Internationales Verkehrswesen
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2019 | Heft 3 September Innovative Kraftstoffe - innovative Antriebsformen Die neue Triebkraft www.internationalesverkehrswesen.de Heft 3 | September 2019 71. Jahrgang POLITIK Kraftstoff-Alternativen: Wo die Politik gefordert ist INFRASTRUKTUR Planen und Bauen für die Mobilitätswende LOGISTIK Welche Zukunft hat die Neue Seidenstraße? MOBILITÄT Dekarbonisierung bei Flugzeug, Schiff und-Eisenbahn TECHNOLOGIE Elektrifizierung oder Biokraftstoff? Show Offene Diskussions- Foren in der Ausstellung mit vielen Experten • 230 Aussteller • Speakers’ Corner • Fachforen www.pmrexpo.de/ fit PMRExpo 2019 Netzwerk sichere Kommunikation 26.—28. Nov. / Koelnmesse Vorträge, interaktive Thementische und Diskussionsrunden mit über 30 Experten • KRITIS Sicherheit • Internet of Life Saving Things • Breitband-Lösungen • Cloud-Lösungen +Fokus: Leitstelle 28. Nov. Summit Sichere Kommunikation 26.—28. Nov. Die Fachtagung speziell für Themen der Energieversorger und Netzbetreiber • Blackout-Schutz • 5G-Anwendungen • 450-MHz • LoRaWAN Symposium Energiewirtschaft 27. Nov. Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 3 Hartmut Fricke EDITORIAL Kommt die digitale industrielle Revolution? O ffensichtlich beschäftigt uns in heißen Sommerzeiten mit Rekordwerten über 40 °C, seit Beginn der Wetteraufzeichnung einzigartig, wie Mobilität und Klima noch vereinbar sind. Auf der Straße wird das Ende des fossil angetriebenen Autos eingeläutet - in den USA Henry Fords Model T als Symbol der Massenmotorisierung und in Deutschland, später in den Fünfzigern, der VW Käfer als Symbol für den Wirtschaftsaufschwung. Damit scheint das Erfordernis einer nächsten industriellen Revolution gegeben. Diese steht auch an, fokussiert auf die Digitalisierung unserer Gesellschaft, und ist ein spannendes Entwicklungsfeld in sich. Aber: Sie löst in keiner Weise das physische Mobilitätsbedürfnis einer rasant wachsenden Anzahl Menschen auf unserem Globus, wenn auch Leittechnologie-Standards wie 5G und eine immer stärkere Fokussierung auf digitale Services im Verkehr - selbst bei der Fahrzeug- und Flugzeugwerbung - dies suggerieren mögen. Wo aber sind die Anreize für den realen Wandel? Fakt ist, dass seit 2003 die Kraftstoffpreise in Deutschland real quasi nicht mehr gestiegen sind. Die stetig wachsenden Entfernungen, die jeder von uns täglich - wohl nicht immer mit hinreichendem Umweltbewusstsein, aber oft auch aufgrund eines Mangels an Alternativen - mit dem Auto zurücklegt, überkompensieren alle wirklich beeindruckenden Technologiefortschritte, die bei aller Dieselgate-Diskussion insbesondere die deutsche Automobilindustrie im letzten Jahrzehnt unstreitig erzielt hat. Gleiches gilt für den Luftverkehr, der motorenseitig und aerodynamisch erhebliche Fortschritte erzielt hat, aber eben international auch weiter stark wächst. Im Bereich der Antriebsenergie ist nach dem anfänglichen - politisch gut orchestrierten - Hype um die Elektromobilität die Erkenntnis einer weit größeren Herausforderung erkennbar, als es das Entwickeln eines Elektromobils für eine Trendwende im Verkehrssektor zu Land und in der Luft wäre: der damit verbundene umfassende Umbau der Stromindustrie in Deutschland. Und zwar jenseits der seinerzeitigen Impulse der Energiewende, die dem Atomausstieg galten. So stehen wir vor der Herausforderung, weitsichtig kurzfristige, vorrangig nationale Maßnahmenoptionen (CO 2 -Bepreisung, nationales Klimaschutzgesetz) mit langfristigen Maßnahmen wie der Strom- und weiterführend Power to Liquid (PTL)-Erzeugung ausschließlich auf Basis erneuerbarer Energien und einem weltweiten Klimaschutz-Handelssystem zu kombinieren. Seitens der Fracht-Logistik und des Fahrzeugbesitzes muss es uns gesellschaftlich gelingen, unterschiedliche Wege für den urbanen und den ländlichen Raum zu akzeptieren - mobile Sharing-Modelle und dezentrale Depots für Pakete zur Vermeidung von Staus hier, innovative Transportmodelle on demand dort -, um bezahlbaren ÖPNV zu ermöglichen. In beiden Fällen kann die digitale industrielle Revolution mit jeweils gut durchdachten Services bzw. Apps als Brücke dienen. Liebe Leser, noch nie war das Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Logistik, sozialer Spaltung, Stadtplanung und Umwelt auf globaler Ebene so groß wie dieser Tage. Nutzen wir dieses Spannungsfeld als Katalysator, den Wandel in ein deutlich nachhaltigeres Verkehrswesen zu schaffen. Es ist hohe Zeit. Ich wünsche Ihnen wie immer eine spannende Lektüre Ihr Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil. Leiter der Professur Technologie und Logistik des Luftverkehrs, Fakultät Verkehrswissenschaften der TU Dresden Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 4 POLITIK INFRASTRUKTUR 27 Modifizierung der Stellplatzsatzung als Beitrag zu nachhaltigerem Verkehr Der innovative Ansatz der Stadt Oberursel (Taunus) Volker Blees Uli Molter Ina Steinhauer 31 Infrastruktur - Design - Emotionen Einfluss des Designs auf die Verkehrsmittelwahl Dominic Hofmann 34 „Alle Linien einer Landkarte selber zeichnen“ Interview mit Ulrich Thüer, Projektleiter bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) LOGISTIK Foto: Dominic Hofmann SEITE 31 Foto: Gerd Altmann | pixabay SEITE 36 Foto: Mahkeo | Unsplash SEITE 15 36 China im Kampf gegen Fälschungen Dirk Ruppik WISSENSCHAFT 38 Mit Hochgeschwindigkeit auf der Seidenstraße Ergebnisse einer Potenzialanalyse des Transportkorridors Shanghai - Duisburg Marlin Arnz Mathias Böhm Jens Weibezahn 12 Alternativer Flugturbinentreibstoff Anreize für den Einsatz von synthetischem Kerosin nach derzeitiger Rechtslage Michael Kalis Susan Wilms 15 CO 2 -Steuer - worüber streitet die Politik überhaupt? Christian Holz-Rau Giulio Mattioli WISSENSCHAFT 18 Die Eisenbahn und das Notstandsrecht Normative Grundlagen und eine Lagebeschreibung der Krisenfestigkeit der Eisenbahn in-Deutschland Philipp Schneider 24 Verteilungsaspekte einer CO 2 -Steuer auf Kraftstoff Lara Quack Leif Jacobs Sven Stöwhase THEMEN, SCHLAGWORTE, AUTOREN, … Schlagen Sie einfach nach: Fach- und Wissenschafts-Artikel aus Internationales Verkehrswesen finden Sie-ab dem Jahr 2000 online in der Beitragsübersicht - auf der Archiv-Seite im Web. www.internationales-verkehrswesen.de/ archiv Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 5 INHALT September 2019 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 11 Kurz + Kritisch 79 Forum Veranstaltungen 81 Impressum | Gremien 82 Vorschau | Termine AUSGABE 4 | 2019 Business-Innovation - Luftverkehr - Schiffsverkehr - Mobilitätsstrategien - Infrastrukturen und ITK erscheint am 4. November 2019 61 Mobilität der Zukunft: Was Biokraftstoffe im Tank bewirken Nelli Elizarov Stefan Walter 64 LNG - Neuer Kraftstoff für LKW und Schiffe? Jörg Adolf Andreas Lischke Gunnar Knitschky 69 Zunehmende Elektrifizierung als Beitrag zu einer emissionsärmeren Luftfahrt Peter Wehle 72 Integrale Sicherheit für Elektrofahrzeuge Lars Schnieder René S. Hosse WISSENSCHAFT 75 Szenariobasierte Fahrzeugkonzeptauslegung Entwicklung einer neuen rechnergestützten Vorgehensweise zur Auslegung von Fahrzeugkonzepten Julian F. Sandiano Thomas Gänsicke Thomas Vietor Foto: www.fymodernflapper.tumblr.com/ archive SEITE 48 Quelle: Airbus, Fixion/ dreamstime.com SEITE 69 42 Alternative Antriebe im SPNV zum Dieselersatz In Deutschland werden noch 36 % der Zugkilometer mit Dieselantrieb gefahren Jonas Vuitton Markus Hecht 46 Die Dekarbonisierung des Flugverkehrs ist eine der Kardinalfragen Interview mit Jens Baumgartner, Business Development Manager Electrolysis des Dresdener Technologieunternehmens Sunfire 48 (E-)Kleinstfahrzeuge - Tech- Blase oder Verkehrsrevolution? Teil 1 - Welches Potential haben „neue“ vernetzte Mobilitätsangebote und welche Erfahrungen liegen vor? Rainer Hamann Verena Knöll Thomas Schimanski Sebastian Schulz Sabrina Bayer 54 Der Forschungskompass Ein neues Werkzeug zur Unterstützung der Mobilitäts- und Verkehrsforschung Matthias Fuchs Stefan Wolff WISSENSCHAFT 56 Treibhausgasemissionen im fahrzweckbezogenen Verkehrsmittelvergleich Thomas Hagedorn Gernot Sieg MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 6 IM FOKUS Assistenzsystem gegen Zusammenstöße im Toten Winkel von LKWs I n Deutschland dürfen seit dem 15. Juni 2019 E-Scooter ohne Führerschein genutzt werden, was gerade in der Anfangszeit erhebliche Gefahren birgt. Deshalb müssen andere Verkehrsteilnehmer noch aufmerksamer sein als sonst - dies trifft besonders auf LKW-Fahrer beim Rechtsabbiegen zu: Der Tote Winkel birgt von jeher Gefahren für „schwächere“ Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Rad- oder Scooter-Fahrer. Die Firmen Brigade Elektronik und Wüllhorst haben nun ein Abbiege-Assistenzsystem mit vier Ultraschallsensoren entwickelt: Es erfasst kritische Gefahrenbereiche und Tote Winkel und meldet Hindernisse mithilfe eines dreistufigen akustischen und optischen Warnsystems. Anders als herkömmliche passive Systeme, die voraussetzen, dass der Fahrer den Monitor aufmerksam im Blick behält und die Gefahr auf dem Bild rechtzeitig erkennt, verfügt der neue Fahrassistent außer der Seitenkamera auch über vier Sensoren in Ultrasonic-Technik. Wichtig war dabei, dass das Assistenzsystem Gefahren zuverlässig lokalisiert, nicht abschaltbar ist und leicht nachgerüstet werden kann. Die Sensoren sammeln kontinuierlich Informationen und warnen den LKW-Fahrer mithilfe eines dreistufigen akustischen und optischen Anzeigesystems. So wird das Augenmerk des Fahrers aktiv auf akute Risikosituationen gelenkt. Zusätzlich wird die Nähe der Gefahrenzone mit einer farblichen Markierung und die Distanz des Hindernisses mit einer Abstandszahl exakt dargestellt. Darüber hinaus hat Wüllhorst einen Lenkwinkelassistenten integriert, der das Abbiegesignal selbstständig aktiv schaltet. www.brigadegmbh.de www.wuellhorst-fahrzeugbau.de Foto: Wüllhorst Continental: Erster voll integrierter Achsantrieb für die-Großserie C ontinental stellt auf der IAA 2019 die dritte Generation eines elektrischen Antriebsstrangs vor: Der neue, laut Hersteller besonders leistungsstarke, leichte und kompakte Achsantrieb wird in China gefertigt und soll noch in diesem Jahr in unterschiedlichen Elektromodellen mehrerer Hersteller in China und Europa auf die Straße kommen. Der hochintegrierte E-Achsantrieb für den Massenmarkt vereint Elektromaschine, Leistungselektronik und Untersetzungsgetriebe in einem Gehäuse. Continental kann damit einen kompletten elektrifizierten Antriebsstrang aus einer Hand anbieten. Der neue Achsantrieb wiegt weniger als 80 Kilogramm. Ins Getriebe neu integriert wurde die Funktion einer elektrischen Parksperre. Durch die intelligente Kombination der Komponenten - Stichwort Integration - können beispielsweise zahlreiche Kabelverbindungen und Stecker entfallen. Der Achsantrieb wird in zwei Leistungsstufen mit 120 oder 150 kW angeboten. Mit einem maximalen Drehmoment von bis zu 310 Nm ist er mit einem 2-Liter-Turbodiesel herkömmlicher Bauart vergleichbar. E-Maschine und Leistungselektronik des neuen Systems sind flüssigkeitsgekühlt. Neben Elektrofahrzeugen klassischer OEMs bringt der neue Antrieb auch das Elektrofahrzeug Sion des deutschen Startup-Unternehmens Sono Motors in Fahrt. Der Sion ist das erste in Serie gefertigte Elektrofahrzeug, in dessen Karosserie Solarzellen integriert sind. Damit produziert das Auto autark elektrische Energie, was die Reichweite vergrößert. Die Produktion des Autos, dessen Elektronik-Architektur für innovative Sharing-Konzepte vorbereitet ist, soll 2020 beginnen. Die Partnerschaft zwischen Continental und Sono Motors ist langfristig über den gesamten Lebenszyklus des Sion angelegt. www.continental.com Bild: Continental Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 7 IM FOKUS Alternative LKW-Antriebe: Unternehmen sind bereit für-den Wechsel L aut einer aktuellen Studie des Fraunhofer ISI sind Fuhrunternehmen offen für den Umstieg auf alternative Antriebe. Um diese grundsätzliche Bereitschaft in den tatsächlichen Umstieg zu überführen, braucht es sowohl Entwicklungen in Technologie und Infrastruktur als auch politische Unterstützung. Die Anforderungen für den Umstieg auf alternative Antriebe hat das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in einer quantitativen Studie ermittelt. An der Analyse nahmen 70 Personen aus Deutschland teil, vor allem Geschäftsführer von größtenteils mittelständischen Fuhrunternehmen. Obwohl diese Auswahl aufgrund der Größe des Transportsektors nicht repräsentativ ist, lassen die Ergebnisse Rückschlüsse auf die Gesamtheit zu. Untersucht wurde unter anderem, welche Anforderungen die Befragten an die Fahrzeuge haben und welche Bedingungen die zukünftige Infrastruktur erfüllen muss. Im Hinblick auf die ökonomischen Anforderungen sind sich die Befragten weitgehend einig: Besonders wichtig sind die Gesamtkosten über den ganzen Lebenszyklus hinweg sowie die Zuverlässigkeit. Diese beiden Faktoren sind stark voneinander abhängig, da Fahrzeugausfälle und Reparaturkosten hohe Verluste verursachen können. Hier gilt es, beispielsweise über Demonstrationsprojekte Transparenz und Vertrauen zu schaffen, so dass alternative Antriebe als zuverlässige und praktikable Alternativen zu konventionellen Antrieben wahrgenommen werden. Durch den hohen Wettbewerbs- und Kostendruck in der Speditions- und Logistikbranche haben die Unternehmen wenig finanziellen Spielraum - insbesondere für die Umsetzung umweltfreundlicher Maßnahmen. Die Untersuchung zeigt aber, dass vielen Befragten ökologische Aspekte wichtig sind: Unter anderem stimmten mehr als die Hälfte der Aussage zu, dass alternative Antriebe aus Klimaschutzgründen von besonderem Interesse für die Unternehmen sind. Die Antworten in dieser Kategorie gingen jedoch im Vergleich zu den ökonomischen Anforderungen sehr weit auseinander, was auf einen derzeitigen Wandel der Meinungen hindeutet. Vor allem größere Unternehmen zeigten sich umsteigebereit. Ein wichtiger Grund ist, dass sie eher über die finanziellen Mittel für die teure Anschaffung alternativer Antriebe verfügen. Durch die höheren durchschnittlichen Fahrleistungen und die niedrigeren Betriebskosten rentieren sich die Investitionen bei ihnen zudem schneller. Ein weiterer Teil der Befragung zielte darauf ab, Informationen für die Gestaltung der zukünftigen Infrastruktur alternativer Antriebe zu erhalten. Für die Bereitschaft, Umwege zum Tanken oder Laden zu machen, ergab sich ein Mittelwert von 20 km. Die generell akzeptierte Tankbeziehungsweise Ladedauer liegt bei 15 Minuten, die durchschnittlich geforderte Mindestreichweite eines LKW beträgt etwa 800 km. Diese Ergebnisse zeigen die größte Herausforderung für den Umstieg: Die geforderte Mindestreichweite ist mit heutigen alternativen Antrieben nur begrenzt möglich, die Tankstelleninfrastruktur im Hinblick auf Umwegebereitschaft und Ladedauer noch nicht ausreichend. www.isi.fraunhofer.de Foto: Nigel Tadyanehondo | Unsplash ISL-Publikation: Green Ports und Green Shipping A uch wenn der Seeverkehr insgesamt nach wie vor zu den effizientesten Transportmöglichkeiten mit dem geringsten spezifischen Energieverbrauch zählt, ergeben sich durch den stetig wachsenden internationalen Warenaustausch und somit großen Umfang des Schiffsverkehrs zahlreiche negative Auswirkungen auf Flora, Fauna und Menschen. Schifffahrt und Häfen müssen also mehr Beiträge zum- Umweltschutz leisten. Doch welche Maßnahmen sind wirklich nachhaltig und- wie zügig sollten sie umgesetzt werden? Eine aktuelle Publikation des Bremer Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik ISL stellt für die beiden eng miteinander verknüpften Hafen- und Schifffahrtsektoren übersichtlich und zusammenhängend die zahlreichen bestehenden und geplanten Aktivitäten auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene dar, die das Ziel haben, den Auswirkungen der maritimen Transportwirtschaft auf die Umwelt zu begegnen. Eine kurze Zusammenfassung der ISL-Analyse steht kostenfrei zum Download bereit. www.isl.org/ de/ downloads/ greenshipping Foto: Foto: Axel Ahoi | Unsplash Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 8 IM FOKUS Erster Volo-Port für Flugtaxis noch 2019? D er deutsche Flugtaxipionier Volocopter und der britische Vertiport-Entwickler und -Betreiber Skyports wollen noch 2019 den ersten mobilen Volo-Port für Flugtaxis fertigstellen. Die Präsentation dieser physischen Landeplattform für sogenannte eVTOLs - das steht für Electric vertical take-off and landing aircraft oder Flugtaxis - ist während öffentlicher Testflüge in der zweiten Jahreshälfte in Singapur geplant. Für den Erfolg von Urban Air Mobility (UAM) allgemein und für den Betrieb von Flugtaxis in staugeplagten Städten im besonderen erscheint eine flexible Landeinfrastruktur aus sogenannten Vertiports enorm wichtig. Der Bau des ersten mobilen Volo-Port- Prototyps wird noch in diesem Jahr vollendet. Er soll es ermöglichen, • die komplette Reise unter realen Bedingungen zu testen und das Reiseerlebnis zu optimieren, • die geplanten Dienstleistungen, Passagierbereiche und Passagierprozesse inklusive Vorflugkontrollen und Boardingabläufen zu demonstrieren, • alle kritischen Schritte des Bodenbetriebs wie Batteriewechsel und Aufladen der Akkus, Wartung der Volocopter, Sicherheitskontrollen durchzuspielen, • Behörden die Infrastruktur zu zeigen und • Feedback für die Weiterentwicklung zu sammeln. Volo-Ports sind so gestaltet, dass sich Passagiere von Anfang an gut aufgehoben fühlen. Verantwortlich für das Design ist die Agentur Brandlab, die zusammen mit Graft Architekten und Arup den internationalen Wettbewerb für die Infrastrukturentwicklung gewonnen hatte. Jeder einzelne Volo- Port kann sowohl eigenständig als auch mit anderen Volo-Ports zusammen in verschiedenen Formationen betrieben werden. Dieser Ansatz erlaubt einen schnellen Aufbau und ein dynamisches Wachstum der Infrastruktur. www.volocopter.com | www.skyports.net Bild: Brandlab / Skyports / Volocopter / GRAFT Infrastrukturaufbau zur Versorgung von Batterie- und Brennstoffzellen-PKW E in Forschungsprojekt der Ludwig-Bölkow-Stiftung hat den Infrastrukturbedarf sowie die Rückwirkungen auf das deutsche Energiesystem und die Stromverteilnetze, die durch eine Einführung von insgesamt 40 Mio. Batteriefahrzeuge (BEV) und Brennstoffzellen-PKW (FCEV) bis 2050 entstehen, untersucht. Dafür werden drei Szenarien mit unterschiedlichen Anteilen von Batterie- und Brennstoffzellen-PKW betrachtet. Im Szenario „Fokus BEV“ werden 80 % der 40 Mio. Nullemissions-PKW batterieelektrisch angetrieben und 20 % verfügen über einen Brennstoffzellenantrieb. Im Szenario „Fokus FCEV“ sind es 80 % Brennstoffzellen- und 20 % Batterie-PKW. Eine Gleichverteilung beider Technologien wird in einem dritten Szenario „Mix“ zugrunde gelegt. Die separaten Analysen der Lade- und Betankungsinfrastruktur, des Nieder- und Mittelspannungs-Stromverteilnetzes und des übrigen Energiesystems für Energieerzeugung, -wandlung, -speicherung und -transport werden für eine Einordnung der ökonomischen Einzelergebnisse anschließend in einer Gesamtbetrachtung zusammengeführt. Zunächst wurde der Bedarf an Lade- und Betankungsinfrastruktur ermittelt und ökonomisch bewertet. Für die batterieelektrischen Fahrzeuge werden basierend auf den Annahmen der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) bis zum Jahr 2050, abhängig vom Szenario, zwischen 9,6 Mio. („Fokus FCEV“) und 38,4-Mio. („Fokus BEV“) Ladepunkte benötigt. Die damit verbundenen jährlichen Kosten für Wartung, Instandhaltung und Investitionsabschreibung liegen zwischen 2 Mrd. EUR im „Fokus FCEV“-Szenario und knapp 9-Mrd. EUR im „Fokus BEV“-Szenario. Die szenarien-basierte Abschätzung zur Versorgung der Brennstoffzellen-PKW ergibt einen Bedarf von rund 2.000 („Fokus BEV“) bis rund 6.000 („Fokus FCEV“) Wasserstofftankstellen, im letzteren Szenario mit höherer Betankungskapazität. Die entsprechend ermittelten jährlichen Kosten für die Wasserstoffbetankungs-Infrastruktur inklusive der Anlieferung des Wasserstoffs betragen zwischen 1 Mrd. EUR („Fokus BEV“) und 3,7-Mrd. EUR („Fokus FCEV“). Die Betrachtung der Rückwirkungen der jeweiligen Lade- und Betankungsvorgänge auf das Stromverteilnetz zeigt, dass grundsätzlich sowohl BEV als auch FCEV in großer Zahl integriert werden können. Dazu müssen aber Teile der Mittel- und Niederspannungsnetze für die Aufnahme einer hohen Anzahl von BEV rechtzeitig und systematisch überprüft und ertüchtigt werden. Dieser Aufwand kann durch innovative Ansätze wie etwa ein geeignetes Management der Ladepunkte verringert werden, wenn diese Maßnahmen ebenfalls zeitgerecht und in ausreichendem Umfang umgesetzt werden. Hintergrund und Download des Abschlussberichts: www.ludwig-boelkow-stiftung.org/ infrastrukturstudie-elektromobilitaet Foto: Geovanni Herrera | Unsplash Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 9 IM FOKUS Foto: AvantgardeConcept/ Unsplash www.oeffentliche-infrastruktur.de Bundeskongress Öffentliche Infrastruktur 2019 Infrastruktur in Stadt und Land - gleichwertig, digital, kritisch 03. Dezember 2019, Hotel Adlon Berlin Eine Veranstaltung des Modulares Baukastensystem für Transporter D as Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT in Aachen hat gemeinsam mit Partnern in einem Forschungsprojekt untersucht, wie sich leichte elektrische Nutzfahrzeuge modular zusammenbauen und dadurch kostengünstiger herstellen und vertreiben lassen. Das Fahrzeug, das die Partner im Projekt „Baukasten für Ladewagensysteme“ einsetzen, lässt sich je nach Transportaufgabe mit einem anderen Aufbau kombinieren: Ein geschlossener Kofferaufbau mit Kühlung und Luftfeuchtigkeitsmesser dient Lebensmitteltransporten. Ein Aufbau ohne Kühlung kann für den Transport von Werkzeugen eingesetzt werden, ein Pritschenaufbau für Baumaterialien. Da sich der Aufbau flexibel und schnell austauschen lässt, können Unternehmen sogar denselben Fahrzeugunterbau für unterschiedliche Transportaufgaben innerhalb eines Betriebs einsetzen: Fährt etwa ein Schreiner zu einem Kunden, verwendet er den Aufbau mit einem Schubladen- Regalsystem für seine Werkzeuge; liefert er ein Möbel aus, braucht er eine größere Ladefläche und kann einen Pritschenwagen mit Spannsystemen nutzen. Durch die modulare Gestaltung des Bauraums, die auf die die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen ausgerichtet ist, lassen sich bereits in der Produktion der Fahrzeuge auch bei anfänglich geringen Stückzahlen bereits Skaleneffekte erzielen. Das Projektkonsortium geht sogar noch einen Schritt weiter: Das modulare Konzept verringert die Anzahl der tatsächlich gebrauchten Fahrzeuge und senkt so die hohen Investitionskosten, die besonders bei der Anschaffung leistungsfähiger Elektrotransporter mit Lithium-Ionen-Batterien entstehen. Der modulare Baukasten bietet damit die Chance, dass sich mehrere Unternehmen eine Flotte nach dem Carsharing- Prinzip teilen können. So lassen sich hohe Investitionskosten für das einzelne Unternehmen deutlich senken, die Standzeiten der Fahrzeuge verringern sich und insgesamt wird weniger Parkraum für das Abstellen nicht genutzter Fahrzeuge gebraucht. www.ipt.fraunhofer.de Grafik: Fraunhofer IPT Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 10 IM FOKUS Vier von fünf Einwohnern für urbane Seilbahnen I n Metropolen Lateinamerikas gehören Seilbahnen im Nahverkehr zum Alltag. Metropolen wie La Paz, Medellín oder Mexiko City nutzen die Vorteile, um das Verkehrschaos einzudämmen: Kein Stau, kaum Emissionen, wenig Lärm und vergleichsweise geringe Kosten. In Deutschland scheitern solche Seilbahn-Pläne oftmals noch am Nein der Bürger. Woran das liegt und wie sich die Akzeptanz für Seilbahnen erhöhen lässt, wollte das Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE in einer aktuellen Umfrage wissen. Derzeit arbeiten die Infrastruktur- und Mobilitätsexperten des Unternehmens mit Hauptsitz in Stuttgart auch an Machbarkeitsstudien für Seilbahnen in Städten wie Leonberg, aber auch für Industrieunternehmen und deren Areale. Für das Stimmungsbild wurden im Mai 2019 mehr als 180 Personen in Form einer repräsentativen Stichprobe im Alter von 18 bis 80 Jahren im Raum Stuttgart befragt. Zentrale Ergebnisse: Was deutsche Großstädte angeht, steht mit 83 % die überwiegende Mehrheit einem Einsatz von Seilbahnen positiv gegenüber, vor allem, wenn es sich um den Anschluss von Stadtteilen im Umland handelt. Auch viele Vorteile sind bereits bekannt: 42 % sind überzeugt, dass die Seilbahnen den öffentlichen Nahverkehr insgesamt verbessern. Mehr als die Hälfte hält deren Nutzung bei entsprechender Einbindung ins Ticketsystem für unkompliziert. Fast ebenso viele glauben, dass Seilbahnen stark beanspruchte Verkehrsstrecken entlasten und 44 % sind der Überzeugung, dass ihr Einsatz CO 2 -Emissionen verringert. Seilbahnen ersparen den Pendlern eine Menge verlorener Zeit im Stau, sie sind zudem äußerst umweltfreundlich, kurz und deutlich kostengünstiger zu realisieren als U- oder S-Bahnen. Außerdem kann eine Seilbahn Stadtteile voranbringen, die aus topografischen oder wirtschaftlichen Gründen bislang vom öffentlichen Nahverkehr ausgeschlossen waren. Zwar eignen sich Seilbahnen nicht für längere Strecken, sondern nur für Distanzen von bis zu acht Kilometern. Mit 20 bis 25 km/ h sind sie auch nicht sonderlich flott unterwegs - die Nutzer sind aber deutlich schneller am Ziel als mit dem Auto zu Stoßzeiten. Schwierigkeiten ergeben sich freilich von anderer Seite: Dass Seilbahnen auch über Wohnhäuser hinwegschweben müssen, stößt vielfach auf Widerstand der Eigentümer: In der Umfrage sehen 44 % eine Einschränkung ihrer Privatsphäre, wenn die Seilbahn an ihren Wohnungen vorbei führt. In Lateinamerika sind Seilbahnen als städtisches Verkehrsmittel bereits Normalität, allen voran im bolivianischen La Paz mit dem größten städtischen Seilbahnnetz der Welt. Bis zum Jahr 2020 soll zu den bislang zehn Seilbahnlinien noch eine weitere hinzukommen, so dass die gesamte Länge insgesamt rund 34 km beträgt. Die Ergebnisse der aktuellen Machbarkeitsstudie für Leonberg sollen Ende des Jahres vorliegen. Dazu der Leonberger Oberbürgermeister Martin Georg Cohn: „Eine Seilbahn bietet die Chance, Mobilität in Verbindung mit Stadtgestaltung für die Bürgerinnen und Bürger neu zu denken. Wichtig ist dabei vor allem, wie sich eine Seilbahn städtebaulich und raumordnerisch einfügt und neue Impulse für eine integrierte Siedlungs- und Verkehrsentwicklung setzen kann.“ www.dreso.com Foto: Chris Barbalis | Unsplash Kopernikus-Projekt P2X: Kraftstoff aus Luft und Strom D ie Sektoren Strom und Mobilität zu verbinden, kann einige Herausforderungen der Energiewende bewältigen: Ökostrom ließe sich langfristig speichern, Kraftstoffe mit hoher Energiedichte wären kohlendioxidneutral nutzbar. Wie Sektorenkopplung aussehen kann, haben Forschungspartner des Kopernikus-Projektes P2X nun auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) gezeigt und die ersten Liter Kraftstoff aus Kohlendioxid, Wasser und Ökostrom produziert. Sie integrierten in einer containerbasierten Versuchsanlage erstmals alle vier benötigten chemischen Prozessschritte zu einem kontinuierlichen Verfahren mit maximaler Kohlendioxidausnutzung und besonders hoher Energieeffizienz. Im ersten Schritt gewinnt die Anlage Kohlendioxid aus der Umgebungsluft in einem zyklischen Prozess. Im zweiten Schritt erfolgt die gleichzeitige elektrolytische Spaltung von Kohlenstoffdioxid und Wasserdampf. Im dritten Schritt werden nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren aus dem Synthesegas langkettige Kohlenwasserstoffmoleküle gebildet, die Rohprodukte für Kraftstoffe. Der vierte Schritt optimiert schließlich die Qualität des Kraftstoffes und die Ausbeute. Die derzeitige Versuchsanlage kann rund zehn Liter Kraftstoff pro Tag produzieren. In der zweiten Phase des Kopernikus-Projektes P2X wird bald eine Anlage mit 200-Litern pro Tag entwickelt. Danach soll eine vorindustrielle Demonstrationsanlage im Megawattbereich, also mit rund 1.500 bis 2.000 Litern Produktionskapazität pro Tag, entstehen. Damit wäre es theoretisch möglich, Wirkungsgrade von rund 60 % zu erreichen, also 60 % des eingesetzten Ökostroms als chemische Energie im Kraftstoff zu speichern. www.kopernikus-projekte.de/ projekte/ power-to-x Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 11 Immer wieder: Hoffnungsverkündungen der-Verkehrspolitik D ie deutsche Verkehrspolitik ist einem Hoffnungsrausch erlegen, diesmal unter der Rubrik Dekarbonisierung des Verkehrs durch nachhaltige und hohe Zunahme des Marktanteils der Eisenbahn. Das gesamte Politikspektrum wird von Vorgaben zur Verdoppelung (! ) der Personenbeförderungen bis 2030 und des Modal Split im Güterverkehr von 18 auf 23 % (! ) dominiert. Von den anderen Verkehrsträgern im Landverkehr, etwa der Binnenschifffahrt und auch dem Straßengüterverkehr, wird kaum gesprochen. Und es wird der Eindruck erweckt, durch eine sehr starke Ausweitung der Finanzierung der Schieneninfrastruktur im Rahmen der 3. LuVF zwischen Bund und DB AG in Höhe von rd. 86 Mrd. EUR bis 2030 könne die Bahn den entscheidenden und klimapolitisch hochbedeutsamen Beitrag leisten. Ein verkehrspolitisch seit Jahren massiv geforderter Baustein in dieser Strategie ist der ab 2030 angekündigte Deutschlandtakt im Personenverkehr. Der allerdings ist nur realisierbar, wenn erhebliche Investitionen im Streckennetz und den Bahnknoten erfolgen, also Umsetzung der Investitionen des BVWP 2030. Dies aber sind wesentlich Aus- und Neubaumaßnahmen, für die Baurechte vorliegen müssen. Planfeststellungsverfahren beanspruchen in Deutschland Zeiträume von 15 bis 20 Jahren bis zum Baurecht. Auch die verstärkte Einführung von ECTS könnte zur Notwendigkeit neuer Planfeststellungsverfahren führen (höhere Zugzahlen, Lärmbelastungen). Weiterhin: Die gefeierten hohen Finanzmittelzuweisungen der LuFV 3 sind nur für Bestandsnetzmaßnahmen (Sanierungen, Ersatz) verwendbar, nicht jedoch für den dringenden Kapazitätsausbau der Schiene. Dieser ist unabdingbar, auch um die klimapolitischen Ziele der Bahnpolitik bis 2030/ 35 zu erreichen. Realistische Hoffnungen? Zur Erinnerung: Die deutsche Verkehrspolitik hat in den vergangenen 30 Jahren hinsichtlich des Kapazitätsausbaus wichtiger Bahnrelationen versagt, nicht nur bei den Zulaufstrecken für den fertiggestellten Gotthard-Tunnel und den im Bau befindlichen Brenner-Tunnel. Deutschland hat seit 20 Jahren die Ausbauverpflichtungen des Staatsvertrages mit der Schweiz nicht erfüllt (Streckenausbau Karlsruhe - Basel). Für den Zulauf Brennertunnel (Rosenheim - Kufstein) sind noch nicht einmal mögliche Plantrassen festgelegt. Da sind die aktuellen Selbstbelobigungen der Verkehrspolitik hinsichtlich ihrer Förderung der Schiene als Instrument der Klimapolitik mehr peinlich als überzeugend. Der weitere kapazitäts- und umweltpolitische Hoffnungsträger der Verkehrspolitik, die Binnenschifffahrt, leidet neben jahrzehntelangen Vernachlässigungen ihrer Wasserstraßeninfrastruktur zusätzlich unter klimatischen Folgeeffekten durch Niedrigwasserstände insbesondere des Rheins. Die Auswirkungen haben die wirtschaftliche, ja existenzielle Relevanz der Schifffahrt für bedeutsame Branchen (Chemie-, Stahl- und Mineralölindustrie) verdeutlicht. Der Masterplan Binnenschifffahrt sieht bis 2030 eine Steigerung ihres Marktanteils von 8 auf 12 % (! ) vor. Aber das setzt den Ausbau von Engstellen des Mittelrheins und Niederrheins voraus. Die Binnenschifffahrt ist seit Jahren ein geduldiger Verkehrsträger auch bei Nichterfüllung ihrer jahrzehntelangen Forderungen nach Kapazitätssteigerungen durch Anhebung von Brücken im Kanalgebiet, um 2-lagig Container fahren zu können, oder beim erforderlichen Zweitschleusenbau. Überhaupt: Die Leistungen des Binnenschifffahrtsgewerbes, das im Unterschied zur Bahn national und international von privaten Unternehmen mit hohem Kapitalrisiko betrieben wird, können sich verkehrspolitisch über lobende Reden hinsichtlich Schiffskapazitäten und guter Umweltstandards freuen. Finanzierungspolitisch sind sie im Infrastrukturbereich, verglichen mit der Bahn, fast eine Nullstelle. Der staatliche Aufwand zur Umsetzung der wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen dürfte 500 Mio. EUR kaum überschreiten. Doch mangelnde Infrastrukturplanung, auch aufgrund von Personalengpässen in der Schifffahrtsverwaltung, Unterfinanzierung sowie die generelle Politikausrichtung am bahnpolitischen Hoffnungsszenario, erschweren optimistische Prognosen. Übrigens: Die Kunden der Schifffahrt sind mit deren Leistungen zufrieden, insbesondere im internationalen Verkehr. Bei der Bahn ist dies noch Hoffnung. Wie überhaupt der Qualitätsaspekt bei den massiven politischen Leistungsvorgaben für die Bahn, insbesondere im Personenverkehr, entweder nicht erwähnt oder verdrängt wird. Nicht jedoch vom Kunden. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche POLITIK Emissionssteuer Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 12 Alternativer Flugturbinentreibstoff Anreize für den Einsatz von synthetischem Kerosin nach derzeitiger Rechtslage Synthetisches Kerosin, Erneuerbare Kraftstoffe, Anreize Bei der Dekarbonisierung des Flugverkehrs nimmt der Einsatz von alternativem Flugturbinentreibstoff - sog. synthetisches Kerosin - eine entscheidende Rolle ein. Dessen Herstellung im industriellen Maßstab wird im Projekt KEROSyN100 untersucht. Prüft man vor diesem Hintergrund den derzeitigen Rechtsrahmen auf Anreize für den Einsatz von synthetischem Kerosin, stellt man fest: Die einschlägigen Regularien adressieren alternative Flugturbinentreibstoffe nur unzureichend. Die Potenziale von synthetischem, „grünem“ Kerosin bleiben vom Recht bisher unerkannt. Michael Kalis, Susan Wilms F liegen liegt im Trend. Die Zahl der Flugreisen wird eher weiter zunehmen als sinken. Zugleich erhöhen sich damit die Emissionsbelastungen. Die CO 2 -Emissionen in der Luftfahrt haben sich seit 1990 bereits verdoppelt und waren 2016 fast 25 % höher als 2010 [1]. Vor diesem Hintergrund ist eine drastische Dekarbonisierung der Luftfahrt zwingend notwendig. Dabei ist, anders als im Straßenverkehr, eine vollständige Elektrifizierung der Luftfahrt in weiter Ferne. Eine Dekarbonisierung ist daher in nächster Zeit vor allem durch die Substitution des Flugturbinentreibstoffs Kerosin durch nachhaltigere, alternative Kraftstoffe zu erreichen [2, 3, 4]. Derzeit forscht ein Konsortium verschiedener Fachwissenschaften an der Herstellung von strombasiertem, grünem Kerosin. In dem Projekt KEROSyN100 1 arbeiten die Partner aus Industrie und Wissenschaft daran, synthetisches Kerosin in industriellen Ausmaßen zu produzieren und marktfähig in den Verkehr zu bringen. Bereits jetzt hat die Deutsche Lufthansa AG angekündigt, das hergestellte synthetische Kerosin abzunehmen. Trotz solcher Einzelerklärungen stellt sich die Frage, welche Anreize überhaupt für den Einsatz von synthetischem Kerosin bestehen. Synthetisches, grünes Kerosin soll hinsichtlich seiner Flugeigenschaften mit fossilem Kerosin grundsätzlich identisch sein. Unterschiede bestehen vor allem beim Herstellungsprozess und den eingesetzten Ausgangsstoffen. Hierbei können jedoch erhebliche Treibhausgaseinsparungen bewirkt werden. Bestehen darüber hinaus keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Treibstoffen, so stellt sich die Frage, ob und inwieweit die derzeitige Rechtslage überhaupt zwischen den beiden Flugturbinentreibstoffen unterscheidet. Ausgehend von dieser Fragestellung untersucht der Beitrag den derzeitigen Rechtsrahmen auf Anreize für den Einsatz von synthetischem Kerosin. Die Untersuchung geht dabei folgenden Gang: Zunächst wird in der gebotenen Kürze der Herstellungsprozess von synthetischem Kerosin skizziert. Anschließend werden Anreizmechanismen im Rechtsrahmen untersucht, wobei eine Beschränkung auf die wesentlichen Anreize erfolgt. Abschließend folgen ein Fazit und kurzer Ausblick. Herstellungsprozess Synthetisches Kerosin ist ein strombasierter, alternativer Kraftstoff. Seine Herstellung basiert auf dem Power-to-Fuelbzw. Power-to-Jet-Verfahren. Diese Verfahren beruhen auf der Überlegung, dass fossile Kraftstoffe als Kohlenwasserstoffe grundsätzlich auch durch Zusammenfügen von Wasserstoff und Kohlendioxid synthetisch hergestellt werden können. Stark vereinfacht dargestellt, entstehen unter Einsatz verschiedener Katalysatoren beim Zusammenführen von Wasserstoff und Kohlendioxid verschieden langkettige Kohlenwasserstoffe wie Benzin, Diesel und letztlich auch Kerosin [5]. Ausgangspunkt all dieser Syntheseverfahren sind daher die Rohstoffe Wasserstoff und Kohlendioxid. Dabei kann Wasserstoff im Rahmen des Power-to- Gas-Verfahrens unter Einsatz von erneuerbarem Strom treibhausgasarm bzw. treibhausgasneutral produziert werden. Der Einsatz erneuerbarer Energien in dieser Elektrolyse ist für die Treibhausgasbilanz des synthetischen Kerosins maßgeblich. Zusätzlich zum Wasserstoff wird Kohlendioxid benötigt. Dieses kann dabei insbesondere durch Carbon Capture-Verfahren oder die Verwertung von industriellen Abgasen und Abfällen aus nicht dekarbonisierbaren Prozessen (z. B. Zementherstellung) gewonnen werden. Die Gewinnung der im Prozess eingesetzten Rohstoffe Wasserstoff und Kohlendioxid, ebenso wie die im Herstellungsprozess eingesetzte Energie, entscheiden maßgeblich über die Treibhausgasbilanz des synthetischen Kerosins und dessen Einordnung als nachhaltige oder gar erneuerbare Alternative zum bisherigen Flugturbinentreibstoff. Anreize Ausgehend von diesem Herstellungsprozess soll untersucht werden, ob und inwieweit Anreize für den Einsatz von synthetischem Kerosin bestehen. Dabei werden als wesentliche Anreizmechanismen Quoten in Form eines Mindestanteils an erneuerbaren Energien im Verkehrssektor, die sog. Treibhausgasminderungsquote sowie die Bestimmungen des Emissionshandels untersucht. Zudem erfolgt eine Analyse des einschlägigen Energiesteuerrechts und der Qualitätsvorschriften für Flugturbinentreibstoffe. Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 13 Emissionssteuer POLITIK Erneuerbare-Energie-Quote im Verkehrssektor Der Einsatz von erneuerbaren Energien gilt, neben Energieeinsparung und Energieeffizienz, als wesentliche Maßnahme zur Verringerung der Treibhausgasemissionen. Kernelement der Treibhausgasminderung ist in den einschlägigen Vorschriften daher zumeist eine Quote, die den Mindestanteil erneuerbarer Energien im Energieverbrauch zu einer bestimmten Zeit vorgibt (sog. Erneuerbare-Energie-Quote). Ausgangspunkt dieser Erneuerbare-Energie-Quoten (EE-Quote) sind im EU-Recht das europäische Gemeinschaftsziel sowie das nationale Gesamtziel. Zusätzlich zu diesen Gesamtzielen besteht eine Quote für den Verkehrssektor. Für das Jahr 2020 schreibt die Erneuerbaren-Energie-Richtlinie einen Mindestanteil von 10 % erneuerbare Energien am Endenergieverbrauch vor. Die Nachfolgerrichtlinie RED II (Renewable Energy Directive) legt einen Mindestanteil von 14 % im Jahr 2030 fest. Zum Verkehrssektor gehört grundsätzlich auch der Luftverkehr. 2 Als erneuerbare Energien zur Erfüllung der EE-Quote im Verkehrssektor kommen neben der unmittelbaren Nutzung von Elektrizität und dem Einsatz von Biokraftstoffen insbesondere erneuerbare Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs eine Rolle zu. Die RED II definiert diese Kraftstoffe als flüssige oder gasförmige im Verkehrssektor eingesetzte Kraftstoffe mit Ausnahme von Biokraftstoffen, deren Energiegehalt aus erneuerbaren Energiequellen mit Ausnahme von Biomasse stammt (vgl. Art. 2 Nr. 36 RED II). Zu diesen kann auch synthetisches Kerosin gezählt werden. Die Richtlinie definiert überdies auch wiederverwertete kohlenstoffhaltige Kraftstoffe als Kraftstoffe, die aus Abfallströmen nicht erneuerbaren Ursprungs sowie aus Gas aus der Abfallverarbeitung und Abgas nicht erneuerbaren Ursprungs, die zwangsläufig und unbeabsichtigt infolge der Produktionsprozesse in Industrieanlagen entstehen, stammen (vgl. Art. 2 Nr. 35 RED II). Abhängig vom Einsatz von erneuerbaren Energien und dem Ursprung des Kohlendioxids im Herstellungsprozess des synthetischen Kerosins kann dieses auch zu den wiederverwerteten kohlenstoffhaltigen Kraftstoffen zählen. Diese fallen zwar nicht unter die Energien aus erneuerbaren Quellen (vgl. Art. 27 Abs. 1 lit. b) RED II i.V.m. ErwG 89). Gleichwohl können die wiederverwerteten kohlenstoffhaltigen Kraftstoffe bei der Berechnung des Mindestanteils an erneuerbaren Energien im Verkehrssektor berücksichtigt werden. Den Mitgliedstaaten steht es frei, die Anrechnung von wiederverwerteten kohlenstoffhaltigen Kraftstoffen zu beschließen. Die Erneuerbare-Energie-Quote im Verkehrssektor stellt folglich für sich allein keinen Anreiz für den Einsatz von synthetischem Kerosin im Luftverkehr dar. Adressaten der Quote sind die Mitgliedstaaten. So weit diese die Erfüllung der Quote nicht durch weitere Instrumente an die Kraftstoffanbieter oder Luftfahrtsbetreiber weitergeben, kommt ein möglicher Anreiz bei diesen nicht an. [6] 3 Treibhausgasminderungsquote Ein solches Instrument zur Weitergabe der Quotenverpflichtung könnte die Treibhausgasminderungsquote sein. Diese sieht vor, dass Mitgliedstaaten (Kraftstoff-)Anbieter verpflichten, die Treibhausgasemissionen pro Energieeinheit des gelieferten Kraftstoffs bis Ende des Jahres 2020 stetig, um bis zu 10 % gegenüber einem festgelegten Basiswert zu mindern (vgl. Art. 7a Abs. 2 Kraftstoffqualitätsrichtlinie). Treibhausgasemission meint hierbei die Lebenszyklus- Treibhausgasemissionen, also sämtliche CO 2 -, CH 4 - und N 2 O-Nettoemissionen, die dem Kraftstoff (einschließlich aller beigemischten Bestandteile) oder dem Energieträger zugeordnet werden können. Kraftstoffanbieter ist diejenige Person, die für die Abgabe von Kraftstoff oder Energie an einer Verbrauchssteuerstelle zuständig ist. Insgesamt müssen Verkäufer von Kraftstoff demnach dafür Sorge tragen, dass die von ihnen in Verkehr gebrachten Kraftstoffe im Laufe ihrer Produktion und ihres Verbrauchs weniger Treibhausgase emittieren. Die Treibhausgasminderungsquote betrifft jedoch zunächst nur Anbieter von Kraftstoffen für den Straßenverkehr. Den Mitgliedstaaten ist es lediglich freigestellt, einen Beitrag zur Minderungspflicht zumindest durch Verwendung von Biokraftstoffen in der Luftfahrt zuzulassen. Von dieser Möglichkeit hat Deutschland im Rahmen seiner Umsetzung der Richtlinie keinen Gebrauch gemacht. Die bisherige Treibhausgasminderungsverpflichtung greift für Kraftstoffe der Luftfahrt daher nicht. Ohnehin adressiert diese Verpflichtung nur eine Minderung bis zum Jahresende 2020. Ob und inwieweit im Anschluss an das Jahr 2020 eine Treibhausgasminderungsquote besteht, ist derzeit noch offen. Überdies gibt die RED II eine Treibhausgasminderungsquote nicht als verbindlich vor. Stattdessen überlässt die Richtlinie es den Mitgliedstaaten, wie der Mindestanteil an erneuerbaren Energien im Verkehrssektor erreicht wird. Ausdrücklich zählt die- Vorschrift als möglichen Ansatz auch an- Treibhausgasemissionen ausgerichtete Maßnahmen auf. Demnach könnten die Mitgliedstaaten nunmehr auch eine Treibhausgasminderungsquote für die Luftfahrt schaffen, bei der sodann auch der Einsatz von synthetischem Kerosin zu berücksichtigen wäre. Emissionshandel Mit der Emissionshandelsrichtlinie (EH- RL) hat die Europäische Union ein marktwirtschaftlich orientiertes System zur Treibhausgasminderung eingeführt. Der Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten basiert dabei auf den Prinzipen cap and trade. Grundlage des Systems sind damit der marktwirtschaftliche Handel mit den Zertifikaten (trade) und die regulierte Begrenzung der verfügbaren Zertifikatsmenge (cap). Das Emissionshandelssystem wurde im Jahr 2008 auf den innereuropäischen Luftverkehr ausgeweitet. Die Überwachung des ordnungsgemäßen Zertifikateinsatzes erfolgt durch Berechnung oder auf der Grundlage von Messungen. Die Formel für Emissionen im Luftverkehr lautet: Treibstoffverbrauch * Emissionsfaktor. Für den Einsatz von Biomasse in Treibstoffen ist ein Emissionsfaktor von Null vorgesehen (Anhang IV Teil B EH-RL). Damit wird der Einsatz von Biokraftstoffen privilegiert. Spezifische Emissionsfaktoren für synthetische Kraftstoffe, die keine Biokraftstoffe sind, bestehen nicht. Obgleich synthetisches Kerosin als strombasierter, erneuerbarer Kraftstoff grundsätzlich einen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten kann, erfolgt eine Privilegierung durch einen Emissionsfaktor von 0, wie beim Einsatz von Biomasse, nicht. Folglich schafft das Emissionshandelssystem auch keinen Anreiz für den Einsatz von synthetischem Kerosin in der Luftfahrt. Energiesteuer Energieerzeugnisse unterliegen im Steuergebiet grundsätzlich der Energiesteuer. Zu den steuerpflichtigen Energieerzeugnissen gehören im Wesentlichen mineralische Brennstoffe und Mineralöle. Hierunter fällt auch konventionelles Kerosin. Synthetisch hergestelltes und damit nicht mineralisches Kerosin zählt gleichermaßen zu den steuerpflichtigen Energieerzeugnissen, denn die Steuer umfasst auch nicht aufgelistete Stoffe, wenn diese zur Verwendung als Kraftstoff oder als Zusatz oder Verlängerungsmittel von Kraftstoffen bestimmt sind. Kraftstoffe werden demnach unabhängig von ihrer Beschaffenheit stets besteuert. Der Steuertarif ergibt sich regelmäßig aus der einschlägigen Auflistung im EnergieStG. Energieerzeugnisse, die in der dortigen Aufzählung nicht auftauchen, un- POLITIK Emissionssteuer Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 14 terliegen der gleichen Steuer wie die Energieerzeugnisse, denen sie nach ihrem Verwendungszweck und ihrer Beschaffenheit am nächsten stehen. Demnach folgt synthetisches Kerosin dem Steuertarif für Kerosin aus fossilen Energiequellen. Letzteres ist jedoch als Flugturbinentreibstoff für die gewerbliche Luftfahrt von der Steuer befreit, § 27 Abs. 2 EnergieStG. Folglich ist auch synthetisches Kerosin von der Steuer befreit. Die unterschiedslose Behandlung der beiden Treibstoffe verhindert allerdings eine effektive Anreizwirkung für den Einsatz von synthetischem Kerosin. Drop-In-Kraftstoff Um größere Änderungen und Anpassungen der Flugzeugtechnik zu vermeiden, besteht für die Luftfahrtindustrie ein nicht unerhebliches Interesse an sog. Drop-In-Kraftstoffen. Die alternativen Kraftstoffe sollen demnach insbesondere zur Beimischung bzw. Nutzung in denselben Antriebsmaschinen geeignet sein [7]. Dem gegenüber stehen besondere Sicherheitsaspekte der Luftfahrt und daraus folgende strenge Qualitätsanforderungen an die Flugturbinentreibstoffe. Erfüllt synthetisches Kerosin diese Anforderungen nicht, scheidet der Einsatz in der Luftfahrt (vorerst) aus. In den Regelwerken der American Society for Testing and Materials (ASTM) und der Defence Standard (Def Stan) des Ministry of Defence UK fehlen Vorschriften für vollständig synthetischen Flugturbinentreibstoff bisher. Seit dem Jahr 2009 finden sich in ASTM D 7566 Vorschriften zur Beimischung von synthetischen Kohlenwasserstoffen [8]. Die Vorschriften des Def Stan 91-91 verweisen teilweise auf ASTM D7566. Die Voraussetzungen der Anerkennung sind insoweit ähnlich. Die synthetische Herstellung „reinen“ Kerosins erweist sich nach dem obigen Herstellungsprozess als schwierig. Vielmehr entstehen Kohlenwasserstoffgemische, welche die strengen Vorschriften des ASTM und Def Stan kaum erfüllen. Beide Regelwerke sehen zudem keine Anerkennung von vollständig synthetischem Kerosin nach dem obigen Herstellungsprozess vor. 4 Der Def Stan 91-91 spricht von einer vom Einzelfall abhängigen Entscheidung über die Zulassung synthetischer Flugturbinentreibstoffe. Damit besteht für den Einsatz von synthetischem Kerosin eine weitere Hürde. Die notwendigen Überprüfungen und Qualitätskontrollen werden zu weiteren Verzögerungen beim tatsächlichen Einsatz des synthetischen Treibstoffes führen. Ein Anreiz für dessen Entwicklung und dessen Einsatz besteht damit jedenfalls nicht. Fazit und Ausblick Die obigen Ausführungen lassen erhebliche Zweifel an der kurz- oder auch mittelfristigen Markteinführung von synthetischem Kerosin aufkommen. In der Untersuchung konnten nennenswerte Anreize im regulatorischen Rahmen für den Einsatz von synthetischem Kerosin nicht identifiziert werden. Eine wirksame Kraftstoff- oder Treibhausgasminderungsquote für den Luftverkehr gibt es in Deutschland nicht. Auch die Erneuerbare-Energie-Quote für den Verkehrssektor und die Berücksichtigung des Luftverkehrs in dieser stellen keinen wirksamen Anreiz dar, zumal die Quote nur die Mitgliedstaaten adressiert. Auch der Emissionshandel schafft keine Anreizmechanismen für erneuerbare Kraftstoffe, die nicht aus Biomasse stammen. Ebenso wenig stellt die Befreiung von der Energiesteuer einen Anreiz für den Einsatz von synthetischem Kerosin dar, da sie auch für fossiles Kerosin gilt. Die Potenziale des synthetischen Kerosins werden vom derzeitigen Rechtsrahmen weder erkannt noch berücksichtigt. Privilegierungen und Anreize fehlen daher vollständig. Die bestehenden Programme privater Vereinigungen zur Förderung von alternativen Treibstoffen sind sicherlich begrüßenswert. 