-Fahrzeuge versorgt [1], nicht aus regenerativen Energien gewonnen wird [2]. Die VRC versucht hierbei eher die vorrangig lokale Problematik der schlechten Luftqualität in den zahlreichen Metropolen zu lösen und konzentriert demensprechend die Anstrengungen zur Förderung der E- Mobilität auf die urbanen Provinzen und die regierungsunmittelbaren Städte. Darüber hinaus verfolgt die Zentralregierung mit ihrer Förderpolitik auch wirtschaftliche Interessen: Der technologische Vorsprung des Landes im Bereich der Fahrzeug-IKT, der Batteriezellenfertigung und in der Fahrzeugproduktion soll ausgebaut und die Stellung als Leitmarkt gefestigt werden. Bereits seit 2015 gilt China als größter Markt für E-Fahrzeuge, es können sowohl die weltweit höchsten Verkaufsals auch die weltweit höchsten Produktionszahlen von E-Fahrzeugen verzeichnet werden. Von den in 2017 weltweit etwa 1,1 Mio. verkauften E-Fahrzeugen wurden rund 54 % in China zugelassen [3]. Peking. Foto: Cornerstone/ pixelio.de Nachfrageregulierung POLITIK POLITIK Nachfrageregulierung Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 20 Politische Zielsetzungen E-Fahrzeugmarkt Grundlage für die Schaffung von Anreizen zur Förderung des Markthochlaufes der E- Mobilität sind politische Zielsetzungen. Die Erreichung dieser Zielsetzungen wird durch regulatorisches Eingreifen in den Verkehrssektor beschleunigt oder erst ermöglicht. Dazu werden verkehrspolitische Instrumente in Form von ordnungspolitischen, preispolitischen oder strukturpolitischen Maßnahmen eingesetzt, um die Nutzung bzw. den Kauf von E-Fahrzeugen entgegen vorhandener Nachteile gegenüber konventionellen Fahrzeuge (Reichweite, Infrastruktur, Preis) attraktiver zu machen [4]. Die Zentralregierung Chinas formuliert nationale Zielsetzungen, die die verkehrspolitischen Entscheidungen beeinflussen. So sollen bis 2020 mindestens 5 Mio. E-Fahrzeuge zugelassen und 4,8 Mio. Ladepunkte installiert werden. Darüber hinaus soll langfristig v.a. der Anteil der E-Fahrzeuge in den Dienstfahrzeugflotten auf mindestens 40 % erhöht werden. Allein im Dienstfahrzeugmarkt wird von der Zentralregierung ein Gesamtpotential von mehreren Millionen E-Fahrzeugen gesehen [5]. Große internationale Unternehmen und deren Interessenvertretungen nehmen immer wieder gewissen Einfluss auf politische Entscheidungen zum Fortschritt oder Stillstand von bestimmten Technologien wie dem konventionellen Verbrennungsmotor. Dies äußert sich bspw. in den geringen Zulassungszahlen von alternativen Antriebskonzepten in Staaten mit einer starken Automobilindustrie. Die Kompetenzen in der Herstellung von Verbrennungsmotoren liegen dabei vorrangig in Europa und Nordamerika. Die gegenüber den westlichen Staaten fortgeschrittenen Kompetenzen in der Elektronikbranche in Ostasien und die Bemühungen der VRC haben jedoch dazu geführt, dass der weltweit größte Hersteller von E-Fahrzeugen (gemessen an der Zahl der verkauften Fahrzeuge.) und zahlreiche wichtige Zulieferer (bspw. Batterieherstellung) in China ansässig sind. Die chinesische Regierung möchte diese Entwicklung weiter vorantreiben und bis 2020 weitere Fahrzeughersteller und Automobilzulieferer fördern, um so die Stellung als Leitmarkt für E-Fahrzeuge zu festigen [6]. Die Umsetzung der politischen Ziele der Zentralregierung obliegt hierfür den einzelnen Provinzen, die je nach wirtschaftlicher Situation und Bevölkerungszahl aufbauende bzw. weitergehende Zielsetzungen formulieren. In der Provinz Guangdong sollen bspw. bis 2020 alle Busse mit E-Motoren angetrieben und bis zum Zieljahr 350 000 zusätzliche Ladesäulen errichtet werden (Bild 1). Die Hauptstadt der Provinz Guangzhou fördert darüber hinaus den Einsatz von E-Fahrzeugen in kollektiven Nutzungsformen (Carsharing, Autovermietung), um der Bevölkerung die alternativen Antriebe auf niederschwelligen Ebenen zugänglicher zu machen. Demgegenüber sollen in Hangzhou, der Hauptstadt der Provinz Zhejiang, die konventionellen Busse bis 2025 sukzessive durch E-Busse ersetzt werden. In der Provinz Jiangsu sollen bis 2020 mindestens 250 000 E-Fahrzeuge zugelassen sein, deren Infrastrukturbedarf mit 200 000 zusätzlichen Ladesäulen gedeckt werden soll. Die Provinz will dafür insbesondere die Marktdurchdringung der E-Fahrzeuge im privaten Bereich fördern. Einsatz verkehrspolitischer Instrumente zur Förderung von E-Fahrzeugen im Individualverkehr Hohe staatliche Subventionen durch die chinesische Regierung haben für zahlreiche Unternehmen den Zugang zum E-Fahrzeugmarkt erleichtert und so einen diversifizierten Markt ermöglicht. Durch sukzessives Aussetzen der Subventionen und durch zunehmende finanzielle Förderung der privaten Leistungsempfänger treten die zuvor geförderten Unternehmen stärker in Konkurrenz, so dass sich ein Innovationsdruck entwickelt, der technologische Neuerungen und Alleinstellungsmerkmale der Produkte fördert. Weiterhin lässt sich der starke Anstieg der Zulassungszahlen von E-Fahrzeugen, der in den letzten Jahren zu verzeichnen war, in der Kombination von preispolitischen und regulatorischen Instrumenten begründen, die durch den stetigen Ausbau der Infrastruktur ergänzt werden. Preispolitische Instrumente Mit preispolitischen Instrumenten werden die Handlungen der Leistungsempfänger (bspw. der Kauf eines Fahrzeugs) mithilfe finanzieller Mittel begünstigt oder gehemmt [7]. Es kann sich hierbei sowohl um regulatorisch auferlegte Abgaben in Form von Steuern oder Gebühren zur Kompensation externer Kosten als auch um temporäre monetäre Anreize, die i.d.R. freiwillig in Anspruch genommen werden, handeln [8]. Diese Instrumente können insbesondere dazu genutzt werden, den Einsatz eines bestimmten Verkehrsmittels einzuschränken bzw. zu fördern [9]. Da die Preisdifferenz zwischen den Antriebstechnologien eines der entscheidenden Hemmnisse für den Kauf eines E-Fahrzeugs darstellt [10], ist einer der wichtigsten monetären Anreize die Kaufprämie für E- Fahrzeuge, die in China abhängig von der Reichweite des subventionierten Fahrzeugs gewährt wird. Dabei wird sowohl eine nationale Förderung durch die Zentralregierung als auch eine lokale Förderung in den jeweiligen Provinzen gewährt, deren Höhe von den entsprechenden Zielstellungen und von der wirtschaftlichen Situation der einzelnen Provinzen abhängig ist. So sind bspw. in Shenzhen durch maximal 55 000 RMB nationale und 80 000 RMB lokale Förderung bis zu 135 000 RMB (rund 20 800 USD) pro Fahrzeug möglich [1]. Die chinesische Regierung prognostiziert, dass die technologischen Entwicklungen in Antriebs- und Batterietechnologie sowie die flächendeckenden Installationen von Infrastruktur mittelfristig soweit fortgeschritten sind, dass eine weitere Förderung nicht mehr notwendig ist und reduziert daher seit 2014 sukzessive die Kaufprämie, bis sie 2020 vollständig ausgesetzt wird. So erhalten seit 2018 E-Fahrzeuge mit weniger als 150 km Reichweite keine Förderung mehr. Dennoch wird die Kaufprämie für Fahrzeuge, die mehr als 300 km Reichweite haben, in diesem Jahr steigen. Bild 1: Zahl der geplanten Ladestationen bis 2020 in ausgewählten Provinzen in der VR China Eigene Darstellung nach [17]. Hainan Neimengu Jilin Fujian Shenzhen Tianjin Shanxi Jiangsu Zhejiang Shanghai Sichuang Bejing Zahl der geplanten Ladestationen bis 2020 Guangdong Shangdong Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 21 Nachfrageregulierung POLITIK Neben der direkten Subventionierung beim Kauf werden die Fixkosten von E- Fahrzeugen reduziert, indem die Fahrzeuge national von der Straßenverkehrssteuer befreit sowie bei Versicherungsgesellschaften vergünstigt behandelt werden. Zudem reduzieren sich lokal die Betriebskosten durch vergünstigten Ladestrom und durch die Aussetzung der Mautgebühren auf Stadtautobahnen (Tabelle 1). Als weiterer finanzieller Anreiz für Unternehmen ist in China die Sonderabschreibung von E-Fahrzeugen möglich, die nur in wenigen weiteren Staaten wie Österreich und Japan eingesetzt wird. Dabei wird der Gewinn in der Unternehmensbilanz reduziert, wodurch bei der Neuanschaffung von E-Fahrzeugen bis zu 50 % der Abschreibungssumme bereits im ersten Jahr in Abzug gebracht werden können [4]. Regulatorische Instrumente Die Rahmenbedingungen für das Verkehrssystem werden mit Gesetzen und Verordnungen bestimmt, um verfügbare Handlungsalternativen für die Nutzer zu regeln bzw. zu reduzieren [11]. Regulatorische bzw. Ordnungspolitische Instrumente beinhalten sowohl Restriktionen als auch Direktionen des Straßenverkehrsrechts, aber auch Maßnahmen des Immissionsschutzrechts. Beispiele für diese Instrumente sind u.a. Fahrverbote (zeitlich, räumlich, sachlich) oder Emissionsgrenzwerte für Fahrzeuge oder Fahrzeugflotten [9]. So existieren in der VRC in einigen Provinzen und regierungsunmittelbaren Städten sehr strikte Fahrverbote. In der Innenstadt von Beijing gilt bspw. für bestimmte Tage ein generelles Fahrverbot für alle Fahrzeuge mit geraden Nummern bzw. mit ungeraden Nummern, und je nach Smog-Belastung werden zusätzliche temporäre Fahrverbote ausgesprochen. E-Fahrzeuge sind von diesen Einschränkungen befreit. Darüber hinaus können ordnungspolitische Instrumente auch die langfristigen Rahmenbedingungen für Wirtschaftssubjekte betreffen, also Auswirkungen auf Angebotskapazitäten oder die Preisbildung haben [12]. Hier sei die ab 2019 in China geltende Verkaufsquote genannt. Dieser Mindestumfang an verkauften Fahrzeugen betrifft Fahrzeughersteller, die jährlich mindestens 30 000 Fahrzeuge absetzen, und zwingt sie faktisch die Verkaufs- und Produktionszahlen zu steigern, so dass bereits im Jahr 2019 mindestens 10 % und im Jahr 2020 mindestens 12 % der verkauften Fahrzeuge elektromobil sind. Die Umsetzung wird mithilfe eines Punktesystems erfolgen: Die Fahrzeughersteller erhalten für jedes verkaufte E-Fahrzeug Kreditpunkte in verschiedener Höhe, jeweils abhängig von der Reichweite und der Antriebstechnologie (BEV/ PHEV) des Fahrzeugs. Erreichen die Hersteller eine definierte Mindestpunktzahl nicht, können Kreditpunkte bei anderen Automobilherstellern mit hohen Punktzahlen (bspw. Hersteller, die ausschließlich E-Fahrzeuge vertreiben) erworben werden. Wenn die Mindestpunktzahl überdies nicht erreicht wird, drohen staatliche Restriktionen, bspw. kann die Menge der produzierten konventionellen Fahrzeuge durch die Zentralregierung begrenzt werden. Die Erreichung der Mindestpunktzahl stellt sich v. a. für viele Automobilhersteller als problematisch dar, da die Anteile von verkauften E-Fahrzeugen auf dem chinesischen Markt bisher nur gering sind. Die Verkaufsquote stellt neben dem Förderpotential für den E- Fahrzeugmarkt selbst zudem eine Möglichkeit dar, Hersteller mit einem hohen Anteil an verkauften E-Fahrzeugen durch den Kreditpunktehandel zusätzlich zu subventionieren. Außer den strikten Vorgaben für die Fahrzeughersteller seitens der chinesisches Zentralregierung werden durch die Stadtregierungen mit regulatorischen Instrumenten auch Kaufanreize für E-Fahrzeuge geschaffen, die sich an die Käufer richten. So Instrumente zur Förderung von E-Fahrzeugen in-der VRC Wirkungsebene Monetäre Anreize und preispolitische Instrumente Kaufprämie national und lokal Straßenverkehrssteuerbefreiung national Kaufsteuerbefreiung national Verringerte Beiträge zur Kfz-Unfallversicherung national Sonderabschreibung national Befreiung von Straßennutzungsgebühren lokal Gebührenfreies Parken lokal Kostenloses oder kostenreduziertes Laden lokal Regulatorische Instrumente Verkaufsquote (ab 2019) national Privilegiertes Parken lokal Ausnahme von Zulassungsbeschränkungen lokal Ausnahme von (Ein-)Fahrverboten lokal Strukturpolitische Instrumente Aufbau öffentlicher Ladeinfrastruktur national und lokal Quotenregelung für private Ladeinfrastruktur national Technische und bauliche Standardisierung national Tabelle 1: Instrumente zur Förderung von E-Fahrzeugen in der VR China Quelle: eigene Zusammenstellung Foto: pixabay POLITIK Nachfrageregulierung Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 22 werden etwa die Zulassungszahlen von PKW in den Großstädten aktiv gesteuert und E-PKW bevorzugt zugelassen. Ein konventionelles Fahrzeug kann nur nach einem i.d.R. zeit- und kostenintensiven Antragsverfahren zugelassen werden, die darüber hinaus teilweise mit limitierten Losverfahren mit Obergrenzen verbunden sind. So kommen in Beijing auf die maximal 40 000 Kennzeichen für konventionelle PKW, die im Jahr 2018 ausgegeben werden sollen, ca. 2,87 Millionen Einträge auf der Warteliste (Stand Ende 2017). Im Jahr 2017 wurden in Beijing noch 90 000 Kennzeichen für konventionelle Fahrzeuge ausgegeben. Die Zulassungszahlen von E-Fahrzeugen sind auf maximal 60 000 PKW in 2018 begrenzt und nicht mit Wartezeiten oder zusätzlichen Gebühren verbunden [13]. Auch in anderen Metropolen wie Shenzhen und Shanghai wird dieses Instrument eingesetzt, wobei auch hier die Obergrenzen für Verbrennungsfahrzeuge sukzessive reduziert werden. Zudem existieren einzelne zusätzliche Regelungen, bspw. darf in Shenzhen bei einem bereits registrierten Diesel- oder Benzinfahrzeug ausschließlich ein E-Fahrzeug als Zweitwagen zugelassen werden [14]. Zudem werden in einigen Städten zusätzliche Privilegien für E-Fahrzeuge gewährt (Tabelle 1). Ausbau der Verkehrsinfrastruktur Auch die Planung, der Bau und die Unterhaltung von Verkehrsinfrastruktur gelten als öffentliche Kernaufgaben. So werden strukturpolitische Instrumente u.a. zum Abbau von Infrastrukturengpässen bzw. zur Bereitstellung von Ladeinfrastruktur für E- Fahrzeuge eingesetzt (Tabelle 1). Die VRC setzt auch hier auf eine nationale Quotenregelung, die Immobilienbesitzer und Grundstückseigentümer dazu verpflichtet, im Bestand mindestens 5 % aller Stellplätze in Wohngebieten und mindestens 10 % der Stellplätze von gewerblichen und öffentlich zugänglichen Stellplätzen mit Ladeinfrastruktur auszustatten. Bei Neubauten in Wohn- und Geschäftsgebieten sollen mindestens 30 % der Stellplätze mit Ladeinfrastruktur ausgestattet werden [15]. Zudem gibt es für die VRC festgelegte technische, bauliche Standards, die bei einer Installation von Ladeinfrastruktur erfüllt werden müssen und durch ein interdisziplinäres Expertengremium geprüft werden [1]. Auswirkungen und Fazit Die VRC setzt insgesamt eher strikte Instrumente ein, um die Zielsetzungen zu erreichen, und fördert die E-Mobilität damit sehr erfolgreich. Insbesondere die Steuerung der Zulassungszahlen hat großen Einfluss auf die Marktdurchdringung, zwingt sie die Käufer doch dazu E-Fahrzeuge zu beschaffen, um lange Wartezeiten oder hohe finanzielle Aufwände zu umgehen. Ebenfalls ein sehr wirksames Instrument wird die künftige Verkaufsquote für E-Fahrzeuge sein, welches zusammen mit der Quote für Ladeinfrastrukturausbau erhebliche Steigerungsraten der Marktdurchdringung erwarten lässt. Auch in anderen Staaten hat sich der Einsatz strikter regulatorischer Maßnahmen zur Förderung der neuen Antriebtechnologien als praktikable Möglichkeit herausgestellt. So hat Kalifornien, wo bereits 1990 eine erste Quotenregelung für E-Fahrzeuge geschaffen wurde, einen der höchsten Anteile von elektromobilen Fahrzeugen im Bestand und an den Neuzulassungen weltweit [16]. Auch hier profitieren einzelne Unternehmen, die ausschließlich E-Fahrzeuge vertreiben, vom Kreditpunktesystem mit Kreditpunktehandel. In anderen Staaten wiederum ist eine Förderpolitik, die sich vornehmlich an die Käufer der Fahrzeuge in Form von monetären Anreizen und Privilegien richtet, nicht weniger wirkungsvoll. So sind die Anteile der E-Fahrzeuge in Norwegen seit Jahren die höchsten weltweit. Insgesamt ist die zur Erreichung der politischen Ziele geschaffene Förderung von E-Fahrzeugen von den politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der einzelnen Staaten abhängig, hierzu zählen die Positionierung der Fahrzeuge am Markt, das System der Steuern und Gebühren sowie der Einsatz verkehrspolitischer Instrumente. Eine konkretere Auseinandersetzung mit dem Einsatz verschiedener verkehrspolitischer Instrumente in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen verschiedener Staaten und die resultierende Wirkung auf den entsprechenden E-Fahrzeugmärkten erfolgte in [4]. ■ LITERATUR [1] Lauer, Johannes 2017: Elektromobilität als Baustein nachhaltiger Stadtentwicklung in chinesischen Megastädten. Strukturen, Prozesse und Instrumente zur Förderung von Elektromobilität in der Modellregion Shenzhen, Hamburg [2] IEA (= International Energy Agency) 2015: China, People’s Republic of: Electricity and Heat for 2015 (online abrufbar unter: https: / / www. iea.org/ statistics/ statisticssearch/ report/ ? country=CHINA&product= electricityandheat&year=2015, zuletzt abgerufen am 2018-01-08) [3] McKinsey 2018: Electric Vehicle Index (EVI). Sustainable Mobility Initiative, Düsseldorf [4] Vollrath, Christian 2017: Anreize für die Erreichung des Markthochlaufes von Elektrofahrzeugen im internationalen Vergleich. In: Berichte des Instituts Verkehr und Raum, Band 23; Erfurt [5] Huanqiuwang, Yanfei Zhang 2017: China‘s total sales of electric vehicles increase (Chinesisch: 中国电动汽车累计销量将 远超欧美 (online abrufbar unter http: / / www.caam.org.cn/ hangye/ 20170103/ 0905203408.html, zuletzt abgerufen am 2018-01-08) [6] Ministry of Commerce of the People’s Republic of China 2010: Foreign auto makers are not satisfied with China‘s electric car plan (Chinesisch: 外国汽车厂商不满中国电动汽车计 划 ) (online abrufbar unter: http: / / www.mofcom.gov.cn/ aarticle/ i/ jyjl/ m/ 201009/ 20100907146243.html, zuletzt abgerufen am 2018-01-08) [7] Sager, Fritz 2016: Die politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Verkehrspolitik: Eine Einführung, in: Schwedes, Oliver; Canzler, Weert; Knie, Andreas (Hrsg.): Handbuch der Verkehrspolitik, S. 119-136, 2. Auflage, Springer Verlag, Wiesbaden [8] BuW (= Begleit- und Wirkungsforschung Schaufenster Elektromobilität) 2017: Internationale Marktanreizprogramme zur Förderung der Elektromobilität, Frankfurt am Main [9] Gather, Matthias; Kagermeier, Andreas; Lanzendorf, Martin 2008: Geografische Mobilitäts- und Verkehrsforschung, Stuttgart [10] Sierzchula, Will; Maat, Kees; Sjoerd, Bakker; van Wee, Bert 2014: The influence of financial incentives and other socio-economic factors on electric vehicle adoption, in: Energy Policy, Vol. 68, S. 183-194, Delft [11] Meier, Kenneth J. 1985: Regulation: politics, bureaucracy, and economics, New York [12] Fichert, Frank; Grandjot, Hans-Helmut 2016: Akteure, Ziele und Instrumente in der Verkehrspolitik, in: Schwedes, Oliver; Canzler, Weert; Knie, Andreas (Hrsg.): Handbuch der Verkehrspolitik, S. 137-163, 2. Auflage, Springer Verlag, Wiesbaden [13] CIIC (= China Internet Information Center) 2017: Hauptstadt reduziert Zahl der Autokennzeichen (online abrufbar unter http: / / german.china.org.cn/ txt/ 2017-12/ 17/ content_50108013.htm, zuletzt abgerufen am 2018-01-08) [14] GIC Greater China (= German Industry & Commerce Greater China) 2016: Begrenzung bei Vergabe von NEV-Fahrzeugkennzeichen in Shenzhen aufgehoben. In: EMOChina Newsletter, Ausgabe 06/ 2016, Beijing [15] Shenzhen Municipal Office 2015: The Notification of Several Policies and Measures of New Energy Vehicles’ Promotion and Application (2013-2015) (Chinesisch: 深圳市新能源汽车 推广应 用若干政策措施 ) (online abrufbar unter: http: / / www.sz. gov.cn/ zfgb/ 2015/ gb911/ 201503/ t20150304_2822781.htm, zuletzt abgerufen am 2018-01-08) [16] Yang, Zifei; Slowik, Peter; Lutsey, Nic; Searle, Stephanie 2016: Principles for effective electric vehicle incentive design, Washington [17] CAAM (= China Association Of Automoblie Manufacturers) 2016: China’s Electric Vehicle Charging Stations 2016 (Chinesisch: 2016 年 中国电动汽车充电站行业分析 ) (online abrufbar unter http: / / www.caam.org.cn/ hangye/ 20160307/ 1505186709.html, zuletzt abgerufen am 2018-01-08) Christian Vollrath, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt christian.vollrath@fh-erfurt.de Zubin You Wissenschaftliche Hilfskraft, Institut Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt zubin.you@fh-erfurt.de Matthias Gather, Prof. Dr. Professur Verkehrspolitik und Raumplanung, Institut Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt matthias.gather@fh-erfurt.de Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 23 F ür einen kurzen Moment kam im nüchternen Konferenzraum des Berlaymont-Gebäudes der EU-Kommission so etwa wie Wehmut auf: EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc kündigte „das letzte Gesetzeswerk unter meinem Mandat“ an. Die Slowenin, seit 2014 im Amt, stellte dann das dritte Mobilitätspaket vor. Es rundet die im Mai vergangenen Jahres mit dem „Mobility Package 1“ begonnene und mit Nummer 2 im November 2017 weitergeführte umfangreiche Reform der Gesetzgebung für die Straße ab. Als Bulc das Paket vorstellte, wurde sie von Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic und Umweltkommissar Miguel Arias Cañete begleitet. Das unterstrich, dass die drei Mobilitätspakete einen umfassenden gesetzlichen Rahmen bilden, der eine Lösung nicht nur für Verkehrsprobleme, sondern darüber hinaus auch für Energie- und Umweltfragen sucht. Dabei schafft der am 17. Mai präsentierte dritte Teil so etwas wie die Bindeglieder zwischen diversen, seit 2014 vorgeschlagenen Initiativen für einen sicheren und sauberen Verkehr, der dabei ist, in eine neue Phase der Digitalisierung und Automatisierung zu fahren. Er zielt auf höhere Sicherheit, umweltfreundlichere Fahrzeuge und den Aufbau eines digitalen Umfelds für eine papierlose Logistik. In den werbemäßigen Stakkato- Slogans der Kommission heißt das: „Null Tote, Null Emissionen und Null Papier“. Die wichtigsten Aspekte von Paket 3 für die Transportwirtschaft sind die erstmalig festgelegten CO 2 -Grenzwerte für LKW, die forcierte Einführung von Veränderungen an der Fahrerkabine sowie mehr Sicherheitsautomatik in den Trucks. Das illustriert die enge Verbindung von Verkehrs-, Umwelt- und Energie-(Verbrauchs-)Aspekten. Die CO 2 -Standards für LKW waren schon im Vorfeld hoch umstritten. Während für PKW und Lieferwagen solche Grenzwerte bereits existieren, sind Trucks davon bislang ausgenommen. Grund dafür war lange die Erwartung der Brüsseler Gesetzgeber, „der Markt“ werde schon für eine Reduzierung des Spritverbrauchs und damit für verringerte Emissionen sorgen: CO 2 -arme Fahrzeuge sind auch verbrauchsarm - und die Transportunternehmen werden diese Lastwagen kaufen, sobald sie im Angebot sind. Aber die EU-Kommission hatte nicht damit gerechnet, dass die Hersteller mit einem Kartell den Markt aushebeln würden. Als dann jahrelange Absprachen unter den europäischen Produzenten ans Tageslicht kamen, wuchs die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber eingreifen muss. Hinzu kommt: Mit dem so genannten Vecto-Tool steht jetzt eine Software zur Verfügung, die Spritverbrauch und Emission eines LKW leicht messen kann. Das erleichterte die Formulierung von Grenzwerten. 2025 - so der Kommissionsvorschlag - müssen die durchschnittlichen CO 2 -Emissionen von Trucks 15 % niedriger sein als 2019. Fünf Jahre später soll die Reduzierung mindestens 30 % betragen. Umweltschützer, aber auch eine Allianz aus 36 Verladern, Spediteuren, Verbänden und Transportunternehmen sowie fünf EU- Staaten wollten mehr. Die Allianz plädierte für eine Reduzierung um 24 % bis 2025. Anders werde der Sektor nicht in der Lage sein, die Pariser Klimaziele zu erfüllen. Den Herstellern hingegen gehen die Ziele der EU-Kommission zu weit. Allenfalls 16 % bis 2030 hält Acea, die europäische Lobby der Fahrzeugproduzenten für realistisch. Da die Auto-Lobby traditionell stark ist, lässt sich noch nicht sagen, ob es bei den Kommissionsvorschlägen bleiben wird, wenn das Europäische Parlament (EP) und die zuständigen Minister der Mitgliedstaaten sich des Themas annehmen. Dass die beiden ko-gesetzgebenden Institutionen durchaus in der Lage sind, den Zeitplan der Kommission durcheinander zu wirbeln, zeigt sich derzeit bei Mobilitätspaket 1: Das ist noch längst nicht unter Dach und Fach - auch wenn die Brüsseler Behörde schon den dritten Teil auf den Weg gebracht hat. Nach allem, was aus dem EP und den Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten zu hören ist, sieht es derzeit nicht so aus, als erfülle sich der Herzenswunsch von Bulc. Sie will das Mobilitätspaket mit den schwierigen sozialen Fragen - Entsendung von LKW-Fahrern, Lenk- und Ruhezeiten sowie Kabotage-Fahrten - noch vor dem Ende ihres Mandats unter Dach und Fach haben. Das aber hieße, alle Beteiligten müssten sich bis Ende Februar des nächsten Jahres einig sein. Davon gehen derzeit in Brüssel nur notorische Optimisten aus. Gut möglich also, dass das ehrgeizige, dreiteilige Paket für die Reform der EU-Straßengesetzgebung in die nächste Legislaturperiode (bis 2024) verschoben werden muss. Dann müsste ein neu zusammengesetztes EP mit möglicherweise neuen Berichterstattern an den zahlreichen Dossiers weiterarbeiten. Eine Vorstellung, die nur denen gefallen kann, deren Ziel das Verhindern der gesamten Mobilitätspakete ist. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Gesetzlicher Rahmen dringend gesucht Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 24 INFRASTRUKTUR Verkehrsplanung Verkehrlich-städtebauliche Auswirkungen des-Online-Handels Wie können die zunehmenden Lieferverkehre in den Städten konfliktfrei abgewickelt werden? KEP-Verkehre, Online-Handel, Verkehrsbelastungen, Verkehrspolitik, Elektromobilität, Logistik, Digitalisierung, Städtebau Die dynamischen Entwicklungen im Online-Handel führen derzeit zu einem erheblichen Zuwachs an urbanen Lieferverkehren, die sich nicht nur mehr auf die Kernstädte, sondern zunehmend auch hinein in die Wohnquartiere erstrecken. Dies verschärft lokal und global wirksame Emissions-Problematiken, zugleich geht die steigende Anzahl der Lieferfahrzeuge zulasten der Attraktivität und Funktionalität städtischer Quartiere. Der Beitrag zeigt beispielhaft auf Grundlage einer vom BBSR und BMUB im Auftrag gegebenen Grundlagenstudie, dass Kommunen mit regional angepassten Konzepten eine schonendere Abwicklung der Lieferverkehre forcieren können. Dies setzt jedoch einen Kenntnisstand darüber voraus, wie sich neue Logistikstrukturen und Verkehrsströme in der Fläche organisieren werden. Sven Altenburg, Klaus Esser, Dirk Wittowsky, Sören Groth, Hans-Paul Kienzler, Judith Kurte, Anna-Lena van der Vlugt D er stetig wachsende Online-Handel kann als einer der bedeutendsten Trends im Konsumverhalten der Menschen angesehen werden: Immer mehr Waren werden nicht mehr in stationären Geschäften beschafft, sondern sie werden online bestellt und geliefert. Dies stößt komplexe Wirkungsketten zwischen Logistikkonzepten, Verkehrsströmen und urbanen Infrastrukturen an, die bereits bestehende verkehrliche Problemlagen erheblich verstärken können. Der Online-Handel kann die verkehrlichen Probleme von Städten verschärfen Dies zeigt sich insbesondere in Wohngebieten, die erst durch die Heimzustellungen des Online-Handels massiv unter Lieferverkehren leiden. Dazu gehört die Zunahme lokaler Lärm- und Schadstoffemissionen, das Blockieren von Geh- und Radwegen sowie die Beeinträchtigung der Verkehrs sicherheit durch Parken in zweiter Reihe. Derzeit werden Lieferverkehre fast ausschließlich mit dieselbetriebenen Lieferfahrzeugen durchgeführt. Somit verschärfen sie die in vielen Städten ohnehin schon gravierende Emissions-Problematik. So lag beispielsweise 2017 in der Stadt Düsseldorf das NO 2 -Jahresmittel an drei der vier offiziellen Messpunkte bei 52 bis 56 µg/ m 3 und damit um 30 bis 40 % über dem Grenzwert von 40 µg NO 2 / m 3 Luft/ Jahr [1]. Es ist vor dem Hintergrund dieser Problematik wenig überraschend, dass intensiv über Dieselfahrverbote und Sperrzonen diskutiert wird. Restriktionen alleine werden aber die Belastungen der Lieferverkehre nicht lösen: Selbst wenn alle Lieferfahrzeuge eines Tages emissionsfrei sein werden, bedroht die Menge und die Größe konventioneller Lieferfahrzeuge weiterhin die Attraktivität und Funktionalität von Wohn- und Innenstadtquartieren, sodass neue Konzepte zur konfliktfreieren Belieferung urbaner Gebiete gefunden werden müssen. In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl an Studien entstanden, die sich auf verschiedene Weise mit den Konsequenzen des Online-Handels im Hinblick auf räumlich ausdifferenzierte Nachfragemuster [2, 3] oder mit konkreten Folgen für den stationären Einzelhandel [4] auseinandergesetzt haben. Die damit verbundenen komplexen verkehrlichen Zusammenhänge und damit verknüpfter Anpassungsstrategien wurden dabei i. d. R. jedoch ausgeklammert. In einer vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) sowie dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) beauftragten Studie konnten die verkehrlichen und siedlungsstrukturellen Effekte erstmals übergreifend analysiert und abgeschätzt werden [5]. Als Ausgangspunkt für alle Überlegungen zu Logistikkonzepten und städtebaulichen Handlungsoptionen dient zunächst eine möglichst genau quantifizierte Kenntnis der Nachfrage nach solchen Lieferungen: Wie viele Lieferungen in einer Stadt werden überhaupt durch den Online-Handel ausgelöst? Bisher veröffentlichte Zahlen dazu sind zumeist auf Bundesebene aggregiert oder sind nur durch aufwändige Primärerhebungen zu beschaffen. Ein kleinräumiges Model zur Schätzung der Sendungsaufkommen und damit der nachgelagerten Verkehrsaufkommen und resultierenden Logistikkonzepte sowie die sich daraus ergebenden städtebaulichen Herausforderungen fehlte bislang. Mit Hilfe des von KE-CONSULT für das Netzwerk „Verkehr in Städten“ (bestehend aus Prognos, KE-CONSULT und dem ILS) entwickelten Modells lässt sich auf der Basis von kleinräumigen sozio-ökonomischen Strukturdaten das Sendungsaufkommen bis auf Stadtteilebene modellieren. Die Grundidee dieses Ansatzes ist, einen sogenannten „Stadtmodellbaukasten“ zu entwickeln, mit Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 25 Verkehrsplanung INFRASTRUKTUR dessen Hilfe sich das kleinräumige Nachfragebild aus sozio-ökonomischen Clustern von typischen Stadtstrukturen zusammensetzen lässt. Damit kann für praktisch jede Stadt die Nachfrage ermittelt werden, ohne teure Erhebungen von Grundlagendaten durchführen zu müssen. Auf der so modellierten Datenbasis können dann die weiteren Fragestellungen behandelt werden: 1. Welche (Liefer-)Verkehrsströme werden in den Städten erzeugt, um die Nachfrage zu befriedigen? 2. Mit welchen logistischen Konzepten kann diese Nachfrage möglichst schonend befriedigt werden? 3. Welche städtebaulichen Voraussetzungen sind hierfür wo zu schaffen (z. B. Flächen für Pick-up-Points oder Mikrodepots)? Wie viel Lieferverkehr entsteht eigentlich und was bedeutet das für die Städte? Die Marktbeobachtung und die Analysen zu den Wirkungsbeziehungen zwischen Online-Handel und Kurier-, Express-, Paket- Markt (KEP-Markt) zeigen, dass steigende Umsätze im Online-Handel einen direkten Einfluss auf das Sendungsvolumen im KEP- Markt und hier insbesondere auf den Paketmarkt haben (Bild 1). Besonders deutlich wird dies in den vergangenen Jahren. Die Anzahl der Sendungen im KEP-Markt in Deutschland ist seit 2005 bis 2016 innerhalb von elf Jahren um rund 1,2 Mrd. Sendungen (+62 %) und die der Paketsendungen um rund 1,12 Mrd. Sendungen (+74 %) gestiegen. Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Für den KEP- Markt erwarten wir ein Sendungsvolumen von rund 4,15 Mrd. Sendungen in 2021. Aus dem Wachstum des E-Commerce wird ein Zuwachs bei den B2C-Sendungen von 690- Mio. Sendungen induziert. Dabei verdreifachen sich die FMCG-Sendungen (Fast-moving consumer goods wie Lebensmittel oder Hygieneartikel, die schnell verkauft und wieder aus dem Warenlager ersetzt werden) von 130 Mio. auf 400 Mio. Sendungen, was zu einem Anteil am KEP- Markt von ca. 10 % führt. Die übrigen B2C- Sendungen legen um 420 Mio. zu (Bild 2). Mit dem steigenden Sendungsvolumen geht ein Anstieg der Liefervorgänge und des Lieferverkehrs einher. In der Folge stehen KEP-Dienstleister und Kommunen gleichermaßen vor neuen Herausforderungen. So wird es für die KEP-Unternehmen notwendig, ihre Netze und Umschlagsinfrastrukturen bzgl. Kapazität und Qualität an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen. Die Anzahl und die Größe von Verteilzentren und Zustellbasen nehmen zu. Die weitreichendsten Veränderungen sind auf der letzten Meile festzustellen. Derzeit werden vielfältige Anstrengungen unternommen und zahlreiche Innovationen entwickelt, erprobt und getestet, die die Verteilprozesse im Rahmen der Endkundenbelieferung effizienter gestalten sollen. Entsprechende logistische Konzepte und Maßnahmen zur Lösung des Problems der letzten Meile sollen helfen, Bündelungseffekte zu erzielen, den Stopp-Faktor im Endkundengeschäft zu erhöhen und den Transportaufwand zu reduzieren. In den Fokus der Zustellkonzepte rücken dabei auch verstärkt die Anforderungen und Zustellwünsche aus Endkundensicht. Mit den Zustellkonzepten und der Akzeptanz und Nutzung durch den Endkunden gehen verkehrliche und städtebauliche Wirkungen einher. Aber was bedeuten diese Makro-Trends auf städtischer Ebene? Konkret stellen sich die Problemlagen und Herausforderungen in den Kommunen in sehr unterschiedlicher Weise dar. Daher sind Informationen zur regionalen Verteilung des KEP-Sendungsvolumens von sehr hohem Interesse. Zu der regionalen Aufteilung der KEP-Sendungen nach Kommunen oder Landkreisen liegen bislang keine ausreichenden, detaillierten Angaben und Ergebnisse vor. Hierzu wurde bei KE-CONSULT für das Netzwerk „Verkehr in Städten“ ein Analysetool entwickelt, mit dem das regionale Sendungsvolumen abgeschätzt werden kann. Zur Ermittlung des regionalen Sendungsvolumens werden regionalisierte und disaggregierte Struktur- und Wirtschaftskennziffern (u. a. Bevölkerung, Haushalte, Kaufkraft, Einzelhandelsumsätze, Wertschöpfung, BIP) berücksichtigt, mit denen jeweils unterschiedliche Marktsegmente regional verteilt werden und anschließend wiederum zum ge- 2016 2021 KEP-Sendungen gesamt 36 Mio. 47 Mio. KEP-Sendungen pro Kopf 56 74 KEP-Sendungen je Zustelltag 120.000 160.000 Durchschnittlicher Fahrzeugeinsatz je Zustelltag* 700 900 * Unterstellt wird dabei ein durchschnittliches Sendungsvolumen über alle Fahrzeuge. Tabelle 1: KEP-Sendungsvolumen für Düsseldorf 2016 und 2021 Quelle: KE-CONSULT (Modell zur regionalen Quantifizierung des KEP-Marktes KEP-rQ) Bild 1: Entwicklung des Sendungsvolumens im deutschen KEP-Markt Quelle: [5] Bild 2: Prognose des E-Commerce-induzierten Sendungsvolumens für das Jahr 2021 Quelle: [6] Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 26 INFRASTRUKTUR Verkehrsplanung samten regionalen KEP-Sendungsvolumen zusammengefasst werden. Auf Basis dieses Ansatzes lässt sich das KEP-Sendungsvolumen in beliebigen Städten in Deutschland robust und bei hoher Komplexität verlässlich regional aufteilen. Exemplarisch für die Stadt Düsseldorf werden in Tabelle 1 entsprechende ausgewählte Strukturkennziffern für das Jahr 2016 ausgewiesen. Unter Berücksichtigung der prognostizierten Marktentwicklung kann die Entwicklung bis zum Jahr 2021 nachvollzogen und quantifiziert werden. Dabei wird deutlich, dass in Düsseldorf mit einem Anstieg des Sendungsvolumens am KEP-Markt zu rechnen sein wird. Das bedeutet auch eine Zunahme der durchschnittlichen KEP-Sendungen pro Kopf und letztendlich eine Zunahme der eingesetzten Fahrzeuge. Handlungsdruck und -optionen für die Städte Das Beispiel Düsseldorf lässt erahnen, in welchem Ausmaß Kommunen hinsichtlich der Anpassungen und Neuausrichtungen logistischer Prozesse und Strukturen als Resultat der dynamischen Entwicklungen im Online-Handel vor die Bewältigung neuer verkehrlicher und städtebaulicher Herausforderungen gestellt sind. Zwar sind diese auch von den politischen Rahmensetzungen der Bundes- und Landesebene abhängig (z. B. Festsetzungen in den Landesentwicklungsprogrammen, Novellierung der Bauleitplanung oder Aufbau von Förderkulissen), allerdings lassen sich bereits heute potentialreiche Instrumente im Handlungsspielraum der Kommunen verorten, mit denen auf die neuen unterschiedlichen Problemlagen infolge des KEP-Markt-Booms reagiert werden kann. Aufgrund des dynamischen Marktes und der bestehenden Unsicherheiten zur Innovationsgeschwindigkeit sowie der Art und Richtung der Wirkungseffekte werden Entwicklungsräume zur Ausgestaltung aufgespannt, um proaktiv Anpassungsstrategien zur Vermeidung von unerwünschten Effekten zu entwickeln (Tabelle 2). Für die Stadt Düsseldorf liegt der größte Handlungsdruck bis zum Jahr 2021 in der Anpassung kommunaler Einzelhandelskonzepte, der Bereitstellung von Pick-up-Points und der Ausweisung von multifunktionalen Anlieferungsflächen in Wohngebieten. Darüber hinaus sollte auch ein besonderes Augenmerkt auf die Verbesserung der (Lasten-)Fahrradinfrastruktur und den Ausbau der Ladeinfrastrukturen für Elektromobilität gelegt werden. Flächen für autonome Zustellkonzepte können für die nächsten Jahre bis 2021 weiter im Experimentierstatus gesehen werden. Beispielhaft können für den Untersuchungsraum mehrere Handlungsoptionen umrissen werden: Die Umsetzung des Konzepts „Punkte-statt-Fläche“ [5] zielt auf die Entlastung der Wohnquartiere ab, die besonders stark vom wachsenden KEP-Markt betroffen sind - etwa durch die Zunahme lokal wirksamer Schadstoffemissionen durch Langzeitaufenthalte der Paketdienste, neuer „Stop-and-Go“-Verkehre sowie Nutzungskonflikte mit Anwohnern und dem fließenden Verkehr durch unerlaubtes Parken in zweiter Reihe oder auf den Gehwegen. Dies erfordert im Wesentlichen eine Neujustierung der städtischen Infrastrukturen durch die Installation von Pick-Up- Points in den Quartieren, mit denen Pakete nicht mehr direkt an der Tür des Empfängers abgegeben werden, sondern an einem zentralen Quartiersstandort und dort vom Endkunden oder durch „Quartiersverteiler“ selbst abgeholt oder verteilt werden; idealerweise zu Fuß, mit dem Rad oder leihbaren Lastenrädern/ -karren [7]. Unter Einbezug moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sind mit den Pick-Up-Points ernstzunehmende Alternativen zur Hauszustellung geschaffen, mit denen das prognostizierte Sendungswachstum auf der letzten Meile über Echtzeitinformationen effizienter abgewickelt und auch durch den Kunden noch gesteuert werden kann [8]. Inwiefern die Belieferung dieser Pick-up-Points verpflichtend gegenüber der Heimbelieferung sein sollte, ist im Einzelfall von den kommunalen Entscheidungsträgern zu prüfen. Solche Verpflichtungen könnten etwa durch temporäre Einfuhrverbote in die Wohnquartiere durchgesetzt werden, wobei nur die direkte Zufahrt zur jeweiligen Pick-up-Station ausgenommen wäre, bzw. durch reglementierte Lieferkonzessionen für die Quartiere geregelt werden. Entscheidend wird dabei sicherlich auch die Kundenpräferenz sein, wie flexibel die Warensendungen durch den Kunden via IKT gesteuert werden können und ob die Lieferkosten durch eine Anpassung der Infrastrukturen den Kunden weiter geben werden. Eine Bedeutungsverschiebung vom stationären Handel hin zum Online-Handel kann von den Kommunen als Chance gesehen werden, die Warenverteilung auf der letzten Meile ausnahmslos zu elektrifizieren. Während die Belieferung des stationären Einzelhandels sehr zentralisiert abläuft, steht bei der Endkundenbelieferung die stark fragmentierte letzte Meile im Fokus der Lieferprozesse. Lieferprozesse für den Stärke des Handlungsbedarfs Anpassung der kommunalen Einzelhandelskonzepte (u.a. Multichanneling) ++ Installation Pick-up Points ++ Anpassung & Ausbau der Radverkehrsinfrastrukturen + Anlieferungsflächen (Zentrum) ø/ + Anlieferungsflächen (Wohngebiet) ++ Elektromobilität und Ladeinfrastrukturen + Flächen für autonome Zustellkonzepte ø/ - ++ Hoher Handlungsbedarf; + Leichter Handlungsbedarf; ø Beobachtungsstatus und Testphasen; - Vorerst eher kein Handlungsbedarf Tabelle 2: Auswahl von Handlungsfeldern und -bedarfen zum Umgang mit dem „KEP-Markt-Boom“ am Beispiel Düsseldorfs für den Zeitraum 2016 bis 2021 Quelle: [5] Bild 3: Schematischer Vergleich von stationärem (links) und Online-Handel (rechts) Quelle: [5] Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 27 Verkehrsplanung INFRASTRUKTUR stationären Einzelhandel hingegen sind meist überregional in großen Warenmengen gebündelt. Die Kombination aus entfernungsintensiven Touren und hohen Gewichten erschwert den Einsatz elektrischer Antriebe, weshalb ihr Anteil bei LKWs von 3,5 bis 7,5 t im Jahr 2016 nahe Null lag. KEP- Dienste hingegen operieren von regionalen Logistikhubs aus und gliedern ihre Prozesse kleinteilig in lokalen Zustellbezirken (Bild- 3). Dadurch nehmen sowohl die Tourenlängen als auch die benötigte Nutzlast signifikant ab. Deshalb sind die Fahrzeuge sehr gut zur Elektrifizierung geeignet, wie etwa die Erfolgsgeschichte des StreetScooter und die zunehmenden Elektrifizierungs- Aktivitäten anderer Unternehmen belegen. Mit Blick auf die Rolle der Kommune lässt sich die Ausschöpfung dieses Potentials durch die derzeit viel diskutierten Restriktionen gegenüber Dieselfahrzeugen erheblich steigern. Neben elektrischen LKWs sind darüber hinaus Lasten-Pedelecs, Formen von Drohnen und innovative Konzepte wie autonom rollende Packstationen oder Zustellroboter als Alternativen zum dieselgetriebenen Lieferfahrzeug einsatzfähig. Schließlich gilt es mittels der Förderung von Konzepten des Cross- und Multi-Channeling, den derzeitigen Flächendruck auf die lokalen Einzelhandelsstrukturen zu entspannen, mit denen digitale und stationäre Einzelhandelsstrukturen einschließlich korrespondierender Logistikkonzepte harmonisiert werden [9]. Gegenläufige Entwicklungstrends einer steigenden Nachfrage von Lager- und Logistikflächen an den Massenmärkten dicht besiedelter Regionen auf der einen Seite und die sinkende Nachfrage nach stationären Einzelhandelsflächen auf der anderen müssen nicht als Bedrohung der kommunalen Einzelhandelsstrukturen begriffen werden. Ansätze wie die Große Emma in Meißen oder Online City Wuppertal (OCW) bieten geeignete Fallbeispiele, wie sich lokale Einzelhandelsstrukturen stärken lassen und alternative Vertriebswege über KEP-Dienste das Bedürfnis nach einer same-day-delivery (oder gar samehour-delivery) befriedigen können. Den Kommunen kommt hier eine entscheidende Handlungsmacht zu, indem sie solche Ansätze einschließlich der korrespondierenden Logistikansätze in die städtischen Einzelhandelskonzepte berücksichtigt. Schlussbetrachtung: Risiken und Chancen für Kommunen durch die neuen Entwicklungen im Online- Handel Der am Beispiel Düsseldorf skizzierte und perspektivisch deutlich steigende Handlungsdruck für die Städte verdeutlicht, dass künftig auf kommunaler Ebene innovative Lieferkonzepte Teil der strategischen Planung werden müssen. Einerseits verschärfen die derzeit noch fast ausschließlich dieselbasierten Lieferverkehre ohnehin bestehende Emissionsprobleme, andererseits bedroht die steigende Menge konventioneller Lieferfahrzeuge auch die Attraktivität und Funktionalität urbaner Gebiete. Altenburg, Esser, Wittwosky et al. haben die Vielfalt der möglichen Konzepte und Handlungsansätze in einer Best-Practice-Toolbox herausgearbeitet, mit deren Hilfe urbane Anpassungsstrategien entwickelt und letztendlich städtische Lieferverkehre konfliktfreier abgewickelt werden können [5]. Das Netzwerk „Verkehr in Städten“ hat sich zum Abschluss dieser Studie gegründet, da sich sehr schnell herausgestellt hat, dass sich die komplexen Herausforderungen durch den wachsenden Online-Handel vor dem Hintergrund der starken regionalen Heterogenität nicht monokausal lösen lassen, sondern im Zusammenspiel von Logistik- und Verkehrsexperten sowie Experten aus dem Bereich der Stadtentwicklung gemeinsam angegangen werden müssen. Eine Anpassung bestehender Lieferkonzepte hin zu schonenderen und konfliktärmeren Ansätzen auf kommunaler und lokaler Ebene kann nur durch einen gemeinsamen strategischen Prozess von Kommunen, Anliegern und Logistikbranche vor Ort initiiert werden. Das Netzwerk „Verkehr in Städten“ hat sich zum Ziel gesetzt, diese Prozesse zu begleiten und mit seiner Modellierungskompetenz zu unterstützen. Durch quantitative Abschätzungen dazu, welche positiven bzw. negativen Auswirkungen alternative Konzepte bezogen auf verkehrliche und städtebauliche Indikatoren haben würden, leistet das Netzwerk eine wichtige objektive Entscheidungshilfe für die Kommunen und Landkreise. ■ QUELLEN [1] LANUV - Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (2018): Schadstoffe. EU-Jahreskenngrößen. https: / / www.lanuv.nrw.de/ fileadmin/ lanuv/ luft/ immissionen/ ber_trend/ EU-Kenngroessen_2017-V-2018-03-13.pdf (Zugriff am 23.04.2018) [2] Bernsmann, A.; Clausen, U.; Heinrichmeyer, H.; Stütz, S. (2016): ZF- Zukunftsstudie. Die letzte Meile. Friedrichshafen, Stuttgart, Dortmund [3] Becker, E.; Gutknecht, K.; Hollbach-Grömig, B.; Zur Nedden, M.; Pätzold, R.; Stumpf, J.; Wotruba (2017): Online-Handel - Mögliche räumliche Auswirkungen auf Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren. BBSR-Online-Publikation Nr. 08/ 2017. Berlin [4] Jahn, M. (2015): Wandert die Verkaufsfläche vom POS ins Netz? GfK Prognose zum Verkaufsflächenbedarf der Warengruppen bis 2025. White Paper. Bruchsal [5] Altenburg, S.; Esser, K.; Wittowsky, D.; Kienzler, H.