Internationales Verkehrswesen
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2019 | Heft 2 Mai Warum die Zukunft der Mobilität längst begonnen hat Technologie- Innovation www.internationalesverkehrswesen.de Heft 2 | Mai 2019 71. Jahrgang POLITIK Die Wege zu attraktiverem ÖPNV INFRASTRUKTUR Infrastruktur am Airport - auf Kante genäht? LOGISTIK Wie Logistiksysteme smarter werden können MOBILITÄT Digital, elektrisch, nachhaltig: Verkehr sinnvoller organisieren TECHNOLOGIE Mobilitätsbegleiter - digital und virtuell ALL YOU CAN READ Das Archiv der Zeitschrift Internationales Verkehrswesen mit ihren Vorgänger-Titeln reicht bis Ausgabe 1|1949 zurück. Sie haben ein Jahres-Abonnement? Dann steht Ihnen auch dieses Archiv zur Verfügung. Durchsuchen Sie Fach- und Wissenschaftsbeiträge ab Jahrgang 2000 nach Stichworten. Greifen Sie direkt auf die PDFs aller Ausgaben ab Jahrgang 2010 zu. Mehr darüber auf: www.internationales-verkehrswesen.de Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 4 11.11.2018 18: 32: 23 Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 3 Knut Ringat EDITORIAL Technologische Innovationen als Chance für die Mobilität W ohnen, Bildung und Mobilität sind die drei Topthemen, welche die Menschen aktuell bewegen. Neben der Sorge um eine bezahlbare Wohnung oder die geeignete Schule für die Kinder nimmt die Mobilität einen immer größeren Platz in ihrem Lebensalltag ein. Der damit einhergehende Wandel im Mobilitätsverhalten (Multi- und Intermodalität), die gestiegenen Anforderungen an Dienstleistungen sowie das stetig steigende Fahrgastaufkommen durch den vermehrten Umstieg auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), die allgemeine Bevölkerungsentwicklung und die Zunahme der Pendlerströme müssen in der Angebotsgestaltung von Verkehrsdienstleistungen berücksichtigt werden. Ein wichtiger Baustein zur Verbesserung und Weiterentwicklung des gesamten Verkehrssystems ist der Einsatz neuer Technologien. Insbesondere der ÖPNV muss sich sinnvollen Innovationen vorbehaltlos öffnen, um seiner Funktion als Rückgrat eines nachhaltigen und integrierten Mobilitätssystems der Zukunft gerecht werden zu können. Grundvoraussetzung für ein kunden- und serviceorientiertes Nahverkehrssystem ist neben Pünktlichkeit, Sicherheit und Zuverlässigkeit eben auch seine Innovationskraft. Und diese Chance müssen wir ergreifen - auch und vor allem durch Kooperationen. Viele Pilotprojekte werden deutschlandweit bereits durchgeführt: autonomes und vernetztes Fahren, Ondemand-Verkehre und mehr. Doch wir agieren häufig zu kleinteilig. Die Mobilitätsakteure müssen endlich alte Hürden überwinden und auch im Innovationsbereich zusammenarbeiten - und das zeitnah und mit umfassender Unterstützung der Politik. Dass das gelingen kann, zeigt der ÖPNV mit seiner Initiative „Mobility Inside“, einer deutschlandweiten Vernetzung der Nahverkehrsangebote auf einer intermodalen Plattform. Technologische Entwicklungen spielen eine große Rolle bei der Gestaltung eines zukunftsfähigen Verkehrssystems. Doch diese sollten keinen Selbstzweck erfüllen, sondern zielgerichtet und kundenorientiert eingesetzt werden. Denn nicht was technisch machbar, sondern nur was sinnvoll und ausgereift ist, führt zu einer Angebotsverbesserung. Technologische Innovationen müssen also Teil von intelligenten und vor allem ganzheitlichen Mobilitätskonzepten sein. Sie sind eine große Chance für die gesamte Mobilitätsbranche, wenn sie mit Mut, aber auch Augenmaß eingesetzt werden. Die vorliegende Ausgabe von Internationales Verkehrswesen beschäftigt sich mit unterschiedlichsten technologischen Entwicklungen. Das Spektrum der Themen reicht dabei von Smartphone-Apps bis hin zu digitalen Logistikketten. Bei der Lektüre der spannenden, erkenntnisreichen Beiträge wünsche ich Ihnen viel Freude. Ihr Prof. Knut Ringat Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 4 POLITIK 10 Über-Land Mit Autos den öffentlichen Verkehr im ländlichen Raum retten Anke Borcherding Andreas Knie Lisa Ruhrort 11 „Attraktiver ÖPNV braucht vor-allem ausreichende Kapazitäten“ Interview mit Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer und geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) INFRASTRUKTUR 24 Die Zukunft des Bahnverkehrs in Frankreich Perspektiven des TGV-Verkehrs nach einer geplanten Reformierung der französischen Staatsbahn SNCF Fabian Stoll Nils Nießen 30 Pavement Management- Systeme für Flugbetriebsflächen Szenarienanalyse zur Optimierung von M&R-Maßnahmen und des Investitionsvolumens Christina Pastor Brandt Ulrich Häp LOGISTIK Foto: Fabian Stoll SEITE 24 Foto: www.ipal-pallets.org SEITE 36 Foto: Stux/ pixabay.de SEITE 11 Aktuelle Themen, Termine und das umfangreiche Archiv finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de 35 Smarte Konzepte für zukunftsfähige urbane Logistik- und Verkehrssysteme Frank Straube Anna Lisa Junge 36 Digitale Begleiter sorgen-für-Transparenz in der Logistikkette Dominik Temerowski Friederike Weismann 38 Potenzial für die Luftfracht Die Bedeutung des Flughafens München für die bayerische Wirtschaft Marie-Louise Seifert Andreas Schmidt Korbinian Leitner WISSENSCHAFT 42 Autonome Kleinstfahrzeuge integrieren Kooperatives Steuerverfahren zur Integration kleiner mobiler Roboter in den verkehrssicheren und qualitätsoptimierten Verkehrsablauf und Implementierung in einer Laborumgebung Christian Wille Sten Ruppe Daniel Wesemeyer Hermann Neuner EXTRA 70 Jahre Internationales Verkehrswesen 18 70 Jahre IV - eine Bestandsaufnahme Ein historischer Rückblick Eberhard Buhl 20 Bewegte Zeiten Unverständliches, Unsinniges und Notwendiges in der Mobilitätspolitik Gerd Aberle 22 Neue Zeiten - neue Herausforderungen Drei Jahrzehnte und ein Blick nach vorn Christine Ziegler 14 Drohnen im deutschen Luftraum: Chancen, Herausforderungen, Regulierungsbedarf Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur 16 Wie vermeiden wir den Mobilitätswandel mit der Brechstange? Standpunkt Dirk O. Evenson Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 5 INHALT Mai 2019 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 17 Bericht aus Brüssel 91 Forum Veranstaltungen 93 Impressum | Gremien 94 Vorschau | Termine AUSGABE 3 | 2019 Innovative Antriebstechnologie - Verbrenner und E-Motor - (Alternative) Treibstoffe - Ressourcen erscheint am 5. September 2019 76 Augmented Reality in der Mobilität - zukunftsfähig? Status zur Gebrauchstauglichkeit und Akzeptanz aus dem Forschungsprojekt RadAR+ Nicole Wagner Benjamin Kolbe WISSENSCHAFT 82 Methodik zur Erstellung robuster Airline-Schedules Umlauf- und Abflugplanung von Flugzeugen zur Verminderung von Sekundärverspätungen Katrin Kölker Marius Radde Eva Lang Klaus Lütjens Judith Semar Volker Gollnick 86 Smartphone-Applikation als Mobilitätsbegleiter Möglichkeiten und Grenzen von-Smartphone-Applikationen zur Unterstützung von Nicht- Routine-Wegen Marcel Kalisch Bernhard Rüger Helmut Lemmerer INTERNATIONAL TRANSPORTATION Mobility Solutions - Best Practice - City Solutions - Automation - Electrification Release Date: 4 June 2019 www.international-transportation.com Foto: traffiQ SEITE 54 Quelle: Fraunhofer IML SEITE 76 46 Kurzfristiger Schienenersatzverkehr besser organisiert Digitalisierung des Organisationsprozesses von Busnotverkehren Alina Steindl Uwe Clausen 49 Verkehr und seine Umweltwirkungen Szenarien für Deutschland 2040 Stefan Seum Christian Winkler Tobias Kuhnimhof Simone Ehrenberger 54 Elektrifizierung des städtischen Busverkehrs - Das Frankfurter Konzept Tom Reinhold Tobias Schreiber Christian Wagner 59 MaaS in Deutschland Ausblick und Implikationen für den öffentlichen Verkehr Marc Hasselwander 64 Shared Mobility Kollaborative Mobilitätsservices europäischer Städte im Vergleich Jonathan Suter Jan Maurer Marco Mayer 68 Nachhaltige Mobilität an ländlichen Hochschulen Fabian Wagner Jochen Baier Anton Karle MOBILITÄT 72 Mobilitätsmonitor Nr. 8 - Mai-2019 Christian Scherf Lisa Ruhrort Maximilian Bischof Lena Damrau Andreas Knie Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 6 IM FOKUS Testfeld für autonome Binnenschiffe geplant K leine, flexible Binnenschiffe, die miteinander kommunizieren, ihre Routen selbst berechnen und ihre Ladung eigenständig auf- und abladen können - und das ganz ohne Kapitän. So sehen Fachleute die Zukunft des vernetzten Güterverkehrs auf dem Wasser. Als ersten Schritt plant das DLR-Institut für Kommunikation und Navigation in Neustrelitz zusammen mit Industriepartner und Bund die Einrichtung eines digitalen Testfelds für Binnenschiffe an der Spree-Oder-Wasserstraße in Brandenburg zwischen den Häfen Königs Wusterhausen und Eisenhüttenstadt. Der Aufbau soll ab 2020 beginnen. Aktuell arbeiten die Forscher an einer Technik, mit der das Schiff automatisch in eine Schleuse ein- und ausfahren kann, ohne dass der Kapitän eingreifen muss. Solche oder ähnliche Technologien könnten in Zukunft auf dem Testfeld untersucht werden. Hierbei wird die Navigation unter Nutzung von globalen Satelliten-Navigationssystemen wie Galileo eine wichtige Rolle spielen. Aufbauend auf den gewonnenen Erkenntnissen sollen zukünftig auch komplett autonom fahrende Binnenschiffe auf dem Testfeld unterwegs sein. Darüber hinaus möchten die Wissenschaftler erforschen, an welchen Stellen Schiffe in etablierten Gütertransportketten eingesetzt werden können, um durch den Transport über Wasserstraßen überfüllte Straßen und Autobahnen vom LKW-Verkehr zu entlasten. Die Spree-Oder-Wasserstraße ist ein idealer Ort für das Testfeld. Hier herrscht wenig Binnenschiffsverkehr und damit eine geringe Kollisionsgefahr mit Gefahrguttransporten. Außerdem befindet es sich im Einzugsgebiet der Hauptstadt, und die Strecke verfügt über wichtige Infrastrukturen wie Häfen und Schleusen. Neben dem DLR sind auch der Hafen Königs Wusterhausen, der Hafen Eisenhüttenstadt, der Bundesverband öffentlicher Binnenhäfen e.V., die Alberding GmbH sowie die HPC Hamburg Port Consulting an dem Projekt beteiligt. www.dlr.de/ kn Quelle: DLR On-Demand-Ridepooling bald im Landkreis Hof I m Landkreis Hof soll ab Sommer 2019 innovative Mobilität auf 120 km 2 Fläche für eine neue Qualität des Öffentlichen Nahverkehrs im ländlichen Raum sorgen. In Rehau und Regnitzlosau wird durch Zusammenarbeit von Landkreis Hof und der Logistik Agentur Oberfranken sowie der ILE Dreiländereck bald von Montag bis Sonntag von 6 bis 24 Uhr der Bus digital per App bestellt. Auf Basis der Software von door2door ist der Kunde dann nicht mehr an feste Haltestellen gebunden. Ihm werden stattdessen über 200 virtuelle Haltestellen für den Ein- und Ausstieg angeboten. Die Technologie von door2door kalkuliert die optimalen Fahrtwege und den besten Einsatz der Flotte, so dass Fahrgäste, die eine ähnliche Route haben, sich die Fahrten teilen. Auch in München, Duisburg und Freyung arbeiten die regionalen Kommunen und Verkehrsunternehmen mithilfe von von door2door erfolgreich an neuen kundenzentrierten Mobilitätsformen. Der Service etabliert damit im Rahmen des öffentlichen Nahverkehrs ein bedarfsgerechtes Angebot digitaler Bedarfsverkehre in ländlichen Gebieten. Perspektivisch soll das neue Mobilitätskonzept nach der Pilotphase auf den ganzen Landkreis Hof ausgedehnt werden. www.door2door.io Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 7 IM FOKUS Grafik: DLR DLR/ NASA-Design Challenge: Kleine Fluggeräte im Regionalflugverkehr R adikal den Energieverbrauch eines Flugzeugs senken - wie das geht, zeigte im vergangenen Jahr ein vierköpfiges Team Studierender aus München mit dem Entwurf „The ,eRay‘ Aircraft Concept“ bei der DLR/ NASA-Design Challenge. Der länderübergreifende Wettbewerb geht 2019 in die dritte Runde. Diesmal stehen Luftfahrzeugentwürfe und Konzepte für die Verkehrsanbindung abgelegener Regionen mit kleinem Fluggerät im Mittelpunkt. Diese sollen sich durch eine hohe Wirtschaftlichkeit auszeichnen und dafür neben Passagierflügen mit Pilot auch nächtliche unbemannte Frachtflüge möglich machen. Die Aufgabe stellt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit der NASA Studierenden in Deutschland und den USA. Zum Auftakt trafen sich die deutschen Teilnehmer aus fünf Hochschulen am 12. April 2019 am DLR-Standort Braunschweig. Bis Ende Juni haben die Teilnehmer nun Zeit, ihre Wettbewerbsvorschläge zu erstellen. Die deutschen Gewinner reisen im Herbst zur amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde. Dort werden sie ihre Arbeit neben den amerikanischen Siegern des Wettbewerbs präsentieren. Weltweit gibt es abgelegene Regionen, die nur über den Luftweg effektiv angebunden sind. Hier rücken kleine Luftfahrzeuge mit möglichst geringen Fix- und Betriebskosten und flexibler Einsetzbarkeit zwischen Passagier- und Frachttransport in den Fokus, um auch bei geringem Passagieraufkommen einen möglichst wirtschaftlichen und zugleich umweltfreundlichen Betrieb zu ermöglichen. Im Wettbewerb sind dafür revolutionär neue Technologie-Ideen gefragt, von Flugzeugentwürfen bis hin zu unbemannten Betriebsszenarien. www.dlr.de Bolivien: Weltgrößtes urbanes Seilbahnnetz vervollständigt D ie zehnte Linie im größten urbanen Seilbahnnetz der Welt, die Línea Plateada (silber), ist seit 9. März 2019 in Betrieb. Das nun rund 33 Kilometer umfassende Netz besteht aus kuppelbaren Gondelbahnen und ist das Hauptverkehrsmittel der zusammengewachsenen Metropolen La Paz und El Alto in Bolivien. Die Línea Plateada ist ein wichtiges Element für die städtische Infrastruktur beider Städte: Mit der Verbindung der Linien Roja, Azul, Morada und Amarilla schließt sie das letzte Segment des Seilbahnrings. Damit sind nun alle Linien vernetzt. In modernen Kabinen für jeweils zehn Fahrgäste schweben bis zu 3.000 Personen pro Stunde von der Station „16 de Julio“ bis nach „Mirador“ und zurück. Die neue Linie führt über die Zwischenstation „Faro Murillo“ - das mit 10.000 m 2 Gesamtfläche größte Stationsgebäude im Seilbahnnetz. Hier können die Passagiere auf die im September 2018 eröffnete Línea Morada umsteigen. Seit der Eröffnung der ersten Seilbahn im Mai 2014 wurden bis heute fast 200 Millionen Fahrgäste transportiert. Täglich nutzen rund 300.000 Menschen das Verkehrsmittel des Betreiber Mi Teleférico - ein Referenzbeispiel für den Einsatz von Seilbahnen als öffentliches Verkehrsmittel im urbanen Raum. www.doppelmayr.com Foto: Doppelmayr Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 8 IM FOKUS Neue Zufahrtskontrollsysteme für Dauerparksysteme und-bezahltes Parken A usreichend Parkmöglichkeiten sind ein wichtiger Baustein innerstädtischer Infrastrukturen. Hörmann bietet nun für die Ein- und Ausfahrregelung neue Schranken, Ein- und Ausfahrstationen und Kassenautomaten in unterschiedlichen Größen und Ausführungen. Sie können von kleinen Parkplätzen bis hin zu großen Parkhäusern Durchfahrten bis zu einer Sperrbreite von 10,5 m absichern und sind als Flach-, Rund- und Achtkantbaum oder als Knickbaum- Schranke erhältlich. Die Öffnung ist mit verschiedenen Bedienelementen und Ausweismedien wie Handsender, Nummernschild-Erkennung oder Induktionsschleife, diversen Transponderkarten oder dem Smartphone möglich. Ein Vandalismusschutz sorgt dafür, dass die Schranken bei unrechtmäßiger Bedienung, beispielsweise gewaltsamem Hochdrücken, nicht beschädigt werden. Die Verwaltung ist über ein per LAN oder WLAN angebundenes Ausweismanagementsystem möglich. Besonders flexibel und ortsungebunden lassen sich die Schrankenanlagen und Parksysteme optional per Web-Server verwalten. Damit kann auf das Parkplatzsystem weltweit zugegriffen werden und Störungen somit ortsunabhängig und schnell analysiert werden. www.hoermann.de Foto: Hörmann Nutzfahrzeuge mittels Umrüstkit elektrifizieren S teigende Emissionswerte in den Innenstädten setzen die Betreiber unter Zugzwang: Die Dieselbusse müssen raus aus der Stadt. Viele Kommunen suchen daher den Einstieg in die Elektromobilität. Bestehende Busflotten komplett gegen neue Elektrofahrzeuge auszutauschen ist jedoch erheblich teurer als ein konventioneller Dieselbus. Zudem sind Neufahrzeuge derzeit auf dem Markt nur in geringen Stückzahlen verfügbar. Der Spezialist für Fahrzeugentwicklung und Systemintegration in-tech hat unter dem Namen „e-troFit“ ein professionelles Umrüstkit für die Nachrüstung vorhandener Niederflurbusse entwickelt. Eine solche Umrüstlösung soll bis zu 50 % günstiger als ein Neufahrzeug sein. Der neue Antriebsstrang im e-troFit- Konzept ist als vollständige Substitution des alten Antriebs konzipiert: Alle Funktionen werden von ihren neuen elektrischen Pendants übernommen. Nach der Entfernung des Dieselmotors und dessen Getriebe und Abgasanlage werden ebenso die Nebenaggregate wie Klimaanlage, Luftkompressor, Pumpen und Kühler ausgebaut. Je nach Fahrzeugtyp werden anschließend der Energiespeicher, Antrieb und elektrische Nebenaggregate integriert. Da durch das Bestandsfahrzeug Schnittstellen sowie Anforderungen bereits definiert sind, muss durch einen modularen Ansatz sichergestellt werden, dass Inkompatibilitäten vermieden werden oder dass durch die Parametrierbarkeit von Komponenten die Kompatibilität hergestellt werden kann. Neben den niedrigeren Anschaffungskosten hat eine Umrüstung auch noch weitere positive Aspekte, denn die Lebensdauer bestehender Fahrzeuge verlängert sich. Verschleißanfällige Antriebskomponenten werden im Rahmen der Umrüstung ersetzt, und dank der Aufbereitung und Modernisierung des Fahrgastraumes wird ein nachhaltiger „Second use“ des Fahrzeugs als Elektrobus möglich. Zum anderen wirkt die Umrüstung auch positiv auf ökologische und ökonomische Faktoren: Durch die Entfernung eines dieselgetriebenen Nutzfahrzeugs aus der globalen Ökobilanz entsteht ein größerer Vorteil im Vergleich zur Anschaffung eines elektrischen Neufahrzeugs. www.in-tech.com Foto: in-tech Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 9 IM FOKUS Digitale Fahrradabstellanlagen D er Radverkehrsanteil in Deutschland am Gesamtverkehr ist bundesweit auf 11 % gestiegen, in den Großstädten sogar auf durchschnittlich 15 %, wie Ergebnisse der Mobilitätsstudie „Mobilität in Deutschland (MiD)“ zeigen. Nicht nur im „Fahrrad- Vorzeigeland“ Holland, auch in deutschen Städten ist der Ausbau des Radverkehrs zur besonderen Aufgabe geworden. Besonders sinnvoll ist die Verknüpfung des Radverkehrs mit dem öffentlichen Nahverkehr, etwa wenn Pendler zum Bahnhaltepunkt radeln oder am Endpunkt in die Innenstädte fahren möchten. Da zugleich die Fahrräder - vor allem solche mit elektrischer Unterstützung - immer kostspieliger werden und als Prestige-Objekte den PKW ablösen, sind zunehmend sichere Abstellmöglichkeiten gefragt. Kein Radler möchte sein - nach aktuellen Hochrechnungen durchschnittlich 1.272 EUR teures - Pedelec tagsüber offen am Bahnhof stehen lassen, und abends sollte möglichst auch der Akku wieder voll aufgeladen sein. Das Projekt „DeinRadschloss“ hat im Ruhrgebiet bereits knapp 1.000 digitale Fahrrad-Abstellanlagen in Betrieb. Die Erfahrungen und Ergebnisse der Nutzungsstatistiken erlauben Voraussagen für die Planung künftiger Abstellanlagen: Digitale sichere Fahrradabstellanlagen benötigen einen einfachen Zugang, buchbar für jedermann und zu jeder Zeit. Nach Auswahl und Bezahlen des Stellplatzes wird an der Anlage mit dem geeigneten Zugangsmedium die Tür zum Stellplatz geöffnet. Die Berechtigung dazu kann per Mobilfunk oder „offline“ über eine Registrierung mittels Zahlencode übermittelt werden. Auch RFID-Karten können als Zugangsmedium genutzt werden. Verschiedene Anlagentypen wie einstöckige und zweistöckige Einzel-Boxen bis 40 Stellplätze je Standort, Sammelgaragen mit 20 bis 80 Gruppenstellplätzen und auch Großanlagen mit über 200 Stellplätzen sind verfügbar. www.dein-radschloss.de www.kienzler.com Foto: Kienzler Stadtmobiliar GmbH Power to Liquid-Anlage im industriellen Maßstab geplant I m Rahmen einer Absichtserklärung haben sich mehrere Partner aus Industrie und Forschung darauf verständigt, unter dem Titel GreenPower2Jet (GP2J) einen Förderantrag zum Bau einer industriellen Demonstrationsanlage zu stellen und gemeinsame Forschung zu betreiben. Ziel des Projektes ist es, nach einem erfolgreichen Pre- Engineering eine industrielle Power to Liquid-Anlage (PtL) zu bauen, die vor allem nachhaltige synthetische Kohlenwasserstoffe für die Produktion grüner, klimaneutraler Flugkraftstoffe liefert. Ein Schlüssel zum Erfolg der Mobilität von morgen können im Straßenverkehr unter anderem elektrische Antriebsformen sein, sofern diese mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Im Flugverkehr jedoch lassen sich Triebwerke und Kerosin nicht so einfach durch Elektromotoren und Batterien ersetzen. Deshalb steht die Produktion nachhaltiger Flugtreibstoffe im Fokus des aktuellen Engagements des neuen GP2J- Konsortiums. Damit Treibhausgas-Emissionen in der Luftfahrt trotz des vorhersehbaren Wachstums nachhaltig reduziert werden können, muss Kerosin auf Basis der PtL-Technik breit in den Markt eingeführt werden. Dabei beschreibt PtL (Power-to-Liquid) unterschiedliche technische Prozesse, die die nachhaltige Herstellung flüssiger Kraftstoffe zum Ziel haben. Das geschieht durch den Einsatz „grüner“ elektrischer Energie, die wesentlich zur Senkung von Treibhausgas-Emissionen beiträgt, da sie aus der Nutzung regenerativer Energiequellen stammt. Im Idealfall kann so klimaneutrales Kerosin produziert werden. Zum Konsortium gehören neben der TUHH als Projektkoordinator auch Airbus, BP, Air BP, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Dow und Hoyer Logistik sowie als potenzielle Abnehmer für den produzierten Kraftstoff DHL, easyJet unterstützt durch den Flughafen Hamburg, GDH Transport und Containerlogistik sowie die Flotte Hamburg. Geplant ist, die Projektidee über eine Förderdauer von fünf Jahren zu verwirklichen. www.tuhh.de | www.aireg.de Foto: AvantgardeConcept/ Unsplash POLITIK Ländliche Mobilität Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 10 Über-Land Mit Autos den öffentlichen Verkehr im ländlichen Raum retten Mitfahrkonzept, Öffentlicher Verkehr, Mobilitätsangebot Ob eine Verkehrswende gelingt, entscheidet sich in den ländlichen Räumen. Denn diese machen in Deutschland mehr als 60 Prozent der Fläche aus, und die Zahl der zugelassenen PKW übersteigt bereits die 700er Marke. Während in den Städten das eigene Auto im Durchschnitt nur noch bei einem Drittel der Wege beteiligt ist, in Großstädten sind es sogar nur noch 25 Prozent, fehlen auf dem Land Alternativen. Anke Borcherding, Andreas Knie, Lisa Ruhrort D as Auto ist das Maß der Dinge, praktisch für alle Wege. Der öffentliche Verkehr ist jenseits von Agglomerationsgebieten und Zubringerfunktionen kaum noch existent. Rund 90 Prozent der Fahrgäste auf dem Land sind Schüler und Auszubildende. Alle bisherigen Reformvorschläge, durch eine Flexibilisierung von Busangeboten („Rufbusse“) oder sogar Carsharing eine Umkehrung der Tendenz zu schaffen, sind fehlgeschlagen. Zwar existieren informelle Mitfahrangebote und Mitfahrzentralen, neuerdings sogar Mitfahrbänke, aber ein professionelles Angebot jenseits des privaten Autos gibt es nicht. Dies hat auch seinen Grund: das Personenbeförderungsgesetz. Die aus den 30er Jahren stammende Regelung ist so etwas wie das Grundgesetz für die Organisation des Verkehrs. Grundsatz Nummer 1: Der gewerbliche Transport von Menschen bedarf einer besonderen Genehmigung. Dies kommt daher, dass der Staat in der Vergangenheit nicht nur den Besitz von privaten Automobilen mit vielen Freiheiten und Förderungen unterstützt hat, sondern auch denjenigen eine Chance einräumen wollte, die nicht selbst fahren konnten. Dafür waren Busse und Bahnen und gelegentlich Taxis gedacht. Die letzteren werden vom Staat entweder direkt durch Zuwendungen unterstützt - man nennt dies gemeinwirtschaftlicher Verkehr - oder es werden Schutzrechte eingeräumt wie bei den Taxis, die einen eigenwirtschaftlichen Betrieb ermöglich. Die Autogesellschaft war in Deutschland auch rechtlich aus einem Guss. Man kann daher gut nachvollziehen, dass Ideen wie die des amerikanischen Plattformanbieters Uber, jeder kann jeden gegen ein Entgelt mitnehmen, in Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes keinen Platz hatten. Aber haben Uber und die anderen Plattformbetreiber nicht doch den zeitgemäßeren Ansatz? Denn es ist doch nahezu paradox, dass jeden Tag Millionen Fahrzeuge unterwegs sind, in denen mindestens drei Plätze frei bleiben. Bereits vorhandene Kapazitäten besser zu nutzen und mit digitalen Zugängen neu zu vermarkten, scheint bei Lichte betrachtet überhaupt der Ausweg aus der Verkehrsmisere zu sein. Man muss das ja nicht gleich wie Uber tun. Man stelle sich folgendes deutsche Szenario vor: Ein öffentliches Verkehrsunternehmen bietet diesen neuen Dienst an: Menschen können bei dem Unternehmen, das sie bisher nur als Busanbieter kannten, elektrische Autos mieten. Bezahlt wird eine monatliche Mietrate, die man aber absenken kann, wenn man im Auftrag des Unternehmens andere Menschen gegen Entgelt mitnimmt. Vereinbart wird 1 EUR/ km, dazu gibt es noch Gruppenrabatt. Mit den Taxis verständigt man sich, dass die Fahrten erst nach 19 Uhr angeboten werden, und mit dem Verkehrsunternehmen legt man grundsätzlich das Bediengebiet fest, nämlich dort, wo sich Busangebote nicht lohnen. Pro Monat - auch das ist festgelegt - sind nur maximal 450 EUR an Zusatzverdienst möglich. Nicht möglich? Doch. Im Wartburgkreis hat die dortige Genehmigungsbehörde dem antragstellenden Verkehrsunternehmen „Wartburgmobil“, unterstützt durch das Land Thüringen, erstmals in Deutschland eine solche Genehmigung erteilt. Grundlage ist der Paragraph 2 Absatz 7, die sogenannte Experimentierklausel, die eine solche Ausnahme möglich macht. Vorausgegangen war ein monatelanger Interessenabgleich auf der Basis des gemeinsamen Willens, die bisher geltenden Rechtsgrundlagen als nicht mehr zeitgemäß zu betrachten. Der Bedarf an individueller Mobilität wird sich schwerlich zurückdrängen und kaum mehr in Form von Buslinien abbilden lassen, die zu Zeiten fahren, wo keiner kann und zu Orten, wo keiner hin will. Umgekehrt kann auch der weitere Aufwuchs von Verbrennungskraftfahrzeugen keine Perspektive bieten. Es ist daher Zeit, die technischen Optionen des mobilen Internets zu nutzen und den aus der Zeit gefallenen Rechtsrahmen daraufhin anzupassen. Der Versuch startet unter dem Namen „Wartburgmobil Carla“ im Mai 2019. Wenn es nicht klappt, wird bald keiner mehr darüber reden. Er könnte aber auch wie schon das Erneuerbare Energien-Gesetz 1998 zunächst völlig unbemerkt, langsam, aber sicher und praktisch auch als Idee unumkehrbar den gesamten Verkehr auf dem Land ändern. Ohne Uber wären solche Reformen in Deutschland nicht vorstellbar gewesen. Ohne eine Grenzüberschreitung bestehender Regeln kommt keine Bewegung ins System, wird keine Phantasie freigesetzt. Allerdings funktioniert eine auf Dauer gestellte Überschreitung in Deutschland auch nicht. Dazu braucht es wieder - aber diesmal veränderte - Regeln. ■ LITERATUR: Canzler, W.; Knie, A.; Ruhrort, R., Scherf. C.: Erloschene Liebe zum Automobil? Bielefeld 2018 Andreas Knie, Prof. Dr. Leitung der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik, WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH andreas.knie@wzb.eu Lisa Ruhrort, Dr. (des) Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik, WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH lisa.ruhrort@wzb.eu Anke Borcherding Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik, WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH anke.borcherding@wzb.eu Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 11 Interview POLITIK „Attraktiver ÖPNV braucht-vor allem ausreichende Kapazitäten“ Der ÖPNV ist Rückgrat der Mobilität, scheint aber (wieder einmal) in einer Krise zu stecken: wachsender Zuspruch in Ballungsgebieten, dabei jedoch hohe Auslastung, hohe Kosten und ein unübersehbarer Investitionsstau. Wie ist unter diesen Vorzeichen eine Verkehrswende zu schaffen? Fragen an Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer und geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Herr Wolff, die klimafreundliche Mobilität der Zukunft braucht, da sind sich alle Experten einig, guten Öffentlichen Verkehr und vor allem starken, weil meist elektrischen Schienenverkehr. Wie aber bringt man mehr Menschen in die Öffentlichen? Durch konsequente Verbesserung und Qualitätssteigerung des Angebots. Da unterscheidet sich der ÖPNV nicht von anderen Dienstleistungen: Wenn man das in Summe attraktivste Produkt anbietet, dann nutzen das auch die meisten Kundinnen und Kunden. Was attraktiv ist und was nicht, entscheiden die Kunden im Übrigen sehr individuell und eigenständig. Ein nicht so ausgereiftes Produkt durch viel Marketingbudget als gut verkaufen zu wollen, funktioniert deshalb auf Dauer nicht. Diese Erfahrungen machen gerade einige Ridesharing-Dienste in den USA. Im Übrigen stimme ich Ihnen bezüglich der Aussage, dass man vor allem starken Schienenverkehr für eine klimafreundliche Mobilität braucht, nur bedingt zu. Im ÖPNV, der ja per se wesentlich klimafreundlicher als jeder andere motorisierte Verkehrsträger ist, braucht es auch einen modernen, leistungsfähigen Busverkehr. Vor allem, wenn man jetzt in den belasteten Städten den Verkehr vom PKW hin zum Nahverkehr verlagern muss. Das geht kurzfristig zunächst mal über zusätzliche Kapazitäten beim Bus. Und damit wären wir beim entscheidenden Punkt: Ein guter, attraktiver und leistungsfähiger ÖPNV braucht vor allem ausreichende Kapazitäten, um möglichst viele Menschen schnell und komfortabel zu befördern. Daran krankt unser aktuelles Angebot zurzeit am meisten. Wir müssen dringend in den Infrastrukturausbau und in die Erneuerung der ÖPNV-Systeme investieren. Sehen Sie die deutsche Alltagsgesellschaft schon bereit für eine Verkehrswende? Das ist keine Frage, die sich allein auf Deutschland konzentriert, sondern eine weltweite Herausforderung, die sehr schnell gelöst werden muss. Der Mobilitätswandel ist ja kein Selbstzweck. Dabei geht es um die notwendigen Maßnahmen, die der Verkehrssektor ergreifen muss, um seinen Beitrag zur Erreichung weltweiter Klimaschutzziele zu leisten. Und wenn man sich dann anguckt, dass der Verkehr vor allem auch hierzulande bzgl. Emissionsminderung weit hinter dem zurückbleibt, was er eigentlich an Einsparungen bringen müsste, dann wird klar, was wir alle gemeinsam bis 2030 für große Anstrengungen unternehmen müssen, um das Sektorziel noch zu erreichen. Das ist keine Frage des Ob, sondern des Wie. Und dabei sind alle Akteure aufgefordert, ihren Beitrag für mehr umweltfreundliche Mobilität bei weniger Verkehr zu leisten. Vorrangschaltungen für Busse und Bahnen an Innenstadt-Kreuzungen dürften dazu kaum ausreichen. Was also können etwa Kommunen konkret tun, um den ÖV attraktiver zu machen? Wir sollten wegen der globalen Dimension, die das Thema hat, nicht den Fehler machen, zu sehr in Einzelverantwortlichkeiten zu denken. Der notwendige Wandel im Verkehrssektor betrifft alle Ebenen. Und zwar über kommunale Grenzen, Landesgrenzen und - im Fall des Güterverkehrs - sogar über Bundesgrenzen hinaus. Deshalb sollte zunächst mal der Bund klar und deutlich die wesentliche Richtung einer neuen Mobilität vorgeben. Da ist man ja mit der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität gemeinsam mit allen Partnern auf dem Weg. Dort sitzen auch die kommunalen Spitzenverbände und wir mit in den entscheidenden Arbeitsgruppen. Und dort muss es unserer Meinung nach die entscheidenden Festlegungen geben, wohin und wie sich der Verkehrssektor auf allen Ebenen wandeln muss. Das hat dann natürlich auch Auswirkungen auf die Entscheidungen und Planungen in den Kommunen. Denn das größte Verkehrsaufkommen findet tagtäglich vor Ort in den Städten und Gemein- Foto: VDV POLITIK Interview Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 12 den statt. Und deshalb ist die Emissionsbelastung durch Verkehr dort auch am höchsten. Ich erlebe in vielen Gesprächen, dass die Verantwortlichen in den Kommunen und bei den Verkehrsunternehmen deshalb auch hochsensibilisiert sind und an unterschiedlichsten Projekten und Maßnahmen arbeiten, um die Situation für die unmittelbar betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Aber das geht am Ende nur im Zusammenspiel aller politischen und unternehmerischen Ebenen. Welche Konzepte dabei vor Ort am besten geeignet sind, das lässt sich pauschal nicht beantworten, da die Verkehrssituationen und Belastungen sehr unterschiedlich sind. Es braucht deshalb ein Paket verschiedener Maßnahmen, aus denen man je nach Situation wählen kann. Wo ist in diesem Umfeld die neue Mobilitätsplattform „Mobility inside“ zu verorten - was sind hier die Kernthemen? Die Kernaufgabe ist es, hinter den Systemen der Verkehrsunternehmen für den Austausch von Fahrplan, Echtzeit und Tarifdaten zu sorgen. Damit wird die Branche endlich in die Lage versetzt, dem Kunden ÖPNV umfassend anzubieten. Die ÖPNV-Branche, die heute über 20 Millionen Kunden tagtäglich befördert und darüber hinaus übrigens um ein Vielfaches zu Verkehrsverbindungen angefragt wird, hat wie kaum eine andere Branche das Zeug, als digitale Plattform erfolgreich zu sein. Plattformen, die auf den Markt kommen, brauchen ein Konzept, um Kunden zu gewinnen. Der ÖPNV hat diese Kunden bereits und kann sich deshalb mit der Aufgabe befassen, das Produkt zugänglicher zu machen und mithilfe der Digitalisierung drastisch zu verbessern. Wenn man dies als Aufgabe begreift und in die Details einsteigt, dann wird klar, dass eine solche Lösung nicht von heute auf morgen realisierbar ist. Wir haben eine sehr heterogene Tarifwelt im ÖPNV, die es gilt digital nutzbar zu machen. Digitale Tarife müssen darüber hinaus kontrolliert werden können. Echtzeitdaten stehen nur dann zur Verfügung, wenn jedes einzelne Fahrzeug seinen Standort sendet, und eine dynamische Reiseroute kann nur mit hohen Anforderungen an die genannten Systeme und Router angeboten werden. Eine solche Plattform aufzubauen, ist also kein Kinderspiel. Das Zeug dazu hat Mobility inside und mit all diesem Knowhow - davon sind die Gründungsgesellschafter überzeugt - wird man eine führende Rolle unter den Mobilitätsplattformen einnehmen. Wie lässt sich die „Mobility inside“-Idee in die Praxis umsetzen - genauer gefragt: Wann gibt es erste Projekte? Die Arbeiten zu Mobility inside laufen seit geraumer Zeit. Zu vielen Themen sind im Hintergrund bereits Projekte gestartet. Die Gründung einer Gesellschaft für die Plattform ist mit kommunalen Unternehmen ungleich schwieriger, als wenn Private dies tun wollen, weil die Abstimmungsprozesse mit Kommunen und Aufsichtsbehörden langwierig sind und der konsortiale Ansatz zwischen regional tätigen Unternehmen in einem überregionalen Gesellschaftskonstrukt eine Herausforderung darstellt, die jetzt aber gelöst ist. Erste Projekte gibt es mit dem Piloten, an dem aktuell die Deutsche Bahn, der Rhein-Main-Verkehrsverbund sowie die Münchner Verkehrsgesellschaft mit den Münchner Stadtwerken arbeiten. Dieser Pilot, der Mitte des Jahres bzw. zur VDV-Jahrestagung vom 17. bis 19. Juni 2019 in Mannheim fertiggestellt sein wird, ist der erste Schritt in Richtung der Vernetzung insgesamt. Die drei Unternehmen erstellen den Piloten mit gleichzeitigem Anschluss der übrigen Verkehrsunternehmen, nämlich der BOGESTRA, DSW21, Donau- Iller-Nahverkehrsverbund, Leipziger Verkehrsbetriebe, AVG in Karlsruhe sowie dem Rhein-Neckar-Verkehr und den Stuttgarter Straßenbahnen. Hiervon ausgehend wird der gesamte ÖPNV-Warenkorb dieser Akteure zum Ende des Jahres vollständig verfügbar sein. Gerade in Städten und Ballungsräumen mit kontinuierlich wachsenden Fahrgastzahlen scheint multimodale Mobilität durch Sharing-Angebote im öffentlichen Verkehr wichtiger zu werden. Entsteht hier gerade ein Parallel-Markt zu kommunalen Verkehrsunternehmen? Nein, eher eine sinnvolle Ergänzung. Sharing ist ja im Verkehrsbereich nicht neu, sondern wird seit Jahrzehnten vor allem durch öffentliche Verkehrsmittel erfolgreich betrieben. Busse und Bahnen sind, wenn man so will, die größten Sharing-Fahrzeuge, die man sich vorstellen kann. Und sie befördern sehr viele Menschen professionell, schnell und umweltfreundlich von A nach B. Eine ausschließlich mit PKWs betriebener Sharing-Dienst kann niemals ganze Bus- oder Bahnlinien ersetzen. Zumindest nicht dort, wo viele Kundinnen und Kunden gleichzeitig fahren wollen. Aber er kann das ÖPNV-Angebot an verschiedenen Stellen sinnvoll ergänzen. Und das passiert ja auch schon in vielen Städten und Regionen in Kooperation mit den Verkehrsunternehmen und Verbünden. Ein weiterer Trend sind On-Demand-Angebote, bei denen ohne festen Fahrplan per App bestellt und gebucht wird. Projekte mit Verkehrsunternehmen und neuen Mobilitätsanbietern laufen ja in einigen Städten. Können diese Angebote wirklich nennenswerte Vorteile bringen? Nicht alles, was durch Marketing gut klingt, ist am Ende auch wirksam oder hilfreich. Der reinen Logik nach müssten die neuen Dienste bzw. deren Anbieter, wenn es ihnen wirklich um eine Reduzierung des PKW-Verkehrs ginge, ihre Angebote zunächst mal außerhalb der Großstädte und Ballungsräume einführen. Denn in den verkehrlich hochverdichteten Städten mit gutem ÖPNV und vielen weiteren Verkehrsangeboten braucht es eigentlich nicht noch zusätzliche Dienste, die am Ende - und das zeigen uns ja gerade die aktuellen Studien aus den USA - noch mehr Fahrzeuge und Verkehr auf die ohnehin überlasteten Straßen bringen. Doch stattdessen drängen diese Anbieter genau dorthin, wo schon heute verkehrlich am meisten los ist. Das zeigt, dass es ihnen natürlich in erster Linie um kommerziellen Erfolg geht. Das ist legitim und nachvollziehbar, hilft aber nicht, die Verkehrsprobleme in den Städten und Ballungsräumen zu lösen, sondern verschärft die Situation zusätzlich, weil die Pooling-Versprechen dieser Unternehmen in der Realität nicht eingehalten werden. Die sich momentan in Deutschland entwickelnden On-Demand-Angebote funktionieren dort am besten, wo sie in Kooperation mit dem jeweiligen ÖPNV-Unternehmen ihre Dienste anbieten. Diese Kooperation und Integration in den öffentlichen Verkehr scheint zumindest nach jetziger Kenntnis der erfolgversprechende Weg zu sein. Viele ländliche Gebiete sind gegenüber Städten und Ballungsräumen regelrecht abgehängt. Sehen Sie Überland-Projekte nach dem „Karlsruher Modell“ hier als zukunftsweisende Lösung? Es stimmt, dass wir die Verkehrswende momentan fast ausschließlich aus dem Blickwinkel städtischer Mobilität diskutieren. Das ist einerseits nachvollziehbar, denn die größten Probleme mit Emissionen bis hin zu Fahrverboten gibt es nun mal in den Großstädten und Ballungsräumen. Aber andererseits wäre es zu kurz gesprungen, wenn Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehrssektor an Stadtgrenzen enden würden. Denn gerade außerhalb dieser Räume sind die Menschen aufgrund fehlender Alternativen sehr stark auf den eigenen PKW angewiesen. Wenn wir aber wirklich einen Wandel im Verkehr hinbekommen wollen, dann müssen auch den Bürgern in ländlichen Regionen echte Alternativen zum Auto anbieten. Welche das sind, das liegt am Ende an den Rahmenbedingungen vor Ort. TramTrain-Modelle sind natürlich einerseits hocheffizient und umweltfreundlich, weil sie zu 100 % elektromobil sind. Auf der anderen Seite benötigt man dafür entsprechende Finanzmittel für den Auf- und Ausbau von Infrastruk- Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 13 Interview POLITIK tur, Beschaffung von Fahrzeugen, etc. Diese Investitionen kann sich nicht jede Region leisten. Aber es gibt ja auch andere gute Lösungen, ich denke da z. B. an die sehr erfolgreichen PlusBus-Angebote in Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Für mehr ÖV müssen Infrastrukturen und Systeme nicht allein ausgebaut und modernisiert werden, dazu kommt auch die Sanierung und Erneuerung bestehender Infrastruktur - die Rede ist von rund fünf Milliarden Euro allein bei Straßen-, Stadt- und U-Bahnen. Wie sollen Betreiber und Kommunen das eigentlich stemmen? Da werden die Länder und der Bund um entsprechende Unterstützung durch zusätzliche finanzielle Mittel nicht herumkommen. Wir sehen es ja aktuell in NRW: Drei Milliarden Euro bis 2030, um allein die elf Stadtbahnsysteme zu modernisieren. Daran erkennt man, dass bei allem Potenzial von Digitalisierung, neuen Geschäftsmodellen und Plattformen der Verkehr nur dann funktionieren kann, wenn die Infrastrukturen das hergeben und die nötigen Kapazitäten vorhanden sind. Man hat in den 70er bis 90er-Jahren mit sehr viel Aufwand und öffentlicher Förderung ein Stadt- und Straßenbahnsystem in Deutschland aufgebaut, um das uns in dieser Breite weltweit viele Länder beneiden. Wo gibt es sonst Straßenbahnen, die - wie zwischen Duisburg und Düsseldorf - zwei Großstädte miteinander verbinden, um nur ein Beispiel zu nennen. Und jetzt, wo alle weltweit nach zukunftsfähigen Lösungen für mehr umweltfreundlichen und effizienten Verkehr suchen, ist der richtige Zeitpunkt, um diese im Grundsatz guten, aber eben inzwischen zum Teil veralteten Systeme in Deutschland umfangreich zu modernisieren und auszubauen. Das gilt übrigens genauso für das deutsche Eisenbahnnetz. Der Bund hat gemeinsam mit den Ländern durch die Erhöhung der GVFG-Mittel dazu einen ersten wichtigen Schritt unternommen. Aber die Länder müssen auch mit eigenen Mitteln zusätzlich finanzieren, schließlich sind sie verantwortlich für den ÖPNV. Vor diesem Hintergrund: Müsste sich die Politik auf EU, Bundes- und Landesebene stärker einbringen? Ich stelle ehrlich gesagt keinen Mangel an politischem Engagement in unseren Themen fest. Im Gegenteil, die inzwischen für Jeden offensichtlichen Probleme und Herausforderungen im Verkehrssektor haben unsere Themen auf der politischen Agenda ganz nach oben gebracht. So etwas wie eine Verkehrswende zugunsten umweltfreundlicher Verkehrsträger ist inzwischen Konsens bei allen politischen Akteuren und auch bei der Industrie. Das wäre doch vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. Mir erscheint es jetzt eher wichtig, dass man in der Verkehrspolitik die richtigen Schwerpunkte setzt. Das heißt man muss zunächst mal die Maßnahmen identifizieren und umsetzen, die messbar den meisten Erfolg für die Klimaschutzziele im Verkehr bringen. Aus meiner Sicht laufen aktuell zu viele und teilweise zu hysterisch geführte Debatten um Einzelmaßnahmen und deren Wirksamkeit für eine Verkehrswende. Besser wäre es doch, wenn alle entscheidenden Akteure sich gemeinsam auf die wesentlichen Ziele und damit verbundenen Maßnahmen und deren Umsetzung festlegen. Dazu gehört natürlich eine umfangreiche Modernisierungs- und Ausbauoffensive für den ÖPNV und die Eisenbahn in Deutschland. Und auch das ist, sowohl bei der Bundesregierung als auch auf europäischer Ebene, längst Konsens. ■ Planen Sie gemeinsam mit uns in Bremen die Zukunft der Mobilität mit nachhaltigen Strategien und innovativen Verkehrsprojekten. Wir suchen Planer/ innen und Ingenieure/ innen in der Abteilung Verkehr beim Senator für Umwelt, Bau und Verkehr für die folgenden Aufgaben: Verkehrsentwicklungsplanung, Verkehrsprojekte, ÖPNV-Planung und Koordination, ÖPNV- und Eisenbahninfrastrukturausbau, Mobilitätsmanagement, Rad- und Fußverkehrsplanung, Nahmobilitätskonzepte, Strategie und Verkehrspolitik, Baustellenkoordination. Projekte und Konzepte der Freien Hansestadt Bremen wurden u.a. ausgezeichnet mit dem SUMP-Award der EU für Nachhaltige Mobilitätskonzepte, dem Deutschen Verkehrsplanungspreis und dem Deutschen Fahrradpreis. Wir bieten Ihnen u.a. • einen eigenverantwortlichen hohen Gestaltungspielraum, • eine unbefristete und zukunftssichere Beschäftigung im öffentlichen Dienst, • umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten und regelmäßige Teilnahme an Fachtagungen und Mitarbeit in Fachgremien, • flexible Arbeitszeiten sowie die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Weitere Informationen, Ansprechpartner und Stellenausschreibungen finden Sie auf unserer Internetseite www.bauumwelt.bremen.de l Verkehr l Stellenangebote Bremen bewegen: Heute den Verkehr von morgen gestalten © machart-bremen.de, Foto: BSAG POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 14 Drohnen im deutschen Luftraum: Chancen, Herausforderungen, Regulierungsbedarf Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Diese Stellungnahme soll den Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur darin unterstützen, die verkehrspolitischen Herausforderungen beim Umgang mit Drohnen im Spannungsfeld von Innovation, Safety, Security und Privacy zu meistern. Lesen Sie hier eine kurze Zusammenfassung. Den vollständigen Text der Stellungnahme finden Sie im Web. D rohnen als „unbemannte Luftfahrzeuge mit fernsteuernden Piloten“ (RPAS, Remotely Piloted Aircraft Systems) bzw. „Fluggeräte mit automatisierten Steuerungs- und Navigationsfunktionen ohne Piloten“ (UAV, Unmanned Aerial Vehicle) erleben aktuell im Zuge der Digitalisierungsrevolution in der Gesellschaft und der damit verbundenen Möglichkeiten der kostengünstigen und stetig leistungsfähiger werdenden Datenerfassungs- und -übertragungsfähigkeiten ein explosives Wachstum und mit ihm auch der Luftverkehr. Drohnen tragen ein enormes Innovationsportal für den Transport-, Logistikals auch den Freizeit-Bereich in sich. Innerhalb der kommenden Jahre werden sich die Geschäftsideen in den relevanten Sektoren mit einer beachtlichen Wirtschaftsleistung vervielfachen. Hieraus leiten sich gesellschaftlich umfassende Regulierungsaufgaben zu den Themen Safety (und damit Capacity), Security und Privacy ab, da einerseits die Anzahl von Fluggeräten enorm wachsen wird, andererseits zahlreiche Dritte sich durch diese teils massiv gestört bzw. in ihren Rechten verletzt sehen mögen. Die EU hat mit der Novellierung der Grundverordnung (Basic Regulation) zur Zertifizierung von Drohnen im Jahr 2018 insofern den richtigen Schritt getan: Nunmehr unterliegen alle Drohnen unabhängig von Größe und sonstigen Eigenschaften der Zuständigkeit der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) und folgen somit einem einheitlichen europäischen Standard. Unbenommen bleiben zahlreiche Details bezüglich der Entwicklung und des Betriebs von Drohnen offen. Deren zielgerichtete Klärung ist eine wesentliche Voraussetzung, um die sich dynamisch entwickelnden Urban Air Mobility Konzepte in europäischen Städten sowie die vielfältigen weiteren Entwicklungen und Anwendungen zu begleiten und gezielt zu fördern. Die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim BMVI „Umgang mit Drohnen im deutschen Luftraum: Verkehrspolitische Herausforderungen im Spannungsfeld von Innovation, Safety, Security und Privacy“ arbeitet Hintergründe, aktuelle Entwicklungen sowie den Stand der Regulierung auf und formuliert darauf aufbauend 15 Empfehlungen: Notwendig ist zuvorderst ein gezieltes, deutlich sichtbareres Engagement des BMVI bei der EASA im anstehenden Umsetzungsprozess des künftigen EU-Rechts zu unbemannten Fluggeräten nach Art. 127 der EASA Grundverordnung VO-1139/ 2018, um sowohl im Bereich „kleiner“ Drohnen (Kategorien open und specific) die richtigen Impulse bei der weiterschreitenden Ausgestaltung der technischen und betrieblichen Parameter zu setzen, sowie für „große“ Drohnen (Kategorie certified) den erst im Aufbau befindlichen Zulassungsprozess (Entwicklung einer Certification Specification, CS, für Drohnen) intensiv zu beteiligen. An seiner Ausgestaltung wird maßgeblich der Markteinführungszeitrahmen für u.a. Lufttaxis hängen. Regulierungsbedarf besteht in der Klassifizierung von Drohnen, der Gestaltung von Rahmenbedingungen für Ausbildung und Zertifizierung von (remote) Piloten, der Gewährleistung von Safety und Security u.a. durch Geofencing, Regeln für die Registrierung und Nutzung von Drohnen, Überflugrechten der Weiterentwicklung des Specific Operations Risk Assessment (SORA). Empfohlen wird darüber hinaus eine enge Verzahnung der Aktivitäten zur Fortschreibung der Rahmenbedingungen im luft- und bodengebundenen Verkehr, um Synergiepotenziale durch die verstärkte Automatisierung in verschiedenen Verkehrsträgern gezielt zu nutzen. Im April 2019 Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur ■ Die komplette Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur finden Sie im Web unter dok44-1904.trialog.de Kontakt: Geschäftsstelle des Wissenschaftlichen Beirats im BMVI Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Referat G 12 - Frau Ursula Clever Robert-Schuman-Platz 1, 53175 Bonn, E-Mail: ursula.clever@bmvi.bund.de Wir machen es möglich. Mit unserer kommunalen Förderung für Klimaschutz durch Radverkehr. Jetzt informieren und zwischen 1. August 2019 und 31. Oktober 2019 Förderung beantragen. www.klimaschutz.de/ radverkehr Mit persönlicher Beratung vom Service- und Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz (SK: KK) (030) 390 01 - 170 POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 16 Wie vermeiden wir den Mobilitätswandel mit der Brechstange? Autonomes Fahren, kostenloser ÖPNV, Fahrverbote für Dieselautos - die Liste aktueller Aufreger-Themen ist vielfältig. Und während die Einen die Notwendigkeit sehen, Mobilität mit allen Mitteln nachhaltiger zu machen, verbreiten die Anderen Schreckensszenarien für den Fall jeglichen Wandels. Es wird Zeit, Farbe zu bekennen, meint Dirk O. Evenson, Managing Partner Evenson GmbH und Direktor New Mobility World. Z u lange haben wir in Deutschland den Weg des geringsten Widerstands gewählt: Die Debatten rund um alternative Antriebe, nachhaltige oder digitale Mobilität und Luftverschmutzung sind nicht neu; die heute gültigen EU-Grenzwerte für Stickoxide gelten bereits seit 1998. Dennoch haben wir den notwendigen Mobilitätswandel auf die lange Bank geschoben. Bis vor Kurzem war der Individualverkehr, das eigene Auto, noch die Maxime im deutschen Mobilitätsmix. Auch in der Stadt. Erst die Gerichte haben uns mit Fahrverboten unsanft aus dem Dornröschenschlaf aufgeschreckt. Die ersten Reaktionen: Auf der einen Seite der aktionistische Ruf nach kostenlosem ÖPNV - wohlgemerkt dem gleichen ÖPNV, der jahrzehntelang unterfinanziert wurde und schon kaum die heutige Nachfrage deckt. Auf der anderen Seite das Beharren auf Besitzstandswahrung und kleinstmöglicher Veränderung - gepaart mit der Chuzpe, die Kläger zu den Schuldigen zu erklären. Weitsicht und Führung sehen anders aus. Ein erfolgreicher, nachhaltiger Mobilitätswandel setzt den Menschen in den Mittelpunkt. Bei dessen Mobilitätsentscheidungen spielen einige Faktoren eine Rolle, nicht nur der Preis: Bequemlichkeit, Zuverlässigkeit, Flexibilität, Geschwindigkeit sind weitere Entscheidungsfaktoren. Und so vielfältig wie die Entscheidungsgrundlagen sind auch die bevorzugten Transportmittel. Ein attraktiver, verlässlicher und schneller ÖPNV bleibt das Fundament aktiver, sauberer und integrierter urbaner Mobilität. Dazu brauchen wir aber ergänzende Vehicle- und Ridesharing-Angebote, 100-prozentige Elektrifizierung der Flotten und entsprechende Infrastruktur sowie einen flächendeckenden Ausbau breiter Fahrradwege - alles intelligent vernetzt. Von anderen Städten lernen Andere Städte bieten bereits einen breiten Pool an Best Cases und Negativbeispielen. Sie haben vorgemacht, wie der Mobilitätswandel angegangen werden kann; der vielleicht einzige Vorteil für die deutschen Spätstarter: • Die französische Hauptstadt Paris bündelt bereits seit 2007 diverse Maßnahmen in einem Paket, um den Verkehrskollaps zu vermeiden. Eine Kombination aus einem der weltweit größten Leihradsysteme Vélib, dem städtischen vollelektrischen Carsharing-Service „Autolib“ und diversen Infrastrukturmaßnahmen bieten attraktive Alternativen zum ineffizienten Individualverkehr. Mit Erfolg: Laut der Assoziation der französischen Transport- und Logistikinstitute sank der Anteil der Autos am Pariser Stadtverkehr zwischen 1990 und 2015 um 45 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil der öffentlichen Verkehrsmittel um 30 Prozent - die Zahl der Radfahrer verzehnfachte sich gar. • Ein anderes Beispiel ist Vancouver. Die dortige Administration kaufte der Canadian Pacific Railway einen stillgelegten Bahnkorridor ab. Aus diesem baut die Stadt nun einen Highway aus Fahrradstrecken, Fußwegen, Straßen- und Stadtbahnen, mit welchem das Stadtzentrum mit umliegenden Nachbarschaften verbunden wird. • Ein potenzielles Negativbeispiel ist Brüssel - eine der Städte mit der höchsten Luftbelastung in Europa. Die Maßnahmen bekämpfen derzeit nur die Brandherde: die kostenfreie Nutzung des ÖPNV und des städtischen Bikesharing-Dienstes sowie Einfahrtsverbote bei kritischer Luftbelastung oder generelle Fahrverbote für ältere Diesel. Zwar soll bis 2030 die Nahverkehrsflotte elektrifiziert werden, aber ein integriertes und nachhaltiges Konzept sieht anders aus. Raus aus der Abwehrhaltung Viele Bürger sind offen für Alternativen, nur müssen ihnen diese gefallen. Fahrverbote sorgen nur für Abwehrreaktionen; nachhaltige, effiziente und attraktive Angebote hingegen schaffen Akzeptanz für die Mobilitätswende. Nun gilt es endlich zu agieren, statt dauerhaft zu reagieren. Technologie, Konzepte, Partner: Das ist alles da. Die Beispiele auch. Jetzt braucht es Zielsetzung, Zusammenarbeit, Finanzierung. Und vor allem: Ehrgeiz und Ungeduld in den Metropolen dieser Welt. ■ Foto: Marcus Höhn Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 17 R und um den Rond-Point Schuman, den Kreisverkehr im Brüsseler Europaviertel, bewegt das erste EU-Mobilitätspaket auch in diesen Tagen noch die Gemüter - nach fast zwei Jahren Dauerstreit über Entsendung von Truckern, Kabotage sowie Lenk- und Ruhezeiten. In der ersten Aprilwoche hat das Europäische Parlament (EP) über die „sozialen Themen“ des ersten Mobilitätspakets abgestimmt. Damit ging ein langer politischer Kampf im Hohen Haus über die wichtige Reform des Straßengüterverkehrs vorläufig zu Ende. Wie immer bei entscheidenden Fragen im EP, fühlten sich die Abgeordneten weniger dem politischen Lager verpflichtet, dem sie angehören, als den Interessen des Landes, aus dem sie stammen. Deshalb standen sich die Parlamentarier aus den nord- und südosteuropäischen Staaten und jene aus Nordwesteuropa unversöhnlich gegenüber - auch in der eigenen Gruppe. Tiefe Risse gingen so vor allem durch die Fraktionen der Europäischen Volkspartei, der auch die deutschen Unionsabgeordneten angehören, und der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im EP. Die aus dem Nordwesten kämpfen für den sozialen Schutz der LKW-Fahrer auf Europas Straßen. Ihre Gegenspieler aus dem Osten sahen darin vor allem den Versuch, heimische Märkte abzuschotten und sprachen - nicht ganz zu Unrecht - von einer Verletzung der Regeln des europäischen Binnenmarktes. Vor diesem Hintergrund ist positiv hervorzuheben, dass es dem Hohen Haus noch in der laufenden Legislaturperiode gelang, seinen Standpunkt zu definieren. Zumal eine große Gruppe von Parlamentariern in diversen politischen Gruppen bis zuletzt versuchte, genau das mit allerlei Verfahrenstricks zu verhindern. Das misslang. So können die drei gesetzgebenden EU-Institutionen noch in diesem Jahr - wenn auch vermutlich erst in der zweiten Hälfte - mit den Trilog-Verhandlungen beginnen. Sie dürften weniger kompliziert werden, als zu befürchten war. Denn die Position des EP unterscheidet sich nicht allzu sehr von jener der EU-Verkehrsminister. Die legten ihren Standpunkt bereits im Dezember 2018 fest. Politisch verursacht die weitgehende Übereinstimmung von Abgeordneten und Ministern ein Problem: Denn die Positionen beider EU-Institutionen berücksichtigen die Wünsche der Nordwest-Staaten in der Union stärker als die Interessen der nord- und südosteuropäischen Staaten. Der Sozialgedanke, den der Nordwesten bei den Debatten betonte, schlägt sich in den Ergebnissen deutlich klarer nieder als die Freiheit des Binnenmarktes, auf die die Ost-Länder pochten. So wird die Position des EP die Abgeordneten aus Bulgarien, Rumänien oder Litauen in dem Empfinden bestärken, von den Kollegen aus dem Nordwesten kujoniert worden zu sein. Wieder einmal. Als die EU-Kommission im Mai 2017 das erste Mobilitätspaket vorlegte, wollte sie damit die Regeln im Straßengüterverkehr „präzisieren“, für deren effizientere Durchsetzung sorgen und den Verwaltungsaufwand für Firmen reduzieren. Weder bei den Beschlüssen der Verkehrsminister noch bei den vom EP vorgelegten Positionen ist Grosso modo erkennbar, dass die Ziele erreicht wurden. Schon die Definition einer „bilateralen“ Fahrt mit zwei „zusätzlichen Be- und Entladungen in beiden Richtungen“ ist nicht ohne. Wie ein kontrollierender Beamter erkennen soll, ob ein LKW auf einer solchen Fahrt unterwegs (und somit von den Entsenderegeln befreit) ist, oder ob für ihn das Entsenderecht und somit der nationale Mindestlohn gilt, ist völlig unklar. Die Abgeordneten (wie die Verkehrsminister) setzen auf den Intelligenten Tachografen, den sie in Neufahrzeugen schon ab 2022 vorschreiben wollen. Aber noch weiß niemand, ob er seine ihm zugeschriebenen Fähigkeiten tatsächlich sofort ausspielen kann. Für die Unternehmen werden die neuen Regeln einiges an bürokratischem Aufwand bedeuten. Für die großen wird das zu stemmen sein, kleinere Firmen könnte es überfordern - etwa wenn sie die Mindestlöhne verschiedener Länder einkalkulieren müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass der Mehraufwand an Verwaltung die Strukturen im Markt verändert und kleinere Transporteure aus dem internationalen Geschäft drängt. Rund um den Rond-Point Schuman im Europaviertel überwiegt so nach fast zwei Jahren Debatte über das erste Mobilitätspaket zu Recht die Skepsis. Nicht nur bei jenen, die auf ausgewogene Vorschriften zwischen Ost und West hofften - zwischen „Sozialunion“ und Binnenmarkt. Auch bei denen, die Vereinfachung und effizientere Durchsetzung der Regeln erwartet haben. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN EU zwischen Sozialunion und-Binnenmarkt EXTRA 70 Jahre Internationales Verkehrswesen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 18 70 Jahre IV - eine-Bestandsaufnahme Ein historischer Rückblick von Eberhard Buhl, Leiter der Redaktion Internationales Verkehrswesen und Gesellschafter der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft. N ach menschlichen Maßstäben sind 70 Jahre ein ganz ordentliches Alter - für Fachzeitschriften sowieso. Manches 1949 gegründete Magazin ist längst vergessen, während andere Publikationen bis heute gewissermaßen mitten im Leben stehen. So wie unsere Zeitschrift: Als „Internationales Archiv für Verkehrswesen“ im Mai 1949 von Dr.-Ing. Dr. rer. pol. Hans Baumann in Frankfurt am Main erstmals herausgegeben, ist Internationales Verkehrswesen auf den Monat genau so alt wie die Bundesrepublik Deutschland. Sicher gab es Vorläufer: Bereits die „Verkehrstechnische Woche“ (1907 bis 1940) und ihr Nachfolgetitel „Großdeutscher Verkehr“ (1941 bis 1944) nahmen das gesamte Transportwesen in den Fokus. Verkehrswissenschaftler Baumann hatte bereits von 1923 bis 1933 die Schriftleitung der „Verkehrstechnischen Woche“ inne und gab zudem seit 1927 den „Reichsbahnkalender“ heraus. Nun also der Neuanfang: So kurz nach Kriegsende sollte das „Internationale Archiv für Verkehrswesen“ einerseits der Bestandsaufnahme dienen, andererseits aber einen nun wieder ideologiefreien, technisch-wissenschaftlich orientierten Blick ins Ausland und in eine Zukunft grenzüberschreitender Zusammenarbeit fördern. Im Geleitwort gibt Hans Baumann dieser Hoffnung Ausdruck: Es ist eine besondere Eigenart des Verkehrs, daß er Länder und Grenzen überbrückt und daß er auf internationalen Ausgleich gestellt ist. Eben darum finden sich die Verkehrsleute der Welt auf der gemeinsamen Basis ihres Arbeitsgebiets als erste wieder zusammen, wenn Völker und Staaten durch äußere Ereignisse voneinander abgeschnitten waren. Das war nach dem ersten Weltkriege der Fall und bahnt sich auch wieder in immer zunehmendem Maße nach der letzten Weltkatastrophe an. Der Verkehr bildet immer wieder eine gesunde Grundlage zur friedlichen Verständigung der Völker. Geradezu modern liest sich die inhaltliche und thematische Intention des Herausgebers: Eisenbahn, Kraftwagen, Schiff und Flugzeug stehen der modernen Verkehrswirtschaft als Verkehrsmittel zur Verfügung, und jedes bemüht sich um möglichst umfassenden Einsatz im Produktionsprozeß. Es muß Aufgabe einer geschickten Verkehrspolitik sein, im Wettbewerb dieser Verkehrsmittel den staatswirtschaftlich vorteilhaftesten Ausgleich zu finden. Nicht gegeneinander, sondern miteinander sollen die Verkehrsmittel arbeiten, wobei ein gesunder Wettbewerb nur von Vorteil für die Gesamtentwicklung sein kann. [...] Die wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet des Verkehrswesens mit den in allen Ländern sich ergebenden gleichen oder ähnlichen Forschungsfragen der Verkehrswirtschaft, der Verkehrstechnik, des Verkehrsrechts und der Verkehrsverwaltung hat sich das „Internationale Archiv für Verkehrswesen“ zur Aufgabe gemacht. Und so folgen denn auch ganz konsequent zwei umfassende Aufsätze über „Die derzeitige Organisation der westeuropäischen Eisenbahnen“ von Geheimrat Paul Wolff sowie „Energie-Ökonomie im Verkehr“ von Walter Ostwald. Wer diese Beiträge komplett lesen will: Die Ausgabe 1/ 1949 steht auf der Webseite www.internationales-verkehrswesen.de als PDF zum Download bereit. So manche Texte der frühen 1950er-Jahre mögen sich mit heutigem Verständnis eher wie Besinnungsaufsätze lesen - einen spannenden Blick in die Frühzeit des Wirtschaftswunders geben sie allemal. So denkt etwa der Münchener Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Bäseler im Dezember 1955 über „Behälter-Bahnhöfe“ nach US-Vorbild nach und nimmt das Prinzip heutiger Container-Terminals im Kombinierten Verkehr recht exakt vorweg: Hält man ... fest, daß es sich eigentlich nur darum handelt, von der Straße kommende mittelgroße Ladeeinheiten mit Hilfe seitlicher Bewegungen zu einem Zuge zusammenzufassen, so würde genügen, wenn der Zug ein nach unten offenes Gehäuse darstellt, in das man auf einem eingepflasterten Gleis von der Seite hineinfahren kann. Dabei könnten die Behälter jede Form haben. Sie könnten ein Straßenfahrwerk mit- Titelblatt der ersten Ausgabe vom Mai 1949 Quelle: www.internationales-verkehrswesen.de 1949 • Mai: Heft 1 des „Internationalen Archivs für Verkehrswesen“ erscheint • 23. Mai 1949: Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1956 • Umsetzbarer Wechselaufbau für Huckepackverkehr der DB • Schweiz: Erstes Sonntagsfahrverbot durch die Suezkrise 1957 - 1987 • Trans Europ Express (TEE) Zuggattung im internationalen Personenfernverkehr © Deutsche Bahn AG Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 19 70 Jahre Internationales Verkehrswesen EXTRA führen als Fahrbehälter, sie könnten die üblichen Rollbehälter sein oder auch die einfachen Hubkisten; in allen drei Fällen würden sie, in den Zug seitlich eingefahren, durch ein Hubwerk abgehoben und zugleich miteinander verklammert werden, so daß sie als Zugeinheit abgefahren werden können. Zur Erinnerung: Die Deutsche Bundesbahn stellt schon 1952 erste zweiachsige Behältertragwagen in Dienst, die das seitliche Auf- und Abrollen von drei Wechselbehältern erlauben. 1956 baut Trailer-Hersteller Kögel für den neuen „Huckepackverkehr“ der Bundesbahn einen Wechselaufbau aus Pritsche und Planenaufbau, der sich über Querschienen von einem Sattelauflieger auf einen Bahn-Flachwagen umsetzen lässt. Und im selben Jahr führt der Reeder Malcolm McLean an der US- Ostküste die heute weltweit üblichen standardisierten Schiffscontainer für seine Frachtschiffe ein. Auf und ab geht es auch bei der Zeitschrift, die Anfang 1960 vorübergehend eingestellt werden muss: Die Druckerei E.- Schneider in Mainz, bei der das „Internationale Archiv für Verkehrswesen“ seit Ausgabe 1 erschienen war, kann keine Verlagsfunktion mehr wahrnehmen. Nun übernimmt ab Oktober 1960 der Verlag Dr. Arthur Tetzlaff in Frankfurt am Main und beginnt mit Heft Nummer 1. Das Impressum nennt Dr. Baumann als Hauptschriftleiter - erstmalig gibt es auch einen 28 Köpfe starken Herausgeberkreis. Und die Mitglieder der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft DVWG erhalten das Abonnement nun zu einem besonderen Bezugspreis. Bemerkenswert ist in dieser Oktober- Ausgabe, dass neben verschiedenen „traditionellen“ Themen auch die Rolle der „autogerechten Stadt“ in den Fokus genommen wird. Ein nicht namentlich gezeichneter Kommentar - dem heutigen „Standpunkt“ entsprechend - mahnt unter der Überschrift „In der City sollte der Fußgänger privilegiert werden“ an, dass „der Fußgänger noch gegenüber dem rollenden Verkehr auf der Straße diskriminiert“ wird, und verweist auf die beginnende gegenläufige Entwicklung in London und anderen Megastädten. Und die Rezension des Buches „Die autogerechte Stadt - Ein Weg aus dem Verkehrschaos“ des Architekten Hans Bernhard Reichow zeigt eine Widersprüchlichkeit zwischen individueller Mobilität und urbaner Lebensqualität auf, die bis heute nicht aufgelöst ist: Das Buch verlangt [...] eine Auseinandersetzung und Klärung der Zusammenhänge zwischen Stadt und Verkehr, die dringend geboten ist. [...] Reichows Kritik wendet sich gegen falsche Voraussetzungen, falsche Maßstäbe, falsche Ethik, falsche Planungsmethoden und Zuständigkeiten. [...] Er zitiert Otto Blum, daß der beste Verkehr der ist, der nicht entsteht. [...] Er ist sich dabei im klaren, daß die Umwandlung der bestehenden Städte in autogerechte Städte ein mühsamer und weiter Weg ist. Die Sechzigerjahre sind nicht allein verkehrstechnisch eine „umtriebige“ Zeit. Ab Ausgabe 2 des Jahres 1963 ist die Zeitschrift „Organ der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft E.V. - DVWG“, und die Mitglieder der Gesellschaft erhalten das Heft im Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Schriftleiter Hans Baumann stirbt im Januar 1967, hat zuvor jedoch schon den Wirtschafts- und Verkehrspublizisten Horst Heffele, damals bereits Mitherausgeber, als Chefredakteur eingeführt. Ein Jahr später ändert sich der Titel der Zeitschrift in „Internationales Verkehrswesen“, sie erscheint nun achtmal jährlich. Ab Heft 4/ 1972 löst Prof. Dr. Gerd Aberle, der bereits ein Jahr im Herausgeberbeirat vertreten war, Horst Heffele als neuer Chefredakteur der Zeitschrift ab. In einem „Brief an den Leser“ schreibt Aberle, die Zeitschrift müsse künftig „in einer für den interessierten Praktiker verständlichen Form die theoretischen Grundlagen verkehrspolitischer Entscheidungsprozesse transparent“ machen. Und schließlich solle „auch eine verkehrspolitische Aussage nicht fehlen. Als Anforderungen sind zu nennen: sachlichkritische Analyse, wissenschaftliche Fundierung zugunsten eines gesamtwirtschaftlichen Bezuges“. Mehr als 37 Jahre lang prägt Prof. Gerd Aberle das Magazin und legt bis heute in seiner Kolumne „Kurz + kritisch“ mit Sachverstand und scharfer Zunge den Finger in so manche (politische) Wunde. Denn zahlreiche Herausforderungen in Sachen Transport und Verkehr sind bis heute ungelöst - oder aus unterschiedlichen Gründen nicht wirklich angepackt. Das zeigt sein Beitrag auf den folgenden Seiten deutlich. ■ Titelblatt der ersten Ausgabe aus dem Tetzlaff-Verlag, Heft 1/ 1960 Titelblatt von Ausgabe 4/ 1972 1965 • Schnellfahr-Lok BR 103 mit automatischer Geschwindigkeitsregelung fahrplanmäßig eingesetzt 1964 • NSU Wankel-Spider als erster PKW mit Kreiskolbenmotor geht in Serie 1970 • Tupolev Tu-144 erreicht als erstes ziviles Verkehrsflugzeug zweifache Schallgeschwindigkeit © Wilfried Sickora/ pixelio.de © RIAN Archiv 566221 EXTRA 70 Jahre Internationales Verkehrswesen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 20 Bewegte Zeiten Unverständliches, Unsinniges und Notwendiges in-der-Mobilitätspolitik Internationales Verkehrswesen hat sich in fachlich umfassender Ausrichtung stets intensiv und kritisch mit den verkehrspolitischen Entwicklungen in Europa und Deutschland auseinandergesetzt. In diesem Kontext betrachtet Prof. Dr. Gerd Aberle, selbst lange Jahre federführend verantwortlich für die Zeitschrift, nachfolgend einige zentrale gesellschafts- und verkehrspolitisch bedeutsame Entscheidungen und deren Wirkungen. Dabei gilt auch wieder: Wo Sonne scheint, gibt es auch Schatten. Z ur Erinnerung: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik Deutschland der Straßengüterverkehr (neben der Binnenschifffahrt) straff reguliert in Fortsetzung der Vorkriegsgesetze der 1930er Jahre. Trotz sozialer Marktwirtschaft unterlag der Straßengüterfernverkehr einer rigiden Kapazitäts- und Preisfestsetzung (Kontingente und Tarife), kontrolliert durch die damalige Bundesanstalt für Güterfernverkehr (BAG). Straßengüternahverkehr und Binnenschifffahrt wurden überwiegend nur preispolitisch reguliert. Als Folge ergaben sich aufgrund der künstlichen Angebotsverknappung für das Transportgewerbe hohe Auslastungen bis hin zu supernormal profits und hohen, nicht legalen Konzessionswerten. Marktöffnung im Straßengüterverkehr Erst ab Mai 1985 veränderte sich die Regulierungssituation in Deutschland aufgrund eines Urteils des EuGH, welches die Marktöffnung im grenzüberschreitenden EG-Binnenverkehr erzwang. Dadurch erlangten ausländische Wettbewerber - ohne den für deutsche Anbieter geltenden Regulierungsrahmen - mit schwer zu kontrollierenden Kabotageaktivitäten einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Die nationale deutsche Regulierung musste sukzessiv aufgegeben werden. Allerdings sind bis heute wesentliche Begleitentscheidungen auf EU-Ebene nicht getroffen bzw. umgesetzt worden, insbesondere die Kabotageregelungen und die Sozialvorschriften für ausländische LKW-Fahrer. Beide sind für die Wettbewerbssituation im Straßengüterverkehrsmarkt äußerst bedeutsam. Sie stellen für deutsche Unternehmer eine Existenzfrage dar, was sich auch im hohen ausländischen LKW-Anteil auf deutschen Straßen spiegelt. Obwohl die Problematik in Brüssel seit mittlerweile 20 Jahren diskutiert wird, sind Lösungen aufgrund divergierender nationaler Interessen nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass in beträchtlichem Umfang ausländische LKW als Subunternehmer für deutsche LKW- Unternehmen tätig sind bzw. ausländische LKW-Betriebe von deutschen Logistikunternehmen erworben wurden. Und bei den national möglichen ordnungspolitischen Maßnahmen hält sich die deutsche Regierung auffällig zurück. Auf dem Weg zur Bahnreform Nicht vergessen werden sollte, dass die deutsche marktfeindliche Nachkriegsregulierung im Güterverkehr vor allem dem politischen Schutz der Eisenbahn galt und vom betroffenen Verkehrsgewerbe begrüßt wurde. Verlierer war die Deutsche Bundesbahn, politisch unerwünschter Gewinner das regulierte Gewerbe, für das ab Mai 1985 eine Welt zusammenbrach. Politisch war die Bundesbahn lange Zeit ein vor unerwünschtem Wettbewerb geschützter staatlicher Bahnbetrieb, bis 1993 ein staatliches Sondervermögen, im GG Art.- 87 a. F. gleichgestellt mit der Finanzverwaltung und permanenten Einwirkungen seitens des Bundes und der Länder ausgesetzt. 1973 • 1. Ölkrise, Energiesicherungsgesetz: Vier autofreie Sonntage im November 1975 • Erste Citymaut (Electronic Road Pricing) weltweit in Singapur 1976 - 2003 • Concorde, erstes Überschall-Passagierflugzeug im Linienflugdienst © Peter Haslebacher/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 21 70 Jahre Internationales Verkehrswesen EXTRA Es war die Sorge vor dem wirtschaftlichen Kollaps der Bundesbahn aufgrund exponentiell steigender Verluste, sinkender Qualitäten und Marktfähigkeit, welche 1990 zur Bildung der Regierungskommission Bundesbahn führte, deren Untersuchungsergebnisse (1991) die Basis für die Bahnreform 1994 bildeten. Gestützt wurden die Kommissionsempfehlungen, die eisenbahnpolitisch eine bis dahin unvorstellbare Umorientierung darstellten, durch die mühseligen Aktivitäten der EU-Kommission zur Revitalisierung des EU- Eisenbahnsystems (Eisenbahnpakete), etwa durch Öffnung der nationalen Bahninfrastrukturen für Wettbewerber. Die deutsche Bahnreform 1994, verbunden mit der Zusammenführung von Bundesbahn und Reichsbahn nach der Wiedervereinigung Deutschlands, ging jedoch weit über alle sonstigen europäischen Eisenbahnaktivitäten hinaus. Es war eine fundamental wichtige, aber auch finanzpolitisch anspruchsvolle Reform. Von langfristiger Relevanz und mit bedeutenden Erfolgsfaktoren versehen sind - in Kurzfassung - sechs Komplexe zu nennen. • Bundesbahn und Reichsbahn wurden in die Aktiengesellschaft Deutsche Bahn als Wirtschaftsunternehmen umgewandelt (Art. 87e n.GG). • Es erfolgte eine umfängliche Entschuldung der Bahn in Höhe v.- rd. 33 Mrd. EUR mit entsprechender Abwertung des Anlagevermögens. • Es wurde eine Lösung des schwierigen Problems der Überführung der Beamten der Bundesbahn in die DB AG durch Schaffung einer Personalüberleitungsinstitution (Bundeseisenbahnvermögen) gefunden. • Es erfolgte die Netzöffnung der Bahn für dritte Eisenbahnen bei gleichzeitiger vertikaler Integration von Netzinfrastruktur und Eisenbahntransportbetrieb. • Durch die Regionalisierung des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs in der Zuständigkeit der Länder mit Zuweisung der Regionalisierungsmittel des Bundes wurde der social service der Bahn definiert und durch einen Ausschreibungswettbewerb organisiert. • Investitionen in das Netz fallen in die Zuständigkeit des Eigentümers Bund (SchienenwegeausbauG), spezielle Finanzierungsregelungen müssen jedoch für die erheblichen Ersatzinvestitionen zwischen DB AG und Bund getroffen werden (Leistungsu. Finanzierungsvereinbarungen LuFV, z. Zt. LuFV 3). Liberalisierung des Buslinienfernverkehrs Es war das Jahr 2013, in dem eine weitere grundlegende Veränderung der Mobilitätsstrukturen in Deutschland durch die Liberalisierung des Buslinienfernverkehrs erfolgte, auch hier durch Druck der EU-Institutionen. Seit der Vorkriegszeit war dieser Verkehr, ebenfalls unter dem Schutzgedanken der Eisenbahn, weitestgehend untersagt. In den Jahren 2014 bis 2017 führte dies zu einer großen Angebotsausweitung bei Buslinien- und Reisendenzahlen, begünstigt insbesondere durch - im Vergleich zur Bahn - sehr niedrige Preise. Durch Unternehmensfusionen entwickelte sich eine starke Angebotskonzentration (FlixBus) mit rd. 90 % Marktanteil. Die Busse werden durch private Busunternehmer gestellt und betrieben, die Standards, Linienplanung und Bedienungsdichten sowie Organisation und Marketing erfolgen durch FlixBus. 2017 erhielt Flix- Bus eine erste Eisenbahnlizenz in Deutschland und weitete seine Busaktivitäten auf das benachbarte Ausland aus. Für die DB AG war und ist der marktstarke Buslinienverkehr eine qualitative und preispolitische Herausforderung. So wurden Sonderpreisaktionen (Sparpreise) immer mehr zum genutzten Regelpreis, was sich problematisch auf den Yield im ICE- und IC-Verkehr auswirkte. 2018 zeigte sich trotz stark gestiegener Reisendenzahlen (Bahn 149 Mio., Fernbus 22 Mio.) ein sinkendes operatives Ergebnis. Qualitativ reagierte die Bahn mit der Einführung von W- Lan zunächst in den ICE-Zügen, zumal die Fernbusse dieses Angebot als Regelstandard aufwiesen. Die Bahn im Würgegriff? Im Rückblick auf die Entwicklungen nach der Bahnreform 1994 bleibt die Feststellung, dass die Reform sowohl unabdingbar wie auch letztlich erfolgreich war, wenn auch neue und schwierige Probleme in der Folgezeit auftraten. Neben einem in vielen Bereichen nach dem Zweiten Weltkrieg zu wenig ausgebauten Netz und kapazitätsmäßig völlig unterdimensionierten Knoten haben fehlende Infrastrukturmittel, komplexe Bauverfahren mit jahrzehntelangen Gerichtsverfahren zur Baurechtserlangung wie auch völlig verfahrene Superprojekte (Stuttgart 21) die notwendigen Effizienzsteigerungen bei der Bahn stark behindert. Der große Einfluss der Gewerkschaften hat sich deutlich negativ auf die Ausschöpfung von Produktivitätsreserven, insbesondere im Güterverkehr, ausgewirkt. Hinzu kommen die wachsenden Bemühungen der Verkehrspolitik, auf die Unternehmensführung direkten Einfluss zu nehmen, wobei die Rechtsform AG offensichtlich als „unerwünschtes Erbe“ der Bahnreform betrachtet wird. Der Bundesrechnungshof hat sogar vor wenigen Wochen in einem Prüfvermerk die Umwandlung in eine GmbH vorgeschlagen! Auch zur Erinnerung: Die Regierungskommission Bundesbahn hat ausdrücklich für eine effiziente und wettbewerbsausgerichtete Bahnstruktur die Aktiengesellschaft als einzig sinnvolle Rechtsform benannt, insbesondere als Schutz vor der Kreativität politischer Akteure, die bei einer GmbH praktisch nicht eingrenzbar ist. Der intensive Wettbewerb im Mobilitätsmarkt macht hohe Investitionen im Fahrzeugbereich und mit ergänzenden Eigenmitteln durch die DB AG unabdingbar. Die Verschuldung von 19,5 Mrd. EUR ist trotz derzeit extrem niedriger Zinsen zu hoch. Der Return on Capital Employed (ROCE) ist gesunken, der Free Cash Flow zu niedrig. Der geplante Verkauf von Arriva bringt zwar eine Kapitalverstärkung, eliminiert jedoch die bislang vereinnahmten Ergebnisbeiträge. Wie trotz dieser Vielzahl von Aufgaben dann noch bis 2030 der politisch favorisierte Deutschlandtakt für den Personen- und zwangsläufig dann auch für den Güterverkehr realisiert werden kann - bei gleichzeitig laufenden umfänglichen Grundsanierungen im Schienenbereich -, bleibt derzeit noch nebulös. Dabei soll - als politische Vorgabe (! ) - sich die Reisendenzahl bis 2030 verdoppeln. Elektrifizierung als Chance - und Herausforderung Für die Verkehrspolitik stellt sich aktuell und in den nächsten zehn Jahren vorrangig die Aufgabe, den notwendigen Beitrag des Mobili- 1981 • Erste Strecke des TGV (Train á Grande Vitesse) zwischen Paris und Lyon eröffnet 1979 • Erster Smog-Alarm im Ruhrgebiet 1987 • Transrapid erreicht 406 km/ h, Weltrekord für personenbesetzte Magnetschwebefahrzeuge © hpgruesen/ pixabay.de © Állatka/ Wikimedia (PD) EXTRA 70 Jahre Internationales Verkehrswesen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 22 tätssektors zur Bewältigung der Klimakrise konzeptionell und in der Umsetzung zu gestalten. Und auch hier nimmt die Bahn neben dem ÖPNV eine zentrale Rolle ein, so etwa in den Aussagen aller Beteiligten. Krisenverursacher, insbesondere bei der Konzentration der Kohlendioxid-Belastung, sind vorrangig die Nutzer fossiler Kraftstoffe im Straßen- und Luftverkehr. Neben Modal Split-Veränderungen, die jedoch wegen bereits bestehender Kapazitätsgrenzen im öffentlichen Verkehr vor allem durch nur längerfristig wirkende Investitionen in Infrastrukturprojekte für die Nutzer attraktive Alternativen bieten - allerdings kaum für den Luftverkehr -, sind elektrisch betriebene Straßenfahrzeuge der Hoffnungsträger. Die Euphorie ist teilweise überschäumend, so dass die zu lösenden Probleme gern verdrängt werden. Die Konzentration auf Batterie-Antriebe mit einem hohen Fahrzeuggewicht, von denen verkehrs- und umweltpolitisch im Jahr 2030 eine Million PKW in Deutschland als Zielgröße vorgegeben werden, wird von einigen Umsetzungsfragen überschattet. So besteht die Aufladungsdiskussion z. Zt. vor allem aus Hoffnungen, vor allem für die Masse der Nutzer, die nicht über einen Garagen- oder Abstellplatz verfügen. Nach 2030 muss dann auch die Sicherheit der zusätzlichen Verfügbarkeit von Elektrizität in allen Teilen Deutschlands gewährleistet sein, denn was bei 1 Mio. Fahrzeuge noch geht, führt ohne erhebliche und komplexe Investitionen bei 15 Mio. E-Fahrzeugen und mehr zu erheblichen Netzbelastungen. Auch stellen sich beim Unfallverhalten dieser Fahrzeuge (Batteriegewichte, Brand- und Explosionsverhalten der Batteriezellen) sowie beim Recycling und der Abhängigkeit der Batteriezellenproduktion von in Deutschland nicht verfügbaren seltenen Rohstoffen zahlreiche Fragen. Die erkennbare einseitige Ausrichtung auf die Batterietechnologie erscheint daher kontraproduktiv und zumindest ökonomisch nicht tragfähig. Die Verkehrswende - vor allem teuer Dass die Elektroeuphorie bereits dazu führt, ökonomisch unsinnige Projekte mit Steuer-Millionen zu finanzieren, die immer wieder zu ungläubigem Staunen führen, zeigt sich an zwei BAB-Teststrecken in Bayern und Hessen. Hier wurden Oberleitungsstrecken für LKW eingerichtet, auf denen mit Stromabnehmeraufsätzen ausgestattete E-LKW hin- und herfahren. Kaum ein deutscher und schon keinesfalls ein ausländischer LKW wird einen solchen Stromabnehmer für deutsche Teilstrecken installieren, die neben Investitionskosten einen Verlust an Nutzlast beinhalten und die Verkäuflichkeit als Gebrauchtfahrzeug stark erschweren. Die Verkehrswende, die mit der Energiewende verknüpft ist, wird auf jeden Fall sehr weitgehende finanzielle Zusatzbelastungen im Mobilitätsektor bewirken. E-Fahrzeuge sind teurer, die Schaffung der Versorgungsinfrastruktur ist kostenintensiv und die diskutierte Einführung einer CO 2 -Emissionabgabe je Tonne emittierter Kohlendioxyd-Menge auch im Verkehrsbereich ist ökonomisch und umweltpolitisch sinnvoller. Der Vorteil besteht hier auch darin, dass der Luftverkehr und alle sonstigen Verkehrsträger einbezogen werden können - soweit der politische Mut vorhanden ist. Noch viel teurer wird die Vollautomatisierung des Straßenverkehrs. Autonomes Fahren - ein Hype der Industrie und der Politik. Autos sind vor allem rollende Computer, nur Digitalisierung zählt. Ob die mobilitätsabhängige Gesellschaft dies auch als wünschenswerte Wundertüte betrachtet, ist offensichtlich uninteressant. Sie muss zu ihrem Glück gelinkt werden. ■ Neue Zeiten - neue-Herausforderungen Ein Streifzug durch das Heft-Archiv der vergangenen drei Jahrzehnte und ein Blick nach vorn von Dipl.- Ing. Christine Ziegler VDI, Gesellschafterin und Verlagsleiterin der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft in Baiersbronn. I m Jahr 1976 geht der Tetzlaff Verlag als GmbH in das Darmstädter Verlagshaus Hoppenstedt ein, ansonsten bleibt Internationales Verkehrswesen in den 1970er- und 1980er-Jahren weitgehend in ruhigem Fahrwasser. Während der Kontakt zu Autoren und Lesern heute ganz selbstverständlich auf elektronischem Wege erfolgt, enthält die Zeitschrift in dieser Zeit eingeheftete Postkarten für die Kommunikation mit Lesern, Autoren und Firmen. Dann allerdings folgt eine Zeit großer Umbrüche. Nach dem Fall der Berliner Mauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 wird schnell klar, dass die Verkehrswegeplanung vor allem beim Straßen- und Schienenverkehr schleunigst wieder Gesamt-Deutschland im Blick halten muss. Denn auf dem Gebiet der DDR ist die Verkehrsinfrastruktur oft in beklagenswertem Zustand. So konstituiert sich schon im Januar 1990 in Ost-Berlin die deutsch-deutsche Kommission Verkehrswege. Auch geht der Tetzlaff Verlag in den Deutschen Verkehrsverlag DVV in Hamburg 1990 • Januar: Konstituierende Sitzung der deutsch-deutschen Kommission Verkehrswege zur mittel- und langfristigen Verkehrswegeplanung (VDE Nr. 1 bis 17) im Straßen- und Luftverkehr Gesamt-Deutschlands • 3. Oktober: Wiedervereinigung Deutschlands 1991 • Beginn des fahrplanmäßigen ICE-Betriebs in Deutschland 1994 • Eisenbahnneuordnungsgesetz leitet Bahnreform in Deutschland ein • NeCar (New Electric Car) auf Basis Mercedes-Benz MB 100 erstes Brennstoffzellenauto der Welt © Deutsche Bahn AG Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 23 70 Jahre Internationales Verkehrswesen EXTRA über: Internationales Verkehrswesen erscheint nun mit dem Untertitel „Fachzeitschrift für Wissenschaft und Praxis“ - und ist ab Ausgabe 5/ 1990 vereinigt mit „DDR-Verkehr“. Bemerkenswert ist in der Folgezeit die weitreichende Veränderung der Themenfelder. So bilanziert etwa in der April-Ausgabe 2004 Wilhelm Pällmann, bekannt durch seinen Vorsitz der nach ihm benannten Kommission zur Verkehrsinfrastruktur-Finanzierung, in seinem Beitrag „Zehn Jahre Bahnreform“ den Stand der Dinge. Daneben stehen Aufsätze wie „Aktuelle Entwicklungen im deutschen und europäischen Billigflugmarkt“ über das Auftreten erster Low-Cost-Airlines oder „Das Ziel einer Wasserstoffwirtschaft rückt politisch näher“. Und am Vorabend des neuen Millenniums thematisiert ein Beitrag in der Dezemberausgabe 1999 den Kosten- Nutzen-Vergleich einer Transrapid-Strecke zwischen Hamburg und Berlin. Zum 1. Januar dann, nach mehr als 37 Jahren in der Verantwortung, wechselt Prof. Gerd Aberle als Ehrenmitglied in den Beirat. Herausgeber der Zeitschrift Internationales Verkehrswesen wird Dr.-Ing. Frank Straube, Logistikprofessor an der TU Berlin, was nicht bedeutet, dass sich die Themen künftig nur noch um Gütertransport drehen. In Ausgabe 1/ 2010 etwa referiert VDV-Autor Jozef A. L. Janssen unter dem Titel „Ein einziger Fahrschein für Europa“ über ein grenzüberschreitendes E-Ticket im ÖPV - doch solche Pläne brauchen einen langen Atem (siehe Interview auf Seite 11). Und in Heft 6/ 2012 beleuchtet ein Beitrag die Frage, ob ein Gesundheitsrisiko durch elektromagnetische Felder besteht - da hatte die Bundesregierung eine Million Elektrofahrzeuge auf bundesdeutschen Straßen bis zum Jahr 2020 postuliert. Mit der Ausgabe 1/ 2013 übernimmt Eberhard Buhl die Redaktionsleitung. Der studierte Germanist und Historiker, Mobilitätsjournalist mit langjähriger Redaktionserfahrung in den Bereichen Automobil, Schienenverkehr und Gütertransport, leitete zuvor die Redaktion der Zeitschrift „eb - Elektrische Bahnen“ und führt das nun quartalsweise erscheinende Magazin gemeinsam mit Frank Straube als Herausgeber weiter. Der allerdings bereitet schon eine Nachfolgeregelung vor: Ab 2015 wird er sich wieder verstärkt um die Leitung seines Fachgebiets Logistik an der Technischen Universität Berlin kümmern, ein Kreis aus sechs anerkannten Wissenschaftler*innen übernimmt ergänzend zum Beiratsgremium die Herausgeberschaft. Ebenfalls 2015 wird bei Internationales Verkehrswesen ein Peer- Review-Verfahren installiert, bei dem wissenschaftliche Erstveröffentlichungen von Gutachtern mit entsprechender Expertise anonym (Double-Blind-Verfahren) begutachtet und bewertet werden können. Und unter dem Titel International Transportation erscheinen ab 2015 erstmals in der Geschichte der Zeitschrift durchgängig englischsprachige Magazin-Editionen, zunächst als frei herunterladbare Sonderedition, heute als fester Bestandteil des Abonnements. Und schließlich beendet die DVWG im Sommer 2015 den seit 52 Jahren bestehenden automatischen Bezug für Mitglieder, die jedoch weiterhin zu besonderen Konditionen individuell abonnieren können. Ein weiterer grundlegender Wechsel steht Anfang 2016 an: Redaktionsleiter Eberhard Buhl übernimmt Internationales Verkehrswesen in die neu aufgestellte Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, die bereits das auf urbane Themen fokussierte, im Vorjahr als Online-Publikation gegründete und nun in gedruckter Form erscheinende Fachmagazin „Transforming Cities“ herausgibt. Von München wechseln die Magazine ein Jahr später an den neuen Verlagsstandort Baiersbronn. Im neuen Internetauftritt bekommt nun auch das elektronische Heftarchiv, das mit der IV-Ausgabe 1/ 1949 beginnt, einen festen Platz und steht Abonnenten ab dem Jahrgang 2010 direkt online zur Verfügung. Überhaupt haben sich die Anforderungen an ein technisch-wissenschaftliches Medium wie Internationales Verkehrswesen im vergangenen Jahrzehnt wesentlich verändert. So fordert der Trend zu immer schnelleren Informationswegen - Facebook, Twitter und Co. geben hier die Richtung vor - und zunehmend auch zu kostenlos verfügbaren Informationen ein Umdenken. Die erste Entwicklung lässt sich einfach technisch lösen: Während gedruckte und seit 2018 auch als ePaper verfügbare, auf Themenschwerpunkte ausgerichtete Magazinausgaben viermal jährlich vor allem den tieferen Einblick, Argumente, Fakten und Gegenüberstellungen bieten, ist die schneller verfügbare, manchmal eher kurzlebige Information unter denselben Rubriken im Web zu finden. Problematischer für Zeitschriftenverlage, Leser und Autoren kann der wachsende Open-Source-Trend werden. Denn jede Form sorgfältiger Prüfung, Aufbereitung und Zusammenstellung von Information fordert einen gewissen Aufwand - wenn aber alles kostenlos sein soll, dürfte die Qualität solcher Publikationen mittelfristig leiden. Für unsere Zeitschrift jedenfalls soll weiterhin gelten, was Gerd Aberle 1972 in seinem „Brief an die Leser“ formulierte: „Vieles verändert sich, nicht aber der Grundcharakter von Internationales Verkehrswesen.“ ■ 2004 • Shanghai: Weltweit einzige Transrapidstrecke im Regelbetrieb eröffnet 1998 • Änderung Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG): Seit 1931 gültige Unterscheidung zwischen Güterfern-, Güternah- und Umzugsverkehr aufgehoben Die Webseiten www.internationales-verkehrswesen.de (deutsch) und www.international-transportation.com (englisch) bringen aktuelle Informationen aus Politik, Wissenschaft und Praxis. 2017 • VDE Nr. 8: Ab Dezember Bahnverbindung München- Berlin in knapp vier statt sechs Stunden © Tim Reckmann/ pixelio.de 2008 • Erste Umweltzonen in Berlin, Hannover und Köln Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 24 INFRASTRUKTUR Schienenverkehr Die Zukunft des Bahnverkehrs in Frankreich Perspektiven des TGV-Verkehrs nach einer geplanten Reformierung der französischen Staatsbahn SNCF Bahnreform, TGV, Frankreich, Rentabilität, Regulierung Der Ausbau des TGV-Netzes seit den 1980er Jahren hat wesentlich zum derzeitigen Reformdruck des französischen Bahnsystems beigetragen. Eine Verschlechterung des wirtschaftlichen Ergebnisses der TGV-Betreiberin SNCF Mobilités in Verbindung mit hohen Infrastrukturerhaltungskosten der Infrastruktursparte SNCF Réseau wird nun als grundlegender Misserfolg ausgelegt. Die 2018 begonnene Bahnreform unter Staatspräsident Emmanuel Macron könnte eine Abkehr vom TGV-Netzausbau und eine Aufwertung der Hauptbahnen sowie darauf abgewickelter Intercité-Verkehre zur Folge haben. Fabian Stoll, Nils Nießen D ie geplante Reformierung der französischen Staatsbahn Société Nationale des Chemins de fer Français, kurz SNCF, beherrschte die politische Debatte Frankreichs im Jahr 2018 über mehrere Monate und löste eine landesweite Protestwelle aus. Der am 7. Mai 2017 zum Staatspräsidenten gewählte Emmanuel Macron kündigte bereits in seinem Programm für die Präsidentschaftswahl an, im Transportwesen radikale Reformen herbeizuführen. Er sprach sich zudem für eine Abkehr von Neubauprojekten des Straßen- und TGV-Verkehrs (Train à Grande Vitesse) sowie von Flughäfen zugunsten einer Modernisierungspolitik des Bestandsnetzes aus [1]. Die unter dem Schlagwort „Bahnreform“ geäußerten Vorschläge deuten neuerdings auf einen Paradigmenwechsel hin, infolgedessen das Bestandsnetz und darauf abgewickelte Verkehre eine Aufwertung erfahren könnten. Eine ähnliche Entwicklung war zuletzt auch in Deutschland zu beobachten. Mit dem im Jahr 2016 beschlossenen Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP) verfolgt die Bundesregierung infrastrukturpolitisch das Prinzip „Erhalt vor Neubau“, während die Konzernspitze der Deutschen Bahn AG im März 2015 eine Angebotsoffensive im Fernverkehr bekannt gab, die u. a. eine Ausweitung des Streckennetzes in der Fläche vorsieht [2, 3]. Die nachfolgenden Ausführungen zielen darauf ab, handlungsleitende Motive bei den zu erwartenden Entscheidungen zur Zukunft des Bahnverkehrs in Frankreich herauszustellen, wobei eine Fokussierung auf den TGV-Verkehr vorgenommen wird. Chronologie der initiierten Bahnreform Am 16. Oktober 2017 übertrug Präsident Emmanuel Macron dem ehemaligen CEO von Air France-KLM, Jean-Cyril Spinetta, die Verantwortung, eine Gesamtstrategie zur Neugestaltung des französischen Bahnverkehrs zu erarbeiten. Eine Öffnung des französischen Eisenbahnverkehrsmarktes für private Betreiber sowie die Gewährleistung eines leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehrs wurden als Eckpunkte des Konzepts definiert. Der am 15. Februar 2018 dem Premierminister vorgelegte Bericht „L’avenir du transport ferroviaire“ (zu dt. Die Zukunft des Eisenbahnverkehrs) attestiert einen zum Teil desaströsen Zustand der Bahninfrastruktur und eine Angebotsverschlechterung des Personenverkehrs in der Fläche, obgleich die Verausgabung staatlicher Finanzmittel ein Höchstniveau erreicht habe. Um die volkswirtschaftliche Belastung zu reduzieren, zeigt der Spinetta-Bericht der Regierung 43-Handlungsempfehlungen auf. Eine Stilllegung gering frequentierter Nebenbahnen (weniger als zehn Zugpaare/ Tag) in einer Größenordnung von mindestens 4.000 Streckenkilometer, die Umverteilung von Investitionsmitteln auf Hauptbahnen abseits des TGV-Netzes und eine stärkere finanzielle Beteiligung der Regionen am Schienenper- Bild 1: Zwei innerfranzösisch verkehrende „TGV-Atlantique“ Triebzüge im Bahnhof von Tours Foto: Fabian Stoll Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 25 Schienenverkehr INFRASTRUKTUR sonennahverkehr (SPNV, entspricht der franz. Zuggattung „Train express régional“, kurz TER) sind als Sofortmaßnahmen zur Reduzierung der Neuverschuldung zu interpretieren. Eine als defizitär beurteilte Instandhaltung des TGV-Netzes soll mittel- und langfristig durch Mehreinnahmen bei den Trassenentgelten entschärft werden. Kurzfristig würden Mehrverkehre im Hochgeschwindigkeitsbereich jedoch eine Reduktion der Trassenpreise sowie eine Marktöffnung des TGV-Verkehrs für Wettbewerber ab dem Jahr 2020 erfordern. Im- TER-Verkehr empfiehlt der Bericht die Einführung der wettbewerblichen Vergabe von Verkehrsnetzen bis 2023 sowie die Gewährleistung von Diskriminierungsfreiheit bei der Übergabe des Rollmaterials an Wettbewerber, bei der Wartung von Rollmaterial sowie bei der Bereitstellung von Vertriebskanälen für den Fahrkartenverkauf [4]. Auf der Basis des Berichts verabschiedeten die französische Nationalversammlung sowie der Senat einen gemeinsamen Gesetzestext (Loi no. 2018-515, veröffentlicht am 27. Juni 2018) [5]. Das Gesetz stützt sich auf drei Säulen: Zum einen werden derzeitige Privilegien des französischen Bahnpersonals (statut de cheminot) bei Neueinstellungen ab dem 1. Januar 2020 abgeschafft. Als zweite Säule sieht das Gesetz eine Änderung der Rechtsform der SNCF in eine Aktiengesellschaft vor, wobei der französische Staat als alleiniger Aktionär auftreten wird. Zudem ist eine Teilentschuldung der SNCF in Höhe von 35 Mrd. EUR bis 2022 geplant, es bleibt eine Schuldenlast von ca. 10 Mrd. EUR. Die dritte Säule des Gesetzes ist schließlich die Öffnung des französischen Bahnmarktes für Wettbewerber. Falls Regionen dies wünschen, können bereits ab Dezember 2019 Verkehrsverträge mit privaten Verkehrsunternehmen abgeschlossen werden, ab Dezember 2023 sind Verkehrsverträge zwingend im Wettbewerb zu vergeben. Im TGV-Verkehr wird hingegeben bereits ab Dezember 2020 ein Markteintritt von Wettbewerbern ermöglicht. Eine Entscheidung zu den im Spinetta- Bericht enthaltenen Empfehlungen, wenig frequentierte Bahnstrecken stillzulegen, wurde bislang ausgesetzt. Die Regierung strebt an, dem Parlament innerhalb eines Jahres einen Bericht über den Netzzustand sowie die Verkehrsnachfrage auf den geringfrequentierten Strecken vorzulegen-[6-8]. Ausbau des TGV-Netzes Anders als im Fall des Intercity-Express (ICE) in Deutschland ist der TGV in weiten Teilen Frankreichs nicht nur ein Premiumprodukt des Schienenverkehrs, sondern das einzige, zumeist dicht getaktete, über längere Distanzen verkehrende Schienenverkehrsmittel. Mehr als 60 % (59,6 Mrd. Pkm) der französischen Verkehrsleistung auf der Schiene im Personenverkehr (94,7 Mrd. Pkm) wird im TGV-Verkehr erbracht. Der Schienenpersonenfernverkehr per Intercité (entspricht dem dt. Intercity) führt hingegen seit einigen Jahren ein Schattendasein (7,2 Mrd. Pkm). Zum Vergleich: In Deutschland entfallen lediglich 28,5 Mrd. Pkm auf den ICE, die Verkehrsleistung der Inter- und Eurocity-Züge (IC/ EC) der Deutschen Bahn AG (12 Mrd. Pkm) liegt dagegen deutlich über derjenigen des französischen Intercités (Tabelle 1). Die Ära des TGV begann mit der Eröffnung der ersten Ligne à Grande Vitesse (LGV) Sud-Est im Jahr 1981. Eine 36 Jahre andauernde Phase des weiteren Netzausbaus fand mit der Inbetriebnahme der LGV Sud Europe Atlantique sowie Bretagne-Pays de la Loire im Jahr 2017 ihr vorläufiges Ende. Insgesamt entstand ein etwa 2.400-km langes Hochgeschwindigkeitsstreckennetz bei gesamthaften Baukosten von rund 35-Mrd. EUR (Tabelle 2). Die Inbetriebnahme neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken führte in der Regel zu einer Einstellung der weitgehend parallel verlaufenden Intercité-Verkehre. Diese Entwicklung vollzog sich entweder zeitgleich zur Betriebsaufnahme der LGV, teilweise im Vorfeld oder zeitverzögert Jahre später, wenn die Umlenkung von Fahrgastströmen auf TGV-Linien immer höhere Defizite für den Intercité zur Folge hatte. Eine Stilllegungswelle fand v. a. nach der Inbetriebnahme der LGV Est européenne im Jahr 2007 statt, infolgedessen u. a. die Intercités Paris - Reims - Sedan, Paris - Metz - Luxembourg, Paris - Nancy - Remiremont und Paris-Bar-le-Duc eingestellt wurden. Die meisten der damaligen Endbahnhöfe werden heute durch den TGV angebunden, während Zwischenhalte entlang der Bestandsstrecken teilweise den Fernverkehrsanschluss verloren haben und durch langlaufende Linien des TER bedient werden. Auch in peripheren Regionen abseits der TGV-Magistralen wurden einzelne Intercité-Relationen eingestellt, etwa im Nordosten des Landes auf der Relation Paris - Cambrai/ Maubeuge (2018) oder im Zentralmassiv auf der Relation Lyon - Clermont- Ferrand - Bordeaux (2014). Der Wegfall der Intercités wurde hier in der Regel durch Linien des TER aufgefangen. Eine vergleichende Darstellung der Liniennetze des TGVs und Intercités im Jahr 2007 bzw. 2018 ermöglicht Bild 2 . Frankreich Deutschland Zugprodukt Mrd. Pkm. (2017) [9] Zugprodukt Mrd. Pkm (2017) [10, 11] TGV 59,6 (62,9 %) ICE 28,5 (29,6 %) Intercité 7,2 ( 7,6 %) IC/ EC 12,0 (12,4 %) TER 13,7 (14,5 %) IRE/ RE/ RB 52,0 (53,9 %) RER/ SPNV Paris 14,2 (15,0 %) S-Bahn 4,0 ( 4,1 %) Summe 94,7 Summe 96,5 Tabelle 1: Verkehrsleistung im Schienenverkehr Frankreichs und Deutschlands nach Zugprodukten [9-11] LGV-Nr. Bezeichnung Inbetriebnahme Länge [km] Baukosten [Mrd.€] LGV 1 LGV Sud-Est 1981-83 410 2,1 LGV 2 LGV Atlantique 1989-90 285 3,0 LGV 3 LGV Nord 1993-96 350 3,8 LGV 4 LGV Rhône-Alpes 1992-94 115 1,4 * L‘interconnexion Est (bei Paris) 1994-96 57 1,6 LGV 5 LGV Méditerranée 2001 250 4,9 LGV 6 LGV Est européenne 2007/ 16 299 4,7 LGV 7 LGV Rhin-Rhône 2011 148 2,6 ** LGV Sud Europe Atlantique 2017 302 7,8 LGV 10 LGV Bretagne-Pays de la Loire 2017 182 3,4 Σ 2.398 Σ 35,2 Tabelle 2: LGV nach Jahr der Inbetriebnahme [12, 13] Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 26 INFRASTRUKTUR Schienenverkehr Im Zeitraum 2000 bis 2010 wurde der Ausbau des TGV-Hochgeschwindigkeitsnetzes sowie die generelle Umstellung der Verkehrsbedienung vom Intercité auf TGV- Züge von einem starken Wachstum (etwa +56 % gemessen an den Pkm) der Beförderungsleistung begleitet. In derselben Zeitspanne reduzierte sich die Beförderungsleistung des Intercités drastisch (etwa -53 % gemessen an den Pkm). Seit 2010 kann der TGV kein nennenswertes Wachstum mehr vorweisen. Konkurrierende Verkehrsmittel wie Kurzstreckenflugzeuge und Fernbusse weisen ebenfalls Stagnationstendenzen auf, eine intermodale Verschiebung der Marktanteile hat somit nicht oder nur in einem begrenzten Umfang stattgefunden (Bild 3). Nach Jahrzehnten der TGV-zentrierten Verkehrspolitik ist angesichts der durch Staatspräsident Emmanuel Macron initiierten Reformpolitik von einem dauerhaften Wandel bei der wirtschaftlichen Beurteilung des TGV auszugehen. Der Bau des Streckennetzes trug maßgeblich zur heutigen Schuldenlast der Infrastruktursparte SNCF Réseau (45 Mrd. EUR) bei. Die Neuverschuldung belief sich alleine im Zeitraum 2010 bis 2016 auf etwa 15 Mrd. EUR, wovon etwa 3 Mrd. EUR auf den Bau neuer LGVs zurückzuführen sind [4]. Nach Recherchen der Zeitung Le Monde verschuldete sich die SNCF seit 1981 durch die Errichtung und den Unterhalt des TGV-Streckennetzes in einer Größenordnung von etwa 23 Mrd. EUR, dies entspricht ca. 51 % der heutigen Schuldenlast von SNCF Réseau [14]. Betrieb des TGV-Netzes Infrastrukturentgelte, die von der Betreiberin der TGV-Züge (SNCF Mobilités) an SNCF Réseau zu entrichten sind, stiegen in den letzten Jahren stark an. Betrugen die Trassengebühren 2008 auf der Strecke Paris - Lyon im Mittel noch 16,40 EUR/ Zugkm [15], werden sie sich 2019 auf bis zu 22,80- EUR/ Zugkm belaufen [16]. Zum Vergleich: Eine ICE-Expresstrasse als hochwertigstes Fernverkehrs-Produkt auf der Relation Köln - Frankfurt kostet gegenwärtig etwa 13,60 EUR/ Zugkm [17]. Steigende Trassenpreise sind jedoch nur eine der Ursachen für eine kontinuierliche Verschlechterung der Umsatzrendite des TGV-Betriebs. Während diese 2008 noch 28 % betrug, fiel sie in den Folgejahren kontinuierlich ab und erreichte 2014 lediglich 10 %. Im selben Zeitraum schwächte sich die Umsatzsteigerung zunächst merklich ab und war 2013 erstmals rückläufig (4,7 Mrd. EUR). Der operative Gewinn verschlechterte sich von 1,2 Mrd. EUR im Jahr 2008 auf 0,5 Mrd. EUR im Jahr 2014 (Bild 4). Ange- Bild 2: Vergleichende Darstellung des TGV- und Intercité-Liniennetzes der SNCF im Jahr 2007 und 2018 Quelle: eigene Darstellung auf Basis von Fahrplanunterlagen der SNCF Bild 3: Entwicklung der Verkehrsleistung im Personenfernverkehr Frankreichs 2000 bis 2015 [4] Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 27 Schienenverkehr INFRASTRUKTUR sichts der bereits zehn Jahre andauernden Negativentwicklung steht auch SNCF Réseau unter Druck, die Trassenpreise im TGV-Verkehr zu senken. Doch die Einnahmenseite ist ebenfalls mitverantwortlich dafür, dass die vormaligen Renditeerwartungen an den TGV-Betrieb nicht mehr zu erfüllen sind. So führt SNCF Mobilités im Geschäftsbericht 2018 einen Trend zu niedrigpreisigen TGV-Fahrkarten an, der sich weiter verschärfen könnte [18]. Dies lässt sich anhand der Preisentwicklung in der Vergangenheit belegen. Wird etwa die TGV-Relation Paris - Lyon an einem Werktag im Jahr 2012 betrachtet, betrug der Ticketpreis noch bis zu 0,24 EUR/ km [19], stieg im Jahr 2014 auf bis zu 0,32-EUR/ km an [20], um 2016 auf maximal 0,17 EUR/ km abzusinken [21]. Dieser Trend lässt sich auch für weitere Relationen beobachten (Tabelle 3). In einer globalen Betrachtungsweise verringerte sich der Umsatz des TGV-Betriebs je Pkm bei einer gleichzeitig stagnierenden Verkehrsleistung (ca. 55 Mrd. Pkm/ Jahr) ebenfalls. Wurden 2012 noch 89-Mio.