Internationales Verkehrswesen
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2018 | Heft 3 September Wie Automatisierung und Digitalisierung die Mobilität verändern Schiene versus Straße? www.internationalesverkehrswesen.de Heft 3 l September 2018 70. Jahrgang POLITIK Planen, optimieren, Chancen nutzen INFRASTRUKTUR Strategie und Mangel - Verkehrsinfrastruktur im Fokus LOGISTIK Entwicklungspotentiale beim Güterverkehr MOBILITÄT Digitalisierung: Idee und Wirklichkeit TECHNOLOGIE Intelligentere Lösungen für Nachhaltigkeit und Effizienz 27. bis 29. November 2018 Koelnmesse 2018 Bubbles: Parris Cope/ Fotolia Weitere Informationen senden wir Ihnen gerne zu. Ihre Ansprechpartnerin: Vanessa Ledig Telefon +49 (0) 30 28 44 94-221 • pmrexpo@ew-online.de Eine Veranstaltung von: Die europäische Leitmesse für sichere Kommunikation • Fachmesse • Summit Sichere Kommunikation (inkl. Fokus auf Leitstellen am 3. Tag) • Sichere Kommunikation für die Energiewirtschaft • Täglich wechselnde Fachforen • PMRExpo Career Koelnmesse Eingang Ost Halle 10.2 / Congress-Centrum Ost Deutz-Mülheimer Straße 35 50679 Köln Besuchen Sie die PMRExpo! Infos unter: www.pmrexpo.de oder Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 3 Kay W. Axhausen EDITORIAL Schiene versus Straße: Wie lange noch? D ie bisherige Art, die Verkehrsmittel zu klassifizieren, verliert langsam ihre Trennschärfe. Jeder Schritt der Automatisierung verwischt den Unterschied zwischen dem Individualverkehr und dem öffentlichen Verkehr. Die Bindung an Fahrpläne, an Routenverläufe, die fixen Vorgaben der Fahrzeuggrößen werden in Frage gestellt, um den Fahrgästen eine reibungslose Fahrt von A nach B, oder eine schnelle Tour von A nach B, C und wieder D anbieten zu können. Aber in dieser Begeisterung wird zu leicht vergessen, dass die Kostenstrukturen, Technologien und Fahrzeuggrößen zusammengehören. Wenn ein Haltepunkt, ein Bahnhof oder eine Landebahn Dutzende oder Hunderte von Millionen kostet, dann bietet es sich jenseits des Schlaraffenlandes nicht an, ausschließlich kleinere Einheiten halten, landen, wegfahren oder wegfliegen zu lassen. Hyperloop wird an dieser Logik wahrscheinlich scheitern. Umgekehrt brauchen die großen Einheiten leistungsfähige Zubringer, um sie zu füllen, was wieder ganz eigene Sicherheits- und Leistungsfähigkeitsfragen aufwirft. Das Verkehrsystem bleibt ein System sich selbst formender Warteschlangen. Denn die Gesellschaften können oder wollen es sich nicht leisten, so massive Überkapazitäten bereit zu stellen, dass zu keiner Zeit und an keinem Ort Warteschlangen entstehen. Am Beginn der Autobahnbau-Epoche schien das zwar der Fall zu sein, aber diese Phase wurde bald vom Boom des Autobesitzes eingeholt. In der Schweiz etwa seit 1990, dem Zeitpunkt, an dem die mittleren Fahrgeschwindigkeiten auf den Autobahnen sich erst stabilisierten und dann langsam fielen. In manchen Berichten klingt es so, als ob automatische Fahrzeuge dieses Problem lösen würden. Ja, man braucht weniger Fahrzeuge, um dieselbe Menge an Fahrzeugkilometern abzuwickeln - aber es bleibt dieselbe Menge, also dieselben Geschwindigkeiten, dieselben Staus in den Städten. Ja, man kann dieses Zehntel oder Siebtel der Flotte auf weniger Platz abstellen, aber das heißt nicht, dass man tagsüber notwendigerweise weniger Platz für das Absetzen und Abholen bräuchte. Hier muss verhandelt werden, ob die Städte ihren Fußgängern und Radfahrern wirklich auf Kosten der Warte- und Zu-Fuß-Zeiten der Autofahrer mehr Platz einräumen wollen. Angesichts der Nachfrage-Elastizitäten vis-a-vis der generalisierten Kosten bleibt auch die Frage, ob die Menge des bisherigen und des Neuverkehrs wirklich in kleinen Fahrzeugen auf den bestehenden Netzen abgewickelt werden kann. Dies scheint unwahrscheinlich zu sein, da Car-pooling-Ansätze bisher noch kein wirklicher Erfolg waren. Die Besetzungsgrade sind stetig mit der Anzahl der Fahrzeuge pro Kopf gefallen. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Kostensenkungen durch die automatischen Fahrzeuge zu einer Erhöhung der Besetzungsgrade führen werden. Vor allem nicht, wenn die mittleren Einkommen nicht fallen. Hier kommen wir auf die Notwendigkeit zurück, große Menschenmengen in großen Fahrzeugen zu transportieren, wenn sie zur selben Zeit ankommen wollen. Hier bleiben schienengebundene Systeme oder allgemein Systeme mit eigener Fahrspur die beste Lösung. Es stellt sich aber die Frage, von wem und auf welcher Fahrbahn und in welcher Form der Zu- und Abgang angeboten werden sollte. Je nach privater und gesellschaftlicher Zahlungsbereitschaft sind hier sehr unterschiedliche Netze und Lösungen denkbar. Die Planung und die Forschung müssen sich in den nächsten Jahren intensiv mit dieser Frage beschäftigen, um umweltgerechte und kostengünstige Lösungen für die verschiedenen Standorte zu entwickeln. Ihr Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 4 POLITIK 12 Bundesverkehrswegeplan 2030 - die Chancen nutzen Der BVWP 2030 steigert die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen Carla Eickmann Iven Krämer 16 Wirkungsweise der Bahn- Card aus Kunden- und Unternehmenssicht Die BahnCard als wirtschaftliches Instrumentarium für Reisende und Bahnunternehmen Andreas Krämer 20 Güterbahn nicht an die Wand fahren! Die Bahn wäre die optimale Güterverkehrs-Alternative für die-E-Mobility Bernd H. Kortschak WISSENSCHAFT 24 Subventionen im öffentlichen Personennahverkehr Was aus ökonomischer Sicht für-eine staatliche Mitfinanzierung spricht Hannes Wallimann Widar von Arx Christoph Hauser INFRASTRUKTUR 34 Kooperation TransRegio Alliance Dialog zur Mobilitäts- und Raumentwicklung zwischen Interreg-Akteuren in den fünf ostdeutschen Bundesländern Georg Werdermann 38 Staus belasten immer mehr Unternehmen Ergebnisse von Unternehmensbefragungen im Herbst 2013 und im Frühjahr 2018 Michael Grömling Thomas Puls WISSENSCHAFT 28 Wo fehlt was? Bestimmung unterversorgter Gebiete mittels Erreichbarkeitsmaßen Daniel Krajzewicz Simon Nieland Jorge Narezo Balzaretti Dirk Heinrichs LOGISTIK Foto: pixabay.de SEITE 34 Foto: pixabay.de SEITE 55 Foto: JET Foto/ Kranert/ Deutsche Bahn AG SEITE 16 Aktuelle Themen, Termine und das umfangreiche Archiv finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de 42 Entwicklung der Binnenschifffahrt auf dem Rhein Wirtschaftliche Effekte und Auswirkungen niedriger Fahrrinnentiefen auf die Transportkapazität der Binnenschifffahrt Anja Scholten Benno Rothstein 47 Kombinierter Verkehr hängt unimodale Alternativen ab Eine Preisstrukturanalyse im internationalen Seehafenhinterlandverkehr von Rotterdam nach-Zürich Erik Hofmann Mathias Mathauer 50 Die Nachfrage nach Kühllogistik steigt Thailand will seine Nahrungsmittelindustrie weiter ausbauen Dirk Ruppik 52 Perspektiven zur Neuen Seidenstraße Eine Erhebung in der österreichischen Transport- und Logistikbranche Reinhold Schodl Andreas Breinbauer Sandra Eitler WISSENSCHAFT 55 Reduzierte Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen Bei schweren LKW meist nur schwache Verringerung der CO 2 -Emissionen bei deutlich höheren Gesamtkosten Alexander Kaiser Hartmut Zadek Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 5 INHALT September 2018 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 11 Kurz + Kritisch 88 Forum Veranstaltungen 89 Impressum | Gremien 90 Vorschau | Termine AUSGABE 4/ 2018 Neue Mobilitätsstrukturen - Mobility as a Service - Sharing-Modelle - Infrastruktur - Herausforderungen, Chancen und Risiken erscheint am 22. November 2018 77 Platooning - Chancen und Herausforderungen für den Güterverkehr Dieter Uckelmann Marisa Saturno Mandy Schweikardt 80 EcoTrain - Modulare und intelligente Mehrsystemplattform für Dieseltriebzüge Einblicke in das Vorserienprojekt zur Realisierung eines nachhaltigen Schienenpersonennahverkehrs Marco Rehme Sören Claus Martin Hagmann Arnd Stephan Claus Werner WISSENSCHAFT 84 Public transport capacity limitations Means for a prompt Occupancy Rate (O.R.) evaluation Arturo Crespo Andreas Oetting Foto: Volkswagen AG SEITE 60 Quelle: DB RegioNetz Verkehrs GmbH SEITE 80 60 Auswirkungen des autonomen Fahrens aus Sicht der Verkehrsplanung Thesen und offene Fragen Konrad Rothfuchs Philip Engler 65 Der Weg zur digitalen Bahn Forschung, Entwicklung und Innovation für ein Verkehrssystem von morgen Daniel Tokody Peter Holicza Maria Tor WISSENSCHAFT 68 Anforderungen an urbane Fahrzeugkonzepte Gerhard Kopp Laura Gebhardt Matthias Klötzke Matthias Heinrichs Dirk Heinrichs 72 Das PS-Paradigma Automobiles Leitbild in Fahrbericht-Reportagen von Tageszeitungen Thomas Sauter-Servaes MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 6 IM FOKUS Weißes Rauschen im Hafen Amsterdam D er Hafen von Amsterdam gehört mit etwa 34 900 Angestellten und mehr als 81 Mio. t Güterumschlag im Jahr zu den größten Logistikzentren Europas. Die Bewohner der angrenzenden Gebiete beschwerten sich seit Längerem über den kontinuierlichen Lärm durch Fahrzeugwarnsignale mit gewöhnlichen Pieptonalarmen, die auch außerhalb des Gefahrenbereichs hörbar waren. Im Rahmen der Kampagne „Hoorbaar Minder“ stattete der Hafen Amsterdam deshalb ab Ende 2015 gut 330 Fahrzeuge mit verschiedenen Modellen des Breitbandtonwarners bbs-tek der Brigade Electronics Plc aus. Dieses System gibt weißes Rauschen ab, ein Geräusch mit einem konstanten Leistungsdichtespektrum in einem bestimmten Frequenzbereich. Es wird deutlich weniger störend wahrgenommen als traditionelle Rückfahrwarnsysteme, ist aber im Gefahrenbereich selbst besonders gut zu vernehmen und ermöglicht gleichzeitig eine präzisere Lokalisation der Richtung eines zurückfahrenden Fahrzeugs. Außerdem wird es selbst mit Gehörschutz wahrgenommen; auch Hörgeschädigte können die Breitbandfrequenzen besser orten. Auf diese Weise konnte der Hafen nicht nur den störenden Geräuschpegel reduzieren, sondern auch die Sicherheit erhöhen. www.portofamsterdam.com LKW-Abbiegeassistent zum Nachrüsten D as Hamburger Unternehmen Luis Technology GmbH bringt ein Abbiegeassistenzsystem auf den Markt, das Unfälle beim Rechtsabbiegen von LKW und Bussen verhindern kann. Waren bisherige Abbiegeassistenten auf Ultraschall-Basis nicht in der Lage, sich bewegende Objekte von stehenden Objekten zu unterscheiden, arbeitet das neue System von Luis hier effizienter. Es ist kamerabasiert und filtert statische Objekte wie parkende Autos oder Ampelmasten heraus und schützt so den Fahrer vor einer Abstumpfungsgefahr bei zu häufigen Fehlalarmen. Eine optische und akustische Warnung erfolgt nur bei sich bewegenden Objekten wie Fußgängern oder Fahrradfahrern. Beide Gruppen sind am häufigsten von Unfällen beim Rechtsabbiegen von LKW und Bussen betroffen. Der Abbiegeassistent wird beim Einschlagen des Lenkrads sowie in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich des Fahrzeuges aktiviert. Der Fahrer wird über einen roten Kasten im Monitorbild und einen Warnton nur dann gewarnt, wenn eine Gefahr droht. Das System wurde nicht nur für die Integration in Neufahrzeuge ab Werk entwickelt, sondern lässt sich auch unkompliziert nachrüsten. LKW-Abbiegeassistenten helfen, Unfälle mit Todesfolge, Verletzungen und Sachschäden zu verhindern. Dennoch sind sie in Deutschland nicht Pflicht: Eine solche gesetzliche Regelung liegt auf EU-Ebene und soll erst im Jahr 2022 in Kraft treten. Insbesondere Städte und Kommunen können hier mit ihrem eigenen Fuhrpark eine Vorreiterrolle einnehmen. Nachrüstbar ist jedes Nutzfahrzeug unabhängig von Fabrikat und Hersteller, LKW für den (urbanen) Güterverkehr, aber auch kommunale Fahrzeuge und Busse. www.luis.de Navi für die Mobilitätswende D ie Städte und Kommunen am Oberrhein beim Auf- und Ausbau grenzüberschreitend nachhaltiger Verkehrssysteme zu unterstützen, ist Ziel des nun gestarteten Projekts „SuMo-Rhine - Förderung der nachhaltigen Mobilität in der Oberrheinregion“. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von diesseits wie jenseits des Rheins entwickeln darin passende Strategien, Konzepte und Instrumente. Koordinator und federführender Partner des auf drei Jahre angelegten und mit 1,36 Mio. EUR von der EU geförderten Projekts ist das Deutsch- Französische Institut für Umweltforschung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Im Rahmen des Projekts sollen die am Oberrhein existierenden grenzüberschreitenden Verkehrssysteme am Beispiel der Ballungsräume Straßburg und Lörrach umfassend analysiert und bewertet werden. Im Zuge dessen wollen die Projektpartner ein neuartiges „Entscheidungsunterstützungssystem“ aufbauen.Über eine Webapplikation macht das System messbare Indikatoren für nachhaltige Mobilität zugänglich. www.kit.edu Foto: Hafen Amsterdam Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 7 IM FOKUS Plasser & Theurer: Vernetzte Maschinen mit Mehrwert E ine Arbeitsmaschine von heute ist zugleich auch modernstes Messgerät, Nebenfahrzeug, Lebensraum und Imageträger. Trotz allem bleiben bewährte Grundfunktionen wie das Heben, Richten, Stopfen erhalten. Diese Funktionen ordnen sich neuen Antrieben, Steuerungen und den Echtzeit-vernetzten Kommunikationswegen unter. Anhand von zwei ausgestellten Maschinen zeigt Plasser & Theurer die vernetzte Wirkungsweise. Auf dem Außengelände zeigt Plasser & Theurer den EM100VT zur Bestimmung der absoluten Gleislage bei einer Messgeschwindigkeit von 100 km/ h und mehr. Das Messfahrzeug liefert die Daten über die Cloud direkt an die Arbeitsmaschine. Der ebenfalls gezeigte Unimat 09-4x4/ 4S E 3 (siehe Bild) repräsentiert die Stopfmaschine einer neuen Generation - eine Stopfmaschine für Gleise und Weichen mit dem neuen vollelektrischen E 3 -Antrieb für Arbeits- und Fahrbetrieb. Als leitendes Gleisgeometriesystem bietet der SmartALC nun ein neues Spot-Tamping- Tool für die gezielte Bearbeitung von Einzelfehlern im Gleis. Zusätzlich wird der Leitcomputer um eine BIM (Building Information Modeling)-Schnittstelle erweitert. Das PlasserSmartTamping-Assistenzsystem entlastet den Bediener durch klare Handlungsempfehlungen für Heben, Richten und Einstellung der Stopfaggregate. Diese und weitere Tools sind in Halle 26, Stand 222 zu sehen. www.plassertheurer.com Darstellung: Plasser & Theurer Knorr-Bremse: Systeme und Menschen verbinden K norr-Bremse als Weltmarktführer bei Bremssystemen und führender Anbieter von sicherheitskritischen Subsystemen für Schienen- und Nutzfahrzeuge setzt auf Connectivity und bündelt Subsysteme und Lösungen unter vier an den wesentlichen Markttreibern angelehnten Hauptthemen: System connection, Life-cycle efficiency, Transport capacity und Ecodesign. System connection umfasst die Vernetzung der Fahrzeugsubsysteme und aller digitalen Themen wie etwa iCOM, die digitale Plattform für den Schienenverkehr, sowie die Nutzung von Ethernet-Anbindungen, was den Verdrahtungsaufwand im Fahrzeug vereinfacht und senkt. Life-cycle efficiency steht für das Sparpotenzial, das Betreiber mit modularen Produkten und verlängerten Wartungsintervallen erreichen können. RailServices und die Modernisierung älterer Schienenfahrzeuge sind dabei wichtige Stichworte. Unter Transport capacity zeigt Knorr-Bremse, wie schnellere und größere Einstiegssysteme sowie kürzere Bremswege die Taktung von Zügen erhöhen oder wie sich anstelle von reduziertem Gewicht zusätzliche Fahrgäste oder Fracht bewegen lassen. Im Schwerpunkt Ecodesign präsentiert das Unternehmen, wie optimierte Produkte und Produktionsprozesse die CO 2 - und Lärmemissionen reduzieren sowie den Energieverbrauch in der Fertigung wie im Betrieb senken. Zahlreiche neue modulare und überarbeitete Produkte von Knorr-Bremse leisten ihren Beitrag zur Elektrifizierung und Nachhaltigkeit des Schienenverkehrs. Zwei Beispiel: Das Brake Distance Management etwa ermöglicht punktgenaues Bremsen unter allen Wetterbedingungen. Und mit der neuen EP2002 3.0-Bremssteuerung weitet Knorr-Bremse das Einsatzspektrum des sehr erfolgreichen Vorgängers von Metro-Anwendungen auf Regionalzüge aus. Mehr auf den vier Messeständen: Halle 1.2, Stand 106 und 203, sowie Halle 6.2, Stand 212, und Halle 17, Stand 206/ 208. www.knorr-bremse.com Foto: Knorr-Bremse Schaeffler Technologies: Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit N eben der konstruktiven Weiterentwicklung bewährter Lösungen stehen bei Schaeffler (Halle 21, Stand 404) die Themen Funktionsintegration, Digitalisierung sowie Services über den Produktlebenszyklus im Vordergrund. Für die digitalisierte Überwachung von Personenzügen bietet Schaeffler Datenanalysen auf Basis von Körperschallschwingungen und weiteren Sensoren (siehe Bild). Das Schaeffler Smart EcoSystem dient dabei als IT-Infrastruktur für die Integration von Sensorik, bewährten Visualisierungs- und Analysetools sowie digitalen Services. Auch werden die seit Jahren bewährten TAROL-Kegelrollenlagereinheiten durch eine neue, besonders kompakte und Bauraum sparende Kassettendichtung zum Schutz vor Kontamination des Lagers sowie einen integrierten Haltering zur einfacheren Lagermontage optimiert. Wartung und Wiederaufbereitung der Lager werden digital unterstützt. Auf dem Schaeffler-Messestand sind Montagevorführungen live zu sehen. www.schaeffler.com Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 8 IM FOKUS Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Vogelsang: Service-Systeme für Züge K ompakte Systeme für die Abwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung sowie die Innenraumreinigung von Zügen zeigt die Vogelsang GmbH & Co. KG in Halle 7.2C, Stand 207. Im Mittelpunkt stehen CleanUnit, ein robustes Schranksystem, das die Medienversorgung für die gesamte Innenraumreinigung von Zügen, Bussen und Bahnen vor Ort bereitstellt, sowie die TUnit, eine Station für die Vakuumabwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung von Zügen. Mit der TUnit erfolgt die Abwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung von Zügen umweltschonend und hygienisch. Direkt auf dem Service-Bahnsteig oder in Depots montiert, ist sie für das Personal einfach zugänglich. Bei der Variante TUnit SP handelt es sich um ein kompaktes Einzelplatzsystem, das mit einer Drehkolbenpumpe der VX-Serie ausgestattet ist. Sie eignet sich besonders für kleinere Servicestationen und Werkstätten. Die leistungsstarke TUnit MP (siehe Bild) ist für mittlere und große Bahndepots konzipiert. Sie ist an die VacUnit, eine Vakuumpumpstation von Vogelsang, angeschlossen und wird als Satelliten-Servicesystem installiert. Absaug- und Wasserschläuche hängen an einem vertikalen Trägersystem. Das ermöglicht einen großen Arbeitsradius von bis zu 7,5 m in alle Richtungen. So ist eine unkomplizierte Befüllung und Entsorgung auch möglich, wenn sich die Anschlüsse nicht in unmittelbarer Nähe befinden. www. vogelsang.info Foto: Vogelsang Darstellung: Schaeffler Technologies Steinmeyer Mechatronik: Fahrdrähte präziser messen S teinmeyer Mechatronik stellt in Halle 7.2b, Stand 200, die hochpräzisen Fahrdrahtmessgeräte FM4-LO und FM5-BT vor, die berührungslos arbeiten und mit minimalem personellem Aufwand bedient werden können. Mit den Geräten werden sowohl die Höhe des Fahrdrahtes über der Schienenoberkante (SOK) als auch die Seitenlage des Fahrdrahtes in Bezug zur Gleismittelsenkrechten gemessen. Das FM4-LO verfügt zu diesem Zweck über die Kombination aus Zielvisier mit Fadenkreuz und Laserdistanzmessung. Mit dem beleuchteten Fadenkreuz lässt sich die Fahrleitung auch bei Dunkelheit schnell und einfach detektieren. Zusätzlich ist eine separate Beleuchtungseinrichtung erhältlich. Der auf der Zieloberfläche sichtbare Laserstrahl sorgt für eine berührungslose Messung der Fahrdrahthöhe (Genauigkeit ±1,5 mm). Einsatzgebiete sind die Fahrleitungsmontage sowie Regulierungs- und Instandhaltungsarbeiten an Oberleitungsanlagen. Das Fahrdrahtmessgerät FM5- BT arbeitet auf Basis eines Kamerasystems mit integriertem Laser und Bluetooth-Schnittstelle (Genauigkeit ±1 mm), mit der eine Übertragung der Messwerte auf mobile Endgeräte jederzeit möglich ist. Darüber hinaus können Fotos und Screenshots von der Messstelle über ein USB-Kabel vom Gerät heruntergeladen werden. www.steinmeyer-mechatronik.de Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 9 IM FOKUS New Mobility World im Rahmen der IAA-Nutzfahrzeuge Hannover Messegelände, 20.-27. September 2018 Die New Mobility World ist im Rahmen der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover das führende Event zur Zukunft von Mobilität, Transport und Logistik. Im FORUM debattieren Vordenker und Entscheider, wie sich die Mobilität von morgen gestaltet. Im Ausstellungsbereich EXPO präsentieren innovative Akteure ihre Produkte, auf der Demonstrationsfläche LIVE sind sie in Aktion zu sehen. Hier einige Highlights, mehr auf der Messe und auf www.newmobility.world. Bosch: E-Antrieb für Lieferfahrzeuge M it der eAchse für PKW bietet Bosch (Halle 16, A01) bereits eine All-inone-Lösung, die Erweiterung des Produktportfolios auf leichte Nutzfahrzeuge ist nun ein weiterer konsequenter Schritt zum Wandel im städtischen Güterverkehr. Den elektrischen eCityTruck-Antrieb bietet Bosch mit und ohne Getriebe an. Die Antriebslösungen lassen sich für leichte Nutzfahrzeuge zwischen zwei und 7,5 Tonnen skalieren und decken somit einen großen Teil des Nutzfahrzeugmarktes ab. Da das neue Antriebskonzept mehrere Teilen wie Elektromotor und Leistungselektronik zusammenfasst, werden Bauteile eingespart - das macht den Antrieb effizienter und kostengünstiger. Durch die leicht integrierbaren Lösungen können zeitaufwendige Neuentwicklungen beim Kunden entfallen. Und auch neue Player haben die Chance, ihre Fahrzeuge schnell auf den Markt zu bringen. www.bosch-mobility-solutions.de Foto: Bosch Trendfire: Telematik made in Germany T elematikspezialist Trendfire (Halle 25, C59) präsentiert eine neu entwickelte Telematikeinheit für Auflieger, die alle wichtigen Funktionen wie Ortung, Tracking, Temperaturkontrolle, gefahrene Kilometer, Betriebszeiten und EBS-Daten abdeckt. Abgerundet wird die Lösung durch intelligente Funksensoren für die Temperaturaufzeichnung im Auflieger. Das modulare System zeichnet sich durch robuste, kompakte Bauform und minimalen Montageaufwand aus. Wie bei Trendfire üblich, stammen alle Produkte und Neuheiten aus eigener Entwicklung und werden in Deutschland produziert. Die in Böblingen entwickelte Telematikeinheit ist dank des kleinen, robusten Gehäuses mit innenliegenden Antennen nach IP 68 gegen Wasser und Staub geschützt und für den Außeneinsatz sowie die Montage im Fahrwerksbereich geeignet. Zur lückenlosen Dokumentation der Kühlkette können mehrere drahtlose Sensoren mit einer Telematikeinheit verbunden werden, so dass mehrere Zonen im Auflieger getrennt per Funk überwacht werden können. Die Lösung funktioniert völlig autark und unabhängig von der jeweiligen Zugmaschine. Sämtliche Daten werden via Mobilfunk direkt an das Rechenzentrum von Trendfire übertragen und im roadlox-Webportal zur Verfügung gestellt. wwwtrendfire.com SAF-Holland: Intelligente Mechanik in der digitalen Welt A chsen- und Sattelkupplungs-Spezialist SAF-Holland stellt in Halle 26 Stand A06 Produktneuheiten vor und legt den Fokus auf digitale Angebote für Flottenbetreiber. Verschiedene Live-Demonstrationen am Messestand nehmen die IAA-Besucher mit in die Welt der Nutzfahrzeuge von morgen. So ist zu sehen, wie das SAF Adaptive Air Damping - die Dämpfung komplett ohne hydraulische Dämpfer - funktioniert. Zum Thema autonomes Fahren zeigt der Nutzfahrzeugzulieferer die hydraulisch angetriebene Achse SAF INTRA TRAK, die nun in Serienproduktion ist. In diesem Jahr hat das Unternehmen die Mehrheiten an der asiatischen York-Gruppe, am italienischen Kupplungs-Experten V.Orlandi sowie am britischen Telematik- und Connectivity-Spezialisten Axscend übernommen. Damit baut SAF-Holland seine internationale Präsenz aus und stärkt seine Kompetenzen bei Kupplungssystemen sowie digitalen Lösungen. www.safholland.de Foto: SAF-Holland Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 10 IM FOKUS Soloplan: Auftragsmanagement ohne Schnittstelle D as Software- und Beratungshaus Soloplan stellt die neu entwickelte Telematiklösung „inTOUCH“ für die CarLo-Produktfamilie in den Mittelpunkt seines Messeauftritts (Halle 25, Stand B60). Die Software eignet sich für Smartphones und Tablets mit iOS oder Android. Der Verzicht auf Festeinbauten sorgt für geringe Investitionskosten und hohe Flexibilität. Somit eignet sich die Lösung auch für den Einsatz bei Subunternehmern oder Mietfahrzeugen. Die in CarLo integrierte Telematiklösung inTOUCH sorgt für ein durchgängiges digitales Auftragsmanagement von der Auftragsannahme bis hin zur Unterschrift des Empfängers auf dem Display und ermöglicht den Austausch von Fotos und Dokumenten. Darüber hinaus bietet die Software alle Telematikfunktionen wie GPS-Ortung, Navigation, Geofencing, Nachrichtenaustausch und die Verwaltung der Lenk- und Ruhezeiten. Durch die leicht verständliche Bedienbarkeit ist der Schulungsaufwand gering. www.soloplan.de Valeo: Kühlen und Heizen im Elektrobus D er Valeo-Produktbereich Thermische Systeme für den Omnibus wird in Halle 16, Stand A31, Innovationen in Sachen Busklimatisierung vorstellen. Erstmalig wird die neue Aufdachklimaanlage „REVO-E pro“ mit Wärmepumpentechnolgie für das Kühlen und Beheizen von Elektrobussen präsentiert. Durch die virtuelle Vereisungssensorik und eine vollautomatische Heißgasabtauung mit energieoptimierter Enteisungsdauer kann die Klimaanlage bei Außentemperaturen bis zu -5 °C (R134a) und bis zu -15 °C (R449A) betrieben werden. Zusammen mit dem Valeo-Bedienteil SC- 620 ist sie eine echte Standalone-Lösung: Alle Klima- und Regelungskomponenten sind kompakt in der Anlage integriert und das Regelungskonzept ist entkoppelt von der fahrzeugseitigen Einbindung. So kann die neue Klimaanlage in nahezu jedem Bus weltweit unabhängig vom Fahrzeugdesign implementiert werden. Darüber hinaus zeigt Valeo das emissions-reduzierte Diesel- Heizgerät Thermo plus sowie eine leistungsstarke 500W-Variante der SPump- Pumpenserie speziell für Fahrzeuge mit Hybrid-, Plugin- oder Elektroantrieb. www.valeo.com Foto: Valeo Mahle: Innovatives Konzept für Standklimaanlagen A us Wärme wird Kälte: Mahle präsentiert mit seiner Adsorptions-Standklimatisierung ein gänzlich neues Funktionsprinzip ohne die Notwendigkeit eines mechanischen Kompressorantriebs. Vielmehr kann man von einem thermischen Kompressor sprechen, da der kälteerzeugende Prozess mit Wärme angetrieben wird. Diese kann idealerweise vom ohnehin vorhandenen Kraftstoff-Kabinenheizer bereitgestellt werden. In einem abgeschlossenen Zylinder verdampft das natürliche Kältemittel Methanol und kühlt dabei ein Kühlmittel auf rund 5 °C ab. Es adsorbiert dabei in einer Aktivkohleschicht und erwärmt diese auf circa 40 °C (Abwärme). Dieser Nutzprozess läuft bis zur Adsorption des gesamten Methanols von selbst, also ohne externen Antrieb ab. Im anschließenden Regenerationsprozess wird die Aktivkohle auf circa 110 °C (Antriebswärme) erhitzt, das Methanol dadurch ausgetrieben. Es kondensiert bei circa 40 °C. Der Prozess kann damit von vorne beginnen. Während dieser Regeneration übernimmt ein zweiter Zylinder im Wechsel die Klimatisierung. www.mahle.com Grafik: Mahle Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 11 Mal wieder: Enttäuschungen, Hoffnungen, Sorgen E rfahrungsgemäß bietet die Sommerpause zumindest in der Politik nur wenig beachtenswerte Informationen. Aber es werden von der Wirtschaft die Halbjahresberichte 2018 veröffentlicht mit erfreulicherweise überwiegend positiven Entwicklungen im 1. Halbjahr. Dies trifft für die Deutsche Bahn AG nicht zu, trotz aller Pläne, Programme und Hoffnungen auf Situationsverbesserungen. Gemeint sind hier nicht die erneuten Verschlechterungen bei den Pünktlichkeitswerten im Personenverkehr, nicht die Überlastungen von Fernverkehrszügen und auch nicht die wenig erfreulichen Kostenentwicklungen beim Projekt Stuttgart 21. Angesprochen ist hier in erster Linie der Schienengüterverkehr, von dem so viel erwartet wird, politisch und unternehmerisch. Überraschend sind die relativ starken Einbrüche bei den Leistungswerten und den EBIT-Größen mit einem Minus bei den Tonnenkilometern von 6,7 % und einem weiteren Verlustanstieg des EBIT von -28 Mio. (2017) auf nunmehr -127 Mio. EUR. Die LKW-Leistungen in Deutschland sind demgegenüber um 3,5 % (Tonnenkilometer) weiter angestiegen. Trotz Schienenpakt und vielen Planungen mit großem politischen good will zeigen die Ursachen dieser Entwicklungen bei DB Cargo wieder einmal, dass einfache Rezepte und politische Ambitionen beim Schienengüterverkehr untauglich sind. Trotz mehrfachem Wechsel in den Führungspositionen des Unternehmens konnten (wieder einmal) deutliche Qualitäts- und Produktivitätseinbußen durch fehlendes Traktionspersonal, fehlende Loks, zu lang stehende Züge und Streckenüberlastungen durch Baustellen nicht verhindert werden. Gelingt es nicht, die Qualitäts- und Produktivitätsdefizite im Schienengüterverkehr zeitnah fühlbar zu verbessern, erscheint die Zukunft dieser Verkehre nebulös. Keinesfalls darf die alleinige Hoffnung auf die Hilfe des Steuerzahlers Platz greifen, zunächst durch die beschlossene Reduzierung der Trassenpreise. Denn sie allein kann die originären Probleme des Schienengüterverkehrs nicht lösen, zumal im Straßengüterverkehr trotz Fahrermangels Qualitäts- und Produktivitätsentwicklungen vorauseilen. Beachtenswert beim Halbjahresergebnis ist auch der Einbruch des EBIT bei DB Regio von 314 auf 214 Mio. EUR (-31,8 %), war doch über viele Jahre dieses Angebotssegment die wichtigste und stabile cash cow des Unternehmens. Der Marktdruck der Wettbewerber, verbunden mit eigenen Qualitätsdefiziten, wird auch hier verdeutlicht. Ebenso wie die Bahn steht der ÖPNV mit erhofften Positivwirkungen bei Umweltbelastungen und Kapazitätsentlastungen im Individualverkehr in hohem gesellschaftlichen Interesse. Allerdings führen aktuell erhebliche Überlastungen von Bahnen und Bussen in Agglomerationen zu unerfreulichen Qualitätsabsenkungen. Da zwar umfängliche Finanzmittel für den Ausbau des ÖPNV bereitgestellt worden sind, aber Planung und Umsetzung der wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen bis zu zehn und mehr Jahre erfordern, sind kurz und mittelfristig nur begrenzte Entlastungen und entsprechende Qualitätsanhebungen möglich. Ob allerdings in zehn und mehr Jahren der ÖPNV tatsächlich dem Individualverkehr Marktanteile abgewinnen kann, ist umstritten. Dies vor allem vor dem Hintergrund der weltweiten Forschungs- und Umsetzungsaktivitäten des autonomen Fahrens, letztlich mit Verzicht auf zentrale Einwirkungsmöglichkeiten durch die Fahrzeuginsassen. Wenn diese Fahrzeuge mit E-Antrieben innerstädtisch und im Umland einsetzbar sind: Ist dann der ÖPNV noch hinreichend attraktiv? Zu denken ist auch an behinderte Personen und die zunehmende Zahl älterer Menschen. Bei einer solchen Entwicklung könnte sich auch die Frage stellen, ob dann überhaupt noch ein Führerschein eine Berechtigung besitzt, ist doch die wichtigste These der Befürworter eines autonomen Fahrens der hohe Sicherheitsgewinn durch die digitalisierte Fahrzeugsteuerung ohne menschliche Steuerungsfehler. Zumindest wird der Führerschein nach derzeitigem Muster dann obsolet. Allerdings würde diese Entwicklung keine Kapazitätsentlastung für den Straßenraum bedeuten, ebenso wenig wie eine Minderung der Stäube aus Reifenabrieb. Wenn über Problembereiche des Verkehrs in einer heißen Sommerzeit gesprochen wird, darf ein Blick auf den weiteren Hoffnungsträger im Güterverkehr, die Binnenschifffahrt, nicht fehlen. Die extrem niedrigen Wasserstände aufgrund der lang anhaltenden Trockenheit erzwingen die Frage nach der Zukunft dieses Verkehrsträgers angesichts der auch in Europa wirksamen Klimaveränderungen. Für zahlreiche wichtige Industriebereiche ist die Binnenschifffahrt ein entscheidender Logistikpartner. Es geht um mehr als um Kreuzfahrt- und Ausflugsschiffe. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche POLITIK Infrastruktur Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 12 Bundesverkehrswegeplan 2030 - die Chancen nutzen Der BVWP 2030 steigert die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen Bundesverkehrswegeplan, Hinterlandanbindung, Güterverkehr, Seeverkehr Mit dem im Dezember 2016 erfolgten Bundestagsbeschluss der Ausbaugesetze für die Bundesnetze Straße, Schiene und erstmals auch Wasserstraße klang die ungewöhnlich breite Diskussion über die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zunächst wieder ab. Natürlich beschäftigt sich die Fachwelt weiterhin intensiv mit der Konkretisierung, Planung und Umsetzung einzelner Projekte des Bundesverkehrswegeplans wie auch mit Wegen zu einer schnelleren Umsetzung, in der breiten Öffentlichkeit aber ist es zu dieser Thematik weitgehend ruhig geworden. Dieser Zustand ist trügerisch, denn nur mit einer schnellen, konzentrierten Umsetzung des Planes lassen sich die sehr ambitionierten Ziele erreichen. Dies gilt nicht nur - aus norddeutscher Sicht aber in ganz besondere Weise - für die Hinterlandanbindungen der Häfen. Carla Eickmann, Iven Krämer M it dem Beschluss des Bundesverkehrswegeplanes war die Freude im Norden groß, denn endlich wurde ein klarer Schwerpunkt in der infrastrukturellen Entwicklung dieses Raumes und explizit bei den Hafenhinterlandanbindungen gesetzt, so die breit getragene Überzeugung bei Unternehmen, Verbänden, politischen Akteuren, Verwaltungen und anderen Beteiligten. Diese Freude hält bis heute an, doch die nötige Detailarbeit an den vielfältigen Projekten und die dabei zu beobachtenden kleinen Schritte bei gleichzeitig fortschreitender Zeit geben Anlass zur Sorge. Nicht zuletzt auch deshalb stehen Themen wie die Planungsbeschleunigung, die deutlich steigenden Baupreise, die Knappheit personeller Ressourcen sowohl auf Seiten der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer weit oben auf den Tagesordnungen der verantwortlichen Infrastrukturentwickler und werden parallel zu den jeweiligen Projekten behandelt. In einem Beitrag aus dem Jahr 2014 [1] hatten die Autoren die Erwartungen an das damals noch als Bundesverkehrswegeplan 2015 beschriebene Planwerk zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen beschrieben. Die hier vorliegende Analyse knüpft unmittelbar daran an. Sie zeigt auf, was im Sinne dieser unverändert gültigen Zielrichtung bereits erreicht wurde und wo weiterer Handlungsbedarf besteht. Zugleich wird die Frage zur Diskussion gestellt, ob die bisherige Nutzenbewertung einer Förderung des für die Hinterlandanbindung wichtigen Schienengüterverkehrs Vorschub leistet oder ob hier Anpassungen sinnvoll sein können. Ein erster Blick rich- Bild 1: Einschätzung des Aufkommens im Raum Hamburg - Bremen - Hannover Dialogforum Schiene Nord Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 13 Infrastruktur POLITIK tet sich dabei auf die Frage der zukünftig zu erwartenden Verkehrsmengen, sprich die Prognose, die letztlich die quantitative Grundlage aller weiteren verkehrlichen Überlegungen und infrastrukturellen Entwicklungen darstellt. Die auf das Jahr 2030 ausgerichteten Prognosen zum Bundesverkehrswegeplan 2030 untermauern nach wie vor den Handlungsbedarf für die Hinterlandanbindung: Die gesamte Güterverkehrsleistung wird danach von 2010 bis 2030 um 38,0 % zunehmen. Für den Straßenverkehr, der zwar weiterhin das Gros der Verkehrsleistung erbringen wird, wird ein Zuwachs von 38,9 % in diesem Zeitraum erwartet. Von der Wasserstraße wird mit einem Plus von 9,1 % keine besondere Hebung ihrer Potenziale erwartet. Aber beim Schienenverkehr wird ein Zuwachs der Verkehrsleistung um 42,9 % von 108 auf 154 Mrd. Tkm erwartet. Damit zeigt der Verkehrsträger Schiene im Güterverkehr die größte Zuwachsrate. Im Kombinierten Verkehr, der auch den Hafenhinterlandverkehr umfasst, wird sogar eine Steigerung der Verkehrsleistung um 73 % prognostiziert. Im näheren Hinterlandbereich sind die Steigerungen noch höher. Diese Prognosewerte unterstreichen den Handlungsbedarf für die Schieneninfrastruktur im Hinterland der Seehäfen. Für den Bereich des norddeutschen Hinterlands wird die Entwicklung dynamischer sein. So liegt nach erster Einschätzung aus dem Dialogforum Schiene Nord das Aufkommen über 100 Mio. t im Bereich Hamburg - Bremen - Hannover (Bild 1) [2]. Es ist zu begrüßen, dass in der Prognose 2030 der wirkliche Bedarf für die Hinterlandanbindung aus der Seeverkehrsprognose abgebildet wird. Die Küstenländer hatten an den Bund die Erwartung gerichtet, dass die Ableitung des Kapazitätsbedarfs für die Hinterlandanbindungen aus dem tatsächlich zu erwartenden Umschlag der Seehäfen erfolgen muss. Bei der vorherigen Prognose für das Jahr 2025 wurde das prognostizierte Aufkommen der Häfen noch durch die Engpässe der Hinterlandanbindung begrenzt. Beim BVWP 2030 entspricht das Aufkommen im Hinterland der erwarteten Seeverkehrsentwicklung und nicht dem maximal möglichen Aufkommen der weiteren Transportkette. Die Prognose 2030 sieht bei den deutschen Seehäfen von 2010 bis 2030 eine Zunahme des Umschlags von 269 Mio. t auf 468 Mio. t vor, wobei der Anteil der Nordseehäfen auf 83 % steigt (Bild 2). Die Frage, welche Zugzahlen in 2030 konkret im Hafenhinterlandverkehr zu erwarten sind, war für Norddeutschland zunächst aus den Ersteinschätzungen des Bundes im Dialogforum Schiene Nord erkennbar. Den Fachleuten erschienen die Zahlen der hafenbezogenen Züge recht gering. Aus den Nachfragen beim Gutachter wurde deutlich, dass für die Berechnung der Zugzahlen deutlich höhere Zugauslastungen zugrunde gelegt waren als bei vorherigen Ableitungen. Die Züge der Prognose 2030 sind offensichtlich länger, mehr beladen und mit weniger Leerfahrten und Leercontainern verbunden als zuvor veranschlagt. Die Verwunderung über die Zugzahlen gilt insbesondere beim Aufkommen, das aus Bremerhaven und Wilhelmshaven vom BVWP-Gutachter erwartet wird. Die tatsächliche Entwicklung des Güterverkehrs über See in Bremen und Bremerhaven zeigt eine Verdopplung von 34,5 Mio. t auf 74,2 Mio. t in der Zeit von 1998 bis 2017. Der Containerumschlag hat sich in diesem Zeitraum von knapp 1,8 Mio. TEU auf 5,5- Mio. TEU verdreifacht. Der Anteil der Schiene am Container Hinterlandverkehr ist kontinuierlich von 35,9 % im Jahr 2004 auf knapp 47 % im Jahr 2017 gestiegen. Die absolute Transportmenge auf der Schiene ist von knapp 0,5 Mio. TEU im Jahr 2004 auf über 1,1 Mio. TEU im Jahr 2017 gewachsen. Im Automobilbereich werden heute ca. 80 % der Fahrzeuge mit rund 12 000 Zügen/ Jahr auf der Schiene transportiert. Angesichts dieser Entwicklung wären für 2030 höhere Zugzahlen zu erwarten gewesen. Abgesehen von dieser Anmerkung wird die Prognose 2030 als geeignete Grundlage für die Ableitung der Bedarfe gesehen. Die Prognose 2030 ist Teil der Grundkonzeption für den BVWP 2030. Im Vorfeld der Aufstellung dieser schlüssigen Systematik wiesen die Küstenländer darauf hin, dass für eine bedarfsgerechte Entwicklung der Hinterlandanbindungen mehr als die Bewältigung des Aufkommens im Jahr 2030 gehört. Erforderlich sind ausreichende Kapazitäten, die die Häfen entsprechend ihrer Bedeutung für die Wirtschaft zuverlässig anbinden. Als Erfolg wurde daher die Einbeziehung des abgeleiteten Ziels „Verbesserung der Anbindung von intermodalen Drehkreuzen (z. B. Flughäfen, Seehäfen, KV-Terminals)“ in die Grundkonzeption gewertet. Dieses Ziel dient der Umsetzung des übergeordneten Ziels „Sicherstellung der Güterversorgung, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen“ und adressiert somit eine wesentliche Funktion der Hinterlandanbindung. Inwieweit dieser Erfolg in der Theorie sich auch positiv auf die Bewertung einzelner Maßnahmevorschläge ausgewirkt hat, kann nicht beurteilt werden. Hierfür müsste die gesamte Herleitung des BVWP einschließlich Bewertungsvorgängen transparent vorliegen. Ein weiteres neues Kriterium in der Grundkonzeption ist die „Zuverlässigkeit des Verkehrsflusses“. Für dieses Kriterium mussten erst Ansätze zur Bewertung aufgestellt werden. Für die Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße lässt die aktuelle Grundkonzeption noch Raum für Optimierungen. Der Wert einer redundanten Anbindung im Schienennetz wurde bei der Aufstellung des BVWP seitens der Küstenländer zwar thematisiert, aber es fehlte beim Bund damals die Überzeugung. Wenn es mit Blick auf den Schienengüterverkehr in Deutschland eines weiteren Argumentes zur Berücksichtigung des Zuverlässigkeitskriteriums bedurft hätte, lohnt ein Blick auf das Jahr 2017. Durch die bauliche Katastrophe in Rastatt und die außerordentlich intensiven Sturmereignisse, die mehrfach und teilweise über längere Zeiträume den Schienengüterverkehr zum Erliegen gebracht haben und die Planbarkeit von Verkehren massiv in Mitleidenschaft gezogen haben, wurde der Bahnverkehr in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Straßentransport erheblich beschädigt. Aktuellen Studien zu Folge hat allein Rastatt zu Schäden in Höhe von rund 2-Mrd.-EUR geführt. Dringend erforderlich ist es deshalb, im Kontext der Zuverlässigkeit auch Fragen redundanter Netze und -anbindungen - wie bei der Aufstellung des BVWP eingefordert - mitzuberücksichtigen und natürlich auch die Elektrifizierung von Nebenstrecken voranzubringen. Nach der Aufstellung der Grundkonzeption stellt sich die Frage, ob mit dieser Grundlage wichtige Projekte realistisch bewertet und kategorisiert werden. Die Projekte von besonderer Bedeutung für den Hinterlandverkehr der deutschen Häfen wurden bereits seit 2008 in der sogenannten Ahrensburger Liste zusammengefasst. Damals nämlich einigten sich die Ministerpräsidenten der Küstenländer in Ahrensburg auf eine Liste vordringlich zu realisierender Verkehrsprojekte. Diese Liste umfasste zu- Bild 2: BVWP-Seeverkehrsprognose 2030 POLITIK Infrastruktur Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 14 nächst 19 überwiegend hafenrelevante Vorhaben, die auch in das 2009 verabschiedete Nationale Hafenkonzept aufgenommen wurden. Die Liste wurde später mehrfach erweitert und dann auch durch eine sogenannte „Düsseldorfer Liste“ ergänzt. Im Bereich der Schieneninfrastruktur wurde die Frage „Fit für 2030 - welche Schieneninfrastruktur braucht Deutschlands Norden? “ im Rahmen eines Parlamentarischen Abends im Mai 2014 durch eine konkrete Liste aller fünf Nordländer notwendiger Maßnahmen für den BVWP 2030 beantwortet, mit der die Sicherung der Hafenhinterlandanbindungen auf der Schiene gesichert werden soll. Diese Listen bzw. die hierin enthaltenen Maßnahmen haben unmittelbar Eingang in den Bundesverkehrswegeplan 2030 gefunden. Beispiel Schiene - Vom „Ypsilon“ zum „Optimierten Alpha-E mit Bremen“ Als zentrales Projekt ist die Schaffung von Kapazitäten im Raum Hannover - Bremen - Hamburg zu sehen. Die seit Jahren geplante und zwischenzeitlich raumordnerisch gesicherte und im Vordringlichen Bedarf des BVWP 92 aufgeführte Y-Trasse erfuhr über Jahre keinen Fortschritt bei Planung und Finanzierung. Die Y-Trasse war für den Hochgeschwindigkeitsverkehr in Nord-Süd-Richtung als Neubaustrecke vorgesehen und beinhaltete für den Verkehr in Richtung Bremen den Ausbau der sogenannten Amerika-Linie zwischen Visselhövede und Langwedel. Mit dem „Dialogforum Schiene Nord“ wurde ein neuer Weg beschritten, um Beteiligte und Betroffene der Region zur Findung einer machbaren Lösung einzubeziehen. Zwischen Februar und November 2015 wurde in insgesamt acht Foren mit jeweils knapp 100 Teilnehmern aus Kommunen, Verbänden, Bürgerinitiativen, Eisenbahnunternehmen, des Bundesverkehrsministeriums und der Länder Niedersachsen, Hamburg und Bremen eine Lösung zur Erweiterung der Kapazitäten im Schienenverkehr für den Raum Bremen-Hamburg-Hannover erarbeitet, die sowohl den Anforderungen des Bundes wie auch den im Dialogforum aufgestellten zusätzlichen Kriterien entspricht. Parallel dazu erfolgte ein umfangreicher Bürgerbeteiligungsprozess. Die im Dialogforum Schiene Nord aufgestellten Kriterien umfassten zum einen Anforderungen an die verkehrliche Wirkung. So war die Engpassproblematik der drei großen Knoten Hamburg, Bremen und Hannover immer im Fokus der Teilnehmenden, auch wenn die Y-Trasse oder eine Alternative zur Y-Trasse diese Knotenprobleme selbst nicht lösen, aber möglicherweise doch entlasten kann. Zum anderen wurden Kriterien, die die Umweltauswirkungen einschließlich Lärm umfassen, aufgestellt. Nach Anwendung der Kriterien zeichnete sich ab, dass vorrangig eine Ausbaulösung zu favorisieren sei. Die zu Beginn des Dialogprozess unter dem Namen Alpha eingebrachte Ausbaulösung konnte zunächst den Anforderungen des Bundes nicht entsprechen, aber wurde mit der Modifikation „E“ zu einem für alle aufgestellten Kriterien tauglichen Variante. Als Lösungsbeitrag wurde beim Dialogforum Schiene Nord in der finalen Sitzung am 5. November 2015 eine Empfehlung für die sogenannte „Alpha Variante E“ ausgesprochen. Konkret umfasste die Empfehlung für die Alpha Variante E folgende Maßnahmen: • Ausbau der Strecken Rotenburg - Verden und Lüneburg - Uelzen um jeweils ein Gleis • Elektrifizierung der eingleisigen Strecke Langwedel - Uelzen und der Bau von neun Kreuzungsbahnhöfen • Kreuzungsbahnhöfe auf den Strecken Nienburg - Minden • Blockverdichtung auf den Strecken Verden - Wunstorf (inkl. eines zusätzlichen Wendegleises in Nienburg) und Celle - Lehrte • Die Beseitigung aller Engpässe auf der Strecke Uelzen - Stendal - Magdeburg -Halle, um eine leistungsfähige Anbindung der Häfen an den sogenannten Ostkorridor zu gewährleisten. Die Empfehlung Alpha-E findet sich nun in den beiden BVWP-Projekten Optimiertes Alpha mit Bremen und Ausbaustrecke Uelzen - Stendal - Magdeburg - Halle (Ostkorridor Nord) wieder. Außerdem sind für die beiden Knoten Hamburg und Hannover eigenständige BVWP-Projekte benannt, wobei der Knoten Hannover zunächst in der zuvor unbekannten Kategorie Potenzieller Vordringlicher Bedarf aufgenommen wurde. Der Vergleich der im Dialogforums Schiene Nord gezeigten Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen hat deutlich gemacht, wie sehr die Bewertungsmethode des BVWP auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr ausgerichtet ist. Die im Dialogforum Schiene Nord diskutierten Varianten - einschließlich Y-Trasse - erzeugen nur dann einen sehr großen Nutzen, wenn sie zu Fahrzeitverkürzungen im Fernverkehr führen. Ein groß angelegter Beteiligungsprozess, der eine Lösung für alle Ansprüche im Güterverkehr, im Personenfern- und Personennahverkehr erarbeiten soll, wird durch diese methodische Prämisse erschwert. Es ist schwer zu vermitteln, dass mit der Begründung der Bedarfe für den Hafenhinterlandverkehr eine Kapazitätserweiterung initiiert wird und zugleich nur eine Verkehrsart - nämlich der Personenfernverkehr - zu einer ausreichenden Wirtschaftlichkeit beitragen kann. Die im Nachgang zum Dialogforum Schiene Nord erfolgte Optimierung des Alpha-E sieht dementsprechend auch u.a. folgende zusätzliche Teilmaßnahmen im BVWP vor: • ABS Ashausen - Uelzen - Celle, (ggf. mit zusätzlichen fahrplanbasierten Maßnahmen zur Kapazitätserweiterung und Ortsumfahrungen) • ABS Celle - Hannover-Vinnhorst Außerdem wurde Bremen in das Alpha- Projekt einbezogen. Es gibt für diesen Knoten kein eigenständiges BVWP-Projekt . Die Teilmaßnahmen hierzu sind: • Blockverdichtung Stubben - Bremerhaven-Wulsdorf - Bremerhaven-Speckenbüttel • Drittes Gleis Langwedel - Bremen-Sebaldsbrück u. Bremen Rbf - Bremen-Burg Mit dieser Ergänzung deckt das BVWP- Projekt weitgehend die entsprechende Anmeldung Bremens für den BVWP 2030 ab. Hierdurch werden zusätzliche Kapazitäten geschaffen, die einen störungsfreieren Betriebsablauf für den Güterverkehr und den ÖPNV unterstützen. Das Dialogforum Schiene Nord ist nicht nur eine neue Erfahrung, wie in einem überschaubaren Zeitraum von einem Dreivierteljahr und einer sehr großen Zahl Mitwirkender innerhalb und außerhalb des Dialogforums eine informelle Beteiligung aussehen kann. Als weiteres Ergebnis des Dialogforums ist neben der Empfehlung für die Alpha-E-Lösung die Formulierung von Forderungen zu beachten. Ein Großteil der Teilnehmenden im Dialogforum Schiene Nord hatte ein Abschlussdokument erstellt, das im Nachgang von weiteren Kommunen mitgezeichnet wurde. Darin fordern die Unterzeichner u.a. ausreichende verkehrliche Wirkung der Maßnahme, Lärmschutz über das bisherige Maß hinaus, Entlastung der Kommunen, Unterstützung für einen Projektbeirat. Die Einbeziehung und der Umgang mit diesen Forderungen ist für alle Beteiligten Neuland. Bei einigen Aspekten, wie z. B. der Realisierung eines übergesetzlichen Lärmschutzes an Ausbaustrecken konnte inzwischen ein gangbarer Weg gefunden werden. Der Projektbeirat wird vom Land Niedersachsen unterstützt. Bei einigen Forderungen gibt es noch Entwicklungsbedarf, wie eine Einbeziehung aussehen könnte. Über die im Vordringlichen Bedarf oder zunächst im Potenziellen Vordringlichen Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 15 Infrastruktur POLITIK Bedarf aufgenommenen Projekte hinaus sind auch einige Vorschläge der Länder nicht aufgenommen worden. Es wurde auch kein Gebrauch von der Dringlichkeitskategorie Weiterer Bedarf gemacht. Somit ist diese Kategorie Weiterer Bedarf im BVWP 2030 für die Schieneninfrastruktur faktisch bedauerlicherweise weggefallen. Für die weitere Entwicklung des Schienennetzes ist dieser Wegfall sehr hinderlich, da für künftig erwartbare Entwicklungen kein Entwicklungsvorrat geschaffen werden kann. Hierdurch wird Infrastrukturausbau künftig verlangsamt statt beschleunigt. Weitere BVWP-Projekte im Norden Neben der Ausbauvariante „Optimiertes Alpha-E mit Bremen“ werden derzeit weitere Großprojekte im Norden sichtbar in Angriff genommen. Für den Knoten Hamburg wird die vorhandene Knotenstudie mit aktuellen Prämissen angepasst. Ebenso werden für den Knoten Hannover über eine Knotenstudie Handlungsmaßnahmen abgeleitet. Dem Ausbau Uelzen - Stendal liegen keine nachvollziehbaren Hindernisse für eine umgehende Nutzung des bestehenden Baurechts im Weg. Sollten die zunächst im Potenziellen Vordringlichen Bedarf aufgeführten Projekte wie z.B. die Elektrifizierungen