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Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
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2018 | Heft 4 November Wie neue Dienstleistungen den Markt umkrempeln Mobilität neu denken - Strategien verändern www.internationalesverkehrswesen.de Heft 4 | November 2018 70. Jahrgang POLITIK ÖV und Stadtverkehr: Aktivitäten bündeln INFRASTRUKTUR Wie sicher sind Bahnübergänge wirklich? LOGISTIK Emissionen vergleichen, Fakten bewerten MOBILITÄT Airport-Prozesse und Sharing-Modelle im Blick TECHNOLOGIE Maritime Transportketten zuverlässiger machen DAS FACHMAGAZIN FÜR DIE JACKENTASCHE Lesen Sie Internationales Verkehrswesen und International Transportation lieber auf dem Bildschirm? Dann stellen Sie doch Ihr laufendes Abo einfach von der gedruckten Ausgabe auf ePaper um - eine E-Mail an service@trialog.de genügt. Oder Sie bestellen Ihr neues Abonnement gleich als E-Abo. 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Die Vielfalt ist enorm, wenngleich sie sich (vorläufig) im Wesentlichen auf die großen Städte beschränkt: Carsharing - stationsbasiert oder flexibel, Leihfahrräder - konventionell oder elektrisch, stationsbasiert oder flexibel, für Personen oder für Lasten, dazu Leih-Scooter, Limousinenservices, und - im internationalen Umfeld - (Mit-)Fahrdienste wie Uber, LyFT oder Didi. Zur gleichen Zeit sind ÖPNV-Betreiber dabei, den Zugang zu ihrem klassischen Mobilitätsangebot durch digitale Informationen und Bezahlfunktionen zu verbessern, den bestehenden Betrieb um neue, flexibel nutzbare Dienstleistungen zu ergänzen und neuerdings auch, mit dem Einstieg in die Elektromobilität der großen Fahrzeuge auf der Straße zu beginnen. Diese Veränderungen, die sowohl von privatwirtschaftlichen als auch von öffentlichen Unternehmen getrieben werden, gehen Hand in Hand mit Initiativen seitens der Städte, die mit dem Ausbau bestehender und dem Aufbau neuartiger intermodaler Infrastrukturen versuchen, nachhaltige Mobilität noch attraktiver zu machen. So entstehen derzeit in mittleren und großen Städten Deutschlands sogenannte Mobilitätshubs, die eine unkomplizierte Kombination unterschiedlicher Verkehrsmittel - (Elektro-)Fahrräder und (Elektro-)Autos im Sharing-Modus sowie öffentliche Verkehrsmittel - anbieten. Obwohl das Angebot gerade in den großen Städten immer reichhaltiger wird, halten die Probleme an: Staus zu den Spitzenzeiten, zu viele Fahrzeuge im öffentlichen Raum, mangelnde Attraktivität des öffentlichen Verkehrs außerhalb der städtischen Kernbereiche wie im ländlichen Raum. Offensichtlich wirkt das 24/ 7-Mobilitätsversprechen des Autos nach wie vor. Gleichzeitig wachsen die Städte und ihr Umland, und damit teilen sich mehr Einwohner den nicht vermehrbaren Straßenraum. Vor diesem Hintergrund wird sich nachhaltige Mobilität ohne den weiteren massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs kaum realisieren lassen. Die Herausforderung besteht dabei nicht in der Erhöhung der durchschnittlichen Auslastung, sondern in der Kapazitätserweiterung in den Spitzenzeiten. Dies würde gerade auch dann gelten, wenn der öffentliche Verkehr kostenfrei für die Nutzer würde. Im Rahmen der Diskussion um den kostenlosen ÖPNV konnte die DLR-Verkehrsforschung zeigen, dass die moderate Reduzierung von ca. zehn Prozent der PKW-Fahrzeugkilometer zu einem Anstieg der Anzahl an Fahrten des öffentlichen Verkehrs um rund 60- Prozent führen würde, in den Spitzenstunden sogar zur Verdoppelung der Nachfrage. Die neuen Mobilitätsoptionen sind derzeit nur ein Tropfen auf den heißen Stein im urbanen Verkehrsgeschehen. Allerdings ist die Ausschöpfung ihres Potenzials wichtig für die Zukunft der Mobilität, was ohne den entsprechenden politisch-gesellschaftlichen Willen nicht machbar sein wird. Dabei wird es auch wichtig sein, bislang zu wenig beachtete Nutzergruppen zu adressieren, wie beispielsweise Seniorinnen und Senioren oder auch Eltern, Väter, Mütter, die mit Kindern unterwegs sind. Darüber hinaus wird ein wichtiger nächster Schritt darin bestehen müssen, neue integrierte Konzepte für weniger dicht besiedeltes Stadtgebiet und für den ländlichen Raum zu entwickeln, zu testen und zu implementieren. Auch die vorliegende Ausgabe von Internationales Verkehrswesen ist geprägt von diesem weit gespannten Themenkreis - mit Beiträgen, die einen Ausgangspunkt für weiterreichende Fragestellungen von Wissenschaft und Praxis in einem dynamischen Feld bieten können. Hierzu wünsche ich den Leserinnen und Leser eine anregende Lektüre Ihre Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 4 POLITIK 12 Mobility inside - Mobilitätsplattform für Deutschland Verkehrsunternehmen bündeln ihre Aktivitäten rund um die digitale Auskunft und den Vertrieb Knut Ringat Jörg Puzicha Oliver Wolff 15 Brennpunkt Stadtverkehr: Kommunen nicht alleine lassen Standpunkt Florian Eck 16 Seattle macht das Spiel Das „New Mobility Playbook“ als Strategiepapier urbaner Verkehrspolitik Andreas Kossak INFRASTRUKTUR 20 Radschnellwege - Radverkehr auf neuer Infrastruktur Stephan Kritzinger Michael Beutel Sophie Scherer Felix Rhein 24 Zur Erhöhung der Sicherheit an Bahnübergängen Gestaltungsmerkmale, Unfallgeschehen, Fehlverhalten und Maßnahmen Jean Emmanuel Bakaba Jörg Ortlepp 28 Einsatzkritische Kommunikation Mit kommerziellen Mobilfunknetzen möglich? Bernhard Klinger LOGISTIK Foto: pixabay.de SEITE 24 Foto: pixabay.de SEITE 34 Foto: pixabay.de SEITE 12 Aktuelle Themen, Termine und das umfangreiche Archiv finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de 30 Smart City Logistics - Ein Besuch in Schanghai Christopher W. Stoller Wanggen Wan 34 Logistik 4.0 Thomas Wießflecker Thomas Mailänder WISSENSCHAFT 36 Bewertungsansätze zur Berechnung von Emissionen in-der Logistik Entwicklung einer Konzeptmatrix zum parametergebundenen Vergleich der Bewertungsansätze Felix Friedrich Eifert Wolf-Christian Hildebrand Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 5 INHALT November 2018 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 11 Kurz + Kritisch 76 Forum Veranstaltungen 77 Impressum | Gremien 78 Vorschau | Termine AUSGABE 1 | 2019 Transport-Innovation - Straße, Schiene, Kombinierter Verkehr - Personen und Waren - Automatisierung - Digitale Lösungen erscheint am 19. Februar 2019 68 Renaissance der Transrapid- Technologie in China? Weiterentwicklungen in Changsha und Peking im Praxistest Armin F. Schwolgin WISSENSCHAFT 71 Künstliche Intelligenz in Logistiknetzwerken Verbesserung der Zuverlässigkeit maritimer Transportketten durch akteursübergreifende ETA-Prognosen Manuel Weinke Peter Poschmann Frank Straube Foto: pixabay.de SEITE 50 Foto: Schwolgin SEITE 68 40 Mobilitätsmonitor Nr. 7 - November 2018 Lena Damrau Andreas Knie Lisa Ruhrort Christian Scherf 44 Die Airside-Mobilität eines Hub-Flughafens Innovationspotential am Vorfeld für nachhaltige Mobilität Andreas Romstorfer Heinz Dörr 50 Entlastungswirkungen von-Carsharing-Varianten Vergleichende Befragung von-Kunden unterschiedlicher Carsharing-Angebote Willi Loose Gunnar Nehrke WISSENSCHAFT 54 P2P-Carsharing Motive, Ängste und Barrieren bei-der Teilnahme - eine explorative Studie Christina Pakusch Thomas Neifer Paul Bossauer Gunnar Stevens 60 Proaktive Disposition luftverkehrlicher Prozesse Analyse der Zeitbudgets von Fluggästen am Flughafen Stuttgart zur Weiterentwicklung eines Dispositionsmodells Markus Tideman Ullrich Martin MOBILITÄT 64 Mehr Mobilität in ländlichen Regionen Ganzheitliche Mobilitäts- und Nahversorgungskonzepte zur Stärkung des regionalen ÖPNV Stephanie Lelanz Vanessa Knobloch Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 6 IM FOKUS Bundesverkehrswegeplan 2030: 29 zusätzliche Schienenprojekte A nfang November hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer zusätzliche Schienenprojekte vorgestellt, die in den kommenden Jahren vordringlich geplant und umgesetzt werden sollen. Es sind Projekte, die im Bundesverkehrswegeplan 2030 bislang in die Kategorie „Potenzieller Bedarf“ eingestuft waren. Insgesamt 44 dieser Projekte wurden in den vergangenen Monaten gutachterlich unter die Lupe genommen und auf ihre Wirtschaftlichkeit untersucht - auch vor dem Hintergrund des kommenden Deutschlandtakts: Dieser optimierte Fahrplan soll helfen, Fahrgäste öfter als heute pünktlich und schnell ans Ziel zu bringen. Zu dessen Umsetzung braucht Deutschland ein leistungsfähigeres Schienennetz für den Personen- und den Güterverkehr. Die Bewertungen ergaben 29 Schienenprojekte, die nun in den „Vordringlichen Bedarf“, also die höchste Dringlichkeitsstufe des Bundesverkehrswegeplans, aufgerückt sind. Es handelt sich um 22 Neu- und Ausbauvorhaben, sechs Ausbauvorhaben von Eisenbahnknoten sowie Maßnahmen für den Einsatz 740 m langer Güterzüge. Die Projekte erhalten damit eine ganz konkrete Umsetzungsperspektive und können nun geplant werden. Enthalten sind kleinere Projekte, durch die Regionen von deutlich kürzeren Fahrtzeiten in der Folge großer Neubauprojekte profitieren sollen. Durch den Ausbau der sechs großer Eisenbahnknoten sollen Pendler in den Metropolregionen zusätzliche Anreize erhalten, auf die umweltfreundliche Bahn umzusteigen. Hintergrund-Infos und Hinweise zu den Projekten auf www.bvwp-projekte.de Hauptlinie Athen - Piräus automatisiert Bahnübergänge D er Hafen von Piräus mit einem der größten Passagierterminals in Europa und dem benachbarten Containerhafen ist durch eine acht Kilometer lange Bahnlinie mit der Hauptstadt Athen verbunden. Obwohl etliche der jährlich rund 20 Millionen Schiffstouristen sowie schwere Güterzüge die Strecke nutzen, wurden die Schranken der drei schienengleichen Bahnübergänge in der Vergangenheit noch manuell bedient. Die Bahnbetreiber Hellenic Railways und Train OSE hielten nun angesichts des hohen Verkehrsaufkommens auf dieser Strecke die Modernisierung der Infrastruktur für zwingend erforderlich. Sie beauftragten den badischen Hersteller von Sicherungssteuerungen, Hima Paul Hildebrandt, sowie das griechische Infrastrukturunternehmen Aktor mit der technischen Umsetzung. Zu den Herausforderungen des Projekts gehören die klimatischen Bedingungen im Süden Griechenlands, wo die durchschnittliche Höchsttemperatur 35°C beträgt und in Schaltschränken entlang der Gleise 60°C und mehr gemessen werden. Die neue Signallösung, standardisierte HIMatrix-Sicherheitssteuerungen mit erweitertem Temperaturbereich, entspricht dem Sicherheitslevel SIL4 gemäß Cenelec und ist direkt an den Gleisen installiert. Sie liefert umfassende Informationen zum Status der Schranken in Echtzeit auf einem Monitor und ermöglicht bei höherer Sicherheit eine engere Zugtaktung und damit eine gesteigerte Fahrgastkapazität. Die Lösung eignet sich auch als Basis für künftige Projekte in Griechenland, denn die offene Architektur der Hima-Steuerungen gewährleistet ein hohes Maß an Flexibilität für die Programmierer bei Aktor, die selbst entwickelte Funktionsblöcke einsetzen und kontinuierlich weiterentwickeln. www.hima.com | www.aktor.gr Foto: pixabay Foto: Ergose/ Hima Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 7 IM FOKUS BBSR-Studie untersucht ÖPNV-Angebot in den Regionen O b der Öffentliche Verkehr als Alternative zum Auto infrage kommt, hängt generell von der Verfügbarkeit und der Qualität des Angebots ab. Eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigt, dass in Deutschland über 74 Mio. Menschen eine Haltestelle des Öffentlichen Verkehrs in einer Entfernung von 600 m Luftlinie zu ihrer Wohnung finden - das sind 92 % der Bevölkerung. Allerdings verzeichnen nur 130 000 von 217 000 Haltestellen werktags mindestens 20 Abfahrten: Eine solche Haltestelle liegt für rund 70- Mio. Menschen (88 % der Bevölkerung) maximal 600 m (Bus) bzw. 1200 m Luftlinie (Bahn) von der Wohnung entfernt. Auf dem Land sinkt dieser Anteil schnell: In den dünn besiedelten ländlichen Kreisen verfügen nur knapp 60 % der Bevölkerung über ein ausreichendes Angebot des Öffentlichen Verkehrs. Ein wichtiges Qualitätskriterium ist die Fahrzeit ins nächste Zentrum mit wichtigen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Facharztpraxen, weiterführenden Schulen und Verwaltungen. Rund 77 Mio. Menschen und damit 95% der Bevölkerung erreichen das nächstgelegene Zentrum innerhalb von 45 Minuten mit Bussen und Bahnen. Nur in einigen dünn besiedelten Räumen - etwa in Teilen von Sachsen-Anhalt, Mecklenburg- Vorpommern oder Schleswig-Holstein - sind Fahrgäste zwischen einer und anderthalb Stunden unterwegs. Das betrifft knapp eine Million Menschen. Die Studie „Angebotsqualitäten und Erreichbarkeiten im öffentlichen Verkehr“ ist kostenfrei beim BBSR erhältlich und kann unter www.bbsr.bund.de heruntergeladen werden. Mit Informationstechnologie zum Binnenhafen der Zukunft D as Forschungsprojekt „Binntelligent - Intelligente Informationssysteme für Prozessoptimierung und -automatisierung im Binnenhafen“ soll durch den Einsatz intelligenter Informationstechnologien den Grundstein für unternehmensübergreifende Kommunikation zwischen dem Binnenhafen der Zukunft und den angegliederten Transportakteuren legen. Es wird im Rahmen des Programms „Ihatec - Innovative Hafentechnologien“ vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert. Am 30. Oktober erfolgte im Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) der offizielle Startschuss für „Binntelligent“. Im nationalen und internationalen Güterverkehr stellen die deutschen Binnenhäfen ein wichtiges Bindeglied zwischen der Binnenschifffahrt und anderen Verkehrsträgern dar. Dennoch ist Informationsfluss zwischen den Beteiligten oft unterbrochen. Ein unternehmensübergreifendes Informationssystem soll wasser- und landseitige Prozesse optimieren und durch die IT-gestützte Kommunikation zwischen der Binnenschifffahrt, den Seehäfen, den Binnenhäfen und den verbindenden Verkehrsträgern die Voraussetzungen für künftige synchromodale Transportkonzepte schaffen. Die im Projekt erarbeiteten Konzepte und Lösungen werden beispielhaft für die Fahrtgebiete Weser und Mittellandkanal gemeinsam mit der Binnenschifffahrt und den Häfen Hannover, Braunschweig, Bremen und Bremerhaven implementiert und evaluiert. Neben dem ISL sind unter anderem das Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH (BIBA), die dbh Logistics IT AG, die Hafen Hannover GmbH, die Hafenbetriebsgesellschaft Braunschweig mbH, die Rhein-Umschlag GmbH & Co. KG am Projekt „Binntelligent“ beteiligt. www.isl.org Mittellandkanal bei Salzgitter, Hafen Beddingen Keihuli/ Wikimedia Die Donau als Transportweg für Biomasse E rneuerbare Energien gehören zu wichtigsten Bausteinen der Energiewende. Das grenzüberschreitende EU-Projekt „Energy Barge (Interreg Donauraum)“, zu denen der Technologie Campus Freyung und 14 Partner aus sieben europäischen Ländern gehören, nimmt die stärkere Nutzung der Donau als Transportweg für Biomasse zur Erzeugung von Bioenergie im Fokus. Häfen entlang der Donau sollen darüber hinaus als Standorte für Bioenergieerzeugung optimiert werden. Zu den wichtigsten Produkten der Biomasse zählen unter anderem Holz, Pellets, Öle oder Getreide, die speziell für den Energiesektor produziert werden. Die Donau verbindet zehn Länder, in denen Produzenten und Nutzer von Biomasse angesiedelt sind. Damit nun Roh- und Reststoffe, aber auch Zwischen- und Endprodukte für den Bioenergiemarkt kosten- und energieeffizient aus einem Land in ein anderes gelangen, könnte die Donau künftig stärker als Transportweg genutzt werden. Dies soll im Rahmen des Projekts dadurch erreicht werden, dass sich Produzenten und Nutzer von Biomasse sowie die entsprechenden Donauhäfen besser kennen und vernetzen können. Bisher gab es keine zentrale Informationsstelle zum Transport von Biomasse auf der Donau. Nun haben die Projektmitarbeiter vom Technologie Campus Freyung eine Internet-Plattform entwickelt, die alle relevanten Informationen zum Thema Biomassetransport und Logistik präsentiert. Firmen, Häfen und andere Akteure können sich dort kostenlos registrieren. www.energy-barge.eu Foto: viadonau/ Johannes Zinner Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 8 IM FOKUS Erste LNG-Fahrzeuge im Duisport im Einsatz I m Duisburger Hafen sind jetzt die ersten, auf die Nutzung mit dem umweltfreundlichen verflüssigten Erdgas LNG umgerüsteten Fahrzeuge im Einsatz. Dabei handelt- es sich um einen sogenannten Reachstaker und eine Terminalzugmaschine auf logport-III in Duisburg-Hohenbudberg. Betankt werden die Fahrzeuge mit einer mobilen LNG-Tankanlage. Die Umrüstung der Fahrzeuge ist Teil eines gemeinsamen Forschungsprojektes von Duisport, RWE Supply & Trading und der Universität Duisburg-Essen, das die verstärkte Verwendung von LNG als Ersatz für Dieselkraftstoff im Duisburger Hafen im Fokus hat. Duisports Vorstandsvorsitzender Erich Staake will den Ausbau der LNG-Infrastruktur im Duisburger Hafen konsequent vorantreiben und so einen wichtigen umweltpolitischen Beitrag leisten. Aufgrund seines wegweisenden innovativen Potentials wird das LNG-Infrastrukturprojekt vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung mit 740 000 EUR gefördert. www.duisport.de Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Hohe Akzeptanz für Seilbahnen in Münchens Innenstadt M etropolen wie Ankara, La Paz oder Portland nutzen Seilbahnen bereits als Verkehrsmittel - leise, umweltfreundlich und billiger als die U-Bahn. In München steht dies auch zur Diskussion. Verkehrstechnik-Experte Prof. Klaus Bogenberger von der Universität der Bundeswehr München untersuchte daher mit seinem Team die Akzeptanz von urbanen Seilbahnen bei den Einwohnern im Großraum München. Mehr als 700 Personen zwischen neun und 86 Jahren nahmen an der Umfrage teil, von denen 70 % angaben haben, in München zu wohnen oder zu arbeiten. Eine große Mehrheit von 87 % der Befragten würde urbane Seilbahnen nutzen. Allerdings gaben 7,3 % der Befragten an, den öffentlichen Nahverkehr zu meiden. Weitere 5,7 % waren im Allgemeinen nicht bereit, eine urbane Seilbahn zu nutzen, und nannten als Hauptgründe die Zerstörung des Stadtbilds sowie-Ängste wie Höhenangst und Klaustrophobie. Den positiv eingestellten Teilnehmern wurden verschiedene Szenarien unterbreitet, in denen sie sich zwischen Routenvorschlägen mit und ohne Seilbahn entscheiden müssten. Die Szenarien unterschieden sich neben den Transportmodi auch in Fahrtzeit und in Anzahl der Umstiege. Im direkten Vergleich zwischen einer Strecke mit dem Bus oder mit einer Seilbahn gaben 85 % der Teilnehmer an, dass sie bei gleicher Reisezeit eine Seilbahnfahrt einer Busfahrt vorziehen würden. Selbst wenn der Bus bis zu sechs Minuten schneller ist als die Seilbahn, würden die Teilnehmer mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % die Seilbahn bevorzugen. Wird durch die Seilbahnfahrt ein Umstieg vermieden, würden bei gleicher Reisezeit 90,8 % der positiv Gestimmten die Seilbahn bevorzugen. Bei einer Zeitdifferenz bis knapp acht Minuten ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fahrgast die Seilbahn nutzt, gleich der Wahrscheinlichkeit, dass er eine Alternativroute mit U-Bahn-Umstiegen wählt. www.unibw.de Der Reachstaker wird mit LNG betankt. Foto: duisport Seilbahn „Gärten der Welt“ in Berlin. Foto: Leitner ropeways Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 8 IM FOKUS Erste LNG-Fahrzeuge im Duisport im Einsatz I m Duisburger Hafen sind jetzt die ersten, auf die Nutzung mit dem umweltfreundlichen verflüssigten Erdgas LNG umgerüsteten Fahrzeuge im Einsatz. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Reachstaker und eine Terminalzugmaschine auf logport III in Duisburg-Hohenbudberg. Betankt werden die Fahrzeuge mit einer mobilen LNG-Tankanlage. Die Umrüstung der Fahrzeuge ist Teil eines gemeinsamen Forschungsprojektes von Duisport, RWE Supply & Trading und der Universität Duisburg-Essen, das die verstärkte Verwendung von LNG als Ersatz für Dieselkraftstoff im Duisburger Hafen im Fokus hat. Duisports Vorstandsvorsitzender Erich Staake will den Ausbau der LNG-Infrastruktur im Duisburger Hafen konsequent vorantreiben und so einen wichtigen umweltpolitischen Beitrag leisten. Aufgrund seines wegweisenden innovativen Potentials wird das LNG-Infrastrukturprojekt vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung mit 740 000 EUR gefördert. www.duisport.de Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Hohe Akzeptanz für Seilbahnen in Münchens Innenstadt M etropolen wie Ankara, La Paz oder Portland nutzen Seilbahnen bereits als Verkehrsmittel - leise, umweltfreundlich und billiger als die U-Bahn. In München steht dies auch zur Diskussion. Verkehrstechnik-Experte Prof. Klaus Bogenberger von der Universität der Bundeswehr München untersuchte daher mit seinem Team die Akzeptanz von urbanen Seilbahnen bei den Einwohnern im Großraum München. Mehr als 700 Personen zwischen neun und 86 Jahren nahmen an der Umfrage teil, von denen 70 % angaben haben, in München zu wohnen oder zu arbeiten. Eine große Mehrheit von 87 % der Befragten würde urbane Seilbahnen nutzen. Allerdings gaben 7,3 % der Befragten an, den öffentlichen Nahverkehr zu meiden. Weitere 5,7 % waren im Allgemeinen nicht bereit, eine urbane Seilbahn zu nutzen, und nannten als Hauptgründe die Zerstörung des Stadtbilds sowie Ängste wie Höhenangst und Klaustrophobie. Den positiv eingestellten Teilnehmern wurden verschiedene Szenarien unterbreitet, in denen sie sich zwischen Routenvorschlägen mit und ohne Seilbahn entscheiden müssten. Die Szenarien unterschieden sich neben den Transportmodi auch in Fahrtzeit und in Anzahl der Umstiege. Im direkten Vergleich zwischen einer Strecke mit dem Bus oder mit einer Seilbahn gaben 85 % der Teilnehmer an, dass sie bei gleicher Reisezeit eine Seilbahnfahrt einer Busfahrt vorziehen würden. Selbst wenn der Bus bis zu sechs Minuten schneller ist als die Seilbahn, würden die Teilnehmer mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % die Seilbahn bevorzugen. Wird durch die Seilbahnfahrt ein Umstieg vermieden, würden bei gleicher Reisezeit 90,8 % der positiv Gestimmten die Seilbahn bevorzugen. Bei einer Zeitdifferenz bis knapp acht Minuten ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fahrgast die Seilbahn nutzt, gleich der Wahrscheinlichkeit, dass er eine Alternativroute mit U-Bahn-Umstiegen wählt. www.unibw.de Der Reachstaker wird mit LNG betankt. Foto: duisport Seilbahn „Gärten der Welt“ in Berlin. Foto: Leitner ropeways IM FOKUS Können Sie sich eine Stadt vorstellen, in der Reisende ihren Weg nahtlos multimodal zurücklegen, vom Fahrrad über Carsharing-Angebote zur Bahn wechseln und das letzte Stück zu Fuß gehen? Hier kommen wir ins Spiel. Wir haben uns auf Lösungen spezialisiert, die Ihnen dabei helfen, Ihr Verkehrsnetz zu optimieren. Das PTV MaaS Accelerator Program ermöglicht es Ihnen ein ausgereiftes Ökosystem zu gestalten, das neue Mobilitätsformen mit Öffentlichen Personennahverkehrsangeboten verknüpft. Während wir mit unseren Technologien den Weg für Smart Cities ebnen, steht und fällt die Zukunft mit Ihnen. Informieren Sie sich auf www.ptvgroup.com/ de/ mobilitynext/ über die Mobilität von morgen Nutzen Sie das Potenzial neuer Mobilitätsformen! Empfehlungen für klimafreundlichen Straßengüterverkehr W ie der steigende Straßengüterverkehr in Zukunft seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, ist Gegenstand eines gemeinsamen Thesenpapiers von Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Öko-Institut und ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung, das Handlungsempfehlungen für Deutschland gibt. Damit der Güterverkehr einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, müsse ein Umstieg auf alternative Antriebe und Kraftstoffe erfolgen, so die Empfehlung. Denn auch wenn Verlagerungspotenziale auf die Schiene umfassend erschlossen würden, bliebe der Handlungsdruck bei LKW hoch. Besonders aussichtsreich seien dabei elektrische LKW, die vor allem im Nah- und Regionalverkehr aus Batteriespeichern bzw. Oberleitungen gespeist würden, konstatiert das Thesenpapier. Elektrische LKW reduzieren Treibhausgasemissionen, senken Kosten im laufenden Betrieb und können energiewirtschaftliche Vorteile aufweisen. Für das Energiesystem hätten insbesondere Oberleitungs-LKW Vorteile gegenüber anderen Technologien, da ihr Strombedarf niedriger sei als beim Einsatz synthetischer (strombasierter) Kraftstoffe und sich eher gleichmäßig über das Streckennetz verteile. Das Thema alternative Antriebe habe nicht zuletzt wegen der „heimischen Wertschöpfung“ und des Knowhows im Bereich Automotive große Potenziale, so das Fazit des Papiers. Damit der Umstieg auf diese alternativen Antriebe gelinge, sei ein rasches, entschiedenes und verlässliches staatliches Handeln erforderlich: ambitionierte Effizienzstandards für LKW, eine an den CO 2 -Emissionen orientierte Ausgestaltung von Steuern und Abgaben sowie der Aufbau der notwendigen Infrastruktur. Das Thesenpapier „Alternative Antriebe und Kraftstoffe im Straßengüterverkehr - Handlungsempfehlungen für Deutschland“ steht zum Download bereit auf www.isi.fraunhofer.de. Foto: Lichtkunst.73/ pixelio Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 10 IM FOKUS Kraftstoff aus Abwasser und erneuerbaren Energien D as Berliner Technologie-Unternehmen Graforce hat ein innovatives Verfahren vorgestellt: Plasmalyse erzeugt ressourcenschonend und mit hohem Wirkungsgrad Wasserstoff. Mit Biogas gemischt, entsteht auf diese Weise E-Gas als kostengünstiger, umweltfreundlicher Kraftstoff für LKW und PKW mit Gas-Verbrennungsmotoren. Mit außergewöhnlich niedrigen Wasserstoff-Herstellungskosten, der Verwendung unterschiedlicher Abwässer und deutlich reduzierten Emissionen soll die Plasmalyse- Technologie einen wesentlichen Beitrag für die Verkehrswende leisten. Graforce kooperiert dafür mit den Berliner Wasserbetrieben, die das zur Energiegewinnung nötige Abwasser zur Verfügung stellen. Weiterer Partner ist die Audi Industriegas GmbH. Audi setzt seit Jahren auf alternative, synthetische Kraftstoffe (E-Fuels, E-Gas, E- Diesel) und prüft jetzt die Abwassernutzung für die Methanproduktion bei E-Fuels. Das Plasmalyse-Verfahren kann umweltschädliche Emissionen vermeiden und innerhalb der Energiewirtschaft einen auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Kreislauf Wasser - Wasserstoff - Wasser realisieren. In der Demonstrationsanlage im Technologiepark Berlin-Adlershof stellt Graforce mit diesem selbst entwickelten Verfahren Wasserstoff her: Dabei wird Schmutzwasser, das beispielsweise bei Produktionsprozessen in Biogas-, Klär- oder Industrieanlagen anfällt, mit Hilfe von elektrischem Strom in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten (Elektrolyse-Verfahren). Wird der so gewonnene Wasserstoff mit Biogas gemischt, entsteht E- Gas, das als Kraftstoff in Erdgasfahrzeugen sowie als Brennstoff in Blockheiz- und Gaskraftwerken eingesetzt werden kann. www.graforce.de Autonomes Fahren: Großes Interesse, aber auch Skepsis I hre inzwischen sechste Studie zum Thema Mobilität haben die Forscher der DHBW Ravensburg nun vorgelegt. Der Fokus lag dieses Mal auf der Akzeptanz für das autonome Fahren. Befragt hat das Zentrum für empirische Kommunikationsforschung (ZEK) für die aktuelle Umfrage deutschlandweit 500 Personen. Die Menschen könnten sich langsam, aber nachhaltig mit autonomem Fahren anfreunden, zieht Studienleiter Prof. Dr. Udo Klaiber das Fazit aus der Studie: 38 % der Befragten halten es für „eher wichtig bis sehr wichtig“, dass Automobilhersteller sich mit autonomem Fahren beschäftigen. Hier hat die Elektromobilität mit 62 % klar die Nase vorn, bei Mobilitätsdienstleistungen wie Carsharing liegt der Wert bei 41 %. Als Vorteile sehen die Befragten mehr Mobilität für gehandicapte Fahrer, eine optimale Routenplanung, entspanntes Fahren und einen besseren Verkehrsfluss. Allerdings gaben 67 % der Befragten an, derzeit noch kein Vertrauen in die Technik zu haben. Manipulationen befürchten 63 % und 61 % haben das Gefühl, überwacht zu werden. Dass sich autonomes Fahren in Deutschland noch nicht durchgesetzt hat, erklären die Befragten mit ungeklärten rechtlichen und ethischen Fragen, fehlendem Angebot und Infrastruktur sowie mangelnder Akzeptanz der Verbraucher. Immerhin 26 % der Befragten schätzen, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre Autos in Deutschland vollkommen autonom fahren werden. www.dhbw.de Grafik: DHBW Bemannt und unbemannt im Verband fliegen D as Fliegen in einer Formation, beispielsweise bei Erkundungsflügen nach Naturkatastrophen, stellt für die Piloten beider Luftfahrzeuge immer eine besondere Herausforderung dar. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) arbeitet daher an Lösungen, die die Piloten entlasten und einen Formationsflug von bemannten und unbemannten Hubschraubern erleichtern. Das sogenannte „Fliegen im Verband“ wurde nun in realen Flugversuchen untersucht. Die Piloten des DLR erprobten das Assistenzsystem und drei verschiedene Flugmodi zunächst im Hubschraubersimulator des Simulatorzentrums AVES (Air Vehicle Simulator) und bewerteten es. Beim sogenannten Wegpunktmodus fliegt das UAS (Unmanned Aircraft System) einen Pfad anhand von vorgegebenen Wegpunkten exakt ab und der bemannte Hubschrauber folgt ihm. Bei der Relativen Navigation fliegt das UAS automatisch vorweg, passt aber sein Flugverhalten dem des bemannten Hubschraubers an und muss die Position selbstständig halten. Beim Korridormodus fliegt das UAS einen Flugpfad innerhalb eines Korridors ab und der bemannte Hubschrauber folgt in sicherem Abstand. Kommen sich in diesem Szenario bemannter und unbemannter Hubschrauber zu nahe, kann das UAS innerhalb des vorgegebenen Korridors frei ausweichen, bei Bedarf in den Modus der Relativen Navigation wechseln oder den Formationsflug automatisch beenden. Die realen Flugversuche fanden mit einem unbemannten super- ARTIS-Hubschrauber (Autonomous Rotorcraft Testbed for Intelligent Systems) und dem DLR-Forschungshubschrauber auf dem Flughafen Magdeburg-Cochstedt statt. Die Erprobung der Modi lief reibungslos, die Piloten zeigten sich zufrieden mit der Entlastung durch das Assistenzsystem. www.dlr.de/ ft Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 11 So war die Verkehrswende wohl nicht gemeint S chon seit über drei Jahrzehnten wird über einen drohenden Verkehrsinfarkt in Deutschland strittig diskutiert - vor allem mit Blick auf den (Fern-) Straßenverkehr. Aber bis vor gut zehn Jahren trat er nicht ein. Nunmehr aber schlagen die Überlastungen der Infrastruktur in bislang unbekannter Intensität auf ihre Nutzer durch. Betroffen sind neben weiten Bereichen des Straßenverkehrs auch der Schienen-, ÖPNV- und Luftverkehr. Unkalkulierbare Reisezeiten, hohe Qualitätseinbußen und Kontrollverluste im Personen- und Gütertransport, gestörte Logistikprozesse und zunehmende Frustration sind die Folge. Und die Folgen der langen Trockenperiode 2018 mit einem weitgehenden Ausfall der Binnenschifffahrt in diesem Herbst gefährden die Rohstoffversorgung der Industrie ernsthaft, verdeutlichen aber auch den Stellenwert dieses Verkehrsträgers. Die Ursachen dieser Infrastrukturkrise - wird vom Klimaproblem abgesehen - liegen auf der Hand: zu geringe Infrastrukturinvestitionen seit vielen Jahren, allerdings auch gefördert durch gesellschaftspolitische Widerstände, immer komplexere planungs- und baurechtliche Vorschriften mit Jahrzehnte langen Verzögerungen, Umsetzung von finanzpolitischen Einsparzielen gleichermaßen bei den Straßenbauetats, den behördlichen Planungskapazitäten und bei der DB. Obwohl die Finanzmittel für die Schiene, die Straßen und den ÖPNV deutlich gesteigert wurden, tritt auch mittelfristig trotz aller Bemühungen um die Entschärfung der planungsrechtlichen Vorgaben keine Entlastung ein. In den Behörden fehlt das erforderliche Fachpersonal, nicht zuletzt aufgrund der völlig marktfremden Bezahlung. Da verwundert es viele ÖPNV-Nutzer in den überlasteten Agglomerationsräumen, wenn durch die Politik der erwünschte „Shift to Rail“ mittels kostenfreier oder äußerst stark bezuschusster Tickets für bedeutende zusätzliche Nutzerpotenziale zu fördern versucht wird, ohne dass entsprechende Kapazitätsausweitungen möglich sind. Obwohl der Personenverkehr der Bahn auf Hauptabfuhrstrecken immer häufiger durch technische Störungen an Triebfahrzeugen, Stellwerken und Streckenüberlastungen mit inzwischen dramatischen Verspätungseffekten und Zugausfällen kämpft, versucht das Unternehmen, durch steigende Rabattierungen wie Spar-/ Supersparpreise die Reisendenzahlen zu erhöhen. Vom ökonomischen Ergebnis des Yields erfährt man wenig; die Belastungen durch die ständigen Ablaufstörungen mit wochenlangen Abschließungen von Waggons wegen zu kurzer Bahnsteiglängen einiger Haltepunkte und die Überfüllung der Restzugteile verdeutlichen die mittlerweile dramatischen Qualitätsdefizite. Völlig unverständlich ist auch das intensive Einwerben von Billig-Airlines mittels reduzierter Gebühren durch bereits partiell überlastete Großflughäfen. So mussten im Sommer 2018 aufgrund der Attraktivität der im Vergleich zu allen anderen Beförderungsmöglichkeiten extrem niedrigen Beförderungspreise kapazitätsbedingte massenhafte Flugausfälle und Verspätungen hingenommen werden. Abfertigungs-, Kontroll- und Flugsicherungsengpässe sowie gestörte Flugzeugumläufe waren und sind entscheidende Überlastungsursachen. Wenn die Qualität der Verkehrssysteme aufgrund infrastruktureller Überlastungen und offensichtlicher Technikdefizite insbesondere im Bahnbereich stetig sinkt, manifestiert sich eine neue Art „Verkehrswende“. Angesichts der seit Jahren deutlich wachsenden Bevölkerung und einer immer noch steigenden Zahl von Fahrzeugzulassungen bei gleichzeitig hoher Nachfrage nach Mobilität im Personen- und Güterbereich ist die Krisenlage relativ zukunftssicher. Dies auch vor dem Hintergrund, dass ökonomisch sinnvolle preispolitische Steuerungsinstrumente gesellschaftlich und politisch nicht akzeptiert werden. Der dafür zu zahlende Preis ist jedoch hoch. Ständig wird von Politik und Teilen der Wissenschaft auf die so segensreichen Entlastungspotenziale durch Digitalisierung verwiesen - schon fast ein „Totschlagargument“ bei allen Engpassproblemen. Wenn es denn so einfach wäre. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 12 Mobility inside - Mobilitätsplattform für Deutschland Verkehrsunternehmen bündeln ihre Aktivitäten rund um die digitale Auskunft und den Vertrieb Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbund, Mobilitätsangebot, Fahrplanauskunft, Tarifplattform Die Vernetzungsinitiative Mobility inside wurde durch neun Partner initiiert und wird sich im ersten Quartal 2019 durch die Gründung einer Holding-Struktur und einer Betriebsgesellschaft manifestieren. Ausgehend von der bestehenden Branchenstruktur werden die Aktivitäten rund um die digitale Auskunft und den Vertrieb gebündelt. Die Plattform wird auf Basis vorhandener und gemeinsam nutzbarer Komponenten, Infrastrukturen und Lösungen aufgebaut. Bund und Länder wollen die Vernetzungsinitiative unterstützen. Knut Ringat, Jörg Puzicha, Oliver Wolff M it der Digitalisierung stehen die Verkehrsunternehmen vor einer erheblichen Herausforderung. In Zeiten des ungehinderten Vormarsches der Plattformökonomie wird am Ende kein Unternehmen allein in der Lage sein, die digitale Transformation zu bewältigen und in der Plattform- Ökonomie einen eigenen Platz neben den großen Integratoren einzunehmen. Ein Ticket für alles zu einem Preis Vor diesem Hintergrund steht neben einer innovativen, auch technischen Angebotspolitik die Aufgabe, mit den Verkehrsunternehmen in ihrer Gesamtheit eine Angebotsstruktur zu entwickeln, die gegenüber anderen Plattformen einen eigenen Stellenwert rechtfertigt. Im Ergebnis muss der gesamte ÖPNV-Warenkorb für den Endkunden vollständig buchbar werden. Das heißt aus Kundensicht: Ein Ticket für alles zu einem Preis. Genau dieses soll Mobility inside unter dem heutigen Markenauftritt der Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde bundesweit durch Vernetzung der Angebote erreichen. Im Interesse des Kunden werden die Angebote intermodal und überregional buchbar. Mehrfache Einzelregistrierungen in unterschiedlichen Apps von Verkehrsunternehmen werden damit entfallen. Die Partner werden in Mobility inside ihren bekannten Markenauftritt weiternutzen und dabei den Kunden ein umfassendes Angebot in einfachster Buchbarkeits- und Abrechnungssystematik bieten. Bahn und Bus werden zudem ergänzt durch multimodale Angebote Dritter wie Carsharing-, Ridesharing- und Bikesharing-Unternehmen. Starke Marken machen ein starkes Angebot. Ausgehend von der bestehenden Branchenstruktur bündelt Mobility inside die Aktivitäten rund um die digitale Auskunft und den Vertrieb. Auf der Basis vorhandener und gemeinsam nutzbarer Komponenten, Infrastrukturen und Lösungen wird eine Plattform aufgebaut. Die Plattform im Hintergrund ermöglicht den Akteuren im öffentlichen Verkehrsmarkt, die selbst Verkehrsleistung erbringen oder Tarifverantwortung haben, ihren Kunden einen diskriminierungsfreien Zugang anzubieten. Technische und vergaberechtliche Herausforderungen Damit dieses Ziel verwirklicht werden kann, müssen die Partner der Vernetzungsinitiative Mobility inside nicht nur technische, sondern auch vergaberechtliche Aufgaben meistern. Mobility inside wird eine durch die ÖV-Branche selbst gehaltene Plattform, mit der Kunden Mobilität bundesweit aus Foto: pixabay.de POLITIK Mobilität Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 13 Mobilität POLITIK einer Hand nutzen können. Dabei werden die folgenden Grundsätze verfolgt: • diskriminierungsfreier Zugang, • gemeinsame Plattform ohne Konkurrenzierung untereinander, • Beibehaltung des eigenen Auftritts gegenüber dem Kunden, • Verkehrsunternehmen bleiben Kundenvertragspartner, • private wie öffentliche Unternehmen können Systemarchitektur und Komplementärangebote für Kunden auf ihrer Kundenschnittstelle nutzen. Die Umsetzungsstruktur wird für Unternehmen, die im Besitz der Öffentlichen Hand sind, die Voraussetzungen einer Inhouse-Vergabe erfüllen. Nur so kann gewährleistet werden, dass alle Unternehmen die gleiche Produktqualität erhalten können und eine für den Nutzer homogene Flächendeckung mittelfristig erreicht werden kann. Die gesellschaftsrechtliche Konstruktion einer Holding in Form einer GmbH & Co. KG erfüllt dies und lässt Raum für private Beteiligungen. Die daraus zu gründende Mobility inside-Betriebsgesellschaft soll dann die übergreifend notwendigen Lösungen organisieren und betreiben. Darüber hinaus erhalten die Verkehrsunternehmen und -verbünde, die sich nicht als Komplementär oder Kommanditist beteiligen können, die Möglichkeit, sich über eine Vereinsstruktur niederschwellig zu integrieren (Bild 1). Modularer Aufbau der Plattformarchitektur Die Vernetzungsinitiative wird erst durch das Ausrollen in die Fläche und die Erschließung und Verfügbarmachung aller Bediengebiete ihr volles Potenzial und ihren maximalen Nutzen für die Kundinnen und Kunden entfalten. Aufgrund der stetigen Weiterentwicklung der IT und Algorithmen, aber auch der Heterogenität der Bestandssysteme in den Regionen vor Ort, wurde für Mobility inside bewusst ein modularer Ansatz für die Plattformarchitektur gewählt (Bild 2). So können spätere Neuentwicklungen leichter eingebunden, die teils individuellen Systeme seitens der Partner aber auch in einem ersten Schritt angebunden werden. Damit verbunden ist eine Vielzahl von Herausforderungen für die Flächenertüchtigung. Aufbau regionaler Kompetenzcenter Zur kontinuierlichen Unterstützung vor Ort in den Regionen werden Kompetenzcenter zur Schaffung der Grundlagen zur Teilnahme an der Vernetzungsinitiative und für die Digitalisierung im Verkehr aufgebaut. Aufgaben der Kompetenzcenter werden somit unter anderem: • Koordinierung und Ertüchtigung der PartnerVU/ VVs in den Regionen vor Ort über standardisierte Anforderungsbeschreibungen sowie Aufbau von Multiplikatoren, die über eine zentrale Instanz koordiniert werden, • Koordinierung des gemeinsamen Serviceversprechens, • Mitwirkung der bei der Harmonisierung und Standardisierung eines Technologiestandards (Architekturen, Komponenten und Schnittstellen) in Deutschland, • Abstimmung und Koordinierung mit den Fördermittelgebern und -nehmern und der Beratung sowie Unterstützung bei Antragsstellungen. Echtzeitdaten in hoher Qualität Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Mobility inside ist eine performante, qualitativ hochwertige und deutschlandweite Fahrplanauskunft. Die beste App wird den Kunden nicht begeistern, wenn die darin verwendeten Daten nicht den Qualitätsansprüchen der Kunden genügen. Mobility inside wird auf die Daten und Systeme von Delfi aufsetzen. Daher ist es erforderlich, dass die Länder bzw. deren beauftragte Vertreter in Delfi weiterhin mit hohem Engagement die Arbeiten, die zur regelmäßigen und qualitativ hochwertigen Datenlieferung erforderlich sind, betreiben bzw. unterstützen. Es ist durch die Länder abzusichern, dass alle Beteiligten ihre erforderlichen Leistungen in gleichbleibend hoher Qualität liefern und sich auch an der fachlichen Weiterentwicklung beteiligen. Die gemeinsam verfolgten Ziele und Aufgaben der Delfi-Konvention und der Mobility inside-Partner vor Ort sind unter anderem: • Harmonisierung und Qualifizierung der Datenbestände (Fahrplansolldaten, Haltestellendaten und Echtzeitdaten/ Prognosedaten), Bild 1: Umsetzungsstruktur von Mobility inside Bild 2: Modularer Aufbau der SOLL-Architektur von Mobility inside, OMP-Modell POLITIK Mobilität Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 14 • Etablierung und Optimierung der Prozesse zum Haltestellendatenmanagement in den Regionen, • kontinuierliche Pflege, Meldung und Verwendung der deutschlandweiten Haltestellen-ID, • regelmäßige Lieferung aktueller Fahrplandaten aller relevanter Verkehre aus den Landessystemen an die Delfi-Integrationsplattform (DIP), • Sicherstellung der flächendeckenden Verfügbarkeit von Soll- und Prognosedaten, • Umsetzung Linien- und Fahrt-ID, • Umsetzung eines durchgängigen Qualitätsmanagements. Zur Erfüllung der aktuellen und der noch vielfältigen künftigen Aufgaben ist eine hinreichende personelle Ausstattung in den Regionen erforderlich, die heute zum Teil nicht vorhanden ist. Hier sollten die Länder gemeinsam mit dem Bund die bisher entwickelten Strukturen weiter kontinuierlich fördern und ausbauen. Elektronischer Vertrieb: Tarifmodule nach PKM Neben einer exzellenten und qualitativ hochwertigen Mobilitätsauskunft für die Kundinnen und Kunden hat Mobility inside das Ziel Fahrtberechtigungen für jede Form der Mobilität über seine Teilnehmer zu vertreiben. Für den Fahrgast wird es möglich werden, multimodal und deutschlandweit ein buntes Angebot vom ÖPNV über das Fahrrad bis hin zum Carsharing zu nutzen. Um dies anbieten zu können, sind im Bereich der Plattform durch Mobility inside erhebliche Arbeiten zu leisten. Die Teilnehmer wiederum haben dafür Sorge zu tragen, dass ihre Tarife in einem einheitlichen digitalen Format einmalig erstellt und kontinuierlich gepflegt werden. Mobility inside hat in der Aufbauphase einen seiner Arbeitsschwerpunkte so gesetzt, die Partner vor Ort bei der Umsetzung zu unterstützen und gleichzeitig Systeme zu entwickeln, die eine kontinuierliche Verbreitung des Standards erheblich vereinfachen und beschleunigen. Das Tarifmodul nach PKM (Produkt- und Kontrollmodul) bietet die Möglichkeit, Tarife des Öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV) standardisiert abzubilden. Die Integration in den ganzheitlichen Systemprozess der Tarifabwicklung erfolgt durch Implementierung über Schnittstellen in die Kontroll- und Vertriebsterminals sowie deren Hintergrundsysteme. Durch Umsetzung dieses Standards kann das differenzierte Tarifsystem in Deutschland erhalten bleiben und in einheitlicher digitaler Form abgebildet werden. Die Einführung eines Tarifmoduls nach PKM bietet neben der einheitlichen Datenstruktur weitere Vorteile. Zusätzlich zu einer vereinfachten Kommunikation zwischen Produktverantwortlichen und Kundenvertragspartnern bzw. Dienstleistern können Tarifdaten in einem vernetzten System verwaltet, gepflegt und anschließend verteilt werden. Daher können tarifliche Veränderungen, Korrekturen und Anpassungen der Tarifdaten deutlich schneller als bislang umgesetzt werden. Nach einmaliger Implementierung der Logik der Tarifmodule nach PKM in die Hintergrundsysteme und Gerätesoftware wird der laufende Anpassungsbedarf reduziert. Auch deshalb können beispielsweise zeitlich begrenzte Veranstaltungstickets einfach und schnell in das Modul integriert und an die angeschlossenen Systeme verteilt werden. Durch die einheitliche Darstellung und Verarbeitung von Tarifen mit Hilfe der Tarifmodule nach PKM bedarf es keiner zusätzlichen Änderung der Gerätesoftware. Durch die zentrale Verarbeitung können neue Tarife problemlos eingebunden und abgeleitete Produkte verkauft und kontrolliert werden. Der Aufwand für die Integration sowie für den Verkauf und die Kontrolle neuer oder geänderter Tarifprodukte wird durch die Einführung eines Tarifmoduls nach PKM deutlich reduziert. Zeitintensives, manuelles Einpflegen von neuen Tarifdaten in die Hintergrundsysteme und Gerätesoftware entfällt. Die Verkehrsverbünde müssen zur Einführung des Tarifmoduls gewisse Grundvoraussetzungen sicherstellen, hierbei wird Mobility inside die Investoren und die künftigen Mobility inside-Teilnehmer unterstützen. Neben Delfi ist das PKM-das zweite Schlüsselprojekt für Mobility inside. Förderung zur Teilnahme an der Vernetzungsinitiative Die durch den Bund und die Länder avisierten Fördermittel sollen sicherstellen, dass die lokale Infrastruktur Mobility-inside-fähig wird. Hierzu bedarf es vor Ort Knowhow, insbesondere aber Unterstützung. In jedem Falle muss sichergestellt werden, dass die IT-Landschaft vor Ort homogen bzw. interoperabel mit den vernetzenden Systemen entwickelt wird. Um dies sicherzustellen, soll mit den beschriebenen lokalen Kompetenzcentern die notwendige Unterstützung geleistet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die in der Verkehrsministerkonferenz im November 2017 beschlossenen Förderkulissen jetzt operationalisiert werden. Für den Bundeshaushalt werden entsprechende Mittel vorgesehen, so dass in den Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünden die notwendige Ertüchtigung der technischen InfrastrukturfürdieThemenEchtzeitinformation und E-Ticketing (insbesondere E-Kontrolle) vorgenommen werden kann. Diese Infrastruktur bildet die Basis der Qualität und damit der Akzeptanz von Mobility inside. Ein Ansatz hierbei ist die Prüfung der Möglichkeit einer förderunschädlichen Verknüpfung von Fördermitteln aus einem zu erstellenden Bundestopf und dem Bedarf angepassten Ländertöpfen, so dass eine sehr hohe Förderquote erzielt werden kann und eine Teilnahme an der Vernetzungsinitiative attraktiv ist. Gerade auch kleineren Partnern mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Gegenfinanzierung kann so eine Beteiligung erleichtert werden. Eine valide Bestandsaufnahme muss entsprechend vor dem Hintergrund der zum Teil sehr kleinteiligen Strukturen nun ein wichtiger erster Schritt sein. Ferner muss es erklärtes Ziel sein, die Fördermittelanträge und die damit einhergehende Ausschreibung koordiniert durchzuführen. Um einen einheitlichen Standard und das Zusammenspiel der Partner auf nationaler Ebene zu gewährleisten ist es erforderlich, die Einhaltung entwickelter Mindestanforderungen, z. B. über Standard-Lastenhefte, zur zwingenden Voraussetzung für die Förderung zu machen. ■ QUELLEN [1] Beschlusssammlung der Verkehrsministerkonferenz am 9./ 10. November 2017 in Wolfsburg, Punkt 4.6 der Tagesordnung: Mobilität und Digitalisierung e) Roadmap Digitalisierung im ÖPNV [2] https: / / www.mobilityinside.de Erstveröffentlichung in „Der Eisenbahningenieur“ 10/ 2018 Jörg Puzicha Geschäftsführer, Mobilligence GmbH, Berlin joerg.puzicha@mobilligence.de Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV), Köln wolff@vdv.de Knut Ringat, Prof. Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung, Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus k_ringat@rmv.de Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 15 Standpunkt POLITIK Brennpunkt Stadtverkehr: Kommunen nicht alleine lassen Der Zuwachs an Verkehrsaufkommen und -leistung ist enorm - und den größten Zuwachs müssen Städte und Ballungsräume bewältigen. Wie können sie diese Herausforderungen meistern? Ein Kommentar vom Stellvertretenden Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums, Dr. Florian Eck. J eder von uns ist im Schnitt täglich 39 km und 80 Minuten unterwegs, so die aktuellen Ergebnisse der Studie „Mobilität in Deutschland 2017“ des Bundesverkehrsministeriums. In Summe sind das in Deutschland 260 Millionen Wege pro Tag. Der Bericht zeigt: Mobilität ist auch weiterhin ein fester Bestandteil unseres Alltags. Gerade die Ballungsräume haben dabei den größten Zuwachs an Verkehrsaufkommen und -leistung zu schultern. Unter den Verkehrsmitteln hat das Automobil mit rund 57 % auch weiterhin den größten Anteil an diesen Wegen. Bei der Wachstumsdynamik liegt der sogenannte Umweltverbund - Busse, Bahnen und Fahrrad - vorne. Diese Zahlen geben die Richtung für die verkehrspolitische Strategie des Bundes und der Länder vor, um mit dem offensichtlichen Verkehrswachstum in der Alltagsmobilität umzugehen. Aufgrund der Klimaziele der Bundesregierung und durch die aktuell besondere politische Aufmerksamkeit auf den Stadtverkehr ist dies eine große Herausforderung. Die Entwicklung muss vor allem in vier Handlungsfeldern aktiv begleitet werden: 1. Gezielte Förderung der Ballungsräume: Die Ballungsräume dürfen mit ihren Verkehrsproblemen nicht alleingelassen werden. Wie die Studie des BMVI zeigt, wird der ÖPNV gerade dort gut angenommen. Darum ist die Umsetzung der geförderten Sofortmaßnahmen zur Luftreinhaltung ebenso wichtig wie die schnelle Überführung der zusätzlichen GVFG-Mittel in Projekte. Fahrzeugflotten müssen nachgerüstet und aufgestockt, Infrastruktur erweitert werden, damit Busse und Bahnen nicht Opfer des eigenen Erfolges werden. 2. Bedarfsgerechte Anbindung der Einpendler: Gerade mit Blick auf überlastete Innenstädte und die laut Studie unzufriedenen ÖP- NV-Kunden in den Randgebieten müssen die Einpendler stärker als bisher adressiert werden. Dazu sollten Busse, Bahnen und neue Mobilitätsdienste ihre Kräfte bündeln. Änderungen im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) sollten diese Zusammenarbeit gezielt unterstützen. Es gilt gewissermaßen, das Anruf-Sammel-Taxi und den Rufbus zu entstauben, digital aufzupeppen und salonfähig zu machen. Auch Verkehre mit variabler Linienführung und virtuellen Haltestellen gehören in den Werkzeugkasten. 3. Ausbau der Digitalisierung, insbesondere bei Information und Vertrieb: Die Potenziale der Digitalisierung sind im Verkehrssektor noch deutlich ausbaufähig. Oftmals existieren nur isolierte Pilotprojekte, obwohl die Bausteine zur Angebotsverbesserung am Markt frei verfügbar sind. Es fehlen in breiter Anwendung beispielsweise verkehrsträgerübergreifende Bezahlsysteme und Prognosen zur Parkraumsituation, intelligente Mobilitätsdienste müssen in das ÖPNV-Angebot integriert werden, Verkehrsprognosen fließen zu selten in die Verkehrssteuerung und die Echtzeitmeldungen des ÖPNV ein. Und die Nutzung wechselnder Verkehrsmittel setzt bei den Bürgern immer noch Informationsbereitschaft, Technikaffinität und Einarbeitungszeit voraus. Für zuverlässige Prognosen und bedarfsgerechte Echtzeitinformationen müssen die vorhandenen selbstlernenden Systeme auf die ebenso vorhandene Datenbasis des Öffentlichen Verkehrs angesetzt werden. Eine solche digitale Ertüchtigung der Verkehrssysteme in den Städten und Gemeinden (und damit auch des ÖPNV) muss Teil der Investitionspakete im Zuge der Klimapolitik werden. 4. Einbeziehung der Logistik als Partner: Der Bericht des BMVI zeigt auch, dass Einkaufsverkehre der Bürger als Fahrtzweck aufgrund von e-Commerce zurückgehen. Umso mehr gilt es, die dadurch zunehmenden Lieferverkehre in Verkehrskonzepten zu berücksichtigen. Ausgewiesene Ladezonen, Verfügbarkeit von Flächen für Micro-Hubs und die Förderung der Nachtbelieferung / unattended delivery sind wichtige Themen, die in den Zentren gemeinsam mit den Logistikunternehmen und Händlern vorangetrieben werden müssen. Die Zeit spielt gegen uns. Umso dringlicher ist es, diese Handlungsfelder mit den notwendigen Investitionen, der Anpassung des Rechtsrahmens und neuen Konzepten vor Ort zügig anzugehen. ■ Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 16 Seattle macht das Spiel Das „New Mobility Playbook“ als Strategiepapier urbaner-Verkehrspolitik Verkehrsentwicklung, Bürgerbeteiligung, Wachsende Verkehrsströme, überforderte Infrastrukturen und hohe Schadstoffwerte stellen viele Städte vor immense Herausforderungen. Seattle im US-Bundesstaat Washington geht die Herausforderungen auf innovative und bemerkenswert „demokratische“ Weise an. Andreas Kossak D ie Stadt Seattle, gelegen im Bundesstaat Washington zwischen dem Pudget Sound am Pazifischen Ozean und dem Lake Washington, rund 150 km südlich der Grenze zu Kanada, ist die größte Kommune im Nordwesten der Vereinigten Staaten von Amerika. Gemeinsam mit dem kanadischen Vancouver im Norden und Portland, Oregon, im Süden ist Seattle Haupt-Verkehrsknotenpunkt sowie wirtschaftliches, wissenschaftliches und kulturelles Zentrum der Region Pazifischer Nordwesten des amerikanischen Kontinents. Die Einwohnerzahl innerhalb der Kommunalgrenzen beträgt rund 710 000, die der Metropolregion etwa 3,8 Mio. [1]. Die Stadt gehört seit vielen Jahren zu den weltweiten Vorreitern beim Einsatz für den Klimaschutz. Im Mai dieses Jahres wurde das erneut bestätigt durch die Veröffentlichung des „Climate Action Plan 2018“, der Fortschreibung bereits zahlreicher Vorgänger-Pläne zu dem Thema [2]. Ein Schwerpunkt in diesem Zusammenhang ist der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Heute gilt Seattle als erfolgreichste ÖPNV-Stadt der USA [3]. Das ist nicht zuletzt auf eine konsequent integrierte Weiterentwicklung des Gesamtverkehrssystems unter den Hauptgesichtspunkten Umweltschutz, Lebendigkeit, Gerechtigkeit, Reduzierung schwerer Verkehrsunfälle („Vision Zero“) und Berücksichtigung der Belange benachteiligter Bevölkerungsgruppen zurückzuführen (Bild 1). Eine bemerkenswerte Besonderheit der städtebaulichen und verkehrlichen Entwicklung in der Region ist die intensive Beteiligung der Bevölkerung an der Diskussion und den Entscheidungen über praktisch alle wesentlichen Konzepte und Maßnahmen. Neben dem aktuell gültigen Ausbauplan für den ÖPNV unter dem Logo „Sound Transit 3“ aus dem Jahr 2016 mit einem Kostenvolumen von rd. 54 Mrd. USD [4] zählt dazu aktuell insbesondere das im September 2017 veröffentlichte „New Mobility Playbook“ [5]. Dabei handelt es sich um eine in Art und Differenzierung bisher wohl einmalige Dokumentation städtischer Verkehrspolitik sowie ihrer auf Interaktion angelegten Präsentation. Das „Spielbuch“ - begrifflich angelehnt an die im American Football „Playbook“ genannte Aufstellung strategischer Spielzüge - steht seither im Mittelpunkt der öffentlichen und fachlichen Diskussion zu dem betreffenden Themenkomplex; davon konnte sich der Verfasser erst kürzlich bei Treffen mit den zuständigen Abteilungsleitern im Rathaus der Stadt überzeugen. Gegenstand und Intention des Spielbuchs Im Vorspann für das „Spielbuch“ wird festgestellt: „Die Zukunft des Verkehrs ist geteilt, aktiv, autonom, elektrisch, datengetrieben - und voller Möglichkeiten.“ Unter der Überschrift „Die Zukunft unserer Stadt gestalten“ folgt eine Kurzbeschreibung der Zielsetzung: „In diesen Tagen verändert und entwickelt sich die Mobilität ständig, mit zahllosen neuen Unternehmen und Diensten, die jedes Jahr in den Markt eintreten. In Hinblick auf diese Zeit des schnellen Wandels haben wir eine starke und angemessene Strategie entwickelt … um zu erreichen, dass die Innovationen zu einer sicheren, nachhaltigen und gerechten Zukunft der Stadt beitragen. Im Mittel- POLITIK Verkehrsstrategie Panorama von Seattle mit dem Wahrzeichen „Space Needle“ Foto: pixaba Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 17 Verkehrsstrategie POLITIK punkt des Spielbuchs stehen fünf Spiele, mit denen unser Ansatz hinsichtlich der neuen Technologien dargestellt wird sowie kreative und effektive Lösungen stimuliert werden sollen. Wir laden dazu ein, die Spiele und die Strategien, die sie inspiriert haben, und die ersten Schritte, die wir bereits begonnen haben, umzusetzen sowie die längerfristigen Strategien, deren Realisierung für die nächsten fünf Jahre vorgesehen ist, kennenzulernen.“ Warum das Vorhaben „gerade jetzt“ in Angriff genommen worden ist, wird ausführlich begründet: „Der schnelle Wandel der Verkehrstechnologien bietet den Städten die Gelegenheit, ihre Straßen neu zu organisieren sowie gesunde Nachbarschaften und lebendige öffentliche Räume entstehen zu lassen.“ Vor diesem Hintergrund sei es geboten, sich eben gerade jetzt den Herausforderungen zu stellen. Das gelte insbesondere für Seattle: „Amerikas 2016 und 2017 am schnellsten wachsende Großstadt … zieht Menschen und Arbeitsplätze mit hoher Geschwindigkeit an, und es ist davon auszugehen, dass das Wachstum sich weiter fortsetzt. Ohne überlegte und intelligente Aktionen könnte dieser Zufluss von Einwohnern zu mehr Luftverschmutzung und zu einem sich verschlimmernden Klimawandel führen. Das könnte sich vor allem zum Vorteil der Reichen auswirken und Seattle könnte für viele Menschen unbezahlbar werden …“ Als maßgeblicher Anlass werden neue Technologien und Mobilitätsformen benannt - „vom Bikesharing über das Carsharing bis zu Mietwagen-Rufdiensten wie Uber und Lyft. Bei einem Blick in die Zukunft sehen wir möglicherweise fahrerlose Autos, Drohnen, die Güter anliefern und neue Verkehrsarten, die heute erst noch auf dem Reisbrett sind. Seattles Verkehrsstrukturen ändern sich auch in anderen Richtungen. Immer mehr Menschen benutzen den öffentlichen Personennahverkehr, gehen zu Fuß oder fahren Fahrrad. Immer weniger Menschen fahren allein zur Arbeit. Und die Wähler haben entschieden, beträchtliche Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr und in die Sicherheit auf den Straßen zu unterstützen.“ Die sogenannte „Neue Mobilität“ sei daher gekennzeichnet durch technologisch ermöglichte und von Menschen realisierte Mobilitätsoptionen, „die uns überall hinbringen, wohin wir wollen, wann und wo wir sie benötigen“. Mit anderen Worten: „Unsere zentrale Ambition ist es, die Mobilität in der Form voranzubringen, dass die Menschen im Vordergrund stehen. Wir streben nach neuen Technologien und Innovationen, die zu einer gerechteren Stadt führen.“ Der Anspruch des Projekts geht also explizit über die eigenen Stadtgrenzen hinaus: „Die Herausforderungen beschränken sich nicht auf Seattle. Indem wir den gewählten Weg beschreiten und eine Stadt gestalten, in der die neue Mobilität zu Gunsten von jedermann funktioniert, hoffen wir, eine Basis zu schaffen, auf der auch andere Städte und Innovatoren aufbauen können.“ Als maßgebliche neue Mobilitätstrends werden genannt: • Information ist die neue Infrastruktur • Die Menschen werden / wollen Mobilität teilen • Saubere Energie wird den Verkehr antreiben • Die Automobilindustrie bewegt sich in Richtung geteilter, elektrischer, verbundener und automatischer Mobilität. Bemerkenswert ist auch, dass ausdrücklich auf die Lehren aus der Geschichte verwiesen wird: „Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Verkehrswesen in halsbrecherischer Geschwindigkeit verändert. Vor einem Jahrhundert haben die Automobile begonnen die Stadtstraßen zu dominieren - und die Städte haben darauf reagiert, indem sie dem gerecht wurden. Wir haben öffentliche Nahverkehrssysteme vernichtet, öffentliche Räume asphaltiert, umfangreiche Parkhäuser gebaut und sogar ganze Quartiere zerstört …, um Hauptverkehrsstraßen zu bauen. Das Resultat: In den Städten von heute ist es häufig unsicher und unerfreulich, anders zu reisen als mit dem Automobil.“ Bürgerbeteiligung einfordern Nun aber sei die Zeit gekommen, die Dinge anders anzugehen. „Statt der Technologie zu gestatten, unsere Städte zu prägen, werden wir die Technologie dazu nutzen, den Bedürfnissen der Menschen Rechnung zu tragen.“ Dies sei ein Themenkomplex, dessen Behandlung die intensive Beteiligung der Betroffenen erfordert: „Um sicher zu stellen, dass die neue Mobilität unsere Visionen vom geteilten Verkehr für die Zukunft von Seattle unterstützt, benötigen wir Ihre Hilfe. Bitte teilen Sie uns Ihre Gedanken und Reaktionen mit, indem Sie die Spiele und Strategien kommentieren.“ Das Spielbuch Das Spielbuch selbst beginnt mit der Feststellung „Schneller Wandel, Große Möglichkeiten“ und erläutert: „Die Zukunft der Mobilität steht vor der Tür - und ist voll gepackt mit Möglichkeiten. … Unser ‚Spielbuch neue Mobilität‘ bietet ein Spektrum von Strategien für die Gestaltung der Zukunft des Verkehrs, bei dem die Menschen im Mittelpunkt stehen. Wir kooperieren partnerschaftlich mit innovativen Bürgern, führenden Vertretern der sozialen Gerechtigkeit und Technologie-Unternehmen, um über unseren Ansatz zu informieren und neue Dienste zu kreieren.“ [5] Der Aufzählung und Erläuterung der fünf „Spiele“, werden die „Prinzipien der neuen Mobilität“, die dem Ansatz zugrunde liegen, als Spielregeln vorangestellt: „Wir stellen uns eine Stadt von und für die unterschiedlichen … Menschen vor, die Stadt und Region Bild 1: Die Straßenbahn in Seattle (First Hill Line Streetcar) an der Haltestelle Occidental Mall (Pioneer Square) Foto: pixabay Bild 2: Titelblatt des „New Mobility Playbook“ Quelle: newmobilityseattle .info POLITIK Verkehrsstrategie Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 18 Seattle ihre Heimat nennen. Wenn wir daran arbeiten, neue Mobilitätsoptionen in die Stadt, die wir lieben, zu integrieren, werden uns folgende Kernprinzipien leiten: • Stell die Menschen und ihre Sicherheit an die erste Stelle • Entwirf für die Würde und das Glücklichsein der Betroffenen • Verbessere die Bedingungen der Rassengleichheit und der sozialen Gerechtigkeit • Gestalte eine Zukunft sauberer Mobilität • Stell ein ausgeglichenes Spielfeld sicher.“ Die fünf „Spiele“ selbst sind wie folgt formuliert: • Spiel 1: Sicherstellung, dass die neue Mobilität ein faires und gerechtes Verkehrssystem für alle gewährleistet • Spiel 2: Ermöglichung einer sicheren, aktiveren und Menschengerechteren Nutzung der öffentlichen Verkehrsräume • Spiel 3: Reorganisation und Umrüstung der Verkehrsabteilung der Stadt Seattle hinsichtlich des Managements der Innovationen und der Daten • Spiel 4: Errichtung neuer Informations- und Daten-Infrastrukturen, damit innovative Mobilitätsdienste in Betrieb genommen werden können • Spiel 5: Antizipation, Anpassung an sowie Verbesserung von innovativen und disruptiven Verkehrstechnologien Die Erläuterung der einzelnen Spiele ist in drei Abschnitte untergliedert: • Wenn wir die Zukunft gestalten - Hier werden jeweils die Vorteile einer sachgerechten Gestaltung im Zusammenhang mit dem in dem „Spiel“ behandelten Komplex hervorgehoben. • Wenn wir der Zukunft freien Lauf lassen - Hier werden die potentiellen Fehlentwicklungen und ihre Folgen beschworen, für den Fall, dass nicht aktiv reagiert wird. • Unser Plan - Dieser Abschnitt enthält die Auflistung der in dem jeweiligen Zusammenhang verfolgten Einzel-Strategien. Insgesamt sind 28 Strategien aufgeführt; über einen Link können nähere Erläuterungen dazu aufgerufen und Kommentare abgegeben werden („read more & comment“). Einordnung des Spielbuchs Das von der Verkehrsverwaltung der Stadt Seattle verfasste und herausgegebene „New Mobility Playbook“ ist ein höchst außergewöhnlicher, bemerkenswerter und exemplarischer Ansatz der kommunalen Auseinandersetzung mit den sich bereits vollziehenden und den weiter absehbaren Veränderungen der Bedingungen und Optionen der städtischen Mobilität sowie der Kommunikation darüber mit der betroffenen Bevölkerung. Es erscheint vor dem Hintergrund bereits langjähriger intensiver Aktivitäten der Stadt hinsichtlich einer Neuordnung des Verkehrssystems mit dem Vorrang für den öffentlichen Personenverkehr, den Fahrradverkehr und den Fußgängerverkehr in Verbindung mit massiven Maßnahmen auf den Gebieten Klimaschutz, Reduzierung der Personenschäden im Verkehr („Vision Zero“) sowie Wiederbelebung der Straßenräume und der Quartiere („New Urbanism“). Der sehr positive Eindruck wird auch nicht durch einige Aspekte oder Fakten geschmälert, die entweder durchaus diskussionswürdig, die primär ortsspezifischer Natur oder unter europäischen Gesichtspunkten eher als Nachholbedarf denn als wegweisend einzuordnen sind. Das betrifft insbesondere • die unkritische Haltung gegenüber der Zukunft des autonomen Fahrens im Widerspruch zu den Positionen zahlreicher unabhängiger qualifizierter Fachleute und Fachinstitute gerade in den USA; • die besondere Herausstellung der Bedürfnisse einer großen Menge und Vielfalt unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen; • den - vor dem Hintergrund des für US- Verhältnisse vergleichsweise großen Erfolges im ÖPNV - bemerkenswerten Nachholbedarf hinsichtlich integrierter Mobilitätsangebote und Tarifsysteme (Verkehrsverbund) sowie moderner Bezahloptionen (e-Ticketing); • den Zustand gerade der Infrastruktur des Rückgrats des städtischen Bahnsystems, der Stadtbahn (City Link), und der „historischen“ Einwegbahn („Monorail“), mit der das Wahrzeichen der Stadt, die „Space-Needle“, angebunden ist. Es kann durchaus geteilte Meinungen zum Format des „Spielbuchs“ geben. Der Ansatz der Auseinandersetzung mit dem Mobilitätswandel und dessen öffentlicher Kommunikation ist jedoch in vieler Hinsicht auch für deutsche und europäische Großstädte und Regionen als Vorbild geeignet und sollte als solches gehandhabt werden. ■ QUELLEN [1] Wikipedia: Seattle; Stand 12.07.2018 [2] City of Seattle, Mayor Jenny A. Durcan: Seattle Climate Action; April 2018 [3] Lindsay, G.: The State of Play: Connected Mobility + U.S. Cities - How next generation transportation is shaping cities; Citylab Insights, Juli 2018 [4] Sound Transit: Sound Transit 3 - History: what voters approved; Stand 2018 [5] Seattle Department of Transportation: New Mobility Playbook, Version 1.0; September 2017; Online: https: / / newmobilityseattle.info (Aufgerufen: 06.11.2018) Andreas Kossak, Dr.-Ing. Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com Bild 3: Stadtbahnen (Link Light Rail) im Downtown Seattle Tunnel, der auch von Duo-Mode-Bussen befahren wird. Foto: Steve Morgan/ Wikimedia Bild 4: Trolleybus zwischen 4th Avenue und 5th Avenue im Stadtzentrum. Foto: SounderBruce/ Wikimedia Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 19 W enn die Verkehrsexperten der EU-Staaten derzeit intensiv über das erste Mobilitäts- (Straßen-)Paket beraten, dann ist das vor allem der österreichischen Ratspräsidentschaft zu verdanken. Denn der umfangreiche Gesetzentwurf für den Straßengüterverkehr, den die EU-Kommission bereits Ende Mai 2017 vorgelegt hatte, steckte bis Anfang September, bei beiden Co-Gesetzgebern der EU fest: Das Plenum des Europäischen Parlaments hatte schon vor der Sommerpause die Vorschläge aus dem Transportausschuss nicht akzeptiert und in das Fachgremium zurück verwiesen. Und die Verkehrsexperten der EU-Staaten waren noch im Frühherbst über die „Sozialthemen“ des Pakets so zerstritten, dass ein Verhandlungsfortschritt überhaupt nicht denkbar erschien. Die Nordwestsowie die Nord- und Südoststaaten der EU standen sich unversöhnlich gegenüber. Dann holten die Österreicher zu einem kaum erwarteten „Befreiungsschlag“ aus. Sie präsentierten den zerstrittenen Mitgliedstaaten ein Papier, das den absurden, aber in Brüssel nicht unüblichen, Titel „Non Paper“ trägt. Darin versuchten sich die Diplomaten der Alpenrepublik an einer Herkulesaufgabe: Sie suchten einen Kompromiss, mit dem eine Mehrheit der EU-Länder leben kann. Bemerkenswert ist, dass ein solches Papier von einem Staat kommt, der sich selbst in der Debatte über die besonders strittigen Themen des Gesetzespakets - Kabotage, Lenk- und Ruhezeiten sowie Entsendung von LKW-Fahrern - schon lange klar positioniert hat. Österreich ist der „Road Alliance“ beigetreten, mit der die EU- Staaten des Nordwestens ihre Interessen gegenüber jenen des Süd- und Nordostens durchsetzen wollen. Dennoch stellt das „Non Paper“ die nationalen Interessen Wiens zurück - zugunsten von Vorschlägen, welche die bislang unversöhnlich gegeneinander stehenden Nationen zusammen bringen sollen. Damit füllen die Österreicher in vorbildlicher Weise die Rolle, die eine EU-Ratspräsidentschaft spielen soll: nicht dem Nutzen des eigenen Landes dienen, sondern als Makler die (noch) 28 EU- Staaten gegenüber den Gesetzesvorschlägen der EU-Kommission auf eine gemeinsame Linie bringen. Das ist auch deshalb hervorzuheben, weil die vorherige Ratspräsidentschaft in dem Punkt versagte. Die Bulgaren, die zu Beginn des Jahres noch vollmundig verkündet hatten, sie würden bis zum Ende ihrer Präsidentschaft eine gemeinsame Position aller EU-Staaten beim Mobilitätspaket erreichen, standen Ende Juni vor einem Scherbenhaufen. Sie hatten den Fehler gemacht, nicht als Vermittler, sondern als Lobbyisten der nationalen Interessen zu agieren. Sie führten die Verhandlungen vor allem für die in ihrem Land ansässigen Transportfirmen. In der Debatte über das Mobilitätspaket verloren die EU-Staaten dadurch mehr oder weniger ein halbes Jahr. Die österreichische Initiative hat nun für einen vielversprechenden Neustart der Verhandlungen gesorgt. Klar ist, dass die Vorschläge des „Non Paper“ nicht mit einem Schlussdokument zu verwechseln sind. Die Autoren haben sehr darauf geachtet, Zumutungen und Verheißungen gleichmäßig zu verteilen. Alles in Allem aber bietet das „Non Paper“ so für die Verkehrsexperten der Mitgliedstaaten viele Proaber auch viele Contra-Argumente - und bildet so eine vielversprechende Grundlage für Debatten. Die kam denn auch schnell in Gang. Zwar zeitigt sie bislang nur kleine Fortschritte, aber im Gegensatz zu vorher geht es zumindest langsam voran. Um den Nordwest-Staaten, darunter Deutschland, entgegen zu kommen, haben die Österreicher neben den drei genannten „Sozial“-Themen ihrem Papier ein Kapitel über den „intelligenten Tachografen“ vorangestellt. Damit wollen sie Bedenken dieser Länder entgegentreten. Die pochen sehr stark darauf, die Vorschriften überwachen und kontrollieren zu können. Sonst - so ihr Tenor - brauche man sie erst gar nicht einzuführen. Wie gesagt: Das „Non Paper“, dem die Österreicher bei Redaktionsschluss schon drei konkrete Vorschlagsversionen hinterhergeschickt haben, soll Kompromisse ermöglichen, nicht selbst einer sein. Daran gemessen, hat es sich schon bewährt. Zwar ist derzeit immer noch nicht klar, ob sich die Verkehrsminister der EU-Staaten bei ihrer Sitzung am 3. Dezember auf eine gemeinsame Haltung einigen können. Dafür stehen hinter manchen Einzelvorschlägen derzeit noch zu viele Fragezeichen. Aber es ist das Verdienst der Österreicher, dass überhaupt wieder verhandelt wird. Und auch, dass auf dem informellen Verkehrsministerrat Ende Oktober in Graz mit Blick auf das erste Mobilitätspaket so etwas wie zarter Optimismus aufkam. Das ist es, was zählt. Denn noch besteht eine vage Chance, dass sich die Sozialthemen des ersten Mobilitätspakets vielleicht doch noch in dieser Legislaturperiode unter Dach und Fach bringen lassen. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Neustart für das EU-Mobilitätspaket INFRASTRUKTUR Radverkehr Radschnellwege - Radverkehr auf neuer Infrastruktur Radverkehr, Radschnellwege, Potenzialanalyse, Alltagsverkehr Mit der Eröffnung der ersten Teilstrecken von Radschnellwegen in Göttingen, im Ruhrgebiet und in Kiel werden bundesweit zahlreiche ähnliche Vorhaben initiiert. Sie gelten mittlerweile als ein Schlüsselelement in der Förderung des Alltagsverkehrs per Rad, ergänzen die vorhandene Radverkehrsinfrastruktur und erleichtern den Umstieg auf das Rad für Berufs- und Ausbildungspendler. In Deutschland befinden sich ca. 1000 km Radschnellverbindungen in der Planungsphase. Sie führen meist sternförmig auf größere Städte zu oder verbinden sie im Entfernungsbereich von bis zu 30 km. Auf diesen Distanzen erreichen sie auch ein Potenzial von 2000 Radfahrern pro Werktag, der als Schwellenwert für den Bedarfsnachweis und die Förderung angesetzt wurde. Stephan Kritzinger, Michael Beutel, Sophie Scherer, Felix Rhein I mmer mehr Menschen nutzen das Fahrrad als ergänzendes Fortbewegungsmittel für ihre persönliche Mobilität im Alltags- und Freizeitverkehr. Dabei spielen viele Faktoren eine entscheidende und begünstigende Rolle: • komfortable und technisch verbesserte Räder und E-Bikes, • Aspekte des Mobilitäts- und individuellen Lebensstils, • Radurlaub sowie eine zunehmend mobilere Gesellschaft bis ins hohe Alter. Mittlerweile liegt der Radverkehrsanteil in Deutschland bei 11 % und damit 1 %-Punkt höher als im Jahr 2008 (MiD 2008: 10 % [1]). Hervorzuheben ist vor allem, dass sich die mittlere Wegelänge von 3,1 km auf 3,9 km deutlich erhöht hat. Das Fahrrad dehnt damit seinen Einsatzbereich spürbar aus [2]. Es ist also naheliegend, dass die Radverkehrsinfrastruktur ausgebaut wird, um die wachsende Nachfrage - insbesondere auch auf Distanzen zwischen fünf und zehn Kilometern - auszuschöpfen. Hierbei sind Radschnellwege ein wichtiges Instrument der Radverkehrsförderung geworden. Sie richten sich an Berufs- und Ausbildungspendler und sollen das tägliche Radfahren komfortabler, schneller und sicherer machen. Können Pendler für das Rad gewonnen werden, so kann der Verlagerungseffekt vom PKW im besten Fall dauerhaft sein. Typischerweise liegen Radschnellwege in Ballungsräumen zwischen Orten mit intensiven Pendlerverflechtungen. Radschnellwege sind selbständig geführte Wege Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 20 Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 21 Radverkehr INFRASTRUKTUR mit Trennung des Fußgängerverkehrs bei einer befestigten Radfahrbahn von 4,00 m Breite. Radschnellverbindungen werden an Knotenpunkten in der Regel bevorrechtigt geführt; wo dies nicht möglich ist, sind planfreie Lösungen (Brücken, Unterführungen) anzustreben. Ziel ist eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 20 km/ h. Je nach Radfahrpotanzial sind abschnittsweise auch reduzierte Standards zulässig [3]. Radschnellwege als Importprodukt Radschnellwege sind zunächst im europäischen Ausland entstanden. Als Vorreiter gelten die Niederlande, wo sie als Lösung zur Verringerung von Staus auf Autobahnen konzipiert worden sind. Sie richten sich als hochwertige Radverbindungen an Berufs- und Ausbildungspendler, vorwiegend im Distanzbereich von bis zu 20 km. Ein besonderes Merkmal der niederländischen Radschnellwege ist, dass in Sonderfällen auch geringere Qualitätsstandards zulässig sind. Diese Vorgabe hat dazu geführt, dass in den Niederlanden mittlerweile dutzende Radschnellverbindungen realisiert wurden und viele weitere in Planung sind [4]. Ein weiterer Schwerpunkt von Radschnellwegen befindet sich in der Metropolregion Kopenhagen. Auch in Dänemark richten sich die Radschnellverbindungen („Supercykelstiers“) an Berufs- und Ausbildungspendler im gleichen Entfernungsbereich wie in den Niederlanden. Da Kopenhagen als Fahrradhauptstadt Europas bereits 2010 einen Radverkehrsanteil von 36 % vorzuweisen hatte, sind die Planungen für Radschnellverbindungen ambitioniert: Geplant sind Radschnellwege mit einer Netzlänge von ca. 470 km. Die erste Verbindung mit einer Gesamtlänge von 17,5 km wurde 2012 eingeweiht, bis 2018 kommen weitere Strecken von rund 180 km hinzu [4, 5]. Radschnellwege sind in Deutschland im Kommen Die Idee, auch in Deutschland die vorhandenen Formen von Radverkehrsinfrastrukturen mit Radschnellverbindungen zu ergänzen, wurde von Verbänden und Arbeitsgemeinschaften Fußgänger- und Fahrradfreundlicher Gemeinden (AGFG) in Zusammenarbeit mit den zuständigen Landesministerien entwickelt. Auslöser ist die unbefriedigende Infrastrukturausstattung für Fahrradfahrer und die Notwendigkeit, mit der Nutzung des Fahrrads einen Beitrag zur nachhaltigen Mobilität leisten zu können sowie Verlagerungspotenziale vom PKW zum Radverkehr zu erschließen. Im Rahmen des Förderprogramms „Schaufenster Elektromobilität“ wurden 2011 bundesweit vier Regionen ausgewählt, die bei der Umsetzung von Projekten in der gesamten Bandbreite der Elektromobilität, von intermodalen Mobilitätskonzepten über intelligente Ladesysteme bis zur Produktion von Elektrofahrzeugen, finanziell unterstützt wurden. In der Metropolregion Hannover - Braunschweig - Göttingen - Wolfsburg wurden ca. 30 Projekte gefördert, darunter auch das Projekt „eRadschnellweg“, das am Beispiel der Stadt Göttingen das Zusammenwirken von Infrastrukturmaßnahmen und Nutzerverhalten untersuchte. Der Radschnellweg in Göttingen mit einer Gesamtlänge von ca. 4 km wurde 2015 eröffnet (Bild 1). Die Investitionskosten lagen bei rund 1,8 Mio. EUR. Er ist der erste seiner Art in Deutschland und wird mittlerweile von über 3000 Radfahrenden täglich genutzt [4, 6]. Nach der Inbetriebnahme von ersten Teilabschnitten des Ruhrschnellweges RS1 und Abschnitten der Veloroute 10 in Kiel werden in den nächsten Jahren rund 180-km Radschnellwege in Betrieb gehen (siehe Tabelle 1). Darunter ist der RS1 Ruhrschnellweg von Duisburg über Mühlheim, Essen, Bochum und Dortmund der längste und mittlerweile bekannteste. Als Investitionskosten werden rund 184 Mio. EUR veranschlagt. Begonnen wird noch 2018 mit dem Bau des Radschnellweges Frankfurt - Darmstadt (30 km). Die Bauarbeiten für die Fahrrad-Premiumroute D.15 von Bremen Farge über die Bremer Innenstadt nach Bremen Mahndorf (43 km) begannen bereits im Frühjahr 2018. Zusammenfassend erfordern die fünf Radschnellverbindungen Investitionskosten von ca. 220 Mio. EUR, mithin 1,2 Mio. EUR/ km [4, 5]. Wo brauchen wir Radschnellverbindungen? Mittlerweile verfolgen oder fördern die meisten Bundesländer den Bau von Radschnellverbindungen. In Baden-Württemberg befinden sich zunächst vier Projekte in der Planung; für das Pilotprojekt Böblingen/ Sindelfingen - Stuttgart steht der Spatenstich bevor (3,2 Mio. EUR). Eine weitere bekannte Verbindung stellt der geplante Radschnellweg zwischen Heidelberg und Mannheim dar. Weiterhin liegen Planungen für Plochingen - Esslingen - Stuttgart und Heilbronn - Bad Wimpfen vor. Gleiches gilt für andere Bundesländer, in denen Machbarkeitsuntersuchungen zu einzelnen Radschnellverbindungen erstellt wurden, in Bearbeitung sind oder noch ausgeschrieben werden [7]. Die Deutschlandkarte (Bild 2) zeigt, dass Radschnellverbindungen vorzugsweise in Verdichtungsräumen liegen und die meisten Projekte Längen von bis zu 30, höchstens 50 km aufweisen. Ausnahme ist der RS1, der mit 101 km mehrere Städte im Ruhrgebiet mit oberzentralen Funktionen verbindet. Insgesamt sind in Deutschland über 1000 km Radschnellverbindungen geplant. Anders als bei den touristischen Radfernwegen wird kein weitmaschiges Netz von Radschnellverbindungen oder gar Radautobahnen entstehen, sondern es wird sich überwiegend um eine ergänzende Radverkehrsinfrastruktur im lokalen und regionalen Kontext handeln. Entscheidender als eine Vernetzung der Radschnellverbindungen untereinander ist die Erschließungsfunktion im direkten Einzugsbereich einer einzelnen Strecke. Sofern wichtige Quellen und Senken nicht direkt an einer Radschnellverbindung liegen, sind qualitativ hochwertige Zubringerstrecken nötig. Radschnellverbindungen in Umsetzung/ Betrieb Bundesland Von Nach Länge Kosten Planungsstand Fahrrad-Premiumroute D.15 Bremen Bremen-Farge Bremen-Mahndorf 43 km ca. 20 Mio. € 04/ 2018 Baubeginn RSV Frankfurt-Darmstadt Hessen Frankfurt a.M. Darmstadt 30 km ca. 9 Mio. € 10/ 2018 Baubeginn eRadschnellweg Göttingen Niedersachsen Bahnhof Göttingen Universität Göttingen 4 km ca. 2 Mio. € in Betrieb RS1 Ruhrschnellweg Nordrhein-Westfalen Duisburg Hamm 101 km ca. 184 Mio. € in Teilbetrieb, Bauende 2020 Veloroute 10 Kiel Schleswig-Holstein Universität Kiel Hassee-CITTI-Park 4 km ca. 5 Mio. € in Teilbetrieb, Bauende 2019 Summe 182 km ca. 220 Mio. € Tabelle 1: Überblick von Radschnellverbindungen in Umsetzung und Betrieb Quelle: ZIV Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 22 INFRASTRUKTUR Radverkehr Als Schwellenwert für eine Radschnellverbindung gilt eine durchschnittliche werktägliche Nachfrage (DTVw) von 2000 Radfahrenden im Ausbauzustand: Ab diesem Niveau wird ein Bedarf anerkannt und es stehen - je nach Bundesland - Fördermittel zur Verfügung. In Baden-Württemberg wurden in einer systematischen Analyse Korridore identifiziert, in denen die Voraussetzungen für den Bau von Radschnellverbindungen grundsätzlich gegeben sind; ebenso ist in Hessen eine derartige Untersuchung in Bearbeitung. Die methodische Herausforderung besteht in der Abschätzung der künftigen Nachfrage im Radverkehr nach Fertigstellung der jeweiligen Verbindung, da in der Regel empirische Grundlagen zu den lokalen Verkehrsverflechtungen im Radverkehr fehlen. Grundlage der Potenzialanalyse in Baden-Württemberg war das Straßenverkehrsgrundmodell, das Verflechtungsdaten zum KFZ-Verkehr enthält. Zur Ermittlung der relationsbezogenen Radverkehrspotenziale wurden die entfernungsabhängigen Modal-Split-Anteile herangezogen, die mit Hilfe einer eigens durchgeführten Sonderauswertung in Baden-Württemberg ermittelt wurden. Demzufolge hat der Radverkehr im Entfernungsbereich von 3 km den höchsten Anteil (ca. 20 %), bei weiteren Distanzen nimmt er deutlich ab und liegt schon bei 10-km unter 5 %. Auch die Daten der MiD wurden zur Plausibilisierung herangezogen [8]. Für Radschnellverbindungen wird derzeit davon ausgegangen, dass die höheren Fahrgeschwindigkeiten auf den Radschnellverbindungen den Einsatzbereich des Fahrrades bei gegebener Zeit vergrößern. Wer unter bisherigen Bedingungen in 20 Minuten mit dem Rad 4 km zurücklegen konnte (Reisegeschwindigkeit 12 km/ h), wird auf einem ausgebauten Radschnellweg in gleicher Zeit 6,6 km Distanz überwinden (Reisegeschwindigkeit 20 km/ h). Bei unveränderten individuellen Entscheidungskriterien wird sich die entfernungsabhängige Modal-Split-Kurve zu Gunsten des Radverkehrs verschieben - mit der Folge, dass in den einzelnen Entfernungsstufen höhere Radverkehrsanteile erwartet werden können (Bild-3). Mit diesem Ansatz verdoppelt sich das Radverkehrspotenzial auf den möglichen Radverkehrskorridoren gegenüber der Ausgangssituation. Dies ist plausibel, wenn man die Ergebnisse einer Vorher-Nachher-Untersuchung aus Dänemark heranzieht, nach der innerhalb eines Jahres nach Eröffnung auf einer 21,7 km langen Radschnellverbindung im Großraum Kopenhagen der Radverkehrsanteil um über 50 % gestiegen ist. Die Verlagerungswirkung vom PKW auf das Fahrrad spielt dabei eine maßgebende Rolle [9]. Der für Baden-Württemberg gewählte Ansatz führt zu höheren Nachfragedaten als in dem dänischen Vergleichsfall. Allerdings wurde dabei nicht berücksichtigt, dass sich die Nachfrage erst über einen längeren Zeitraum aufbaut (sog. Build-up-Effekt) und der Anteil von E-Bikes mit Reisegeschwindigkeiten über 20 km/ h weiteransteigt. Föderale Struktur erleichtert die-Realisierung von Radschnellverbindungen Kennzeichnend für die Planung und den Bau von Radschnellverbindungen in Deutschland ist, dass Initiativen zu Radschnellverbindungen, die aus einem regionalen Kontext entstehen, auch in der Planung und Umsetzung häufig dort verbleiben. Dies zeigt sich in einer großen Anzahl von Machbarkeitsstudien zu Radschnellverbindungen, die von Planungs- oder Zweckverbänden, Kreisen oder Kreisfreien Städ- Bild 1: eRadschnellweg Göttingen, Kreuzungsbereich Foto: Felix Rhein Bild. 2: Radschnellverbinungen in Deutschland - Realisierungsstand-2018 Quelle: ZIV Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 23 Radverkehr INFRASTRUKTUR ten in Auftrag gegeben werden. Teilweise werden diese auch von den Bundesländern ausgelöst und initiiert. Auf dieser Grundlage werden die notwendigen politischen Beschlüsse gefasst, Fördermittel beantragt und die Planung vor Ort in die Hand genommen. Da es für den Bau von Radschnellwegen (noch) keine bundeseinheitlichen Planungsabläufe und Zuständigkeiten gibt, werden sie auch auf unterschiedlichen Wegen realisiert: So laufen bei dem Bau der Radschnellverbindung Frankfurt - Darmstadt die Fäden bei der Regionalpark Rhein- Main Südwest gGmbH zusammen. Sie koordiniert die in den Gemeinden erforderlichen Beschlüsse und Planungen; für die Realisierung der einzelnen Teilabschnitte sind die einbezogenen Gemeinden und Städte selbst verantwortlich. Bislang lag die Koordination für die Radverbindung beim Regionalverband Frankfurt RheinMain. Der Verband kümmert sich bei solchen regionalen Projekten gerne um die Vorplanung, übernimmt aber nicht die weitere Durchführung [7, 9]. Anders verhält es sich bei der Radschnellverbindung Heidelberg - Mannheim, bei der das Land Baden-Württemberg Baulastträger ist und die Planung vom Regierungspräsidium Karlsruhe geleitet wird. Neben einer Variantenuntersuchung und einer UVP-Studie (UVP: Umweltverträglichkeitsprüfung) ist auch ein Planfeststellungsverfahren erforderlich, auf das bei der Radschnellverbindung zwischen Frankfurt und Darmstadt verzichtet werden konnte. Ungeachtet dessen sind stets naturschutzrechtliche Belange zu beachten. Besonders problematisch sind Trassen durch Wälder (Belag, Beleuchtung), insbesondere, wenn es sich um Bannwald handelt [7]. Fazit In den kommenden Jahren werden in Deutschland zahlreiche Radschnellverbindungen realisiert. Zumeist handelt es sich um Strecken von bis zu 30 km Länge in Verdichtungsräumen, in denen markante Radfahrpotentziale zu finden sind. Anders als in den Niederlanden wird es auch keine größeren zusammenhängenden Netze von Radschnellverbindungen in Deutschland geben, sondern überwiegend sternförmig angelegte Verbindungen in den Metropolregionen entstehen. Ausnahmen können sich in Verdichtungsräumen wie dem Ruhrgebiet, dem Rhein-Main und dem Rhein-Neckar-Raum herausbilden. In diesen Gebieten wird der Schwellenwert von 2000 Radfahrenden pro Werktag im Querschnitt eines Radschnellweges erreicht und perspektivisch auch übertroffen. Für den RS1 werden auf einzelnen Abschnitten (Mühlheim, Essen, Dortmund) über 4000 Radfahrende prognostiziert [10]. Bei der Planung und Realisierung von Radschnellverbindungen bietet die Vielfalt an Aufgaben- und Baulastträgern die Chance, zeitgleich in unterschiedlichen Verfahren Radschnellverbindungen zu planen und zu bauen. Hier gibt es keinen Königsweg, sondern mehrere erfolgversprechende Vorgehensweisen, die zu mehr Radverkehr führen. ■ LITERATUR  [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Mobilität in Deutschland 2008; Ergebnisbericht; Berlin 2010  [2] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Mobilität in Deutschland 2017; Ergebnisbericht; Berlin 2018  [3] VCD: Was sind Radschnellverbindungen - Potenzial für Baden- Württemberg Faktenblatt RSV-01  [4] Gwiasda, Peter, Erler, Lena: Gestaltung von Radschnellwegen in Deutschland - eine Herausforderung; in: Straßenverkehrstechnik 10.2015, S. 653-662  [5] Becker, Annette, et. al.: Fahr Rad! Die Rückeroberung der Stadt; Ausstellungskatalog anlässlich der gleichlautenden Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main, Frankfurt 2018  [6] Stadt Göttingen: Angaben zur Nutzung der innerstädtischen Radschnellverbindung  [7] Landeskonferenz Radschnellverbindungen Baden-Württemberg, 29.06.2018, Stuttgart  [8] Brenner Bernhard Ingenieure GmbH/ VIA/ Planersocietät: Potenzialanalyse für Radschnellverbindungen in Baden-Württemberg; im Auftrag des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg; März 2018  [9] Regionalverband FrankfurtRheinMain: Radschnellwege in der Region FrankfurtRheinMain, 2017; auch: https: / / www.region-frankfurt. de/ Radschnellwege [10] TCI Röhling Transport Consulting International: Radschnellweg Ruhr: Nutzen-Kosten-Analyse; Präsentation, o.O., o.D., 16 Seiten Sophie Scherer Wissenschaftliche Mitarbeiterin, ZIV - Zentrum für integrierte Verkehrssysteme GmbH, Darmstadt scherer@ziv.de Felix Rhein Wissenschaftlicher Mitarbeiter, ZIV - Zentrum für integrierte Verkehrssysteme GmbH, Darmstadt rhein@ziv.de Michael Beutel, M.Eng. Projektingenieur, ZIV - Zentrum für integrierte Verkehrssysteme GmbH, Darmstadt beutel@ziv.de Stephan Kritzinger, Dipl.