-P.; Kurte, J.; Groth, S; van der Vlugt, A.-L.; (2018): Verkehrlich-Städtebauliche Auswirkungen des Online-Handels. Endbericht des ExWoSt-Projekts im Auftrag des Bundesinstituts für Bau, Stadt- und Raumforschung und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Bonn/ Berlin. Demnächst verfügbar unter: http: / / www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ FP/ ExWoSt/ Studien/ 2015/ SmartCities/ SmartCities-VerkehrOnline/ 01_Start.html? nn=406060&docId= 1202310¬First=true [6] KE-CONSULT (2017): Wachstum über Grenzen hinweg, KEP-Studie 2017 - Analyse des Marktes in Deutschland, Marktstudie für den Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK). Köln [7] Morganti, E.; Dablanc, L.; Fortin, F. (2014): Final deliveries for online shopping. The deployment of pickup point networks in urban and suburban areas. In: Research in Transportation Business & Management 11, 23-31 [8] Suh, K.; Smith, T.; Linhoff, M. (2012): Leveraging socially networked mobile ICT platforms for the last-mile delivery problem. In: Environmental science & technology 46, 17, 9481-9490 [9] Jäger, R. (2016): Bedeutung von Multi-Channel-Konzepten für den Einzelhandel. In Jäger, R. (Hrsg.): Multi-Channel im stationären Einzelhandel. Ein Überblick. Wiesbaden, 11-24 Klaus Esser Geschäftsführer KE-CONSULT, Köln esser@ke-consult.de Sören Groth Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund soeren.groth@ils-forschung.de Judith Kurte Geschäftsführerin KE-CONSULT, Köln kurte@ke-consult.de Anna-Lena van der Vlugt Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund anna-lena.vlugt@ils-forschung.de Hans-Paul Kienzler Bereichsleiter Mobilität & Transport, Prognos AG, Düsseldorf hans-paul.kienzler@prognos.com Sven Altenburg Projektleiter und Ansprechpartner für Zukunftstechnologien im Verkehr, Prognos AG, Düsseldorf sven.altenburg@prognos.com Dirk Wittowsky, Dr.-Ing. Leiter der Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund dirk.wittowsky@ils-forschung.de Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 28 Entwicklung eines Kernnetzes für Oberleitungs-LKW Oberleitungs-LKW, Dekarbonisierung, Verkehrsmodellierung Der Beitrag befasst sich mit der modellgestützten Entwicklung eines Kernnetzes für den Einsatz von Oberleitungs-LKW (O-LKW) in Deutschland. Beschrieben werden die Ermittlung geeigneter Strecken sowie deren Verknüpfung zu einem denkbaren Netz. Auf Basis einer Rangliste von Netzabschnitten, die für eine Elektrifizierung besonders interessant erscheinen, werden dabei zwei verschiedene Ausbaustrategien und ein mögliches Zielnetz von rund 4250 km Länge vorgestellt sowie anhand verschiedener Kennzahlen (u. a. der Fahrleistung) vergleichend beurteilt. Tobias Bernecker, Markus Schubert, Florian Hacker, Gregor Nebauer, Sven Kühnel, Jens-Boysen D ie Klimaschutzziele erfordern auch im Verkehrssektor eine erhebliche Minderung der Treibhausgasemissionen. Insbesondere der Straßengüterverkehr steht diesbezüglich aus mehreren Gründen vor besonderen Herausforderungen. Zum einen ist selbst unter optimistischen Annahmen zu den Verlagerungspotenzialen von der Straße auf die Schiene davon auszugehen, dass auch in Zukunft der Straßengüterverkehr von großer Bedeutung bleiben bzw. sogar weiter an Marktanteilen gewinnen wird. Zum anderen zeigen Szenario-Analysen, dass die Optimierung konventioneller Antriebe bei schweren Nutzfahrzeugen die Treibhausgasemissionen nur unzureichend reduziert [1]. Daher sind andere Konzepte notwendig, um den Einsatz von erneuerbaren Energien und damit auch eine deutliche Minderung der Treibhausgasemissionen im Straßengüterfernverkehr auf möglichst effiziente Weise zu ermöglichen. Erste Analysen legen nahe, dass das Oberleitungshybrid-(OH-)LKW-System sowohl aus Energieeffizienzals auch aus Gesamtkostenperspektive Vorteile gegenüber anderen denkbaren alternativen Antriebsbzw. Energieversorgungstechnologien bei schweren Nutzfahrzeugen aufweist [2]. Die Einführung einer derartigen technologischen Alternative im Güterverkehr ist allerdings - auch vor dem Hintergrund des internationalen Logistik- Foto: Siemens INFRASTRUKTUR Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 29 Wissenschaft INFRASTRUKTUR markts und der erforderlichen umfassenden Investitionen in die Infrastruktur - mit längeren Planungszeiträumen verbunden. Um langfristig Alternativen für die Erreichung der Klimaziele zur Verfügung zu haben, muss die Technologie daher bereits frühzeitig erprobt und bis zur Marktreife weiterentwickelt werden. Im Rahmen des durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit geförderten Forschungsvorhabens StratON (Bewertung und Einführungsstrategien für oberleitungsgebundene schwere Nutzfahrzeuge) vertiefen die drei Verbundpartner Öko- Institut e.V., Hochschule Heilbronn und Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Zusammenarbeit mit der Intraplan Consult GmbH die Analysen zu möglichen technischen Auslegungen des Oberleitungs- LKW, unterziehen diese der ökologischen und ökonomischen Bewertung, untersuchen mögliche Netzentwicklungs- und Markteinführungsszenarien und diskutieren Geschäfts- und Finanzierungsmodelle. Ziel der verkehrswirtschaftlichen Untersuchungen im Projekt StratON ist dabei die modellgestützte Entwicklung eines Autobahn- Kernnetzes für den Einsatz von Oberleitungs-LKW in Deutschland, die Ermittlung der korrespondierenden Fahrleistung mit Oberleitungs-LKW (inkl. der Fahrtanteile im Vor- und Nachlauf ) sowie die Bestimmung der voraussichtlichen Fahrtenzahl mit Oberleitungs-LKW. Verkehrsmengengerüst 2050 Alle verkehrlichen Betrachtungen im Projekt StratON sollten auf einem bestehenden und anerkannten Datengerüst aufsetzen, um die Ergebnisse möglichst gut in bestehende Infrastrukturplanungen einordnen zu können. Als Ausgangspunkt wurde daher die Verflechtungsprognose 2030 [3] gewählt. Diese liegt u.a. dem Bundesverkehrswegeplan 2030 zugrunde. Das Jahr 2030 ist gleichzeitig das Prognosejahr. Da aber bis 2030 nicht mit der Fertigstellung eines eventuellen Oberleitungsnetzes auf den Autobahnen zu rechnen ist, war für das Projekt StratON eine längerfristige Perspektive erforderlich. Unter Bezugnahme auf klimapolitische Rahmenvorgaben [4] und andere langfristige Prognosen der Güterverkehrsentwicklung [5, 6] wurde daher das Jahr 2050 als Prognosejahr definiert. Das zur Berechnung eingesetzte Sensitivitätsmodell arbeitet auf der Basis von Quelle-Ziel-Matrizen, differenziert nach Gütergruppen. Die Fortschreibung der Verflechtungsprognose auf 2050 berücksichtigt dabei die Effekte verschiedener Einflussfaktoren auf die Relations- und Gütergruppenstruktur. Wo dies plausibel erschien bzw. wo nicht belastbare anderweitige Entwicklungen ableitbar waren, wurden die Annahmen der Verflechtungsprognose auf den Zeitraum bis 2050 fortgeschrieben. Dies gilt insbesondere für die Nutzerkosten und die Wirtschaftsentwicklung. Geänderte Annahmen für die Zeit nach 2030 wurden hingegen in Form neuerer Prognosen bzw. Vorausberechnungen zu Bevölkerung (zunehmende Migration), Erwerbstätigkeit (zunehmende Alterserwerbsquoten) und Ölpreis (moderaterer Anstieg) getroffen. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse dieser Fortschreibung. Die Ergebnisse sind im Summen-Eckwert 2050 weitgehend kompatibel mit [7]. Demnach ist im Jahr 2050 in Deutschland mit einer jährlichen gesamtmodalen Gütertransportleistung von rund eine Billion Tonnenkilometern (tkm), etwa 75 % mehr als 2010, zu rechnen. Diese Verkehrsmenge bzw. der Straßengüterverkehrsanteil hieraus, umgerechnet in Fahrzeugfahrten anhand eines am Istzustand kalibrierten Fahrzeugmodells, bildet das Gerüst für alle nachfolgend dargestellten Analysen in StratON. Fahrzeug- und Fahrtendefinition Anders als ein Diesel-LKW ist der Oberleitungs-LKW nicht freizügig auf dem Straßennetz einsetzbar. Der Oberleitungs-LKW muss zwar aufgrund des hybriden Antriebssystems - neben dem oberleitungselektrischen Antrieb ist auch ein konventioneller Antriebsstrang oder eine Traktionsbatterie im Fahrzeug vorhanden - nicht während der gesamten Fahrt eine Oberleitung (Fahrleitung) zur Energieversorgung zur Verfügung haben. Er kann bzw. sollte sich aber aus technischen und wirtschaftlichen Gründen auch nicht beliebig weit von der Oberleitung entfernen. Die maximal mögliche Entfernung hängt einerseits von der Antriebskonfiguration ab, sowie andererseits von der Größe der verbauten Energiespeicher. Für eine sinnvolle Netzkonfiguration ist zwischen diesen beiden Leistungsparametern der Fahrzeugkonfiguration einerseits und einer sinnvollen Oberleitungs-Netzdichte - und damit den Elektrifizierungskosten - andererseits ein Ausgleich erforderlich. Hieraus resultieren letztlich die im Projekt StratON definierten Fahrzeugkonzepte. Dabei wurde einerseits auf derzeit verfügbare batterieelektrische Fahrzeuge für den Schwerlastverkehr sowie deren Reichweiten Bezug genommen [8] sowie andererseits auf die erwartete Entwicklung der Batterietechnologie [9]. Mit rein batterieelektrischen Fahrzeugen sinnvoll durchführbare Transporte wurden in der Potenzialschätzung für das Oberleitungssystem ausgeklammert. Dies trifft auf rund 10 % der derzeitigen Mautfahrten zu [10]. Andererseits wurde eine achszahlbezogene Restriktion eingeführt. Bei elektrischen Fernverkehrs-LKW ist zur Einhaltung der Achslasten nach § 34 StVZO in aller Regel ein mindestens vierachsiges Fahrzeug bzw. Fahrzeugkombination (Gliederzug bzw. Sattelzug) erforderlich. Nur so kann eine ausreichende Nutzlast und damit die Wirtschaftlichkeit des Transports garantiert werden. Daher wurde auch hier ein entsprechender Filter gesetzt. Dieser führt 2010 2030 (BVWP) (Zuwachs ggü. 2010 in % p.a.) 2050 (Zuwachs ggü. 2010 in % p.a.) Transportaufkommen (Mio. t) Schiene 358,9 443, 7 1,1 528,3 1,0 Straße 3.116,1 3.639,1 0,8 4.533,0 0,9 Binnenschiff 229,6 275,6 0,9 305,4 0,7 Summe 3.704,7 4.358,4 0,8 5.366,7 0,9 Transportleistung (Mrd. tkm) Schiene 107,6 153,7 1,8 179,6 1,3 Straße 437,3 607,4 1,7 788,6 1,5 Binnenschiff 62,3 76,5 1,0 88,4 0,9 Summe 607,1 837,6 1,6 1.056,6 1,4 Tabelle 1: Verkehrsmengengerüst bis 2050 Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 30 INFRASTRUKTUR Wissenschaft ebenfalls zu Einschränkungen, da rund 90 % der mautpflichtigen Fahrleistung (d. h. Autobahnfahrten mit Nutzfahrzeugen ab 7,5 t zul. GG) mit Fahrzeugen ab vier-Achsen erbracht werden [11]. Zuletzt sind Festlegungen zum Vor- und Nachlauf zu treffen. Unter „Vor- und Nachlauf“ werden dabei alle Verkehre vor bzw. nach der elektrifizierten Strecke verstanden. Vor- und Nachläufe können im nachgeordneten Straßennetz stattfinden, aber auch über Autobahnen führen. Auch grenzüberschreitende Verkehre sind möglich. Die Vor- und Nachläufe wurden dabei im Projekt in zwei Konfigurationen untersucht: • Eine Höchst-Fahrtweite (einfache Fahrt) von bis zu 100 km im Vorbzw. Nachlauf, sodass bei einem paarigen Pendelverkehr nach 200 km wieder ein Oberleitungsabschnitt erreicht wird. Diese Reichweite kann mit batterieelektrischen Oberleitungsfahrzeugen erbracht werden, ohne ein Batteriegewicht von rund 2 t zu überschreiten. • Eine Höchst-Fahrtweite (einfache Fahrt) von 250 km im Vor- und Nachlauf, sodass bei einem paarigen Pendelverkehr nach 500 km wieder ein Oberleitungsabschnitt erreicht wird. Dies ist in jedem Fall mit einem dieselhybridisierten Fahrzeug möglich. Wenn am Zielort eine Lademöglichkeit und ausreichend Zeit zur Batterienachladung vorhanden ist, kann solch eine Strecke auch mit batterieelektrischen Oberleitungsfahrzeugen zurückgelegt werden. Es wird zudem erwartet, dass das Batteriegewicht eines Fahrzeugs mit 250 km elektrischer Reichweite bis zum Jahr 2025 auf ca. 2 t spürbar sinkt. Identifizierung geeigneter Strecken Die Auswahl eines Streckenabschnitts zur Elektrifizierung bedeutet nicht, dass die entsprechende Strecke zu 100 % mit Fahrdraht überspannt werden muss. Vielmehr sind Lücken denkbar, z. B. an Ein- und Ausfahrten, Tunneln und Brücken oder bei besonders sensiblen Streckenabschnitten. Die im Projekt durchgeführten Analysen sowie eine Bewertung der Ergebnisse im Rahmen eines Experten- Workshops haben ergeben, dass der Elektrifizierungsgrad nicht unter 50 % liegen und die Elektrifizierungslücken nicht zu lang sein sollten (max. 10 bis 20 km), da andernfalls die Batterien der Oberleitungsfahrzeuge zu stark beansprucht werden. Je höher der Elektrifizierungsanteil ausfällt und je kürzer die Lücken sind, desto geringer sind die Beanspruchung und die Anforderungen an die Batterien, die dann ggf. kleiner und kostengünstiger ausgelegt werden können oder weniger oft getauscht werden müssen. Gleichzeitig kann die Oberleitung kostengünstiger dimensioniert werden. Ab etwa 90 % Elektrifizierungsgrad (bezogen auf die Streckenlänge) sind nahezu keine Einschränkungen mehr gegenüber einer durchgehenden Elektrifizierung zu erwarten. Ziel des Projektes StratON ist es, diejenigen Strecken bzw. Netzabschnitte zu identifizieren, auf denen die meisten Fahrten mit Oberleitungs-LKW zu erwarten sind. Anders als bei den derzeit in Bau befindlichen Oberleitungs-Teststrecken in Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein, werden die Auswahlstrecken also modellbasiert nach verkehrlichen Aspekten definiert. Die Streckenvorauswahl erfolgte dabei nach folgenden Kriterien: (1) Mindestlänge: Die Strecken sollten jeweils möglichst rund 200 km lang sein. Dies entspricht etwa der Entfernung der großen Wirtschaftsräume in Deutschland untereinander. Gleichzeitig spiegelt diese Restriktion die Reichweite batterieelektrischer Fahrzeuge wider. Ein Oberleitungssystem muss auf größere Distanzen ausgelegt sein, um hier eine sinnvolle Abgrenzung zu schaffen. (2)Fernverkehrsbedeutung: Die Strecken sollen hohe Verkehrsbelastungen aufweisen und vor allem dem Fernverkehr dienen. Im Hinblick auf Kapazitätsmöglichkeiten sollen sie den Charakter einer Magistrale haben. Daher sind vor allem die Fernautobahnen A 1 bis A 9 relevant. (3) Homogenität: Der Verkehr soll eine klare Verkehrsrichtung haben bzw. größtenteils die Gesamtstrecke befahren. Eine Autobahn im Rhein-Ruhr-Raum oder eine Ringautobahn wie z.B. die A 10 oder eine städtische Autobahn wie die A 100 sind daher weniger geeignet, weil Fahrten häufig nur über relativ kurze Teilabschnitte führen. (4)Konkurrenz zur Bahn: Abschnitte, bei denen eine nennenswerte zusätzliche Verlagerung von Güterverkehren auf die Schiene nur durch schwer realisierbare, derzeit nicht im Vordringlichen Bedarf des BVWP enthaltene Neubaumaßnahmen im Schienennetz möglich wäre, sind für Oberleitungsabschnitte auf der Autobahn besonders geeignet (z.B. Frankfurt- Würzburg - Nürnberg - Passau). (5) Erweiterungsmöglichkeiten: Die Strecken sollen im Sinne von Verkehrskorridoren erweiterbar sein (d.h. zumindest perspektivisch keine Insellösungen darstellen), um sie für langlaufende und durchgängige Verkehre möglichst attraktiv zu machen. Nr. BAB von nach Länge [km] Brücken Tunnel Auswahlstrecken 1 A1 Hamburg Dortmund 287 108 0 2 A7 Hamburg Kassel 287 125 0 3 A61 Köln Mannheim 261 126 1 4 A8 Stuttgart München 203 94 7 5 A9 Nürnberg München 152 70 0 6 A5 Karlsruhe Basel 186 79 0 7 A24 Hamburg Berlin 227 36 0 8 A6 Heidelberg Nürnberg 204 138 0 9 A3 Nürnberg Passau 226 102 0 10 A2 Dortmund Hannover 197 109 0 11 A2 Hannover Berlin 231 132 1 12 A3 Köln Frankfurt 171 88 1 13 A3 Frankfurt Nürnberg 231 95 3 14 A9 Berlin Hermsdorf 186 69 1 15 A9 Hermsdorf Nürnberg 185 88 1 16 A4 Bad Hersfeld Hermsdorf 181 109 2 17 A7 Kassel Würzburg 205 86 2 Summe Auswahlstrecken 3.620 1.654 19 Tabelle 2: Identifizierte Auswahlstrecken Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 31 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Mit diesem Verfahren wurde das gesamte deutsche Autobahnnetz analysiert. Im Ergebnis resultieren hieraus 17 Streckenabschnitte auf den Autobahnen A 1 bis A-9, der A 24 und der A 61, die gemeinsam ein Kernnetz von 3620 km bilden (siehe Tabelle 2). Dies entspricht rund 28 % der Länge des derzeitigen Autobahnnetzes. Die auf das Jahr 2050 fortgeschriebenen Quelle-Ziel- Matrizen wurden zunächst auf das Verkehrsnetz zur Darstellung des gesamten Straßengüterverkehrs mit LKW größer 3,5 t zul. GG umgelegt. In einer zweiten Umlegung wurden anschließend nur die schweren LKW ab vier Achsen, die im Fernverkehr mindestens 100 km zwischen Quelle und Ziel unterwegs sind, im durchschnittlich täglichen Verkehr an Werktagen dargestellt. Mittels einer sogenannten Strombündelanalyse wurden aus diesem Segment im nächsten Schritt diejenigen Fahrten extrahiert, die zwischen zwei mindestens 100- km voneinander entfernt liegenden Knoten auf einer Auswahlstrecke verkehren. Bei den häufig vorkommenden Mehrfacherfassungen war bei ein und derselben Quelle-Ziel-Relation im Verfahren immer diejenige Fahrt maßgeblich, mit der die längste Entfernung auf einer Auswahlstrecke erfasst wird. Aus dieser Entfernung und der Anzahl der LKW-Fahrten wurde die Verkehrsleistung im Hauptlauf berechnet, aus den ermittelten Entfernungen im nicht elektrifizierten Straßennetz von der Quelle bis zur Auswahlstrecke bzw. von der Auswahlstrecke bis zum Ziel der Fahrt die Verkehrsleistungen im Vorbzw. Nachlauf. In Tabelle 3 ist das Ergebnis der Strombündelanalyse beispielhaft für die A 1 zwischen Dortmund (Kamener Kreuz) und Hamburg (Buchholzer Dreieck) dargestellt. Aus den Ergebnissen der Strombündelanalyse nach Tabelle 3 ergibt sich bei Begrenzung des Vor- und Nachlaufs zur elektrifizierten Strecke • auf maximal 100 km (in Tabelle 3 grün hinterlegt) eine zu erwartende Tages-Fahrleistung mit Oberleitungs- LKW von 1 534 608 km (darunter 1 070 680 km auf- dem elektrifizierten Autobahnabschnitt) bzw. 5631-Fahrten, • auf maximal 250 km (in Tabelle 3 grün und gelb hinterlegt) eine zu erwartende Tages-Fahrleistung mit Oberleitungs-LKW von 4 145 021 km (darunter 2 367 684 km auf dem elektrifizierten Autobahnabschnitt) bzw. 11 782 Fahrten. Die unter rein verkehrlichen Gesichtspunkten definierten 17 Auswahlstrecken führen in der Summe bereits zu einem relativ guten Netz; dennoch wurden in der Folge noch einzelne Lückenschlüsse ergänzt, um den Netzcharakter weiter zu stärken. So wurde das Netz z.B. um die A 5 Kassel - Karlsruhe, den Berliner Außenring (A-10) oder die A 39 als Querspange zwischen A 2 und A-7 über Braunschweig und Salzgitter erweitert (siehe Tabelle 4). Vorlauf Hauptlauf Nachlauf Gesamt Entfernungsklasse [LKW-km/ d] [LKW-km/ d] Entfernungsklasse [LKW-km/ d] [Fahrten/ d] [LKW-km/ d] bis 100 km 235.141 1.070.680 bis 100 km 228.787 5.631 1.534.608 bis 100 km 103.964 486.307 101-250 km 379.971 2.482 970.242 bis 100 km 97.616 471.367 ab 251 km 1.543.641 2.258 2.112.624 101-250 km 438.782 584.125 bis 100 km 108.641 2.740 1.131.548 101-250 km 140.461 226.572 101-250 km 141.590 929 508.623 101-250 km 172.624 296.375 ab 251 km 762871 1.074 1.231.870 ab 251 km 1.075.438 392.466 bis 100 km 74.346 1.926 1.542.250 ab 251 km 490.405 224.469 101-250 km 128.850 823 843.724 ab 251 km 456.011 135.117 ab 251 km 327.395 471 918.523 alle Klassen 3.210.442 3.887.478 alle Klassen 3.696.092 18.334 10.794.012 Tabelle 3: Ergebnis der Strombündelanalyse am Beispiel der A 1 Hamburg-Dortmund Sattelzug mit abgezogenem Stromabnehmer auf der ENUBA-Teststrecke Groß-Dölln Foto: Thomas Bernecker Derselbe Sattelzug mit angelegtem Stromabnehmer Foto: Thomas Bernecker Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 32 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Im Ergebnis ergibt sich mit den Netzergänzungen ein Oberleitungs-Kernnetz von 4264 km. Dies entspricht rund 33 % des derzeitigen Autobahnnetzes. Das modellbasiert entwickelte Kernnetz für den Oberleitungs-LKW weist damit in etwa die Länge auf, wie sie auch in den Vorstudien definiert wurde [12]. Szenarien der Netzentwicklung Um abzuschätzen, wie rasch sich beim Übergang von der Realisierung einzelner Streckenabschnitte zu einem Oberleitungs-Netz entsprechende Netzeffekte ergeben, und um zu definieren, nach welchen Kriterien das Netz entwickelt werden sollte, wurde neben dem Gesamtnetz auch ein Zwischenausbaustand einer näheren Analyse unterzogen. Dabei wurden alternativ zueinander zwei unterschiedliche Varianten betrachtet, die jeweils in etwa die gleiche Kilometerlänge (rund 750 km) aufweisen, nämlich • die Achse Hamburg - Hannover - Kassel - Würzburg - Nürnberg - München (A 7 / A 3 / A 9) • ein Stern rund um Hannover aus den Strecken Hamburg - Kassel (A 7), Dortmund - Berlin (A 2) und der A 39 als Verbindung zwischen A 2 und A 7. Für alle vier näher betrachteten Netzausbauzustände wurden über das Verkehrsmodell die erwartete Tagesfahrleistung mit Oberleitungs-LKW die Anzahl der Fahrten sowie der Fahrleistungsanteil am prognostizierten Gesamtverkehr mit Fernverkehrs-LKW in Deutschland 2050 (59,2 Mrd. km) [13] ermittelt und ausgewiesen (siehe Bild 1). Diskussion und Fazit Eine vergleichbare modellbasierte Entwicklung eines Oberleitungs-Netzes für die deutschen Autobahnen wurde bislang nicht durchgeführt. Insofern beschreiten die Ergebnisse hier Neuland. Damit verbunden ist eine Reihe in dieser Form bislang noch nicht diskutierter Erkenntnisse: • Das Zielnetz enthält viele der im Schwerlastverkehr insgesamt am stärksten belasteten Autobahnen in Deutschland [14] und ist auch dem Vorab-Netz ENUBA [15] nicht unähnlich. Es ist mit diesem aber auch nicht identisch. So fehlen im Zielnetz z. B. aufgrund der Ausklammerung einer grenzüberschreitenden Elektrifizierung die stark belastete A 8 südöstlich von München und die A 4 in Richtung Dresden; gegenüber dem ENUBA-Netz ist u.a. die A 44 Ruhrgebiet - Kassel nicht enthalten. Umgekehrt ist z. B. die im ENUBA-Netz nicht enthaltene und auch nicht mit übermäßig hohen Schwerverkehrsanteilen belastete Pfad A : Achse „Hamburg-München“ Pfad B : Stern „rund um Hannover“ Strecke „Hamburg-Kassel“ Elektrifizierung 287 km Tagesfahrleistung BAB 0,6 Mio. km (100 km) 1,6 Mio. km (250 km) Fahrten 3.600 (100 km) 9.000 (250 km) Fahrleistungsanteil D 0,5 % (100 km) 1,6 % (250 km) Netz „Kernnetz BAB“ Elektrifizierung 4.264 km Tagesfahrleistung BAB 23,0 Mio. km (100 km) 35,7 Mio. km (250 km) Fahrten 89.600 (100 km) 132.500 (250 km) Fahrleistungsanteil D 14,2 % (100 km) 25,6 % (250 km) Elektrifizierung 747 km Tagesfahrleistung BAB 2,4 Mio. km (100 km) 5,0 Mio. km (250 km) Fahrten 11.600 (100 km) 22.800 (250 km) Fahrleistungsanteil D 1,6 % (100 km) 4,3 % (250 km) Elektrifizierung 745 km Tagesfahrleistung BAB 1,9 Mio. km (100 km) 4,8 Mio. km (250 km) Fahrten 9.200 (100 km) 22.600 (250 km) Fahrleistungsanteil D 1,3 % (100 km) 4,2 % (250 km) Pilot Zwischenausbauzustand Zielnetz Bild 1: Pfade und Kennzahlen der Netzentwicklung Nr. BAB von nach Länge [km] Brücken Tunnel Summe Auswahlstrecken (aus Tabelle 2) 3.620 1.654 19 Netzergänzungen E1 A1 Kamener Kreuz/ A1 Dreieck Erfttal/ A61 121 25 3 E2 A1 Buchholzer Dreieck/ A1 Kreuz Hamburg- Ost/ A24 38 7 1 E3 A5 Hattenbacher Dreieck/ A7 Dreieck Karlsruhe/ A5 256 27 0 E4 A8 Dreieck Karlsruhe/ A5 Kreuz Stuttgart/ A8 60 11 0 E5 A10 Dreieck Havelland/ A24 Dreieck Werder/ A2 47 6 0 E6 A39 Kreuz Wolfsburg/ Königslutter/ A2 Dreieck Salzgitter/ A7 50 10 2 E7 A60/ A67 Dreieck Nahetal/ A61 Mönchhof- Dreieck/ A3 54 4 1 E8 A99 Kreuz München West/ A8 Kreuz München Nord/ A9 18 3 1 Summe Netzergänzungen 644 93 8 Summe 4.264 1.747 27 Tabelle 4: Netzergänzungen Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 33 Wissenschaft INFRASTRUKTUR A 24 Teil des hier identifizierten Netzes, da dort ein hohes Potenzial für den Oberleitungs-LKW ermittelt werden konnte. • Die beiden untersuchten Zwischenausbauzustände sind einander relativ ähnlich. Die Teilnetzbildung „rund um Hannover“ zeigt allerdings das frühere Auftreten von Netzwirkungen: Die Fahrleistung mit Oberleitungs-LKW liegt bei Begrenzung des Vor- und Nachlaufs auf 100 km um rund 26 % über der entsprechenden Fahrleistung bei Elektrifizierung der nach Kilometern nahezu gleich langen Achse Hamburg- München. Bei Ausweitung der Vor- und Nachläufe auf 250 km liegt der Unterschiede zwischen den beiden Varianten hingegen nur bei rund 4 %, da sich durch die Ausweitung des Vor- und Nachlaufs die Freizügigkeit im Einsatz der Fahrzeuge in der Fläche spürbar verbessert. • Die maximal erreichbaren Fahrleistungsanteile zeigen deutlich die Restriktionen, die sich aus dem Fehlen grenzüberschreitender Abschnitte ergeben. Bei einer vollständigen Realisierung des Zielnetzes lassen sich aber dennoch mehr als 25 % der Gesamtfahrleistung mit Glieder- und Sattelzügen in Deutschland grundsätzlich auf Oberleitungs-LKW umstellen. • Weiteres erhebliches Potenzial ergibt sich aus Regionalverkehren. Diese werden hier zwar nicht als ausschlaggebend für die Errichtung einer Oberleitung (und damit auch für die Frage der grundsätzlichen Refinanzierbarkeit der getätigten Investition) berücksichtigt, bieten aber doch für zahlreiche weitere Fahrten die Möglichkeit zur Umstellung. • Mit der Modellierung nicht eindeutig zu beantworten ist die Frage, mit welcher Anzahl an Fahrzeugen letztlich zu rechnen ist. Zwar liefert die Fahrtenzahl hier einen ersten Anhaltspunkt. Erst die Einbeziehung logistischer Produktionskonzepte und -grundsätze gibt aber z. B. Auskunft über die tägliche Einsatzzeit eines Fahrzeugs und damit die Anzahl der Fahrten, über die die notwendigen Reserven und über Fahrtketten, bei denen ein Transport mit mehreren Fahrzeugen durchgeführt wird, wie es z. B. im Systemverkehr üblich ist. Mit der modellbasierten Abschätzung der Fahrtenzahlen und der Fahrleistungen liegt eine wesentliche Planungsgrundlage für weitergehende Untersuchungen des Oberleitungs-LKW unter Nachhaltigkeitsaspekten vor. Diese werden u.a. im Projekt StratON durchgeführt. Insbesondere sollen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen vorgenommen und hieraus Vorschläge für Geschäftsmodelle entwickelt werden. Zudem ist eine vergleichende Bilanzierung von Treibhausgasemissionen geplant. Mit diesen Folgearbeiten dienen die Ergebnisse auch als wichtige Größe, um Querbezüge zwischen der Begleitforschung zum Oberleitungs-LKW und den Realversuchen auf den drei Teststrecken herzustellen. ■ QUELLEN [1] Öko-Institut / DLR / IFEU / INFAS (2016 a): Renewbility III - Optionen einer Dekarbonisierung des Verkehrssektors, Berlin. [2] Öko-Institut / DVGW-EBI / INFRAS (2016 b): Erarbeitung einer fachlichen Strategie zur Energieversorgung des Verkehrs bis zum Jahr 2050, UBA-FB 002396, Dessau-Rosslau. [3] ITP/ BVU (2014): Verkehrsverflechtungsprognose 2030 - Los 3: Erstellung der Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen unter Berücksichtigung des Luftverkehrs, München/ Freiburg. [4] BMUB (2016): Klimaschutzplan 2050, Berlin. [5] PROGTRANS (2007): Abschätzung der langfristigen Entwicklung des Güterverkehrs in Deutschland bis 2050, Basel. [6 IFEU / INFRAS / LBST (2016): Klimaschutzbeitrag des Verkehrs bis 2050, UBA-FB 002355, Dessau-Rosslau. [7] IFEU / INFRAS / LBST (2016): Klimaschutzbeitrag des Verkehrs bis 2050, UBA-FB 002355, Dessau-Rosslau, S. 161. [8] Moultak, M et al. (2017): Transitioning to zero-emission heavy-duty freight vehicles. International Council on Clean Transportation (ICCT). Washington DC (White Paper), S. 45. [9] Fraunhofer ISI / Fraunhofer ICT (2017): Energiespeicher-Roadmap (Update 2017). Hochenergie-Batterien 2030+ und Perspektiven zukünftiger Batterietechnologien, Karlsruhe. [10] BAG (2016): Mautstatistik - Jahrestabellen 2016, S. 52. [11] BAG (2017): Mautstatistik - Jahrestabellen 2017, S. 44. [12] Siemens / TU Dresden / DLR (2015): ENUBA 2 - Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen, Abschlussbericht, Erlangen et al. S.-31. [13] Eigene Hochrechnung auf der Basis von: IVT / DLR (2017): Fahrleistungserhebung 2014, BASt-Berichte V 291, S. 69 f. [14] BASt (2015): Manuelle Straßenverkehrszählung 2015, Ergebnisse für den Schwerlastverkehr: Übersichtskarte, Bergisch-Gladbach. [15] Siemens / TU Dresden / DLR (2015): ENUBA 2 - Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen, Abschlussbericht, Erlangen et al.. S.-40. Jens Boysen Hochschule Heilbronn jens.boysen@hs-heilbronn.de Sven Kühnel Öko-Institut e.V., Berlin s.kuehnel@oeko.de Tobias Bernecker, Prof. Dr. Hochschule Heilbronn tobias.bernecker@hs-heilbronn.de Gregor Nebauer Intraplan Consult GmbH, München gregor.nebauer@intraplan.de Florian Hacker Öko-Institut e.V., Berlin f.hacker@oeko.de Markus Schubert, Dr. Intraplan Consult GmbH, München markus.schubert@intraplan.de Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 34 LOGISTIK Letzte Meile Low Carbon Logistics Nachhaltige Logistiklösungen für die letzte Meile in Klein- und Mittelstädten Güterverkehr, Best Practices, KEP-Dienste, Beratungsangebote, Green Policy Instruments Die Versorgung mit Gütern ist eine Grundlage unserer Lebensqualität und Voraussetzung von Wirtschaftswachstum. Hingegen ist der stetig wachsende Güterverkehr schon heute für sieben Prozent des gesamten CO 2 -Ausstoßes verantwortlich. Dies betrifft besonders die Innenstädte - auch die von kleineren Städten. Daher erarbeitet das EU-Projekt Low Carbon Logistics innovative Logistiklösungen, um den Güterverkehr in kleinen und mittleren Städten nachhaltiger und effizienter zu gestalten. Dazu werden länderübergreifend verschiedene Konzepte in fünf Modellstädten erprobt und Beratungsangebote entwickelt. Clemens Weiss, Clara Burzlaff D er Güterverkehr in Deutschland hat in den vergangenen Jahren aufgrund der steigenden Wirtschaftskraft und zunehmender globaler Handelsbeziehungen stetig zugenommen. Dies spiegelt sich auch in einer kontinuierlichen Zunahme der innerstädtischen Paketzustellung und der Anzahl verschiedener Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP-Dienste) wieder. Durch den überproportionalen Anstieg des Online- Handels wird dieses Phänomen zusätzlich verstärkt - Tendenz weiter steigend. Metropolen sind hiervon besonders stark betroffen, aber auch in touristisch geprägten Kleinstädten wird der Güterverkehr dann zum Problem, wenn Touristen sich durch den zunehmenden Frachtverkehr gestört fühlen und fernbleiben. Dazu droht als Folge negativer Umweltwirkungen wie Lärm und Luftschadstoffen die Gefahr, dass Prä_ dikate wie Kur- oder Heilbad entzogen werden. Der Bund hat nur indirekt Einfluss auf die Entwicklung des stetig wachsenden Güteraufkommens, da die Zuständigkeit für innerstädtischen Verkehr auf regionaler Ebene verankert ist. Entsprechend sind die Stadtverwaltungen aufgefordert, sich dieser Problematik zu widmen. Dabei muss zudem der Herausforderung nachgekommen werden, die Klimaziele sowie die Ziele zur Reduzierung der Treibhausgas- und Schadstoffemissionen zu erreichen. So soll zum Beispiel laut der EU-Kommission der innerstädtische Verkehr bis 2050 europaweit CO 2 -neutral sein [1]. Dies ist eine immense Aufgabe, da der Güterverkehr bereits heute 30 % des verkehrsbedingten CO 2 -Ausstoßes ausmacht [2]. Laut eines Berichts des International Trade Forums könnte bis zum Jahr 2050 eine fast vierfache Steigerung des Güterverkehrs stattfinden [2], was die Klimaschutzziele, bei nicht CO 2 -neutraler Ausgestaltung, unterminieren würde. Zusammengefasst sind die Städte also dazu angehalten, nachhaltige Logistiklösungen für die Transportinfrastruktur zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund erforscht das EU-Projekt Low Carbon Logistics (LCL) innovative Logistiklösungen, um den Güterverkehr in Klein- und Mittelstädten umweltfreundlicher und effizienter zu gestalten. Fünf Pilotstädte für grüne Logistiklösungen In dem EU-Projekt arbeiten Partner aus Schweden, Deutschland, Litauen und Polen grenzüberschreitend an Konzepten, Visionen, Logistiklösungen, Beratungsangeboten und Evaluierungsmethoden. Ein Ziel des Projekts ist es, konkrete Maßnahmen in Pilotstädten zu implementieren. Hierfür wurde ein „Zehn-Schritte-Programm“ entwickelt, das in den Pilotstädten erstmals angewendet wird (Bild 1). Dieses Programm soll auch weitere Gemeinden und Unternehmen dabei unterstützen, CO 2 -arme Logistiklösungen umzusetzen. Für die Implementierung der verschiedenen Logistiklösungen wurde der Projektfokus auf die letzte Meile in Klein- und Mittelstädte gesetzt. Maßnahmen, um den Güterverkehr in Städten zu optimieren, konzentrieren sich bisher überwiegend auf die Großstädte. Low Carbon Logistics zeigt dahingegen Potenziale und Möglichkeiten auf, die auch in den kleineren Städten des südlichen Ostseeraums vorhanden sind. So soll in der schwedischen Kommune Olofström die Warenlieferung für ein angrenzendes Gewerbegebiet in einem Distribution Center (DC) am Stadtrand konsolidiert werden, um den Durchgangsverkehr in der Stadt zu reduzieren. Die polnische LCL-Pilotstadt Stargard strebt ebenfalls die konsolidierte Lieferung mit einem DC an öffentliche Einrichtungen an. Im litauischen Rietavas erhalten Institutionen ihre Waren - vor allem Lebensmittel - von lokalen Lieferanten, die unkoordiniert und gesondert in der Kleinstadt ausliefern. Ziel ist es hier, ein Distributionssystem aufzubauen, das die Waren gezielt von den Erzeugern mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln abholt und in der Stadt ausliefert. Eine weitere litauische LCL-Region befindet sich mit der Kommune Neringa auf der kurischen Nehrung. Um die Region CO 2 -neutral zu gestalten, soll ein „Sustainable Mobilty Strategic Plan“ erarbeitet werden, der die Grundlage für anschließende Maßnahmen und Umsetzungen bildet. In der deutschen Pilotstadt Bad Doberan, eine mecklenburgische Kleinstadt an der Ostseeküste, wird sich auf die umweltfreundliche Paketzustellung durch die KEP-Dienste konzentriert. Dieses Konzept soll folgend in diesem Beitrag näher betrachtet werden. KEP-Dienste in Kleinstädten Der Onlinehandel hat unser Kaufverhalten verändert und einen Boom der Paketzustellung ausgelöst. Dabei bestellen nicht nur Privatkunden (Business-to-Consumer, B2C) immer häufiger online über das Internet, sondern auch der Einzelhandel (Businessto-Business, B2B), der anstatt teurer Lagerflächen immer mehr auf kleinteilige just-in- Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 35 Letzte Meile LOGISTIK time Warenlieferung durch die KEP-Dienste setzt. Insgesamt haben diese Entwicklungen zu einem stark wachsenden Anstieg der KEP-Sendungen geführt und Prognosen sprechen der Branche auch zukünftig ein überdurchschnittliches Wachstum zu [3]. Damit stehen die Logistikdienstleister vor der Herausforderung, die immer größer werdenden Paketmengen in den ohnehin schon überfüllten Innenstädten fristgerecht zuzustellen. Es gibt kaum Plätze, an denen ein Transporter halten kann, ohne den fließenden Verkehr zu behindern. Zudem erschweren Lieferzeitbeschränkungen in Fußgängerzonen die Anlieferungen im B2B-Segment. Die sogenannte „Letzte Meile“ wird zur Achillesferse in der sonst so optimierten Logistikkette und verursacht neben den Umweltbelastungen ca. 50 % der Logistikkosten bei der Paketzustellung [4]. Die KEP-Dienste haben sich diesem Problem angenommen und bereits einige nachhaltige Lösungen entwickelt, die hauptsächlich in Großstädten getestet werden, da hier der Druck am größten ist (vgl. [5]). Aber auch in der LCL-Pilotstadt Bad Doberan führt die Paketzustellung neben Schadstoff- und Lärmbelastungen, die für das Prädikat Heilbad in einer Kleinstadt nicht zu unterschätzen sind, zu verkehrlichen Engpässen. In der sehr touristisch geprägten Innenstadt erschwert zudem eine im Sommer hochfrequentierte Einkaufsstraße, in der sich zwei Drittel des Einzelhandels der Stadt befinden, die Warenanlieferung. Im Projekt Low Carbon Logistics wird der Fokus der KEP-Dienste nun erstmals auf eine Kleinstadt gerichtet, um zu zeigen, dass die grünen Logistiklösungen nicht nur in Großstädten funktionieren. Zusammen mit dem Paketdienst UPS wurde das „Hamburger Modell“ [6] für eine Kleinstadt weiterentwickelt: Ein Mikro-Depot dient auf einem stadteigenen Parkplatz zum einen als Stellplatz für ein Lastenrad und zum anderen als Umschlagspunkt. Die Pakete werden vom zentralen Depot nach Bad Doberan gefahren und dort direkt in das Lastenrad sowie in das Mikro-Depot umgeladen. Der Transporter aus dem Depot fährt anschließend weiter ins Umland und die Pakete für die Bad Doberaner Innenstadt werden nun mit dem Lastenrad zugestellt. Die Position des Lastenradfahrers bekleidet ein lokaler Anwohner, der somit ausschließlich für die Paketzustellung auf der letzten Meile zuständig ist. Dieses Modell eröffnet in Zeiten des Fahrermangels neue Möglichkeiten, da das Personal keine Fahrerlaubnis benötigt und in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern die großen Entfernungen zum zentralen Depot entfallen. Neben UPS hat sich auch der Paketdienst DPD dem Projekt angeschlossen und setzt bei der Belieferung der Innenstadt auf klassische Sackkarren. Dabei werden die Transporter sternförmig an der Grenze der Innenstadt geparkt und die Pakete von dort ausgeliefert. Für dieses Modell ist zunächst eine Testphase angesetzt, da sich die Laufarbeit deutlich erhöhen wird. Durch die wegfallende Parkplatzsuche wird dennoch mit einem Zeitvorteil bei der Zustellung gerechnet. Zudem stellt diese Form der Belieferung keine Anforderungen an lieferbeschränkte Fußgängerzonen, für die die VERBRAUCHERVERHALTEN 5a UND VERSORGUNGSMODI E-Commerce, Verbrauchsintensität, Art der Waren und Dienstleistungen sowie die Art ihrer Versorgung. LIEFERUNGSMODUS FÜR WAREN 5b ÖFFENTLICHE EINRICHTUNGEN Verbrauchsintensität, Art der Waren und Dienstleistungen sowie die Art ihrer Versorgung. UND DIENSTLEISTUNGEN FÜR ENTWICKLUNG Entwicklung neuer Versorgungs- und Vertriebssysteme, Optimierung von Routen und Auswahl geeigneter umweltfreundlicher Fahrzeuge. 6 IMPLEMENTIERUNG Einführung neuer Versorgungs- und Vertriebssysteme mit optimierten Routen und geeigneten umweltfreundlichen Fahrzeugen. 7 MONITORING der durchgeführten Maßnahmen anhand definierter Kriterien. 8 BEWERTUNG 9 ANPASSUNG der angewandten Maßnahmen zur Verbesserung kohlenstoffarmer Logistiklösungen. 10 der Monitoringergebnisse. DEFINITION VON UMFANG UND REGIONALEN MERKMALEN Topographie, klimatische Bedingungen, Flächengröße, Art und Schutzstatus (z. B. Naturschutzgebiete) und ihre entsprechenden Auswirkungen auf die Verkehrsinfrastruktur. 