Internationales Verkehrswesen
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2019 | Heft 4 November Wie Business-Innovationen den Mobilitätswandel möglich machen Strategisch entscheiden www.internationalesverkehrswesen.de Heft 4 | November 2019 71. Jahrgang POLITIK Die Mobilitätswende im Öffentlichen Verkehr INFRASTRUKTUR Potenziale digitaler Technologie LOGISTIK Neue Herausforderungen - neue Strategien MOBILITÄT Konzepte, Chancen, Widerstände TECHNOLOGIE Was Emissionen wirklich reduzieren könnte DAS FACHMAGAZIN FÜR DIE JACKENTASCHE Lesen Sie Internationales Verkehrswesen und International Transportation lieber auf dem Bildschirm? Dann stellen Sie doch Ihr laufendes Abo einfach von der gedruckten Ausgabe auf ePaper um - eine E-Mail an service@trialog.de genügt. Oder Sie bestellen Ihr neues Abonnement gleich als E-Abo. 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Tiere als Hauptenergiequelle wurden durch Dampfmaschinen, elektrische Antriebe und nicht zuletzt Diesel- und Benzinmotoren ersetzt. Eine Vielzahl von Arbeitsplätzen ging verloren, jedoch brachte dieser Wandel letztendlich mehr Wohlstand, mehr Arbeitsplätze und mehr Mobilität. Es ist kaum von der Hand zu weisen, dass wir uns bereits in einer ähnlichen Umbruchsphase befinden. Bestehende Geschäftsmodelle wie zum Beispiel das Taxigewerbe werden in Frage gestellt, bzw. müssen sich neu positionieren - davon handelt ein Beitrag in diesem Heft. Neue Mobilitätskonzepte und damit verbundene neue Geschäftsmodelle wie zum Beispiel Mobilitätsplattformen oder urbane Seilbahnen entstehen, auch darüber ist im Heft nachzulesen. Doch nicht nur neue Technologie und innovative Startups verändern die Welt - das globale Machtgefüge wird durch China und seine Seidenstraßen-Initiative verändert. Nachdem die geplanten Infrastrukturen schon oft beschrieben wurden, analysiert der Beitrag dieses Hefts die Auswirkungen der Seidenstraße auf Innovationen. Internationales Verkehrswesen begleitet seit Jahrzehnten die Verkehrswirtschaft. Die aktuelle Ausgabe belegt, dass eine kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung zur Weiterentwicklung von Mobilitätskonzepten beitragen kann - auch dazu findet sich ein Beitrag im Heft - und verkehrspolitische Hilfestellung oder zumindest Reflektionen ermöglicht. Unternehmen und Politiker können hiervon ebenso profitieren wie Wissenschaftler. Es spricht für sich, dass in diesem Heft nicht nur Umweltfragestellungen wie zum Beispiel im Beitrag zur CO 2 -Steuer oder im Artikel zu CO 2 -Emissionen im Sektor Verkehr behandelt werden, sondern auch innovative Fragestellungen bezüglich aller Verkehrsträger: intelligente Rail Services, Passagierabfertigung an Flughäfen, Container- und Kreuzfahrtschiffe ebenso wie Mikrofahrzeuge für den Straßenverkehr. Natürlich gehen innovative Geschäftsmodelle im Mobilitätsbereich weit über die bestehenden Verkehrsträger hinaus. Deswegen widmet sich ein weiterer Beitrag dieses Hefts neuen Mobilitätsstrategien, ein anderer wiederum beschreibt das Reallabor der DLR. Außerdem benötigen wir für Business-Innovationen im Mobilitätsbereich neue Formen der Datenaufbereitung und Datenanalyse. Folgerichtig enthält dieses Heft auch einen Beitrag zu neuen Mobilitätsstrukturen und Kundendaten. Natürlich haben auch klassische Themen wie die Instandhaltungsoptimierung oder Kostenvergleiche in der neuen MobilitSweet ihre Berechtigung und finden ihren Platz in diesem Heft. Dass der Verkehrswirtschaft in solchen Zeiten die Themen nicht ausgehen, sieht man auch daran, dass es selten eine so umfangreiche Ausgabe Internationales Verkehrswesen gegeben hat wie diesmal. Wenn Sie nicht ohnehin schon von der Vielfalt der Mobilität begeistert sind, so hoffe ich, dass Sie spätestens nach der Lektüre dieses Heftes mit mir übereinstimmen: „Variatio delectat“ - Vielfalt macht Freude. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß und Freude beim Lesen Sebastian Kummer Univ. Prof. Dr., Vorstand des Institutes für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 4 POLITIK INFRASTRUKTUR 26 Digitalisierung und innovative Antriebstechnologien Strategien und Rahmenbedingungen für die Instandhaltung des Eisenbahn-Fahrweges Johannes Max-Theurer Johann Dumser 30 Übermittlung von Informationen in der humanitären Logistik Die Potenziale und Herausforderungen von Technologien Oliver Baldauf Sarah Kohl Antonio Olivieri Dieter Uckelmann WISSENSCHAFT 35 Optimierung der Passagierabfertigung an Flughäfen während Strommangellagen Lisa-Marie Brause Andrei Popa Tobias Koch 40 Touristische Beschilderung an deutschen Autobahnen Bedeutung der touristischen Unterrichtungstafeln Sven Groß Christian Reinboth LOGISTIK Foto: Karl-Heinz Laube/ pixelio SEITE 40 Foto: Jürgen Sieber | pixabay SEITE 58 Foto: Emil Bruckner/ Unsplash SEITE 14 46 Die Branche „Gütertransport Straße“ im Wandel Wie steht es um die Sicherheit und Gesundheit von Berufskraftfahrenden? Angelika Hauke Ina Neitzner 50 Chinas E-Commerce-Boom Dirk Ruppik 52 Business-Innovation im Zuge der-neuen Seidenstraße Potenziale und Herausforderungen der neuen Seidenstraße für die deutsche und europäische Wirtschaft Carsten Müller Petra Bruckmann Hao Sun 58 Status quo und Entwicklung in der Seeschifffahrt Container und Kreuzfahrtschiffe im Fokus einer ökologischen Betrachtung Leandra Hanebrink Ines Sturz Dieter Uckelmann 10 CO 2 -Bepreisung und Entfernungspauschale Die eingebildete Steuererhöhung Christian Holz-Rau 12 Mobilität 2042 - die Verkehrswende beginnt heute Hartmut Topp 14 Öffentlicher Verkehr und Taxis Dienstleistungen im öffentlichen Interesse zur Daseinsvorsorge - Teil 1 Sebastian Kummer Stefan Stefanov 20 Wettbewerb um die führende Mobilitätsplattform für Fernreisen FlixMobility und BlaBlaCar Andreas Krämer Robert Bongaerts Gerd Wilger THEMEN, SCHLAGWORTE, AUTOREN, … Schlagen Sie einfach nach: Fach- und Wissenschafts-Artikel aus Internationales Verkehrswesen finden Sie-ab dem Jahr 2000 online in der Beitragsübersicht - auf der Archiv-Seite im Web. www.internationales-verkehrswesen.de/ archiv Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 5 INHALT November 2019 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 25 Bericht aus Brüssel 104 Forum Veranstaltungen 105 Impressum | Gremien 106 Vorschau | Termine AUSGABE 1 | 2020 Verkehr vernetzen - „Intelligente“ Systeme - Transport im urbanen Raum - Praxis und Projekte Special: International Transportation - Transforming Transport: Digital Strategies erscheint am 19. Februar 2020 92 Anschub für die Mobilität von-morgen Denis Marschel 93 Mobilitätsguthaben statt Dienstwagen Martin Timmann WISSENSCHAFT 95 CO 2 -Emissionen im Personenverkehr Einfluss von Soziodemografie, Wohnort und Einkommen Felix Steck Christine Eisenmann Lars Kröger Christian Winkler 100 Innovative Instandhaltung für-Schienenfahrzeuge Strategieoptimierung durch Einsatz des genetischen Algorithmus Julian Franzen Bernd Kuhlenkötter Foto: Doppelmayr/ Garaventa SEITE 70 Bild: Kistler Gruppe SEITE 92 62 Bahnfahren kostet weniger als-Fliegen Ein Kostenvergleich zwischen ICE und A320 Christoph Brützel 66 Mobilitätsmonitor Nr. 9 - November 2019 Christian Scherf, Andreas Knie, Theresa Pfaff, Lisa Ruhrort, Wolfgang Schade, Udo Wagner 70 Nicht vor meiner Haustür Akzeptanzprobleme bei urbanen Seilbahnen Sebastian Beck Olivia Franz 73 Erfolg durch stetige Weiterentwicklung Innovative und dynamisch angelegte Konzepte als Grundlage für erfolgreiche Mobilitätsangebote Knut Ringat 76 On-demand-Mobilität - eine Lösung für alle? Erfahrungen aus dem Reallabor Schorndorf Kathrin Viergutz Mascha Brost Laura Gebhardt Katharina Karnahl 80 (E-)Kleinstfahrzeuge - Tech- Blase oder Verkehrsrevolution? Teil 2 - Welches Potential haben die „neuen“ vernetzten Mobilitätsangebote in Deutschland? Rainer Hamann, Verena Knöll, Thomas Schimanski, Sabrina Bayer, Sebastian Schulz MOBILITÄT WISSENSCHAFT 86 Entwicklung von Mobilitätsstrategien auf Basis qualitativer Daten Alexander Rammert Stephan Daubitz Oliver Schwedes Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 6 IM FOKUS Autonome Straßenbahnfahrten im Depot D ie Vollautomatisierung eines Straßenbahndepots auf Basis einer autonom fahrenden Tram und eines digitalen Betriebshofes ist Ziel des Projekts AStrid, „Autonome Straßenbahn im Depot“. Das Karlsruher Institut für Technolgie (KIT) und Industriepartner starten nun die Entwicklungsarbeit, die vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen der Förderrichtlinie Modernitätsfonds („mFUND“) für drei Jahre gefördert wird. Die Umsetzung des Forschungs- und Entwicklungsprojekts erfolgt auf dem Betriebshof des Verkehrsbetriebs Potsdam. Die technische Machbarkeit wird mit autonomen Servicefahrten zu einem Abstellgleis demonstriert, beispielsweise durch eine Waschanlage. Mittelfristig soll die Depot- Automatisierung als eine erste Stufe des autonomen Fahrens kommerziell nutzbar gemacht werden. Bei der Entwicklung soll von Anfang an berücksichtigt werden, welche rechtlichen Rahmenbedingungen für die Genehmigung und den Betrieb einer autonom fahrenden Straßenbahn zu beachten sind und in welchem ökonomischen Rahmen ein operativer Betrieb abzubilden wäre. Die Projektpartner bei AStriD haben das Projekt in verschiedene Arbeitspakete unterteilt. Partner sind das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Siemens Mobility, die Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH (ViP), das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM), die Codewerk GmbH und Mapillary. Das Projekt AStriD startete im Oktober 2019, die Projektdauer beträgt drei Jahre. www.mfund.de www.kcist.kit.edu Foto: Sandra Göttisheim, KIT Ideen für nachhaltige Verkehrsprojekte gesucht D ie Europäische Kommission hat eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen für die Unterstützung wichtiger Verkehrsprojekte veröffentlicht. Sie sollen über die Connecting Europe Facility (CEF) gefördert werden, das zentrale Finanzierungsinstrument der EU für Infrastruktur. Die Investitionen werden dazu beitragen, fehlende Verbindungen auf dem gesamten Kontinent aufzubauen und sich gleichzeitig auf nachhaltige Verkehrsträger konzentrieren. Die für Verkehr zuständige Kommissarin Violeta Bulc sagte dazu, um die Dekarbonisierung zu beschleunigen und zur Vollendung des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) beizutragen, würden die im Rahmen der „Connecting Europe Facility“ verfügbaren Ressourcen in vollem Umfang genutzt. Diese Investitionen sollten die intelligente und nachhaltige Mobilität fördern und Bürger in ganz Europa besser vernetzen. Die 2014 eingerichtete Connecting Europe Facility hat bisher 763 Projekte- mit EU-Mitteln in Höhe von fast 22-Mrd.-EUR unterstützt, davon 111 Projekte mit deutscher Beteiligung. Zu den 2018 geförderten Verkehrsprojekten gehören Initiativen zur Digitalisierung der deutschen Wasserwege, der Einführung nachrüstbarer Notrufmodule für Autounfälle und zum Testen innovativer Technologien im Bereich des Schienentransports. Informationen zur Einreichung von Vorschlägen sind auf der Webseite der Kommission unter ec.europa.eu zu finden, die Bewerbungsfrist für den aktuellen Aufruf endet am 26. Februar 2020. Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 7 IM FOKUS ETH Zürich schließt ihr Eisenbahnbetriebslabor D as Eisenbahnbetriebslabor am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme IVT der ETH Zürich wird Ende 2020 geschlossen. Das haben die Betreiber IVT, SBB und Siemens Mobility gemeinsam entschieden. Die Gründe dafür sind vielfältig. So habe sich der Bahnbetrieb in der Schweiz im Laufe der letzten Jahre durch Automation und Zentralisierung grundlegend verändert - und damit auch die Anforderung an die Ausbildung des Bahnpersonals und der Studierenden. So bieten Ausbildungssimulatoren heute didaktische Möglichkeiten, die den neuen Berufsbildern besser entsprechen und die das „traditionelle“ Eisenbahnbetriebslabor nicht bieten kann. Auch entfällt künftig der Hands-on-Ausbildungsbedarf für Studierende mit der Neuausrichtung der bahnorientierten Lehrinhalte am IVT auf mathematische Verfahren und den Einsatz von Informationstechnologien. Mit den verbleibenden Ausbildungs- und Demonstrationsbedürfnissen stünde bereits jetzt die Nutzung in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand, so Prof. Martin Huber vom IVT der Hochschule. Das Eisenbahnbetriebslabor des IVT auf dem Hönggerberg wurde in den 1970er Jahren als Nachfolgeanlage einer Vorgängerin an der ETH Zentrum in Betrieb genommen. Sie wurde zweimal grundlegend modernisiert und führte Lernende, Studierende und Besucher in den Schweizer Eisenbahnbetrieb und die zugehörige Sicherungstechnik ein. Die drei Partner-Betreiber hoffen daher, dass ein neuer Besitzer die Anlage gesamt oder teilweise an einem anderen Standort weiterbetreiben will. www.ivt.ethz.ch/ ts/ ebl.html Foto: ETH Bahnverkehr China-Europa bald rückläufig? T rotz der gestiegenen Zahl der Ganzzugeinheiten, den zusätzlich hinzugekommenen Betreiberplattformen in China und der erhöhten Anzahl europäischer Empfangsdestinationen scheint eine Steigerung der Bahnverkehre zwischen China und Europa vorläufig nicht mehr möglich zu sein. Das könne man aus der von der chinesischen Regierung festgelegten Subventionsverteilung ableiten, so Hans Reinhard, Präsident der schweizerischen InterRail Holding AG und bis vor Kurzem Vice- Chairman des CCTT (Coordinating Council on Trans-Siberian Transportation). Die neue Subventionsverteilung will die Zuschüsse von 40 % zu den Zugkosten im Jahr 2019 auf 30 % im Jahr 2020 und auf 20 % im Jahr 2021 senken. Da diese Reduktion weder durch die Operateure der Züge noch durch die beteiligten Staatseisenbahnen aufgefangen werden könne, sei zu erwarten, dass die Vermarktungspreise für Einzelcontainer und Containergruppen ab Anfang 2020 wieder steigen werden. Ob zu höheren Preisen dann noch weiterhin im heutigen Umfang nach und von Europa auf die bestehenden Züge gebucht werden wird, scheint fraglich. Nach ersten Aussagen aus China dürfte daher die Anzahl Züge von und nach Europa abnehmen, was jedoch insbesondere für das chronisch überlastete europäische Eisenbahnnetz, das von den bisherigen, jährlichen Steigerungsraten der Züge aus China praktisch überrumpelt worden ist, auch positive Effekte haben könnte. http: / / icctt.com Foto: pixabay Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 8 IM FOKUS Binnenschifffahrt der nächsten Generation D er Bundesverkehrswegeplan sieht vor, dass bis zum Jahr 2030 der Güterverkehr mit Binnenschiffen um 23 Prozent wachsen soll. Das Projekt „A - SWARM“ (Autonome elektrische Schifffahrt auf Wasserstrassen in Metropolenregionen) auf Basis autonomer, koppelbarer und elektrisch betriebener Wasserfahrzeuge will einen Beitrag zur modernen Citylogistik leisten. Schwerpunkt ist die Entwicklung und Erprobung autonom operierender Wasserfahrzeuge. Die Machbarkeit eines derartigen Systems soll durch einen Demonstratorbetrieb in einem Reallabor im Bereich des Berliner Westhafens nachgewiesen werden. Dazu beschäftigen sich die Projektpartner Behala - Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH und Schiffbau- Versuchsanstalt Potsdam mit der Entwicklung von Anwender-Konzepten, um Lieferketten zu optimieren. Kernfrage ist, an welchen Stellen Bootsverkehr in etablierte Gütertransportketten integriert werden kann, um den Straßengüterverkehr per LKW zu ersetzen. Auf weniger genutzten kleineren Wasserstraßen etwa könnten kompakte, aneinander gereihte und gekoppelte Schiffseinheiten mit Hybrid-Antrieb einen Schwarm bilden. Idee ist es, dass kleine, flexible Binnenschiffe miteinander kommunizieren, ihre Routen selbst berechnen und ihre Ladung eigenständig an Umschlagpunkten auf- und abladen können. Digitale Assistenzsysteme könnten dabei die energie- und ressourcensparendste Fahrweise ermitteln sowie Unfallrisiken frühzeitig erkennen. Versuchslabor für dieses Projekt, das bis bis Mitte 2022 laufen soll, ist die Spree- Oder-Wasserstraße. www.behala.de www.sva-potsdam.de Quelle: Behala Ultrakondensatoren für Straßenbahnen gegen hohe Stromkosten D er deutsche Hersteller von Ultrakondensatoren und Energiespeichersystemen für Transport- und Netzanwendungen Skeleton Technologies stattet den tschechischen Antriebshersteller Škoda Electric mit Ultrakondensatorsystemen aus und ermöglicht ein Energiespar-Projekt besonderer Art: Die Ultracaps-Module sollen in 114 Straßenbahnen des Typs „Rhein-Neckar- Tram 2020“ von Škoda Transportation verbaut werden, die anschließend in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen eingesetzt werden. Das Ultrakondensatoren-Modul fungiert als Kinetic Energy Recovery System, kurz KERS. Das System zur Energierückgewinnung nutzt die Bremsenergie der Straßenbahnen zur erneuten Beschleunigung, spart somit Energie und senkt Kosten. Für diese Anwendung sind Ultrakondensatoren aufgrund ihrer hohen Effizienz, Zuverlässigkeit und Wiederaufladbarkeit in Sekundenschnelle ideal. Das Tram-Projekt belegt laut Hersteller Skeleton, dass graphen-basierte Ultrakondensatoren-Technologie ein Schlüsselfaktor für intelligente Stadtverkehrssysteme in Deutschland und auf der ganzen Welt sein könnte. Das neue System nutzt außerdem modernste Management-Software, um eine zusätzliche Verlängerung der Lebensdauer zu gewährleisten. www.skeletontech.com www.rnt2020.de Foto: Škoda Transportation Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 9 Klimastrategie im Mobilitätssektor: Mutlos, zögerlich und umsetzungsschwach D ie Klimakrise durch CO 2 -Emissionen ist eine fundamentale Herausforderung. Eine Reduzierung des hohen Beitrages des Mobilitätssektors ist nicht nur unabdingbar, sondern zeitlich dringend. Denn hier können mit vergleichsweise geringen unerwünschten Effekten erhebliche positive Wirkungen beim CO 2 -Ausstoß erreicht werden. Allerdings: Der Widerstand der Betroffenen im Mobilitätssektor wird politisch gefürchtet. Während durch Weltmarktschwankungen und marktstrategische Preisvariationen auftretende Preisbewegungen ohne Widerstände hingenommen werden, folgt bei Regulierungseingriffen - ziemlich unabhängig von deren Höhe - eine öffentliche Aufregung. Strategisch ist der Start mit einer CO 2 -Abgabe auf Basis von lediglich 10 EUR/ t CO 2 , also einem Preiseffekt von 3 ct/ l fossilen Brennstoffs, ein Systemfehler. Eine solche CO 2 -Abgabe mit folgenden Erhöhungen um den gleichen Wert erreicht im entscheidenden Basisjahr und dem Folgejahr noch nicht einmal die täglichen Variationen der Tankstellenpreise. Es ist wenig wahrscheinlich, dass dies im Verkehrsbereich überhaupt problemorientiert wahrgenommen wird. Der Industriesektor wird mit dem fast fünffachen Kosteneffekt bereits durch die Emissionszertifikate belastet - und dort sind Verhaltensänderungen ungleich schwieriger. Verhaltensänderungen im Mobilitätssektor - und um die geht es vorrangig - müssen durch preislich fühlbare Zusatzbelastungen vom Beginn der Maßnahmen an gefördert werden. Bei 3 ct/ l fossilen Brennstoffs fehlt der erforderliche Druck, individuelles Verhalten zu überdenken. Und das muss bereits zu Beginn der Regulierungsmaßnahmen erfolgen und nicht in einem quälenden langwierigen, über Jahre verteilten unerfreulichen Diskussionsprozess. Insofern wäre für die Treibstoffbelastung durch CO 2 -Abgaben im Startjahr eine Anhebung des Äquivalenzwertes auf 25 EUR/ t CO 2 , also rund 7,5 ct/ l, strategisch sinnvoll. Die gegenwärtig geplanten 3-ct führen zu unvertretbarer Zeitverzögerung angesichts der Dramatik des Klimaproblems. Förderlich für eine breite Akzeptanz der notwendigen Preismaßnahmen zur Erreichung von Klimazielen wäre es gewesen, bereits mittelfristig wirkende Regulierungsmaßnahmen anzukümdigen. Etwa die Vorgabe für in deutsche Seehäfen einlaufende Kreuzfahrtschiffe, bei den Hafenliegezeiten die Energieversorgung ausschließlich mit Landstrom durchzuführen. Die notwendigen Investitionen in den Häfen sollten kein Grund für Nichtstun sein, auch nicht eine zurückhaltende Position der Häfen mit Hinweisen auf deren Wettbewerbssituation. Hinsichtlich der vorgesehenen Erhöhung der Luftverkehrssteuer ist die politische Zurückhaltung in höchstem Maße kontraproduktiv. Die im Klimapaket vorgesehenen Zuschläge von 13 bis 59- EUR sind keinerlei Beitrag zu Reduzierung der hohen CO 2 -Belastungen. In diesen Preislagen sind die Preiselastizität der Nachfrage und die Kreuzpreiselastizitäten zu niedrig, um Flugreisenverzicht, Ausweichen auf ausländische Flughäfen oder zum politisch überbewerteten Hoffnungsträger Bahn erwarten zu können. Flughafen- und Flugunternehmensinteressen verhindern wirksame Regulierungsmaßnahmen. Und: Warum sollen Menschen auf Flugreisen verzichten, wenn insbesondere die Bundesverwaltung im innerdeutschen Flugverkehr eine Hauptnutzergruppe ist? Die durch die Schwachstellen des Klimapakets aufgeheizte öffentliche Diskussion führt zu grotesken Aussagen. So etwa in der TV-Sendung Anne Will am 15. September, als die Vertreterin von Green Peace ein Verbot der Zulassung von Benzin- und Dieselfahrzeugen ab 2025, also in fünf Jahren, forderte. Man stelle sich die chaotischen Auswirkungen auf die Fahrzeughersteller und die Zulieferindustrie vor. Doch das Studiopublikum applaudierte heftig. Und am nachfolgenden Freitag, dem ersten Herbstferientag in Hessen, stöhnte der Frankfurter Flughafen unter 240.000 Fluggästen. Es zeigt sich wieder einmal: Zwischen Beifallsbekundungen und Forderungen und tatsächlichem Verhalten besteht auch in der Klimadiskussion ein nicht nur sehr großer, sondern angesichts der existenziellen Gefährdung unserer Lebensumwelt geradezu erschreckender Unterschied. Und es sollte nicht verdrängt werden: Deutschland hat einen Anteil an den gesamten CO 2 -Emissionenen von etwa 2,3 %, über 1.000 Kohlekraftwerke sind weltweit im Bau oder in Planung und riesige CO 2 -Emissionen werden durch Brandstiftungen im Amazonasgebiet und Indonesien erzeugt. Ob Deutschland mit seinen Maßnahmen ein Vorbild für den Rest unserer Welt werden könnte oder sollte? ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche POLITIK Emissionssteuer Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 10 CO 2 -Bepreisung und Entfernungspauschale Die eingebildete Steuererhöhung CO 2 -Steuer, Klimaschutz, Kraftstoffpreis Im Verkehrsbereich soll das Instrument des CO 2 -Preises finanzielle Anreize für ein verändertes Verkehrsverhalten (kürzere Wege z. B. in der Freizeit, mehr Fahrten mit Bus, Bahn oder Fahrrad statt mit dem Auto) und zum Kauf von Fahrzeugen mit geringeren CO 2 -Emissionen setzen. Im Folgenden nehmen 15 Professorinnen und Professoren der Verkehrsplanung an deutschen Universitäten hierzu Stellung und zeigen: Die jetzt von der Bundesregierung beschlossenen CO 2 -Preise im Verkehr verteuern, anders als in nominalen Preisen dargestellt, den realen Benzinpreis nicht um 10 ct/ l verteilt auf sechs Jahre, sondern aufgrund der Inflation nur um 2,6 ct/ l. Für viele Autopendler verbilligt die erhöhte Pendlerpauschale die Autofahrt zur Arbeit sogar. Christian Holz-Rau D as Klimakabinett vereinbarte die Einführung eines CO 2 -Preises von 10 EUR/ t CO 2 im Jahr 2021, der bis 2025 auf 35 EUR/ t CO 2 steigen soll ([1]: 4). Dies wird von den meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als unzureichend kritisiert. Die ursprünglichen Vorschläge der Bundesumweltministerin auf Basis eines Gutachtens des DIW [2] lagen um ein Vielfaches höher. Politik und Medien sprechen von einer Erhöhung der Abgaben auf Benzin um 10-ct/ l bis zum Jahr 2025. Dies ist aufgrund der Kostenstruktur des Benzinpreises falsch. Zusammensetzung des Benzinpreises Der Benzinpreis 1 ergibt sich aus dem Produkteinstandspreis, den Deckungskosten der Unternehmen, der Energiesteuer sowie der Mehrwertsteuer [3]. Im politischen Zugriff befinden sich die Steuersätze und eine CO 2 -Bepreisung. Die Energiesteuer Die Energiesteuer ist eine fixe Steuer, die seit 2003 65,45 ct/ l Benzin beträgt (ohne Mwst.). Bei der „fixen“ Energiesteuer findet, anders als bei prozentual festgelegten Steuersätzen, kein selbstständiger Inflationsausgleich statt. Durch die Inflation ist die Energiesteuer je Liter seit 2003 real um etwa 20 % gesunken, gegenüber den Einkommen sogar um 26 %. 2 Nach den aktuellen Entscheidungen bleibt die Energiesteuer nominal konstant und sinkt real (inflationsbereinigt) bis 2025 um etwa 9 % bzw. 6,5 ct/ l (einschl. Mwst.). Der CO 2 -Preis Ab 2021 soll dieses Preisgefüge ergänzt werden durch die CO 2 -Bepreisung, steigend von 10 EUR/ t CO 2 im Jahr 2021 auf 35 EUR/ t CO 2 im Jahr 2025. Für den Liter Benzin folgt aus dem CO 2 -Preis von 35 EUR/ t CO 2 ein nominaler Aufschlag von knapp 10 ct/ l Benzin. Dies entspricht zu heutigen Preisen einem realen Aufschlag von 9,04 ct/ l Benzin (einschl. Mwst., Umrechnung des CO 2 -Preises von EUR/ t auf ct/ l anhand [2]: 5). Energiesteuer plus CO 2 -Preis - eine Bilanz Nachfragerelevant ist dabei nicht die Zusammensetzung der Belastung, sondern allein die Gesamtbelastung. Dabei heben sich die neue CO 2 -Abgabe und die Inflationsverluste der Energiesteuer weitgehend auf: 9,04 ct/ l - 6,49 ct/ l = 2,55 ct/ l (zu Preisen von 2019). Die Beschlüsse des Klimakabinetts erhöhen also die Abgaben auf Benzin inflationsbereinigt nicht um 10 ct/ l, sondern lediglich um 2,55 ct/ l bis zum Jahr 2025, im Durchschnitt also um nicht einmal 0,5 ct/ a. Vergleicht man die Abgabenentwicklung mit der voraussichtlichen Einkommensentwicklung, bleiben die Abgaben je Liter nahezu konstant (+0,54 ct/ l von 2019 bis 2025, siehe Bild 1). Der ursprüngliche Vorschlag der Bundesumweltministerin, der damit immer noch hinter den Prognosegrundlagen des Bundesverkehrswegeplans 2014 blieb ([4]: 16), hätte immerhin 8,2 ct/ l für das Jahr 2020 und 19,3 ct/ l für das Jahr 2025 ergeben. Der Beschluss und seine Kommunikation führen zu einer eingebildeten Mehrbelastung, die mangels Inflations- und Einkommensbereinigung deutlich höher erscheint, als sie ist. Der Beschluss zur CO 2 - Bepreisung gibt keinen Anreiz zur CO 2 -Einsparung und keine Begründung für eine Kompensation. Die erhöhte Entfernungspauschale Trotzdem wurde beschlossen, die Entfernungspauschale zu erhöhen (5 ct/ km ab 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 Energiesteuer/ l mit MWst. CO2-Preis/ l mit Mwst. ct/ l 77,9 76,4 77,7 79,0 78,8 78,6 78,4 Bild 1: Entwicklung der Abgaben auf Benzin als Summe von Energiesteuer und CO 2 -Preis nach Beschluss des Klimakabinetts in ct/ l (inflations- und einkommensbereinigt mit 1,89 %/ a) Quelle: Autor Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 11 Emissionssteuer POLITIK dem 21. Kilometer einfache Entfernung, befristet bis zum 31.12.2026, [1]: 5), um ein Vielfaches der geringfügigen Mehrkosten. Denn bei einem Verbrauch von 8 l/ 100 km und inflationsbereinigten Zusatzbelastungen von 2,55 ct/ l bis zum Jahr 2025 steigen die Kosten nur um 0,20 ct/ km. Bei einer einfachen Entfernung von 50-km und einem Grenzsteuersatz von 45 % bleiben im Jahr 2025 durch die Entfernungspauschale 93 EUR mehr im Portemonnaie, bei 100 km sogar 279 EUR (in Preisen von 2019, siehe Tabelle 1). Die erhöhte Entfernungspauschale führt verbunden mit dem geringen CO 2 -Preis und den Inflationsverlusten der Energiesteuer zu einer Überkompensation bei hohen Pendeldistanzen mit dem PKW (oberhalb 60 km gilt die Pauschale im ÖV nicht), vor allem bei hohen Einkommen. Erfolgreicher Klimaschutz senkt Steuereinnahmen und Nutzerkosten Bei Erreichen der Klimaschutzziele 2030, auf die sich die Bundesregierung gleichzeitig festgelegt hat ([1]: 8), werden 40 % bis 42 % weniger Kraftstoffe verbrannt, verkauft und bezahlt. Eine erfolgreiche Klimapolitik im Verkehr kann daher die Autofahrerinnen und Autofahrer entlasten, selbst bei steigenden Kraftstoffpreisen. So stellt sich die Frage nach einer Kompensation der Mindereinnahmen des Staates aus der Energiesteuer. Die Einnahmen werden in den nächsten zehn Jahren abhängig von der Höhe des CO 2 -Preises sinken, ab 2050 mit dem Ziel der Null-Emission entfällt diese Einnahmequelle nahezu vollständig. Um die Verkehrsinfrastruktur in Zukunft zu erhalten und zu modernisieren, müssen weitere Einnahmequellen erschlossen werden - z. B. durch Straßenbenutzungsgebühren. 3 Schlussfolgerungen Die beschlossenen CO 2 -Preise setzen bei erhöhter Entfernungspauschale und inflationsbedingt sinkender Energiesteuer keinen relevanten Anreiz zur Reduzierung der CO 2 -Emissionen im Verkehr. Erwerbstätige mit hohen Distanzen und Einkommen profitieren sogar. Die Beschlussfassung erfordert eine erneute Diskussion. Dabei gilt: • Angaben von nominalen Preisen, die weder die Inflation noch die Einkommenssteigerungen berücksichtigen, führen zu einer drastischen Überschätzung der Belastung von Bürgerinnen und Bürgern. Das Ausblenden der Energiesteuer und ihrer Inflationsverluste verschärft die Problematik, da der Inflationsverlust der Energiesteuer den CO 2 -Preis weitgehend aufhebt. • Die Diskussion mehrjähriger Fristen führt zu einer weiteren Überschätzung der Preissteigerungen. Selbst die nominale Erhöhung um 10 ct/ l bis 2025 entspricht einem jährlichen Aufschlag von nur 1,7 ct/ l, der inflationsbereinigte Aufschlag von 2,55 ct/ l einem jährlichen Aufschlag von nur 0,43 ct/ l. • Eine Senkung der CO 2 -Emissionen führt zu geringeren Ausgaben für Kraftstoffe. Ein CO 2 -Preis von real 20 ct/ l wird durch eine Verbrauchsminderung von 8 auf 7 l/ 100 km vollständig kompensiert, ein CO 2 -Preis von real 50 ct/ l durch eine Verbrauchsminderung von 8 auf knapp 6-l/ 100 km. Sparsamere Autos führen zu sinkenden Ausgaben selbst bei steigenden Benzinpreisen. • Das Erreichen der Minderungsziele senkt die Einnahmen aus Energiesteuer und CO 2 -Preis, nach den Zielen für 2050 nahezu auf null. Es bedarf daher einer Kompensationsdebatte zur sinkenden Energiesteuer, zu der die Einführung einer allgemeinen Straßenmaut gehören kann. • Die Beschlüsse und die öffentliche Diskussion über höhere Abgaben auf Benzin basieren auf Fehleinschätzungen infolge methodischer Defizite. Wer sachgerechte Entscheidungen treffen und die Bürgerinnen und Bürger beim Klimaschutz mitnehmen will, muss die Energiesteuer einbeziehen, jährliche Zuschläge statt Preissteigerungen über lange Fristen betrachten sowie die Verbindung zur Kostenreduzierung durch sparsamere Fahrzeuge herstellen. ■ Folgenden Kolleginnen und Kollegen danke ich für die Unterstützung bei Kontrolle und Überarbeitung sowie der inhaltlichen Zustimmung: Prof. Dr.-Ing. Bernhard Friedrich (TU Braunschweig), Prof. Dr.- Ing. Markus Friedrich (Universität Stuttgart), Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike (TU Dresden), Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach (Universität Wuppertal), Prof. Dr.-Ing. Carsten Gertz (TU Hamburg-Harburg), Prof. Dr.-Ing. Felix Huber (Universität Wuppertal), Prof. Dr.-Ing. Tobias Kuhnimhof (RWTH Aachen), Prof. Dr.-Ing. Bert Leerkamp (Universität Wuppertal), Prof. Dr.-Ing. Wilko Manz (Universität Kaiserslautern), Prof. Dr.-Ing. Uwe Plank-Wiedenbeck (Bauhaus-Universität Weimar), Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter (Universität Wuppertal), Prof. Dr. Oliver Schwedes (TU Berlin), Prof. Dr.- Ing. Carsten Sommer (Universität Kassel), Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky (Universität Duisburg Essen) 1 Die folgenden Berechnungen beschränken sich auf den Benzinpreis, da dieser in der Diskussion im Vordergrund stand. Der Dieselpreis wird bei Umsetzung der bisherigen Beschlussfassung etwas stärker steigen als der Benzinpreis. 2 Für den Zeitraum von 2003 bis 2018 sind die Preise in Deutschland um 24,3 %, die Nettoeinkommen um 32,6 % gestiegen (oder um 1,46 %/ a bzw. 1,89 %/ a) (berechnet nach[5] und [6]). Diese Werte liegen den Berechnungen zugrunde. 3 Rechtlich sind Steuereinnahmen nicht zweckgebunden. Die Höhe der Energiesteuer auf Kraftstoffe (ehemals Mineralölsteuer) stand aber immer im Zusammenhang mit den Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur. QUELLEN [1] Die Bundesregierung (2019): Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030 (Fassung nach Klimakabinett)www.bundesregierung. de/ resource/ blob/ 975202/ 1673502/ 768b67ba939c098c994b71c0b7d 6e636/ 2019-09-20-klimaschutzprogramm-data.pdf? download=1 [2] DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin) (2019): Für eine sozialverträgliche CO 2 -Bepreisung. In: Politikberatung kompakt 138/ 2019 [3] BMFi (Bundesfinanzministerium) (2019): Grundlagenwissen zum Benzinpreis und seiner Entwicklung. https: / / www.bundesfinanzministerium.de/ Content/ DE/ Standardartikel/ Service/ Einfach_ erklaert/ 2018-01-11-grundlagen-benzinpreis.html (Zugriff 26.9.2019) [4] Holz-Rau, Christian; Mattioli, Giulio (2019): CO 2 -Steuer - worüber streitet die Politik überhaupt? In: Internationales Verkehrswesen 71 (2019), Heft 3, S. 15-17 [5] Statista (2019a): https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 2550/ umfrage/ entwicklung-des-verbraucherpreisindex/ (Zugriff 30.09.2019) [6] Statista (2019b): https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 370558/ umfrage/ monatliche-nettoloehne-und-gehaelter-jearbeitnehmer-in-deutschland/ (Zugriff 30.09.2019) Einfache Entfernung zum Arbeitsplatz Grenzsteuersatz 0 % 15 % 25 % 35 % 45 % 10 km -9 -9 -9 -9 -9 20 km -18 -18 -18 -18 -18 30 km -28 -12 -2 9 19 40 km -37 -6 15 35 56 50 km -46 0 31 62 93 60 km -55 7 48 89 131 70 km -64 13 65 116 168 80 km -73 19 81 143 205 90 km -83 26 98 170 242 100 km -92 32 114 197 279 Tabelle 1: Saldo aus Steuerersparnis und Mehrausgaben in EUR/ Jahr bei einem CO 2 -Preis von 35-EUR/ t und um 5 ct/ km erhöhter Entfernungspauschale (Jahr 2025 in Preisen von 2019) Christian Holz-Rau, Prof. Dr.-Ing. Fakultät Raumplanung, Verkehrswesen und Verkehrsplanung, TU Dortmund christian.holz-rau@tu-dortmund.de POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 12 Mobilität 2042 - die Verkehrswende beginnt heute Betrachtungen zur Mobilität der Zukunft Bürgerbeteiligung, Mobilitätswende, Stadtentwicklung, Verkehrsplanung Dieser Beitrag geht zum Teil zurück auf ein Fachgespräch des Autors mit den Professoren Regine Gerike und Gerd-Axel Ahrens im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zum Masterplan für das Neuenheimer Feld in Heidelberg, einen mit etwa 150 Hektar sehr großen Uni-Campus mit medizinischen Service- und Forschungseinrichtungen. Dabei ging es allerdings in erster Linie um die Mobilität im Allgemeinen mit den Zeithorizonten 2035 und 2050, also zeitlich auch über den zurzeit in Bearbeitung befindlichen Verkehrsentwicklungsplan der Stadt Heidelberg hinaus. Hartmut Topp D er Begriff Mobilität 2042 soll an Verkehr 2042 erinnern, einen Aufsatz des Autors vor 20 Jahren [1]; die Themen sind immer noch die gleichen. Der 1994 verstorbene Philosoph Karl Popper sagte einmal: „Wir wissen einiges über die Zukunft oder können es einigermaßen abgesichert vermuten. Wir wissen aber grundsätzlich nicht, was wir künftig wissen werden; sonst wüssten wir es heute schon.“ - „Einigermaßen abgesichert vermuten“? Auch das ist inzwischen fraglich angesichts der durch Digitalisierung initiierten Veränderungen und zu nutzenden Möglichkeiten. Der Soziologe Dirk Baecker [2] bezeichnet die Digitalisierung als vierte Revolution in der Geschichte der Menschheit, nach Erfindung der Schrift, des Buchdrucks und der Industrialisierung. Man mag das für übertrieben halten oder auch nicht - mich hat es jedenfalls noch einmal zum Nachdenken über fundamentale Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Mobilität angeregt. Die Zukunft der Mobilität beginnt in der Gegenwart Die heutige autozentrierte Mobilität steckt in der Sackgasse. Das lässt sich vielfach belegen, unter anderem mit zentralen Aussagen der dem Fachgespräch voraus gegangenen Vorträge zu Städtebau und Freiraum [3] und zu technischer Infrastruktur [4]. Außerhalb der Fußgängerinseln in den Innenstädten, wie der Heidelberger Altstadt, dominiert das Auto und okkupiert, fahrend und parkend, die urbanen Freiräume. Ohne Verkehrswende sind die CO 2 -Reduktionsziele nicht zu erreichen, auch die Stadt Heidelberg hat den Klimanotstand erklärt. Und selbst gesundheitliche Aspekte spielen zunehmend eine Rolle [5]. Wie kommen wir aus der Sackgasse raus? Es gibt phantastische, nicht weiterführende Heilsversprechen wie Flugtaxis, Drohnen für den Lieferverkehr, Hyperloop als Rohrpost für Personen - alles in keiner Weise nachhaltig, wenngleich Drohnen im Neuenheimer Feld im Spezialfall einer zeitkritischen medizinischen Versorgung trotzdem durchaus Sinn ergeben können. Auch das automatische Fahren ist kein Patentrezept, aber da muss man genauer hinschauen: Möglichkeiten und Chancen liegen zweifelsohne in ländlichen Räumen in der Erweiterung der Einzugsbereiche der ÖPNV-Haltestellen durch automatische, fahrerlose Kleinbusse, wie schon heute beispielsweise in Bad Birnbach - allerdings mit Begleitperson - oder auf dem Campus von Universitäten oder Firmen wie zum Beispiel in der Berliner Charité [6]. Und das ist durchaus auch ein Ansatz für das Neuenheimer Feld. Auch auf Autobahnen, Schnellstraßen und auf städtischen Magistralen wird automatisches Fahren in absehbarer Zukunft Verkehr sicherer und leistungsfähiger machen. Kritisch zu sehen ist automatisches Fahren jedoch im quirligen Stadtverkehr mit Zu-Fuß-Gehenden und Radfahrenden, die absichtlich oder unabsichtlich selbstfahrende Fahrzeuge jederzeit ausbremsen können. Und eine digitale oder physische „Einzäunung“ von Stadtstraßen entspricht nicht unserem Verständnis von Stadtraum. Die Debatte um „autonomes“ Fahren ist industriepolitisch und technisch dominiert; einen guten Überblick aus stadt- und verkehrsplanerischer Sicht geben Rothfuchs und Engler [7] auf Basis ihrer Studie für die HafenCity in Hamburg. Elektrisch fahren und alles ist gut? Das ist wichtig, aber deutlich zu kurz gesprungen: Was bleibt, ist insbesondere der enorme Flächenanspruch des ruhenden und fließenden Autoverkehrs neben bisher ungelösten Fragen der flächendeckenden Versorgung mit Öko-Strom mangels ausreichender Speicher- und Leitungskapazitäten und des Vorrats und der Art der Gewinnung einiger Rohstoffe für die Herstellung der Batterien. Vielleicht ist E-Mobilität mit Wasserstoff ja doch eine sinnvolle Alternative zur Batterie - wie ohnehin bei schweren LKW. Privat-PKW werden im statistischen Mittel eine Stunde pro Tag bewegt, 23 Stunden stehen sie herum. Dieses groteske Missverhältnis ist seit langem bekannt, ohne dass es bisher dem privaten PKW-Besitz viel antun konnte. Wer auf ein Auto - Kaufpreis 30.000 bis 40.000 Euro oder mehr plus monatlichen Unterhalt - verzichtet, kann vom Ersparten Taxi fahren ohne Ende: in der Stadt oder im regionalen Nahverkehr einfach so, im Fernverkehr in Kombination mit Bahn oder Bus oder einem Mietwagen. So rechnet aber kaum jemand mit Autobesitz. Vielleicht ändert sich das - insbesondere bei den Jüngeren - bei zunehmendem Bewusstsein ökologischer (aber auch ökonomischer) Notwendigkeiten und anderen Statussymbolen. Fridays for Future lässt hoffen. Genauso krass wie das zeitliche Missverhältnis ist jenes von Fahrzeuggewicht zum Gewicht der durchschnittlich im Alltagsver- Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 13 Standpunkt POLITIK kehr transportierten 1,2 bis 1,3 Personen: SUVs wiegen leer 2,0 t bis 2,5 t , die 1,2 bis 1,3 Personen 100 kg bis 150 kg; im Verhältnis etwa 15 bis 20. Und SUVs machen einen wachsenden Marktanteil aus, wodurch technische Verbesserungen der Verbrennungsmotoren bezüglich CO 2 konterkariert werden. Im Gegensatz zu allen anderen Sektoren ist im Bereich Verkehr seit 1990 keine Reduktion der Treibhausgase erreicht worden. Zum Thema Geschwindigkeit kursiert in Brüssel ein Witz, wonach es weltweit nur zwei Länder ohne Tempolimit auf Autobahnen gibt: Deutschland und Afghanistan - und in Afghanistan gibt es keine Autobahnen. Zur Verkehrswende gehört natürlich auch Tempo 30 als Regellimit (mit Ausnahmen) in der Stadt. Beides würde über Sicherheit und entspanntes Fahren hinaus einen deutlichen Beitrag zur CO 2 -Minderung leisten - und das zum Nulltarif. Mobility as a Service: Autos nutzen statt besitzen oder multimodal unterwegs zu sein, wird dank Digitalisierung und Smartphone immer einfacher; so hat beispielsweise Carsharing, stationsgebunden oder „free-floating“, in den Städten seit Jahren zweistellige Zuwachsraten. Je verbreiteter das ist, desto einfacher und verlässlicher ist die per App angezeigte Verfügbarkeit von Fahrzeugen in unmittelbarer Nähe - das gilt jedenfalls für die Stadt, auf dem Land sieht das anders aus. Selbstfahrende Robotaxis braucht es in der Stadt eigentlich nicht; sie würden zwar die Anzahl abgestellter Fahrzeuge drastisch verringern, den fließenden Verkehr jedoch durch Leerfahrten erhöhen [8]. Anders ausgedrückt: Die durchschnittliche Besetzung eines PKW könnte unter 1 sinken, während wir andererseits versuchen, mit höherer Besetzung durch Ridesharing Autofahrten einzusparen. Die Reduzierung des ruhenden Autoverkehrs erreichen wir auch mit klassischem Carsharing, und das ohne mehr fließenden Autoverkehr - im Gegenteil: Carsharer nutzen als Basis den ÖPNV und die aktive Mobilität zu Fuß oder mit Fahrrad, in letzter Zeit auch vermehrt Tretroller und andere Mikro-Fahrzeuge für den „ersten und letzten Kilometer“. Damit sind wir bei der multimodalen Vernetzung aller Mobilitätsformen von der aktiven über die motorisierte bis hin zur virtuellen Mobilität angelangt - physisch durch Mobilitätshubs und Haltestellen und digital mit Smartphone und App. Die Digitalisierung verändert nicht nur unsere Verkehrswelt und unser Verkehrsverhalten, sondern auch unsere Lebens- und Arbeitswelten - vielleicht mit viel weiter gehenden Folgen für unsere Mobilität. Stichworte für das Beispiel Neuenheimer Feld mit den hohen Konzentrationen von Arbeitsplätzen, Studierenden, Patienten und Besuchern sind Home Office, e-Learning, Telemedizin, Online-Fernstudium, Video- Konferenzen - Technologie für einen virtuellen Campus als Ergänzung zum realen. Was macht all das mit unserem heutigen ÖPNV? Eines ist ziemlich sicher: In den großen Städten brauchen wir auch künftig einen leistungsfähigen, massentauglichen ÖPNV. So auch im Neuenheimer Feld, selbst wenn für Einige die physische Anwesenheit durch virtuelle ersetzt werden kann, und wenn aktive Mobilität zu Fuß oder mit dem Fahrrad noch mehr Lifestyle wird. Naheliegend für das Neuenheimer Feld ist die in Heidelberg gut vernetzte Straßenbahn, aber auch eine Seilbahn über den Neckar, wie in einem der Entwürfe vorgeschlagen. Entscheidend für die Entwicklung der Mobilität sind politische Weichenstellungen in Richtung Nachhaltigkeit, zum Beispiel bei heute völlig fehlender Kostenwahrheit der verschiedenen Verkehrssysteme - Autoverkehr kostet Kommunen das Dreifache des ÖPNV [9] - oder bei ebenso fehlender ökologisch orientierter Bepreisung des Verkehrsverhaltens [10]. Als Beispiel: Im Neuenheimer Feld gibt es noch nicht einmal eine lückenlose Parkraumbewirtschaftung, über die zurzeit noch fehlende Jobtickets für den ÖPNV finanziert könnten. Ein anderes, vielleicht symbolträchtiges Beispiel für die Dominanz des Autoverkehrs in Deutschland auch in Recht und Verordnungen: Schwarzparken ohne Parkschein im öffentlichen Raum kostet 10 EUR, Schwarzfahren im ÖPNV ohne Ticket kostet 60 EUR und zählt zudem als Straftat. Das Fazit: Die Mobilitäts- und Verkehrswende braucht neben Digitalisierung und Technik Verhaltensänderungen - und zu allem braucht es dringend politische Setzungen. ■ QUELLEN [1] Topp, Hartmut (2000): Verkehr 2042. Verkehrszeichen 16, Nr. 4 [2] Baecker, Dirk (2018): 4.0, oder Die Lücke, die der Rechner lässt. Merve Verlag [3] Scheuvens, Rudolf (2019): Campus der Zukunft: Städtebau und Freiraum. Vortrag in der Öffentlichkeitsveranstaltung „Die Stadt und ihre Orte für die Wissenschaft von morgen“ am 4. Juli 2019 in Heidelberg [4] Cody, Brian (2019): Campus der Zukunft: Technische Infrastruktur und Freiraum. Vortrag in der Öffentlichkeitsveranstaltung „Die Stadt und ihre Orte für die Wissenschaft von morgen“ am 4. Juli 2019 in Heidelberg [5] Kemen, Juliane (2019): Aktive Mobilität und Gesundheit. Gesundheitliche Auswirkungen des Arbeitsweges auf Berufstätige. Nachrichten der Akademie für Raumforschung und Landesplanung 49, Nr. 1 [6] Spiegel online (2018): Berliner Klinikum: Charité testet autonome Busse [7] Rothfuchs, Konrad; Engler, Philip (2018): Das öffentliche Interesse muss die Entwicklung bestimmen! Auswirkungen des autonomen Fahrens aus Sicht der Verkehrsplanung - einige Thesen und zahlreiche offene Fragen. Straßenverkehrstechnik 62, Nr. 8 [8] OECD - International Transport Forum (2015): Urban Mobility System Upgrade - How shared self-driving cars could change city traffic. [9] Saighani, Assadollah; Leonhäuser, Daniel; Sommer, Carsten (2017): Verfahren zur ökonomischen Bewertung städtischer Verkehrssysteme. Straßenverkehrstechnik 61, Nr. 10 [10] Holz-Rau, Christian; Mattioli, Giulio (2019): CO 2 -Steuer - Worüber streitet die Politik überhaupt? Internationales Verkehrswesen 71, Heft 3, S. 15-17 Hartmut Topp, Prof. Dr. topp.plan: Stadt.Verkehr.Moderation, Kaiserslautern topp.plan@t-online.de Blick über Altstadt und Neckar zum Neuenheimer Feld Foto: 4028mdk09 | Wikimedia | CC-BY-SA-3.0 Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 14 Öffentlicher Verkehr und-Taxis Dienstleistungen im öffentlichen Interesse zur-Daseinsvorsorge - Teil 1 Daseinsvorsorge, Digitalisierung, Mobilitätsangebot, Verkehrsdienstleistung Der Taximarkt ist im Umbruch, neue Anbieter mit zum Teil umstrittenen Geschäftsmodellen greifen die traditionellen Taxiunternehmen an. Um bei der Personenbeförderung im Gelegenheitsverkehr einen Wildwuchs zu vermeiden, sind die Staaten gefordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Dieser erste Teil des zweiteiligen Beitrags stellt zunächst die Bedeutung des öffentlichen Verkehrs als Daseinsvorsorge und insbesondere der Taxis dar. Der zweite Teil widmet sich in der nächsten Ausgabe den rechtlichen Rahmenbedingungen und analysiert die aus der Daseinsvorsorge resultierenden Pflichten für Taxis. Sebastian Kummer, Stefan Stefanov Z weifelsohne ist der Taximarkt im Umbruch, nicht nur in Österreich und Deutschland. Anbieter mit neuen Technologien und zum Teil umstrittenen Geschäftsmodellen greifen die traditionellen Taxiunternehmen an. In Zukunft werden wahrscheinlich Robotertaxis die Personenbeförderung im Gelegenheitsverkehr revolutionieren. Um einen Wildwuchs zu vermeiden, sind die Staaten gefordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Aufgrund von Änderungen in der demografischen Struktur, z.B. durch Alterung, Landflucht und andere Faktoren, ist der Staat im Bereich der Daseinsvorsorge - also bei Erbringung von Verkehrsdienstleistungen, Bereitstellung von Energie, Bildung, medizinischer Versorgung, Energie usw. - vor neue Herausforderungen gestellt [Dickhaus & Dietz, 2004; Becker, 2005]. Dieser erste Teil des Beitrags stellt die Bedeutung des öffentlichen Verkehrs als Daseinsvorsorge und insbesondere der Taxis dar. Öffentlicher Verkehr als Daseinsvorsorge Der deutsche Staatsrechtler Ernst Forsthoff begründete in seiner 1938 erschienen Studie „Die Verwaltung als Leistungsträger“ 1 [Forsthoff, 1938] die Notwendigkeit der Daseinsfürsorge. Die Industrielle Revolution führte nach Forsthoff zu einer Veränderung des sozialen Raumerlebnisses der Menschen. Forsthoffs Konzept hat prinzipiell keine Beschränkung der Daseinsvorsorge auf Unternehmen mit öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Daseinsnotwendige Leistungen können also nicht nur vom Staat, sondern auch von privaten Unternehmen unter Marktbedingungen angeboten werden [Pürgy, 2009]. Zu den Leistungen der Daseinsvorsorge zählt Forsthoff (1938) unter anderem die Versorgung mit Wasser, Elektrizität sowie Telekommunikation und nicht zuletzt den öffentlichen Verkehr. Also jene Dienstleistungen, die im öffentlichen Interesse erbracht werden, mit Gemeinwohlverantwortung verbunden sind und als wesentlich für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft angesehen werden [Pürgy, 2009]. Im Zeitalter der Digitalisierung, die auch als vierte Revolution bezeichnet wird, ist das Thema der Daseinsvorsorge aktuell, gilt es doch eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Der Vertrag von Lissabon hat zwar insgesamt zu einer Aufwertung der Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse geführt, allerdings nicht zu einer Gleichrangigkeit von Wettbewerb und Daseinsvorsorge. Die Verantwortung für die Versorgungssicherheit liegt nach wie vor primär bei den Mitgliedsstaaten, die Union legt lediglich Grundsätze und Bedingungen für Foto: Pexels/ pixabay POLITIK Mobilitätsangebot Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 15 Mobilitätsangebot POLITIK das Funktionieren derartiger Dienstleistungen fest. Der öffentliche Verkehr spielt für die Daseinsvorsorge sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum eine entscheidende Rolle, da dieser für nicht-motorisierte Bevölkerungsgruppen eine Voraussetzung darstellt, um nicht fußläufig erreichbare Infrastruktureinrichtungen in Anspruch nehmen zu können [Neu, 2009a]. Der öffentliche Verkehr ist im Allgemeinen durch mehrere Faktoren gekennzeichnet. Es besteht grundsätzlich Beförderungspflicht. Das heißt, der Fahrgast muss über die gesamte Strecke hinweg befördert werden (§ 3 Kfl- Bef Bed 2 BGBl II Nr. 47/ 2001). Durch die Schaffung von Regelbeförderungspreisen und deren Veröffentlichung in diversen Medien wie beispielsweise in Beförderungspreistabellen oder im Verbundkursbuch (§-16 Kfl-Bef Bed 3 BGBl II Nr. 46/ 2001) werden für den Fahrgast und somit auch für die Allgemeinheit ein Höchstmaß an Publizität und einheitliche Preise aufgrund objektiver Kriterien geschaffen (fixer Tarif ). Daraus leitet sich aufgrund der Fahrpläne und der daraus resultierenden Anfahrts- und Abfahrtszeiten eine Bereithaltepflicht des öffentlichen Verkehrs ab. Oft wird übersehen, dass nicht nur der öffentliche Verkehr Aufgaben der Daseinsvorsorge erfüllt. Das Taxi als alternative, bedarfsorientierte Angebotsform ist nicht nur in den ländlichen Regionen von großer Bedeutung, sondern auch im urbanen Raum. Die Integration des Taxis in den ÖPNV bietet eine Lösung, um die räumlichen und zeitlichen Lücken des öffentlichen Verkehrs zu füllen sowie ein auf die modernen Bedürfnisse der Bevölkerung zugeschnittenes Verkehrsangebot zu schaffen. Das Taxi gewährt nicht nur eine sichere Fahrt (durch Taxilenkerausweis) und ist für jedermann an zugänglichen, öffentlichen Orten bereitgestellt, sondern unterliegt außerdem einer Tarif-, Beförderungs- und Bereithaltepflicht. Diese Charakteristika, sowie die Tatsache, dass das Taxi den öffentlichen Verkehr ergänzt beziehungsweise teilweise sogar gänzlich ersetzt, qualifizieren die Beförderung mit Taxi als Dienstleistung von besonderem öffentlichen Interesse. Europarechtliche Entwicklung Die Begriffe „Daseinsvorsorge“ und „Dienstleistungen im allgemeinen Interesse“ wurden im europäischen Kontext noch vor einigen Jahren synonym verwendet. Seit der Vorlage des Grünbuchs im Mai 2003 meidet die Europäische Kommission allerdings den Begriff der Daseinsvorsorge [Kersten, 2009] in der deutschen Übersetzung ihrer Mitteilungen und verwendet stattdessen den Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DaI), um auch soziale und karitative Dienstleistungen zu erfassen. Im Folgenden wird nichtsdestotrotz der Begriff der Daseinsvorsorge verwendet, da dieser stark verankert ist. Einen europaweiten Konsens über die Definition beziehungsweise Auslegung des Begriffes gibt es bislang nicht, da die Kommission noch keinen Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung von Grundsätzen und Bedingungen für das Funktionieren von DaI vorgelegt hat. Mit dem Vertrag von Lissabon 4 wurde das (Spannungs-)Verhältnis zwischen Wettbewerb und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (Daseinsvorsorge) teilweise neu geregelt: Der Art 14 AEUV (ex-Art 16 EGV) wurde inhaltlich ergänzt und um eine neue EU-Zuständigkeit erweitert, ein neues Protokoll (Nr. 26) 5 über Dienste von allgemeinem Interesse wurde angefügt und Art 36 GRC 6 über den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in den Rang des Primärrechts gehoben. Zusätzlich wurden die Grundsätze und Bedingungen für die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse dahingehend präzisiert, dass sie insbesondere jene wirtschaftlicher und sozialer Art umfassen. Die neue Rechtsetzungskompetenz der Union in Art 14 Satz 2 AEUV umfasst die Festlegung der Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren der Dienste von allgemeinem, wirtschaftlichen Interesse. Diese geteilte Zuständigkeit ist im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen auszuüben. Insgesamt hat der Vertrag von Lissabon eine Aufwertung der Bedeutung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gebracht. Ausgehend von den neuen primärrechtlichen Rahmenbedingungen hat die Kommission Ende 2011 beschlossen, ihre bisherigen Maßnahmen in Bezug auf Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in einem einzigen Qualitätsrahmen zusammenzufassen. 7 Dabei ist es Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, welche Dienste als solche von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse angesehen werden und wie sie zu organisieren und zu finanzieren sind. Bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit müssen die Mitgliedstaaten sich jedenfalls an die Vorgaben des Unionsrechts, insbesondere das Beihilferegime in Art 107 AEUV halten. Die Union kann ihrerseits - gestützt auf Art 14 Satz 2 AEUV - lediglich Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren derartiger Dienste festlegen, mit dem Ziel, diese zu verbessern. Legt die Union Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse fest, so muss sie in Bezug auf die Versorgungssicherheit ein hohes Niveau normieren. Definition der Daseinsvorsorge Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zur Sicherstellung der öffentlichen Grundversorgung werden in Europa mit unterschiedlichen Begriffen belegt. Während man im deutschsprachigen Raum von der „Daseinsvorsorge“ spricht, wird in Großbritannien der Begriff „services of general interest“ verwendet und in Italien spricht man vom „servizio pubblico“. Diese unterschiedlichen Begriffe und Konzeptionen der Mitgliedstaaten erwachsen aus den jeweiligen Rechtstraditionen, werden mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt und sind folglich mit verschieden Systemen öffentlicher Dienstleistungen verbunden [Becker, 2005]. Unter Leistungen der Daseinsvorsorge werden nach deutschem Staats- und Verwaltungsrecht wirtschafts-, gesellschafts-, sozial- oder kulturpolitische Leistungen verstanden, die mit staatlichen Mitteln erbracht werden. Die staatliche Daseinsvorsorge umfasst jene Aufgaben, an deren Erfüllung ein besonderes allgemeines Interesse besteht. Des Weiteren muss der freie Zugang in allen Regionen zu diesen Dienstleistungen gewährleistet werden und dies zu erschwinglichen Preisen. Zu den gemeinwohlorientierten Dienstleistungen in Deutschland zählen die Versorgung mit Energie und Wasser, Entsorgung der Abwässer und des Abfalls, die Unterhaltung eines öffentlichen Personennahverkehrs, Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, öffentlich-rechtliche Medien, besondere Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, die Bereitstellung eines grundlegenden Schul- und Bildungssystems, zahlreiche soziale und karitative Dienste, die Erfüllung fundamentaler staatlicher Aufgaben, sowie die Pflege eines Polizei- und Justizwesens und die Gewährleistung der äußeren und inneren Sicherheit. Die konkrete Ausgestaltung der gemeinwohlorientierten Dienstleistungen wird in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts den kommunalen Gebietskörperschaften überlassen [Becker, 2005]. Der Begriff „Leistungen im allgemeinen Interesse“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der sich aus den jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten ergibt. Außerdem ist er von stetiger Veränderung aufgrund der fortschreitenden gesellschaftlichen Entwicklung geprägt. In den Beratungen des Ausschusses des ersten Österreich Konvents 8 - Staatsaufgaben und Staatsziele - wurde folgender Textvorschlag zur Definition beziehungsweise Auslegung des Begriffes Daseinsvorsorge von Seiten POLITIK Mobilitätsangebot Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 16 des Österreichischen Städtebundes eingebracht. Man einigte sich darauf, dass, wenn der Konvent neue Staatsziele in der neuen Bundesverfassung verankert, die Daseinsvorsorge jedenfalls zu verankern ist 9 . 1. Bund, Länder und Gemeinden gewährleisten die Erbringung von Leistungen im allgemeinen Interesse (Daseinsvorsorge). 2. Derartige Leistungen stellen einen anerkannten, nichtdiskriminierenden Mindeststandard der Teilhabe an jenen Lebensbereichen sicher, die gesellschaftlich regelmäßig vorkommen. 3. Es sind dies sowohl marktbezogene als auch nicht marktbezogene Leistungen, die so zu erbringen sind, dass dabei insbesondere Versorgungssicherheit, die soziale Erreichbarkeit, der Verbraucherschutz, der Gesundheitsschutz und die Nachhaltigkeit sichergestellt sind. Versorgungssicherheit, soziale Erreichbarkeit, der Verbraucherschutz, der Gesundheitsschutz und Nachhaltigkeit sind Kriterien, die die einzelnen Gebietskörperschaften bei der Erbringung von Leistungen im allgemeinen Interesse zu beachten haben und die erfüllt sein müssen. Der Tatsache, dass einige der Leistungen den Regeln des Marktes gehorchen (z. B. Telekommunikation, Strom, Gas) und andere nicht (z. B. Sozial- und Gesundheitsleistungen), wird anhand der Unterscheidung zwischen marktbezogenen und nicht marktbezogenen Leistungen Rechnung getragen. Taxis als Bestandteil des ÖPNV Taxis als bedarfsgesteuerter ÖPNV Ebner [Ebner, C. 2012] unterscheidet beim ÖPNV/ ÖPNRV in konventionelle Angebotsformen und alternative Angebotsformen 10 . Bei den konventionellen Angebotsformen nennt Ebner straßengebundene Verkehrsmittel wie Regional-, Stadt- oder Nachtbusse, spurgebundene Verkehrsmittel wie S- Bahn, U-Bahn oder Straßenbahn und sonstige Verkehrsmittel wie Schiffe, Seilbahnen oder Flugzeuge. Bei den alternativen Angebotsformen identifiziert Ebner einerseits bedarfsgesteuerte Verkehrsmittel, bei denen eine Anmeldung notwendig ist wie Rufbusse, Anrufsammeltaxis und Anrufbusse und sonstige, bei denen dies nicht der Fall ist (Fahrgemeinschaft, Bürgerbus). Während alternative Betriebsformen wie Rufbusse oder Anrufsammeltaxis gemäß § 5 Abs. 3 ÖPNRV-G in Österreich in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen und demnach als öffentliche Verkehrsmittel gelten, stellt das Taxi eine weitere Beförderungsvariante neben den öffentlichen Verkehrsmitteln dar. Da das Taxi die wesentlichen Merkmale des öffentlichen Verkehrs erfüllt, kann die Einteilung nach Ebner wie in Bild 1 dargestellt aktualisiert werden. Das Taxi ist per Gesetz für alle Fahrgäste und NutzerInnen jederzeit an öffentlichen Orten gemäß § 10 Abs 4 GelVerkG zugänglich zu halten (Bereithaltepflicht). Es besteht Beförderungspflicht. Das zweite Merkmal, nämlich die Festlegung von Beförderungsbedingungen und -preisen in veröffentlichten Rechtsnormen, trifft ebenfalls auf das Taxigewerbe zu. Bezüglich der Preise ist indessen anzumerken, dass gemäß § 14 Abs 1 des GelVerkG der Landeshauptmann, über eine Verordnungsermächtigung, für die verbindliche Tariffestlegung zuständig ist. Der Linienbetrieb, bei dem Ein- und Ausstieg auf den jeweiligen Haltestellenbereichen erfolgt und zwar zu fixen Abfahrtszeiten (räumlich und zeitlich eine starke Bindung besteht), ist die klassische Form des öffentlichen Personennahverkehrs. Es zeigt sich hingegen, dass diese Bedienform in vielen Regionen an Bedeutung verliert, da ein Betrieb unabhängig vom Bedarf nicht tragbar ist. Es bedarf alternativer Bedienformen um die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung in diesen Regionen zu befriedigen. Es gibt allerdings noch weitere Bevölkerungsgruppen, die auf alternative Personenverkehre angewiesen sind. Im Zuge der Marktanalyse wurden die drei Hauptnutzergruppen von Taxidiensten identifiziert. Hauptnutzer von Taxis als bedarfsgesteuerter ÖPNV Die bedeutendste Gruppe sind ältere Menschen. Die Lebensqualität wird im Alter stärker als in jeder anderen Lebensphase von individueller Gesundheit und subjektivem Wohlbefinden bestimmt. Vor allem die subjektive Bewertung des eigenen Gesundheitszustandes beeinflusst das Wohlbefinden mehr als die objektive, diagnostizierte Gesundheit. Hinsichtlich der stark ansteigenden Zahl älterer Menschen ist es an Gemeinde, Land und Bund, gute Lebensbedingungen für diese Bevölkerungsgruppe zu schaffen. Die Mobilität, also die Möglichkeit und Fähigkeit, Alltagswege zurücklegen zu können, ist wesentlich für ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben im Alter und muss deshalb sichergestellt werden. Das Taxi nimmt dahingehend eine wichtige Ersatzfunktion für den öffentlichen Verkehr für ältere Menschen ein. Die zweite Gruppe sind Menschen, die nachts nach Hause gelangen möchten. Ob dies nun Jugendliche sind, die noch keinen Führerschein besitzen, Menschen, die keinen eigenen PKW besitzen oder einfach nur Personen, die getrunken haben - sie alle sind auf die Existenz eines bedarfsorientierten Personenbeförderungsmittels angewiesen. Die letzte Gruppe, die schnelle und bequeme Personenbeförderung nachfragen, sind Touristen oder Geschäftsreisende. Das Taxi stellt für diese Menschen, die üblicherweise fremd in einer Stadt sind, klar den einfachsten und damit idealen Beförderungsmodus dar. In diesem Zusammenhang sind auch verbindliche Tarife von erheblicher Bedeutung, da diesen eine wichtige Konsumentenschutzfunktion zukommt. Wenn Menschen also nicht mit den lokalen Gegebenheiten vertraut sind, was vor allem bei Touristen meistens der Fall ist, können sie sich dennoch auf faire und einheitliche Tarife verlassen. Die Festlegung verbindlicher Tarife bietet außerdem eine geeignete Basis dafür, ein System der Verrechnung der erbrachten Leistungen (mit geeichtem Taxameter, Bild- 2) vorzusehen, das transparent und 6 ÖPNV/ ÖPNRV Konventionelle Angebotsformen Straßengebunden Regionalbus Stadtbus Nachtbus ... Spurgebunden S-Bahn U-Bahn Straßenbahn ... Sonstige Schiff Seilbahn Flugzeug ... Alternative Angebotsformen Bedarfgesteuert Anmeldung erforderlich Taxi Rufbus Anrufsammeltaxi Anrufbus ... Sonstige Anmeldung nicht erforderlich Fahrgemeinschaft Bürgerbus --- Abb.1 Aktualisierte Einteilung des ÖPNV/ ÖPNRV inklusive Taxi Das Taxi ist per Gesetz für alle Fahrgäste und Nutzerinnen jederzeit an öffentlichen Orten gemäß § 10 Abs 4 GelVerkG zugänglich zu halten (Bereithaltepflicht). Es besteht Beförderungspflicht. Das zweite Merkmal, nämlich die Festlegung von Beförderungsbedingungen und -preisen in veröffentlichten Rechtsnormen trifft ebenfalls auf das Taxigewerbe zu. Bezüglich der Preise ist indessen anzumerken, dass gemäß § 14 Abs 1 des GelVerkG der Landeshauptmann, über eine Verordnungsermächtigung, für die verbindliche Tariffestlegung zuständig ist. Der Linienbetrieb, bei dem Ein- und Ausstieg auf den jeweiligen Haltestellenbereichen erfolgt und zwar zu fixen Abfahrtszeiten (räumlich und zeitlich eine starke Bindung besteht), ist die klassische Form des öffentlichen Personennahverkehrs. Es zeigt sich hingegen, dass diese Bedienform in vielen Regionen an Bedeutung verliert, da ein Betrieb unabhängig vom Bedarf nicht tragbar ist. Es bedarf alternativer Bedienformen um die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung in diesen Regionen zu befriedigen. Es gibt allerdings noch weitere Bevölkerungsgruppen, die auf alternative Personenverkehre angewiesen sind. Im Zuge der Marktanalyse wurden die drei Hauptnutzergruppen von Taxidiensten identifiziert. 