-Geogr. Geschäftsführer, ZIV - Zentrum für integrierte Verkehrssysteme GmbH, Darmstadt kritzinger@ziv.de 0 5 10 15 20 25 30 35 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 ] % [ l i e t n a s h e k r e v d a R Entfernung [km] ohne RSV mit RSV Bild 3: Modal Split Radverkehr nach Entfernungsklasse Quelle: ZIV Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 24 INFRASTRUKTUR Verkehrssicherheit Zur Erhöhung der Sicherheit an Bahnübergängen Gestaltungsmerkmale, Unfallgeschehen, Fehlverhalten und-Maßnahmen Bahnübergang, Verkehrssicherheit, Sicherungsart, Unfallursache, Risikobewertung Im Rahmen einer Studie der Unfallforschung der Versicherer wurden 2566 Bahnübergänge hinsichtlich Verkehrssicherheit untersucht. Die meisten Unfälle geschehen an Bahnübergängen mit Halbschranken oder nicht technisch gesicherten Anlagen. Fast immer ist ein Fehlverhalten der Straßenverkehrsteilnehmer die Ursache. Die wirksamste Methode zur Vermeidung von Unfällen an Bahnübergängen ist deren Rückbau und Ersatz durch Unter-/ Überführungen. Aber auch der Einsatz von Vollschranken verbessert die Sicherheit. Jean Emmanuel Bakaba, Jörg Ortlepp N ach der amtlichen Statistik stellen 2017 Unfälle an schienengleichen Wegübergängen mit etwa 0,3 % (1036 Unfälle mit Personenschaden) zahlenmäßig zwar nur einen sehr geringen Anteil aller Unfälle im Straßenverkehr dar. Sie weisen jedoch mit einem Anteil von 1,7 % (53 Getötete) an den Getöteten eine überproportionale Unfallschwere auf [1]. Hintergrund und Methodik In Deutschland sind Ursachen und Einflussfaktoren von Bahnübergangsunfällen bisher kaum untersucht. Seitens der Bahnbetreiber wird als Unfallursache zu 95 % das Fehlverhalten des Straßenverkehrsteilnehmers angegeben. Auch im Straßenverkehr ist die Ursache der Unfälle zu 95 % ein Fehlverhalten der Straßenbenutzer. Um den Einfluss von infrastrukturellen Mängeln auf das Unfallgeschehen zu ermitteln, wie es im Straßenverkehr üblich ist, hat die Unfallforschung der Versicherer (UDV) eine wissenschaftliche Untersuchung beim Kompetenzzentrum Bahnsicherungstechnik, Dresden (CERSS Ltd) in Auftrag gegeben, bei der insbesondere Folgendes geklärt werden sollte: • Welche Faktoren beeinflussen das Unfallrisiko an Bahnübergängen und in welchem Maße? Foto: pixabay.de Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 25 Verkehrssicherheit INFRASTRUKTUR • Mit welchen Maßnahmen kann dieses Risiko reduziert werden? • Lässt sich ein Modell erstellen, mit dem die Sicherheit von Bahnübergängen vergleichend bewertet werden kann? Die ausgewählte Vorgehensweise umfasste neben einer ausgedehnten internationalen Recherche nach wirksamen Maßnahmen gegen Unfälle an Bahnübergängen eine ausführliche Analyse des Unfallgeschehens in Deutschland. Darauf aufbauend wurden ein quantitatives und ein qualitatives Risikomodell erstellt und Maßnahmen abgeleitet sowie ein Bewertungsverfahren für die Sicherheit an Bahnübergängen entwickelt. Zudem wurden Unfallhergänge anhand von Schadenakten der Versicherer detailliert ausgewertet. Die einzelnen Arbeitsschritte können dem ausführlichen Forschungsbericht [2] entnommen werden. Infrastruktur und Unfallgeschehen Für die detaillierten Unfallauswertungen und die Erstellung eines quantitativen Modelles wurde auf die Datensätze der Eisenbahnunfalluntersuchungsstelle des Bundes (EUB) [3] zurückgegriffen. Insgesamt wurden 2566 Bahnübergänge (Gesamtkollektiv) nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) [4] aus drei Bundesländern betrachtet, an denen 226 Unfälle mit Personen- und Sachschaden im Zeitraum 2005 bis 2011 geschahen. Untersucht wurde insbesondere der Einfluss infrastruktureller, betrieblicher und verkehrlicher Parameter auf das Unfallgeschehen. Als häufigste Sicherungsart wird die „Halbschranke mit Lichtzeichen“ (35 %) eingesetzt. 22 % der Bahnübergänge sind technisch nicht gesichert. Die meisten der Unfälle (78 %) ereigneten sich an technisch gesicherten Bahnübergängen: fünf Unfälle an Vollschranken, 107 an Halbschranken und 65 bei Blinklicht oder Lichtzeichenanlage. 62 % aller erfassten Unfälle waren Unfälle mit Personenschaden. Bei jedem zweiten dieser Unfälle wurde mindestens eine Person getötet oder schwer verletzt. Die Hälfte aller Verunglückten sind Bahnreisende oder Triebfahrzeugführer. 69 % der Unfälle sind auf die Missachtung technischer Sicherungseinrichtungen und 21 % der Unfälle auf die Missachtung des Vorrangs der Schienenfahrzeuge an Bahnübergängen ohne technische Sicherungseinrichtungen zurückzuführen (Bild 1). Etwa 54 % der Unfälle mit Personen- und Sachschaden wurden auf den Strecken der Hauptbahn registriert. Für die vertiefende Unfallanalyse standen 1169 Bahnübergänge (Untersuchungskollektiv) zur Verfügung. An 95 davon wurden 110 Unfälle mit Personen- und Sachschaden in den Jahren 2005 bis 2011 von der EUB registriert. 46 der insgesamt 110 relevanten Unfälle mit Personen-und Sachschaden (etwa 42 %) ereigneten sich an nicht-technisch gesicherten Bahnübergängen (Bild 2). Etwa genauso viele Unfälle (47 Unfälle) wurden an Bahnübergängen mit Halbschranken registriert, gefolgt von 14 Unfällen an Anlagen mit Blinklicht (ohne Schranke). Ergebnisse der Modellierungen Für die Erstellung eines quantitativen Modells zur Abschätzung des Unfallrisikos an Bahnübergängen wurden 1040 Bahnübergänge zugrunde gelegt. Es wurden insgesamt acht Teilmodelle für „technisch gesicherten Bahnübergänge“ und „nicht technisch gesicherte Bahnübergänge“ erstellt. Dabei wurde zunächst nach Teilmodellen für Unfälle mit Personen- und Sachschaden U(P, S), nur Unfälle mit Personenschaden U(P) und nur Unfälle mit Sachschaden U(S) differenziert. Darüber hinaus wurde nach Teilmodellen für Bahnübergänge mit allgemeinem Fahrverkehr und Bahnübergänge an Fuß- und Radwegen unterschieden. Als maßgebende Einflussparameter auf das Unfallgeschehen an technisch gesicherten Bahnübergängen haben sich die Sicherungsart, die Kurvigkeit der Straße sowie die zulässige Höchstgeschwindigkeit der Bahn herausgestellt. Technisch gesicherte Bahnübergänge mit Blinklicht oder Lichtzeichen haben im Vergleich zu Bahnübergängen mit Halbschranke ein um den Faktor 9,5 und im Vergleich zu Bahnübergängen mit Vollschranke ein um den Faktor 49 höheres Unfallrisiko. Bahnstrecken mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 160 km/ h weisen im Vergleich zu Strecken mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100- km/ h ein um den Faktor 3,2 höheres Unfallrisiko auf. Bei der Anwendung dieser Modelle zeigte sich jedoch, dass es wegen der sehr geringen Unfallzahlen an den untersuchten Bahnübergängen zu einer deutlichen Überbzw. Unterschätzung des Unfallrisikos je Bahnübergang kommen kann. Eine bessere Abschätzung des Sicherheitsgrads kann durch die Anwendung eines qualitativen Bewertungsverfahrens erfolgen. Dabei werden verschiedene Einflussfaktoren (z.B. Sicherungsart, Geschwindigkeit der Schienenfahrzeuge) anhand eines aus internationalen und nationalen Erkenntnissen zusammengestellten Bewertungsschemas beurteilt. Aus der Summe der Einzelbewertungen kann ein Maß für das Unfallrisiko aus der Sicht des nichtmotorisierten sowie des motorisierten Straßenverkehrs abgeleitet werden. Da der Vollabschluss (Vollschranke) sowohl unbeabsichtigtes als auch beabsichtigtes Fehlverhalten weitgehend ausschließt, ist diese Sicherungsart die Grundlage für das aus der qualitativen Bewertung abgeleitete dreistufige Bewertungssystem: Bild 1: Unfälle nach Schwere und Ursachen Bild 2: Unfälle nach Schwere und Sicherungsarten Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 26 INFRASTRUKTUR Verkehrssicherheit • Risikoarmer Bahnübergang (kein unmittelbarer Handlungsbedarf ) • Bahnübergang mit mittlerem Risiko (örtliche Prüfung, ob risikoreduzierende Maßnahmen notwendig sind.) • Risikoreicher Bahnübergang (geeignete Maßnahmen zur Risikoreduktion angezeigt) Analyse von Unfallakten der Versicherer Für eine Detailanalyse der Unfallhergänge wurden 108 Schadenakten der Versicherer gesichtet. Etwa jeweils 40 % dieser Unfälle ereignete sich an Bahnübergängen, die mit einer Halbschranke oder nur mit einem Andreaskreuz (ohne technische Sicherung) gesichert waren. Bei den meisten Unfällen kollidierten Pkw ohne Anhänger mit der Bahn. Besonders auffällig ist jedoch die relativ große Anzahl der Lkw mit Anhänger (26 von 108). Als Ursachen, die maßgeblich zu Unfällen führten, lassen sich vor allem Mutwilligkeit (Missachtung von Lichtzeichen und Schranke), Räumungsprobleme, Unachtsamkeit sowie Sichtbzw. Erkennbarkeit ausmachen (Bild 3). In vielen der ausgewerteten Schadenakten wurden die Kosten für den Sachschaden gutachterlich ermittelt. In den überwiegenden Fällen lagen differenzierte Kosten für die Bahn und den Straßenverkehrsteilnehmer vor. Die durchschnittlichen Gesamtkosten betragen für den Sachschaden je Unfall an Bahnübergängen mit Halbschranke etwa 218 810 Euro. Sie sind fast doppelt so hoch wie die Sachschadenkosten an nicht-technisch gesicherten Bahnübergängen (Tabelle 1). Besonders auffällig ist der Quotient der Sachschadenkosten zwischen Bahn und Straßenverkehrsteilnehmer. Dieser ist an Halbschranken mit etwa 9,3 am höchsten. Im Durchschnitt betragen die bahnseitigen Sachschadenkosten etwa das Fünffache der Sachschadenkosten, die beim Straßenverkehrsteilnehmer ermittelt werden. Wirksame Maßnahmen Es wurde eine Vielzahl von Maßnahmen bewertet, die zur Risikobeherrschung oder Risikoreduzierung an einem Bahnübergang beitragen können. Dabei wurde unterschieden nach Maßnahmen, die ihre Wirkung im Entscheidungsbereich vor dem Bahnübergang und/ oder im Räumungsbereich auf und nach dem Bahnübergang entfalten. Bei der Bewertung wurden die Investitionskosten und Betriebskosten, soweit möglich, berücksichtigt. Die folgenden Maßnahmen stellen Lösungen dar, die dazu geeignet erscheinen, die häufig festgestellten Verhaltensweisen, die zu Unfällen an den untersuchten Bahnübergängen geführt haben, deutlich zu reduzieren. Sie haben sich im In-und Ausland bereits als wirksam erwiesen: • Bauliche Trennung der Richtungsfahrstreifen durch Fahrbahnteiler oder Separatoren Sie wirkt im Entscheidungsbereich und führt zu einer starken Reduzierung (70 bis 90 %) des Umfahrens von Halbschranken [5], erhöht die Aufmerksamkeit des Kraftfahrzeugführers und die Verkehrssicherheit. • Rotlichtüberwachung durch Rotlichtkameras Sie wirkt im Entscheidungsbereich und führt zu einer starken Reduzierung von absichtlichen Missachtungen des ROT- Signals an technisch gesicherten Bahnübergängen, insbesondere an denen mit nur Blinklicht/ Lichtzeichen (ohne Schranke). Mit dieser Maßnahme lassen sich Umfahrungen der Halbschranken um bis zu 80 % deutlich reduzieren [6] und die Verkehrssicherheit verbessern. • Technische Gefahrenraumfreimeldung Mit dieser Maßnahme, die im Räumungsbereich wirkt, wird die Fahrt des Schienenfahrzeugs erst zugelassen, wenn der Gefahrenbereich freigemeldet wurde. Damit können Kollisionen mit stehend gebliebenen Fahrzeugen (z. B. durch Rückstaus, Kontrollverlust des Fahrers und noch nicht abgeschlossene Manöver) nahezu vollständig ausgeschlossen werden [7]. Es bleibt jedoch zu überprüfen, ob und wie eine technische Gefahrenraumfreimeldung auch bei Halbschranken angewendet werden könnte. Zusammenfassung und Empfehlungen Im Rahmen des abgeschlossenen Forschungsvorhabens konnten 1169 Bahnübergänge mit vollständig brauchbaren Infrastruktur- und Unfalldaten untersucht werden. Die Unfallanalyse zeigt, dass sich die meisten Unfälle an Bahnübergängen mit Halbschranken oder nicht-technisch gesicherten Anlagen ereignen. Unfälle mit Getöteten oder Schwerverletzten werden mehrheitlich an Bahnübergängen mit technischer Sicherung registriert. Eine detaillierte Auswertung von 108 Schadenakten der Versicherer zeigt, dass die Verhaltensweisen, die zu Unfällen führen, in folgende Kategorien unterteilt werden können: Mutwilligkeit, Räumungsprobleme und Unachtsamkeit. Hinzu kommen Probleme bei der Sicht bzw. Erkennbarkeit. Eine Vorhersage von Unfällen an Bahnübergängen ist für praktische Zwecke nicht realistisch, da es wegen der sehr geringen Anzahl der Unfälle zu einer starken Überbzw. Unterschätzung der Unfälle kommen kann. Eine Risikoabschätzung eines einzelnen Bahnübergangs anhand einer Punktbewertung maßgebender Parameter, die die Entstehung von Unfällen begünstigen können, kann zielführend sein. Die vorgeschlagene Risikobewertung unterscheidet zwischen nichtmotorisierten und motorisierten Straßenverkehrsteilnehmern. Für die letztere Gruppe wird zusätzlich nach Einfluss auf den Entscheidungsbereich vor dem Bahnübergang und den Räumungsbereich auf und nach dem Bahnübergang differenziert. Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurde eine Vielzahl von Maßnahmen untersucht. Die wirksamste Methode zur Vermeidung von Unfällen an Bahnübergängen ist deren Rückbau und Ersatz durch Unter-/ Überführungen. Aber auch durch den Ein- Bild 3: Fehlverhalten bei Unfällen an Bahnübergängen nach der Sicherungsart (Schadenakten der Versicherer) Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 27 Verkehrssicherheit INFRASTRUKTUR satz von Vollschranken kann bereits ein effektiver Beitrag zur Verkehrssicherheit geleistet werden. Alle anderen Bahnübergänge mit Halbschranken oder Lichtzeichenanlagen sind deutlich unsicherer. Hier werden zumindest Maßnahmen empfohlen, die zu einer teilweisen Reduzierung des Unfallrisikos beitragen. Dazu zählen: • bauliche Trennung der Richtungsfahrstreifen durch Fahrbahnteiler oder Separatoren • Einsatz von Rotlichtüberwachungsanlagen • Einsatz technischer Gefahrenraumfreimeldeanlagen Unfallauffällige nicht-technisch gesicherte Bahnübergänge sollten grundsätzlich mindestens mit einer Lichtzeichenanlage gesichert und ggf. mit Rotlichtüberwachung ausgestattet werden. Ob, wie vielfach gefordert, für nicht-technisch gesicherte Bahnübergänge anstelle des Andreaskreuzes (Zeichen 201) ein Stopp-Schild (Zeichen 206) einen Sicherheitsgewinn bringt, wurde im Rahmen der Studie nicht untersucht und müsste bei Bedarf durch eine Feldstudie belegt werden. Grundsätzlich sollten alle Maßnahmen das Ziel haben, das Queren eines Bahnübergangs rechtzeitig zu unterbinden, sobald sich ein Schienenfahrzeug nähert. Zudem sollte der Bahnübergang so überwacht werden, dass eine entsprechende Meldung an das Schienenfahrzeug gesendet werden kann, wenn der Bahnübergang nicht rechtzeitig geräumt wird. Dies ist derzeit jedoch nur mit einer Vollschranke wirksam realisierbar. Es sollten Pilotprojekte initiiert werden, um die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen an Bahnübergängen in Deutschland zu evaluieren. Hierfür ist eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den beiden Baulastträgern von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus können geeignete Kampagnen zur Sensibilisierung der Straßenverkehrsteilnehmer einen zusätzlichen Beitrag leisten. ■ QUELLEN [1] Statistisches Bundesamt, DESTATIS (2018): Verkehrsunfälle 2017, Fachserie 8, Reihe 7. Wiesbaden, Juli 2018. [2] Unfallforschung der Versicherer, UDV (2016): Hantschel, Hoefert, Kollmus, Pohle, Schöne, Bakaba, Ortlepp: Sicherheit an Bahnübergängen. Forschungsbericht Nr. 44, Dezember 2016, Berlin [3] Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes, EUB (1999): Anordnung A 21 00 00 der EUB vom 15. November 1999. [4] EBO (2008): Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 8. Mai 1967 (BGBl. 1967 II S. 1563), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 19.03.2008 (BGBl. I S. 467). [5] Federal Railroad Administration (2009): North Carolina “Sealed Corridor” Phase I, II, and III Assessment, Washington D.C, 2009. [6] NEON (2016): Überwachungskamera installiert - Aktion scharf bei Eisenbahnkreuzung in Winzendorf. URL: http: / / m.noen.at/ wr-neus t a d t/ a k ti o ns c h a rf-b e ie i s e n b a h n k re u z u n g-i n-wi n z e ndorf/ 13.429.224, abgerufen am 19.07.2016. [7] SELCAT-Arbeitsgruppe (2008): D4 - Report on Cost Benefit Analysis methods for level crossings. URL: http: / / www.iva.ing.tu-bs.de/ levelcrossing/ selcat/ lcDocuments/ 867-867-26_SELCAT-D4.pdf, abgerufen am 04.06.2011. Jean Emmanuel Bakaba, Dr.-Ing. Referent Verkehrsinfrastruktur, Unfallforschung der Versicherer, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., Berlin e.bakaba@gdv.de Jörg Ortlepp, Dipl.-Ing. Leiter Verkehrsinfrastruktur, Unfallforschung der Versicherer, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., Berlin j.ortlepp@gdv.de Unfallkosten (Ermittelter Sachschaden nach Gutachten in den Akten der Versicherer)* Kosten des Sachschadens nach der Art der Sicherung untersuchter Bahnübergänge Alle Sicherungsarten Vollschranke Halbschranke Blinklicht oder Lichtzeichenanlage Nicht-technisch gesichert Bahn Kosten Sachschaden insgesamt [EUR] 12.636.207 381.200 5.730.000 2.427.307 4.068.500 Anzahl der Akten mit Kostenschätzung 92 1 28 22 41 Kosten Sachschaden pro Unfall [EUR] 137.350 381.200 204.643 110.332 99.232 Straßenverkehrsteilnehmer Kosten Sachschaden insgesamt [EUR] 2.305.250 80.000 615.500 792.500 744.950 Anzahl der Akten mit Kostenschätzung 88 1 28 20 39 Kosten Sachschaden pro Unfall [EUR] 26.196 80.000 21.982 39.625 19.101 Gesamtkosten Kosten Sachschaden insgesamt [EUR] 14.941.457 530.200 6.345.500 3.219.807 4.813.450 Anzahl der Akten mit Kostenschätzung 96 2 29 24 41 Kosten Sachschaden pro Unfall [EUR] 155.640 265.100 218.810 134.159 117.401 * Kostenermittlung war nicht in allen Akten vorhanden. Tabelle 1: Kosten für den Sachschaden für die Bahn und den Straßenverkehrsteilnehmer nach Sicherungsart Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 | office@trialog.de | www.trialog-publishers.de Redaktionsleitung: Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de redaktion@internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 28 INFRASTRUKTUR Kommunikationsnetze Einsatzkritische Kommunikation Mit kommerziellen Mobilfunknetzen möglich? Public Safety, einsatzkritische Breitbanddienste, Datenverkehr Sichere einsatzkritische Sprachkommunikation erfolgt heute nahezu ausschließlich über dedizierte Funknetze (PMR-Netze) und exklusiv zugeteilte Frequenzen. Die Nutzung kommerzieller Mobilfunknetze für die einsatzkritische Sprachekommunikation erschien in der Vergangenheit nicht geeignet. Doch die Diskussionen um künftige breitbandige Anwendungen - insbesondere Datendienste im Bereich der einsatzkritischen Kommunikation - haben in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen. Dabei steht auch der Einsatz kommerzieller Netze im Blickpunkt. Bernhard Klinger K lar ist: Die überlebenswichtigen Sicherheits-, Verkehrs- und Versorgungssysteme funktionieren nicht ohne mobilen Funk. 1 Hinzu kommt eine zunehmende Abhängigkeit auch von Breitband-Funkdiensten mit hoher Reichweite. Im Jahr 2013 bereits gab die Europäische Kommission eine Studie in Auftrag, in der geklärt werden sollte, ob und unter welchen Rahmenbedingungen sich kommerzielle Mobilfunknetze für einsatzkritische Breitbanddienste eignen. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hatten laut dieser Ende 2014 veröffentlichten Studie schon mindestens 19- Mrd. EUR für Kommunikationssysteme der Sicherheits- und Rettungsdienste ausgegeben. Der größte Teil dieser Summe wurde in die Funktechnologien TETRA und TETRAPOL investiert, die Datendienste aber nur mit geringem Datendurchsatz unterstützen. Die bisherigen Investitionen in Schmalbandfunknetze europäischer Eisenbahnsysteme, die derzeit einen 900-MHz-Dienst auf der Basis ihrer eigenen privaten Funknetze und einer Variante des GSM-Standards (GSM-R) nutzen, werden sogar auf über 25 Mrd. EUR geschätzt. Angesichts dieser Kosten wies die Studie auch auf die angespannte Finanzlage, Sparzwänge und den Haushaltsdruck in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hin. Als Reaktion auf diesen Haushaltsdruck bei gleichzeitiger Notwendigkeit der Einführung neuer, leistungsfähiger mobiler Breitbanddienste gab die Europäische Kommission eine detaillierte Untersuchung von Kosten und Nutzen des Einsatzes kommerzieller Funknetze für missionskritische Breitbanddienste in Auftrag. Kommerzielle Netze versus Public-Safety Netze Die Geschäfts-, Funktions- und Einsatzmodelle kommerzieller Netze und der Netze der Sicherheits- und Rettungskräfte (Public Safety) unterscheiden sich stark. Die Sprach- und Datenkapazität kommerzieller Netze wird in der Regel durch die sogenannte „busy hour“ an einem gewöhnlichen Tag definiert und die Qualität die Funkversorgung von der Bevölkerungsdichte abhängig gemacht. Sie ist also dort am besten, wo sich üblicherweise viele Nutzer aufhalten: in urbanen Ballungsräumen. Bei der Kommunikation in kommerziellen Netzen handelt es sich überwiegend um direkte Punkt-zu-Punkt-Kommunikation. Der Datenverkehr in kommerziellen Netzen besteht überwiegend aus Downloads, Musikbzw. Video-Streams mit meist nur durch den Tarif bestimmter Priorisierung. Ein Netzausfall ist daher in der Regel lästig, aber nicht bedrohlich. Eine Authentifizierung des Teilnehmers findet auf Geräteebene statt und wird vom Netzbetreiber durchgeführt. Primäres Ziel der Public-Safety-Netze ist der Schutz von Leben, Eigentum und Staat. Die dafür erforderliche Kapazität wird durch ein „Worst-Case-Szenario“ bestimmt, also eine sogenannte Großschadenslage. Die Funkversorgung muss daher territorial ausgelegt sein und auch in ländlichen Regionen eine gute Qualität aufweisen. Die hauptsächlich genutzte Kommunikationsart ist der Gruppenruf, wobei die Gruppen häufig dem Einsatz entsprechend dynamisch zusammengestellt werden. Der Ausfall eines Public-Safety-Netzes kann zu ernsthaften Bedrohungen bis hin zum Verlust von Menschenleben führen. Der Datenverkehr besteht eher aus Uploads, etwa Livevideos von der Einsatzstelle an die Zentrale. Daher erfordern Public- Safety-Anwendungen eine signifikante Differenzierung in der Priorisierung, je nach Rolle des Nutzers bzw. Ausmaß des Vorfalls, und das mit einer dynamischen Zuordnung. Dabei befindet sich die Teilnehmerinformation im Besitz der Behörde, die Authentifizierungen bis auf die Benutzerebene durchführt. Was bedeutet „missions- und einsatzkritisch“? Die Studie definiert eine Mission als „kritisch“, wenn durch ihr Versagen Menschenleben gefährdet werden oder ein Gut bedroht wird, dessen Verlust oder Beeinträchtigung erheblichen Schaden für Gesellschaft oder Wirtschaft bedeutet. „Einsatzkritisch“ ist eine Kommunikation dann, wenn schon eine geringfügige Störung der Kommunikation schlimme Konsequenzen wie Gefährdung von Menschenleben oder erheblichen Schaden für die Gesellschaft bzw. die Wirtschaft haben könnte. Daraus ergeben sich vier zentrale Fragen: • Kann und wird LTE einsatzkritische Dienste wie z.B. den Gruppen- und Prioritätsruf mit garantierten deterministischen Rufaufbauzeiten von kleiner als 500 ms oder den sogenannten Direct Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 29 Kommunikationsnetze INFRASTRUKTUR Mode (Kommunikation ohne Infrastruktur) bereitstellen? • Können kommerzielle LTE-Netze zu angemessenen Kosten für einsatzkritische Anwendungen „gehärtet“ und vor Ausfällen und externen Angriffen geschützt werden? • Kann ein gehärtetes LTE-Netz im Hinblick auf Realisierung, Betrieb und erforderliche Technik günstiger als ein „dediziertes“, also nur für die Einsatzkräfte bestimmtes Netz sein? • Sind kommerzielle Netzbetreiber bereit, langfristige Verträge einzugehen sowie die erforderliche Dienstezuverlässigkeit und -verfügbarkeit zu langfristigen Festpreisen bereitzustellen? Die Studie jedenfalls kam zum Schluss: Kommerzielle Netze sind für die einsatzkritische Datenübertragung geeignet. Aber nur, wenn entsprechende rechtliche, administrative und vertragliche Rahmenbedingungen vorliegen, welche die Sicherstellung der Erfüllung der missionskritischen Dienste der Sicherheitskräfte, Versorgungs- und Transportunternehmen garantieren. Die missionskritischen Dienste der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) 2 sowie der Versorgungs- und Transportunternehmen, die schon gesetzlich zu einer gewissen Betriebskontinuität verpflichtet sind, dürfen also nicht gefährdet sein. Um dies zu gewährleisten, sind neben entsprechenden Vertragsstrukturen auch gesetzgeberische und regulatorische Maßnahmen erforderlich. Praktisch würde dies auf eine Reihe neuer Zulassungsbedingungen für den Betrieb eines öffentlichen Funknetzes hinauslaufen: Bestehende Richtlinien, Gesetze oder Vorschriften bedürfen der Prüfung und ggf. Änderung. Regulierungsbehörden sollten auch die Tarife für einsatzkritische Dienste festlegen. Grundlage der Preisfindung sollte die Untersuchung der realen Kosten der Mobilfunkbetreiber und der entsprechenden Kosten in anderen europäischen Ländern sein. Die Offenlegung der Kostenrechnung durch die Mobilfunknetzbetreiber wäre dazu erforderlich. Fünf Szenarien und die Kosten Auf Basis der Fakten zu technischen Möglichkeiten und Frequenzbändern stellt die EU-Studie fünf Szenarien mit unterschiedlichen Verwendungsoptionen dar und betrachtet vier der Szenarien im Hinblick auf die Kosten. • Szenario 1: Kosten und Nutzen bei Weiterführung bestehender eigener Schmalbandnetze (TETRA bzw. TETRAPOL) und Spezialfunkgeräte. Diese Anschaffungs- und Betriebskosten wurden als Referenz für die Szenarien 2 bis 4 herangezogen. • Szenario 2: Mitnutzung kommerzieller Breitbandfunknetze (LTE) mit kommerzieller Ausrüstung. Der kommerzielle Netzbetreiber baut, betreibt und besitzt das Netz, der Staat finanziert die erforderliche Netzhärtung und mietet die benötigten Dienste. Die Betriebskosten würden hier von kommerziellen und BOS-Nutzern gemeinsam getragen und lägen deutlich unter denen von Szenario 1. Das größere Problem wären jedoch die erforderlichen administrativen, rechtlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen. • Szenario 3: Aufbau und Betrieb eines eigenen, dedizierten LTE-Funknetzes (vom Staat finanziert, gebaut, betrieben und im Eigentum) mit kommerziellen und speziell aufgerüsteten Geräten. Bei den Anschaffungskosten kommen Einspareffekte der kommerziellen Massenproduktion zum Tragen, die Betriebskosten fallen aber wegen der exklusiven Nutzung des Netzes durch die BOS-Anwender höher aus. Und das Szenario braucht ein eigenes Frequenzspektrum, das - wenn überhaupt - nur in geringem Umfang zur alleinigen Nutzung zur Verfügung stehen wird. • Szenario 4: Hybrides System mit Weiterverwendung des bestehenden Schmalbandfunknetzes, also Nutzung von TETRA für Sprache sowie Mitnutzung kommerzieller LTE-Mobilfunknetze für die Datenübertragung. Hier sieht die Studie deutlich höhere Kosten sowohl für die Anschaffung als auch für den Betrieb. Diese werden allgemein durch den Parallelbetrieb zweier Netze begründet. Andererseits bietet dieses Szenario höhere Flexibilität und die Möglichkeit einer schrittweisen Umstellung auf LTE. • Szenario 5: Einheitliches, gemeinsam genutztes Netz für BOS und Betreiber kritischer Infrastrukturen (Verkehr, Energieversorgung, usw.) auf Basis eines dedizierten LTE-Breitbandnetzes mit kommerziellen Geräten. Für dieses Szenario hat die Studie lediglich Chancen und Risiken ermittelt. LTE und einsatzkritische Dienste Die entscheidende Frage aber lautet: Kann oder wird LTE einsatzkritische Dienste bereitstellen? Die Studie sagt, dass bereits seit LTE-Release 11 (März 2013) im Rahmen der Standardisierung an der Umsetzung einsatzkritischer Leistungsmerkmale gearbeitet wird und in Release 13 (seit März 2016) die wichtigsten Arbeitspunkte abgeschlossen und standardisiert worden sind. Die Studie geht jedoch nicht im Detail darauf ein, um welche Leistungsmerkmale es sich handelt, die auf Basis der wichtigsten Arbeitspunkte für sicherheitskritische Anwender bereitgestellt werden. 3 Die Frage, ob kommerzielle Mobilfunknetze sich für missionskritische Breitbanddienste eignen, beantwortet die EU-Studie also grundsätzlich mit „Ja“. Die Mitnutzung kommerzieller LTE-Funknetze und kommerzieller Ausrüstung der Mobilfunknetzbetreiber (Szenario 2) ist vermutlich die günstigste Option. Allerdings müsste die langfristige Verfügbarkeit missionskritischer Dienste durch rechtliche, administrative und vertragliche Rahmenbedingungen sichergestellt werden. Hierbei müsste jeder Staat prüfen und individuell entscheiden, ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall realisiert werden können. ■ 1 Siehe auch Klinger, Bernhard: Mobile Breitbanddienste für Verkehrsunternehmen. In: Internationales Verkehrswesen (67) 2015, Heft 4, S. 16-17 2 www.bdbos.bund.de 3 Im Rahmen der Fachtagung zur PMRExpo 2018, 24.- 27.11.2018 in Köln, referiert der Autor unter anderem über die Eignung der kommenden 5G-Technologie und das Potential von Hybrid-Lösungen für missionskritische Breitbanddienste. Bernhard Klinger Vice President Business Development, Hytera Mobilfunk; Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes und Leiter des Fachbereiches Breitband im Bundesverband Professioneller Mobilfunk e.V. (PMeV) klinger@pmev.de Foto: pixabay Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 30 LOGISTIK China Smart City Logistics - Ein-Besuch in Schanghai City-Logistik, Smart City, Megacity, E-Commerce Schanghai ist die größte Wirtschaftsmetropole in der Volksrepublik China. Ihr schneller Aufstieg als postindustrielle Megacity führt zu grundlegenden Veränderungen in ihrer urbanen Wirtschaft. Schanghai kommt dabei eine Hauptrolle beim Wachstum der gesamtchinesischen Ökonomie zu. Dieser Beitrag beleuchtet die Entwicklung Schanghais aus einem logistischen Blickwinkel. Er zeigt die Herausforderungen auf, die Schanghai meistern muss, um Menschen und Unternehmen intelligent zu versorgen. Christopher W. Stoller, Wanggen Wan D ie Dynamik des Wandels in China ist besonders deutlich in Schanghai nachzuvollziehen. Die Stadt am Yangtse Flussdelta ist nicht nur „heiß“ wegen ihrer wohligen und saunagleichen Wärme, sondern Beweis einer rapiden urbanen Entwicklung während der letzten Jahrzehnte. „3C-Community, Convenience, and Competitiveness“ wird diese von den Einwohnern beschrieben. Vielleicht ist sie deshalb auch die wohl am meisten untersuchte globale City. 1 Sie liegt im Osten Asiens im nördlichen Mündungsgebiet des Yangtse Flusses und an der Westküste des Pazifiks. Schanghai verfügt über ein ausuferndes Transportnetz, große Flächen im Hinterland und eine überlegende geografische Lage. Mehr als 80 % der Produktion verbleiben in anderen Teilen Chinas. 2 Der Grad der Urbanisierung im Yangtse Flussdelta ist der höchste in Gesamtchina. Benachbarte Provinzen wollen mit neuen städtischen Raumkonzepten Paroli bieten, indem sie städteverbindende und regionale Transportsysteme und andere Infrastrukturprojekte nach vorne treiben. Genau wie die große „Stadtprovinz“ Schanghai wollen sie Smart-City-Konzepte umsetzen, die Güte und Effizienz städtischer Planung verbessern und die Städte lebenswerter machen. 3 Schanghai: Maß aller chinesischen Dinge? ! Um Bevölkerung und Industrie intelligent zu versorgen, kommt der Logistik und Infrastruktur eine bedeutende Rolle zu. Generell wird mit einem Anstieg der Bevölkerung und Ausweitung von Produktionsstätten, Einzelhandel und Dienstleistungsunternehmen der Transport zu und von den Verbrauchsstätten immer wichtiger. Raumkonzepte hierfür müssen Transporte von Umschlagsplätzen und Distributionszentren zu lokalen Märkten, Supermärkten, Shopping Malls und Fabriken genauso behandeln wie die innerstädtische Verteilung an Privathaushalte. Mit immer kleineren Sendungsgrößen verschwindet die sonstige Unterscheidung zwischen Geschäfts- und Privatkunden. Zudem stellt sich in der innerstädtischen Belieferung das „Just-in-time“-Problem. Zustellungen werden zeitkritischer, sie müssen möglichst schnell angeliefert werden und erhöhen so die Anforderungen an die Auslieferung und das Transportnetz. Gerade in Metropolen wie Schanghai stellt sich noch die Verkehrsbelastung. Millionen PKWs und LKWs treffen auf Millionen Fahrrad- und Elektroroller, oftmals als Lieferfahrzeuge eingesetzt - ein wohl geordnetes Chaos im öffentlichen Raum. Letztlich gilt es, die Abgase und sonstigen Emission durch Verkehr und Industrie in den Griff zu bekommen. Dieser Beitrag wird sich der Herausforderungen und Lösungen annehmen und versuchen, die von den Verantwortlichen bereitgestellten Konzepte zu analysieren. Die Untersuchung soll vor dem Hintergrund der City-Logistik erfolgen - eigentlich ein schon in die Jahre gekommener Teilaspekt der Logistik, der im Zuge moderner Smart-City-Ansätze in den letzten Jahren wieder mehr Aufmerksamkeit findet, besonders in China. China mit seiner Landflucht, gesellschaftlichen Struktur und seiner Technologiegläubigkeit hat vielleicht Antworten gefunden, die in Europa Beachtung finden können. Bild 1: Umweltverträgliche Entsorgungslogistik in Schanghai Foto: Stoller Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 31 China LOGISTIK Wie macht man City-Logistik smart? Das Thema City-Logistik kam in den 1990er Jahren in den wissenschaftlichen Fokus. 4 Unter City-Logistik wird die Ver- und Entsorgung von innerstädtischen Räumen durch vernetzte Transport- und Logistiksysteme verstanden. Hiervon erhofft man sich die Entlastung der Infrastruktur bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung und Steigerung der Wirtschaftlichkeit. 5 Hinsichtlich der Organisation werden verschiedene Aspekte der Innenstadtbelieferung angeführt. So stellt man die Ver- und Entsorgung unter Berücksichtigung von Luft-, Lärm- und anderen Belastungen sowie den Zusammenhalt mit anderen Verkehrsakteuren 6 , die Kooperation in der Verteilung 7 oder intelligente Ökosystemen als Organisation der City-Logistik 8 in den Vordergrund (Bild 1). Neuerdings werden zudem noch Aspekte intelligenter Transportsysteme bzw. bestimmter Bündelungsstufen 9 oder der Einsatz von Elektromobilität 10 im Kontext der Innenstadtbelieferung beleuchtet 11 . Aufgrund der Bevölkerungsexplosion, Landflucht und der sich entwickelnden Wirtschaft sind Asien und China in den Fokus geraten. 12 Smart City ist ebenfalls in den 1990er Jahren thematisiert worden. 13 Grundsätzlich werden unter Smart City Ansätze verstanden, Kommunen mithilfe neuer Technologien, wie dem Internet der Dinge 14 , zu modernisieren und lebenswerter zu gestalten. Dies soll durch nachhaltigere Nutzung von Ressourcen geschehen, u. a. bei der Mobilität dadurch, dass Verkehrsflüsse durch intelligente Systeme aufeinander abgestimmt werden, Haushalte bedarfsgerecht gesteuert werden oder Dienste digitalisiert genutzt werden können. 15 Was ein Konzept smart macht, ist allerdings keiner objektiven Beurteilung zugänglich. So wird smart als einem Netzwerk zugehörend oder als weiche Infrastruktur gesehen, beispielsweise als Grad der Zugangsfähigkeit nach Verkehrsträger oder als die Länge des ÖPNV- Netzes, verglichen mit dem Bruttoinlandsprodukt per Einwohner einer Stadt. 16 Im Unterschied zu Europa, wo es um die Weiterentwicklung städtischer Strukturen geht 17 , steht in China der Neubau ganzer Städte im Vordergrund. Für die weitergehende Analyse wird das Smarte in City-Logistik verstanden als die intelligente, weil nachhaltige und technologiegesteuerte Verteilung und Entsorgung von Gütern an und von Konsumstellen im urbanen Raum. 18 Das Verständnis einer Smart City-Logistik ist interessant für eine Reihe von Akteuren. Speditionen und Paketdienste bzw. die Empfänger von Waren haben ein Interesse an Kosten- und Zeitersparnis und flexiblen Anlieferzeiten sowie an der Verringerung der An- und Abfahrten und dadurch weniger Lärm- und Luftbelastung. Die Kommune bzw. ihre Bewohner sind an letztgenannten interessiert. Der Versender will vor allem Kosten und Zeit sparen, ist vielleicht um eine saubere Ökobilanz aus Reputationsgründen bemüht. Bestandsaufnahme Rahmenbedingungen Dass der Logistik eine elementare Rolle in der Entwicklung einer Volkswirtschaft zukommt, hat die chinesische Regierung schon früh erkannt. In den 40 Jahren seit der Öffnung Chinas ist das Verkehrs- und Transportwesen mittlerweile auf einem hohen Stand. Aufbauend auf dem 12. Fünfjahresplan (2011 bis 2015) konnte mit dem „Logistikindustrie-Entwicklungsprogramm (2014 bis 2020)“ ein spezielles Instrument bereitgestellt werden. Zwischenergebnisse flossen in den aktuellen 13. Fünfjahresplan (2016 bis 2020) ein: Unabdingbar für eine landesweit effiziente Logistik sei letztendlich eine funktionierende Infrastruktur. Es existieren jeweils fünf (vertikale) Verkehrskorridore in Nord-Südbzw. West-Ost-Richtung (horizontal), die das Land über jeweilige Knotenpunkte verbindet. 19 Mit 136 500-km ist das Autobahnnetz das weltweit größte. Das Schienennetz umfasst 127 000 km und ist damit das zweitgrößte. In Bezug auf das Hochgeschwindigkeitsschienennetz ist man mit 25 000 km die Nummer 1. Wasserstraßen kommen auf 127 000 km Länge. China verfügt über 229 Flughäfen. Somit kommt China absolut betrachtet auf die vorderen Ränge. Es gibt dennoch logistische Unzulänglichkeiten, insbesondere in der Qualität logistischer Dienstleistungen. 20 Im aktuellen Logistics Performance Index der Weltbank liegt China auf Platz 27. 21 Die Stadtprovinz Schanghai hat eine Bevölkerung von 24,2 Mio. Einwohnern, was einem Anteil von 5,71 % der 1,38271 Mrd. Einwohner Gesamtchinas entspricht. 22 Insgesamt wohnen 87,90 % im innerstädtischen Gebiet der Stadtprovinz, verglichen mit 57,35 % der gesamtchinesischen Einwohnerdichte. Damit ist sie die dichtbewohnteste Provinz. Die 8,127 Mio. Haushalte haben mit durchschnittlich 2,47 Personen pro Haushalt den niedrigsten Wert landesweit. Dies muss natürlich Auswirkungen auf Versorgung der Bevölkerung haben. Betrachtet man den Individualverkehr, so fällt auf, dass im innerstädtischen Gebiet 30,3 % der Haushalte über einen PKW, 3,6 % über ein Motorrad sowie 56,5 % über einen Elektroroller verfügen. Im Umland sind dies 21,0 % (PKW), 9,6 % (Motorrad) und 138,9 % (Elektroroller). Die unterschiedlichen Zahlen lassen sich mit dem gut funktionierenden öffentlichen Personen- und Nahverkehr erklären. Untergrundbahn, Stadtbusse und Taxis zählen hierzu. Die Feinstaubbelastung ist mit 59- µ g/ m 3 (PM10) bzw. 45 µ g/ m 3 (PM2,5) für China relativ gering - obwohl im Vergleich beispielsweise mit deutschen Werten von 35- µ g/ m 3 (PM10) bzw. 18 µ g/ m 3 (PM2,5) 23 am Stuttgarter Neckartor sehr hoch. Vielleicht sind die Werte in Schanghai das Ergebnis einer radikalen Verbannung alter PKW, die seit August 2015 in Kraft ist. 56 800 PKW wurden aus dem Verkehr gezogen, darunter 41500 Fahrzeuge mit gelber Umweltplakette. Für Diesel-LKW, die unter der Abgasnorm China III laufen, sind die Betriebsstunden innerhalb der mittleren Ringstraße ab dem 1. November auf 1 : 00 bis 6 : 00 Uhr nachts beschränkt worden. 24 Insgesamt haben 3814 Großhandelsunternehmen sowie 107 Einzelhandelsunternehmen mit einem Umsatz mehr als 100-Mio. RMB mit insgesamt 18211 Filialen ihren Sitz in Schanghai. In einer von Mobiltelefonen und Internet geprägten Gesellschaft erzielte der Online-Einzelhandel einen Umsatz in Höhe von 510,73 Mrd. RMB in Schanghai. Es sind 3354 private und 680 staatliche Fertigungsbetriebe mit einem Umsatz mehr als 20 Mio. RMB in der Metropole registriert. In der Schanghaier Logistik- und Transportbranche arbeiten mehr als 500 000 Menschen (Spedition: 72 452; Lagerung: 28 385; Schiene: 40 590; Straße: 196 395; Wasser: 53 610; Luft: 83 947, Öl-/ Gas-Pipeline: 3148 Pipeline; Post 31 065). Davon fast die Hälfte in der Freihandelszone. Die Branche konnte, gemessen in 100- Mio.-Frachttonnen-Kilometern, bewegen: Schiene (10,21), Straße (281,98) und Wasser (19 025,58). Für den Straßentransport sind Schwer-LKW (102 900), Mittelschwer-LKW (46 800) und Klein-LKW (68 800) täglich im Einsatz. Aufgrund der Luftverschmutzung drängen mehr elektrifizierte Transportfahrzeuge auf den lokalen Markt: JAC Shuailing i5 und i3; Liuzhou Motor Chenglong L2, oder der SAIC Maxus EV80. Interessanterweise ist das Schanghaier Straßennetz mit 5129 km das viertkleinste China. Zum Vergleich: Tibet hat das kleinste Straßennetz mit 1149 km. Stadtplanung Schanghai hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die eine intelligente Ver- und Entsorgung der Metropole ermöglichen. Ein großes Augenmerk wird zwar dem ÖPNV gewidmet, aber auch die Straßenplanung Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 32 LOGISTIK China weist Besonderheiten auf. So gibt es Viadukte, doppel- und mehrstöckige Straßen, die teilweise noch überbrückt sind (Bild 2). Lieferverkehr ist nur auf der Grundstraße erlaubt. Lieferzeiten sind zeitlich begrenzt von 7: 00 Uhr bis 20: 00 Uhr für nicht-lokale LKW (Bild 3). Weiterhin wird Wert gelegt auf die Nutzung anderer Verkehrsträger. Für kurze Fahrzeiten empfiehlt sich der Gebrauch von Elektrorollern. Spezielle Straßenfahrbahnsegmente, physisch abgetrennt vom Rest der Fahrbahn, ermöglichen einen geschützten und reibungslosen Transport kleinerer Güter. Der Zustelldienst JD.COM des gleichnamigen E-Commerce-Anbieters verfügt über eine eigene Flotte von Paketzustellern mit Elektroroller. Eine auf die lokalen wirtschaftlichen Bedürfnisse abgestimmte Stadtplanung, die Wohnbebauung in der Nähe von Dienstleistungszentren zulässt, verringert Fahrzeiten der arbeitenden Bevölkerung. 25 Gleichzeitig werden Anfahrzeiten von Bringdiensten minimiert. Der Hongqiao Central Business District (Bild 4), ein Retortenstadtteil nahe dem (Fracht-) Flughafen Hongqiao und dem Bahnhof für Hochgeschwindigkeitszüge, ist nur einer dieser Citycluster. 26 Hier werden dedizierte Be- und Entladezonen bereitgestellt. Zufahrten sind separat geregelt. Darüber hinaus verfügt Schanghai mit seiner Freihandelszone über ein Logistik- und Transportzentrum für Luft-, See-, Schienen- und Straßenfracht, das den Güterumschlag durch direkte Shuttle- oder Milk-run-Verkehre zwischen den Umschlagspunkten auf dem 120 km 2 -Gelände erlaubt. 27 So werden innerstädtische Transportwege, Fahrtenanzahl und Wartezeiten an außerhalb gelegenen Umschlagslägern vermieden. Technologie-Netzwerke Neue Ansätze geht der Internet-Konzern Alibaba Group Holding. 28 Über die Provinzgrenzen Schanghais plant man mit einem ihrer Tochterunternehmen Cainiao Network Technology. Gegründet 2013, dient Cainiao als eine technologiebasierte Franchise-Plattform, die 3 Mio. Paketzusteller mit einer Paketdepotfläche von insgesamt 30 Mio. m 2 verbindet. So wird die Zustellzeitdauer von vier auf zwei Tage, perspektivisch 24 Stunden, reduziert. Gleichzeitig wolle man in neue Antriebstechnologien bei den Zustellfahrzeugen investieren. Einen ähnlichen Weg geht das Unternehmen Juma Logistics. 