1 BEWERTUNG: VORHANDENE INFRASTRUKTUR UND VERNETZUNG 2 Verkehrsinfrastruktur: Straßen, Radwege, Zufahrtsstraßen, Brücken. Logistikinfrastruktur: Logistikzentren, Distributionszentren, Lager, Waren- und Frachtkonsolidierung/ Dekonsolidierungsterminals, Anzahl der Servicepunkte. BESTIMMUNG DER TRANSPORTARTEN UND -FLÜSSE Passagier-, Fracht-, Spezial-, Service-, Liefer-, Entsorgungstransport usw. 3 STAKEHOLDERANALYSE 4a Bestandsaufnahme von Geschäftsstrukturen, die in einer Region vorherrschen und eine bestehende Transport- und Logistikinfrastruktur nutzen - Produktions-, Handels- und Dienstleistungsaktivitäten; Versorgungs- und Verteilungsströme. Krankenhäuser und sanitäre Einrichtungen, Kindergärten, Schulen, Altenheime, spezialisierte Bildungs- und Pflegeeinrichtungen, öffentlicher Verkehr. STAKEHOLDERANALYSE 4b ZEHN-SCHRITTE-PROGRAMM ZUR UMSETZUNG VON CO 2 -ARMEN LOGISTIKLÖSUNGEN — GEMEINDEN — — UNTERNEHMEN — Bild 1: Zehn-Schritte-Programm Grafik: Clara Burzlaff, Sophie Werdin, Dennis Nill Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 36 LOGISTIK Letzte Meile Lastenräder zum Befahren (noch) eine Sondergenehmigung benötigen. Die Zusammenarbeit mit den beiden Paketdiensten soll erst der Beginn sein, denn das Ziel des Projekts Low Carbon Logistics ist es, Bad Doberan zu einer Modellstadt für nachhaltige Stadtlogistik in Kleinstädten weiterzuentwickeln. Internationales Expertenteam für CO 2 -arme Logistiklösungen Um eine erfolgreiche Implementierung der jeweiligen Logistiklösungen zu gewährleisten, wurde im Rahmen von LCL ein internationales Expertenteam gebildet, das aus einem Konsortium der relevantesten Projektpartner für umweltschonende Transport und Logistiklösungen besteht [7]. Die Expertengruppe bietet individuell zugeschnittene Beratungsangebote für kohlenstoffarme Logistikinitiativen aus dem südlichen Ostseeraum an. Dabei fließen Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Umsetzung des Projekts mit ein, um Gemeinden und Unternehmen bei der Erzielung einer signifikanten Reduzierung der CO 2 -Emissionen durch optimierte regionale oder städtische Güterlogistik zu unterstützen. Zudem fungieren die während des Projekts entwickelten Geschäftsmodelle und Kooperationsmaßnahmen als wichtige Elemente der Beratungsangebote. Dazu gehört beispielsweise das Konzept sogenannter Freight Quality Partnerships (FQPs). Diese umfassen eine Art Kooperationsvertrag zwischen lokalen Behörden und Unternehmensvertretern und haben sich die Entwicklung von Best Practices als Ziel gesetzt, um wirtschaftliche und zugleich umweltschonende sowie effiziente Logistiklösungen zu fördern [8]. Die zugrundeliegende Struktur der Beratungsangebote basiert auf dem „Zehn-Schritte-Programm“, das eine Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse einer jeden Gemeinde oder eines jeden Unternehmens gewährleistet. Im Zusammenhang mit CO 2 -armen Logistiklösungen spielen außerdem die rechtlichen Rahmenbedingungen und Green Policy Instruments eine entscheidende Rolle. Daher analysiert das Expertenteam im Hinblick auf kohlenstoffarme Logistiklösungen Richtlinien und Verordnungen auf EU-Ebene sowie die nationale Gesetzeslage in Schweden, Polen, Litauen und Deutschland. Ebenfalls werden politische Strategien erörtert, die sich der Erreichung von Klimazielen widmen. Auf Basis der Analyseergebnisse entwickelt das Expertenteam Empfehlungen für Green Policy Instruments. Diese können als von der Politik oder Behörden erlassene Maßnahmen verstanden werden, die die Erreichung der europäischen bzw. nationalen Klimaziele forcieren und von verschiedenen Akteuren ergriffen und entsprechend implementiert werden. Die Art der Maßnahme kann dabei stark variieren - so existieren zum Beispiel ökonomische Instrumente wie Steuervergünstigungen oder auch regulatorische Instrumente wie Diesel-Fahrverbote. Die erarbeiteten Empfehlungen für Green Policy Instruments sind Bestandteil der Beratungsangebote und sollen interessierten Gemeinden und Unternehmen dabei helfen, umweltfreundliche und effiziente Logistiklösungen zu implementieren. Nach Ablauf der offiziellen Projektlaufzeit wird die Expertengruppe in Form eines Beratungsteams bestehen bleiben und Stakeholdern, die an CO 2 -armen Logistiklösungen interessiert sind, bei der Implementierung entsprechender Prozesse - sowohl administrativer als auch praktischer Art - unterstützend zur Seite stehen. ■ QUELLEN: [1] European Commission (2011): White Paper - Roadmap to a Single European Transport Area - Towards a competitive and resource efficient transport system. Online abrufbar unter http: / / eur-lex.europa.eu/ legal-content/ EN/ TXT/ PDF/ ? uri=CELEX: 52011DC0144&from=EN [2] OECD/ ITF (2015): The Carbon Footprint of Global Trade. Online abrufbar unter https: / / www.itf-oecd.org/ sites/ default/ files/ docs/ coppdf-06.pdf [3] Esser, K.; Kurte, J. (2017): KEP-Studie - Analyse des Marktes in Deutschland. Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) (Hrsg.) [4] Bogdanski, R. (2015): Nachhaltige Stadtlogistik durch Kurier-Express-Paketdienste - Studie über die Möglichkeiten und notwendigen Rahmenbedingungen am Beispiel der Städte Nürnberg und Frankfurt am Main. BIEK (Hrsg.), S. 31 [5] Bogdanski, R. (2017): Innovationen auf der letzten Meile - Bewertung der Chancen für die nachhaltige Stadtlogistik von morgen. BIEK (Hrsg.) [6] Stodick, K. (2018): UPS - Herausforderungen und Lösungen im Bereich der urbanen Logistik. In: Urbane Logistik - Schnell, stadtverträglich und wirtschaftlich. Bernsmann, A.; Vastag, A. (Hrsg.), S. 115-122 [7] Low Carbon Logistics - The Expert Team Members: siehe http: / / lclproject.eu/ expert-team/ individually-added-value-by-the-teammembers/ [8] Collings, S. (2010): Freight Best Practice: A Guide on How to Set up and Run Fright Quality Partnerships. Clemens Weiss, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Kompetenzzentrum ländliche Mobilität, Forschungs-GmbH Wismar weiss@komob.de Clara Burzlaff, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Universität Greifswald / Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) clara.burzlaff@uni-greifswald.de Bild 2: Paketumschlag am Mikro-Depot Foto: KOMOB Bild 3: Lastenrad in der Einkaufsstraße Foto: KOMOB Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 37 Wettbewerbskräfte im Logistikmarkt der Zukunft Auswirkungen der Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle von Third-Party Logistics Providern Geschäftsmodell, Logistikdienstleister, Digitalisierung, Wettbewerb Neben einer erhöhten Wettbewerbsintensität verändern sich aktuell die Marktmechanismen, welche der Logistikdienstleistungs-Branche zugrunde liegen. Neue Technologien dienen als Basis für disruptive Geschäftsmodellinnovationen, weshalb klassische Branchenstrukturanalysen wie das Fünf-Kräfte-Modell nach Porter neu gedacht werden müssen. Der vorliegende Beitrag erörtert die entstehenden Marktkräfte und zeigt Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfungsaktivitäten von Logistikdienstleistern auf. Dadurch können aus Chancen und Gefahren in Abhängigkeit des Geschäftsmodells Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Erik Hofmann, Mathias Mathauer G lobalisierung und E-Commerce lassen die Nachfrage nach Transportdienstleistungen stetig ansteigen. Seit Jahrzehnten zeichnet sich ein Trend dazu ab, dass Unternehmen logistische Aktivitäten vermehrt an sogenannte „Third-party Logistics Provider“ (kurz 3PL) auslagern. Diese nehmen aufgrund gestiegener Anforderungen in der Logistik neben Transport und Lagerung zunehmend auch sonstige Mehrwertdienstleistungen in ihr Leistungsangebot auf. Das Spektrum reicht von der Etikettierung und Verpackung der Ware über Retourenmanagement bis hin zur Zollabwicklung und Fakturierung. Durch den Einsatz von 3PLs profitiert der Kunde u.a. von tieferen Lagerbeständen und damit niedrigerer Kapitalbindung, neu gewonnener Flexibilität sowie Kosten- und Zeitersparnissen. Allerdings bewegen sich 3PLs in einem herausfordernden Marktumfeld. Es herrscht ein grenzübergreifender Verdrängungswettbewerb vor, welcher den Kunden eine komfortable Verhandlungsposition verleiht. Gleichzeitig verändern technologische Neuerungen das Wettbewerbsumfeld massiv, da disruptive Geschäftsmodelle möglich werden. Uber Freight 1 oder pickwings 2 operieren beispielsweise als Plattformen, welche eine kosteneffiziente Abwicklung von Transporten „on demand“ und in Echtzeit ermöglichen. Auch E-Commerce- Anbieter drängen verstärkt in den Markt. Durch Vor- und Rückwärtsintegration bauen diese eigene Logistiklösungen auf und Foto: geralt/ pixabay.de Dienstleistung LOGISTIK Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 38 LOGISTIK Dienstleistung werden von Kunden zu Konkurrenten der 3PLs. Nicht zuletzt bieten Fahrzeughersteller digitale Flottenmanagement-Systeme und Mobilitätsservices an, wodurch auch sie in die Domäne traditioneller Logistikmärkte vordringen. Aus dieser Motivation heraus zeigt der vorliegende Artikel auf, wie die fortschreitende Digitalisierung auf die Wettbewerbsarena von Logistikdienstleistern einwirkt und welche Chancen und Gefahren sich daraus ergeben. Gegenwärtig verändern sich die Marktmechanismen, welche der Logistikdienstleistungs-Branche zugrunde liegen. Um die Attraktivität einer Branche zu bestimmen, hat sich in der unternehmerischen Planung das Fünf-Kräfte-Modell nach Porter 3 durchgesetzt. Demnach wird die Branchenattraktivität von der Marktstruktur her bestimmt, die das Verhalten der Marktteilnehmer beeinflusst. In Zeiten des digitalen Fortschritts muss dieses Modell allerdings neu gedacht und auf die Besonderheiten der Logistikdienstleistungs-Branche angepasst werden. Die Marktkräfte bleiben zwar grundsätzlich bestehen, deren Wirkungsmechanismen verändern sich durch die Digitalisierung jedoch entscheidend (siehe Bild 1). Industrialization of Services Durch die Digitalisierung ist eine veränderte Wettbewerbsintensität innerhalb der Branche festzustellen: Dienstleistungen werden vermehrt auf Basis standardisierter Komponenten bereitgestellt. Dies ermöglicht Unternehmen, ihre Prozesse zu verschlanken und gleichzeitig eine standardisierte Qualität zu gewährleisten. Dadurch vereinheitlicht sich das Angebot, was den Wettbewerb erhöht und die Preise sinken lässt. Treiber dieses Wirkungsmechanismus sind leicht ersetzbare, physische Transport, Umschlags- und Lagerdienstleistungen sowie standardisierte IT-Services. Attacker’s Advantage Der Einsatz disruptiver Technologien verschafft einen Wettbewerbsvorteil am Markt und zwingt Mitbewerber zur Reaktion. Letztere besitzen oftmals nicht die Fähigkeiten, um mit den neuen Technologien in den Wettbewerb treten zu können. Zudem erschweren starre Unternehmensstrukturen die Anpassungsfähigkeit vieler Logistikdienstleister. Treiber im Bereich der neuartigen Technologien sind etwa Transportdrohnen, Paket-Roboter sowie autonome Fahrzeuge. Network Effects Digitale Plattformen verändern die Verhandlungsposition der Lieferanten. Plattformbetreiber agieren als Intermediäre und ihr Erfolg hängt stark von den geschaffenen Netzwerkeffekten ab: Je mehr Nutzer, desto attraktiver wird eine Plattform und desto grösser sind die realisierbaren Skalenerträge. Dies führt häufig zu einer Konzentration des Marktes auf wenige, große Anbieter, die dadurch ihre Verhandlungsmacht ausbauen können. Treiber für die Verhandlungsmacht der Lieferanten sind Plattformangebote von Fahrzeugherstellern sowie Plattformen als Mittler zwischen Versender und Logistikdienstleister. Collaborative Consumption and Shareconomy Plattformen ermöglichen den Kunden eine stärkere Vernetzung untereinander. In der Folge kann der „Shareconomy“-Gedanken weiterentwickelt werden: Konsumenten streben nicht länger Besitz an, sondern bezahlen für vorübergehenden Zugang (B2C). Gleichzeitig entwickeln sich Sharing-Ansätze zwischen den Endkonsumenten (C2C) und verwischen die Grenzen zwischen Konsument und Produzent.- Die Verhandlungsmacht der Kunden steigt durch mögliche Rückwärtsintegration sowie die Konzentration von Marktmacht. Treiber für die Verhandlungsmacht der Kunden sind Onlinebörsen zur Vermittlung von Fracht- und Lagerraum (Crowd-Shipping) sowie Frachtenbörsen zwischen Endkunden (C2C). The „Long Tail“ Die Gefahr durch Ersatzprodukte erhöht sich im digitalen Zeitalter. Onlinemarktplätze machen eine profitable Vermarktung von kleinen Losgrößen möglich und führen dadurch zu einer größeren Angebotsvielfalt („selling less of more“). Der Zugang zu Nischenprodukten wird dadurch erleichtert. Es besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Produkte und Services angeboten werden, die auf ähnliche Bedürfnisse abzielen. Treiber für die Gefahr durch Ersatzprodukte sind die Substituierung der Logistik im Allgemeinen sowie Nischenangebote in der Logistik (z. B. Druck von Ersatzteilen mit 3D-Druckern). Diese erweiterte Branchenstrukturanalyse kann sowohl von Logistikdienstleistern als auch verladenden Unternehmen aus Industrie und Handel genutzt werden, um neue Gefahren sowie Chancen für die eigene Branche zu identifizieren. Im Nachfolgenden werden einige dieser Gefahren und Chancen hervorgehoben. Gefahren Verlust von Marktanteilen bei Standardanbietern: Anbieter von nationalen Transport- und Lagerleistungen sind besonders stark von einer Substituierung durch Plattformangebote im B2C- und C2C-Bereich bedroht. Neue Technologien wie Drohnen oder Logistiksubstitute (z. B. Paketlocker) setzen den Markt zusätzlich unter Druck. Platform Businesses Die Verhandlungsmacht der Lieferanten wird getrieben von: • Plattformangebote von Fahrzeugherstellern • Plattformen als Mittler zwischen Versender und Logistikdienstleister Collaborative Consumption and Shareonomy Die Verhandlungsmacht der Kunden wird getrieben von: • Online-Börsen zur Vermittlung von Fracht- und Lagerraum • Frachtenbörsen zwischen Endkunden (C2C) The Long Tail Die Gefahr durch Substitute wird getrieben von: • Substitute für Logistik im Allgemeinen • Nischenangebote in der Logistik Attacker’s Advantage Die Gefahr durch neue Konkurrenten wird getrieben von: • Transportdrohnen und Roboter • Autonomes Fahren «Industrialization of Services» Der Wettbewerb in der Branche wird getrieben durch: • Leicht ersetzbare physische Transportdienstleistungen • Standardisierte IT- Dienstleistungen Bild 1: Neue Wettbewerbsarena für die Logistikdienstleistungs-Branche im digitalen Zeitalter Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 39 Dienstleistung LOGISTIK Digital-gestützte Angebote versprechen individuellere Lösungen bei gleichzeitig grösserer Transparenz. Wenngleich auch internationale Standardanbieter von diesen Entwicklungen betroffen sind, ist aufgrund größerer Distanzen und Frachten mit weniger starken Auswirkungen zu rechnen. Managementservices werden von externen Servicedienstleistern übernommen: Klassische Wertschöpfungselemente wie „Logistikmanagementleistungen“ sowie „Customer Relationship Management“ drohen 3PLs durch neue Serviceangebote und Technologien zu entgleiten. Plattformbasierte Börsen für Fracht- und Lagerraum (B2C) und Frachtenbörsen zwischen Endkunden (C2C) erlauben es Kunden, sich ihre Leistungen individuell zusammenzustellen. Zusätzlich besitzen Technologielösungen wie Drohnen eigene Auftragsabwicklungs- und Kundenschnittstellen-Anwendungen. Die neuen Services bedrohen besonders Servicespezialisten, welche einen bedeutenden Anteil ihrer Wertschöpfung durch nichtphysische Angebote generieren. Aber auch Standardanbieter (national und international) müssen um ihren verbleibenden Anteil an nicht-physischen Services fürchten. Die Geschäftsmodelle der 3PLs könnte auf die Rolle einfacher Frachtführer reduziert werden, deren Dienste über eine Plattform gebucht werden. Ähnlich ist es bereits Reisebüros in der Tourismusbranche widerfahren. Vor- und Rückwärtsintegration durch Plattformanbieter und E-Commerce-Unternehmen: Plattformanbieter und E-Commerce-Unternehmen entwickeln sich im Zuge der Digitalisierung von Kunden, Lieferanten und Partnern der 3PLs zunehmend zu Wettbewerbern. Mit ihren proprietären, digitalbasierten Logistiklösungen machen sie etablierten Logistikunternehmen Konkurrenz und fallen gleichzeitig als Kunden und Partner weg. Dies kann beispielsweise bei Amazon beobachtet werden. Marktmacht und eine große Kundendatenbank werden genutzt, um neue Technologien und Logistikkonzepte einzuführen (z.B. Drohnen und Paketlocker). Die Firma präsentiert sich als „One-stop-shop-Anbieter“ für E-Commerce und Lieferlogistik und versucht so, Standardanbieter im KEP-Bereich 4 aus dem Markt zu drängen. Chancen Machen sich Logistikdienstleister die veränderten Wirkungsmechanismen im Markt hingegen zu eigen, können durch die Digitalisierung große Entwicklungsmöglichkeiten entstehen. Attacker’s Advantage - Physical Internet: Transporttechnologien wie Drohnen oder autonomes Fahren bedrohen das Geschäftsmodell traditioneller Logistikdienstleister. Neben einer Integration neuer Transporttechnologien in das bestehende Geschäftsmodell muss auch die Entwicklung eigener Lösungen vorangetrieben werden. Das „Physical Internet“ 5 öffnet Raum für Innovationen. Unter dem Begriff versteht man die Übertragung der Logik der Datenübermittlung via Internet auf den physischen Transport von Gütern. Durch standardisierte, gemeinsame Kanäle sollen Güter effizienter zum Zielort gebracht werden. Notwendig sind hierfür eine hohe Modularisierung sowie standardisierte Schnittstellen. Logistikdienstleister könnten durch die Entwicklung genormter Lademittel in Form interoperabler Container oder synchronisierter IT-Systeme und Netzwerke einen wichtigen Beitrag zur Adaption dieser Technologie beitragen. Durch die Umsetzung der „Physical Internet“-Idee könnte auf ein globales Transportkonzept umgeschwenkt werden, was sich neuartige Transportmöglichkeiten zunutze macht. Collaborative Consumption - Asset Sharing und Kooperation: Aus dem bereits erwähnten Trend zur Shareconomy ergibt sich für Standardlogistikanbieter die Möglichkeit, selbst plattformbasierte Sharing-Lösungen aufzusetzen und dadurch eigene Kapazitäten besser zu nutzen. Die Umsetzung kann sowohl „inhouse“ als auch durch einen Partner in der Technologiebranche erfolgen. Dabei wäre eine gemeinsame Nutzung von Assets und Infrastrukturen denkbar, was eine bessere Kapazitätsauslastung sowie sinkende Kosten zur Folge hätte. Eine durch den Sharing-Gedanken initiierte horizontale Kooperation zwischen Logistikdienstleistern könnte außerdem eine Erweiterung der Servicepalette sowie eine Marktmachtbündelung hervorbringen und damit ein Gegengewicht zu Peer-to-peer-Plattformen bilden. Network Effects - Cloud Logistics und Logistics Malls: Die Integration von Cloud-Computing in bestehende Geschäftsprozesse könnte eine Antwort auf die von Plattformen generierten Netzwerkeffekte sein. Cloud-Computing ermöglicht die Bereitstellung von IT-Services über das Internet. In der Cloud können verschiedene Applikationen und Services miteinander agieren, ohne dass Softwarekomponenten lokal installiert werden müssen. Beispielhaft für die Anwendung von Cloud-Computing Lösungen in der Logistik ist die „Logistics Mall“ des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik 6 : Kleine, individuelle Logistik- IT-Services von unterschiedlichen Serviceanbietern werden kombiniert zu passgenauen Services für Logistiker und andere Kunden. Profitieren können 3PLs von (in)direkten Netzwerkeffekten durch die Einbindung in Multi-Provider Netzwerke, vereinfachten Zugang sowie die Kombination von verschiedenen Services. The Long Tail - 3D-Drucker: Durch additive Fertigung können traditionelle Dienstleistungen ersetzt sowie globale Güterströme signifikant verändert werden. Chancen für Logistikdienstleister ergeben sich aus der Integration von 3D-Druck in das eigene Geschäftsmodell. So könnten beispielsweise Netzwerke von gemeinsam genutzten 3D- Druckern in Lagerhallen und Distributionszentren aufgebaut und damit Ersatzteile „on demand“ produziert werden. Lieferzeiten würden so verkürzt und Lagerkosten gesenkt werden. Zukünftig wäre auch eine Produktion dieser Teile direkt auf dem liefernden Lkw möglich. Gerade für Standardanbieter ist die additive Fertigung attraktiv, da sie relativ leicht in das bestehende Geschäftsmodell einzugliedern ist. 7 Somit müssen Logistikdienstleister handeln und sich den neuen Wettbewerbskräften aufgrund der Digitalisierung stellen, um nicht vom Markt verdrängt zu werden. Dies kann gelingen, indem sie auf die zuvor erwähnten Maßnahmen zurückgreifen und sich so Entwicklungsmöglichkeiten zu eigen machen, durch welche sie sich vom Wettbewerb differenzieren können. 8 ■ 1 https: / / freight.uber.com/ 2 https: / / pickwings.ch/ de/ 3 Porter, M. E. (1979). How competitive forces shape strategy. Harvard Business Review, 137-145. 4 Kurier-, Express- und Paketdienste 5 Montreuil, B. (2011). Toward a Physical Internet: meeting the global logistics sustainability grand challenge. Logistics Research, 3(2-3), 71-87. 6 https: / / www.ccl.fraunhofer.de/ 7 Panalpina investiert beispielsweise stark in 3D-Druck und betreibt mit dem niederländischen Start-up Shapeways bereits entsprechende Druckzentren in den Niederlanden, den USA und bald auch Australien. Siehe dazu auch Panalpina (2017): Panalpina CEO Stefan Karlen im DVZ Interview. 8 Der vorliegende Artikel basiert u.a. auf Ausführungen der „Logistikmarktstudie Schweiz 2018“ von Stölzle, Hofmann und Mathauer (2018) sowie auf der Untersuchung „Third- Party Logistics Providers in the Digital Age: Towards a New Competitive Arena“ von Hofmann und Osterwalder (2017). Erik Hofmann, Prof. Dr. Direktor, Institut für Supply Chain Management, Universität St.Gallen erik.hofmann@unisg.ch Mathias Mathauer, M.A. HSG Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Supply Chain Management, Universität St.Gallen mathias.mathauer@unisg.ch Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 40 XXL-Containerschiffe - eine-kritische Reflexion Mega-Containerschiff, Economies-of-Scale, Slotkosten, Triple-E-Class, Malaccamax, Suez-Kanal Der „Economies of Scale“-Effekt bewirkt, dass immer größere Schiffe von früher undenkbarer Kapazität in Fahrt kommen. Bestellt sind Schiffe mit einer Kapazität von 22 000 TEU. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Der Größeneffekt ist für den Betreiber mittlerweile nur noch minimal und verpufft ohnehin sehr schnell. Der Einsatz immer größerer Schiffe erfordert hafenseitig erhebliche Investitionen in Infra- und Suprastruktur, die die Häfen aus Angst vor Ladungsverlust auch leisten. Der Beitrag erklärt die Mechanismen, fragt nach dem Nutzen, macht einen Vorschlag, diese Spirale zu verlassen, und identifiziert eine mögliche Endgröße. Ulrich Malchow E rst die weitgehende „Containerisierung“ des Stückguttransportes über See hat den zuverlässigen und kostengünstigen weltweiten Austausch von Halbfertig- und Fertigprodukten und damit die fortschreitende Arbeitsteilung der Weltwirtschaft ermöglicht. Damit hat der Container auch zur Verbesserung der Lebensverhältnisse bzw. gar zur Überwindung von Armut in vielen Gegenden der Erde beigetragen. Viele Produkte aus Schwellen- und Entwicklungsländern haben erst durch den Container einen Zugang zum Weltmarkt gefunden. China hätte ohne den Container nie die „Werkbank der Welt“ werden können. 2016 befanden sich allein sieben der zehn größten Containerhäfen in China [1]. Der Erfolg des Containers beruht auf zwei banalen Eigenschaften: seinen genormten Abmessungen verbunden mit seiner Stapelbarkeit. Die hierdurch ermöglichte Mechanisierung und die damit erfolgte Industrialisierung des Stückguttransportes über See haben einen gewaltigen Effizienzgewinn - insbesondere beim Umschlag - bewirkt. Der Container war erst Voraussetzung dafür, dass die „Economies of Scale“ im Stückguttransport über See nutzbar gemacht werden konnten (im Wesentlichen aufgrund seiner Stapelbarkeit). Ein konventionelles Stückgutschiff von 200 000 t Tragfähigkeit (entspricht der „Triple-E-Class“ von Maersk) hätte wohl zehn Zwischendecks und läge allein ein halbes Jahr im Hafen, um mit einzelnen Kisten und Kästen beladen zu werden. Früher oder später hätte der Container daher ohnehin „erfunden“ werden müssen. In jüngster Zeit hat sich die Entwicklung allerdings beschleunigt: Innerhalb kürzester Zeit wurden Schiffe größer als 15 000- TEU die Arbeitspferde im Europa- Fernost-Verkehr, wo die größten Schiffe stets zuerst eingesetzt werden (Bild 1). Derzeit liegt der „High Score“ bei 22 000 TEU (bestellt z. B. von CMA-CGM für Ablieferung 2019) [2] - vermutlich aber auch nur kurz. Das Größenwachstum war lange durch den rasant gewachsenen Containerverkehr getrieben, und auch umgekehrt haben die dank der „Economies of Scale“ reduzierten Slotkosten den Transport vieler Ladungen im Container überhaupt erst möglich ge- Foto: pixabay.de LOGISTIK Seeverkehr Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 41 Seeverkehr LOGISTIK macht. Dass über Jahrzehnte sehr hohe Wachstumsraten im weltweiten Containerverkehr zu verzeichnen waren, ist auch ein Ergebnis dieser gegenseitigen Befeuerung. Durch die schiere Größe in Verbindung mit einer reduzierten Geschwindigkeit (nicht nur im tatsächlichen Betrieb, sondern auch schon in der Auslegung der Schiffe durch kleinere Motoren und völligere Rumpfformen) hat sich z.B. der heute entscheidende spezifische Brennstoffverbrauch pro Slot gewaltig reduziert. Die ersten Ostasien-Panamax-Containerschiffe der sogenannten „3. Generation“ Anfang der 70er Jahre waren noch Doppelschrauben- Dampfturbinen-Schiffe für lediglich ca. 3000 TEU mit einer (anfänglichen) Dienstgeschwindigkeit von 27 kn (Top-Speed über 30 kn). Ihr Tagesverbrauch lag bei über 300- t Heavy Fuel Oil (HFO). Heute verbraucht die sechsmal so viel tragende „Triple-E-Class“ mit einer Kapazität von 18 270-TEU nur ca. 150 t pro Tag - allerdings bei einer Dienstgeschwindigkeit von nur noch ca. 18 kn. Obwohl sich der Preis für HFO von unter 50 USD in den frühen 70er Jahren in den Jahren 2012/ 13 in der Spitze auf 700 USD pro Tonne mehr als verzwölffacht hatte [3] (März 2017: ca. 360 USD [4]), waren die spezifischen Brennstoffkosten pro TEU damit in 40 Jahren nicht gestiegen. Allerdings sind die Container zwischen Europa und Fernost jetzt ein paar Tage länger unterwegs - was aber ohnehin kaum ins Gewicht fällt und durch die mittlerweile ausgereiften Möglichkeiten im Vor- und Nachlauf mehr als kompensiert wird. Zum reduzierten Bunkerverbrauch pro Slot haben die „Economies of Scale“-Effekte aber nur geringfügig beigetragen. Viel haben die enormen Fortschritte im Motorenbau (sowohl im Hinblick auf die Größe der Aggregate als auch ihren Gesamtwirkungsgrad) und in der Hydrodynamik der Schiffe (Formgebung und Propellerdesign) bewirkt. Den größten Anteil hat jedoch das mittlerweile drastisch abgesenkte Geschwindigkeitsniveau bereits in der Auslegung der Schiffe, da ja der Leistungsbedarf mit der 3.-Potenz der Geschwindigkeit wächst. Unabhängig von jeder Ideologisierung muss allerdings konstatiert werden, dass auch in Schifffahrt und Schiffbau bereits vor langer Zeit „Grenzen des Wachstums“ erreicht worden sind: Bei den Rohöltankern hatten z. B. lediglich zwei Einheiten die Marke von 500 000 t Tragfähigkeit für eine kurze Zeit „geknackt“. Der Schiffbau hätte noch größere Einheiten liefern können. Allein die mit der Größe verbundene Inflexibilität in Bezug auf die anlaufbaren Häfen (und auch die erforderliche Partiegröße der Ladung) hat die Schiffsgröße bei Großtankern gegenwärtig wieder auf höchstens 320 000 t Tragfähigkeit reduziert. Eine breite Anpassung der Häfen an die Schiffe hat nicht stattgefunden. Anders liegt der Fall in der Containerschifffahrt. Ein Ende der Größenentwicklung ist bislang nicht abzusehen. Im Wettbewerb der verschiedenen Hafenstandorte passen sich die jeweiligen Hafenbehörden und Terminalgesellschaften quasi im vorauseilenden Gehorsam ständig den zu erwartenden Schiffsgrößen an. Die Hafenbehörden lassen immer tiefere Fahrrinnen ausbaggern und verstärken ihre Kaimauern, damit die örtlichen Terminalgesellschaften immer höhere und weiter ausladende und damit schwerere Containerbrücken aufstellen können. Darüber hinaus werden zahlreiche Hafenbecken entsprechend den erforderlichen größeren Drehkreisen erweitert. Ein schleichender Paradigmenwechsel hat stattgefunden: Wurden die Stückgutschiffe früher auf ihre Fahrtgebiete zugeschnitten, also meist auf die anzulaufenden Häfen, so werden jetzt die Häfen zunehmend und mit viel Aufwand den wachsenden Containerschiffsgrößen angepasst. Taktgeber sind stets die großen Containerlinien. Allein die Ankündigung einer neuen Containerschiffgeneration löst bereits hektische Investitionstätigkeit in den potentiellen Anlaufhäfen aus. Dieses Vorgehen hatte bislang zumindest aus der jeweiligen Hafensicht durchaus seine Berechtigung. Seit Beginn der „Containerisierung“ sind die Schiffsgrößen kontinuierlich gestiegen und haben zunächst eine erhebliche Reduzierung der Stückkosten (pro TEU) bewirkt. Entsprechend reduzierte Seefrachtraten haben zu einem enormen Wachstum des weltweiten Containerverkehrs und damit auch des Hafenumschlages beigetragen. Viele Güter wurden erst in Verbindung mit reduzierten Seefrachtraten handelbar. Aus globaler volkswirtschaftlicher Sicht hat das Größenwachstum der Schiffe zunächst die fortschreitende Arbeitsteilung in der Welt befördert und damit vielerorts zu einer nicht unwesentlichen Wohlstandsmehrung beigetragen. Mittlerweile ist jedoch ein Größenniveau erreicht, das zumindest dazu angetan ist, die Sinnhaftigkeit in Bezug auf Nutzen und Aufwand insbesondere vor dem Hintergrund der möglichen weiteren Entwicklung einmal zu hinterfragen. Der jetzt vollzogene Sprung auf ca. 22 000- TEU ist schiff- und maschinenbaulich beherrschbar. Der weiter reduzierende Effekt auf die Slotkosten durch die „Economies of Scale“ ist allerdings nur noch minimal, da die Slotkostenkurve grundsätzlich von asymptotischer Natur ist (Bild 2). Auch die bislang beispiellose Brennstoffökonomie der XXL-Carrier beruht hauptsächlich auf dem abgesenkten Geschwindigkeitsniveau und nur zu einem sehr kleinen Teil auf der schieren Größe dieser Schiffe [5]. Da der eigentliche Seetransport nur 20 bis 30 % der Kosten der gesamten Transportkette eines Containers ausmacht, wären die Auswirkungen auf die Gesamttransportkosten der einzelnen Ladung ohnehin marginal und würden sich auf ihren Verkaufspreis allenfalls im einstelligen Cent-Bereich auswirken. Eine höhere Nachfrage aufgrund reduzierter Preise ist somit nicht mehr zu erwarten. Das zukünftige Wachstum des weltweiten Containerverkehrs wird daher nicht mehr wie in der Vergangenheit schiffsgrößeninduziert sein, sondern hängt jetzt nur noch an den globalen volkswirtschaftlichen Parametern. Die Häfen schaffen erst die Voraussetzung für das Größenwachstum der Schiffe Bild 2: Prinzipieller Kostenverlauf in Abhängigkeit von der Schiffsgröße Bild 1: Aktuelle Arbeitspferde auf der Europa-Fernost-Route: 400 m lang, 59 m breit, 19 000 TEU Kapazität Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 42 LOGISTIK Seeverkehr und dem daraus resultierenden Verdrängungswettbewerb zwischen den Linien. Der Aufwand, um die Häfen für derartige Mega- Schiffe fit zu machen, steigt allerdings exponentiell mit dem Tiefgang und der Schiffsbreite (Bild 2). Jeder weitere Meter Fahrwassertiefe und auch Fahrrinnenbreite wird aufwändiger, langwieriger, schwieriger in der Umsetzung und damit teurer. Das umfasst auch die kontinuierlich erforderlichen Unterhaltsbaggerungen. Auch das Gewicht der Containerbrücken steigt überproportional zur Schiffsgröße, da gleichzeitig Höhe und Auslage mitwachsen müssen. Das Verhältnis von zumeist öffentlichem Aufwand zu volkswirtschaftlichem Ertrag wird also mit wachsender Schiffsgröße zwangsläufig ungünstiger. Das hat seine Ursachen in erster Linie in den physikalischen Grundlagen von Schiffbau sowie Wasser- und Hafenbau (Infra- und Suprastruktur). Politische Widerstände - meistens mit Naturschutz begründet, aber oft politisch/ taktisch motiviert - erhöhen den Aufwand zusätzlich bzw. stellen die Machbarkeit womöglich gänzlich in Frage. Ob ihrer Zwangsläufigkeit kann auch hier mittlerweile von einer gewissen Gesetzmäßigkeit (der besonderen Art) gesprochen werden. Die Containerlinien streichen hierbei die mit wachsender Schiffsgröße allerdings nur noch schwach steigenden „Erträge“ in Form von Kostenvorteilen pro TEU aus den „Economies of Scale“ ein, während der mit der Schiffsgröße überproportional steigende Aufwand für Infra- und Suprastruktur von den Häfen und damit meistens von der jeweiligen öffentlichen Hand zu tragen ist. Es ist dabei höchst fraglich, ob unter Einschluss aller größenbedingten Infra- und Suprastrukturmaßnahmen an beiden Enden beispielsweise des Fahrtgebietes Europa-Fernost bei dem inzwischen erlangten Größenniveau überhaupt noch ein positiver Saldo zu verzeichnen ist. Werden also erhebliche öffentliche Mittel eingesetzt, nur um den großen Containerlinien, die sich die Investitionen in die Mega-Carrier leisten können, einen Kostenvorteil zu ermöglichen, um sich damit im Preiswettbewerb weiteren Spielraum nach unten zu verschaffen? Übernehmen also letztendlich die „öffentlichen Hände“ diverser Häfen gar einen wesentlichen Teil der Wettbewerbskosten? Könnte man in so einem Fall nicht vielleicht sogar von Wettbewerbsverzerrung zu Gunsten der ganz großen Linien mit den ganz großen Schiffen sprechen? Die Containerhäfen einer Region, z. B. der Hamburg-Le Havre-Range, stehen in einem intensiven Wettbewerb untereinander, da sich ihr Hinterland z. T. erheblich überschneidet. Ein wesentliches Kriterium im Hafenwettbewerb ist die Erreichbarkeit für die aktuellen Mega-Schiffe. Die Häfen sehen sich dabei einer sich zunehmend durch Übernahmen und Allianzbildung konsolidierenden Reederei-Branche ausgesetzt und werden dabei durchaus gegeneinander ausgespielt. In der Containerschifffahrt herrscht im wesentlichen Preiswettbewerb vor, d. h. der Kostenführer hat die Nase vorn. Nur so ist es zu erklären, dass sogar in den Zeiten der gegenwärtigen Überkapazitäten überhaupt noch weitere Mega-Schiffe bestellt werden. Aus Sicht der einzelnen Linie kann dies durchaus Sinn machen (s. o.). In Verbindung mit den derzeit günstigen Baupreisen und dem niedrigen Zinsniveau ergeben sich sehr günstige Kapitalkosten pro Slot. Um die niedrigen Slotkosten auch nutzen zu können, müssen die Riesenschiffe allerdings auch gefüllt werden. Angesichts der herrschenden Überkapazitäten kann die erforderliche Ladung nur durch günstige Frachtraten „gekauft“ werden. Damit sinkt das allgemeine Ratenniveau weiter, wodurch die Kostenvorteile der Linien im günstigsten Fall lediglich an die Ladungsseite durchgereicht werden - die diesen Vorteil natürlich gern mitnimmt, aber darauf nicht angewiesen ist. Eine signifikante Senkung der Transportkosten (zumal über die gesamte Transportkette, s. o.) ist damit allerdings nicht verbunden. Als Resultat wächst das Überangebot an Schiffsraum weiter und das Ratenniveau bleibt weiterhin weit davon entfernt, für die Linien eine angemessene Rendite abzuwerfen. Gleichzeitig verlieren zahlreiche immer noch relativ junge Schiffe in der Größenklasse 8000 bis 10 000 TEU massiv an Wert, weil sie im Vergleich zu den Riesen schlicht unwirtschaftlich geworden sind (Somit wurde übrigens auch viel deutsches Anlegerkapital vernichtet). Sie werden in Fahrtgebiete verlegt, in denen bislang die nächst kleinere Schiffklasse eingesetzt war, und verdrängen diese durch ihre vergleichsweise geringeren Slot-Kosten. Der Verdrängungsmechanismus setzt sich also in Richtung der kleineren Schiffe fort (Kaskaden- Effekt). Die Erfahrung hat gezeigt, dass durch den Einsatz immer größerer Schiffe die Kostenposition der Linien zwar zunächst geringfügig verbessert wird, gleichzeitig aber auch die Erlösseite unter starken Druck gerät, so dass sich die Marge nicht nachhaltig verbessert. Die Linien werden also in ihrer Gesamtheit nach der Indienststellung immer größerer Schiffe nicht besser dastehen als zuvor. Auch volkswirtschaftlich positive Effekte sind mit einem weiteren Größenwachstum der Schiffe nicht mehr verbunden. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall (s. o.). Fortwährender Impulsgeber in diesem Mechanismus, der niemandem mehr nachhaltige Vorteile verschafft, sind einzelne große Containerlinien, deren kurzzeitiger Kostenvorteil (wenn überhaupt) schnell wieder verpufft. Ordert ein Player eine größere Schiffsgeneration, fühlen sich die anderen unmittelbar genötigt nachzuziehen, um im Kostenwettbewerb nicht achteraus zu segeln. Einzelnen Häfen, die sich nicht für die großen Schiffe ertüchtigen, droht Geschäft in großem Umfang verloren zu gehen - und damit auch an Bedeutung und in dieser Folge noch mehr Geschäft (Feederverkehre). Verständlich, dass alle Häfen durch massive Ausbaumaßnahmen sehr bemüht sind, nicht in eine derartige Abwärtsspirale zu geraten. Die Häfen, aber auch die Linien selbst, sind also Getriebene einer Entwicklung, von der keiner mehr profitiert. Überspitzt formuliert, sind die einzigen Nutznießer dieses „Größen-Wahns“ einige niederländische und belgische Nassbaggerei-Unternehmen, drei koreanische (und nunmehr auch einige chinesische) Großwerften sowie ein den Weltmarkt dominierender chinesischer Containerbrückenhersteller. Bis zu welcher Grenze soll diese Entwicklung noch fortgeführt werden? Die bislang bestehenden technischen Grenzen, etwa bezüglich der Propulsionsleistung (hat sich aufgrund der Geschwindigkeitsabsenkung ohnehin relativiert) oder der Längsfestigkeit der Schiffe, scheinen grundsätzlich verschiebbar zu sein. Nautisch und operationell wäre wohl erst bei Malaccamax (maximaler Tiefgang: ca. 20 m) Schluss, was ca. 30 000 TEU entsprechen dürfte (eine Ausbaggerung der Malakka-Straße wird z.Z. als nicht realistisch angesehen). Dessen ungeachtet wollen die Berater von McKinsey perspektivisch nicht einmal unglaubliche 50 000 TEU-Schiffe ausschließen [6]. Ein Limit gänzlich anderer Natur könnte allerdings die Versicherbarkeit derartiger Schiffe einschließlich ihrer Ladung darstellen, denn die Gesamtkosten einer Havarie können sich bei Schiffen dieser Größenordnung schnell auf über 1 Mrd. USD aufsummieren (zu hohes „Klumpenrisiko“) [7]. Es ist daher kein Wunder, dass mittlerweile die Versicherer initiativ tätig werden und konkrete technische Vorschläge machen, wie etwa der Brandschutz auf den Mega-Carriern verbessert werden kann [8]. Ganz offensichtlich besteht diesbezüglich konkreter Handlungsbedarf, da die Vorschriftenlage mit dem Größenwachstum nicht Schritt gehalten hat, was sich auch in diversen Havarien in der jüngsten Vergan- Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 43 Seeverkehr LOGISTIK genheit bestätigt hat (z. B. „Maersk Honam“, 15 300- TEU, März 2018; „MSC Daniela“, 14 000 TEU, April 2017; „Hanjin Green Earth“, 13 000 TEU, Mai 2015). Eine wesentliche Erkenntnis aus diesen Unglücken ist, dass die Besatzung großer Containerschiffe ohne Löschhilfe von außen praktisch keine Chancen hat, einen Brand in der Containerladung selbst zu löschen. Das gilt insbesondere für in Brand geratene Deckscontainer - zumal in den oberen Lagen [9]. Aber auch im Falle einer Strandung bereiten Mega-Containerschiffe besonders große Probleme. Wenn der Havarist um einen Teil seiner Containerladung geleichtert werden muss, um wieder frei zu kommen, fehlt es weltweit an geeignetem Bergungsgerät. Um Container z.B. aus der 10. Lage an Deck zu bergen, bedarf es schwimmenden Gerätes mit einer Hakenhöhe von ca. 60 m [10, 11]. Bei der Strandung der „CSCL Indian Ocean“ (19 000 TEU) im Februar 2016 auf der Unterelbe haben nur sehr glückliche Umstände bewirkt, dass eine Leichterung der Ladung schlussendlich doch nicht erforderlich war und der Havarist nach sechs Tagen wieder frei kam. Anderenfalls hätte es wohl Wochen gedauert, geeignetes zweckfremdes Gerät heranzuschaffen, aufzubauen und damit einen Teil der Container zu bergen. In dieser Zeit hätte das Schiff womöglich schwere Strukturschäden davontragen können. Sollen die Schiffsgrößen also ungehindert weiterwachsen bis tatsächlich Malaccamax erreicht ist? Oder sollte nicht versucht werden, diesen Mechanismus früher zu unterbrechen, anstatt weiterhin erhebliche öffentliche (und auch private) Ressourcen ohne jeglichen volks- und mittlerweile auch betriebswirtschaftlichen Nutzen zu investieren? Muß nicht eine Entwicklung, die niemandem mehr etwas nützt, aber gewaltige (unnötige) Kosten verursacht, schon aus Vernunftgründen unterbunden werden? Wenn ja, welche Möglichkeiten gäbe es? Ein diesbezüglicher „Notanker“ ist der Suez-Kanal. Für dieses zwischen Europa und Fernost liegende Nadelöhr besteht kein explizites Tiefgangslimit. Stattdessen ist ein maximaler Unterwasserquerschnitt festgelegt. Dieser besagt, dass zum Beispiel ein 19 000 TEU-Schiff (Bild 1) mit einer Breite von 59 m (23 Containerreihen quer) einen Tiefgang von maximal 17,04 m aufweisen darf. Bei einem typischen Festigkeitstiefgang dieser Schiffsgröße von ca. 16 m ist also noch etwas Spielraum. Bei unveränderter Breite und Hinzufügen eines 40-ft-Laderaumes könnten somit rund 22 000 TEU dargestellt werden. Bei einer Verbreiterung um eine Containerreihe auf 61,5 m darf der Tiefgang laut Suez-Vorschriften jedoch nur noch 16,30 m betragen, was nicht mehr ganz ausreichen dürfte [12]. Insofern wären ca. 22 000 TEU als derzeit maximal mögliche Schiffsgröße für den Suez-Kanal anzusehen. Es ist sehr zu hoffen, dass der Kanal trotz seines kürzlich erfolgten Ausbaues, der auch eine Erweiterung des Querschnittlimits zulassen würde, dennoch dieses Limit beibehält, das somit als Deckel für das weitere Größenwachstum der Schiffe fungieren könnte. Für den Fall, dass das Suez-Limit doch kippen sollte, und vor dem Hintergrund, dass auch jetzt schon einige Mega-Carrier gar nicht mehr durch den Kanal fahren, sondern aus Kostengründen die Route um das Kap nehmen, wäre es eine Überlegung wert, der mittlerweile stark konsolidierten Branche der Containerlinien mit etwas mehr Kooperation seitens der Häfen entgegen zu treten. Immerhin sieht sich die Vielzahl der Häfen nur noch drei großen, die Hafenauswahl treffenden Reederei-Konsortien ausgesetzt (2M, Ocean Alliance, THE Alliance). In der Theorie könnten sich die betreffenden Häfen z.B. auf ein Größenlimit für Containerschiffe verständigen, um aus der Kostenfalle der schier endlosen Ertüchtigungsspirale heraus zu kommen. Vermutlich täte man den Containerlinien damit sogar einen Gefallen, indem sie ihrerseits endlich von dem „Investitionszwang“ in immer größere Schiffe befreit werden. Den Häfen der Hamburg-Le Havre-Range käme dabei eine strategische Bedeutung zu. Seit der Containerisierung des Fahrtgebietes Nordkontinent-Fernost wurden die größten Schiffe zunächst immer dort eingesetzt. Naturgemäß würde es ausreichen, lediglich ein Ende des Fahrtgebietes zu limitieren. Die Häfen der Nord-Range würden sich hierfür besonders anbieten, da sie den größten Hebel mobilisieren könnten: Ihre Anzahl ist, verglichen mit der fernöstlichen Seite, deutlich besser überschaubar, die Abstimmung wäre daher einfacher. Allerdings wird die potentielle Bereitschaft, sich innerhalb der Hamburg-Le Havre-Range auf dieser Ebene zu verständigen, unter den Häfen aufgrund des intensiven Wettbewerbes untereinander sicherlich unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Überschneidungen im Hinterland sind nun einmal sehr groß und deutlich stärker ausgeprägt als beispielsweise auf der asiatischen Seite. Hamburg hat am meisten zu verlieren (drittgrößtes Umschlagsvolumen mit dem engsten Nadelöhr als Zufahrt), während Rotterdam vermutlich kein Interesse hat, die Schiffsgrößen zu begrenzen. Aber Rotterdam müsste auch nicht unbedingt mit „im Boot“ sein: Es ist fraglich, ob die Linien Schiffe in Fahrt setzen, die am Nordkontinent nur noch einen einzigen Hafen anlaufen können. Die insofern mangelnde Fungibilität dürfte die Finanzierbarkeit dieser Schiffe stark einschränken. Allerdings würde nunmehr sicherlich auch Wilhelmshaven, vom Umschlagsvolumen noch unbedeutend und unter Kapazitätsaspekten auf absehbare Zeit eigentlich nicht erforderlich, sondern lediglich darauf ausgelegt, das - wie dargelegt - mittlerweile sinnbefreite Größenwachstum der Schiffe zu bedienen, die Stellung einer derart vernunftgetriebenen Hafen-Allianz sicherlich leider unterminieren wollen. ■ QUELLEN [1] https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 29697/ umfrage/ umschlagvolumen-der-groessten-containerhaefen-der-welt/ (Zugriff: 20.03.18) [2 ]CMA-CGM, Press Release, Marseille, 7. November 2017 [3] Verband für Schiffbau und Meerestechnik e.V., Hamburg, Jahresbericht 2015/ 2016 [4] https: / / shipandbunker.com/ prices/ emea/ nwe/ nl-rtm-rotterdam (Zugriff: 23.03.18) [5] Malchow, Ulrich: Der Fluch der »Economies of Scale«, HANSA 8/ 2015, S. 30-33 [6] Saxon, Steve; Stone, Matt: Container shipping: The next 50 years, McKinsey & Company, Oct. 2017 [7] Gorgs, Claus: Auf der Kippe, Positionen - Magazin der deutschen Versicherer, 3/ 2015, S. 8-14 [8] Ross, Hendrik: Mega-Containerschiffe: Juristen fordern mehr Infos auf Frachtpapieren, Deutsche Verkehrs-Zeitung, 1. Februar 2016 [9] 54. Deutscher Verkehrsgerichtstag, Empfehlungen (Arbeitskreis VIII, Mega-Containerschiffe: Immer größer - aber auch sicher? ), Goslar, 27. - 29. Januar 2016 [10] Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung, Untersuchungsbericht 34/ 16 (Festkommen der CSCL INDIAN OCEAN auf der Elbe am 3. Februar 2016), Hamburg, 14. Oktober 2016 [11] Malchow, Ulrich: Mega-Containerschiffe: Immer größer - aber auch sicherer? , Schiff & Hafen, Mai 2016, S. 60-62 [12] Suez Canal Authority, Rules of Navigation, Edition August 2015, www.suezcanal.gov.eg (Zugriff: 23. März 2018) Ulrich Malchow, Dr.