Stade - Cuxhaven oder Bremerhaven - Bremervörde - Rotenburg noch in den Vordringlichen Bedarf aufsteigen, dann würde das nicht nur zur Engpassbeseitigung beitragen, sondern es könnte hierdurch die Anbindung der Häfen und eine größere Zuverlässigkeit im Schienennetz erreicht werden. Die Anerkennung der stark wachsenden Schienenverkehre bei Bund und Bahn sowie die sich hieraus ableitende Notwendigkeit zusätzlicher Schienenkapazitäten führen derzeit zu verstärkten Planungsaktivitäten im Norden. Dabei ist es wichtig, nicht nur die prognostizierten Verkehrszuwächse auf die Schiene zu bringen, sondern auch die notwendigen Kapazitäten zu berücksichtigen, um bereits bestehende Verkehre verstärkt auf umweltfreundliche Verkehrsträger verlagern zu können. Auch die Konzentration auf zeitnah realisierbare Maßnahmen ist wichtig. Durch den modularen Aufbau des “Optimierten Alpha-E mit Bremen“ ergibt sich die Möglichkeit einer schrittweisen und zeitnahen Realisierung und Inbetriebnahme. Damit können bereits relativ kurzfristig dringend benötigte zusätzliche Kapazitäten für die schnell gewachsenen Seehafenhinterlandverkehre geschaffen werden. Um auf kleinere Änderungen bei der Entwicklung im Hafenhinterland reagieren zu können, wäre eine Sammelposition „Hafenhinterland“ wünschenswert gewesen. In der Praxis kann möglicherweise das BVWP- Projekt 2-999-V99 „Weitere Streckenmaßnahmen“ genutzt werden, das als Sammelposition, also als Projekt, dessen Maßnahmen direkt bei Bedarf bewertet werden, definiert ist, und bislang nur eine Maßnahme, den Ausbau eines definierten Netzes für 740-m lange Züge enthält. Innovationen beim Bundesverkehrswegeplan Neben dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur kommt der intensiveren Nutzung bestehender Strukturen eine zunehmende Bedeutung zu. Dies liegt zum einen daran, dass Aus- und Neubauten lange und zum Teil extrem aufwändige Verfahren voraussetzen und insofern zusätzliche Kapazitäten infrastrukturell nur sehr schwer herzustellen sind. Zum anderen bieten aber auch die Möglichkeiten der Automatisierung und Digitalisierung Chancen, die vorhandene Infrastruktur insgesamt effizienter zu nutzen. Im Bereich der Straße sind hierzu die Testfelder für automatisiertes und autonomes Fahren in Bayern und Niedersachsen zu nennen und im Bereich der Schiene Testcenter oder auch Projekte wie Range-E mit der Zielrichtung des autonomen Rangierens auf der Bremischen Hafeneisenbahn. Gerade im Schienen- Hinterlandverkehr bestehen durch eine Beschleunigung von Prozessen noch erhebliche Kapazitätsreserven, die es zu heben gilt. Die Ablösung der bisherigen Leit- und Sicherheitstechnik ist als Beitrag des Schienenverkehrs für die Digitalisierung ungenügend, da im ersten Schritt keine Leistungserhöhung zu erwarten ist, die nicht auch durch die bestehende Leit- und Sicherungstechnik umsetzbar ist. Es hat in Deutschland bereits mehrere Anläufe gegeben, das Europäische System ETCS (European Train Control System) einzuführen. Der BVWP hätte als gutes Hilfsmittel für die Einführung von ETCS genutzt werden können, um verkehrstelematische und Ausbaumaßnahmen ergänzend einzusetzen, wie es beim Straßennetz zunächst vorgesehen war. Während es zu besonderen Vorhaben wie einem definierten Netz für 740 m lange Züge oder für die Vorbereitung eines Deutschlandtaktes im Personenverkehr eigenständige BVWP-Projektansätze gibt, findet die Einführung von ETCS außerhalb dieses Rahmenplans statt, obwohl diese Einführung genau mit Kapazitätssteigerungen begründet wird. Gleichwohl werden Aus- und Neubaumaßnahmen im Schienennetz oft gleich mit ETCS geplant - unabhängig von der konkreten kapazitätssteigernden Wirkung. Sofern auf eine Rückfallebene verzichtet wird, hat diese Technologieeinführung weitreichende Folgen für die Fahrzeugseite. Außerdem werden die Kosten für die BV- WP-Projekte erhöht, ohne auf der Nutzenseite neue entsprechende Beiträge zu liefern. Projekte mit einem nahe bei 1 liegenden Nutzen-Kosten-Verhältnis werden so in Bedrängnis gebracht. Es ist noch zu klären, wie mit den Auswirkungen möglicher Kapazitätssteigerungen durch ETCS im Hinblick auf den Lärmschutz umgegangen wird, auch wenn der Wechsel der Sicherungstechnologie keine relevante Ausbaumaßnahme darstellt. Daher sollten die Kosten für ETCS einem Ausbauprojekt nur dann zugeordnet werden, wenn hierdurch Kapazitätssteigerung erfolgen und entsprechende Lärmschutzmaßnahmen mit in das Projekt einbezogen werden können. Fazit Die Umsetzung der für die Anbindung der deutschen Seehäfen wichtigen Projekte im Vordringlichen Bedarf und im Potenziellen Vordringlichen Bedarf wird dazu führen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen bis 2030 durch mangelnde Kapazitäten für die Hinterlandanbindungen nicht eingeschränkt wird. Allerdings wird die Umsetzung der Knotenprojekte noch Fragen aufwerfen, wie das Zusammenwirken von Schienengüter- und Schienenpersonenverkehr in den großen Ballungszentren gelöst werden soll. Wichtig ist es nun, den BVWP 2030 umzusetzen und alle Ansätze aus dem Dialogforum Schiene Nord konstruktiv weiterzuentwickeln und anzuwenden. Gut wäre eine Perspektive über die Projekte des Vordringlichen Bedarfs hinaus, indem die Dringlichkeitskategorie Weiterer Bedarf ebenfalls genutzt wird. Außerdem sind Optionen zu entwickeln, wie eine bessere Vorratsplanung durch Bund, Länder, DB oder andere ermöglicht wird. ■ LITERATUR [1] Carla Eickmann, Iven Krämer: Bundesverkehrswegeplan 2015 - die Chance nutzen. In: Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014, S. 22-25 [2] BVU Wirtschaft+Verkehr: Dialogforum Schiene Nord - Lösungsmöglichkeiten für die Engpässe der Schieneninfrastruktur im Raum Hamburg - Bremen - Hannover, Forumssitzung am 25.05.2015, www.dialogforum-schiene-nord.de Carla Eickmann, Dr. Stellv. Leiterin Referat für Verkehrspolitik, Mobilität, Logistik im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung" Hannover carla.eickmann@mw.niedersachsen.de Iven Krämer Leiter Referat 31 - Hafenwirtschaft und Schifffahrt beim Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, Bremen iven.kraemer@wah.bremen.de Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 16 Wirkungsweise der BahnCard aus Kunden- und Unternehmenssicht Die BahnCard als wirtschaftliches Instrumentarium für Reisende und Bahnunternehmen BahnCard, Verkehrsmittelwahl, Intermodaler Wettbewerb, Preiswahrnehmung Die Wirkungsweise der BahnCard wird seit langem über einen Sunk Cost-Effekt erklärt: Kunden investieren in die Karte. Die Kartengebühren sind „verloren“, folglich ist nur der abgesenkte Ticketpreis für die Verkehrsmittelwahl entscheidungsrelevant. Die Bahn erreicht damit das Niveau der variablen Kosten des PKW und wird wettbewerbsfähig. Empirisch lässt sich die These allerdings nicht bestätigen. Offensichtlich greifen andere Mechanismen wie Precommitment, Vereinfachungsprozesse und die Affinität zur Bahn bzw. der Wunsch, die Bahn in Zukunft stärker zu nutzen. Andreas Krämer D er Besitz der BahnCard führt zu einer veränderten Verkehrsmittelwahl zugunsten der Bahn. Sie ist vorteilhaft für den Kunden - je mehr Bahnreisen getätigt werden, desto größer ist die Ersparnis durch die BahnCard - und für die Bahnunternehmen - je mehr zusätzliche Bahnreisen getätigt werden, desto eher wird der Rabatt durch die Karte ökonomisch gerechtfertigt. Bahn im Wettbewerb mit anderen Verkehrsmitteln Noch vor etwa drei Jahren sahen die Perspektiven für den DB Fernverkehr eher düster aus [1]. Auf längeren Strecken verstärkte sich der Wettbewerb bei Airlines, nachdem Ryanair eine neue Preisoffensive ankündigte und gleichzeitig die angeschlagene Air- Berlin sich dem Preiswettbewerb nicht entziehen konnte. Auf mittleren Strecken führte die Liberalisierung des Marktes für Reisen mit dem Fernlinienbus erst zu einem starken Kapazitätswachstum, dann zu einem Preiskrieg (zu Zeiten des intensivsten Preiskampfes waren Preise pro km von weniger als 1 Cent möglich) und in 2016 zu einer Marktbereinigung mit anschließender Monopolsituation [2]. Gleichzeitig veränderten sich die Rahmenbedingungen bei PKW-Reisen auch teilweise negativ zu Lasten der Bahn (stark gesunkene Kraftstoffpreise, BlaBlaCar als neuer Konkurrent für Mitfahrgelegenheiten [3]). Konsequenz für die DB war in den Folgejahren ein relativer und absoluter Nachfrageverlust. Seit 2017 ergeben sich jedoch teilweise massive Nachfragezuwächse für das Bahnsystem. So weist die Prognose des BAG für die Bahn im Linienfernverkehr bis 2021 eine steigende Nachfrage auf 161 Mio. Fahrten aus (ein Zuwachs von 23 % ggü. 2015). Gleichzeitig wird für den Fernlinienbus eine- konstante bis rückläufige Nachfrage (23- Mio. Fahrten in 2021) erwartet [4]. Die Fahrkartenkauf im DB Reisezentrum Foto: JET Foto/ Kranert/ Deutsche Bahn AG POLITIK Intermodalität Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 17 Intermodalität POLITIK Zahl der Reisenden im Fernverkehr ist in den ersten sechs Monaten 2018 um 3,8 % ggü. Vorjahr gewachsen, bedingt durch Angebotsveränderungen sowie eine angepasste Preispolitik und stärkere Vermarktung der BahnCard. So kommunizierte die Deutsche Bahn im Fernverkehr in 2015 erstmals Sparpreise ab 19 EUR als Aktionsangebot, ab August 2018 gehören Super Sparpreise ab 19,90 EUR zum Regelangebot. Gleichzeitig erreicht die BahnCard einen Rekordwert im Bestand von ca. 5,3 Mio. Stück. BahnCard: Starke Polarisierung in-der Bewertung Am 4. Dezember 2014 sah es kurz so aus, als wollte die Deutsche Bahn ihr wichtigstes Kundenbindungs-Instrumentarium, die BahnCard, abschaffen. Nachdem zu frühen Morgenstunden per Twitter die Meldung „BahnCard soll abgeschafft werden“ verbreitet wurde, entwickelte sich eine aufgeheizte Diskussion. Später beschreibt dies DIE ZEIT wie folgt: „Den Bahnfahrern die BahnCard wegzunehmen, so schien es, ist etwa so schlimm, wie den Autofahrern die freie Fahrt auf Autobahnen zu verbieten. Ein nationaler Statusverlust“ [5]. Das Dementi der Deutschen Bahn folgte umgehend. Dies ist nur ein Beispiel für die ambivalente Bewertung der BahnCard, die in Deutschland 1992 eingeführt wurde. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend die Wirkungsweise der BahnCard (am Beispiel vorrangig der BahnCard 50) untersucht, und zwar einerseits aus Sicht der Kunden, anderseits aus Sicht des Bahnunternehmens. Die Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl durch den Besitz der BahnCard Entscheidung unter Unsicherheit: Wann ist der Break-even erreicht? Für den Bahnreisenden ergibt sich durch den Kauf der Rabattkarte die Möglichkeit, Planbarkeit in Bezug auf den erreichbaren Rabatt zu erhalten (50 % Rabatt auf den Flexpreis bei der BahnCard 50). Sofern der Flexpreis eine bekannte Größe darstellt, bedeutet dies für den Kunden Planungssicherheit in Bezug auf den Endpreis des Tickets, nicht jedoch zwingend auf die Gesamtausgaben für Bahnreisen [6]. Bei isolierter Entscheidung bezüglich der BahnCard 50 ist abschätzbar, dass der Breakeven der Karte bei etwa 510 EUR Umsatz im Flexpreis erreicht ist (2. Klasse). In diesem Fall sind die Ausgaben mit BahnCard 50 (255-EUR für die Karte und 255 EUR für Tickets) so hoch wie die Ausgaben für nicht rabattierte Tickets im Flexpreis (510 EUR). Bei einem angenommenen Preis pro km von 0,20 EUR (Flexpreis 2. Klasse) ist dieser Punkt bei 2550 km erreicht (oder bei Annahme einer mittleren Entfernung von 350 km einfache Strecke bei ca. 3,6 Reisen). In der Realität wird die Berechnung des Breakeven nicht nur dadurch erschwert, dass faktisch statt linearer Kilometerpreise für den DB Fernverkehr Relationspreise vorliegen, sondern auch dass durch die Einbeziehung der BahnCard 25 als Alternative zur Bahn- Card 50 der Break-even quasi nach rechts verschoben, also später erreicht wird als in der isolierten Betrachtung von Flexpreis ohne BahnCard 50 vs. Besitz der BahnCard 50 und 50 % Rabatt auf den Flexpreis, wie in Bild 1 links dargestellt [7]. Kostenwahrnehmung und Evoked-Set Durch den Besitz der BahnCard besteht für den Bahnkunden der Anreiz, Fahrten anderer Verkehrsmittel auf die Bahn zu verlagern. Dies formuliert Tacke wie folgt: „…-Der Kartenpreis gilt als „sunk costs“ - die sind weg. Sie fließen nicht mehr in die Entscheidung des Kunden ein, ob er mit der Bahn oder dem Auto fährt. ... Bei jeder dieser Entscheidungen legt er den 50-Prozent-Rabatt zugrunde.“ [8]. Der Erfolg der Bahn wird demzufolge damit erklärt, dass die Bahn- Card die Kostenstruktur des Autos nachahmt [9]. Die dann wahrgenommen Preise (50 % des Flexpreises im Falle der Bahn- Card 50) liegen auf Höhe der variablen Kosten der PKW-Nutzung oder darunter. Tatsächlich lässt sich dieses Verbraucherverhalten „aus dem Lehrbuch“ empirisch nicht belegen, im Gegenteil: Sowohl die Besitzer der BahnCard 50 beziehen nicht nur die reduzierten Ticketpreise in ihre Entscheidung und Preisbeurteilung mit ein, auch bei den PKW-Nutzern ist dies hinsichtlich der variablen Kosten der Fall [10]. Fixe und quasi-fixen Kosten werden aus Sicht der Entscheider zum Teil in die Verkehrsmittelwahl und Kostenwahrnehmung mit einbezogen. Bereits in einer früheren Untersuchung konnte festgestellt werden, dass die aus Verbrauchersicht angesetzten Kosten für die Nutzung des eigenen PKW etwa 17 bis Bild 1: Break-even-Betrachtung zur BahnCard 50 Bild 2: Entscheidung für die Bahn oder für das Auto POLITIK Intermodalität Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 18 20-Cent pro km betragen (auch bei Besitzern der BahnCard) und damit deutlich über die reinen variablen Kosten der Nutzung hinausgehen [11]. In einer erneuten Messung wurde dies in 2018 noch einmal bestätigt. Offensichtlich greifen andere Mechanismen wie Precommitment, Vereinfachungsprozesse und die Affinität zur Bahn bzw. der Wunsch, die Bahn in Zukunft stärker zu nutzen, die rational begründbar sind oder eher nicht-rationale Faktoren wie die Überschätzung des eigenen Reisevolumens und der Wunsch, nicht den vollen Flexpreis zahlen zu müssen [12]. Die Entstehung von Mehrverkehr Der Besitz der BahnCard führt dazu, dass die Verkehrsmittelwahl vereinfacht wird. So nimmt die Anzahl der wahrgenommenen Alternativen zur Bahn deutlich ab, d. h. es folgt eine stärkere Fokussierung auf die Bahn als Verkehrsmittel. Diese Nachfrageverlagerung führt wiederum zu einem höheren Bahn-Modalanteil. Je mehr Reisen der BahnCard-Besitzer zur Bahn verlagert, desto eher wird der Break-even der Bahn- Card erreicht und überschritten. In diesem Fall steigt die effektive Rabattierung des Bahn-Flexpreises mit jeder Bahnreise. Im Endeffekt tätigt der BahnCard-Besitzer somit deutlich mehr Reisen mit der Bahn als in einer Situation ohne BahnCard-Angebot, allerdings zu einem deutlich abgesenkten Preis. Durch die Rabattierung des Flexpreises liegt der Ticketpreis im Falle der Bahn- Card 50 bei etwa 10- Cent pro km und erreicht damit ein Niveau, bei dem die Verbraucher Bahnreisen als preisgünstig empfinden. Selbst wenn die Kartengebühren anteilig einbezogen werden, erscheint die Bahnreise kostengünstiger als der PKW (vgl. Bild 2). Dabei sind andere Nutzenelemente wie die bessere Verwendung der Reisezeit und Komfortaspekte noch nicht berücksichtigt. Die so erzeugte zusätzliche Nachfrage (Mehrverkehr) kann im Falle der BahnCard 50 zwischen 30 und 35 % des Bahnreisevolumens liegen. Entsprechende Quoten wurden in der Studie MobilitätsTRENDS 2018 nicht nur für die BahnCard 50 sondern auch für die „Schwester-Produkte“ der ÖBB (Vorteilscard) und der SBB (Halbtax-Abonnement) gemessen. Die Unternehmenssicht: Loyalität der Kunden, Einnahmensicherung und Grundauslastung Die BahnCard 50 im Expertenstreit Die Wirkungsweise des Instrumentariums BahnCard entpuppt sich damit als komplexer und vielschichtiger als allgemein angenommen. Gleichzeitig zeigt sich eine starke Polarisierung in der Beurteilung. Besonders deutlich wurde dies, als im Nachgang zur vermeintlichen Abschaffung der BahnCard im Dezember 2014 in der Wochenzeitung DIE ZEIT (v. 22. 1.2015) eine Experten-Diskussion dazu ins Leben gerufen wurde. Darin wurde einerseits die BahnCard 50 als „ziemlich cleveres“ Instrumentarium (Tacke) beschrieben, welches den Kunden einen effektiven Rabatt von 30 % gewährt (wenn die Kosten der Karte in die Berechnung einbezogen werden), während der Kunde in der Verkehrsmittelwahl einen 50-prozentigen Rabatt auf den Normalpreis wahrnimmt. Die konträre Sicht folgte sogleich: „Das gegenwärtige Preissystem ist das dümmste, das es gibt“ lautete die Gegenthese (Ilgmann). Ein Argument gegen die BahnCard: Wenn das Unternehmen Zahlungsbereitschaften der Kunden ungenutzt lässt, weil überproportional hohe Rabatte an die Kunden ausgeschüttet werden, kann möglicherweise keine ausreichende Rendite erzielt werden. In diesem Kontext erscheint die BahnCard 50 besonders problematisch. Sie steht z. B. im Widerspruch zur Zielsetzung der Deutschen Bahn, Nachfrage zu „steuern“ und gleichmäßiger auf die Kapazität zu verteilen, dadurch Auslastungsspitzen zu vermeiden und gleichzeitig den Komfort für die Reisenden zu erhöhen. Hoher Grundnutzen für Heavy-User = nicht ausgeschöpfte Zahlungsbereitschaften Gerade für Vielreisendende bestehen gute Möglichkeiten, das individuelle Budget für Reisen deutlich zu reduzieren. Die nichtlineare Preisbildung (Jahresgebühr plus abgesenkter km-Preis) begünstigt Personen mit einem planbaren hohen Reisevolumen. Bei Zugrundelegung einer Bahnnutzung von ca. 12 000 km (20 Reisen mit je 300 km einfache Entfernung, km-Preis ca. 20 ct.) würden sich bei Nutzung des Flexpreises Kosten von ca. 2400 EUR p.a. ergeben. Mit Kauf der Bahn- Card 50 (Jahresgebühr 2.- Klasse: 255 EUR) sinken die Ausgaben bei sonst gleichen Umständen auf 1455 EUR, d. h. um 40 %. Dies ist für das Bahnunternehmen solange wirtschaftlich, wie mit der Nutzung der BahnCard 50 ein entsprechender Mehrverkehr verbunden ist. Reicht dieser nicht aus, kann die Wirtschaftlichkeit des Rabattinstruments für das Unternehmen leicht negativ werden. Je höher demzufolge die Rabattierung des Flexpreises ist, desto höher ist auch das wirtschaftliche Risiko für das Unternehmen. Ein weiterer Nachteil ist aus Sicht der Deutschen Bahn mit der BahnCard 50 verbunden: Den Möglichkeiten, Nachfrage durch ein dynamisches Pricing zu steuern, sind bei einem großen BahnCard 50-Bestand Grenzen gesetzt (vgl. Bild 3). Ausblick - Die BahnCard als Wettbewerbsinstrumentarium Vor diesem Hintergrund erscheint eine Kombination der BahnCard- und der Sparpreis-Rabattierung nicht nur für die Kunden, sondern auch für das Unternehmen interessant: • Die Deutsche Bahn bietet bereits seit 2002 eine BahnCard 25 an, die zwar nur den „halben“ Rabatt auf Flexpreise gewährt, allerdings die Verknüpfung der Rabattierung mit dem Sparpreis ermöglicht. Gleichzeitig wurde die BahnCard Verstärkung der Kundenloyalität / Basis für CRM und kundenbezogene Daten Erhöhung des Modalanteils durch zusätzliche Bahnreisen Steigerung des Kundendeckungsbeitrags (Lifetime-Value) Planbarer Rabatt und Sicherstellung eines attraktiven Preisniveaus Vereinfachung der Entscheidungsfindung in der Verkehrsmittelwahl (geringe Suchkosten) Individuelle Budgetentlastung für Mobilität Hohe Flexpreis-Rabattierung Systemkosten und unternehmerisches Risiko Beschränkte Möglichkeiten zur Nachfragesteuerung (volle Flexibilität zum reduzierten Preis) Ausgaben für die Rabattkarte zeitlich vorgeschaltet zur Inanspruchnahme der Rabattleistung Unsicherheit bezüglich der effektiven Rabattierung (Intransparenz zum Reisevolumen p.a.) Aus Sicht des Bahnunternehmens Aus Sicht des Bahnkunden Entscheidung unter Unsicherheit / Ökonomisch vorteilhaft, sobald der Break-even überschritten wird Positive Einnahmenwirkungen nur bei ausreichendem Mehrverkehr / Erhöhung Grundauslastung Bild 3: Bewertung des Instrumentariums BahnCard 50 aus Sicht der Bahnkunden und des Bahnunternehmens Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 19 Intermodalität POLITIK 50 abgeschafft, aber aufgrund des öffentlichen und politischen Drucks später zu einem deutlich höheren Preis Mitte 2003 wieder eingeführt. • Der abgesenkte Kartenpreis der Bahn- Card 25 führt zu einem vergleichsweise niedrigen Break-even. Damit werden Personen angesprochen, die deutlich weniger Bahnreisen unternehmen als Besitzer der BahnCard 50. Durch Vermarktungsaktionen werden diese Effekte noch verstärkt. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist die Jubiläums-Bahn- Card 25, die im Oktober 2017 zum Preis von 25 EUR (2. Klasse) angeboten wurde (Gültigkeit 12 Monate). Für das Alterssegment unter 27 Jahren wird mit der My BahnCard ebenfalls eine stark ermäßigte Karte (My BahnCard 25 für 39 EUR und My BahnCard 50 für 69 EUR p. a.) angeboten (vgl. Bild 1). • Das Volumen an Sparpreis-Fahrten wurde in den letzten Jahren stark erhöht, nicht zuletzt, weil die zuggebundenen Tickets immer kundenfreundlicher gestaltet wurden. Gleichzeitig steigt die Effizienz und die Effektivität des Erlösmanagements im DB Fernverkehr an [13]. • Durch die seit August 2018 eingeführten Super Sparpreise wird der von der DB eingeschlagene Weg weiter ausgebaut. Die Kombination des Preises ab 19,90- EUR pro Strecke führt bei Bahn- Card-Besitz zu einem effektiven Preis von weniger als 15 EUR und wird damit bereits auf mittleren Strecken nicht nur sehr wettbewerbsfähig gegenüber dem PKW (wahrgenommene Kosten bei 300-km ca. 50 EUR, Kraftstoffkosten von 25 bis 30 EUR), sondern auch gegenüber dem Fernlinienbus (Flixbus) und Mitfahrgelegenheiten (BlaBlaCar). • Für die BahnCard besteht ein erhebliches unausgeschöpftes Absatzpotenzial. Zu dieser Erkenntnis kommt man nicht nur, wenn die BahnCard-Durchdringung in Deutschland mit der in Österreich (VorteilsCard) und der Schweiz (Halb- Tax-Abonnement) verglichen wird. Auch die Ergebnisse der eigenen Studie MobilitätTRENDS belegen dies (Bild 4): Personen ohne BahnCard-Besitz wurden dabei gefragt, ob der Kauf einer BahnCard 25 für sie in Frage kommt. Etwa jeder zehnte Befragte in Deutschland verfügt über ein Kaufpotenzial und nennt einen Maximal-Preis für die BahnCard 25. Abschließend soll auf zwei wichtige Facetten zum Verständnis der Wirkungsweise der BahnCard hingewiesen werden. Der erste Aspekt betrifft die Rationalität der Bahn- Card-Entscheidung. Zwar wird vielfach darauf hingewiesen, dass Wahrnehmungsverzerrungen für die Verbraucherentscheidung von nicht-linearen Preismodellen verantwortlich sind [14]. Die Kunden entscheiden sich für einen Tarif, der nicht optimal für sie ist. Der Nachweis, dass sich die BahnCard- Besitzer überwiegend für die falsche Karte entscheiden [7], konnte nicht zweifelsfrei erbracht werden [15]. Die Entscheidung zugunsten der BahnCard kann auch rational begründet sein. Selbst, wenn Unsicherheit bezüglich der konkret geplanten Reisen der kommenden zwölf Monate besteht, kann die Festlegung auf das Verkehrsmittel Bahn in Verbindung mit dem Kauf einer Bahn- Card durchaus rational sein. Die zweite Facette betrifft den Zusammenhang zwischen Preis- und Kundenbeziehungsmanagement. Es kann durchaus wirtschaftlich sinnvoll sein, auf eine kurzfristige Ausschöpfung der Zahlungsbereitschaften der Kunden zu verzichten (z.B. bei Vielfahrern mit BahnCard 50), wenn mittelbis langfristig durch eine stärkere Kundenhaltbarkeit und -loyalität der Customer Lifetime Value erhöht wird. ■ LITERATUR [1] Krämer, A. (2016): Zukunft Bahnpersonenverkehr: Wie wettbewerbsfähig ist das deutsche Bahnsystem unter veränderten Konkurrenzbedingungen? ZEVrail 140 (4), S. 138-145. [2] Krämer A., Wilger G., Bongaerts, R. (2017): Fernlinienbusse - eine Erfolgsgeschichte? ! Marktbedingungen - Geschäftsmodelle - Entwicklungsperspektiven, KSV Verlag, Köln. [3] Krämer, A., Bongaerts, R. (2017): Wie Digitalisierung die Wettbewerbsposition der Bahn verändert. Internationales Verkehrswesen, 69(2), Feb. 2017, S. 26-30. [4] BAG (2017): Kurzfristprognose Herbst 2017/ 18 Gleitende Mittelfristprognose für den Güter- und Personenverkehr des Bundesamtes für Güterverkehr, erscheinen am 19.09.2017, Download unter https: / / www.bag.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Verkehrsprognose/ verkehrsprognose_Winter_2017_2018.pdf? __blob=publicationFile [5] Bund, K. (2015): Im Land der leeren Züge. DIE ZEIT online v. 22.1.2015. [6] Ding, L., Xin, C., & Chen, J. (2005): A risk-reward com-petitive analysis of the Bahncard problem. In International Conference on Algorithmic Applications in Management (pp. 37-45). Springer, Berlin, Heidelberg. [7] Schmale, H., Ehrmann, T., & Dilger, A. (2013): Buying without using-biases of German BahnCard buyers. Applied Economics, 45(7), S. 933-941. [8] Tacke, G. (2015): „Durch Zwei teilen kann jeder“. Interview in der TAZ, 13.3.2015. Download unter http: / / www.taz.de/ ! 5017032/ [9] Simon, H., & Butscher, S. A. (2001): Individualised pricing: boosting profitability with the higher art of power pricing. European Management Journal, 19(2), S. 109-114. [10] Krämer, A. (2017): Demystifying the „Sunk Cost Fallacy“: When Considering Fixed Costs in Decision-Making Is Reasonable, Journal of Research in Marketing, Vol. 7, Heft 1/ 2017, S. 510-517. [11] Krämer, A. (2016): Kostenwahrnehmung bei PKW-Reisen - Empirische Analyse zur Schätzung der PKW-Kosten und der wahrgenommenen Kostenkomponenten bei Autofahrern im DACH-Gebiet. Internationales Verkehrswesen, 68 (4), 2016, S. 16-19. [12] DellaVigna, S., & Malmendier, U. (2006): Paying not to go to the gym. American Economic Review, 96(3), S. 694-719. [13] Krämer, A., Hercher, J. (2016): MobilitätsTRENDS 2016 - Sparpreise: Wirkungsvolles Instrument der Bahn im Wettbewerb Bonn, Dezember 2016. Verfügbar unter https: / / www.rogator.de/ files/ content/ Unternehmen/ Studie/ exeo_MobilitätsTRENDS_Sparangebote%20 der%20Bahnen_im_D-A-CH-Gebiet.pdf [14] Lambrecht, A., & Skiera, B. (2006): Paying too much and being happy about it: Existence, causes, and consequences of tariff-choice biases. Journal of Marketing Research, 43(2), S. 212-223. [15] Krämer, A. (2015): Rabatt- und Kundenbindungskarten im Personenverkehr - Eine länderübergreifende Analyse zu den Bahn-Rabattkarten in der DACH-Region. ZEVrail, 139(9), September 2015, S.-341-347. Andreas Krämer, Prof. Dr. Vorstandsvorsitzender der exeo Strategic Consulting AG, Bonn; Professor für Pricing und Customer Value Management/ CRM an der University of Applied Sciences Europe, Fachbereich BiTS, Iserlohn andreas.kraemer@exeo-consulting.com Bild 4: Kaufpotenzial und Preisbereitschaft für die BahnCard 25 Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 20 Güterbahn nicht an die Wand-fahren! Die Bahn wäre die optimale Güterverkehrs-Alternative für-die-E-Mobility Gütereisenbahn, Straßengüterverkehr, Deregulierung, Marktanteile Die Güterbahn fährt mit 120 km/ h Höchstgeschwindigkeit, der LKW mit 80 km/ h. Und die Güterbahn kann, auf den Laufmeter bezogen, bis zum doppelten Volumen und bis zur dreifachen Nutzlast befördern. Dennoch gehen die Marktanteile trotz vieler Förderungen in Europa zurück. Das hat verschiedene Gründe - und kann zum Problem werden. Bernd H. Kortschak N ur die elektrifizierte Eisenbahn kommt seit ihrer Erfindung ohne aufwändige und die Energie- und Schadstoffbilanz verschlechternde Speicher aus. Doch die Marktanteile gehen trotz vieler Förderungen in Europa zurück. Zuletzt protestierten Abgeordnete des Europäischen Parlaments 1992 gegen die Verschlechterung der Terms of Trade zulasten der Eisenbahn infolge der Richtlinie 440/ 91. 1 Die Richtlinie 440/ 91 EWG und die-Folgen War bis dahin der Straßengüterverkehr infolge der Grenzkontrollen mit dem Bahngüterverkehr infolge der Zugbildung in etwa mit der gleichen Durchschnittsgeschwindigkeit von 18 km/ h unterwegs, so brachte die nationalstaatliche Deregulierung des Straßengüterverkehrs ein Ansteigen der Fahrleistungen von 100 000 bis 140 000 km p. a. auf 350 000 km - bei ganzen 150 Leer- Kilometern - während der Einzelwagenverkehr bei maximal 15 000 km p. a. verharrte. Die gestiegene LKW-Fahrleistung mündete binnen dreier Monate nach der Deregulierung 1995 in einen Preissturz von 3 DEM/ km auf 1,30 bis 1,40 DEM/ km. Fatal für die Gütereisenbahn-Verkehrsunternehmen (EVU) wirkte sich ferner aus, dass der Vor- und Nachlauf vom Deckungsbeitragsbringer zum Kostentreiber mutierte, weil die den Hauptlauf leistenden EVU die Vor- und Nachlauf betreibenden Unternehmen für die verhinderte Stückkostendegression in der langen Strecke entschädigen mussten. Ihr Erlösanteil fiel auf bis zu 10 % gegenüber dem Vor-Deregulierungswert. Die Umwandlung von DB und DR zur Deutschen Bahn AG 1994 unterwarf nicht nur die Absatzgesellschaften, sondern auch die Infrastrukturgesellschaft DB Netze AG unter die Bilanzierungszwänge. Dies führte bereits in den 1990er Jahren zum Beschluss, etwa 60 % der Weichen und ca. 30 Überholgleise auf der Bestandsstrecke zwischen Göttingen und Fulda auszubauen. 2 Die neuen „Dritten EVU“ fühlten sich nicht nur durch diese Rückbaumaßnahmen diskriminiert. Sie beklagten technischrechtliche Hürden in ihrer Entfaltung. Das hatte zur Folge, dass sie sich in Service-Einrichtungen wie Werkstätten oder Abstellanlagen einklagen mussten. Dabei gewährten die Gerichte oft Grenzkostenpreise, womit sie - unabhängig von der Entlohnung ihrer Eisenbahner - den Ganzzugmarkt zu niedrigeren Preisen bedienen konnten, als die ehemaligen Staatsbahnunternehmen. 3 Dabei wurde immer wieder die Nicht- Erfüllung der bis dato geltenden UIC-Regeln für den internationalen Verkehr gerügt - etwa die Nicht-Einhaltung der jeweiligen Vorschriften für das Drei-Licht-Spitzensignal der Lokomotiven beim Wechsel in ein anderes EU-Mitgliedsland. Hier versagte die europaweite Normierung, denn anstatt eines einheitlichen europäischen Signals wurde kostbare Ingenieurkapazität dafür vergeudet, die jeweiligen nationalen Dreilichtspitzensignale mit LED-Leuchten in Mehrsystemlokomotiven nachzubilden. ETCS und ERMTS in der Umsetzung: Von Richtlinien zu EU-Verordnungen Das sichere Fahren im Raumabstand bedingt sicherheitsrelevante Lösungen, die aber dem nationalen Regelungsvorbehalt der Mitgliedsstaaten unterliegen. 4 Die Umsetzung der Richtlinie 440/ 91 erforderte daher auch immer die Herstellung des Einvernehmens mit den jeweiligen nationalen Behörden. Dass die dann gefundenen Lösungen in der Güterbahnhof. Foto: pixabay POLITIK Bahngüterverkehr Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 21 Bahngüterverkehr POLITIK IT Inkompatibilitäten in Bezug auf die Interoperabilität aufwiesen, verwundert nicht. Daher es war ein zäher Prozess von der Richtlinie 2008/ 57/ EG vom 17.06.2008 über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft bis hin zur „Technischen Säule“ des Vierten Eisenbahnpaketes, das die Europäische Eisenbahnagentur ermächtigte, Technische Spezifikationen Interopeabilität (TSI) auf Gesetzesstufe in den Mitgliedsländern als EU-Verordnung durchzusetzen. 5 Während im Cecchini-Bericht zur Umsetzung des Binnenmarktes 6 bei den Lokomotiven explizit ein Preisverfall (13 % bei den Stückkosten, tatsächlich betrugen sie dann über zwei Drittel) durch die europaweite Ausschreibung in Aussicht gestellt wurde, haben die Bemühungen um einen einheitlichen europäischen Eisenbahnraum diesen Anfangserfolg durch sukzessive Verteuerung des Systems Bahn in den letzten 15-Jahren wieder zunichte gemacht. 7 So erreichen die Kosten zur Umstellung auf ERMTS mittlerweile schwindelerregende Höhen: In den geographisch relativ kleinen Niederlanden, wo die erste ERMTS- Strecke bereits 2014 in Betrieb hätte gehen sollen, wird jetzt der Zeitraum 2026 bis 2028 genannt. Eine neue Kostenkalkulation des dortigen Verkehrsministeriums spricht von 80 Mrd. EUR, die bis 2030 anfallen könnten, und 190 Mrd. EUR, die bei einer Gesamtumstellung des Netzes auf ERMTS bis 2050 investiert werden müssten. 8 Auch der Jahresbericht 2017 über die Digitalisierung in der Schweiz hält nüchtern fest: „Aufgrund der gemachten Kosten-/ Nutzenanalyse darf nicht mit der Einführung autonomer Züge in den nächsten Jahrzehnten gerechnet werden. Ein Einsatz in spezifischen Teilprozessen, wie dem Rangieren und der Zugbereitstellung, ist jedoch denkbar und wird genauer untersucht.“ 9 Nationaler Umsetzungsplan des-EBA für ETCS In Deutschland sollen nach dem Nationalen Umsetzungsplan des Eisenbahnbundesamtes bis 2023 insgesamt 2272,4 km mit ETCS ausgestattet sein, wobei vor allem das PZB-Äquivalent ETCS Level 1 LS Anwendung finden soll. Selbst wenn das ambitionierte Vorhaben, bis 2023 die ETCS Level 1 LS Ausrüstung umzusetzen, mit einem Investitionsvolumen von 100 bis 150 Mio. EUR p.a., gelingen sollte, würden zwei Drittel aller Trassenkilometer im Güterverkehr noch in der konventionellen PZB-Technik abgewickelt werden. 10 Digitale Schiene Deutschland Noch ambitionierter ist das Projekt „Digitale Schiene Deutschland“. Es hat zum Ziel, eine digitale Stellwerkstruktur mit ETCS und ohne Signale umzusetzen. Die Komplett-Umrüstung des deutschen Netzes mit DSTW und ETCS würde zwischen den Jahren 2020 und 2040 ein jährliches Investitionsvolumen von 1 bis 1,5 Mrd. EUR erfordern und zusätzlich bis 2030 etwa 250-Mio. EUR pro Jahr für Anpassungsinvestitionen an den Fahrzeugen, die aber nicht von den EVU gestemmt werden könnten. 11 Noch weitergehend ist, wenn autonom fahrende Fahrzeuge bei Fahrstraßenkonflikten durch ein übergeordnetes Train Management System gesteuert werden. Dieses Konzept besticht durch die konsequente Verlagerung aller sicherheitsrelevanten Informationen in das Triebfahrzeug und das dezentrale Ansteuern etwa von Weichen nach dem Net-Change-Prinzip - und ermöglicht damit einen Verzicht auf aufwändige Stellwerkstruktur. 12 Doch auch dieser äußerst bestechende Ansatz wird nicht von heute auf morgen wirksam werden können. Und das ist das eigentliche Problem. Je hochfliegender die technischen Pläne, desto rascher zerrinnt das Transportsubstrat, um das es ja eigentlich geht: Der Halbjahresbericht 2018 der Deutschen Bahn spricht von weiteren drastischen Rückgängen bei DB Cargo von 11,1 %. Die Verkehrsleistung fiel im 1. Halbjahr 2018 auf 92,6 Mrd. tkm, das Verkehrsaufkommen auf 271 Mio. t. Fallendes Transportsubstrat mündet in steigenden Betriebsabgängen - bei der Fixkostenintensität des Eisenbahnbetriebes nach der Verschlechterung der Terms of Trade durch die Richtlinie 440/ 91 unausweichlich. Die ausgewiesenen 90- Mio. EUR sind zwar gegenüber den vorhin genannten Milliarden für die Interoperabilität Bahn als reine Peanuts zu bezeichnen. Bilanztechnisch aber zwingen sie zu weiteren Sparmaßnahmen, wenn nicht neue ertragsreiche Geschäftsfelder erschlossen werden können - oder von der EU kurzfristig Notifikationen für die finanzielle Unterstützung wettbewerbsfähiger, aber (noch) nicht oder nicht mehr wirtschaftlicher Verkehre erlangt werden können, zur Systemsicherung für eine bezahlbare robuste Elektromobilitäts-Alternative abseits der kurzfristig wirksamen Marktreaktionen. Fazit: Wiederbesinnung auf das Produkt tut Not Genau das ist das Thema: Der Schienengüterverkehr muss sich für die betreibenden EVU wieder lohnen können, Ein wichtiger Beitrag wäre, dass die für den Einzelwagenverkehr notwendige, aber aufwändige Sammlung, Verteilung und Zugbildung durch eine neutrale Servicegesellschaft zu verkaufsfähigen Preisen durchgeführt wird, und dann auf der langen Strecke Wettbewerb herrschen kann. Damit wäre der Gesamttransport kalkulierbar - und trotzdem Wettbewerb gegeben (vgl. Infobox). Zweitens müsste die zeit- und kostenaufwändige Zugbildetechnik auf unter eine Stunde reduziert werden - aber durch einfache, robuste Technik - ohne elektr(on) isierten Güterwagen (vgl. Bild 1). 13 Dann könnte man auch im Einzelwagenverkehr belastbare Estimated Time of Arrival - Informationen anbieten, wie sie die EU-Kommission schon lange fordert 14 und die Pünktlichkeit steigern 15 , allerdings nur dann, wenn die CERRE Recommendations (Empfehlungen der Europäischen Regulierungsagentur) 16 unterbleiben, die die Trassenvergabe nach Rentabilitätsgesichtspunkten vornehmen wollen. Würde dieser Vorschlag umgesetzt, würde es keine marktkonforme Güterzugtrassen mehr geben. 17 Stattdessen müssten auch während der Tageszeit regulativ ausreichend Trassen für Güterzüge zur Verfügung gestellt werden, um kurze Umlaufzeiten der Lok und Zuggarnituren zur Steigerung der Produktivität der Güterverkehrsleistungen anbietenden EVU zu ermöglichen. Die Halbierung der Trassenentgelte für den Güterverkehr, die nun ein Jahr später kommt als angekündigt, hat weiter den Margendruck auf die EVU erhöht, die Güterverkehrsleistungen anbieten. Mussten Wünschenswerte Verbesserungen • Abhängig von der Relation werden noch immer bis zu 50 % des Kombinerten Verkehrs im Produktionssystem des Einzelwagenverkehrs produziert. • Seit der Richtlinie 440/ 91 EWG wird der fertige Zug gegen den LKW in den Wettbewerb geschickt. Daher wäre es nur konsequent, die hohen Kosten der Sammlung der Wagen und der Zugbildung einer neutralen Service-Gesellschaft zu übertragen, die ihrerseits ihre Leistungen zu verkaufbaren Preisen anbieten muss. • Die Zugbildung sollte so verbessert werden, dass planbare Abfahrtszeiten spätestens eine Stunde nach Ankunft in einer Zugbildeanlage möglich werden. • Im Alpenbereich sollte durch eine Mautanhebung zwischen Bozen und Innsbruck die Kosten für den LKW-Alpentransit durch die Schweiz und Österreich gleich hoch werden, um die LKW-Umwegfahrten über den Brenner zu unterbinden (Alpenschutzkonvention! ). Dadurch könnte der Kombinierte Verkehr in dieser Relation wirtschaftlich gesunden. POLITIK Bahngüterverkehr Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 22 Bernd H. Kortschak, Prof. Dr. Dr. Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Logistik, Fakultät Wirtschaft-Logistik-Verkehr, Fachhochschule Erfurt kortschak@fh-erfurt.de Bild 1: Die Reduzierung der Aufenthaltszeiten für die Zugbildung macht den Einzelwagenverkehr, mit bis zum doppelten Volumen und bis zum dreifachen Gewicht gegenüber dem LKW, mit planbaren Ankunftszeiten (ETA) wieder wettbewerbsfähig. Grafik: Kortschak sie doch die angekündigte Trassenpreisreduzierung bereits in ihren Angeboten berücksichtigen - obwohl sie dann doch nicht kam. Von der Entlastung des Güterverkehrs müssten 22 Mio. EUR p. a. vom Personenfernverkehr getragen werden. Darüber hinaus werden die Trassenpreise weiter steigen. Das Kostennniveau sei bisher um 4,9 % gestiegen - mit einer weiteren Steigerung der Trassenentgelte um mindestens 2,5 % ist für 2019 zu rechnen, nicht zuletzt wegen der eingerechneten Verzinsung für Eigen- und Fremdkapital von 5,9 % 18 - der Bilanzierungszwang der DB Netz AG lässt grüßen. 19 Auch darf es verkehrspolitisch nicht sein, dass bei dem allgemein zu beklagenden Rückgang von Gleisanschlüssen bei der Neuerrichtung eines solchen derjenige, der sich das antut, noch beklagt wird und vom Gericht beschieden wird, einen erheblichen Teil der Infrastrukturkosten für die Anschlussweiche zu tragen. 20 Das Problem ist nicht, dass die Gerichte so entschieden haben, sondern dass der Rechtsrahmen solche Entscheidungen möglich macht. Wird hier nicht rasch zu Gunsten des Schienengüterverkehrs - auch des Einzelwagenverkehrs - der Rechtsrahmen und die Finanzierung in Richtung Produktentwicklung gelenkt, könnte von McKinsey im Jahre 2007 gemachte Vorhersage, dass - wenn nichts geschieht - der Einzelwagenverkehr bis 2017 unter die kritische Masse gefallen sein wird - nur zu bald Realität werden. 21 Auch wurde 2017 bereits die Reduktion auf nur mehr drei Rangierbahnhöfe aus Kostengründen tatsächlich erwogen. In einigen Ländern Europas ist der Einzelwagenverkehr bereits aufgegeben worden. Aber nur der Einzelwagenverkehr versorgt die Region - der Ganzzugsverkehr hingegen bedient nur wenige Großverlader und ist nicht geeignet, das System als Ganzes aufrecht zu erhalten, obwohl es bei wettbewerbsfähigen Angeboten durch die EVU die optimale Güterverkehrsalternative zu E-Mobility wäre. Dafür müsste die Politik aber rasch die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen verbessern - insbesondere in Deutschland! ■ 1 Vgl. Erdmenger, J. (1993). Verkehrspolitik, in: Weidenfeld, W.; Wessels, W. (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 1992-93, Bonn, S. 181-187, S. 183 2 Vgl. Scheuerkogel, W. (1997): The goal and the Netz, in Cargo Systems (1997), September 1997, S. 85-86 3 Haberzettl, W.: Die Irrtümer der Bahn-Liberalisierer, in: Der Standard vom 28. März 2007, in: http: / / derstandard. at/ 2733887/ Kommenetar-der-Anderen-Die-Irrtuemerder-Bahn-Liberalisierer; Zugriff 17.03.2016 4 Siehe Kaupat, Chr. (2013): The reduction of railway regulation in Europe, in: European railway review, 21 November 2013; http: / / www.europeanrailwayreview.com/ 19394/ railindustry-news/ the-reduction-of-railway-regulation-ineurope/ ; Zugriff 11.02.2017 5 Vgl. Verordnung (EU) 2016/ 796 vom 11.05.016 über die Eisenbahnagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 881/ 2004 6 Vgl. Cecchini, P.: Europa ‘92 - Der Vorteil des Binnenmarktes, Baden-Baden 1988, S. 43f 7 Vgl. Gemeinschaft der Europäischen Bahnen (Hrsg.): Jahresbericht 2015-16, Brüssel 2017, S.38 8 Europäischer Rechnungshof (Hrsg,): Ein einheitliches europäisches Eisenbahnverkehrsleitsystem: Wird die politische Entscheidung jemals Realität? , Sonderbericht Nr. 13, Luxemburg 2017, S. 24 9 SBB Infrastruktur (Hrsg.).: Smart Rail 4.0 Jahresbericht 2017, Bern 2018, S. 8 10 Vgl. Leister, H.: Verwirrung um Zukunftsprojekt ETCS in Deutschland, in: Eisenbahn-Revue (2018) 7, S. 378 11 Vgl. Leister (2018), S. 378 12 Vgl. Doppelbauer J.: Command and Control 4.0, in: IRSE news 246 (2018) 7.8, S. 2-9 13 Am 5. Railway Forum in Berlin wurde ausgeführt, dass der Digital Train der SNCF mit elektrifizierten Güterwagen und jeder Menge Elektronik bestückt, zumindest 22 % Mehrkosten hervorrufen würde. Vgl. Goldier, P.: Europäischer Schienengüterverkehr: Goldene Zukunft oder absteigendes Geschäft? Vortrag 5. Railway Forum Berlin 2017 14 Bulc, V. (2015) cited after Briginshaw, D.: Embrace Fourth Railway Package or lose funding, in: International Railway Journal (IRJ) November 24, 2015, in: http: / / www.railjournal.com/ index.php/ policy/ bulc-embrace-fourth-railwaypackage-or-lose-funding.html; 27.03.2016 15 Hier ist gerade Deutschland in der Pflicht, wieder in die Qualität der Beförderungsleistung zu investieren: Die Anzahl der Verspätungsminuten im Monatsdurchschnitt schwankte zwischen 2012 und 2018 zwischen 3 und 4 Mio. bei DB Cargo. Das bedeutet, dass jeder Güterzug zwischen 2012 und 2018 durchschnittlich zwischen 41 und 56 Minuten verspätet war. Vgl. Deutscher Bundestag (Hrsg.): Entwicklung der Zugverspätungen in Deutschland, Drucksache 19/ 3247 vom 05.07.2018, S. 8f 16 Centre on Regulation in Europe (Eds.): Track access charges reconciling conflicting objectives, Report from 09.05.2018; http: / / www.cerre.eu/ publications/ track-access-chargesreconciling-conflicting-objectives, Zugriff am 02.08.2018 17 Schon das Kalkuationsschema für die Richtlinie 909/ 2015 über die Ermittlung der Trassenbenutzungsgebühren war hier wenig hilfreich, forderte sie doch Marktzuschläge zu einem variablen Durchschnittskostensatz in Bezug auf das gesamte Netz, was eine Differenzierung von Haupt- und Nebenstrecken beim Trassenentgelt de facto unmöglich macht. Im Falle Frankreichs, das infolge des hohen Anteils von Hochgeschwindigkeitsstrecken zu einem vergleichsweise hohen variablen Durchschnittskostensatz gelangte, notifizierte die EU-Kommission sogar Marktabschläge contra legem, um Bahngüterverkehr in Frankreich steigern zu können 18 Vgl. N.N. (2018): Trassenpreise werden steigen, trotz der Kritik der EU am Verfahren, in: Eisenbahntechnische Rundschau (ETR) 68 (2018) 1+2, S. 9 19 Schon im Jahre 2000 auf dem 3. DB Regio Forum in Erfurt hat der Verfasser in einem Referat die Organisation von DB Netze als AG als Konstruktionsfehler der Bahnreform gerügt. Vgl. N.N.: Neue Bahn(en) im Takt, in: Thüringer Regio Takte 1 (2000), S. 5 20 Vgl. BVerwG, Urteil vom 03. März 2016 - 6 C 63/ 14 -, juris; BVerwG, Urteil vom 03.03.2016 - 6 C 64/ 14 -, BVerwGE 154, S. 198-221 21 Vgl. Haberzettel (2007) www.plassertheurer.com „Plasser & Theurer“, „Plasser“ und „P&T“ sind international eingetragene Marken Der Einsatz der E³-Hybrid-Antriebstechnologien steigert das potentielle Auftragsvolumen durch neue Einsatzgebiete, wie Tunnel und innerstädtische Bereiche. Elektrisch fahren und arbeiten reduziert Lärm und CO 2 -Emissionen. Einsatzerfahrungen belegen eine CO 2 Verminderung von 27 t pro 100 Stunden Arbeit. Das ist ein Wert, der sich nur aus dem Arbeitsbetrieb ergibt - der elektrische Überstellbetrieb bringt noch erheblich höhere Einsparungen. Der facettenreiche Beitrag der E³-Technologie zum Umweltschutz sichert die Vorreiterrolle der Bahn als umweltfreundlicher Verkehrsträger. Innovation for you Economic Ecologic Ergonomic HOCHLEISTUNG I PRÄZISION I ZUVERLÄSSIGKEIT Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 24 POLITIK Wissenschaft Subventionen im öffentlichen Personennahverkehr Was aus ökonomischer Sicht für eine staatliche Mitfinanzierung spricht ÖV, Finanzierung, Subventionen, Stadt- und Nahverkehr Der öffentliche Verkehr profitiert - im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr - von beträchtlichen Subventionen. Dies trifft auch für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu. Doch die Gelder der Allgemeinheit stellt der Staat den Transportunternehmen nicht unbegründet zur Verfügung. Aus der Ökonomie können verschiedene Argumente für die staatliche Mitfinanzierung abgeleitet werden. Der Beitrag präsentiert ein Gedankenexperiment über die Alternativen des von der Allgemeinheit mitfinanzierten öffentlichen Verkehrs und eine entsprechende Gegenüberstellung der volkswirtschaftlichen Kosten. Hannes Wallimann, Widar von Arx, Christoph Hauser D as Angebot des öffentlichen Verkehrs erzeugt in der Schweiz jährliche Gesamtkosten von über 16 Mrd. CHF [1]. 