5 Die systemrelevante Markteinführung von synthetischem Kerosin, das bereits aufgrund der erhöhten Produktionskosten einen schwierigen Stand hat, braucht jedoch wohl einen verbindlichen Rechtsrahmen mit Anreizen und Förderungen. Soll auch der Luftverkehr dekarbonisiert werden, muss die Eigenschaft des synthetischen Kerosins als „grüner“ Treibstoff adressiert und privilegiert werden. ■ 1 Das Projekt wird vom BMWi gefördert. Koordinator ist das Advanced Energy Systems Institute (AES) der Universität Bremen. Kooperationspartner sind Chemieanlagenbau Chemnitz GmbH, DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme e.V., Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen, Technische Universität Bergakademie Freiberg, Raffinerie Heide GmbH, SKL - Engineering & Contracting GmbH und IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V. 2 Dies ergibt sich aus der besonderen Berücksichtigung des Luftverkehrs bei der Berechnung des Energieverbrauchs gemäß Art. 5 Abs. 6 UAbs. 3 RL 2009/ 28/ EG bzw. Art. 27 Abs. 2 lit. c) RL 2018/ 2001/ EU. 3 Vgl. hierzu auch EASA, die den Anteil alternativer Kraftstoffe im Luftverkehr in naher Zukunft auf unter 1 % schätzt, S.-51. 4 Gemäß Def Stan 91-91 Annex D, D.4.3.1, ist Sasol synthetic kerosine derzeit der einzige vollständig synthetische Flugturbinentreibstoff, der anerkannt ist. 5 Bspw. EU Advanced Biofuels Flight Path und Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e. V. Ausführlich zu den internationalen und nationalen Initiativen BMVI, Drop- In-Kraftstoffe für die Luftfahrt, 2014, S. 16 ff. LITERATURVERZEICHNIS [1] DEHSt (2018), Factsheet - Emissionshandel im Luftverkehr. Online verfügbar unter https: / / www.dehst.de/ SharedDocs/ downloads/ DE/ publikationen/ Factsheet_LV.pdf. Zuletzt geprüft am 02.07.2019 [2] Plath (2014), Einbeziehung des Luftverkehrs in den EU-Emissionshandel. Cuvillier Verlag, Göttingen [3] Palmer (2015), Will Sustainability Fly? Aviation Fuel Options in a Low-Carbon World. Ashgate Publishing, Farnham [4] Jantzen/ Maier (2016), Betriebsstoffe in der deutschen Luftfahrt, 2016. Mönch Verlag [5] Dena (2018), Powerfuels - Power to X: Technologien, 2018. Online verfügbar unter https: / / shop.dena.de/ fileadmin/ denashop/ media/ Downloads_Dateien/ esd/ 9264_Power_to_X_Technologien.pdf. Zuletzt geprüft am 02.07.2019 [6] EASA (2019), European Aviation Environmental Report. Online verfügbar unter https: / / www.easa.europa.eu/ eaer/ system/ files/ usr_ uploaded/ 219473_EASA_EAER_2019_WEB_HI-RES_190311.pdf. Zuletzt geprüft am 02.07.2019 [7] BMVI (2014), Drop-In-Kraftstoffe für die Luftfahrt. Online verfügbar unter https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ MKS/ studiedrop-in-kraftstoffe-luftfahrt.pdf. Zuletzt geprüft am 02.07.2019 [8] IATA (2015), Guidance Material for Sustainable Aviation Fuel Management. Online verfügbar unter https: / / www.iata.org/ whatwedo/ environment/ Documents/ IATA%20Guidance%20Material%20 for%20SAF.pdf. Zuletzt geprüft am 02.07.2019 Michael Kalis, Ass. jur. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V., Berlin michael.kalis@ikem.de Susan Wilms, Ass. jur., LL.M Wissenschaftliche Referentin und Teamleiterin Energierecht, IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V., Berlin susan.wilms@ikem.de Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 15 Emissionssteuer POLITIK CO 2 -Steuer - worüber streitet die Politik überhaupt? CO 2 -Steuer, Klimaschutz, Bundesverkehrswegeplan, Kraftstoffpreis, Maut Die Bemühungen um eine Reduzierung der CO 2 -Emissionen im Verkehrssektor sind bisher erfolglos. Der Beitrag beschreibt als eine wesentliche Ursache den ausgebliebenen Anstieg der Kraftstoffpreise, zu dem nach Bundesverkehrswegeplan (BVWP) auch die Erhöhung der Mineralölsteuer beitragen sollte. Stattdessen blieb die Mineralölsteuer nominal unverändert und liegt 2019 unter Berücksichtigung der Geldentwertung real um 18 ct/ l niedriger als 2003 (letzte Mineralölsteuererhöhung) und 10 ct/ l niedriger als 2010 (Basisjahr der BVWP-Prognose). Mit der jetzt vorgeschlagenen CO 2 -Steuer wird das Kraftstoffpreisniveau der BVWP-Prognose für das Jahr 2030 nicht einmal annähernd erreicht. Die Umsetzung dieser sogar interministeriell abgestimmten BVWP-Grundlage würde dem Klima also mehr nutzen als ein politischer Streit über die CO 2 -Steuer im Verkehr. Ob sie dann Mineralölsteuer oder CO 2 -Steuer heißt, ist egal. Christian Holz-Rau, Giulio Mattioli I m Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung 2030 wurde eine Reduzierung der CO 2 -Emissionen im Straßenverkehr um 25 % prognostiziert (BVU et al. 2014: 361). Diese ist vollständig ausgeblieben. Die Verkehrsnachfrage steigt stärker als erwartet. Fahrzeugseitige Effizienzgewinne blieben in den letzten zehn Jahren aus. Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat am 5. Juli 2019 ihr Konzept einer CO 2 -Steuer für den Verkehrs- und Wärmesektor präsentiert. Danach schlägt sie eine CO 2 -Steuer von 35 EUR je t CO 2 für das Jahr 2020 vor sowie eine lineare Steigerung um 15 EUR je Jahr bis 2030 (DIW 2019: 7). Im Verkehrsbereich werden davon Verhaltensanpassungen in der Verkehrsnachfrage und beim Kauf von Fahrzeugen erwartet. Die gleichzeitig vorgeschlagene Kompensation als Kopfpauschale 1 mindert allerdings den Druck zur Verhaltensanpassung. Bei unterdurchschnittlichen CO 2 -Emissionen steigt das verfügbare Einkommen und kann die Grundlage für höhere Emissionen bilden. Erst oberhalb des Mittelwertes entstehen Zusatzkosten. Diese können im Verkehrsbereich, aber auch durch andere Einsparungen (z. B. bei Nahrung, Kleidung, Urlaub, Altersvorsorge…) ausgeglichen werden. Hinsichtlich des Vorschlags einer CO 2 - Steuer dürfte unstrittig sein: 1. Die Einführung einer CO 2 -Steuer setzt gegenüber unveränderter steuerlicher Belastung einen Impuls, verkehrsbedingte Emissionen zu reduzieren. 2. Die erzielte Emissionsminderung ist abhängig von der Höhe der CO 2 -Steuer. 3. Einsparungen auf der Ausgabenseite werden nicht nur im Verkehrsbereich, sondern auch bei anderen Ausgaben erfolgen. 4. Die Kompensation mittels Kopfpauschale reduziert die Wirksamkeit. 2 Dieser Beitrag ordnet die Debatte in die Verkehrsentwicklung der letzten zwanzig Jahre und in die Verkehrsprognosen für die nächsten zehn Jahre ein. Er betrachtet die Emissionen des Personenverkehrs mit PKW, auf die sich die politische Debatte konzentriert. Zur Entwicklung der Kraftstoffpreise Die Kraftstoffpreise sind seit dem Jahr 2000 zunächst gestiegen, nominal (hier Superbenzin) von 102 ct/ l im Jahr 2000 auf 146-ct/ l im Jahr 2018, also um 43 % (Bild 1) 3 . Maxima erreichte der nominale Benzinpreis in den Jahren 2008 und 2012. Seitdem ist der Benzinpreis wieder deutlich gesunken. Während in den Jahren 2000 bis 2003 zu Jahresbeginn die Steuern auf Kraftstoffe um 3,1 ct/ a erhöht wurden, 4 blieben die Steuersätze seitdem nominal konstant (Mineralölsteuer auf Benzin 65,45 ct/ l, auf Diesel 47,04 ct/ l BMFi 2019). Damit sind sie real seit 2003 um 21,5 % gesunken (Inflationsrate 1,5 %/ a) 5 . In Preisen von 2019 lag die Mineralölsteuer im Jahr 2003 um 18 ct/ l Benzin höher als heute. Dagegen haben zwischen 2009 und 2017 24 bzw. 26 der übrigen 29 europäischen Staaten die Steuern auf Benzin bzw. Diesel erhöht, in der Mehrzahl der Fälle für Diesel stärker als für Benzin (Kunert 2018: 690f ). Gemessen an den Verbraucherpreisen beträgt der Anstieg von 2000 bis 2018 10 %. Bezogen auf die Nettolöhne und -gehälter liegt der heutige Benzinpreis nur knapp 3 % über dem Preis des Jahres 2000. Preissignale für sparsamere und weniger CO 2 -emittierende Fahrzeuge und Verhaltensweisen sind trotz zwischenzeitlichen Hochs 2012 ausgeblieben. Zum absehbaren Scheitern der bisherigen Verkehrspolitik Der Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP) ist das zentrale Dokument der Verkehrs(infrastruktur)politik des Bundes (BMVI 2016). Der BVWP basiert u. a. auf einer in ihren Grundlagen interministeriell und in der Bund-Länder-Kommission abgestimmten Verkehrsverflechtungsprognose. 6 Diese prognostiziert die Entwicklung der Verkehrsnachfrage (PKW-km: +12 %) und der CO 2 -Emissionen (-25 %) (BVU et al. 2014: 368). 7 In der Realität ist die Verkehrsnachfrage seit 2010 stärker gestiegen als erwartet. Die Abnahme der CO 2 -Emissionen ist vollständig ausgeblieben. Die CO 2 -Emissionen der Neufahrzeuge haben in Deutschland in den letzten Jahren sogar weiter zugenommen. Innerhalb der EU emittieren die Neufahrzeuge nur in Estland und Luxemburg mehr CO 2 pro km als in Deutschland (Rang 27 von 29). Die CO 2 -Emissionen pro km der deutschen Neuwagenflotte (2017) liegen um 7,8 % über dem EU-Durchschnitt und um 23,1 % über dem der Niederlande als EU-Meister (Berechnung nach ACEA 2019: 64). Eine der zentralen Grundlagen der BV- WP-Prognose ist die Preisentwicklung bei Kraftstoffen. Der BVWP ging von einem realen Preisanstieg von 2 %/ a aus (punktierte POLITIK Emissionssteuer Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 16 Linien von 2010 bis 2030 in Bild 2). Die tatsächliche Preisentwicklung von 2010 bis 2019 (schmale Linien in Bild 2) verläuft ab 2014 immer weiter unterhalb der BVWP- Prognose. Im Jahr 2019 war das Superbenzin real 47 ct/ l billiger als prognostiziert, der Liter Diesel 36 ct/ l. Die Gründe: 1. Ein Teil der Preisdifferenz resultiert aus der dem BVWP zugrunde gelegten, aber nicht realisierten Mineralölsteuererhöhung von real 2,3 %/ a (BVU et al. 2014: 185). Diese hätte bis 2018 den Benzinpreis real um 26,2 ct/ l erhöht, den Dieselpreis um 18,5 ct/ l. 2. Außerdem weist die Verkehrsverflechtungsprognose des BVWP explizit darauf hin, dass ein geringerer Anstieg der Kraftstoffpreise vor Steuern durch eine stärkere Erhöhung der Mineralölsteuer ausgeglichen werden sollte, um die Klimaschutzbemühungen zu unterstützen (BVU et al. 2014: 186f.). Dies blieb ebenfalls aus. Entsprechend verläuft die Nachfrage- und Emissionsentwicklung deutlich oberhalb der BVWP-Prognose. Die bisher schon erhebliche Differenz zwischen BVWP-Prognose und den aktuellen Kraftstoffpreisen würde ohne Interventionen (gestrichelte Linien in Bild 2) bis 2030 real auf 89,7 ct/ l Benzin und 66,9 ct/ l Diesel ansteigen. Die hohe Preisdifferenz zu den Prognosegrundlagen zeigt die bisher fehlende Bereitschaft, Emissionsminderungen im Verkehrsbereich durch Preiserhöhungen zu unterstützen. Seit fast zwei Jahrzehnten wird sogar ein inflationsbedingter Rückgang der realen Mineralölsteuer akzeptiert. In der BVWP-Prognose 2030 soll Superbenzin real 234 ct/ l und Dieselkraftstoff 200 ct/ l kosten (auf 2019 umgerechnet nach BVU et al. 2014: 187). Diese Planungsgrundlagen wurden politisch nicht einmal kommuniziert. Dabei sind 2 %/ a real eine moderate Preissteigerung, weiter abgeschwächt durch Einkommenssteigerungen. Bei den aktuellen Vorschlägen zur CO 2 - Steuer handelt es sich um eine modifizierte Mineralölsteuererhöhung, die den höheren CO 2 -Ausstoß je Liter Dieselkraftstoff berücksichtigt (breite Linien 2020 bis 2030 in Bild 2). Auch mit diesem CO 2 -Steuer-Vorschlag wäre der Liter Superbenzin im Jahr 2030 real 44,8 ct billiger als nach der BVWP-Prognose, der Liter Diesel um 16,5 ct. 8 Die aktuelle politische Auseinandersetzung über die CO 2 -Steuer dreht sich also darum, ob ein kleiner Teil der dem BVWP 2030 zugrunde liegenden Preiserhöhung verspätet realisiert wird. Bisher diente die BVWP-Prognose dagegen ausschließlich als Begründungsgerüst für den weiteren Infrastrukturausbau, verbunden mit einem nicht umgesetzten Beruhigungsargument für die CO 2 -Diskussion. Mögliche Wirkungen der Steuererhöhungen Die seitens der Umweltministerin vorgeschlagene CO 2 -Steuer wird die im BVWP prognostizierte CO 2 -Minderung für den Straßenpersonenverkehr von 25 % bis 2030 bei Weitem nicht erreichen, und erst recht nicht das Sektorziel von 40 bis 42 %: • Die CO 2 -Steuer führt zu einer wesentlich geringeren Preissteigerung bei Kraftstoffen als im BVWP veranschlagt (bei Benzin von 48 statt 93 ct/ l, bei Diesel von 59 statt 76 ct/ l). • Die in den letzten Jahren gekauften Fahrzeuge mit hohem Verbrauch und hohen Emissionen bleiben noch über Jahre bestandsprägend (s.u.). • Verkehrsaufwendige Standortentscheidungen (z. B. zu Wohnen und Arbeiten) lassen sich nur schwer korrigieren. • Obwohl die aktuellen Flottengrenzwerte der EU auf etwa die gleichen Emissionen der Neuwagen für 2030 hinauslaufen wie im BVWP, werden die Emissionen der Flotte insgesamt deutlich höher liegen. Denn in zehn Jahren werden wesentlich weniger Fahrzeuge ersetzt als für die 20 Jahre seit 2010 veranschlagt. • Die Kompensation der CO 2 -Steuer über eine Kopfpauschale reduziert den Minderungseffekt gegenüber der BVWP- Prognose, die keine Kompensation vorsah. Der Vorschlag der CO 2 -Steuer, die EU- Grenzwerte für den Flottenverbrauch und einige Fördermaßnahmen werden bei Weitem nicht ausreichen, um das Ziel 2030 von minus 40 bis 42 % (BMU 2019: 38) für den Verkehr zu erreichen. Das im Verkehrsbereich für den Klimaschutz verlorene letzte Jahrzehnt wird sich so nicht aufholen lassen. Daher wäre die erste Schlussfolgerung die Kraftstoffpreise so zu erhöhen, wie im BVWP 2030 vereinbart. Umgerechnet auf Benzin entspricht dies einer CO 2 -Steuer von real 180 EUR/ t CO 2 für 2020 und 320 EUR/ t CO 2 für 2030. Dazu führt auch, leichter verständlich als die Angaben in EUR/ t CO 2 , etwa folgende Regelung: • Alle drei Monate plus 2 ct/ l fürs Klima auf den Benzinpreis und 3 ct/ l auf den Dieselpreis 0 50 100 150 200 250 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 bisherige-Preisent‐ wicklung-(ct/ l-Benzin) bisherige-Preisent‐ wicklung-(ct/ l-Diesel) fortgesetzte Untätigkeit-(Benzin) fortgesetzte Untätigkeit-(Diesel) BVWP‐Prognose ab-2011-(Benzin) BVWP‐Prognose ab-2011-(Diesel) mit-CO2‐Steuer ab-2020-Benzin) mit-CO2‐Steuer ab-2020-(Diesel) ct/ l Bild 1: Preisentwicklung bei Superbenzin (nominal, bezogen auf die Entwicklung der Verbraucherpreise sowie auf die Nettolöhne und - gehälter (2010 = 1)) Berechnungen nach: statista 2019a bis 2019 d, BVU et al. 2014: 185ff. und DIW 2019: 5 Bild 2: Bisherige und mögliche Entwicklungen der Kraftstoffpreise (reale Preise, Bezugsjahr 2018) Berechnungen nach: statista 2019a bis 2019 d, BVU et al. 2014: 185ff. und DIW 2019: 5 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 17 Emissionssteuer POLITIK Dies würde, ab 2020 eingeführt, zwar milde einsteigen, bis 2030 für Benzin aber ziemlich genau den Wert der BVWP-Prognose erreichen. Gleichzeitig wäre das Dieselprivileg abgebaut. Es ginge aber vielleicht noch eingängiger: • Jeden Monat einen ct/ l fürs Klima und am Jahresende 3 ct/ l zusätzlich für Diesel. Damit wäre 2030 der BVWP-Wert etwas überschritten, aber es gilt ein verlorenes Jahrzehnt aufzuholen. Zu Ende ist die Diskussion damit aber noch lange nicht, denn selbst die kaum noch erreichbare BVWP- Prognose blieb weit vom Ziel der -40 % entfernt. Aber ein wichtiger Einstieg ist die Verteuerung der Kraftstoffe in jedem Fall, je schneller und konsequenter umso besser. Zu diskutieren wären aber auch dann weitere Bausteine: • Ein Tempolimit auf Bundesautobahnen, das mehr erreicht als die Verkehrspolitik der letzten zehn Jahre und v. a. einen Impuls gegen immer größere, schwerere, schnellere stadtunverträgliche Fahrzeuge mit hohem Energieverbrauch setzt, egal mit welchem Antrieb. • Gebühren für Neufahrzeuge mit hohen CO 2 -Emissionen zur daraus finanzierten Förderung sparsamer Fahrzeuge. • Die weitere Regulierung der CO 2 -Emissionen und des Energieverbrauchs von Fahrzeugen mit einem vollständigen Abschied vom Verbrennungsmotor weit vor 2050. Denn sonst müsste man diese Fahrzeuge ab 2050 verbieten. Zum Schluss noch ein Hinweis: Die von der Umweltministerin vorgeschlagene CO 2 - Steuer wird das Steueraufkommen gar nicht erhöhen! Die verkaufte Menge der Kraftstoffe muss zum Erreichen der CO 2 -Ziele um 40 bis 42 % zurückgehen. Damit sinken die Steuereinnahmen aus Kraftstoffen, die sich aus der bisherigen Mineralölsteuer plus der CO 2 -Steuer zuzüglich der Mehrwertsteuer auf den gesamten Nettopreis ergeben. Trotz jährlich steigender CO 2 -Steuersätze würde bei einer CO 2 bzw. Verbrauchs-Minderung um etwa 4 %/ a das reale Steueraufkommen zunächst steigen. Mit einem realen Plus von 9 % wäre das Maximum aber bereits im zweiten Jahr erreicht. Ab 2022 würden die Steuereinnahmen trotz steigender CO 2 -Steuer real wieder sinken, bis 2027 auf das heutige Niveau und bis 2030 um weitere 9 %. Die Einsparungen der Verbraucher könnten sogar noch höher ausfallen, da für sie nicht nur die Steuern sinken, sondern auch durch einen geringeren Verbrauch die Ausgaben für den Kraftstoffgrundpreis. Sollten nach den Ankündigungen von Ursula von der Leyen als neuer Präsidentin der EU-Kommission verschärfte Klimaschutzvorgaben in Kraft treten und erreicht werden, wären die Mindereinnahmen noch höher. Im klimaneutralen Jahr 2050 fehlen diese Steuereinnahmen zur Infrastrukturfinanzierung dann vollständig. Mit der CO 2 -Steuer ist die Debatte um die Nutzerkosten im Verkehr gerade erst eröffnet. Wünschen wir uns eine fundierte Debatte und endlich relevante Fortschritte im Klimaschutz. Wünschen wir uns einen offensiven Verkehrsminister, der das Geld zur Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur im Verkehrsbereich einnehmen will. Denn alles andere wäre unsozial. Erfolgreicher Klimaschutz führt dann fast zwingend von der Mineralölsteuer, im Übergang begleitet durch eine CO 2 -Steuer, zur Maut auf allen Straßen. ■ 1 Die Mehreinnahmen sollen mit einem gleichen Betrag je Bürger zurückerstattet werden. 2 Aufgrund der Schiefe der Emissionsverteilung führt die Kopfpauschale bei weniger als 50 % der Bevölkerung zu Mehrausgaben, bei mehr als 50 % zu Mehreinnahmen. 3 Die nominalen Preise sind die Preise, die im jeweiligen Jahr „an der Zapfsäule“ bezahlt wurden. Die realen Preise berücksichtigen die Geldentwertung. Bei steigenden realen Preisen steigt der Kraftstoffpreis stärker als die allgemeine Preisentwicklung. Bei steigenden lohn- und gehaltsbezogenen Preisen muss der durchschnittliche Arbeitnehmer länger für den Liter Kraftstoff arbeiten. 4 Die Ökosteuer der Jahre 1999 bis 2003 folgte der gleichen Logik wie die CO 2 -Steuer. Die Einnahmen werden zur Entlastung der Rentenkassen genutzt, eine ähnliche Form der Kompensation. 5 Diese und die folgenden Berechnungen sind im Arbeitspapier 32 des Fachgebiets Verkehrswesen und Verkehrsplanung der TU Dortmund dokumentiert. www.vpl.tu-dortmund.de/ cms/ de/ Publikationen/ Arbeitspapiere/ index. html 6 Im Grundsatz waren alle Bundesministerien sowie das Bundeskanzleramt beteiligt. Besonders eng wurde die Bearbeitung begleitet durch das BMVI, BMU und BMWI. 7 Steigende Energieeffizienz der PKW-Flotte: -1,5 %/ a (BVU et al. 2014: 341f) 8 Die Berechnungen gehen davon aus, dass der Vorschlag zur CO 2 -Steuer in Preisen der jeweiligen Jahre erfolgt. Zu heutigen Preisen entsprechen den 185 EUR/ t CO 2 im Jahr 2030 dann etwa 160 EUR/ t. LITERATUR ACEA (European Automobile Manufacturers Association): The Automobile Industry Pocket Guide 2019/ 2020 (2019) BMFi 2019: Grundlagenwissen zum Benzinpreis und seiner Entwicklung. https: / / www.bundesfinanzministerium.de/ Content/ DE/ Standardartikel/ Service/ Einfach_erklaert/ 2018-01-11-grundlagen-benzinpreis.html (Zugriff 17.7.2019) BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit): Klimaschutz in Zahlen. Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik. Ausgabe 2019 BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) Hg.: Bundesverkehrswegeplan 2030. (2016) BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) Hg.: Verkehr in Zahlen 2018/ 2019. (2018) BVU Beratergruppe Verkehr und Umwelt, Intraplan Consult, Ingenieurgruppe IVV, Planco Consulting (2014): Verkehrsverflechtungsprognose 2030. Endbericht (2014) DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin): Für eine sozialverträgliche CO 2 -Bepreisung. In: Politikberatung kompakt 138 (2019) Kunert, Uwe (2018): Diesel: Kraftstoff und PKW-Nutzung europaweit steuerlich bevorzugt, Besteuerung in Deutschland reformbedürftig. In: DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung): DIW Wochenbericht 32/ 2018: 686-695 (DOI: https: / / doi.org/ 10.18723/ diw_ wb: 2018-32-1) Statista 2019a: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 776/ umfrage/ durchschnittspreis-fuer-superbenzin-seit-dem-jahr-1972/ (Zugriff 10.7.2019) Statista 2019b: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 4913/ umfrage/ verbraucherpreisindex-fuer-deutschland-seit-1948/ (Zugriff 10.7.2019) Statista 2019c: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 370558/ umfrage/ monatliche-nettoloehne-und-gehaelter-je-arbeitnehmer-in-deutschland/ (Zugriff 10.7.2019) Statista 2019d: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 779/ umfrage/ durchschnittspreis-fuer-dieselkraftstoff-seit-dem-jahr-1950/ (Zugriff 10.7.2019) Christian Holz-Rau, Prof. Dr.-Ing. Verkehrswesen und Verkehrsplanung, Fakultät Raumplanung, Technische Universität Dortmund christian.holz-rau@tu-dortmund.de Giulio Mattioli, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Verkehrswesen und Verkehrsplanung, Fakultät Raumplanung, Technische Universität Dortmund Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 18 POLITIK Wissenschaft Die Eisenbahn und das Notstandsrecht Normative Grundlagen und eine Lagebeschreibung der Krisenfestigkeit der Eisenbahn in Deutschland Grundgesetz, Kritische Infrastrukturen, Notstand, Sicherheit, Verkehrssicherstellungsgesetz, Verteidigung Aus dem Stegreif kann jede(r) Interessierte eine Vielzahl von Normen aus dem Eisenbahn- und Verkehrsbereich nennen. Vermutlich werden darunter relativ selten solche aus dem Notstandsrecht sein; zu Recht, schließlich wurden sie noch nie aktiviert und werden es hoffentlich auch nie - und zu Unrecht, da sie dennoch geltendes Recht sind und weitreichende Folgen haben können. Bedrohungsszenarien, die zur Aktivierung dieser Normen führen könnten, erscheinen abwegig und sollten dennoch Teil des planerischen Handelns im Verkehrssektor sein. Hierzu zählt eben auch die Vorbereitung auf „das Undenkbare“. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über das Notstandsrecht im Allgemeinen und den Verkehrsbereich im Besonderen, wobei der Schwerpunkt auf dem „äußeren Notstand“ liegt. Hierfür wird eine Vielzahl von - mangels Alternativen oftmals älteren - Quellen konsultiert. Auf eine Wiedergabe einzelner Paragraphen wird weitgehend verzichtet. Philipp Schneider V or dem Hintergrund der Erfahrungen mit Notstandsverordnungen in der Weimarer Republik, weil die Exekutivgewalt im Krisenfall ohnehin bei den alliierten Besatzungsmächten gelegen hätte und wegen seines ursprünglich provisorischen Charakters, konnte man sich 1949 bei der Formulierung des Grundgesetzes nicht auf umfassende Notstandsregelungen einigen, wenngleich alle Beteiligten die Notwendigkeit dafür sahen. [1: 1315f.] Ab Mitte der 1950er Jahre - ausgelöst u.a. durch den Deutschlandvertrag - wurden dann mehrere Anläufe einer Normierung dieses Bereichs unternommen. Auf Verfassungsebene kam dabei für die verschiedenen diskutierten Entwürfe bis 1968 nicht die nötige Mehrheit zustande. [1: 1323ff.] 1956 wurde gleichwohl mit dem Bundesleistungsgesetz das erste Notstandsgesetz verabschiedet, dem weitere folgten. Die Einführung der Notstandsverfassung 1968 hatte in Deutschland zu bedeutsamen Protesten geführt. Für die Bundesregierung bedeutete die Initiative vor allem die Schließung einer Regelungslücke. Gegner, die sich vorrangig aus den Gewerkschaften, der Studentenbewegung und dem linksintellektuellen Bürgertum rekrutierten, befürchteten eine Verwischung der Grenzen von Friedens- und Kriegsordnung, den Verlust demokratischer Errungenschaften und verwiesen auf die Erfahrungen der Weimarer Republik. Tatsächlich stärkte die Grundgesetzänderung das Parlament, weil sie die Notstandsgesetze unter Parlamentsvorbehalt stellte. Bild 1 gibt einen chronologischen Überblick über die Notstandsgesetzgebung. Umfassend wird die Geschichte der Notstandsgesetzgebung u.a. in [2] erzählt. Verfassungsrechtliche Grundlagen Ohne diese Begriffe explizit zu verwenden, unterscheidet das Grundgesetz seine Notstandsregelungen in zwei Teilbereiche: den inneren und den äußeren Notstand, deren Regelungen sich auf verschiedene Grundgesetzartikel verteilen (siehe Bild 2). [3: 66] Der innere Notstand behandelt „Gefahren, deren Ursprung in der eigenen staatlich-gesellschaftlichen Sphäre liegt“ [4: 26]. Dies können etwa Naturkatastrophen und schwere Unglücksfälle (Katastrophennotstand) oder Bedrohungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wie Putsche oder Bürgerkriege (innenpolitischer Notstand) sein. Das Grundgesetz macht in diesem Kontext insbesondere Vorgaben zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. [5: 50ff.] Die Übergänge zwischen innerem und äußerem Notstand können fließend sein bzw. dürften im Ernstfall einhergehen - der „Unterschied liegt in der Herkunft der Bedrohung“ [1: 1458]. Der äußere Notstand sieht mehrere Eskalationsstufen vor, die eine verhältnismäßige Reaktion ermöglichen sollen, ohne Zwangsläufigkeit zu generieren. [6: 39f.] Der Verteidigungsfall stellt das Ende PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 01.07.2019 Endfassung: 05.08.2019 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 19 Wissenschaft POLITIK dieser Eskalationsleiter dar, nämlich einen - gegebenenfalls auch nur unmittelbar bevorstehenden - Angriff auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland, festgestellt durch den Bundestag. Er impliziert auch - im Gegensatz zum Spannungsfall - einen partiellen Umbau der Staatsorganisation, u.a. durch ein vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren. [7: 76] Der Spannungsfall stellt eine Vorstufe des Verteidigungsfalls dar, wird im Grundgesetz aber nicht genau definiert, was Interpretationsspielräume offenlässt. Meist wird mit einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Verteidigungsfalls argumentiert, es handelt sich demnach um eine „sicherheitspolitische Krisen- und Schadens(verlaufs)prognose“ [8: 257]. Der Spannungsfall soll Vorbereitungen ermöglichen - so früh wie nötig (zivile und militärische Bereitschaft) und so spät wie möglich (Vermeidung unnötiger Eskalation). [9: 132f.] Relevant ist dieser Fall insbesondere deswegen, weil er die pauschale Freigabe einfachen Notstandsrechts ermöglicht (siehe nächstes Kapitel). Der Bundestag muss den Spannungsfall mit Zweidrittelmehrheit beschließen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur untersten Eskalationsstufe des äußeren Notstands, dem Zustimmungsfall. Dieser ermöglicht im Falle einer unsicheren sicherheitspolitischen Lage die Freigabe einzelner einfachrechtlicher (d.h. nicht mit Verfassungsrang versehenen) Notstandsnormen, während in den beiden erstgenannten Fällen sämtliche Normen pauschal anwendbar werden. Auch der Bündnisfall, also ein bewaffneter Angriff auf ein Land, mit dem sich Deutschland in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit gemäß Art. 24 Abs. 2 GG befindet, ermöglicht die Freigabe einfachrechtlichen Notstandsrechts in begrenztem Umfang. Sowohl die Regelungen in Art. 5 Nato-Vertrag als auch Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag lassen den Bündnispartnern aber einige Freiheiten bei der Wahl ihrer Beistandsmittel, insbesondere besteht kein Automatismus hin zu einem militärischen Engagement. [7: 31] Der Bündnisfall ist der einzige der vier Fälle, der bislang Anwendung fand, und zwar im Rahmen der Nato nach den 9/ 11-Anschlägen. Es kam dabei seitens der Bundesregierung jedoch nicht zu einer Inanspruchnahme der Notstandsbefugnisse [4: 28], genauso wenig wie nach der Aktivierung der EU-Beistandsklausel nach den Terroranschlägen in Frankreich im Jahr 2015 [10]. Einfachrechtliche Grundlagen Einfachrechtliche Regelungen (Gesetze und Verordnungen) machen den weitaus größeren Teil des Notstandsrechts aus. Dieser Teil des Notstandsrechts hat - im Gegensatz zu den staatsrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes - unmittelbare Wirkung gegenüber gesellschaftlichen Akteuren. Und er ist geltendes Recht, allerdings sind die Normen „im Normalzustand nicht wirksam, d.h. sie entfalten keinerlei Wirkung im Verhältnis von Staat und Bürger“ [4: 28] - bis zu ihrer Freigabe durch den Bundestag, was ein recht unüblicher Vorgang ist, da hier zur Anwendung eines Gesetzes zwei Zustimmungen des Bundestags nötig sind [11: 930] und die Anwendung eines Gesetzes in anderen Fällen alleine in der Hand der Exekutive liegt [9: 134]. Dreh- und Angelpunkt der Freigabe von Rechtsvorschriften für den äußeren Notstand ist der Art. 80a GG (siehe Bild 3). Man spricht in diesem Zusammenhang von einem Anwendbarkeitsjunktim, da entsprechende Normen einer gesonderten Freigabe bedürfen. [1: 1450] [12: 42f.] Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten von Notstandsgesetzen: Vorsorgegesetze für den inneren Notstand und Sicherstellungsgesetze für den äußeren Notstand. Insbesondere letztere ermöglichen Maßnahmen zur direkten Wirtschaftslenkung, mithin zur Umstellung der Marktauf eine „Verteidigungswirtschaft“. [6: 129f.] Weitere Regelungen mit Anwendbarkeitsjunktim nach Art. 80a GG können sich darüber hinaus auch in anderen Verordnungen, z. B. der Straßenverkehrsordnung oder dem Verwaltungsverfahrensgesetz, finden [6: -150ff.]. Viele Gesetze betreffen dabei, direkt oder indirekt, den Verkehrsbereich: So regelt das Bundesleistungsgesetz den individuellen Zugriff des Bundes auf einzelne Leistungen Dritter (Werkleistungen, bewegliche Sachen, bauliche Anlagen, Grundstücke). Das Arbeitssicherstel- 1949 Grundgesetz - ohne eine ausführliche Regelung des Staatsnotstands 1951 Wirtschaftssicherstellungsgesetz (befristet) 1954 Wehrverfassung 1955 NATO-Beitritt, Wehrpflichtgesetz, Bundesleistungsgesetz 1956 Wirtschaftssicherstellungsgesetz (befristet) 1965 Scheitern der Notstandsverfassung im Bundestag („Benda-Entwurf“) Sicherstellungsgesetze für Wirtschaft, Ernährung, Verkehr und Wasser 1968 Notstandsverfassung Arbeitssicherstellungsgesetz, diverse Novellen 1973 Energiesicherungsgesetz 1976 Eisenbahn-Verordnungen zum VerkSiG 2004 Verkehrsleistungsgesetz 2011 Post- und Telekommunikationssicherstellungsgesetz 2017 Ernährungssicherstellungs- und -vorsorgegesetz Art. 35 GG Art. 91 GG Art. 80a (1) GG Art. 80a (1) GG Art. 115a GG Art. 80a (3) GG Notstandsverfassung Innerer Notstand Äußerer Notstand Katastrophennotstand Innenpolitischer Notstand Zustimmungsfall Spannungsfall Verteidigungsfall Bündnisfall Bild 1: Zeittafel der Notstandsgesetzgebung Bild 2: Teilbereiche der Notstandsverfassung Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 20 POLITIK Wissenschaft lungsgesetz ermöglicht Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit, um den Personalbedarf für kritische Aufgaben im Krisenfall decken zu können. Andere Gesetze betreffen den Energie-, Wasserversorgungs-, Telekommunikations- oder Ernährungssektor - mithin eine Vielzahl jener als „kritisch“ eingestuften interdependenten Infrastrukturen. [12: 43ff.] Verkehrssicherstellungsgesetz Im Verkehrssektor existieren das Verkehrssicherstellungsgesetz (VerkSiG) [13] für den äußeren Notstand, also mit Anwendbarkeitsjunktim nach Art. 80a GG, sowie das Verkehrsleistungsgesetz (VerkLG) für den inneren Notstand. Letzteres stammt aus dem Jahr 2004 (Entstehungskontext: 9/ 11) und gilt als „friedenszeitliches Pendant zum verteidigungspolitischen VerkSiG“ [12: 45], das 1965 in seiner ursprünglichen Fassung Kraft trat. Verkehrsleistungen ließen sich damals bereits mittels des Bundesleistungsgesetzes (BLG) von Dritten anfordern, jedoch sind bis heute öffentliche Eisenbahnen in §- 95 BLG davon ausgenommen; das VerkSiG soll Eisenbahnen einbeziehen und die Möglichkeiten erweitern, „im Verteidigungsfall den Verkehr insgesamt den Notwendigkeiten einer veränderten Lage anzupassen“ [14: -15, Hervorh. im Original]. Es richtet sich aber explizit an alle Verkehrsträger, trotz deren technischer, rechtlicher und organisatorischer Unterschiede. Zweck des VerkSiG ist weniger die Anforderung spezifischer Verkehrsleistungen (das ermöglicht mit Abstrichen (§ 4 Abs. 2 Nr. 5) schon das BLG), sondern die Sicherstellung, dass Verkehrsleistungen überhaupt erbracht werden können, d. h. die nötige personelle Mindestausstattung und Infrastruktur vorhanden ist. [14: 16] Dies betrifft Verkehrsmittel (z. B. Wagen und Triebfahrzeuge), Verkehrswege, ortsfeste Verkehrsanlagen (z.B. Bahnhöfe und Stellwerke) und bewegliche Verkehrseinrichtungen. Auch ist zu bedenken, dass in einer Krisensituation der zivile (Fluchtbewegungen) wie auch der militärische Verkehrsbedarf stark steigt, während zugleich mit Gefährdungen strategisch wichtiger Verkehrswege (z.B. Brücken, Knotenpunkten und Flughäfen) zu rechnen ist. [15: 44f.] Der Eisenbahn wurde in einer solchen Situation von den Gesetzes-Initiatoren eine Schlüsselrolle zugeschrieben: Aufgrund der starken Belastung der Straße und der besseren Kontrollierbarkeit des Systems Schiene wären große Teile kritischer Verkehre über die Eisenbahn abgewickelt worden. Rationalisierungspläne, wie sie gerade in den 1960er und 1970er Jahren bahnpolitisch aktuell waren [16: 344ff.] und auch Umsetzung fanden, wurden daher vielfach kritisch gesehen [17, 18]. Das VerkSiG soll, wie auch seine Pendants aus anderen Sektoren, eine lenkende Erfassung aller Stufen des Wirtschaftsprozesses ermöglichen [19: 43]. Weil aber auch im Angesicht einer Krise marktgerechten Maßnahmen der Vorzug gegeben werden soll und die explizit geforderte Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden muss, bedarf es für die Aktivierung des VerkSiG nicht nur einer Prognose über die Eskalationswahrscheinlichkeit, sondern auch über die wirtschaftliche Entwicklung. [6: 132] Von besonderer materieller Bedeutung ist der zweite Abschnitt, in dem Leistungspflichten und mithin „das Recht, durch Einzelakt Verkehrsleistungen und andere Leistungen unmittelbar von dem betroffenen Personenkreis fordern zu können“ [14: 59], enthalten sind - jedoch nur insoweit die Intention des VerkSiG, die Erfüllung von Verteidigungsaufgaben, zugrunde liegt. § 10 VerkSiG regelt dabei Leistungspflichten der Eisenbahnen, so z.B. die Möglichkeit, eine Überlassung von Betriebsanlagen oder auch den Bau neuer oder die Wiederherstellung alter Anlagen anzuordnen. Dies gilt für öffentliche und sinngemäß auch für nichtöffentliche Eisenbahnen und stellt eine Ergänzung des § 11 AEG dar [20: 599]. Ferner wird die Möglichkeit eröffnet, Vorschriften bestehender Rechtsverordnungen wie der Eisenbahn-Bau und Betriebsordnung zu verletzen - wiederum aber nur zum Zwecke der Verteidigung und nur mit Genehmigung. §- 10a VerkSiG sieht die Möglichkeit zur Verpflichtung von Zivilschutzmaßnahmen vor, bspw. des baulichen Schutzes von Steuerungsanlagen. Als einziges der Sicherstellungsgesetze enthält das VerkSiG weitere, direkt anwendbare Rechtsvorschriften [6: 140]: So können Eigentümer, Besitzer und Führer von Verkehrsmitteln und -einrichtungen verpflichtet werden, diese an einen anderen Ort zu bringen (§ 14 VerkSiG). Auch hier ist das Anwendbarkeitsjunktim nach Art. 80a GG zu beachten. Schon zu Normalzeiten, also auch ohne Art. 80a GG, bestehen Verwahrungs-, Melde- und Auskunftspflichten Verkehrssicherstellungsgesetz (VerkSiG) Bundesleistungsgesetz (BLG) … Art. 80a GG „Freigabeklausel“ Einfaches Notstandsrecht „Ist in diesem Grundgesetz oder in einem Bundesgesetz […] bestimmt, daß Rechtsvorschriften nur nach Maßgabe dieses Artikels angewandt werden dürfen, so ist die Anwendung außer im Verteidigungsfalle nur zulässig, wenn der Bundestag den Eintritt des Spannungsfalles festgestellt oder wenn er der Anwendung besonders zugestimmt hat. […]“ … Verkehrssicherstellungsgesetz-Zuständigkeitsverordnung (VSGZustV) Verordnung zur Sicherstellung des Eisenbahnverkehrs (EVerkSiV) Verordnung über Verkehrsleistungen der Eisenbahnen für die Streitkräfte (StrKrVerkLeistV) Bild 3: Einfachrechtliche Notstandsnormen im Verkehrsbzw. Eisenbahnsektor und die Freigabeklausel des Art. 80a GG Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 21 Wissenschaft POLITIK (§§ 13 und 15 VerkSiG). Es kann auch Einfluss auf die Vorhaltung von Infrastrukturen genommen werden (§- 10b VerkSiG). Hinweise zum Verwaltungsverfahren sowie Strafandrohungen und Entschädigungsmodalitäten werden in den Abschnitten 3 bis 5 geregelt. Abschnitt 1 trifft Regelungen zum Erlass von Rechtsverordnungen auf Basis des VerkSiG, wovon im Eisenbahnbereich im Jahr 1976 zweimal Gebrauch gemacht wurde: Zum einen ist die Verordnung zur Sicherstellung des Eisenbahnverkehrs (EVerkSiV) zu nennen, die sich primär an die Kunden der Eisenbahnen richtet und mögliche Einschränkungen im Krisenfall aufzeigt. [21: 53f.] Daneben existiert die Verordnung über VerkehrsleistungenderEisenbahnenfürdieStreitkräfte(StrKrVerkLeistV), welche die wechselseitigen Verpflichtungen beider Institutionen regelt. Letztgenannte Verordnung ist nicht an das Anwendbarkeitsjunktim nach Art. 80a GG gebunden und gilt somit auch in Friedenszeiten - im Gegensatz zur EVerkSiV. [21: 56] Sicherheitspolitische Lage Die Notstandsverfassung und daraus abgeleitete Normen sind im Geiste des Kalten Krieges entstanden. Mit dessen Ende und den Erweiterungen von EU und Nato befindet sich Deutschland heute in einer komplett neuen sicherheitspolitischen Lage: Wäre das Land früher als „Frontstaat“ unmittelbar und gänzlich von Kriegsauswirkungen betroffen gewesen - „Bündnisverteidigung und Verteidigungsfall bildeten […] eine praktische Einheit“ [22: 3] - befinden sich heute ausschließlich in Bündnissystemen verbundene bzw. assoziierte Staaten in direkter Nachbarschaft. Krisen gibt es dennoch, und sie spielen sich nur zum Teil auf anderen Kontinenten ab. Insbesondere durch die Annexion der Krim und den Krieg in der Ostukraine ist in Osteuropa eine Situation entstanden, die Szenarien der Bündnisverteidigung nicht undenkbar erscheinen lässt. [23: 31f.] Russland als potentieller Opponent ist dabei, von Kaliningrad aus gemessen, nur rund 500 km von Berlin entfernt und teilt Grenzen mit den Nato-Mitgliedsstaaten Norwegen, Estland, Lettland, Litauen und Polen. Dass Deutschland im Konfliktfall gänzlich unbehelligt bliebe, ist aus verschiedenen Gründen nicht anzunehmen: Zum einen liegt es durchaus in der Wirksphäre verschiedener konventioneller Waffensysteme [24: - 1f.] - und bietet als vielleicht wichtigstes Transitland Europas eine Vielzahl von Zielen (z.B. Häfen, Brücken, sonstige Verkehrsknoten und Kommandostrukturen). Zum anderen muss im Zeitalter hybrider Kriegsführung auch mit unkonventionellen Angriffen, z. B. Cyberattacken und Sabotageakten, gerechnet werden. [25] Insgesamt würden Kampfhandlungen aber wohl überwiegend nicht auf deutschem Staatsgebiet ausgetragen werden. Stellung der Eisenbahn Dass eine Krise im Sinne des äußeren Notstands in absehbarer Zeit unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist und dass ihre Auswirkungen auf das Staatsgebiet eher begrenzt wären, wurde vorab festgestellt. Die Erwartungen eines solchen Falles an das System Eisenbahn und die aktuelle Situation in Bezug darauf sind im Folgenden dargestellt. Ableiten könnte man solche Erwartungen zum einen aus Strategiepapieren. Bei der DB AG finden sich hierzu allerdings keine Aussagen. Der Erkenntniswert ist auch bei einem Blick in den aktuellen Koalitionsvertrag gering („Das Schienennetz und die Stationen sind Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge“ [26: 78]). Im Bundesverkehrswegeplan werden unter dem Oberziel „Sicherstellung der Güterversorgung, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen“ Lösungsstrategien formuliert, deren Umsetzung Resilienz und Leistungsfähigkeit des Systems Eisenbahn zumindest allgemein unterstützen würden [27: 6]. Hier wie dort wird dem Verkehrssystem aber keine gesonderte strategische, also (auch) an militärischen Bedürfnissen ausgerichtete Bedeutung beigemessen, wie die Bundesregierung bestätigt. [28: 5] Im Weißbuch der Bundeswehr wird mehrfach allgemein auf die gesamtgesellschaftliche Resilienz eingegangen, auch seien „Voraussetzungen von Projektions- und Verlegefähigkeit“ zu schaffen [23: 105]. Auf europäischer Ebene existiert zwar ein „Action Plan on Military Mobility“, welcher allerdings nur einen empfehlenden Charakter für die Mitgliedsstaaten hat. [29: 10] Zum anderen kann man versuchen, die Erwartungen pragmatisch herzuleiten. Will Deutschland bspw. einem Bündnispartner substantiell Unterstützung gewähren, muss die Bundeswehr in der Lage sein, von ihren Standorten in kurzer Zeit Personal sowie eine große Menge Material zu bewegen. Dies ist in vielerlei Hinsicht eine große Herausforderung. [30] Dabei existieren viele, vor Jahrzehnten identifizierte Problemfelder bis heute fort, wie eine Fortschreibung der Analyse aus [18] zeigt. So hat die Netzlänge im Vergleich zu den 1960er Jahren (weiter) abgenommen [31], wie auch - insbesondere seit der Bahnreform - die Zahl der Gleisanschlüsse [32]. Streckenstilllegungen konnten im früheren Bundesbahngesetz nach § 28a versagt werden, heute ist dies über das VerkSiG möglich (in beiden Fällen mit Entschädigungsanspruch). Im verbliebenen Netz gibt es auf den wichtigen Strecken einige Engpässe [27] und teilweise fehlende Kapazitäten für Umleiterverkehre, wie der „Fall Rastatt“ [33] zeigte. Die - strategisch besonders relevanten - West-Ost-Korridore sind mancherorts relativ schlecht ausgebaut, was sich in Osteuropa und dem Baltikum fortsetzt. So ist die Mehrzahl der Grenzübergänge zwischen Deutschland und Polen/ Tschechien nur eingleisig. Kurzfristig wäre solchen infrastrukturellen Mängeln mit notstandsgesetzlichen Mitteln kaum zu begegnen, hier bedürfte es eher einer strategischen Steuerung, für die aber - siehe oben - die Grundlage zu fehlen scheint. Organisatorisch ist die Lage heute ebenfalls diffiziler: Wo früher die Bundesbahn alleiniger Ansprechpartner war, gibt es heute einen integrierten Konzern, dessen getrennt operierende Tochterunternehmen primär ihre jeweiligen Zuständigkeiten pflegen. Daneben existiert gerade im Schienengüterverkehr (SGV) eine Vielzahl konkurrierender Eisenbahnverkehrsunternehmen. Auch werden ca. 5.000 km des Netzes [34: 53] von nichtbundeseigenen Eisenbahninfrastrukturunternehmen, an die teilweise auch Bundeswehrstandorte angeschlossen sind [30: 51f.], betrieben. Dieser liberalisierte Sektor dürfte schon heute beim Thema Bestandserfassung (§ 15 VerkSiG) einen Mehraufwand erfordern. Im Krisenfall Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 22 POLITIK Wissenschaft wäre hier eine partielle Integration der verschiedenen Akteure bzw. ihrer Anlagen im Sinne des § 10 Abs. 2 VerkSiG mit dem Ziel geringerer Transaktionskosten denkbar. Das Wagenmaterial im SGV hat sich über die Jahrzehnte diversifiziert [18: 577], erheblich an Umfang verloren [31: 52f.] und verteilt sich auf mehr Akteure. Im Bereich Triebfahrzeuge ist der Bestand ebenfalls gesunken, während der Anteil an Elektrolokomotiven gestiegen ist. [31: 52f.] Die Bundesregierung will den Anteil elektrifizierter Strecken weiter erhöhen. [26: 78] Diese Entwicklung hat natürlich Vorteile, aus militärischer Sicht ist die Dieseltraktion jedoch insgesamt vorteilhafter, weil sie freizügiger einsetzbar ist. Über die vergangenen Jahrzehnte sind im Eisenbahnsektor viele Arbeitsplätze weggefallen: Beschäftigte allein die Deutsche Bundesbahn 1970 noch ca. 401.000 Mitarbeiter [31: 62], waren es 2017 für den gesamten DB- Konzern noch ca. 311.000 Mitarbeiter [34: 53]. Dies hat verschiedene Gründe, z. B. die Zentralisierung der Betriebsführung, die Mechanisierung des Gleisbaus oder die IT-Unterstützung von Planungsprozessen. Aus Sicht der Notfallvorsorge geht auch hiermit das Problem fehlender Reserven einher: Zum Beispiel konnten Schäden am Fahrweg früher mit den vorhandenen Personalressourcen relativ schnell bewältigt werden, während dies heute nur noch mit knapper, in Normalzeiten langfristig verplanter Großtechnik machbar ist. Auch dürfte das nötige Fachwissen nicht mehr in der Breite vorhanden sein. Für diesen kritischen Faktor existiert mit dem Arbeitssicherstellungsgesetz ein Werkzeug, mit dem die Versorgung mit Arbeitskräften gerade auch im Verkehrsbereich (§ 4 Abs. 1 ASG) als kritisch bewertet wird und das Verpflichtungen von Personen bzw. die Einschränkung der freien Arbeitsplatzwahl ermöglicht; das ASG ist allerdings nicht auf den Bündnisfall anwendbar. [12: 45] Einige der vorgenannten Negativtrends scheinen ihren Zenit erreicht oder überschritten zu haben: Die Netzlänge sinkt nicht mehr nennenswert, Personal wird gerade eher aufals abgebaut [35: 7] und mit den TEN- Korridoren der EU ist ein höheres Maß an Interoperabilität in Europa zu erwarten. An anderen Stellen stehen Rationalisierungsmaßnahmen hingegen erst bevor, so bei vollautomatisch verkehrenden Zügen, oder werden sich künftig durch erweiterte IT-Möglichkeiten (z.B. automatisierte Disposition und Fahrplanerstellung, Predictive Maintenance) weiter ausbreiten. Hinter diesen Trends verbergen sich Chancen (Prozessbeschleunigung, Flexibilisierung) und Risiken (IT-Security, weiterer Verlust an Fachwissen). Letztlich gilt immer noch, was der Militärstratege Hans Grillmeier 1966 postulierte: „Automatisierung, Technisierung, Konzentration von Betriebsvorgängen und Zentralisierung in allen Bereichen steigern die Empfindlichkeit einer Eisenbahn gegen Feindeinwirkung. […] Es wäre aber falsch, den technischen Fortschritt durch unbillige militärische Forderungen zu hemmen.