-Ing. Ehem. o. Professor, Hochschule Bremen malchow@portfeederbarge.de Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 44 LOGISTIK Indien Löst der indische Tiger den chinesischen Drachen ab? Investitionsbedarf, Aktionspläne, Straßenbau, Schienenverkehr, Hafenausbau Hat China als Treiber der Weltwirtschaft ausgedient - und übernimmt nun Indien diese Rolle? Im Land der Mitte lassen Prognosen zu sinkendem BIP-Wachstum, steigende Arbeitskosten und die langsamere Zunahme von Auslandsinvestitionen diese Vermutung aufkommen. Ist aber der Subkontinent bereit, die Führungsposition zu übernehmen? Obwohl durch neue Programme viel getan wird, lässt der Status Quo der Infrastruktur leider immer noch zu wünschen übrig. Dirk Ruppik S chon bald könnte der Wachstumslokomotive China der Dampf ausgehen: Ausländische Investitionen in Immobilien sind eingebrochen, die Wirtschaft kühlte seit 2010 (mit Ausnahme in 2017) ab und die Banken haben die Kreditvergabe gezügelt, nachdem viele Bereiche während der globalen Finanzkrise 2008 gestützt worden waren. Die Arbeitskosten in China sind jedoch beträchtlich gestiegen. Die durchschnittlichen Arbeitskosten pro Stunde in der Fertigung lagen im Land der Mitte laut der amerikanischen Businessweek in 2016 bei 3,92 USD (3,15 EUR) - in Indien dagegen bei nur 0,74 EUR. Der Anteil der Fertigung am BIP liegt in China bei 30 %, und in Indien bislang nur bei 13 %. Auf dem Subkontinent besteht also noch großes Wachstumspotenzial. Viele in- und ausländische Beobachter setzen ihre Hoffnung auf den starken Mann aus Gujarat und jetzigen Premierminister Indiens, Narendra Modi. Gujarat gilt als indischer Vorzeigestaat. Modi hatte zuvor als Ministerpräsident im nordwestindischen Staat einige bedeutende Infrastrukturprojekte im Bereich Elektrizitätsversorgung und Bewässerung auf den Weg gebracht und die Wirtschaft reformiert. Während seiner Amtszeit hat das BIP in Gujarat gemäß Forbes um 13,4 % zugenommen (Rest von Indien nur 7,8 %). Durch den Ministerpräsidenten zog der Staat Investitionen im Bereich Automobilbau und Solarenergie an. Indien besitzt neben einem großen Arbeitskräftepotenzial und gut ausgebildeten Hochschulabsolventen eine breite industrielle Basis und ein westlich orientiertes Rechtssystem. Im Gegensatz zu Ländern wie Vietnam und Indonesien besitzt es auch die Größenordnung, um China als Wachstumslokomotive abzulösen. Neben der ausufernden Bürokratie und der hohen Abhängigkeit von Rohstoff-Importen bildet die unzureichende Infrastruktur die größte Hürde für ein beschleunigtes Wachstum. Indiens Achillesferse: die-Infrastruktur In Bezug auf die Infrastruktur hat das Land der Mitte Jahrzehnte Vorsprung. Dabei ist Indien ebenso wie China ein relativ inhomogen entwickeltes Land. Neben Regionen wie Bangalore und New Delhi, in dem sich Hightech und Infrastruktur konzentrieren, existieren auch sehr unterentwickelte Regionen wie der bevölkerungsreichste Staat in Nordindien, Uttar Pradesh (200 Millionen Einwohner). Im Rahmen eines noch unter dem alten Ministerpräsidenten Manmohan Singh im Juni 2012 ausgerufenen Infrastruktur-Investmentprogramms (12. Fünfjahresplan (FJP) 2012 bis 2017) wurde eine Billion USD (rund 800 Mrd. EUR) in den Bau zweier Häfen in Andrah Pradesh und Westbengalen, dreier Flughäfen in Kerala, Goa und am Stadtrand von Mumbai sowie in Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 18 000 MW investiert. Das Straßennetzwerk wurde um 9500 km erweitert und ein „Eisenbahnkorridor“ gebaut. Die von Narendra Modi geführte Regierung hat nun allerdings die Erstellung von Fünfjahresplänen zugunsten von drei Jahre umfassenden Aktionsplänen gestoppt. Laut der zu Standard & Poor gehörenden indischen Ratingagentur CRISIL liegt der Investitionsbedarf für Infrastruktur von 2018 bis 2022 bei rund 770 Mrd. USD (ca. 645 Mrd. EUR). Auf den Energiesektor entfallen 193 Mrd. EUR, 130 Mrd. EUR auf den Bau von Schnellstraßen, 104 Mrd. EUR auf den Eisenbahnsektor, 71 Mrd. EUR auf die urbane Infrastruktur und 13 Mrd. EUR auf See- und Flughäfen. Bharatmala: Neues Programm für-den Straßenausbau In der Republik Indien werden 70 % der Fracht auf der Straße transportiert, davon wiederum 40 % auf gut ausgebauten Schnellstraßen zwischen den größten Städten Mumbai, Delhi, Kolkata, Chennai und Bangalore. Der Ausbau des indischen Straßensystems erfolgte in den letzten Jahren durch das „National Highway Development Project“ (NHDP). Dies wurde Anfang 2018 eingestellt, und die noch ausstehenden 10 000 km an Schnellstraßen sollen nun im weit größeren Bharatmalasowie teilweise im Sagarmala- und Setu Bharatam-Pro- Bild 1: Allein im Fiskaljahr 2018 hat die National Highways Authority of India (NHAI) bereits 150 Straßenbauprojekte mit 7400 km Länge ausgeschrieben. Foto: NHAI Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 45 Indien LOGISTIK gramm weitergebaut werden (Bild 1). Das gesamte Investment für den neu geplanten Ausbau von 83 677 km Schnellstraßen liegt bei 5,35 lakh crore indische Rupees (66,4- Mrd. EUR). Im Rahmen des Bharatmala-Programms 1 werden Schnellstraßen von Gujarat und Rajasthan nach Punjab und weiter in die Staaten des Himalayas (Jammu und Kashmir, Himachal Pradesh, Uttarakhand, Teile von Uttar Pradesh und Bihar) gebaut. Diese Strecke wird über West Bengalen, Sikkim, Assam und Arunachal Pradesh an die Grenze von Myanmar in Manipur und Mizoram weitergeführt. Der Schwerpunkt liegt auf dem Ausbau von Straßen in entlegenen ländlichen sowie unterentwickelten Stammesgebieten. Im Rahmen des Programms wird die Anzahl der Nationalen Korridore von sechs auf 50 und der Anteil des Frachtverkehrs auf Schnellstraßen von 40 % auf 80 % erhöht. Darüber hinaus wird die Anzahl der Distrikte, die mit minimal vierspurigen Schnellstraßen angebunden sind, von 300 auf 550 gesteigert. Sagarmala: Ausbau und Effizienzsteigerung Um mit dem Wachstum des Landes mithalten zu können, muss die indische Regierung bzw. Wirtschaft gemäß der Maritimen Agenda 2 bis 2020 eine zusätzliche Hafenkapazität von 3200 Mio. t schaffen, um 2500-Mio. t Fracht umschlagen zu können. Grundsätzlich muss die Leistung des Hafensystems gesteigert werden. Im Rahmen des ehrgeizigen Sagarmala-Projekts ist laut der indischen News- und Media-Webseite „Firstpost“ geplant, sechs weitere Haupthäfen zu bauen. Im National Perspective Plan (NPP) werden der Hafen Sagar in Westbengalen, Paradip Outer Habour in Odisha, Enayam in Tamil Nadu, Vadhavan in Maharashtra, Machilipatinam oder Vodarevu in Andrah Pradesh sowie Cuddalore oder Shikazhi in Tamil Nadu genannt. Die detaillierten Hafenpläne werden noch erstellt. Vadhavan handelt im Augenblick 40 % des gesamten Containeraufkommens des Landes. Momentan werden 4,16 Mio. t an Fracht jährlich umgeschlagen. Im neuen Hafen sollen es 40 bis 60 Mio. t sein. Das Paradip Outer Habour Project wird den Küstentransport von Kohle für Kraftwerke in Süd- und Westindien ermöglichen. Der neue Hafen wird eine Kapazität von 175,5-Mio. t pro Jahr besitzen. Der geplante Hafen Sagar soll als Unterstützung der Häfen Kalkutta und Haldia dienen. Die erste Phase wird acht Liegeplätze mit einer Tiefe von 15- m umfassen. Laut des Vorsitzenden des Kolkata Port Trust R. P. S. Kahlon wird er nach der Vollendung der zweiten Phase mit ebenfalls acht Liegeplätzen 50 Mio. t Schüttgut und Containerfracht handeln können. Enayam in Tamil Nadu soll zum internationalen Transshipment Hub ausgebaut werden und Fracht für Indien, die momentan über Singapur, Malaysia und Sri Lanka verschifft wird (15 % des indischen Gesamtumschlags), anziehen. Weiterhin können durch den Hafen fünf bis sechs Tage Überfahrtzeit nach Afrika, in die EU und in den Nahen Osten gespart werden. Ein weiteres Ziel ist, Frachtströme von Bangladesh und Myanmar in die EU, Afrika und die USA anzuzapfen. Die beiden anderen vorgeschlagenen Häfen in Andrah Pradesh und Tamil Nadu werden dem Kohle- und Zementumschlag dienen. Ob der geplante Hafen in Durgarajapatnam jemals gebaut wird, ist noch nicht geklärt, da Bedenken in Bezug auf seine Wirtschaftlichkeit bestehen - die Häfen Krishnapatnam und Chennai befinden sich in unmittelbarer Nähe. Die neuen Häfen sollen die gesamte Frachthandlingskapazität um 466 t jährlich erhöhen. Weitere 980-Mio. t Kapazität sollen durch die Erweiterung der anderen Haupt- und Nebenhäfen bis 2025 dazukommen. Eisenbahnnetzwerk erhält neue Investitionen Die indische Eisenbahn wurde am 16. April 1853 durch die Kolonialmacht England in Betrieb genommen - heute betreibt sie mit rund 64 000 km Streckenlänge und 7172 Bahnhöfen eines der größten Eisenbahnnetze der Welt. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Schienenwege schwer zerstört oder abgebaut und 40 % der Schienenfahrzeuge in den Nahen Osten gebracht. Bis heute befindet sich das indische Eisenbahnnetz in einem beklagenswerten Zustand. Doch nun soll endlich investiert werden. Momentan sind auf dem Subkontinent zwei Hochgeschwindigkeits-Frachtkorridore geplant, die „Dedicated Freight Corridors“ (DFC) zwischen Kolkata, Delhi und Mumbai von insgesamt 3300 km Länge (Bild 3). Vom Projekt werden insbesondere die Häfen, Reedereien, Versender und Spediteure profitieren. Zudem wird es als Katalysator für die Industrieentwicklung entlang der Korridore dienen. Bis 2027 ist geplant, mit einer Investitionssumme von 260 Mrd. EUR 10 000 km Strecke in DFC zu verwandeln. Laut Germany Trade and Invest (Gtai) sollen verschiedene Hochgeschwindigkeitsstrecken mit ausländischer Hilfe entstehen. So will z. B. Japan bis 2022 ca. 17 Mrd. USD (14 Mrd. EUR) in eine 508 km lange Shinkansen-Strecke von Mumbai nach Ahmedabad investieren. Deutschland finanziert Machbarkeitsstudien für einen 500-km langen Hochgeschwindigkeits-Korridor von Chennai nach Mysore sowie eine Modernisierung des Bahnnetzes zwischen Chennai und Hyderabad. Frankreich prüft die Machbarkeit eines 245 km langen Hochgeschwindigkeits-Korridors zwischen Delhi und Chandigarh, Russland prüft eine HG-Verbindung zwischen Nagpur und Secunderabad. Weiterhin ist gemäß Indian Railways die zunehmende Elektrifizierung der Strecken und die Einführung von Signalanlagen nach ETCS Level II vorgesehen. ■ 1 www.india.gov.in/ spotlight/ bharatmala-pariyojana-stepping-stone-towards-new-india 2 siehe auch: Dirk Ruppik: Indiens Maritime Agenda 2020; in: Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017, S. 30 Bild 2: Hochgeschwindigkeits- Bahnfrachtkorridore von insgesamt 3300 km Länge, die „Dedicated Freight Corridors“ (DFC), sollen Kolkata, Delhi und Mumbai verbinden. Grafik: Trialog/ OpenStreetMaps Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 46 LOGISTIK Neue Seidenstraße Was verbirgt sich hinter der neuen Seidenstraßen-Initiative? Chinas Entwicklungsmodell international vernetzter Transport- und Wirtschaftskorridore Seidenstraße, Transportkorridore, Geschäftsmodelle, China, Infrastruktur, Entwicklungsmodell Mit der neuen Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative, BRI) will China gemeinsam internationale Transportkorridore schaffen und die Subnetze Asiens, Europas und Afrikas schrittweise verbinden. Die BRI zielt auf Infrastrukturkonnektivität sowie zwischenstaatliche Kooperationen, ungehinderten Handel, finanzielle Integration und kulturellen Austausch. Zunächst wird Infrastruktur finanziert und realisiert, was Beschäftigung, Einkommen, Konsumnachfrage, Handel und Immobilienwerte entlang der Korridore erhöht. Die Immobilienwertsteigerung dient der Besicherung der Finanzierung weiterer Investitionen und perpetuiert die wirtschaftliche Entwicklung. Carsten Müller, Michael Huth P räsident Xi Jinping verkündete die Landinitiative zur Schaffung eines Wirtschaftsgürtels der Seidenstraße (Silk Road Economic Belt) im September 2013 in Astana und die Seeinitiative zur Schaffung einer maritimen Seidenstraße (Maritime Silk Road 1 ) im Oktober 2013 in Jakarta, was zunächst mit „One Belt, One Road“ (OBOR) übersetzt wurde. Um zu betonen, dass die Initiative flexibel, inklusiv und offen für andere Teilnehmer ist, wird sie von China seit 2015 offiziell als „Belt and Road Initiative“ (BRI) bezeichnet. Über 100 Staaten haben seitdem positiv reagiert, über 50 Kooperationsabkommen mit China wurden abgeschlossen. Der vorliegende Beitrag verdeutlicht die Ziele, das zugrundeliegende Entwicklungsmodell und die ökonomischen Potenziale dieses extrem umfangreichen Projekts. Dabei nimmt der Artikel weder eine politische noch eine ökonomische Bewertung vor, sondern erläutert den Stand der Dinge auf Basis der von China vorgelegten Pläne sowie verfügbaren Studien. Ziele der neuen Seidenstraße Die neue Seidenstraßen-Initiative bündelt die chinesischen Ziele zum Aufbau eines Infrastruktur-Netzes zwischen Asien, Europa und Afrika, das in Anlehnung an die historische Seitenstraße Land- und Seewege umfasst. China will interkontinentale Transportinfrastrukturen aus Schienen, Straßen, Umschlagterminals, Häfen und Flughäfen sowie Pipelines, Strom-, Wasser-, Versorgungs-, Kommunikations- und Handelsinfrastrukturen aufbzw. ausbauen. Die „Maritime Silk Road“ verbindet Häfen in China und Südostasien mit Häfen auf der arabischen Halbinsel, in Afrika sowie im Mittelmeer; der „Silk Road Economic Belt“ erstreckt sich von Zentralchina über Zentralasien bis nach Moskau, um dann weiter über Duisburg bis nach Rotterdam zu reichen. 2 Nach dem im März 2015 vom chinesischen Außen- und Handelsministerium und der Nationalen Reform- und Entwicklungskommission (NDRC) veröffentlichten Grundlagendokument „Visionen und Maßnahmen zum gemeinsamen Aufbau der Seidenstraße zu Land und zu Wasser“ umfasst die BRI den Trend zu einer multipolaren Welt, wirtschaftliche Globalisierung, kulturelle Vielfalt und größere IT-Anwendungen und zielt darauf, das globale Freihandelsregime und die offene Weltwirtschaft im Geiste einer offenen regionalen Kooperation aufrechtzuerhalten. Die BRI will einen geordneten und freien Fluss wirtschaftlicher Faktoren, eine möglichst effiziente Ressourcenallokation und eine tiefe Integration der Märkte fördern, Länder entlang der Seidenstraße zu wirtschaftspolitischer Koordinierung ermutigen, eine umfassendere und vertiefte regionale Zusammenarbeit mit höheren Standards erreichen sowie eine offene, integrative, ausgewogene regionale Wirtschaftskooperation schaffen, von der alle Beteiligten profitieren. 3 Dies erinnert an das von den Präsidenten Frankreichs, François Mitterrand, und der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, im vergangenen Jahrhundert angestrebte Projekt der Schaffung eines Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok, geht jedoch darüber hinaus. Die BRI ist sehr ambitioniert und umfasst entlang der durch die BRI einbezogenen Staaten etwa 65 % der Weltbevölkerung, rund ein Drittel des weltweiten BIP, 40 % des Welthandels und circa ein Viertel aller in der Welt bewegten Güter und Dienstleistungen. 4 Betrachtet man das gesamte derzeit geplante Investitionsvolumen der BRI, handelt es sich um ein Projekt in einer bisher kaum erreichten Größenordnung. Die chinesische Entwicklungsbank hat bereits Kredite von rund einer Billion US-Dollar für 900 Bau- und Entwicklungsprojekte bereitgestellt. 5 PwC schätzt den Infrastruktur-Investitionsbedarf der BRI auf rund 5 Billionen USD, 6 The Economist berichtet, dass China mit 4 Billionen USD rechnet, 7 und das World Economic Forum schätzt, dass China 8 Billionen USD für die BRI ausgeben könnte. 8 Auf dem APEC-Gipfel im November 2017 betonte Xi Jinping, die BRI erfordere einen gemeinsamen Beitrag und habe einen klaren Schwerpunkt: Förderung des Infrastrukturausbaus und der Vernetzung, Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung, Verbesserung der Komplementarität der Entwicklungsstrategien und Förderung der vernetzten Entwicklung zur Erzielung gemeinsamen Wohlstands. Die BRI komme aus China, aber sie gehöre zur Welt. Sie sei in der Geschichte verwurzelt, aber auf die Zukunft Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 47 Neue Seidenstraße LOGISTIK ausgerichtet. Sie konzentriere sich auf den asiatischen, europäischen und afrikanischen Kontinent, stehe aber allen Partnern offen. 9 Chinas Ambitionen zielen auf die Märkte mit den weltweit größten Potenzialen in Asien, Europa und Afrika. Für die Schwellen- und Entwicklungsländer entlang der neuen Seidenstraße sollen Inklusivität, Win-win-Kooperationen und wirtschaftliche Weiterentwicklung verbunden werden. 10 Zudem will China durch die BRI und seine Go-West Strategie die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen innerhalb des eigenen Landes ausgleichen und Unternehmensansiedlungen in strukturschwächeren Regionen veranlassen. So erwuchs Chongqing als größte Stadt Chinas bereits zum weltweiten Zentrum der Elektronikproduktion. Wie viele Chinesen denkt Xi Jinping in langen Zeiträumen. Er ist geleitet von dem Wissen, dass China bis Mitte des 19. Jahrhunderts die größte Volkswirtschaft der Welt war, und der Gewissheit, dass China es in Zukunft auch wieder sein wird. Chinas Entwicklungsmodell Die BRI überträgt das chinesische Wirtschaftsentwicklungsmodell auf andere Länder in Zentralasien, Afrika, Mittel- und Osteuropa, die alle dem gleichen Muster folgen: Ausgangspunkt und Kern der wirtschaftlichen Entwicklung ist die Entwicklungsfinanzierung, bei der Regierung und Banken Infrastrukturaufbau in öffentlich-privater Partnerschaft finanzieren. 11 Eine wesentliche Finanzierungsfunktion übernehmen die chinesischen Staatsbanken, insbesondere die China Development Bank (CDB) und die China Export-Import Bank, beide 1994 gegründet, in Kooperation mit den chinesischen Geschäftsbanken sowie Staatsfonds wie die 2007 gegründete China Investment Corporation (CIC). Zur Finanzierung der BRI wurden darüber hinaus neue Finanzinstitutionen gegründet; die wichtigsten sind in Tabelle 1 zusammengefasst. 12 Getreu dem chinesischen Sprichwort „Wer reich wird, baut zuerst eine Straße“ verbessern Städte und Provinzen zuerst ihre Infrastruktur, da dies aufgrund verbesserter Rahmenbedingungen (einfacher Zugang, geringere Kosten) zu einem intensiveren Geschäftsaustausch zwischen den armen und den angeschlossenen Gebieten führt. Die zunehmende Interaktion und Wirtschaftsaktivität fördert die lokale Beschäftigung, belebt den Konsum und verbessert die Handelsmöglichkeiten für Unternehmen, was wiederum den Wert der Infrastruktur und Immobilien erhöht. Dadurch werden Infrastrukturprojekte finanziell tragfähig und mehr Sicherheiten für die nächste Finanzierungsrunde weiterer Entwicklungsprojekte bereitgestellt. Indem die materielle und immaterielle Infrastruktur sukzessive verbessert und infolge ihrer Wertsteigerung aus sich selbst heraus finanziert wird, entsteht ein positiver Kreislauf der wirtschaftlichen Entwicklung unterentwickelter Gebiete. 15 Infrastrukturentwicklung und -korridore Die Landinitiative betrifft rund drei Milliarden Menschen und sieht den Ausbau und die Entwicklung der folgenden Infrastruktur- und Wirtschaftskorridore außerhalb Chinas vor (Bild 1): (a) China-Mongolei-Russland, (b) Neue Eurasische Landbrücke, (c) China-Zentralasien-Westasien, (d) China-Pakistan, (e) Indien-Nepal-China, (f ) Bangladesch-Indien-Myanmar-China und (g) China-Indochina. Die Verbindungslinien der Seidenstraße sind dabei viel weitreichender als die Haupttrasse. Ein Infrastrukturkorridor besteht in der Regel aus der Hauptverkehrsstrecke (Schienenweg oder Fernstraße), um die herum regionale Bahn- und Straßennetze, Strom-, Wasser- und Telekommunikationsleitungen, Ölbzw. Gaspipelines, weitere Zuleitungen etc. entstehen und sich allmählich städtische Zentren und Industriekomplexe, umgeben von kleineren Städten und Dörfern, sowie Land-, Garten- und Forstwirtschaft und auch Erholungsgebiete entwickeln. Entlang von zumeist etwa 100 bis 150 km breiten Entwicklungskorridoren entsteht eine Kette miteinander verbundener Industrie- und Wertschöpfungsregionen, entlang derer sich die Bevölkerung und Ressourcen konzentrieren, um die wirtschaftliche Infrastruktur optimal zu nutzen, was die produktiven Kräfte 16 und den Lebensstandard der Menschen erhöht. Anders als beim Flugverkehr ermöglichen Landwege die wirtschaftliche Entwicklung entlang der zu überbrückenden Strecken, ähnlich wie früher Binnenschifffahrtswege die Ausbreitung von Siedlungen und Zivilisation in das ansonsten schwer zugängliche Landesinnere beförderten. 17 Durch vernetzte Infrastruktur- und Wirtschaftskorridore können neue Marktzugänge und Investitionsmöglichkeiten in Asien erschlossen und der Handel und die Kooperation mit Europa vorangebracht werden. Hierbei spielt auch der Seeweg eine wichtige Rolle, der China über den Indischen Ozean mit Afrika verbindet und von China entlang der Küsten Südost- und Südasiens durch das Südchinesische Meer, den Indischen Ozean und das Rote Meer nach Europa führt. Das wichtigste Logistikzentrum Chinas in Südosteuropa ist der griechische Seehafen Piräus, an dem die chinesische Reederei Cosco 2016 die Mehrheitsanteile erwarb, um anschließend in dessen Ausbau zu investieren. Cosco investiert in weitere Hafeninfrastruktur und Verbindungen in die Türkei, nach Ägypten, Italien und Belgien (Zeebrugge). Ein zweiter Seeweg führt durch den Südpazifik in Richtung Amerika. Neuerdings ist auch eine polare Seidenstraße geplant: Nach dem im Januar 2018 erschienen „Weißbuch zur arktischen Politik“ 18 will China die BRI auf die Arktis ausdehnen und Schifffahrtsrouten über den Nordpol entwickeln, was die bisherigen Seewege zwischen China und Europa um fast 4000 Kilometer verkürzen und Transporte von den traditionellen Handelsrouten unabhängig machen könnte. Name Gründung Gen. Kapital (Mrd. USD) Beabsichtigte Empfänger Fokus Finanzierungsquelle Silk Road Fund 2014 40 Länder entlang der Seidenstraße Infrastruktur Ressourcenentwicklung Industriekooperation V.a. China (State Administration of Foreign Exchange, China EximBank, CIC, CDB) New Development Bank BRICS 2014 100 BRICS u.a. Schwellenländer grüne Investitionen im Verbund mit AIIB 5 Gründungsmitglieder (BRICS-Staaten) Asian Infrastructure Investment Bank 2015 100 42 regionale Mitgliedsländer Infrastruktur 64 Mitgliedsländer Sino-CEE-Fonds 2016 10 16 Länder Mittel-Osteuropas (CEE) 14 Infrastruktur High-Tech-Fertigung Konsumgüterbranche V.a. China Tabelle 1: Neue Finanzinstitutionen zur Finanzierung der BRI 13 Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 48 LOGISTIK Neue Seidenstraße Durch die BRI lenkt China Investitionen und Wohlstand in neue ökonomische urbane Zentren entlang der Transportwege, was neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch die politische Stabilität befördern soll. Ökonomische Vorteile ergeben sich bereits heute für strukturschwache chinesische Regionen wie Xinjiang und Nachbarländer wie Pakistan, Kasachstan und die Mongolei, aber auch für fernere Länder in Afrika und in Europa. Der in den letzten Jahrzehnten beschleunigt erfolgte Neubau von über 20 000 km Schnellbahnstrecken in China zeigt das Realisierungstempo, welches nun Chinas Anrainerstaaten, mit denen Wirtschafts-, Beteiligungs- und Finanzierungsverträge abgeschlossen werden, erfasst. Umgesetzt wurden bereits der Güterumschlagplatz Khorgos-East Gate an der kasachisch-chinesischen Grenze als wichtige Schnittstelle der Eurasischen Landbrücke, Teile des Infrastrukturkorridors zwischen der pakistanisch-chinesischen Grenze und dem Seehafen Gwadar am Indischen Ozean; derzeit im Bau befindet sich eine Strecke von China durch Pakistan in den Iran. China investiert breit gestreut in Pakistans Energie- und Stromversorgung, in schnelle 3G- und 4G-Verbindungen afrikanischer Länder, in das Training von Führungskräften in Afrika oder in die immaterielle Verbesserung des Banken- und Finanzsystems - mittlerweile dauert eine Dollar-Überweisung von Chinas größter Bank, der Industrial and Commercial Bank of China (ICBC), zur Standard Bank in Südafrika nur etwa 15 Minuten. 19 In Äthiopien wurde 2016 die 756 km lange Bahnstrecke zwischen Addis Abeba und Dschibuti eröffnet, in Kenia 2017 die 472 km lange Bahnstrecke zwischen Mombasa und Nairobi fertiggestellt; zukünftig soll ein Eisenbahnnetz Ost- und Zentralafrika verbinden. Nachdem in Ungarn der Bau des Huawei-Logistikzentrums abgeschlossen wurde, finanziert China die Erneuerung der Bahnstrecke Budapest-Belgrad, den Bau einer Brücke in Belgrad, eines Wärmekraftwerks in Bosnien-Herzegowina, einer Autobahnverbindung vom Hafen in Bar in Montenegro zur Grenze nach Serbien u. a. Projekte, zu denen die Europäische Kommission nicht oder nur zögerlich bereit ist. 20 Mit Great Stone respektive dem China-Belarus Industrial Park entstehen in Minsk vor den Toren der EU ein von AIIB und BRICS- Bank finanzierter Industriepark und eine Logistikdrehscheibe mit Anbindung zur Nordsee und zum Schwarzen Meer. 21 Während Kerneuropa über eine relativ gut ausgebaute Infrastruktur verfügt, haben viele der 16 mittel- und osteuropäischen Länder, die der „16+1“-Kooperationsinitiative mit China angehören, hier erheblichen Nachholbedarf und ein Interesse an entsprechenden Investitionen. Die auf dem EU-China-Gipfel im Juni 2015 gegründete gemeinsame Konnektivitätsplattform will die EU-Investitionsoffensive mit der BRI verbinden, Synergien im Infrastruktur-, Energie- und Innovationsbereich nutzen und zur Abstimmung von divergierenden chinesischen und EU-Interessen beitragen, da die Infrastrukturentwicklung in Europa einer Gesamtplanung sowie einheitlicher Standards bedarf. Ökonomische Potenziale Der eurasische Schienengüterverkehr (SGV) hat nach einer 2017 erstellten Studie 23 ein großes Potenzial für zukünftiges Wachstum: Die Bahntransporte zwischen China und Europa stiegen zuletzt rasant von 25 000 TEU im Jahr 2014 auf rund 140 000 TEU im Jahr 2016, was einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 140 % entspricht. Ermöglicht wurde dieses hohe Wachstum der letzten Jahre u.a. durch starke Verbesserungen bei Infra- Bild 1: Übersichtskarte der BRI-Wirtschaftskorridore Quelle: UDE Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 49 Neue Seidenstraße LOGISTIK struktur und Terminals (z. B. in Kasachstan), Erleichterung der Grenzübergänge (durch gemeinsamen Frachtbrief, eurasische Zollunion und lokale Verbesserungen), Verringerung der Durchlaufzeit und erhöhte Pünktlichkeit, Erhöhung der Reiseziele auf 15 in Europa und über 15 in China, Senkung der Frachtraten und Subventionen aus China. Weiter verbessert werden könnten Zuverlässigkeit, Ausgewogenheit des Transportvolumens, um möglichst paarige Transportströme zu erreichen, und wettbewerbsfähige Preise. Derzeit gibt es vermutlich kaum einen Zug, der nicht finanziell unterstützt wird. Ein Abbau der Subventionen ist zu erwarten, allerdings nicht den nächsten ein bis zwei Jahren. Während Ganzzüge wenige Endkunden bedienen, die eine große Nachfrage aufweisen, und Einzelcontainer das Gros der Transporte darstellen, zeigen Teilladungstransporte (sogenannte LCL-Transporte 24 ) derzeit das größte Wachstum. Bei einem durchschnittlichen jährlichen SGV-Wachstum von nur 15 % würden die Bahntransporte zwischen China und Europa bis 2027 auf 640 000 TEU ansteigen, wobei eine bedeutende Verschiebung von der Seefracht zur Bahnfracht unterstellt wird (Bild 2). Roland Berger geht davon aus, dass 97 % der Transporte zwischen China und Europa weiterhin über die Nordroute respektive die eurasische Landbrücke erfolgen und die südlichen Routen der neuen Seidenstraße für den direkten Bahnverkehr zwischen China und Europa eine eher geringe Rolle spielen werden. Zusammen mit dem weiteren internationalen Verkehr zwischen der EU und Türkei/ Iran, der EU und Südasien sowie Asien und Türkei/ Iran wird der Schienengüterverkehr auf der südlichen Seidenstraße jedoch signifikant ansteigen. Während Roland Berger bis 2027 auf den südlichen Routen 389 000 TEU prognostiziert, erwartet Erich Staake, Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, in fünf bis sechs Jahren bereits gleiche Transportvolumina über die Südroute wie über die Nordroute der Seidenstraße, wobei der Türkei und dem Iran aufgrund ihrer geostrategischen Lage ein großes Entwicklungspotential eingeräumt wird. 25 Wichtig aus deutscher Sicht wäre es, die infrastrukturellen Voraussetzungen und Plattformen zu installieren, um am Transportwachstum auf der Nord- und Südroute bestmöglich zu partizipieren. Einen Engpass stellen die europäischen Güterverkehrskorridore dar, die nur schwach mit dem eurasischen Schienengüterverkehr verbunden sind, so dass Kundenbedürfnisse nicht vollständig abgedeckt sind. Von vier Verbindungspunkten zwischen den asiatischen und europäischen Güterverkehrskorridoren hat nur der Übergang zwischen Polen (Malaszewicze) und Weißrussland (Brest) ein bedeutendes Volumen. Derzeit finden in Polen auf unterschiedlichen Abschnitten Bauarbeiten statt, die zu Grenzproblemen in beiden Richtungen führen. Das Angebot von Alternativrouten, etwa über Kaliningrad, wäre eine wichtige Aufgabe für Eisenbahnplattformen. Kurzbis mittelfristig bietet die BRI für Bau-, Beratungs-, Implementierungsunternehmen, Betreiber, Finanzdienstleister u. a. Unternehmen Chancen durch das kommende Projektgeschäft, zunehmenden interkulturellen Austausch und die damit einhergehenden Impulse. Längerfristige Potenziale ergeben sich durch den angebotsseitigen Ausbau der Transport- und Handelswege in Verbindung mit nachfrageseitigen Veränderungen wie weiter steigender E-Commerce und zunehmende Digitalisierung, die den Welthandel transformieren werden. China ist mit einem stark wachsenden Marktvolumen von derzeit bereits über eine Billion USD der Haupttreiber für E-Commerce, gefolgt von den USA. Um E-Commerce-Plattformen, die einen hohen Profit aus den globalen Wertschöpfungsprozessen generieren, gibt es einen harten Wettbewerb zwischen China und den USA. Amazon und chinesische Internetunternehmen bilden mittlerweile die gesamte Supply Chain mit eigenen Transporten ab. Alibaba investiert in den nächsten fünf Jahren 15 Mrd. USD in sein globales Logistiknetzwerk, dabei v.a. in den Ausbau von Lager- und Lieferdiensten sowie in Datentechnik. 26 Im Gegensatz zur früheren Kolonisierung plant China nicht nur Verbindungen von den einzelnen Ländern zu den Küsten, sondern will die Kernländer Afrikas und Zentralasiens infrastrukturell eng vernetzen, die lokalen Märkte so zu einem Gesamtmarkt (kontinentales Dorf ) integrieren, Skalenvorteile ermöglichen und regionale Konsumgüter oder Dienstleistungen dann über globale digitale Plattformen vermarkten. Dies bietet große Potenziale für Logistikunternehmen wie DHL 27 oder FedEx 28 , die wegen des entstehenden Logistiknetzwerks, erleichterten länderübergreifenden Warentransports und voraussichtlich bald boomenden Geschäfts in Afrika und Asien bereits in den Aufbau von Logistikzentren investieren. Deutschland liegt im Zentrum Europas und könnte die BRI nutzen, sich im Wettbewerb weiter als logistisches Zentrum zu etablieren. 2016 verkehrten 1700 Güterzüge zwischen China und der EU, davon 1000 zwischen China und Deutschland (Duisburg und Hamburg). Der Duisburger Hafen steigerte nach einem Rekordumsatz und -ergebnis im Jahr 2016 den Containerumschlag in 2017 weiter von 3,7 auf 4,1 Mio. TEU. 29 Im Hamburger Hafen sank der Containerumschlag 2017 dagegen leicht von 8,9 auf 8,8- Mio. TEU, während die Konkurrenz in Rotterdam und Antwerpen Marktanteile hinzugewinnen konnte. 30 Die Deutsche Bahn (DB) fährt seit 2011 wöchentliche Containerzüge. 2017 transportierte die DB ca. 65 000 Container auf der Nord- und der Südroute. Bis 2020 sollen es 100 000 Container sein. Eine Fahrt dauert aktuell zwölf bis 16 Tage für 10 000 bzw. 13 000 km. Ohne Schienenwechsel in Brest, Baustellen etc. wäre eine Transportzeit von acht Tagen möglich, woraus - durch niedrigere Kosten - eine Konkurrenz für die Luftfracht erwachsen könnte. Schiffe mit einer Kapazität von vielen Tausend TEU können dagegen schlechter durch Züge ersetzt werden - und zwar aufgrund der geringen Kapazität von Güterzügen, aber auch aufgrund der deutlich höheren Transportkosten: So bräuchte man bis zu 300 Güterzüge, um ein Containerschiff zu ersetzen. 31 Containerschiffe könnten als autonome Schiffe zukünftig von Land aus pilotiert werden, so dass eine kleine Schiffscrew von zehn Leuten zur Administration und Überwachung ausreicht. Neueste Planungen betreffen den Hochgeschwindigkeits-Schienengüterverkehr: Bild 2: Auf der Rong-Ou-Strecke sind 2016 acht Güterzüge täglich zwischen Chengdu und Duisburg unterwegs. Foto: Chengdu Association for Cultural Exchanges Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 50 LOGISTIK Neue Seidenstraße Durch Zentralasien und Russland wurde eine Hochgeschwindigkeitsstrecke für 154- Mrd. USD vertraglich vereinbart, auf der Güterzüge mit Geschwindigkeiten von bis zu 400 km/ h fahren sollen. 32 Als wettbewerbsfähige Alternative zur langsameren See- und teureren Luftfracht könnte dies die Logistik revolutionieren und Luftfracht durch Bahnfracht nachhaltig substituieren, was mit höherer Effizienz und geringerer CO 2 -Intensität einherginge. Andererseits ergeben sich für die Luftfahrt durch die BRI zahlreiche neue und wachsende Absatzmärkte, etwa für Smartphones aus Changcheng oder Pharmazeutika mit kurzer Haltbarkeitsdauer, sowie neue Quellmärkte 33 und Produktionsmärkte. Wichtige Argumente für den Einsatz schneller Lufttransporte sind kurze Produktlebenszyklen, hohe Bandausfallkosten, aber auch flexiblere Disposition, leichtere Verpackung, geringere Lagerkosten und höhere Umschläge bei der Nutzung von Lagerhäusern entlang der neuen Seidenstraße. Aufgrund des E-Commerce-Umsatzwachstums erwarten Experten in den nächsten 20 Jahren eine Verdopplung der Express-Luftfracht, deren Marktanteil heute rund 20 % beträgt. Ein Risiko stellt das Überangebot an Luftfrachtkapazitäten dar, zumal auch in Passagiermaschinen Luftfracht befördert wird und ein Rückgang des Fluggeschäfts im Mittleren Osten (z. B. Dubai, Abu Dhabi) droht. 34 Zusammenfassung Die BRI bietet Maschinen- und Geräteherstellern, Finanzdienstleistern, Beratungs- und anderen führenden Unternehmen der gesamten Wertschöpfungskette neue Absatzpotenziale in den verschiedenen Regionen einer global zunehmend integrierten und modernen Wirtschaft und ermöglicht Kostensenkungen insbesondere bei Transport und Kommunikation. Hierdurch erschließen sich neue Märkte, Konsum-, Absatz- und Wirtschaftswachstum. Die BRI hilft, Asien, Afrika und Europa durch infrastrukturelle Vernetzung nachhaltig zu entwickeln und hat nicht nur das Potenzial, deren Ökonomien durch Wirtschaftswachstum zu stabilisieren, sondern könnte durch die Vernetzung und Inklusion von Milliarden Menschen in die arbeitsteilige Weltökonomie einen neuen Kondratjew-Zyklus einleiten. 36 ■ 1 Teilweise auch als 21st Century Maritime Silk Road bezeichnet. 2 Hartmann, W. D., Maennig, W., Wang, R. (2017): Chinas neue Seidenstraße: Kooperation statt Isolation - Der Rollentausch im Welthandel, S. 37-38. 3 Vgl. NDRC et al. (National Development and Reform Commission, Ministry of Foreign Affairs, Ministry of Commerce) (2015): Visions and Actions on Jointly Building Silk Road Economic Belt and 21st-Century Maritime Silk Road, URL: h t t p : / / e n . n d r c . g o v . c n / n e w s r e l e a s e / 2 0 1 5 0 3 / t20150330_669367.html 4 Vgl. Liew, M. L. (2017): Belt and Road Initiative is the main global growth engine over next decade, The Business Times, 31.5.2017, URL: https: / / www.iesingapore.gov.sg/ Media-Centre/ News/ 2017/ 5/ Belt-and-Road-Initiative-is-themain-global-growth-engine-over-next-decade 5 Vgl. Höllriegel, F. (2017): China bringt Seidenstraße 2.0 auf den Weg, WEKA, 23.5.2017, URL: https: / / www.weka.de/ einkauf-logistik/ china-bringt-seidenstrasse-2-0-auf-denweg/ 6 Vgl. van der Leer, Y., Yau, J. (2016): China’s New Silk Route, The Long and Winding Road, PwC’s Growth Markets Centre, Feb. 2016, S. 5, URL: https: / / www.pwc.com/ gx/ en/ growthmarkets-center/ assets/ pdf/ china-new-silk-route.pdf 7 Vgl. The Economist (2016): Our bulldozers, our rules, China’s foreign policy could reshape a good part of the world economy, 2.7.2016, URL: https: / / www.economist. com/ news/ china/ 21701505-chinas-foreign-policy-couldreshape-good-part-world-economy-our-bulldozers-ourrules 8 Vgl. World Economic Forum (2017): China’s $900 billion New Silk Road. What you need to know, 26.6.2017, URL: https: / / www.weforum.org/ agenda/ 2017/ 06/ china-newsilk-road-explainer/ 9 Vgl. Xinhua (2017): Full text of Chinese President Xi‘s address at APEC CEO Summit, Quelle: Xinhua, 11.11.2017, URL: http: / / www.xinhuanet.com/ english/ 2017-11/ 11/ c_136743492.htm 10 Vgl. UNDP, CDB, SEPKU (United Nations Development Programme, China Development Bank, The School of Economics, Peking University) (2017): The Economic Development along the Belt and Road, UNDP China, S. 3. 11 Vgl. Chen, Y. (2013): Aligning State and Market, Chinas Approach to Development Finance, Foreign Languages Press. 12 Zudem gibt es Sonderfonds, etwa für die Zusammenarbeit mit Kasachstan ein genehmigtes Anfangskapital von 2 Mrd. USD. 13 Eigene Darstellung, basierend auf Richet, X. (2016): The Belt & Road Initiative and EU-China Economic Relations: Trade, Finance, FDI, Turin Center on Emerging Economies Conference 9.