4.2 Hauptnutzer von Taxis als bedarfsgesteuerter ÖPNV Die bedeutendste Gruppe sind ältere Menschen. Die Lebensqualität wird im Alter stärker als in jeder anderen Lebensphase von individueller Gesundheit und subjektivem Wohlbefinden bestimmt. Vor allem die subjektive Bewertung des eigenen Gesundheitszustandes beeinflusst das Wohlbefinden mehr als die objektive, diagnostizierte Gesundheit. Hinsichtlich der stark ansteigenden Zahl älterer Menschen, ist es an Gemeinde, Land und Bild 1: Aktualisierte Einteilung des ÖPNV/ ÖPNRV inklusive Taxi Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 17 Mobilitätsangebot POLITIK nachprüfbar ist und dem Konsumenten Gewähr für eine korrekte Berechnung der Entgelte zu bieten vermag (VfGH, 7.10.2010, ZL V50/ 09). Dass das in einem Fremdenverkehrsland wie Österreich besonders wichtig ist, ist einsichtig (VfGH 16538/ 2002). Ein Taxi, als bedarfsorientiertes, flächendeckendes Verkehrsmittel, bietet ein maximales Ausmaß an Freiheit, Flexibilität und Komfort, indem es das Ziel auf direktem Weg, unabhängig von einem Fahrplan ermöglicht und unangenehme Parkplatzsuche erspart [Randelhoff, 2012]. Die Bedeutung von Taxis für den zukunftsorientierten ÖPNV Für den Öffentlichen Personennahverkehr spielen Taxis aber eine noch weitaus größere Rolle als die Bedürfnisse der drei vorher genannten Bevölkerungsgruppen zu befriedigen. David King, Professor für Stadtplanung an der Columbia University, untersucht die Bedeutung des Taxis für den konventionellen öffentlichen Personennahverkehr und stellt fest, dass der Taxiverkehr äußerst asymmetrisch ist [Jaffe, 2012]. Gemeinsam mit einem Studenten animiert King den Taxiverkehr in New York City anhand einer repräsentativen Stichprobe von 200.000 Taxifahrten. In dem Video 11 ist zu erkennen, wie Midtown Manhattan zwischen 06: 00 und 11: 30 Uhr vor allem das Ziel der Taxifahrten ist und ab 17: 00 Uhr die Abfahrten dominieren. Diese Erkenntnis allein würde auf eine symmetrische Nutzung des Taxis hinweisen: Menschen nutzen das Taxi, um von Zuhause nach Manhattan und später von Manhattan nach Hause zu kommen. Würde die Animation beispielsweise Pendlerverkehr mit dem eigenen PKW darstellen, wären die morgendlichen und abendlichen Ausschläge identisch. Die morgendlichen und abendlichen Ausschläge sind jedoch nicht gleich hoch. Taxis werden also für eine der beiden Strecken öfter benutzt als für die andere. Daraus folgt, dass die andere Strecke, also jene, die nicht mit dem Taxi zurückgelegt wurde, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt wird. Es ist natürlich denkbar, dass einige Menschen eine Strecke mit dem PKW zurücklegen, diesen parken und sich zu spätere Stunde ein Taxi rufen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dieses Verhalten ausschlaggebend für diesen krassen Unterschied der räumlichen Verteilung von Start und Ziel beim Taxiverkehr ist. Taxis kannibalisieren den konventionellen ÖPNV also nicht, sondern ergänzen diesen [Randelhoff, 2012]. Die Tatsache, dass der Individualverkehr von der Nutzung verschiedener Verkehrsträger gekennzeichnet ist, ist laut King von großer Bedeutung: „The one-way travel of taxis allows people to use transit, share rides and otherwise travel without a car. In this way taxis act as a complement to these other modes and help discourage auto-ownership and use.“ [King in Jaffe 2012] King sieht somit die Zukunft des städtischen Verkehrs in einer Kombination aus dem konventionellen Linienverkehr und alternativen bedarfsorientierten Verkehrsformen (Bild 3). Das Taxi bietet nämlich flächendeckende, bedarfsorientierte Personenbeförderung für einfache Strecken und spielt somit eine wichtige Rolle für den öffentlichen Personennahverkehr. „If we want to have transit oriented cities we have to plan for high quality, door-todoor services that allow spontaneous oneway travel. Yet for all of the billions of dollars we have spent of fixed-route transit and the built environment we haven‘t spent any time thinking about how taxis (and related services) can help us reach our goals” [King in Jaffe 2012]. King und seine Kollegen sehen das Taxigewerbe als kritischen Teil der Verkehrsstruktur. Das Taxi erlaubt es nämlich Individuen auf unterschiedliche, den jeweiligen Bedürfnissen entsprechende Verkehrsmittel zu nutzen und kann dahingehende die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs unterstützen. Das Taxi stellt somit auch im städtischen Bereich als faktisch öffentliches Verkehrsmittel eine perfekte Ergänzung zum ÖPNV dar. Deshalb müssen StadtplanerInnen die Rolle, die diese bedarfsorientierte Bedienform einnimmt, erkennen und dementsprechend in die Planung des öffentlichen Verkehrs miteinbeziehen. Eine Veränderung der Mobilitätsbedürfnisse ist nicht nur in Städten wie New York City zu beobachten, sondern auch in den meisten Städten Europas. Während klassische Arbeitsverhältnisse zurückgehen, nehmen alternative, flexible Arbeitsverhältnisse zu, wodurch Verkehrsdienstleistungen auch vermehrt außerhalb der Stoßzeiten nachgefragt werden. Neue Technologien ermöglichen Echtzeitinformation und mehr Komfort und die Einstellung der Generation X beziehungsweise Y 12 zum Statussymbol Auto verändert sich. Diese Entwicklungen machen die Sharing Economy („Ökonomie des Teilens“) möglich und führen zu deren Wachstum. Sie beeinflussen außerdem das Mobilitätsmuster und die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung. Es bedarf also entsprechender Anpassungen des Verkehrssystems. Öffentliche Verkehrssysteme werden oft auf die Bedürfnisse von Pendlern zugeschnitten unter der Annahme, dass das gleiche Verkehrsmittel und die gleiche Route für Hin- und Rückweg benutzt wird. Aufgrund der vielfältigen Mobilitätsbedürfnisse sollte das städtische Verkehrssystem nicht mehr isoliert als alleine aus U-Bahn, S-Bahn, Straßenbahn und Bussen bestehend betrachtet werden. Um die Bedürfnisse der Ortsveränderung einer modernen städtischen Bevölkerung befriedigen zu können, muss vermehrt auf Integration und Vernetzung konventioneller und alternativer Betriebsformen gesetzt werden. Von der Nutzung des Taxis profitieren nicht nur die Individuen, die eine komfortable Fahrt erhalten, sondern auch der ÖPNV. Wenn nämlich unser Individuum aus dem vorhergehenden Beispiel einmal pro Woche ein Taxi nutzt, statt sich einen PKW anzuschaffen, bleibt dieses Individuum dem ÖPNV als Kunde erhalten und wechselt lediglich einmal die Woche zu einer alternativen (bedarfsorientierten) Betriebsform. Wenn also das öffentliche Verkehrssystem wegen seiner unveränderlichen Eigenschaften (Linienführung und Fahrplanabhängigkeit) den Moduswechsel der Individuen nicht verhindern kann, erscheint es sinnvoll, aus Perspektive des ÖPNV das Wechselziel zu kontrollieren beziehungs- Bild 2: Taxameter schaffen auch für Ortsfremde ohne Sprachkenntnisse Sicherheit. Foto: Carola Schöttler/ pixabay POLITIK Mobilitätsangebot Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 18 weise den Wechsel zu fördern, wenn der Kunde danach in das ursprüngliche System zurückkehrt [Randelhoff, 2012)]. Der Präsident des deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes (BZP), Michael Müller, fasst das Taxigewerbe unter dem Slogan „Digitalisierung ist Entwicklung“ in acht Punkten zusammen [Taxi Times, 2017]: 1. Der Kunde steht im Mittelpunkt der Taxidienstleistung. Das Taxi bietet nämlich maßgeschneiderte Personenbeförderung und Fahrgäste haben die Möglichkeit, Taxifahrer zu bewerten. 2. Das Taxi überwindet Barrieren - und zwar nicht nur physische. Der persönliche (Telefon-) Kontakt besteht weiter, was vor allem für die ältere Bevölkerung von großer Bedeutung ist. 3. Das Taxi ist innovativ. 4. Das Taxi ist europaweit verfügbar. 5. Taxi ist Datenschutz. Daten werden weder im großen Stil gesammelt noch verkauft. 6. Taxi steht für sichere und abgesicherte Arbeitsplätze in mittelständischen Unternehmen, nicht für Renditeerwartungen von Investoren. 7. Taxi ist ökologisch. Das Taxi bündelt nämlich Fahrten. Weitere Potentiale für nachhaltigen Verkehr sind die Reduzierung von Leerfahrten und der Ausbau von Elektro-Taxis. 8. Taxi hält den ländlichen Raum mobil. Dies bezieht sich auf die steigende Bedeutung von alternativen Betriebsformen wie Anrufsammeltaxis oder Rufbusse. Der in der folgenden Ausgabe von Internationales Verkehrswesen erscheinende zweite Teil widmet sich den rechtlichen Rahmenbedingungen, analysiert die aus der Daseinsvorsorge resultierenden Pflichten für Taxis und gibt verkehrspolitische Handlungsempfehlungen für die Gestaltung der Rahmenbedingungen. ■ 1 Biographisch fällt die Monographie von 1938 in eine Zeit, in der sich Forsthoff vom Nationalsozialismus löst. Sie ist in erster Linie eine sozialpsychologische und verfassungspolitische und erst in zweiter Linie eine verwaltungsrechtliche Programmschrift (Kersten, 2005). 2 § 3 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Kraftfahrlinienverkehr legt fest, dass die Beförderung nach Maßgabe der vorhandenen Plätze und aufgrund der in der Konzession festgelegten Bestimmungen, erfolgt. Sofern diese kein Bedienungs- oder Halteverbot vorsehen oder es sich um den Betrieb auf Teilstrecken oder um Schnellkurse handelt, besteht Beförderungspflicht auf der gesamten Strecke zwischen allen aus dem Fahrplan ersichtlichen Haltestellen. Während der Fahrt sind die Fahrgäste über die nächste Haltestelle akustisch oder optisch zu informieren. 3 § 16. Die Regelbeförderungspreise werden im Österreichischen Kraftfahrlinienkursbuch beziehungsweise im Verbundkursbuch veröffentlicht. 4 Der Vertrag wurde am 13. Dezember 2007 von den damals 27 Mitgliedsstaaten unter portugiesischer Ratspräsidentschaft in Lissabon unterzeichnet wurde. 5 Das Protokoll (Nr 26) über Dienste von allgemeinem Interesse beinhaltet lediglich „auslegende Bestimmungen“ zu einschlägigen Artikeln der Verträge, insbesondere zu Art 14 AEUV. 6 Art 36 GRC, wonach die Union den Zugang zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Einklang mit den Verträgen geregelt ist, „anerkennt und achtet“, ist als bloßer Grundsatz ausgestaltet und kein eigenständiges (soziales) Grundrecht, das unmittelbare Wirkung entfaltet und den Begünstigten eine unmittelbare Leistungsrechtsgarantie einräumt. Dieser Grundsatz ist einerseits nur bei der Auslegung von Sekundärrechtsakten der Union und von Durchführungsrechtsakten der Mitgliedstaaten heranzuziehen (Art 52 Abs 5 GRC) und hat andererseits keine Auswirkungen auf die Reichweite der Zuständigkeit der Union nach Art 14 Satz 2 AEUV (Art 6 Abs 1 EUV und Art 51 Abs 2 GRC). 7 KOM (2011) 900 endg vom 20.12.2011 8 Der Österreich Konvent wurde am 2. Mai 2003 eingerichtet, um über eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform zu beraten. Zehn Arbeitsgruppen, bestehend aus VertreterInnen aller Parlamentsparteien, Mitgliedern der Bundesregierung, VertreterInnen der Bundesländer sowie des Städte-und Gemeindebundes, VertreterInnen der Höchstgerichte, der Volksanwaltschaft und der Sozialpartner sowie unabhängige VerfassungexpertInnen, haben von Juli 2003 bis Jänner 2005 das geltende Verfassungsrecht analysiert und Reformvorschläge ausgearbeitet. 9 htt p : / / www. ko nve nt . g v. a t/ K / D E / AVO R L- K / AVO R L- K_00416/ fname_018955.pdf 10 Ebner (2012) teilt den Personennah- und Regionalverkehr in konventionelle und alternative Angebotsformen. Als konventionelle Angebotsformen werden unter andere straßengebundene Verkehrsmittel (Regionalbus, Stadtbus, Nachtbus), spurgebundene (S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn) und sonstige Verkehrsmittel (Schiff, Seilbahn, Flugzeug) genannt. Bei alternativen Angebotsformen wird des Weiteren nach bedarfsgesteuerten (Rufbus, Anrufbus, Anrufsammeltaxi) und nicht bedarfsgesteuerten Verkehrsmitteln (Carsharing, Fahrgemeinschaft, Bürgerbus) unterschieden. 11 New York City Taxi Activity (https: / / vimeo.com/ 35433719) 12 Generation X ist ein Begriff aus den Sozialwissenschaften, der sich auf die den Baby-Boomern folgende (und den Millennials vorausgehende) Generationen bezieht. Diesen Generationen können aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive bestimmte Charakterzüge zugeschrieben werde. Auf die Generation X folgt die Generation Y (oder auch Millennials). LITERATUR Becker, P. (2005). Europäische Daseinsvorsorge: die Politik der EU zwischen Wettbewerb und Gemeinwohlverpflichtungen Dickhaus, B., & Dietz, K. (2004). Öffentliche Dienstleistungen unter Privatisierungsdruck. Folgen von Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in Europa. Rosa Luxemburg Stiftung, WEED, Berlin Ebner, C. (2012). Verkehrsplanung im ländlichen Raum. Vortrag im Rahmen der Lehrveranstaltung „Methoden der Verkehrsplanung“. Institut für Verkehrswissenschaften, TU Wien, 03.12.2012 Forsthoff, E. (1938). Die Verwaltung als Leistungsträger, Kohlhammer, Stuttgart Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996, https: / / www.ris.bka.gv.at/ Dokument.wxe? Abfrage = B unde s normen& D okumentnummer= N OR11007933, abgerufen am 07.07.2019 Jaffe, E. (2012, 02 03). What Taxis Add to Public Transit. Retrieved 11 19, 2017, from City Lab: https: / / www.citylab.com/ transportation/ 2012/ 02/ taxis-part-transit-system/ 1133 Kersten, J. (2005). Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff. Der Staat, 543-569 Kersten, J. (2009). Wandel der Daseinsvorsorge - Von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zur wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Kohäsion. In: C. Neu, Daseinsvorsorge: eine gesellschaftswissenschaftliche Annäherung (pp. 22-38). Springer-Verlag Krautscheid, A. (2009). Die Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von europäischem Wettbewerb und Gemeinwohl. Springer Fachmedien Neu, C. (2009a). Daseinsvorsorge - Eine Einführung. In: C. Neu (2009b), Daseinsvorsorge: eine gesellschaftswissenschaftliche Annäherung (pp. 9-19). Springer-Verlag Neu, C. (2009b). Daseinsvorsorge: eine gesellschaftswissenschaftliche Annäherung. Springer-Verlag Österreichischer Städtebund. (2004). Definition bzw. Auslegung des Begriffes Daseinsvorsorge . Wien Pürgy, E. (2009). Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Österreich. In: A. Krautscheid, Die Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von europäischem Wettbewerb und Gemeinwohl (pp. 398-415) Randelhoff, M. (2012, 02 23). Zukunft Mobilität. Retrieved 11 15, 2017, from Welche Rolle spielen Taxis für den ÖPNV? : https: / / www.zukunftmobilitaet.net/ 8243/ analyse/ welche-rolle-spielen-taxis-fuer-denoepnv Taxi Times. (2017, 06 23). Verkehrspolitiker des Bundestags positionieren sich zu PBefG-Änderungen. Taxi Times. Retrieved from Taxi Times: http: / / www.taxi-times.com/ verkehrspolitiker-des-bundestags-positionieren-sich-zu-pbefg-aenderungen Sebastian Kummer, Univ. Prof. Dr. Vorstand Institut für Transportwirtschaft und Logistik, Wirtschaftsuniversität Wien sebastian.kummer@wu.ac.at Stefan Stefanov Steuerberater, Wien stefan@stefanov.co.at Bild 3: Traditionell ergänzen sich in Manhattan konventioneller Linienverkehr und Taxis. Foto: Emil Bruckner/ Unsplash 3. - 5. März 2020 Messe Karlsruhe FRÜH BUCHEN & SPAREN! Partner Schirmherrschaft Veranstalter JETZT ONLINE REGISTRIEREN UNTER WWW.IT-TRANS.ORG JE FRÜHER SIE BUCHEN, DESTO MEHR SPAREN SIE! 7.000+ MESSE- BESUCHER AUSSTELLUNGS- FLÄCHE KONFERENZ- TEILNEHMER AUSSTELLER AUS 35 LÄNDERN REFERENTEN 28.000 m 2 700+ 270 150 POLITIK Mobilitätsangebot Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 20 Wettbewerb um die führende-Mobilitätsplattform für Fernreisen FlixMobility und BlaBlaCar - vom Quasi-Monopolisten zum-Betreiber multimodaler Mobilitätsplattformen Mobilitätsplattform, Fernlinienbus, Mitfahrgelegenheit, Bahnfernverkehr Die Startups BlaBlaCar (Mitfahrgelegenheiten) und Flixbus (Fernlinienbusse) haben mit ihren digitalen Geschäftsmodellen in wenigen Jahren den Mobilitätsmarkt verändert und bieten heute die preisgünstigsten Reisemöglichkeiten. Ihre Onlineplattformen werden zu multimodalen Mobilitätsplattformen, wenn BlaBlaCar auch Busreisen und Flixbus neben Bahnreisen (Flixtrain) zukünftig auch Mitfahrgelegenheiten (Flixcar) anbietet. Durch das gleichzeitige Angebot mehrerer Verkehrsträger ergeben sich für die Betreiber allerdings nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Andreas Krämer, Robert Bongaerts, Gerd Wilger I n der aktuellen öffentlichen Diskussion ist Mobilität zu einem Dauerthema geworden. Allenthalben wird eine Verkehrswende gefordert bzw. werden neue Mobilitätslösungen vorgestellt bzw. entwickelt. Der Fokus liegt dabei vor allem auf integrierten Mobilitätslösungen im Nahverkehr [1, 2]. Prominentestes und augenscheinlichstes Beispiel ist die Ausbreitung von eScooter-Sharing-Angeboten in deutschen Großstädten. Deutlich weniger Aufmerksamkeit wird der Entwicklung im öffentlichen Personenfernverkehr geschenkt. Bei Betrachtung der jeweiligen Teilsegmente im innerdeutschen Reiseverkehr (Flugzeug, Bahn, Fernbus und Mitfahrgelegenheit) zeigt sich, dass in den letzten Jahren in allen Segmenten Quasi-Monopolstellungen entstanden sind, die sich aktuell noch einmal verstärkt haben: • Flugverkehr: Insbesondere seit der Insolvenz von Air Berlin im Spätsommer 2017 ist die Lufthansa im innerdeutschen Flugverkehr unangefochten die Nummer 1. Zusammen mit ihrer Tochter Eurowings kommt Lufthansa auf einen Anteil an den innerdeutschen Flügen von 87 % [3]. • Bahnfernverkehr: Auch 25 Jahre nach der Bahnreform hat sich an der wettbewerbsbeherrschenden Position der Deutschen Bahn im Bahnfernverkehr kaum etwas geändert. Die Bundesnetzagentur berichtet für 2017 einen Marktanteil von über 99 % [4]. • Fernlinienbusverkehr (FLB): Schon wenige Jahre nach der Marktliberalisierung in 2013 ist die anfängliche Marktdynamik mit der Herausbildung des Branchenprimus Flixbus gestoppt. So konnte Flixbus durch die Übernahme mehrerer Konkurrenten ab 2016 einen Marktanteil von 95 % erreichen [5]. Gleichzeitig baut Flixbus seine Vormachtstellung in den wichtigsten deutschen Nachbarländern aus. • Mitfahrgelegenheiten: Nach der Übernahme der Webseiten mitfahrgelegenheit.de und mitfahrzentrale.de in 2015 wird der deutsche Markt zur Vermittlung von Mitfahrgelegenheiten durch das französische Startup Comuto (weltweit größter Anbieter von Mitfahrgelegenheiten) mit der Marke BlaBlaCar beherrscht. Die Bestrebungen der bestehenden Marktführer richten sich darauf, übergreifende Mobilitätslösungen anzubieten. So hat BlaBlaCar in 2018 den französischen Fernlinienbusbetreiber Ouibus von der SNCF übernommen und bietet seit Herbst 2018 auch zunehmend Verbindungen in Deutschland an (zu Angebotspreisen von weniger als einem Euro - ein Preisniveau, das an die Zeiten des Verdrängungswettbewerbs in der Fernlinienbus-Branche erinnert). Für BlaBlaBus werden über die Einführungsphase hinaus niedrige Ticketpreise angekündigt. Diese sollen möglich sein, weil die Auslastung der Busse überdurchschnittlich hoch sein soll [6]. Im Gegenzug kündigte FlixMobility im Juli 2019 an, Bla- BlaCar mit einem eigenen Mitfahr-Service (Flixcar) Konkurrenz machen zu wollen (ab 2020) [7]. Vor diesem Hintergrund analysiert der vorliegende Beitrag die Entwicklung des innerdeutschen Fernreisemarktes in den letzten Jahren und die zunehmende Bedeutung digitaler Geschäftsmodelle, zeigt die Wettbewerbsstellung der Verkehrsträger im Vergleich und bewertet die Chancen und Risiken der Entwicklung einer übergreifenden Mobilitätsplattform für die führenden Anbieter. Zur Bewertung des innerdeutschen Verkehrsmarktes aus Sicht der Nachfrager wird einerseits auf die Studie Pricing Lab zurückgegriffen (repräsentative Online-Befragung SUMMARY The start-ups BlaBlaCar (ride-sharing) and Flixbus (long-distance buses) have changed the mobility market in a few years with their digital business models and are actually offering the cheapest travel options. Their online platforms will become multimodal mobility platforms, once BlaBlaCar offers additionally journeys with long-distance buses and Flixbus offers ridesharing options in addition to rail and bus travel. However, not only opportunities but also risks arise for operators when several modes of transport are offered in parallel. Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 21 Mobilitätsangebot POLITIK von mehr als 1.000 Personen ab 18 Jahren), andererseits erfolgt eine Marktbeobachtung zur Preis- und Wettbewerbsstellung im August und September 2019. Vom Quasi-Monopolisten zum übergreifenden Mobilitätsanbieter Bei Betrachtung der Marktentwicklung für Fernverkehrsreisen in Deutschland der letzten Jahre zeigen sich verschiedene Argumente für die Öffnung des eigenen Kerngeschäfts hin zu einem übergreifenden Mobilitätsanbieter. Der Markt für Fernverkehrsreisen in Deutschland wird unverändert von Reisen mit dem PKW dominiert (Bild 1). Der aus den Befragungsergebnissen der Studie Pricing Lab bestimmte Modalanteil beträgt ca. 68 %. Gleichzeitig steigt die Anzahl der verfügbaren PKW in Deutschland genauso wie die Fahrleistung. Mit einem Modalanteil von 18 % liegt die Bahn deutlich hinter dem PKW. Auch der Markt für Bahnreisen wächst seit Jahren unaufhaltsam. So wird erwartet, dass die Deutsche Bahn in 2019 erstmals mehr als 150 Mio. Passagiere befördern wird. Der DB Fernverkehr setzt unter anderem durch den massiven Ausbau des Angebotes von Sparpreisen und Super Sparpreisen (ab 19,90 EUR pro Strecke) auf Wachstumskurs [8]. Der Markt für Fernlinienbusreisen selbst stagniert seit 2016 bei ca. 16 Mio. Passagieren für Inlandsreisen, im Fokus steht aktuell eine Internationalisierung des Angebots [5]. Auch der innerdeutsche Luftverkehr mit einem Volumen von ca. 24 Mio. Passagieren pro Jahr ist seit Jahren nur gering wachsend [9]. Die geringen Wachstumsraten im Segment für Fernbusreisen und die aktuell eher noch geringere Marktgröße bei Mitfahrgelegenheiten erklären die Bemühungen von FlixMobility bzw. BlaBlaCar, ihr Geschäft auf andere Verkehrsmittel auszudehnen, auch wenn dadurch eine Konkurrenzierung des Kerngeschäfts mit einhergehen kann (Bild 1). Flixbus hat diesen Weg bereits eingeschlagen, weil die Plattform neben Busauch Bahnreisen vermarktet [10]. Aufgrund des Geschäftsmodells ist dieses Risiko allerdings für die Plattformbetreiber begrenzt, wenn sie vor allem an der Vermittlung des Angebots und nicht an der Beförderungsleistung verdienen [5]. BlaBlaCar und Flixbus besitzen keine operativ eingesetzten Fahrzeuge und tragen nur einen vergleichsweisen kleinen Teil des wirtschaftlichen Risikos (der Hauptteil wird durch die Busunternehmen als Partner getragen). Bei der Deutschen Bahn (DB) ist das anders: Sie besitzt sowohl die Züge als auch die Busse, die sie betreibt. Selbst in Zeiten, in denen die DB noch eine signifikante Rolle auf dem Markt für Reisen mit dem Fernbus spielte, wurde vermieden, Zug und Busverkehr auf bahn.de im direkten Vergleich anzuzeigen. Die strategische Positionierung der Flixbus-Webadresse und der App war in den ersten beiden Jahren der Marktliberalisierung von Fernreisen eine völlig andere als heute. In den Jahren 2013 und 2014 erfolgten die Buchungen häufig über Vergleichsportale, die es dem Reisenden ermöglichten, aus einer Vielzahl unterschiedlicher Busangebote das aus Kundensicht beste Angebot (Abfahrtzeit, Reisedauer, Anzahl Umstiege, Preis etc.) zu identifizieren. In Zeiten einer Marktmacht von Flixbus mit 97 % Marktanteil ist dies nicht mehr erforderlich. Heute ist es für die Kunden vielfach einfacher, direkt bei Flixbus online oder über die App zu buchen. Um weitere Wachstumsfelder zu erschließen und die eigene Vermarktungsplattform attraktiver zu machen, stellt eine Erweiterung des Angebots daher eine strategische Stoßrichtung für die Mobilitätsanbieter dar: • Ein eigener, mobilitätsaffiner Kundenstamm ist bereits vorhanden. BlaBlaCar verfügt in Deutschland nach eigenen Angaben über 8 Mio. Kunden. Der Mitfahr- Anbieter verfügt über eine Plattform, die die wesentlichen Eigenschaften einer Two-Sided Platform aufweist. Sie fungiert als Marktplatz, auf dem das Angebot von freien Mitfahrkapazitäten und die Nachfrage nach Mitfahrmöglichkeiten koordiniert werden [11]. Der Aufbau von Vertrauen ist ein zentraler Baustein in der Funktionsweise der Plattform, schließlich kennen sich Anbieter und Nachfrager i.d.R. nicht persönlich, die gemeinsame Fahrt ist aber auch Vertrauenssache [12]. • Dabei wirkt v. a. der Netzwerkeffekt: Je mehr Mobilitätsangebote auf einer Plattform verfügbar sind, desto interessanter wird die eigene Plattform für (Neu-)Kun- Konzern / Unternehmen Verkehrsmittel Fernbus Mitfahrgelegenheit (Auto) Bahn Flugzeug Sonstiges, bestehendes Geschäft Neue Aktivitäten 2019/ 20 FlixMobility Matrix - Verkehrskonzern vs. Verkehrsmittel-Angebot (Reisen ab 50 km einfache Strecke) Auto (eigener Pkw) Bahn Flugzeug Fernlinienbus (Flixbus etc.) Reisebus (Charterbus) Mitfahrerzentrale Sonstiges Genutzte Verkehrsmittel Modalanteil in % aller Reisen 68% 18% 3% 1% 1% 1% 7% Modalanteil: Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel in den letzten 12 Monaten Kern- Geschäft Nur Stadtgebiet 21 % 26 % 46 % 26 % 46 % 33 % xx % Anteil Nutzer <30 Jahre 31 % Bild 1: Vom Quasi-Monopolisten zum übergreifenden Mobilitätsanbieter Alle Abbildungen: Autoren Foto: BlaBlaCa POLITIK Mobilitätsangebot Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 22 den und umgekehrt (eine große Kundenbasis bedingt ein hohes Interesse bei Anbietern und Vertriebspartnern). • Die Transaktionskosten sind gering und sinken durch Skaleneffekte. Wie bisher ausgeführt wurde, sollen die Vermarktungsplattformen von Flixbus und BlaBlaCar sukzessive zu multimodalen Mobilitätsplattformen ausgebaut werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich die Wettbewerbsstellung von Fernbus, Mitfahrzentralen und Bahn aktuell darstellt bzw. wie sich diese verändert hat. Die Wettbewerbsstellung der Verkehrsmittel Eine von den Autoren durchgeführte Analyse zum intermodalen Wettbewerb der Verkehrsmittel Bahn, Fernlinienbus und Mitfahrgelegenheit (MFG, BlaBlaCar) auf ausgewählten Strecken betrachtet neben dem Preis auch die Aspekte Reisezeit und die Verfügbarkeit der einzelnen Verkehrsträger. Erfasst wurden dabei die Angebote der Verkehrsträger für eine Reise am Folgetag bzw. in zehn Tagen (Abreisezeitfenster jeweils zwischen 06: 00 Uhr und 09: 00 Uhr). Die Abfrage erfolgte für ausgewählte Strecken (kurze, mittlere, lange Entfernungsklasse). Bei mehr als einer Verbindung im Zeitfenster wurde die preisgünstigste Verbindung erfasst. Da die Analyse als eine Wiederholungsmessung analog zur Vorjahresanalyse in 2018 aufgesetzt wurde [13], lassen sich strukturelle Veränderungen bestimmen (Bild 2). Die Kernergebnisse sind: • Bezogen auf die absoluten Preise besteht ein relativ klares Ranking: Das FLB- Preisniveau liegt bei den betrachteten Relationen in einem Bereich von 2,1 bis 5,9 ct/ km und ist damit deutlich niedriger als die Bahnangebote (9,1 bis 23,4 ct/ km) und etwas niedriger als die über Bla- BlaCar angebotenen Mitfahrgelegenheiten (4,8 bis 8,6 ct/ km). • Im Vergleich zum Vorjahr ergeben sich keine wesentlichen Veränderungen im Ergebnis. Zwei Dinge sind jedoch auffallend: Zum einen zeigt sich eine deutliche Preis-Absenkung auf ausgewählten Strecken aufgrund einer veränderten Wettbewerbssituation. Dies gilt z.B. für den FLB auf der Relation Berlin-Hamburg: Hier macht sich der Markteintritt von BlaBlaBus mit Aktionsangeboten von teilweise 0,99 EUR pro Fahrt bemerkbar. Die extrem niedrigen Preise sind keine Neuigkeit. In 2015/ 16 positionierte sich Megabus mit Fahrten ab 1 EUR [14]. Im Rahmen von Aktionen wurden sogar tausende Tickets verschenkt [15]. Zum anderen führt die Änderung des Preismodells bei BlaBlaCar - seit Dezember 2018 kostet das günstigste Nutzungspaket 3,99-EUR (vorher 2,99 EUR) je Woche - insbesondere auf kurzen Strecken zu einer deutlichen Preiserhöhung. • Der Verkehrsträger Bahn punktet nahezu auf allen betrachteten Verbindungen mit dem Aspekt Reisezeit, gleichzeitig ergibt sich keine Einzelrecherche, bei der die Bahn das absolut preisgünstigste Angebot darstellt. Wird bei der Analyse jedoch ein BahnCard-Besitz unterstellt, erreichen die Bahnpreise auch bei längeren Strecken bei Nutzung eines Super Sparpreises ein Niveau von knapp 15-EUR pro einfache Strecke [16]. Auf der Strecke Hamburg - Berlin bietet der Bahnnahverkehr die Fahrt im Interregio-Express für 14,90 EUR an. • Einen wichtigen Aspekt für die Verkehrsmittelwahl stellt die Verfügbarkeit eines Angebots zu der präferierten Reisezeit dar. Hier sind deutliche Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr zu erkennen. So werden auf den Strecken Gießen - Hannover und Köln - Berlin im Betrachtungsfenster keine FLB-Fahrten mehr angeboten. Auf den Relationen zwischen den Großstädten Berlin - Hamburg und Köln - Berlin konnte das Angebot von MFG ausgebaut werden, während das Angebot auf den übrigen betrachteten Relationen zurückgegangen ist. Hier gestaltet sich das Erreichen einer kritischen Masse sowohl auf der Anbieterals auch auf der Nachfragerseite als schwierig. Dies gilt insbesondere-vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren gestiegenen Vermittlungsgebühren. • Die Ausdünnung schlecht ausgelasteter Linien und die Anpassung des Busangebots an veränderte Marktgegebenheiten erfolgt bei Flixbus basierend auf Big Data und künstlicher Intelligenz [17]. Zu erwarten ist daher eine stärker werdende Fokussierung auf nachfragestarke Kernrelationen im Netz. Auch hier dürfte Bla- BlaCar als erstes ein breiteres Angebot erreichen. Auf Strecken wie Köln - Berlin (65 %) oder Berlin - Hamburg (82 %) ist die gemessene Verfügbarkeit von Bla- BlaCar entsprechend hoch. Kampf um die jüngeren Zielgruppen Wie die Analyse der Wettbewerbsstellung ergeben hat, nutzen die Plattformen Flixbus und BlaBlarCar die Vorteile der Netzwerkökonomie und sind in der Lage, Mobilität zu sehr günstigen Preisen anzubieten. Mit einem Preis pro km von ca. vier bis sechs Cent bieten Flixbus und BlaBlaCar ein Preisniveau, das bei der Nutzung des eigenen PKW oder beim Kauf von Bahntickets i. d. R. nicht möglich ist. Treiber für das starke Wachstum der Geschäftsmodelle sind in der ersten Entwicklungsphase technologische Veränderungen (Big Data Analytics, Cloud Computing, Smartphone-Verbreitung und Web 2.0) sowie ein Nachfragesog bedingt durch Social Media, Verfügbarkeit preisgünstiger Endgeräte und Suche nach alternativen Reisemöglichkeiten und günstigen Preisen [17]. Primäre Zielgruppe sind dabei Reisende unter 30 Jahren (vgl. Bild 1). Sie sind zu einer zunehmend strategischen Zielgruppe für die im direkten Wettbewerb stehenden Verkehrsträger Auto, Bahn und Bus geworden [18, 19]. Das Segment zeichnet sich nicht nur durch eine vergleichsweise höhere Preissensitivität aus, sondern gleichzeitig durch einen geringen Habitualisierungsgrad. Praktisch bedeutet dies: Jüngere Reisende sind offener für Reisealternativen. Dies wird auch durch die Ergebnisse unserer Studie Berlin - Leipzig (ca. 190 km) Gießen - Hannover (ca. 300 km) Köln - Berlin (ca. 570 km) Quelle: exeo Strategic Consulting AG Kürzere Relationen* Mittlere Relationen* Längere Relationen* * Recherche auf www.busliniensuche.de; Zeitraum der Preisrecherche 20.08.-02.09.2019. Durchschnitt des jeweils günstigsten verfügbaren Preises für Abreise am Folgetag bzw. in 10 Tagen, Abfahrtzeit zwischen 06: 00 Uhr und 09: 00 Uhr; Verfügbarkeit = Verfügbarkeit eines Angebots für das vorgegebene Reisezeitfenster an den Messtagen (28 Messtage); Berücksichtigung Serviceentgelt BlaBlaCar als Zuschlag von 2,00 EUR/ Fahrt (2018: 1,50 EUR); FLB = Fernlinienbus, MFG = Mitfahrgelegenheit recherchiert für BlaBlaCar; Bahn: günstigster Preis 2. Kl. ohne BahnCard. Merkmale FLB Bahn MFG Preis (EUR/ Fahrt) 5,03 (3,99) 19,90 (19,90) 7,33 (5,83) Yield (Cent/ km) 5,9 (4,7) 23,4 (23,4) 8,6 (6,9) Reisezeit (min) 84 38 72 Verfügbarkeit 100% (100%) 100% (100%) 22% (40%) Merkmale FLB Bahn MFG Preis (EUR/ Fahrt) 8,43 (8,02) 23,97 (24,21) 10,32 (11,32) Yield (Cent/ km) 4.4 (4,2) 12,6 (12,7) 5,4 (6,0) Reisezeit (min) 140 72 148 Verfügbarkeit 100% (97%) 100% (100%) 57% (63%) Merkmale FLB Bahn MFG Preis (EUR/ Fahrt) 6,13 (10,13) 26,31 (27,08) 13,91 (14,99) Yield (Cent/ km) 2,1 (3,5) 9,1 (9,4) 4,8 (5,2) Reisezeit (min) 200 147 204 Verfügbarkeit 100% (100%) 100% (100%) 82% (77%) Merkmale FLB Bahn MFG Preis (EUR/ Fahrt) -- (25,32) 42,37 (36,36) 19,00 (16,63) Yield (Cent/ km) -- (8,4) 14,1 (12,1) 6,3 (5,5) Reisezeit (min) -- 199 215 Verfügbarkeit 0% (20%) 100% (100%) 11% (27%) Merkmale FLB Bahn MFG Preis (EUR/ Fahrt) 31,98 (30,32) 79,6 (84,75) 30,00 (30,30) Yield (Cent/ km) 5,9 (5,6) 14,7 (15,6) 5,5 (5,6) Reisezeit (min) 590 343 430 Verfügbarkeit 97% (100%) 100% (100%) 4% (33%) Merkmale FLB Bahn MFG Preis (EUR/ Fahrt) -- (26,05) 53,59 (87,31) 31,65 (28,31) Yield (Cent/ km) -- (4,6) 9,4 (15,3) 5,6 (5,0) Reisezeit (min) -- 294 403 Verfügbarkeit 0% (100%) 100% (100%) 65% (60%) 2 4 6 Frankfurt/ Main - Mannheim (ca. 85 km) Berlin - Hamburg (ca. 290 km) Münster - Freiburg (ca. 545 km) 1 3 5 Bild 2: Verkehrsträgervergleich auf ausgewählten Relationen; Deutschland, Sept. 2019 (Vorjahreswerte 2018 in Klammern) Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 23 Mobilitätsangebot POLITIK Pricing Lab bestätigt, die belegt, dass jüngere Reisende häufig mehrere Verkehrsmittel nebeneinander in der Auswahl haben und nutzen [8]. Gestützte Awareness von Mobilitätsangeboten Für die Erweiterung der Service-Angebote auf der eigenen Plattform nutzen Flixbus und BlaBlaCar ihre Kundenbeziehungen und die gute Vernetzung in den Sozialen Medien, um neue Angebote publik zu machen und schnelle Vermarktungserfolge zu erzielen. So erreicht BlaBlaBus nur wenige Wochen nach Launch des Angebots einen gestützten Bekanntheitsgrad von 13 % in der Bevölkerung (Bild 3) [20]. Im Alterssegment der Unter-30-Jährigen liegt der korrespondierende Wert bei 17 %. Dies mag zunächst gering erscheinen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die DB-Angebote Call-a-Bike (Bikesharing) und Flinkster (Carsharing) trotz bereits jahrelanger Marktpräsenz ein geringeres Bekanntheitsniveau als BlaBla- Bus erreichen. Der hohe Bekanntheitsgrad von Flixbus und BlaBlaCar ist eine Voraussetzung dafür, dass Plattformen in eine neue Entwicklungsstufe eintreten können: Flixbus erreicht eine gestützte Bekanntheit, die nur leicht unter der Deutschen Bahn und auf dem Niveau der Lufthansa liegt. Die Vergleichswerte für BlaBlaCar (41 % Wahrnehmung) liegen zwar geringer, in der Zielgruppe der jüngeren Reisenden (<30 Jahre) werden aber bereits über 60 % erzielt. Chancen und Risiken durch parallele Mobilitätsangebote Durch die Erweiterung von Mobilitätsangeboten auf der eigenen Plattform ergeben sich Chancen und Risiken. Das Startup FlixMobility geht hier einen besonders extremen Weg: So sollen ab 2020 über die eigene Plattform neben Fernbus- und Bahnreisen auch Mitfahrmöglichkeiten angeboten werden. Chancen ergeben sich dadurch, dass die Mobilitätsplattform an Relevanz für den Reiseentscheider gewinnt. Schließlich lassen sich Reisen mit den wichtigsten Verkehrsmitteln auf einer einzigen Web-Seite buchen. Im Gegenzug ergeben sich dann Risiken, wenn sich die entsprechenden Zielgruppen stärker überschneiden (Bild 4). In der eigenen Studie Pricing Lab wurden die Nutzung und die Nutzungshäufigkeit unterschiedlicher Verkehrsmittel bestimmt: • Mehr als 80 % der Nutzer von FLB sind auch Bahn-Nutzer - jeder fünfte Bahn- Nutzer fährt auch mit dem FLB. Gleichzeitig besteht je nach Perspektive ein erhebliches theoretisches Absatzpotenzial: Mehr als 90 % der Verbraucher nutzen weder Fernbus noch Mitfahrzentrale. • In der Analyse der Überschneidung der Nutzerstrukturen zwischen Bus und Mitfahrgelegenheit zeigen sich klare Substitutionsrisiken: Von allen Nutzern des Fernbusses (7 %) sind 2,4-%-Punkte auch Nutzer von Mitfahrmöglichkeiten - das entspricht einem Anteil von 34 %. Von allen Nutzern der Mitfahrzentrale (3 %) sind 2,4-%-Punkte auch Nutzer von Fernbussen - das entspricht einem Anteil von 71 %. • Die Nutzerprofile von FLB und MFG weisen zudem eine hohe Ähnlichkeit auf: Reisende mit hoher Bahnaffinität, überproportional jung und tendenziell in größeren Orten lebend sowie gehobener Bildungsstand. Die Nutzeranalyse deutet auf klare Substitutionsrisiken zwischen den angebotenen Verkehrsmitteln auf einer Plattform. Die Frage ist dabei einerseits, wie stark diese sind und anderseits, welche Geschäftspartner wie stark betroffen sind. Der Plattform- Betreiber Flixbus hat die geringsten Margenveränderungen zu befürchten, da er über Provisionen an den Vermarktungserlösen von Bahn-, Bus- und Autoreisen profitiert. Anders sieht dies z. B. bei den Busunternehmern aus [5]. Kommt es zu einer Nachfrageverlagerung vom Bus zum Auto (dies liegt auf der Hand; bei etwa gleich hohen Preisen ist die Fahrt mit dem PKW häufig mit Reisezeitvorteilen verbunden), fallen Provisionszahlungen an Flixbus weiterhin an, während die Umsätze der Busunternehmen sinken (sie sind lediglich an den Einnahmen aus Bustickets und Reservierungen beteiligt). Zumindest in der Außenkommunikation werden die Chancen einer stärkeren Vernetzung der Verkehre herausgestellt. Bezüglich der Vernetzung zwischen Bahn und Mitfahrverkehr unterstreicht BlaBlaCar- Deutschlandchef Reiners: „Wir arbeiten daran, beide Welten zu verknüpfen“ [6]. Eine Flixbus Flixtrain BlaBlaCar BlaBlaBus Call a Bike Flinkster Car2Go Deutsche Bahn Lufthansa Ryanair 1) Welchen der folgenden Mobilitätsanbieter kennen Sie? Bekanntheit Mobilitätsanbieter 1) Total 83% 30% 41% 13% 11% 12% 25% 90% 84% 66% <30 Jahre 81% 35% 63% 17% 12% 9% 26% 89% 80% 52% 30 - 59 Jahre 60+ Jahre 82% 29% 41% 13% 14% 14% 29% 89% 81% 65% 86% 28% 26% 9% 5% 12% 17% 93% 91% 76% Bild 3: Gestützte Wahrnehmung (Awareness) unterschiedlicher Mobilitätsanbieter (Juli 2019) Nutzung Bahn nein Nutzung Fernlinienbus (FLB) 71,8 % 0,9 % 21,6 % 5,7 % ja 1 3 2 4 ja nein 27% 7 % Überschneidung der Nutzerstruktur zwischen Fernlinienbus (Flixbus) und Bahn Nutzung Mitfahrgelegenheit (MFG) nein Nutzung Fernlinienbus (FLB) 92,4 % 4,2 % 1,0 % 2,4 % ja 1 3 2 4 ja nein 3 % Überschneidung der Nutzerstruktur zwischen Fernlinienbus (Flixbus) und Mitfahrgelegenheit (MFG) 7 % Bild 4: Nutzerstrukturen FLB, Bahn und MFG (Reisen > 50 km, Juli 2019) POLITIK Mobilitätsangebot Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 24 ähnliche Argumentation greift FlixMobility-Geschäftsführer Engert auf: „Wir sehen eine große Chance darin, dadurch ein engmaschigeres Netz zu schaffen, mit mehr Zielen, auch in kleineren Städten“ [7]. Dies erscheint zunächst einmal schlüssig, wenn es nur um eine Ausweitung des Reisenetzes geht. Fraglich ist allerdings, ob eine Kombination von Verkehrsmitteln oder der erforderliche Umstieg auf eine ausreichende Kundenakzeptanz treffen. Fazit Nachdem die beiden Startups Flixbus und BlaBlaCar die jeweiligen Kernmärkte in Deutschland und Europa beherrschen, gehen die Aktivitäten in Richtung Aufbau multimodaler Mobilitätsplattformen. In der Bewertung beider Unternehmen (FlixMobility wird auf ca. 2 Mrd. EUR, BlaBlaCar wurde in 2015 auf 1,6 Mrd. USD taxiert [21]) steckt viel Phantasie, die durch die Chancen übergreifender Mobilitätsplattformen bis hin zu Multi-Sided-Platforms (unterschiedliche Nutznießer eines gemeinsamen Marktplatzes) beflügelt werden. Bei allen Chancen, die die neuen digitalen Geschäftsmodelle der Sharing Economy mit sich bringen, sollten auch die Schwächen berücksichtigt werden. Die Busunternehmen, die bei BlaBlaBus und bei Flixbus als Partner den größten Teil des wirtschaftlichen Risikos abdecken, sind darauf angewiesen, dass die Plattformen ausreichende Nachfrage generieren. Ist dies nicht mehr der Fall, kommt das Geschäftsmodell an seine Grenzen. Bei BlaBlaCar sind die Risiken des Geschäftsmodells insbesondere bei Veränderungen des Preismodells erkennbar geworden („For free“ bis 2016, Serviceentgelt 2016/ 17, erste Paketpreise 2018, Preiserhöhung 2019), die jeweils für Verunsicherung bei den Kunden gesorgt haben. ■ LITERATUR [1] Krämer, A., Bongaerts, R. (2019): Shared Mobility: Wege aus der Nische? Marketing Review St. Gallen, Jg. 36 (4), S. 888-895 [2] Krämer, A., Bongaerts, R. (2019): Mit Car- und BikeSharing zur Verkehrswende? Neue Ergebnisse zu Chancen und Risiken. Der Nahverkehr, 37 (3), S. 50-56 [3] Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) (2018): Luftverkehr - Touristik - Ausblick Sommer 2018. Abrufbar unter: www.dlr. de/ dlr/ presse/ Portaldata/ 1/ Resources/ documents/ 2018/ DLR_Touristik_2018_.pdf [4] Bundesnetzagentur (2018): Marktuntersuchung Eisenbahnen 2018. Abrufbar unter hwww.bundesnetzagentur.de/ DE/ Sachgebiete/ Eisenbahnen/ Unternehmen_Institutionen/ Veroeffentlichungen/ Marktuntersuchungen/ marktuntersuchungen-node.html [5] Krämer, A., Wilger, G., Bongaerts R. (2017): Fernlinienbusse - eine Erfolgsgeschichte? ! KSV Verlag, Köln [6] Völklein, M. (2019): Wir werden weiterhin sehr niedrige Ticketpreise anbieten. Interview mit Christian Rahn. Deutschland-Chef von Blablacar. Sueddeutsche.de vom 17.08.2019, Abruf unter www.sueddeutsche.de/ auto/ blablabus-fernbus-1.4554334 [7] N.N. (2019): Was Flixmobility nach der Mega-Finanzierungsrunde vorhat. Manager Magazin online vom 20.07.2019, Abruf unter www. manager-magazin.de/ unternehmen/ artikel/ flixbus-mutter-flixmobility-sammelt-halbe-milliarde-ein-flixcar-kommt-a-1278255. html [8] Hercher, J., Krämer, A. (2019): Bahnfernverkehr im Aufwind. Rogator / exeo untersuchen das Kundenpotenzial des Bahnfernverkehrs („Pricing Lab 2019“). Presseinformation vom 28.08.2019. Abruf unter www.rogator.de/ bahnfernverkehr-im-aufwind/ [9] Statistisches Bundesamt (2019): Mehr Fluggäste, weniger Luftfracht im 1. Halbjahr 2019. Pressemitteilung Nr. 320 vom 26. August 2019. Abrufbar unter www.destatis.de/ DE/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2019/ 08/ PD19_320_464.html [10] N.N. (2018): Flixbus attackiert Deutsche Bahn auf der Schiene, Abruf am 6. Sep. 2019 unter www.tagesspiegel.de/ wirtschaft/ flixtrainflixbus-attackiert-deutsche-bahn-auf-der-schiene/ 21226016.html [11] Casprini, E., Di Minin, A., Paraboschi, A. (2019): How do companies organize nascent markets? The BlaBlaCar case in the intercity shared mobility market. Technological Forecasting and Social Change, 144, S. 270-281 [12] Sachithananthan, K. (2018): Förderung von Vertrauen bei der Nutzung von Mobility-Carpool. Bachelor Thesis, Fachhochschule Nordwestschweiz, Rickenbach [13] Krämer, A., Bongaerts, R. (2019): Entwicklungsperspektiven für den Fernlinienbus - Geschäftsmodelle, Wettbewerb und Kundenerwartungen im Wandel. Internationales Verkehrswesen, 71 (1), S. 48-51 [14] Krämer, A., Jung, M., Burgartz, T. (2016): A Small Step from Price Competition to Price War - Understanding Causes, Effects and Possible Countermeasures. International Business Research; Vol. 9, No. 3, S. 1-13 [15] Krämer, A., Kalka, R. (2017): How Digital Disruption Changes Pricing Strategies and Price Models. In: Khare, A., Schatz, R., Stewart, B. (Hrsg.): Phantom ex machina: Digital disruption’s role in business model transformation. Springer, S. 87-103 [16] Krämer, A., Bongaerts, R. (2017): Wie Digitalisierung die Wettbewerbsposition der Bahn verändert. Internationales Verkehrswesen, 69 (2), S. 26-30 [17] Hein, A. et al. (2019): The emergence of native multi-sided platforms and their influence on incumbents, Electron Markets. Abruf unter https: / / link.springer.com/ content/ pdf/ 10.1007%2 Fs12525-019-00350-1.pdf [18] Krämer, A. (2018): Die Mobilisierung von Neukunden für das System Schiene. ZEVrail, 142 (10), Oktober, S. 417-423 [19] Krämer, A. (2018): Die Mobilisierung von preissensibler Nachfrage in einer digitalisierten Welt - Die Entstehung von vier Quasi-Monopolen im deutschen Fernverkehrsmarkt. Internationales Verkehrswesen, 70 (1), S. 16-20 [20] Hercher, J., Krämer, A. (2019): Kampf der Mobilitätsplattformen: FlixMobility vs. BlaBlaCar. Presseinformation vom 06.08.2019. Abruf unter www.rogator.de/ kampf-mobilitaetsplattformen-flixmobility-blablacar [21] Lunden, I (2018): France’s BlaBlaCar acquires carpool startup Less in ongoing ridesharing consolidation, Techcrunch vom 27.04.2018. Abruf unter https: / / techcrunch.com/ 2018/ 04/ 27/ frances-blablacaracquires-carpool-startup-less-in-ongoing-ridesharing-consolidation Robert Bongaerts, Dr. Vorstand der exeo Strategic Consulting AG, Bonn robert.bongaerts@ exeo-consulting.com Gerd Wilger, Dr. Vorstand der exeo Strategic Consulting AG, Bonn gerd.wilger@exeo-consulting.com Andreas Krämer, Prof. Dr. Professor für Pricing und Customer Value Management, University of Applied Sciences Europe, Fachbereich Wirtschaft, lserlohn; Vorstand exeo Strategic Consulting AG, Bonn andreas.kraemer@exeo-consulting.com Foto: FlixMobility Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 25 E uropa soll zum ersten Kontinent der Welt werden, der nur so viele Treibhausgase emittiert, wie die Umwelt absorbieren kann. Das hat die gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als eines der wichtigsten Ziele ihrer Amtszeit ausgegeben und einen „Green Deal“ für die Europäische Union angekündigt. Um das Ziel zu erreichen, müssen auch in der Verkehrspolitik wichtige Weichen gestellt werden. Maßgeblich mitbestimmen werden den künftigen Kurs zwei Schwergewichte an der Kommissionsspitze: Frans Timmermans - Klimaschutzkommissar und als exekutiver Vizepräsident für die Umsetzung des „Green Deal“ verantwortlich - und Margrethe Vestager, Wettbewerbskommissarin und Hauptverantwortliche für die Digitalisierung. Timmermans könnte etwa bei der Ausweitung des Emissionshandels auf den Seeverkehr und der Reform des Airline-Emissionshandels viel bewegen. Und von der Digitalisierung erhofft man sich „intelligente“ Wege zur Treibhausgasvermeidung. Alles soll „smart“ werden: smarte Gebäude, smarte Fahrzeuge, smarte Verkehrslenkungssysteme. Die Digitalisierung käme vielleicht schneller voran, wenn es dabei nur um technische Fragen ginge. Sicher, der Aufbau eines Internets der Dinge, Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen oder die Konstruktion autonom fahrender LKW, Eisenbahnen oder Schiffe sind alles andere als trivial. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite gibt es viele Unternehmen und Behörden, die zurückhaltend sind, den Treibstoff zur Verfügung zu stellen, der für die Digitalisierung notwendig ist: Daten. Beispiele dafür wurden bei den „Digital Transport Days“, einer von EU-Kommission und finnischer EU-Ratspräsidentschaft organisierten Konferenz, reichlich angeführt. So könnten Positions- oder Wetterinformationen von Schiffen für besseres Management von Routen oder Hafenkapazitäten zusammengeführt werden, doch oft fehlen dafür die Nutzungsrechte. Autohersteller gewähren nicht immer Zugriff auf Daten, die zum Reparieren ihrer Fahrzeuge nötig sind. Und Containerfirmen wollen oft nicht, dass Transporteure offenlegen, wo sich wie viele ihrer Behälter gerade befinden. „Fehlendes Vertrauen“ wurde bei vielen Diskussionen zwischen Vertretern aus Politik und Wirtschaft als Hauptgrund genannt, warum der Datenaustausch vielfach nicht in Gang kommt. Fehlendes Vertrauen, was die anderen mit den preisgegebenen Daten machen und wie sie gespeichert werden. Dafür gibt es auch berechtigte Gründe. Etwa die Sorge, dass durch die Verbindung zu Datenportalen Sicherheitslücken im eigenen Betrieb entstehen. Oder: Ein Verlader möchte vielleicht gerne Echtzeit-Informationen, die ihm zeigen, welche Probleme sein Spediteur beim Transport gerade hat. Mit dem Kunden, der auf die Lieferung länger warten muss, will er diese Informationen dagegen nicht so gerne teilen. Es geht bei der Digitalisierung also nicht nur um die Entwicklung neuer technologischer Möglichkeiten, sondern auch darum, wie Geschäftsmodelle dazu passen und wie sie eventuell verändert werden müssen. Ein Einstellungswandel bei Unternehmenschefs, die jahrelang miteinander konkurriert haben und jetzt plötzlich kooperieren sollen, kann nötig sein, damit die Digitalisierung die Effizienz der Transportwirtschaft erhöhen und den Verkehr klimafreundlicher machen kann. Das ist der menschliche und der unternehmerische Faktor der Digitalisierung. Von ihm hängt maßgeblich ab, welche Früchte die Digitalisierung am Ende trägt. Die EU-Institutionen sind gefragt, hier Einfluss zu nehmen und nicht nur die Entwicklung von neuen Technologien zu fördern und zu koordinieren. Vertrauen für einen Datenaustausch über Grenzen hinweg aufzubauen, ist eine klassische EU-Aufgabe. Das kann über Regulierung geschehen und indem Systeme für ein sicheres Teilen von Daten gefördert werden, in denen jeder Teilnehmer noch kontrollieren kann, mit wem er welche Informationen teilen-will. Auch die Standardisierung von Datenformaten ist eine internationale Aufgabe. Sie muss - mindestens - auf europäischer Ebene gelöst werden, damit eine umfassende Vernetzung möglich wird und keine „Daten-Silos“ entstehen. Die scheidende EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc sagte, dass sie sich zur Förderung des Datenaustauschs eine Diskussion wünscht, die weniger darum kreist, wem Daten gehören, sondern darum, welche Daten von wem genutzt werden können. Hier die Weichen zu stellen, ist Aufgabe der neuen EU-Kommission und der anderen EU-Institutionen. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Smarte Wege zum „Green Deal“ gesucht Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 26 Digitalisierung und innovative Antriebstechnologien Strategien und Rahmenbedingungen für die Instandhaltung des Eisenbahn-Fahrweges Innovative Antriebe, Ausbildung, Digitalisierung, System Bahn Die Digitalisierung sowie der Einsatz innovativer Antriebstechnologien sind bei der Instandhaltung des Eisenbahn-Fahrweges bereits Realität. Dies bietet nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem ökologische und ergonomische Vorteile. Damit wird das zukunftsträchtige System Bahn weiterentwickelt und für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch attraktiver. Johannes Max-Theurer, Johann Dumser D ie Anforderungen an die Mobilität von heute zeigen die Stärken des Systems Bahn deutlich auf. Ansprüche wie umweltschonendes und autonomes Fahren werden durch die Eisenbahn bereits seit Jahrzehnten umgesetzt. Dann gibt es natürlich auch das Thema Digitalisierung. Diese Technologien halten heute nicht nur beim Betrieb der Bahnen Einzug, sondern auch bei der Errichtung und Instandhaltung der benötigten Infrastrukturen. Vor allem im Bereich der Gleisbauarbeiten haben sich in den letzten beiden Jahren viele Weiterentwicklungen etabliert. Das ist auch unbedingt notwendig, denn der Fachkräftemangel setzt der gesamten Baubranche und vor allem dem Gleisbau mit den sehr exponierten Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen zu [1]. Daher gilt es, Nachwuchskräfte und Quereinsteiger nicht nur mit neuen Technologien und verbesserten Rahmenbedingungen, sondern auch adäquaten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für das System Bahn zu begeistern. Bei den zuvor beschriebenen Entwicklungen ist es nach wie vor erforderlich, die Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems Bahn zu verbessern. Auch wenn aufgrund des Klimawandels der Ruf nach höheren Investitionen in das umweltfreundliche System Bahn laut wird, so fordern gemäß einer Studie der Allianz pro Schiene „drei von vier Maschinen, Flotte und Infrastruktur im „smarten Verbund“ Alle Bilder: Plasser & Theurer INFRASTRUKTUR Instandhaltung Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 27 Instandhaltung INFRASTRUKTUR Deutschen bei Investitionen Vorrang für Schiene statt für Straße“ [2], steht der schienengebundene Verkehr im Wettbewerb zu anderen Verkehrsträgern (Bild 1). Auf den nächsten Seiten stellen wir die aktuellsten Entwicklungen in den Bereichen Digitalisierung im Gleisbau, innovative Antriebstechnologien sowie Aus- und Weiterbildung dar - und dies im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Verbesserung des Gesamtsystems. Die Digitalisierung des Systems Bahn Die Entwicklungen der Digitalisierung haben längst unseren Alltag durchdrungen. Wir buchen und bestellen unsere Beförderungsmittel, den Urlaub, das Abendessen und sämtliche Güter für den Alltag bereits bequem und rasch mittels Smartphone. Mittlerweile sind auch im Eisenbahnsektor die aus der Digitalisierung entstehenden Veränderungs- und Gestaltungsmöglichkeiten deutlich zu erkennen. Der Fahrweg wird digitalisiert, Maschinen werden „smart“ und arbeiten zunehmend automatisiert und vernetzt, die Nachmessung erreicht ein neues Niveau an Transparenz. Aus Sicht der Maschinenflotte steigt die Prozesssicht, für die Eisenbahninfrastruktur leisten all diese Entwicklungen einen Beitrag zur Steigerung der Qualität, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit. So entwickelt Plasser & Theurer schienengebundene Bau- und Instandhaltungsmaschinen zu wahren Multifunktionswundern weiter (siehe großes Bild): Aufbauend auf jahrzehntelanger Erfahrung in der Bahnbaumaschinen-Herstellung, sollen moderne Sensorik und künstliche Intelligenz für jede Situation die beste Lösung ermöglichen [3]. Smart Tamping - mit dem neuen Weichenstopf-Assistenzsystem Da s Weich e n stopf -A s s i ste nz s y ste m „PlasserSmartTamping - The Assistant“ markiert einen wichtigen Schritt zur weiteren Automatisierung von Stopfmaschinen [4]. Das Assistenzsystem dient der automatisierten Unterstützung von Stopfarbeiten in Weichen und Kreuzungen. Das System erarbeitet selbstständig komplette Handlungsempfehlungen, die der Bediener vor der eigentlichen Aktion bestätigen muss und so zunehmend zum Prozessüberwacher wird, der nur in Ausnahmefällen manuell eingreift (Bild 2). Durch das neue Aufzeichnungsmodul kann eine völlig neue Art der Nachmessdokumentation zur Verfügung gestellt werden. Transparenz, Arbeitsqualität und Prozesssicherheit werden damit gesteigert. Bei der Entwicklung des Weichenstopf-Assistenzsystems war es erstmals Sollte zukünftig stärker in den Ausbau des Schienen- oder des Straßenverkehrs investiert werden? Eher mehr in Schienenverkehr Deutlich mehr in Schienenverkehr 45,7% 30,4% 21,9% 2,0% In beides gleich viel Eher mehr in Straßenverkehr Deutlich mehr in Straßenverkehr Weiß nicht Quelle: Allianz pro Schiene | 07/ 2019 | repräsentative Civey-Umfrage (225.514 Teilnehmer) | Stand: 29.7.2019 | 2,5% statistische Fehlertoleranz Lizenz: Nutzung frei für redaktionelle Zwecke unter Namensnennung 10% 20% 30% 40% 50% Bild 1: Immer mehr Menschen fordern höhere Investitionen in das System Bahn. Quelle: Allianz pro Schiene Bild 3: Der Dynamic Stopfexpress 09-4X E 3 ist die weltweit erste Hybrid- Stopfmaschine. Bild 2: Weichenstopf-Assistenzsystem „PlasserSmartTamping - The Assistant“ Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 28 INFRASTRUKTUR Instandhaltung möglich, die kompletten Softwaremodule für Stopfmaschinen nicht mehr „an der Maschine“, sondern am Weichenstopf-Simulator zu entwickeln. In einer erweiterten „Hardware in the Loop“-Anwendung wurde das Weichenstopf-Assistenzsystem im Zusammenspiel mit dem Simulator entwickelt und auch dort getestet. Die kurze Entwicklungszeit ist auf dieses neue Verfahren zurückzuführen. Ohne die Nutzung des Weichenstopf-Simulators wäre eine Produktentwicklung ohne Beschädigung von Oberbaumaterialien wohl nicht zu erreichen gewesen. Innovative Antriebstechnologien für Nachhaltigkeit und Umweltschutz Neuerdings nutzen Gleisbaumaschinen die elektrische Energie aus dem Fahrdraht sowie Akkupower für den Arbeitsantrieb [5]. Seit 2015 stehen „E 3 -Maschinen“ von Plasser & Theurer für: Economic - Ecologic - Ergonomic (Bild 3): E 3 -Antriebstechnologien reduzieren die lokalen Emissionen - Schadstoffe und Lärm - auf der Baustelle gegen null und begegnen so aktuellen und künftigen Herausforderungen in den Bereichen Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz und Bedienerfreundlichkeit, Verschärfung der zulässigen Schadstoffgrenzwerte, Senkung der Einsatz- und Betriebsmittelkosten, Bauarbeiten im Tunnel und innerstädtischer Arbeitsbetrieb. Durch die vollelektrische Ausführung von Maschinen, bei der nicht nur die Energieversorgung elektrisch über die Oberleitung erfolgt, sondern auch die Energieübertragung, ergeben sich weitere Vorteile. Während bei konventionellen hydraulischen Systemen bei der Energieübertragung, speziell bei langen Schlauchwegen, hohe Verluste durch Reibungswiderstände und Wärmeentwicklung entstehen, wird bei der elektrischen Energieübertragung die Effizienz im Gesamtsystem gesteigert. Auch der Fahrantrieb der Maschine ist nunmehr elektrisch. Die neuen elektrischen Achsantriebe weisen gegenüber den hydraulischen eine deutlich verbesserte Kraftübertragung auf und benötigen weniger Leistung. So verfügen die Stopfaggregate des Unimat 09-4x4/ 4S E 3 (Bild 4) erstmals über einen elektrischen Vibrationswellenantrieb mit schnellerem Ansprechverhalten, präziserer Regelbarkeit, leiserem Betrieb und geringerem Leistungsbedarf. Sowohl im Innenraum als auch in der Außenwirkung erzielen diese Neuerungen einen völlig neuen und deutlich aufgewerteten Erlebnischarakter. Das bedeutet einen Mehrwert für Personal und Anrainer - außerdem erleichtern attraktive ergonomische Arbeitsplätze das Recruiting für Maschinen-Personal. Elektrische Energieversorgung über die Oberleitung steigert die Effizienz Die E 3 -Technologie reduziert die Betriebskosten durch höheren Wirkungsgrad, Einsatz von Bahnstrom und Reduktion fossiler Treib- und Schmierstoffe. Eine Jahresbilanz aus der Schweiz belegt ein Einsparungspotenzial von 135 Euro pro Stunde Einsatz - und das bei einer CO 2 -Verminderung von 27 t pro 100 Stunden. Ökologische Vorteile durch gleisgebundene Fließbandverfahren Das System Eisenbahn erfüllt auch und gerade nach 180 Jahren alle Merkmale nachhaltiger und damit zukunftsorientierter Mobilität. Der gleisgebundene Umbau des Gleisrostes inklusive der Aufbereitung des Schotters und Verbesserung des Unterbaus kann heute um bis zu 40 % ökologischer und damit nachhaltiger als die konventionelle Methode durchgeführt werden [6]. Zukunftsfähige Qualität des Bauens und Instandhaltens braucht Maßnahmen mit dem Ziel der Schonung von mineralischen und energetischen Ressourcen, der Reduzierung von Emissionen und des Schutzes von Natur und Umwelt. Dies insbesondere bezüglich der Wiederverwendung der Altstoffe, der Reduzierung der Emissionen bei Maschinen und Fahrzeugen und Reduktion von CO 2 , Feinstaub, Stickstoffoxiden (NOx) und der Beanspruchung der Infrastruktur (Bild 5). Bildung für das System Bahn Der Fachkräftemangel im Bereich der Eisenbahnberufe ist Fakt. Dieser erstreckt sich vom Eisenbahningenieur bis hin zum Facharbeiter in allen Bereichen der Eisenbahnin- Bild 5: Ökobilanz der Umbauverfahren, gleislos versus gleisgebunden Bild 4: Stopfaggregate des Unimat 09-4x4/ 4S E 3 mit elektrischem Vibrationswellenantrieb Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 29 Instandhaltung INFRASTRUKTUR frastruktur und des Eisenbahnbetriebs. Insofern ist es positiv, dass sich gerade in jüngster Vergangenheit vermehrt Bildungsträger am Markt etablieren. Es werden immer mehr Unternehmen gegründet, die sich der Aus- und Weiterbildung in diversen Bereichen des Eisenbahnwesens widmen. Angefangen vom Zulieferer für Bahnkomponenten über Bahnbauunternehmen bis hin zu Eisenbahnverkehrsunternehmen werden entweder in Kooperationen oder als eigene Sparte innerhalb der Unternehmen Ausbildungsstätten - meist unter dem Titel „Akademie“ - gegründet bzw. aufgebaut. Das Ziel solcher Initiativen besteht zunächst darin, das im Unternehmen vorhandene Knowhow an Nachwuchskräfte weiterzugeben und somit den eigenen Nachwuchs zu fördern. Allerdings bieten nur die wenigsten davon herstellerunabhängige Aus- und Weiterbildungsprogramme. PMC Rail International Academy [7] gehört zu den ersten Bildungsträgern, die mit herstellerunabhängigen Aus- und Weiterbildungsangeboten rund um die gesamte Eisenbahninfrastruktur neue Akzente setzen. Durch den Einsatz interaktiver Lehrmethoden werden rasche Lernerfolge erzielt. Deshalb hat sich PMC Rail International Academy auf den Einsatz von modernen 3D-Simulationstechniken und eigens entwickelten Lehrständen spezialisiert (Bild 6). Zusammenfassung Die Digitalisierung sowie der Einsatz innovativer Antriebstechnologien sind bei der Instandhaltung des Eisenbahn-Fahrweges bereits Realität. Dies bietet nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem ökologische und ergonomische Vorteile. Damit wird das zukunftsträchtige System Bahn weiterentwickelt und für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch attraktiver. ■ LITERATUR [1] Rail Business, 13.05.2019 [2] Pressemitteilung Allianz pro Schiene, 31.07.2019 [3] Max-Theurer, Johannes; Auer, Florian: Alte Regeln gelten nicht. In: ETR, Dezember 2018, Seite 26 ff [4] Auer, Florian; Buchbauer, David; Bürger, Martin; Theiss, Andreas; Jodlbauer, Georg; Zauner, Gerald: Smart Tamping - Anwendungsmöglichkeiten des Weichenstopf-Assistenzsystems. In: ZEVrail 142 (2018), Seite 38 ff [5] Hauke, Roman; Steinwenker, Hannes; Rebek Jürgen: E 3 - elektrisierende Technologie für Gleisbaumaschinen. In: Der Eisenbahningenieur, Dezember 2017, Seite 18 ff [6] Klügel Silvio, Lieberenz Klaus: Nachhaltigkeit und Ökologie im Eisenbahnbau. In: ETR, Mai 2017, Seite 26 ff [7] Intini, Antonio; Friedl, H. Peter: Herstellerunabhängige Ausbildung für das System Bahn, In: Der Eisenbahningenieur, Special Edition Rail Training, April 2017, Seite 16 ff Johannes Max-Theurer, CEO, Plasser & Theurer, Export von Bahnbaumaschinen, Gesellschaft m.b.H., Linz export@plassertheurer.com Johann Dumser, Director Marketing and Communications, Plasser & Theurer, Export von Bahnbaumaschinen, Gesellschaft m.b.H., Wien export@plassertheurer.com Bild 6: Einsatz moderner 3D-Simulationstechnik für raschere Lernerfolge Lesen Sie Internationales Verkehrswesen und International Transportation lieber auf dem Bildschirm? Dann stellen Sie doch Ihr laufendes Abo einfach von der gedruckten Ausgabe auf ePaper um - eine E-Mail an service@trialog.de genügt. Oder Sie bestellen Ihr neues Abonnement gleich als E-Abo. Ihr Vorteil: Überall und auf jedem Tablet oder Bildschirm haben Sie Ihre Fachzeitschrift für Mobilität immer griffbereit. www.internationales-verkehrswesen.de/ abonnement DAS FACHMAGAZIN IN DER JACKENTASCHE Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de IV Drittel quer.indd 2 28.08.2018 16: 22: 46 Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 30 INFRASTRUKTUR Informationstechnologie Übermittlung von Informationen in der humanitären Logistik Die Potenziale und Herausforderungen von Technologien Humanitäre Logistik, Informations- und Kommunikationstechnologie, Supply Chain Wenn Naturkräfte ihre volle Wirkung zeigen, sind Menschenleben gefährdet, und die Infrastruktur gesamter Landstriche wird unter Umständen zerstört. Die humanitäre Logistik ist dann ein elementarer Bestandteil, um Menschenleben zu retten und Verletzte zu versorgen. Dabei gilt es, die Potenziale und Herausforderungen des Einsatzes von Informationstechnologien sowie Technologien zur Übermittlung von Informationen, die die Prozesse innerhalb der Supply Chain der humanitären Logistik optimieren sollen, zu ermitteln. In diesem Beitrag soll vor allem herausgefunden werden, inwiefern Technologien unterstützend eingesetzt werden können, um die Kommunikation und Koordination entlang der gesamten Prozesskette zu verbessern. Oliver Baldauf, Sarah Kohl, Antonio Olivieri, Dieter Uckelmann I n den letzten Jahren ist ein akuter Anstieg von Naturkatastrophen zu verzeichnen [1]. Ob Tsunamis, Erdbeben oder andere Ereignisse - wenn Naturkräfte ihre volle Wirkung zeigen, sind Menschenleben gefährdet und die Infrastruktur gesamter Landstriche wird unter Umständen zerstört. Die humanitäre Logistik ist dann ein elementarer Bestandteil, um Menschenleben zu retten und Verletzte zu versorgen [2]. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit den Potenzialen und Herausforderungen des Einsatzes von Informationstechnologien sowie Technologien zur Übermittlung von Informationen, welche die Prozesse innerhalb der Supply Chain der humanitären Logistik optimieren sollen. Hierbei soll vor allem herausgefunden werden, inwiefern Technologien unterstützend eingesetzt werden können, um die Kommunikation und Koordination entlang der gesamten Prozesskette zu verbessern. Auf Basis einer Literaturrecherche werden diese Herausforderungen und Potenziale des Einsatzes von ausgewählten Informationstechnologien in der humanitären Logistik beleuchtet. Abschließend wird unter Darstellung eines optimierten Einsatzes kombinierter Technologien eine Handlungsempfehlung für den effizienten Einsatz von Informationstechnologien in der humanitären Logistik vorgestellt. Hintergrund Der zunächst nicht kritisch erscheinende globale Anstieg von Naturphänomenen kann bei genauerer Betrachtung erhebliche Probleme bergen - nämlich dann, wenn sich die auftretenden Naturphänomene zu Naturkatastrophen entwickeln [3]. In diesem Fall kann eine schnelle Handlung von großer Bedeutung sein für die schnelle Soforthilfe und die daraus resultierende Anzahl an Überlebenden [4]. Einen großen Anteil des Aufwands humanitärer Interventionen in Krisengebieten trägt dabei die Logistik. Für eine korrekte und schnelle Reaktion auf Naturkatastrophen ist es relevant, sich bewusst zu machen, welchen Herausforderungen in diesem Zusammenhang die Logistik begegnen muss. Hierfür ist es wichtig zu verstehen, welche Handlungen nach dem Auftreten von Naturkatastrophen in welcher Reihenfolge durchgeführt werden müssen und welche Herausforderungen sich für die einzelnen Prozessschritte im Besonderen ergeben [5]. Weiterführend ist zu erwähnen, dass verschiedene Ausprägungsformen von Naturkatastrophen in Wechselwirkungen zueinanderstehen oder weitere Auswirkungen, wie zum Beispiel den Zusammenbruch der Energie- und Bild 1: Akteure und deren Kompetenzen innerhalb der humanitären Logistik Eigene Darstellung in Anlehnung an [7] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 31 Informationstechnologie INFRASTRUKTUR Stromversorgung, nach sich ziehen können [5]. Ebenso können Kommunikationssysteme gestört sein. Das hätte wiederum Folgen für den zuverlässigen Einsatz von unterstützenden Informationstechnologien. Akteure und Herausforderungen entlang der humanitären Supply Chain Um einen Überblick zu geben, wie den allgemeinen Herausforderungen einer Naturkatastrophe entgegengetreten werden kann, werden in diesem Kapitel zunächst die Akteure der Supply Chain humanitärer Logistik betrachtet, bevor anschließend auf den Status quo und die daraus resultierenden Herausforderungen Bezug genommen wird. Zu den Akteuren zählen nicht nur die Verantwortlichen, welche notwendige Ressourcen zur Verfügung stellen, sondern auch Personen und Organisationen, welche im Rahmen der Katastrophenvorsorge und -bewältigung handeln. Die beteiligten Akteure können in drei Bereiche eingeordnet werden. Zunächst existieren, wie in Bild 1 dargestellt, die Mittelgeber, deren Aufgabe es ist, notwendige Güter zur Verfügung zu stellen. Dabei können diese in Form von staatlichen Einrichtungen sowie spendenden Privatpersonen auftreten. Je nach Reichweite der staatlichen Organisationen erfolgt die Differenzierung zwischen internationalen, nationalen oder im kommunalen Bereich agierenden Organisationen [6]. Ein weiterer Akteur sind Hilfsorganisationen, welche insbesondere den Bewältigungsprozess einer Katastrophe begleiten und vor allem für die eigentliche Verfügbarkeit von Hilfe zuständig sind. Hilfsorganisationen können staatlich oder nicht staatlich organisiert sein [7]. Im humanitären Supply Chain Netzwerk befinden sich zudem Akteure, wie zum Beispiel Logistikdienstleister, Privatpersonen, Regierungen, das Militär aber auch Personen, welche selbst von der jeweiligen Katastrophe tangiert wurden [6]. Die Rolle der Logistikdienstleister besteht dabei wie in Bild 1 erkennbar in der Aufgabe, sowohl die Ressourcenbündelung als auch die Ressourcenallokation für die Hilfsorganisationen zu planen und durchzuführen. Ihr fällt daher die Aufgabe zu, sämtliche Hilfsgüter und Personenströme adäquat zu koordinieren [7]. Entlang der Supply Chain der Hilfsgüterversorgung können dabei für die einzelnen Akteursgruppen durch die Anforderungen der auftretenden Naturkatastrophen allgemeingültige sowie spezielle Herausforderungen identifiziert werden. Die humanitäre Logistik ist dabei abzugrenzen von der kommerziellen Logistik, da der Fokus hier nicht auf wirtschaftlichen Aspekten liegt sondern auf den Faktoren Zeit und Versorgungssicherheit [7]. Die Steuerung und Überwachung von Hilfsgüterströmen entlang der gesamten Lieferkette findet im Vergleich zur kommerziellen Logistik auch in der humanitären Logistik eine immer höhere Bedeutung. Durch den erhöhten Vernetzungsgrad der Bevölkerung und der schnellen Verbreitung von Informationen steigt der Druck der Öffentlichkeit auf alle beteiligten Akteure. Diese sind gezwungen, eine schnelle Versorgung und Bereitstellung von Hilfe zu gewährleisten und im besten Fall durch präventive Maßnahmen vorbereitet zu sein. Die mediale Aufmerksamkeit generiert einen zusätzlichen Druck und erfordert einen reibungslosen Ablauf in der humanitären Supply Chain, um Ineffizienzen und Fehler zu vermeiden [8]. Vergleich zwischen kommerzieller und humanitärer Logistik Tomasini [8] skizziert die Eigenschaften einer humanitären Supply Chain unter anderem mit den eher unklaren Zielen der betroffenen Akteure, der begrenzten Ressourcenverfügbarkeit, der notwendigen Handlungsschnelligkeit, der hohen Unsicherheit und den politischen Umweltfaktoren im betroffenen Katastrophengebiet. Die Limitierung der Ressourcen bezieht sich auf verschiedene Faktoren. Erstens ist das Kapital, welches von den Spendern zur Verfügung gestellt wird, nicht immer gleich verfügbar, zweitens ist es schwierig, qualifiziertes Personal zu bekommen, das geschult ist, die hohe physische und psychische Belastung mit einer gewissen Rationalität zu bewältigen. Drittens stellt die durch Katastrophen oftmals stark zerstörte Infrastruktur eine weitere Herausforderung dar, denn die mit einer Katastrophe verbundene hohe Nachfrage an Ressourcen kann nur über eine bestehende Infrastruktur sichergestellt werden [8]. Bezogen auf den Punkt der politischen Umweltfaktoren sehen sich die Akteure der Supply Chain oft mit Problemen der politischen Strukturen in den jeweils betroffenen Gebieten konfrontiert. Dies erschwert die unabhängige und störungsfreie Hilfeleistung in allen Bereichen [8]. Bild 2 veranschaulicht den Aufbau einer Versorgungskette in der humanitären Logistik. Innerhalb dieser lassen sich kongruente Strukturen im Vergleich zur kommerziellen Logistik erkennen. Logistikdienstleister haben im Verlauf der Jahre eine zunehmend zentrale Funktion eingenommen und fungieren auch in der humanitären Supply Chain als relevante Akteure, die einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen von Hilfsaktionen leisten [7]. Gemäß Abidi, Zinnert und Klumpp bestehen wie in Tabelle 1 ersichtlich innerhalb humanitärer Supply Chains vor allem Ansprüche an die Struktur sowie Zuständigkeitsbereiche der einzelnen humanitären Organisationen, die oftmals nicht eindeutig und transparent zu sein scheinen. Des Weiteren fehlen in Krisengebieten Lagermöglichkeiten für zu verteilende Hilfsgüter sowie klare Verteilungsstrukturen. Durch beschädigte (Verkehrs-)Infrastruktur kann sich außerdem die Transportkapazität der Hilfslieferungen einschränken und es schwierig machen, Hilfsgüterlieferungen zu lokalisieren [7]. Außerdem ist die vermeintliche Konkurrenzsituation der einzelnen Hilfsorganisationen zu erwähnen, die zum einen dafür sorgt, dass die verschiedenen Hilfsorganisa- Bild 2: Darstellung der Entwicklung einer Versorgungskette in der humanitären Logistik Eigene Darstellung in Anlehnung an [7] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 32 INFRASTRUKTUR Informationstechnologie tionen nicht ausreichend miteinander kommunizieren und kooperieren und zum anderen unterschiedlich entwickelte beziehungsweise nicht miteinander kompatible IT-Systeme verwenden [9]. Die Folge ist ein mangelnder Informationsfluss entlang der gesamten Lieferkette. Da Naturkatastrophen darüber hinaus nur eingeschränkt prognostizierbar sind und Frühwarnsysteme in der Regel bislang nicht voll ausgereift sind, ist die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen notwendig. Hierbei muss der Herausforderung entgegengetreten werden, dass zu verteilende Hilfsgüter unter Umständen sehr verschiedenen Produktionszeiten unterliegen, aber dennoch alle zur selben Zeit verteilt werden müssen [7]. In der Tabelle 1 werden die Unterschiede zwischen der kommerziellen und humanitären Logistik anhand von verschiedenen Charakteristika dargestellt. Um diesen Herausforderungen innerhalb der humanitären Logistik bestmöglich entgegentreten zu können, kann sich der Vergleich mit den Lösungsansätzen der kommerziellen Logistik lohnen. Die kommerzielle Logistik überwindet Informationsasymmetrien vor allem durch den Einsatz zusätzlicher Technologien zur Schaffung von Austauschplattformen und demzufolge zur Vernetzung mit Logistikpartnern, Zulieferern und Kunden [8]. Dadurch ist für die eingesetzten Technologien innerhalb der vergangenen Jahre eine stetige Entwicklung zu beobachten [10]. Einsatz von Technologien für die Übermittlung von Informationen in der humanitären Logistik In der humanitären Logistik wird zum heutigen Stand, anders als in der kommerziellen Logistik bereits üblich, selten auf verschiedene Technologien für ein optimiertes Güterhandling zurückgegriffen [11]. Im Folgenden ist also zu klären, an welchen Schnittstellen der Einsatz welcher Technologie den größtmöglichen Nutzen innerhalb der Hilfsgüterversorgung bieten würde. Dabei muss für jede der betrachteten Technologien geklärt werden, welche bisher auftretenden Herausforderungen durch deren Einsatz in der humanitären Logistik überwunden werden können. Dabei kann die Nutzung einzelner Technologien grundsätzlich sehr unterschiedlich ausfallen. Je nach Einsatzart werden sie für verschiedene Aufgabenbereiche eingesetzt [12]. Die Voraussetzung für die Anwendung aller analysierten Technologien zur Übermittlung von Informationen ist allerdings ein hinreichender Ausbau der Netzinfrastruktur sowie des Mobilfunknetzes. Darauf basierend sind die eingesetzten Technologien mehr oder weniger performant und können mit höherer oder geringerer Ergebnisqualität eingesetzt werden [13]. Beispielsweise hat sich der Anteil der globalen Bevölkerung mit Internetzugang von weniger als 20 % im Jahr 2010 auf über 55,6 % im Jahr 2018 erhöht. Weiterhin wird ein zusätzlicher Anstieg der Weltbevölkerung mit Internetzugriff auf etwa 4,4 Milliarden Nutzer im Jahr 2021 erwartet [14]. Demgegenüber steht die Abdeckung des weltweiten Mobilfunknetzes bei nahezu 100 %. Von diesen Investitionen in die flächendeckende digitale Vernetzung kann auch die humanitäre Logistik profitieren, um zukünftig Informationsübermittlung gewinnbringend einsetzen zu können, denn für der Einsatz von verschiedenen Technologien wird vor allem für die Auswertung und Bereitstellung gesammelter Daten immer eine Netzwerkverbindung benötigt [12]. Um trotz aller Hemmnisse eine Handlungsempfehlung über einen ressourcensparenden und effizienten Einsatz der verschiedenen Technologien in der humanitären Logistik zu treffen, wird im Folgenden eine Auswahl einsetzbarer Technologien genauer beleuchtet. Diese Informationstechnologien sowie Technologien zur Übermittlung von Informationen wurden wegen ihrer bereits ausgereiften Entwicklung ausgewählt, wodurch ein zielführender Einsatz mit lediglich geringer Ausfallwahrscheinlichkeit gewährleistet werden kann. Dementsprechend werden anhand der im Vorfeld identifizierten Herausforderungen für den Einsatz der im Folgenden dargestellten Technologien die größten Potenziale gesehen. Big Data-Analysen Für die humanitäre Logistik bieten Big Data-Analysen den Lösungsansatz, große Datenmengen zu analysieren. Dadurch wird es den Akteuren entlang der humanitären Supply Chain möglich, die Herausforderung der geringen Prognostizierbarkeit zu überwinden und so der dementsprechend geringen Planbarkeit von benötigten Ressourcen entgegenzutreten. Hierfür ist die Voraussetzung ein Hochleistungsnetzwerk, innerhalb dessen große Datenmengen gesammelt, verarbeitet und in Echtzeit transferiert werden können [14]. „Big Data“ sind Basis einer Sammel- und Analysemethode für Daten verschiedenster Technologien. Beispielsweise können Geodaten, Verbindungsdatensätze oder Informationen aus sozialen Netzwerken und Satellitendaten analysiert und miteinander korreliert werden [5]. Durch die Auswertung und Analyse dieser Daten können größere Effizienzen durch eine genauere Prognose von zukünftig auftretenden Naturkatastrophen getroffen werden. Dementsprechend genauer fallen Verbrauchs- und Bestandsprognosen von Hilfsgütern aus. Track and Trace-Systeme in Kombination mit RFID-Technologie Bekannt ist die Methode des Track and Trace bereits zur Abfrage des Sendungsstatus sowie zur Lokalisierung von Versandstücken. Beispielsweise durch GPS-Signale können Positionsdaten einzelner Sendungen weitergeleitet werden. Darauf aufbauend kann zudem die voraussichtliche Ankunftszeit der Güter an ihrem Zielort prognostiziert werden [15]. In komplexen (internationalen) Lieferketten ermöglicht der Einsatz von Track and Trace-Systemen einen gesamtheitlichen Überblick über den Zustellungsstatus einer Sendung und trägt dazu bei, einen optimalen Logistikeinsatz zu gestalten [16]. Für den Einsatz in Katastrophengebieten kann die Positionsbestimmung von Hilfsgütern ein essentieller Vorteil sein. Zum einen müssen die Hilfsgüter schnell und effizient an einzelne Orte transportiert werden, zum anderen muss sichergestellt werden, dass die nachgefragten Hilfsgüter vollständig am Zielort ankommen [17]. Für die Positionsbestimmung der Hilfsgüter kann einerseits auf die bewährte GPS- Merkmale Kommerzielle Logistik Humanitäre Logistik Beschaffungszyklen regelmäßig unregelmäßig Planbarkeit planbar unplanbar Kosten Kostensenkung wird fokussiert Irrelevant Liefertermintreue relevant hat oberste Priorität Prozessketten benötigen hohe Standardisierung benötigen hohe Flexibilität Zuständigkeitsbereiche vollständig transparent Intransparent Lagermöglichkeiten gegeben und vollständig kalkulierbar nicht zwingend (ausreichend) gegeben bzw. nicht kalkulierbar Informationsfluss bestenfalls entlang der gesamten Supply Chain gegeben oft nicht oder nur mangelhaft gegeben Tabelle 1: Merkmalsvergleich zwischen kommerzieller und humanitärer Logistik Eigene Darstellung in Anlehnung an [7] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 33 Informationstechnologie INFRASTRUKTUR Technik zurückgegriffen werden. Hier können Positionsdaten über die Ausrüstung der eingesetzten LKW generiert und mittels GSM-Netz übertragen werden. Andererseits ist gerade die Erfassung von Warenein und -ausgängen an rechtlichen Gefahrenübergängen zwischen den Akteuren humanistischer Supply Chains relevant, um von vornherein Haftungsstreitigkeiten bei Güterverlusten ausschließen zu können. Der Einsatz von RFID-Technologie zur Identifikation von Waren und Gütern in großen logistischen Netzwerken entlang der kompletten Transportkette ist hierfür eine preisgünstige, wenn auch aufwändige Möglichkeit, die Warenein- und Ausgänge der Hilfsgüter bei den jeweiligen Akteuren zu verfolgen [18]. Der besondere Vorteil von RFID-Technologie liegt in der Möglichkeit, Daten zwischen dem mit einem Transponder versehenen Objekt und einem speziellen Lesegerät kontaktlos versenden zu können [19]. Mit dem Einsatz der RFID-Technologie könnte somit zukünftig der Prozess von Wareneingangskontrollen eingespart und die freigewordenen Mitarbeiterressourcen anderweitig eingesetzt werden. Eine weitere Option wäre die direkte Verwendung RFID-tauglicher GPS-Ortungsgeräte, mit denen sowohl die Positionsbestimmung der Hilfsgüter auf dem Transportweg, als auch das automatische Setzen von Zeitstempeln für Wareneingänge und -ausgänge erfolgen können [19]. Der Vorteil des Einsatzes dieser spezifischen RFID-Transponder liegt in der Kombinationsmöglichkeit beider Ortungsmethoden in einem Gerät. Negativ bewertet werden muss die Tatsache, dass für die optimale Positionsbestimmung der Hilfsgüter sämtliche in die Güterbereitstellung involvierten Akteure ihre eigene Unternehmensinfrastruktur mit RFID-Lesern und Middleware aufrüsten müssen. Die Positionsbestimmung von Hilfsgütern bietet im Zweifelsfall allerdings keinen sicheren Schutz vor Diebstahl. Drohnen Die Drohne, welche in den vergangenen Jahren eine verstärkte wissenschaftliche Aufmerksamkeit bekam, ist im Zuge dieser Thematik ebenfalls zu nennen. Drohnen können zum einen als Überwachungsdrohnen eingesetzt werden, zum anderen ist aber auch das Aufnehmen von Daten und Messungen möglich. Beide Maßnahmen steigern die Informationsqualität über das betroffene Gebiet und ermöglichen so den gezielteren Einsatz von Hilfsmaßnahmen. Ein weiteres Einsatzgebiet stellt der Transport von Lasten im kleinvolumigen Bereich und der Transport von Personen mit Groß- Drohnen wie den sogenannten „Volocoptern“ dar [20]. Hinsichtlich der humanitären Logistik sollen insbesondere diese Einsatzmöglichkeiten näher beschrieben werden. Das aktuelle Transportvermögen und die Reichweite von Drohnen sind sehr begrenzt, trotzdem können sie ein wichtiger Vorteil sein, um eine erste Versorgung mit kleinvolumigen Hilfsmitteln, wie Medikamenten, herzustellen. Im Gegensatz zu anderen Flugobjekten, wie Hubschraubern oder Kleinflugzeugen, sind diese in ihrer Anschaffung und im Einsatz kostengünstiger [21]. In Katastrophengebieten, bei denen es oftmals durch die Zerstörung zu schwer zugänglichen Regionen kommt, stellt die Drohne in der Funktion als Transportmittel beispielsweise bei der Erstversorgung mit Medikamenten eine flexible und schnelle Alternative dar [22]. Als Beispiel kann hier das Land Papua-Neuguinea aufgeführt werden. Das Land, welches mitunter eine der weltweit höchsten Tuberkuloseraten aufweist, bediente sich dieser Einsatzmöglichkeiten von Drohnen. Hierbei wurden Bluttests der Menschen in schwer zugänglichen Gebieten in nächst größere Krankenhäuser gesendet. Anschließend konnte die Testauswertung und im Falle einer Erkrankung auch simultan der Impfstoff mittels Drohne in kleinen Paketen zurückgesendet werden [22]. In Tabelle 2 wird der Mehrwert des Einsatzes der vorgestellten Technologien aufgezeigt. Dabei wird der Bezug auf bisherige Herausforderungen in der humanitären Logistik hergestellt. Die Potenziale der einzelnen Technologien sind vielfältig und weisen alle für sich Alleinstellungsmerkmale auf, die es an unterschiedlichen Stellen ermöglichen, die humanitäre Logistik im Positiven zu unterstützen. Im Folgenden soll dargestellt werden, wie eine potenzielle zukünftige Prozesskette unter Einbeziehung der vorgestellten Informationstechnologien gestaltet werden kann, um ein bestmögliches Handling von Hilfsgütern entlang der gesamten Distributionskette zu gewährleisten. Kombinierter Einsatz verschiedener Technologien in der humanitären Logistik Anhand der zuvor durchgeführten Literaturrecherche wurde eine in Bild 3 dargestellte Supply Chain unter kombinierter Anwendung der vorgestellten Technologien zur Übermittlung von Informationen erstellt. Hierbei wurde unterschieden zwischen präventiven Maßnahmen, die bereits vor dem Eintritt einer Naturkatastrophe durchgeführt werden sollten, sowie den reaktiven Maßnahmen danach. Erstens sollte der Einsatz von Big Data- Analysen zur zukünftigen Erstellung verlässlicher Prognosen von Naturkatastrophen angestrebt werden. Durch den Einsatz von Big Data könnten zukünftig benötigte Hilfsgüter proaktiv und bedarfsgerecht bereits vor dem Eintreten der Naturkatastrophe zusammengestellt und gebündelt werden. Eine bedarfsgerechte Verteilung der verschiedenen Arten von Hilfsgütern findet ebenfalls ihre Grundlage in der Verwendung von Big Data-Analysen. Zweitens sollten alle Prozessbeteiligten zur Beschaffung von Informationen auf dieselbe Plattform zugreifen können. Dort sollten bestenfalls sowohl Hilfsgüterbedarfe als auch bereitgestellte Ressourcen transparent abrufbar werden. Ein Vorteil ist hier die spätere Zeitersparnis bei der finalen Zuordnung und Verteilung von Hilfsgütern. Gleichzeitig könnten durch eine genauere Prognose zum Auftreten von Naturkatastrophen Menschen proaktiv aus kritischen Regionen evakuiert werden. Sollte die Evakuierung von Personen nicht mehr rechtzeitig erfolgen, kann drit- Technologie Bisherige Herausforderung Mehrwert des Einsatzes Drohne Unsicherheiten des Geländes zerstörte Infrastruktur Hilfspersonen nicht im direkten Gefahrenfeld, Medikamentenlieferungen sofort möglich Big Data Begrenzte Ressourcenverfügbarkeit, geringe Prognostizierbarkeit verbesserte Planbarkeit von Verbrauchs und Bestandsprognosen, erhöhte Produktivität durch Prozessoptimierung Track & Trace- Systeme/ RFID Warenverluste durch Plünderungen und Überfälle Hoher Personalaufwand durch geringe Prozesstransparenz Sicherstellung von Warenankünften Verbesserung der Effizienz und Transparenz Ressourceneinsparung bei Wareneingangskontrollen Tabelle 2: Gegenüberstellung von Herausforderungen der humanitären Logistik und Potenzialen durch den Einsatz spezifischer Technologien Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 34 INFRASTRUKTUR Informationstechnologie tens der Einsatz von Drohnen zu Aufklärungszwecken beziehungsweise der Erstversorgung mit Medikamenten entscheidend sein. Eine Erstversorgung wird für Gebiete geleistet, welche durch eine zerstörte Infrastruktur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Der Einsatz von Drohnen würde den direkten Ersteinsatz von Hilfspersonal in Gegenden mit ungewissem Gefahrenpotenzial ersetzen. Stattdessen können Hilfspersonen dann eingesetzt werden, wenn die Situation als definitiv unkritisch eingestuft werden kann. Viertens sollten Krisenregionen geographisch in gefährliche und ungefährliche Regionen unterteilt werden. Mittels Track and Tracing sollte sichergestellt werden, dass Hilfstruppen kritische Zonen meiden beziehungsweise vor dem versehentlichen Befahren gewarnt werden können. Gleichzeitig bietet es sich an, den Einsatz von RFID-Technologie entlang der gesamten Versorgungskette zu durchdenken. Die Vernetzung aller vorgestellten Technologien kann letztlich für eine erhöhte Transparenz zwischen den einzelnen Akteuren der humanitären Logistik sorgen. Fazit Der Einsatz von Technologien zur Übermittlung von Informationen in der humanitären Logistik ist mit großen Herausforderungen verbunden. Jede auftretende Naturkatastrophe zieht individuelle Anforderungen nach sich, die es gesondert zu prüfen gilt [5]. Dieser Beitrag gibt einen Einblick, welche grundlegenden Maßnahmen sowohl präventiv als auch während eines humanitären Hilfseinsatzes beachtet werden müssen. Der effiziente Einsatz von Informationstechnologien kann einen Beitrag leisten, Menschenleben zu retten. Die bessere Koordination der einzelnen Akteure, die stetige Verbesserung der Prozesse sowie der bedarfsgerechte Ressourceneinsatz werden durch die vorgestellten Technologien fokussiert. Wichtig ist, dass zwischen den verschiedenen Akteuren entlang der gesamten Supply Chain Transparenz geschaffen wird und Kommunikationsbarrieren abgebaut werden, um in Zukunft den Fortschritt der Technologien, welche sich teilweise schon in der kommerziellen Logistik etabliert haben, auch in der humanitären Logistik zu nutzen. ■ LITERATUR [1] A. O. J. Nolte: Klimawandel: Eine Herausforderung für die Wirtschaft: Handlungsoptionen für Industrieunternehmen in Deutschland. Hamburg, 2008. [2] A. Thomas: Humanitarian Logistics: matching recognition with responsibility. In: Freight & Logistics (2005), S. 32-34. [3] R. P. J. Geipel: Naturgefahren und Naturrisiken. In: Geographische Rundschau Bd. 54 (2002), Nr. (1), p. 2. [4] T. Klose: Naturkatastrophen und ihre Ursachen. In: Handbuch Humanitäre Hilfe. Berlin, Heidelberg, Springer, 2013, pp. 186-191. [5] M. Szgelat: Naturkatastrophen und Naturphänomene. www.naturkatastrophen.mobi/ . Zugriff am 08 05 2019. [6] O. S.-W. A. 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Sarah Kohl Studiengang Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik, Stuttgart 82kosa1mul@hft-stuttgart.de Antonio Olivieri Studiengang Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik, Stuttgart 82olan1mul@hft-stuttgart.de Oliver Baldauf Studiengang Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik, Stuttgart 82baol1mul@hft-stuttgart.de Bild 3: Darstellung einer optimalen Kombination verschiedener IT-Technologien in der humanitären Logistik Eigene Darstellung Dieter Uckelmann, Prof. Dr.-Ing. Studiendekan Informationslogistik, Hochschule für Technik, Stuttgart dieter.uckelmann@hft-stuttgart.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 35 Optimierung der Passagierabfertigung an Flughäfen während Strommangellagen Flughafen, Passagiersimulation, Passagierabfertigung, Strommangellage, Risikomanagement, Ressourcenoptimierung In den letzten Jahren hatten Stromausfälle an verschiedenen Flughäfen gravierende Folgen, die bis zu einem Flugbetriebsstillstand führten. Während dieser Situationen kam es vor allem im Flughafenterminal bei der Passagierabfertigung zu Problemen. Anders als beispielsweise für die Flugsicherungssysteme gibt es im Flughafenterminal keine Vorschriften, in welchem Umfang die Stromversorgung der Systeme weiterhin aufrecht erhalten werden muss. Inwieweit eine Reduktion der Prozessstationen bei der Passagierabfertigung im Flughafenterminal möglich ist, ohne dass der Flugbetrieb zum Erliegen kommt, hat das DLR-Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr im Rahmen des Forschungsprojekts „Flughafen-Blackout“ untersucht. Lisa-Marie Brause, Andrei Popa, Tobias Koch E in funktionierendes Luftverkehrssystem ist gerade in Hinblick auf das stetig wachsende Passagieraufkommen und einer steigenden Abhängigkeit der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik von den Vorteilen des Luftverkehrs unverzichtbar [1, 2]. Nachfolgend beispielhaft aufgeführte Ereignisse zeigen, dass es bei Systemausfällen immer wieder zu einem Zusammenbruch des gesamten Flugbetriebs an dem betreffenden Flughafen kam. Es gibt zwar Sicherheitsmaßnahmen, wie Notstromaggregate, die diesen Zustand verhindern sollen, jedoch verdeutlichen die vergangenen Vorkommnisse, dass die Vorsichtsmaßnahmen nicht ausreichend waren, um einen Gesamtausfall des Flugbetriebs zu verhindern. Im Dezember 2017 kam es beispielsweise aufgrund eines Brandes in einer elektrischen Anlage am Flughafen Hartsfield-Jackson in Atlanta zu einem Stromausfall, der dazu führte, dass die Passagierabfertigung komplett zusammen gebrochen ist und mehr als 1.000 Flüge gestrichen werden mussten. Nach diesem Ereignis sagte ein Pressesprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV), dass deutsche Flughäfen auf einen Stromausfall bestens vorbereitet seien und es daher in Deutschland nicht zu einem solchen Vorfall kommen könne. Deutsche Flughäfen seien durch eine redundante Stromversorgung so ausgestattet, dass der Flugbetrieb auch bei einem Stromausfall mehrere Stunden weiterlaufen könne [3]. Der Stromausfall am Hamburger Bildquelle: Autoren/ pixabay Wissenschaft INFRASTRUKTUR Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 36 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Flughafen im Juni 2018 hat gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. Am 3. Juni 2018 kam es aufgrund eines Kurzschlusses im Stromnetz des Flughafens zu einem Stromausfall, der dazu führte, dass der Flugbetrieb an diesem Tag komplett zum Erliegen kam. Obwohl durch die redundante Stromversorgung und Notstromaggregate noch ein Teil des Stroms verfügbar gewesen sein müsste, konnte ein Zusammenbruch des gesamten Systems nicht verhindert werden. Ca. 200 Flüge mussten an diesem Tag gestrichen werden und mehrere tausend Passagiere wurden an ihrer Weiterreise gehindert. [4] Die Ereignisse zeigen, dass eine bessere Vorsorge für Systemausfälle im Sinne des Notfallmanagements an Flughäfen unverzichtbar ist, um zukünftig besser auf solche Situationen reagieren zu können. Durch einen verbesserten Umgang mit der Störung kann diese zwar nicht verhindert, jedoch das Ausmaß der Störung reduziert werden. Projektziele und Motivation Das DLR-Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr beschäftigt sich seit Jahren u.a. mit der Optimierung von Flughafenprozessen für Passagiere, Gepäck und Fracht sowie mit Personensimulationen. Die dort gewonnenen Erfahrungen wurden im Rahmen des Forschungsprojektes „Flughafen-Blackout“ angewandt. Ziel war es, das Ressourcenmanagement im Flughafenterminal während Systemstörungen zu verbessern, sodass auch bei Strommangellagen der Flugbetrieb aufrechterhalten werden kann. Dafür wurde mit Hilfe einer Simulation und einer Parameterstudie untersucht, wie der in der jeweiligen Situation verfügbare Strom optimal auf die Passagierabfertigungsprozesse verteilt werden kann, damit möglichst wenige Passagiere ihren Flug verpassen. Hierdurch kann eine Minimalkonfiguration der Prozessstationen abhängig von der Stromsituation am Flughafen bestimmt werden. Diese bietet den Flughafenbetreibern während eines Systemausfalls, wie einer Strommangellage, eine Entscheidungsunterstützung, auf welche und wie viele Servicestationen an den Teilprozessen der Passagierabfertigung verzichtet werden kann, ohne dass der Flugbetrieb zum Erliegen kommt. Simulationsmodell Um diese Minimalkonfiguration im Flughafenterminal zu bestimmen, wurde als Methodik die Durchführung einer mesoskopischen Simulation ausgewählt [5]. Dabei ermöglicht diese Art der Betrachtung, die Komplexität sowie das Wirkungsgefüge der Passagierprozesse an einem Flughafen abzubilden. Für die Untersuchung wurde ein Modell eines generischen mittelgroßen Verkehrsflughafens entwickelt, welches auf Komponenten realer Flughäfen aufbaut. Diese Komponenten wurden dem Flughafen Köln-Bonn entnommen und basieren auf öffentlichen Informationen. Die Simulationslogik des Modells ist in Bild 1 dargestellt. Die Passagiere werden einzeln modelliert, doch unterliegt ihr Verhalten statistischen Verteilungsfunktionen bzgl. der Gepäckaufgabe oder des Check-ins im Flughafenterminal. Interaktionen zwischen den Passagieren werden nur teilweise berücksichtigt. An einer Prozessstation kann nur ein Passagier zeitgleich abgefertigt werden und die Passagiere müssen in Warteschlangen auf eine freie Servicestation warten. Interaktionen der Passagiere zwischen den Prozessstationen aufgrund der- räumlichen Abmessungen werden allerdings vernachlässigt. Hinzukommend wurden Echtdaten des Realsystems berücksichtig, die als Eingangsdaten in die Simulation eingehen. Betrachtet wurden • die Bearbeitungszeiten an den jeweiligen Prozessstationen, • die Wegstrecken zwischen den Prozessstationen, • die Laufgeschwindigkeit der Passagiere, • die Anzahl der Passagiere im Tagesverlauf sowie • die Ankunftsverteilung der Passagiere bezogen auf ihren Flug. Mit Hilfe dieser Ankunftsverteilung wurden die Ankunftszeitpunkte der einzelnen Passagiere am Flughafen ermittelt. Zu welchem Zeitpunkt jeder spezifische Passagier am Flughafen eintrifft, basiert auf deterministischen Zufallszahlen. Um den Einfluss der Zufallszahlen auf die Ergebnisse zu bestimmen, wurden fünf Datensätze mit unterschiedlichen Ankunftszeitpunkten der Passagiere generiert. Check-in? Fluggesellschaft? Check-in/ Gepäckaufgabe Eingang Terminal Sicherheitskontrolle Passkontrolle Check-in geöffnet? Schengen? Gatenummer Boarding geöffnet? Boarding Ja Reisegepäck? Nein Ja Nein Ja Ja Flug verpasst Nein Ja Nein Flug verpasst Nein Bild 1: Simulationsablauf Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 37 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Parameterstudie Für die Untersuchung wurde ein Parameterraum erstellt, welcher die verschiedenen Kombinationen der Prozessparameter beinhaltet. Diese sind im Modell durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Servicestationen des Check-ins, der Sicherheitskontrolle und der Passkontrolle definiert. Das Ziel der Parameterstudie war es, zu ermitteln, wie sich die Veränderung der drei Prozessparameter auf das Modellverhalten und die Anzahl der Passagiere, die ihren Flug verpassen, auswirkt. Der Parameterraum stellt den Bereich dar, in dem die Prozessparameter variiert wurden. Er wird durch die drei Vektoren der Prozessparameter aufgespannt, welche in Bild 2 dargestellt sind. Auf den Achsen ist die Anzahl der Sicherheitskontrollen, der Check-in-Schalter und der Passkontrollen aufgetragen. Die Punkte stellen die Koordinaten des Parameterraums dar, für die Simulationsdurchläufe durchgeführt wurden. Den Ursprung haben die Vektoren jeweils bei der Anzahl der maximal am Referenzflughafen Köln- Bonn verfügbaren Servicestationen. Für den Check-in stehen maximal 86 Schalter zur Verfügung, für die Sicherheitskontrolle maximal 26 und für die Passkontrolle maximal 6 Servicestationen. Es wird davon ausgegangen, dass alle Prozesse weiterhin ablaufen müssen, damit der Flugbetrieb aufrechterhalten werden kann. Daher muss an jedem Teilprozess zunächst mindestens eine Servicestation verfügbar sein. Mit steigender Anzahl der Passagiere, die ihren Flug verpassen, sinkt der durchschnittliche Sitzplatzladefaktor (SLF) der über den Tag startenden Flugzeuge. Bei der vorliegenden Untersuchung entspricht der maximale SLF dem durchschnittlichen SLF in Deutschland von 77,6 % im Jahr 2017 [6]. Ab einem bestimmten SLF lohnt es sich für die Fluggesellschaften wirtschaftlich nicht mehr den Flug durchzuführen, da dann die Einnahmen durch die Flugtickets geringer sind als die variablen Betriebskosten, die z.B. durch den Treibstoffverbrauch oder die Luftverkehrssteuer entstehen. Dieser Sitzladefaktor wird break-even Sitzladefaktor (break-even SLF) genannt. [7] Der break-even SLF variiert zwischen den einzelnen Fluggesellschaften und der Länge der Flugstrecke, da er zum Beispiel abhängig von den Preisen der Flugtickets, den variablen Betriebskosten und der wirtschaftlichen Situation der Fluggesellschaften ist [7]. In den letzten Jahren lag der break-even SLF im Mittel bei 66 % [8]. Dieser break-even SLF wird für die Simulation als Abbruchkriterium genutzt. Wenn die Anzahl der verfügbaren Servicestationen an den jeweiligen Teilprozessen der Passagierabfertigung so gering ist, dass der SLF unter den break-even SLF fällt, wird diese Kombination als untere Grenze für den Parameterraum festgelegt. Für die Fluggesellschaften würde es sich in dieser Situation wirtschaftlich nicht mehr lohnen den Flug durchzuführen. Zunächst blieben jeweils zwei der Prozessparameter konstant und nur ein Parameter wurde so lange reduziert, bis der resultierende SLF unter den break-even SLF fällt. Es wurden so viele Simulationsdurchläufe durchgeführt, bis auf diese Weise alle Kombinationen der festgelegten Punkte des Parameterraums simuliert wurden. Erste Versuchsdurchläufe ergaben, dass eine Verminderung der Check-in-Schalter zunächst geringe Auswirkung auf die Anzahl der Passagiere hat, die ihren Flug nicht erreichen. Daher betragen die Intervalle bis zu einer Reduktion auf 46 Check-in-Schalter zunächst 10 Schalter. Anschließend werden diese Intervalle bis zu einer Reduktion auf 6 Check-in-Schalter halbiert. Erste Durchläufe haben gezeigt, dass der break-even SLF bei einer Anzahl von 6 Check-in-Schaltern, 19 Sicherheitskontrollen oder 2 Passkontrollen unterschritten wird. Diese Werte stellen daher die untere Grenze der jeweiligen Vektoren dar (siehe Bild 2). Darstellung und Diskussion der Simulationsergebnisse Auf Basis des zuvor beschriebenen Parameterraums wurde ein realer Betriebstag an einem generischen mittelgroßen Flughafen simuliert. Dabei wurde untersucht, wie sich der SLF verändert, wenn die verfügbaren Servicestationen am Check-in, an der Sicherheitskontrolle und der Passkontrolle reduziert werden. Es wurden jeweils 520 Simulationsdurchläufe mit den fünf unter- 2 3 26 4 5 6 Anzahl der Passkontrollen 25 24 23 22 86 21 76 66 56 20 46 Anzahl der Check-in Schalter 41 36 31 19 26 21 16 11 6 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 Anzahl der Sicherheitskontrollen break-even SLF von 66% maximaler SLF von 77,6% SLF-Faktor in % Bild 2: Darstellung der Mittelwerte der Ergebnisse 2 3 26 4 5 6 Anzahl der Passkontrollen 25242322 86 21 76 66 56 20 46 Anzahl der Check-in Schalter 41 36 31 19 26 21 16 11 6 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5 5 Anzahl der Sicherheitskontrollen Standardabweichung in % Bild 3: Darstellung der Standardabweichung der Ergebnisse Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 38 INFRASTRUKTUR Wissenschaft schiedlichen Datensätzen durchgeführt. Für die Resultate der Durchläufe mit den verschiedenen Datensätzen, aber gleichen Parameterkombinationen, wurden jeweils der Mittelwert und die Standardabweichung gebildet. Die Standardabweichung spiegelt dabei den Einfluss der gewählten Zufallszahlen auf die Simulationsergebnisse wider. In Bild 2 sind die Mittelwerte und in Bild 3 die entsprechende Standardabweichung für alle simulierten Parameterkombinationen zu sehen. Der blaue Bereich stellt jeweils den untersuchten Parameterraum dar. Der mittlere SLF, der sich bei der entsprechenden Kombination der Servicestellen an den Teilprozessen ergibt, ist in Bild 2 farblich codiert. Die Legende neben dem Parameterraum zeigt, wie die Farbgebung mit dem durchschnittlichen SLF der Flüge über den Tag zusammen hängt. Die blaue gestrichelte Linie gibt den im Modell maximal möglichen SLF von 77,6 % an. Die rote gestrichelte Linie stellt den break-even SLF in Höhe von 66 % dar. Helle Punkte weisen auf einen hohen SLF hin. Je dunkler die Farbgebung, desto geringer ist der SLF. Weiße oder gelbe Punkte geben an, dass der mittlere SLF über dem break-even SLF von 66 % liegt. Dunkelbraune und schwarze Punkte deuten darauf hin, dass der mittlere SLF unter den break-even SLF fällt. Bei hellbraunen Punkten liegt der SLF nahe an dem break-even SLF. Wenn alle verfügbaren Servicestationen der drei Teilprozesse geöffnet sind, liegt der SLF zwischen 70 % und 76 % und somit über dem break-even SLF. In Bild 2 ist zu erkennen, dass sich der SLF bei der Reduktion der Check-in-Schalter zunächst nicht signifikant verändert. Ab einer Anzahl von 16 Check-in-Schaltern ist eine Veränderung des SLFs zu sehen und ab 11 verfügbaren Check-in-Schaltern sinkt der SLF unter den break-even SLF. Bei der Reduktion der Sicherheitskontrolle ist ebenfalls zunächst keine deutliche Auswirkung auf den SLF zu erkennen. Ab einer Anzahl von 21 Servicestationen an der Sicherheitskontrolle steigt die Auswirkung der Verminderung der Ressourcen auf den SLF zunehmend an. Bei 19 und 20 geöffneten Servicestationen an der Sicherheitskontrolle liegt der SLF unter dem breakeven SLF. Wird die Anzahl der Servicestationen an der Passkontrolle reduziert, ist ebenso zunächst kein signifikanter Einfluss auf den SLF zu erkennen. Erst bei 2 Servicestellen ist eine Veränderung des SLF zu sehen. Hier fällt dieser auf einen Wert knapp unter dem break-even SLF. Bild 3 zeigt, wie stark sich die Ergebnisse der einzelnen Durchläufe unterscheiden. Die prozentuale Standardabweichung ist über die Farbgebung der Punkte zu erkennen. Dunkle Punkte stellen eine hohe Standardabweichung dar. Helle Punkte symbolisieren eine niedrige Standardabweichung. Die maximale Abweichung der Ergebnisse bei allen Parameterkombinationen liegt unter 6 %. Bei einer hohen Anzahl aller Servicestationen an den drei betrachteten Teilprozessen der Passagierabfertigung unterscheiden sich die Ergebnisse der einzelnen Durchläufe sogar nur um weniger als 1 %, weshalb die Auswahl der Ankunftszeitpunkte als Ursache des sinkenden SLF ausgeschlossen werden kann. Die Ergebnisse der Parameterstudie verdeutlichen, dass eine Reduktion des Check-ins auf eine Anzahl von 26 verfügbare Check-in-Schalter möglich ist, ohne dass die Anzahl der Passagiere, die ihren Flug verpassen, erkennbar zunimmt. Wenn aufgrund einer Systemstörung eine weitere Verminderung der Ressourcen am Check-in notwendig ist, können diese auf 21 oder 16 Schalter reduziert werden. Es muss dann allerdings damit gerechnet werden, dass der Anteil der Passagiere, die ihren Flug verpassen, um bis zu 5 % ansteigt. Eine weitere Reduktion der Check-in-Schalter ist basierend auf den Ergebnissen dieser Simulationsstudie nicht zu empfehlen, da sonst der Anteil der besetzten Sitzplätze in den Flugzeugen zu gering wird. Eine Reduktion der Ressourcen an der Sicherheitskontrolle wirkt sich bereits ab der ersten Servicestation erkennbar auf die Anzahl der Passagiere aus, die ihren Flug nicht erreichen. Ist allerdings aufgrund der Situation am Flughafen eine Verringerung der Ressourcen an der Sicherheitskontrolle unumgänglich, kann diese bis auf 22 verfügbare Servicestellen reduziert werden, ohne dass die Anzahl der Passagiere, die ihren Flug verpassen, so hoch wird, dass der break-even SLF unterschritten wird. Bei 21 verfügbaren Servicestationen an der Sicherheitskontrolle liegt der mittlere Anteil besetzter Sitzplätze in den Flugzeugen knapp unter dem break-even SLF. Da die zufallsbedingten Schwankungen des SLF zwischen 2 % und 3 % liegen, kann nicht eindeutig bestimmt werden, ob der break-even SLF bei 21 Servicestationen an der Sicherheitskontrolle knapp überschritten oder unterschritten wird. Ab einer Anzahl von 20- Servicestationen ist die Anzahl der Passagiere, die ihren Flug nicht erreichen, so hoch, dass von einer Reduktion der Sicherheitskontrolle unter 21 Servicestationen abzuraten ist. Eine Reduktion der Passkontrolle bis auf 3 verfügbare Servicestationen ist nach den Simulationsergebnissen ebenfalls ohne signifikante Zunahme verspäteter Passagiere möglich. Eine Verminderung der Ressourcen auf 2-Passkontrollen führt dazu, dass sowohl auf die Anzahl der Nicht-Schengen-Passagiere als auch auf das gesamte Passagieraufkommen betrachtet so viele Nicht-Schengen-Passagiere ihren Flug verpassen, dass ein Regelflugbetrieb nicht mehr möglich ist. Da keine Angaben bezüglich des Stromverbrauchs der jeweiligen Teilprozesse zur Verfügung stehen, kann keine Aussage bezüglich einer optimalen Kombination der Servicestationen getroffen werden. Die Ergebnisse der Simulation liefern allerdings eine Entscheidungshilfe, welche Variationen der Servicestellen als unkritisch, kritisch oder nicht ausreichend in Bezug auf einen funktionierenden Flugbetrieb angesehen werden. Diese Übersicht ist in Tabelle 1 dargestellt. Wenn aufgrund einer Systemstörung z. B. weniger Strom zur Verfügung steht, ist zu empfehlen, zunächst unkritisch kritisch nicht ausreichend Servicestationen am Check-in 86-26 21-16 11-6 Servicestationen an der Sicherheitskontrolle 26 25-21 20-19 Servicestationen an der Passkontrolle 6-4 3 2 Tabelle 1: Bewertung der Anzahl verfügbarer Servicestationen an den Teilprozessen der Passagierabfertigung als unkritisch, kritisch und nicht ausreichend, um den Flugbetrieb aufrechterhalten zu können Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 39 Wissenschaft INFRASTRUKTUR die Anzahl der Servicestationen des Check-ins und der Passkontrolle zu reduzieren. Bis zu einer Anzahl von 26 Servicestationen am Check-in bzw. 4 an der Passkontrolle hat die Reduktion nur einen geringen Einfluss auf die Anzahl der Passagiere, die ihren Flug verpassen. Ist eine weitere Verminderung der Ressourcen notwendig, können auch die Servicestationen an der Sicherheitskontrolle reduziert werden. Eine Reduktion auf weniger als 16 Schalter am Check-in, 21 Servicestationen an der Sicherheitskontrolle oder drei an der Passkontrolle sollte auch bei Systemstörungen vermieden werden. Dies würde dazu führen, dass so viele Passagiere ihren Flug nicht erreichen, dass der SLF unter den break-even SLF fällt und ein Regeflugbetrieb am betreffenden Flughafen nicht mehr möglich ist. Fazit und Ausblick Im Rahmen des Forschungsprojektes „Flughafen-Blackout“ wurde untersucht, wie eine Ressourceneinsparung bei der Passagierabfertigung im Flughafenterminal möglich ist, ohne dass der Flugbetrieb zusammenbricht. Ziel war es, den verantwortlichen Akteuren am Flughafen, beispielsweise während Stromausfällen, eine Entscheidungshilfe zu bieten, auf welche und wie viele Servicestationen der Passagierabfertigung verzichtet werden kann, ohne dass der Flugbetrieb zum Erliegen kommt. Die Ergebnisse der Simulation zeigen, dass eine Reduktion der verfügbaren Servicestationen am Check-in von maximal 86 auf 26 Schalter und an der Passkontrolle von maximal 6 auf 4 Servicestationen möglich ist, ohne einen Einfluss auf die Anzahl verspäteter Passagiere hervorzurufen. Die Sicherheitskontrolle stellt den Engpass bei der Passagierabfertigung dar. Schon ab der Reduktion von einer Servicestation an der Sicherheitskontrolle ist mit einer Verminderung des mittleren SLFs zu rechnen. Da diese Auswirkungen bei einer hohen Anzahl an Sicherheitskontrollen innerhalb weniger Prozentpunkte liegen, ist eine geringe Reduktion der Servicestationen bei Systemausfällen möglich, ohne dass der Flugbetrieb zusammenbricht. Mit Blick auf den break-even SLF sollte eine Reduktion der Ressourcen am Check-in unter 16-Schalter, an der Sicherheitskontrolle unter 21 und an der Passkontrolle unter 3 Servicestationen vermieden werden. Da das System des Flughafenterminals sehr komplex ist, wurden für den Aufbau der Simulation mehrere Vereinfachungen und Annahmen getroffen. Inwiefern beispielsweise eine Einführung von räumlichen Abgrenzungen des Flughafenterminals in das Simulationsmodell, eine variable Anpassung der Servicestationen an ein schwankendes Passagieraufkommen im Tagesverlauf oder unterschiedliche Flugpläne Einfluss auf die Ergebnisse dieser Untersuchung haben, sollte näher untersucht werden und stellt ein Forschungsthema weiterer Projekte dar. Zudem wurde in diesem Projekt lediglich die Passagierabfertigung beim Abflug betrachtet. Inwiefern bei weiteren Prozessen am Flughafenterminal, beispielsweise bei der Gepäckabfertigung, während Systemausfällen Ressourceneinsparungen möglich sind, sollte ebenfalls in weiteren Arbeiten näher untersucht werden. Die Ergebnisse dieser Studie liefern daher einen ersten Ansatz für eine Verbesserung der reaktiven Maßnahmen bei Systemausfällen an Flughäfen, der in weiteren Projekten näher untersucht und konkretisiert werden muss. Die Ergebnisse finden dann nicht nur bei Systemausfällen in Form von Strommangellagen am Flughafen Anwendung, sondern beispielsweise auch bei Personalmangel, technischen Problemen an einzelnen Servicestationen oder einem partiellen Ausfall der IT. Immer dann, wenn Ressourcen für die Passagierabfertigung nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen, können die Erkenntnisse die verantwortlichen Akteure bei der Entscheidungsfindung unterstützen, wie die verfügbaren Ressourcen bestmöglich einzusetzen sind und ob diese überhaupt ausreichen, um den Flugbetrieb aufrechtzuerhalten. ■ LITERATUR [1] Heinrich Mensen. Handbuch der Luftfahrt. VDI. Springer Vieweg, Berlin and Heidelberg, 2., neu bearb. au. edition, 2013. ISBN 3642344011 [2] Christian Stegner, Uwe Meinberg. Leistungs- und Qualitätsmessung für einen passagierorientierten Umgang mit Betriebsstörungen im Luftverkehr. Dissertation, BTU Cottbus -Senftenberg, Cottbus, 2015 [3] Sabine Herling, Isabelle B. Polders. Deutschland ist nicht Atlanta: Deutsche Flughäfen bei Stromausfall bestens vorbereitet, 21.12.2017. Online: www.adv.aero/ wp-content/ uploads/ 201 7/ 1 2/ A DV-P M-24-201 7-D euts chland-ist-nicht-Atlanta-% E 2 % 80% 93- Deutsche-Flugh%C3%A4fen-bei-Stromausfall-bestens-vorbereitet.pdf (Eingesehen: 02.09.2019) [4] Lena Mosel. Hamburger Flughafen nach Stromausfall geräumt - Passagiere beklagen chaotische Zustände - WELT, 2018. Online: www.welt.de/ vermischtes/ article176922234/ Hamburger-Flughafen-nach-Stromausfall-geraeumt/ -Passagiere-beklagen-chaotische-Zustaende.html (Eingesehen: 02.09.2019) [5] Gerhard N. Schmitt. Architectura et Machina : Computer Aided Architectural Design und Virtuelle Architektur. Wiesbaden, Vieweg+Teubner Verlag, 1993. ISBN 9783322839725 [6] DFS. Luftverkehr in Deutschland: Mobilitätsbericht 2017. 2017 [7] Gail F. Butler and Martin R. Keller. Handbook of airline operations. 1st ed., Aviation Week, 2000. ISBN 0079823866 [8] Avjobs. Airline Economics, 2010. Online: www.avjobs.com/ history/ airline-economics.asp (Eingesehen: 03.09.2019) Andrei Popa, Dipl.-Wirtsch.-Ing (FH), M.A. Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr, Abteilung Flughafenforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig andrei.popa@dlr.de Tobias Koch, M.Sc Nationales Erprobungszentrum für Unbemannte Luftfahrtsysteme, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig tobias.koch@dlr.de Lisa-Marie Brause, B.Sc. Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr, Abteilung Flughafenforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig lisa-marie.Brause@dlr.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 40 Touristische Beschilderung an deutschen Autobahnen Bedeutung der touristischen Unterrichtungstafeln Touristische Beschilderung, Unterrichtungstafeln, Wahrnehmung, Erinnerung, Entscheidungsverhalten, Autobahnen, Tourismus Es gibt immer mehr sogenannte touristische Unterrichtungstafeln an deutschen Autobahnen. Diese sollen laut den Richtlinien für die touristische Beschilderung zur Unterrichtung über touristisch bedeutsame Ziele dienen und eine hinweisende Funktion haben. Ob sie jedoch tatsächlich von den Autofahrern wahrgenommen werden, ob sich Autofahrer an diese Schilder und die darauf abgebildeten Points of Interest (PoI) erinnern können und ob sie auch das Entscheidungsverhalten beeinflussen, wurde bisher nicht wissenschaftlich untersucht. Eine Online-Befragung liefert nun erstmals Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen. Sven Groß, Christian Reinboth M it Hilfe der touristischen Unterrichtungstafeln sollen Reisende an Autobahnen über Sehenswürdigkeiten, Städte und Landschaften (Points of Interest, PoI) informiert werden, an denen sie vorbeifahren. Die in Deutschland seit 1984 existierende Beschilderung ist in der Straßenverkehrsordnung und in den Richtlinien für touristische Beschilderung (Zeichen 386.3) geregelt [1]. Mit ihr wird auf Ziele hingewiesen, die entweder von der Autobahn aus sichtbar oder grundsätzlich nicht weiter als 10 km Luftlinie von einer Autobahnanschlussstelle entfernt sind. Typisch ist, dass die symbolischen Darstellungen von Tourismusattraktionen oder geographischen Foto: Karl-Heinz Laube/ pixelio PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 12.09.2019 Endfassung: 07.10.2019 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 41 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Einheiten durch eine Bezeichnung ergänzt werden (Bild-1) [2]. Nach ausgiebiger Recherche und Auskunft verschiedener Institutionen gibt es für Deutschland bisher keine Studien speziell zu den touristischen Unterrichtungstafeln. Ziel dieser Untersuchung ist es daher, herauszufinden, inwiefern touristische Unterrichtungstafeln an deutschen Autobahnen von Reisenden wahrgenommen werden, inwieweit sie in Erinnerung bleiben und ob hieraus Entscheidungen resultieren. Hierzu wird bspw. untersucht, wieviele Autofahrer bereits mindestens einmal von der Autobahn abgefahren sind, um spontan einen abgebildeten PoI zu besuchen, welche Fahrtdauer sie hierfür in Kauf nehmen und ob sie einen der abgebildeten PoI schon einmal bewusst später aufgesucht haben. Forschungsstand In der wissenschaftlichen Literatur lassen sich verschiedene Zugänge zum Thema finden. Inhaltlicher Schwerpunkt ist die Beschilderung während der An- und Abreise, aber auch Flughäfen, Freizeiteinrichtungen, Hotels und Nationalparks sind Orte der Betrachtung. Thematisiert werden bspw. die Einflussfaktoren auf die Verständlichkeit von Beschilderung wie etwa Alter, Bildungsgrad, Fahrerfahrung oder Geschlecht [3, 4]. Aber auch das Fahrerblickverhalten [5], die Informationsaufnahme und die daraus abgeleitete Gestaltung von Wegweisern [6] werden betrachtet - so wurde u.a. untersucht, ob Texte oder Symbole auf Schildern verständlicher sind, welchen Einfluss Farben auf die Wahrnehmung haben oder wie viel Lesezeit für Schilder zur Verfügung steht. Tourismusbezogene Studien untersuchen u. a. die Wahrnehmung und Verständlichkeit von Straßenschildern bei (internationalen) Touristen [7, 8], oder ob Touristen in unbekannten Umgebungen Verkehrszeichen missverstehen und (unbewusst) gegen lokale Gesetze verstoßen [9]. Daneben existieren Studien, die touristische Informationsschilder auf ihre Verständlichkeit hin [10], auf die Zufriedenheit mit der Beschilderung [11], die Bedeutung im Marketing von Destinationen [1, 12] sowie die Beobachtung zur Wirksamkeit der Beschilderung [13] untersuchen. Auch gibt es Studien zur Bedeutung von Verkehrsschildern für den Informations- und Planungsprozess von Reisen. So wurde etwa am Beispiel Kanadas, der USA und Norwegens untersucht, inwiefern Schilder Motoristen dazu motivieren können, in der Region - zusätzlich zum eigentlichen Ziel - ungeplante Wege bzw. zusätzliche Aktivitäten in Kauf zu nehmen-[14]. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die (touristische) Beschilderung seit Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist, es bisher jedoch so gut wie keine Forschungsbeiträge zur Wahrnehmung, zum Entscheidungsverhalten und zur Erinnerung von (touristischen) Verkehrsschildern bei Autofahrern gibt. Definitorische und theoretische Grundlagen Kognitive Prozesse sind Denkvorgänge von Menschen, die als innere Ereignisse stattfinden (z. B. entscheiden, wahrnehmen) [15]. Nach der vorherrschenden Perspektive kognitiver Prozesse kann ein System, das zwischen Input-Reiz und Verhalten vermittelt, als informationsverarbeitendes System aufgefasst werden [16]. Die Wahrnehmung kann Gegenstände, Vorgänge und Beziehungen umfassen und wird mit den Sinnesorganen aufgenommen. „Wahrnehmung ist ein Prozess der Informationsverarbeitung: Durch diesen Prozess werden sowohl aufgenommene Umweltreize als auch innere Signale entschlüsselt. Sie bekommen dadurch einen Sinn (Informationsgehalt) für das Individuum und werden zusammen mit anderen Informationen zu einem inneren Bild der Umwelt und der eigenen Person verarbeitet.“ [17] Unter dem Begriff Gedächtnis bezeichnet der Informationsverarbeitungsansatz die Fähigkeit eines Organismus, Informationen aufzunehmen, zu speichern und bei Bedarf wieder abzurufen [15]. Die Fähigkeit, Informationen später wieder zu nutzen, setzt voraus, dass drei geistige Prozesse ablaufen: Enkodieren (Repräsentation im Gedächtnis), Behalten (Aufrechterhalten enkodierter Informationen über eine gewisse Zeitspanne) und Erinnern (Wiedergewinnung gespeicherter Informationen zum späteren Zeitpunkt) [18]. Gegenwärtig werden mehrere Gedächtnismodelle unterschieden, wobei sich die Unterscheidung zwischen kurzfristigem (Arbeitsgedächtnis) und langfristigem Behalten etabliert hat [19]. Das Langzeitgedächtnis wird wiederum nach verschiedenen Arten von gespeicherten Inhalten unterschieden. Auf der einen Seite stehen die Speicherung erworbener Strukturen zur Steuerung körperlichen und sprachlichen Verhaltens (prozedurales Gedächtnis, v.a. Verhaltensroutinen) und die daraus abgeleiteten konzeptuellen Strukturen (semantisches Gedächtnis, verbalisierbares Wissen über die Welt). Auf der anderen Seite steht die Speicherung der erlebten Ereignisse in ihrer raum-zeitlichen Verankerung im episodischen Gedächtnis (persönliche Erlebnisse). Beim episodischen Erinnern sind immer der spezielle Bezug zum Selbst, das spezielle phänomenale Wiedererleben und die zeitliche Einordnung gegeben [20]. Eine Entscheidung ist ein kognitiver „(…) Prozess des Wählens zwischen Alternativen, der Auswahl bestimmter Alternativen und die Zurückweisung anderer Möglichkeiten.“ [15] Entscheidungen sind als Prozesse angelegt und äußern sich durch Handlungen in der Realität [21]. Das Entscheidungsverhalten wird danach differenziert, in welchem Ausmaß es kognitiv kontrolliert wird (Tabelle 1). Während habitualisiertes Verhalten das alltägliche Verhalten betrifft, sind impulsive Entscheidungen durch rasches Handeln geprägt, die ungeplant sind und gedanklich kaum kontrolliert werden (Intuitivent- Bild 1: Beispiel für eine an Autobahnen der Bundesrepublik Deutschland aufgestellte Unterrichtungstafel Foto: pixabay Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 42 INFRASTRUKTUR Wissenschaft scheidungen) [22]. Extensives Entscheidungsverhalten („echte Entscheidungen“), wird mit umfassenden, zum Großteil bewusst ablaufenden Problemlösungsprozessen umschrieben. Letztlich liegen bei limitierten Entscheidungen bereits Erfahrungen vor, aus denen mehr oder minder festgefügte Entscheidungskriterien resultieren-[23]. Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die visuelle Wahrnehmung und das episodische Gedächtnis. Im Fokus stehen dabei das Erinnern (also die Wiedergewinnung gespeicherter Informationen über die Unterrichtungstafeln) sowie das Verhalten (also kognitive Entscheidungen, v. a. die impulsive Entscheidung, spontan aufgrund einer Tafel von der Autobahn abzufahren). Daneben sind auch das extensive Entscheidungsverhalten (z. B. bei Zukunftsplänen) und limitierte Entscheidungen (z. B. bei Wiederholungsbesuchen) relevant. Methodische Grundlagen Für die vorliegende Untersuchung wurde zwischen dem 21. und dem 28. Juni 2019 eine Online-Befragung über ein Panel der respondi AG durchgeführt. Zur Grundgesamtheit zählen deutschsprachige, in Privathaushalten lebende Internetnutzer zwischen 18 und 75 Jahren, die PKW, Motorrad und/ oder Wohnmobil regelmäßig oder gelegentlich privat verwenden oder Beifahrer sind und die in den letzten zwölf Monaten auf deutschen Autobahnen unterwegs waren. Laut Onlinestudie von ARD/ ZDF verfügten 63,3 Mio. Deutsche (76,5 %) im Jahr 2018 über einen eigenen Internetzugang, 53,2 Mio. Deutsche nutzen das Internet täglich [25]. Im Jahr 2018 gab es in Deutschland 41,37 Mio. private Haushalte [26], 78,4 % aller Personen verfügten im Jahr 2017 über einen PKW [27]. Somit gibt es ca. 32,4 Mio. Haushalte in Deutschland, die auf einen privaten PKW zugreifen können. Die Stichprobe ist unter den nachfolgend beschriebenen Einschränkungen einer quotierten Online-Stichprobe repräsentativ (Konfidenzniveau: 95 %, Fehlerspanne: 3 %) für die deutschen Internetnutzer, denen ein PKW im Haushalt zur Verfügung steht (n = 1.100). Als Merkmale für die Stichprobenkonstruktion wurden das Alter, das Geschlecht und die Herkunft (Nielsen-Region) verwendet. Bei einer solchen Quotenstichprobe wird versucht, eine Repräsentativität herzustellen, indem man die Stichprobe auf der Basis von Quoten konstruiert, mit denen man bekannte Merkmalsverteilungen in der Grundgesamtheit nachbildet. Die grundlegende Annahme ist, dass eine Stichprobe, die bekannte Merkmalsverteilungen im korrekten Verhältnis wiedergibt, auch für unbekannte Merkmalsverteilungen repräsentativ sein sollte. Diese Annahme ist in der wissenschaftlichen Diskussion umstritten. Da nur Personen mit Internetzugang an der Befragung teilnehmen konnten und hiervon wiederum nur Personen, die Mitglieder des Panels sind, könnten bestimmte Einkommensschichten, Berufsgruppen o. ä. über- oder unterrepräsentiert sein. Als wesentliches Argument für die Repräsentativität solcher Stichproben wird angeführt, dass sie sich in der Praxis vielfach bewährt haben und wirtschaftlicher und schneller als Zufallsauswahlen sind. Im vorliegenden Fall musste eine quotierte Stichprobe genutzt werden, da kein vollständiges Verzeichnis der Grundgesamtheit existiert, das für die Realisation einer echten Zufallsauswahl zur Verfügung gestanden hätte. Weitere Nachteile solcher Auswahlen sind in der Literatur beschrieben, wie bspw. die Paneleffekte [28]. Die Interpretation der Ergebnisse hat unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen zu erfolgen. Ergebnisdarstellung Zunächst werden Ergebnisse zur Wahrnehmung und Erinnerung dargestellt, um anschließend auf Entscheidungsverhalten, Zufriedenheit mit den touristischen Unterrichtungstafeln und Wünsche für deren Weiterentwicklung einzugehen. Wahrnehmung So gut wie alle Probanden geben an, dass sie die touristischen Unterrichtungstafeln entweder als Fahrer und/ oder Beifahrer auf deutschen Autobahnen wahrnehmen (Tabelle 2). Fahrer nehmen die Unterrichtungstafeln etwas häufiger wahr als Beifahrer, dafür geben etwas mehr Fahrer als Beifahrer an, dass sie die Schilder gleich wieder vergessen. Sofern Unterrichtungstafeln wahrgenommen werden, kann man sich hierüber mit (ggf. vorhandenen) Mitfahrern austauschen. Mehr als zwei von drei Personen (70,2 %) haben sich bereits mindestens einmal mit Art der Entscheidung Dominante Prozesse emotional kognitiv reaktiv extensiv ● ● limitiert ● habitualisiert ● impulsiv ● ● Tabelle 1: Dominante psychische Prozesse beim Entscheidungsverhalten (kognitiv: gedankliche Steuerung der Entscheidung; emotional: Aktivierung, v.a. bei biologisch programmierten Emotionen) bzw. Interpretation der inneren Erregung; reaktiv: automatische Reagieren in der Handlungssituation) Quelle: [24] Wahrnehmung in Prozent Wahrnehmung in Prozent Ja, immer als Fahrer 28,2 % Ja, immer als Beifahrer 28,9 % Ja, meistens als Fahrer 35,7 % Ja, meistens als Beifahrer 25,5 % Ja, vereinzelt als Fahrer 16,4 % Ja, vereinzelt als Beifahrer 11,8 % Ja, als Fahrer, vergesse sie aber gleich wieder 9,4 % Ja, als Beifahrer, vergesse sie aber gleich wieder 4,0 % Nein, nehme sie nicht wahr 4,0 % Tabelle 2: Wahrnehmung der Unterrichtungstafeln (Mehrfachnennungen; n = 1.100) Austausch in Prozent Austausch in Prozent Ja, häufig während der Fahrt 30,7 % Ja, nach der Fahrt 2,2 % Ja, selten während der Fahrt 32,4 % Nein, da ich (fast) ausschließlich alleine unterwegs bin 9,1 % Ja, bisher erst einmal während der Fahrt 4,9 % Nein, das ist bisher kein Thema gewesen 20,7 % Tabelle 3: Austausch zu touristischen Unterrichtungstafeln mit Mitfahrern (n = 1.100) Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 43 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Mitfahrern ausgetauscht, fast jeder Dritte (30,7 %) tauscht sich sogar häufig aus (Tabelle 3). Erinnerung Zwei von drei Personen (66,4 %) geben an, dass sie sich an touristische Unterrichtungstafeln und die darauf abgebildeten PoI erinnern können, wobei fast jedem Vierten (23,1 %) sofort Beispiele einfallen. Die Mehrheit derjenigen, die sich generell an Unterrichtungstafeln erinnern können, gibt an, sich an zwei bis drei Schilder erinnern zu können (59,6 %). Nur wenige Probanden können sich an mehr als fünf (sechs bis zehn Schilder (2,7 %) bzw. zehn Schilder (1,5 %) erinnern. Für die Frage, ob sich die Probanden überhaupt, d.h. sofort, mit längerem Nachdenken oder gar nicht, an Unterrichtungstafeln erinnern können, spielt offenbar die Nutzungshäufigkeit der Autobahn eine Rolle. Führt man einen Chi-Quadrat-Test (χ 2 -Test) 1 auf stochastische Unabhängigkeit durch, wird das Ergebnis mit p <.001 signifikant. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die beiden Eigenschaften „Häufigkeit der Autobahnnutzung“ und „Erinnerung an touristische Unterrichtungstafeln“ nicht stochastisch unabhängig voneinander sind. Ein Zusammenhang zwischen der auf der Autobahn verbrachten Zeit und dem Vermögen, sich an die Unterrichtungstafeln zu erinnern, ist zu vermuten (χ 2 (10, N = 1.100) = 34,878, p < .001). Dies lässt sich ggf. auf die Lerntheorie des verzögerten Vergessens zurückführen, nach der ein Stimulus bei Wiederholung langsamer in Vergessenheit gerät, was auch für „für das Lernen von informativen (nicht von emotionalen) Werbebotschaften gilt“ ([17]: 456). Innerhalb der Gruppe der Probanden, die sich an wenigstens ein Schild erinnern können, lässt sich kein weiterer Zusammenhang zwischen der Nutzungsintensität der Autobahn und der konkreten Anzahl erinnerter Schilder konstatieren (χ 2 -Test auf stochastische Unabhängigkeit (10, N = 730) = 10,459, p = .401). Entscheidungsverhalten Viele Akteure wünschen sich, dass mit Hilfe der touristischen Unterrichtungstafeln mehr Besucher zu den jeweiligen PoI gelockt werden. Es ist daher von Interesse, ob und wie die Unterrichtungstafeln das Entscheidungsverhalten beeinflussen. Spontanes Verhalten Knapp jeder sechste Befragte (17,1 %) ist bereits mindestens einmal aufgrund einer touristischen Unterrichtungstafel spontan von einer Autobahn abgefahren, um den abgebildeten PoI zu besuchen. Der Großteil dieser Befragten hat innerhalb des letzten Jahres mindestens einen solchen Spontanbesuch durchgeführt (87,2 %). Im Durchschnitt wurde 1,9 mal (sd 2,2, bereinigt um einen Ausreißer) 2 ein abgebildeter PoI aufgesucht - somit sind wenige Besuche pro Jahr festzuhalten. Untersucht wurde auch die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen dem Erinnerungsvermögen und einer spontanen Autobahnabfahrt. Hierfür wurde ein χ 2 - Test auf stochastische Unabhängigkeit durchgeführt, der zu einem signifikanten Ergebnis führte (χ 2 (2, N = 695) = 41,448, p > .001). Es darf daher davon ausgegangen werden, dass beide Variablen nicht unabhängig voneinander sind. Als Erklärung dieses Effekts bieten sich verschiedene Ansätze an. So könnte etwa eine bessere Wahrnehmung der Schilder eine höhere Abfahrtsbereitschaft begünstigen, bereits erfolgte Ausflüge könnten die zukünftige Wahrnehmung der Schilder verbessern oder die steigende Schilderdichte könnte sowohl zu mehr Abfahrten als auch zu einer höheren Wiedererkennungsrate beitragen. Ob einer der Erklärungsansätze zutrifft, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten. Bei der maximal in Kauf genommenen Fahrtdauer fällt auf, dass zwei von drei Probanden (65,4 %) bereit sind, bis zu 30 Minuten aufzuwenden. Nur wenige Probanden würden längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen (Tabelle 4). Neben einer spontanen Abfahrt können die abgebildeten PoI auch bewusst später besucht worden bzw. es könnte die Absicht entstanden sein, sie zukünftig aufzusuchen. Während fast jeder Zehnte (8,9 %) angibt, bereits mindestens einmal unmittelbar auf der Rückfahrt einen zuvor auf einer Unterrichtungstafel wahrgenommen PoI besucht zu haben, gibt etwas mehr als ein Drittel (35,5 %) an, einen PoI zu einem späteren Zeitpunkt aufgesucht zu haben. Das Potential für zukünftige Besuche ist relativ hoch: Nahezu zwei von drei Probanden können sich den zukünftigen Besuch eines PoI vorstellen. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die meisten Befragten mit „ja, eventuell“ (38,3 %) und „ja, wahrscheinlich“ (17,8 %) antworten. Ein Teil (6,2 %) ist sich jedoch „ganz sicher“, dass sie in Zukunft eine auf einer touristischen Unterrichtungstafel abgebildete Sehenswürdigkeit, Stadt oder Landschaft besuchen wollen. „Nein, eher nicht“ geben 30,8 %, „nein, ganz sicher nicht“ 6,9 % an. Zufriedenheit und Wünsche für die Zukunft Die meisten Befragten sind mit dem Angebot der touristischen Unterrichtungstafeln auf den deutschen Autobahnen „zufrieden“ (51,6 %) oder „sehr zufrieden“ (13,7 %), die Gesamtzufriedenheit liegt bei 2,26 (sd 0,767) (Tabelle 5). Es fällt jedoch auf, dass die Zustimmung bei der Frage nach der Wichtigkeit der Tafeln weniger stark ausfällt. Die Angaben verschieben sich in Richtung „teils/ teils“ bis „(sehr) unwichtig“ bei einem Mittelwert von 2,58 (sd 1,011). Fahrtdauer in Prozent Fahrtdauer in Prozent bis 10 min 8,0 % bis 50 min 3,7 % bis 20 min 29,2 % bis 60 min 14,4 % bis 30 min 28,2 % 1 h und mehr 14,9 % bis 40 min 1,6 % Tabelle 4: Späterer Besuch von abgebildeten PoI ; maximale Fahrtdauer (ungefähr), um PoI spontan aufzusuchen (n = 188) Zufriedenheit in Prozent Wichtigkeit in Prozent sehr zufrieden 13,7 % sehr wichtig 12,6 % zufrieden 51,6 % wichtig 38,2 % teils/ teils 30,7 % teils/ teils 32,9 % unzufrieden 2,8 % unwichtig 11,3 % sehr unzufrieden 1,1 % sehr unwichtig 5,0 % Tabelle 5: Zufriedenheit mit den und Wichtigkeit der Unterrichtungstafeln (n = 1.100) Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 44 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Neben Zufriedenheit und Wichtigkeit wurde auch untersucht, ob die Anzahl der der touristischen Unterrichtungstafeln in Deutschland aus Sicht der Befragten erhöht, gesenkt oder gleichbleiben soll. Die Mehrheit (51,1 %) spricht sich dafür aus, die Gesamtzahl an Schildern auf dem aktuellen Niveau beizubehalten, 40,1 % plädieren für eine Erhöhung der Gesamtzahl. Nur aus Sicht von knapp jedem Elften (8,8 %) sollte die Gesamtzahl reduziert werden. Die am Ende der Erhebung abgefragten acht Ideen zur Weiterentwicklung der Unterrichtungstafeln, können in drei Gruppen unterteilt werden. Die erste Gruppe umfasst zwei Vorschläge, die in direktem Zusammenhang mit den Schildern an sich stehen (Bild 2). Hierbei geht es um die Ergänzung der Entfernung bis zum PoI (in km) und um die Nennung der korrespondierenden Ausfahrt. Der zweiten Gruppe können drei Ideen zugeordnet werden: Zwei technologische Entwicklungen (Internetplattform und App mit Informationen zu PoI) als Zusatzangebote sowie die Zweisprachigkeit der Schilder. Diese werden als mittelinteressant und -wichtig bewertet. Drei weitere Vorschläge werden als weniger interessant und weniger wichtig eingeschätzt: ein individuelleres Design, eine Überarbeitung der Farbgestaltung und eine Beschränkung auf öffentliche Einrichtungen. Fazit Zunächst ist festzuhalten, dass die Unterrichtungstafeln von so gut wie allen Probanden wahrgenommen werden und den meisten zumindest teilweise in Erinnerung bleiben. Daneben sind bei der Mehrheit Verhaltensauswirkungen zu konstatieren. Wie vermutet, wird ein PoI aufgrund einer Unterrichtungstafel eher im Nachhinein bei der Rückfahrt bzw. weiteren Reisen aufgesucht oder als Inspiration genutzt, d. h. die Wirkungen sind eher zeitversetzt. Dies steht im Einklang mit den Untersuchungen von Pringle [29] und Saha [30], die folgendes herausgefunden haben: Besucher verwenden während einer Reise selten Beschilderungen, um Entscheidungen über Attraktionen, Aktivitäten und zu besuchende Orte spontan zu treffen. Ein Vergleich mit den weiteren beim Forschungsstand aufgezeigten Studien kann nicht getätigt werden, da diese andere inhaltliche Schwerpunkte haben. Die Schilder sind zwar - bei einem zeitversetzten Besuch eines auf einer touristischen Unterrichtungstafel abgebildeten PoI - nicht immer alleiniger Auslöser für Besuche, aber einer von mehreren Faktoren. Ein Austausch über Unterrichtungstafeln während der Fahrt findet vergleichsweise häufig statt. Aufgrund dessen ist zu vermuten, dass Entscheidungen zum (spontanen oder späteren) Aufsuchen eines PoI häufig nicht allein getroffen werden. Diese Frage wurde nicht explizit untersucht, es gibt jedoch mehrere Studien, die auf die wichtige Rolle von (Ehe-Partnern) und Familienmitgliedern eingehen [31]. Aufbauend auf den Ergebnissen können praktische Empfehlungen abgeleitet werden. Die Probanden nehmen die Unterrichtungstafeln wahr und können sich an sie erinnern, zudem tragen diese zu Verhaltenswirkungen bei. Wenn also dort, wo Touristen ihre Entscheidungen treffen (z. B. zu Hause via Internet, Broschüren usw.), zuvor wahrgenommene Motive - sei es durch Skizzen, Zeichnungen oder Bilder - wieder anzutreffen sind, darf davon ausgegangen werden, dass sie sich mehrheitlich an diese Motive erinnern werden. Bei den beobachteten Gedächtniseffekten ist nicht davon auszugehen, dass die befragten Personen die Schilder besonders beachtet oder gar im Vorbeifahren die Absicht gehabt hätten, sich diese zu merken. Sie dürften daher eher beiläufig und unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle „encodiert“ worden sein. Dies steht im Einklang mit einer Reihe von Ergebnissen aus der Werbewirkungsforschung, wonach Werbung auch dann einen Effekt hat, wenn sie beiläufig und unbewusst wahrgenommen wird [18]. Touristischen Entscheidern kann daher empfohlen werden, die Visuals auf den Unterrichtungstafeln in Marketingmaßnahmen zu integrieren. Eine zukünftige Weiterentwicklung der Unterrichtungstafeln könnte in ihrer Verknüpfung mit technologischen Komponenten und damit in der Digitalisierung liegen. So wäre es möglich, eine Internetplattform und/ oder App mit Informationen, Fotos, Links usw. zu den einzelnen PoI zu entwickeln. Eine App könnte beim Vorbeifahren - bei entsprechender Einstellung auf dem Smartphone - automatisch Informationen zum PoI aus- Skala: 1 = sehr uninteressant, 2 = uninteressant, 3 = teils/ teils, 4 = interessant, 5 = sehr interessant; 1 = sehr unwichtig, 2 = unwichtig, 3 = teils/ teils, 4 = wichtig, 5 = sehr wichtig Vorschlag Interesse Wichtigkeit A Ergänzung der Entfernung bis zum PoI (km- Angabe) 4,16 3,96 B Nennung der Ausfahrt, um PoI aufsuchen zu können 4,10 3,91 C Schilder mit deutscher und englischer Sprache 3,36 3,27 D Ermöglichung eines individuelleren Designs (z.B. Farbwahl, Gestaltung) 3,14 2,85 E Überarbeitung der Farbgestaltung 3,08 2,83 F Internetplattform mit Infos, Fotos, Links usw. zu den einzelnen PoI 3,66 3,29 G App mit Infos, Fotos, Links usw. zu den einzelnen PoI 3,48 3,18 H Abbildung von nur noch öffentlichen PoI auf Schildern 3,07 2,79 Gesamtdurchschnitt 3,50 3,26 Bild 2: Vorschläge für die Weiterentwicklung der Unterrichtungstafeln Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 45 Wissenschaft INFRASTRUKTUR geben. Aber auch GPS-basierte Sammelaktionen von Schildern und damit verbundene Auszeichnungen wären denkbar - in Wandergebieten gibt es bereits ähnliche Angebote [32]. Diesen Ansatz greift eine App der Firma Maqnify auf, mit der u.a. Audio-Beiträge zu allen Unterrichtungstafeln in Baden-Württemberg angehört und weiterführende Links und Informationen aufgerufen werden können (www.erlebnis-guide.info). ■ 1 Beim Chi-Quadrat-Test auf stochastische Unabhängigkeit werden zwei Merkmale (wie etwa die Zugehörigkeit zu einer Alterskohorte und der PKW-Besitz) auf ihre stochastische Unabhängigkeit geprüft. Hierzu werden die real beobachteten Häufigkeiten mit den zu erwartenden Häufigkeiten bei völliger Unabhängigkeit der Merkmale verglichen. 2 sd = Standardabweichung (Standard Deviation), ein statistisches Maß für die Streuung eines Merkmals um das Zentrum einer Verteilung. LITERATUR [1] Steinecke, A. (2013): Management und Marketing im Kulturtourismus: Basiswissen - Praxisbeispiele - Checklisten, Wiesbaden [2] Forschungsgesellschaft Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.) (2008): Richtlinien für die touristische Beschilderung (RtB), Köln [3] Färber, B.; Färber, B.; Siegener, W.; Süther, B. 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Trotz Mangel an qualifiziertem Fahrpersonal soll eine wachsende Gütermenge auf der Straße transportiert werden. Autonome Fahrzeuge und Platooning können helfen. Sie können und sollen Berufskraftfahrende aber nicht ersetzen. Der Beruf muss attraktiver werden. Maßnahmen hierzu liegen in verschiedenen Verantwortungsbereichen und reichen von zuverlässigeren Tourenplanungen, z. B. durch verbessertes Rampenmanagement, bis hin zu bedarfsgerechten, sicheren und gesundheitsförderlichen Raststätten. Angelika Hauke, Ina Neitzner I m Jahr 2018 wurden 79 % der bewegten Güter auf der Straße befördert - Tendenz steigend [1]. Befeuert wird der Markt „Gütertransport Straße“ durch Deutschlands Stellung als eines der größten Exportländer der Welt, den starken Online-Handel und die zunehmende Nutzung des Online-Shoppings inklusive Convenience- und Frischeangeboten. Abnehmende Produktionstiefen steigern das Transportaufkommen durch den vermehrten Versand von Zwischenprodukten. 2016 waren in Deutschland im Güterverkehr mit LKW 555.505 Berufskraftfahrende (davon 1,7 % Frauen) sozialversicherungspflichtig beschäftigt [2]. 2014 gab es bundesweit 31.019 Unternehmen zur Güterbeförderung im Straßenverkehr und 12.569 Speditionen. 72 bzw. 64 % davon sind Kleinstunternehmen [3]. Tabelle 1 zeigt als Ergebnis des Risikoobservatoriums der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), welche aktuellen Entwicklungen den Gütertransport Straße hinsichtlich der Sicherheit und Gesundheit in der nahen Zukunft beeinflussen werden. Die Einschätzungen stammen von Aufsichtspersonen und anderen Präventionsfachleuten der gesetzlichen Unfallversicherung. Verkehrsdichte Seit 1960 hat sich das Verkehrsaufkommen auf deutschen Autobahnen etwa verfünffacht [4]. Besonders der so entstandene Mangel an Parkplätzen auf Raststätten und Autohöfen ist ein gravierender Stressor für Berufskraftfahrende. Lenk- und Ruhezeiten können durch die Parkplatzsuche häufig nicht eingehalten werden. Immer wieder sind Betroffene gezwungen, ihr Fahrzeug auf Zufahrts- und Notstreifen der Rastanlagen abzustellen und dort zu nächtigen. Das stellt ein Sicherheitsrisiko dar [5]. Zudem sind bedeutende Teile des Fernstraßennetzes sanierungsbedürftig. Die fehlende Leistungsfähigkeit des Foto: Virrage Images | Shutterstock LOGISTIK Güterverkehr Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 47 Güterverkehr LOGISTIK Straßennetzes und Baustellen verursachen 60 bis 70 % aller Staus [4]. Verkehrsunfälle Fahrerinnen oder Fahrer von Güterkraftwagen belegten 2018 mit 6,0 % Platz 3 bei der Verursachung von Verkehrsunfällen mit Personenschaden [6]. Allerdings sank die Beteiligung von Güterkraftfahrzeugen an solchen Unfällen zwischen 1995 und 2017 deutlich um 31,8 %. Unfallursachen im Berufskraftverkehr waren zu 20,4 % Abstandsfehler, zu 16,2 % Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren, zu 11,6 % Vorfahrtsfehler, zu 10,3 % nicht angepasste Geschwindigkeit und zu 1,7 % Alkoholeinfluss [7]. Fahrerassistenzsysteme können Abhilfe schaffen und entlasten. Verkehrsunfälle führen bei Unfallbeteiligten teils zu langfristigen psychischen Beanspruchungen, sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörungen. Diese müssen behandelt werden, damit sie sich nicht negativ auf die soziale und berufliche Handlungsfähigkeit auswirken [8]. Mobilitätsanforderungen: Lang- LKW und autonome Fahrzeuge Lang-LKW sind ein Ansatz, Kapazitätsbeschränkungen und Klima- und Umweltzielen Rechnung zu tragen. Durch den Einsatz von Lang-LKW lassen sich Effizienzgewinne und Kraftstoffersparnisse von 15 bis 25 % erzielen [9]. Im Vergleich zu herkömmlichen LKW ist die Verkehrssicherheit in einigen Punkten vermindert: Lang-LKW passen nicht in Schrägparkstände auf Rastanlagen, Nothaltebuchten in Tunneln sind nicht für sie ausgelegt, durch ihr größeres Volumen kommt es im Brandfall zu einer höheren Brandleistung und Lang-LKW-Führende sind gefährdet, wenn andere die notwendige Zeit zum Überholen eines Lang-LKW falsch einschätzen [9]. Die Verkehrssicherheit erhöht sich durch eine gesetzlich vorgesehene, bessere Ausstattung mit Fahrerassistenzsystemen. In Deutschland laufen aktuell verschiedentlich Tests mit autonom verkehrenden Fahrzeugen: Beispielsweise testet DB Schenker den Transport von Wechselbrücken per autonomem „Wiesel“. Dies ist ein für den Einsatz auf Logistikhöfen konzipiertes, fahrerloses Umsetzfahrzeug. Es kann LKW- Führende in ihrer Tätigkeit auf dem Betriebshof entlasten und ist rund um die Uhr einsetzbar, um Lastspitzen abzufedern. Platooning, d. h. halbautomatisiertes Kolonnefahren mehrerer LKW mit einem Abstand von ca. zehn Metern wurde auf der A9 getestet. Durch Platooning reduzieren sich Kraftstoffverbrauch und CO 2 -Emmissionen um bis zu 10 %. Der erste LKW fährt menschengesteuert, die nachfolgenden vollautomatisiert. Platooning im Fernverkehr könnte dazu beitragen, den Mangel an Fahrpersonal auszugleichen [3]. Beim Einsatz autonomer Fahrzeuge und beim Platooning stellen sich noch Haftungsfragen: Systeme, mit denen ein Fahrzeug autonom fährt, sind derzeit nur dann zulässig, wenn die Fahrzeugbegleitung sie im Notfall stoppen kann. Abgesehen von der besonderen mentalen Beanspruchung, die sich durch die Verantwortung ergeben kann, die der Fahrzeugbegleitung übertragen wird, sind aus Sicht des Arbeitsschutzes Unfallrisiken durch Hackerangriffe zu nennen. Auch sind Serienfehler, z. B. in System-Updates der Hersteller, eine mögliche Quelle für Unfälle. IT-Sicherheit und -Zuverlässigkeit spielen auch im Zusammenhang mit autonomen Fahrzeugen eine zentrale Rolle für die Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten. Arbeitsverdichtung und Verantwortungsausweitung, längere Arbeitszeiten und Flexibilisierung von Arbeit Aufgrund von kaum vorhandenen Puffern in der Tourenplanung führt jede Verzögerung durch ungeplante Ereignisse zu Stress und ggf. Verstößen gegen die Fahrpersonalvorschriften [2]. Trotz teils hoher Strafen geben 2011 18 % der Berufskraftfahrenden im Gütertransport an, ihre Lenk- und Ruhezeiten selten (17 %) oder nie (1 %) einhalten zu können [5]. Tatsächlich betreffen 72,9 % der Verstöße bei deutschen Güterkraftfahrzeugen das Fahrpersonalrecht [10]. Berufskraftfahrende im Straßengütertransport berichten von durchschnittlich 54- Stunden wöchentlicher Arbeitszeit. 59-Stunden sind es im internationalen Fernverkehr [10]. Ungeplante Wartezeiten an Be- und Entladestationen verursachen immer wieder Verspätungen und Verschiebungen der Arbeitszeit. Grund ist, dass bisher kein standardisiertes, webbasiertes Zeitfensterbuchungssystem im Rampenmanagement eingesetzt wird und Speditionen digitale Avisierungssoftware zu selten einsetzen. 59,5 % der Rampenbetreiber bestätigen, nie oder nur in seltenen Fällen über die voraussichtliche Ankunftszeit von LKW informiert zu werden [11]. Auch Art und Menge der Lieferung sind unbekannt, sodass Ladezeiten nicht durchgängig realistisch berechnet werden können. Sind Verzögerungen nicht bekannt, wird die Rampe freigehalten und bleibt in der Zwischenzeit ungenutzt. Im Einklang damit berichten 62,2 % der Rampenbetreiber, dass sie LKW- Fahrenden nie oder nur selten verbindliche Auskunft über die Wartezeit erteilen [11]. Bei Fernfahrenden stellt akute und chronische Müdigkeit als Folge ihrer Arbeitsbelastungen und eingeschränkten Erholungsmöglichkeiten ein Unfallrisiko dar [5, 12]. Die Parkplätze an Autobahnen sind so konzipiert, dass das Führerhaus zur Autobahn hinzeigt [5]. Neben dem Lärm beeinträchtigen schlafstörende Klimabedingungen, Rang Entwicklung 1 Fachkräftemangel 2 Mobilitätsanforderungen/ Verkehrsdichte 3 Arbeitsverdichtung, längere Arbeitszeiten und Verantwortungsausweitung 4 Demografischer Wandel und unausgewogene Altersstruktur 5 Interkulturelle und sprachliche Anforderungen 6 Körperliche Inaktivität bei versicherten Tätigkeiten 7 Fehlende gesellschaftliche und/ oder finanzielle Anerkennung 8 Flexibilisierung von Arbeit 9 Fehlende körperliche Aktivität in der Freizeit 10 Komplexität von Mensch-Maschine-Schnittstellen 11 Ungesunde Ernährung 12 Langanhaltende und/ oder einseitige Beanspruchung des Muskel-Skelett-Systems 13 Informations- und Kommunikationstechnologien und vernetzte Automatisierung, auch für mobile Arbeit 14 Autonome Fahrzeuge 15 Verkehrskatastrophen 16 Größere und/ oder schwerere Transportfahrzeuge 17 Raubüberfälle, terroristische Anschläge und Amokläufe 18 Dieselmotoremissionen Tabelle 1: Rangreihung der bedeutsamsten Entwicklungen im Hinblick auf den Arbeitsschutz der nahen Zukunft in der Branche „Gütertransport Straße“ als Ergebnis des Risikoobservatoriums der DGUV, 2018 Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 48 LOGISTIK Güterverkehr allen voran Hitze und ggf. Kälte, die Schlafqualität im Führerhaus. Demografischer Wandel und unausgewogene Altersstruktur, Fachkräftemangel, fehlende gesellschaftliche und/ oder finanzielle Anerkennung 27,8 % der LKW-Fahrer und -Fahrerinnen im Güterverkehr waren 2016 über 55 Jahre, nur 2,5 % unter 25 Jahre alt [2]. Ende 2016 gab es in Deutschland 17.197 vakante Stellen für Berufskraftfahrende (Güterverkehr/ LKW). Es wird zunehmend schwieriger, offene Stellen zu besetzen [2]. Gründe hierfür liegen auch in der mangelnden Attraktivität des Berufs: schlechte Work-Life-Balance, sehr eingeschränkte Teilhabe am Familien- und Sozialleben durch Schicht- und Wochenenddienste und teils lange Abwesenheiten von zuhause. Die Arbeitsumstände schränken den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen ebenso ein wie zu sanitären Einrichtungen und damit zur Hygiene sowie zu angemessenen Schlafplätzen. Zudem mindern überlastete Straßen die Freude am Fahren. Es bestehen kaum Entwicklungsmöglichkeiten für das Fahrpersonal. Berufskraftfahrende fühlen sich von Auftraggeber- und Disponentenseite sowie an den Rampen zur Be- und Entladung teils schlecht behandelt [4, 11]. Aufgrund des Mangels an qualifizierten Kräften war die Lohnentwicklung in den letzten Jahren positiv [2]. Die Entlohnung für ausgebildete Berufskraftfahrende und solche in Ausbildung müsste jedoch weiter angehoben werden, um den Beruf attraktiver zu machen [4]. In der Gesellschaft besteht wenig Wertschätzung dem Fahrpersonal gegenüber. Die meisten führen sich nicht vor Augen, wie notwendig der Gütertransport Straße zur Sicherung der Grundversorgung (z. B. hinsichtlich Ernährung, Mobilität, Energie) und zur Befriedigung des eigenen Konsumverhaltens ist [4]. Interkulturelle und sprachliche Anforderungen Die EU-Osterweiterungen führten aufgrund der für alle EU-Mitgliedstaaten geltenden Kabotagefreiheit im Straßengüterverkehr zu einem steigenden brancheninternen Wettbewerb im Fernverkehr [4]. 2017 erbrachten LKW aus den jungen EU- Staaten bereits fast ein Drittel der mautpflichtigen Fahrleistung [13]. Der daraus resultierende verstärkte Einsatz von Beschäftigten mit deutschem Arbeitsvertrag im regionalen oder Nahverkehr könnte sich durch eine verbesserte Work-Life-Balance in diesem Verkehrssegment positiv auf deren Sicherheit und Gesundheit auswirken. Allerdings nimmt dies den Truckern, die sich bewusst für den Fernverkehr entschieden haben, ihr Berufsethos. Die Liberalisierung des Straßengüterverkehrs hat Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit: Zum einen lagen bei Fahrzeugen aus mittel- und osteuropäischen Staaten die Beanstandungsquoten aufgrund technischer Mängel 2013 bei 30,9 % (gegenüber 9,3 % bei deutschen Fahrzeugen) und aufgrund mangelnder Ladungssicherung bei 21,3 % (gegenüber 11,4 % bei deutschen Fahrzeugen) [10]. Zum anderen fallen vermehrt LKW-Fahrer aus Osteuropa bei Alkoholkontrollen auf [14]. 2016 hatten 15,5 % aller in Deutschland beschäftigten LKW-Fahrenden eine ausländische Staatsbürgerschaft [2]. Kommunikation mit den Rampenbetreibenden ist aufgrund fehlender Deutsch- und Englischkenntnisse teils nur per Übersetzungsapp möglich, und deutlich seltener als unter deutschen Fahrenden herrscht bei solchen mit ausländischer Nationalität Klarheit, ob sie selbst entladen müssen oder nicht (18,7 vs. 35,5 %). Das führt zu Verzögerungen [11]. Digitalisierung, neue Technologien und Komplexität von Mensch- Maschine-Schnittstellen Durch den Einsatz neuer Technologien und Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) lassen sich Zeitersparnisse und Arbeitserleichterungen erzielen. Fahrerassistenzsysteme vermindern Unfallgefahren. Dennoch sehen Berufskraftfahrende auch Nachteile der Nutzung: Die persönliche Kommunikation zwischen Beschäftigten und Unternehmen reduziert sich deutlich und mindert die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. LKW-Fahrende befürchten durch weitere technische Entwicklungen Einschränkungen in ihrer Handlungsfreiheit, fühlen sich kontrolliert (z. B. durch Live-Tracking) und durch die ständigen Anweisungen der IKT bevormundet [15]. Die Nutzung von IKT während der Fahrt führt zu Ablenkung und zu einem erhöhten Unfallrisiko. Informationen sollten deshalb knapp und intuitiv verständlich sein, notwendige Eingaben während der Fahrt so selten und so kurz wie möglich. IKT sollten die Fahrenden nicht unter Zeitdruck setzen und zu Eingaben zwingen [16]. Auch mechanische Risiken können sich durch falsch im Fahrzeug installierte IKT ergeben: Sie können z. B. das Öffnen des Airbags behindern oder bei Bremsvorgängen zum Geschoss im Fahrzeuginnenraum werden [16]. Körperliche Beanspruchung, Inaktivität und ungesunde Ernährung Im Gütertransport überwiegen teils sehr lange Phasen des Sitzens. Auch ist damit zu rechnen, dass Be- und Entladetätigkeiten zukünftig vermehrt durch das Lagerpersonal erledigt werden. Die einseitige Belastung der Muskulatur wird anteilig eher zunehmen [10]. Bewegungsmangel geht mit einem Abbau der (Rumpf-)Muskulatur einher; Gelenke können dann nur unzureichend gehalten werden. Berufskraftfahrende tragen ein erhöhtes Risiko für Bandscheibenerkrankungen der Lendenwirbelsäule sowie für Schulter- und Nackenbeschwerden aufgrund der statischen Haltung am Lenkrad [5, 12]. Muskel-Skelett-Erkrankungen sind bei Fahrzeugführenden einer der häufigsten Gründe für Arbeitsunfähigkeit [8]. Fernfahrende verbringen auch ihre Tagesruhezeit gezwungenermaßen sehr häufig im oder beim Fahrzeug [17], d. h. auf Rastanlagen und Autohöfen. Raststätten und Autohöfe bieten jedoch wenig Raum für Ungeplante Wartezeiten verursachen immer wieder Verspätungen und Verschiebungen der Arbeitszeit. Foto: marcinjozwiak | pixabay Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 49 Güterverkehr LOGISTIK eine aktive Freizeitgestaltung. Im Einklang damit übersteigt der Anteil der übergewichtigen Berufskraftfahrer (85 %) den Anteil der übergewichtigen Männer (66 %) in der Gesamtbevölkerung deutlich [18]. Als Hindernisse für eine gesunde Ernährung nennen Betroffene Zeitdruck, das Fehlen gesunder Nahrungsmittel auf Raststätten, eigenes mangelndes Interesse und hohe Kosten [18]. Bei Berufskraftfahrenden entfällt im branchenübergreifenden Vergleich ein höherer Anteil der Arbeitsunfähigkeitstage auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen (10,5 vs. 6,1 %) und Verletzungen (13.5 vs. 10,8 %) [2]. Daher zeigen bereits einige präventive Ansätze Fitnessmöglichkeiten im und um den LKW auf (z. B. [19]). Raubüberfälle Schätzungen zufolge wird im Bundesgebiet alle 20 Minuten Ladung entwendet [20], in mehr als 70 % in Form von Einbrüchen; nur bei einem kleinen Prozentsatz der Diebstähle wird Gewalt gegen die Fahrenden angewendet. Anders ist das z. B. in Frankreich: 2013 waren dort 48 % der gemeldeten Ladungsdiebstähle an gewalttätige Entführungen oder Raubüberfälle gekoppelt [21] - ein zusätzliches Risiko für den deutschen LKW- Fernverkehr. Klare Verhaltensanweisungen zur Eigensicherung von Arbeitgeberseite sind hier hilfreich. Dieselmotoremissionen Die aktuell im Gütertransport Straße eingesetzten Nutzfahrzeuge sind zu 95 % dieselbetrieben [22]. Dieselmotoremissionen (DME) gelten als krebserzeugend [23]. In der Praxis lassen LKW-Fahrende den Motor immer wieder auch bei Stillstand des Fahrzeugs laufen, z. B. beim Auf- und Abbrücken von Wechselbehältern oder auf Rastplätzen, um Klimaanlage bzw. Heizung im Führerhaus zu nutzen. Das kann die DME-Belastung angrenzend rastender LKW-Fahrender erhöhen. Fazit Der Gütertransport Straße ist stark von Zeitdruck geprägt. Erholungsmöglichkeiten sind besonders im Fernverkehr eingeschränkt. Je länger Beschäftigte Stressoren - im besonderen Zeitdruck - ausgesetzt sind, desto mehr leidet der Erhalt ihrer Arbeitsfähigkeit. Gleichzeitig kann Stress negativ mit anderen Beanspruchungen zusammenwirken. Die gesetzliche Unfallversicherung hat auf viele der beschriebenen Faktoren nur wenig unmittelbaren Einfluss. Dennoch trägt sie indirekt und direkt durch Präventionsleistungen und Kooperationen mit relevanten Stellen zur Verbesserung von Arbeitsbedingen bei. Das Risikoobservatorium der DGUV hilft ihr dabei, weitere Ansätze für Präventionsmöglichkeiten zu identifizieren. ■ LITERATUR [1] Güterverkehr: Beförderungsmenge nach Hauptverkehrsrelationen und Verkehrsträgern, sowie die Veränderung zum Vorjahr in 1 000 Tonnen und die Veränderung zum Vorjahr in % für das Jahr 2018. Hrsg.: Statistisches Bundesamt (Destatis), Wiesbaden, 2019 https: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Branchen-Unternehmen/ Transport- Verkehr/ Gueterverkehr/ Tabellen/ verkehrstraeger-hauptverkehrsrelation-a.html (abgerufen am 22.08.2019) [2] Marktbeobachtung Güterverkehr: Auswertung der Arbeitsbedingungen in Güterverkehr und Logistik 2017-I - Fahrerberufe. Hrsg.: Bundesamt für Güterverkehr, Köln, 2017 https: / / www.bag.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Marktbeobachtung/ Turnusberichte_ Arbeitsbedingungen/ Bericht_5e_Fahrerberufe_2017.pdf? __ blob=publicationFile (abgerufen am 23.10.2018) [3] Zanker, C.: Branchenanalyse Logistik. 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Hrsg.: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, 2019 https: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Gesellschaft-Umwelt/ Verkehrsunfaelle/ Tabellen/ hauptverursacher-fahrzeugart.html (abgerufen am 22.08.2019) [7] Verkehrsunfälle: Unfälle von Güterkraftfahrzeugen im Straßenverkehr 2017. Hrsg.: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, 2018 https: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Gesellschaft-Umwelt/ Verkehrsunfaelle/ Publikationen/ Downloads-Verkehrsunfaelle/ unfaelle-gueterkraftfahrzeuge-5462410177004.pdf? __blob=publicationFile (abgerufen am 22.08.2019) [8] Michaelis, M.: Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung von Berufskraftfahrern. 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Hrsg.: EuroTransportMedia Verlags- und Veranstaltungs-GmbH, Stuttgart, 2014 [11] Marktbeobachtung Güterverkehr: Abläufe an den Laderampen verbessern - Ergebnisse einer Befragung von Kraftfahrern und Rampenbetreibern. Hrsg.: Bundesamt für Güterverkehr, Köln, 2017 http s : / / w w w. b a g . b u n d . d e / S h a r e d D o c s / D o w n l o a d s / D E / Marktbeobachtung/ Sonderberichte/ Laderampe2017_Fahrerbefragung.pdf? __blob=publicationFile (abgerufen am 12.11.2018) [12] Michaelis, M.: Berufskraftfahrer-Gesundheit - Ist Prävention möglich? In: Badura, B.; Ducki, A.; Schröder, H.; Klose, J.; Meyer, M. (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2015. Springer-Verlag, Berlin; Heidelberg, 2015 [13] Mautstatistik: Jahrestabellen 2017. Hrsg.: Bundesamt für Güterverkehr, Köln, 2018 https: / / www.bag.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Statistik/ LKW-Maut/ Jahrestab_16_17.html? nn=13100 (abgerufen am 01.02.2018) [14] Müller, C.: Gibt es ein Alkoholproblem unter Lastwagenfahrern? . Hrsg.: Süddeutsche Zeitung 2019 https: / / www.sueddeutsche.de/ auto/ lkw-fahrer-alkohol-1.4306718, 28.01.2019 (abgerufen am 01.02.2019) [15] Marktbeobachtung Güterverkehr: Auswertung der Arbeitsbedingungen in Güterverkehr und Logistik 2016-I - Fahrerberufe. Hrsg.: Bundesamt für Güterverkehr, Köln, 2016 https: / / www.bag.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Marktbeobachtung/ Turnusberichte_ Arbeitsbedingungen/ Bericht_5E_Fahrerberufe_2016-I.pdf? __ blob=publicationFile (abgerufen am 29.11.2018) [16] Bengler, K.; Gross, B.: Mobile Endgeräte im Fahrzeug. Digital und sicher unterwegs. DGUV Forum 6 (2018), S. 13-17 [17] Marktbeobachtung Güterverkehr: Arbeitsbedingungen von Kraftfahrern - Ergebnisse einer internationalen Kraftfahrerbefragung. Hrsg.: Bundesamt für Güterverkehr, Köln, 2014 https: / / www.bag. bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Marktbeobachtung/ Sonderberichte/ SB_Fahrerbefragung.pdf? __blob=publicationFile (abgerufen am 06.12.2018) [18] Fellmin, S.: Analyse des Ess- und Trinkverhaltens von Berufskraftfahrern - Eine Erhebung als Basis für Maßnahmen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung. Hrsg.: Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Hamburg, 2015 http: / / edoc.sub. uni-hamburg.de/ haw/ volltexte/ 2016/ 3257/ pdf/ BA_Sandra_Fellmin.pdf (abgerufen am 25.10.2018) [19] Bauer, M.: Daimler hat ein Fitness-Set für die LKW-Kabine entwickelt. Damit soll der Fahrer unterwegs gezielt stark beanspruchte Körperpartien kräftigen. Hrsg.: Eurotransport.de, 2015 https: / / www. eurotransport.de/ artikel/ topfit-set-daimler-macht-den-lkw-zumfitness-studio-6633289.html, 09.04.2015 (abgerufen am 10.01.2019) [20] Transport: Ladungsdiebstahl verursacht Milliardenschäden. Hrsg.: Logistik heute, 2018 https: / / www.logistik-heute.de/ Logistik-News- Logistik-Nachrichten/ Markt-News/ 17961/ Laut-BWVL-wird-alle- 20-Minuten-Ladung-geklaut-Transport-Ladungsdiebstahl-ver, 09.02.2018 (abgerufen am 07.12.2018) [21] Marktbeobachtung Güterverkehr: Diebstähle im Transportbereich - Aktualisierte Fassung. Hrsg.: Bundesamt für Güterverkehr, Köln, 2016 https: / / www.bag.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Marktbeobachtung/ Sonderberichte/ Diebstaehle_im_Transportbereich_-_Aktualisierte_Fassung.pdf? __blob=publicationFile (abgerufen am 06.12.2018) [22] Adolf, J.; Balzer, C.; Haase, F.; Lenz, B.; Lischke, A.; Knitschky, G.: SHELL Nutzfahrzeuge-Studie. Diesel oder alternative Antriebe - Womit fahren LKW und Bus morgen? Fakten, Trends und Perspektiven bis 2040. Hrsg.: Shell Deutschland Oil GmbH, Hamburg, 2016 https: / / www.dlr.de/ dlr/ Portaldata/ 1/ Resources/ documents/ 2016/ PDF_ Shell_Nutzfahrzeugstudie_2016.pdf (abgerufen am 23.10.2018) [23] Mattenklott, M.; Bagschick, U.; Chromy, W.; Dahmann, D.; Kieser, D.; Rietschel, P.; Schwalb, J.; Sinner, K.-E.; Stückrath, M.; Van Gelder, R.; Wilms, V.: Dieselmotoremissionen am Arbeitsplatz. Gefahrstoffe - Reinhaltung der Luft, 62 (2002), Nr. 1/ 2, S. 13-23 http: / / www.dguv. de/ medien/ ifa/ de/ pub/ grl/ pdf/ 002_2002.pdf (abgerufen am 17.01.2018) Angelika Hauke Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Sankt Augustin angelika.hauke@dguv.de Ina Neitzner Leiterin Referat „Wissenschaftliche Kooperationen“, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Sankt Augustin ina.neitzner@dguv.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 50 Chinas E-Commerce-Boom Hochwertige Lagerhäuser und Transportlogistik benötigt Informationstechnologie, Internethandel, Letzte Meile, Transporteffizienz Der Boom beim E-Commerce im Land der Mitte hat zu einem Mangel an Lagerhäusern und Transportlogistik geführt. Da der Transport einen Anteil von rund 50 Prozent an den Logistikkosten hat, sind insbesondere Lagerhäuser nahe beim Kunden gefragt. Der Ausbau der Logistik und der Lagerhauskapazität ist im Gange. Dirk Ruppik D er Wettbewerb der beiden chinesischen Internetgiganten Alibaba und JD.com um Marktanteile im Land der Mitte weitet sich zunehmend auf den Logistikbereich aus [1]. Laut dem amerikanischen The Wall Street Journal investiert JD.com immer mehr in hoch automatisierte Lagerhäuser. Das eigene Logistiknetzwerk umfasst bereits 15 Logistikparks, mehr als 500 Lagerhäuser, rund 7.000 Auslieferungs- und Pickup-Stationen sowie 250.000 Transport- und Lieferwagen. In abgelegene ländliche Gebiete liefert der Internet-Händler bereits via Drohne. Zudem werden Pakete auch auf Linienflügen befördert. Alibaba dagegen besitzt die Mehrheit der Anteile am Logistiknetzwerk Cainiao. Im Mai letzten Jahres kaufte die Alibaba Holding zusammen mit Investoren 10 % des chinesischen Expresszulieferers ZTO Express im Wert von 1,4- Mrd. USD (1,26 Mrd. EUR). Zudem will das Unternehmen weitere Milliarden in seinen Logistikbetrieb investieren. Das E- Commerce-Unternehmen nutzt seit langem Logistiker wie ZTO und Chinas größten Expresszulieferer SF Express Logistikkosten bisher noch hoch Trotz allem belaufen sich die Logistikkosten im Land der Mitte noch auf 15 % des Bruttoinlandproduktes. In entwickelteren Märkten wie den USA liegen diese bei 7 bis 8 %. Beim Logistics Performance Index (LPI) liegt Hongkong auf Platz neun, China auf Platz 27 und Deutschland sowie die USA auf Platz eins und zehn. Beim LPI werden Kriterien wie Infrastruktur, Zollabfertigung, Dienstleistungsqualität und Pünktlichkeit, u. a. berücksichtigt. George Yeo, ehemaliger Vorsitzender des Kerry Logistics Network, beklagt die hohen Mautgebühren im größten Mautstraßensystem der Welt (Länge rund 160.000 km). Viele Prozesse in der Paketabfertigung basieren bisher noch auf Handarbeit. Daher muss dringend automatisiert werden, um die Arbeitskosten zu senken. Ende März kündigte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua weitere Maßnahmen zur Senkung der Logistikkosten und zur Verbesserung der Transporteffizienz an. Laut dem Sprecher Wu Chungeng soll die Effizienz in den nächsten drei Jahren u. a. durch die Beschleunigung des Ausbaus eines umfassenden Transportnetzwerkes, die Förderung des multimodalen Transports und die Ausweitung des elektronischen Mautgebührensystems erfolgen. Das Transportministerium wird die Eisenbahn-, Straßen- und Wasserweg-Transportsysteme ausbauen und die Struktur optimieren. Weiterhin soll das Netzwerk der Logistikhubs ausgebaut werden. Wu sagte Hoch automatisiertes „Asia No. 1“-Lagerhaus in Shanghai Quelle: JD.com LOGISTIK China Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 51 China LOGISTIK auch, dass technologische Innovationen wie das „Internet Plus Logistikmodell“ und die Konsolidierung von Informationsplattformen für Transport und Logistik vorangetrieben werden sollen. In diesem Rahmen wird laut des Premiers Li Keqiang eine intensive Integration der Informationstechnologie wie Internet, Big Data und Cloud Computing mit der Logistik angestrebt, um die Transformation und den Ausbau der Logistikindustrie und der chinesischen Wirtschaft zu fördern. In 2019 ist gemäß Xinhua geplant, gleichzeitig die Logistikkosten um 120,9 Mrd. CNY (15,4 Mrd. EUR) zu senken. China hat hier bereits in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Logistikbetreiber folgen Online- Konsum „Es ist wichtig, die Distanz zwischen Lagerhaus und Verbrauchern zu reduzieren“, sagte Victor Mok, Co-Präsident China bei Global Logistic Properties (GLP). GLP besitzt 30 Mio. m 2 Lagerhausfläche und ist damit der größte Lagerhausbetreiber in China. Bisher fokussierte das Unternehmen auf Großstädte wie Peking, Shanghai und Shenzhen. Logistikbetreiber folgen nun aber dem Online-Konsum an Gütern hin zu kleinen Inlandsregionen. In größeren Ballungsräumen wurde das für die industrielle Entwicklung zur Verfügung stehende Land bereits limitiert. Daher ging das Investment dort gewaltig zurück. Gleichzeitig ist die Kapitalanlage in Logistikimmobilien in den letzten Jahren für private Investoren wie Versicherungsunternehmen und Investmentfonds immer attraktiver geworden. Es ist also zu erwarten, dass das Kapital in den Bau von Logistikimmobilien wie Lagerhäuser in ländlichen Regionen fließt. Letztes Jahr brachte JD.com 2,5 Mrd. USD (2,3 Mrd. EUR) zusammen mit Teilhabern wie Tencent, dem Versicherungsunternehmen China Life und der Wagniskapitalfirma Sequoia auf, um die Logoistiksparte JD Logistics (seit April 2017 selbstständiges Unternehmen) auszubauen. Mit dem Kapital wurde das Logistikangebot um Lagerhausbetrieb und Zulieferdienste auf der „letzten Meile“ erweitert. Laut Zhang Chen, Technischer Direktor bei JD.Com, geht es darum, dass effizienteste nahtlose Netzwerk - vom Kunden über die Supply Chain bis zur Logistik - aufzubauen. „Unsere Entscheidung frühzeitig ein eigenes logistisches Netzwerk zu entwickeln, hat den Weg zur heutigen industriellen Führerschaft für JD Logistics geebnet“, erklärt Richard Liu, Vorsitzender und Geschäftsführer von JD.com. Nach wie vor müssen Alibaba und auch JD.com Lagerhausplatz anmieten. Zudem geht der Trend zu sog. extrem automatisierten Smart Warehouses, um Arbeitskräfte und damit Löhne einzusparen und die Effizienz zu erhöhen. Beide Internethändler besitzen bereits „unbemannte“ roboterbetriebene Lagerhäuser: JD.com das „Warehouse No 1. Asia“ (großes Bild) und Cainiao das „Wuxi warehouse“. Das Online-Shopping im Land der Mitte wächst beständig (Bild 1), ist aber laut Handelsministerium immer noch für weniger als 20 % des chinesischen Gesamtkonsums verantwortlich. Alibaba wie auch JD.com vertreiben ebenso Lebensmittel über ihre Offline-Supermärkte Hema und 7Fresh. Der Alibaba-Hema-Supermarkt fungiert zudem als Fulfillment Center. Von den Angestellten werden auch Online-Bestellungen bearbeitet. Für die Versorgung dieser Supermarktketten sind spezielle Lagerhäuser (Food-Grade) nötig, die extremen Anforderungen unterliegen. Meist sind diese Lagerhäuser hochautomatisiert, wie z. B. das vollautomatisierte JD Warehouse in Shanghai (Bild 2). Veränderte Nachfrage und chinesische Werte Die Nachfrage chinesischer Konsumenten hat sich in den letzten zehn Jahren gravierend verändert. Laut Tom Doctoroff, Buchautor und Experte für chinesisches Konsumentenverhalten, „sind die chinesischen Verbraucher lang nicht mehr so eindimensional wie früher. Die Hälfte aller Chinesen ist nach 1990 geboren und deren Nachfrage wird heute zunehmend durch Leidenschaften und digitale Technologie geformt. [...] Die Konsumenten werden aber weiterhin durch die Grundsätze der chinesischen Gesellschaft angetrieben. Chinesen wollen einerseits Stabilität und anderseits ihren Status zur Schau stellen.“ [2] Experten und Geschäftsleute haben auf der durch Alibaba ausgerichteten Konferenz Gateway ’17 in Detroit (Juni 2017) folgende Produkte bestimmt, die bei Chinesen momentan hoch im Kurs stehen. Aufgrund der hohen Qualität ausländischer Güter sind dies Schuhe, Kleidung (Schwangerschaftskleidung und Baby-Accessories), Schmuck, Make-up sowie Hautpflegemittel. Denn Chinesen werden immer gesundheitsbewusster. Daher sind Vitamine, gesunde Nahrungsmittel und Babynahrung, Produkte für die Stillzeit, Säfte, Superfood und -snacks, frische Nahrungsmittel sowie natürliche Reinigungsmittel sehr gefragt. Darüber hinaus besteht großes Interesse an ausländischem Qualitätswein, Sportartikeln und originellen elektronischen Geräten. ■ QUELLEN [1] Maxime Van ’t Klooster (2017): What Is Fueling the E-commerce Boom in China? Online: www.1421.consulting, 23.08.2017 (Abruf: 20.09.2019). Und: Benelux Chamber of Commerce in China. Online: beijing.benc h a m . o rg/ n ew s / w h at-f u e li n ge co m m e rce -b o o mc h i n a , 23.08.2017 (Abruf: 20.09.2019) [2] Tom Doctoroff (2013): What Chinese Want: Culture, Communism, and China‘s Modern Consumer. St. Martin‘s Press ISBN: 978- 0230340305 Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Bild 1: Zuwächse beim Online-Shopping in China Quelle: [1] Bild 2: Roboter im JD.com-Lagerhaus Shanghai Quelle: JD.com Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 52 Business-Innovation im Zuge der neuen Seidenstraße Potenziale und Herausforderungen der neuen Seidenstraße für die deutsche und europäische Wirtschaft China, Geschäftsentwicklung, Infrastrukturen, Innovationen, Made in China 2025, Seidenstraße Die neue Seidenstraßen-Initiative fördert den wirtschaftlichen Austausch und geht über Transport und Verkehr hinaus: Die „Belt and Road Initiative“ treibt Business-Innovationen voran, verstärkt die Strategie „Made in China 2025“, entwickelt Industrien insbesondere in Asien und Afrika, schafft Sonderbeziehungen zwischen China und Osteuropa, veranlasst die EU zu einer eigenen „Konnektivitätsstrategie“ und birgt neben großen Herausforderungen auch neue Potenziale für Transport, Logistik, Handel, Produktion, Bau, Finanzwesen, IT u.a. Branchen in Deutschland und Europa. Carsten Müller, Petra Bruckmann, Hao Sun I m Jahre 2013 proklamierte China die „Belt and Road Initiative“ (BRI) und stellte 2015 einen Aktionsplan 1 vor, der die politische Koordinierung der wirtschaftlichen Entwicklung, die Schaffung eines Infrastrukturnetzes zwischen Asien, Europa und Afrika, die Beseitigung von Investitions- und Handelshemmnissen, finanzielle Integration und kulturellen, wissenschaftlichen und technologischen Austausch vorsieht. 2 2015 ebenfalls initiiert wurde „Made in China 2025“ (MIC2025), ein staatlicher Plan zur Modernisierung der chinesischen Industrie, der sich auf den deutschen Plan „Industrie 4.0“ stützt. 3 China will die BRI auf Asien und Afrika ausrollen und das ökonomische Gravitationszentrum der Welt weiter gen Osten verschieben. China, dessen Wirtschaft in den letzten vier Jahrzehnten beeindruckend wuchs, erzielte 2018 ein kaufkraftbereinigtes Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 25,3 Bio. USD und lag damit vor den USA (20,5 Bio. USD). 4 Pro Kopf liegt das kaufkraftbereinigte BIP in China mit 18.110 USD allerdings noch deutlich unterhalb des Niveaus der USA (62.606 USD). 5 Um nicht wie viele andere sich entwickelnde Länder in die Falle der mittleren Einkommen zu geraten, betreibt China eine LOGISTIK Neue Seidenstraße Bild: JohnsonGoh | pixabay Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 53 Neue Seidenstraße LOGISTIK Innovations- und Industriepolitik, die auf stetige Produktivitätssteigerung und Aufwertung der Arbeitsplätze abzielt. Die Werkbankfunktion Chinas übernehmen allmählich geförderte BRI-Länder, die China mit Rohstoffen, Energie, Konsum- und Investitionsgütern beliefern. China will sich im oberen Segment der Wertschöpfungskette etablieren und v. a. höherwertige, der Produktion vorbzw. nachgelagerte Wertschöpfungsstufen wie F&E, Design, Marketing und Logistik übernehmen und bis 2025 zu den hoch entwickelten Industrienationen aufschließen. 2035 will China seine Wettbewerbsfähigkeit weiter ausgebaut haben und 2049 zur technologisch führenden Industrienation aufgestiegen sein. 6 Bedeutung für die Logistik MIC2025 koordiniert die Umsetzung der digitalen technologischen Revolution, die BRI eröffnet neue Marktpotenziale entlang der ausgebauten Transportkorridore, erhöht jedoch auch den Wettbewerbsdruck. Beide sollen durch konsequente Verbesserungsmaßnahmen unter Anwendung neuer digitaler Technologien die Produktivität der Logistik steigern. Laut Wang Wei, Direktorin des Entwicklungsforschungszentrums des Staatsrates Chinas, lassen sich beim Technikeinsatz wie Internet of Things (IoT), Big Data, Industrierobotern, vernetzten unbemannten Fahrzeugen, die Effizienz steigern und neue Wertschöpfungsmodelle im Logistiksektor anregen. Transporte von Gütern erfolgen dort, wo Handel stattfindet, wobei sich der Schwerpunkt des Welthandels zu den Entwicklungsländern und aufstrebenden Märkten verlagere und derzeit auf die BRICS- Länder und die sich entlang der BRI entwickelnden Infrastrukturprojekte fokussiert sei. 7 Dass die bisherigen Strukturen des internationalen Transports, der Supply und Value Chains an die durch die BRI geförderten Infrastrukturen angepasst werden müssen, bewirkt eine Weiterentwicklung der globalen Logistik und Beschleunigung der Globalisierung in einer neuen, landgebunden stärker vernetzten Form. Nach Ankündigung der BRI entstanden eine Reihe von Initiativen aus unterschiedlichen Ländern, z. B. der „China-Pakistan Economic Corridor“, Indonesiens „Global Maritime Fulcrum“, die „Bright Road“ Initiative aus Kasachstan und der „Junker-Plan“ der EU, die eine Korrelation zur BRI aufweisen. Die von der BRI in neuer Form geförderte Entwicklung der Globalisierung, deren Schlüsselpunkte die globalen Supply und Value Chains sind, bewirkt neue Regelungen und neuen Wettbewerb im System der globalen Logistik. Innovation auf dem Landweg Chinesische Logistikunternehmen sehen die BRI als Aufruf zur Internationalisierung und richten ihre langfristige strategische Geschäftsentwicklung an BRI, MIC2025 und „Internet plus“ aus. 8 Der stark wachsende chinesische Logistik- und Kurierdienstleister STO Express will seine Unternehmensstrategie nach dem BRI-Plan umsetzen, da dieser das richtige Leitbild für die Zukunft seiner globalen Geschäftsentwicklung sei. STO Express will 3 Mrd. CNY (rd. 380 Mio. EUR) investieren, um seine Infrastruktur, die Umladungsbzw. Verteilzentren zu verstärken und sie auf die zunehmenden internationalen Schienengütertransporte entlang der BRI vorzubereiten. 9 Um das bereits auf dem Binnenmarkt etablierte Geschäftsmodell zu erweitern, richtete STO Express eine eigene Flugzeug- und LKW-Flotte für die Belieferung nach Europa ein und kooperiert mit E-Commerce- Plattformen wie Ebay, Wish and AliExpress. Seit 2016 fliegt die Air-Cargo-Gesellschaft SW Italia wöchentlich drei Frachtflüge für den STO Express mit Boeing-747-Frachtern von Hongkong nach Prag, wobei es sich um die erste regelmäßige Frachtflugverbindung eines chinesischen Expressdienstleisters nach Europa handelt. 10 Die von STO Express betriebene LKW-Flotte bringt Sendungen von Prag in alle europäischen Länder einschließlich Großbritannien. Mit dem neuen Geschäftsmodell verspricht STO Express europäischen Kunden Kostensenkungen und verkürzte Lieferzeiten sowie einen vollständigen Lieferverfolgungsdienst. Das Unternehmen will ein Viertel des Marktes mit Chinabezug von großen weltweiten Lieferdiensten, wie DHL, UPS, FedEx und TNT übernehmen, da seine eigenen Entgelte nur halb so hoch seien. 11 Durch Reproduktion seines Franchisemodells hat STO sein Servicenetz innerhalb von fünf Jahren weltweit in 226 Ländern und Regionen ausgebreitet. 12 Um im Versand- und Lieferdienst entlang der BRI mit internationalen Logistik-Akteuren positive Synergien zu erzielen, müssen neue Infrastrukturen und Zustellungsnetzwerke in wichtigen BRI-Ländern aufgebaut und verbessert werden. Daran möchte STO Express mit Unterstützung der chinesischen Regierung mitwirken, damit die Transportnetzwerke von STO Express weltweit wachsen können. 13 MIC2025 definiert Automatisierung und Robotisierung als Schwerpunkte, wobei der schnell zunehmende Robotereinsatz in der chinesischen Produktion schon seit einiger Zeit erfolgt. Aufgrund gestiegener Löhne wird es im arbeitsintensiven Logistiksektor günstiger, Menschen durch Roboter zu ersetzen. Bis 2020 will China 150.000 Industrieroboter produziert und ca. 950.000 Industrieroboter in Betrieb haben. 14 In zwei STO Express-Lagerhallen in Linyi (Großstadt in Ostchina) werden Roboter eingesetzt um bis zu 200.000 Pakete stündlich zu sortieren. 15 Es sind allerdings noch einige Herausforderungen zu bewältigen: So können Roboter bislang nur für acht Stunden eingesetzt werden und müssen dann selbständig zu einer Ladestation fahren. Pakete in „irregulärer“ Form oder über 5 kg können noch nicht durch Roboter transportiert werden. Auch müssen Angestellte eingreifen, wenn Pannen passieren. Jedoch werden durch die Robotereinsätze die Kosten halbiert und 70 % der Personalkosten eingespart, bei gleichzeitig erhöhter Sortiergenauigkeit. 16 Die vollautomatischen Roboter-Lagerhäuser von STO zeigen, wie Logistikunternehmen durch Digitalisierung und Automatisierung lokal und international ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern können. Innovation auf dem Seeweg In Bezug auf die Transportmengen dominiert auch zukünftig der Seeweg, über den rd. 90 % des Welthandels erfolgt. Dabei beträgt der Anteil der maritimen Seidenstraße zwischen China/ Ostasien und Europa bereits heute über 50 %. Die größten Containerhäfen der Welt Shanghai, Singapur, Shenzen, Ningbo-Zhoushan, Busan und Hongkong liegen auf dieser Route. 17 Mit der BRI sollen die globalen maritimen logistischen Infrastrukturen hin zu einer digitalen effizienten kollektiven und intelligenten Form geändert werden und „5G+Häfen“ als Zukunftsbild für strategische Häfen entlang der maritimen Seidenstraßen aufgebaut werden. 18 Um die digitale Transformation zu beschleunigen, unterzeichneten Guangzhou Hafen und Huawei, Anbieter von IKT-Infrastruktur und Smart Terminals, eine strategische Kooperationsvereinbarung zum Bau eines „intelligenten Hafens“, für den Huawei die kompletten technischen Dienste, wie Basisnetzwerke, Cloud-Computing, Rechenzentren für das Internet der Dinge (IoT) zur Verfügung stellt, um den Hafen von Guangzhou zu einem „globalen Paradigma“ zu machen. Bereits 2016 entschied sich Huawei, statt in Luftfahrt- und Eisenbahnindustrien in Häfen zu investieren, da dort viele chinesische IT-Giganten noch nicht vertreten sind. Derzeit arbeitet Huawei mit den wichtigsten Häfen Chinas, u.a. dem Yingkou Hafen, dem Guangzhou Hafen, dem Rizhao Hafen, dem Tianjin Hafen und dem Hafen von Ningbo-Zhoushan, zusammen. 19 Für neue Häfen bietet Huawei seine 5G-Technologie für die gesamte Netz- Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 54 LOGISTIK Neue Seidenstraße werkübertragung und Kommunikation an; für die Umgestaltung traditioneller Häfen v. a. die Digitalisierung der Operationen, z. B. Einsatz von KI-Analysetechnik mit Kameras und Umwandlung manuellen Fahrens in Fernbedienung. 20 Beim Aufbau eines durch ein 5G-Netzwerk gesteuerten Hafens ohne Bedienpersonal ist China nicht der einzige Vorreiter. Im Hamburger Hafen etablieren die Deutsche Telekom und Nokia ein 5G-Mobilfunknetz zur Automatisierung der hafeninternen Abläufe. 21 Europäische Häfen preschen mit Innovationen, etwa den geplanten IoT- Plattformen in Rotterdam und Barcelona, sogar stärker voran als ihre chinesischen Pendants. Denn BRI und Digitalisierung erhöhen den Druck auf die Schifffahrt und v. a. die nördlichen Häfen, die sich voneinander sowie von alternativen Schifffahrtsrouten u. a. Verkehrsträgern abgrenzen müssen. Chinesische Häfen fokussieren dagegen v. a. auf ausgereifte Technologien für die Automatisierung und Effizienzsteigerung. So wurde im Hafen von Shenzhen die Produktivität des größten Containerterminals durch Automatisierung stark erhöht, und in Hongkong soll eine automatisierte Boxenstapelung die Effizienz um bis zu 40 % steigern. 22 BRI und MIC2025 beeinflussen globale Supply und Value Chains und ermöglichen neue digitale Geschäftsmodelle für konventionelle Logistikunternehmen und High- Tech Unternehmen. In China werden 80 % der Logistikaufträge im Rahmen der BRI an chinesische Unternehmen vergeben. Für europäische Logistikdienstleister bestehen die besten Chancen in Ländern, in denen China noch wenig aktiv ist, bspw. in Kasachstan und Zentralasien. 23 Entlang der maritimen Seidenstraße haben v.a. chinesische ITK-Unternehmen große Chancen, die digitale Transformation maritimer Logistik und Vollautomatisierung von Häfen zu verwirklichen. So bietet Huawei seine 5G- Technologie in den Häfen von Singapur, Rotterdam und Südafrika an und strebt eine strategische Geschäftskooperation mit dem griechischen Hafen von Piräus an. 24 Digitale Innovationen China will die führende Nation im Bereich der künstlichen Intelligenz werden. 25 Aufgrund der großen Einwohnerzahlen gibt es große Datenmengen, eine Grundvoraussetzung für KI. So sammelt der Internetkonzern Alibaba über seine Kredittochter Sesame Daten von mehr als 800 Mio. Internetnutzern. 26 Derzeit werden mit KI Echtzeitdaten über Standorte, Bewegungsprofile, Einkaufslisten, Behördeninformationen, Handydaten, Aufnahmen und Verhalten der Bürger ausgewertet. Tausende Start-Ups forschen an KI-Einsatzmöglichkeiten. 27 Der Suchmaschinenbetreiber Baidu will zum führenden KI-Unternehmen werden und arbeitet in Kooperation mit Bosch und Continental an führenden Technologien für autonomes Fahren. 28 In China werden mehr Daten erzeugt, gespeichert, verarbeitet und ausgewertet als irgendwo sonst auf der Welt. 2030 sollen sich rd. 30 % aller gespeicherten Daten in chinesischer Hand befinden. Dass Big Data bereits als Chinas neues Gold bezeichnet wird, verwundert nicht. Laut PwC kann die Wirtschaft bis 2030 allein durch KI in China um mehr als ein Viertel, in Nordamerika um knapp 15 % und in Deutschland um über 11 % wachsen. 29 In der Provinz Guizhou im Süden Chinas, wo einst Kohle abgebaut wurde, entsteht ein Daten- und Online-Zentrum, an dem sich fast alle wichtigen in- und ausländischen Hightech-Unternehmen ansiedeln und z.B. Drohnen oder 3D-Digitalkarten entwickeln. 30 Seit Mai 2019 kooperieren DHL und der Drohnenhersteller EHang, um ein Netzwerk für einen automatisierten innerstädtischen Drohnen-Lieferservice aufzubauen. Die Lieferzeit soll sich von 40 min über die Straße auf 8 min verkürzen, die Zustellkosten sollen um 80 % sinken. 31 Laut Sun Pishu, CEO der Inspur Group, ermöglichen Cloud Computing, Big Data und KI die reale Umsetzung des Smart City-Konzepts. Hierzu gründete Inspur 2017 zusammen mit IBM, Cisco Systems, Diebold Nixdorf und Ericsson eine Kooperation, die IT-Lösungen für den Aufbau von Smart Cities entlang der BRI bereitstellt. 32 Die chinesische Entwicklung ist schnelllebig und flexibel, zudem erscheint China digital affiner als andere Länder. Die BRI eröffnet der Logistik und den europäischasiatischen Transporten neue Perspektiven, stellt traditionelle Unternehmen aber vor Herausforderungen bei der Anpassung an digitale Trends und der Erschließung von- Synergien mit chinesischen Partnern. Gemeinsam mit diesen besteht die Chance, innovative Lösungen zu entwickeln, um vielversprechende Märkte bedienen zu können. 33 Technologie- und Innovationswettbewerb Die EU strebt eine „nachhaltige, umfassende und regelbasierte Konnektivität“ zwischen Europa und Asien an und will das transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-T) mittels der „EU-China Connectivity Plattform“ (2015) mit der BRI verknüpfen. 34 Dabei besteht Handlungsbedarf zur Engpassbeseitigung, um in Ost-West-Richtung das TEN-T weiter für Eurasische Bahnfracht zu öffnen und die Potenziale der Nord-Süd- Verbindungen mit Gotthard- und Brenner- Basistunnel sowie nördlichen und südlichen Seehäfen voll zu entfalten. Seit März 2019 kooperiert Italien als erstes G7-Land mit der BRI und ergänzt Chinas „17+1“-Kooperationsinitiative mit Osteuropa. 35 Deutschland und die EU fordern von China v.a. transparente Ausschreibungen, Reziprozität im Marktzugang sowie die Einhaltung internationaler Sozial- und Umweltstandards. Kritisiert wird zudem, wenn chinesische Investitionen im Rahmen der 17+1-Kooperation EU-Normen widersprechen, die Verhandlungsposition der EU gegenüber den beitrittswilligen Balkanstaaten schwächen, China kritische Technologieunternehmen kauft (Kuka Robotics 2016) und seine Märkte (u. a. Solar, Chemie, Stahl) nur unzureichend öffnet. 36 Die USA sind hier sehr kritisch. 2018 veröffentlichte das Büro für Handel und Produktion des Weißen Hauses ein 36-seitiges Dokument, „wie Chinas wirtschaftliche Aggression die Technologien und das geistige Eigentum der Vereinigten Staaten und der Welt bedroht“. Die USA werfen China darin physischen und cyber-gestützten Diebstahl von Technologien und geistigem Eigentum vor und beanstanden Zwangsmaßnahmen, Eigentumsbeschränkungen, nachteilige Genehmigungen und Lizenzanforderungen, diskriminierende Schutzrechte, Technologiestandards und Sicherheitsanforderungen sowie die Platzierung chinesischer Mitarbeiter in Gemeinschaftsunternehmen. Kritikpunkte der USA betreffen auch wirtschaftlichen Zwang, Sammlung von Wissen, Technologien und Talenten sowie wettbewerbsverzerrende staatlich geförderte Technologieinvestitionen. 37 Dies lässt erwarten, dass die USA starken Widerstand gegen Chinas geplante Innovationsführerschaft ausüben werden. Anzunehmen ist ein weitreichender und langfristiger Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China, in dem die USA ihre Wertschöpfungs- und Lieferketten von China abzutrennen versuchen und die exportabhängige deutsche Wirtschaft zum Kollateralschaden wird. 38 China fördert Grundlagenforschung, Zukunftstechnologien und Unternehmen, gibt Ziele für deren Marktanteile vor und etabliert nationale Champions, z. B. BYD, Geely, Han‘s Laser Technology, Inspur, Lenovo, SAIC Motor, SIASUN Robot & Automation, SMTCL, Yonyou, aus denen globale Champions erwachsen können, wie die im 5G- Netzwerkausbau führenden und von den USA bereits sanktionierten IKT-Unternehmen Huawei und ZTE, der Motorenbauer Weichai, der Anteile von Linde Hydraulics und Kion erwarb, China Railway Signal & Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 55 Neue Seidenstraße LOGISTIK Communication oder der Eisenbahntechnikkonzern CRRC, der jüngst die Diesellok- Sparte von Vossloh kaufte. 39 China hat jedoch immer noch erhebliche Schwächen bei der Beherrschung grundlegender Technologien, v. a. auf den Gebieten neuer Materialien, Halbleiter u.a. Schlüsselkomponenten für fortschrittliche Maschinen und Werkzeugmaschinen. 40 China ist hier auf westliche Technologieunternehmen angewiesen, für die sich durch die BRI Marktpotenziale ergeben. Beim Bau von Wolkenkratzern liefern bspw. Schindler, Otis, Kone, ThyssenKrupp, United Technologies und Mitsubishi Electric die Hochgeschwindigkeitsaufzüge, Siemens das Energiesystem, Nippon und DuPont die Verglasung und Evonics und Dow Corning die Decken. 41 Schlüsselkomponenten in Hochgeschwindigkeitszügen kommen aus Deutschland, Schlüsselkomponenten in ZTE-Handys aus den USA, und bereits nach wenigen Wochen Einkaufsverbot für amerikanische Technologien stand ZTE vor der Insolvenz. 42 Eine dauerhafte Störung des Zugangs zu grundlegenden Technologien würde Chinas technischen Fortschritt ernsthaft beeinträchtigen. 43 Durch gezielte Beteiligungen an ausländischen Unternehmen will China Zugang zu Hochtechnologien erhalten, die in Schlüsselbereichen noch fehlen. Um legal Know-how zu erwerben, investiert China v. a. in Bereichen, in denen viele Patente gemeldet sind, die als Indikator für demnächst zu erwartende Innovationen gelten. 44 2017 waren weltweit 13,7 Mio. Patente in Kraft, davon 2,98 Mio. in den USA, 2,09 Mio. in China und 2,01 Mio. in Japan. Neu erteilt wurden 1,4 Mio. Patente, davon 420.000 in China, 319.000 In den USA und 200.000 In Japan. 45 2018 wurden die meisten US-Patente an IBM (9.100), Samsung Electronics (5.850) und Canon (3.056) erteilt. 46 Beim Europäischen Patentamt wurden die meisten Patente 2018 von den USA (43.612), Deutschland (26.734), Japan (22.615), Frankreich (10.317) und China (9.401) angemeldet; 47 davon entfielen auf Siemens 2.493, Huawei 2.485 und Samsung 2.449. 