29 Das 2011 gegründete Unternehmen stellt geschultes Fahrerpersonal und Klein-LKW als Teil- oder Gesamtlösung langfristig oder nur für spezielle innerstädtische Fahrten zur Verfügung. In 137 Niederlassungen in 67 Städten ist man bereits mit einer Flotte von mehr als 10 000 Fahrzeugen vertreten. Zu den Kunden gehören die Internetgiganten Alibaba und JD. COM, aber auch angestammte Versender, wie Walmart. Mittelfristig plane man den Ersatz der LKW-Fahrer durch autonom fahrende Klein-LKW, die über ein Transportmanagementsystem miteinander vernetzt sind. Ausblick Diese Bestandsaufnahme zeigt, dass die Metropole Schanghai besonders aus logistischen Gesichtspunkten interessant ist. Natürlich hat Schanghai mit seinen Flug- und Seehäfen eine gesamtchinesische Bedeutung, doch ist es gerade seine City-Logistik die das Leben mit erleichtert. Ob Elektroroller, Viadukte oder autonom fahrende LKW, sie alle sorgen dafür, dass die Ziele der City-Logistik in einer intelligenten Art und Weise erreicht werden. So können denn selbstbeschäftigte Zusteller, die einzelnen öffentlichen Einrichtungen, Händler und Produktionsunternehmen sowie Anwohner gemeinsam von den Errungenschaften einer modernen Verteilungslogistik profitieren. Einige europäische Megacities, die ei- Bild 1: Knotenpunkt der Hochautobahn im Stadtzentrum Foto: Mätes II/ Wikimedia Bild 2: Zufahrtsbeschränkungen in der Innenstadt Schanghais Foto: Stoller Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 33 China LOGISTIK nen ähnlichen rasanten Aufstieg hinter sich haben, wie Istanbul oder Moskau, können sicherlich einige Lehren aus dem Osten Asiens ziehen. Angesichts der Größe und Konzentration der logistischen Infrastruktur wird man sicherlich keine Parallelen für Deutschland ziehen können. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die chinesischen Internetkonzerne logistisch aufstellen. Ihre Versuche, Logistikkompetenz zu erwerben und für sich nützlich zu machen, sind vielseitig. Ob es ein „Copy & paste“ dieser Bestrebungen in Richtung Europa geben wird, kann man heute noch nicht beurteilen. ■ 1 So die Einschätzung von Chen (2009), S. vii 2 Vgl. Wang (2013), S. 183. 3 Weitere „Stadtprovinzen“ sind Beijing, Tianjin und Chongqing. Sie unterliegen der Direktverwaltung der chinesischen Zentralregierung. Zudem gibt es 27 Provinzen, die nach ihrer geografischen Ausrichtung unterschieden werden. Östliche Provinzen und „Stadtprovinzen“ genießen regulatorische Vorzüge. Vgl. Li/ Wei (2010), S. 305. 4 Vgl. etwa Ogden (1992). 5 Vgl. nur Gablers Wirtschaftslexikon (2018a). 6 Vgl. Wittenbrink (1993). 7 Vgl. Kaupp (1997); Pletscher u. a. (2016). 8 Vgl. Zygiaris (2013); Taniguchi (2014); Bektas u. a. (2015). 9 Vgl. Cranic u. a. (2009). 10 Vgl. Clausen / Schaumann (2012). 11 Ein Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung findet sich bei Erd (2015) und Ma (2014). 12 Vgl. Herzog u. a. (2013) und Ma (2014) am Beispiel des chinesischen Chengdu. 13 Eine Literaturübersicht findet sich bei Cocchia (2017). 14 Vgl. Jin u. a. (2014). 15 Vgl. Gablers Wirtschaftslexikon (2018b); Panuccio u. a. (2015). 16 Vgl. Caragliu u. a. (2011), die europäische Städte auf ihre Eigenschaft als Smart City untersucht haben. 17 Vgl. hierzu die Plattform Smart City der TU Berlin (2014). 18 Vgl. auch Dörr u. a. (2017), die den Begriff Smart City Supply verwenden. 19 Vgl. China Daily (2018a). 20 So das Ergebnis einer Umfrage von AT Kearney. Vgl. AT Kearney (2010), S. 4. 21 Vgl. Arvis u. a. (2018), S. x. 22 Zu den folgenden Angaben für 2016 vgl. National Bureau of Statistics of China (2018). 23 Vgl. Umweltbundesamt (2018a, b) für den Zeitraum 2017. 24 Vgl. o. V. (2018). 25 Vgl. Wang/ Ducruet (2012), S. 68. 26 Vgl. http: / / en.shhqcbd.gov.cn/ index.html 27 Vgl. http: / / en.shftz.gov.cn/ 28 Vgl. China Daily (2018b). 29 Vgl. China Daily (2018c). LITERATUR Arvis, Jean-François u. a. (2018): Connecting to Compete 2018 - Trade Logistics in the Global Economy Bektas, Tolga u. a. (2015): From Managing Urban Freight to Smart City Logistics Networks, in: in: CIRRELT-2015-17, Centre interuniversitaire de recherche sur les reseaux d‘entreprise, la logistique et le transport Caragliu, Andrea u. a. (2011): Smart Cities in Europe, in: Journal of Urban Technology (Vol. 18, Issue 2), S. 65-82 Chen, Xiangmeng (2009): Preface, in: Chen, Xiangmeng (Hrsg.), Shanghai Rising: State Power and Local Transformations in a Global Megacity, S. vii-ix China Daily (2018a): 40 years since reform and opening-up: Changes in transportation (http: / / www.chinadaily.com.cn/ a/ 201809/ 12/ WS5bac7a1aa310eff30327fd29.html, abgerufen am 27.09.2018) China Daily (2018b). Ouyang Shijia: Alibaba’s Cainiao to create smart logistics network (http: / / europe.chinadaily.com.cn/ a/ 201805/ 31/ WS5b0fa0a0a31001b82571d739.html, abgerufen am 27.09.2018) China Daily (2018c). Fan Feifei: JD alliance to launch smart trucks soon ( h tt p : / / www. c h i n a d a i l y. c o m . c n / m / b e i j i n g / z h o n g g u a n cun/ 2018-08/ 08/ content_36730656.htm, abgerufen am 27.09.2018) Clausen, Uwe; Schaumann, Henning (2012): Entwicklung eines Konzepts zur Innenstadtbelieferung mittels Elektromobilität, in: Proff u. a. (Hrsg.): Zukünftige Entwicklungen in der Mobilität, S. 467-478 Cocchia, Annalisa (2017): Smart and Digital City: A Systematic Literature Review, in: Dameri / Rosenthal-Sabroux (Hrsg.): Smart City, S. 13-43 Cranic, Theodor u. a. (2009): Models for Evaluating and Planning City Logistics Systems, in: CIRRELT-2009-11, Centre interuniversitaire de recherche sur les reseaux d‘entreprise, la logistique et le transport Dörr, Heinz u. a. (2017): Smart City Supply - Verkehrstechnologien, Güterversorgung und Stadtentwicklung auf dem Weg ins 4.0-Zeitalter, in: Schrenk u. a. (Hrsg.): REAL CORP 2017 Tagungsband, 12.-14. September 2017 Erd, Julian (2015): Stand und Entwicklung von Konzepten zur City-Logistik Gablers Wirtschaftslexikon (2018a): City-Logistik (https: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ definition/ city-logistik-29118/ version-252735, abgerufen am 27.09.2018) Gablers Wirtschaftslexikon (2018b): Smart City (https: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ definition/ smart-city-54505/ version-277534, abgerufen am 27.09.2018) AT Kearney (2010): China 2015: Transportation and Logistics Strategies Herzog, Bernhard u. a. (2013): Sustainable Urban Freight in Asian Cities Jin, Jiong u. a. (2014): An Information Framework of Creating a Smart City through Internet of Things, in: IEEE Internet of Things Journal (Vol. 1, Issue 2), S. 112-121 Kaupp, Martin (1997): City-Logistik als kooperatives Güterverkehrs Management Li, Yingru / Wei, Dennis: The spatial-temporal hierarchy of regional inequality of China, in: Applied Geography (Vol. 30), S.303-316 Ma, Yanqiang (2014): City-Logistik in China - eine empirische Studie aus einem Schwellenland National Bureau of Statistics of China: China Statistical Yearbook 2017 (http: / / www.stats.gov.cn/ tjsj/ ndsj/ 2017/ indexeh.htm, abgerufen am 27.09.2018) Ogden, Kenneth W. (1992): Ogden: Urban Goods Movement: a Guide to Policy and Planning o. V. (2018): Umweltverschmutzung: Shanghai will „Dreckschleudern“ von den Straßen holen (http: / / german.china.org.cn/ environment/ txt/ 2015-09/ 09/ content_36538697.htm, abgerufen am 27.09.2018) Panuccio, Paola u. a. (2015): Urban regeneration and smart city according to EU strategies: an urban distribution center in city logistics, in: Brebbia/ Miralles I Garcia (Hrsg.): Urban Transport XXI, S. 313-324 Pletscher, Claudia u. a.: Smarte Logistik- und Mobilitätslösungen für die Stadt der Zukunft: Entwicklungsbeispiele der Schweizerischen Post, in: Meier/ Portmann (Hrsg.), Smart City (2016), S. 167-184 Taniguchi, Eiichi (2014): Concepts of city logistics for sustainable and liveable cities, in: Procedia - Social and Behavioral Sciences 151, S. 310-317 TU Berlin (2014): TU Berlin - Smart City Platform, Edition 1 Umweltbundesamt (2018a): Feinstaub (PM10) im Jahr 2017 Umweltbundesamt (2018b): Feinstaub (PM2,5) im Jahr 2017 Wang, Yizhi (2013): A study of Shanghai’s development strategy to 2020, in: Regional Science Policy & Practice (Vol. 5, No. 2), S. 183-201 Wang, Chengjin / Ducruet, César (2012): New port development and global city making: emergence of the Shanghai-Yangshan multilayered gateway hub, in: Journal of Transport Geography (Vol. 25), S.58-69 Wittenbrink, Paul (1993): City-Logistik - Handlungsoptionen für Betriebe und Kommunen, in: Netzwerke - Berichte aus dem IVM, Ausgabe Nr. 5, Schwerpunktthema: City-Logistik, Institut für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster, Münster 1993, S.18-32 Zygiaris, Sortiris (2013): Smart City Reference Model: Assisting Planners to Conceptualize the Building of Smart City Innovation Ecosystems, in: Journal of the Knowledge Economy (Vol. 4, No. 2) S. 217-231 Christopher W. Stoller, Prof. Prof. h.c. Dr. Steinbeis-Transferzentrum „Internationales Transportwesen“, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Lörrach stoller@dhbw-loerrach.de Wanggen Wan, Prof. Dr. Institute of Smart City, Shanghai University, Shanghai wanwg@staff.shu.edu.cn Bild 3: Hongqiao Central Business District in Schanghai Quelle: http: / / en.shhqcbd.gov.cn Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 34 Logistik 4.0 E-Commerce, Online-Handel, Enterprise Resource Planning, Warehouse Management, Supply Chain Management SAP und die Telekom kooperieren. Ziel ist es, Lieferketten durchgängig und übergreifend digitalisieren. Thomas Wießflecker, Thomas Mailänder D as weltweite Logistikvolumen wächst. Laut Prognose von Transparency Market Research aus dem Jahr 2017 soll sich das- globale Frachtaufkommen von rund 55-Mrd.-t im Jahr 2015 auf rund 92 Mrd. t bis 2024 steigern [1]. Treiber der Entwicklung sind Exporte und der florierende Online- Handel. So kaufen aktuell allein in Deutschland mehr als 47 Millionen Menschen Dienstleistungen und Produkte im Web ein, wie das statistische Bundesamt ermittelt hat [2]. Ob Bücher, Elektrogeräte oder Arzneimittel: Immer mehr und immer kleinere Pakete reisen um die Welt. Lieferketten werden komplexer. Lieferzeit ausschlaggebend Darüber hinaus wird der Faktor Zeit mehr denn je zur Währung im E-Commerce. Eine Studie des Versandlösungsanbieters Metapack zeigt, was Online-Shopper wollen [3]: Breite Auswahl und günstige Preise sind das eine. Exakt prognostizierte Lieferzeiten das andere. Demnach hat jeder Zweite bereits eine Bestellung abgebrochen, wenn der Liefertermin nicht den Erwartungen entsprach. 3000 Verbraucher hatte Metapack in Europa dazu befragt. Mehr Fracht immer schneller liefern zu müssen, ist die zentrale Herausforderung für die Logistikwelt von heute. Lösen lässt sie sich nur durch konsequent digitalisierte Lieferketten, wie auch der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) fordert [4]. Für den Standort Deutschland befürchtet der DSLV sonst Engpässe. Am Ende könnten internationale Warenströme an uns vorbeilaufen. Supply Chain digitalisieren Wie die Branche diese Herausforderungen konkret angeht, hat der Bundesverband Logistik (BVL) aktuell untersucht [5]. Strategien und Trends der digitalen Transformation standen im Zentrum einer Befragung unter 1350 Logistikexperten: Um Kundenwünsche termintreu zu erfüllen, suchen die Transport- und Frachtunternehmen nach Lösungen, um Informationen durchgängig digital und parallel zu jeder realen Warenbewegung fließen zu lassen. Die Supply Chain soll sich über alle Teilnehmer hinweg digital abbilden lassen, was Vorteile für alle Akteure bietet. Beispiel Materialfluss in der Produktion: 61 % der Befragten monieren, dass ihnen Daten fehlen, um Engpässe und Ineffizienzen zu verhindern. Gleichzeitig wären 34 % bereit, genau diese Informationen mit ihren Partnern in der Lieferkette zu teilen, um Probleme für alle zu umgehen. Ein Ansatz, der auch intelligente Prognosen möglich macht. Nicht nur, um wie vom Verbraucher gewünscht, Lieferzeiten bereits beim letzten Klick im Online-Shop vorherzusagen. Sondern auch, um beispielsweise so genannte Peitscheneffekte (engl.: Bullwhip Effect) zu kompensieren: Werden Echtzeitdaten in mehrstufigen Lieferbezie- Foto: pixabay.de LOGISTIK Digitalisierung Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 35 Digitalisierung LOGISTIK hungen geteilt, lassen sich derartige Nachfrageschwankungen ausgleichen, die sich sonst vom Kunden bis zum ersten Vorleistungslieferanten gefährlich aufschaukeln können. Sensorik und Analysen Aus Gründen wie diesen erwarte der BVL, dass Sensorik und digitale Analysen in die Supply Chain einziehen werden. Zum einen, um die Supply Chain übergreifend überwachen und optimal steuern zu können. Zum anderen aber auch, um die Live- Datenströme in Systemen für Enterprise Resource Planning (ERP), Warehouse Management (WM) und Supply Chain Management (SCM) zu verzahnen. Gelingt das, lassen sich digitale Prozesse auch weitgehend automatisieren: Wo logistische Warenbewegungen mit kaufmännischen Abläufen verschmelzen, lassen sich Abläufe IT-basiert beschleunigen, Kosten sparen und das Kundenerlebnis deutlich verbessern. SAP und Telekom kooperieren Eine mögliche Lösung, um Lieferketten zu digitalisieren und mit ERP, WM und SCM zu verzahnen, haben SAP und die Telekom auf der Hannover Messe 2018 vorgestellt [6]. Beide Unternehmen kooperieren im Bereich „Internet der Dinge“ (Internet of Things, IoT). Dazu kombinieren der ERP- Spezialist aus Walldorf und der Provider aus Bonn IoT-Hardware, Sensordaten, Plattformen und Software miteinander. Zudem haben beide Anbieter Schnittstellen entwickelt und zertifiziert. Über diese lassen sich Daten zwischen den IoT-Plattformen der Telekom und der SAP Cloud Plattform bzw. dem ERP-System S/ 4HANA austauschen. Anwender sind so in der Lage, reale Abläufe in Echtzeit mit SAP-Lösungen zu verketten. Zum Beispiel startet der Rechnungslauf im ERP-System automatisch, wenn Transporter vom Verladehof fahren. Da Lieferungen auch unterwegs im Blick bleiben, lassen sich Routen optimieren und der Treibstoffverbrauch senken. Auch Kühlketten sind lückenlos dokumentierbar und Ankunftszeiten vorausberechenbar. Treten unterwegs Probleme auf, erkennen Unternehmen das aus der Ferne und leiten Gegenmaßnahmen ein. Lagervorräte sind immer getrackt und digital inventarisiert. IoT-Daten von Roambee Die notwendige Basis an Echtzeit-Daten kommt vom Telekom-Partner Roambee. Das Start-up aus dem Silicon Valley hat unterschiedlich ausgelegte IoT-Geräte für die Logistik entwickelt, wie zum Beispiel die so genannten BeeFleets: Diese sind in der Lage, ihren Standort zu bestimmen, Temperatur und Luftfeuchtigkeit zu messen und Erschütterungen zu erkennen. Über die Diagnoseschnittstelle OBD II lassen sie sich im Fahrzeug betreiben. Um Container und Trailer zu überwachen, verwenden Unternehmen die kleine Schwester - genannt „Bee“: Das Gerät ist kompakter als die Variante für das Führerhaus, lässt sich magnetisch an Transportbehältern befestigen oder auch einer Lieferung beilegen. Selbst für einzelne Pakete hat Roambee ein Gerät entwickelt: Die Bee- Beacons arbeiten über Bluetooth Low Energy (BLE) mit den Bees zusammen, um beispielsweise Be- und Entladevorgänge zu dokumentieren oder Transportlisten vollautomatisch zu erstellen. Echtzeitinformationen einbinden Als Datentreuhänder konsolidiert die Telekom alle IoT-Daten, gewährleistet Schutz und Sicherheit und bindet die Echtzeitinformationen in SAP-Applikationen wie SAP Vehicle Insights, SAP Global Track and Trace oder SAP Connected Goods ein. Logistikanbieter können so nicht nur die Positionen ihrer Fahrzeug- und Trailerflotten nachverfolgen, sondern auch Bewegungen und Zustände einzelner Container und Warenpakete. Treten unterwegs starke Erschütterungen auf oder schwanken Temperatur und Luftfeuchtigkeit, kann das auf mögliche Probleme hinweisen. Anwender behalten die eigene Lieferkette und die vor- und nachgelagerten Prozesse ihrer Partner damit unter Kontrolle. IoT-Daten lassen sich übergreifend austauschen und direkt in ERP-, SCM- oder WM-Systemen verwerten. Durch diese nahtlose Integration erhalten Unternehmen und Kunden eine Rundumsicht auf ihre Logistikkette, können bedarfsgerechter steuern und Wettbewerbsvorteile nutzen, indem sie schneller auf Einflüsse reagieren. Mit weiteren innovativen Technologien wie „Machine Learning“ und „Artificial Intelligence“ lassen sich z.B. zukünftige Bedarfe immer besser abschätzen und in die Logistikkette einbetten. Das unterstützt perfekt die nächste Generation der Business Suite von SAP: SAP S/ 4HANA setzt auf ein simplifiziertes, komprimiertes Datenbankmodell und hält alle Informationen im Arbeitsspeicher vor. Das sorgt für Tempo und Leistung: Lese- und Schreibprozesse, wie sie bei Festplatten üblich sind, entfallen. Durchlaufzeiten lassen sich beschleunigen und Kennzahlen in Echtzeit verarbeiten. [7] ERP-System aus der Public Cloud SAP S/ 4HANA kommt ohne die sonst üblichen Zwischentabellen, Indizes und Aggregate aus und hält die komplette ERP-Datenbank im Arbeitsspeicher vor. Egal, ob im Lager, in der Buchhaltung oder im Einkauf, alle Abteilungen arbeiten mit Live-Kennzahlen. So reagieren Firmen schneller auf Schwankungen. Gehen etwa Lieferungen ein, verbucht das ERP-System die Kosten automatisch im Finanzsystem und die Daten stehen adhoc auch in der Bilanz zu Verfügung. Zudem sind erstmals Parallel- und Pulkbuchungen performant bearbeitbar. Schon lange setzt die Logistikbranche auf Software und Technologie aus Walldorf. Der BVL hat den Softwarekonzern SAP in den Jahren 2016 und 2017 zur „besten Logistik-Marke“ gekürt. Und ein Anbieter wie die Telekom unterstützt die Logistik dabei nicht nur mit Lösungen, um Lieferketten zu digitalisieren. Der Bonner Konzern stellt SAP S/ 4HANA und die In-Memory-Datenbank SAP HANA als so genannte Dynamic Services aus der Public oder Private Cloud bereit. Ressourcen lassen sich bedarfsgerecht bestellen und auch wieder abbestellen. ■ LITERATUR [1] Transparency Market Research (2016): Logistics Market (By Transport Infrastructures [2] Statistisches Bundesamt (2016): Zahl der Woche vom 12. Juli, Pressemitteilung. [3] Metapack (2015): Delivering Consumer Choice: Report. [4] Deutscher Speditions- und Logistikverband (2018): Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Behörden hemmen Digitalisierung der Luftfrachtlogistik, Pressemitteilung. [5] Bundesverband Logistik (2017): Trends und Strategien in Logistik und Supply Chain Management. Chancen der digitalen Transformation. [6] Telekom (2018): Hannover Messe: Lieferketten in Echtzeit überwachen, Pressemitteilung. [7] SAP (2016): SAP S/ 4HANA: Der Einfluss auf die Logistik, SAP News Center. Thomas Wießflecker, Dr. Portfolio Executive SAP, T-Systems International GmbH, Frankfurt am Main Thomas.Wiessflecker@t-systems.com Thomas Mailänder Sales Consultant, T-Systems International GmbH, Frankfurt am Main Thomas.Mailaender@t-systems.com Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 36 LOGISTIK Wissenschaft Bewertungsansätze zur Berechnung von Emissionen in der Logistik Entwicklung einer Konzeptmatrix zum parametergebundenen Vergleich der Bewertungsansätze Logistik, Green Logistics, Emissionen, Bewertungsansätze Logistikaktivitäten verursachen nach Schätzungen des World Economic Forum (WEF) etwa 2800 Megatonnen Treibhausgasemissionen. In den letzten Jahren wurden Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene diskutiert. Dazu ist es zunächst wichtig, die Treibhausgasemissionen zu erheben und zu messen. Hierfür stehen verschiedene teils ähnliche, teils divergierende Ansätze zur Verfügung - eine Vergleichbarkeit der Ansätze ist bisher nicht gegeben. Der Beitrag enthält einerseits ein Literaturreview über die derzeitig zur Verfügung stehenden unterschiedlichen Bemessungsansätze. Andererseits wird eine Konzeptmatrix entwickelt, die die Inhalte der Bewertungsansätze darstellt und mithilfe von Parametern untereinander vergleichbar macht. Felix Friedrich Eifert, Wolf-Christian Hildebrand S eit rund zehn Jahren steht bei der EU-Kommission das Thema Nachhaltigkeit sehr weit oben auf der regulatorischen Agenda. Jüngster Baustein der Nachhaltigkeitsstrategie ist der in der ersten Jahreshälfte 2018 veröffentlichte Aktionsplan zur „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“. In dem Aktionsplan wird noch einmal sehr deutlich hervorgehoben, dass die „Umwandlung der europäischen Wirtschaft in ein umweltfreundlicheres und widerstandsfähigeres Kreislaufsystem […] nicht nur zur Reduzierung unseres ökologischen Fußabdrucks und zur Beseitigung bestehender Ungleichheiten [führt], sondern […] auch die Wettbewerbsfähigkeit steigern [lässt]“ 1 . Für die Logistik- und Transportbranche stehen verschiedene, teils ähnliche, aber auch divergierende Ansätze zur Verfügung, wie Treibhausgasemissionen erhoben und gemessen werden können - eine Vergleichbarkeit der Ansätze ist bisher nicht gegeben. Vor allem global agierende Konzerne nehmen durch ihre internationale Struktur und Größe sowie die damit verbundenen Markttransaktionen beachtlichen Einfluss auf die Gesellschaft, die Umwelt und den Menschen. 2 Infolgedessen stehen Unternehmen zunehmend vor der Aufgabe, ökologische und soziale Verantwortung zu übernehmen. 3 Unternehmenserfolg ist grundsätzlich auf Wirtschaftlichkeit und Wachstum ausgerichtet. Einen Einklang mit den Anforderungen der Gesellschaft, der Umwelt und den Menschen zu realisieren, ist Aufgabe des Konzepts der Nachhaltigkeit. „Der Wirtschaftsbereich Logistik zeichnet sich dadurch aus, dass Nachhaltigkeit bei fast allen logistischen Tätigkeiten Effizienz mit Ressourcenschonung verbindet“ 4 . Effiziente Logistik im Sinne einer guten Planung und verantwortungsvoller Umsetzung spart wertvolle Ressourcen und trägt damit zur Wirtschaftlichkeit der Unternehmensleistung sowie zum Umweltschutz bei. 5 Verantwortungsvolles Wirtschaften bezieht immer häufiger soziale und ökologische Anforderungen in das Kerngeschäft ein, dabei ist das Offenlegen sogenannter nicht finanzieller Informationen von fundamentaler Bedeutung. Maßgebend sind in diesem Zusammenhang Stakeholder-Dialoge sowie eine detaillierte Nachhaltigkeitsberichterstattung, um den Herausforderungen des Marktes und der Zukunft gerecht zu werden. Nachhaltigkeitsberichterstattung Nach der Definition der Global Reporting Initiative ist eine Nachhaltigkeitsberichterstattung „die Offenlegung von Informationen über die ökonomische, ökologische und soziale Leistung sowie das Führungsverhalten“ 6 . Der Berichtsprozess (Reporting) ist in zwei Stufen unterteilt: zum einen die Bestimmung bzw. Messung der Informationen, zum anderen die Offenlegung des Berichts. Mittels Kennzahlen, sog. Key Performance Indicators, lassen sich Erfolge sowie Misserfolge dokumentieren und interpretieren (Soll-Ist-Vergleich). Hierbei werden seitens der Politik Rahmenbedingungen und Anreize für unternehmerische Strategien vorgegeben. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist neben dem Geschäftsbericht ein zentraler Bestandteil des betriebli- Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 37 Wissenschaft LOGISTIK chen Informationsmanagements. Darin enthalten sind „vergangenheitsorientierte, andererseits zukunftsorientierte Informationen über Ziele, Maßnahmen und erwartete Ergebnisse zu ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlich-sozialen Herausforderungen“ 7 . Dabei finden sich im Inhalt des Nachhaltigkeitsberichts, zugehörig zum Themengebiet Ökologie, zumeist unter dem Unterpunkt „Nachhaltigkeitsziele“ oder „Verantwortung für die Umwelt“, Emissionsangaben als quantifizierbare Indikatoren einer unternehmerischen Umweltkommunikation wieder. Dadurch lässt sich eine nachhaltige Ausrichtung auf Ressourceneffizienz und Umweltschutz eines Unternehmens kontrollieren. Die Kennzahlen geben Auskunft über den tatsächlichen Stand der betrieblichen Umweltleistung und sind durch unterschiedliche Interessenlagen von Unternehmen und ihren Stakeholdern bestimmt. Im Zuge der Kennzahlenpräsentation werden einerseits Gesamtwerte, andererseits sog. spezifische Werte kommuniziert. Gesamtwerte sind aggregierte Daten, welche beispielsweise das Gesamtemissionsvolumen eines Unternehmens pro Jahr darstellen. Spezifische Werte betrachten hingegen die Werte, welche jede produzierte Einheit betreffen. Lokale Stakeholder sind an Werten über die Reduktion der Gesamtemission, beispielsweise der Luftverunreinigung, interessiert und erwarten eine entsprechende Reduktion. Nachteil der kommunizierten Gesamtemission ist es, dass es zu einem Anstieg bei gleichzeitiger Erhöhung der produzierten Menge kommt. Ungeachtet der für die Senkung der Umweltauswirkung durchgeführten Maßnahmen entsteht dadurch ein negatives Umweltimage des Unternehmens. Hingegen lässt sich mittels Darstellung der Emission pro produzierter Einheit, unabhängig von der hergestellten Menge, die Effizienz der eingeleiteten Maßnahme herausstellen. Staatliche Kontrollbehörden haben ein Interesse an Kennzahlen, welche in Verordnungen und Gesetzen prägnant definiert und seitens des Unternehmens in Messberichten innerhalb eines vorgesehenen Zeitrahmens vorgelegt werden müssen. Hauptziel eines jeden nachhaltigen Wirtschaftens ist in der Regel die Minimierung von Umweltauswirkungen. Damit Treibhausgasemissionen reduziert werden können, ist es zunächst wichtig, diese zu erheben und zu messen. Dies gelingt über die sogenannte Bilanzierung von Treibhausgasemissionen. Zur Erstellung einer solchen Treibhausgasbilanz ist eine systematische Erfassung der jeweiligen relevanten Energieverbräuche notwendig. Anhand des daraus resultierenden Vergleichswertes lässt sich der Erfolg der Reduzierungsmaßnahmen steuern. Parameter Damit die einzelnen zur Verfügung stehenden Ansätze untereinander differenziert, abstrahiert und gegenübergestellt werden können, bedarf es einheitlicher Vergleichsparameter. Auf Grundlage eines durchgeführten Literatur-Reviews, welches nach qualitativem Verständnis die entsprechenden Häufigkeiten und Auffälligkeiten der Erwähnungen innerhalb der einschlägigen Literatur abbildet, lässt sich die beschriebene Thematik mithilfe der folgenden Vergleichsparameter abbilden. Die Vergleichsparameter lassen sich vier inhaltlichen Kategorien zuordnen: Emissionsarten, Emissionsquellen, Kennzahlen, Dimension der Anwendung. Die Kategorie Emissionsarten beinhaltet unter anderem Betrachtungen von einzelnen Kyoto-Gasen, von ausschließlich CO 2 -Emissionen sowie von weiteren zusätzlichen umweltrelevanten Emissionen. Im Kyoto- Protokoll - ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zur Reduzierung des anthropogenen Ausstoßes von Treibhausgasen - wurden die folgenden sechs wichtigsten Treibhausgase, die sog. Kyoto-Gase, reglementiert. 8 Die mengenbezogen bedeutendste Quelle von Treibhausgas-Emissionen ist Kohlendioxid (CO 2 ), das fast ausschließlich durch die Verbrennung fossiler Energieträger (ca. 85 %) wie Mineralöl und Kohle entsteht und den natürlichen Treibhauseffekt verstärkt. Aufgrund des hohen Anteils an der Gesamtheit sowie des daraus resultierenden Stellhebels innerhalb der Treibhausgasreduktion wird einer ausschließlichen Betrachtung von CO 2 - Emissionen, als ein Bestandteil der Bewertungsgansätze, eine besondere Bedeutung beigemessen. Zusätzlich zu Kohlendioxid sind weitere Treibhausgase in die Betrachtung mit aufzunehmen. Darunter fallen unter anderem Methan (CH 4 ), Distickstoffmonoxid (N 2 O), Schwefelhexafluorid (SF 6 ) und teilsowie vollfluorierte Kohlenwasserstoffe (H-FKW, FKW). Zur besseren Vergleichbarkeit sind diese, gemäß des Global Warming Potential, in sog. CO 2 -Äquivalente umzurechnen. Weiterhin ist hervorzuheben, dass eine getrennte Betrachtung der Kyoto-Gase, zum einen in die gesamten Kyoto-Gase sowie zum anderen in eine separate Aufgliederung der jeweiligen einzelnen Kyoto-Gase, notwendig ist. So wird die nötige Transparenz innerhalb der Kennzahlenpräsentation gewährleistet. Durch Ressourcenverbrauch und freigesetzte Emissionen trägt die Logistikbranche ihren Anteil an der Umweltbelastung bei. Emissionen der logistischen Aktivitäten können als Schadstoffe, Treibhausgase, Abfall und Verschandelung der Landschaft auftreten. 9 Treibhausgase sind strahlungsbeeinflussende, gasförmige Stoffe, die zum Treibhauseffekt beitragen. Dieser wird in natürlichen und anthropogenen (vom Menschen verursachten) Ursprung unterschieden. Unter Emissionen werden, von einer Quelle ausgehend, Belastungen der verschiedenen Umweltmedien (Atmosphäre, Hydrosphäre und Lithosphäre) verstanden. Diese Emissionsquellen können beispielsweise von Unternehmen ausgehen (sog. direkte Emission), welche in ihrem Produktionsprozess umweltbedeutsame Emission in Form von Treibhausgasen, Stickstoffoxiden, Feinstaub sowie Lärm oder Strahlen (zus. umweltrelevante Emissionen) verursacht. Eine präzise und zuverlässige Ermittlung von Emissionen bedingt weiterhin eine Betrachtung von indirekten Emissionen, freigesetzt beispielsweise durch Erzeugung und Bereitstellung von Energien. Über diese hinaus verbleiben die übrigen Emissionen, welche aus den wirtschaftlichen Prozessen eines Unternehmens im weiteren Sinnen hervorgehen, aber nicht unter deren Kontrolle stehen, zu erfassen. Berücksichtigt werden in diesem Zuge alle Umweltauswirkungen entlang der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen. Dazu zählen unter anderem verursachte Emissionen bei eingekauften Waren und Dienstleistungen wie beispielsweise aus Transport und Verteilung von Produkten zu Fabriken und Kunden. Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 38 LOGISTIK Wissenschaft Die dritte Kategorie umfasst Kennzahlen, in die wirtschaftliche, ökologische sowie soziale Kennzahlen aufgenommen sind. Weiteren Zugang zur Thematik verschafft die Betrachtung der einzelnen Managementebenen eines Unternehmens, an die die Bewertungsansätze adressiert sind. Über die Dimension der Anwendung - unterteilt in normativ, strategisch sowie operativ - lässt sich eine weitere Vergleichbarkeit der Ansätze schaffen. Die zuvor angeführten divergenten Ansprüche seitens der Stakeholder an die Bewertungsansätze postulieren eine zweckorientierte Anwendung derer. So lässt sich, im Rahmen der Kennzahlenpräsentation, eine zielgerichtete Ansprache der Interessensgruppen gewährleisten. Kurzvorstellung derzeitiger Bewertungsansätze Weiterhin lässt sich die angestrebte Vergleichbarkeit durch Synthetisieren der zur Verfügung stehenden Bewertungsansätze zu ganzheitlichen Konzepten umsetzen. Anhand der Konzepte eines Themengebiets wird überprüft, welche Arbeiten welche Konzepte verfolgen. Mittels kurzer Textrezeption der jeweiligen Ansätze wird eine Zusammenfassung des derzeitigen Stands der Forschung gegeben. Nach dem Verständnis von Baumgartner beschreibt das Konzept der klassischen Öko-Effizienz, dass eine ökonomische Outputgröße zu einer ökologischen Inputgröße in Beziehung gesetzt wird. 10 Auch die UN-Organisation United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) beschreibt die Öko-Effizienz als das Verhältnis einer Umweltleistungskennzahl zu einer wirtschaftlichen Kennzahl. Beispielsweise werden die Masse der anfallenden Abfälle oder der Energiebedarf zur Herstellung eines Produkts (Umwelteinfluss) in Beziehung zu Umsätzen oder Gewinngrößen gesetzt. 11 Zu diesen Konzepten zählen unter anderem die Bewertungsansätze Advanced Sustainabillity Analysis und der Corporate Sustainability Analysis-Ansatz. Entropieansätze sind bei der umweltbezogenen Logistikplanung und der Messung von Ökoeffizienz in der Logistik von Bedeutung. 12 Auf Basis physikalischer Wirkungsprinzipien lassen sich Emissionen realitätsnah berechnen, wodurch Stellhebel für eine Effizienzsteigerung transparent gemacht werden. 13 Bei der Ermittlung und Gegenüberstellung umweltrelevanter Emissionen wie CO 2 , N2 O, Benzol, Lärm, Feinstaub sowie für den Flächenverbrauch in Logistikprozessen kann dieses Konzept eingesetzt werden. Anwendung findet es vorzugsweise im Beschaffungssowie Distributionsprozess. Es lassen sich Aussagen über die Höhe der Gesamtemission als auch über die Verteilung der Emissionsarten in logistischen Prozessketten treffen. Green Logistic Assessment sowie das Normierungsverfahren Ökologische Knappheit fallen in die Betrachtung dieses Konzepts. Das Konzept, welches angelehnt an die europäische Norm EN 16258 benannt wurde, soll nach Schiemd und Knörr mehr Genauigkeit, Transparenz und Einheitlichkeit bei der Berechnung von Energieverbräuchen und Treibhausgasemissionen in der Logistikbranche liefern. 14 Hierin verankert sind die Ansätze des Carbon Footprint, Corporate Carbon Footprint, Product Carbon Footprint, Transport Carbon Footprint sowie die Bilanzierung der Treibhausgase (THG) nach EN 16258. Ziel des Gesamtkonzepts ist es, eine Methode zur Berechnung von Energieverbräuchen und Treibhausgasemissionen von Transportdienstleistungen im Personen- und Güterverkehr bereitzustellen. 15 Umsetzung findet dies durch eine Bereitstellung generischer Umrechnungsfaktoren von Energieverbrauchsdaten in eine standardisierte Energieverbrauchseinheit Megajoule (MJ) und in Treibhausgasemissionen (CO 2 -Äquivalente). Alle Ansätze dieses Konzepts gewährleisten die geforderte differenzierte Erfassung der Treibhausgasemissionen nach direkten, indirekten sowie weiteren Emissionen. Die Ansätze der Treibhausgasminderung beinhalten Bewertungsansätze, die den ambitionierten Emissionsminderungszielen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), und der Vertragsschließung des Kyoto-Protokolls entsprechend inhaltlich gerecht werden. Dabei handelt es sich um ein rechtlich bindendes Abkommen mit quantifizierten Emissionsbegrenzungs- und Emissionsreduktionszielen für Industriestaaten. Der Emissionshandel konzentriert sich ausschließlich auf das Klimagas CO 2 . 16 Um dem Emissionsreduktionsziel gerecht werden zu können, dienen zum einen das Emissionshandelssystem (ETS) und zum anderen die Effort-Sharing-Decision (ESD). 17 Der rechtliche Rahmen des Emissionshandels ist das Treibhausgas- Emissionshandelsgesetz (TEHG) - das Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen. Nach Knörr, Heidt und Gores vom Öko-Institut sowie vom Institut für Energie- und Umweltforschung (Ifeu) - im Auftrag des Umweltbundesamtest - heißt es: „Emissionsberechnungsmodelle sind seit Anfang der 80er-Jahre die wesentliche Methode zur Ermittlung des heutigen und zukünftigen Energieverbrauchs und der Schadstoffemissionen sowie der Abschätzung der Notwendigkeit und Wirkung von Minderungsmaßnahmen.“ Dabei stellt Transport Emission Model (TREMOD) die Grundlage für die Emissions- und Klimaberichterstattung Deutschlands dar. CO 2 -TEC Transport Emission Calculator des Umweltbundesamtes ermöglicht eine Modellierung differenzierter, unternehmensspezifischer Transportketten und ihrer Bewertung hinsichtlich ihrer Emissionen. Dabei steht vornehmlich das Herunterbrechen von Gesamtemissionen eines Transportes auf eine bestimmte Anzahl von Sendungseinheiten oder auch unterschiedliche logistische Ladungsträger im Fokus. Verschiedenartigkeit der Ansätze Es ist ersichtlich geworden, dass bereits eine Vielzahl zur Verfügung stehender Bewertungsansätze in der Fachliteratur vorhanden ist - ein breites Spektrum, dass sich von einer ausschließlichen Erfassung von CO 2 (Ansätze der Treibhausgasminderung) bis hin zu einem komplexen, der europäischen Norm EN 16258 entsprechenden Ansatz erstreckt (siehe Bild 1). Die Qualität der bei den Berechnungen verwendeten Daten ist jedoch entscheidend für ein zuverlässiges Ergebnis. Die Beschaffung solcher Daten in der Praxis ist häufig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. In Konsequenz daraus wird auf unterschiedliche Berechnungsgrundlagen bei der Ermittlung von Emissionen für vergleichbare Leistungen verwiesen. Dies ist darauf zu- Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 39 Wissenschaft LOGISTIK rückzuführen, dass Unternehmen oft auf Durchschnitts- oder Default-Werte zurückgreifen, wodurch sie mit stark vereinfachten Annahmen und entsprechend unterschiedlichen Werten arbeiten. Die Messung von Treibhausgasemissionen erfolgt dabei zumeist auf Grundlage unterschiedlicher, meist unternehmensindividueller Verfahrensweisen und Annahmen. Folglich lässt sich weder eine Transparenz über die verschiedenen Vorgehensweisen noch eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleisten. Dies steht im Konflikt mit den Nachhaltigkeitsansprüchen sowie -anforderungen der beauftragenden Unternehmen an die Logistikdienstleister. Beispielsweise verlangen Verlader zunehmend von Transport- und Logistikdienstleistern, dass diese ihre Treibhausgasemissionen transparent aufzeigen und reduzieren. Bei Transport-Ausschreibungen werden Angaben über CO 2 -Emissionen mehr und mehr zum Standard, weshalb Logistikdienstleister diesbezüglich auskunftsfähig sein müssen. Überschlägige Angaben sind in diesem Zusammenhang nicht zulässig. Den dargestellten Entwicklungen zufolge steht die Logistikbranche vor der Aufgabe, „steigende Kundenerwartungen an Transparenz sowie ökologisch und sozial verträgliches Handeln zu erfüllen und dabei einen Beitrag zur Erreichung der Emissionsziele zu leisten“ 18 . Fazit Durch den vorliegenden Beitrag werden erstmalig die verschiedenartigen Bewertungsansätze, die im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung derzeit zur Verfügung stehen und genutzt werden, hinsichtlich ihrer adressierten Vergleichsparameter untereinander transparent und vergleichbar gemacht. Damit wird eine wesentliche Grundlage nicht nur für eine qualitative Bewertung, sondern auch insbesondere für eine quantitative Überführung und Umrechnung von unternehmensseitig kommunizierten Emissionen für andere Unternehmen, beispielsweise die verladende Wirtschaft, die mehrere Dienstleister einbindet, geschaffen. ■ 1 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Brüssel, 2018. 2 Hutter, Carolyn: Nachhaltigkeitsstrategieentwicklung - Das Spannungsfeld von Unternehmen und Stakeholdern in der automobilen Unternehmenspraxis. Wiesbaden: Springer Gabler, 2012. 3 vgl. ebenda, S. 4. 4 Ebenda, S. VII. 5 Deckert, Carsten: CSR und Logistik - Spannungsfelder Green Logistics und City-Logistik. Köln: Springer Gabler, 2016. 6 Fifka, Matthias: CSR und Reporting. Nachhaltigkeits- und CSR-Berichterstattung verstehen und erfolgreich umsetzen. Berlin-Heidelberg: Springer Gabler, 2014. 7 Hentze, Joachim; Thies, Björn: Stakeholder-Management und Nachhaltigkeits-Reporting. Berlin-Heidelberg: Springer Gabler, 2014. 8 Umweltbundesamt: Kyoto-Protokoll. Dessau-Roßlau: 2013, https: / / www. umweltbundesamt.de/ themen/ klima-energie/ internationale-eu-klimapolitik/ kyoto-protokoll#textpart-1; Zugegriffen am: 28.08.2018. 9 Deckert, Carsten: CSR und Logistik - Spannungsfelder Green Logistics und City-Logistik. Köln: Springer Gabler, 2016. 10 Baumgartner, Rupert; Biedermann, Hubert; Zwainz, Markus: Öko-Effizienz- Konzepte, Anwendungen und Best Practices. München, Meringen: Rainer Hampp Verlag, 2009. 11 vgl. ebenda, S. 11. 12 vgl. ebenda, S. 21. 13 Tufinkgi Philippe; Doch, Stefan; Straube, Frank: Hintergrundbericht Green Logistics Assessment. Berlin: TU Berlin ITCL GmbH, o. J. 14 Schmied, Martin; Knörr, Wolfram: Carbon Footprint-Teilgutachten. „Monitoring für den CO 2 -Ausstoß in der Logistikkette“. Dessau-Roßlau: Umweltbundensamt, 2011. 15 Motschall, Moritz; Schmied Martin; Knörr, Wolfram: Prüfung und Begleitung der nationalen und europäischen Normierungsprozesse für eine einheitliche Emissionsberechnung bei Transportdienstleistungen. Berlin: Öko.Institut e.V., 2013. 16 Kranke, Andre; Schmied, Martin: CO 2 -Berechnung in der Logistik. Datenquellen, Formeln, Standarts. o.O.: VOGEL, 2011. 17 Gores, Sabine; Graichen, Jakob: Ansätze zur Bewertung und Darstellung der nationalen Emissionsentwicklung unter Berücksichtigung des EU-ETS. Berlin: Umweltbundesamt, 2016. 18 Wutke, Sebastian: Entwicklung eines Gestaltungsmodells zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeit bei der Ausschreibung und Vergabe logistischer Leistungen im Straßengüterverkehr. Berlin: Universitätsverlag der TU Berlin, 2016. Wolf-Christian Hildebrand, Prof. Dr.-Ing. Technische Hochschule Brandenburg wolf-christian.hildebrand@th-brandenburg.de Felix Friedrich Eifert, M.Sc. Akademischer Mitarbeiter, Technische Hochschule Brandenburg felix.eifert@th-brandenburg.de Emissionsarten: Kyoto-Gase ausschließlich CO 2 - Emissionen zus. umweltrelevante Emissionen Emissionsquellen: direkte Emissionen indirekte Emissionen vor-/ nachgel. Wertschöpfungsstufen Kennzahlen: wirtschaftliche Kennzahlen ökologische Kennzahlen soziale Kennzahlen Dimensionen der Anwendung: normativ strategisch operativ Öko-Effizienz: Advanced Sustainabillity Analysis        Corporate Sustainability Analysis         Entropieansätze: Green Logistic Assessment       Normierungsverfahren-Ökologische Knappheit          CEN Norm EN 16258: Carbon Footprint (CCF)    Corporate Carbon Footprinting (CCF)       Product Carbon Footprinting (PCF)      Transport Carbon Footprinting (TCF)     Bilanzierung THG nach EN 16258         Ansätze Treibhausgasminderung: Emissionshandelssystem (ETS)      Effort Sharing Decision (ESD)      Berechnung nach TEHG     Emissionsberechnungsmodelle: CO 2 -TEC Transport Emission Calculator       Transport Emission Model (TREMOD)        Bewertungsansätze Kategorien- Vergleichsparameter Bild 1: Konzeptmatrix zur Darstellung der verschiedenen Bewertungsansätze mit den jeweils berücksichtigten Parametern Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 40 MOBILITÄT InnoZ Mobilitätsmonitor Mobilitätsmonitor Nr. 7 - November 2018 Verkehrswende, ÖPNV, Shared Mobility, Fahrradverkehr, Fußverkehr InnoZ und WZB erstellen ein Monitoring zum Personenverkehr in Deutschland. Im Fokus steht die Verkehrswende im Sinne einer Reduktion der privaten PKW-Nutzung und eines Nachfrageanstiegs geteilter und öffentlicher Verkehrsmittel. Der Monitor widmet sich der Mobilität in ausgewählten Großstädten und erscheint mit Unterstützung der Stiftung Mercator. Im Fokus der vorliegenden Ausgabe stehen der ÖPNV und der nichtmotorisierte Verkehr. Weitere Inhalte sind online verfügbar: innoz.de/ de/ monitor. Lena Damrau, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf Indikatoren der urbanen Verkehrswende Anzeichen und Potenziale einer Verkehrswende in Städten lassen sich anhand von verschiedenen Indikatoren untersuchen: Eine zentrale Rolle spielt die Entwicklung der Nachfrage im öffentlichen Personennahverkehr und im Fahrradverkehr sowie die Angebotsentwicklung im Bereich der Shared-Mobility-Angebote. Daten zur ÖPNV-Nachfrage und zum Fahrradverkehr werden je nach Verfügbarkeit für die einwohnerreichsten Städte in Deutschland betrachtet. Zur Shared Mobility werden die aktuellen Fahrzeugzahlen mit den Werten aus der letzten Ausgabe für Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart, Essen und Leipzig verglichen (siehe auch IV 2/ 2018). Somit stammen die Daten aus acht der zehn größten Städte mit unterschiedlichen Stadttypen zwischen 500- 000 und 3,6 Mio. Einwohnern (Bild 1). Entscheidend für die Potenziale des Umweltverbundes und insbesondere des ÖPNV ist dessen Erreichbarkeit im Vergleich zum MIV. Daher wird für die acht Städte auf der Basis des Smartphone-Tools modalyzer verglichen, wie weit die Fußwege sind, die Menschen auf dem Weg zum MIV einerseits und zu ihrer ÖV-Haltestelle andererseits zurücklegen. Kontakt: lisa.ruhrort@wzb.eu Die Karte zeigt die ausgewählten Städte und die dazu ausgewerteten Mobilitätsdaten, die in den folgenden Grafiken dargestellt sind (Bild 1). 1 Zum Nahverkehr in Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart wurden Daten der jeweiligen Verkehrsverbünde ausgewählt. 