47 % der anfallenden Ausgaben werden vom Staat übernommen. Über das Kerngeschäft Verkehrserträge decken die Transportunternehmen (TU) in der Schweiz nur 43 % der anfallenden Kosten ab, 10 % werden über Nebenerträge gedeckt. Anders formuliert: Schweizer Verkehrsunternehmen im ÖPNV sind weit davon entfernt, sich über den Markt finanzieren zu können (siehe z.B. [2, 3]). Während die Straßenbenutzer ihre Fahrkosten nahezu vollständig selbst tragen, kommen ÖV-Nutzern hohe staatliche Subventionsbeiträge zugute. In einer Marktwirtschaft sollte dies eine Ausnahme sein, die hinreichend zu begründen ist. Faktisch machen Abgeltungen in vielen westlichen Ländern einen wesentlichen Teil der Einnahmen der Verkehrsunternehmen aus. Nachfolgend werden zuerst ökonomische Argumente für die Subventionen mit Blick auf das Angebot des ÖV dargelegt. In einem zweiten Schritt wird die Nachfrageseite eingehend beleuchtet. Drittens wird ein Gedankenexperiment zu einem öffentlichen Personennahverkehr ohne Abgeltungen gemacht. Abgerundet wird der Beitrag mit einem Fazit und einem Ausblick über den staatlichen Subventionsbedarf. Gründe für die Subventionierung des ÖPNV- Angebots In der Transportökonomie trifft man auf zwei klassische Erklärungen für ein subventioniertes Angebot im ÖV, welche auch für den ÖPNV zutreffen: Externalitäten und Skaleneffekte. Externalitäten sind Effekte, die indirekt, das heißt als Nebenwirkungen eines bestimmten Verhaltens, hervorgerufen werden. Die positiven oder negativen Konsequenzen dieser Nebenwirkungen werden von anderen Akteuren oder der Allgemeinheit getragen, nicht vom Verursacher selbst. Ökonomisch gesehen widerspiegelt in diesem Fall der Preis, welcher ein Akteur für ein Gut bezahlt, nicht den gesamten, durch das Verhalten entstehende Nutzen und/ oder die gesamten Kosten. Der Verkehr verursacht negative Belastungen für die Umwelt, beispielsweise durch Lärm oder Luftverschmutzung. Insgesamt verursacht der motorisierte Individualverkehr (MIV) deutlich mehr negative Externalitäten als der ÖV. Die ökonomische Ideallösung wäre die Besteuerung des MIV, so dass die verursachten Kosten für die Nutzenden sowie für die Allgemeinheit widerspiegelt werden. Weil dies aus politischen Gründen im notwendigen Umfang nicht möglich ist, wird stattdessen das Substitut zum motorisierten Individualverkehr, der öffentliche Verkehr, subventioniert. Man spricht dabei von einer ökonomischen Second-Best Lösung. Kritisch angefügt werden muss, dass im ÖPNV oft Busse eingesetzt werden. Diese verursachen mit 7,0 Rp/ Pkm (Rappen/ Personenkilometer) mehr externe Kosten als ein Personenwagen (5,6 Rp/ Pkm) [4]. Dieser Wert basiert auf einer Durchschnittsbelegung mit zehn Personen und unterscheidet nicht zwischen städtischen und regionalen Bussen. Die zweite Erklärung für Subventionen im öffentlichen Verkehr sind Skaleneffekte, in der vorliegenden Thematik Mohring-Effekt genannt [5]. In der Zusammensetzung der Produktionskosten unterscheiden sich Transportgüter von vielen anderen Gütern. Der Fahrgast muss eigene begrenzte Ressourcen - seine Wartezeit - in die Produktion einbringen. Bei privaten Anbietern führen weniger Passagiere zu einem kleineren ÖV-Angebot, was wiederum zu weniger Passagieren führt, weil die Wartezeiten zunehmen. Subventionen durch die Allge- Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 25 Wissenschaft POLITIK meinheit durchbrechen diesen Kreis und führen zu einer höheren Taktfrequenz. Diese höhere Frequenz verringert die Wartezeit der Konsumenten und steigert deren Nutzen aus dem Angebot überproportional. Der Mohring-Effekt ist minimal für Verkehrsmittel mit einer sehr hohen Auslastung, beispielsweise im öffentlichen Verkehrssystem in Hongkong mit einem Modalsplit von über 90 % [6]. Auch der ÖV in der Schweiz glänzt teilweise durch seine hohe Auslastung. Ein niedriger Mohring- Effekt zeigt sich in den Städten Bern und Zürich, wo die staatlichen Kosten trotz der hohen absoluten Subventionen pro Einsteiger im Vergleich mit anderen europäischen Städten niedrig sind [7]. Neben den klassischen Erklärungen sprechen die Non-Use-Values wie Optionsnutzen, Existenznutzen und Standortfaktoren des Angebots für eine Mitfinanzierung durch die Allgemeinheit [2]. Die bloße Existenz des öffentlichen Verkehrs stellt einen Optionsnutzen und damit eine Art Mobilitätsversicherung dar. Bürgerinnen und Bürger sind gegen allfällige Risiken des Mobilitätsverlustes, beispielsweise durch Entzug der Fahrerlaubnis, abgesichert. Vom Existenznutzen spricht man, wenn durch ein Gut Nutzen anfällt, ohne dass man dieses jemals selbst konsumiert. Durch den ÖPNV wird der Zugang zu Mobilität insbesondere für bestimmte sozioökonomische Gruppen, wie z.B. Jugendliche oder Betagte, erleichtert. Diese Personengruppen profitieren besonders stark von der Daseinsvorsorge. Durch den Konsum des öffentlichen Angebots werden Angehörige entlastet und können der reinen Verfügbarkeit einen Nutzen abgewinnen. Resultate verschiedener Studien zeigen, dass ein gutes Angebot im ÖV ein nicht unwesentlicher Standortfaktor ist [8, 9]. Angenehme Pendlerdistanzen für Mitarbeitende, kurze Anfahrtsstrecken für Geschäftskunden und somit eine gute Erreichbarkeit führen zu einer hohen Bedeutung des öffentlichen Verkehrs für ansässige Firmen. Nachfrage nach und Nutzen aus subventioniertem ÖPNV Ob die bisher genannten Gründe für ein subventioniertes Angebot hinreichend sind, bleibt umstritten, auch weil quantitative Abwägungen schwierig bleiben. Faktisch entscheidet ohnehin die Politik über Subventionen und den Umfang des Angebots im öffentlichen Verkehr. Der Anteil der Einwohner ab 16 Jahren mit einem ÖV- Abonnement in der Schweiz beträgt 57 % [10]. Schweizer Stimmberechtigte können an der Urne direkt über zentrale Zukunftsvorhaben mitentscheiden. Die Erfolgschancen für Anliegen zur Förderung des öffentlichen Verkehrs und damit für die Subventionierung des Angebots stehen meist gut. Durch die direkte Demokratie wird die Verkehrspolitik des Staates und das Handeln der Transportunternehmen mit Staatsauftrag überwacht und legitimiert. Verkehrsbetriebe können durch positive Abstimmungsresultate zur effizienten Produktion motiviert werden. Wissenschaftlich wurde die politische Bereitschaft bezüglich der Frage erforscht, wer die Kosten des Ausbaus des Verkehrsnetzes in der Schweiz übernehmen soll [11]. In einer repräsentativ angelegten Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung stellte sich heraus, dass der gewünschte staatliche Subventionsbeitrag bei einem Anteil von 50 % der Gesamtkosten liegt. Dieser Anteil liegt nahe am heutigen Kostenteiler zwischen Allgemeinheit und Nutzerfinanzierung im ÖV (vgl. oben). Diese Studie und die demokratische Legitimierung des ÖV zeigen, dass eine Bereitschaft für ein subventioniertes Angebot im öffentlichen Personennahverkehr in der Bevölkerung vorhanden ist. Damit ist es plausibel, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht bloß das ÖPNV-Angebot per se unterstützt, sondern dass die Individuen aus ihrer Mobilität auch einen internen Nutzen ziehen, der über den bezahlten Ticket-Preis hinausgeht. Aus Nutzerperspektive machen Abgeltungen Sinn, wenn aus dem Angebot des ÖPNV ein Gut entsteht, bei welchem sie von einer entsprechend hohen Konsumentenrente profitieren. Die Rente der Konsumenten leitet sich aus der Nachfrage der Passagiere ab und ist gegeben durch die Differenz zwischen dem effektiven Preis (z.B. einer Fahrkarte) und dem Maximalpreis, welchen die Person höchstens bereit wäre, zu bezahlen (vgl. Bild 1). Weltweit gibt es wenige empirische Studien in diesem Bereich. Laird et al. [12] präsentieren in ihrer Übersicht empirische Schätzungen für Konsumentenrenten verschiedener ÖV-Angebote. Die von ihnen aufgeführten Schätzungen sind aber schwierig mit dem heutigen ÖPNV in der Schweiz vergleichbar. Mit dem Abschätzen von Preiselastizitäten kann intuitiv argumentiert werden, dass eine konstant bleibende Nachfrage bei deutlichen Preiserhöhungen auf entsprechend substanzielle Konsumentenrenten hinweist. Eine Wertschöpfungsstudie der Verkehrsbetriebe Thun konnte feststellen, dass nach einem Preisaufschlag von 2,4 % auf gewisse Einzel- und Mehrfahrtenbillette und 3,6 % auf Verbundabonnemente die Fahrgastzahlen nicht etwa zurückgingen, sondern im Gegenteil weiter anstiegen [3]. Dies spricht für eine tiefe Preiselastizität und widerlegt die Annahme einer hohen Konsumentenrente zumindest nicht. Angebot ohne Subventionen - ein Gedankenexperiment Man stelle sich vor, es stünden keine Gelder der Allgemeinheit für TU, welche ÖPNV bereitstellen, zur Verfügung. Unter der Annahme, dass die Nutzenden die gleichen Distanzen auch ohne öffentlich subventionierten Menge Personenfahrten Menge in Anzahl Personenfahrten Preise in CHF Fahrpreis Möglicher Maximalpreis Angebot mit konstantem Preis Nachfrage Differenz zwischen effektivem Preis und Maximalpreis Konsumentenrente Bild 1: Theoretische Herleitung der Konsumentenrente bei Personenfahrten Quelle: Eigene Abbildung Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 26 POLITIK Wissenschaft Verkehr zurücklegen würden, präsentieren wir zwei mögliche Substitutionsszenarien: einen kompletten Wechsel auf individuelle Verkehrsmittel oder ein vollständig kostendeckendes privates ÖV-Angebot. Im ersten Szenario werden die Anteile des Modalsplits des öffentlichen Verkehrs auf individuelle Verkehrsmittel verteilt. Gesamtschweizerisch beträgt der Anteil des ÖV 24,4 % [10] an der täglich zurückgelegten Distanz, in den Städten deutlich mehr (z. B. Stadt Luzern 42 % [13]). Rechnet man den Modalsplit für die restlichen Verkehrsträger linear hoch, würde insbesondere der motorisierte Individualverkehr deutlich zunehmen. In Abwesenheit des öffentlichen Verkehrs macht dieser über 80 % des Modalsplits der Tagesdistanz im Inland aus. Es interessiert nun die Frage, wie hoch die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten für ein Szenario ohne ÖPNV wären. Für die umfassende Betrachtung möglicher Alternativen müssen sowohl die internen und externen Kosten für die Konsumenten als auch für die Gesellschaft insgesamt aufgerechnet werden. Konkret sind sämtliche Mobilitätskosten zu summieren, von Abschreibungen an Autos über Zeitkosten für Fußgänger, Lärmkosten von Motorrädern bis hin zu Unfallkosten minus Gesundheitsnutzen des Fahrradfahrens. Die Wertschöpfungsstudie zum Busangebot in der Stadt Thun von Hauser et al. [3] kann als illustratives Beispiel herangezogen werden. Die Studie kam zur Erkenntnis, dass die Summe der internen und externen Kosten (unter Abzug des Nutzens) für die Passagiere bei der Substituierung der Buslinien durch den MIV deutlich höher liegt als bei der Nutzung des Busangebots (siehe Tabelle 1). Im Jahr 2013 transportierten die Buslinien der Verkehrsbetriebe Thun 16 Mio. Passagiere, was in der Summe einer Strecke von 57,5 Mio. Pkm entspricht. Hier ist anzumerken, dass in der Studie von Hauser et al. die Bahn als mögliches Substitut aufgeführt wurde, welche jedoch zum ÖPNV gezählt werden muss. Weiter wurden die Stauexternalitäten, welche für die Benutzung der Buslinie sprechen, aufgrund der schwierigen Quantifizierbarkeit nicht berücksichtigt. Die Kosten des Alternativszenarios sind demnach um die zusätzlichen Stauund/ oder Infrastrukturkosten zu tief angesetzt. Trotzdem zeigt die Quantifizierung des Alternativszenarios, dass die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten mit 52-Mio. CHF deutlich höher liegen als beim Ist-Szenario, das inklusive dem subventionierten ÖPNV-Angebot 32- Mio. CHF Gesamtkosten verursacht. Kurz: Ohne funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr wäre die gleiche Mobilitätsleistung volkswirtschaftlich gesehen mindestens 62 % teurer. Im zweiten Szenario wird der ÖPNV kostendeckend von privaten Transportunternehmen angeboten mittels einer „On-the road competition“. Zum einen würden hoch frequentierte Linien und Haltestellen vom Konkurrenzkampf der Unternehmen betroffen sein. Dies hätte theoretisch mehr Kundenorientierung und aus ökonomischer Perspektive einen effizienteren Betrieb einzelner Linien zur Folge [3]. Zum anderen würde für weniger dicht besiedelte Orte der öffentliche Verkehr ein aus heutiger Perspektive wohl ungenügendes Angebot bereitstellen und somit die Nachfrage nach öffentlicher Mobilität in diesen Gebieten nicht befriedigen. Allerdings zeigt der Blick nach England, dass das selbsttragende Netz des öffentlichen Personennahverkehrs eine beträchtliche Größe zu erreichen im Stande ist (Z. B. Stadtverkehr in Brighton mit 90 % kommerziellem Betrieb [7]). Hingegen würde nach englischer Erfahrung beim kostendeckenden Angebot von privaten Transportunternehmen der in der Schweiz als so wichtig eingeschätzte Systemgedanke verloren gehen. Dieser Verlust der bewussten Fahrplanabstimmung zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern könnte die Reisezeit von Passagieren, insbesondere in ländlichen Regionen, verlängern und hätte somit einen negativen Einfluss auf den Mohring-Effekt. Mit diesen schrumpfenden Konsumentenrenten würde, zumindest teilweise, das erstgenannte Szenario ohne ÖPNV drohen. Oben wurde aufgezeigt, dass dieses unter Berücksichtigung aller volkswirtschaftlichen Kosten zu einer deutlich teureren Mobilität führt. Fazit und Ausblick Hohe staatliche Subventionsbeiträge sind in einer Marktwirtschaft hinreichend zu begründen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass mehrere ökonomische Argumente für einen öffentlich subventionierten Personennahverkehr sprechen. Schwierig ist dabei meist eine genauere Quantifizierung. Bei einer umfassenden Gegenüberstellung aller Kosten der Mobilität mit und ohne ÖPNV zeigt sich, dass das subventionierte Angebot letztlich volkswirtschaftlich günstiger ist. Ohne öffentliche Bereitstellung des Angebots ginge der Systemgedanke verloren. Interne wie externe Kosten der Mobilitätsnutzenden und der Öffentlichkeit würden insgesamt steigen. Hinzu kommt, dass die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs von einer starken Pfadabhängigkeit profitiert. Ein Ausbau der Straßeninfrastruktur, und damit Wechselkosten, wäre ohne Subventionen unumgänglich und aufgrund des knappen Raumes politisch kaum realisierbar. Andererseits muss angemerkt werden, dass bei einer erhöhten Kostenwahrheit in Bezug auf Externalitäten beim MIV auch der ÖV weniger Subventionen benötigen würde, und dass die Gefahr eines zu starken Ausbaus des subventionierten ÖPNV aus sachfremden Gründen (Z. B. Szenario Ist-Szenario (Bus) Alternativszenario* Gesamte Nettokosten 32 Mio. CHF 52 Mio. CHF Nettokosten/ Pkm 0,56 CHF 0,90 CHF Kosten MIV 1 - 44 Mio. CHF Kosten Bahn 2 - 2 Mio. CHF Kosten LV 3 - 6 Mio. CHF Kosten Bus 4 32 Mio. CHF - * Zusammensetzung: MIV 82,9 %, Langsamverkehr 10,1 %, Bahn 7,0 % 1 Auto: Intern: Betriebskosten, Parkkosten, Fahrkosten; Extern: Umwelt 2 Bahn: Intern: Längere Anmarschwege, Fahrzeugkosten; Extern: Umwelt, Abgeltungen und Infrastruktur 3 Langsamverkehr: Intern: Zeitkosten, Anstrengung, abzüglich Gesundheitsnutzen, Fahrzeugkosten (Velo); Extern: Unfallkosten, Gesundheit 4 Bus: Intern: Fahrkosten; Extern: Umwelt, Abgeltungen Tabelle 1: Volkswirtschaftliche Nettokosten für die Wertschöpfung der Verkehrsbetriebe Thun (Bus) und das Alternativszenario (für Ausführungen siehe [3]) Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 27 Wissenschaft POLITIK Chancengleichheit) besteht. Hinzu kommt, dass bei staatlicher Einmischung in den Verkehrsmarkt die Innovationsfähigkeit leiden könnte. Dies ist für den öffentlichen Verkehr in der Schweiz heute allerdings nicht ersichtlich [7]. Die Höhe der staatlichen Subventionen für den öffentlichen Stadt- und Nahverkehr dürfte dank technischen Entwicklungen und effizienter Bereitstellung in den nächsten Jahren sinken. Anteilsmässig verursacht das Personal bei den Verkehrsbetrieben Luzern über die Hälfte der Gesamtkosten [14]. Autonome Busse haben das Potenzial, im städtischen sowie im ländlichen Raum über die Hälfte dieser Kosten einzusparen [15]. Wenn dereinst auch der MIV autonom fährt, wird sich die Frage der Verkehrsdosierung in den Innenstädten neu stellen, denn Parkierungsgebühren und Staukosten würden als Rationierungsinstrument weit weniger greifen als heute. Straßenbenützungsgebühren und damit die Kostenwahrheit im gesamten Verkehrssystem wären dann möglicherweise unumgänglich. ■ LITERATUR [1] VöV (2017): Fakten & Argumente zum öffentlichen Verkehr der Schweiz 2016/ 2017. Broschüre als Download verfügbar unter https: / / www.voev.ch/ de/ Service/ Publikationen/ VoeV-Schriften/ Fakten-und-Argumente-zum-oeV-Schweiz [2] Hauser, C.; Hanisch, C.; Lienhard, M.; Egli, H.; von Arx, W. (2013): Wertschöpfung der Verkehrsbetriebe Luzern AG und die Bedeutung ihrer Leistungen für die regionale Wirtschaft. IBR/ Hochschule Luzern - Wirtschaft [3] Hauser, C.; Lienhard, M.; Hanisch, C. (2015): Wertschöpfung der Verkehrsbetriebe STI AG Thun und die Bedeutung ihrer Leistungen für die regionale Wirtschaft. IBR/ Hochschule Luzern - Wirtschaft [4] Ecoplan und Infras (2014): Externe Effekte des Verkehrs 2010. Monetarisierung von Umwelt-, Unfall- und Gesundheitseffekten. Auftraggeber: Bundesamt für Raumentwicklung. Bern, Zürich und Altdorf [5] Mohring, H. (1972): Optimization and scale economies in urban bus transportation. The American Economic Review, 62(4), 591-604 [6] Chang, Z., & Phang, S. Y. (2017): Urban rail transit PPPs: Lessons from East Asian cities. Transportation Research Part A: Policy and Practice, 105, 106-122 [7] Schaaffkamp, C. (2017): Do Direct Awards Lead to Better Public Transport? [8] Credit Suisse Economic Research (Hrsg.) (2006): Verkehr als Wirtschaftsfaktor. NABRegionalstudie, Aargau [9] Ecoplan und Büro Widmer (2004): Wirkungsketten: Verkehr - Wirtschaft. Analyse der Wechselwirkungen und Vorschlag für ein Indikatorensystem der wirtschaftlichen Aspekte eines nachhaltigen Verkehrs. Forschungsauftrag SVI 1999/ 310 auf Antrag der Vereinigung Schweizerischer Verkehrsingenieure. Bundesamt für Strassen (ASTRA). Altdorf und Frauenfeld [10] Bundesamt für Statistik (2015): Verkehrsverhalten der Bevölkerung Ergebnisse des Mikrozensus Mobilität und Verkehr. Bundesamt für Statistik, Neuenburg [11] Laesser, C.; Reinhold, S. (2013): Finanzierung des OeV in der Schweiz: Was zahlt der Nutzer, was die Allgemeinheit? 1. Arbeitsbericht. Schriftenreihe SBB Lab, Vol. 006, St. Gallen: SBB Lab [12] Laird, J.; Geurs, K.; Nash, C. (2009): Option and non-use values and rail project appraisal. Transport Policy, 16(4), 173-182 [13] LUSTAT Statistik Luzern (2017): Mobilität im Kanton Luzern. LUSTAT Statistik Luzern, Luzern [14] vbl (2016): Geschäftsbericht 2016. Luzern. Als Download verfügbar unter https: / / www. vbl.ch/ fileadmin/ customer/ Das_Unternehmen/ Geschaeftsbericht/ Geschaeftsbericht_2016.pdf [15] Bösch, P. M.; Becker, F.; Becker, H.; Axhausen, K. W. (2017): Cost-based analysis of autonomous mobility services. Transport Policy Christoph Hauser, Prof. Dr. Leiter Kompetenzzentrum Management & Law, Hochschule Luzern (CH) christoph.hauser@hslu.ch Widar von Arx, Prof. Dr. Leiter Kompetenzzentrum Mobilität, Hochschule Luzern (CH) widar.vonarx@hslu.ch Hannes Wallimann, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Kompetenzzentrum Mobilität, Hochschule Luzern (CH) hannes.wallimann@hslu.ch Lesen Sie Internationales Verkehrswesen und International Transportation lieber auf dem Bildschirm? 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Sie werden als Paradigmenwechsel zugunsten einer umweltfreundlichen Mobilität angesehen. Doch werden Erreichbarkeitsmaße oft mit komplexen, teilweise modellgestützten Annahmen angereichert und zumeist in Choroplethen dargestellt, wodurch eine einfache Interpretation der Ergebnisse in der Praxis nicht immer gewährleistet ist. Dieser Artikel beschreibt eine Methode zur Verarbeitung von Erreichbarkeitsmaßen mit dem Ziel, Bereiche mit potentiell unzureichender Versorgung auf eine leicht verständliche Art und Weise quantitativ zu erfassen und darzustellen. Daniel Krajzewicz, Simon Nieland, Jorge Narezo Balzaretti, Dirk Heinrichs L ange Zeit wurde die Bewertung des Verkehrs von Indikatoren, die den Durchsatz des motorisierten individuellen Verkehrs (MIV) im Straßennetz beschreiben, dominiert. Dies ändert sich zunehmend durch die Nutzung von Erreichbarkeitsmaßen, die alle Verkehrsträger sowie die Verteilung der Bevölkerung und möglicher Angebote im Raum berücksichtigen [1]. Die Einbeziehung verschiedener Verkehrsträger eröffnet hierbei die Sicht auf die Leistungsfähigkeit umweltfreundlicher Verkehrsmodi. Die Berücksichtigung der Verteilung der Aktivitätenorte begünstigt dicht bebaute Gebiete und kurze Wege und bestraft zersiedelte Raumstrukturen. Der Zugang zu Aktivitätsorten findet sich auch in den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen wieder. Hier finden sich Forderungen wie der Zugang zu Wasserversorgung, öffentlichem Raum (Parks), Bildung oder öffentlichen Verkehrsangeboten, die direkt mit Erreichbarkeitsmaßen berechnet werden können. Durch die Möglichkeit, urbane Erreichbarkeitsindikatoren auf Basis freier Daten zu generieren, können für verschiedene Räume aussagekräftige Grundlagen für die lokale Stadtplanung geschaffen und diese auch miteinander verglichen werden. Die Anwendung solcher Indikatoren in der lokalen und übergeordneten strategischen Planung hat daher hohes Potential, zur Verbesserung urbaner Verkehrssysteme weltweit beizutragen. Es existiert eine Vielzahl verschiedener Klassen von Erreichbarkeitsmaßen [2], skizziert in Bild 1. Das inkrementelle Hinzufügen von Gewichten, Attributen und Einschränkungen erfolgt aus dem Wunsch heraus, die tatsächlichen Bedarfe und Möglichkeiten der Bevölkerung sowie die Kapazitäten und die Attraktivität von Orten abzubilden. Hierfür werden jedoch zusätzliche Daten benötigt, die nur selten vorliegen und daher mit Hilfe von Modellen hergeleitet werden müssen. Mit zunehmender Komplexität orientieren sich Erreichbarkeitsmaße so zunehmend weniger an real messbaren Größen. Zudem werden sie zunehmend schwerer verständlich und interpretierbar. Aus diesem Grund beschränkt sich der nachfolgend präsentierte Ansatz auf sog. „Contour Measures“. Contour Measures beschreiben, wie viele Aktivitätenorte von einem Punkt ausgehend innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens oder einer maximalen Reiseweite erreicht werden können. Auch andere Einschränkungen sind möglich, wie z. B. das Erreichen des am nächsten gelegenen Ziels eines bestimmten Typs oder einer bestimmten Anzahl solcher Ziele. In diesen letzten beiden Fällen wird nicht die Anzahl erreichbarer Orte/ Ziele, sondern die für das Erreichen benötigte Zeit oder die hierbei zurückgelegte Strecke errechnet. Üblicherweise werden die Ergebnisse der Berechnung von Erreichbarkeitsmaßen über Choropleths visualisiert. So nutzt Bild 2 Choropleths, um die Erreichbarkeit von Schulen, ausgehend von allen Gebäuden (Berlin) bzw. Parzellen (Mexiko Stadt), zu Fuß darzustellen. So werden Unterschiede innerhalb und zwischen den Gebieten zwar auf einen Blick erkennbar, das jedoch nur grob, weil die einzelnen Abstufungen nur schwer unterscheidbar sind. Zudem vernachlässigen Contour Measures in ihrer Grundform die jeweilige Anzahl der be- Bild 1: Klassen von Erreichbarkeitsmaßen Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 29 Wissenschaft INFRASTRUKTUR troffenen Personen innerhalb des Gebietes. So geht aus Bild 2 zum Beispiel nicht hervor, dass innerhalb einiger Gebiete mit einer hohen Zugangszeit zur Schule nur wenige oder sogar keine Personen wohnen. Der hier vorgestellte Ansatz hebt die genannten Einschränkungen auf, indem er verständliche, mit frei verfügbaren Daten berechenbare Erreichbarkeitsmaße nutzt und die jeweils betroffene Bevölkerung einbezieht. Er erlaubt das Erkennen potentiell unterversorgter Gebiete, bezogen auf die in diesem Gebiet lebenden Bevölkerungsgruppen. „Unterversorgt“ beschreibt in diesem Fall einen schlechten Zugang, also eine hohe Zugangszeit, zu Orten, an denen eine bestimmte Aktivität durchgeführt werden kann. Die Zugangszeit hängt dabei sowohl von der Verteilung dieser Orte im Raum als auch von den verfügbaren Mobilitätsangeboten, zu denen auch die Beschaffenheit des Verkehrsnetzes gehört, ab. Da auch durch gesetzliche Regelungen (wie z.B. das Einsetzen von Schulbussen) ebenfalls eine ausreichende Versorgung gewährleistet werden kann, sind die Ergebnisse als Potentiale der Unterversorgung zu verstehen. Die reale Versorgungslage muss in Einzelfällen geprüft werden. Im Folgenden werden zunächst die Daten, anhand der die Beispiele modelliert worden sind, beschrieben, gefolgt von der Vorstellung der genutzten Methodik. Danach werden die Ergebnisse präsentiert. Der Beitrag endet mit einem Fazit. Genutzte Daten Der nachfolgend beschriebene Ansatz wird anhand der Beispiele Berlin und Mexiko Stadt vorgestellt, wobei beispielhaft die bereits in Bild 2 gezeigte Zugangszeit zur nächstgelegenen Grund-/ Gesamtschule genutzt wird. Weitere Erreichbarkeitsmaße für die beiden betrachteten Gebiete werden in [3] präsentiert. Die jeweils genutzten Daten wurden zumeist offiziellen Quellen entnommen. So wurden als Startpunkte für Mexiko Stadt die Flurdaten (Parzellen) des Nationalen Instituts für Statistik und Geographie [4] genutzt, welches u. a. auch die Standortdaten der Schulen bereitstellt, die als Aktivitätenalso Zielorte der berechneten Verbindungen dienten. Für die Abbildung Berlins wurden Gebäudedaten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen [5] als Startpunkte genutzt. Die Lagen der Schulen wurden ebenfalls dem Open Data-Portal der Senatsverwaltung entnommen und um die Lagen der Schulen außerhalb Berlins aus der frei verfügbaren OpenStreetMap- Datenbank (OSM) [6] angereichert. Als Teilgebiete, für die die Erreichbarkeitsmaße bestimmt werden sollten, wurden für Mexiko Stadt die „Área Geoestadística Básica“ (AGEB - Grundlegender geostatistischer Bereich), für Berlin Teilverkehrszellen (TVZ) benutzt. Betrachtet werden die Modi Laufen, Rad, Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) und MIV. Die angenommenen Höchstgeschwindigkeiten pro Modus können der Tabelle 1 entnommen werden. Diese werden durch die in der genutzten Abbildung des Straßennetzes angegebenen maximal erlaubten Geschwindigkeiten zusätzlich beschränkt. Als Grundlage für das Straßennetz, inklusive der Informationen zur Nutzbarkeit der Straßen durch die betrachteten Verkehrsträger, diente OSM. Hierbei sollte betont werden, dass OSM keine Informationen zu den tatsächlichen Durchschnittsgeschwindigkeiten beinhaltet, sondern nur die jeweils geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen. Dies führt zu unrealistisch hohen Reisegeschwindigkeiten für den Modus MIV. Die tatsächlichen Reisezeiten können z.B. aus Zählstellen oder Umlegungsmodellen gewonnen werden, ein entsprechender Datensatz lag für Mexiko Stadt jedoch nicht vor. Für die Abbildung des ÖPNV wurden in beiden Fällen Daten zum jeweiligen Angebot im General Transit Feed Specification (GTFS)-Format benutzt. Alle genutzten Datensätze sind öffentlich zugänglich und frei verfügbar. Methodik Zunächst wird von jedem Gebäude (Berlin) bzw. jeder Parzelle (Mexiko Stadt) ausgehend der schnellste Weg zur nächstgelegenen Grundschule berechnet. Nachfolgend wird der durchschnittliche Wert der Zugangszeit innerhalb eines Gebietes aus den Zugangszeiten der innerhalb dieses Gebietes liegenden Gebäude/ Parzellen gebildet. Beide Berechnungen werden von dem Programm „UrMo AC“ [7] durchgeführt. Um den Anteil der Bevölkerung, für den diese Größe relevant ist, einzubeziehen, wird für die so erhaltenen Verkehrsmodus Max. Geschwindigkeit Laufen 3,6 km/ h Rad 13,0 km/ h MIV wie in der Netzwerkbeschreibung angegeben ÖPNV Gemäß der GTFS-Fahrplandaten Tabelle 1: Angenommene Geschwindigkeiten für die betrachteten Modi Bild 2: Zugangszeit zur nächstgelegenen Grundschule; links: Berlin, rechts: Mexiko Stadt Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 30 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Zugangszeiten die Anzahl der in dem jeweiligen Gebiet lebenden Kinder im schulpflichtigen Alter bestimmt. Als Schüler werden hierbei in Berlin Kinder zwischen sechs und 15 Jahren, in Mexiko Stadt Kinder zwischen sechs und 14 Jahren angesehen. Nachfolgend werden die Zugangszeiten der einzelnen Teilgebiete aufsteigend angeordnet. Aus dieser Anordnung lassen sich die Gebiete bestimmen, innerhalb derer ein gewählter Anteil der Bevölkerung den besten bzw. den schlechtesten Zugang zu einer Art von Aktivität hat. Im Rahmen dieser Arbeiten werden nur Gebiete mit einer Mindestanzahl von 24 Kindern (minimale Klassenstärke) im schulpflichtigen Alter berücksichtig. In Gebieten mit unter 24 Schülern ist davon auszugehen, dass ein sinnvoller Schulbetrieb nur schwer realisierbar ist. Anwendung auf die Beispielgebiete Bild 3 zeigt die akkumulierte Verteilung der Zugangszeiten der Schulkinder zur nächstgelegenen Grundschule mittels verschiedener Verkehrsträger für die Räume Berlin und Mexiko Stadt. Der Mittelwert sowie die 15%-Perzentile für die verschiedenen Verkehrsträger werden in Tabelle 2 wiedergegeben. Aus der sortierten Liste lässt sich nun leicht bestimmen, wo ein bestimmter Anteil an Personen wohnt, deren Zugangszeit zu einer Schule besonders hoch ist. Bild 4 zeigt die Gebiete, innerhalb derer die am schlechtesten versorgten 15 Prozent der Bevölkerung leben. Neben dieser Möglichkeit, besonders schlecht versorgte Gebiete zu bestimmen, lassen sich auch bestimmte Schwellwerte annehmen. So kann z.B. eine maximal erlaubte Laufdauer von 15 Minuten zur nächsten Schule angesetzt werden. Bild 5 zeigt die Gebiete, innerhalb der die durchschnittliche Zugangszeit oberhalb dieser Schwelle liegt. Fazit Präsentiert wurde eine Methode, mit deren Hilfe potentiell unterversorgte Gebiete erkannt werden können. Die Methode wurde am Beispiel des Zugangs zu Schulen in den Städten Berlin und Mexiko Stadt vorgestellt, um ihre Übertragbarkeit auf verschiedene Gebiete zu demonstrieren. Die Ergebnisse in Berlin zeigen im Vergleich zu Mexiko Stadt etwas höhere Zugangszeiten zu den Grundschulen. Dies kann durch die höhere Anzahl schulpflichtiger Kinder in Mexiko Stadt (4 202 418) im Vergleich zu Berlin (310 581) erklärt werden, die erst einen sinnvollen Betrieb von Schulen in vielen Gebieten erlaubt. In Berlin haben schlechter versorgte Gebiete auch geringere Schülerdichten. Die Methode nutzt sogenannte „Contour Measures“ als Erreichbarkeitsmaß und verschneidet diese mit der jeweils betroffenen Bevölkerungszahl. Die Nutzung dieses Erreichbarkeitsmaßes hat mehrere Vorteile: Zum einen sind die Ergebnisse einfach zu interpretieren. Zusätzlich können für die Berechnungen zumeist frei verfügbare Daten genutzt werden, ohne dass modellgetriebene Annahmen benötigt werden. Die Methode kann sowohl für den Vergleich zwischen Räumen wie Städten als auch für die Identifikation schlecht angebundener Teilgebiete dieser Räume genutzt werden. Verkehrs- Modus Zugangszeit nach Bevölkerungsanteil Berlin Mexiko Stadt 15 % 50 % 85 % 15 % 50 % 85 % Laufen 433,37 s 634,21 s 1008,17 s 299,81 s 436,35 s 686,07 s Rad 171,39 s 245,63 s 369,25 s 123,22 s 171,41 s 258,79 s MIV 93,84 s 125,77 s 178,00 s 60,37 s 77,17 s 108,00 s ÖPNV 429,06 s 621,44 s 917,42 s 305,01 s 441,42 s 691,19 s Tabelle 2: Durchschnittliche Zugangszeiten zur nächstgelegenen Grundschule sowie deren 15 %-Perzentile für Schulkinder nach Verkehrsmodus Bild 3: Verteilung der Zugangszeiten zur nächstgelegenen Grundschule über die Anteile betroffener Schüler; oben: Berlin, unten: Mexiko Stadt Bild 4: Die 15 % der Gebiete mit der höchsten Zugangszeit zu einer Grundschule (nicht betroffene Gebiete sind blau dargestellt); links: Berlin, rechts: Mexiko Stadt Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 31 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Die Analyse zeigt, dass die Berechnung von Erreichbarkeitsindikatoren eine schnell zu erfassende und wertvolle Basis für die lokale Stadtplanung bietet und es darüber hinaus ermöglicht, im Rahmen von übergeordneten Planungsinitiativen Städte miteinander zu vergleichen. Mit Hilfe dieser Methode werden Berechnungen auf einer sehr feinen Auflösung von einzelnen Gebäuden bestimmt und nachträglich aggregiert. Ein zukünftiger Forschungsschwerpunkt sollte daher auf der Auswertung verschiedener Aggregationen liegen. Zudem ist es notwendig, die tatsächlichen Geschwindigkeiten im MIV-Netz vereinfacht abzubilden, z.B. über Zeitreihen. Für den Raum Berlin wären die Reisegeschwindigkeiten im Netz aus einer Umlegung verfügbar gewesen. Für den Raum Mexiko Stadt waren diese jedoch nicht vorhanden. Daher ist auf eine Nutzung verzichtet worden. Ebenfalls nicht dargestellt wurden Vergleiche in der Anbindung mittels verschiedener Verkehrsträger. Prinzipiell können aber die Ergebnisse herangezogen werden, um die Qualität verschiedener Verkehrsträger, wie zum Beispiel des ÖPNV, innerhalb der Teilgebiete miteinander zu vergleichen. ■ LITERATUR [1] Litman, T. A. (2016): Evaluating Accessibility for Transportation Planning: Measuring People‘s Ability to Reach Desired Goods and Activities, Victoria Transport Policy Institute, 2016 [2] Scheurer, J. und Curtis, C. (2007): Accessibility Measures: Overview and Practical Applications, Urbanet WORKING PAPER 2007. No. 4 [3] Krajzewicz, D. Nieland, S., Balzaretti, J.N. und Heinrichs, D. (2018): Assessing Sustainable Development Goals: a transferable approach using contour accessibility measures at the example of Berlin and Mexico City [4] Instituto Nacional de Estadística y Geografía (2017): SCINCE 2010; retrieved from http: / / www.inegi.org.mx/ est/ scince/ scince2010.aspx 2017 [5] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (2018): https: / / www.stadtentwicklung.berlin.de/ geoinformation/ fis-broker/ [6] OpenStreetMap contributors (2017): Planet dump von https: / / planet.osm.org [7] Krajzewicz, D., Heinrichs, D. und Cyganski, R. (2017): Intermodal Contour Accessibility Measures Computation Using the ‚UrMo Accessibility Computer‘. In: International Journal On Advances in Systems and Measurements, 10 (3&4), Seiten 111-123. IARIA Dirk Heinrichs, Prof. Dr.-Ing. habil. Abteilungsleiter Mobilität und Urbane Entwicklung Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, Berlin dirk.heinrichs@dlr.de Jorge Narezo Balzaretti Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, Berlin jnarezo7@gmail.com Simon Nieland, Dr. rer. nat Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, Berlin simon.nieland@dlr.de Daniel Krajzewicz, Dipl.-Inf. Gruppenleiter, Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, Berlin daniel.krajzewicz@dlr.de Bild 5: Gebiete mit einer Zugangszeit zur Schule von über 15 Minuten (nicht betroffene Gebiete sind blau dargestellt); links: Berlin, rechts: Mexiko Stadt EUROPEAN TRANSPORT CONFERENCE 2018 The 46 th European Transport Conference Annual Conference of the Association for European Transport 10-12 October 2018 Dublin Castle, Ireland @EuTransportConf www.aetransport.org AET European Transport Conference (ETC) Bookings for 1-3 days are now open! As well as engaging plenaries, including a keynote by Professor Peter Balázs, coordinator of the North Sea-Mediterranean EU Corridor, we’re delighted that this year’s Conference will be opened by the Irish Minister of Transport, Tourism and Sport, Shane Ross TD. With its vibrant social calendar, the Conference also provides excellent opportunities to broaden your network with transport experts from around the world. w Icebreaker Reception sponsored by ITS Ireland w Civic Reception presented by Dublin City Council w Conference Dinner pre-dinner drinks sponsored by Aimsun w Three Day LEAP Card (rechargeable travel card) sponsored by Transport for Ireland and the National Travel Authority To view the programme and book your place, please visit www.aetransport.org or contact Sabrina Winter at sabrina@tftp-training.co.uk *All fees shown are subject to 20% VAT. Discounts are available for new member states of the EU andYoung Researchers and Practitioners. Please see website for full details. Delegate Fees * 1 Day 2 Days 3 Days/ Rover w Individual AET Member £300 €360 £595 €720 £795 €960 w Organisation Member £290 €350 £575 €700 £760 €920 of AET or ECTRI w Non-Members £340 €410 £670 €820 £930 €1,125 J000167 Full bookings Internationales Verkehrswesen advert 88x126 v1.indd 1 05/ 07/ 2018 12: 41 Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 32 INFRASTRUKTUR Advertorial Seilbahnen als Zukunftsmodell urbaner Mobilität Vielerorts sind sie aus dem Stadtbild bereits nicht mehr wegzudenken: Urbane Seilbahnen sind längst wieder in Mode und sind als nachhaltiges Nahverkehrsmittel gefragter denn je. Dabei überzeugt das System Seilbahn nicht nur mit seinen bekannten Vorteilen gegenüber anderen Transportmitteln, sondern zugleich mit seiner enormen Wandelbarkeit. Das lässt die Seilbahn zur richtigen Antwort auf unterschiedliche Bedürfnisse von Mobilität werden. LEITNER ropeways® sieht sich dabei als wichtiger Partner und Förderer dieser Entwicklung. Dies auch deshalb, da sich das Unternehmen nunmehr seit 130 Jahren zu den Vorreitern in Sachen Seilbahn-Technologie zählt. E iner der größten Vorteile der Seilbahn ist dabei der geringe Platzbedarf. Da Stützen und Stationen wenig Raum benötigen, fügen sich die Anlagen zudem optimal in das Stadtbild ein. Außerdem verkehren Seilbahnen immer auf ihrer „eigenen Fahrbahn“, weshalb sie im Gegensatz zu Bussen und Straßenbahnen nicht von der aktuellen Verkehrssituation beeinträchtigt werden. Das Ergebnis: gleichmäßige Fahrtzeiten und stetige Beförderung. Für den Bau einer Seilbahn sprechen auch die im Vergleich zu anderen Systemen geringeren Kosten. Diese resultieren vor allem aus der kurzen Errichtungszeit dank modularer Bauweise. So kostet eine Seilbahn maximal die Hälfte im Vergleich zu einer Straßenbahn und maximal ein Zehntel im Vergleich zu einer U- Bahn. Auch in Sachen Streckenführung zählt die Seilbahn zu den am vielfältigsten einsetzbaren Verkehrsmitteln. Sie können größere Fahrbahnneigungen bewältigen als jedes andere Fahrzeug und flexibel an jedes Gelände angepasst werden. In Kombination mit der positiven Energiebilanz - niedrigerer ökologischer Fußabdruck und geringere CO 2 -Emissionen - entsteht damit ein einzigartiges Gesamtangebot, das für die Bedürfnisse von Städten wie geschaffen ist. Berliner Seilbahn soll Teil des Öffi-Netzes werden Ein Beispiel für die perfekte Umsetzung ist die bundesdeutsche Hauptstadt Berlin. Hier errichtete LEITNER ropeways im Rahmen der Internationalen Gartenausstellung 2017 (IGA Berlin 2017) eine Seilbahn, die dank ihrer Streckenführung nicht nur bei Besucherinnen und Besuchern der IGA schon bald zum beliebten Verkehrsmittel wurde. Umgesetzt wurde eine kuppelbare 10er- Einseilumlaufbahn mit 65 Kabinen, wovon sechs Stück mit Glasfußboden für einen spektakulären Blick auf die Ausstellung aus der Vogelperspektive sorgen. Die Seilbahn verkehrt auf einer Gesamtlänge von 1,5 Kilometern in Ost-West-Ausrichtung. Außerhalb der drei Stationsgebäude - die Station Kienbergpark an der U-Bahn-Linie „Kienberg - Gärten der Welt“, die Mittelstation „Wolkenhain“ am Gipfel des Kienberges sowie die Station „Gärten der Welt“ beim IGA- Haupteingang am Blumberger Damm - wurden lediglich sechs Stützen errichtet. Eindrucksvoll war neben dem Erscheinungsbild der Bahn auch deren erste „Zwi- Die im Rahmen der IGA Berlin 2017 errichtete Seilbahn könnte künftig auch in das Verkehrsnetz der Berliner Verkehrsbetriebe integriert werden. INFRASTRUKTUR Advertorial Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 33 Advertorial INFRASTRUKTUR schenbilanz“ nach sechs Monaten Betrieb: Zu diesem Zeitpunkt wurden drei Millionen Fahrten gezählt, was die Bedeutung der Bahn als Highlight der IGA auch in Zahlen bestätigte. Doch damit ist die Berliner Erfolgsgeschichte noch lange nicht am Ende. So wird in der Metropole derzeit politisch diskutiert, die Bahn in das Verkehrsnetz der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zu integrieren. Dazu führte vor allem die positive Resonanz der Bewohnerinnen und Bewohner aus Marzahn-Hellersdorf, die schon rasch nach der Inbetriebnahme zu begeisterten Seilbahnfahrerinnen und -fahrern wurden. Eine Einbindung der Anlage zu den Tarifen der BVG würde die Attraktivität der Bahn weiter erhöhen und zudem deren Leistungsfähigkeit optimal ausnützen. Ungeachtet einer positiven Entscheidung betreibt LEITNER ropeways die Seilbahn jedenfalls bis 2020 mit einer Option der Betriebsverlängerung um zehn Jahre. Mexico City mit 9,6 Millionen Passagieren als Vorbild Bei der Entscheidung für die Seilbahn als urbanes Nahverkehrsmittel gilt auch das Projekt von LEITNER ropeways in Mexico City für viele andere Stadtregierungen als Vorbild. Dort startete 2016 die erste urbane Seilbahn Mexikos als Teil des öffentlichen Verkehrssystems ihren Betrieb. Die fast fünf Kilometer lange Anlage besteht aus zwei Kabinenbahnen und trägt nunmehr seit zwei Jahren einen wichtigen Teil zur Lösung von Verkehrsproblemen in Ecatepec de Morelos, einem bevölkerungsreichen Stadtteil von Mexico City, bei. Auf den Streckenabschnitten von ca. 2900 beziehungsweise 1800 Metern Länge gibt es insgesamt sieben Stationen zum Zu- und Ausstieg. Die 10er-Kabinen absolvieren dabei 55 und 62 Meter Höhenunterschied. Besonderes Augenmerkt legten LEITNER ropeways und die Stadtverwaltung auch auf eine attraktive Gestaltung der Anlage. So beleben die von regionalen und internationalen Künstlern bemalten Stationen bis heute das Stadtbild und sorgen auf diesem Wege für eine kunstvolle Aufwertung. Die Anlage ist täglich 17 Stunden im Einsatz und befördert dabei 3000 Personen pro Stunde. Für die Bewohner und Besucher von Ecatepec de Morelos bedeutet diese Verbindung eine erhebliche Erleichterung und Verbesserung der Lebensqualität, dank sauberer, umweltfreundlicher und moderner Fortbewegung. Denn anstatt 50 Minuten lang im Stau zu stehen, gelangen die Passagiere in weniger als 19 Minuten zur Hauptverkehrsverbindung in das Stadtgebiet von Mexiko City. Und die Zahlen sprechen eine mehr als deutliche Sprache: Im Durchschnitt nützen 18 000 Personen täglich die Bahn, seit Oktober 2016 waren dies insgesamt bereits 9,6 Millionen Passagiere. Die erste urbane Seilbahn in der Karibik Ein spektakuläres Projekt realisierte kürzlich auch POMA, ein französisches Schwesterunternehmen der LEITNER-Unternehmensgruppe. Mit dem Start der „Teleférico Santo Domingo“ ist nun auch die erste urbane Seilbahn in der Karibik in Betrieb. Die rund fünf Kilometer lange Anlage mit vier Stationen verbindet das Stadtzentrum mit der Provinz Santo Domingo Ost. Die Seilbahn ist zudem ein wichtiger Zubringer zu den U-Bahnen METRO I und METRO II. Die Bedeutung der Bahn für den lokalen und regionalen Verkehr zeigte sich bereits, als Regierungspräsident Danilo Medina und Vizepräsidentin Margarita Cedeño de Fernandez an der Eröffnungsfeier teilnahmen und der Rolle des Projekts somit höchsten Ausdruck verliehen. Mit seiner Funktion als Verbindung zwischen Barrio Barquita, dem Stadzentrum von Santo Domingo und einem Außenbezirk wird das Transportsystem „Teleférico Santo Domingo“ unmittelbar auf die Lebensqualität von 300 000 Menschen einwirken. Durch die Reduktion des Individualverkehrs und die Entlastung bestehender Verkehrssysteme kommt es zu einer umweltschonenden Ergänzung bei den täglichen Transportkapazitäten und somit zugleich zum Aufbau einer nachhaltigen und leistungsstarken Verkehrsinfrastruktur. ■ KONTAKT UND INFORMATION LEITNER AG / SpA Brennerstraße 34 | Via Brennero, 34 39049 Sterzing / Vipiteno (I) Tel. +39 0472 722 111 Fax +39 0472 724 111 info@leitner-ropeways.com www.leitner-ropeways.com Die 2016 eröffnete Seilbahn in Mexico City befördert stündlich rund 3000 Bewohner und Besucher des Stadtteils Ecatepec de Morelos. Die neue, rund fünf Kilometer lange „Teleférico Santo Domingo“ verbindet das Stadtzentrum mit der Provinz Santo Domingo Ost. Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 34 Kooperation TransRegio Alliance Dialog zur Mobilitäts- und Raumentwicklung zwischen Interreg-Akteuren in den fünf ostdeutschen Bundesländern Interreg, Mobilität, ländlicher Raum, Regionalentwicklung Für die Entwicklung ländlicher Räume ist eine gute Verkehrsanbindung mit Bus und Bahn wichtig. Allerdings sind in Schrumpfungsregionen und in wachsenden ländlichen Räumen im Umland von Metropolen unterschiedliche Ansätze gefragt. Interreg-Projekte bieten eine gute Möglichkeit, neue Lösungen zu testen, finanzielle Risiken zu senken und Entwicklungskosten durch das gegenseitige Lernen zu reduzieren. Die 2017 vom Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. und der Gemeinsamen Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg gegründete Kooperation „TransRegio Alliance“ möchte die verkehrliche Anbindung der ländlichen Regionen untereinander sowie an das europäische Kernnetz stärken. Dazu arbeiten Akteure aus den fünf ostdeutschen Bundesländern zusammen. Georg Werdermann L ändliche Räume sind wieder ein wichtiges Handlungsfeld der Politik. Und das nicht erst seit dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Vielmehr beschäftigen sich die Planerinnen und Planer, aber auch die Politik bereits seit einiger Zeit mit den Regionen außerhalb der urbanen Zentren. Im Fokus stehen eine Reihe von Handlungsfeldern wie etwa Daseinsvorsorge, Mobilitätsangebote und -konzepte, Breitband- und Mobilfunkausbau sowie Unternehmens- und Behördenansiedlungen. Die Ursachen für das steigende Interesse liegen auf der Hand: Einerseits sind es die Herausforderungen durch den demografischen Wandel und die geringe wirtschaftliche Entwicklung in Schrumpfungsregionen (siehe BBSR-Online-Publikation, Nr. 18/ 2015), die nach alternativen Konzepten rufen. Auf der anderen Seite stehen die ländlichen Räume im Einzugsgebiet großer Metropolen, die eine Entlastung für deren heiß laufende Siedlungsentwicklung und Immobilienmärkte bieten. Strategien an Regionen anpassen In schrumpfenden wie in wachsenden ländlichen Räumen sind Mobilität und verkehrliche Anbindung Schwerpunktthemen. Mit Blick auf die unterschiedlichen Problemlagen müssen allerdings regional differenzierte Strategien zum Einsatz kommen. In Schrumpfungsregionen sind bedarfsorientierte und verlässliche Angebote notwendig, die im Spannungsfeld von sinkender Nachfrage, knappen öffentlichen Kassen und einem zurückgehenden Schülerverkehr gestaltet werden müssen. Mittelfristig können dabei Digitalisierung und autonom fahrende Busse eine wichtige Rolle spielen. Modellprojekte zum autonomen Fahren mit kleinen Bussen wie in Neuruppin, Brandenburg oder im bayerischen Bad Birnbach bieten dabei Anhaltspunkte für die zukünftige Entwicklung. Ehrenamtliche Angebote in Verbindung mit speziellen Bedienformen wie bei Bürgerbussen, Rufbussen und Ser- Fotos: pixabay.de INFRASTRUKTUR Entwicklungsstrategien Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 35 Entwicklungsstrategien INFRASTRUKTUR vicebussen spielen ebenso eine Rolle; können jedoch höchstens eine ergänzende Lösung sein. Wichtig sind auch die bessere Vertaktung von Bus- und Bahnverkehr, die Verknüpfung von Personenverkehr und Logistik (z. B. Transport von Frachtgütern in Bussen des Personennahverkehrs in den Landkreisen Uckermark und Saalfeld-Rudolstadt), ein besseres Marketing und die Ansprache neuer Nutzergruppen. Reduzieren oder Angebote verbessern? In Räumen mit Bevölkerungsrückgang geht es oft um die Frage, ob man mit einem entsprechend reduzierten Angebot reagiert, oder versucht, entgegen dem Trend mit guten Angeboten eine Nachfrage auch bei neuen Zielgruppen zu stimulieren. Die Erfahrungen beispielsweise in Sachsen-Anhalt zeigen, dass es sich lohnt, genauer hinzusehen und attraktive Offerten auch in einem schwierigen Umfeld zu entwickeln. Diese müssen einfach und verständlich sein, es muss einen Taktverkehr mit attraktiver Bedienungshäufigkeit geben und die Liniennetze müssen ausgebaut werden. Die Konzentration des klassischen Linienverkehrs auf starke Achsen muss in dünn besiedelten Räumen mit flexiblen Bedienformen ergänzt werden. Umwege gilt es zu vermeiden, es braucht mehr Haltestellen für kurze Wege und insgesamt differenzierte Angebote je nach Einsatzgebiet. Die Beispiele aus der Praxis zeigen: Wenn zusätzlich noch die Zugangsbarrieren niedrig sind und das Angebot selbstbewusst und offensiv angeboten wird, gibt es eine realistische Chance auf Erfolg. Zudem helfen einheitliche Qualitätsvorgaben, die Nachfrage zu bedienen. Dazu gehören abgestimmte Takte, täglich von früh bis spät, auch am Wochenende, an Feiertagen und in den Ferien. Die Verbindungen müssen gute Anschlüsse und kurze Umstiege bieten. Auch eine hohe Fahrzeugqualität und die kostenlose Fahrradmitnahme sowie Platz für Rollstuhlfahrer und Kinderwagen sind wichtig. Auf dem Weg zu attraktiven Lösungen muss aber gerade in strukturschwachen Regionen noch eine Reihe von Herausforderungen angegangen werden. Die Personalkosten stellen viele Verkehrsunternehmen vor die Frage, wie Angebote einerseits kostengünstig und anderseits rechtssicher gemacht werden können. Auch die Schließung von Taxi-Standorten im ländlichen Raum erschwert die Einrichtung von flexiblen Systemen wie Rufbussen, da es immer schwieriger wird, Taxiunternehmer als Partner zu finden. Der Blick auf das Personenbeförderungsgesetz wirft auch noch viele rechtliche Fragen auf. Herausforderungen in metropolnahen Regionen In metropolnahen ländlichen Räumen wiederum muss es um ganz andere Ansätze gehen. Heftig diskutiert werden die Wiederaufnahme stillgelegter Schienenverbindungen, eine Verdichtung der Takte im Regionalverkehr, die Einbindung in Verkehrsverbünde der Metropolen oder die Überarbeitung der Tarifzonen zur Vermeidung von Pendel- und Parksuchverkehren in günstige, innenstadtnahe Gebiete. Auch die Verbesserung multimodaler Angebote wie etwa der Ausbau von Park & Ride-Plätzen, Möglichkeiten der Fahrradmitnahme oder deren Ausleihmöglichkeiten sind Thema. Aktuell kommen in vielen dieser Gebiete noch zusätzliche Herausforderungen hinzu. So zum Beispiel der Mangel an Fahrpersonal oder Fahrzeugen, stark steigende Nutzerzahlen bei gleichbleibender Kapazität sowie viele Baustellen durch einen langjährigen Wartungsstau. Interreg-Projekte entwickeln neue Lösungen Die Interreg-Projekte, die sich in der 2017 gegründeten TransRegio Alliance austauschen, bieten sowohl für schrumpfende als auch wachsende ländliche Regionen einen guten Rahmen, um Probleme zu analysieren und Lösungen modellhaft zu testen. Die Projekte senken zudem finanzielle Risiken, erleichtern durch den thematisch-fachlichen Austausch die Übernahme von Erfahrungen in anderen Partnerregionen und bieten die Möglichkeit, erfolgreiche Ansätze in den politischen Raum zu kommunizieren 1 . Das Mitteleuropa-Projekt SubNodes unter Leitung des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft beispielsweise geht der Frage nach, wie das Hinterland des transeuropäischen Schienenverkehrsnetzes besser mit den bestehenden Hauptknoten verknüpft werden kann. Hintergrund ist die Erfahrung, dass die Anbindung vieler Regionen an die Hauptknotenpunkte unzureichend ist und diese Gebiete somit nur eingeschränkt von den Hochgeschwindigkeitsnetzen profitieren. Um Fahrgästen eine durchgängige Reisekette zu bieten, sollen daher geeignete Mittelzentren zu intermodalen, sekundären Knoten des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) entwickelt werden, so genannte „Subknoten“. Der Freistaat Thüringen hat sich das Ziel gesetzt, die Kohlenstoffdioxid-Emissionen des Landes bis zum Jahr 2023 um 400 000 t zu senken. Da der Verkehrssektor für rund 20 % der Emissionen verantwortlich ist, bestehen hier hohe Einsparpotentiale. Gleichzeitig befindet sich die Struktur des ÖPNV in Thüringen vor dem Hintergrund der Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Nürnberg und der wachsenden Bedeutung des ICE-Knotens Erfurt, einhergehend mit einer Reduzierung des Schienenfernverkehrsangebots in anderen thüringischen Städten (insbesondere Jena und Weimar), im Umbruch. Vor dem Hintergrund der nach wie vor starken Abwanderung vor allem junger Menschen aus dem ländlichen Raum in Richtung der urbanen Zentren und wirtschaftlich stärkerer Räume vor allem in Süddeutschland stellt die Optimierung der CO 2 -armen Anbindung ländlicher Räume eine große Herausforderung für den Freistaat dar. Um hier die Erfahrungen anderer europäischer Regionen nutzen zu können, hat das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Freistaats Thüringen (TMIL) das EU-Projekt OptiTrans initiiert, das zwischen 2017 und 2021 aus Mitteln des Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 36 INFRASTRUKTUR Entwicklungsstrategien Programms Interreg Europe finanziert wird. Inhalt des Projektes ist ein intensiver Erfahrungsaustausch zu Fragen der Planung und Organisation des ÖPNV, um am Ende der ersten Projektphase für alle beteiligten Regionen einen Aktionsplan vorlegen zu können. RUMOBIL ist ein transnationales Kooperationsprojekt zwischen öffentlichen Verwaltungen und ihren Nahverkehrsagenturen. Es wird koordiniert durch das Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt. Das Ziel ist die gemeinsame Entwicklung und Erprobung neuer Ansätze zur Anbindung ländlicher vom demografischen Wandel besonders betroffener Orte an den ÖPNV und überregionale Verkehrswege. Acht verschiedene Pilotvorhaben, die über Europa verteilt in den Teilnehmerländern umgesetzt werden, sind Teil von RUMOBIL. Im Rahmen des Projektes werden beispielsweise in Möser und Osterburg (Sachsen-Anhalt) Bürgerbusse eingesetzt. Durch die gezielte Unterstützung von Initiativen zur Gründung von Bürgerbzw. Gemeindebussen sollen neue Angebote zur Verbesserung der Nahmobilität und Feinerschließung in kleinen Gemeinden geschaffen werden, die das bestehende ÖPNV-Angebot sinnvoll ergänzen. Das Projekt wird gefördert durch das Interreg-Programm für Mitteleuropa. Im Fokus des Interreg-Projektes Peripheral Access, ebenfalls kofinanziert durch das Interreg-Programm für Mitteleuropa, steht die Verbesserung der Mobilität in ländlichen Räumen, im Hinterland von Ballungsräumen und in Grenzregionen. Dazu unterstützt Peripheral Access Intermodalität und Infrastruktur in den beteiligten Regionen, setzt intelligente Kommunikationstechnologien ein und wendet innovative Kooperations- und Marketingansätze an. Konkret geht es etwa um die Entwicklung einer bi-lingualen und grenzüberschreitenden Marketingkampagne für die Elstertalbahn im Vogtland oder die Einrichtung einer intermodalen Mobilitätsstation (ÖPNV, e-Carsharing, Taxi, Haltestellen für regionalen Rufbus, Radverkehr) im ländlichen Raum in der Region Graz. 2 Das Projekt Scandria®2Act steht ebenfalls für die Kooperation zwischen Metropolen und dem sie umgebenen Umland. Insbesondere durch die Verbindung der regionalen Bedürfnisse im Transportbereich mit der transnationalen und europäischen Ebene wird die Standortqualität in den Regionen entlang des Korridors für Industrie und Dienstleistungen aufgewertet. Zudem werden in der Zusammenarbeit der Partnerregionen in einer Allianz ähnliche Herausforderungen gemeinsam bearbeitet, z. B. Stärkung multimodaler Personen- und Güterverkehrsinfrastrukturen, Optimierung der Pendlerverkehre, Informationen und Ticketing im ÖPNV sowie verkehrsbedingte Flächenbedarfe und grüne Logistiklösungen. Das Projekt wurde von der EU-Kommission als Flaggschiff-Projekt der Ostseestrategie im Bereich Verkehr anerkannt. Dies beinhaltet eine enge Kooperation insbesondere zu den nationalen Koordinatoren der Priorität Verkehr der Ostseestrategie sowie eine starke politische Unterstützung des Projektes. Das Projekt NSB CoRe verbessert die Erreichbarkeit in der östlichen Ostseeregion für den Güter- und Personenverkehr. Im Fokus stehen dabei insbesondere die regionale und lokale Arbeitsebene sowie ebenfalls Grenzregionen. Das Projekt bringt dazu die Perspektiven der Verkehrsunternehmen und Nutzer im Güter- und Personenverkehr auf transnationaler Ebene zusammen. Konkret wird u. a. versucht, Fernverkehre noch besser mit urbanen Mobilitätsströmen zu synchronisieren. Dazu wird im Rahmen des Projektes in ausgewählten Korridoren in IKT-basierte Lösungen und Infrastruktur investiert. Die Projektaktivitäten sollen dazu beitragen, dass Verkehrs- und Regionalplanung besonders bei grenzüberschreitender Zusammenarbeit noch stärker integriert betrachtet werden. Dazu entwickeln die Projektpartner gemeinsam Politikempfehlungen und transnationale Leitbilder. Im Rahmen des Projektes TRANS-BOR- DERS (Interreg Mitteleuropa) wird die Anbindung peripherer Grenzregionen an das transeuropäische Verkehrsnetz verbessert. Dazu wird untersucht, wie die Erreichbarkeit dieser Regionen über nächstgelegene Netzknoten dies- und jenseits der Grenzen durch grenzüberschreitend abgestimmte, Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 37 Entwicklungsstrategien INFRASTRUKTUR intermodale und umweltfreundliche Mobilität verbessert werden kann. Ziel ist, die Attraktivität dieser Regionen zu erhöhen und somit den Herausforderungen des demographischen Wandels zu begegnen. Mit Blick auf die dafür notwendigen Entscheidungsprozesse sollen durch das Projekt interministerielle und ressortübergreifende Zusammenarbeit gestärkt und ein reibungsloser Entscheidungs- und Politikgestaltungsprozess zwischen grenzübergreifenden Regionen erreicht werden TransRegio Alliance - thematische Kooperation von Interreg-Projekten Die TransRegio Alliance als Kooperation von Interreg-Akteuren verleiht dem Wunsch vieler Beteiligter nach einer größeren Vernetzung thematisch verwandter Vorhaben in den Bereichen Verkehr und Mobilität Ausdruck und festigt bestehende informelle Kooperationsstrukturen. Im Rahmen der Allianz können die Beteiligten ihr Vorgehen besser abstimmen, Informationen auf die politische und operative Ebene in den relevanten Ministerien rückkoppeln und somit allen (Interreg-)Akteuren einen höheren Wirkungsgrad verschaffen. Die Arbeitsgemeinschaft baut auf der Berliner Erklärung von 2007 auf, bei der sich die für Raumordnung zuständigen Vertreterinnen und Vertreter der Länderministerien aus Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt für den Ostsee-Adria- Entwicklungskorridor als wirtschaftlichen Verflechtungsraum und raumordnerisches Leitbild aussprachen. Ziel der TransRegio Alliance-Arbeitsgemeinschaft ist nun die Unterstützung und Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit zu Fragen der besseren verkehrlichen Anbindung der Regionen an das europäische Kernnetz „Verkehr“ (TEN- V), die Verknüpfung lokaler Knoten in den Regionen mit den zentralen Kernnetzknoten, die räumlichen Herausforderungen von Verkehrsknoten aber auch die Stärkung von Stadt-Land-Partnerschaften in diesen Räumen. Das Projekt wird aus dem Bundesprogramm für transnationale Zusammenarbeit über eine Laufzeit von zweieinhalb Jahren gefördert. Politisches Bekenntnis und zusätzliche finanzielle Mittel notwendig Gute Lösungen für attraktive Mobilitätsangebote in ländlichen Räumen sind allerdings nicht zum Nulltarif zu bekommen. Dafür sind mehr als nur Pilotprojekte notwendig: Es braucht ein deutliches Bekenntnis zum öffentlichen Personennahverkehr. Dafür müssen ausreichende finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zur Luftqualität scheint es in diesem Bereich Bewegung zu geben. Der ÖPNV wird zunehmend wieder als das Verkehrsmittel verstanden, das im Vergleich zum Individualverkehr am effektivsten und umweltfreundlichsten viele Menschen auf den Hauptachsen transportieren kann; wegen des nach wie vor vergleichsweise hohen Flächenverbrauchs stellen PKW mit elektrischem Antrieb keine adäquate Alternative dar. Klar ist zudem, dass es eine gut funktionierende Anbindung des ländlichen Raumes nur im Zusammenhang mit flankierenden Maßnahmen auch im urbanen Gebieten geben kann. Die Maut für Innenstädte, ein effektives Parkraummanagement, gute Verleihangebote für Räder und PKW in Stadt und Region müssen gegebenenfalls unterstützen. Regionale Mobilität muss in Zukunft als Gesamtsystem verstanden werden. Denn: Die Stadt von heute ist die Region. ■ 1 Übersicht aller Projekte unter: www.interreg-central.eu 2 Weitere Informationen und Links unter www.internationales-verkehrswesen.de/ interreg-sommeruniversitaet Georg Werdermann, Dr.