Internationales Verkehrswesen
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2020 | Heft 4 November Regionen verbinden - Strategien für bessere Mobilität in Stadt und Land Verkehr und Infrastruktur Heft 4 | November 2020 72. Jahrgang POLITIK Mehr Fahrgäste für den Bus gewinnen INFRASTRUKTUR Sind unsere Straßen wirklich zu eng geworden? MOBILITÄT Abgehängt: Unterwegssein im ländlichen Raum TECHNOLOGIE Vision Zero - im Gespräch mit Unfallforscher Siegfried Brockmann www.internationalesverkehrswesen.de DAS FACHMAGAZIN FÜR DIE JACKENTASCHE Lesen Sie Internationales Verkehrswesen und International Transportation lieber auf dem Bildschirm? Dann stellen Sie doch Ihr laufendes Abo einfach von der gedruckten Ausgabe auf ePaper um - eine E-Mail an service@trialog.de genügt. Oder Sie bestellen Ihr neues Abonnement gleich als E-Abo. 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Das heißt aber im Umkehrschluss, dass wir ihre Anforderungen erfüllen und ihre Ängste ernst nehmen müssen. Wichtig ist neben Sicherheits- und Hygienemaßnahmen insbesondere eine intensive Aufklärung. Denn die Nutzung von Bus und Bahn ist auch in Zeiten der Pandemie so sicher wie ein Besuch im Supermarkt. Wir müssen das Vertrauen in den ÖPNV wieder herstellen. Dazu haben die ÖPNV-Akteure ein ganzes Bündel an Maßnahmen initiiert. Über neue Hygiene- und Reinigungskonzepte hinaus kann vor allem die Digitalisierung helfen, den Fahrgästen ein gutes Gefühl beim Nutzen von Bus und Bahn zu vermitteln. Abstand und Platz sind die Stichworte der Zeit. Hier können Mobilitäts-Apps und Auslastungsprognosen helfen, die für die eigenen Bedürfnisse geeigneten Verkehrsmittel zu finden. So kann ich sehen, ob eine Bahn schon gut gefüllt ist und wähle die darauffolgende „leerere“, beziehungsweise ich lasse mir eine andere Wegekette anzeigen. Auch elektronische Fahrkarten und attraktive Flatrate-Angebote tragen zum Sicherheitsbedürfnis der Menschen bei. Viele dieser Maßnahmen sind in den Verkehrsunternehmen und -verbünden bundesweit bereits in der Entwicklung beziehungsweise im Einsatz. Wir brauchen einen zukunftsfähigen, verlässlichen und sicheren ÖPNV! Denn er ist das Herzstück der Verkehrswende. Trotz Corona dürfen wir nicht nachlassen und die Klimaziele aus dem Blick verlieren. Und wir müssen alles daransetzen, gerade jetzt aktiv Klimaschutzmaßnahmen einzuleiten. Denn die Zeit ist nicht nur reif dafür, sondern auch überfällig. Die Themen rund um den Klimawandel und die Verantwortung von Mobilität und Verkehr für die Reduktion von CO 2 und klimaschädlichen Emissionen in diesem Sektor werden uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiterhin begleiten. Die Pandemie stoppt weder Klimaziele noch Verkehrswende. Dem ÖPNV kommt eine von Politik und Gesellschaft inzwischen anerkannte Schlüsselrolle für die Erreichung der Klimaziele und der auch durch Corona nicht zu stoppenden Verkehrswende zu. Daher sollten wir alles daransetzen, den ÖPNV zu stärken. Dazu gehört an erster Stelle der weitere umfangreiche Ausbau der Infrastruktur. Außerdem müssen die begonnenen Projekte zur Angebotsverbesserung und -erweiterung dringend vorangetrieben werden. Für die ÖPNV-Finanzierung bei politisch gewünschter weiterer Ausweitung günstiger Tarifangebote für unsere Fahrgäste benötigen wir die „Bazooka“, um mit den Worten des Finanzministers Olaf Scholz zu sprechen. Denn sobald sich das gesellschaftliche Leben wieder normalisiert, werden die Fahrgastzahlen umso mehr steigen. Und darauf müssen wir vorbereitet sein. Durch die Corona-Pandemie ist die Branche über alle Bereiche - von Verkehrsunternehmen bis Aufgabenträger - noch enger zusammengewachsen und arbeitet mit großem Engagement lösungsorientiert zusammen. Lassen Sie uns diesen neu entstandenen Zusammenhalt weiter vertiefen und halten und gemeinsam mit Politik und Gesellschaft einen starken ÖPNV schaffen! Prof. Knut Ringat Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 4 POLITIK INFRASTRUKTUR 16 Radverkehrsförderung 3.0 Barrierefrei, netztransparent, digital - Teil 2 Peter Pez Antje Seidel 21 DIANA - digitalisierte prädiktive Instandhaltung Diagnose und Analyse von Produktionsmitteln der Infrastruktur Isidoros Sapounas 24 Das Auto im städtischen Straßenraum Vernünftig oder unvernünftig - welche Fahrzeuggröße ist vernünftig? Matthias Kuhnt LOGISTIK Foto: Mabel Amber/ pixabay SEITE 16 Foto: Blue Dart SEITE 32 Foto: Hochbahn SEITE 12 MOBILITÄT 32 Indiens Logistikmarkt Fragmentierung und mangelnde Infrastruktur Dirk Ruppik 10 Autonome Fahrzeuge als Lösung für die heutige Verkehrsbelastung Wie Politiker autonome Fahrzeuge zum Erfolg führen können Maximilian Richter 12 Angebotsoffensive Bus Hamburg Wie man 50 % zusätzliche Fahrgäste in zehn Jahren gewinnen kann Niklas Hoffmann Torben Greve 34 Auswirkungen von Erreichbarkeitsdefiziten auf das Freizeitverhalten Jugendlicher Ergebnisse einer Online- und Offline-Befragung in der Region Göttingen Alexandra Bradtke 44 Hygieneschutzmaßnahmen im-ÖPNV Verhalten und Wahrnehmung von Fahrgästen in der Corona- Zeit Maria Radspieler Katherine Guertler 48 Das Elektrofahrrad im Spiegel der Medien Eine Inhaltsanalyse von Publikums- und Fachmedien zur-Ableitung öffentlicher Akzeptanz Katharina Seuser Aysegül Yasari Andreas Viehof THEMEN, SCHLAGWORTE, AUTOREN, … Schlagen Sie einfach nach: Fach- und Wissenschafts-Artikel aus Internationales Verkehrswesen finden Sie-ab dem Jahr 2000 online in der Beitragsübersicht - auf der Archiv-Seite im Web. www.internationales-verkehrswesen.de/ archiv Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 5 INHALT November 2020 TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 15 Bericht aus Brüssel 72 Forum Veranstaltungen Bücher 73 Impressum | Gremien 74 Vorschau | Termine 60 „Vision Zero“ - maximale Verkehrssicherheit als Ziel Fragen an Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung der Versicherer (UDV) in Berlin WISSENSCHAFT 62 Heuristisches Modell zur fahrzeugbezogenen Bewertung des Fahrerlebnisses Falk Salzmann Eduard Schulz 68 Voraussetzungen für zukünftige Mobilitätstechnologien Interdisziplinäre Analyse der Transformation zukünftiger Mobilitätstechnologien in Stadt und Land Michael Husemann Julia Streitz Foto: Andreas Hermsdorf/ pixelio SEITE 34 Foto: UDV SEITE 60 53 „Die komplette Mobilitätswelt komfortabel zugänglich machen“ Im Gespräch mit den Geschäftsführern der Mobility inside- Holding Jörg Puzicha und Volker-Weiß 56 Mobilitätsmonitor Nr. 11 - November 2020 Christian Scherf Andreas Knie Lisa Ruhrort Wolfgang Schade WISSENSCHAFT 40 Mobilität in ländlichen Räumen Betrachtungen aus Sicht der Verkehrswende und der Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen Claudia Nobis Melanie Herget AUSGABE 1 | 2021 Krise als Chance? - Digitale Geschäftsmodelle - ÖV unter Druck - Transportketten Special: International Transportation - Changing the Game: Strategies Erscheint am 17. Februar 2021 Transforming Transport - The annual view 2020 • Logistics - how to meet upcoming challenges • Transportation strategies put into action • Can MaaS move transport decarbonization forward? • Innovative transport systems and mobility services Available as e-journal only. Find out more on the website: www.international-transportation.com COLLECTION 2020 International Transportation Strategies and solutions - the annual view 2020 Transforming Transport STRATEGIES Logistics - how to meet upcoming challenges BEST PRACTICE Transportation strategies put into-action PRODUCTS & SOLUTIONS Can MaaS move transport decarbonization forward? SCIENCE & RESEARCH Innovative transport systems and mobility services International Transportation www.international-transportation.com Collection | October 2020 Volume 72 Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 6 IM FOKUS SmartKai - Einparkhilfe für Schiffe W enn in Häfen und Schleusen schlecht einsehbare oder hydrodynamisch schwer einzuschätzende Bereiche den reibungslosen Ablauf von Schiffsmanövern behindern, fällt es selbst ortkundigem Personal oft schwer, wichtige navigatorische Entscheidungen für das Schiff und seine Besatzung zu treffen. Vor allem in tideabhängigen Häfen wie Cuxhaven kann nur mit entsprechenden Wasserständen sicher manövriert werden. Ein erhöhtes Verkehrsaufkommen birgt hierbei zusätzlich ein Schadensrisiko für Schiffe und Hafeninfrastruktur. Ziel des „SmartKai“-Projektes ist deshalb die Entwicklung eines digitalen Assistenzsystems, um diesen Risiken und Gefahren entgegenzuwirken. In einer dreitägigen Testkampagne wurden innerhalb des Projektes „Smart- Kai“ erste Systemtests in Wilhelmshafen durchgeführt. Zunächst wird ein neuartiges lasergestütztes Sensorsystem an Hafeneinfahrten, Schleusen oder Kaianlagen installiert. Über eine Schnittstelle liefert es ein konsistentes Lagebild. Lotsen- und Schiffspersonal können das System effizient über ein Tablet, die sogenannte Pilot Portable Unit, direkt auf der Schiffsbrücke nutzen und so das Schiff auf engstem Raum sicher manövrieren. Durch die höhere Sicherheit bei punktgenauen Anlege- und Ablegemanövern sowie beim Passieren von engen Einfahrten und Schleusen werden Schäden an Schiffen und Hafeninfrastruktur zukünftig vermieden. Das Informatikinstitut „Offis“ entwickelt in diesem Forschungsprojekt das System und führt die Testkampagnen durch. Dabei werden die Regularien der International Maritime Organization (IMO) berücksichtigt sowie die praxisnahen Anforderungen der aktiv berufstätigen Lotsen. Wichtige Prüfkriterien für ein digitales maritimes Assistenzsystem sind unter anderem Genauigkeit, Integrität, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit, um Lotsen- und Schiffspersonal zukünftig bei Manövern zu unterstützen. Bislang wurden insgesamt über 20 Szenarien abgeleitet und entwickelt, die im Rahmen des ersten erfolgreichen Feldtests aufgezeichnet wurden. Sensorenhersteller und Projektpartner Sick AG hat eine