2 Fahrraddaten liegen für Berlin, Hamburg, München und Stuttgart vor. Bild 1: Übersicht der ausgewählten Städte und Daten in dieser Monitor- Ausgabe Quelle: eigene Darstellung, Grafik: Robin Coenen München HVV MVV Hamburg Köln Strasbourg Essen Frankfurt Leipzig Berlin Stuttgart VVS MDV Fußweglängen erfasst mit: Radzählstellen erfasst mit: ÖPNV-Fahrten Sharing-Fahrzeuge ÖPNV-Abos 2x VRS Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 41 InnoZ Mobilitätsmonitor MOBILITÄT Als internationaler Vergleich wurde zudem eine Zählstelle im französischen Strasbourg ausgewertet, das zu den Top Ten der fahrradfreundlichsten Städte weltweit zählt. Die Zahl der Sharing-Fahrzeuge und die Fußwegelängen wurden für sämtliche Städte des Samples ausgewertet. ÖPNV: Personenfahrten und Abonnements Entscheidend für eine Verkehrswende in den Städten ist die Nachfrageentwicklung im ÖPNV. Bild 2 zeigt die Personenfahrten pro Einwohner in fünf Verkehrsverbünden. Der Münchner Verkehrsverbund (MVV) liegt auf dem höchsten Niveau, wobei der Wert für 2017 leicht zurückging. Ein Einwohner im MVV-Gebiet unternahm im Jahr 2017 im Durchschnitt 244 Fahrten im Nahverkehr des örtlichen Verbundes. Der geringfügige Rückgang von 2016 zu 2017 liegt an der wachsenden Einwohnerzahl im Großraum München, die im vergangenen Jahr stärker anwuchs als die Anzahl der Personenfahrten. Ein merklicher Anstieg fand im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) statt. Im Jahr 2017 entfielen hier pro Einwohner ca. 20 ÖV-Fahrten mehr als 2012. Auch in den übrigen Städten wurden im Durchschnitt mehr ÖV-Fahrten pro Person absolviert als noch 2012. Wesentliches Anzeichen einer Verkehrswende ist auch die längerfristige ÖPNV- Nutzung. Eine mögliche Maßzahl dazu ist die Nachfrage nach Abonnements, da ein Abo die Absicht einer kontinuierlichen ÖPNV-Nutzung ausdrückt. Allerdings zeigt sich, dass aufgrund unterschiedlicher Tarifstrukturen in den Verbünden oft keine unmittelbare Vergleichbarkeit bei den Abo- Zahlen besteht. Je nach Verbund werden unterschiedliche Ticketformen im Abo angeboten. Offen ist auch die Frage, ob z. B. Semestertickets, die oft nach dem Solidarprinzip - d. h. nicht auf Basis freier Entscheidung - bezogen werden, mit eingerechnet werden sollten. Für diese Ausgabe wurde daher zunächst nur ein Verbund, nämlich der HVV, herausgegriffen. Aufgrund einer vergleichsweise transparenten Datenlage im HVV-Bericht konnten Werte bis zurück ins Jahr 2003 herangezogen werden (Bild 3). Die Balken in der Grafik zeigen die absolute Anzahl der Einwohner im Verbundraum und die absolute Anzahl der HVV-Abos 3 pro Jahr. 2002 gab es eine Ausweitung des HVV-Gebietes, was den Prozentanteil der Abonnenten an der Bevölkerung kurzzeitig zurückgehen ließ. Seither steigt er kontinuierlich an (Linie im Bild 3). Am Beispiel Hamburg zeigt sich somit ein Wachstum der ÖPNV- Stammkundschaft, die über den reinen Effekt der Bevölkerungsentwicklung hinausgeht. 4 Mehr online: innoz.de/ de/ monitor-markt Shared Mobility: Fahrzeugzahl Für die vorige Ausgabe (IV 2/ 2018) erhoben wir die Zahl der Sharing-Fahrzeuge. In Bild 4 sind die Werte vom Mai denen des Septembers 2018 pro Stadt gegenübergestellt. In den Städten Berlin, Frankfurt am Main und München ging die Fahrzeugzahl insgesamt leicht zurück, da sich die Zahl der Leihfahrräder nach dem vorangegangenen sprunghaften Wachstum wieder etwas verringert hat (oberster Balkenabschnitt). Dies steht im Zusammenhang mit der Insolvenz bzw. dem Marktrückzug mehrerer Bikesharing-Anbieter im Juli 2018. Der Wettbewerb im Bikesharing wurde durch den Einstieg internationaler Anbieter vielfältiger. Berlin war bislang der Spitzenreiter mit zuletzt acht Anbietern. Der nun erfolgte Rückgang der Leihradzahl kann als Anzeichen einer Marktbereinigung interpretiert werden. Eine Zunahme der Leihradzahl fand hingegen in Köln statt, wo es seit Sommer 2018 einen zusätzlichen Anbieter gibt. Auch in Leipzig gewann die Bikesharing-Flotte an Umfang. Der dortige Alleinanbieter hat seine Flotte vergrößert. 0 50 100 150 200 250 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Personenfahrten pro Einwohner und Jahr in Verbundräumen Hamburg (HVV) München (MVV) Köln (VRS) Stuttgart (VVS) Leipzig (MDV) © InnoZ GmbH Bild 2: Entwicklung der Personenfahrten pro Einwohner in Verkehrsverbünden ausgewählter Städte, 2012 - 2017 Quelle: VDV, Verbünde; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen 0.5 = Einwohner im Verbundraum = HVV-Abos 0 1 1.5 2 HVV-Abos / Einwohner in Mio. Anteil der Abonnenten an der Bevölkerung in % 2.5 3 3.5 20 0 40 60 80 100 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 = Anteil der Abonnenten an der Bevölkerung in % 4 HVV-Abos und Einwohner in Mio. (absolute Anzahl und Wachstumsrate in Prozent) © InnoZ GmbH Bild 3: Anzahl der HVV-Abonnements und Einwohner sowie prozentualer Anteil der Abonnenten an den Einwohnern, 2003 - 2017 Quelle: HVV; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen 2.000 4.000 6.000 8.000 10.000 12.000 14.000 16.000 18.000 Berlin Mai September Hamburg München Frankfurt a. M. Köln Stuttgart Essen Leipzig Mai September Mai September Mai September Mai September Mai September Mai September Mai September Sonstige Sharing-Formen (inkl. Rideselling) Carsharing (inkl. »peer-to-peer«) Bikesharing 0 Sharing-Fahrzeuge im Mai und September 2018 © InnoZ GmbH Bild 4: Anzahl Sharing-Fahrzeuge im Vergleich zwischen Mai und September 2018 Quelle: Angaben der Anbieter und Betreiber; Recherche: Christian Scherf/ Enrico Howe, Grafik: Lisa Ruhrort/ Robin Coenen Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 42 MOBILITÄT InnoZ Mobilitätsmonitor Das Scootersharing als sonstige Sharing- Form ist zwar global auf Wachstumskurs, in Deutschland ist die Flotte aber leicht geschrumpft, da ein Anbieter seinen Dienst im Rahmen einer Insolvenz einstellte. Kaum sichtbar sind die Zuwächse im öffentlichen Rideselling, die u.a. durch den Start mehrerer On-Demand-Systeme hervorgerufen wurden. Die Shuttlebus-Flotten in Berlin, Hamburg, München und Stuttgart liegen pro Stadt meistens im zweistelligen Bereich. Kontakt: christian.scherf@wzb.eu Mehr online: innoz.de/ de/ monitor-sharing Radverkehr: Radzählungen und Temperaturverläufe In mehreren deutschen Städten erfassen automatische Zählstellen seit einigen Jahren den Radverkehr. Damit ist es erstmals möglich, die Bedeutung des Radverkehrs feinkörnig und dauerhaft zu erfassen. Allerdings spiegeln die Zählstellen bisher nur die Situation an besonderen „Hotspots“ des Radverkehrs wider und sind nicht repräsentativ für ganze Städte. Für Zählstellen in Berlin sind historische Daten bis Juni 2015 öffentlich zugänglich, sodass eine Entwicklung über mehrere Jahre darstellbar ist (Bild 5). Charakteristisch sind die sehr starken Schwankungen im Jahresverlauf, die zu einem bedeutenden Anteil auf die Jahreszeiten zurückzuführen sind. Dies verdeutlicht die Kurve in Orange, welche die Temperatur als Monatsmittelwert darstellt. Jedoch ist im Vergleich der Tiefpunkte an den Jahresanfängen 2016 bis 2018 eine ansteigende Tendenz auszumachen: Anfang 2018 wurden für beide Zählstellen ca. 50 000 Radfahrten mehr gezählt als noch zwei Jahre zuvor und das bei etwa gleichniedrigen Temperaturmittelwerten. Dies kann als Hinweis gewertet werden, dass das Fahrrad für mehr Menschen zum Routineverkehrsmittel wurde, das auch bei widrigen Witterungen genutzt wird. Da dieser Trend bei zwei unterschiedlichen Zählstellen vorliegt, scheint er nicht auf lokale Besonderheiten zurückführbar, sondern deutet auf einen allgemeinen Trend hin. Die Beobachtung entspricht auch den langfristigen Fahrraddaten, die der Berliner Senat 2013 veröffentlichte. In den Innstadtbezirken kommt es demnach bereits seit mehreren Jahren zu ansteigenden Radnutzungen. 5 Auch in Hamburg, München und Stuttgart folgen Anstieg und Rückgang des Radverkehrs eng den mittleren Temperaturschwankungen: je wärmer, desto mehr Radnutzung. Die Tiefpunkte liegen in den Wintermonaten. International bekannte Fahrradstädte wie Kopenhagen zeichnen sich dadurch aus, dass das Fahrrad auch in den Wintermonaten ein wichtiges Verkehrsmittel bleibt. Ein Hinweis darauf findet sich in Strasbourg, das 2017 im Bicycle-Index zum zweiten Mal in Folge auf Platz vier der fahrradfreundlichsten Städte weltweit gewählt wurde (copenhagenizeindex.eu). Für die dortige Zählstelle in der Route de Vienne liegen Werte bis November 2013 vor (Bild 6). Auch hier ist die jahreszeitliche Schwankung der gezählten Fahrräder erkennbar, doch sie ist gegenüber den gezeigten deutschen Zählungen weniger stark. Auch im Winter fallen die Werte nicht unter 100 000 Fahrten pro Monat. Für alle Städte ist jedoch zu berücksichtigen, dass einzelne Zählstellen kein umfassendes Bild der Radnutzung in der jeweiligen Stadt wiedergeben und die Auswertung ggf. durch lokale Umstände beeinträchtigt ist, z. B. Baustellen oder Straßenschäden. Mehr online: innoz.de/ de/ monitor-nachhalt Fußverkehr: Zu- und Abwege des ÖPNV und MIV Ein zentraler Faktor der Attraktivität eines Verkehrsmittels ist seine schnelle Erreichbarkeit ohne lange Fußwege. Als Vorteil des MIV gilt, dass er oftmals gleich „vor der Tür“ ist - zumindest solange es am Quell- und Zielort ausreichend (in der Regel kostenfreie) Parkplätze gibt. ÖV-Haltestellen erfordern hingegen oftmals Fußwege. Doch Radfahrten an der Berliner Jannowitz- und Oberbaumbrücke Erfasst mit eco counter 0 5 -5 10 15 20 25 30 35 40 45 Jun ’15 Jul ’15 Aug ’15 Sep ’15 Okt ’15 Nov ’15 Dez ’15 Jan ’16 Feb ’16 Mär ’16 Apr ’16 Mai ’16 Jun ’16 Jul ’16 Aug ’16 Sep ’16 Okt ’16 Nov ’16 Dez ’16 Jan ’17 Feb ’17 Mär ’17 Apr ’17 Mai ’17 Jun ’17 Jul ’17 Aug’17 Sep ’17 Okt ’17 Nov ’17 Dez ’17 Jan ’18 Feb ’18 Mär ’18 Apr ’18 Mai ’18 Jun ’18 Jul ’18 Aug ’18 Sep ’18 = Radfahrten Berlin Jannowitzbrücke (in 10.000) = Temperatur (°C, Monatsmittelwert) = Radfahrten Berlin Oberbaumbrücke (in 10.000) = ca. + 50.000 Radfahrten Radfahrten/ Temperatur © InnoZ GmbH Bild 5: Monatliche Radfahrten und Monatsmitteltemperatur an den Berliner Zählstellen Jannowitz- und Oberbaumbrücke, Juni 2015 - Sept. 2018 Quelle: eco counter/ wetterkontor.de; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen 0 5 -5 10 15 20 25 Nov ’13 Jan ’14 März ’14 Mai ’14 Juli ’14 Sep ’14 Nov ’15 Jan ’15 Mär ’15 Mai ’15 Jul ’15 Sep ’15 Nov ’15 Jan ’16 Radfahrten in der Route de Vienne in Strasbourg Erfasst mit eco counter Radfahrten/ Temperatur = Radfahrten (in 10.000) = Temperatur (°C, Monatsmittelwert) März ’16 Mai ’16 Juli ’16 Sep ’16 Nov ’16 Jan ’17 März ’17 Mai ’17 Juli ’17 Sep ’17 Nov ’17 Jan ’18 März ’18 Mai ’18 Juli ’18 Sep ’18 © InnoZ GmbH Bild 6: Monatliche Radfahrten und Monatsmitteltemperatur in Strasbourg, Nov. 2013 - Sept. 2018 Quelle: eco counter/ wetterkontor.de; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 43 InnoZ Mobilitätsmonitor MOBILITÄT wie groß ist der Unterschied zwischen den Zu- und Abwegen für beide Verkehrsmittel? Um diese Frage zu beantworten, wurden in Bild 7 Daten des Geotracking-Tools modalyzer ausgewertet, mit dem Probanden selbstständig via Smartphone ihre Bewegungsdaten sammeln und spenden (modalyzer.com). Der Algorithmus erkennt an der Beschleunigung und anderen Faktoren, mit welchen- Verkehrsmitteln sich die Probanden bewegen. Die untere waagerechte Achse zeigt den Median der Fußwegelängen vor bzw. nach MIV- oder ÖV-Etappen in Metern. Die obere waagerechte Achse zeigt die Dichte an ÖV-Haltestellen pro Quadratkilometer in der jeweiligen Stadt. Bei der absoluten Länge der Fußwege ist zu berücksichtigen, dass die erste und letzte Etappe bei GPS-Ortungen oft überschätzt wird, was u.a. an Verzerrungen durch Gebäude liegt. Daher sind die realen Wegelängen insgesamt etwas niedriger. Da dieser Effekt aber bei allen hier gezeigten Wegen auftritt, hat er auf den relativen Vergleich kaum Auswirkungen. Eine weitere Einschränkung betrifft das Erhebungsinstrument: Da es sich bei modalyzer um eine Smartphone-App handelt, werden mit dieser Methode bisher vor allem jüngere und technikaffine Personen erreicht. Die Ergebnisse sind damit nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. Die Ergebnisse stützen die Annahme, dass der MIV hinsichtlich der Länge der Zu- und Abwege im Vorteil gegenüber dem ÖPNV ist: In allen acht Städten sind die Zu- und Abwege im Schnitt zum MIV deutlich kürzer als zum ÖPNV. Am geringsten ist der Unterschied in Stuttgart. Am größten ist er hingegen in Hamburg und Berlin, wo zum bzw. vom ÖPNV etwa doppelt so weite Entfernungen zurückgelegt werden wie zum bzw. vom MIV. Bemerkenswert ist, dass sich damit kein direkter Zusammenhang zwischen der Länge der Zu- und Abwege des ÖPNV und dem Modal-Split-Anteil des ÖPNV in den Städten erkennen lässt: In Berlin hat der ÖPNV einen höheren Modal- Split-Anteil (25 %) als zum Beispiel in Essen (19,5 %). 7 Auch lässt sich kein durchgängiger Zusammenhang zwischen der relativen Länge der ÖPNV-Zu- und -Abwege und der Dichte der ÖPNV-Haltestellen erkennen. Zu erwarten ist, dass dort, wo die Haltestellendichte gering ist, der Median der Wegelänge zum/ vom ÖPNV groß ist und umgekehrt. In Hamburg und München ist dies der Fall, nicht jedoch in Frankfurt und Berlin. Dort legen die Probanden trotz hoher Haltestellendichte vergleichsweise große Distanzen zum/ vom ÖPNV zurück. Dies könnte mit der hohen Bedeutung zusammenhängen, die insbesondere in den Metropolen S- Bahn, U-Bahn und Metrobusnetz haben. Auf den Hauptnetzen werden schnelle Verbindungen mit sehr hoher Taktfrequenz angeboten. Die relativ langen Zu- und Abwege in diesen Städten könnten darauf zurückzuführen sein, dass dort viele Fahrgäste des ÖPNV längere Zu- und Abwege in Kauf nehmen, um ohne weiteres Umsteigen zu S- und U-Bahnen sowie Metrobussen zu gelangen. Eine genauere Analyse dieser Zusammenhänge müsste einerseits die ÖPNV- Qualität detaillierter betrachten und andererseits die Parkplatzsituation in den verschiedenen Städten einbeziehen. Die vorliegende Betrachtung versteht sich insofern als erste deskriptive Exploration des Themas Zu- und Abwege. Kontakt: lena.damrau@innoz.de Mehr online: innoz.de/ de/ monitor-modi Der Monitor ist Teil des Projekts „Energie- und Verkehrswende als Herausforderung für die sozialwissenschaftliche Forschung“. Projektpartner sind das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Förderer ist die Stiftung Mercator (stiftung-mercator.de). QUELLEN Online unter innoz.de/ de/ monitor-quellen 1 Die Datenquellen wurden nach den Standards wissenschaftlichen Arbeitens sorgfältig ausgewählt und ausgewertet, dennoch kann keine Gewähr für die Genauigkeit und Vergleichbarkeit übernommen werden. Dies gilt insbesondere für Daten Dritter. 2 Bei den Verbunddaten ist zu beachten, dass jeweils die gesamte Verbundregion betrachtet wird, die über die Stadtgrenze hinausreicht. Im Bild 1 sind daher auch die Verbundgrenzen eingezeichnet. 3 Die HVV-Abonnements umfassen neben dem allgemeinen Abo auch Großkunden-, Senioren-, Schüler-, Studierenden- und Azubi-Abos sowie Teilzeit-Karten. 4 Da das HVV-Gebiet über das Land Hamburg hinausreicht, sind Umzüge zwischen der Hansestadt und seinem Umland nicht berücksichtigt. 5 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (2013): Berliner Verkehr in Zahlen 2013, S. 41, online unter: https: / / www.berlin.de/ senuvk/ verkehr/ politik_planung/ zahlen_fakten/ entwicklung/ (letzter Zugriff am 23.10.2018). 6 Die Daten für Bild 7 wurden mit der Tracking-App modalyzer zwischen Sept. 2014 und Sept. 2018 per GPS aufgezeichnet. Der maximale Zeitabstand zwischen zusammengehörigen Etappen (Fußwege vom/ zum ÖV bzw. MIV) beträgt 20 Minuten. Insgesamt wurden Daten von 887 Personen gespendet. Die Auswertung beruht auf Daten aus den Projekten multimo, Mobilitätsmonitor und TrackMobility. Multimo wurde vom infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft und dem InnoZ durchgeführt. Auftraggeber waren: BVG, VBB, VBN, DVB, GVH, KVB, VRS, LVB, SSB, MVV, HVV, RMV, VRR und der VDV - Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. TrackMobility wird vom InnoZ im Auftrag des WZB mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Mercator durchgeführt. 7 Infas/ DLR (2018): Mobilität in Deutschland. Kurzreport; Stadt Essen (2012): Haushaltsbefragung zur Mobilität 2011. © InnoZ GmbH Unterschied zwischen durchschnittlicher erster/ letzter Etappe im Vergleich zur Haltestellendichte Erfasst mit modalyzer = Fußwege zum/ vom ÖPNV in Metern ÖV-Haltestellen pro km2 Stuttgart München Leipzig Köln Hamburg Frankfurt a. M. Essen Berlin Wegelängen in m (Median) 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 0 100 200 400 500 300 = Fußwege zum/ vom MIV in Metern = ÖV-Haltestellen pro Quadratkilometer Bild 7: Median der Fußwegelängen zum/ vom MIV und ÖPNV im Vergleich zur Dichte der ÖV- Haltestellen Quelle: Wegeerfassung mit modalyzer 6 , Haltestellenanzahl aus OpenStreetMap, Auswertung: Lena Damrau/ Maximilian Bischof; Grafik: Robin Coenen Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 44 MOBILITÄT Flughafen Die Airside-Mobilität eines Hub-Flughafens Innovationspotential am Vorfeld für nachhaltige Mobilität Infrastruktur, motorenbetriebene Bodenfahrzeuge, Akteursvielfalt, Checkpoints, Airside Operations, Ground Handling Hub-Flughäfen sind immer einem Ballungsraum zugeordnet und bilden oft eine hochurbane Airport-City aus, womit der Flughafenstandort ebenso zum Adressaten der Klimaziele wird. Freilich sind hier spezielle Rahmenbedingungen für die Dekarbonisierung zu beachten. Der Betrieb von Gebäuden und deren Verkehrsanbindung auf der Landseite genießt öffentliche Aufmerksamkeit, während der Flughafenbetrieb am Vorfeld als Selbstverständlichkeit angesehen wird. Das komplexe Zusammenwirken zahlreicher Akteure bei der Bodenabfertigung der Flugzeuge und die Vielfalt der eingesetzten Fahrzeuge und Geräte bilden Ansatzpunkte, sich mit der Mobilität des Bodenverkehrs auf der Luftseite zu befassen. Andreas Romstorfer, Heinz Dörr D er hochurbane Charakter einer Airport City hat viele Facetten auch in Hinblick auf die Mobilitätsformen angenommen. Die landseitige Verkehrsanbindung ist eine laufend thematisierte Angelegenheit, weil sie als infrastrukturelle Vorleistung die Attraktivität des Flughafenstandortes wesentlich vorausbestimmt. Gewonnen wird die Wettbewerbsfähigkeit für die verschiedenen Kundenkreise aber auf den Primärmärkten der Luftfahrtgesellschaften und auf den Sekundärmärkten der Forwarding-Logistik, der Immobilienansiedlungen, des Einzelhandels, der Gastronomie und der Landverkehrsdienste. Somit ergibt sich ein Kerngeschäft und nicht minder wichtig stellen sich mittlerweile die Geschäftsfelder der Annexeinrichtungen dar. Sie machen die Airport Cities sowohl für die mit dem Luftfahrtbetrieb verbundenen Beschäftigten als auch für jene in Geschäftsfeldern, die die Standortgunst der globalen Erreichbarkeit genießen, zu einem bunten Arbeitsplatzschwerpunkt. Dem Flughafen benachbarte Wirtschaftsparks übernehmen als ausgelagerte Business Centres Teilfunktionen der Inner Cities im Ballungsraum. Für die Raumordnung ist die Airport City ein hochrangiger Zentraler Ort der globalen Funktionsteilung. So mancher Tower signalisiert als Landmark die Airport City (siehe Bild 1). Ein Hub-Flughafenstandort teilt sich als Siedlungsgebilde in mehrere Funktionszonen unterschiedlicher Nutzungsausrichtung, Öffentlichkeitszugänglichkeit und Luftfahrtaffinität auf. Ein Strukturmodell lässt sich prinzipiell als zwei Halbkreise darstellen, die durch die Landside-Airside- Grenze halbiert werden und in sich schalenförmig untergliedert werden, wobei die Airport City landseitig in den Ballungsraum verwoben ist und der eigentliche Luftfahrtbetrieb durch die Kanalisierung der Bodenabfertigung und der sicherheitsbedingten Zugangsberechtigungen für Personen und Frachten gelenkt wird (siehe Bild 2). Dieses Strukturschema verdeutlicht außerdem, welche Funktionszonen als Innovationsfelder für die Dekarbonisierung zur Lösung anstehen und welche Handlungsträger dafür zu adressieren sind, damit eine gesamthafte Nachhaltigkeitsbilanz für einen Flughafenstandort aufgestellt werden kann. Gliederung in Sicherheits- und Nutzungszonen Verkehrsflughäfen gliedern sich in Nutzungsflächen landseitig und luftfahrtseitig. Diese grundsätzliche Zweiteilung ist den Sicherheitsanforderungen der Luftfahrt geschuldet. Sie überlappt sich jedoch mit den funktionellen Anforderungen des Flughafenbetriebes, sodass die Grenzlinie definiert und die unterschiedlichsten Zugangsbe- Bild 1: Photovoltaik-Anlage und Tower als Landmark am Flughafen Wien Quelle: Nachhaltigkeitsbericht 2017, Flughafen Wien AG Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 45 Flughafen MOBILITÄT rechtigungen für Personen und Zulaufberechtigungen für Fahrzeuge, Geräte und Güter an Checkpoints ausnahmslos kontrolliert werden müssen. 1 So kommt es, dass eingangsseitig von „landside to airside“ verschiedene Schleusen zu passieren und Ausweise bzw. Kennzeichnungen zur Überprüfung erforderlich sind. Umgekehrt, also einreisebzw. importseitig, sind die sicherheitspolizeilichen und zolltechnischen Belange anzuwenden, wobei auch stichprobenartig vorgegangen werden kann, wenn keine Auffälligkeiten offensichtlich werden. Diese unterschiedliche Durchlässigkeit ein und derselben Grenze setzt bauliche Trennungen und eine Lenkung der Verkehrsströme voraus, die Ebenen und Laufwege für Ankünfte, Transfer und Abflüge ohne Schlupflöcher benötigt. Das gilt für die Passagierluftfahrt (PAX), u.a. nach dem Schengenbzw. Non-Schengen-Regime, ebenso wie für Luftfracht (EU-Binnenmarkt und Warenverkehr mit anderen Ländern), welche entweder in Passagierflügen als „Belly Bild 3: Schematisierte Darstellung eines Vorfeldbereiches in Hinblick auf den Bodenverkehr Quelle: Grundkarte Flughafen Wien 2 , Bearbeitung: Romstorfer Bild 2: Generelles Flächenfunktionsmodell eines Hub-Flughafens in Hinblick auf Innovationsfelder für die Dekarbonisierung der Mobilität Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 46 MOBILITÄT Flughafen Load“ oder in eigenen Frachtfliegern befördert wird. Ein Flughafenstandort ist zudem ein komplexes Gefüge unterschiedlicher Verfügungsrechte, wie Eigentums-, Baurechts- und Mietverhältnisse, von denen in weiterer Folge die Art der Flächennutzungen landseitig und der Geschoßnutzungen in den Terminals luftfahrtseitig abhängen. Das geht Hand in Hand mit der proprietären Regelung der Zugänglichkeit und der fahrzeug- und personenbezogenen Mobilität, auch wenn generell gültige Normen, wie die Straßenverkehrsordnung (StVO), angewendet werden. Alle Bewegungen klinken sich in ein ausgeklügeltes Wegeleitsystem des Flughafens als Infrastrukturbetreiber ein (siehe Bild 3). Das Vorfeld als Raum hochkonzentrierter Mobilität Auf vielen Hub-Flughäfen 3 ist eine funktionelle Dreiteilung am Vorfeld zwischen der PAX-Luftfahrt, Air Cargo und General Aviation ausgeprägt, damit sich die Abläufe im Zulauf zu den Terminals landside und die Bodenabfertigung airside nicht übermäßig in die Quere kommen. Es sind die Flughafendienste, die sich im Ground Handling für die Flugzeugabfertigung (Cargo- und Gepäcksmanipulation, Kerosin-Betankung, Cabin Services, PAX-Beförderung, Ramp Handling, etc.) am Vorfeld betätigen 4 . Das gilt verkehrstechnisch für die Bewegungen von Personen, Personalen, Fahrzeugen und mobilen Gerätschaften für die Bedienung der Luftfahrzeuge (LFZ) auf den Parkpositionen der Vorfelder. Hierbei ändern sich die Bedingungen nicht nur seitens der Flughafeninfrastruktur, ob Fingerflugsteige oder freie Parkpositionen von den LFZ eingenommen werden, sondern es muss auch die Vielzahl der gängigen Flugzeugmuster berücksichtigt werden, um eine reibungslose Abfertigung der Flugzeuge zu gewährleisten. Dafür sorgt an der jeweiligen Parkposition ein Ramp Agent, der die Abfolge der einzelnen Prozesse in Abstimmung mit dem für das LFZ verantwortlichen Flugkapitän koordiniert (siehe Bild 4). 5 Die Bedienung der Parkpositionen erfolgt in der grundsätzlichen Relation vom Stützpunkt des jeweiligen Dienstes aus (siehe Bild 3). Dabei ist auch von Relevanz, ob der Dienst einen operativ günstigen Zugang zum Betriebsstraßennetz am Vorfeld aufweist (siehe Bild 5). Ob bei der Bedienung spinnenförmig von der Quelle zu den Zielen gefahren wird, oder ob mehrere Parkpositionen seriell als logistische Tour bedient werden können, ist jeweils abzuklären. Bei Flugzeugen mit sehr kurzen Turnaround- Zeiten können gewisse Bedienungen entfallen. Die Passagierbeförderung zu/ von außenliegenden Parkpositionen findet mit geeigneten Bussen (wie mit Hecktüren und beidseitigen Türen ausgestattet und in Überbreite) von ebenerdigen Gates aus statt. Die Fahrten können dabei weitab vom Terminalgebäude auf das Vorfeld führen und sogar Rollgassen queren. Bei einem zeitkritischen PAX-Transfer sind direkte „Ramp Transfers“ zwischen den Parkpositionen möglich. Bei kurzen Anschlusszeiten kann es ebenso bei Transfergepäck oder -fracht gehandhabt werden, wenn diese als sicher gelten. Auch speziell sortierte LFZ- Container können direkt an den Anschlussflug rationell überstellt werden („tail2tail“). Für alle Bewegungen am Vorfeld gilt: Flugzeugbewegungen haben immer Vorrang, ob sie nun vom eigenen Triebwerk bewegt werden oder von einem Push-Fahrzeug. Die Fahrten von Bodenfahrzeugen auf den Vorfeldern werden weitgehend durch Bodenmarkierungen geleitet, die einem Straßennetz ähnlich organisiert sind. Dort gilt üblicherweise die StVO, welche durch die Verkehrsregeln für den nicht-öffentlichen Bereich des Flughafengeländes spezifiziert wird. Kraftfahrzeuge sind dazu speziell für den Vorfeldeinsatz gekennzeichnet, z. B. mittels Schachbretttafe (siehe Bild 6). Abstellplätze für Geräte und Bodenfahrzeuge können dort eingerichtet sein, wo Flugzeugbewegungen nicht behindert werden. Bewegungen von Personen sind, wenn betrieblich erforderlich, zu beobachten. Eine prinzipiell (rote) No-Go-Linie ist die Zuständigkeitsgrenze zwischen Airside Operations in Verantwortung des Flughafens und dem Flugbetrieb in Verantwortung der Air Traffic Control. Aber selbst dieser Bereich muss für die Pistenwartung (z. B. Befeuerung), den Winterdienst, die Freiflächenpflege und für Notfälle (Feuerwehr) unter Wahrung der Hoheit von Air Traffic Control befahrbar sein. Bild 4: Bodenabfertigungsdienste an einer Parking Position, Mitteldeutscher Flughafen Leipzig- Halle LEJ Foto: Dörr Bild 5: Luftfahrtseitige Betriebsstraße, Flughafen Leipzig-Halle LEJ Foto: Dörr Bild 6: E-Schlepper für den Zugverband mit Vorfeldberechtigungs- Kennzeichnung Foto: Romstorfer mit freundlicher Genehmigung der Flughafen Wien AG Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 47 Flughafen MOBILITÄT Dekarbonisierung der Vorfeld- Mobilität Wie eingangs erwähnt, ergeben sich an einem Flughafenstandort verschiedene Innovationsfelder in Korrespondenz mit den dort initiativen Akteuren für eine CO 2 -neutrale und schadstoffarme Flächennutzung und Mobilität 6 . Über die Effekte alternativer Antriebsformen Well-to-Wheel in Hinblick auf die Primärenergiebilanzen, die Wirkungsgrade und die Einsparpotenziale bei den Emissionen gibt es eine kontroversielle, von Interessen geprägte Diskussion, auf die hier nicht im Detail eingegangen wird. Vielmehr wird das Vorfeld als Mobilitätsraum ins Bild gerückt, das wenig Beachtung findet, weil es zwar intensiv frequentiert, aber nicht öffentlich frei benutzbar ist. Ausgangspunkt der Betrachtung sollen daher die günstigen Randbedingungen für eine Umstellung auf eine nachhaltige Mobilität am Vorfeld sein, ehe die antriebstechnologischen Optionen dann im zu untersuchenden Einzelfall nach ihren Nutzeffekten zu behandeln sein werden. Als vorteilhaft erweisen sich im Vergleich zur Mobilität in den öffentlichen Verkehrsnetzen folgende verkehrslogistische Faktoren: • Das Vorfeld als Infrastruktur steht in Verantwortung des Flughafenbetreibers. • Die Energieversorgung der Fahrzeuge findet in einem nichtöffentlichen Bereich statt. • Die Relationen führen zu Stützpunkten am Gelände zurück (back-to-base). • Es handelt sich um relativ kurze, aber zumeist häufige Wege. • Es herrscht eine brauchbare Planbarkeit der Einsätze. • Die Gewichtsbandbreite der Vorfeldtransporte ist im Normalfall im Zentnerbis niedrigen Tonnenbereich angesiedelt. Alles in allem sind das nahezu ideale bodenbezogene Voraussetzungen für eine Umstellungsstrategie, die man sich anderswo im Ballungsraum wünschen würde 7 . Dazu sind aber die vielen sich am Vorfeld bewegenden Akteure „an Bord“ zu holen, deren Verkehrsmittel eine bunte Vielfalt auszeichnet (siehe Bild 7). Deswegen müssen sowohl die aufgabenbedingten Bewegungsmuster als auch die Fahrzeugmassen genau erhoben werden, um zu beurteilen, welche Antriebskonfigurationen den Nachhaltigkeitszielen am besten entsprechen. Dabei können sich erhebliche Unterschiede bei der fahrzeugtechnologischen Auswahl herausstellen. Denn für eine Umstellung sind für den Fuhrparkbetreiber airside die örtlichen Installationsmöglichkeiten und Leitungskapazitäten der Energieversorgungsinfrastruktur ebenso zu bedenken wie die Folgeeinrichtungen für Wartung und Reparatur. Im Übrigen sind Synergien zwischen den Services airside und allenfalls mit Nutzern landside zu überlegen. Außerdem bietet ein weitläufiger Flughafenstandort manche Möglichkeiten, selbst zur regenerativen Energieerzeugung etwas beizutragen (siehe Bild 1). Die Nachhaltigkeitsziele sind mit den betrieblichen Zielen der Operabilität für den jeweiligen Flughafen abzuwägen, womit sich nicht automatisch eine Ablehnung herkömmlicher fossiler Antriebe verbindet. 10 So ist für bestimmte Bodendienste die verlässlich jederzeitige Einsatzfähigkeit (Pusher, Enteisung, Winterdienst, Feuerwehr, Follow-me) sicherzustellen, weil solche Fahrzeuge nicht in Überzahl vorgehalten werden können. Schließlich sind auch widrige Witterungsverhältnisse mit zu bedenken. In der Hauptsache stehen folgende Antriebskonzepte zur Auswahl, wobei die externe Energieversorgung der Fahrzeugflotte und die Energiespeicher im Fahrzeug immer dazugehören: • diesel- oder benzinbetriebene Verbrennungskraftmotoren (VKM) Bild 7: von links oben nach rechts unten E-Smart für Ramp-Agents, 8 elektrisch angetriebener Passagierbus, 8 voll elektrifiziertes Catering-Hub- Fahrzeug, 9 LFZ-Schlepper mit Hybridantrieb 8 Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 48 MOBILITÄT Flughafen • erdgasbetriebene Verbrennungskraftmotoren (CNG, LNG) • batteriebetriebene Elektrofahrzeuge (BEV) • wasserstoffbetriebene Elektrofahrzeuge (FCEV) 11 • hybride Kombinationen dieser Antriebe Erdgasgestützte Fahrzeuge erfreuen sich einer gewissen Beliebtheit, weil zu ihnen reichliche Betriebserfahrungen vorliegen. Ihr Betrieb reduziert die klimaschädlichen Emissionen geringfügig. Sie kommen außerdem für hybride Antriebskombinationen in Frage. Das spricht für den Einsatz in der erweiterten Airport-City 12 . Bei der reinen Elektromobilität (BEV) ist der lokale Entlastungseffekt klarerweise am höchsten, die Knackpunkte liegen beim Lastmanagement der Stromversorgung und der Einrichtung einer genügenden Anzahl von Ladestationen, die auch in gewissem Umfang am Gelände dezentralisiert werden könnte. Zudem wäre unter günstigen Umständen die konduktive Ladetätigkeit (über Kabel oder Pantograph) um induktive Standplätze (also berührungsfrei über Magnetspulen) indoor oder an Abstellplätzen ergänzbar. Die zentralen Stützpunkte erlauben ferner einen raschen Batterietausch, sodass nicht notwendigerweise schnell oder langdauernd das Fahrzeug selbst aufgeladen werden muss. Solche Anwendungen sind für Schlepper im Zugverband gebräuchlich (siehe Bild 6). Die Reichweite von BEVs sollte über den Tageseinsatz am Vorfeld gewährleistet sein. Die Anfahrzugkraft ist je nach Einsatzzweck ein Thema. Das faktische Geschwindigkeitsniveau entspricht dem einer Wohnanliegerzone. Beim Antrieb eines Elektrofahrzeugs mittels Brennstoffzelle (Fuel Cell) ist der Entlastungseffekt wie beim BEV. Der Knackpunkt liegt bei der Anlage der teuren Wasserstofftankstelle, die aber an der Landside-Airside-Grenze zur beiderseitigen Betankung positioniert werden könnte, sodass sie von der Auslastung durch den allgemeinen Landverkehr profitieren kann. Die Erreichbarkeit der H 2 -Tankstelle vor Ort und die Frequenz der Tankvorgänge sind aufgrund der Reichweite des FCEV kein Problem. Die Sicherheit gilt heute als gewährleistet. Freilich ist nicht jedes selbstangetriebene Airside-Gerät für den Einbau vorgesehen. Aber solche Fahrzeugentwicklungen sind über übliche KFZ-Muster hinausgehend denkbar. Die den Einsatz limitierenden Faktoren der batteriegestützten Elektrofahrzeuge stellen sich bei den H 2 betriebenen Fahrzeugen nicht ein, sodass sie ein breiteres Anwendungsspektrum abdecken können (siehe Bild 8). Fazit Als Vorhut auf dem Pfad zur Nachhaltigkeit können einzelne Maßnahmen, wie Photovoltaik-Anlagen oder die Vollelektrifizierung einer Schlepperflotte, angesehen werden. Je näher die benötigten Fahrzeugmuster an der Marktnachfrage angesiedelt sind, desto leichter fällt eine Investitionsentscheidung zugunsten CO 2 -reduzierter bzw. -neutraler und schadstoffarmer bzw. -freier Bodenfahrzeuge bei der Nachbeschaffung. Dabei können auch hybride Antriebslösungen ihre Chance bekommen, wenn analoge Fahrzyklen im Landverkehr, was regelmäßige Tagesfahrleistungen, etwa von Taxi-, Shuttle- und Liefer-Services, anbelangt, zum Vergleich herangezogen werden können. Koordinierte Beschaffungen der Fuhrparkbetreiber innerhalb des Flughafenstandortes oder im Flughäfen-Verbund könnten günstigere Konditionen erzielen und nach außen die Umstellung positiv signalisieren. ■  1 Das Prozedere dieser Kontrollen für Waren und Air Cargo wird in der Studie ACCIA beschrieben. Siehe auch Fußnote 4.  2 FWAG (2017): Kernplan Flughafen Wien, Ausgabe 3. Quartal 2017, https: / / www.viennaairport.com/ jart/ prj3/ va/ uploads/ data-uploads/ Plan/ Kernplan%20Stand%203.%20Quartal%202017[1].pdf  3 Ein Hub-Flughafen zeichnet sich durch mehrere Kriterien aus, er ist mit anderen Hubs international und transkontinental vernetzt, ist Heimatflughafen zumindest eines größeren Carriers, hat eine jährliche Passagierzahl, die in die Millionen geht, und ist meistens mit zwei Pisten ausgerüstet, um die Zahl der regelmäßigen Flugbewegungen zu meistern. Landseitig ist er an das Schienen- und Autobahnnetz angebunden. Ferner braucht ein Hub auch Hotels für die Flugzeugbesatzungen und für Transferpassagiere. Im Übrigen kann die Bedeutung als Aircargo-Hub gegenüber der als Passagier-Hub auch mancherorts überwiegen.  4 Im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) wurde eine Forschungsdienstleistung zu den Schnittstellen in der Air Cargo-Transportkette (ACCIA) ausgearbeitet. Projektpartner waren arp-planning.consulting.research, DHL Global Forwarding Austria und Flughafen Wien AG. Ergebnisse dazu wurden referiert in: Dörr, Marsch, Romstorfer: FTI-Potenziale an Schnittstellen für Air Cargo. In: Internationales Verkehrswesen (69) 2017, Heft 2, Seiten 28-32. Die Studie ist von den Internetseiten des BMVIT und der FFG sowie unter Andreas Romstorfer oder Heinz Dörr von www.researchgate.net herunterladbar.  5 Templin C. (2007): Bodenabfertigungsdienste in Europa - Deregulierung und ihre Konsequenzen, Kölner Wissenschaftsverlag, Köln  6 Europäische Flughäfen könnten als „Early Adopters“ Fahrzeuge einsetzen, die noch über keine EU-Homologation für das öffentliche Straßennetz verfügen. Ein Vorfeld könnte hier als Innovationsfeld ein interessantes Anwendungsgebiet darstellen.  7 Im Forschungsprojekt EFLOG wurden zusammen mit der AVL List GmbH Fahrzyklensimulationen für Nutzfahrzeuge im Einsatz im Ballungsraum für verschiedene Antriebstechnologien berechnet. Siehe Dörr, Toifl, Huss, Prenninger: Antriebstechnologie und Nachhaltigkeit im Straßengüterverkehr. In: Internationales Verkehrswesen (67) 2015, Heft 1, S. 40-44. Das gesamte Forschungsprojekt EFLOG ist von den Internetseiten des BMVIT und der FFG sowie unter Andreas Romstorfer oder Heinz Dörr von www.researchgate.net herunterladbar.  8 Quelle: https: / / www.klimaschutz-portal.aero/ verbrauchsenken/ am-flughafen/ emissionsarmer-fuhrpark  9 Quelle: http: / / www.doll.eu/ neuigkeiten/ aktuelles/ detail/ article/ innovation-von-doll-erstes-voll-elektrifiziertes- 18-t-nutzfahrzeug-als-ecat-catering-fahrzeug/ 10 Am Flughafen Wien laufen derzeit zwei Nachhaltigkeitsprojekte: Zum einen über Energieeinsparung, Verkehrsvermeidung und zur Verminderung der Belastungen von Mitarbeitern und Passagieren, zum anderen zur Treibhausgas-Reduktion und zur Umsetzung eines zukunftsweisenden Verkehrskonzeptes. Quelle: FWAG (2018): Nachhaltigkeitsbericht 2017, Flughafen Wien AG 11 Übrigens könnte Wasserstoff auch in einem dafür adaptierten Verbrennungskraftmotor CO 2 -frei und NO x -frei eingesetzt werden, die Technologie hat aber den Fahrzeugmarkt noch nicht erreicht. Ein Prototyp wurde auf der IAA 2018 jüngst in Hannover ausgestellt. 12 Siehe EFLOG Endnote 7. Die Fahrzyklensimulation für erdgasbetriebene Fahrzeuge hat eine Emissionsreduktion von ca. 7 % gegenüber dieselbetriebenen Fahrzeugen ergeben. 13 Quelle: http: / / trucknbus.hyundai.com/ global/ brand/ eco/ hydrogen-electric-bus-shuttle-bus-service Andreas Romstorfer, Dipl.-Ing. (FH), MA Ingenieur für Logistik, Transport und Verkehrsdienste, arp-planning.consulting.research/ Flughafen Wien AG, Wien a.romstorfer@arp.co.at Heinz Dörr, Dipl.-Ing. Dr. rer. nat. Beratender Ingenieur für Raum- und Verkehrsplanung, arp-planning. consulting.research, Wien heinz.doerr@arp.co.at Bild 8: Brennstoffzellenbetriebener Bus bei den Olympischen Winterspielen 2018 im Routinebetrieb 13 GESAMMELTES FACHWISSEN Das Archiv der Zeitschrift Internationales Verkehrswesen mit ihren Vorgänger-Titeln reicht bis Ausgabe 1|1949 zurück. Sie haben ein Jahres-Abonnement? Dann steht Ihnen auch dieses Archiv zur Verfügung. Durchsuchen Sie Fach- und Wissenschaftsbeiträge ab Jahrgang 2000 nach Stichworten. Greifen Sie direkt auf die PDFs aller Ausgaben ab Jahrgang 2010 zu. Mehr darüber auf: www.internationales-verkehrswesen.de Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 4 11.11.2018 18: 32: 23 Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 50 Entlastungswirkungen von Carsharing-Varianten Vergleichende Befragung von Kunden unterschiedlicher Carsharing-Angebote Stationsbasiertes Carsharing, Free-floating Carsharing, kombinierte Carsharing-Angebote, Änderung Verkehrsverhalten In den letzten Jahren sind einige Studien veröffentlicht worden, welche Entlastungswirkungen von Carsharing-Angeboten mittels Kundenbefragungen erforscht haben. Der Nachteil dieser Studien ist jedoch, dass sie entweder ausschließlich die noch relativ neuen stationsunabhängigen („free-floating“) oder die in Deutschland verbreiteten stationsbasierten Carsharing-Angebote untersucht haben. Keine dieser Studien hat mit einheitlichem Design die Angebote aller in einer Stadt verfügbaren und teilweise schon länger bestehenden Carsharing-Angebote erforscht. Im Rahmen des EU-Projektes STARS wurden nun erstmals Nutzer unterschiedlicher Carsharing-Varianten vergleichend untersucht, was weiterreichende Erkenntnisse zur Entlastungsleistung der Angebote aus Quervergleiche ermöglicht. Willi Loose, Gunnar Nehrke V erschiedene Studien haben in den vergangenen Jahren Entlastungswirkungen von Carsharing-Angeboten mittels Kundenbefragungen erforscht (z. B. EVA-CS 1 , Wi- Mobil 2 , share 3 und Bremen-Studie 4 ). Im Rahmen des EU-Projektes STARS 5 wurden vom Bundesverband CarSharing e. V. nun erstmals Nutzerinnen und Nutzer unterschiedlicher Carsharing-Varianten vergleichend untersucht. Dazu wurden in den drei Städten Frankfurt, Köln und Stuttgart jeweils in innenstadtnahen, urban strukturierten Stadtteilen die Kundinnen und Kunden der Anbieter stadtmobil Rhein-Main, cambio Köln, stadtmobil Stuttgart (stationsbasierte Angebote), car2go (reines Free-floating-Angebot), book-n-drive (kombiniertes stationsbasiert/ free-floating-Angebot in Frankfurt) sowie die Autosuchenden der Peer-to-peer- Plattform drivy befragt. Zusätzlich wurden noch Bewohner der drei Untersuchungsstadtteile befragt, die nicht bei einem Carsharing-Anbieter angemeldet sind. Die Stadtteile zeichnen sich dadurch aus, dass die Alternativen zum eigenen Auto hier weit verbreitet sind, der Parkdruck außerordentlich hoch ist und eine hohe Nutzungsmischung zwischen Wohnen, Einkaufen und Arbeiten vorherrscht. Das Ziel der Studie ist, die Entlastungsleistung verschiedener Carsharing-Varianten unter optimalen Bedingungen für eine multimodale Mobilität zu vergleichen. Ausgewertet wurden die Angaben von 1122 Carsharing-Kunden. 67 % von ihnen sind lediglich bei einer Angebotsvariante angemeldet, beispielsweise bei einem stationsbasierten oder einem reinen Free-floa- Foto: pixabay MOBILITÄT Carsharing Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 51 Carsharing MOBILITÄT ting-Anbieter. Das restliche Drittel kombiniert zwei oder drei Anbieter miteinander und kann somit die Vorteile der unterschiedlichen Varianten miteinander verbinden bzw. - umgekehrt - die Nachteile der einen Variante durch die Vorteile der anderen Variante ausgleichen. Beispielsweise müssen die Fahrzeuge der stationsbasierten Angebote immer an der Station wieder zurückgegeben werden, an der sie abgeholt wurden. Dafür können diese Fahrzeuge lange im Voraus reserviert werden, was einen Vorteil in der Zuverlässigkeit bei vorhersehbaren Fahrtwünschen bringt. Stationsunabhängige (free-floating) Fahrzeuge können immer spontan genutzt werden, es ist jedoch schwer planbar, ob man zum gewünschten Zeitpunkt ein freies Fahrzeug in der Nähe vorfindet. Außerdem erschweren relativ teure Zeittarife längere Fahrten über weitere Entfernungen. Stationsunabhängige Fahrzeuge ermöglichen jedoch Einwegfahrten innerhalb des Geschäftsgebietes. Das kombinierte Angebot von book-n-drive in Frankfurt bietet die Vorteile beider Fahrzeugvarianten aus einer Hand. Bei den Nutzern der Plattform drivy wurden ausschließlich Personen befragt, die über die Plattform Autos anderer ausleihen, selbst jedoch kein Auto anbieten. Aus Platzgründen beschränkt sich die folgende Beschreibung auf die größten Nutzergruppen. Das sind diejenigen, die ausschließlich bei einer Carsharing-Variante angemeldet sind bzw. die Kombinierer, die sowohl bei einem stationsbasierten als auch bei einem Free-floating-Anbieter Kunde sind. Soziodemografische Merkmale der-Nutzer Wie bereits die oben angeführten Studien zeigen, rekrutieren sich auch die hier beschriebenen Carsharing-Nutzer aus einem bestimmten Ausschnitt der Bevölkerung: Die Carsharing-Nutzer sind zum überwiegenden Teil in einem angestellten Beschäftigungsverhältnis berufstätig, die Quote bewegt sich zwischen 78,6 % bei den Kombinierern stationsbasiert plus free-floating und 69,0 % bei den reinen Free-floating- Nutzern. Die Autosuchenden Peer-to-peer- Nutzer haben mit 21,6 % den höchsten Anteil Selbständiger. Den höchsten Anteil von Studenten verzeichnen mit 12,3 % die Freefloater. Carsharing-Kunden haben eine außerordentlich hohe formale Bildung, das zeigen auch die Teilnehmer dieser Studie: 71,9 % der Befragten verfügt über einen Hochschulbzw. Universitätsabschluss. Weitere 16,6 % haben zwar (noch) nicht studiert, besitzen jedoch die allgemeine Hochschulreife. Einen mittleren Schulabschluss bzw. Realschulabschluss haben hingegen nur 8,9 %. Peer-to-peer Kunden haben „nur“ zu 43,2 % einen Hochschulabschluss und zu 25,2 % die allgemeine Hochschulreife. Das verfügbare Haushaltseinkommen korrespondiert mit der formalen Bildung und liegt über alle Gruppen weit überdurchschnittlich bei 3445 Euro, das bundesdeutsche Durchschnittseinkommen von Angestellten liegt laut de.statista.com bei 3224 Euro. Die Kombinierer stationsbasiert plus free-floating liegen im Einkommensschnitt mit 3781-Euro ganz oben. Ein unterdurchschnittliches Haushaltseinkommen haben die Peer-to-peer Teilnehmer mit 2559 Euro. Der Männeranteil ist im Vergleich zu anderen Studien außerordentlich niedrig. Er liegt bei denjenigen Nutzern, die ausschließlich eine Variante nutzen, zwischen 42,8 % beim kombinierten Angebot und 54,5 % bei den Free-floatern. Kombinieren mit verschiedenen Anbietern unterschiedlicher Varianten ist hingegen eher eine Männerdomäne: hier steigt der Männeranteil auf bis 82 %. Im Durchschnitt leben in einem Viertel der Haushalte Kinder unter 18 Jahren, lediglich die Free-floating-Nutzer setzen sich davon mit nur 15,4 % Haushalten mit Kindern ab. Entwicklung des Autobesitzes in-den Varianten Die ständige Verfügbarkeit eines eigenen Autos oder eines privat nutzbaren Dienstwagens bestimmt in besonderem Maße das übrige Verkehrsverhalten. Zunächst ist ein Blick auf die Motorisierung zum Zeitpunkt der Befragung hilfreich (siehe Bild 1). Stationsbasierte und kombinierte Nutzer weisen eine sehr niedrige Motorisierungsquote von lediglich 108 bzw. 104 PKW pro 1000 Personen aus den Befragtenhaushalten auf. Das liegt unter der Zielmarke von 150 PKW/ 1000 Personen, die das Umweltbundesamt für ein klima- und umweltgerechtes Verkehrssystem der Zukunft anstrebt. 