-Ing. Projektleiter, Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Berlin g.werdermann@deutscher-verband. org HINTERGRUND Die Partner der Kooperation TransRegio Alliance An der 2017 vom Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. und der Gemeinsamen Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg gegründeten Kooperation „TransRegio Alliance“ sind auch die Verkehrs- und Landesentwicklungs-Ministerien der ostdeutschen Bundesländer beteiligt. Die Teilnehmer der Arbeitsgemeinschaft sind zudem alle als Partner in verschiedene Projekte der transnationalen Zusammenarbeit zum Thema Mobilität involviert. Dies ermöglicht einen Austausch zu regionalen, nationalen und europäischen Aspekten der Verkehrsanbindung. • Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (Projektkoordination & Lead Partner Peripheral Access) • Gemeinsamen Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg (Lead Partner Scandria®2Act) • Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (Lead Partner SubNodes & OptiTrans) • Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr, Sachsen-Anhalt (Lead Partner RUMOBIL) • Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Berlin (Projektpartner NSB CoRe) • Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung, Mecklenburg-Vorpommern • Sächsisches Staatsministerium des Inneren (Lead Partner „Transborders“ ist das Sächsische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) fördert im Rahmen des Bundesprogramms Transnationale Zusammenarbeit. Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 38 INFRASTRUKTUR Infrastrukturmängel Staus belasten immer mehr Unternehmen Ergebnisse von Unternehmensbefragungen im Herbst 2013 und im Frühjahr 2018 Verkehrsinfrastruktur, Infrastrukturmängel, Konjunkturumfrage, Straßenverkehr, Schienenverkehr Die deutsche Infrastruktur wandelt sich vom Standortvorteil zum Hemmschuh. Immer mehr Unternehmen werden in ihrer Geschäftstätigkeit durch Infrastrukturmängel beeinträchtigt, wie eine aktuelle Unternehmensbefragung des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt. Insbesondere Mängel im Straßennetz belasten die Unternehmen. Zudem zeigt ein Vergleich mit der Vorgängerbefragung vom Herbst 2013, dass sich die Lage deutlich verschlechtert hat. Michael Grömling, Thomas Puls S taurekorde, gesperrte Brücken und lahmgelegte Bahntrassen - in den vergangenen Jahren häuften sich schlechte Nachrichten über die Verkehrsinfrastruktur. Generell hat die öffentliche Hand über lange Zeit zu wenig Geld investiert und stattdessen eher konsumiert [1]. Das zeigt sich beim Zustand der Verkehrswege deutlich. Hohe Belastung und Investitionsrückstände sorgen für Staus und Ausfallrisiken beim Transport. Da eine arbeitsteilige Wirtschaft auf einen möglichst reibungslosen Transport angewiesen ist, führen die Mängel in der Infrastruktur zu wachsenden Beeinträchtigungen im Geschäftsablauf der Unternehmen. Um die Belastungslage zu quantifizieren, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Frühjahr 2018 mehrere tausend Unternehmen zu den Auswirkungen des Infrastrukturzustandes auf ihre Geschäftsabläufe befragt. Damit wurde eine gleichlautende Befragung aus dem Herbst 2013 wiederholt, die bereits deutlich zeigte, dass die Mehrheit der Unternehmen inzwischen von Infrastrukturmängeln beeinträchtigt wurde [2]. Gut eine Legislaturperiode später-hat sich das Ergebnis noch einmal deutlich verschlechtert. Der Handlungsbedarf hat sich dadurch erhöht, wobei sich allerdings auch die Hauptgründe für die Probleme geändert haben. Befragungsdesign und Resonanz Im Rahmen der Konjunkturumfrage vom Herbst 2013 befragte das IW bereits Unternehmen in Deutschland, ob ihre Geschäftsabläufe im Allgemeinen durch Infrastrukturprobleme regelmäßig beeinträchtigt werden. Zudem wurde ermittelt, ob die Unternehmen in den Infrastrukturbereichen Straßenverkehr, Schienenverkehr, Luftverkehr, Schiffsverkehr, Energieversorgung und Kommunikationsnetze keine, geringe oder deutliche Beeinträchtigungen verspürten. Die Befragung lieferte eine umfangreiche Datenbasis, mit der das Beeinträchtigungsniveau nach Regionen und Branchen dargestellt werden konnte. Von den insgesamt gut 3300 Unternehmen, die im Jahr 2013 auswertbare Antworten zur konjunkturellen Lage zur Verfügung stellten, gingen 2870 Unternehmen auf die Fragen zur Infrastruktur ein. Diese Sonderfragen zur Infrastruktur wurden im Frühjahr 2018 erneut gestellt. Im Zeitraum März bis April äußerten sich insgesamt rund 2600 Unternehmen hierzu. Für die Konjunkturumfrage lagen über 2800 auswertbare Antworten vor. Die Fragen zu den Beeinträchtigungen der betrieblichen Geschäftsabläufe infolge von Infrastrukturmängeln waren deckungsgleich mit jenen vom Herbst 2013. Somit ist eine direkte Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleistet. Es ist allerdings zu beachten, dass es sich bei der IW-Konjunkturumfrage nicht um eine Panelbefragung mit einem konstanten Teilnehmerkreis handelt. Die Gruppe der regelmäßig teilnehmenden Betriebe ist jedoch dominierend und weitgehend stabil. Mehr als zwei Drittel der Unternehmen melden inzwischen regelmäßige Beeinträchtigungen der Geschäftsabläufe Gut 68 % der befragten Unternehmen meldeten im Frühjahr 2018, dass sie in ihrer Geschäftstätigkeit durch die Probleme und Mängel mit der Infrastruktur regelmäßig in einer negativen Weise beeinflusst würden. Von deutlichen Beeinträchtigungen sprachen 16 %. Das entspricht einer deutlichen Zunahme gegenüber dem Herbst 2013. Vor vier Jahren sahen sich insgesamt 58 % der Unternehmen beeinträchtigt, darunter 10 % stark. Der größere Teil der Zunahme fand also in der kritischen Antwortkategorie statt. Diese Ergebnisse lassen sich nach Branchen, Unternehmensgrößen und Regionen differenzieren [3]. In der regionalen Betrachtung ragt Nordrhein-Westfalen heraus. Im größten Bundesland sahen sich 70 % der Unternehmen beeinträchtigt, davon 18 % deutlich. Am schlechtesten war die Lage im Ruhrgebiet, wo der Anteil der beeinträchtigten Unternehmen sogar 77 % betrug. Die größten Beeinträchtigungen stammen vom Straßenverkehr Die zweite Frage zeigte sehr deutlich, dass die meisten Beeinträchtigungen im Straßenverkehr auftreten. Der Schienenverkehr folgt mit großem Abstand, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Schiene von deutlich weniger Unternehmen auch genutzt wird. Für die Firmen, die diese Verkehrsträger nutzen, können die Infrastrukturmängel jedoch erhebliche Folgen im täglichen Betriebsablauf nach sich ziehen. Im Bereich Straße meldeten fast 73 % der Unternehmen Beeinträchtigungen, eine Zunahme um etwa 8 % gegenüber 2013. Fast 32 % aller Betriebe sprechen sogar von deutlichen Behinderungen. Hier beträgt das Plus gegenüber 2013 sogar 9 %. Auch bei der Schiene hat sich die Situation sichtbar ver- Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 39 Infrastrukturmängel INFRASTRUKTUR schlechtert. Hier stieg der Anteil der beeinträchtigten Unternehmen von 20 % auf 25 % an, wovon aktuell knapp 6 % deutliche Beeinträchtigungen melden. Die Bauindustrie sieht sich am stärksten beeinträchtigt Alle definierten Branchen diagnostizieren eine Verschlechterung der Lage gegenüber 2013 (Bild 1). Am stärksten sieht sich die Bauwirtschaft belastet. Inzwischen melden 79 % der Bauunternehmen infrastrukturbedingte Probleme im Straßenverkehr, 37 % gaben deutliche Beeinträchtigungen an. Damit ist die Zahl der deutlich beeinträchtigten Unternehmen stark gestiegen, während bei den einfach Beeinträchtigten ein leichter Rückgang zu verzeichnen war. Eine Erklärung für die großen Probleme der Bauwirtschaft mit den Straßen liegt darin, dass diese Branche primär die kommunalen und regionalen Netze nutzt, die in einem besonders schlechten Zustand sind. In dem kommunal orientierten Nutzungsmuster dürfte auch die Erklärung dafür liegen, dass wie schon 2013 die Dienstleistungsunternehmen die zweithöchsten Belastungen melden. Anzumerken ist, dass der Anstieg der stark beeinträchtigten Dienstleistungsunternehmen mit plus 11 % sehr stark ausfällt. Den stärksten Anstieg verzeichnete aber die Vorleistungsgüterbranche. Hier stieg der Anteil der durch Straßenmängel beeinträchtigten Unternehmen von 56 % in 2013 auf 74 % an. Die Masse des Anstiegs geht auf die markante Steigerung bei den deutlich Beeinträchtigten zurück. Das Transportverhalten dieser Branche dürfte aber stärker auf Autobahnen und Bundesstraßen ausgerichtet sein. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Zahlen das Resultat von mehr Staus auf den wichtigsten Verkehrsachsen sind. Dienstleistungen und Vorleistungen sind auch die Branchen, welche die größten Probleme mit dem Schienenverkehr melden. In beiden Branchen sind etwa 28 % der Unternehmen von Mängeln beim Schienenverkehr betroffen. Man kann davon ausgehen, dass die Probleme der Dienstleister eher in Form von Verspätungen im Personenverkehr, diejenigen der Vorleistungsbranche dagegen eher im Güterverkehr zu verorten sind. Dieser wurde im letzten Jahr beispielsweise von der Trassensperrung in Rastatt getroffen, welche alleine Wertschöpfungsverluste von über 2 Mrd. EUR verursachte, davon 770 Mio. EUR bei den Verladern [4]. Die Sperrung hat zudem deutlich vor Augen geführt, dass der Schienenverkehr trotz seiner vergleichsweise geringen Anteile am Modal Split in Deutschland ein unverzichtbarer Teil der Transportketten ist. Größere Unternehmen stärker betroffen Eine Differenzierung der Befragungsergebnisse nach Unternehmensgrößen zeigt, dass Kleinunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten tendenziell weniger von den Infrastrukturmängeln beeinträchtigt werden als die größeren Firmen (Bild 2). Das gilt für Straßenwie für Schienenverkehr. Dieser Befund dürfte auf weniger komplexe Lieferverflechtungen in dieser Gruppe zurückzuführen sein. Die größten Beeinträchtigungen im Straßenverkehr verzeichnen die Mittelständler mit bis zu 500 Beschäftigten. In dieser Kategorie sind 74 % der Unternehmen beeinträchtigt, davon 31 % deutlich. Von Mängeln im Schienenverkehr sind hingegen die Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern am stärksten betroffen, welche wohl auch diesen Verkehrsträger am intensivsten nutzen. Alles in allem zeigen diese Zahlen aber, dass die Probleme über alle Unternehmensgrößen inzwischen gravierend werden. Auch die Großunternehmen, die in der Regel über deutlich mehr Kapazitäten zur Steuerung ihrer Logistik verfügen, werden inzwischen von Infrastrukturmängeln spürbar getroffen. Belastungsschwerpunkt Nordrhein- Westfalen Die größten Belastungen durch die Situation auf Straßen und Schienen werden inzwischen aus Nordrhein-Westfalen (NRW) gemeldet. Im größten Bundesland waren auch die stärksten Verschlechterungen zu verorten. In NRW wuchs der Anteil der durch den Straßenverkehr beeinträchtigten Unternehmen von 63 % auf 78 % an. Wirklich dramatisch ist der Anstieg der deutlich Be- Bild 1: Beeinträchtigung durch infrastrukturelle Probleme nach Branchen Grafiken: Autoren Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 40 INFRASTRUKTUR Infrastrukturmängel einträchtigten in NRW. Ihr Anteil legt um 15 % zu. Diese Zahlen verdeutlichen, wie dringlich es ist, jetzt in die Straßen an Rhein und Ruhr zu investieren, denn hier treffen die Seehafen-Hinterlandverkehre aus Hamburg, Rotterdam und Antwerpen auf den Metropolverkehr im Ruhrgebiet und Köln. Hinzu kommt, dass die Straßen in NRW in den frühen 1970er Jahren massiv ausgebaut wurden und viele Bauwerke aus dieser Zeit jetzt wegen Überlastung und mangelndem Erhalt ersetzt werden müssen. Diese Gemengelage hat dazu geführt, dass NRW in 2018 Baden-Württemberg als Land mit den größten Beeinträchtigungen abgelöst hat. Im Südwesten blieb das Belastungsniveau sehr hoch, aber die Lage hat sich kaum verschlechtert. Es kam lediglich zu einer Umschichtung hin zu der Kategorie der deutlich Beeinträchtigten. Dem hingegen hat sich die Lage in Bayern gegenüber 2013 deutlich verschlechtert. Im Jahr 2013 wies Bayern noch die beste Lage im Straßenverkehr auf, hat diese Position jetzt aber an Ostdeutschland abgegeben. Wie auch in der Region Mitte kam es in Bayern zu einem deutlichen Anstieg der stark beeinträchtigten Unternehmen. Die Zahlen zeigen, dass die Probleme im Straßenverkehr zwar flächendeckend sind, es aber eindeutig identifizierbare Belastungsschwerpunkte entlang des Weges von Österreich zu den Seehäfen gibt. Besorgniserregend ist vor allem, dass gerade die Zahl der deutlich beeinträchtigten Unternehmen stark zugenommen hat. In abgeschwächter Form gilt dieser Befund auch für den Schienenverkehr. Auch hier hat sich NRW zusammen mit dem Norden zum Belastungsschwerpunkt entwickelt. Diese Regionen haben damit Bayern abgelöst, welches 2013 die größten Probleme mit dem Schienenverkehr meldete. Beide Regionen weisen einen Zuwachs der beeinträchtigten Unternehmen um sechs Prozentpunkte auf, was einer Steigerung um etwa ein Drittel entspricht. Der Anstieg ist also durchaus kräftig zu nennen. Auch im Osten verschlechterte sich die Lage im Schienenverkehr sichtbar, allerdings von einem geringen Ausgangsniveau ausgehend. In den anderen Regionen blieb die Lage praktisch unverändert. Selbst die 51 Tage dauernde Sperrung der Güterbahnstrecke in Rastatt im letzten Jahr hat nicht zu einer Verschlechterung der Ergebnisse für Baden-Württemberg geführt. Im Südwesten haben sich die Ergebnisse sogar minimal verbessert (Bild 3). Besserung erfordert mehr Planungskapazitäten Die Befragungsergebnisse untermauern, dass die Verkehrsinfrastruktur dabei ist, sich von einem Standortvorteil zu einem Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung zu wandeln. Gegenüber 2013 haben sich aber nicht nur die Ergebnisse verschlechtert, auch Problemauslöser haben sich gewandelt. Bild 2: Beeinträchtigung durch infrastrukturelle Probleme nach Unternehmensgröße Bild 3: Beeinträchtigung durch infrastrukturelle Probleme nach-Bundesländern Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 41 Infrastrukturmängel INFRASTRUKTUR Vor vier Jahren lag das größte Problem an fehlenden Investitionsmitteln für die Verkehrsnetze. Hier hat sich aber inzwischen einiges getan. Dank guter Konjunktur verfügt der Staat wieder über mehr Geld. Zudem haben spektakuläre Fälle - etwa die Sperrungen der Leverkusener Brücke oder die Vollsperrung der A40-Brücke in Duisburg - der Politik klar vor Augen geführt, dass ein „Weiter so“ bei den Infrastrukturinvestitionen keine Option mehr ist. Also wurden die Haushaltsansätze für die Verkehrswege deutlich gesteigert. Eine Folge davon sind derzeit mehr Baustellen, was einen negativen Einfluss auf das aktuelle Befragungsergebnis gehabt haben kann. Inzwischen zeigt sich aber ein anderer Flaschenhals, der verhindert, dass die Infrastrukturprobleme nachhaltig angegangen werden können. Dabei handelt es sich um fehlende Kapazitäten bei den für Bauplanung und -abwicklung zuständigen Behörden. Es fehlt insbesondere an Bauingenieuren in allen staatlichen Gliederungen. Dieses Problem zeichnet sich bereits seit einigen Jahren ab [5]. Es lässt sich aber derzeit kaum auflösen, denn der Arbeitsmarkt für Bauingenieure ist derzeit praktisch leergefegt. Im Mai 2018 kamen auf 100 bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete arbeitslose Bauingenieure 126 offene Stellen. Damit ist „der Bauingenieur“ ähnlich knapp wie Informatiker oder Ingenieure für Elektrotechnik. Der Staat muss also eigentlich auf einem geräumten Arbeitsmarkt rekrutieren. Dabei muss er sowohl Kapazitäten aufbauen, als auch einer anstehenden Pensionierungswelle begegnen. Dies stellt derzeit die wohl größte Hürde für weitere Verbesserungen dar. Um diese Probleme anzugehen, müssen Lösungen gefunden werden, die den öffentlichen Dienst für Bauingenieure in allen Phasen des Berufslebens attraktiver machen. Zudem müssen deutliche Schritte zur Planungsvereinfachung durchgesetzt werden, damit die bestehenden Kapazitäten effektiver eingesetzt werden können. Insbesondere die Beschleunigung von Ersatzneubauten sollte hierbei im Fokus stehen, denn durch die lange Investitionszurückhaltung müssen viele wichtige Bauwerke in den Verkehrsnetzen dringend ersetzt werden - und Brücken, Tunnel und Schleusen lassen sich in der Regel kaum umfahren. Wenn an dieser Stelle keine unbürokratische Lösung gefunden wird, besteht das Risiko, dass sich die Lage für die Unternehmen noch einmal drastisch verschärft. Der im Sommer 2018 vorgelegte Entwurf für ein Planungsbeschleunigungsgesetz enthält bereits einige wichtige Verbesserungen, aber gerade bei der Planungsbeschleunigung von Ersatzneubauten sollte die Vorlage noch nachgebessert werden. ■ LITERATUR [1] Bardt, Hubertus; Grömling, Michael; Hentze, Tobias; Puls, Thomas (2017): Investieren Staat und Unternehmen in Deutschland zu wenig? , Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf, IW-Analysen, Nr. 118, Köln [2] Grömling, Michael; Puls, Thomas (2014): Infrastrukturmängel führen schon heute zu Beeinträchtigungen, in: Internationales Verkehrswesen, 66. Jg., Nr. 1, S. 34-36 [3] Grömling, Michael; Puls, Thomas (2018): Infrastrukturmängel in Deutschland, in: IW-Trends 2/ 2018, 45 Jg. Nr.2, S. 89 - 105, Köln [4] HTC - Hanseatic Transport Consultancy (2018): Volkswirtschaftliche Schäden aus dem Rastatt-Unterbruch, Hamburg [5] Koppel, Oliver; Puls, Thomas (2016): Wie der akute Fachkräftemangel notwendige Investitionen behindert, in: Internationales Verkehrswesen, 68. Jg., Nr. 4, S. 2-6 Michael Grömling, Prof. Dr. rer. pol. Leiter der Forschungsgruppe Konjunktur, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, und Internationale Hochschule Bad Honnef / Bonn groemling@iwkoeln.de Thomas Puls, Dipl.-Vw. Senior Economist Verkehr und Umwelt, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln puls@iwkoeln.de Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 42 LOGISTIK Binnenschiff Entwicklung der Binnenschifffahrt auf dem Rhein Wirtschaftliche Effekte und Auswirkungen niedriger Fahrrinnentiefen auf die Transportkapazität der Binnenschifffahrt Binnenflotte, Verkehrsleistung, Seehafenhinterlandverkehr, Niedrigwasser Die Binnenschifffahrt auf dem Rhein stellt einen wichtigen Standortfaktor dar. Deshalb haben sich viele Unternehmen, die auf den Transport von Massengütern angewiesen sind, an seinen Ufern niedergelassen, um die Binnenschifffahrt als günstiges Transportmittel nutzen zu können. In diesem Beitrag werden sowohl die wirtschaftliche Bedeutung der Binnenschifffahrt auf dem Rhein angesprochen als auch deren rezente und zukünftige Entwicklung. Dabei werden auch die Auswirkungen niedriger Fahrrinnentiefen auf die Transportkapazität der Binnenschifffahrt ebenfalls betrachtet. Anja Scholten, Benno Rothstein F ast jede deutsche Stadt über 500 000 Einwohner (bis auf München) ist per Binnenschiff über die bundesdeutschen Wasserstraßen zu erreichen (Oertel 2003, Schröter 2005). In Deutschland wurden 2005 insgesamt etwa 11,5 % der binnenländischen Verkehrsleistung per Binnenschiff erbracht (per Bahn etwa 17,2 %) (Verkehr in Zahlen 2006/ 2007). Seitdem hat sich der Anteil der Binnenschifffahrt an der binnenländischen Verkehrsleistung verringert (auf 8,5 % im Jahr 2015) während sich die Transportleistung der Bahn auf knapp 18 % erhöht hat (Destatis 2017). Die regionale Bedeutung der Binnenschifffahrt kann jedoch deutlich höher sein und hängt stark von den vorhandenen Wasserstraßen ab. Während die Binnenschifffahrt zum Beispiel für den Seehafenhinterlandverkehr der deutschen Seehäfen und somit für den norddeutschen Raum nur eine geringe Rolle spielt (BAG 2007a), stellt sie für das Rheingebiet einen wichtigen Standort- und Wirtschaftsfaktor dar. So ist beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, auf das etwa 50 % des Gesamtgüteraufkommens der Binnenschifffahrt in Deutschland entfallen, die Binnenschifffahrt mit einem Marktanteil von 25 % nach der Straße der zweitwichtigste Verkehrsträger noch vor der Bahn (Hönemann 2005, Clement 2007). Damit stellt die Binnenschifffahrt eine wichtige Größe bei der Entlastung von Schiene und Straße dar (PINE 2004). Besondere Bedeutung hat die Binnenschifffahrt auch für den Im- und Export, da der größte Teil des Transports per Binnenschiff grenzüberschreitend stattfindet (BAG 2007). So waren 2007 knapp 70 % der Binnenschiffstransporte Im- oder Exporte, wobei die Importe mit etwas weniger als zwei Dritteln deutlich überwogen. Der Binnenverkehr hingegen machte nur etwa 24 % aus (BAG 2007). Die Gründe hierfür sind vielfältig. So finden etwa 80 % des Binnenschiffverkehrs auf dem Rhein statt, der als internationale Wasserstraße durch mehrere Länder fließt und so für den Im- und Export von Waren geradezu prädestiniert ist. Zudem wird über ihn ein großer Teil des Seehafenhinterlandverkehrs der ARA-Häfen (Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen) abgewickelt und Unternehmen entlang des Rheins nutzen ihn als preisgünstigen Transportweg, um ihre Rohstoffe über die ARA-Häfen zu importieren (BAG 2007b). Auch wenn in der Binnenschifffahrt selbst nur vergleichsweise wenige Beschäftigte zu finden sind (1252 Betriebe mit 8116 Beschäftigten im Jahr 2006) (BDB 2007), so hängen doch direkt und indirekt etwa 125 000 Arbeitsplätze von der Binnenschifffahrt ab (Hönemann 2005). Berücksichtigt man zudem die 328 000 Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt von den Binnenhäfen abhängen (VBD 2000), steigt die Bedeutung der Binnenschifffahrt für den lokalen Arbeitsmarkt weiter an. Entwicklung der Binnenschifffahrtsflotte Betrachtet man die Binnenschifffahrt auf dem Rhein, muss im Wesentlichen zwischen zwei verschiedenen Flotten, die in der Literatur und den Statistiken auftauchen, unterschieden werden: Auf der einen Seite gibt es die landeseigenen Flotten wie beispielsweise die deutsche Binnenschiffsflotte, d.h. Binnenschiffe, die unter deutscher Flagge verkehren. Diese Schiffe haben jedoch nicht zwingend alle eine Rheinschifffahrtszulassung. Auf der anderen Seite gibt es die sogenannte Rheinflotte, die sich aus den Schiffen verschiedener Nationen mit Rheinschifffahrtspatent zusammensetzt. Sofern nicht ausdrücklich anders bezeichnet, ist im vorliegenden Artikel mit dem Begriff Flotte die Rheinflotte gemeint, da diese alle für die Transporte auf dem Rhein einsetzbaren Schiffe umfasst und somit die für diese Untersuchungen maßgebliche Größe darstellt. Da jedoch nicht immer alle benötigten Daten für diese Flotte erhältlich sind, wird in einigen Fällen auch auf Informationen über die deutsche oder europäische Flotte zurückgegriffen. Bild 1 zeigt die Entwicklung der gesamten deutschen Binnenfrachtschiffsflotte seit 1969. Sowohl die Anzahl der Schiffe (-3,21 % pro Jahr) als auch die Gesamttragfähigkeit (-2,51 % pro Jahr) ist in den letzten gut 40- Jahren signifikant zurückgegangen. Gleichzeitig hat die Tragfähigkeit pro Schiff (+1,04 % pro Jahr, signifikant) leicht zugenommen, wodurch der Rückgang der Gesamttragfähigkeit geringer ausfällt als der Rückgang der Anzahl der Schiffe. Für die Gütermotorschiffe (siehe Bild 2) ist diese Entwicklung noch stärker ausgeprägt: mit einer Abnahme der Schiffsanzahl von 3,28 % pro Jahr, einer Abnahme der Gesamttragfä- Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 43 Binnenschiff LOGISTIK higkeit von 2,53 % pro Jahr und einer gleichzeitigen Zunahme der Tragfähigkeit pro Schiff von 2,40 % pro Jahr (alle Trends signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 1 %). Bei den hier nicht abgebildeten Tankmotorschiffen lässt sich eine ähnlich verlaufende, wenn auch insgesamt schwächere Entwicklung feststellen. Für die europäische Binnenschiffsflotte lässt sich eine solche Entwicklung ebenfalls nachweisen (De Vries 2009). Die Tendenz zu größeren Schiffen zeichnet sich, wie in Bild 1 und Bild 2 für die deutsche Flotte gezeigt, bereits seit den 1970er Jahren ab. Begünstigt wurde sie durch „politische Maßnahmen … zum Abbau von Überkapazitäten“ (Engelkamp 2000). Für die Abwrackung wurden Prämien gezahlt, der Schiffsneubau hingegen wurde sanktioniert, wenn nicht gleichzeitig alte Schiffe stillgelegt wurden. Entsprechend wurden ”vorwiegend kleinere und ältere Einheiten mit geringer Wirtschaftlichkeit“ (Engelkamp 2000) aus dem Verkehr gezogen. Da größere Schiffe unter bestimmten Bedingungen (gute Auslastung bei guten Wasserverhältnissen) wirtschaftlicher sind als kleinere, ist im Gegenzug zur Abwrackung der kleineren Schiffseinheiten bei Neubauten grundsätzlich ein gewisses Größenwachstum festzustellen (BAG 2002). Die Wirtschaftlichkeit eines Schiffes ist in erster Linie von seiner Ladekapazität sowie seiner Geschwindigkeit abhängig (VBD 2004, Engelkamp 2000). Dabei wird die Ladekapazität maßgeblich durch das vorgesehene Einsatzgebiet bestimmt, da es für jede Wasserstraße Deutschlands Vorgaben zu den zulässigen Ausmaßen sowie der Sicherheit und der Besatzung gibt. So beträgt beispielsweise 2004 die maximale auf dem Rhein zugelassene Länge 135 m, die Breite 22,8 m. Im Vergleich dazu sind auf der Märkischen Wasserstraße nur Längen bis zu 86 m bei einer Breite von 9,5 m zulässig (Engelkamp 2000, VBD 2004). Die maximale jährliche Transportmenge und damit die höchste Wirtschaftlichkeit lässt sich erreichen, wenn bei maximalem Tiefgang auch die maximale Geschwindigkeit erreicht wird (VBD 2004). Diese wiederum ist auch von der Fahrrinnentiefe abhängig. Eine weitere wichtige Größe für die Wirtschaftlichkeit eines Schiffes sind die Kosten des benötigten Treibstoffs (VBD 2004). Auch hier spielt die Fahrrinnentiefe eine wichtige Rolle, denn je geringer sie ist, desto mehr Brennstoff wird benötigt. Kleinere Schiffe werfen insgesamt (vor allem bei einer insgesamt vergleichsweise geringen Nachfrage nach dieser Schiffsgröße) geringere Gewinne ab als größere Schiffe und sind somit weniger wirtschaftlich. Die (erzielbaren) Einnahmen decken nur den Unternehmerlohn des Partikuliers (selbstständiger Schiffseigentümer) und die notwendigen Investitionen, aber nicht den Lohn eines weiteren Besatzungsmitglieds (BAG 2001 H). Wie oben beschrieben, hat vor allem die niederländische Flotte einen vergleichsweise hohen Anteil von großen Schiffen. Dies hat im Jahr 2003 dazu geführt, dass die niederländische Flotte stärker als die deutsche vom Niedrigwasser beeinträchtigt wurde und somit größere wirtschaftliche Einbußen hinnehmen musste. Die großen Schiffe waren vor allem am Oberrhein nicht mehr wirtschaftlich einsetzbar. Stattdessen wurden die kleineren Schiffe aus der deutschen Flotte verstärkt eingesetzt (BAG 2003). Für die Rheinflotte liegt keine ähnlich lange, lückenlose Zeitreihe vor, weshalb hier keine Trendberechnung mit Signifikanztest vorgenommen wurde. Zwischen 1990 und 2002 kann jedoch die Entwicklung der Rheinflotte differenzierter nach Tragfähigkeitsklassen unterteilt dargestellt werden (vgl. Bild 3 und Bild 4). Nach 2002 wurde die jährliche Statistik der ZKR (Zentralkommission für die Rheinschifffahrt) zur Entwicklung der Rheinschifffahrt eingestellt und 2005 durch die „Marktbeobachtungen der europäischen Binnenschifffahrt“ abgelöst. Dieser lassen sich leider keine separaten Informationen zur Rheinflotte mehr entnehmen. Aber auch in den vorherigen Daten sind erkennbar leichte Sprünge. Eine Nachfrage bei der ZKR ergab, dass dies auch darauf beruht, dass nicht alle Länder ihre benötigten Binnenschiffsdaten (rechtzeitig) weitergeben. Dennoch spiegelt sich auch in Bild 3 die oben beschriebene Entwicklung deutlich wider: Während vor allem in der Schiffsklasse unter 1000 t die Anzahl der Schiffe seit 1990 deutlich abgenommen hat und auch in den beiden nächst größeren Klassen (1000 bis 1500 t und 1500 bis 3000- t) ein leichter Rückgang der Schiffsanzahl zu bemerken ist, hat sich die Anzahl der Schiffe über 3000 t zwischen 1990 und 2002 von 220 auf 330 Schiffe um etwa die Hälfte erhöht. Diese Entwicklung findet sich auch in der Entwicklung der Tragfähigkeit der Flotte (Bild 4) wieder, da die Gesamttragfähigkeit der Schiffe bis 1000 t deutlich und bis 1500 t leicht abnimmt, wohingehend die Gesamt- 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 A nzahl d. Schif f e Linear (A nzahl d. Schif f e) Tragf ähigkeit (1000t) Linear (Tragf ähigkeit (1000t)) Tragf ähigk./ Schif f Linear (Tragf ähigk./ Schif f ) Bild 1: Entwicklung der deutschen Binnenflotte (alle Frachtschiffe, d.h. Gütermotorschiffe, Tankschiffe, Leichter und Schleppkähne) nach Anzahl, Tragfähigkeit und Tragfähigkeit pro Schiff Eigene Darstellung, basierend auf WSV 2014 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 5000 A nzahl d. Schif f e Linear (A nzahl d. Schif f e) Tragf ähigkeit (1000t) Linear (Tragf ähigkeit (1000t)) Tragf ähigk./ Schif f Linear (Tragf ähigk./ Schif f ) Bild 2: Entwicklung der deutschen Binnenflotte (Gütermotorschiffe) nach Anzahl, Tragfähigkeit und Tragfähigkeit pro Schiff Eigene Darstellung, basierend auf WSV 2014 Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 44 LOGISTIK Binnenschiff tragfähigkeit der größeren Schiffsklassen konstant bis leicht positiv ist. Dabei hat besonders im niederländischen Anteil der Rheinflotte die Anzahl der Schiffe mit einer Tragfähigkeit über 3000 t zugenommen. Allein zwischen 1990 und 2002 wurden etwa 100 Schiffe dieser Größe in den Niederlanden neu gebaut, die somit etwa ein Drittel aller Schiffe dieser Größenordnung in der Rheinflotte ausmachen. 2006 wurden bereits 12 % der Gesamttragfähigkeit der niederländischen Flotte von Schiffen mit einer Tragfähigkeit über 3000 t gestellt. Das größte 2009 existierende Binnenschiff ist 150 m lang und 22,8 m breit mit einem Tiefgang von 6,3 m. Aufgrund der Schiffskonstruktion und der Schleusengrößen erscheint eine weitere Vergrößerung aber unwahrscheinlich bis unmöglich (De Vries 2009). Dass vor allem in der niederländischen Flotte viele Neubauten zu finden sind, liegt auch daran, dass im niederländischen Steuerrecht der Neuerwerb von Schiffen begünstigt wird, wodurch mehr Neuanschaffungen getätigt werden, viele im Bereich der Großmotorgüterschiffe. Ein weiterer möglicher Grund dafür, dass vor allem niederländische Reeder auf große Binnenschiffe setzen, könnte sein, dass diese vor allem von den Seehäfen aus am Niederrhein verkehren und somit seltener intensiven Niedrigwassersituationen ausgesetzt sind, in denen größere Schiffe von Nachteil sind. Zudem können in den Niederlanden auch größere Schiffe als in Deutschland auf den Kanälen verkehren (VBD 2004). Zusammenfassend sind die Auswirkungen der Flottenentwicklung in Bild 5 dargestellt. So führt die Flottenentwicklung mit einer sinkenden Anzahl an Schiffen bei einer gleichzeitig steigenden Tragfähigkeit pro Schiff zwar nur zu einer leichten Reduktion der Gesamttragfähigkeit der Flotte, jedoch auch zu einem höheren Anteil größerer Schiffe. Dies führt zu einem durchschnittlich höheren Tiefgang der Flotte. Bei Niedrigwasser werden Schiffe mit größerem Tiefgang eher in ihrer Tragfähigkeit eingeschränkt, sodass durch den Trend zu einem höheren durchschnittlichen Tiefgang bei Niedrigwasser eine frühere und schnellere Reduktion der Gesamttragfähigkeit der Flotte auftritt. Hierdurch wird die Flotte dem Klimawandel gegenüber anfälliger, da dieser saisonal zu häufigeren und intensiveren Niedrigwasserperioden führen kann (Nilson et al. 2015) Dieser generelle Trend zu immer größeren Schiffen führt bereits seit einigen Jahren bei einigen Gütergruppen wie Getreide oder Düngemittel vor allem im Talverkehr zu einem Unterangebot von Laderaum in geeigneter Größe. Vor allem Schiffe mit einer Tragfähigkeit von 500 bis 1500 t sind inzwischen nicht mehr in ausreichender Menge verfügbar (BAG 2001 H, BAG 2006 H). Besonders augenfällig wird der Mangel an kleineren Schiffseinheiten in Zeiten von Niedrigwasser (BAG 2006 H, Langenbach 2004), wenn nur die kleineren Schiffe noch ausreichend abgeladen fahren können. Der Trend zu größeren Schiffen führt also zu einer Verstärkung der Auswirkungen von-Niedrigwasserperioden (Langenbach 2004). Ebenfalls deutlich wird der Mangel kleiner Schiffseinheiten in Spitzenzeiten, wie beispielsweise während der Erntephase mit erhöhter Schiffsraumnachfrage. Insbesondere für Transporte vom Oberrhein zu Tal fehlen (dann) Schiffsräume in geeigneter Größe (BAG 2006 H). Trotz dieser Mangelerscheinungen ist der Trend zu großen Schiffsneubauten ungebrochen, während kleinere Einheiten nach wie vor abgewrackt werden (BAG 2006 H). Dadurch werden die Schwierigkeiten der Binnenschifffahrt und den von ihr belieferten Unternehmen bei Niedrigwasser noch verschärft (Helmer 2009). Dennoch gibt es auch kleinere Schiffe, die neu gebaut werden, und viele Reedereien und Partikuliere achten auf die Kanaltauglichkeit ihrer Schiffe (d.h. nicht breiter als 11,45 m) (BFG 2007). Auch noch kleinere Schiffe (63 m · 7 m) wurden in den letzten Jahren gebaut, wenn auch in geringer Zahl, die jedoch auf dem Rhein nicht wirtschaftlich einsetzbar sind, da sie nicht für den 24-Stunden-Betrieb konzipiert sind und vergleichsweise hohe Transportkosten aufweisen (VBD 2004). Sie werden bisher in der Regel für den Transport auf kleineren Flüssen und Kanälen eingesetzt. Es ist jedoch denkbar, dass sie in Zukunft auch für den Transport von großen zu kleinen Terminals benutzt werden, die von den großen Schiffen nicht mehr (ganzjährig) angelaufen werden können (VBD 2004). Prognostizierte Entwicklung der-Flotte Für die europäischen Binnenschiffsflotte, an der die Rheinflotte einen erheblichen Anteil ausmacht, gibt es erste Prognosen zur zukünftigen Entwicklung (siehe Bild 6). Die bereits in der rezenten Entwicklung für die deutsche bzw. die Rheinflotte festgestellten Trends werden sich dieser Prognose zufolge fortsetzen. Des Weiteren wird die Anzahl der Binnenschiffe weiter rückläufige, wobei dieser Rückgang vor allem durch die abnehmende Zahl an kleinen Schiffen (unter 1500 t) hervorgerufen wird. Gleichzeitig steigt die Zahl der Schiffe über 1500 t leicht an. Infolge der leicht steigenden mittleren Tragfähigkeit pro Schiff steigt auch die Gesamttragfähigkeit in dieser Größen- 0 2000 4000 6000 8000 10000 12000 Bis 1000t Linear (Bis 1000t) 1000 bis 1500 t Linear (1000 bis 1500 t) 1500 bis 3000 t Linear (1500 bis 3000 t) über 3000t Linear (über 3000t) Jahr Schiffsanzahl Bild 3: Kapazität der Rheinflotte nach Klassen: Anzahl der Schiffe pro Klasse (Tragfähigkeit in t) Eigene Darstellung, basierend auf ZKR 1990-2002 0 1000000 2000000 3000000 4000000 5000000 6000000 7000000 Bis 1000t Linear (Bis 1000t) 1000 bis 1500 t Linear (1000 bis 1500 t) 1500 bis 3000 t Linear (1500 bis 3000 t) über 3000t Linear (über 3000t) Jahr 1000 t Bild 4: Kapazität der Rheinflotte nach Klassen: Gesamttragfähigkeit der Schiffe pro Klasse (Tragfähigkeit in t) Eigene Darstellung, basierend auf ZKR 1990-2002 Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 45 Binnenschiff LOGISTIK klasse wieder moderat an (BFG 2007). Eine ähnliche Entwicklung prognostiziert auch Planco (2006) für die deutsche und niederländische Flotte. Am Rhein wird zwischen 2000 und 2025 eine Abnahme der Anzahl der Gütermotorschiffe um 18 % erwartet, bei einer gleichzeitigen Zunahme der Schiffsgröße um 35 % (Heinz et al. 2009). Für den Rhein hat sich zumindest die letzte Prognose fast bewahrheitet: wie ZKR (2017) berichtet, ist die Anzahl aller Schiffe der Rheinflotte um 12 % zurückgegangen, während gleichzeitig die vorhandene Ladekapazität um 20 % zugenommen hat. Dies bedeutet, dass in den letzten Jahren vor allem große Schiffe gebaut und in den Dienst gestellt wurden (ZKR 2017). Dieser auch in Zukunft anhaltende Trend zu größeren Schiffen hat einen negativen Effekt auf die Flottenkapazität bei sinkenden Pegelständen. Die Transportkapazität eines Binnenschiffes wird sowohl von seiner Länge und Breite als auch von seinem möglichen Tiefgang bestimmt. Dabei ist der Tiefgang des Schiffes sowohl von seinem Leertiefgang (abhängig von den Abmessungen und den daraus resultierenden Auftriebseigenschaften sowie dem Eigengewicht) als auch von seiner Zuladung abhängig. Umgekehrt wird somit auch die realisierbare Zuladung (und damit die Transportkapazität des Schiffes) vom möglichen bzw. zulässigen Tiefgang bestimmt. Letzterer ist in erster Linie von der vorhandenen Fahrrinnentiefe abhängig. Dabei ist der maximal erreichbare Tiefgang (und damit auch die maximale Zuladung) für große Schiffe größer als für kleinere Schiffe. So erreicht beispielsweise das Großmotorgüterschiff seinem maximalen Tiefgang bei 3,50-m und einer maximalen Zuladung von 3700 t, während ein Schiff vom Typ Gustav Koenigs einen maximalen Tiefgang von 2,50 m bei einer maximalen Zuladung von 1100 t hat. Die Frage bleibt nun zu klären, wie sich die (maximale) Flottenkapazität in Abhängigkeit von der Fahrrinnentiefe und im Laufe der Zeit entwickelt hat. Die hier verwendete Gesamttragfähigkeit der Rheinflotte wird berechnet, indem die maximalen Tragfähigkeiten (bei idealen Fahrrinnentiefen) der einzelnen Schiffe addiert werden. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist jedoch zu berücksichtigen, dass die tatsächliche maximale Transportkapazität der Flotte zusätzlich auch noch von der Umlaufdauer (der Fahrzeit der Schiffe) sowie deren Liegezeiten in Häfen abhängt (Jonkeren 2005), die in den Berechnungen hier nicht einkalkuliert werden. Ebenfalls nicht in diesen Berechnungen berücksichtigt wird die Tatsache, dass unabhängig von der Fahrrinnentiefe Schiffe teilweise nicht voll abgeladen fahren, vor allem, wenn sie zu Tal unterwegs sind. Die tatsächlich auf dem Rhein gleichzeitig beförderte Transportmenge ist dementsprechend deutlich geringer. Die hier dazu dargestellte Kalkulation ist also nur eine grobe (Überschlags-)Rechnung, die viele Gesichtspunkte unberücksichtigt lässt. Dennoch bietet sie einige erste Anhaltspunkte zu den folgenden beiden Aspekten: • Gesamttransportkapazität der Rheinflotte im Laufe der Zeit bei guten Fahrrinnentiefen (Fahrrinnentiefe über 3,8-m) • Mengen, die (eine hohe bis vollständige Auslastung bei guten Fahrrinnentiefen vorausgesetzt) im Fall einer (extremen) Niedrigwasserperiode durch die sinkende Flottenkapazität nicht mehr per Binnenschiff transportiert werden könnten, sondern entweder liegen bleiben oder auf andere Verkehrsträger verlagert werden müssten Bild 7 zeigt die Auswirkungen der prognostizierten Flottenentwicklung auf die Transportkapazität im Vergleich zu der Entwicklung der vergangenen Jahre. Dabei wird deutlich, dass die maximale Gesamttragfähigkeit/ -transportkapazität auch bei ausreichenden Fahrrinnentiefen weiter rückläufig ist. 2025 liegt die prognostizierte Gesamtkapazität bei Fahrrinnentiefen von 3,50 m mit gut 4,5 Mio. t etwa 37 % unterhalb der Flottenkapazität von 1990. Durch die veränderte Zusammensetzung der Schiffsgrößen sinkt diese zudem mit fallenden Pegeln noch stärker als in der Vergangenheit. Während bei Fahrrinnentiefen von 1,50 m die Gesamtkapazität der Flotte 1990 um 70 % niedriger als bei Fahrrinnentiefen von 3,5 m lag, liegt sie 2025 etwa 80 % niedriger für Güter- und 84 % für Tankschiffe. Somit stünde 2025 für den Gütertransport bei einer Fahrrinnentiefe von 1,5 m nur noch eine Flottenkapazität von 1,6 Mio. t zur Verfügung und damit weniger als die Hälfte als 1990 in einer vergleichbaren Situation. Dabei muss berücksichtigt werden, dass viele Schiffe ab einer Auslastung unter 70 % nicht mehr wirtschaftlich einsetzbar sind (Helten & Rosenberger 2008), die tatsächlich eingesetzte Flottenkapazität also nochmals deutlich darunter liegen dürfte. Somit hat Niedrigwasser auf Grund der veränderten Flottenstruktur heute stärkere Auswirkungen als früher (Helmer 2009). Die durch diese verringerte Flottenkapazität nicht mehr per Binnenschiff zu transportierenden Mengen müssen entweder auf andere Verkehrsträger verlagert oder bei den Unternehmen bzw. in den Häfen (zwischen-) gelagert werden. Überlagert und verstärkt wird der Effekt der verminderten Flottenkapazität saisonal durch den Klimawandel. Unter Klimawandelbedingungen wird vor allem für die ferne Zukunft (2071-2100) ein Trend zu häufige- 2006 2015 2025 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 9000 Bis 1000t 1000 bis 1500 t 1500 bis 3000 t über 3000t Gesamt Jahr Anzahl der Schiffe Bild 6: Prognose der Entwicklung der europäischen Binnenflotte Eigene Darstellung nach BFG 2007 Bild 5: Darstellung der Auswirkungen der Flottenentwicklung auf die Anfälligkeit der Binnenschifffahrt gegenüber Niedrigwasser Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 46 LOGISTIK Binnenschiff ren und/ oder intensiveren Niedrigwasserperioden z.B. für den Oberrhein projiziert (Nilson et al. 2015). Zusammenfassung Die Binnenschifffahrt hat eine lange Tradition in Deutschland und ihre regionale Bedeutung ist trotz eines insgesamt abnehmenden Anteils der Binnenschifffahrt am Gesamttransport nicht zu unterschätzen. So hat sie insbesondere am Rhein und für den Seehafenhinterlandsverkehr der großen Häfen in Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen einen großen Anteil. Jedoch muss sich die Binnenschifffahrt einigen Herausforderungen stellen. Hierzu gehören zum einen der hier beschriebene Trend zu größeren Schiffen und zum anderen der Klimawandel, der voraussichtlich zu saisonalen Änderungen der Fahrrinnentiefen führt (Nilson et al. 2015). In der Entwicklung der Binnenschiffsflotte lässt sich ein signifikanter Trend zu weniger Schiffen mit einer signifikant zunehmenden Tragfähigkeit pro Schiff nachweisen. Deshalb nimmt die Gesamttragfähigkeit der Flotte weniger stark ab als die Anzahl der Schiffe. Ein wichtiger Grund für die zunehmende Zahl größerer Schiffe zulasten von kleineren ist der wirtschaftliche Vorteil, der zumindest bei guten Wasserständen besteht. Die Entwicklung der Binnenflotte hin zu weniger Schiffen, von denen jedes einzelne aber eine höhere Tragfähigkeit besitzt, bewirkt, dass im Fall von sinkenden Fahrrinnentiefen nicht nur die Tragfähigkeit der einzelnen Schiffe früher beeinträchtigt wird, sondern auch die (theoretisch) mögliche Gesamttragfähigkeit der Flotte schneller sinkt. Somit ist die Binnenschiffsflotte in ihrer Zusammensetzung im Jahr 2005 Niedrigwasserereignissen gegenüber anfälliger gewesen (und ist es gegenwärtig wohl auch noch), als es die Flotte in der Zusammensetzung im Jahr 1990 war. Folglich haben heutige Niedrigwasserereignisse stärkere Auswirkungen auf den Gütertransport per Binnenschiff als früher. Flottenprognosen zufolge wird sich trotzdem der Trend zu größeren Schiffen fortsetzen, während gleichzeitig ihre Anzahl weiter abnimmt. Diese Entwicklung könnte dazu führen, dass die zur Verfügung stehende (theoretische) Gesamtkapazität der Flotte noch stärker als bisher durch sinkende Fahrrinnentiefen beeinträchtigt wird. ■ LITERATUR BAG (1998 - 2007): Marktbeobachtung Güterverkehr - Jahresbericht, Bundesamt für Güterverkehr, Köln BAG (1998H - 2007H): Marktbeobachtung Güterverkehr - Bericht Herbst, Bundesamt für Güterverkehr, Köln BAG (2007a): Marktbeobachtung Güterverkehr - Sonderbericht zur Entwicklung des Seehafen-Hinterlandverkehrs, Bundesamt für Güterverkehr, Köln BDB (o.J.): Binnenschifffahrt rundum eine saubere Sache - Das internationale Übereinkommen zum Umweltschutz in der Binnenschifffahrt, Hrsg. BDB BFG (2007): Verkehrswirtschaftlicher und ökologischer Vergleich der Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße, Hrsg. 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Juni 2008 in Koblenz Hönemann (2005): Klimawandel und Klimaauswirkungen als Herausforderung für Unternehmen der Binnenschifffahrt, Vortrag bei der Fachkonferenz Rheinklima - Die Zukunftsfähigkeit eines europäischen Wirtschaftsraums im Wandel des Klimas des BMVBS am 15.04.05 in Bonn Langenbach (2004): Wie stellen sich Verlader auf geänderte Klimabedingungen ein? , Vortrag bei der Börsenversammlung der Schifferbörse in Duisburg Ruhrort am 03.11.04, www.ihk-niederrhein.de/ downloads/ Vortrag Schifferboerse Dr. Langenbach 03Nov04. pdf, letzter Zugriff: 02.03.09 Nilson, Carambia, Larina & Krahe (2015): Untersuchungen zu Auswirkungen des Klimawandels auf das Abflussgeschehen des Rheins. Abflussprojektionen und -Szenarien für gewässerkundliche und verkehrswasserwirtschaftliche Analysen, Auswirkungen und Anpassungsmaßnahmen für die Binnenschifffahrt und die verladende Wirtschaft, BfG-1807, Koblenz Oertel (2003): Statistische Aspekte des Verkehrswesens, Universität Heidelberg PINE (2004): Prospect of Inland Navigation within the enlarged Europe Planco (2006): Entwicklungspotenziale von Güterschiffen über 110 m Länge (Langfristprognose 2025) und Bewertung erwogener Ausbaumaßnhamen am Neckar (Schleusenkammerverlängerung) - Schlussbericht, erstellt im Auftrag der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Südwest, Essen Rothstein, Scholten, Nilson & Baumhauer (2009): Sensitivity of bulk-cargo dependent industries to climate change first results of a case study from the River Rhine, In: Leal Filho, W. 