-10.5.2016, Silk Road Fund (2018): About Us, URL: http: / / www.silkroadfund.com.cn/ enweb/ 23775/ 23767/ index. html, New Development Bank (2018): About Us, URL: https: / / www.ndb.int/ about-us/ essence/ history/ , AIIB (2018): About AIIB, URL: https: / / www.aiib.org/ en/ index.html#, dpa (2016): China legt Milliarden-Fonds für Europa auf, Handelsblatt, 6.11.2016, URL: http: / / www.handelsblatt.com/ politik/ konjunktur/ nachrichten/ investment-china-legt-milliardenfonds-fuer-europa-auf/ 14801028.html 14 11 mittel- und osteuropäische EU-Mitgliedsländer und 5 Beitrittskandidaten (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Serbien) begrüßten bereits im April 2012 die chinesische „16+1“-Kooperationsinitiative, welche die Beziehungen zwischen den 16 „Central and Eastern European (CEE) countries“ und China intensiviert. 15 Vgl. Chen, Y. (2013), Ding, Y. (2017): BRI: Origins & Opportunities, keynote speech given during the CEIBS 3rd Europe Forum 2017 stop in Munich, 13.9.2017, URL: http: / / www. ceibs.edu/ media/ news/ events-visits/ 11999? hash=6T7CPH0 3PKUp4SZmOz2Tu5-39qlUOnKE7FLAT2q6Yhs 16 Vgl. List, F. (1841): Das Nationale System der Politischen Ökonomie, Basel, Tübingen 1959, S. 153 ff. 17 Vgl. EIR (2017): Die neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke, Wiesbaden, S. 42 f. 18 Vgl. Xinhua (2018): Full text of China‘s Arctic Policy, The State Council Information Office of the People‘s Republic of China, January 2018, Quelle: Xinhua, 16.1.2018, URL: http: / / www.xinhuanet.com/ english/ 2018-01/ 26/ c_136926498.htm 19 Vgl. Ding, Y. (2017). 20 Vgl. Enders, M. (2018): Neue Seidenstraße: China baut seinen Einfluss in Europa aus, Deutsche Wirtschafts Nachrichten, 4.3.2018. 21 Vgl. URL: http: / / www.industrialpark.by/ en 22 Vgl. Schüller, M., Schüler-Zhou, Y. (2015): Chinas Seidenstraßen-Initiative trifft auf transeuropäische Infrastrukturpolitik, GIGA Focus Global Nr. 8/ 2015. 23 Vgl. Roland Berger (2017): Eurasian rail corridors. What opportunities for freight stakeholders? International Union of Railways (UIC), Paris, October 2017. 24 LCL steht für “Less than Container Load”. 25 Staake, E. (2017): Wie sich Duisburg als Drehscheibe für Asien-Europa-Verkehre positioniert. Vortrag bei der DVZ- Konferenz „Die neue Seidenstraße“, Düsseldorf 12.10.2017 [eigene Mitschrift]. 26 Vgl. brt/ Reuters (2017): Alibaba steckt 15 Milliarden Dollar in Lieferdienste, manager magazin, 26.9.2017, URL: http: / / www.manager-magazin.de/ unternehmen/ handel/ alibaba-steckt-15-milliarden-dollar-in-lieferdienste-a-1169949. html 27 Vgl. Shepard, W. (2017): How German Freighter DHL Was Literally A Trailblazer For China‘s New Silk Road, Forbes, 31.5.2017, URL: https: / / www.forbes.com/ sites/ wadeshepard/ 2017/ 05/ 31/ the-companies-building-the-new-silkroad-dhl/ #751f2c1862da 28 Vgl. Meichen, L. (2018): FedEx sets up new cargo hub, China Daily, 9.1.2018, URL: http: / / www.ecns.cn/ business/ 2018/ 01-09/ 287545.shtml 29 Nach dem Geschäftsbericht 2016 der duisport-Gruppe erzielte der Duisburger Hafen 2016 einen Umsatz von 230 Mio. EUR und ein EBITDA 40,4 Mio. EUR. URL: http: / / presse. duisport.de/ publikationen/ geschaeftsberichte.html 30 Vgl. URL: https: / / www.hafen-hamburg.de/ de/ statistiken/ containerumschlag 31 Vgl. Puls, T. (2016): One Belt One Road - Chinas neue Seidenstraße, IW-Kurzberichte, No. 67.2016, URL: https: / / www. e con stor.eu/ bitstre am/ 1 04 1 9/ 1 57 57 3/ 1 / IW-Kurz be richt_2016-67.pdf 32 Vgl. Global Construction Review (2017): Russia announces 400km/ h freight train for Moscow to China, 9.6.2017, URL: http: / / www.globalconstructionreview.com/ news/ russiaannounces-400kmh-frei7ght-tr7ain-mos7cow/ , Luis, M. (2018): Mit Highspeed Richtung Europa. Neue Seidenstraße: Chinas Pläne an Hochschule Fulda im Fokus, Fuldaer Zeitung, 20.1.2018, S. 40. 33 Das 8. UNWTO Seidenstraßen-Ministertreffen am 7.3.2018 konzentrierte sich auf die Etablierung der Seidenstraße als wichtigste transnationale Tourismusroute des 21. Jahrhunderts. Vgl. UNWTO (2018): Silk Road: The Most Important Transnational Tourism Route of the 21st Century, Press Release, 7.3.2018, URL: http: / / media.unwto.org/ press-release/ 2018-03-07/ silk-road-most-important-transnational-tourism-route-21st-century 34 Oedekoven, M. (2017): Warum die Luftfracht trotz der Konkurrenz durch die Seidenstraße eine Berechtigung hat. Vortrag bei der DVZ-Konferenz „Die neue Seidenstraße“, Düsseldorf 12.10.2017 [eigene Mitschrift]. 35 Vgl. Ding, Y. (2017), Liew, M. L. (2017). 36 Vgl. Müller, C. (2015): Nachhaltige Ökonomie - Ziele, Herausforderungen und Lösungswege, Berlin/ Boston, De Gruyter Oldenbourg, S. 234. Carsten Müller, Prof. Dr. Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre für Wirtschaftsingenieure, Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Fulda carsten.mueller@w.hs-fulda.de Michael Huth, Prof. Dr. Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik, Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Fulda michael.huth@w.hs-fulda.de Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 51 Strukturen der europäischen Fährschiffstonnage Empirische Untersuchung der RoPax- und RoRo-Tonnage in-Europa Fährschifffahrt, Fähre, RoRo, RoPax, Europa, Tonnage Die Fährschifffahrt in Europa ist von großer Bedeutung für den Waren- und Passagierverkehr. Ursprünglich für den Transport von Eisenbahnen entwickelt, werden heute vorrangig auf RoRo-Fähren rollende Ladung ohne Passagiere und auf RoPax-Fähren zusätzlich auch Passagiere befördert. Basierend auf einer Datenbank sämtlicher aktiver und verschrotteter Fähren Europas wurden Strukturen und Merkmale der Flotte in den Regionen Ostsee, Nordsee und Mittelmeer u.a. das Alter, die Verschiebung des Einsatzgebietes und die Passagier- und Frachtkapazitäten analysiert und mögliche Ursachen diskutiert. Sönke Reise, Caroline Haugrund W asser trennt und verbindet zugleich. Gewässer stellen eine natürliche Barriere im Verkehr dar, gleichzeitig sind sie aber auch das verbindende Element, wenn die Schifffahrt betrachtet wird. In Europa kommen hierfür Fähren zum Einsatz. Die Wurzeln der heutigen Fährschifffahrt liegen in der Nordsee mit der 1850 eröffneten Verbindung über den Firth of Forth in Schottland. Es folgten schnell reine Eisenbahnfähren in Dänemark, z. B. mit der Verbindung Nyborg-Korsör (Großer Belt, 1883). Erste Autofähren wurden noch vor dem 2.-Weltkrieg entwickelt. 1 Nach dem Krieg nahmen die wirtschaftliche Entwicklung und die Integration Europas zu. Auch stiegen das Einkommen und die frei verfügbare Zeit der Bevölkerung an. Diese Faktoren förderten die Entwicklung neuer Fährverbindungen und machen die Fährschifffahrt in Europa heute unverzichtbar. Während die Nachfrage nach dem Eisenbahnfährverkehr unter anderem aufgrund von festen Querungen zurückgeht, ist die Nachfrage nach der Beförderung von Straßenfahrzeugen im gewerblichen und privaten Güter- und Personenverkehr ungebrochen. Eine Fähre ist definiert als Wasserfahrzeug, das dem Übersetzen von Fahrzeugen und Personen über einen See, einen Fluss oder eine (kürzere, nicht interkontinentale) Meeresstrecke dient. Gegenstand dieses Artikels sind Fähren, die auf dem Meer eingesetzt werden, Binnenfähren werden nicht betrachtet. Es werden zwei Arten von Fähren unterschieden: • RoPax-Fähre: Dies ist eine Fähre für den kombinierten Transport von rollender Fracht und (mehr als 12) Passagieren. Kennzeichen sind die Aufenthaltsbereiche und Kabinen für die Passagiere neben den Decks für die rollende Ladung (im Wesentlichen LKW, PKW, Trailer) • RoRo-Fähre: Dies ist eine Fähre für den exklusiven Transport von unbegleiteter rollender Ladung, also vorrangig LKW und Trailer ohne Begleitperson. Diese Fähren besitzen großzügige Ladungsdecks für rollende Ladung unterschiedli- Foto: pixabay.de Fährverkehr LOGISTIK Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 52 LOGISTIK Fährverkehr cher Höhe, jedoch grundsätzlich keine Einrichtungen für den regelmäßigen Passagiertransport (dieser ist im Ausnahmefall bis zu zwölf Passagieren möglich). Neben diesen beiden Grundtypen lassen sich Fähren nach charakterisierenden Merkmalen differenzieren, beispielsweise Katamaranfähren (Rumpfform) oder Hochgeschwindigkeitsfähren. Auch sind ConRo- Fähren bekannt, die neben rollender Ladung auch Container transportieren können. Pure Car Carrier sind große Autofähren mit bis zu 7000 Fahrzeugstellplätzen (CEU), die Neu- und Gebrauchtfahrzeuge verschiffen. Fährschifffahrt findet global überall dort statt, wo die geografischen Bedingungen den Einsatz von Fähren begünstigen. In Europa sind dies vorrangig die Ostsee, die Nordsee sowie das Mittelmeer mit den jeweils angrenzenden Bereichen. Diese Regionen stehen im Fokus dieser Analyse, ebenso erfolgt eine Beschränkung auf RoPax- und RoRo-Fähren. Als Datenbasis nachfolgender Untersuchung dient eine SQL-Datenbank des Betreibers der Webseite www.ferry-site.dk, welche den Autoren zur Verfügung gestellt wurde. Auf dieser Webseite sind sämtliche Fährschiffe aufgelistet, jedoch in unterschiedlicher Qualität mit Daten versehen. Diese Datenbank wurde in Excel überführt, für etliche Schiffe wurden fehlende Werte recherchiert und manuell nachgetragen. Da Fähren bei Besitzerwechsel häufig den Namen ändern, erfolgte eine Betrachtung anhand der einmaligen IMO-Nummer, die für jedes Schiff bei Kiellegung festgelegt wird. Um eine Fokussierung auf den Fährverkehr auf dem Meer zu erreichen, wurden Schiffe mit einer Länge < 50 m und Baujahr älter als 1950 nicht betrachtet. Zur Auswertung kamen damit 1087 RoPax- und 302 RoRo-Fähren. Ausgewählte Rahmenbedingungen für den Einsatz von Fährschiffen in Europa Die Veränderung des Fährverkehrs innerhalb der letzten Jahrzehnte ist durch verschiedene äußere Einflüsse geprägt, welche unter anderem zum Verkauf von Schiffen oder zu Umbauten geführt haben. Verschiedene Schiffsunglücke führten zu verschärften Sicherheitsanforderungen, die jedoch nicht überall gleichzeitig Anwendung fanden. Zusätzlich beeinflussen wirtschaftliche Entwicklungen den Fährschifffahrtsmarkt. Ein gewichtiger Aspekt vor dem Hintergrund des Einsatzes von Fährschiffen in Europa ist die historische Entwicklung der heutigen Europäischen Union und ihrer sukzessiven Erweiterung. In diesem Kontext müssen die neuen Mitgliedsländer europäische Vorschriften übernehmen, nationales Recht durch europäisches Recht ersetzen, dies hat auch Folgen für den Einsatz der Fährschiffe. Des Weiteren wirkten sich der Wegfall der Zölle und des Duty-free- Geschäftes sowie die wirtschaftliche Integration auf die Nachfrage aus. Die Einführung der Schwefelkontrollgebiete zum 01.01.2015 in der Nord- und Ostsee verlangte von der Schifffahrt die Einhaltung eines auf 0,1 % Schwefelanteil abgesenkten Grenzwertes für Treibstoffe. Dieser Grenzwert kann nur durch alternative Antriebe, hochwertigen Treibstoff oder eine Abgasnachbehandlung erreicht werden. In regional unterschiedlichem Tempo verschärften sich in Europa die Sicherheitsvorschriften für den Einsatz von Fährschiffen. Auslöser für diese Verschärfungen waren stets schwere Unglücke, etwa die „Herald of Free Enterprise“ 1987 oder die „Estonia“ 1994. Derartige Unglücke mündeten in Ergänzungen der SOLAS- Konvention und dem Stockholmer Übereinkommen von 1996. Wasserdichte Unterteilungen, die Verwendung nicht brennbarer Materialen, Überwachung der Laderäume und der Bugtore, Sprinkeranlagen sind einige Beispiele für Sicherheitsvorschriften der jüngeren Vergangenheit. Teilweise bezogen sich diese Vorschriften nicht nur auf Neubauten, sondern verlangten auch Umrüstungen der bestehenden Flotte. Das Stockholmer Übereinkommen galt anfangs nur für Nordeuropa, Fähren im Mittelmeer waren davon bis 2003 ausgenommen. Analyse der RoPax-Tonnage Durchschnittsalter der aktiven Flotte Die Analyse der Altersstrukturen der in den drei europäischen Regionen derzeit operierenden RoPax-Fähren weist deutliche Unterschiede auf (Bild 1). Im Mittelmeer sind 315 RoPax-Fähren im Dienst mit einem Durchschnittsalter von 24,8 Jahren. Im Norden sind die aktiven Schiffe jünger: In der Ostsee operieren 123 RoPax-Schiffe mit einem durchschnittlichen Alter von 20,3 Jahren, die Nordsee hat mit einem Durchschnittsalter von 19,3 Jahren die jüngste RoPax-Flotte (120 Schiffe). Auffällig ist, dass in Nord- und Ostsee nur wenige RoPax-Fähren - nur etwa jede fünfte - älter als 30 Jahre sind (Tabelle 1). Dagegen sind im Mittelmeer rund ein Drittel (33,0 %) aller RoPax-Fähre jenseits der 30- Jahre. Das Ergebnis darf jedoch nicht derart interpretiert werden, dass es im Mittelmeer kaum neue Schiffe gibt. Da die absolute Anzahl an Schiffen hier größer ist, fallen die vorhandenen neuen Schiffe - immerhin 31- Stück - relativ mit nur 9,8 % gering ins Gewicht. Auffällig ist auch der mit 9,8 % recht geringe Anteil junger Fähren (<10 Jahre) im Mittelmeer, in dieser Altersgruppe befinden sich auf Nord- und Ostsee etwa ein Viertel aller Fähren. Hiermit erklärt sich dann auch der Unterschied im Durchschnittsalter. Bei Betrachtung nach dem Alter fallen naturgemäß die besonders alten Fähren auf. Auf der Ostsee verkehren lediglich acht sehr alte Fähren. Diese sind allesamt auf sehr kurzen Strecken im Einsatz, z.B. als Querverbindung über den Oslofjord oder zu den Inseln Saaremaa und Hiiumaa. In der Nordsee ist Bild 1: Altersstruktur aktiver RoPax-Fähren in Europa ≤ 10 11-20 21-30 31-40 > 40 #RoPax- Fähren Ostsee 27,6 % 24,4 % 26,8 % 14,6 % 6,5 % 123 Nordsee 25,0 % 34,2 % 27,5 % 5,8 % 7,5 % 120 Mittelmeer 9,8 % 35,6 % 21,6 % 17,1 % 15,9 % 315 Tabelle 1: Prozentuale Häufigkeit der Altersklassen aktiver RoPax-Fähren Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 53 Fährverkehr LOGISTIK die mit 59 Jahren älteste Fähre (MF „Nordenham“) auf der Weser zu finden, sie verbindet Blexen mit Bremerhaven. Im Mittelmeer zeichnet sich ein vergleichbares Bild ab. Die ältesten Fähren verkehren auf kurzen Strecken, insbesondere zwischen Italien und der Insel Ischia (MF „Don Peppino“ 52 Jahre) sowie in Griechenland und Kroatien. Es schließt sich die Frage an, wann Ro- Pax-Schiffe im Allgemeinen verschrottet werden. Für die Beantwortung dieser Frage erfolgt eine differenzierte Betrachtung. Zunächst ein Blick auf die Fähren, die ausschließlich in einer Region betrieben wurden; daher stehen vergleichsweise wenige Schiffe zur Analyse zur Verfügung (Bild 2). Das durchschnittliche Alter der RoPax-Fähren, die nur in einer Region im Einsatz waren, beträgt bei der Verschrottung 34,5 Jahre. Überwiegend werden europäische Ro- Pax-Fähren im Alter zwischen 30 und 40-Jahren verschrottet. Im Hinblick auf die absoluten Zahlen fällt auf, dass v.a. im Mittelmeer 40 Schiffe verschrottet wurden, in der Ostsee 22 und in der Nordsee nur sechs. Die verschrotteten jüngeren Fähren (Alter < 20- Jahre), waren sowohl in der Ostsee als auch im Mittelmeer vorrangig Hochgeschwindigkeitsfähren (z. B. Mie Mols, Stena Voyager). In anderen Fällen gab es Unglücke, etwa Brände, die anschließend zur Verschrottung des Schiffes führten (z. B. MF „Sorrento“ 2015). Wird die Betrachtung dahingehend erweitert, dass das letzte Einsatzgebiet maßgebend ist, ergeben sich interessante Abweichungen. Während die Werte für die Ost- und Nordsee unverändert sind, erhöht sich die Zahl für das Mittelmeer von 30 auf 138 stark. Einerseits wurden keine Schiffe von Süd nach Nord verlegt, betrieben und dann dort verschrottet, andererseits steigt durch die Hinzunahme dieser Schiffe das durchschnittliche Verschrottungsalter von RoPax-Fähren im Mittelmeer auf 37,2 Jahre an (Tabelle 2). Verschiebung des Einsatzgebietes im Lebenszyklus einer RoPax-Fähre Vor dem Hintergrund der eingangs skizzierten äußeren Einflüsse ist zu beobachten, dass Tonnage, die nicht mehr in Nord- und Ostsee eingesetzt wird, in das Mittelmeer verlegt und dort weiter betrieben wird. Die letzte bekannte verschobene Fähre ist die „Prins Joachim“, die bis 2016 im Einsatz zwischen Rostock und Gedser war und nun als „Morocco Star“ zwischen Tanger und Algeciras verkehrt. Die Auswertung des Datensatzes ergibt 494 derart verlegte Fähren, von denen im Jahr 2016 immer noch 315 im Mittelmeer aktiv waren, 179 wurden inzwischen verschrottet. Werden nur die nicht mehr aktiven Schiffe fokussiert, so ist auffällig, dass diese RoPax-Fähren zu jeweils 25,7 % vorher auf der Nordbzw. Ostsee im Einsatz waren. Nur 24,0 % wurden speziell für den Einsatz im Mittelmeer gebaut. Der Rest hatte sein vorheriges Einsatzgebiet in v.a. Asien, hier insbesondere Japan (14,0 %). Eine Betrachtung der derzeit aktiven RoPax-Einheiten im Mittelmeer ergibt ein deutlich anderes Bild. Weit mehr als die Hälfte der aktiven Fähren (61,6 %) wurden für den Ersteinsatz im Mittelmeer gebaut, nur noch ca. 12% der RoPax-Fähren stammten aus der Nordsee bzw. Ostsee. Damit ist der Anteil von Schiffen aus Nordeuropa Bild 3: Ursprung der im Mittelmeer betriebenen RoPax-Fähren ≤ 10 11-20 21-30 31-40 > 40 Summe 0 4 15 79 40 138 Tabelle 2: Alter der zuletzt im Mittelmeer betriebenen und verschrotteten RoPax-Fähren Bild 4: Passagierkapazitäten der in der Ostsee neugebauten RoPax-Fähren Bild 2: Alter der RoPax-Fähren bei Verschrottung Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 54 LOGISTIK Fährverkehr deutlich zurückgegangen (von 51,4 % auf 24,3 %). Es lässt sich also konstatieren, dass die Bedeutung der Verschiebung des Einsatzgebietes in der letzten Zeit stark abgenommen hat (Bild 3). Entwicklung der Passagier- und Frachtkapazitäten Die sich in den letzten 25 Jahren veränderten Nachfragestrukturen im Fährverkehr führten zu veränderten Kapazitätsauslegungen beim Neubau von Fähren. Es ist anzunehmen, dass beispielsweise aufgrund der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs, des Wegfalls des Duty-Free Geschäftes sowie der relativ geringen Kosten für eine Kreuzfahrt für die Fährreedereien immer weniger Bedarf an Passagierkapazitäten existiert, während die steigende Nachfrage im Güterverkehr mit zusätzlichen Frachtkapazitäten bedient werden muss. Um diese These zu überprüfen, wurden die Neubauten in den Regionen in Bezug auf die durchschnittliche Passagierkapazität untersucht. Dabei wurde im Hinblick auf die politischen Umwälzungen in Europa das Jahr 1990 als Grenze betrachtet, um einen ersten Ansatz zur Entwicklung der durchschnittlichen Passagierkapazität zu erhalten. Die Passagierkapazität bezieht sich dabei stets auf die maximale Beförderungsanzahl, sie ist nicht mit Kabinen, Betten oder Sitzplätzen gleichzusetzen. Vor 1990 wurden durchschnittlich Kapazitäten für 5231 Passagiere pro Jahr gebaut, dieser Wert sank danach auf 3315 pro Jahr. Es ist also eine deutliche Abnahme der absoluten Neubaukapazitäten festzustellen. Interessanterweise sind die Durchschnittskapazitäten pro Schiff leicht gestiegen: von 996 Passagieren vor 1990 auf 1041 Passagiere nach 1990. Es wurden damit weniger, dafür aber etwas größere Fähren in Dienst gestellt (Bild 4). Die Reedereien reagierten damit auf die gestiegene Nachfrage im Zuge der EU-Erweiterung, kompensieren aber zugleich Rückgänge aus anderen bereits angeführten Gründen. Für die Nordsee ergibt sich ein ähnliches Bild, bemerkenswert ist allenfalls, dass die durchschnittlich pro Jahr gebaute Kapazität mit 3173 bzw. 3078 Passagieren ebenfalls nahezu konstant ist (Stichprobe n = 255 Ro- Pax-Fähren). Ein deutlich anderes Bild ergibt sich dagegen im Mittelmeer. Bis etwa Mitte der 1990er Jahre wurden kaum Schiffe für den Einsatz im Mittelmeer gebaut. Die wenigen Neubauten waren dabei vergleichsweise klein (die größeren im Einsatz befindlichen Schiffe waren zuvor im Norden aktiv). Wurden vor 1990 nur Kapazitäten für 2108 Passagiere pro Jahr gebaut, so ist dieser Wert nach 1990 auf 7615 Passagiere angestiegen. Damit ist festzustellen, dass insbesondere in den Jahren zwischen 1998 und 2005 nicht nur viele, sondern auch sehr große RoPax- Fähren direkt für den Einsatz im Mittelmeer gebaut wurden. Gleichzeitig nahm wie erwähnt das Verschieben des Einsatzgebietes von der Nord- und Ostsee in das Mittelmeer deutlich ab. Von 731 Passagieren (vor 1990) stieg die durchschnittliche Passagierkapazität pro Schiff der für das Mittelmeer gebauten RoPax-Fähren auf 1083 Passagiere nach 1990 (Bild 5). Analyse der RoRo-Tonnage Durchschnittsalter der aktiven Flotte Die in Europa im Einsatz befindlichen Ro- Ro-Fähren sind im Allgemeinen jünger als die RoPax-Fähren. In der Ostsee sind die RoRo-Fähren im Durchschnitt 14,9 Jahre alt. Die mit 44 Jahren älteste RoRo-Fähre ist die MF „Fjärdvägen“, die seit 1995 zwischen Naantali und Langnäs (Åland-Inseln) verkehrt. Die jüngsten RoRo-Fähren besitzen die Reedereien Finnlines und Transfennica (Tabelle 3). Bei etlichen RoRo-Fähren erstreckt sich das Einsatzgebiet sowohl in der Ostsee als auch in der Nordsee. Daher ist eine eindeutige Zuordnung zum Einsatzgebiet nicht immer möglich. In der Nordsee sind deutlich mehr RoRo-Fähren als in der Ostsee im Einsatz. In der Nordsee sind die RoRo-Fähren im Schnitt 12,9 Jahre alt, RoRo-Fähren, die beide Gebiete bedienen 13,8 Jahre. Die Schiffe sind damit geringfügig jünger als in der Ostsee. In der Nordsee dominiert die Reederei Cobelfret (19 erfasste Fähren) vor DFDS Seaways mit 18 erfassten Fähren. Cobelfret betreibt mit den RoRo-Fähren „Undine“ und „Cymberline“ die beiden ältesten Fähren der Region. Mit 63 RoRo-Fähren im Mittelmeer ist die Flotte vom Umfang mit der in der Nordsee vergleichbar, wobei das Mittelmeer eine größere geografische Ausdehnung besitzt. Das Durchschnittsalter der RoRo-Fähren ist Abb. 5: Passagierkapazitäten der im Mittelmeer neugebauten RoPax-Fähren ≤ 10 11-20 21-30 31-40 > 40 Summe 8 13 1 1 1 25 Tabelle 3: Altersstruktur aktiver RoRo-Fähren in Ostsee Bild 6: Altersstruktur aktiver RoRo-Fähren in Nordsee und in Nord- und Ostsee Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 55 Fährverkehr LOGISTIK mit 18,6 Jahren höher als im Norden Europas, des Weiteren insbesondere der Anteil an Fähren zwischen 30 und 40 Jahren. Die Reederei Grimaldi unterhält im Mittelmeer die größte Flotte, die im Schnitt auch nur 9,1-Jahre alt ist (Tabelle 4). Allgemein lässt sich feststellen, dass die RoRo-Flotte in Europa überwiegend relativ jung ist. Schiffe, die älter als 30 Jahre sind, stellen die Ausnahme dar und sind eher im Mittelmeer im Einsatz als in den nördlichen Gewässern (Tabelle 5). Entwicklung der Spurmeterkapazitäten Die vorhandene Datengrundlage erlaubt die Analyse nach Spurmeterkapazitäten erst ab dem Jahr 1970, so dass für davor liegende Zeiten keine Aussagen getroffen werden können. Im direkten Vergleich der Entwicklung der Spurmeterkapazitäten fallen zunächst die späten 70er Jahre auf, da hier sowohl in der Nordsee als auch im Mittelmeer mehr als 20 000 Spurmeter RoRo-Kapazität in Dienst gestellt wurden. Im folgenden Jahrzehnt war dagegen nur eine vergleichsweise geringe Neubauaktivität vorhanden, die dann in der zweiten Hälfte der 90er Jahre anzog und bis zur Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 anhielt. Seitdem dominiert der Mittelmeerraum den Markt für RoRo-Neubauten (Bild 7). In der Ostsee sind die im Allgemeinen niedrigeren Werte auffällig. Es ist anzumerken, dass hier der Verkehr mit RoPax-Fähren stark ausgeprägt ist und daher weniger Notwendigkeit nach RoRo-Kapazitäten besteht. Vor allem im Dienst zwischen Deutschland und Finnland kommt die Ro- Ro-Tonnage zum Einsatz: 22 der 27 zwischen 1985 und 2003 gebauten RoRo-Fähren verkehren hier. In der Nordsee hat der RoRo-Markt aufgrund der Wirtschaftsbeziehungen und der geringeren Passagiernachfrage einen höheren Stellenwert. Nicht nur, dass im Betrachtungszeitraum 80 Schiffe mit einer Durchschnittskapazität von 5256 Spurmetern gebaut wurden (für die Ostsee 68 Schiffe mit durchschnittlich 2242 Spurmetern), auch lässt sich an öffentlichen Statistiken erkennen, dass die größten RoRo-Häfen an der Nordseeküste liegen (Calais, Dover, Rotterdam, Dünkirchen und Zeebrügge). Im Mittelmeer ist zunächst die Periode 1976 bis 1981 auffällig. Nachdem die nordafrikanischen Staaten unabhängig wurden, nahm der Handel zwischen diesen und Frankreich, Spanien und Italien zu. Neun RoRo-Fähren wurden in dieser Zeit für diese Verkehre in Dienst gestellt. Auslöser für weitere Neubauaktivitäten war der Balkankrieg, der für den Verkehr zwischen Europa und der Türkei dahingehend Bedeutung hatte, als dass die Route über die Adria stärker nachgefragt wurde. Auch im Mittelmeer wurden zuletzt immer größere RoRo-Fähren gebaut, aufgrund kleinerer Einheiten in der Vergangenheit beträgt die durchschnittliche Kapazität jedoch 2.741 Spurmeter bei 59 betrachteten Einheiten. Fazit und Ausblick Der Fährschifffahrtsmarkt in Europa unterliegt einem stetigen Wandel. Anhand der Datenquelle und den damit möglichen Auswertungen konnte belegt werden, dass in der Vergangenheit regelmäßig RoPax-Fähren nach ihrem Ersteinsatz in Nord- und Ostsee in das Mittelmeer verschoben wurden. Damit ist das dortige höhere Durchschnittsalter zu erklären. Inzwischen erfolgen derartige Verschiebungen nur noch selten. In der jüngeren Vergangenheit hat die Dynamik des RoPax-Marktes vor allem im Mittelmeer stattgefunden, da hier mehr und größere Einheiten in Fahrt kamen. Die RoRo-Tonnage ist deutlich jünger als die RoPax-Tonnage. Die stärkere Nachfrageentwickung nach Güterals nach Personenverkehr ist dafür ursächlich. Vor allem auf der Nordsee ist der RoRogegenüber dem RoPax-Verkehr relativ stark ausgeprägt. Die langfristigen Veränderungen in der Zusammenarbeit der europäischen Staaten sowie der südlichen Mittelmeeranrainer und darüber hinaus vor allem verschärfte Sicherheitsanforderungen an die Schiffe beeinflussen den Fährschifffahrtsmarkt. Ein konkreter Rückschluss auf wirtschaftliche oder politische Einflüsse im konkreten Fall ist nicht nachweisbar, lässt sich aber oftmals als naheliegend vermuten. ■ 1 Vgl. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Eisenbahnfährverbindung, 5.12.2017 Sönke Reise, Prof. Dr. rer. pol. Professur für Verkehrslogistik, Bereich Seefahrt, Hochschule Wismar soenke.reise@hs-wismar.de Caroline Haugrund, B.Sc. Bereich Seefahrt, Hochschule Wismar carohaugrund@web.de Bild 7: Entwicklung der Spurmeterkapazitäten der RoRo-Fähren ≤ 10 11-20 21-30 31-40 > 40 Summe 21 20 5 16 1 63 Tabelle 4: Altersstruktur aktiver RoRo-Fähren im Mittelmeer ≤ 10 11-20 21-30 31-40 > 40 #RoPax- Fähren Ostsee 33 % 54 % 4 % 4 % 4 % 24 Nordsee 35 % 60 % 5 % 0 % 0 % 60 Nord- und Ostsee 50 % 25 % 19 % 6 % 0 % 16 Mittelmeer 33 % 32 % 8 % 25 % 2 % 63 Tabelle 5: Prozentuale Häufigkeit der Altersklassen bei RoRo-Fähren je Einsatzgebiet Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 56 Transporte von Flüssignährstoffen per Binnenschiff Geschäftsmodell - Transportkorridore - Technik Binnenschiff, Einhüllentanker, Tankschubleichter, Flüssignährstoff, Gülle, Mittellandkanal Die Binnenschifffahrt und ihre Verlader- und Empfängerschaft gelten derzeit noch nicht als vom digitalen, hyperkompetitiven Wettbewerb erfasst. Verlagerungseffekte von der Straße auf das Binnenschiff gibt es kaum. Der Transport von Flüssignährstoffen könnte also ein neues Geschäftsmodell werden, um kaum genutzte Transportkorridore besser auszulasten und seit 01.01.2018 frei werdende Einhüllentanker umzuwidmen. Gülle wird inzwischen durchaus per Binnenschiff transportiert, dies allerdings noch in zu geringen Mengen. Digitale Güllebörsen könnten den Prozess forcieren. Thomas Decker D as Thema Nährstofflogistik per Binnenschiff nimmt zunehmend an Fahrt auf. Im Rahmen eines Symposiums mit Vertretern der Agrar- und der verladenden Wirtschaft sowie der Rheinischen Fachhochschule Köln, Standort Neuss, berichtete ein teilnehmender Unternehmer, dass an einer nachhaltigen technischen und kaufmännischen Lösung gearbeitet würde. Avisiert sei ein jährliches Transportvolumen von 52 x 2 x 1200 = rund 125 000 Tonnen, das via gleichbleibender Relationen von Westdeutschland nach Nord- und Mitteldeutschland transportiert werden könne. Inwieweit diese Euphorie berechtigt ist, gilt es mit nachfolgenden fünf Fragenkomplexen zu klären: 1. zur technischen Lösung (Einhüllentanker) 2. zur kaufmännischen Lösung (Kalkulation) 3. zur logistischen Lösung (Relationen) 4. zur Verlader- und Empfängerschaft (Absatzmärkte) 5. zur Behandlung des Ladegutes (Gefahrstoffklassifikation) 1. Technische Lösung (Einhüllentanker) Für den Binnenschiffstransport von Flüssignährstoffen/ Gülle können aus technischer Sicht problemlos Einhüllentanker eingesetzt werden (Bild 1). Der Einsatz von Doppelhüllenschiffen würde dagegen die Transportkosten deutlich nach oben verändern und wäre wirtschaftlich nicht vertretbar. Einige Binnenreeder können insoweit problemlos auf entsprechenden Schiffsraum zurückgreifen. Hierbei handelt es sich um Schiffe in der 1000bis 1200-t-Klasse, welche sowohl auf dem Rhein als auch auf dem Mittellandkanal fahren könnten. Nachstehende Schiffsdaten können als Referenzdaten für gängige Einhüllentanker betrachtet werden: Länge 95 m, Breite 9 m, Tiefgang 2,70 m, Tonnage 1300 t, Maschinenleistung 800 PS. Die Schiffe sollten möglichst keine Querspanten im Laderaum bzw. im Tank haben, da dies die Entlöschung und die spätere Reinigung beinträchtigen würde. Umso verwunderlicher erscheint, dass bei dem eingangs genannten großen Logistikdienstleister trotz einer vorhandenen, Zwei Tankmotorschiffe und ein Gütermotorschiff auf dem Rhein Foto: Brühl/ Wikimedia LOGISTIK Binnenschifffahrt Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 57 Binnenschifffahrt LOGISTIK kleinen Teilflotte mit Einhüllentankern auf Nachfrage nicht in entsprechende Umbauten investiert würde. Das Verbot von Einhüllentankern ab 2018 [1] dürfte allerdings dafür verantwortlich sein, dass trotzdem genügend Zweihüllentanker zur Verfügung stehen, wobei die aktuellen Überkapazitäten, aufgebaut in der letzten Dekade, zum besagten Stichtag dann vermutlich ruckartig und zulasten vor allem kleiner Partikuliere abgebaut werden. 2. Kaufmännische Lösung (Kalkulation) Theoretisch existieren vier Ansätze für eine spätere Frachtenbildung: • Kauf eines Binnenschiffes mit anschließender Vercharterung auf Mietbasis oder Fracht pro Tonne • Vermietung oder Verleasung von Binnenschiffen über agraraffine Genossenschaften • Eincharterung von Binnenschiffen auf Mietbasis mit einem festen Frachtsatz pro Kalendertag • Eincharterung von Binnenschiffen auf Mietbasis mit ggf. variablem Frachtsatz pro Tonne Bei anstehenden Kalkulationen ist zunächst davon auszugehen, dass für entsprechende Schiffe sehr wahrscheinlich Transporte mit Jahres-Charter infrage kommen. Insofern muss für jedes einzelne Schiff zwingend auch ein Jahres-Volumen zur Verfügung stehen, und zwar unabhängig von möglichen Ausbringzeiten und Spitzenaufkommen der Flüssignährstoffe. Bei der Frachtpreiskalkulation ist zudem davon auszugehen, dass auf den Relationen kaum Rückladungen möglich sein werden. Insofern dürften sich die Frachtraten tendenziell eher im höheren Bereich bewegen. Zur Frage eines verwertbaren Mengengerüsts sei an dieser Stelle auf das 2015 beendete deutsch-niederländische Forschungsprojekt HARRM (Hafenregion Rhein-Maas) verwiesen [2]. Dessen Ergebnisse dürften für die Überschussregionen Nordrhein-Westfalen und die niederländischen Provinzen Limburg, Nord Brabant und Gelderland hinreichende Mengen identifiziert haben, um derartige Transporte in Gang zu setzen. Als potenzielle Bedarfsregionen kommen dagegen die Hildesheimer Börde und die Magdeburger Börde in Betracht [3]. Zur Frachtraten- und Mengenbildung sei schließlich verwiesen auf Untersuchungen zur Realisierung von Bioraffinerien in Nordrhein-Westfalen. Deren Datensätze zur regionalen Rohstoffverfügbarkeit, zur Bepreisung von Agrarbiomassen etc. erscheinen im vorliegenden Kontext als äußerst hilfreich. Insbesondere die Verweise auf Gülle mit einer Gesamtmenge von 6 265 549 m 3 (davon Mastschweinegülle 313 277 t Trockenmasse, TM) für NRW könnten die Preiskalkulation insgesamt erleichtern, da zumindest die „Materialkosten“ bereits vorab hinreichend fixiert werden könnten. Zur Zeit zahlen Bioraffinerien in NRW beispielsweise rund 338 EUR/ t TM [4]. Mit der Frage der Transportzeiträume geht die Frage nach der Schiffsraumbindung unmittelbar einher. Insoweit wäre ein ganzjähriger Transportzeitraum vorteilhaft, wenn nicht sogar zwingend. Lager- und Siloflächen schaffen dabei die Voraussetzungen für ganzjährige Transporte und langfristige Verträge. Gegebenenfalls könnten sogar die Reeder ihrerseits bei der Schaffung von Zwischenlagerflächen unterstützend tätig werden, indem sie nicht benötigte Tankschubleichter zur Verfügung stellen und - etwa zur Einsparung von Liegegeldern - ggf. auch vor (! ) den Binnenhäfen auf Reede liegen ließen. 3. Logistisch zweckmäßige Fahrtrouten (Relationen) Aus logistischer Sicht erscheinen aktuell folgende Relationen interessant: • Eine Niederrheinstation und/ oder eine Ladestelle am vorderen Wesel-Dattel- Kanal - Uelzen • Eine Niederrheinstation und/ oder eine Ladestelle am vorderen Wesel-Dattel- Kanal - Magdeburg • Eine Niederrheinstation und/ oder eine Ladestelle am vorderen Wesel-Dattel- Kanal - Bülstringen Die Löschstelle Hildesheim könnte theoretisch ebenfalls bedient werden. Allerdings führen hier eine Tiefgangsbegrenzung von 2,30 m und niedrige Brücken dazu, dass leere Schiffe durchaus Schwierigkeiten bei der Rückreise bekommen könnten; die Fahrt in Ballast ist bei dem Vorladegut Flüssignährstoff (Gülle) allerdings kaum denkbar; hier bedürfte es weiterer Prüfungen und Rücksprachen mit den Binnenschiffern. Auch umfangreichere Transporte auf der Rheinschiene (Ladestelle am Niederrhein oder z.B. an der Maas) könnten über aktuell umstrittene Fahrtrouten [5] hinaus realisiert werden. 4. Verlader- und Empfängerschaft (Absatzmärkte) Die Frage nach der Verladerschaft führt gedanklich zu einer Organisation, die die Ladung bei den Landwirten unter Berücksichtigung allfälliger Dokumentationspflichten akquiriert, nach Art eines Milk Runs sammelt und schließlich auf die Binnenschiffe verlädt. Dafür kämen beispielsweise Nährstoffbörsen oder Logistikunternehmen in Betracht. Als Empfänger des Ladegutes könnten ebenfalls Nährstoffbörsen und einschlägige Logistikunternehmen auftreten; ihre Aufgabe wäre es, die Ladungen bei den Landwirten in den Empfangsregionen anzubieten, zu vertreiben und zu liefern. Bild 1: Blick zur Brücke über mehrere Tankluken Quelle: [9] Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 58 LOGISTIK Binnenschifffahrt 5. Behandlung des Ladungsguts (Gefahrstoffklassifikation) Exakte Warenbezeichnung: Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion in Münster erließ für Gülle und Nährstofftransporte eine Regelung im Bereich der Kanalabgaben (Pflichtabgabe). Dabei wird das Gut als „Düngemittel tierischen Ursprungs“ gelistet und mit der Güter-Nummer 7190 / Klasse VI geführt [6]. Man kann also davon ausgehen, dass Gülle ein Wirtschaftsgut ist und nicht als Abfallgut eingestuft wurde. Inwieweit allerdings eine Einstufung nach § 4 KrWG (Kreislaufwirtschaftsgesetz) erfolgen könnte, nach der Gülle, die in Biogasanlagen verwendet wird, als Abfall oder Nebenprodukt klassifiziert werden muss, bedarf ggf. einer weitergehenden Klärung. Feststoffanteil in der Ladung: In der Regel wird bei Gülle von rund 10 % Feststoffanteilen ausgegangen [7]. Dieser Anteil setzt sich während des Transports regelmäßig auf dem Boden der Tanks ab. Aus Kostengründen könnten daher bei Schiffen ohne entsprechende Rührwerke die Feststoffanteile bei der Löschung mit Wasser wieder verflüssigt gleichzeitig abgepumpt werden, wobei dafür drei Tankladungen Wasser ausreichen sollten (Bild 2). Reinigung von Laderäumen: Nach Beendigung der Transporte müssen die Laderäume durch eine Fachfirma gereinigt und in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden (Bild 3). Die Kosten für derartige Reinigungen mit anschließender Zertifizierung der Schiffe müssten dabei grundsätzlich zu Lasten der Ware gehen und daher kundenseitig getragen werden. Fazit: Wettbewerbliche Implikationen 1. Zunächst sollten sich Reeder und Partikuliere um diese potenziell lukrativen Absatzmärkte direkt bemühen. Größere Reeder könnten insoweit bereits auf ihre eigenen Kunden bzw. bekannte Händler (Genossenschaften) und ihre kompletten Vetriebsnetze z.B. in den ostdeutschen Bundesländern zurückgreifen. Bei dieser Informationsbeschaffung hinsichtlich der Verlader- und Empfängerschaft sind jedenfalls Reeder wie Partikuliere alleine aufgrund ihres eigenen wirtschaftlichen Interesses in der Pflicht zu sehen. 2. Darüber hinaus liegt im Problem der Drittverwendungsfähigkeit von Einhüllentankern eine gewisse Ironie. Sollten nämlich die dafür in Frage kommenden Einhüllentanker eine anderweitige Drittverwendung finden, etwa dergestalt, dass ihre Frachträume - wie bereits geschehen - einfach aufgeschnitten und gekürzt werden für andere Schüttgutladungen, dann entfielen deren Transportvolumina in gleichem Maße für die in vorliegendem Kontext avisierten Nährstofflogistik-Kreisläufe. 3. Schließlich ist festzuhalten, dass die Annahme Porters, in Low-Tech-Industrien wie der Binnenschifffahrt sei kein Hyperwettbewerb zu erwarten, weil das Umfeld nicht hyperkompetitiv sei [8], trügerisch sein kann. Dass Binnenschiffstanker technisch träge sind und die Branche selbst ebenfalls so konnotiert ist, ist das eine. Dass jedoch aufgrund der Digitalisierung das Umfeld der Branche sehr wohl hyperkompetitive Züge zeitigt, ist das andere. Es eröffnen sich daher denjenigen auskömmliche Renditen, die diese Entwicklung antizipieren, getreu der beinahe 2000 Jahre alten Weisheit des römischen Kaisers Vespasian: „Pecunia non olet“. ■ QUELLEN [1] Binnenschifffahrt ZfB (2013): Binnenschifffahrt ringt um mehr Anerkennung, Nr. 10, S. 8 [2] Decker, T. (2014): Transport von Agrogütern mit Binnenschiffen zur Versorgung von Biomassekraftwerken, Ergebnisbericht zum EURE- GIO-Forschungsprojekt HARRM Neusser Schriften, 25 S., 1. Jg., (1) 2014 [3] Decker, T./ Kostosz, R. (2016): Untersuchung der Seehafenhinterlandanbindungen entlang einer West-Ost-Schiene zwischen Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt / Brandenburg / Berlin, 20 S., Neusser Schriften, 3. Jg., (1) 2016 [4] Landtag NRW (2015): Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf nachhaltige Rohstoffbasen, Produkte und Produktionsverfahren, Landtagsdrucksache 16/ 8500, April 2015, S. 229f. [5] https: / / www.rhein-zeitung.de/ region/ lokales/ bad-neuenahr_ artikel,-guelleschiffe-sorgen-in-brohl-fuer-grossen-Aerger-_ arid,1390936.html (18.01.03) [6] Wasser- und Schifffahrtsdirektion West im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung; Hrsg.; 2002): Güterverzeichnis für den Verkehr auf deutschen Binnenwasserstraßen, Binnenschiffahrts-Verlag, 1986 [7] Zethner, G./ Süßenbacher, E. (2012): Vergärung von Wirtschaftsdüngern in Biogasanlagen, Umweltbundesamt Wien, 2012 [8] Porter, M.E. (1996): What is Strategy? , in: Harvard Business Review, Vol. 74 (1996), S. 61-78 [9] Hermanns, U. (2017): Bildquellen - Gülle-Stopp für die Grafschaft, http: / / guelle-stopp.de/ 2017/ 08/ 23/ guelleschiff-im-hafen-brohlam-rhein (2018.01.18) Thomas Decker, Prof. Dr. Studiengangleiter Logistik & Supply Chain Management, Professur für Transport- und Verkehrslogistik, Rheinische Fachhochschule Köln gGmbH, Standort Neuss thomas.decker@rfh-neuss.eu Bild 2: Tankstelle mit Tankwart [9] Bild 3: Tank mit Luke [9] Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 59 Simulation des Entscheidungsverhaltens verdeutlicht Marktpotenzial Hafen- und Verkehrsträgerwahl für Containertransporte aus dem südwestdeutschen Hinterland Simulation, Entscheidungsverhalten, Containertransporte, Seehafenhinterland, maritime Transportkette Entscheidungen, über welchen Hafen und mit welchem Verkehrsträger Container versendet werden, sind häufig nicht trivial. Gerade in Südwestdeutschland resultierten andere Marktanteile, als eine rein rationale Betrachtungsweise vermuten lässt. In einem Simulationsmodell werden die Ist-Marktanteile sowie die Reaktionen auf Kapazitätsveränderungen analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass durch Angebotsverbesserungen im Hinterland die Marktanteile westlicher Seehäfen und umweltfreundlicher Verkehrsträger gesteigert werden können. Ralf Elbert, Katrin Scharf, Frederik Meyer A uch bei einem wachsenden Containeraufkommen führt die Vergrößerung des Einzugsgebiets der Seehäfen, durch z. B. Ausbau der Infrastruktur, zu einem steigenden Konkurrenzdruck zwischen den Seehäfen der Hamburg-Le Havre-Range [1, 2]. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Hafens wird dabei von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst [3]. Aufgrund von Kapazitätsengpässen sowie des hohen Anteils von Vor- und Nachlauf an den Transportkosten, entwickelt sich die Anbindung an das Hinterland zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Hinterlandkosten machen 40 bis 80% der gesamten Kosten der maritimen Transportkette aus, was den hohen Stellenwert für das Entscheidungsverhalten verdeutlicht [4]. Foto: Pixabay Wissenschaft LOGISTIK Foto: pixabay.de Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 60 LOGISTIK Wissenschaft Unklare Entscheidungssituation in Südwestdeutschland Entscheidungsträger, die über Eingangs- und Ausgangshäfen sowie Transportmittel und -wege in der maritimen Transportkette entscheiden, können dabei, je nach Geschäftsmodell, der Verlader, der Spediteur oder - vor allem bei großen Transportmengen - der Reeder sein. Für die untersuchten südwestdeutschen Bundesländer (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen) stehen aufgrund ihrer geographischen Lage gleich vier der umschlagsstärksten Häfen Europas (Rotterdam, Antwerpen, Hamburg und Bremerhaven) für den Containertransport mit zahlreichen Verbindungen zur Verfügung. Die Vergleichbarkeit dieser Verbindungen gestaltet sich allerdings aufgrund der vielen Einflüsse als sehr aufwendig [5] und wird daher von den Entscheidungsträgern meist nicht in vollem Umfang durchgeführt [6]. Bereits bei der Betrachtung einer rein rationalen Entscheidungsfindung (basierend auf Transportkosten und -dauer) zeigen sich deutliche Abweichungen im Vergleich zu den realen Ist-Marktanteilen der Seehäfen (siehe dazu auch [6, 7, 8]). Um die Marktanteile einzelner im Wettbewerb stehender Seehäfen zu analysieren sowie den Modal Split hinsichtlich umweltfreundlicher Verkehrsträger zu fördern, ist es von entscheidender Bedeutung, das Verhalten der Entscheidungsträger zu verstehen. Dies ermöglicht zielgerichtete Maßnahmen zur Verbesserung der Anbindungen im Hinterland. Zielsetzung und Herangehensweise zur Analyse des Marktpotenzials Ziel ist es, das Marktpotenzial von Containertransporten aus dem südwestdeutschen Hinterland in Richtung ausgewählter Seehäfen der Hamburg-Le Havre-Range zu analysieren. Dazu wurden, zunächst im Rahmen einer Befragung der Entscheidungsträger in den Regionen, die Einflussfaktoren auf das Entscheidungsverhalten bei der Hafen- und Verkehrsträgerwahl erhoben. Das Simulationsmodell baut auf den Erkenntnissen der 30 dazu durchgeführten Interviews auf. Hierbei wird neben den Ist-Marktanteilen das Marktpotenzial simulationsbasiert ermittelt und analysiert. Um dem komplexen Prozess der Entscheidungsfindung realitätsnah abzubilden, wird eine Entscheidungslogik (Nutzenfunktion) entwickelt, welche relevante Faktoren entsprechend ihrer Wirkungsrichtung im Simulationsmodell berücksichtigt. Die berücksichtigten Faktoren können im Simulationsmodell sowohl hafenals auch verkehrsträgerspezifisch angepasst werden. Vor allem durch die hohe Komplexität und die Berücksichtigung dynamischer Anpassungen und Abhängigkeiten der Entscheidungslogik im Zeitverlauf, können die folgenden Forschungsfragen nicht ausreichend mit einer rein mathematisch analytischen Modellierung gelöst werden [9, 10]. Daher wurde ein agenten-basiertes Simulationsmodell mit der Software Any- Logic 8.2.3 entwickelt. Im Weiteren sollen die Forschungsfragen in drei Szenarien analysiert werden: 1. Basisszenario: Inwiefern können die Ist-Marktanteile und der Modal Split mit der entwickelten Entscheidungslogik und dem Simulationsmodell realitätsnah abgebildet werden? 2. Erweitertes Szenario: Führt eine Kapazitätserhöhung der Bahntransporte (20 % mehr Güterzüge aus den Regionen nach Rotterdam) zu einer Umverteilung der Containermengen (Marktanteile und Modal Split)? 3. Zukunftsszenario: Welches Nachfrageverhalten (Marktanteile und Modal Split) ergibt sich bei einer dynamischen Anpassung des Transportangebots der Regionen (ohne Kapazitätseinschränkungen bei Bahn und Binnenschiff)? Ausgehend vom Basisszenario, was insbesondere der Kalibrierung des Modells dient, wird im erweiterten Szenario das Potenzial analysiert, welches zum einen durch den Ausbau des Bahn-Korridors Rotterdam-Genua auf der Teilstrecke in Deutschland entstünde und zum anderen durch die Digitalisierung der Strecken (Erhöhung der Trassenkapazität durch z. B. ETCS-Aufrüstung) erreicht werden soll [11]. Beides wird zuerst im Korridor Genua-Rotterdam zu beobachten sein, da hier der Ausbau für Güterverkehr relevante Strecken und die ETCS- Aufrüstung am weitetesten fortgeschritten sind [12, 13]. Anschließend soll im dritten Szenario das langfristige Potenzial, einer vollständig ausgebauten Infrastruktur in Kombination mit einer dynamischen, nachfrageorientierten Angebotsentwicklung, demonstriert und analysiert werden. Entwicklung eines realitätsnahen Simulationsmodells Im Simulationsmodell sind die über 100 Landkreise der drei Bundesländer mit dem jeweils entsprechenden Containeraufkommen (basierend auf der Bruttowertschöpfung der Landkreise) hinterlegt [14]. Die Grundidee ist, dass jeder Container individuell selbst entscheidet, welcher Transportweg (bestimmt durch die Hafen- und Verkehrsträgerwahl) für seinen Ausgangsort am besten geeignet ist. Anschließend wird durch diese Nachfrage das Kapazitätsangebot der Verkehrsträger (vor allem Bahn und Binnenschiffe, da bei LKW-Transporten keine Kapazitätseinschränkungen hinterlegt sind) dynamisch mitbestimmt. Heutige Restriktionen, wie z. B. Fahrpläne oder langfristige Rahmenverträge sowie verkehrsträger- und routenindividuelle Kostensätze (vgl. [15, 16]), sind in einer Datenbank hinterlegt. Dabei sind alle relevanten Faktoren, die in der Entscheidungslogik berücksichtigt werden, in dieser Datenbank festgelegt und können vor oder während der Simulationsdurchläufe präzise konfiguriert werden. Dies ermöglicht sowohl statische als auch dynamische Auswertungen, die bis auf die Ebene der Landkreise heruntergebrochen werden können. Beispielsweise kann der zeitliche Verlauf der Hafen- und Verkehrsträgerwahl in Abhängigkeit der prozentualen Veränderung der Transportkosten oder der Zuverlässigkeit einzelner Verkehrsträger analysiert werden. Dadurch wird die Transportkette exportierender Unternehmen, vom Verlader über Umschlagsterminals im Hinterland bis zum Seehafen, vollständig und realitätsnah abgebildet. Eine Übersicht des Simulationsmodells und beispielhafte Auswertungsmöglichkeiten der Containermengen sind in Bild 1 dargestellt. Zentrales Element des Simulationsmodells bildet die Entscheidungslogik der Container, anhand derer die Auswahl des vorteilhaften Transportwegs erfolgt. Zunächst wird davon ausgegangen, dass jeder Entscheider versucht, seinen persönlichen Nutzwert zu maximieren. Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 61 Wissenschaft LOGISTIK Um diesen Nutzwert möglichst realitätsnah abzubilden, ist eine umfassende Berücksichtigung entscheidungsrelevanter Faktoren unerlässlich. Die wichtigsten Faktoren der Entscheidung sind die Transportkosten ins Hinterland und die im Hafen anfallenden Gebühren des Containerhandlings. Zusätzlich Berücksichtigung finden die Leistungen der angebotenen Hinterlandanbindungen (u. a. Kapazitäten Bahn und Binnenschiff sowie deren Frequenzen, Service und Zuverlässigkeit), ebenso wie die der Häfen (u. a. Schiffsfrequenz, Service und Zuverlässigkeit). Des Weiteren wird der oftmals vernachlässigte Einfluss von Erfahrungswerten als weiteres wichtiges Element der Funktion berücksichtigt. Im Vergleich zu vorherigen wissenschaftlichen Studien (siehe hierzu u. a. [17, 18]) ergibt sich somit ein wesentlich umfassenderer Erklärungsansatz. Die Validierung des Modells erfolgte iterativ in mehreren Durchläufen. Die Annahmen, Entscheidungs- und Modelllogik wurden dazu mit Wissenschaftlern (Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern durch z. B. Vorstellung auf Konferenzen) und Unternehmensvertretern (u. a. Geschäftsführer und Manager der Hinterland- Terminals, Operateure, Spediteure, Verlader, Reeder und Seehäfen) sowie politischen Vertretern der Verkehrsministerien Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden Württemberg in Einzelgesprächen oder Präsentationen ausführlich diskutiert. Die Simulationsexperimente zeigen das Marktpotenzial der Regionen Die Ergebnisse des Basisszenarios zeigen die realitätsnahen Ist-Marktanteile und den Modal Split für jedes untersuchte Bundesland und Hafen (siehe Bild 2), welche nur marginal von anderen großzahligen, empirischen Erhebungen abweichen (vgl. [7, 8]). Dies bestätigt, dass die implementierte Entscheidungslogik (Nutzenfunktion inkl. der Werte in der Datenbank) das Nachfrageverhalten realitätsnah beschreibt. Folgerichtig eignet Bild 2: Ergebnisse Szenario 1 - Basisszenario mit Ist-Kapazitäten Bild 1: Auszug des Simulationsmodells Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 62 LOGISTIK Wissenschaft sich das Simulationsmodell zur Prognose und Auswertungen von Handlungsalternativen. Die Ergebnisse des erweiterten Szenarios zeigen, welches Potenzial hinter dem Ausbau des Bahnangebots steckt. Die Auswertung des Szenarios konnte bespielhaft zeigen, dass bei einer Erhöhung der Güterzüge nach Rotterdam um 20 % durchschnittlich der Marktanteil für den selbigen Hafen sogar überproportional um ca. 23 % gesteigert werden kann (siehe Bild 3). Insbesondere für die Regionen in Süd-Hessen und im gesamten Bundesland Baden-Württemberg wäre durch diese Angebotsausweitung eine Umverteilung bestehender und neuer Containertransporte zu erwarten. Zudem verdeutlicht dies die Relevanz des Infrastrukturausbaus zur Verbesserung des Anteils Bahn am gesamten Modal Split. Die Ergebnisse des Zukunftsszenarios verdeutlichen vor allem zwei Aspekte: Zum einen hängt die Konkurrenzfähigkeit von Bahn und Binnenschiff gegenüber dem Verkehrsmittel LKW (selbst bei heutigen Preisstrukturen) erheblich mit dem Kapazitätsgrenzen zusammen. Denn in Folge des größeren Kapazitätsangebots ergibt sich selbst bei starren Fahrplänen eine erhöhte Nutzung der zur Verfügung stehenden Kapazitäten. Im Zukunftsszenario, ohne Kapazitätseinschränkungen und mit dynamische Abfahrten der Verkehrsträger (ohne starre Fahrpläne), fiel der Anteil des LKW-Transports im Modal-Split durch die Flexibilisierung der Verkehrsträger Bahn und Binnenschiff in allen betrachteten Regionen drastisch. Zum anderen wird der eindeutige geographische Vorteil der Häfen Rotterdam und Antwerpen gegenüber Hamburg und Bremerhaven für die Bild 3: Ergebnisse Szenario 2 - Erweitertes Szenario mit-mehr Güter zügen Richtung Rotterdam Bild 4: Ergebnisse Szenario 3 - Zukunftsszenario mit dynamischer Anpassung der Kapazitäten aller Verkehrsträger Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 63 Wissenschaft LOGISTIK betrachteten Regionen deutlich. Nicht zuletzt die geringere Distanz verglichen mit den Nordhäfen für fast alle betrachteten Regionen ließ den Marktanteil von Rotterdam um ca. 19 % steigen (vgl. Bild 4). Fazit und Ausblick Die Analyse stellt eine Erweiterung der bisher betrachteten Faktoren hinsichtlich der Hafen- und Verkehrsträgerwahl dar und ermöglicht eine dynamische Betrachtung der komplexen Entscheidungssituation. Insgesamt arbeitet das Modell mit einer umfangreichen Entscheidungslogik. Dabei können sowohl sehr restriktive (Kapazitätsgrenzen und Fahrpläne) als auch sehr flexibel (bedarfsabhängige Verkehrsträgergenerierung) Szenarien analysiert werden. In der Analyse der drei Szenarien konnte gezeigt werden, dass das Simulationsmodell zuverlässige, realitätsnahe Ergebnisse liefert (Basisszenario) und somit die Bewertungen der Marktpotenziale (im erweiterten und Zukunftsszenario) für Containertransporte aus Südwestdeutschland ermöglicht. Sowohl im erweiterten als auch im Zukunftsszenario erhöhten sich die Marktanteile der Westhäfen im Vergleich zu den Nordhäfen sowie der Modal Split zugunsten umweltfreundlicher Verkehrsträger. Die Grenzen des Simulationsmodells ergeben sich hauptsächlich durch die Fallbetrachtung und die getroffenen Aussagen der befragten Experten sowie in den zur Verfügung gestellten Daten. In Folge dessen können leichte Verzerrungen der Anteile innerhalb der Westhäfen (Antwerpen und Rotterdam) bzw. Nordhäfen (Hamburg und Bremerhaven) nicht ganz ausgeschlossen werden. Die Aussagekraft für die zusammengefassten Seehäfen, Westhäfen und Nordhäfen, bleiben davon jedoch weitestgehend unberührt. Um diese jedoch für zukünftige Analysen noch stärker der Realität anzunähern, sollten weitere Datenquellen hinzugezogen werden. Für die Praxis stellt das Modell bereits jetzt ein mächtiges Vorhersagetool dar, mit welchem sich Maßnahmenkataloge entwickeln und Zielsetzungen überprüfen lassen. ■ LITERATURVERZEICHNIS [1] World Bank (2017): Container Port Traffic. https: / / data.worldbank.org/ indicator/ IS.SHP. GOOD.TU. Letzter Zugriff: 16.04.2018. [2] UNCTAD - United Nations Conference on Trade and Development (2017): Review Of Maritime Transport. http: / / unctad.org/ en/ PublicationsLibrary/ rmt2017_en.pdf. Letzter Zugriff: 16.04.2018. [3] Notteboom, Theo und De Langen, Peter (2015): Container Port Competition in Europe. Handbook of Ocean Container Transport Logistics. Springer: S. 75-5. [4] Notteboom, Theo und Rodrigue, Jean-Paul (2004): Inland freight distribution and the sub-harborization of port terminals. In: ICLSP 2004. [5] Drewry Supply Chain Advisors (2016): Market Study: A ‘best-route’ market study for containerised imports to South Germany. https: / / www.hellenicshippingnews.com/ wp-content/ uploads/ 2016/ 03/ BestRouteAnalysis_SGermany_100316.pdf. Letzter Zugriff: 16.04.2018. [6] Elbert, Ralf, Scharf, Katrin und Müller, Jan, Philipp (2018): HiRo - Marktpotenzial von Containertransporten aus dem südwestdeutschen Hinterland. In: Forschungsbericht des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik (26) der Technischen Universität Darmstadt. [7] ISL - Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik und Holocher, Klaus (2015): Analyse der Seehafenhinterlandverkehre der bremischen Häfen bis zum Jahr 2030. [8] ISL - Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik und IHS Global GmbH (2015): Prognose des Umschlagpotenzials und des Modal Splits des Hamburger Hafens für die Jahre 2020, 2025 und 2030. [9] Law, Averill (2014): Simulation Modeling and Analysis. Mc Graw Hill Education. [10] Borshchev, Andrei (2014): The Big Book of Simulation Modeling. AnyLogic North America. [11] Knaack, Tobias (2017): Bahntrasse Rotterdam - Genua: Alle warten auf Deutschland. https: / / www.swp.de/ politik/ inland/ bahntrasse-rotterdam-genua_-alle-warten-aufdeutschland-23692717.html (12.10.2017). Letzter Zugriff: 21.03.2018. [12] Deutsche Bahn (2018): #digitale Schiene. https: / / www.deutschebahn.com/ de/ presse/ suche_Medienpakete/ medienpaket_digitale_schiene_deutschland-1177310. Letzter Zugriff: 21.03.2018. [13] DB Netze (2017): ETCS-Korridore. https: / / fahrweg.dbnetze.com/ fahrweg-de/ kunden/ nutzungsbedingungen/ etcs/ etcs_migration/ etcs-korridore-1369702. Letzter Zugriff: 21.03.2018. [14] Statistisches Bundesamt (2017): VGR der Länder Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den Ländern. https: / / www.statistik-bw.de/ VGRdL/ MethDef/ brochure.pdf. Letzter Zugriff: 16.04.2018. [15] Contargo (2017): IMTIS Datenbank, https: / / imtis.contargo.net/ web/ . Letzter Zugriff: 09.03.2018. [16] TFG Transfracht (2017): Box2Rail, https: / / www.box2rail.com/ . Letzter Zugriff: 09.03.2018. [17] Parola, Francesco, Risitano, Marcello, Ferretti, Marco und Panetti, Eva (2016): The drivers of port competitiveness: a critical review. In: Transport Reviews, 37(1), S. 116-138. [18] Moya, Julián Martínez. und Valero, María Feo (2016): Port choice in container market: a literature review. In: Transport Reviews, 37(3), S. 300-321. Katrin Scharf, Dipl.-Kffr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, TU Darmstadt scharf@log.tu-darmstadt.de Frederik Meyer Absolvent, Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, TU Darmstadt frederiksebastian.meyer@stud.tu-darmstadt.de Ralf Elbert, Prof. Dr. Leiter Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt elbert@log.tu-darmstadt.de Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 64 Niedrigwasser am Bodensee und die Auswirkungen auf die Schifffahrt Tourismus, Passagierfähre, Autofähre, Klimawandel, Ökonomie Der Bodensee und das in ihm gespeicherte Wasser dient vielen Zwecken: Neben seiner ökologischen Bedeutung für die Region ist er Trinkwasserquelle und Schifffahrtsweg, wird für Freizeit und Naherholung genutzt. Die Schifffahrt stellt eine der zentralen Attraktionen am Bodensee dar - sie zieht Tagesausflügler und Naherholungssuchende ebenso an wie Urlauber. Der Tourismus ist dabei eine der zentralen Einkommensquellen am Bodensee. Während der Niedrigwasserereignisse der letzten Jahre wurden jedoch die verschiedenen Schifffahrtstypen beeinträchtigt. Dies traf den Tourismus wie auch Berufspendler, Häfen, anliegende Gemeinden und den Gütertransport. Der Beitrag verdeutlicht die Bedeutung der Bodenseeschifffahrt und nennt einige Folgen der Niedrigwasserereignisse der letzten Jahre. Anja Scholten, Benno Rothstein D ie Schifffahrt auf dem Bodensee - nachweisbar seit der Bronzezeit - hatte schon immer einen hohen Stellenwert. Informationen zur historischen Schifffahrt auf dem Bodensee und ihrer Bedeutung lassen sich unter anderem bei Linsmeier (2001) finden. Ihr Stellenwert heute zeigt sich auch dadurch, dass die Bodenseeflotte die größte auf allen europäischen Seen ist (www.bodenseeschifffahrt.de o.J.). 2013 waren in die „Weiße Flotte“ (alle Schiffe, die nach festem Fahrplan auf dem Bodensee fahren) 30 Fahrgastschiffe und drei Fähren eingebunden (VSU 2013). Diese boten insgesamt Sitzplätze für 18 000 Passagiere (VSU 2013). Hinzu kommen 7 weitere Fährschiffe und 42 Fahrgastschiffe, die von anderen Organisationen betrieben werden (IGKB 2004). Insgesamt waren im Jahr 2009 auf dem Bodensee leicht über 57 000 Boote und Schiffe zugelassen, von denen etwa 0,2 % (72 Schiffe) Fahrgastschiffe sind, 1,5 % Arbeitsboote (501 Schiffe), 55,6 % Motorboote (21 294 Schiffe) und 40,6 % Segelboote (14 648 Schiffe) mit Motor. Hinzu kommen in geringerer Zahl Mietboote (185 Boote) und Boote mit Elektromotor (Bodenseestatistik 2009). Dabei ist der Anteil der Fahrzeugkategorien an der Gesamtbetriebsdauer deutlich anders: Fahrgastschiffe machen hier 5 % der Gesamtbetriebsdauer aus und Arbeitsboote inklusive Lastschiffe 25 % (IGKB 2004). Während in der Vergangenheit der Güterverkehr auf dem Bodensee bedeutsam war, steht heute der Transport von Passagieren im Vordergrund (www.bodenseeschifffahrt. de o. J.). Dabei ist zwischen den Fähren und Katamaranen, die auf (Berufs-)Pendler aus- MOBILITÄT Binnenschiff Fährbetrieb zwischen Konstanz und Meersburg mit der MF Lodi Foto: pixabay Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 65 Binnenschiff MOBILITÄT gelegt sind, und Touristenschiffen, die vor allem saisonal verkehren, zu unterscheiden. Hinzu kommen noch Charterschiffe, die für Feiern etc. gebucht werden können. Zu den wichtigsten Fähren gehören die Autofähren von Konstanz nach Meersburg und von Friedrichshafen nach Romanshorn. Hinzu kommen Personenfähren, beispielsweise zwischen Konstanz und Friedrichshafen oder zwischen Überlingen und Wallhausen, die vor allem von Pendlern genutzt werden und deshalb ganzjährig fahren. Die Kurs- und Ausflugsschiffe werden zwar zum Teil auch von Pendlern in Anspruch genommen, sind aber vor allem für den Tourismus am Bodensee von hoher Bedeutung und haben einen entsprechenden saisonalen Fahrplan. Eine deutliche Saisonalität der monatlichen Anzahl der beförderten Personen lässt sich sowohl bei den ganzjährig als auch bei den saisonal verkehrenden Schiffen feststellen (IGKB 2004). Diese Saisonalität spielt vor allem in Bezug auf die saisonale Auftretenshäufigkeit und -wahrscheinlichkeit von Niedrigwasser eine wichtige Rolle. In den vergangenen Jahren (2003, 2006, 2011, 2015) kam es wiederholt zu Niedrigwasserereignissen im Bodensee (Ostendorp & Jöhnk 2003, Hydrainstitute 2006, Messner 2011, IBN 2015, Allgäuhit 2015). Zu den Wasserstandschwankungen der Vergangenheit gibt es für den Bodensee Untersuchungen (Ostendorp & Jöhnk 2003, Luft & Ihringer 2011). Auch für die Zukunft wurden Modellrechnungen und Überlegungen zu den Effekte angestellt (Ostendorp et al. 2007, Wahl 2009), allerdings wurden die Auswirkungen auf die Schifffahrt und weitere Wirtschaftsbereiche in diesen Analysen nicht oder nur am Rande betrachtet. Für die Gegenwart spielen die Auswirkungen auf die Schifffahrt jedoch sehr wohl eine Rolle. So ist der Presse aus den Jahren mit Niedrigwasser zu entnehmen, dass es durchaus auch durch das Niedrigwasser Folgen für die Schifffahrt gab. Sowohl Fähren und die Weiße Flotte als auch Wasserfahrzeuge aus privaten Schifffahrtsbetrieben hatten in diesen Jahren Schwierigkeiten, einige Häfen und Anlegestellen anzulaufen. Manche Häfen waren gar nicht mehr erreichbar, etwa Langenargen und die Strecke zwischen Diessenhofen und Stein am Rhein (NZZ 2011, Wienrich 2011, Messner 2011), an anderen konnten keine Rollstuhlfahrer mehr mitgenommen werden, weil die Rampen zu steil wurden. Zu nennen wären hier beispielsweise Überlingen, Nonnenhorn, sowie die Strecke Rorschach - Staad - Altenrhein - Rheineck (Wienrich 2011, Messner 2011). Stattdessen wurden Bus-Ersatzverkehre eingerichtet oder alternative Routen für Ausflugsfahrten angeboten (Wienrich 2011). Auch Freizeitschiffer konnten nicht mehr alle Häfen anfahren (z. B. in Friedrichshafen) oder mussten befreit werden, nachdem sie sich festgefahren hatten (Wienrich 2011, Messner 2011). Auch Unfälle passierten auf Grund von Niedrigwasser am Bodensee: So wurde 2015 ein Passagierschiff mit 60 Personen an Bord beim Ablegen von starkem Wind auf einen wegen Niedrigwassers frei liegenden Felsen gedrückt und dabei stark beschädigt (Munkler 2015). Ebenfalls 2015 mussten einige Schifffahrtslinien, wie zwischen Lindau und Bad Schachen, eingestellt werden (Allgäuhit 2015). Mit Fokus auf den Tourismus von besonderer Bedeutung sind diese Ereignisse vor dem Hintergrund eines festgestellten Regimewechsels der Wasserstände im Bodensee: Während in der Vergangenheit Niedrigwasser im Bodensee eher im Winter auftrat, lassen sich in den letzten Jahren eine Aufhöhung der Wasserstände im Winter und geringere Wasserstände im Sommer erkennen. Der Trend geht somit weg vom nivalen hin zum pluvialen Regime (KLIWA 2007, Luft & Ihringer 2011). Für die Vergangenheit lassen sich für den Bodensee vor allem weniger Tage mit Niedrigwasser im Winterhalbjahr identifizieren, für das Sommerhalbjahr hingegen mehr Tage mit Unterschreitung des mittleren Wasserstands (Luft & Ihringer 2011). So trat beispielsweise das Niedrigwasser 2011 im Mai auf und somit in der für Naherholung und Tourismus bedeutsamen Saison. Ein wichtiger Grund hierfür ist die abnehmende Schneedecke im Winter in den Alpen und dementsprechend eine geringere und frühere Schneeschmelze (Ostendorp 2011). Die Fortschreibung dieses Trends ist auch für die Zukunft zu erwarten. Dabei ist in vergletscherten Einzugsgebieten zunächst noch mit einer Zunahme der sommerlichen Abflüsse zu rechnen, bevor durch zunehmenden Gletscherschwund sich die Anzahl und Dauer von Niedrigwassern im Sommer ausweiten wird (IGKB 2004). Eine recht umfangreiche Analyse der Auswirkungen des Klimawandels auf den Bodensee mit Fokus auf die Ökologie findet sich bei Ostendorp et al. (2007). Jedoch ist nicht nur das Klima für die schwankenden Wasserstände des Bodensees verantwortlich. Auch z. B. für Kraftwerke wird Wasser entnommen oder aufgestaut, ohne dass genaue Zahlen bekannt sind (Ostendorp 2011). Die ökonomischen Effekte der schwankenden Wasserstände sind schwer zu beziffern. Die Bodenseeschifffahrt ist jedoch ein ernstzunehmender wirtschaftlicher Faktor am Bodensee. So wurden 2009 von den Bodenseeschiffsbetrieben 2,2 Mio. Passagiere transportiert und ein Umsatz von rund 12- Mio. EUR generiert, obwohl der Transport von LKW auf den Fährstrecken um 20 % einbrach - wohl in Folge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise (Rindt 2009). Die Bodenseeschiffsbetriebe decken dabei aber nur einen Teil der gesamten, internationalen Bodenseeflotte ab. Von den Fahrgastschiffen der VSU (Vereinigte Schifffahrtsunternehmen für den Bodensee und Rhein) wurden im Jahr 2000 4,2 Mio. Personen befördert, während auf den beiden größten Fährstrecken insgesamt 5,85 Mio. Personen und etwa 1,8 Mio. Fahrzeuge (PKW und LKW) transportiert wurden (IGKB 2004). Diese Transporte und die Gewinne hieraus werden jedoch durch Niedrigwasser beeinträchtigt. Im Jahr 2011 beispielsweise Autofähre Friedrichshafen - Romanshorn abfahrbereit in Romanshorn Foto: pixabay Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 66 MOBILITÄT Binnenschiff kam es infolge niedriger Wasserstände zu Einbußen von etwa 10% bei den Fahrgästen (Messner 2011). Sollen diese Einbußen durch Anpassungsmaßnahmen verringert werden, muss die Thematik dank des internationalen Zusammenschlusses vieler Schifffahrtsbetreiber in der VSU international angegangen werden. Umweltverbände befürchten, dass Anpassungsmaßnahmen an häufigeres Niedrigwasser zu einer Vertiefung der Häfen und einem Ausbau der Stege führen, um die Schifffahrt am Bodensee weiter nutzen zu können. Stattdessen sollten - ihrer Meinung nach - Anlegestellen zusammengefasst und nur diese ausgebaut werden, um eine weitere Verbauung des Ufers zu verhindern (Kässer 2011). Auch Ostendorp et al. (2007) legen dar, dass das Gesamtsystem des Bodensees betrachtet werden muss, um eine zusätzliche Schädigung der Ökologie des Bodensees durch Anpassungsmaßnahmen zu verhindern. Somit muss ein ganzheitliches Konzept gefunden werden, um die Anpassung an den Klimawandel nachhaltig zu gestalten. ■ LITERATUR Allgäuhit (2015): Kursschiffverkehr nach Lindau-Bad Schachen eingestellt Niedrigwasser macht Bodenseeschifffahrt zu schaffen, http: / / www.allgaeuhit.de/ Bodensee-Lindau-Kursschiffverkehr-nach- LindauBad-Schachen-eingestellt-Niedrigwasser-macht-Bodenseeschifffahrt-zu-schaffen-article10011913.html, zuletzt abgerufen am 24.06.17 bodenseeschifffahrt.de (o.J.): Die Geschichte der Personenschifffahrt auf dem Bodensee; http: / / www.bodenseeschifffahrt.de zuletzt abgerufen am 03.03.14 Bodenseestatistik (2009): https: / / www.vorarlberg.at/ pdf/ bodenseeschiffsstatisti1.pdf, zuletzt abgerufen am 24.11.14 Hydrainstitute (2006): Ein Hauch von Watt - Historisches Niederwasser am Bodensee http: / / www.hydra-institute.com/ hydra/ niedrigwasser.html 09.02.06, zuletzt abgerufen am 24.11.14 IBN (2015): Wasserstand sinkt und sinkt, http: / / www.ibn-online.de/ artikel/ 3001/ Radolfzell-Wasserstand-sinkt-und-sinkt, zuletzt abgerufen am 24.06.17 IGKB (2004): Der Bodensee - Zustand - Fakten - Perspektiven http: / / www.hydra-institute.com/ igkb/ IGKB, zuletzt abgerufen am 24.11.14 Kässer (2011): Wissenschaftler: Niedrigwasser des Bodensees durch Klimawandel verursacht, http: / / see-online.info/ wissenschaftler-niedrigwasser-des-bodensees-durch-klimawandel-verursacht/ , zuletzt abgerufen am 24.06.17 KLIWA (2007): Zum Einfluss des Klimas auf den Bodensee, http: / / www. kliwa.de/ _download/ KLIWAHeft11.pdf, zuletzt abgerufen am 24.06.17 Linsmeier (2001): Schiffsarchäologie: Wracksuche im Bodensee - Jahrhundertelang diente Deutschlands größter Binnensee als Drehscheibe für den überregionalen Handel, doch die Geschichte seiner Schifffahrt ist kaum bekannt, http: / / www.spektrum.de/ magazin/ wracksuche-im-bodensee/ 827227, zuletzt abgerufen am 24.06.17 Luft & Ihringer (2011): Jahrhunderthochwasser 1999 - Jahrhundertniedrigwasser 2003 - Seespiegeltrends und Extremwasserstände am Bodensee, - PrePrint aus ‚Natur und Mensch’ Heft 6 (2003). 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Professur Geowissenschaftliches Ressourcenmanagement, Hochschule Konstanz HTWG rothstein@htwg-konstanz.de Historischer Raddampfer als Touristenattraktion Foto: pixabay Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 67 All-Electric-Tourism - nachhaltige Bodenseereisen Radtourismus mit neuen Chancen Elektromobilität, E-Bike, Intermodalität, Tourismus, Bodensee Fahrradreisen liegen im Trend, E-Räder entwickeln sich aus der Marktnische zu einer relevanten Fortbewegungsoption. Daraus ergibt sich eine Chance für besonders umweltverträgliche Tourismusprodukte auf der Basis elektromobiler Mobilitätsdienstleistungen. Im Projekt E-Destination wurden Konzepte für den Bodenseeraum entwickelt, um die Kombination von Bahnreise und Elektroradverkehr im Tourismus zu stärken. Im Zentrum stand dabei die Gestaltung innovativer Sharingservices im Dialog mit den lokalen Akteuren. Ziel war die Steigerung von Sichtbarkeit und Kundennutzen durch neue Geschäftsmodelle. Helene Schmelzer, Thomas Sauter-Servaes D as Fahrrad erlebt gegenwärtig eine Renaissance. Bestand und Nutzung steigen [1]. Elektroräder und dabei insbesondere Pedelecs sind der Wachstumstreiber im deutschen Fahrradmarkt [2]. 1,9 Millionen Privathaushalte in Deutschland waren Anfang 2016 im Besitz mindestens eines E-Rads. Das entspricht 5,1 % aller Haushalte, eine Steigerung gegenüber 2014 um 50 % [3]. Gemäss des repräsentativen Fahrrad-Monitor- Deutschland haben 16 % aller Befragten schon einmal ein E-Fahrrad ausprobiert. Interesse an Elektrorädern zeigen 42 % der Befragten [4]. Dabei kann das E-Rad aus der Sicht der Mehrheit der Nutzer das Auto zumindest teilweise substituieren [5]. Gleichzeitig hat sich die Sharing Economy im deutschen Fahrradmarkt fest etabliert. Nach dem Boom stationsbasierter städtischer Verleihsysteme und dem folgenden Markteintritt zahlreicher Anbieter von Freefloating-Systemen sind Leihräder inzwischen fester Bestandteil des Mobilitätsangebots in deutschen Grossstädten. Dies führt zu sinkenden Berührungsängsten in allen Zielgruppen und immer mehr Sharing-Erfahrung. 62 % der Deutschen haben schon einmal etwas von öffentlichen Fahrradverleihsystemen gehört, eine große Mehrheit der Kenner (79 %) bewerten dieses Konzept positiv [4]. Gute Infrastruktur, fehlende Vernetzung Davon profitiert auch der Radtourismus. Gerade in Tourismusregionen, die vielerorts an den Verkehrs- und Umweltbelastungen des touristisch induzierten motorisierten Individualverkehrs leiden, könnte das Elektrorad 1 Abhilfe schaffen. In dem von der Internationalen Bodenseehochschule geförderten Projekt E-Destination beschäftigte sich die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Zusam- Foto: Uschi Dreiucker/ pixelio.de Nachhaltigkeit MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 68 MOBILITÄT Nachhaltigkeit menarbeit mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) mit der touristischen Elektromobilität in der Bodenseeregion. Ein Fokus im Projekt lag auf der Untersuchung der Vernetzung der einzelnen Mobilitätsangebote sowie der Zusammenarbeit der Akteure. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass in der Region intermodale Mobilitätsangebote für Touristen fehlen, wie z. B. Kombi-Tickets und dementsprechende Kooperationen, die die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) mit dem Verleih von E-Rädern verknüpfen - sowohl für die An- und Abreise als auch für die Mobilität vor Ort. Dabei könnten derartige Kooperationen einen Mehrwert für alle Beteiligten bieten, den motorisierten Individualverkehr reduzieren und zur Attraktivität der Tourismusregion Bodensee beitragen. Um das Potenzial solcher intermodalen Angebote zu überprüfen, wurde die bestehende E-Bike-Verleihinfrastruktur erfasst und die Entfernung dieser Verleihstationen zu den Bahnhalten betrachtet. Im Untersuchungsgebiet wurden auf Basis einer Internetrecherche etwa 100 E-Rad-Verleihstationen identifiziert. Diese werden hauptsächlich von Fahrradeinzelhändlern, aber auch von spezialisierten Fahrradverleihern, Tourismusinformationen und Hotels betrieben. In sieben der zehn größten Städte der Region ist mindestens eine E-Rad-Verleihstation weniger als 300 m vom Bahnhof entfernt. In einer weiteren Stadt befindet sich eine Verleihstation innerhalb einer Distanz von 500-m vom Bahnhof. Betrachtet man alle E- Rad-Verleihstationen im Untersuchungsgebiet, so sind etwa 40 % der Stationen maximal 500 m von einem Bahnhalt entfernt (vgl. Bild 1). Somit bietet sich die bestehende Verleihinfrastruktur für eine intermodale Mobilitätslösung an. Doch inwieweit existieren bereits gemeinsame intermodale Mobilitätsangebote in der Region? Vorbild Schweiz Auf der Schweizer Seite findet man mit Rent a Bike ein schweizweites Angebot - dies in Kooperation mit den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), diversen Privatbahnen und Partnern aus Tourismus und Sportfachhandel. Rent a Bike bietet rund 200 Verleihstationen an. Diese befinden sich überwiegend direkt am Bahnhof, wobei das Sortiment nicht nur auf elektrisch unterstützte Fahrräder beschränkt ist. Bei der Anreise mit dem ÖV erhält der Kunde mit den Rail- Away-Kombi-Angeboten bis zu 20 % Rabatt auf die Fahrradmiete. Zudem können die Räder an anderen Stationen abgegeben als ausgeliehen werden. Die SBB vermarkten dieses Angebot auf ihrem Internetauftritt und leiten interessierte Kunden direkt auf die Reservationsseite von Rent a Bike weiter. Anders als auf der Schweizer Seeseite fehlt am deutschen Ufer des Bodensees eine derartige Zusammenarbeit zwischen ÖV- Anbietern und E-Rad-Verleihern. Seitens DB Regio Baden-Württemberg besteht relevantes Interesse, den Radtourismus mit Leihfahrrädern zu stärken. Die Nutzung von Leihfahrrädern am Bodensee könnte die Kapazitätsnachfrage in den Zügen während der touristischen Hauptverkehrszeiten deutlich reduzieren. Verspätungen, die durch erhöhte Fahrgastwechselzeiten aufgrund vieler mitbeförderter Fahrräder induziert werden, würden reduziert. In der Summe resultiert für die Bahn aus attraktiven Verleihangeboten demnach nicht nur ein zusätzliches Nachfragepotenzial, sondern zugleich eine Verbesserung der gegenwärtigen betrieblichen Angebotsqualität - bis hin zur Vermeidung von zukünftigen Kostensprüngen durch ggf. notwendiges zusätzliches Fahrzeugmaterial bei der weiteren Zunahme des Radtourismus am Bodensee [6]. Eine wesentliche Herausforderung auf der deutschen Seeseite, eine derartige Mobilitätsdienstleistung anzubieten, besteht im Fehlen eines einzelnen großen E-Rad- Verleihers oder eines Verleihnetzwerks. Das Angebot ist stark fragmentiert, die einzelnen Verleiher sind meist sehr klein und bieten nur lokale Verleihoptionen oder sehen den Verleih von E-Rädern nicht als ihr Kerngeschäft an. Dies hemmt zum einen umsatzfördernde Kooperationen sowohl horizontal (z. B. Zusammenarbeit mit Schweizer Rent a Bike) als auch vertikal (z. B. Vertriebskooperation mit DB AG) in der Wertschöpfungskette. Zum anderen verhindert dies die Möglichkeit, E-Bikes an einer Verleihstation abzuholen und an einer anderen wieder zurückzugeben (sog. Oneway-Fahrten). Das Angebot beschränkt sich somit auf sog. Roundtrips, die eine Rundfahrt bedingen. Für die Nutzung des Bodenseeradwegs eine eher ungünstige Randbedingung, wenn nicht der komplette See umrundet werden soll. Insbesondere für Multiplikatoren wie die Deutsche Bahn oder die Tourismusorganisation des Bodenseeraums sind auf dieser Basis keine Sichtbarkeit stei- Bild 1: Distanz von E-Velo-Verleihstationen zum nächstgelegenen Bahnhalt Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 69 Nachhaltigkeit MOBILITÄT gernden Zusammenarbeiten oder gar Paketangebote entwickelbar. Offene Plattformen zur Nutzung bestehender Wachstumschancen Dabei zeigen Marktrecherche und Stakeholder-Gespräche große Potenziale für neuartige Verleihkonzepte und die Integration von Bahn- und Radverkehr. Tagesausflüge in der Freizeit sowie während des Urlaubs stellen mit 266 Mio. Ausflügen nicht nur zahlenmäßig das bei weitem größte Radreisesegment in Deutschland dar. Es verzeichnete 2017 auch als einziges Radreisesegment deutliche Zuwächse [7]. Für viele Touristen ist das Leihrad eine attraktive Option. Schon heute interessieren sich 40 % der Tagesausflügler für Mieträder, davon rund die Hälfte für Elektrofahrräder [7]. Jeder fünfte Radreisende findet es wichtig, dass es am Urlaubsort auch Elektrofahrräder zur Miete gibt [8]. Wie könnte also eine entsprechende Lösung für den deutschen Raum und im Idealfall eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit vorangetrieben werden? Aus den Gesprächen mit Vertretern der Branche kommen wir zu dem Ergebnis, dass es einen Austausch zwischen den relevanten Akteuren und Interessensvertretern braucht. Da der Markt sehr fragmentiert ist und eine treibende Kraft fehlt, könnte dieser durch eine neutrale Instanz initiiert werden, wie z.B. die Internationale Bodenseekonferenz, die Internationale Bodenseetourismus GmbH und/ oder im Rahmen eines Anschlussprojektes. Bei der Konzeption von neuen Angeboten ist insbesondere darauf zu achten, keine neuen abgeschlossenen Insellösungen zu schaffen, sondern an bestehenden Angeboten anzuknüpfen. Neue Mobilitätsangebote sollten zudem offene Systeme sein, die möglichst europaweit vernetzt und nutzbar sind. Voraussetzung hierfür sind einheitliche Nutzungs- und Tarifstrukturen sowie intra- und interregionale Kooperationen und Netzwerke. ■ 1 Der Begriff E-Rad umfasst hier sowohl Pedelecs als auch E-Bikes. Pedelecs geben eine elektrische Unterstützung beim Treten bis 25km/ h mit einer maximalen Leistung von 250W. E-Bikes weisen eine höhere Leistung und Geschwindigkeit als Pedelecs auf, teilweise mit Antrieb ohne Treten, mit Versicherungs- und Helmpflicht [1]. LITERATUR [1] BMVI (2014): Radverkehr in Deutschland. Zahlen, Daten, Fakten. Berlin, http: / / www.ziv-zweirad.de/ uploads/ media/ radverkehr-in-zahlen.pdf [2] Zweirad-Industrie-Verband (2018): Zahlen - Daten - Fakten zum Deutschen E-Bike-Markt 2017. E-Bikes mit Rekordzuwächsen. Pressemitteilung vom 13. März 2018. Bad Soden. http: / / www.ziv-zweir a d . d e / f i l e a d m i n / r e d a k t e u r e / D o w n l o a d s / M a r k t d a t e n / PM_2018_13.03._E-Bike-Markt_2017.pdf [3] Destatis (2017): 1,9 Millionen Haushalte in Deutschland mit Elektrofahrrad. Mitteilung vom 30.05.2017. https: / / www.destatis.de/ DE/ PresseService/ Presse/ Pressemitteilungen/ zdw/ 2017/ PD17_22_ p002.html [4] Sinus Markt- und Sozialforschung (2017): Fahrrad-Monitor Deutschland 2017. Ergebnisse einer repräsentativen Online-Befragung. Heidelberg. http: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ G/ fahrradmonitor-2017-ergebnisse.pdf? __blob=publicationFile [5] Internetstores (2016): Studie zum Thema E-Bikes & Pedelecs. Esslingen. https: / / www.fahrrad.de/ info/ content/ uploads/ ebike-pedelecstudie-zahlen-fakten.pdf [6] Sascha Baron, Michał Beim, Oliver Dümmler, Volker Schmitt (2011): Fahrradmitnahme im Schienenpersonennahverkehr. Praxiserfahrungen und Handlungsempfehlungen. Grüne Reihe Nr. 70. Kaiserslautern [7] ADFC (2018): ADFC-Travelbike-Radreiseanalyse 2018. 19. bundesweite Erhebung zum fahrradtouristischen Markt. Langversion. https: / / www.adfc.de/ radreiseanalyse/ die-adfc-radreiseanalyse-2018 [8] ADFC (2017): ADFC-Travelbike-Radreiseanalyse 2017. 18. bundesweite Erhebung zum fahrradtouristischen Markt. Langversion. https: / / www.adfc.de/ radreiseanalyse/ die-adfc-radreiseanalyse-2017 Helene Schmelzer Projektleiterin, Institut für Nachhaltige Entwicklung, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur helene.schmelzer@zhaw.ch Thomas Sauter-Servaes, Dr.