sogenannte Lidar-Sensorik konzipiert und in Wilhelmshaven am Hannoverkai installiert. Getestet wurde auf dem Offis- Forschungsboot „Josephine“ und zugleich auf dem Vermessungsschiff „Argus“ aus der Flotte der Hafeninfrastrukturgesellschaft Niedersachsen Ports (NPorts). NPorts als Verbundkoordinator im „SmartKai“-Projekt ist besonders daran interessiert, künftig Schäden an der Hafeninfrastruktur zu vermeiden. Der Oldenburger Softwareentwickler Humatects GmbH setzt als weiterer Projektpartner die Benutzeroberfläche für das Lotsen- und Brückenpersonal um. www.offis.de Foto: Axel Hahn/ OFFIS-Institut für Informatik Chinesischer Hochgeschwindigkeitszug mit automatischer Umspurung vorgestellt D er chinesische Schienenfahrzeughersteller CRRC Changchun Railway Vehicles Co. Ltd stellte Ende Oktober einen neuen Hochgeschwindigkeit-Triebzug mit Spurwechseltechnik für unterschiedliche Spurweiten vor. Details sind derzeit noch kaum bekannt, doch soll der Zug mit bis zu 400 km/ h unterwegs sein und internationale Strecken, beispielsweise Peking - Moskau, ohne zeitraubenden Wechsel der Radsätze zurücklegen können. Außerdem soll der Zug unter verschiedenen Bahnstrom- und Sicherheitssystemen sowie bei Temperaturen zwischen minus 50 und plus 50 °C einsetzbar sein. Damit sollte sich der neue Triebzug für die meisten Hochgeschwindigkeitsstrecken der Welt eignen. Durch Tausch ganzer Radsätze umspurbare Wagen für den Güterverkehr auf Bahnen in russischer Breitspur und normalspurigen Bahnen wurden bereits Mitte der 1920-er Jahre eingesetzt. Auch das Prinzip der automatischen Umspurung ohne Drehgestell-Tausch ist nicht neu. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Räder während der Umspurung entlastet oder belastet sind. Beispielsweise hat die spanische Firma Talgo ein System entwickelt, bei dem Einzelräder auf Stummelachsen samt ihren Lagern seitlich verschoben werden können. Zum Wechsel der Spurweite werden die entlasteten Räder durch Führungen auseinander- oder zusammengedrückt, bis sie für die andere Spurweite passen. Der Neigetechnikzug Talgo XXI aus dem Jahr 2000 gilt als erstes während der Fahrt umspurbares Triebfahrzeug für den Hochgeschwindigkeitsverkehr. www.news.cn Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 7 IM FOKUS Nurflügler „Flying V“ hebt ab - als Modell R und fünf Minuten dauerte der Testflug eines künftigen Langstreckenfliegers auf dem Fliegerhorst Faßberg in Niedersachsen. Es handelte sich um das skalierte Modell eines futuristischen Nurflüglers, eines V-förmigen Flugzeugs, das im Prinzip nur aus seinen Flügeln besteht. Entwickelt hatte das innovative Passagierflugzeug „Flying V“ Justus Benad, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Systemdynamik und Reibungsphysik am Institut für Mechanik der TU Berlin und damals noch Student der Luft- und Raumfahrt. Ingenieure der TU Delft in den Niederlanden hatten es weiterentwickelt, die Luftfahrtgesellschaft KLM den Bau des zweieinhalb Meter langen flugfähigen Modells finanziert. Vor wenigen Jahren hatte Justus Benad ein selbstgebautes Modell und die Idee dahinter zum ersten Mal präsentiert. Die war ihm 2015 als Praktikant bei Airbus in Hamburg gekommen: ein Passagierflugzeug mit der Kapazität eines Airbus mit einer Spannweite von 65 Metern, bei dem die Passagiere direkt in den Flügeln sitzen und das auf diese Weise mindestens 20 % der üblichen Treibstoffmenge sparen soll. Airbus hatte daraufhin ein Patent eingereicht, an dem Justus Benad als Erfinder beteiligt ist. Die niederländische Luftfahrtgesellschaft KLM ließ Benads Modell von Flugzeugingenieuren der TU Delft weiterentwickeln und schließlich als skaliertes flugfähiges Modell bauen. Der nun erfolgte Jungfernflug des Modells lieferte ausreichend Daten, mit denen ein aerodynamisches Software-Modell entwickelt sowie Flugeigenschaften im Flugsimulator untersucht und verbessert werden können. Außerdem sollen Überlegungen angestellt werden, welche Antriebe oder Treibstoffe wie etwa Wasserstoff eingesetzt werden könnten. Daniel Reckzeh, Senior Manager R&T Projektpartner Airbus: „Dieser Test ist ein wichtiger Meilenstein für die Demonstration der flugphysikalischen Machbarkeit der Konstruktion. Es ist auch ein sichtbarer Beweis für die Glaubwürdigkeit dieser unkonventionellen Idee.“ www.jbenad.com Video: www.tudelft.nl/ en/ ae/ flying-v Digitaler Zwilling und Künstliche Intelligenz automatisieren Umschlaglager B rummer als Spezialist für temperaturgeführte Transport- und Lagerlogistik und das internationale Consulting- und Technologieunternehmen Logivations mit Sitz in München haben eine umfangreiche Kooperation zur Digitalisierung und Automatisierung der Warenverteilläger der Brummer Logistik vereinbart. Alle Läger und die Logistikprozesse sollen vollständig digitalisiert werden. Ferner soll Logivations bis Ende 2021 rund 125 autonome mobile Roboter für die weitgehende Automatisierung aller Boden-Boden-Transporte liefern. Die Simulations- und Optimierungs-Software W2MO erkennt mithilfe von Kameras und Künstlicher Intelligenz Fahrzeuge wie Gabelstapler und andere Roboter und optimiert selbstständig die Fahrwege. Es erkennt aber auch gelagerte Ware und alle Abläufe im Lager und der Produktion und berechnet die optimale Platzierung von Produkten für eine gleichmäßige Lastverteilung im Lager. Buchungen erfolgen anhand der erkannten Warenbewegungen automatisch. Für den automatischen Transport von Paletten können autonome Roboter zusammenarbeiten. Weil bei Brummer die Paletten meist mit Folie umwickelt sind, können Laserscanner die Einfahrkanäle der Paletten nicht erkennen. Die Erkennung von Paletten erfolgt daher ebenfalls mittels Künstlicher Intelligenz. Anhand umfangreichen Bildmaterials wurden alle denkbaren Erscheinungsbilder von Paletten trainiert, so dass die AI-AGVs schnell und sicher in Paletten einsteuern und diese aufnehmen können. www.logivations.com Bild: Logivations Symbolgrafik: TU Delft „Wir kombinieren - Sie profitieren! “ www.contargo.net Kombinierte Transporte: + Umweltschonend + Individuell & flexibel + Just in time! Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 8 IM FOKUS Lastenfahrrad mit Leichtbau-Funktionsrahmen W issenschaftler des Fraunhofer LBF konnten im Projekt „L-LBF“ am Beispiel eines Lastenfahrrades zahlreiche Leichtbaupotenziale zeigen. Sie fanden neue Möglichkeiten, die sichere Nutzung elektrisch unterstützter Lastenfahrräder zu verbessern und gleichzeitig die Reichweite der Fahrzeuge zu erhöhen. So wurde am Vorderwagen eines Zweispur-Lastenrades durch eine neue Rahmenkonstruktion ein Drittel des Gewichts eingespart. Die Batterie wurde neu gedacht, die Kapazität erhöht und das Gehäuse durch die direkte Integration in den Rahmen eingespart. Die im Fahrrad umgesetzten Features bieten hohes Potenzial für viele Anwendungen in unterschiedlichen Branchen, auch außerhalb der Mobilität. Im Projekt „L-LBF“ wurden, basierend auf eigens durchgeführten Fahrbetriebsmessungen sowie Ausgangsdaten über Gewicht und Geometrie des gewählten kommerziellen Lastenrades, CAD-Modelle erstellt und Paneldatenmodelle, sogenannte FE-Modelle, abgeleitet. Diese Modelle wurden für die Entwicklung des Leichtbaurahmens und die Auslegung neuer Leichtbaufelgen verwendet. Strukturauslegung und Aufbau des neuen leichten Fahrradrahmens mit zentralem Hohlprofilträger aus höherfesten Aluminiumlegierungen bieten die Basis für weitere Arbeiten in den anderen Teilprojekten. Am Beispiel Lastenfahrrad konnten alleine durch die neue Vorderwagenkonstruktion rund 40 Prozent Gewicht gegenüber dem Referenzfahrzeug eingespart werden. Darüber hinaus wurde das Hohlprofil gewählt, um darin das eigens entwickelte Batteriesystem TES (Tubular Energy System) versteckt einzubauen. Die Batterie ist somit ohne weiteres Gehäuse witterungs- und thermisch geschützt sowie diebstahlsicher verstaut. Im „Tubular Energy System“ sind die Li- Ion-Zellen rohrförmig angeordnet - ideal für die Integration in das Rahmenhohlprofil. Das System besteht aus insgesamt 80- Zellen und weist damit eine Kapazität von 1.000 Wattstunden (1 kWh) auf. Damit ist es doppelt so groß wie das handelsübliche Batteriesystem, das im Referenzfahrzeug regulär verbaut ist. Der Ladezustand wird über eine eigens aufgesetzte App auf dem Smartphone angezeigt. Damit wird-dem Radfahrer nicht nur die Möglichkeit gegeben, deutlich längere Strecken mit-elektrischer Unterstützung zurückzulegen, sondern auch den Verbrauch und die Restenergie, besonders in Abhängigkeit von der transportierten Nutzlast, zu überwachen. www.lbf.fraunhofer.de/ l-lbf Foto: Ursula Raapke/ Fraunhofer LBF Elektrisch angetriebener LKW-Trailer spart Emissionen im Schwerverkehr E lektrisches Fahren steht überall auf der Agenda, doch speziell für den Langstrecken-Gütertransport sind batterieelektrische Fahrzeuge aufgrund hoher Massen und Batteriekosten schwierig umzusetzen. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF entwickelten nun in einem Verbundprojekt einen besonders leichten Hochvolt- Energiespeicher für einen elektrisch angetriebenen Sattelauflieger. Durch den elektrischen Antrieb des Trailers konnten sie den Verbrauch des Gesamtfahrzeugs auch auf langen Strecken um rund 20 % senken. Die Traktionskomponenten des von Industrie, TU Darmstadt und zwei Fraunhofer-Instituten entwickelten autarken Sattelaufliegerfahrzeugs mit elektrischem Antriebsmodul sind so dimensioniert, dass neben der Bremsenergie-Rückgewinnung auch eine kurzzeitige Traktionsunterstützung sowie die Lastpunktverschiebung der Sattelzugmaschine erreicht wird. Dies führt zu einer deutlich verbesserten Kraftstoffeffizienz, was auch für den Langstreckentransport gilt. Die Forschergruppe rüstete den „evTrailer“ mit einer innovativen, in den Königszapfen integrierten Dünnschichtsensorik sowie eigener Steuerungs- und Regelungstechnik aus. Auf diese Weise ist nur wenig Fahrzeugkommunikation notwendig, und mit geringer Geschwindigkeit, beispielsweise im Logistikzentrum, lässt sich die Zugmaschine unabhängig manövrieren. Für die Batterie nutzte das Fraunhofer LBF eine Vielzahl von Einzelzellen mit Lithium-Metalloxid-Kathodenmaterial. Das Energiespeichersystem selbst verfügt über eine Gesamtkapazität von 100 kWh und einen Spannungsbereich von 590 bis 670 V. Dies machte es notwendig, mehr als 10.000 Einzelzellen im Rahmen einer Systemverschaltung anzuordnen. Für die langjährige Nutzung sollte eine Fahrleistung von wenigstens 700.000 Kilometern nachgewiesen werden. Dazu ermittelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in umfangreichen Untersuchungen zur Degradation der ausgewählten Zellen, dass der Entladehub auf 50 % der maximal möglichen Kapazität begrenzt werden musste. Trotz einer Masse von 475 kg allein für die Zellen beträgt die Gesamtmasse des Energiespeichers einschließlich Kühlsystem, BMS und Gehäuse nur knapp über 600-kg. Das hierfür notwendige Leichtbaukonzept für das Gehäuse nutzt Sandwichstrukturen und glasfaserverstärkte Thermoplaste. Damit war es möglich, ein für Hochvolt-Energiespeicher besonders günstiges Verhältnis zwischen Zellmasse und Gesamtgewicht von 0,8 zu realisieren. Das Verbundforschungsprojekt wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi gefördert. www.lbf.fraunhofer.de Foto: Fraunhofer LBF / Rüdiger Heim Gerd Aberle KURZ UND KRITISCH Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 9 Verkehrswende! - Verkehrswende? S eit Jahrzehnten wird eine Verkehrswende gefordert, verstärkt durch die Erfordernisse der Klimapolitik. Es überlagern sich generelle Forderungen nach deutlicher Veränderung des Modal Split zulasten des Straßenverkehrs und Verlagerung auf den Bahntransport und den ÖPNV. Etwa: Elektrifizierung des Straßenverkehrs mit grünem Strom, Anlastung von Klimaschäden durch Zusatzbesteuerung des Einsatzes fossiler Energieträger, räumliche Fahrverbote für emissionsintensive Fahrzeuge, Einschränkungen des städtischen Verkehrs mit Kraftfahrzeugen, Reduzierung des Baus und Ausbaus von Straßen, Verbot von Verbrennungsmotoren, Umleitung der Straßenbaumittel in den Schienenverkehr usw. Der Forderungskatalog ist lang. So verlangt eine neue Publikation des Wuppertal-Instituts (Mitte Oktober 2020), den Autoverkehr in Deutschland bis 2035 zu halbieren, den PKW-Stadtverkehr um 30 %, sowie 30 % des Güterverkehrs auf die Schiene zu verlagern. Notwendige Veränderungen in den Mobilitäts- und Verkehrsabläufen sind nicht strittig, wohl aber die Wege und Umstellungszeiträume. Hier kollidieren komplexe Systemzusammenhänge des gesamten Mobilitätsgeschehens mit fundamentalen Änderungsvorstellungen. Tatsächlich sind die Voraussetzungen für eine mittelfristige Verkehrswende äußerst ungünstig. Zwar können kurzfristig - wie entschieden - die Kosten der Nutzung fossiler Treibstoffe nachhaltig angehoben werden. Vor dem Hintergrund der Systemkomplexität werden diese Preismaßnahmen jedoch nur eine unzureichende Verlagerung bewirken. Und die Voraussetzungen für eine Verkehrsverlagerung? Vor der Corona-Pandemie stöhnten Bahnnutzer über gravierende Kapazitätsengpässe bei Infrastruktur und Fahrzeugen im Personennah- und Fernverkehr. Überfüllte Züge und Busse, Verspätungen und Zugausfälle, Weichen- und Signalstörungen. Noch gravierender die Probleme im Schienengüterverkehr, insbesondere bei DB Cargo als Hauptverlustbringer der DB AG ( 2019 Konzernverlust rd. 3,7 Mrd. EUR). Ursächlich: vor allem die differenzierten Kundenanforderungen an ein logistisch leistungsfähiges Transportsystem, wobei der LKW als Qualitätsmaßstab fungiert, beim Preis wie auch bei Zuverlässigkeit und logistischer Integrationsfähigkeit. Der für den Schienenverkehr wichtige Anteil traditioneller Massengüter sinkt kontinuierlich zugunsten komplexer Industrie- und Konsumgüter. Diese sind dominierend LKW-affin, die zudem noch zu über 50 % von ausländischen Fahrzeugen transportiert werden. Und das rasante Wachstum des Online-Handels mit 3,6 Mrd. LKW-Sendungen/ Jahr nimmt mit steigender Digitalisierung weiter zu. Seit 52(! ) Jahren (Leber-Plan) wird erfolglos versucht, alternative Strategiekonzepte für Gütertransportverlagerungen auf die Schiene umzusetzen. Der DB-Rückkauf von Schenker 2004 hat das Ziel einer wechselseitigen Geschäftsbelebung von logistischer Kompetenz und Schienengüterverkehrsleistungen nicht erreicht. Die Unternehmensphilosophien zwischen Wettbewerbsausrichtung und reguliertem, stark gewerkschaftlich geprägtem Schienenbetrieb waren unvereinbar. Mit logistischer Qualität und Nutzung von über 35.000 LKW realisiert Schenker vor allem durch Mehrwertleistungen seit Jahren beträchtliche Gewinne für den Konzern DB AG. Warum wollen Bundesrechnungshof und sonstige Stimmen den Verkauf der derzeit einzigen Ertragsperle der Staatsbahn erzwingen? Es müssen Zweifel angemeldet werden, wenn nun versucht wird, bei DB Cargo eigene Logistikkompetenz zu erarbeiten, die zu einer Umkehrung der Negativentwicklung führen soll. Aus der Kiste der vielen gescheiterten Versuche, Güterverkehr stärker auf die Schiene zu bringen, werden immer wieder alte Hüte aufgegriffen. So etwa Gütertransport durch ÖPNV oder speziell durch U-Bahnen mit Nachtbelieferung, Konzept für einen unterirdischen Röhren-Superspeed-Gütertransport, der Aufbau von Rail- Ports, usw. Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs wird dem ÖPNV und der Bahn vermehrt Probleme bringen. Die Batterietechnologie dürfte als Übergangslösung hin zur grünen Wasserstoffstrategie dienen. Für Busse und Zugbetrieb laufen zahlreiche Prototypen. Die LKW-Industrie sieht bei schweren LKW keine Chance für Batterieeinsätze. Vor allem der hohe Strompreis in Deutschland verunsichert die Wasserstoffdiskussion. Transport, Speicherung und Tankstellenkapazitäten von Wasserstoff sind kein wirklich relevantes Hemmnis, wie zahlreiche Studien zeigen. Die Attraktivität des Straßenverkehrs wird langfristig dadurch nicht reduziert. Und wenn das ebenfalls hoch favorisierte autonome Fahren eingeführt wird, dürften die PKW-Zahlen in Ballungsgebieten und auf Fernstraßen eher steigen denn zurückgehen. Autonomes Fahren reduziert wesentlich die Anforderungen an die Nutzer. Führerschein? Alkoholgrenzen? Mindestalter? Handikaps? - Warum dann mehr mit dem ÖPNV? Wo ist da der Entscheidungsraum für die Verkehrswende im Personen- und Güterverkehr? ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche POLITIK Autonomes Fahren Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 10 Autonome Fahrzeuge als-Lösung für die heutige Verkehrsbelastung Wie Politiker autonome Fahrzeuge zum Erfolg führen können Autonomes Fahren, Politische Entscheidungsträger, Verkehrsbelastung Das heutige Verkehrsnetzwerk stößt an seine Belastungsgrenzen. Neue Technologien, die zu einer disruptiven Veränderung der Mobilität führen, sind erforderlich. Autonome Fahrzeuge (AVs) ermöglichen diesen Transformationsprozess; aber nur, wenn sie von politischen Entscheidungsträgern bedacht implementiert werden. Eine förderliche Regulierung und ein strategischer Plan zur Einführung von AVs ist eine Voraussetzung für deren Erfolg. Die Forschungsergebnisse, die auf einer systematischen Literaturrecherche sowie Simulationen basieren, geben politischen Entscheidungsträgern einen Leitfaden an die Hand, was bei der Einführung von AVs schon heute zu beachten ist. Denn es ist wichtig zu wissen, dass autonome Fahrzeuge nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der heutigen Verkehrsprobleme führen. Maximilian Richter S eit Autos auf dem Massenmarkt verfügbar sind, wurde der gesamte Stadtraum durch Straßen und Parkflächen beansprucht [1]. Der motorisierte Individualverkehr wurde jahrelang von der Politik gefördert, da mehr Straßen und Infrastruktur mit mehr Wohlstand assoziiert wurden [2]. Dieser Trend führte zu einer Überlastung der Straßen und daraus resultierenden negativen Auswirkungen, wie z. B. ein hoher Schadstoffausstoß, eine hohe Zahl an Todesopfern, Mangel an öffentlichem Raum oder sozialer Ungerechtigkeit. In historisch geplanten Städten wie Barcelona, Hongkong und Manhattan werden mehr als ein Drittel der öffentlichen Fläche durch Straßen oder Parkplätze beansprucht [2]. Darüber hinaus zählen Autounfälle zu den zehn häufigsten Todesursachen; sie zählen sogar zu den Haupttodesursache für junge Menschen im Alter von fünf bis 29- Jahren [3]. Zusammengefasst führt der heutige Verkehr zu einer verminderten Lebensqualität. In Zeiten aufkommender Klimadebatten ist der Verkehr für fast ein Viertel aller Treibhausgase verantwortlich. Während das verkehrsbedingte CO 2 in den letzten Jahren kontinuierlich um etwa 1,6 % zugenommen hat, sind Straßenfahrzeuge wie PKW und Busse für bis zu drei Viertel dieser Emissionen verantwortlich. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation leben über 90 % der Weltbevölkerung an Orten, an denen die Luftverschmutzung nicht den Richtlinien der Organisation entspricht. Zukunftsszenario - AVs als Lösung für die heutige Verkehrsbelastung In den letzten Jahren ist das autonome Fahren Realität geworden. Unternehmen wie Waymo oder NuTonomy haben bereits vor drei Jahren offiziell Pilotprojekte innerhalb von Städten implementiert. Wenn solche Unternehmen ihre Geschäftsfelder von Pilotprojekten auf flächendeckende Dienstleistungen in Städten auf der ganzen Welt ausdehnen, werden wir eine grundlegende Revolution in der Mobilität und eine dramatische Veränderung des Verkehrs und der Stadtform erleben. Es wird zwischen drei verschiedenen Arten des autonomen Fahrens unterschieden. Autonome Fahrzeuge können im Besitz von Privatpersonen sein und entsprechend das Fahrzeug alleine für sich nutzen. Eine weitere Möglichkeit ist, dass autonome Fahrzeuge von einem Flottenanbieter dem Konsumenten angeboten werden und dieser entsprechend das Fahrzeug nicht selbst besitzen und kaufen muss. Bei dieser Art der Nutzung kann zum einen die Fahrt privat durchgeführt werden - keine weiteren Personen werden der Fahrt hinzusteigen - oder zum anderen als geteilte Fahrt - Personen, die in ähnliche Richtung fahren, werden mitgenommen (Bild 1). Künftig könnten AVs die Verkehrssituation drastisch entspannen. Der Einsatz von AVs könnte Schadstoffemission in städtischen Gebieten um bis zu 45 % reduzieren [6]. Ein AV würde elf bis 20 Parkplätze [7] einsparen. Selbst eine 50-%-ige AV-Penetrationsrate könnte zu einer Reduzierung von 90 % der Parkplätze in Städten führen, und eine 100-%-ige AV-Penetrationsrate die Anzahl der Unfälle um etwa 90 % senken [4-8]. Dennoch stellen autonome Fahrzeuge eine Gefahr für die derzeitige Verkehrssituation dar. Beispielsweise führen Leerfahrten und Reduzierung der Reisekosten pro Kilometer dazu, dass die Anzahl der gefahrenen Kilometer auf unseren Straßen um bis zu 300 % zunehmen könnte. Des Weiteren haben autonome Fahrzeuge das Potenzial, die Mobilität der derzeit unterversorgten Bevölkerung zu erhöhen, z. B. Menschen ohne Führerschein, reisebeschränkende medizinische Bedingungen oder Senioren. Diese drei Gruppen führen zu einer Steigerung von 14 % der regelmäßigen Nutzung des Individualverkehrs [9, 12]. Was sind entscheidende Schritte, um AVs erfolgreich zu implementieren? Politische Entscheidungsträger müssen die Notwendigkeit und die Auswirkungen von AVs frühzeitig verstehen, um sinnvolle Rahmenbedingungen zu schaffen. Denn nur wenn die Auswirkungen von AVs auf die Städte verstanden und ihre Implementie- Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 11 Autonomes Fahren POLITIK rung systematisch gesteuert wird, kann ein positives Zukunftsszenario umgesetzt werden. Anderenfalls, wenn AVs als modernisierte Version von traditionellen Fahrzeugen eingesetzt werden, kann sich die derzeitige Verkehrssituation sogar verschlechtern. Vier Empfehlungen, die den Erfolg von AVs sicherstellen, können schon heute gegeben werden. Verhinderung der Kannibalisierung des öffentlichen Verkehrs, um eine radikale Verlagerung vom Massenzum Individualverkehr zu vermeiden AVs erhöhen die Mobilität von derzeit nicht bedienten Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Menschen ohne Führerschein, mobilitätseingeschränkten Personen oder Senioren. Wenn diese Personengruppen vom öffentlichen Verkehr auf autonome Fahrzeuge umsteigen, wird der Verkehr um bis zu 14 % zunehmen [9]. Die Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Verkehrs verhindert eine Verlagerung zu AVs. Zudem muss sichergestellt werden, dass AVs das bestehende Verkehrsnetz ergänzen, anstatt es zu disruptieren. Dementsprechend müssen die Politiker einen Rahmen für den Betrieb von AVs setzen. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass AVs dort verfügbar sind, wo das öffentliche traditionelle Verkehrsnetz endet. Vermeidung von Leerfahrten, um einen stabilen Verkehrsfluss zu gewährleisten Wenn sich mehrere Benutzer nacheinander ein autonomes Fahrzeug teilen, entsteht durch die Neupositionierung eine Leerfahrt zwischen den Fahrten. Dies führt zu einem Anstieg des Verkehrs um bis zu 15 % [9]. Bei der privaten Nutzung von Fahrzeugen entstehen Leerfahrten hauptsächlich durch Parken. Für PAVs gibt es daher nach dem Absetzen des Nutzers drei Möglichkeiten: den nächstgelegenen Parkplatz, den günstigsten Parkplatz - der oft außerhalb der Stadt liegt - zu finden oder so lange herumzufahren, bis der Fahrer das Fahrzeug wieder benötigt (Cruisen). Die ersten beiden Szenarien haben in der Regel marginale Auswirkungen (2 bis 4 %) [10]. Cruisen hingegen hat drastische Auswirkungen und verdoppelt das derzeitige Verkehrsaufkommen selbst bei niedrigen Penetrationsraten [10]. Gebühren für Leerfahrten während der Hauptverkehrszeiten könnten den Druck auf die bestehende Infrastruktur mindern. Förderung von Autonomous Mobility-on- Demand (AMoD), um AVs möglichst effizient einzusetzen Der Zugang zur Mobilität in einem autonomen Mobility-on-Demand-System ist im Vergleich zu traditionellen Mobilitätsmodellen, die auf dem Besitz eines Privatwagens basieren, wesentlich kostengünstiger. Die Anschaffungskosten für ein autonomes Fahrzeug sind hoch. Die Nutzung als On- Demand-Service und Pay-by-Use führt zu einer raschen Einführung von AVs. Beispielsweise kann ein einziges SAV die Nachfrage von etwa zehn bis 20 nicht gemeinsam genutzten Fahrzeugen decken. Wenn nicht nur das Auto, sondern auch die Fahrten geteilt werden, werden die Kosten weiter unter den Fahrgästen aufgeteilt und sinken im Vergleich zum PAV um bis zu 60 % [11]. Heute die Infrastruktur von morgen vorbereiten, um den Weg für die AV-Implementierung zu ebnen Derzeit wird davon ausgegangen, dass AVs in Städten elektrisch betrieben werden. Davon ausgehend, dass eine Stadt etwa 50.000 bis 250.000 On-Demand-Fahrzeuge benötigt [10], wird klar, dass eine Vielzahl von Ladestationen benötigt wird, die es heute in den Städten nicht gibt. Darüber hinaus ist das autonome Fahren auf ein zuverlässiges Mobilfunknetz angewiesen, das eine Interaktion mit der Umwelt ermöglicht. Daher wird ein gemeinsamer Standard für die direkte Vehicle-to-Vehicle-Kommunikation und eine frühzeitige Anpassung der Infrastruktur benötigt. ■ LITERATUR [1] Gehl, J. (2017): Active cities. Online: www.cladglobal.com/ architecture-design-features? codeID=31599 (Abruf: 28.09.2020) [2] UN Habitat (2013): The relevance of street patterns and public space in urban areas. UN-Habitat Working Paper. https: / / mirror. unhabitat.org/ downloads/ docs/ StreetPatterns.pdf [3] WHO (2018, May 24): The top 10 causes of death. Online: www.who. int/ en/ news-room/ fact-sheets/ detail/ the-top-10-causes-of-death [4] MacKenzie, D.; Wadud, Z.; Leiby, P. N. (2014): A first order estimate of energy impacts of automated vehicles in the United States. In: Transportation research board annual meeting, Vol. 93rd. The National Academies, Washington, DC [5] Fagnant, D. J.; Kockelman, K. (2015): Preparing a nation for autonomous vehicles: opportunities, barriers and policy recommendations. Transportation Research Part A: Policy and Practice, 77, pp. 167-181. DOI: 10.1016/ j.tra.2015.04.003 [6] Chan, C.-Y. (2017): Advancements, prospects, and impacts of automated driving systems. In: International Journal of Transportation Science and Technology, 6(3), pp. 208-216. DOI: 10.1016/ j. ijtst.2017.07.008 [7] Clements, L. M.; Kockelman, K. M. (2017): Economic Effects of Automated Vehicles. In: Transportation Research Record: Journal of the Transportation Research Board, 2606(1), pp. 106-114. DOI: 10.3141/ 2606-14 [8] Morando, M. M.; Tian, Q.; Truong, L. T.; Vu, H. L. (2018): Studying the Safety Impact of Autonomous Vehicles Using Simulation-Based Surrogate Safety Measures. In: Journal of Advanced Transportation, 2018, pp. 1-11. DOI: 10.1155/ 2018/ 6135183 [9] Harper, C.; Hendrickson, C.; Samaras C. (2018): Exploring the Economic, Environmental and Travel Implications of Changes in Parking Choices due to Driverless Vehicles. In: ASCE Journal of Urban Planning and Development, 144(4), pp. 1-40 [10] Bischoff, J.; Maciejewski, M.; Schlenther, T.; Nagel, K. (2018): Autonomous Vehicles and Their Impact on Parking Search. In: IEEE Intelligent Transportation Systems Magazine, 11(4), pp.19-27. DOI: 10.1109/ mits.2018.2876566 [11] Boesch, P. M.; Ciari, F.; Axhausen, K. W. (2016): Autonomous Vehicle Fleet Sizes Required to Serve Different Levels of Demand. In: Transportation Research Record: Journal of the Transportation Research Board, 2542, 111-119. DOI: 10.3141/ 2542-13 Maximilian Richter Universität St. Gallen maximilianalexander.richter@unisg.ch Bild 1: Anwendungsfälle von AVs Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 12 Angebotsoffensive Bus-Hamburg Wie man 50 % zusätzliche Fahrgäste in zehn Jahren gewinnen kann - Angebotsoffensive für eine steigende Nachfrage Angebotsoffensive, Hamburger ÖPNV, Busnetz, Angebotsorientierung, Datenanalyse Mindestens 50 % mehr Fahrgäste im ÖPNV: Dieses ambitionierte Ziel soll in Hamburg bis 2030 Wirklichkeit werden. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist das Ziel selbst. Damit die Verkehrswende keine leere Worthülse bleibt, braucht es eine klare Vision. Durch Data Mining werden Lücken und Potenziale im Angebot identifiziert, konkrete Maßnahmen abgeleitet und mit der Angebotsoffensive in die Tat umgesetzt. Niklas Hoffmann, Torben Greve H amburg war lange und ist es in weiten Teilen bis heute: eine autogerechte Stadt. Wie viele andere Städte auch ist Hamburg durchzogen von einem dichten und leistungsfähigen Straßennetz. Es ist auf die Bedürfnisse der vielen Pendler, des starken Wirtschaftsverkehrs und der Bürger ausgerichtet worden [1]. Doch ein Großteil der Bevölkerung wünscht sich einen Richtungswechsel hin zu mehr Radwegen, mehr Platz für das Stadtleben und einen Beitrag zum Klimaschutz [2]. Mit dem neuen Koalitionsvertrag setzt die Politik ein Zeichen in diese Richtung. Unter dem Hamburg-Takt wird das Ziel vermarktet, jedem Hamburger ein öffentliches Verkehrsangebot innerhalb von fünf Minuten bereitzustellen [3]. Mit der Angebotsoffensive wird die Umsetzung dieser Versprechen im Bereich des ÖPNV vorgenommen (Bild 1). Zusammen mit der Hamburger Hochbahn, den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein (VHH), dem Hamburger Verkehrsverbund (HVV) und der Behörde für Wirtschaft und Innovation (BWVI) hat das Mobility Institute Berlin (mib) die Strategie und das Zielnetz für die Angebotsoffensive für den Bereich Bus entwickelt. Der Bereich Bus ist dabei Bestandteil einer integrierten Systemstrategie, X22 ist eine der ersten ExpressBus-Linien, die schnelle Verbindungen anbieten und SchnellBus und EilBus mittelfristig ersetzen. Quelle: Hochbahn POLITIK Öffentlicher Nahverkehr Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 13 Öffentlicher Nahverkehr POLITIK die alle öffentlichen