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Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, Strasbourg 3,50 2,80 2,50 2,00 1,50 0 2000000 4000000 6000000 8000000 10000000 12000000 14000000 1990 1995 2000 2005 2015 2025 zulässiger Tiefgang (m) Gesamtkapazität Rheinflotte (t) Bild 7: Gesamtkapazität der Rheinflotte (Güterschiffe) nach Fahrrinnentiefen und Jahren bis 2025 Eigene Darstellung nach WESKA2006, ZKR 1990-2002, EC/ ZKR 2004-2007, BFG 2007 Anja Scholten, Dr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Hochschule Konstanz HTWG anja.scholten@uni-wuerzburg.de Benno Rothstein, Prof. Dr. habil. Professur Geowissenschaftliches Ressourcenmanagement, Hochschule Konstanz HTWG rothstein@htwg-konstanz.de Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 47 Kombinierter Verkehr hängt unimodale Alternativen ab Eine Preisstrukturanalyse im internationalen Seehafenhinterlandverkehr von Rotterdam nach Zürich Internationaler Kombinierter Verkehr, Seehafenhinterlandverkehr, Nachhaltigkeit, Transportpreise, Nord-Süd-Korridor, Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) Eine nachhaltige Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene kann nur durch Attraktivität des Kombinierten Verkehrs (KV) gelingen. Entsprechende Untersuchungen des KV sind für den grenzüberschreitenden Kontext rar und meist auf preisliche Aspekte beschränkt. Im vorliegenden Artikel wird eine Strukturanalyse präsentiert, welche den Seehafenhinterlandverkehr (Import) von Rotterdam nach Zürich entlang des Nord-Süd-Korridors zum Gegenstand hat. Unimodale Transportlösungen werden kombinierten Varianten gegenübergestellt und neben dem Preis anhand der Dauer und des CO 2 -Ausstoßes analysiert. Erik Hofmann, Mathias Mathauer B ei keinem anderen Land in Europa zeigt die politisch forcierte Verlagerung des Straßengüterverkehrs auf die Schiene ähnlich viel Wirkung wie in der Schweiz. Einen Indikator hierfür stellt der alpenquerende Güterverkehr dar. Belief sich der Straßen-Anteil der über die Alpen transportierten Nettotonnage für Österreich im Jahr 2015 auf 7,5% und in Frankreich auf 84,5 %, wurden in der Schweiz nur 30,8 % über die Straße und die restlichen 69,2 % via Schiene abgewickelt. 1 Doch auch in der Schweiz wird man den eigenen Zielsetzungen nicht schnell genug gerecht. Die Anzahl der schweren Fahrzeuge im alpenquerenden Güterverkehr hätte im Jahr 2016 auf 650 000 sinken sollen, während im selben Jahr tatsächlich noch ca. 975 000 Fahrzeuge gezählt wurden. 2 Dies obwohl mit der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) die teuerste Straßenmaut Europas erhoben wird. Politische Maßnahmen sollten deshalb gerade auch darauf abzielen, die Attraktivität des Kombinierten Verkehrs (KV) zu steigern. Allerdings greifen aufgrund der internationalen Verflechtungen zahlreicher Unternehmen nationale Überlegungen bei der Verkehrsträgerwahl zu kurz. Industrie- und Handelsunternehmen sind vor allem daran interessiert, wie teuer sich der grenzüberschreitende KV gestaltet und mit welchen Zeitfenstern dort kalku- Containerschiff auf dem Rhein Foto: pixabay Kombinierter Verkehr LOGISTIK Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 48 LOGISTIK Kombinierter Verkehr liert werden muss. Interessanterweise widmen sich nur sehr wenige Studien diesen Fragestellungen. Im Zentrum dieses Beitrags steht der Schienenkorridor Rotterdam-Genua, welcher eine der wichtigsten Güterverkehrsachsen Europas darstellt. Am sogenannten Rhein-Alpen-Korridor leben ca. 70 Millionen Menschen auf einer Strecke von rund 1300 Kilometern. Er ist das Bindeglied zwischen dem größten Tiefseewasserhafen Europas und Wirtschaftszentren wie Frankfurt und Basel. Schon heute handelt es sich um die Bahnlinie mit dem höchsten Verkehrsaufkommen in Europa. Für die Zukunft wird dieser Verkehrsachse verschiedenen Prognosen zufolge eine noch größere Bedeutung zukommen. 3 Eine Erklärung hierfür bietet die ansteigende „Containerisierung“ von Transportgütern, welche sich z. B. in einer Zunahme des Containerumschlags in den schweizerischen Rheinhäfen niederschlägt. 4 Somit sollen in den nächsten Jahren weitere 25 Mrd. EUR in den Ausbau der Strecke investiert werden. 5 Die Schweiz verantwortet aufgrund ihrer geografischen Lage mit dem Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen (Neat) das Kernstück der Verbindung. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Bedeutung des Nord-Süd-Korridors für den europäischen Güterverkehr und der Schweizer Schlüsselrolle für dessen Entwicklung wurde im Rahmen der Logistikmarktstudie Schweiz 2018 eine Preisstrukturanalyse im Seehafenhinterlandverkehr von Rotterdam nach Zürich durchgeführt. 6 Die Analyse vergleicht unterschiedliche Varianten des KV mit dem unimodalen Straßenbzw. Schienengüterverkehr und basiert auf den Angaben von 20 Unternehmen (Operateure und Spediteure) aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Zum Verständnis wird im Folgenden zunächst der Seehafenhinterlandverkehr abgegrenzt, bevor die Studienergebnisse präsentiert und diskutiert werden. Seehafenhinterlandverkehr und-involvierte Akteure Im KV gibt es in der Regel einen Vor-, einen Haupt- und einen Nachlauf. Der für die Analyse betrachtete Seehafenhinterlandverkehr bezieht sich lediglich auf den hafenhinterlandseitigen Bereich (2. Glied Hauptlauf sowie Nachlauf ) im Export. Der Weg vom Werk des Herstellers bis zum Seehafen (Vorlauf ) und der Überseetransport bis Rotterdam (1. Glied Hauptlauf ) sind nicht miteingeschlossen. Da sich die Transportkette aus verschiedenen Verkehrsträgern zusammensetzen kann, sind i.d.R. auch mehrere Akteure involviert. Im unbegleiteten KV sind dies etwa Terminalbetreiber, Straßengütertransporteure, Eisenbahnverkehrsunternehmen, Binnenschifffahrtsunternehmen und Operateure. Letzteren wird besondere Verantwortung zuteil, da sie die Prozesskette in hohem Maße koordinieren und mit sämtlichen involvierten Akteuren kommunizieren. Parameter der Preisstrukturanalyse Die Analyse vergleicht Preisinformationen für einheitlich definierte Szenarien im grenzüberschreitenden KV von Rotterdam nach Zürich mit dem unimodalen Straßen- und Schienengüterverkehr. Um möglichst viele Verkehrsträgerkombinationen abdecken zu können, wurden für den KV neben Schiene/ Straße auch die Kombinationen Binnenschiff/ Straße und Binnenschiff/ Schiene erhoben. Alle eingeholten Preise beziehen sich auf 40-Fuß-Container im Komplettladungsverkehr von gewöhnlichen Stückgütern (z. B. keine Gefahrstofftransporte), die einmal pro Woche über einen längeren Zeitraum von mindestens einem Jahr stattfinden. Zudem handelt es sich um Komplettpreise einschließlich Verzollung, Transitabfertigung, Umschlagstätigkeiten, Zustellung beim Kunden und Rücktransport des leeren Containers in ein Depot nahe von Basel. Alle Angaben wurden sowohl für einen als auch für drei Schiffscontainer abgefragt, um etwaige Mengenvorteile zu berücksichtigen. Neben den Transportpreisen sind auch die Transportdauer und der ökologische Fußabdruck (CO 2 -Äquivalent in kg) 7 in die Betrachtung eingeflossen. KV preislich nicht zu schlagen Die durchgeführte Studie brachte neben der Bestätigung vermuteter Thesen auch überraschende Ergebnisse hervor. Werden die Preise isoliert betrachtet, ist der KV den unimodalen Transportlösungen unerwartet deutlich überlegen. Während der alleinige Transport über die Straße durchschnittlich 1831 EUR 8 kostet, können in der KV-Variante Schiene/ Straße über Bündelungseffekte mit 1142 EUR fast 40 % der Kosten eingespart werden (siehe Bild 1). Auch die Kombination Binnenschiff/ Straße schneidet preislich durchschnittlich vorteilhaft ab. Beim alleinigen Straßentransport tritt die größte Preisvarianz auf. Daraus lässt sich schließen, dass die Wahl des Anbieters in diesem Fall den höchsten Einfluss auf den Preis hat. Für alle Varianten mit Schiene als Schlussglied in der Transportkette muss erwähnt werden, dass die Annahme eines vorhandenen Anschlussgleises beim Empfänger von großer Bedeutung ist. Ansonsten müsste ein abermaliger Umschlag für den Nachlauf stattfinden, welcher inkl. Zustellung Zusatzkosten zwischen 300 EUR und 330 EUR bedeuten würde. Insgesamt lassen sich keine Mengenvorteile für den Transport von drei Containern im Vergleich zum Einzelcontainer beobachten. Da für die vorliegenden Untersuchungen von einer Warenart ausgegangen wurde, fallen auch bei der Verzollung keine Mehrkosten an. Dauer als Zusatzindikator Ein rein monetärer Vergleich von Preisangeboten ist wenig zielführend, da Verlader diverse Anforderungen an den Transport ihrer Sendungen haben und diese unterschiedlich gewichten. Als besonders wichtig erscheint in einem von Zeitdruck geprägten Wettbewerbsumfeld die Transportdauer. Im Vergleich zum Preis ist die Schwankungsbreite bei der Transportdauer für die Strecke Rotterdam - Zürich mit durchschnittlich 1,5 bis 8,2 Tagen deutlich höher. Alle Verkehrsträgerkombinationen mit Binnenschiff schneiden hier am schlechtesten ab. Muss für die Kombination Binnenschiff/ Straße mit einer knappen Woche gerechnet werden, verlängert sich diese Zeitspanne für die Kombination Binnenschiff/ Schiene auf bis zu neun Tage. Die Verzögerungen fallen im betrachteten Fall besonders stark ins Gewicht, da gegen den Fließstrom des Rheins verschifft werden muss. Unangefochtener Spitzenreiter bleibt bei der Transportdauer die Straße. Innerhalb von ein bis zwei Tagen werden Schiffscontainer ab Rotterdam in Zürich zugestellt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die alleinige Nutzung der Straße speziell für „Adhoc“-Transporte zielführend ist und im Gegenzug für die kurze Transportdauer ein entsprechender Preisaufschlag in Kauf genommen wird. Da Containerverkehre ansonsten ein hohes Maß an Regelmäßigkeit aufweisen, relativiert sich die Transportdauer als Auswahlkriterium in der Praxis. Schiene mit guter CO 2 -Bilanz Da die Nachhaltigkeit von Transportlösungen vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend an Bedeutung gewinnt, dürfen auch Umweltaspekte beim internationalen KV nicht außer Acht gelassen werden. Diese wirken im vorliegenden Vergleich relativierend und liefern ein starkes Argument für die Wahl der Schiene als Verkehrsträger. Keine andere Verkehrslösung weist einen ähnlich geringen Ausstoß an Kohlenstoffdioxid (CO 2 ) auf (CO 2 -Äquivalent von 640 kg). Auch die Kombination Schiene/ Straße profitiert mit Blick auf den Schadstoffausstoß davon, dass die Schiene hier bis Basel die Hauptstrecke abdeckt. Das Binnenschiff büßt hingegen abermals an Konkurrenzfähigkeit ein und muss sich Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 49 Kombinierter Verkehr LOGISTIK ähnlich der Dauer auch bei der Umweltbilanz als Schlusslicht einreihen. Bezeichnenderweise geht die preislich vorteilhafteste Kombination Binnenschiff/ Straße mit der höchsten Umweltbelastung einher (CO 2 - Äquivalent von 1657 kg). Diskussion der Ergebnisse Die präsentierten Analysen liefern wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit von Verkehrsträgern im internationalen KV. Bei deren Interpretation sollten allerdings einzelfall- und verkehrsträgerspezifische Faktoren berücksichtigt werden, welche die Ergebnisse maßgeblich beeinflussen. Die untersuchten KV-Varianten profitieren zunächst von der sehr hohen Frequentierung der betrachteten Strecke. Bei Übertragung der Erkenntnisse auf andere Routen sei deshalb Vorsicht angemahnt. Binnenschiff-Kombinationen sind deshalb preislich relativ wettbewerbsfähig, da Bündelungseffekte bei diesem Verkehrsträger am stärksten ins Gewicht fallen. Aufgrund des für die Schiene zu kurzen Nachlaufs von Basel nach Zürich fällt die Kombination Binnenschiff/ Schiene gegenüber der Variante Binnenschiff/ Straße zurück. Die Straße hingegen kann im Gegensatz zu allen anderen Verkehrsträgern kein Bündelungspotential entfalten - weder importseitig bis zur Zustellung noch beim Containerrücktransport. Die fehlenden Verbundeffekte wiegen schwerer als Preisvorteile durch einen wegfallenden Umschlag, da die Distanz von Rotterdam bis Zürich relativ lang ist. Bei der Schiene ist die Annahme des Anschlussgleises beim Empfänger nochmals hervorzuheben, wodurch der Nachlauf wegfällt. Müsste dieser mit dem LKW erfolgen, wären die unimodalen Varianten Straße und Schiene preislich nahezu gleichauf. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Attraktivität der unterschiedlichen Verkehrsträgerkombinationen maßgeblich davon abhängt, wie die Transportkriterien gewichtet werden. Sind Preis, Dauer und ökologischer Fußabdruck gleichermaßen wichtig, gewinnt den vorliegenden Vergleich die Verkehrsträgerkombination Schiene/ Straße. ■ 1 Stölzle, Hofmann und Mathauer (2018): Logistikmarktstudie Schweiz 2018. GS1 Schweiz. 2 BAV (2017): Güterverkehr durch die Schweizer Alpen 2016. 3 BAV (2016): Der Nord-Süd-Korridor. 4 Stölzle, Hofmann und Mathauer (2018): Logistikmarktstudie Schweiz 2018. GS1 Schweiz. 5 EDA (2016): Ein Bauwerk im Dienste Europas. 6 Der vorliegende Artikel beruht zu wesentlichen Teilen auf Stölzle, Hofmann und Mathauer (2018): Logistikmarktstudie Schweiz 2018. GS1 Schweiz. 7 Berücksichtigung des Beitrags verschiedener Treibhausgase zur globalen Erwärmung. Da die verschiedenen Gase eine unterschiedliche Verweildauer in der Atmosphäre aufweisen, wird ihr „Global Warming Potential“ ermittelt und Emissionen in CO 2 -Äquivalente zusammengefasst, um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen. 8 Die Preisangaben wurden ursprünglich in Schweizer Franken erhoben und sind für diesen Beitrag zum Tageskurs von 1 EUR = 1,1289 CHF (15.08.2018) umgerechnet (Gemäß EZB). Erik Hofmann, Prof. Dr. Direktor, Institut für Supply Chain Management, Universität St.Gallen erik.hofmann@unisg.ch Mathias Mathauer, M.A. HSG Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Supply Chain Management, Universität St.Gallen mathias.mathauer@unisg.ch Bild 1: Zusammenhang zwischen Preis und Dauer sowie Steuerung der Preis- und Zeitangaben je Verkehrsträgerkombination um die Mittelwerte für den Seehafenhinterlandverkehr von Rotterdam nach Zürich mit einem Container 700 900 1100 1300 1500 1700 1900 2100 2300 2500 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Dauer in Tagen Preis in EUR Schiene Ø-Preis: 1607 EUR Ø-Dauer: 2.8 Tage CO2-Äquivalent: 640 kg Schiene-Strasse Ø-Preis: 1142 EUR Ø-Dauer: 2.8 Tage CO2-Äquivalent: 784 kg Binnenschiff-Strasse Ø-Preis: 983 EUR Ø-Dauer: 6.8 Tage CO2-Äquivalent: 1657 kg Binnenschiff-Schiene Ø-Preis: 1507 EUR Ø-Dauer: 8.2 Tage CO2-Äquivalent: 1547 kg Durchschnittswerte für Preis- und Zeitangaben je Verkehrsträgerkombination Verteilung von Preis- und Zeitangaben je Verkehrsträgerkombination Strasse Ø-Preis: 1831 EUR Ø-Dauer: 1.5 Tage CO2-Äquivalent: 1546 kg LOGISTIK Thailand Die Nachfrage nach Kühllogistik steigt Infrastruktur, Transportwege, Kühlkette, temperaturkontrollierte Logistik Thailand will seine Nahrungsmittelindustrie weiter ausbauen und vermarktet sie mit Slogans wie „Thailand - Küche der Welt“ international. Die Exporte nach Europa erfolgen fast immer über den internationalen Hafen Laem Chabang. Große Infrastrukturprojekte sind bereits im Bau oder geplant, um den Östlichen Ökonomischen Korridor zu entwickeln. Die Kühlkettenlogistik des Landes befindet sich noch im Aufbau. Dirk Ruppik D ie Logistikindustrie des südostasiatischen Landes wächst gewaltig. Viele Großprojekte stehen an, die in der „Thailand Transport Infrastructure Development Strategy 2015-2022“ festgelegt sind. Das Land profitiert von seiner zentralen Lage in der Greater Mekong Subregion (GMS) und der ASEAN. Die Nahrungsmittelindustrie ist eine der bedeutenden Industrien des Landes und trägt 23 % zum Bruttoinlandsprodukt bei. Mit Marketingstrategien wie „Thailand - Küche der Welt“ und dem globalen Nahrungsmittel-Innovationshub „Food Innopolis“ soll die Bedeutung weiter erhöht werden. Ungefähr die Hälfte der Nahrungsmittelexporte fällt laut Gtai auf fünf Produkte: Reis (17,1 %), Zucker (8,6 %), Hühnchen (7,8 %), Thunfisch (7,5 %) und Garnelen (6,3 %). Deutschland bezieht aus Thailand u. a. größere Mengen an Hühnchenfleisch und Garnelen. Das Königreich befindet sich beim Logistics Performance Index 2018 der Weltbank auf Platz 32 vor Südafrika (33) aber hinter Ungarn (31), Polen (28) und Portugal (23). Entwicklung des Logistiksektors Mithilfe des Entwicklungsprojekts Thailand 4.0 soll das Land in eine fortschrittliche Nation mit einer auf Wissen basierenden Wirtschaft verwandelt werden. Dadurch will sich das südostasiatische Land bis 2021 in ein Hochlohnland verwandeln. Das Cluster Aviation & Logistics wird als eine der Zukunftsindustrien aufgeführt, wobei geplant ist, Thailand zunehmend zu einem Logistik-Hub zu entwickeln. Allerdings wird die Umsetzung des Projekts speziell in diesem Zeitrahmen mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern, da das Land kaum über Spezialisten und Experten verfügt, die die Industrie des Landes modernisieren könnten. Gleichzeitig verschließt sich die Monarchie mit einem starken Protektionismus im Arbeitsmarkt gegenüber dem Import von ausländischen Spezialisten. Nur 56 % der Thailänder haben bisher Zugang zum Internet, was zudem ein großes Problem für die Entwicklung von hoch ausgebildeten Arbeitskräften darstellt. Was das Land also braucht, ist eine breit angelegte Ausbildungsinitiative. Auch das Wirtschaftswachstum hat sich in der letzten Dekade auf knapp über 3 % halbiert. Nach einem Bericht der Weltbank („Getting back on track - reviving growth and securing prosperity for all” 2016) liegt der Grund dafür in einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des Landes, was wieder- Schwimmender Markt in Bangkok. Foto: pixabay Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 50 Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 51 Thailand LOGISTIK um auf den Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften zurückgeht. Der logistische Ausbau des Landes wird in der „Thailand Transport Infrastructure Development Strategy 2015-2022“ festgelegt. Bisher liegen die Logistikkosten mit fast 15 % des Bruttoinlandproduktes (8 % in den USA) nach wie vor relativ hoch. Der Transport von Waren erfolgt meist über Straßen (87 %). Auf dem zweiten Platz liegt der See- und Flußtransport mit 11 %. Da Thailand nach wie vor fast nur einspurige, langsame Schienenverbindungen besitzt, erfolgt der Transport nur zu 1,4 % via Schiene. Ein Lichtstreif am Horizont sind die geplanten logistischen Großprojekte und der Ausbau des Östlichen Ökonomischen Korridors (ÖÖK: Chonburi, Chachoengsao, Rayong Provinz, Randbezirke von Samut Prakan). Im ÖÖK sind bereits exportorientierte hochwertige Industrien wie die Automobilindustrie angesiedelt. Die Entwicklung wird nun auf Biochemie, Luft- und Raumfahrt, Elektronik, Roboter, Digitaltechnik und weiterhin auf die Automobilindustrie fokussieren. Im Schnellverfahren sollen verschiedene Infrastrukturprojekte umgesetzt werden. Dazu gehören der Ausbau des U-Tapao International Airports bei Pattaya, die Ho chg e s chwindigkeits zugverbindung Bangkok-Rayong (Verbindung der zwei Stadflughäfen Bangkoks und U-Tapao), die dritte Phase des Tiefseehafens Laem Chabang und die dritte Phase des Seehafens Map Ta Phut, ebenso der zweispurige Ausbau der Eisenbahntrasse zwischen den drei Seehäfen Bangkok Khlong Toei, Laem Chabang und Map Ta Phut sowie ein neues Industriegebiet. Laut dem stellvertretenden Transportminister Pailin Chuchottaworn entsteht Phase 3 des internationalen Seehafens Laem Chabang (Lloyd’s List Ranking 2016 auf dem 20. Rang, 7,2 Mio. TEU) mittels PPP auf 2,6 km 2 und wird die Umschlagskapazität des Hafens von bisher 11 Mio. TEU auf 18 Mio. TEU erweitern. Zudem soll die Anzahl der verschifften Neuwagen von zwei auf drei Millionen Einheiten steigen. Der Baubegin ist in 2019 geplant. Bis 2024 sollen vier weitere Containerliegeplätze, ein Küstenterminal mit einer 1 Mio. TEU Kapazität und ein Ro-Ro-Terminal für 1 Mio. Fahrzeuge entstehen. Die Logistikkosten im Lande sollen dadurch von fast 15 % auf 12 % sinken. Logistik verderblicher Waren Da das Land wichtiger Produzent von Agrar- und Meeresprodukten ist, nimmt die Nachfrage nach Kühlkettenlogistik beständig zu. Die Exporte im Nahrungsmittelbereich sind in 2016 um rund sieben und in 2017 um rund 8 % gewachsen. In 2016 stieg Thailand von Platz 15 auf Platz 13 führender Nahrungsmittelexporteure weltweit auf. Das Wachstum in den KLMV-Ländern (Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam) trug stark zur Zunahme der thailändischen Nahrungsmittelexporte bei, wobei die KLMV-Länder Japan vom ersten Platz der Exportmärkte ablösten. Weiterhin fördern das Wachstum der thailändischen Mittelklasse, die Zunahme der Expat-Gemeinde und die wachsende Zahl der Touristen den Nahrungsmittelbereich. Bisher werden allerdings nur 30 bis 40 % der Früchte und Gemüse im Land temperaturkontrolliert transportiert, in Industrieländern beträgt der Anteil 80 %. Dies zeigt schon das große Entwicklungspotenzial für Kühlkettenlogistik im Lande. Ein Unternehmen, das auf diese Entwicklung schon in 2012 reagiert hat, ist die japanische Konoike Transport (Konoike Cool Logistics Thailand Co., Ltd.). Sie betreibt rund 10 000 m 2 Lagerhausfläche südöstlich von Bangkok, 6300 m 2 davon sind für den Kühlbereich vorgesehen (Kapazität rund 10 000 Paletten, Temperaturbereich +15 bis -26 °C ). Der leitende Vizepräsident der MK Restaurant Group, Somchai Hanjitkasem, sagt, dass die Nahrungsmittelindustrie zunehmend durch E-Commerce getrieben wird. Durch die Online-Bestellungen wird die Nachfrage nach Hauszustellung stark zunehmen. Das Unternehmen verkündete im Juni diesen Jahres die Gründung eines 50/ 50-Joint-Ventures (M-Senko Logistics) mit dem japanischen Logistiker Senko Group Holdings Co Ltd.. Es wird integrierte Logistikdienste inklusive Lagerhaltung, Transport, Spedition und Handel anbieten. Der Hauptfokus allerdings liegt auf der ganzen Palette der Kühlkettenlogistik inklusive des Transports in Kühl-LKW. Das Unternehmensgelände mit 53 000-m 2 Fläche befindet sich an der Bangna-Trat- Schnellstraße südöstlich von Bangkok. In der ersten Phase sollen 1,3 bis 1,5 Mrd. Thailändische Baht (33 bis 38 Mio. EUR) investiert werden. Laut Vizepräsident Hanjitkasem besitzt das Land bisher keinen Full Service-Kühlkettendienstleister in nennenswerter Größe, doch Thailand könnte mit der richtigen Infrastruktur leicht ein Logistik-Hub werden. Innerhalb der nächsten drei Jahre plant Senko, den Standort zum eigenen regionalen Hub zu entwickeln. Durch den Betrieb der Restaurantkette MK mit 600 Standorten besitzt das Unternehmen bereits große Erfahrung mit Lebensmittellieferungen in Thailand. Innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre plant M- Senko die Expansion in den ASEAN-Markt, insbesondere nach Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam, durch die Entwicklung neuer B2C-Services. Daneben bieten noch verschiedene internationale Expressdienstleister wie DHL und UPS temperaturkontrollierte Frachtdienste an. Die Einzelhandelskette Spar gab im Juni 2017 die Zusammenarbeit mit DHL Supply Chain und der Bangchak Retail Company (BCR) zur Eröffnung von 300 neuen Mini-Märkten bis 2020 im Königreich bekannt. Dabei wird die Handelskette den Bangna Logistics Campus des Expressdienstleisters und ein Kühlhaus in Klong Prapa für gefrorene Lebensmittel nutzen. Tom Rose, Betriebsleiter für Spar International erklärte: „Die Erfolgsgeschichte von DHL in der Unterstützung schnell wachsender Lebensmittelhandelsketten in Thailand und anderen Märkten weltweit überzeugte uns und stützte unsere Entscheidung zur Wahl von DHL für unsere lokale Versorgungskette.“ Der Geschäftsführer von DHL Supply Chain (Thailand Cluster) Kevin Burrell geht von einem anhaltenden gleichmäßigen Wachstum des Einzehandelssektors bei gleichzeitiger Zunahme des verfügbaren Einkommens in Thailand aus. ■ Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Im Juni 2017 gab die Einzelhandelskette Spar die Zusammenarbeit mit DHL bei temperaturkontrollierten Frachtdienste bekannt. Quelle: Ruppik Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 52 LOGISTIK Infrastruktur Perspektiven zur Neuen-Seidenstraße Eine Erhebung in der österreichischen Transport- und Logistikbranche Neue Seidenstraße, Belt and Road, Österreich, Befragung Mit der Belt and Road-Initiative hat die Volksrepublik China ein globales Infrastrukturprojekt ausgerufen, welches die Handels- und Transportstrukturen fundamental ändern soll. Im deutschsprachigen Raum wird das Vorhaben als Neue Seidenstraße intensiv diskutiert, wobei konkrete Auswirkungen vielfach ungeklärt bleiben. Eine Befragung unter Entscheidungsträger/ innen in der österreichischen Transport- und Logistikbranche widmet sich deshalb der wahrgenommenen Bedeutung, den erwarteten Chancen und Risiken sowie den unternehmerischen Reaktionen. Reinhold Schodl, Andreas Breinbauer, Sandra Eitler D ie Belt and Road-Initiative ist eine Strategie der Volksrepublik China zur Schaffung eines Infrastrukturnetzes, welches China mit weiteren Ländern in Asien, Europa und Afrika landseitig über den Silk Road Economic Belt und zu Wasser über die Maritime Silk Road verbindet [1]. Im deutschsprachigen Raum wird „Neue Seidenstraße“ als Synonym für die Belt and Road-Initiative verwendet. Es handelt sich um eines der größten Infrastruktur- und Investitionsprojekte in der Geschichte mit entsprechendem Potential zur Veränderung globaler Handels- und Transportströme [2, 3]. Die vorliegende Arbeit untersucht die Sicht der Transport- und Logistikbranche auf die Neue Seidenstraße aus einer österreichischen Perspektive. Für Österreich ist China drittwichtigster Handelspartner für Importe und als offene und relativ kleine Volkswirtschaft könnte Österreich von einem Ausbau der Transportmöglichkeiten im besonderem Ausmaß profitieren [4, 5]. Anhand der geografischen Lage und starker Wirtschaftsbeziehungen mit Osteuropa und dem Westbalkan könnte Österreich eine bedeutsame Rolle als Verkehrsknoten der Neuen Seidenstraße einnehmen. Folgerichtig bekennt sich die offizielle Politik zu einer Partizipation an der Belt and Road-Initiative. Das kommt unter anderem durch eine Mitgliedschaft an der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank zum Ausdruck, welche zur Finanzierung des Infrastrukturaufbaus entlang der Neuen Seidenstraße beiträgt [6]. Seit Vorstellung der Belt and Road-Initiative im Jahr 2013 sind konkrete Umsetzungspläne mit Relevanz für Österreich recht vage. Befragung Eine Online-Befragung unter Entscheidungsträger/ innen der österreichischen Transport- und Logistikbranche wurde zwischen Januar und April 2018 durchgeführt. Ziel der Befragung ist es, einen Einblick in das aktuelle Verständnis zur Neuen Seidenstraße zu erhalten, wofür zehn geschlossene und sechs offene Fragen gestellt werden. Um einen repräsentativen Querschnitt in der Logistikbranche zu erreichen, wurden Einladungen zur Teilnahme an der Befragung an unterschiedliche Gruppen über mehrere Kanäle (Mailinglisten per E-Mail, Webseiten, Printmedium) kommuniziert. Von 139 erhaltenen Responses werden 121 verwertbare Antworten für die Analyse herangezogen. Eine induktive Inhaltsanalyse, bei der Kategorien aus dem analysierten Text abgeleitet werden, wertet die Antworten auf die offenen Fragen aus [7]. Die Befragung beschäftigt sich mit der generellen Wahrnehmung des Themas Neue Seidenstraße, den vermuteten Chancen und Risiken für Transport- und Logistikunternehmen sowie mit deren Reaktionen. Positive Wahrnehmung Die zentrale Frage nach der Wirkung der Neuen Seidenstraße wird eindeutig beantwortet. Auf die Frage „Wie wirkt sich die Neue Seidenstraße innerhalb der nächsten zehn Jahre auf den Standort Österreich aus? “ antworten 90 % mit sehr positiv beziehungsweise eher positiv (siehe Bild 1). Eine positive Wirkung wird für die Zukunft also klar prognostiziert, aber wie stark ist diese Wirkung? Als Indikator kann hierfür die empfundene Wichtigkeit, das Thema Neue Seidenstraße zu verfolgen, herangezogen werden. Auch hier fällt das Ergebnis klar aus, indem 85 % mit sehr beziehungsweise eher wichtig antworten. Zur validen Einschätzung der Wirkung und Wichtigkeit müssen die Befragten über ausreichende Information verfügen. Aus Bild 1 ist ersichtlich, dass sich etwas weniger als drei Viertel der Befragten sehr gut beziehungsweise gut über das Thema Neue Seidenstraße informiert fühlen. Aus den Ergebnissen ist zudem eine positive Beziehung zwischen Wichtigkeit und Informiertheit festzustellen. Wichtige Quellen zum Informieren über das Thema Neue Seidenstraße sind für die Befragten Fachzeitschriften (8 5 %, n=118), Fachveranstaltungen (82 %, n=119), Geschäftspartner/ innen (7 1 %, n=116) und Interessensverbände (71 %, n=117). Massenmedien sind hingegen für die Mehrheit (57 %, n=117) eine unwichtige Informationsquelle. Es sei angemerkt, dass ein Bias aus einem möglichen Zusammenhang zwischen der Bereitschaft zur Teilnahme an der Befragung und der Einstellung zur Neuen Seidenstraße resultieren kann. Chancen im Vordergrund Die generell positiven Einschätzungen zur Neuen Seidenstraße stehen im Einklang mit den Ergebnissen, wenn Chancen und Risi- Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 53 Infrastruktur LOGISTIK ken in unterschiedlichen Geschäftsfeldern von Logistikdienstleistern erhoben werden. Es wurde gefragt, wie zutreffend es ist, dass in den Bereichen Landverkehr Straße, Landverkehr Schiene, Seefracht, Luftfracht und Kontraktlogistik innerhalb der nächsten zehn Jahre durch die Neue Seidenstraße zusätzliche Chancen beziehungsweise Risiken für aus Österreich operierende Logistikdienstleister entstehen. Die Ergebnisse sind im Detail aus Bild 2 ersichtlich. Es ist beachtenswert, dass, mit Ausnahme des Bereichs Luftfracht, die Chancen gegenüber den Risiken eindeutig überwiegen. Zudem ist augenfällig, dass die Chancen im Bereich Landverkehr Schiene besonders ausgeprägt sind. In diesem Bereich erscheint es für 88 % sehr beziehungsweise eher zutreffend, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre durch die Neue Seidenstraße zusätzliche Chancen für aus Österreich operierende Logistikdienstleister entstehen, während dies in Bezug auf Risiken nur für 47 % der Befragten der Fall ist. Die Einschätzungen können damit erklärt werden, dass für das Binnenland Österreich neue Verkehrswege nach Asien primär mit der Eisenbahn assoziiert werden. Im Speziellen wird eine mögliche Verlängerung der Breitspurbahn vom slowakischen Košice in den Großraum Bratislava-Wien als wichtiges Infrastrukturprojekt wahrgenommen, welches einen zusätzlichen Eisenbahnkorridor zwischen Europa und China schafft [8]. Insbesondere für kapitalintensive Güter würde die Alternative zum Lufttransport ausgebaut werden. Dazu besteht eine Kooperationsvereinbarung zwischen den Österreichischen Bundesbahnen und den Russischen Eisenbahnen, welche unter anderem gemeinsame Bemühungen, die russische Breitspurbahn zu verlängern, beinhaltet. Obwohl China kein unmittelbarer Partner dieser Kooperationsvereinbarung ist, wird das Projekt generell der Neuen Seidenstraße zugeordnet. Eine vertiefende Betrachtung erfolgt durch die offene Frage nach wichtigen Chancen beziehungsweise Risiken, welche sich innerhalb der nächsten zehn Jahre durch die Neue Seidenstraße für aus Österreich operierende Logistikdienstleister ergeben. Anhand einer Inhaltsanalyse werden als häufig genannte Chancen ein gesteigertes Transportvolumen für heimische Logistikunternehmen, Österreich als Logistik- Hub, Verbesserung von Transportverbindungen, Intensivierung der Handelsbeziehungen mit Asien und eine Verkehrsverlagerung zur Schiene identifiziert. Dem gegenüber sind häufig genannte Risiken eine Intensivierung beziehungsweise Verzerrung des Wettbewerbs und ebenfalls eine Verkehrsverlagerung zur Schiene. Auch hier zeigt sich die zentrale Rolle des Verkehrsträgers Schiene in der österreichischen Sicht auf die Neue Seidenstraße, wobei je nach Standpunkt ein Modal Shift zu Gunsten der Schiene Chance oder Risiko bedeutet. Ausreichend vorbereitet? Generell wird der Neuen Seidenstraße eindeutig eine positive Wirkung bescheinigt, und die Chancen stehen im Vordergrund der Wahrnehmung. Folgerichtig ist es für drei Viertel der Befragten für den langfristigen Erfolg des eigenen Unternehmens sehr wichtig (25 %) beziehungsweise eher wichtig (50 %), sich mit dem Thema Neue Seidenstraße zu beschäftigen, während es für ein Viertel eher unwichtig (18 %) bezie- 23% 49% 24% 4% sehr gut eher gut eher schlecht schlecht n=120 Informiertheit 52% 33% 13% 2% sehr wichtig eher wichtig eher unwichtig unwichtig n=120 Wichtigkeit 21% 69% 8% 2% sehr positiv eher positiv eher negativ sehr negativ n=120 Wirkung Bild 1: Wirkung, Wichtigkeit und Informiertheit sehr zutreffend Chancen eher zutreffend unzutreffend eher unzutreffend Risiken 6% 30% 50% 14% 22% 52% 20% 6% Kontraktlogistik Chancen: n=115 Risiken: n=104 5% 34% 52% 9% 32% 35% 25% 8% Landverkehr Straße Chancen: n=117 Risiken: n=103 Chancen: n=117 Risiken: n=103 6% 41% 45% 8% 60% 28% 9% 3% Landverkehr Schiene 8% 32% 50% 10% 18% 32% 30% 20% Seefracht Chancen: n=117 Risiken: n=103 7% 32% 47% 14% 7% 24% 44% 25% Luftfracht Chancen: n=117 Risiken: n=103 Bild 2: Chancen und Risiken Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 54 LOGISTIK Infrastruktur hungsweise unwichtig (7 %) ist (n=103). Ein Vergleich mit anderen aktuellen Themen relativiert jedoch das Ergebnis. Als sehr wichtig für den langfristigen Unternehmenserfolg ist für 70 % eine Beschäftigung mit der Digitalisierung, für 69 % mit der Fachkräftequalifizierung, für 54 % mit innovativen Technologien, für 52 % mit neuen Geschäftsmodellen und lediglich für 25 % mit der Neuen Seidenstraße (n=103). Inwieweit reagieren nun Unternehmen der Transport- und Logistikbranche auf der strategischen Ebene auf das Thema Neue Seidenstraße? Weniger als die Hälfte der Befragten gibt an, dass die Strategie ihres Unternehmens das Thema Neue Seidenstraße explizit thematisiert (22 %) beziehungsweise weitgehend mitberücksichtigt (25 %). Für die Mehrheit besitzt die Neue Seidenstraße keine ausgeprägte Strategierelevanz, das heißt, das Thema wird in der Unternehmensstrategie nur etwas mitgedacht (33 %) beziehungsweise gar nicht berücksichtigt (20 %) (siehe Bild 3). Ob eine definierte Strategie auch tatsächlich gelebt wird, ist nicht einfach zu bewerten. Eine Grundvoraussetzung ist jedenfalls, dass Funktionen bzw. Abteilungen sich mit Themen beschäftigen, welche in der Strategie als relevant definiert sind. Rund zwei Drittel der Befragten geben an, dass Funktionen bzw. Abteilungen in ihrem Unternehmen damit beauftragt sind, das Thema Neue Seidenstraße aktiv zu verfolgen. Am häufigsten widmet sich das Top-Management dieser Aufgabe. Diskussion Prinzipiell wird die Neue Seidenstraße durch die Befragten in der österreichischen Transport- und Logistikbranche durchwegs positiv aufgenommen. Diese sehen das Thema als wichtig an, fühlen sich gut informiert und assoziieren die Neue Seidenstraße primär mit Chancen. Risiken werden vor allem angebotsseitig in Form eines verstärkten Wettbewerbs gesehen, welcher zudem durch staatsnahe, ausländische Anbieter verzerrt werden könnte. Die Nachfrageseite wird weitgehend ausgeblendet. Es kann jedoch angenommen werden, dass sich, getrieben durch vermutete beziehungsweise faktische Veränderungen, welche mit der Neuen Seidenstraße verbunden sind, die Kundenanforderungen ändern werden. Gesteigerte Erwartungen an Transportzeiten und -zuverlässigkeit würden Investitionen in innovative Transport- und Logistiklösungen erfordern. In den Befragungsergebnissen spiegelt sich wider, dass die Neue Seidenstraße in Österreich eng mit dem Verkehrsträger Schiene in Verbindung gebracht wird. Im Speziellen steht das mögliche Projekt zur Verlängerung der Breitspurbahn vom Osten der Slowakei in den Großraum Bratislava- Wien im Zentrum der Aufmerksamkeit, welches eine große Anzahl neuer Arbeitsplätze in der Transport- und Logistikbranche verspricht [9]. Die Auswirkungen auf die Verkehrsträger Wasserstraße und Straße sollen aber nicht vernachlässigt werden. Ein neuer Verkehrsknoten im Großraum Bratislava-Wien bietet einerseits die Chance, den ökologischen Wasserweg Donau anzubinden und zu attraktiveren, würde andererseits aber Herausforderungen durch ein gesteigertes Verkehrsaufkommen auf der Straße bedeuten [10]. Letztlich ist festzuhalten, dass sich die Befragten der österreichischen Transport- und Logistikbranche bei der Beantwortung der Fragen besonders auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und langfristigen Auswirkungen auf das wirtschaftliche, soziale und ökologische Umfeld weniger Beachtung schenken. Es soll jedoch bedacht werden, dass spätestens in der langen Frist gesamtwirtschaftliche, soziale und ökologische Effekte auf die Transport- und Logistikunternehmen wirken werden. Ist die Neue Seidenstraße mehr als ein Infrastrukturprojekt? Die Belt and Road- Initiative steht mit der „Going Global“-Strategie der Volksrepublik China im Einklang, die eine Zunahme chinesischer Auslandsinvestitionen verfolgt. China investiert bereits mehr Kapital im Ausland, als es an ausländischen Direktinvestitionen erhält. Das betrifft auch Investitionen in wichtige Logistikinfrastruktur, welche durch staatsnahe Betriebe Chinas getätigt werden. Der Ausbau logistischer Infrastruktur ist zudem eng mit der Entwicklung von Produktions- und Absatzmärkten verbunden. Hier spielt die Strategie „Made in China 2025“ eine bedeutsame Rolle, welche die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Chinas, speziell im High-Tech-Bereich, zum Ziel hat. Folglich ist es ratsam, dass Trends rund um die Neue Seidenstraße aus einer ganzheitlichen Sicht verfolgt und differenziert bewertet werden [11]. Abschließend sei angemerkt, dass die Arbeit keinen Anspruch auf endgültige Antworten erhebt, sondern sich als Beitrag zur laufenden Diskussion im dynamischen Arbeitsfeld Neue Seidenstraße versteht. ■ LITERATUR [1] National Development and Reform Commission, People´s Republic of China (2015): Vision and Actions on Jointly Building Silk Road Economic Belt and 21st-Century Maritime Silk Road, http: / / en.ndrc. gov.cn/ newsrelease/ 201503/ t20150330_669367.html, 01.06.2018 [2] Chin, H., He, H., (2016): The Belt and Road Initiative: 65 Countries and Beyond, Fung Business Intelligence Centre, Hong Kong [3] Liu, W. (2015): Scientific understanding of the Belt and Road Initiative of China and related research themes, in: Progress in Geography, 34(5), 538-544 [4] Statistik Austria (2018): STATcube Database, http: / / statcube.at, 01.06.2018 [5] Grübler, J., Stehrer, R. (2017): Die chinesische Investitionsoffensive „One Belt, One Road“ Wirtschaftliche Potentiale für Österreich? , FIW Policy Brief Series 033, FIW [6] AIIB (2016): Asian Infrastructure Investment Bank Subscriptions and Voting Power of Member Countries, www.aiib.org/ en/ aboutaiib/ who-we-are/ membership-status/ .content/ index/ _download/ 20160930035841674.pdf, 01.06.2018 [7] Mayring, P. (2014): Qualitative content analysis: theoretical foundation, basic procedures and software solution. Klagenfurt, 2014 [8] Breitspur Planungsgesellschaft (2011): Pre-feasibility study for broadgauge railway connection between Kosice and Vienna, http: / / www.breitspur.com/ pdf/ final_report.pdf, 01.06.2018 [9] bmvit (2018): Factsheet: Verlängerung der Breitspur bis in den Raum Wien, Austrian Ministry for Transport, Innovation and Technology, Vienna [10] Kummer, S., Stranner, G., Nagl, P. (2008): Auswirkungen einer Breitspur-Anbindung des Twin-City Raumes Wien/ Bratislava aus Sicht von Verkehrswirtschaft und Logistik, Institut für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien, http: / / epub.wu.ac. at/ 3200/ 1/ 080509_breitspur_endbericht_de__1_.pdf, 01.06.2018 [11] Breinbauer, A., Eitler, S., Schodl, R. (2018) Chinas Brücke nach Europa, VNL Magazin, Frühjahr 2018, 22-25 Andreas Breinbauer, Prof. (FH) Dr. Rektor und Studiengangsleiter „Logistik und Transportmanagement“, Fachhochschule des BFI Wien andreas.breinbauer@fh-vie.ac.at Sandra Eitler, Mag. a Fachbereichsleiterin „Transport und Verkehr“, Fachhochschule des BFI Wien sandra.eitler@fh-vie.ac.at Reinhold Schodl, Prof. (FH) Dr. Stellvertretender Studiengangsleiter „Logistik und Transportmanagement“, Fachhochschule des BFI Wien reinhold.schodl@fh-vie.ac.at 22% 25% 33% 20% explizit thematisiert weitgehend mitberücksichtigt etwas mitgedacht nicht berücksichtigt n=104 Strategierelevanz Bild 3: Strategierelevanz Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 55 Reduzierte Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen Bei schweren LKW meist nur schwache Verringerung der CO 2 -Emissionen bei deutlich höheren Gesamtkosten Schweres Nutzfahrzeug, Höchstgeschwindigkeit, Autobahn, Treibhausgasemissionen, Simulationsmodell, Gesamtkostenrechnung Mithilfe eines physikbasierten Kraftstoffverbrauchs- und logistischen Fahrtenkettenmodells wurden die Auswirkungen von reduzierten Höchstgeschwindigkeiten auf den Kraftstoffverbrauch (respektive THG-Emissionen) und die Einsatzzeit schwerer Nutzfahrzeuge simuliert. Danach verringert sich der Verbrauch zwar stetig, wenn das Tempo von derzeit fast 90 auf bis zu 75 km/ h reduziert wird, jedoch steigen zugleich die variablen Fahrpersonalkosten, sodass die Gesamtkosten insgesamt bei nur 6 von 15 untersuchten Fahrzeugklassen sinken. Die entsprechende Emissionseinsparung beträgt 0,29 % (maximal 4,02 %). Alexander Kaiser, Hartmut Zadek D er Anteil des Straßengüterverkehrs an den gesamten CO 2 -Emissionen Deutschlands liegt seit zehn Jahren bei etwa fünf Prozent [1]. Allerdings könnte sich dieser Wert bis 2030 gemäß einer Prognose des DLR verdoppeln, da technische Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz und der zunehmende Einsatz von emissionsärmeren Antrieben - selbst im optimistischsten Szenario - nicht ausreichen werden, um das voraussichtliche Wachstum der jährlichen Gesamtfahrleistung aller Nutzfahrzeuge von ca. 70 Mrd. (2005) auf 120 Mrd. km nur annähernd auszugleichen [2]. Um dennoch den entsprechenden Anstieg der CO 2 -Emissionen auf etwa 61 bis 86 Mio. t im Jahr 2030 abzumildern, werden von der Foto: pixabay Wissenschaft LOGISTIK Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 56 LOGISTIK Wissenschaft Bundesregierung im „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ auch nicht-technische Maßnahmen wie eine kraftstoffsparende Fahrweise, u. a. durch den Einbau sogenannter Tempobegrenzer in Nutzfahrzeugen, erwogen [3]. Würde damit die Höchstgeschwindigkeit bei Autobahnfahrten auf genau 80 km/ h - in der Regel beträgt diese bei freier Fahrt etwa 90 km/ h - reduziert werden, könnten nach früheren Untersuchungen in Bezug auf Europa bzw. Österreich je nach Fahrzeugklasse zwischen 4 und 10 % des Kraftstoffverbrauchs und der THG-Emissionen eingespart werden [4, 5]. Bei einer weiteren Senkung auf 70 oder 60 km/ h wird sogar mit einer Einsparung von 8 bis 21 % bzw. 10 bis 28 % gerechnet [ebd.]. Allerdings liegt die jährliche Gesamteinsparung deutlich darunter, da abhängig vom Einsatzfall eines Fahrzeugs (z. B. im Fern- oder Regionalverkehr) ein beträchtlicher Teil der Fahrleistung abseits von Autobahnen auf Außer- und Innerortsstraßen erbracht wird, wo eine individuelle Verringerung der Höchstgeschwindigkeit ohne Berücksichtigung der nachfolgenden Fahrzeuge, insbesondere schnellerer PKW, aufgrund der ungünstigeren Überholmöglichkeiten nicht praktikabel erscheint [6]. Zielstellung und Gegenstand der Untersuchung Das Ziel der eigenen Untersuchung [6] besteht darin, das Einsparpotential der THG-Emissionen von Nutzfahrzeugen im deutschen Straßengüterverkehr in Bezug auf die jährliche Gesamtfahrleistung zu bestimmen und kostenmäßig zu bewerten, wobei diese Fahrleistung auf verschiedenen Typen von Autobahnen, Außer- und Innerortsstraßen erbracht wird. Veränderungen resultieren jedoch nur aus dem jeweiligen Autobahnanteil. Aufgrund der Datenverfügbarkeit und des Untersuchungsaufwands werden dabei nur schwere Nutzfahrzeuge (SNF), die in Deutschland zugelassen sind sowie im In- oder Ausland gefahren werden, mit einem zulässigen Gesamtgewicht (zGG) zwischen 7,5 und 40 t im Jahr 2010 betrachtet. Diese rund 435 000 Fahrzeuge sind gemäß der HBEFA-Klassifikation in 74 Klassen eingeteilt, um davon die nach dem Kraftstoffverbrauch bedeutendsten Klassen auszuwählen (siehe Tabelle 1). Demnach werden ca. 91 % des Kraftstoffverbrauchs aller SNF durch nur 15 Klassen (im Folgenden „TOP 15“ genannt) verursacht, die außerdem 71 % des Bestands und 89 % der Fahrleistung abdecken. Die detaillierte Untersuchung der Höchstgeschwindigkeitsszenarien erfolgt in zwei gekoppelten Simulationsmodellen (Fahrdynamik- und Fahrtenkettenmodell, kurz: FDM bzw. FKM) auf Basis der technischen Daten eines realen Beispielfahrzeugs, das jeweils alle SNF einer Klasse repräsentiert und somit die Hochrechnung der Simulationsergebnisse erlaubt. Simulationsexperimente mit einem physikbasierten Verbrauchsmodell Um die Wirkung einer geringeren Höchstgeschwindigkeit auf den Kraftstoffverbrauch bei einer Vielzahl unterschiedlicher Fahrzeuge und Verkehrssituationen zu quantifizieren, sind Simulationsexperimente mit einem physikbasierten Kraftstoffverbrauchsmodell grundsätzlich besser geeignet als zeit- und kostenaufwändige Messungen im realen Fahrzeugbetrieb [12]. Da ein solches Modell auf den allgemeingültigen Gleichungen der Fahrzeuglängsdynamik basiert und alle Zustandsänderungen kontinuierlich über die Zeit simuliert werden, lassen sich die gesuchten Ergebnisse in ausreichend hoher Genauigkeit bestimmen. Wie im Bild 1 dargestellt ist, wird dabei die mechanische Motorleistung, die zur Überwindung der einzelnen Fahrwiderstände (Roll-, Luft-, Steigungs- und Beschleunigungswiderstand) und Versorgung der Nebenaggregate erforderlich ist, abhängig vom Fahrzeugklassen- Nr. (TOP 15) Fahrzeuggrößenklasse (HBEFA- Bezeichnung) Ausgewähltes Repräsentanzfahrzeug (mit Datenquelle) Kraftstoffverbrauchsanteil (2010) 4, 8 Solofahrzeug 7,5-12 t zGG Mercedes-Benz Atego 1224 L [7] 1,6 % 20, 24 Solofahrzeug 14-20 t zGG Mercedes-Benz Antos 1830 [8] 2,1 % 28, 31, 32 Solofahrzeug 20-26 t zGG Mercedes-Benz Antos 2543 [9] 3,9 % 44, 48 Solofahrzeug 28-32 t zGG Mercedes-Benz Arocs 3245 [10] 1,9 % 69, 70, 71, 72, 73, 74 Sattelkraftfahrzeug/ Gliederzug 34-40 t zGG Mercedes-Benz Actros 1842 EEV [11] 81,4 % Summe (Anteil der TOP 15 von insgesamt 74 Fahrzeugklassen / allen SNF) 90,9 % Tabelle 1: Untersuchte Klassen schwerer Nutzfahrzeuge mit zugehörigen Repräsentanzfahrzeugen Bild 1: Prinzipielle Übertragung von Drehmoment und Drehzahl zwischen den Antriebsstrangkomponenten eines SNF in einem Fahrzeuglängsdynamikmodell [6] Bild 2: Synthetisches Verbrauchskennfeld eines SNF-Motors (am Beispiel von FZK 24) [6] Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 57 Wissenschaft LOGISTIK Wirkungsgrad des Antriebstranges, von den Übersetzungen der einzelnen Getriebe sowie von der Geschwindigkeit und Beschleunigung des Fahrzeugs an den Antriebsrädern zu jedem Simulationszeitpunkt berechnet [12]. Die gesuchte Verbrauchsrate des Verbrennungsmotors ergibt sich aus dem zugehörigen Verbrauchskennfeld, das den spezifischen Verbrauch (b e ) in der Einheit „g/ kWh“ zu jedem möglichen Betriebspunkt, d. h. einer Drehmoment-Drehzahl-Kombination auf bzw. unterhalb der Volllastkennlinie, angibt [12, 13]. Das exakte (reale) Verbrauchskennfeld eines bestimmten Motors kann nur über ein standardisiertes Messverfahren auf einem Motorprüfstand mit anschließender Korrektur ermittelt werden (siehe z. B. [14]). Da diese jedoch von den Motorenherstellern grundsätzlich nicht veröffentlicht werden und auch die erforderlichen Kennfelder der untersuchten Fahrzeugklassen (FZK) nicht verfügbar sind, wird im eigenen FDM auf ein synthetisches (d. h. idealisiertes, parametrisiertes und kalibrierbares) Verbrauchskennfeld zurückgegriffen. Wie im Bild 2 an einem Beispiel dargestellt ist, werden darin die Iso-Verbrauchslinien durch konzentrische Kreise um den Punkt des minimalen spezifischen Verbrauchs (b e,Min,eff ) abgebildet, sodass sich der spezifische Verbrauch (b e ) durch eine Funktion in Abhängigkeit von Drehmoment und Drehzahl beschreiben lässt. Die unbekannten Parameter dieser Funktionen werden schließlich über ein spezielles Kalibrierungsverfahren mit dem Ziel bestimmt, dass der auf Kennfeldbasis im Simulationsmodell berechnete Wert des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs (DKV in l/ 100 km) mit dem gegebenen Referenzwert der FZK gemäß HBEFA 3.2 [15] übereinstimmt. [6] In HBEFA 3.2 ist der Soll-Wert des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs jeder FZK für zwei Randzustände der massenbezogenen Auslastung (0 % und 100 %) gegeben, während alle Zwischenwerte aufgrund der linearen Beziehung zwischen DKV und Nutzmasse interpolierbar sind. Nach erfolgreicher Kalibrierung des synthetischen Verbrauchskennfelds einer FZK stimmt diese Funktion mit den einzelnen Simulationsergebnissen (DKV bei einer bestimmten Nutzmasse) und der entsprechenden Regressionsfunktion (Ist-Werte) annähernd überein. Die verbleibenden Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Wert betragen höchstens 1,35 % und im Durchschnitt 0,0 % bzw. 0,02 % bei allen FZK [6]. Bei jedem Simulationslauf des FDM wird ein Gesamtfahrzyklus durchlaufen, der sich aus 23 einzelnen HBEFA-Fahrzyklen gemäß [16] für alle relevanten Verkehrssituationen auf Autobahnen, Außer- und Innerortsstraßen bei jeweils sieben Straßenlängsneigungen (-6 % bis +6 %) zusammensetzt. Dabei wird in jeder FZK die Länge (Entfernung) eines Einzelfahrzyklus vom jeweiligen Fahrleistungsanteil der entsprechenden Verkehrssituationen bestimmt, sodass sich je FZK ein fahrleistungsgewichteter Gesamtfahrzyklus ergibt. Vor den Simulationsexperimenten mit unterschiedlichen Höchstgeschwindigkeiten werden darin die einzelnen Autobahn-Fahrzyklen mithilfe eines analytischen Verfahrens [17] an die jeweils geringere Höchstgeschwindigkeit angepasst, sodass sich die Dauer des Gesamtfahrzyklus entsprechend verlängert, während die zurückgelegte Entfernung konstant bleibt [6]. Simulationsexperimente mit einem Fahrtenkettenmodell Da eine Verringerung der Höchstgeschwindigkeit zwangsläufig zu einer Erhöhung der Fahrzeit führt, die sich nicht nur auf die Tourenplanung (Zeitfensterrestriktion), sondern auch auf die nachfolgenden Logistikprozesse von Industrie- und Handelsunternehmen auswirken kann [4], wird die zeitliche Verschiebung der einzelnen Fahrten während eines Jahres mithilfe des FKM (ereignisdiskretes Simulationsmodell) auf Basis der vom FDM ermittelten Durchschnittsgeschwindigkeit exakt berechnet. Dabei werden auch die Restriktionen des Fahrzeugs und des Fahrpersonals u. a. durch gesetzliche Fahrverbotsbzw. Lenk- und Ruhezeiten berücksichtigt, Bild 3: Relative Einsparung des Kraftstoffverbrauchs gegenüber dem Referenzfall [6] Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 58 LOGISTIK Wissenschaft wodurch eine Fahrt ggf. auf den nächsten Einsatztag oder gar die folgende Einsatzwoche verlegt wird. Dadurch lässt sich am Jahresende außerdem feststellen, ob die noch verfügbare Einsatzzeit eines Fahrzeugs ausreicht, um alle restlichen Fahrten durchzuführen. Im negativen Fall wäre die reduzierte Höchstgeschwindigkeit für das jeweilige Fahrzeug entweder unzulässig oder nur durch Übernahme der entsprechenden Fahrten durch ein anderes Fahrzeug umsetzbar. Letzteres wird im FKM jedoch ausgeschlossen, da im Vergleich zu den verminderten Kraftstoffkosten deutlich höhere Mehrkosten für ein (z. B. gemietetes) Zweitfahrzeug neben den zusätzlich anfallenden Fahrpersonalkosten anfallen würden [6]. Simulationsergebnisse Nach den methodischen Erläuterungen werden im Folgenden ausgewählte Ergebnisse der Simulationsexperimente mit unterschiedlichen Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen (85, 80, 75, 70, 65 und 60 km/ h) im Vergleich zum Referenzfall (Ausgangssituation mit fast 90-km/ h) vorgestellt. Wie im Bild 3 dargestellt ist, verringern sich der Kraftstoffverbrauch und die THG-Emissionen einer FZK je nach Höchstgeschwindigkeit um 0,1 bis 9,7 %. Obwohl der Gesamtfahrwiderstand mit sinkender Fahrzeuggeschwindigkeit stetig abnimmt, trifft dieser Zusammenhang auf den Kraftstoffverbrauch nur bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 75 km/ h bei allen FZK zu, während er bei einer geringeren Höchstgeschwindigkeit auch wieder vereinzelt ansteigt - jedoch nur in einem Fall (FZK 73 bei 60 km/ h) über den Ausgangswert (Referenzfall). Die Ursache dafür liegt im FZK-spezifischen Verbrauchskennfeld und der statischen Gangwechselsteuerung im FDM, die beide auf die Höchstgeschwindigkeit des Referenzfalls so ausgelegt sind, dass der durchschnittliche Motorbetriebspunkt im verbrauchssparenden Bereich, d. h. nahe beim Punkt des minimalen spezifischen Verbrauchs, liegt. Deshalb kann bei einer geringeren Höchstgeschwindigkeit die Situation eintreten, dass nicht mehr bis in den letzten Gang hochgeschaltet wird und dadurch der Motorbetriebspunkt für längere Zeit im ungünstigen Kennfeldrandbereich (sehr hoher spezifischer Verbrauch) liegt. Um diese Situation zu verhindern, wäre stets eine technische Anpassung des Antriebsstrangs, insbesondere von Motor und Getriebe, an die jeweils geltende Höchstgeschwindigkeit erforderlich [4]. Davon wird jedoch im Modell aus praktischen Gründen nicht ausgegangen, da unverhältnismäßig hohe Kosten für die entsprechende Nachrüstung bestehender Fahrzeuge vermutet werden [6]. Wird die Höchstgeschwindigkeit bei allen SNF (TOP 15) auf den gleichen Wert wie z. B. durch ein allgemeines Tempolimit reduziert, ergibt sich eine durchschnittliche Verbrauchs- und Emissionseinsparung von 1,6 % bei Bild 4: Differenz der Kraftstoff-Minderkosten (+) und Fahrpersonal-Mehrkosten (-) je Fahrzeug gegenüber dem Referenzfall (in EUR/ Jahr) [6] Bild 5: Einsparmenge der THG-Emissionen in Abhängigkeit vom Dieselkraftstoffpreis [6] Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 59 Wissenschaft LOGISTIK LITERATUR [1] Lenz, Barbara, et al.: Shell Lkw-Studie: Fakten, Trends und Perspektiven im Straßengüterverkehr bis 2030. Berlin, Hamburg: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt; Shell Deutschland Oil GmbH (zugleich Hrsg.), April 2010 [2] Knitschky, Gunnar; Lischke, Andreas; Müller, Stephan: Entwicklung der Nutzfahrzeugflotte und deren CO 2 -Emissionen im Straßengüterverkehr in Deutschland bis zum Jahr 2030. In: Clausen, Uwe (Hrsg.). Wirtschaftsverkehr 2011: Modelle - Strategien - Nachhaltigkeit. Dortmund: Verlag Praxiswissen, 2011, S. 139-155 [3] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Aktionsprogramm Klimaschutz 2020. Berlin, Dezember 2014 [gesichtet am 20.01.2015]. Verfügbar unter: http: / / www.bmub.bund.de/ …/ aktionsprogramm-klimaschutz-2020 [4] Breemersch, Tim; Akkermans, Lars: GHG reduction measures for the Road Freight Transport sector: An integrated approach to reducing CO 2 emissions from Heavy Goods Vehicles in Europe. Final report for ACEA, Leuven, Brüssel: Transport & Mobility Leuven; ACEA, 17.09.2014 [gesichtet am 18.10.2014]. Verfügbar unter: http: / / www.tmleuven.be/ …/ ACEA- ReportonHDVemissionreductionmeasuresv9.pdf [5] Rexeis, Martin: Einfluss der Fahrgeschwindigkeit auf den Emissionsausstoß von LKW größer 7,5 t auf Autobahnen. 