-Ing. Mobilitätsforscher, Institut für Nachhaltige Entwicklung, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur thomas.sauter-servaes@zhaw.ch Planen Sie gemeinsam mit uns in Bremen die Zukunft der Mobilität mit nachhaltigen Strategien und innovativen Verkehrsprojekten. Wir suchen Planer/ innen und Ingenieure/ innen in der Abteilung Verkehr beim Senator für Umwelt, Bau und Verkehr für die folgenden Aufgaben: Verkehrsentwicklungsplanung, Verkehrsprojekte, ÖPNV-Planung und Koordination, ÖPNV- und Eisenbahninfrastrukturausbau, Mobilitätsmanagement, Rad- und Fußverkehrsplanung, Nahmobilitätskonzepte, Strategie und Verkehrspolitik, Baustellenkoordination. Projekte und Konzepte der Freien Hansestadt Bremen wurden u.a. ausgezeichnet mit dem SUMP-Award der EU für Nachhaltige Mobilitätskonzepte, dem Deutschen Verkehrsplanungspreis und dem Deutschen Fahrradpreis. Wir bieten Ihnen u.a. • einen eigenverantwortlichen hohen Gestaltungspielraum, • eine unbefristete und zukunftssichere Beschäftigung im öffentlichen Dienst, • umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten und regelmäßige Teilnahme an Fachtagungen und Mitarbeit in Fachgremien, • flexible Arbeitszeiten sowie die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Weitere Informationen, Ansprechpartner und Stellenausschreibungen finden Sie auf unserer Internetseite www.bauumwelt.bremen.de l Verkehr l Stellenangebote Bremen bewegen: Heute den Verkehr von morgen gestalten © machart-bremen.de, Foto: BSAG Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 70 MOBILITÄT InnoZ Mobilitätsmonitor Mobilitätsmonitor Nr. 6 - Mai-2018 Personenverkehrsmarkt, Verkehrswende, PKW-Bestand, ÖPNV, Bikesharing, Carsharing, E-Mobilität InnoZ und WZB 1 erstellen ein Monitoring zum Personenverkehrsmarkt in Deutschland. Im Fokus steht die Verkehrswende im Sinne einer Reduktion der privaten PKW-Nutzung und eines Nachfrageanstiegs geteilter und elektrischer Verkehrsmittel. Diese Ausgabe widmet sich der Mobilität in ausgewählten Großstädten und erscheint mit Unterstützung der Stiftung Mercator. Lena Damrau, Frank Hunsicker, Lisa Ruhrort, Christian Scherf, Robin P. G. Tech Personenverkehrsmarkt: konjunkturelles Umfeld 2 und modale Sicht 3 Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs in Deutschland 2017 um 2,2 % gegenüber dem Vorjahr. Dieses Wachstum ist auf insgesamt positive konjunkturelle Rahmenbedingungen sowohl in der Außenwirtschaft als auch auf die starke Binnennachfrage und auf die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt zurückzuführen. Die privaten Konsumausgaben stiegen weiter an (+1,9 %), die Verbraucherpreise lagen um 1,8 % über dem Vorjahr, während die real verfügbaren Einkommen um gut 2 % zulegten. Die Erwerbstätigenzahl übertraf das Vorjahr um 1,5 % und stieg auf ein weiteres Rekordhoch von 44,3 Mio. Personen. Zudem stieg die Einwohnerzahl weiter um 0,4 % an. Die Preissteigerungen im öffentlichen Verkehr sowie im innerdeutschen Luftverkehr fielen gegenüber jenen des motorisierten Individualverkehrs (MIV) eher moderat aus. Der PKW-Bestand stieg zum 01.01.2018 mit 1,5 % auf nunmehr 46,5 Mio. PKW weiter an. Die Rate der PKW-Neuzulassungen erhöhte sich dabei um 2,7 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Personenverkehrsleistung stieg im Jahr 2017 - über alle motorisierten Verkehrsträger betrachtet - um 1,3 % gegenüber 2016 an (Bild 1). Diese Ausweitung wurde getragen von der guten konjunkturellen Lage, wobei die Entwicklung der Verkehrsträger aufgrund marktspezifischer Faktoren unterschiedlich verlief. Der MIV konnte trotz teurerer Kraftstoffe seine Verkehrsleistung um 1,3 % steigern, was vorwiegend auf den ausgeweiteten PKW-Bestand sowie das vorteilhafte sozioökonomische Umfeld zurückzuführen ist. Von letzterem profitierte auch der Schienenpersonenverkehr (+ 1,7 %) - trotz Einschränkungen durch zwei Herbststürme. Infolge der Air-Berlin- Pleite sowie einer Preisoffensive stiegen Reisende auf den Fernverkehr um, dessen Nachfrage um 2,7 % gegenüber 2016 stieg (Nahverkehr: 1,0 %). Der ÖSPV 4 verzeichnete ein Nachfragewachstum von 0,4 %. Der Buslinienfernverkehr wies dabei allerdings ein Minus von 3 % auf, der durch das insgesamt leicht geschrumpfte Fahrtenangebot nach der Marktkonsolidierung und die Monopolstellung des Anbieters Flixbus erklärt werden kann. Der Liniennahverkehr legte dagegen um knapp 1 % gegenüber 2016 zu. Auch hier spielte das Plus an Bevölkerung, Erwerbstätigen, aber auch an Auszubildenden eine wichtige Rolle. Insgesamt wurden Busse und Bahnen 2017 von so vielen Menschen benutzt wie nie zuvor: Das Aufkommen erreichte über 11,5 Mrd. Fahrgäste. Der innerdeutsche Luftverkehr stagnierte nahezu mit einem Verkehrsleistungszuwachs von 0,2 %. Hier machte sich das sinkende Angebot von Flügen nach dem Rückzug von Air Berlin bemerkbar. Im Jahr 2018 wird sich der Zuwachs bei den motorisierten Verkehrsträgern voraussichtlich in ähnlicher Größenordnung bewegen. Die Konjunktur bleibt stabil und der Arbeitsmarkt dynamisch, während der Kraftstoffpreis vsl. nur moderat ansteigen wird. Zwar wird sich das Plus bei Bevölkerungs- und Erwerbstätigenzahl leicht abschwächen, doch steigende Realeinkommen lassen auch für Mobilitätszwecke höhere Konsumausgaben erwarten. Für den MIV ist ein Zuwachs von gut 1,2 % bei der Verkehrsleistung gegenüber dem Vorjahr zu erwarten, beim innerdeutschen Luftverkehr lediglich eine Stagnation. Auf der Schiene wird die Verkehrsleistung um weitere 2,5 % steigen. Auch im ÖSPV ist mit 2015 2017 Ausblick 2018 p.a p.a p.a Fuß Rad SPV ÖSPV Luftverkehr (innerdeutsch) MIV 1.202,5 1.234,6 1.249,6 -0,5% 2,0% 1,4% 2,1% -0,7% 3,0% 1,4% 1,5% -0,5% 2,0% 1,3% 1,7% 0,4% 0,2% 1,3% 1,3% 1,2% -0,5% 2,0% 1,2% 2,5% 0,5% 0,0% 1,2% 81,7 10,1 91,7 36,1 1.131,8 34,6 948,3 81,4 10,4 95,2 34,2 81,8 10,4 97,6 34,1 1.162,8 1.177,3 37,6 38,3 2016 1.219,2 81,1 10,4 93,7 34,4 1.1148,0 36,8 962,8 975,7 987,4 Personenkilometer (in Mrd.) © InnoZ GmbH 700 850 1.000 1.150 1.300 Bild 1: Personenverkehrsleistung in Personenkilometer (Pkm) nach Verkehrsträgern 2015 - 2018 Recherche: Hunsicker; Grafik: Niemeyer; Quelle: ADV 2018, SSP/ BAG 2018, StBA 2018, eig. Schätzungen Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 71 InnoZ Mobilitätsmonitor MOBILITÄT 0,5 % ein moderates Nachfrageplus zu erwarten. Über alle motorisierten Verkehrsträger kann 2018 mit einem Zuwachs der Verkehrsleistung von ca. 1,2 % gegenüber 2017 gerechnet werden. Wie in den Vorjahren sind zudem ein leichter Rückgang beim Fußverkehr und ein Zuwachs im Radverkehr erwartbar, was sich aber auf die Gesamtverkehrsleistung nur geringfügig auswirkt. Auch die modalen Anteile der einzelnen Verkehrsträger bleiben im Vergleich zum Vorjahr nahezu konstant. Kontakt: frank.hunsicker@innoz.de Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-markt Indikatoren der urbanen Verkehrswende Anzeichen der Verkehrswende lassen sich auf mehreren Ebenen untersuchen: auf Ebene des Angebots, der Nutzereinstellung und des tatsächlichen Nutzerverhaltens. Angebotsänderungen alleine sind noch keine Verkehrswende. Sie lassen sich aber gezielt beobachten und quantitativ erfassen, um Folgen einzuschätzen. Besonders in Großstädten zeichnet sich ein Wandel im Angebot ab. Sukzessiv kamen neue Mobilitätsangebote auf den Markt: vom Carsharing Ende der 1980er Jahre über das Bikesharing Anfang der 2000er Jahre bis zur regelrechten Explosion stationsloser Entleihsysteme („free-floating“). Der Erfolg dieser Angebote kann indirekt auch als Indikator für Einstellungs- und Verhaltensänderungen verstanden werden. Die Darstellung umfasst der Bevölkerungsgröße nach Berlin, Hamburg, München, Frankfurt am Main, Köln, Stuttgart, Essen und Leipzig. Somit werden acht der- zehn größten Städte Deutschlands mit unterschiedlichen Stadttypen zwischen 500 000 und 3,6 Mio. Einwohnern verglichen. 5 Das Angebotspotenzial im ÖPNV und Fahrzeug-Sharing wird in den Ausprägungen Fahrzeugzahl und Platzangebot verglichen. Als Vergleichsmaßstab dienen die Zahl und Sitzplätze der Privat-PKW. Es folgen Vergleiche zwischen Fahrzeiten unterschiedlicher Mobilitätsoptionen sowie die Zahl von E-Autos und Ladesäulen. Kontakt: lisa.ruhrort@wzb.eu Bevölkerung, Fahrzeugzahl und Platzangebot Bild 2 zeigt die absolute Bevölkerungszahl und die Gesamtzahl der PKW für die ausgewählten Städte (nur Kernstädte). Gemessen an der Bevölkerung liegen drei Größenordnungen vor: Berlin ragt mit über 3,5 Mio. Einwohnern deutlich heraus. Danach folgen die Millionenstädte Hamburg, München und Köln. Die übrigen Städte haben jeweils etwas mehr als eine halbe Mio. Einwohner. In Berlin liegt die Anzahl der Fahrzeuge mit knapp 1,2 Mio. PKW etwa ein Drittel so hoch wie die Bevölkerungszahl. Für Essen und Stuttgart ergeben sich hingegen fast halb so viele PKW wie Einwohner. Bild 3 zeigt die Zahl der öffentlich nutzbaren Fahrzeuge. Hierzu zählt der ÖPNV (ohne Regionalbahn/ -express) zzgl. Taxen und Funkmietwagen. Hinzu kommen die Fahrzeuge im Bike- und Carsharing sowie in sonstigen Mietsystemen (Scootersharing) und im Rideselling (gewerbliche Personenmitnahme). Berlin sticht wieder heraus, besonders bzgl. der ÖPNV-Flotte. Frankfurt liegt bei den ÖPNV-Fahrzeugen auf Platz vier, beim Bikesharing aber auf Platz zwei der acht Städte. Bild 4 zeigt die Prozentanteile der Sitz- und Stehplätze in PKW-, ÖPNV- und Sharing-Fahrzeugen. Es ist der Durchschnitt aller acht Städte. Dabei zeigt sich das enorme, bisher kaum öffentlich nutzbare, Sitzplatzpotenzial der vorhandenen PKW mit einem Durchschnitt von 90 % des Platzpotenzials. 9 % entfallen auf den ÖPNV (inkl. Stehplätze) und 1 % auf den Sharing-Sektor. Die Aufteilung „90/ 9/ 1“ gilt der Tendenz nach für alle betrachteten Städte. Die größten Abweichungen bestehen in Frankfurt, mit einem Anteil der ÖPNV-Plätze von 13 % und in Essen, wo er 5 % beträgt. Der Anteil der Sharing-Plätz liegt bisher in keiner der Bevölkerung & Pkw (in Mio.) Bevölkerungszahl Anzahl der Pkw Stuttgart Essen Leipzig Köln Frankfurt (M) München Hamburg Berlin © InnoZ GmbH 00 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 Bild 2: Bevölkerungszahl und PKW-Zahl, Stand 2017/ 18 Recherche: Scherf; Grafik: Ruhrort/ Niemeyer; Quelle: s. unten ÖPNV- & Sharing-Fahrzeuge (in Tausend) ÖPNV (inkl. Taxi/ Funkmietwagen, ohne RE) Bikesharing Carsharing (inkl. "peer-to-peer") Sonstige Sharing-Formen (inkl. Rideselling) Stuttgart Essen Leipzig Köln Frankfurt (M) München Hamburg Berlin © InnoZ GmbH 00 5 10 15 20 25 30 35 Bild 3: Zahl der ÖPNV- und Sharing-Fahrzeuge, Stand 2017/ 18 Recherche: Scherf; Grafik: Ruhrort/ Niemeyer; Quelle: s. unten © InnoZ GmbH Sharing-Plätze (inkl. Peer-to-Peer-Carsharing und Rideselling) Berlin, Hamburg, München, Frankfurt (M), Köln, Stuttgart, Essen, Leipzig ÖPNV-Plätze (inkl. Stehplätze und Taxi/ Funkmietwagen) Pkw-Plätze (ohne Taxi/ Funkmietwagen und Sharing-Pkw) ca. 0,01 Mio. ca. 0,2 Mio. 90% 9% <1% ca. 2,1 Mio. Anteil der Plätze in PKW-, ÖPNV- und Sharing- Fahrzeugen (Durchschnitt über alle acht Städte*) Sharing ÖPNV PKW * B, HH, M, F, K, S, E, L Bild 4: Anteil der Plätze in PKW-, ÖPNV- und Sharing-Fahrzeugen; Durchschnitt aller acht Städte, Stand 2017/ 18 Recherche: Scherf, Grafik: Ruhrort/ Niemeyer; Quelle: s. unten Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 72 MOBILITÄT InnoZ Mobilitätsmonitor acht Städte über 1 %. Dies liegt auch daran, dass im Bikesharing nur ein Platz pro Fahrrad besteht. 6 Fahrzeug- und Platzpotenzial (Gesamtschau) Bild 5 zeigt die absolute Zahl der PKW in Relation zu den ÖPNV- und Sharing-Fahrzeugen pro Stadt. Je weiter rechts ein Kreis liegt, desto größer die PKW-Zahl. Je höher ein Kreis liegt, desto größer die Zahl der ÖPNV- und Sharing-Fahrzeuge. 7 Die Kreisgröße entspricht dem Platzangebot in den ÖPNV- und Sharing-Fahrzeugen. Frankfurt und München liegen gemessen an der Zahl der ÖPNV-/ Sharing-Fahrzeuge fast gleich auf (ca. 12 000 bzw. 13 000 Fahrzeuge). Das Platzangebot in den Fahrzeugen ist in München allerdings um mehr als 100 000 Plätze höher als in Frankfurt (s. Kreisgröße). Dies liegt u. a. am platzreichen ÖPNV-System in München, während die Zahl öffentlich nutzbarer Fahrzeuge in Frankfurt besonders auf Leihfahrrädern beruht (vgl. Bild 3). Umgekehrt haben München und Hamburg fast gleich viele Plätze, obwohl Hamburg rund 3000 ÖPNV- und Sharingfahrzeuge weniger hat als München. Dies liegt vor allem daran, dass München auch nach der Reduzierung im Bikesharing vom April 2018 8 noch rund 2600 Leihfahrräder mehr in der Stadt hat als Hamburg. Die Fahrräder wirken sich jedoch nur geringfügig auf die Platzzahl aus. Shared Mobility: Anteile Da die Zahl der Sharing-Fahrzeuge und -Plätze in Relation zu den PKW und dem ÖPNV niedrig ist, betrachten wir in Bild 6 das Sharing im Detail (in Prozent der Sharing-Fahrzeuge und Sitzplätze pro Stadt). Über den Balken ist die absolute Gesamtzahl der Fahrzeuge und Plätze pro Stadt aufgeführt. Auffallend ist die Dominanz des Bikesharing: In sechs der acht Städte macht das Bikesharing als „free-floating“ sowie in stationsbasierter oder hybrider Form die Hälfte aller Sharing-Fahrzeuge aus. In Stuttgart und Leipzig liegt der Anteil darunter, da es dort keine oder kaum Leihfahrräder im „free-floating“ gibt. Bei den Platzanteilen geht das Bikesharing schwächer ein. Hier dominiert das Carsharing, das als „free-floating“, „peer-to-peer“ und in stationsbasierter Form in allen Städten außer Frankfurt mindestens 50 % der Sharing- Plätze anbietet. Schwach ausgeprägt sind aktuell noch das Scootersharing und Rideselling. Das Scootersharing umfasst bis zu 9 % (Berlin) und das Rideselling bis zu 3 % (Leipzig) der Sharing-Fahrzeug und -Plätze. Kontakt: christian.scherf@wzb.eu Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-sharing Fahrzeitvergleich der Mobilitätsoptionen Ergänzend zum quantitativen Fahrzeug- und Platzpotenzial sind die Fahrzeiten ein Maß für die Angebotsqualität. Bild 7 zeigt die im Durchschnitt benötigte Zeit pro km je Verkehrsmittel. Es handelt also nicht um Plan-, sondern um reale Ist-Werte. 10 Der Vergleich zwischen den Städten zeigt die abweichende Dauer, die von den App-Usern aufgewendet wird, um einen km mit den lokalen Verkehrsmitteln zurückzulegen. So benötigen die Teilnehmenden pro km in Leipzig mit dem PKW durchschnittlich 2-min. und 22 sek., während sie in Frankfurt für die gleiche Strecke im Schnitt 3 min. und © InnoZ GmbH 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1.000 1.100 1.200 1.300 0 50 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Leipzig 78 T. Essen, 61 T. Stuttgart, 160 T. Köln 133 T. Frankfurt (M) 207 T. München 320 T. Berlin 578 T. Zahl der Sitz- & Stehplätze (Kreisgröße) ÖPNV- und Sharing-Fahrzeuge (inkl. Rideselling, in Tausend) Pkw-Fahrzeuge (ohne Sharing-Fahrzeuge & Taxi/ Funkmietwagen, in Tausend) Hamburg 297 T. Sharing ÖPNV Bild 5: PKW und ÖPNV-/ Sharing-Fahrzeuge in Tausend (T.); die Kreisgröße zeigt die Menge der Sitz- und Stehplätze anteilig im ÖPNV- und Sharing-Sektor, Stand 2017/ 18 Recherche: Scherf; Grafik: Tech/ Niemeyer; Quelle: s. unten Bikesharing (stationsbasiert/ hybrid) Bikesharing (free-floating) Rideselling Carsharing (free-floating) Carsharing (peer-to-peer) Carsharing (stationsbasiert/ hybrid) Scootersharing Fahrzeuge Sharing... Plätze Stuttgart Essen Leipzig Köln Frankfurt (M) München Hamburg Berlin 0% 20% 40% 60% 80% 100% Stuttgart Essen Leipzig Köln Frankfurt (M) München Hamburg Berlin Tausend 17,95 5,42 8,05 9,19 5,25 1,99 0,89 1,03 28,84 10,87 14,34 11,76 9,37 4,92 1,46 2,87 © InnoZ GmbH Bild 6: Anteile der Sharing-Fahrzeuge und -Plätze 6 in Prozent sowie als absolute Gesamtzahl pro Stadt, Stand 2017/ 18 Recherche: Scherf/ Howe; Grafik: Niemeyer; Quelle: s. unten Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 73 InnoZ Mobilitätsmonitor MOBILITÄT 6 sek. brauchen. Probanden in Hamburg, Köln und Stuttgart benötigen exakt die gleiche Durchschnittszeit von 4 min. und 12-sek. pro Rad-km, trotz unterschiedlicher Stadtstrukturen und Topografien. Da die ÖPNV-Nutzung meist Wartezeit erforderlich macht, wurde für den ÖPNV die Zeit zwischen der Ankunft am Abfahrtsort und der Abfahrt eingerechnet (Gesamtwerte in Klammern). 11 Zudem sind Unterschiede innerhalb der Städte erkennbar: So wird in den meisten Städten der PKW-km schneller zurückgelegt als der ÖPNV-km (inkl. Wartezeit). In Frankfurt wird hingegen der S-Bahn-km inkl. Wartezeit durchschnittlich in kürzerer Zeit als die gleiche Strecke per PKW bewältigt. Ohne Wartezeit ist die S-Bahn auch in Berlin, Hamburg und Köln schneller als der PKW. Kontakt: lena.damrau@innoz.de Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-modi Elektromobilität und Ladeinfrastruktur Neben den Fahrzeugen, Platzpotenzialen und Fahrzeiten bietet die Elektromobilität Anhaltspunkte für Angebotsänderungen. Bild 8 zeigt die Zahl der E-PKW (ohne Plugin-Hybrid) und der öffentlichen Ladesäulen (ungeachtet der Ladepunkte). In allen acht Städten liegt die Zahl der E-PKW verglichen mit der Gesamtzahl an PKW auf einem niedrigen Niveau (vgl. Bild 2). Der Anteil der E-PKW am Gesamtbestand aller PKW pro Stadt liegt in den acht Städten zwischen knapp 0,3 % (Stuttgart) und 0,05 % (Essen). Obwohl in Hamburg mehr Einwohner leben und insgesamt mehr PKW gemeldet sind als in München, hat die bayrische Landeshauptstadt rund 600 E-PKW mehr. Allerdings stehen in München weniger Ladesäulen als in Berlin, Hamburg und Stuttgart. Die Schwabenmetropole liegt bei den Ladesäulen fast gleichauf mit der Hansestadt. Mehr im Netz: innoz.de/ de/ monitor-nachhalt QUELLEN Weitere Inhalte online unter innoz.de/ de/ monitor 1 Der Monitor ist Teil des Projekts „Energie- und Verkehrswende als Herausforderung für die sozialwissenschaftliche Forschung“. Projektpartner sind das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Förderer ist die Stiftung Mercator (stiftung-mercator.de). 2 Datenquellen: FERI 2018, KBA 2018, Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2018, StBA 2018, eig. Schätzungen. 3 Datenquellen: StBA 2018, SSP/ BAG 2018, ADV 2018, eig. Schätzungen. 4 Öffentlicher Straßenpersonenverkehr (Bus, Stadtbahn, Straßenbahn und U-Bahn). 5 Düsseldorf und Dortmund wurden nicht ausgewählt, um nicht zu viele Städte desselben Agglomerationsraumes in der Auswahl zu haben. 6 Platzannahmen: Bikesharing = 1 Platz pro Fz.; Scootersharing = 1,3 - 2 Plätze pro Fz.; free-f. Carsharing, Taxi/ Funkmietwagen, Rideselling = 3 Plätze pro Fz.; PKW, P2P-Carsharing, stat./ hybrid. Carsharing = 4 Plätze pro Fz.; ÖPNV = Orientierung an Typenblättern der Verkehrsunternehmen (inkl. Stehplätze) 7 Bei Bild 5 ist die unterschiedliche Skalierung der Achsen zur beachten: Ein Zwischenintervall der waagerechten Achse entspricht der Gesamtlänge der senkrechten Achse (50.000 Fahrzeuge). 8 Aufgrund von Vandalismus reduzierte ein Bikesharing- Anbieter seine Flotte in München im April 2018 um ca. 5.000 Fahrräder. 9 Die Daten für Bild 7 wurden mit der Tracking-App modalyzer zwischen Mai 2015 und April 2018 per GPS aufgezeichnet (modalyzer.com). Insgesamt wurden 90.000 km erfasst, zurückgelegt von 570 Personen. Die Auswertungen beruhen auf im Projekt multimo zwischen dem 1.5. und dem 31.5.2015 und im Projekt Mobilitätsmonitor erhobenen Trackingdaten. Multimo wurde vom infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH und der InnoZ GmbH durchgeführt. Auftraggeber waren: BVG, VBB, VBN, DVB, GVH, KVB, VRS, LVB, SSB, MVV, HVV, RMV, VRR und der VDV - Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. 10 Aufgrund der Erhebungsmethode und kleiner Fallzahlen kann kein Anspruch auf Repräsentativität erhoben werden. Die Gesamtzahl der in den Städten gemessenen Personen (n in der Tab.) liegt höher als die Zahl der Teilnehmenden, da für einen Teil der Personen Daten aus mehreren Städten vorliegen. 11 Da die Wartezeiten pro km heruntergerechnet wurden, sind sie nicht gleichzusetzen mit der durchschnittlichen Gesamtwartezeit pro Fahrt. Berlin Fussweg Fahrrad Pkw Bus S-Bahn Stadt- / U-Bahn Tram 1 1 : 18 03: 54 02: 30 03: 18 (04: 06) 01: 54 (02: 24) 03: 12 (03: 30) 03: 30 (04: 42) 1 1 : 24 04: 06 02: 30 03: 24 (04: 36) 02: 30 (02: 42) 03: 30 (03: 42) 03: 24 (04: 00) 1 1 : 23 04: 35 02: 51 03: 27 (04: 36) Fallzahl ungenügend 03: 52 (05: 17) 04: 00 (04: 26) 1 1 : 30 n= 87 Personen n= 85 Personen n= 26 Personen n= 95 Personen 04: 12 02: 24 03: 24 (04: 24) 02: 06 (02: 30) 02: 36 (03: 00) -- Verkehrsmittel Pro km benötigen die Modalyzer-App-User ... [Min.: Sek., Median] (inkl. Wartezeit im ÖPNV) Hamburg München Essen Frankfurt (M) Fussweg Fahrrad Pkw Bus S-Bahn Stadt- / U-Bahn Tram 1 1 : 54 04: 42 03: 06 04: 30 (05: 24) 02: 36 (02: 48) 04: 12 (04: 48) 03: 48 (04: 00) 1 1 : 24 04: 12 02: 36 03: 12 (04: 06) 02: 48 (03: 12) 03: 12 (03: 42) -- 1 1 : 47 04: 17 02: 22 02: 49 (03: 28) 03: 21 (03: 47) -- 03: 22 (03: 50) 1 1 : 36 n= 49 Personen n= 161 Personen n= 35 Personen n= 116 Personen 04: 12 02: 24 03: 36 (04: 12) 02: 12 (03: 00) 03: 36 (03: 54) -- Verkehrsmittel Pro km benötigen die Modalyzer-App-User ... [Min.: Sek., Median] (inkl. Wartezeit im ÖPNV) Köln Stuttgart Leipzig Bild 7: Zeit nach Verkehrsmittel pro Kilometer (km), erfasst mit modalyzer 9 Auswertung: Damrau; Grafik: Niemeyer; Quelle: modalyzer-User Anzahl der E-Pkw und Ladesäulen Anzahl der E-Pkw Anzahl der Ladesäulen Stuttgart Essen Leipzig Köln Frankfurt (M) München Hamburg Berlin © InnoZ GmbH 0 200 400 600 800 1.000 1.200 1.400 1.600 1.800 Bild 8: Zahl der E-PKW (ohne Plug-in-Hybrid) und Ladesäulen, Stand 2017 Recherche: Scherf/ Stolte; Grafik: Niemeyer; Quelle: E.ON 2017, Uni. Duisburg-Essen/ CAR 2017 Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 74 MOBILITÄT Flugverkehr Regionalflughäfen ohne Netz Die deutschen Regionalflughäfen sind für den Geschäftsreiseverkehr schlecht angebunden Regionalflughafen, Regionalflug, Flugplanung, Geschäftsreiseverkehr, Jenseits der Hubs in Frankfurt und München und der größeren Flughäfen in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Köln und Stuttgart konzentriert sich das Angebot an den deutschen Verkehrsflughäfen auf den Privatreiseverkehr und die Anbindung an die Hubs des Lufthansa-Konzerns. Nur Air France/ KLM bindet zudem Hannover, Nürnberg und Bremen an ihr Netz an. British Airways und die One World Alliance haben sich verabschiedet. Die Marktposition des Lufthansa-Konzerns im Heimatmarkt ist dominanter als die der anderen großen Netzcarrier. Christoph Brützel I n den Regionen jenseits der Hubs in Frankfurt und München sowie der zentralen Verkehrsflughäfen in Berlin (Tegel und Schönefeld: 33,3 Mio. Passagiere in 2017), Düsseldorf (24,6 Mio.), Hamburg (17,6 Mio.), Köln (12,4 Mio.) und Stuttgart (11,0 Mio.) wird das Angebot von Linienverkehren schnell sehr dünn. Nach den genannten Großflughäfen klafft eine Lücke, bevor Hannover mit weniger als sechs- Millionen Passagieren das Feld der Flughäfen der vielfach gemäß Luftverkehrsgesetz als „Internationale Verkehrsflughäfen“ bezeichneten Landes- und Regionalflughäfen anführt. Wie Tabelle 1 zeigt, gab es in 2017 außer an dem niedersächsischen Landesflughafen nur in Nürnberg täglich im Durchschnitt mehr als 60 regelmäßige Charter- und Linienabflüge für Passagiere. Am „Internationalen Verkehrsflughafen“ Erfurt waren es weniger als fünf. Die für Leipzig/ Halle ausgewiesenen Flugbewegungen rekrutieren sich mehrheitlich aus dem Frachtverkehr. Das in Bild 1 dargestellte Landschaftsbild der deutschen Verkehrsflughäfen mit regelmäßigen Linienverkehren zeigt entsprechend, dass weite Teile der Republik nicht oder nur über Umsteigeflüge an das nationale und internationale Luftverkehrsnetz angebunden sind. Nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch im nördlichen Bayern und Hessen sowie im Nordwesten Deutschlands verfügt keiner der Verkehrsflughäfen über ein nennenswertes Liniennetz von Punktzu-Punkt-Verbindungen. Wie die Auswertung der Linienflugplanung für eine Juni- Woche des Sommerflugplans 2018 (Stand Name des Flughafens IATA-Code Passagiere Flugbegungen Sitze pro Flug* Fracht (Tsd. to) Kapazität (Tsd. Pass.) Tsd. pro Tag Linie und Charter (Tsd.) pro Tag Hannover HAJ 5586 16 126 53,1 145 155 16,9 8000 Nürnberg NUE 4175 11 438 43,2 118 141 6,3 5000 Bremen BRE 2536 6948 22,5 62 143 0,6 n. v. Hahn HHN 2358 6460 18,4 50 189 111,9 5000 Leipzig/ Halle LEJ 2350 6438 61,6 169 136 1131,4 4500 Dortmund DTM 2001 5482 13,3 36 174 0 2500 Niederrhein NRN 1885 5164 11,4 31 189 0 2500 Dresden DRS 1703 4666 18,8 41 127 0,3 3500 Karlsruhe/ Baden-Baden FKB 1237 3389 10,5 29 172 1,3 1500 Memmingen FMM 1180 3233 n. a. n. a. 191 0 2000 Münster/ Osnabrück FMO 960 2630 10,5 29 126 0,2 4000 Paderborn/ Lippstadt PAD 733 2008 8,0 22 130 0,1 n. v. Friedrichshafen FDH 515 1411 6,6 18 106 0,1 600 Saarbrücken SCN 373 1022 6,0 16 103 0,1 700 Rostock-Laage RLG 291 797 n. a. n. a. 101 0 1000 Erfurt-Weimar ERF 276 756 3,2 9 151 2,1 800 Gesamt 28 459 77 970 287,0 787 148 1271 * Flugplan Woche 11.-17.06.2018; Quelle: CH-Aviation, Quelle Flughafendaten: ADV; Flughäfen Tabelle 1: Deutsche Verkehrsflughäfen mit Linienverkehr 2017 (Auswahl) Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 75 Flugverkehr MOBILITÄT Ende April 2018) zeigt, sind Geschäftsreisende selbst im Großraum von Hannover und Nürnberg fast vollständig auf Umsteigeverbindungen angewiesen, wenn sie nicht über Straße oder Schiene den Weg zum nächsten Hub oder Großflughafen suchen wollen (Bild 2). Für die Auswertung wurde der Verkehr in die Kategorien „Privat“, „Hubs“ und „Städte“ aufgeteilt. Als Städteverbindungen wurden solche Verbindungen eingestuft, die auch für den Geschäftsreiseverkehr relevant sind und zu denen mindestens eine werktägliche Verbindung angeboten wird. Als Privatreisedestinationen wurden alle Verbindungen zu typischen Urlaubszielen und sonstige Angebote mit weniger als sechs wöchentlichen Frequenzen gezählt. Die Verkehrsanteile werden noch deutlicher, wenn statt der Frequenzen das Sitzplatzangebot betrachtet wird (Bild 3). Die von den Low Cost Carriern und Urlaubsfliegern angebotenen Privatreiseverbindungen zu Warmwasser- und Städtereisezielen dominieren die Provinz und die Billigflieger-Abflugbasen in Weeze, am Hahn, in Memmingen und in Karlsruhe/ Baden-Baden. Aber auch an den anderen Regionalflughäfen gewinnen Urlaubsdestinationen, zu denen bei jedem Flug mehr als 150 Sitze unterwegs sind, an Bedeutung. Bereits die in Tabelle 1 aufgelistete durchschnittliche Anzahl der Sitze je Flugbewegung zeigt, dass der für das Low-Cost- und Ferienfliegerangebot typische Einsatz von A320- und großen B737-Mustern die früher an Regionalflughäfen üblichen Turboprops verdrängt hat. Regionalflugzeuge mit weniger als 70 Sitzen sind fast nirgendwo mehr im Einsatz. Auf eigene Rechnung fliegt praktisch nur noch die Rhein-Neckar-Air vom City-Flughafen in Mannheim nach Berlin und Hamburg, und die dänische Flex-Flight verbindet Münster am Tagesrand werktäglich mit Stuttgart. Die Lufthansa-Gruppe setzt im Code-Sharing Embraer RJ 145 der British Midland ein, um ihren Hub München an Rostock und Saarbrücken anzubinden sowie Brüssel an Hannover und Nürnberg. Zudem gibt es eine tägliche Verbindung zwischen Rostock und Stuttgart und Sun-Air bedient mit Flugnummer der British Airways Friedrichshafen - München mit DO 328 Jet. Schließlich noch vier wöchentliche Flüge zwischen Friedrichshafen und Toulouse mit Beachcraft 1900 (Tabelle 2). Während es früher noch Non-Stop-Verbindungen aus der Region innerhalb Deutschland und zu europäischen Kapitalen gab, beschränkt sich das Angebot im Linienverkehr heute weitgehend auf die Hub- Hubs Großflughäfen* Internationale Verkehrs- Flughäfen** Regionalflughäfen * > 6 Mio. Passagiere p.a. (2017) ** gem. § 27d LuftVG Bild 1: Deutsche Verkehrsflughäfen mit Linienverkehr 2017 (Auswahl) Darstellung: Brützel Gesamt: 2.775 75 31 139 600 39 67 72 101 58 137 153 134 213 252 258 458 Bild 2: Verkehr an deutschen Regionalflughäfen (Umläufe Linienverkehr, 11.06.-17.06.2018) Quelle: CH-Aviation, Grafik: Brützel Gesamt 4.674 25.884 25.359 11.073 17.343 3.934 17.547 34.241 8.712 7.637 26.655 96.802 7.729 27.459 64.673 36.910 416.632 Bild 3: Verkehrsstruktur deutscher Regionalflughäfen, angebotene Sitze (Umläufe Linienverkehr, Woche 11.06.-17.06.2018) Quelle: CH-Aviation, Grafik: Brützel Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 76 MOBILITÄT Flugverkehr Anbindung nach Frankfurt und/ oder München und Privatreiseziele. Hubanbindung - nicht immer hochwertig Eine detailliertere Analyse der Hubanbindung zeigt, dass selbst mit Umsteigen in vielen Fällen ohne Auto und Bahn eine Tagesgeschäftsreise nicht mehr möglich ist (Bild-4). Von den untersuchten Flughäfen werden insgesamt 955 Umläufe zu den Drehkreuzen des Lufthansa-Konzerns und anderer Netzcarrier angeboten, davon allein aus Hannover 277, aus Nürnberg 172 und Bremen 133. Von Leipzig/ Halle sind es immerhin noch 102 Abflüge, also rechnerisch fast 15 pro Tag. In Münster/ Osnabrück sind es noch täglich neun, an den anderen Regionalflughäfen eher vier, höchstens aber sechs. Bei den Hub-Anbindungen hat die Lufthansa-Gruppe einen Frequenz-Anteil von 70 %. Allein in Bremen, Nürnberg und Hannover positioniert auch Air France/ KLM Flugzeuge, um frühe Morgenabflüge zu ihren Hubs zu ermöglichen. An allen übrigen untersuchten Flughäfen wird am Tagesrand, wenn überhaupt, nur eine Anbindung nach entweder Frankfurt und/ oder München angeboten. Für kleinere Regionalflughäfen wie Rostock und Saarbrücken gibt es keine qualifizierte Anbindung für Tagesreisen mit Umsteigen. Die Bedienung ist eher zur Anbindung an die Langstrecke geeignet. Von Erfurt aus geht derzeit gar kein Flug mehr zu Umsteigeflughäfen. Ebenso von den Ryanair-Basen Hahn, Memmingen und Weeze. Regelmäßige Non-Stop-Städteverbindungen nur im Einzelfall Ohne Umsteigen geht es für Geschäftsreisende mit dem Anspruch täglicher Verbindungen nur im Einzelfall (Bild 5). Innerdeutsch (schwarz gerahmte Destinationen) ist neben den bereits genannten, vereinzelten Städteverbindungen mit Regionalgerät aus Mannheim seit dem Ausscheiden von Air Berlin nur noch Eurowings unterwegs. Allein in Friedrichshafen treten British Airways/ Sun-Air mit der Lufthansa- Gruppe in innerdeutsche Konkurrenz. Eurowings verbindet bei entsprechender Nachfrage und Distanz zu den Großflughäfen. Hierzu werden seit dem Erwerb der Luftfahrtgesellschaft Walter (LGW) teilweise deren Bombardier DHC8-400 (76 Sitze) eingesetzt. Die Flotte der Kranich-Konzerntochter Lufthansa Cityline übernachtet in Frankfurt und München und fliegt morgens nach Friedrichshafen, Münster/ Osnabrück und Paderborn. International hingegen ist der Lufthansa-Konzern Punkt-zu-Punkt allein von Hannover und Nürnberg nach Brüssel (operated by BMI Regional) im Markt. Ansonsten überlässt er Direktverbindungen vollständig der ausländischen Konkurrenz. Easyjet und Ryanair fliegen teilweise täglich in Richtung London zu ihren Basen in Luton beziehungsweise Stansted. Wizzair bindet teilweise Katowitz und Budapest täglich an. Dortmund wird von fünf europäischen Städten täglich teils mehrfacht angeflogen - ohne Beteiligung des Lufthansa-Konzerns, der sich aus der alten Heimat der Eurowings auf die regelmäßige Anbindung der Hubs in München (siehe oben) und Urlauberflüge (siehe unten) beschränkt. Alle anderen internationalen Geschäftsreiseziele sind mit vereinzelten Ausnahmen nur mit Umsteigen in Frankfurt und/ oder München zu erreichen. In Erfurt, Friedrichshafen, Paderborn und Weeze wurden in der untersuchten Maiwoche überhaupt keine für Geschäftsreiseverkehre relevanten Non-Stop-Verbindungen geflogen. Hatte es früher einmal Regionalfluggesellschaften mit Heimatbasen an Regionalflughäfen gegeben, die von dort aus dezentrale Angebote zu europäischen Geschäftszentren anboten und ergänzend als Hubfeeder für Netzcarrier unterwegs waren, so ist von ihnen heute in Deutschland praktisch keine mehr übriggeblieben. Vor allem die Abwanderung des Privatreisepublikums zu Low-Cost-Angeboten entzog dem klassivon nach Freq./ Wo Muster Sitze Anbieter Operator Mannheim Berlin 19 DO328 34 Rhein-Neckar-Air RNA Mannheim Hamburg 18 DO328 34 Rhein-Neckar-Air RNA Münster Stuttgart 9 BAEJ32 19 Flex-Flight AIS Airl. Hannover Brüssel 11 ERJ145 49 SN Brussels Brit. Midl. Nürnberg Brüssel 6 ERJ145 49 SN Brussels Brit. Midl. Rostock München 13 ERJ145 43 SN LH/ BMI Brit. Midl. Rostock Stuttgart 7 ERJ145 49 SN LH/ BMI Brit. Midl. Saarbrücken München 12 ERJ145 49 SN LH/ BMI Brit. Midl. Friedrichshafen Düsseldorf 11 DO328 32 British Airways Sun-Air Friedrichshafen Toulouse 4 Beechcraft 19 Twin Jet Twin Jet Tabelle 2: Angebot Regionalflug unter 70-Sitze / FLug (Flugplan Woche 11.-17.06. 2018) Quelle: CH-Aviation; Grafik: Brützel FRA MUC FRA MUC FRA AMS MUC FRA FRA AMS CDG ZHR MUC FRA ZRH CPH AMS CDG MUC FRA MUC Tagesrand: Hubankunft vor 08: 00h Hubabflug nach 20: 00h Bild 4: Hubanbindung deutscher Regionalflughäfen - Wochenfrequenzen (11.06.-17.06.2018) Quelle: CH-Aviation; Grafik: Brützel Bild 5: Non-Stop-Städteverbindungen deutscher Regionalflughäfen (sechs und mehr Wochenfrequenzen, 11.06.-17.06.2018) Quelle: CH-Aviation; Grafik: Brützel Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 77 Flugverkehr MOBILITÄT schen Regionalflug in offenen Himmel von Europa zunehmend Deckungsbeiträge zu den hohen Kosten je Sitzkilometer der kleineren Flugzeugmuster. Diese Entwicklung war in Deutschland besonders stark. Die Lufthansagruppe greift derzeit im Bedarfsfall auf British Midland zurück (siehe oben). In Friedrichshafen operiert die dänische Sun-Air. Selbst im europäischen Mutterland der Low-Cost-Carrier-Industrie sind mit Flybe und British Midland noch wettbewerbsfähige Anbieter von Regionalfluggerät mit dezentralen Linienangeboten unterwegs. Umgekehrt gibt es zum Beispiel von Düsseldorf Verbindungen zu europäischen Destinationen jenseits großer Verkehrsflughäfen, die von Eurowings unter Nutzung der bereits genannten LGW-Flotte angeboten werden oder auch durch Gesellschaften, die am Zielflughafen ihre Basis haben. In den USA, dem Ursprungsland der Low-Cost- Carrier-Industrie, gibt es noch heute anteilig wesentlich mehr Angebote mit Regionalfluggerät als in Europa. In Asien, Lateinamerika und Afrika herrschen ohnehin noch die Verhältnisse aus den Zeiten vor Low Cost. Regionalflughäfen bieten Low-Cost- Basen für Privatreisen Bis es so weit kommt, sind die kleineren Flughäfen mehr oder weniger vollständig auf die Low-Cost-Carrier und Ferienflieger, also auf das Privatreisegeschäft angewiesen, das bekanntlich nur geringe Deckungsbeiträge aus Gebühren und Dienstleistungsentgelten einbringt. Werthaltige Deckungsbeiträge können hier vor allem aus Non-Aviation-Beiträgen, wie Parkgebühren, Gastronomieumsätzen et cetera erwirtschaftet werden. Die Präsenz der einzelnen Carrier an den deutschen Regionalflughäfen zeigt, wer wo die Rolle von Air Berlin übernommen hat, die einst den deutschen Ferienflugmarkt aus der Fläche bedient hat, bevor sie sich im Rahmen der diversen Kostensenkungsprogramme sukzessive zurückzog und dann schließlich 2017 ganz aus dem Rennen fiel (Bild 6). Ryanair ist durch die unverändert starke Position an den Low-Cost-Basen Hahn, Memmingen, Karlsruhe und Weeze mit 28 % Verkehrsanteil am gesamten Markt für Low-Cost- und Ferienflugangebote der Regionalflughäfen Marktführer. Als zweitstärkster Spieler in der Fläche hat sich inzwischen Eurowings positioniert, wobei die in der Darstellung enthaltenen Frequenzen auch die dezentralen innerdeutschen Flüge mit LGW-Gerät beinhalten. Im Übrigen bedient Eurowings die Fläche aus ihrer Heimatbasis auf Mallorca (Eurowings Europe) und Positionierungen aus den Zielgebieten (sogenannten M-Formationen, Home Base - Zielgebiet - Regionalflughafen - Zielgebiet - Home Base). Germania stationiert zunehmend Flugzeuge an deutschen Regionalflughäfen. Im Ferienfluggeschäft kann ein Flugzeug rund elf bis zwölf Umläufe je Woche leisten. Erfurt, Friedrichshafen und Münster beschäftigen somit je zwei Flugzeuge, Dresden und Bremen je vier, Nürnberg fünf. In Rostock ist kein regelmäßiger Übernachter positioniert. Condor stationiert im Sommer je fünf Flugzeuge und Crews in Leipzig und Hannover, Tuifly eins in Saarbrücken. Wizz Air betreibt keine Home Base in Deutschland. Selbst in Dortmund und Memmingen finden nur im Einzelfall Übernachtungen von Crews und Flugzeugen statt. Auch alle anderen Bedienungen deutscher Regionalflughäfen erfolgen aus dem Zielgebiet. In Dortmund hat offenbar kein Carrier mehr eine Home Base. Chancen für den Regionalflug Zusammenfassend ist bei den deutschen Regionalflughäfen zwischen solchen zu unterscheiden, die als klassische Low-Cost- Carrier-Basen aufgebaut wurden, also Hahn, Karlsruhe/ Baden-Baden, Memmingen und Weeze, und solchen, die eine mehr oder weniger bedeutsame regionale Versorgungsfunktion haben. Nachdem Ryanair ihr Geschäft zu den klassischen Urlaubsdestinationen zunächst an den genannten Low-Cost-Basen aufgebaut hat, ist bei zunehmender Bedienung von Urlaubsdestinationen aus der Fläche dieses Angebot immer weniger attraktiv. Konsequenterweise verlagert Ryanair daher Urlaubsdestinationen-Angebote zu den zentralen Verkehrsflughäfen, an denen auch die Ferienflieger agieren, zum Beispiel nach Frankfurt. Selbst aus Düsseldorf werden in der neuen Kooperation mit Lauda Motion tägliche Flüge nach Mallorca angeboten und andere Ferienziele bedient. Insbesondere für den Flughafen Hahn in der Nähe des nach Auslastung gierenden Flughafens Frankfurt ist dies eine schlechte Perspektive. In Weeze kann man immerhin darauf setzen, dass bei den Kapazitätsengpässen in Düsseldorf die zentrale Lage zwischen dem Ruhrgebiet und den bevölkerungsreichen östlichen Provinzen der Niederlande eine veritable Alternative bieten wird. In diesem Umfeld hat sich in den letzten Jahren Eindhoven stark entwickelt. Auch Memmingen und Karlsruhe/ Baden- Baden haben in gewissem Umfang eine eigene Catchment Area. An den übrigen Regionalflughäfen sollte sich am ehesten eine positive Perspektive ergeben, wenn sich dort Home-Base-Operator etablieren, die als Betrieb für andere operieren und durch Konsolidierung der Kapazitäten attraktive Skaleneffekte generieren können. Wenn die Grundauslastung diese Capacity Provider aus Urlaubsflügen und Low-Cost-Angeboten dargestellt werden kann, könnte als zweites Bein gegebenenfalls auch eine Flotte von Regionalflugzeugen angeboten werden, die einerseits dem Aufbau neuer Bedienungsbilder dienen, andererseits aber auch wieder dezentrale Städteverbindungen mit Geschäftsreisepotenzial ermöglichen könnte. Hierbei ist kritischer Erfolgsfaktor die Trennung zwischen Produktmanagement und Produktion, die inzwischen nicht nur bei Eurowings (operated by Sun Express und anderen) etabliert ist, sondern, wie erwähnt, nun selbst bei Ryanair Urstand feiert. ■ Christoph Brützel, Prof. Dr. Aviation Management Department, IUBH International University of Applied Sciences, Campus Studies, Bad Honnef c.bruetzel@iubh.de Gesamt 15 17 23 25 26 40 90 91 109 125 132 134 137 153 214 296 1.627 Bild 6: Verkehrsanteile Low Cost / Ferienflug an Regionalflughäfen (Frequenzen Linienverkehr Woche 11.06.-17.06.2018) Quelle: CH-Aviation; Grafik: Brützel Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 78 Web-basierte Dienste für die Mobilitätsplanung im Alltag Nutzungsverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Österreich Digitalisierung, Applikationen, Mobilitätsplanung, junge Erwachsene Web-basierte Dienste für die Wegeplanung sind weit verbreitet und werden zukünftig einen noch höheren Stellenwert einnehmen. Welche Rolle sie derzeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen spielen, wurde mittels Befragung erhoben. Internet-Verfügbarkeit, Gründe für die Nutzung, Einstellungen und Verbesserungsvorschläge wurden erfragt. Die Ergebnisse zeigen, dass bei der Mehrzahl der Befragten die Dienste eine hohe Relevanz in der alltäglichen Mobilitätsplanung besitzen und Ansprüche an Informationsgenauigkeit und Benutzerfreundlichkeit sehr groß sind. Julia Christina Schilder, Juliane Stark W esentliche Voraussetzung für die Etablierung der Mobilitätsplanung mittels web-basierter Dienste für eine breite Bevölkerungsschicht war der Zugang zum Internet. Smartphones machen dabei die Mobilitätsplanung am bequemsten - jederzeit können auch unterwegs Informationen abgerufen werden. Ab dem Jahr 2006 hatte mehr als die Hälfte der österreichischen Haushalte Internetzugang; seit 2010 wird vermehrt Internet am Handy genutzt [1]. Nach dem Mobile Communications Report waren 2014 bereits 94 % der Österreicher bis zu einem Alter von 29 Jahren Smartphone-Nutzer; die Mehrheit von ihnen hat Vertragshandys mit Datenpaket [2]. Von denjenigen, die angaben, dass sie Internet am Handy nutzen, waren 91 % unterwegs online, 60 % in öffentlichen Verkehrsmitteln. Unter 30-Jährige nutzen das Internet am Handy besonders häufig: 87 % surfen täglich [2]. Diese Daten weisen auch auf die hohe Mediennutzungskompetenz der meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen hin; Berührungsängste mit Informations- und Kommunikationstechnologien sind selten [3]. Für die Mobilitätsplanung sind mittlerweile zahlreiche regional spezifische Dienste von Verkehrsbetreibern, Mobilitätsanbietern und teilweise sogar Privatpersonen auf dem Markt. Diese sind über (mobile) Websites oder Apps verfügbar und bieten teilweise unter dem Konzept „Mobility as a Service“ (MaaS) benutzerfreundliche Services an, die weit über Routing hinausgehen. Doch welche Rolle spielen web-unterstützte Dienste bei der Gestaltung der Alltagsmobilität? Welche Faktoren beeinflussen ihre Nutzung? Was sind Wünsche für die Gestaltung der Dienste? Diese Leitfragen wurden in einer österreichischen Studie untersucht - in der Generation, deren Verhaltensweisen am meisten durch sie geprägt werden. Methode Zur Bearbeitung der Fragestellung wurde von September bis Oktober des Jahres 2016 eine Befragung durchgeführt (siehe [4]). Zielgruppe waren Nutzer und Nichtnutzer von Applikationen zur Mobilitätsplanung in der Altersgruppe von 16 bis 30 Jahren, die in Österreich, schwerpunktmäßig in der Ostregion, wohnhaft sind. Die Rekrutierung erfolgte über Fahrschulen, Schulen, Universitäten und Social Media. Foto: pixabay TECHNOLOGIE Digitalisierung Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 79 Digitalisierung TECHNOLOGIE Aufgrund des gewählten Formats der Online-Befragung wurden hauptsächlich web-affine Menschen erreicht. Die Befragten wurden je nach Nutzungshäufigkeit der Dienste in drei Gruppen eingeteilt, die jeweils spezifische Fragebögen erhielten. Nutzer und Seltennutzer wurden nach Parametern zur Nutzung von web-basierten Diensten, insbesondere zur Nutzung beim letztgeplanten Weg befragt. Nichtnutzer wurden zu Barrieren für die Nutzung und zu möglichen Anreizen für eine (häufigere) Nutzung befragt. Ergebnisse aus dieser Gruppe werden im Rahmen dieses Beitrags nicht behandelt. Tabelle 1 gibt einen Überblick zu Merkmalen der Stichprobe. Deutlich wird, dass es sich bei den Befragten eher um ÖV-affine Personen handelt. Mittel für die Mobilitätsplanung Für die Mobilitätsplanung kommen zwar unterschiedliche Mittel zum Einsatz, webunterstützte Dienste (nachfolgend: Dienste) sind jedoch weitreichend etabliert. Fast 84 % nutzen Apps oder Ähnliches zwei bis drei Mal wöchentlich bis zu täglich (Bild 1). Ähnlich häufig werden Informationen an der Haltestelle (Fahrpläne, elektronische Anzeigetafeln) genutzt, Auskünfte durch Familie oder Bekannte deutlich seltener. Straßenkarten, Navigationssysteme, Fahrpläne und Telefonhotlines werden seltener als zweimal monatlich genutzt. Als Einflussfaktoren für die Nutzung verschiedener Mittel zur Wegeplanung wurden unter anderem Geschlecht, Alter und Wohndauer identifiziert. • Frauen nutzen Fahrpläne, Straßenkarten oder Stadtpläne in Papierversion signifikant häufiger als Männer. Alle anderen Mittel zur Mobilitätsplanung werden ähnlich häufig genutzt. Der Anteil der Männer, die web-unterstützte Dienste (fast) täglich nutzen, liegt leicht über dem der Frauen, wohingegen der Anteil der Frauen mit seltenerer Nutzung leicht über dem der Männer liegt. • Ältere Befragte (26bis 30-Jährige) nutzen Straßenkarten, Stadt- und Fahrpläne in Papierversion signifikant häufiger, als jüngere Personen (16bis 25-Jährige). In Bezug auf web-unterstützte Dienste zur Mobilitätsplanung sind Nicht- und Seltennutzer durchschnittlich etwas älter als Nutzer. • Fahrpläne bzw. Anzeigetafeln an der Haltestelle werden signifikant häufiger von Personen genutzt, die maximal seit zwei Jahren an einem Ort wohnen, als von jenen, die länger als zwei Jahre sesshaft sind. Dies trifft ebenso auf die Nutzung web-unterstützter Dienste zu. • In Städten lebende Personen nutzen Dienste häufiger, um Informationen zum gut ausgebauten ÖV zu erhalten, während eher auto-affine Landbewohner seltener darauf zurückgreifen. Personen, denen ein PKW zur Verfügung steht, nutzen die Dienste eher auf wöchentlicher Basis; Sehr-Seltennutzer gibt es nur bei PKW-affinen Personen. Web-unterstützte Mobilitätsplanung Im Rahmen der Befragung wurden Informationen zum letzten Weg abgefragt, welcher web-unterstützt geplant wurde. Fast die Hälfte der Befragten gab an, dass dieser Weg am Tag vor der Befragung oder sogar am selben Tag geplant wurde, bei 40 % innerhalb der letzten Woche. Ein Großteil der Wege lag innerhalb Wiens (68 %), circa 11 % führte von Wien ins Umland, knapp 12 % vom Umland nach Wien; die anderen Wege wurden außerhalb Wiens zurückgelegt. Bei den meisten Wegen handelte es sich um Werktagswege (75 %). Als Zielort wurde häufig der Ausbildungs- (25 %) oder Arbeitsplatz (20 %) genannt. Private Besuche und Freizeitwege folgen mit jeweils ca. 17 %. Erledigungen, Einkauf und Begleitung stellten seltenere Wegzwecke dar. Auffällig ist der hohe Anteil der Wege, die alleine zurückgelegt wurden; nur 23 % waren begleitet. Es werden vermutlich eher web-basierte Dienste genutzt, wenn man alleine unterwegs ist und keine Möglichkeit hat, auf Erfahrungen anderer zurückzugreifen. Die Bedeutung web-unterstützter Mobilitätsplanung für Alltagswege wird deutlich, wenn man den Anteil an Routine-Wegen betrachtet: Ein Großteil der Wege (70 %) wird regelmäßig zurückgelegt; nur 30 % waren unbekannt. Dienste werden auf Routine- Wegen vorrangig eingesetzt, um sich z. B. der Dauer zu vergewissern oder um Unsicherheiten bzgl. der Abfahrtszeiten oder Verkehrsmittelreihenfolge beim Umsteigen zu beseitigen. Dabei wurden bis zu drei verschiedene Dienste für die Planung des Wegs genutzt. Am häufigsten waren dies qando Wien, Scotty und Google Maps. Wenngleich die Mehrzahl der Befragten die web-basierten Dienste vor der Abfahrt nutzen (durchschnittlich 7,5 Stunden vorher), gab etwa ein Drittel an, zusätzlich während der Fahrt auf Mobilitätsinformationen zuzugreifen (Tabelle 2), um sicherzugehen, den richtigen Anschluss zu erreichen. Auch spontane Routenänderungen bei Verkehrsstörungen waren Gründe für die Nutzung unterwegs. Die Hälfte der Personen, die sich selbst als (eher) vorausdenkende, planende Person einschätzt, nutzt Merkmal N (Personen) 148 Geschlecht weiblich männlich 64 % 36 % Altersgruppe 16-20 Jahre 21-25 Jahre 26-30 Jahre 20 % 54 % 26 % Verkehrsmittelverfügbarkeit Fahrrad PKW verfügbar eigener PKW eigenes Moped/ Motorrad 80 % 56 % 15 % 7 % ÖV-Zeitkarte 87 % Führerscheinbesitz 87 % Fußläufige Entfernung ÖV-Haltestelle 4,5 min Wohnort Städte >100.000 EW Städte und Gemeinden<100.000 EW 80 % 20 % Höchste abgeschlossene Ausbildung (noch) ohne Pflichtschule, Lehre o.