-EUR Umsatz je 1 Mrd. Pkm erzielt, fiel dieser Wert anschließend auf ca. 85 Mio. EUR je 1 Mrd. Pkm mit einer Tendenz zur Stagnation (Bild 5). Eine deutliche Verbesserung des Verhältnisses von Umsatz und Verkehrsleistung ist mittelfristig nicht zu erwarten. Stattdessen initiierte SNCF Mobilités 2013 unter dem Produktnamen „Ouigo“ ein TGV-Angebot im Niedrigpreisbereich und betreibt damit eine Konkurrenzierung zweier Hochgeschwindigkeitsprodukte im eigenen Haus. Eine geschärfte Produktabgrenzung erfolgt seit 2017 mit der Umbenennung des klassischen TGVs in den Produktnamen „InOui“. Die neu vermarkteten Züge bieten neben einer äußerlichen Umgestaltung ein aufgewertetes Interieur, Wireless-Internet sowie Kundenservice am Platz. Sie verkehren auf dem gesamten Fernverkehrsnetz, wohingegen das Ouigo- Zugangebot auf einzelne Magistralen beschränkt ist [24]. Aktuelle und zukünftige Entwicklung des TGV-Angebots In der Vergangenheit war eine wesentliche Wachstumsstrategie des SNCF-Konzerns mit dem Ausbau des TGV-Netzes verknüpft. Umsatzsteigerungen im HGV-Sektor waren an hohe Renditeerwartungen gekoppelt, die in den letzten Jahren nicht länger erfüllt werden konnten. Eine Reduktion der operativen Kosten des TGV-Geschäfts steht daher im Mittelpunkt aktueller Bemühungen und zeigt sich am deutlichsten anhand der Einführung des Low-Cost-Produktionskonzepts TGV Ouigo. Erzielte Kostenvorteile werden jedoch auch in Form geringerer Beförderungsentgelte an den Kunden weitergereicht und sollen zu einer Steigerung der Fahrgastzahlen beitragen. Ein radikal wirkender Ansatz des unter Federführung von Jean-Cyril Spinetta entstandenen Berichts „L’avenir du Transport ferroviaire“ zielt darauf ab, die Ausdehnung des per TGV bedienten Streckennetzes zu reduzieren. Gegenwärtig werden etwa 200 innerfranzösische Bahnhöfe durch den TGV angebunden [25], es befinden sich jedoch nur etwa 40 Bahnhöfe im direkten Einzugsgebiet der Hochgeschwindigkeitsstrecken. Galt das Konzept des beinahe flächendeckenden TGV-Betriebes auf Neubausowie Bestandsstrecken bislang als probat, um eine potentielle Ungleichberechtigung der Städte ohne TGV-Bahnhof zu kompensieren, erweist es sich in Spinettas Betrachtungsweise als kostenintensiv. Dem Bericht zufolge nimmt auf TGV-Relationen abseits des Hochgeschwindigkeitsstreckennetzes, die eine Reisezeit von drei Stunden überschreiten, der Anteil der Geschäftsreisenden rapide ab. Obgleich es sich um eine Personengruppe handelt, die lediglich 20 % der Gesamtnachfrage im TGV stellt, trage diese aufgrund ihrer überproportional ausgeprägten Zahlungsbereitschaft im TGV-Stammnetz mit bis zu 50 % zur Gesamtmarge bei [4]. Bild 4: Umsatz, operativer Gewinn und Marge im Geschäftsfeld TGV der SNCF Mobilités/ Voyages SNCF Quellen: [12]; Pressemeldungen Bild 5: Verhältnis von Umsatz und Verkehrsleistung des TGV Betriebs Quellen: [4, 9, 12] Pressemeldungen Relationen TGV taggleiche Buchung, 2. Klasse, Werktag [EUR/ km] 2012 [19] 2014 [20] 2016 [21-23] Paris - Marseille 662 km 0,18 0,22 0,18 Paris - Lyon 390 km 0,24 0,32 0,17 Paris - Lille 203 km 0,31 0,41 0,20 Tabelle 3: Entwicklung der TGV-Ticketpreise 2012-2016 auf drei Relationen (Maximalpreise für Tickets der 2. Klasse an einem Werktag) Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 28 INFRASTRUKTUR Schienenverkehr Trifft die genannte These zu, muss davon ausgegangen werden, dass die bezahlten Beförderungsentgelte Geschäftsreisender gegenüber den Entgelten Privatreisender in der Vergangenheit um bis zu 80 % höher lagen. Ein stichprobenartiger Preisvergleich nachfragestarker TGV-Relationen mit Fahrtantritt im November bzw. Anfang Dezember 2018 offenbart jedoch eine relativ gering ausgeprägte Preisdifferenzierung. Wird davon ausgegangen, dass Geschäftsreisende nur wenige Stunden vor Fahrtantritt erstattungsfähige Tickets der 2. Klasse buchen, so ergibt sich im Vergleich zur Frühbuchung (1 Monat im Voraus) und durch die Nutzung nicht oder nur teilweise erstattungsfähiger Sparpreise (Tarif „Loisir“) eine Preisdifferenz von maximal 32 %, wenn drei stark nachgefragte TGV-Relationen mit einer Fahrdauer zwischen 1: 57 und 3: 19 Stunden zu Hauptverkehrszeiten betrachtet werden. Lediglich auf der Relation Paris - Lille mit einer Fahrtdauer von weniger als einer Stunde stellt sich bei einer Nutzung der genannten Sparmöglichkeiten ein Rabatt von 58 % ein. Die Preisgestaltung erscheint insgesamt wenig nachvollziehbar: Auf mehreren Relationen ergaben sich für Tickets der 1. Klasse günstigere Frühbucherpreise als in der 2. Klasse, auf der Relation Paris - Bordeaux konnte für die Frühbuchung eines Tickets der 2. Klasse sogar ein höherer Preis im Vergleich zur taggleichen Buchung festgestellt werden (Tabelle 4). Angesichts der aktuell gering ausgeprägten Preisdifferenzierung des TGV-Angebots ist davon auszugehen, dass vormals stärker vorhandene Preisunterschiede mit der Einführung des TGV Ouigo nivelliert wurden. Um das Low-Cost-Konzept besser vom höherpreisigen TGV-Angebot abzugrenzen, etablierte die SNCF für den TGV Ouigo eine eigene Buchungsplattform. Im Vergleich zu den Fahrpreisen des klassischen TGV bzw. TGV InOui ergibt sich eine Fahrpreisreduktion von teilweise mehr als 80 % (Tabelle 5). Die Größenordnung dieser Preisdifferenz entspricht der Argumentationslinie des Spinetta-Berichts, die auf eine Ausschöpfung der Zahlungsbereitschaft geschäftlich reisender TGV-Kunden abzielt. In Anbetracht der negativen Entwicklung bei den Gewinnmargen im TGV-Produktionssystem stellt sich die Frage, wie ein niedrigpreisiger Ouigo-Verkehr finanzierbar wird. Entsprechend des Low-Budget- Konzepts ist die Qualität der Ouigo-Beförderungsangebote zumeist nicht mit derjenigen des klassischen TGV zu vergleichen. Preisorientierte Kunden nehmen neben einem fehlenden gastronomischen Service an Bord und Beschränkungen bezüglich der Zahl und den Abmessungen von Gepäckstücken in Kauf, dass Ouigo-Züge häufig nur in Tagesrandlagen verkehren und peripher gelegene Fernverkehrshalte bedient werden. Ausblick: Renaissance der Intercité- Verkehre möglich? Unter Berücksichtigung beschriebener Kostensteigerungen, sinkender Gewinnmargen und der propagierten Konzentration des TGV-Betriebs auf das eigentliche Hochgeschwindigkeitsnetz ist zu hinterfragen, ob die seit vielen Jahren betriebene kontinuierliche Reduktion des Intercité-Fahrplanangebots zugunsten des TGV weiterhin erstrebenswert ist. Vor dem Hintergrund des aktuellen Diskurses zur Reform des Staatskonzerns SNCF wären Maßnahmen zur Steigerung der Rentabilität eines Fernverkehrsprodukts zu prüfen, das wieder verstärkt auf Bestandsstrecken abseits der Hochgeschwindigkeitsstrecken verkehrt. Einen ersten Impuls in diese Richtung unternahm die SNCF selbst, indem sie seit dem Jahr 2015 unter dem Produktnamen „Intercité 100 % Éco“ einzelne Bestandsstrecken, nämlich Paris - Nantes, Paris - Strasbourg und Paris - Bordeaux (Bild 2), wieder mit Intercité-Zügen befährt. Diese stellen mit Ticketpreisen ab 15 EUR eine preisgünstige Alternative zum TGV-Angebot dar, verkehren jedoch bislang nur als einzelne Zugpaare von Freitag bis Sonntag [26]. Im Jahr 2010 unterzeichnete der französische Staat gemeinsam mit der SNCF- Tochter SNCF Mobilités einen Vertrag, der die Aufgabenträgerschaft für den Betrieb von 28 Intercité-Linien an den Staat übertrug. Intercité-Verkehren wurde infolgedessen die administrative Bezeichnung „Trains d’équilibre du territoire“ (TET; zu dt. Züge des territorialen Ausgleichs) verliehen. Angesichts des Status einer öffentlich erbrachten Verkehrsdienstleistung (service public) sieht der Vertrag einen finanziellen Ausgleich betrieblicher Defizite an die SNCF vor, solange verbindlich festgelegte Leistungs- und Qualitätsmerkmale erfüllt worden sind. Der Vertrag trat zum 1. Januar 2010 in Kraft und bestand bis ins Jahr 2016 [27]. Im Februar 2017 einigten sich die Parteien auf ein neues Vertragswerk mit einer Geltungsdauer von drei Jahren. Im Vergleich zu dem bisherigen Vertragswerk wurden Maßnahmen vereinbart, um der seit Jahren rückläufigen Fahrgastnachfrage und dem damit verbundenen Anstieg der Kompensationszahlungen zu begegnen. Wichtige vertragliche Neuerungen sind u. a. eine Übertragung der Aufgabenträgerschaft einzelner TET-Linien an Regionen, Investitionszuschüsse für neues Rollmaterial sowie eine verbesserte Koordination des Zugangebotes mit dem SPNV [28]. Seit Januar 2017 wurden acht TET-Linien unter regionaler Aufgabenträgerschaft dem Betrieb übergeben, bis 2020 soll sich die Anzahl solcher Linien verdoppeln [29]. Eine detaillierte Analyse der Entwicklung des Angebots sowie weiterer Potenziale der TET-Verkehre in der Aufgabenträgerschaft der Regionen ist Bestandteil eines Folgeartikels. Fazit Die negative wirtschaftliche Entwicklung des TGV-Verkehrs stellt eines der handlungsleitenden Motive für die geplante Reform der französischen Staatsbahn SNCF dar. Der Bau des mittlerweile rund 2.400 km umfassenden TGV-Streckennetzes trug zu über 50 % der heutigen Schuldenlast der Infrastruktursparte SNCF Réseau bei. Gleichzeitig wurde der finanzielle Spielraum für Investitionen in das Bestandsnetz empfindlich geschmälert und ein Investitionsstau in Relationen TGV Buchung taggleich Buchung 1 Monat im Voraus 1. Kl. 2. Kl. 2. Kl. Sparpreis 1. Kl. 2. Kl. 2. Kl. Sparpreis Paris - Marseille 3: 19 h 156,- 121,- 116,- 91,- 121,- 72,- Paris - Lyon 1: 57 h 137,- 105,- 97,- 137,- 105,- 97,- Paris - Bordeaux 1: 57 h 137,- 105,- 97,- 112,- 119,- 94,- Paris - Lille 0: 59 h 82,- 69,- 59,- 27,- 54,- 29,- Tabelle 4: Ticketpreise im TGV-Verkehr im November und Dezember 2018 (Produkte TGV und InOui) auf vier Relationen (Differenzierung nach Buchungszeitpunkt und Erstattungsrahmen, Beförderung werktags) Relationen TGV Ouigo Buchung taggleich 2. Kl. Buchung 1 Monat im Voraus 2. Kl. Paris - Marseille 3: 26 h 33,- 23,- Paris - Lyon 1: 48 h 13,- 13,- Paris - Bordeaux 2: 47 h 16,- 16,- Paris - Lille 1: 12 h 13,- 10,- Tabelle 5: Ticketpreise im TGV Ouigo-Verkehr im November und Dezember 2018 auf vier Relationen (Differenzierung nach Buchungszeitpunkt, Beförderung werktags) Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 29 Schienenverkehr INFRASTRUKTUR Kauf genommen. Die Instandhaltung der Hochgeschwindigkeitsstrecken bedingt zudem laufende Kosten in Millionenhöhe, die selbst durch die enorme Steigerung der Infrastrukturnutzungsgebühren und neue staatliche Zuwendungen nicht ausreichend kompensiert werden können. Entsprechende Preissteigerungen haben sich in der Vergangenheit bereits stark negativ auf Betriebsergebnisse des TGV ausgewirkt. Eine stetige Ausdehnung des TGV-Streckennetzes abseits der mit Hochgeschwindigkeit befahrenen Magistralen hat gemäß den Analysen des Spinetta-Berichts gleichfalls dazu geführt, dass die Renditeerwartungen auf einigen Relationen nicht länger erfüllt werden, da besonders zahlungsbereite Geschäftsreisende als Grundauslastung der TGV-Züge fehlen. Darüber hinaus ist eine generell sinkende Zahlungsbereitschaft zu erkennen, der SNCF Mobilités seit 2013 mit einem Low-Budget-Angebot „TGV Ouigo“ begegnet. Die dort angewandten Qualitätsmaßstäbe weichen dabei wesentlich von dem klassischen TGV-Angebot ab, das in der jüngsten Vergangenheit unter der Bezeichnung „TGV InOui“ nochmals aufgewertet wurde. Ein radikal wirkender Vorschlag des Spinetta-Berichts sieht vor, das TGV-Angebot zukünftig wieder auf Hochgeschwindigkeitsstrecken zu beschränken. Eine Renaissance des stark ausgedünnten Intercité-Verkehrs erscheint somit möglich und wurde in der jüngsten Vergangenheit durch die Neuauflage der Finanzierungsvereinbarung „Trains d’équilibre du territoire“ wahrscheinlicher. ■ QUELLEN [1] La République en Marche [Hrsg.], Programme En Marche! : Emmanuel Macron président. [Online] Verfügbar unter: https: / / storage. googleapis.com/ en-marche-fr/ COMMUNICATION/ Programme-Emmanuel-Macron.pdf. Zugriff am: Feb. 12 2019. [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [Hrsg.], „Bundesverkehrswegeplan 2030: Entwurf März 2016“, Berlin, 2016. [3] Deutsche Bahn AG [Hrsg.], „Der neue Fernverkehr: Mehr grüne Mobilität, bessere Anbindung, höherer Komfort“, Berlin, In: Perspektiven - Mobilität / Innovation / Verantwortung, 2015. [4] Ministère de la Transition écologique et solidaire [Hrsg.], „L‘avenir du Transport ferroviaire: Rapport au Premier Ministre“. Rapport de la mission conduite par Jean-Cyril Spinetta, Feb. 2018. [5] Sénat (France) [Hrsg.], Nouveau pacte ferroviaire: Loi pour un nouveau pacte ferroviaire. [Online] Verfügbar unter: http: / / www.senat. fr/ dossier-legislatif/ pjl17-435.html. Zugriff am: Feb. 12 2019. [6] Loi no. 2018-515 du 27 juin 2018 pour un nouveau pacte ferroviaire: TRAT1805471L, 2018. [7] Gouvernement de la République Française [Hrsg.], SNCF, pour un nouveau pacte ferroviaire. [Online] Verfügbar unter: https: / / www. gouvernement.fr/ action/ sncf-pour-un-nouveau-pacte-ferroviaire. Zugriff am: Feb. 12 2019. [8] Gouvernement de la République Française [Hrsg.], SNCF: une étape déterminante a été franchie au Sénat. [Online] Verfügbar unter: https: / / www.gouvernement.fr/ argumentaire/ sncf-uneetape-determinante-a-ete-franchie-au-senat. Zugriff am: Feb. 12 2019. [9] Commissariat géneral au développement durable [Hrsg.], „Les comptes des transports en 2017: 55e rapport de la Commission des comptes des transports de la Nation“. 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[25] Autorité de régulation des activités ferroviaires et routières [Hrsg.], „Annexes: Bilan du transport ferroviaire de voyageurs 2015/ 2016“, Département des études et de l‘observation des marchés, Paris, 2018. [Online] Verfügbar unter: http: / / www.arafer.fr/ wp-content/ uploads/ 2017/ 11/ ANNEXE_ARAFER_Bilan-annuel-marche-ferroviaire-voyageurs-2015-2016.pdf. Zugriff am: Nov. 07 2018. [26] SNCF Mobilités [Hrsg.], Intercités 100 % Éco. [Online] Verfügbar unter: https: / / www.oui.sncf/ bons-plans/ intercites-eco#! / . Zugriff am: Jan. 17 2019. [27] Ministère de l‘écologie, du développement durable et de l‘énergie [Hrsg.], „Rapport d‘exécution de la convention d‘exploitation des trains d‘équilibre du territoire: Année 2014“, Direction générale des infrastructures, des transports et de la mer, 2015. [28] Ministère de l‘environnement, de l‘énergie et de la mer [Hrsg.], „Convention relative à l‘exploitation des trains d‘équilibre du territoire (TET) 2016-2020“, Paris, 2017. 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Universitätsprofessor, Leiter des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der RWTH Aachen niessen@via.rwth-aachen.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 30 INFRASTRUKTUR Flughäfen Pavement Management- Systeme für Flugbetriebsflächen Szenarienanalyse zur Optimierung von M&R-Maßnahmen und des Investitionsvolumens Pavement Management-Systeme, PCI, M&R-Maßnahmen, Optimierung Investitionseinsatz, Flugbetriebsflächen Die EASA fordert im Zuge der EU-Verordnung 139/ 2014 eine Einführung von Instandhaltungsprogrammen einschließlich präventiver M&R-Maßnahmen (Maintenance & Rehabilitation) für Flugbetriebsflächen (FBF) zur Vereinheitlichung und Erfüllung grundlegender Sicherheitsstandards an allen im Geltungsbereich befindlichen Flughäfen. Vor dem Hintergrund einer Selbstfinanzierung der Verkehrsflughäfen ist demnach vor allem eine effiziente Verwaltung der Flughafeninfrastruktur und des benötigten Investitionsvolumens zum Erhalt der Flugbetriebsflächen erforderlich. Der Zustand von FBF hängt dabei im Wesentlichen vom Alter der Flächen und der Lastintensität durch die Luftfahrzeuge (LFZ) ab. Da sich das erforderliche Investitionsvolumen für M&R-Maßnahmen maßgeblich aus dem aktuellen Zustand in Verbindung mit dem prognostizierten Luftverkehr ergibt, ist im Sinne der Optimierung des Investitionseinsatzes eine effektive Nutzung und Instandhaltung der FBF notwendig. Christina Pastor Brandt, Ulrich Häp D as Passagieraufkommen ist seit Beginn des Luftverkehrs stetig gestiegen und wird sich gemäß den Prognosen in den kommenden 20 Jahren verdoppeln [1]. Dies hat zur Folge, dass insbesondere die größeren Verkehrsflughäfen ihre bestehenden Kapazitäten anpassen bzw. ausbauen müssen. Um die Nachfrage zu bedienen und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit zu steigern, werden zunehmend größere Flugzeugtypen innerhalb einer Flugzeugkategorie eingesetzt (z.B. A320 zu A321, B737- 800/ 900 zu B737 MAX), so dass sich in den letzten Jahren die Anzahl an Flugbewegungen auf einem nahezu konstanten Niveau bewegt hat. Parallel dazu konnte die Flugzeugauslastung gesteigert werden, was wiederum in einer Steigerung der Effizienz resultierte. Diese Entwicklungen führen unter anderem zu einer Erhöhung der Lastintensität und damit zu einer beschleunigten Abnutzung und Verkürzung der Lebensdauer von Flugbetriebsflächen (FBF). Um ein einheitliches Sicherheitsniveau an allen europäischen Verkehrsflughäfen zu gewährleisten, wurden im Rahmen der EU- Verordnung 139/ 2014 durch die Europäische Kommission Richtlinien zur Einführung gemeinsamer Standards für die Planung, den Betrieb und den Erhalt von FBF erlassen [2]. Diese regulatorischen Vorgaben legen fest, dass an jedem im Geltungsbereich der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA, European Aviation Safety Agency) liegenden Flugplatz eine sog. EASA-Zertifizierung bis zum 31. Dezember 2017 vorliegen muss. Dabei kann es sich entweder um eine Erstzertifizierung oder um eine Umwandlung eines bereits vorhandenen Zeugnisses handeln, welches in Deutschland von der jeweiligen Luftfahrtbehörde des Landes vergeben wird. Die umzusetzenden Standards wurden von der EASA auf Grundlage des ICAO Annex 14 in den sog. Zulassungsspezifikatio- Bild 1: Typischer Lebenszyklus einer Flugbetriebsfläche (FBF) Quelle: [6] Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 31 Flughäfen INFRASTRUKTUR nen (CS) und Anleitungen (GM) für die Anlage von Flugplätzen [3] sowie in den annehmbaren Nachweisverfahren (AMC) festgelegt. Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 139/ 2014 ist unter anderem ein „[…] Instandhaltungsprogramm, gegebenenfalls einschließlich präventiver Instandhaltungsmaßnahmen, aufzustellen und diese zur Instandhaltung der Flugplatzeinrichtungen umzusetzen, so dass diese den grundlegenden Anforderungen […] entsprechen“ [4]. Im Rahmen einer effizienten und wirtschaftlichen Umsetzung der geforderten Richtlinien wird daher das sog. Pavement Management-System (PMS) implementiert, welches einen strukturierten Prozess zur Erhaltung und Sanierung der FBF darstellt. Dies ist vor allem im Hinblick auf Budgetengpässe sowie in Bezug auf die grundsätzlich geforderte Selbstfinanzierung von Verkehrsflughäfen relevant (Subventionierungsverbot) [5]. Im Zuge dieser Arbeit wurden mithilfe einer Szenarienanalyse die Anwendung einer PMS-Software sowie die Auswirkungen auf die Infrastruktur (FBF) und das Investitionsvolumen untersucht. Ziel war es, allgemeingültige Aussagen hinsichtlich der Entwicklungen im Luftverkehr und den daraus resultierenden M&R-Maßnahmen (Maintenance & Rehabilitation) abzuleiten. Pavement Management-Systeme Während Entscheidungen über erforderliche Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen der FBF in der Vergangenheit oftmals auf Grundlage von Erfahrungen der zuständigen Experten sowie dem unmittelbaren Bedarf getroffen wurden, entwickelte sich in den 1970er Jahren das sogenannte „Pavement Management“ als Prozess zur systematisierten Planung und Verwaltung von FBF. Pavement Management-Systeme bezeichnen dabei rechnergestützte Managementsysteme, die als ein Instrument zur effizienten Verwaltung der vorhandenen Infrastruktur und als Entscheidungsgrundlage für die Auswahl eines optimalen Instandhaltungsprogramms dienen. Im Rahmen einer systematisierten Sammlung, Archivierung und Bewertung von Daten über den aktuellen und zukünftigen Zustand einer FBF soll auf strukturierte Art und Weise die effiziente Erhaltung der vorliegenden Flächen gewährleistet werden. Ziel ist es, die Lebensdauer der gesamten Flächen zu optimieren und gleichzeitig den Einsatz der benötigten finanziellen Mittel zu optimieren. Es ist allerdings zu beachten, dass PMS keine eindeutige Lösung vorgeben, sondern vielmehr durch Vergleiche von Alternativen eine Priorisierung möglicher Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen als Entscheidungshilfe für die zuständigen Entscheidungsträger bereitstellen. Während sich der Zustand einer FBF in den ersten 75 % der Nutzungszeit in der Regel nur um ca. 40 % verschlechtert (1. Phase), sinkt die Qualität der Fläche in den nächsten 12 % der Nutzungszeit (2. Phase) drastisch um ca. den gleichen Anteil. Bild 1 zeigt die Abhängigkeit des Zustands einer FBF von der Nutzungsdauer. Betrachtet man den Erhaltungsaufwand, müsste als Maß ein 1 USD nach 75 % der Nutzungsdauer eingesetzt werden. Nach weiteren 12 % erhöht sich der Erhaltungsaufwand auf 4 bis 5 USD. Dies bedeutet, dass sich durch eine Verzögerung von Sanierungs- und Erhaltungsmaßnahmen bis in die 2. Phase des Lebenszyklus die Investitionen um das 4bis 5-Fache erhöhen. Unter Zuhilfenahme eines PMS kann der optimale Zeitpunkt zur Durchführung von Sanierungs- und Erhaltungsmaßnahmen bestimmt werden, welcher den Zustand der Fläche bei effizientem finanziellem Einsatz auf einem höchstmöglichen Niveau erhält. Methodik von PMS am Fallbeispiel-PAVER™ In den späten 1970er Jahren entwickelten das US Army Corps of Engineers (USACE) und die Federal Highway Administration der Universität Illinois zur Unterstützung des Department of Defense die rechnergestützte PMS-Software PAVER™, um den Einsatz von Finanzmitteln für M&R-Maßnahmen zu optimieren und die Qualität der FBF sicherzustellen [7]. PAVER™ dient der Verwaltung von Flugbetriebsflächen, Straßen sowie Parkflächen. Im Zuge der Anwendung lässt die Software weitreichende benutzerspezifische Anpassungen zu. Aufgrund der Unterstützung durch die FAA wird PAVER™ bisher hauptsächlich an US-amerikanischen Flughäfen genutzt. Der Aufbau von PAVER™ ist datenbankbasiert und entspricht der typischen Struktur eines PMS (siehe Bild 2). Die Basiskomponente Datenbank wird in PAVER™ als „Inventory Management“ bezeichnet und erlaubt dem Nutzer die Speicherung der benötigten Informationen über das Untersuchungsgebiet sowie Daten zu Faktoren, welche den Zustand von FBF beeinflussen [8]. Die Zustandsaufnahme und anschließende Bewertung (Quality Evaluation) erfolgen im Rahmen von Begehungen der FBF durch den sog. FieldInspector™, eine Begleitsoftware zur Aufnahme von Schäden vor Ort. Die Schäden werden dabei gemäß dem Handbuch für Schadensbilder (Field Manual) bewertet und in den FieldInspector™ eingetragen [9, 10]. Die erfassten Schäden werden dabei anhand eines sog. Flächenzustandsindexes (Pavement Condition Index, PCI) nummerisch bewertet. Beim PCI handelt es sich um eine Kennzahl, die den aktuellen Zustand der Fläche auf Grundlage beobachteter Schäden und Bestandsdaten in Form eines nummerischen Indexes wiedergibt. Der Flächenzustand wird dabei auf einer Skala von 0 bis 100 angegeben, wobei ein Wert von 100 einen einwandfreien bzw. neuen Zustand der Fläche beschreibt. Ein Wert von 0 bedeutet dagegen, dass es sich um eine zerstörte Fläche handelt. Je tiefer der Wert liegt, desto schwerwiegender sind die festgestellten Schäden bzw. Mängel und die Auswirkungen auf den Flugbetrieb. Die Skala von 0 bis 100 ist wiederum in sieben Zustandskategorien eingeteilt (Tabelle 1), wobei jeder Kategorie eine Farbe • Inventory Management Database (Datenbank) • FieldInspector • PCI • Condition Analysis Quality evaluation (Zustandsbewertung) • Prediction Modeling (Family Modeling) • M&R Work Planning Strategies evaluation (Bewertung von Strategien) • Project Planning Conservation program (Instandhaltungsprogramm) Bild 2: Komponenten von PAVER™ bezogen auf allg. Bestandteile eines PMS Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 32 INFRASTRUKTUR Flughäfen zugeordnet ist. Dies dient der bildlichen Darstellung des Flächenzustandes der einzelnen Untersuchungsabschnitte innerhalb eines Lageplans. Generell wird ein PCI über 55 angestrebt, da es sich hierbei um einen für den Flugbetrieb unbedenklichen „Soll-Zustand“ handelt. Ein PCI zwischen 26 und 55 beschreibt den Zustand der FBF für den Flugbetrieb als kritisch. Eine Einstellung des Flugbetriebes zur Flächensanierung oder -erneuerung ist zeitnah angebracht. FBF mit einem PCI kleiner 25 sind für den Flugbetrieb als sehr bedenklich bzw. nicht mehr nutzbar einzustufen, so dass eine Erneuerung der betroffenen Abschnitte unumgänglich ist. Die im Programm enthaltene „Condition Analysis“ bietet mit ihrer GIS-Funktion die grafische Darstellung und Analyse des erfassten Zustands. Die Bewertung von möglichen M&R- Maßnahmen zur Behebung der aufgenommenen Schäden erfolgt in diesem System in erster Linie über zwei Komponenten. Zum einen ermöglicht das „Family Modeling“ die Prognose der Zustandsentwicklung der Flächen. Zum anderen lassen sich darauf aufbauend mithilfe des Analysetools Work Planer™ die optimalen M&R-Maßnahmen hinsichtlich des Zeitpunkts und Budgets generieren. Die ausgewählten Maßnahmen bilden anschließend das umzusetzende Instandhaltungsprogramm für einen Betrachtungszeitraum, welches mithilfe des sog. „Project Planning-Tools“ realisiert werden kann [11]. Szenarienanalyse Um ein PMS bzw. die entsprechende Software bewerten zu können, ist die Analyse verschiedener Szenarien zweckmäßig. Wie bereits vorab beschrieben, wird ein allgemeines Wachstum im Passagieraufkommen prognostiziert und dementsprechend als Grundlage für die Szenarien angenommen. Ziel der Szenarienanalyse war es, die Veränderungen verschiedener Einflussparameter auf die Lebensdauer von FBF zu analysieren und gegenüberzustellen sowie die kritischen und unkritischen Faktoren für den Flächenzustand zu identifizieren. Für die Ermittlung von repräsentativen Ergebnissen wurden dafür zwei Beispielflughäfen unterschiedlicher Größe und Funktion als Untersuchungsgegenstand für die Analyse gewählt. Flughafen 1 (FH1) stellt dabei einen Hub-ähnlichen Flughafen dar, während Flughafen 2 (FH2) die Charakteristiken eines Regionalflughafens widerspiegelt. Als Rahmendaten für FH1 wird ein jährliches Passagieraufkommen von über 20-Mio. angesetzt. Daraus resultieren mehr als 200.000 Flugbewegungen/ Jahr. Demgegenüber wird für FH2 ein jährliches Passagieraufkommen zwischen 1 und 5 Mio. angesetzt. Daraus resultieren ca. 50.000 Bewegungen/ Jahr. Der als Belastungskollektiv angenommene Flugzeugmix basiert auf realen Flugbewegungen bzw. Nutzungen an Vergleichsflughäfen [13]. Innerhalb der Szenarienanalyse wurden einerseits das Verkehrsaufkommen, andererseits die Verkehrsbelastung variiert. Eine Sensitivitätsanalyse erfolgte nach dem Ceteris-paribus-Prinzip, d.h. der Veränderung einzelner ausgewählter Parameter unter sonst gleichen Bedingungen. Folgende Szenarien wurden demzufolge betrachtet: • Szenario 1: Wachstum des Passagieraufkommens a) Jährliches Wachstum der Flugbewegungen (konstanter Flugzeugmix) b) Änderung des Flugzeugmixes (konstante Gesamtflugbewegungen) c) Erhöhung Flugbewegungen und Änderung des Flugzeugmixes (Erhöhung Koordinationseckwert) • Szenario 2: Anpassung des Geschäftsmodells - Nutzung von Luftfahrzeugen (LFZ) der Kategorie D/ E/ F (Cargo) In Szenario 1a) wurde ein kontinuierliches, jährliches Wachstum der Flugbewegungen von 2,5 % bis 10 % bei gleichbleibendem Flugzeugmix betrachtet. Um dem Trend Rechnung zu tragen, dass allgemein zunehmend größere Flugzeugmuster eingesetzt werden, die Gesamtflugbewegungen jedoch nahezu konstant bleiben, wurde in Szenario 1b) die Entwicklung eines einmaligen Anstiegs der LFZ der Kategorie Code-letter D/ E/ F untersucht. Daraus folgt eine Reduktion der Flugbewegungen der jeweils anderen Kategorien. Szenario 1c) stellt den klassischen Fall einer luftseitigen Kapazitätssteigerung und der damit verbundenen Erhöhung des Koordinationseckwertes dar. Aufgrund der zur Verfügung stehenden „Mehrkapazität“ führt dies im betrachteten Fall zu einer Erhöhung der Flugbewegungen sowie einer Änderung des Flugzeugmixes. Szenario 2 betrifft ausschließlich Regionalflughäfen (FH2). Es wurde davon ausgegangen, dass bspw. durch eine Anpassung oder Änderung des Geschäftsmodells Mehreinnahmen erzielt werden können. Dies ist in Form einer Ausweitung auf Cargo-Luftverkehr denkbar und bedeutet für die flugbetriebliche Nutzung, dass zukünftig LFZ einer höheren Kategorie, z. B. D/ E/ F, abgewickelt werden sollen. Als Analysebasis dienten zwei Referenzzustände für die jeweilige FBF. Zum einen wurde eine neue FBF angesetzt: PCI = 100, zum anderen eine FBF mittleren Alters: PCI-= 70. Zur Bestimmung der Restnutzungsdauer wurde außerdem ein Standardaufbau in Betonbauweise angenommen. Die Bauweise für FH1 entspricht dem Standard für LFZ der ICAO-Kategorie D/ E/ F [14]. Die Standardbauweise für FH2 entspricht der Bauweise für LFZ der ICAO-Kategorie C (siehe Bild 3). Dabei ist zu beachten, dass die Restnutzungsdauer einer FBF in der Regel ca. 25 Jahre beträgt. Aus sämtlichen Ergebnissen wurde jeweils ein Abnahmefaktor in Form: PCI/ Jahr abgeleitet, der ein Maß für die durchschnittliche jährliche Reduzierung des Zustands der FBF bei einem angenommenen linearen Schadensverlauf darstellt. Die standardmäßige Abnahme einer FBF in Betonbauweise beträgt durchschnittlich 3 bis 4 PCI-Punkte/ Jahr. Daraus resultiert die angenommene Nutzungsdauer von ca. 25 Jahren, da nach dieser Zeit die untere PCI-Grenze von 25 erreicht wird. Auswirkungen auf die Infrastruktur Im Rahmen der Ergebnisanalyse konnten die für die rechnerische Restnutzungsdauer und damit für den Erhalt der FBF kritischen bzw. unkritischen Faktoren identifiziert werden. Es wurde generell deutlich, dass kontinuierliche, jährliche Wachstumsraten der PCI Zustandskategorie Farbe Wertung 0 - 10 zerstört (failed) Flugbetrieb einstellen (sehr bedenklich) 11 - 25 bedenklich (serious) 26 - 40 sehr schlecht (very poor) für Flugbetrieb kritisch 41 - 55 mangelhaft (poor) 56 - 70 ausreichend (fair) Soll-Zustand 71 - 85 zufriedenstellend (satisfactory) 86 - 100 gut (good) Tabelle 1: Pavement Condition Index [12] Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 33 Flughäfen INFRASTRUKTUR Flugbewegungen bis zu 10 %, vor allem bei neuen FBF, relativ unbedenklich für die Restnutzung sind (Szenario 1a). Dies ist ebenfalls für eine FBF mit einer bisherigen Nutzungsdauer von zehn Jahren der Fall. Bis zu einem Wachstum von 7,5 % p.a. ist die jährliche Zustandsabnahme noch in einem akzeptablen Niveau (< 8 PCI/ Jahr). Im Gegensatz dazu sind Erhöhungen der jeweils größten eingesetzten LFZ-Kategorie (D/ E/ F) an einem Verkehrsflughafen als maßgeblicher Faktor für die Lebensdauer zu betrachten und als kritisch zu bewerten. Besonders bei bereits älteren FBF führen diese Erhöhungen an Flugbewegungen zu einer Zerstörung der Flächen in einem sehr kurzen Zeitraum. Dabei wird vor allem der unterschiedliche Einfluss der Lastintensitäten der Kategorien A/ B und C in den Szenarien 1b und 1c auf die FBF für FH2 deutlich sichtbar. Eine Wachstumsrate von 50 %, d.h. ein Zuwachs von ca. 5.000 Flugzeugen/ Jahr der Kategorie C führt bereits zu einer Abnahme der Restnutzungsdauer um fast zehn Jahre. Die resultierenden Ergebnisse für die verbleibende Restnutzungsdauer aus Szenario 1c entsprechen hierbei den Werten aus 1b, obwohl im ersten Fall die Gesamtflugbewegungen deutlich höher ausfallen. Dies bestätigt die These, dass der Einsatz einer größten LFZ-Kategorie, in diesem Fall der ICAO-Kategorie C, maßgebend für die Zustandsveränderung der FBF ist. Konstante Flugbewegungen des jeweils kleineren Flugzeugtyps zeigen nahezu keine Auswirkungen auf das Schadensbild bzw. die Restnutzungsdauer. Szenario 2 beinhaltet den neuen und zusätzlichen Flugbetrieb von LFZ der ICAO- Kategorie D/ E/ F. Es zeigt sich, dass FBF, die nur für ICAO-Kategorie C dimensioniert sind, bereits nach einer sehr kurzen Nutzungszeit eine erhebliche Schädigung eintritt. Dies bedeutet z.B. für eine ca. zehn Jahre alte FBF mit einem Standardaufbau für Kategorie C, dass bereits bei einem LFZ der ICAO-Kategorie D/ E/ F pro Tag (ca. 730 Flugbewegungen/ Jahr) die verbleibende Restnutzungsdauer drastisch abnimmt (nur zwei bis fünf Jahre) und somit als inakzeptabel eingestuft werden muss. Der Einsatz von ca. zwei LFZ der Kategorie D/ E/ F pro Tag führt sogar bei neuen FBF mit einem Standardaufbau für LFZ der Kategorie C zu einem sehr hohen Abnahmefaktor und ist daher ebenfalls als inakzeptabel zu bewerten. Die folgende Bewertungsmatrix (siehe Tabelle 2) beinhaltet die Zusammenstellung der Analyseergebnisse. Während eine Variante für den Betrieb von FBF mit einem Abnahmefaktor von 0 bis 5 PCI-Punkte/ Jahr als geeignet (+) gilt und 6 bis 7 PCI-Punkte/ Jahr noch als akzeptabel (O) einzustufen sind, stellt eine Abnahme von ≥ 8 PCI-Punkten/ Jahr eine inakzeptable (-) Schädigung der FBF dar, so dass eine Erhöhung der Verkehrsbelastung nicht erfolgen sollte. Es bietet sich aus infrastruktureller Sicht an, bei einer möglichen Steigerung des Flugbetriebes und/ oder einer zusätzlichen Nutzung durch Kategorie D/ E/ F vorab die entsprechende FBF komplett zu sanieren oder auf eine höhere Tragfähigkeit auszubauen („upgrade“). Da diese „einfache Lösung“ in der Regel aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur sukzessiv oder in einzelnen Bereichen umgesetzt werden kann, verbleiben nur betriebliche Anpassungen und Verfahren, die eine Nutzungsverlängerung bewirken können. Dies kann z.B. eine Anpassung der Rollführung darstellen. (a) Flughafen 1 (b) Flughafen 2 Bild 3: Angenommener Standardaufbau in Betonbauweise Quelle: [15] FBF FH Jährliches Wachstum in % (alle LFZ) Einmaliges Wachstum in % („größte“ LFZ-Kategorie) Anzahl Flugbewegungen (D/ E/ F) pro Jahr Szenario 1a Szenario 1b Szenario 1c Szenario 2 2,5 5 7,5 10 50 100 150 200 50 100 150 200 104 730 1500 3000 Neu (PCI=100) FH1 + + + O + O O O + O O O FH2 + + + O + O O - + O O - + O - - Nutzungsdauer 10 Jahre (PCI=70) FH1 + O O - O - - - O - - - FH2 + O O - O - - - O - - - O - - - Tabelle 2: Bewertungsmatrix Abnahmefaktor der Restnutzungsdauern Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 34 INFRASTRUKTUR Flughäfen Auswirkungen auf das Investitionsvolumen Das Investitionsvolumen hängt einerseits vom Ist-Zustand der jeweiligen FBF ab und andererseits von der zukünftigen Verkehrsbelastung bzw. der Verkehrsentwicklung. Eine sog. Budget-Szenario-Analyse kann mittels PAVER™ den erforderlichen Investitionseinsatz zur Wiederherstellung einer FBF unter Annahme von Standardkostensätzen aufzeigen. Analog zu der typischen Lebenszykluskurve von FBF ermittelt PAVER™ ein Investitionsvolumen für M&R-Maßnahmen. Dieses Investitionsvolumen beinhaltet die Budgeterhöhung um das 3bis 4-Fache bei FBF mit einem PCI von 25 im Gegensatz zu FBF mit einem PCI von 70. Dementsprechend sollten M&R-Maßnahmen zu einem optimalen Zeitpunkt eingeplant werden. Es bietet sich deshalb in der Regel an, vor der Anpassung bzw. Erhöhung der Verkehrsbelastung eine Komplettsanierung der jeweiligen FBF durchzuführen, um im Zuge einer Neudimensionierung den Abnahmefaktor PCI/ Jahr zu reduzieren. Bei einer frühzeitigen Maßnahme ist evtl. die Realisierung eines sog. Overlays möglich. Dabei handelt es sich um ein zusätzliches Schichtenpaket, das auf die vorhandene (geschädigte) Oberfläche zur Erhöhung der Tragfähigkeit aufgetragen wird. Dadurch können einerseits der Altbestand weiter genutzt und Kosten gespart werden und andererseits die grundsätzliche Dimensionierung für LFZ der Kategorie C (FH2) auf LFZ der Kategorie D/ E/ F (FH1) erhöht werden. In diesem Fall sind Investitionsersparnisse von bis zu ca. 50 % möglich. Fazit Die Szenarienanalyse zur Optimierung der M&R-Maßnahmen wurde mithilfe der PMS-Software PAVER™ durchgeführt. Ziel war es, allgemeingültige Aussagen hinsichtlich der Auswirkungen auf die FBF als Folge der Entwicklungen im Luftverkehr und den daraus resultierenden M&R-Maßnahmen abzuleiten. Die Ergebnisse der Szenarienanalyse haben gezeigt, dass sich eine konstante jährliche prozentuale Zunahme der Gesamtflugbewegungen um bis zu 10 %, welche sich gleichmäßig über den bestehenden Flugzeugmix erstreckt, sich als relativ unkritisch für die Entwicklung der Restnutzungsdauer von FBF darstellt. Dies trifft sowohl für neue als auch für bereits ca. zehn Jahre alte FBF zu. Im Gegensatz dazu bewirkt eine Veränderung der Verteilung des bestehenden Flugzeugmixes bzw. eine Zunahme der jeweils größten Flugzeugkategorie (ICAO- Kategorie D/ E/ F) eine drastische Abnahme der Restnutzungsdauer einer FBF. Ist z.B. eine FBF nur für LFZ der ICAO-Kategorie C ausgelegt, hat die Abwicklung von lediglich einem LFZ der ICAO-Kategorie D/ E/ F pro Tag bereits eine Halbierung der Restnutzungsdauer zur Folge. Sollte dementsprechend bei Verkehrsflughäfen mit ausschließlichem Betrieb der ICAO-Kategorie C und dementsprechend dimensionierten FBF eine Nutzung mit ICAO-Kategorie D/ E/ F-LFZ anvisiert werden, ist stets eine Komplettsanierung der FBF in Betracht zu ziehen. Dadurch kann einerseits von Beginn der Nutzung an eine ausreichende Restnutzungsdauer gewährleistet werden (i. d. R. > 20 Jahre), andererseits können im Zuge der Komplettsanierung richtlinienkonforme Konfigurationen für ICAO-Kategorie D/ E/ F-LFZ realisiert werden. Betriebliche Einschränkungen und/ oder Sondergenehmigungen können dadurch vermieden werden. Angemerkt werden muss, dass gemäß den Richtlinien der EASA zukünftig alle Verkehrsflughäfen in Form eines PMS die erforderlichen Investitionen in die Infrastruktur darstellen müssen. Ziel ist es, dass sich auch kleinere Verkehrsflughäfen selbstständig finanzieren können. Staatliche Subventionierungen sind ab dem Jahr 2024 nicht mehr erlaubt. Dies bedeutet hinsichtlich der Entwicklung des Luftverkehrs, dass die Auswirkungen auf die FBF an kleinen Flughäfen an Bedeutung gewinnen. Im Zuge einer wesentlichen Änderung des Luftverkehrs an einem Verkehrsflughafen sollte deshalb vorab untersucht werden, inwieweit der Luftverkehr hinsichtlich der Investitionen in die Infrastruktur kostenneutral abgewickelt werden kann, d.h. welcher Cash-Flow generiert werden muss, um den Erhalt der FBF aus eigener Kraft finanzieren zu können. Allgemein wird zwar davon ausgegangen, dass dies bei einem Passagieraufkommen von ca. 4 bis 5 Mio. Passagieren/ Jahr eintritt, jedoch konnte diese „These“ während dieser Arbeit nicht belegt werden. Grundsätzlich sollte als Grundlage für eine Betrachtung der M&R-Maßnahmen sowie des Investitionsvolumens ein PMS genutzt werden. ■ LITERATUR [1] Berster, P. et al. (2015): Luftverkehrsbericht 2014: Daten und Kommentierungen des deutschen weltweiten Luftverkehrs. (Hrsg.: DLR). Köln [2] Europäische Kommission (2014): Neue EU-Vorschriften für die Sicherheit von Flughäfen. Internet: http: / / europa.eu/ rapid/ press-release_IP-14-217_de.htm, Abruf: 24.07.2017 [3] EASA (2014): Annehmbare Nachweisverfahren (AMC) und Anleitungen (GM) für aufsichtsbehördliche, organisatorische und flugbetriebliche Anforderungen an Flugplätze. (Hrsg.: ADV e.V.), 1. Auflage, Berlin [4] Europäische Union (2014): Verordnung (EU) Nr. 139/ 2014 der Kommission vom 12. Februar 2014 zur Festlegung von Anforderungen und Verwaltungsverfahren in Bezug auf Flugplätze gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/ 2008 des Europäischen Parlaments und des Rates [5] ARD-aktuell (2014): EU kappt Flughafen-Subventionen: Staatshilfen ab 2024 verboten. Internet: https: / / www.tagesschau.de/ ausland/ eu-flughafen100.html, Abruf: 08.01.2018 [6] Applied Pavement Technology, Inc. (2013): Washington Airport: Pavement Management Manual [7] Shahin, M. Y. (2005): Pavement Management for Airports, Roads, and Parking Lots. 2. Auflage, Springer, New York [8] PAVER™ (2014): PAVER™ 7: Pavement Management System. U.S. Army Corps of Engineers [9] U.S. Army Corps of Engineers (2009a): Asphalt surfaced airfields: PAVER™ distress identification manual. [10] U.S. Army Corps of Engineers (2009b): Concrete surfaced airfields: PAVER™ distress identification manual [11] Shahin, M.Y. et al. (1994): Comparing Pavement Performance and Its Effect on Maintenance and Rehabilitation Cost. In: Transportation Research Board Conference Proceedings, 1 (1), S. 237-245 [12] igr AG (2016): Flughafenbetriebsflächen - Pavement Management System: Erläuterungsbericht. Internes Dokument, Rockenhausen [13] Häp, U. (2007): Bewertungsverfahren für Planungsvarianten von Start-und Landebahnen bei einem Flughafenausbau. Schriftenreihe des Instituts für Verkehrswesen und Raumplanung, Universität der Bundeswehr, (51) [14] International Civil Aviation Organization (2016): „Aerodromes - Annex 14”, Volume I, Aerodrome Design and Operations. 7th Edition, Montreal, July 2004 [15] FAA (2017): FAARFIELD Version 1.42. Federal Aviation Agency, Washington D.C Christina Pastor Brandt, M.Sc. Planungsingenieurin für Flughäfen, igr AG, Hamburg c.pastorbrandt@igr.de Ulrich Häp, Dr.-Ing. Niederlassungsleiter/ Fachbereichsleiter Flughäfen, igr AG, Hamburg u.haep@igr.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 35 Strategie LOGISTIK Smarte Konzepte für zukunftsfähige urbane Logistik- und Verkehrssysteme Autonome Systeme, Gütertransport, Infrastruktur, Künstliche Intelligenz, Stadtlogistik Städte stehen vor der dringenden Herausforderung, sich in effizientere und umweltfreundlichere Mobilitäts- und Logistik-Ökosysteme zu wandeln. Wie können intelligente Technologien und Prozesse dazu beitragen? Ein Ausblick. Frank Straube, Anna Lisa Junge D er Güterverkehr in Städten dient vor allem Sammel- und Verteilfunktionen für Industrie, Handel und Dienstleister sowie für Endkonsumenten. Durch den zunehmenden Onlinehandel und gestiegene Kundenanforderungen (B2B und B2C) nach On-demand-Lieferungen werden diese immer kleinteiliger und belasten die zur Verfügung stehende Infrastruktur überproportional im Vergleich zum Anstieg der transportierten Güter. In Deutschland wird voraussichtlich spätestens 2022 der Meilenstein von vier Milliarden Kurier-, Express- und Paketsendungen pro Jahr erreicht werden (BIEK, 2018), zu diesem Zeitpunkt werden mehr als 77 % der deutschen Bevölkerung in Städten leben (UN DESA, 2018). Der stetig wachsende E- Commerce vor allem im B2C-Segment ist hier der Haupttreiber, aber auch die Anzahl internationaler Paketsendungen steigt. Diese Entwicklungen verlangen eine Umgestaltung bestehender Logistik- und Verkehrssysteme, die eine effiziente und umweltfreundliche Versorgung und Entsorgung von Gütern ermöglichen. Intelligente Technologien und Prozesse Technologien wie Künstliche Intelligenz, autonome Systeme und smarte Ladungsträger bieten Potentiale, den Herausforderungen für Verkehr und Logistik in Städten zu begegnen. Sie können helfen, Daten zu erfassen und zu analysieren, um sie letztendlich in einen konkreten Mehrwert zu verwandeln, damit vernetzte, effiziente und lebenswerte Städte geschaffen werden. Künstliche Intelligenz kann zur Überwachung, Regelung und Optimierung von Verkehrsströmen, zur Verbesserung der Infrastruktur und Optimierung von Ressourcen wie freier Parkplätze oder zur adaptiven Signalregelung eingesetzt werden. Autonome Systeme wie Lieferroboter bieten die Möglichkeit, die Zustellung auf der letzten Meile neu zu gestalten. Smarte Ladungsträger, die es erlauben, interne und externe Bedingungen entlang der Lieferkette in Echtzeit zu überwachen, können durch Sichtbarkeit und Datenaggregation auf Ladungsträgerebene eine neuartige Lieferqualität gewährleisten, die den steigenden Kundenanforderungen Genüge trägt. Diese Möglichkeiten werden nur als Grundstein für effizientere Logistik- und Verkehrssysteme dienen können, wenn Politik, Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft transdisziplinär an integrierten Lösungen für die Stadt der Zukunft arbeiten. Zugleich zeigen diese Anforderungen, dass das Internationale Verkehrswesen mit seiner Schwerpunktsetzung Zukunftsthemen adäquat darstellt und reflektiert. Neue Logistik- und Verkehrssysteme erforderlich Zukünftige Logistik- und Verkehrssysteme müssen die genannten Technologien und Stakeholder integrieren. Weiterhin müssen Forschung und Entwicklung wie Testfelder zum autonomen Fahren und die Akzeptanz für Logistikprojekte gestärkt werden. Neue Konzepte für Zustellungen können mehr betreiberoffene Packstationen, Kofferraumzustellungen, Sharing-Ansätze sowie die Integration von Güter- und Personenverkehr im ÖPNV sein. In Kombination mit neuen Fahrzeugkonzepten und Künstlicher Intelligenz kann ein Transport von Gütern ermöglicht werden, der das steigende Sendungsvolumen mit der bestehenden Infrastruktur bewältigen kann. Aufseiten der Politik sollte Stadtplanung sowie Logistik und Verkehr als Symbiose gedacht werden, um mögliche Reglementierungen wie Zugangsbeschränkungen und City Maut oder Flächenplanungen im Sinne eines intelligenten Stadtökosystems zu gewährleisten. Die deutsche Hauptstadt bietet durch ansässige, global agierende E-Commerce-Unternehmen, als starker Wissenschafts- und Forschungsstandort sowie der Forderungen der Bewohner nach umweltfreundlichen Lieferkonzepten exzellente Voraussetzungen, neue Lösungen für Logistik und Verkehr zu pilotieren und einzuführen. ■ QUELLEN BIEK (2018): KEP-Studie 2018 - Analyse des Marktes in Deutschland, Bundesverband Paket und Expresslogistik e. V. (BIEK), online verfügbar unter: https: / / www.biek.de/ publikationen/ studien.html, letzter Aufruf: 31.03.2019 UN DESA (2018): World Urbanization Prospects 2018, Country Profiles, United Nations, DESA Population Division, online verfügbar: https: / / population.un.org/ wup/ Country-Profiles/ , letzter Aufruf: 31.03.2019 Frank Straube, Prof. Dr.-Ing. Leiter des Fachgebiets Logistik, Technische Universität Berlin straube@logistik.tu-berlin.de Anna Lisa Junge Wiss. Mitarbeiterin, Fachgebiet Logistik, Technische Universität Berlin junge@logistik.tu-berlin.