6 Erstaunlich ist die niedrige Motorisierung von 173 PKW/ 1000 Personen, die Nutzer von Free-floating-Angeboten aufweisen, die zusätzlich auch bei einem stationsbasierten Anbieter angemeldet sind. Sie kombinieren die Vorteile beider Fahrzeugvarianten und gleichen damit die Nachteile nur eines Systems aus. Reine Free-floating-Nutzer zeigen hingegen eine überdurchschnittliche Motorisierung von 485 PKW/ 1000 Personen, was der positiven Einstellung dieser Kundengruppe zum Auto geschuldet ist. Neben dem Status quo ist die Entwicklung des Autobesitzes im Verlauf der Carsharing-Teilnahme eine wichtige Kenngröße bei der Beurteilung des Entlastungspotenzials durch das Carsharing. Drei unterschiedliche Zeitpunkte wurden hierzu abgefragt: 1. Autobesitz zum Zeitpunkt der ersten Anmeldung beim Carsharing, 2. jetziger Autobesitz zum Zeitpunkt der Befragung und 3. zusätzlich der Autobesitz im Jahr vor der ersten Anmeldung. Letzteres entspricht der Erkenntnis, dass viele Carsharing-Kunden sich erst dann zum Carsharing anmelden, wenn äußere Einflüsse (z. B. ein größerer Schaden am eigenen Auto, das Erreichen einer Fahrleistungsgrenze etc.) ein Überdenken des weiteren Autobesitzes auslösen. In der folgenden Grafik (Bild 2) stellt die jeweils erste Säule mit 100 % den ursprünglichen Autobestand im Jahr vor der ersten Anmeldung zum Carsharing dar. Dahinter Bild 1: Heutige Motorisierungsquoten der Carsharing-Varianten Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 52 MOBILITÄT Carsharing steckt jedoch eine von Variante zu Variante unterschiedliche Motorisierungsquote. Bei den Nutzern stationsbasierter und kombinierter Angebote sinkt der ursprüngliche PKW-Bestand auf etwa ein Drittel zum Zeitpunkt der Befragung. Umgekehrt steigt der Anteil von Nutzern, die heute autofrei in ihrem Haushalt leben, auf bis zu 80,7 % an (siehe Bild 3). Die Free-floating-Nutzer schaffen nur wenige private Pkw ab. Ihr Autobestand sinkt - ausgehend von einem hohen Niveau - auf lediglich 95,3 % des ursprünglichen Bestands. Entsprechend niedrig fällt mit 31,6 % der Anteil derjenigen aus, die heute in autofreien Haushalten leben. Dieser Anteil autofreier Nutzerhaushalte geht zudem mit der Teilnahme am Carsharing leicht zurück. Die Share-Studie erklärt diesen auch dort festgestellten Umstand mit den jungen Alter der Nutzer, die häufig am Beginn ihrer beruflichen Kariere und der Familiengründung stehen. Auffällig im STARS-Projekt ist jedoch die deutliche Autoabschaffung bei denjenigen Free-floating- Nutzern, die sich zusätzlich bei einem stationsbasierten Angebot angemeldet haben. Sie leben jetzt zu 67,7 % in autofreien Haushalten. Einstellungen der unterschiedlichen Carsharing-Nutzer Anhand der Zustimmung zu einzelnen vorgefassten Aussagen wurde die Einstellung zum (eigenen) Auto und zu anderen Verkehrsmitteln abgefragt. Das Statement „Autofahren macht Spaß“ fand bei allen Carsharing-Varianten eher Zustimmung als Ablehnung. Am wenigsten Zustimmung signalisierten jedoch die Nicht-Nutzer eines Carsharing-Angebotes, gefolgt von den stationsbasierten Nutzern. Die kombinierten Nutzer und die Kombinierer zwischen verschiedenen Varianten weisen ein mittleres Zustimmungsniveau auf, während Free-floater und die Peer-to-peer- Nutzer stark zustimmen und damit die höchste Autoaffinität unter den Befragten aufweisen. Der Aussage „Ein Auto ist für mich nur ein Mittel zum Zweck“ wird hingegen von den Nutzern fast aller Carsharing-Varianten und den Nicht-Nutzern eindeutig zugestimmt (75 bis 85 % Zustimmung). Lediglich die Peer-to-peer Autosuchenden halten sich mit 63 % Zustimmung etwas mehr zurück. Die größte Ablehnung zum Statement offenbaren jedoch mit 32,3 % die Free-floating-Nutzer. Bei diesen beiden Carsharing- Varianten stimmt die Skepsis gegenüber einer zweckrationalen Einstellung zum Auto mit ihrer Autobesitzquote überein. Ihre Carsharing-Nutzung scheint nicht alle gewünschten Autonutzungen abzudecken, weshalb sie zum großen Teil noch immer auf das eigene Auto zurückgreifen. Aus diesem Erklärungsmuster fallen jedoch die Nicht-Carsharing-Nutzer, die ebenfalls zu drei Viertel über eigene Autos im Haushalt verfügen, heraus. Sie stimmen der Aussage „Ein Auto ist für mich nur ein Mittel zum Zweck“ zu 73,9 % zu. Eine Erklärung hierfür könnten die Fokusgruppen liefern: Die autobesitzenden Nicht-Nutzer finden Autofahren an dem Ort, wo sie wohnen, schlicht nervenaufreibend. Ihren Autobesitz erklä- Bild 3: Entwicklung des Anteils autofreier Haushalte bei den Carsharing-Varianten Bild 4: Einstellungen zum Auto in den Carsharing-Varianten Bild 2: Entwicklung des eigenen Autobestandes bei den Carsharing-Varianten im Zeitverlauf Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 53 Carsharing MOBILITÄT ren sie eher anhand einzelner Nutzungszwecke, von denen sie nicht glauben, dass man sie mit anderen Verkehrsmitteln bewältigen kann. Bis auf die Free-floater widersprechen alle Carsharing-Varianten und die Nicht- Nutzer der Aussage „Carsharing ist (vermutlich) eher ein Zusatzangebot zum eigenen Auto“ (Ablehnung zwischen 59,6 % und 79,0 %). Nur die Free-floater halten diese Aussage mit 51,3 % Zustimmung für eher richtig. Handlungsempfehlungen für Politik und Kommunalverwaltungen Die im STARS-Projekt gefundenen Ergebnisse bestätigen die Befunde zahlreicher Carsharing-Studien, die sich nur mit einer Carsharing-Variante beschäftigt haben. Bestätigt werden die deutlichen Entlastungsleistungen der stationsbasierten Angebote, die in der Vergangenheit in vielen Studien zutage traten (Bild 5). Die fehlende Entlastungswirkung der Free-floating-Angebote a la car2go (und DriveNow) wurde kürzlich in identischer Form im Projekt share veröffentlicht. Sehr deutliche Entlastungseffekte weisen die kombinierten Angebote auf, bei denen neben stationsbasierten Fahrzeugen auch Free-floating-Fahrzeuge beim selben Anbieter bereitgestellt werden. Und auch die Kombinierer, die beide Fahrzeugvarianten bei unterschiedlichen Anbietern nutzen, unterscheiden sich positiv von den reinen Nutzern des reinen Free-floating. Am Free-floating alleine kann die fehlende Entlastungsleistung also nicht liegen. Darauf scheinen auch die ersten Ergebnisse einer noch nicht veröffentlichten Evaluation der nur die Free-floating-Fahrzeuge anmietenden Carsharing-Nutzer im kombinierten System von stadtmobil Rhein-Neckar in Mannheim/ Heidelberg hinzudeuten. So könnte bei den reinen Free-floating-Systemen von car2go und DriveNow sowohl das Tarifsystem als auch das Nicht-Wissen um die weiteren Carsharing-Angebote in deren Geschäftsgebieten dazu beitragen, dass nicht alle automobilen Wünsche der Nutzer erfüllt werden und weiterhin ein eigenes Auto im Haushalt für erforderlich gehalten wird (vgl. dazu Bild 6). Kommunale Verwaltungen können diese Unterschiede in den Entlastungsleistungen zur Grundlage für die Vergabe von Carsharing-Stellplätzen für stationsbasierte Angebote auf der einen Seite und Free-floating- Fahrzeuge auf der anderen Seite machen. Nachdem sie durch konsequente Push- Maßnahmen die Rahmenbedingungen für das Carsharing verbessern, könnten Kommunen Mindestentlastungsleistungen der Carsharing-Varianten als Gegenleistung für die unterschiedlichen Fördermaßnahmen verlangen. Zusätzlich sollten die kommunalen Verwaltungen dazu beitragen, dass Carsharing-Angebote öffentlich besser wahrnehmbar werden, indem sie Stellplätze für stationsbasierte Angebote per Sondernutzung im öffentlichen Raum genehmigen. ■ Der ausführliche Projektbericht mit vielen weiteren Projektergebnissen und eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse werden auf der Homepage www.carsharing.de bereitgestellt. 1 team red et al. (Hrsg.): Endbericht Evaluation CarSharing (EVA-CS) Landeshauptstadt München. Berlin 29.09.2015 2 BMW AG, DLR et al (Hrsg.): Wirkung von E-Car Sharing Systemen auf Mobilität und Umwelt in urbanen Räumen (Wi- Mobil). Gemeinsamer Abschlussbericht. April 2016 3 Öko-Institut, ISOE (Hrsg.): share - Wissenschaftliche Begleitforschung zu car2go mit batterieelektrischen und konventionellen Fahrzeugen. Forschungsvorhaben gefördert vom BMU, Förderkennzeichen: 16EM1013, 16EM1014. Berlin, September 2018 4 team red (Hrsg.): Analyse der Auswirkungen des Car-Sharing in Bremen. Endbericht. 2018 5 Das Projekt STARS wird im EU-Programm Horizon 2020 unter der Fördernummer n°769513 gefördert, weitere Informationen siehe http: / / stars-h2020.eu/ 6 Umweltbundesamt (Hrsg.): Die Stadt für Morgen. Umweltschonend mobil - lärmarm - grün - kompakt - durchmischt. Dessau-Roßlau, März 2017 Bild 6: Typischer Innenstadt-Straßenzug ohne (links) und mit verkehrlicher Entlastung duch konsequentes Carsharing Quelle: bcs Willi Loose Bundesverband CarSharing e. V., Berlin willi.loose@carsharing.de Gunnar Nehrke Geschäftsführer Bundesverband CarSharing e. V., Berlin gunnar.nehrke@carsharing.de Bild 5: Carsharing-Station von book-n-drive in Frankfurt am Main, Germaniastraße Foto: bcs Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 54 MOBILITÄT Wissenschaft P2P-Carsharing Motive, Ängste und Barrieren bei der Teilnahme - eine explorative Studie P2P-Carsharing, Sharing Economy, Mobility as a Service Ein Konzept, dessen Beitrag zu einer umweltfreundlicheren Mobilität diskutiert wird, ist das P2P-Carsharing. Bisher ist wenig bekannt über die Motive und Erfahrungen von aktiven Nutzern oder die Ängste, Hemmungen und Barrieren der „Verweigerer“ und Nichtnutzer. Um mehr über diese Aspekte zu erfahren, haben wir qualitative Interviews mit Nutzern und Nichtnutzern geführt und ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass bestehende P2P-Carsharing-Konzepte die Bedarfe aufgeschlossener Nutzer bereits adressiert und es vor allem an Information fehlt, um diese Nutzer zu erreichen. Christina Pakusch, Thomas Neifer, Paul Bossauer, Gunnar Stevens I nformations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in Kombination mit der Verbreitung von Smartphones und des (mobilen) Internets als zugrundeliegende Infrastruktur haben das Wachstum der Sharing Economy vorangetrieben [1]. Insbesondere das kommerzielle Carsharing hat in den letzten Jahren an Bekanntschaft und registrierten Nutzern gewonnen: So waren Anfang 2018 bereits 2,11 Mio. Carsharing-Kunden bei den 165 deutschen Anbietern des stationsgebundenen und -ungebundenen (free-floating) Carsharings registriert [2]. Eine relativ neue Entwicklung im Carsharing ist das Wachstum von P2P-Carsharing-Plattformen wie Turo, Snappcar, Getaway oder Drivy. Diese Plattformen bieten einen Rahmen und Werkzeuge (Buchung, Versicherung und Bewertung) für Menschen, die ihr eigenes Auto vermieten oder die eines mieten möchten. Vor dem Hintergrund von in Deutschland aktuell 46,5 Mio. zugelassenen PKW, die im Durchschnitt nur etwa eine Stunde pro Tag genutzt werden, zeigt sich ein riesiges Potential für das private P2P-Carsharing. Die Abwicklung über Apps und neue Technologien vereinfacht mittlerweile viele Prozesse der Vermietung wie den Vertragsschluss, die Zustandsprüfung, das Öffnen und Schließen des Fahrzeugs, Versicherungen, die Zahlung sowie gegenseitige Bewertung. Während zahlreiche Projekte und Studien die wirtschaftlichen und ökologischen Effekte des kommerziellen Carsharings sowie Nutzungsmotivationen untersucht haben, ist die Literatur zum P2P-Carsharing noch relativ rar. Um diese Lücke zu adressieren, führten wir eine explorative Studie mit 25 Teilnehmern durch, um Motive und Barrieren von P2P-Carsharing zu identifizieren mit dem Ziel herauszufinden, ob und wie P2P- Carsharing skaliert werden könnte. Die Ergebnisse werden in diesem Beitrag vorgestellt und diskutiert. Theoretischer Hintergrund Carsharing kann einen wichtigen Beitrag zum Rückgang des motorisierten Individualverkehrs, zur Stärkung multimodaler Verkehrskonzepte und zur Verringerung des CO 2 -Austoßes leisten [3-7]. Eine Mobilitätsdienste-Infrastruktur bestehend aus Carsharing-Angeboten sowie einem gut funktionierenden ÖPNV trägt vor dem Hintergrund von steigenden PKW-Kosten zu dem Verzicht eines Autokaufs oder der Entscheidung zum Autoverkauf bei [8]. Diese Ergebnisse lassen sich grundsätzlich auch auf das P2P-Carsharing übertragen, das von der Organisationsform dem stationsbasierten Carsharing nahekommt. Hinzu kommt der Aspekt, dass statt zusätzlichen (ausschließlich zum Zwecke der Vermietung angeschafften) Fahrzeugen bereits vorhandene Ressourcen einer undefinierten Öffentlichkeit verfügbar gemacht werden. Im Gegensatz zu kommerziellem Carsharing kann P2P-Carsharing auch außerhalb von Großstädten effizient betrieben werden [6]. Allgemeine Nutzerstudien zeigen, dass die typischen Carsharing-Nutzer jung, vorwiegend männlich, und gut gebildet sind, in Städten leben und beruflich gut gestellt sind [9]. Die Beweggründe für Carsharing sind dabei vielfältig, häufig werden aber ökonomische Gründe (Mobilitätsbzw. Fahrzeugkosten reduzieren) und situativpraktische Gründe (Verfügbarkeit, Bequemlichkeit und Flexibilität) genannt [3, 10]. Wilhelms et al (2017) konzentrierten sich in einer ersten qualitativen Nutzerbefragung auf die Motivationen von regelmäßig aktiven Mietern und Vermietern zur Teilnahme an P2P-Carsharing [11]. Sie fanden heraus, dass die Vermieter ihre Fahrzeugkosten durch die Vermietung des eigenen Autos reduzieren und sich geringe Beträge hinzuverdienen wollen, die sie für andere Zwecke ausgeben können. Viele Vermieter tragen mit ihrem Angebot außerdem gerne dazu bei, anderen Personen ohne eigenes Fahrzeug Mobilität zu ermöglichen. Aktive Mieter sehen vor allem Vorteile gegenüber klassischen Autovermietungen in Form von niedrigeren Preisen, kürzeren Wegen, einer größeren Fahrzeugvielfalt und der Gewissheit, genau das gesuchte Fahrzeugmodell mit den entsprechenden Ausstattungsmerkmalen zu bekommen. Gemäß einer Studie der Ford Motor Company mit über 10 000 Teilnehmern würden in Deutschland 48 % Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 55 Wissenschaft MOBILITÄT der Befragten ihr Auto grundsätzlich gegen ein Entgelt verleihen [12]. Es zeigt sich entsprechend eine große Lücke - eine Intention-Action-Gap - zwischen der grundsätzlichen Bereitschaft Carsharing zu nutzen und der tatsächlichen Teilnahme [13, 14]. An dieser Stelle ergänzen wir die Forschung, indem wir neben aktiven P2P-Carsharing-Mietern und -Vermietern auch Nichtnutzer befragten, um neben Motiven und Erfahrungen zusätzlich Hemmungen und Barrieren herauszustellen. Dadurch erhoffen wir uns, die Gründe der Intention-Action-Gap aufzudecken, um Handlungsempfehlungen in Bezug auf die interessierten aber nicht aktiven Nutzer ableiten zu können Methode Um die Motive, Erfahrungen, Hemmungen und Barrieren der Nutzer und Nichtnutzer zu identifizieren, führten wir 25 qualitative und semistrukturierte Einzelinterviews durch. Zur Adressierung sowohl aktiver Nutzer als auch Nichtnutzer, wurden drei verschiedene Wege zur Akquise genutzt: Einer der führenden P2P-Carsharing- Anbieter stellte Kontakte zu seinen aktiven Nutzern her, viele am Thema interessierte Nutzer meldeten sich auf unseren Aufruf, der sie per Pressemitteilung und Postwurfsendung erreichte und weitere - vor allem weniger Interessierte - wurden zufällig ausgewählt. Im Rahmen der Interviews wurden Fragen zur aktuellen Mobilitätssituation, der allgemeinen Haltung, Kenntnisstand, Erfahrung, Motiven und Barrieren sowie neuen Technologien zu P2P-Carsharing und der Möglichkeit der Datennutzung in diesem Zusammenhang diskutiert. Die Interviews dauerten im Durchschnitt 32 Minuten und wurden größtenteils telefonisch, in einigen Fällen persönlich durchgeführt. Mit wenigen Ausnahmen wurden die Interviews auf Tonband aufgezeichnet, transkribiert und nach den Prinzipien der qualitativen Inhaltsanalyse mithilfe von MAXQDA kodiert und analysiert [15]. Ergebnisse Die Teilnehmer der Studie lassen sich in Anlehnung an den Adoptionsprozess anhand ihrer Phasenzugehörigkeit in Gruppen einordnen ([16], Bild 1). Wir erweitern das klassische Adoptionsprozessmodell um Ausstiegsprozesse, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Prozess zu einer „Verweigerung“ führen können. Wir stellen zunächst die Ergebnisse der bereits klar positionierten Gruppen, den Verweigerern und den aktiven Nutzern vor, bevor wir uns der Gruppe der Interessierten und Explorativen widmen. Verweigerer Einige der befragten Autobesitzer schließen es kategorisch aus, ihr privates Auto an Fremde zu verleihen. Das Auto muss ihnen zum Teil regelmäßig und flexibel zu Verfügung stehen oder sie wollen auf die Option, jederzeit ein Auto zur Verfügung zu haben, nicht verzichten - insbesondere, wenn keine Mobilitätsalternativen vorhanden sind. Außerdem haben sie häufig eine sehr enge emotionale Bindung zum eigenen Auto. Bedenken entstehen daraus, dass persönliche sowie Charakter- und Verhaltenseigenschaften - wie Alter, Fahrerfahrung und Fahrverhalten - unbekannt sind. Einige Verweigerer würden eine Ausleihe innerhalb der Familie oder dem Bekanntenkreis akzeptieren bzw. praktizieren sie bereits, also dort, wo ein Vertrauensverhältnis besteht. Um dieses Problem zu adressieren, wäre für einen Befragten deshalb ein persönliches Treffen mit dem Mieter eine wichtige Voraussetzung. „Ich würde mein Auto niemals einem völlig Fremdem leihen oder vermieten. Ich kenne die Person nicht und weiß auch nicht wie sie mit meinem Auto umgeht. Man sieht ja wie mit Mietwagen umgegangen wird“ (T21). Einige Verweigerer zweifeln wie T21 an der vernünftigen Behandlung eines Gutes, das nicht das Eigene ist. Daraus ergeben sich zum einen Bedenken im Hinblick auf mangelnde Sorgfalt, Sauberkeit und Hygiene und zum anderen Ängste vor kleineren Kratzern, größeren Schäden, schnellerer Abnutzung oder sogar Diebstahl und der damit verbundenen Versicherung und Haftung: „Wie lange dauert die Schadensabwicklung? Wie funktioniert die Versicherung? “ (T22) und „Was passiert, wenn mir Schäden vorgeworfen werden, die ich nicht verursacht habe? “ (T25). Zusätzlich ist den Befragten der Koordinationsaufwand beim P2P-Carsharing zu hoch, die Absprachen zu stressig und zeitaufwändig. Ein Teilnehmer hat sich schon intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, war bereit, seinen Zweitwagen über eine Plattform zu verleihen mit dem Ziel, die Kosten zu reduzieren und hat sich registriert. Nachdem er Preise und Kosten genauer kalkuliert hatte, kam er zu dem Ergebnis, dass sich die Vermietung seines Fahrzeuges nicht lohnt: „Und habe dann gesehen, dass […] die marktüblichen Mietpreise so niedrig sind, dass ich jeden gefahrenen Kilometer eines Mieters subventioniert hätte“ (T05). Er hat sich folglich wieder von dem Portal abgemeldet. Wenn es um die Miete geht, haben einige Befragte große Bedenken bezüglich des Vertrauens in die Plattform, den Vermieter oder das Fahrzeug. Im Vergleich zu professionellen Autovermietungen halten die Teilnehmer die privaten Vermieter für weniger seriös und zu- Bild 1: Einordnung der Studienteilnehmer in den Adoptionsprozess Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 56 MOBILITÄT Wissenschaft verlässig und befürchten, dass vereinbarte Mieten kurzfristig sowohl aus vom Vermieter zu vertretenen als auch nicht zu vertretenden Gründen abgesagt werden könnten. Weitere Hemmungen ergeben sich aus der mangelnden Kenntnis über Fahrverhalten und Zustand des Autos (Sauberkeit, Tankstand, Vorschäden, Zustand der Reifen). Einzelne Teilnehmer empfinden den Preis als zu hoch. Sie würden nur vom P2P-Carsharing Gebrauch machen, wenn es kostengünstiger wäre als öffentliche Verkehrsmittel. Einen weiteren Befragten stört die fehlende Flexibilität des Konzepts, das Auto an den Ausgangsort zurückbringen zu müssen. Aktive Nutzer Motive Zu Beginn stand bei den meisten aktiven Vermietern die Erkenntnis, dass sie ein wenig bis gar nicht genutztes Auto besitzen, häufig ausgelöst durch Veränderung von Umständen wie z. B. einem Wohnortwechsel (T06), dem Erbe eines Fahrzeugs (T04, T13) oder dem Kauf eines neuen Fahrzeugs (T03, T10). Hinzu kommt eine Kombination der folgenden Aspekte: Die Vermieter haben eine geringe emotionale Bindung zu diesem Auto; bei den Autos handelt es sich um gepflegte und zuverlässige, wenn auch ältere Modelle, die bei einem Verkauf jedoch nur einen sehr geringen Verkaufswert erzielen würden; ggf. wollen die Vermieter hin und wieder doch auf das Auto zugreifen. Daraus ergibt sich die Suche nach „Alternativen zum Autoverkauf “ (T10). Mit dem Wunsch das Auto nicht zu verkaufen, geht bei vielen der Bedarf einher, die Kosten zu senken bzw. „das Auto so ein klein bisschen zu refinanzieren“ (T07) und ggf. sogar einen Gewinn bzw. ein „Taschengeld“ (T13) zu erzielen. Anders ist es bei einem Befragten, der sein selbstgenutztes Auto zur Vermietung anbietet. Er „liebt“ sein Auto und vermietet es nur aus dem Grund, die fixen Kosten des Fahrzeugbesitzes zu decken. „Ohne das [Vermieten], […] könnte ich mir das Auto auch gar nicht leisten“ (T04). Für ihn, der nicht gerne den ÖPNV nutzt, ist das private Vermieten seines Fahrzeugs also eine Lösung, um sich den Luxus eines eigenen Autos zu ermöglichen. T03, der selbständig ist, vermietet mehrere ungenutzte PKW über eine Plattform. Für ihn spielt der Aspekt der Sichtbarkeit und des Netzwerks eine entscheidende Rolle. Er hofft auf gute Bewertungen und hat „schon zwei, drei Leute kennengelernt, die jetzt sogar […] Geschäftspartner geworden sind.“ Bei einigen aktiven Vermietern gibt es Tendenzen, die Vermietungen der privaten Autos zu professionalisieren. Ihnen ist gemein, dass sie ungenutzte Zweit- oder Drittwagen vermieten, während sie die selbstgenutzten, höherwertigen Autos nicht anbieten. „Die Autos sind ja auch 17, 18 Jahre alt. […] Einen Neuwagen würde ich da nicht vermieten“ (T03). Wie T03 überlegen manche erfahrenen Vermieter sogar, einen PKW nur für die Vermietung anzuschaffen: „Ich habe mich sogar schon beim Händler meines Vertrauens erkundigt, ob er eine Gurke für mich hätte. […] Also-ein verlässliches Auto, das aber was älter ist“. Bei ihnen steht die Gewinnorientierung im Vordergrund und sie stellen verschiedene strategische Überlegungen an, wie sie ihren Gewinn weiter steigern können. Sie statten ihre Fahrzeuge mit Öffnungs-Technologien aus und ermöglichen den Nutzern „Sofortbuchungen“, um die Vermietungen so effizient wie möglich abzuwickeln. Sie überlegen, wo das Auto platziert werden sollte, um viele Anmietungen zu bekommen (T10), ob die Befreiung von der privaten KFZ-Versicherung möglich wäre, (T03) und wie sich weitere mit der Vermietung verbundene Kosten reduzieren lassen: „dass ich irgendwo ein Zimmer miete, damit ich da diese Einwohnerparkplakette kriege, damit ich bloß 30 Euro im Jahr oder wat bezahle fürs [Parken]“ (T10). Für aktive Mieter stehen vor allem der bedarfsorientierte Zugriff auf ein Fahrzeug ohne fixe Kosten, der Preisvorteil und die breitere und gewisse Auswahl an Fahrzeugmodellen gegenüber professionellen Autovermietungen im Vordergrund. Außerdem bieten die privat vermieteten Fahrzeuge den Vorteil, dass sie in manchen Gebieten besser verfügbar sind als Fahrzeuge von professionellen Autovermietern und kommerziellem Carsharing: „Ich wohne in einer klassischen Wohngegend. Das heißt, es ist für mich praktischer, wenn ich nur die Straße runtergehen muss und mir ein Auto abholen kann, anstatt dass ich irgendwie […] erst noch ein öffentliches Verkehrsmittel nehmen muss“ (T11). Erfahrungen mit Mietern Die aktiven Vermieter berichten fast ausschließlich über positive Erfahrungen mit den Mietern. Die Fahrzeuge würden in einem ordentlichen Zustand zum vereinbarten Zeitpunkt zurückgegeben. Zum Teil entwickeln sich daraus auch Stammkundschaften, insbesondere bei Mietern, die in der Nähe wohnen. Die Abwicklung von Schadensfällen und Strafzetteln hat bei den Vermietern bisher gut funktioniert. Kleinere Konflikte gab es eher bei den Vereinbarungen, etwa wenn Mieter die Ausleihe ohne Vertragsunterschrift machen wollten oder mehr Kilometer gefahren wurden als ursprünglich vereinbart. Um ihre Fahrzeuge machen sich vor allem die Vermieter von Zweitwagen wenig Gedanken. Während das vor der ersten Anmietung anders war, nehmen die Gedanken und Sorgen über das eigene Auto mit zunehmender Anzahl an Vermietungen ab. „Mit der Zeit wird es lockerer, also man lässt mehr los. Beim ersten Mal war ich natürlich sehr angespannt“ (T03). In gleichem Zuge sinkt ihr Bedürfnis sich genau über die Mieter zu informieren: „Also ich habe auch keine Berührungsängste mehr. […]. Wenn du mich nach dem Checken der Leute gefragt hast, interessiert mich eigentlich überhaupt nicht mehr“ (T10). Es findet also eine Art Entwicklung und Abnabelungsprozess statt. Informationen über den Mieter Manche Vermieter haben sich entsprechend nur zu Beginn ausführlicher über die Mieter informiert, andere tun dies nach wie vor und nutzen dabei die Informationen, die das Plattformprofil bietet, bevorzugen persönlichere Anfragen mit Beschreibungen von Person und Fahrtzweck (T10, T13) oder schauen, ob auch Informationen über den potentiellen Mieter über Suchmaschinen oder soziale Netzwerke zu finden sind (T03). Einigen weniger professionellen Vermietern ist es wichtig, den Mieter mindestens einmal persönlich zu treffen, um seinen Charakter besser einschätzen zu können. „Ja, das guck ich mir schon genau an. Und lehne dementsprechend auch ab, wenn ich mir nicht sicher bin“ (T07). Ein Vermieter, der seinen Erstwagen vermietet und sich während der Vermietung um sein Auto sorgt, hat sich mit neuerer Technik Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 57 Wissenschaft MOBILITÄT ausgestattet. „Das ist ein ODB-Stecker und eine App. Und da kann ich halt sehen wie schnell er gefahren ist, ob er stark gebremst hat, stark beschleunigt hat. […] Einer war dabei, der hat es ein bisschen übertrieben. Dem habe ich dann auch geschrieben, dass ich das Auto früher zurück brauche.“ (T13). Sein Sicherheitsbedürfnis ist so groß, dass er den Umgang mit seinem Auto überwacht und Konsequenzen zieht, wenn das Auto nicht wie gewünscht behandelt wird. Interessierte und Explorative Die interessierten potentiellen Vermieter und Mieter zeichnen sich generell durch eine große Offenheit gegenüber dem Thema Carsharing aus, und dadurch, dass sie auch im privaten Umkreis schon Erfahrungen mit dem (Aus-)leihen von Autos und häufig auch mit anderen Bereichen der Sharing Economy gemacht haben. Sie haben gemein, dass sie eine relativ geringe emotionale Bindung zum eigenen - i.d.R. älteren, geringwertigen - Auto haben und dass das Auto für sie größtenteils ein „Gebrauchsgegenstand […] kein Statussymbol“ ist (T12). Einzelne haben sich schon einmal eine P2P-Carsharing-App installiert und damit vertraut gemacht. Motive Einige Teilnehmer zeigen sich als latent oder konkret interessiert an Möglichkeiten, den nur selten genutzten Erst- oder Zweitwagen zu vermieten. Für manche steht dabei der Anreiz im Vordergrund, mit der Vermietung die Autokosten zu reduzieren, sodass „das Auto Geld einbringt statt rumzustehen“ (T12). Eine Gewinnabsicht herrscht jedoch nicht. Viele Interessierte wollen durch das Vermieten ihres Fahrzeugs dazu beitragen, die Anzahl der Fahrzeuge auf den Straßen zu verringern und vorhandene Fahrzeuge besser auszulasten. „Mir geht‘s wirklich um den Umweltaspekt. Und es ist schlichtweg unnötig, zwei Autos rumstehen zu haben und diese überwiegend nicht zu nutzen“ (T16). Für sie ist die Möglichkeit der Kostensenkung nur zweitrangig. Manche Autobesitzer können sich gleichermaßen vorstellen, ihr Auto zu vermieten und Autos privater Vermieter zu mieten. Sie sehen vor allem Vorteile darin, sich nicht um ein Fahrzeug kümmern und keine fixen Kosten tragen zu müssen, sondern hingegen „nur zum Bedarf ein Fahrzeug anmieten“ (T15) und dann je nach Zweck das Modell wählen zu können. Einzelne Miet-Interessenten praktizieren die zweckorientierte Miete bereits, z. B. für Urlaubsreisen oder Transporte, für die ihr eigenes Auto zu klein ist - halten sich aber bisher an professionelle Autovermietungen und Carsharing-Anbieter. Interessiert zeigen sich neben Autobesitzern auch Teilnehmer, die aktuell kein Auto besitzen und überwiegend den ÖPNV und das Fahrrad nutzen. Wie T14 sagt, böte P2P-Carsharing Menschen wie ihr Vorteile, „die gelegentlich ein Auto brauchen, für die es sich aber nicht lohnt ein eigenes Auto anzuschaffen“. Einige Studienteilnehmer überdenken vor allem mögliche zukünftige Umbrüche, z.B. „wenn das [Auto] von heute auf morgen den Geist aufgibt“, ob sie sich dann „ein neues Auto oder […] ein Fahrrad kaufen, [und sich] dann ein Auto [mieten]“ (P18). Zwei Personen gehen sogar so weit, dass sie bei ausreichender Verfügbarkeit privater Autos „gut und gerne auf [ihr] eigenes Auto verzichten könnte[n] und dann auf die Plattform zurückgreifen“ würden (T17). Barrieren und Ängste Die größte Sorge der Interessierten besteht darin, dass ihr Auto schlecht behandelt oder beschädigt werden könnte, sie „auf dem Schaden sitzen bleiben“ oder bei ihrer privaten KFZ-Versicherung infolge eines Schadens „zurückgestuft werden“ (T15). Vielen ist der Versicherungsschutz, der bei den P2P-Carsharing-Anbietern besteht, nicht bekannt bzw. sie befürchten, dass der Versicherungsschutz nicht zuverlässig greift. Einige Interessierte wollen eine über den Versicherungsschutz hinausgehende „Garantie“ der Plattform, dass Schäden immer beglichen werden: „Wenn ein Schaden entsteht, dass die [Plattform] im Zweifel kulant und großzügig einsteht gegenüber dem Anbieter, den kein Verschulden trifft, nicht nur vermitteln, du kriegst die Daten, aber der Rest ist dein Problem“ (T01). Weiterhin fürchten potentielle Vermieter, dass ihr Auto nicht zum vereinbarten Zeitpunkt und Ort zurückgegeben wird. Eine weitere relevante Hürde stellt der antizipierte zeitliche und organisatorische Aufwand dar, der mit der Vermietung einherginge. Die Interessierten empfinden es als zeitaufwendig und lästig, planen zu müssen, wann das Auto selbst gebraucht wird (T02), das Fahrzeug für die Vermietung ständig vorbereiten zu müssen (tanken, säubern), bei der Übergabe des Fahrzeugs und des Schlüssels vor Ort sein zu müssen, Schadensprotokolle ausfüllen und prüfen sowie Verträge unterschreiben zu müssen (T05). Auch in Bezug auf mögliche Schäden, selbst wenn sie finanziell durch die Versicherung abgedeckt wären, befürchten einige Befragte Aufwand und „Ärger, [wenn man] das Auto zur Werkstatt bringen [muss] und, und, und“ (T15). Die zentrale Barriere ist die mangelnde Wahrnehmung des Angebots als solches. Einigen Teilnehmern war es „überhaupt nicht bewusst, dass es da ein Angebot gibt“ (T12). Obwohl diese Teilnehmer Interesse an einer P2P-Carsharing-Lösung zeigen, sind ihnen häufig das gesamte Konzept sowie die verschiedenen Anbieter unbekannt. Hinsichtlich der Frage, unter welchen Bedingungen die Teilnehmer ihr Auto über P2P-Carsharing bereitstellen würden, lässt sich zusammenfassend feststellen, dass Versicherung und Haftung geklärt sein müssten und transparent sämtliche „Was wenn“-Szenarien dargestellt werden, es Bewertungssysteme „wie bei der Mitfahrzentrale oder BlaBlaCar“ (T09) gäbe und die Schlüsselübergabe einfach, am besten automatisch funktionieren würde (T09). Es handelt sich also um Anforderungen, die die aktuellen Anbieter größtenteils bereits erfüllen. Vor allem die Versicherungsleistungen sowie neue, auf innovativen Technologien basierende Lösungen wie Nutzerbewertungen, app-basierte Verträge und Schadensprotokolle, Sofortbuchungen sowie app-gestütztes Öffnen und Schließen von Autos sind den Interessierten weitgehend unbekannt. Bei den Teilnehmern, die sich vorwiegend in der Rolle der Mieter sehen, bestehen gleichermaßen Barrieren und Hemmungen. Auch sie haben die Option des privaten Carsharings bisher nicht wahrgenommen, selbst diejenigen nicht, die schon kommerzielles Carsharing genutzt haben. Aktuell sehen sie vor allem ein Problem darin, dass es kein flächendeckendes oder in ihrer Umgebung ausreichendes Angebot an P2P-Fahrzeugen gibt. Dadurch ergibt sich ein zu hoher Aufwand, wenn das Fahrzeug erst mit dem ÖPNV angefahren werden muss. Einigen Interessierten ist die Flexibilität zu gering. Sie Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 58 MOBILITÄT Wissenschaft sehen Schwierigkeiten darin, dass sie „das Auto da abgeben [müssen], wo [sie] es geholt“ haben (T09) oder die Miete spontan zu verlängern, während für andere P2P-Carsharing für ihre Fahrtzwecke nicht geeignet sei: „dass man mit zwei kleinen Kindern oft Termine hat, wo man keine langen Strecken zurücklegt“ (T18). Darüber hinaus ist manchen der Preis für die Miete privater Autos - vor allem im Vergleich zur professionellen Autovermietung und Carsharing - zu teuer. Eine Teilnehmerin hat nur geringe Fahrerfahrung und deshalb Schwierigkeiten damit, sich auf unterschiedliche Fahrzeugmodelle einzustellen. Sonstige Wünsche Vor dem Hintergrund, dass sie die bestehenden P2P- Carsharing-Konzepte nicht gut kennen, äußern viele Interessierte Wünsche und Anforderungen, wie ein privates Carsharing sein sollte. So wünschen sie, dass privates Carsharing mit anderen Mobilitätsangeboten vernetzt wird, um sämtliche Angebote über eine Plattform finden und buchen zu können. Mehrere sprechen sich außerdem konkret für ein eher nachbarschaftliches P2P-Carsharing aus, da ihnen daran gelegen ist, die potentiellen Mieter persönlich zu kennen und da sich auf diesem Wege kleinere, funktionierende Mikromärkte aufbauen lassen würden. Nutzung von Daten Hinsichtlich der Möglichkeiten, die neue IKT sowie Connected Car-Technologien bieten [17], haben aktive Vermieter grundsätzlich wenig Interesse, sich zusätzliche Daten z.B. über das Fahrverhalten, oder den Standort des Mieters anzeigen zu lassen. Nur für Konfliktsituationen wie z. B. Schadens- oder Streitfälle fänden sie es interessant, auf Fahrdaten zurückgreifen zu können, die ggf. als Beweis herangezogen werden könnten. Während die genaue Standortkontrolle weniger erwünscht ist, wünschen sich manche Mieter eine automatisierte Meldung, wenn das Fahrzeug zu weit entfernt ist, um rechtzeitig am vereinbarten Übergabeort zu sein. T03 findet außerdem Gefallen an der Idee, dass „die Mieter sich [einem] Ranking unterziehen“, das sich zusammensetzt aus aufgezeichneten Fahrdaten, wie z. B. Anzahl und Stärke von Beschleunigungen und Bremsungen sowie Motordrehzahlen, die in einem komprimierten Fahrverhaltensprofil münden. Manche der interessierten, potentiellen Vermieter zeigen sich hier zum Teil ebenfalls aufgeschlossen. Einige Befragte halten es für sinnvoll prüfen zu können, wo sich ihr Auto befindet (T02), vor allem, wenn es im Ausland ist (T09), oder benachrichtigt zu werden, wenn es nicht rechtzeitig zurückgegeben werden kann (T08). So würden Informationen über das Fahrverhalten ihr Sicherheitsgefühl stärken und ihnen bei der Mieterauswahl helfen: „Wenn ich dann nachher ungefähr sehen kann, der hat da permanent die Höchstlast gefahren, dann kriegt er beim nächsten Mal kein Auto mehr“ (T15). Anderen geht das jedoch zu weit, ihnen reichen die Informationen, die sie auch ohne solche Connected Car-Daten abrufen können, etwa über das Profil, die Bewertungen oder indem sie sich z. B. den Benzinverbrauch und den Kilometerstand anschauen. Überraschenderweise sind die potentiellen Mieter, deren Daten erfasst und preisgegeben würden, diesem sensiblen Thema gegenüber sehr aufgeschlossen. Einige wären bereit Daten über das eigene Fahrverhalten erheben und an den Vermieter übertragen zu lassen, etwa, damit sich ihre Chancen auf eine Vermietung dadurch erhöhen, wenn der Vermieter ihn aufgrund der Daten als zuverlässigen Mieter einschätzt, wenn der Mietpreis dadurch günstiger würde oder einfach weil sie es als angemessen erachten, dass die Eigentümer der Autos kontrollieren, ob der Mieter mit dem Auto vernünftig umgeht. „Wäre ich einer zum Beispiel, der sich tracken lassen würde, hätte dafür einen günstigeren Preis. Ich fahr eher defensiv, ich habe da auch nichts zu verbergen“ (T05). Wie T05 schlagen auch andere vor, die Daten preiszugeben oder dem Vermieter in Form einer „Ampel“ oder eines „Faktors“ komprimiert wiederzugeben (T15). Diskussion In Hinblick auf den Erfolg des P2P-Carsharing-Konzeptes sind die Interessierten und Explorativen von besonderem Interesse, da bei ihnen schon heute ein zum Teil starker Bedarf besteht P2P-Carsharing zu nutzen. Es handelt sich bei ihnen ausschließlich um Personen, die nur gelegentlich ein Auto benötigen. Insofern ist es exakt die Zielgruppe, die P2P-Carsharing eigentlich erreichen will und die von sich aus grundsätzliches Interesse an einer solchen Lösung entwickelt hat. Die Studie hat gezeigt, dass diese interessierten Nutzer existierende Anbieter und deren Lösungen gar nicht wahrnehmen. Sie wünschen sich eine Regelung der Haftung in Schadensfällen ohne dass die eigene KFZ-Versicherung tangiert wird, Möglichkeiten der Pflege eines Kalenders, um Zeiten zu sperren, in denen das Auto selbst benötigt wird, eine gegenseitige Bewertung, Sofortbuchung, sowie das Öffnen und Schließen des Fahrzeugs per App; Funktionen, die die aktuellen Konzepte bereits abdecken. Ängste bzw. Probleme, die nicht mit den aktuellen und möglicherweise auch in Zukunft verfügbaren Konzepten gelöst werden können, sind, dass Schadensfälle organisatorischen und zeitlichen Aufwand verursachen, dass es eine gewisse Inflexibilität für Mieter und Vermieter gibt (Bindung an vereinbarte Zeiten, Stationsgebundenheit) und dass eine gewisse Bürokratie vor dem Hintergrund der noch wichtigeren Sicherheit in Bezug auf Haftungsfälle unverzichtbar ist. Obwohl sich die P2P-Carsharing-Anbieter schon auf regionale Gebiete und dicht besiedelte, große Städte konzentrieren, zeigen die Wünsche und Bedarfe der Nutzer, dass eine Konzentration auf noch kleinere Einheiten sinnvoll sein könnte. Der Aufbau von P2P-Carsharing-Mikromärkten - etwa in größeren Wohneinheiten/ -anlagen, Quartieren oder Dörfern - könnte nicht nur ein erfolgsversprechender Ansatz für das ländliche Gebiet, sondern auch in städtischen Gebieten und insbesondere für die Nutzer sein, für die die persönliche Beziehung und der persönliche Kontakt beim privaten Autoverleihen relevant sind. Insofern ist eine Rückkehr zu den Wurzeln des Carsharings denkbar, dessen Prozesse jedoch durch die Möglichkeiten moderner IKT stark vereinfacht werden könnten. In Gesprächen mit zwei führenden und innovativen P2P-Plattformbetreibern wurde uns bestätigt, dass der Aufbau einer entsprechend großen Anbieterbasis eine zentrale Herausforderung ist, um P2P-Carsharing insgesamt attraktiver zu machen. Neben gezieltem Marketing und Anwerben von potentiellen Autovermietern, öffnen sich die Plattformen zunehmend auch für professionelle Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 59 Wissenschaft MOBILITÄT Autovermieter. Wie bei AirBnB lässt sich also eine Weiterentwicklung des P2P-Konzeptes beobachten, indem u. a. kleinere, lokal agierende Autovermietungen ihre Fahrzeuge über die Plattformen anbieten, mit dem Ziel neben einer höheren Auslastung der Fahrzeuge vor allem die Bekanntheit zu steigern. Potentiale ergeben sich hier also für sämtliche Fahrzeuge, die häufig ungenutzt sind, worunter insbesondere auch Fahrzeuge aus Firmenflotten oder von Autohäusern fallen, z. B. außerhalb der Betriebszeiten. Hinsichtlich der Mieter kann dieses Konzept ebenfalls weitergedacht werden: Es gibt erste Ansätze, bei denen sich kleinere Unternehmen mithilfe von IKT gegenseitig mit einem gemeinsam organisierten, geteilten Fahrzeugpool unterstützen [18]. Zukünftig muss vor dem Hintergrund, dass sämtliche Kombinationen bei den Interaktionen möglich sind, also eher von X2X-Carsharing als von- P2P-Carsharing gesprochen werden. Fazit Das Konzept des privaten P2P-Carsharings wird durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien zunehmend einfacher und attraktiver. Für die bereits aktiven Nutzer ist die verbesserte Auslastung ganz oder teilweise ungenutzter Autos bei gleichzeitiger Kostenreduzierung bzw. Gewinnerzielung Motivation für die Teilnahme. Während es bei den Verweigerern starke Vorbehalte oder triftige Gründe gibt, die gegen die Teilnahme am P2P-Carsharing sprechen, nämlich die regelmäßige Nutzung des eigenen Autos, die große Angst eines Wertverlustes ausgelöst durch eine Beschädigung oder schlechte Behandlung des Autos und dem mit der Vermietung einhergehenden Aufwand, gibt es eine Gruppe von Menschen, die dem P2P-Carsharing sehr offen gegenüber stehen. Die Motive dieser latent oder konkret Interessierten sowie Explorativen sind idealistischer als die der bereits Aktiven; ökologische Aspekte - wie die Reduzierung der Anzahl der Fahrzeuge und deren bessere Auslastung - haben eine größere Bedeutung als finanzielle Anreize. Diese wichtige Zielgruppe wünscht sich Lösungen, hat aber entweder keine oder nur unzureichende Kenntnisse und Informationen über existierende Anbieter und Konzepte. Unter unseren Teilnehmern waren dies allesamt Personen, die nur gelegentlich ein Auto benötigen und Autos eher als Gebrauchsgegenstand denn als Statussymbol betrachten. Unsere Studie hat gezeigt, dass es eine gewisse Gruppe an Menschen gibt, die neuen Mobilitätskonzepten wie dem P2P-Carsharing gegenüber sehr aufgeschlossen ist und eine erhöhte Bereitschaft zeigt, das eigene Mobilitätsverhalten in ökologischer Hinsicht ins Positive zu verändern, wenn ein attraktives P2P-Carsharing-Angebot in ihrer Umgebung existierte. Um ihre Idee und Absicht in die Tat umzusetzen, fehlen dieser Gruppe vor allem ausreichende Informationen über die bereits vorhandenen Konzepte. Es muss neben Aufklärungsarbeit und gezieltem Marketing auch ein ausreichend großes Angebot geschaffen werden, das über integrierte Mobilitätsplattformen gefunden und gebucht werden kann, um diese potentiellen Nutzer zu erreichen. Um eine attraktive Anbieterbasis zu schaffen, werden sich die Plattformanbieter zunehmend auch für professionelle Anbieter wie z. B. lokale Autovermietungen und Unternehmensflotten öffnen müssen. ■ LITERATUR [1] Clement, R. and Schreiber, D. (2016): Peer-to-Peer Märkte. Internet-Ökonomie. Springer. 313-339 [2] bcs Bundesverband CarSharing e.V. (2018): Aktuelle Zahlen und Daten zum CarSharing in Deutschland [3] Nobis, C. (2006): Carsharing as key contribution to multimodal and sustainable mobility behavior: Carsharing in Germany. Transportation Research Record: Journal of the Transportation Research Board. 1986 (2006), 89-97 [4] Pakusch, C., Stevens, G., Boden, A. and Bossauer, P. (2018): Unintended Effects of Autonomous Driving: A Study on Mobility Preferences in the Future. Sustainability. 10, 7 (2018), 2404 [5] Pakusch, C., Stevens, G. and Bossauer, P. (2018): Shared Autonomous Vehicles: Potentials for a Sustainable Mobility and Risks of Unintended Effects. ICT4S2018. 5th International Conference on Information and Communication Technology for Sustainability. (2018), 258-269 [6] Shaheen, S.A. and Cohen, A.P. (2013): Carsharing and personal vehicle services: worldwide market developments and emerging trends. International Journal of Sustainable Transportation. 7, 1 (2013), 5-34 [7] Wödl, S., Pakusch, C., Bossauer, P. and Stevens, G. (2017): Auswirkungen vollautomatisierter PKWs auf die Verkehrsmittelwahl. Internationales Verkehrswesen (69) 2017, Heft 4, S. 68-72 [8] Daimler AG (2018): Carsharing-Studie des Karlsruher Instituts für Technologie: Flexibles Carsharing reduziert Verkehr und Luftverschmutzung in Berlin massiv [9] Lewis, A. and Simmons, M. (2012): P2P carsharing service design: informing user experience development [10] Ballús-Armet, I., Shaheen, S.A., Clonts, K. and Weinzimmer, D. (2014): Peer-to-peer carsharing: Exploring public perception and market characteristics in the San Francisco Bay area, California. Transportation Research Record. 2416, 1 (2014), 27-36 [11] Wilhelms, M.-P., Henkel, S. and Merfeld, K. (2017): You Are What You Share: Understanding Participation Motives in Peer-to-Peer Carsharing. Disrupting Mobility. Springer. 