48 Dass China im unternehmerischen Innovationsbereich noch Nachholbedarf hat, zeigt der „EU R&D Scoreboard“-Report. Die weltweit 2.500 größten F&E-Unternehmen, die etwa 90 % der weltweit von Unternehmen finanzierten F&E erbringen, investierten 2018 736,4 Mrd. USD in F&E. 49 Die größten Beiträge leisteten die USA (37 %), die EU (27 %), Japan (14 %) und China (10 %). Im letzten Jahrzehnt hat die EU ihren Anteil von 26 bis 27 % gehalten, während der Anteil Chinas v. a. gegenüber Japan zunahm. Die zehn größten Unternehmen steuern 15 %, die 50 größten 40 % und die 100 größten 53 % der Forschungsleistung bei. Unter den Top 50 befinden sich 22 USamerikanische Unternehmen, 18 aus der EU, sechs aus Japan, zwei aus der Schweiz und je eines aus Südkorea und China. 50 Mit MIC2025 strebt China in zehn Industriebereichen 51 Markt- und Technologieführerschaft an, was die deutsche Wirtschaft direkt betrifft, die in einigen dieser Bereiche zur Weltspitze zählt. Teil der MIC2025-Strategie sind Unternehmenskäufe und Beteiligungen chinesischer Unternehmen in Deutschland, deren Zahl von drei in 2009 auf 68 in 2016 stetig stieg und dann 2017 auf 54 und 2018 auf 35 wieder sank. 52 Chinesische Investoren, die 2016 bis 2018 jeweils über 10 Mrd. USD für Zukäufe in Deutschland ausgaben, investierten im ersten Halbjahr 2019 nur noch 505 Mio. USD. 53 Ursächlich hierfür dürften das schwächere Wirtschaftswachstum und das Verschwinden der vormals hohen Leistungsbilanzüberschüsse Chinas sein: Hatte China 2008 noch einen Überschuss von 420 Mrd. USD, gab es 2018 erstmals seit 25 Jahren ein Defizit von 10 Mrd. USD, und auch 2019 und 2020 wird mit einem Defizit gerechnet. Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, hält die Angst vor einem systematischen und flächendeckenden Aufkauf deutscher Unternehmen durch China daher für übertrieben. 54 Die meisten chinesischen Investitionen und Baukontrakte in Deutschland verzeichneten 2005 bis 2018 der Transportsektor (17,15 Mrd. USD), Immobilien (6,26 Mrd. USD) und Technologie (5,91 Mrd. USD). 55 Firmenübernahmen kommen u.a. aufgrund hoher Angebotssummen chinesischer Bieter zustande, die hiesige Investoren nicht zu zahlen bereit sind. 56 Potenziale und Herausforderungen für transport- und logistiknahe Sektoren Deutschland hat ein großes Volumen an Hochtechnologien, jedoch ein relativ kleines Handelsvolumen in asiatischen Märkten, das sich durch eine Anbindung des EU- Netzes an die BRI erhöhen ließe. Für viele, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bedeutet die digitale Vernetzung und Konnektivität, die Menschen und Ideen verbindet, erst die eigentliche Globalisierung 2.0, bei der E-Commerce und Mobile Payment die weltweite Nachfrage erhöhen. China erwuchs 2018 zum größten digitalen Markt, in dem die Cloud die Bedürfnisse der Menschen ohne eine Datenschutz-Grundverordnung kennt. Im Rahmen der BRI subventioniert China den Transport hochwertiger Konsumgüter; in Süd-, Ost- und Mitteleuropa entstehen neue Logistik-, Lager- und Produktionsstätten (Italien, 17+1), was den Ausbau der Nord-Süd-Verbindungen für Deutschland und seine Lieferketten noch bedeutsamer macht. Die Öffnung und das Zusammenwachsen der Märkte erhöhen weltweit den Wettbewerb und ermöglichen bzw. erzwingen die Ansprache weltweiter Kunden. Amazon (Pay), Alibaba, und Alipay stellen hier hohe Anforderungen, und das Internet erscheint bereits dreigeteilt in Englisch, Chinesisch und Sonstiges. Erstrebenswert für die europäische Wirtschaft wäre die Schaffung und Umsetzung eigener Plattformen bzw. die aktive Mitgestaltung von Kooperationsplattformen und digitalen Geschäftsmodellen durch Blockchain-Technologien, Online to Offline (O2O) Commerce u.a. innovative Konzepte. Eine vernetzte Transportinfrastruktur, neue Verkehrsknoten und verminderte Handelshemmnisse, die bislang angestrebt Bild: carabo | pixabay Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 56 LOGISTIK Neue Seidenstraße wurden, ermöglichen eine Reduzierung der Transportzeiten und -kosten und eine Erhöhung des landgestützten Güterverkehrs. Förderlich sind hier die zentrale Lage Deutschlands, chinesische Subventionen (Duisburg, Hamburg) sowie als Treiber bzw. „First Mover“ wirkende Logistik-Multis (DHL, DB Schenker). Wertschöpfende Differenzierung kann etwa durch Servicelevel, Digitalisierung von Dokumenten bzw. Frachtpapieren und Prozessen (Track und Trace, Blockchain) erfolgen. Herausforderungen betreffen Zollvereinfachung, Informationsqualität, Harmonisierung von Standards und hohe Investitionserfordernisse (Kapazitätsengpässe in Europa, Anbindung EU-Netz an Asien, Angleichung Spurweiten, Hubs), aber auch die in der Fläche Asiens bislang nur geringe Marktdurchdringung, der schwierige Transport bspw. von Gefahrgütern und tiefgekühlten Gütern. Der angestrebte Ausgleich des Handels zwischen den USA und China, aber auch zwischen Europa und Asien, verändert zukünftig die Handelsströme und erhöht die Planungsunsicherheiten mit politisch determinierten Szenarien zwischen Freihandel und Protektionismus bzw. Vernetzung und Entkoppelung des internationalen Handels. Die weitere Entwicklung der eurasischen Transport- und Wirtschaftskorridore dürfte somit eine maßgebliche Rolle für erfolgversprechende Business-Innovationen und Geschäftsmodelle im 21. Jahrhundert spielen. ■ 1 Vgl. National Development and Reform Commission, Ministry of Foreign Affairs und Ministry of Commerce (NDRC) et al. (2015): Visions and Actions on Jointly Building Silk Road Economic Belt and 21st-Century Maritime Silk Road 2 Vgl. NDRC et al. (2015) 3 Vgl. Kennedy, S. (1.6.2015): Made in China 2025, Center for Strategic and International Studies (CSIS), URL: https: / / www.csis.org/ analysis/ made-china-2025 4 IMF (9.4.2019): Die 20 Länder mit dem größten kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2018, in: Statista, URL: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 36918/ umfrage/ laender-weltweit-nach-bruttoinlandsprodukt 5 Eigene Berechnung für China, vgl. IMF (9.4.2019): Die 20 Länder mit dem größten Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Jahr 2018, in: Statista, URL: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 166224/ umfrage/ ranking-der- 20-laender-mit-dem-groessten-bruttoinlandsproduktpro-kopf 6 Vgl. Zenglein, M. J. (3.5.2018): Made in China 2025: Chinas Hightech Strategie. Industriepolitische Offensive auf dem Weg zur Technologieführerschaft, URL: https: / / www.wko. a t/ s e r v i c e / a u s s e n w i r t s c h a f t/ Ze n g l e i n - M a d e i n - China-2025.pdf 7 Vgl. Wang, W. 王微 (2018): Logistics innovation is the new focus of global competition 物流创新是全球 竞争的新焦点 , 2018 Global Trade and International Logistics Summit Forum, Shanghai, URL: http: / / news. chinawutong.com/ wlfyb/ zjzx/ 201811/ 56955.html 8 Vgl. Chang, X. 昌校宇 , China Logistik Times (2019): Xi Jinping released 10 logistics signals at the „Belt and Road“ summit forum 习近平在 “ 一带一路 ” 高峰论 坛上释放出 10 个物流信号 , 26.4.2019, URL: https: / / wetuc.com/ article/ 5cc2b9905a70000fe9029e3e. „Internet Plus” beschreibt ein vom chinesischen Staatsrat 2015 veröffentlichtes neues Industriemodell, in dem das Internet als wichtigstes Element im Mittelpunkt der Innovation steht, vgl. State Council (2015): Guiding Opinions of the State Council on Vigorously Advancing the “Internet Plus” Action, URL: http: / / en.pkulaw.cn/ display.aspx? cgid=b 312462c738bde0ebdfb&lib=law 9 Vgl. State Post Bureau of the PRC 中国国家邮政局 (30.4.2019): Expanding the development of business model, Shentong Express leverages the “Belt and Road” to seek cooperation opportunities 拓展沿线业务模 式发展 申通快递助力 “ 一带一路 ” 合作 共赢 , URL: http: / / www.spb.gov.cn/ xw/ xydt/ 201904/ t20190430_1823205.html 10 Vgl. Fenema, N. v. (4.12.2016): China‘s STO Express Start Freighter Service to Europe, URL: https: / / www.cargoforwarder.eu/ 2016/ 12/ 04/ china-s-sto-express-start-freighter-service-to-europe 11 Vgl. German.china.org.cn (4.11.2016): Chinesischer Lieferdienst baut Flotte in Europa auf, URL: http: / / german.china. org.cn/ txt/ 2016-11/ 04/ content_39638682.htm 12 Vgl. Bai, X. (2018): AMZ123, The business volume soared by 250% and achieved profitability. STO International showed “reports card”, and Hermes Germany raised the customer package price from 2019, URL: https: / / www.amz123.com/ thread-62252.htm 13 Vgl. STO Medien 申通快递 (Hrsg.) (2018): Zhu Qun, head of STO International, attended the International Conference on Digital Economy and Digital Silk Road 申通国 际负责人朱群出席首届数字经济暨数 字丝绸之路国际会议 , URL: https: / / www.lohas. news/ cn/ 1818890/ cn 14 Vgl. German Desk (2018): Die Robotik-Industrie in China, lt. International Federation of Robotics (IFR), URL: https: / / www.china-briefing.com/ news/ die-robotik-industrie-china/ 15 Vgl. Long, Y. 隆洋 (2017): STO Express robots are not only cute, but also can save 70% labor 申通快递分拣机 器人不光萌吐血,还能节省 70% 人工 , Guancha 观察者 , URL: http: / / www.guancha.cn/ Science/ 2017_04_07_402576_s.shtml 16 Vgl. Rötzer, F. (2017): China: Roboterschwarm zum Sortieren ersetzt viele Menschen, URL: https: / / www.heise.de/ tp/ features/ China-Roboterschwarm-zum-Sortieren-ersetztviele-Menschen-3684179.html; Kate (8.4.2017): Shejipi, STOs´robot processes 18,000 parcels per hour, reducing labor by 70% 申通分拣机器人每小时处理 18000 件包裹,减少 70% 人工 , URL: https: / / www. shejipi.com/ 154869.html 17 Vgl. Simon, B. (2.5.2019): Handelsstraße zwischen China, Europa und Afrika. Die natürlichen Grenzen der Neuen Seidenstraße, Manager Magazin, URL: https: / / www.managermagazin.de/ unternehmen/ handel/ neue-seidenstrassehandelsstrasse-zwischen-china-und-europa-und-afrikaa-1265440-2.html 18 Dies kündigte Li Kewu, der seit 2016 für das von Huawei eingesetzte Projekt „Die digitale Verwandlung des Hafens“ zuständig ist, auf der „World Port Konferenz 2019“ in Guangzhou an. Vgl. Ding, L. 丁乐 (3.6.2019): New ports on the „new silk road“ “ 一带一路 ” 上的新型港口 , in: Globe 环球 , URL: http: / / www.xinhuanet.com/ / globe/ 2019-06/ 03/ c_138094051.htm; Wu, R. 吴睿婕 ; He, J. 和佳 (9.5.2019): Interwiew with Li Kewu, Chief Expert of digital port of Huawei: There are not many big IT business who value the ports, the port business of Huawei will reach doubled year-on-year growth. 华为港口数 字化转型首席专家李克武 : 重视港口的 大I T 厂商不多 华为今年港口业务同比 至少翻一倍 , in: 21st Century Economic New s二十 一世纪经济报 , URL: http: / / www.21jingji.com/ 2019/ 5-9/ 3NMDEzNzlfMTQ4NDc3NA.html 19 Vgl. Wu, R. 吴睿婕 ; He, J. 和佳 (9.5.2019) 20 Vgl. Wu, R. 吴睿婕 ; He, J. 和佳 (9.5.2019) Bild: Anita Nesbit | pixabay Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 57 Neue Seidenstraße LOGISTIK 21 Vgl. Geelen, A. (11.6.2019): Hamburger Hafen ist bereit für 5G, Telekom Medien, URL: https: / / www.telekom.com/ de/ medien/ medieninformationen/ detail/ hamburger-hafenist-bereit-fuer-5g-574528 22 Vgl. Marwyk, K. v., Treppte, S., Yu, Z. (15.5.2018): Logistik- Digitalisierung: China macht es anders, Blue Rocket, URL: https: / / blue-rocket.de/ logistik-digitalisierung-chinamacht-es-anders 23 Vgl. Militzer & Münch (25.10.2018): Logistikmarktanalyse zur Belt and Road Initiative, URL: https: / / www.mumnet.de/ de/ nachrichten/ artikel/ logistikmarktanalyse-zur-beltand-road-initiative 24 Vgl. Wu, R. 吴睿婕 , He, J. 和佳 (9.5.2019) 25 Nach dem im Juli 2017 beschlossenen „Next Generation Artificial Intelligence Development Plan“ will China bis 2030 die führende KI-Macht werden. Vgl. Future of Life Institute (2018): AI Policy - China, URL: https: / / futureoflife. org/ ai-policy-china/ ? cn-reloaded=1; Schlaefli, S. (24.6.2018): Chinas Aufstieg zur KI-Supermacht, URL: https: / / www.elektronikpraxis.vogel.de/ chinas-aufstiegzur-neuen-ki-supermacht-a-727167 26 Landwehr, A. (2.3.2018): Punktesystem dank Big Data, China formt sich seine Untertanen, URL: https: / / www.n-tv.de/ p olitik/ C hin a-formt-s i c h-s e in e- U nte rta n e n-a rti cle20314628.html 27 Vgl. Steynitz, G. v. (29.8.2018): Digitalisierung: Warum China so innovativ ist - und wie Deutschland mithalten kann, URL: https: / / www.focus.de/ finanzen/ experten/ digitalisierung-warum-china-so-innovativ-ist-und-wie-deutschland-mithalten-kann_id_9492185.html; Meier, C. (11.4.2019): Ein Sputnik-Moment macht China zur KI-Weltmacht, URL: https: / / www.welt.de/ kultur/ article191734655/ Wie-China-mit-kuenstlicher-Intelligenz-zum-Ueberwachungsstaat-wird.html 28 Vgl. Scheuer, S. (2018): Der Masterplan: Chinas Weg zur Hightech-Weltherrschaft, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, S. 11. 29 Vgl. PwC Deutschland (6.6.2018): PwC-Studie beziffert Potenzial künstlicher Intelligenz auf 430 Milliarden Euro, URL: https: / / www.pwc.de/ de/ pressemitteilungen/ 2018/ pwcstudie-beziffert-potenzial-kuenstlicher-intelligenz-auf- 430-milliarden-euro.html 30 Vgl. Wurzel, S. (1.11.2018): Guizhou im Digitalrausch: Big Data ist Chinas neues Gold, URL: https: / / www.deutschlandfunk.de/ guizhou-im-digitalrausch-big-data-ist-chinasneues-gold.724.de.html? dram: article_id=432066 31 Vgl. Verkehrsrundschau (16.5.2019): DHL Express startet Drohen-Lieferservice in China, URL: https: / / www.verkehrsrundschau.de/ nachrichten/ dhl-express-startet-drohnenlieferservice-in-china-2293402.html 32 Vgl. German.china.org.cn (27.4.2019): Digitale Seidenstraße, Bau intelligenter Städte mit Big Data, URL: http: / / german.china.org.cn/ txt/ 2019-04/ 27/ content_74728776.htm 33 Vgl. Beuningen, B. v. (13.7.2017): Hamburg präsentiert sich beim 3. Maritime Silk Road Port International Cooperation Forum in Ningbo, URL: https: / / www.hafen-hamburg.de/ de/ news/ hamburg-praesentiert-sich-beim-3-maritimesilk-road-port-international-cooperation-forum-in-ningbo---35338 34 Vgl. European Commission (19.9.2018), JOIN(2018) 31 final: Joint Communication to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee, the Committee of the Regions and the European Investment Bank connecting Europe and Asia - Building blocks for an EU Strategy, URL: https: / / eeas.europa.eu/ sites/ eeas/ files/ joint_communication_-_connecting_europe_and_ a s i a _ - _ b u i l d i n g _ b l o c k s _ f o r _ a n _ e u _ s t ra t e g y _ 2018-09-19.pdf 35 Die „17+1“-Kooperationsinitiative besteht zwischen China, 12 EU-Ländern (Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakische Republik, Slowenien) und 5 weiteren Ländern (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Serbien). 36 Vgl. Harnisch, S. (2017): Deutschlands Politik gegenüber der Belt-and-Road-Initiative der Volksrepublik China 2013- 2018, Beitrag für die Zeitschrift „Asien“ der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde, S. 2 ff. 37 Vgl. White House Office of Trade and Manufacturing Policy (06/ 2018): How China’s Economic Aggression Threatens the Technologies and Intellectual Property of the United States and the World, URL: https: / / www.whitehouse.gov/ wp-content/ uploads/ 2018/ 06/ FINAL-China-Technology- Report-6.18.18-PDF.pdf 38 Vgl. Pence, M. (4.10.2018): Vice President Mike Pence‘s Remarks on the Administration‘s Policy Towards China, Hudson Institute, URL: https: / / www.youtube.com/ watch? v=aeVrMniBjSc&t=2184s ; Bannon, S., Bass, K. (21.8.2019): Steve Bannon‘s Warning On China Trade War, Real Vision Finance, URL: https: / / www.youtube.com/ watch? v=qH5QzuzD01A&t=426s ; Dams, J., Heuzeroth, T. (26.5.2019): USA gegen China - Im Wirtschaftskrieg wird Deutschland zum Kollateralschaden, in: Welt, URL: https: / / www.welt.de/ wirtschaft/ article194169827/ USA-gegen- China-Im-Wirtschaftskrieg-wird-Deutschland-zum- Kollateralschaden.html 39 Vgl. Zenglein, M. J. (3.5.2018); German.china.org.cn (26.12.2017): Weichai Power: Wie ein chinesisches Unternehmen in Deutschland erfolgreich investiert, URL: http: / / german.china.org.cn/ txt/ 2017-12/ 26/ content_50166213. htm ; Hegmann, G. (26.08.2019): Der gefürchtete Siemens- Rivale aus China kommt nach Deutschland, Welt, URL: https: / / www.welt.de/ wirtschaft/ article199199183/ Vossloh- Lokomotivensparte-wird-an-chinesische-CRRC-verkauft. html 40 Vgl. Zenglein, M. J., Holzmann, A. (07/ 2019): Evolving Made in China 2025, China’s industrial policy in the quest for global tech leadership, S. 24, URL: https: / / www.merics.org/ sites/ default/ files/ 2019-07/ MPOC_8_MadeinChina_2025_ final_3.pdf 41 Vgl. Nolan, P. (27.4.2016): Peter Nolan on China‘s silk road strategy, URL: https: / / www.youtube.com/ watch? v=vh_ KkCjQoAE 42 Vgl. Annett Meiritz, A. (7.6.2018): ZTE-Rettung - Trumps Milliardendeal mit China löst eine Welle der Kritik aus, in: Handelsblatt, URL: https: / / www.handelsblatt.com/ unternehmen/ it-medien/ zte-rettung-trumps-milliardendealmit-china-loest-eine-welle-der-kritik-aus/ 22660406. html? ticket=ST-19304666-VMcScjVyjwFcbMEqIEXD-ap2 43 Vgl. Zenglein, M. J., Holzmann, A. (07/ 2019), S. 25 44 Vgl. Schneider, J. (5.4.2018): Geschäfte mit Peking - Wie sich China deutsches Know-how beschafft, ZDF, URL: https: / / www.zdf.de/ nachrichten/ heute/ know-how-transfernach-china-sind-auch-deutsche-firmen-betroffen-102. html#skiplink 45 Vgl. World Intellectual Property Organization (2018): World Intellectual Property Indicators 2018, S. 31, URL: https: / / www.wipo.int/ edocs/ pubdocs/ en/ wipo_pub_941_2018. pdf 46 Vgl. IFI CLAIMS Patent Services (2019): Anzahl der erteilten US-Patente der führenden Unternehmen im Jahr 2018, in: Statista, URL: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 199952/ umfrage/ anzahl-der-erteilten-us-patentenach-fuehrenden-unternehmen 47 Vgl. Europäische Patentorganisation (2019): Anzahl der Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt nach Ursprungsländern im Jahr 2018, in: Statista, URL: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 684123/ umfrage/ anzahl-der-patentanmeldungen-beim-europaeischenpatentamt-nach-laendern 48 Vgl. Fromm, T. (12.3.2019): Patentanmeldungen in Europa - Siemens überholt Huawei, Süddeutsche Zeitung, URL: https: / / www.sueddeutsche.de/ wirtschaft/ siemens-huawei-patente-1.4364106 49 War das Verhältnis zwischen staatlichen und privaten F&E- Aufwendungen Anfang der 1980er Jahre noch pari, hat die Privatwirtschaft heute einen Anteil von zwei Dritteln. 50 Vgl. European Commission (2018), EUR 29450 EN: The 2018 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, URL: https: / / iri. jrc.ec.europa.eu/ scoreboard18.html 51 Die 10 Bereiche von MIC2025 sind Landwirtschaftsmaschinen, Schiffbau und Meerestechnik, Werkzeugmaschinenbau und Robotik, IKT der neuen Generation, Luft- und Raumfahrt, Energieerzeugung, Elektromobilität, Bahntechnik, neue Materialien und Werkstoffe, Biomedizin und Medizintechnik. 52 Vgl. Ernst & Young (08/ 2019): Chinesische Unternehmenskäufe und -beteiligungen in Europa. Eine Analyse von M&A-Deals 2006-2019, S. 7, URL: https: / / www.ey.com/ Publication/ vwLUAssets/ ey-chinesische-unternehmenskaeufe-und-beteiligungen-in-europa-august-2019/ $FILE/ eychinesische-unternehmenskaeufe-und-beteiligungen-ineuropa-august-2019.pdf 53 Vgl. Ernst & Young (08/ 2019), S. 9 54 Vgl. Felbermayr, G. (5.4.2019): China: Sorge um flächendeckenden Aufkauf deutscher Firmen übertrieben, IfW Kiel, URL: https: / / www.ifw-kiel.de/ de/ publikationen/ medieninformationen/ 2019/ china-sorge-um-flaechendeckendenaufkauf-deutscher-firmen-uebertrieben 55 Vgl. Felbermayr, G. (5.4.2019) 56 Vgl. Dams, J. (31.3.2019): Rücksichtslose Einkäufer, in: Welt am Sonntag Nr. 13/ 2019, URL: http: / / epaper.welt.de/ wams/ archiv/ list/ ? etag=2019-03-31 Petra Bruckmann, Dr. M.A. Supply Chain Management, Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Fulda drbruckmann@web.de Hao Sun, M.A. Internat. Management Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Fulda haomail@t-online.de Carsten Müller, Prof. Dr. Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre für Wirtschaftsingenieure, Fachbereich Wirtschaft, Hochschule Fulda carsten.mueller@w.hs-fulda.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 58 Status quo und Entwicklung in-der Seeschifffahrt Container- und Kreuzfahrtschiffe im Fokus einer ökologischen Betrachtung Schifffahrt, Kreuzfahrtschiff, Containerschiff, Emissionen, Umweltauswirkungen, Schweröl Seit Jahren verzeichnet die Seeschifffahrt starke Wachstumsraten. Auch zukünftig sollen immer mehr und immer größere Schiffe auf den Weltmeeren unterwegs sein, welche sowohl ökologische als auch gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachen. Die in der Öffentlichkeit viel diskutierten, jedoch oftmals nicht ausreichend differenzierten Schiffsemissionen sollen in diesem Artikel auf Basis einer umfangreichen Literaturrecherche detailliert betrachtet sowie wirksame Maßnahmen zur Emissionssenkung aufgezeigt werden. Die Unterscheidung des globalen Güter- und Personenverkehrs anhand von Container- und Kreuzfahrtschiffen steht im Fokus der Betrachtung. Leandra Hanebrink, Ines Sturz, Dieter Uckelmann S chiffe werden seit jeher für den Personen- und Gütertransport eingesetzt. Heute erfolgt dieser durch etwa 90.000 Fracht- und Containerschiffe, die für etwa 90 % des Weltgütertransportes verantwortlich sind. Für Urlaubsreisen sind knapp 500 Kreuzfahrtschiffe unterwegs [1, 2]. Seit Jahren verzeichnet der weltweite Seeverkehr jährliche Wachstumsraten von 2 bis 3 % [1]. Auch für die kommenden Jahre wird eine steigende Schiffsanzahl und -größe prognostiziert [3]. Dieser Anstieg ist aus diversen Gründen mit erheblichen Umweltbeeinträchtigungen verbunden. Die folgenden Abschnitte sollen diese Ursachen und Auswirkungen genauer beleuchten und, wo möglich, Unterschiede zwischen Güter- und Personentransport am Beispiel von Container- und Kreuzfahrtschiffen aufzeigen. Dass es sich hierbei um zwei Transportmittel mit stark abweichender Transportfunktion handelt, muss bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Die Informationen des vorliegenden Artikels wurden anhand von Literaturrecherchen herausgearbeitet und die wesentlichen Inhalte mit Fokus auf die Unterscheidung von Container- und Kreuzfahrtschiff zu einem Gesamtbild zusammengestellt. Bei der Datenanalyse konnte festgestellt werden, dass nur wenige vergleichbare Datenerhebungen zu Container- und Kreuzfahrtschiffen verfügbar sind. Kreuzfahrt- und Containerschiff in der öffentlichen Debatte Schiffe werden in der Öffentlichkeit zumeist als höchst umwelt- und klimaschädlich angesehen [4]. Solche Pauschalaussagen greifen jedoch zu kurz. In dieser Debatte ist es von entscheidender Bedeutung, ob über Foto: Jürgen Sieber | pixabay LOGISTIK Seeschifffahrt Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 59 Seeschifffahrt LOGISTIK Luftschadstoff- oder Treibhausgasemissionen gesprochen wird. Bezogen auf den Ausstoß von Treibhausgasen ist der Schiffstransport pro Tonnenkilometer (tkm) wesentlich energieeffizienter als der Land- oder Lufttransport. So stößt ein LKW bspw. 238,3 g CO 2 pro tkm, ein Containerschiff lediglich 15,1 g CO 2 aus [5]. Insgesamt werden nur 3 % des globalen Kohlendioxid-Ausstoßes von Schiffen verursacht. Verglichen mit einer weltweiten Transportleistung von 90 % stellen diese Emissionswerte nicht die Hauptproblematik der Schifffahrt dar. Diese liegt vielmehr im Bereich der emittierten Luftschadstoffe. Dazu zählen im wesentlichen Schwefeloxid (SO x ), Stickstoffoxid (NO x ) und Partikel. Aufgrund des verwendeten Treibstoffes, der eigentlich als Sondermüll entsorgt werden müsste, stoßen Schiffe eine hohe Anzahl dieser umweltschädlichen Emissionen aus. Es handelt sich dabei um Schweröl, welches bei Erdölraffinerien als Abfallprodukt übrigbleibt und daher besonders günstig erworben werden kann [2]. Im Vergleich zu einem Containerschiff handelt es sich bei einem Kreuzfahrtschiff um weit mehr als nur ein Transportmittel. Der Energieverbrauch eines Kreuzfahrtschiffs entspricht dem einer Kleinstadt, was vor allem die Treibhausgasemissionen stark erhöht [2]. Bei einer zweiwöchigen Mittelmeerkreuzfahrt werden pro Person bspw. 3,5 t CO 2 ausgestoßen [6]. Dazu kommt, dass Kreuzfahrten oftmals in Verbindung mit Flugreisen zum jeweiligen Hafen und wieder zurück zum Heimatort stehen. Damit kann bereits eine Woche Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff das CO 2 -Jahresbudget einer Person schnell übersteigen [7]. Die globalen Auswirkungen der Kreuzfahrtindustrie halten sich aufgrund der geringen Anzahl von Kreuzfahrtschiffen im Vergleich zur Schifffahrt weltweit aktuell trotzdem noch in Grenzen. Jedoch liegen Kreuzfahrten viel mehr im öffentlichen und medialen Interesse als Gütertransporte, was auch auf die enormen Wachstumsraten der Kreuzfahrtbranche in den letzten Jahren zurückzuführen ist [8]. Auswirkungen von Schiffslärm Sowohl Containerals auch Kreuzfahrtschiffe sind für einen Großteil des Hintergrundlärms unter Wasser verantwortlich. Der entstehende Schall breitet sich, anders als an Land, schneller und über kilometerweite Entfernungen aus. Besonders in tiefen Frequenzbereichen (10 bis 300 Hz) wird auf der Nordhalbkugel Unterwasserlärm durch die Seeschifffahrt verursacht, sodass der lokale Hintergrundschallpegel um 20 bis 30- dB auf über das Zehnfache angestiegen ist. Dieser Unterwasserlärm vertreibt Meerestiere aus ihren Lebensräumen und beeinträchtigt deren Hörsinn und Überlebenswahrscheinlichkeit [1]. Wasserverschmutzung Tankerunfälle und Ölverschmutzungen durch Schiffskatastrophen belasten die Meeresumwelt schwer. Auch in der Containerschifffahrt kann der Transport von mit Gefahrgut beladenen Containern die Umwelt gefährden. Schätzungen zufolge gehen jährlich 500 bis 1.000 Container in der südlichen Nordsee wegen Kollissionen oder schweren Unwettern über Bord [9]. Kreuzfahrtschiffe verursachen trotz ihres geringen Anteils schätzungsweise 24 % des weltweit anfallenden Schiffsabfalls aufgrund des bordseitigen Hotelbetriebs. Pro Tag fallen zwischen ein und drei Kilo Müll pro Passagier an [10]. Aufgrund von fehlenden Lagerkapazitäten, besonders an Bord von Kreuzfahrtschiffen, werden große Mengen an Lebensmittelabfällen in das Meer eingeleitet. Zudem besteht das Problem, dass die Müllentsorgungsgebühren in einigen Anlaufhäfen höher sind als die sich bei Verstößen ergebenden Strafzahlungen. Hinzu kommt die Tatsache, dass bei Schiffsneubauten noch nicht zwingend vorgeschrieben wird, eine Müllverbrennungsanlage einzubauen [11]. Nach Angaben der See-Berufsgenossenschaft fallen auf einem Kreuzfahrtschiff täglich 70 l Schwarzwasser (fäkalienhaltiges Abwasser) sowie 270 l Grauwasser (fäkalienfreies Abwasser) pro Person an. Bei Containerschiffen ergeben sich etwas niedrigere Werte. Da die eingeleitete Abwassermenge im direkten Verhältnis zur daraus resultierenden Umweltbelastung steht, tragen Kreuzfahrtschiffe aufgrund der hohen Passagierstärke jedoch in besonderem Maße dazu bei. Eingeleitete Schiffsabwässer sind besonders bei warmen Wassertemperaturen gefährlich, was eine beschleunigte Bildung von Bakterien und eine Eutrophierung zur Folge hat [12]. Lediglich neuere Kreuzfahrtschiffe verfügen über moderne Systeme, um die an Bord entstehenden Abwässer vollständig zu behandeln [10]. Schweröl und seine Folgen Schiffsabgase sind oft als Rauch zu erkennen, treten jedoch auch unsichtbar und geruchlos auf und können bis zu 400 km ins Landesinnere ziehen [2, 13]. Letzteres trifft für knapp 70 % aller Schiffsemissionen weltweit zu, welche die Luftqualität der Hafenstädte und Küstenregionen stark belasten. Laut den Forschungsergebnissen des Center for Energy, Environment and Health verursachen Schiffsemissionen jährlich etwa 50.000 vorzeitige Todesfälle in Europa [3]. Die bei der Verbrennung von Schweröl emittierten, hochgiftigen Luftschadstoffe schädigen die Umwelt und die menschliche Gesundheit am stärksten [13]. Der zugelassene Schwefelgehalt von Schiffskraftstoffen ist mit 3,5 % rund 3.500-mal höher als im Straßenverkehr [14]. In Emissionssondergebieten, wie Nord- und Ostsee sowie in Häfen der EU (ab einer Hafenliegezeit von über zwei Stunden) liegt dieser Grenzwert bereits bei 0,1 % und wurde von der International Maritime Organization (IMO) im Marpol-Abkommen weltweit auf 0,5 % ab 2020 Hafen Venedig Foto: Filip Filipović-pixabay Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 60 LOGISTIK Seeschifffahrt abgesenkt [14, 15]. Trotz der hohen Schadstoffemissionen werden 70 % aller Schiffe mit Schweröl betrieben. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich die Kosten für Schiffsdiesel fast auf das Doppelte belaufen [14]. Ein Containerschiff der Mittelklasse mit einer Ladungskapazität von 12.000 TEU weist bei voller Ladung einen Verbrauch von 300 t Schweröl pro Tag auf [5]. Im Vergleich dazu verbrauchen große Kreuzfahrtschiffe mit über 6.700 Passagieren und 2.100 Besatzungsmitgliedern etwa ein Drittel mehr Kraftstoff. Das liegt daran, dass Kreuzfahrtschiffe einen wesentlich höheren Energiebedarf haben - nämlich bis zu 10 MW Strom täglich [8]. Nur etwa die Hälfte der Energie wird für den Antrieb benötigt, die andere Hälfte für den Betrieb des Schiffes. Im Gegensatz zu Containerschiffen, die ihre Motoren im Hafen abstellen, müssen Kreuzfahrtschiffe ihren Bordbetrieb während der Liegezeit aufrechterhalten. Diese beträgt durchschnittlich rund 40 % der gesamten Reisedauer. Die dort ausgestoßenen Schadstoffe wirken sich wesentlich stärker auf die Bevölkerung aus, da am Hafen gelegene Städte diesen Emissionen direkt ausgesetzt sind [10, 13]. Aufgrund der Umweltverschmutzungen durch die Seeschifffahrt in Europa ergibt sich jedes Jahr ein Schadenswert von 58 bis 65 Mrd. EUR. Davon werden 600 Mio. EUR von Kreuzfahrtschiffen verursacht [13]. Tabelle 1 zeigt einen Überblick über die wichtigsten Schadstoffe und deren Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit. Rund 7 % (7,5 bis 11,5 Mio. t) der weltweiten SO x -Emissionen sowie 13 % (9,3 Mio. t) des globalen NO x -Ausstoßes sind auf die Seeschifffahrt zurückzuführen [12]. Rußpartikel sind aufgrund ihrer schwarzen Färbung maßgeblich für die Erwärmung der Arktis verantwortlich, weshalb Polar-Kreuzfahrten besonders kritisch anzusehen sind. Im Jahr 2000 erzeugte der weltweite Schiffsverkehr 1,67 Mio. t Rußpartikel [3]. In einer Studie aus dem Jahr 2011 wurden die Schadstoffemissionen verschiedener Schiffstypen in Europa gemessen und gegenübergestellt [16]. Die Ergebnisse für Container- und Kreuzfahrtschiffe sind im Folgenden tabellarisch (Tabelle 2) zusammengefasst. Vergleicht man die Emissionen der beiden Schiffstypen mit dem gesamten europäischen Schadstoffausstoß, wird deutlich, dass die Kreuzfahrt einen verhältnismäßig kleinen Anteil dazu beiträgt. Berücksichtigt man jedoch den zurückgelegten Seeweg, weisen Kreuzfahrtschiffe durchschnittlich einen höheren Schadstoffausstoß pro Kilometer auf als Containerschiffe, da diese mit rund 131 Mio. km knapp das Zehnfache an Strecke im Jahr zurücklegen [16]. Technische Maßnahmen für eine ökologieorientierte Seeschifffahrt Da der Schadstoffausstoß von der Motorart und -steuerung sowie vom eingesetzten Kraftstoff des Schiffes abhängig ist, kann dieser durch die Kraftstoffqualität sowie durch verschiedene technische Maßnahmen kurz- und mittelfristig gezielt reduziert werden [3, 12]. Mit Blick auf Umweltschutz-Projekte deutscher Reedereien kann festgestellt werden, dass einige Reeder bereits in verschiedenen Ansatzpunkten aktiv sind [17]. Im Folgenden werden ausgewählte technische Entwicklungen in den Bereichen Schiffsantrieb, Landstromversorgung und Schiffsbau vorgestellt. Schiffsantrieb Um die Luftverschmutzung einzudämmen, wird ein Wechsel auf einen umweltverträglicheren Treibstoff (z.B. Dieselkraftstoff mit 0,005 % Schwefelgehalt) vorausgesetzt. In kombiniertem Einsatz mit geeigneter Abgastechnik, wie Rußpartikelfilter und Selective Catalytic Reduction (SCR)-Katalysatoren, lassen sich Emissionseinsparungen von Stickoxid um 97 % und von Ruß um 99 % erreichen. Auch die Mehrkosten pro transportiertem Produkt würden kaum ansteigen: Ein T-Shirt bspw. würde zwei Eurocent Mehrkosten verursachen [5]. Bei Kreuzfahrtschiffen würden sich Mehrkosten in Höhe von 15 EUR pro Tag und Passagier Auf der Elbe bei Hamburg Foto: Michael Zöllner | pixabay Schadstoff EU (Mio. t) Containerschiff (Mio. t) Anteil (%) Kreuzfahrtschiff (Mio. t) Anteil (%) SO x 1,2 0,41 34,2 0,04 3,3 NO x 3,0 0,9 30,0 0,1 3,3 Partikel 0,2 0,059 29,5 0,007 3,5 Tabelle 2: Schiffsemissionen von Container- und Kreuzfahrtschiffen [13] Schadstoff Umweltbeeinträchtigungen Gesundheitliche Beeinträchtigungen Schwefeloxid (SO x ) ● Saurer Regen ● Schädigung pflanzlicher Vegetation ● Reizung der Atemwege ● Erhöhte Sterblichkeitsrate in Küstenregionen Stickstoffoxid (NO x ) ● Versauerung von Böden und-Gewässern ● Überdüngung ● Reizung der Atemwege (Vorläufer von bodennahem Ozon) ● Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen Partikel (insb. Rußpartikel) ● Nach CO 2 größter Treiber des-Klimawandels ● Herz- und Lungenerkrankungen ● Chronische Bronchitis ● Krebs-, Asthma- und Demenzerkrankungen Tabelle 1: Auswirkungen von Schadstoffen auf Umwelt und Gesundheit [1, 3, 15] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 61 Seeschifffahrt LOGISTIK ergeben [8]. Im Gegensatz zu Rußpartikelfiltern, die in der Seeschifffahrt bislang nur selten verwendet werden, sind Katalysatoren bereits bei knapp 500 Schiffen weltweit im Einsatz [18]. Eine Alternative stellt der Einsatz von Flüssiggas (LNG) dar. Dadurch können Schwefeloxid- und Rußemissionen vollumfänglich vermieden und Stickoxid-emissionen stark reduziert werden [5]. Dennoch geht ein erhöhter Energiebedarf für die Lagerung und den Transport von LNG sowie ein Entweichen des Treibhausgases Methan bei der Förderung und dem Transport von LNG einher. Dies führt dazu, dass LNG sogar klimaschädlicher sein kann als herkömmlicher Treibstoff [3]. Landstromversorgung Eine Landstromversorgung bietet die Möglichkeit der Stromversorgung von Kreuzfahrtschiffen über Stromanschlüsse an den Liegeplätzen, wodurch die Motoren während der Liegezeit abgeschaltet werden können. Derzeit liegen jedoch unterschiedliche Stromspannungen auf den Schiffen und an Land vor, sodass die jeweils landseitig und bordseitig standardisierten Vorrichtungen gegensätzlich sind. Nachrüstungen sind aus Kostengründen wenig attraktiv. Weiterhin ist zu beachten, dass eine schwankungsfreie Deckung des Strombedarfs und das Speisen des Stroms aus erneuerbaren Energien sichergestellt werden muss, um die Umwelt zu entlasten [3]. Schiffbau In den letzten Jahren haben besonders deutsche Reeder einige Optimierungsmaßnahmen und -projekte im Schiffbau ergriffen. Dazu zählen z. B. IT-Systeme und Software zur Senkung des Energiebedarfs von Kühlcontainern oder zur Routenoptimierung. Weiterhin werden schadstofffreie Lacke zum Schutz der Meeresumwelt eingesetzt. Auch Optimierungen des Rumpfdesigns ermöglichen, dass bei einer 9.000-TEU-Klasse täglich 90 t weniger CO 2 ausgestoßen werden können [13]. Politische Maßnahmen Politische Maßnahmen, welche die Unternehmen zu ökologischem Handeln auffordern und lenken sollen, lassen sich nur schwierig umsetzen. Grund hierfür sind die breitgefächerten Interessenslagen des gesamten globalen Schifffahrtmarktes [9]. Hinzu kommt, dass es sich aufgrund des internationalen Verkehrsträgers schwierig gestaltet, nationale Maßnahmen im Umweltschutz durchzusetzen [1]. Auch am Beispiel der internationalen Emissionsregulierungen ergibt sich eine bedeutende Schwachstelle in der Hinsicht, dass die Einhaltung der Grenzwerte kaum überprüft werden kann [10]. Anstatt die Regulierungen zu verschärfen, wurde der Seefahrtssektor im Jahr 2015 sogar durch die IMO aus den Pariser Klimaverpflichtungen losgelöst [2]. Dennoch werden schrittweise Maßnahmen und Regelungen verordnet, die umweltfreundlichere Antriebsformen begünstigen sollen [14]. Darüber hinaus können die einzelnen Hafenbehörden lokale Maßnahmen zur Emissionsminderung ergreifen. Dies kann sich u.a. durch eine von der Emissionsbilanz der (Kreuzfahrt-)Schiffe abhängende Hafengebühr widerspiegeln [3]. Fazit und Ausblick Containerschiffe sind im Vergleich zu vielen anderen Transportmitteln klimafreundlicher und Kreuzfahrtschiffe tragen trotz schlechter Umweltbilanz nur einen prozentual geringen Anteil zum Schadstoffausstoß der Schifffahrt bei. Trotzdem gibt es in der Schiffsbranche Verbesserungsmöglichkeiten und -potenziale. Die technischen Möglichkeiten und Innovationen in der maritimen Industrie sind bereits verfügbar. Besonders wichtig sind in diesem Kontext Pilotprojekte und die daraus gewonnenen Lerneffekte, um zukünftige Akzeptanz und Performance zu schaffen. Ein breiter Marktzugang ist nötig, sodass die Schifffahrt zu wirtschaftlichen Bedingungen schneller emissionsfrei werden kann [13]. Es ist nun die Pflicht der Reedereien und der Politik zu entscheiden, welche Alternativen gewählt, gefördert und umgesetzt werden sollen, um eine ökologieorientierte Unternehmensführung aktiv zu gestalten und somit die Umwelt und das Klima zu schützen [19]. Damit entsprechende politische und technische Maßnahmen zur Senkung von Schiffsemissionen wirksam umgesetzt werden können, bedarf es weiterer Forschungen zu Emissionswerten einzelner Schiffstypen. ■ LITERATURVERZEICHNIS [1] O. A.(2016): Seeschifffahrt. Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau [2] Pilch, G. (2017): Auf hoher See herrscht dicke Luft. In: Neue Vorarlberger Tageszeitung, ((Datum? )), S. 36-37 [3] Oeliger, D.; et al. (2015): Mir stinkt‘s! - NABU Kampagne für eine saubere Kreuzschifffahrt. Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Berlin [4] Wurnig, D. (2018): Der Abgas-Skandal auf hoher See. 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Studiendekan Bachelor-Studiengang Informationslogistik, Hochschule für Technik, Stuttgart dieter.uckelmann@hft-stuttgart.de Leandra Hanebrink Masterstudium Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik, Stuttgart leandra.hanebrink@gmx.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 62 Foto: pixabay MOBILITÄT Kosten Bahnfahren kostet weniger als-Fliegen Ein Kostenvergleich zwischen ICE und A320 Flugpreise, Bahnpreise, Kosten Flug, Kosten Schiene, A320, ICE 2 In der politischen und medialen Klimadiskussion wird immer wieder behauptet, Fliegen sei billiger als Bahnfahren, und dass die Kosten für den Luftverkehr erhöht werden müssten, damit die Bahn die Preise von Billigtickets unterbieten könne. Der folgende Kostenvergleich zwischen dem Umlauf eines Airbus A320 und der Fahrt eines ICE 2 auf der Strecke Düsseldorf - Berlin - Düsseldorf belegt, dass dies ein Irrglaube ist. Schon jetzt produziert die Bahn viel billiger als die Fluggesellschaften. Fast die Hälfte der Sitzplätze aber bleibt leer und könnte selbst zu noch niedrigsten Preisen verkauft werden - somit Kunden vom Flieger auf die Bahn locken - und zugleich die Gewinne der Bahn steigern. Christoph Brützel D ie populistische Parole, dass Flugtickets billiger seien als Bahnfahrscheine, hält einer seriösen Prüfung nicht stand. Schon heute ist ein Bahnticket auf vergleichbaren Relationen durchschnittlich deutlich billiger als ein Flugticket. 1 Die immer wieder in den Fokus gestellten Billig- Tickets der Airlines sind einen repräsentativen Vergleich keineswegs aussagefähig. Im Sinne des Ertragsmanagement werden Flugtickets oft deutlich unter den Durchschnittskosten je Sitzplatz angeboten. Im Einzelfall werden Tickets gar zu Werbezwecken unter den Grenzkosten verkauft, wie der folgende Kostenvergleich zwischen dem Umlauf eines Airbus A320-200 und eines ICE 2 auf der Strecke Düsseldorf-Berlin- Düsseldorf zeigt. Kostenvergleich A320/ ICE2 Für diesen Kostenvergleich wurden Annahmen gemäß Tabelle 1 getroffen. Für die ICE-Fahrt wurden Zwischenstopps an den Bahnhöfen Duisburg, Essen, Dortmund, Hamm, Hannover und Wolfsburg eingeplant. Hierdurch verlängert sich die Fahrzeit entsprechend. Für die Crews wurde beim Airbus die gesetzliche Mindestbesatzung zu Personalkosten an der unteren Marktgrenze unterstellt. Für die Bahn wurden neben dem Fahrer je Zugteil eine Führungskraft und zwei weitere Mitglieder des Fahrpersonals unterstellt. Das Service-Personal, beispielsweise im Bistro, wurde nicht berücksichtigt, da die Flugzeug / Zug A320-200 E-Tfz - DB 402 + DB 402 (ICE 2) Anschaffungswert 30.000.000 EUR 36.600.000 EUR 2 Nutzungsdauer (Jahre) 25 25 Sitze 186 Y z. B. Easyjet Gesamt 808 1. Kl. 212 2. Kl. 550 Bistro 46 Sitzladefaktor 80 % Blockzeit / Fahrzeit Umlauf DUS-BER 02: 30 h 09: 28h Bodenzeit TXL Standzeit an Zwischenstationen 0: 50 h 3: 00‘ Jährliche Blockstunden / Fahrzeit 3.000 3.000 Durchschnittliche Kapitalkosten (WACC) 4,2 % 3 4,8 % 4 Crew 2 Cockp., 4 Kab. 1 Cockp., 6 Kab. Personalkosten Crew / Fahrpersonal je-Blockstunde / je Fahrstunde 500 EUR 400 EUR Preis je Tonne Kerosin (Airline) 5 je kWh (Deutsche Bahn AG) 6 558 EUR 0,0669 EUR Zertifikatepreis ETS je Tonne CO2 7 Energiesteuern (9,6 %) je kWh 8 27,00 EUR 0,0064 EUR Tabelle 1: Kostenvergleich A320/ ICE2 Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 63 Kosten MOBILITÄT hierdurch verursachten Kosten systematisch durch die entsprechenden Preise für den Service zu finanzieren sind. Zusätzliche Bahnpassagiere verursachen keine Kosten - jeder Flugpassagier schon Der größte Unterschied zeigt sich bei den passagierabhängigen Kosten. Sobald ein Fahrschein oder ein Ticket mehr Umsatz bringen als diese passagierabhängigen Kosten, trägt er bzw. es zur Gewinnsteigerung bei. Während bei der Bahnfahrt praktisch keinerlei zusätzliche Kosten anfallen, wenn ein zusätzlicher Kunde mitfährt, sind beim Flug die passagierabhängigen Kosten oft schon mehr als der Erlös für ein Schnäppchenticket (Tabelle 2). Wenn die Bahn also einen Rückfahrschein für sonst leer bleibende Sitze für 1- EUR (einschließlich Umsatzsteuern) verkaufen würde, dann stiege ihr Gewinn um 0,72 EUR (1,00 EUR Umsatz - 0,17 EUR USt. - 0,12 EUR Zusatzkosten). Die Fluggesellschaften müssen hingegen schon mindestens 73 EUR (incl. USt.) erlösen, damit die passagierabhängigen Kosten gedeckt sind. Easyjet bot am 13. August 2019 für ein Flugreise DUS-TXL-DUS am 5. September einen Preis von 50,06 EUR einschließlich UST. an. Dieser Preis bedingt per Saldo Gewinn- und sogar Liquiditätseinbußen. Easyjet zahlt fast 20 EUR mehr für Steuern (ohne USt.), Gebühren, Entgelte und den inkrementellen Kerosinverbrauch, als in die Kasse kommen. Ein Blick auf die Internetangebotsseite von Eurowings bestätigt diese Rechnung. Dort werden am selben Tag für einen Umlauf DUS-TXL-DUS 58,16 EUR passagierabhängige Steuern und Entgelte ausgewiesen. Rechnet man den inkrementellen Treibstoffverbrauch hinzu, so ergibt sich ein Wert von 61,46 EUR, der nahezu exakt dem Wert in der oben dargestellten Kalkulation entspricht. Schon hier zeigt sich, dass Preise und Kosten nicht viel miteinander zu tun haben. Sitzplatz im ICE kostet zwei Drittel weniger als im A320 Die fahrtabhängigen Kosten einer ICE-Fahrt sind deutlich günstiger pro Sitzplatz als die flugabhängigen Kosten eines A320-Fluges, was die Aufstellung des Beispielumlaufs in Tabelle 3 deutlich zeigt. Im Gegensatz zur Luftfahrt, die ihre Infrastruktur (Flughäfen und Flugsicherung) durch Entgelte und Gebühren insgesamt kostendeckend komplett selbst refinanziert, sind die Entgelte bei der Bahn (Tabelle 4) nicht kostendeckend. So subventioniert der Bahnfahrt ICE 2 je Fahrgast je Umlauf Passagierabhängige Kosten 0,12 EUR 49 EUR 1. Steuern und öffentliche Gebühren (ohne Ust.) 0 EUR 0 EUR 2. Bahnhofsentgelte (Infrastruktur) Passagierabh. Bahnhofsentgelte je Passagier 9 0 EUR 0 EUR 3. Mehrverbrauch kWh je Passagier 0,12 EUR 49 EUR Flugzeugumlauf A320 je Passagier je Umlauf Passagierabhängige Kosten 61,33 EUR 11.039 EUR 1. Steuern und öffentliche Gebühren (ohne Ust.) Luftverkehrsabgabe (LuftVStG vom 09.12.2010) 14,76 2.657 EUR Passagiersicherheitskontrolle DUS 10 5,21 EUR 938 EUR Passagiersicherheitskontrolle TXL 10 7,55 EUR 158 EUR Sicherheitsentgelt DUS 11 0,88 EUR 158 EUR Sicherheitsentgelt TXL 12 0,63 EUR 113 EUR Gesamt 29,03 EUR 5.225 EUR 2. Flughafenentgelte (Infrastruktur) Passagierentgelte Düsseldorf 11 14,98 EUR 2.696 EUR PRM-Entgelt (Umlage für Sonderdienste Behinderte)11 0,58 EUR 104 EUR CUTE-Entgelt (Check-in-Infrastruktur) 11 0,28 EUR 50 EUR Flughafenentgelte DUS je Passagier 15,84 EUR 2.850 EUR Passagierentgelte Flughafen Berlin Tegel 12 12,82 EUR 2.308 EUR PRM-Entgelt (Umlage für Sonderdienste Behinderte) 12 0,29 EUR 52 EUR BRS-Entgelt (Gepäcksystem) Berlin Tegel 12 0,05 EUR 9 EUR Flughafenentgelte TXL je Passagier 13,16 EUR 2.369 EUR 3. Mehrverbrauch Treibstoff je Passagier (80 kg; ohne Gepäck) (3,7 % vom Zusatzgewicht je Blockstunde) 3,30 EUR 595 EUR Tabelle 2: Kalkulationen für Bahn-/ Flug-Umlauf Düsseldorf - Berlin - Düsseldorf je Passagier je Umlauf Flugabhängige Kosten 57,04 EUR 8.213 EUR 1. Flughafen Gebühren DUS Start- und Landeentgelt 11 2,40 EUR 346 EUR DUS Positionsentgelt (Fluggastbrücke) 11 0,30 EUR 42,50 EUR DUS Lärmzuschlag (06: 00 h - 21.59 h) 11 0,65 EUR 94 EUR DUS NOX-Entgelt (Schätzwert) 11 0,24 EUR 34 EUR DUS DFS (Flughafenkontrolldiente) 13 1,18 EUR 170 EUR DUS gesamt 4,76 EUR 686 EUR TXL Start- und Landeentgelt 12 1,08 EUR 156 EUR TXL Positionsentgelt 12 0,37 EUR 53 EUR TXL Lärmzuschlag 12 1,74 EUR 250 EUR TXL DFS (Flughafenkontrolldiente) 13 1,18 EUR 170 EUR TXL gesamt 4,37 EUR 629 EUR 2. Ground Handling 14 DUS Groundhandling (Stationsdienste) 5,90 EUR 850 EUR TXL Groundhandling (Stationsdienste) 5,90 EUR 850 EUR 3. Flugsicherung Strecke 13 4,99 EUR 718 EUR 3. Treibstoff flugabhängig 19,17 EUR 2.760 EUR 4. Emmissionszertifikate ETS 3,26 EUR 470 EUR 5. Crewreisekosten 0 EUR 0 EUR 6. Variable Technikkosten 8,68 EUR 1.250 EUR Tabelle 3: Kalkulation Flugzeugumlauf Düsseldorf - Berlin - Düsseldorf Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 64 MOBILITÄT Kosten Staat den Betrieb, den Bau und die Instandhaltung der Bahninfrastruktur in Deutschland mit jährlich über 12 Mrd. EUR. 15 Die fahrtbzw. flugabhängigen Kosten entstehen unabhängig davon, ob es eine Leerfahrt ist oder ob alle Passagiersitze besetzt sind. Zur Deckung dieser Kosten ist die Auslastung der Sitzplätze entscheidend. Fährt nur ein Passagier mit, müsste er bei der ICE-Fahrt mehr als 12.000 EUR einbringen (ohne USt.), beim A320 wären es nur rund 8.150 EUR (einschließlich der passagierabhängigen Kosten). Sind Flieger und ICE zu jeweils 80 % ausgelastet, betragen diese Grenzkosten bei der Bahnfahrt pro Passagier 18,63 EUR, beim Flug sind sie mit 57,04 EUR mehr als dreimal so hoch. Fluggesellschaften brauchen deutlich höhere Auslastungen Während allerdings für eine Fluggesellschaft wie Easyjet, Ryanair oder auch Eurowings eine durchschnittliche Auslastung von 80 % deutlich unter der Gewinnschwelle liegt, fährt die Bahn im Fernverkehr mit einer durchschnittlichen Auslastung von 56 % Gewinne ein. Dabei sind die Gäste mitgezählt, die in überfüllten Zügen gar keinen Sitzplatz bekommen, so dass tatsächlich im Schnitt die Hälfte der Sitzplätze leer bleiben. Bei einem Kostenvergleich ist für beide Angebote vom gleichen Sitzladefaktor auszugehen, da nicht die Marketing- und Vertriebskompetenz verglichen werden soll, sondern eben die Kostenstrukturen. Da die fahrtbzw. flugabhängigen Kosten unabhängig davon anfallen, wie viele Sitze ausgelastet sind, ist es zum Kostenvergleich gar sinnvoll, sie nicht pro Passagier, sondern pro Sitz zu veranschlagen. Je Sitz im ICE 2 ergeben sich bei diesem Vergleich 14,88-EUR, im Airbus A320 45,20 EUR. Auch die kapazitätsabhängigen Fixkosten sind je Sitzplatz im ICE 2 deutlich niedriger als die für einen Airbus A320. Die kapazitätsabhängigen Fixkosten entstehen im Wesentlichen aus der Vorhaltung der Fahrzeuge beziehungsweise Flugzeuge einschließlich deren Instandhaltung sowie durch das Personal zu dessen Betrieb, also die Crews. Für Anschaffungswerte und Kapitalkosten wurden die eingangs ausgewiesenen Prämissen unterstellt. DIe durchschnittlichen Kapitalkostensätze (WACC) zeigen an, zeigen, welche Mindestrendite die Eigentümer und Kreditgeber von der Gesellschaft erwarten. Bemerkenswerterweise ist dieser Zinssatz bei dem öffentlichen Versorgungsbetrieb Deutsche Bahn AG höher als bei dem privaten Lufthansakonzern. Da die Bahn als Unter- Break-even-Rechnung Bahn je Fahrgast je Umlauf Prozent Ticketerlös (nach externen Vertriebskosten) 61,65 EUR 39.851 EUR 119,0 % - Umsatzsteuer - 9,84 EUR - 6.363 EUR -19,0 % Nettoerlös (nach Umsatzsteuer) 51,81 EUR 33.488 EUR 100,0 % - Passagierabhängige Kosten - 0,12 EUR - 77 EUR -0,2 % = Deckungsbeitrag Ia (Passagierbeitrag) 51,69 EUR 33.410 EUR 99,8 % - fahrtabhängige Kosten - 18,63 EUR - 12.042 EUR -36,0 % = Deckungsbeitrag I (Flugbeitrag) 33,06 EUR 21.368 EUR 63,8 % - Operative Fixkosten - 24,29 EUR - 15.701 EUR -46,9 % = Deckungsbeitrag II (Düsseldorf-Berlin) 8,77 EUR 5.668 EUR 16,9 % - Produktgrupppengemeinkosten Fernverkehr (Gesamtposition „Sonstige Aufwendungen“ lt. Anhang GB 2018; z. B. IT, Bahnpolizei? , Beratung, Mieten, …) - 6,30 EUR - 4.072 EUR -12,2 % = Deckungsbeitrag III (Produktbeitrag Verkehr) 2,47 EUR 1.596 EUR 4,8 % - Sonstige Unternehmensgemeinkosten (5 % Zuschlag) - 2,47 EUR - 1.596 EUR -4,8 % = Ergebnisbeitrag nach Eigenkapitalverzinsung (Soll) 0,00 EUR 0 EUR 0,0 % Tabelle 7: Kalkulation Umlauf ICE 2 Düsseldorf - Berlin - Düsseldorf je Fahrgast je Umlauf Fahrtabhängige Kosten 18,63 EUR 12.042 EUR 1. Bahnhofsentgelte 16 Stationspreis Berlin Hbf 0,06 EUR 39 EUR Stationspreis Berlin Hbf 0,07 EUR 48 EUR 2. Trassenentgelt 17,09 EUR 11.046 EUR 3. Energieverbrauch fahrtabhängig 1,41 EUR 1,41 EUR Tabelle 4: Kalkulation Bahnfahrt ICE 2 Düsseldorf - Berlin - Düsseldorf Bahnfahrt ICE 2 je Fahrgast je Umlauf Kapazitätsabhängige Kosten 24,29 EUR 15.701 EUR Personalkosten Fahrpersonal 7,32 EUR 4.733 EUR Instandhaltung und Wartung 4,54 EUR 2.936 EUR Kalk. Abschreibungen und Zinsen Zug 12,42 EUR 8.031 EUR Flugzeugumlauf je Passagier je Umlauf Kapazitätsabhängige Kosten 31,63 EUR 4.554 EUR Kalk. Abschreibungen und Zinsen 11,35 EUR 1.634 EUR Crew (incl. Training) 11,60 EUR 1.670 EUR Technik (nicht flugabhängig) 6,94 EUR 1.000 EUR Versicherungen 1,74 EUR 250 EUR Kapazitätsabhängige Kosten gesamt 31,63 EUR 4.554 EUR Tabelle 5: Kalkulation der kapazitätsabhängigen Kosten für den Umlauf Düsseldorf - Berlin - Düsseldorf ICE 2 A320-200 Bahn vs. Flug Kosten je Umlauf (80 % SLF) 27.820 EUR 23.730 EUR 17,2 % Kosten je Passagier (80 % SLF) 43,04 EUR 150,29 EUR -71,4 % Kosten je Sitz (80 % SLF) 34,43 EUR 120,24 EUR -71,4 % Kosten je Sitz leer (0 % SLF) 34,31 EUR 70,51 EUR -51,3 % Kosten je Sitz voll (100 % SLF) 34,43 EUR 131,83 EUR -73,9 % Tabelle 6: Operative Gesamtkosten ICE 2 vs. A320 DUS-BER-DUS Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 65 Kosten MOBILITÄT nehmen im Bundeseigentum für die Fremdfinanzierung keine schlechteren Konditionen erhalten sollte als die Lufthansa (derzeit weit unter 4 %), sind die Renditeerwartungen des Bundes an die Bahn offenbar höher als die Renditeerwartungen der Lufthansa-Aktionäre. Die kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen wurden in Tabelle 5 als Annuität (gleichbleibende Rate) über die gesamte Nutzungsdauer (25 Jahre) gerechnet. Auch bei den kapazitätsabhängigen Kosten zeigt sich, dass die Bahn einen Sitzplatz im ICE günstiger produziert als eine Airline einen Platz im Airbus A320. Allerdings fällt der Unterschied hier deutlich geringer aus, wohl auch, weil die Bahn bei diesen Kostenpositionen systematisch nicht mit Steuergeldern subventioniert wird. Fasst man die gesamten variablen und operativen Fixkosten der ICE-Fahrt und des Airbus-Fluges zusammen, so zeigt sich, dass die Bahnfahrt bei 80 % Sitzladefaktor weniger als ein Drittel des Fluges kostet. Auf den Umlauf gerechnet produziert die Bahn mit einem Doppelzug ICE 2 mehr als viermal so viele Sitzplätze wie die Airline, hat aber nur 18 % höhere Kosten (Tabelle 6). Neben den operativen Fahrtkosten entstehen auch in der Zentrale Betriebs- und Verwaltungskosten, die gedeckt sein wollen, wenn das Unternehmen Gewinne erwirtschaften soll. Berücksichtigt man auch diese, so ergibt sich eine Gesamtkalkulation wie in Tabelle 7. Wenn also die Bahn bei einer Auslastung des ICE von 80 % je Fahrgast im Durchschnitt einen Ticketerlös von 61,65 EUR für einen Rückfahrschein von Düsseldorf nach Berlin erzielt, so deckt dieser Fahrpreis alle zurechenbaren Kosten einschließlich der Ergebniserwartungen des Bundes. Eine Airline hingegen muss ihren Gästen durchschnittlich das Dreifache abnehmen, wenn die Rechnung aufgehen soll (Tabelle 8). Fazit: Bahnfahrscheine könnten deutlich billiger sein Selbst wenn die dargelegten Kostenansätze an der einen oder anderen Stelle, insbesondere im Bereich der Fixkosten, fundierte Schätzwerte sind, die auf Erfahrungswerten des Autors (Luftverkehr) und informellen Expertenauskünften (Bahnverkehr) beruhen, so lässt die Dimension des Unterschieds doch klare Schlussfolgerungen zu: 1. Die Behauptung, die Kosten der Bahn müssten stärker subventioniert werden oder auch die Umsatzsteuer müsse gesenkt werden, damit die Bahn attraktivere Preise bieten könne, ist schlichtweg falsch. Die Spielräume der Bahn, im Sinne einer gewinnsteigernden Auslastungsoptimierung attraktivere Preise zu bieten, sind größer als die der Airlines 2. Die Bahn hat wirtschaftlich nicht etwa das Problem, dass sie mehr Kapazitäten anbieten oder häufiger fahren müsste. Wenn die Züge voll sind, gibt es auch auf dem Flieger keine Schnäppchenpreise. Wenn aber die Airlines ihre leeren Plätze über Billigangebote füllen, könnte die Bahn ihre leeren Sitzplätze im Sinne der Ertragsoptimierung selbst zu Niedrigstpreisen weit unterhalb der bereits heute deutschlandweit angebotenen „Super- Sparpreise ab 19,90 EUR“ anbieten, und dennoch mehr Gewinn erwirtschaften. ■ 1 Schober, A. et al.: Billigflieger auf Flughöhe Null - Bahn gewinnt europäischen Preisvergleich. In: ETR SWISS, Nr. 10, Oktober 2018, https: / / quotas.de/ wp-content/ uploads/ 2018/ 11/ ETR_10_2018_Swiss_Schober_Krautscheid_ Sauter_FA-compressed.pdf 2 Statista: Kosten der ICE-Züge der Deutsche Bahn AG nach ICE-Generation (Stand: 2012; in Millionen Euro); https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 256324/ umfrage/ kosten-der-ice-zuege-der-db-ag/ 3 Deutsche Lufthansa AG: Konzern-Geschäftsbericht 2018 4 Deutsche Bahn AG: Kapitalkosten, https: / / ir.deutschebahn. com/ de/ db-konzern/ wertmanagement/ kapitalkosten/ 5 IATA: Jet Fuel Price Monitor, https: / / www.iata.org/ publicatio n s/ e co n omi c s/ fu e l-mo nito r/ P a g e s/ in d ex . a s px , Stand: 15.08.2019 6 Deutsche Bahn Fernverkehr: Geschäftsbericht 2018 7 Finanzen.net: CO 2 European Emission Allowances, https: / / www.finanzen.net/ rohstoffe/ co2-emissionsrechte, Stand August 2019 8 Deutsche Bahn Fernverkehr: Geschäftsbericht 2018 9 Deutsche Bahn AG: Stationspreise 2019, https: / / www.deutschebahn.com/ resource/ blob/ 3194128/ b6c660719f45255a- 6613648ec1e05da8/ Stationspreisliste-SPNV-SPFV-2019-data.pdf 10 Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (Editor): Luftsicherheitsgebühr, Berlin 12.2018, https: / / www. bmi.bund.de/ SharedDocs/ downloads/ DE/ veroeffentlichungen/ themen/ sicherheit/ luftsicherheitsgebuehr. pdf? __blob=publicationFile&v=6 11 Flughafen Düsseldorf GmbH, Entgeltordnung 2018, https: / / www.dus.com/ ~/ media/ fdg/ dus_com/ businesspartner/ aviation/ entgelte/ entgeltordnung%202018.pdf 12 Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH: Entgeltordnung 2018, https: / / www.berlin-airport.de/ de/ _dokumente/ geschaeftspartner/ entgelte-ordnungen/ entgeltordnung-txlde-2018.pdf 13 DFS Deutsche Flugsicherung GmbH: Serviceentgelte 2019, htt p s : / / www. d f s . d e/ d f s _ h o m e p a g e/ d e/ S e r v i c e s / Geb%C3%BChren/ 14 Die Gebühren für Bodenverkehrsdienste entsprechend dem IATA Standard Groundandling Agreement werden von den Flughäfen in der Aeronautical Information Publication (AIP) der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht. In der Praxis werden in den individuellen Verträgen mit Fluggesellschaften allerdings wesentlich günstigere Preise eingeräumt. Die Ansätze entsprechen dem aktuellen Marktpreisniveau. 15 Bundesnetzagentur: Marktuntersuchung Eisenbahnen 2018, https: / / www.bundesnetzagentur.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Sachgebiete/ Eisenbahn/ Unternehmen_ Institutionen/ Veroeffentlichungen/ Marktuntersuchungen/ MarktuntersuchungEisenbahnen/ MarktuntersuchungEisenbahn2018.pdf? __ blob=publicationFile&v=3 16 Deutsche Bundesbahn AG: Stationspreisliste 2019, https: / / www.deutschebahn.com/ resource/ blob/ 3194128/ b6c660719f45255a6613648ec1e05da8/ Stationspreisliste- SPNV-SPFV-2019-data.pdf Break-even-Rechnung Flug je Passagier je Umlauf Prozent Ticketerlös (nach externen Vertriebskosten) 187,41 EUR 26.987 EUR 119,0 % - Umsatzsteuer - 29,92 EUR - 4.309 EUR -19,0 % Nettoerlös (nach Umsatzsteuer) 157,49 EUR 22.678 EUR 100,0 % - Passagierabhängige Kosten - 61,33 EUR - 8.831 EUR -38,9 % = Deckungsbeitrag Ia (Passagierbeitrag) 96,16 EUR 3.847 EUR 61,1 % - Flugabhängige Kosten - 57,04 EUR - 8.213 EUR -36,3 % = Deckungsbeitrag I (Flugbeitrag) 39,12 EUR 5.634 EUR 24,8 % - Kapazitätsabhängige Fixkosten - 31,63 EUR - 4.554 EUR -20,0 % = Deckungsbeitrag II (Streckenbeitrag Passage) 7,50 EUR 1.079 EUR 4,8 % - Produktgrupppengemeinkosten Passage (4 % Zuschlag); z.B. Einsatzplanung, Operations Control, Stationsaufsicht, IT-Systemkosten; Marketing, Netzmanagement, … - 4,50 EUR - 648 EUR -2,9 % = Deckungsbeitrag III (Beitrag Passage) 3,00 EUR 431 EUR 1,9 % - Unternehmensgemeinkosten (2 % Zuschlag); z.B. Management, Einkauf, Finanz- und Rechnungwesen, Personalverwaltung, ... - 3,00 EUR - 431 EUR -1,9 % = Ergebnisbeitrag nach Eigenkapitalverzinsung (Soll) 0,00 EUR 0 EUR 0,0 % Tabelle 8: Kalkulation Flugzeugumlauf A320 Düsseldorf - Berlin - Düsseldorf Christoph Brützel, Prof. Dr. Aviation Management Department, IUBH International University, Bad Honnef c.bruetzel@iubh.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 66 Mobilitätsmonitor Nr. 9 - November 2019 Shared Mobility, Beschäftigte im ÖPNV und Sharing-Sektor, Pendlermobilität, Radverkehr WZB und M-Five erstellen ein Monitoring zum Personenverkehr in Deutschland. Im Fokus stehen Indikatoren einer Verkehrswende, insbesondere im Hinblick auf die Reduktion privater PKW-Nutzung, die steigende Nachfrage geteilter und öffentlicher Verkehrsmittel sowie die Diffusion alternativer Antriebe. Im Fokus dieser Ausgabe steht die Entwicklung des Sharing-Marktes, der aktuell durch neue Anbieter und wachsende Flotten geprägt ist. Weitere Themen sind der Beschäftigungsumfang und die Anteile von Ein- und Auspendlern. Christian Scherf, Andreas Knie, Theresa Pfaff, Lisa Ruhrort, Wolfgang Schade, Udo Wagner Entwicklung der Sharing-Anbieter und -Flotten Alternativen zum Privatauto in Städten werden derzeit so intensiv diskutiert und erprobt wie selten zuvor [1]. Die Verfügbarkeit von alternativen Mobilitätsangeboten bildet eine Voraussetzung für nachhaltige Mobilität. Es fehlt aber an aussagekräftigen und vergleichbaren Zahlen zu diesem Markt. In dieser Ausgabe werden vorwiegend Daten 1 zu Sharing-Angeboten betrachtet. Sie stammen aus acht der zehn größten Städte Deutschlands mit ca. 0,5 bis 3,6 Mio. Einwohnern. In allen betrachteten Städten ist ein breites Angebot für die Kurzzeitvermietung von Fahrzeugen entstanden (so genannte „Shared Mobility Services“). Die Zahl der Anbieter und Fahrzeuge wächst rasant. Zudem differenzieren sich die Services in unterschiedliche Angebotsformen. Jüngstes Beispiel sind Elektrokleinstfahrzeuge bis max. 20 km/ h, E-Scooter genannt, die zu einem teils deutlichen Flottenwachstum in den ausgewählten Städten führen. 2 Diese sind vom Rollersharing zu unterscheiden, bei dem Motorroller - z. B. vom Typ Simson Schwalbe - zum Einsatz kommen. Bild 1 zeigt die acht ausgewählten Städte und die Zahl der pro Ort aktiven Anbieter. Diese sind den unterschiedlichen Sharing-Sparten (Car-, Bike-, E-Scooter- und Rollersharing sowie Ridepooling) zugeordnet. Aus Darstellungsgründen sind nur für Berlin die Anbieter zusätzlich namentlich aufgeführt. Abgesehen von Essen, Köln und Leipzig sind sämtliche Sparten in allen Städten vertreten. In Köln ist die Einführung eines Ridepooling ab 2020 geplant. 3 In Leipzig wurde bisher noch kein E-Scooter bzw. Rollersharing angeboten. 4 In allen anderen Städten traten in den zurückliegenden Monaten E-Scooteranbieter in den Markt ein. Dieser ist aktuell durch hohe Dynamik geprägt. Die dargestellte Verteilung der Anbieter ist daher eine Momentaufnahme (Stand September 2019). Bild 2 verdeutlicht für dieselben acht Städte die Marktdynamik anhand der Entwicklung der Zahl der Sharing-Fahrzeuge. Dabei wurden die Werte für September 2018 den im September 2019 gezählten Fahrzeugen gegenübergestellt (vgl. auch Internationales Verkehrswesen 4/ 2018). Zur besseren Darstellung der Zusammensetzung sind diesmal - neben Car- und Bikesharing - auch E-Scooter- und Rollersharing sowie Ridepooling getrennt dargestellt. In allen Städten stieg die Zahl der Sharing-Fahrzeuge gegenüber 2018 an. Am stärksten fällt der Zuwachs in Berlin aus: Dort hat sich die Zahl der Sharing-Fahrzeuge gegenüber der 2018 durchgeführten Recherche fast verdoppelt (+15.000). In Hamburg und München ergab Foto: Klaus Pobering/ pixabay DER MOBILITÄTSMONITOR Der Mobilitätsmonitor (kurz: Monitor) ist eine gemeinsame Reihe des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH und der M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics in Karlsruhe. Frühere Monitor-Ausgaben sind unter www.internationales-verkehrswesen.de/ der-mobilitaetsmonitor zu finden. Die Autorinnen und Autoren danken Robin Coenen - Visual Intelligence & Communication für die grafische Umsetzung und dem Verlag von Internationales Verkehrswesen für die regelmäßige Veröffentlichung. MOBILITÄT Mobilitätsmonitor Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 67 Mobilitätsmonitor MOBILITÄT die Recherche ebenfalls starke Zunahmen: von rund 5.000 auf über 9.000 in Hamburg bzw. von rund 7.500 auf ca. 13.000 in München. In Stuttgart, Essen und Leipzig war der Zuwachs hingegen vergleichsweise gering. In den größeren Städten ist der Anstieg vor allem auf die Einführung von E-Scootern zurückzuführen. Auch in anderen Bereichen gab es Zuwächse: So nahm in Berlin besonders durch den Markteinstieg neuer Anbieter wie Sixt share und WeShare die Zahl der Carsharing-Fahrzeuge zu (+2.000). In Berlin gab es außerdem deutliche Zuwächse beim Bikesharing-Angebot, u. a. durch den Markteintritt von Jump. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob es ähnlich wie vor einem Jahr im Bikesharing auch im E-Scootersharing zu schnellen Marktaustritten oder gar zu Insolvenzen kommt, was zu abnehmenden Flottenzahlen führen könnte. Beschäftigung: ÖPNV und Sharing-Sektor im Vergleich Neben Angebot, Akzeptanz und tatsächlicher Nutzung neuer Alternativen zum Privat-PKW wird auch ihre Beschäftigungswirkung zunehmend diskutiert [6, 7]. Dazu wurden erste Abschätzungen zum Beschäftigungsumfang neuer Services vorgenommen und mit dem ÖPNV verglichen: Bild 3 zeigt die geschätzte Kopfzahl der Beschäftigten des Sharing-Sektors sowie des ÖPNVbzw. Taxigewerbes (inkl. Funkmietwagen) in den acht Städten. Aus Darstellungsgründen sind die Sharing-Sparten zusammengefasst. 