Verkehrsträger umfasst. Im Dezember 2019 wurden bereits die ersten Maßnahmen umgesetzt. Sie bilden den Anfang einer radikalen Ausweitung des Angebotes in Hamburg. Insgesamt sollen die jährlichen Fahrgastzahlen um 50 % gesteigert werden. Dies entspricht 150 Mio. zusätzlichen Busfahrgästen. Erreicht werden soll dies durch ein deutlich attraktiveres Angebot sowie den Wechsel von einer nachfragezu einer angebotsorientierten Planung. Ein systematischer Analyseprozess findet Lücken und Potenziale Innerhalb des einjährigen Projektes entwickelte die Projektgruppe ein Ziel-Liniennetz in zwei Phasen. In der ersten Phase wurde eine systematische Analyse zur Aufdeckung von Lücken im Nahverkehrsnetz durchgeführt. Solche Lücken bestehen insbesondere dort, wo der Motorisierte Individualverkehr (MIV) deutlich attraktiver als der ÖPNV ist. Sie decken die Differenz zwischen den aktuellen Verkehrsbedürfnissen und dem aktuellen Angebot auf. Durch einen Screening-Prozess relevanter Daten für das gesamte Stadtgebiet wurden diese Lücken identifiziert, priorisiert und Potenziale aufgezeigt. Die Schließung dieser Lücken erfolgte in der darauffolgenden Konzeptionsphase. Als Basis dienten vorab festgelegte Prämissen wie beispielsweise Erschließungs-, Auslastungssowie Taktstandards und Bewertungsgrundlagen. Zudem wurden durch einen Erfahrungsaustausch mit Verkehrsunternehmen aus Berlin, Kopenhagen, München, Wien und Zürich externe Best Practices einbezogen. Daraus wurden Maßnahmen entwickelt, die in einem Zielnetz zusammengefasst, aufeinander abgestimmt und anschließend mit Visum bewertet wurden. Zuletzt wurde das Gesamtnetz ausgewertet und das Ziel von 50 % mehr Fahrgästen verifiziert. Daten geben Antworten auf zentrale Fragen Für die Analyse der Lücken und Potenziale stand eine große Datenmenge von über 200-Mio. Datenpunkten zur Verfügung (Tabelle- 1). Um einen Einblick in die konkrete Nutzung dieser Daten zu geben, werden im Folgenden anhand von drei Fragen die Datenquellen und deren Nutzung beispielhaft skizziert: 1. Wo liegen Unterschiede zwischen der Nutzung des MIV und des ÖV? Durch die Analyse von Daten der Studie Mobilität in Deutschland aus Hamburg und Umgebung wurden die Unterschiede zwischen den Verkehrsmitteln deutlich. So fahren die Hamburger zwischen den Hauptverkehrszeiten häufiger mit dem Auto, während im ÖV die Morgenspitze ausgeprägter ist (Bild 2). Viel Potenzial für eine Verkehrsverlagerung findet sich im Zeitraum nach dieser morgendlichen Verkehrsspitze. In Hamburg wurde bislang nachfrageorientiert geplant. Diese Erkenntnis dient als Grundlage dafür, eine angebotsorientierte Planung anzustreben, um das Angebot über den Tag hinweg einheitlicher zu verteilen. Datenquelle Verwendung Analyse Soziodemographische Daten Mobilitätsbedürfnisse Wegetagebücher der Studie Mobilität in Deutschland 2008 und 2017 Mobilitätsbedürfnisse und -verhalten Automatisches Fahrgastzählsystem Bus (24 Mio. Zählpunkte)* ÖPNV-Nachfrage (Auslastung Buslinien) Verkehrsstärken und GPS-Daten des MIV Verkehrsverhalten MIV-Nutzer, Quelle-Ziel-Relationen Räumlich strukturelle Daten (z. B. Wohnbau, Arbeitsplätze, Infrastrukturen, Erschließung ÖV) Nachfrageverteilung, Angebotslücken Fahrplanauskünfte HVV (159 Mio. Anfragen)* Quelle-Ziel-Relationen, Angebotslücken Betriebs- und unternehmensbezogene Daten Kosten und Einnahmen, betriebliche Stabilität *Analyse mit vom mib entwickelten Tools und Boards Tabelle 1: Analysierte Daten für die Angebotsoffensive Bild 1: Beschließung des Hamburg-Taktes (v. l. n. r.): Dr. Tobias Haack (Hadag), Kay Uwe Arnecke (S-Bahn Hamburg), Henrik Falk (Hochbahn), Dr. Peter Tschentscher (Erster Bürgermeister Hamburg), Dietrich Hartmann (HVV) und Toralf Müller (VHH) Quelle: Hochbahn Bild 2: Tagesgang der Verkehrsmittelnutzung im ÖV und MIV in Hamburg von Montag bis Freitag Darstellung: Mobility Institute Berlin, Datenquelle: Mobilität in Deutschland 2017 POLITIK Öffentlicher Nahverkehr Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 14 2. Wo ist der ÖV langsam auf stark nachgefragten Relationen? Das Auto ist für die meisten Fahrten in Hamburg das beliebteste Verkehrsmittel [4]. Damit Kunden sich vermehrt für den öffentlichen Verkehr entscheiden, müssen Bus und Bahn vor allem schnell sein. Mit den Daten der Fahrplanauskunft des HVV wurden Relationen identifiziert, die häufig nachgefragt und im Vergleich zum MIV mit öffentlichen Verkehrsmitteln besonders langsam bedient werden. Anhand von Durchschnittswerten wurde eine langsame Verbindung mit einer Geschwindigkeit von unter 12 km/ h definiert. Mit einem eigens entwickelten Analyse-Tool hat das mib die 159 Mio. Suchanfragen eines Jahres interaktiv dargestellt (Bild 3). Ausgehend von dieser Aufbereitung wurden langsame Relationen z. B. mit neuen Linien oder Linienverläufen deutlich beschleunigt. 3. Wo und wann werden Busse gut oder schlecht genutzt? Zahlen des Automatischen Fahrgastzählsystems (AFZS) werden in Hamburg schon seit vielen Jahren verwendet. Für die interaktive Nutzung der Daten hat das mib eine eigene Anwendung entwickelt. Durch die Anwendung können schnell und einfach Linien(abschnitte) identifiziert werden, die über- oder unterdurchschnittlich oft genutzt werden. In beiden Fällen kann durch passende Maßnahmen das Angebot verbessert werden. Bei stark frequentierten Buslinien kann eine Taktverdichtung oder eine ergänzende Buslinie sinnvoll sein. Bei weniger stark genutzten Linien hingegen sind beispielsweise Beschleunigungen, die Herstellung besserer Anschlüsse oder eine Durchbindung zum nächsten Zentrum zielführend. Hypothesen können zusätzlich mit anderen Datenquellen überprüft werden, um Ursachen einer schlecht genutzten Busverbindung zu ergründen. Potenzial wird in Angebotsmaßnahmen übersetzt Mit den Verkehrsunternehmen hat das Mobility Institute Berlin im Rahmen von über 40 Workshops und Entscheidungsrunden das Potenzial in Angebotsmaßnahmen übersetzt und ein Zielnetz entwickelt. Dabei wurden die Maßnahmen in den Planungsworkshops immer konkreter. Hamburg wurde in sechs Teilnetze gegliedert, um das Vorgehen zu strukturieren. Inhaltlich ist das Netz anhand der folgenden Stellhebel systematisch geprüft und verbessert worden: • Verbindungen beschleunigen • Erschließung verbessern • Zentren direkter verbinden • Netz besser verknüpfen • Takt verdichten und gleichmäßiger verteilen • betriebliche Stabilität gewährleisten • Bedienzeiten ausweiten • Anschlüsse optimieren • Kapazität erhöhen • Angebot transparent und einfach gestalten Auf Basis einer ersten qualitativen Bewertung nach Dominanzprinzip und Analogieschlüssen haben wir die Maßnahmen priorisiert und in Visum bewertet. So ist für jede Linie eine Kosten- und Nutzen-Abschätzung entstanden. Abschließend wurde das gesamte Zielnetz modelliert und aufgezeigt, dass mit knapp 60 % sogar mehr als der angestrebte Fahrgastzuwachs von 50 % durch das Zielnetz erreicht werden kann. Die Umsetzung ist erfolgreich gestartet Der reale Fahrgastzuwachs wird sich in den kommenden Jahren der Umsetzung zeigen, denn bereits zum Fahrplanwechsel im Dezember 2019 wurde ein erster Teil der Maßnahmen eingeführt (siehe Bild Seite 12). Damit sind auch die im Projekt neu entwickelten Produkte ExpressBus und Quartier- Bus eingeführt worden. Genauer haben Hochbahn und VHH zwei neue MetroBus-, vier neue Express- und StadtBus-Linien sowie einen QuartierBus eingeführt. Darüber hinaus bieten die Verkehrsbetriebe auf einigen Linien einen dichteren Takt und einen 24/ 7-Nachtbusbetrieb im Hauptliniennetz Harburgs an [5]. Das Angebot läuft in den nächsten zehn Jahren linear hoch. Auch in anderen Städten gibt es viel Potenzial, das durch Optimierung des bestehenden Angebotes und eine gezielte Ausweitung gehoben werden kann. So können in Zukunft mehr Autofahrer für den ÖPNV begeistert werden. Vorhaben wie die Angebotsoffensive stehen und fallen mit dem politischen und institutionellen Rückenwind und erfordern einen starken Einbezug aller relevanten Stakeholder. Die Ambitionen können besonders dann gut kanalisiert werden, wenn es ein gemeinsames Ziel und eine ambitionierte Vision gibt. ■ QUELLEN [1] Bardua, S.; Kähler, G. (2012): Die Stadt und das Auto: Wie der Verkehr Hamburg veränderte. Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs 27. München: Dölling und Galitz Verlag [2] infratest dimap: HamburgTREND Januar 2020. Januar 2020 [3] Senatskanzlei: Umfassender Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs in Hamburg. 11. Dezember 2019 [4] infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH: Mobilität in Deutschland. Kurzreport, Hamburg und Metropolregion. November 2018 [5] Pressestelle des Senats: Zahlen und Fakten im Überblick. Zweite Angebotsoffensive für Bus und Bahn rollt auf Hamburg zu. 25. Juni 2019 Niklas Hoffmann, Consultant, Mobility Institute Berlin nih@mobilityinstitute.com Torben Greve, Gründer und Geschäftsführer, Mobility Institute Berlin tog@mobilityinstitute.com Bild 3: Stark nachgefragte Relationen mit Durchschnittsgeschwindigkeiten unter 12 km/ h nach Fahrplanauskunft HVV in Winterhude Quelle: Mobility Institute Berlin, Grundlagenkarte © OpenStreetMap-Mitwirkende Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 15 A lle suchen nach dem Treibstoff der Zukunft. Wissenschaftler ebenso wie Transportunternehmen, die sich fragen, wie eine ökologisch nachhaltige und für ihren Betrieb wirtschaftliche Lösung aussehen kann. Die Politik hat die Aufgabe, die Suche nach solchen Lösungen zu erleichtern und zu unterstützen durch die richtigen Anreize. In Brüssel wartet man deshalb gespannt auf die für das Jahresende angekündigte „Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität“ der EU-Kommission. Sie soll Hinweise enthalten, wie der Verkehr umweltverträglicher werden kann. Zur Vorbereitung hat die EU-Kommission bei Verkehrswirtschaft und Öffentlichkeit gerade Meinungen dazu eingesammelt, welche alternativen Kraftstoffe für den Straßen-, den Schiffsverkehr und für die Luftfahrt gefördert werden sollen und wie sich das am besten machen lässt. Wie schwierig das mit dem Setzen der richtigen Anreize ist, zeigt die aktuelle Diskussion zwischen Kommission und Bundesregierung über die deutsche Befreiung von Gas- und E-LKW von der Maut. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer begründet die Entscheidung, E-LKW bis auf weiteres und die mit dem Flüssigerdgas LNG oder dem komprimierten Erdgas CNG betriebenen Fahrzeuge bis 2023 von der Mautpflicht auszunehmen, mit mangelnden Alternativen an Wasserstoff- oder Elektro-LKW. Gas hält Scheuer sowohl im Straßenals auch im Schiffsverkehr für eine wichtige „Brückentechnologie“. Sicher seien LNG und CNG fossile Kraftstoffe, doch klimafreundlicher als Diesel. Außerdem können sie später durch Biogas oder andere synthetische Kraftstoffe ersetzt werden, ohne dass grundlegend neue Motoren nötig werden, so die Hoffnung des Ministers. Die EU-Kommission dagegen will die deutsche Förderung von Gas- und E-LKW über die Mautbefreiung stoppen. Die geltende EU-Wegekostenrichtlinie („Eurovignette“) erlaube das nicht, lautet das Hauptargument. Außerdem solle das Umsteigen auf sauberere Verkehrsträger in „technologieneutraler Weise“ gefördert werden. Das „Nein“ der Kommission zu fortgesetzten deutschen Mautausnahmen setzt die Bundesregierung unter Druck, bei der sich seit über drei Jahren dahinschleppenden Reform der EU-Wegekostenrichtlinie Gas zu geben. Die Überarbeitung der „Eurovignette“ ist wohl das wichtigste „harte“ Gesetzgebungsvorhaben, das derzeit auf dem Tisch der EU- Verkehrsminister liegt. Eine stärker vom Treibhausgasausstoß abhängige LKW-Maut kann entscheidende Anreize sowohl für den Einsatz umweltfreundlicherer LKW als auch für Transportverlagerungen auf Schiene und Binnenschiff geben. Scheuer hat zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen „mutigen Vorstoß“ für einen Kompromiss angekündigt. Doch passiert ist seither nichts. Stattdessen sorgte Scheuer Ende Juli mit seiner Ankündigung, auf einmal auch wieder PKW in das EU-Mautreglement einbeziehen zu wollen, bei anderen Mitgliedstaaten für Verwunderung. Im Rat gibt es derzeit dafür keine Mehrheit, auch das Europäische Parlament will das nicht. Der offizielle Vorschlag kam aber gar nicht bis Brüssel. Er stieß schon innerhalb der Bundesregierung auf Widerstand und verschwand in Berliner Schubladen. Es ist der lange Schatten der innenpolitischen Diskussion über die PKW-Maut. Einen neuen Kompromissvorschlag hat es seitdem nicht gegeben. Diplomaten in Brüssel berichten, sie tappten im Dunkel, wie es mit dem wichtigen Thema Eurovignette weitergehen soll. Angesichts des Streits mit der EU-Kommission wegen der LKW- Maut und nachdem ihn Amtskollegen im Ministerrat aufgefordert haben, einen Kompromissvorschlag zu machen, hat Scheuer angekündigt, ein solcher Vorschlag werde vorbereitet. Offenbar will er auch die Pläne auf Eis legen, die PKW-Maut in die Wegekostenrichtlinie einzubeziehen. Wichtige Weichen für die Förderung eines nachhaltigeren Verkehrs werden derzeit außerhalb des EU-Verkehrsministerrates gestellt. Da ist zum einen der mittelfristige EU-Finanzrahmen (MFR) bis 2027 und der 750 Mrd. EUR schwere Corona-Wiederaufbaufonds. Die deutsche Ratspräsidentschaft verhandelt mit dem Europäischen Parlament über das Riesenbudget. Damit das Geld zügig fließen kann, muss bis Jahresende ein Kompromiss her. Ziel der Bundesregierung ist es auch, das EU-Klimagesetz bis Dezember zu beschließen. Mit diesem Gesetz soll festgeschrieben werden, dass die EU bis 2050 „klimaneutral“ wird. Es enthält außerdem neue Klimaschutzziele für 2030 und würde wichtige Rahmenbedingungen für den Verkehr der Zukunft festlegen. Auf diese Verhandlungen wird die Branche wohl interessierter schauen als auf die Verkehrsminister - falls man nicht doch noch Neues von der Eurovignette hört. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Der schwierige Weg zum Treibstoff der Zukunft Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 16 Radverkehrsförderung 3.0 Barrierefrei, netztransparent, digital - Teil 2 Radverkehr, Verkehrsmittelwahl, Stadtverkehr, Verkehrsplanung Im ersten Teil dieses Beitrages haben die Autoren die Entwicklung der bisherigen Radverkehrsplanung in zwei Phasen gegliedert. Ihre Argumentation pro einer neuen Ebene 3.0 beinhaltet die Forderung nach einer konsequenten und flächendeckenden Beseitigung von Radverkehrshindernissen, für die in der Phase 2.0 zwar die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, die Umsetzung aber ausgeblieben sei. Die Forderung nach Barrierefreiheit und Netztransparenz erfährt im vorliegenden Teil 2 mit digitaler Navigation das dritte Kernelement einer RVF 3.0. Peter Pez, Antje Seidel E lektronische Navigation gehört im Autoverkehr bereits zum Standard. Bei vielen Systemen kann man auch Routenvariationen wählen: kürzeste, schnellste oder landschaftsattraktivste Route. Auch für den Radverkehr befinden sich Navigations-Apps für Smartphones auf dem Markt, ebenso wie Smartphonehalter für den Lenker. Die Crux liegt darin, dass diese Navigationssysteme in den meisten Fällen nur auf (Rad-)Wege entlang von Hauptverkehrsstraßen verweisen, selbst wenn man eine Option für gemächliches Radfahren oder schöne Routen anklicken kann. Die Ursache hierfür ist aktueller Bearbeitungsgegenstand in einem universitären Projekt der Autoren. Die Bemühungen, hier zu einer wesentlichen Verbesserung zu kommen, fanden Anerkennung in der Nominierung für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis, Sonderkategorie Digitalisierung, Bereich Forschung. Viele Navigations-Apps greifen auf die Daten der OpenStreetMap (OSM) zurück, einer nutzergenerierten digitalen Weltkarte. Anders als beispielsweise die Daten von staatlichen Vermessungsämtern oder privaten Unternehmen wie Google stehen die OSM-Rohdaten unter der „Open Data Commons Open Database Lizenz“ (ODbL). Damit können sie für zahlreiche Einsatzzwecke, auch kommerzieller Art, genutzt werden, sofern auf die Urheberschaft der OSM-Mitwirkenden hingewiesen und das Ergebnis der Daten(weiter)verarbeitung unter gleicher Lizenz weitergegeben wird Foto: Candid Shots/ pixabay INFRASTRUKTUR Radverkehr Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 17 Radverkehr INFRASTRUKTUR [8]. Kosten in Form von Nutzungsgebühren oder ähnlichem fallen hierfür nicht an. Dank einer sehr großen Mapping-Community von weltweit mittlerweile fast 6 Mio. Nutzern [9] und in Deutschland regelmäßig sehr hohen Zahlen bei Datenänderungen und -neueinträgen durch aktive Mapper [10] besitzt die OpenStreetMap hier eine sehr hohe Übereinstimmungsqualität mit der gebauten und natürlichen Umwelt. Damit sind OSM-Daten als Grundlage für GIS-Anwendungen sehr gut geeignet und zumindest im Lüneburger Untersuchungsraum vielerorts „wirklichkeitsgetreuer“ und aktueller als die allseits bekannten Google Maps oder Kartendienste anderer Internetgroßkonzerne (z. B. Microsoft Bing, Here). Geodaten für GIS-Anwendungen sind von diesen Anbietern, wenn überhaupt, nur mit hohem Kostenaufwand erhältlich; einen direkten Einfluss auf die Qualität der Daten haben hier lediglich die Firmen, in deren Eigentum die Daten liegen. Gerade für die zahlreichen Internet-Startup-Firmen im wachsenden Bereich der Geodatenverarbeitung, deren finanzielle Möglichkeiten häufig begrenzt sind, liegt daher die Nutzung der kostenfreien OSM-Daten mehr als nahe, zumal sie durch eine Zusammenarbeit mit den lokalen Mapping-Communities aktiv zur Verbesserung und Aktualisierung der für die jeweilige Anwendung benötigten Daten beitragen können. Weisen OSM-basierte Fahrradnavigationsanwendungen für bestimmte Strecken im innerstädtischen oder stadtperipheren Raum größere (und damit radlerunfreundliche) Umwege aus, sind nur selten real oder in den OSM-Daten fehlende Wegenetzverbindungen die Ursache. Weitaus bedeutsamer sind die den verwendeten Routing- Diensten zugrundeliegenden Algorithmen. So werden zum Beispiel für nicht genauer spezifizierte Wege abseits der Hauptstraßen von diesen Algorithmen meist schlechte Fahrradnutzungsbedingungen per se unterstellt. Das läuft auf Fahrzeiten hinaus, wie sie bei unebenen, schlecht befahrbaren wassergebundenen Decken oder Wegen ganz ohne Befestigung zu erwarten sind. In den automatisierten Fahrzeitberechnungen schneiden deshalb periphere Verbindungen schlecht ab und werden daher entweder gar nicht angeboten oder mit zu langer Fahrzeit. Umgekehrt werden die Radwegeverbindungen entlang von größeren Straßen systematisch bevorzugt, da hier häufig benutzungspflichtige Radwege vorhanden sind, die von den Routing-Algorithmen stark positiv gewichtet und zudem günstiger in Bezug auf die mögliche Fahrgeschwindigkeit bewertet werden. Eigene Streckenbefahrungen zeigen, dass die angegebenen Fahrzeiten nur mit hohem physischem oder/ und E-Fahrradeinsatz zu schaffen sind. Offenkundig werden die zahlreichen Hindernisse entlang der Hauptstraßen (siehe Teil 1) nicht adäquat berücksichtigt. Während in diesem Punkt die Betreiber der Navigationssysteme zur Überprüfung und Korrektur der unterstellten Fahrzeitwerte aufgefordert sind, widmet sich das Lüneburger Projekt der Datenbasis, d. h. der Erfassung von Daten zu den Radschönrouten in der OpenStreetMap. Dazu erfolgt zunächst im Feld eine Erhebung zu den Eigenschaften der einzelnen Streckenabschnitte, die dann mit dem Datenbestand in der OSM-Datenbank abgeglichen werden. So werden unter anderem Angaben zur Wegeart und -breite, Belagsart und -zustand sowie zur Beleuchtungssituation ergänzt, sofern die Daten noch nicht vorhanden sind oder einer Aktualisierung bedürfen. Auch die Charakterisierung als Weg in landschaftlich oder baulich schöner Umgebung gehört dazu. Schließlich werden verkehrsrechtliche Anordnungen und physisch bremsende bzw. die Durchfahrt beeinträchtigende