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Wenn in jeder FZK das maximale Einsparpotential durch die jeweils optimale Höchstgeschwindigkeit realisiert wird, ergibt sich eine Gesamteinsparung von 4,02 % oder 793 832 t CO 2 e/ Jahr [6]. Aufgrund der verlängerten Fahrzeiten enden die meisten Fahrten durchschnittlich zwischen einer Minute und fünf Stunden später als im Referenzfall. Die maximale Verspätungsdauer beträgt sogar 74 Stunden, wenn mehrere einsatzfreie Tage zwischen dem ursprünglichen und neuen Fahrtende liegen. Allerdings werden im FKM mangels Informationen zu den Effekten der Fahrtenverspätungen beim Kunden (Verlader) keine entsprechenden Kosten angesetzt [6]. Analog dazu erhöht sich die jährliche Gesamteinsatzzeit eines Fahrzeugs um bis zu 11 %, wodurch die zeitliche Fahrzeugauslastung jedoch nur leicht ansteigt (z. B. von 10,3 auf 10,6 % oder von 78,3 auf 80,4 %). Eine sehr hohe Auslastung von rund 80 % führt jedoch dazu, dass bei einer weiteren Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit nicht mehr alle vorgesehenen Fahrten bis Jahresende durch ein Fahrzeug durchgeführt werden können. Deshalb ist bei den entsprechenden FZK 71 und 72 eine Höchstgeschwindigkeit von mindestens 75 km/ h erforderlich. (Entsprechend den Anmerkungen in Bild 3 und Bild 4 sind geringere Höchstgeschwindigkeiten nicht durchführbar.) [6] Kraftstoffverbrauch und Fahrerpersonalaufwand eines Fahrzeugs werden jeweils mit dem entsprechenden Durchschnittspreis bzw. -kostensatz des Jahres 2010 bewertet (1,029 EUR/ l und 17,84 EUR/ h). Werden beide Kosten addiert und von der entsprechenden Summe des Referenzfalls subtrahiert, ergeben sich Minderkosten (positive Differenz) oder Mehrkosten (negative Differenz) durch die jeweilige Reduktionsmaßnahme (siehe Bild 4). Demnach treten jährliche Kosteneinsparungen zwischen durchschnittlich 12 und 903 EUR je Fahrzeug auf, die sich jedoch auf nur 6 von 15 FZK verteilen. Umgekehrt entstehen Mehrkosten von bis zu 7911 EUR bei 13 FZK. Werden nur die kostenminimalen Reduktionsmaßnahmen unter allen momentan wirtschaftlichen Maßnahmen (gemäß Bild 4) umgesetzt, können insgesamt 57 831 t CO 2 e/ Jahr (0,29 %) eingespart werden [6]. Fazit Durch die Untersuchungsergebnisse wird die landläufige These widerlegt, dass durch eine Geschwindigkeitsreduzierung neben sinkenden THG-Emissionen (überwiegend wahr) zwangsläufig auch die Fahrzeug- und Transportkosten sinken (überwiegend falsch). Dies hängt tatsächlich in jedem Einzelfall von den Merkmalen des Fahrzeugs (verbrauchsoptimale Höchstgeschwindigkeit, zeitliche Auslastung etc.) sowie vom herrschenden Kraftstoffpreis und Personalkostensatz ab. Obwohl sich durch einen stetig steigenden Kraftstoffpreis zwar die Wirtschaftlichkeit der Reduktionsmaßnahmen grundsätzlich erhöht (wie in Bild 5 dargestellt), ist das maximale Einsparpotential durch eine reduzierte Autobahn-Höchstgeschwindigkeit auf bis zu 60 km/ h mit 4,02 % im Vergleich zu den angestrebten Klimaschutzzielen als gering und aufgrund der hohen Vermeidungskosten (bis zu 3162-EUR je t CO 2 e) als ineffizient einzuschätzen [6]. ■ Hartmut Zadek, Prof. Dr.-Ing. Leiter des Lehrstuhls für Logistik, Institut für Logistik und Materialflusstechnik (ILM), Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg zadek@ovgu.de Alexander Kaiser, Dipl.-Wirtsch.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Geschäftsfeld Verkehr & Assistenz, Institut für Automation und Kommunikation e. V. (ifak), Magdeburg alexander.kaiser@ifak.eu Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 60 MOBILITÄT Autonomes Fahren Auswirkungen des autonomen-Fahrens aus Sicht der-Verkehrsplanung Thesen und offene Fragen Fahrerloses Fahren, Stadtplanung, Akzeptanz, Sharing-Systeme, Marktdurchdringung Dem derzeit viel diskutierten Thema autonomes Fahren fehlt aus Sicht der Autoren eine fokussierte Betrachtung der Wirkungen aus verkehrs- und stadtplanerischer Perspektive, während vor allem zu technischen Aspekten zahlreiche Überlegungen und Forschungen angestellt werden. Um eine sinnvolle Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen der Einführung autonomer Fahrsysteme für die Verkehrsentwicklung treffen zu können, soll der vorliegende Beitrag die Aufmerksamkeit stärker darauf lenken, welche Implikationen das fahrerlose Fahren für das Verkehrssystem als solches mit sich bringen könnte. Konrad Rothfuchs, Philip Engler D as autonome Fahren nimmt in der fachlichen Debatte einen immer breiteren Raum ein. Ausdruck dessen sind eine stetig steigende Zahl von Beiträgen in wissenschaftlichen oder praxisbezogenen Veröffentlichungen sowie eine wachsende mediale Aufmerksamkeit für das Thema. Zudem nehmen auch die Einrichtung von Testfeldern und die Durchführung von Pilotprojekten zu und illustrieren den Schritt von der theoretischen zur praktischen Erprobung dieses neuartigen Mobilitätsfeldes. Aus Sicht der Autoren besteht in der Beschäftigung mit dem Thema eine inhaltliche Schieflage: Während vor allem zu technischen Aspekten der Umsetzbarkeit zahlreiche Überlegungen und Forschungen angestellt werden, bleiben grundlegende verkehrsplanerische Betrachtungen selten. Mit dem vorliegenden Beitrag soll versucht werden, die Aufmerksamkeit stärker darauf zu lenken, welche Implikationen das fahrerlose Fahren für das Verkehrssystem mit sich bringen könnte. Entwicklungsstand autonomer Fahrsysteme Unter autonomen Fahrsystemen bzw. dem fahrerlosen Fahren wird die vollständige Übernahme der Fahrfunktion durch ein computergesteuertes System verstanden, das ohne den Eingriff eines menschlichen Fahrers auskommt. Der Mensch kann sich während der Fahrt fahrfremden Tätigkeiten zuwenden bzw. seine Anwesenheit im Fahrzeug ist nicht erforderlich. Letzteres ist insbesondere für Gütertransporte [1] und Rückführungen sowie im Bereich des autonomen Parkens relevant, da hier durch den Verzicht auf einen Fahrer erhebliche Zeit- und Kostenersparnisse sowie Erleichterungen wie eine wegfallende Parkraumsuche entstehen. Fahrerloses Fahren ist bisher nicht in Serienreife entwickelt worden und - von Teststrecken und Pilotprojekten abgesehen - regelhaft auf keiner Straße zugelassen. Aussagen zur technischen Machbarkeit aus der Automobil- und der IT-Industrie, die maßgeblich mit dem Themenfeld autonomes Fahren beschäftigt sind, sind uneinheitlich und schwierig zu verifizieren. Die Vielzahl öffentlicher Ankündigungen mit stetig kürzeren Zeiträumen bis zur Markteinführung dürfte zu einem hohen Maße auch dem Wettbewerb zwischen den Unternehmen geschuldet sein. Allerdings verdeutlichen sie ebenso wie die in Aussicht oder schon bereit gestellten finanziellen Ressourcen den hohen Stellenwert des Themas in der Branche ebenso wie in Politik und Gesellschaft. Es liegen nur wenige belastbare Einschätzungen zur Zeitschiene vor. Dennoch herrscht in der Industrie die Überzeugung vor, dass autonome Systeme eines Tages tatsächlich auf die Straßen kommen werden. Die Politik scheint diese Überzeugung zu teilen und setzt über neue Regelungen und Förderprogramme schrittweise Anreize zur Nutzung autonomer Fahrsysteme. Dagegen wird dem autonomen Fahren - von leichter handhabbaren Anwendungsfällen wie Autobahnen oder Parkhäusern abgesehen - von einigen Akteuren aus Wissenschaft und Planung keine flächendeckende Zukunft vorausgesagt. Begründet wird dies meist mit der Schwierigkeit, mit komplexen Situationen umzugehen und mit weniger berechenbaren Verkehrsteilnehmern wie Radfahrern und Fußgängern zu kommunizieren. Auch die Gefahr von Cyberattacken und eine mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung könnten dazu führen, dass das autonome Fahren nicht vollständig manuell gesteuerte Fahrzeuge ersetzt. Ob sich die Nutzung autonomer Fahrzeuge tatsächlich in allen Bereichen durchsetzt oder nicht, ist aufgrund der vielen verschiedenen beeinflussenden Faktoren derzeit nicht absehbar. Berücksichtigt man die vorherrschende Begeisterung für das (eigene) Auto in weiten Teilen der Gesellschaft, steht dies sogar komplett infrage. Klar ist aber, dass bis zu einer nennenswerten Durchdringung des KFZ-Bestands durch autonome Fahrzeuge noch ein längerer Zeitraum vergehen wird (Bild 1). Entsprechend müssen Überlegungen zu den Auswirkungen autonomen Fahrens immer auch ein Szenario berücksichtigen, in dem manuell gesteuerte und autonom fahrende Fahrzeuge parallel im Straßenverkehr unterwegs sind. Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 61 Autonomes Fahren MOBILITÄT Fragen zur weiteren Entwicklung des autonomen Fahrens aus Sicht der Verkehrsplanung Die Beschäftigung mit der Thematik wirft an vielen Stellen Fragen auf. Deren Beantwortung ist von zentraler Bedeutung für den weiteren Umgang mit dem autonomen Fahren. Im Folgenden werden einige dieser Fragen aufgelistet und erläutert sowie der Versuch erster Antworten unternommen. Die Liste ist nicht abschließend und kann dies auch nicht sein, da beim Thema autonomes Fahren die Beantwortung oder Bearbeitung einzelner Fragen meist neue Fragen aufwirft und viele diskussionswürdige Details erst mit der Zunahme praktischer Erfahrungen sichtbar werden dürften. Wie ist das autonome Fahren aus Sicht der Verkehrsplanung einzuordnen? Dem autonomen Fahren werden zahlreiche Vorteile zugeschrieben. Insbesondere wird von einer (deutlichen) Reduzierung von Unfällen und damit der Zahl von Verletzten und Toten im Straßenverkehr ausgegangen. Dies wird damit begründet, dass die Hauptunfallursache menschliches Versagen kaum noch zum Tragen käme. Dieser weit verbreiteten und teilweise nicht hinterfragten Argumentation treten mittlerweile jedoch zahlreiche Verkehrsforscher entgegen. Kossak [3] führt beispielsweise aus, dass auch die betreffenden Systeme fehleranfällig seien und ein bedeutender Teil der heute dem menschlichen Versagen zugeschriebenen Unfallursachen auch bei autonomen Fahrzeugen fortbestünde (etwa Mängel des Straßenzustands, Witterungseinflüsse; [3], S. 640/ 641). Zudem könne sich die Vision einer deutlichen Reduzierung der Verkehrsunfälle allenfalls auf den Zeitpunkt der vollständigen Durchdringung des Verkehrsgeschehens durch autonome Fahrzeuge beziehen, während „in der Übergangsphase […] sogar eher mit einer Zunahme von Personenschäden zu rechnen“ wäre ([3], S. 642). Des Weiteren gewinnt der bisherige Fahrer Zeit, die er für andere Aktivitäten nutzen kann, während das System das Auto steuert oder nach Fahrtende selbstständig parkt. Beim Carsharing und im Taxiwesen sowie beim Güterverkehr wird von hohen Kostenvorteilen ausgegangen, da für Überführungen sowie den Personen- und Gütertransport selbst keine Arbeitskräfte mehr benötigt würden [1]. Aus diesem Grund werden auch erhebliche Attraktivitätsgewinne für Ridesharing-Angebote gesehen (s. u.). Für nachfrageschwächere Gegenden wird dem autonomen Fahren ein erhebliches Potenzial zur Stärkung des öffentlichen Verkehrsangebots durch zielgenaue On- Demand-Dienste in Kombination mit leistungsfähigen Linienverkehren zugeschrieben. Ein wesentlicher Vorteil liegt darin, dass autonome Fahrzeuge so programmiert sein werden, dass sie angeordnete Tempolimits, Halteverbote etc. bedingungslos befolgen. In Bereichen, in denen ausschließlich autonome Fahrzeuge verkehren, sind daher erhebliche Erleichterungen bei der Verkehrsplanung zu erwarten, da keine möglichen unangepassten Verhaltensweisen der Fahrzeugnutzer und entsprechend auch keine Gegenmaßnahmen (etwa zur Verkehrsberuhigung) mitgedacht werden müssen. Als weiterer Vorteil des Einsatzes autonomer Fahrzeuge kann der deutlich geringere Bedarf an Parkraum angesehen werden (Bild 2). Da durch den Einsatz autonomer Fahrsysteme mutmaßlich der PKW-Bestand zurückgehen wird und gleichzeitig gegenüber manuell gesteuerten Fahrzeugen die Abstellzeiten abnehmen werden, lässt der Bedarf an nach Parkraum insgesamt nach. Besonders stark dürfte die Nachfrage nach Parkständen im öffentlichen Raum sinken, da autonome Fahrzeuge nicht mehr direkt am Start- oder Zielort einer Fahrt parken müssen, sondern sich von dort aus auch ohne Insassen zu größeren Parkierungsanlagen bewegen können. Den geschilderten Vorteilen stehen jedoch auch absehbare Nachteile gegenüber. So muss von einer Zunahme der Fahrleistung ausgegangen werden, da das autonome Fahren „aufgrund der damit verbundenen Auflösung von Raumwiderständen und einem anderen Zeitverständnis für Distanzen starke Wirkung auf unsere Entscheidungen und die gebaute Umwelt entfalten [wird]“ [4]. Die angenommene Verkürzung von Fahrzeiten (incl. entfallender Parkplatzsuche) und vor allem die Neubewertung dieser Zeit im Auto könnte eine Zunahme der Wege nach sich ziehen. Ebenfalls ist von einer Beeinflussung der Wohnstandortwahl auszugehen: „Eine Folge wäre die Entste- Bild 1: Mögliche Marktdurchdringung der autonomen Fahrzeugflotte Eigene Darstellung nach [2], S. 13 Bild 2: Wirkung des autonomen Fahrens auf den Parkraumbedarf Quelle: ARGUS/ beyond visual arts Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 62 MOBILITÄT Autonomes Fahren hung von neuen Siedlungsgebieten vergleichsweise geringer Dichte und geringer Nutzungsmischung analog zur Suburbanisierung“ ([5], S. 231) - ein Szenario, das den Zielen nachhaltiger Stadt- und Verkehrsentwicklung entgegensteht. Darüber hinaus besteht ein Grundkonflikt zwischen einem autonom fahrenden KFZ-Verkehr mit dem Fuß- und Radverkehr, der aufgrund einer erleichterten Störung des KFZ-Verkehrs in höherem Maße die Leistungsfähigkeit von Straßen beeinflussen kann. Eine zusammenfassende Beurteilung des autonomen Fahrens ist an dieser Stelle noch nicht vorzunehmen, da sowohl bedeutsame Vorals auch Nachteile identifiziert werden können. Klar ist jedoch, „dass die reine Existenz von marktreifer Technologie noch lange nicht deren Erfolg und Veränderungspotenzial bedeutet“ [4]. Mit welchen Instrumenten lässt sich die Entwicklung des autonomen Fahrens im Sinne einer nachhaltigen Stadt- und Verkehrsentwicklung steuern und nutzen - welche Stellschrauben stehen Politik/ Verwaltung zur Verfügung? Die Beantwortung dieser Frage sollte bei den entsprechenden Akteuren eine hohe Priorität haben. Die derzeitige Situation, dass die Einführung autonomer Fahrsysteme durch Konzerne vorangetrieben wird, dürfte zur Erreichung von verkehrs- und stadtplanerischen Zielen nur bedingt geeignet sein. Insbesondere werden nachteilige Effekte für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder auf Umweltbedingungen so nicht ausreichend beachtet. Einen wesentlichen Faktor für die Nutzbarmachung des autonomen Fahrens für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung stellt eine Erhöhung des Car- und Ride-Sharing- Anteils dar, durch die der PKW-Bestand auf der Straße reduziert werden kann. Hier sind verschiedene Maßnahmen denkbar, insbesondere die Gewährung spezifischer Vorteile für Anbieter und Kunden solcher Sharing-Dienste, etwa Sonderspuren auf Hauptverkehrsstraßen oder eine Einfahrtserlaubnis in Quartiersstraßen, die ansonsten für den PKW-Verkehr gesperrt sind. Unabdingbar scheint der flankierende Aus- oder Aufbau eines hochleistungsfähigen (schienengebundenen) ÖPNV-Netzes. Nur so lässt sich verhindern, dass die gesamte Wegekette im autonomen Fahrzeug zurückgelegt wird. Vielmehr können autonome Fahrzeuge durch ihre flexible und anwenderfreundliche Mobilität eine gute Ergänzung zu einem eher starren und gleichzeitig schnellen und massenkompatiblen Verkehrsmittel wie dem schienengebundenen Nahverkehr darstellen. Eine weitere Möglichkeit zur sinnvollen Integration autonomer Fahrsysteme in eine nachhaltige, auf kurze Wege und die Nutzung des Umweltverbundes ausgelegte Mobilität besteht im Aufbau einer (oder mehrerer) Mobilitätsplattform(en), über die intermodales Verkehrsverhalten gefördert werden kann, das autonome Fahrzeuge nicht als singuläre Option, sondern als Bestandteil eines umfassenden Mobilitätsangebots wahrnimmt. Wo liegt die Grenze zwischen der Leistungsfähigkeit des KFZ-Verkehrs und den Anforderungen an eine durch Nahmobilität und Aufenthaltsqualität geprägte Quartiersentwicklung? Diese Frage ist ein Schlüssel zum Umgang autonomer Fahrsysteme mit dem restlichen Verkehr, v.a. dem Fuß- und Radverkehr. Die Grenze dürfte je nach Kontext von Situation zu Situation unterschiedlich liegen und müsste entsprechend einzelfallbezogen definiert werden, auf Basis entsprechender Studien und vor allem mit flexiblen Planungskonzepten im Sinne einer Planungskultur, „die das Experimentieren und die Entwicklung von temporären Lösungsansätzen stärker aufnimmt“ ([6], S. 10). Die mittlerweile zahlreichen Shuttle-Angebote, die teilweise bereits auf öffentlichen Straßen unterwegs sind (z. B. Bad Birnbach) oder in der nächsten Zeit eingesetzt werden (z. B. HafenCity Hamburg), können hier wichtige Erfahrungswerte liefern. Dass autonome Fahrzeuge auch in kleinen Quartiersstraßen zum Einsatz kommen, scheint grundsätzlich kein Problem zu sein - wenn allen Beteiligten bewusst ist, dass diese Fahrzeuge sich dann der Situation vor Ort unterordnen werden und ggf. nur sehr langsam vorankommen. Dies allein dürfte die Bereitschaft der Nutzer, in solche Straßen einzufahren (bzw. sich einfahren zu lassen), ausreichend senken, und diese Fahrten nur Notfällen oder zwingenden Erfordernissen (Mobilitätseingeschränkte, Lastentransporte, Lieferdienste) vorbehalten bleiben. Wie groß ist die Wirkung autonomer Systeme auf die Nutzung von Sharing-Systemen? Die Zahl der künftig auf der Straße verkehrenden Fahrzeuge hängt wesentlich davon ab, wie diese Fahrzeuge oder zumindest ein Teil davon genutzt wird. Es liegt auf der Hand, dass autonome Fahrzeuge zu einer deutlichen Erhöhung des Anteils von Carsharing führen werden, da das Abholen und Wegbringen und damit ein wesentlicher Nachteil heutiger Carsharing-Systeme entfällt. Auch für ein (technisch) funktionierendes Ridesharing-System, bei dem ein autonomes Fahrzeug auf individuelle Anforderung hin mehrere Personen an verschiedenen Orten aufsammelt und abliefert, ist von deutlichen Vorteilen des Einsatzes autonomer Fahrsysteme auszugehen: Der Fahrer als größter Kostenfaktor wird eingespart und wirkt nicht länger beschränkend (Lenkpausen, Arbeitszeitbegrenzung) auf die Verfügbarkeit des Fahrzeugs, das theoretisch rund um die Uhr unterwegs und abrufbar sein könnte (Bild 3). Die zur Optimierung dieser Fahrtwege notwendige (Karten-) Software existiert bereits, wie neueste Projekte auch in deutschen Städten zeigen (z.B.- CleverShuttle, Berlkönig, Drive2day, MOIA). Der „fehlende“ Fahrer könnte aus Sicht der Nutzerakzeptanz sowohl positive als auch negative Implikationen mit sich bringen: Einerseits fällt eine mögliche Hürde für Nutzer weg, die nicht mit einer fremden Person fahren möchten, andererseits fehlt damit auch eine Person zur sozialen Kontrolle. Die subjektive Sicherheit kann nur zum Teil durch Kameras o. . ä. gewährt werden. Die Zielvorstellung ist ein Ride-Sharing- System, in dem „kostengünstige autonome Taxis nicht auf festen Routen und nach star- Bild 3: Das Self-Driving-Car SEDRIC des Volkswagen-Konzerns wurde von Grund auf für das autonome Fahren konzipiert. Quelle: Volkswagen AG Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 63 Autonomes Fahren MOBILITÄT ren Fahrplänen [operieren], sondern bedarfsorientiert und flexibel. Sie sind im permanenten Fahrbetrieb und verkehren in einem stadtweiten, dichten Netz von Stationen“ ([5], S. 232). In der Theorie scheint die Wirksamkeit bedarfsorientierter und flexibler Ride-Sharing-Systeme sehr plausibel zu sein. Zudem zeigen zahlreiche bereits laufende oder angekündigte Angebote (z.B. Clever Shuttle, Berlkönig, Allygator oder MOIA) das große Interesse sowohl der Automobilwie auch der IT-Industrie an dieser Dienstleistung. Diese Projekte werden jedoch erst zeigen müssen, wie groß die Möglichkeiten des Ridesharing in der Praxis tatsächlich sind. Dies betrifft einerseits die Bereitschaft der Nutzer, ihre Mobilität in einem kleinen Fahrzeug mit fremden Personen abzuwickeln. Andererseits besteht systemisch die Schwierigkeit, die Nachfrage an unterschiedlichen Orten in einer Stadt so abzuwickeln, dass die Nutzer nicht mit zu großen Umwegen und die Straßen nicht mit zu vielen Leerfahrten belastet werden. Einen Hinweis geben die Angebote teilweise bereits heute, da nicht alle ein aufwendiges Tür-zu-Tür-Konzept verfolgen, sondern auf ein Netz aus virtuellen Haltestellen setzen. Ist eine Teil-Zulassung autonomer Fahrzeuge sinnvoller als eine vollständige? Die ersten Erkenntnisse zur Wirkungsweise und zu Problemen autonomer Fahrsysteme sind zunächst in abgeschlossenen Teilbereichen zu erwarten: vergleichsweise weniger komplexe Abläufe, etwa auf Autobahnen oder in Parkhäusern sowie niedrigere Geschwindigkeiten, beispielsweise bei innerstädtischen Shuttle-Bussen wie im niederbayerischen Bad Birnbach. Solchen Systemen wird eine Pionierrolle zugeschrieben, zumal „die Vorab-Erwartungen der Fahrgäste die tatsächlichen technischen Fähigkeiten des Fahrzeugs noch überstiegen“ ([7], S. 58). Heinrichs ([5], S. 234) geht demgegenüber jedoch davon aus, „dass die Akzeptanz aufgrund der individuellen Vorteile für Lebensstil oder Handel in den kommenden Jahrzehnten steigen wird“, insbesondere, wenn sich das autonome Fahren als effizienteres und umweltschonenderes Verkehrssystem erweisen würde. Die größten Effekte für die innerstädtische Verkehrsentwicklung lässt das Thema Parken erwarten. Durch das selbstständige Aufsuchen von Parkierungsanlagen können Parkstände im öffentlichen Raum weitgehend reduziert werden. Daher sollte dieser Teilbereich autonomer Fahrsysteme in jedem Fall und möglichst zeitnah zur Anwendung kommen. Dabei stellt dies bereits maximale Anforderungen an die autonomen Fahrzeuge, da sie auch den öffentlichen Raum bis zum Parken nutzen würden. Das autonome Fahren auf Autobahnen würde zahlreiche Vorteile bei nur wenigen Nachteilen mit sich bringen. Die Reduzierung schwerer Verkehrsunfälle kann insbesondere hier erreicht werden. Zudem gibt es auf Autobahnen weniger komplexe Verkehrssituationen und keine Benachteiligung anderer Verkehrsmittel, wie dies in städtischen Räumen der Fall wäre. Allerdings muss auch hier ein Umgang mit manuell betriebenen Fahrzeugen entwickelt werden, vor allem für den Extremfall eines aggressiven und/ oder das Nachgeben autonomer Fahrzeuge ausnutzenden Fahrzeugführers. Nachteilig bliebe allerdings die Gefahr der Neubewertung des motorisierten Fahrens mit den beschriebenen Implikationen für die Zunahme der Fahrten und die Wohnstandortwahl, da gerade die Autobahn große tägliche Aktionsradien erlauben würde. Ansonsten bleibt die Anforderung bestehen, für die verschiedenen Straßentypen jeweils zu definieren, ob dort - im Zusammenspiel mit Fuß- und Radverkehr - autonome Fahrzeuge zugelassen werden sollen. Letztlich ist die Frage der vollständigen Einführung autonomer Fahrzeuge auch von der technischen Entwicklung abhängig, da es denkbar bleibt, dass nicht für alle komplexen Verkehrssituationen Lösungen gefunden werden und autonome Fahrsysteme schon aus diesem Grund auf Teilbereiche beschränkt bleiben müssen (Bild 4). Wie hoch sind die zusätzlichen Anreize für die Nutzung des KFZ, und welche Auswirkungen hat dies auf das ÖPNV-Angebot? Die Vorteile, die dem autonomen Fahrzeug zugeschrieben werden, decken sich größtenteils mit jenen des ÖPNV: Mobilität ohne eigene Anstrengung, mit der Möglichkeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Gleichzeitig kommen autonome Fahrsysteme ohne einige Nachteile des ÖPNV aus: Die unflexible Bindung an Linien, Haltestellen und Fahrpläne oder das Aufeinandertreffen auf engem Raum mit vielen fremden Personen gibt es hier höchstens in abgeschwächter Form (beim Ridesharing). Außerdem erweitert sich durch autonomes Fahren der Kreis der KFZ-Nutzer auch in Gesellschaftskreise hinein, die bisher auf den ÖPNV angewiesen waren (z. B. Führerscheinlose, Mobilitätseingeschränkte, Jugendliche, weniger wohlhabende Personen). Somit gehen die spezifischen Vorteile des ÖPNV gegenüber dem PKW verloren. Auf der anderen Seite können autonome Fahrsysteme auch als Baustein einer MIVunabhängigen Wegekette und damit als Beitrag zur Stärkung des (hochleistungsfähigen) ÖPNV-Systems gedacht werden, insbesondere bei Nutzung im Sinne eines Ride- Sharing-Angebots: „Die Taxis übernehmen die Zubringerbzw. Feinverteilungsfunktionen zu den Stationen des schienengebundenen ÖV und nehmen dort Fahrgäste auf, während der leistungsfähigere und möglicherweise schnellere ÖV die langen Streckenabschnitte übernimmt. […] Es könnte zu einem grundlegenden Wandel des öffentlichen Nahverkehrs führen und das Problem der letzten Meile von Hochgeschwindigkeitsbahnen lösen“ ([5], S. 233). In dieser Sichtweise wären autonome (Sharing-)Systeme als Konkurrenz zum privaten PKW zu verstehen und würden zu einer Stärkung des ÖPNV führen. Diese Grundfrage der Nutzung autonomer Fahrsysteme hat deutliche Auswirkungen auf ihre Wirkung auf das Verkehrsge- Bild 4: Organisation des Erschließungssystems mit ausschließlich autonomen Quartiersverkehren Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 64 MOBILITÄT Autonomes Fahren schehen. Daher muss jede zukunftsgerichtete Verkehrsplanung hier ansetzen und Wege aufzeigen, mit welchen unterstützenden Maßnahmen welches Szenario erreicht werden kann. Fazit Dem derzeit auf vielen Ebenen und von unterschiedlichen Akteuren diskutierten Thema autonomes Fahren fehlt eine fokussierte Betrachtung der Wirkungen aus verkehrs- und stadtplanerischer Perspektive. Um eine sinnvolle Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen der Einführung autonomer Fahrsysteme für die Verkehrsentwicklung treffen zu können, ist eine detaillierte Betrachtung einzelner Aspekte nötig, die über bestehende modellhafte Berechnungen hinausgeht. Dazu gehören vor allem Fragen nach der Nutzung autonomer Fahrzeuge - individuell oder geteilt - und der damit einhergehenden Wirkung auf die Gesamtzahl der PKW ebenso wie des benötigten Parkraums und der Verkehrsleistung, aus denen Anforderungen an den Straßenraum und die Planung neuer Stadtquartiere abgeleitet werden können. Im vorliegenden Beitrag wurden grundsätzliche Fragen aufgeworfen und in Teilen beantwortet. Damit werden Grundlagen für die weitere Betrachtung des Themas gelegt und der Bedarf an weiterer Forschung oder (politischen) Festlegungen aufgezeigt. Dahinter steht die Überzeugung, dass wichtige Aspekte bezüglich autonomer Fahrsysteme aus der Perspektive der Stadt- und Verkehrsplanung bearbeitet werden müssen, um die Potenziale und Risiken für eine nachhaltige Stadt- und Verkehrsentwicklung abschätzen zu können. Dies muss an die Stelle industriepolitischer Fragestellungen und Lösungsansätze treten, da die Auswirkungen der Autonomisierung des Individualverkehrs bedeutsam sein würden und bisherige Überzeugungen und Ansätze der Verkehrsplanung auf den Kopf stellen könnten, sei es im Bereich Fuß- und Radverkehr oder bezüglich der Ausgestaltung des ÖP- NV-Netzes. ■ LITERATUR [1] Flämig, Heike: Autonome Fahrzeuge und autonomes Fahren im Bereich des Gütertransports. In: Maurer et al. (Hg.): Autonomes Fahren - Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte. Berlin, Heidelberg: Springer, 2015, S. 377-398 [2] Isaac, Lauren : Driving Towards Driverless: A Guide for Government Agencies. New York: WSP, 2016 [3] Kossak, Andreas: Würde autonomes Fahren tatsächlich die Verkehrssicherheit erhöhen? In: Straßenverkehrstechnik, 9/ 2017, S. 639-643 [4] Randelhoff, Martin: Stadt formt Mobilität formt Stadt. Abrufbar unter: http: / / www.zukunft-mobilitaet.net/ 163387/ analyse/ mobilitaetstadt-siedlungsstruktur-autogerechte-stadt-technikglaeubigkeit (Stand: 19.02.2018) [5] Heinrichs, Dirk: Autonomes Fahren und Stadtstruktur. In: Maurer et al. (Hg.): Autonomes Fahren - Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte. Berlin, Heidelberg: Springer, 2015, S. 219-239 [6] Rothfuchs, Konrad: Aufbruch in der Straßenverkehrsplanung nötig - Der Mensch muss die maßstabsgebende Planungsgröße werden. In: PlanerIn 4/ 2016, S. 8-10 [7] Hunsicker, Frank; Knie, Andreas; Lobenberg, Gernot, Lohrmann, Doris; Meier, Ulrike; Nordhoff, Sina; Pfeiffer, Stephan: Pilotbetrieb mit autonomen Shuttles auf dem Berliner EUREF-Campus. In: Internationales Verkehrswesen 3/ 2017, S. 56-59 Konrad Rothfuchs ARGUS Stadt und Verkehr, Beratende Ingenieure, Hamburg k.rothfuchs@argus-hh.de Philip Engler, Dr. ARGUS Stadt und Verkehr, Beratende Ingenieure, Hamburg p.engler@argus-hh.de WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen Mieterstrom | Solarkataster | Wärmewende | Regenwassermanagement | Abwasserbehandlung | Mobility as a Service 2 · 2018 Versorgung von Städten URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen Straßenraumgestaltung | Spielraum in Städten | Grüne Infrastruktur | Dach- und Fassadenbegrünung | Stadtnatur 3 · 2018 Urbane Räume und Flächen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin zum urbanen Wandel www.transforming-cities.de Eigenanzeige 0,5 quer.indd 1 28.08.2018 10: 30: 32 Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 65 Digitalisierung MOBILITÄT Der Weg zur digitalen Bahn Forschung, Entwicklung und Innovation für ein Verkehrssystem von morgen Europäische Union, Bahnsystem, Forschung, Entwicklung, Innovation, Digitalisierung, Nachhaltigkeit Mit dem Europäischen Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ soll eine intelligente und nachhaltige Wachsstumsstrategie in Europa Realität werden. Die Gestaltung eines intelligenten und ökologisch integrierten Verkehrssystems gehört unabdingbar dazu. Und so wurde Shift2Rail ins Leben gerufen, eine Technologieinitiative (JTI) im Bahnbereich, die als öffentlich-private Partnerschaft Qualität und Effizienz des Schienenverkehrs mit innovativen Verfahren verbessern soll. Ziel ist es, einen einheitlichen europäischen Eisenbahnraum (Single European Railway Area, SERA) zu schaffen, der den Umstieg von der Straße auf die Schiene erleichtern soll: umweltfreundlich, nachhaltig und als Teil des sicheren Verkehrssystems in Europa. Im Fokus stehen Digitalisierung und Informations- und Kommunikations-Technologien - allerdings keine einheitliche Strategie. Daniel Tokody, Peter Holicza, Maria Tor D igitalisierung, also der Einsatz von Informations- und Komm u nika tio n s -Te c h n o l o g i e n (IKT), verändert nicht nur die Prozesse der Branchen. Sie verändert klassische Geschäftsmodelle, generiert neue Einkommensquellen, erweitert die Möglichkeiten der Wertschöpfung und erschafft damit den Begriff Digital Business. Bis 2020 können etwa sieben Milliarden Menschen, Unternehmen und Geräte übers Internet verbunden sein. In diesem Netzwerk kann durch die Kommunikation von Menschen, Unternehmen und Geräten ein neuer digitaler Geschäftsraum entstehen - so jedenfalls sieht man es beim Beratungsunternehmen Gartner Group [1]. Digital rail strategy Die digitale Wandlung von Wirtschaft und Gesellschaft wirkt sich auf das europäische Verkehrssystem und dadurch auch auf das Bahnsystem aus. Deutschland ist Marktführer im Bereich Verkehrsdienstleistungen, hat als erstes erkannt, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bieten kann und fördert sowohl die Entwicklung neuer Fahrzeuge und Fahrzeugsysteme als auch die Verbreitung vernetzter, automatisierter Verkehrsmittel. Ein zunehmend wichtigeres Ziel im Bahnbereich ist die Entwicklung automatisierter Systeme verbunden mit verschiedenen IT- und Automatiksystemen. Die dadurch entstehende Datenmenge wächst rasant und liefert Informationen, mit denen das Bahnsystem einfacher und ökonomischer betrieben werden kann. In Deutschland wurde das zwölf Punkte umfassende Aktionsprogramm „Digitale Strategie 2025“ entwickelt, das bis zum Jahr 2025 umgesetzt werden soll. Einer der Punkte: Digitale Mobilität voranbringen [2]. Die Digitalisierung wirkt sich auch auf Gesetzesänderungen im Verkehrssystem aus. Um die Entwicklung voranzutreiben und die europäischen Digitalisierungsbemühungen zu unterstützen, müssen Richtlinien geschaffen werden, die absolut technologieneutral sind und die Bildung einheitlicher, digitalisierter Fachpolitik unterstützen. Basierend auf den Erfahrungen verkehrstechnischer Innovationen werden europäische Standards ausgearbeitet [2]. Bild 1 zeigt die Schlüsselelemente als Voraussetzung für digitale Umwandlung (Transformation) und als Teil der integrierten Fachpolitik und des strategischen Rahmensystems. Diese können bei der Verwirklichung von Wirtschaftswachstum und Wohlstand von großer Bedeutung sein. Auf Grundlage der digitalen Umwandlung (z. B. das zu erreichende Niveau der digitalen Infrastruktur und der Dienstleistungen) stehen sechs Säulen der Umwandlung. Digitale Technologien haben Einfluss und Auswirkungen auch auf andere Wirtschaftsbereiche und fördern somit das Wirtschaftswachstum. IKT als relevante Innovation spielt eine wesentliche Rolle im Verkehrssektor und dort eben auch beim Schienenverkehr. Hier gilt es, zunächst eine nachhaltige und klimafreundliche Infra- Foto: pixabay Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 66 MOBILITÄT Digitalisierung struktur mit niedriger CO 2 - und Schadstoffemission zu entwickeln. Strategisches Ziel ist die Herstellung und Verwendung „grüner“ Verkehrsmittel als Teil der Anpassungs- und Gegenmaßnahmen in Bezug auf den Klimawandel. Diese Entwicklung muss langfristig gedacht werden und ist Teil der Anpassung europäischer Städte und Regionen an den Klimawandel. Auch Verkehrsinfrastrukturen sollten in der Lage sein, die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern. In Ungarn beispielsweise wurde ein Teil der Bahn-Infrastruktur an Deichen gebaut, die bei einer eventuellen Überschwemmung auch eine wichtige, schützende Rolle spielen. Dabei müssen nicht zwangsläufig neue Infrastrukturen gebaut werden, die enorme Kosten mit sich bringen, wenn bestehende Einrichtungen an die Veränderungen angepasst werden können. Hier sind innovative Lösungen gefragt [4]. Die genannten Veränderungen werden sich, gerade auch durch nachhaltige Verkehrsentwicklung, auf die Attraktivität vieler Städte positiv auswirken. Die Veränderung der Verkehrssysteme ist damit ein Projekt, das die Lebensqualität der Menschen erhöht [5]. Digitalisierung und die Verwendung intelligenter Systeme können dabei die richtigen Werkzeuge sein: Laut OECD könnten Smartphones, Internet of Things (IoT), Big Data und Datenanalyse, die Nutzung Künstlicher Intelligenz für intelligente Systeme, Cloud-Technologie oder die M2M-Kommunikation essentielle Technologien für diese Veränderung sein [3]. Ihre Verwendung ist selbstverständlich auch im Bahnsystem möglich: für Kontroll- und Steuerungssysteme, Instandhaltung, die Infrastruktur und die Verkehrsmittel selbst. Laut Roland Berger ist digitale Transformation auf vier grundlegende Prozesse zurückzuführen: die Interkonnektivität, die digitalen Daten, die Automatisierung und das digitale Benutzerinterface. Interkonnektivität kann bedeuten, vorhandene mobile Geräte zu nutzen. Die Verarbeitung und Auswertung digitaler Daten (Big Data) ermöglicht bessere Prognosen und Entscheidungen. Automatisierung ist Voraussetzung für die Verwendung autonomer und selbstlernender cyber-physischer Systeme. Und das digitale Benutzerinterface macht die kontinuierliche Nutzung der Verkehrsinfrastruktur und der dazu gehörenden Dienstleistungen für die User 24 Stunden am Tag möglich - mit Smartphone oder online [6]. Die Digitalisierung des Bahnsystems hält eine Reihe von Herausforderungen bereit - unter anderem: • Hohe Adaptations- und Umsetzungskosten für die neuen Technologien • Umsetzung der datenbasierten Funktionen • Gewährleistung, dass die richtigen Daten kontinuierlich vorliegen • Datensicherheit • Ausreichende Zahl gut ausgebildeter Arbeitskräfte • Vernetzung und Interoperabilität unterschiedlicher Systeme • Schnelle technologische Änderungen, die Einfluss auf das verwendete Business-Modell haben • Möglicher Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Branchen in der schnellen technischen Adaptation • Konservatismus in der Branche • Abwartende Haltung der Industrie gegenüber neuen Entwicklungen. Doch sie bringt auch Vorteile - mit neuen Unternehmensstrategien und Geschäftsmodellen, mit innovativen neuen Produkten und Dienstleistungen. Beispiele dafür sind: • Reibungslose Intermobilität (Mobilitätsplattform, papierloser Ticketverkauf ) • Vorhersagen von Bahnverspätungen • Zustandsmonitoring der Infrastruktur in Echtzeit • Vernetzte Fahrzeuge und autonome Züge • Optimierung technischer Lebenszyklen • Gesteigerte Energieeffizienz und Nachhaltigkeit • Kostenreduzierung bei Forschung und Entwicklung • Effizientere Produktion • Fähigkeit zu kontinuierlicher Innovation • Bessere Sicherheit für Kunden und Mitarbeiter Ziel all dieser Innovationen ist eine digitalisierte und automatisierte Mobilität in Europa [6]. Shift2Rail und die Schlüsseltechnologien Shift2Rail ist eine europäische Kooperation zwischen dem öffentlichen Sektor und dem Privatsektor. Ziel dieser Kooperation ist es, die Forschungs- und Innovationstätigkeiten der EU in der Branche zu synchronisieren und unter der Führung von Shift2Rail eine weltweit konkurrenzfähige Bahnindustrie zu schaffen, wie es im Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 festgelegt wurde. Die Planungen für 2018, Forschungs- und Innovationsprogramme werden durch die Themen Digitalisierung, Automatisierung und Sicherheit beeinflusst-[7]. Essenzielle Schlüsseltechnologien Für eine zukünftige Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Forschungs- und Entwicklungsrichtungen in Europa wurden in 2009 essentielle Grundtechnologien festgelegt [8]. Damit Europa weiterhin zur Weltspitze gehören kann, ist die gezielte, umfassende Kooperation zwischen Industrie und Wissenschaft, Regierungen und Wirtschaft nötig. Die Kommission definiert Schlüsseltechnologien als „wissensintensiv und durch hohe FuE-Intensität, schnelle Innovationszyklen, hohen Kapitalaufwand und hochqualifizierte Arbeitskräfte gekennzeichnet“ [9]. Zu den essenziellen Schlüsseltechnologien gehören Nanotechnologie, Mikro- und Nanoelektronik, Photonik, Forschung zu Bild 1: Das integrierte fachpolitische und strategische Rahmensystem der digitalen Umwandlung für Wirtschaftswachstum und Wohlstand [3] Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 67 Digitalisierung MOBILITÄT innovativen Materialien und die Biotechnologie [8, 9]. Den Verkehrssektor betreffen mehrere dieser Technologien. • Moderne, smarte Materialien fördern die Nachhaltigkeit. Diese Stoffe unterstützen das Recycling und können Energiebedarf und die Schadstoffemission reduzieren. Bei in Europa selten vorkommenden Rohstoffen ist es außerdem wichtig, den Importbedarf so weit wie möglich zu reduzieren. • Die Entwicklung mikro- und nanoelektrischer Technik ist nicht nur für den Verkehrsbereich entscheidend. Sie wirkt auch auf zahlreiche mit dem Verkehrssektor verbundene Bereiche wie Energie, Umwelt oder Produktion [8, 9]. Diese essenziellen Technologien sind auch im Bahnbereich relevant [10, 11]. Dabei ist Informations- und Kommunikationstechnologie die Verbindung, die bei der Umsetzung eines digitalisierten Bahnsystems eine wichtige Rolle spielt. Mit den Schwerpunkten der IKT-Norm für den digitalen Binnenmarkt hat die Europäische Kommission folgende Prioritäten festgelegt: • 5G-Kommunikation, • Cloud Computing, • Internet der Dinge, • Datentechnologien und • Cybersicherheit. Sie gelten als technische Grundbausteine für einen digitalen, einheitlichen Markt mit dem Ziel der industriellen Digitalisierung Europas [11]. Technologischer Reifegrad (TRL) Bei der Entwicklung der Digitalisierung im Bahnsystem wird der Technology Readiness Level (TRL) zur Bewertung des Entwicklungsstandes neuer Technologien auf der Basis einer systematischen Analyse genutzt. Ursprünglich 1988 von der NASA für die Bewertung von Raumfahrttechnologien entwickelt, gibt der TRL auf einer Skala von 1 bis 9 an, wie weit entwickelt eine Technologie ist. Im europäischen Forschungskontext wird TRL als Grundlage und zur Bewertung von Zukunftstechnologien bis zur vollständigen kommerziellen Umsetzung genutzt. Diese neun Stufen beschreiben den Eintritt neuer Technologien in den Markt von der Beobachtung und Beschreibung des Funktionsprinzips über Versuch und Prototyp bis hin zu einem qualifizierten System mit Nachweis des erfolgreichen Einsatzes [9]. Zusammenfassung Im Rahmen der Horizont 2020-Strategie sollen 3 % des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung verwendet werden. Bei einigen Schlüsseltechnologien ist jedoch die Chance, dass die Forschungsergebnisse in der EU als Produkte und Dienstleistungen auf dem Markt landen, trotz vorhandener Forschungs- und Entwicklungskapazitäten ziemlich gering. Um diese Situation zu verbessern, sind besser durchdachte europäische Strategien in den Bereichen Forschung, Innovation und Kapitalisierung notwendig. Es gibt derzeit keine kohärente Strategie auf europäischer Ebene, wie diese Schlüsseltechnologien einschließlich Digitalisierung auf der Schiene besser entwickelt werden können, als in einem einheitlichen Bahnsektor [8]. Zentraler Gedanke der digitalen Bahnstrategie ist die Investition in die Forschungsentwicklung. Modernisierung und Digitalisierung bedeuten nicht, dass in jedem Zug und an jeder Station kostenloses WLAN zur Verfügung steht. Vielmehr geht es um eine automatisierte Bahninfrastruktur (autonomous rail), die Entwicklung autonomer Schienenfahrzeuge sowie digitale Planungsprozesse und -methoden. Von der Idee bis zum Produkt und von den Grundlagenforschungen bis zum Markteintritt können den Digitalisierungsbemühungen zahlreiche Schwierigkeiten im Wege stehen. Bei den industriepolitischen Strategien, die Bahnindustrie betreffend, ist das gemeinsame Ziel auch die Bewältigung der europäischen und sozialen Herausforderungen. Dadurch sind Forschung und Innovation mit dem Fokus auf den Bahnverkehr in Europa gut unterstützte Themen [12]. Bis 2050 sollen die CO 2 -Emissionen gegenüber 1990 um 60 % reduziert werden. Dieses Ziel muss auch im Verkehrsbereich ins Auge gefasst werden [12]. Ein wettbewerbsfähiges und nachhaltiges Verkehrssystem spielt eine wichtige Rolle für die künftige Entwicklung der europäischen Wirtschaft, der EU-Initiative „Intelligentere Städte und Orte“ die Transformation hin zu einer karbonarmen Gesellschaft. Dazu muss die technologische Entwicklung an die gesellschaftlichen Bedürfnisse angepasst, Forschungsergebnisse zügig umgesetzt werden [13]. Für die digitale Entwicklung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums SERA gibt es bereits Beispiele spezifisch arbeitender Projekte, so auch die Themengruppe Space4Rail. Forschung, Entwicklung und Innovation werden damit deutlich dazu beitragen, die Lösungen zur Erreichung dieser Ziele zu erreichen, gestalten und verbreiten. So- kann ein intelligentes, umweltfreundliches und integriertes Verkehrssystem entstehen. ■ Als Grundlage dieses Beitrags diente Forschung, die im Rahmen des Projekts „Development of Intelligent Railway Information and Safety Systems” durchgeführt wurde (Ausschreibungs-Identifikationsnummer: GINOP-2.2.1-15-2017-00098). LITERATUR [1] J. Lopez (2014): Digital Business is Everyone’s Business. Online: https: / / www.forbes.com/ sites/ gartnergroup/ 2014/ 05/ 07/ digital-business-is-everyones-business/ #4776c5737f82. [Zugriff: 31.01.2018] [2] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2018): Action programme on digitalisation. Online: http: / / www.de.digital/ DIGITAL/ Navigation/ EN/ Action-Programme/ action-programme.html. [Zugriff: 28.01.2018]. [3] OECD (2017): Going Digital: Making the Transformation Work for Growth and Well-being Going digital [4] Europäische Kommission (2016): Supporting the Implementation of Green Infrastructure, Rotterdam [5] Y. Chen and A. Whalley (2012): Green Infrastructure: The Effects of Urban Rail Transit on Air Quality. Am. Econ. J. Econ. Policy, vol. 4, no. 1, S. 58-97 [6] Roland Berger (2017): Rail supply digitization [7] Shift2Rail (2018): Amended Annual Work Plan and Budget for 2018 [8] Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2009): An die Zukunft denken: Entwicklung einer gemeinsamen EU-Strategie für Schlüsseltechnologien - {SEK2009) 1257}. Brüssel [9] Europäische Kommission (2012): Eine europäische Strategie für Schlüsseltechnologien - Eine Brücke zu Wachstum und Beschäftigung [10] A. Conte and E. Davila (2017): Workshop on Digitising European Industry -European Digital Transformation And Standardisation [11] Europäische Kommission (2016): Schwerpunkte der IKT-Normung für den digitalen Binnenmarkt, COM(2016) 176 final. Brüssel, S. 17 [12] Der Rat der Europäischen Union (2013): Beschluss des Rates über das Spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation ‘Horizont 2020’ (2014-2020) und zur Aufhebung der Beschlüsse. Brüssel [13] Europäische Kommission (2011): WEISSBUCH: Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem, S.