5 Für die Abschätzung im Sharing- und Taxisektor wurden die Flottengrößen und - soweit bekannt - Beschäftigtenzahlen ausgewählter Unter- Sharing-Anbieter in ausgewählten deutschen Städten Beispiel Berlin: München Leipzig Stuttgart Hamburg Berlin Essen Frankfurt = Carsharing = Peer2Peer-Carsharing = E-Scootersharing = in Planung = Rollersharing = in Planung = Ridepooling = in Planung = Bikesharing © WZB / M-Five Köln Carsharing cambio Drivy/ Getaround Flinkster Getaway greenwheels Miles oply ShareNow Sixt share Snappcar stadtmobil Turo Ubeeqo WeShare Ridepooling BVG Berlkönig CleverShuttle Bikesharing Byke Deezer nextbike Donkey Republic Jump Lidl-Bike LimeBike Mobike E-Scooter Bird Circ E-Floater Jump Lime S Tier Voi Rollersharing Coup Emmy 5 10 15 Sept 2018 Sept 2019 Hamburg Frankfurt a. M. Köln Stuttgart Essen Leipzig 0 Sharing-Fahrzeuge im September 2018 & 2019 (in Tausend) 20 25 30 35 Sept 2018 Sept 2019 Sept 2018 Sept 2019 Sept 2018 Sept 2019 Sept 2018 Sept 2019 Sept 2018 Sept 2019 Sept 2018 Sept 2019 Sept 2018 Sept 2019 Berlin München Carsharing Bikesharing E-Scootersharing Rollersharing © WZB / M-Five Ridepooling Taxi-Unternehmen (einschl. Funkmietwagen) = 1.000 Beschäftige Sharing-Unternehmen (ohne P2P-Carsharing) Bus- und Bahn- Unternehmen (ÖPNV) Berlin Hamburg München Leipzig Frankfurt a. M. Köln Stuttgart Essen Beschäftigungsschätzung © WZB / M-Five Bild 2: Zahl der Sharing-Fahrzeuge im Vergleich zwischen Sept. 2018 und-2019 Quelle: Angaben der Anbieter, [5]; Recherche: T. Pfaff und C. Scherf; Grafik: R. Coenen Bild 3: Kopfzahl der geschätzten Beschäftigten in ÖPNV- und Sharing- Unternehmen pro Stadt Quelle: Angaben der Anbieter und Betreiber sowie eigene Schätzungen; Recherche: C. Scherf, Grafik: R. Coenen Bild 1: Anzahl der Sharing-Anbieter in den ausgewählten Städten, Stand Sept. 2019 Quelle: eigene Darstellung, Recherche: T. Pfaff und C. Scherf, Grafik: R. Coenen Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 68 MOBILITÄT Mobilitätsmonitor nehmen herangezogen und auf dieser Basis die Zahl der für den Flottenbetrieb notwendigen Beschäftigten geschätzt. Es handelt sich somit nicht um exakte Realwerte, sondern um Näherungen, die weitgehend vom aktuellen Fahrzeugangebot abhängen (ungeachtet etwaiger Skaleneffekte etc.). Für den ÖPNV wurden ausschließlich Beschäftigte bei Nahverkehrsunternehmen mit Sitz und Kernaktivität in der jeweiligen Stadt zugrunde gelegt (ohne Beschäftigte externer Dienstleister). Der Vergleich vermittelt einen Eindruck des ungefähren Umfangs der Beschäftigung in den betrachteten Sektoren. In allen Städten liegt die geschätzte Beschäftigtenzahl, die zum Betrieb der Flotten als notwendig erachtet wird, im Sharing-Sektor deutlich unter den Beschäftigten der ÖPNVbzw. Taxiunternehmen. Dies liegt u. a. dran, dass - abgesehen vom Ridepooling - für Sharing-Angebote keine Fahrer beschäftigt werden. Vergleichsweise hohe Schätzwerte ergeben sich daher für den Sharing-Sektor in Städten mit relativ großem Ridepooling-Anteil. Besonders Hamburg sticht hervor, wo der Anbieter MOIA Fahrer für seine Flotte von bis zu 500 Ridepooling-Fahrzeugen benötigt. 6 Stadt-Umland: Anteil der Ein- und Auspendler Der Fokus des Monitors lag bisher auf Indikatoren der urbanen Ebene, denn in den Großstädten zeigen sich aktuell besonders dynamische Veränderungen in Richtung einer Verkehrswende. Diese Betrachtung blendet allerdings die Tatsache aus, dass ein Großteil des Alltagsverkehrs in regionalen Verflechtungsräumen entsteht. Täglich überschreiten Millionen Menschen die Grenzen ihrer Wohngemeinde - vor allem als Berufspendler*innen. Bild 4 verdeutlicht die Bedeutung regionaler Verkehrsverflechtungen in den hier betrachteten Städten am Beispiel der Pendlermobilität: Die Pfeile in die Städte hinein symbolisieren den prozentualen Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die ihren Arbeitsort in der jeweiligen Stadt haben, aber außerhalb wohnen (Einpendler). Die Pfeile aus den Städten heraus zeigen umgekehrt den Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die ihren Wohnort innerhalb der jeweiligen Stadt haben, aber außerhalb arbeiten (Auspendler). Die Größe der Pfeile veranschaulicht den Anteil in Prozent. Das Verhältnis beider Größen gibt einen Eindruck von der Intensität der Stadt-Umland-Verflechtungen. Frankfurt a. M., dicht gefolgt von Stuttgart, ist Spitzenreiter bei den Einpendlern: Rund 64 % der in Frankfurt a. M. Beschäftigten wohnen nicht in der Stadt - in Berlin ist der Anteil hingegen mit Abstand am geringsten (22 %). Wie zu erwarten, gibt es in allen acht Städten deutlich mehr Einals Auspendler, was auf die hohe Bedeutung der Städte als Arbeitsplatzzentren hinweist. Aber auch der Anteil der Auspendler erreicht beträchtliche Werte, so etwa in Essen, Stuttgart und Frankfurt a. M., wo jeweils mehr als 30 % der Beschäftigten zum Arbeiten die Stadt verlassen. Dies deutet auf den hohen Grad regionaler Verflechtungen hin, bei der sich Verkehrsströme nicht (mehr) monozentrisch auf die Kernstadt ausrichten. In den nächsten Ausgaben des Monitors soll das Umland der Städte näher betrachtet werden. Radverkehr: Radzählungen und Temperaturverläufe Im Monitor Nr. 7 zeigten wir Auswertungen von Radzählstellen als Möglichkeit, das Radverkehrsaufkommen feinkörnig und kontinuierlich zu erfassen (Internationales Verkehrswesen 4/ 2018). Für zwei Berliner Zählstellen haben wir die bereits gezeigten Radzählungen und Temperaturwerte um weitere Monate fortgesetzt (Bild 5). 7 Auffällig ist erneut die starke Schwankung der registrierten Radfahrten im Jahresverlauf: Wie schon in den Jahren 2015, 2016 und 2017 erreicht die Zahl der Fahrten auch 2018 in den Sommermonaten einen Höchststand, fällt dann über die Herbstmonate steil ab und erreicht zwischen Dezember und Januar einen Tiefstwert. Im Vergleich der ersten Sommermessungen 2015 zu den Spitzenwerten 2018 zeigt sich ein deutlicher Anstieg, was auf einen positiven Trend hindeutet. Im Sommer 2018 wurden im Vergleich zu allen Vorjahren neue Rekordwerte erreicht. Der Aufwärtstrend ist bisher nicht ganz eindeutig - so lagen die Spitzenwerte 2017 leicht unter denen des Vorjahrs. Ein wesentlicher Trend scheint sich aber durch die neuen Zahlen für 2018 zu bestätigen: Der Tiefpunkt der gemessenen Fahrradfahrten in den Wintermonaten liegt bisher von Jahr zu Jahr auf einem höheren Niveau - es fahren also mehr oder häufiger Menschen auch im Winter Fahrrad. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich das Fahrrad für immer mehr Menschen zu einem Hauptverkehrsmittel im Alltag entwickelt, das auch bei weniger einladender Witterung genutzt wird. Unklar ist, inwieweit die gestiegene Zahl der Radfahrten im Winter 2018/ 19 auch mit den milden Temperaturen zusammenhängt - im monatlichen Durchschnitt wurde die Null-Grad-Grenze nicht berührt. Die Temperatur allein scheint den Aufwärtstrend allerdings nicht zu erklären. Zwischen 2015 bis 2019 (Bevölkerung am Stichtag 31.12. des Vorjahrs) stieg die Einwohnerzahl Berlins um 5 % an. Im selben Zeitraum nahm der Radverkehr um über 20 % zu (Vergleich der jährlichen Maxima an der Zählstelle Jannowitzbrücke). Die Zunahme des Radverkehrs ist daher nicht nur durch die Bevölkerungszunahme zu erklären, sondern wird offenkundig auch durch weitere Faktoren hervorgerufen. Fazit Die Betrachtung von Indikatoren einer Verkehrswende in den betrachteten Städten weist auf eine steigende Bedeutung von Alternativen zum PKW hin. Neben der Betrachtung des Berliner Radverkehrs im Zeitverlauf zeigt insbesondere die Übersicht der Shared Mobility Services in den acht Städten, dass sich alternative Mobilitätsformen aktuell rasant entwickeln. Inwieweit die entstehenden Angebote dauerhaft auf Nachfrage treffen, soll die kontinuierliche Erhebung zeigen. Die Beschäftigungsmöglichkeiten in diesem Bereich erscheinen im Vergleich zu den etablierten Angeboten bisher allerdings noch relativ klein. Gleichzeitig erinnert die Betrachtung der Pendlermobilität daran, dass Mobilitätsalternativen Anteil der Ein- und Auspendler (2017) 14% 17% 22% 28% 30% 36% 48% 45% Berlin Köln Hamburg München 52% 27% 37% 41% 36% 60% 64% 32% Frankfurt a. M. Stuttgart Essen Leipzig Anteil der Einpendler an den Beschäftigten am Arbeitsort in: Anteil der Auspendler an den Beschäftigten am Wohnort in: © WZB / M-Five Bild 4: Prozentanteil der Einpendler, die ihren Arbeitsort bzw. Auspendler, die ihren Wohnort in der jeweiligen Stadt haben, Stand 2017 Quelle: [8]; Recherche: U. Wagner, Grafik: R. Coenen Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 69 Mobilitätsmonitor MOBILITÄT sich bislang auf ein bestimmtes Marktsegment, nämlich die innerstädtische Mobilität in den Ballungsräumen, konzentrieren. In Zukunft gilt es verstärkt zu untersuchen, wie die zukünftige Rolle der Shared Mobility, aber auch des Radverkehrs - Stichwort Radschnellwege und Pedelecs - im regionalen Maßstab aussieht. Kontakt WZB: lisa.ruhrort@wzb.eu M-Five: christian.scherf@m-five.de ■ 1 Die Datenquellen wurden nach den Standards wissenschaftlichen Arbeitens sorgfältig ausgewählt und ausgewertet, dennoch kann keine Gewähr für die Genauigkeit und Vergleichbarkeit übernommen werden. Dies gilt insbesondere für Daten Dritter. Bei lückenhaften Datenlagen wurden zum Teil Mittel- und Schätzwerte gebildet, so dass die Ergebnisse als Näherungswerte zu verstehen sind. 2 Laut Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung handelt es sich um Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6-km/ h und nicht mehr als 20 km/ h (www.gesetze-im-internet.de/ ekfv). 3 Sowohl das Unternehmen CleverShuttle als auch die Kölner Verkehrsbetriebe planen für 2020 ein Ridepooling in Köln. [2, 3] 4 Es ist jedoch geplant, ein E-Scooter-Sharing über eine Plattform der Leipziger Verkehrsbetriebe anzubieten. [4] 5 Mangels ortspezifischer Zurechenbarkeit sind Beschäftigungsschätzungen für Peer-to-Peer- Plattformen nicht enthalten. 6 Beschäftigte beim Ridepooling im Auftrag der Verkehrsbetriebe - wie z. B. BVG Berlkönig, ioki und SSB Flex - wurden nicht dem Sharing-Sektor zugerechnet, um etwaige Überschneidungen mit dem ÖPNV-Sektor auszuschließen. Hierzu sind weitere Recherchen erforderlich. 7 Für die Zählstelle Oberbaumbrücke liegen ab Mai 2019 keine aussagekräftigen Zählungen vor, da die Brücke aufgrund von Instandsetzungsarbeiten teilweise gesperrt ist. Radfahrer müssen absteigen und ihnen wird eine Umleitung empfohlen. [9] QUELLEN [1] Canzler W., Knie A. (2019): Autodämmerung - Experimentierräume für die Verkehrswende. Heinrich-Böll- Stiftung, Berlin. Online: https: / / www.boell.de/ de/ 2019/ 03/ 12/ autodaemmerung (Zugriff 25.09.2019) [2] Koeln.de (2019): So wollen die KVB den Kölner Busverkehr revolutionieren. Online: www.koeln.de/ koeln/ nachrichten/ lokales/ so-wollen-die-kvb-den-koelner-busverkehr-revolutionieren_1130668.html (Zugriff 24.09.2019) [3] Clevershuttle.de (2019): Unsere Städte - Wo und wann fährt CleverShuttle? Online: www.clevershuttle.de/ (Zugriff 24.09.2019) [4] e-roller.com (2019): Leipzig startet mit LVB eigene E-Scooter-Sharing-Plattform. Online: https: / / e-roller. com/ leipzig-startet-mit-lvb-e-scooter-sharing-plattform (Zugriff 24.09.2019) [5] Tack A., Klein A., Bock B. (2019): E-Scooter in Deutschland - Ein datenbasierter Debattenbeitrag. civity Management Consultants, online: http: / / scooters.civity.de/ (Zugriff: 24.09.2019) [6] Wagner U., Schade W., Sievers L., Berthold D., Doll C., Hartwig J., Mader S. (2018): Status-quo von Wertschöpfung und Beschäftigung in der Mobilität. Arbeitspapier im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Karlsruhe. Online: www.m-five.de/ pdf/ m-five_isi_nachhaltige_mobilitaet_80223.pdf (Zugriff 25.09.2019) [7] Wagner U., Schade W., Berthold D., Mader S., Scherf C., Schäfer S. (2019): Transformation der Mobilität aus regionaler Sicht: Fortschreibung des Status quo von Wertschöpfung und Beschäftigung in der Mobilität auf Kreisebene. Arbeitspapier im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Karlsruhe, im Erscheinen [8] BBSR (2018): Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung. INKAR. Ausg. 2019. Hrsg.: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn. Online: www.inkar.de/ (Zugriff 26.09.2019) [9] Hofmann, L. (2019): Radfahrer müssen absteigen, in: Der Tagesspiegel, 28.05.2019, online: www.tagesspiegel.de/ berlin/ baustelle-an-der-oberbaumbruecke-radfahrer-muessen-absteigen/ 24381106.html (Zugriff 25.09.2019) Sept ’15 Jul ’15 Durchfahrten in Tausend Temperatur in °C Nov ’15 Jan ’16 März ’16 Mai ’16 Jul ’16 Sept ’16 Nov ’16 Jan ’17 März ’17 Mai ’17 Jul ’17 Sept ’17 Nov ’17 Jan ’18 Mär ’18 Mai ’18 Jul ’18 Sept ’18 Nov ’18 Mär ’19 Mai ’19 Jul ’19 Sept ’19 Jan ’19 50 0 100 150 200 250 300 350 400 450 500 -5 -10 0 5 10 15 20 25 30 35 40 = Radfahrten Berlin Jannowitzbrücke = Temperatur (°C, Monatsmittelwert) = Radfahrten Berlin Oberbaumbrücke Radfahrten an der Berliner Jannowitz- und Oberbaumbrücke (erfasst mit eco-counter) © WZB / M-Five Bild 5: Monatliche Radfahrten und Monatsmitteltemperatur an den Berliner Zählstellen Jannowitz- und Oberbaumbrücke Quelle: eco counter/ SenUVK, wetterkontor.de; Recherche: C. Scherf; Grafik: R. Coenen Frühere Ausgaben des Mobilitätsmonitors • Monitor Nr. 8 - Mai 2019 • Monitor Nr. 7 - November 2018 • Monitor Nr. 6 - Mai 2018 stehen auf www.internationales-verkehrswesen.de/ der-mobilitaetsmonitor zur Verfügung Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 70 Nicht vor meiner Haustür Akzeptanzprobleme im Hinblick auf den Einsatz urbaner Seilbahnen im öffentlichen Personennahverkehr Bürgerbeteiligung, Gesellschaftliche Akzeptanz, Verkehrssystem Die Verkehrssituation in deutschen Großstädten fordert neue Lösungsansätze. Die Erschließung einer neuen Ebene durch die urbane Seilschwebebahn ist eine Möglichkeit, doch ein Großteil der Bevölkerung fürchtet um die Privatsphäre. Das zeigte eine wissenschaftliche Umfrage an der Hochschule für Technik in Stuttgart im Rahmen des Studiengangs Infrastrukturmanagement. Sebastian Beck, Olivia Franz S eit mindestens zehn Jahren wachsen deutsche Großstädte und deren umliegende Regionen stetig. Das Städtewachstum geschieht zulasten des verbleibenden urbanen Raums. Gleichzeitig steigen der Bedarf und der Wunsch nach einem umwelt- und klimafreundlichen Mobilitätsangebot. Ein Ausbzw. Neubau verkehrlicher Infrastrukturen ist in den verbauten Innenstädten jedoch kaum mehr zu realisieren oder scheitert an den hohen Investitionskosten. Eine Lösung, um das bestehende Verkehrsnetz zu optimieren und anzupassen, ist daher die Erschließung einer neuen Verkehrsebene durch die urbane Seilschwebebahn. Viele Menschen assoziieren mit Seilbahnen ausschließlich die Erschließung von Wintersportgebieten und Touristenattraktionen. Dabei bietet die Technologie gerade im städtischen Kontext weitaus mehr Potenziale als allein die Nutzung zu Freizeitzwecken. Ein großer Vorteil urbaner Seilschwebebahnen ist durch ihre Bauweise und die technische Funktionsweise begründet, da sie in erhöhter Ebene auf einer eigenständigen und separaten Fahrtrasse verkehren und somit eine direkte und zeitnahe Verbindung zwischen zwei Stationen ermöglichen. Entsprechend sind Seilschwebebahnen nicht an die Gegebenheiten der Topographie und des Stadtgrundrisses gebunden und können sowohl natürliche als auch bauliche Hindernisse mühelos überwinden. Der Einsatz einer urbanen Seilschwebebahn ist auch dann sinnvoll, wenn das konventionelle ÖPNV-Angebot nicht ausreicht, die Bedürfnisse der Bürger zu decken oder wenn kein Raum und keine finanziellen Línea Plateada in La Paz. Foto: Doppelmayr/ Garaventa MOBILITÄT Urbane Seilbahnen Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 71 Urbane Seilbahnen MOBILITÄT Mittel für den Ausbau bestehender Verkehrsträger zur Verfügung stehen. Hierbei gelten urbane Seilbahnen nicht als Verkehrsmittel des übergeordneten Verkehrs, sondern dienen als ergänzendes Verkehrsmittel im Verkehrssystem. In Kombination mit verschiedenen Verkehrsmitteln können durch den Einsatz urbaner Seilschwebebahnen bestehende Lücken im Verkehrsnetz geschlossen werden. Außerdem dient das Verkehrsmittel als Verbindungsglied zwischen dicht besiedelten Gebieten und kann zu einer Entlastung der Strecken mit hohem Verkehrsaufkommen führen. Ökologische Bedeutung Auch unter Anbetracht ökologischer Gesichtspunkte stellt der Einsatz urbaner Seilbahnsysteme eine nachhaltige Lösungsmöglichkeit dar. Aufgrund der technischen Konstruktion und einer energieeffizienten Antriebstechnik besitzen Seilschwebebahnen auch bei hoher Förderleistung einen geringeren Energiebedarf als beispielsweise Omnibusse im öffentlichen Personennahverkehr. Außerdem werden durch den Systembetrieb mit elektrischem Strom aus regenerativen Energien weitaus weniger Schadstoffemissionen erzeugt. 1 Seilbahnprojekte auf internationaler Ebene Seilbahnsysteme wurden bereits mehrfach erfolgreich in den städtischen Kontext integriert. Zu den bekanntesten Beispielen zählen hierbei die Seilschwebebahnen in Caracas - Venezuela und La Paz - Bolivien. Das Seilbahnsystem in La Paz (siehe großes Bild) umfasst derzeit zehn Seilbahnlinien und gehört mit einer Gesamtlänge von etwa 30 Kilometern zum größten städtischen Seilbahnnetz der Welt. Das Seilbahnsystem wurde vollständig in den öffentlichen Nahverkehr integriert und bedient wichtige Knotenpunkte im Ballungsraum von La Paz und der Satellitenstadt El Alto. Hierbei handelt es sich um das erste städtische Verkehrsnetz der Welt, in dem Seilbahnen als primäres Verkehrsmittel eingesetzt und genutzt werden. In Deutschland noch Skepsis Obwohl das Thema und der Einsatz der Seilschwebebahn in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland vermehrt diskutiert und untersucht wurde, hat eine direkte Übernahme des Verkehrsmittels in das bestehende Verkehrssystem deutscher Großstädte bisher nicht stattgefunden. In jüngster Vergangenheit wurde der Einsatz einer urbanen Seilschwebebahn für die Stadt Wuppertal im Bundesland Nordrhein-Westfalen untersucht. Durch das zusätzliche Verkehrsmittel im System sollte die Anbindung an die Universität sowie zum zugehörigen Wohngebiet verbessert werden. Bereits seit dem Jahr 2012 wurde das Projekt im Gemeinderat thematisiert. Erst im Mai dieses Jahres wurde eine endgültige Entscheidung in Form einer Bürgerbefragung erwirkt. Hierbei haben sich etwa 62 % der Befragten gegen die Realisierung einer Seilschwebebahn ausgesprochen. An diesem Punkt stellt sich die Frage, warum Seilschwebebahnen trotz technischer Wirksamkeit und erprobter Funktionsweise im deutschen Raum keine Anwendung als Personenbeförderungsmittel finden. Gesellschaftliche Akzeptanz als wichtiger Erfolgsfaktor Wie das Beispiel in Wuppertal zeigt, können Bürgerinitiativen, die sich gegen das Projekt aussprechen, die Planung und letztlich auch die Realisierung einer Seilbahn negativ beeinflussen. Die Skepsis gegenüber neuen und ungewohnten Situationen ist unter anderem durch die gesellschaftliche Organisation in Deutschland begründet. Bei der Entscheidungsfindung in einer pluralistischen Ordnung nach demokratischen Prinzipien sind in der Regel mehrere Akteure involviert, die jeweils unterschiedliche Ansichten vertreten. Hierbei besteht hohe Bereitschaft sich sowohl für, aber auch gegen ein Projekt auszusprechen. Entsprechend sind Ablehnung und Skepsis bei der Einführung neuer Sachverhalte nicht auszuschließen. Auch aktuelle Negativ-Beispiele von Infrastrukturvorhaben tragen dazu bei, die Bedenken und Zweifel der Bevölkerung gegenüber Bauprojekten weiter zu verfestigen. Die Akzeptanz gegenüber einer Neuerung ist demzufolge von der Auffassung der Nutzer abhängig. 2 Vor diesem Hintergrund gilt die gesellschaftliche Akzeptanz als ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Integration eines neuen Verkehrsmittels im Personennahverkehr. Befragung im Raum Stuttgart Um mögliche Faktoren zu identifizieren, welche die Akzeptanz der Bevölkerung beeinflussen, und um grundsätzlich ein Meinungsbild über das Thema zu erhalten, wurde eine Befragung im Hinblick auf den Einsatz urbaner Seilschwebebanen in Deutschland durchgeführt. Hierfür wurden im Mai 2019 mehr als 180 Personen in Form einer repräsentativen Stichprobe im Alter von 18 bis 80 Jahren im Raum Stuttgart befragt. Im Durchschnitt nutzen die Befragten den öffentlichen Personennahverkehr an 3,5 Tagen in der Woche. Mit 58,1 % nutzt mehr als die Hälfte der Teilnehmer den ÖPNV häufig bis sehr häufig. 28,7 % nutzen diesen selten bis nie. Diese relativ ausgeglichene Verteilung spricht dafür, dass sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen über die Befragung erfasst wurden. Bild 1: Die Mehrzahl der Umfrageteilnehmer würden eine urbane Seilbahn tendenziell nutzen. Bild 2: Es bestehen einige Vorbehalte gegenüber Seilbahnen im direkten Umfeld. Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 72 MOBILITÄT Urbane Seilbahnen Privatsphäre- und Sicherheitsbedenken Etwa 80 % der Umfrageteilnehmer würden eine urbane Seilbahn tendenziell nutzen (Bild 1). Trotz dieser generellen Nutzungsbereitschaft von Seiten der Bevölkerung, weisen die Ergebnisse der Auswertung eindeutig darauf hin, dass die Mehrheit eine Einschränkung ihrer Privatsphäre befürchtet, sofern eine Seilbahnanlage in direkter Nähe zum persönlichen Umfeld realisiert würde. Etwa 74 % der Personen vermuten eine teilweise bis vollständige Einschränkung ihrer Person (siehe Bild 2) Ein entsprechend ähnlicher Prozentsatz ergibt sich bei der Frage hinsichtlich des Trassenverlaufs der Seilbahn. Etwa 77 % der Personen geben an, dass eine Seilbahntrasse nicht in direkter Nähe zu ihrem persönlichen Wohnumfeld verlaufen soll. Not in my Backyard Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass die Bevölkerung der Umsetzung und Nutzung einer urbanen Seilbahnanlage durchaus positiv gegenübersteht. Jedoch möchte niemand direkt von den Auswirkungen betroffen sein, die mit einer Implementierung der Anlage einhergehen. Man spricht in diesem Fall von einem sogenannten Not-In-My-Backyard-Syndrom, im deutschen Raum auch als Sankt-Florian- Prinzip bekannt. Mögliche Einsatzszenarien Etwa 83 % der befragten Personen können sich den Einsatz urbaner Seilbahnen in deutschen Großstädten vorstellen. Auch die Erschließung von peripher gelegenen Stadtteilen über eine urbane Seilbahn erscheint mit etwa 70 % durchaus als realistisch. Zudem erachten etwa 63 % der befragten Personen den Einsatz urbaner Seilbahnen im Rahmen verschiedener Großveranstaltungen und Events als sinnvoll (Tabelle 1). Dieses Einsatzszenario bietet zudem die Möglichkeit, den Betrieb und die Nutzung einer urbanen Seilbahnanlage für eine festgelegte Zeitdauer zu testen und mögliche Nutzer im Hinblick auf dieses Thema zu sensibilisieren. Fazit Generell lässt sich festhalten, dass die Hemmnisse zur Umsetzung urbaner Seilbahnanlagen in Deutschland weniger technisch begründet sind, sondern dass eine fristgerechte und problemlose Realisierung in erster Linie durch die Akzeptanz von Seiten der Bevölkerung bestimmt wird. Ob eine urbane Seilschwebebahn als vollwertiges Verkehrsmittel im Personennahverkehr akzeptiert und schließlich auch genutzt wird, ist abhängig von der persönlichen Empfindung in Bezug auf Benutzerfreundlichkeit, Sicherheit und mögliche Einschränkungen der eigenen Privatsphäre. Inwiefern die Akzeptanz durch die genannten Faktoren beeinflusst wird und wie hoch dieser Grad der Beeinflussung letztendlich ist, hängt schließlich vom Individuum selbst ab. Grundsätzlich besteht die Bereitschaft zur Nutzung einer urbanen Seilschwebebahn. Dennoch wird die Akzeptanz des Verkehrsmittels unter anderem dadurch beeinträchtigt, dass keine umfassende Informationsgrundlage über die Vorteile und den Nutzen einer urbanen Seilbahn existiert. Verkehrstechnische Potenziale und Einsatzmöglichkeiten werden häufig nicht berücksichtigt oder sind gänzlich unbekannt. Zudem wurde bis heute kein Referenzprojekt in Deutschland realisiert, welches eine Seilschwebebahn als vollwertiges und integriertes Verkehrsmittel im bestehenden System des öffentlichen Nahverkehrs veranschaulicht. Ohne ein entsprechendes Positiv-Beispiel besteht auch weiterhin vorrangig das Bild der Seilbahn als touristisch-geprägtes Verkehrsmittel. Ausblick In den vergangenen Jahren wurden zunehmend Untersuchungen hinsichtlich möglicher Streckenführungen in deutschen Großstädten durchgeführt. Auch die steigende Medienpräsenz lässt darauf schließen, dass das Thema der urbanen Seilbahn auch zukünftig vermehrt in den Fokus der Betrachtung gerückt wird und somit eine zentrale Rolle im Bereich neuer und nachhaltiger Mobilitätsformen einnimmt. Im Vergleich zu den Projekten, die bereits auf internationaler Ebene umgesetzt wurden, kann festgestellt werden, dass sich das Thema der urbanen Seilschwebebahn, in Abhängigkeit der geographischen Lage, in unterschiedlichen Prozessphasen befindet. Während die Technologie in Südamerika und Nordafrika bereits einen Teil des Personennahverkehrs bildet und in entsprechenden Regionen weiterverbreitet wird, befindet sich die Technologie in Deutschland momentan in der Einführungsphase. 3 Aufgrund der Tatsache, dass die Akzeptanz der urbanen Seilbahn vom individuellen Verhalten der Nutzer abhängig ist, bedarf es einem langfristigen Lernprozess im Rahmen dieser Phase, der die Einstellung sowie den Grad der Gewohnheit des Individuums beeinflusst. Nur über die Erzeugung von Akzeptanz und die fortwährende Steigerung eben dieser, kann es gelingen, dass eine urbane Seilbahn auch in deutschen Großstädten anerkannt und genutzt wird. Für die Projektinitiierung selbst gilt hierbei in erster Linie die Bürgerinformation und -beteiligung als grundlegende Maßnahme für eine zielgerichtete und ungehinderte Umsetzung einer urbanen Seilbahn. Sofern dieser Umstand berücksichtigt wird, können urbane Seilbahnen auch in Deutschland in den kommenden Jahren als vollwertiges Verkehrsmittel in das bestehende System des Personennahverkehrs integriert werden. ■ 1 Monheim, Heiner et al. (2010): „Urbane Seilbahnen - Moderne Seilbahnsysteme eröffnen neue Wege für die Mobilität in unseren Städten“. Köln: ksv Kölner Stadt- und Verkehrsverlag. 2 Kremer, Frieder (2015): Innovation Seilbahn - Potenziale für den urbanen Personenverkehr und Positionen der beteiligten Akteuere. Forschungsbericht in: „ISR Impulse Online“, Technische Universität Berlin. 3 Kremer, Frieder (2015): Innovation Seilbahn - Potenziale für den urbanen Personenverkehr und Positionen der beteiligten Akteure. Forschungsbericht in: „ISR Impulse Online“, Technische Universität Berlin Sebastian Beck Senior Projektpartner, Drees & Sommer SE, Stuttgart sebastian.beck@dreso.com Oliva Franz Projektmanagerin, Drees & Sommer SE , Stuttgart olivia.franz@dreso.com Einsatzszenarien Anzahl in Prozent Erschließung von Stadtteilen im Umland 112 70 % Erschließung von Gewerbe- und Industriegebieten 94 59 % Einsatz im ländlichen Raum 32 20 % Einsatz in Großstädten 133 83 % Einsatz in der Innenstadt 103 64 % Einsatz bei Großveranstaltungen 101 63 % Tabelle 1: Mögliche Einsatzszenarien von Seilbahnen in deutschen Großstädten Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 73 Mobilitätskonzepte MOBILITÄT Erfolg durch stetige Weiterentwicklung Innovative und dynamisch angelegte Konzepte als Grundlage für erfolgreiche Mobilitätsangebote der Zukunft Bundesverkehrswegeplan, Mobilitätsverhalten, Nahverkehr, ÖPNV, Verkehrsinfrastruktur Mit seinem Konzept „RMV-Mobilität 2030“ hat der Rhein-Main-Verkehrsverbund bereits vor einem Jahr Strategien für die Zukunft des Öffentlichen Personennahverkehrs in der Region Frankfurt- RheinMain vorgelegt. Ausgewiesenes Ziel der ausgeführten kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen und Projekte war ein Fahrgastzuwachs von 30 Prozent bis zum Jahr 2030. Wenn sich das enorme Wachstum des vergangenen Jahres weiter fortsetzt, wird das mittelfristige Wachstumsziel nach oben korrigiert werden müssen. Dementsprechend werden Gesamtkonzept und Strategien angepasst. Knut Ringat D as Mobilitätsverhalten der Menschen in der Region Frankfurt- RheinMain hat sich tiefgreifend verändert. Auch die Bereitschaft, längere Pendlerstrecken in Kauf zu nehmen, steigt. Verbund- und Landesgrenzen spielen dabei eine immer geringere Rolle. Vor allem die Anforderungen an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nehmen kontinuierlich zu. Nicht zuletzt die von der Bundesregierung angestoßene Diskussion über einen Nulltarif brachte den ÖPNV in den Fokus des öffentlichen Interesses. Darüber hinaus erhöhen die vereinbarten Klimaziele, das rasante Bevölkerungswachstum und die steigenden Beschäftigungszahlen den Druck auf den öffentlichen Nahverkehr (Bild 1). Auf all diese Fragestellungen und Anforderungen muss der ÖPNV kurz-/ mittelfristig Antworten finden. Doch Kapazitätsengpässe im Schienennetz, Qualitätseinschränkungen und steigende Kosten stehen einer schnellen Lösung entgegen. Fest steht jedoch: Eine massive Ausweitung eines qualitativ hochwertigen Nahverkehrsangebotes ist notwendig! Und dazu benötigen wir innovative und vor allem auch flexible Mobilitätskonzepte. Diese müssen kontinuierlich weiterentwickelt und an die sich immer schneller verändernden Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die aktuellen Klimabeschlüsse der Bundesregierung sowie die dynamischen Fahrgastentwicklungen der letzten Jahre, angepasst werden. Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) nimmt diese Herausforderungen an und hat ein umfangreiches Konzept für die Mobilitätsentwicklung in der Region Frankfurt- RheinMain entwickelt. Es ist so flexibel gestaltet, dass kurzfristig Anpassungen vorgenommen bzw. Schwerpunkte verschoben werden können. Sollte sich zum Beispiel das enorme Fahrgastwachstum des vergangenen Jahres von plus 34 Millionen weiter fortsetzen, so wird das mittelfristige Wachstumsziel des RMV-Mobilitätskonzeptes nach oben korrigiert werden müssen. Darüber hinaus ist aktuell auch eine Weiterentwicklung des Konzeptes hinsichtlich der Klimaschutzanforderungen und -ziele erforderlich. RMV-Konzept „Mobilität 2030“ Der RMV beschreibt in seinem strategischen Konzept die Voraussetzungen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Mobilität in der Region bis zum Jahr 2030. Hier eine Kurzdarstellung: 1. Tarif - Vision vom einfachen Tarif Der RMV entwickelt seinen Verbundtarif einerseits zu einem differenzierten und leistungsgerechteren Tarif für Selten- und Gelegenheitsnutzer, andererseits zu einem Bild 1: Eine strategische Antwort auf die Herausforderungen ist notwendig. Quelle: RMV Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 74 MOBILITÄT Mobilitätskonzepte preislich attraktiven, einfachen und großräumigen Flatrate-Tarif für Stammkunden. Die Vision eines einfachen Tarifs (Flatrate und gerechter E-Tarif ) erfordert die schnelle und unverzügliche Umsetzung der geplanten und darüber hinaus notwendigen Infrastrukturmaßnahmen, den Einsatz neuer Ideen und innovativer Lösungen, eine generelle, die gesamte Mobilität umfassende Informations- und Buchungsplattform sowie eine Struktur, die die veränderten Mobilitätsbedürfnisse widerspiegelt. Grundvoraussetzungen sind die Verbesserung der angebotenen Leistungen sowie eine entsprechende Finanzierung. Nur die Verwirklichung dieses Bündels an Maßnahmen ermöglicht die Realisierung einer 365-Euro-Flatrate für ganz Deutschland. 2. Infrastruktur - Höhere Schlagzahl in der-Umsetzung und mehr neue Infrastruktur 2030+ Die begrenzten Kapazitäten auf den Schienenstrecken im Ballungsraum Frankfurt- RheinMain stellen die größte Hürde eines weiteren ÖPNV-Wachstums in der Region dar. Die schnelle Umsetzung der lange geplanten FrankfurtRheinMain plus (FRM plus )- Projekte ist daher dringend erforderlich. Die zurzeit schon in Umsetzung befindlichen Maßnahmen sind von hoher Bedeutung, tragen aber als Einzelmaßnahmen nicht zu einer signifikant höheren Kapazität bei. Erst ab 2030, wenn fast das gesamte Projekt FRM plus beendet ist, entfalten sie gemeinsam ihre volle Wirkung. Sie allein werden aber nicht ausreichen, um den gestiegenen Mobilitätsbedürfnissen gerecht zu werden. Deshalb muss schon heute mit der Planung weiterer Maßnahmen begonnen werden, beispielsweise mit der Schaffung neuer Infrastruktur für den Fernverkehr im Knoten Frankfurt Hauptbahnhof, einem Fernbahntunnel. Das heißt aber auch, dass bis in die Jahre 2025/ 2030 hinein eine Bedarfs-Leistungs- Lücke klafft (Bild 2). Die „RMV-Offensive 2030“ zeigt dazu kurzfristig umsetzbare Maßnahmen auf, wie zum Beispiel die zeitliche Erweiterung der Hauptverkehrszeit (HVZ), die Schließung der Infrastrukturlücken durch ein ergänzendes, qualitativ hochwertiges neues Bussystem oder den Aufbau von On-demand-Verkehrsangeboten als Bestandteil des ÖPNV-Gesamtsystems u. v. m. 3. Qualität - Herstellung adäquater Qualität und vor allem Gewinn an Qualität Pünktlich, sicher, sauber und mit hoher Informationsqualität - das sind die Grundvoraussetzungen für jede Weiterentwicklung des ÖPNV. Qualität und Verlässlichkeit spielen eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung des Kunden für ein Verkehrsmittel. Sie beeinflussen enorm das individuelle Empfinden für das Preis-Leistungs-Verhältnis und sind daher ausschlaggebend für die Verkehrsmittelwahl. Deshalb ist es wichtig, aktuelle Defizite aufgrund von Personalengpässen, technischen Defekten an Fahrzeugen und Infrastrukturmängeln sowie unzureichender Information umgehend zu beseitigen. Die Deutsche Bahn AG (DB AG) hat auf Initiative des und in enger Abstimmung mit dem RMV einen Maßnahmenkatalog zur Qualitätsverbesserung aufgelegt. 4. Innovationen - Effizienzgewinne und Vereinfachung des Systems Innovationen müssen noch stärker genutzt werden! Eine Fahrt muss heute genauso einfach und spontan mit dem Nahverkehr möglich sein wie mit dem Auto: Einsteigen und losfahren, nur das Ziel vor Augen und darüber hinaus mit der Gewissheit, auch bei Störungen oder Änderungen zuverlässig und sorglos anzukommen - immer mit den aktuell wichtigen Informationen individuell versorgt. Auch neue Ride-Sharing- und Ondemand-Systeme eröffnen für die Anbindung des ländlichen Raums sowie im Stadt- Umland-Gefüge völlig neue Möglichkeiten. Der öffentliche Verkehr wird hier individueller und passt sich dank neuer Technologien an die Bedürfnisse der Menschen an. 5. Generelle Mobilitätsplattform - alles aus einer Hand Die Nachfrage nach multimodalen Angeboten aus einer Hand steigt. Über eine einheitliche Plattform mit intuitiver, einfacher Bedienung soll dem Fahrgast das gesamte Portfolio der Mobilität angeboten werden. Dabei ist die Digitalisierung der Schlüssel, um den veränderten Anforderungen an das Verkehrssystem gerecht zu werden. So entwickelt der RMV gemeinsam mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und weiteren Partnern die digitale Plattform „Mobility Inside“, über die der gesamte öffentliche Verkehr in Deutschland - vom Bus- und Bahnticket über das Leihfahrrad bis zum Carsharing-Angebot - gebucht und abgerechnet werden kann. Die Plattform muss von der Nahverkehrsbranche für ihre Fahrgäste und nicht von der Plattformökonomie oder Automobilindustrie gestaltet werden. 6. Verbundgrenzen - Mobilitätsbedürfnissen gerecht werden Die Kunden erwarten über Landes- und Verbundgrenzen hinweg neben den Verbundvorteilen „Ein Fahrplan - Ein Fahrschein - Ein Fahrpreis“ auch Informations-, Buchungssowie Zahlungsmöglichkeiten aus einer Hand. Längst fühlt sich die Bevölkerung weiter Teile Unterfrankens, der Bergstraße und Rheinhessens der Metropolregion FrankfurtRheinMain verbunden, unabhängig vom jeweiligen Bundesland. Annähernd 60.000 Menschen pendeln mittlerweile täglich aus Bayern nach Hessen, viele aus der Stadt Aschaffenburg und den beiden Landkreisen Aschaffenburg und Miltenberg. Dies bringt eine Steigerung des Verkehrsaufkommens mit sich, bietet aber zugleich bei einer attraktiven Verkehrsanbindung, insbesondere durch den ÖPNV, eine große Chance für den ballungsraumnahen ländlichen Raum. Der RMV entwickelt sich daher immer weiter zum regionalen Mobilitätsanbieter und ermöglicht den Kunden einen einfachen Zugang zum ÖPNV. Kooperationsverträge, wie der mit der Stadt Mainz, sind eine gute Lösung und stoßen auf großes Interesse auf bayerischer und hessischer Seite. Inzwischen ist bei allen Akteuren fest im Bewusstsein verankert, dass die aktuellen und künftigen Herausforderungen im Mobi- Bild 2: Zeitplanung der Infrastrukturmaßnahmen für die Region FrankfurtRheinMain Quelle: RMV Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 75 Mobilitätskonzepte MOBILITÄT litätsbereich nur gemeinsam und über die- Landesgrenzen hinweg gelöst werden können. 7. Finanzierung - neue Wege der Finanzierung angepasst an die Mobilitätsentwicklung Der politisch und gesellschaftlich geforderte umfangreiche Ausbau des ÖPNV erfordert eine auskömmliche und langfristig gesicherte Finanzierung. Da mit einer reinen Nutzerfinanzierung allein durch den Fahrgast die Nahverkehrsangebote keinesfalls finanziert werden können, müssen neben der Erschließung neuer Finanzierungsquellen auch die herkömmlichen ausgebaut werden. Hierzu gibt es erfolgreiche Anwendungsbeispiele im Ausland (z. B. Wien, Amsterdam und Kopenhagen). Dort ist die finanzielle Unterstützung für öffentliche Mobilität ungleich höher als in Deutschland. Hier sind die öffentliche Hand und insbesondere der Bund gefordert. Kontinuierliche Überprüfung und Anpassung des Konzeptes Die beschriebenen Strategien sind Überbau und Leitlinien zugleich für die Weiterentwicklung des ÖPNV in der Region Frankfurt- RheinMain. Diese sowie die daraus entwickelten Maßnahmen müssen einem kontinuierlichen Monitoring unterzogen, entsprechend bewertet und priorisiert sowie an aktuelle Mobilitätstendenzen angepasst werden. Nur, wenn Konzepte und Strategien als fortlaufender Prozess begriffen werden, können Verkehrsunternehmen und -verbünde mit den steigenden und sich rasant ändernden Anforderungen an das System Schritt halten. Allein der bereits eingangs erwähnte enorme Anstieg der Fahrgastzahlen im RMV ist ein Beispiel für diese Tendenzen und muss in weiteren Planungen entsprechend berücksichtigt werden. Die Auswirkungen daraus schlagen bis auf die Infrastruktur durch. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass alle Partner, beispielsweise die lokalen Nahverkehrsorganisationen, zum einen intensiv in die Ausarbeitung der Mobilitätskonzepte und -planungen einbezogen und zum anderen mit Knowhow unterstützt werden müssen. Verkehrsverbünde müssen hier verstärkt den Dienstleistungsgedanken in den Vordergrund stellen. Denn nur, wenn sich auch die Partner weiter entwickeln, kann das System als Ganzes vorankommen und zukunftsfähig ausgestaltet werden. Aktuell erhöhen sich die Erwartungen an den ÖPNV ständig. Entsprechend flexibel müssen unsere Konzepte darauf angepasst werden können. So sind vor allem Klimaschutz und Luftreinhaltung, auch durch das kürzlich verabschiedete Klimapaket, ein wesentlicher Baustein des RMV-Strategiekonzeptes. Leuchtturmprojekt Fernbahntunnel Frankfurt am Main Ein aktuelles Ergebnis aus der Neubewertung und -priorisierung der RMV-Mobilitätsstrategien ist die Forcierung eines Tunnelbaus unter dem Frankfurter Hauptbahnhof. Damit könnten der Fernverkehr unter dem Bahnhof hindurchgeführt und oberirdisch frei werdende Kapazitäten für den Regionalbahnverkehr genutzt werden. Eine Idee, die schon seit etlichen Jahren immer wieder im RMV diskutiert wird, die aber mit der Aufnahme in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans einen neuen Aufschwung erlebt hat. Durch das damit verbundene Commitment des Bundes hat dieses Thema eine breite Debatte in der Öffentlichkeit ausgelöst, die Deutsche Bahn AG inzwischen eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben (Bild 3). Das Projekt Fernbahntunnel ist ein gutes Beispiel dafür, wie aufgrund der Veränderung von Rahmenbedingungen ein Projekt innerhalb kürzester Zeit eine enorme Aufmerksamkeit und damit höheres Gewicht in der Gesamtplanung erhalten kann. Das sind Chancen, die ergriffen und entsprechend konzeptionell unterfüttert werden sollten. Der RMV hat hier sein Mobilitätskonzept angepasst und in Hinblick auf die Infrastrukturmaßnahmen modifiziert. Ausblick Der ÖPNV steht vor großen Herausforderungen, aber auch Chancen. Und diese gilt es, aktiv im Sinne einer nachhaltigen und modernen Mobilität zu nutzen. Dazu ist es zwingend notwendig, innovative und modifizierbare Mobilitätskonzepte zu erstellen sowie mit allen beteiligten Partnern aus Verkehrswirtschaft und Politik eng zusammen zu arbeiten. Nur so kann der ÖPNV zukünftig seiner Rolle als Herzstück eines vernetzten und klimaschonenden Verkehrssystems gerecht werden. ■ Knut Ringat, Prof. Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung, Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim a.Ts. k_ringat@rmv.de Bild 3: Untersuchungsraum für den Fernbahntunnel Frankfurt am Main Grafik: DB Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 76 MOBILITÄT Bedarfsbus On-demand-Mobilität - eine Lösung für alle? Erfahrungen aus dem Reallabor Schorndorf: Ein Vergleich zwischen On-demand-Mobilität und Linienverkehr Bedarfsorientierte Bedienung, Mobility on demand, Bürgerbeteiligung, Wirtschaftlichkeit Im Projekt Reallabor Schorndorf haben drei Verkehrsinstitute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Schorndorf ein bedarfsgerechtes On-demand-Bussystem entwickelt und im Jahr 2018 neun Monate lang vor Ort erprobt. Dabei wurden zwei bestehende innerörtliche Buslinien ersetzt und somit eine sehr heterogene Nutzergruppe in einem Realexperiment untersucht. Der Artikel vergleicht ausgewählte Kennzahlen des Bedarfsbusbetriebs mit Vergleichsdaten zum Linienbusbetrieb und zeigt Chancen und Herausforderungen des Bedarfsbetriebs auf. Kathrin Viergutz, Mascha Brost, Laura Gebhardt, Katharina Karnahl B edarfsorientierte Bedienkonzepte, also innovative flexible Angebotsformen des öffentlichen Nahverkehrs, die nach vorheriger Anmeldung von Fahrtwünschen verkehren (on-demand) [1], können als zeitliche oder räumliche Ergänzung zum Linienverkehr oder als alleinige Alternative die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung erfüllen [2]. Im Forschungsprojekt Reallabor Schorndorf entwickelte ein Team von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis gemeinsam mit der Zivilgesellschaft ein Bedarfsbussystem. Im Testbetrieb von März bis Dezember 2018 ersetzte das flexible System an den Wochenenden zwei bestehende Busrouten in der Stadt Schorndorf. In dieser Zeit wurden die Fahrtwünsche der Fahrgäste per Algorithmus bedarfsgerecht zu optimalen Routen kombiniert. Somit fuhren die Busse nicht mehr auf festen Routen und nach starren Fahrplänen, sondern richteten sich nach dem Bedarf der Fahrgäste. On-demand-Verkehren wird häufig eine höhere Kosteneffizienz sowie eine geringere Verkehrserzeugung und damit eine bessere ökologische Bilanz gegenüber dem Linienverkehr zugeschrieben. Im vorliegenden Artikel sollen einzelne Aspekte dieser Bilanzen näher beleuchtet werden. Dafür wird der Testbetrieb des Bedarfsbusses in Schorndorf mit dem wieder aufgenommenen Linienverkehr verglichen, indem die Kennzahlen der Fahrgastzahlen, der Erschließung sowie der Fahrzeugkilometer ausgewertet werden. Über die Inhalte dieses Artikels hinausgehend sind für ökologische und ökonomische Bilanzen viele weitere Faktoren zu betrachten und in Kontext zu setzen. Bedarfsbusbetrieb in Schorndorf Im Januar 2019 endete das Projekt Reallabor Schorndorf 1 , in dem ein Bedarfsbussystem ohne feste Routen, Fahrpläne und Haltestellen entwickelt, erprobt und untersucht wurde. Dabei bildete der Aspekt der Bürgerbeteiligung einen wichtigen Forschungsschwerpunkt. Von Anfang an wurden die Schorndorfer Bürgerinnen und Bürger und die kommunalen Gremien bei der Entwicklung und Optimierung des Systems intensiv einbezogen. Der flexible Bedarfsbus ersetzte während eines neunmonatigen Testbetriebs zwei konventionelle innerstädtische Buslinien und so erprobte eine breite Bevölkerungsgruppe das neue System. Das Projektteam zog eine positive Gesamtbilanz bezüglich gewonnener Erkenntnisse zu Chancen und Herausforderungen eines Bedarfsbusbetriebs im ÖPNV und der verwendeten Methodik. Das Forschungsformat eines Reallabors [3, 4] mit intensiver Zusammenarbeit von Wissenschaft, Praxispartnern und Zivilgesellschaft hat sich sehr gut bewährt. Die Ergebnisse sind in einem öffentlich zugänglichen Projektbericht zusammengefasst [5]. In Schorndorf wird seit dem Ende des Testbetriebs plangemäß wieder ein getakteter Linienbetrieb gefahren. Im Mai 2019 führte das DLR eine Fahrgastzählung im Linienbetrieb der Buslinien, die zuvor vom Bedarfsbus ersetzt worden waren, durch. Ziel der Fahrgastzählung einige Monate nach Rückumstellung zum Linienverkehr war der Vergleich von Fahrgastzahlen und gefahrenen Fahrzeugkilometern im Linienbzw. Bedarfsbusbetrieb. Ausgewählte Ergebnisse des Vergleichs werden in diesem Artikel präsentiert. Methodisches Vorgehen zum Vergleich von Bedarfsbusbetrieb und Linienbetrieb Insgesamt wurden während des neunmonatigen Testbetriebs Fahrten für über 10.000 Fahrgäste gebucht. Der Bedarfsbus verfügte über keinen festen Fahrplan bis auf die Ausnahme der Abfahrt des Busses am Bahnhof. Im Folgenden wird jede Abfahrt am Bahnhof als Start eines Umlaufs bezeichnet. Nach dem Ende des Testbetriebes wurde ab Mitte Dezember 2018 der Linienverkehr an den Wochenenden wieder aufgenommen. Nach der Rückumstellung in den Linienbetrieb wurde vom 24. bis 26. Mai 2019 eine Zählung in den während des Testbetriebs ersetzten Buslinien 242 und 247 durchgeführt, um Vergleichszahlen zu erhalten. Als Grundlage zur Bewertung dient nun ein Vergleich zwischen dem Wochenende der Linienverkehrszählung im Mai 2019 mit dem Bedarfsbusbetrieb an einem ausgewählten Wochenende im gleichen Vorjahreszeitraum (Mai 2018). Für den Mai 2018 (Bedarfsbusverkehr) wird das Wochenende 4. bis 6. Mai 2018 herangezogen als Zeitraum ohne Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 77 Bedarfsbus MOBILITÄT Ferien, Feiertage oder andere Besonderheiten. Auch bei der Auswahl des Wochenendes für die Fahrgastzählung im Linienverkehr wurde darauf geachtet, dass keine ungewöhnlichen Umstände wie Feiertage oder Schulferien vorlagen. Dennoch kann keine Aussage getroffen werden, ob die im Linienbetrieb erhobenen Fahrgastzahlen hoch, niedrig oder durchschnittlich sind. Analyse der Fahrgastzahlen Die Fahrgastzahlen des Testbetriebs sind in Bild 1 dargestellt. Die Abbildung teilt sich in zwei Bereiche, da im Juli die Betriebszeiten des Bedarfsbusses angepasst wurden und dabei die Betriebszeiten des Bedarfsbusses am Freitagvormittag und Samstagvormittag entfielen. Die recht hohen Schwankungen der Fahrgastzahlen an einzelnen Wochenenden sind nicht unüblich für den ÖPNV, da Ferienzeiten, Veranstaltungen, das Wetter und weitere Faktoren einen großen Einfluss auf die Fahrgastzahlen haben. Unter Berücksichtigung der Umstellung der Betriebszeiten im Juli lassen sich keine allgemeinen Trends hin zu mehr oder weniger Fahrgästen im zeitlichen Verlauf des Testbetriebs erkennen. Tabelle 1 stellt die Anzahl der Fahrgäste sowie die erbrachten Fahrzeugkilometer des Bedarfs- und Linienverkehrs gegenüber. Es werden ausschließlich jene Uhrzeiten verglichen, die im gesamten Testzeitraum von neun Monaten vom Bedarfsbus bedient wurden. 2 Als Fahrgastzahlen wird hierbei zwischen Fahrgästen mit Buchung und spontan zusteigenden Fahrgästen unterschieden. Zusätzlich zu den gebuchten Fahrgästen gab es eine signifikante Anzahl von Fahrgästen ohne Buchungen (Spontanzusteiger). Aus häufigen stichprobenartigen Zählungen im Bedarfsbusbetrieb über die gesamte Dauer des Testbetriebs konnte abgeleitet werden, dass, bezogen auf die Buchungen, zusätzlich ca. 70 % Spontanzusteiger den Bedarfsbus nutzten, somit können die Buchungszahlen mit einem Faktor 1,7 hochgerechnet werden. Während des Erhebungswochenendes im Bedarfsverkehr im Mai 2018 lag die Summe aller Fahrgäste bei ca. 440, davon 260 Fahrgäste mit Buchungen sowie ca. 180- spontanzusteigende Fahrgäste. Dies sind ca. 20 % weniger Fahrgäste als bei der Vergleichszählung im Linienbetrieb im Mai 2019, bei der die Gesamtanzahl der Fahrgäste bei ca. 540 lag 3 . Neben Fahrgästen mit Buchungen und spontan zusteigenden Fahrgästen beeinflussen auch nicht erscheinende Fahrgäste die Fahrgastzahlen im Bedarfsbusbetrieb. Fahrgäste, die ihre Fahrt trotz Buchung nicht angetreten haben, wurden im Rahmen des Testbetriebes jedoch nicht erfasst. Tabelle 1 zeigt neben den Fahrgastzahlen auch den Vergleich der erbrachten Fahrzeugkilometer im Bedarfs- und Linienverkehr. Die zurückgelegten Fahrzeugkilometer sind bei den Linienbussen zusammen (522 km) etwas höher im Vergleich zum Bedarfsbus (496 km) 4 . In den einzelnen im Bedarfsbusverkehr gefahrenen Umläufen werden häufig deutlich kürzere Strecken zurückgelegt als in den Umläufen des Linienverkehrs, jedoch werden durch die größere zeitliche Flexibilität mehr Umläufe in den gleichen Zeiträumen angeboten. Dadurch wird oft mit einem geringeren Besetzungsgrad als im Linienverkehr gefahren. Für die Fahrgäste ergibt sich daraus als Mehrwert eine größere zeitliche Flexibilität sowie durch die Möglichkeit der Haustürbedienung kürzere Zu- und Abwege. Erschließung und Fahrgastwechsel Eine wesentliche Neuerung im Bedarfsbusverkehr in Schorndorf war neben flexibler Routenführung und flexiblen Abfahrtszeiten auch die Nutzung von zusätzlichen Haltepunkten im Straßenraum abseits der regulären beschilderten Haltestellen. In der Evaluation der Nutzung des Bedarfsbussystems wird daher auch dieser Punkt ausgewertet. Die Nutzung virtueller Haltepunkte war nur bei Buchungen via App möglich. Bei der Buchung über Telefon oder Web waren nur reguläre Haltestellen nutzbar. Andernfalls wäre die Routenoptimierung stark eingeschränkt worden, da für telefonisch buchende Fahrgäste keine Informationsmöglichkeit zu Änderungen bestand. Für die Berechnung des Nutzungsanteils virtueller Haltepunkte wurden daher nur die Buchungen via App (rund 65 % aller Buchungen) berücksichtigt. Dabei ergibt sich ein Nutzungsanteil der virtuellen Haltepunkte von 11 %. Ein Grund für den relativ geringen Nutzungsanteil der virtuellen Haltepunkte liegt in der Bündelung von Haltepunkten für verschiedene Fahrtanfragen zu einem Halt. Diese Bündelung wurde im Hinblick auf die Optimierung des Routings für jeden Umlauf durchgeführt. Lagen die Haltestelle für eine Telefonbuchung (zwangsläufig reguläre Haltestelle) und die virtuelle Haltepunkte für eine App-Buchung nahe beieinander, wurden die Halte auf reguläre Haltestellen zusammengelegt. Ansonsten hätten durch weitere Randbedingungen bei der Routenoptimierung einige Fahrtanfragen von Fahrgästen bereits bei der Buchung abge- Anzahl Fahrgäste Bedarfsbus (Buchungen Mai- Wochenende 2018 Anzahl Fahrgäste Linie 242 (Zählung Mai-Wochenende 2019) Anzahl Fahrgäste Linie 247 (Zählung Mai-Wochenende 2019) Fahrzeugkm Bedarfsbus (Buchungen Mai- Wochenende 2018) Fahrzeugkm Linie 242 (Linienlänge) Fahrzeugkm Linie 247 (Linienlänge) Summe 260 406 134 496 320 202 Spontanzusteiger (berechnet) 180 _ _ - - - Summe (gesamt) 440 540 496 522 Tabelle 1: Vergleich zwischen Bedarfs- und Linienverkehr: Fahrgastzahlen und Fahrzeugkilometer Quelle: DLR 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 10* 11 12 13* 14 15 16 17* 18 19* 20* 21 22* 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39* 40* 41 42 43 44* 45 46 47 48 Anzahl Fahrgäste Kalenderwochen 2018 Fahrgäste ohne Buchung: Spontanzusteiger (jeweils auf gesamte Betriebszeit berechnet) Fahrgäste freitags von 15 - 20 Uhr und samstags von 6 bis 13 Uhr Fahrgäste freitags ab 20 Uhr, samstags ab 13 Uhr und sonntags ganztägig Anpassung der Betriebszeiten KW 18: für den Vergleich betrachtetes Wochenende * Wochenenden mit abweichender Gesamtbetriebszeit, zum Beispiel durch Feiertage Bild 1: Anzahl der Fahrgäste im Bedarfsverkehr Quelle: DLR Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 78 MOBILITÄT Bedarfsbus lehnt werden müssen. Insgesamt kann trotz des relativ geringen Nutzungsanteils festgehalten werden, dass virtuelle Haltestellen für die Servicequalität von Bedarfsbussen von Bedeutung sind, da durch sie beispielsweise Fußwege verkürzt (in Schorndorf in der Regel von ca. 500 m auf ca. 150 m) oder Fahrtwünsche günstiger zusammengefasst werden können. Bild 2 zeigt die Anzahl der einsteigenden Fahrgäste je fester Haltestelle und somit die Unterschiede in der Nutzung der Haltestellen. Potentielle Nutzergruppen des Bedarfsbussystems Bei der Entwicklung des neuen Bussystems war die Frage zentral, wer die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer sein könnten und welche Anforderungen sie an das Unterwegs-Sein stellen. Zur Beantwortung dieser Fragen wurden auf Grundlage von Daten- und Dokumentenanalysen sowie Interviews potenzielle Nutzergruppen identifiziert: Seniorinnen/ Senioren, Personen die häufig den ÖPNV nutzen, mobilitätseingeschränkte Personen sowie Personen, die häufig den PKW nutzen. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Schorndorf als Repräsentanten dieser vier Nutzergruppen wurden mögliche Nutzungsszenarien für den Einsatz des neuen Bussystems diskutiert. Ausgehend von den identifizierten Nutzeranforderungen arbeiteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachdisziplinen, Bürgerinnen und Bürger sowie Praxisakteure (Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS), Busbetreiber, Busfahrer) gemeinsam an dem Buskonzept. Die Erkenntnisse zu den Nutzeranforderungen und aus den Diskussionen mit den Bürgerinnen und Bürgern lassen Rückschlüsse für die Analyse und Interpretation der ausgewerteten Daten im Vergleich von Bedarfsbusverkehr und Linienbusverkehr zu [4]. Der Praxistest unter Realbedingungen in Schorndorf bestätigt die Annahme, dass es für ältere Personen (die größte Nutzergruppe des ÖPNV in Schorndorf ) eine Herausforderung darstellt, den Bus über eine App oder eine Telefonhotline zu bestellen. Vor allem für ältere Personen, aber z.B. auch für Schülerinnen und Schüler sind routinierte Alltagspraktiken von großer Bedeutung. Das „selbst aktiv werden“ stört diese Bevölkerungsgruppen mehr als dass sie von den Stärken des neuen Systems profitieren (zu den Stärken und Schwächen des Systems aus Nutzerperspektive siehe auch Tabelle 2). Dies schlägt sich in den Fahrgastzahlen nieder, aber auch in der Bewertung des neuen Buskonzeptes im Rahmen von empirischen Befragungen. Hier konnte ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Alter und Zufriedenheit mit dem System identifiziert werden [6, 7]. Der Praxistest zeigt aber auch die Chancen eines Bedarfsbussystems für Fahrgäste und die Umwelt auf. Dies zeigt sich auch in den Bewertungen und Einschätzungen durch die Bürgerinnen und Bürger, die in Befragungen geäußert wurden (vgl. Tabelle-2). Fazit Betrachtet man die Vergleichszählungen, so waren die Fahrgastzahlen im Bedarfsbusbetrieb in Schorndorf geringer als im Linienbetrieb. Einige Gründe hierfür sind im vorliegenden Artikel beleuchtet worden. Als Fazit lässt sich daraus schließen, dass Ondemand-Systeme vorteilhaft sein können, aber nicht für alle Situationen und alle Nutzergruppen und Raumstrukturtypen eine Lösung sind. Sie müssen im jeweiligen Kontext bewertet werden. Die Auswertungen führen zu folgenden Kernaussagen: • Eine erforderliche Bestellung des Bedarfsbusses stellt für viele Fahrgäste eine 6,5 6,2 3,0 5,4 0,0 0,0 0,0 Hin 0,2 0,0 Rück 0,0 Hin 0,1 1,1 Rück 0,9 0,3 0,5 0,5 Hin 0,1 Rück 0,0 Hin 0,0 0,6 Rück 0,2 0,0 0,0 0,0 0,1 0,1 0,0 0,0 0,2 0,5 0,3 1,1 1,1 Hin 0,1 0,0 Rück 0,9 1,1 0,3 0,8 0,3 0,5 0,3 1,0 0,5 0,2 Hin 0,0 0,1 Rück 0,0 Hin 0,0 0,1 Rück 0,2 0,0 0,0 0,0 0,2 Hin 0,1 Rück 0,0 0,2 0,0 0,1 Hin 0,0 Rück 0,3 Anzahl Einsteiger an Haltestellen - Mittelwert über alle Umläufe 242 247 B Linie 242 Linie 247 B = Bedarfsbus Niedrige Anzahl Bild 2: Anzahl der einsteigenden Fahrgäste je fester Haltestelle im Bedarfs- und Linienverkehr Quelle: DLR Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 79 Bedarfsbus MOBILITÄT Hürde dar. Die Gewöhnung an neue Systeme seitens der Fahrgäste erfordert Zeit. • Der Bedarfsbus bietet Fahrgästen mehr Flexibilität (höhere zeitliche Verfügbarkeit, mehr Haltepunkte, Direktverbindungen) bei gleichzeitiger Vermeidung von Leerfahrten. • Die höhere zeitliche Flexibilität und damit die Attraktivitätssteigerung können zu mehr Umläufen mit einem geringeren Besetzungsgrad als im Linienverkehr führen. • Es werden im Bedarfsbetrieb Umläufe eingespart, für die es keinen Fahrtwunsch gibt. • Langfristig könnte bei höherer Flexibilität ein Umstieg von mehr Fahrgästen auf ÖPNV erfolgen, wenn die Akzeptanz gesteigert werden kann. Im Laufe des Testbetriebes konnte anhand von Umfragen eine steigende Akzeptanz festgestellt werden. Für die Dauer des Testbetriebs zeigten sich allerdings geringere Fahrgastzahlen als im Linienbetrieb. Eine Änderung von Einstellungen, Routinen und Verhaltensweisen im Mobilitätsverhalten ist lediglich in langfristigen Zeiträumen zu erwarten. • On-demand-Systeme sind nicht per se nachhaltiger als Linienverkehre. Die Auswertung zeigt, dass negative und positive Aspekte ins Verhältnis gesetzt werden müssen. Wichtig ist immer eine situationsspezifische Beurteilung und eine Gewichtung sozialer, ökologischer und ökonomischer Aspekte. Fahrgastzahlen und gefahrene Kilometer bilden einen Teilaspekt bei der Bewertung von ökologischen und ökonomischen Aspekten von Bedarfsbussystemen im Vergleich mit getaktetem Linienverkehr. Für eine Bilanz sind viele weitere Faktoren zu betrachten und in Kontext zu setzen. Es besteht weiterer Forschungsbedarf für die Einschätzung, in welchen Anwendungsräumen On-demand-Verkehre am sinnvollsten umsetzbar sind. ■ 1 Gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg mit insgesamt 1,2 Millionen Euro. Projektkonsortium: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) (Projektleitung), Stadtverwaltung Schorndorf, Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS), Knauss Linienbusse, Hochschule Esslingen, Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRI- US) der Universität Stuttgart 2 Betrachtete Umläufe: (jeweils Angabe des Umlaufbeginns): freitags von 20: 19 Uhr bis einschließlich des letzten Umlaufs um 00: 49 Uhr; samstags von 13: 19 Uhr bis einschließlich des letzten Umlaufs um 00: 49 Uhr; sonntags von 06: 19 Uhr bis einschließlich des letzten Umlaufs um 00: 49 Uhr. 3 Durch die großen Schwankungen der Fahrgastzahlen im ÖPNV allgemein ist die Einschätzung schwierig, wie signifikant die Unterschiede sind. 4 Fahrzeugkilometer beim Bedarfsbus beziehen sich auf gebuchte Fahrten. QUELLEN [1] Mulley, C.; Nelson, J. (2009): Flexible transport services: A new market opportunity for public transport. Research in Transportation Economics, 25. Aufl., S. 39-45 [2] VDV (2009): Differenzierte Bedienung im ÖPNV - Flexible Bedienungsweisen als Baustein eines marktorientierten Leistungsangebotes. Blaue Buchreihe des VDV Band 15 [3] De Flander, K.; Hahne, U.; Kegler, H.; Lang, D.; Lucas, R.; Schneidewind, U.; Simon, K.-H.; Singer-Brodowski, M.; Wanner, M.; Wiek, A. (2014): Resilience and real-life laboratories as key concepts for urban transition research. GAIA-Ecological Perspectives for Science and Society 2014, 23, pp. 284-286, doi: 10.14512/ gaia.23.3.19.46 [4] Schneidewind, U. (2014): Urbane Reallabore - ein Blick in die aktuelle Forschungswerkstatt. PND online 2014, III/ 2014, pp. 1-7 [5] Brost, M.; Gebhardt, L.; Karnahl, K.; Deißer, O.; Steiner, T.; Ademeit, A.; Brandies, A. u. a. (2019): Reallabor Schorndorf - Entwicklung und Erprobung eines bedarfsgerechten Bussystems. Projektbericht. Stuttgart: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR e.V.). Abrufbar über https: / / verkehrsforschung.dlr.de/ de/ news/ busfahren-nach-bedarf-projektbericht-zum-reallabor-schorndorf-verfuegbar [6] Gebhardt, L.; Lenz, B. (2019): „On demand“ statt Fahrplan. Baustein eines zukünftigen Mobilitätsmanagements? Informationen zur Raumentwicklung, 46 (1/ 2019), S. 98-111. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. ISSN 0303-2493 [7] Gebhardt, L.; Brost, M.; Steiner, T. (2019): Bus on demand - ein Mobilitätskonzept mit Zukunft: Das Reallabor Schorndorf zieht nach dem Testbetrieb Bilanz. Online: www.ingentaconnect.com/ content/ oekom/ gaia; jsessionid=1tel98l2p20ds.x-ic-live-02, Volume 28, Number 1, 2019, pp. 70-72(3) Positiv Negativ • Ich bin flexibel. • Ich finde den Ansatz innovativ. • Einfach praktisch. • Der Bus fährt dorthin, wo ich ihn brauche. • Mit dem neuen Bus komme ich auf direktem Weg zu mir nach Hause • Ich kann mobil sein, ohne umzusteigen. • Ich find das super. • Im Bus war es persönlicher als früher. • Tolle Atmosphäre im Bus. • Keine Leerfahrten mehr. • Keine Umwege mehr mit dem Bus, das ist-klasse. • Fast wie ein Taxi • Mitten in der Nacht bestellbar. • Was Neues ausprobieren macht Spaß. • Ich schätze die Tür-zu-Tür Verbindungen. • Ich muss bei jeder Fahrt davor selbst aktiv werden. • Ich muss immer bestellen das nervt. • Ich bin überfordert. • Man weiß nie, wann der Bus wo fährt. • Ich kann nicht einfach spontan zum Bus gehen. • Bestellung über App ist kompliziert. • Bestellung über Telefonhotline ist unkomfortabel. • Planungsunsicherheit. • Man weiß nie wie lange man braucht. • Vorab buchen finde ich lästig. • Ist mir zu kompliziert. • Ich habe kein Smartphone. • Man weiß nie wie lange man im Bus sitzt. Tabelle 2: Positive und negative Aspekte des bedarfsgerechten Bussystems aus Nutzerperspektive auf Basis von Interviews und Befragung im Juli 2019 Quelle: DLR Mascha Brost, Dipl.-Ing., M.Des. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Fahrzeugkonzepte, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Stuttgart mascha.brost@dlr.de Laura Gebhardt, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrsforschung, Berlin laura.gebhardt@dlr.de Katharina Karnahl, Dipl.-Ing. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Verkehrssystemtechnik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Braunschweig katharina.karnahl@dlr.de Kathrin Viergutz, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Verkehrssystemtechnik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Braunschweig kathrin.viergutz@dlr.de Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 | office@trialog.de | www.trialog-publishers.de Redaktionsleitung: Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de redaktion@internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 80 MOBILITÄT Mikromobilität (E-)Kleinstfahrzeuge - Tech- Blase oder Verkehrsrevolution? Teil 2 - Welches Potential haben die „neuen“ vernetzten Mobilitätsangebote in Deutschland? (E-)Kleinstfahrzeuge, Tretroller, Mikromobilität, Sharing, MaaS, Letzte Meile, Implementierung Wie hoch ist das Potential von E-Kleinstfahrzeugen und welchen Anteil werden sie an der urbanen Mobilität langfristig beanspruchen? Wie sollen Städte und Gemeinden auf das Thema reagieren? Nach dem internationalen Blick auf die Entwicklung urbaner Mobilität in der vorigen Ausgabe von Internationales Verkehrswesen soll nun die Analyse inzwischen vorliegender Erfahrungen aus Deutschland den Kommunen helfen, wie und in welchem Umfang sie mit dem Thema umgehen können. Rainer Hamann, Verena Knöll, Thomas Schimanski, Sabrina Bayer, Sebastian Schulz D as Inkrafttreten der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) in Deutschland hat eine weitreichende Debatte entfacht, ohne dass wichtige Fragen fundiert geklärt werden. Wie hoch ist das Potential von E-Kleinstfahrzeugen und welchen Anteil werden sie an der urbanen Mobilität langfristig beanspruchen? Wie sollen Städte und Gemeinden auf das Thema reagieren? Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Anwendung und Implementierung von E-Tretrollerangeboten in deutschen Städten. Hierbei soll - basierend auf den in Ausgabe 3/ 2019 behandelten internationalen Erfahrungen 1 - geklärt werden, welche Potentiale und Herausforderungen bei E-Tretrollern bestehen und wie Kommunen mit möglichen Anbietern umgehen können. Zu den bislang größten Herausforderungen gehört in vielen Kommunen die Abstimmung mit anderen kommunalen Mobilitätsangeboten wie Bikesharing und vor allem dem ÖPNV. E-Tretroller in Deutschland Wie schon andere europäische Länder zuvor, hat auch Deutschland nun seine Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) beschlossen, sie trat am 15. Juni 2019 in Kraft. [1] Tretroller, die über eine Allgemeine Betriebserlaubnis des Kraftfahrtbundesamtes verfügen, dürfen somit in Deutschland am Straßenverkehr teilnehmen. Die Hersteller beklagen, dass die entsprechenden Vorgaben nicht EU-einheitlich sind, so dass nun teilweise länderspezifische Fahrzeugmodelle produziert werden müssen, was Fahrzeuge sowie höchstwahrscheinlich die Nutzungsgebühren zusätzlich verteuert. Bedeutung von Sharing-Konzepten Beispiele in den Pioniermärkten USA und China zeigen, dass Sharing-Konzepte sinnvoll geplant und gesteuert werden müssen. Lässt man den operierenden Anbietern in einem neuen Markt zu viel Spielraum, können exzessive Konkurrenzkämpfe negative Folgen für Kommunen und ihre Bewohner haben, so wie es auch in Deutschland einige Städte mit stationslosen Leihfahrrädern (free-floating oder dockless Bikes), z. B. von Obike, erlebt haben [2]. Werden Regulierungen und Gesetze jedoch zu streng und fernab pragmatischer Lösungen gefasst, bringt es den Markt in kürzester Zeit zur Implosion und kann dem Ziel, städtische Mobilität im 21. Jahrhundert umweltfreundlich und mit Alternativen zum Autoverkehr zu gestalten, schaden. Das Beispiel der stationslosen Leihfahrräder Chinas zeigt auch, wie kurzlebig und chaotisch Hypes um neue Angebote im digitalen Zeitalter ausfallen können. Ob die E- Tretroller-Betreiber in den USA den Weg von der Gründerphase in die Profitabilität finden, ist dabei ebenfalls noch unsicher. Die Entwicklung ist noch nicht so weit fortgeschritten, als dass man dies seriös beurteilen könnte. In beiden Fällen gibt es Unterschiede, und vor allem unterschiedliche Zielmärkte und Mobilitätsbedürfnisse, aber auch viele Gemeinsamkeiten, was z. B. Struktur und Geschäftsmodelle der jeweiligen Betreiberfirmen betrifft. Die Internationalisierungsversuche chinesischer bzw. asiatischer Firmen auf dem europäischen Markt haben zudem gezeigt, dass Konzepte, die in Metropolen wie Beijing, Shanghai oder Singapur funktionieren, nicht zwangsläufig auch für Städte wie London, Paris oder Berlin attraktiv sind, vielleicht noch weniger in Mittel- und Kleinstädten. Hier sind bislang stationäre Betreiber wie nextbike, z. B. durch langjährige Kooperationen mit Kommunen und Verkehrsunternehmen, deutlich nachhaltiger und solider unterwegs, auch wenn sie längst nicht mit der Dynamik und den Milliardeninvestitionen aufwarten können, wie sie in Asien und Amerika üblich scheinen. Letztendlich entscheiden aber wohl nicht allein Kapital und Marketingmacht, sondern schlichtweg Kundenakzeptanz. Dazu zählt auch, die Bedürfnisse, Bedenken sowie Nutzerverhalten und Verkehrsverflechtungen des Zielmarktes zu verstehen. Der deutsche E-Tretroller-Anbieter Circ (ehem. Flash) strebt beispielsweise aktive Kooperationen mit Verkehrsbetrieben an. So ist das Unternehmen ebenfalls Mitglied des Internationalen Verbands für öffentliches Verkehrswesen (UITP) und des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), „um nahtlose Fahrten zwischen verschiedenen Verkehrsträgern zu fördern, und diese Verbindungen weiter zu stärken“ [3]. In der Schweiz arbeitet Circ bereits mit den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) zusammen: Fahrgäste mit einem SBB-Zugticket können demnach einen Circ-Tretroller nutzen, um vom Bahnhof zu ihrem Zielpunkt zu gelangen. Die Beteiligung der An- Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 81 Mikromobilität MOBILITÄT bieter am öffentlichen Diskurs und in nationalen Fachgremien scheint im bereits stark regulierten und gut organisierten Mobilitätsmarkt Europa demnach sinnvoll. Kommunen sollten bei der Vergabe von Lizenzen darauf achten, dass fachlich engagierte und kooperative Betreiber besondere Beachtung finden. Das bisherige Vorgehen der Kommunen, mit Lizenzen und strikten Regulierungen dem E-Tretroller-Hype zu begegnen, scheint sich zu bewähren. Ein Chaos, wie es bei den „dockless“ Bikesharing-Angeboten noch der Fall war, ist bei den E-Tretrollern nicht in gleichem Ausmaß zu erwarten. Das Problem der „Letzten Meile“ Kommunen sollten als Kenner ihrer örtlichen Gegebenheiten ebenfalls genau abwägen, inwieweit E-Tretroller das bestehende Mobilitätsangebot sinnvoll ergänzen können. Eines der Hauptargumente der Befürworter und internationalen Anbieter von E- Tretrollern und Bikesharing-Angeboten ist die Lösung des Problems der „Letzten Meile“, also den Anschlusswegen von und zur ÖPNV/ SPNV-Haltestelle. Die „Letzte Meile“ ist tatsächlich oft ein Argument, das dazu genutzt wird, die Nichtnutzung des ÖPNV für die Durchführung der täglichen Wege zu rechtfertigen, wie Mobilitätsbefragungen immer wieder zeigen. Schaut man jedoch auf die ÖPNV-Netzdichte deutscher Städte sowie auf die Qualitätsstandards der allermeisten Nahverkehrspläne, stellt man in der Regel Haltestellenabstände zwischen 300 bis 400 m (Bushaltestellen) und 1.000 m (Stadt-/ U-Bahn) fest. Nun ist nicht zu verhehlen, dass die hiesigen ÖPNV-Netze nicht immer den allgemeinen Ansprüchen und Standards genügen, und teilweise lassen die Bedienungshäufigkeit sowie die Verlässlichkeit der Bedienung vieler Haltepunkte arg zu wünschen übrig. Dennoch sind gerade im städtischen Raum die objektiven „Letzte Meile“-Probleme gering, vor allem im Vergleich zu nordamerikanischen oder chinesischen ÖPNV-Netzen, bei denen zwischen Metro- oder Bushaltestellen gern schon mal mehrere Kilometer liegen. In Deutschland liegen die Probleme eher im Bereich des zeitnahen und sicheren Anschlusses und Umstiegs sowie an der generellen Bedienungshäufigkeit einzelner Haltestellen, welche das Reisen mit dem ÖPNV erschweren. Außerörtliche Bereiche, wo Haltestellendichten, Anschlüsse und Verbindungen die größten Hemmnisse darstellen, sind zudem nicht die Hauptstandorte der Sharing-Anbieter. Hier müssen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger unter Betrachtung der Mikromobilitätsangebote nachsteuern und auch sichere Abstellmöglichkeiten an den Haltestellen für Fahrräder und Kleinstfahrzeuge schaffen. Darüber hinaus sollten Verkehrsunternehmen generell ihre Beförderungsbestimmungen anpassen bzw. erweitern und die Mitnahme von Kleinstfahrzeugen im ÖPNV zulassen (Bild 1). Unbestreitbar werden durch E-Tretroller und andere Angebote die Wege von und zur Haltestelle kürzer bzw. schneller. Den eigentlichen Fußweg von fünf bis 15 Minuten in einem Bruchteil der Zeit per E-Tretroller zu substituieren hat seinen Charme und stellt definitiv für einen Teil der heutigen ÖPNV- Nutzer eine Verbesserung ihres Komforts und ggf. der persönlichen Zeitplanung dar. Doch ist dieses Problem eines, das längst nicht jeden städtischen ÖV-Nutzer betrifft. Witterung, Länge und Topographie des Weges, Wegebeschaffenheit und nicht zuletzt das individuelle Sicherheitsgefühl sind bei Wahl für oder gegen die Nutzung eines E- Tretrollers ebenso von Bedeutung. Zudem stellt sich die Frage, wie viele neue Fahrgäste den Umstieg von Auto auf ÖPNV durchführen, sollten sie ein attraktives Netz und eine hohe Verfügbarkeit von Leihrädern und E-Tretrollern vorfinden, welche sie im Zweifel bis vor die eigene Haustür bringen. Eine Studie verschiedener anglo-amerikanischer Großstädte im Jahr 2015 [4] hatte ergeben, dass Bikesharing-Systeme zur überwiegenden Mehrheit Wege im ÖPNV und Fußverkehr kannibalisieren. Sprich, der ÖPNV hat in Kombination mit Bikesharing-Angeboten sogar Fahrgäste verloren. Der Anteil neu generierter Wege (Induzierter Verkehr durch Bikesharing) am Gesamtwegeaufkommen lag bei allen untersuchten Städten bei unter 10 %. Deutsche Erkenntnisse liegen hierzu noch nicht vor. Umfragen in Deutschland aus dem Juli 2019 [5, 6] zeigen zumindest, dass zunächst der Spaß-Effekt eine große Rolle spielt. Die Kernzielgruppe für Hersteller und Händler in der Nutzung von E-Tretrollern bilden die Lifestyle-Segmente der „Trend Surfers“, „Alphas“ und „Idealists“. Bei den Trend Surfers liegt dies auf der Hand - sie sind jung, lieben alles, was neu und cool ist, und sind entsprechend technikbegeistert. Die Gruppe der Alphas ist hingegen zahlungskräftiger und statusorientierter, legt aber auch Wert auf den Spaß-Faktor und liebt neue (technische) Gadgets. Die Idealists ticken grundsätzlich anders, Umweltbewusstsein ist ein zentraler Wert - aber auch diese Zielgruppe ist erlebnisorientiert.-[6] Auch wenn E-Tretroller als Verkehrsmittel teilweise anders als das klassisches Bikesharing zu handhaben sind, ist gerade die Verknüpfung mit dem ÖPNV als willkommene Ergänzung anzusehen. Dass aber der ÖPNV durch E-Tretroller-Angebote nun deutlich an Attraktivität und Fahrgästen - ganzjährig gewinnt, weil das große ÖV- Handicap der bisher nicht vorhandenen Tür-zu-Tür-Bedienung eliminiert wird, ist auch in Deutschland wohl nicht zu erwarten. Im Gegenteil ist davor zu warnen, dass jene Angebote in Kombination mit dem vermehrten Aufbau multimodaler Haltestellen dazu führen, dass Qualitätsstandards im ÖPNV mittelbis langfristig aufgeweicht werden. Wer braucht schon alle 300 bis 500-m eine Haltestelle, wenn 1 bis 2 km per E-Tretroller problemlos zu bewältigen sind? Wozu wird eine lokale Stadtbuslinie noch benötigt, wenn die Verknüpfung zwischen SPNV und (fremdfinanziertem) E-Tretroller-Verleih so viel günstiger ist? Werden Zubringerfunktionen zu übergeordneten Verknüpfungspunkten bald durch Mikromobilitätsangebote übernommen? Es wird erfahrungsgemäß Entscheidungsträger geben, die gegenüber solch einer Argumentation positiv eingestellt sind und nun eine Chance wittern, defizitäre ÖPNV-Angebote durch „Letzte Meile“-Angebote zu substituieren. Bild 1: Leicht von Fahrgästen zu prüfende Mitnahmeregelung an Stationen in Singapur Quelle: www.lta.gov.sg Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 82 MOBILITÄT Mikromobilität Die Autoren begrüßen aber ausdrücklich, dass Anbieter ihre Fahrzeuge auch am Stadtrand positionieren. So macht es etwa Voi in Hamburg: In den Stadtteilen Berne und Poppenbüttel helfen die E-Tretroller der schwedischen Marke den Anwohnern dabei, die Strecke zwischen Haus und Haltestelle zu bewältigen. „Wir planen, uns Stück für Stück in die Außenbezirke vorzuarbeiten“, sagte Christopher Kaindl, DACH- Marketingchef bei Voi und setzt ganz bewusst auf die Kooperation mit der Hamburger Hochbahn AG. Sharing versus Selbstbesitz E-Tretroller-Nutzer sind prinzipiell in zwei Gruppen zu unterteilen. Zum einen diejenigen, welche ausschließlich Sharing-Angebote nutzen (wollen), und denen, die einen eigenen E-Tretroller im Besitz bevorzugen, bzw. anschaffen müssen, wenn sie in städtischen Außenbereichen oder in ländlichen Regionen leben, in denen es überwiegend (noch) keinerlei Sharing-Angebote gibt. Für Berufspendler, welche E-Tretroller alltäglich bzw. in regelmäßig hoher Frequenz benutzen, amortisiert sich der Kauf eines eigenen E-Tretrollers gegenüber den ständigen Leihgebühren schnell. Leichtes Gewicht und geringe Größe bieten hier zusätzliche Vorteile gegenüber Fahrrädern oder E-Bikes, die auch bei kombinierter Nutzung mit dem ÖPNV stressfreier und teils ohne teure Zusatztickets transportiert werden können. Für Kommunen und Entscheidungsträger bedeutender ist indes die Zielgruppe der Sharing-Nutzer. Diverse Verkehrsexperten gehen von einem in Zukunft generell steigenden Anteil der Shared-Mobility- Nutzer aus, sowohl was Leihfahrräder oder Car-Sharing betrifft, als eben auch neue Mikromobilitätsangebote. Hier bestehen allerdings bisher in Europa noch keine umfassenden Untersuchungen zu Nutzergruppen und jeweiligen Potentialen. Erste Untersuchungen in europäischen Großstädten zeigen aber, dass Wachstumspotentiale sehr unterschiedlich ausfallen und bislang keinen revolutionären Einfluss auf die urbane Mobilität besitzen. [7] In der Regel handelt es sich meist neben einem Kern treuer Sharing-Enthusiasten vornehmlich um Gelegenheitsnutzer oder auch Besucher/ Touristen, welche die Leihangebote einem Selbstbesitz aus naheliegenden Gründen vorziehen (z. B. auch auf Universitätsgeländen). Aufgrund der jedoch recht geringen Anschaffungskosten speziell bei E-Tretrollern ist es fraglich, inwiefern das Sharing darüber hinaus ein zukunftsfähiges Serviceangebot ist und bleibt, oder ob das Nutzerpotential nach anfänglichem Hype auf ein geringeres Niveau zusammenschrumpft. Andererseits wird auch die Meinung vertreten, E-Tretroller könnten zusammen mit E-Bikes die Verkehrswende „von unten“ maßgeblich mit anschieben. Auf alle Fälle sollten alle Verkehrsteilnehmer (und Auguren) gelassener mit Neuerungen umgehen, ihnen und den Nutzern längere Eingewöhnungszeit gönnen; schnelle Umfragen, Statistiken und Angst sind noch keine guten Berater. Kommunen müssen in genauer Abwägung entscheiden, ob und in welcher Form Sharing-Angebote unterstützt oder gefördert werden, z. B. in Zusammenhang mit umfassenden MaaS-Anwendungen. Diese Angebote und vor allem die angekündigten Leasing-Modelle einiger Anbieter [8] können nur wirtschaftlich erfolgreich betrieben werden, sofern der Selbstkauf aus regulatorischen, finanziellen oder rein pragmatischen Gesichtspunkten unattraktiver für den Großteil der Nutzer ist. Mit den neu aufgestellten bundesweiten Regelungen ist dies jedoch bislang nicht geschehen. Leasing-Angebote sind deshalb wahrscheinlich auf eher teure Luxusmodelle oder wie der in den USA zugelassene Bogo-Tandem-E- Scooter [9] (mit einem zusätzlichen festen Lenker) begrenzt oder werden nur eine temporäre Erscheinung sein. Einzig die Versicherungspflicht stellt ein kleineres Hindernis für Selbstkäufer dar und möglicherweise können über Versicherungspolicen, welche Sharing-Anbieter finanziell gegenüber Selbstbesitz bevorzugen, bestimmte Vorteile ausgespielt werden. Ähnlich den Erfahrungen aus China und den USA folgend, wird es höchst wahrscheinlich über kurz oder lang auch in Deutschland wieder zu einer Reduzierung des Anbieterfeldes kommen. Es ist zu erwarten, dass sich einzelne Wettbewerber im Sharing-Markt zusammenschließen oder sich auch wieder komplett zurückziehen. Dass über einen langfristigen Zeitraum teils acht oder mehr Anbieter in einer Stadt operieren, ist mit Blick auf die Erfahrungen anderer Länder eher unwahrscheinlich. Kommunen sollten sich dessen bewusst sein und sich deshalb möglichst anbieterneutral aufstellen. Dies gilt insbesondere für die Verknüpfung mit dem ÖPNV und anderen städtischen Mobilitätsangeboten, als auch für die Bereitstellung exklusiver Infrastruktur, wie z. B. anbietergebundene Ladestationen, Stellplätze und Ähnliches. Lizenzvergaben für limitierte Zeiträume und Regulierungen der Stückzahlen und des Flottenmanagements, wie sie bereits größtenteils praktiziert werden, sind auch in Deutschland zu empfehlen. Dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass gerade bei Tretrollern und Fahrrädern die Größe der bereitgestellten Fahrzeugflotten stark flukturieren. [7] Um jedoch keinen Flickenteppich an unterschiedlichsten Regelsystem und Verordnungen entstehen zu lassen, haben Deutscher Städtetag (DST) und Deutscher Städte- und Gemeindebund (DStGB) zusammen mit den Anbietern von E-Tretroller-Verleihsystemen (Circ, Lime, TIER und Voi) das Memorandum of Understanding „Nahmobilität gemeinsam stärken“ [10] erarbeitet und herausgegeben und damit bundesweit praktikable einheitliche Vorgehensweisen kommuniziert, die jedoch weder für Kommunen noch für Anbieter von E-Tretroller-Verleihsystemen bindend sind. Darin werden behandelt: Bedarfsermittlung und Geschäftsgebiet; Auf- und Abstellstandorte und Fahrverbotszonen; ÖPNV-Integration; Datenbereitstellung und -auswertung; Datenschutz; Umverteilung, Wartung, Reaktionszeiten und Entsorgung; Kommunikation zwischen Anbietern und Kommunen; sowie Beschwerdemanagement, Bürgerkommunikation, Verkehrssicherheit und Unfallprävention. Diese Grundlagen sind genau der richtige Weg, denn für Betreiber wie auch für Nutzer sind einheitliche und verlässliche Standards entscheidend für die Attraktivität und Planbarkeit des Serviceangebots, auch über die eigenen Stadtgrenzen hinaus. Integration ins städtische Mobilitätsangebot Kommunen und Planer sollten offen an die neuen Mobilitätsangebote herantreten. Stationäre Leihfahrräder haben bereits gezeigt, dass Kooperationen zwischen Anbietern, Kommunen, Aufgabenträgern und Interessenverbänden sinnvoll funktionieren können - wenn auch bisher mit allgemein betrachtet überschaubaren Auswirkungen auf die städtische Mobilität. Die Dockless- Bike-Versuche ausländischer Anbieter in Europa sowie die Beispiele aus den USA und China haben zuletzt auch aufgezeigt, wohin wenig bis keine erfolgte Abstimmungen mit Stadtverwaltungen gepaart mit fehlender Transparenz führen können. Für Betreiber von Mikromobilitätsangeboten ist es demnach absolut zwingend, mit den Kommunen von Anfang an eng zusammenzuarbeiten. Für Kommunen wiederum gilt, die Angebote sinnvoll in die bestehende Planung und Stadtentwicklung zu integrieren. Beispiele wie im Münchener Stadtquartier Schwabinger Tor [11] zeigen, dass auch über querschnittsorientierte Ansätze nachgedacht werden sollte. So wird dort in einem kleineren Bereich, in dem keine privaten PKWs abgestellt werden dürfen, mit E-Tret- Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 83 Mikromobilität MOBILITÄT rollern der Firma Hive ein alternativer Ansatz der Nachbarschaftsbzw. Nahmobilität getestet. Zukünftig könnten auch im Zuge aktueller Diskussionen um City-Maut und innerstädtische Fahrverbote die Bereitstellung und aktive Integration von E-Tretroller-Verleihsystemen mit geplant werden. Durch Fahr- und Parkverbote frei werdende Verkehrsflächen sollten für alternative Mobilitätsangebote genutzt werden. Die Investitionen, die viele Kommunen heute schon in den Radverkehr tätigen, werden auch E-Tretrollern & Co. zu Gute kommen. Dies betrifft vor allem den Radwegeausbau und die Planung von Radschnellwegen. Lückenlose Radwegenetze sind auch hier für die Nutzung der Tretroller von hoher Attraktivität. Eventuell ergeben sich hier im Rahmen von Pilotphasen aber auch noch weitere Netzlücken, die man im Zuge bisheriger Radverkehrsplanungen noch nicht identifiziert hat. Weiterhin müssen auch Konfliktpotentiale zwischen Fahrrädern und E-Tretrollern thematisiert werden. Ob die derzeit geplanten Radverkehrswege ausreichend dimensioniert sind, wenn sie sich mit weiteren Formen der Mikromobilität den Platz teilen müssen, ist eine offene Frage, die neben weiteren Untersuchungen vor allem erst einmal Praxiserfahrungen bedarf. Ebenso ist das Vorhalten von Stellplätzen an wichtigen Einrichtungen, Bahnhöfen und ÖPNV Verknüpfungspunkten mit zu bedenken. Ob nun für E-Tretroller oder eines Tages für andere Formen der Mikromobilität, ist dies sicher keine Fehlinvestition. Neben dem Radwegeausbau sollte aber auch der Fußverkehr nicht vernachlässigt werden. Ausreichend dimensionierte Gehwege, die im Zweifel auch mal das Abstellen von E-Tretrollern oder Leihfahrrädern ohne direkte Behinderung und Barrierewirkung erlauben, sollten Eingang in Richtlinien und Standards finden. Ein simples Abstellverbot auf Gehwegen und am Rand von Fußgängerzonen erscheint vielleicht kurzfristig und pragmatisch sinnvoll, ist aber sicher keine dauerhafte Lösung, setzt man ernsthaft auf nachhaltige Mobilitätsveränderungen. Sinnvoll erscheint vielmehr, dass E-Tretroller, wenn kein ausgewiesener Radweg vorhanden ist, nicht nur auf der Straße fahren, sondern auch dort parken sollen; hierzu bieten sich - wie es bereits für Leihfahrräder geschieht - ehemalige Stellflächen z. B. in Parkstreifen an (Bild 2). Nicht sinnvoll oder gar behindernd ist dagegen das Abstellen von Tretrollern zwischen geparkten PKWs. Auch die Verkehrsunternehmen des ÖPNV sollten in die Planung mit eingebunden werden. Bürokratischer Nonsens, wonach E-Tretroller beispielsweise rechtlich als E-Bikes geltend von einer Beförderung in Bussen ausgeschlossen werden sollen [12, 13], helfen keinem und führen wohl eher zu Attraktivitätsverlusten des ÖPNV. Letzten Endes gilt es für Kommunen bei aller Unsicherheit auch zu bedenken, dass shared E-Tretroller und Bikes weitestgehend privatfinanzierte Dienstleistungen sind, mit denen Städte und Gemeinden nur bedingt langfristig planen können. Es ist ungewiss, vor allem ohne seriöse Abschätzung des tatsächlichen Potentials, inwieweit die Angebote nachhaltig und dauerhaft die urbane Mobilität bereichern. Das Beispiel des Bikesharings in China und vor allem ihre internationalen Exportversuche haben gezeigt, dass die Betreiber nicht immer vordergründig am eigentlichen Mobilitätsservice interessiert sind und noch einige Konsolidierungsphasen überstehen müssen. Um Bikesharing oder E-Tretroller-Sharing gewinnbringend zu betreiben, muss Mobilität eben nicht nur angeboten, sondern auch verstanden werden. Das Ausgeführte gilt im Übertragenen gleichermaßen für alle genannten und ggf. weiteren Sharing-Fahrzeuge. Strategien für deutsche Anwenderkommunen Kommunalverwaltungen und dortige Beteiligte des ÖPNV - im Weiteren auch potentielle Betreiber sowie Interessenverbände u.-ä. - sollten gemeinsam vor Zulassung und Inbetriebnahme strategische Überlegungen anstellen, welche Auswirkungen und Konsequenzen neue Mobilitätsformen in den jeweiligen Gebietskörperschaften haben könnten. Dies kann vor allem folgende Grundsatzaspekte betreffen: • Rentabilität und Akzeptanz bestehender Mobilitätsangebote • Potentialabschätzungen neuer Angebote wie E-Tretroller unter Beachtung möglicher Kannibalisierungseffekte • Analyse von lokalen Chancen und Risiken für den Einsatz neuer Mobilitätsformen • Abgrenzung oder Integration mit bestehenden Mobilitätsangeboten, wie z.B. ÖPNV • Bereitstellung von Angeboten durch private Firmen oder eigenes Management durch kommunale Gesellschaften • Förderung von Selbstbesitz (z. B. durch öffentliche Ladestationen, Abstellanlagen, usw.) oder Sharing-Angeboten? • Lokale Förderung abgeleitet aus den genannten Zielen in vorliegenden: Verkehrsentwicklungsplänen, Klimaschutzkonzepten oder der Luftreinhalteplanung usw. Darüber hinaus sollten Kommunen frühzeitig den Dialog mit Bürgern und Interessenverbänden suchen, um eine gesteigerte Akzeptanz neuer Mobilitätsformen zu erreichen. Die derzeitige Praxis der Konzessionierung und Lizenzierung der Anbieter und das Festlegen von Fahrzeugeigenschaften und -kontingenten ist hier ein wichtiger Schritt, um chaotische Zustände sowie überwiegend negative Reaktionen der Öffentlichkeit, wie zuvor bei den asiatischen Bikesharing-Anbietern, zu vermeiden. Von steigenden Unfallzahlen mit Tretrollerfahrern sollte man sich nicht abschrecken lassen. Dass es dazu kommt, ist zwar im Einzelfall bedauerlich, aber ein Anstieg der Zahlen scheint zunächst einmal unvermeidbar, da diese Verkehrsmittel bislang nicht existent waren. Sehr wohl bedarf es aber seitens der Anbieter deutlicher Hinweise auf die Verkehrsregeln und spezielle Verletzungsgefahren. Die Forderungen nach Helmpflicht und Blinkern sind nachvollziehbar. Eine Evaluierung durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird zu gegebener Zeit erfolgen. Mobilitätsdaten Ein weiterer Aspekt bei der Bereitstellung von Sharing-Angeboten ist die Generierung von Daten. Wie z. B. in der Hansestadt Hamburg [14], sollten Kommunen weitere Vereinbarungen, die über die grundsätzlichen Regelungen der eKFV hinausgehen, mit den jeweiligen Anbietern treffen. Damit können sich Kommunen den Zugriff auf anonymisierte Mobilitätsdaten sichern, um Bild 2: Umwandlung von Autostellplätzen in StadtRad-Ausleihflächen in Hamburg. Genauso sollten sie für Leih-Tretroller u. a. geschaffen werden. Foto: Rainer Hamann, 2019 Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 84 MOBILITÄT Mikromobilität die städtische Mobilität effektiver zu planen und andere, evtl. konkurrierende oder ergänzende Angebote anzupassen. Im Zuge der Neuaufstellung oder Fortschreibung von Verkehrsentwicklungsplänen, Klimaschutzplänen oder Mobilitätskonzepten können diese Daten ausgewertet und somit in die mittelbis langfristige Planung mit eingebunden werden. Ebenso können auf dieser Basis - analog zu Fahrgastzählungen im ÖPNV - Konzessionen, Flottenmanagement und die Anzahl der Fahrzeuge im Bereich der Mikromobilität fortlaufend angepasst werden. Ähnlich dem Modell der „Fahrradfreundlichen Städte“ sollten Kommunen zudem in Zeiten der viel propagierten „Verkehrswende“ MaaS-Strategien entwickeln und sich so frühzeitig Vorreiterrollen und etwaige Innovationscluster sichern. Dies muss nicht nur für Großstädte interessant sein (Bild 3), sondern bezieht sich ebenso auf innovative Lösungsansätze in ländlichen Bereichen. Hierzu können Daten, insbesondere aus alternativen Mobilitätsangeboten wie Car-/ Bike-/ Scooter-Sharing außerordentlich hilfreich für die langfristige Verkehrsplanung sein. Anpassungen im (halb-)öffentlichen Raum Da das Befahren öffentlicher Verkehrsflächen und das Abstellen von E-Tretrollern und anderen Elektrokleinstfahrzeugen - analog zu Fahrrädern - unter den sogenannten Gemeingebrauch fällt, benötigen die Anbieter hierfür keine gesonderte Genehmigung. Dennoch ist es aus kommunaler Sicht sinnvoll, eine „Übernutzung“ öffentlicher Wege und Plätze durch einen bunten Mix an unterschiedlichen Fahrzeugen zu Begrenzen. In der Stadt Ulm wurden beispielsweise im Rahmen einer Pilotphase bestimmte Flächen, insbesondere Bahnsteige, öffentliche Plätze sowie das Donauufer für das Abstellen von Leih-Tretrollern gesperrt. Dies ermöglicht die GPS-Navigation der Roller, die ein Absperren und damit Beenden der Ausleihdauer in den gesperrten Gebieten verhindern kann. [15] Gleichzeitig gilt es natürlich darauf zu achten, dass die vermeintliche Lösung der „Letzten Meile“ nicht weitere letzte Meilen oder Meter verursacht, die weder Nutzern noch Anbietern in effektiver Form helfen. Übrigens gibt es für Berlin eine öffentlich einsehbare Animation, wie die Verteilung der E-Scooter im gesamten Stadtgebiet über den gesamten Tag aussieht. Um „wildes“ bzw. ungewolltes Abstellen in stark frequentierten öffentlichen Bereichen zu vermeiden, sollten Kommunen, ebenso wie Anbieter (proaktiv) mit privaten und kommunalen Grundstücksbesitzern erörtern, inwieweit Parkbzw. Abstell- und Ladeanlagen auf Grundstücken auf freiwilliger Basis eingerichtet werden können. Somit können ggf. Stellplatzanlagen vom öffentlichen Straßenraum in weniger frequentierte Bereiche verlagert werden, wie z. B. in Tiefgaragen, Parkhäuser oder Garagenhöfe - sofern dies technisch und praktisch machbar ist. Solch ein Parkmanagement wird nicht nur für Sharing-Konzepte empfohlen, sondern begünstigt ebenso private Nutzer eigener Fahrzeuge, beispielsweise vor Supermärkten, Shopping Malls, öffentlichen Einrichtungen, Cafés und Restaurants, etc. Des Weiteren ist ein aktives Flottenmanagement durch Sharing-Betreiber zwingend einzusetzen. Auch hier sollten die Kommunen in regelmäßigem Austausch mit Betreibern sowie unter zugrunde legen der Nutzerbzw. Mobilitätsdaten, Vorgaben machen. Dies kann u. U. flexibel, je nach Bedarf bzw. Datenanalysen geschehen. Dadurch können Unter- und Überangebote von Fahrzeugen beseitigt und ein Zustellen von Geh- und Radwegen vermieden werden. In China und den USA haben sich außerdem Strafenkataloge für Sharing-Unternehmen bewährt, die dafür sorgen müssen, dass Fahrzeuge nicht zu einem Sicherheitsrisiko werden und Grünanlagen oder Gewässer „vermüllen“. Sicherheit und Kommunikation Eine erste Studie aus den USA fand heraus, dass ca. ein Drittel aller registrierten Unfälle bei der ersten Nutzung sowie weitere 30 % bei weniger als neun Nutzungen auftreten, was Fragen der Sicherheit und fehlendem/ unzureichendem Sicherheitstraining aufwirft. [16] In der deutschen eKFV sind sicherheitsrelevante Aspekte der Fahrzeugbeschaffenheit zwar teilweise strikter ausgelegt als in den USA; jedoch ist auch in Deutschland kein Sicherheitstraining, wie es beispielsweise in Grundschulen zum Radfahren angewandt wird, vorgeschrieben. In Bezug auf die Nutzung von Leih-Tretrollern ließe sich so etwas auch praktisch kaum realisieren und kontrollieren. Sicherheitstechnische Anpassungen oder technische Voraussetzungen der Gefährte, die über die derzeitige eKFV hinausgehen, sollten daher vorab mit Bürgern bzw. potentiellen Nutzern diskutiert und in Zusammenarbeit mit den Anbietern abgewogen werden. Hier haben die Entscheidungsträger diverse Steuerungsmöglichkeiten. Als ein wichtiger Aspekt der Aufklärung und Sensibilisierung für Unfallrisiken sollten Kommunen in jedem Fall in Zusammenarbeit mit den Sharing-Anbietern zielgruppenorientierte Marketingkampagnen aufsetzen (Bild 4). Dies passiert bereits bei einigen größeren Anbietern innerhalb der Mobil-App, die zum Freischalten eines Tretrollers benutzt werden muss. Dies kann somit bei Lizenzvergaben in den jeweiligen Konzessionsgebieten vorgeschrieben werden. Mittelfristig sollten jedoch auch in Schulen und in der generellen Öffentlichkeit (Zeitungen, Plakate, Broschüren usw.) Maßnahmen in Erwägung gezogen werden. Fazit Tretroller und andere elektrifizierte Mikromobile werden im künftigen Mobilitätsmix eine Rolle spielen. Wie bedeutend diese Rolle wird und inwiefern die Popularität nach dem ersten Hype anhält, kann noch nicht abschließend bewertet werden. Internationale Beispiele haben gezeigt, dass der Erfolg durch private Anbieter stark von Geschäftsmodellen und Kooperationswillen abhängt. Hier gilt: Wer aktiv mit Entscheidungsträgern und anderen Mobilitätsanbietern zusammenarbeitet, ist langfristig erfolgreicher. Bild 3: Jelbi-App für Berlin - Integration verschiedener Mobilitätsangebote in einer App Quelle: Screenshot Jelbi App Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 85 Mikromobilität MOBILITÄT Viel hängt ebenso davon ab, wie Entscheidungsträger und Öffentlichkeit mit dem Thema umgehen und welche Regelwerke und Hilfestellungen Anbietern und Nutzern an die Hand gegeben werden. Hier ist es Aufgabe der Kommunen, sinnvolle Regeln mit Augenmaß aufzustellen, um einerseits neue Innovationen und Mobilitätsalternativen im Zuge von Klimaschutz- und Feinstaubdiskussionen nicht von vorne herein zu verprellen und gleichzeitig bereits bestehende Angebote nicht unnötig zu konkurrenzieren. Dies ist ein Balance-Akt, der nicht immer und überall zur vollsten Zufriedenheit per Patentlösung zu meistern ist. Es ist daher wichtig, dass alle Akteure strategisch und mit Unterstützung durch fachliches Knowhow in den Kommunen eingebunden werden und vor Ort Lösungen finden, die den Nutzerwünschen und dem öffentlichen Interesse entsprechen. Hier bestehen vor allem zwischen Großstädten, kleineren Städten und Gemeinden erhebliche Unterschiede, sowohl was die Mobilitätsbedürfnisse als auch die Infrastruktur betrifft. Die eKFV hat nun einen ersten Rahmen gesteckt, der es den Gebietskörperschaften erlaubt, ihren Mobilitätsmix zu erweitern. Hier können künftig verschiedene Formen der Nutzung und Bewirtschaftung entstehen, wovon sich einige bewähren, andere wiederum nur von kurzer Dauer sein werden. Ein generell offener Experimentierwille kann helfen, adäquate Angebote für deutsche Städte und Gemeinden herauszufiltern. Drei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung soll eine Evaluierung durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) durchgeführt werden, in der bisher gesammelte und relevante Daten ausgewertet und ggf. die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) überarbeitet werden sollen. Wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung. ■ 1 Internationales Verkehrswesen (71) 3, S. 48-53 QUELLEN [1] Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019 Teil I Nr. 21, ausgegeben zu Bonn am 14. Juni 2019, Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr und zur Änderung weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 06.06.2019; www.bgbl.de/ xaver/ bgbl/ text.xav? SID=&tf=xaver.component. Text_0&tocf=&qmf=&hlf=xaver.component.Hitlist_0&bk=bgbl&star t=%2F%2F*%5B%40node_id%3D%27446798%27%5D&skin=pdf&tle vel=-2&nohist=1 [2] Kommunal, Bikesharing: Fahrräder verstopfen unsere Städte, 08.11.2017; https: / / kommunal.de/ bikesharing-fahrraeder-verstopfen-unsere-staedte [3] t3n, Floemer, Circ, Tier, Lime und viele weitere: Diese E-Tretroller- Verleiher starten in Deutschland durch, 27.06.2019; https: / / t3n.de/ news/ e-scooter-e-tretroller-sharing-anbieter-deutschland-circ-lime-tier-1170978 [4] Journalist’s Resource, Kille, Bikeshare systems: Recent research on their growth, users’ demographics and their health and societal impacts, 2015/ 05/ 06; https: / / journalistsresource.org/ studies/ environment/ transportation/ bikeshare-research-growth-user-demographics-health-societal-impacts [5] Nier: E-Scooter: Eher ein Vergnügen als Öko-Fortbewegungsmittel, statista, 09.07.2019; https: / / de.statista.com/ infografik/ 18641/ einstellung-zu-e-rollern [6] GFK SE Pressemeldung zur GfK Studie “Get the E-Scooter rolling”, E-Scooter: Freizeitspaß oder New Mobility? Nürnberg, 17.09.2019; www.gfk.com/ de/ insights/ press-release/ e-scooter-freizeitspassoder-new-mobility [7] Sutter, Maurer, Mayer: Shared Mobility, Kollaborative Mobilitätsservices europäischer Städte im Vergleich. Internationales Verkehrswesen, Heft 2, 2019 [8] So will etwa die Firma IO Hawk in Moers ihren hochwertigen E- Tretroller „Exit Cross“ im Leasing anbieten. Rheinische Post online, Reimann, Anbieter in NRW machen sich bereit für E-Tretroller-Verleih, 03.04.2019; https: / / rp-online.de/ nrw/ panorama/ e-scooter-innrw-anbieter-wollen-verleih-in-koeln-duesseldorf-und-co_aid- 37860921 [9] netzwelt.de, Michael Knott: Stretch-Limo: E-Scooter für zwei Personen soll unsere Sicherheit erhöhen 3.7.19; https: / / www.netzwelt.de/ elektro-scooter/ 1 7 1648-stretch-limo-e-scooter-zwei-personen-sicherheit-erhoehen.html und ebike-news.de, Andreas Susana, Bogo bringt einen Tandem E-Scooter in amerikanische Städte, 09.07.2019; https: / / ebike-news.de/ bogo-tandem-e-scooter/ 182766 [10] Memorandum of Understanding zwischen Deutscher Städtetag (DST), Deutscher Städte- und Gemeindebund (DStGB) und Anbietern von E-Tretroller-Verleihsystemen (Circ, Lime, TIER und Voi), Nahmobilität gemeinsam stärken, 26.08.2019 [11] Handelsblatt: E-Scooter von Hive für München und Hamburg, 09.04.2019; www.handelsblatt.com/ unternehmen/ dienstleister/ pilotprojekt-e-s cooter-von-hive-fuer-muenchen-und-hamburg/ 24198916.html? ticket=ST-8375505-JEUDLVbmBUMWNFPIba1eap5 [12] Welt, Hunold: Verkehrsbetriebe durchkreuzen Scheuers Rollerpläne, 26.03.2019; www.welt.de/ wirtschaft/ article190819587/ Elektrorollerduerfen-in-manchen-Bahnen-nicht-mitgenommen-werden.html [13] BMVI, Elektrokleinstfahrzeuge - Fragen und Antworten, 02.07.2019; www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StV/ elektrokleinstfahrzeugeverordnung-faq.html [14] newstix.de, Vor dem Start der E-Tretroller in Deutschland: So hat sich Hamburg vorbereitet, 16.06.19 (ar); www.newstix.de/ index.php ? site=&entmsg=true&ref=RNL&mid=457086#sthash.wemwLn1A. dpbs [15] NPG Digital GmbH, Südwestpresse, swp.de, Christoph Mayer: E- Tretroller in Ulm: Stadt stellt sich auf neue E-Scooter ein, 17.05.2019 www.swp.de/ suedwesten/ staedte/ ulm/ e-scooter-in-ulm_-darollt-was-an-30978453.html [16] Austin Public Health: Dockless Electric Scooter-Related Injuries Study, Austin, Texas, September-November 2018, published april 2019 www.austintexas.gov/ sites/ default/ files/ files/ Health/ Epidemiology/ APH_Dockless_Electric_Scooter_Study_5-2-19.pdf Bild 4: PR-Kampagne zur Sicherheit im Straßenverkehr in Singapur Foto: Sebastian Schulz, Singapur, 2019 Sabrina Bayer, Dipl.-Ing. Projektleiterin Verkehrswesen, Straßenbau, Statens Vegvesen, Oslo sabrina.bayer@vegvesen.no Sebastian Schulz, M.Sc. Verkehrsplaner, Obermeyer Engineering Consulting Shanghai Branch sebastian.schulz@opb.de Thomas Schimanski, cand. M.Sc. Verkehrswirtschaftsingenieurwesen, Praktikant und wissenschaftliche Hilfskraft im büro stadtVerkehr, Hilden thomas.schimanski@gmx.net Verena Knöll, B.A. Kulturgeographie, Transformation of urban landscapes, Ruhr Universität Bochum; Tongji University, Shanghai; wissenschaftliche Hilfskraft im büro stadtVerkehr, Hilden verena.knoell@rub.de Rainer Hamann, Dr.-Ing. Senior-Berater Außenstelle Schleswig-Holstein, büro stadtVerkehr Planungsgesellschaft mbH & Co. KG, Karby hamann@buero-stadtverkehr.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 86 MOBILITÄT Wissenschaft Entwicklung von Mobilitätsstrategien auf Basis qualitativer Daten Mobilität, Planung, Strategieentwicklung, SWOT-Analyse, Qualitative Daten Mobilität zu gestalten bedeutet, die subjektiven Möglichkeitsräume der Menschen zu verändern. Effektive Maßnahmen und Strategien benötigten deshalb insbesondere qualitative Daten, um die Mobilität evidenzbasiert planen zu können. Neben der Erhebung und Auswertung ist besonders die Verwendung qualitativer Daten zur Strategieentwicklung bis heute noch unüblich in der praktizierten Stadt- und Verkehrsplanung. Die SWOT-Analyse bietet hierbei für Planende neue Möglichkeiten, sowohl die Bedürfnisse der Menschen als auch die Interessen der Stakeholder für Mobilitätsstrategien zu berücksichtigen. Alexander Rammert, Stephan Daubitz, Oliver Schwedes D ie Entwicklung von Strategien im Verkehrsbereich ist bis heute stark von quantitativen Modellen dominiert. Beispiele hierfür sind die quantitativen Bewertungsverfahren des aktuellen Bundesverkehrswegeplans [1], die massive Nutzung von Verkehrsflussmodellen in der städtischen Verkehrsplanung [2] oder die interpolierten Berechnungen der Emissionsbelastungen [3]. Qualitative Informationen hingegen, wie beispielsweise die subjektive Wahrnehmung der Verkehrsteilnehmenden oder individuelle Einschätzungen von Stakeholdern, spielen für die konkrete Ausgestaltung von strategischen Leitfäden immer noch eine nachgeordnete Rolle. Besonders bei der Mobilität, die im Gegensatz zum Verkehr auch subjektive Möglichkeitsräume abbildet, sind qualitative Daten aber von zentraler Bedeutung, um adäquate Lösungsstrategien zu entwerfen. In diesem Sinne benötigen mobilitätbezogene Maßnahmen das Wissen um die subjektiven Wahrnehmungen und Bedürfnisse der Menschen einerseits und mobilitätsbezogene Strategien das Wissen um die qualitativen Ansprüche und Interessen relevanter Stakeholder andererseits. Erst wenn diese qualitativen Informationen einbezogen werden, wird eine zielorientierte und evidenzbasierte Gestaltung der Mobilität mit Hilfe von Maßnahmen und Strategien möglich. Das Forschungsprojekt „Mobilitätsmanagement - Möglichkeiten und Grenzen verkehrspolitischer Gestaltung am Beispiel Mobilitätsmanagement“ hat sich explizit mit dieser Frage beschäftigt, wie qualitative Daten genutzt werden können, um mobilitätsbezogene Strategien zu entwickeln. Hierbei sollte insbesondere ein Gegenansatz zu den klassischen in der Verkehrsplanung praktizierten quantitativen Methoden der Prognose- und Modellverfahren geschaffen werden. Ein Ergebnis dieses Forschungsprojekts ist ein detailliertes Strategie- und Handlungskonzept, um Mobilitätsmanagement in die deutsche Verkehrsplanung zu integrieren [4]. Die darin enthaltenen Handlungskonzepte und Lösungsstrategien basieren wiederum auf qualitativen Daten, welche mit Hilfe einer SWOT-Analyse - Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen), Threats (Risiken) - in konkrete Handlungsempfehlungen transformiert wurden. Die verwendete Methodenkombination von qualitativer Datenerfassung, SWOT- Analyse und Strategieentwicklung ist in dieser Form einzigartig für den Verkehrsbereich und ermöglicht gänzlich neue Perspektiven auf die Entwicklung mobilitätsbezogener Strategien. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte dieser Methodenkombination näher dargestellt und anschließend die Möglichkeiten und Anwendungsbereiche diskutiert. Ziel dieses Textes ist es, sowohl die Erfassung qualitativer Daten als auch die Durchführung einer SWOT-Analyse als entscheidende Methoden zur Entwicklung von Mobilitätsstrategien zu positionieren. Dieses Vorgehen ist dabei keineswegs auf die Wissenschaft beschränkt, sondern kann von Entscheidungstragenden- in Kommunen und Ländern adaptiert werden, um- die Mobilität in Zukunft zielorientierter gestalten zu-können. Datenerfassung Der erste Schritt, um relevante qualitative Datensätze für eine Maßnahmen- oder Strategieentwicklung zu erhalten, ist die Definition der Zielgruppe. Je nach Erkenntnisinteresse kommen unterschiedliche Untersuchungsgruppen für die Datenerfassung in Frage. Geht es beispielsweise um den Umbau einer Straße zu einer Begegnungszone, sind klassischerweise die anliegenden PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 23.07.2019 Endfassung: 25.09.2019 Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 87 Wissenschaft MOBILITÄT Akteure, wie Anwohnerinnen und Gewerbetreibende, Ziel der qualitativen Datenerfassung. Geht es hingegen um ein stadtweites Mobilitätskonzept, müssen andere Akteure, wie Interessenvertretungen, Verbände und öffentliche Institutionen, ins Auge gefasst werden. Demnach gilt es vor jeder qualitativen Datenerfassung eine Analyse des zielbezogenen Akteursfelds durchzuführen, um alle relevanten Stakeholder in die Strategieentwicklung mit einzubeziehen. Eine bewährte Methode zur Identifikation der relevanten Akteure ist die Politikfeldanalyse [5]. Je nach Untersuchungsgegenstand werden Diskurse, Restriktionen oder Netzwerke betrachtet und für das Politikfeld relevante Akteursgruppen identifiziert. Geht es beispielsweise um eine bundesweite Akteursanalyse im Politikfeld Verkehr, kann die Häufigkeit von Beteiligung an Gesetzabstimmungsverfahren ein Indikator sein, um wirkmächtige Akteure für die deutsche Verkehrspolitik zu identifizieren [6]. Alternativ können auch explorative Verfahren wie Horizon Scanning angewandt werden, um ein möglichst breites und diverses Spektrum an Akteuren, die eventuell in Diskursen und Beteiligungsverfahren unterrepräsentiert sind, zu identifizieren [7]. Je nach Ausrichtung der späteren Strategieentwicklungen kann die passende Methode zur Akteursanalyse genutzt werden, um strategierelevante Akteure zu identifizieren. Durch eine Kombination aus Horizon Scanning und Diskursanalyse konnten für das Untersuchungsfeld „Mobilitätsmanagement in Deutschland“ die folgenden, für eine bundesweite Strategie zentralen Akteure identifiziert werden (Bild 1). Auf Basis des identifizierten Akteursfelds kann im zweiten Schritt die Erhebung qualitativer Daten vorgenommen werden. Je nach Akteurszusammensetzung kommen hierfür verschiedene Methoden der qualitativen Sozialforschung in Frage. Stellt sich das Akteursfeld vielteilig und divers dar, ist die Methode der Experteninterviews ein geeignetes Instrument, um Stellvertretende der verschiedenen Akteure zu untersuchen [8]. Ist das Akteursfeld hingegen stark zielgruppenfokussiert, beispielsweise wenn es um die mobilitätsbezogenen Ansprüche verschiedene sozialer Gruppen wie Sehbehinderte, Senioren oder Schüler geht, eignen sich eher gruppenorientierte Methoden wie die Fokusgruppendiskussion [9]. Je nach Forschungsfrage können auch problemzentrierte oder narrative Interviews zur Anwendung kommen, um die benötigten qualitativen Daten für eine Maßnahmen- oder Strategieentwicklung zu erhalten [10]. Unabhängig davon, welche Methode zur Erfassung genutzt wird, steht am Ende immer ein transkribierter Datensatz, welcher die qualitativen Daten des ausgewählten Akteursfelds abbildet. Im Gegensatz zu quantitativen Methoden geht es hierbei nicht um die statistische Repräsentativität der Daten, sondern um die Generalisierbarkeit. Ziel qualitativer Sozialforschung ist die universelle, typisierende Struktur oder Praktik im Akteursfeld zu identifizieren, ohne dabei auf den hohen Aufwand und die niedrige Erkenntnistiefe quantitativ repräsentativer Erhebungsmethoden angewiesen zu sein [11]. Damit wird die Erhebung qualitativer Informationen insbesondere auch für kommunale Verwaltungen oder Aufgabenträger interessant, da in der Regel weniger Personal- und Kostenaufwand für die Erhebung benötigt wird. Umgekehrt braucht es aber auch die entsprechende Expertise für qualitative Sozialforschung. Statt der Kenntnisse klassischer Verkehrsplanender, wie Verkehrssimulation oder Bauingenieurswesen, brauchen moderne Mobilitätsplanende Kenntnisse in der Erfassung und Auswertung qualitativer Daten. Es ist eine noch unübliche Berufsanforderung in den klassischen Planungsmilieus, was die mitunter hohe Unwissenheit und den fehlenden Gestaltungswillen im Mobilitätssektor erklärt. Ist die qualitative Datengrundlage geschaffen, werden im Anschluss die Informationen für die Strategieentwicklung vorbereitet. Auch hier können je nach Methodik verschiedene Auswertungsverfahren angewandt werden. Zentral ist immer, dass die qualitativen Datensätze in einer wissenschaftlich adäquaten Form kodiert und mit deskriptiven Indikatoren hinterlegt werden [12]. Die Formen der Textinterpretationen müssen gegen- Akteure des Mobilitätsmanagements Politik Verwaltung Beratung Unternehmen Interessenvertretung Forschung Bundespolitik Verkehrsnutzer Betriebliche Anwendung Privatwirtscha lich Bundesverwaltung Verkehrswissenscha Nahverkehrsunternehmen Mobilitätsdienstleister Kommunale Wirtscha sförderung Verkehrsumwelt Automobilhersteller Ö-entlich Kommunalverwaltung Kommunalpolitik Bild 1: Relevante Akteure für eine bundesweite Integration von Mobilitätsmanagement [4] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 88 MOBILITÄT Wissenschaft standsangemessen sein. In der Regel werden Textsegmente entsprechenden Indikatoren zugeordnet, es kann aber auch Bild- und Filmmaterial kodiert werden. Die kategorienbasierte Auswertung von qualitativem Material liefert die empirischen Belege für die Erstellung eines Indikatorenkatalogs, der nachvollziehbar dokumentiert werden muss. Innerhalb dieses Katalogs werden die erfassten Aussagen und Transkriptionen anhand von Indikatoren mit der Strategie oder Maßnahme kontextualisiert. Zum methodischen Standard sollte gehören, den Indikatorenkatalog mit der empirischen Verankerung zur Verfügung zu stellen, um eine spätere intersubjektive Überprüfbarkeit der so hergeleiteten Strategien zu ermöglichen. Geht es beispielsweise um die Entwicklung eines umweltfreundlichen Verkehrssystems, gilt es, die qualitativen Aussagen der Akteure bezüglich der Umwelt und Ökologie zu typisieren und diese Verknüpfung im Katalog zu dokumentieren. Erst auf Basis dieser qualitativen Kodierungen in Form von Indikatoren können die Datensätze für eine SWOT-Analyse verwendet werden. SWOT-Analyse Die SWOT-Analyse als verbal-argumentatives Verfahren, in dem spezifisch für einen Untersuchungsgegenstand die Stärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) untersucht werden, stammt ursprünglich aus dem betriebswirtschaftlichen Bereich und ermöglicht es durch das Einbeziehen interner und externer Faktoren, ganzheitliche Strategien zu entwerfen [13]. Die SWOT-Analyse beruht im Kern auf drei wesentlichen Schritten: 1. Zieldiskussion, 2. Erstellung der SWOT-Matrizen, 3. Strategieentwicklung. Grundlegende Voraussetzung ist zunächst die Zieldiskussion, um überhaupt ein Bewertungskriterium für die folgende Analyse zu erhalten. Nur auf Basis eines definierten Zielzustandes, beispielsweise „Vision Zero“ oder „Einhaltung der NOx-Grenzwerte“, können die qualitativen Daten analysiert und entsprechende Zielerreichungsstrategien entwickelt werden. Grundsätzlich kann hierbei auch mehr als ein Zielzustand definiert werden. Die SWOT-Analyse und Strategieentwicklung wird in diesen Fall mehrfach für jeden Zielzustand durchgeführt. Im zweiten Schritt werden die erhobenen Daten im Kontext des formulierten Zielzustanden den SWOT-Matrizen nach internen (Stärken und Schwächen) und ex- Bild 2: Kombination der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken zu spezifischen Strategien im Rahmen der SWOT-Analyse (vgl. [4]: 134) Gütekriterium: Evaluierbar STÄRKEN SCHWÄCHEN ▪ Bewertungsmethodik ▪ Wissenschaft & Bildung ▪ Ressortaufteilung ▪ Wissensmehrung ▪ Vereinheitl. von Informationen ▪ Zieloperationalisierung Planungsstrukturen Grundl. Aufgabenträger Verwaltungsstrukturen Motivation Operationalisierung Professionalisierung ▪ Subjektive Erfahrungswerte ▪ Finanzielle Abhängigkeit ▪ Geringe Zieloperationalisierung ▪ Zeitliche Begrenzung ▪ Geringe Zieloperationalisierung ▪ Fehlende Kenntnis ▪ Evaluationsdefizit ▪ Begrenzte Ressourcen ▪ Motivationsdefizit ▪ Duales Verständnis ▪ Muddeling-through ▪ Fehlende Zugangsmöglichkeiten Kulturelle Dimension Planungsstrukturen Planungsstrukturen Förderstrukturen Politikstrukturen Verwaltungsstrukt. Verwaltungsstrukt. Verwaltungsstrukt. Unternehmensstrukt. Definitionswahrnehm. Professionalisierung Nutzerzugang CHANCEN RISIKEN ▪ Digitalisierungsmöglichkeiten ▪ Quantifizierung ▪ Kommunalförderung ▪ Politische Unabhängigkeit ▪ Verkehrsentwicklungspläne ▪ Zertifizierung ▪ Förderwettbewerbe ▪ Ganzheitliche Betrachtung Technologische Dim. Planungsstrukturen Förderstrukturen Verwaltungsstruk. Institutionalisierung Instrumentalisierung Thematisierung Thematisierung ▪ Wirtschaftliche Korrelation ▪ Öffentliche Wahrnehmung ▪ Selbstdarstellung ▪ Agieren im Graubereich ▪ Konkurrenzansatz ▪ Marketing ▪ Leuchturmprojekte Wirtschaftliche Dim. Politikstrukturen Politikstrukturen Professionalisierung Professionalisierung Thematisierung Thematisierung Bild 3: Die eingeteilten Indikatoren (inklusive thematischer Kodierungskategorien) für den Zielzustand der Evaluierbarkeit von Mobilitätsmanagement ([4]: 130) Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 89 Wissenschaft MOBILITÄT ternen Faktoren (Chancen und Risiken) zugeteilt. Dabei werden die kodierten Daten in Form von deskriptiven Indikatoren als Stärke, Schwäche, Chance oder Risiko eingeordnet. Im dritten Schritt werden die gesammelten Indikatoren miteinander kontextualisiert und zu neuen Strategien zusammengeführt. Das Ergebnis bilden vier verschiedene Strategietypen, die für die Erreichung des definierten Zielzustandes genutzt werden können (Bild-2). Deutlicher wird dieser Prozess am Beispiel des Mobilitätsmanagements. So wurden zunächst sechs Gütekriterien definiert, die aus wissenschaftlicher Sicht den Zielzustand eines bundesweit erfolgreichen Mobilitätsmanagements ermöglichen ([4]: 122f ). Auf Basis dieser sechs Gütekriterien konnten dann im Anschluss die kodierten Textpassagen aus den Experteninterviews in sechs SWOT-Matrizen eingeteilt werden. Dabei ist festzuhalten, dass es sich hierbei um ein verbal-argumentatives Verfahren handelt, es also keine objektiven Kriterien gibt, die darüber entscheiden, ob eine Textpassage als Stärke oder Schwäche für den Zielzustand ausgelegt wird. Deshalb ist es umso wichtiger, diese Einteilung von mehreren Personen durchführen zu lassen und die jeweiligen Begründungen ausführlich im Gruppenrahmen zu diskutieren und zu dokumentieren. Ergebnis sind dann eine oder mehrere SWOT-Matrizen, welche die qualitativ ermittelten Indikatoren bezüglich des Zielzustandes einteilen. Als Beispiel die SWOT-Matrix für das Gütekriterium der Evaluierbarkeit von Mobilitätsmanagement in Bild 3. Die hier eingeteilten Indikatoren sind wiederum im Indikatorenkatalog mit verschiedenen Textpassagen aus den unterschiedlichen Interviews hinterlegt, die alle zu einem spezifischen Thema (kursiv gedruckt) eine qualitative Aussage abbilden. Insofern bildet die SWOT-Matrix nur einen kleinen Ausschnitt der zugrundeliegenden Daten ab, erleichtert damit aber die politische und gesellschaftliche Kommunizierbarkeit. Dementsprechend ist insbesondere der zugrundeliegende Indikatorenkatalog von hoher Relevanz, welcher die in der Matrix verwendeten Indikatoren mit konkreten Textpassagen aus den qualitativen Datensätzen verknüpft. Durch die Verknüpfung der Indikatoren mit konkreten qualitativen Datensätzen, wie Interviewpassagen, ist der Auswertungsprozess transparent und nach wissenschaftlichen Gütekriterien nachvollziehbar. Auf Basis solch einer SWOT-Matrix kann im Anschluss nach dem in Bild 2 skizzierten Schema eine Strategieentwicklung vorgenommen werden. Die Strategieentwicklung ist hierbei als Kreativprozess zu betrachten, indem es darum geht, möglichst innovative Indikatorkombinationen zu entdecken, welche neue noch unerschlossene Handlungsspielräume eröffnen. Beispielsweise könnte ein Indikator „Staubelastung in der Innenstadt“ als Schwäche gemeinsam mit „Fördermöglichkeit für Fahrradinfrastruktur“ als Chance kombiniert werden, um strategisch die bereits bestehenden Restriktionen im motorisierten Verkehr zu nutzen und damit ein neues Angebot an Fahrradinfrastruktur zu promoten; immer in Bezug auf einen gewünschten Zielzustand, beispielsweise ein nachhaltiges städtisches Mobilitätssystem. Die Vielzahl der entwickelten Strategien kann dann wiederum in einem ganzheitlichen Strategiekonzept zusammengeführt werden, welches die qualitativen Daten aus dem gesamten Akteursfeld entsprechend der definierten Zielansprüche kontextualisiert. Mit Blick auf den angestrebten Zielzustand eines bundesweit erfolgreichen Mobilitätsmanagements, wurde dementsprechend aus dem in der SWOT-Analyse systematisierten umfangreichen Interviewmaterial die Empfehlungsbroschüre „Mobilität erfolgreich managen“ [14] erstellt. Inhalt sind sowohl spezifizierte Handlungsempfehlungen für die einzelnen Akteure als auch ein ganzheitliches Strategiekonzept, welches die verschiedenen Teilstrategien aus der SWOT-Analyse innerhalb eines 5-Phasen-Modells (Bild 4) zusammenfasst. Fazit Die moderne Verkehrsplanung und -politik muss die Mobilität in ihren Gestaltungsraum mit aufnehmen, wenn es darum geht, die Verkehrsentwicklung nachhaltig zu verändern. Um die dafür benötigten mobilitätsbezogenen Maßnahmen und Strategien zu entwerfen, braucht es im Gegensatz zu der klassischen quantitativen Datenverwertung insbesondere qualitative Verfahren. Die ermittelten qualitativen Daten, wie subjektive Nutzeransprüche oder individuelle Aussagen verschiedener Akteursgruppen, sind von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, langfristige und erfolgreiche Mobilitätsstrategien zu entwerfen. Hierbei erweist sich die SWOT-Analyse als geeignete Methode, um qualitative Daten zu konkreten und innovativen Strategien umzuwandeln. Wesentlich für die Güte einer SWOT-Analyse ist deren Dokumentation, um dem Vorwurf der Willkürlichkeit und der Unvollständigkeit zu begegnen. Idealerweise ist der Prozess der Aggregation von Informationen und der Übergang von der Analysehin zur Bewertungsebene aufzuzeigen. Da es sich bei der SWOT-Analyse um eine verbal-argumentative Methode handelt, sind die einzelnen diskursiv hergestellten Interpretationsschritte für jeden verständlich in Form eines Indikatorenkatalogs darzustellen. Nur so können präsentierte Strategien auch von der Öffentlichkeit nachvollzogen werden. Zukünftige Verkehrsplanende müssen dementsprechend auch sozialwissenschaftliche Methodenkompe- PHASE 1 PHASE 2 PHASE 3 PHASE 4 PHASE 5 Standardisierung und Qualifizierung von Mobilitätsmanagement Aktivierung der Bundesebene zur Schaffung übergeordneter Rahmenbedingungen Entwicklung eines zielorientierten Bundesförderungsansatzes Wettbewerbsmodell für deutsche Kommunen und Unternehmen Systematisches Mobilitätsmanagement als Teil einer integrierten Verkehrsplanung Bild 4: 5-Phasen-Strategiekonzept für die Implementierung eines systematischen Mobilitätsmanagements [14] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 90 MOBILITÄT Wissenschaft tenzen aufweisen, um adäquate Mobilitätsstrategien und Maßnahmen entwickeln zu können. Festzuhalten bleibt, dass es neue Ansätze abseits klassischer Verkehrsplanungsverfahren braucht, wenn die Mobilität tatsächlich als vollwertiges Maßnahmen- und Strategiefeld anerkannt werden soll. Damit eröffnet sich ein gänzlich neuer Handlungsspielraum für Kommunen und Länder, mit qualitativen Verfahren Mobilität und Verkehr besser verstehen, planen und gestalten zu können. ■ LITERATUR [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Bundesverkehrswegeplan 2030, S. 53 ff [2] Rammert, Alexander; Sternkopf, Benjamin (2019): Administrative Barrieren der Verkehrswende. In: Transforming Cities (3) Heft 2, S. 4-8 [3] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2019): Basisbericht Umweltgerechtigkeit. Grundlagen für die sozialräumliche Umweltpolitik. Berlin. S. 147-156 [4] Schwedes, Oliver; Sternkopf, Benjamin; Rammert, Alexander (2017): Mobilitätsmanagement. Möglichkeiten und Grenzen verkehrspolitischer Gestaltung am Beispiel Mobilitätsmanagement. Abschlussbericht. Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung. Berlin. Online verfügbar unter: www.ivp.tu-berlin.de/ fileadmin/ fg93/ Forschung/ Projekte/ Mobilit%C3%A4tsmanagement/ Endbericht_MobMan.pdf [Zugriff am 05.04.2018] [5] Blum, Sonja; Schubert, Klaus (2009): Politikfeldanalyse. Eine Einführung. 3. Auflage. Wiesbaden: Springer VS [6] Schwedes, Oliver (2017): Verkehr im Kapitalismus. Münster: Dampfboot Verlag, S. 59 ff [7] Umweltbundesamt (2015): „Horizon Scanning“ und Trendmonitoring als ein Instrument in der Umweltpolitik zur strategischen Früherkennung und effizienten Politikberatung. Konzeptstudie. TEXTE 106/ 2015. Dessau-Roßlau [8] Bogner, Alexander (Hrsg.) (2005): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften [9] Barbour, Rosaline (2018): Doing focus groups. 2. edition. Hg. v. Uwe Flick. London: Sage Publishing Ltd (The Sage qualitative research kit, 4) [10] Flick, Uwe (2000): Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften. Orig.-Ausg., 5. Auflage, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (Rowohlts Enzyklopädie, 55546), S. 116 ff [11] Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung. 4. Auflage. Basel: Beltz Verlag, S. 167 [12] Flick, Uwe (2000): Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften. Orig.-Ausg., 5. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (Rowohlts Enzyklopädie, 55546). S. 232 ff [13] Fürst, Dietrich; Scholles, Frank (2008): Handbuch Theorien und Methoden der Raum- und Umweltplanung. 3. Auflage. Dortmund: Rohn, S. 505 ff [14] TU Berlin - Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung (2018): Mobilität erfolgreich managen. Broschüre. Online verfügbar unter: www.ivp.tu-berlin.de/ fileadmin/ fg93/ Forschung/ Projekte/ Mobilit%C3%A4tsmanagement/ Broschuere_Mobilitaetsmanagement_web.pdf [19.06.19] Stephan Daubitz Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, TU Berlin stephan.daubitz@tu-berlin.de Oliver Schwedes, Prof. Dr. Leiter Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, TU Berlin oliver.schwedes@tu-berlin.de Alexander Rammert Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, TU Berlin alexander.rammert@tu-berlin.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Mobilität in Ballungsräumen - Chancen und Herausforderungen 26./ 27. November 2019 Frankfurt am Main Messe Frankfurt, Halle 1.2 Ludwig-Erhard-Anlage 1 60327 Frankfurt am Main im Rahmen der Veranstalter Kongressschwerpunkte Entwicklung Schieneninfrastruktur FrankfurtRheinMain Optimierung und Vernetzung von Verkehr - Ridesharing als Allheilmittel? Mobilität im Spannungsfeld unterschiedlichster Bedürfnisse und Anforderungen Mobilität vom Reißbrett oder Best Practice? Specials Zukunftswerkstatt Mobilität Specialkeynote „Stadt der Zukunft“ Abendevent im Druckwasserwerk Netzwerken über die Mobilitätsbranche hinaus Messebesuch in Konferenzpausen möglich Attraktive Ermäßigungen für DVWG-Mitglieder, Kommunen/ Verbände, Studenten und Start-Up‘s Eintrittskarte für die Ausstellung, alle Konferenzen, HYM Lab und Catering Weitere Informationen Programm und Anmeldung: www.deutscher-mobilitaetskongress.de Kontakt: Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft e.V. Tel.: 030/ 29 36 06 0 E-Mail: info@deutscher-mobilitaetskongress.