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 36 LOGISTIK Digitalisierung Digitale Begleiter sorgen für-Transparenz in der Logistikkette Cloud, Europalette, Lieferkette, Tracking Das globale Transportvolumen soll Marktforschern von Transparency Market Research zufolge bis 2024 auf mehr als 90 Millionen Tonnen wachsen. Mit einer analogen Technik könnte die Transport- und Logistikbranche da bald den Überblick verlieren. Mit Lösungen wie sensorbestückten IoT-Trackern und digitalen Frachtbriefen lässt sich die komplette Lieferkette durchgehend digitalisieren und überwachen. Dominik Temerowski, Friederike Weismann E lf Bretter, neun Klötze, 78 Nägel: Die Standard-Europalette ist der wichtigste Ladungsträger in der Logistik. Allein in Deutschland wurden 2017 laut Statistischem Bundesamt mehr als 100 Millionen Stück produziert; in Europa sind mehr als 500 Millionen im Umlauf. Aber wo genau? Ob sich eine bestimmte Palette aktuell im Lager, noch auf dem LKW oder in irgendeiner Ecke eines Firmengeländes befindet und was mit ihr nach der Übergabe am nächsten Verarbeitungsort geschieht, lässt sich häufig nicht auf die Schnelle feststellen. Zumindest nicht auf Knopfdruck und nicht über eine mehrstufige Logistikkette. Dabei stapeln sich oft hohe Versicherungssummen auf ihren 1,20 x 0,80 m - und die Paletten selbst werden ebenfalls gerne gestohlen. Ein riesiges Digitalisierungspotenzial in der Logistik und Intralogistik für eine Trackinglösung - sofern sie kosteneffizient genug für hohe Stückzahlen ist. Vom Ladungszum Informationsträger Das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) hat gemeinsam mit der Deutschen Telekom ein kostengünstiges Trackingmodul für die Massenproduktion entwickelt, das sich beispielsweise ins Holz einer Palette einsetzen lässt 1 . Der Low Cost Tracker ist mit diversen Sensoren ausgestattet, die Position, Temperatur, Erschütterung und Bewegung erfassen. Diese Daten meldet das Gerät über Mobilfunk an eine Cloud-Plattform - bei Bedarf, etwa bei Über- und Unterschreiten definierter Schwellwerte, oder periodisch, zum Beispiel alle 24 Stunden. Der Anwender hat über ein Web-Portal jederzeit den Überblick und kann stets nachvollziehen, ob und wie lange sich eine Palette bewegt hat. Über eine Schnittstelle lassen sich die Daten automatisch in ein ERP-System übernehmen und dort weiterverarbeiten. Der Tracker kann auch einer Lieferung beigelegt oder an Transportboxen und Containern befestigt werden, um wertvolle Güter zu lokalisieren. Eine größere Version des Geräts nutzt das neue Maschinen- und Sensorennetz der Telekom basierend auf NarrowBand IoT (NB-IoT) 2 : Dieser neue Funkstandard ermöglicht eine Lokalisierung selbst dort, wo der Mobilfunkempfang schlecht ist, zum Beispiel in Fabrikhallen oder Kellern. Dank seines niedrigen Energieverbrauchs liefert die integrierte Batterie genügend Strom für mehrere Jahre. Doch selbst mit den mobilen Trackern bleiben immer noch Blind Spots in der Logistikkette: Um Transportbehälter zu lokalisieren und gleichzeitig zu wissen, was sich in ihnen befindet, muss der bislang analoge Prozess der Kennzeichnung digitalisiert werden. Um Komponenten und Teile zwischen Standorten zu transportieren, setzt die Industrie häufig sogenannte Kleinladungsträger ein. Die genormten Kunststoffboxen sind mit Papieretiketten für Adresse, Liefernummer und Komponentenname versehen und werden während des Transportvorgangs mehrmals aktualisiert oder ausgetauscht. So klebt zum Beispiel ein Motorteile-Zulieferer für die Auslieferung einer Ladung Generatoren ein Label mit der Adresse eines Automobilherstellers auf die Box; dort angekommen, klebt der Wareneingang ein neues Label auf mit dem Ziel Fertigungshalle 3, wo die leere Kiste nach der Entnahme der Generatoren ein weiteres Etikett mit der Rücksendeadresse des Zulieferers erhält. Dort wird der Ladungsträger gereinigt und das Bekleben beginnt von neuem. Ein überholter Prozess, der täglich Zehntausende Etiketten an einem einzigen Produktionsstandort verbraucht. Foto: www.ipal-pallets.org Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 37 Digitalisierung LOGISTIK Papierlose Logistik mit digitalen Frachtpapieren Effizienter funktioniert die papierlose Logistik 3 künftig mit einem elektronischen, an die Cloud angebundenen Label, das die Papieretiketten ersetzt. T-Systems hat ein solches E-Label für die Inbound-Logistik entwickelt. Es zeigt auf einem etwa vier Zoll großen Schwarz-Weiß-Display, das wie ein E-Book-Reader mit E-Ink-Technologie arbeitet, alle relevanten Informationen an: Absender und Empfänger, Lieferscheinnummer, Barcode, Bauteilbezeichnung und Bestellmenge, Zustand. Die anzuzeigenden Elemente lassen sich frei konfigurieren. Der Bildschirm benötigt keine Hintergrundbeleuchtung und daher wenig Strom. Nur wenn sich die Anzeige ändert, springt die Batterie an. Selbst wenn diese einmal leer sein sollte, bleiben die Informationen auf dem Display sichtbar. Das E-Label ist darüber hinaus mit einem GPS-Sensor ausgestattet, der eine genaue Lokalisierung der Box während des Transports ermöglicht. Für den Weg auf einem Firmengelände von Halle zu Halle lässt sich das digitale Frachtpapier per Geofencing lokalisieren. Erreicht der Ladungsträger mit seinem E-Label den Rand eines zuvor definierten Radius - zum Beispiel eine Halle, das Werksgelände oder ein Gewerbegebiet -, wird automatisch der Wareneingangsprozess im ERP-System des Unternehmens angestoßen. Neben Informationen zur Position bieten elektronische, vernetzte Module auch Transparenz über den Zustand des Transportbehälters. Das lässt Rückschlüsse auf den Zustand der Ware zu. Dank eines eingebauten Schocksensors gibt das E-Label sofort Feedback über Stöße, die eine gewisse Schwelle überschreiten. Das Display zeigt ein Warnsymbol an, was den Wareneingangsprozess erleichtert: Sieht der Bearbeiter, dass der Ladungsträger offenbar starken Erschütterungen ausgesetzt war, kann er die Annahme verweigern. Die Ware muss dann nicht den internen Retourenprozess durchlaufen. Gleichzeitig schickt das elektronische Label via Mobilfunk eine Meldung in die Cloud. Eine IoT-Plattform speichert Zustand und Position der Ware und benachrichtigt den Anwender sofort per E-Mail oder SMS. Eine Warnung kann das elektronische Label auch bei Unter- oder Überschreiten einer Soll-Temperatur anzeigen und in die Cloud melden. Das ist sinnvoll etwa bei zu kühlenden Lebensmitteln. Digitale Lieferkette dank elektronischem Frachtbrief Nicht nur Papieretiketten an Transportboxen lassen sich durch digitale Lösungen ersetzen. So fordert die Branche schon länger die Einführung des elektronischen Frachtbriefs, zuletzt der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) 4 . Nur hat Deutschland das Zusatzprotokoll zum elektronischen Frachtbrief im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr (e-CMR) immer noch nicht ratifiziert. Dabei bietet das System viele Vorteile: Logistikdaten lassen sich schnell und einfach archivieren, Verlader und Transportunternehmen haben über den gesamten Prozess jederzeit Zugriff auf Informationen wie Ort und Zeitpunkt der Beladung, Position der Ware oder Art des Transportmittels. Lieferbestätigung, Rechnungsstellung, Zahlungsprozess oder Reklamation laufen schneller und kostengünstiger. Die Abfertigung bei Kunden, Spediteuren und Fluggesellschaften - und auch die Zollabfertigung im internationalen Güterverkehr - beschleunigt sich. T-Systems hat ein E-Paper entwickelt, das die Funktion des Papier-Frachtbriefs übernehmen soll. Mit einem speziellen Stift lässt sich das digitale Dokument direkt über den tabletgroßen E-Ink-Bildschirm bearbeiten: Empfang quittieren, Warenmenge anpassen, unterschreiben. Anschließend werden die Informationen wieder in die Cloud hochgeladen, für den nächsten Prozessschritt zur Verfügung gestellt und abschließend automatisch und gesetzeskonform archiviert. Damit eignet sich das E- Paper beispielsweise für den Einsatz an Containern, Gitterboxen oder Transportbehältern in der Luftfracht. Die Vorteile: Zeit und Arbeitskraft für Bearbeitung und manuellen Austausch entfallen, der Logistikprozess wird effizienter - und transparenter: Das Label zeigt nicht nur alle relevanten Informationen sondern auch Änderungen an. Sensoren liefern Informationen über Stöße, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Druck. Hinzu kommt der Umweltaspekt: Laut DSLV würde der komplette Umstieg auf elektronische Dokumentation branchenweit pro Jahr 7.800 t Papier sparen. Die Cloud als virtueller Datentransportweg Die gesammelten Daten der digitalen Begleiter landen in Cloud-basierten IoT-Plattformen und gehen von dort in die Backend- Systeme der Kunden - die heutzutage selbst zunehmend in der Cloud betrieben werden. So stellt beispielsweise T-Systems die technische Integration zwischen ihrer eigenen IoT-Cloud und der Cloud-basierten Plattform von SAP sicher. Die Cloud ist prädestiniert für die Transportindustrie, ist sie doch so verfügbar, wie die Branche arbeitet: rund um die Uhr und rund um die Welt. Sind die Geräte in Zukunft erst einmal nahtlos in die Logistiksysteme des Kunden integriert, steht Prozessautomatisierung und Effizienzsteigerung nichts mehr im Wege. Und natürlich ist auch hier die Blockchain 5 ein Thema, etwa wenn es um Smart Contracting 6 geht. Hat das transportierte Kühlgut einen bestimmten Temperaturwert überschritten, wird dies in der Datenbank festgehalten und der Vertrag automatisch abgelehnt oder es tritt ein Versicherungsfall ein. Die Königsdisziplin ist dann die Vorhersage von Ereignissen. Die Intelligenz steckt in Analyseplattformen in der Cloud, die externe - auch historische - Informationen wie beispielsweise Wetter- und Verkehrsdaten hinzufügen und kombinieren. Hier hat die Deutsche Telekom mit dem Data Intelligence Hub (DIH) eine neutrale Analyseplattform geschaffen. Über den DIH lassen sich Transportrouten optimieren, Verzögerungen vermeiden und Lieferdaten präziser voraussagen - ein Fernziel der Transport- und Logistikbranche, das die Digitalisierung lieber heute als morgen ermöglichen soll. ■ 1 Siehe auch: „Erste Live-Anwendung mit 500 intelligenten Paletten“ (24.10.2018), online: https: / / www.internationales-verkehrswesen.de/ intelligente-paletten/ (letzter Abruf 03.04.2019) 2 online: https: / / iot.telekom.com/ iot-de/ konnektivitaet/ narrowband-iot (letzter Abruf 03.04.2019) 3 online: https: / / www.t-systems.com/ de/ best-practice/ 02-2018/ best-practices/ paperless-logistics/ papierloselogistik-806502 (letzter Abruf 03.04.2019) 4 Siehe: „Elektronischer Frachtbrief: Wann wird Deutschland das Protokoll unterzeichnen? “, online: https: / / trans.info/ de/ elektronischer-frachtbrief-wann-wird-deutschlanddas-protokoll-unterzeichnen-101643 sowie „BDI / BDL / DSLV-Branchengespräch Luftfracht: Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Behörden hemmen Digitalisierung der Luftfrachtlogistik“, online: https: / / www. dslv.org/ dslv/ web.nsf/ id/ li_fdihb26gfe.html? OpenDocum ent&highlight=frachtbrief (letzter Abruf 03.04.2019) 5 Siehe: „Blockchain bis 2025 ausgereift für globale Lieferketten“ (19.10.2018), online: https: / / www.internationalesverkehrswesen.de/ blockchain-fuer-globale-lieferketten (letzter Abruf 03.04.2019) 6 BMWi: „Blockchain - Von Supply Chain Finance über Smart Payment bis zu Smart Contracting“, online: https: / / www. de-hub.de/ blog/ d/ blockchain-von-supply-chain-financeueber-smart-payment-bis-zu-smart-contracting (letzter Abruf 03.04.2019) Dominik Temerowski Leiter Growth Partner Management, T-Systems International GmbH dominik.temerowski@t-systems.com Friederike Weismann Leiterin M2M Business Solution Systems, T-Systems International GmbH friederike.weismann@telekom.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 38 LOGISTIK Luftfracht Potenzial für die Luftfracht Die Bedeutung des Flughafens München für die bayerische-Wirtschaft Luftfracht, Bayern, Außenhandel, Export, Flughafen München, Air Cargo Der Flughafen München verfügt über hohes Potenzial zur Steigerung seines Luftfrachtvolumens, wie eine Studie im Auftrag der IHK München ergibt. Kerngeschäft des Münchner Luftfrachtverkehrs ist sowohl die Abwicklung konventioneller Luftfracht als auch die Drehkreuzfunktion im sogenannten Luftfrachtersatzverkehr (Trucking). Ein hoher Anteil der Luftfracht wird per LKW an andere Versandflughäfen transportiert. Dies steht im Widerspruch zu den Wünschen der Wirtschaft, die direkte Flugverbindungen nachfragt, weil der häufige Umschlag das Risiko von Beschädigungen und Verspätungen erhöht. Marie-Louise Seifert, Andreas Schmidt, Korbinian Leitner D ie effiziente Einbindung in den weltweiten Luftverkehr ist die zentrale Voraussetzung für den Erfolg international agierender Unternehmen. Beispielhaft stehen Begriffe wie Global Sourcing, Just in Time oder Time to Market für die globale Wertschöpfung und drücken gleichzeitig die Komplexität und Notwendigkeit einer modernen Logistik als Voraussetzung zur globalen Wertschöpfung aus. Bayerische Unternehmen verdienen bereits jeden zweiten Euro im Ausland. Der Flughafen München garantiert für diese Unternehmen den optimalen Zugang zum globalen Markt. Das zeigt eine Studie im Auftrag der IHK München. 1 Wirtschaftliche Bedeutung der Luftfracht für Südbayern Die bayerische Wirtschaft zeichnet sich vor allem durch die Produktion von hochwertigen Gütern für den Export aus. Die Außenhandelsstatistik zeigt, dass die bayerischen Außenhandelsgüter einen deutlich höheren Wert pro Tonne aufweisen als die anderer Bundesländer. Beispielsweise liegt der Wert der Exporte im deutschlandweiten Vergleich um 56 % höher. Auch bei den Importen sind die Relationen kaum geringer (Tabelle 1). Betrachtet man die Struktur der in Bayern produzierten Güter, wie in Bild 1 dargestellt, und deren damit einhergehenden Logistikeffekte, so zeigt sich eindeutig, dass der Luftfrachtversand für den internationalen Handel dieser Güter notwendig ist. Aus der Güterstruktur ergeben sich sogenannte Logistikeffekte, die sich auf den Transport bzw. auf die Wahl des Transportmittels auswirken. Insbesondere Unternehmen, die elektronische Erzeugnisse, Maschinen und pharmazeutische Produkte produzieren, sind auf den Luftfrachtversand angewiesen. 2 Denn diese Produkte zeichnen sich durch einen hohen Warenwert aus und müssen schnell und zuverlässig über längere Distanzen transportiert werden. Ausschließlich der Transport per Flugzeug kann diesen logistischen Anforderungen gerecht werden. Luftfrachtentwicklung am Flughafen München Seit 1995 hat sich das Luftfrachtaufkommen von 100.000 t auf 379.000 t bis 2017 fast vervierfacht. Das durchschnittliche Wachstum pro Jahr betrug in diesem Zeitraum 6,2 %. In der Summe der deutschen Flughäfen betrug das durchschnittliche Wachstum in diesem Zeitraum nur 3,7 %. Das Frachtaufkommen in München ist jedoch viel größer als es die nur auf das geflogene Aufkommen bezogene Statistik ausweist. Bezieht man das getruckte Aufkommen (Airline- und Speditions-Trucking) mit ein, betrug das am Flughafen München behandelte Luftfrachtaufkommen 2017 insgesamt 652.000 t. Gegenüber der geflogenen Fracht kamen also noch einmal 70 % des Aufkommens hinzu (Bild 2). Marktausschöpfung In seinem unmittelbaren Einzugsgebiet (Radius eine Stunde Fahrzeit mit dem LKW) besitzt der Flughafen München einen Marktanteil von 80 % bei geflogener und getruckter Luftfracht (Bild 3). Ohne Trucking, also dem in München abgefertigten, aber nicht verflogenen Aufkommen, wären die Marktanteile auch im engeren Einzugsgebiet mit rund 50 % deutlich geringer. Somit sorgt das Trucking am Flughafen München für einen generellen hohen Luftfrachtumschlag, jedoch verliert der Flughafen hierdurch auch große Mengen an tatsächlich geflogener Tonnage. Aufgrund des Verlustes an geflogener Luftfracht kann man den Flughafen München auch als Frachtflughafen „zweiter Ordnung“ bezeichnen. Diese Einordnung zeichnet sich grundsätzlich dadurch aus, dass auf diesen Flughäfen Luftfracht vor- Region Menge (Mio. t) Wert (Mrd. EUR) Wert/ t (EUR) Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Deutschland 353,0 646,4 1.008,5 1.005,8 2.857 1.556 Bayern 43,1 76,5 191,7 179,8 4.448 2.350 übriges Bundesgebiet 309,9 569,9 816,8 826,0 2.636 1.450 Bayern (D = 100) 12,2 % 11,8 % 19 % 17,9 % 156 % 151 % Bayern (übriges Bundesgebiet = 100) 169 % 162 % Tabelle 1: Mengen und Werte des deutschen und des bayerischen Außenhandels (2017) Quelle: Statistisches Bundesamt, Außenhandelsstatistik Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 39 Luftfracht LOGISTIK wiegend in den unterdeckigen Laderäumen von Passagierflugzeugen verladen wird. Verlust von Luftfracht an andere Flughäfen Der Spediteur als „Architekt der Transportkette“ ist für das Routing der ihm anvertrauten Sendungen verantwortlich. Niedrigere Frachtraten und gute Frachtverbindungen, etwa in Amsterdam, Luxemburg, Paris und Lüttich, begünstigen die Wahl des Spediteurs zugunsten eines anderen Abflughafens. Zusätzlich lässt sich der Abzug von Luftfracht in München durch die sogenannte Einbringungspflicht 3 der Spediteure in ihr jeweiliges Luftfrachthub, dem Consol- Hub, in Frankfurt erklären. Trucking Der Vorlauf zu anderen Abflughäfen und Consol-Hubs erfolgt mittels Luftfrachtersatzverkehr, dem Trucking. Tatsächlich handelt es sich hier aber nicht um einen Ersatz von Flügen durch LKW-Beförderung, sondern um regelmäßig/ linienmäßig organisierten Zubringerverkehr zwischen München und den anderen Luftfrachtdrehkreuzen. Dieser Verkehr wird von den Airlines mit regelmäßigen, im Flugplan veröffentlichten Verbindungen durchgeführt (Road- Feeder-Services, RFS). RFS-Sendungen werden von den Spediteuren direkt und „ready for carriage“ bei der Airline in München angeliefert. Consol Trucking Von den Spediteuren selbst wird das sogenannte „Consol-Trucking“ organisiert. Darunter ist der Vorlauf von Sendungen zu einem speditionseigenen Luftfracht-Hub (in Deutschland in der Regel Frankfurt Main) zu verstehen. Hier werden vorwiegend Sendungen aus dem Einzugsgebiet des Flughafens München und anderen Regionen mit derselben Empfangsrelation vom Spediteur zusammengefasst und gemeinsam verschickt. Direktverkehr Der Direktverkehr ist die dritte Form eines Luftfrachttransports auf der Straße. Dieser kann sowohl von der Airline als auch vom Spediteur organsiert werden. Airlines, die keine eigenen Luftfrachtverbindungen ab München anbieten, bedienen sich bevorzugt ihrer RFS-Routen und holen im Auftrag des Spediteurs Sendungen direkt beim Urabsender im Einzugsgebiet des Flughafen München ab und transportieren die Sendungen zum Versand zu ihrem Heimatflughafen (vorrangig Amsterdam, Luxemburg, Paris und Lüttich). Diese Art des Trucking wird in der Luftfrachtstatistik des Flughafens München nicht erfasst. Um das Aufkommen geflogener Luftfracht am Flughafen München zu erhöhen und somit das Potenzial aus dem Einzugsgebiet auch zu nutzen, wäre der Aufbau von Nur-Frachter-Verbindungen insbesondere in die amerikanische Wirtschaftszentren Bild 2: Luftfrachtentwicklung am Flughafen München Quelle: FMG Bild 1: Bayerns Aus- und Einfuhr nach Warengruppen 2017 Quelle: Der bayerische Außenhandel 2017, BIHK Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 40 LOGISTIK Luftfracht Atlanta und Chicago und in die asiatischen Handelsplätze Shanghai und Incheon (Seoul) vorteilhaft. Prognose der Frachtentwicklung am Flughafen München Basierend auf den volkswirtschaftlichen Langfristprognosen und weiteren Modellrechnungen lässt sich für den Flughafen München eine jährliche Zuwachsrate von 3,2 % pro Jahr bis 2030 bei der Luftfrachtentwicklung (inkl. Trucking) errechnen (Tabelle 2). Diesem Prognosefall wird ein Nicht-Ausbau, d. h. keine 3. Start- und Landebahn, zugrunde gelegt. In diesem Fall würde die Luftfracht am Flughafen München vor allem von einem Ausbau der direkten Interkontinentalverbindungen im Passagierbereich profitieren. Denn nahezu 80 % der in München verflogenen Luftfracht wird in den unterdeckigen Laderäumen von Passagierflugzeugen verladen. Für den Fall des Baus einer 3. Start- und Landebahn könnte das Wachstum noch deutlich höher ausfallen, insbesondere bei der tatsächlich verflogenen Luftfracht. Das Vorhandensein einer 3. Start- und Landebahn würde zusätzliche Kapazitäten und damit attraktive Slots für Nur-Frachterverbindungen schaffen. Diese könnten als Ergänzung zum Passagier-Interkontinentalverkehr den Luftfrachttransport ab München weiter stärken. Internationaler Vergleich Im internationalen Vergleich erscheinen die potenziellen Wachstumsraten des Flughafens München plausibel und realistisch prognostiziert. Beispielsweise schätzt der Flugzeugbauer Boeing die weltweite Luftfrachtentwicklung auf ein jährliches Wachstum von 4,2 % bis 2037. Diese Wachstumsraten fallen regional jedoch unterschiedlich aus: In China wird der Luftfrachtverkehr voraussichtlich um 6,3 % pro Jahr zulegen; für die Verbindungen zwischen Asien und Europa werden plus 4,7 % erwartet; für die Europa-Nordamerikaverkehre 2,5 % und für die innereuropäischen Verkehre 2,3 %. 4 Schlussfolgerung Der Lufttransport ist ein integraler Bestandteil des Gesamtverkehrssystems, der nicht durch andere Transportarten ersetzbar ist. Diese Versandart ist dort notwendig, wo schnelle und zeitkritische Transporte über lange Distanzen erfolgen müssen, was in einer globalisierten Welt immer bedeutender wird. Generell ist weiterhin mit einem starken Wachstum des Luftfrachtaufkommens zu rechnen. Langfristig wird auch der Flughafen München sein allgemeines Wachstum beim Luftfrachtaufkommen steigern. In welchem Umfang dies geschehen wird, hängt von vielen Rahmenbedingungen ab, beispielsweise dem infrastrukturellen Ausbau wie die Erweiterung des Frachtgebäudes, die Überdachung von Lagerflächen oder der 3. Start- und Landebahn. Dass der Flughafen München, wie dargestellt, seine Marktpotenziale im Frachtverkehr nicht voll ausschöpft, liegt u.a. an einer unzureichenden Koordination zwischen den einzelnen Unternehmen der verladenden Wirtschaft untereinander und dem Spediteurs- und Güterkraftverkehrsgewerbe. Verlader wie Spediteure - am besten gemeinsam - könnten die „Flughafenwahl” durchaus zugunsten von München beeinflussen. Frachtmengen könnten in größerem Maße konsolidiert und gemeinsam direkt von München abgeflogen werden. ■ 1 IHK München (2018): Luftfracht am Flughafen München, Bedeutung und Potenzial für die Wirtschaft Bayerns 2 Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (2017): Luftfahrt aktuell, Fakten und Hintergründe zum deutschen Luftverkehr 3 Die Einbringungsplicht ist die Vorgabe einer jeden Niederlassung des Spediteurs, Sendungen für bestimmte Empfangsrelationen zu einem Sammelpunkt (Consol-Hub, oftmals Frankfurt) zu transportieren, um Sendungen zusammenzufassen und von dort aus zu verfliegen. 4 Boeing (2018): Commercial Market Outlook 2018-2037 Andreas Schmidt Fachbetreuer Luftfracht, Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, München andreas.schmidt@muenchen.ihk.de Korbinian Leitner, Dr. Referatsleiter Verkehrsinfrastruktur und Mobilität, Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, München korbinian.leitner@muenchen.ihk.de Marie-Louise Seifert Referentin für Luftverkehr und Logistik, Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, München marie-louise.seifert@muenchen.ihk.de Jahr Geflogen (in 1.000 t) Getruckt (in 1.000 t) Gesamt 1995 100 97 197 2000 148 111 259 2005 218 154 372 2010 287 200 487 2017 379 273 652 2030 Szenario „Status quo“ 529 455 984 Wachstum in % p.a. 2030: 2017 2,6 4,0 3,2 Tabelle 2: Prognoseergebnis Luftfrachtaufkommen von MUC beim Nicht-Ausbau Quelle: INTRAPLAN Bild 3: Marktanteil des Flughafens München (einschl. Trucking) am gesamten Luftfrachtaufkommen der süddeutschen Regionen (2016) Quelle: INTRAPLAN DAS FACHMAGAZIN FÜR DIE JACKENTASCHE Lesen Sie Internationales Verkehrswesen und International Transportation lieber auf dem Bildschirm? Dann stellen Sie doch Ihr laufendes Abo einfach von der gedruckten Ausgabe auf ePaper um - eine E-Mail an service@trialog.de genügt. Oder Sie bestellen Ihr neues Abonnement gleich als E-Abo. Ihr Vorteil: Überall und auf jedem Tablet oder Bildschirm haben Sie Ihre Fachzeitschrift für Mobilität immer griffbereit. www.internationales-verkehrswesen.de/ abonnement Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 3 11.11.2018 18: 27: 05 Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 42 LOGISTIK Wissenschaft Autonome Kleinstfahrzeuge integrieren Kooperatives Steuerverfahren zur Integration kleiner mobiler Roboter in den verkehrssicheren und qualitätsoptimierten Verkehrsablauf und Implementierung in einer Laborumgebung Automatisiertes Fahren, kooperative Systeme, Straßenverkehr, V2X-Kommunikation Technologien der Robotik und der Fahrzeugindustrie wachsen immer mehr zusammen: Mobile autonome Kleinstfahrzeuge und Roboter werden zukünftig den Straßen- und Verkehrsraum nutzen und diesen mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen. Dieser Beitrag beschreibt am Beispiel eines Lieferroboters, kleine mobile Roboter sicher in den Verkehrsablauf integriert werden können. Christian Wille, Sten Ruppe, Daniel Wesemeyer, Hermann Neuner K ooperative Systeme und das automatisierte und vernetzte Fahren werden die Mobilität innerhalb der nächsten Dekade maßgeblich beeinflussen. In absehbarer Zeit werden teil-, hoch- und vollautomatisierte Personenfahrzeuge Bestandteil der alltäglichen Mobilität sein. Weitere Mobilitätsteilnehmer könnten sich in naher Zukunft im Bereich der autonomen Kleinstfahrzeuge bzw. in der Robotik etablieren. Vorstellbar sind beispielsweise kleine Lieferroboter, wie sie bei Zulieferdiensten oder Paketdienstleistern zum Einsatz kommen könnten, Rollstühle mit automatisierten Fahrfunktionen [1], Roboterblindenhunde [2] oder automatisiert fahrende Abfallbehälter [3]. Diese neuen Kleinstfahrzeuge werden und müssen in der Lage sein, den Verkehrsraum autonom zu durchqueren. Insbesondere in der Einführungsphase wird es Bereiche geben, in denen die autonome Fortbewegung nicht möglich ist. Aktuell löst ein Betreiber von Lieferrobotern das Überwinden von schwierigen Kreuzungsbereichen über eine Remote-Steuerung [4]. An neuralgischen Kreuzungen, die von unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern wie Straßenbahnen, Bussen, Fußgängern, Radfahrern, Autofahrern, Einsatzfahrzeugen durchquert werden, bestehen die Herausforderungen, einerseits den sicheren Verkehrsablauf zu gewährleisten und andererseits den Verkehr qualitätsoptimiert zu organisieren. Letzteres adressiert unter anderem die Reduzierung der Wartezeit für alle Verkehrsteilnehmer und die Reduzierung von Emissionen. Für eine erfolgreiche Integration von autonomen Kleinstfahrzeugen in den bestehenden Verkehrsraum ist neben der Nutzerakzeptanz und der politischen Unterstützung auch der Nachweis zur Aufrechterhaltung des sicheren und qualitätsoptimierten Verkehrsablaufs ein relevanter Punkt. Eine Lösung besteht darin, autonome Kleinstfahrzeuge aktiv in den Koordinierungsablauf der Kreuzungen einzubinden. Eine sehr gute Detektion des Verkehrsgeschehens im Umfeld einer Kreuzung ermöglicht die Aufrechterhaltung eines hohen Niveaus der Verkehrssicherheit, indem diese Umfelddaten und eigene Zustandsinformationen mit den Verkehrsteilnehmern geteilt werden. Weiterhin kann das autonome Kleinstfahrzeug die geplanten Fahrmanöver ebenfalls der Kreuzungskoordination mitteilen. Das DLR hat im Rahmen seiner Forschungsaktivitäten ein kooperatives Steuerverfahren für Lichtsignalanlagen entwickelt, das mit einem bidirektionalen Informationsaustausch agiert. Dieses Verfahren wurde im Projekt VITAL validiert und die Marktfähigkeit nachgewiesen [5]. Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation International wurden zahlreiche Standards entwickelt, die Netzwerkarchitekturen und Protokolle für die Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation (kurz V2X, Car2X, C2X) definieren. In Europa werden diese Standards vorrangig durch das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) publiziert. V2X-Nachrichten werden zwischen Empfängern über den erweiterten WLAN-Standard IEEE 802.11p [6] im 5-GHz-Frequenzbereich ausgetauscht. An V2X-Kommunikation über Mobilfunk wird ebenfalls geforscht. Studien [7] zeigen, dass LTE (Long Term Evolution, Mobilfunkstandard der dritten Generation) zwar höhere Latenzzeiten als die Kommunikation über 802.11p erreicht, dafür jedoch eine bessere Skalierbarkeit besitzt und eine Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 43 Wissenschaft LOGISTIK Kommunikation über große Entfernungen ermöglicht. Die 5G-Mobilfunktechnologie (fünfte Mobilfunkgeneration) verspricht Datenraten von bis zu 10 GBit/ s und Latenzzeiten von unter 1 ms. Einen großen Vorteil verspricht die Möglichkeit von Ad-hoc-Netzen, wie sie bereits über IEEE 802.11p möglich sind. Der Standard ETSI ITS G5 [8, 9] beschreibt die Architektur und Netzwerkmechanismen für V2V- (Fahrzeug zu Fahrzeug) und V2I-Kommunikation (Fahrzeug zu Infrastruktur, wie z.B. Roadside Units) im WLAN-Standard IEEE 802.11p. Die ITS G5-Architektur basiert auf einigen spezifischen Datentypen, wie der Cooperative Awareness Message (CAM), der Decentralized Environmental Notification Message (DENM) oder der Signal Phase and Timing Message (SPaT). Diese Nachrichtentypen sind generisch und von allen ausgerüsteten Fahrzeugen zu versenden. V2X-Nachrichten auf Basis von 802.11p erreichen durch direkte end-to-end-Kommunikation Latenzzeiten von unter 100 ms, sind allerdings auch nur für die Kommunikation über kurze Distanzen (bis zu mehreren hundert Metern) ausgelegt. Für den nachfolgend beschriebenen Lösungsansatz wurde das standardisierte CAM- und SPaT-Nachrichtenprotokoll verwendet. Kooperative Kreuzungssteuerung Es gibt verschiedene Formen von Steuerverfahren für Lichtsignalverfahren (kurz LSA), die sich grundsätzlich in statische und dynamische Steuerverfahren unterscheiden lassen. Die älteste und einfachste Form ist die Festzeitsteuerung. Diese gehört zu den statischen Steuerverfahren und wiederholt zyklisch fest in einem Signalzeitenplan definierte Schaltmuster. Aufgrund dieser festen Definition kann das Verfahren jedoch nicht auf Schwankungen der Verkehrsnachfrage reagieren. Hier setzen dynamische Steuerverfahren wie zeitabhängige und verkehrsabhängige Steuerungen an. Bei zeitabhängigen Steuerungen werden für unterschiedliche Tageszeiten verschiedene Signalprogramme hinterlegt, die an die verkehrlichen Gegebenheiten der jeweiligen Tageszeit angepasst sind. Verkehrsabhängige Steuerungen nutzen hingegen direkt gemessene Verkehrsdaten zur Steuerung. Hier lassen sich wiederum regelbasierte und modellbasierte Steuerungen unterscheiden. Verkehrsabhängige regelbasierte Steuerungen nutzen Daten von Detektoren, z.B. an Knotenpunktzufahrten, für die Verarbeitung in einer Entscheidungslogik. Modellbasierte Steuerungen verwenden zur Optimierung von Zielgrößen ein zwischengeschaltetes Verkehrsmodell. In Deutschland sind regelbasierte Steuerungen am weitesten verbreitet. Wichtige Regelungen und gesetzliche Grundlagen sind die Straßenverkehrsordnung (StVO), die Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA) [10] und das Handbuch zur Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS) [11]. Im Projekt UR: BAN wurde u.a. ein Leitfaden zur Einrichtung kooperativer Systeme [12] erstellt. In Hinblick auf zukünftig neu zur Verfügung stehende Verkehrskenngrößen (z. B. durch V2X-Daten) und der Möglichkeit, bidirektional Daten zwischen der LSA und dem Fahrzeug auszutauschen und für die Steuerung nutzen zu können, hat das DLR ein kooperatives Steuerverfahren namens AGLOSA entwickelt [13]. Beim kooperativen Steuerverfahren wird eine verkehrsabhängige Steuerung mit einer GLOSA-Funktion (Green Light Optimized Speed Advisory) verknüpft. Fahrzeuge in den Zufahrten werden frühzeitig erfasst und in eine Verkehrssimulation eingesetzt. Im nächsten Schritt werden die Ankünfte der Fahrzeuge an ihren jeweiligen Haltelinien prognostiziert. Anhand dieser prognostizierten Ankünfte werden optimale Schaltzeitpunkte und Freigabezeiten berechnet. Der Optimierungsalgorithmus kann verschiedene verkehrliche Kenngrößen berücksichtigen (z. B. Verlustzeit, Anzahl der Halte). Über die bidirektionale Verbindung werden die Schaltzeitpunkte zur Geschwindigkeitsanpassung an die Fahrzeuge übermittelt. Das Verfahren eignet sich besonders gut zur Berücksichtigung vernetzter Fahrzeuge mit Einrichtungen zur V2X-Kommunikation, kann aber auch mit konventionellen Detektoren (z. B. Induktionsschleifen, Magnetfeldsensoren, Kameras) betrieben werden, allerdings ohne direkte Rückkommunikation zu den Fahrzeugen. Für den nachfolgend beschriebenen Lösungsansatz wurde das DLR-Steuerverfahren verwendet. Systemaufbau Die zugrundeliegende Idee basiert auf einem Entwurf und der Realisierung eines Systemaufbaus, der es ermöglicht, einen Roboter mit einem kooperativen Steuerverfahren interagieren zu lassen. Dafür wurde der Systemaufbau (vgl. Bild1) so gestaltet, dass der Roboter dem LSA-Steuergerät an der Kreuzung über standardisierte V2X-Nachrichten seine Position mitteilt. Das LSA-Steuergerät übermittelt dem Roboter im Gegenzug die aktuellen Zustände der LSA-Signalgruppen sowie deren Restlaufzeiten. Als Roboter wurde die Plattform Jaguar 4x4 Wheel der Firma Dr Robot Inc. eingesetzt (Spezifikationen vgl. Tabelle 1). Um den Austausch von V2I-Nachrichten zu ermöglichen, wurde am Access Point des Roboters die Testplattform LinkBird-MX [14] der Firma NEC als On- Board-Unit (OBU) angeschlossen. Für die Verkehrssteuerung kam das Steuergerät C940V der Firma Siemens zur Anwendung. Prinzipiell ist fast jedes LSA-Steuergerät einer neueren Bauart verwendbar, sofern Einfluss auf das Signalprogramm und die Detektorzuordnung genommen werden kann. Aufgrund der benötigten Rechenleistung für die Simulation und die Optimierung lief das kooperative Steuerverfahren nicht direkt auf dem Steuergerät, sondern auf einem Industrie-PC, dem Modell Powerbox 100 der Firma Spectra. Einen Einfluss auf die Phasenwahl und den Zeitpunkt des Phasenwechsels im LSA-Steuergerät nahm das kooperative Steuerverfahren über einen speziell dafür eingerichteten Detektoranschluss im LSA-Steuergerät [5]. Zum standardisierten Nachrichtenaustausch zwischen der LSA und dem Roboter wurde am Industrie-PC ebenfalls ein LinkBird-MX als Roadside-Unit (RSU) angeschlossen. Somit standen dem kooperativen Steuerverfahren alle nötigen Informationen aus den V2I-Nachrichten zur Verfügung. Informationen über Anwesenheit, Position und Geschwindigkeit der Roboter-Plattform wurden durch die OBU generiert und im Format Cooperative Awareness Message (CAM) ausgetauscht. Die aktuelle Zustandsbeschreibung der Lichtsignalanlage sowie die Restlaufzeiten der Signalbilder waren in einer SPaT-Nachricht (Signal Phase and Timing) vorhan- Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 44 LOGISTIK Wissenschaft den. Beide Nachrichtenformate wurden periodisch von der OBU (CAM-Nachricht) bzw. der RSU (SPaT-Nachricht) generiert. Hauptmerkmale Höhe: 265 mm Breite: 573 mm Länge: 615 mm Gewicht: 20.5 kg Radmotoren (24V): 4 Stück eschwindigkeit: bis 11 km/ h Autonome Navigation mit GPS und 9 DOF IMU (Gyro/ Accelerometer/ Compass) 5 Hz GPS und 9 DOF IMU (Gyro/ Beschleunigungsmesser/ Kompass) Bewegungs- und Sensorsteuerung Tabelle 1: Hauptmerkmale der Roboter-Plattform [15] Szenario-Beschreibung Das für den Versuch verwendete Szenario ist in Bild 2 dargestellt. Vorstellbar ist hier eine typische Situation in einem Industriegebiet, in der ein autonomer Lieferroboter eine Straße an einer Ampel überqueren muss. Auf dem Gehweg fährt der Roboter auf die Ampel zu, während sich auf der Straße ein Fahrzeug nähert. Die Ampel sieht Dauergrün für Fahrzeuge vor, so dass das Grün für den Roboter nur durch eine Anforderung ausgelöst werden kann. Zu Beginn zeigt die Ampel hierbei grün für das Fahrzeug und rot für den Lieferroboter. Beide Fahrzeuge melden sich per CAM-Nachricht bei der RSU an. Das darauf laufende kooperative Steuerverfahren ermittelt, dass es vorteilhaft ist, das Fahrzeug warten zu lassen und dem Lieferroboter grün zu geben. Während der Umschaltbefehl an das Steuergerät gesendet wird, sendet die RSU aus dem kooperativen Verfahren heraus eine SPaT-Nachricht mit einer Geschwindigkeitsempfehlung an den Lieferroboter. Dieser passt seine Geschwindigkeit entsprechend an, um ohne Zwischenhalt über die Straße fahren zu können. Beim Fahrzeug wird auf eine Geschwindigkeitsempfehlung verzichtet, lediglich seine Position wird im kooperativen Steuerverfahren berücksichtigt. Die Ampel schaltet währenddessen in die Fußgängerphase um, das Fahrzeug hält an der Haltelinie an und der Lieferroboter kann ohne halten zu müssen die Straße queren. Nachdem der Lieferroboter die Fahrbahn gequert hat, schaltet die Ampel wieder um und das Fahrzeug kann passieren. Feldtest und Ergebnisse Der Versuch wurde im LSA-Labor des DLR in Berlin- Adlershof durchgeführt (vgl. Bild 3). An einer befestigten Straße auf dem DLR-Gelände wurden die Signalgeber und das Steuergerät aufgestellt, so dass sie dem Systemaufbau und dem Aufbau im Szenario entsprechen. Die Fahrbahnbreite betrug an der Stelle des Versuchsaufbaus etwa 4 m. Der Roboter fuhr eine zuvor festgelegte Trajektorie ab, die 8 m vor der Fahrbahn begann und einige Meter dahinter endete. Das Fahrzeug näherte sich der LSA von seiner Startposition zwanzig Meter vor der Haltelinie. Der Roboter startete mit einer Geschwindigkeit von 3-m/ s. Aufgrund der empfangenen SPaT-Nachricht wurde die Geschwindigkeit für 7 s auf 0,7 m/ s reduziert. Nach dem Umschalten der LSA führte der Roboter seine Fahrt mit 3 m/ s fort. Der Versuch wurde ebenfalls ohne Senden einer SPaT-Nachricht durchgeführt. Im Ergebnis konnte die Kommunikation zwischen Roboter und Steuergerät sowie die Berücksichtigung des Roboters im kooperativen Steuerverfahren unter Laborbedingungen erfolgreich getestet werden. Aufgrund der übermittelten Positionsdaten war es möglich, dem Roboter Geschwindigkeitsempfehlungen zu geben, die ein stopploses Überfahren der LSA ermöglicht haben. Damit bekam der Roboter, anders als im Versuch ohne Geschwindigkeitsempfehlung, eine Grünphase zugesichert und konnte die Straße mit geringerer Verlustzeit queren. In dem Projekt VITAL konnte bereits ein Einsparpotential von bis zu 20 % an Verlustzeit bei Verwendung des kooperativen Steuerverfahrens aufgezeigt werden [5]. Ausblick Bei zukünftigen Forschungsvorhaben im Bereich automatisierter Kleinstfahrzeuge im urbanen Kontext wird vor allem das Thema Verkehrssicherheit eine zentrale Rolle spielen. Insbesondere die Interaktion von Personen mit automatisierten Kleinstfahrzeugen sollte einer der zukünftigen Forschungsschwerpunkte sein. Hierbei muss aus Sicht der Autoren untersucht werden, wie Fußgänger und Radfahrer auf Kleinstfahrzeuge reagieren und wie man Konflikten vorbeugen und sie lösen kann, beispielsweise durch räumliche Trennungen. Auch sollten wirtschaftliche und städteplanerische Aspekte bei solchen Untersuchungen Berücksichtigung finden. Bild 1: Systemaufbau Alle Bilder: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 45 Wissenschaft LOGISTIK Ein weiterer interessanter Punkt für Forschungen ist die Untersuchung von Szenarien, in denen mehrere Roboter interagieren. Interessante Aspekte sind z.B. der Umgang mit Bewegungskonflikten sowie die Neuberechnung von Trajektorien und deren Auswirkungen auf die Signallaufzeiten. Für die Planung von Trajektorien für Roboter ist es wichtig, Hindernisse detektieren zu können. Aus der Hindernisdetektion ergibt sich als mögliche Forschungsfrage, wie man mit auftretenden Hindernissen umgeht und die Daten der Kreuzungssteuerung bereitstellt. Auch das Verhindern von Diebstahl der Roboter oder deren Ladung ist ein relevanter Punkt. Der nächste Schritt umfasst die Integration und den Test des vorgestellten Systems an einer realen Kreuzung und die Untersuchung der hiermit verbundenen Wechselwirkungen mit anderen Verkehrsteilnehmern. Wie automatisierte Kleinstfahrzeuge und Roboter in den Straßenverkehr integriert werden und ob sie ein wesentlicher Bestandteil der Mobilität der Zukunft sind, bleibt eine spannende Fragestellung. ■ LITERATUR [1] Scudellari, Megan (2017): „Lidar-Equipped Autonomous Wheelchairs Roll Out in Singapore and Japan”, online unter: https: / / spectrum.ieee.org/ transportation/ self-driving/ lidar-equipped-autonomous-wheelchairs-roll-out-in-singapore-and-japan (letzter Aufruf 18.03.2019) [2] Chuang, Tzu-Kuan et al. (2018): „Deep Trail-Following Robotic Guide Dog in Pedestrian Environments for People who are Blind and Visually Impaired - Learning from Virtual and Real Worlds”, International Conference on Robotics and Automation (ICRA), 21.-25. Mai 2018, Brisbane [3] Bauer, Markus (2017): „Autonomer Müllwagen - Volvo startet Feldversuch“, online unter: https: / / www.eurotransport.de/ artikel/ autonomer-muellwagen-volvo-startet-feldversuch-8954156.html (letzter Aufruf 18.03.2019) [4] Redaktion Logistik heute (2016): „KEP: Hermes setzt auf Lieferroboter“, online unter: https: / / logistik-heute.de/ news/ kep-hermes-setzt-auf-lieferroboter-12862.html (letzter Aufruf 18.03.2019) [5] Oertel, Robert; Erdmann, Jakob; Markowski, Robert; Schmidt, Willi ; Trumpold, Jan; Wagner, Peter (2018): „VITAL - Verkehrsabhängig intelligente Steuerung von Lichtsignalanlagen“, Straßenverkehrstechnik (09), Seiten 631-638. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. ISSN 0039-2219 [6] IEEE Standards Association: „IEEE Std 802.11p-2010 (Amendment to IEEE Std 802.11-2007) “, 2010 [7] Mir, Z. H. und Filali, F.: „LTE and IEEE 802.11p for vehicular networking: a performance evaluation“, EURASIP Journal on Wireless Communications and Networking, 2014 [8] ETSI: „ETSI EN 302 663 - Intelligent Transport Systems (ITS); Access layer specification for Intelligent Transport Systems operating in the 5GHz frequency band“, 2012 [9] ETSI: „ETSI ES 202 663, European Profile Standard for the Physical and Medium Access Control Layer of Intelligent Transport Systems Operating in the 5 GHz Frequency Band, ver. 1.1.0“, 2009 [10] RiLSA - Richtlinien für Lichtsignalanlagen - Lichtzeichenanlagen für den Straßenverkehr, Köln: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., 2015 [11] Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen, Köln: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., 2015 [12] Kaths, J.: „Leitfaden für die Einrichtung kooperativer Systeme auf öffentlicher Seite“, online unter: http: / / www.urban-online.org/ cms/ upload/ download/ allgemein/ Abschlussdokumentation/ Leitfaden_Einrichtung_kooperativer_Systeme/ URBAN_KI-Leitfaden.pdf, TU München, Lehrstuhl für Verkehrstechnik, 2016 [13] Erdmann, Jakob (2013) „Kombination von Adaptiver LSA-Steuerung und GLOSA (AGLO- SA)“, in: VIMOS Konferenz-Vorträge, VIMOS 2013, 4. Dez. 2013, Dresden, Deutschland [14] NEC: „NEC LinkBird-MX - Test Platform for Evaluation of Vehicular Communication Protocols”, online unter: http: / / www.nec.co.jp/ press/ en/ 0811/ images/ 1301-01.pdf (letzter Aufruf 18.03.2019) [15] Dr Robot Inc.: „Jaguar 4x4 wheel specification”, online unter: http: / / jaguar.drrobot.com/ specification_4x4w.asp (letzter Aufruf 18.03.2019) Bild 2: Darstellung des Szenarios Bild 3: Versuchsaufbau auf dem DLR-Gelände in Berlin-Adlershof Christian Wille Institut für Verkehrssystemtechnik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin christian.wille@dlr.de Sten Ruppe Institut für Verkehrssystemtechnik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin sten.ruppe@dlr.de Daniel Wesemeyer Institut für Verkehrssystemtechnik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin daniel.wesemeyer@dlr.de Hermann Neuner, Prof. Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Fachbereich 1: Ingenieurwissenschaften - Energie und Information, Berlin hermann.neuner@htw-berlin.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 46 MOBILITÄT Busnotverkehr Kurzfristiger Schienenersatzverkehr besser organisiert Digitalisierung des Organisationsprozesses von Busnotverkehren. Schienenersatzverkehr, Busnotverkehr, Digitalisierung, Prozess, Organisation Die Organisation eines kurzfristigen Schienenersatzverkehrs verläuft heute noch relativ starr und mittels telefonischer bzw. händischer Prozesse. Aktuelle Forschungen beschäftigen sich jedoch mit einer Digitalisierung des Prozesses. Vorliegender Artikel gibt einen Einblick über die Ausgangssituation bei Eisenbahnverkehrsunternehmen, Busanbietern und Fahrgästen sowie die Anforderungsstruktur auf Seiten der involvierten Akteure. Alina Steindl, Uwe Clausen I m Falle der Unterbrechung des Laufweges eines schienengebundenen Verkehrsmittels muss gegebenenfalls der Linienverlauf unterbrochen und ein kurzfristiger Schienenersatzverkehr (Busnotverkehr) eingerichtet werden. Für Fahrgäste, die ein Ziel innerhalb eines gesperrten Streckenabschnitts haben, wird entlang des gesperrten Streckenabschnitts ein Ersatzverkehr mit Bussen oder Taxis eingerichtet. Das betroffene Eisenbahnverkehrsunternehmen muss innerhalb kürzester Zeit Busse organisieren, die die Fahrgäste an Ort und Stelle abholen und zu ihrem Zielbahnhof befördern. Für den Fahrgast ergeben sich Komfortverluste aufgrund des Umstiegs auf ein anderes Verkehrsmittel. Die Fahrgäste müssen die teils nicht barrierefreien Umsteigewege trotz einer oftmals unzureichenden Wegeführung vom Zug zur Ersatzhaltestelle bewältigen. Aus den zusätzlichen Fußwegezeiten, Synchronisationszeiten beim Umstieg von Zug auf Bus sowie durch längere Fahrzeiten mit dem Bus ergibt sich eine erhebliche Reisezeitverlängerung. Ein weiterer Nachteil resultiert aus den begrenzten Kapazitäten der Busse, die oftmals nicht ausreichend dimensioniert sind, und Busfahrern, die nicht richtig informiert sind. Die Ressourcen Bus und Fahrer müssen vom Eisenbahnverkehrsunternehmen oder einem Vertreter angefragt und organisiert werden. Hierbei kommen meistens Subunternehmen zum Einsatz, die gegebenenfalls nachts oder an Wochenenden schlecht erreichbar sind. 1 Zudem kommt es vor allem in Stoßzeiten, zum Beispiel zu den Zeiten des Schülertransports morgens und mittags, zu Engpässen, da die Kapazitäten der Busunternehmen ausgelastet sind. Eine weitere Herausforderung besteht in der Kommunikation: Das Eisenbahnverkehrsunternehmen beauftragt ein Generalunternehmen mit der Organisation der Busse. Dieses Generalunternehmen ruft die Busunternehmer telefonisch nacheinander an und befragt diese nach Verfügbarkeiten für den Busnotverkehr. Informationen über Verfügbarkeiten von Fahrern und Fahrzeugen müssen sich die Busunternehmer zuerst von Fahrern einholen, da meist keine genaue Kenntnis über die aktuelle Auslastung der Fahrzeuge besteht. Daraufhin werden wieder der Generalunternehmer und über ihn die Transportleitung des Bahnunternehmens informiert, welche die Abwicklung der Störung unternehmensintern koordiniert. Aufgrund dieser vielschichtigen Kommunikation zwischen Transportleitung, General- und Busunternehmer warten die Fahrgäste mindestens 30 bis 60 Minuten auf den Weitertransport mit Bussen. Zeitkritisch ist nicht nur die Wartezeit an sich, sondern auch die lange Informationskette über das Zugpersonal hin zum Fahrgast. Diesem fehlen oftmals Informationen zum weiteren Ablauf der Fahrt bzw. zu Reisealternativen. Diese Verzögerungen im Foto: Glaser/ fotolia.com Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 47 Busnotverkehr MOBILITÄT Informationsablauf werden von den Fahrgästen besonders kritisch gesehen, insbesondere von Berufspendlern und Anschluss- oder Flugreisenden. Herausforderungen, die mit der Einrichtung eines kurzfristigen Schienenersatzverkehrs, d. h. eines Busnotverkehrs einhergehen, sind wie skizziert vielseitig. Involvierte Akteure und Personengruppen sind neben dem Zugpersonal und der Transportleitung eines Eisenbahnverkehrsunternehmens auch Fahrdienstleiter und Disponenten des Eisenbahninfrastrukturunternehmens sowie ein gegebenenfalls eingebundener Generalunternehmer, der die Busse bestellt. Des Weiteren sind Subunternehmer als Leistungserbringer sowie der Busfahrer eingebunden. Im Fokus steht der betroffene Fahrgast, den es möglichst schnell und komfortabel weiter zu transportieren gilt (Bild 1). Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass ein Busnotverkehr immer eine unattraktive Alternative zur Mobilität auf der Schiene ist. Die Bayerische Oberlandbahn (BOB) in Holzkirchen hat diese Probleme erkannt, möchte die Herausforderungen angehen und Abhilfe für die Beteiligten schaffen. Im Rahmen eines Forschungsprojekt mit den weiteren Umsetzungspartnern einer Softwarelösung (Catenate GmbH, Lang & Fendel GmbH) entwickelte das Fraunhofer IML den zugrundeliegenden Prozess zur Organisation von Busnotverkehren. Das Fraunhofer IML führte gemeinsam mit der BOB eine Fahrgastumfrage in den Zügen der BOB im Jahr 2017 durch. Daraus konnten Anforderungen und Bedarfe von Seiten der Fahrgäste für den Anwendungsfall eines Busnotverkehrs erhoben werden. Darüber hinaus finden seit Juli 2017 fortlaufend Gespräche, Interviews und Workshops mit am Prozess beteiligten Akteuren (siehe Bild 1) statt. Durch die detaillierte Kenntnis der aktuellen Situation sowie Bedürfnis- und Anforderungsstruktur konnte eine übergeordnete Zielstellung für den Umgang mit oben skizzierter Problematik definiert werden (Bild 2). Demnach zeigten die Untersuchungen, dass der Organisationsprozess für einen Busnotverkehr erweitert, neu strukturiert sowie beschleunigt werden muss. Dies bezieht sich beispielsweise auf den begleitenden Prozess der Fahrgastinformation und -kommunikation. Mit dem Instrument der Digitalisierung und Automatisierung geht eine Neustrukturierung und Beschleunigung des Prozesses einher. Auswirkungen können sich hinsichtlich einer Kostenreduktion für die Einrichtung eines Busnotverkehrs ergeben. Darüber hinaus soll die Anbieter- und Fahrgastzufriedenheit gesteigert werden. Digitalisierung und Automatisierung lassen darüber hinaus auch eine Unterstützung bei der Organisation und eine mögliche Fehlerminimierung währenddessen zu. Das Konzept Das entwickelte Konzept für ein digitales System bezieht sich auf folgenden Kernprozess, wobei die abgebildeten Akteure über Kommunikationsprozesse eingebunden sind bzw. den Prozess initiieren (EVU/ Generalunternehmen) (siehe Bild 3). Die einzelnen Schritte des Kernprozesses wurden mit den organisierenden Akteuren hinsichtlich oben abgebildeter übergeordneter Zielstellungen diskutiert. Anfrage Mit der Entscheidung, dass ein Busnotverkehr eingerichtet wird, beauftragt ein Eisenbahnverkehrsunternehmen üblicherweise ein Generalunternehmen mit der Organisation der Busse. Das Generalunternehmen beginnt mit der Anfrage bei den Busunternehmen nach verfügbaren Kapazitäten. Die Digitalisierung ermöglicht eine Anfrage bei mehreren Anbietern gleichzeitig. Über das konzipierte und umgesetzte System in Form einer Softwarelösung erhält der Anbieter eine digitale Anfrage, auf die er sich zurückmelden kann. Über den Eingang einer neuen Anfrage können automatisch versendete SMS oder generierte Anrufe informieren. Bei Rückmeldung eines Teilangebots durch den Anbieter wird die Anfrage automatisch aktualisiert. So erhalten andere Anbieter die Information, dass bereits ein Teil der Anfrage durch einen anderen Anbieter gedeckt ist. Die Konzipierung dieses Prozessschritts bezieht auch die Möglichkeit eines Datenbankabgleichs zwischen Besteller und Auftragnehmer mit ein. So können freie Kapazitäten des Anbieters ohne vorherige Anfrage durch das Generalunternehmen eingesehen werden. Dies ist über eine Schnittstelle zum Dispositionssystem des Anbieters oder über eine Datenbank im System lösbar. Der Besteller greift somit auf die Datenbank zu und sieht, ob der Anbieter freie Kapazitäten für den gewünschten Zeitraum eingestellt hat. Grundvoraussetzung dafür ist eine ausreichende Pflege des Systems durch den Anbieter des Busnotverkehrs. Voraussetzungen und Befugnisse müssen in Rahmenverträgen geklärt werden. Auftragsvergabe Nachdem einzelne Anbieter auf die Anfrage reagieren, sieht das Konzept eine weitgehend automatische Auftragsvergabe vor. Eine Voraussetzung ist beispielsweise, dass das Angebot des Anbieters der Anfrage entspricht. Eine Prozessbeschleunigung durch automatisch herbei geführte Entscheidungen kann entstehen. Mit dem Auftrag soll auch die Übergabe von Zusatzinformationen zu Strecke, Haltestellen, Baustellen, Besonderheiten, wie dem Transport von Fahrrädern, mobilitätseingeschränkten Perso- Bild 1: Beteiligte Akteure und der Fahrgast im Fokus Alle Darstellungen: Autoren Bild 2: Übergeordnetes Ziel bei der Organisation von Busnotverkehren Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 48 MOBILITÄT Busnotverkehr nen, möglich sein. Diese Informationen sind Grundlage zur Qualitätssteigerung des Transports für den Reisenden, da der Busfahrer einen besseren Informationsstand erhält. Auch nach einer Beauftragung soll es zudem die Möglichkeit einer Veränderung des Auftrags im Nachhinein geben. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn sich während der Durchführung des BNV Änderungen, wie z. B. eine Ausweitung des oder frühzeitige Beendigung ergeben. Durchführung Auch während der Durchführung des Busnotverkehrs ergeben sich einige Zielstellungen. So zeigten die Untersuchungen, dass eine Erleichterung und Prozessbeschleunigung durch Routing und Navigation der Busse herbeigeführt werden kann. Ist der Busfahrer ortsunkundig, kann es vorkommen, dass Ersatzhaltestellen oder Bahnhöfe nicht auf direktem Weg angefahren werden und sowohl Umwege als auch längere Reisezeiten vom Fahrgast in Kauf genommen werden müssen. Zu diesem Zwecke ist es wichtig, den Busfahrer mit ausreichenden Informationen über den geplanten Einsatz zu versorgen. Ein ortsabhängiges Nachverfolgen der Busse spielt zudem Informationen zum aktuellen Standort an den Besteller zurück. Davon können auch die Fahrgäste profitieren. Dokumentation und Rechnungsstellung Über den gesamten Kernprozess erweist sich eine stetige Dokumentation der einzelnen Prozess- und Arbeitsschritte und deren Status als sinnvoll. Eine automatische Dokumentation und Rechnungstellung wird für das System konzipiert. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen, insbesondere zu den Anforderungen an den Kernprozess, entsteht aktuell ein umfassendes Konzept zur Organisation von Busnotverkehren. Der Bedarf an entsprechenden Konzepten und effizienten Systemen für die Organisation von kurzfristigen Verkehrsleistungen ist groß. Nicht nur für den Ersatz von Schienenverkehrsleistungen spielt ein spontaner Einsatz von Transportmitteln eine entscheidende Rolle. Forschungen bestehen auch im Einsatz derartiger Systeme für den bedarfsnahen Einsatz von Verkehrsleistungen bei Nachfrageschwankungen, z. B. bei Großveranstaltungen oder Extremwetterlagen. Interessant sind hierbei die Möglichkeiten verbesserter Prognosen zur Abschätzung der Verkehrsnachfrage. ■ 1 Vgl. Schnieder, Lars (2015).: Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr. Ziele, Methoden, Konzepte. Berlin: Springer Vieweg (VDI-Buch), S. 159f Alina Steindl, M.Sc. Projektleitung Mobilität und Verkehr, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Prien am Chiemsee alina.maria.steindl@ prien.iml.fraunhofer.de Uwe Clausen, Prof. Dr.