-36 Peter Holicza, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Projektkoordinator, Doctoral School on Safety and Security Sciences, Óbuda Universität, Budapest (HU) holicza.peter@rh.uni-obuda.hu Maria Tor, Dipl.-Ing. Dipl.-Oec. Betriebsingenieur, Dozentin für Wirtschaft, Budapest (HU) mariator1962@gmail.com Daniel Tokody, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Projektkoordinator, Doctoral School on Safety and Security Sciences, Óbuda Universität; Ungarische Staatseisenbahnen, Budapest (HU) tokody.daniel@mav.hu Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 68 MOBILITÄT Wissenschaft Anforderungen an urbane Fahrzeugkonzepte Urbane Mobilität, Mixed-Method-Ansatz, Nutzerzentriertes Design, Fahrzeugkonzeption, Stadtfahrzeuge Städte sind geprägt von hoher Bevölkerungsdichte, Verkehrsaufkommen und Flächenkonkurrenz. Neue Mobilitäts- und PKW-Konzepte versuchen, die individuellen Mobilitätsbedürfnisse zu bedienen. Das DLR erforscht im Projekt „Urbane Mobilität“ diese Bedürfnisse und hat einen systematischen Ansatz zur nutzerzentrierten Entwicklung neuer Fahrzeugkonzepte auch jenseits der klassischen, privat besessenen Straßenfahrzeuge entwickelt. Der gewählte „Mixed-Method“-Ansatz berücksichtigt die unterschiedlichen Mobilitätsanforderungen verschiedener Mobilitätstypen und bildet die Vielzahl an Einflussfaktoren auf exemplarische Fahrzeugkonzepte ab. Gerhard Kopp, Laura Gebhardt, Matthias Klötzke, Matthias Heinrichs, Dirk Heinrichs D ie aktuellen Entwicklungen der Urbanisierung stellen nicht nur Megacities in asiatischen und lateinamerikanischen Ländern vor besondere Herausforderungen, auch Städte in Europa und Deutschland sind mit einem wachsenden Verkehrsaufkommen und den damit zusammenhängenden Folgen konfrontiert [1, 2, 3]. Der wachsende Mobilitätsbedarf der Bevölkerung steht dabei in einem spezifischen Interessenskonflikt mit den negativen Auswirkungen (Flächenbedarf, Emissionen, Lärm, …) des Verkehrs und insbesondere der Straßenfahrzeuge. Diesen Herausforderungen wird aktuell von Seiten der Städte, der Verkehrsunternehmen und der Verkehrsanbieter unter anderem mit neuen Mobilitätsangeboten wie z.B. Sharing, Informationen zur multimodalen Nutzung von Verkehrsträgern und „Mobility-as-a-service“ begegnet [4, 5, 6, 7]. Fahrzeughersteller hingegen setzen auf neue Technologien wie Elektrifizierung des Antriebsstrangs, Automatisierung von Fahrzeugen oder Nutzung von Informations- und Kommunikationstechniken [8, 9]. Parallel hierzu wird von den Automobilherstellern eine Vielzahl von Fahrzeugen als „kleine Stadtfahrzeuge“ angeboten, die einen Beitrag zur urbanen Mobilität der Zukunft leisten sollen (vgl. z. B. [10]). Ein Blick in die Daten zeigt jedoch, dass die Fahrzeugkategorien in urbanen, dicht besiedelten Räumen sich kaum von denen in weniger dicht besiedelten Räumen unterscheiden und anhand der Zulassungszahlen kein typisches „Stadtfahrzeug“ identifizierbar ist (siehe Bild 1). Daher stellt sich die Frage, warum die Nutzenden sich diese Fahrzeuge angeschafft haben, welche Anforderungen ein Fahrzeug im urbanen Bereich erfüllen muss und wie ein optimiertes Fahrzeug aus Nutzersicht gestaltet sein könnte. Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wird im Rahmen des Projektes „Urbane Mobilität“ diesen Fragen nachgegangen, um Zusammenhänge zwischen räumlichen Strukturen, Mobilitätsbedürfnissen und -verhalten in Städten zu verstehen (siehe www.urmo.info). Methodische Herangehensweise Bei dem hier vorgestellten Ansatz werden zur Fahrzeugentwicklung unter anderem empirische Ergebnisse zu Mobilitätsanforderungen und Nutzerverhalten integriert. Die identifizierten Nutzeranforderungen werden anschließend über technische Realisierungsmöglichkeiten in neue Fahrzeugkonzepte umgesetzt, die mit den Nutzenden abschließend diskutiert und iteriert werden (Bild 2). Basierend auf der Zielsetzung, „urbane Fahrzeugkonzepte (aus Nutzersicht) zu entwickeln“, ist die Ausgangsbasis der Vorgehensweise eine systematische Stakeholder-Analyse - siehe (1) in Bild 2 -, um alle relevanten Anforderungen und Interessen der Nutzenden zu berücksichtigen. Hierbei spielen neben den tatsächlich Nutzenden insbesondere die Städte und Kommunen, Bild 1: Anteil der Fahrzeugklassen in den Neuzulassungen der M1 Fahrzeuge in Deutschland 2016 nach Besiedlungsdichte [11] Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 69 Wissenschaft MOBILITÄT Mobilitätsbetreiber und -vereinigungen, gesetzgebende Institutionen und die Fahrzeughersteller selbst eine entscheidende Rolle. Von dieser Analyse ausgehend werden zwei parallel verlaufende Untersuchungen durchgeführt. Zum einen wird der „Zweck der Fahrzeug-Nutzung im urbanen Bereich“ durch Literaturrecherche, Experteninterviews und quantitative Befragungen ermittelt und die notwendigen funktionalen (und teilweise nicht funktionalen) Anforderungen abgeleitet (2). Insbesondere durch eine quantitative Erhebung (vgl. [12]) werden typische Nutzungsmuster von Personen im urbanen Raum identifiziert und in die Beschreibung von Nutzertypen (4) überführt. Ein Nutzertyp stellt hierbei eine verallgemeinernde, ganzheitliche Darstellung einer Nutzergruppe dar. Die Vorteile in der Arbeit mit Mobiltätstypen liegen insbesondere in einer für alle Projektbeteiligten (Sozialwissenschaftler, Ingenieure, Psychologen) vorstellbaren Beschreibung der möglichen Nutzenden des zu entwickelnden Fahrzeugs [11]. Zum anderen werden parallel hierzu die zur Verfügung stehenden Fahrzeugkonzepte und -technologien analysiert (3), in eine verkehrsträgerübergreifende Produktstruktur überführt und nutzerrelevante, quantifizierbare Merkmale und Parameter identifiziert (5). In Co-Creation-Workshops mit stellvertretenden Personen ausgewählter Nutzertypen werden anschließend Nutzeranforderungen exploriert und in relevante Eigenschaften zukünftiger Mobilitätskonzepte überführt. Die Zusammenführung der identifizierten Nutzeranforderungen und der fahrzeugspezifischen Eigenschaften durch die unterschiedlichen methodischen Schritte (Experteninterviews, Literaturrecherche, Technologie, Workshops mit ausgewählten Mobilitätstypen) stellt den folgenden Schritt (6) dar. Hierbei muss auf Grund der Vielzahl von relevanten Anforderungen und Fahrzeugparametern eine systematische Fokussierung auf die wesentlichen Parameter wie Größe, Parksituation, Kofferraum und Sitzplätze erfolgen, um in den Workshops detaillierte Rückmeldungen zu erhalten. Des Weiteren werden aus diesen Parametern Fahrzeug-Skizzen als Impuls für die Workshopdiskussionen entwickelt, die nicht nur die reinen Fahrzeuge, sondern auch konkrete UseCases/ Situationen im urbanen Raum widerspiegeln. Der Entwurf der Fahrzeug-Grobkonzepte basiert auf einem Quality Function Deployment Ansatz (QFD) (7), der es ermöglicht, aus Nutzeranforderungen (vgl. Bild 3) zielgerichtet technisch realisierbare Fahrzeugkonzepte abzuleiten, wie exemplarisch in Bild 4 gezeigt. Es werden somit die in den Workshops diskutierten und mit weiteren nutzerrelevanten, ergänzten Anforderungen der Analysephase wie Sicherheit und Komfort (vgl. Bild 3) in Bezug zu den relevanten Fahrzeugparametern gesetzt. Abschließend wird das erarbeitete Wissen genutzt, um eine Fahrzeug-Grobkonzeption mittels simulationstechnischer Auslegungstools (Antriebsstrang, Fahrdynamik, …) und geometrischer Ableitungen (Fahrzeugarchitektur und Package) spezifisch auf die Anforderungen der Nutzergruppen umzusetzen (8) und „Produktfamilien“ mit ähnlichen Anforderungen und Ausprägungen zu ermitteln (vgl. auch [11]). Speziell bei der Ableitung des Fahrzeugpackages liegen die Herausforderungen darin, Zielkonflikte, wie z. B. minimale Außenabmessungen für die optimale Nutzung des vorhandenen Parkraums im Vergleich zum maximal nutzbaren Innenraum, aufzudecken und bestmöglichst für den Nutzer aufzulösen. Dies macht es jedoch notwendig, die abgeleiteten Ergebnisse und Fahrzeugkonzepte in einem iterativen Prozess an die Nutzenden/ involvierten Stakeholder zurückzuspielen, zu spiegeln und mit den Nutzenden und Stakeholdern weiter zu vertiefen, um sicher zu stellen, dass die Ergebnisse den Nutzeranforderungen entsprechen. Ableitung von zukünftigen Fahrzeugkonzepten im urbanen Kontext Die vorgestellte Vorgehensweise wurde im Rahmen des Projekts „Urbane Mobilität“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. auf die Ableitung von PKW des urbanen Bereichs erarbeitet und angewendet. Aus der Literaturrecherche, Experteninterviews und quantitativen Befragung (1, 2) ergeben sich sieben Kategorien zum Thema funktionale Anforderungen: • Transportaufgabe • Zuverlässigkeit/ Qualität/ „Robustheit“ • Erlebnismobilität/ Fahrvergnügen • Komfort • Sicherheit • „Lebensraum“ und „Arbeitsraum“ • Umweltverträglichkeit/ Infrastrukturnutzung Diese Hauptkategorien sind mit weiteren Anforderungen detailliert und konkretisiert, so dass eine systematische Anforderungsanalyse und die notwendige Nutzeranalyse, Ableitung funktionaler und nicht funktionaler Anforderungen Konzeptableitung basierend auf Quality Function Deployment (QFD) 8 Detaillierung Fahrzeugkonzepte und Ableitung von „Produktfamilien“ für unterschiedliche Nutzertyp 2 4 7 1 Stakeholderanalyse Fahrzeug- und Technologieanalyse 3 Ausarbeitung Nutzertypen Produktstruktur, -parameter 5 6 Co-Creation Workshops Bild 2: Vorgehensweisen zur Integration nutzerspezifischer Anforderungen in der Fahrzeugkonzeption [11] Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 70 MOBILITÄT Wissenschaft Priorisierung der relevanten Anforderungen erfolgen können. Neben der Identifikation von Anforderungen aus Literatur- und Dokumentenrecherchen sowie Experteninterviews wurden im Rahmen von Co-Creation-Workshops mit vier unterschiedlichen Mobilitätstypen Anforderungen an Fahrzeuge exploriert. Die vier Mobilitätstypen wurden auf Grundlage einer quantitativen Befragung zum Mobilitätsverhalten von rund 1100 Personen in Berlin identifiziert [12]. Sie stellen vier potentielle Akteure (mit typischen Nutzungssituationen) in einem städtischen Kontext dar. 1. Die Intermodalen 2. Die Allzweck-PKW-Nutzenden 3. Die urbanen Fahrrad-Liebenden 4. Die Multimodalen Die mit den Workshop-Teilnehmern herausgearbeiteten Fahrzeugeigenschaften sind insbesondere aus dem Bereich der Transportaufgabe (Innenraum mit Sitzplätzen, Gepäckunterbringung) sowie der Umweltverträglichkeit/ Infrastrukturnutzung (Einbzw. Ausstiegssituation, Außenabmessungen für den fließenden Verkehr und Parkraumbedarf im ruhenden Verkehr) ausgewählt worden. Da die Fahrzeugnutzung und die damit verbundenen Anforderungen an ein Fahrzeug stets vom Nutzungskontext der Individuen sowie deren Verhalten abhängen und eingebettet sind in gesellschaftliche, räumliche und technologische Rahmenbedingungen, ist die alltagsnahe Betrachtung der Nutzungskontexte von Bedeutung. Daher wurden alltagsnahe urbane Situationen und das alltägliche Mobilitätshandeln der Nutzenden als Ausgangspunkt der Diskussionen gewählt. So wurden beispielsweise konkrete urbane Situationen für die Teilnehmer der Co-Creation-Workshops dargestellt, beispielsweise durch Illustrationen der maximalen Ausnutzung des Parkraums mit unterschiedlichen Fahrzeugvarianten. Durch die Auswahl der vier unterschiedlichen Nutzertypen mit entsprechend unterschiedlichem Mobilitätsverhalten konnte gewährleistet werden, dass ein sehr breites Spektrum an nutzerrelevanten Anforderungen und Konzeptideen von den Teilnehmern der Workshops diskutiert und reflektiert wurde (siehe Tabelle 1). Bei dieser Vielfalt von Nutzertypen stellt die Bewertung der Fahrzeugkriterien eine besondere Herausforderung dar (vgl. Bild 3). Diese Heterogenität kann beispielsweise mit dem Kano-Modell angegangen werden, um unterschiedlichste Anforderungen und deren Relevanz für unterschiedliche Nutzer zu bewerten. Das Kano-Modell ermöglicht, die Nutzerzufriedenheit für ein komplexes Produkt wie ein Fahrzeug bei gleichen Anforderungskriterien abzugleichen und in Bezug zu der Nutzerzufriedenheit zu setzen (vgl. z. B. [13]). Zur weiteren Ableitung der Fahrzeug-Grobkonzeption und der technischen Machbarkeit wurden die erarbeiteten Ergebnisse aufbereitet und durch den QFD- 5 6 7 8 9 10 Transportaufgabe Zuverlässigkeit, Qualität, „Robustheit“ Erlebnismobilität, Fahrvergnügen Komfort Sicherheit Lebens- / Arbeitsraum Umweltverträglichkeit Funktionale Anforderungen Die Allzweck-PKW-Nutzenden Die urbanen Fahrrad-Liebenden Die Intermodalen Die Multimodalen Bild 3: Relevanz funktionaler Anforderungen abhängig vom Nutzertyp Bild 4: Erste technische Machbarkeits- und Grobpackageanalyse für den Nutzertyp „Multimodal“ Nutzergruppe Intermodale Allzweck-PKW-Nutzende Urbane Fahrrad-Liebende Multimodale Dimensionen Adaptierbar Adaptierbar Sehr klein Adaptierbar Transportkapazität 2 - 6 Personen und großer Gepäckraum 2 Personen und Gepäck oder zus. Person 1 - 2 Personen 1 - x Personen Parkraumlösung Sharing Fahrzeuge Klein Sehr klein Sharing Fahrzeuge Konzeptideen aus Teilnehmersicht Tabelle 1: Nutzeranforderungen aus dem Bereich „Transportaufgabe“ und „Umweltverträglichkeit/ Infrastrukturnutzung“ der verschiedenen Nutzertypen Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 71 Wissenschaft MOBILITÄT Ansatz mit den jeweiligen Fahrzeugparametern korreliert. Beispielhaft ist eine erste technische Machbarkeitsanalyse in Bild 4 für den Typ „Multimodal“ dargestellt. Diese Konzeption stellt ein voll autonomes, lokal emissionsfreies Kleinfahrzeug dar, das „quer“ einparken kann und somit nur die Fläche eines aktuellen Parkplatzes für zwei Fahrzeuge benötigt. Zusätzlich wurde aufgrund der kürzeren Fahrtzeiten und -strecken die Möglichkeit realisiert, sowohl eine reine Sitzplatzkonfiguration als auch eine Variante mit (teilweise barrierefreien) Stehplätzen und somit höherer Transportkapazität zu realisieren. Aus diesen Überlegungen wird ersichtlich, dass speziell bei der Ableitung des Fahrzeugpackages eine zentrale Herausforderung in der Priorisierung von unterschiedlichen Anforderungen liegt, die sich gegenseitig beeinflussen und bedingen. So hat die Außenabmessung des Fahrzeugs unmittelbaren Einfluss auf den notwendigen Parkraum. Parallel dazu sind die Innenabmessungen insbesondere durch die Fahrzeugkomponenten (Antriebsstrang, Energiespeicher, …) und der Innenraumnutzung durch den Kunden geprägt. Dieser Zielkonflikt führt beispielsweise dazu, dass skalierbare und modulare Fahrzeugkonzepte aus Kundensicht relevant werden, die sich an die jeweilige Transportaufgabe anpassen lassen. Die technische und wirtschaftliche Realisierbarkeit spielt jedoch bei derartigen Ansätzen eine signifikante Rolle, die im Weiteren beleuchtet werden muss. Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen dieses Beitrags wurde eine systematische Vorgehensweise aufgezeigt, um zukünftige Fahrzeugkonzepte für die urbane Mobilität aus unterschiedlichsten Anforderungen und Einflussfaktoren abzuleiten. Diese Vorgehensweise kennzeichnet sich insbesondere durch die starke Einbindung potentieller Nutzer und Nutzerinnen und der Verwendung des QFD-Ansatzes zur Fahrzeug-Grobkonzeption aus. Weiterführend wird im Rahmen des Projektes die technische Detaillierung der abgeleiteten Fahrzeugkonzepte sowie eine Rückspiegelung und Evaluierung der entworfenen Konzepte an alle Beteiligten durchgeführt. Dies ist insbesondere deswegen relevant, weil Fahrzeugbesitz nicht nur rational zu betrachten ist und sich neben emotionaler Bindung auch noch traditionell an den Maximalanforderungen wie Urlaubstauglichkeit usw. orientiert. Mobility-as-a-Service-Ansätze, Sharingangebote und ggf. „skalierbare Fahrzeugkonzepte“ könnten diese Maximalanforderungen von der typischen Nutzung lösen. Die Nutzer könnten so effizientere Fahrzeuge verwenden, die besser auf die alltägliche Nutzung zugeschnitten sind und den urbanen Raum effizienter nutzen. ■ LITERATUR [1] State of the world‘s cities 2012/ 2013: Prosperity of cities. Routledge [2] Kunzig, R.: Zukunft Stadt; in: National Geographic, Zukunft Stadt - Wie wir morgen leben warden, Januar 2012 [3] Schunder, J.; Böck, J.; Obst, W.-D.: Immer mehr Autos: Stuttgart im Stau; in: Kreiszeitung Böblinger Bote, 30. Januar 2016, 191. Jahrgang, Nr. 24 [4] Hilger, S.: Mit professioneller Beratung multimodale Angebote pushen, 3. VDV-Symposium Multimodalität, Osnabrück, Januar 2017 [5] Loose, W.: Evaluation von CarSharing-Angeboten in Deutschland, 3. 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Projektleiter, DLR Institut für Verkehrsforschung, Berlin matthias.heinrichs@dlr.de Matthias Klötzke, Dipl-Ing. Gruppenleiter Straßenfahrzeuge, DLR Institut für Fahrzeugkonzepte, Stuttgart matthias.kloetzke@dlr.de Laura Gebhardt, MSc. Projektleiterin, DLR Institut für Verkehrsforschung, Berlin laura.gebhardt@dlr.de Gerhard Kopp, Dr.-Ing. Gruppenleiter Leichtbaukonzepte und Methoden Straßenfahrzeuge, DLR Institut für Fahrzeugkonzepte, Stuttgart gerhard.kopp@dlr.de Dirk Heinrichs, Prof.-Dr. Abteilungsleiter Mobilität und Urbane Entwicklung, DLR Institut für Verkehrsforschung, Berlin dirk.heinrichs@dlr.de Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 72 MOBILITÄT Wissenschaft Das PS-Paradigma Automobiles Leitbild in Fahrbericht-Reportagen von Tageszeitungen Fahrzeugemissionen, Fahrbericht, Testfahrzeug, Medienanalyse, Tageszeitung Die Dekarbonisierung des motorisierten Individualverkehrs als Teil der Verkehrswende ist kein technisches, sondern ein Umsetzungsproblem. Analysen zeigen, dass nicht nur die Automobilindustrie ihrer Verantwortung zur schnellen Markttransformation nicht gerecht wird, sondern dass auch renommierte Tageszeitungen der Pfadabhängigkeit des hochmotorisierten Universalfahrzeugs als automobilem Leitbild in ihren Fahrbericht-Reportagen verhaftet bleiben. Thomas Sauter-Servaes D eutschland wird die Klimaziele für 2020 deutlich verfehlen. Statt der geplanten Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40 % gegenüber 1990 wird voraussichtlich nur eine Absenkung von 32 % erzielt [1, 2]. Von großer Bedeutung ist dabei der Verkehrssektor, der es weder in Deutschland noch in Europa wie alle andere Sektoren geschafft hat, eine Trendwende bei den Klimagasemissionen zu realisieren. Einen wichtigen Anteil an dieser Entwicklung hat der motorisierte Individualverkehr auf der Straße. Über ein Viertel (28,5 %) der CO 2 -Emissionen Europas stammten 2015 aus dem Verkehr, rund drei Viertel (72,9 %) davon sind dem Verkehrsträger Straße zuzuordnen und hiervon wiederum der überwiegende Teil (61,1 %) dem Automobil. Seit 1990 konnten die jährlichen Emissionswerte von Personenwagen nicht reduziert werden, sondern sind sogar um mehr als 15 % gestiegen. Das weiterhin zu 99 % mit fossilen Treibstoffen betriebene Automobil hat somit inzwischen einen Anteil an den europäischen CO 2 -Gesamtemissionen von annähernd 13 %, Tendenz steigend [3]. Relevanz effizienterer Antriebe Der klassische verkehrspolitische Handlungsansatz, diesen Wert zu reduzieren, ist der Dreiklang aus Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und der (umwelt-) verträglicheren Gestaltung der Verkehre. Vermeidungs- und Verlagerungsstrategien zeigen bislang jedoch keine trendkehrende Wirkung. Wachstumsraten von durchschnittlich einem Prozent pro Jahr haben die automobile Verkehrsleistung in Europa seit 1995 auf 4719 Mrd. Personenkilometer anwachsen lassen. Der deutsche Markt zählt dabei hinsichtlich der absoluten Wachstumszahlen zu den stärksten Treibern der Entwicklung [3]. Offensichtlich ist der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht bereit, auf das Auto als Standardbeförderungsmittel zu verzichten. Zu groß ist der Effekt der alltäglichen Komplexitätsreduzierung durch den eigenen PKW, zu wirkmächtig das Gefühl von Bequemlichkeit und Freiheit, als dass alternative Fortbewegungsmittel ein vollständiges funktionales wie emotionales Äquivalent („altermobilites“ [4]) bieten können. Selbst wenn es gelingen sollte, mit Coworking Spaces, Mobility as a Service oder anderen innovativen Konzepten eine substantielle Transformation des Verkehrsverhaltens und der Verkehrsmittelwahl einzuleiten, ist flankierend die signifikante Senkung der fahrzeugspezifischen Abgaswerte auf Basis der stetigen Modernisierung der Fahrzeugflotte von zentraler Bedeutung [5]. Diese wird in vielen Szenariorechnungen für die Sektoren Energie und Verkehr als quasi selbstverständlich vorausgesetzt [6]. Grenzen technischer Optimierung Dieser dritte Baustein der Dekarbonisierung des Verkehrssektors bleibt jedoch ebenfalls hinter den geplanten Erwartungen zurück. Seit 2009 unterliegen PKW und leichte Nutzfahrzeuge in der EU einer CO 2 -Regulierung. Das für PKW-Neuwagen festgelegte Durchschnittsziel von 130 g CO 2 / km für das Jahr 2015 wurde für 2020 auf 95 g CO 2 / km verschärft. Derzeit erarbeitet die EU-Kommission einen Regulierungsvorschlag für die Zeit nach 2020. Noch 2015 sah der eingeschlagene Regulierungspfad nach einer Erfolgsgeschichte aus. Das Flottenemissionsziel wurde auf Grundlage der Normverbräuche erreicht, auch wenn sich schon damals die Schere zwischen Test- und Realwerten auf über 40 % geöffnet hatte [2, 7]. Erstmals sind 2017 in der EU die CO 2 -Emissionen von Neuwagen aber sogar gemäß offiziellem Fahrzeugzyklus wieder angestiegen [8]. Im europaweiten Durchschnitt erhöhte sich der Ausstoß des Treibhausgases bei Neufahrzeugen auf 118,5 g CO 2 / km. In Deutschland lagen 2017 neu zugelassene Fahrzeuge mit 127,1 g CO 2 / km deutlich über dem europäischen Mittelwert. Kraftfahrtbundesamt (KBA) und Center of Automotive Management (CAM) kommen bei leicht abweichenden Zahlen zu dem gleichen Ergebnis [9, 10]. Als Ursache wird insbesondere die starke PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 01.07.2018 Endfassung: 17.08.2018 Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 73 Wissenschaft MOBILITÄT Zunahme der Fahrzeugklasse SUV/ Geländewagen bei den Neuzulassungen benannt, in welcher sich das kontinuierliche Gewichts- und Motorleistungswachstum besonders anschaulich manifestiert [11]. Basierend auf den CAM-Berechnungen konnten seit 2011 die durchschnittlichen CO 2 -Abgaswerte bei Neufahrzeugen in Deutschland um 12,5 % gesenkt werden. Trotz der zunehmend komplizierter und teurer werdenden Ausschöpfung von CO 2 -Einsparpotenzialen muss bis 2020 noch einmal eine Minderung um rund 32,9 g CO 2 / km oder etwa ein Viertel des heutigen Durchschnittswerts erfolgen. Veränderung des Flottenprofils Dieses ambitionierte Ziel scheint nicht über eine alleinige Motoroptimierung unter Beibehaltung des aktuellen Fahrzeugklassenmix realisierbar. Industrievertreter proklamieren, dass Flottengrenzwerte unter 95 g CO 2 / km mit konventionellen Antrieben nicht erreichbar sind [12]. In der Konsequenz hat dies zur Folge, dass in den kommenden Jahren nur über ein Downsizing im Sinne einer veränderten Fahrzeugklassen-Wahl und eine deutliche Anteilssteigerung der alternativen Antriebe die verkehrsspezifischen Umweltziele erreicht werden können. Beide Pfadveränderungen im Käuferverhalten wären tiefgreifend, bedingen notwendigerweise ein attraktives Fahrzeugangebot der Industrie und erfordern darüber hinaus vor allem eine entsprechende Sichtbarkeit dieses Angebots beim Konsumenten. Von der Industrie wird die erforderliche Präsenzinitiative für innovative Antriebskonzepte bislang nicht geleistet. Im Jahr 2017 investierten die Fahrzeughersteller in den sechs größten europäischen Ländern nur 6,3 % ihres Werbeetats in elektrisch angetriebene Fahrzeuge (inklusive Hybridantrieb) [13]. Grund hierfür sind sicherlich unter anderem die deutlich höheren Profitmargen, die mit etablierten Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren kurzfristig erzielt werden können [14]. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit andere, formal unabhängige meinungsbildende Akteure einen Beitrag leisten, die Transformation des Straßenverkehrs informativ zu unterstützen. Konkret sollte im Rahmen einer Forschungsstudie überprüft werden, welche Position überregionale Tageszeitungen und die professionell-publizistischen Angebote der Internetableger dieser traditionellen Massenmedien einnehmen. Fokussieren sie sich bei ihren Fahrberichten auf innovative und besonders umweltfreundliche Fahrzeugkonzepte oder verfolgen die Autoredakteure eine eher Kaufgewohnheiten stabilisierende Strategie bei der Auswahl ihrer Testfahrzeuge? Werden vor allem leistungsstarke „Rennreiselimousinen“ [15] zelebriert oder zielgruppenspezifisch effiziente Modelle für Pendler, Familien etc. vorgestellt? Vorstudien für den Schweizer Markt ergaben eine massive Diskrepanz zwischen den Klimazielen und den Emissionswerten der Testflotte der Autoredaktionen [16]. Frühere Medienanalysen im Kontext der Testauto-Auswahl deutscher Printmedien konzentrierten sich nicht auf das Nachhaltigkeitskriterium, sondern ermittelten einen positiven Zusammenhang zwischen Werbepräsenz und der Wahrscheinlichkeit der Publikation eines Testberichts in der führenden deutschen Automobilzeitschrift auto, motor und sport [17]. Relevanz der Printmedien Printmedien spielen bei der Meinungsbildung weiterhin eine wichtige Rolle. Zwar ist die Auflage der deutschen Tageszeitungen in Deutschland seit 1990 um über 30 % gesunken [18]. Trotzdem erreichen Tageszeitungen an einem durchschnittlichen Tag immer noch ein Drittel der Bevölkerung [19]. Tendenziell nimmt das Meinungsbildungsgewicht der Printmedien ab, doch gleichzeitig liegen die Web-Angebote der Zeitungen und Zeitschriften bei der informierenden Mediennutzung im Internet bezogen auf die Gesamtbevölkerung vor allen Konkurrenzangeboten [20], wobei zuletzt vor allem überregionale Zeitungsangebote in der täglichen Gesamtreichweite zulegten [21]. Im Glaubwürdigkeitsvergleich mit anderen Medien erhalten deutsche Tageszeitungen von über 70 % der Bevölkerung eine positive Bewertung, deutlich besser als private Radio-/ Fernsehsender, die Boulevardpresse, das Internet im Allgemeinen oder speziell die sozialen Medien im Web [22]. Entsprechend werden Tageszeitungen als besonders kritisches und objektives Medium eingestuft, das überdurchschnittlich anspruchsvoll, glaubwürdig und kompetent ist. In der Summe wird es von den Befragten der größten Langzeitstudie als das sachlichste Medium wahrgenommen [23]. Für die Informationsbeschaffung vor dem Autokauf kann der Tageszeitung sicherlich keine dominierende Funktion zugeschrieben werden. Allerdings nutzen nach Untersuchungen der GfK je ein Fünftel der Fahrzeugkäufer in der Informationssowie der Vergleichsphase Testberichte in Printmedien [24]. Zudem zeigen Studien, dass die Informationssuche typischerweise über multiple Kanäle erfolgt [25, 26]. Insofern ist mindestens eine Erweiterung des Suchraums wenn nicht sogar des Alternativensets durch eine entsprechende Berichterstattung in Tageszeitungen denkbar. Angesichts einer hohen prinzipiellen Akzeptanz umweltfreundlicher Produkte [27], kommt der Sichtbarmachung tatsächlicher Konsumoptionen eine große Relevanz zu. Methodischer Ansatz Um das Meinungsbildungsverhalten der etablierten Tageszeitungen bei der Information über neue Fahrzeugmodelle zu untersuchen, wurden mit Süddeutsche Zeitung (SZ, 1,24 Mio. Leser pro Ausgabe, 2017), Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ, 0,76 Mio.) und Die Welt (WELT, 0,71 Mio.) sämtliche Fahrberichte im Jahr 2017 der drei reichweitenstärksten deutschen Tageszeitungen (inkl. deren Wochenendausgaben) analysiert [26]. Ergänzend wurden die Testfahrtberichte der Schweizer Neuen Zürcher Zeitung (NZZ am Sonntag, 0,4 Mio.) und des gegenwärtig aufkommensstärksten deutschen Online-Nachrichtenportals Spiegel Online (SpOn, 3,44 Mio. Unique User pro Tag, 2018) untersucht [28]. Ziel war es, die Fahrbericht-Rubriken auf die Zusammensetzung der gewählten Testfahrzeuge zu prüfen und aufzuzeigen, welchen Fahrzeugtypen ein Schaufenster und damit Sichtbarkeit geboten wird. Die Studie basierte somit analog zu [17] ausschließlich auf Instrumenten der quantitativen Medienforschung [29]. Die weitergehende Analyse der Artikel hinsichtlich Tonalität, Beurteilung und abgeleiteten Empfehlungen ist Teil einer anschließenden Untersuchung und wird hier nicht berücksichtigt. Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 74 MOBILITÄT Wissenschaft Ausgewertet wurden die in den jeweiligen Archiven zugänglichen Fahrberichte. Während für die WELT eindeutig Beiträge aus den gedruckten Ausgaben identifiziert und ausgewählt wurden, werden im Archiv der SZ sowohl Artikel aus der Printausgabe als auch von ausschließlich auf deren Webseiten (sueddeutsche.de, 1,14- Mio. Unique User pro Tag, 2018) publizierten Berichten geführt. Auf den Seiten von faz.net (1,00 Mio. Unique User pro Tag, 2018) ist dagegen keine Unterscheidung der Herkunft der Artikel möglich. Insofern ist keine Datengrundlage für einen vollständigen Vergleich verfügbar und es kann die Perspektive eines ausschließlichen Lesers der Printausgabe SZbzw. FAZ-Ausgabe nicht wiedergegeben werden. Jedoch erlaubt die realitätsnahe Rückschau aus Sicht eines Nutzers der öffentlichen zugänglichen Archive bzw. des geschlossenen WELT-Archivs durchaus eine profunde Einschätzung des Auswahlverhaltens der Autoredaktionen. Insgesamt wurden 250 Fahrberichte berücksichtigt. Für die Fahrzeugklassifizierung wurde die Segmentierung des Kraftfahrtbundesamts verwendet. Da in den gesichteten Artikeln von WELT und SZ keine Emissionswerte angegeben waren, erfolgte deren Bestimmung anhand der Online-Datenbank von nextgreencar.com. Dabei wurden jeweils die Modellausführungen mit dem geringsten (CO 2 -Best) und höchsten CO 2 -Emissionswert (CO 2 - Worst) identifiziert. Aus diesen errechnete sich ein Mittelwert (CO 2 -Average) für den Vergleich mit den bei FAZ, WELT und SpOn in den Fahrberichten ausgewiesenen CO 2 -Werten. Für reine Elektroautos wurde analog zu den Angaben in den Fahrberichten der Optimalfall von 0 g CO 2 / km angesetzt. Testflotten verfehlen CO 2 -Ziel Die Analyse zeigt, dass sämtliche untersuchten Printmedien bei der Auswahl der vorgestellten Testwagen offensichtlich kein Nachhaltigkeitsziel verfolgen. Die Rubrik Fahrberichte stellt in keiner der betrachteten Zeitungen ein bewusstes Schaufenster für emissionsarme Fahrzeuge dar. Stattdessen liegen die durchschnittlichen Flottenemissionswerte teils deutlich über dem für 2015 gesteckten Emissionsziel und dem Durchschnitt der 2017 verkauften Fahrzeuge. Allein die WELT-Testflotte kann den 2015er Grenzwert von 130 g CO 2 / km einhalten - und dies auch nur im CO 2 -Best-Szenario mit der jeweils kleinsten Motorausstattung und einem Nullemissionsansatz für Elektromotoren (vgl. Bild 1). Würde für Elektroautos ein realistischer Emissionswert angesetzt, ergäben sich insbesondere für SZ und WELT noch höhere CO 2 -Ausstöße, da sie die größten E-Auto-Anteile in ihren Testflotten aufweisen. Ursache für diese hohen Flottenemissionen ist ein starker Berichterstattungsfokus auf die höher motorisierten und schwereren Fahrzeugklassen. Obere Mittelklasse, Oberklasse, Sportwagen und SUV/ Geländewagen sind im Vergleich zur Neuzulassungsstatistik 2017 deutlich überrepräsentiert. Kleinwagen- und Kompaktklasse wurden dagegen im Vergleich zu ihrer tatsächlichen Marktrelevanz in geringerem Umfang Probe gefahren (vgl. Bild 2). Besonders dominant sind SUV/ Geländewagen in den Fahrberichten vertreten. In der FAZ ist 2017 fast jedes zweite Testfahrzeug dieser Kategorie zuzuordnen. Der SUV-Trendwelle wird offensichtlich nicht nur gefolgt, sondern ein zusätzlicher Resonanzraum geboten. Während PS-starke Sportwagen in der Zulassungsstatistik fast keine Rolle spielen, haben sie einen festen Platz in allen Autoredaktionen. Diese Schwerpunktsetzung führt offensichtlich dazu, dass für das Testen innovativer Fahrzeugangebote nur wenige Publikationsslots übrig bleiben. Diese werden überwiegend für die Vorstellung von Elektrofahrzeugen genutzt. Abgesehen von der FAZ (kein rein elektrisches Testfahrzeug im Betrachtungszeitraum) wurden 5 bis 12 % der Beiträge reinen Elektrofahrzeugen gewidmet, was einem Vielfachen der gegenwärtigen Zulassungszahlen (2017: 0,7 %) entspricht. Dagegen gelang nur ei- 127 135 158 157 130 127 143 146 133 160 149 100 110 120 130 140 150 160 170 Ziel 2015 KBA 2017 WELT SZ FAZ NZZ SpOn CO2-Best CO2-Worst CO2-Average Bild 1: Durchschnittliche Emissionen in g CO 2 / km der Testfahrzeuge 2017 im Vergleich mit Zielwert und Durchschnittswert der Neuzulassungen 2017 (250 Fahrberichte - WELT: 47, SZ: 42, FAZ: 35, NZZ: 36, SpOn: 90; CO 2 -Best/ -Worst: Modellausführung mit geringstem/ höchstem CO 2 -Emissionswert, CO 2 -Average: Mittelwert Best/ Worst bzw. Emissionswertangabe im Artikel) Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 75 Wissenschaft MOBILITÄT nem Fahrzeugmodell mit Gasmotor der Sprung in eine der Testflotten. Obwohl diese gerade für reichweitenabhängige Autokäufer eine signifikant emissionsärmere Option darstellen [30] und die Unwissenheit bezüglich dieses Motorkonzepts absatzhemmend hoch ist [31]. PKW mit Brennstoffzelle fehlen in den Testwagenflotten vollständig. Dass die Neuvorstellungen der Automobilindustrie letztlich keine andere Testflottenzusammensetzung ermöglicht hätten, kann als Argument nicht gelten. Schon der Vergleich der Testflotten untereinander zeigt, dass zahlreiche Kleinwagen- und Kompaktklassen-Modelle nur von einer der betrachteten Zeitungen Probe gefahren wurden (Suzuki Swift, Citroen C3, Renault Clio), während diverse SUV-Modelle sich in fast allen Zeitungen finden (Land Rover Discovery, Ford Edge, Volvo XC60). Der Spielraum für eine andere Fahrzeugauswahl war also durchaus vorhanden. Universalbolide statt Innovationsträger Sicherlich wird mit der Beschränkung auf die Fahrbericht-Artikelserien nur ein kleiner Ausschnitt der Berichterstattung im Bereich Auto/ Mobilität analysiert. Allerdings erscheint gerade diese intensive, auf persönlichen (Alltags-)Eindrücken eines Experten basierende Auseinandersetzung mit einem Fahrzeug als besonders wirkmächtiges Narrativ und relevant für die Meinungsbildung, z. B. bezüglich des Schlüsselfaktors Ökonomischer Nutzen und der Sensibilisierung für die bereits erreichten Kostenvorteile alternativer Antriebe im Lebenszyklus-Vergleich mit dem Verbrennungsmotor (Combustion Parity) für spezifische Anwendergruppen [32]. Frappierend sichtbar ist, dass auch die Autoredaktionen der renommierten Pressehäuser bei ihren Testwagen weiterhin auf den Dreiklang aus groß, luxuriös/ schwer und schnell setzen und damit das traditionelle Leitbild des statusträchtigen Universalfahrzeugs zementieren. Vor diesem Hintergrund ist den Herausgebern der betrachteten Medien durchaus ein Versagen im Hinblick auf ihren Beitrag zur notwendigen Verkehrswende zu attestieren, gelten fehlende Informationen doch als eine der wesentlichen Barrieren für den Kauf umweltfreundlicherer Fahrzeuge [33, 34]. Zumal die Ergebnisse im deutlichen Widerspruch zu den Nachhaltigkeitsengagements und -bekundungen der Verlage stehen, die diese an anderer Stelle postulieren. Ziel fortführender Studien muss es sein, zu klären, inwiefern sich dieser „horsepower bias“ nur bei der Testwagenauswahl widerspiegelt oder auch in den Testergebnissen und den ergänzenden Beiträgen der (Auto-)Mobilredaktionen anzutreffen ist. ■ SUMMARY The decarbonisation of private vehicles as part of the transformation of the transport sector is not a question of technology but of implementation. This study shows that not only the automotive industry fails to make its contribution to the rapid market transformation. Also renowned daily newspapers and their automotive journalists show a strong path dependency. In their car reviews, they continue to adhere to the role model of the highly motorized universal vehicle. The average fleet emissions of the selected test vehicles are almost completely above the 2015 emission target and well above the 2020 target. LITERATUR [1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2018): Entwurf eines Klimaschutzberichts 2017 zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 der Bundesregierung. Datenblatt 19/ 16007. Berlin [2] Graichen, P. Peter, F.; Litz, P. (2018): Das Klimaschutzziel von -40 Prozent bis 2020: Wo landen wir ohne weitere Maßnahmen? https: / / www.agora-energiewende.de/ fileadmin2/ Projekte/ 2015/ Kohlekonsens/ Agora_Analyse_Klimaschutzziel_2020_07092016.pdf [3] Eurostat (2017): EU Transport in figures. Statistical pocketbook 2017. 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In: Transportation Research Part A: Policy and Practice, 109(C), S. 1-13. https: / / doi. org/ 10.1016/ j.tra.2018.01.017 Thomas Sauter-Servaes, Dr. Mobilitätsforscher, Institut für Nachhaltige Entwicklung, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur thomas.sauter-servaes@zhaw.ch Die Themen der nächsten Ausgabe Neue Mobilitätsstrukturen • Mobility as a Service: Wie neue Dienstleistungen den Markt umkrempeln - und wie sich unser Verständnis von Mobilität grundlegend ändern muss. • Sharing-Modelle: Welche ökonomischen und ökologischen Probleme die Sharing-Kultur wirklich lösen können und-welche Folgen für die Gesellschaft womöglich erwachsen. • Infrastruktur: Wo es sinnvoll sein kann, Verkehrsinfrastruktur nicht nur zu erneuern, sondern völlig neu zu denken. • Herausforderungen, Chancen und Risiken: Warum sich unser alltägliches Mobilitätsverhalten verändern wird - und-welche Sicherheiten wir dabei aus der Hand geben könnten. Internationales Verkehrswesen 4 | 2018 kommt am 22. November | Mehr unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 77 Automatisiertes Fahren TECHNOLOGIE Platooning - Chancen und Herausforderungen für den Güterverkehr Platooning, automatisiertes Fahren, Gütertransport, Automatisierung Das Wachstum des Straßengüterverkehrs hat neben den positiven Effekten auf die Wirtschaftsleistung auch negative Auswirkungen auf die Umwelt. So erhöhen sich Kraftstoffverbrauch und Umweltbelastungen. Beim teilautomatisierten Kolonnenfahren, Platooning genannt, werden mehrere LKW digital vernetzt und fahrtechnisch gekoppelt. Dadurch ist es etwa möglich, durch Fahren im Windschatten den Luftwiderstand und in der Folge auch Kraftstoffverbrauch und CO 2 -Emissionen zu reduzieren. Dieser Beitrag gibt einen Überblick zum Stand der Technik und nennt Chancen und Herausforderungen. Dieter Uckelmann, Marisa Saturno, Mandy Schweikardt Z ukünftig ist aufgrund des Onlinehandels und der steigenden Nachfrage an Waren ein wachsender Bedarf an Transporten zu erwarten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung prognostiziert bis 2030 einen Anstieg der Güterverkehrsleistung von 28,5 % gegenüber 2010. Diese Entwicklung zeigt, dass innovative Lösungen gefunden werden müssen, um den Güterverkehr zu optimieren und die Umwelt zu entlasten [1]. Platooning ist ein Verfahren, das seit einigen Jahren Forschungsgegenstand vieler Automobilhersteller ist. Kraftstoff und CO 2 sollen eingespart, dem Berufskraftfahrermangel soll entgegengewirkt werden [2]. Die aktuelle Problematik ergibt sich daraus, dass auf einer deutschen Autobahn ein Lastwagenfahrer 50 m Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden LKW einhalten muss [3]. Aktueller Einsatz in der Praxis Die Firma MAN und DB Schenker beispielsweise arbeiten beim Thema Platooning zusammen. Im Februar 2018 hat MAN die Pilotfahrzeuge an DB Schenker übergeben. […] „Mit dem Projekt testen wir Platooning erstmals im Logistikalltag.“ […] berichtet Ewald Kaiser, Chief Operating Officer von DB Schenker [4]. Bereits im Mai 2017 wurde die Zusammenarbeit zwischen DB Schenker, MAN Truck & Bus und der Hochschule Fresenius vereinbart. Im Rahmen dieser Kooperation sollen LKW-Platoons von DB Schenker über einen Zeitraum von mehreren Monaten im öffentlichen Straßenverkehr auf der A9 zwischen Nürnberg und München getestet werden. Hierbei wurden erstmals Berufskraftfahrer von DB Schenker eingesetzt. Endziel ist die Durchführung von realen Linienfahrten mit beladenen Fahrzeugen [5]. Ziele des Platooning Chancen und Ziele sieht das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in der Steigerung der Verkehrseffizienz, da Staus vermieden werden können, und in der Verkehrssicherheit, welche durch das Verhindern von Unfällen gesteigert werden soll. Des Weiteren werden die verkehrsbedingten Emissionen reduziert sowie der Innovationsstandort Deutschland gestärkt [6]. Weitere Ziele sind die Verringerung des Kraftstoffverbrauchs und die verbesserte Nutzung der Verkehrsfläche [7]. Technologie für Platooning Beim Platooning werden technische Fahrassistenz- und Steuersysteme genutzt, um mindestens zwei LKW in geringem Abstand voneinander zu koppeln. Die Systeme gewährleisten, dass die Fahrzeuge automatisiert und sicher im Windschatten mit Abständen von etwa 15 m fahren können (Bild- 1). Diese Entfernung ist optimal, da man den Windschatten nutzen kann und bei Bremsmanövern dennoch ausreichend Sicherheitsabstand hat. Ein geringerer Abstand könnte zudem zu Problemen bei der Motorkühlung führen [3]. Alle Fahrzeuge im Platoon sind digital miteinander verbunden und können miteinander kommunizieren. Der Fahrer im führenden Fahrzeug des Verbundes gibt die Richtung und Geschwindigkeit vor [5]. Kommuniziert wird über zwei Kanäle. Zum einen kommunizieren die Fahrzeuge miteinander - das sogenannte Car to Car (C2C) bzw. Vehicle to Vehicle (V2V) System -, zum anderen kommuniziert das Fahrzeug mit der Infrastruktur: Vehicle to Infrastructure (V2I). Durch C2C kann sich das Platoon schnell auf sich verändernde Verkehrssituationen wie Staus einstellen. Durch die Kommunikation mit der Infrastruktur können beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzungen erkannt werden. [8, 7] Beispiel Highway Pilot Connect Das Highway Pilot Connect-Projekt der Daimler AG nutzt zahlreiche Technologien, um bis zu drei LKW sicher zu koppeln. Basis ist auch hier die Kommunikation der Fahrzeuge untereinander, dazu genaue Kenntnisse über die Umgebung. Eine Telematikplattform an Bord jedes für Platooning geeigneten Fahrzeugs kann über den WLAN- Standard IEEE 802.11p kommunizieren. Ein Funkprozessor sowie der HF-Sendeempfänger können sicherheitskritische Informationen innerhalb von 0,1 Sekunden übermitteln. Sensoren und HD-live-Maps erfassen präzise die Umgebung, auch in schwierigen Situationen. Ein Radarkopf mit zwei Sensoren, der im unteren Bereich der Front angebracht ist, erkennt die Umgebung und misst die Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs. Der Sensor für die Ferne hat einen Öffnungswinkel von 18° und kann auf eine Entfernung bis zu 250 m Situationen erfassen. Für den Nahbereich gibt es einen Sensor mit einem Öffnungswinkel von 130° und eine Reichweite von bis zu 70 m. Eine Stereokamera kann auf eine Entfernung von 100 m Schilder und Freiräume erkennen Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 78 TECHNOLOGIE Automatisiertes Fahren und zwischen ein- oder zweispurigen Fahrbahnen differenzieren. Alle Sensoren arbeiten mit einer Genauigkeit von 0,20 m bei der Entfernungsmessung und einer Abweichung von nur 0,1 km/ h bei Geschwindigkeiten. Durch Sensordatenfusion werden die Informationen der einzelnen Sensoren gesammelt und miteinander verknüpft. Eine Kamera im Führungsfahrzeug überträgt das Bild der Verkehrssituation an alle Monitore der folgenden Fahrzeuge. Durch einen Sitzbelegungssensor und Überprüfen des Gurtschlusses wird zudem sichergestellt, dass der Fahrer nach wie vor am Lenkrad sitzt, um gegebenenfalls eingreifen zu können [2; 7; 9]. Grad der Automatisierung National und international sprechen Experten von fünf Automatisierungsstufen, bei denen der Fahrer Schritt für Schritt die Verantwortung an das Fahrzeug abgibt. Platooning ist aktuell eine teilautomatisierte Fahrweise und zählt zur Stufe 2. Hierbei ist eine Überwachung des Systems durch einen Menschen notwendig, dieser kann jedoch die Lenkung für einen längeren Zeitraum abgeben [10]. Der wesentliche Unterschied der Hochautomatisierung zur Teilautomatisierung ist, dass der Fahrer das System nicht mehr konstant überwachen muss. Er muss in der Lage sein, nach einer Warnung des Systems die Führung des Fahrzeugs wieder vollständig zu übernehmen (Stufe 3). Bei der Vollautomatisierung ist ein Fahrer im Fahrzeug anwesend, er muss allerdings nicht in Situationen eingreifen (Stufe 4). Als höchste Stufe ist das autonome und fahrerlose System anzusehen, bei dem kein Fahrer benötigt wird (Stufe 5). Das Fahrzeug kann sich von einem Startpunkt selbstständig zum Zielort navigieren [8; 11]. Technische Vorteile Platooning trägt zum sicheren Fahren bei. So bremst der nachfolgende LKW mit einer Reaktionszeit von 0,2 Sekunden automatisch, nachdem der vorausfahrende LKW bremst. Der Mensch hingegen benötigt mindestens eine Sekunde, um diese Situation zu erfassen und zu reagieren. Die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen erfolgt auf einer speziellen Frequenz, die kaum störanfällig ist. Durch die Automatisierung muss das nachfolgende Fahrzeug weder beschleunigen noch bremsen, das Fahrzeug fährt automatisch „in der Spur“. Demnach überwacht der Fahrer lediglich die Instrumente und muss nicht aktiv lenken und fahren. Schert beispielsweise ein PKW in den 15 m langen Sicherheitsabstand ein, können die Systeme gegensteuern: Das Platoon öffnet sich und der in der Fahrzeugschlange folgende LKW vergrößert selbstständig den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug. Die WLAN-Verbindung geht hierbei nicht verloren; der LKW kann den Abstand wieder verringern, sobald der PKW die Spur verlässt [3]. Vorteile für Umwelt und Transport Platooning ermöglicht das Fahren im Windschatten. Dadurch wird der Kraftstoffverbrauch um 10 % reduziert. Dies führt zu Kosteneinsparungen und zur Senkung der CO 2 -Emissionen [4; 12; 13]. Dies ist insbesondere für Speditionen wichtig, da die Ausgaben für Kraftstoffe einen enormen Anteil an den Gesamtkosten ausmachen [3], bringt aber auch positive Effekte für die Umwelt. Durch Platooning kann der Verkehrsraum besser genutzt und somit der Verkehrsfluss optimiert werden. Daraus resultierend kann der Straßengüterverkehr effizienter gestaltet werden, je mehr Fahrzeuge mit dieser Technologie ausgestattet werden - ein herstellerneutrales System vorausgesetzt [1]. Technische und organisatorische Herausforderungen in der Praxis Bei der European Truck Platooning Challenge 2016 haben führende europäische Nutzfahrzeughersteller bewiesen, dass Platooning technisch funktioniert [1]. Die Herausforderung ist nun die Anpassung der Technologie an die Realität beispielsweise im logistischen Alltag [5]. So ist bisher noch offen, welche Straßen- und Wetterbedingungen für maximale Funktionssicherheit gegeben sein müssen und ob die Fahrzeuge innerhalb der Kolonne unterschiedlich stark beladen sein dürfen [12]. Ein weiteres technisches Problem ergibt sich, da unterschiedliche Hersteller im Moment eigene unabhängige technische Systeme zur Kopplung der LKW entwickeln. Wegen der unterschiedlichen Systemprotokolle kann zurzeit nicht selbstverständlich eine Kolonne aus Fahrzeugen verschiedener Marken gebildet werden [14]. Organisation und Planung von Platoons stellen ebenfalls Herausforderungen dar: Hier muss zwischen fixen und flexiblen Routen sowie beschränkten oder offenen Platoons unterschieden werden [15]. Um einen möglichst großen Vorteil aus dem Verfahren ziehen zu können, sollten Unternehmen miteinander kommunizieren, um gemeinsame Platoons zu planen. Solche Absprachen benötigen einen hohen Organisationsaufwand und Kooperationen der Unternehmen - technologische Kompatibilität der Fahrzeuge vorausgesetzt. Sicherheitsrisiken Beim aktuellen Stand der Technik - Platooning als teilautonomes System der Stufe 2 - ist der Mensch mit eingebunden. Diese Schnittstelle kann zu Komplikationen führen. Die Qualität der Interaktion von Mensch und Maschine trägt maßgeblich zur Sicherheit dieser Systeme bei [11]. Die Hochschule Fresenius untersucht in Kooperation mit DB Schenker und MAN die Auswirkungen der neuen Technologie auf die Fahrer im teilautomatisierten Platoon. Der Fokus liegt auf der Erforschung der Bild 1: Platooning, Fahren im vernetzten Verbund [9] Quelle: Daimler Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 79 Automatisiertes Fahren TECHNOLOGIE Neurophysiologie und der psychosozialen Ebene. Die Ergebnisse sollen in die Technologieentwicklung fließen, um die Sicherheit im Platoon sicherstellen zu können [4]. Soziale Akzeptanz in der Gesellschaft In Teilen der Gesellschaft besteht die Befürchtung, dass Platooning den Verkehrsfluss nicht verbessert, sondern durch PKW- Staus hinter den LKW-Kolonnen behindert wird. Fragen der Verkehrssicherheit sind hier ebenfalls von Bedeutung. Auch ist unklar, ob der Fahrerberuf durch neue und weniger belastende Aufgaben attraktiver wird als heute, wo das Fahren auf langen Strecken monoton und ermüdend ist. Könnte der Fahrer während der Kolonnenfahrt logistische Aufgaben etwa im Bereich der Tourenplanung selbst übernehmen oder stärker mit der Firmenzentrale kommunizieren, könnte dies auch dem derzeitigen Fahrermangel entgegenwirken [12]. Fehlende gesetzliche Rahmenbedingungen Eine fundierte rechtliche Grundlage ist für Hersteller, Fahrzeugführer aber auch für Versicherungen zwingende Voraussetzung. Aktuell ist in Deutschland der Einsatz automatisierter Fahrzeuge im Straßenverkehr nur bedingt erlaubt, bisherige Testfahrten benötigten Sondergenehmigungen [8; 14]. Die Zulassung und die Haftung im Schadensfall sowie die Datensicherheit gehören zu den größten Herausforderungen, die auch länderübergreifend geregelt werden müssen, um Platooning erfolgreich in Europa umsetzen zu können. In Deutschland ist auch der gesetzliche LKW-Mindestabstand von 50 m auf der Autobahn eine problematische Vorgabe [7]. Verkehr und Infrastruktur Platooning ist nicht auf jeder Straße erfolgreich umsetzbar. Auf stark befahrenen Straßen mit potenziellen Staus kommt die positive Wirkung des Verfahrensnicht zum Tragen [3]. Auf europäischen Autobahnen existieren Auf- und Abfahrten in kurzen Abständen. Es könnte sich hierbei eine Problematik ergeben, wenn PKW durch die Länge der LKW-Kolonnen nicht zügig in den Verkehr der Autobahn einfädeln können oder durch „Hineindrücken“ die Vorteile von Platoons zunichte machen würden. Auch könnte die Digitalisierung wesentlicher Teile der Infrastruktur für den Einsatz von Platooning notwendig werden. Derzeit werden Verkehrszeichen durch Kameras erfasst, die Informationen durch Bildverarbeitungssysteme ausgewertet. Bei verschmutzten Schildern kann dies zu Fehlinterpretationen führen. Funken die Verkehrsschilder die wesentlichen Informationen direkt an die Fahrzeuge, kann solchen Störungen vorgebeugt werden [14]. Laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ist in der Tat eine vernetzte Infrastruktur mit High-Speed- Datenübertragung notwendig, um autonomes Fahren zu ermöglichen. Dazu gehören unter anderem Sensoren in Bauwerken und Signalanlagen, die Informationen über den Verkehr in Echtzeit übermitteln [8]. Fazit und Ausblick Platooning kann eine Lösung sein, um in den Zeiten des stark wachsenden Gütertransports eine Umweltentlastung herbeizuführen und den Transportsektor effizienter zu gestalten. Unternehmen, die platoonfähige LKW nutzen wollen, müssen sich auf einer gemeinsamen Plattform begegnen und die Bildung von Platoons gemeinsam organisieren. Nur so kann eine effiziente Anwendung sichergestellt werden. Die Entwicklung und Umsetzung der Technologie bis hin zum vollautomatisierten Fahren mehrerer Fahrzeuge in der Kolonne ohne Fahrer (Stufe 5) kann derzeit noch nicht realisiert werden. Die hierzu benötigte Hardware wie Sensoren und Kameras weist eine hohe Komplexität auf und verursacht hohe Kosten [15]. Für teilbis vollautomatisiertes Platooning ist es in Zukunft wichtig, gemeinsame Standards für die Systeme und Schnittstellen zu entwickeln, weitere Tests durchzuführen und Daten zu ermitteln. Eine europaweite Regulierung sollte etabliert werden. Ist dies erreicht, kann Platooning zu Verbesserungen im Straßengütertransport beitragen [1]. ■ QUELLEN [1] Verband der Automobilindustrie (o. Datum): Automatisiertes Fahren. Abgerufen am 02.04.2018 von Verband der Automobilindustrie: https: / / www.vda.de/ de/ themen/ innovation-und-technik/ automatisiertes-fahren/ platooning.html [2] Daimler AG (2018): Daimler Trucks testet Platooning-Technologie für mehr Effizienz bei Lkws jetzt auch in Japan. Abgerufen am 20.04.2018 von http: / / media.daimler.com/ marsMediaSite/ de/ instance/ ko/ Daimler-Trucks-testet-Platooning-Technologie-fuermehr-Effizienz-bei-Lkws-jetzt-auch-in-Japan.xhtml? oid=32920883 [3] Beutelsbacher, S. (2017): 15 Meter genügen für das perfekte Truck- „Platoon“. Die Welt online. Abgerufen am 02.04.2018 von: https: / / www.welt.de/ wirtschaft/ article169037335/ 15-Meter-genuegen-fuer-das-perfekte-Truck-Platoon.html [4] DB Schenker (2018): Platooning im Logistikeinsatz: MAN übergibt Pilotfahrzeuge an DB Schenker. Abgerufen am 02.04.2018 von DB Schenker: https: / / www.dbschenker.com/ de-de/ ueber-uns/ pressecenter/ db-schenker-news/ platooning-im-logistikeinsatz--manuebergibt-pilotfahrzeuge-an-db-schenker--509942 [5] Weinzierl, S. (2018): Vernetzte LKW: Platooning im realen Logistik- Einsatz. Abgerufen am 02. 