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 92 TECHNOLOGIE Digitalisierung AUF EINEN BLICK Diese Universitäten nehmen an der SAE Autodrive Challenge teil. • Kettering University • Michigan State University • Michigan Tech • North Carolina A&T University • Texas A&M University • University of Toronto/ Kanada • University of Waterloo/ Kanada • Virginia Tech Anschub für die Mobilität von-morgen Sensorhersteller Kistler unterstützt Nachwuchswissenschaftler beim Wettbewerb zum autonomen Fahren. Autonomes Fahren, Sensorik, SAE Autodrive Challenge Wer in die Zukunft blicken will, kann in eine Glaskugel schauen - oder in die Wüste Arizonas. Dort liefern sich Nachwuchsingenieure nordamerikanischer Universitäten aktuell einen Wettbewerb um die Entwicklung eines führerlosen Fahrzeugs. Sensorikexperte Kistler unterstützt die jungen Forscher mit Kompetenz und Komponenten auf dem Weg zum autonomen Fahren. Denis Marschel D ie Vordenker der Mobilität von morgen tüfteln schon seit einigen Jahren am computergesteuerten Auto, das die Vorteile verschiedener Mobilitätsformen auf sich vereint: die Unabhängigkeit des eigenen Autos mit der entspannenden Passivität als Reisender in öffentlichen Verkehrsmitteln. Eine technologische Fragestellung, die zu den schwierigsten ihrer Art zählt. Denn was in der Luft und auf der Schiene längst alltagserprobt ist, lässt sich nicht ohne weiteres auf die Straße übertragen. Zu vielfältig sind hier die Anforderungen durch plötzlich auftretende Hindernisse, Spurwechsel oder sich rasch ändernde Verkehrssituationen. Sich kontinuierlich weiterentwickelnde Mess-, IT- und Kameratechnik macht es jedoch möglich, das große Ziel fest im Blick zu behalten. In drei Jahren zum Ziel Bei komplexen Fragen wie der des hochautomatisierten und autonomen Fahrens finden sich die Lösungen nicht über Nacht. Daher hat die amerikanische SAE Stiftung die erste SAE Autodrive Challenge ins Leben gerufen, die über die Dauer von drei Jahren die besten Entwickler sucht. Teilnehmer sind Studenten von acht nordamerikanischen Universitäten, die den kompletten Prozess vom initialen Konzeptpapier bis zum fertigen Prototypen durchlaufen. Ziel ist es, dass das Mobil durch einen mit Hindernissen gespickten, stadtähnlichen Parcours manövriert, ohne dass der mitfahrende Ingenieur zum Eingreifen gezwungen wird. Als Basisequipment dient den Entwicklern ein handelsüblicher Mittelklassewagen. Eine Besonderheit des Wettbewerbs: Die jungen Tüftler verstecken sich nicht nur in ihren eigenen Laboren, sondern treffen sich an wechselnden Orten, um ihre Ergebnisse vorzustellen und sich auszutauschen. Nach dem Startschuss in Arizona ziehen sie weiter an die großen Seen nach Michigan, bevor im mittleren Westen in Ohio das Finale stattfindet. Pioniergeist braucht Unterstützung Für das inhabergeführte Schweizer Unternehmen Kistler ist das aus zwei Gründen ein spannendes Projekt: um junge Wissenschaftler zu fördern und um bei Entwicklungen der Zukunft vorn mit dabei zu sein. Erfindergeist und Offenheit für Neues sind tief im Selbstverständnis des Unternehmens verfestigt. Vor 60 Jahren waren es die beiden jungen Maschinenbauingenieure Walter P. Kistler und Hans Conrad Sonderegger, die in Winterthur in der Schweiz den ersten Ladungsverstärker patentieren ließen. Seither hat sich das Unternehmen zum Weltmarktführer in der dynamischen Messtechnik entwickelt. Das Unternehmen engagiert sich auch in nationalen und internationalen Nachwuchs-Rennserien. Bild: Kistler Gruppe Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 93 Digitalisierung TECHNOLOGIE Während der drei Jahre unterstützt Kistler die Nachwuchsforscher sowohl materiell als auch ideell. Hardwareseitig stattet es alle acht Teams mit seinem „S-Motion“ optischen Sensor aus, der die Entwickler mit präzisen Daten zur Fahrdynamik und zum Fahrkomfort während der Testfahrten versorgt. Diese lassen sich dann einfach per Laptop auf der Rückbank auswerten. Die Stärke des Sensors liegt darin, dass er berührungslos präzise Messwerte bezüglich der Fahrzeugtrajektorie sowie der Längs- und Querdynamik aufzeichnet - die Entwickler sparen damit den Einsatz weiterer Messgeräte. Parallel bietet Kistler den Autotüftlern Training und Beratung an. Für Einbau und Inbetriebnahme des Geräts erhielten sie ein Installationsvideo. Zusätzlich fand zum Start eine Telefonkonferenz zwischen den Studenten und Ingenieuren von Kistler in Deutschland statt. Für Fragen im Laufe des Projektes stellt Kistler einen laufenden Servicekontakt zur Verfügung - Teamarbeit ganz im Sinne der Leitmotive des Unternehmens. Herantasten an die Realität Im Zuge des Wettbewerbs haben die jungen Ingenieure inzwischen ihre zweite Station in Michigan erreicht. Hier steht ihnen das universitätseigene Testgelände MCity zur Verfügung. Es bietet eine realitätsnahe, urbane Infrastruktur mit Ampeln, mehrspurigen Straßen und anderen Verkehrsteilnehmern. Zum ersten Mal sind die Entwickler hier gefordert, ihre Testautos auch auf bewegliche Objekte reagieren zu lassen. Diese Fähigkeit ist von zentraler Bedeutung, um das computergesteuerte Fahren von den Teststrecken in den Alltagsverkehr zu überführen. Auch wenn niemand diesen Weg genau bemessen kann, sind seine Etappen jedoch sehr wohl bestimmbar. Mit seiner innovativen Sensortechnik ist Kistler fest entschlossen, diese Etappen zu begleiten. ■ Denis Marschel, Dr. Divisional Marketing Manager ART, Kistler Instrumente AG, Winterthur (CH) denis.marschel@kistler.com Mobilitätsguthaben statt Dienstwagen Generation Digital erwartet multimodale ÖPNV-Konzepte Mobilitätsangebot, Mobilitätskontingent, Personenverkehr, Ticketing Die „Generation Digital“ tickt anders. Unternehmen offerieren ihren Mitarbeitern flexible per App buchbare Mobilitätsguthaben, der Dienstwagen als Statussymbol hat ausgedient. Verkehrsverbünde müssen sich zu service-orientierten Mobilitätsdienstleistern wandeln, um diese neuen Kundenwünsche zufriedenstellend bedienen zu können. Martin Timmann M obilität war schon immer verbunden mit dem Versprechen von Freiheit und Unabhängigkeit. Heute endet dieser Traum allerspätestens im nächsten Stau, in überfüllten und verspäteten U-Bahnen oder der nervenaufreibenden Suche nach einem freien Parkplatz in den überlasteten Ballungsräumen. Vor allem Berufspendler sind immer weniger bereit, diese Zustände hinzunehmen. Sie erwarten heute individuelle Angebote, wie sie in anderen Branchen seit langem üblich sind. Das gilt auch für ihren Weg zur Arbeit. Dieser Trend stellt den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und HR-Abteilungen von Unternehmen vor große Herausforderungen. Mutige Entscheidungen sind gefragt. Unternehmen müssen sich nach Alternativen zum traditionellen Dienstwagen und kreativen Anreizen umschauen und tun das schon. Der ÖPNV wird sich vom klassischen Verkehrsunternehmen weiter zum Service- und Kunden-orientierten Mobilitätsanbieter transformieren müssen, der nicht nur Busse und Bahnen, sondern auch Taxiunternehmen, Auto- und Fahrradverleiher oder E-Scooter in sein Dienstleistungsportfolio integriert. Dem Fahrgast ist es letztlich gleichgültig, wie und mit welchen Verkehrsmitteln er von A nach B kommt; er will sein Ziel oder Arbeitsplatz vor allem pünktlich, schnell und möglichst bequem erreichen und Tickets dabei unkompliziert buchen. Ein Lösungsansatz ist das sogenannte Mobilitätsguthaben. Mitarbeiter können dabei neben dem ÖPNV-Abo unterschiedliche Mobilitätsdienste wie Carsharing, On- Demand-Shuttle oder E-Roller über eine spezielle App nach Belieben individuell und im Rahmen ihres Mobilitätsguthabens wählen - und das in Echtzeit. Flexible Mobilitätskontingente statt-Dienstwagen Bedarfsorientierte Mobilitätskontingente, auf die Geschäftsreisende über eine Mobilitätsplattform zugreifen und mit denen sie dem Stau auf der Autobahn elegant ausweichen, stehen bereits zur Verfügung. Das kann zum Beispiel so aussehen: Mitarbeitern, die nur gelegentlich auf Dienstreise sind, oder Pendlern zahlt die Firma Intercity und Regionalexpress, ÖPVN, Taxi und Carsharing nach Nutzung. Für den vielreisenden Top-Manager begleicht sie eine Mobilitätspauschale, in der bestimmte Nut- Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 94 TECHNOLOGIE Digitalisierung zungskontingente bereits enthalten sind. Eine mobile App, die an eine Mobilitätsplattform mit Echtzeit-Informationen angeschlossen ist, sucht je nach Reiseziel und Reisezeit präzise und sekundenschnell die schnellsten Verkehrsmittel und die kürzeste Reiseroute heraus und übernimmt auch gleich die Buchung der Tickets. Besonders die digital-affine jüngere Generation, für die ein eigener Dienstwagen nicht mehr als Statussymbol des beruflichen Erfolges gilt und die sich flexible, nachhaltige Mobilität wünscht, die statt eines Taxis auch schon mal einen E-Scooter benutzt, wird sich davon angesprochen fühlen. Den vielreisenden Geschäftskunden, der im Auftrag seines Unternehmens unterwegs ist, wird überzeugen, dass er sein Reiseziel je nach Verkehrssituation sicher erreicht. Mobilitätsplattform im Hintergrund Für Berufspendler trägt dieses Angebot auch zu einem entspannten Weg ins Büro bei: Wer morgens per Smartphone rechtzeitig - und richtig - über Störungen informiert wird, muss nicht auf den Bus warten. Bei einer Verkehrsüberlastung könnnte er schnell aufs Fahrrad umsteigen, wenn er über Ridesharing und Leihfahrräder aktuell informiert wird - wo befindet sich die nächste Verleih-Station? Sind dort aktuell Räder verfügbar? - und erst recht, wenn solche Angebote in das Ticketing des jeweiligen Verkehrsunternehmens nahtlos integriert sind. Möglich wird das durch eine Mobilitätsplattform, auf die Kunden via mobiler App zugreifen und die alle verfügbaren Angebote so kombiniert, dass Reisende pünktlich und bequem ihr Ziel erreichen. Mit dem offenen System ist der Verkauf von ÖPNV-Tickets über die eigene App der Verkehrsunternehmen oder über beliebige Dritt-Apps möglich. Sie bündelt Fahrpläne und Tarife der unterschiedlichen Verkehrsregionen Deutschlands auf einer Plattform, Geschäftskunden können dadurch mit einer einzigen Registrierung in allen teilnehmenden Verkehrsregionen mobil Tickets kaufen und mit Mobilitätsangeboten wie Taxis, Mietwagen oder E-Scootern kombinieren. APIs integrieren mobile Services Die Integration in Dritt-Apps erfolgt über die API-Schnittstelle. Mit einer API (Application Programming Interface) lassen sich Informationen zwischen einer Anwendung und einzelnen Programmteilen standardisiert austauschen und neue Kanäle oder zusätzliche Angebote einfacher anbinden. Dabei bleibt die Software unabhängig von bestimmten Frontends. Auch die Einbindung in Firmen-Apps, über die Mitarbeiter dann ihre Reise buchen können, ist via API ohne Probleme möglich. Echter Mehrwert für den Firmenkunden entsteht durch die Integration in Dritt-Apps, die das Angebot ergänzen und erweitern. Das kann die Möglichkeit sein, die Strombetankung für sein Elektroauto zu buchen oder beim Umstieg vom PKW auf den öffentlichen Nahverkehr gleich das Ticket für den Park-and-Ride-Parkplatz zu lösen. Über eine API lässt sich zum Beispiel auch das Navi im firmeneigenen PKW in die Ticket-Lösung integrieren, so dass beispielsweise bei einem Stau das Navi direkt einen P&R-Parkplatz und ein Anschlussticket im ÖPNV kauft. Über die API-Schnittstelle lassen beliebige Zusatzangebote integrieren, von Carsharing und Leihfahrrädern bis hin zu Parkscheinen. Rechnung all-inclusive Ein weiterer wesentlicher Vorteil für Firmenkunden ist dabei, dass die Mobilitätsplattform den Bezahlvorgang vereinfacht: Statt für jeden genutzten Dienst eine eigene Rechnung auszustellen, werden alle anstehenden Zahlungen in einer Sammelrechnung zusammengefasst. Dabei ist es irrelevant, ob der Fahrgast nur den ÖPNV genutzt hat oder vielleicht fünfmal den ÖPNV, dreimal ein Taxi und einmal ein Leihfahrrad. Gleichzeitig lassen sich neben klassischen Bezahlformen wie Lastschrift und Kreditkarte auch Paypal, Apple Pay oder Google Pay einbinden, wodurch die größtmögliche Flexibilität für den Fahrgast erreicht wird. Da alle Kundeninformationen an einem zentralen Punkt, der Mobilitätsplattform, zusammenlaufen, steht den Betreibern eine große Menge an Daten zur Verfügung, die sie für Analysen nutzen können: von der klassischen Vertriebsauswertung bis zur Kundensegmentierung. Die Ergebnisse ermöglichen es Verkehrsunternehmen, ihr Angebot stetig zu verbessern und zielgerichtet an die Bedürfnisse von Firmenkunden anzupassen. Individuellere Kundenansprachen In einer Zeit, in der sich Kundenwünsche immer stärker differenzieren und Mobilität neu definiert wird, bietet eine Mobilitätsplattform Verkehrsunternehmen die nötige Flexibilität. Interoperabilität, ein modularer Aufbau und die Basiskomponenten Tarife, Ticketing, Routing, Abrechnung und Echtzeitinformationen schaffen die Voraussetzungen für eine flexible und zukunftsfähige Lösung. Diese Gründe sprechen dafür, den Ticketkauf über unterschiedliche, auch markt- und branchenspezifische Apps anzubieten, die jeweils auf die Bedürfnisse der einzelnen Kundengruppen ausgerichtet sind. Dann werden Verkehrsunternehmen neue Kundengruppen zielgenauer ansprechen und noch besser bedienen. ■ Martin Timmann Geschäftsführer, HanseCom Public Transport Ticketing Solutions GmbH, Hamburg hallo@hansecom.com In eine Mobilitätsplattform lassen sich durch den modularen Aufbau auch Fremdanwendungen wie Navigationssysteme integrieren und so neue Kundengruppen erschließen. Quelle: HanseCom Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 95 Wissenschaft TECHNOLOGIE CO 2 -Emissionen im Personenverkehr Einfluss von Soziodemografie, Wohnort und Einkommen Pendelentfernung, Klimaschutzplan, Stadt- und Landbevölkerung, Mobilitätsverhalten Für verschiedene Bevölkerungsgruppen wurde untersucht, welchen Einfluss Soziodemografie, Wohnort und Einkommen auf die durchschnittlichen jährlichen CO 2 -Emissionen haben. Die Analysen zeigen, dass die durchschnittlichen CO 2 -Emissionen von Stadt- und Landbevölkerung nahezu identisch sind, jedoch mit dem Haushaltseinkommen ansteigen. Datengrundlage der detaillierten Analysen zu den CO 2 -Emissionen im Personenverkehr ist ein Datensatz, der die Gesamtmobilität der in Deutschland lebenden Bevölkerung umfasst, d. h. alle Verkehrsmodi sowie Wege und Fahrten im In- und Ausland. Felix Steck, Christine Eisenmann, Lars Kröger, Christian Winkler D ie Bundesregierung hat sich im Rahmen des Klimaschutzplans 2050 das Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen Deutschlands bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 % zu reduzieren. Anders als in anderen Sektoren hat der Verkehrssektor in den letzten Jahren kaum zu einer Reduktion beigetragen [1], in bestimmten Bereichen (insbesondere im Luftverkehr) sind die CO 2 -Emissionen sogar deutlich gestiegen. Im Sommer 2019 wurden von verschiedenen Akteuren, u. a. von Umweltverbänden, der Fridays for Future- Bewegung und politischen Parteien, Instrumente zur Erreichung der Klimaziele im Sektor Verkehr diskutiert. Am 20. September 2019 hat die Bundesregierung die Eckpunkte des Klimaschutzprogramms festgelegt und der Öffentlichkeit vorgestellt [2]. Maßnahmen im Sektor Verkehr sind u. a. eine Einführung einer CO 2 -Bepreisung für fossile Brenn- und Kraftstoffe, eine Reduktion des Mehrwertsteuersatzes auf Bahntickets im Fernverkehr und eine Erhöhung der Luftverkehrsabgabe. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, Anreize zu setzen, die zu einer Änderung des Mobilitätsverhaltens führen. Weiterhin wurden Maßnahmen beschlossen, die einzelne Bevölkerungsgruppen entlasten sollen, beispielsweise die Anhebung der Pendlerpauschale für Fernpendler. Im Folgenden wird dargelegt, wie hoch die CO 2 - Emissionen der in Deutschland lebenden Bevölkerung im Verkehr sind und welchen Einfluss Soziodemografie, Wohnort und Einkommen auf diese haben. Außerdem werden diese Ergebnisse in Bezug auf das Klimaprogramm der Bundesregierung diskutiert. Besonderheit der nachfolgenden Analysen ist, dass hierfür eine Datengrundlage genutzt wird, welche die Gesamtmobilität der in Deutschland lebenden Bevölkerung umfasst: Diese schließt sowohl die Mobilität im Alltag (z. B. Pendeln, Einkaufen) als auch Fernverkehr und Übernachtungsreisen (z. B. Jahresurlaub mit dem Flugzeug) ein und umfasst alle Verkehrsmodi (z. B. PKW, öffentlicher Verkehr, Flugzeug). Zunächst wird die Datengrundlage für die Verkehrsnachfrage im Personenverkehr sowie die Methodik zur Berechnung der jährlichen CO 2 -Emissionen vorgestellt. Es folgen Analysen zu den durchschnittlichen jährlichen CO 2 -Emissionen verschiedener Bevölkerungsgruppen. Abschließend werden die Ergebnisse der Analysen in Bezug auf den im September 2019 vorgestellten Klimaschutzplan diskutiert. Datengrundlage und Methodik Grundlage für die durchgeführten Analysen ist die Personenverkehrsrechnung aus dem Forschungsprojekt Verkehr in Zahlen (in leicht adaptierter Form zur Darstellung der Inländerverkehrsleistung) im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [3]. Als Ergebnis der Personenverkehrsrechnung liegt ein modellierter, mikroskopischer Datensatz vor, der den gesamten Personenverkehr der in Deutschland lebenden Bevölkerung erfasst, die Verkehrsmengen anderer offizieller Quellen auf die Verkehrsnachfrage korrekt darstellt und für die deutsche Bevölkerung in Bezug auf ihre sozioökonomischen Merkmale repräsentativ ist. Die Erhebung Mobilität in Deutschland (MiD) 2017 ist die wesentliche Datenbasis der Personenverkehrsrechnung. Amtliche Statistiken werden für die Kalibrierung von Verkehrsmengen und sozioökonomischer Merkmale herangezogen. Die MiD ist eine bundesweite, umfassende Erhebung zum Mobilitätsverhalten und zur Verkehrsnachfrage der deutschen Wohnbevölkerung [4]. Insgesamt nahmen rund 316.000 Personen aus 156.000 Haushalten an der MiD 2017 teil und berichteten 961.000 Wege für ihre jeweiligen Erhebungstage. Des Weiteren liegen Informationen zu rund 39.000 Übernachtungsreisen vor. In der Personenverkehrsrechnung fließen sowohl die Alltagsmobilität als auch Übernachtungsreisen ein. Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 96 TECHNOLOGIE Wissenschaft Diese Datengrundlage stellt den Ist-Zustand für die Mobilität der in Deutschland lebenden Bevölkerung im Jahr 2017 sehr differenziert dar und kann für zahlreiche Auswertungen herangezogen werden. Mögliche Mobilitätsverhaltensänderungen infolge einer Einführung der beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen sind hierin demzufolge aber nicht enthalten. Um die jährlichen CO 2 -Emissionen verschiedener Bevölkerungsgruppen zu bestimmen, wird, differenziert nach Verkehrsmodi, die Verkehrsnachfrage mit den verkehrsmodispezifischen Emissionsfaktoren multipliziert und über die verschiedenen Verkehrsmodi aggregiert. Für alle im Datensatz vorhandenen PKW werden Emissionsfaktoren differenziert nach Fahrzeugeigenschaften (u. a. Antrieb, Fahrzeuggröße, Motorleistung) ergänzt. Bei den weiteren Verkehrsmodi werden durchschnittliche Emissionsfaktoren genutzt. Für die im Datensatz enthaltenen Verkehrsmodi ist in Tabelle 1 eine Übersicht der für die Berechnung verwendeten Emissionsfaktoren in CO 2 -Äquivalenten dargestellt. Jährliche CO 2 -Emissionen im Personenverkehr für verschiedene Bevölkerungsgruppen Bei den folgenden Analysen einzelner Bevölkerungsgruppen werden jeweils durchschnittliche Pro-Kopf- Emissionen von Haushalten verglichen. Dafür werden auf Basis des oben beschriebenen Datensatzes die Summen der Gesamtemissionen der einzelnen Haushalte ermittelt und durch die Anzahl der Haushaltsmitglieder geteilt. Die Ergebnisse umfassen eine Auswahl möglicher Auswertungen. Kaum ein Unterschied zwischen den CO 2 - Emissionen in Stadt und Land Die verkehrsspezifischen CO 2 -Emissionen der in Deutschland lebenden Bevölkerung liegen im Mittel bei 2,4 t CO 2 pro Person und Jahr. Sie variieren jedoch für unterschiedliche Haushaltstypen und setzen sich je nach Raumtyp unterschiedlich zusammen. Beim Vergleich unterschiedlicher Raumtypen (Regio- StaR4) wird ersichtlich, dass die durchschnittlichen CO 2 - Emissionen pro Person aus dem Verkehr für städtische und ländliche Regionen nahezu identisch sind (siehe Bild- 1). Jedoch setzen sich die durchschnittlichen CO 2 - Emissionen (und Verkehrsleistungen) der Bevölkerung aus den einzelnen Regionen unterschiedlich zusammen. In allen Regionen verursacht der motorisierte Individualverkehr (MIV) den Großteil der CO 2 -Emissionen, wobei der MIV in peripheren ländlichen Regionen besonders stark zu den CO 2 -Emissionen beiträgt (76 %). Insbesondere durch die hohen CO 2 -Emissionen des Flugverkehrs von Bewohnern metropolitaner Stadtregionen (36 %) sind deren durchschnittlichen jährlichen CO 2 -Emissionen auf einem ähnlichen Niveau wie die durchschnittlichen CO 2 - Emissionen der Bewohner ländlicher Regionen. Mit dem Haushaltseinkommen steigen auch-die CO 2 -Emissionen Zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist die Mobilität notwendig und erstrebenswert. Aufgrund der Kosten für die Mobilität unterscheiden sich jedoch die Ausgabepotenziale für unterschiedliche Einkommensgruppen. Zur differenzierten Betrachtung der Haushalte nach ihren finanziellen Möglichkeiten wurden diese in fünf gleich große Gruppen (Quintile) entsprechend ih- Verkehrsmittel Emissionsfaktor in CO 2 -Äquivalenten Quelle Einheit Wert Fuß g CO 2 / Pkm 0 Annahme Rad g CO 2 / Pkm 0 Annahme MIV g CO 2 / Fzgkm 63-264 basierend auf Auswertungen des Deutschen Mobilitätspanels (MOP) Krafträder und Mofas g CO 2 / Fzgkm 106 basierend auf angepassten Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) zu Krafträdern und Mofas ÖPNV (Straße) g CO 2 / Pkm 71 TREMOD 5.82 (Anpassung entsprechend der Zuweisungen der Verkehrsmittel) Fernbus g CO 2 / Pkm 32 TREMOD 5.82 Bahn-Nahverkehr g CO 2 / Pkm 60 TREMOD 5.82 Bahn-Fernverkehr g CO 2 / Pkm 36 TREMOD 5.82 Flugzeug g CO 2 / Pkm 201 TREMOD 5.82 Schiff (g CO 2 / Pkm) 115 DEFRA: Guidelines to Defra’s GHG Conversion Factors LKW g CO 2 / Fzgkm 278 basierend auf angepassten Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) (Annahme: LKW bis 3,5 t zulässiges Gesamtgewicht) Tabelle 1: Übersicht der verwendeten Emissionsfaktoren 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 Metropolitane Stadtregion Regiopolitane Stadtregion Stadtregionsnahe ländliche Region Periphere ländliche Region t CO2 pro Person und Jahr Sonstige Flugzeug ÖV (Schiene & Straße) MIV 46% 20% 17% 17% Anteil der Haushalte Metropolitane Stadtregion Regiopolitane Stadtregion Stadtregionsnahe ländliche Region Periphere ländliche Region Bild 1: CO 2 -Emissionen pro Person und Jahr differenziert nach Verkehrsmodi und Regionstyp Alle Bilder: DLR Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 97 Wissenschaft TECHNOLOGIE res Haushaltsnettoäquivalenz-Einkommens 1 eingeteilt. Aus Bild 2 geht hervor, dass mit steigendem Haushaltsäquivalenz-Einkommen auch die durchschnittlichen CO 2 -Emissionen ansteigen. dass einkommensschwächere Haushalte unterdurchschnittlich viele CO 2 -Emissionen verursachen. So emittieren die Mitglieder von Haushalten im höchsten Haushaltsquintil mehr als doppelt so viel wie die Haushaltsmitglieder des ersten und zweiten Quintils. Wiederum ist bei allen Einkommensgruppen der Anteil des MIV an den CO 2 -Emissionen am höchsten. Jedoch wird ersichtlich, dass mit steigenden Einkommen die Verkehrsleistung per Flugzeug enorm zunimmt und diese bei dem einkommensstärksten Haushaltsquintil rund 40 % der CO 2 -Emissionen verursachen. Alleinerziehende und kinderreiche Familien verursachen vergleichsweise niedrige CO 2 - Emissionen Haushalte können auch anhand ihrer Zusammensetzung in Haushaltstypen unterteilt werden. Wesentliche Eigenschaften für eine solche Differenzierung sind die Zahl der im Haushalt lebenden Personen, die Zahl der im Haushalt lebenden Kinder sowie die Altersverteilung der im Haushalt lebenden Personen. Hieraus ergeben sich drei wesentliche Gruppen von Haushalten: Haushalte mit Kindern, Senioren/ Seniorinnen-Haushalte und Haushalte im berufstätigen Alter ohne Kinder. Diese Gruppen umfassen wiederum eine Reihe von Haushaltstypen, welche im Folgenden differenziert betrachtet werden (siehe Bilder 3, 4 und 5). Bild 3 zeigt, dass die meisten Familien mit Kindern unterdurchschnittliche CO 2 -Emissionen verursachen. Die Ausnahme stellen Familienhaushalte mit zwei Elternteilen und einem Kind dar; bei diesen liegen die CO 2 -Emissionen pro Person leicht über dem Durchschnitt von 2,4 t CO 2 pro Person und Jahr. Ein Grund für die niedrigen Emissionen von Familien ist die geringere Verkehrsleistung von Kindern gegenüber Erwachsenen. Die im Durchschnitt niedrigsten CO 2 -Emissionen pro Person verursachen Haushalte mit Alleinerziehenden. Die geringen CO 2 -Emissionen dieser Haushaltsgruppe lassen sich wiederum mit dem dargestellten Haushaltseinkommen (Bild 2) in Zusammenhang bringen, denn Alleinerziehende haben im Mittel nur 75 % des Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens von Familienhaushalten mit zwei Erwachsenen zur Verfügung. CO 2 -Emissionen von Senioren sind gering Eine weitere wichtige Bevölkerungsgruppe sind Seniorinnen- und Seniorenhaushalte (39 % aller Haushalte in Deutschland). Die grundsätzlich niedrige Verkehrsleistung von Seniorinnen und Senioren führt zu den niedrigsten CO 2 -Emissionen über alle betrachteten Bevölkerungsgruppen (vgl. Bild 4). Die geringsten CO 2 -Emissionen verursachen allein lebende Seniorinnen (0,9-t). Dies kann mit dem unterschiedlich hohen Anteil an PKW- Führerscheinbesitz von älteren Frauen und Männern zusammenhängen. [5] Junge Erwachsene ohne Kinder haben sehr hohe CO 2 -Emissionen Neben den Familienhaushalten mit Kindern und den Seniorinnen/ Senioren-Haushalten stellen die Haushalte mit Personen im berufstätigen Alter ohne Kinder eine dritte Gruppe dar. Bild 5 zeigt, dass im Vergleich über alle Haushaltstypen die Haushalte junger Erwachsener (18 bis 29 Jahre) die höchsten CO 2 -Emissionen aufweisen. Bei jungen Zwei-Personen-Haushalten sind die durchschnittlichen CO 2 -Emissionen deutlich höher (5,7- t) als bei älteren Zwei-Personen-Haushalten (3,7 t). Diese Analyse deutet darauf hin, dass junge Erwachsene besonders mobil sind. Dies liegt weniger an der Mobilität im Alltag als am Reiseverhalten dieser Bevölkerungsgruppe. Junge Erwachsene unternehmen im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen im Mittel mehr Flugreisen und suchen auf ihren Reisen weiter entfernte Ziele auf. Beispielsweise verursachen junge Zwei-Personen-Haushalte 45 % ihrer CO 2 -Emissionen im Flugverkehr. 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 1. Quintil (<= 1300 €) 2. Quintil (1301 - 1700 €) 3. Quintil (1701 - 2050 €) 4. Quintil (2051 - 2550 €) 5. Quintil (>= 2551 €) t CO2 pro Person und Jahr Sonstige Flugzeug ÖV (Schiene & Straße) MIV Bild 2: CO 2 -Emissionen pro Person und Jahr differenziert nach Verkehrsmodi und Haushaltsäquivalenz-Einkommen 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 Alleinerziehende/ r mit 1 Kind Alleinerziehende/ r mit 2+ Kindern Familien mit 1 Kind Familien mit 2 Kindern Familien mit 3+ Kindern t CO2 pro Person und Jahr Sonstige Flugzeug ÖV (Schiene & Straße) MIV 1% 1% 8% 7% 2% 81% Anteil der Haushalte Alleinerziehende/ r mit 1 Kind Alleinerziehende/ r mit 2+ Kindern Familien mit 1 Kind Familien mit 2 Kindern Familien mit 3+ Kindern sonstige Haushalte Bild 3: CO 2 - Emissionen pro Person und Jahr differenziert nach Verkehrsmodi, Familienhaushalte Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 98 TECHNOLOGIE Wissenschaft Berufstätigkeit und Pendelentfernung determinieren CO 2 -Emissionen Weitere Analysen haben gezeigt, dass die Berufstätigkeit bei Bevölkerungsgruppen im mittleren Alter einen entscheidenden Einfluss hat. Gründe hierfür sind sowohl die täglichen Pendelwege als auch die höhere Kaufkraft, die sich u. a. in einem ausgeprägten Reiseverhalten zeigt. Neben der Berufstätigkeit determiniert die Pendeldistanz die Verkehrsleistung und die daraus resultierenden CO 2 -Emissionen. Um diesen Einfluss zu analysieren, wurden Haushalte anhand der längsten Pendeldistanz im Haushalt in Gruppen unterteilt. Hierbei wurde zwischen Haushalten mit mindestens einem Fernpendler, d. h. Berufstätigen mit einfacher Pendeldistanz ab 21 km und Haushalten ohne Fernpendler unterschieden. Haushalte ohne Berufstätige stellen eine dritte Gruppe-dar. Die Analysen zeigen, dass Personen in Fernpendler- Haushalten deutlich höhere jährliche CO 2 -Emissionen (3,9 t) haben als die anderen betrachteten Gruppen (Bild 6). Personen in Fernpendler-Haushalten verursachen im Mittel rund 70 % ihrer Emissionen im MIV. Allein die MIV-Emissionen dieser Gruppe (2,8 t) sind somit höher als die Gesamtemissionen der Nahpendler (2,6 t) und der Nicht-Berufstätigen (1,1 t). Bezug zum aktuellen Klimaschutzprogramm In den vorgestellten Analysen wurden keine Nachfragereaktionen, d. h. mögliche Verhaltensänderungen, die 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 1-Personen-Haushalt (Mann >= 60 Jahre) 1-Personen-Haushalt (Frau >= 60 Jahre) 2+-Personen-Haushalt (jüngste Person >= 60 Jahre) t CO2 pro Person und Jahr Sonstige Flugzeug ÖV (Schiene & Straße) MIV 7% 13% 18% 61% Anteil der Haushalte 1-Personen-Haushalt (Mann >= 60 Jahre) 1-Personen-Haushalt (Frau >= 60 Jahre) 2+-Personen-Haushalt (jüngste Person >= 60 Jahre) sonstige Haushalte Bild 4: CO 2 - Emissionen pro Person und Jahr differenziert nach Verkehrsmodi, Senioren- und Seniorinnenhaushalte 0 1 2 3 4 5 6 1-Personen- Haushalt (18-29 Jahre) 1-Personen- Haushalt (30-59 Jahre) 2-Personen- Haushalt (jüngste Person 18- 29 Jahre) 2-Personen- Haushalt (jüngste Person 30- 59 Jahre) 3+ Personen- Haushalt t CO2 pro Person und Jahr Sonstige Flugzeug ÖV (Schiene & Straße) MIV 4% 16% 3% 11% 7% 59% Anteil der Haushalte 1-Personen-Haushalt (18-29 Jahre) 1-Personen-Haushalt (30-59 Jahre) 2-Personen-Haushalt (jüngste Person 18-29 Jahre) 2-Personen-Haushalt (jüngste Person 30-59 Jahre) 3+ Personen-Haushalt sonstige Haushalte Bild 5: CO 2 - Emissionen pro Person und Jahr differenziert nach Verkehrsmodi, Haushalte ohne Kinder 0 1 2 3 4 5 Keine Pendler im Haushalt mit Pendeldistanz >20 km Min. 1 Pendler im Haushalt mit Pendeldistanz >20 km Haushalte ohne Berufstätige t CO2 pro Person und Jahr Sonstige Flugzeug ÖV (Schiene & Straße) MIV 44% 18% 39% Anteil der Haushalte Keine Pendler im Haushalt mit Pendeldistanz >20 km Min. 1 Pendler im Haushalt mit Pendeldistanz >20 km Haushalte ohne Berufstätige Bild 6: CO 2 - Emissionen pro Person und Jahr differenziert nach Verkehrsmodi und Pendeldistanz der Haushaltsmitglieder Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 99 Wissenschaft TECHNOLOGIE sich durch das Maßnahmenpaket des Klimakabinetts ergeben könnten, abgebildet. Hierfür wären detaillierte Informationen über Nachfrageelastizitäten der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen auf eine Änderung der Transportkosten der verschiedenen Verkehrsmodi (u. a. durch eine CO 2 -Besteuerung) erforderlich. Jedoch zielen die Maßnahmen des Klimakabinetts darauf ab, Anreize für ein nachhaltigeres Verkehrsverhalten zu setzen. Die vorgestellten Analysen dienen als Hilfestellung für die Einordnung möglicher Verteilungswirkungen der Maßnahmen des im September 2019 vorgestellten Klimaschutzprogramms. Beispielsweise soll ab dem Jahr 2021 eine CO 2 -Bepreisung für den Sektor Verkehr eingeführt werden [2]. Konkret werden Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brenn- und Kraftstoffe bepreist. Diese Bepreisung umfasst hauptsächlich die im MIV entstandenen CO 2 -Emissionen, da die anderen CO 2 - Emissionen im Verkehr entweder aus einer Bepreisung ausgenommen sind oder bereits im europäischen Emissionshandel berücksichtigt sind. Dies impliziert auch, dass lediglich gut die Hälfte der Verkehrsleistung (55 %) der in Deutschland lebenden Bevölkerung mit einer CO 2 -Steuer bepreist wird. Anhand der vorgestellten Methodik kann die durchschnittliche jährliche Steuerlast pro Person berechnet werden. Annahme der Abschätzung ist, dass sich in den Jahren 2021 bis 2025 keine wesentlichen Änderungen des Verkehrsverhaltens gegenüber dem Jahr 2017 (Bezugsjahr der vorgestellten Berechnung) ergeben. Durch eine Besteuerung der MIV-seitigen Emissionen (durchschnittlich 1,5 t CO 2 pro Person und Jahr) ergäbe sich unter den gegebenen Bedingungen eine durchschnittliche jährliche CO 2 -Steuerlast pro Person zwischen 15 EUR in 2021 (Steuersatz: 10 EUR/ t CO 2 ) und 53 EUR (Steuersatz: 35 EUR/ t CO 2 ) in 2025. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 betrugen die verkehrsbedingten Ausgaben 2.080 EUR pro Person und Jahr [6]. Unter der Annahme einer gleichbleibenden Kostenstruktur in den kommenden Jahren würde eine CO 2 -Bepreisung zu einer durchschnittlichen Erhöhung der verkehrsbedingten Ausgaben um lediglich 2,5 % im Jahr 2025 führen. Es ist zu bezweifeln, dass solche vergleichsweise geringe zusätzliche jährliche Kosten durch eine CO 2 -Bepreisung einen starken Anreiz setzen, das Mobilitätsverhalten zu ändern. Zudem wurde im Klimaschutzplan eine Anhebung der Entfernungspauschale für Fernpendler vorgestellt: Die Pendlerpausschale ab dem 21. Kilometer des Pendelweges wird von 30 auf 35 ct ansteigen. Von dieser Maßnahme würden Haushalte mit mindestens einer berufstätigen Person mit einem Pendelweg von mindestens 21 km einfacher Entfernung profitieren. Dies trifft für 18 % aller Haushalte bzw. 29 % der Haushalte mit Berufstätigen zu. Eine zusätzliche Analyse zeigt zudem, dass entgegen häufiger Annahmen die regionale Lage des Wohnortes keinen großen Einfluss auf die Anzahl der Fernpendler hat. Beispielsweise leben in 27 % der Berufstätigen-Haushalte in metropolitanen Stadtregionen, Fernpendler mit einfacher Pendeldistanz ab 21 km. In stadtregionsnahen ländlichen Regionen beträgt dieser Anteil 35 % und in peripheren ländlichen Regionen 30 %. Hingegen leben in Haushalten mit hohen Haushaltseinkommen deutlich häufiger Fernpendler als in Haushalten mit niedrigem Haushaltseinkommen. So beträgt der Anteil der Haushalte mit Fernpendlern bei Haushalten im untersten Einkommensquintil 21 % und im obersten Einkommensquintil 32 %. Eine Erhöhung der Pendlerpauschale kommt somit? hauptsächlich einkommensstarken Gruppen zugute - unabhängig von ihrem Wohnort. Der in diesem Beitrag vorgestellte Datensatz verfügt über das Potenzial, aktuelle Entwicklungen im Personenverkehr ganzheitlich zu betrachten und detaillierte Auswertungen unter anderem zum Verkehrsaufkommen, der Verkehrsleistung sowie den dazugehörigen Emissionen für unterschiedliche Personen-, Haushalts- und Nutzergruppen durchzuführen. Die präsentierten Analysemöglichkeiten und Ergebnisse sind von besonderer Relevanz für Verkehrsforscher, Verkehrspolitiker und Entscheidungsträger als Grundlage für die Konzeption, Entwicklung und Implementierung, insbesondere der aktuell diskutierten Klimaschutzmaßnahmen im Sektor Verkehr. ■ 1 Das OECD-Haushaltsäquivalenz-Einkommen ist ein Maß, um Lebensstandards unabhängig von der Größe und Zusammensetzung der Haushalte zu vergleichen.. Zur Berechnung wird das Nettoeinkommen des Haushalts durch die gewichtete Anzahl an Haushaltsmitgliedern geteilt, wobei die erste Person mit dem Gewicht 1 eingeht, jede weitere erwachsene Person mit dem Gewicht 0,5 und jede weitere minderjährige Person mit dem Gewicht 0,3. QUELLEN [1] Umweltbundesamt (2019): Entwicklung der spezifischen Kohlendioxid-Emissionen des deutschen Strommix in den Jahren 1990-2018 [2] Die Bundesregierung (2019): Eckpunkte des Klimaschutzprogramms 2030 [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur / DIW Berlin (2018): Verkehr in Zahlen 2018/ 2019 [4] Nobis, C.; Kuhnimhof, T (2019): Mobilität in Deutschland - MiD Ergebnisbericht, Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur [5] Kuhnimhof, T.; et al. (2019): Veränderungen im Mobilitätsverhalten zur Förderung einer nachhaltigen Mobilität. Studie von DLR und infas im Auftrag des Umweltbundesamtes [6] Destatis (2018): Laufende Wirtschaftsrechnungen: Einkommen, Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte Lars Kröger, M. Sc. Wirtschaftsingenieurwesen Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrsforschung, Abteilung Personenverkehr lars.kroeger@dlr.de Christian Winkler, Dr.-Ing. Abteilungsleiter „Personenverkehr“, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrsforschung christian.winkler@dlr.de Christine Eisenmann, Dr.-Ing. Gruppenleiterin „Transformation der Automobilität“, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrsforschung, Abteilung Personenverkehr christine.eisenmann@dlr.de Felix Steck, M. Sc. Wirtschaftsingenieurwesen Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrsforschung, Abteilung Personenverkehr felix.steck@dlr.de Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 100 TECHNOLOGIE Wissenschaft Innovative Instandhaltung für-Schienenfahrzeuge Strategieoptimierung durch Einsatz des genetischen Algorithmus Optimierung, Genetischer Algorithmus, Instandhaltungsstrategie, Wartungsplan, Präskriptive Instandhaltung Reaktive, präventive und vorausschauende Instandhaltungsstrategien (IS) stellen für Bahnbetreiber den Stand der Technik dar. Neuartige Ansätze wie die präskriptive Instandhaltung, bei der der Betrieb auf eine kostenbzw. verfügbarkeitsoptimale IS ausgerichtet wird, ist bisher lediglich Gegenstand der Forschung. Die Determinierung des optimalen Wartungsplans für ein Schienenfahrzeug erweist sich als komplexes Optimierungsproblem. In diesem Beitrag wird daher ein Algorithmus für die Lösung eben dieses Optimierungsproblems als Voraussetzung für die Anwendung präskriptiver IS formuliert. Julian Franzen, Bernd Kuhlenkötter P rädiktive Strategien halten Einzug in die Instandhaltung von Schienenfahrzeugen. Um die Vorteile der zustandsorientierten Instandhaltung zu aktivieren, benötigt es entsprechende Methoden zur analytischen Instandhaltungsplanung und -optimierung auf (Fahrzeug-)Systemlevel. In diesem Beitrag wird die Anwendung eines genetischen Algorithmus für die analytische Instandhaltungsplanung im Bereich der Schienenfahrzeuge untersucht. Zustandsbezogene Instandhaltung Um die ökonomischen und ökologischen Nachteile präventiver Instandhaltungsstrategien zu eliminieren, betrachtet die zustandsorientierte Instandhaltung den tatsächlichen Zustand einer Komponente durch die direkte oder indirekte Messung von zustandsrelevanten Kenngrößen. Mittels Predictive Analytics kann sowohl der aktuelle als auch der künftige Zustand der Komponente beurteilt werden. Waren aus rechtlicher Sicht für Schienenfahrzeuge bisher nur präventive Strategien zulässig, ist durch eine Änderung des § 32 EBO mit Gültigkeit ab August 2017 unter Einhaltung definierter Randbedingungen (Einrichtung eines Instandhaltungsmanagementsystems, Entity in Charge of Maintenance - ECM gemäß EU/ 779/ 2019) die zustandsbasierte Instandhaltung legitimiert worden. 1, 2 Zustandsbezogene Ansätze haben mittlerweile Einzug in den Stand der Forschung und Technik gehalten. Während sich die Forschung vornehmlich mit der prototypischen Akquise und Analyse von Daten befasst, zeigt eine Marktrecherche, dass bereits einige Komponenten des Schienenfahrzeugs mittels kommerziell erhältlicher Lösungen überwacht werden können. Es ist zu beobachten, dass es sich bei kommerziell vertriebenen Konzepten um geschlossene Systeme mit Fokus auf einzelne Komponenten oder Baugruppen handelt. Aus wissenschaftlicher und anwendungsorientierter Sicht ist die analytische Instandhaltungsoptimierung unter Berücksichtigung möglichst vieler Komponenten von Interesse. Entsprechende Ansätze im Bereich der Schienenfahrzeuge existieren nicht. Zustandsbeschreibung Zur Beschreibung des Zustands einer Komponente ist deren Zuverlässigkeit ein wesentlicher Ansatzpunkt. Die Zuverlässigkeit eines technischen Produkts oder Systems ist eine Eigenschaft (Verhaltensmerkmal), die angibt, wie verlässlich eine dem Produkt oder System zugewiesene Funktion in einem Zeitintervall erfüllt wird. Sie unterliegt einem stochastischen Prozess und kann qualitativ oder auch quantitativ, z. B. durch die Überlebenswahrscheinlichkeit R (t) , beschrieben werden, ist dabei aber nicht unmittelbar messbar. 3 Zur Beschreibung der Überlebenswahrscheinlichkeit über die Zeitachse existieren verschiedene Ansätze (Ausfallverteilungen) wie die exponentielle Ausfallverteilung, die logarithmische Normalverteilung oder die Weibullverteilung. Analytische Instandhaltungsoptimierung Das übergeordnete Ziel der analytischen Instandhaltungsoptimierung ist der Entwurf eines Instandhaltungsplans für ein Zielsystem i. d. R. mit minimalen Kosten, maximaler Verfügbarkeit sowie Sicherheit. Nach der Identifikation und Beschreibung des Zielsystems bildet die mathematische Formulierung des Optimierungsproblems (OP) die Grundlage zur Durchführung einer analytischen Instandhaltungsoptimierung. Wie bestehende Veröffentlichungen zeigen, lässt sich die Instandhaltungsplanung der Gattung der Scheduling-Probleme zuordnen (siehe Conway für tiefergehen- Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 101 Wissenschaft TECHNOLOGIE de Informationen). 4 Scheduling-Probleme lassen sich nicht in Polynomialzeit lösen, es handelt sich in der Regel um NP-schwere-Probleme. Erschöpfende Methoden kommen für die Lösung dieser OP daher nicht infrage. Bestehen innerhalb des OP lineare Zusammenhänge, kommen z. B. Branch-and-Bound-Methoden zum Einsatz. Bei nichtlinearen Zusammenhängen, wie sie im Rahmen der ausfallbasierten Zustandsbeschreibung von Komponenten auftreten, wurden evolutionäre Algorithmen zur präventiven und zyklischen Instandhaltungsplanung erfolgreich eingesetzt. 5, 6 In den nächsten Abschnitten wird der genetische Algorithmus (GA) als Variante der evolutionären Optimierungsansätze beschrieben und ein entsprechendes OP für die Instandhaltung von Schienenfahrzeugen formuliert. Anhand dessen wird eine erste Einschätzung vorgenommen, wo die Grenzen des Einsatzes eines GA im Bereich der analytischen Instandhaltungsplanung für Schienenfahrzeuge liegen. Genetische Modellierung Der GA ist den stochastischen Verbesserungsverfahren zuzuordnen und nutzt eine binäre Problemrepräsentation. Analog zu den Prinzipien der natürlichen Evolution arbeitet der GA mit Populationen von Individuen (Genomen), welche sich im zeitlichen Ablauf, also in mehreren Generations-Iterationen verändern. Die Überlebensfähigkeit eines Individuums wird als Fitnesswert bezeichnet und berechnet sich als Funktionswert der Zielfunktion für das Individuum. Zur Kodierung der Individuen für eine neue Generation werden Operationen wie die Selektion, Rekombination und Mutation genutzt. Auf diese Weise pflanzen sich Lösungen mit gutem Fitnesswert fort, während durch das Einstreuen von Veränderungen neue, eventuell bessere, Lösungen gefunden werden. Diese evolutionäre Entwicklung endet, wenn ein Zielkriterium (z. B. Veränderung des Zielwertes) erreicht wird. Für weitere Informationen zum GA siehe Goldberg. 7 Aufbau des Genoms Die Aufgabe des Genoms in dem hier beschriebenen Ansatz ist es, die Instandhaltungsaktivitäten der betrachteten Komponenten eines Fahrzeugs über einen Zeitraum abzubilden. Der Betrachtungszeitraum orientiert sich hier an der bisher etablierten Spanne zwischen zwei Hauptuntersuchungen eines Schienenfahrzeugs mit einer Länge von sechs Jahren gemäß voriger Fassung des § 32 EBO. Diese Zeitspanne wird in isochrone Intervalle unterteilt, welche den Abstand zwischen zwei geplanten Stillständen darstellen. Auf den ersten Blick scheint eine möglichst granulare Darstellung sinnvoll, hiergegen sprechen jedoch zwei Aspekte. Zum einen ist eine Instandhaltungsplanung auf Tages- oder Wochenbasis, insbesondere von wartungsarmen aber kostenintensiven Komponenten, nicht praktikabel. Zum anderen erhöht sich bei einem fixen Planungshorizont von sechs Jahren die Anzahl der Variablen und damit die Komplexität des Problems, weshalb aus dieser Sicht möglichst lange Intervalle angestrebt werden. Gespräche mit Instandhaltungsexperten und -verantwortlichen haben ergeben, dass ein Abstand von drei Monaten, also etwa t ts = 520 Betriebsstunden bei Einschichtbetrieb, für diese Betrachtung angemessen ist. Bild 1 zeigt den Aufbau des Genoms X für die Anwendung des GA. Zielfunktion Die Zielfunktion dient zur Auswertung des Genoms, indem die Kosten für die Instandhaltungsplanung und die daraus resultierende Verfügbarkeit bestimmt werden. In diesem Fall wird ein GA mit einem Optimierungsziel angewendet, daher werden die Ziele der minimalen Kosten und der maximalen Verfügbarkeit mit der Gewichtung a und b in Gleichung (1) zusammengefasst. Der Fitnesswert eines Individuums ist der zugehörige Funktionswert y (X). y(X) = a* Cost (X) + b* Availability (X) (1) Kostenfunktion Die Kosten der Instandhaltungsstrategie hängen davon ab, welche Instandhaltungsaktionen durchgeführt werden. Die Kosten für die Instandhaltung einer Komponente i ergeben sich aus den Kosten C component für die Reparatur oder den Ersatz der Komponente, den Montagekosten C installation sowie durch die Stillstandzeit entstehenden Ersatzkosten C compensation gemäß Gleichung (2) zu: Cost(i) = C component (i) + C installation (i) + c compensation (i) (2) Bei komplexen Systemen ist es häufig der Fall, dass die Kosten für die Reparatur einer Komponente wesentlich vom Gesamtumfang des Stillstands abhängen. So muss beispielsweise bei einer Drehgestell-Rangierlokomotive für die Instandsetzung der Radsätze die Lokomotive aufgebockt sowie eine Demontage der Drehgestelle vorgenommen werden. Eben diese Handlungen sind gegebenenfalls Voraussetzung für Reparaturen am Rahmen des Fahrzeugs. Bei der Bestimmung der Gesamtkosten ist somit ein entsprechender Aufbruch der Kosten vorzunehmen, so dass Montagekosten nicht mehrfach berücksichtigt werden oder Vorteilhaftigkeiten zusammengefasster Instandhaltungsstufen unberücksichtigt bleiben. Die Gesamtkosten ergeben sich dann im Verhältnis zu den maximal möglichen Kosten gemäß Gleichung (3) zu: Cos Cos Co max t X t i t n ,n Availability X T comp t i n tot comp ( ) = ( ) ( ) = =1 ∑ aal down i n total T i T numcomp − ( ) =1 ∑ ( ) (3) Verfügbarkeit Die Verfügbarkeit berechnet sich analog zu den Kosten durch Addition der Stillstandzeiten T down für jede 𝑋𝑋 𝑏𝑏𝑏𝑏𝑏𝑏 = 000010000100001 000000010000001 100010001000010 … ≙ 𝑋𝑋 𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑 = 1.057 129 17.474 … 𝑡𝑡 1 𝑡𝑡 2 … 𝑡𝑡 𝑏𝑏 𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑡𝑡 2 𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑡𝑡 1 … 𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑡𝑡 𝑚𝑚 Binary Representation Decimal Representation bin2dec 𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑡𝑡 2 𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑡𝑡 1 … 𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑐𝑡𝑡 𝑚𝑚 𝑇𝑇 𝑡𝑡𝑡𝑡𝑡𝑡𝑡𝑡𝑡𝑡 Bild 1: Darstellung des Instandhaltungsplanes als Genom des GA Quelle: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 102 TECHNOLOGIE Wissenschaft Einzelkomponente und deren Relation zur gesamten Nutzungsdauer T total =n t *t ts . Auch hier findet eine Beeinflussung der Summe für einen Zeitschritt statt. In der Regel orientiert sich die Stillstandzeit der Lokomotive an der längsten Reparaturdauer einer Komponente, da auch hier gleiche Demontage und Montagevorgänge für die Reparatur notwendig sind und sich nur die tatsächlichen Reparaturdauern unterscheiden. Die technische Verfügbarkeit des Systems ergibt sich gemäß Gleichung (4) zu: Cos Cos Co max t X t i t n ,n Availability X T comp t i n tot comp ( ) = ( ) ( ) = =1 ∑ aal down i n total T i T numcomp − ( ) =1 ∑ ( ) (4) Anwendung Das Anwendungsszenario ist ein in Reihe geschaltetes System von Einzelkomponenten (= Ausfall einer Komponente bedeutet Ausfall des Systems) wie beispielsweise der Antriebsstrang eines dieselhydraulischen Rangierfahrzeugs (betrachtete Komponenten können z. B. Motor, Strömungsgetriebe, Achsgetriebe und Radsätze sein). Die Eigenschaften der Ausfallverteilung sowie Kosten und Dauer des Stillstandes werden in diesem Fall mangels öffentlich verfügbarer Daten angenommen und orientieren sich an branchenüblichen Werten. Der GA wird für eine steigende Anzahl von Komponenten und Zeitschritten ausgeführt, um Leistungsgrenzen zu identifizieren. Als Simulationsumgebung wird Matlab unter Erweiterung durch die Optimization Toolbox genutzt. Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Anwendung des GA betrachtet. Für alle Ausführungen wurden gleichbleibende Parameter für Crossover (0,2) und Mutation (0,8) angewendet. Das akzeptable Ausfallrisiko wurde beispielhaft mit G max =0,25 angenommen, als Gewichtungsfaktoren haben sich a=0,7 und b=0,3 als geeignete Wahl für das formulierte OP erwiesen. Ergebnis Funktion des GA Für kleine Konfigurationsmengen (n comp ≤ 4,n t ≤ 5) entsprechen die vom GA gefundenen Lösungen dem globalen Optimum (gefunden mit erschöpfenden Ansätzen). Da der Rechenaufwand für die Suche des globalen Optimums aufgrund der rasant anwachsenden Konfigurationsmenge ebenso ansteigt, kann das globale Optimum Time Steps - 4 5 10 20 30 40 Components - 4 ( ) 0 0 0 0,0061 0,0308 0,0667 ( . ) 0 0 0 0,0110 0,0431 0,1007 ; ( ) 0; 1 0; 1 0; 1 64.766; 99% 277.100; 95% 563.500; 88% ∆ . ; ∆( . ) - - - +20.000; -2% +88.233; -3% +340.366; -6% ( . )/ ( ) - 67; 0,3 - 64; 0,4 - 78; 0,5 1,80 170; 0,7 1,40 161; 0,9 1,51 138; 1,4 ∅; ∅ . 5 ( ) 0 0 0,0035 0,0118 0,0408 0,1042 ( . ) 0 0 0,0035 0,02 0,0681 0,1652 ; ( ) 0; 1 0; 1 29.733; 99% 128.833; 98% 389.066; 93% 973.333; 82% ∆ . ; ∆( . ) - - - +48.300; -2% +285.967; -4% +650.567; -8% ( . )/ ( ) ∅; ∅ . - 62; 0,5 - 65; 0,5 1,00 98; 0,6 1,69 190; 1,0 1,67 174; 1,6 1,59 135; 2,9 10 ( ) 0 0,0026 0,0143 0,0636 0,1169 0,1648 ( . ) 0 0,0026 0,0203 0,0843 0,1947 0,2671 ; ( ) 0; 1 11.933; 99% 124.933; 97% 499.232; 88% 1.104.234; 82% 2.303.497; 75% ∆ . ; ∆( . ) - +56333; -1% +141.934; -2% +839.222; -5% +1.012.218; -8% ( . )/ ( ) - 63; 0,9 1,00 66; 1,3 1,42 77; 3,1 1,33 100; 5,4 1,67 163; 8,5 1,62 226; 11,2 ∅; ∅ . 20 ( ) 0 0,0067 0,0831 0,1418 0,2212 0,3371 ( . ) 0,0032 0,0113 0,1372 0,1966 0,3187 0,4991 ; ( ) 0; 1 34.127; 98% 173.281; 93% 1.423.093; 88% 2.953.120; 81% 4.201.294; 76% ∆ . ; ∆( . ) +27.643; -2% +21841; -2% +103969; -5% +555.006; -7% +1.304.283; -9% +1.956.556; - 11% ( . )/ ( ) - 1,69 1,65 1,39 1,44 1,48 ∅; ∅ . 98; 1,2 134; 2,8 235; 6,2 178; 11,5 154; 21,0 123; 26,9 Tabelle 1: Ergebnisse der Testreihe = Result GA - Fitness Value () Normalized Frequency Combination Bild 2: Stichprobenverteilung Quelle: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 103 Wissenschaft TECHNOLOGIE zur Beurteilung der Lösung des GA für n comp ≤ 4,n t ≤ 5 nicht herangezogen werden. Zur Beurteilung der Ergebnisse des GA sowie der Bestimmung der Leistungsgrenze des GA für den Einsatz in der zustandsbezogenen Instandhaltungsplanung von Schienenfahrzeugen wird daher eine Testreihe angelegt und auf alternative Beurteilungen zurückgegriffen. Dazu wurde für n comp =4 … 20 und n t =5 … 40 der GA mehrfach ausgeführt (Stichprobengröße je Kombination N=500). Das Ergebnis dieser Testreihe zeigt Tabelle 1. Ergebnisverteilung Der Wert y min gibt für jede Testreihe das gefundene Optimum wieder. Ob es sich dabei um ein lokales oder globales Minimum handelt, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Die Verteilung der Ergebnisse variiert bei mehrfacher Ausführung mit gleichbleibenden Parametern stark. Bild 2 zeigt normalisierte Verteilung der Stichproben für n comp =5 und n t =10 (blau) bzw. 40 (orange) Zeitschritte. Die Stichproben lassen sich auf den ersten Blick keiner eindeutigen Verteilung zuordnen. Wie hier exemplarisch für n comp =5 dargestellt, jedoch für alle Stichproben im Rahmen dieses Papers beobachtet, handelt es sich bei kleinen Zeithorizonten um eine links-schiefe Verteilung der Ergebnisse. Das Minimum der Stichprobe und das empirische 10-%-Quantil Q 10 liegen nah beieinander. Für größere Zeithorizonte wandert die Verteilung über eine symmetrische Verteilung hin zu einer rechts-schiefen Verteilung wie in Bild 2 dargestellt. Es ist ebenfalls erkennbar, dass die Verteilungsbreite mit zunehmendem Zeithorizont ansteigt. Dasselbe Phänomen lässt sich für eine zunehmende Komponentenanzahl feststellen. Gemäß dieses Zusammenhangs lässt sich festhalten, dass das Auffinden eines Optimums mit steigender Komplexität erwartungsgemäß abnimmt und die praktische Anwendbarkeit damit einschränkt. Praktische Eignung der Ergebnisse Neben der Funktion des Algorithmus wurden die Ergebnisse der Testreihe durch Schienenfahrzeug-Instandhaltungsexperten analysiert. Bei der Betrachtung der Ergebnisse in Tabelle 1 fällt auf, dass diese bei steigender Komponentenzahl und längerem Planungshorizont eine in der Praxis nicht hinnehmbar geringe Verfügbarkeit aufweisen. Somit liegt die praktische Anwendbarkeit unter diesem Gesichtspunkt mit Blick auf Tabelle 1 laut Expertenmeinungen in diesem Beispiel bei der Kombination von n comp =5 und n t =20. Weitere Restriktionen hinsichtlich der Konfigurationsmenge ergeben sich aus der Rechendauer. Besteht keine zeitliche Beschränkung für die Laufzeit der Instandhaltungsplanung, sind auch große Konfigurationsmengen denkbar. Soll jedoch in absehbarer Zeit eine Aussage mittels Anwendung des GA getroffen werden, sind lange Laufzeiten nachteilig. Daher sind gemäß Tabelle 1 auch hier Kombinationen im Bereich von n comp =5 und n tp =20 Zeitschritten akzeptabel. Resultat Dieses Paper zeigt, dass evolutionäre Algorithmen, in diesem Fall repräsentiert durch den genetischen Algorithmus, eine grundsätzliche Eignung besitzen, um eine analytische Instandhaltungsoptimierung für zustandsorientiert instand gehaltene Komponenten eines Schienenfahrzeugs durchzuführen. Die Qualität der gefundenen Lösung hängt jedoch enorm von der Größe der Konfigurationsmenge ab und kann aufgrund der stochastischen Eigenschaften eines GA nicht global validiert werden. Möglicherweise stellt eine Sensitivitätsanalyse eine unterstützende Möglichkeit zur Bestimmung der Lösungsgüte dar. In dem hier dargestellten Ansatz liefert eine Konfigurationsmenge von n comp =5 und n comp =20 Zeitschritten, entsprechend etwa fünf Jahren unter Berücksichtigung von Expertenwissen, eine akzeptable Lösung. Dieser Wert liegt knapp unter den eingangs angedachten sechs Jahren, liegt aber in einer ähnlichen Größenordnung und kann daher diesbezüglich als akzeptabel angesehen werden. Die Optimierung von Lösungsparametern für Mutation, Crossover und Selektion kann ebenfalls einen Ansatz zur Nutzung des Algorithmus für größere Konfigurationsmengen leisten und wurde in diesem Paper nicht betrachtet. Einen weiteren Beitrag zur Optimierung kann die Verwendung eines Mehrziel-GA liefern. In diesem Fall müssen die Optimierungsziele Kosten und Verfügbarkeit nicht in einem Term zusammengefasst (und normiert) werden, sondern werden in zwei separaten Fitnessfunktionen evaluiert. Eine deutliche Erweiterung der Anwendbarkeit ist darüber hinaus durch die Instandhaltungsplanung mittels verteilter Problemlösung in einem Agentensystem denkbar und muss in weiteren Untersuchungen bestätigt werden. ■ 1 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO), Version von August 2017 2 EU/ 779/ 2019: Durchführungsbestimmungen für ein System zur Zertifizierung von für die Instandhaltung von Fahrzeugen zuständigen Stellen 3 Bertsche, B.; Lechner, G.: Zuverlässigkeit im Fahrzeug- und Maschinenbau. Berlin, Springer-Verlag. 2004 4 Conway, R. et al.: Theory of Scheduling. Addison-Wesley Educational Publishers, 1967 5 Lapa, C. et al.: A model for preventive maintenance planning by genetic algorithms based in cost and reliability. In: Reliability Engineering & System Safety 2/ 2006, p. 233-240. 2006 6 Nitisiri, K. et al.: A parallel multi-objective genetic algorithm with learning based mutation for railway scheduling. In: Computers & Industrial Engineering. Volume 130, p. 381-394. Elsevier. 2019 7 Goldberg, D.; Sastry, K.: Genetic Algorithms. Berlin, Springer. 2015 Julian Franzen, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Produktionssysteme, Ruhr-Universität Bochum franzen@lps.rub.de Bernd Kuhlenkötter, Prof. Dr.-Ing. Leiter des Lehrstuhls für Produktionssysteme, Ruhr-Universität Bochum kuhlenkoetter@lps.rub.de FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 104 Lokale Mobilität vor neuen Herausforderungen Rückblick: Tagung der Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, 24.05.2019 D er Verkehrsmarkt auf lokaler Ebene gerät in Bewegung. Seit Jahrzehnten nahezu unveränderte Marktstrukturen werden durch neue technische Möglichkeiten und darauf gründende neue Geschäftsideen herausgefordert. Dies geht mit Chancen und Risiken gleichermaßen einher. Ende Februar 2019 hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die öffentliche Diskussion hierüber durch die Veröffentlichung eines Eckpunktepapiers, welches auf eine Marktöffnung für neue Anbieter abzielt, bereichert. Vor diesem Hintergrund lud die Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu einem Austausch wissenschaftlicher und praktischer Perspektiven ein. Insgesamt acht Referenten aus Anwaltschaft, Verbänden, dem Taxigewerbe und Vertretern neuer Mobilitätsdienste stellten sich nach ihren Vorträgen auch den Fragen der interessierten Öffentlichkeit. Ein ausführlicher Tagungsbericht wurde zusammengestellt von Constantin Beye und David Meurers, Wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Jena. Er ist online verfügbar unter www.internationales-verkehrswesen.de/ 44-1908 IT-Trans 2020 Vorschau: IT-Trans, Messe für innovative IT-Lösungen im öffentlichen Personenverkehr, Karlsruhe, 03.-05.03.2020 A lle zwei Jahre veranstalten die Karlsruher Messe- und Kongress GmbH (KMK) und der Internationale Verband für öffentliches Verkehrswesen (UITP) die dreitägige Weltleitmesse IT-Trans. Vom 3. bis 5. März 2020 trifft sich die internationale Fachwelt zum siebten Mal in der Messe Karlsruhe, um sich über neueste Produktinnovationen des öffentlichen Personenverkehrs auszutauschen und aktuelle Herausforderungen zu diskutieren. Kernthema ist Mobility-as-a-Service Wachsender Mobilitätsbedarf und eine zunehmende Vielfalt von Mobilitätsoptionen kennzeichnen heutige Städte und Ballungsräume. Im Rahmen der IT-Trans zeigen rund 270 Aussteller auf 28.000 m 2 neueste Produkte und Dienstleistungen für die Mobilität von morgen. Mittelpunkt vieler Lösungen ist das Merkmal der Multimodalität - also der Kombination verschiedener Verkehrsmittel. Weitere Themenfelder der IT- Trans sind Fahrgeldmanagement, Reiseinformation, Smart Cards, Sicherheit und Software-Systeme sowie Verkehrs- und Flottenmanagement. Das dreitägige Vortragsprogramm widmet sich den Hauptthemen Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz und IoT, Autonome Fahrzeuge, On-demand und Shared Mobility, Mobility as a Service (MaaS), Ticketing und Fahrgeldmanagement, Datenspeicherung und -kontrolle sowie Management von Verkehrs- und Transportsystemen. Taxi & Ride-hailing Conference & Exhibition erstmals in Karlsruhe Nachdem die „Taxi & Ride-hailing Conference and Exhibition“ bereits in London und Dubai ausgetragen wurde, findet die Veranstaltung 2020 parallel zur IT-Trans in Karlsruhe statt. Weltweit einzig legt das Event den Fokus auf Taxi und Ride-hailing zugleich und befasst sich umfassend mit den Herausforderungen und Lösungen, welche die Branche in Zukunft beschäftigen werden. Führende Taxi-Experten sowie Branchenführer aus der ganzen Welt sind eingeladen, ihr Wissen zu teilen und sich mit den Besuchern auszutauschen. Neben dem Austausch in Podiumsdiskussionen und Vorträgen zeigen Aussteller in einem 2.000 m 2 großen Ausstellungsbereich spezielle Lösungen zu Taxi & Ride-hailing. Die Delegierten haben so die Möglichkeit, die neuesten Entwicklungen und Innovationen der Branche zu entdecken, Fachwissen zu vertiefen und smarte Lösungsansätze kennenzulernen. Die Taxi & Ride-hailing Conference and Exhibition ergänzt die zeitgleich stattfindende IT-Trans optimal, die sich intelligenten Lösungen für den öffentlichen Personenverkehr widmet. Veranstalter beider Branchentreffen sind die UITP - Internationaler Verband für öffentliches Verkehrswesen, sowie die Messe Karlsruhe. www.it-trans.org Foto: KMK Foto: Ajel/ pixabay Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 105 Erscheint im 71. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 56 vom 01.01.2019 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr mit International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren Abonnement-Paket Inland: EUR 215,00 (inkl. MWSt.) Abonnement-Paket Ausland: EUR 238,75 (inkl. VAT) Einzelheft: EUR 37,00 (inkl. MWSt.) + Versand Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print oder E-Paper mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck BWH GmbH, Hannover Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Chess - Business strategy and tactic Foto: Alphaspirit | Shutterstock Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Strategische Planung und Koordination" Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Sebastian Belz Dipl.-Ing., Generalsekretär EPTS Foundation; Geschäftsführer econex verkehrsconsult GmbH, Wuppertal Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Florian Eck Dr., stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Geschäftsführer, traffiQ, Frankfurt am Main (DE) Ottmar Gast Dr., Vorsitzender des Beirats der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender der Logistik- Initiative Hamburg (LIHH), Mitglied des Aufsichtsrats der Otto Group Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Detlef Zukunft Dr., Programmdirektion Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 106 Liebe Leserinnen und Leser, befeuert von Aktionen und Reaktionen rund um den Klimawandel, sind in diesem zu Ende gehenden Jahr auch die Diskussionen in der Verkehrsbranche hitziger geworden - und vielfältiger. Die vorliegende Ausgabe von Internationales Verkehrswesen spiegelt diese Themen in ganzer Vielfalt wider: Emissionssteuer, Mikrofahrzeuge, neue Mobilitätskonzepte,… Vermutlich werden uns diese Schlagworte noch öfter begleiten. Die ersten Monate des kommenden Jahres sind geprägt von wichtigen Transport- und Verkehrsmessen - etwa der IT-Trans in Karlsruhe. Und so sollen sich die Themen der Ausgabe 1/ 2020 mit dem Schwerpunkt Verkehr vernetzen vor allem um intelligente Systeme, um den zunehmend digitalisierten Verkehr im urbanen Raum und um praktische Anwendungen drehen. Das gilt ebenso für die Beiträge von International Transportation - die englischsprachige Edition wird künftig als Special die meist messe-fokussierten Ausgaben 1 und 3 ergänzen. Als Schwerpunkt im Februar ist hier Digital Strategies eingeplant. Das Heft wird am 19. Februar erscheinen. Und wie immer sind Sie herzlich eingeladen, Ihr Wissen als Autor mit unseren Lesern zu teilen. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter 06.-07.11.2019 Berlin (DE) UBA-Forum 2019 Luftverkehr der Zukunft Veranstalter: Umweltbundesamt, 06844 Dessau-Roßlau Kontakt: Roman Thierbach, roman.thierbach@uba.de www.umweltbundesamt.de/ uba-forum-mobil-nachhaltig 12.-14.11.2019 Budapest (HU) 4th International Conference InnoRail Budapest Tradition and Progress - Railways in the Digital Age Veranstalter: Innorail Kiadó és Konferencia Kft., Budapest Kontakt: CongressLine Kft., office@congressline.hu www.innorail2019.hu/ de 19.-23.11.2019 Lyon (FR) Solutrans International show for road &urban transport solutions Veranstalter: FFC Fédération Française de Carrosserie Industries et Services Organisation: www.comexposium.com www.solutrans.eu 26.-28.11.2019 Frankfurt a.M. (DE) Hypermotion 2019 Pioneering Mobility & Logistics Veranstalter: Messe Frankfurt Exhibition GmbH Kontakt: info@messefrankfurt.com www.hypermotion.de 26.-27.11.2019 Frankfurt a.M. (DE) Deutscher Mobilitätskongress 2019 Mobilität in Ballungsräumen - Chancen und Herausforderungen Veranstalter: Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft DVWG e.V., Berlin Kontakt: Hauptgeschäftsstelle, Tel. 030 29360-60, info@deutscher-mobilitaetskongress.de www.deutscher-mobilitaetskongress.de 14.-16.01.2020 Essen (DE) InfraTech 2020 Fachmesse für Straßen- und Tiefbau Veranstalter: Rotterdam Ahoy N.V. Kontakt: info@infratech.de www.infratech.de 03.-05.03.2020 Karlsruhe (DE) IT-TRANS Messe für innovative IT-Lösungen im öffentlichen Personenverkehr Veranstalter: Karlsruher Messe- und Kongress GmbH sowie UITP (Union Internationale des Trans-ports Publics) Kontakt: svenja.diepold@messe-karlsruhe.de www.it-trans.org 10.-12.03.2020 Stuttgart (DE) LogiMAT Internationale Fachmesse für Distribution, Material- und Informationsfluss Veranstalter: EUROEXPO Messe- und Kongress-GmbH, München Kontakt: logimat@euroexpo.de www.logimat-messe.de 01.-04.04.2020 Friedrichshafen (DE) Aero Friedrichshafen The Leading Show for General Aviation Veranstalter: Messe Friedrichshafen GmbH Kontakt: info@messe-fn.de www.aero-expo.com 16.-19.04.2020 Stuttgart (DE) auto motor und sport i-Mobility Ausstellung für intelligente Mobilität Veranstalter: Landesmesse Stuttgart GmbH Kontakt: info@messe-stuttgart.de www.messe-stuttgart.de/ i-mobility TERMINE + VERANSTALTUNGEN 06.11.2019 bis 19.04.2020 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de VORSCHAU | TERMINE Meine/ Unsere Daten: Herr Frau Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden) Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen. Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de als PDF heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo als gedruckte Ausgabe als ePaper Jahresbezugspreis Inland EUR 215,inkl. MwSt. und Versand Jahresbezugspreis Ausland EUR 217,- (mit VAT-Nr.) / EUR 238,75 (ohne VAT-Nr.), inkl. Versand WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www.trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. Datum Unterschrift Abo-Bestellung bitte senden an: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Leserservice Internationales Verkehrswesen Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, GERMANY Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: service@trialog.de Ja, ich will Internationales Verkehrswesen regelmäßig lesen! StudiAbo (Aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung) Jahresbezugspreis Inland EUR 86,- (inkl. MwSt. und Versand). Jahresbezugspreis Ausland EUR 96,- (inkl. MwSt. und Versand). Das Jahres-Abonnement umfasst Print-Ausgabe oder ePaper plus Archivzugang (via Webseite). Vertriebsanzeige IV_2019.indd 1 01.02.2019 17: 42: 10 2019 | Heft 4 November