105-119 [12] Ford Motor Company (2016): Ford-Umfrage: Viele Europäer wären bereit, ihr Auto gegen eine Gebühr zu verleihen, sogar ihr Zuhause und ihren Hund [13] Kuo, F.-Y. and Young, M.-L. (2008): A study of the intention-action gap in knowledge sharing practices. Journal of the American Society for Information Science and Technology. 59, 8 (2008), 1224-1237 [14] Lane, B. and Potter, S. (2007): The adoption of cleaner vehicles in the UK: exploring the consumer attitude-action gap. Journal of cleaner production. 15, 11-12 (2007), 1085-1092 [15] Mayring, P. (2014): Qualitative content analysis: theoretical foundation, basic procedures and software solution [16] Rogers, E.M. (2010): Diffusion of innovations. Simon and Schuster [17] Stevens, G., Bossauer, P., Jakobi, T. and Pakusch, C. 2017. Second Dashboard: Information Demands in a Connected Car. Mensch und Computer 2017-Tagungsband. (2017) [18] Regio IT (2016): Mobilitätsangebote einer Region auf einer digitalen Plattform zusammenführt Gunnar Stevens, Prof. Dr. Professur für IT-Sicherheit und Verbraucherinformatik, Fakultät III, Universität Siegen gunnar.stevens@uni-siegen.de Paul Bossauer Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin paul.bossauer@h-brs.de Thomas Neifer Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin thomas.neifer@h-brs.de Christina Pakusch Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin christina.pakusch@h-brs.de Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 60 Proaktive Disposition luftverkehrlicher Prozesse Analyse der Zeitbudgets von Fluggästen am Flughafen Stuttgart zur Weiterentwicklung eines Dispositionsmodells Proaktive Disposition, passagierbezogene Abflugprozesse, Bedienungs- und Reservezeiten, Zeitbudgets, Flughafen Die Durchführung luftverkehrlicher Prozesse ist in hohem Maße vom volatilen Verkehrsaufkommen abhängig. Um einerseits aus Sicht des Flughafenbetreibers die Nachfragespitzen im Sinne eines verringerten Ressourcenbedarfs abzuschwächen und andererseits die Servicequalität für Fluggäste unter dem Aspekt reduzierter Wartezeiten zu steigern, soll ein proaktiver Dispositionsansatz im Luftverkehr etabliert werden. Zu dessen Weiterentwicklung wurden am Beispiel des Stuttgarter Flughafens die Zeitbudgets abfliegender Passagiere analysiert. Markus Tideman, Ullrich Martin I m Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes (DFG- Projektnummer MA 2326/ 22-1 - in Bearbeitung [1]) wurde am Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen (IEV) der Universität Stuttgart ein eisenbahnbetrieblicher Dispositionsalgorithmus entwickelt, der zufallsbedingte Unsicherheiten im künftigen Betriebsablauf miteinbezieht. Auf diese Weise soll durch die Steigerung der Qualität der dispositiven Lösungen auch die Qualität des gesamten Betriebsablaufs signifikant erhöht werden. Ausgehend von zahlreichen grundsätzlichen Gemeinsamkeiten zwischen dem Eisenbahn- und dem Luftverkehrswesen wird am IEV künftig auch die Anwendung dieses Dispositionsansatzes im Zusammenhang mit luftverkehrlichen Prozessen erforscht. Um hierbei auf eine möglichst realitätsnahe Datengrundlage zurückgreifen zu können, wurden auch entsprechende Erhebungen am Stuttgarter Flughafen durchgeführt. In den nachfolgenden Abschnitten wird zunächst der Dispositionsalgorithmus im Allgemeinen vorgestellt, ehe auf dessen Anwendungsmöglichkeiten im Luftverkehr mit Schwerpunkt auf den passagierbezogenen Abflugprozessen eingegangen wird. Im dritten Abschnitt werden daran anknüpfend die wesentlichen Erkenntnisse der Erhebung am Stuttgarter Flughafen vorgestellt und anschließend das weitere Vorgehen skizziert. Foto: pixabay MOBILITÄT Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 61 Wissenschaft MOBILITÄT Vorstellung des Dispositionsansatzes Der proaktive Dispositionsalgorithmus setzt sich aus zwei grundlegenden Teilprozessen zusammen. Dies sind zum einen die Ermittlung des betrieblichen Risikos bei der Inanspruchnahme der Bedienungsstellen und zum anderen die automatisierte Generierung von dispositiven Lösungen. Im Rahmen des ersten Teilprozesses wird gemäß Bild- 1 bestimmt, wie signifikant die Auswirkungen von zufällig auf einer Bedienungsstelle auftretenden Störungen für die Betriebsqualität im gesamten Bedienungssystem sind. Hierzu werden nach und nach isoliert an den einzelnen Bedienungsstellen Szenarien für Betriebsstörungen aufgebracht, der Betriebsablauf in deren Folge simuliert und jeweils der Wert der Zielfunktion berechnet. Aus den zugehörigen Mittelwerten ergibt sich für jede Bedienungsstelle ein spezifischer Risikoindex, mithilfe dessen die Bedienungsstellen entsprechend ihres betrieblichen Risikos klassifiziert werden können [2]. Der Hauptnutzen dieses ersten Prozesses des Dispositionsansatzes liegt aus Sicht des Anwenders darin, eine Art Vorhersage zu den Auswirkungen von auf den Betriebsablauf zufällig einwirkenden Störungen zu erhalten. Darauf aufbauend ist es zum einen möglich, den Basisbelegungsplan robuster zu gestalten, indem zeitliche Reserven in Abhängigkeit des betrieblichen Risikos auf die Bedienungsstellen verteilt werden, um dadurch ihre Nutzung effizienter zu gestalten. Zum anderen können verschiedene Maßnahmen der Ressourcenerweiterung miteinander verglichen und anhand ihres potentiellen Nutzens priorisiert werden. Zuletzt kann durch Kenntnis des betrieblichen Risikos die Qualität der dispositiven Lösungen gesteigert werden, weshalb die Risikoklassifizierung auch eine wichtige Eingangsgröße für den zweiten Teilprozess des vorgestellten dispositiven Ansatzes ist, in welchem die Dispositionslösungen proaktiv generiert werden [4]. Zur Gewährleistung einer möglichst nachhaltigen Wirkung der dispositiven Maßnahmen auf die Betriebsqualität, werden diese im Rahmen eines rollierenden Zeithorizonts ermittelt und der künftige Betriebsablauf durch die Einbeziehung zufallsbedingter Unsicherheiten jeweils modifiziert. Hierbei wird auf die Ergebnisse des vorausgehenden Klassifizierungsprozesses zurückgegriffen, sodass bei Bedienungsstellen mit höheren Risikoindizes auch entsprechend größere betriebliche Störungen miteinbezogen werden. Einen vollständigen Überblick über die Funktionsweise dieses Prozesses bietet Bild 2. Anwendung des Dispositionsansatzes im-Luftverkehr Unter der Voraussetzung, dass sämtliche vorhandene Ressourcen eines Verkehrssystems als Bedienungssystem und die in diesem ablaufenden Prozesse mithilfe von Belegungsplänen beschrieben werden, kann der dispositive Ansatz nahezu universell auch für luftverkehrliche Fragestellungen eingesetzt werden [5]. Aufgrund der großen Variantenvielfalt bei der Zusammensetzung der Art der Fluggäste einerseits und den betrieblichen sowie infrastrukturellen Ressourcen andererseits bieten die passagierbezogenen Abflugprozesse ein ideales Anwendungsfeld für den entwickelten Dispo- Legende: Start Wurden alle Bedienungs-stellen bearbeitet? Ende Bedienungsstelle des aktuellen Bedienungssystems (Pm) als Ziel-Bedienungsstelle (Bj) auswählen Satz an Störungsszenarien (S) für Bj generieren «informa on» Wahrscheinlichkeitsverteilung der zufälligen Störungen Betrieb unter Anwendung von s nachbilden Ein Störungsszenario (s) aus S auf jedes Bewegungsobjekt, das Bj nutzt, anwenden Zielfunk on berechnen Nächstes Störungsszenario (s=s+1) auswählen Wurden alle Störungsszenarien simuliert? Mi elwert des Zielindikators (RI: Risikonindex) von allen Störungsszenarien auf Bj berechnen «interface» Betriebsnachbildungstool Nächste Bedienungsstelle als Ziel- Bedienungsstelle Bj (j=j+1) auswählen Bedienungsstellen anhand der berechneten RI für das aktuelle Bedienungssystem klassi zieren «resource» Bedienungsstellen und Belegungsplan Soll das betriebliche Risiko für weitere Bedienungssysteme klassi ziert werden? Nächstes Bedienungssystem Pm (m=m+1) auswählen B: Bedienungsstelle j: Index der Bedienungsstelle m: Index des Bedienungssystems P: Bedienungssystem RI: Risikoindex einer Bedienungsstelle S : Satz an Störungsszenarien s: Störungsszenario [Nein] [Nein] object ow [Ja] [Ja] [Nein] [Ja] Bild 1: Ablauf der Klassifizierung des betrieblichen Risikos [3] Bild 2: Ablauf der Generierung von Dispositionslösungen [3] 3. Arbeitsschritt 2. Arbeitsschritt Start Ende Werden Konflikte erkannt? 1. Arbeitsschritt Zeitabschnitte bilden Belegungszeiten unter Einbeziehung zufalls-bedingter Unsicherheiten modifizieren Generierung der Dispositionslösung für den aktuellen Zeitabschnitt Aktuellen Belegungsplan beibehalten 4. Arbeitsschritt Betrieb bis zum nächsten Zeitabschnitt durchführen Vorherrschenden Betriebszustand für den nächsten Zeitabschnitt erfassen Ist der Untersuchungszeitraum zu Ende? [Ja] [Ja] [Nein] [Nein] Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 62 MOBILITÄT Wissenschaft sitionsansatz. In diesem Zusammenhang könnten beispielsweise die Wartezeiten für abfliegende Passagiere und der Ressourceneinsatz auf Seiten des Flughafenbetreibers optimiert werden. Bei der Aufbereitung dieses Anwendungsfalls für die Anwendung des dispositiven Ansatzes gilt es zunächst, die eingangs dieses Abschnitts genannten Voraussetzungen zu erfüllen, sodass ein Bedienungssystem entsteht, das z. B. die (Teil-)Prozesse Anreise, Zugang zum Terminal, Check-in, Gepäckaufgabe, Sicherheitskontrolle, Grenzkontrolle und Boarding in Form von aneinandergereihten Bedienungsstellen nachbildet. Ausgehend vom betrachteten Szenario müssen anschließend Belegungspläne, individuell für jeden Fluggast erstellt werden. Diese geben Auskunft über die konkreten Prozesse, die ein Fluggast durchläuft. Zu betrachten sind diesbezüglich sowohl kleinteilige Unterscheidungen, beispielsweise eine schalterspezifische Aufteilung der Passagiere, als auch die grundsätzliche Zuordnung von Prozessen, z. B. ob eine Grenzkontrolle zu passieren ist oder nicht. Darüber hinaus geben die Belegungspläne zusätzlich die jeweiligen Bedienungs- und Reservezeiten an [3]. Basierend auf der mathematischen Beschreibung des Bedienungssystems und den Belegungsplänen wird schließlich der dispositive Ansatz angewendet. Anhand der Ergebnisse der betrieblichen Risikoklassifizierung kann der Flughafenbetreiber Engpässe im Betriebsablauf erkennen und grundsätzliche Maßnahmen zu deren Beseitigung zielgerichtet treffen. Das können u. a. die Ausweitung der genutzten Ressourcen, z. B. in Gestalt von zusätzlichen Check-in-Schaltern, eine Optimierung der Einsatzzeitpunkte betreffen oder auch Maßnahmen zur Anpassung des Passagierverhaltens sein. Als Ergebnis des Dispositionsprozesses entstehen im rollierenden Zeithorizont nahe am theoretischen Optimum liegende Reihenfolgen und Bedienungszeitpunkte der Fluggäste unter Berücksichtigung des betrieblichen Risikos der einzelnen Bedienungsstellen. Diesbezüglich könnten beispielsweise ausgehend von Erkenntnissen vergangener Flugtage Verzögerungen bei der Grenzkontrolle in Abhängigkeit vom Flugziel oder beim Boarding in Abhängigkeit von der Airline besondere Berücksichtigung finden. Durch die in der Folge verbesserte Verteilung der Passagiere können passend zum Anwendungsszenario u. a. deren pünktliches Erscheinen am Gate verbessert und deren Wartezeiten reduziert werden. Erkenntnisse der Erhebung am Flughafen-Stuttgart Eine grundlegende Voraussetzung, um diesen Nutzen aus dem dispositiven Ansatz ziehen zu können, ist eine detaillierte Kenntnis über das Verhalten der Fluggäste im Rahmen der passagierbezogenen Abflugprozesse zur Erstellung möglichst realitätsnaher Belegungspläne von entscheidender Bedeutung. Deshalb wurde im Kontext eines studentischen Seminars an insgesamt sieben Tagen im Mai bzw. Juni dieses Jahres eine persönliche Befragung mithilfe eines Erhebungsbogens durchgeführt, der sowohl aus offenen als auch geschlossenen Fragen besteht und neben der Flugnummer u. a. auch die Ankunftszeit am Terminal, den Anreisemodus, den Zeitpunkt sowie Hauptzweck der Nutzung der Reservezeiten, Angaben zum Check-in und der Gepäckaufgabe sowie den Grund des Flugs erfasst. Die Befragung wurde unmittelbar an den Zugängen des Terminal 1 durchgeführt, um durch Kenntnis der exakten Ankunftszeit des Fluggasts am Terminal und seiner geplanten Abflugzeit das gesamte zur Verfügung stehende Zeitbudget erfassen zu können. Ergänzt wurden die derart gewonnenen über 1100 Datensätze um rund 72 300 anonyme Datensätze der Flughafen Stuttgart GmbH, die v. a. automatisiert an der Bordkartenkontrolle vor der Sicherheitskontrolle generiert worden sind und Rückschlüsse auf das luftseitige Zeitbudget von Passagieren ermöglichen. Neben der grundsätzlichen Erkenntnis zur Aufteilung der Zeitbudgets auf die land- und luftseitigen Prozesse, konnten bei der Erhebung weitere Feststellungen zu den Zeitbudgets getroffen werden. Diese umfassen beispielsweise: • Einfluss der Destination • Einfluss der Ausgestaltung des Check-in- und Gepäckaufgabeprozesses • Einfluss des Fluggasttyps • Einfluss des Anreisemodus • Einfluss der Anzahl an Mitreisenden • Nutzungszweck der Reservezeiten Bild 3 stellt den Einfluss der Destination auf die Zeitbudgets dar. Grundsätzlich übersteigt dabei der Anteil des luftseitigen Zeitbudgets am gesamten Zeitbudget den des landseitigen unabhängig von der Destination signifikant. Dies bedeutet, dass die Fluggäste die Sicherheitskontrolle verhältnismäßig früh passieren und ihre Reservezeiten schwerpunktmäßig auf der Luftseite aufbrauchen. Eine mögliche Ursache hierfür ist die hohe BEGRIFFSBESTIMMUNGEN Bedienungsstelle: Bestandteil eines Bedienungssystems, in dem die eigentliche Bedienung stattfindet. Bedienungssystem: System, das der Befriedigung von Bedienungswünschen dient. Belegungsplan: Einerseits Gesamtheit aller einzelnen Belegungspläne der in einem Untersuchungsraum verkehrenden Bewegungsobjekte. Andererseits bezogen auf ein einzelnes Bewegungsobjekt Festlegung der voraussichtlichen Zeitpunkte und/ oder Prozess- und Reservezeiten, die ein Bewegungsobjekt auf seinem Bewegungsobjektlauf einhalten soll. Bewegungsobjekt: Objekt, das sich in einem Verkehrssystem fortbewegt bzw. in diesem bedient wird. Bewegungsobjektlauf: Abfolge der Warteräume sowie Bedienungsstellen, die ein Bewegungsobjekt in einem Bedienungssystem nutzt bzw. nutzen soll. Warteraum: Bestandteil eines Bedienungssystems, in dem Forderungen (in Form von Bedienungswünschen) gespeichert werden. Zeitbudget gesamt: Zeitdifferenz zwischen der Ankunft der Passagiere am Flughafen und dem Abblocken des Flugzeugs. Zeitbudget Landseite: Zeitdifferenz zwischen der Ankunft der Passagiere am Flughafen und der Bordkartenkontrolle vor der Sicherheitskontrolle. Zeitbudget Luftseite: Zeitdifferenz zwischen der Bordkartenkontrolle vor der Sicherheitskontrolle und dem Abblocken des Flugzeugs. Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 63 Wissenschaft MOBILITÄT Aufenthaltsqualität verbunden mit einem attraktiven Retail-Angebot auf der Luftseite des Stuttgarter Flughafens. Nicht zuletzt auch deshalb gaben knapp die Hälfte der befragten Fluggäste an, dass sie ihre überschüssigen Reservezeiten hauptsächlich zum Zwecke des Einkaufens und insbesondere des Verpflegens nutzen würden. Aus Perspektive der dispositiven Steuerung der passagierbezogenen Abflugprozesse sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass viele Fluggäste ein Verpassen ihres Fluges vermeiden möchten und deshalb eher frühzeitig die Sicherheitskontrolle passieren. Ein Indiz hierfür bietet der Umstand, wonach rund ein Drittel der Passagiere ihre Reservezeiten rein zum Warten aufbringen wollen [6]. Darüber hinaus beträgt gemäß Bild 3 das mittlere gesamte Zeitbudget von inländischen Fluggästen 98 Minuten, wohingegen Reisende für Flüge in den restlichen Schengen-Raum 124 Minuten und für Flüge in den Non- Schengen-Raum 135 Minuten im Durchschnitt zur Verfügung haben. Interessant für die Nachbildung des Passagierverhaltens ist diesbezüglich auch, dass das luftseitige Zeitbudget der Non-Schengen-Reisenden das der Schengen-Reisenden um lediglich drei Minuten übersteigt und sich die restlichen acht Minuten der Differenz auf die Landseite verteilen, obwohl bei Non-Schengen- Flügen vor Betreten des Abfluggates eine Grenzkontrolle zu passieren ist. Eine andere wesentliche bei der Erhebung gewonnene Erkenntnis ist, dass das von den Passagieren eingeplante Zeitbudget knapp 40 Minuten größer ausfällt, wenn sie am Flughafen Gepäck aufzugeben haben. Des Weiteren gibt Tabelle 1 darüber Auskunft, dass sich bei bereits vorab erfolgtem Check-in das Zeitbudget der Fluggäste um elf bzw. 13 Minuten reduziert [6]. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass aufgrund der mitunter geringen Stichprobengröße die Repräsentativität der Ergebnisse nicht zwingend gegeben ist. Ausblick Im Rahmen der weiteren Forschungsaktivitäten am IEV wird der vorgestellte, ursprünglich eisenbahnbetriebliche Dispositionsansatz für luftverkehrliche Fragestellungen weiterentwickelt. Einerseits sollen mit ihm aufbauend auf den Ergebnissen der Erhebung die passagierbezogenen Abflugprozesse optimiert werden können. Andererseits wird weitestgehend unabhängig davon auch seine Eignung für die Disposition der Flug- und Rollbewegungen von Flugzeugen auf dem Vorfeld, den Rollwegen, einer Start- und Landebahn sowie den angrenzenden An- und Abflugstrecken untersucht. ■ Die Autoren bedanken sich bei der Flughafen Stuttgart GmbH, speziell bei Marvin König, für die professionelle Unterstützung und Bereitstellung von Daten bei der durchgeführten Erhebung. LITERATUR [1] Martin, U.: Risk Oriented Dispatching of Railway Operation under the Consideration of Random Disturbances in Dynamic Circumstances (DICORD). DFG-Forschungsprojekt (MA 2326/ 22-1). Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Stuttgart, 2018. [2] Zhao, W.: Hybrid Model for Proactive Dispatching of Railway Operation under the Consideration of Random Disturbances in Dynamic Circumstances. VWI Neues verkehrswissenschaftliches Journal, Band 9. Books on Demand GmbH, Norderstedt, 2017. [3] ideman, M.: Übertragung eines eisenbahnbetrieblichen proaktiven Dispositionsalgorithmus auf das Luftverkehrssystem. Masterarbeit, Universität Stuttgart, Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Stuttgart, 2018. [4] Zhao, W.; Martin, U.; Cui, Y. et al.: Operational risk analysis of block sections in the railway network. Journal of Rail Transport Planning & Management 7 (2017), Heft 4, S. 245-262. [5] Tideman, M.; Martin, U.; Zhao, W.: Disposition von verkehrlichen Prozessen unter Einbeziehung von zufallsbedingten Unsicherheiten. Eisenbahntechnische Rundschau 67 (2018), Heft 10, S. 22-25. [6] Koch, K.; Mitterrutzner, M.; Nguyen, K.-T.: Zeitbudget von Fluggästen. Seminararbeit, Universität Stuttgart, Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Stuttgart, 2018. Ullrich Martin, Prof. Dr.-Ing. Direktor, Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart ullrich.martin@ievvwi.uni-stuttgart.de Markus Tideman Akademischer Mitarbeiter, Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart markus.tideman@ievvwi.uni-stuttgart.de Passagiereigenschaften Anzahl Erhebungen [-] Zeitbudget gesamt [min] Standardabweichung [min] Vorab eingecheckt, mit Aufgabegepäck 350 125 46 Vorab eingecheckt, ohne Aufgabegepäck 357 87 40 Nicht eingecheckt, mit Aufgabegepäck 349 136 43 Nicht eingecheckt, ohne Aufgabegepäck 58 100 38 Tabelle 1: Zeitbudget in Abhängigkeit von Check-in und Gepäckaufgabe [6] Bild 3: Zeitbudgets in Abhängigkeit von der Destination [6] 0 15 30 45 60 75 90 105 120 135 Schengen-Raum (ohne D) Non-Schengen-Raum National [min] Destination Zeitbudgets in Abhängigkeit der Destination Zeitbudget Luftseite Zeitbudget Landseite Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 64 MOBILITÄT Wissenschaft HINTERGRUND Die TU Dresden, Professur für Kommunikationswirtschaft, übernimmt im Projekt iMONA die wissenschaftliche Begleitung. Dabei kombiniert das Forscherteam lokale qualitative Experimente mit deutschlandweiten quantitativen Studien, um allgemeine Handlungsempfehlungen ableiten und tragfähige Geschäftsmodelle formulieren zu können. Mehr Mobilität in ländlichen Regionen Ganzheitliche Mobilitäts- und Nahversorgungskonzepte zur Stärkung des regionalen ÖPNV Ganzheitliche Mobilitätskonzepte, ländlicher Raum, Workshops, qualitative Erhebung, iMONA Das Forschungsvorhaben iMONA (intelligente Mobilität und Nahversorgung) fokussiert sich auf die Entwicklung eines ganzheitlichen Mobilitätskonzepts für ländliche Regionen, Gemäß dem Bottom-up-Prinzip werden neue Mobilitäts- und Nahversorgungsangebote von Bürgern und kommunalen Entscheidungsträgern gemeinsam in interaktiven Workshops gestaltet. Stephanie Lelanz, Vanessa Knobloch D as Forschungsvorhaben iMONA steht für intelligente Mobilität und Nahversorgung und ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Projekt (Laufzeit: 2017 bis 2020), das gemeinsam vom Landratsamt Freyung-Grafenau und der Professur für Kommunikationswirtschaft der TU Dresden bearbeitet wird. Der klassische ÖPNV im ländlichen Raum kann aufgrund wirtschaftlicher Restriktionen keinen so engmaschigen Takt anbieten wie im urbanen Umfeld. Vor allem jüngere Menschen ohne Führerschein, Mobilitätseingeschränkte und ältere Personen, die nicht mehr fahren können, sind von den Fahrplanzeiten der öffentlichen Verkehrsmittel abhängig. An dieser Stelle setzt iMONA an. Das übergeordnete Ziel des Projekts ist die Verknüpfung von (öffentlicher) Mobilität und Nahversorgung. 2020 soll es an zentralen Plätzen im Landkreis Freyung-Grafenau erste Mobilitäts- und Versorgungsstationen geben, die in einer ganzheitlichen Strategie eingebettet sind. Mit der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Mobilitäts- und Nahversorgungsmöglichkeiten beschäftigen sich zurzeit verschiedene Teilprojekte. Zur Stärkung der öffentlichen Mobilität werden maßgeblich solche Lösungen entwickelt und erprobt, die eine Verbindung des öffentlichen Nahverkehrs und des motorisierten Individualverkehrs erlauben. Neue Dienste werden gemäß dem Bottom-up-Prinzip mit der betroffenen lokalen Bevölkerung entwickelt. Alle Lösungen werden unter dem Dach iMONA im Landratsamt gebündelt und eng mit den Angeboten der Mobilitätszentrale gekoppelt, sodass ein ganzheitliches Mobilitäts- und Nahversorgungskonzept entsteht. Methode Beim Teilprojekt Gemeinde Haidmühle werden verbalisierte Daten von Probanden in Workshops erfasst. Im Zuge einer qualitativen Erhebung werden in der Regel Beobachtungen oder Gruppendiskussionen durchgeführt sowie Interviewleitfäden erstellt. Hier liegt der Vorteil qualitativer Forschung: Das Vorgehen ist offener, sodass neue und bisher unbekannte Aspekte aufgedeckt und diskutiert werden können. Zwar ist die qualitative Datenerhebung und -analyse deutlich zeitaufwändiger, jedoch wiegt die Tiefe der gewonnenen Informationen diesen Nachteil wieder auf. ([1] S. 599f, [2] S. 100f ) Beermann et al. ([3] S. 7) sehen in Workshops ein effizientes Mittel, um Neues zu schaffen. Fragen zu einem spezifischen Thema können wesentlich tiefgreifender und umfassender beantwortet werden als in quantitativen Erhebungen. Die Teilnehmer sind immer auch selbst von der besprochenen Thematik betroffen bzw. Spezialisten auf diesem Gebiet. Folglich empfiehlt sich dieses Format für frühe Phasen eines Projekts. Mithilfe der Interaktion unter den Beteiligten wird eine Lösung gefunden, die auf verschiedenen Meinungen beruht. Diesen Ansätzen folgend entwickelten die Workshopteilnehmer neue Lösungen zur Verbesserung der aktuellen Mobilitäts- und Nahversorgungssituation. Die Probandenakquise erfolgte hauptsächlich über analoge Medien. Im Gemeindeblatt erschien eine Anzeige mit dem Aufruf zur Teilnahme. Zudem gab es Aushänge in Supermärkten und weiteren wichtigen Daseinsvorsorgeeinrichtungen. Potenzielle Multiplikatoren sowie die Bürgermeisterin und der Verwaltungschef der Gemeinde wurden persönlich eingeladen. Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 65 Wissenschaft MOBILITÄT Der Workshop wurde von einer Projektmitarbeiterin geleitet. Eine weitere Mitarbeiterin fungierte als Protokollantin. Sie erfasste alle besprochenen Fragen und Antworten sowie die non-verbale Kommunikation. Auf Video- und Tonaufzeichnungen wurde aufgrund von Datenschutzrestriktionen verzichtet. Um die Beeinflussung durch die Workshopleitung zu vermeiden (interviewerrelated-error), war diese dazu angehalten, möglichst neutral auf Fragen zu antworten und die Diskussion weder zu steuern noch auf ein bestimmtes Ergebnis hinzuwirken ([1] S. 362). Die Durchführung erfolgte in den Ortschaften Haidmühle und Bischofsreut. Da Gemeindesäle in beiden Orten fehlen, wurden Pfarrsäle als geeignete Räumlichkeit bestimmt. Beide Räume boten für bis zu 20 Teilnehmer ausreichend Platz. Die Bürger der Gemeinde haben bisher nicht an solchen Formaten teilgenommen, weshalb anstelle des Begriffs Workshop die Bezeichnung Bürgerdialog verwendet wurde. Der Workshop war auf zwei Zeitstunden ausgelegt. Nach der Begrüßung durch das Projektteam und dessen Vorstellung wurden den Teilnehmern der Zweck sowie das geplante Vorgehen erläutert. Zur Visualisierung der Fragen und Antworten wurden Pinnwände, Flipchart- Bögen sowie verschiedenfarbige Karten und Stifte genutzt. Der Ablauf des Workshops orientierte sich an der Methode des Design Thinking, das mithilfe gezielter Fragen Vorwissen aktiviert sowie das kreative Denken und Problemlösen fördert ([4] S. 26 f ). Ziel der ersten Beteiligungsrunde war die Bestandsaufnahme in den Bereichen ÖPNV und Mobilität. Um allen Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, zu Wort zu kommen, wurde das Plenum in Kleingruppen aufgeteilt. Zur Orientierung bekam jede Kleingruppe die Leitfragen (Bild 1) in Papierform sowie ausreichend Schreib- und Visualisierungsmaterial. Im Anschluss an die Kleingruppendiskussion fasste die Workshopleitung alle gesammelten Ergebnisse zusammen und gab nochmals Raum für Ergänzungen und Nachfragen. Danach wurden die Leitfragen der zweiten Beteiligungsrunde erklärt. Dabei ging es darum, den Bogen von den Herausforderungen der Bürger zu potenziellen Lösungen zu spannen. Die Kleingruppen hatten erneut Zeit, mithilfe der vorformulierten Fragen zu diskutieren (Bild 2). Der Workshop am zweiten Tag war wie die vorherige Veranstaltung geplant. Aufgrund der geringeren Gruppengröße wurde das ursprüngliche Konzept jedoch in eine leitfadengestützte Gruppendiskussion umgewandelt. Die Fragen waren identisch zum Bürgerdialog am Vortag. Ergebnisse Insgesamt besuchten 18 Interessierte die Bürgerdialoge in Haidmühle und Bischofsreut. Zur Veranstaltung am ersten Tag in Haidmühle kamen zwölf Personen. Am Workshop in Bischofsreut nahmen sechs Personen teil, von denen zwei bereits am Vortag in Haidmühle anwesend waren. Soziodemografische Daten der Probanden wurden nicht erhoben. Mithilfe der Teilnehmerlisten konnte jedoch die Geschlechteraufteilung bestimmt werden. 50 % der Beteiligten waren männlich und 50 % weiblich. Die verbalisierten Daten des Workshops wurden mithilfe einer abgewandelten Form der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Nach Döring und Bortz ([1] S. 542) ermöglicht die qualitative Inhaltsanalyse eine datengesteuert-induktive Auswertung erhobener Daten. Das Datenmaterial wurde schrittweise auf manifeste Hauptinhalte reduziert. Im Anschluss erfolgte die Identifikation und Zusammenfassung inhaltstragender Aussagen (Paraphrasierung). Im nächsten Schritt war eine Generalisierung der Aussagen notwendig. Inhaltlich nicht relevante oder bedeutungsgleiche Daten wurden gestrichen (Reduktion). ([1] S. 542f ) Anders als in der klassischen qualitativen Inhaltsanalyse ist es jedoch nicht möglich, absolute oder relative Häufigkeiten der gebildeten Kategorien zu ermitteln. Das gewählte Format lässt jedoch über die Zustimmungs- und Ablehnungsreaktionen ein Ranking der bedeutendsten Aussagen zu. Bei der Auswertung der Daten beider Tage kristallisierten sich innerhalb der ersten Beteiligungsrunde drei Schwerpunktthemen heraus. Fehlende Informationen Immer wieder fiel der Fokus der Gespräche auf das Stichwort Informationen. Informationen sind als grundlegender Baustein eines Mobilitätsangebots eine Grundvoraussetzung. Jedoch wurde mehrfach betont, dass es an dieser Stelle Schwächen gibt. Unzureichende Kennzeichnungen der Busse führen zu Negativerfahrungen. Zudem fehlt teilweise die Verknüpfung der einzelnen Linien bei der Verbindungssuche. Es stellte sich außerdem heraus, dass Personen, die bereits in Kontakt mit der Mobilitätszentrale waren, sehr gute Erfahrungen mit dieser gemacht haben. Viele konnten mit dem angebotenen Service jedoch wenig anfangen, was auf mangelnde Informationen hindeutet. Qualität des Verkehrsnetzes Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Busverbindungen sowie deren Regelmäßigkeit wurden als unzurei- Welche Themen zur Mobilität in Ihrer Gemeinde bewegen Sie? Welche Probleme treten auf, wenn Sie kein eigenes Auto zur Verfügung haben? Welche Herausforderungen sehen Sie zur Erhaltung und attraktiven Angebotsgestaltung der Mobilität für die nächsten Jahre? Was würden Sie außer dem eigenen Fahrzeug oder Linienbus nutzen? Auf welche Stärken können wir bauen? Wo würden Sie mitmachen? Bild 1: Leitfragen der ersten Beteiligungsrunde in Haidmühle und Bischofsreut Bild 2: Leitfragen der zweiten Beteiligungsrunde in Haidmühle und Bischofsreut Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 66 MOBILITÄT Wissenschaft chend dargestellt. Eine attraktive Angebotsgestaltung gibt es aktuell nicht. Das Sicherheitsgefühl, dass der Bus wirklich kommt, ist wenig ausgeprägt. Fehlende Alternativen Es bestehen kaum Alternativen zum ÖPNV-Angebot. Einwohner sind auf das eigene Fahrzeug sowie situative Mitfahrgelegenheiten im Bekannten- und Familienkreis angewiesen. Auch das eigene Rad ist bei langen Strecken in der Gemeinde sowie im Landkreis keine Lösung. Einig waren sich die Teilnehmer in der ersten Diskussionsrunde vor allem bei einem Thema: Es muss das umgesetzt werden, was den meisten Konsens bringt. Nur so ist ein sichtbarer Zuspruch zu erwarten. Tabelle 1 zeigt die relevanten Antworten der ersten Beteiligungsrunde. In der zweiten Runde sollten auf Grundlage der zuvor angesprochenen Herausforderungen Lösungsansätze entwickelt werden. Mithilfe der qualitativen Inhaltsinhaltsanalyse wurden drei Hauptansätze identifiziert. E-Bike/ E-Carsharing Rasch fielen den Bürgern Mobilitätsformen wie E-Bike oder (E-)Carsharing ein. Über diese Alternativen verfügt die Gemeinde zurzeit noch nicht (mit Ausnahme eines E-Bike-Verleihs im Ort Haidmühle). Dennoch waren Anbieter wie E-Wald bekannt und stießen auf Interesse. Zudem sind drei Ladesäulen im Ortskern von Haidmühle zum Laden von Elektrofahrzeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dort auch E-Bikes zu laden, besteht jedoch nicht. Mitfahrgelegenheiten - Suche-Biete-Plattform Einen großen Anteil nahmen Gespräche über (situative) Mitfahrgelegenheiten in Anspruch. Im Bekannten- und Freundeskreis ist das bereits üblich. In diesem Kontext wurde zudem der Wunsch geäußert, ähnlich einem Suche-Biete-System Fahrtwünsche und -angebote zu veröffentlichen. Die Idee basiert auf Abreißzetteln in der Gemeinde Neureichenau. Ob es sich dabei um eine analoge oder digitale Lösung handeln soll, wurde ebenso besprochen. Während ein Teil der Diskutanten die Meinung vertrat, dass analoge Lösungen nicht mehr zeitgemäß sind, kamen auch Anregungen auf, dass vor allem für ältere Bewohner der Gemeinde analoge Angebote unbedingt existieren müssen. Vorstellbar ist auch eine Infosäule, auf der die Daten über ein Tablet abrufbar sind. Mitfahrbank Die durch die Teilnehmer selbst benannte Mitfahrbank erfuhr wenig Akzeptanz. Zu dieser Mobilitätsalternative Was würden Sie außer dem eigenen Fahrzeug oder Linienbus nutzen? Auf welche Stärken können wir bauen? Wo würden Sie mitmachen? • E-Wald/ E-Auto • E-Bike • (Privates) Carsharing • Taxi • Mitfahren bei Freunden und Verwandten • Fahrgemeinschaften • Nachbarschaftshilfe • Private Vermietung des eigenen Pkws • Gemeindeübergreifende WhatsApp-Gruppe • Persönliche Verbundenheit im Ort • Gemeinderat • Nachbarschaftshilfe • iMONA-Projekt • „Wir fahren miteinander.“ • Carsharing • Infotafel • Fahrgemeinschaft (mit Verwandten und Freunden) • (WhatsApp-)Gruppe für Nachbarschaftsprojekte • Nachbarschaftshilfe • Zentrale Koordination von Nachbarschaftshilfe und Fahrgemeinschaften Tabelle 2: Relevante Antworten der zweiten Beteiligungsrunde Welche Themen zur Mobilität in Ihrer Gemeinde bewegen Sie? Welche Probleme treten auf, wenn Sie kein eigenes Auto zur Verfügung haben? Welche Herausforderungen sehen Sie zur Erhaltung und attraktiven Angebotsgestaltung der Mobilität der Gemeinde Haidmühle für die nächsten Jahre? • Mitfahrbänke • Finanzieren eines E-Wald Autos (Kreis/ Land) • Mama-Taxis • Was tun, wenn ich nicht mehr Auto fahren kann? • Rechtlicher Rahmen beim Fahren fremder Autos • Verlust weiterer Geschäfte • Regelmäßigkeit Freyung, Waldkirchen • Schülerbeförderung ab September 2018 • Probleme bei raus aus Haidmühle und-zurück • Abstimmung der Reise/ Verbindungen mit Zug → Bus nach Passau • Fehlen von Carsharing/ E-Wald Auto • Auf andere angewiesen/ abhängig sein • Zu wenig Verbindungen während und außerhalb der Schulzeiten (früher besser) • Fahrpläne schwer verständlich • Rufbus-System (Hin-/ Rückfahrt? ) • Kein Handy-Netz (Ruf-Bus) • Barrierefreiheit von Reisebussen • Hohe Kosten • Viele Tickets für eine Fahrt • Ohne Auto ist soziale Infrastruktur nicht erreichbar (Kindergarten, Arzt, Schule) • Busabfahrten/ Regelmäßigkeit & Sinnhaftigkeit • Effizientere Information der Bürger zu Fahrgelegenheiten • Bezahlbare Tickets • „Rundverkehr“ pro Stunde (evtl. kleinere Busse) • Rufbussystem ausbauen • Gegen Luftverschmutzung → ÖPNV für alle kostenlos • Möglichst alle Bürger ansprechen • Es müssen große Distanzen überwunden werden • Umfassende Öffentlichkeitsarbeit Tabelle 1: Relevante Antworten der ersten Beteiligungsrunde Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 67 Wissenschaft MOBILITÄT ist eine eher negative Einstellung vorhanden. Ängste, nicht mitgenommen zu werden oder bei Fremden ins Auto zu steigen bzw. diese mitzunehmen, sind hoch ausgeprägt. Auch die Frage nach der ungeklärten Rückfahrt tat sich auf. Die strengen Wintermonate lassen diese Idee noch unattraktiver erscheinen. Tabelle 2 stellt die relevanten Antworten der zweiten Beteiligungsrunde dar. Die klassischen Gütekriterien Reliabilität, Validität und Objektivität der quantitativen Forschung eignen sich laut Mayring ([5] S. 140) und Lamnek ([6] S. 131) nicht für qualitative Forschung. Nach Döring und Bortz ([1] S. 107f ) sind verbindliche Qualitätsmerkmale, mithilfe derer die intersubjektive Nachvollziehbarkeit gesichert ist, notwendig. Lincoln & Guba ([7] S. 289, [1] S. 107ff) haben unter dem übergeordneten Aspekt Glaubwürdigkeit vier Gütekriterien entwickelt, die in der Auswertung der hier erhobenen Daten Berücksichtigung finden. Die Resultate des Teilprojekts Gemeinde Haidmühle sind vertrauenswürdig, da verschiedene Informationen aus unterschiedlichen Erhebungen und Expertengesprächen mit den Ergebnissen der Workshops kombiniert und die Interpretationen anhand der Rohdaten überprüft wurden. Durch den gefundenen Konsens am Ende der Veranstaltung konnte das Ergebnis mit den Teilnehmern validiert werden. Übertragbar sind die Ergebnisse aufgrund der kleinen Zufallsstichprobe nur bedingt. Der Forschungsprozess wurde nachvollziehbar gestaltet. Weitere Experten haben das Konzept mit der Workshopleitung erörtert und verfeinert. Das Kriterium der Zuverlässigkeit ist damit erfüllt. Die Lösungen wurden von den Probanden diskutiert. Zudem war ausreichend Raum für Fragen geboten. Die Workshopleitung hat wertende Aussagen vermieden. Die Ergebnisse können damit bestätigt werden. ([1] S. 108f ) Kritische Würdigung Die Teilnehmer der Workshops spiegeln nicht die Grundgesamtheit der Einwohner der Gemeinde Haidmühle wider. Damit ist die Studie als nicht-repräsentativ anzusehen. Da für kleine qualitative Erhebungen das Merkmal jedoch nicht zwangsläufig erfüllt sein muss ([1] S. 297), spricht dieses fehlende Kriterium nicht gegen die Qualität der erhobenen Ergebnisse. Dennoch sollte an dieser Stelle angemerkt werden, dass überwiegend Senioren und Seniorinnen an den Workshops teilgenommen haben. Sie bildeten mit ihren Antworten ihre eigene Lebenswirklichkeit und wahrgenommenen Herausforderungen im Alltag ab. Lösungsvorschläge basierten vor allem auf nachbarschaftlicher Hilfe. Unbekanntes wurde skeptisch gesehen oder gänzlich abgelehnt. Es muss kritisch hinterfragt werden, ob Personen jüngeren Alters diese Einstellung ebenso teilen. Auf die größte Annahme stieß die von den Probanden genannte Suche-Biete-Plattform, die sowohl analog als auch digital umgesetzt werden soll. Zunächst unterscheidet sich diese Idee nicht von einer Mitfahrzentrale, somit ist im Kontext bestehender Mobilitätslösungen keine Innovation entwickelt worden. Jedoch gibt es in der Gemeinde aktuell keine Angebote dieser Art. Die Bürger wünschen sich eine individuell auf ihre Bedürfnisse angepasste Variante, die die Nachbarschaftshilfe (auch im Hinblick auf die Mitnahme von Gütern des täglichen Bedarfs) optimiert und professionalisiert. Insofern kann für die Gemeinde Haidmühle durchaus von einer Neuheit gesprochen werden. Im zweiten Workshop in Bischofsreut übernahm die Workshopleitung die Visualisierung der Antworten. Dadurch ist ein interviewrelated-error nicht auszuschließen. Um aus den Ergebnissen eine tragfähige und akzeptierte Lösung zu entwickeln, sind zum einen eine gemeindeweite quantitative Befragung und zum anderen weitere Workshops zur Ausgestaltung des Angebots notwendig. ■ LITERATURVERZEICHNIS [1] Döring, N./ Bortz, J. (2016): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften, 5. Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg. [2] Mayer H. (2008): Interview und schriftliche Befragung, 4. Aufl., Oldenbourger Wissenschaftsverlag, München. [3] Beermann, S./ Schubach, M./ Augart, E. (2013): Workshops - Vorbereiten, durchführen, nachbereiten, Haufe Verlag, Freiburg. [4] Erbeldinger, J./ Ramge T. (2013): Durch die Decke denken - Design Thinking in der Praxis, Redline Verlag, München. [5] Mayring, P. (2016): Einführung in die qualitative Sozialforschung, 6. Aufl., Beltz Verlag, Weinheim, Basel. [6] Lamnek, S. (2010): Qualitative Sozialforschung, 5. Aufl., Betz Verlag, Weinheim, Basel. [7] Lincoln, Y./ Guba, E. (1985): Naturalistic Inquiry, SAGE Publications, Newbury Park. Vanessa Knobloch Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Projektmitarbeiterin iMONA, Professur für Kommunikationswirtschaft, Institut für Wirtschaft und Verkehr, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ Technische Universität Dresden vanessa.knobloch@tu-dresden.de Stephanie Lelanz Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Wissenschaftliche Projektleiterin iMONA, Professur für Kommunikationswirtschaft, Institut für Wirtschaft und Verkehr, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ Technische Universität Dresden stephanie.lelanz@tu-dresden.de Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 68 TECHNOLOGIE Magnetschwebebahn Renaissance der Transrapid- Technologie in China? Weiterentwicklungen in Changsha und Peking im Praxistest Maglev, Transporttechnik, Nahverkehrssystem, Schnellbahnnetz Die Chinesen wollen die vielfach verbreite Ansicht, die Magnetschwebetechnik sei auf dem Abstellgleis, widerlegen. Auch wenn die sogenannte Maglev in Schanghai seit vielen Jahren ein Schattendasein fristet, wurde weiter an der Technologie gearbeitet. Als Ergebnis sind Magnetschwebebahnen für Changsha und Peking entwickelt worden, die im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Einsatz sind. Jetzt geht es um Magnetschwebezüge, die mindestens 600 km/ h schnell sind. Damit soll eine Lücke zwischen den regulären Hochgeschwindigkeitszügen und dem Flugzeug geschlossen werden. Armin F. Schwolgin N icht alle Innovationen im Bereich der Transporttechnik sind Erfolge geworden. Nach verbreiteter Meinung gehört die in Deutschland entwickelte Magnetschwebebahn Transrapid [1] in diese Kategorie. Im Gegensatz zur Volksrepublik China, wo 2002 in Schanghai die Maglev (Magnetic levitation), wie die Magnetschwebebahn dort genannt wird, in den Probe- und 2003 in den Regelbetrieb ging, bedeutete in Deutschland der schwere Unfall auf der Teststrecke in Lingen im September 2006 das endgültige Aus für diese Technologie. Aber auch in China haben sich die ursprünglichen Träume vom Transrapid zunächst nicht erfüllt. Inzwischen ist der Transrapid in Schanghai eher eine Touristenattraktion als ein Verkehrsmittel des ÖPNV. Im Normalbetrieb fährt die Maglev in Schanghai auf der Strecke von Langyan zum Flughafen Pudong heute nur mit ca. 300-km/ h. Die vollen 450 km/ h werden nur jeweils für 45 Minuten am Morgen und Abend erreicht. Einen Ausbau auf einer Langstrecke hat es nicht gegeben, da China inzwischen ein Netz von Hochgeschwindigkeitszügen von etwa 25 000 km geschaffen hat und dieses weiter ausbaut. Die Zubringerfunktion zum Internationalen Flughafen in Schanghai-Pudong hat weitgehend eine U-Bahn übernommen. Die in der FAZ zu lesende Aussage von Petra Kolonko, der Transrapid in China sei zehn Jahre nach der kommerziellen Nutzung auch in Fernost gescheitert [2], ist angesichts der beiden relativ neuen Magnetschwebebahnen in Changsha (Provinz Hunan) und Peking allerdings einer Nachprüfung zu unterziehen. Changsha Maglev Express Der Changsha Maglev Express ist eine Magnetschwebebahn, die für niedrige und mittlere Geschwindigkeiten ausgelegt ist. Nach der Hochgeschwindigkeits-Maglev in Schanghai handelt es sich um die zweite Magnetschwebebahn des Landes, wobei stolz verkündet wird, dass es sich dabei im Gegensatz zu Maglev in Schanghai um eigene, chinesische Technologie handelt. Ob dies wirklich der Fall ist, kann hier im Detail nicht überprüft werden. Ankenbrand weist in diesem Zusammenhang auf den beim Bau der Maglev in Schanghai vereinbarten Technologietransfer von Deutschland nach China hin [3]. Die Changsha Maglev verbindet den Changsha Huanghua International Airport alle 15 Minuten mit dem Bahnhof Changsha South [4]. In Changshanan besteht ein Übergang zum Fernverkehr und zur Linie 2 der Changsha Metro. Einen weiteren Haltepunkt gibt es in Langli, zwei weitere sind am Convention and Exhibition Center und an der Automobile City geplant. Der Bau der 18,5 km langen Strecke begann im Mai 2014. Die Fahrbahn war im Oktober 2015 fertig und soll 195 Mio. RNB pro Streckenkilometer gekostet haben. Die Gesamtkosten für Infrastruktur und Fahrzeuge werden mit 646 Mio. USD angegeben. Diesen Betrag haben die Provinz, Hunan, die Stadt Changsha der Flughafenbetreiber und dem Zughersteller CRRC Zhuzhou Electric Locomotive Company Ltd., welche die Züge entwickelt und gebaut hat, aufgebracht. Jede Zuggarnitur besteht aus drei Fahrzeugen, die eine Gesamtlänge von 48 m haben. Pro Zug können ( je nach Quelle) 363 bis 600 Reisende befördert werden. Erste Versuchsfahrten erfolgten Ende Dezember 2015. Der Probebetrieb wurde im Mai 2016 aufgenommen und der Regelverkehr läuft seit dem 4. August 2016. Die Fahrzeuge sind für eine Spitzengeschwindigkeit von 120-km/ h ausgelegt; im Regelbetrieb werden maximal 100 km / h gefahren. Für jede Strecke werden 19,5 Minuten benötig. Für die Reisenden ergibt sich gegenüber dem Shuttle- Bus zwischen Flughafen und Stadt eine Zeitersparnis von 40 Minuten, im Vergleich zum Taxi eine solche von 20 Minuten [5]. Beijing Maglev Bei der Beijing Maglev (Linie S1) handelt es sich ebenfalls um eine im niedrigen bis mittleren Geschwindigkeitsbereich verkehrende Magnetschwebebahn [6]. Seit dem Bild 1: Schanghai Maglev ist in die Jahre gekommen. alle Fotos: Schwolgin Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 69 Magnetschwebebahn TECHNOLOGIE 30.