04 2018 von Produktion.de: https: / / www. produktion.de/ technik/ logistik/ vernetzte-lkw-platooning-im-realen-logistik-einsatz-109.html [6] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017): Automatisiertes und vernetztes Fahren - Chancen und Herausforderungen. Berlin [7] W. Kok, Daimler AG (2017): Der Lkw der Zukunft: Automatisiertes Fahren bei Daimler Trucks. Esslingen [8] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) (2015): Strategie automatisiertes und vernetzes Fahren. Berlin, S. 5 f./ S.14 [9] Daimler AG (Hrsg.) Global Media Site (2016): Highway Pilot Connect: Vernetzte Lkw fahren im Verbund mit mehr Sicherheit und weniger Verbrauch. Abgerufen am 30.04.2018 von http: / / media.daimler. com/ marsMediaSite/ ko/ de/ 9905211 [10] DB Schenker (Hrsg.), Johannes Reus (2016): Platooning im Landverkehr: sicherer, wirtschaftlicher, nachhaltiger. Abgerufen am 27.04.2018 von https: / / logistik-aktuell.com/ 2016/ 07/ 26/ platooningim-landverkehr [11] Maurer, C., Gerdes, C., Lenz, B., Winner, H. (Hrsg.) (2015): Autonomes Fahren - Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte. Springer Verlag Heidelberg. S. 105 / S. 385 [12] DB Schenker (Hrsg.), Johannes Reus (2017): Interview: Platooning wird Nerven und Kraft der Fahrer schonen. Abgerufen am 02.04.2018 von DB Schenker: https: / / logistik-aktuell.com/ 2017/ 02/ 23/ interview-platooning [13] DB Schenker, M. (2016): Platooning-Projekt: Erste Transporte in vernetzen Lkw. Youtube: https: / / www.youtube.com/ watch? v=dHCUec0EtLo [14] VDI Verlag GmbH (Hrsg.) (2018): Platooning. https: / / www.ingenieur. de/ technik/ fachbereiche/ verkehr/ platooning [15] A. K. Bhoopalam, N. Agatz, R. Zuidwijk (2017): Planning of truck platoons: A literature review and directions for future research. Rotterdam School of Management. S. 217ff Mandy Schweikardt, Masterstudium Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik Stuttgart mandy.schweikardt@t-online.de Dieter Uckelmann, Prof. Dr.-Ing. Studiendekan Bachelor-Studiengang Informationslogistik, Leiter des Labors für Industrie 4.0, Hochschule für Technik Stuttgart dieter.uckelmann@hft-stuttgart.de Marisa Saturno, Masterstudium Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik Stuttgart marisa.saturno@gmx.de Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 80 EcoTrain - Modulare und intelligente Mehrsystemplattform für Dieseltriebzüge Einblicke in das Vorserienprojekt zur Realisierung eines nachhaltigen Schienenpersonennahverkehrs Hybrid-Antriebe, Batteriespeicher, Energiemanagement, Umbaukonzept, Mehrsystemfahrzeug, Nachladesystem Im Projekt EcoTrain wird eine modulare Technologieplattform für intelligente Mehrsystemfahrzeuge auf dieselelektrischer Basis bis zur Serienreife entwickelt. Damit werden schon bald flexible Umsetzungsvarianten für verschiedene Strecken und Einsatzszenarien zur Verfügung stehen, mit denen der Schienenpersonennahverkehr auf nichtbzw. teilelektrifizierten Strecken umweltfreundlicher und effizienter werden kann. Das Aufsetzen auf vorhandene Fahrzeuge, Bahninfrastrukturen und -regularien sowie eine variable Dimensionierung und intelligente Steuerung der Systemelemente sichern die Wirtschaftlichkeit dieses Umbaukonzepts. Marco Rehme, Sören Claus, Martin Hagmann, Arnd Stephan, Claus Werner E lektromobilität im Bahnsektor bedeutet klassischerweise den Einsatz elektrischer Triebfahrzeuge auf elektrifizierten Strecken mit typischerweise hoher Verkehrsleistung. Der Verweis auf diese seit mehr als 100 Jahren verbreitete Technologie einer emissionsfreien Fortbewegung stellt die Realität des heutigen Schienenverkehrs allerding nur unzureichend dar. Abseits von den Hauptstrecken findet ein nicht zu vernachlässigender Anteil der erbrachten Verkehrsleistung (ca. 20 % im Personennahverkehr [1]) mit Dieselfahrzeugen im nicht- oder nur teilelektrifizierten Netz statt. Ungeachtet der laufenden Bestrebungen, den Elektrifizierungsanteil des Schienennetzes von derzeit unter 60 % in den kommenden Jahren zu erhöhen, erscheint eine vollständige Ausstattung aller Bahntrassen mit Oberleitungen aufgrund des häufig geringeren Verkehrsaufkommens wirtschaftlich wenig sinnvoll und oft auch ökologisch wenig effektiv. Dem zunehmenden Handlungsdruck, den Bahnverkehr umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten, kann aber auch mit alternativen Antriebskonzepten begegnet werden. Mit Hybridantrieben, die zunächst als Innovationen für den Straßenverkehr aufkamen, können gerade auf teilelektrifizierten (aber auch auf nichtelektrifizierten) Fahrstrecken beachtliche Foto: DB RegioNetz Verkehrs GmbH TECHNOLOGIE Mehrsystemzüge Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 81 Mehrsystemzüge TECHNOLOGIE Potenziale zur Emissionssenkung ausgeschöpft werden. Für hybride Schienenfahrzeuge existieren heute unterschiedliche Konzepte (z. B. Batterie-Diesel-, Batterie- Elektro- und Batterie-Brennstoffzellen- Systeme) für verschiedenes Rollmaterial (Lokomotiven und Triebzüge) und mit spezifischen Vor- und Nachteilen. Erste Hybridlösungen befinden sich in der Erprobung oder sind bereits auf dem Markt erschienen. Mit den Nahverkehrs-Triebzügen der Baureihe VT 642 zielt das modulare Umbaukonzept von EcoTrain auf eine besonders breite Anwendbarkeit, auch in unterschiedlichen Streckentopografien und Einsatzszenarien. Im Gemeinschaftsprojekt EcoTrain wird von der DB RegioNetz Verkehrs GmbH, der TU Dresden, der TU Chemnitz, dem Fraunhofer IVI und der DB Systemtechnik ein Gesamtsystem zur Hybridisierung der Dieseltriebwagen bis zur Serienreife entwickelt und zugelassen. Das Umbaukonzept umfasst neben dem Austausch der beiden dieselmechanischen Antriebsmodule durch ein dieselelektrisches Hybridantriebsmodul (Bild 1) und ein Hybridenergiemodul mit Lithium-Ionen-Akkus zur Zwischenspeicherung rekuperierter und extern nachgeladener Energie oder überschüssiger Energie aus dem Dieselgenerator (Bild 2) auch zahlreiche Anpassungen an weiteren davon betroffenen Fahrzeugkomponenten (z. B. Drehgestell, Bremssystem, Leistungselektronik und Nebenverbraucher) sowie verschiedene Nachlademöglichkeiten. Für den Antrieb der Triebdrehgestelle sorgen nach dem Umbau elektrische Fahrmotoren. Mit einer Kombination aus serieller Hybridlösung, intelligentem Energiemanagement und modularer Anpassbarkeit wird eine einzigartige Lösung geschaffen, die eine flexible und nachhaltige Nutzung verschiedener Traktionskombinationen aus Diesel und Elektroenergie ermöglicht. Modularität als Schlüssel zum Erfolg Ein entscheidender Vorteil der EcoTrain- Plattform besteht in ihrer Modularität und damit ihrer Anpassbarkeit an verschiedenste Anforderungen und Rahmenbedingungen des späteren Fahrzeugeinsatzes. Damit können bei der Energiespeicherdimensionierung und der Auslegung des Gesamtsystems insbesondere unterschiedliche Streckentypen (hinsichtlich ihrer Topografie und vorhandener Infrastrukturen für die Nachladung) sowie verschiedene Szenarien der Betriebsführung Berücksichtigung finden. Der finalen Auslegung des Prototyps ging eine umfangreiche Machbarkeitsanalyse verschiedener Hybridisierungsvarianten voraus. Zudem konnten Erfahrungen aus einem früheren Erprobungsträger der Westfrankenbahn einfließen. Im weiteren Projektverlauf wurden drei verschiedene EcoTrain-Basiskonzepte (siehe Bild 3) entwickelt, die sich vor allem hinsichtlich des Nachladesystems für den Energiespeicher unterschieden. Sie können einerseits als Ausbaustufen der Elektrifizierung und andererseits als Umsetzungsvarianten, je nach den Voraussetzungen und Anforderungen der später zu bedienenden Strecke, aufgefasst werden. Für die Variante EcoTrain Hybrid ist das Vorhandensein einer Oberleitung auf einem Teilabschnitt der Fahrstrecke nicht erforderlich. Externe Nachladungen erfolgen nur stationär im Abstellbetrieb oder während längerer Wendezeiten über genormte Steckverbindungen aus Elektranten. Der EcoTrain DualMode besitzt zusätzlich einen Dachstromabnehmer, der zur Nachladung aus abschnittweise vorhandenen Oberleitungsanlagen des Bahnstromnetzes oder aus neu zu errichtenden Stromschienenoberleitungen (als kurze, sich aus dem Mittelspannungsnetz speisende Nachladeinseln) genutzt werden kann. Neben der Nachladung an Stationshalten ist hier auch der direkte Einsatz für den Fahrbetrieb möglich. Im EcoTrain eMode erfolgt der Regelfahrbetrieb rein elektrisch unter Nutzung der Oberleitungsabschnitte und des in dieser Variante größeren Energiespeichers. Ein Dieselgenerator ist in dieser Variante nur noch optional als Range Extender vorgesehen. Die Modularität der EcoTrain-Plattform und das Aufsetzen auf existierende bahntechnische Regelwerke erlauben es, den Umbau- und Nachrüstungsaufwand in der bestehenden Infrastruktur so gering wie möglich zu halten. Elektrifizierte Endbahnhöfe und Streckenabschnitte werden je nach Vorhandensein genutzt und, wo erforderlich, durch punktuelle Nachladesysteme ergänzt. Vor diesem Hintergrund kann, ähnlich zu den modularen Baukastensystemen der Autoindustrie, die optimale Variante des EcoTrain ausgewählt und zeitnah realisiert werden. Ökologische und ökonomische Potenziale Das EcoTrain-Projekt wird von Beginn an von einer wissenschaftlichen Nachweisführung der ökologischen sowie der ökonomischen Vorteilhaftigkeit des Umbaukonzepts begleitet. Der EcoTrain erhebt nicht nur den Anspruch, den Primärenergieverbrauch sowie CO 2 - und Lärmemissionen im Vergleich zu Bestandsfahrzeugen zu senken, was erwartungsgemäß bei künftigen Ausschreibungen von Verkehrsleistungen zunehmend wichtiger wird. Er soll in seiner Gesamtheit auch eine wirtschaftliche Alternative darstellen, d. h. nicht (signifikant) teurer als der Einsatz von Dieseltriebzügen und wesentlich günstiger als ein komplett neu gebautes Mehrsystemfahrzeug mit Hybridtechnologie sein. Erreicht wird dies dadurch, dass der EcoTrain keine Abstriche im betrieblichen Einsatz (gleiche Fahrgastkapazitäten, Tagesfahrleistungen und Zuverlässigkeit) aufweist sowie niedrigere In- Bild 1: Hybridantriebsmodul des EcoTrain Quelle: DB RegioNetz Verkehrs GmbH Bild 2: Hybridenergiemodul des EcoTrain Quelle: DB RegioNetz Verkehrs GmbH Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 82 TECHNOLOGIE Mehrsystemzüge standhaltungs- und Betriebskosten (vor allem aufgrund reduzierter Dieselverbräuche) erreicht, welche den Umbaukosten gegenüberstehen. Energieverbrauchssenkungen werden im EcoTrain vor allem durch die Nutzbarmachung rekuperierter Bremsenergie erreicht. Zur weiteren Steigerung der ökologischen Nachhaltigkeit werden sämtliche Nebenverbraucher elektrifiziert und neuentwickelte umweltfreundliche Klimaanlagen (mit Wärmepumpen und CO 2 als Kältemittel) verbaut. Die bisher durchgeführten projektbegleitenden Berechnungen belegen klare ökologische Vorteile der Hybridlösung. So zeigen die vorgenommenen ökobilanziellen Bewertungen für die drei Schadenskategorien Ökosystem, menschliche Gesundheit und Ressourcen, dass mit dem EcoTrain-Konzept die durch den Triebwagen verursachten ökologischen Gesamtschäden unter Berücksichtigung verschiedener Wirkungspfade um ca. 15 % gesenkt werden können [2]. Des Weiteren können im in der Bewertung zugrunde gelegten Einsatzszenario der Dieselverbrauch und die korrespondierenden CO 2 -Emissionen im Fahrzeugbetrieb bei vorhandenen Nachlademöglichkeiten um etwa ein Viertel gesenkt werden [2, 3]. Die damit einhergehenden geringeren Energiekosten führen über die Nutzungsdauer hinweg dazu, dass aus heutiger Sicht die fahrzeug- und infrastrukturseitigen Lebenszykluskosten des Hybrid-Konzeptes im Bereich derer klassischer Dieselfahrzeuge liegen, wie die bisherigen ökonomischen Berechnungen zeigen [3]. Die Wirtschaftlichkeit des Gesamtkonzeptes wird von zahlreichen Faktoren, wie z. B. Fahrleistung, Art und Anzahl der Nachladeinfrastrukturen sowie Entwicklung der Batterie-, Rohstoff- und Dieselpreise, beeinflusst. Ähnlich wie im PKW-Sektor zu beobachten, können Elektromobilitätslösungen daher auch im Bahnsektor schnell zur ökonomisch günstigeren Alternative zum Verbrennungsmotor werden. Startpunkt für die Fahrzeugdigitalisierung Der EcoTrain als Technologieplattform ist mehr als nur der Ersatz eines bestehenden Antriebssystems durch ein neues. Er ebnet zugleich den Weg für eine zunehmende Digitalisierung von Bestandsfahrzeugen. Der essenzielle Bestandteil des Gesamtkonzeptes ist die Verknüpfung eines vorhandenen Fahrplanassistenzsystems (FASSI) mit der Antriebs- und Hybridsteuerung und allen relevanten Energieverbrauchern über die fahrzeuginterne Leittechnik zu einem intelligenten Energiemanagementsystem. Dieses ermöglicht es, nicht nur die Lithium-Ionen-Batterie, sondern auch die Klimaanlage und das Luftsystem als Energiespeicher zu nutzen. In die Steuerungsalgorithmen des Energiemanagements fließen Parameter des Fahrplans, der Topografie (und des damit verbundenen Rekuperationspotenzials), der Topologie und der Nachlademöglichkeiten an der Strecke, der Klimabedingungen und der Nebenverbraucher sowie betriebswirtschaftliche und regulatorische Größen ein. So werden strecken- und situationsangepasste Energiebedarfe durch das System schon vor Beginn des täglichen Einsatzes erkannt und in Echtzeit während der Fahrt aktualisiert, so dass die Energieströme zwischen Fahrmotoren, Dieselgenerator, Energiespeicher und Nebenverbrauchern in Abhängigkeit von der Position des Zuges und den vorhandenen Speicherreserven anforderungsgerecht gesteuert werden können. Zudem ermöglicht das intelligente Energiemanagement eine Berücksichtigung emissionsfreier Korridore, beispielsweise in Tunneln, Bahnhöfen und dicht besiedelten Gebieten, die teilweise bereits heute vorgeschrieben sind und erwartungsgemäß künftig immer relevanter werden. Innerhalb dieser Korridore kann die Energie für die Traktion, aber auch für die Fahrzeugklimatisierung im Stand, ausschließlich aus dem Zwischenspeicher entnommen werden, wodurch die Fahrzeuge flexibler im Einsatz werden. Außerhalb emissionsfreier Zonen ermittelt das intelligente Energiema- Bild 3: Ausbaustufen bzw. Umsetzungsvarianten des EcoTrain Quelle: DB RegioNetz Verkehrs GmbH nagement den jeweils optimalen Energiesplit zwischen Diesel und elektrischer Energie und gibt Fahrempfehlungen. Das intelligente Energiemanagement von Mehrsystemfahrzeugen ist aber nur als ein erster Schritt zur Digitalisierung anzusehen. Assistenzsysteme werden künftig auch im Bahnsektor zunehmend durch hoch- und vollautomatisierte Systeme ersetzt werden. Die diversen Vorteile der Fahrzeugdigitalisierung, wie eine umweltfreundliche und den Gegebenheiten dynamisch angepasste Fahrweise, Echtzeit-Fahrgastinformationen, intermodale Zusatzangebote und mobile Konnektivität, werden letztlich die Attraktivität des Schienenpersonennahverkehrs und seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Verkehrsmodi steigern. Ausblick Das laufende Vorhaben wird von der Deutschen Bahn, vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie vom Freistaat Sachsen gefördert. Trotz der sich im Projekt aufzeigenden enormen Komplexität der Entwicklungsaktivitäten für das Umbaukonzept sind die Arbeiten am EcoTrain sehr weit fortgeschritten. Der Prototyp als solcher ist fertig konstruiert und der Umbau zum Vorserienfahrzeug soll zügig beendet werden. Für Anfang 2019 ist die Inbetriebsetzung mit anschließenden Probe- und Prüffahrten geplant. Ziel ist es, bis 2020 vom Eisenbahnbundesamt die Zulassung der Technik zum Serienumbau und zum Fahrgastbetrieb zu erhalten. Bis 2023 soll eine erste Kleinserie von weiteren zwölf Fahrzeugen der Baureihe VT 642 bei der Erzgebirgsbahn umgerüstet werden und anschließend regulär in deren Regio-Netz fahren. Das Konzept kann dann innerhalb der Deutschen Bahn sowie bei anderen Nahverkehrsunternehmen in einem nächsten Schritt genutzt werden, um Fahrzeuge dieser weit verbreiteten Baureihe (europaweit über 600 Triebwagen) zu intelligenten Mehrsystemfahrzeugen für unterschiedlichste Einsatzanforderungen umzubauen. Perspektivisch ist ein baureihenübergreifender Einsatz des modularen Eco- Train-Konzepts vorgesehen. Neben entsprechenden Adaptionen und Erweiterungen des Konzepts sollen auch zusätzliche Technologieinnovationen einbezogen werden, um damit den Anwendungsfokus zu erweitern. Es ist davon auszugehen, dass nicht zuletzt aufgrund der typischerweise sehr langen Nutzungsdauern von Schienenfahrzeugen die Umrüstung von Bestandsfahrzeugen auf Hybridtechnologien ein sehr hohes Markt- und Wertschöpfungspotenzial besitzt. Dafür soll in der Region Chemnitz-Erzgebirge gemeinsam mit Partnern aus der Wissenschaft und Unternehmen betroffener Wirtschaftsbranchen mittelfristig ein Kompetenzzentrum und Innovationscluster für intelligente Mehrsystemfahrzeuge und Digitalisierung des Bahnverkehrs entstehen. Dabei kann auf bestehende Kompetenzen und vorhandene Infrastrukturen aufgebaut werden (z. B. das innovative Werk der Regio-Netze in Chemnitz, das digitale Stellwerk in Annaberg- Buchholz und eine 24 km lange Teststrecke). Mit dem EcoTrain-Konzept wird schon in Kürze eine Erfolg versprechende Technologielösung den Markt für Schienenfahrzeuge bereichern, von der nicht nur Eisenbahnverkehrsunternehmen durch maßgeschneiderte und intelligente Fahrzeuge profitieren, sondern auch die Gesellschaft mit einer rasch umsetzbaren umweltfreundlichen Verkehrslösung. ■ LITERATUR [1] Allianz pro Schiene (2018): 90 Prozent E-Mobilität bei der Eisenbahn; https: / / www.allianz-pro-schiene.de/ wp-content/ uploads/ 2018/ 07/ %C3%96kostrom-E-Mobilit%C3%A4t.pdf (Abruf 01.08.2018) [2] Meynerts, Lilly et al. (2018): Life Cycle Assessment of a Hybrid Train − Comparison of Different Propulsion Systems. In: Procedia CIRP, Volume 69, S. 511-516 [3] Meynerts, Lilly et al. (2017): Concept of Integrated Life Cycle Assessment and Costing − Application to the Case of Designing a Hybrid Train. In: Procedia CIRP, Volume 61, S. 744-749 Arnd Stephan, Prof. Dr.-Ing. Professur für Elektrische Bahnen, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List”, Technische Universität Dresden arnd.stephan@tu-dresden.de Claus Werner Leiter Technologiemanagement und -entwicklung, DB RegioNetz Verkehrs GmbH, Frankfurt a. Main claus.werner@deutschebahn.com Martin Hagmann Projektmanager Technologiemanagement und -entwicklung, DB RegioNetz Verkehrs GmbH, Frankfurt a. Main martin.hagmann@deutschebahn.com Sören Claus Technischer Leiter Technologiemanagement und -entwicklung, DB RegioNetz Verkehrs GmbH, Frankfurt a. Main soeren.claus@deutschebahn.com Marco Rehme, Dipl.-Kfm. Dipl-Vw. Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Technische Universität Chemnitz marco.rehme@wirtschaft.tu-chemnitz.de Das Archiv der Zeitschrift Internationales Verkehrswesen mit ihren Vorgänger-Titeln reicht bis Ausgabe 1|1949 zurück. Sie haben ein Jahres-Abonnement? Dann steht Ihnen auch dieses Archiv zur Verfügung. Durchsuchen Sie Fach- und Wissenschaftsbeiträge ab Jahrgang 2000 nach Stichworten. Greifen Sie direkt auf die PDFs aller Ausgaben ab Jahrgang 2010 zu. Mehr darüber auf: www.internationales-verkehrswesen.de GESAMMELTES FACHWISSEN IV Drittel hoch.indd 1 28.08.2018 14: 10: 06 Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 84 TECHNOLOGIE Wissenschaft Public transport capacity limitations Means for a-prompt Occupancy Rate (O.R.) evaluation Public Transport, Capacity Assessment, Residual Capacity, Occupancy Rate This article provides with the adequate tools for a prompt and general assessment of public transport capacity limitations. It does so by retrofitting the notion of residual capacity with the adequate mechanisms to evaluate its most elusive variable; namely, the passenger transport demand (here contemplated as an Occupancy Rate factor). To assess this complex variable, the article carries out a mode-specific calibration of the Occupancy Rate of three different public transport modes (Buses, Light Rail, Subways) utilizing information from six different German networks across 25 different lines. Arturo Crespo, Andreas Oetting F or many years, public transport systems, have been pushed aside in favor of auto-mobility, however, they are once again being contemplated as key elements for the proficient development of metropolitan areas at large [1]. That said, with their patronage consistently growing across the board [2] and due to their tight coupling with other systems [3], they have become particularly vulnerable and prone to the occurrence of unusual and extreme operational situations. Public transport operations are planned such that passengers reach their destination in an appropriate timeframe (e.g. waiting time, travel time) through adequate structures (e.g. overall capacity, number of transfers) [4]. Nevertheless, unusual operational situations (e.g. disruptions, maintenance works) inherently undermine their overall service capabilities. If systems do not encompass the minimum coping aptitudes, their reliability and serviceability can not be upheld. Envisioning a public transport network with proficient coping mechanisms is a matter of resilience. Within the field of public transport research, resilience has been described as the system’s ability to adapt and maintain its serviceability during a disrupted situation, with redundancy and robustness as its two main features. In this context, redundancy is understood in terms of strong, preferably intermodal, integration and robustness as the systems’ overall residual capacity [5, 6]. While integration is an important feature of any public transportation system, it can not be considered in isolation. Residual capacity is critical to ensuring that systems can service unexpected shifts in demand regardless of the existing situation. In sum, placing the capacity limitations of public transportation under the spotlight sets the stage for a more holistic understanding of the system’s coping potentials. Related work As explained above, public transport capacity robustness is built over the system’s remaining passenger transport capabilities also described as its residual capacity. The residual capacity embodies the nonutilized capacity within a public transport vehicle during its operations, thus, highlights its ability to transport unexpected demand [7]. Abiding by this definition, the residual capacity of a public transport structure can be mathematically expressed as in (1) [8]. RC = C * (1 - OR) (1) where RC = Residual Capacity, C = Scheduled Capacity, OR = Occupancy Rate Equation (1) reflects two important elements in public transport capacity planning: the operative structure of the system (e.g. operating program, vehicle sizes, etc.) embodied by the scheduled capacity [4], and the passenger transport demand, condensed as an OR factor. The OR factor conveys the liaison between the scheduled ca- AUF EINEN BLICK Der Beitrag beschreibt einen geeigneten Ansatz zur schnellen, allgemeingültigen Abschätzung von Kapazitäts- Einschränkungen im ÖV. Er ergänzt dafür den Begriff der Rest-Kapazität um geeignete Mechanismen zur Erhebung einer schwer fassbaren Variablen: des Auslastungsgrad- Faktors (Occupancy Rate, OR) genannt. Um diese komplexe Variable ansetzen zu können, führt dieser Artikel auf Basis der Daten von sechs verschiedenen ÖV-Netzen und 25 Verkehrslinien in Deutschland aus, wie der OR-Faktor für die drei Verkehrsträger Bus, Tram und U-Bahn entfernungs- und tageszeitabhängig ermittelt werden kann. Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 85 Wissenschaft TECHNOLOGIE pacity and the actual passenger travel behavior in the system by stressing the shifts in net passenger vehicleoccupancy along a public transport route. Whereas the scheduled capacity of a line can be unequivocally asserted by observing its planned characteristics, evaluating its OR entails dealing with the complexity behind passengers’ travel behaviour. Passengers’ travel behaviour is understood as the result of the objective and subjective aspects that constitute the local urban mobility culture. The objective aspects range from the urban form, transport infrastructure to socioeconomics and may be unequivocally evaluated. However, the subjective aspects, comprised by people’s lifestyles, attitudes, and perceptions, are difficult to appraise due to their abstract nature [9]. The intricacy behind conducting a deep assessment of the residual capacity elements is also reflected in public transport scholarly inquiry. Some authors propose complex models to assess the degree and significance of the residual capacity within particular links and specific border conditions [5, 10]. Others expand propose ways in which the residual capacity can be fostered and efficiently located across a given network [7, 11]. However, mechanisms that allow practitioners and decision makers to promptly assess capacity limitation issues regardless of the boundary conditions (e.g. during real operations) are still lacking. In this regard, a model capable of assessing the residual capacity of public transportation for real-time passenger rerouting was put forward in [8]. Since a thorough and exact assessment of the OR is not compatible with a prompt valuation of its capacity limitations, the authors in [8] propose a modespecific calibration of the OR. What is more, they outline a framework to calibrate the OR as a holistic assessment tool. This article makes use of the analytical framework in [8], and assembles the necessary mechanisms for its appraisal across three public transport modes (i.e. buses, light rails and subways). To do so, the next section describes the OR assessment framework and calibration method. Then, the attributes of the gathered data and the necessary function-fitting process for the calibration are discussed. Finally, the article discusses the importance of the successfully calibrated OR functions as tools. Assessment framework Calibrating the OR implies rendering the specific shifts in net passenger vehicle-occupancy as mathematical relations. Yet, to guarantee their general application (i.e. not bound to the border conditions of any network) the assessment framework defines three spatiotemporal conditions (see Figure 1) [8]. At the outset, the mathematical relation depicts the changes in occupancy regarding the vehicle’s position within the network. To reference this position, the first condition points towards identifying a “gravity center” for all the trips generated across the network, which is usually located in the Central Business District (CBD) [12]. The second condition, which also focuses on the spatial aspect, stresses the need to manage the uncertainty across the length of public transport lines by normalizing their dimensions. Normalizing the lines’ lengths implies securing they have uniformed range, in this case equating their total length to one, and be comparable with one another. Lastly, to capture the trending changes in occupancy across the operational day, the third condition steers the OR functions towards acquiring a time-specific arrangement. Thus, the calibrated relations must distinguish the changes in occupancy between peak and off-peak hours. By and large, the OR function is believed to find its maximum value in the course of peak hours and comprise a negative slope while it decreases as it retreats from the proposed origin (i.e. city center). The explained provisions suggest that to isolate the changes in passenger trips within a given mode it is critical to retrieve actual operational data samples across multiple networks. For this, direct passenger counts represent plausible data sources, as they systematically record the number of passengers boarding and alighting from a line’s timetabled journey at every stop. Once the passenger counts for all the timetabled journeys during an entire operational day of a given set of lines are made available, the effective calibration of the OR function can be divided into six steps. First, to reference the route distances of all the scrutinized lines and networks their respective mobility gravity centers must be identified. In a second step, the network’s peak (HVZ) and offpeak hours (NVZ; SVZ: German abbreviations for normal and weak traffic times respectively) must be identified. For this, all timetabled journeys of a given line are combined into one-hour intervals and assigned to one of the three temporal categories on the basis of the net inflow and outflow of passengers from the acknowledged gravity-centers as well as the number of services. Third, with the passenger exchange information at every stop, the shift in the number of passengers along a single vehicle’s journey can be deduced. This information can be then transformed into an OR by placing it in relation to the vehicle capacity. Fourth, at each scheduled stop, an average OR can be determined for all the timetabled journeys assigned to a respective temporal category. Fifth, for the individual line length normalization the total length is defined as the distance between the city center and the line’s last stop. In the case of diametrical lines, these are considered as two radial lines separated at the identified center. The total line length is then divided by itself (d/ D) to secure the unitary range. Finally, Figure 1. Route base occupancy rate shift and spatiotemporal constraints Source: by author Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 86 TECHNOLOGIE Wissenschaft the averaged OR for all the lines belonging to the same mode (i.e. bus, tram or light rail & subway) and temporal category (HVZ, NVZ & SVZ) are isolated and plotted against their normalized distances. This allows for a function to be later fitted to the obtained scattered plots by means of a linear regression. Data sets and OR calibration Within the framework of this study, passenger counts from 6 different German cities and networks have been collected. The retrieved datasets record passenger exchange records for all the timetabled journeys corresponding to one entire day of operations (during the school season) along 25 different lines and three public transport modes. The 25 lines are distributed as shown in Table 1, where the specific line number per every mode can be appreciated. The lines were chosen on basis of their ability to connect the city center with the outskirts of their respective urban areas. In this case, lines with both radial and diametrical qualities were preferred over those with circular characteristics. It must be noted that all bout one dataset included the scheduled vehicle capacity for each journey. For the one network which only identified the vehicle types, the maximum vehicle capacities detailed in [17] were utilized. Abiding by the methodology described in the previous section, the averaged OR for all the lines belonging to the same mode and divided per temporal category are plotted against their normalized distances. These were fitted to a linear function of the form (y = a + x * -b) by means of a linear regression. The regression results for all three modes and temporal categories are displayed in Figure 2. As it can be appreciated the overall properties of the fitted functions remain uniform as they keep the same general pattern across modes and temporal intervals. Furthermore, the absolute fit of the regressed functions is compatible with the overall aim of securing a rough estimate towards a prompt capacity limitation assessment. For all modes, as anticipated in the assumptions (see Figure 1) the slope is the steepest during the HVZ and delivers an overall maximum at the city center. By the same token, a consistent inverse association between OR and distance to the center provides substantial evidence to corroborate the relevance of the utilized method and an effective calibration of the OR across diametrical and radial lines. From the calibrated results, it can also be observed that the maximum OR value never exceeds 50%, which is to be expected if contrasted with the acceptable value (i.e. 65 %) conveyed in the German transport quality standards [18]. This would indicate that in Germany a conventional bus or light-rail line would have the equivalent of 50 % of its total capacity as residual capacity all along its route; an additional 15 % more than the specified in [18]. This last percentage would be even higher (i.e. up to 25 %) for a subway line. Conclusions The presented results constitute the ground work for a prompt assessment of capacity limitation issues and robustness qualities across the three studied means of transport. Following the positive calibration of the OR functions and combined with Equation (1), decision makers can promptly identify the residual capacity of the assessed public transport lines throughout any point of their route independently of the border conditions of the network. Ultimately, this information enables to place the system’s robust potentials and the wellbeing of the users within the operational context. The calibrated OR functions provide vital information across many scenarios of the public transport operations. For example, for the development of proficient preparedness strategies during planned but extreme operational situations (e.g. construction works, city events, schedule modifications, etc.). With help of the OR functions, and an overall knowledge of the operational principles of a given network, it is possible to recognise criti- Figure 2. Calibrated OR functions for subway; bus and light rail lines Source: by author Urban Area Lines Assessed Mode Source Esslingen 101; 108 & 110 Bus [13] Frankfurt a.M. 2; 3; 4; 6; 7 & 8 Light Rail [14] Hamburg 1; 2 & 4 Subway [15] Ludwigsburg 421; 427 & 430 Bus [13] Stuttgart 4; 5; 7; 9 & 14 Light Rail [13] Wiesbaden 4; 5; 17; 22 & 48 Bus [16] Table 1. Assessed networks, lines, modes and sources Source: by author Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 87 Wissenschaft TECHNOLOGIE cal sections (e.g. bottlenecks) and adequately arrange (intermodal) transferences and replacement services. What’s more, the OR functions would convey special relevance during the occurrence of unexpected events (e.g. sudden disruptions in the network or in other transport systems). Under disrupted situations upholding the system’s serviceability and reliability implies balancing the residual capacity among different lines and modes in key locations of the network. Thus, a rapid capacity limitation assessment permits decision makers to envision measures that uphold the welfare of both the original and disrupted users. By relying on the same methodological structure, the OR functions can be expanded to include other public transport modes (e.g. commuter railway services). Moreover, a special inquiry can be made to elucidate the average OR during the 20 min peak and where the quality standards permit a maximum occupancy of 80%. All in all, it is not only through system qualities (e.g. enhanced robustness or redundancy), that the resilience of a public transport network is advanced, but it is also necessary to possess the adequate mechanisms for prompt access to key information (e.g. residual capacity). ■ REFERENCES [1] Newman P., Kosonen, L., Kenworthy J. (2016). 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Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Bahnsysteme und Bahntechnik, Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften, Technische Universität Darmstadt eisenbahn@verkehr.tu-darmstadt.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 88 FORUM Veranstaltungen New Mobility World 2018 Vorschau: Innovationsplattform im Rahmen der IAA Nutzfahrzeuge, 20.-27.09.2018, Hannover (DE) D ie New Mobility World 2018 vernetzt im Rahmen der IAA Nutzfahrzeuge vom 20. bis 27. September branchenübergreifend Pioniere, Entscheider und Gestalter aus der Logistik- und Mobilitätswelt. Als jüngstes Event zu Transport, Mobilität und Logistik von morgen ist die New Mobility World die ideale Plattform für neue, innovative Konzepte. Die branchenoffene, interdisziplinäre B2B-Veranstaltung bringt gezielt Macher und Entscheider aller Branchen zusammen. Kernthemen sind Automatisierung, Vernetzung, nachhaltige Antriebe, neue Mobilitäts- und Transportlösungen und - mit einem besonderen Fokus - Smart City. Die NMW knüpft mit diesem Format im Logistik- und Transportbereich an den großen Erfolg auf der IAA PKW 2017 mit über 250 beteiligten Unternehmen und Organisationen an. Im Fokus der diesjährigen NMW stehen die fünf Kernthemen vernetzte Fahrzeuge, autonomes Fahren, alternative Antriebe, urbane Logistik sowie Transportdienste. Zu den Zukunftstrends zählen unter anderem eine vernetzte Infrastruktur, Flottenmanagement, Künstliche Intelligenz, Platooning, Drohnen, innovative Lösungen für Logistik sowie die letzte Meile, Batterietechnologien, alternative oder synthetische Brennstoffe, der öffentliche Nahverkehr und Mobilitätswie Transport-Plattformen. Vor Ort lernen Teilnehmer Trends, neue Lösungen oder Produkte und Unternehmen kennen. Zudem erfahren Fachbesucher, wie die Digitalisierung das eigene Unternehmen beeinflusst. Entscheider und Gestalter berichten auf der Bühne aus erster Hand über die Herausforderungen für die Bereiche Mobilität, Transport und Logistik. Mehr darüber auf Seite 9 sowie auf der Website der New Mobility World: https: / / newmobility.world/ de Command Control Vorschau: The Leading Summit for Cyber Security, 20.-22.09.2018, ICM - Internationales Congress Center München (DE) M it dem neuen Cybersecurity-Summit Command Control hat die Messe München ein neues Veranstaltungsformat speziell für CEOs und Geschäftsführer, CISOs, CIOs, CROs sowie alle weiteren Entscheider, die an der Digitalisierung eines Unternehmens beteiligt sind, entwickelt. Besucher der Veranstaltung erfahren, wie sie die digitale Transformation ihres Unternehmens sicher managen und Cybersecurity sogar als Wachstumshebel für ihr Unternehmen nutzen können. Im Vordergrund der Command Control stehen individuell zugeschnittene Fortbildungs- und Netzwerkangebote zu verschiedenen Aspekten von Cybersecurity. Die Teilnehmer erwarten dabei unter anderem Key Notes, Workshops und Panel-Diskussionen mit führenden Köpfen aus dem Cybersecurity-Umfeld. Zu den Sprechern gehören unter anderem der Mitgründer und CEO von Kaspersky Lab, Eugene Kaspersky, Natalia Oropeza (Chief Cybersecurity Officer von Siemens), die Berichterstatterin des EU-Parlaments zum europäischen Rechtsakt zu Cybersecurity Prof. Angelika Niebler (MdEP), der Awareness-Spezialist Lance Spitzner vom SANS Institute oder der ehemalige CIO des US-Verteidigungsministeriums, Terry Halvorsen. Die erste Command Control findet vom 20. bis 22. September im ICM - Internationales Congress Center München statt. https: / / cmdctrl.com PMRExpo 2018 Vorschau: Europäische Leitmesse für sichere Kommunikation, 27.-29.11.2018, Köln (DE) D ie 18. PMRExpo findet vom 27. bis zum 29. November 2018 erneut in der Koelnmesse statt. Die internationale Fachmesse hat sich in den letzten Jahren zur europäischen Leitmesse für Professionellen Mobilfunk und Leitstellen weiter entwickelt und einen Wachstumssprung hingelegt. Über 4300 Besucher aus der ganzen Welt und über 225 nationale und internationale Aussteller werden auf der PMRExpo 2018 erwartet. Die international ausgerichtete Fachausstellung wird von einem umfangreichen Vortragsprogramm mit fachbezogenen Schwerpunkten ergänzt. Das vormals in die Einzelformate „PMR.Konferenz“ und „Leitstellenkongress“ unterteilte Vortragsprogramm wird dieses Jahr erstmals unter dem Titel „Summit Sichere Kommunikation“ zu einem dreitägigen Vortragsprogramm mit einem Fokus auf Leitstellen am dritten Tag zusammengefasst. Hinzu gesellen sich die Fachtagung „Sichere Kommunikation für die Energiewirtschaft“ und die täglich wechselnden Fachforen: Internationales BOS-Forum, Objektfunkforum, Career-Forum, Fachhandelsforum und Energiewirtschaftsforum. Mit der Benennung des Konferenzteils der PMRExpo als „Summit Sichere Kommunikation“ wird der entscheidenden Bedeutung des Sicherheitsaspektes Rechnung getragen. Er zieht sich wie ein roter Faden durch das Vortragsprogramm. Dabei werden übergreifende, branchenunabhängige Themen ebenso präsentiert wie beispielhafte Herausforderungen und Lösungen aus Unternehmen, die von allseitigem Interesse sind. www.pmrexpo.de Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 89 Erscheint im 70. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 55 vom 01.01.2018 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr plus International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 193,00 (zzgl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 215,00 Einzelheft: EUR 37,00 (inkl. MWSt.) + Versand Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print oder E-Paper mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH, München Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Level crossing Foto: Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Mobilität und Logistik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Geschäftsführer, traffiQ, Frankfurt am Main (DE) Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender der Logistik- Initiative Hamburg (LIHH), Mitglied des Aufsichtsrats der Otto Group Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Detlef Zukunft Dr., Programmdirektion Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 90 Liebe Leserinnen und Leser, wie jedes Jahr im Herbst werden Sie einige Wochen lang eine Menge interessanter Veranstaltungen besuchen können: Das beginnt mit InnoTrans in Berlin und IAA Nutzfahrzeugee in Hannover, die mit der New Mobility World ausdrücklich auch das Transportwesen von morgen in den Fokus nimmt. Dazu kommen neue und für die Branche zunehmend wichtige Veranstaltungen wie die Command Control in München oder die Kölner Leitstellenmesse PMRExpo - um nur einige zu nennen. Internationales Verkehrswesen greift diese Vielfalt auf, und auch die nächste Ausgabe im November wird sich weiter mit den Herausforderungen, Chancen und Risiken neuer Entwicklungen beschäftigen. Unter dem Thema Neue Mobilitätsstrukturen beschäftigen wir uns mit Aspekten wie Mobility as a Service. Unsere Autoren ergründen, welche ökonomischen und ökologischen Probleme die Sharing-Kultur wirklich lösen kann, wo es sinnvoll ist, Verkehrsinfrastruktur völlig neu zu denken und wie sich bei all dem unser Mobilitätsverhalten verändern wird. Internationales Verkehrswesen 4/ 2018 kommt am 22. November - und Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Expertise zu diesem Themenkreis mit unseren Lesern zu teilen. Alle notwendigen Infos, die Hinweise und das Autorenformular zur Einreichung finden Sie wie immer auf www.internationales -verkehrswesen.de/ autoren-service. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 18.-21.09.2018 Berlin (DE) InnoTrans 2018 Internationale Leitmesse für Verkehrstechnik Veranstalter: Messe Berlin www.innotrans.de 20.-27.09.2018 Hannover (DE) 67. IAA Nutzfahrzeuge | New Mobility World Internationale Nutzfahrzeugmesse mit New Mobility World Logistics Veranstalter: Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA) www.iaa.de 20.-22.09.2018 München (DE) Command Control Interdisziplinäre Dialogplattform zu Cybersicherheit Veranstalter: Messe München GmbH www.cmdctrl.com 24.-25.09.2018 Warszawa (PL) 16th European Transport Congress (ETC) 14th International Scientific Conference Euro-Trans 2018 Mobility and the European Transport Space Veranstalter: Warsaw School of Economics | European Platform of Transport Sciences (EPTS) Kontakt: Department of Transport, SGH Warsaw School of Economics, katran@sgh.waw.pl http: / / kolegia.sgh.waw.pl/ en/ KZiF/ structure/ KTr/ conferences/ Pages 08.-10.10.2018 Stuttgart (DE) elect! Exhibition & Conference Electrified Mobility Veranstalter: Messe Stuttgart (Ausstellung) und ATZlive (Kongress) www.elect-expo.com 17.-19.10.2018 Berlin (DE) 35. Deutscher Logistik-Kongress Digitales trifft Reales Veranstalter: Bundesvereinigung Logistik (BVL) e.V., Bremen Kontakt: veys@bvl.de www.bvl.de 06.-07.11.2018 Hamburg (DE) 8 th Aviation Forum Strategische Entwicklung der Luft-und Raumfahrt-Wertschöpfungskette Veranstalter: IPM GmbH, Hannover Kontakt: +49 (0) 511 473 147 90 www.aviationforumhamburg.com 06.-08.11.2018 Rotterdam (NL) Intermodal Europe The Global Container and Transport Event Veranstalter: informa exhibitions - IIR Exhibitions Ltd., London Kontakt: info@informaexhibitions.com www.intermodal-events.com 06.-08.11.2018 Rotterdam (NL) Transport & Logistics 2018 The future of multimodal transport & logistic services Veranstalter: easyFairs Netherlands BV Kontakt: Bianca van Grinsven, bianca.vangrinsven@easyfairs.com, www.easyfairs.com/ transport-logistics-2018/ transport-logistics-2018 20.-22.11.2018 Frankfurt am Main (DE) hypermotion Frankfurt 2018 Neue Plattform für intelligente Transportsysteme der Zukunft Veranstalter: Messe Frankfurt Exhibition GmbH, Frankfurt am Main Kontakt: katharina.weiss@messefrankfurt.com https: / / hypermotion-frankfurt.messefrankfurt.com 27.-29.11.2018 Köln (DE) PMRExpo Europäische Leitmesse für sichere Kommunikation Veranstalter: EW Medien und Kongresse GmbH Kontakt: pmrexpo@ew-online.de www.pmrexpo.de TERMINE + VERANSTALTUNGEN 18.09.2018 bis 19.11.2018 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten: Herr Frau Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden) Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen. Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de/ agb_trialogpublishers.pdf heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo als gedruckte Ausgabe als ePaper Jahresbezugspreis Inland EUR 213,35 inkl. MwSt. und Versand Jahresbezugspreis Ausland EUR 215,- (mit VAT-Nr.) / EUR 237,73 (ohne VAT-Nr.), inkl. Versand WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www.trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, z.Hd. Eberhard Buhl, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. Abo-Bestellung bitte senden an: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft z.Hd. Eberhard Buhl Leserservice Internationales Verkehrswesen Schliffkopfstraße 22 72270 Baiersbronn-Buhlbach Fax: +49 (0)7449 91386 37 E-Mail: service@trialog.de Ja, ich will Internationales Verkehrswesen regelmäßig lesen! StudiAbo (Aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung) Jahresbezugspreis Inland EUR 85,34 (inkl. MwSt. und Versand). Jahresbezugspreis Ausland EUR 95,09 (inkl. MwSt. und Versand). Das Jahres-Abonnement umfasst Print-Ausgabe oder ePaper plus Archivzugang (ab 1/ 1949). Vertriebsanzeige IV.indd 1 29.08.2018 16: 43: 59 2018 | Heft 3 September