“ [18: 586f.] Fazit Ist im Falle eines äußeren Notstands die Verlegung und Versorgung von Streitkräften geboten, wird die Eisenbahn auch künftig eine wichtige Rolle spielen. Beide - Streitkräfte und Eisenbahn - haben sich seit Inkrafttreten des VerkSiG im Jahr 1965 aber erheblich gewandelt, d.h. im Wesentlichen verkleinert, bei Personal und Material. Auch mögliche Konfliktszenarien sehen heute anders aus als zu Zeiten des Kalten Krieges; Deutschland wäre auf absehbare Zeit nicht Schauplatz großflächiger Kampfhandlungen, was insbesondere die Notwendigkeit „lebenswichtige[r] Versorgungsleistungen […] zur Versorgung der Zivilbevölkerung“ (§1 VerkSiG) unwahrscheinlich macht. Sicherheitspolitische Interessen scheinen aktuell in der Verkehrspolitik im Allgemeinen nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Wäre es anders, müssten bekannte Ressourcenprobleme offensiver angegangen werden, also bspw. die Priorisierung von Investitionen in relevante Korridore und Umleitungsstrecken, das Offenhalten strategisch wichtiger Nebenbahnen oder die erweiterte Beschaffung bundeswehreigenen Rollmaterials. Die Notstandsgesetzgebung ist in ihrem 51jährigen Bestehen noch nie aktiviert worden. Auch wenn dies hoffentlich in der Zukunft so bleibt, ist die Vorsorge für den Notstand dennoch geboten. Der Ansatz des VerkSiG, im äußeren Notstand lenkend in den Verkehrssektor einzugreifen, erscheint nach wie vor zweckmäßig und zeitgemäß - gerade weil die Eisenbahn für dieses Szenario Defizite aufweist. ■ LITERATUR [1] K. Stern: „Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland”, Bd. II, München: C.H. Beck, 1980 [2] M. Diebel: „Die Stunde der Exekutive. Das Bundesinnenministerium und die Notstandsgesetze 1949-1968”, Göttingen: Wallstein, 2019 [3] W. Kahl, C. Waldhoff und C. Walter (Hrsg.): „Verteidigungsfall, Vorbemerkungen zu Art. 115a-115l“, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblattsammlung, 190. Aktualisierung (April 2018), Bd. 23, Heidelberg, C.F. Müller [4] H. Erkens: „Ausnahmezustand. Teil I: Regelungen des Grundgesetzes für den inneren und äußeren Notstand“, in BBK Bevölkerungsschutz, S. 25-29, Februar 2018 [5] H.-G. Dederer: „Artikel 35“, in Grundgesetz - Kommentar, Loseblattsammlung, 83. Lieferung, September 2018 Hrsg., Bd. IV, T. Maunz und G. Dürig (Bgrd.), München: C.H. Beck [6] T. Mertins: „Der Spannungsfall. Eine Untersuchung zur Notstandsverfassung des Grundgesetzes unter besonderer Berücksichtigung der Abwehr terroristischer Gefahren“, Baden-Baden: Nomos, 2013 [7] W. Kahl, C. Waldhoff und C. Walter (Hrsg.): „Art. 115a“, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblattsammlung, 148. Aktualisierung (Oktober 2010), Bd. 23, Heidelberg: C.F. Müller [8] K.-A. Hernekamp: „Art. 80a - Spannungsfall“, in Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, I. von Münch (Bgrd.) und P. Kunig (Hrsg.), München: C.H. Beck, 2012 [9] C. O. Lenz: „Notstandsverfassung des Grundgesetzes“, Frankfurt: Athenäum, 1971 [10] F. Tettweiler: „Der EU-Beistand“, Berlin, 2015. www.baks.bund.de/ sites/ baks010/ files/ 20151118_hintergrund_sicherheitspolitik_euv-beistand.pdf [Zugriff am 2. April 2019] [11] B. Schmidt-Bleibtreu und F. Klein: „Kommentar zum Grundgesetz”, Neuwied: Luchterhand, 1990 [12] H. Erkens: „Ausnahmezustand. Teil II: Die einfachrechtlichen Notstandsgesetze“, in BBK Bevölkerungsschutz, S. 41-46, März 2018 [13] Verkehrssicherstellungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1968 (BGBl. I S. 1082), das zuletzt durch Artikel 499 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist. [14] R. Benning: „Verkehrssicherstellungsgesetz - Erläuterte Textausgabe”, Berlin: Rehm, 1983 [15] E. Schürmann: „Wirtschaftslenkung im Notstand”, Berlin: Duncker und Humblot, 1970. [16] G. Schulz: „Die Deutsche Bundesbahn 1949-1989“, in Die Eisenbahn in Deutschland, L. Gall und M. Pohl (Hrsg.), München, C.H. Beck, 1999, S. 317-376 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 23 Wissenschaft POLITIK [17] A. Janssen: „Die kleinere aber bessere Bahn - auch für die Verteidigung? “, in Zivilverteidigung, S. 31-39, IV/ 1975 [18] H. Grillmeier: „Rationalisierungspläne der Bundesbahn und ihre Auswirkung auf die militärische Verkehrsführung“, in Wehrwissenschaftliche Rundschau, 1966, S. 563-587 [19] W. Beßlich: „Zehn Jahre materielle Sicherstellungs-Gesetze 1965-1975“, in Zivilverteidigung, IV/ 1975, S. 40-50 [20] G. Hermes und D. Sellner: „Beck‘scher AEG-Kommentar”, 2. Auflage, München: C.H. Beck, 2014 [21] A. Janssen: „Die Eisenbahnen im Rahmen der Verkehrssicherstellung. Ein Überblick über die Rechtsgrundlagen. Teil 2“, Zivilverteidigung, III/ 1977, S. 49-58 [22] P. Lange: „Gesamtverteidigung 2.0. Wie sollte Landes- und Bündnisverteidigung gesamtstaatlich umgesetzt werden? “, Berlin, 2018. www.baks.bund.de/ sites/ baks010/ files/ arbeitspapier_sicherheitspolitik_2018_02.pdf [Zugriff am 5. April 2019] [23] Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“, Berlin, 2016 [24] H. Brauß und C. Mölling: „Abschreckung und Rüstungskontrolle - Europas Sicherheit ohne INF-Vertrag: Politische und strategische Handlungsoptionen für Deutschland und die Nato“, in DGAP kompakt, Nr. 01/ 2019. https: / / dgap.org/ de/ article/ getFullPDF/ 31901 [Zugriff am 3. August 2019] [25] C. Chivvis: „Testimony - Understanding Russian ‘Hybrid Warfare’“, 2017. www.rand.org/ content/ dam/ rand/ pubs/ testimonies/ CT400/ CT468/ RAND_CT468.pdf [Zugriff am 3. August 2019] [26] „Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 19. Legislaturperiode“, Berlin, 2018 [27] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.): „Bundesverkehrswegeplan 2030“, Berlin, 2016 [28] Deutscher Bundestag (Hrsg.): „Drucksache 19/ 5208 - Antwort der Bundesregierung - Militärische Mobilität in Deutschland”, Berlin, 2018 [29] Europäische Kommission (Hrsg.): „Joint Communication to the European Parliament and the Council on the Action Plan on Military Mobility“, Brüssel, 2018 [30] P. Schneider: „Die Anbindung von Bundeswehr-Standorten an das Eisenbahnnetz“, in Eisenbahntechnische Rundschau, Juni 2019, S. 49-53 [31] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (Hrsg.): „Verkehr in Zahlen 2003/ 2004“, 2003 [32] Deutscher Bundestag (Hrsg.): „Drucksache 19/ 9305 - Kleine Anfrage - Gleisanschlüsse im deutschen Bahnnetz“, Berlin, 2019 [33] M. Rellstab: „Streckenunterbruch bei Rastatt mit verheerenden Folgen“, in Eisenbahn- Revue International, Oktober 2017, S. 489-497 [34] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.): „Verkehr in Zahlen 2018/ 2019“, 2018 [35] Verband der Bahnindustrie (Hrsg.): „Jahrespressekonferenz 2019”, Berlin, 2019 Philipp Schneider, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb, Technische Universität Berlin pschneider@railways.tu-berlin.de KONTAKT Messe Berlin GmbH Messedamm 22 · 14055 Berlin T +49 30 3038 2376 innotrans@messe-berlin.de Intern.Verkehrswesen_InnoTrans2020_102x297_de.indd 1 08.08.2019 13: 36: 29 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 24 POLITIK Wissenschaft Verteilungsaspekte einer CO 2 -Steuer auf Kraftstoff Einkommensungleichheit, Energiesteuer, Steuerbelastung, Verteilungswirkung In der aktuellen Debatte um die Einführung einer CO 2 -Steuer wird oftmals auf mögliche negative Verteilungswirkungen hingewiesen. Es wird befürchtet, dass ärmere Haushalte stärker von einer solchen Steuer betroffen sein könnten als Haushalte mit höherem Einkommen. Wird das zusätzliche Steueraufkommen allerdings in Form einer Pro-Kopf-Pauschale vollständig an die Bevölkerung zurückerstattet, so werden Haushalte mit geringerem Einkommen jedoch tendenziell entlastet, während Haushalte mit höherem Einkommen tendenziell belastet werden. Lara Quack, Leif Jacobs, Sven Stöwhase I n der gegenwärtigen öffentlichen Debatte über die Einführung einer CO 2 - Steuer wird oftmals auf mögliche negative Verteilungswirkungen hingewiesen. So betrachten bspw. die RWI-Forscher Manuel Frondel und Stephan Sommer in einer aktuellen Analyse für die Wochenzeitung DIE ZEIT [1] ausgewählte Modellhaushalte und kommen zu dem Ergebnis, dass es gerade für Geringverdiener zu überdurchschnittlichen Belastungen kommen kann. Eine Betrachtung der Verteilungswirkungen über die Gesamtbevölkerung findet allerdings nicht statt. Dies ist das Ziel dieses Beitrags, in dem wir die kurzfristigen distributiven Effekte einer CO 2 -Steuer auf Kraftstoffe mit Hilfe eines für Deutschland repräsentativen Datensatzes untersuchen. Der von uns analysierte Reformvorschlag sieht eine Erhöhung der Energiesteuersätze um eine CO 2 -Komponente in Höhe von 20 EUR je Tonne CO 2 vor. Unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer wäre mit einer Verteuerung des Literpreises für Diesel um etwa 6,3 ct und von Benzin um etwa 5,5 ct zu rechnen. Weiterhin gehen wir davon aus, dass der Fiskus das gesamte Aufkommen aus dieser Steuer in Form eines pauschalen Pro-Kopf-Transfers an die Bürger zurückerstattet. Zwar kommt es den Ergebnissen unsere Analyse nach zu finanziellen Belastungen für einzelne Geringverdiener, gleichwohl überwiegt in diesem Einkommensbereich die Anzahl der Haushalte, die durch die Reform entlastet werden. Demgegenüber kommt es bei reicheren Haushalten tendenziell eher zu Bedenn zu Entlastungen. Im Ergebnis zeigt sich bei einer Betrachtung über die Gesamtbevölkerung hinweg, dass der hier untersuchte Vorschlag in der kurzen Frist zu einer Verringerung der Einkommensungleichheit zwischen den Haushalten führt. Die von uns beobachteten Verteilungseffekte ergeben sich dabei unabhängig von der konkreten Höhe der Energiesteuersätze je emittierter Tonne CO 2 . Daten und Methodik Zur Analyse der steuerlichen Auswirkungen der Reform auf die privaten Haushalte in Deutschland wird deren individuelle Energiesteuerbelastung anhand der jeweiligen Antriebstechnologie, der Jahresfahrleistung und des Kraftstoffverbrauchs ihrer PKW simuliert, und zwar je einmal mit den Steuersätzen des bestehenden Rechts und denen des Reformszenarios unter Berücksichtigung sowohl einer CO 2 -Steuerkomponente als auch eines aus dem Aufkommen dieser Steuer gespeisten und an die Bürger ausgezahlten pauschalen Verkehrswendebonus. Der auf die CO 2 -Steuer entfallende Anteil der Umsatzsteuer wird dabei im Folgenden unter dem Begriff der Energiesteuer stets mitberücksichtigt und geht somit in das für die Auszahlung des Verkehrswendebonus verfügbare Budget mit ein. Es wird der direkte Erstrundeneffekt („Morning-After-Effekt“) der CO 2 -Steuerlast unter der Annahme einer vollständigen Überwälzung der Steuer auf die Preise für Kraftstoff simuliert. Anpassungen der individuellen PKW-Nutzung, wie etwa Änderungen der Fahrleistung oder der Ersatz durch andere PKW sowie Rückkoppelungseffekte durch weitere Steuern, werden dabei nicht berücksichtigt. Als Analyseinstrument wurde am Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT das arithmetische Mikrosimulationsmodell CARMOD entwickelt. Das Modell simuliert die Energiesteuer für den PKW-Bestand privater Haushalte in Deutschland [2]. Mikrosimulationsmodelle sind für die empirische Analyse von Aufkommens- und Verteilungswirkungen durch Gesetzesreformen besonders geeignet [3]. Als Datengrundlage dient das Deutsche Mobilitätspanel (MOP). Zentrale Elemente des MOP sind das Mobilitätsverhalten und die PKW-Nutzung, insbesondere der Kraftstoffverbrauch, und die Fahrleistung. Für das in dieser Studie verwendete Mikrosimulationsmodell wurde die zum Zeitpunkt der Berechnung aktuellste Erhebungswelle verwendet. Sie umfasst 1.850 für Deutschland repräsentative Haushalte des Berichtszeitraums 2017, für die im Berichtszeitraum 2018 zudem 1.602 PKW-spezifische Tankbücher erhoben wurden. 1 Das Nettoeinkommen jedes Haushalts liegt differenziert nach zehn Einkommensgruppen vor. Ein numerischer Wert des Nettoeinkommens, der erst detaillierte Verteilungsanalysen ermöglicht, wird auf Basis der Verteilung der Nettoeinkommen in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 imputiert. 2 Daraufhin werden die Haushalte anhand ihres Nettoäquivalenzeinkommens den Einkommensquartilen der Gesamtbevölkerung zugeordnet, um eine Vergleichbarkeit der finanziellen Situation zu ermöglichen. 3 Die Grundgesamtheit der Untersuchung stellen sämtliche rund 41 Mio. private Haushalte in Deutschland dar, unabhängig davon ob diese ein im Inland gemeldetes Fahrzeug besitzen oder nicht. Auch von der Reform betroffen sind Haushalte ohne PKW, da diese ebenfalls einen Anspruch auf den Verkehrswendebonus erhalten und somit zu den Reformgewinnern zählen. Berücksichtigt werden Mehrausgaben bei Kraftstoff- Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 25 Wissenschaft POLITIK käufen für die PKW der privaten Haushalte, einschließlich von Dienstwagen, welche in der Regel vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt und privat genutzt werden. 4 Kraftstoffausgaben für LKW werden in der Analyse ausgeklammert. Distributive Wirkungen der Reform Die von uns untersuchte CO 2 -Steuer generiert in der Summe (inkl. der auf sie entfallenden Umsatzsteuer) ein Aufkommen von 2,2 Mrd. EUR. Daraus ergibt sich ein jährlicher Verkehrswendebonus in Höhe von 28- EUR je Bürger. Insgesamt profitieren 60 % der Haushalte von der untersuchten Reform, da die Summe der von ihnen empfangenen Verkehrswendeboni höher ausfällt als ihre Bruttobelastung aus der CO 2 - Steuer. Zu Belastungen kommt es in der Summe entsprechend bei rund 40 % der Haushalte. Eine differenzierte Betrachtung der Ergebnisse verdeutlicht die distributiven Wirkungen der untersuchten Reform. So zeigt Bild 1, dass sich der Anteil der entlasteten Haushalte in Abhängigkeit vom Einkommen teils deutlich unterscheidet. Während unter den ärmsten 25 % der Haushalte fast 80 % profitieren, sinkt dieser Anteil mit dem Einkommen sukzessive ab. Lediglich die reichsten Haushalte würden mehrheitlich belastet werden. Beim reichsten Viertel der Haushalte liegt der Anteil der Entlasteten bei nur noch 40 %. Die finanziellen Be- und Entlastungen sind dabei zumindest im Durchschnitt überschaubar: Während die ärmsten Haushalte um durchschnittlich 20- EUR entlastet werden, käme es bei den Haushalten im obersten Einkommensquartil im Durchschnitt zu einer Belastung in Höhe von 20 EUR. Aus distributiver Sicht widersprechen unsere Ergebnisse demnach der vielmals geäußerten Befürchtung, eine CO 2 -Steuer könne negative Verteilungswirkungen mit sich bringen. Tatsächlich führt die Besteuerung im Zusammenwirken mit dem Verkehrswendebonus zu einer Umverteilung von einkommensstärkeren zu einkommensschwächeren Haushalten und wirkt damit mindernd auf die Ungleichheit. Obwohl insgesamt ungleichheitsmindernd, kann die Reform im Einzelfall natürlich auch für Haushalte in den unteren Einkommensbereichen zu Belastungen führen. Daher scheint ein differenzierter Blick auf die Ergebnisse einzelner Bevölkerungsgruppen lohnenswert. Bild 2 stellt entsprechend zunächst Familien, hier definiert als alle Haushalte, in denen mindestens eine nicht volljährigen Person lebt, in den Fokus der Betrachtung. Bei einer isolierten Analyse der Effekte nur für Familien zeigt sich, dass diese überproportional oft profitieren. So werden insgesamt 69 % der Familien, aber nur etwa 58 % der Haushalte, in denen keine minderjährige Person lebt, entlastet. Wie Bild 2 verdeutlicht, liegt der Anteil der entlasteten Familien mit 81 % im untersten Einkommensquartil dabei wieder höher als bei den reicheren Familien. Mit 58 % profitiert allerdings immer noch die Mehrzahl der Familien im obersten Einkommensquartil. Demgegenüber liegt der Anteil der Reformgewinner unter den Haushalten, in denen keine minderjährige Person lebt, in allen vier Quartilen durchgängig unter dem Vergleichswert für die Familien. Weiterhin bietet sich eine regionale Differenzierung nach dem siedlungsstrukturellen Regionstyp an, in dem der Haushalt lebt. So lassen die verwendeten Daten eine Unterscheidung darüber zu, ob ein Haushalt in einem eher ländlichen oder städtischen Kreis lebt. 5 Es zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den beiden Regionstypen: Während 64 % der Haushalte in städtischen Kreisen entlastet werden, liegt der entsprechende Anteil bei Haushalten in ländlichen Kreisen bei nur 49 %. Letzteres erscheint insbesondere vor dem Hintergrund eines höheren Anteils von Berufspendlern mit überdurchschnittlicher Fahrleistung naheliegend. Eine Analyse nach Einkommenshöhe zeigt jedoch, dass dieses Ergebnis stark getrieben wird durch einen mit nur 28 % sehr geringen Anteil an Entlasteten bei ländlichen Haushalten im obersten Einkommensquartil. Bild 3 verdeutlicht, dass es in den ersten drei Einkommensquartilen jeweils mehr entals belastete Haushalte gibt, der Anteil in ländlichen Kreisen gleichwohl immer geringer ausfällt als in städtischen Kreisen. Den höchsten Anteil an entlasteten Haushalten findet man demnach mit 88 % unter städtischen Haushalten im untersten Einkommensquartil. Getrieben werden die Ergebnisse, neben der individuellen Fahrleistung, insbesondere auch durch Unterschiede in emissionsrelevanten Fahrzeugmerkmalen der betroffenen Haushalte. Bild 4 stellt die Unterschiede zwischen Reformgewinnern und -verlierern für eine Auswahl an Merkmalen gegenüber. Mit durchschnittlich etwa 10.000 km/ Jahr ist die Fahrleistung bei den Reformgewinnern weniger als halb so hoch wie bei den Verlierern. Darüber hinaus unterscheiden sich die beiden Gruppen aber auch bezüglich weiterer Fahrzeugmerkmale. Während die Fahrzeuge der Entlasteten im Durch- 79% 63% 57% 41% 21% 37% 43% 59% 0% 20% 40% 60% 80% 100% 1. Quartil 2. Quartil 3. Quartil 4. Quartil Reformgewinner Reformverlierer Bild 1: Anteil der Reformgewinner und -verlierer je Einkommensquartil Quelle: eigene Berechnungen mit CARMOD unter Nutzung von: Forschungsdatendatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013; Karlsruher Institut für Technologie, Deutsches Mobilitätspanel 2017 81% 64% 72% 58% 79% 63% 53% 39% 1. Quartil 2. Quartil 3. Quartil 4. Quartil Familien Kinderlose Bild 2: Reformgewinner nach Familientyp Quelle: eigene Berechnungen mit CARMOD unter Nutzung von: Forschungsdatendatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013; Karlsruher Institut für Technologie, Deutsches Mobilitätspanel 2017 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 26 POLITIK Wissenschaft schnitt weniger als 110 PS Leistung haben, beträgt der entsprechende Wert bei den Belasteten 127 PS. Mit 44 % liegt auch der Anteil großer Autos bei den belasteten Haushalten deutlich über dem Durchschnitt. 6 Zwar unterscheiden sich die durchschnittlichen CO 2 -Emissionen je gefahrenen Kilometer nur unwesentlich. Pro Jahr emittieren die einzelnen Haushaltsmitglieder der Reformverlierer jedoch rund dreimal so viel CO 2 wie die Reformgewinner. Fazit Wie unsere Berechnungsergebnisse zeigen, bringt eine zusätzliche CO 2 -Steuer auf Kraftstoffe einige Umverteilungswirkungen mit sich. Eine substanzielle Anzahl an Reformgewinnern und -verlierern gibt es über alle Haushaltstypen hinweg. Tendenziell führt die CO 2 -Steuer in der kurzen Frist aber zu einer Umverteilung der Steuerlast vom städtischen in den ländlichen Raum sowie von Familien zu Kinderlosen. Die Umverteilungswirkungen zwischen diesen Gruppen werden dabei jedoch überlagert und sogar dominiert durch eine Umverteilung der Steuerlast weg von einkommensschwächeren hin zu einkommensstärkeren Haushalten. Global gesehen trägt die CO 2 - Steuer somit zu einer Milderung der Einkommensungleichheit in Deutschland bei. Zwar fallen die absoluten Umverteilungseffekte bei einer Bepreisung der Emissionen mit 20 EUR/ t im Durchschnitt eher gering aus, ein höherer CO 2 -Steuersatz würde gleichwohl ähnliche distributive Effekte erzeugen und dabei eine höhere absolute Umverteilung mit sich bringen. Das eigentliche Ziel der hier analysierten Lenkungssteuer ist eine Senkung der CO 2 -Emissionen. Mögliche, und vor diesem Hintergrund durchaus gewollte, Anpassungsreaktionen der Wirtschaftssubjekte auf die zusätzliche Besteuerung bleiben bei unserer Betrachtung der Verteilungswirkung in der kurzen Frist jedoch außen vor. Mittel- und Langfristig können diese Anpassungsreaktionen die Verteilungswirkungen nochmals stark verändern. Sofern sich beispielsweise einkommensstärkere Haushalte einfacher und allgemein kostengünstiger an die zusätzliche Besteuerung anpassen können als einkommensschwächere Haushalten, wäre es mittelbis langfristig nicht auszuschließen, dass sich die hier beobachteten distributiven Effekte abschwächen und im Extremfall sogar umkehren. ■ 1 Vgl. Karlsruher Institut für Technologie: Deutsches Mobilitätspanel, http: / / mobilitaetspanel.ifv.kit.edu/ 128.php (16.03.2018). 2 Für jede Einkommensgruppe werden hierzu die Haushalte der Stichprobe pseudo-randomisiert angeordnet, auf die Grundgesamtheit extrapoliert, einer ihrer Gewichtung entsprechenden Zahl an ebenfalls auf die Bevölkerung extrapolierten Haushalten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zugeordnet und schließlich wieder unter Bildung des Einkommensmittelwerts auf die ursprüngliche Stichprobengröße aggregiert. 3 Das Nettoäquivalenzeinkommen ist eine anhand der Personenzahl gewichtete Form des Nettoeinkommens. Die Gewichtungsfaktoren wurden der neuen OECD-Skala entnommen. 4 Tendenziell wird damit die Zahl der von der CO 2 -Besteuerung belasteten Haushalte überschätzt, da implizit unterstellt wird, dass sich die Arbeitgeber nicht (vollständig) an den Kraftstoffkosten für Dienstwagen beteiligen. 5 Auf Basis der vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) definierten neun siedlungsstrukturellen Kreistypen (vgl. www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ Raumbeobachtung/ Raumabgrenzungen/ Siedlungsstrukt u re l l e G e b i e t s ty p e n / K re i s ty p e n / k re i s ty p e n . ht m l (26.06.2019)) fassen wir alle ländlichen Kreise in ländlichen Räumen, in verstädterten Räumen sowie in Agglomerationsräumen zu ländlichen Kreisen, sowie alle verbleibenden Regionstypen zu städtischen Kreisen, zusammen. 6 Als „groß“ klassifizieren wir alle PKW der Fahrzeugsegmente Mittelklasse, obere Mittelklasse, Oberklasse, Geländewagen, SUV, Sportwagen. Großraum-Van, Utility und Wohnmobil. LITERATUR [1] K. Heckendorf, L. Nienhaus: CO 2 -Steuer: Die Klimasteuer. In: DIE ZEIT, Nr. 24/ 2019, 6. Juni 2019. [2] L. Jacobs, L. Quack: Das Ende der Dieselsubvention: Verteilungseffekte einer CO 2 -basierten Energiesteuerreform. In: Wirtschaftsdienst, 2018, H. 8, S. 578-586. [3] F. Bourguignon, A. Spadaro: Mircosimulation as a tool for evaluating redistribution policies. In: The Journal of Economic Inequality, 2006, H. 1, S. 77-106. Leif Jacobs, MSc Wirtschaftsingenieurwesen wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fraunhofer FIT, Abteilung Mikrosimulationsmodelle leif.jacobs@fit.fraunhofer.de Sven Stöwhase, Dr. oec publ. Abteilungsleiter, Fraunhofer FIT, Abteilung Mikrosimulationsmodelle sven.stoewhase@fit.fraunhofer.de Lara Quack, MSc Economics wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fraunhofer FIT, Abteilung Mikrosimulationsmodelle lara.quack@fit.fraunhofer.de 60% 54% 51% 28% 88% 68% 59% 46% 1. Quartil 2. Quartil 3. Quartil 4. Quartil Ländlich Städtisch Bild 3: Reformgewinner nach siedlungsstrukturellem Regionstyp Quelle: eigene Berechnungen mit CARMOD unter Nutzung von: Forschungsdatendatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013; Karlsruher Institut für Technologie, Deutsches Mobilitätspanel 2017 163 118 37 180 153 224 127 44 185 231 100 109 30 175 73 Ø Fahrleistung pro Haushalt [100km/ Jahr] Ø PS Ø Anteil großer Autos Ø CO2-Emissionen [g/ km] Ø jährliche CO2-Emissionen [10kg/ Person] Reformgewinner Reformverlierer Durchschnitt Bild 4: Emissionsrelevante Fahrzeugmerkmale Quelle: eigene Berechnungen mit CARMOD unter Nutzung von: Forschungsdatendatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013; Karlsruher Institut für Technologie, Deutsches Mobilitätspanel 2017 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 27 Modifizierung der Stellplatzsatzung als Beitrag zu nachhaltigerem Verkehr Der innovative Ansatz der Stadt Oberursel (Taunus) Stellplatzsatzung, Mobilitätsmanagement, öffentlicher Personennahverkehr Zweckentfremdeter Parkraum auf Privatgrund, ungenutzte Tiefgaragenstellplätze, überlastete öffentliche Parkflächen: Nicht nur Großstädte haben mit solchen Problemen zu kämpfen. Auch die im Taunus gelegene Mittelstadt Oberursel (46.000 Einwohner) steht vor der Herausforderung einer Mobilitäts- und Verkehrswende, die nur durch viele, miteinander verzahnte Bausteine erreicht werden kann. Einer dieser Bausteine ist die Neuausrichtung der kommunalen Stellplatzsatzung als Teil eines ganzheitlichen Parkraummanagements. Ein auf örtliche Gegebenheiten reagierender Stellplatzschlüssel und Regelungen, die den Umweltverbund fördern, können bereits in der Siedlungsentwicklung einen dauerhaften Beitrag zu einer nachhaltigeren Mobilität leisten. Oberursel ist diesen Weg gegangen. Seit dem 8. Juni 2019 ist die neue Stellplatzsatzung in Kraft. Volker Blees, Uli Molter, Ina Steinhauer S eit Inkrafttreten der Reichsgaragenordnung im Jahr 1939 sind Bauherren im Grundsatz verpflichtet, auf ihrem Grundstück KFZ-Stellplätze für den von ihrem Bauvorhaben ausgelösten Verkehr vorzuhalten. Intention dieser Stellplatzbaupflicht war es im Ursprung, durch Schaffung von Parkraum den KFZ-Besitz zu fördern und zugleich durch Verlagerung des Parkens in den privaten Raum den Verkehrsfluss auf den Straßen zu verbessern und so die KFZ-Nutzung attraktiver zu machen. Stellplatzsatzung als verkehrspolitisches Instrument Eine solche Zielsetzung erscheint heute angesichts eines zunehmenden gesellschaftlichen Konsenses für eine Mobilitätswende weg vom bestehenden, autozentrierten Verkehrssystem überholt. Hinzu kommt, dass die Stellplatzbaupflicht weitere negative Effekte wie etwa Flächenverbrauch und erhebliche Steigerungen der Baukosten zeitigt [1, 2]. Obwohl ihr Grundprinzip überholt erscheint, ist die Stellplatzbaupflicht bis heute Wohnstraße in Oberursel, trotz ausreichend privaten Stellplätzen von Bewohnern „zugeparkt“. Foto: Stadt Oberursel Stadtplanung INFRASTRUKTUR Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 28 INFRASTRUKTUR Stadtplanung in nahezu allen Landesbauordnungen verankert. Die meisten Länder, so auch das Land Hessen, ermöglichen es den Kommunen, die Stellplatzbaupflicht und weitere stellplatzbezogene Regelungen in örtlichen Satzungen zu spezifizieren und auszugestalten. Vor allem Großstädte wie Darmstadt, Frankfurt am Main, Mainz oder Rostock haben sich in den letzten Jahren auf den Weg gemacht, unter Hinnahme des bauordnungsrechtlichen Rahmens ihre Stellplatzsatzungen möglichst so auszugestalten, dass ein nachhaltigeres Verkehrssystem gefördert wird. Mit Oberursel hat sich nun auch eine Mittelstadt dieser Herausforderung gestellt. Weiterentwicklung der Stellplatzsatzung in Oberursel Ein Antrag der Oberurseler Lokalpolitik aus dem Jahr 2018 zielte darauf ab, den bislang starren Stellplatzschlüssel in Bereichen mit ausreichender Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel zu reduzieren. Auch sollte es möglich sein, mit Angeboten aus dem Bereich des Mobilitätsmanagements wie beispielsweise Carsharing die Anzahl der herzustellenden Stellplätze zu verringern. Hierzu wurden in einem ersten Schritt Ziele definiert, die eine neue Stellplatzsatzung verfolgen sollte: • Auf örtliche Gegebenheiten flexibel reagieren, • nachhaltige Mobilität (Fahrrad, ÖPNV, Carsharing) fördern, • sich veränderndes Mobilitätsverhalten berücksichtigen, • Kosteneinsparung bei Bauvorhaben ermöglichen, • Nachverdichtung erleichtern und Grünräume schützen, • Flächenversiegelung verringern. Die Änderungen in der neuen Stellplatzsatzung wirken in unterschiedlichem Umfang auf diese Ziele hin. Basis der Satzung sind wie bisher feste Tabellenwerte für die Stellplatzbaupflichten: Abhängig von Nutzungsart sowie Größe eines Bauvorhabens wird die Anzahl der herzustellenden PKW-Stellplätze und Fahrradabstellplätze bestimmt. Neu ist jedoch, dass von diesen Tabellenwerten nun je nach örtlicher Situation Abschläge vorgenommen werden können. Auch weitere Regelungen, z. B. zur Qualität von Fahrradabstellanlagen, zielen auf die Förderung des Umweltverbundes ab. ÖV-Zonierung Mobilitätsanalysen wie jüngst die bundesweite Erhebung „Mobilität in Deutschland 2017“ zeigen nach eigenen Auswertungen, dass Menschen, die in der Nähe einer Haltestelle mit attraktivem ÖPNV-Angebot wohnen, häufiger Bus und Bahn nutzen und seltener über ein eigenes Auto verfügen als Personen, deren ÖPNV-Ausstattung am Wohnort weniger gut ist. Die neue Stellplatzsatzung von Oberursel greift diesen Sachverhalt auf und definiert drei Zonen der ÖV-Erschließung in Abhängigkeit von „echten“ Fußweglängen zur Haltestelle. Diese wurden mit Hilfe der Erreichbarkeitsanalyse des Regionalverbands Frankfurt RheinMain ermittelt [3]. Die drei Zonen basieren auf den im Nahverkehrsplan des Hochtaunuskreises [4] festgelegten Einzugsbereichen unter Berücksichtigung eines Umwegefaktors von 1,2. Berücksichtigt wurden alle S- und U- Bahnstationen, da sie in Oberursel im 15-Minuten-Takt angedient werden. Bushaltestellen wurden dann betrachtet, wenn die dort verkehrenden Linien insgesamt einen 15-Minuten-Takt bilden und die Fahrzeit zu Stationen von S- und U-Bahn maximal zehn Minuten beträgt. Hauptfahrziele wie die Oberurseler Innenstadt sowie Frankfurt oder Bad Homburg wurden damit berücksichtigt. In Zone „grün“ (Fußwegentfernung S- Bahn bis 400 m, U-Bahn bis 200 m, Bus bis 120 m) kann die Zahl der herzustellenden Stellplätze um 20 % reduziert werden. In Zone „gelb“ (Fußwegentfernung S-Bahn 400 bis 800 m, U-Bahn 200 bis 400 m, Bus 120 bis 240 m) können 10 % und in Zone „rot“ (S-Bahn 800 bis 1.200 m, U-Bahn bis 400 bis 600 m, Bus 240 bis 360 m) 5 % weniger Stellplätze hergestellt werden. Die ÖV-Zonierung ermöglicht damit eine flexiblere Gestaltung der Stellplatzherstellung und eine je nach Bedarf örtliche Festlegung der Stellplatzzahlen. Mobilitätsmanagement Der Baustein Mobilitätsmanagement zielt darauf ab, dass Bauherrschaften die Nut- ² Legende Zone I (sehr gute ÖV-Erschließung) Zone II (gute ÖV-Erschließung) Zone III (mittlere ÖV-Erschließung) Altstadt Ortskerne Innenbereich 0 1 2 0,5 km ÖV-Zonierung Oberursel Bild 1: Bereiche mit reduziertem Stellplatzschlüssel Quelle: Amtliches Liegenschaftskataster Informationssystem - ALKIS® - der Hessischen Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation (Juli 2018) Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 29 Stadtplanung INFRASTRUKTUR zung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) und damit den Stellplatzbedarf beispielsweise mithilfe von Job- oder Mietertickets, Quartiersgaragen, Carsharing oder einem Lastenradverleih reduzieren. Diese Möglichkeit ist in der neuen Stellplatzsatzung als Information aufgenommen. In einem Leitfaden, der den Bauherrschaften mit der Stellplatzsatzung an die Hand gegeben wird, werden die möglichen Inhalte eines Mobilitätskonzepts und die Vorgehensweise detailliert erläutert [5]. Das von der Bauherrschaft vorzulegende Konzept muss insbesondere aufzeigen, wie die geplanten Maßnahmen wirken und den Stellplatzbedarf des Vorhabens reduzieren. Es wird dann im Einzelfall geprüft, ob es sich bei den beabsichtigten Maßnahmen um ein stimmiges und wirksames Gesamtkonzept handelt: Einzelmaßnahmen haben nur einen geringen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten; erst ein geschlossenes Konzept kann dafür sorgen, eine ausreichende Nutzerschaft anzusprechen und den Wechsel vom Auto auf andere Verkehrsmittel zu erleichtern. Das Mobilitätskonzept wird, wenn es die beschriebenen Anforderungen erfüllt, Teil der Baugenehmigung. Damit wird die Verbindlichkeit der Umsetzung nicht an einen Eigentümer bzw. eine Eigentümerin, sondern an das Bauvorhaben selbst geknüpft. Eine Aufhebung der Maßnahmen wird dann wie eine Nutzungsänderung behandelt und muss bei der Stadt, unter Festlegung von Alternativmaßnahmen, beantragt werden. Wer ein Mobilitätskonzept ohne Weiteres aufhebt, handelt im Sinne der Stellplatzsatzung ordnungswidrig. PKW-Stellplätze durch Fahrradabstellplätze ersetzen Die Hessische Bauordnung (HBO) wurde bereits 2018 novelliert und nimmt in diesem Zuge erstmals die sogenannte Ersetzungsbefugnis in § 52 Abs. 4 auf. Hiernach können bis zu 25 % der Stellplätze für PKW durch Fahrradabstellplätze ersetzt werden. Für einen Stellplatz sind dann vier Abstellplätze für Fahrräder zu errichten. Da diese Regelung erst am 7. Juni 2019 in Kraft getreten ist, konnten alle Kommunen in Hessen innerhalb der Übergangsfrist von einem Jahr den Paragraphen aus der HBO modifizieren oder ausschließen. Die Stadt Oberursel hat sich auf den etwas reduzierten Wert von 15 % ersetzbarer PKW-Stellplätze festgelegt. Damit soll der Radverkehr in einem überschaubaren Maß künftig stärker gefördert werden. Grundsätzlich gilt in der neuen Stellplatzsatzung die Regelung, dass ein Bauherr zwischen der Ersetzungsbefugnis und der ÖV-Zonierung wählen kann. Eine Doppelbegünstigung unter Anwendung beider Reduktionsmöglichkeiten ist ausgeschlossen. Erhöhung der Ablösebeträge Ablösebeträge sind zu zahlen, wenn ein Stellplatz faktisch nicht hergestellt werden kann. Diese Entscheidung wird vom Magis- Wo liegt das Bauvorhaben? Zone I (grün): -20 % der Stellplätze Zone II (gelb): -10 % der Stellplätze Zone III (rot): -5 % der Stellplätze Altstadt (grau): -50 % der Stellplätze Innenbereich (blau): -50 % der Stellplätze Ortskerne (lila): -20 % der Stellplätze Keiner der genannten Bereiche (weiß) oder anstelle Zone I, II, III Ersetzungsbefugnis Ersetzungsbefugnis ÖV-Zonierung nein Ersetzungsbefugnis: bis zu 15 % der Stellplätze durch Fahrradabstellplätze ersetzbar nein nein ja Ablöse Magistratsvorbehalt Stellplatzzahl gemäß Richtzahlentabelle zur Stellplatzsatzung Kombination mit Teil B möglich: ja / nein Mobilitätskonzept bis zu -30 % der Stellplätze Teil A Teil B Teil C Teil D Bild 3: Möglichkeiten der Stellplatzreduktion in Oberursel Eigene Darstellung 2019 Bild 2: Beispiele für-gute Fahrradabstellplätze Quelle: [6] 11 Leitfaden ›Fahrradabstellplätze bei Wohngebäuden‹ | Kap. 2 || schen die Fahrräder treten können (Bild 11). Bei Achsabständen von 1,0 - 1,1 m können die Personen nur parallel zu den abgestellten Fahrrädern herantreten. Diese Abstände sollten nur bei sehr beengten Flächen und Abstellplätzen für langfristig oder dauerhaft abgestellte Fahrräder von Bewohnerinnen und Bewohnern Einsatz finden (Bild 12, Bild 13). Abstellplätze an Gabelhaltern und in Doppelstockanlagen können mit Hoch-Tief-Aufstellung, bei der die Ständer abwechselnd tief und erhöht angeordnet sind, flächensparend eingerichtet werden. Zur Vermeidung eines Verhakens von Lenkern, Fahrradkörben oder Kindersitzen empfiehlt sich ein Achsabstand von 0,5 m zwischen den Ständern (Bild 14). Doppelstockanlagen in Hoch-Tief-Anordnung können je nach Ausführungsform eine Raumhöhe von 2,8 m oder mehr erfordern (Bild 15). Bild 11: Anlehnbügel zum beidseitigen Abstellen mit 1,3 m Achsabstand Bild 12: Anlehnbügel mit 1,0 m Achsabstand Wenn in den Fahrradräumen von Mehrfamilienhäusern keine Abstellplätze für die einzelnen Fahrräder eingerichtet sind, stellen die Bewohnerinnen und Bewohner die Fahrräder frei ab. Dies erschwert den Zugang zu einzelnen Fahrrädern und kann zu einer schlechten Flächenausnutzung führen. Die Flächenausnutzung lässt sich daher auch in Fahrradräumen durch fest installierte Abstellplätze verbessern. Im Keller, im Erdgeschoss oder in einer Tiefgarage sollte vor einer Bohrung in die Bodenplatte immer eine baufachliche Prüfung erfolgen, um mögliche Schädigungen und Undichtigkeiten zu vermeiden. 12 Bild 15: Doppelstockanlage in Hoch-Tief-Anordnung || Kap. 2 | Leitfaden ›Fahrradabstellplätze bei Wohngebäuden‹ 2.4 Abstellplätze für unterschiedliche Nutzergruppen und Abstelldauer Die Bauordnungen der meisten Länder verlangen bei Wohngebäuden geschlossene und witterungsgeschützte Abstellplätze wie z. B. Fahrradräume. Es empfiehlt sich, die Lage und Ausstattung der Abstellplätze weiter zu unterscheiden nach dem • langfristigen und dauerhaften Abstellen durch Bewohnerinnen und Bewohner - z. B. über Nacht oder über Winter - und • der zumeist kurzen Abstelldauer von Besucherinnen und Besuchern oder auch von Bewohnerinnen und Bewohnern, die z. B. Einkäufe in das Haus tragen. So sollten etwa die Abstellplätze für Besucherinnen und Besucher offen sein, Anlehnbügel sollten grundsätzlich in für die Radfahrerinnen und Radfahrer komfortablem Abstand zueinander angeordnet sein (Tab. 4). 2.5 Erschließung von Abstellplätzen in Keller- oder Obergeschossen Fahrradabstellanlagen in Gebäuden sollen grundsätzlich ebenerdig oder über Rampen, flach geneigte Treppenrampen oder Aufzüge erschlossen sein. Dies dient auch der leichten Zugänglichkeit für schwere Fahrräder wie z. B. Pedelecs (Bild 16). Bild 13: V-förmiger Bügel mit 1,0 m Achsabstand Bild 14: Gabelhalter in Hoch-Tief-Anordnung Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 30 INFRASTRUKTUR Stadtplanung trat getroffen. In der neuen Stellplatzsatzung von Oberursel wurde der Ablösebetrag von bislang 10.000 EUR auf 12.500 EUR angehoben. Hintergrund sind die steigenden Grundstückspreise in Oberursel und die hohen Baukosten von Stellplätzen, die bis zu 35.000 EUR betragen können. Die generierten Einnahmen der Ablöse fließen, gemäß § 52 Abs. 3 HBO, in investive Maßnahmen zur Förderung von Parkeinrichtungen sowie des ÖPNV und Radverkehrs. Qualitätssteigerung im Radverkehr In Deutschland existieren etwa 80 Millionen Fahrräder, im Schnitt besitzt jeder Deutsche ein Fahrrad. Auch eine Stellplatzsatzung muss diese Tatsache abbilden. Je attraktiver eine Abstellanlage gerade für Alltagsverkehre für Fahrräder ist, desto besser wird sie auch von Nutzerinnen und Nutzern angenommen. Daher müssen in Oberursel für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie für Wohnungen ab 90 m 2 zukünftig drei Fahrradabstellplätze je Wohnung statt bisher zwei hergestellt werden. Außerdem muss die Abstellanlage gewissen qualitativen Anforderungen genügen: • Zunächst sichern Mindestabmessungen der einzelnen Fahrradabstellplätze die Attraktivität der Benutzung. • Ausreichende Seitenabstände ermöglichen bequemes Ein- und Ausparken und verhindern, dass benachbarte Fahrräder beschädigt werden. • Die barrierefreie Erreichbarkeit der Fahrradabstellplätze muss gewährleistet sein. • Darüber hinaus steigern Witterungs- und Diebstahlschutz die Attraktivität. Nicht nur die Räder, sondern auch der Rahmen des Fahrrads muss leicht anzuschließen sein. Das gilt für sämtliche Fahrradgrößen als auch -arten wie etwa Lastenräder. Diese werden in der neuen Stellplatzsatzung über eine großzügiger bemessene Abstellfläche berücksichtigt. • Größere Abstellanlagen müssen zukünftig zu drei Vierteln mit einer Überdachung oder Einhausung versehen werden. Stellplatzherstellung in historischen Ortskernen Bereits in der bisher gültigen Stellplatzsatzung war geregelt, dass aufgrund der engen Bebauung im Altstadtbereich von Oberursel bei Wohnungen und Wohngebäuden nur 50 % der Stellplätze hergestellt werden müssen. Diese Regelung hat sich bewährt, um Nachverdichtungen (z. B. Ausbau von Dachgeschossen) sowie Sanierungsmaßnahmen zu erleichtern und auf diese Weise den historischen Siedlungskern in seiner Funktionalität zu stärken. Sie wird daher - mit einer etwas geringeren Reduktion von 20 % - auf die Ortskerne der Stadtteile Stierstadt, Weißkirchen, Bommersheim und Oberstedten sowie in all diesen Kernbereichen auf Büro- und Praxisräume, Verkaufs-, Sport- und Gaststätten sowie Handwerksbetriebe ausgeweitet. Damit wird zugleich die Gleichbehandlung der Ortsteile mit der Oberurseler Altstadt sichergestellt. Zusammenfassung Viele Stellplätze auf Privatgrund machen die Autonutzung attraktiv und induzieren oft vermeidbare Verkehre. Eine Verflüssigung der Verkehrsabläufe wird nicht erreicht, indem breitere Straßen und viele Stellplätze geschaffen werden. Eine angemessene, den örtlichen Verhältnissen sinnvoll angepasste Reduktion der Stellplatzzahl kann dagegen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten der Menschen und insbesondere der Neubürgerinnen und -bürger von Oberursel nehmen. Mit einem geplanten Umzug ändern sich neben den Rahmenbedingungen wie der Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel oder der Attraktivität des Fuß- und Radverkehrs oft auch persönliche Einstellungen, die zu einer veränderten Verkehrsmittelnutzung führen. Die neue Stellplatzsatzung [7] beinhaltet daher im Rahmen der generellen Stellplatzbaupflicht „Leitplanken“ einer Änderung und wirkt in moderatem Umfang auf sich ändernde Rahmenbedingungen ein. Als innovativer Ansatz folgt sie den aktuell beobachtbaren Trends einer Mobilitäts- und Verkehrswende, indem sie nicht nur ein geändertes Mobilitätsverhalten abbildet, sondern gleichermaßen auf dieses hinwirkt. Zugleich bedient sie sich hierfür verschiedener Ansatzpunkte, wie aus der Übersicht der Stellplatz-Reduzierungstatbestände in Bild 3 deutlich wird. Dennoch wird es auch weiterhin ausreichend Parkraum in Oberursel geben. Eine gänzliche Verdrängung des motorisierten Individualverkehrs ist an dieser Stelle (noch) nicht zielführend. Die Stellplatzsatzung definiert daher auch keine Obergrenzen: Jede Bauherrschaft kann auch weiterhin mehr Stellplätze herstellen als von der Stellplatzsatzung gefordert, um auf den vorhandenen Parkraumbedarf adäquat reagieren zu können. Gleichzeitig umfassen die Neuerungen nur zukünftige Bauvorhaben bzw. Nutzungsänderungen. Alle vorhandenen Gebäude genießen Bestandsschutz. Auch bei kleineren Vorhaben wie der Errichtung von Einfamilienhäusern haben die Überlegungen zur Stellplatzreduktion aufgrund der geringen Prozentwerte nur geringen bis keinen Einfluss. Insbesondere größere Vorhaben, die ein entsprechend hohes Verkehrsaufkommen generieren, können jedoch zukünftig von der neuen Stellplatzsatzung profitieren. Hierbei können Baukosten gesenkt, Grün- und Freiflächen geschützt und die Stellplatzherstellung sachgerechter gestaltet werden. Gerade bei größeren Vorhaben lassen sich umfassende Maßnahmen des Mobilitätsmanagements umsetzen, um so nachhaltig motorisierte Individualverkehre zu reduzieren. Letzteres wirkt sich nicht nur auf das Bauvorhaben selbst, sondern auf die gesamte verkehrliche Infrastruktur und die Lebensqualität Oberursels positiv aus. ■ QUELLEN [1] Blees, Volker: Stellplatzbaupflicht - eine 80-Jährige auf dem Mobilitätswende-Prüfstand. Vortrag beim 4. Dialogforum Rhein-Main »Wohnen leitet Mobilität« des VCD am 09. Mai 2019 in Wiesbaden [2] Blees, Volker; Topp, Hartmut: Verkehrswende auch beim Parken. In: Süddeutsche Zeitung vom 14.01.2019, S. 16 [3] Regionalverband Frankfurt RheinMain 2018: Erreichbarkeitsanalyse durchgeführt für die Stadt Oberursel (Taunus). Informationen zum Tool: www.region-frankfurt.de/ Aufgaben/ Mobilit%C3%A4t-/ Nahmobilit%C3%A4t- [4] Verkehrsverband Hochtaunus (VHT) 2014: Integrierter lokaler Nahverkehrsplan für den Hochtaunuskreis 2013-2017. Download unter: www.ve r ke h r sve r b a n d-h o c ht a u n u s .d e/ m e d i a/ Aufg a b e n/ Lokaler+Nahverkehrsplan/ Lokaler+Nahverkehrsplan+2013+_+2017p-1930.pdf [5] Leitfaden zur Satzung der Stadt Oberursel (Taunus) über Stellplätze für PKW sowie Fahrradabstellplätze: www.oberursel.de/ de/ rathaus/ stadtrecht-wahlen/ satzungen/ satzungen-1/ [6] Landeshauptstadt Potsdam 2014: Fahrradabstellplätze bei Wohngebäuden - Ein Leitfaden für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft: www.mobil-potsdam.de/ fileadmin/ user_upload/ bicycle/ documents/ Leitfaden_Fahrradabstellplaetze.pdf [7] Stadt Oberursel (Taunus): Satzung der Stadt Oberursel (Taunus) über Stellplätze sowie Fahrradabstellplätze, Stellplatz- und Stellplatzablösesatzung: www.oberursel.de/ de/ rathaus/ stadtrechtwahlen/ satzungen/ satzungen-1/ Uli Molter, Dr. phil. Abteilungsleiter Verkehrsplanung, Stadt Oberursel (Taunus) uli.molter@oberursel.de Ina Steinhauer, M. Eng. Verkehrsplanerin, Stadt Oberursel (Taunus) ina.steinhauer@oberursel.de Volker Blees, Prof. Dr.-Ing. Professor für Verkehrswesen, Hochschule RheinMain volker.blees@hs-rm.de Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 31 Gestaltung INFRASTRUKTUR Infrastruktur - Design - Emotionen Einfluss des Designs auf die Verkehrsmittelwahl Design, Emotionen, Verkehrsmittelwahl, Umweltverbund Im Automobilbau wird ein erheblicher Aufwand in das Design investiert. Doch welche Wirkung hat die Gestaltung von Verkehrsmitteln bzw. Infrastrukturen des Umweltverbunds auf den Nutzenden? Dieser Artikel zeigt die Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung dieser Thematik auf. Dabei wird primär das Auslösen von Emotionen anhand von produktsprachlichen Faktoren analysiert. Es wird zudem aufgezeigt, an welcher Stelle das Design bzw. Emotionen die Verkehrsmittelwahl beeinflussen. Auch werden Empfehlungen ausgesprochen, welchen Stellenwert diese Thematik im gesamten Planungs- und Umsetzungsprozess haben sollte. Dominic Hofmann D ie Notwendigkeit zur Verkehrswende, die im Idealfall zu einer höheren Nutzungsintensität von Verkehrsmitteln des Umweltverbunds führen sollte, ist aufgrund zahlreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse notwendig und unausweichlich. Bereits heute hat die Steigerung der Verkehrsnachfrage erhebliche Folgen. Dazu zählen beispielsweise Staus, lokale Luftverschmutzung und eine erhöhte Lärmbelastung. Es ist also wichtig, das Verkehrsangebot so attraktiv wie möglich zu gestalten [1]. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig zu identifizieren, welche Faktoren die Verkehrsmittel des Umweltverbunds für Nutzende attraktiver machen. Oftmals sind jedoch die Erwartungen der Nutzenden nicht bekannt. Es ist daher unklar, ob das zur Verfügung gestellte Angebot positiv aufgenommen wird. Gleiches gilt für die Wirkung und die Wahrnehmung von gestalterischen Faktoren. In diesem Bereich gibt es trotz des bestehenden Handlungsbedarfs bislang keine umfassenden Forschungserkenntnisse. Die im Folgenden beschriebene Methodik wurde mit dem Ziel entwickelt, diese Forschungslücke zu schließen. Methodik Es wurde eine Kombination aus qualitativen und quantitativen wissenschaftlichen Methoden gewählt. Dabei standen vor allem die Ergebnisse aus Experteninterviews sowie die Analyse einer umfassenden Nutzerbefragung im Vordergrund. In der Nutzerbefragung wurde primär abgefragt, welche produktsprachlichen Faktoren für das Auslösen von Emotionen ver- U-Bahn-Station Brandenburger Tor in Berlin Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 32 INFRASTRUKTUR Gestaltung antwortlich sind. Befragt wurde an der Bus- und Straßenbahnhaltestelle vor dem Darmstädter Hauptbahnhof, an Radverleihstationen in Mainz sowie an der Koblenzer Seilbahn. Diese charakteristischen Infrastrukturen bzw. Orte wurden gewählt, um die emotionalen Wirkungen einfacher identifizieren zu können. Für die Definition der produktsprachlichen Faktoren war es zunächst notwendig, die entsprechenden Kategorien allgemeinverständlich zu formulieren. Hierfür wurden acht sogenannte Triggerfaktoren definiert: • Farbgebung, • Formgebung, • Materialien, • Ordnung/ Struktur, • Orientierung, • Verständlichkeit, • Lesbarkeit und die • direkte Umgebung. Die Emotionen teilen sich in eine positive und eine negative Kategorie auf. Zu der Kategorie der positiven Basis-Emotionen zählen Vertrauen, Freude, Begierde, Interesse und Überraschung. Als negative Basis-Emotionen wurden Ekel, Zorn, Trauer, Furcht und Scham definiert [3]. Da sich die Arbeit mit fördernden Faktoren beschäftigt, wurde der Fokus auf die positiven Emotionen gelegt. Das Erhebungsschema und die Ergebnisse der quantitativen Vor-Ort-Befragung wurden im Anschluss mit Hilfe einer Validierungserhebung überprüft und konnten methodisch sowie inhaltlich bestätigt werden. Insgesamt wurden im Rahmen dieser Arbeit 27 Experteninterviews durchgeführt und mehr als 700 Personen befragt. Ergebnisauszug der quantitativen Nutzerbefragung Erfragt wurde die Relation zwischen produktsprachlichen Faktoren und dem Auslösen von entsprechenden Emotionen. Bild 1 stellt die summierten Ergebnisse der Antworten bzgl. der Ist-Situation und einer optimalen bzw. Wunsch-Situation dar. Es zeigt sich dabei, dass die Umgebung mit einem arithmetischen Mittel von 29,4 % als Auslöser von Emotionen die höchste Relevanz besitzt. Danach folgen die Materialien (28,5 %), gefolgt von der Farbgebung (27,3 %). Das Ranking der drei meistgenannten Emotionen wird angeführt von dem Auslösen von Vertrauen, Freude und Interesse. Im Bereich der Relationen liegen die Verbindungen zwischen Verständlichkeit/ Vertrauen (62,3 %) vor Materialien/ Vertrauen (59,5 %) sowie Umgebung/ Freude (54,7 %). Geschlechterspezifische Auswertung Bei der geschlechterspezifischen Auswertung der Daten zeigt sich, dass die jeweiligen produktsprachlichen Auslöser von den Geschlechtern unterschiedlich oft genannt werden und die Priorisierung der Faktoren dabei abweichend ist. Auch wenn die prozentualen Abstände relativ gering sind, ist ein Trend zu erkennen. Dabei ist im Speziellen die Umgebung hervorzuheben. Diese ist bei den weiblichen Befragten primär für das Auslösen von Emotionen verantwortlich. Bei Männern liegt dieser Faktor lediglich auf dem dritten Rang hinter der Formgebung und den Materialien. Eine weitere Besonderheit spiegelt die Emotion des Vertrauens wieder. Diese wird mit einem relativ großen Abstand als am häufigsten ausgelöste Emotion bei den weiblichen Befragten angegeben. Bei Männern liegt das Vertrauen lediglich auf dem zweiten Rang. Es kommt hier die Vermutung auf, dass das Sicherheitsgefühl bei Frauen im öffentlichen Raum, speziell bei Verkehrsmitteln und deren Infrastrukturen, eine höhere Relevanz erfährt als bei Männern. Altersspezifische Auswertung Werden zunächst die produktsprachlichen Triggerkategorien und deren Rankings betrachtet, so wird bereits dort ein Unterschied deutlich. Bei der jüngeren Personengruppe erhält die Farbgebung den höchsten Wert (33,0 %). Danach folgen die Umgebung (31,0 %) sowie die Materialien (30,4 %). Die ältere Personengruppe hingegen bewertet die Umgebung als wichtigste Grundlage für das Auslösen von Emotionen (28,1 %). Danach folgen Materialien (26,6 %) sowie die Formgebung (23,9 %). Die Farbgebung liegt bei dieser Altersgruppe lediglich bei 18,0 %. Relevanz des Designs bei der Verkehrsmittelwahl Im Anschluss sollte von den Befragten eingeschätzt werden, wie hoch sie den Einfluss von Design auf die Verkehrsmittelwahl einschätzen. Knapp ein Drittel der 316 Befragten (30 %) gaben hierbei an, dass sie den Einfluss als hoch einschätzen. Die zweithäufigste Antwort war mit 28 % der mittlere Bild 1: Verteilung der Nennungen in Prozent [2] Alle Abbildungen: Dominic Hofmann Fahrradbrücke in Kopenhagen Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 33 Gestaltung INFRASTRUKTUR Einfluss. Es befinden sich insgesamt 39 % der Antworten im höheren Bereich (hoch/ sehr hoch). 31 % der Antworten befinden sich im geringen Bereich (gering/ sehr gering/ gar keinen). Somit liegt der Mittelwert bei einem mittelhohen Einfluss. Werden die gegebenen Antworten nochmals geschlechtsspezifisch aufgeteilt, so fällt auf, dass weibliche Befragte den Einfluss des Designs auf die Verkehrsmittelwahl geringfügig höher einschätzen als Männer (siehe Bild 2). Disziplinübergreifende Handlungsempfehlungen Aus den vorliegenden empirischen Erkenntnissen wird gefolgert, dass die Gestaltung von Verkehrsmitteln und deren direkter Infrastrukturen frühzeitig in den Planungsprozess eingebunden werden muss. Die Berücksichtigung der Thematik sollte bereits in die Formulierungen der Ausschreibungsunterlagen integriert werden. Somit wird sichergestellt, dass die Relevanz auch in die darauf aufbauenden Planungs- und Umsetzungsprozesse einfließt. Dabei sollte ein spezieller Fokus auf die produktsprachlichen Faktoren und deren Auswirkungen auf die Emotionen der (potenziellen) Nutzenden gelegt werden. Je nachdem, welche Wirkung ein Verkehrsmittel oder eine Infrastruktur haben sollte, ist es durch die produktsprachlichen Faktoren möglich, entsprechende Impulse zu setzen. Diese produktsprachlichen Impulse lösen Emotionen aus und haben somit wiederum einen potenziellen Einfluss auf die Wahl des Verkehrsmittels. Fazit Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Thematik der Wirkung von Design im Bereich umweltfreundlicher Verkehrsmittel in der Wissenschaft wie auch in der Praxis in der Vergangenheit vernachlässigt wurde. Lediglich Teilaspekte oder übergeordnete Begriffe der Gestaltung wurden in die Modelle der Verkehrsmittelwahl einbezogen. Im Rahmen dieser Arbeit konnte nun aufgezeigt werden, an welcher Stelle die Gestaltung einen Einfluss auf die Wahl eines Verkehrsmittels hat. Der Einfluss produktsprachlicher Faktoren gewinnt generell erst relativ spät im Prozess an Bedeutung, obwohl nachgewiesen werden konnte, dass die subjektive Relevanz der Gestaltung durch die Befragten selbst relativ hoch eingeschätzt wird. Diese Arbeit soll als Diskussions- und Entscheidungsvorlage dienen, um der Rolle und der Wirkung des Designs bzgl. umweltfreundlicher Verkehrsmittel einen Stellenwert zuordnen zu können. ■ QUELLEN [1] Wulfhorst, Gebhard et al. (2013): Perspectives on Mobility Cultures in Megacities. In: Institute for Mobility Research (Hg.): Megacity mobility culture. How cities move on in a diverse world. Springer, S. 243-257 [2] Hofmann, Dominic (2019): Förderung einer umweltfreundlichen Verkehrsmittelwahl durch die Emotionalisierung angebotsseitiger Infrastruktur - Eine verkehrswissenschaftliche Analyse unter Berücksichtigung von designorientierten und psychologischen Einflussfaktoren. Technische Universität, Darmstadt [3] Roth, Mareike und Oliver Saiz (2014): Emotion gestalten. Methodik und Strategie für Designer. Basel, Berlin: Birkhäuser; De Gruyter Dominic Hofmann, Dr.-Ing. Wissenschaftlicher Leiter, Research Lab for Urban Transport (ReLUT), Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt am Main dominic.hofmann@fb1.fra-uas.de Bild 2: Einfluss des Designs auf die Verkehrsmittelwahl [2] Vorplatz des Hauptbahnhofs in Darmstadt Park „Superkilen“ in Kopenhagen Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 34 INFRASTRUKTUR Interview Alle Linien einer Landkarte selber zeichnen Ulrich Thüer lebt seit 2017 in Liberia und ist dort als Projektleiter bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) für den Aus- und Aufbau von Kapazitäten im Verkehrssektor verantwortlich. Im Gespräch mit den GIZ-Mitarbeitern Lea Königshofen und Daniel Bongart berichtet er von der Entscheidung, mit seiner Familie nach Westafrika zu ziehen. Herr Thüer, Sie sind derzeit Projektleiter bei der GIZ in Liberia - wie ist Ihr Werdegang bislang? Seit fast zwei Jahren arbeite ich hier in Monrovia, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Liberia. Von Haus aus bin ich gelernter Straßenbaumeister und Ingenieur und habe lange Zeit im Straßen- und Landschaftsbaubetrieb meiner Eltern gearbeitet. 2008 habe ich den Betrieb dann verkauft und im Bereich der Unternehmensberatung zum ersten Mal komplett neu angefangen. 2017 war wieder Zeit für etwas Neues und ich bin nach Liberia gegangen. Wie sind Sie zu der Stelle in Liberia gekommen? Eigentlich bin ich nur zufällig auf die Stellenausschreibung gestoßen. Die Karriere- Plattform XING hatte mir die GIZ-Ausschreibung als „100%-Match“ vorgeschlagen, und darüber bin ich gewissermaßen gestolpert. In dem Bereich, aus dem ich komme, guckt man eigentlich nicht nach Stellenausschreibungen von der GIZ, generell nicht aus dem öffentlichen Dienst. Daher hat mich dieser Vorschlag stutzig gemacht. Ich habe die Anzeige meiner Frau gezeigt und die hat nur gelacht. Weil ich aber ein neugieriger Mensch bin, habe mich dann trotzdem mal gemeldet. Ich wollte wissen: Zwar erfülle ich alle fachlichen Anforderungen, habe aber keine langjährige Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit - hätte ich denn überhaupt eine reale Chance? Die Antwort kam prompt und dann ging alles recht schnell. Ich habe meine Töchter gefragt - damals zwölf, neun und drei - ob sie sich einen Umzug nach Afrika vorstellen könnten, und die fanden das eine super Idee. Wie ist das, die Zelte hinter sich abzubrechen und nach Afrika zu ziehen? Es ist ein Bruch mit allem Gewohnten. Ich habe in meinem Leben nie Herausforderungen gemieden, aber hier habe ich definitiv eine besondere Herausforderung gefunden. Liberia ist das fünftärmste Land der Welt, man arbeitet in einem sehr fragilen Umfeld, die Partner sind im Umgang z.T. anspruchsvoll. Dafür kann man aber aktiv was bewegen, man sieht den Fortschritt deutlich. In der Organisationsentwicklung ist es in Liberia, wie wenn man mit einem weißen Blatt Papier anfängt und alle Linien einer Landkarte selber zeichnet. In Deutschland gibt es so etwas in keinem Umfeld mehr, da gibt es für alles bereits bestehende Strukturen und man kann höchstens kleine Linien revidieren. Außerdem kommen neben technischen und kaufmännischen Fragestellungen politische Überlegungen als dritte Dimension in jeder Aufgabenstellung dazu. Das ist spannend. Das Leben hat sich mit dem neuen Job radikal verändert. Wenn ich hier im Büro aus dem Fenster gucke, sehe ich Palmen und das Meer. An den Wochenenden gehe ich mit meinen Kindern am Strand statt im Wald spazieren. Unser nächster Ausflug wird zur Marshall Lagune sein, dort kann man wunderbar angeln - was mir in Deutschland im Traum nicht eingefallen wäre. Natürlich ist nicht alles paradiesisch, es gibt Kriminalität, man bekommt nicht immer alles im Supermarkt, was man will, die Infrastruktur ist schlecht. Das ist einfach Teil der Herausforderung. Inzwischen fühlt sich die Familie recht wohl hier, es gibt eine gute internationale Schule und gute private Kontakte vor allen in der internationalen Community. Was muss man für den Job als Projektleiter in Afrika mitbringen? Als Projektleiter bin ich Fachmann, Motivator, Koordinator, Administrator und Mana- „In der Organisationsentwicklung ist es in Liberia, wie wenn man mit einem weißen Blatt Papier anfängt und alle Linien einer Landkarte selber zeichnet.“ ©_GIZ Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 35 Interview INFRASTRUKTUR ger - alles zusammen eigentlich Anforderungen wie an den Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens. Ich leite ein zwölfköpfiges GIZ-Team mit zusätzlich bis zu vier Consultants, bin in ständigem Austausch mit Ministerien, dem Bauunternehmerverband, Organisationen wie der EU oder USAID und sogar einem Pionierbataillon der liberianischen Armee. Das alles fordert natürlich. Ich habe aber festgestellt, dass man als Quereinsteiger ein unglaubliches Potential für einen solchen Job mitbringt. Ich schöpfe jeden Tag sowohl aus meiner technisch/ handwerklichen und kaufmännischen Berufserfahrung aus Geschäftsführung und Unternehmensberatung. Ohne meine bisherigen Berufserfahrungen könnte ich diese Stelle nicht ausfüllen. Das gute Angebot der GIZ an Vorbereitungskursen konnte ich leider aus Zeitmangel kaum wahrnehmen, interkulturelle Kommunikation halte ich für das fast wichtigste Thema der Vorbereitung. Menschen mit Erfahrung in Personalführung und Change-Management haben es sicher leichter. Also alles in Butter? Was man auf jeden Fall auch mitbringen sollte, ist eine gewisse Frustrationstoleranz. Die Kommunikation hier ist nicht immer einfach, die Liberianer nehmen Probleme oft anders wahr und man muss damit rechnen, dass Sachen auch mal nicht wie geplant funktionieren. Daher sind besonders Leute für solche Jobs geeignet, die schon einige Jahre Berufserfahrung haben, vielleicht wie ich selbstständig waren, und auch mit Rückschlägen umgehen können. Dazu sollte man ein positives Menschenbild haben, pragmatisch, neugierig und lernbereit sein. Dann ist man meiner Erfahrung nach eigentlich schon sehr gut vorbereitet. Welche Freiheiten haben Sie gewonnen, welche haben Sie eingebüßt? Der Wechsel aus der Privatwirtschaft hierher war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus, keine strategische Überlegung. Aber der Schritt hat mir einiges an Freiheiten eingebracht. Neben finanzieller Sicherheit und festem Urlaubsanspruch - ich habe seit dem Studium nicht mehr so viel Urlaub gemacht - habe ich hier vor allem auch inhaltliche Freiheit. Die GIZ hat eine hohe Organisationsreife, für verschiedene Aufgaben stehen Experten zur Verfügung. Anders als in der Selbstständigkeit gibt es für fast jede Problemstellung einen Ansprechpartner und einen Standardprozess. Das gibt einem die Freiheit, stärker an den eigentlichen Arbeitsinhalten zu arbeiten. Natürlich ist man nach so einer Karriereentscheidung deutlich weniger in seinem gewohnten Umfeld in Deutschland, aber man gewinnt Kontakte zu interessanten Menschen aus der ganzen Welt dazu, und das ist definitiv eine Bereicherung. Ich wusste am Anfang nicht viel über das Land, eigentlich nur, dass bis vor gar nicht langer Zeit Bürgerkrieg herrschte, dass es Ebola gab und der Präsident mal Weltfußballer des Jahres 1995 war. Wenn man hier ist, lernt man ein Land mit durchaus schönen Ecken und liebenswerten Menschen kennen. War es also die richtige Entscheidung, für die GIZ nach Afrika zu gehen? Ja - auf jeden Fall! Veränderung war für mich schon immer spannend. Anders als in meiner bisherigen Berufstätigkeit ist das persönliche Risiko als Angestellter in einem Bundesunternehmen gering. Als Selbstständiger wäre das Risiko beruflicher Tätigkeit in Afrika zu groß. Die Tätigkeit für die GIZ ist also eine gute Kombi: eine persönliche Herausforderung bei gleichzeitig geringem wirtschaftlichen Risiko. Außerdem fühlt es sich gut an, für etwas zu arbeiten, wofür man sich nicht rechtfertigen muss. Der Gedanke, die Welt retten zu wollen, wäre naiv und würde zur Frustration führen, dafür ist der Fortschritt hier auch einfach zu langsam. Aber man kann definitiv Veränderung bewirken, und das ist ein gutes Gefühl. ■ www.giz.de 0 1/ 2 1 km 0 1/ 2 1 mi A T L A N T I C O C E A N M e s u r a d o R i v e r ATLANTIC OCEAN Balli Island Mamba Point Providence Island Front St. Tubman Avenue Chessman Ave. Payne Ave. Russel Ave. United Nations Dr. Benson St. Sekou Toure Ave. Broad St. Center St. 18th St. 9th St. Lynch St. Clay St. Randall St. Camp Johnson Capitol Hill Sinkor Matadi Congotown Larkpase Fiamah International Airport Payne Airport Terminal Zaire Embassy JFK Hospital Sierra Leone Embassy Ghanaian Embassy Executive Mansion United Kingdom Embassy UNDP Offices United States Embassy French Embassy Post Office Barclay Training Centre Stadium University of Liberia City Hall Guinean Embassy Cameroun Embassy Riverview Section Monrovia LIBERIA SIERRA LEONE GUINEA GHANA C TE DʼIVOIRE MONROVIA The boundaries and names shown and the designations used on this map do not imply official endorsement or acceptance by the United Nations. Map No. 3939 May 1996 Rd. T ubman Boulevard United Nations Dr. Ulrich Thüer und GIZ-Mitarbeiter: „Eigentlich Anforderungen wie an den Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens.“ ©_GIZ Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 36 Fälschungen, Finanzwesen, Produktpiraterie, Technologie Die Blockchain-Technologie zieht auch in die chinesische Logistik ein: Alibaba und JD investieren große Summen in entsprechende Anwendungen. Neben Entwicklungen für den Finanz-, Gesundheits- und Lebensmittelbereich, soll die Technologie auch für mehr Transparenz in den Versorgungsketten sorgen und die Fälschung von Produkten verhindern. Chinas Präsident Xi Jinping bezeichnet die Blockchain- Technologie als Game Changer für die Wirtschaft. Dirk Ruppik B lockchain-Technologie findet nicht nur bei Krypto-Währungen, sondern zunehmend auch in der internationalen Logistik Anwendung [1]. Weltweit führend bei Blockchain- Patenten ist der chinesische Konzern Alibaba des Unternehmensgründers Jack Ma (Bild 1). Andere in der Blockchain-Technologie sehr aktive chinesische Konzerne sind JD, Tencent und Baidu. Die Zahl der Blockchain-Patente steigt generell rasant an. In 2016 wurden vergleichsweise nur 134 Patente in diesem Sektor verzeichnet; 2017 dagegen wurden global insgesamt 406 Patente in Bezug auf Blockchain veröffentlicht - darunter 43 von Alibaba und 68 der People’s Bank of China (PBOC): Thomson Reuters berichtet, dass 227 (56 %) der 406 Patente in China beantragt wurden [2], die USA waren nur für 89 Beantragungen (22 %) verantwortlich. Alibaba besitzt Blockchain-Patente in den Bereichen Finanzen (Ant blockchain Services für KMU [3]), Gesundheitswesen, Lebensmittel- und Logistik-Sektor, Smart Contracts und einigen mehr (Bild 2). Alibabas mobile und Online-Zahlungsplattform Alipay partnerte im August mit der Provinzregierung in Wuchang, um die Authentizität von Reis via Blockchain sicherzustellen. Damit soll verhindert werden, dass gefälschte Versionen des bekannten Wuchang-Reis auf den Markt kommen. Alibabas B2C-Onlineplattform Tmall will den Reis mit einem QR-Code versehen, der Informationen über die Ernte, die Saatgutsorte, Lieferzeit, u. a. enthält. Darüber hinaus arbeitet Alibaba mit der chinesischen Regierung im Bereich Gesundheitswesen zusammen und ermöglicht den sicheren Austausch von Patientendaten von Ärzten. Krypto-Währungen verbieten, Anonymität aufheben Anfang 2018 hat das Land der Mitte den Handel mit Krypto-Währungen und IPCO (Initial Public Coin Offerings) im Land verboten. Säuberungsaktionen im Internet werden seither regelmäßig durchgeführt. Allerdings steht die Regierung der zugrundeliegenden Technologie sehr aufgeschlossen gegenüber. Der chinesische Präsident Xi Jinping bezeichnet Blockchain als eine neue Generation von Technologien, „die die Struktur der künftigen globalen Wirtschaft erheblich verändern wird“. Aber ohne Restriktionen geht es auch dabei in China nicht. Ein neuer Entwurf sieht die Aufhebung der Anonymität der Nutzer von Blockchain- Diensten vor. Diese müssten dann ihren echten Namen und ihre Ausweise bei der Registrierung vorweisen. Transparente Versorgungsketten als-Ziel Weltweit eruieren Unternehmen den Einsatz von Blockchain-Technologien in der Logistik [4]. Sie soll mehr Transparenz in die Versorgungsketten bringen. Geplante Einsatzbereiche sind beispielsweise die Adressierung des Problems der gefälschten Markenartikel und Güter, die fälschungssichere Aufnahme von Transaktionsdetails sowie der Kampf gegen schlechte und ausbeuterische Arbeitsbedingungen entlang der Versorgungskette. Alibaba ist wie gesagt Vorreiter an der Blockchain-Front und hat sie bereits im Kampf gegen Betrug im Lebensmittelbereich, Schutz von medizinischen Daten und zur Nachverfolgung von-grenzüberschreitenden Sendungen eingesetzt. Im März 2018 erklärte Lynx International, eine Tochterfirma von Alibaba, dass Blockchain-Technologie erfolgreich in das grenzüberschreitende Geschäft des Unternehmens zur Nachverfolgung relevanter Foto: Gerd Altmann | pixabay LOGISTIK Blockchain China im Kampf gegen Fälschungen Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 37 Blockchain LOGISTIK Informationen von Versendungen integriert wurde. Die Daten umfassen beispielsweise Details über die Produktion von Gütern, die Transportart, Zollabfertigung sowie Inspektion und Prüfung durch Dritte. Der große Vorteil der Technologie ist, dass die Daten nicht modifiziert werden können. Jeder Manipulationsversuch wäre leicht aufdeckbar, da die komplette Transaktionshistorie in Kopien der Blockchain überall auf verschiedenen Servern im Netz verteilt ist.Auch das Tochterunternehmen TMall hat zusammen mit Alibabas Logistiknetzwerk Cainiao bereits die Blockchain-Technologie integriert, um Sendungen in 50 Länder nachzuverfolgen. Weitere Vorstöße des chinesischen E-Commerce-Giganten sind die Zusammenarbeit mit Pricewaterhouse Coopers (PwC) im Bereich der Lebensmittelsicherheit. Das „Food Trust Framework” nutzt Blockchain, um Produkte von den Produzenten bis zu den Konsumenten zu tracken und so gefälschte Produkte isolieren zu können [5]. Momentan wird die Technologie bei Molkereiunternehmen in Australien und Neuseeland für Alibabas TMall-Kunden eingesetzt. IBM hatte bereits in 2016 mit dem Einsatz der Blockchain in diesem Sektor begonnen. JD und Walmart ziehen bereits nach. Investitionen in Blockchain, KI-und-Automation wachsen Der chinesische E-Commerce-Konzern JD.com hat im August 2018 seine neue „Blockchain-as-a-service (BASS)-Platform ins Leben gerufen. Die JD Blockchain Open Plattform wird Unternehmen und Start Ups ermöglichen, Blockchain-Lösungen zu hosten, ohne dafür eine eigene Infrastruktur entwickeln zu müssen. Investment in Künstliche Intelligenz (KI), Automation und Blockchain gehören für das Top-Notch- Unternehmen aus China zur Pflicht. Weiterhin arbeitet JD mit chinesischen Provinzregierungen in einer Smart-City-Initiative zusammen, um Pakete mittels Drohnen und autonomen Fahrzeugen liefern zu können. Die Auslieferung via Drohnen startete bereits am Singles Day im November in der nordchinesischen Stadt Tianjin. Darüber hinaus investiert JD hunderte Millionen Dollar in einen Fond, um Start-ups im Bereich Robotertechnik, KI, Smart Manufacturing, Smart Cities und Smart Ports zu finanzieren. Nationalen Standard für Entwicklungen schaffen Die offizielle Stimme der kommunistischen Partei Chinas, „The People’s Daily“, gab im Juni 2018 bekannt, dass die Chinese Academy of Sciences (CAS) eine Initiative mit dem Namen „Blockchain Lab“ ins Leben gerufen hat. Laut des Berichts fokussiert das Programm auf Big Data, fortgeschrittene Mathematik und Blockchain-Technologie. Das Land der Mitte will zunehmend Blockchain im administrativen Bereich und im Handel einsetzen. Dazu wurde ein Joint Venture mit dem Pekinger Blockchain- Start-up Tai Cloud Corporation gebildet. Das Unternehmen besitzt momentan 150 Blockchain-Patente. Das Blockchain „Tai Superconducting Network“ kann laut Unternehmen hunderttausende Transaktionen pro Sekunde verarbeiten [6]. Tai Cloud will einen nationalen Standard für künftige Entwicklungen im Blockchain-Sektor für die chinesische Wirtschaft erschaffen. Zudem integriert die Regierung Blockchain zunehmend in die Guangdong Free Trade Zone, die sich in den nächsten Jahren zur Krypto-Hochburg entwickeln soll. Im 13. Fünfjahresplan (2016 bis 2020) ist die Blockchain-Technologie ebenfalls als Kernprinzip verankert. Da weltweit, auch in den USA und in der EU, große Investitionen in diesem Bereich getätigt werden, bleibt dem Land der Mitte keine andere Wahl: China strebt auch bei der internationalen Blockchain-Entwicklung die Führungsrolle an. ■ LITERATUR [1] N.N. (2019): Grundgutachten: Chancen durch Blockchain in Mobilität und Logistik. In: Internationales Verkehrswesen (online), 23.05.2019. https: / / www.internationales-verkehrswesen.de/ grundgutachtenblockchain-in-mobilitaet-und-logistik [2] Thomson Reuters (online): https: / / blogs.thomsonreuters.com/ answerson/ in-rush-for-blockchain-patents-china-pulls-ahead/ [3] China Daily (online): http: / / en.people.cn/ n3/ 2018/ 0614/ c90000- 9471645.html [4] Otto Jockel, Sebastian Stommel (2018): Blockchain-Anwendungen in der Logistik. In: Internationales Verkehrswesen (70) 2, S. 82-87 [5] Joachim Bartels (2018): Blockchain: Alibaba Launches Pilot Project to Fight Food Fraud. In: BIIA Business Industry Information Association (online), 25.05.2018. https: / / www.biia.com/ tag/ food-trustframework [6] https: / / taiyiyun.com/ aboutEn Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Bild 1: Jack Ma, Executive Chairman und Gründer von Alibaba Foto: Alibaba Bild 2: Alibaba Group Corporate Campus in Xixi, Hangzou Foto: Alibaba Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 38 LOGISTIK Wissenschaft Mit Hochgeschwindigkeit auf der Seidenstraße Ergebnisse einer Potenzialanalyse des Transportkorridors Shanghai - Duisburg Schienengüterverkehr, Hochgeschwindigkeit, Modal Split, Belt and Road Der Schienengüterverkehr zwischen Asien und Europa gewinnt durch den rapiden Ausbau chinesischer Wirtschaftswege immer mehr an Relevanz. Der steigende Bedarf am Transport hochwertiger und eilbedürftiger Güter kann Potenzial für eine deutliche Erhöhung der Transportgeschwindigkeit auf dem Schienenweg bedeuten. Dieser Beitrag vergleicht konventionelle Verkehrsträger mit dem Hochgeschwindigkeits-Schienengüterverkehr auf dem Transportkorridor Shanghai - Duisburg und liefert eine Abschätzung des zu erwartenden Modal Splits unter gegebenen Rahmenbedingungen. Marlin Arnz, Mathias Böhm, Jens Weibezahn I m Rahmen der „Belt and Road Initiative“ vernetzt China seine Wirtschaftswege aktiv mit der restlichen Welt, insbesondere mit dem europäischen Wirtschaftsraum. Dies geschieht einerseits durch den Ausbau von Seewegen und Hafenanlagen, andererseits durch den Bau von Schienenwegen auf den Routen- der „alten Seidenstraße“. Bis 2019 hat China über 1.000-Mrd. USD an Krediten und Investitionen für Infrastrukturprojekte anderer Länder zugesagt und Schätzungen zufolge ebenso viel für den Aufbau eines nationalen Hochgeschwindigkeits-Schienennetzes und verwandten Projekten [1, 2]. So bietet der Schienengüterverkehr (SGV) auf der inzwischen vollständig elektrifizierten Strecke nun eine wirtschaftliche Alternative zur Schiff- und Luftfahrt. Nachdem im Jahr 2008 der erste Güterzug aus China in Europa einrollte, waren es 2017 bereits 3.700 Züge. Bis 2020 will allein DB Cargo seine jährliche Transportkapazität von 80.000 im Jahr 2018 auf 100.000 Standardcontainer (TEU) steigern, während in Gesamteuropa ca. 5.000 Güterzüge aus China erwartet werden [2, 3]. Doch die Globalisierungsinitiative stößt auch auf internationale Kritik: Weniger wirtschaftsstarke Nationen werden mit Megaprojekten in Kreditfallen gelockt, es mangelt an Transparenz in der Projektvergabe und generell wird die aggressive Expansionspolitik Chinas skeptisch aufgenommen [1]. In der Vergangenheit wurden insbesondere eilbedürftige und sehr hochwertige Güter mit dem Flugzeug transportiert, fast alle anderen Güterkategorien über den Seeweg. Im Jahr 2007 wurden nach Gewicht bemessen 1,5 % des gesamten Güteraufkommens mittels Luftfracht transportiert, was 25 % des Gütervolumens nach Wert bemessen entspricht [4]. Der SGV liegt sowohl bei den Transportkosten als auch bei der -dauer jeweils zwischen den Modi Flugzeug und Schiff (siehe Tabelle 1), wodurch sich die Schiene als Transportweg für hochwertige und weniger eilbedürftige Güter anbietet. Auch ermöglicht der SGV eine Absicherung der Logistikkette aus strategischer Perspektive im Falle von Engpässen auf anderen Routen. Neben diesen marktbezogenen Aspekten spielen zukünftig die spezifischen Treibhausgasemissionen eine zunehmend wichtigere Rolle. Fliegen ist die energieintensivste Transportmöglichkeit, während das Rad- Schiene-System wesentlich effizienter ist und der Zug somit - abhängig von der Antriebsart - deutlich weniger Treibhausgase emittiert. Der SGV benötigt laut Umweltbundesamt durchschnittlich 0,3 Megajoule (MJ) pro Tonnenkilometer (tkm), während die Luftfracht einen Energiebedarf von etwa 9,8 MJ/ tkm aufweist [7]. Für hohe Verkehrsleistungen ist die Elektrifizierung der Eisenbahntrasse ökonomisch und ökologisch vorzuziehen, die spezifischen Emissionen sind in diesem Fall vom jeweiligen Strommix abhängig. Um interkontinental perspektivisch kohlenstoffneutralen Güterverkehr zu ermöglichen, müssen auch eilbedürftige Güter von der Luft auf energieeffizientere Modi verlagert werden können. Der Hochgeschwindigkeits-Schienengüterverkehr (HSGV) könnte dies in der Zukunft bieten. Die Verkehrsträger im multimodalen Vergleich Die Untersuchung der Transportrelation Shanghai - Duisburg auf der „neuen Seidenstraße“ ist besonders in- Transportkosten [EUR] Transportzeit [Tage] Schiff 1.500 - 2.500 25 - 35 Eisenbahn 6.000 - 7.500 14 - 18 Flugzeug 45.000 - 50.000 3 - 7 Tabelle 1: Zeiten und Kosten für den Transport von 15 t Ladung zwischen Shanghai und Duisburg per See-, Bahn- und Luftfracht [2, 5, 6] Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 39 Wissenschaft LOGISTIK teressant, weil sie ein wichtiges chinesisches Wirtschaftszentrum mit einem zentralen Knotenpunkt im größten Wirtschaftsraum der Welt - Europa - verbindet. Duisburg besitzt neben einem großen Frachtflughafen und Güterbahnhof den größten Binnen-Güterhafen der Welt, welcher auf kurzer Distanz über den Rhein mit Europas größtem Seehafen - Rotterdam - verbunden ist. Die in diesem Beitrag betrachteten Güter besitzen ein spezifisches Gewicht von 350 kg pro m 3 und einen Zeitwert 1 (engl. Value of Time - VoT) von 2 bis 4 EUR pro Tonne und Stunde Transportzeit. Dies können Elektrogeräte, Autoteile oder französischer Wein sein, wobei als kleinste Transporteinheit hier die Europool-Palette angenommen wird. Zwar fahren momentan rund 50 % der Züge ostwärts leer, und auch das Seeschiff ist auf der Rückreise nach China nicht ausgelastet, doch wird zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse im Folgenden die volle Auslastung aller Verkehrsträger angenommen. Die Schiffsroute führt über 20.000 km durch den Suez-Kanal, Gibraltar, Rotterdam und schließlich den Rhein entlang, während der Frachtflieger 8.200 km Luftlinie direkt fliegt. Der Zug nutzt die Mittelroute und gelangt über das chinesische Hochgeschwindigkeits- Schienennetz (4.700 km) an die Grenze zu Kasachstan, wo auf eine Spurweite von 1.520 mm umgeladen, bzw. umgespurt werden muss. Von dort aus geht es über die Neubautrassen durch Kasachstan (2.300 km), Russland (2.600 km) und Weißrussland (600 km), an dessen Westgrenze wieder auf 1.435 mm umgeladen oder umgespurt werden muss. Die restliche Strecke durch Polen und Deutschland macht zwar nur 10 % der Gesamtstrecke aus (1.300 km), benötigt aber aufgrund organisatorischer und operativer Hürden heute noch etwa 50 % der gesamten Transportzeit [8] (Bild 1). Die CO 2 eq-Intensität des Bahn-Strommix wird länderspezifisch entlang der Strecke mit zwei Annahmen modelliert: Basierend auf Daten von 2013 liegt sie durchschnittlich bei etwa 1.000 gCO 2 eq/ kWh [9]. Mittelfristig könnte sie auf 400 gCO 2 eq/ kWh reduziert werden. Langfristig kann der Bahnstrom weltweit zu 100 % aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden (in Deutschland bis 2038 [10]). Das für die Potenzialanalyse angesetzte Seeschiff hat eine Ladekapazität von 10.000 TEU und eine Länge von 366 m. In Rotterdam werden die Container auf Binnenschiffe der Jowi-Klasse mit 450 TEU Ladekapazität verladen. Die Luftfracht wird mit einer Boeing 747-400F, einem der größten Langstrecken-Frachtflieger (313 Europool-Paletten Ladekapazität), transportiert. Konventioneller SGV wird hier mit einem Güterzug bestehend aus einer Lokomotive und 35 Containerwagen modelliert, was eine Ladekapazität von 1.470 Europool-Paletten bedeutet. Die Lokomotive wird elektrisch betrieben Bild 1: Untersuchte Transportrouten von Shanghai nach Duisburg (grün: Seeweg [20.000 km], orange: Flugroute [8.200 km], violett: Schienenweg [11.500 km]) Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Routendaten von ecotransit.org HSGV SGV konv. Boeing 747-400F Seeschiff Fahrzeugkosten [EUR/ km] 5,43 1,15 4,85 11,12 Treibstoffkosten* [EUR/ MWh] 65,7 65,7 46,5 32,8 Trassenpreise* [EUR/ km] 4,57 4,01 - - Personalkosten [EUR/ h] 8 29 195 750 Wartungskosten [EUR/ km] 2,0 1,4 1,0 21,4 Ver-/ Umladekosten* [TEUR] 10,3 16,0 12,0 2837 * länderspezifisch modelliert Tabelle 2: Szenario spezifische, gemittelte Kosten der modellierten Transportkorridore Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 40 LOGISTIK Wissenschaft und beschleunigt den Zug auf durchschnittlich 80 km/ h [8]. Der Hochgeschwindigkeitszug orientiert sich technisch an den neuesten Modellen für den Personenverkehr (elektrischer Antrieb, geringer Luft- und Rollwiderstand) mit einem Transportvermögen von 900 Europool-Paletten. Er kann auf Geschwindigkeiten von bis zu 350 km/ h beschleunigen, fährt autonom (über remote- Arbeitsplatz) und ist für die automatische Umspurung ausgestattet. Tabelle 2 stellt die für dieses Szenario genutzten spezifischen Kosten gemittelt über die jeweilige Transportroute und angepasst an das modellierte Gütersegment dar. Der Energiebedarf wird zweidimensional linear in Abhängigkeit von Geschwindigkeit und Zuladung modelliert. Die vier Transporttechnologien werden auf den jeweiligen Stecken in einem hochauflösenden Modell simuliert und hinsichtlich der Zielgrößen Kosten und Zeit bewertet. Emissionen werden berechnet, aber nicht eingepreist, da (bis jetzt) keine interkontinental gültigen Bewertungsmechanismen anwendbar sind. Mithilfe des VoT können die Transportzeiten monetarisiert werden, wodurch mit dem integrierten Logit-Modell der Modal Split abgeschätzt werden kann. Ergebnisse der Potenzialanalyse Bild 2 und Tabelle 3 stellen die Ergebnisse der Simulation dar, wobei die Werte szenariospezifisch und daher nicht allgemeingültig sind. Kosten und Zeiten beziehen sich auf die Transporttechnologien; sie enthalten keine Geschäftsführungskosten, Zeiten für das Kommissionieren von Waren, Grenzkontrollen, Subventionen oder ähnliches. Dadurch unterscheiden sich die Ergebnisse zwar von den Referenzwerten in Tabelle 1, verdeutlichen aber die Position des konventionellen SGV und HSGV zwischen Luft- und Seefracht. Der HSGV ist schneller, teurer und durch geringere Ladekapazität auch umweltbelastender als der konventionelle SGV. Mit einem besseren Strommix (dunkelgrauer Balken) können mittelfristig jedoch beide umweltfreundlicher als das Seeschiff werden. Auch mit schlechtem Strommix (hellgrauer Balken) schneidet die Schiene relativ gut ab und benötigt nur etwa ein Viertel bzw. ein Zehntel der Transportzeit des Containerschiffs. Der HSGV ist dabei etwa halb so teuer und wesentlich umweltfreundlicher als das Flugzeug bei einer minimalen Transportzeit von zweieinhalb Tagen. Die größten Kostenpositionen des innovativen Zugkonzepts sind fixe Anschaffungskosten und Trassenpreise, wobei letztere politisch beeinflusst werden können. Beispielsweise gewährt China im Rahmen der „Belt and Road Initiative“ momentan finanzielle Unterstützung von 1.000 bis 7.000 EUR pro Container auf der Schiene [2, 8]. Bild 3 zeigt die mögliche Verteilung der Verkehrsträger mit und ohne SGV. Selbst wenn das Seeschiff beim Gesamtgüteraufkommen auch in Zukunft weiterhin dominieren wird, schneidet es aufgrund der Zeitsensitivität des hier modellierten Gütersegments verhältnismäßig schlecht ab. Der konventionelle SGV, welcher immer weniger Transportzeit benötigt, nimmt besonders dem Flugverkehr Transportvolumen ab und zeigt ein großes Potenzial für diesen Markt. Zudem besteht relativ großes Potenzial für eine Transportoption zwischen konventionellem SGV und Flugverkehr, was am Modal Split nach Einführung des HSGV erkennbar ist. Die Simulation des noch höherwertigen und eilbedürftigeren Gütersegments mit einem VoT von 4 EUR pro Stunde und Tonne begünstigt die schnellen Transportoptionen HSGV und Luftfracht gegenüber den anderen, verändert die Verkehrsträgerverteilung jedoch nicht signifikant. Mit der Verlagerung des Transports hochwertiger Güter vom Flugzeug auf die Eisenbahn können in Zukunft signifikante Einsparungen von CO 2 eq-Emissionen ermöglicht werden. Momentan scheitert ein deutlich höherer Anteil des SGVs am Modal Split noch an organisatorischen und operativen Hürden, doch könnte er - sowohl konventionell als auch mit Hochgeschwindigkeit - in Zukunft eine bedeutende Rolle im Transport hoch- Bild 2: Spezifische Kosten und Emissionen (hellgrau: Strommix 2013; dunkelgrau: Strommix mittelfristig) Alle Grafiken: Autoren HSGV SGV konv. Boeing 747-400F Seeschiff Transportzeit [Tage] 2,5 7 0,5 29 Durchschnittsgeschwindigkeit [km/ h] 202 68 933 29 Tabelle 3: Simulationsergebnisse der Transportzeit ohne organisatorische Hürden und Kommissionierung der Waren Bild 3: Simulationsergebnisse des Modal Splits für den Transport hochwertiger und eilbedürftiger Güter Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 41 Wissenschaft LOGISTIK wertiger Güter zwischen dem Fernen Osten und Europa spielen. ■ 1 Der Zeitwert beschreibt die Opportunitätskosten der Versenderin, d. h. den Betrag, den sie bereit wäre zu bezahlen, um diese Zeit einzusparen oder als Kompensation für eine entsprechende Verspätung zu akzeptieren. LITERATUR [1] C. Wanner, „Globalisierung mit chinesischen Zügen,“ DVZ, 7 Mai 2019 [2] C. Hinne, „Bahntransport China-Europa: Entwicklung, Qualität und Umweltbilanz,“ DB Cargo Eurasia, 2019 [3] Verkehrsrundschau, „Seidenstrasse: Güterzugverkehr aus China wächst rasant,“ Verkehrsrundschau, 17 Juni 2019. [Online]. Available: https: / / www.verkehrsrundschau.de/ nachrichten/ seidenstrasse-gueterzugverkehr-aus-china-waechst-rasant-2415921.html. [Zugriff am 19 Juni 2019] [4] J. Hillmann, „The Rise of China-Europe Railways,“ 6 März 2018. [Online]. Available: https: / / www.csis.org/ analysis/ rise-china-europe-railways. [Zugriff am 4 Juni 2019] [5] Kühne+Nagel, „Asien Express,“ 2015. [Online]. Available: https: / / de.kuehne-nagel.com/ fileadmin/ country_page_structure/ WE/ Germany/ 03_Seefracht/ 02_Dokumente/ 2015_ Flyer_Bahnverkehre_Europa_Asien.pdf. [Zugriff am 9 Juli 2019] [6] D. Fockenbrock, „Sonderzug nach Chongqing,“ Handelsblatt, p. 27, 8 Oktober 2018 [7] Umweltbundesamt, „Endenergieverbrauch und Energieeffizienz des Verkehrs,“ 29 Mai 2019. [Online]. Available: https: / / www.umweltbundesamt.de/ daten/ verkehr/ endenergieverbrauch-energieeffizienz-des-verkehrs. [Zugriff am 1 Juli 2019] [8] C. Wüst, „Die neue Seidenstraße,“ Der Spiegel, pp. 106-107, 23 Juni 2018 [9] Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu); Infras; Ingenieursgesellschaft für Verkehrswesen (IVE), „Ecological Transport Information Tool for Worldwide Transports - Methodology and Data Update 2018,“ EcoTransIT World Initiative (EWI), Bern, Hannover, Heidelberg, 2018 [10] Deutsche Bahn, „Deutsche Bahn konzentriert sich voll und ganz auf eine starke Schiene,“ Deutsche Bahn AG, 19 Juni 2019. [Online]. Available: https: / / www.deutschebahn.com/ de/ presse/ pressestart_zentrales_uebersicht/ Deutsche-Bahn-konzentriert-sich-voll-undganz-auf-eine-starke-Schiene-4196884. [Zugriff am 19 Juni 2019] Mathias Böhm, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte, Forschungsfeld Technologiebewertung und Systemanalyse, Berlin mathias.boehm@dlr.de Jens Weibezahn Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik (WIP), Technische Universität Berlin jew@wip.tu-berlin.de Marlin Arnz, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik (WIP), Technische Universität Berlin maa@wip.tu-berlin.de WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN www.transforming-cities.de/ das-fachmagazin www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? 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DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Gesund und sicher leben in der Stadt Gesund und sicher leben in der Stadt Unbenannt-1 1 11.04.2019 13: 37: 31 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 42 MOBILITÄT Schienenverkehr Alternative Antriebe im SPNV zum Dieselersatz In Deutschland werden noch 36 % der Zugkilometer mit Dieselantrieb gefahren, die CO 2 -Emissionen daraus betragen 1,1 Mio. t CO 2 -Minderung, Schienenverkehr, Elektrifizierung, Alternative Antriebe, Zero-Emission-Verkehr Die politischen Entscheidungen der letzten Jahre und die Forderung der Öffentlichkeit nach einer klimafreundlicheren, effizienten Mobilität setzen den Verkehrssektor vor großen Herausforderungen. Aufgrund einer fehlenden Vollelektrifizierung des deutschen Schienennetzes wird heute noch ein wesentlicher Teil des Schienenpersonennahverkehrs mit Dieselfahrzeugen ausgeführt. Die zurzeit entwickelten und erprobten alternativen Antriebe können im Vergleich zu anderen Verkehrssystemen mit relativ wenig Aufwand bis 2030 die Dieseltraktion ersetzen. Jonas Vuitton, Markus Hecht D ie Pariser Klimakonferenz hat 2015 strenge Klimaziele gesetzt. In Deutschland werden sie durch den vom Bundesministerium für Umwelt erstellten Klimaschutzplan 2050 in konkrete Maßnahmen übersetzt [1]. Die Treibhausgas-Emissionen des europäischen Verkehrssektors sollen bis 2030 um 40 % gegenüber 1990 sinken. Der Schlüssel dafür liegt in einer „Verkehrswende mit Vermeidung, Verlagerung und Verbesserung der Energieeffizienz“. Dass die Sensibilität der Bevölkerung für Klimathemen groß ist, zeigen nicht nur die NGO-Organisationen wie Greenpeace (Bild 1), sondern beispielsweise auch die wöchentlichen „Fridays for Future“- Demonstrationen, selbst in den Schulferien. Der Schienenverkehr als Rückgrat der nötigen Mobilitätswende Die Schiene bietet Systemvorteile gegenüber der Straße: geringer Roll- und Fahrwiderstand, geringer Flächenverbrauch [2]. Darüber hinaus kann die erforderte und gezielte Mobilitätswende nur durch eine Abkehr von fossilen Energien erfolgen [3]. In diesem Bereich liegt der Schienenverkehr deutlich vorne: Während Elektromobilität erst heute ein Thema im Straßenverkehr wird, fahren bereits seit 100 Jahren ein Thema im Straßenverkehr wird, so fahren bereits seit 100 Jahren Personen und Güter mit Elektrotraktion auf der Schiene. Die nichtgrünen Anteile des erzeugten Stroms werden von der Energiewirtschaft verantwortet und sind in CO 2 -Bilanzen dementsprechend zugeordnet: Elektrischer Bahnverkehr ist zu 100 % emissionsfrei - dennoch müssen die Bemühungen des Energiesektors zur CO 2 - Minderung durch Bezug von grünem Strom unterstützt werden [4]. Zudem ist durch Rückspeisung beim Bremsen der Energieverbrauch pro Personenkilometer (Pkm) oder Tonnenkilometer (tkm) sehr gering, guten Besetzungsgrad der Fahrzeuge und gute Zuladung vorausgesetzt. In den letzten Jahren wurden ehrgeizige politische Ziele gesetzt, die die Attraktivität des Schienenverkehrs steigern sollen. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2018 plant „bis 2030 doppelt so viele Bahnkundinnen und Bahnkunden [zu] gewinnen und dabei u. a. mehr Güterverkehr auf die umweltfreundliche Schiene [zu] verlagern“ [5]. Zusammen mit einem geplanten Wachstum des Personenverkehrs von 12 % zwi- Bild 1: Transparent auf der Fassade des Bundesverkehrsministeriums am 02.08.2017 anlässlich des ersten Dieselgipfels, der dort stattfinden sollte. Foto: Autoren Coradia iLint Foto: Alstom Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 43 Schienenverkehr MOBILITÄT schen 2010 und 2030 [6] bedeutet eine Verdoppelung des Schienenpersonennahverkehrs eine Erhöhung des Modal Splits von heutigen 8 % auf 14 % im Jahr 2030: Die Verkehrsleistung des ÖPNV soll von 90 auf 180 Mrd. Pkm steigen. Diese angestrebte Verlagerung von Straße auf Schiene und ein emissionsfreies elektrisches Bahnsystem bedeutet eine jährliche Einsparung von 14,3 Mio. t CO 2 . Als Vergleichswert emittiert der gesamte deutsche Verkehr jährlich 171 Mio. t CO 2 [7]. Die Vermeidung der Dieselemission heute würde immerhin 0,7 Mio. t CO 2 p. a. einsparen [8], obwohl 36 % der Zugkm im SPNV noch mit Dieseltraktion erfolgen [9]. Jeder Liter Diesel produziert 2,7 kg CO 2 [10]. Eine deutliche Erhöhung der Kapazität auf der Schiene setzt eine Elektrifizierung des Schienenpersonennahverkehrs voraus. Elektrotriebzüge weisen höhere Beschleunigungen auf als Dieselfahrzeuge und erhöhen damit die Kapazität auf stark befahrenen Strecken. Sie sind im Stillstand auch deutlich leiser und sorgen damit für eine bessere Akzeptanz durch die Bevölkerung, vor allem im städtischen Bereich. Elektrisch angetriebene Züge lassen sich aufgrund günstigerer Energiesowie geringerer Instandhaltungskosten auch wirtschaftlicher betreiben. Die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung [11] strebt eine kurzfristige Abkehr von fossilen Energiequellen an. Die Dieselverkehre müssen durch Elektrotraktion ersetzt werden und der benötigte Strom soll aus erneuerbaren Quellen stammen. Um diese Ziele einzuhalten, schlägt der VDE konkrete Maßnahmen vor [12]: Keine Neubeschaffung von Dieselfahrzeugen ab 2025, bereits 2025 muss die elektrische Leistung im SPNV über 90 % liegen. Dies stellt die Bahn vor eine große Herausforderung. Der Schlüssel für diese Transformation liegt in den Fahrzeugen, denn ein Ausbau der Infrastruktur kann nicht in einer so kurzen Zeit erfolgen. Streckenseitige Elektrifizierung: der-Königsweg? Das System Oberleitung - Pantograf hat sich seit 100 Jahren als sehr leistungsfähig erwiesen. Der Elektrifizierungsgrad in Deutschland liegt allerdings bei nur 60 %. Im aktuellen Koalitionsvertrag wird auf einen Elektrifizierungsgrad von 70 % bis 2025 abgezielt [5]. Branchenakteure begrüßen zwar diese Initiative, sie fordern aber eine schnellere Umsetzung und die Elektrifizierung weiterer Strecken. Zu den im Bundesverkehrswegeplan 2030 geplanten und fest disponierten Projekten schlägt die Allianz pro Schiene weitere Elektrifizierungsprojekte vor, die in Bild 2 wiedergegeben sind. Die hohen Kosten der Elektrifizierung (1 bis 2 Mio. EUR pro Streckenkilometer) sowie das lange Planfeststellungsverfahren (acht bis zehn Jahre) sorgen für diese Situation. Eine Vollelektrifizierung des deutschen Schienennetzes würde 20 bis 30 Mrd. EUR kosten [9, 12]. Zum Vergleich: Es werden jährlich 6 Mrd. EUR in das System Bahn investiert [12]. Um den von der Regierung abgezielten Elektrifizierungsgrad 2025 zu erreichen, müssen zwischen 2020 und 2025 jedes Jahr 630 km neu ausgerüstet werden. Im Vergleich dazu wurden zwischen 2012 und 2016 insgesamt nur 700 km ausgerüstet. Das Planungsbeschleunigungsgesetz strebt an, dass das Planfeststellungsverfahren schneller erfolgt. Allgemein bringt die Elektrifizierung auch andere Vorteile, wie das Schaffen von Ersatzrouten im Fall einer Störung, und erhöht dadurch die gesamte Zuverlässigkeit des Bahnsystems. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Elektrifizierung einer Strecke im Regelfall nur mit dichter Zugfolge einen Nutzen- Kosten-Faktor über 1 nachweisen kann. Ab einem Angebot mit Stundentakt zeigt sich die Elektrifizierung als wirtschaftlich [14]. Man kann damit rechnen, dass ein erheblicher Teil des deutschen Schienennetzes langfristig keine Oberleitung aufweisen wird. Es ist also an Antriebskonzepten zu arbeiten, die CO 2 -freies Fahren ohne Elektrifizierung der Strecken ermöglichen. Die derzeit entwickelten Lösungen basieren hauptsäch- Oebisfelde Schwerin Dresden München Magdeburg Kassel Erfurt Mainz Wiesbaden Wolfsburg Hannover Potsdam Baden-Württemberg Bayern Hessen Rheinland-Pfalz Saarland Nordrhein-Westfalen Niedersachsen Thüringen Sachsen Sachsen-Anhalt Brandenburg Berlin Mecklenburg-Vorpommern Schleswig-Holstein Hamburg Bremen Lüneburg Büchen Lübeck Stade Cuxhaven Bremerhaven- Speckenb. Grevesmühlen Neukirchen Bremerhaven- Wulsdorf Bremervörde Rotenburg Horka Bad Kleinen Schnabelwaid Hochstadt-Marktzeuln Oberkotzau Geithain Chemnitz Leipzig-Paunsdorf Leipzig-Plagwitz Blankenheim Schönebeck- Bad Salzelmen Dresden-Klotzsche Bautzen Cottbus Forst Spremberg Neuenmarkt- Wirsberg Bayreuth Furth im Wald Cham Schwandorf Hartmannshof Irrenlohe Landshut Hbf Mühldorf Neumarkt-Sankt Veit Wasserburg Rosenheim Leinefelde Gotha Görlitz Abzw. Glindenberg Schönhausen Rathenow Wustermark Offenburg Müllheim Mannheim Frankfurt am Main Hanau Fulda Bad Hersfeld Passow Tantow Puttgarden Langwedel Soltau Munster Uelzen Gera Gößnitz Kurve Mönchehof Vellmar- Oberv. Wolfhagen Warburg Burghausen Garching Tüßling Freilassing Friedrichshafen Stadt Niederbiegen Aulendorf Weimar Bad Schwartau Göschwitz Weiden Hof Hbf Regensburg Hbf Schirnding Bad Brambach Marktredwitz Plauen Nürnberg Hbf Neunkirchen am Sand Markt Schwaben Ulm Hbf Stuttgart- Untertürkheim Stuttgart-Feuerbach Stuttgart Hbf Oldenburg Hbf Sande Wilhelmshaven Jade Weser Port Geltendorf Kaufering Buchloe Hergatz Memmingen Kempten Hbf Kißlegg Lindau Hbf Landsberg Gottenheim Lenggries Tegernsee Holzkirchen Ebersberg Schaftlach Bayrischzell Erzingen Simmelsdorf- Hüttenbach Herrenberg Nagold Calw Metzingen Bad Urach Zweibrücken Neustadt Donaueschingen Elzach Rottweil Villingen Denzlingen Riegel Ort Breisach Flandersbach Dornap Düsseldorf-Gerresheim Tiefenbroich Duisburg-Hochfeld Süd Hüttenwerke Krupp-M. Neuss Kaarst Horrem Bedburg Herzogenrath Stolberg Langerwehe Köln-Nippes Gbf Kall Euskirchen Bonn Remagen Ahrbrück Bad Münstereifel Kalscheuren Gummersbach Köln Fr. Str. Wesel Xanten Millingen Oberhausen Walsum Niebüll Westerland Hameln Lage Bielefeld Ost Osnabrück-Eversburg Münster Zentrum Nord Gronau Bocholt Niederlahnstein Limburg Ehrang Illingen Homburg Lebach-Jabach Bitburg-Erdorf Gerolstein Berlin-Baumschulenweg Neuburxdorf Mühlberg Berlin-Halensee Itzehoe Brunsbüttel Hamburg Eidelstedt Kaltenkirchen Kiel Rövershagen Graal-Müritz Flensburg Sigmaringen Basel Bad. Bf Waldshut Tübingen Neu Ulm Weißenhorn Friedberg Friedrichsdorf Usingen Wetzlar Elze Hochspeyer Aschaffenburg Miltenberg Eberbach Bad Kreuznach Bad Münster a. S. Gau Algesheim Neubrücke Bingen Hbf Pfronten-Steinach Radolfzell Stockach Tuttlingen Horb Balingen Albstadt Schwäbisch Hall- Hessental Markt Erlbach Heidenau Siegelsdorf Öhringen-Cappel Wörth Berg (Pfalz) Winden Neustadt Enkenbach Kaiserslautern Dortmund-Hörde Iserlohn Elektrifizierungsziele Anteil elektrifizierter Strecken <60 % 70 % 75 % 2030 2025 2017 Branchenvorschlag 3 Bundesziel Allianz pro Schiene-Vorschläge Neubauprojekte im Bundesverkehrswegeplan Ausbauprojekte im Bundesverkehrswegeplan 70 Prozent Streckenelektrifizierung bis 2025: Vorschläge zur Zielerreichung Quelle: Allianz pro Schiene | 12/ 2018 Lizenz: Nutzung frei für redaktionelle Zwecke unter Namensnennung Karte: commons.wikimedia.org/ David Liuzzo 1 ohne Strecken nichtbundeseigener Eisenbahnen (Streckenlänge: 33.400 km) 2 mit Strecken nichtbundeseigener Eisenbahnen (Streckenlänge: 38.500 km) 3 Weitere Informationen in der VDV-Broschüre „Voll elektrisch! “ und auf allianz-pro-schiene.de/ elektrifizierung +5 km +7 km +18 km +24 km +62 km +141 km +187 km +202 km +328 km +353 km +382 km +435 km +506 km +557 km +865 km +1.309 km +5.381 km +6.200 km Bremen Hamburg Berlin Saarland Mecklenburg-Vorp. Brandenburg Thüringen Sachsen-Anhalt Hessen Sachsen Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein Niedersachsen Nordrhein-Westf. Baden-Württemb. Bayern Deutschland +2.060 km +1.120 km +2.201 km 67 % 60 % 70 % des Bundesschienennetzes 1 Zum Vergleich: 70 % des gesamten Schienennetzes 2 Bild 2: 70 % Streckenelektrifizierung bis 2025: Vorschläge zur Zielerreichung [13] Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 44 MOBILITÄT Schienenverkehr lich auf Batterien oder Brennstoffzellen [15]. Superkondensatoren zeichnen sich durch schnelle Be- und Entladezyklen mit hoher Leistung auf. Dementsprechend eignen sie sich vor allem für Straßenbahnbetriebe, wo die Superkondensatoren an den Haltestellen in wenigen Sekunden aufgeladen werden können. Für Bahnanwendungen können sie nicht genügend Energie speichern. Hybridisierung mit Inselelektrifizierung Einen anderen Ansatz stellt die Inselelektrifizierung dar. Statt der aufwendigen Gesamtelektrifizierung werden mehrere, kürzere Abschnitte mit Oberleitung ausgerüstet. Bereits heute weisen 82 % der mit Dieselfahrzeugen betriebenen deutschen Strecken mindestens einen elektrifizierten Abschnitt auf [16]. Die Mehrsystemfahrzeuge Diesel- Elektrisch der französischen Staatsbahn (SNCF) der Baureihen B81500 und B82500 fahren zum Beispiel elektrisch mit Pantografen auf Abschnitten mit Oberleitung und überbrücken nichtelektrifizierte Abschnitte mit dem Dieselaggregat. Heutige Hybridantriebe basieren auf einer ähnlichen Technik, ersetzen jedoch das Dieselaggregat durch Batterien und sind damit voll emissionsfrei. Aufgrund der geringen Leistungsdichte der Lithium-Ionen-Batterien können nur nicht-elektrifizierte Abschnitte bis 40 km überbrückt werden, ohne dass das Gewicht der mitzunehmenden Batterien zu hoch wird [9]. Aus diesem Grund ist der potenzielle Einsatzbereich von Batterietriebzügen zurzeit auf teilweise elektrifizierte Strecken begrenzt. Der von Bombardier mit Hilfe der Technischen Universität Berlin entwickelte Talent 3-Batterietriebzug (Battery-Electric- Multiple-Unit, BEMU) [17] ist ein Beispiel heutiger Batterietechnologie an Bord von Schienenfahrzeugen. Stadler entwickelt aktuell ebenso ein BEMU auf Grundlage der FLIRT-Plattform [18], welches in Bild 3 zu sehen ist. Während das Fahrzeug unter Fahrdraht fährt, werden die Fahrmotoren direkt gespeist. Gleichzeitig werden auch die Batterien aufgeladen. Das Aufladen an den Endstationen beim Stehen ist zwar grundsätzlich möglich, es ist jedoch mit längeren Haltezeiten verbunden, die oft mit der Betriebsführung nicht kompatibel sind [16]. Obwohl die Beschaffungskosten von Batterieantrieben gegenüber Dieselaggregaten höher sind, lässt der steigende Preis von Kraftstoff sowie der günstigere Betrieb von Elektroantrieben einen Kostenvorteil bei langfristigen Betrachtungen erwarten. Darüber hinaus wird sich die Batterietechnologie deutlich weiterentwickeln, sodass die Lebensdauer erweitert wird und die Beschaffungskosten sinken werden. Damit wird der Einsatz von Batterien noch wirtschaftlicher und aus technischer Sicht günstiger. Elektrischer Betrieb ohne Oberleitung mit Brennstoffzellen Um lange Linienabschnitte ohne Oberleitung befahren zu können, sind Batterien allein nicht geeignet. Brennstoffzellen hingegen weisen eine größere Reichweite auf, denn sie haben eine deutlich höhere Energiedichte. Ein wesentliches Beispiel eines Wasserstoff-Triebzuges bildet der Coradia iLint von Alstom. Er ist für eine Reichweite von 600 bis 1.000 km ausgelegt [12] und kann dementsprechend einen kompletten Betriebstag ohne Nachtanken fahren. Allerdings verfügen Brennstoffzellen über eine geringere Dynamik und Leistungsdichte. Batterien müssen stets zusätzlich eingesetzt werden, um als Puffer zu wirken: Die Brennstoffzelle lädt die Batterien auf; die Fahrmotoren werden aus der Batterie gespeist. Dies ermöglicht außerdem die Energierückgewinnung bei Bremsvorgängen und bildet selbst bei Ausfall der Brennstoffzelle ein Notantriebssystem. Die Kosten zum Einsatz von Brennstoffzellenantrieben sind heute fahrzeugseitig sowie infrastrukturell wegen des Tankstellenbaus und Wasserstofferzeugung sehr hoch, sodass ein wirtschaftlicher Betrieb genau untersucht werden muss [14]. Umsetzung und Zusammenfassung Aufgrund der langen Lebensdauer von Schienenfahrzeugen ist damit zu rechnen, dass Dieselfahrzeuge, die bis 2030 geliefert werden, auf alternative, umweltfreundliche Antriebe umgerüstet werden müssen. Dabei ist die Herausforderung groß: Der verfügbare Bauraum an Bord der Fahrzeuge ist sehr begrenzt und beschränkt mögliche Umbauten erheblich; wegen des hohen Gewichts von Batterien muss zusätzlich auf die Massenbilanz geachtet werden [19]. Gegebenenfalls muss der mögliche Aufbau eines Pantografen auf dem Wagenkastendach im Einzelfall betrachtet werden, um die Tragfähigkeit der Struktur und die nötigen elektrischen Sicherheitsanforderungen zu gewährleisten. Es darf außerdem nicht vergessen werden, dass ggf. lange Umbauzeiten die Fahrzeugverfügbarkeit einschränken. Die Neuzulassung von Fahrzeugen ist ein aufwendiges und risikobehaftetes Verfahren, vor allem aufgrund der geringen Erfahrung mit alternativen Antrieben. Bei der Konzeption von Dieselfahrzeugen sollten dieselelektrische Antriebe befürwortet werden. Sie verfügen über elektrische Fahrmotoren - so können die Fahrwerke im Fall einer Hybridisierung bzw. Elektrifizierung weiterverwendet werden. Es wird also lediglich die Energiequelle vom Dieselaggregat zu einer alternativen Lösung getauscht. Die Hilfsbetriebe - z. B. die Klimaanlage - werden in dieselmechanischen oder dieselhydraulischen Fahrzeuge oft mechanisch angetrieben, sodass eine Hybridisierung den Austausch dieser Komponente erfordert. Dies ist bei dieselelektrischen Fahrzeugen nicht der Fall [20]. Die Elektrifizierung von Strecken ohne Oberleitung bietet trotz ihrer hohen Kosten die besten technischen Eigenschaften und das aktuelle Elektrifizierungsprogramm muss fortgesetzt und beschleunigt werden. Die hier präsentierten alternativen Technologien sind noch alle in der Erprobungsphase und deren möglicher Einsatz muss noch im Einzelfall überprüft werden. Fest steht aber: Gegenüber Dieselantrieben bringt Elektrotraktion viele Vorteile mit sich, sei es mit Oberleitung, mit Brennstoffzellen oder mit Batterien. Neben den geringeren Energie- und Instandhaltungskosten sind diese Fahrzeuge deutlich umweltfreundlicher und leiser im Stillstand. Bei elektrischen Antrieben besteht heute die Möglichkeit, Bild 3: Der Triebzug FLIRT Akku von Stadler Rail verkehrt dank der Traktionsbatterie emissionsfrei. Foto: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 45 Schienenverkehr MOBILITÄT Bremsenergie rückzugewinnen: Im Betrieb mit Pantografen wird die Energie zurück in den Fahrdraht gespeist, bei Batteriefahrzeugen werden die Batterien beim Bremsen aufgeladen. Dies ermöglicht bis zu 20 % Einsparung des Gesamtenergiebedarfs eines Fahrzeugs. Dank höherer Beschleunigungen wird die Kapazität des Schienennetzes erhöht. Dies steigert die Attraktivität und die Wirtschaftlichkeit des Schienenpersonenverkehrs und trägt dazu bei, die Verkehrsströme auf die Schiene zu verlagern, um die angestrebte Mobilitätswende zu erreichen. Zusammen mit Bahnstrom aus erneuerbaren Energien kann eine massive Elektrifizierung bzw. Dekarbonisierung des Schienenpersonennahverkehrs einen Beitrag zu der Einhaltung der Klimaziele insgesamt leisten, nicht nur für den Verkehr, sondern auch für die Energiewirtschaft. ■ LITERATUR [1] Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung, Bundesministerium für Umwelt u. Naturschutz und nukleare Sicherheit, Berlin 2016 [2] Hecht, M., Polach, O. u. Kleeman, U.: Schienenfahrzeuge. Kapitel Q2. In: Grote, K.-H., Bender, B. u. Göhlich, D. (Hrsg.): Dubbel. Taschenbuch für den Maschinenbau. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg 2018, Q38-Q72 [3] European Environment Agency: Greenhouse gas emissions from transport, Kopenhagen 2018. https: / / www.eea. europa.eu/ data-and-maps/ indicators/ transport-emissions-of-greenhouse-gases/ transport-emissions-ofgreenhouse-gases-11, abgerufen am: 25.07.2019 [4] Deutsche Bahn AG: DB auf Kurs zur Klimaneutralität bis 2050. Ökostrom-Anteil im Bahnstrom wächst rasant: 80 Prozent bis 2030 • 15 größte Bahnhöfe in Deutschland seit Januar grün, 2018. https: / / www.deutschebahn.com/ de/ presse/ suche_Medienpakete/ medienpaket_klimaschutzziel-1201550? contentId=1204722, abgerufen am: 25.07.2019 [5] Deutsche Bundesregierung: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 2018 [6] Bundesverkehrswegeplan 2030, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin 2016 [7] Klimaschutz in Zahlen. Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik, Ausgabe 2018, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Berlin 2018 [8] Hecht, M. u. Culemann, C.-R.: Klimaschutz als Chance für die Bahn. In: Deine Bahn (Hrsg.): Deine Bahn, Bd. 46. Berlin: BVF Bahn Fachverlag 2018, S. 14-17 [9] Reaktivierung stillgelegter Schienenstrecken und Elektrifizierung des deutschen Schienenverkehrs. Fachworkshop im Rahmen der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung. Berlin 2018 [10] Umweltbundesamt: CO 2 -Emissionsfaktoren für fossile Brennstoffe 27/ 2016, Jurich, K., Dessau-Roßlau 2016 [11] Die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung (MKS). Energie auf neuen Wegen, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin 2013 [12] Alternativen zu Dieseltriebzügen im SPNV. Einschätzung der systemischen Potenziale, Klebsch, W., Heininger, P. u. Martin, J., Frankfurt am Main 2019 [13] Roggermann, M.: 70 Prozent Streckenelektrifizierung bis 2025: Vorschläge zur Zielerreichung, Allianz pro Schiene. Berlin, 2018 [14] Wissenschaftliche Bewertung von alternativen, emissionsarmen Antriebskonzepten für den bayerischen SPNV, Technische und wirtschaftliche Bewertung alternative Antriebskonzepte 2017-EB-008-1, Müller, A., Dresden 2017 [15] Geißler, A. u. Sklaska, J.: Mehr Klimaschutz mit Schienenverkehr. Handlungsfelder und Lösungsansätze. Allianz pro Schiene, Berlin 2018 [16] Schirmer, T., Pagenkopf, J., Dittus Holger u. Winter, J.: Brennstoffzelle oder Batterie? - Eine Analyse zum Einsatz in Triebzügen. ZEVrail 143 (2019) 1-2, S. 40-47 [17] Mach, S. von, Buschbeck, J., Flerlage, H., Zimmermann, U. u. Boev Pavel: Die Entwicklung und Markteinführung des TALENT 3 Batterietriebzuges. Eisenbahntechnische Rundschau 67 (2018) 9, S. 115-119 [18] Stadler Rail AG: Stadler lässt den FLIRT von der Leine. Berlin 2018 [19] Kometer, J., Seelos, G., Kurzeck, B. u. van der Linden, F.: Alternative Antriebsvarianten für Schienenfahrzeuge - Trend zur Vermeidung bzw. Reduktion von Verbrennungskraftmaschinen. In: Edel, R., Lang, H.-P., Schindler, C. u. Veit, P. (Hrsg.): 45. Tagung Moderne Schienenfahrzeuge, Bd. 143. Graz 2019, S. 26-33 [20] Fichtl, H., Beims, M., Werner, C. u. Sören, C.: EcoTrain: The Erzgebirgsbahn‘s New Hybrid Railway Vehicle. Transportation Research Procedia 14 (2016), S. 575-584 Jonas Vuitton, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Schienenfahrzeuge, Technische Universität Berlin jonas.vuitton@tu-berlin.de Markus Hecht, Prof. Dr.-Ing. Fachgebietsleiter, Fachgebiet Schienenfahrzeuge, Technische Universität Berlin markus.hecht@tu-berlin.de 26. - 28. 11. 19 Frankfurt Ein Programm drei Tage zahlreiche Impulse 70271_HM_AZ_Besucher_Hand_Internationales_Verkehrswesen_102x297 • FOGRA 39 • CMYK • es: 01.08.2019 DU: 08.08.2019 Inland Jetzt Ticket sichern hypermotion.com Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 46 MOBILITÄT Interview Die Dekarbonisierung des-Flugverkehrs ist eine der-Kardinalfragen In der Diskussion um die CO 2 -Reduzierung gilt die zivile Luftfahrt als einer der größten Verursacher des Klimagases. Doch mithilfe deutscher Technologie soll klimaneutrales Fliegen schon in naher Zukunft möglich sein. Wie kann das funktionieren - und welche Veränderungen sind dazu nötig? Antworten von Dr. Jens Baumgartner, Business Development Manager Electrolysis, des Dresdener Technologieunternehmens Sunfire. Herr Baumgartner, Luftverkehr und Flugreisen stehen derzeit wegen hoher CO 2 -Emissionen im Fokus der Klimadiskussion. Nun will Sunfire gemeinsam mit Partnern die Erzeugung von erneuerbarem Kerosin angehen. Was ist hier geplant? Gerade der Flugverkehr ist mit einem steten Passagierwachstum und steigendem Verkehrsvolumen ein besonders CO 2 -intensiver Bereich. Es braucht ein verstärktes Engagement und innovative Konzepte, um die CO 2 - Emissionen in diesem Sektor möglichst schnell zu mindern. Dazu haben wir mit EDL Anlagenbau und weiteren Partnern am Flughafen Rotterdam Den Haag ein Pilotprojekt zur Herstellung von erneuerbarem Kerosin aus atmosphärischen CO 2 initiiert. Welche Vorteile soll dieser erneuerbare Jet-Kraftstoff bringen? Zunächst ist das übergeordnete Ziel, den ökologischen Fußabdruck des Luftverkehrs schnell und effektiv zu reduzieren. Erneuerbarer Jet-Kraftstoff, der aus atmosphärischem CO 2 gewonnen wird, ist CO 2 - und somit klimaneutral. Da der Einsatz von erneuerbarem Kerosin augenblicklich ohne größere Anpassung der jetzigen Flugzeugtechnik und bestehenden Infrastruktur möglich ist, können sofort positive Effekte auf Umwelt und Gesundheit durch Reduktion von CO 2 -Emissionen sowie der Verringerung der Feinstaubbelastung aufgrund der saubereren Verbrennung von synthetischen Kraftstoffen erzielt werden. Wie wollen Sie das „grüne“ Flugbenzin erzeugen? Das Verfahren zur Erzeugung des „grünen“ Kerosins in dieser Größenordnung wurde erst durch die Verknüpfung von hochinnovativen und gleichzeitig bewährten Technologien möglich. Im ersten Schritt wird CO 2 Foto: Sunfire GmbH Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 47 Interview MOBILITÄT mithilfe einer Direct-Air-Capture-Anlage aus der Umgebungsluft gefiltert. Mittels Solarstrom, der direkt am Flughafen gewonnen wird, stellt Sunfires Hochtemperatur- Co-Elektrolyseur aus dem gewonnenen CO 2 und Wasserdampf sogenanntes Synthesegas her. Dieses Gasgemisch dient als Grundstoff für die sogenannte Fischer-Tropsch-Synthese, in der e-Crude entsteht, ein klimaneutrales, flüssiges Kohlenwasserstoffgemisch, welches die Eigenschaften von fossilem Rohöl hat. Daraus wird schlussendlich der „grüne“ Jet-Kraftstoff raffiniert. Welche Aufgaben haben die verschiedenen Industrie-Partner in diesem Projekt? Wir stellen in dem Projekt die Co-Elektrolyse-Einheit und Verfahrens-Knowhow zur Verfügung. Der Elektrolyseur ist von besonderer Bedeutung, weil die Endkosten des Kerosins maßgeblich von den Stromkosten und somit dem Wirkungsgrad der Elektrolyse abhängen. Wir verfügen dazu über das weltweit effizienteste Verfahren. Climeworks aus Zürich ist für die Direct-Air-Capture-Technologie verantwortlich, die das CO 2 für unseren Elektrolyseur bereitstellt. Ineratec wandelt das Synthesegas aus der Elektrolyse zum synthetischen Erdölsubstitut, das dann von EDL im finalen Schritt zu „grünem“ Kerosin verarbeitet wird. Der gesamte Prozess ist CO 2 -neutral, da die Photovoltaikanlage des Flughafen Rotterdam Den Haag den notwendigen Ökostrom bereitstellt. Was leistet die von Ihnen beigesteuerte Elektrolyse-Anlage - lässt sich das in Litern ausdrücken? Die Gesamtanlage wird auf die Produktion von 1.000 Liter grünen Kerosins pro Tag ausgelegt. Unser Co-Elektrolyseur stellt hierzu einige Tonnen Synthesegas für die weitere Umwandlung bereit. Welches Potenzial sehen Sie bei einer noch größeren Produktionsskalierung, oder ist sogar eine Herstellung auf industriellem Niveau möglich? Bei der derzeit geplanten Anlage handelt es sich um einen Demonstrator, der den Weg zu größeren Anlagen im industriellen Maßstab bahnen soll. Das heißt, als nächster Schritt sind Großanlagen angedacht, um dem Markt signifikante Mengen „grünen“ Kerosins zur Verfügung zu stellen. Wirtschaftlichkeit und Effizienzen verbessern sich generell, je größer die Anlagen werden. Darüber hinaus bietet die Technologie selbst weitere Entwicklungspotenziale, da wir ja gerade eine neue Technologie auf den Markt bringen. Wichtig ist, dass die im Demonstrator gewählte Kombination von Technologien, insbesondere unsere Hochtemperatur- Co-Elektrolyse und deren enge Prozessintegration mit der Fischer-Tropsch-Synthese, den bei weitem größten Wirkungsgrad für die Umwandlung von erneuerbarer Energie in Kraftstoff und somit die absehbar geringsten Kosten für das Endprodukt grünes Kerosin aufweist. Dies wird von essenzieller Bedeutung sein, um Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz zu verbinden. Gibt es bereits Anwendungen oder Anwender, die diesen „grünen“ Treibstoff einsetzen wollen? Die Dekarbonisierung des Flugverkehrs ist eine der Kardinalfragen einer nachhaltigen Energiewende, die es schnellstmöglich zu beantworten gilt. Das Projekt zur Herstellung von „grünem“ Kerosin trifft dementsprechend auf viel Zuspruch, gleichermaßen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. So hat die niederländische Fluggesellschaft Transavia das Gespräch mit unserem Konsortium gesucht und konnte bereits als potenzieller Kunde gewonnen werden. Auch die Politik hat den Flugverkehr in den Blick genommen und diskutiert über sinnvolle Lösungsansätze. Hierzulande wurden zuletzt höhere Flugsteuern ins Gespräch gebracht. In den Niederlanden geht man einen Schritt weiter, denn hier verläuft die Debatte in Richtung einer gesetzlichen Verpflichtung, „grünen“ Treibstoff dem konventionellen Kerosin beizumischen. Ähnliche Pläne werden auch in Schweden und Norwegen seit längerem diskutiert. Diese Debatte scheint aber nun auch nach Deutschland zu kommen. Welche Marktmöglichkeiten sehen Sie darüber hinaus für das Verfahren? Der große Vorteil unseres Verfahrens zur Herstellung eines „grünen“ synthetischen Rohöl-Substituts ist, dass es viele Möglichkeiten eröffnet, da verschiedene Kraftstoffe, zum Beispiel Diesel für Fahrzeuge oder die Schifffahrt, produziert werden können. Das heißt, auch diese Verkehrssektoren könnten schnell und deutlich von diesem Verfahren profitieren. Darüber hinaus verwendet natürlich die Chemieindustrie derzeit große Mengen an fossilem Rohöl, um diverse Produkte herzustellen. Auch diese könnten im Prinzip durch unser Verfahren klimaneutral gemacht werden. Wir werden in den kommenden Jahren eine Großvolumen-Anlage in Norwegen in Betrieb nehmen, um e-Crude im industriellen Maßstab zu produzieren. Ab 2022 sollen hier jährlich 8.000 Tonnen entstehen, die für eine Vielzahl von Produkten - deren Herstellung bislang ohne Rohöl nicht denkbar war - den notwendigen Grundstoff bereitstellen wird. Oder den Wasserstoff direkt nutzen …? Man kann den Wasserstoff aus der Elektrolyse selbstverständlich auch direkt verwenden. Gerade deshalb stehen die Technologien rund um Wasserstoff bei den aktuellen Strategien der deutschen Ministerien und Parteien ganz oben auf der Liste. Dasselbe gilt für diverse Industriesektoren: Zum Beispiel wird die Stahlindustrie künftig Wasserstoff ebenfalls vermehrt nutzen. Unser Hochtemperatur-Elektrolyseur wird hier bei der Verhüttung von Eisenerzen eingesetzt und substituiert dadurch die konventionelle, umweltschädliche Koksverbrennung in den Hochöfen. Das ist nur ein Ausschnitt aus den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff. ■ Erzeugung von erneuerbarem Kerosin aus CO 2 und Wasser. Quelle: Sunfire Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 48 MOBILITÄT Mikromobilität (E-)Kleinstfahrzeuge - Tech- Blase oder Verkehrsrevolution? Teil 1 - Welches Potential haben „neue“ vernetzte Mobilitätsangebote und welche Erfahrungen liegen vor? (E-)Kleinstfahrzeuge, Tretroller, Mikromobilität, Sharing, MaaS, Letzte Meile, Implementierung Der Hype um E-Tretroller und das Inkrafttreten der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung in Deutschland haben eine weitreichende Debatte über das Für und Wider neuer Mobilitätsformen der Mikromobilität entfacht. Ein internationaler Blick auf die Entwicklung urbaner Mobilität in dieser Ausgabe und eine Analyse inzwischen vorliegender Erfahrungen aus Deutschland im folgenden Heft sollen den Kommunen dabei helfen, wie und in welchem Umfang sie mit dem Thema umgehen können. Rainer Hamann, Verena Knöll, Thomas Schimanski, Sebastian Schulz, Sabrina Bayer D er derzeitige Hype um E-Tretroller und zuletzt das Inkrafttreten der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) in Deutschland haben eine weitreichende Debatte über das Für und Wider neuer Mobilitätsformen der Mikromobilität entfacht. Von strikter Ablehnung bis zum Ausrufen einer Mobilitätsrevolution befüllen mehr und mehr Beiträge den öffentlichen Diskurs, ohne dass wichtige Fragen fundiert geklärt werden. Wie hoch ist das Potential von E-Kleinstfahrzeugen und welchen Anteil werden sie an der urbanen Mobilität langfristig beanspruchen? Wie sollen Städte und Gemeinden auf das Thema reagieren? Der erste Teil des Artikels befasst sich zunächst mit einem Einblick in ausländische (Pionier-)Märkte und Erfahrungen europäischer Städte. Hierbei wird dargestellt, welche Strukturen Anbieter und Geschäftsmodelle haben und welche Herausforderungen und Lösungen in einzelnen Ländern oder Städten zum Tragen gekommen sind. Vor dem Hintergrund der Debatte in Deutschland soll somit aufgezeigt werden, inwiefern und in welcher Form das E-Tretrollerphänomen auch hier Einzug erhalten könnte und welche Handlungsstrategien möglich sind. Eigentlich ist es ein ganz alter Hut (Bild- 1). Verkehrsrevolution? Jein, unsere heutigen digitalen Techniken ermöglichen Einsätze und Vernetzungen unterschiedlicher Verkehrsmittel in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Mikromobilität Bike-Sharing und Mikromobilität (in Form von (E-)Motorrollern, (E-)Fahrrädern, (E-) Bikes, (E-)Tretrollern und weiteren (E-) Kleinstfahrzeugen) werden den Verkehr in Städten weltweit entlasten oder gar revolutionieren - so oder so ähnlich verlautbaren es zahlreiche Studien und Artikel, die innerhalb der letzten Jahre dazu von Journalisten, Bloggern und Verkehrsexperten verfasst wurden [1]. Die Marktforscher von McKinsey haben errechnet [2], dass allein der Europäische Markt für „Shared Micromobility“ ein Potential von 100 bis 150 Mrd. USD besitzt [3]. Ob dieses Potential jedoch dem derzeitigen „Hype“ gerecht werden kann, schränken die Verfasser ein, hänge vor allem vom politischen und gestalterischen Willen der Städte und Gemeinden ab, welche die neuen Mobilitätsformen positiv fördern und öffentlichen Raum dafür bereitstellen sollen. So wird Mobilitätsanbietern dann auch empfohlen, selbst („proaktiv“) durch Lobbyarbeit in wichtigen Märkten tätig zu werden, um so die urbane Mobilität von Morgen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Bleibt also die Frage, zu welchem Anteil der aktuelle Hype durch besagte Lobby konstruiert wird und wie hoch dazu im Ver- AT A GLANCE The current hype about e scooters and the German e-scooter ordinance have triggered a wide-spread debate about pros and cons of new micro-mobility modes. Public opinion seems to be ranging from full rejection to calls for a new mobility revolution, without important questions objectively being addressed. What is the potential of e scooters and what is their long-term share on urban mobility? How should cities respond to the topic? This first part of the article deals with insights on foreign pioneering markets and first experiences in European cities. Organization and business models of suppliers are presented. Furthermore, challenges and solutions from selected countries and cities will be discussed. Against the background of the debate in Germany, it will therefore be shown to what extent and in which forms the e-scooter phenomenon could be introduced and which strategies are possible. Bild 1: „Electric scooter, circa 1915. Killed off by oil companies.“ Quelle: https: / / fymodernflapper.tumblr.com/ post/ 178976245892/ electric-scooter-circa- 1915-killed-off-by-oil Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 49 Mikromobilität MOBILITÄT gleich das tatsächliche Nachfragepotential ist. Für deutsche Kommunen stellt sich zudem die berechtigte Frage, wie und in welchem Umfang man auf das Thema reagieren soll. Seit einigen Jahren prägt bereits der Sammelbegriff Mikromobilität (engl. Micro Mobility) die Debatte um alle möglichen Kleinstfahrzeuge. So dynamisch das Thema (insbesondere bei Start-up-Unternehmen der Mobilitätsbranche) derzeit gehandhabt wird, desto stärker fällt die „Dehnung“ des Begriffes aus. Nach offizieller Lesart der in Deutschland gültigen Bestimmungen [4] sowie der Verwendung des Begriffs in Fachkreisen und Medien fallen unter die derzeit diskutierte Thematik neben den klassischen Motorrädern (Krads), Mofas und Motorrollern sowie Pedelecs und E-Bikes auch und insbesondere neue Mobilitätsformen wie Elektrotretroller [5] oder auch Segways (Bild 2), Hoverboards und sogar Einräder. Hier eine genaue Abgrenzung spezifischer Typen zu finden, ist per se schwierig, da neue Formen und Produkte immer wieder in den Markt kommen und den Pool der Mikromobilität erweitern. In diesem Artikel geht es vordergründig um die aktuelle Diskussion zu Elektrotretrollern, wie sie vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) in der E l e ktro kl e in s tf a hr z e u g e -Ve ro rd n u n g (eKFV) [6] definiert wurden. Shared Mobility as a Service Der Erfolg, den die E-Motorroller und E- Tretroller in Asien und derzeit in den USA sowie mehreren europäischen Städten wie z. B. Madrid, Paris, Wien, Lissabon oder Zürich hinlegen, ist in der Tat beachtlich. In kürzester Zeit sind gleich mehrere Wettbewerber - millionenschwer von Tech- und Investmentfirmen finanziert - an den Start gegangen und erreichen mit attraktiven Angeboten und digitalen Services eine breite Zielgruppe. Auch in Deutschland gab es bereits, noch bevor offizielle Regelungen existierten, eine Vielzahl von Angeboten für den Kauf oder das Mieten von E-Tretrollern. Deutschland gehörte zu den Schlusslichtern, was Fahrerlaubnis und Reglementierungen betrifft. Als Teil mit anderen Verkehrssystemen digital vernetzter Sharing-Angebote (wie Car-, Bike-, Motorroller-, Tretroller-Sharing), mittlerweile auch als Mobility as a Service (MaaS) betitelt, entstehen tatsächlich Potentiale, welche die Mobilität beeinflussen werden und eine Herausforderung für Städte und Gemeinden darstellen. Dies haben auch die Automobilkonzerne erkannt, die aktuell MaaS-orientierte Angebote auf den Markt bringen oder solche im großen Stil planen [7, 8]. Dennoch liegen allgemein betrachtet die Anteile, die Sharing-Angebote an der Gesamtmobilität in Deutschland aber auch in anderen Ländern haben, noch deutlich im einstelligen Prozentbereich. Laut Studie „Mobilität in Deutschland (MiD)“ werden selbst in Metropolen Dienste wie Car- oder Bike-Sharing nur von ca. 10 % der Bevölkerung sporadisch (ca. einmal im Monat) genutzt [9]. Dies bedeutet, dass bislang zumindest diese neuen Mobilitätsformen keine messbare Rolle im Alltagsverkehr der Menschen spielen und bisher, so lässt die MiD- Studie erkennen, kaum mehr als den einen oder anderen Weg des Freizeitverkehrs substituieren. Dass in Zukunft Sharing-Angebote vermehrt auch im städtischen Berufs- und Pendelverkehr eine Rolle spielen werden, gilt trotzdem als relativ sicher. Zahlen einiger Leihfahrrad-Betreiber weisen auf diesen Trend bereits hin. Welchen Anteil die neuen Angebote aber einnehmen und zu welchen Lasten dieser Anteil gehen wird, ist nach wie vor nicht ausgemacht. Noch bewegen sich auch hier die absoluten Zahlen - wenn auch kontinuierlich steigend - auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Das chinesische Bike-Sharing- Experiment - Vorbild für den Tretroller-Verleih Ein absoluter Vorreiter der Shared Mobility ist China. Auch wenn chinesische Städte mittlerweile regelmäßig im individuellen Autoverkehr ersticken, ist die Autobesitzrate noch längst nicht auf vergleichbarem Niveau wie in den USA oder Europa. Dementsprechend gehören z. B. Zweiräder in Form von Motorrollern und Mofas seit mehr als zehn Jahren - übrigens (wegen gesetzlicher Vorgaben) nahezu vollständig elektrisch - mit Anteilen von mehr als 20 % zum gewohnten Straßenbild. Der nachfolgende Exkurs über die Entwicklung der stationslosen Leihfahrräder in China zeigt, welche Implikationen solche Mobilitätsangebote auch für E-Tretroller und die damit verbundenen Geschäftsmodelle haben können. Seit einigen Jahren waren die sogenannten „Dockless-Bikes“, also stationslose Leihfahrräder, bereits auf den Universitätscampussen vertreten und stiegen dort im Vergleich zu den kaum genutzten stationären Verleihrädern im öffentlichen Raum in kürzester Zeit zu großer Popularität unter den Studierenden auf. Im Jahr 2016 wagten die ersten dieser Betreiber - unterstützt durch millionenschwere Venture Capital Investitionen der dortigen Tech-Giganten - den Schritt in den öffentlichen Straßenraum. Weitestgehend unreglementiert „fluteten“ die größten Konkurrenten ofo und Mobike den öffentlichen Raum mit tausenden Fahrrädern. Stationslos, an jeder Straßenecke verfügbar und überall wieder abstellbar, per App einfach freizuschalten und teils gratis, teils gegen eine geringe Gebühr von 1 RMB (ca. 0,13 EUR) pro Fahrt zu benutzen. Für Millionen von Großstädtern ergab sich eine neue, fast kostenlose Mobilitätsmöglichkeit. Schnell wurden jedoch auch die Nebeneffekte des teils kriegerischen Wettbewerbs zwischen den Anbietern sichtbar. Mit immer mehr Fahrrädern wurde versucht, sich durch eine schiere Masse von der Konkurrenz abzusetzen und die Marktmacht zu sichern, was vor allem zulasten des Platzangebotes auf Gehwegen und öffentlichen Plätzen sowie der Zuwegung zu Gebäuden oder Metrostationen ging (Bild 3). Bild 2: Touristengruppe macht Pause auf der Sightseeingtour per Segway in Lissabon Foto: Rainer Hamann, 2019 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 50 MOBILITÄT Mikromobilität Im August 2017 wurden dann in China erste Richtlinien für Betrieb und Organisation des Bike-Sharing-Betriebs erlassen. Sie reglementierten die Anzahl der erlaubten Fahrräder, verpflichteten die Betreiber zum aktiven Management ihrer Flotten (u. a. das Bereinigen zugeparkter Gehwege und Grünanlagen) und verlangten die Entsorgung nicht mehr fahrtüchtiger Räder. Vor Metrostationen und Gebäudekomplexen wurden gesonderte Zonen eingerichtet, so dass die Fahrräder nicht mehr „wild“ abgestellt werden konnten. Teilweise wurden gar komplette Parkverbote ausgesprochen. E-Tretroller und weitere Mikromobile wie Hoverboards wurden im Zuge weiterer Reglementierungen gleich komplett verboten, für alle E-Motorroller und E- Bikes wurden zudem eine Versicherungsplakette Pflicht. Hinzu kam die Ernüchterung der Tech- Giganten im Hintergrund. Neben Werbeeinnahmen über die entsprechenden Apps erhoffte man sich vor allem durch das Sammeln von „Big Data“ mehr über das Mobilitäts- und Reiseverhalten der Konsumenten erfahren zu können, um so neue vernetzte Angebote des bereits heute durchdigitalisierten chinesischen Alltags zu kreieren. Mit Kommunen und Universitäten wollte man zusammen neue Erkenntnisse und Verhaltensmuster urbaner Mobilität analysieren. Doch der Erkenntnisgewinn hielt sich in Grenzen. Dass die meisten Nutzer die Bikes vornehmlich zum täglichen Pendeln nutzten, war nicht sonderlich überraschend. Ebenso war keine Sensation, dass Menschen von der Metrostation zur Arbeit und zurück den schnellstmöglichen Weg wählten. Wenn es eine Erkenntnis gab, dann die, dass Stadtregierungen viele Jahre die Radverkehrsinfrastruktur zugunsten des Autoverkehrs vernachlässigt hatten. Kurz nach Inkrafttreten der Regulierungen war sodann auch der Goldrausch für die Ersten vorbei - Pleiten, Akquirierungen und Zusammenschlüsse kleinerer Anbieter waren die Folge, Investitionen neuer Finanzierungsrunden ließen spürbar nach. Auch die Exportversuche des chinesischen Bike- Sharing-Hypes scheiterten sowohl in Europa als auch Nordamerika relativ schnell - aus ähnlichen Reglementierungsgründen wie in China selbst. Die Anbieter kritisierten die von Kommunen aufgestellten Regelwerke schnell als innovationsfeindlich (Bild 4) oder beklagten sich über Vandalismus. In Wahrheit waren die Geschäftsmodelle von vorne herein in keiner Weise nachhaltig, sondern beruhten allein auf der hoffnungsvollen Annahme, im Besitz wertvoller Kundenbzw. Mobilitätsdaten und Werbeplattformen zu sein. Ohne sich auf die Eigenheiten, Reglementierungen und Mobilitätsbedürfnisse der Nutzer anzupassen, war das Bike-Sharing der chinesischen Anbieter von vorne herein ein Verlustgeschäft, erst recht in dem Moment, als personeller Aufwand des Flottenmanagements gesetzlich vorgeschrieben wurde. Nach dem Rückzug potenter Investoren ist der Pionier einstiger Tage, ofo, mittlerweile kaum noch vertreten und de facto pleite. Proteste verärgerter Kunden, die vor der größtenteils verwaisten Geschäftsstelle ihre Anmeldegebühren zurückverlangten, machten im Dezember 2018 die Runde [10]. Bisweilen dominiert fast nur noch Mobike das Geschäft, allerdings ebenfalls mit deutlich reduzierten Flotten und längst nicht mehr mit der gleichen Dynamik wie vor noch einem Jahr. Mit Hellobike, unterstützt durch den Digitalriesen Alibaba, ist mittlerweile ein eneuer Konkurrent hinzugestoßen, der versucht, das ofo-Vakuum zu füllen und die Anfangsfehler der Wettbewerber zu vermeiden. So konzentriert sich Hellobike nicht nur auf die großen Metropolen, sondern versucht vor allem in den kleinen bis mittelgroßen Städten (ca. 500.000 bis 5-Mio. Einwohner) das stationslose Angebot von Leihfahrrädern zu realisieren - ein Markt, den ofo und Mobike weitestgehend gemieden hatten [11]. Kürzlich häuften sich auch bei Mobike Meldungen über die Unrentabilität des Geschäftsmodells und eventuelle Rückzugsgedanken des größten Kapitalgebers [12]. So schnell und plötzlich, wie die Bikes über die Städte hereinbrachen, so schnell sind sie auch größtenteils wieder verschwunden. Ob es in einem oder zwei Jahren in China noch nennenswertes Bike-Sharing geben wird, ist derzeit wohl offen. Von kurzzeitigen Effekten abgesehen, hat es das Mobilitätsverhalten in chinesischen Städten jedenfalls nicht signifikant verändert. Entwicklung und Erfahrungen zum E-Tretroller-Markt in den USA Ein Blick in die USA zeigt aktuell zumindest auf, dass es durchaus Potentiale zu heben gibt. Hier sind private E-Tretroller-Betreiber wie Bird und Lime schon seit mehr als einem Jahr auf den Straßen. Beide Unternehmen - die Pioniere ihres Marktes - haben es innerhalb eines Jahres ihres Bestehens geschafft, Unternehmenswerte von einer Milliarde US-Dollar zu erreichen [13]. Im Herbst 2017 kamen die ersten Anbieter quasi über Nacht mit ihren E-Tretrollern auf die Straßen. Weitestgehend unreguliert und ohne vorherige Kooperationen mit den Stadtverwaltungen entwickelten sich abgestellte Exemplare schnell zu Stolperfallen auf Geh- und Radwegen und wurden zu einem ernsthaften Sicherheitsrisiko. Städte reagierten recht unterschiedlich auf das Bild 3: „Überflutete“ Gehwege in Shanghai Foto: Sebastian Schulz 2017 Bild 4: Verbotsschild mit auffälliger Sperre in Shanghai Foto: Sebastian Schulz, 2017 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 51 Mikromobilität MOBILITÄT neue Phänomen. Von kompletten Verboten über die Limitierung der Stückzahlen bis hin zur uneingeschränkten Akzeptanz und der Schaffung von Infrastruktur, entstand eine Vielzahl lokaler Richtlinien und Vorgaben. Städte wie Santa Monica und San Francisco straften dabei die Pioniere zunächst ab. Nach vorübergehendem Komplettverbot wurden spezielle Lizenzen für eine zwölfmonatige Testphase mit begrenzter Stückzahl an ausgewählte Betreiber vergeben. Ausgerechnet in deren Heimatstadt San Francisco gehörten Bird und Lime nicht zu den auserwählten Pilot-Unternehmen und müssen erst einmal draußen bleiben. Vielfach wurde dies als Zeichen gegen das unkooperative Verhalten zu Beginn des E-Tretroller-Hypes gewertet [14, 15, 16]. Die National Association of City Transportation Officials (NACTO) veröffentlichte im Juli 2018 den ersten Leitfaden [17] zum Umgang mit E-Tretrollern und den entsprechenden Verleihsystemen. Dieser enthält neben Übersichten derzeitiger Praxisanwendungen vor allem Empfehlungen zur Organisation von Tretrollerstellplätzen sowie zu möglichen Vergünstigungen einkommensschwacher Nutzer, um die Angebote allen Einkommensgruppen verfügbar zu machen. Was Städte und Planer gleichermaßen überrascht hat, war die hohe Akzeptanz und Popularität der E-Tretroller. Innerhalb kürzester Zeit überstiegen die Nutzerzahlen jene von Bike-Sharing- und Ride-Hailing- Angeboten (Uber & Lyft) um ein Vielfaches. Während Lyfts Ride Hailing Service seinen millionsten Kunden erst nach ca. 61 Wochen begrüßen konnte, war dies beim E-Tretroller Betreiber Lime bereits nach gut der Hälfte der Zeit (31 Wochen) der Fall. Etwas mehr als ein Jahr (58 Wochen) nach Start der E-Tretroller waren diese in den USA schon sechs Millionen Mal vermietet worden. [13] Die Stadt Charlotte, North Carolina, (ca. 850.000 Einwohner) veröffentlichte im August 2018 einen Vergleich der städtisch genutzten stationslosen (dockless) Shared-E- Tretroller im Vergleich zum stationslosen Bike-Sharing-System [18]. In nur wenigen Monaten haben die E-Tretroller das Bike- Sharing bei der Anzahl der Leihen und Fahrten deutlich übertroffen. Die Anzahl der Ausleihen zeigte in einem ausgewählten Monat 82.523 für E-Tretroller und 3.312 für Shared-Bikes. Ein deutlicher Unterschied, auch wenn er nicht repräsentativ für alle Städte gesehen werden kann [18]. Bisher sind die allermeisten Anbieter aus der Start-up-Branche des Silicon Valleys entstanden, unterstützt von großen Venture Capital Firmen mit Milliarden von Dollars. Die hiermit verknüpfte Hoffnung liegt nicht so sehr auf der Mobilität als Angebot an sich, sondern auf der Verbindung mit den Betreiber-Apps als digitalen Werbeplattformen. Ob die E-Tretroller jedoch eines Tages ein profitables Geschäft darstellen, wird momentan noch bezweifelt [19]. So fallen vor allem für das tägliche Einsammeln und Ausliefern sowie für das Laden dauerhaft Kosten an, die deutlich über den Ankauf und das Bereitstellen der Flotten hinausgehen. Ob Werbeeinnahmen dies kompensieren können, muss abgewartet werden; hierzu fehlen bislang - zumindest im amerikanischen Markt - die Erkenntnisse. E-Tretroller-Markt in Europa Außerhalb Deutschlands sind bereits (E-) Kleinstfahrzeuge eingeführt worden. Die Unternehmen traten meist zunächst in Groß- und Hauptstädten auf und erweiterten ihr Angebot im Anschluss auf weitere- (auch kleinere) Städte des jeweiligen Landes. In Ländern wie Frankreich, Portugal oder Österreich sind neben den amerikanischen Anbietern Bird und Lime mehr als ein Dutzend europäische Unternehmen im E- Tretroller-Markt aktiv. Interessant ist dabei, dass große Unterschiede zwischen den Unternehmen bestehen. Während viele Unternehmen als Start-up neu gegründet wurden und teils dank Venture Capital-Investitionen im Einflussbereich großer Techfirmen agieren, entwickelten einige bereits bestehende Unternehmen ihre Produktpalette, vom unmotorisierten Tretroller zum E- Tretroller, weiter. Wieder andere Unternehmen, wie VW oder BMW, traten neu in den Markt ein und entwickeln derzeit neben ihrem Kerngeschäft weitere Tätigkeitsfelder im Bereich von MaaS. Im Gegensatz zu den Sharing-Angeboten in China und den USA besteht in Europa demnach eine deutlich breitere Angebotsbzw. Geschäftsstruktur der operierenden Unternehmen. Hier mischen sich internationale „Global Player“ mit lokalen Start-ups und starken Automobilbzw. (in Zukunft) Mobilitätskonzernen. Ob sich im europäischen E-Tretroller-Markt eine spezifische Unternehmens- und Angebotsstruktur herausbilden kann oder der Akteurskreis so diversifiziert bleibt, kann derzeit noch nicht beantwortet werden. Ein Blick in bereits bestehende Erfahrungen europäischer Pionierstädte In Wien bieten nahezu alle bekannten größeren Anbieter Tretroller zum Verleih an, maximal mit 1.500 E-Tretrollern pro Anbieter. Dort werden die Roller, die eine Höchstgeschwindigkeit bis zu 25 km/ h haben können, regeltechnisch wie Fahrräder behandelt und dürfen dementsprechend nur Wege benutzen, die auch für den Radverkehr freigegeben sind. Zudem gelten entsprechende Vorschriften bezüglich der Verkehrssicherheit der Roller, ähnlich wie sie mittlerweile auch in Deutschland verfasst wurden. Nach ersten Problemen, insbesondere was das Abstellen der Tretroller im öffentlichen Raum anbelangt, hat die Stadt in Kooperation mit der Polizei einen Leitfaden herausgegeben, der Grundlagen regeln soll [20, 21]. Zugelassen sind höchstens 25- km/ h ohne Helmpflicht. Neben technischen Ausstattungsregeln gelten Verkehrsregeln, ähnlich denen für Radfahrer. So ist auf Gehsteigen usw. das Fahren verboten. Widerrechtlich abgestellte E-Tretroller können bei der Stadtinformation gemeldet werden. Bild 5: Gotcha Electric Scooters Outside Ft Lauderdale Brightline Station Foto: Phillip Pessar from Miami, USA; wikimedia.org, Creative Commons 2.0 Generic (CC BY 2.0) Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 52 MOBILITÄT Mikromobilität Madrid wurde im Sommer 2018 von vielen E-Tretrollern förmlich „überschwemmt“. Anbieter hatten 110.000 Anträge gestellt; 8.610 Genehmigungen wurden schließlich an 18 Betreiber vergeben, die nur in vorgegebenen Gebieten aktiv sein dürfen. Die Stadtverwaltung verbannte angesichts vieler Unfälle alle E-Tretroller von Gehwegen, Busspuren und Straßen mit mehr als einer Spur in jede Richtung [22]. Nach zunächst liberaler Zulassung hat man in Paris nun Regeln mit drastischen Strafandrohungen eingeführt. So darf beispielsweise nicht mehr auf Gehwegen gefahren werden, nachdem es zu zahlreichen schweren Unfällen kam. Auch müssen nun die Unternehmen permanent die „wild“ abgestellten Tretroller einsammeln und eingerichteten Stationen zuführen. Letzteres wird wie die Wartung