-Ing. Institutsleiter, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) & Institut für Transportlogistik (ITL), Technische Universität Dortmund, Vorsitzender der Fraunhofer Allianz Verkehr uwe.clausen@iml.fraunhofer.de Bild 3: Kern- und Kommunikationsprozess Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 49 Verkehrsentwicklung MOBILITÄT Verkehr und seine Umweltwirkungen Szenarien für Deutschland 2040 Mobilitätsszenarien Deutschland, Verkehrsleistung, Verkehr und Klima, Verkehr und Luftschadstoffe Der mögliche Wandel der Mobilität in Deutschland steht derzeit im Fokus. Sowohl im Hinblick auf das Verkehrsaufkommen und lokale Luftqualität als auch im Hinblick auf den Klimaschutz sind weitreichende Änderungen notwendig, damit der Verkehr seinen Beitrag zur Qualitätsverbesserung leistet. Andererseits besteht die Notwendigkeit und auch das individuelle Bedürfnis, eine hohe Mobilität von Personen und Gütern in Zukunft zu gewährleisten. Das Projekt „Verkehrsentwicklung und Umwelt“ hat sich der Frage gewidmet, mit welchen Wirkungen bei der Umsetzung verschiedener Maßnahmenbündel zu rechnen ist. Stefan Seum, Christian Winkler, Tobias Kuhnimhof, Simone Ehrenberger M it dem aktuellen Klimaschutzabkommen und dem Ziel, den CO 2 -Ausstoß global so weit zu senken, dass eine Erderwärmung um mehr als 1,5 Grad verhindert wird, steigt auch der Handlungsdruck im Verkehrssektor in Deutschland. Dessen CO 2 -Emissionen sind, im Gegensatz zu den anderen Sektoren, seit 20 Jahren weitgehend unverändert (UBA 2018). Verschiedene Szenariostudien haben bereits untersucht, mit welchen Technologien und Entwicklungen gesetzte CO 2 -Minderungsziele erreichbar wären (z. B. BDI 2018, Öko- Institut 2016, WWF 2009). Solche Zielszenarien geben jedoch meist keine Auskunft darüber, wie realisierbare Maßnahmenbündel in der Praxis wirken. Hinzu kommt die Debatte um lokale Luftqualität, bei der der Verkehr ebenfalls im Fokus steht. Vor diesem Hintergrund setzte sich das Projekt „Verkehrsentwicklung und Umwelt“ (VEU) damit auseinander, welche Mobilitätsszenarien für Deutschland für das Jahr 2040 möglich sind. VEU entwickelte drei explorative Szenarien, bei denen insbesondere Konsistenz und Plausibilität der einzelnen Entwicklungsstränge berücksichtigt wurden: das Szenario „Referenz“, das Szenario „geregelter Ruck“ und das Szenario „freies Spiel“. Die drei Szenarien zeigen realistische Entwicklungspfade der Mobilität in Deutschland auf. Die Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung (bis 2040 leichte Abnahme auf 77 Millionen Einwohner) und zur wirtschaftlichen Entwicklung (mit +1,14 % p. a. moderat wachsendes Bruttoinlandsprodukt bis 2040) sind in allen drei Szenarien identisch und stimmen mit den Annahmen für die Verkehrsprognose des Bundes bis 2030 überein (BMVi 2014). Die Szenarien unterscheiden sich im Hinblick auf weitere externe nationale und globale Rahmenbedingungen mit Einfluss auf den Verkehrssektor, z.B. Ambitionen bei der Einhaltung internationaler Abkommen. Zudem unterscheiden sich die Szenarien durch verkehrsrelevante Maßnahmenbündel, die zu den jeweiligen szenariospezifischen Kontextentwicklungen passen (Seum et al. 2017a und 2017b). Die Erstellung der VEU-Szenarien kombinierte qualitative Szenariotechnik mit einer umfangreichen quantitativen Modellkette (Bild 1). Der qualitative Teil umfasste Expertenworkshops zur Ausarbeitung der Szenarioparameter sowie eine Cross-Impact-Analyse zur Bündelung konsistenter Entwicklungen in Szenario-Storylines. Diese lieferten die Grundlage zur Festlegung quantitativer Modelleingangsparameter, die anschließend in die Verkehrs-, Technologie- und Energiesystementwicklung einflossen. Für die Modellierungen kamen die Modelle DEMO für die Verkehrsleistung des Bild 1: Schematische Darstellung der Modellkette des VEU Projektes Grafiken: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 50 MOBILITÄT Verkehrsentwicklung Personen- und Güterverkehrs, VECTOR21 für die Fahrzeugtechnologieentwicklung und MESAP/ PlaNet für das Energiesystem zum Einsatz. Anschließend wurden die Luftqualitätsauswirkungen mit dem Modell SMOKE-EU und die Klimawirkungen mit den Modellen TransCLIM und EMAC berechnet. Auf dieser Grundlage konnte die Wirkung der Maßnahmenbündel auf Verkehr, Luftqualität und Klima modelliert und bewertet werden. Die Annahmen zu den Rahmenbedingungen in den Szenarien entstanden in den Jahren 2015 bis 2016 und spiegeln entsprechend den zu diesem Zeitpunkt absehbaren Stand von Entwicklungen. Der vorliegende Beitrag skizziert die Szenarien, stellt die Ergebnisse der Modellrechnungen vor und interpretiert die Ergebnisse. Die drei Bilder der VEU-Szenarien Im Szenario „Referenz“ wird eine Fortführung bereits eingeleiteter Trends und Entwicklungen abgebildet. Die Eingriffe und Veränderungen sind moderat. So werden beispielsweise die CO 2 -Flottengrenzwerte bis 2040 auf 65 g/ km verschärft. Die Entwicklung der Energiewende folgt den sich abzeichnenden Trends und 2040 haben erneuerbaren Energiequellen einen Anteil von 60 % am Strommix. Das Szenario „freies Spiel“ bettet sich in eine mehr am wirtschaftlichen Wettbewerb orientierte globale Ordnung ein, in der nationale Interessen stärker in den Vordergrund rücken. Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass ökonomische Stärke und die Entwicklungen nach Marktkräften die beste Antwort auf globale Herausforderungen sind. Entsprechend zieht sich der Staat als regulierender Akteur zurück. So werden im „freien Spiel“ die CO 2 - Flotten-Grenzwerte auf dem 2020er Niveau von 95 g/ km belassen. Aufgrund der wettbewerblichen Position erreichen erneuerbare Energien nur 40 % des Strommix. Im Szenario „geregelter Ruck“ ist der globale Kontext deutlich kooperativer. Es kommt zu internationalen Vereinbarungen und mehr Zusammenarbeit zum Lösen großer Herausforderungen. Es besteht ein breiter Konsens, dass strengere Regeln kombiniert mit Förderungen und Investitionen in bestimmte Technologien am besten geeignet sind, um den Verkehrssektor umweltfreundlicher und weniger abhängig von fossilen Energiequellen zu gestalten. Neben der Förderung nichtmotorisierter Verkehre wird hier der CO 2 -Flottengrenzwert auf 45 g/ km verschärft und die Energiewende deutlich vorangebracht. 2040 werden ca. 80 % der elektrischen Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Die Folgen der Szenarien für Verkehr und Umwelt Verkehrsnachfrage Die maßgeblichen Steuerungselemente für die Verkehrsnachfrage sind Investitionen in Infrastrukturen sowie ordnungspolitische Eingriffe, insbesondere in urbanen Räumen. Investitionen in den öffentlichen Personenverkehr und den schienengebundenen Güterverkehr wirken sich auf die Geschwindigkeiten und die Preise dieser Optionen aus. Zusätzliche ordnungspolitische Eingriffe wie striktere Geschwindigkeitsbeschränkungen, Parkraumbewirtschaftung, Energiesteuern und Nutzungsgebühren wirken parallel auf die individuelle PKW- Nutzung. Die Tabellen des Beitrags geben einen Überblick über die Modellergebnisse zur Verkehrsleistung in den drei Szenarien. Auffällig ist, dass die Gesamtpersonenverkehrsleistung (Tabelle 1) in den Szenarien „Referenz“ und „freies Spiel“ deutlich zunimmt, während sie im Szenario „geregelter Ruck“ stagniert. Darüber hinaus kommt es zu Verlagerungseffekten: im „freien Spiel“ hin zum Automobil und im „geregelten Ruck“ Szenario sehr deutlich hin zu öffentlichen Verkehren sowie Fuß und Radverkehren. Die PKW-Nutzung nimmt im „geregelten Ruck“ um fast 10 % ab. In Bezug auf die Güterverkehrsleistung weisen alle drei Szenarien einen deutlichen Anstieg von über 50 % bis 2040 gegenüber 2010 auf (Tabelle 2). Auch im Güterverkehr zeigt sich im Szenario „geregelter Ruck“ eine deutliche Verlagerung auf den Schienengüterverkehr, der sich mit 92 % Wachstum fast verdoppelt, während der Straßen- Basis 2010 2030 2040 Veränderung 2040 gg. 2010 Referenz Szenario Fuß & Rad 67.874 68.659 68.516 0,9 % PKW 923.366 1.001.071 1.015.195 9,9 % Car-Sharing - - ÖV 154.027 164.482 167.570 8,8 % Summe 1.145.268 1.234.212 1.251.282 9,3 % Freies Spiel Szenario Fuß & Rad 65.798 64.522 -4,9 % PKW 1.033.473 1.034.983 12,1 % Car-Sharing - - ÖV 148.587 144.759 -6,0 % Summe 1.145.268 1.247.857 1.244.264 8,6 % Geregelter Ruck Szenario Fuß & Rad 77.608 77.051 13,5 % PKW 878.960 837.862 -9,3 % Car-Sharing 7.499 11.338 NA ÖV 213.340 226.748 47,2 % Summe 1.145.268 1.177.407 1.152.998 0,7 % Tabelle 1: Entwicklung der Personenverkehrsleistung in den VEU Szenarien (Millionen Personen-km) Basis 2010 2030 2040 Veränderung 2040 gg. 2010 Referenz Szenario LKW 437.841 602.012 695.191 58,8 % Bahn 107.600 139.200 146.900 36,5 % Binnenschiff 62.300 74.500 79.800 28,1 % Summe 607.741 815.712 921.891 51,7 % Freies Spiel Szenario LKW 607.301 697.358 59,3 % Bahn 139.700 151.000 40,3 % Binnenschiff 80.400 86.800 39,3 % Summe 607.741 827.401 935.158 53,9 % Geregelter Ruck Szenario LKW 580.333 649.377 48,3 % Bahn 182.900 206.300 91,7 % Binnenschiff 77.500 79.200 27,1 % Summe 607.741 840.733 934.877 53,8 % Tabelle 2: Entwicklung der Güterverkehrsleistung in den Szenarien (Millionen Tonnen-km) Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 51 Verkehrsentwicklung MOBILITÄT güterverkehr hier mit 48 % am schwächsten wächst. Das Fazit der Verkehrsnachfrage: Auf den Fernstraßen wird es voller und zwar in allen Szenarien. Dies ist maßgeblich dem weiter stark wachsenden LKW-Verkehren geschuldet. In den Szenarien „Referenz“ und „freies Spiel“ wachsen zudem alle PKW- Verkehre weiter an, was insbesondere durch eine deutliche Zunahme des Personenwirtschaftsverkehrs begründet ist. Lediglich das Szenario „geregelter Ruck“ verzeichnet einen spürbaren Umstieg auf den öffentlichen Personenverkehr (ÖV). Hintergrund dieser Verkehrsverlagerung sind deutliche Qualitätsverbesserungen (Takt, Geschwindigkeit, Komfort) und eine günstige Entwicklung- der Nutzerkosten im ÖV im Vergleich zum PKW. Fahrzeugtechnologie, Luftschadstoff- und CO 2 -Emissionen Die maßgeblichen Treiber der technologischen Entwicklungen bei den Kraftfahrzeugen sind die Flottengrenzwerte der Europäischen Union für CO 2 , die Entwicklung der EURO Emissionsnormen, Kostendegressionen durch technologische Lernkurven, Ladeinfrastrukturen sowie Energiesteuern. In allen drei Szenarien gewinnen zunächst Hybrid-Antriebe (ohne externe elektrische Ladeoption) gegenüber den konventionellen Verbrennungsmotoren und insbesondere dem Diesel-PKW an Bedeutung. Eine ähnliche Entwicklung gilt für Nutzfahrzeuge. In den Szenarien „Referenz“ und „geregelter Ruck“ nehmen zudem die Plug- In-Hybride deutlich zu. Im Szenario „geregelter Ruck“ gibt es ab 2025 einen nennenswerten Bestand an batterieelektrischen Fahrzeugen und ab 2035 auch einige Brennstoffzellenfahrzeuge. Durch die sukzessive Erneuerung der Fahrzeuge erfüllen 2040 fast alle konventionellen Antriebe die EURO 6-Abgasnormen. Die direkten Emissionen des PKW-Bestandes sind einerseits durch die Fortschritte in den Abgasreinigungen höherer EURO- Normen und andererseits durch den Anteil von elektrisch gefahrenen Kilometern bestimmt. Von 2010 ausgehend zeigen unsere Modellrechnungen deutliche Rückgänge der Stickoxide (NO x ) und der Partikelemissionen (PM) und zwar in allen Szenarien (Bild 2). Dabei sind im Jahr 2040 die PKW- Emissionswerte des Bestandes für NO x und PM in den Szenarien „Referenz“ und „freies Spiel“ jedoch immer noch etwa doppelt so hoch wie im Szenario „geregelter Ruck“. Insgesamt liegen die über alle PKW gemittelten NO x -Emissionen 2040 zwischen 84 % und 93 % unter denen von 2010, als noch EURO 3- und EURO 4-Motortechnologien 0 0,05 0,1 0,15 0,2 0,25 0,3 0,35 0,4 0,45 2010 2020 2030 2040 g NOx/ PKW -km Ø PKW Referenz Ø PKW geregelter Ruck Ø PKW freies Spiel Bild 2: Entwicklung der Stickstoffoxid Emissionen von PKW, gemittelt über den Technollogiemix des jeweiligen Bestandes in den drei Szenarien. Als Referenz: Der NO x -Grenzwert für EURO 4- Diesel liegt bei 0,25 g/ km und für Benzin bei 0,08 g/ km. Für EURO 6-Diesel ist dieser 0,08 g/ km und für EURO 6-Benzin 0,06 g/ km. Basis 2010 2030 2040 Veränderung 2040 gg. 2010 Referenz-Szenario PV-Benzin 360,0 374,7 390,2 8,4 % PV-Diesel 259,7 280,6 226,7 -12,7 % PV-Gas 0,2 5,7 4,2 PV-Strom - 30,6 74,4 PV-H 2 - - - GV-Diesel 101,7 163,0 173,2 70,3 % GV-Gas - 6,7 7,2 GV-Strom - 12,5 23,8 GV-H 2 - - - Summe 721,6 873,8 899,7 24,7 % Szenario Freies Spiel PV-Benzin 398,2 500,0 38,9 % PV-Diesel 295,2 197,5 -24,0 % PV-Gas 7,4 8,9 PV-Strom 5,3 0,6 PV-H 2 - - GV-Diesel 131,4 105,4 3,7 % GV-Gas 38,5 73,6 GV-Strom 6,1 14,4 GV-H 2 - - - Summe 721,6 882,1 900,4 24,8 % Szenario Geregelter Ruck PV-Benzin 372,6 325,8 -9,5 % PV-Diesel 146,0 62,4 -76,0 % PV-Gas 6,0 4,9 PV-Strom 30,3 159,8 PV-H 2 1,6 12,3 GV-Diesel 139,4 88,3 -13,2 % GV-Gas 13,4 7,1 GV-Strom 30,3 102,3 GV-H 2 0,2 2,9 Summe 721,6 739,7 765,7 6,1 % Tabelle 3: Entwicklung der Fahrleistungen PKW und LKW nach Energieträgern (Milliarden Fahrzeugkm). PV = Personenverkehr, GV = Güterverkehr Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 52 MOBILITÄT Verkehrsentwicklung dominierten. Das Fazit bezüglich der direkten Luftschadstoffe ist, dass die heute im Vordergrund stehende Problematik der NO x , für die kurzfristig Lösungen gefunden werden müssen, schon in wenigen Jahren szenariounabhängig ihre Dringlichkeit verlieren wird. Im Hinblick auf die Faktoren, die die Kohlendioxidemissionen (CO 2 ) des Verkehrs bestimmen, gibt es relevante Unterschiede zwischen den drei Szenarien. Hier spielt der Anteil der Fahrleistungen nach Antriebsarten (Tabelle 3) eine Rolle und inwieweit Strom aus dem Stromnetz zur Bewältigung der elektrischen Fahrleistung genutzt wird. In allen Szenarien gibt es eine Abnahme der Diesel-PKW-Kilometer. Am deutlichsten ist diese Abnahme im Szenario „geregelter Ruck“, in dem auch die benzinbetriebene Fahrleistung von PKW deutlich zurückgeht. Hier machen die auf Strom aus dem Stromnetz basierenden Fahrleistungen 28 % aus. In diesem Szenario gehen auch im Güterverkehr die dieselbetriebenen Fahrleistungen zurück. Für die CO 2 -Reduzierung durch Elektrifizierung ist der Strommix entscheidend. Aus den unterschiedlichen Entwicklungen im Strommarkt ergibt sich, dass im Szenario „freies Spiel“ ein elektrisch zurückgelegter PKW-Kilometer etwa 140 g CO 2 an Vorketten-Emissionen aufweist. Auch im Szenario „Referenz“ hat die Elektromobilität mit 87 g CO 2 / km nur einen geringen CO 2 -Vorteil gegenüber konventionellen Antrieben. Lediglich im „geregelten Ruck“ reduziert das elektrische Fahren, aufgrund von fast 80 % erneuerbaren Stroms, mit nur 25 g CO 2 / km die Treibhausgasbilanz. Auch bei den CO 2 -Emissionen des ÖV gibt es eine große Bandbreite. Während im „freien Spiel“ Szenario ca. 55 g CO 2 pro Passagier-Kilometer emittiert werden, sind es in der Referenz 37 g und im „geregelten Ruck“ Szenario lediglich 16 g CO 2 pro Passagier-Kilometer. Ursächlich sind hier ebenfalls technische Effizienzsteigerungen im ÖV, aber auch organisatorische Aspekte sowie vor allem die Auslastung spielen eine Rolle. Dennoch bleibt in allen drei Szenarien der Personentransport im ÖV CO 2 -effizienter als die Fahrt im individuellen PKW. Im „geregelten Ruck“ kommt noch eine weitere Technik zum Einsatz: der Oberleitungs-LKW auf allen Hauptrouten der Autobahnen in Deutschland. Diese Maßnahme steht stellvertretend für die direkte Elektrifizierung der Güterverkehre (GV). Dies kann entweder durch die Verlagerung der GV auf die Schiene oder die Elektrifizierung der LKW-Fernstrecken erfolgen. Beides erfordert massive Investitionen in die Infrastruktur und auch regulative Eingriffe, die beispielsweise fossiles Fahren auf langen Distanzen dann verbieten. Im Fazit zeigen die Modellierungsergebnisse der drei Szenarien einen Rückgang der CO 2 -Emissionen des Verkehrs (Bild 3). Alle drei Szenarien verfehlen jedoch die für 2030 gesteckten Klimaschutzziele der Bundesregierung. Lediglich das Szenario „geregelter Ruck“ erreicht - wenn auch verzögert - dieses Klimaschutzziel. Bedingung hierfür ist ein deutlicher Zuwachs elektrischer Fahrleistungen, kombiniert mit dem Rückgang der Kohleverstromung und dem Gelingen der Energiewende. Zusammenfassung Im Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt (VEU) wurden drei mögliche zukünftige Mobilitätsszenarien mit Hilfe einer umfangreichen Modellkette untersucht. Insgesamt verdeutlichen die Szenarien, dass auch in Zukunft weiteres Verkehrswachstum technische Effizienzgewinne zu kompensieren droht, so dass im Hinblick auf die Umweltbelastung des Verkehrs nicht die erhofften großen Fortschritte eintreten. Dies gilt grundsätzlich sowohl für den Personenals auch für den Güterverkehr. Lediglich im Szenario „geregelter Ruck“ führen recht massive Eingriffe in die Kosten und Nutzerfreundlichkeit des PKW, gepaart mit deutlichem Ausbau des öffentlichen Verkehrs, zu einer Reduzierung der PKW-Verkehre. Was die Luftqualität angeht, ist in den nächsten Dekaden, insbesondere zwischen 2020 und 2030, mit einer deutlichen Verringerung der direkten Emissionen, einschließlich der NO x -Emissionen, zu rechnen. Die Abnahme der Partikelbelastung wird deutlich geringer ausfallen, da Abriebsemissionen und Aufwirbelungen weiterhin ein Thema bleiben. Die Reduzierung verkehrsbedingter Klimagase erfordert neben einer Verlagerung der Verkehre auf die Schiene eine Abkehr sowohl von fossilen flüssigen Kraftstoffen als auch von der Verstromung von Kohle. Unter solchen Rahmenbedingungen kann die Elektrifizierung der individuellen Mobilität maßgeblich zu einer Dekarbonisierung des Verkehrs beitragen. ■ Bild 3: Bilanz der Treibhausgasemissionen als CO 2 -Äquivalente für das Basisjahr 2010 sowie für die Jahre 2030 und 2040 für die drei Szenarien. Die Emissionen PKW, ÖPV und GV zählen nach Kyoto-Protokoll zu den Verkehrsemissionen. Raffinerie Emissionen und Emissionen der Stromerzeugung sind anderen Sektoren zugeordnet. Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 53 Verkehrsentwicklung MOBILITÄT DANKSAGUNG Das Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt war ein DLR-Verbund- Projekt, an dem insgesamt über 60 Wissenschaftler in 12 Forschungsinstituten beteiligt waren. Besonderer Dank im Rahmen der vorgestellten Ergebnisse gilt hierbei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der DLR- Institute für Fahrzeugkonzepte, für Flughafenwesen und Luftverkehr, für Physik der Atmosphäre, für Technische Thermodynamik, für Verkehrsforschung, für Verkehrssystemtechnik, sowie dem Zentrum für Material und Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht, die an dem Gelingen der Szenario-Rechnungen beteiligt waren. https: / / verkehrsforschung.dlr.de/ de/ projekte/ veu LITERATUR BDI (2018): Klimapfade für Deutschland. Studie der Boston Consulting Group (BCG) und Prognos im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). BMVI (2013): Analyse aktueller Szenarien zur Entwicklung des Verkehrs in Deutschland und dessen Umweltwirkungen. Authors: Dünnebeil, F; Lambrecht, U.; Goletz, M.; Zittel, W.; Schmidt, P.; Müller-Langer, F.; Naumann, K.(2013): Kurzstudie im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtenwicklung (BMVBS). Leipzig, September 2013. BMVI (2014): Verkehrsverflechtungsprognose 2030. Schlussbericht. Verkehrsverflechtungsprognose 2030, Los 3: Erstellung der Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen unter Berücksichtigung des Luftverkehrs. Intraplan Consult GmbH und BVU Beratergruppe Verkehr + Umwelt GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. 11. Juni 2014. Öko-Institut (2016): Renewbility III: Optionen einer Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Study on behalf of the Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation, Building and Nuclear Safety in cooperation with DLR, IFEU and Infras. http: / / www.renewbility.de/ downloads/ Seum, S., Goletz, M., Kuhnimhof, T. (2017a): Verkehrssystemforschung am DLR - Mobil in Deutschland 2040. Teil 1: Der methodische Szenario- Ansatz im Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt. In: Internationales Verkehrswesen (69) 1, 2017, S. 60-63. Seum, S., Goletz, M., Kuhnimhof, T. (2017b): Verkehrssystemforschung am DLR - Mobil in Deutschland 2040. Teil 2: Die Szenarien des VEU- Projekts. In: Internationales Verkehrswesen (69) 2, 2017, S. 78-81. UBA (2018): Klimabilanz 2017: Emissionen gehen leicht zurück. Pressemitteilung 08/ 2018. https: / / www.umweltbundesamt.de/ presse/ pressemitteilungen/ klimabilanz-2017-emissionen-gehen-leichtzurueck WWF (2009): Modell Deutschland, Klimaschutz bis 2050: vom Ziel her denken. In cooperation with Öko-Institut e.V. and Prognos AG. Simone Ehrenberger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Fahrzeugkonzepte, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Suttgart simone.ehrenberger@dlr.de Stefan Seum, Projektleiter Verkehrsentwicklung und Umwelt, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Berlin stefan.seum@dlr.de Tobias Kuhnimhof, Abteilungsleiter Personenverkehr, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Berlin. Derzeit: Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr, RWTH Aachen kuhnimhof@isb.rwth-aachen.de Christian Winkler, Gruppenleiter Verkehrsmodellierung, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Berlin christian.winkler@dlr.de WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen Mieterstrom | Solarkataster | Wärmewende | Regenwassermanagement | Abwasserbehandlung | Mobility as a Service 2 · 2018 Versorgung von Städten URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen Straßenraumgestaltung | Spielraum in Städten | Grüne Infrastruktur | Dach- und Fassadenbegrünung | Stadtnatur 3 · 2018 Urbane Räume und Flächen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin zum urbanen Wandel www.transforming-cities.de Eigenanzeige 0,5 quer.indd 1 28.08.2018 10: 30: 32 Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 54 Elektrifizierung des städtischen Busverkehrs - Das-Frankfurter Konzept Stadtverkehr, Elektrobus, Personennahverkehr, Urbane Mobilität Die Einführung von Elektrobussen nimmt im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland und weltweit stark zu. Momentan beschäftigen sich daher mehr als 50 deutsche Städte intensiv mit der Thematik oder setzen bereits erste Elektrobusse ein. Die Stadt Frankfurt am Main zählt ebenfalls dazu. Tom Reinhold, Tobias Schreiber, Christian Wagner W eltweit sind aktuell rund 385.000 Elektrobusse im Einsatz, der überwiegende Teil davon in China (siehe Bild 1 [1-3]). In Deutschland ist die Entwicklung vor allem getrieben durch die Dieseldebatte und den Wunsch zur Senkung der Emissionsbelastungen in den Städten. Momentan beschäftigen sich daher mehr als 50 deutsche Städte intensiv mit der Thematik oder setzen bereits erste Elektrobusse ein. In Frankfurt am Main verkehren seit Dezember 2018 fünf batterieelektrische Busse des polnischen Herstellers Solaris auf der Buslinie 75, der ersten vollelektrischen Buslinie Hessens (Bild 2). Die Umstellung des Betriebs auf Fahrzeuge mit alternativen Antrieben bzw. Elektrobusse wird durch verschiedenste Herausforderungen beeinflusst. Allgemein werden unter Elektrobussen unterschiedliche technologische Ansätze subsummiert. Batterieelektrische Busse können entweder über Nacht im Depot geladen werden oder aber auch per Gelegenheitsladung auf der Strecke bzw. an den Endhaltestellen. Hinzu kommen Brennstoffzellenfahrzeuge, die mit Wasserstoff betankt werden und den benötigten Strom an Bord produzieren. Die Brennstoffzelle kann zudem in einem batterieelektrischen Bus als Range-Extender genutzt werden. Jede dieser Technologien hat individuelle Vor- und Nachteile. Somit müssen die Städte und Betreiber jeweils die für sich optimale Technologie ermitteln. Gemein haben die Elektrobusse jedoch, dass Lieferfähigkeiten und -mengen noch sehr gering sind und jeweils zugehörige Infrastrukturen benötigt werden. Diese bedürfen unterschiedlicher Voraussetzungen und können erhebliche Investitionen nach sich ziehen. Daher ist es sinnvoll, die Umstellung auf Elektrobusse und die zugehörigen Auswirkungen genau zu analysieren und durch ein entsprechendes Konzept vor der Beschaffung der Fahrzeuge zu fixieren. Ein solches Konzept hat die städtische Nahverkehrsgesellschaft traffiQ im Frühjahr 2018 für die Stadt Frankfurt am Main erstellen lassen. Erstellung eines Umsetzungskonzepts E-Bus für Frankfurt Das Ziel des Konzepts ist, die Rahmenbedingungen einer langfristigen und vollständigen Umstellung der Dieselbus-Flotte in Frankfurt am Main aufzuzeigen sowie die Foto: traffiQ MOBILITÄT ÖPNV Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 55 ÖPNV MOBILITÄT dafür am besten geeigneten E-Bus- Technik(en) zu ermitteln. Für die vollständige Umstellung ist ein Zeithorizont bis 2030 festgelegt und unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen als realistisch erachtet worden. Hinsichtlich der drei zuvor genannten Technologien kann man weltweit derzeit noch keinen eindeutigen Trend erkennen, welche sich letztlich durchsetzen wird. Daher ist man bei der Erstellung des E-Bus- Konzepts technologieoffen vorgegangen. Jedoch wurden weitere alternative Antriebsformen, wie z. B. Diesel-Hybrid-, CNG- oder auch Oberleitungs-Busse nicht betrachtet. Dies hat einerseits strategische Gründe, da je nach Antriebsform weiterhin fossile Brennstoffe zum Einsatz kommen und jeweils nur von einer Brückentechnologie hin zu Elektrobussen gesprochen werden kann. Auf diesen Zwischenschritt kann daher verzichtet werden. Andererseits wurden bei der Bewertung dieser Antriebsformen auch stadtplanerische Aspekte berücksichtigt, die vor allem bei O-Bussen eine Rolle spielen. In der Frankfurter Busflotte befinden sich derzeit rund 370 Fahrzeuge, die auf sieben Buslinienbündel aufgeteilt sind. Diese Linienbündel werden teilweise vom städtischen Verkehrsunternehmen In-der-City- Bus GmbH (heute zwei, zukünftig drei Linienbündel) sowie von privaten Verkehrsunternehmen gefahren. Diese Rahmenbedingungen müssen bei der Erstellung des Konzepts besonders berücksichtigt werden, da die Fahrzeuge nicht beliebig innerhalb der Stadt eingesetzt werden können und Infrastrukturen nicht für alle Betreiber zur Verfügung stehen. Fünf Umstellungs-Szenarien im-Vergleich Für das Konzept wurden fünf verschiedene Szenarien untersucht. Eine Umstellung kann zu 100 % auf Brennstoffzellenbusse, Batteriebusse mit Nachtladung im Depot sowie Batteriebusse mit Gelegenheitsladung an den Endhaltestellen erfolgen. Die Umstellung auf eine einzelne Technologie hat grundsätzlich den Vorteil, dass Betriebs- und Werkstattabläufe vereinheitlicht werden, Infrastrukturen nur für eine Technologie bereitgestellt werden müssen sowie Ausschreibungsverfahren erleichtert werden. Gleichzeitig müssen jedoch auch die derzeit bestehenden Einschränkungen der einzelnen Technologien beachtet werden. Die heute verfügbaren Batteriekapazitäten zum Beispiel reichen nicht aus, um alle Umläufe der verschiedenen Frankfurter Buslinien abdecken zu können. Es existieren auf bestimmten Linien teils nur sehr kurze Umläufe mit weniger als 50 km pro Tag, wohingegen auf anderen Linien Umläufe von mehr als 300 km pro Tag die Regel sind. Batteriebusse, die nur über Nacht im Depot geladen werden, sind heute nicht in der Lage, solche langen Umläufe ohne Fahrzeugtausch zu bewältigen. Dies würde wiederum einen Fahrzeug- und Personalmehrbedarf bedeuten, der für die Verkehrsunternehmen unwirtschaftlich ist. Aus diesem Grund wurden bei der Entwicklung des Konzepts auch Mischszenarien aufgegriffen. Dabei wurden Kombinationen von Nachtladung und Brennstoffzellenbussen sowie Nachtladung und Schnellladung im Depot aufgenommen. Eine Übersicht der betrachteten Szenarien zeigt Bild 3. Bild 2: Frankfurts Linie 75, erste vollelektrische Buslinie Hessens Europa ~2.100, Deutschland ~600 Nordamerika ~2.000 Asien ~380.000 Südamerika ~500 Afrika ~50 Ozeanien ~100 Bild 1: Weltweiter Einsatz von Elektrobussen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 56 MOBILITÄT ÖPNV Szenario 1 beschreibt die vollständige Umstellung der Frankfurter Busflotte auf Brennstoffzellenbusse. Diese Technologie punktet mit hohen Reichweiten (> 350 km) und ähnlichen Tankzeiten wie bei Dieselbussen (ca. zehn Minuten). Somit könnten alle rund 370 Frankfurter Busse 1: 1 ausgetauscht werden, ohne das zusätzliche Fahrzeuge benötigt werden. Dem gegenüber stehen hohe Investitionskosten in Fahrzeuge (etwa 650.000 EUR für einen Solobus) sowie in die benötigte Wasserstoffinfrastruktur (Tankstelle, Verdichter, Speicher etc.) auf dem Betriebshof. Zudem muss eine ausreichende Versorgung mit Wasserstoff sichergestellt werden. Frankfurt hat hier den Vorteil, dass Wasserstoff als Nebenprodukt der Chlorherstellung am Industriepark in Höchst entsteht. Dieser Wasserstoff kann dann per LKW-Trailer oder Pipeline zum Betriebshof verbracht werden. Andere Städte haben diese Möglichkeit nicht und müssen auf teure Anlagen mit Elektrolyseur oder Lieferwasserstoff zurückgreifen. Ein wesentlicher Nachteil der Technologie ist zudem die geringe Lieferbarkeit von Fahrzeugen und der sehr überschaubare Herstellermarkt. Die Fahrzeugbeschaffung wird dadurch heute noch wesentlich beeinflusst. Szenario 2 umfasst die vollständige Umstellung auf Batteriebusse mit Nachtladung. Dies hat den Vorteil, dass eine Ladeinfrastruktur nur am Betriebshof aufgebaut werden muss und nicht an der Strecke. Dem gegenüber stehen jedoch einige merkliche Nachteile. Wie bereits zuvor beschrieben, sind die heutigen Reichweiten von batterieelektrischen Bussen nicht ausreichend, um alle Umläufe in Frankfurt abzudecken. Es ist davon auszugehen, dass sich die Reichweiten zukünftig erhöhen werden, jedoch ist eine Abschätzung der tatsächlichen Steigerung noch schwierig [4]. Wollte man also nach derzeitigem Stand alle Busse auf diese Technologie umstellen, so wären Zusatzfahrzeuge und Zusatzfahrer die Folge. Deren Anzahl wird maßgeblich durch das gewählte Heizkonzept beeinflusst. Heizung und Klimatisierung sind die Nebenaggregate, welche den wesentlichsten Anteil am Energieverbrauch haben. Mit einer rein elektrischen Heizung (Szenario 2b) kann heute eine Reichweite von etwa 150 km erzielt werden. Mit einer fossilen Zusatzheizung (Szenario 2a) kann diese je nach Fahrzeugmodell und Batteriekapazität auf bis zu 230 km erhöht werden. Dies bedeutet jedoch, dass ein solches Fahrzeug nicht zu 100 % emissionsfrei ist. Die politischen Gremien der Städte müssen jeweils entscheiden, ob dies für sie akzeptabel ist. Im Fall von Frankfurt würden mit Zusatzheizung rund 10 % an zusätzlichen Fahrzeugen benötigt. Würde jedoch rein elektrisch geheizt, so sind gar etwa 35 % an Zusatzfahrzeugen nötig. Dies ist nicht nur unwirtschaftlich, es hat zudem wesentliche Auswirkungen auf die notwendige Infrastruktur. Der Platzbedarf im Betriebshof steigt ohnehin durch die benötigte Ladeinfrastruktur an. Hinzu kommt der Platzbedarf für die zusätzlichen Fahrzeuge. Die Flächenverfügbarkeit in Frankfurt ist sehr gering und zusätzliche Flächen sind daher ohne weiteres nicht zu erhalten. Weiterhin kommen enorme Energiemengen hinzu, die für die Ladung der Busse aufgebracht werden müssen. Für die gesamte Flotte liegen diese bei etwa 30.000 MWh. Dies entspricht dem Jahresverbrauch von rund 11.000 Haushalten. Die entsprechende Anschlussleistung ist an den Betriebshöfen nicht ohne weiteres und nicht ohne hohe Investitionen herzustellen. Neben den Ladegeräten an sich können zusätzliche Trafostationen, Umspannanlagen, etc. sowie die zugehörigen (Tief-) Bauarbeiten notwendig sein. Mit einer reinen Umstellung auf Nachtladung sind somit erhebliche finanzielle Aufwendungen verbunden. Szenario 3 betrachtet die vollständige Umstellung auf Batteriebusse mit Gelegenheitsladung an den Endhaltestellen. Der Vorteil dieser Variante ist, dass die Fahrzeuge kontinuierlich aufgeladen werden und daher kleinere Batterien verbaut werden können. Dem gegenüber stehen jedoch u.a. die langen Wendezeiten an den Endhaltestellen, welche für die Zwischenladung benötigt werden. Zudem ist eine entsprechende Ladeinfrastruktur notwendig. Die Zwischenladung kann per Stecker, Pantograf oder induktiv geschehen, wobei vor allem letztere Lösung aufgrund technischer Probleme und sehr hoher Kosten unattraktiv für Frankfurt ist [5]. Im Rahmen der Konzepterstellung wurde ermittelt, dass in Frankfurt mit seinem dezentralen Liniennetz etwa 90 Ladestation (300 kW) zur Umsetzung von Szenario 3 errichtet werden müssten. Hinzu kommt die dafür notwendige Infrastruktur (Umspannanlagen, Verkabelung, etc.). Bei der Analyse der Umläufe kam zudem heraus, dass lediglich 18 % der Frankfurter Buslinien für eine Gelegenheitsladung geeignet sind. Weitere 29 % der Linien könnten mit größeren Aufwendungen (Extra-Zeiten im Fahrplan, größere Batteriekapazitäten etc.) für eine Gelegenheitsladung ertüchtigt werden. Für die restlichen 53 % der Linien ist eine Gelegenheitsladung als unwirtschaftlich zu betrachten, da in jedem Fall Zusatzfahrzeuge notwendig sind. 8 % Mehrfahrzeuge sind im Vergleich zu heute in Szenario 3 notwendig, was auch den Personalbedarf entsprechend erhöht. Letztlich wirken sich auch der erhebliche städtebauliche Eingriff und die zu erwartenden Einwendungen betroffener Bürger negativ auf die Umsetzbarkeit von Szenario 3 aus. Szenario 4 kombiniert die Vorteile der Brennstoffzellentechnologie und der Nachtladung. Lange Umläufe werden dabei mit Brennstoffzellenbussen gefahren, wohingegen kürzere Umläufe von Batteriebussen bedient werden. Auf diese Weise sind keine Zusatzfahrzeuge und -fahrer notwendig. Eine Analyse der Umläufe zeigt, dass somit eine 50 : 50-Aufteilung der Fahrzeugflotte auf beide Technologien resultiert. Dabei werden rund 75 % der Fahrleistung mit den Brennstoffzellenbussen erbracht. Der wesentliche Nachteil dieses Szenarios ist die Notwendigkeit zum Aufbau von Infrastrukturen für beide Technologien. In Szenario 5 wird die Nachtladung mit der Schnellladung im Depot (über Tag) kombiniert. Somit ist eine Ladeinfrastruktur nur am Betriebshof nötig und nicht an der Strecke. Gleichzeitig bedeutet dies jedoch, dass die Fahrzeuge teilweise über den SZENARIO 1: 100% Brennsto zellenbusse SZENARIO 2: 100% Nachtladung im Depot 2a) Nicht elektrische Zusatzheizung 2b) Elektrische Zusatzheizung SZENARIO 3: 100% Schnellladung (an den Endhaltestellen) SZENARIO 4: Brennsto zellenbusse (75% Fahrleistung, ca.50% Fahrzeuge) + Nachtladung (25% Fahrleistung, ca.50% Fahrzeuge) SZENARIO 5: Nachtladung (Langsamladung) + Schnellladung in Depot Bild 3: Übersicht der betrachteten Szenarien Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 57 ÖPNV MOBILITÄT Tag zum Betriebshof zurückkehren müssen, woraus vermeidbare Leerfahrten resultieren. Dieses Szenario ist vor allem bei zentralen Depots sinnvoll. In Frankfurt sind die vier Betriebshöfe jedoch dezentral über die Stadt verteilt. Im Rahmen des Konzepts wurde eine maximale Entfernung zur Endhaltestelle von 3 km als akzeptabel definiert, damit die Leerfahrten kein zu großes Ausmaß annehmen. In diesem Fall könnten jedoch nur wenige Endhaltestellen durch die bestehenden Depots abgedeckt werden. Selbst wenn zu den bisherigen vier Betriebshöfen noch weitere vier Schnellladedepots hinzukämen, blieben weiterhin einige Linienenden nicht ausreichend abgedeckt und ein Bedarf an Zusatzfahrzeugen wäre die Folge (ca. 10 %). Die heutige Betriebshofsituation ist für dieses Szenario also nicht geeignet. Wie zuvor bereits erläutert wurde, ist die Nutzung zusätzlicher Flächen ebenfalls schwierig. Ohne eine hohe Anzahl unwirtschaftlicher Leerfahrten ist dieses Szenario in Frankfurt somit nicht realisierbar. Die Szenarien eignen sich daher zu einem unterschiedlichen Grad für die Umsetzung in Frankfurt. Um das geeignetste Szenario wählen zu können, wurden diese zudem hinsichtlich der Umweltbilanz, der Kosten sowie weiterer Faktoren miteinander verglichen. Die Umweltwirkungen der jeweiligen Szenarien sind bei Batteriebussen einerseits davon abhängig, ob eine fossile Zusatzheizung verwendet wird oder darauf verzichtet werden kann. Andererseits muss bei globaler Betrachtung der Emissionen beachtet werden, wie der Strom erzeugt wird. Nur bei Verwendung von Ökostrom ist der Einsatz von Batteriebussen auch global zu 100 % emissionsfrei. Bei Brennstoffzellenbussen ist dies hinsichtlich der Erzeugung des Wasserstoffs vergleichbar. Bild 4 zeigt die abgeschätzten Emissionen je Szenario. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass die Kosten für Fahrzeuge sowie Lade- und Betankungsinfrastruktur zukünftig sinken werden. Dies kann auf steigende Stückzahlen und damit einhergehenden Skaleneffekten zurückgeführt werden. Die Anschaffungskosten sollten sich daher denen konventioneller Antriebe annähern [6]. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie schnell und ob sich dieser Effekt einstellen wird. Hier kann erst die tatsächliche Entwicklung Aufschluss geben. Stellt man die nach heutigem Stand zu erwartenden Investitionsmehrkosten im Vergleich zum Dieselbus der Szenarien gegenüber, so ergibt sich ein relativ ähnliches Bild. Die Investitionsmehrkosten liegen zwischen 148 Mio. EUR und 172 Mio. EUR auf einem recht ähnlichen Niveau. Ausnahme ist das Szenario 2b, wenn auf eine fossile Zusatzheizung verzichtet wird. Durch den Fahrzeugmehrbedarf von 35 % ergeben sich Investitionsmehrkosten von 223 Mio. EUR. Das kostengünstigste Szenario stellt hingegen die Kombination von Brennstoffzelle und Nachtladung dar. Auch hinsichtlich der jährlichen Betriebsmehrkosten im Vergleich zum Dieselbus zeichnet sich Szena- 5.474.220 14.030.507 0 2.000.000 4.000.000 6.000.000 8.000.000 10.000.000 12.000.000 14.000.000 16.000.000 Nachtladung Brennstoffzelle 25% 75% Nachtladung Brennstoffzelle Quelle: EMCEL GmbH, traf f iQ Jährliche Fahrleistung in km je Technologie für Szenario 4 Prozentuale Verteilung der jährlichen Fahrleistung auf die Technologien Vergleich zu Diesel Vergleich zu Diesel Vergleich zu Diesel Vergleich zu Diesel Vergleich zu Diesel CO 2 Emissionen lokal (TTW*) [t/ Jahr] 23.200 0 -100% 1.100 -95% 0 -100% 600 -97% 1.250 -95% CO 2 Emissionen gesamt (WTW**) [t/ Jahr] Mit deutschen Strommix / H2 aus Erdgas 27.000 21.000 -22% 17.000 -37% 17.000 -37% 20.000 -26% 17.000 -37% CO 2 Emissionen gesamt (WTW) [t/ Jahr] Mit Ökostrom / grünem Wasserstoff - 0 -100% 0 -100% 0 -100% 0 -100% 0 -100% NO x Emissionen lokal (TTW) [t/ Jahr] 70 0 -100% 3,5 -95% 0 -100% 1,8 -97% 3,5 -95% PM Emissionen lokal (TTW) [t/ Jahr] 0,7 0 -100% 0,04 -95% 0 -100% 0,02 -97% 0,04 -95% Diesel Szenario 1 Szenario 2a Szenario 3 Szenario 4 Szenario 5 * TTW = Tank-To-Wheel ** WTW = Well-To-Wheel Quelle: EMCELL, traffiQ Bild 4: Abgeschätzte Emissionen je Szenario Bild 5: Verteilung der jährlichen Fahrleistung auf die Technologien Bild 6: Präsentation der ersten Elektrobusse für die Linie 75 in Frankfurt am Main Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 58 MOBILITÄT ÖPNV rio 4 durch sinkende Kosten aus. Die genannten Ergebnisse wurden anschließend durch eine Sensitivitätsanalyse der jährlichen Mehrkosten gegenüber dem Diesel verifiziert. Werden zudem die Vor- und Nachteile der einzelnen Szenarien betrachtet, so zeigt sich, dass Szenario 4 nicht nur am günstigsten, sondern auch am sinnvollsten in Frankfurt umsetzbar ist. Der Betrieb der Frankfurter Buslinien ist vollständig emissionsfrei möglich, es werden keine Zusatzfahrzeuge und -fahrer benötigt, es ist vergleichsweise einfach umsetzbar und lässt sich flexibel an die technologischen Entwicklungen anpassen. Lediglich der heute noch knappe Hersteller- und Fahrzeugmarkt sowie die Notwendigkeit zum parallelen Aufbau zweier Infrastrukturen spricht dagegen. Folglich wird für Frankfurt am Main die Umsetzung von Szenario 4, der Kombination von Brennstoffzelle und Nachtladung im Depot vorgeschlagen. Ausblick Die Umsetzung des Konzepts kann planmäßig bis 2030 erfolgen. Es wurde den politischen Gremien vorgestellt und wird von diesen grundsätzlich befürwortet. Die zugehörigen politischen Beschlüsse werden Schritt für Schritt erfolgen. Neben Fahrzeugverfügbarkeiten und technologischen Entwicklungen spielt vor allem die Laufzeit der Linienbündel bei der Umsetzung eine Rolle. Im Regelfall werden die Flotten jeweils mit Betriebsstart eines Bündels ersetzt oder modernisiert. Die Laufzeit der Bündel liegt dabei zwischen acht und zehn Jahren. Auf dieser Grundlage ist eine Umstellung bis 2030 schrittweise realistisch und möglich. Zunächst werden dabei keine kompletten Linienbündel umgestellt. Stattdessen werden bei anstehenden Vergaben bis 2022 nur einzelne Linien elektrifiziert. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Verkehrsunternehmen die zusätzlichen Aufwände durch den Aufbau der Infrastrukturen sowie die geringen Verfügbarkeiten und langen Lieferzeiten der Fahrzeuge auch tatsächlich handhaben können. Die erste vollständige Umstellung eines Linienbündels auf Elektrobusse ist daher für den Dezember 2022 geplant. Wenn dabei Szenario 4 verfolgt wird, ergeben sich letztlich deutlich höhere Fahrleistungen für die Brennstoffzellenbusse. Dies ergibt sich aus den längeren Umläufen, welche durch diese Fahrzeuge abgebildet werden. Bild 5 zeigt die Verteilung der jährlichen Fahrleistung auf beide Technologien. Die fünf Elektrobusse auf der Linie 75 stellen den Auftakt der Elektrifizierung des Busverkehrs in Frankfurt dar (Bild 6). Hinzu kommen im Sommer 2019 elf Brennstoffzellenbusse, die im Verbund mit den Verkehrsbetrieben in Mainz (MVG, vier Busse) und Wiesbaden (ESWE, vier Busse) beschafft werden. Dies ermöglicht den parallelen Test und Einsatz beider Technologien. Die Beschaffung von 30 weiteren Brennstoffzellenbussen ist derzeit in Vorbereitung. Fazit Die Elektrifizierung des Busverkehrs beschäftigt derzeit die meisten deutschen Städte und Kommunen. Vielfach wird dabei eine Umstellung auf Elektrobusse bis 2030 anvisiert. [7] Technologische Einschränkungen, geringe Fahrzeugverfügbarkeiten und lange Lieferzeiten erschweren heute noch den Einsatz von Bussen mit alternativen Antrieben. Eine Verbesserung der Situation sowie eine Senkung der Kosten werden für die nächsten Jahre prognostiziert, jedoch ist von einer dauerhaft hohen Nachfrage nach Elektrobussen auszugehen. Hinzu kommen infrastrukturelle Notwendigkeiten und Aufwendungen, die von den Städten und Verkehrsunternehmen nicht kurzfristig zu bewältigen sind. Eine unmittelbare Umstellung erscheint daher nicht zielführend und realistisch. Stattdessen sollte diese schrittweise und anhand eines klaren Konzepts erfolgen. Jede Stadt hat ihre individuellen Gegebenheiten, was sich wiederum auf die jeweils optimale Technologie auswirkt. Für Frankfurt ist die Kombination von Brennstoffzelle und Nachtladung im Depot ideal, um den Fahrzeugpark 1: 1 zu ersetzen und alle Umläufe über den Tag hinweg abdecken zu können. Für andere Städte mag sich diese Lösung nicht als optimal erweisen. Für die Stadt Frankfurt am Main hat sich die Erstellung eines E-Bus Konzepts mit entsprechendem Umsetzungsfahrplan als große Hilfe erwiesen, um eine Planungsgrundlage für die beteiligten Verkehrsunternehmen, traffiQ als Aufgabenträgerorganisation und die weiteren Beteiligten zu schaffen. Es wird sich nun weisen, ob die politischen Entscheidungsträger die Mehrkosten, die mit der Umstellung auf emissionsfreie Busse verbunden sind, zu tragen bereit sind. Das von traffiQ vorgelegte Konzept zeigt einen Weg auf, wie die Umsetzung des ökologischen Oberziels unter betrieblichen, rechtlichen und technischen Aspekten realisiert werden kann. Würden andere Aspekte zum Oberziel erhoben, etwa ökonomische oder verkehrspolitische Ziele (wie z. B. eine Steigerung des Kostendeckungsgrades des Nahverkehrssystems oder eine Modal- Split-Verschiebung zu Gunsten des ÖPNV), könnten andere Strategien erforderlich werden. ■ LITERATUR [1] Aleksandra O‘Donovan, James Frith, Clin McKerracher: “Electric Buses in Cities - Driving Towards Cleaner Air and Lower CO 2 ”, Bloomberg New Energy Finance, 29.03.2018 [2] Hansjörg Arnold, Maximilian Rohs: „E-Bus-Radar - Wie elektrisch wird der öffentliche Nahverkehr? “, PricewaterhouseCoopers GmbH, 17.09.2018, https: / / www.pwc.de/ de/ offentliche-unternehmen/ e-bus-radar-2018.html [3] Diana Carolina Piñeros: „Latin America grows fond of electric buses”, Deutsche Welle, 04.12.2018, https: / / www.dw.com/ en/ latinamerica-grows-fond-of-electric-buses/ a-46554019 [4] Martin Schmitz: „Entwicklung des E-Bus Betriebs in Deutschland: Stand und Perspektiven“, Der Nahverkehr, Sonderheft Elektrobusse, 35. 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Geschäftsführer, traffiQ Lokale Nahverkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mbH t.reinhold@traffiq.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 59 MaaS in Deutschland Ausblick und Implikationen für den öffentlichen Verkehr Digitalisierung, Disruptive Innovation, Mobilität 4.0, Kombinierter Verkehr, Smart City MaaS-Global, Anbieter des ersten vollwertigen MaaS-Systems, strebt nach dem Start in Helsinki die Expansion an. Parallelen zu Plattformen wie Uber oder Airbnb, die als „disruptor“ ganze Branchen revolutioniert haben, sind zu erkennen. Da u.a. auch Tech-Konzerne und Autobauer ihre Absicht kundgetan haben, das „Amazon des öffentlichen Verkehrs“ zu werden, stellt sich nun die Frage, welchen Weg MaaS in Deutschland gehen wird. Als Arbeitsgrundlage für mögliche Szenarien dienen Erfahrungen, die im Retail Banking und im Taxi- und Hotelgewerbe mit dem Aufkommen disruptiver Technologien gemacht wurden. Marc Hasselwander D er Kerngedanke, mit dem „Mobility as a Service“ (MaaS) derzeit weltweit für Aufmerksamkeit sorgt, ist in Deutschland kein unbekannter Ansatz. Das MaaS-Modell beabsichtigt, durch die Integration verschiedener Verkehrsträger nahtlose Mobilitätsdienste über eine einzelne Schnittstelle anzubieten. Im Grunde war dies bereits eines der Ziele, das mit der Gründung von Verkehrsverbünden in den 1990er Jahren für den öffentlichen Verkehr verfolgt wurde. Durch die Einführung von Verbundtarifen, sollte es dem Fahrgast ermöglicht werden, verschiedene Verkehrsmittel, betrieben von unterschiedlichen Verkehrsunternehmen, mit einem einzelnen Fahrschein nutzen zu können. Damit einhergehend war die Absicht, den öffentlichen Verkehr zugänglicher und attraktiver zu gestalten und damit einen Modal Shift zu erwirken. Angetrieben vom technologischen Fortschritt, insbesondere der Digitalisierung sowie gesellschaftlicher Entwicklungen wie der Sharing Economy, könnte nun durch MaaS der nächste Schritt eingeläutet werden. Auch wenn der Terminus „Mobility as a Service“ in der öffentlichen Diskussion noch keinen großen Widerhall findet und andere Länder produktiver in der Forschung sind [1], gibt es mit Qixxit oder moovel bereits Anbieter, die als MaaS bzw. MaaS-ähnliche Anwendung kategorisiert werden [2]. In dieser Arbeit wird anhand der drei Fallbeispiele Retail Banking sowie Taxi- und Hotelgewerbe untersucht, welche Szenarien für MaaS in Deutschland denkbar sind. Startups aus den genannten Bereichen basieren oftmals auf digitalen Plattformen. Diese kreieren zweiseitige Märkte mit Netzwerkeffekten, das heißt je mehr Teilnehmer die Plattform auf beiden Seiten hat, desto mehr profitieren diese voneinander. Im Vergleich zu etablierten Lösungen weisen digitale Plattformen oft Vorteile auf. In etwa eine bessere Zugänglichkeit (z. B. durch Smartphones), eine höhere Geschwindigkeit sowie eine erhöhte Effizienz [3]. Durch exponentielles Wachstum vieler Plattformen sind diese zu einer wichtigen wirtschaftlichen Kraft geworden, deren Gesamtmarktwert auf 4,3 Bill. USD geschätzt wird [4]. Nachdem Plattform-Firmen bereits das Taxi- (Uber) und Hotelgewerbe (Airbnb) sowie den Versandhandel (Amazon) revolutioniert haben, scheint der öffentliche Verkehr als nächstes in den Fokus zu rücken. MaaS könnte dabei eine tragende Rolle spielen, da MaaS-Anbieter ebenfalls Plattformen kreieren, mit Fahrgästen auf der einen und Mobilitätsanbietern auf der anderen Seite. Die Frage wird sein, wer das „Amazon des öffentlichen Verkehrs“ werden wird [5]. Fakt ist, dass Tech-Firmen (Google), aber z.B. auch Autobauer (Daimler, Toyota) massiv in diesem Geschäftsfeld Foto: FirmBee | pixabay.de Servicekonzepte MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 60 MOBILITÄT Servicekonzepte investieren. Die Konsequenzen dürften einschneidend sein, so dass wir uns großen Veränderungen gegenübersehen. Vor diesem Hintergrund möchte diese Arbeit mögliche MaaS-Szenarien für die Akteure im öffentlichen Verkehr aufzeichnen. Mobility as a Service (MaaS) MaaS wird im Verkehrssektor als ein neuartiges und innovatives Mobilitätskonzept angesehen. Ein erhöhtes Interesse kann seit dem Jahr 2015 registriert werden. In diesem Jahr wurde die MaaS-Alliance, eine Initiative von öffentlichen Institutionen und Verkehrsunternehmen, gegründet und erste wissenschaftliche Artikel mit MaaS-Bezug in internationalen Journals veröffentlicht. 