Ä. Abitur Universität, Fachhochschule 1 % 5 % 49 % 45 % Wohnhaft am derzeitigen Wohnsitz seit … <1 Jahr 1-2 Jahren 2-5 Jahren > 5 Jahren 16 % 24 % 26 % 34 % Tabelle 1: Kennwerte der Stichprobe Bild 1: Nutzungshäufigkeit verschiedener Mittel für die Wegeplanung Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 80 TECHNOLOGIE Digitalisierung die Dienste im Voraus; dieser Anteil liegt bei sich selbst als (eher) spontan einschätzenden Personen bei unter einem Drittel. Letztere planen Wege häufiger unterwegs. Den Vorschlägen der Dienste in Bezug auf Route und Verkehrsmittel wird zu 88 % auch gefolgt. Wenn vorgeschlagene Verkehrsmittel nicht gewählt wurden, lag dies an nicht korrekten Angaben zur Abfahrtszeit oder an individuellen Präferenzen von Verkehrsmitteln oder Linien. Von Routenempfehlungen wurde dann abgewichen, wenn subjektive Erfahrungen - wie zum Beispiel „Schleichwege“ - dem Vorschlag entgegenstanden. (Wie erwähnt, handelte es sich beim Großteil um bekannte Wege.) Auch Ratschläge zu kürzeren Routen von ortskundigen Bekannten führten dazu, dass der Empfehlung nicht gefolgt wurde. Interessant ist auch die Fragestellung, ob der Weg ohne web-unterstützte Planung mit anderen Verkehrsmitteln zurückgelegt worden wäre. Ein Großteil der Befragten hätte andere Verkehrsmittel(-Kombinationen) gewählt und 4 % hätten den Weg ohne web-unterstützte Planung gar nicht zurückgelegt (Bild 2). Bild 3 zeigt Einstellungen der Befragten hinsichtlich mobilitätsplanungsrelevanter Fragestellungen. Der Nutzen von Mobilitätsplanungsdiensten wird vor allem in der Unterstützung zur Bewältigung unbekannter Wege gesehen. Jedoch sind sie nicht unabkömmlich; die Mehrheit stimmt der Aussage, auch ohne Dienste komplexe Wege zurücklegen zu können, (eher) zu. Die webunterstützten Dienste werden als Mittel gesehen, welches eine unabhängigere, spontanere, geld- und zeitsparendere Mobilität ermöglicht, da sie den Verzicht auf ein eigenes Auto erleichtern. Die Mehrheit stimmt der Aussage zu, dass die Dienste eine umweltfreundliche und stadtverkehrsgerechte Mobilität ermöglichen, und möchte in der täglichen Wegeplanung nicht darauf verzichten. Ausblick Die Befragten sahen Verbesserungspotenzial für die Services zur Mobilitätsplanung. Nachfolgend werden die wesentlichen Aspekte zusammengefasst, wobei die Präferenzen sehr subjektiv und abhängig von dem genutzten Dienst sind. • Ein technischer Aspekt, der hervorgehoben wurde, ist ein geringer Datenverbrauch für das Laden diverser Dienste. Netzpläne und einmal gesuchte Weginformationen sollten längerfristig auch offline und in einer Schnellauswahl verfügbar sowie vom PC auf Smartphone übertragbar sein, um Informationen unterwegs offline abrufen zu können. Die geringe Sprachauswahl der Dienste wurde ebenso kritisiert wie die mangelnde Übersichtlichkeit bei Darstellung verschiedener Routenoptionen. • Als inhaltliche Erweiterung wurde gewünscht, dass die Dienste ebenfalls anzeigen sollten, welcher Ausgang in S- oder U-Bahn-Stationen am schnellsten zum Ziel führt. Echtzeitinformationen sind aus Sicht der Nutzer unabdingbar, ebenso wie die Anzeige von Verkehrsstörungen wie Staus und Baustellen. • Sehr häufig wurde der Wunsch nach Individualisierung angemerkt. Präferenzen von Verkehrsmitteln, Zwischenstationen oder Linien sollten Berücksichtigung finden, z. B. „die Möglichkeit, bei jeder einzelnen Etappe einen Vorschlag mit einem Klick wegklicken zu können, sodass […] ab dort eine Alternative vorgeschlagen wird“. Nutzer wollen auch angeben, welche Fußwegdistanzen sie akzeptieren würden, denn „oft wird vorgeschlagen, mehrmals umzusteigen, anstatt ein paar Meter zu Fuß zu gehen“. Die Einstellungen verschiedener Modi wurde ebenfalls vorgeschlagen, z. B. ein Sportmodus, welcher Rad- oder Lauf- Routen vorschlägt oder ein Sightseeing- Modus, der an schönen und historisch wichtigen Plätzen vorbeiführt. • Bei der Planung von Radrouten wurde generell Optimierung gewünscht, insbesondere eine deutliche Sichtbarkeit des Routenverlaufs, sodass während der Fahrt auf bislang unbekannten Routen im Verkehrsfluss stressfrei entschieden werden kann. Konkret wurde vorgeschlagen, komplexe Kreuzungen geson- Bild 2: Verkehrsmittelnutzung ohne web-unterstützte Planung Bild 3: Mobilitätsplanungsrelevante Einstellungen Nutzungszeitpunkt alle Selbsteinschätzung „(eher) vorausdenkend“ Selbsteinschätzung „(eher) spontan“ n=130 n=116 n=22 Vor der Abfahrt 52 % 54 % 27 % Während der Fahrt 14 % 12 % 18 % Beides 34 % 30 % 41 % Keine Angabe 0 % 4 % 14 % Tabelle 2: Nutzungszeitpunkt des Mobilitätsdienstes für den letzten Weg und Selbsteinschätzung zum Planungstyp Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 81 Digitalisierung TECHNOLOGIE dert dazustellen und z. B. mit Fotos zu detaillieren. Die junge Generation ist durch ihr schnell wechselndes Konsumentenverhalten bekannt; sie bindet sich selten an eine gewisse Technologie, sondern ist Innovationen gegenüber offen. Diese Unbeständigkeit erschwert präzise Vorhersagen über das künftige Nutzungsverhalten. Der anhaltende Trend der Digitalisierung lässt jedoch generell eine zunehmende Verbreitung von Mobilitätsplanungstools erwarten. Dies bietet nicht nur die Möglichkeit, über neue Produkte und Services nachzudenken, sondern stellt auch die Herausforderung, die dynamischen Kundenbedürfnisse im Auge zu behalten. In zukünftigen Forschungsarbeiten könnte eine Mobilitätsplanungstypologie erarbeitet werden, um web-basierte Dienste besser auf spezifische Anforderungsprofile abstimmen zu können. Als Kriterien sind zum Beispiel Technikaffinität, Zeitmanagement, verkehrsmittel- und umweltbezogene Einstellungen oder die Bereitschaft, Verkehrsmittel gemeinsam mit anderen zu nutzen, denkbar. Die Weiterentwicklung der Dienste im Sinne von „Mobility as a Service“ zur Integration weiterer Services (z. B. Ticketing) und Informationen (z. B. Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge) und die flexible Reaktion auf Wetter, Störungen, individuelle Präferenzen bis hin zu Verknüpfungen mit persönlichen Terminplanern ist anzudenken. Dabei darf keinesfalls die Anpassung des Angebots auf den ländlichen Raum vergessen werden. Des Weiteren ist eine Verschränkung des Routenbzw. Verkehrsmittelangebotes mit Anreizen zur Förderung aktiver Mobilitätsformen erstrebenswert, um das Potenzial zur Steigerung einer nachhaltigen Mobilität durch Digitalisierung weiter auszuschöpfen. ■ REFERENZEN [1] Statistik Austria (2016): IKT-Einsatz in Haushalten. Online verfügbar unter https: / / www.statistik.at/ web_de/ statistiken/ energie_umwelt_innovation_mobilitaet/ informationsgesellschaft/ ikt-einsatz_in_haushalten/ index.html, zuletzt geprüft am 26.03.2017 [2] Neidhart, Martina (2014): Mobile Communications Report. MindTake Research GmbH. Wien, 20.06.2014. 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Masterstudentin, Institut für Verkehrswesen (2016-2017), Department für Raum, Landschaft und Infrastruktur, Universität für Bodenkultur, Wien julia.schilder@gmail.com Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN UUR Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN DAS FACHMAGAZIN ZUM URBANEN WANDEL www.transforming-cities.de TranCit für IV.indd 1 27.05.2018 15: 22: 39 Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 82 TECHNOLOGIE Wissenschaft Blockchain-Anwendungen in der Logistik Blockchain, Logistik, Supply Chain-Management, Smart Contracts, Smart Monitoring, Dokumenten-Blockchain Aufgrund ihrer Eigenschaften birgt der Einsatz der Blockchain-Technologie auch für Logistikbzw. Supply Chain-Prozesse Innovationspotential. Das belegt eine zunehmende Anzahl dahingehend begonnener Projekte. Das Potential von Blockchain-Anwendungen erschließt sich aus den generischen Eigenschaften eines Blockchain-Protokolls wie Proof-of-Work/ Stake, Proof-of-Authenticity und Smart Contracts. Mögliche Anwendungen in der Logistik bzw. dem Supply Chain-Management sind Dokumenten-Blockchains, Smart Monitoring und blockchain-gesteuerte Prozesse. Otto Jockel, Sebastian Stommel D er Ursprung des Begriffs „Blockchain“ ist dem als Erfinder des Bitcoins geltenden Satoshi Nakamoto (Pseudonym) zuzuordnen. In dessen 2008 veröffentlichtem Grundsatzpapier (White Paper) beschreibt er ein neues Zahlungssystem, das auf einer Verschlüsselungstechnik basiert, die er später „Blockchain“ nannte [1, 2]. In der Blockchain-Technologie wird, nicht zuletzt durch Nakamoto selbst, das Potential vermutet, bestehende Geschäftsmodelle in Frage zu stellen [1, 3-5]. So wird es zum Beispiel für möglich gehalten, dass die Blockchain Banken und andere Finanzintermediäre komplett ersetzen kann [3]. Aktuelle Forschungsvorhaben beschäftigen sich vor diesem Hintergrund mit möglichen Anwendungen der Blockchain-Technologie im Finanzmanagement und sowie der Verwendbarkeit von Kryptowährungen [6, 7, 8]. Dass die Blockchain-Technologie innerhalb eines sehr breiten Spektrums von Managementprozessen anwendbar ist, postuliert William Mogayar [9]. Aufgrund ihrer Eigenschaften sieht er in der Blockchain-Technologie eine Innovation, deren disruptives Potential viele existierende Business-Modelle infrage stellen wird. Auch geht er davon aus, dass eine dahingehende Entwicklung unaufhaltsam ist. Auch die Einsatzmöglichkeiten der Blockchain-Technologie im Rahmen des Logistik- und Supply Chain-Managements werden zunehmend thematisiert [10-12]. Literatur zu Blockchain und Logistik Verschiedene Autoren sehen grundsätzliche Potentiale im Einsatz von Blockchains in der Supply Chain [13, 10, 14, 15] und prognostizieren teils sogar die disruptive Kraft [14-16]. Fundierte Erkenntnisse sind jedoch noch rar. So wird in der Blockchain-Technologie zum Beispiel ein neues Tool gesehen, um den sicheren Datenaustausch zwischen Supply Chain Partnern zu gewährleisten [17, 15]. Howells sieht in diesem Zusammenhang die Blockchain als ergänzende Technologie zu Cloud Computing, Big Data Analytics und dem Internet of Things (IoT), um die Rückverfolgbarkeit (track & trace) und Sicherheit physischer Prozesse zu ermöglichen [15]. Casey hingegen postuliert den Einsatz von Blockchains in Verbindung mit IoT-Anwendungen, um Supply Chains transparenter und flexibler zu gestalten. Die Fähigkeit, frühzeitig auf unvorhergesehene ‚Events‘ in Supply Chain-Prozessen reagieren zu können würde letztendlich zu agileren Supply Chains führen [14]. Die Supply Chain-Experten des Wirtschaftsdienstleisters Deloitte erkennen ebenfalls diese Möglichkeiten und ergänzen sie noch mit der Compliance-Fähigkeit von blockchainbasiertem Prozessmanagement. Sie untermauern ihre Thesen mit Fallstudien aus den Bereichen Automotive, Pharma und Lebensmittelherstellung [18]. Peters et al. sehen neben dem Potential zur Sendungsrückverfolgung durch den Einsatz eines blockchain-gestützten Frachtenmanagements die Möglichkeit, dass Sendungen bzw. Frachten sich zukünftig selbst steuern. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf kürzlich begonnene Projekte mit mehreren europäischen Partnern [19]. Anwendungspotentiale der Blockchain werden auch im Rahmen des Produktionsmanagements vermutet, insbesondere im Rahmen des hiermit verbundenen Qualitätsmanagements. Block et al. beschreiben in diesem Zusammenhang den Einsatz eines produktionsnahen Computer Aided Quality (CAQ)-Systems als Anwendungsszenario für die Blockchain. Durch die sichere und manipulationsfreie Speicherung relevanter Qualitätsdaten in der Blockchain können alle Supply Chain Partner standortunabhängig auf diese zugreifen. So könnte ein autonomes Qualitätsmanagementsystem entstehen [20]. Eine zunehmende Anzahl von Pressemitteilungen zu begonnenen Blockchain-Projekten mit Bezug zu Logistik und Supply Chain-Management lässt auf eine steigende Anzahl sogenannter „Use Cases“ schließen, in denen der Einsatz dieser Technologie unter Beweis gestellt werden wird. So hat zum Beispiel Samsung kürzlich angekündigt, Blockchains im Rahmen der Transportsteuerung einzusetzen. Man erhofft sich hierdurch eine flexiblere Transportsteuerung, die letztendlich zu einer Re- Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 83 Wissenschaft TECHNOLOGIE duktion der Transportkosten um bis zu 20 % führen soll [21]. Für große Aufmerksamkeit sorgte vor Kurzem auch die Ankündigung eines Joint Ventures zwischen IBM und der Reederei Maersk, das mit dem Ziel geschlossen werden soll, durch die Nutzung von Blockchain-Technologie effizientere und sicherere Methoden für den globalen Handel anzubieten [22]. Zurzeit existieren viele Blockchain-Projekte mit Bezug zur Logistik bzw. dem Supply Chain-Management. Eine Zusammenfassung aktueller Projekte und deren Fokus findet man in diesem Zusammenhang zum Beispiel bei Junge et al [23]. Ziel dieses Artikels ist es, auf Basis des Verständnisses der generischen Eigenschaften (Services) der Blockchain-Technologie und schon bekannten Applikationen Rückschlüsse auf deren Verwendbarkeit in der Logistik zu ziehen und somit gleichermaßen einen Rahmen für zukünftige Forschungsvorhaben in diesem Zusammenhang abzustecken. Bild 1 verdeutlicht hierzu die unterschiedlichen Verständnisebenen und dient im Folgenden als grobe inhaltliche Gliederung. Technologie der Blockchain Die heutige Blockchain-Architektur mit dem dahinterliegenden Protokoll basiert auf einer Vielzahl schon seit einiger Zeit eingesetzter Verschlüsselungstechniken, deren Kombination und Systematisierung die eigentliche Innovation ausmacht [2]. Im Wesentlichen kann man eine Blockchain als verteilte Datenbank betrachten. Im Unterschied zu herkömmlichen Datenbanken sind die Daten nicht nur auf einer oder wenigen Maschinen verteilt, sondern liegen bei allen Teilnehmern. Sie unterliegen keiner zentralen Verwaltung und Kontrolle. Man bezeichnet diese Form der Datenorganisation daher auch als „Distributed Ledger“. Zickert und Honsel [24] beschreiben die Funktionsweise der Blockchain (Bild 2) wie folgt: Eine Transaktion zwischen zwei Teilnehmern wird angestoßen und mit dem privaten (geheimen) Schlüssel des Auftraggebers signiert. Bei der Transaktion kann es sich um eine Überweisung von Geld, ein Dokument oder einen „Smart Contract“ handeln. Die Transaktion wird nach dem Schneeballprinzip an die anderen Netzwerkknoten („Peers“) verteilt. Die Peers machen zunächst nichts anderes, als die formale Korrektheit der Transaktion zu überprüfen - beispielsweise, ob Schlüssel und Absender übereinstimmen. Bei Smart Contracts berechnen sie auch, ob die Vertragsbedingungen erfüllt sind. Dann speisen sie die schwebenden Transaktionen in eine Art Warteraum ein - hier als Wolke dargestellt. Miner (besonders leistungsstarke Knoten) fischen sich die schwebenden Transaktionen aus der Wolke und überprüfen, ob sie zu der bisherigen Blockchain passen. Anschließend fügen sie die Transaktionen zu Blocks zusammen. Dabei benutzen sie einen sogenannten Merkle Tree (Bild 3). Bild 1: Blockchain stack Bild 1: Blockchain stack Bild 2: Funktionsweise der Blockchain [24] Bild 2: Funktionsweise der Blockchain [24] Bild 3: Manipulationssicher in der Blockchain [26] Bild 3: Manipulationssicherheit in der Blockchain [25] Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 84 TECHNOLOGIE Wissenschaft Der Miner, der zuerst einen neuen Block erzeugt hat, schickt ihn an die anderen Peers. Diese hängen ihn an die bestehende Blockchain an. Alle weiteren Blöcke, die andere Miner zu spät erzeugt haben, werden verworfen. Ist eine Transaktion in einen Block eingebaut worden, erhalten Absender und Empfänger eine entsprechende Bestätigung. Zwei Sicherheitsmechanismen schützen die Blockchain vor Manipulation. Zum einen wird pro Block mittels sogenannter Merkle Trees eine Prüfsumme, auch Hashwert genannt, generiert. Der Hashwert eines vorhergehenden Blocks wird im nachfolgenden Block abgelegt (siehe Bild 3). Sollten Daten in den Blöcken manipuliert werden, stimmt der Hashwert nicht mehr, was alle Knoten leicht überprüfen können. Zum anderen muss zur Entstehung eines Blocks durch einen Miner der sogenannte Nonce erzeugt werden. Hierbei handelt es sich um das Ergebnis einer zu lösenden kryptografischen Aufgabe, deren Schwierigkeit mit steigender Rechenleistung im Netz automatisch angepasst wird. Berechnete Transaktionsblöcke und Prüfsummen müssen erneut von den Teilnehmern der Blockchain bestätigt werden, wofür jedoch im Vergleich zum Erzeugen der Nonce nur ein Bruchteil der Rechenleistung benötigt wird. Erst wenn mehr als die Hälfte der Knoten einen solchen Block bestätigt hat, besteht ein Konsens und der Block gilt als korrekt [11, 24]. Das Schreiben eines Blocks in diesem auch Proof of Work genannten Verfahren ist mit einer „Belohnung“ verbunden (z. B. Coins), und die Teilnehmer einer Blockchain bestimmen im Wettbewerb untereinander, wer einen Block bilden darf. Der Nachteil dieses Verfahrens ist, dass es große Rechnerkapazitäten und somit viel Energie in Anspruch nimmt. Aus diesem Grund kommen auch andere Verfahren zum Einsatz, wie z. B. das Proof of Stake-Verfahren. Dabei bildet nicht mehr die Partei mit dem schnellsten Rechner einen Block, sondern die mit den höchsten Anteilen an einer Blockchain. Die Logik dahinter ist, dass diese Partei den geringsten Anreiz hat, die Blockchain durch gefälschte Transaktionen zu korrumpieren. Die kryptographischen Rechenaufgaben können somit einfacher ausfallen, was wiederum Rechnerkapazität, Energie und Zeit sparen würde [11]. Blockchains können je nach Einsatzzweck in unterschiedlichen Ausprägungen betrieben werden (Bild 4). So gibt es geschlossene private und öffentliche Netze. Außerdem gibt es Netze, in denen alle Knoten gleichberechtigt lesen und schreiben dürfen (permissionless), und solche, in denen einige Knoten nur lesen dürfen (permissioned). Bitcoin etwa ist ein offenes genehmigungsloses Netz, Ripple ein öffentliches Permissioned-Netz und Hyperledger Fabric ein privates Permissioned-Netz. Je mehr Kontrolle es über die einzelnen Knoten gibt, desto schlanker kann der Proof of Work ausfallen. Andererseits bekommt dadurch eine zentrale Instanz auch mehr Macht [24]. Da das Betreiben einer Public Blockchain heute aus unterschiedlichen Gründen meist nicht produktiv für den Unternehmenseinsatz geeignet ist (z. B. aufgrund höherer Kosten für die Validierung von Transaktionen, langsamerer Transaktionsgeschwindigkeit, geringerem Datenschutz), werden von etablierten Unternehmen heute überwiegend private Blockchains implementiert bzw. deren Implementierung in Erwägung gezogen [16]. Generische Eigenschaften eines Blockchain-Protokolls Die Blockchain-Technologie bietet neue Möglichkeiten, um Vertrauen zwischen den Beteiligten eines Blockchain-Netzwerks herzustellen, ohne hierbei eine zentrale Vertrauensinstanz wie zum Beispiel eine Bank oder eine Behörde zu schaffen. Basierend auf den zuvor schon beschriebenen Konsensverfahren wird sichergestellt, dass Transaktionen unabänderbar und somit auch unmanipulierbar werden. Da jede Transaktion in der Blockchain mit einem Zeitstempel versehen ist (time stamping), wird sie für die Beteiligten bzw. Berechtigten zudem jederzeit nachvollziehbar. Dies führt zu einigen grundlegenden Fähigkeiten der Blockchain. Sie ermöglicht eine vertrauenswürdige Authentizitätsfestellung von Objekten (Proof of Authenticity), z. B. anhand physikalisch unklonbarer Funktionen (PUF) oder RFID-Tags. Das Blockchain-Protokoll gleicht hierbei gemessene PUFs mit hinterlegten PUFs ab und überprüft so deren Echtheit. Voraussetzung hierfür ist nur die eindeutige Identifikation z. B. anhand einer Seriennummer bei Objekten. Auch Zero-Knowledge-Verfahren können (etwa bei personenbezogenen Daten) zu einer Authentifizierung über eine Blockchain genutzt werden [27]. Der Vorteil der Echtheitsprüfung durch eine Blockchain-Anwendung liegt hierbei in ihrer Unmittelbarkeit, Bild 4: Private und öffentliche Blockchains [26] Bild 4: Private und öffentliche Blockchains [27] Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 85 Wissenschaft TECHNOLOGIE also darin, dass sie ohne zentrale Instanzen auskommt und dabei gleichzeitig sicher und für menschliche Nutzer aussagekräftig ist. Diese drei Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen, ist auch als „Zooko’s Dreieck“ bekannt [28] und galt vor der Blockchain als unlösbares Problem. Dies wiederum führt zu weiteren grundlegenden Funktionen und Anwendungen der Blockchain, wie den Nachweis des Eigentums (Proof of Ownership) und den Nachweis von Vermögenswerten (Proof of Asset), womit unbürokratische und direkte Eigentumsüberträge und Zahlungen ermöglicht werden. Die zuvor beschriebenen Eigenschaften werden ergänzt durch sogenannte Smart Contracts. Dies sind computerbasierte Transaktionsprotokolle, welche einen definierten vertraglichen Sachverhalt oder Ablauf abbilden und automatisiert ausführen können [29]. Implementiert in eine Blockchain, können so automatisiert Entscheidungen getroffen werden, wenn hinterlegte Konditionen erfüllt sind. Hierbei können auch externe Informationen als Input verwendet werden [10]. Übertragung der Blockchain-Fähigkeiten auf-die Logistik Dokumenten-Blockchains Dokumenten-Blockchains ermöglichen es, Dokumente unternehmensübergreifend sicher zu übertragen und zu speichern. Teilnehmer der Dokumenten-Blockchain können Dokumente lesen bzw. schreiben oder ändern, je nach Berechtigung. Hierbei entspricht jedes Anlegen bzw. jede Änderung einer Blockchain-Transaktion, durch die der Entstehungsverlauf, das Entstehungs- und Veränderungsdatum sowie die Ersteller eines Dokuments festgehalten sind und dessen Echtheit und Unmanipuliertheit jederzeit nachweisbar ist. Die Anwendbarkeit von Dokumenten-Blockchains ist leicht vorstellbar für die Bereiche der Logistik und des Supply Chain-Managements, in denen heute noch Papier bedruckt wird. Dies ist heute noch in vielen überbetrieblichen Prozessen der Fall, insbesondere im Transportmanagement. Werden gebrochene Transporte nicht innerhalb eines Unternehmensnetzwerks durchgeführt, sondern über mehrere Frachtführer bzw. Transportmodi hinweg, ist elektronischer Dokumentenfluss per EDI in vielen Fällen nicht möglich und erfordert daher zeitraubende manuelle Administration. Die Nutzung von Dokumenten-Blockchains eignet sich zur Erstellung und Weitergabe von Frachtbriefen und frachtbegleitender Dokumentation. Diese schließt insbesondere die Erstellung und Weitergabe begehbarer Dokumente, wie z. B. Konnossemente ein. Smart Monitoring Smart Monitoring bezieht sich auf die Verknüpfung eines Blockchain-Protokolls mit einem Objekt. In einer Logistikkette oder Supply Chain kann diese auf Item- Level, SKU-Level oder auch Sendungslevel stattfinden. Die Verknüpfung kann unter Verwendung vorhandener Identifikationstechnik (z. B. Barcode, QR, NFC) über ein ERP System oder ein internetfähiges Lesegerät hergestellt werden. Hierbei können logistische Daten wie Sendungsgröße, Gewicht, Artikelanzahl, etc. und Daten, die über zusätzliche Sensorik erfasst werden, in der Blockchain abgelegt werden (Bild 5). Tracking und Tracing ist in dieser Hinsicht zwar keine Neuheit. Jedoch liegt der Vorteil des blockchain-basierten Trackings in seiner Unmittelbarkeit und ermöglicht somit unternehmensübergreifendes Tracking und Tracing in Echtzeit. Im Rahmen der zuvor schon beschriebenen Authentifizierungseigenschaft eines Blockchain-Protokolls wird in Verbindung mit entsprechender Identifikationstechnik auch eine leicht implementierbare Echtheitsprüfung von Objekten möglich. Dies ist insbesondere für eine fälschungssichere Gestaltung von Supply Chains relevant. Auch das Monitoring von Beständen über eine gesamte Supply Chain ist in diesem Zusammenhang vorstellbar (Bild 6). Eine besondere Rolle wird in dieser Hinsicht Blockchain-Protokollen in Verbindung mit dem Internet of Things (IoT) vorhergesagt [16, 10]. Sie könnten die Lösung für die Herstellung der Interoperabilität zwischen IoT-Objekten darstellen. Prozessteuerung mit Hilfe von Smart Contracts Die zuvor beschriebenen Eigenschaften von Blockchains, insbesondere der Smart Contracts, ermöglichen Bild 5: Smart Monitoring [31] Bild 5: Smart Monitoring [30] Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 86 TECHNOLOGIE Wissenschaft grundsätzlich eine Autonomisierung und damit eine Beschleunigung unternehmensübergreifender Informations- und Warenflussprozesse. Ein entsprechender Impuls signalisiert hierbei den Abschluss eines Prozesses und setzt aufgrund dessen den nächsten Prozess in Gang. Die entsprechende Beziehung zwischen den Prozessen und die Bedingungen, unter welchen der nächste Prozess in Gang gesetzt werden kann, wird im entsprechenden Blockchain-Protokoll hinterlegt. Nach dem Vorbild ereignisgesteuerter Prozessketten können hierbei auch Prozessalternativen hinterlegt werden. Wie schon zuvor wird eine blockchain-gestützte Prozesssteuerung vor allem unternehmensübergreifende Prozesse beschleunigen und diese auch kostengünstiger machen. Die Benutzung von Smart Contracts unterstützt die indirekte Steuerung von Objekten durch die Autonomisierung von Steuerungsprozessen und ermöglicht die direkte Steuerung von Objekten, wenn diese direkt mit dem Internet verbunden sind (Bild 7). Nicht zuletzt können durch die Hinterlegung entsprechender Wenn-Dann-Beziehungen im Blockchain-Protokoll Zahlungen ausgelöst werden. Dies könnte würde sowohl die Einhaltung vereinbarter Zahlungsziele manifestieren als auch den administrativen Aufwand für Frachtabrechnungen senken. ■ LITERATUR [1] Nakamoto, S. Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System. https: / / bitcoin.org/ bitcoin. pdf [2] Skwarek V.: Was ist Blockchain - Strategien und Möglichkeiten. In: TeleTrusT - Bundesverband IT-Sicherheit e.V. (Hrsg.). 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[18] When two chains combine: Supply chain meets blockchain, 2017 [19] Petersen M., Hackius N., Kersten W.: Blockchains für Produktion und Logistik. Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb 216; 111, S. 626-629 [20] Block C., Kuhlenkötter B.: Blockchain in der Produktion. Industrie 4.0 Management 2018; 2, S. 21-24 [21] Samsung jumps on blockchain bandwagon to manage its supply chain. Business Times 16.04.2018 [22] IBM Presse: Maersk und IBM bilden Joint Venture für Blockchain. https: / / www-03.ibm. com/ press/ de/ de/ pressrelease/ 53611.wss (letzter Zugriff am: 16.05.2018) [23] Junge A.L., Grunow O., Straube F.: Blockchain in der Logistik: Status quo und Anwendungsbereiche. Industrie 4.0 Management 2018; 2, S. 57-61 [24] Zickert A., Honsel G.: So entsteht eine Blockchain. Technology Review 2017; S. 74-75 [25] Berentsen A., Schär F.: Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets. Norderstedt: BoD - Books on Demand, 15. 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Berlin, 15.05.2018 Sebastian Stommel Lead Researcher, CryptoTec AG, Köln sebastian.stommel@cryptotec.com Otto Jockel, Prof. Dr. Professor für Logistik und Supply Chain Management, International School of Management (ISM), Köln otto.jockel@ism.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Die Kernpunkte des Peer Review-Verfahrens: • Angenommene Manuskripte gehen an jeweils zwei Gutachter der entsprechenden Fachrichtung anonymisiert zur Begutachtung. • Gutachter nehmen ihre Begutachtung anhand eines standardisierten Bewertungsbogens vor, kommentieren die Bewertung schriftlich und empfehlen danach die uneingeschränkte Annahme zur Veröffentlichung, die Überarbeitung in bestimmten Punkten oder die Ablehnung. • Die Redaktionsleitung teilt den Autoren die Entscheidung der Gutachter umgehend mit, bei Bedarf zusammen mit den Überarbeitungsauflagen. Die Gutachten selbst werden nicht an die Autoren weitergeleitet - die Gutachter bleiben also für die Autoren anonym (double blind). Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 88 FORUM Veranstaltungen TRA erstmals mit „Interactive Zone Rückblick: TRA 2018 von 16. bis 19. April 2018 in Wien Z u Europas größter Verkehrsforschungskonferenz Transport Research Arena (TRA) trafen sich unter dem Motto „A digital era for transport. Solutions for society, economy and environment“ in Wien rund 3500 internationale Experten, um über die Entwicklungen im Bereich Mobilität und neuesten Forschungsergebnisse zu diskutieren. In weit über 600 Sessions zu Fachbereichen wie Umwelt und Energieeffizienz, Schienenverkehr & Schifffahrt, Alternative Antriebssysteme, smarte urbane Mobilität & Logistik, Personenmobilität (Systeme und Dienstleistungen), Güterverkehr und Logistik, Transport Infrastruktur, vernetzter und automatisierte Mobilität, Digitale Technologien, sichere und widerstandsfähige Transportsysteme sowie Sozioökonomie, Innovation und Politik zeigten außerdem Unternehmen ihre neuesten Produkte und Anwendungen. Erstmals ermöglichte eine „Interactive Zone“ mit mehr als 30 Indoor- und Outdoor-Demonstrationen sowie Live- Showcases und Präsentationen Besuchern, Mobilität von morgen hautnah zu erleben. Die Transport Research Arena (TRA), erstmals 2006 ausgetragen, findet alle zwei Jahre in Europa statt. Sie wird unterstützt von der Europäischen Kommission, den Technologieplattformen ERTRAC (European Road Transport Research Advisory Council), ERRAC (European Rail Research Advisory Council), Waterborne sowie CEDR (Conference of European Directors of Roads) und ALICE (Alliance for Logistics Innovation through Collaboration). Die Konferenz richtet sich an Unternehmen, Organisationen und Start-Ups, die sich Themen wie Automatisierung, Vernetzung, Emissionsreduktion, Multimodaler Verkehr, Verkehrssicherheit oder Logistik bzw. Güterverkehr der Zukunft widmen. Detaillierte Informationen: www.traconference.eu elect! 2018 - Exhibition & Conference Vorschau: 8. bis 10. Oktober 2018, Fachmesse für Elektromobilität, Stuttgart (DE) V om 8. bis 10. Oktober 2018 werden in Stuttgart rund 250 Aussteller sowie 5000 Messebesucher und Kongressteilnehmer erwartet, die alle Facetten rund um die Industrialisierung der elektrifizierten Mobilität diskutieren können. Im Fokus stehen dabei Fahrzeuge, Baugruppen und -teile, Energiespeicherung und Ladeinfrastruktur, IT, Komponenten und Mobilitätskonzepte. Nachdem die Veranstalter 2017 mit der Electric Vehicle Symposium & Exhibition (EVS30) in Stuttgart enormen Zuspruch erfahren haben, stellen sie nun mit der elect! Exhibition & Conference nunmehr ein eigenes Veranstaltungsformat zum Thema Elektromobilität vor. Dabei gibt es einige konzeptionelle Veränderungen. Bei der elect! 2018 wird die Fachmesse im Vordergrund stehen. Sie fokussiert technologieoffen die Branchen Automotive einschließlich Tier 1 - 3 Zulieferindustrie, den Energiesektor mit Ladeinfrastruktur, ITK und Smart Mobility-Lösungen. Hersteller und Anbieter präsentieren Produkte, Bauteile und Lösungen mit dem technologischen Reifegrad am Übergang von Forschung & Entwicklung zum Eintritt in den Massenmarkt. Den Konferenzteil „elect! ATZ-Kongress Electrified Mobility“ veranstaltet ATZlive, ein Unternehmen der Springer Vieweg - Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, die auch die ATZ - Automobiltechnische Zeitschrift herausgibt. Er bildet die technologischen und wissenschaftlichen Diskussionsfelder rund um elektrifizierte Mobilität ab. Neben übergreifenden Keynotes und Roundtables stehen in zwei parallel laufenden Konferenzsträngen die Themen Mobilität und Technik im Vordergrund. Unterstützt wird elect! von der Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive Baden Württemberg, e-mobil BW GmbH sowie weiteren Verbands- und Forschungspartnern aus Land und Bund. Weitere Informationen: www.elect-expo.com Transports Publics 2018 Vorschau: Europäische Mobilitätsmesse, 12. bis 14. Juni 2018, Paris (FR) D ie Transport Publics, die europäische Mobilitätsmesse auf dem Messegelände Portes de Versailles, kündigt sich als Highlight 2018 für die Branche des Öffentlichen Verkehrswesens an. Mit dem Motto „Move Green! “ setzt die Veranstaltung alle Hebel für den so wichtigen Energie- und Mobilitätswandel in Bewegung. Neue Energien, Steuerungsinstrumente für Schadstoffemissionen, schadstoffarme Fahrzeuge, aktive Mobilität - alle Akteure im Bereich der nachhaltigen Mobilität kommen hier zusammen, um ihre ökologische und technologische Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Rund 250 Aussteller werden auf der Messe ihre neuesten Entwicklungen vorstellen: saubere Fahrzeuge mit Elektro- oder Erdgasantrieb, intelligente Batteriesysteme, Energierückgewinnung, Photovoltaikanlagen, Stromsensoren, Lösungen für die Fuhrparkverwaltung und einiges mehr. So lassen sich auf der Transports Publics industrielle und technische Ansätze für die Mobilitätswende entdecken, die im Einklang mit den COP21 und COP23 sowie mit dem One Planet Summit stehen. Mit anderen Worten: Die Transports Publics 2018 steht ganz im Zeichen der „grünen Intelligenz“. www.transportspublics-expo.com Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 89 Erscheint im 70. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 55 vom 01.01.2018 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr plus International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 193,00 (zzgl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 215,00 Einzelheft: EUR 50,00 (inkl. MWSt.) Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print oder E-Paper mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH, München Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Logistics and transportation of container cargo Foto: Shutterstock Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Mobilität und Logistik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Bereichsverantwortlicher Planung, traffiQ, Frankfurt am Main (DE) Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Hamburg, und Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Detlef Zukunft Dr., Programmdirektion Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 90 Liebe Leserinnen und Leser, die aktuelle Ausgabe von Internationales Verkehrswesen zeigt: Die Herausforderungen für die Logistik-Branche wachsen zusehends. Während auf der einen Seite der globale Markt einen starken Umbruch verzeichnet, Warenströme sich verlagern und neue Transportwege entstehen, erfordert auf der anderen Seite auch der kleinräumige Warenverkehr ein Umdenken und innovative Strategien - vor allem im urbanen Bereich. Erleben städtische Siedlungsräume weiterhin einen massiven Zuzug, müssen Lösungen zur Versorgung der Stadtbewohner weit oben auf der Prioritätenliste stehen. Einige der akuten Probleme, etwa die wachsenden LKW-Staus oder die Emissionsbelastung, sind nicht einmal ansatzweise gelöst. Die September-Ausgabe, Internationales Verkehrswesen 3/ 2018, wird daher mit dem Schwerpunkt Schiene versus Straße ein Thema in den Fokus nehmen, das in der deutschen Verkehrspolitik seit Jahrzehnten immer wieder Wellen schlägt. Diese Ausgabe erscheint am 13. September 2018, rechtzeitig zu den großen Transportmessen InnoTrans und IAA Nutzfahrzeuge. Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Expertise zu diesem Themenkreis mit unseren Lesern zu teilen. Autorenhinweise und das Autorenformular zur Einreichung finden Sie auf www.internationales-verkehrswesen.de. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 12.-14.06.2018 Paris (FR) Transports Publics 2018 The European Mobility Exhibition Veranstalter: GIE Objectif transport public (Groupement des Autorités Responsables de Transport, GART + Union des Transports Publics et ferroviaires, UTP) Kontakt und Besucherinformation: IMF GmbH, +49 (0) 221 13050922, a.daian@imf-promosalons.de www.transportspublics-expo.com 13.-14.06.2018 Friedrichshafen (DE) Rufbus meets Mobility 4.0 Lernen aus 40 Jahren flexiblem Nahverkehr Veranstalter: Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg mbH (NVBW) und KCW Organisation: Nora Husfeld, KCW, +49 (0) 40 325775-600, husfeld@kcw-online.de www.nvbw.de/ rufbusjubilaeum 19.-20.06.2018 Köln (DE) The Future of Transportation World Conference 2018 Veranstalter: UKi Media & Events a division of UKIP Media & Events Ltd. Kontakt und Information: www.thefutureoftransportconference.com 20.-22.06.2018 München (DE) Power2Drive Europe Fachmesse für Ladeinfrastruktur und Elektromobilität Veranstalter: Solar Promotion GmbH; Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe GmbH & Co. KG (FWTM) www.powertodrive.de 24.-27.06.2018 Berlin (DE) World Parking Symposium (WPS XI) Veranstalter: Canadian Parking Foundation Kontakt: AOR Manfred Wacker, Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart, manfred. wacker@isv.uni-stuttgart.de www.worldparkingsymposium.ca 27.-28.06.2018 Berlin (DE) ConCarExpo Messe für Automatisiertes Fahren, Connected Car und Mobility Lösungen Veranstalter: VDI Wissensforum GmbH, wissensforum@vdi.de Kontakt und Information: info@concarexpo.com | www.concarexpo.com 18.-21.09.2018 Berlin (DE) InnoTrans 2018 Internationale Leitmesse für Verkehrstechnik Veranstalter: Messe Berlin www.innotrans.de 20.-27.09.2018 Hannover (DE) 67. IAA Nutzfahrzeuge Internationale Nutzfahrzeugmesse mit New Mobility World Logistics Veranstalter: Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA) www.iaa.de 24.-25.09.2018 Warszawa (PL) 16th European Transport Congress (ETC) 14th International Scientific Conference Euro-Trans 2018 Mobility and the European Transport Space Veranstalter: Warsaw School of Economics | European Platform of Transport Sciences (EPTS) Kontakt: Department of Transport, SGH Warsaw School of Economics, katran@sgh.waw.pl http: / / kolegia.sgh.waw.pl/ en/ KZiF/ structure/ KTr/ conferences/ Pages 08.-10.10.2018 Stuttgart (DE) elect! Exhibition & Conference Electrified Mobility Veranstalter: Messe Stuttgart (Ausstellung) und ATZlive (Kongress) www.elect-expo.com 17.-19.10.2018 Berlin (DE) 35. Deutscher Logistik-Kongress Digitales trifft Reales Veranstalter: Bundesvereinigung Logistik (BVL) e.V., Bremen Kontakt: veys@bvl.de www.bvl.de TERMINE + VERANSTALTUNGEN 12.06.2018 bis 19.10.2018 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten: Herr Frau Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden) Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen. Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de/ agb_trialogpublishers.pdf heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo Jahresbezugspreis Inland EUR 213,35 inkl. MwSt. und Versand Jahresbezugspreis Ausland EUR 215,- (mit VAT-Nr.) / EUR 237,73 (ohne VAT-Nr.), inkl. Versand WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www.trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, z.Hd. Eberhard Buhl, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. Abo-Bestellung bitte senden an: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft z.Hd. Eberhard Buhl Leserservice Internationales Verkehrswesen Schliffkopfstraße 22 72270 Baiersbronn-Buhlbach Fax: +49 (0)7449 91386 37 E-Mail: service@trialog.de Ja, ich will Internationales Verkehrswesen regelmäßig lesen! StudiAbo (Aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung) Jahresbezugspreis Inland EUR 85,34 (inkl. MwSt. und Versand). Jahresbezugspreis Ausland EUR 95,09 (inkl. MwSt. und Versand). Das Jahres-Abonnement umfasst die gedruckte Ausgabe plus ePaper/ PDF und Archivzugang (ab 1/ 1949). Vertriebsanzeige IV.indd 1 15.08.2017 15: 14: 29 2018 | Heft 2 Juni