und das Ladegeschäft vollverantwortlich an Privatunternehmer delegiert. Eine in Frankreich im April durchgeführte Umfrage zur Nutzung von E- Tretroller [23] hat u.a. ergeben, dass zwei Drittel der Nutzer männlich sind, dass 69 % aus Spaß Roller fahren, dass Nutzungen eher in der Freizeit stattfinden und dass 42-% Touristen sind. Außerdem gaben 59 % der Befragten an, dass sie aufgrund mangelnder Verfügbarkeit nicht noch öfter zum Tretroller greifen konnten; 71 % der Befragten würden ihre Nutzung reduzieren, wenn die Roller nicht mehr überall geliehen und abgestellt werden dürften. In Oslo, bzw. Norwegen, werden E-Tretroller verkehrsrechtlich wie Fahrräder behandelt. Somit dürfen sie auch auf Bürgersteigen fahren. Die Verkehrsregeln besagen, dass man auf Gehwegen oder in Fußgängerstraßen radfahren darf, sofern das Verkehrsaufkommen niedrig ist und keine Gefahr oder Behinderung für Gehende bestehen. Man kann in Norwegen eine generell recht ausgeprägte Toleranz und Rücksichtnahme im Straßenverkehr beobachten. Aber selbstverständlich gibt es auch hier Ausnahmen. Zahlen der medizinischen Notdienste belegen, dass seit Inbetriebnahme der E-Tretroller die Zahl der Unfälle - insbesondere zwischen Fußgängern und E- Tretrollerfahrern, aber auch Verletzungen von Tretrollerfahrern selbst - außergewöhnlich stark zugenommen hat. Leider steigt aber generell und überall mit dem Auftreten und der vermehrten Verkehrsbeteiligung neuer Verkehrsmittel auch die Anzahl von Konflikten und Unfällen. Inzwischen werden die Tretroller auch im Zusammenhang mit dem Thema Klimaschutz kritisch gesehen, da die Gefährte sehr „kurzlebig“ sind, die Produktion teils billig in Asien erfolgt und die Gefährte unachtsam entsorgt, teils sogar einfach in Gewässer geworfen werden. Ob es strengere Regeln oder gar Verbote geben soll, ist derzeit noch nicht geklärt. Es ist abhängig davon, wie sich Gebrauch und Einsatz der E-Tretroller in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln werden. Da gerade in der Hauptstadt Oslo die Nutzung des Fahrrades als Verkehrsmittel forciert wird, könnte eine der Überlegungen sein, den in den letzten Jahren stark priorisierten Ausbau der Fahrradwege und Infrastruktur noch weiter voranzutreiben und damit auch für Tretroller mehr Raum zur Verfügung zu stellen. Zwischenfazit Letztendlich zeigen die internationalen Beispiele, dass ein generelles „Learning-bydoing“ angebracht ist. Sämtliche Aspekte sowie positive und negative Effekte lassen sich nicht von vorne herein aus der reinen Theorie heraus managen. Ein flexibler Ansatz und Maßnahmen je nach Bedarf und Situation scheint derzeit in vielen europäischen Städten das Gebot der Stunde zu sein. Nach den bisherigen Tretroller- und Bike-Sharing-Erfahrungen in Europa lässt sich zudem klar feststellen: Anbieter, die (pro-)aktiv mit Städten und Gemeinden zusammenarbeiten und primär im Sinne der Mobiliät (und nicht zu sehr dem Datensammeln und Marketing) handeln, werden erfolgreicher sein als solche, die - wie die Experimente asiatischer Anbieter gezeigt haben - mehr oder weniger ungefragt E-Tretroller und andere Produkte im Straßenraum platzieren. Des Weiteren lässt sich bereits jetzt schon erkennen, dass Europa als Markt deutlich diversifizierter (und komplexer) agiert, als die USA oder China. Dass es keine europaweit einheitlichen Regelungen gibt, ist einerseits für außereuropäische Anbieter eine gewisse Hürde, da etwaiges Flottenmanagement und Ausstattung der Fahrzeuge nationalen Gesetzgebungen und somit kleineren Teilmärkten folgen muss. Andererseits öffnet dies lokalen Start-up-Unternehmen die Möglichkeit, am großen Markt der Mikromobilität teilzuhaben. Mit dem Inkrafttreten der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) hat auch Deutschland als letztes großes europäisches Land E-Tretroller und andere Angebote offiziell zugelassen. Was dies für deutsche Kommunen und Entscheidungsträger bedeutet, wird in Teil II des Beitrags im nächsten Heft näher beleuchtet. ■ Internationales Verkehrswesen 4/ 2019 erscheint am 4. November LITERATUR UND ANMERKUNGEN [1] Somerville: Bird scooters roll into Paris, Tel Aviv. 2018/ 08/ 01; www. reuters.com/ article/ us-bird-scooter/ bird-scooters-roll-into-paristel-aviv-idUSKBN1KM3M4 Irfan: The scooter stampede of 2018 is great news for urban transportation, 2018/ 12/ 19; www.vox.com/ energy-and-environment/ 2018/ 12/ 5/ 18116647/ electric-scooter-lime-bird-skip-spin-2018 Leake: Climate watchdog: halt global warming - ride an electric scooter, 2018/ 10/ 07; www.thetimes.co.uk/ article/ climate-watchdog-halt-global-warming-ride-an-electric-scooter-dwf2mtwlp Bullard: Novelty of Scooters Poses Serious Challenge to Cars’ Reign, 2018/ 08/ 17; www.bloomberg.com/ opinion/ articles/ 2018-08-17/ novelty-of-dockless-scooters-poses-challenge-to-cars-reign Bild 6: E-Tretroller (und Leihfahrräder) in Lissabon Foto: Rainer Hamann, 2019 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 53 Mikromobilität MOBILITÄT [2] McKinsey & Company. Heineke, K. et al.: Micromobility’s 15,000-mile checkup, 2019/ 01/ 29; www.mckinsey.com/ industries/ automotiveand-assembly/ our-insights/ micromobilitys-15000-mile-checkup [3] Zum Vergleich geht die Studie für den US-Markt von 200-300 Mrd. USD sowie wegen geringerem Preisniveau von 30 bis 50 Mrd. USD in China aus. [4] Z. B. Straßenverkehrsordnung [StVO] und seit dem 15. Juni 2019 die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) [5] Unter dem Begriff Tretroller subsummieren wir hier die erfindungsreichen, weiteren aber verwirrenden Begriffe wie Kinderroller, Cityroller, City Scooter, Big Wheel, Wheel Scooter, City Scooter, Kindertretroller, Kickroller, Kickscooter, Freestyle oder Stuntscooter. Als E-Scooter hatten wir in Deutschland bislang die elektrischen Rollstühle von Behinderten bezeichnet, insbesondere im Rahmen der Diskussionen um die Mitnahme in Fahrzeugen des ÖPNV. [6] Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019 Teil I Nr. 21, ausgegeben zu Bonn am 14. Juni 2019: Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr und zur Änderung weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6.6.19 (Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung - eKFV); www.bgbl.de/ xaver/ bgbl/ text.xav? SID=&tf=xaver.component.Text_0&tocf= &qmf=&hlf=xaver.component.Hitlist_0&bk=bgbl&start=%2F%2F*% 5 B % 40node_id % 3 D % 2 744679 8 % 2 7 % 5 D & s kin=pdf&tlevel=- 2&nohist=1 [7] Daimler AG, InnoTrans: Mobility-as-a-Service [MaaS]: Pionier moovel stellt erstmals digitalen Marktplatz für urbane Mobilitäts- Ökosysteme vor, 18.9.18; https: / / media.daimler.com/ marsMediaSite/ de/ instance/ ko/ InnoTrans-Mobility-as-a-Service-MaaS-Pioniermoovel-stellt-erstmals-digitalen-Marktplatz-fuer-urbane- Mobilitaets-Oekosysteme-vor.xhtml? oid=41270515 [8] Volkswagen AG, Präsentation Las Vegas, Jungwirth: Leadership in Mobility-as-a-Service [MaaS], 2018/ 01/ 10; www.volkswagenag. com/ presence/ investorrelation/ publications/ presentations/ 2018/ 01_january/ 2018-01-10_Presentation_Johann_Jungwirth_ Las%20Vegas.pdf [9] infas, DLR, IVT und infas 360 [2018]: Mobilität in Deutschland [im Auftrag des BMVI], S. 55 f, Februar 2019; www.mobilitaet-indeutschland.de/ pdf/ MiD2017_Ergebnisbericht.pdf [10] Today online, Singapure, 2018/ 12/ 21; https: / / www.todayonline.com/ world/ ofo-pioneer-chinas-bike-sharing-boom-crisis [11] South China Morning Post: Tech in Asia, How Hellobike is beating Mobike and Ofo in China’s smaller cities, 2018/ 07/ 26; https: / / www. scmp.com/ tech/ enterprises/ article/ 2156845/ how-hellobikebeating-mobike-and-ofo-chinas-smaller-cities [12] TechNode, Dingzhang Yu: Super app Meituan promises prudence after Mobike bill hits home, 2019/ 03/ 12; https: / / technode. com/ 2019/ 03/ 12/ super-app-meituan-promises-prudence-aftermobike-bill-hits-home [13] Forbes online, Adeyemi Ajao: Electric Scooters And Micro-Mobility: Here‘s Everything You Need To Know, 1.2.2019; www.forbes.com/ sites/ adeyemiajao/ 2019/ 02/ 01/ everything-you-want-to-knowabout-scooters-and-micro-mobility/ #a7334485de65 [14] The Verge, Andrew J. 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Projektleiterin Verkehrswesen, Straßenbau, Statens Vegvesen, Oslo sabrina.bayer@vegvesen.no Sebastian Schulz, M.Sc. Verkehrsplaner, Obermeyer Engineering Consulting Shanghai Branch sebastian.schulz@opb.de Thomas Schimanski, cand. M.Sc. Verkehrswirtschaftsingenieurwesen, Praktikant und wissenschaftliche Hilfskraft im büro stadtVerkehr, Hilden thomas.schimanski@gmx.net Verena Knöll, B.A. Kulturgeographie, Transformation of urban landscapes, Ruhr Universität Bochum; Tongji University, Shanghai; wissenschaftliche Hilfskraft im büro stadtVerkehr, Hilden verena.knoell@rub.de Rainer Hamann, Dr.-Ing. Senior-Berater Außenstelle Schleswig-Holstein, büro stadtVerkehr Planungsgesellschaft mbH & Co. KG, Karby hamann@buero-stadtverkehr.de @EuTransportConf #etcdublin2019 www.aetransport.org AET European Transport Conference (ETC) Bookings for 1-3 days are now open! The 47 th European Transport Conference Annual Conference of the Association for European Transport 09-11 October 2019 Dublin Castle, Ireland You can now book your place for 1, 2 or 3 days at the European Transport Conference with no price increases since last year! AET or ECTRI Members 1 Day 2 Days 3 Days/ Rover - Individual Member £300 €330 £595 €660 £795 €885 - Organisation Member £290 €320 £575 €640 £760 €845 Non-Members £340 €375 £670 €745 £930 €1,035 Attracting transport practitioners and researchers from all over Europe, the Conference delivers in-depth presentations on policy issues, best practice and research findings across the broad spectrum of transport. Themes this year include Autonomous Vehicles, Climate Change, Aviation, Big Data and System Dynamics. The vibrant social calendar at the European Transport Conference also provides excellent opportunities to broaden your network with transport experts from around the world. w Pre-conference drinks reception sponsored by ITS Ireland w Civic Reception hosted by Dublin City Council w Conference Dinner pre-dinner drinks sponsored by Aimsun w Plus running tours, bicycle tours and technical visits To view the programme and book your place, please visit: www.aetransport.org or email: sabrina.winter@aetransport.org *All fees shown are subject to 20% VAT. Discounts available for students, new member states of the EU and Young Researchers & Practitioners. See website for full details. J000237 Full bookings Internationales Verkehrswesen advert 88x126 v2.indd 1 05/ 06/ 2019 15: 54 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 54 MOBILITÄT Forschungsprojekte Der Forschungskompass Ein neues Werkzeug zur Unterstützung der Mobilitätsund-Verkehrsforschung Netzwerk, Verkehrsforschung, Mobilitätsforschung, Interdisziplinarität, Recherche, VIVO Die Analyse der Forschungslandschaft, etwa um interessante Kontakte für Forschungskooperationen zu finden oder neue Forschungsschwerpunkte zu identifizieren, ist ein wichtiger Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeit. Gerade in den interdisziplinären Bereichen der Mobilitäts- und Verkehrsforschung sind damit jedoch zahlreiche Herausforderungen verbunden. Mit dem neuen Forschungskompass wird ein Werkzeug entwickelt, um einen schnellen und passgenauen Einblick in diese vielfältige Forschungslandschaft zu erhalten. Matthias Fuchs, Stefan Wolff D ie Entwicklung zukunftsfähiger, gesellschaftlich akzeptierbarer Lösungen durch die verkehrswissenschaftliche Forschung bedarf eines ganzheitlichen Blicks auf die Rahmenbedingungen und Zusammenhänge im Verkehrswesen. Eine Aufgabe, die allein nur schwer zu bewältigen ist. So fordern auch Förderprogramme auf nationaler wie internationaler Ebene zunehmend die Zusammenarbeit in interdisziplinären Netzwerken und Forschungsverbünden (z. B. [1, 2]). Bereits in der Initialisierungs- und Antragsphase eines Forschungsprojektes werden durch die Auswahl geeigneter Partner die Weichen für dessen Erfolg gestellt. Um dies optimal leisten zu können, bedarf es der Kenntnis über bestehende Forschungsschwerpunkte relevanter Personen und den Strukturen, in die die Forschenden eingebunden sind. Eine solche Transparenz der Forschungslandschaft ist darüber hinaus nicht nur im Kontext konkreter Projekte entscheidend, sondern dient auch als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der eigenen wissenschaftlichen Arbeit, z. B. dem Ausbau des eigenen Netzwerkes oder der Identifizierung neuer Einsatzfelder der eigenen Forschung. Wer sich einen Überblick über die Vernetzung in der Mobilitäts- und Verkehrsforschung verschaffen will, der stößt vor allem bei der Suche außerhalb des eigenen Forschungsumfeldes auf verschiedene Herausforderungen. Hierzu gehört zum einen, dass potenziell interessante Personen und Netzwerke über viele unterschiedliche Plattformen verstreut sind. Zum anderen sind bestehende Netzwerkstrukturen, z. B. in Bezug auf die Zusammenarbeit, zum Teil gar nicht auffindbar. Diesen Herausforderungen stellt die Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) ein Werkzeug entgegen, welches seit kurzem als Beta-Version verfügbar ist: www.forschungskompass.de. Für mehr Transparenz in der Forschungslandschaft Der Forschungskompass wird im Rahmen des DFG-geförderten Fachinformationsdienstes Mobilitäts- und Verkehrsforschung (FID move) entwickelt. Im FID move arbeitet die SLUB gemeinsam mit der Technischen Informationsbibliothek Hannover an forschungsunterstützenden Services und Werkzeugen für die Wissenschaftsdomänen Mobilität und Verkehr. Das Ziel des Forschungskompasses in diesem Zusammenhang ist es, fachspezifische Netzwerke sichtbar zu machen und den Forschenden einen übergreifenden Einblick in die personellen, thematischen und geografischen Vernetzungen des Forschungsgebietes zu ermöglichen. Dadurch erhalten die Forschenden neue Zugangsmöglichkeiten zu fachlich relevanten Akteuren in der universitären und außeruniversitären wissenschaftlichen Community. Der Forschungskompass erleichtert somit die sonst sehr zeitaufwendigen Recherche- und Netzwerktätigkeiten wesentlich und erlaubt darüber hinaus neue Betrachtungsperspektiven auf die Struktur der Forschungslandschaft. Bild 1: Design und Funktionen des Forschungskompasses Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 55 Forschungsprojekte MOBILITÄT Technische Grundlage dafür ist die Open Source-Software VIVO, in die kuratierte Datenbestände aus verschiedenen öffentlichen Informations- und Rechercheplattformen zu den Forschenden und deren Forschungsoutput (z. B. Artikel, Berichte, Konferenzbeiträge) eingebunden werden. Im Rahmen der Aggregation der Daten aus unterschiedlichen Quellen werden die gewonnenen Informationen im Forschungskompass untereinander in Beziehung gesetzt. Dies schafft die notwendige Basis, um mit innovativen Recherche- und Analysewerkzeugen die Transparenz in der Forschung zu verbessern (Bild 1). Zielführende Sucheinstiege und Mehrwert für die Forschung Der Forschungskompass bietet in der aktuellen Version drei spezifische Sucheinstiege, die nachstehend kurz erläutert werden: Themen Grundlage dieses Sucheinstieges sind die mit Personen und dem Forschungsoutput verknüpften Themen, z. B. Verkehrsmittelwahl, Parksuchverkehr. Durch die Auswahl von Themen werden die Personen, die sich mit den entsprechenden Forschungsschwerpunkten befasst haben, gruppiert zu diesen Themen dargestellt. So entsteht ein visueller Einblick in die Struktur des gewählten Fachausschnittes. Der Sucheinstieg ermöglicht ein exploratives Erschließen verknüpfter Forschungsthemen, ohne abschließende Kenntnisse über die thematische Systematik des Forschungsfeldes zu erfordern. Die Recherche nach Themen bietet sich zum Beispiel an, um an ein bestimmtes Forschungsfeld angrenzende Felder zu erkunden und zugehörige Akteure zu identifizieren. Konferenzen Konferenzen sind zentrale Orte des intra- und interdisziplinären Austausches sowohl auf akademischer Ebene als auch zwischen Wissenschaft und Praxis. Dieser Sucheinstieg ermöglicht daher anhand verschiedener Konferenzen und zugehöriger Themen eine veranstaltungsorientierte Auseinandersetzung mit einem gewählten Forschungsfeld. Neben den Titeln der Konferenz kann die Suche auch über die im ersten Sucheinstieg herausgestellten Themen erfolgen. Als Ergebnis präsentiert der Forschungskompass die entsprechenden Konferenzbeiträge und die zugehörigen Personen. Standorte Neben der fachlichen Suche bietet der Forschungskompass eine standortbasierte Recherche an. Diese ermöglicht das Auffinden von Forschenden auf Basis ihrer Lokalisation. Darüber hinaus gibt er einen Einblick in die geografische Verteilung gewählter Forschungsthemen. Um einen schnellen Einstieg in die Recherche zu unterstützen, befindet sich auf der Seite „Über den Forschungskompass“ ein Video, in dem diese Suchmöglichkeiten noch eingehender erklärt werden. [3] Die Entwicklung läuft Die aktuelle Beta-Version des Forschungskompasses verdeutlicht bereits die Möglichkeiten und Potentiale des Werkzeuges. Sie ist aber nur ein erster Schritt. Unter Berücksichtigung des Nutzerfeedbacks werden in der weiteren Entwicklung u.a. zusätzliche Datenmengen einbezogen. Darüber hinaus wird an einer noch stärkeren Berücksichtigung der zunehmenden Internationalität der Forschungsgebiete gearbeitet. Aufgrund des großen Grades der Interdisziplinarität dieser Forschungsbereiche und der Heterogenität der Netzwerkplattformen müssen bei der Weiterentwicklung des Werkzeuges einige Herausforderungen überwunden werden. So beschränken gerade privatwirtschaftliche Dateneigner, wie z. B. Research Gate, die Nachnutzung der von den Forschenden freiwillig und kostenfrei eingegebenen Daten. Sie beanspruchen damit das Recht zur Verwendung dieser Daten für sich allein, um alle Potentiale für das eigene Unternehmen zu reservieren. Frei verfügbare Daten sind zum Teil weniger umfangreich erfasst und ungenauer verschlagwortet. In Verbindung mit dem Problem der disziplinübergreifenden Suchwörter, wie z. B. „Verkehr“, erschwert dies die zielgenaue Einbindung relevanter Datenbestände. Darüber hinaus stellen die Quellsysteme ihre Daten in unterschiedlicher Qualität bereit, z. B. in Bezug auf Namen und Affiliierung von Autoren. Um diesen Problemen zu begegnen, wird durch den Einsatz mehrstufiger Prozesse zur Filterung, Anreicherung und Aufbereitung der Daten sowie durch die Entwicklung zuverlässiger Verfahren zur Deduplizierung, die Qualität und Quantität des Datenbestandes im Forschungskompass sukzessive verbessert. Der Forschungskompass verbindet Wissen Ob bei der Anbahnung interdisziplinär ausgerichteter Forschungsprojekte oder der Bearbeitung anspruchsvoller Fragestellungen in der Mobilitäts- und Verkehrsforschung: Die richtigen Partnerschaften sind ein kritischer Erfolgsfaktor bei der Entwicklung zukunftsfähiger Lösungen im Verkehrswesen. Zur Verbesserung der Transparenz in diesem dynamischen Forschungsumfeld steht mit dem Forschungskompass ein neues, kostenfrei nutzbares Werkzeug bereit (Bild 2). Aufbauend auf vernetzten Daten aus Wissenschaft und Praxis erleichtert der Forschungskompass die Suche nach Personen mit der benötigten Expertise. Darüber hinaus ermöglicht das Werkzeug, bestehende Wissensnetzwerke anhand von Forschungsthemen oder Wirkungsorten der Forschenden explorativ zu erkunden. Der Forschungskompass hilft somit, Wissen zu verbinden - zum Nutzen aller. ■ LITERATUR [1] Horizon 2020 Work Programme 2018 - 2020 11. Smart, green and integrated transport http: / / ec.europa.eu/ research/ participants/ data/ ref/ h2020/ wp/ 2018-2020/ main/ h2020-wp1820-transport_ en.pdf [2] BMBF Ausschreibung / MobilitätsZukunftsLabor 2050 / https: / / www. bmbf.de/ foerderungen/ bekanntmachung-2292.html [3] https: / / www.forschungskompass.de/ about Matthias Fuchs Projektleiter FID move, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden matthias.fuchs@slub-dresden.de Stefan Wolff Entwicklung Forschungskompass, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden stefan.wolff@slub-dresden.de Bild 2: Mit dem Forschungskompass Wissensnetzwerke erweitern Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 56 MOBILITÄT Wissenschaft Treibhausgasemissionen im fahrzweckbezogenen Verkehrsmittelvergleich Klimaschädlichkeit, Personenverkehr, Substitutionseffekte, Umweltpolitiken Emissionsvergleiche verschiedener Verkehrsmittel konzentrieren sich üblicherweise auf einen relationsbzw. entfernungsbasierten Ansatz. Die Emissionen eines Verkehrsmittels werden pro Entfernung dargestellt. Für Fahrzwecke wie Freizeit und Urlaub eignet sich dieses Vorgehen jedoch nicht, da die Zielorte endogen festgelegt werden und die Entfernungen sich je nach Verkehrsmittel unterscheiden werden. In diesem Aufsatz wird die neue Kennzahl Full-Price-Emissions entwickelt, die für solche Fahrzwecke geeigneter ist. Full-Price-Emissions setzt die Treibhausgasemissionen des Transports ins Verhältnis zum vollen Preis des Transports. Die relative Klimaschädlichkeit des Flugzeugs, berechnet nach Full-Price-Emissions, ist um bis zu viermal größer als bei entfernungsbasierten Ansätzen. Zugleich visualisiert der neue Ansatz nicht-intendierte klimaschädliche Substitutionseffekte von Umweltpolitiken. Thomas Hagedorn, Gernot Sieg Ü blicherweise werden bei der Beurteilung der Umweltschädlichkeit von Verkehrsmitteln relationsbezogene Kennzahlen herangezogen. Für die Betrachtung der Klimaschädlichkeit sind dies beispielsweise die Treibhausgasemissionen (gemessen in Gramm CO 2 -Äquivalenten) pro Entfernung (gemessen in Kilometern), wobei meist eine durchschnittliche Besetzung der Transportmittel angenommen wird. 1 Bei vielen Fragen, beispielsweise wie klimaschädlich das Pendeln zur Arbeit oder der Besuch einer Konferenz ist, ist dies der richtige Ansatz. Ein großer Teil der Fahrzwecke ist jedoch Freizeit (34 %, siehe Bild 1), unter denen auch die Zwecke Kurzurlaube und Urlaube subsumiert werden. Bei diesen Zwecken ist es oft der Fall, dass nicht nur die Verkehrsmittel zur Entscheidung stehen, sondern auch die zurückzulegenden Entfernungen vom Konsumenten gewählt werden. So könnten die Favoriten für die Freizeitgestaltung ein Musical-Besuch in einem 100-km entfernten Ort und der Theater-Besuch in einem 20 km entfernten Ort sein. Bei der Urlaubsreise könnte das Urlaubsziel Mallorca (1.450 km) mit dem Urlaubsziel Türkei (2.025 km) konkurrieren. Ist die Entfernung Teil der Entscheidungsmenge, so können entfernungsbezogene Emissionsvergleiche in die Irre führen. Aus diesem Grunde wird in diesem Aufsatz eine neue Emissionskennzahl Full-Price-Emissions eingeführt. Die entscheidungsrelevante exogene Größe bei Kurzurlauben ist das zur Verfügung stehende Budget an Zeit und Geld. Der Konsument möchte ein verlängertes Wochenende verbringen und maximal 600 EUR ausgeben. Dieses Budget verursacht je nach Verkehrsmittel eine unterschiedliche Klimabelastung. Setzt man die Emissionen von Treibhausgasen (THG) ins Verhältnis zum Budget, kann man die relative Umweltschädlichkeit von Verkehrsmitteln berechnen, die für den Zweck des Kurzurlaubs genutzt werden. Zurzeit gibt es noch keine für alle Verkehrsmittel einheitliche Bepreisung der Grenzemissionen. Trotz aller Bemühungen ist wohl auch in der näheren Zukunft nicht damit zu rechnen. In diesem Fall liegt ein Second-Best- Problem vor: Bestimme den optimalen Treibhausgasemissionspreis unter der Nebenbedingung, dass die möglichen alternativen Verkehrsmittel nicht optimal bepreist sind. Eine Veränderung des Preises eines Ver- 21,0% 17,0% 4,0% 7,0% 12,0% 34,0% 6,0% Personenverkehrsleistung nach Fahrzwecken in Deutschland 2017 Arbeit dienstlich Ausbildung Einkauf Erledigung Freizeit Begleitung Bild 1: Personenverkehrsleistung nach Fahrzwecken in Deutschland 2017 Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von infas et al., 2018 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 57 Wissenschaft MOBILITÄT kehrsmittels in Richtung des First-Best kann dann aber zu einem Wohlfahrtsverlust führen, da das gewählte (falsch bepreiste) Substitut umweltschädlicher ist als das ursprüngliche Verkehrsmittel. Ein Beispiel wäre eine Erhöhung der Energiesteuer für Diesel, die dazu führt, dass der Kurzurlaub an der Ostsee (mit dem PKW) ersetzt wird durch einen Kurzurlaub auf Mallorca (mit dem Flugzeug). Die Kennzahl Full-Price-Emissions (Emissionen pro vollem Preis) ermöglicht den Verkehrsmittelvergleich für Freizeit- und Urlaubsverkehre und soll sensibilisieren, nicht-intendierte klimaschädliche Substitutionseffekte zu vermeiden. Literaturüberblick Der übliche, in vielen Studien zu findende Ansatz zum Vergleich der Emissionen verschiedener Verkehrsmittel ist relationsbezogen. Zumeist werden die Emissionen pro Entfernung bestimmt. In einer Berechnung des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2018 werden die durchschnittlichen Emissionen verschiedener Verkehrsmittel verglichen. 2 Betrachtet werden die Emissionskategorien Treibhausgase, Stickoxide, Feinstaub, Kohlenmonoxid und Flüchtige Wasserstoffe (siehe Tabelle 1). Die ermittelten Emissionswerte berücksichtigen neben den indirekten Emissionen aus der Energieerzeugung und -bereitstellung auch die Auslastungen der Verkehrsträger. Zubringerverkehre werden nicht berücksichtigt. Die Emissionswerte werden pro Person und Entfernung (Pkm) verglichen. Der Vergleich umfasst unter anderem die Verkehrsmittel PKW, Fernbus, Eisenbahnfernverkehr und Flugzeug. In Bild 2 sind die Ergebnisse für Treibhausgase dargestellt. Erkennbar weist der Fernbus die geringsten durchschnittlichen Treibhausgasemissionen auf. Grund dafür sind unter anderem eine moderne Fahrzeugflotte sowie eine verhältnismäßig hohe durchschnittliche Auslastung (59 %). Der Eisenbahnfernverkehr weist trotz niedrigerer Durchschnittsauslastung (56 %) ebenso geringe durchschnittliche Treibhausgasemissionen auf. Dies ist durch den nahezu vollständig elektrifizierten Zugbetrieb im Fernverkehr begründet. Die Treibhausgasemissionen im Eisenbahnverkehr sind wesentlich von der Energiebereitstellung und damit den Anteilen der Energieträger an der Stromerzeugung (Energiemix) abhängig. Die höchsten durchschnittlichen Emissionen verursachen der PKW und das Flugzeug. Für den PKW liegt dies im Wesentlichen an der geringen durchschnittlichen Auslastung (1,5 Personen/ PKW). Beim Flugzeug sind der hohe Energiebedarf (und damit hohe Emissionen) sowie die größere Klimawirksamkeit der Emissionen in der Höhe für den hohen Treibhausgasemissionswert verantwortlich. Methodisches Vorgehen Wie bereits beschrieben, eignen sich die oben vorgestellten Ergebnisse vorwiegend für Fahrzwecke mit exogenem Ziel, etwa Berufs- oder Geschäftsverkehre. Ein großer Anteil der Fahrten fällt jedoch in die Kategorie Freizeit (siehe Bild 1), zu der auch Urlaubsfahrten zählen. Für beide Zwecke gilt häufig, dass ein Konsument neben der Wahl des Verkehrsmittels auch über das Ziel und damit die zurückzulegenden Entfernungen entscheiden kann. Folglich kann eine Konkurrenz zwischen zwei Urlaubsorten bestehen, die unterschiedliche Distanzen aufweisen, wie etwa das bereits erwähnte Beispiel des Urlaubsziels Mallorca (1.450 km) oder Türkei (2.025-km). Da hier also die Entfernung Teil der Entscheidungsmenge ist, wird im Folgenden die Kennzahl Full-Price-Emissions entwickelt, welche die Emissionen für diese Art von Fahrzwecken besser repräsentieren kann. Als entscheidungsrelevante exogene Größe wird das zur Verfügung stehende Budget an Zeit und Geld (im Folgenden als Full-Price Budget bezeichnet) gewählt. Dies ist insbesondere bei (Kurz-)Urlauben eine sinnvolle Annahme, da die Konsumenten einen begrenzten Zeitraum möglichst effektiv, d.h. mit einem geringen monetären Budget viel Zeit am Urlaubsort verbringen, nutzen möchten. Implizit wird damit ausgeschlossen, dass Konsumenten beispielsweise ein (verlängertes) Wochenende nutzen, um interkontinental zu verreisen. Somit umfasst das Full-Price Budget zwei Komponenten: die monetären Kosten der Fahrt (Fahr-/ Ticketpreis bzw. Fahrkosten) und die Opportunitätskosten der Reisezeit. Um - im Gegensatz zu den konventionellen Emissionsvergleichen - eine weitgehend relationsunabhängige Berechnungsmethode für Emissionen zu kreieren, wurde eine bewusst allgemeine Berechnungsform gewählt. Die Ermittlung der monetären Kosten einer Fahrt erfordert personenkilometerbezogene Fahrkostenfaktoren (als Yields bezeichnet). Für das Verkehrsmittel Eisenbahn werden diese über das Verhältnis der Umsätze der DB Fernverkehr AG zur Beförderungsleistung der DB Fernverkehr AG approximiert. Für das Flugzeug wird hier beispielhaft Ryanair als Anbieter von Flügen im Low-Cost-Segment, die besonders relevant für eine solche Art der Reise sein dürften, gewählt. Die Passagiererlöse Ryanairs werden dann wiederum ins Verhältnis zur Beförderungsleistung gesetzt. Für Fernbusse werden Daten zu den Umsatzerlösen je Fahrgast und Kilometer genutzt. Die Ermittlung von Fahrkostenfaktoren für PKW erfolgt auf Basis der Berechnung marginaler, fahrleistungsabhängiger Kosten einer Fahrt. Diese beinhalten neben Kraftstoff- und Werkstattkosten auch fahrleis- 0,0 50,0 100,0 150,0 200,0 g CO2-Äq./ Pkm Durchschnittliche Treibhausgasemissionen Pkw Fernbus Flugzeug Eisenbahnfernverkehr Bild 2: Durchschnittliche Treibhausgasemissionen (in g CO 2 -Äq./ Pkm) Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Umweltbundesamt, 2018 und Bruns et al., 2018, S. 53 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 58 MOBILITÄT Wissenschaft tungsabhängige Abschreibungen. Für die Ermittlung dieser Kosten werden drei Fahrzeugklassen (Kleinwagen, Kompaktklasse, Mittelklasse) und zwei Antriebsarten (Benzin, Diesel) gewählt. 3 Für jede Fahrzeugklasse und Antriebsart wird ein repräsentatives Fahrzeugmodell ausgewählt. 4 Die Werkstattsowie die Kraftstoffkosten werden dem Autokostenrechner des ADAC entnommen. Die fahrleistungsabhängigen Abschreibungen je Kilometer (km) werden auf Basis der Herstellerpreise der Fahrzeugmodelle, einer durchschnittlichen jährlichen Fahrleistung von 15.000 km und einer Nutzungsdauer von zwölf Jahren berechnet. Schließlich wird ein mit den Anteilen der Fahrzeugklassen und den Antriebsarten gewichteter Mittelwert der Kosten ermittelt und durch den Besetzungsgrad (1,5 Personen) dividiert (um eine personenkilometerbezogene Größe zu erhalten). 5 Da die Fahrzeit Teil des Full-Price Budgets ist, müssen auch die Reisezeitopportunitätskosten geschätzt werden. Dazu werden distanzabhängige Zeitwerte für nicht-geschäftliche Fahrzwecke aus dem Methodenhandbuch des Bundesverkehrswegeplans 2030 mit den durchschnittlichen Geschwindigkeiten der Verkehrsmittel multipliziert. Für das Flugzeug werden zusätzlich die Kosten, die durch den Check-in- und Check-out-Prozess entstehen, einberechnet. Diese werden mit 1,5 Stunden je Flug angenommen und würden von einem rationalen Konsumenten in der Planung berücksichtigt werden. Für die übrigen Verkehrsmittel sind hingegen die Vorbereitungszeiten gering, sodass die dadurch entstehenden Zeitkosten als vernachlässigbar gering eingeschätzt werden können und daher nicht mit einberechnet werden. Den Full-Price eines Verkehrsmittels j erhält man durch Multiplikation der Summe aus Fahrkosten und Reisezeitkosten mit der Entfernung: (1) Zur Ermittlung der Emissionen wird auf Daten des Umweltbundesamtes (UBA) zurückgegriffen, welches die durchschnittlichen Emissionen einzelner Verkehrsmittel pro Personenkilometer bestimmt hat (siehe Tabelle 1). Der Fokus dieses Aufsatzes liegt auf den THG- Emissionen, da diese über die politisch diskutierte Reform der Energiesteuer für Diesel oder über eine CO 2 - Besteuerung internalisiert werden könnten. Der Vergleich der Emissionen erfolgt in diesem Fall über das zur Verfügung stehende Full-Price Budget. Es wird angenommen, dass ein Konsument, der ein verlängertes Wochenende verreisen möchte, ein Budget von 600 EUR zur Verfügung hat. Ein Teil dieses Gesamtbudgets ist der An-/ Abreise vorbehalten und damit implizit als Full-Price Budget festgelegt. Angenommen, das Full-Price Budget für Hin- und Rückreise beträgt 1/ 3 des Gesamtbudgets, so stünden je Fahrt 100 EUR zur Verfügung. Die neue Kennzahl Full-Price-Emissions wird dann wie folgt ermittelt: Mithilfe von Formel (1) ist es möglich zu berechnen, welche Entfernungen (in km) verkehrsmittelspezifisch mit dem vorhandenen Budget maximal zurückgelegt werden können: (2) Die Entfernungen werden dann mit den durchschnittlichen Emissionsfaktoren des UBA multipliziert. Abschließend werden die resultierenden Emissionen ins Verhältnis zum Full-Price gesetzt, sodass sich die Kennzahl Full-Price-Emissions als Größe Emissionen (in kg CO 2 - Äq.) je Person und Euro Full-Price ergibt: (3) Analyse und Ergebnisse Die THG-Emissionen (in kg CO 2 -Äquivalenten) für ein- Full-Price Budget von 100 EUR sind in Bild 3 dargestellt. Emissionsart Fernbus Eisenbahn, Fernverkehr Flugzeug PKW Treibhausgase (g/ Pkm) 32 36 201 139 Kohlenmonoxide (g/ Pkm) 0,04 0,02 0,13 0,60 Kohlenwasserstoffe (g/ Pkm) 0,02 0,00 0,04 0,14 Stickoxide (g/ Pkm) 0,05 0,04 0,51 0,34 Feinstaub (g/ Pkm) 0,002 0,000 0,004 0,004 Auslastung 59 % 56 % 82 % 1,5 Pers./ PKW Tabelle 1: Durchschnittliche Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Personenverkehr 6 0,0 50,0 100,0 150,0 200,0 kg CO2-Äquivalenten Treibhausgasemissionen Pkw Fernbus Flugzeug Eisenbahnfernverkehr Bild 3: THG-Emissionen in kg CO 2 -Äquivalenten bei einem Full-Price Budget von 100 EUR Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 59 Wissenschaft MOBILITÄT Der Fernbus weist dabei die geringsten THG-Emissionen (~ 12,8 kg CO 2 -Äq.) auf. Ein Aspekt, der dieses Ergebnis begründet, ist die verhältnismäßig hohe Durchschnittsauslastung der Fernbusse (59 %) sowie eine moderne Fahrzeugflotte, die sich in einen geringen THG- Emissionsfaktor übertragen. Der wesentlichere Grund liegt jedoch in den Geschwindigkeiten der Verkehrsmittel, die die möglichen Entfernungen beeinflussen. Mit dem Flugzeug sind aufgrund seiner hohen Durchschnittsgeschwindigkeit in kurzer Zeit weite Entfernungen überwindbar, während mit dem Fernbus in vergleichbarer Zeit deutlich kürzere Distanzen zu überwinden sind. Dies wird im nachfolgenden Vergleich der Kennzahlen besonders deutlich. Der Abstand gegenüber der Eisenbahn ist gering (~ 15,4 kg CO 2 -Äq.) und hängt vom Energiemix ab. Diesbezüglich sind in Zusammenhang mit der steigenden Energieerzeugung durch Erneuerbare Energien künftig positive Entwicklungen für die Eisenbahn zu erwarten. Auch eine höhere Auslastung der Eisenbahnen könnte zu einer Verbesserung der relativen THG-Emissionsbelastung führen. Die PKW verursachen bei einem Budget von 100 Euro etwa viermal so hohe THG-Emissionen (~ 52,8 kg CO 2 -Äq.). Das Flugzeug stößt trotz höchster Durchschnittsauslastung (82- %) mit großem Abstand die meisten THG-Emissionen aus (~ 240,7 kg CO 2 -Äq.). Ein Vergleich der entfernungsbezogenen Emissionskennzahl mit den Full-Price-Emissions ist in Bild 4 (Werte des Fernbusses wurden als Bezugsgröße auf 1 normiert) dargestellt. Unabhängig vom Fahrzweck bzw. der gewählten Kennzahl verursacht das Flugzeug die höchsten relativen Emissionen, während Eisenbahn und Fernbus in beiden Vergleichen am umweltfreundlichsten bewertet werden können. Die Ergebnisse der Kennzahlen deuten damit zwar in die gleiche Richtung, dennoch ist ein Unterschied besonders signifikant: Die relative Umweltschädlichkeit des Flugzeugs ist bei Betrachtung der Full-Price-Emissions wesentlich größer (das etwa 19-Fache gegenüber dem Fernbus, siehe Bild 4 rechts) als bei den konventionellen, relationsbezogenen Emissionsvergleichen (das Sechsfache gegenüber dem Fernbus, siehe Bild-4 links). Die Endogenität des Zielortes bestimmt die Ergebnisse beim Vergleich der Full-Price-Emissions. Bei fixen Full- Price Budgets sind mit dem Flugzeug aufgrund niedriger Ticketpreise und verhältnismäßig kurzer Reisefahrzeiten vergleichsweise große Entfernungen zu überwinden. Insbesondere die starke Konkurrenz im Low-Cost-Bereich beeinflusst diese Tendenz. Zwar bieten Fernbusse und Eisenbahnen im Fernverkehr auch günstige Fahrpreise (etwa Super-Sparpreise), doch sind mit diesen höhere Zeitkosten verbunden, da die Reisefahrzeiten je nach Entfernung spürbar länger sind. 7 Dadurch werden die mit einem bestimmten Budget erreichbaren Entfernungen eingeschränkt. Insgesamt übertragen sich diese Distanzunterschiede in stärker auseinanderfallende absolute THG-Emissionen und damit auch Full-Price- Emissions. Der Klimanachteil des Flugzeugs ist dabei bei kleinen Budgets geringer, da die Zeiten für Check-in und Checkout einen größeren Anteil am Full-Price Budget ausmachen. Mit zunehmenden Budget steigt der Klimanachteil deutlich an, da sowohl geringere Fahrpreise als auch Fahrzeiten negativ auf die Emissionsbelastung wirken (aufgrund größerer Entfernungen). Schlussfolgerungen und Diskussion Die im Verkehrssektor insgesamt steigenden THG- Emissionen haben eine Diskussion um geeignete klimapolitische Maßnahmen in Gang gebracht. Aus theoretischer Sicht wären sowohl der sektorübergreifende Zertifikatehandel (z.B. Cap-and-Trade-System) als auch eine allumfassende CO 2 -Steuer geeignete Instrumente. In der Praxis wird jedoch über eine Erhöhung der Energiesteuer für Diesel oder eine CO 2 -Steuer diskutiert, die einige Sektoren wie Flug- und Schiffsverkehr nicht oder nur teilweise berücksichtigen. Diese Maßnahmen können sektorspezifisch ein Schritt in Richtung First-Best sein, zugleich aber aufgrund der nicht-optimalen Situation in einem anderen Sektor die Umweltschäden vergrößern. Eine Second-Best Lösung sollte diesen Effekt berücksichtigen. Die Berechnungen der hier neu entwickelten Kennzahl Full-Price-Emissions offenbaren diese Problematik: Die Einführung einer CO 2 -Steuer (oder in ähnlicher Form eine Erhöhung der Energiesteuer für Diesel) betrifft sowohl den Straßenals auch den Eisenbahnverkehr direkt. Es wäre damit zu rechnen, dass die zusätzli- 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 kg CO2-Äq./ Pkm Entfernungsbezogene Treibhausgasemissionen Pkw Fernbus Flugzeug Eisenbahnfernverkehr 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 kg CO2-Äq./ Person und € Full-Price-Emissions Pkw Fernbus Flugzeug Eisenbahnfernverkehr Bild 4: THG-Emissionen einzelner Verkehrsmittel, links: entfernungsbezogen (THG-Emissionen in kg CO 2 -Äq. je Pkm), rechts: Full-Price-Emissions (THG-Emissionen in kg CO 2 -Äq. je Person und Euro) Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 60 MOBILITÄT Wissenschaft che Steuerbelastung an die Konsumenten weitergegeben würde. Bei festgelegten Budgets würden durch steigende Full-Prices Substitutionseffekte provoziert. In unserem Beispiel könnte das etwa bedeuten, dass der Kurzurlaub an der Ostsee (mit dem PKW) durch eine Flugreise nach Mallorca substituiert wird. Damit verbunden wäre ein Anstieg der Umweltbelastung um den Faktor 4. Ein Vorteil der entfernungsbezogenen Kennzahl ist, dass die Emissionen „technisch“ korrekt berechnet und darauf basierend mit einer ökonomischen Bewertung versehen werden, aber exogen in Bezug auf die Entscheidung des Verkehrsmittels und der zurückgelegten Relation sind. Auch spielt eine Änderung der Umweltpolitik, beispielsweise die Einführung einer CO 2 -Abgabe im Flugverkehr, für die Berechnung der Emissionen pro km keine Rolle. Die Kennzahl Full-Price-Emissions ist politikabhängig und ändert sich, wenn sich die Politik ändert. Auch deshalb ist eine Übertragbarkeit auf Länder mit anderer Umweltpolitik nicht möglich. Die Komplexität der Full-Price-Emissions, und damit einhergehend das Problem der schwierigeren Interpretierbarkeit, wird jedoch aufgewogen durch die durch sie zu gewinnenden Erkenntnisse. Besonders deutlich wird die Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung von Politikmaßnahmen, um nicht-intendierte, klimaschädliche Substitutionseffekte zu vermeiden. Als neues Instrument können dafür die Full-Price-Emissions genutzt werden. ■ 1 Vgl. Laage et al., 2015; Bruns et al., 2018. 2 Vgl. Umweltbundesamt, 2018; Bruns et al., 2018, S. 53. 3 Es wurden die drei Fahrzeugklassen mit den höchsten Anteilen am Fahrzeugbestand in Deutschland gewählt; dies waren im Jahr 2018 die Fahrzeugklassen Kleinwagen, Kompaktklasse und Mittelklasse. 4 Die gewählten Fahrzeugmodelle für Benzin-PKW sind: Volkswagen Polo VI 1.0 MPI (Kleinwagen), Volkswagen Golf VII 1.0 TSI (Kompaktklasse), BMW 320i (Mittelklasse); und für Diesel-PKW: Volkswagen Polo VI 1.6 TDI (Kleinwagen), Volkswagen Golf VII 1.6 TDI (Kompaktklasse), BMW 318d (Mittelklasse). 5 Vgl. Intraplan Consult et al., 2015, S. 282, 336. Abschreibungen sind demnach zu 50 % fahrleistungsabhängig. 6 Vgl. Umweltbundesamt, 2018; Bruns et al., 2018, S. 53. 7 Beispielsweise würde eine Fahrt von Hamburg nach München mit dem Fernbus etwa 11 Stunden dauern, während das Flugzeug diese Distanz innerhalb von ca. 1,5 Stunden (+1,5 Std. Check-in/ -out) schafft. LITERATUR Bruns, Frank, Peter de Haan, Roberto Bianchetti, Robert Follmer und Johannes Eggs (2018): „Bestandsaufnahme zu den Auswirkungen von Fernbusreisen auf Verkehrsentwicklung und Emissionen in Deutschland“. In: Umweltbundesamt TEXTE 33 infas, DLR, IVT und infas360 (2018): Mobilität in Deutschland - MiD Ergebnisbericht (im Auftrag des BMVI) Intraplan Consult GmbH, Planco Consulting GmbH, TUBS GmbH (2015): Grundsätzliche Überprüfung und Weiterentwicklung der Nutzen-Kosten-Analyse im Bewertungsverfahren der Bundesverkehrswegeplanung Kirnich, Peter (2013): „Fernbus vs. Bahn - Fernbusse: Günstig, aber langsamer“. In: Berliner Zeitung, 15.09.2013 Laage, Tim, Thilo Becker und Sven Lißner (2015): „Liberalisierung des Fernbusverkehrs - Wie hoch ist der Beitrag zum Klimaschutz? “ In: Internationales Verkehrswesen (67) 1, S. 52-54 Ryanair (2018): Annual Report Statista (2019a): Entwicklung der Kilometerpreise für Fernbuskunden in Deutschland von 2012 bis 2018. https : / / de. statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 380601/ umfrage/ kilometerpreise-fernbuslinien-in-deutschland Statista (2019b): Verkehrsleistung der IC- und EC-Züge der Deutsche Bahn AG in den Jahren 2004 bis 2018. https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 162885/ umfrage/ verkehrsleistung-der-ic--und-ec-zuege-derdeutschen-bahn-seit-2004 Statista (2019c): Verkehrsleistung der ICE-Züge der Deutsche Bahn AG in den Jahren 2004 bis 2018. https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 162884/ umfrage/ verkehrsleistungder-ice-zuege-der-deutschen-bahn-seitdem-jahr-2004 Statistisches Bundesamt (2017): 111,9 Millionen Flugpassagiere im Jahr 2016 - neuer Rekordwert. www.destatis.de/ DE/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2017/ 02/ PD17_066_464.html Umweltbundesamt (2018): Emissionsdaten. www.umweltbundesamt.de/ themen/ verkehrlaerm/ emissionsdaten#textpart-1 Gernot Sieg, Prof. Dr. Institutsleiter, Institut für Verkehrswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster gernot.sieg@uni-muenster.de Thomas Hagedorn, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster thomas.hagedorn@uni-muenster.