2015 hat die Europäische Kommission zudem erste Fördergelder, im Rahmen des sogenannten Horizont 2020, zum Thema MaaS ausgeschrieben. Der MaaS-Begriff entspringt dem „everything-as-a-service“ (XaaS)-Paradigma aus dem Cloud Computing und wendet dieses auf den Verkehrsbereich an [6]. Zunächst wurde MaaS als „Mobilitäts-Verteilungsmodell“ beschrieben, in dem die Beförderungs- Bedürfnisse eines Kunden über eine Schnittstelle abgedeckt und von einem Dienstleister angeboten werden [7]. Als wichtige Eigenschaften wurden in der Folge die Integration verschiedener Verkehrsträger und das auf Fahrgäste zugeschnittene Angebot von gebündelten Mobilitätsleistungen aufgeführt. Eine besondere Rolle wird dem technologischen Fortschritt zugetragen, da betont wird, dass MaaS vom Internet und der Digitalisierung profitiert. Eine allgemein akzeptierte Definition hat sich bisher noch nicht hervorgetan [8], ein Konsens liegt jedoch der Annahme zugrunde, dass MaaS ein sich noch entwickelndes Konzept sei. Aufgrund unterschiedlicher Interpretationen lässt sich daher nicht eindeutig festlegen, welche Angebote als MaaS- Anwendung angesehen werden können. Die MaaS-Alliance führt jedoch eine Übersicht [2], die eine starke Konzentration von Anwendungen in Europa und Nord-Amerika erkennen lässt (Bild 1). Wichtig bleibt festzuhalten, dass sich die aufgeführten Anbieter hinsichtlich Leistung und Merkmalen zum Teil stark unterscheiden. Beispielsweise in Bezug auf die Integration von Ticket & Bezahlung, von Fahrgastinformationssystemen, sowie dem Anbieten von monatlichen Plänen. Zu den Anbietern, die eine komplette Integration mit monatlichen Plänen anbieten, gehören u.a. Whim (Finnland) und UbiGo (Schweden). Die deutschen Anbieter weisen dagegen nur eine partielle Integration auf. Sollten sich in der Zukunft dennoch MaaS-Anbieter auftun, die auf eine komplette Integration abzielen, sind einige Voraussetzungen zu erfüllen. So müssen z.B. Mobilitätsanbieter Daten (bspw. GPS-Daten) miteinander teilen bzw. für Drittparteien öffnen [9]. Die Einführung eines MaaS-Systems hängt jedoch nicht nur vom Privatsektor ab. Vielmehr sind Politik, Regulierung und Gesetzgebung, der Einfluss von politischen und wirtschaftlichen Zusammenschlüssen, die vorhandene Infrastruktur und die Haltung der betroffenen Bevölkerung von entscheidender Bedeutung. Digitale Plattformen - grenzenloses Potential, große Gefahr? Digitale Plattformen sind in unserer heutigen Welt allgegenwärtig. Firmen wie Amazon, Ebay oder Netflix haben unsere Gesellschaft in kürzester Zeit erobert und prägen unseren Alltag maßgeblich. Digitale Plattformen kreieren einen Mehrwert, indem sie Transaktionen zwischen verschiedenen Arten von Nutzern in einem zweiseitigen Markt erleichtern [4]. Neben den Vorteilen der Zugänglichkeit, Geschwindigkeit und Effizienz, partizipieren Nutzer typischerweise in Plattformen, um von niedrigeren Kosten zu profitieren [10]. Auf der anderen Seite haben Plattform-Betreiber ein enormes Potential und Wachstumsmöglichkeiten für sich entdeckt, wodurch die traditionellen Geschäftsregeln nachhaltig verändert wurden [11]. Die Expertenmeinungen zum Vormarsch der Plattformen gehen jedoch weit auseinander. Einerseits, in Kombination mit den Ideen der Sharing Economy, wird die Entwicklung als Weg zu mehr Nachhaltigkeit gewertet [12]. Darüber hinaus werden Plattformen als wichtige Innovationsquellen [4] und Vehikel für positive Veränderungen und Produktivitätssteigerungen angesehen [13]. Offensichtlich ist, dass Plattformen vielfältige Möglichkeiten für Regionen und Länder schaffen und sich zu einer wichtigen wirtschaftlichen Kraft entwickelt haben [4]. Auf der anderen Seite sind Plattform-Firmen disruptiv, was negative Auswirkungen auf etablierte Unternehmen und Branchen haben kann. Kritiker machen zudem auf die Fähigkeit der Plattform-Firmen aufmerksam, Monopole zu bilden und den Wettbewerb zu untergraben. Hinzu kommt die Anschuldigung, dass Plattform-Firmen gezielt Steuer- und Versicherungspflichten umgehen [4], dass Arbeitskräfte ausgebeutet werden [14], sowie der als kritisch bewerte Umgang mit Kundendaten [13]. Uber und das Taxigewerbe Uber ist ein Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen, wobei das Kerngeschäft die Beförderung von Kunden durch Uber-Fahrer in privaten Autos vorsieht. Mit dem Anfangs-Ziel, das ineffiziente Taxi-Gewerbe in San Francisco herausfordern, traf Uber den Nerv der Fahrgäste und konnte in kurzer Zeit einen beachtlichen Kundenstamm aufbauen. Obwohl sich Uber anfangs in einem rechtlichen Graubereich bewegt hat und trotz Widerstands des Taxigewerbes, hat sich das Startup nachhaltig durchgesetzt. Durch kontinuierliche Risikokapital-Beschaffung, die inzwischen im Milliarden- Dollar-Bereich liegt, war Uber zudem schnell in der Lage international zu expandieren. Die ersten Fahrgäste außerhalb der USA wurden in Paris bedient. Anschließend wurden die Expansionsunternehmungen nochmals intensiviert und neue Märkte, auch in Schwellen- und Entwicklungsländern, erschlossen. Rückblickend war Ubers aggressive Expansionspolitik dermaßen Bild 1. Übersicht von MaaS-Anwendungen (MaaS-Alliance) Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 61 Servicekonzepte MOBILITÄT charakteristisch, dass ihr ein entsprechendes Schlagwort gewidmet wurde. In diesem Sinne beschreibt Uberization Markteintritte, bei denen Startups etablierte Kräfte nicht nur unter Druck setzen, sondern sogar übertreffen [15]. Bezüglich der Etablierung in neue Märkte und der Gewinnung von Neu-Kunden verfolgte das Unternehmen stets einen Ansatz, der bereits auf dem heimischen Markt von Erfolg gekrönt war. Die Strategie, so zumindest der Vorwurf, würde die gezielte Missachtung gesetzlicher Spielregeln vorsehen. Diese Art der Vorgehensweise wird im Zusammenhang mit Uber oft als „principled confrontation“ beschrieben. Es sieht die gezielte Mobilisierung von Befürwortern vor, dem Einsetzen von Lobbyisten, gefolgt von politischen Kampagnen mit dem Ziel der Änderung von bestehenden Regularien. Für den benötigten Kundenzuwachs war vor allem die benutzerfreundliche Technologie, gepaart mit niedrigeren Preisen (im Taxi-Vergleich) verantwortlich. Insbesondere zwei Märkte haben jedoch gezeigt, dass Ubers Vorgehen nicht in jedem Fall erfolgsführend war. In China musste sich Uber dem lokalen Widersacher Didi Chuxing geschlagen geben, inklusive einem resultierenden Verlust von geschätzten zwei Milliarden USD. Didi Chuxing konnte sich die lokale Unterstützung finanzkräftiger Investor-Firmen (z. B. Tencent) sichern, mit Kuaidi eine weitere lokale Taxi-App akquirieren und zusätzlich Kooperationen, wie mit dem populären Chat-Dienstleister und Bezahldienst WeChat eingehen. Wohingegen Uber ihre App ohne nennenswerte Anpassungen auf den Markt etablieren wollte. Es bleibt festzuhalten, dass Uber es verpasst hat, sich an den lokalen Präferenzen anzupassen und die ansässige Konkurrenz unterschätzt hat. Anders ist der Rückzug Ubers aus Deutschland zu bewerten. Hier wurde das beschriebene Kerngeschäft bereits nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Der Service wurde von mehreren Instanzen als wettbewerbswidrig eingestuft und bundesweit verboten. Das Haupthindernis war somit die bestehende Regulierung und nationale Gesetzgebung, insbesondere Bestimmungen nach dem PBefG [16]. Mit Blick auf die Unternehmenshistorie hätte dies allerdings kein Grund für Uber bedeuten müssen, sich aus dem Markt zurückzuziehen. Allerdings zeigte sich schnell, dass die Nachfrage gering ausfiel. Zum einem, weil Taxis in der Bundesrepublik einen besseren Ruf als in Teilen des Auslands genießen. Hinzu kommt der vielerorts gutorganisierte ÖPNV als kostengünstige Alternative. Auch wenn Uber keinen Erfolg hatte, so sind ebenso neuartige Mobilitätskonzepte auf dem Vormarsch, wie die Beispiele BlaBlaCar (Carpooling) oder car2go und DriveNow (Carsharing) zeigen. So kommt es, dass Uber, im Vergleich zu den genannten Alternativen, keinen entscheidenden Mehrwert bieten konnte und die „principled confrontation“- Strategie, aufgrund fehlender Nachfrage, nicht erfolgreich war. Dennoch sollte erwähnt werden, dass Uber den lukrativen deutschen Mobilitätsmarkt nicht gänzlich aufgebenden hat. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ließ durchblicken, dass an einer Marktöffnung gearbeitet wird. Uber scheint seitdem jedenfalls einen diplomatischeren Weg einzuschlagen. „Wir wollen Teil der Mobilitätslösung sein und bestehende Angebote […] ergänzen“, ließ der Uber-Sprecher in Deutschland unlängst verlauten [17]. Es scheint also, als habe Uber eingesehen, dass ihre Unternehmenspolitik für den deutschen Markt einer Anpassung verlangt. Parallelen in anderen Branchen Airbnb, booking.com und das Hotelgewerbe Eine ähnliche Ausgangslage wie im Fall Uber liegt dem Kampf zwischen Hotels und Airbnb zu Grunde. Die Rolle des Herausforderers nimmt dabei Airbnb ein. Das Startup betreibt eine digitale Plattform, auf der private Unterkünfte gebucht und angemietet werden können. Das Wachstum Airbnbs war in den vergangenen Jahren beachtlich. In großem Maße wurde dabei von Netzwerkeffekten profitiert. Auf der Nutzerseite wird Airbnb als eine kostengünstige Alternative zu Hotels gesehen. Zudem wird auf das Gefühl eines „Erlebnisses“ und die Möglichkeit, den Urlaubsort aus der Perspektive der Einheimischen zu erleben verwiesen [18]. Anbieter hingegen sehen die Chance eines lukrativen Geschäfts mit der Vermietung von Wohnraum. Mit dem Wachstum häuften sich jedoch auch die kritischen Stimmen. In erster Linie beklagen Hotels den Verlust von potentiellen Kunden. Zwar gibt Airbnb an, eine neue Nachfrage zu generieren, Studien belegen jedoch den Zusammenhang zwischen steigenden Airbnb-Buchungen und dem Rückgang von Übernachtungen und Umsätzen im Hotelgewerbe [19]. Widerstand kommt zudem von der lokalen Bevölkerung, die beklagt, dass dem Wohnungsmarkt Kapazitäten entzogen und Mietpreise hochgetrieben werden [18]. Entgegen der ursprünglichen Idee der Gründer hat sich unlängst ein Trend zu „professionellen Gastgebern“ entwickelt. Wohnungen werden angemietet, um diese dann ganzjährig an Touristen und Besucher weiterzuvermieten. Steigende kommerzielle Strukturen und die Zweckentfremdung von Wohnraum haben inzwischen auch diverse Gebietskörperschaften zur Maßnahmenergreifung anhalten lassen. Wer z.B. in Berlin eine komplette Wohnung auf Airbnb anbieten will, muss sich dies von der Stadt erst genehmigen lassen. Auch international wird versucht, die Ausbreitung von Airbnb einzudämmen. In Amsterdam dürfen Wohnungen höchstens 30 Tage im Jahr an Touristen vermietet werden, während es 90 Tage in London und 120 Tage in der Innenstadt von Paris sind. Trotz Regulierung hat Airbnb in Deutschland bisher einen Konfrontationskurs mit Behörden vermieden. Im Zuge des Zweckentfremdungsverbots von Wohnraum ging Airbnb gar aktiv mit einem Kooperations-Vorschlag auf die Stadt zu. Mehrmals wurde dem Land Berlin das Betreiben eines gemeinsamen Portals vorgeschlagen. Dies wurde vom Senat jedoch konsequent abgelehnt. In diesem Beispiel wird die Standhaftigkeit bezüglich der Durchsetzung geltenden Rechts nochmals deutlich. Ebenso wird die Unnachgiebigkeit der Politik gegenüber Interessen von Großkonzernen unterstrichen. Dennoch dürfte auch in diesem Fall noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Die Verhandlungsstärke Airbnbs als globales Unternehmen sollte nicht unterschätzt werden. Bereits in der Vergangenheit wurde auf EU-Ebene Airbnbs Einfluss auf die Gesetzgebung und deren Lobbyarbeit in Brüssel kritisiert. Neben Airbnb und weiteren Plattformen (z. B. Couchsurfing), die auf beiden Seiten Kunden miteinander verbinden, prägen auch eine Fülle an B2C-Plattformen das Hotelgewerbe. Mit dem Aufkommen des Web 2.0 und dem Social Media hat die Bedeutung von „user-generated content“ enorm zugenommen. Bewertungen und Beurteilungen aus dem Internet sind zu wichtigen Entscheidungshilfen geworden. Auch Hotels können auf Seiten wie Booking.com, HRS und Expedia bewertet werden. Meist wird die Bewertung anhand einer numerischen Skala durchgeführt. Dass dieser Wert einen großen Einfluss auf das Buchungsverhalten hat, unterstreichen diesbezügliche Studien [20]. Allerdings ist das Hinterlassen von Bewertungen nicht überall auf bestätigte Gäste beschränkt. Deshalb dürfte zumindest auf einigen offenen Portalen die Objektivität der Bewertungen angezweifelt werden. Hinzu kommt, dass Nutzer immer öfter das Hotel direkt vom Internet-Portal aus buchen. Neben der Zahlung von Kommissionen bedeutet dies für Hotels eine zunehmende Abhängigkeit. Durch ihre Größenvorteile können die Buchungsportale beispielsweise in großem Maße Werbeanzeigen in Suchmaschinen schalten und so die Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 62 MOBILITÄT Servicekonzepte Buchungswahrscheinlichkeit auf dem Portal weiter zu erhöhen. Der europäische Branchendachverband des Hotelgewerbes mahnte deshalb in einem Positionspapier bereits mehr Fairness an. Auch wenn diese für die Hotels in einigen Fällen eine Chance bezüglich Reichweite und Kundenzugang bedeuten, so sind die Buchungsportale, die sich zwischen Hotel und Gästen schalten, im Endeffekt mehr als Bedrohung zu sehen. Durch die Kommissionszahlungen sichern diese sich nicht nur einen erheblichen Teil der Umsätze, als globale Unternehmen besitzen sie zudem einen enormen Einfluss und können so z.B. in erheblichen Maße mitbeeinflussen, bei welchen Hotels gebucht wird (bspw. Jene die bereit sind, eine höhere Kommission zu zahlen) und bei welchen nicht. PayPal und das Retail Banking PayPal ist zwar keine digitale Plattform im eigentlichen Sinne, aber ebenfalls ein Nutznießer der digitalen Revolution und ein Beispiel dafür, wie Startups etablierten Akteuren den Rang ablaufen können. PayPal bietet seinen Nutzern ein virtuelles Konto an, mit dem Zahlungen in Echtzeit an Dritte gesendet bzw. von Dritten empfangen werden können. Das Startup hat sich zum weltweit größten und bekanntesten Online-Bezahldienst aufgeschwungen, wobei vor allem durch den fortwährenden Trend des E- Commerce profitiert wurde. Selbst in Deutschland, wo die Skepsis gegenüber bargeldlosem Zahlen groß ist, kann PayPal, mit 16 Millionen aktiven Nutzern und als zweitbeliebtesten Bezahlform im Onlinehandel, beeindruckende Zahlen vorweisen. Leidtragender ist das traditionelle Retail Banking. Doch erst 2014 reagierten die Deutschen Sparkassen und Banken mit der Gründung des Bezahldienstes Paydirekt. Der PayPal-Konkurrent ist seit 2015 auf dem Markt, operiert seither allerdings mit überschaubarem Erfolg. Der späte Markteintritt ist dabei das Hauptproblem. PayPal hat mehrere Jahre Vorsprung, in denen ein großer Kundenstamm aufgebaut wurde. Die Leistungen von Paydirekt heben sich zudem nicht wesentlich ab, so dass sich die Wechselkosten für viele Kunden nicht lohnen. Von 2002 bis 2015 war PayPal Teil der äußert beliebten Auktionsplattform Ebay und wurde als bevorzugte Zahlungsalternative beworben. Über die Jahre konnten aber auch viele kleine Online-Händler als Partner hinzugewonnen werden. Zudem konnten mehrere erfolgreiche Kooperationen, z.B. mit Facebook, Visa und Google Pay, gelandet werden. Ein außerordentlicher Wettbewerbsvorteil ist des Weiteren die Markenbekanntheit, die sich fast über den kompletten Globus erstreckt. Paydirekt tut sich dementsprechend schwer gegen PayPal anzukommen. Derzeit zählt das Unternehmen 2,2 Millionen registrierte Nutzer. Dem stehen 20,5 Millionen in Deutschland registrierte Nutzer von PayPal gegenüber. Was die Anzahl der Transaktionen angeht, hält sich Paydirekt bedeckt. Doch hier sollte das Gefälle nochmals um ein Vielfaches deutlicher ausfallen. Zu wenige Händler bieten Paydirekt derzeit als Zahlungsalternative an. Vor allem die großen Onlinehändler sind nicht an Paydirekt angebunden. Ein Grund dafür dürfte das vermeintlich zu aufwendige Anbindungsverfahren sein. Die geringe Reichweite ist ebenfalls kein Pro-Argument für Paydirekt. All dies ist vor allem deshalb erstaunlich, da fast eine komplette Branche hinter Paydirekt vereint ist. Als Problem wird jedoch aufgeführt, dass die beteiligten Institute mit zu großer Eigenständigkeit ausgestattet sind, beispielsweise in Bezug auf das Marketing und den Vertrieb. Zudem heben Kritiker hervor, dass die komplexen Governance-Strukturen schnelle Unternehmungsentscheidungen verhindern. Die ersten Banken (u.a. ING Deutschland und die Targobank) haben inzwischen ihre Anteile an Paydirekt aufgekündigt. Dies dürfte auf einer Seite zwar den Weg für schnellere Entscheidungen frei machen, dennoch dürfte diese Entwicklung als klares Zeichen des Scheiterns zu bewerten sein. Ausblick Wie im Uber-Fallbeispiel erwähnt, plant das BMVI, das Taxigewerbe zu liberalisieren. Diese Pläne basieren auf einer Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag, die das Personenbeförderungsrecht modernisieren und an technische Entwicklungen anzupassen soll. Für die Personenverkehrsbranche dürfte die Umsetzung dieser Pläne das einschneidendste Ereignis seit Liberalisierung des Fernbusmarktes bedeuten. Bei diesem wurde der Konkurrenzschutz des Eisenbahnfernverkehrs aufgehoben, was die Linien-Konzession für viele Fernbus-Verbindungen erst ermöglichte. Eine Lockerung des Taxischutzes dürfte wiederum Türen öffnen für neue Mobilitätsformen wie das Ridesharing. Ferner heißt es im Koalitionsvertrag, dass Daten die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts seien und dass durch neue Open-Data-Anwendungen die Mobilität vereinfacht werden sollte. Diese Entwicklungen kommen MaaS sehr entgegen, weshalb unter Berücksichtigung der Ausführungen in den vorangestellten Kapiteln, folgender Ausblick gewagt wird. MaaS wird kommen Mit der Whim wurde 2016 das weltweit erste vollwertige MaaS-System in Helsinki eingeführt. Auch wenn es in Deutschland einige Lösungen gibt, die als MaaS-Anwendung bezeichnet werden, so ist das Helsinki-Modell mit der kompletten Integration verschiedener Verkehrsträger noch nicht umsetzbar. Dies liegt u.a. an der Organisation des ÖPNV, welcher reguliert und mit Steuergeldern subventioniert wird. Dadurch ist Industrie/ Branche Disruptor (Innovation) Entwicklung Taxigewerbe Uber (Ridehailing) • Versuch Ubers Ridehailing-Services im rechtlichen Graubereich zu etablieren • Begrenzte Nachfrage, erheblicher Widerstand der traditionellen Taxiunternehmen • Uber-Verbot und zumindest zeitweiliger Rückzug Hotelgewerbe Airbnb (C2C- Plattform) booking.com (B2C-Plattform) Airbnb: Konkurrenz zum Hotelgewerbe durch Vermittlung von Privatunterkünften • Kritik von lokaler Bevölkerung/ Anwohnern • Teilweise starke Regulierung in einigen Städten • Auf supranationaler Ebene Airbnb mit Versuch der Einflussnahme auf Gesetzgebung booking.com: Vermittlung von Hotels an Kunden • Durch Größenvorteile und Marktmacht große Abhängigkeit einiger Hotels zu Buchungsportalen • Kein gemeinsamer Vorstoß des Hotelgewerbes, aber Kritik vom Branchendachverband Retail Banking PayPal (Online- Bezahldienst) • PayPal als Profiteur des E-Commerce und durch First-Mover Vorteile, Markenbekanntheit und Kooperationen mit marktdominierender Stellung • Traditionelle Banken mit später Reaktion, das gemeinsame Produkt Paydirekt nicht erfolgreich Öffentlicher Verkehr MaaS-Anbieter (integrierte Mobilität) • Rechtsrahmen verhindert derzeit Betrieb von vollwertigen MaaS-Systemen • Bisher noch keine Vorstöße von (potentiellen) MaaS-Anbietern • Vollwertige MaaS-Systeme für die Zukunft jedoch erwartet Tabelle 1: Entwicklungspfad disruptiver Technologien Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 63 Servicekonzepte MOBILITÄT gemäß der aktuellen Gesetzeslage eine Ticket-Integration von staatlich bezuschussten ÖPNV-Leistungen mit eigenwirtschaftlichen Verkehren und Mobilitäts-Angeboten nicht möglich. Dass mit diesem Hintergrund ein MaaS-Anbieter versucht, zunächst im rechtlichen Graubereich ein vollwertiges MaaS-System zu etablieren, erscheint nicht wahrscheinlich. Das Beispiel Uber unterstreicht zudem, dass eine solche Vorgehensweise nicht erfolgsversprechend wäre. Die rechtlichen Voraussetzungen für MaaS müssten somit erst geschaffen werden. Wenn man bedenkt, dass die Digitalisierung auch auf der Ebene des öffentlichen Verkehrs vorangetrieben werden muss, sollte dies möglichst bald in Angriff genommen werden. Würde das Taxigewerbe tatsächlich zeitnah liberalisiert werden, könnte womöglich als nächstes eine Reform des ÖPNV auf der Agenda stehen. Dies würde MaaS einen Schritt näher der Einführung in Deutschland bringen, insbesondere wenn Länder wie Finnland in der Zwischenzeit den Weg vorzeigen. Die ÖPNV-Branche muss sich wappnen Die Branche des ÖPNV sollte sich bereits mit den möglichen Auswirkungen von MaaS auseinandersetzen. Der Aufstieg diverser Plattformen in verschiedenen Branchen hat gezeigt, dass die Konsequenzen für etablierte Kräfte alles andere als positiv sein können. Beim Stichwort booking.com dürften ÖPNV-Anbieter nicht daran interessiert sein, in Abhängigkeit zu einem Dritt-Anbieter zu stehen, der sich zwischen Anbieter und Nachfrager positioniert. Vielmehr sollte es frühzeitig zu einem Schulterschluss und womöglich zum Aufbau einer eigenen MaaS-Plattform kommen. Wichtig für die ÖPNV-Branche wird sein, First-Mover- (siehe PayPal) und regionale Marktkenntnis- Vorteile (Uber) auszuschöpfen. Zudem wäre eine überregionale Ausrichtung aufgrund von Netzwerkeffekten vorteilhaft (Airbnb). Es gibt bereits erste Initiativen, die in ebenjene Richtung abzielen. Mit Mobility inside wurde eine Branchenplattform ins Leben gerufen mit dem Ziel, den öffentlichen Verkehr zu vereinen. Dafür sollen bundesweit Tarife, Tickets und Fahrplaninformationen miteinander vernetzt werden. Das Stichwort MaaS fällt auf der Mobility inside Internetpräsenz zwar nicht, im Kern verfolgt das Projekt aber denselben Ansatz. Eine gemeinsame App wurde für Anfang 2019 angekündigt, ist aber bisher noch nicht online. In jedem Fall sind es aber solche Initiativen, die nötig sein werden, um den Markt nicht an Branchenfremde zu verlieren. Die jeweiligen Initiativen müssen allerdings als eigenständige Organisation auftreten und unabhängig handeln können. Paydirekt dient als ein warnendes Beispiel. Es kann nur einen geben(? ) Digitale Plattformen sind ein relativ neues Phänomen. Branchenübergreifend lässt sich jedoch bereits vor allem eines festhalten: Digitale Plattformen besitzen die Fähigkeit, in kurzer Zeit eine enorme Marktmacht, bisweilen eine Monopolstellung aufzubauen. Dass dies auch auf den Verkehrsbereich zutrifft, lässt sich an den Beispielen Flixbus (B2C-Plattform) und BlaBlaCar (C2C-Plattform) aus dem Fernverkehr belegen. Anders ist die Situation im Nahverkehr, in dem neben Großkonzernen auch viele kleine und mittlere Betriebe operieren. Sollten die rechtlichen Grundlagen für MaaS in Deutschland geschaffen sein, dürften zahlreiche MaaS-Anbieter hinzukommen. Darunter werden internationale MaaS-Startups wie MaaS-Global, aber auch branchenfremde Firmen zu finden sein. Es dürfte ein intensiver Wettbewerb entbrennen, gefolgt von einer Konsolidierungsphase. Nicht ausgeschlossen, dass daraufhin nur eine Plattform als Sieger hervorgeht. Wer dies sein wird, inklusive der darauffolgenden Konsequenzen, wird von großer Bedeutung für den öffentlichen Verkehr sein. Die Branche hat dabei selbst großen Einfluss darauf, wie das Ergebnis ausfällt und alle Trümpfe in der Hand, um eine positive Zukunft mit MaaS zu gestalten. ■ LITERATUR [1] Russ, M., & Tausz, K. (2015). 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Internationales Verkehrswesen, 70(1), 16-20 Marc Hasselwander Doktorand/ MIT Portugal, Researcher/ CITTA - Research Centre for Territory, Transports and Environment marc-hasselwander@web.de SUMMARY As early as 2014, it was assumed that Mobility as a Service (MaaS) may have the potential to sustainably change the public transport sector. Now, first MaaS providers are opening up, with the intention to translate that presumption into reality. They include MaaS-Global, the operator of the world‘s first MaaS system named Whim. After their successful launch in 2016, the Finnish startup is now aiming for international expansion. At the same time, technology firms (Google), carmakers (Toyota, Daimler) and other mobility startups (Uber) are investing heavily in the mobility ecosystem. In their battle to become the „Amazon of transport“, the question arises as to which path MaaS will go in Germany and how the public transport industry will react to it. This paper aims to draw possible scenarios and identify suitable recommendations for action by analyzing how other industries (taxi, hotel, retail banking) have reacted towards the emergence of disruptive technologies. Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 64 Shared Mobility Kollaborative Mobilitätsservices europäischer Städte im-Vergleich Sharing, Vergleich, Boom, ZHAW, Mobility-as-a-Service, Zürich Unternehmen, die Sharing-Angebote lancieren, zurückziehen oder verändern, sind in den Medien seit mehreren Jahren ein wiederkehrendes Thema. Es fallen dabei Begriffe wie „Boom“ und „Hype“. Doch ist dem so? Steigen die Fahrzeugzahlen so stark an, wie die Medien suggerieren? Sind 23.844 Sharing-Fahrzeuge in London viel verglichen mit 2.821 in Zürich? In der vierten Ausgabe der „Shared Mobility“-Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wird diesen Fragen auf den Grund gegangen. Jonathan Suter, Jan Maurer, Marco Mayer S haring-Angebote in der Mobilität - was 1965 in Amsterdam mit den „White Bikes“ als politische Aktion begann, entwickelte sich über die vergangenen Jahre weltweit zu einem Lösungsansatz zur Verkehrsreduktion und für das Problem der letzten Meile. Im Zuge der Digitalisierung erfreut sich das Sharing wachsendem Interesse. Veränderungen auf dem Sharing-Markt sind in den Medien lückenlos nachverfolgbar. „Neuer Anbieter in Berlin“, „Konkurs von Anbieter in Paris“, „London knackt 15.000 Sharing-Fahrräder- Marke“. Seit dem Jahre 2015 werden solche Schlagzeilen jährlich im Zuge eines Semesterprojekts von Studierenden des Studiengangs „Verkehrssysteme“ an der ZHAW verfolgt und in einer Studie zusammengefasst. In der vierten Ausgabe der Studie [1] wird dabei nicht nur erstmals der jüngste Sharing-Spross das E-Trottinett (E-Tretroller) analysiert, sondern auch die relative Anzahl Sharing-Fahrzeuge pro 1.000 Einwohnende einer Stadt verglichen. Zudem werden im Zusammenhang mit dem Sharing die Begriffe „Boom“ und „Hype“ diskutiert. Die untersuchten Städte sind Barcelona, Berlin, Kopenhagen, London, Paris, Wien und Zürich. Die untersuchten Sharing-Typen sind das Carsharing, das Peer-to-Peer-Carsharing (P2P-Carsharing), das Rollersharing, das Bikesharing und das E-Trottinett-Sharing. Methode Um einen Überblick über die verschiedenen Anbieter in jeder Stadt zu erlangen, wurden die Dienstleister der Vorjahresstudie überprüft und durch Online- Recherchen ergänzt. In einem zweiten Schritt wurden zur Beschaffung der Flottenzahlen die jeweiligen Dienstleister per Telefon und über soziale Plattformen kontaktiert. Neben Unternehmen, welche die Daten bereitwillig bekanntgaben, verweigerten andere Auskünfte zu ihren Sharing-Flotten. Die meistgenannte Begründung lautete, dass sie sich derzeit in einer Expansionsphase befänden oder eine der Städte MOBILITÄT Sharingdienste Foto: VizAforMemories/ Unsplash Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 65 Sharingdienste MOBILITÄT neu erschließen und die Daten vor der Konkurrenz zurückhalten wollten. Bei Unternehmen, die keine Flottenzahlen zur Verfügung stellten, stammen die Zahlen aus Medienmitteilungen sowie Zeitungsartikeln und werden als Metadaten gekennzeichnet. Der Stichtag für die Flottenzahlen war der 31.08.2018. Anbieter, welche sich vor diesem Datum zurückzogen oder nachher in den Markt eingestiegen sind, wurden nicht berücksichtigt. Eine Ausnahme bildet das E-Trottinett-Sharing. Der Stichtag für das E-Trottinett-Sharing wurde auf den 31.10.2018 gelegt, da ein Großteil der Anbieter erst nach dem 31.08.2018 ihr Angebot lancierten. Die fehlenden Flottenzahlen des P2P-Carsharings wurden am 22.11.2018, 27.11.2018 und 29.11.2018 mittels Onlinezählung erhoben. Für einen Preisvergleich wurden pro Sharing-Typ zwei Nutzergruppen festgelegt. Jeder Nutzergruppe wurde eine durchschnittliche Fahrdistanz, Fahrtzeit sowie Anzahl Benutzungen pro Monat zugewiesen. Beim Carsharing und P2P-Carsharing ergänzte die Fahrzeuggröße (klein, mittel, groß) die Nutzergruppen-Eigenschaften. Um zusätzlich eine kaufkraftbereinigte Aussage zu ermöglichen, wurde auf den Big- Mac-Index der Wochenzeitung „The Economist“ zurückgegriffen [2]. Das rollende Angebot - Die fünf Sharing-Typen im Überblick Folgend werden die fünf Sharing-Typen vorgestellt. Die Flottenzahlen wurden als Anzahl Fahrzeuge pro 1.000 Einwohnende dargestellt (siehe Bild 1) [3]. Die absoluten Flottenzahlen sind in [1] einsehbar. Carsharing Carsharing-Fahrzeuge werden in allen untersuchten Städten angeboten, wobei Kopenhagen mit 1,85 Fahrzeugen pro 1.000 Einwohnende, das mit Abstand größte Angebot stellt. Abgesehen von der dänischen Hauptstadt bleibt nur Zürich mit 1,17 Fahrzeugen pro 1.000 Einwohnende über der 1,00-Marke. Es folgen Berlin (0,91), Wien (0,86), Paris (0,32), London (0,20) und Barcelona (0,19). Aufgrund des Konzessionsentzuges von „Autolib“ im Sommer 2018 büßte Paris im Vergleich zum Vorjahr 4.000 Fahrzeuge ein, welche rund 83 % des lokalen Marktes ausmachten [4]. Peer-to-Peer-Carsharing (P2P-Carsharing) Beim P2P-Carsharing präsentiert sich das Angebot anders. Während Barcelona mit 4,67 Fahrzeugen pro 1.000 Einwohnende, Kopenhagen (3,73) und Paris (3,31) vorne wegziehen, bieten Zürich (0,73), London (0,42), Berlin (0,37) und Wien (0,07) weit weniger P2P-Fahrzeuge an. Bemerkenswert ist hier der Anstieg der angebotenen Fahrzeuge im Vergleich zum Vorjahr. Durch 15.138 zusätzliche Anmeldungen erhöht sich das städteübergreifende Total an P2P-Autos auf 23.413. Roller-Sharing Neben Barcelona, Berlin, Paris und Wien darf sich Zürich neu zu den Städten mit einem Roller-Sharing-Angebot zählen. Abgesehen von einem Anbieter in Paris und zwei in Wien mit einer Verbrennungsmotor- (Teil-)Flotte besitzen sämtliche Roller einen Elektromotor. Auch beim Roller-Sharing haben sich die Flottenzahlen im Vergleich zum Vorjahr größtenteils mehr als verdoppelt. Neu stehen in Barcelona 1,09 Roller pro 1.000 Einwohnende zur Verfügung. In Paris sind es 0,95, in Berlin 0,48, in Zürich 0,47 und in Wien 0,22. Bikesharing Der Bikesharing-Markt zeigt sich dynamisch. Zum einen stehen in Paris im Vergleich zum Vorjahr 10.000 weniger Fahrzeuge zur Verfügung, dies aufgrund einer verzögerten Auslieferung neuer „Vélib’ Métropol“-Fahrräder [5]. Zum andern erschloss „Donkey Republic“ Paris und expandierte in Barcelona, Berlin und Wien, während „oBike“ Insolvenz anmelden musste. London und Wien sind die einzigen Städte, die kein E-Bike-Angebot kennen. Am meisten Fahrräder pro 1.000 Einwohnende stehen in Paris (7,84). Es folgen Kopenhagen (6,05), Barcelona (4,93), Berlin (3,22), Zürich (3,15), London (2,08) und Wien (0,93). E-Trottinett-Sharing Die E-Trottinetts werden in dieser Ausgabe der Studie erstmals untersucht. Sie sind in den Städten Paris, Wien und Zürich präsent. Angesichts des noch jungen Marktes und der daraus folgenden konservativen Haltung bei der Freigabe von Flottenzahlen stützen sich die Angaben mit einer Ausnahme in Zürich auf Metadaten. Pro 1.000 Einwohnende stehen in Zürich 1,07 E-Trottinetts zur Verfügung, in Wien 0,39 und Paris-0,36. Lessons learnt - wieviel ist viel? Werden die absoluten Flottenzahlen betrachtet, lässt sich daraus schließen, dass London eines der größten Angebote im Sharing-Markt besitzt, Zürich hingegen nur ein kleines. Wird die Flotte jedoch mit den Einwohnerzahlen der jeweiligen Stadt in Relation gesetzt, so zeichnet sich ein realistischeres Bild. Bezogen auf die Einwohnerzahl gehört London nicht zu den Spitzenreitern. Die meisten Sharing-Fahrzeuge pro 1.000 Einwohnende bieten Paris (12,78), Kopenhagen (11,62) und Barcelona (10,88) an. Alle drei Städte haben ihr Sharing-Angebot so weit ausgebaut, dass auf hundert Einwohnende mehr als ein Sharing-Fahrzeug bereitsteht. In Relation gesetzt, stellt Zürich ein größeres Angebot als Berlin, London und Wien (siehe Bild 1). Vergleich mit ÖV Für den Preisvergleich mit dem ÖV stellt die Studie die Kosten eines regulären ÖV-Tagestickets [6] dem Preis von fünf Rollerfahrten, sieben Fahrradnutzungen beziehungsweise, vier E-Trottinett-Leihen gegenüber. Die Preise für das Sharing-Fahrzeug beruhten auf dem jeweils günstigsten verfügbaren Angebot. Die Anzahl Nutzungen entsprechen eigenen Annahmen für verschiedene Arten eines Stadtbesuches. Die Unterschiede zwischen den Städten sind deutlich. Während in Paris das Fahrrad mit weniger als der Hälfte des Tageskartenpreises zu Buche schlägt, kostet es in Ko- Bild 1: Übersicht der Anzahl Sharing- Fahrzeuge (pro Sharing-Typ und gesamthaft) auf 1.000 Einwohnende jeder Stadt. Alle Grafiken: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 66 MOBILITÄT Sharingdienste penhagen zwei Euro mehr als die Tageskarte. Es lässt sich jedoch durchgehend feststellen, dass entweder das Fahrrad oder die Tageskarte des öffentlichen Verkehrs am günstigsten ist. Mit der festgelegten Benutzungszahl gehören der Roller und das E- Trottinett zu den teureren Alternativen (siehe Bild 2). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich je nach Stadt ein Sharing-Angebot durchaus lohnen kann, der ÖV jedoch mit den Ausnahmen Paris und London nur unwesentlich teurer ist. Sharing - nur ein Hype? Die Entwicklung in den Jahren 2015 bis 2018 [7, 8, 9] zeigt, dass bei den Carsharing- Flotten nur ein leichtes Wachstum zu beobachten ist; in Paris und London sogar vergleichsweise deutliche Abnahmen (siehe Bild 3). Der Rückgang in Paris ist auf den Entzug der Konzession von „Autolib“ zurückzuführen. [4] Die gleichbleibenden Zahlen in Zürich basieren vermutlich auf der Parkplatzsituation in der Stadt. Bis anhin war es in Zürich nur möglich, ein Round-Trip-Angebot zu nutzen. Neu wird das Angebot flexibler gestaltet. Für einen variierenden Aufpreis wird dem Kunden die Möglichkeit gegeben, „Mobility“ als One-Way-Angebot wahrzunehmen. Weiter sollen den „Mobility“-Kunden versuchsweise Gebrauchtwagen und Ersatzfahrzeuge teilnehmender Autowerkstätten zur Verfügung stehen [10]. Es wird erwartet, dass in diesem Jahr durch das neue Konzept erstmals eine deutliche Flottenvergrößerung zu verzeichnen sein wird. Überraschend ist die niedrige Anzahl an Fahrzeugen in Barcelona. Dies vor allem aufgrund des Mobilitätsplanes von 2011, in dem die Förderung von Carsharing-Initiativen einen Punkt darstellte [11]. Andererseits stieg die Anzahl der angebotenen P2P-Fahrzeuge im vergangenen Jahr um annähernd 800 % an. Im gleichen Zeitraum zeichnet sich für das Bikesharing ein anderes Bild. Es ist ein deutlicheres Wachstum ersichtlich. Vor allem in Berlin und London ist die Anzahl zur Verfügung stehender Fahrräder vergleichsweise markant angestiegen. Als einzige Städte verzeichnen Paris und Wien im vergangenen Jahr einen Rückgang (siehe Bild-4). Während in Paris die erwähnte Verzögerung bei der Anschaffung neuer Fahrräder für den Rückgang sorgte [5], war es in Wien das überfallartige Intermezzo von „oBike“. Kein Anbieter kompensierte den insolvenzverschuldeten Wegfall der rund 2.000 „oBikes“, die im Jahre 2017 kurzerhand Wien überrollten. Abgesehen von diesem Vorkommnis ist das Bikesharing in Wien seit 2015 konstant leicht gewachsen. Dieses vergleichsweise sehr geringe Wachstum könnte einerseits auf eine Sättigung des Marktes zurückgeführt werden, anderseits besteht seit 15 Jahren in Wien „Citybike Wien“, ein populäres kostenloses Bikesharing-Angebot. Ein Angebot, das nur schwer zu schlagen ist. Das mit Abstand größte Wachstum hat Berlin erlebt. Zwischen 2016 und 2018 erhöhte sich die Zahl der Bikesharing-Räder um den Faktor 6,5. Gleichzeitig war ein Zuwachs von zwei auf sechs Anbieter zu verzeichnen. Gehypter Boom? Wird das Bikesharing betrachtet, so kann von einem Boom oder einem Hype gesprochen werden. Einerseits lassen die plötzlich zunehmenden Flottenzahlen auf ein gesteigertes Interesse am Markt schließen, andererseits kann es sich um eine vorübergehende hochsterilisierte Begeisterung für das Produkt handeln. Die Bikesharing-Unternehmen ermöglichen durch Free-Floating- und geschickt platzierte One-Way-Stationen ein attraktives Angebot. Die vergleichsweise günstigen Preise erhöhen die Attraktivität des Bikesharings zusätzlich. Zusammen mit den tiefen Anschaffungs- und Unterhaltskosten führen diese Faktoren zu einem dynamischen Markt, bieten jedoch auch die Voraussetzungen für einen Hype. Von der Politik, den Medien und Forschenden als eine der Lösungen für Verkehrsprobleme auserkoren, ist ein Absturz nicht ausgeschlossen. Nach dem Konkurs von „oBike“ sind mit „Ofo“ und „Mobike“ zwei neue Anbieter aus dem asiatischen Bild 3: Vergleich der Anzahl Carsharing-Fahrzeuge pro Stadt zwischen 2015 und 2018 Bild 4: Vergleich der Anzahl Bikesharing-Fahrzeuge pro Stadt zwischen 2015 und 2018 Bild 2: Preisvergleich pro Stadt vom Roller-Sharing (fünf Fahrten à 3 km/ 9 min.), Bikesharing (sieben Fahrten à 5-km/ 20 min.), E-Trottinett-Sharing (vier Fahrten à 1,5-km/ 6 min.) und einer regulären ÖV-Tageskarte. Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 67 Sharingdienste MOBILITÄT Raum in den Markt gedrängt, wobei „Ofo“ mittlerweile ebenfalls mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Weiter bleibt offen, ob in einer Stadt Platz für mehr als drei Anbieter vorhanden ist. In London und Wien, wo sich 2017 fünf respektive vier Anbieter den Markt teilten, waren es im vergangenen Jahr noch drei respektive zwei. Im Carsharing von einem Boom zu sprechen, wäre vermessen. Zum einen ist in keiner der Städte ein großes- Wachstum vorhanden, zum anderen ist im Verhältnis zu den Privatautos durchschnittlich nur jedes 420. Fahrzeug ein Sharing-Fahrzeug. Ausgenommen davon ist Barcelona, wo auf jedes 2.545. registrierte Fahrzeug ein Carsharing-Fahrzeug kommt. Sharing - ei(ge)nhändig aus der-Nische? Werden alle verfügbaren Sharing-Angebote überblickt, so fällt auf, dass sich viele verschiedene Anbieter auf dem Markt tummeln. Einige davon sind dabei mit einem branchenfremden Unternehmen (Beispiel: „Deezer Nextbike“) oder einem Verkehrsunternehmen eine Kooperation eingegangen und zielen so auf eine symbiotische Wechselwirkung ab. Von einem flächendeckend beständigen Angebot kann bei den bereits seit längerem bestehenden Bikesharing und Carsharing mit wenigen Ausnahmen noch nicht gesprochen werden. Die Anbieter- und Flottenzahlen variieren oftmals von Jahr zu Jahr. Fehlt es dem Sharing somit an einer soliden Basis? Kann eine Kooperation zwischen Sharing-Anbieter und ÖV-Unternehmen eine Basis für ein breitenwirksames Angebot legen? Zum einen wäre von Seiten des ÖV Infrastruktur vorhanden, zum andern von Seite der Sharing-Unternehmen das System und die Fahrzeuge. Eine tief greifende Kooperation wäre ein weiterer Schritt in die Richtung von Mobility-as-a-Service. Ein enges Vernetzen beider Angebote ließe einen Kunden alles von einer Hand aus planen, suchen und buchen. Ergänzend dienen die App oder eine Karte als potenzielles ÖV- Billett oder -Abonnement und Schlüssel für die Sharing-Fahrzeuges. Ganz nach dem Ansatz von „Reach Now“ (ehem. „moovel“) oder zukünftig „Jelbi“. Übergeordnet stellt sich jedoch die Frage: Gelingt durch eine weitere Vereinfachung des Mietprozesses die Möglichkeit, alles aus einer Hand zu organisieren, der Übertritt des Sharings aus einem Nischenmarkt in den Massenmarkt? Ist das der entscheidende Akzeptanzfaktor? Die Entwicklungen von „Reach now“, „Jelbi“ oder weiteren neuen Apps werden eine eingehendere Einschätzung ermöglichen - mit oder ohne Boom. ■ QUELLEN [1] Suter et al. (2019): Shared Mobility; Kollaborative Mobilitätsservices europäischer Städte im Vergleich, Winterthur [2] The Economist (2018). The Big Mac index. 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Ländliche Hochschulen bieten vielversprechende Ansatzpunkte zugunsten ökologischer Verkehrsträger. Neue Angebote können einer Vielzahl an Studierenden zugutekommen, wodurch eine nachhaltige Mobilitätsabwicklung und Standortsicherung gefördert werden. Daher wurden an der Hochschule Furtwangen über drei Jahre innovative Angebote praxisnah untersucht. Es wurden knapp 20 t CO 2 eingespart, was durch Übertragung der Projektarbeiten an andere Hochschulen signifikant gesteigert werden kann. Fabian Wagner, Jochen Baier, Anton Karle S ei es Digitalisierung oder nachhaltige Mobilität, derartige Innovationen können zumeist erst mit Verzögerung im ländlichen Raum Fuß fassen oder finden kaum Beachtung [1, 2]. Während zuletzt auf Bundesebene sogar noch Zweifel an der Rolle des Mobilfunknetzes für ländliche Regionen bestanden, steht hinsichtlich der Mobilität fest, dass ein Weitermachen wie bisher nicht akzeptierbar ist [3]. Denn obwohl PKW gegenüber dem Jahr 1995 im Schnitt 15 % weniger Emissionen verursachen, hat eine Zunahme der Fahrleistung dazu geführt, dass die Emissionen des Verkehrswesens in Gänze sogar zugenommen haben [4]. Es liegt auf der Hand, dass dieser Trend nicht wie gehabt voranschreiten kann und gleichzeitig ein Einhalten nationaler und internationaler Klimaschutzziele möglich ist [5]. Die Rolle des PKW Der eigene PKW ist prägend für die Alltagsmobilität der Bürgerinnen und Bürger unserer ländlichen Räume. Denn im Schnitt verfügt dort jeder Haushalt über mindestens einen PKW und die Rolle der Automobilität nimmt weiter zu [6]. Nicht nur sind damit umweltrelevante Nachteile verbunden, sondern der hohe Motorisierungsgrad erschwert zudem die Etablierung neuartiger Angebote wie z.B. Carsharing oder eines verbesserten ÖPNV [7, 8]. Da zudem global und auch in Deutschland immer mehr Personen über einen PKW verfügen, wird es notwendig, gut nutzbare Alternativen anzubieten, damit die Verkehrsmittel des Umweltverbunds eine größere Rolle einnehmen können [9]. Nachhaltige Alternativen Diesbezüglich sind momentan vielerorts Unzulänglichkeiten zu attestieren. Beispielsweise ergab eine im Jahr 2018 durchgeführte Befragung zur Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger einer ländlichen Region in Nordrhein-Westfalen, dass knapp 22 % der Befragten das ÖPNV-Angebot als unzureichend ansehen, was der zweitmeist aufgeführte Kritikpunkt innerhalb der Erhebung gewesen ist [10]. Dies äußert sich MOBILITÄT Ländlicher Raum E-Carsharing im Schwarzwald. Foto: Projektteam Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 69 Ländlicher Raum MOBILITÄT z.B. darin, dass mangels gut nutzbarer Angebote viele Anwohner des ländlichen Raums auf den eigenen PKW angewiesen sind, obwohl gleichzeitig der Wunsch nach nachhaltigen Alternativen vorhanden ist [11]. Wie diese auszugestalten sind, damit sie den Anforderungen der Nutzer entsprechen, ist möglichst praxisnah in Erfahrung zu bringen. Dieser Ansatz wurde im Rahmen des Projekts „Nachhaltige Mobilität an ländlichen Hochschulen“ am Beispiel der Studierenden und MitarbeiterInnen der Hochschule Furtwangen (kurz HFU) sowie zweier Partnerhochschulen (siehe Bild 1) über drei Jahre hinweg untersucht. Ausgangslage Zuerst galt es, eine Bestandsanalyse durchzuführen und in Erfahrung zu bringen, auf welche Art und Weise die Studierenden und Beschäftigten zur Hochschule gelangen. Letzteres ist in Bild 2 ersichtlich. Im Vergleich wird deutlich, dass der HFU als Hochschule im ländlichen Raum eine besondere Mobilitätssituation zuzuschreiben ist. Denn das Verkehrsgeschehen ist weder mit dem städtischen noch dem ländlichen Raum direkt vergleichbar. Beispielsweise liegt bei den Studierenden ein Anteil des Fußverkehrs vor, der mit rund 32 % noch über dem Aufkommen deutscher Metropolen liegt. Gleichzeitig sind Studierende und Beschäftigte in hohem Maße allein in einem PKW unterwegs, was für den ländlichen Raum typisch ist. Hinsichtlich des ÖPNV liegt an der Hochschule eine Nutzung vor, die am ehesten mit Mittelstädten vergleichbar ist. Somit liegt im Vergleich zu den beiden aufgeführten ländlichen Raumtypen bereits eine höhere Nutzung vor. Dennoch ist der ÖPNV unbedingt zu fördern, da dies den Wünschen der Hochschulangehörigen entspricht und somit von einer hohen Nutzung bei Einführung neuer Angebote auszugehen ist. Wie in Bild 3 zu erkennen ist, stellt der ÖPNV den größten gemeinsamen Nenner zwischen den Studierenden und Beschäftigten dar. Während rund die Hälfte der Beschäftigten Verbesserungen vor Ort sowie Shuttle-Busse wünschten, war dies bei etwa 30 % der Studierenden der Fall. Bei Letzteren wurde nur noch das Einrichten von mehr Parkplätzen öfter genannt, was einer Förderung des MIV gleichkommt und somit abzulehnen ist. Demnach bietet der ÖPNV von den aufgeführten Ansatzpunkten, ebenso wie Fahrgemeinschaften, Carsharing und E-Bikes, das größte Potential für eine nachhaltige Mobilität, da dessen Förderung von den meisten Personen gewünscht wird. Für all jene Bereiche wurden im Rahmen des Projekts Maßnahmen praxisnah untersucht, deren abgeleitete Handlungsempfehlungen mit Schwerpunkt ÖPNV in der Folge wiedergegeben werden. Besser nutzbare Verbindungen Wie zu Beginn des Projekts festzustellen war, kamen viele Verbindungen des ÖPNV zumeist erst kurz nach Vorlesungsbeginn an der Hochschule an. Damit war ein rechtzeitiges Erscheinen nur selten möglich oder es musste eine frühere Fahrt mit langen Wartezeiten in Kauf genommen werden. Generell kommt dem ÖPNV im ländlichen Raum aufgrund einer vergleichsweise geringen Nachfrage die Aufgabe der Grundversorgung zu [12]. Als Folge dessen sind die Fahrpläne zum großen Teil am Schulverkehr orientiert. Im Falle der HFU lag eine Diskrepanz zwischen Vorlesungsbeginn und dem Unterrichtsbeginn der Schulen von 15 Minuten vor. Da im ländlichen Raum Verbindungen zumeist höchstens stündlich verkehren, müssen große Umstände in Kauf genommen werden, um diese relative kurze Zeitspanne wettzumachen. Statt eine Anpassung der Fahrpläne zu fordern, wurden an der HFU die Vorlesungszeiten geändert, um diese Diskrepanz zukünftig auszuräumen. Damit wird es möglich, dass ein weitaus höherer Anteil an Fahrten gut genutzt werden kann, um pünktlich an der Hochschule anzukommen. Da dieser Anpassungsmöglichkeit lediglich ein hoher Verwaltungsaufwand entgegensteht und nur geringe Kosten- anfallen, sollte dieses Vorgehen an Bild 1: Überblick und Rahmendaten zum Projekt „Nachhaltige Mobilität an ländlichen Hochschulen“ Quelle: Projekt 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Stadtregion Metropole Stadtregion Mittelstädte Ländliche Region Mittelstädte Ländliche Region dörflicher Raum Studierende Beschäftigte Alle n e m m o k f u a s r h e k r e V m a s r e g ä r t s r h e k r e V s e d l i e t n A Vergleich des Modalsplits nach Raumtypen & Personengruppen der Hochschule Zu Fuß Fahrrad MIV-Fahrer MIV-Mitfahrer ÖPNV Sonstiges Auswahl deutschlandweiter Raumtypen Personengruppen der Hochschule Bild 2: Modalsplit im Vergleich Quelle: infas, eigene Erhebungen 37% 23% 33% 33% 7% 21% 14% 9% 8% 4% 9% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Studierende Beschäftigte t ä t i l i b o M r e g i t l a h h c a n h c i l t h c i s n i h n e g n u l l e t s r o V Mehr Parkplätze Verbesserung des ÖPNV-Angebots Eigene Fahrgemeinschafts-Plattform Umsetzung eines Shuttle-Bus Konzepts Besseren Wohnungsmarkt Vermehrtes Angebot von Carsharing Vermehrtes Angebot von E-Bikes Kein Verbesserungsbedarf Sonstiges Bild 3: Vorstellungen von Hochschulangehörigen zu nachhaltiger Mobilität Quelle: eigene Erhebungen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 70 MOBILITÄT Ländlicher Raum anderen Hochschulen ebenfalls überprüft werden. Ähnlich verhält es sich, wenn generelle Verbesserungswünsche des bestehenden ÖPNV angestrebt werden. Denn es ist stets ein hoher Kommunikationsaufwand mit dem jeweiligen Aufgabenträger einzuplanen, wobei jedoch nur marginale Kosten einzuplanen sind. Hier gilt es, frühzeitig den Kontakt aufzunehmen, da gebunden an die Nahverkehrspläne, zumeist mit einem Planungshorizont von mehreren Jahren zu rechnen ist. Seitens des Projekts wurden die Belange der Hochschule an das zuständige Landratsamt herangetragen, sodass die Bedürfnisse der Hochschule im kommenden Nahverkehrsplan vermehrt Berücksichtigung finden konnten. Die ersten daraus resultierenden Umsetzungen stehen für den Dezember 2019 an und bieten z.B. mindestens stündliche Verbindungen, auch ungeachtet der Ferienzeiten. Kostenloser ÖPNV Noch zu Beginn des Jahres 2018 war der kostenlos angebotene ÖPNV zur kurzfristigen Verbesserung der Luftqualität hierzulande in aller Munde. Jedoch wurden seitens von Umweltverbünden rasch auf vorzuziehende Maßnahmen verwiesen und selbst seitens des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen wurde dieser Ansatz seitdem aus Kostengründen verworfen [13]. Denn es wären immense Investitionen in Höhe von 10 Mrd. EUR notwendig, um dem zu erwartenden Fahrgastzuwachs gerecht werden zu können; gleichzeitig müssten Erlöse vom Fahrscheinverkauf in Höhe von 13-Mrd. EUR kompensiert werden [14]. In Anbetracht der Erfahrungen des Projekts ist dieser Aufwand zudem kaum zu vertreten. Denn rund 70 % der befragten Fahrgäste eines Shuttle-Busses der HFU, der im Sommersemester 2018 von Hochschulangehörigen ohne zusätzliche Kosten genutzt werden konnte (Bild 4), gaben an, dass sie ein gut nutzbares ÖPNV-Angebot kostenlosen Fahrten vorziehen würden. Obwohl der Shuttle-Bus half, die regulär verkehrende Linie zu revitalisieren, und zusätzliche Fahrgäste gewinnen konnte, ist dessen Fortsetzung aufgrund der hohen Kosten und dem Meinungsbild der Befragten abzulehnen. Der Shuttle-Bus wurde zudem dazu genutzt, eine Tarifgrenze zwischen zwei Verkehrsverbünden zu überbrücken und damit zusätzliche Kosten zu vermeiden. Dieses Problem tritt in Baden-Württemberg besonders häufig auf, da die Landesfläche in 22- Verkehrsverbünde eingeteilt ist, womit jeder Verbund im Schnitt eine geringere Fläche als das Saarland bedient. Dies erschwert es zum einen, regional übergreifende Änderungen vorzunehmen, da viele Interessen aufeinander abzustimmen sind und andererseits kommen häufig Zusatzkosten durch notwendige Anschlussfahrten auf. Letzteres erschwert es enorm, den wirtschaftlichen Vorteil der ÖPNV-Nutzung auszuspielen, da der Einfachheit halber doch wieder der eigene PKW verwendet wird. Semester- und Jobtickets Bezogen auf Hochschulen bietet das landesweite Semesterticket das Potenzial, das Problem verbundübergreifender Fahrten auszuräumen und zugleich eine umfangreiche Nutzerbasis für den ÖPNV zu erschließen. Jedoch befindet sich ein solidarisch getragenes Ticket seit nunmehr knapp zehn Jahren in der Diskussion und scheiterte seitdem mehrmals an der Akzeptanz der Studierenden. Auch die aktuelle Variante, die über eine Vielzahl an Verbünden abzustimmen ist, wird momentan von einem Großteil der Studierenden in Baden-Württemberg abgelehnt, womit die Einführung fraglich ist. Insbesondere die hohe Preisausgestaltung wird kritisiert. Denn es sind mitunter mehr als 500 EUR pro Semester zu entrichten, was bundesweit dem höchsten Preis für ein Semesterticket entspräche [15]. Da Anpassungen des Angebots nur langsam vorankommen, ist zeitgleich eine Hervorhebung der Vorteile gegenüber den Studierenden vorzunehmen, um eine Einführung eines landesweiten Semestertickets für Baden-Württemberg zu fördern. Dies wurde an der HFU durch Marketingmaßnahmen erreicht. Denn zum Ende des Projekts ist eine deutlich zunehmende Unterstützung des Tickets vorzufinden. Letzteres käme allen Hochschulen des Bundeslandes zugute, sodass auch andernorts Marketing diesbezüglich zu empfehlen ist und letztendlich die geforderte Zweidrittel-Mehrheit erreicht werden kann. Darüber hinaus können auch die Beschäftigten der Hochschule von Vergünstigungen im Rahmen des Jobtickets BW, was im Jahr 2016 eingeführt wurde und eine monatliche Vergütung von 25 EUR bietet, profitieren. Obwohl eine stetig zunehmende Nutzung vorliegt, ist Verbesserungspotential zu attestieren. Da die Auszahlung nur für einen einzigen Verbund möglich ist, fällt die Leistung im Vergleich zu den Kosten gering aus, sobald eine Tarifgrenze überquert werden muss. Als Resultat wird das Jobticket BW vor allem in Verbünden um Ballungszentren genutzt, wohingegen im ländlichen Raum eine geringere Nutzung vorliegt [16]. Eine Ausweitung des Angebots kann in Vorleistung gehen und so den ÖPNV auch abseits von Städten attraktiver machen. Rolle des Bürgerbusses Darüber hinaus verkehrt in Furtwangen ein ehrenamtlich getragener Bürgerbus, der prinzipiell die innerörtliche Erschließung erhöht. Jedoch wird er von Studierenden kaum genutzt, obwohl es für sie ein vergünstigtes Angebot gibt und ein Großteil der Personen darüber Kenntnis besitzt. Demnach ist vor allem die mangelnde Anpassung des Fahrplans an die Vorlesungszeiten als Hindernis anzusehen. Da sich Studierende bisher jedoch als lediglich marginale Nutzergruppe hervorgetan haben, kann kaum gefordert werden, dass im Betrieb des Bürgerbusses Anpassungen vorgenommen werden, um ihren Anforderungen Bild 4: Für Hochschulangehörige kostenlos nutzbarer Shuttle-Bus der HFU Foto: Projektteam Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 71 Ländlicher Raum MOBILITÄT gerecht werden zu können. Hinsichtlich der Anwendung an Hochschulen ist demnach zu empfehlen, dass derartige Angebote zwar innerhalb des Marketings aufgegriffen werden, aber nicht in Fokus der Bemühungen zu rücken sind. Weitere Arbeitsschwerpunkte Neben der Förderung eines verbesserten ÖPNV standen im Rahmen des Projekts zudem die Etablierung der Elektromobilität an der Hochschule sowie eine höhere Nutzung von Mitfahrgelegenheiten im Fokus. Durch das Mitnehmen einer weiteren Person kann der individuelle, ökologische Fußabdruck auf einfache Art und Weise reduziert werden. Damit Hochschulangehörige, die oftmals zu gleichen Zeiten und Zielen unterwegs sind, dies tatsächlich umsetzen, ist eine Vernetzung unter ihnen ausschlaggebend. Daher wurde eine Mitfahrbörse zusammen mit den Partnerhochschulen zur Vermittlung von Fahrten eingerichtet, deren mehr als 300 Mitglieder bis nahezu 5.000 Fahrten absolviert haben. Nicht nur fossil betriebene Fahrzeuge, sondern auch jene mit Elektromotor lassen sich gemeinsam kostengünstiger und vor allem nachhaltiger nutzen. Daher wurde im Rahmen des Projekts ein Carsharing mit Elektrofahrzeugen eingerichtet, was es Hochschulangehörigen ermöglichte, für geringes Entgelt ein Elektrofahrzeug auszuprobieren. Damit konnten Berührungspunkte mit einer im ländlichen Raum bisher spärlich vertretenen Technologie geschaffen werden. Dazu wurde der Einsatz von Elektrofahrzeugen innerhalb des Dienstverkehrs untersucht, was eine regelmäßigere Nutzung verspricht. Da im ländlichen Raum oftmals weite Wege zurückzulegen sind, ist die Reichweite ein deutlicher Kritikpunkt. Letzteres kann durch innovative Fahrzeuge mit Brennstoffzellen ausgeräumt werden, da diese eine hohe Reichweite bieten. Laut den Projekterfahrungen verhindert die vorhandene Infrastruktur derzeit einen Einsatz im Alltag. Demgegenüber sind Fahrräder schon lange fester Bestandteil des Alltags vieler Studierender, was dank hoher Anschaffungspreise jedoch noch nicht auf Pedelecs zutrifft. Nachrüstlösungen und vergünstigte Verleihangebote können diesbezüglich Abhilfe schaffen. Fazit Über alle Verkehrsträger hinweg haben die Maßnahmen des Projekts dafür gesorgt, dass bereits knapp 20 t CO 2 -Emissionen eingespart werden konnten. Würde ein ähnlicher Fortschritt bei allen Hochschulangehörigen erreicht werden, ist zudem mit weitaus größeren, umweltrelevanten Vorteilen zu rechnen. Dies kann darüber hinaus durch die Berücksichtigung der bereitgestellten Handlungsempfehlungen durch andere Hochschulen weiterhin gesteigert werden. Dazu ist an der HFU und den Partnerhochschulen zu erkennen, dass Mobilität inzwischen weitergedacht wird als nur bis zur Tür des eigenen PKW. Dies ist ein notwendiger Schritt, um auch im ländlichen Raum nachhaltige und attraktive Mobilitätsangebote etablieren zu können. Der ÖPNV hat im ländlichen Raum das Potential, entscheidend zu dieser Entwicklung beizutragen, da dessen Förderung von einer Mehrheit der Hochschulangehörigen gefordert wird. Dies trägt zudem dazu bei, ländliche Hochschulstandorte attraktiver zu gestalten und einen Wegzug in Ballungsräume aufgrund vorteilhafter Beförderungsmöglichkeiten ohne eigenen PKW zu vermeiden. Daher ist im Sinne einer Zukunftssicherung unserer ländlichen Räume unbedingt zu empfehlen, die Anforderungen von Hochschulen hinsichtlich Mobilität zu berücksichtigen und innovative Angebotsformen voranzubringen. Die dargelegten Arbeitserfahrungen zeigen auf, wie Hürden hinsichtlich des ÖPNV ausgeräumt werden können, sodass er auch an ländlichen Hochschulen vermehrt eine Rolle spielen kann. ■ LITERATUR [1] B. Williger und A. Wojtech: Digitalisierung im ländlichen Raum: Status Quo und Chancen für Gemeinden. Nürnberg: Fraunhofer SCS, 2018 [2] Smart Mobility in der Praxis: das Auto unverzichtbar für den intermodalen Verkehr? Wiesbaden: Springer Vieweg, 2018 [3] Carsten Drees: Forschungsministerin Karliczek: Von 5G und Milchkannen. [Online] Verfügbar unter: https: / / www.mobilegeeks.de/ artikel/ forschungsministerin-karliczek-von-5g-und-milchkannen/ . Zugriff am: Mrz. 06 2019 [4] Umweltbundesamt: Emissionen des Verkehrs. [Online] Verfügbar unter: https: / / www.umweltbundesamt.de/ daten/ verkehr/ emissionen-des-verkehrs#textpart-1. Zugriff am: Feb. 27 2019 [5] F. Bergk, W. Knörr und U. Lambrecht: Klimaschutz im Verkehr: Neuer Handlungsbedarf nach dem Pariser Klimaschutzabkommen. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt, 2017 [6] infas: Mobilität in Deutschland: Kurzreport. Bonn: infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, 2018 [7] W. Rid, G. Parzinger, M. Grausam, U. Müller und C. Herdtle: Carsharing in Deutschland: Potenziale und Herausforderungen, Geschäftsmodelle und Elektromobilität. Wiesbaden: Springer Vieweg, 2018 [8] Patrick Küpper: Auf dem Weg zu einem Grundangebot von Mobilität in ländlichen Räumen: Probleme, Ursachen und Handlungsoptionen. Hannover: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, 2010 [9] Statistisches Bundesamt: PKW-Dichte erreicht 2016 neuen Höchststand. [Online] Verfügbar unter: https: / / www.destatis.de/ Europa/ DE/ Thema/ Verkehr/ PKW_Dichte.html. Zugriff am: Feb. 27 2019 [10] S. Opitz und C. Pfaffenbach: „Lebensqualität im ländlichen Raum: Wie bewerten Bewohner ihr Wohnumfeld? “, Standort, Jg. 42, Nr. 3, S. 171-177, 2018 [11] S. Lelanz und V. Knobloch: „Mehr Mobilität in ländlichen Regionen: Ganzheitliche Mobilitäts- und Nahversorgungskonzepte zur Stärkung des regionalen ÖPNV“, Internationales Verkehrswesen, Jg. 70, Nr. 4, 2018 [12] P. Kirchhoff und A. Tsakarestos: Planung des ÖPNV in ländlichen Räumen: Ziele - Entwurf - Realisierung. Wiesbaden: B.G. Teubner Verlag / GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden, 2007 [13] H. Weiger, L. Miller, J. Resch und Rauch, von Rauch, Wasilis: Offener Brief an EU-Kommissar Vella zu Stickstoffdioxidgrenzwerten. Brüssel: BUND, NABU, DUH, VCD, 2018 [14] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen: Wie sinnvoll ist ein kostenloser Nahverkehr? [Online] Verfügbar unter: https: / / www.vdv. de/ kostenloser-nahverkehr.aspx. Zugriff am: Mrz. 07 2019 [15] Florian Wondratschek: Studie: Baden-Württembergische Studierende trotzen Preiswucher bei landesweitem Semesterticket. Karlsruhe: LAK-Arbeitskreis Landesweites Semesterticket, 2018 [16] Landtag von Baden-Württemberg: Mitteilung der Landesregierung: Drucksache 16/ 2826. Stuttgart, 2017 Jochen Baier, Prof. Dr.-Ing. Fakultät Wirtschaftsinformatik, Hochschule Furtwangen bai@hs-furtwangen.de Anton Karle, Prof. Dr.-Ing. Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen, Hochschule Furtwangen karl@hs-furtwangen.de Fabian Wagner Akademischer Mitarbeiter, Hochschule Furtwangen wafa@hs-furtwangen.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 72 MOBILITÄT Mobilitätsmonitor Mobilitätsmonitor Nr. 8 - Mai-2019 Urbane Verkehrswende, ÖPNV-Nachfrage, PKW-Verkehr, Elektromobilität, Radverkehr Das WZB erstellt ein Monitoring zum Personenverkehr in Deutschland. Im Fokus steht die Verkehrswende im Sinne einer Reduktion der privaten PKW-Nutzung und eines Nachfrageanstiegs geteilter und öffentlicher Verkehrsmittel. Der Monitor widmet sich der Mobilität in ausgewählten Großstädten und erscheint mit Unterstützung der Stiftung Mercator. Im Fokus der vorliegenden Ausgabe stehen Zeit- und Flächenvergleiche zwischen MIV und ÖPNV. Christian Scherf, Lisa Ruhrort, Maximilian Bischof, Lena Damrau, Andreas Knie Indikatoren der urbanen Verkehrswende Anzeichen und Potenziale einer Verkehrswende in Städten lassen sich anhand von verschiedenen Indikatoren untersuchen. Die Daten stammen aus acht der zehn einwohnerreichsten Städte in Deutschland mit einer Größe von ca. 600.000 bis 3,6 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern (Bild 1). Mit mehr als 10 Mio. Menschen umfassen die Städte zusammen weit über 10 % der deutschen Bevölkerung. Eine zentrale Rolle für die Verkehrsmittelwahl spielt der Zeit- und Ressourcenaufwand im Vergleich zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr. In dieser Ausgabe werden daher Daten zum MIV und ÖPNV hinsichtlich durchschnittlicher Fahrzeit und Flächenverbrauch verglichen. Zudem betrachten wir Fahrzeugbestände von Elektroautos als Maß für Veränderungen innerhalb des PKW-Verkehrs. Ein weiteres Anzeichen der Verkehrswende ist die Entwicklung des Fahrradverkehrs, dessen durchschnittliche Geschwindigkeit wir in Bezug setzen zur Straßen- und Radwegelänge. Die Karte zeigt die ausgewählten Städte und die dazu ausgewerteten Mobilitätsdaten, die in den folgenden Grafiken dargestellt sind. 1 Die Zahlen der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) bieten ein Beispiel für die Nachfrageentwicklung im ÖPNV der Millionenstadt. Der Flächenbedarf parkender PKW im Vergleich zu öffentlichen Straßenverkehrsmitteln erfolgt vollständig über alle acht Städte, ebenso wie die Bestandszahlen der E-PKW und Rad-Daten. Durchschnittliche Fahrzeiten im ÖPNV und MIV konnten mit Ausnahme von Essen gebildet werden, da für diese Stadt keine INRIX-Daten vorlagen. Kontakt zum Forschungsdesign: lisa.ruhrort@wzb.eu ÖPNV: Entwicklung der Stammkunden Zu den Anzeichen einer Verkehrswende zählt die routinemäßige ÖPNV-Nutzung. Eine mögliche Maßzahl dazu ist die Entwicklung der ÖPNV-Stammkunden, d. h. die Anzahl der Abos und Zeitkarten. 3 Aufgrund unterschiedlicher Tarifstrukturen und Angebotsformen in den Nahverkehrsräumen ist ein überregionaler Vergleich nur eingeschränkt möglich. Daher wird im Monitor die Entwicklung der Stammkundenzahl für einzelne Verkehrsunternehmen, hier die KVB, exemplarisch betrachtet. Bild 2 zeigt die Anzahl der KVB-Stammkunden und die Wohnbevölkerung der Stadt Köln von 2008 bis 2018. Die Linie zeigt den Anteil der Stammkunden an der Bevölkerung in Prozent. Die absolute Anzahl an Stammkunden ist zwischen 2008 und 2018 von rund Zeitvergleich ÖV/ MIV erfasst von: INRIX & modalyzer Radgeschwindigkeit und Radwege erfasst von: Bike Data Project & modalyzer über 2 Mio. Einw. 0.5-1 Mio. Einw. München Hamburg Köln Essen Frankfurt Leipzig Berlin Stuttgart km/ h km/ h km/ h Elektroautos (BEV) erfasst von: KBA ÖPNV-Stammkunden erfasst von: KVB Flächenvergleich ÖV/ MIV 1.5-2 Mio. Einw. 1-1.5 Mio. Einw. km/ h km/ h km/ h km/ h km/ h km/ h Bild 1: Übersicht der ausgewählten Städte und Daten in dieser Monitor-Ausgabe Quelle: eigene Darstellung; Grafik: Robin Coenen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 73 Mobilitätsmonitor MOBILITÄT 272.000 auf knapp 313.000 gestiegen. Dies ist ein Zuwachs von über 40.000 Stammkunden in zehn Jahren. Da die Bevölkerung Kölns im gleichen Zeitraum ebenfalls zunahm, stieg der Anteil der Stammkunden an der Bevölkerung jedoch nur leicht von ca. 27 % auf knapp 29 %. Fast ein Drittel der Kölnerinnen und Kölner kann damit regelmäßig Bus und Bahn fahren. Da jedoch anzunehmen ist, dass nicht alle Stammkunden innerhalb der Stadtgrenze wohnen, dürfte der genaue Anteil an der Kölner Bevölkerung etwas niedriger liegen. Fahrzeiten: ÖPNV und MIV im Vergleich Die Attraktivität des ÖPNV im Vergleich zum MIV ist in den Städten stark davon abhängig, welches Verkehrsmittel insbesondere zu Stoßzeiten schneller ist. In der vorletzten Ausgabe (IV 02/ 2018) verglichen wir die Fahrzeiten, die Nutzerinnen und Nutzer der Geotracking-App modalyzer für einen Kilometer pro Verkehrsmittel in verschiedenen Städten benötigen. Diese Daten sind nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerungen der Städte, erlauben aber Näherungswerte für die üblichen Zeitbedarfe. 5 In der reinen modalyzer-Auswertung hatte der MIV im Durchschnitt teilweise kürzere Zeiten, als der ÖPNV: Auch Nahverkehrsbahnen benötigen demnach länger für einen Kilometer, als Verkehrsteilnehmer im Schnitt pro MIV-km aufwenden. Dieses Verhältnis ändert sich jedoch, wenn Fahrten mit dem MIV zu Stoßzeiten in Richtung Stadtzentrum betrachtet werden. Der aktuelle Stau-Report des Datenanalysten INRIX (2019) enthält Werte für diese Nutzungssituation im Stadtvergleich. 6 Bild 3 zeigt die Fahrzeit in Minuten pro Kilometer je Stadt und Verkehrsmittel. Die blauen und orangen Zeiger in den Stoppuhren zeigen die Anzahl der Minuten, die Fahrgäste für einen Kilometer per S-Bahn bzw. Stadt-/ U-Bahn (Leipzig: Tram) benötigen. Die roten Zeiger geben die Anzahl der Minuten per MIV-km zur Stoßzeit ins Stadtzentrum an. In Berlin benötigt z. B. die S-Bahn für einen Kilometer im Schnitt unter zwei Minuten. Im MIV zu Stoßzeiten im Zentrum werden durchschnittlich drei Minuten benötigt. Die ÖPNV-Zeiten beziehen sich auf den Tagesdurchschnitt, sind also nicht spezifisch für die Stoßzeiten. Es liegt aber nahe, dass die Fahrzeiten insbesondere von S- und U-Bahnen zu Stoßzeiten durch eine dichte Taktfolge in diesen Zeiten eher noch kürzer ausfallen als im Tagesdurchschnitt. In allen Städten außer Stuttgart und Leipzig liegt die durchschnittliche Fahrzeit per S-Bahn pro Kilometer unter jener mit dem MIV zu Stoßzeiten im Zentrum. Stadt- und U-Bahnen benötigen in sechs der sieben Städte etwas länger als MIV und S-Bahn, was u. a. an den häufigeren Zwischenhalten liegen dürfte. In Hamburg beträgt die Fahrzeit pro MIV-Km länger als mit den hier betrachteten Bahnen. Die Verzögerungen des ÖPNV gegenüber dem MIV fallen insgesamt geringer aus, als im vorletzten Monitor, für den die Durchschnitte aller MIV-Mittel über die Gesamtzeit bis zur Stadtgrenze verglichen wurden. Unterschiede zeigt auch der Paarvergleich zwischen Städte mit ähnlicher Einwohnerzahl (in Bild 3 jeweils nebeneinander): Während die Geschwindigkeiten der S-Bahnen jeweils ähnlich groß sind, variieren die Geschwindigkeiten von Stadt- und U-Bahnen zwischen den Städten ähnlicher Größe deutlich stärker. Im Vergleich zwischen Frankfurt KVB-Stammkunden und Einwohner Kölns (absolute Anzahl und Wachstumsrate in Prozent) Einwohner/ Stammkunden 0 200.000 Einwohner (Köln Stadt) Anteil der Stammkunden an der Bevölkerung in % Stammkunden Kölner Verkehrsbetriebe 2008 2009 400.000 600.000 800.000 1.000.000 1.200.000 100 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Stammkundenanteil an Bevölkerung in % 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Bild 2: Bevölkerung Kölns, Anzahl der KVB-Stammkunden und Kundenanteil an der Kölner Bevölkerung 2008 - 2018 2 Quelle: Destatis 2019; KVB 2018, 2019; Recherche: Christian Scherf, Udo Wagner; Grafik: Robin Coenen Fahrzeit (Min.) pro Kilometer im ÖPNV und MIV (MIV: Stoßzeiten, in Richtung Stadtzentrum) Min. pro S-Bahn-km erfasst von: modalyzer Min. pro Stadt-/ U-Bahn-km (in Leipzig: Tram-km) erfasst von: modalyzer Min. pro MIV-km ins Zentrum zur Stoßzeit erfasst von: INRIX Berlin Hamburg Frankfurt a.M. Köln Stuttgart Leipzig 1 2 4 3 5 6 1 2 4 3 5 6 1 2 4 3 5 6 1 2 4 3 5 6 1 2 4 3 5 6 1 2 4 3 5 6 München 1 2 4 3 5 6 Min. pro km Min. pro km Min. pro km Min. pro km Min. pro km Min. pro km Min. pro km Bild 3: Durchschnittliche Fahrzeit in Minuten pro Kilometer je Verkehrssystem und Stadt Quelle: INRIX 2019 (MIV) modalyzer 4 (ÖPNV); Recherche: Lena Damrau, Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 74 MOBILITÄT Mobilitätsmonitor und Stuttgart besteht auch im MIV eine deutliche Differenz von über einer Minute. Flächenbedarf: PKW versus ÖSPV inkl. Sharing Bisher gibt es kaum verlässliche Daten dazu, wie viel Fläche für den MIV in den Städten zur Verfügung gestellt wird. Als Näherungswert kann berechnet werden, wie viel Fläche die in einer Stadt gemeldeten PKW verbrauchten, wenn alle Autos gleichzeitig im öffentlichen Raum parken würden. Die Rechnung zeigt, dass die geparkten PKW in Summe ein Vielfaches mehr Platz verbrauchen, als die Summe aller öffentlich nutzbaren Straßenfahrzeuge, inkl. Fahrzeuge im Sharing. 7 Für Bild 4 wurde pro Stadt die Zahl der PKW sowie die Zahl der öffentlich nutzbaren Fahrzeuge mit der Fläche eines zum jeweiligen Fahrzeug geeigneten Standardparkplatzes bzw. Standplatzes multipliziert. Das Balkendiagramm zeigt in Orange, wie groß die Fläche ist, die alle geparkten PKW (außer Taxi-, Funkmietwagen und Sharing-PKW) pro Stadt rechnerisch verbrauchen. Dabei wurde nicht nach privaten und geschäftlichen PKW unterschieden. Kaum zu erkennen sind die Flächen in Lila, die öffentlich nutzbare Straßenfahrzeuge, d. h. Busse, Stadt- und Straßenbahnen 8 sowie Taxis, Funkmietwagen und Sharing-Fahrzeuge rechnerisch verbrauchen. Die Kreisdiagramme zeigen die prozentualen Anteile der PKW-Parkflächen (ohne Taxis, Funkmietwagen und Sharing- PKW) an der gesamten Verkehrsfläche der jeweiligen Stadt. Für Berlin beträgt die Fläche der PKW z. B. rund 17 km 2 , was etwa 214mal der Fläche des Berliner Alexanderplatzes entspricht und knapp 13 % der Verkehrsfläche Berlins ausmacht. Öffentliche Straßenfahrzeuge benötigen zusammen etwas über 0,3 km 2 und damit nur etwa das Vierfache des Alexanderplatzes. Private und geschäftliche PKW nehmen somit pro Stadt erhebliche Flächenanteile ein. Die Anteile betragen zwischen ca. 9 % (Frankfurt und Leipzig) und fast 19 % (München) an der gesamten städtischen Verkehrsfläche. Dabei ist zu beachten, dass hier nur die rechnerisch benötigte Mindestfläche für alle Fahrzeuge zugrunde liegt. In der Realität dürfte für jeden PKW deutlich mehr als nur ein Parkplatz zur Verfügung stehen, wodurch die tatsächlich für das Parken reservierten Flächen in allen Städten wahrscheinlich deutlich höher liegen. Kontakt zur Berechnung: christian.scherf@m-five.de Elektromobilität: Entwicklung batterieelektrischer PKW-(BEV) Bild 5 zeigt den Bestand an Elektroautos (ohne Hybrid) in den acht ausgewählten Städten. 2018 waren in München mit knapp 2.300 Fahrzeugen die meisten E-PKW zugelassen, gefolgt von Berlin mit ca. 2.000 E-PKW. Obwohl die absoluten Zahlen in den letzten Jahren z. T. deutlich stiegen, ist die E-Autodichte verglichen mit den Fahrzeugdichten konventioneller PKW weiterhin sehr gering: In keiner der betrachteten Städte waren Anfang 2018 mehr als zwei E-PKW pro 1.000 Einwohner zugelassen, wobei dieser Wert mit 1,9 E-PKW pro 1.000 Einwohner in Stuttgart am höchsten und mit 0,4 E-PKW pro 1.000 Einwohner in Essen am geringsten lag. Verglichen damit lag die Dichte der PKW insgesamt Anfang 2018 in Stuttgart bei ca. 477 PKW und in Essen bei ca. 489 PKW pro 1.000 Einwohner (Destatis 2019, KBA 2019). Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Ort der Zulassung nicht notwendigerweise mit dem Ort des Einsatzes der E-PKW zusammenfallen muss. So können z.-B. elektrische Carsharing-Autos an einem Ort zugelassen sein, an dem sie nicht eingesetzt werden. Radverkehr: Radwege und Geschwindigkeit Bild 6 zeigt die Länge der Radwege und im Vergleich dazu die Gesamtstraßenläge in Kilometern je Stadt pro 100.000 Einwohner. Die Radwege wurden aus dem freien Geoinformationssystem Open- StreetMap (OSM) ausgelesen. 9 Die Städte sind nach Einwohnergröße - von oben nach unten absteigend - sortiert. Der paarweise Vergleich von Städten mit ähnlicher Einwohnergröße zeigt zunächst die Unterschiede in der Infrastruktur: In Hamburg ist z. B. die Gesamtstraßenlänge pro 100.000 Einwohner mit ca. 227 km deutlich höher als in München (ca. 163 km pro 100.000 Einwohner). Im Verhältnis zur Bevölkerung hat München jedoch eine deutlich höhere Elektro-Pkw Bestand (BEV, ohne Hybrid) 0 2016 2017 2018 500 1.000 1.500 2.000 2.500 Berlin Hamburg München Frankfurt a.M. Köln Stuttgart Essen Leipzig 20 Berlin Köln Stuttgart Essen Leipzig Hamburg München Frankfurt a.M. 214× 4× Alexanderplatz Anteil der Pkw-Flächen an den Verkehrsflächen Standflächen von Pkw und öentlichen Straßenverkehrsmitteln in Quadratkilometer 12.5% 11.8% 18.6% 9.1% 14% 13.9% 8.7% 9.9% Flächenverbrauch ö entlicher Straßenfahrzeuge (ÖSPV*, Sharing-Fahrzeuge) im Vergleich zu übrigen Pkw Pkw (ohne Taxi, Funkmietwagen, Sharing-Pkw) ÖSPV*, Sharing-Fahrzeuge km2 0 5 15 20 10 *öentlicher Straßenpersonennahverkehr (inkl. Taxi, Funkmietwagen, ohne U-Bahn) Bild 4: Anteil der PKW-Parkflächen an den Verkehrsflächen sowie Standflächen für PKW und öffentliche Straßenverkehrsmittel in Quadratkilometer Quelle: Fahrzeugzahlen nach Angaben der Anbieter und Städte, Standardparkflächen nach Dunker 2005, S. 567 f.; Recherche: Christian Scherf, Grafik: Robin Coenen Bild 5: Anzahl rein elektrischer PKW (BEV, ohne Hybrid) Quelle: BR 2016, KBA 2019; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 75 Mobilitätsmonitor MOBILITÄT Radwegelänge von fast 90 km Radweg pro 100.000 Einwohner gegenüber Hamburg mit ca. 57 km Radwegen pro 100.000 Einwohner. Bei fast gleicher Bevölkerungsgröße und ähnlicher relativer Straßenlänge sind die Radwege in Leipzig mit ca. 62 km pro 100.000 Einwohner etwa doppelt so lange wie in Essen mit ca. 31 km pro 100.000 Einwohner. Eine mögliche Ursache könnte u. a. die kleinere Stadtfläche von Essen mit ca. 210 km 2 gegenüber Leipzig mit knapp 300 km 2 sein. Die roten Symbole zeigen die durchschnittliche Geschwindigkeit per Fahrrad in km/ h, die mit der App modalyzer oder der im Bike Data Project ausgewerteten Apps gemessen wurde. Am größten ist die Durchschnittsgeschwindigkeit in München und Frankfurt mit über 15 km/ h. Die niedrigste Radgeschwindigkeit wurde in Stuttgart mit einem Durchschnitt von 11,6 km/ h gemessen. In Berlin und Hamburg sind die Radgeschwindigkeiten mit 14,5 km/ h fast gleichschnell, obwohl die Radwege- und Straßenlänge deutliche Unterschiede aufweisen. Dies deutet an, dass neben der Infrastruktur weitere Faktoren die Geschwindigkeit beeinflussen. So hat Stuttgart z. B. mit Abstand die größte Höhendifferenz zwischen dem höchsten und niedrigsten Punkt im Stadtgebiet (ca. 350 m). In- den anderen Städten liegt die Differenz etwa bei 100 m oder darunter. Kontakt zur Auswertung: christian.scherf@m-five.de ■ Der Mobilitätsmonitor ist Teil des Projekts „Energie- und Verkehrswende als Herausforderung für die sozialwissenschaftliche Forschung“ des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Förderer ist die Stiftung Mercator (stiftung-mercator.de). Die Autorinnen und Autoren danken der M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics sowie Robin Coenen - Visual Intelligence & Communication für die Unterstützung und grafische Umsetzung. 1 Die Datenquellen wurden nach den Standards wissenschaftlichen Arbeitens sorgfältig ausgewählt und ausgewertet, dennoch kann keine Gewähr für die Genauigkeit und Vergleichbarkeit übernommen werden. Dies gilt insbesondere für Daten Dritter. Bei lückenhafter Datenlage wurden z. T. Mittelwerte gebildet, so dass die Ergebnisse als Näherungswerte zu verstehen sind. 2 Die Bevölkerungszahl entspricht jeweils dem Wert vom 31.12. des Vorjahres. 3 Unter „Stammkunden“ verstehen die KVB Abonnenten und Inhaber von Zeitkarten, z. B. Fahrgäste mit Job-, Schüler-, Studenten- oder Monatsticket. 4 Die Geschwindigkeit in den Bildern 3 und 6 wurde z. T. mit der Tracking-App modalyzer zwischen Mai 2015 und April 2018 per GPS aufgezeichnet (modalyzer.com). Insgesamt wurden 90.000 km erfasst, zurückgelegt von 570 Personen. Die Auswertungen beruhen auf im Projekt multimo zwischen dem 01.05. und dem 31.05.2015 und im Projekt Mobilitätsmonitor erhobenen Trackingdaten. Multimo wurde vom infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH und der InnoZ GmbH durchgeführt. Auftraggeber waren: BVG, VBB, VBN, DVB, GVH, KVB, VRS, LVB, SSB, MVV, HVV, RMV, VRR und der VDV - Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. 5 Beim Vergleich zwischen ÖPNV- und MIV-Zeiten ist zu beachten, dass modalyzer mit deutlich kleineren Fahlzahlen als INRIX arbeitet: Während INRIX die Daten von vielen Tausend Fahrzeugen auswertet, liegt die Zahl der modalyzer-Nutzer im zweibis dreistelligen Bereich pro Stadt. Da die durchschnittliche Bahn-Geschwindigkeit aber mehr von Technik und Betriebsplanung als vom Einzelnutzer abhängt, erachten wir den Vergleich für vertretbar. 6 INRIX untersucht regelmäßig Geodaten von Positionsgeräten aus motorisierten Straßenfahrzeugen, was u. a. Aufschluss über Stauphänomene gibt. 7 Die Sharing-Fahrzeuge umfassen Bike-, Car- und Scootersharing sowie Rideselling. 8 Stadt- und Straßenbahnen wurden in die Flächenberechnung einbezogen, wenn zumindest teilweise kein separater Gleiskörper besteht, d. h. öffentlicher Straßenraum mit PKW geteilt wird. Unabhängig vom Anteil dieser Art des Streckenverlaufs am Gesamtnetz wurden alle Straßenbzw. Stadtbahnwagen der jeweiligen Stadt einbezogen. 9 Aufgrund nutzergenerierter Inhalte können die ausgewerteten Radwegelängen gegenüber den tatsächlichen Distanzen variieren. Erfasst wurden Radspuren auf Straßen, straßenbegleitende Radwege sowie Radwege abseits von Straßen. Bei Straßen mit beidseitigen Radwegen/ Radspuren wurde jede Seite einzeln erfasst. Nicht enthalten sind Fahrradstraßen und Fahrspuren, die eine gemeinsame Nutzung von Fahrrad, Bus und Taxi erlauben. Radwegelänge in km pro 100.000 Einwohner und durchschnittliche Fahrradgeschwindigkeit in km/ h 0 0 5 10 15 20 25 30 35 km/ h 50 150 250 350 km Berlin ca. 3,6 Mio. Einw. Hamburg ca. 1,8 Mio. Einw. München ca. 1,5 Mio. Einw. Köln ca. 1,1 Mio. Einw. Frankfurt a.M. ca. 0,7 Mio. Einw. Stuttgart ca. 0,6 Mio. Einw. Essen ca. 0,6 Mio. Einw. Leipzig ca. 0,6 Mio. Einw. Radwegelänge pro 100.000 Einwohner in km (OSM) Strassenlänge pro 100.000 Einwohner in km (mobil.org) Durchschnittliche Fahrradgeschwindigkeit in km/ h (erfasst von: Bike Data Project & modalyzer) km/ h Bild 6: Radwege- und Straßenlänge pro 100.000 Einwohner in km und durchschnittliche Radgeschwindigkeit in km/ h Quelle: Bike Data Project 2019; Mobil in Deutschland e.V. 2015, S. 8 f.; modalyzer; 6 OSM; Recherche: Maximilian Bischof; Grafik: Robin Coenen QUELLEN Bike Data Project (2019): The data - Germany, online unter: https: / / bikedataproject.org/ data/ europe/ germany (Zugriff am 03.03.2019). BR (2016): Fahrzeugzulassungen - E-Autos pro Landkreis. Bayerischer Rundfunk, online unter: https: / / www. br.de/ extra/ br-data/ elektroauto-landkreise-zulassungen-karte-100.html (Zugriff 03.03.2019). Destatis (2019): Bevölkerung - Kreise, Stichtag, Statistisches Bundesamt, online unter: https: / / www-genesis. destatis.de/ genesis/ online (Zugriff am 27.02.2019). Dunker L. (2005): Ruhender Verkehr, in: Steierwald, G.; Künne, H. D.; Vogt, W. (Hg.): Stadtverkehrsplanung - Grundlagen, Methoden, Ziele. 2. Aufl., Springer, Heidelberg 2005, S. 555 - 590. INRIX (2019): Berlin ist Deutschlands Stauhauptstadt, online unter: http: / / inrix.com/ press-releases/ scorecard- 2018-de/ (Zugriff am 03.04.2019). KBA (2019): Bestand nach Zulassungsbezirken und Gemeinden (versch. Jahrg.), Kraftfahrt-Bundesamt, online unter: https: / / www.kba.de/ DE/ Statistik/ Fahrzeuge/ Bestand/ ZulassungsbezirkeGemeinden/ zulassungsbezirke_node.html (Zugriff am 03.03.2019). KVB (2018): Entwicklung der Stammkundenzahl 2008 - 2017. Präsentation, Kölner Verkehrsbetriebe. KVB (2019): Pressemitteilung 26.02.2019 - Fahrgastzahlen 2018. Kölner Verkehrsbetriebe, online unter: https: / / www.kvb.koeln/ unternehmen/ presse/ pressemitteilungen.html (Zugriff am 03.03.2019). Mobil in Deutschland e.V. (2015): Der große Städteverkehrsatlas, online unter: https: / / www.mobil.org/ wp-content/ uploads/ 2015/ 03/ MOBIL_Frühjahr_15.pdf (Zugriff am 05.04.2019). Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 76 TECHNOLOGIE Assistenzsysteme Augmented Reality in der Mobilität - zukunftsfähig? Status zur Gebrauchstauglichkeit und Akzeptanz aus-dem-Forschungsprojekt RadAR+ Reisebegleitung, Reiseassistenzsystem, vernetzte Mobilität, Öffentlicher Personenverkehr, Augmented Reality (AR), Akzeptanzevaluation, Datenbrille Kann eine digitale Reiseunterstützung mit Augmented-Reality-Datenbrille die Mobilität erleichtern, gerade wenn man an Großknotenpunkten wie Frankfurt am Main unterwegs ist? Die Personenmobilität verändert sich durch die fortschreitende Digitalisierung und die vernetzten Verkehrsmittel kontinuierlich. Im Projekt RadAR+ wird ein persönliches, adaptiv lernendes Reiseassistenzsystem für den öffentlichen Verkehr entwickelt. Dessen Gebrauchstauglichkeit und Einflussfaktoren für eine Nutzung und Akzeptanz werden wissenschaftlich evaluiert. Nicole Wagner, Benjamin Kolbe D ie Zukunft der Mobilität gehört dem intermodalen Reisen, insbesondere im urbanen Umfeld der Stadt. Ausgedrückt in Zahlen bedeutet das: In Deutschland sind täglich circa 85 % der Bürger mobil und beteiligen sich am Verkehr. Dabei legt eine Person am Tag ca. 3,1 Wege zurück und investiert rund 80 Minuten in die Unterwegszeit 1 . Im Auto haben wir uns an eine Tür-zu-Tür-Navigation gewöhnt, doch im Öffentlichen Verkehr (ÖV) geraten die aktuell verfügbaren technischen Lösungen zur Navigation und Reisebegleitung schnell an ihre Grenzen. Zusätzlich steigt die Komplexität der Reise unmittelbar, wenn man unterschiedliche Verkehrsträger kombiniert. Insbesondere an stark frequentierten Umsteigepunkten, die der Nutzer nicht kennt, kommt es dabei regelmäßig zu kritischen Situationen und Verzögerungen in der Reisekette. Vernetztes Reisen ist mit Stress verbunden: an einem fremden Bahnhof den richtigen Anschluss auf den Anzeigetafeln ausmachen, den Weg zum Anschlussverkehrsmittel finden, dabei auf Verspätungen achten und möglicherweise schnell ein neues Ticket für die Weiterfahrt kaufen 2 . Das Projekt RadAR+ Hier setzt das Forschungsprojekt RadAR+ (Laufzeit 01/ 2016 bis 06/ 2019) an, das vom Bundesministerium für Bildung und For- AR-Einblendung in einer Datenbrille Foto: Fraport AG Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 77 Assistenzsysteme TECHNOLOGIE schung (BMBF) gefördert wird. Das Projektkonsortium besteht aus Forschungs-, Entwicklungs- und Anwendungspartnern. Es werden Kompetenzen aus Mobilität & Personenverkehr, Mensch-Maschine-Interaktion, Augmented Reality, Sprachsteuerung und Nutzermodellierung gebündelt. Aktiv Beteiligte im Projektkonsortium sind: das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML); die HaCon Ingenieursgesellschaft mbH; das House of Logistics & Mobility (HOLM) GmbH; die Rhein-Main- Verkehrsverbund Servicegesellschaft mbH (rms GmbH); die ubimax GmbH; die Universität Kassel, Fachgebiet Mensch-Maschine-Systemtechnik; die Voice INTER connect GmbH; die Fraport AG (assoziiert); sowie die Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH (assoziiert) 3 . RadAR+ steht für ein „Reiseassistenzsystem für dynamische Umgebungen auf Basis von Augmented Reality“. Ziel ist die Entwicklung eines persönlichen, adaptiv lernenden Reiseassistenzsystems für den Öffentlichen Personenverkehr. Das System unterstützt auf der gesamten Reisekette, insbesondere beim bedarfsgerechten, effizienten Wechsel zwischen den Verkehrsmitteln. RadAR+ greift auf externe Echtzeitdaten, wie Verkehrsstörungen oder Verspätungsinformationen, zu und integriert diese in die Mobilitätsplanung. Gleichzeitig berücksichtigt das System erlernte Gewohnheiten des Nutzers, um die Reise zu individualisieren. Somit kann das System auf den Nutzer in seiner aktuellen Situation und auf seinen jeweiligen Reiseabschnitt eingehen. Auf Anfrage sind Tipps zur Überbrückung von Wartezeiten oder Vorschläge für Alternativrouten möglich. So reduziert RadAR+ die Beanspruchung des Reisenden in einer Vielzahl von Situationen. Umgesetzt wurde eine technisch optimierte Reisebegleitung von einer Hausadresse bis zum Gate im Flughafen. Für die Fußgängernavigation werden Ein- und Überblendungen von Informationen ins Sichtfeld des Nutzers unter Verwendung einer Datenbrille (Augmented Reality) realisiert. Ein Sprachinteraktionsmodul ermöglicht dabei die weitgehend freihändige Bedienung des Systems 4 . Methode und Umsetzung - Primärdatenerhebung, Anwendungsszenarien und nutzerzentrierte Entwicklung Veränderungsstrategien in Richtung eines innovativen Reiseassistenzsystems sind nur mit Kenntnis und unter Berücksichtigung • der unterschiedlichen Bedürfnisse der Reisenden (den Nutzern) • sowie der Verkehrsdienstleister und Verkehrsunternehmen (den Anbietern) möglich. Deshalb wurden zu Projektbeginn die Anforderungen und Bedürfnisse potenzieller Nutzer und Anbieter erhoben und flossen in die Erforschung und Gestaltung des Mobilitätsagenten ein. Die Informationsgewinnung erfolgte auf Basis persönlicher Befragung und Diskussion in Fokusgruppen. Die Anspruchshaltung der Verkehrsdienstleister wurde zu den Themen „Erwartungen und Anforderungen von Verkehrsdienstleistern an ein innovatives Reiseassistenzsystem“ sowie „Daten - Schnittstellen - Märkte“ erhoben 5 . Ebenfalls Reisende wurden bezüglich ihrer Wünsche zur Gebrauchstauglichkeit und zu Einflussfaktoren für eine Nutzung und Akzeptanz eines Reiseassistenzsystems befragt. Alle Resultate der Anforderungsanalyse wurden zur Erarbeitung von Test- und Anwendungsszenarien genutzt. Im Ergebnis dienten 35 Musthave-Szenarien und elf Nice-to-have-Szenarien über die gesamte Mobilitätskette als Entwicklungsgrundlage für den zu erstellenden Mobilitätsagenten. Die Szenarien beinhalten u. a. klassische Auskunfts-, Informations-, Navigations- und Orientierungsfunktionen. Im Szenario des Verkehrsmittelwechsels wird der Nutzer durch optische und akustische Wegeanweisungen unterstützt, insbesondere über eine Fußgängernavigation in der Datenbrille. Vor dem Umstieg wird eine Ausstiegserinnerung gegeben. Außerdem beachtet das Reiseassistenzsystem die Gehgeschwindigkeit, wertet die Erfahrungen aus der Vergangenheit aus und stellt Reisenden mit schwerem Gepäck, die vorübergehend langsamer wie üblich unterwegs sind, alternative Möglichkeiten bei längerer Umsteigezeit dar. Differenziert betrachtet wurde das Re- Routing: Es erfolgt entweder automatisiert (beispielweise bei der Übermittlung eines Gleiswechsels über Schnittstellen) oder kann durch den Reisenden selbst manuell angestoßen werden, wenn unerwartete Ereignisse auftreten. Dieses wird notwendig, wenn Infrastrukturausfälle von Fahrstühlen oder Rolltreppen nicht systemisch erfasst und somit nicht über Schnittstellen ans Reiseassistenzsystem übermittelt werden. Im Szenario der Aufenthaltsgestaltung werden individuelle Gewohnheiten und Präferenzen abgedeckt. Auf diesen Szenarien aufbauend erfolgten das Systemdesign und die Umsetzung des Demonstrators 6 . Systemdesign Die technische Projektleitung erfolgt durch den Bereich Informationsdienste und Datenmanagement der rms GmbH, unter deren Koordination ein Fokus auf transparente Teilmodule gelegt wurde. Dabei ist zu differenzieren zwischen nachfolgenden Komponenten, die im Zusammenspiel die Gesamtfunktionalität gewährleisten: • mobile Technologie wie Datenbrille und Smartphone, die der Nutzer mit sich führt, um das System vor Ort zu nutzen • Hintergrund Technologie wie z. B. der Verbindungsauskunft Server, die erforderliche Informationen in Echtzeit zur Verfügung stellen • Infrastruktur Technologie wie z. B. Bluetooth-Baken in den Bauwerken/ Gebäuden (Bahnhöfe, Flughafen) Erforderliche Hardware für den Nutzer im Feldtest sind die Datenbrille „HoloLens“ von Microsoft sowie ein handelsübliches Smartphone. Sowohl die Datenbrille als Bild 1: Technische Skizzierung des Vorhabens RadAR+ Quelle: rms GmbH Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 78 TECHNOLOGIE Assistenzsysteme auch das Smartphone können Sprachbefehle empfangen und verarbeiten. Die Datenbrille ist die optische Wegweisungskomponente von RadAR+. Sie ermöglicht durch virtuelle Einblendung von Pfeilen eine ARbasierte Navigation (vergleichbar mit dem Head-Up-Display im Auto). Das Smartphone ist das technisch zentrale Element des Gesamtsystems. Spracheingaben werden auf dem Telefon verarbeitet und zur Verbindungsanfrage an ein Hintergrundsystem übergeben. Als Rückantwort erhält der Nutzer auf seinen Endgeräten die Informationen zu entsprechenden Verbindungsalternativen mit den erforderlichen Hinweisen zu Routing und Navigation (Bild 1). Das Smartphone gewährleistet neben der externen Datenanbindung auch das interne Zusammenspiel und den Austausch mit der Datenbrille (Bild 2). Zum Datenaustausch werden standardisierte Nachrichtenprotokolle aus der „Internet of Things“- Technologie verwendet, die den Anforderungen entsprechend an die spezifische Architektur angepasst wurden. Um die persönliche Individualisierung der geplanten Reise zu gewährleisten, wurde im Projekt RadAR+ ein adaptives Nutzermodell entwickelt und umgesetzt. Dadurch können persönliche, situations- und ortsbezogene Kontextinformationen gebündelt, gefiltert und aufbereitet werden (Bild 3). Hierbei werden Nutzervorlieben in Bezug auf zu wählende Restaurants oder Bistros automatisiert lokal auf dem Smartphone gespeichert. Beim Umstieg am Flughafen oder Bahnhof kann der Nutzer dann aktiv eine umgangssprachliche Anfrage ans System stellen, z. B. „Ich habe Hunger“ oder „Ich muss auf die Toilette“, und erhält unter Berücksichtigung der gespeicherten Nutzer-Daten eine vorsortierte Empfehlung. Um die kontinuierliche Ortung des Nutzers in Umsteigesituationen zu gewährleisten, wurden im Indoor-Bereich entsprechende Infrastrukturen bereitgestellt. Hierbei wird auf teilweise neu ausgerüstete Bluetooth- Ortungskomponenten sowie Bestandskomponenten der DB und der Fraport zurückgegriffen, um eine Ortung auch innerhalb von Gebäuden zu ermöglichen. Im technischen Ergebnis wurde ein Gesamtdemonstrator RadAR+ für Smartphone und Datenbrille erstellt, der eine begleitete Reisekette von einer Hausadresse über komplexe Umstiegsbauwerke bis zu einem Gate im Flughafen ermöglicht. In nachstehender Skizzierung ist eine beispielhaft geplante Reisekette aufgeführt (Bild 4). Hierbei wird der Nutzer ausgehend von einer Hausadresse per Fußgänger-Outdoor-Navigation zu einer nahe gelegenen Haltestelle, den Frankfurter Hauptbahnhof, geführt. Im Umsteigebauwerk Frankfurter Hauptbahnhof erhält der Nutzer eine Indoor-Wegweisung zum erforderlichen Abfahrtsgleis und Nutzung des ÖV. Vom Frankfurter Flughafen, dem Regionalbahnhof aus, wird der Nutzer dann zu seinem Abfluggate im Flughafen geführt. Innerhalb des Umsteigebauwerks Flughafen FRA bietet sich Gelegenheit, einen Aufenthalt vorzunehmen. Die Reisekette von der Hausadresse zum Regionalbahnhof ist vorrangig mit dem Smartphone geführt. Ab dem Regionalbahnhof am Flughafen steht die Datenbrille als technisches Medium im Vordergrund. Im umgesetzten Demonstrator ist es jedoch auch möglich, die gesamte Reise- Bild 2: Anzeige einer Reiseverbindung in der Datenbrille Quelle: Fraunhofer IML Bild 3: Adaptives Nutzermodell mit Einstellungen auf dem Smartphone; auf den Boden projizierte Anzeige eines nahegelegenen Kaffee-Anbieters bei Sicht durch die Datenbrille Quelle: rms GmbH All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de 14 TranCit 1 2019.indd 23 11.04.2019 16: 53: 22 Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 80 TECHNOLOGIE Assistenzsysteme kette unter Nutzung der Datenbrille vor zunehmen. Ergebnis der ersten Probandentests 2018 - Erwartungshaltung und Fazit der Reisenden Das Fraunhofer IML ist als wissenschaftliche Begleitung am Gesamtvorhaben RadAR+ beteiligt. Durch seinen Fokus auf vernetzte, nachhaltige Personenmobilität stellt das Institut Fragen zur möglichen Akzeptanz und Gebrauchstauglichkeit des Reiseassistenzsystems RadAR+. Im April und Mai 2018 führte Nicole Wagner, Projektleiterin für Mobilität und Informationslogistik, erste Evaluationen mit Probanden als Pretest für den Feldtest in 2019 durch. Ziel war es, den potentiellen Nutzern den aktuellen Entwicklungsstand von RadAR+ vorzustellen, die Akzeptanz und Einstellung potentieller Nutzer gegenüber einem digitalen Reiseassistenzsystem mit AR zu evaluieren und einen Vergleich mit gängigen Reise-/ Navigations-Apps zu ziehen. Insgesamt haben 43 Personen den 30-minütigen Test absolviert und den Fragebogen beantwortet. Da die Anwendung von RadAR+ multisensorisch ist (Akustik, Optik, Haptik), war neben der Messung der Gesamtakzeptanz auch zwischen den Subanwendungen zu unterscheiden. RadAR+ ist durch wahrnehmbare Interaktion, wie Sprache und Gestik, in der Öffentlichkeit charakterisiert. Der Pretest im Frühjahr 2018 hat u.a. ergeben, dass 84 % der Befragten explizit eine Unterstützung durch ein Reiseassistenzsystem wünschen. 86 % nutzen heute schon regelmäßig Navigations- oder Reise-Apps. Durchaus überraschend konnten sich 56 % nach dem Test von RadAR+ vorstellen, zukünftig auch eine Datenbrille für die Mobilität im Alltag zu verwenden. Um die Akzeptanz des Gesamtsystems und der Subsysteme einschätzen zu können, wurden verschiedene Fragestellungen mit positiver und negativer Sprachpsychologie verwendet. Exemplarisch zeigt Bild 5 das Ergebnis zum Wohlfühlfaktor mit der Datenbrille 7 . Fazit zum AR Reiseassistenzsystem Mobilitätsinformationen in Echtzeit und verkehrsmittelübergreifend via Datenbrille zu erhalten, ist ein neuer Ansatz in der sich weiter wandelnden Personenmobilität. Ein Ansatz, dessen Machbarkeit und Zukunftsfähigkeit es - theoretisch wie praktisch - zu erforschen gilt. Hierzu werden sich im Laufe der stetigen Technikzyklen Chancen ergeben, die die Gebrauchstauglichkeit und Akzeptanz von Systemen wie RadAR+ weiter steigern werden. Fest steht: Je komplexer die Reisekette wird, umso relevanter ist die einfache und effiziente Unterstützung des Reisenden. Möglichkeiten modernisierter Reisebegleitung sowie adaptiv lernende Reiseassistenzsysteme bieten umfangreiches Potential, um dieser Herausforderung gerecht zu werden (Bild 6). Zukunftsmusik oder doch ganz nah? Verkehrsdienstleister können sich durchaus eine Erweiterung der bisher umgesetzten Funktionen vorstellen. Eine Hilfestellung durch die Ankündigung von Vorschriften und Sicherheitsbestimmungen wäre möglich, wie z. B. dass der Nutzer die Datenbrille beim Erreichen der Sicherheitskontrolle ausschalten muss. Denkbar wäre es, den Reisenden bei Orientierungsschwierigkeiten durch Zuschalten eines Remote-Experten über die Datenbrille zu unterstützen. Auch die standortbezogene Informationsbereitstellung zur Nutzung von Fluchtwegen könnte umgesetzt werden. Spezifische und personalisierte Werbemaßnahmen passend zum Nutzerverhalten könnten den Reisekomfort erhöhen. Bild 4: Rudimentäre Skizzierung der Inhalte des technischen Demonstrators Quelle: rms GmbH Bild 5: Auszug aus der RadAR+ Akzeptanzevaluation Quelle: Fraunhofer IML Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 81 Assistenzsysteme TECHNOLOGIE Im ersten Halbjahr 2019 werden alle Funktionalitäten in einem Gesamtdemonstrator prototypisch umgesetzt und dessen Gebrauchstauglichkeit und Akzeptanz abschließend im Feldtest erforscht. Durchgeführt wird eine umfangreiche Praxiserprobung durch Probanden auf einer Teststrecke vom Frankfurter Hauptbahnhof bis zum Flughafen Frankfurt am Main, einschließlich Regional- und Fernbahnhof. Die Meinung der Reisenden selbst wird erhoben und parallel eine Beobachtung von Reaktionen unbeteiligter Personen durchgeführt. Erfolgspotenzial lässt sich bereits jetzt erschließen • im praktischen Nutzen von Augmented Reality durch direkte Sicht und Zugriff auf Echtzeitinformationen während der Reise, • im adaptiv lernenden Reiseassistenten, der den Reisenden kennt, individuelle Hinweise liefert und eine persönliche Reise ermöglicht. Entscheidende Gestaltungskriterien wurden mit den Verkehrsdienstleitern und Reisenden entwickelt. Die benutzerzentrierte Entwicklung mit fortlaufenden Labortests und einem regelmäßigen Abgleich mit den Ergebnissen aus der Anforderungsanalyse haben sich methodisch bewährt. Die ersten Evaluationen zur Gebrauchstauglichkeit und Akzeptanz lassen das Potenzial der AR- Technologie gut erkennen. Auch wenn das Smartphone noch den Markt dominiert, wird Augmented Reality in den kommenden Jahren Einzug in die Welt der Mobilität und Reisebegleitung halten. Der Bedarf für intelligente Mobilitätslösungen besteht. In Zeiten individueller Mobilitätsketten demonstriert RadAR+ bespielhaft, wie eine virtuelle Begleitung erfolgen könnte. ■ 1 Vgl. BMVI: https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ Verke hr U nd M obilita et/ mid-2 0 1 7-kurz re port. pdf ? _ blob=publicationFile, Abrufdatum: 10.02.2019 2 Gesamtvorhabensbeschreibung Reiseassistenzsystem für dynamische Umgebungen auf Basis von Augmented Reality, Stand: 07.08.2015 3 Vgl. BMBF: https: / / www.technik-zum-menschen-bringen. de/ projekte/ radar, Abrufdatum: 01.02.2019 4 Vgl. https: / / radarplus.de/ , Abrufdatum: 08.02.2019 5 Geis,I./ Wagner,N.: Ergebnisbericht RadAR+ Anforderungsanalyse, UAP 1.2 Erhebung des Nutzungskontextes sowie der Bedürfnisse potenzieller Verkehrsdienstleister, Stand: 01.08.2016 6 Wagner, N.: Ergebnisbericht RadAR+ Anforderungsanalyse, UAP 1.5 Spezifikation von Test- und Anwendungsszenarien, Marktchancen und Marktbarrieren, Stand: 01.02.2017 7 Wagner, N.: Präsentation Fraunhofer IML Prien, Akzeptanzevaluation: Wearables zur Reisebegleitung, Pretest RadAR+, Q2 2018 Nicole Wagner, M.A. Projektleiterin Mobilität und Informationslogistik, Fraunhofer- Institut für Materialfluss und Logistik IML, Projektzentrum Verkehr, Mobilität und Umwelt, Prien am Chiemsee nicole.wagner@iml.fraunhofer.de Benjamin Kolbe, Dipl.-Ing (FH) Teamleiter Informationsdienste, Rhein-Main-Verkehrsverbund Servicegesellschaft mbH, Bereich Informationsdienste und Datenmanagement, Frankfurt am Main bkolbe@rms-consult.de Bild 6: Datenbrillen Pro-Contra-Argumentation Quelle: Fraunhofer IML Digitalisierung im ÖPNV Innovation macht mobil! Mit ef zienten Lösungen unterstützen wir unsere Kunden bei der Gestaltung der Mobilität von morgen - und das schon seit über 20 Jahren. Wir kommen aus der Praxis und denken voraus, immer mit dem Fahrgast im Fokus. So begleitet Sie die rms in die digitale Zukunft des ÖPNV. Sprechen Sie uns an! Von Frankfurt und Berlin aus sind wir in ganz Deutschland für Sie da. www.rms-consult.de Rhein-Main-Verkehrsverbund Servicegesellschaft mbH • Am Hauptbahnhof 6, 60329 Frankfurt am Main • Am Hamburger Bahnhof 4, 10557 Berlin 20 Jahre Planung Beratung Service Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 82 TECHNOLOGIE Wissenschaft Methodik zur Erstellung robuster Airline-Schedules Umlauf- und Abflugplanung von Flugzeugen zur Verminderung von Sekundärverspätungen Robust Scheduling, Sekundärverspätungen, Flugverspätungen, Umlaufplanung Es wird eine Methodik zur Erstellung eines robusten Umlaufplans zur Verringerung von Folgeverspätungen vorgestellt. Der Umlaufplan einer Airlineflotte wird auf Basis eines Schedules erstellt und zusätzlich eine geringfügige zeitliche Verschiebung der Flüge durchgeführt. Zur Optimierung werden metaheuristische Algorithmen genutzt, die eine Reduzierung der Verspätungen zum Ziel haben. Neben dem Erstellen eines gegen Verspätungen robusten Flugplans ist es das Ziel, auf Basis realer Betriebsdaten einer Fluggesellschaft die Bewertung der Robustheit anhand eines Simulationsmodells zu ermitteln. Katrin Kölker, Marius Radde, Eva Lang, Klaus Lütjens, Judith Semar, Volker Gollnick V erspätungen im Luftverkehr haben in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen [1] und führen zu hohen Kosten und Problemen bei den Flughäfen, den Fluggesellschaften und auch den Passagieren. Daher sind alle genannten Akteure an einer Reduzierung der Verspätungen interessiert. Auf Initiative des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) fand am 5. Oktober 2018 hierzu ein Spitzengespräch Luftfahrt in Hamburg statt, bei dem u.a. folgende Maßnahme beschlossen wurde: „Verspätungsanfällige Flüge werden durch kurz- und langfristigen Abgleich des Flugplans mit den Ist-Werten ermittelt, um dann ggf. einen Teil der geplanten Flugzeugrotation herauszulösen und die Übernahme des Fluges durch ein anderes Flugzeug zu ermöglichen. […]“ [2]. In der vorliegenden Arbeit wird eine Optimierungsmethodik vorgestellt, um die genannte Maßnahme umzusetzen. Das Ziel der Methodik ist es dabei, auf Basis empirischer Daten die Flugverspätungen zu reduzieren ohne dabei die Produktivität des Flugbetriebs zu verringern. Das bedeutet, dass mit der gleichen Flotte und der gleichen Anzahl von Flügen ein Schedule mit weniger Verspätungen betrieben werden kann. Es wird hier das Wort Schedule statt Flugplan benutzt, um die Planung des Streckenangebotes einer Airline (Schedule) abzugrenzen von der Flugplanung im Sinne der Planung einer einzelnen Flugroute (Flugführung). In dem Projekt ROFL (Robuste Flugplanung) wurde in den Jahren 2016 bis 2018 untersucht, inwieweit unter den genannten Nebenbedingungen Verspätungen durch eine effizientere Planung vermindert werden können. Gerade für Fluggesellschaften sind Folgebzw. Sekundärverspätungen - also die Verspätungen, die durch verspätete Flugzeuge oder Personal der vorhergehenden Flüge entstehen - ein großes Problem, da die Verspätung eines Fluges (Primärverspätung) durch einen Dominoeffekt Verspätungen mehrerer Folgeflüge nach sich zieht. Aus Sicht der Fluggesellschaft lassen sich diese Verspätungen am ehesten durch eine bessere Planung des Schedules und die Optimierung von Pufferzeiten verhindern. Um eine bessere Planung zu ermöglichen, ist auch ein stabiler Planungsprozess notwendig. Stabilität bedeutet dabei, dass nachfolgende Änderungen am Schedule im sequentiellen Flugplanungsprozess die Robustheit der Planung nicht wieder reduzieren. Der Planungsprozess wurde ebenfalls im Projekt analysiert [3] und Vorschläge zur Stabilisierung ausgearbeitet. Die Entwicklung dieser neuen Methode zur Erhöhung der Robustheit erfolgt in Zusammenarbeit mit mehreren Fluggesellschaften. Dadurch war es möglich, die detaillierten Flugdaten mehrerer Jahre des Flugbetriebs verschiedener Fluggesellschaften im europäischen Umfeld auszuwerten und eine valide, bessere Kalibrierung der zu Grunde liegenden Modelle zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit mit den Fluggesellschaften vereinfacht zusätzlich auch die zeitnahe Anwendung der Ergebnisse im realen Flugbetrieb. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Lufthansa Systems, deren Kunden die Ergebnisse des Projektes in der Praxis nutzen. PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 31.01.2019 Endfassung: 12.03.2019 Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 83 Wissenschaft TECHNOLOGIE Sekundärverspätungen im Flugbetrieb Das Ziel des ROFL-Projekts war die Gestaltung robuster Flugpläne. Der Fokus lag auf der robusten Lösung des Aircraft Routing Problems (ARP). Beim ARP werden für einen bestehenden Schedule Flugzeugumläufe einer Airlineflotte gestaltet. Die zur Verfügung stehenden Flugzeuge einer Fluggesellschaft werden dabei so auf die geplanten Flüge verteilt, dass jeder Flug genau einmal geflogen wird und darüber hinaus ein bestimmtes Optimierungsziel bestmöglich umgesetzt wird. Im Falle der Robustheit besteht das Ziel darin, die geplanten Flugzeugumläufe (auch Rotationen genannt) derart zu organisieren, dass auftretende Verspätungen möglichst gut abgefedert werden. Es wird also darauf abgezielt, die Verschleppung von Verspätungen zu minimieren und zeitliche Puffer in der Bodenzeit dementsprechend dort zur Verfügung zu stellen, wo sie am nötigsten sind. Das Prinzip der verschleppten Verspätung wird an Bild 1 verdeutlicht: Flug i fliegt nicht zum geplanten Zeitpunkt STD i (Scheduled Time of Departure) ab, sondern verspätet zum Zeitpunkt ATD i (Actual Time of Departure). Diese Verspätung könnte beispielsweise auf die Witterungsbedingungen zurückzuführen sein. Sie ist damit von der Airline nicht beeinflussbar und wird als Primärverspätung bezeichnet. Durch den verspäteten Abflug verschiebt sich nun auch der geplante Ankunftszeitpunkt STA i (Scheduled Time of Arrival) auf ATA i (Actual Time of Arrival). Die ursprünglich geplante Bodenzeit zwischen Flug i und Flug i+1 verkürzt sich durch die verspätete Ankunft. Die Zeit, die zur Durchführung der notwendigen Turn- Around-Prozesse am Boden mindestens notwendig ist (Minimum Ground Time, MGT), ist nun geringer als die verbleibende verfügbare Bodenzeit. Jedoch kann erst nach Vollendung der Bodenprozesse der Folgefluges STD i+1 abfliegen. Folglich entsteht durch die verspätete Ankunft von Flug i und die zu kurz geplante Bodenzeit eine Abflugverspätung bei Flug i+1, eine sog. verschleppte Verspätung (auch Sekundärverspätung genannt). Stochastische Simulation des Flugbetriebs Um die bei der Durchführung geplanter Flugzeugumläufe entstehenden Verspätungen bei Abflug und Ankunft zu quantifizieren, muss der Betrieb eines gegebenen Schedules simuliert werden. Hierfür wurden Modelle zur Schätzung von Boden- und Blockzeiten entwickelt, mit denen sich die erwarteten Abflugsbzw. Ankunftszeiten und somit auch die Verspätungen eines Fluges in Abhängigkeit seiner verschiedenen Charakteristika wie z. B. Abflughafen, Abflugzeit und Flugzeugtyp berechnen lassen. Das Bodenzeitmodell dient dabei zur Schätzung der Zeitdauer, die das Flugzeug zwischen zwei aufeinander folgenden Flügen am Gate steht, und umfasst dementsprechend die Zeiten für Bodenprozesse (Turn-Around) sowie Warte- und Pufferzeiten. Das Blockzeitmodell schätzt die Blockzeit eines Fluges, d. h. sowohl die eigentliche Flugzeit als auch die Rollzeiten am Start- und Zielflughafen. Die Modelle sind dynamisch und reagieren dadurch auf den bisherigen Verlauf der Rotationen, wobei keine Interdependenzen zwischen mehreren, zeitgleich durchgeführten Umläufen berücksichtigt werden. Die Modellkalibrierung muss mit historischen Daten aus dem Flugbetrieb derjenigen Airline durchgeführt werden, deren geplante Schedules simuliert werden. Bild-2 zeigt den Vergleich zwischen der tatsächlichen und der simulierten On-Time-Performance einer europäischen Fluggesellschaft aus der Sommerflugplanperiode 2016. Die Modelle wurden vorab mit Daten aus den Jahren 2014 und 2015 trainiert. Der Schedule wurde 10.000 Mal unter Berücksichtigung stochastischer Schwankungen, die sich in den historischen Daten finden, simuliert. „P0“ bezieht sich auf den Anteil der Flüge, die pünktlich oder sogar verfrüht abfliegen bzw. ankommen. „P3“ ist der Anteil der Flüge, die eine Verspätung zwischen null und einschließlich drei Minuten aufweisen. „P15“ ist analog zu interpretieren und „D15“ enthält alle Flüge, die eine Verspätung von mehr als 15 Minuten aufweisen. Der Vergleich zeigt, dass die Simulation ein sehr gutes Abbild der Realität erzeugt. Die Anteile der einzelnen Verspätungskategorien unterscheiden sich nur unwesentlich voneinander. Dies gilt im Übrigen nicht nur auf so stark aggregierter Ebene wie hier dargestellt, sondern beispielsweise auch auf der Ebene einzelner Teil-Flotten eines bestimmten Flugzeugtyps der gewählten Fluggesellschaft. Optimierung des Schedules Die oben vorgestellte Simulationsumgebung nimmt in den entwickelten Optimierungsverfahren eine zentrale Rolle ein. Da diese Umgebung bzw. die in ihr zum Einsatz kommenden Modelle keine Trennung zwischen Primär- und Sekundärverspätung vornehmen, liegt der Fokus der Optimierung konsequenterweise auf der Reduzierung von Gesamtverspätungen, worunter seitens der Fluggesellschaft sowohl in der Regel nicht beeinflussbare Primärverspätungen (etwa wetterbedingt) als auch beeinflussbare (verschleppte) Verspätungen zu verstehen sind. Unter der Prämisse, dass Primärverspätungen Bild 1: Wie werden Verspätungen verschleppt? Alle Abbildungen: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 84 TECHNOLOGIE Wissenschaft durch die Fluggesellschaft nicht beeinflussbar sind, wird durch die Reduktion von Gesamtverspätungen automatisch eine Reduktion von verschleppten Verspätungen realisiert. Aus der Simulation von Schedules lassen sich verschiedene Performance-Kennziffern im Hinblick auf die Pünktlichkeit ableiten. Im Folgenden wird die Summe der mittleren Ankunftsverspätungen aller Flüge über alle Simulationsläufe als entsprechende Maßzahl verwendet. Im Rahmen verschiedener metaheuristischer Optimierungsmethoden kann diese Maßzahl wiederum als „Fitness“-Kriterium verwendet werden. Zwei dieser Methoden, Genetische Algorithmen einerseits und Binäre Partikelschwarmoptimierung andererseits, wurden im Projektverlauf eingesetzt, um die Steigerung der Robustheit von Airline-Schedules zu realisieren. Auf metaheuristische Verfahren muss hier zurückgegriffen werden, da das Problem zu komplex ist, um exakt gelöst zu werden. Bereits für eine kleine Flotte entstehen dafür zu viele Kombinationen verschiedener, möglicher Flugzeugumläufe. Eine Näherungslösung wird - im Gegensatz zu einer exakten Lösung - schnell gefunden und ist hinreichend robust, weswegen diese Vorgehensweise für die Anwendung im Betrieb optimal ist. Beide Verfahren beginnen im vorliegenden Anwendungsfall mit einer initialen Menge von Schedules. Diese Schedules unterscheiden sich hinsichtlich der Zuweisung einzelner Flüge zu den zur Verfügung stehenden Flugzeugen. Die Anzahl der möglichen Zuweisungen steigt exponentiell mit der Anzahl der Flugzeuge bzw. der Anzahl der Flüge. Über eine bestimmte Anzahl von Iterationen werden die verschiedenen Schedules, angefangen mit der Initialmenge, immer wieder hinsichtlich ihrer „Fitness“ beurteilt bzw. verglichen und anschließend durch vorgegebene Rechenoperationen in Abhängigkeit ihrer Fitness-Werte miteinander kombiniert. Ziel ist es, auf diese Weise höherwertige Schedules im Sinne der Fitness (also weniger Sekundärverspätungen) zu erzeugen. Im weiteren Verlauf des Artikels wird auf die Ergebnisse der Partikelschwarmoptimierung eingegangen, da diese Methode für das spezifische Problem effizienter ist. Für nähere Informationen zur Funktionsweise wird an dieser Stelle auf [4] verwiesen. Ergebnisse der robusten Umlaufplanung Bild 3 zeigt den Verlauf der Partikelschwarmoptimierung für einen Wochen-Schedule der Airbus A320-Flotte einer europäischen Airline. Die Woche (aus dem Sommerflugplan 2016) wurde seitens der Airline aufgrund des hohen Flugaufkommens als Testwoche empfohlen. Die Flotte umfasst 15 Flugzeuge, die in dieser Woche mehr als 600 Flüge absolviert haben. Die tatsächlich geflogenen Rotationen, die aus historischen Daten bezogen werden, werden als Original-Lösung des vorliegenden Routing-Problems bezeichnet. Der Algorithmus wird mit einer initialen Menge von 30 alternativen Routings begonnen. Diese Routings werden nun bei konstanter Schwarmgröße gemäß den Vorschriften der binären Partikelschwarmoptimierung über 50 Iterationen hinweg miteinander kombiniert. Für jede Iteration ist die geringste, mittlere und höchste Fitness des Schwarms dargestellt. Dabei entspricht der Fitness-Faktor der Summe der Ankunftsverspätungen in allen Rotationen. Ein Abfallen der dargestellten Kurven entspricht daher einer Steigerung der Fitness. Der initiale Schwarm, der willkürlich erzeugt wird, enthält bereits Lösungen, deren Fitness die ebenfalls simulierte Fitness der Original-Lösung übertrifft. Letztere liegt bei rund 4.700 Minuten. Im Verlauf des Algorithmus kann die Fitness kontinuierlich gesteigert werden (dies entspricht einer Reduktion der Summe der Ankunftsverspätungen). Die beste Lösung nach 50 Iterationen weist eine Fitness von rund 3.800 Minuten Ankunftsverspätung auf, was einer Reduktion um 19 % im Vergleich zur Original-Lösung entspricht. Ebenso ist deutlich zu erkennen, dass die Spannweite der Fitnesswerte im Schwarm mit jeder Iteration abnimmt, da sich die Lösungen bei der Partikelschwarmoptimierung abhängig von der jeweils besten Lösung annähern. Dadurch steigt auch die mittlere Fitness des Schwarms stark an. In [5] wird im Detail auf die Implementierung und Auswertung des Algorithmus eingegangen. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit implementiert, nicht nur die Flugzeugumläufe, sondern auch die Abflug- und Ankunftszeiten der Flüge eines Schedules zu verändern, um Verspätungen abzubauen. Hierzu werden zunächst alle Flughäfen im Schedule identifiziert, die laut IATA slot-kritisch sind. Derart charakterisierte Flughäfen werden dauerhaft an ihren Kapazitätsgrenzen Bild 3: Verlauf der binären Partikelschwarmoptimierung Bild 2: Test der Simulationsqualität durch Vergleich mit historischer On-Time- Performance Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 85 Wissenschaft TECHNOLOGIE betrieben und verfügen über keine Reserven, um etwaige Verspätungen durch Umplanungen zu reduzieren. An diesen Flughäfen dürfen daher weder Abflüge noch Ankünfte verschoben werden. An allen anderen Flughäfen (und dem Hub) wird die Annahme getroffen, dass Veränderungen der Abflug- oder Ankunftszeit um ± fünf Minuten möglich sind. Um Blockzeiten konstant und somit Zeitänderungen kostenneutral zu gestalten, werden in jedem Fall sowohl die Abflugals auch die Ankunftszeit kongruent zueinander verschoben. Gemäß dieser Erweiterung ist das Ziel der Partikelschwarmoptimierung nun, Kombinationen aus Routing- und Timing-Entscheidungen zu finden, die eine besonders hohe Fitness aufweisen. Bild 4 stellt das Verbesserungspotenzial dieses kombinierten Ansatzes im Vergleich zu dem in Bild 3 dargestellten Ansatz dar, bei dem sich nur auf Routing-Entscheidungen konzentriert wird. Dabei zeigt sich, dass der kombinierte Ansatz letztlich eine Gesamtverbesserung von rund 24 % erzielt (gegenüber 19 % beim nichtkombinierten Ansatz). Eine sichtbare Überlegenheit entwickelt der kombinierte Ansatz nach etwa 15 Iterationen. Vor dieser Iteration sind keine deutlichen Unterschiede erkennbar. Die Rechenzeit des Ansatzes auf einem handelsüblichen Notebook (Prozessor: i7, RAM: 32GB) liegt je Tag (ca. 90 Flüge und 15 Rotationen im Mittel) bei ca. 20 Minuten. Zusammenfassung und Diskussion Insgesamt konnte gezeigt werden, dass sich Schedules mit den entwickelten Modellen für Boden- und Blockzeiten zuverlässig simulieren lassen und deren Robustheit in vertretbarem zeitlichem Aufwand mit den angewandten Heuristiken signifikant um bis zu 24 % erhöht werden kann. Die Algorithmen sind für den täglichen Einsatz im Airline-Betrieb ausgelegt, um auch Sekundärverspätungen zu vermeiden. Es können aber weitere, hier nicht beachtete Nebenbedingungen auftreten, die die Effektivität des Algorithmus im täglichen Einsatz mindern können. Zum Beispiel können Vorschriften bezüglich der Crew oder der Flugzeugwartung gewisse Umläufe unmöglich machen. Damit wäre eine so hohe Verspätungsreduzierung, wie in der Studie simuliert, in der Praxis nicht unbedingt reproduzierbar. Dennoch ist die theoretische Anzahl der möglichen Umläufe so groß, dass ein durchführbarer Umlaufplan, der annähernd dem simulierten entspricht, durchaus gefunden werden kann. Man kann von einer signifikanten Verbesserung der Sekundärverspätungen von Fluggesellschaften ausgehen. ■ Das diesem Bericht zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter dem Förderkennzeichen 20V1511B gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren. LITERATUR [1] Süddeutsche Zeitung (2018): Flugausfälle und Verspätungen nehmen drastisch zu, 28. Juni 2018 [2] https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ LF/ gemeinsame-erklaerung.html, Abruf am 21.01.2019 [3] Radde, M.; Lütjens, K.; Gollnick, V. (2017): Analyzing Airline Scheduling Processes based on real Data. Air Transport Research Society Conference 2017, Antwerpen, Belgien [4] Poli, R.; Kennedy, J.; Blackwell, T. (2007): Particle swarm optimization - an overview. Swarm Intelligence, 1(1), 33-57. ISSN: 19353812 [5] Radde, M.; Lang, E.; Lütjens, K. (2018): Binary Particle Swarm Optimization for Solving the Aircraft Routing Problem. 22nd ATRS World Conference, Seoul, Südkorea Marius Radde, M.Sc. DLR Lufttransportsysteme, Hamburg marius.radde@dlr.de Eva Lang Senior Data Scientist, ZeroG eva@zerog.aero Katrin Kölker, Dipl.-Math. DLR Lufttransportsysteme, Hamburg katrin.koelker@dlr.de Klaus Lütjens, Dipl.-Vw. DLR Lufttransportsysteme, Hamburg klaus.luetjens@dlr.de Judith Semar Product Manager NetLine, Lufthansa Systems judith.semar@lhsystems.com Volker Gollnick, Univ. Prof. Dr.-Ing. DLR Lufttransportsysteme, Hamburg volker.gollnick@dlr.de Bild 4: Verlauf der binären Partikelschwarmoptimierung mit kombinierten Routing- und Timing-Entscheidungen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 86 TECHNOLOGIE Wissenschaft Smartphone-Applikation als-Mobilitätsbegleiter Möglichkeiten und Grenzen von Smartphone- Applikationen zur Unterstützung von Nicht-Routine-Wegen Digitalisierung, Applikation, Anforderungen, Bedürfnisse, Mobilitätseinschränkung, Usability Menschen mit physischen oder kognitiven Einschränkungen sind in ihrer Alltagsmobilität aufgrund unterschiedlicher Unterstützungsmaßnahmen in der Regel gut organisiert. Abseits alltäglicher und routinierter Wege treten jedoch häufig Schwierigkeiten auf, die die Mobilität erschweren oder unmöglich machen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes lag ein wesentlicher Fokus darauf, Anforderungen und Bedürfnisse sowie die Akzeptanz unter der Verwendung einer Smartphone-Applikation tiefgründig zu analysieren. Auf deren Grundlage konnte eine Umsetzungsempfehlung des Kommunikationstools erarbeitet werden. Marcel Kalisch, Bernhard Rüger, Helmut Lemmerer D er demografische Wandel steht als Begriff gegenwärtig stark im Diskurs, nicht nur hinsichtlich einer immer älter werdenden Gesellschaft, sondern auch in Hinblick einer Veränderung der Gesellschaftsstruktur und damit verbundenen Herausforderungen unterschiedlicher Politikfelder. Dieser demografische Wandel ist für eine moderne Gesellschaft nichts Ungewöhnliches, eher das Ergebnis gesellschaftlicher Umbrüche im räumlichen Kontext. Im Wesentlichen zu erkennen ist in der Gesellschaft eine zunehmende Anzahl von Menschen mit physischen und kognitiven Einschränkungen. Eine Zunahme, die sich vor allem an der Zahl der Menschen identifizieren lässt, welche in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in ihrem Alltag auf Hilfe angewiesen sind - oder angewiesen sein werden. Abgesehen von der bereits vorhandenen Personengruppe mit physischen und kognitiven Einschränkungen - wie Menschen mit Hör- oder Seheinschränkungen, Menschen mit Geheinschränkungen, Menschen mit mangelnder Sprachund/ oder Lesekenntnis oder auch Familien mit kleinen Kindern - wird eine immer größer werdende Personengruppe von älteren Menschen Unterstützungen abseits alltäglicher und routinierter Wege benötigen. Eine Unterstützung, welches physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen ein selbstbestimmtes Leben gewährleistet und ihnen eine bessere Lebensqualität sichert. Abgesehen von den unterstützenden Notwendigkeiten, sind zusätzlich sowohl ein barrierefreier Zugang und Nutzbarkeit von Infrastrukturen als auch der zur Verfügung stehenden Transportmittel von hoher Bedeutung. Allerdings können durch flächendeckende bauliche und informative Verbesserungsmaßnahmen nicht alle Probleme gelöst werden und ist eher von einem langfristigen Prozess geprägt. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, Lösungen zu finden, die der zunehmenden Anzahl von Menschen mit physischen und kognitiven Einschränkungen die Mobilität abseits alltäglicher und routinierter Wege kurzfristig erleichtern und eine Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben ermöglichen. Smarte Idee für mehr Lebensqualität Unter Berücksichtigung der geschilderten Zusammenhänge war das zentrale Ziel des Forschungsprojektes, einen Applikations-Prototypen für Smartphones zu entwickeln, welches das intermodale Mobilitätsverhalten von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen unterstützt - vor allem hinsichtlich jener Bereiche, in denen abseits der alltäglichen und routinierten Wege kurz- oder mittelfristig keine baulichen oder informativen Lösungen zu erwarten sind. Prinzipiell betrifft die Unterstützung von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen auf allen Wegen, deren Durchführung von der Bereitstellung von relevanten Informationen über den Zugang zu Infrastruktureinrichtungen sowie deren Nutzung bis hin zu physischen Unterstützungen erleichtert oder erst ermöglicht. Unter physischen Unterstützungen ist zum Beispiel die Begleitung von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen wie etwa bei Orientierungsschwierigkeiten oder die Unterstützung beim Gepäcktransport, wie der Transport von Einkäufen zu verstehen. Für eine prototypische Umsetzung der Smartphone-Applikation war es in Folge des Forschungsprojektes nicht nur wesentlich, die technischen, Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 87 Wissenschaft TECHNOLOGIE fortbewegungsartbezogenen und individuellen Aspekte der Mobilitätsbedürfnisse hinsichtlich auf Akzeptanz und Funktionsfähigkeit zu berücksichtigen. Darüber hinaus lag auch ein Interesse auf einer tiefgründigen Analyse von Interaktionen zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern sowie deren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Demnach konnte davon ausgegangen werden, dass das Wissen um die generell strukturellen Bedürfnisse und Anforderungen der verschiedenen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer helfen kann, eine gesonderte und somit effizientere Hilfestellung abseits der alltäglichen und routinierten Wege für physisch und kognitiv eingeschränkte Menschen zu leisten. Die Kenntnis über die Intensität zur Nutzung der prototypischen Smartphone-Applikation nahm ebenso einen hohen Stellenwert innerhalb des Forschungsprojektes ein. Entscheidend waren, abgesehen vom Interesse sowie der formulierten Zielsetzung, die direkten und indirekten Einflussfaktoren und die Auswirkungen der prototypischen Smartphone-Applikation auf die Qualität der Alltagsmobilität von Nicht-Routine-Wege. Ausfallsicherheit durch universelle Bedürfnisse Die zuvor dargestellte Konzeptidee mit ihren sich zum Teil kreuzenden Faktoren stehen in einem prekären Verhältnis zueinander. So finden sich vor allem zur Sicherung der Lebensqualität von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen Abhängigkeiten, welche zu berücksichtigen sind, wenn eine Smartphone-Applikation zur Unterstützung abseits alltäglicher und nicht routinierter Wege entwickelt werden soll. Damit die unterschiedlichen Lebensqualitäten von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen in Gänze berücksichtigt werden können, welche sich auf das unterschiedliche Mobilitätsverhalten abseits alltäglicher und nicht routinierter Wege stützen, wurden in einem ersten Schritt die Bedürfnisse von verschiedenen physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen erhoben und bestehende Best-Practice-Beispiele analysiert. Dadurch war es möglich, alle erdenklichen Schwierigkeiten von Mobilitätsbedürfnissen zu untersuchen und mit den unterschiedlichen Abläufen bei alltäglichen und nicht alltäglichen Wegeketten zu überlagern (siehe Bild 1). Durch diese Herangehensweise konnten vorhandene Lücken sichtbar gemacht und in weiterer Folge definiert werden. In einem weiteren Schritt wurden internationale und nationale angebotene Dienstleistungen miteinander verglichen, die die definierten Lücken weitgehend schließen können - erhoben, bewertet und auf deren Umsetzung im nationalen Anwendungsbereich hin geprüft. Aus diesen Erkenntnissen konnte ein neuartiges Servicepaket entwickelt werden, das Verkehrsteilnehmerinnen Zu Hause Zu Hause Im Verkehrsmittel Apotheke Lebensmittelgeschäft • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Parkplätze • Verkehrsbehinderung • Zugang Barrierefrei? • Öffnungszeiten • Einnahmehinweis der Psychopharmaka verständlich? • Barrierefreier Ein-/ Ausstieg möglich? • Informationen zugänglich? • Informationen zum Ticketkauf? • Zugang Barrierefrei? • Öffnungszeiten • Information über Zustellservice und/ oder Lieferservice? • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Gepäckhilfe? • Nachträgliche Produkthilfe? Geschlossene Wegekette mit unterschiedlichen Aktivitäten Zu Hause Zu Hause Im Verkehrsmittel Lebensmittelgeschäft Lebensmittelgeschäft • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Parkplätze • Verkehrsbehinderung • Barrierefreier Ein-/ Ausstieg möglich? • Informationen zugänglich? • Informationen zum Ticketkauf? • Zugang Barrierefrei? • Öffnungszeiten • Information über Zustellservice und/ oder Lieferservice? • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Gepäckhilfe? • Nachträgliche Produkthilfe? Geschlossene Wegekette mit gleichen Aktivitäten • Zugang Barrierefrei? • Öffnungszeiten • Information über Zustellservice und/ oder Lieferservice? Zu Hause Medizinische Behandlungen • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Parkplätze • Verkehrsbehinderung • Barrierefreier Ein-/ Ausstieg möglich? • Informationen zugänglich? • Informationen zum Ticketkauf? • Barrierefreier Zugang • Öffnungszeiten • Lift vorhanden? • Formulare verständlich? Offene Wegekette der Weg wird unmittelbar nicht beendet Wegekette Im Verkehrsmittel Zu Hause • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Parkplätze • Verkehrsbehinderung • Barrierefreier Ein-/ Ausstieg möglich? • Informationen zugänglich? • Informationen zum Ticketkauf? Im Verkehrsmittel Geschlossene Wegekette mit wenigen Aktivitäten Zu Hause • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Gepäckhilfe? • Nachträgliche Produkthilfe? Vorbereitungsphase Nachbereitungsphase Wegephase Bild 1: Beispielhafte Darstellung der Wegekettenanalyse Alle Darstellungen: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 88 TECHNOLOGIE Wissenschaft und Verkehrsteilnehmer mit physischen und kognitiven Einschränkungen helfen kann, Mobilitätsbarrieren abseits alltäglicher und nicht routinierter Wege zu überwinden. Das Servicepaket in Form einer Smartphone- Applikation basiert dabei auf einer internetgestützten Vermittlung von Menschen, die Dienstleistungen und Hilfestellungen benötigen und Menschen, die Dienstleistungen und Hilfestellungen anbieten können. Demnach kann das Servicepaket als eine Schnittstelle verstanden werden, welches nicht nur beide Gruppen vernetzt, sondern mit dessen Hilfe durch ein zentrales Portal differenziert werden kann, wer in welcher Form eine Dienstleistung oder Hilfestellung benötigt und wer in welcher Form Dienstleistungen sowie Hilfeleistungen anbieten kann. Eine für die Studie implementierte Informations- und Servicezentrale diente dabei zur Erfüllung von teilnehmerbezogenen Funktionen (wie z. B. das Verwalten von Helferinnen und Helfern sowie Nutzerinnen und Nutzern, Führen von Teilnehmerdaten, Kommunikationssteuerung in Form einer Kontrolle der Zugangs- und Abgangsprozedur) sowie dienstbezogenen Funktionen (wie z. B. das Abwickeln der Dienste, Einbringen oder Ändern von Diensten und Informationen, Verwalten von Diensten) des neu entwickelten Servicepakets. Der Zugang dazu kann über eine Smartphone-Applikation, oder im Hinblick auf die Bedürfnisse vieler älterer Menschen mittels Telefonanruf, erfolgen. Durch die Herangehensweise war es möglich, die Entwicklung und Programmierung der prototypischen Smartphone-Applikation mit umfangreichen qualitativen und quantitativen empirischen Erhebungsmethoden auf Fehler oder Probleme der Bedienbarkeit sowie der technischen organisatorischen Funktionalitäten zu analysieren. Eine empirische Analyse, in der die sozialen Beziehungen und Interaktionen von hilfesuchenden sowie von hilfeanbietenden Menschen in Form von Beobachtungen, Aufnahmen und Sicherung von interaktiven Statistiken innerhalb eines festgelegten Untersuchungsfeldes untersucht wurde. Des Weiteren wurden zahlreiche Interviews und Befragungen mit Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern im Rahmen von Fokusgruppen durchgeführt, um weitere Ideen oder Anforderungen sichtbar zu machen. Die teilnehmenden Beobachtungen von Interaktionen innerhalb des prototypisch umgesetzten Gesamtsystems zwischen hilfesuchenden sowie hilfeanbietenden Menschen, wie sie unbeeinflusst von der Informations- und Servicezentrale durchgeführt wurden, liefert zudem einen Kernbestand der empirischen Erhebungsdaten. Die Relevanz dieses Wissens liegt in der Ableitung der durchgeführten erhobenen, strukturierten und abgebildeten Anforderungen der hilfesuchenden sowie hilfeanbietenden Menschen - die Art und Weise, der inhaltliche Aufbau der prototypischen Smartphone-Applikation und der Ort von hilfesuchenden und hilfeanbietenden Menschen galt es auf negative oder positive Einflüsse und deren Effekt zu evaluieren. Anforderungsanalyse als wesentliche Grundlage Anhand der Anforderungsanalyse wurde ersichtlich, dass die Smartphone-Applikation für alle physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen keinen Ersatz für eine persönliche Assistenz bei der Bewältigung von Mobilitätsbedürfnissen darstellt. Zudem wurde explizit seitens der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern darauf hingewiesen, dass sowohl die Webseite als auch die Smartphone-Applikation barrierefrei gestaltet sein sollte - dabei ist auf ausreichende Farbkontraste, vorhandene Skalierbarkeit der Darstellungen, das Hinzufügen von Textalternativen, vorhandene Navigationsunterstützungen sowie auf einen einfachen Satzbau zu achten. Damit weitgehend alle Nutzerinnen und Nutzer mit physischen und kognitiven Einschränkungen erreicht werden können, ist die Verfügbarkeit einer Smartphone-Applikation für verschiedene Betriebssysteme sicherzustellen - führend dabei sind Android von Google, iOS von Apple, aber auch die Betriebssysteme von Windows Phone sowie Blackberry OS sind nicht zu vernachlässigen. Prinzipiell sollte ein Zugang zum System nur registrierten Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht werden, wobei der Registrierungsvorgang entweder online oder über die Informations- und Servicezentrale erfolgen soll sowie deren Identität zu verifizieren ist. Dabei sind grundsätzliche Basisdaten zur Person anzugeben - wie Name, Alter, Geschlecht, ein aktuelles Profil-Foto zur Erkennung, die Wohnadresse, Telefonnummer und E-Mailadresse. Durch eine detaillierte Liste sollte es möglich sein, eine Angabe tätigen zu können, welche physische oder kognitive Einschränkung(en) die hilfesuchenden Menschen haben oder welche Hilfeleistungen die hilfeanbietenden Menschen gewährleisten können. Darunter sollte zusätzlich auch eine Funktion berücksichtigt werden, die Ausschlussgründe vorsieht. Ausschlussgründe könnten zum Beispiel sein, dass nur hilfeanbietende Frauen gewünscht werden oder aber bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse für Hilfeleistungen Voraussetzung sind. Sollte eine Hilfeleistung als Buchungsvorgang in Auftrag gegeben werden, so sollte die Wartezeit nur maximal 10 bis 15 Minuten in Anspruch nehmen - was somit die Smartphone-Applikation zu einem kurzfristigen und spontanen System auslegt. Des Weiteren müssen beim Buchungsvorgang die grundsätzlichen Basisdaten der Hilfesuchenden sowie der Hilfeanbietenden, die physische und kognitive Einschränkungsart und die benötigte Hilfeleistung angezeigt werden. Entscheidend für ein Zustandekommen einer Hilfeleistung ist auch die Dauer und Art der Hilfeleistung sowie die Bekanntgabe eines Treffpunktes. Im Falle, dass in einem unmittelbaren Umfeld sich keine hilfeanbietenden Menschen befinden, soll es auch möglich sein, sich über die Informations- und Servicezentrale einen hilfeanbietenden Menschen vorschlagen zu lassen - den hilfesuchenden Menschen sollte es allerdings möglich sein, diesen nach eigenem Ermessen abzulehnen. Wie im Rahmen der Anforderungsanalyse festzustellen war, nimmt die Informations- und Servicezentrale im Gesamtsystem eine zentrale Rolle ein (siehe Bild 2). So soll es nicht nur möglich sein, Hilfesuchende und Hilfeanbietende zu vermitteln, sondern auch beim Registrierungsvorgang zu unterstützen oder Hilfeanbietende zu verifizieren und dadurch die Qualität und Sicherheit des Gesamtsystems zu erhöhen. Unverzichtbar ist die Informations- und Servicezentrale gerade auch für ältere Personen, welche eventuell kein Smartphone besitzen. Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 89 Wissenschaft TECHNOLOGIE Evaluierung für einen Zusammenhang zwischen Ziel und Zweck Eine Evaluierung der Gesamtkonzeptionierung stellt die tatsächlich erzielte Wirkung der prototypischen Smartphone-Applikation des Forschungsprojektes dar - und mit ihr in der Regel auch die möglichen Grenzen für eine Implementierung. Demnach wurde das prototypisch umgesetzte Gesamtsystem hinsichtlich der technischen als auch der organisatorischen Funktionalitäten sowie der Nutzerinnen- und Nutzerakzeptanz bewertet. Anhand der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern konnte sichtbar gemacht werden, dass die Motivation zur Nutzung der Smartphone-Applikation sinkt, wenn bei Bedarf keine Hilfeleistung erfolgt oder bestätigte Anfragen kurzfristig in Summe storniert werden. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es für einen lückenlosen Betrieb sowie eine akzeptable Wartezeit einer ausreichend hohen Anzahl an möglichen hilfeanbietenden Menschen bedarf und dadurch zusätzlich die Unsicherheiten gegenüber einer Nutzung der Smartphone-Applikation verringert werden. Abgesehen von der Unsicherheit war es den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern ebenso wichtig, dass zwischen den Hilfesuchenden und den Hilfeanbietenden im Vorfeld Vertrauen aufgebaut und gesteigert wird. Eine frühzeitige Vermittlung der Sicherheit ist vor allem für physisch und kognitiv eingeschränkte Menschen wichtig, welche zum Beispiel im Rahmen einer Einschulung nahgebracht werden kann. Eine Einschulung ist allerdings nicht nur für einen Aufbau von Vertrauen und Sicherheit notwendig, es bedarf auch einer Einschulung für Menschen mit geringer Smartphone-Affinität. Im Rahmen der Evaluierung hat sich gezeigt, dass vor allem zukünftige Betreiberinnen und Betreiber vor der Aufgabe stehen werden in Form von Workshops die Funktionalitäten, die Bedienung und allfällige Fragen zu erklären. Sicherheit und Vertrauen können zusätzlich durch einen Helferinnen- und Helferausweis erhöht werden, welcher entweder in Papierform oder in der Smartphone-Applikation integriert wird und bestehende Qualifikationen oder Fähigkeiten festgehalten werden. Die Smartphone-Applikation sollte als weitere Eigenschaft eine integrierte Chat-Funktion beinhalten, die es den Hilfesuchenden und Hilfeanbietenden ermöglicht, detailliertere Angaben zur benötigten Hilfeleistung, zum Standort oder zu Wartezeiten zu kommunizieren. Wobei sich die Wartezeit nicht vermeiden lassen wird - in den Usability-Testphasen hat sich gezeigt, dass die Hilfeanbietenden mindestens eine Vorlaufzeit von 10 bis 30 Minuten benötigen, um einer Hilfeanforderung nachzukommen, je nach den regionalspezifischen infrastrukturellen Gegebenheiten. Tendenziell werden allerdings eher 30 Minuten Vorlaufzeit benötigt. Die hilfesuchenden Menschen wünschten sich dagegen zwar mehr Spontanität und mehr Möglichkeiten einer kurzfristigen Hilfeleistung, dies wird sich allerdings nur umsetzen lassen, wenn es eine große Anzahl an hilfeanbietenden Menschen gibt und in der Smartphone-Applikation das Suchumfeld entsprechend geringgehalten wird. Damit Missverständnisse vermieden werden können, ist es eine kurzfristige Lösung, die verbleibende Wartezeit bis zur Hilfeleistung in Minuten durch einen Counter in der Smartphone-Applikation anzuzeigen oder durch eine Kalenderfunktion planbar zu gestalten, wodurch es ermöglich wird, benötigte Hilfeleistungen bereits im Vorhinein zu organisieren. Weiterhin muss angemerkt werden, dass sich die Smartphone-Applikation nicht für Notsituationen eignet und hier eher auf bewährte Alternativen zurückgegriffen werden sollte. In Sachen Anonymität war es im Rahmen Informations- und Servicezentrale Schnittstelle Webverbindung Applikationen Sprechverbindung Zugangsarten Digitale Informationssäule Smartphones SmartCard Computer Telefon Servicetelefon Anreizsysteme Geld Zeit (Arbeitszeit) Image Dienstleistungsaustausch Teil eines Ausbildungsprogrammes Freiwilligkeit Hilfeanbietende Menschen Fahrtendienste Öffentliche Einrichtungen Arbeitssuchende Menschen Organisationen/ Institutionen Zivildienst/ Bundesheer Freiwillige Informationen über Dienstleistungen Rechtliche Rahmenbedingungen Haftpflichtversicherung Datenschutz Sicherheitsvorschriften Informationen über Serciveleistungen Bild 2: Schematisierung der Informations- und Servicezentrale Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 90 TECHNOLOGIE Wissenschaft der Evaluierung gewünscht, in der Smartphone-Applikation nur die notwendigsten Daten darstellen zu lassen. Vorstellbar ist, auf eine Darstellung des vollständigen Namens in der Smartphone-Applikation zu verzichten und nur den Vornamen oder den Profilnamen anzeigen zu lassen. Im Umgang mit physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen sind gewisse Kenntnisse notwendig, wie technische Kenntnisse zum Umgang mit einem Elektro-Rollstuhl oder mit bestimmten Einschränkungsarten. Es hat sich als notwendig herausgestellt, die Hilfeanbietenden durch Kurse oder Schulungen auszubilden und entsprechend auf künftige Hilfeleistungen vorzubereiten (siehe Bild 3). Aussicht auf Implementierung Es gilt in jedem Fall zu berücksichtigen, dass potentielle hilfeanbietende Menschen nicht als Vertreterinnen und Vertreter im Namen von Institutionen tätig sind - in diesem Fall also als Privatperson agieren. Eine Implementierung des Gesamtsystems für Betreibende des öffentlichen Verkehrs bedarf eines ganzheitlichen Geschäftsmodells und der Beachtung sämtlicher technischer und vor allem rechtlicher Bestimmungen der jeweiligen Institution. Aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen und Bestimmungen in unterschiedlichen ÖV-Betreibenden Institutionen wird von einer solchen Implementierung abgesehen und ein eigenständiger Betrieb durch eine externe Organisation empfohlen. Für eine reale Implementierung des Gesamtsystems bedarf es außerdem weiterer Förderungen aus öffentlichen Förderprogrammen, speziell um die Entwicklungskosten abdecken zu können. ■ Zusammenarbeit von acht institutionellen Expertisen Im Rahmen der Forschungstätigkeiten haben folgende Institutionen maßgeblich an den Planungen und Durchführungen der empirischen Datenerhebung beigetragen: netwiss OG; Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbereich Eisenbahnwesen, Verkehrswissenschaften und Seilbahnen; Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik; Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Transport und Logistik; Wiener Hilfswerk; equality; IT-eXperience Informationstechnologie GmbH; Vereinigung sehbehinderter Menschen Gefördert durch das Programm „Mobilität der Zukunft“ Das Forschungsprojekt konnte durch eine Förderung im Förderprogramm „Mobilität der Zukunft“ vom Bundesministerium für Verkehr, Technologie und Innovation sowie der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) durchgeführt werden. Bernhard Rüger, Dipl.-Ing., Dr. techn. Geschäftsführer der netwiss OG & Projektassistent an der Technischen Universität Wien; Institut für Verkehrswissenschaften; Forschungsbereich für Eisenbahnwesen, Verkehrswirtschaft und Seilbahnen bernhard.rueger@netwiss.at Helmut Lemmerer, M.Sc. Projektassistent an der Technischen Universität Wien; Institut für Verkehrswissenschaften; Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik helmut.lemmerer@tuwien.ac.at Marcel Kalisch, Dipl.-Ing., B.Sc. Projektassistent an der Technischen Universität Wien; Institut für Verkehrswissenschaften; Forschungsbereich für Eisenbahnwesen, Verkehrswirtschaft und Seilbahnen marcel.kalisch@tuwien.ac.at Ticket mit Hilfeanfrage erstellen Hilfeanfrage über die Smartphone-Applikation Hilfeanfrage über die Informations- und Servicezentrale Hilfeanfrage über Webfrontend Funktionalitäten Kontrolle und Aufnahme durch die bestehenden Funktionalitäten Unvollständig? ja nein Verteilung an aktive hilfeanbietende Menschen Annahme der Hilfeleistung? nein Mitteilung über nicht erfolgreiche Vermittlung Mitteilung über erfolgreiche Vermittlung Kontaktaufnahme und bilaterale Abstimmung Hilfestellung beim Ticketkauf Hilfestellung bei der Orientierung in der Umgebung Begleitung und Unterstützung bei Arztbesuch oder Behördenbesuch Art der Hilfeleistung ... Bestätigung der getätigten Hilfeleistung Ticket mit Hilfeanfrage schließen Erfolgreich? Bewertung der hilfeanbietenden und hilfesuchenden Menschen ja ja Feedback an die Informations- und Servicezentrale nein Gesamtsystem Bild 3: Designprozess der Smartphone-Applikation Veranstaltungen FORUM Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 91 Luftverkehr der Zukunft Vorschau: UBA Forum 2019, Berlin (DE), 6. bis 7. November 2019 I n den vergangenen 30 Jahren ist der Luftverkehr enorm gewachsen: 2017 wurden mit über vier Milliarden Passagieren weltweit doppelt so viele Menschen befördert wie zu Beginn der neunziger Jahre. Dieses Wachstum wird sich - so die aktuellen Prognosen von Wissenschaft, Flugzeug- Herstellern, Luftfahrtorganisationen und -verbänden - auch in den nächsten Jahren fortsetzen. Effizienzgewinne beim Kerosinverbrauch der Flugzeuge, aber auch Erfolge der aktiven Lärmminderung werden durch das hohe Wachstum bislang immer wieder kompensiert. Ein „Weiter wie bisher“ ist im Luftverkehr nicht mehr möglich: Die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erfordern, die durch den Menschen bedingten Treibhausgasemissionen bis Mitte dieses Jahrhunderts auf nahezu Null zu reduzieren. Dies schließt die Emissionen des Luftverkehrs ein. Neue Zielwerte der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass die Lärmbelastungen an Flughäfen weiter reduziert werden müssen. Die Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger, wird die Veranstaltung am 6. November 2019 eröffnen. An diesem Tag stellt das Umweltbundesamt seine Vision und Vorschläge für einen umwelt- und klimaschonenden Luftverkehr vor. Am 7. November 2019 richtet Svenja Schulze, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, den Blick auf Umsetzungs- und Handlungsoptionen vor dem Hintergrund umwelt- und klimapolitischer Ziele und Herausforderungen. An beiden Tagen steht zudem der Austausch mit Besuchern im Mittelpunkt. Das Programm umfasst anregende Vorträge, Diskussionen und spannende Workshops. Abwechslungsreiche Formate laden ein, sich intensiv zu den Themen des nachhaltigen Luftverkehrs auszutauschen. Vertreter*innen der Luftverkehrsbranche, der Politik, der Verwaltung sowie der Wissenschaft werden dabei ihre Ideen und Lösungsvorschläge vorstellen. Weitere Informationen zum Programm und den Teilnahmemöglichkeiten unter: www.umweltbundesamt.de/ uba-forum-mobil-nachhaltig Foto: UBA Digital Twin für die Industrie 4.0 Vorschau: 20. VDI-Kongress AUTOMATION 2019 - Autonomous Systems and 5G in Connected Industries, Baden-Baden (DE), 2. bis 3. Juli 2019 D ie Fabrik der Zukunft ist ohne den „Digitalen Zwilling“ kaum vorstellbar. Digitale Zwillinge simulieren das Verhalten realer, automatisierter Prozesse digital. Das hilft bei Zustandsüberwachung, Wartung und Prozessoptimierung. Warum die Technologie Innovationen wie IoT, KI und Machine Learning antreibt und welche neuen Geschäftsmodelle damit entstehen können, diskutieren Experten auf dem 20. VDI-Kongress AUTOMATION 2019 - Autonomous Systems and 5G in Connected Industries, vom 2. bis 3. Juli in Baden-Baden. Die neuen Innovationen rund um die automatisierte Produktionsstätte schaffen gleichzeitig zahlreiche Möglichkeiten für neue, digitale Geschäftsmodelle. Datenbasierte Dienstleistungen und Produktentwicklungen, beispielsweise Smart Maintenance-Systeme, können in den Mittelpunkt rücken. Sensoren und Softwaresysteme messen permanent den Zustand der Maschinen - daraus lassen sich wichtige Informationen wie Ressourcenverbrauch, Optimierungspotenziale oder Verschleiß ablesen. Komponentenlieferanten können auf diesen Informationen aufbauend die Ersatzteilbewirtschaftung übernehmen und so Ausfälle verringern und die Effizienz von Maschinen und Anlagen steigern. Ein eigener Vortragszug unter dem Titel „Digitale Geschäftsmodelle“, zusammengestellt von Prof. Frank T. Piller von der RWTH Aachen, vertieft dieses Thema, legt Möglichkeiten und Herausforderungen dar und zeigt erfolgreiche Beispiele aus der Praxis. Parallel zur AUTOMATION 2019 findet die VDI-Konferenz „5G in der AUTOMATI- ON“ statt. Der Besuch ist in der Teilnahmegebühr des Kongresses AUTOMATION inbegriffen. www.vdi-wissensforum.de/ automatisierungskongress Foto: Timothy Muza / Unsplash FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 92 New Mobility World 2019 Vorschau: Plattform für die Zukunft der Mobilität, Frankfurt am Main (DE), 10. bis 15. September S eit 2015 ist die New Mobility World die Plattform, auf der sich Vordenker, Unternehmer und Entscheider branchenübergreifend über die Zukunft der Mobilität austauschen. Vertreter aus der Telekommunikations-, Energie- und Automobilbranche ebenso wie aus dem ÖPNV, von Kommunen, Start-ups, Beratungsunternehmen und aus der Wissenschaft kommen hier zusammen, diskutieren und stellen Lösungen für die Mobilität von morgen vor. Als Veranstaltung im Rahmen der weltweit führenden Leitmesse für Mobilität, der IAA, ermöglicht die New Mobility World eine einzigartige Aufmerksamkeit von Automobilindustrie, Medien und Politik. Im Ausstellungsbereich NMW EXPO präsentieren führende neue Marktteilnehmer ihre Konzepte für die Mobilität von morgen - von globalen Tech-Firmen bis hin zu Start-ups. Die IAA Conference, das zentrale und hochkarätige Austauschformat der IAA, ist aus dem NMW FORUM weiterentwickelt und in die NMW eingebettet. Sie bietet so beste Möglichkeiten, sich zu vernetzen und von führenden Experten inspirieren zu lassen. Bei der New Mobility World 2019 stehen die Themen urbane Mobilität, Mobility as a Service, saubere und nachhaltige Energie, Konnektivität und Automation im Mittelpunkt. Wie üblich wird das Konferenzformat in der NMW Expo stattfinden. Das sichert maximale Sichtbarkeit, Austausch und Netzwerken - für Teilnehmer*innen, Aussteller und IAA Besucher*innen. Ein Bonus dieses Jahr: IAA Conference und NMW EXPO werden bereits einen Tag vor dem Rest der IAA ihre Tore öffnen. www.newmobility.world Rund um den ruhenden Verkehr Vorschau: Parken 2019 - Fachmesse für Parkraumbewirtschaftung, Wiesbaden (DE), 5. bis 6. Juni 2019 D ie einzige deutsche Fachmesse für Parkraumbewirtschaftung gibt einen umfassenden Überblick über aktuelle Trends, Themen und Produkte rund um den ruhenden Verkehr und gilt in der Branche als Pflichttermin. Ideeller Träger der Veranstaltung ist der Bundesverband Parken e.V., Organisator ist die Mesago Messe Frankfurt GmbH. Im Jahr 2019 wird die im Turnus von zwei Jahren stattfindende Fachmesse in das RheinMain CongressCenter (RMCC) nach Wiesbaden zurückkehren. Das in diesem Jahr neu eröffnete RMCC schafft einen attraktiven Rahmen als Präsentationsplattform der Branche. Das Veranstaltungsgelände liegt zentral in der Wiesbadener Innenstadt und bietet eine familiäre Atmosphäre mit hohem Networking-Potenzial. Über 100 Aussteller präsentieren auf der Parken 2019 die gesamte Bandbreite von Produkten und Lösungen rund um den ruhenden Verkehr - von klassischer Parkraumausstattung über bargeldlose Bezahlsysteme bis hin zur Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge. Neben Keyplayern der Branche sind auch zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen vor Ort, um ihre Innovationen einem kompetenten Fachpublikum aus Parkhausbetreibern, Planern, Architekten, Vertretern der öffentlichen Verwaltung sowie Dienstleistern zu präsentieren. Mit dabei aus dem Ausland sind unter anderem EasyPark GmbH aus Schweden, Quercus Technologies, S.L. aus Spanien und Giant Leap Technologies AS aus Norwegen. Unter fachlicher Leitung des Bundesverbands Parken e.V., dient die begleitende Fachtagung als optimale Parallelveranstaltung zur Fachausstellung. „Das diesjährige Programm gewährt exklusive Einblicke in die Bereiche Digitalisierung, Elektromobilität, Datensicherheit und intelligente Verkehrssysteme im Kontext der Parken-Branche“, so die Geschäftsführerin des Bundesverband Parken e.V., Elisabeth Herles. Besonders das Thema Elektromobilität stellt die Parken-Branche vor neue Herausforderungen und Chancen, denn der Mobilitätsmarkt wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren stärker verändern als in den letzten drei Jahrzehnten. www.parken.de Gültig ab April 2019 Foto: Mesago/ Tanja Isecke Foto: NMW Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 93 Erscheint im 71. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 56 vom 01.01.2019 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr plus International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 215,00 (inkl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 238,75 (inkl. VAT) Einzelheft: EUR 37,00 (inkl. MWSt.) + Versand Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print oder E-Paper mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH, München Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Cyborgs running in competition Foto: Phonlamai Photo/ Shutterstock Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Strategische Planung und Koordination" Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Sebastian Belz Dipl.-Ing., Generalsekretär EPTS Foundation; Geschäftsführer econex verkehrsconsult GmbH, Wuppertal Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Geschäftsführer, traffiQ, Frankfurt am Main (DE) Ottmar Gast Dr., Vorsitzender des Beirats der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender der Logistik- Initiative Hamburg (LIHH), Mitglied des Aufsichtsrats der Otto Group Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Detlef Zukunft Dr., Programmdirektion Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 94 Liebe Leserinnen und Leser, wer aktuelle Diskussionen um den Königsweg für die Mobilität von morgen verfolgt, kann aus der Vielzahl mehr oder weniger faktengestützter Vorschläge einige Optionen herausfiltern: Der Dieselmotor soll wohl auf absehbare Zeit alternativlos bleiben - trotz seines beschädigten Ansehens. Der Benzinmotor erscheint da gerade vergleichsweise harmlos, so lange er sich im Schatten der Anti-Diesel-Diskussion befindet. Alternativen wie dezentral erzeugtes Biogas, Wasserstoff oder die Flowcell-Technologie tun sich schwer in der Wahrnehmung - der Elektromotor in all seinen Varianten, von Batteriebis Oberleitungs- Betrieb, dominiert den Diskurs. Lassen sich aber die verschiedenen Antriebssysteme überhaupt sinnvoll miteinander vergleichen? Und welche Technologie wäre ökologisch wie ökonomisch die beste Wahl? Diesen Fragen geht Internationales Verkehrswesen 3/ 2019 am 5.-September im Themenschwerpunkt Innovative Antriebstechnologie nach. Zuvor wird jedoch schon am 4.-Juni die englische Ausgabe International Transportation Beiträge rund um Mobility Solutions - Best Practice bringen, die Projekte und Lösungen mithilfe von Automatisierung und Digitalisierung thematisieren. Und wie immer sind Sie herzlich eingeladen, Ihr Wissen mit unseren Lesern zu teilen. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 07.-08.05.2019 Fürstenfeldbruck (DE) CoFAT 2019 8. Conference on Future Automotive Technology Veranstalter: Bayern Innovativ GmbH - Bayerische Gesellschaft für Innovation und Wissenstransfer mbH Kontakt: Kathrin Schuberth, schuberth@bayern-innovativ.de Weitere Informationen: www.bayern-innovativ.de/ veranstaltung/ cofat2019 22.-23.05.2019 Rudolstadt (DE) 6. Smart City Logistik Kongress Veranstalter: Dako GmbH, Jena Kontakt: kontakt@smartcitylogistk.de www.scl-kongress.de 04.-07.06.2019 München (DE) Air Cargo Europe Messe und Konferenz der Luftfracht-Industrie Veranstalter: Messe München GmbH www.aircargoeurope.com 04.-07.06.2019 München (DE) transport logistic Internationale Fachmesse für Logistik, Mobilität, IT und Supply Chain Management Veranstalter: Messe München GmbH www.transportlogistic.de 05.-06.06.2019 Wiesbaden (DE) Parken 2019 Fachmesse mit paralleler Tagung Veranstalter: Mesago Messe Frankfurt GmbH https: / / parken.mesago.com 13.-14.06.2019 Bratislava (SK) 17th European Transport Congress (ETC) New Trends in Transport Systems Veranstalter: The European Platform of Transport Sciences - EPTS Foundation Kontakt: Eva Schmidt, schmidt@epts.eu Informationen: www.17etc.uniza.sk 17. -19.06.2019 Mannheim (DE) VDV-Jahrestagung 2019 Zukunft gestalten: Innovationen für die Verkehrswende Veranstalter: VDV - Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Kontakt: Hauptgeschäftsstelle Köln, T 0221 57979-0, info@vdv.de www.vdv.de/ vdv-jahrestagung 19.-20.06.2019 Johannesburg (ZA) Africa Rail 2019 22. Exhibition & Conference Veranstalter: Terrapinn Ltd, Bryanston 2021, South Africa Kontakt und Anmeldung: enquiry.za@terrapinn.com www.terrapinn.com/ exhibition/ africa-rail 02.-03.07.2019 Baden-Baden (DE) 20. VDI-Kongress AUTOMATION 2019 Autonomous Systems and 5G in Connected Industries mit VDI-Konferenz „5G in der AUTOMATION“ Veranstalter: VDI Wissensforum Kontakt und Anmeldung: +49 211 6214-201, wissensforum@vdi.de www.vdi-wissensforum.de 09.-10.07.2019 Berlin (DE) Concar-Expo Die Messe für automatisiertes Fahren Veranstalter: VDI Wissensforum GmbH, Düsseldorf Kontakt: Tel.: +49 211 6214-385, info@concarexpo.com www.concarexpo.com 10.-15.09.2019 Frankfurt am Main (DE) New Mobility World 2019 Plattform für die Zukunft der Mobilität Veranstalter: Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA) www.newmobility.world 01.-02.10.2019 Berlin (DE) Railway Forum 2019 Kongress mit begleitender Fachausstellung zur Bahnindustrie im Wandel Veranstalter: IPM AG, Institut für Produktionsmanagement, Hannover www.railwayforumberlin.de TERMINE + VERANSTALTUNGEN 07.05.2019 bis 02.10.2019 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten: Herr Frau Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden) Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen. Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de als PDF heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo als gedruckte Ausgabe als ePaper Jahresbezugspreis Inland EUR 215,inkl. MwSt. und Versand Jahresbezugspreis Ausland EUR 217,- (mit VAT-Nr.) / EUR 238,75 (ohne VAT-Nr.), inkl. Versand WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www.trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. 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