- Dezember 2017 fährt sie zwischen den Terminals Shichang (West) und Jinanqiao (Ost), in zwei der westlichen Distrikte Pekings im Regelbetrieb (Bild 2). Die Strecke in der Satellitenstadt hat eine Länge von 8,25 km und acht Haltepunkten. In Pingguoyuan im Osten ist das 1,6 km lange Verbindungsstück zur U-Bahn der Linie 1, welche quer durch Peking verläuft, gegenwärtig noch im Bau (vgl. Bild 3). Betrieben wird die Strecke von der Pekinger U-Bahn-Gesellschaft Beijing Mass Transit Railway Operation Co. Ltd. Die von der CRRC Tangshan Company Ltd., einer Tochtergesellschaft der China Rolling Stock Company (CRRC) in der benachbarten Provinz Hebei gebauten Züge können eine Spitzengeschwindigkeit von etwa 105 bis 110 km/ h erreichen. Bei unserer Fahrt fuhr sie deutlich gemächlicher. CRRC Tangshan hat insgesamt zehn Zuggarnituren gebaut. Die jeweils sechs Waggons pro Zug können 1023 Reisende aufnehmen. Der Heimatbahnhof befindet sich am westlichen Ende der Strecke. Der Bau der Linie S1 wurde bereits im Jahre 2011 initiiert. Entgegen der Erwartung kam es im Mai 2011 jedoch zu Widerstand von den Anrainern; über 300 Bewohner in den Distrikten Mentougou und Bisenli unterzeichneten eine Petition, weil sie Beeinträchtigungen durch Lärm und Strahlungen befürchteten. Dies löste neue Untersuchungen im Hinblick auf die externen Effekte aus, so dass der Bau bis Oktober 2014 stagnierte [7]. Dieses Beispiel eines Bürgerprotestes erscheint im politischen Kontext der Volksrepublik China sehr bemerkenswert, gerade aus heutiger Sicht. Freilich gab es Anfang 2008 bereits ähnliche Proteste in Schanghai, als die Stadt eine Verlängerung der Maglev zum Gelände der Weltausstellung, dem Südbahnhof und dem Flughafen Hongqiao bauen wollte [8]. Auch namhafte Experten äußerten sich öffentlich kritisch im Hinblick auf die Strahlung und den Energieverbrauch. Jia zitiert einen Wissenschaftler, der die Pekinger Maglev 2011 sogar als „Transport-Spielzeug“ bezeichnete [9]. Bemerkenswert ist, dass diese Kommentare noch immer im Netz zu finden sind. Im Vorfeld zu unseren Feldforschungen haben wir festgestellt, dass selbst bei Fachleuten aus Transport und Logistik das Wissen über die neue Maglev sehr gering ist. Ein Vertreter der China Academy of Railway Science äußerte sich uns gegenüber sogar sehr zurückhaltend bis negativ, wobei der Eindruck haften blieb, dass diese Äußerung auch von dem Phänomen „not invented here“ getrieben war. An dieser Stelle sollen die Argumente pro und contra Magnetschwebebahn nicht Bild 2: Pekinger Maglev bei der Einfahrt in den Endbahnhof Shichang Bild 3: Ausschnitt aus dem U-Bahn Plan Pekings mit der Linie S1 (Mitte) und der Xijhiao Linie (oben) Reproduktion: Schwolgin Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 70 TECHNOLOGIE Magnetschwebebahn wiederholt werden [10]. Bei unserer inoffiziellen Probefahrt haben wir die Pekinger Maglev als pünktlich, komfortabel und sicher erlebt. Sie fährt bei der niedrigen Geschwindigkeit auf der z. T. kurvigen Strecke ruhig. Bei der hohen Dichte der Haltepunkte wirkt sich die starke Beschleunigung positiv aus. Die klimatisierten Wagen sind hell und freundlich (Bild 4). Die Durchgänge zwischen den Wagen sind groß und gewähren wegen der Durchsicht durch den Zug ein Gefühl von Sicherheit. Der Preis der Tickets entspricht - anders als in Schanghai - dem üblichen U-Bahn-Tarif. Negativ ist natürlich der Systembruch an der Station Pingguoyua, der den Reisenden zum Umsteigen zwingt, wodurch der Reisekomfort beeinträchtigt wird. Eine durchgehende konventionelle Ubzw. S-Bahn wäre aus Sicht der Reisenden sicher bequemer gewesen. Ob der Kurvenradius der Streckenführung eine solche Lösung zugelassen hätte, ist unklar. Weitere Entwicklungen Angesichts der Gesamtlänge des Pekinger Schnellbahnnetzes von 608 km fällt die Maglev nicht ins Gewicht. Dies gilt auch für zwei weitere „Erprobungsbahnen“, eine fahrerlose U-Bahn aus chinesischer Produktion im Südwesten Pekings, die Yangfang Linie, und eine moderne, konventionelle Straßenbahn, die sogenannte Xijiao Linie, ebenfalls im westlichen Stadtgebiet [11]. Die maximal 80 km/ h fahrenden Züge vom Typ B Dolphin wurden von CRRC Chagun gebaut, die Kommunikations- und Kontrolltechnik kommt von Beijing Traffic Control Technology Company [12]. Die Xijiao Linie ist sehr interessant, weil sie einige bekannte touristische Ziele wie z. B. den Sommerpalast oder den Botanischen Garten (vgl. Bild 3) besser erreichbar macht. Die Niederflurfahrzeuge wurden von CRRC in Lizenz von Hitachi Rail Italy gebaut und können maximal auf 70 km/ h beschleunigen [12]. Dass die Technologie der Magnetschwebebahn aus chinesischer Sicht kein „Spielzeug“ ist, zeigen Meldungen in offiziellen Medien, wonach bis 2020 fünf weitere Magnetschwebebahnen in Betrieb gehen sollen. Diese sollen zukünftig u.a. in Chengdu, Wuhan und Guangzhou, Tianjin und Hangzhou fahren. Produzent dieser Züge ist die CRRC Dalian Co. Ltd.; sie sollen eine Spitzengeschwindigkeit von 160 km/ h erreichen. Des Weiteren sollen die Vibration geringer, die Steigungsfähigkeit höher und der Kurvenradius geringer sein [13]. Der Bahntechnologiekonzern CRRC beschäftigt sich mit Rollmaterial, das bis 2020 Geschwindigkeiten von 600 km/ h erreichen soll. Dabei soll es um drei Güterzüge, einen Personenzug und eben auch um zwei Maglev-Züge gehen. Bei den letzteren soll es einen Typ geben, der bis zu 290 km/ h schnell ist, während ein anderer 600 km/ h erreichen soll. Dies wurde kürzlich von der Entwicklungsleiterin der CRRC Qingdao Sifang, Liang Jianying, bestätigt. Der Prototyp des 600 km/ h schnellen Maglev-Zugs sei fertig und man beginne jetzt mit der Teilefertigung; Testfahrten seien für 2020 in der Planung [14]. Aus wirtschaftlicher Sicht geht es den Chinesen darum, ein Angebot zwischen den mehrheitlich mit 200 bis 250-km/ h verkehrenden Hochgeschwindigkeitszügen und Flugzeugen zu schaffen. Im Hinblick auf die Machbarkeit wird auf die Technologie des deutschen Transrapid und japanische Modelle verwiesen [15]. Es wird sogar von Geschwindigkeiten von bis zu 1000 km/ h berichtet [16]. ■ LITERATUR [1] Vgl. Schach, Rainer; Jehle, Peter; Naumann, René: Transrapid und Rad-Schiene-Hochgeschwindigkeitsbahn. Ein gesamtheitlicher Systemvergleich, Berlin 2006, S. 1. [2] Vgl. Kolonko, Petra: Der Zug endet hier, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.09.2013, http: / / www.faz.net/ aktuell/ gesellschaft/ transrapid-in-schanghai-der-zug-endet-hier-12591451.html, abgerufen am 01.10.2018. [3] Ankenbrand, Hendrik: China baut eigenen Transrapid, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.11.2016, http: / / www.faz.net/ aktuell/ wirtschaft/ agenda/ china-baut-eigenen-transrapid-14507023.html, abgerufen am 01.10.2018. [4] Vgl. o. V.: Changsha maglev starts trial running, in: Metro Report International vom 30.12.2015, https: / / www.metro-report.com/ news/ single-view/ view/ changsha-maglev-starts-trial-running. html, abgerufen am 04.10.2018; o. V.: New maglev projects on track for launch next year, in: Schanghai Daily vom 09.07.2014, http: / / www.china.org.cn/ china/ 2014-07/ 09/ content_32898465.htm, abgerufen am 05.10.2018; Ankenbrand, a.a.O. [5] Vgl. Hn-xsn: Changsha’s ‘Maglev‘ starts on 6th May! , übersetzt von Ben Wilkson, http: / / www.wnichangsha.com/ changsha-maglevopens.php, abgerufen am 05.10.2018. [6] Vgl. Zhang, Yu: Beijing’s first maglev is to operate, in: China Daily vom 13.06.2017, http: / / usa.chinadaily.com.cn/ china/ 2017-06/ 13/ content_29726354.htm, abgerufen am 03.10.2018; Vgl. o. V.: Beijing maglev carries passengers, in: Metro Report International, https: / / www.metro-report.com/ news/ single-view/ view/ beijing-maglev-carries-passengers.html, abgerufen am 05.10.2018. [7] Jia, Chen: New maglev line to connect western Beijing, in: China Daily vom 19.08.2011, S. 2; o. V.: Beijing’s first maglev line resumes construction, in: China Daily vom 22.04.2015, http: / / www.chinadaily.com.cn/ beijing/ 2015-04/ 22/ content_20503683.htm, abgerufen am 05.10.2018. [8] Vgl. Savadove, Biull: Public to be consulted over maglev train route, in: South China Morning Post vom 01.02.2008, https: / / www.scmp. com/ article/ 625088/ public-be-consulted-over-maglev-train-route, abgerufen am 06.10.2018. [9] Jia, [7] [10] Vgl. dazu ausführlich Schach et al. a.a.O. [11] Vgl. China Daily unter Mitarbeit von Jiang Chenglong: Beijing makes way for high-tech trains: in China Daily vom 21.09.2017, S. 5. [12] Vgl. Metro Report International: Driverless metro, maglev and tram line open in Beijing, 04.01.2018, https: / / www.metro-report.com/ news/ single-view/ view/ driverless-metro-maglev-and-tram-lineopen-in-beijing.html, abgerufen am 06.10.2018. [13] Vgl. Su, Xinqi: Chinese maglev train capable of travelling at 600 km/ h on track for 2020 test run as design completed, in: South China morning Post vom 02.10.2012, https: / / www.scmp.com/ print/ news/ hong-kong/ transport/ article/ 2166479/ china-set-roll-outmaglev-trains-600km/ h-top-speed-after? _escaped_fragment_=, abgerufen am 08.10.2018. [14] Zhong, Nan; Zhang Xiaomin: Nation on track for 5 maglev lines by 2020, in China Daily vom 15.08.2017, www. http: / / www.chinadaily. com.cn/ business/ 2017-08/ 15/ content_30620747.htm, abgerufen am 03.10.2018 sowie o. V.: Chinas nächste Maglev. Bis 2020 sollen erste Test Magnetbahnen 600 km/ h erreichen, www. Golem.de/ print.php? a=132520, abgerufen am 03.10.2018. [15] Wang, Brian: China developing faster and slower maglev trains, in: Next big future vom 27.01.2018, https: / / www.nextbigfuture. com/ 2018/ 01/ china-developing-faster-and-slower-maglev-trains. html, abgerufen am 06.10.2018. [16] Chen, Frank: China testing super maglev trains that could hit 1000 km/ h, in: Asia Times, http: / / www.atimes.com/ article/ china-testingsuper-maglev-trains-hit-1000kmh, abgerufen am 03.10.2018. Armin F. Schwolgin, Prof. Dr. Studiengangsleiter BWL-Spedition, Transport und Logistik, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Lörrach; Adjunct Professor Beijing Wuzi University, Distinguished Professor Yanching Institute of Techology schwolgin@dhbw-loerrach.de Bild 4: Innenansicht der Pekinger Maglev Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 71 Wissenschaft TECHNOLOGIE Künstliche Intelligenz in-Logistiknetzwerken Verbesserung der Zuverlässigkeit maritimer Transportketten durch akteursübergreifende ETA-Prognosen Transportkette, Seefracht, Störungen, Prognose, ETA, Künstliche Intelligenz KI Intermodale Logistiknetzwerke wie die maritime Transportkette erfordern ein präzises Zusammenwirken zahlreicher Akteure. Infolge ihrer Komplexität weisen die eng verzahnten Prozesse jedoch eine hohe Störanfälligkeit auf. Betriebliche und umfeldbedingte Störungen führen regelmäßig zu Abweichungen geplanter Prozesszeiten, die sich auf nachgelagerte Prozesse auswirken. Geringfügige landseitige Verspätungen können sich zu hohen Verspätungen über die Gesamtkette aufbauen, wenn etwa Schiffs-Closings verpasst werden. Datenbasierende Technologien unterstützen beim Umgang mit diesen Herausforderungen. Manuel Weinke, Peter Poschmann, Frank Straube N icht jedes Störungsereignis in Transportketten wie bspw. Unwetter oder Stau kann durch gezielte Prozessoptimierung im Voraus vermieden werden. Vielmehr stellt die Eindämmung der Auswirkungen im Störfall die verbreitete Vorgehensweise dar, indem steuernd und dispositiv in den Prozess eingegriffen wird. Als grundlegendes Hilfsmittel dieses Störfallmanagements bedarf es einer Informationstransparenz über den aktuellen Status (Ist- Zeit) und die Verspätungslage eines Transportauftrages (Abweichung der Istvon der Plan-Zeit) sowie über die Gründe für die Verspätung. [1] Diese „Tracking“-Informationen detektieren ein Störereignis jedoch erst nach dessen Auftreten, so dass lediglich ein reaktives Eingreifen möglich ist. Die Handlungsalternativen zur Störungseindämmung werden hierdurch deutlich reduziert. Gleichzeitig beinhalten diese deskriptiven Informationen keine Ableitungen zu den zeitlichen Auswirkungen auf den weiteren Prozessverlauf, z. B. die erwartete Ankunftszeit des Auftrages (ETA - Estimated Time of Arrival) beim nachfolgenden Akteur, was wiederum die Auswahl bedarfsgerechter Maßnahmen erschwert. Steigender Bedarf an verbesserter Informationstransparenz In der maritimen Transportkette sind diese Prozessinformationen in vielen Teilabschnitten nur eingeschränkt und in geringer Qualität verfügbar. Insbesondere Informationen zur ETA liegen für viele Prozesse nicht vor - bzw. werden nur einmalig oder vereinfacht durch die Anwendung von Expertenwissen oder, wie im Schienengüterverkehr üblich, durch lineare Fortschreibung von vorhandenen Verspätungszeiten bestimmt. Ferner besteht in der Transportkette eine geringe akteursübergreifende Informationstransparenz infolge des eingeschränkten und oft manuellen Austausches von Informationen. Die Unternehmen stehen demnach unentwegt vor der Herausforderung, effektiv und effizient mit Störungsbzw. Verspätungssituation umzugehen. Gleichzeitig sehen sie sich mit steigenden logistischen Anforderungen in Bezug auf höhere Verfügbarkeits- und Flexibilitätserwartungen der Kunden sowie einem steigenden Kostendruck konfrontiert. [2] Die damit einhergehende Notwendigkeit zur kurzfristigen Reaktion auf Auftragsänderungen bei einem gleichzeitigen Abbau von Risikopuffern führt wiederum zu einer steigendenden Störanfälligkeit der Prozesse. Zusammen mit den aktuellen Veränderungen durch die Digitalisierung trägt dieser Umstand wesentlich zu einem erhöhten Bedarf an Prozessinformationen bei den Akteuren und ihren Kunden bei. Demnach sind etablierte und viele neue Marktteilnehmer bestrebt, ihren Kunden eine höhere Informationstransparenz durch digitale Services zu bieten. [3] Gleichzeitig optimieren und erweitern viele Akteure ihre IT-Systeme, wofür wiederum Informationen mit einer höheren Verfügbarkeit und Validität benötigt werden. Wie im Bild 1 dargestellt, ist dabei im Vergleich der einzelnen Prozessinformationen der zukünftige Bedeutungsanstieg bzgl. der ETA am höchsten. Projekt SMECS Vor dem Hintergrund der Bedeutung und des derzeitigen Verfügbarkeitsgrades von Prozessinformationen in der maritimen Transportkette hat das Fachgebiet Logistik der Technische Universität Berlin zusammen mit der DB Cargo und der Kühne Logistics University sowie Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 72 TECHNOLOGIE Wissenschaft zahlreichen assoziierten Praxispartnern das Projekt SMECS (Smart Event Forecast for Seaports) initiiert. Ziel des Projektes, welches vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen des Förderprogramms IHATEC (Innovative Hafentechnologien) gefördert wird, ist die Befähigung der Akteure der Transportkette zur frühzeitigen Erkennung von Störungen und Prozessverzögerungen sowie zum Ergreifen zielgerichteter Maßnahmen. Zur Realisierung dieses verbesserten Störungsmanagements wird im Rahmen des Projektes ein auf Künstlicher Intelligenz basiertes IT-System entwickelt, welches Unternehmen mit einer akteursübergreifenden Prognose von Ankunftszeiten von Seefrachtcontainern und akteursspezifischen Handlungsempfehlungen unterstützt. SMECS fokussiert hierbei die landseitigen Prozesse von Seefrachtcontainern, d. h. vom Verlader bzw. Leercontainerdepot bis zur Übergabe an den Seetransport. Einsatz von Künstlicher Intelligenz Das System, welches derzeit im SMECS-Projekt entwickelt wird, ermittelt dynamisch die ETA eines Containers für alle relevanten Transportabschnitte wie den Straßen- und Schienentransport inkl. der Rangiervorgänge sowie für die Durchlaufzeiten der involvierten logistischen Knotenpunkte (Hinterlandterminal, Rangierbahnhöfe bzw. Zugbildungsanlagen und Seehafenterminal) und fügt diese dann zu einem Gesamtbild zusammen. Anhand eines Abgleiches der prognostizierten Prozessdauern mit den Plan-Werten überwacht das System permanent die Einhaltung des geplanten Transportverlaufes und erkennt, wenn ein Container aufgrund von Verspätungen den Nachfolgeprozess nicht rechtzeitig erreicht. Zur Prognose der spezifischen Containerankunftszeiten werden Störungen und weitere Umweltgegebenheiten, welche einen Einfluss auf die Prozesszeit nehmen, im System mit einbezogen. Das „Erlernen“ der Zusammenhänge zwischen der zu erwartenden Transportverspätung und diesen Einflussfaktoren erfolgt durch die Prüfung und Anwendung verschiedener, bereits für ETA- Prognosen erprobter Verfahren des „überwachten“ Maschinellen Lernens wie Künstlich Neuronale Netze (KNN), Random Forest oder Support Vector Machines (SVM) auf Basis historischer Daten. [4, 5] Gute Prognoseergebnisse konnten hierbei bereits mit dem Verfahren Random Forest erzielt werden, welches sich bei kleineren Datenmengen gegenüber KNN als vorteilhaft erweist. Anders als bei herkömmlichen Ansätzen zur Verspätungsvorhersage im Transport wie etwa der Prozesssimulation erfordert der gewählte datenbasierte Ansatz keine umfassende Problemmodellierung. [6] Neben einer Vielzahl betriebsinterner Datenquellen (z. B. Prozessdaten, Störungsinformationen, Daten zur Infrastruktur und Ressourcen) werden hierbei auch externe Datenquellen (z. B. Wetterdaten, Daten zum Verkehrsaufkommen) zur Prognose verwendet. Das trainierte Modell kann anschließend im Rahmen einer Echtzeitanwendung zur Vorhersage aktueller Transportverläufe eingesetzt werden. Durch die Integration von vorab identifizierten Handlungsalternativen im Sinne eines wissensbasierten KI-Systems werden im spezifischen Störungsbzw. Verspätungsfall geeignete Empfehlungen für die Transportsteuerung, insbesondere für die Harmonisierung von Akteursschnittstellen, ausgewiesen. Iterative Systementwicklung Die Realisierung einer bedarfsgerechten Lösung setzt nicht nur eine umfassende Kenntnis über die Abläufe im maritimen Containertransport und die spezifischen Ursachen von Verspätungen voraus, sondern auch die darauf aufbauende Identifizierung geeigneter „Trainingsdaten“. Die Systementwicklung folgt dabei einem iterativen Vorgehen mit drei wesentlichen Schritten, dessen Phasen mehrmals durchlaufen und von einem sukzessiven Wissenszuwachs über Prozesse, Störungen und Daten gekennzeichnet sind. 1. Prozess- und Störungsanalyse Zur Erlangung des notwendigen Systemverständnisses erfolgt in der ersten Phase eine Aufnahme und Systematisierung der wesentlichen Betriebs- und Planungsprozesse sowie der begleitenden Informationsflüsse im maritimen Transportvorlauf. Als Ausgangspunkt für die Datenanalyse und Modellentwicklung werden zudem die wesentlichen prozessbezogenen Störungen, die zu Prozessabweichungen führen und in den Prognosemodellen abgebildet werden müssen, aufgenommen und in ihren kausalen Störungsursachen modelliert. 2. Datenanalyse In der zweiten Phase werden geeignete Daten identifiziert und aus den jeweiligen Datenquellen beschafft, die zur Prognose der aufgenommenen Störungsursachen und Einflussfaktoren geeignet sein könnten. Durch eine ausführliche Datenvisualisierung und die Anwendung „unüberwachter“ Lernenverfahren (z. B. Sequenzmustererkennung) können in dieser Phase weitere bislang nicht bekannte Zusammenhänge bei der Verspätungsentstehung aufgedeckt werden. 3. Modellentwicklung Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse und historischen Daten werden in der dritten Phase problemspezi- Bild 1: Bedeutung von Prozessinformationen in der maritimen Transportkette Alle Darstellungen: Autoren Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 73 Wissenschaft TECHNOLOGIE fische Prognosemodelle entwickelt, trainiert und hinsichtlich einer ausreichenden Prognosegüte validiert. Das komplexe Problem der ETA-Prognose wird hierzu zunächst in mehrere voneinander unabhängig modellierbare aber miteinander interagierende Teilprobleme untergliedert, die jeweils durch geeignete Verfahren des Maschinellen Lernens unter Verwendung problemspezifischer Daten gelöst werden. Zur Erzielung einer ETA-Prognose für die Gesamtkette erfolgt nach Sicherstellung einer ausreichend hohen Prognosegüte die Integration der Teilmodelle in ein akteursübergreifendes System. Im Vorfeld der Systementwicklung wurde eine Bedarfsanalyse zur Ermittlung und Priorisierung von relevanten Anwendungsfällen der maritimen Transportkette für die Umsetzung einer ETA-Prognose durchgeführt. Diese Analyse diente zum einen der Festlegung einer optimalen Projektausrichtung und zum anderen der Ableitung spezifischer Anforderungen an die Systemgestaltung. Praxisgerechte Lösung durch Einbindung von-Expertenwissen Zur Abbildung realer Rahmenbedingungen im System von SMECS werden bei den beschriebenen Projektaktivitäten sowohl zahlreiche Unternehmensvertreter der einzelnen Akteure als auch angrenzende Forschungsprojekte wie etwa das Projekt EMP 4.0 (Export Management Platform) von Dakosy, Kühne + Nagel und DB Cargo intensiv eingebunden. [7] Die Partnerunternehmen nehmen dabei einerseits eine beratende Rolle zur Einbringung und Validierung fachlicher Informationen ein; andererseits stellen sie die notwendigen Betriebsdaten bereit. Während bei den wiederkehrenden Arbeitsschritten der Systementwicklung variierende Formen der Unternehmenseinbindung umgesetzt werden, bedurfte es für die Priorisierung von Inhalten innerhalb der vorausgegangen Bedarfsanalyse einer standardisierten Aufnahme des aggregierten Meinungsbildes der Gesamtkette. Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten und gleichzeitig Partikularanforderungen der Akteure zu berücksichtigen, erfolgte hierfür eine zweistufige Befragung von Fachexperten der einzelnen Unternehmen mittels der Durchführung semistrukturierter Interviews und der anonymisierten Beantwortung standardisierter Fragebögen. Anschließend fand gemeinsam mit allen Interviewpartner eine Diskussion und Validierung der Analyseergebnisse statt. Auf dieser Grundlage wurden sowohl gesamthaft als auch akteursbezogen die Mehrwerte, die präfierten Anwendungsbereiche und Prozessabschnitte für den Einsatz einer ETA sowie die technischen Umsetzungsmöglichkeiten in Bezug auf die Datenverfügbarkeit abgeleitet und in priorisierte Anwendungsfälle überführt. Insgesamt wurden bei der Bedarfsanalyse die Sichtweisen von 13 Akteursrollen der maritimen Transportkette berücksichtigt. Vielzahl von Einsatzbereichen einer ETA In der Bereitstellung einer akteursübergreifenden ETA für die maritime Transportkette sehen die beteiligten Unternehmen vielfältige funktionale Potenziale (siehe Bild 2). Hieraus ergeben sich spezifische Anforderungen an die ETA-Gestaltung, z. B. der benötigte prozessuale Bezugspunkt, der Zeitpunkt (Prognosehorizont) sowie die Genauigkeit und der inhaltliche Umfang der Informationsbereitstellung. Grundsätzlich stellt der gewählte Ansatz für die Akteure den großen Vorteil einer höheren Prozesstransparenz über die gesamte Transportkette, einschließlich der eigenen Prozesse, dar. Die Anwender erhalten durch die akteursübergreifende Prognose die Möglichkeit, nicht nur lokale Störungsauswirkungen hinsichtlich ihrer Verspätungen zu quantifizieren, sondern insbesondere die Folgen für nachgelagerte Prozesse zu bewerten. Gleichzeitig werden sie zur einer Bewertung von Störungen in vorgelagerten Prozessen in Bezug auf die eigenen Aktivitäten befähigt. Mithilfe all dieser Informationen können zielgerichtete und bedarfsgerechte Maßnahmen ergriffen werden, welche die negativen Störungsauswirkungen zur anforderungskonformen Ausführung der Aufträge so gering wie möglich halten. Die ETA stellt demnach primär ein Instrument zur (frühzeitigen) Unterstützung bei operativen Entscheidungsproblemen im Rahmen der Prozesssteuerung und Disposition der Ressourcen (u. a. Personal, Fahrzeuge, Infrastruktur) dar. Im Ergebnis wird ein verbessertes Bedarfs- und Kapazitätsmanagement ermöglicht, was zu einer Verbesserung der Asset-Auslastung und Reduktion von Risikopuffern entlang der Transportkette führt. Neben dem Einsatz in der eigenen Betriebsführung fungiert die ETA gleichzeitig als wichtige Information für die Weitergabe an angrenzende Akteure bzw. an den Auftraggeber. Die hierdurch ermöglichte frühzeitige Kommunikation von Störungen und Verspätungen leistet zusammen mit der verbesserten Pünktlichkeit einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit. Insbesondere die übergreifenden Akteure sehen in Bild 2: Zusammenfassung von akteursbezogenen Mehrwerten einer ETA Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 74 TECHNOLOGIE Wissenschaft der ETA auch ein vielversprechendes Werkzeug des Qualitätsmanagements, indem durch die verbesserte Transparenz über Verspätungen und deren Gründe eine Möglichkeit zur Bewertung der eingesetzten Dienstleister geschaffen wird. In der systemseitigen und dynamischen Bereitstellung der ETA wird zudem der Vorteil eines reduzierten manuellen Informationsaustausches mit anderen Akteuren gesehen. Hohe Bedeutung für landseitige Prozesse Aufgrund individueller Störanfälligkeiten und einer variierenden Flexibilität nachgelagerter Prozesse ist der Mehrwert einer ETA für die einzelnen Transportabschnitte der maritimen Kette unterschiedlich ausgeprägt. Demnach messen die beteiligten Akteure dem landseitigen Verkehr im Vor- und Nachlauf eine höhere Relevanz als dem Hauptlauf bei. Der Hauptgrund liegt in der zeitlichen Entkoppelung des Hauptlaufs durch den Schiffsfahrplan, wodurch ein Verpassen des Schiffs-Closings durch Verspätungen im Vorlauf zu hohen Zusatzverspätungen führen kann. Gleichzeitig liegen für den seeseitigen Transport bereits gute Lösungen zur Ankunftszeitenbestimmung vor. Entsprechend der erforderlichen Gesamtsicht für einen Transportauftrag wird in SMECS jedoch eine integrierte Betrachtung des Vorlaufs unter Berücksichtigung bestehender Schiffsinformationen umgesetzt, um die Auswirkungen von Verspätungen und Maßnahmen auf die Gesamtkette bewerten zu können. Im Vergleich von Vor- und Nachlauf bzw. Ex- und Importverkehr existieren keine Bedeutungsunterschiede für die ETA-Bereitstellung. Beide Transportrichtungen müssen vielmehr im Zusammenhang betrachtet werden, da hohe prozessuale Wechselwirkungen bestehen, wie etwa durch die Umlaufplanung von Zügen zwischen den Häfen und den Hinterlandterminals. Kombinierter Verkehr Straße-Schiene mit-hoher Relevanz Bei der Betrachtung verschiedener Transportmöglichkeiten stellen Transporte von Lastcontainern im kombinierten maritimen Verkehr den relevantesten Anwendungsfall für eine ETA dar. Transporte von anderen Stückgütern oder Schüttgütern sowie von Leercontainern weisen eine deutlich nachrangige Bedeutung auf. Gleiches gilt für den ungebrochenen Verkehr im Vorlauf, d. h. den reinen Straßen- oder Schienentransport, der aufgrund seiner geringeren Komplexität als weniger störanfällig von den Akteuren angesehen wird. Der Bedeutungsunterschied zwischen maritimen und kontinentalem Verkehr kann wiederum als gering bezeichnet werden. In Bezug auf Teilprozesse und Verkehrsträger stellt der Schienentransport den bedeutendsten Anwendungsfall dar - gefolgt vom Straßentransport im kombinierten Verkehr (siehe Bild 3). Die höhere Bedeutung einer ETA im Schienentransport folgt aus mehreren Gründen. Einerseits besteht schienenseitig eine höhere betriebliche Relevanz für die Akteure durch das höhere Volumen, die damit verbundenen Lastspitzen und die höhere Planungskomplexität, z. B. für Be- und Entladungsprozesse (Gleis-, Kranbelegung etc.). Anderseits wird der Schiene infolge der eingeschränkten Freiheitsgrade eine bessere Prognosemöglichkeit attestiert. Gleichzeitig verfügt der Straßentransport durch den Einsatz von externen Diensten wie Navigationssystem und Google Maps bereits über ausgereiftere Lösungen zur Prognose der Ankunftszeiten im Vergleich der landseitigen Transportträger. Bei der Detailbetrachtung weist der Straßenverkehr im KV eine höhere ETA-Relevanz als der ungebrochene Straßentransport zum Hafen auf. Neben der geringen Störanfälligkeit ist dies mit dem bereits eingeführten LKW-Slotverfahren einiger Häfen wie in Hamburg zu begründen[8], welches eine verbesserte Transparenz über straßenseitige Ankunftszeiten ermöglicht. Das Binnenschiff verfügt aufgrund des beförderten Güteraufkommens über die geringste Bedeutung für eine ETA- Umsetzung. Große Unterschiede bei Datenverfügbarkeit Für die Realisierung einer ETA-Prognose mittels Künstlicher Intelligenz stellt die Verfügbarkeit von Daten eine essentielle Voraussetzung dar. In der Entwicklungsphase kann hierbei in Datenquellen zu historischen Transportverläufen mit Informationen zur geplanten und tatsächlichen Prozesszeit sowie in unternehmensinterne und -externe Datenquellen zur Erklärung von Soll-Ist-Abweichungen (Störungsinformationen) unterschieden werden. Unternehmensinterne Störungsinformationen können wiederum sowohl auftragsbezogene Daten sein, die spezifische Verspätungssituation qualifizieren, als auch übergreifende Informationen, deren Zusammenhang mit Verspätungen über statistische Verfahren ermittelt werden kann, z. B. Baustelleninformationen. Bei der Analyse der einzelnen Prozesse und Transportmöglichkeiten des maritimen Verkehrs mit den Fachexperten zeigen sich in Bezug auf die benötigen Daten unterschiedliche Szenarien. Demnach sind teilweise bestimmte Daten gar nicht oder nur eingeschränkt, d. h. lediglich für einen geringen Zeitraum oder in geringer Granularität, verfügbar. Während Soll-Werte (z. B. Fahrplandaten) bei fast allen Unternehmen vorhanden sind, verfügen nur ca. 80 % über die dazugehörigen Ist-Werte sowie nur ca. 70 % über Störungsinformationen. Wie Bild- 4 verdeutlicht, eignen sich die vorhandenen Daten vielfach jedoch aufgrund ihrer Qualität nicht für eine Weiterverarbeitung, da diese bspw. unstrukturiert im Freitextformat vorliegen oder nicht valide sind. Bild 1: Einordnung der Studienteilnehmer in den Adoptionsprozess Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 75 Wissenschaft TECHNOLOGIE [3] Göpfert, I.; Seeßle, P. (2017): Startups in der Logistikdienstleisterbranche. Philipps-Universität Marburg. [4] Kosolsombat, S.; Limprasert, W. (2017): Arrival Time Prediction and Train Tracking Analysis. In: Numao et al. (2017): PRICAI 2016 Workshops, S. 170-177. [5] Markovic, N.; Milinkovic, S.; Tikhonov, K. S.; Schonfeld, P. (2015): Analyzing passenger train arrival delays with support vector regression. In: Transportation Research Part C 56 (2015), S. 251-262. [6] Gorman, M. F. (2009): Statistical estimation of railroad congestion delay. In: Transportation Research Part E 45 (2009), S. 446-456. [7] IHATEC-Forschungsprojekte für den Transportbereich: www.innovativehafentechnologien.de/ schwerpunkte/ transport/ [8] Truckvoranmeldung und Slotbuchung im Hambuger Hafen: www.truckgate.de/ Insgesamt ergibt sich für den Schienentransport und das Hinterlandterminal die beste prognoserelevante Datenlage. Insbesondere für Zugläufe liegen sowohl vergleichsweise dicht aufeinanderfolgende Zeit-/ Ortsinformationen sowie dazugehörige Plan-Werte als auch zugbezogene und übergreifende Störungsinformationen vor. Dies steht teilweise im großen Gegensatz zu den anderen, im Containerlauf involvierten Prozessen wie den Straßen- und Binnenschifftransport, der Rangierung und den Umschlag im Seehafen. Fazit Für die maritime Transportkette fehlt bisher eine integrierte Betrachtung von Verspätungen. Gleichzeitig sind innerhalb der meisten Prozesse die Hilfsmittel zur Überwachung und zum Umgang mit Störungen wenig ausgereift. Die Umsetzung von Potenzialen aus der Nutzung und Veredlung von Daten erfolgt hierfür bisher nur punktuell. Mit dem SMECS-Projekt wird dieses innovative Handlungsfeld durch die Entwicklung einer akteursübergreifenden ETA-Prognose auf Datenbasis adressiert. Unter Einbindung der beteiligten Akteure konnten im Rahmen einer strukturierten Bedarfsanalyse prozessbezogene Ausprägungen hinsichtlich des Mehrwertes, des Einsatzbereiches und der technischen Umsetzbarkeit für die ETA-Entwicklung identifiziert werden. Insgesamt trägt die Bereitstellung der ETA zu einer erhöhten Prozessrobustheit und -effizienz für die Unternehmen bei der Realisierung komplexer Transportaufträge bei. Dies wirkt sich positiv auf die Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Logistikketten aus. Als initialer Anwendungsfall des Projektes wurde die Entwicklung eines Prototypens für den kombinierten Straßen- Schienen-Containerverkehr im Export vom Verlader bis zum Seehafen festgelegt, welcher derzeit umgesetzt wird. Nach erfolgreicher Validierung kann der entwickelte Ansatz auf weitere Transportarten übertragen werden. ■ Weitere Informationen zum SMECS-Projekt können unter folgendem Link abgerufen werden: https: / / www.logistik.tu-berlin.de/ menue/ forschung/ aktuelle_forschungsprojekte/ smecs/ QUELLEN [1] Walter, F. (2016): Informationsaustausch in der maritimen Transportkette. Springer Gabler. [2] Fraunhofer IIS (2017): Studie Transportlogistik 4.0. Frank Straube, Prof. Dr.-Ing. Leiter Fachgebiet Logistik, Technische Universität Berlin straube@logistik.tu-berlin.de Peter Poschmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Technische Universität Berlin poschmann@logistik.tu-berlin.de Manuel Weinke Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Technische Universität Berlin weinke@logistik.tu-berlin.de Bild 4: Akteursübergreifender Reifegrad von verfügbaren Prozessinformationen Die Themen der nächsten Ausgabe Transport-Innovation • Straße, Schiene, Kombinierter Verkehr • Personen und Waren • Automatisierung • Digitale Lösungen Internationales Verkehrswesen 1 | 2019 kommt am 19. Februar 2019 | Mehr unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 76 FORUM Veranstaltungen EPTS Foundation gegründet Die Europäische Plattform der Verkehrswissenschaften (EPTS), ein Zusammenschluss von nationalen verkehrswissenschaftlichen Gesellschaften und großen verkehrswissenschaftlichen Hochschulinstituten aus derzeit 15 Ländern Europas, hat nach 17-jähriger informeller Zusammenarbeit im Jahr 2018 ihre Institutionalisierung mit der Gründung der „EPTS Foundation“ vollzogen. Ein Bericht von Professor Dr. Boguslaw Liberadzki, Vizepräsident des Europäischen Parlamentes, und Sebastian Belz, Generalsekretär der EPTS Foundation. N ach der Gründungsversammlung vom 7.-Juni 2018 in Erfurt wurde am 23. September 2018 in Warschau die erste reguläre Mitgliederversammlung abgehalten. Aktuell hat die EPTS Foundation 25 Mitglieder, die zusammen über 30 000 Einzelpersonen vertreten. Zwischen den beiden Versammlungen fanden während des Sommers 2018 verschiedene administrative und juristische Schritte statt, um die Verwaltung und damit die gesamte EPTS Foundation arbeitsfähig zu machen. Die Eintragung beim Amtsgericht Frankfurt am Main, dem Sitz der EPTS, erfolgte ebenso wie die Ausweisung der Gemeinnützigkeit durch das örtliche Finanzamt. Damit ist die EPTS Foundation nun in der Lage, neben ihren bereits langjährig ausgeübten ehrenamtlichen Tätigkeiten, wie der Veranstaltung des alljährlichen Europäischen Verkehrskongresses und der Auslobung des Europäischen Friedrich-List-Preises für Nachwuchswissenschaftler, nun auch professionell gegenüber den nationalen und internationalen Institutionen aufzutreten. Die in der Satzung niedergelegten Ziele der EPTS Foundation verpflichten die Mitglieder zu Neutralität und Objektivität im Umgang mit verkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen, zu deren verkehrsträgerübergreifender und interdisziplinärer Verbreitung und zum verkehrswissenschaftlichen und interkulturellen Austausch mit Vertretern aller europäischen Länder, auch über die Grenzen der Europäischen Union hinaus. Pluralismus und Föderalismus werden als Grundpfeiler der europäischen Werteordnung respektiert und durch die Arbeit der EPTS Foundation unterstützt und weiterentwickelt. Die Aufgaben der EPTS Foundation werden neben den etablierten Aktivitäten künftig vor allem in der Organisation von Europäischen Partnerkongressen, bei denen die EPTS Foundation als Partner ihrer Mitglieder auf bisher eher national geprägten Kongressen auftritt, durch ein Online-Newsportal und durch die regelmäßige Präsenz als Interessensvertretung der Verkehrswissenschaften bei den Europäischen Institutionen in Brüssel und Strasbourg liegen. Die Nachwuchsförderung im Rahmen des Young Forum of European Transport Sciences (YFE) nimmt ebenfalls einen breiten Raum ein und soll u.a. durch die Veranstaltung von Summer Schools und hochwertigen internationalen Karrieretagen ausgebaut werden. Eigene verkehrswissenschaftliche Projekte wird die EPTS Foundation als Regieebene der Verkehrswissenschaftler hingegen nicht bearbeiten, wohl aber die Kontakte zwischen interessierten Mitgliedern vermitteln und Projektideen entwickeln und verbreiten. Alle Mitglieder sind herzlich eingeladen, ihre besten Wissenschaftler in das eigens dafür eingerichtete Panel of Experts der EPTS Foundation zu entsenden. Das Executive Board der EPTS Foundation fungiert als Vorstand. Es besteht aus drei gewählten und zwei geborenen Mitgliedern. Ihm gehören Professor Janos Toth, Budapest (HU), als 1. Vorsitzender, Professor Jon Shaw, Plymouth (UK), als 2. Vorsitzender und Professor Ueli Haefeli, Luzern (CH), als Schatzmeister sowie Professor Andrej Novak, Zilina (SK) als Ausrichter des kommenden ETC 2019 und Florian Polterauer, Wien (AT) als Vorsitzender des YFE an. Das Advisory Board der EPTS Foundation ist der auf Repräsentations- und Beratungszwecke ausgerichtete Aufsichtsrat. Ihm steht als Präsident Professor Boguslaw Liberadzki (PL) vor. Er wird unterstützt von den Vize- Präsidenten Professor Peter Faller (A), Professor Knut Ringat (DE) und Professor Stane Bozicnic (SL). Das Generalsekretariat der EPTS Foundation bildet die Geschäftsstelle. Hier laufen alle Prozesse und Kontakte zusammen, von hier aus werden gemeinsam mit den Gremien die Strategien und Konzepte der Organisation entwickelt und umgesetzt. Die EPTS Foundation ist sehr daran interessiert, ihre Mitgliedschaft zu verbreitern, und lädt alle Interessierten herzlich dazu ein, Mitglied der EPTS Foundation zu werden. Für wissenschaftliche Einrichtungen und Vereine ist die kostenfreie reguläre Mitgliedschaft vorgesehen, die volle Stimmrechte umfasst. Für Unternehmen und Einzelpersonen bietet sich die Möglichkeit einer Mitgliedschaft als Unterstützer an. Gerne informieren die Autoren über alle Details. Kontakt: belz@epts.eu, www.epts.eu Gründungsveranstaltung im Juni 2018 in Erfurt Quelle: DVWG Der 16. Europäische Verkehrskongress der EPTS in Warschau, anlässlich dessen die 1. Mitgliederversammlung der EPTS Foundation stattfand Quelle: EPTS Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 77 Erscheint im 70. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 55 vom 01.01.2018 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr plus International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 193,00 (zzgl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 215,00 Einzelheft: EUR 37,00 (inkl. MWSt.) + Versand Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print oder E-Paper mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH, München Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Im Schwarm unterwegs Foto: Shutterstock Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Strategische Planung und Koordination" Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Sebastian Belz Dipl.-Ing., Generalsekretär EPTS Foundation; Geschäftsführer econex verkehrsconsult GmbH, Wuppertal Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- & Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Geschäftsführer, traffiQ, Frankfurt am Main (DE) Ottmar Gast Dr., Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender der Logistik- Initiative Hamburg (LIHH), Mitglied des Aufsichtsrats der Otto Group Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Detlef Zukunft Dr., Programmdirektion Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 78 Liebe Leserinnen und Leser, im kommenden Jahr werden wir uns dezidiert mit Vergangenheit beschäftigen, denn unser technisch-wissenschaftliches Magazin wird 70 Jahre alt: Ausgabe 1 mit dem Titel „Internationales Archiv für Verkehrswesen“ erschien im Mai 1949, also in Zeiten des Aufbruchs nach schwerer Zeit, und unsere „Geburtstagsausgabe“ im Mai 2019 wird einige verkehrliche Wegmarken der vergangenen sieben Jahrzehnte in Erinnerung rufen. Damals wie heute ist der Fokus von Internationales Verkehrswesen jedoch auf neue verkehrstechnische Entwicklungen und die Zukunft der Mobilität gerichtet. Das schlägt sich im kommenden Jahr in den Schwerpunktthemen nieder, die sich allesamt mit Innovation beschäftigen. So wird sich gleich die erste Ausgabe mit dem Themenbereich Transport-Innovation und den Auswirkungen verschiedener Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen auf den Transport von Personen und Waren befassen. Aspekte der Multimodalität, neue Ideen und innovative Lösungen auf Schiene, Straße und in der Luft werden wir dabei in den Blick nehmen. Internationales Verkehrswesen 1/ 2019 kommt am 19. Februar - und wie immer sind Sie als Experte herzlich eingeladen, Ihr Wissen zu diesem Themenkreis mit unseren Lesern zu teilen. Mehr dazu auf www.internationales -verkehrswesen.de/ autoren-service. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 20.-22.11.2018 Frankfurt am Main (DE) hypermotion Frankfurt 2018 Neue Plattform für intelligente Transportsysteme der Zukunft Veranstalter: Messe Frankfurt Exhibition GmbH, Frankfurt am Main Kontakt: katharina.weiss@messefrankfurt.com https: / / hypermotion-frankfurt.messefrankfurt.com 21.-22.11.2018 Solingen (DE) trolley: motion 6. internationale E-Bus-Konferenz Veranstalter: trolley: motion (gemeinnütziger Verein) Kontakt: Alexandra Scharzenberger, scharzenberger@trolleymotion.eu www.trolleymotion.eu/ konferenz-2018 27.-29.11.2018 Köln (DE) PMRExpo Europäische Leitmesse für sichere Kommunikation Veranstalter: EW Medien und Kongresse GmbH Kontakt: pmrexpo@ew-online.de www.pmrexpo.de 04.12.2018 Brussels (BE) On the way to zero-emission heavy-duty transport in Europe Conference on technological opportunities and need for action Veranstalter: International Council on Clean Transportation (ICCT) und Öko-Institut Anmeldung: Sandra Wappelhorst, zehdv@oeko.de, T. +49 (30) 847129-126 www.oeko.de 05.-06.12.2018 Hamburg (DE) VDI Konferenz „Smart Last Mile Delivery“ Veranstalter: VDI-Wissensforum Information und Anmeldung: www.vdi-wissensforum.de 05.-06.02.2019 Berlin (DE) 3. Production & Logistics Forum Die Fabrik der Zukunft Veranstalter: Institut für Produktionsmanagement (IPM), Hannover Kontakt: +49 (0) 511 473 147 90, info@ipm.ag www.productionlogisticsforum.de 19.-20.02.2019 Kalkar (DE) Trans-Log-Intermodal Fachmesse für internationalen Transport und Logistik Veranstalter: Messe Kalkar www.trans-log-kalkar.de 19.-21.02.2019 Stuttgart (DE) LogiMAT 2019 17. Internationale Fachmesse für Intralogistik-Lösungen und Prozessmanagement Veranstalter: EUROEXPO Messe- und Kongress-GmbH, München www.logimat-messe.de 08.-10.03.2019 Berlin (DE) TransporterTage 2019 Präsentations-, Verkaufs- und Nutzfahrzeugmesse Veranstalter: F.F. Peppel GmbH Information und Kontakt: transportertage-bb.de 19.-21.03.2019 Berlin (DE) Bus2Bus Fachmesse und Kongress Veranstalter: Messe Berlin GmbH www.bus2bus.berlin 26.-28.03.2019 Utrecht (NL) Rail-Tech Europe 2019 Fachmesse und Kongress Veranstalter: ProMedia Europoint BV Information und Kontakt: events.railtech.com/ europe2019 01.-05.04.2019 Hannover (DE) Hannover Messe 2019 Industriemesse mit „Motion, Drive & Automation“ und „Research & Technology“ Veranstalter: Deutsche Messe Information und Kontakt: www.hannovermesse.de TERMINE + VERANSTALTUNGEN 20.11.2018 bis 05.04.2019 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten:  Herr  Frau  Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden)  Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen.  Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de/ agb_trialogpublishers.pdf heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo als gedruckte Ausgabe als ePaper  Jahresbezugspreis Inland EUR 213,35 inkl. MwSt. und Versand  Jahresbezugspreis Ausland EUR 215,- (mit VAT-Nr.) / EUR 237,73 (ohne VAT-Nr.), inkl. 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