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 61 Kraftstoff TECHNOLOGIE Mobilität der Zukunft: Was-Biokraftstoffe im Tank bewirken Bioethanol, Super E10, Mobilität, Treibhausgase, CO 2 , Benzin Auf dem Weg zu einem emissionsfreien Transportsektor verringern Biokraftstoffe wie Bioethanol nachweislich umwelt- und gesundheitsschädliche Emissionen: Aktuelle Rollenprüfstandtests ergaben, dass die Nutzung von Super E10 sowohl die CO 2 -Emissionen als auch den Stickoxid- und Feinstaubausstoß von Fahrzeugen mit Benzinmotoren deutlich reduziert. Die europäische Produktion von nachhaltig zertifiziertem Bioethanol liefert zudem eine breite Palette an Co-Produkten wie energie- und proteinreiche Futtermittel oder Biomethan und hilft somit dabei, Deutschland von Treibstoff- und Futtermittelimporten unabhängiger zu machen. Nelli Elizarov, Stefan Walter Z ur Einhaltung der im Kyoto-Protokoll und im Pariser Klimaschutzabkommen enthaltenen Vereinbarungen hat Deutschland sich zum Ziel gesetzt, seine Treibhausgas- Emissionen bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um mindestens 40 % zu mindern und bis 2050 weitgehend klimaneutral zu werden [1]. Laut Umweltbundesamt wurde bis 2018 eine Reduktion der Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) von rund 31 % im Vergleich zu 1990 erreicht [2]. Trotz des bereits erzielten deutlichen Rückgangs wird das nationale Klimaschutzziel 2020 aus heutiger Sicht voraussichtlich verfehlt. Während die Sektoren Energiewirtschaft, Landwirtschaft, Industrie und Gebäude unterschiedlich stark zum Rückgang der THG-Emissionen beigetragen haben, gibt es im Transportsektor kaum Veränderungen im Vergleich zu 1990. Der größte Erzeuger von THG-Emissionen im Sektor Transport ist mit einem Anteil von 57 % der Straßenverkehr und dabei insbesondere der motorisierte Individualverkehr [3]. Grund für diese Entwicklung ist nicht nur der gestiegene Fahrzeugbestand im Personen- und Güterverkehr (+31 % bzw. +71 % gegenüber 1991) sondern auch die anhaltende Tendenz zu stärker motorisierten Fahrzeugen [4]. Verbesserungen der Motoren- und Abgastechnik, der Qualität der Kraftstoffe und die Verwendung von Biokraftstoffen wie Bioethanol oder Biodiesel als Beimischung zu fossilem Benzin und Diesel haben indes bereits stark dazu beigetragen, die kilometerbezogenen Emissionen erheblich zu senken und damit dem Ausstoß von Treibhausgasen durch erhöhtes Verkehrsaufkommen entgegenzuwirken. Im Jahr 2017 konnten so durch die Beimischung von Biokraftstoffen 7,7 Mio. Tonnen CO 2 -Äquivalente eingespart werden [5]. Auch zukünftig kann im Verkehrssektor nicht auf flüssige Biokraftstoffe verzichtet werden. Aktuell sind knapp über 57 Mio. Kraftfahrzeuge und rund 47 Mio. PKW mit Verbrennungsmotoren in Deutschland gemeldet [6]. Das durchschnittliche Alter von PKW auf europäischen Straßen beträgt derzeit elf Jahre [7]. Selbst bei verstärkter Förderung der Elektromobilität, die zwischen 7 bis 10 Mio. Elektrofahrzeuge auf deutsche Straßen bringen soll, werden im Jahr 2030 noch mindestens 30 Mio. PKW mit Verbrennungsmotoren genutzt werden. Schiff- und Luftfahrt, in denen in naher Zukunft kaum etablierte Alternativen zum Verbrennungsmotor bestehen, werden ebenfalls langfristig überwiegend auf flüssige Kraftstoffe angewiesen sein. Hohe THG-Einsparung durch Bioethanol im Verkehr In Deutschland wird Bioethanol derzeit den Kraftstoffsorten Super (E5), Super Plus (in beiden bis zu 5 % Bioethanolanteil) und Super E10 mit bis zu 10 % Bioethanolanteil beigemischt sowie Benzin in Form von ETBE (Ethyl-tert-butylether) zugesetzt. Der Absatz von Bioethanol für Kraftstoffanwendungen stieg in Deutschland in jüngster Zeit an und lag 2018 bei 1,2 Mio. t [8], wovon rund 613.000 t Alkohol aus der heimischen Produktion stammten [9]. Mit dem im Jahr 2018 abgesetzten Bioethanol konnten 3,1 Mio. t CO 2 -Äquivalente eingespart werden, was rechnerisch rund 1- Mio. emissionsfreien Fahrzeugen entspricht. Seit 2015 sind die Inverkehrbringer fossiler Kraftstoffe dazu verpflichtet, die THG-Emissionen der verkauften Kraftstoffe zu reduzieren. Dies geschieht in erster Linie durch die Verwendung von Biokraftstoffen, kann aber auch durch das verstärkte Inverkehrbringen von Erdgas und andere Maßnahmen erreicht werden. Die so genannte THG-Minderungsquote war im Einführungsjahr 2015 auf 3,5 % festgesetzt, ab 2017 betrug sie 4,0 % und steigt ab 2020 auf 6,0 % [10]. Eine Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ersetzte die bis 2014 geltende energetische Biokraftstoffquote durch die THG-Minderungsquote. Bei der Berechnung der Emissionsminderung müssen alle THG-Emissionen ausgehend vom Rohstoffanbau, der Herstellung und Lieferkette bis hin zum Fahrzeugtank berücksichtigt werden. Diese Bestimmungen führen dazu, dass Biokraftstoffproduzenten kontinuierlich die Prozesse zur Verbesserung der THG-Bilanz ihrer Produkte optimieren. Von 2012 bis 2017 erhöhte sich dadurch die Emissionseinsparung durch Biokraftstoffe im Vergleich zu rein fossilen Kraftstoffen erheblich (Bild 1) [11]. Das in Deutschland verwendete Bioethanol hat eine überdurchschnittliche THG-Einsparung von 83 % im Vergleich zu fossilem Benzin. Deutliche Reduktion von Schadstoffen durch Bioethanol Mehr als 93 % aller zugelassenen Autos mit Benzinmotor in Europa vertragen nach Angaben der EU-Kommission Super E10. Bei Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 62 TECHNOLOGIE Kraftstoff den Neufahrzeugen liegt diese Quote bei annähernd 100 % [12]. Vergleichende Rollenprüfstandtests mit Super E10 und Super (E5) an fünf zulassungsstarken PKW-Modellen der Automarken BMW, Ford, Opel, Renault und VW aus verschiedenen Fahrzeugklassen haben verdeutlicht, dass die Nutzung der Kraftstoffsorte Super E10 im Vergleich zu Super (E5) im Durchschnitt Stickoxidemissionen um 25 % und den Feinstaubausstoß um mehr als 70 % reduziert [13]. Der Kraftstoffmehrverbrauch ist bei der Verwendung von Super E10 im Vergleich zu Super (E5) statistisch nicht signifikant. Dies widerlegt die seit der Einführung von Super E10 gängige Annahme eines generellen Mehrverbrauchs. Der geringere Heizwert von Bioethanol gegenüber fossilem Benzin führt zwar rechnerisch zu einem höheren Verbrauch. Jedoch wird dieser Einfluss durch eine deutlich effizientere Verbrennung von Bioethanol relativiert [14]. Begrenzter Flächenverbrauch für die Bioethanolproduktion [15] Für den Anbau der zur Herstellung von Bioethanol genutzten Agrarrohstoffe (Zuckerrüben und Futterweizen, Mais, Triticale, Roggen, Gerste) werden landwirtschaftliche Flächen benötigt. In Deutschland stehen insgesamt 16,7 Mio. ha Landwirtschaftsfläche zur Verfügung. Im Jahr 2017 wurden davon 11,8 Mio. ha als Ackerfläche genutzt. Für die Herstellung von Bioethanol und seiner Co- Produkte wurden auf 0,32 Mio. ha Rohstoffe angebaut, dies entspricht lediglich 2,8 % der gesamten genutzten Ackerfläche. Das zur Bioethanolproduktion verwendete Futtergetreide kann aus Qualitätsgründen (z. B. Proteingehalt und Backqualität) nicht für Lebensmittel verwendet werden und unterscheidet sich preislich von Brotweizen, Brotroggen oder Braugerste. Auch Zuckerrüben werden von jeher nicht nur zur Herstellung von Zucker, sondern zu einem großen Teil zur stofflichen Nutzung in der chemischen Industrie und als Energiepflanzen eingesetzt. Produktpalette der Bioethanolwirtschaft [16] Bei der Herstellung von Bioethanol entsteht je nach Konzept der Bioraffinerie und den verwendeten Agrarrohstoffen zusätzlich eine breite Produktpalette. Besonders wichtig ist die Herstellung energie- und proteinreicher Futtermittel wie Dried Distillers’ Grains with Solubles (DDGS, getrocknete pelletierte Schlempe), Condensed Distillers’ Solubles (CDS, Feuchtschlempe) sowie Zuckerrübenschnitzel. Die Nutzung aller Pflanzenteile bei der Herstellung von Bioethanol trägt zur Eigenversorgung der heimischen Nutztiere mit europäischem pflanzlichem Protein bei und vermindert somit auch Futtermittelimporte aus Nicht-EU-Ländern. Je nach Prozesstechnologie kann neben Bioethanol durch die Vergärung von Schlempe und anderen Reststoffen aus der Produktion auch Biomethan gewonnen werden, das bei seiner Verbrennung als Prozesswärme in der Anlage genutzt oder nach Aufbereitung auf Erdgasqualität ins Erdgasnetz eingespeist wird. Auch für den Kraftstoffbe- 49 52 55 71 75 83 43 47 51 70 77 81 2012 2013 2014 2015 2016 2017 nur Bioethanol Biodiesel (Fettsäuremethylester), Hydrierte Pflanzenöle, Biomethan ©BDBe 07/ 2019 Quelle: BLE, NaBiSy [in %] Kraftstoff Proteinhaltige futtermittel Dried Distillers Grains with Solubles (DDGS) und Condensed Distillers Solubles (CDS) aus Trockenschlempe: pro Liter Bioethanol ca. 1,0 kg Biogene Kohlensäure für die Getränkeindustrie lebe nsmittel Zuckerrübenschnitzel, -pellets, Weizenkleie, Vinasse, Gluten („Aquafeed”) ZusatZ - und Kraft futter Ammoniumsulfat, Carbokalk, Vinasse bio dünger Aldehyde, Fuselöle für Parfüm-, Kunststoffherstellung und die pharmazeutische Industrie restst offe Aufbereitet zu Biomethan für Haushalte und Tankstellen als Ersatz für Erdgas biogas Bioethanol befindet sich in zahlreichen technischen Anwendungen und als Beimischung zu fossilem Benzin, d. h. in den Kraftstoffsorten Super (E5), Super Plus, Super E10 und bis zum Jahr 2015 in E85 sowie in der Beimischungskomponente ETBE (Ethyl-tertiärbutylether). Bild 1: Entwicklung amtlich festgestellter Treibhausgasemissionseinsparungen von in Deutschland verwendetem Bioethanol und Biokraftstoffen insgesamt gegenüber fossilen Kraftstoffen Bild 2: Produktpalette der Bioethanolwirtschaft Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 63 Kraftstoff TECHNOLOGIE reich bieten sich zunehmend Verwendungsmöglichkeiten, nachdem durch die Novellierung der 38. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes die THG-Minderungsquote seit Anfang 2019 auch durch die Verwendung von Biomethan erfüllt werden darf [17]. Aus den mineralischen Bestandteilen der Pflanzen, die bei der Bioethanolherstellung erhalten bleiben, werden Düngemittel wie Carbokalk, Zuckerrübenvinasse und Ammoniumsulfat gewonnen. Auf diese Weise kann der Einsatz von synthetischem Dünger reduziert werden. Beim Herstellungsprozess anfallendes Kohlendioxid findet gereinigt und verflüssigt Anwendung in der Getränke- und Lebensmittelproduktion. Reststoffe wie Fuselöle und Aldehyde werden in der Kunststoffindustrie, bei der Parfümherstellung oder in der pharmazeutischen Industrie genutzt. Europaweite Nachhaltigkeits- Zertifizierung In Deutschland gewährleistet die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung (Umsetzung der EG-Richtlinie 2009/ 28), dass im Transportsektor nur nachhaltig erzeugte Biokraftstoffe verwendet werden [18]. Biokraftstoffe gelten nur dann als nachhaltig, wenn bestimmte flächenbezogene Anforderungen und vorgeschriebene THG-Minderungen erfüllt sind. Die Vorschriften schließen dadurch auch landwirtschaftliche Monokulturen aus. Flächen mit einer hohen Fähigkeit zur CO 2 -Speicherung wie Moore oder solche mit hoher biologischer Vielfalt dürfen nicht in Ackerflächen für den Anbau von Agrarrohstoffen umgewandelt werden. Die heute auf dem Markt verfügbaren Biokraftstoffe müssen zudem gegenüber fossilen Kraftstoffen mindestens 50 % der THG- Emissionen einsparen. Bei neu errichteten Anlagen wird eine Mindesteinsparung von 60 % der THG-Emissionen verlangt. In Deutschland produziertes Bioethanol übertrifft mit mehr als 70 % THG-Minderung diesen Grenzwert deutlich. Die Inverkehrbringer des Biokraftstoffes sind dazu verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsnachweis zu erbringen. Die Kontrolle und Überwachung der kompletten Anbau-, Liefer- und Herstellungskette wird durch unabhängige Zertifizierungssysteme sichergestellt. Die zuständigen Zertifizierungsstellen (in Europa beispielsweise REDcert und ISCC) werden von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) kontrolliert und amtlich zugelassen. Fazit Nachhaltig zertifizierte Biokraftstoffe wie Bioethanol helfen dabei, die THG-Emissionen im Transportsektor deutlich zu senken. Das in Deutschland verwendete Bioethanol, das fast ausschließlich in Europa produziert wird, zeichnet sich durch eine THG-Minderung von 83 % im Vergleich zum fossilen Benzin aus. Wie Vergleichstests gezeigt haben, können durch die Verwendung von Super E10 der Stickoxid- und Feinstaubausstoß deutlich reduziert werden. Außerdem entsteht bei der Herstellung von Bioethanol eine bedeutende Menge proteinreicher und gentechnikfreier Futtermittel, welche Importe zur Schließung der „Eiweißlücke“ in Europa verringern. Biokraftstoffe wie Bioethanol sind im bestehenden Fahrzeugbestand sofort nutzbar und auf dem Weg zu einem emissionsfreien Transportsektor unerlässlich. ■ LITERATUR [1] www.umweltbundesamt.de/ daten/ klima/ klimaschutzzieledeutschlands (abgerufen am 02.07.2019) [2] www.unendlich-viel-energie.de/ mediathek/ grafiken/ gesamterund-spezifischer-treibhaugasausstoss-sowie-energieverbrauchverschiedener-verkehrsmittel (abgerufen am 02.07.2019) [3] www.umweltbundesamt.de/ daten/ klima/ treibhausgas-emissionen-in-deutschland#textpart-1 (abgerufen am 05.07.2019) [4] www.umweltbundesamt.de/ daten/ klima/ treibhausgas-emissionen-in-deutschland#textpart-1 (abgerufen am 02.07.2019) [5] Evaluations- und Erfahrungsbericht für das Jahr 2017, Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2018), S. 61 [6] https: / / www.kba.de/ DE/ Statistik/ Fahrzeuge/ Bestand/ bestand_ node.html (abgerufen am 02.08.2019) {7] ACEA: „Average Vehicle Age” unter https: / / www.acea.be/ statistics/ tag/ category/ average-vehicle-age (abgerufen am 05.07.2019) [8] Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Mineralölstatistik, amtliche Mineralöldaten 2018 [9] Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung [10] Bundes-Immissionsschutzgesetz unter https: / / www.gesetze-iminternet.de/ bimschg/ (abgerufen am 05.07.2019) [11] Evaluations- und Erfahrungsberichte für die Jahre 2012-2017, Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung [12] COM(2017) 284 final (abgerufen am 05.07.2019) [13] www.bdbe.de/ mediacenter/ presseinformationen/ verbrauchstestsm i ts u p e re 1 0 b e n z i n -we n i g e rs c h a d s t o f f e u n d k e i n mehrverbrauch [14] Geringer et al. (2014): Meta-analysis for an E20/ 25 technical development study -Task 2: Meta-analysis of E20/ 25 trial reports and associated data. Vienna University of Technology (TU Wien) and Institute for Powertrains &Automotive Technology (IFA). Kampman et al. (2013): Bringing biofuels on the market. Options to increase EU biofuels volumes beyond the current blending limits. CE Delft [15] Destatis und Berechnungen des BDBe basierend auf Produktionsdaten übermittelt von der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein [16] CropEnergies Geschäftsbericht 2017/ 2018, Nordzucker Geschäftsbericht 2017/ 2018, ePURE key figures 2017 [17] 38. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetztes, www.gesetze-im-internet.de/ bimschv_38_2017/ BJNR389200017.html (abgerufen am 05.07.2019) [18] Verordnung über Anforderungen an eine nachhaltige Herstellung von Biokraftstoffen, www.gesetze-im-internet.de/ biokraft-nachv (abgerufen am 05.07.2019) Nelli Elizarov, Dr. Referentin für Forschung und Statistik Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft e.V., Berlin elizarov@bdbe.de Stefan Walter Geschäftsführer, Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft e.V., Berlin walter@bdbe.de Steckbrief Bioethanol C2H5OH Eigenschaften Dichte 0,79 kg/ L; Heizwert 21,1 MJ/ L; Oktanzahl min. 104 ROZ E10 Verträglichkeit & Normen >95 % der bestehenden PKW-Flotte & 100 % der neuzugelassenen PKW-Fahrzeuge in Deutschland (Informationsplattform: www.e10tanken.de) EN 228: Unverbleite Ottokraftstoffe (E5 und E10) EN 15376: Ethanol zur Verwendung als Blendkomponente in Ottokraftstoff EN 51625: Ethanolkraftstoff (E85) Rohstoffe zucker- und stärkehaltige Anbaubiomasse z.B. Getreide, Zuckerrübe, Zuckerrohr, Mais), zellulosehaltige Rohstoffe wie Stroh und Holz, Abfall- und Reststoffe, Algen Prozess 1. Gewinnung des Zuckers aus • Getreide: mechanische Zerkleinerung der Körner, Zugabe von Wasser und Enzymen. Stärke wird enzymatisch zu Glucose abgebaut. • Zuckerrüben: Einweichen geschnittener Rüben in heißem Wasser, Trennung des zuckerhaltigen Wassers von festen Bestandteilen • Stroh, biogenen Abfällen und Reststoffen: thermische Vorbehandlung der zerkleinerten Biomasse, Zugabe optimierter Enzyme zur Spaltung von Zellulose und Hemizellulose in Zuckereinheiten 2. Alkoholische Gärung (Fermentation) zuckerhaltige Gemische werden durch Hefen oder durch spezielle Mikroorganismen zu Bioethanol und Kohlenstoffdioxid umgewandelt 3. Destillation, Rektifikation, Entwässerung Trennung des Ethanol-Wasser-Gemisches Produktionskapazität & Technologiereife DE: 25 PJ konventionell (TLR 9), 0,027 PJ fortschrittlich (TRL 8) EU: 198 PJ konventionell (TLR 9), <1 PJ fortschrittlich (TRL 7-9) Tabelle 1: Steckbrief Bioethanol: Eigenschaften, Verträglichkeit, Rohstoffe und Herstellung, Produktionskapazität und Technologiereife Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 64 TECHNOLOGIE Alternative Kraftstoffe LNG - Neuer Kraftstoff für-LKW und Schiffe? Alternative Kraftstoffe, Liquefied Natural Gas (LNG), Erdgas, Kraftstoff(verbrauch), Treibhausgasemissionen Die Herstellung und Nutzung von verflüssigtem Erdgas bzw. Liquefied Natural Gas (LNG) als Energieträger und Kraftstoff ist technisch ausgereift. Immer strengere Umwelt- und Emssionsregulierungen führen vielfach zu der Überlegung, LNG als neuen Kraftstoff für LKW und Schiffe einzusetzen. In einer neuen Energieträgerstudie (Shell 2019) werden zum einen technische Herstellung, Verfügbarkeit und Anwendungspotenziale von LNG für Schiffe und schwere LKW untersucht. Zum anderen werden in einem ambitionierten Szenario mögliche Kraftstoffsubstitutionen sowie Treibhausgaseinsparungen quantifiziert. Jörg Adolf, Andreas Lischke, Gunnar Knitschky L NG wird durch technische Verfahren aus Erdgas (Natural Gas) hergestellt. Es besteht entsprechend der Zusammensetzung von Erdgas hauptsächlich, das heißt zu 80 bis 90 %, aus dem gesättigten Kohlenwasserstoff Methan. Alternativ kann LNG auch aus Biomasse (Bio-Methan) sowie aus erneuerbarem Strom per Elektrolyse und anschließender Methanisierung erzeugt werden; LNG aus erneuerbaren Erzeugungspfaden ist in der Regel „reiner“, besitzt mit anderen Worten noch höhere Methananteile als fossiles LNG. Gasförmiges Erdgas bzw. Methan besitzt nur eine Dichte von 0,7 kg/ m 3 , ist also leichter als Luft. Es muss daher für den Transport, insbesondere für Anwendungen im mobilen Bereich „verdichtet“ werden. Eine Möglichkeit der „Verdichtung“ besteht in der Erdgasverflüssigung (Liquefaction). Da der Siedepunkt von Methan sehr niedrig liegt, muss Erdgas zwecks Verflüssigung auf minus 161,5 °C abgekühlt werden. Aufgrund dieser sehr niedrigen Temperatur spricht man auch von kryogenen Flüssigkeiten. Die technischen Verfahren zur Gasverflüssigung (Linde-Verfahren) wurden vor mehr als einhundert Jahren entwickelt. Heute werden meist effiziente mehrstufige Kühlprozesse mit Kühlmittelgemischen (Mixed Refrigerants) eingesetzt. Erdgasverflüssigung ist ein energieaufwändiger Prozess - für die Verflüssigung von einem Megajoule (MJ) LNG werden 0,08 MJ Energie aufgewandt. Auf längeren Versorgungsrouten ist LNG als Transportmedium jedoch meist günstiger als der Pipelinetransport mit Kompressorstationen. Die mittlere Dichte von LNG liegt bei 450 kg/ m 3 ; es ist also etwa halb so schwer wie Dieselkraftstoff (832 kg/ m 3 ) oder Schweröl (970 kg/ m 3 ). Die gravimetrische bzw. volumetrische Energiedichte von LNG liegt bei 50 MJ/ kg bzw. 21 MJ/ l gegenüber 43 MJ/ kg und 36 MJ/ l bei Dieselkraftstoff sowie 40 MJ/ kg bzw. 40 MJ/ l bei Schweröl. Es ist deutlich kompakter als komprimiertes Erdgas (7 MJ/ l), siehe Bild 1. Als Kraftstoff für den Straßenverkehr fällt LNG in der EU unter die im Jahr 2017 verabschiedete Kraftstoffnorm EN 16732-2 für Erdgas und Biogas. Supply Chain und Infrastruktur für-LNG Zurzeit dominiert in der LNG-Versorgung das Hub and Spoke-Modell mit zentraler Verflüssigung in industriellen Großanlagen (LNG Trains), Transport und Weiterverteilung. Weltweit existieren Erdgas-Verflüssigungskapazitäten für LNG (Liquefaction Plants) in Höhe von nominal rund 370 Mio. t LNG (IGU 2018). Nach dem Transport mit Tankfrachtern wird am Zielort das LNG in speziellen Rückvergasungsterminals (Regasification Units) wieder in gasförmigen Zustand gebracht. Meist handelt es sich um größere, fest installierte Anlagen. Weltweit gibt es heute rund 140 Rückvergasungsterminals mit Empfangskapazitäten von rund 850 Mio. t LNG (IGU 2018). Interregional gehandelt wurden zuletzt 230 Mio. t LNG (IEA 2018). Im Gegensatz zu den Large-Scale-LNG- Anlagen zur Verflüssigung und Rückvergasung erfordern neue LNG-Endverbraucheranwendungen im Mobilitätsbereich deutlich kleinteiligere Einheiten für die Verteilung und Versorgung mit LNG. Die Verkleinerung (Miniaturisierung) der bisher großskaligen LNG-Aktivitäten wird auch Small-Scale-LNG oder Retail-LNG bezeichnet. Der Aufbau einer solchen LNG- Infrastruktur für Schiffe und schwere LKW wird europaweit entsprechend der EU- Richtlinie EU/ 94/ 2014 (EP/ Council 2014) vorangetrieben; bis zum Jahr 2025 soll europaweit eine hohe Verfügbarkeit von LNG in Seehäfen und entlang des TEN-T-Verkehrsnetzes gewährleistet werden. Die EU-Staaten verfügen zurzeit bereits über mehr als 200 LNG-Tankstellen. Zudem gibt es eine größere und wachsende Anzahl von Small-Scale-LNG-Import-, LNG-Export-, LNG-Verflüssigungsanlagen und über 1.000 LNG-Kleinlager. Für Schiffe gibt es in Europa zurzeit 40 bis 50 LNG- Bunkerstationen. 0 10 20 30 40 50 60 10 20 30 40 50 Energiedichte in MJ/ l Energiedichte in MJ/ kg 0 JEC 2014b; eigene Berechnungen HFO Diesel Shell GTL LNG CNG Erdgas Grafiken_LNG_Studie_Juli_2019.indd 1 13.07.19 11: 08 Bild 1: Übersicht der unterschiedlichen Energiedichte von Kraftstoffen Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 65 Alternative Kraftstoffe TECHNOLOGIE LNG als Kraftstoff für schwere LKW und Schiffe Zu den potenziellen Haupt-Anwendungsfeldern von LNG gehören die Seeschifffahrt und der Straßengüterfernverkehr mit schweren LKW. Im Straßengüterverkehr kommen zum einen 350.000 schwere LKW der Größenklasse über 16 t zulässigem Gesamtgewicht, zum anderen 1,8 Mio. Sattelzugmaschinen als potenzielle LNG-Nutzer in Frage. Zurzeit gibt es in der EU etwa 4.000 LNG-Fahrzeuge, hauptsächlich LKW und Sattelzugmaschinen sowie einige Busse. Für die schweren LNG-LKW gibt es derzeit zwei unterschiedliche Arten von Motortechnologien, die die aktuellen europäischen Abgas-Emissionsstandards EURO VI erfüllen. Das stöchiometrische Spark-Ignition-Motorenkonzept (SI) lässt sich sehr gut mit Erdgas bzw. LNG (wegen der hohen Methanzahl) realisieren. Der SI-Motor ermöglicht durch den Einsatz von Drei-Wege-Katalysatoren eine kostengünstige Abgasnachbehandlung. Der Wirkungsgrad des SI-Motors ist geringer als bei einem Dieselmotor. Im Vergleich zum Diesel-LKW würde ein LNG-LKW mit SI-Motor im Mittel bis zu 18 % mehr Energie benötigen. Die Idee des Hochdruck-Direktinjektions-Motors (High Pressure Direct Injection, HPDI) ist es, mit einer kleinen Menge Dieselkraftstoff die Selbstzündung zu initiieren und dann in die entstehende Flamme das Methan einzudüsen. Der Dieselanteil am Kraftstoffverbrauch liegt zwischen 5 und 10 % des Gesamtverbrauchs. Die Abgasnachbehandlung erfolgt in gleicher Weise wie bei einem normalen Dieselmotor. Da ein HPDI- Motor wie ein Dieselmotor arbeitet, benötigt ein LKW mit HPDI-Motor lediglich ca. 3 bis 4 % mehr Energie als ein konventioneller Dieselmotor. Da die verbrennungsbedingten Treibhausgasemissionen von LNG gegenüber Diesel um 23 % niedriger liegen, kann LNG bei beiden Motorenkonzepten zu direkten Treibhausgaseinsparungen führen. Alle LNG-LKW erfüllen die EURO-VI-Norm und haben daher auch keine relevanten Methanemissionen (EU-Grenzwert 0,5 g kWh). SI-Motoren würden jetzt schon eine weitere Verschärfung der Abgas-Emissionslimits erfüllen und sind zudem deutlich leiser als Diesel-LKW. In der Seeschifffahrt wird LNG weltweit bereits von 128 Seeschiffen sowie darüber hinaus von 230 LNG-Carriern und LNG- Tankern verwendet. Es wird davon ausgegangen, dass diese Anzahl durch Schiffsneubauten und - in geringem Umfang - auch durch Umbauten (Retrofits) weiter ansteigt. Besonders für den Umbau geeignet sind dabei Schiffe, die bereits beim Neubau „LNGready“ konzipiert werden. Als potenzielle LNG-Nutzer kommen Fähren und Kreuzfahrtschiffe, Containerschiffe und Tanker in Frage; denn diese laufen in der Regel nur bestimmte Häfen an bzw. sind in Linienverkehren unterwegs. In Bezug auf Schiffsmotoren existieren sowohl für Zweials auch für Viertaktmotoren jeweils zwei Erdgas-Motorenkonzepte, die in Abhängigkeit von den erforderlichen Leistungsanforderungen eingesetzt werden (Tabelle 1). Durch den Einsatz von LNG können die Schadstoffemissionen der Schifffahrt deutlich verringert werden. Die direkten Treibhausgasemissionen können ebenfalls (um 32 % gegenüber Schweröl) reduziert werden. Jedoch ist der bei der Verbrennung auftretende Methanschlupf ein Nachteil, der die real einsparbaren Treibhausgasemissionen wieder verringert. LNG-Flottenszenarien schwere LKW und Schiffe Mit Hilfe von Szenariotechnik kann aufgezeigt werden, wie sich LNG als Kraftstoff für schwere LKW in der EU und für den weltweiten Schiffsverkehr bis zum Jahr 2040 etablieren und welche differenziellen Auswirkungen sich hieraus für Kraftstoffverbrauch und Treibhausgasemissionen ergeben könnten. Unterstellt wird ein ambitioniertes antriebs-/ kraftstoffspezifisches Alternativszenario (Pro-LNG-Szenario). Für die schweren LKW wird angenommen, dass der LNG-Anteil bei den Neuzulassungen im Jahr 2040 EU-weit auf 75.000 Einheiten ansteigt. Am Ende ergibt sich ein Bestand von rund 480.000 schweren LNG- Bild 2: Large-Scale-LNG-Terminals und Tankstellen in Europa LNG Terminal 31 41 6 13 10 24 5 5 1 1 2 50 1 1 8 9 LNG-Tankstellen Stand Juli 2019 NGVA 2019 Für Tankstellen: Europe LNG Map GIE 2018 Für Terminals: 1 Grafiken_LNG_Studie_Juli_2019.indd 2 13.07.19 11: 10 Zweitakt Viertakt Otto DF Diesel DF Otto DF Gasmotor Zündung Piloteinspritzung Piloteinspritzung Piloteinspritzung Zündkerze Mindest-Methanzahl 65 N/ A 70 70 Maximale Zylinderleistung 5.320 kW 6.100 kW 1.150 kW 475 kW Mischbetrieb möglich? Ja Ja Ja Nein IMO TIER III Diesel Mit AGR / SCR Mit AGR / SCR Mit AGR / SCR N/ A IMO TIER III Gas Ja Mit AGR / SCR Ja N/ A Methanschlupf Ja Vernachlässigbar Ja Wenig Grafiken_LNG_Studie_Juli_2019.indd 3 13.07.19 11: 08 Tabelle 1: Motorenkonzepte für LNG-Schiffsmotoren (Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage von Herstellerangaben) Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 66 TECHNOLOGIE Alternative Kraftstoffe LKW in 2040, bestehend aus 20.000 LKW und 460.000 Sattelzugmaschinen. Rund 17 % aller rund 2,8 Mio. schweren LKW wären 2040 dann als Fahrzeuge mit LNG-Antrieb ausgestattet. Die Bestandsprognose für die Schifffahrt bis 2040 wird - ausgehend von Neubauten und Verschrottungsraten - differenziert nach Schiffstypen vorgenommen; das sind im Einzelnen Mehrzweckfrachter, Containerschiffe, Massengutfrachter, Öltanker sowie Passagier- und Kreuzfahrtschiffe. Der Schiffsbestand der weltweiten Handelsflotte nimmt bei den betrachteten Schiffsklassen im Szenario um gut ein Zehntel von heute rund 51.000 auf 56.500 Einheiten im Jahr 2040 zu; die dynamischste Schiffsklasse ist das Containerschiff. Der Bestand der LNG-Schiffe wächst bis 2040 deutlich rascher als der Gesamtbestand - auf rund 6.000 Schiffe. Führend sind auch hier die Containerschiffe (2.200 Einheiten) sowie Passagier- und Kreuzfahrtschiffe mit 600 Einheiten. Basierend auf eigenen Annahmen zu den einzelnen Schiffstypen ergibt sich die nachfolgende weltweite Entwicklung für die maritime Seeschifffahrt (Bild 4). LNG-Kraftstoffnachfrage von schweren LKW und Schiffen Für die Ermittlung des Kraftstoffverbrauches von schweren LKW wurde unterstellt, dass sich deren Effizienz bis zum Jahr 2040 um bis zu 35 % bei Neufahrzeugen verbessert und in den Bestand einphast. Wird ein Otto/ Gasmotor unterstellt, steigt der LNG-Bedarf auf etwa 9,7 Mio. t im Jahr 2040 bei schweren LKW an. Ein LKW mit HPDI-Motor verbraucht aktuell etwa 11 % weniger Endenergie als ein LKW mit Otto/ Gasmotor. Bei der HPDI-Variante fällt die LNG-Nachfrage folglich mit 8,2 Mio. t im Jahr 2040 geringer aus. Die 480.000 Diesel-LKW hätten im Jahre 2040 ansonsten 11,5 Mrd. l (SI-Motor) bzw. 10,9 Mrd. l (HPDI-Motor) Dieselkraftstoff verbraucht. Zusätzlich benötigt der HPDI-Motor noch Dieselkraftstoff als Zündgeber - im Jahr 2040 wären dies 644 Mio. l. Für die Abschätzung des maritimen Kraftstoffverbrauchs wurde unterstellt, dass der Energy Efficiency Design Index (EEDI) für Schiffsneubauten implementiert wird; jedoch ergibt sich im betrachteten Zeitraum aufgrund von Größen(klassen)-verschiebungen keine weitere grundsätzliche Effizienzverbesserung bei den Schiffsantrieben. Bild 6 zeigt, wie viel LNG im betrachteten Zeitraum jährlich von den Beständen der einzelnen Schiffstypen verbraucht wird. Insgesamt ist ein LNG-Verbrauch von ca. Bild 3: Trendentwicklung für Bestand und Neuzulassungen in der EU für schwere LKW 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 Eurostat 2018a; eigene Berechnung 50 100 150 200 250 300 Eurostat 2018b; eigene Berechnung 2016 2020 2030 2040 2016 2020 2030 2040 BESTAND in Mio. NEUZULASSUNGEN in Tsd. Ohne LNG Mit LNG Grafiken_LNG_Studie_Juli_2019.indd 4 13.07.19 11: 08 BESTAND Gesamt 0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 2018 2025 2030 2035 2040 2018 2025 2030 2035 2040 BESTAND LNG 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 Fähren Kreuzfahrt Tanker Massengut Container Mehrzweck Grafiken_LNG_Studie_Juli_2019.indd 5 13.07.19 11: 08 Bild 4: Entwicklung Schiffsbestände der weltweiten Handelsflotte 2025 2030 2035 2040 2025 2030 2035 2040 0 2 4 6 8 10 Mio. t LNG pro Jahr Einsparungen in Mrd. Liter Diesel pro Jahr Otto/ Gasmotor HPDI 2 4 6 8 10 Mio. t LNG pro Jahr Einsparungen in Mrd. Liter Diesel pro Jahr Otto/ Gasmotor HPDI -12 -10 -8 -6 -4 -2 0 -2,3 -2,2 -5,1 -4,8 -7,8 -2,2 -11,5 -10,9 -12 -10 -8 -6 -4 -2 -2,3 -2,2 -5,1 -4,8 -7,8 -2,2 -11,5 -10,9 Grafiken_LNG_Studie_Juli_2019.indd 6 13.07.19 11: 08 2025 2030 2035 2040 0 50 100 150 200 Mio. t LNG 181,7 140,5 99,4 58,3 -250 Mio. t Einsparungen LS -HFO pro Jahr -200 -150 -100 -50 0 -72,5 -123,6 -174,7 -225,8 Fähren Kreuzfahrt Tanker Massengut Container Mehrzweck Grafiken_LNG_Studie_Juli_2019.indd 7 13.07.19 11: 08 Bild 5: Kraftstoffnachfrage schwere LNG-LKW in der EU Bild 6: Kraftstoffnachfrage globale LNG-Schiffsflotte Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 67 Alternative Kraftstoffe TECHNOLOGIE 180 Mio. t bis 2040 möglich. Rund drei Viertel oder knapp 140 Mio. t LNG werden aufgrund ihres hohen spezifischen Kraftstoffverbrauches von den Containerschiffen konsumiert. Durch diese 180 Mio. t LNG werden im Jahre 2040 rund 226 Mio. t Schweröl ersetzt. Veränderungen bei Treibhausgasemissionen Basierend auf energieträgerspezifischen Treibhausgasfaktoren (JEC 2014a) ergeben sich für schwere LKW - in Abbhängigkeit von der verwendeten Motorenvariante - die in Bild 7 dargestellten Einsparungen bei Treibhausgasen. Die Treibhausgaseinsparungen wurden sowohl für die Nutzung von rein fossilem LNG als auch für einen 30-%-Anteil von Bio-LNG kalkuliert. Bei Verwendung von rein fossilem LNG in SI-Motoren ergeben sich im Jahr 2040 Einsparungen von EU-weit 3,7 Mio. t bei den direkten CO 2 -Emissionen (Tank-to- Wheel), davon abzuziehen ist ein Methanschlupf von umgerechnet etwa 0,5 Mio. t Treibhausgas. Über die gesamte LNG- Kraftstoffkette (Well-to-Wheel) werden 1,2- Mio. t Treibhausgas weniger emittiert gegenüber schweren Diesel-LKW. Durch die Verwendung von HPDI-Motoren erhöht sich dieses THG-Einsparpotenzial im Jahre 2040 auf 6,2 Mio. t CO 2 Tank-to-Wheel abzüglich etwa 0,5 Mio. t durch Methanschlupf. Well-to-Wheel ergeben sich Einsparungen von 4,7 Mio. t Treibhausgas. Durch den Einsatz einer 30 %-igen Bio- LNG-Quote lassen sich die Treibhausgaseinsparungen von LNG über die gesamte LNG-Kraftstoffkette noch einmal je nach Motorvariante auf 8,4 Mio. t bzw. 10,7 Mio. t im Jahr 2040 erhöhen; dies entspricht einer zusätzlichen Treibhausgaseinsparung von etwa 20 %. Durch noch höhere Bio-LNG- Beimischungen könnten noch höhere Treibhausgaseinsparungen gegenüber fossilem LNG und somit auch gegenüber Dieselantrieben erreicht werden - maximal 29 % Emissionseinsparungen beim HPDI- Antrieb. Bei Schiffen ergeben sich die in Bild 8 dargestellten Einsparpotenziale für Treibhausgasemissionen. Durch die LNG-Einphasung in die Schiffsflotte können Tank-to-Wheel beachtliche Einsparungen in Höhe von 230 Mio. t in 2040 erreicht werden; abzüglich eines geschätzten Methanschlupfes in Höhe Mio. t THG-Einsparungen pro Jahr Otto/ Gas HPDI Otto/ Gas HPDI Otto/ Gas HPDI Otto/ Gas HPDI -12 -10 -8 -6 -4 -2 0 WtW THG WtW THG mit Bio-LNG TtW CO 2 TtW CO 2 verringerte Reduktion infolge Methanschlupf 2025 2030 2035 2040 Grafiken_LNG_Studie_Juli_2019.indd 8 13.07.19 11: 08 Bild 7: Einsparpotenzial bei Treibhausgasemissionen durch schwere LNG-LKW im Vergleich zu Diesel-LKW Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 68 TECHNOLOGIE Alternative Kraftstoffe von 1 % der eingesetzten LNG-Menge von 54 Mio. t verbleiben noch 176 Mio. t direkte Emissionseinsparungen. Da fossiles LNG etwas höhere Treibhausgasemissionen in der Vorkette verursacht als Schweröl, betragen die Well-to-Wheel-Einsparungen immerhin noch 132 Mio. t in 2040. Fazit Die Ergebnisse der Shell LNG-Studie (Shell 2019) zeigen sowohl bei schweren LKW als auch bei Schiffen signifikante Potenziale, ölbasierte Kraftstoffe zu substituieren und verkehrsbedingte Emissionen zu reduzieren. Bei schweren LKW können insbesondere durch den Einsatz von erneuerbar hergestelltem LNG (BioLNG oder PTLNG) signifikante Treibhausgaseinsparungen erzielt werden. In der Schifffahrt erreicht bereits fossiles LNG wesentliche Treibhausgaseinsparungen; hinzu kommen sehr deutliche Minderungen von schifffahrtsbedingten Luftschadstoffemissionen. Um die Treibhausgasreduktionen im Straßengüterverkehr zu realisieren, sollten Anlagen zur Produktion von erneuerbarem Methan gefördert werden; BioLNG kann ggfs. dem fossilen LNG in beliebigen Volumenanteilen beigemischt werden. Weiterhin ist zur flächendeckenden Distribution die Errichtung von LNG-Small-Scale-Anlagen und -Infrastruktur zu verstärken. Dabei hilft es, effiziente Genehmigungsverfahren für LNG-Retailprojekte zu realisieren. LNG-Anwendungen im KMU-Bereich sind in der Markthochlaufphase zu fördern. Schlussendlich kann durch technologieneutrale Anreize - wie eine zunehmende CO 2 - Bepreisung - emissionsarmes LNG für die Transportunternehmen und Reeder attraktiver werden. Den Methanschlupf von im Schiffsverkehr verwendeten Motoren gilt es, durch technische Weiterentwicklungen zu minimieren. ■ LITERATUR EP/ Council 2014: European Parliament (EP)/ Council, Directive 2014/ 94/ EU on the deployment of alternative fuels infrastructure, in: Official Journal of the European Union, Brussels, Oct. 28 th 2014, L307/ 1-20. Eurostat 2018a: Datenbank Reihe Verkehr, Zugmaschinen nach Art der Antriebsenergie, am 31.12. des Jahres, 1970-2013 (road_eqs_ roaene_h), 2013-2016 (road_eqs_roaene). Letzte Aktualisierung der Daten: 19.4.2018. https: / / ec.europa.eu/ eurostat/ data/ database Eurostat 2018b: Datenbank Reihe Verkehr, Erstzulassungen von Zugmaschinen nach Art der Antriebsenergie 1979-2012 (road_eqr_tracm), 2013-2016 (road_eqr_tracmot). Letzte Aktualisierung der Daten: 19.4.2018. https: / / ec.europa.eu/ eurostat/ data/ database GIE 2018: Gas Infrastructure Europe (GIE), LNG MAP 2018. Existing and planned infrastructure 2018, status of Oct. 2018, Brussels 2018 IEA 2018: International Energy Agency (IEA), World Energy Outlook, Paris 2018 IGU 2018: International Gas Union (IGU), 2018 World LNG Report - 27 th World Gas Conference Edition, Barcelona 2018; www.igu.org JEC 2014a: Joint Research Center of the European Commission, Eucar and Concawe (JEC), Well-to-Tank Report. Version 4.0, Luxemburg 2014. JEC 2014b: Joint Research Center of the European Commission, Eucar and Concawe (JEC), Well-to-tank Appendix 1 - Version 4a, Luxemburg 2014 NGVA 2019: Natural & bio Gas Vehicle Association (NGVA Europe), LNG stations map. https: / / www.ngva.eu/ stations-map Shell 2019: Shell, Shell LNG-Studie, Verflüssigtes Erdgas - Neue Energie für Schiff und Lkw? Hamburg 2019 -250 -200 -150 -100 -50 0 2025 WtW TtW 2030 WtW TtW 2035 WtW TtW 2040 WtW TtW Mio. t THG-Einsparungen pro Jahr Durch Methanschlupf reduzierte Einsparung Grafiken_LNG_Studie_Juli_2019.indd 9 13.07.19 11: 08 Bild 8: Einsparpotenzial von Treibhausgasemissionen bei Schiffen Alle Balkengrafiken: eigene Darstellungen Andreas Lischke, Dipl.-Ing. Gruppenleiter, DLR, Institut für Verkehrsforschung, Abt. Wirtschaftsverkehr, Berlin andreas.lischke@dlr.de Gunnar Knitschky, Dipl.-Volksw. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, DLR, Institut für Verkehrsforschung, Abt. Wirtschaftsverkehr, Berlin gunnar.knitschky@dlr.de Jörg Adolf, Dr. Chefvolkswirt Shell Deutschland Oil GmbH, Hamburg joerg.adolf@shell.de Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 | office@trialog.de | www.trialog-publishers.de Redaktionsleitung: Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de redaktion@internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 69 Zunehmende Elektrifizierung als Beitrag zu einer emissionsärmeren Luftfahrt CO 2 -Fußabdruck, Elektroantrieb, Hybridantrieb Eine wachsende Bevölkerung und damit die Zunahme des weltweiten Flugverkehrs haben zu vermehrter Kritik an der Luftfahrt geführt. Dabei wird oft übersehen, dass die Industrie schon lang an nachhaltigeren Lösungen arbeitet, bereits viel erreicht hat und nun radikal neue Ansätze erarbeitet. Peter Wehle B is 2030 werden 8,6 Milliarden Menschen auf der Erde leben; sechs Milliarden davon werden jährlich fliegen und fünf Milliarden in Städten leben. Es gibt kaum Zweifel, dass die Treibhausgas-Emissionen aus menschlicher Aktivität zum Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen im Laufe der letzten hundert Jahre geführt haben. Allein im Jahr 2019 werden die globalen, von Menschen erzeugten CO 2 -Emissionen 33 Mrd. t erreichen, wobei der Luftverkehr einen Anteil von nur ca. 2 % beisteuert. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO sowie die Luft- und Raumfahrtindustrie verschließen dennoch nicht die Augen vor den Umweltauswirkungen des wachsenden Luftverkehrs: Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die CO 2 -Emissionen zu senken, streben eine jährliche Reduktion des Kraftstoffverbrauchs von 2 % sowie ein komplett klimaneutrales Wachstum ab 2020 an. Um den steigenden Bedarf an Flugreisen und das Erreichen der CO 2 -Emissionsziele zu vereinbaren, entwickelt die Luftfahrtindustrie ständig umweltfreundlichere Technologien und Praktiken. Notwendig ist darüber hinaus eine übergreifende Strategie des Sektors, der die Flugzeuge selbst, die Triebwerksauslegung, das Flugverkehrsmanagement und den Betrieb ebenso einschließt wie die Entwicklung von nachhaltigem Flugkraftstoff und marktorientierten Maßnahmen. Das unlängst eingeführte, globale marktbasierte Maßsystem CORSIA (Carbon-Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) trägt dem bereits Rechnung. Der Beginn der dritten Generation der Luftfahrt Die Elektrifizierung aller Transportsysteme kann einen weiteren Beitrag leisten, indem E-Fan X-Projekt als Technologie-Demonstrator für hybrid-elektrische Verkehrsflugzeuge Abbildung: Airbus, Fixion/ dreamstime.com Luftfahrt TECHNOLOGIE Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 70 TECHNOLOGIE Luftfahrt Elektro- und Hybridantriebe mit geringerem CO 2 -Fußabdruck entwickelt werden. Wie das auch in der Luftfahrt umgesetzt werden kann, ist derzeit Gegenstand der Forschung und Geschäftsidee von mehreren hundert Unternehmen weltweit, erstmalig auch für Passagierflugzeuge. Während ein reiner Elektroflug für kleinere Flugzeuge unter bestimmten Bedingungen bereits denkbar ist, kommen für größere Flugzeuge auf absehbare Zeit nur hybride elektrische Lösungen in Frage (siehe Bild 1), bei denen die Elektrifizierung mit modernen Gasturbinen, Generatoren und flugtauglicher Leistungselektronik kombiniert wird. Bei der Realisierung solcher Systeme liegen noch viele technologische und systemtechnische Herausforderungen vor uns: Energie im Multi-Megawattstunden-Bereich zu speichern, erfordert nicht nur deutlich leichtere Batterien als bis jetzt verfügbar, beherrscht werden muss auch deren Wärmemanagement und eine ganz neue Integrationskomplexität. Hochfrequenz- und Hochspannungsschaltgeräte, die geeignet sind für den Betrieb in großen Höhen, sind bislang nicht verfügbar. Gefordert ist eine Optimierung des Stromverbrauchs über die gesamte Lebensdauer der Systeme hinweg und ein Kontrollsystem, das die Verwaltung und das Management von Hybridsystemen mit Energiespeicherung erst flugtauglich macht. Auf dem Weg dahin müssen neue Kompetenzen aufgebaut und für den Betrieb Zertifizierungsregeln und Normen gemäß den besonders hohen Anforderungen der Luftfahrt vereinbart werden. Dennoch wird die Elektrifizierung voraussichtlich einmal eine ähnliche Wirkung auf die Luftfahrt haben wie der Austausch von Kolbenmotoren durch Gasturbinen. Gleichwohl werden diese noch für Jahrzehnte gebaut und betrieben werden - nur stetig verbessert -, denn bis jetzt können nur chemische Kraftstoffe die Energie in der erforderlichen Dichte liefern, die komfortable Mittel- und Langstreckenflüge ohne viele Zwischenstopps ermöglicht (Bild 2). Drei Elemente für einen umweltfreundlicheren Luftverkehr Nachhaltigkeit in der Luftfahrt verfolgt Rolls-Royce daher mit einer Strategie auf drei Säulen: erstens eine höhere Kraftstoffeffizienz der Gasturbinen, zweitens die Förderung der Entwicklung von umweltfreundlichen und nachhaltigen Flugkraftstoffen und drittens die zunehmende Elektrifizierung der Luftfahrt. Das Rolls-Royce Trent XWB-Triebwerk ist das derzeit effizienteste Großtriebwerk der Welt. Im Vergleich zu den ersten Motoren der Baureihe aus Mitte der 90er Jahre wurden mit ihm die CO 2 -Emissionen um 15 % reduziert. Das UltraFan®-Triebwerk, das ab Mitte des kommenden Jahrzehnts zum Einsatz kommen soll und für das im deutschen Dahlewitz wichtige Komponenten entwickelt werden, soll Einsparungen von 25 % in Bezug zur gleichen Basis erreichen. Die so erreichten Effizienzgewinne von circa 1 % pro Jahr reichen jedoch nicht aus, um die von der Branche selbst gesteckten Ziele für ein klimaneutrales Wachstum zu erreichen. Um dahin zu kommen, muss auch die Kraftstoffindustrie einbezogen werden. Nachhaltige Flugkraftstoffe auf Biomassebasis, aus organischen Abfällen und aus vollsynthetischen Prozessen werden derzeit punktuell erprobt. Rolls-Royce erwartet zukünftig eine signifikante Steigerung der Produktion. Während Kerosin und Turbinen für den Antrieb großer Flugzeuge für Jahrzehnte unumgänglich bleiben, wird der Antrieb kleinerer Flugzeuge zunehmend elektrifiziert. Hybride Systeme können die Intercity-Mobilität im regionalen Luftverkehr bereits bis 2030 revolutionieren, indem ein neuer Typ von Turboprops deutlich kraftstoffeffizienter und leiser als bisherige Konstruktionen unterwegs sein wird. Eine Vereinfachung des internen Designs der Gasturbine, neue Methoden zur Steuerung von Flugzeugen und ganz neue Plattformen können dabei kombiniert werden. Auf dem Weg zu konkreten Lösungen Rolls-Royce Deutschland hat erst im Juli 2019 eine Initiative zur Stärkung der Erforschung und Entwicklung hybridelektrischer EVTOL 200nm Electrification and Civil Aerospace Small Regional 400nm Large Regional 850nm Narrowbody & small/ medium bizjets 1,500nm Widebody & large bizjets 4,000nm All electric Hybrid-electric More electric Distance Power/ kg Electrical capability is growing rapidly 1992 2009 2021 2030s 1kW/ kg 3kW/ kg 150 Wh/ kg 8 kW/ kg 350 Wh/ kg 20 kW/ kg 1000 Wh/ kg 5 kW/ kg 8 kW/ kg 20 kW/ kg Time A330 B787 E-Fan X demo Future hybrid/ electric narrowbody Bild 1: Elektrifizierung in der zivilen Luftfahrt Alle Grafiken: Rolls Royce Bild 2: Die Möglichkeiten der Elektrifizierung in der Luftfahrt hängen von der verfügbaren Leistungsdichte pro Systemgewicht ab. Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 71 Luftfahrt TECHNOLOGIE Energie- und Antriebssysteme im Bereich von 400 kW bis 1.000 kW vorgestellt. Der formelle Start des Programms steht unter dem Vorbehalt entsprechender behördlicher Genehmigungen. Wenn diese vorliegen, werden damit andere Unternehmensprojekte in Großbritannien, den USA und Singapur ergänzt. Im Juni 2019 unterzeichnete Rolls-Royce zudem einen Vertrag über den Erwerb der elektrischen und hybridelektrischen Antriebsaktivitäten von Siemens (eAircraft-Geschäft), ein Schritt, der die Umsetzung der Elektrifizierungsstrategie weiter beschleunigen wird. In Großbritannien entwickelt das Unternehmen bereits heute elektrische Fähigkeiten in mehreren Initiativen, darunter ein vollelektrisches Demonstrationsflugzeug, das versuchen wird, den Geschwindigkeitsweltrekord im reinen Elektroflug zu brechen. ACCEL - kurz für „Accelerating the Electrification of Flight“ bezieht Partner wie den Elektromotoren- und Steuerungshersteller YASA und das Luftfahrtunternehmen Electroflight ein. Fortschritte bei der Elektrifizierung der Luftfahrt zeigten unlängst auch die erfolgreichen Bodentests eines hybriden Antriebssystems. Dieses könnte in einer Reihe kleinerer Verkehrsplattformen eingesetzt werden, darunter EVTOLs (hybrid-elektrische Luftfahrzeuge, die senkrecht starten und landen können), Flugzeuge der Allgemeinen Luftfahrt und Hybridhubschrauber. Der Antrieb dafür basiert auf dem Gasturbinenmotor M250, der bereits viele zehntausend Mal produziert wurde. Komplette Motortests fanden im US-Werk in Indianapolis statt, wo Komponenten und Subsysteme einzeln getestet wurden. Schon im vergangenen Jahr hat Rolls-Royce ein EVTOL- Konzept vorgestellt, das mit einer solchen Hybridlösung betrieben werden könnte. Mit Airbus arbeitet Rolls-Royce schließlich gemeinsam am E-Fan X-Projekt, einem Technologie-Demonstrator, der als Sprungbrett zu hybriden elektrischen Verkehrsflugzeugen in der Größenordnung der heutigen Single-Aisle-Familie dienen kann (siehe großes Bild). Der Demonstrator ist technisch gesehen ein Parallelhybrid mit Gasturbinen, die drei der vier Fans antreiben. Der eigentliche Hybrid besteht aus einer Rolls-Royce- Gasturbine mit integriertem 2,5-MW-Generator, einem 2-MW-Elektroaggregat (Motor) und einem passenden Batteriesatz. Er wurde entwickelt, um die serielle hybride elektrische Antriebsarchitektur zu testen. Rolls- Royce verantwortet dabei unter anderem die Entwicklung des leistungsstärksten Fluggenerators der Welt. Der Erstflug ist für das Jahr 2021 vorgesehen. Die Rahmenbedingungen müssen-stimmen Um diese neue Zukunft noch effizienterer, elektrischer und hybrider Flugzeugantriebe zu realisieren, muss die gesamte Luftfahrtindustrie international gemeinsam mit Regierungen, Behörden und Regulierungsstellen zusammenarbeiten. Globale Normen sind für die Luftfahrtindustrie von entscheidender Bedeutung, da die Produkte auf der ganzen Welt eingesetzt werden. Für rasche Fortschritte bei den notwendigen, großen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben und dem Aufbau einer ganz neuen Testinfrastruktur wird die dritte Generation der Luftfahrt darüber hinaus auf staatliche Förderung angewiesen sein - so wie sie in einigen Bundesländern und bei einzelnen LuFo-Projekten bereits vereinbart wurde. ■ Peter Wehle, Dr. Leiter Innovation und Forschung & Technologie, Rolls-Royce Deutschland, Blankenfelde-Mahlow peter.wehle@rolls-royce.com eMove360° Europe 2019 4. Internationale Fachmesse für die Mobilität 4.0 elektrisch vernetzt autonom 15. - 17. Oktober 2019, Messe München KOSTENLOSES CODE: EM19-APS3GHGF MESSETICKET www.emove360.com Anzeige eMove 210 x 139 + 3 mm deutsch.indd 1 01.08.2019 10: 01: 09 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 72 TECHNOLOGIE Elektromobilität Integrale Sicherheit für Elektrofahrzeuge Elektromobilität, Sicherheit, Cybersecurity, Elektrische Sicherheit, Chemische Sicherheit, Mechanische Sicherheit Für die erfolgreiche Einführung von Fahrzeugen mit alternativen Antriebskonzepten sind zahlreiche Herausforderungen zu meistern. Hierzu gehört für eine gesellschaftliche Akzeptanz auch die Gewährleistung eines mit konventionellen Fahrzeugen vergleichbaren Sicherheitsniveaus. Gefährdungen durch Ursachen, die konventionelle Fahrzeuge nicht betreffen, wie z.B. Batteriebrand, müssen bei Elektrofahrzeugen weitgehend ausgeschlossen werden. Dieser Beitrag umreißt die verschiedenen zu betrachtenden Schwerpunkte eines umfassenden integralen Sicherheitsverständnisses für Elektrofahrzeuge. Lars Schnieder, René S. Hosse A lternative Antriebskonzepte werden zukünftig in immer stärkerem Maße einen Beitrag dazu leisten, die verkehrsbedingten Schadstoffemissionen (Stickoxid, CO 2 und Feinstaub) zu reduzieren. Auch ist mit ihrer Markteinführung die Hoffnung verbunden, die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Diese Fahrzeuge schaffen die Grundlage einer nachhaltigen Mobilität und ermöglichen die Verkehrswende. Für die erfolgreiche Einführung von Fahrzeugen mit alternativen Antriebskonzepten sind zahlreiche Herausforderungen zu meistern. Diese sind nicht nur technischer Natur. Vor allem gehör hierzu vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Akzeptanz auch die Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus. Das Sicherheitsniveau innovativer Fahrzeugkonzepte muss mindestens genau so gut, wenn nicht gar besser als das konventioneller Fahrzeuge sein. Gefährdungen durch Ursachen, die konventionelle Fahrzeuge nicht betreffen, müssen bei Elektrofahrzeugen weitgehend ausgeschlossen werden. Gefährdungsquellen stellen hier primär das Batteriesystem sowie die vollelektronische Antriebssteuerung dar. So muss unter anderem das Batteriesystem exotherme chemische Reaktionen in der Batterie sicher verhindern. Elektrische Antriebe, elektrische Bauteile und die elektrische Verkabelung sind grundsätzlich nicht weniger sicher als vergleichbare Bauteile bei Benzin- oder Dieselmotoren. Können klassische Antriebssysteme allerdings noch effizient durch mechanische Komponenten gesteuert werden, erfolgt die Regelung von elektrischen Antrieben vollständig mittels elektrischer, elektronischer und programmierbarer elektronischer Systeme (E/ E/ PE-Systeme). Diese erhöhen den Komplexitätsgrad und den Anteil am im Fahrzeug befindlicher sicherheitsrelevanter Software. Die gesellschaftlichen, rechtlichen und vor allem wirtschaftlichen Folgen unsicherer Elektrofahrzeuge können für die Fahrzeughersteller und die Zulieferer verheerend sein. Hier können bereits wenige Videos von sich selbst schnell entzündenden Fahrzeugen einen viralen Effekt im Internet erzeugen. Dieser wirkt sich unmittelbar negativ auf das Ansehen der Firma aus und belastet den Börsenkurs. Aus diesem Grund ist ein umfassendes Sicherheitsverständnis in der Entwicklung innovativer Fahrzeugkonzepte gefordert. Nachfolgend werden die verschiedenen zu betrachtenden Schwerpunkte eines umfassenden integralen Sicherheitsverständnisses für Elektrofahrzeuge umrissen (vgl. Tabelle 1). Elektrische Sicherheit Gegenüber konventionell angetriebenen Fahrzeugen ergeben sich bei Elektro- und Hybridfahrzeugen neue Risikopotenziale insbesondere aus dem vorhandenen Hochvolt-Bordnetz und den eingesetzten Hochvolt-Energiespeichern. Stromschläge müssen vermieden werden. Dies gilt sowohl im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen als auch bei Transport, Wartung und Instandhaltung der Fahrzeuge. Im Vordergrund steht hierbei der Schutz von Personen vor spannungsführenden Teilen. Dies wird durch die folgenden technischen Maßnahmen erreicht: • Verhindern direkter Berührungen: Eine direkte Berührung wird durch Verwendung entsprechender Gehäuse, Abdeckungen bzw. geschützter Stecker erreicht. • Verhindern indirekter Berührungen: Durch einen Fehler auftretende Gefährdungen, beispielsweise durch unter Spannung Disziplin Ziel Schutzmaßnahmen Elektrische Sicherheit Vermeidung sicherheitskritischer Systemzustände und Personenschutz Sicherheitsgerichtete Auslegung von Hochvoltsystemen und -komponenten Chemische Sicherheit Vermeidung sicherheitskritischer System-Ausfälle und Personenschutz Schutz vor Austritt von Substanzen und Gasen, Maßnahmen des Eplosions- und Brandschutzes Mechanische Sicherheit Schutz vor mechanischen und umweltrelevanten Einflüssen Konstruktion und Auslegung von Komponenten, Gehäusen und Entwicklung aktiver Sicherheitsfunktionen Funktionale Sicherheit Vermeidung sicherheitskritischer Systemausfälle sicherheitsgerichteter Entwurf sicherheitsrelevanter elektronischer Steuerungssysteme Automotive Cybersecurity Schutz vor unberechtigtem Zugriff Dritter Absicherung sicherheitsrelevanter elektronischer Steuerungssysteme Tabelle 1: Integrale Betrachtung der Sicherheit im Bereich Elektromobilität Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 73 Elektromobilität TECHNOLOGIE stehende Gehäuseteile, sind zu verhindern. Hierzu ist es erforderlich, die Isolation zwischen aktiven Hochvoltteilen und Gehäusen entsprechend einschlägigen Standards zu dimensionieren und zu prüfen. Außerdem ist es notwendig, ein Sicherheitskonzept zu entwickeln, das beispielsweise Aspekte wie die Entladedauer des Zwischenkreises und die Implementierung einer Isolationsüberwachung umfasst. Für die zielorientierte Umsetzung der elektrischen Sicherheit sind eine Reihe nationaler und internationaler normativer Vorschriften anzuwenden. Auf Grund der umfassenden und praxisbewährten technischen Regelwerke ist die Umsetzung der elektrischen Sicherheit von Elektrofahrzeugen eine geringe Herausforderung. Chemische Sicherheit Hohe Energiedichten bergen im Falle einer Fehlfunktion erhebliche Gefahren. Dies trifft insbesondere auf die aktuell verwendeten Lithium-Ionen-Batterien zu. Vor diesem Hintergrund ist die nachgewiesene Sicherheit dieser Batteriezellen für ihren Einsatz in Elektrofahrzeugen von zentraler Bedeutung. Die chemische Sicherheit der Einzelzellen wird wesentlich durch die Zellchemie (Kathode, Anode, Elektrolyt) bestimmt. Besonders kritisch ist hierbei das so genannte thermische Durchgehen der Batteriezelle. Dieses thermische Durchgehen wird durch eine zellinterne exotherme Reaktion ausgelöst. Dies kann letztendlich bis zum Brand oder zur Explosion einer Zelle führen. Ausgelöst wird diese Reaktion durch mehrere Einflussfaktoren (vgl. Darstellung in Tabelle 2). Die bei einer exothermen Reaktion freiwerdende Wärme bewirkt eine verstärkte Bereitstellung von Aktivierungsenergie. Dieses führt zu einer kontinuierlich gegebenenfalls zunehmend stärkeren Reaktion. In diesem Zusammenhang wird der Effekt der Selbstbeschleunigung deutlich. Kritisch ist, dass dieser Prozess nicht mehr gestoppt werden kann und es zu einer Zersetzungsreaktion kommt. Andere Zellen, die sich in direkter Nähe zur betroffenen Zelle befinden, werden in Mitleidenschaft gezogen. Auch dort findet dann der gleiche chemische Prozess statt. Zellinterne, intrinsische Maßnahmen bestimmen die Eigensicherheit der Batteriezellen. Zu diesen Maßnahmen gehören beispielsweise keramische Separatoren, temperaturstabile Kathodenmaterialien oder Elektrolytzusätze, die den Flammpunkt erhöhen. Zusätzlich hierzu müssen aber auch Überwachungsfunktionen vorgesehen werden. Diese Gegenmaßnahmen sind in Tabelle 2 den Gefährdungsursachen zugeordnet. Überwachungsfunktionen werden im Zusammenhang mit der Funktionalen Sicherheit diskutiert. Mechanische Sicherheit (strukturelle Integrität) Gerade im Falle eines Unfalls können mechanische Einflüsse die Batterien im Fahrzeug schädigen (siehe Tabelle 1). Hinsichtlich des Crashverhaltens weisen Elektrofahrzeuge positive und negative Eigenschaften auf: • Positiv wirkt sich die Anordnung der Batteriemodule im Unterboden des Fahrzeugs aus. Hierdurch weisen Elektrofahrzeuge eine günstige Verteilung des mechanischen Schwerpunkts im Fahrzeug auf, was sich positiv auf das Überschlagsverhalten des Elektrofahrzeugs auswirkt. • Negativ wirkt sich das geringe Gewicht des Elektrofahrzeugs aus. Um die Reichweite von Elektrofahrzeugen zu erhöhen, werden besondere Leichtbauanforderungen an Elektrofahrzeuge gestellt. Dies stellt besondere Herausforderungen für die Beherrschung eines anzunehmenden Zusammenstoßes mit einem schweren Fahrzeug dar. Insbesondere der letzte Punkt verdeutlicht, dass zukünftig neben der klassischen crashfesten Auslegung von Elektrofahrzeugen auch auf Unfallvermeidung ausgelegte Assistenzsysteme, die auf die Erfordernisse des Stadtverkehrs ausgelegt sind, einen signifikanten Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit von Elektrofahrzeugen im Stadtverkehr leisten. Hierbei muss in der Auslegung der Assistenzsysteme der Nachweis erbracht werden, dass diese unbekannte/ unsichere Ereignisse hinreichend sicher beherrschen (vgl. [1] und [2]). Dies ist vor dem Hintergrund der Komplexität urbaner Verkehrsszenarieneine großeHerausforderung. Funktionale Sicherheit Für die Gewährleistung der Sicherheit im Betrieb werden umfassende Sicherheitskonzepte für Gesamtsysteme (elektrischer Antriebsstrang) ausgehend von einer Gefährdungs- und Risikoanalyse (Hazard Analysis and Risk Assessment, HARA) ausgearbeitet. Diese Gefährdungen werden weiter auf die Subsysteme und Komponenten (bspw. Batteriemanagementsystem oder Pulswechselrichter) des elektrischen Antriebsstrangs heruntergebrochen. Die Gefährdungen werden in einem szenariobasierten Ansatz (vgl. [3], [4] und [5]) ermittelt (z. B. das Laden des Fahrzeugs, das Fahren in verschiedenen Verkehrssituationen oder aber der Werkstattaufenthalt). Auf der Grundlage erkannter Gefährdungen werden für den Anwendungszweck geeignete Sicherheitskonzepte abgeleitet, implementiert und getestet. Diese Vorgehensweise kann anhand des Batteriemanagementsystems verdeutlicht werden. Das Batteriemanagementsystem überwacht die Batteriesysteme auf Temperatur, Druck, Art der Gefährdung Folge der Gefährdung Ursache der Gefährdung Gegenmaßnahme (Beispiel) selbstverstärkender Erhitzungsprozess der Batterie durch Bereitstellung von Aktivierungsenergie („thermisches Durchgehen“, bzw. „thermal runaway“) Ausgasung, Rauchentwicklung, Elektrolytaustritt, Explosion, Feuer Kurzschluss (extern): Penetration der Außenhaut des Stromspeichers durch ein Metallteil Panzerung der Batteriemodule, Anordnung der Batteriemodule im Unterboden des Fahrzeugs Kurzschluss (intern): Isolation der Elektroden versagt, da die Temperaturbeständigkeit des Separators überschritten wurde Einsatz von Materialien für den Separator mit hoher Temperaturbeständigkeit Überladung: Freigesetzter Sauerstoff aus der Kathode reagiert exotherm mit Elektrolyt oder Anode. Überwachungselektronik trennt die Zelle von den äußeren Kontakten, bis die zu hohe Spannung nicht mehr anliegt. Tiefentladung: elektrochemisch aktive Materialien in Anode und Kathode geraten in elektrischen Kontakt („Kupferbrücken“), was zu einem Kurzsschluss führt Abschaltung elektrischer Verbraucher bei Unterschreitung eines Grenzwertes der Akkuspannung Erwärmung (durch Umwelt): Versagen der Isolation der Elektroden führt zu Kurzschluss. Temperaturüberwachung, Thermomanagement; Anordnung im Unterboden schützt vor Sonneneinstrahlung Tabelle 2: Betrachtung von Fehlermöglichkeiten und Fehlereinflüssen im Zusammenhang mit der chemischen Sicherheit von Batteriezellen Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 74 TECHNOLOGIE Elektromobilität Spannung, Strom, State of Charge (SOC, Ladezustand) und State of Health (SOH). Kritische Zustände wie thermisches Durchgehen (Thermal Runaway) einzelner Zellen werden durch Maßnahmen wie Trennung der Batterie vom Ladesystem oder Regelung der Kühlleistung durch das Batteriemanagementsystem verhindert. Über diese technischen Maßnahmen hinaus sind aber auch angemessene Entwicklungsprozesse zu etablieren, um systematische Fehler in der Realisierung der jeweiligen Produkte zu vermeiden. So werden beispielsweise Sicherheitskonzepte Sicherheitsanalysen unterzogen (zum Beispiel in Form einer Failure Modes and Effects Analysis, FMEA) oder durch unabhängige Personen in der Entwicklung begutachtet. Automotive Cybersecurity Auch die IT-Sicherheit und der Datenschutz sind zentrale Bestandteile für den Erfolg alternativer Antriebskonzepte. Elektrofahrzeuge sind über Ladesäulen mit vielen Infrastrukturkomponenten vernetzt [6]. Sicherheitsfragen betreffen deshalb nicht nur die Elektrofahrzeuge an sich, sondern auch ihre Anbindung an das intelligente Energienetz (Smart Grid) sowie zu Backend-Systemen zur Abrechnung einzelner Ladevorgänge (vgl. Bild 1). Konkrete Bedrohungen ergeben sich beispielsweise hinsichtlich des Schutzes vor Stromdiebstahl, der Verhinderung von Angriffen aber auch bezüglich des Unterbindens des Bildens von Bewegungsprofilen durch die Aufzeichnungen der Ladesäule. Hierfür müssen alle möglichen Bedrohungen strukturiert erfasst und bewertet werden. Die hieraus resultierenden Schutzziele sind Grundlage der Ableitung geeigneter Architekturen (vgl. [7]). Dies wird in einem umfassenden Ansatz auch als „Security in depth“ (tiefgestaffelte Verteidigung) bezeichnet. Bild 1 zeigt diese Modellvorstellung verschiedener unabhängig voneinander auf verschiedenen Systemebenen wirkender Schutzmechanismen, die an eine durchgeschnittene Zwiebel erinnern. Am Ende muss die vollständige und korrekte Umsetzung der zuvor identifizierten Maßnahmen durch verbindlich durchzuführende Testverfahren nachgewiesen werden (vgl. [8]). Vor dem Hintergrund der sich stetig weiter entwickelnden technischen Möglichkeiten der Angreifer ist die Cybersecurity keine Momentaufnahme, sondern eine fortwährende Aufgabe über den gesamten Lebenszyklus der Elektrofahrzeuge. Fazit und Ausblick Die Besonderheiten von Elektrofahrzeugen bergen im normalen Betrieb grundsätzlich keine höheren Risiken für die Sicherheit. Es liegen hierfür umfassende technische Regelwerke für die verschiedenen Aspekte eines integralen Sicherheitsverständnisses vor, deren Einhaltung die Hersteller im Rahmen ihrer Konstruktionspflicht (vgl. hierzu Rechtsprechung im Zusammenhang zu unerlaubten Handlungen nach § 832 BGB nach [9] und [10]) nachweisen. Allerdings müssen auch nach Inverkehrbringen der Elektrofahrzeuge den Nutzern, Haltern und Verkehrsteilnehmern mögliche Gefährdungen bewusst gemacht werden, damit diese potenzielle Gefahren minimieren können. Dies ist Gegenstand der Instruktionspflicht des Herstellers. Notwendig ist das Einhalten von einfachen Verhaltensregeln. Hierbei tritt auch der vorhersehbare Fehlgebrauch (Foreseeable Misuse) in den Vordergrund und ist von den Fahrzeugherstellern und -zulieferern von Beginn an mit zu bedenken und nach Möglichkeit zu vermindern (hinsichtlich der Auswirkungen und der Wahrscheinlichkeit). Letzlich sind auch wirksame Mechanismen der Produktbeobachtung (Produktbeobachtungspflicht) sowie bei erkannten sicherheitsrelevanten Vorkommnissen auch Eskalationspfade bei den Automobilherstellern hinsichtlich der Umsetzung korrektiver Maßnahmen erforderlich (Pflicht zur effektiven Gefahrsteuerung, vgl. [11]). Es wird deutlich, dass die Umsetzung eines integralen Sicherheitsverständnisses für die Akzeptanz bei Inverkehrbringen alternativer Antriebskonzepte eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung ist. Die Automobilindustrie muss dem Lebenszykluskonzept der internationalen Normen folgend in der Betriebsphase der Elektrofahrzeuge durch Felddaten untermauern, dass die bei der initialen Zulassung der Fahrzeuge angenommenen Prämissen (Häufigkeiten und Schwere von Unfällen) in der Praxis tatsächlich gültig sind. Nur auf diese Weise wird eine nachhaltige gesellschaftliche Akzeptanz alternativer Antriebskonzepte erreicht. ■ LITERATUR [1] ISO/ PAS 21448: 2019: Road vehicles - Safety of the intended functionality [2] Schnieder, Lars und René Hosse (2019): Leitfaden Safety of the Intended Functionality - Verfeinerung der Sicherheit der Sollfunktion auf dem Weg zum autonomen Fahren. Springer (Berlin) [3] ISO 26262: 2011 Road vehicles - Functional safety [4] SAE J 2980-2018. Considerations for ISO 26262 ASIL Hazard Classification [5] VDA 702: 2015: Situationskatalog E-Parameter nach ISO 26262-3 [6] Schnieder, Lars (2018): Schutz Kritischer Infrastrukturen im Verkehr - Security Engineering als ganzheitlicher Ansatz. Springer (Berlin) [7] SAE J 3061: 2016-01-14: Cybersecurity Guidebook for Cyber-Physical Vehicle Systems [8] Schnieder, Lars und René Hosse (2018): Leitfaden Automotive Cybersecurity Engineering - Absicherung vernetzter Fahrzeuge auf dem Weg zum autonomen Fahren. Springer (Berlin) [9] Bundesgerichtshof, Urteil v. 09.12.1986, Az.: VI ZR 65/ 86, „Honda-Fall - Motorrad-Lenkerverkleidung“ [10] Bundesgerichtshof, Urteil v. 16.06.2009, Az.: VI ZR 107/ 08, „Airbag- Urteil“ [11] Klindt, Thomas und Boris Handorn (2010): Haftung eines Herstellers für Konstruktions- und Instruktionsfehler. In: Neue Juristische Wochenschau 63 (2010) 16, S. 1105 - 1108 Lars Schnieder, Dr.-Ing. Director Assessment Service Center, ESE Engineering und Software Entwicklung GmbH, Braunschweig lars.schnieder@ese.de René S. Hosse, Dr.-Ing. Lead Assessor Automotive, ESE Engineering und Software Entwicklung GmbH, Braunschweig rene.hosse@ese.de Bild 1: Security in Depth (Zwiebelschalenmodell) Darstellung: Verfasser Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 75 Wissenschaft TECHNOLOGIE Szenariobasierte Fahrzeugkonzeptauslegung Entwicklung einer neuen rechnergestützten Vorgehensweise zur Auslegung von Fahrzeugkonzepten Fahrzeugbau, Fahrzeugkonzept, Fahrzeugkonzeptauslegung, Vorgehensmodell, Szenario Divergierende Märkte, disruptive Entwicklungen und strikte Gesetzgebung beeinflussen die Automobilindustrie und fordern neue Entwicklungsansätze. Auf dieser Grundlage basiert das hier entworfene Vorgehensmodell zur Auslegung von Fahrzeugkonzepten, das Szenariotechnik mit parametrischer Konzeptauslegung kombiniert. Hierfür wird eine neue Vorgehensweise aufgestellt und in einem Softwaretool umgesetzt. Das Ergebnis ist eine transparente Methode zur Auslegung neuer Fahrzeugkonzepte, die darüber hinaus als Ansatz für verschiedene Studien und Flottenbetrachtung verwendet werden kann. Julian F. Sandiano, Thomas Gänsicke, Thomas Vietor D ie klassische Entwicklung heutiger Fahrzeugkonzepte basiert auf jahrelange Erfahrungswerten und Heuristiken. Dieses, über die Jahre bewährte und stets weiterentwickelte Vorgehen, stellt sich jedoch aktuell neuen Herausforderungen. Von starken Reglementierungen, divergierenden Kundenanforderungen und Bedürfnissen bis hin zu einer ständig beschleunigenden Entwicklung peripherer Technologien ist die Anzahl an Beeinflussungen und Restriktionen in der Fahrzeugentwicklung ständig gestiegen. Darüber hinaus müssen Fahrzeuge in Zukunft einer immer strenger werdenden Gesetzgebung genügen und neue infrastrukturelle Veränderungen meistern. Alle diese Aspekte sind dabei nur ein Auszug aus der Vielzahl an künftigen Herausforderungen (Bild 1), die zu einer exponentiellen Komplexität von Fahrzeugen führen. So ist die Frage berechtigt, ob die etablierten Vorgehensweisen der Fahrzeugentwicklung nach wie vor zukunfts- und wettbewerbsfähig sind. Um dieses Ziel dennoch erreichen zu können, sind neue Entwicklungsmethoden notwendig. Ziel ist die Entwicklung eines neuen Vorgehensmodells basierend auf grundlegenden, methodisch hergeleiteten Zukunftsszenarien zur frühzeitigen zielgerichteten Auslegung von Fahrzeugkonzepten. Dabei sollen eine bessere Nachvollziehbarkeit und ein schnellerer Ablauf sichergestellt sowie genügend Freiräume und Erweiterungsmöglichkeiten ermöglicht werden. Auf diese Weise sollen zukünftige Anforderungen frühzeitig erkannt und bereits in der frühen Phase der Konzeptauslegung berücksichtigt werden. Betrachtung der aktuellen Fahrzeugentwicklung Der Drang nach einer Beschleunigung der frühen Konzeptentwicklung und der methodisch und rechnergestützten Auslegung von Fahrzeugkonzepten ist seit den 90er Jahren spürbar [1]. Dieser Trend nimmt mit der zunehmenden Komplexität von Fahrzeugen insbesondere in Verbindung mit neuen Antriebssystemen und elektronischen Systemen deutlich zu. Bestehende Untersuchungen, die sich mit der Entwicklung von Vorgehensweisen und Tools für die frühe Konzeptphase beschäftigen, basieren hauptsächlich auf vorgegebene Maßkonzepte oder sind stark vorgabengetrieben [2, 3]. Dabei ist hervorzuheben, dass Maßkonzepte bereits Produkte langer und aufwendiger Wertschöpfungsketten sind. Die Maßkonzepterstellung und die dafür klassische Weise benötigten Schritte werden in verschiedenen wissenschaftlichen Abhandlungen ebenfalls analysiert. Das Ergebnis sind zweidimensionale Darstellungen, die für eine weiterführende Verwendung in der Konzeptentwicklung weitere Bearbeitungen benötigen. [4] Aus diesem Stand wird der Bedarf zur Weiterentwicklung solcher Vorgehensmodelle ersichtlich. Das Ziel ist die schnellere und zukunftsbildbasierte Maßkonzepterstellung, um darauf aufbauend eine direkte Gesamtkonzeptbeschreibung ermöglichen zu können. Dabei ist eine hohe und konkrete Aussagekraft in der sehr frühen Phase der Konzepterstellung zu realisieren. Durch eine Anlehnung an die entsprechenden Normen, wie DIN 70020 und SAE J1100, wird das Vorgehensmodell industrienah gestaltet. Methodischer Ansatz Unter Berücksichtigung der gegebenen Randbedingungen ist ein Vorgehensmodell zu entwickeln, das die Konzipierung von Fahrzeugkonzepten unter der Einfluss- PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 13.08.2018 Endfassung: 08.04.2019 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 76 TECHNOLOGIE Wissenschaft nahme in Zukunft auftretender Randbedingungen ermöglicht. Um diese Randbedingungen in die Fahrzeugentwicklung einbinden zu können, müssen diese zunächst methodisch abgeleitet werden. An dieser Stelle kommt der erste Abschnitt der erstellten Vorgehensweise zum Tragen. Dieser Abschnitt umfasst die Erstellung von Szenarien, um daraus entsprechende Eigenschaften und Randbedingungen zukünftiger Fahrzeuge methodisch und nachvollziehbar ableiten zu können. Zur Realisierung wird das generelle Vorgehen der Szenarioerstellung herangezogen [5], in jedoch leicht abgewandelter Form. Dieser Aufbau wird durch die Auswahl geeigneter Untersuchungsfelder zu einem automobilspezifischen Anwendungsfall umstrukturiert, um auf diese Weise automobilspezifische Zukunftsbilder zu erstellen. Dafür erfolgt zunächst die klassische Eingrenzung des zu untersuchenden Szenariofeldes. Dieses wird durch die Auswahl von in der Bearbeitung omnipräsenter Einschränkungen, wie beispielsweise der zeitliche und geographische Horizont sowie thematischen Eingrenzungen beschrieben [5]. Ist das Szenariofeld definiert, werden alle relevanten automobilspezifischen Informationen herangezogen und gebündelt. Diese Bündelung ermöglicht die Charakterisierung der so gewonnen Informationsgruppen, wodurch geeignete Extrapolationsmethoden ausgewählt werden können. Auf diese Weise werden Deskriptoren definiert, deren weitere Entwicklungen die Bildung der Zukunftsbilder realisieren. Diese werden drauf aufbauend hinsichtlich des Nutzungsumfeldes, der Nutzungsbedingungen sowie der Kundenanforderungen untersucht und bewertet, woraus ein normierter Übertrag für die Maßkettenkonzeption resultiert. Beispielsweise können die Fahrzeugnutzung und die entsprechende Verkehrssituation in dem erstellten Szenario evaluiert werden. Mithilfe dieser Evaluation wird ein Übertrag für die Erfüllung von Ergonomie- oder Komfortansprüche festgelegt. Diese wiederum stehen in einem direkten Zusammenhang mit den Abmaßen der Fahrgastzelle und sind somit Ausschlaggebend für das Maßkonzept. Basierend auf diesen Szenarioübertrag sind entsprechend dazu passende Fahrzeugkonzepte abzuleiten. Für die Definition derselben werden sogenannte konzeptbestimmende Maßketten herangezogen, anhand deren das Fahrzeug hinsichtlich seiner geometrischen Eigenschaften beschrieben wird. Für die Berechnung der Maßketten und der dazu gehörigen Einzelmaße wird unter Berücksichtigung der angestrebten Modularität des Vorgehens das zu erstellende Konzept in drei Bereiche unterteilt. Diese sind in Anlehnung an den klassischen Fahrzeugaufbau der Vorderwagen, die Fahrgastzelle und der Hinterwagen [6]. Ausgangselement für die Auslegung ist dabei die Fahrgastzelle. Dabei sind das zu platzierende Perzentil und das angestrebte Sitzkonzept des Fahrzeugs ausschlaggebend. Hierbei sind nicht nur klassische Sitzmöglichkeiten darstellbar, sondern auch zum Beispiel, je nach Umsetzungsmöglichkeit und Bedarf im Szenario, stehende oder rein liegende Positionen sowie eine Vis-avis-Sitzigkeit realisierbar. Nach der Ermittlung der Einzelmaße in der Fahrgastzelle folgt die Auslegung des Hinterwagens. Dieser wird in seiner Größe durch die Anzahl der Passagiere sowie die Nutzungsbedingungen, wie zum Beispiel der Nutzungsort des Fahrzeugs, bedingt. So ergibt sich beispielsweise für ein Fahrzeug mit einer rein städtischen Nutzung ein kleineres Gepäckraumvolumen als für ein Fahrzeug mit einer interurbanen Nutzung. Dabei werden crashrelevante Aspekte, sowie der Einfluss der Radhäuser ebenfalls in die Konzipierung mit berücksichtigt. Bild 1: Zukünftige Herausforderungen auf Fahrzeugkonzepte (Auszug) Alle Abbildungen: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 77 Wissenschaft TECHNOLOGIE Der Vorderwagen dagegen wird durch die geforderte Übersicht des Fahrzeugs und der Nutzungsumgebung definiert. Diese Größen sind ausschlaggebend für die Länge und die Höhe des Vorderwagens. Unter Einbezug des maximalen Lenkwinkels und der Radgröße, ebenfalls bedingt von unter anderem der Nutzungsumgebung, werden die Radhäuser beschrieben, wodurch die maximale Motorraumbreite als Resultat hervorgeht. So entsteht ein Motorraumvolumen, das in der weiteren Detaillierung konkretisiert werden kann. Durch die Ermittlung dieser Maßketten wird ein konkretes Maßkonzept für das Fahrzeugkonzept erstellt. Ein der Maßkonzepterstellung nachgestellter Schritt ist die Konzeptdetaillierung, in der das geometrisch beschriebene Konzept hinsichtlich der Masse, Fahrleistung, Fahreigenschaften bis hin zur Derivatenvielfalt untersucht und beschrieben wird. Auf diese Weise ist eine sehr hohe Informationsdichte über das erstellte Konzept in einer sehr frühen Phase der Konzeptionierung gegeben. Eine schematische Darstellung des Vorgehensmodells zeigt Bild 2. Anwendungsbereiche Im eigentlichen Sinn beschreibt das Vorgehensmodell eine Möglichkeit zur Erstellung von Konzeptfahrzeugen. Dennoch sind durch den Aufbau des Vorgehensmodells, aufgrund der zugrunde liegenden Daten und deren Herleitung, explizit weitere Anwendungsmöglichkeiten vorgesehen. Zunächst können mit dem ersten Abschnitt der Methode verschiedene automobilspezifische Zukunftsbilder erstellt werden. Diese können über die eigentliche Methode hinaus herangezogen werden, beispielsweise für die strategische Einführung verschiedener Produkte. Ferner können mithilfe dieser Szenarien unterschiedliche Abfolgen verschiedener Ereignisse dargestellt und deren Einfluss auf zukünftige Fahrzeuge untersucht werden. Die in diesem Vorgehensmodell beschriebene Fahrzeugkonzeption kann unter Einbezug unterschiedlicher Szenarien erfolgen, so dass zum Beispiel für diskrete Zeitabstände Konzepte oder sogar ganze Fahrzeugflotten abgeleitet und untersucht werden können. So kann ebenfalls der Einfluss von politischen Entscheidungen oder gesellschaftliche Ereignisse auf die Fahrzeugflotte oder Produktpalette betrachtet werden. Dieses Werkzeug ermöglicht somit die Erstellung ganzer Fahrzeugflotten in einem sehr geringen Zeitraum, beispielsweise durch leichte Variation der Nutzungsumgebung und Bild 2: Schematische Darstellung des Vorgehensmodells Bild 3: Beispielhafte Anwendungsdarstellung des Vorgehensmodells Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 78 TECHNOLOGIE Wissenschaft Nutzungsbedingungen bei gleichem Szenariohorizont (Bild 3 oben). Als Beispiel lässt sich an dieser Stelle der von der Europäischen Kommission in 2011 veröffentlichte „Fahrplan zu einer CO 2 -armen Wirtschaft bis 2050“ aufführen. Unter anderem stellt dieser Fahrplan die Diskrepanz zwischen der geforderten CO 2 -Reduktion zur Erreichung der gesetzten Klimaschutzziele und der aktuellen politischen Lage dar [7]. Diese Diskrepanz besteht analog dazu in der Zusammensetzung der Fahrzeugflotte und der entsprechenden Emissionsgrenzwerte. So werden derzeit mehr Restriktionen und höhere Strafen eingeführt [8] sowie künftig diese noch weiter verschärft [9]. Dieser Sachverhalt kann mithilfe der hier gezeigten Methode zum Beispiel durch Erstellung unterschiedlicher Fahrzeugkonzepten, Antriebsvielfalten und deren Verteilung nicht nur auf der Ebene der Antriebstechnick, sondern auf der Gesamtfahrzeugebene untersucht werden (Bild 3 unten). Erste Ergebnisse und zukünftige Ausrichtung Bild 4 zeigt zur Veranschaulichung einige in der Entwicklung des Tools erstellte Beispielkonzepte und demonstriert die Diversität der mit Hilfe dieser Methode abbildbaren Fahrzeugkonzepte. Einerseits können mit der hier vorgestellten Vorgehensweise klassische als auch außergewöhnliche Fahrzeugarchitekturen realisiert werden. So lassen sich beispielsweise Fahrzeuge mit einer Vis-a-vis-Sitzigkeit konzipieren (Bild 4 oben links.) aber auch Fahrzeuge, in denen mehrere Personen stehen können (Bild 4 oben rechts.). Darüber hinaus können durch einfache gezielte Veränderungen im Aufbau verschiedene Aufbauausprägungen realisiert werden. Das erstellte Modell bietet durch die gewählte Vorgehensweise in Verbindung mit der Art der Fahrzeugdarstellung eine hohe Informationsdichte in der frühen Phase der Konzepterstellung. Mithilfe der Ergebnisse ergibt sich eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten. Diese erstrecken sich von der Ermittlung verschiedenster Maßkonzepte in kürzester Zeit, bis hin zur Einflussbetrachtung unterschiedlicher Parameter auf Fahrzeugkonzepte. Darüber hinaus lassen sich so beispielsweise Fahrzeugflotten für diskrete Zeitabstände generieren und hinsichtlich der Flottenemissionen, Innovationsgrad oder Kundenakzeptanz untersuchen. Über die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten hinaus zeichnet sich das hier vorgestellte Modell durch die starke Modularisierung, sowohl im Bereich der Szenarioerstellung bis hin zur modularisierten und automatisierten Fahrzeugkonzeptgenerierung, aus. Durch den modularen Aufbau der Verwendung in der Industrie gängiger Software wie Matlab Simulink und Catia V5 können einzelne Module je nach Bedarf weiter ausgebaut und für bestimmte Sachverhalte angepasst werden. In der weiteren Ausrichtung des Projektes sind die Fahrzeugmodule der Konzeptauslegung zu erweitern und die weitere Automatisierung der Szenariotechnik vorzunehmen. So stellt die hier gezeigte szenariobasierte Konzeptentwicklung ein verwendbares Werkzeug für die Konzeptauslegung, deren methodische Vorgehensweise ein frühzeitiges Erkennen von Problemen und darüber hinaus eine dauerhafte Handlungsfähigkeit ermöglicht. ■ LITERATUR [1] Rasenack, W. „Parametervariation als Hilfsmittel bei der Entwicklung des Fahrzeug- Package“. Dissertation, Technische Universität Berlin. Berlin, 1998 [2] Prinz, A. „Struktur und Ablaufmodell für das parametrische Entwerfen von Fahrzeugkonzepten“ AutoUni - Schriftreihe Band 17; Berlin. Logos Verlag Berlin GmbH, 2010 [3] Kuchenbuch, K. „Methoden zur Identifikation und zum Entwurf package-optimierter Elektrofahrzeuge“ AutoUni - Schriftreihe Band 25; Berlin. Logos Verlag Berlin GmbH, 2012 [4] Hahn, J. „Eigenschaftsbasierte Fahrzeugkonzeption“ AutoUni - Schriftreihe Band 108; Wiesbaden. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2017 [5] Kosow, Hannah; Gaßner, Robert. „Methoden der Zukunfts- und Szenarioanalyse. Überblick, Bewertung und Auswahlkriterien.“ WerkstattBericht Nr. 103. Berlin, September 2008. Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (ITZ) [6] Braess, H. und Siefert, U. (Hrsg.) „Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik“ 7 Auflage. Wiesbaden. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2013 [7] Europäische Kommission: „Fahrplan zu einer CO 2 -armen Wirtschaft bis 2050“ Brüssel, 08.03.2011 [8] Europäische Kommission: „Verordnung zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen im Rahmen des Gesamtkonzepts der Gemeinschaft zur Verringerung der CO 2 -Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen“ EG Nr.-443/ 2009, Amtsblatt der Europäischen Union. Brüssel, 08.03.2009 [9] Europäische Kommission: „Vorschlag für eine Verordnung zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge im Rahmen des Gesamtkonzepts der Union zur Verringerung der CO 2 -Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/ 2007 (Neufassung)“ EG Nr. 2017/ 0293, Amtsblatt der Europäischen Union. Brüssel, 08.11.2017 Thomas Vietor, Prof. Dr.-Ing. Institutsleiter, Institut für Konstruktionstechnik, Technische Universität Braunschweig t.vietor@tu-braunschweig.de Thomas Gänsicke, Prof. Dr.-Ing. Institutsleiter Institut für Fahrzeugbau Wolfsburg (IFBW), Professur Fahrzeugkonzepte, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Wolfsburg th.gaensicke@ostfalia.de Julian F. Sandiano, M.Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Fahrzeugbau Wolfsburg (IFBW), Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Wolfsburg j.sandiano@ostfalia.de Bild 4: Darstellung verschiedener Grobkonzepte Veranstaltungen FORUM Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 79 Digitaler Wandel in der Flughafenindustrie Vorschau: inter airport Europe 2019, 8. bis 11. Oktober 2019, München (DE) E rneut trifft sich die Flughafen-Community zu ihrer weltweiten Leitmesse, der inter airport Europe 2019. Mehr als 542 Aussteller aus 37 Ländern belegen insgesamt 31.700 m 2 Ausstellungsfläche auf dem Messegelände in München. Das Freigelände bietet Platz für Großexponate und schweres Gerät. Größte Ausstellerländer nach Deutschland sind Frankreich, die USA, Großbritannien, Italien, die Niederlande, China, Spanien, Schweden und Österreich. Die inter airport Europe 2019 als 22. Internationale Fachmesse für Flughafen-Ausrüstung, Technologie, Design und Service gilt als Leitmesse der Flughafenindustrie und spiegelt die aktuellen Weiterentwicklungen wider, die Flughäfen weltweit aufgrund gegenwärtiger Herausforderungen beschäftigen. So dreht sich derzeit in der Industrie alles um den digitalen Wandel, die damit einhergehende Vernetzung von Systemen und folglich die Bewältigung des stetig wachsenden Verkehrsaufkommens an Flughäfen. Das Messeprofil umfasst die vier Ausstellungsbereiche: • interRAMP (Bodenabfertigung und -gerät), • interTERMINAL (Terminaleinrichtung und -dienstleistungen), • interDATA (IT-Lösungen für den modernen, interaktiven Flughafen) sowie • interDESIGN (Architektur und Inneneinrichtung). Auf der Messe werden Lösungen und Anregungen für die Ausstattung des Terminalbereichs, Design und Planung, Neuheiten im Bereich Bodengerät sowie IT-Systeme und Datenmanagement für den Flughafen präsentiert. Für die Veranstaltung wurde das Messeprofil in diesem Jahr erstmals um einige neue Kategorien im IT-Bereich erweitert, wie zum Beispiel Cybersecurity, Cloud-Services, elektronisches Ticketing oder Apps für nahtlose Mobilität. Somit können Besucher auf der Messe noch genauer ihren Bedarf an neuesten IT-Lösungen für den Flughafen decken. Weitere Informationen: www.interairporteurope.de Neue Mobilität - vernetzt in die Zukunft Vorschau: Hypermotion, 26. bis 28. November, Frankfurt am Main (DE) I m autonom gesteuerten Auto ins Büro, per Flugtaxi zum Flughafen und das bestellte Paket liefert eine Drohne? Neue Lösungsansätze, wie wir künftig von A nach B kommen, könnten schon in wenigen Jahren Realität werden. Denn Mobilität und Logistik verändern sich in rasantem Tempo. Neue Technologien wie Autonomes Fahren, Flugtaxis, Drohnen oder der Einsatz künstlicher Intelligenz bieten enorme Innovationspotentiale. Daneben stellen Verbraucher neue Anforderungen: Sharing Economy, maximale Flexibilität bei der Auswahl von Verkehrsmitteln oder schnelle Lieferzeiten von Waren an jeden Ort sind nur einige Beispiele. Weitere Treiber, die neue Mobilitätskonzepte erfordern, sind die rasante Digitalisierung, der anhaltende Klimawandel und die zunehmende Urbanisierung. Ideen nach vorn: Mobilitätspioniere treffen sich auf der Hypermotion Dafür muss ein neues, intelligentes, vernetztes und verkehrsträgerübergreifendes Transportsystem entwickelt werden. Die Vernetzung der unterschiedlichen Akteure steht dabei im Mittelpunkt. Momentan drängen neue Player mit ihren innovativen Konzepten für die Mobilität von morgen auf den Markt. Konferenzen - Inspiration und Diskussion mit Experten Zum ersten Mal findet der Deutsche Mobilitätskongress unter dem Motto „Mobilität in Ballungsräumen - Chancen und Herausforderungen“ im Rahmen der Hypermotion statt. Um nachhaltige urbane Mobilität und digitale Vernetzung von Regionen geht es bei der smc: smart mobility conference, die Fachkonferenzen, Ausstellung, Workshops und interaktive Elemente kombiniert. Die Konferenzen EXCHAiNGE und Logistics Digital Conference widmen sich den Themen Innovationen in der Logistik und Supply Chain Management. Pioniergeist wird auch erlebbar im Hypermotion-Lab, wo Start-ups in Pitches gegeneinander antreten und ihre innovativen Geschäftsideen vorstellen. Welche nachhaltigen Ideen, Konzepte und Lösungen es bereits gibt, zeigt die Hypermotion vom 26. bis 28. November in Frankfurt. Weitere Informationen: www.hypermotion.de FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 80 Zukunftsorientierte und nachhaltige Mobilitätslösungen Vorschau: eMove360°, 15. bis 17. Oktober 2019, München (DE) D ie weltweit größte Fachmesse für die Mobilität 4.0 - Elektromobilität, Vernetztes & Autonomes Fahren präsentiert die komplette Bandbreite zukunftsorientierter und nachhaltiger Mobilitätslösungen - von urbanem & mobilem Design, Material und Prozesslösungen über automatisiertes Fahren und Elektronik bis hin zu Infotainment. Mit ihren verschiedenen Plattformen - die Messe als jährlicher Branchen-Treffpunkt, der eMove360° Award sowie der Materialica Award, das eMove360°-Magazin mit Online-News-Portal, die eMove360° Conferences sowie der eMove360° Club und die e-Monday Netzwerkveranstaltungen - versteht sich eMove360° als Dachmarke der Neuen Mobilität und internationaler Marktplatz, der Angebot und Nachfrage auf globaler Ebene zusammenbringt. Messe-Schwerpunkte sind die Themen: Vehicles, Charging & Energy, Infotainment & Connectivity, Automated Driving & Electronics, Battery & Powertrain, Mobility Concepts & Services, Urban & Mobile Design, Materials & Engineering. Etwa 30 Prozent der Besucher sowie rund 40 Prozent der etwa 300 Aussteller kommen aus dem Ausland. Zielgruppe der Messe sind Entwickler und Designer, IT-Experten, sowie Käufer und Anwender wie etwa Flottenmanager, Entscheider in Städten, Gemeinden, Touristikregionen und Dienstleister. Weitere Informationen: www.emove360.com Kommunikation sicherer machen Vorschau: PMRExpo 2019, 26. bis 28. November 2019, Köln (DE) D ie PMRExpo präsentiert sich 2019 mit einem frischen Design und neuen interaktiven Programmelementen: Auf dem Summit „Sichere Kommunikation“ bieten Top-Redner am 26. und 27. November aktuelle Trends und Themen. Neben den gewohnten Vorträgen werden erstmals interaktive Thementische sowie Diskussionsrunden mit über 30 Experten zu den folgenden Leitthemen angeboten: • KRITIS Sicherheit • Breitband-Lösungen • Internet of Life Saving Things • Cloud-Lösungen An den interaktiven Thementischen werden Moderatoren mit den Teilnehmern aktuelle Erfahrungen und Erkenntnisse zum Thema Breitbandkommunikation austauschen und einzelne Aspekte vertiefen. Dabei werden deutsch- und englischsprachige Tischrunden angeboten. Der „Fokus: Leitstelle“ innerhalb des „Summit sichere Kommunikation“ bietet am 28. November mit zahlreichen Experten-Vorträgen die gesamte Bandbreite der jüngsten Innovationen in den Leitstellen. Erneut finden am 26. und 27. November diverse Fachforen als offene, frei zugängliche Veranstaltungen an zentraler Stelle mitten in der Ausstellung statt. An Vertreter von Stadtwerken und Energieversorgungsunternehmen richtet sich das Symposium Energiewirtschaft, das Themen der sicherheitskritischen Kommunikation aus der Branchenperspektive beleuchtet. Auf rund 4.800 m 2 zeigen über 230 internationale Aussteller die Produkte und aktuelle Innovationen des Professionellen Mobilfunks. In der Fahrzeugausstellung können die Besucher moderne Einsatzfahrzeuge live erleben. Die internationale Fachmesse hat sich in den letzten Jahren zur europäischen Leitmesse für sichere Kommunikation weiter entwickelt. Zur PMRExpo 2019 werden über 4.300 Gäste aus der ganzen Welt erwartet. Ihnen bietet die PMRExpo eine Plattform für internationales Networking und den Austausch von Knowhow. Weitere Informationen: www.pmrexpo.de Effizient, nachhaltig, digital: Infrastruktur der Zukunft Vorschau: 14. Bundeskongress Öffentliche Infrastruktur, 3. Dezember 2019, Berlin (DE) E ine effiziente, nachhaltige Infrastruktur ist der Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und für die Verwirklichung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Dazu bedarf es eines durchdachten Miteinanders der Verkehrsträger und dem planvollen Ausbau der Verkehrswege, der Bildungs- und der Kommunikationsinfrastruktur. Hier bieten sich unterschiedliche Strategien an. Allen gemein ist die Planung und Beschaffung. Planen und Bauen/ Sanieren aus einer Hand ist abzuwägen bis hin zu Fragen der Finanzierung und Abrechnung. Daher diskutieren auf dem 14. Bundeskongress Öffentliche Infrastruktur wieder Interessierte aus unterschiedlichen Kreisen zusammen über die Zukunft der kommunalen Infrastruktur, inwiefern sie die Politik beeinflusst, aber auch über die Bedeutung der ländlichen Räume, die Mobilität von morgen, das Immobillienmanagement und die neuesten Entwicklungen bei der Infrastrukturgesellschaft. Der Bundeskongress Öffentliche Infrastruktur am 3. Dezember im Berliner Hotel Adlon liefert Angebote, um Kommunen, Länder und den Bund mit einer zukunftsweisenden öffentlichen Infrastruktur aufzustellen. Die Veranstaltung adressiert Entscheider und Experten aus Ämtern, Fachbehörden, kommunalen Zweckverbänden, öffentlichen Unternehmen und Ministerien. Weitere Informationen: www.oeffentliche-infrastruktur.de Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 81 Erscheint im 71. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 56 vom 01.01.2019 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr plus International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 215,00 (inkl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 238,75 (inkl. VAT) Einzelheft: EUR 37,00 (inkl. MWSt.) + Versand Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print oder E-Paper mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck BWH GmbH, Hannover Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Natural Gas storage tanks Foto: Topspeedz | Shutterstock Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Strategische Planung und Koordination" Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Sebastian Belz Dipl.-Ing., Generalsekretär EPTS Foundation; Geschäftsführer econex verkehrsconsult GmbH, Wuppertal Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Geschäftsführer, traffiQ, Frankfurt am Main (DE) Ottmar Gast Dr., Vorsitzender des Beirats der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender der Logistik- Initiative Hamburg (LIHH), Mitglied des Aufsichtsrats der Otto Group Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Detlef Zukunft Dr., Programmdirektion Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 82 Liebe Leserinnen und Leser, so lückenhaft eine Gesamtschau aktueller Forschung und Entwicklung zu alternativen Antrieben auch ausfallen muss, belegt doch die vorliegende Ausgabe eine erstaunliche Dynamik auf diesem Gebiet. Nach dem ersten Hype um batteriegestützte Elektromobilität und oftmals schroff geführten Diskussionen um die Zukunft des Verbrennungsmotors zeigt sich: Wissenschaft und Industrie haben hinter den Kulissen dieser Schaukämpfe nach Alternativen gesucht und vor allem in der Grundlagenforschung wesentliche Resultate erzielt. Projekte wie der Aufbau einer systemischen Wasserstoffwirtschaft im Rhein-Main-Gebiet, dezentrale Erzeugung von synthetischen Gasen oder die Treibstoffgewinnung mit CO 2 aus der Luft und Alternativ-Strom sind Wegmarken einer spannenden Entwicklung. Wie aber werden sich all diese Möglichkeiten in der Praxis darstellen? Welche Herausforderungen wird es geben und wie können Lösungen realisiert werden? Auf diese Fragen soll Internationales Verkehrswesen 4/ 2019 im Themenschwerpunkt Business-Innovation Antworten geben - mit Beiträgen zu Mobilitätsstrategien und Anpassungen der Infrastruktur, vor allem in den Bereichen Schifffahrt und Luftverkehr. Das Heft wird am 4. November erscheinen. Und wie immer sind Sie herzlich eingeladen, Ihr Wissen mit unseren Lesern zu teilen. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 10.-15.09.2019 Frankfurt am Main (DE) New Mobility World 2019 Plattform für die Zukunft der Mobilität Veranstalter: Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA), Berlin Information: Evenson, NMW und IAA Conference Projektbüro, nmw@evenson.de www.newmobility.world 12.-22.09.2019 Frankfurt am Main (DE) IAA PKW Driving Tomorrow - IAA Exhibition and Conference Veranstalter: Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA), Berlin Information: iaa@vda.de www.iaa.de 13.09.2019 Frankfurt am Main (DE) Forum Kombinierter Verkehr im HOLM Gehört die Zukunft dem Kombinierten Verkehr? Veranstalter: Technische Universität Darmstadt, Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik https: / / anmeldung.frankfurt-holm.de/ event.php? vnr=96-10A&Locale=de_DE 17.-18.09.2019 Dortmund (DE) Zukunftskongress Logistik - 37. Dortmunder Gespräche Silicon Economy - Künstliche Intelligenz als Treiber neuer Geschäftsmodelle Veranstalter: Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und Digital Hub Logistics www.zukunftskongress-logistik.de/ 01.-02.10.2019 Berlin (DE) Railway Forum 2019 Kongress mit begleitender Fachausstellung zur Bahnindustrie im Wandel Veranstalter: IPM AG, Institut für Produktionsmanagement, Hannover www.railwayforumberlin.de 08.-11.10.2019 München (DE) inter airport Europe 2019 22. Internationale Fachmesse für Flughafen-Ausrüstung, Technologie, Design und Service Veranstalter: Mack Brooks Exhibitions Ltd, St Albans (UK) Kontakt: +44 (0)1727 814 400, europe@interairport.com www.interairporteurope.de 09.-11.10.2019 Dublin (IE) 47th European Transport Conference Annual conference of the Association for European Transport Veranstalter: Association for European Transport (AET), Henley-in-Arden (UK) www.aetransport.org 10.-11.10.2019 Stuttgart (DE) f-cell 2019 Annual conference of the Association for European Transport Veranstalter: Peter Sauber Agentur Kontakt: Sandra Bilz, T +49 (0)711 656960-5704, sandra.bilz@messe-sauber.de www.f-cell.de 15.-17.10.2019 München (DE) eMove 360° München Internationale Fachmesse für intelligente Fahrzeuge Veranstalter: MunichExpo GmbH Kontakt: info@munichexpo.de www.emove360.com 24.-25.10.2019 Hamburg (DE) Hydrogen For Clean Transport Hamburg H2ME Mid-term Conference Veranstalter: EU flagship project Hydrogen Mobility Europe (H2ME) www.h2me.eu/ events/ hydrogen-for-clean-transport 06.-07.11.2019 Berlin (DE) UBA-Forum 2019 Luftverkehr der Zukunft Veranstalter: Umweltbundesamt, 06844 Dessau-Roßlau Kontakt: Roman Thierbach, roman.thierbach@uba.de www.umweltbundesamt.de/ uba-forum-mobil-nachhaltig 12.-14.11.2019 Budapest (HU) 4th International Conference InnoRail Budapest Tradition and Progress - Railways in the Digital Age Veranstalter: Innorail Kiadó és Konferencia Kft., Budapest Kontakt: CongressLine Kft., office@congressline.hu, www.innorail2019.hu/ de TERMINE + VERANSTALTUNGEN 10.09.2019 bis 14.11.2019 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten: Herr Frau Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden) Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen. Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de als PDF heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo als gedruckte Ausgabe als ePaper Jahresbezugspreis Inland EUR 215,inkl. MwSt. und Versand Jahresbezugspreis Ausland EUR 217,- (mit VAT-Nr.) / EUR 238,75 (ohne VAT-Nr.), inkl. Versand WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www.trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. Datum Unterschrift Abo-Bestellung bitte senden an: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Leserservice Internationales Verkehrswesen Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, GERMANY Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: service@trialog.de Ja, ich will Internationales Verkehrswesen regelmäßig lesen! StudiAbo (Aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung) Jahresbezugspreis Inland EUR 86,- (inkl. MwSt. und Versand). Jahresbezugspreis Ausland EUR 96,- (inkl. MwSt. und Versand). Das Jahres-Abonnement umfasst Print-Ausgabe oder ePaper plus Archivzugang (via Webseite). Vertriebsanzeige IV_2019.indd 1 01.02.2019 17: 42: 10 2019 | Heft 3 September