Hindernisse (beispielsweise Umlaufsperren, zu enge Steckpfosten, Treppen, ggf. mit Angaben zur maximalen Durchfahrtsbreite) aufgenommen. Aus Letzteren ergibt sich ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt: Wenn Einbahnstraßen, Zufahrtsverbote, Abbiegegebote, Nur- Gehwege und Barrieren der Fahrradfahrt im Wege stehen, resultieren daraus in den Navigationsalgorithmen Umwege, die notgedrungen zur Prädisposition einer (vermeintlich) friktionsärmeren Führung entlang von Hauptverkehrsstraßen führen müssen. Digitale Netztransparenz setzt deshalb eine flächendeckende, „analoge“ Netzdurchlässigkeit zwingend voraus, ohne die eine elektronische Navigation keine optimalen Routenempfehlungen geben kann. Auch die analoge Wegweisung via Schilder und Karten wird keine Radschönroute ausweisen, die nicht ordnungsrechtlich durchgehend befahrbar ist. Gleichzeitig kann jedoch auch das beste Navigationssystem nur dann eine korrekte Route ausweisen, wenn die hinterlegten Daten aktuell und korrekt sind. Gerade in Bezug auf die genannten Hindernisse ist es darum von großer Bedeutung, die Datenbasis selbst einer ständigen Überprüfung zu unterziehen und z. B. in Gegenrichtung für den Radverkehr freigegebene Einbahnstraßen auch in der OSM als solche kenntlich zu machen. Hier leistet das Projekt der Autoren einen entscheidenden Beitrag für den Raum Lüneburg, werden die Daten doch von zahlreichen beteiligten Studierenden und unter engem Einbezug der lokalen OSM-Community regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht. Elektronische Navigation kann angesichts der vorhandenen Nutzungspräferenzen (Tabelle 2) den Radverkehr erleichtern sowie zum Umstieg vom Auto animieren. Die hierfür erforderliche Barrierefreiheit ist ebenso eine kommunale Aufgabe wie die analoge Wegweisung über Richtungs-/ Entfernungsbeschilderungen und Radstadtpläne/ -karten. Bessere Hintergrunddaten in OpenStreetMap setzen jedoch eine derart umfangreiche Recherche und Dateneingabe voraus, dass kommunale Verkehrsplanungsabteilungen dies nicht leisten können - schließlich verfügen nicht alle Kommunen über die Möglichkeit, Studierende für diese Aufgabe gewinnen zu können. Ziel des Lüneburger Projektes wird es deshalb sein, einen auf andere Kommunen und Regionen übertragbaren Erfassungsbogen und eine Eingabehilfe zu erstellen, mit der möglichst selbsterklärend viele Akteure dezentral für ihre Region Daten (nicht nur, aber gern primär von Radschönrouten) erfassen können. Zu denken wäre dabei an Mitglieder verkehrspolitisch aktiver Verbände und Arbeitsgemeinschaften von Schulen. Zusätzlich müssen App-Betreiber die unterstellten Geschwindigkeitsparameter in Richtung größerer Realitätsnähe überarbeiten. Die Resultate eigener Reisezeitexperimente in Lüneburg, Hamburg und Göttingen [11] könnten hierzu dienlich sein, sind aber ausbaubedürftig, weil die Fahrgeschwindigkeiten von Radfahrern mit den lokalen Bedingungen erheblich variieren. Schließlich sollte die App-Navigation für Radler genauso komfortabel werden wie eingangs für den Autoverkehr angesprochen, sie sollten die zeitlich günstigste, die (kilo-)metrisch kürzeste und eine landschaftlich attraktive Strecke anbieten, wobei im Radverkehr der Idealfall, dass diese drei Parameter zusammenfallen, gar nicht so selten ist. Methodische Gewichtungen umkehren Wie gezeigt ist die Diskrepanz zwischen der bisherigen Form der Radverkehrsförderung und den Belangen des realen Radverkehrs groß. Nicht dauerhaft effiziente politischplanerische Perspektiven (Baupolitik, Fördermittelorientierung), nicht optimaler Mitteleinsatz (Vernachlässigung der Fläche) und nicht behobene Defizite einer früheren Verkehrsplanung mit der Folge vieler verbliebener Radlerhindernisse wurden bereits im Teil 1 dieses Beitrages genannt. Ein weiteres, mit einer RVF 3.0 inkompatibles Element bilden die bei der Radverkehrsplanung angewendeten Erhebungsmethoden. Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 18 INFRASTRUKTUR Radverkehr Schlaglichtartig zeigen das die Erfahrungen mit der Auftragsvergabe für ein Radverkehrskonzept des Landkreises Lüneburg an ein Planungsbüro. Die Bearbeitung im Laufe des Jahres 2019 orientierte sich vor allem an den Berufspendlerströmen und blendete dabei sowohl die Distanzbegrenztheit des Alltagsradverkehrs als auch andere Verkehrszwecke weitgehend aus. In der Folge lokalisierte man Radverkehrsrouten ausschließlich an Radwegen entlang hoch KFZ-belasteter Straßen, meist als Kreis-, Landes- oder Bundesstraßen klassifiziert - quasi ein Wiederaufleben des unzureichenden städtischen Radcityroutenkonzeptes aus den 1990er Jahren in nun vergrößertem Planungsraum. Selbst das Novum eines „Fahrradringes“ um Lüneburg verläuft ausschließlich an solch klassifizierten Straßen, obwohl es dafür viele andere, attraktivere Optionen gegeben hätte. Der ausgewiesene Fahrradring taugt realiter weder in der Funktion seiner Bezeichnung noch für ansprechende Querverbindungen zwischen den Radialrouten, vielmehr ergäbe er eine sinnvolle Umleitungskonzeption für den Autoverkehr im Falle einer Vollsperrung der Lüneburger Ostumfahrung. Die Konzeptionierung attraktiver Radrouten muss hingegen von anderen Parametern ausgehen und sollte eher versuchen, Streckenqualitäten zu entdecken und zu nutzen, wie sie für touristische Radroutenführungen, etwa entlang vieler Flusslagen, üblich sind: Orte verbindend, gute Wegequalitäten bei fehlender oder sehr geringer KFZ-Frequentierung, attraktives Umfeld. Im Fall des Landkreises Lüneburg war eigentlich die Berücksichtigung des Fahrradfreizeitverkehrs im Auftrag enthalten, das Ergebnis spricht dem Hohn. Mehr Erfolg hätte eine Verfahrensweise geliefert, die den Freizeitverkehr nicht als (verzichtbaren, weil schwerer erfassbaren) Rest, sondern prioritär betrachtet: Zwischen und um die Orte im Landkreis alle Verbindungen identifizieren, die für den Radverkehr taugen (nicht zu reliefiert, hinreichend befahrbare sowie ausreichend breite Wege) und vom Umfeld her möglichst angenehm sind. Im sich dabei ergebenden dichten Netz kann man dann die Nahraumwege für Versorgung und distanziell fahrradrelevante Pendlerrelationen herausarbeiten. Radwege an Autostrecken wären, wenn sie sich entfernungstechnisch anbieten, dann nur noch abschnittweise ergänzend hinzunehmen, sie würden nicht mehr das grundlegende oder gar alleinige Element bilden. Eine derartige Streckenanalyse gelingt natürlich nur, wenn Radstrecken von Gutachtern konsequent erradelt und nicht mit dem Auto abgefahren werden. Das letztgenannte, immer wieder übliche Vorgehen müsste im Zuge einer Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Insgesamt muss RVF 3.0 mit einer Quasiumkehr der Gewichtungsparameter bei den Analysemethoden einhergehen (Bild 4). Während in der KFZ-Planung Zählungen und Messungen von Verkehrsströmen sowie Umlegungsberechnungen eine sehr große Bedeutung zukommt, ist dies im Bereich Radverkehr nahezu irrelevant, weil der vorhandene Verkehrsraum (derzeit) kaum Radlerstaus provoziert. Für den Radverkehr wären hingegen flächige Befahrungen (mit dem Fahrrad) und die qualitative Streckenaufnahme in Protokollen (mit besonderer Fokussierung auf Mängel) von aussagekräftigster Relevanz - was übrigens auch für eine Fußgängerplanung gelten würde, also für den nichtmotorisierten Verkehrsanteil generalisierbar ist. Unfalldaten sind aufgrund ihrer Häufigkeit im KFZ-Bereich bereits Gegenstand der kommunalen Unfallkommissionen und führen, von dort angestoßen, zu verkehrlichen Änderungen. Solche Daten können für den Radverkehr vereinzelt nützlich sein, aber sie bilden nur sehr eingeschränkt die Unfallgefahren für diesen ab, diese äußern sich eher in Risiken, Beinaheunfällen und nicht polizeilich erfassten Stürzen/ Kollisionen. Befragungen können deshalb in diesem Aspekt gewinnbringender sein, nützen aber wenig, wenn sie - wie im Lüneburger Fall - im Wesentlichen nur allgemeine Einschätzungen erheben, die nur Stimmungen widerspiegeln, aber nicht systematisch und als Hauptzweck konkrete Problempunkte und Veränderungsvorschläge generieren. Da helfen dann auch hohe Rücklaufzahlen nicht weiter, eine weitaus geringere Zahl an qualitativen Interviews verspräche eher Gewinn. Dass es jedoch auch eine sehr gute quantitative Erhebungsform gibt, zeigt die hessische Internetmeldeplattform [12], in der Mängel textlich beschrieben, fotografisch hinterlegt und kartografisch exakt verortet werden können. Sind auf diese Weise handlungsrelevante Informationen gewonnen, müssen sich die Akteure nur noch um die gemeldeten Schwächen und Risiken kümmern. Zusammengefasst: Das Erreichen eines qualitativ neuen, höheren Levels der Radverkehrsförderung setzt auch eine grundlegend andere Planungsmethodik als die derzeit übliche voraus und im Zusammenhang mit den Ausführungen in Teil 1 wider Bündelungsprinzip und Wunschliniennetzplanung sowie pro flächendeckender Analysen ergibt sich daraus die Forderung nach einer zumindest teilweisen Neujustierung in der verkehrsplanerischen Ausbildung. Kommunikation, Moderation, Werbung Im Kontext dieser Forderung steht, dass in der Radverkehrsförderung das Set kommunikativer Methoden viel intensiver genutzt werden sollte - was wiederum einer systematischen Integration in die Ausbildung bedarf. Für Radverkehr muss geworben werden, das heißt die Produktion geeigneter Werbemittel sollte von planerischer Seite zumindest angestoßen und kompetent begleitet werden können. Kompetenz im Umgang mit Presse und sozialen Medien gehört ebenso zum erforderlichen Wirkspektrum von Radverkehrsplanern wie die Leitung (und konstruktive Nutzung) von Bürgerbeteiligungen oder Austauschprozessen mit Verbänden. Die Realität ist hingegen eher geprägt durch „hard policy“-Lastigkeit - Planen am PC und Bauen nach ERA reichen aber für eine nutzergerechte Radverkehrsstrategie nicht mehr aus, diese fordert Öffentlichkeitswirksamkeit und Partizipation. Präferenz für Anteil Relevanz für „Radschönrouten“ Route durch Parks und auf ruhigen Nebenstraßen Route mit glatter Oberfläche durch Parks und auf ruhigen Nebenstraßen 12 % 18 % Sehr hoch; „Komfort-affine“ Schnellste Route Route, die Hauptverkehrsstraßen ohne Radinfrastruktur meidet Route mit glatter Oberfläche sowie Vermeidung von Hauptverkehrsstraßen ohne Radinfrastruktur 36 % 6 % 25 % Hoch, bei Wahrung des Primärmotivs schneller Zielerreichung Route auf Hauptverkehrsstraßen ungeachtet von Radinfrastruktur 3 % Keine; Bevorzugung von „Autostrecken“ Tabelle 2: Routenpräferenzen in der Fahrradnavigation (n = 461.170, 1-Jahres-Abfrage aus dem Datensatz eines Berliner Fahrradnavigationsanbieters) Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (Hrsg.): Hardinghaus, M.; Cyganski, R. Attraktive Radinfrastruktur. Routenpräferenzen von Radfahrenden. Berlin 2019. S. 21; letzte Spalte ergänzt. Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 19 Radverkehr INFRASTRUKTUR Es wird daher Zeit, „soft policy“-Komponenten in die planerische Ausbildung zu integrieren, allein schon aus Effizienzgesichtspunkten: Sollen verkehrliche Maßnahmen die Radverkehrsgunst erhöhen, dann muss man dies in Medien (auch sozialen Medien) kundtun und darf nicht unnötig viel Zeit verstreichen lassen bis Verkehrsteilnehmer das irgendwann von selbst merken - was wiederum umso länger dauert, je „autoaffiner“ das Nutzerverhalten ist - tu Gutes und rede darüber! Wie weiter mit dem Radwegebau? Die bisherigen Ausführungen können den Eindruck einer kompletten Abkehraufforderung von bisherigen Formen der Radverkehrsplanung aufkommen lassen. Bei aller Kritik an der Konzentration von Mitteleinsatz und planerischer Aufmerksamkeit auf Radweganlagen entlang klassifizierter Straßen wird diesem Anteil in Bau (vor allem für Lückenschlüsse) und Sanierung jedoch weiterhin eine Bedeutung zugemessen. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass an diesen Straßen Menschen wohnen und diverse Einrichtungen als Zielorte auch des Radverkehrs ihren Standort haben. Es sind zudem vor allem straßenbegleitende Radwege, die nachts beleuchtet und im Winter geräumt/ gestreut werden können, die nach starken Niederschlägen vielleicht Pfützen aufweisen, aber nicht durchweicht sind wie Nebenwege mit wassergebundener Decke. Deshalb geht es nicht um Abkehr, sondern um Weiterentwicklung, es geht nicht um Revolution, sondern um Evolution. Neben der Blickerweiterung auf die Fläche muss dabei aber auch Augenmaß für Nutzerbelange „auf der Linie“ eingefordert werden, ganz besonders bei der neuesten, von der Bundesebene angestoßenen Initiative des Baues von Radschnellwegen. Flexibilität für lokale Anpassungen So begrüßenswert die Fixierung hochqualitativer Ausstattungskriterien für schnellen Radverkehr ist, etwa hinsichtlich der Wegbreiten, der Beleuchtung und der direkten Linienführung, so besteht doch die Gefahr, damit Vorgaben festzuschreiben, die den regionalen Erfordernissen nicht entsprechen und für lokale Gegebenheiten überdimensioniert sind. Die niederländischen Velorouten wurden flexibler und mit weit weniger Mindestauflagen gebaut, sind aber dennoch hoch komfortabel und nutzerfreundlich. Wenn Empfehlungen und Richtlinien zum Ausschlusskriterium mit Quasi-Gesetzesrang werden, geht die gerade im Radverkehr dringend nötige Flexibilität für lokale Anpassungen verloren. Das Dilemma sei aber nicht verschwiegen: Die Planungshistorie zeigt, dass in Deutschland für Radverkehrsanlagen Mindestwerte (vor allem bezüglich der Wegbreite) zu Regelwerten mutieren. Vielleicht ist die Bindung der Unterschreitung von empfohlenen Regelvorgaben an beschreibungspflichtige und der rechtlichen Überprüfbarkeit zugängliche Ausnahmeumstände ein Weg, um die nötige und sinnvolle planerische Variationsbreite zu erreichen. Routenkonzeption So anerkennenswert die Planung von Fahrradlangstrecken ist, begrenzte Geschwindigkeit und der nötige Einsatz von Körperkraft wird die Masse des Alltagsradverkehrs auch weiterhin im Kurz- und Mittelstreckenbereich fixieren. Eigene Verkehrsmittelwahlerhebungen zeigten deutliche Distanzschwellen für die Radnutzung bei 5 bis 6 km im Ausbildungs- und Berufsverkehr sowie 2 bis 3 km bei Strecken für kleine Einkäufe und Besorgungen; für Großeinkäufe liegt die akzeptierte Distanz bei 1 bis 2 km [13] und ist zusätzlich vom möglichen Gepäckvolumen der individuellen Ausstattung mit Gepäckträgertaschen/ -körben oder Fahrradanhänger abhängig. Die neueren MID-Untersuchungen deuten in dieselbe Richtung [14], erst die E-Fahrräder versprechen eine erhebliche Vergrößerung der Aktionsräume. Nach den eigenen Reisezeitexperimenten zu urteilen, beträgt der Zuwachs an Durchschnittsgeschwindigkeit bei Pedelecs im städtischen Umfeld zwar nur 3,5 bis 5 km/ h, aber das reicht, um den reisezeittechnischen Vorteil gegenüber dem Auto im Stadtverkehr mehr als zu verdoppeln [15]. Deshalb ist auch bei den genannten Aktionsradien von einer Verdoppelung auszugehen. Jedoch liegen die von einer Mehrheit der Radler akzeptierten Entfernungen dann immer noch weit unter den Distanzen, für die Radschnellwege geplant werden. Die logische Konsequenz wäre daher, die Routenkonzeption weniger an Direktverbindungen zwischen großen und mittelgroßen Städten zu orientieren als vielmehr maßvolle Abweichungen von der direkten Achsenlinie in Kauf zu nehmen, wenn dadurch mehr Siedlungen als Quell- und Zielorte eingebunden werden können. Planungsgrundlage Schließlich ist in regionalen Diskussionen zu beobachten, dass sich in der gewohnten, aber hier kritisierten Weise erneut Streckenführungen entlang von Hauptverkehrsstraßen, darunter auch hoch frequentierte Bundesstraßen, herauskristallisieren. Leichtere Flächenverfügbarkeit und -gestaltbarkeit ist hierfür das Hauptmotiv. Dies wird den Nutzungsbelangen des Radverkehrs definitiv nicht gerecht. Auf kürzeren Teilstrecken mögen zugunsten eines schnelleren Vorankommens die Lärm- und Abgasbelastung toleriert werden, aber gerade ein Angebot, das zum Radeln auf längeren Strecken Anlass geben will, ist mit der Nachbarschaft stark befahrener KFZ-Straßen selbst bei kreuzungsfreier Wegeführung unvereinbar. Das lehren auch Berichte über „Intensivradler“, die sich nicht scheuen, im Alltagsverkehr Einzelstrecken von über 20 km (und dann später am Tag auch zurück) zu bewältigen. Sie suchen sich gezielt ruhige Wegstrecken, ebenso wie Radtouristen sie für ihre Tagesetappen bevorzugen. Radstreckenplanung gelingt besser, wenn man den Freizeitverkehr nicht als nebenher abzuhandelnde Residualgröße betrachtet, sondern die dort gewünschten Qualitäten zur Planungsgrundlage von Alltagsrouten nimmt. Radverkehr ist gegenüber dem Auto auf Kurzstrecken von 3 bis 4 km schon heute hoch konkurrenzfähig, mit elektrischer Trittunterstützung gilt das auch für den Bild 4: Erhebungsmethodische Gewichtungen in der Verkehrsplanung Methodik MIV-Planung: (Erforderliche) Methodik NMIV-Planung: Verkehrszählungen, EDVgestützte Umlegungsberechnungen, Parkraumerfassung Flächendeckende Sichtanalysen per Befahrung / Begehung Unfalldatenanalyse Befragungen, Expertengespräche Interviews, Befragungen, Unfalldatenanalyse Punktuelle Begehungen Verkehrszählungen Fahrradparkraumerfassung Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 20 INFRASTRUKTUR Radverkehr Mitteldistanzbereich bis 10 km. Darüber hinaus sollte man im Alltagsbereich besser nicht mit Radfahrermassen rechnen, lediglich bei Freizeitradtouren und Sportradlern sind noch längere Wege häufig. Für Beruf, Ausbildung und Versorgung sind jedoch Distanzen von mehr als 10 km eher ein Fall für die Multimodalität mit dem ÖPNV, vor allem dem SPNV. Hierfür ist das Fahrrad ein sehr leistungsfähiges Zuwegungs- und Anschlussverkehrsmittel. Sowohl für monomodalen Radverkehr im flächigen Kurz-/ Mittelstreckenbereich als auch für Transportketten im Stadtregionsverkehr sind Radschnellwege als Langstreckenoptionen eigentlich nur bedingt passfähig. Der Hype um diese Innovation birgt deshalb das Risiko, dass die Elementarbelange von Radlern im flächigen Verkehr unterer Distanzbereiche weiterhin vernachlässigt werden. Was RVF 3.0 nicht (allein) kann Verkehrsmittelwahlanteile vom Auto auf Verkehrsmittel des Umweltverbundes zu verschieben ist das Ziel nachhaltiger Verkehrspolitik. Ein neues Level in der Radverkehrsförderung wird dafür seinen Beitrag leisten können. Aber Verkehrsmittelwahl ist zu einem erheblichen Anteil gewohnheitsbestimmtes Verhalten [16]. Für alltägliche Wege wird nicht ständig eine rationale Abwägung von Vor-/ Nachteilskriterien vorgenommen. Und ist erst einmal die Autonutzung habitualisiert, werden Verbesserungen im Radverkehr gar nicht mehr wahrgenommen oder als minder relevant eingeschätzt. Verkehrsmittelwahlbeeinflussung funktioniert deshalb eigentlich besser durch Anstöße als durch Anreize, auch wenn die Kombination von push & pull sicherlich das Optimum darstellt und zudem akzeptanzsteigernd wirkt. Dennoch ist Verkehrsberuhigungspolitik bereits alleinstehend eine äußerst probate Form indirekter Radverkehrsförderung. Sie kann durch Senkung der KFZ-Geschwindigkeit Unfallgefahren mindern und die relative Reisezeitgunst des Fahrrads verbessern, schafft in einigen Fällen mehr Verkehrsraum für Nichtmotorisierte und wirkt als Nachdenkanstoß zur Infragestellung von Verkehrsroutinen. Es war in Lüneburg nicht die (viel zu zaghafte) Radverkehrsförderung, die 1993/ 94 einen Erdrutsch im Modal Split zugunsten des Fahrrades auslöste, sondern die Umsetzung des autoarmen Stadtzentrums [17]. Heute könnten Einbahnstraßenregelungen auf parallelen, innerstädtischen Hauptverkehrsstraßenabschnitten in Lüneburg dazu dienen, den Autoverkehr umständlicher (aber nicht weniger flüssig) zu gestalten und damit die Fahrradnutzung zweckmäßiger erscheinen zu lassen, vor allem aber dringend benötigte Fläche für Bus- und Radverkehr zu gewinnen. In autoaffineren Verkehrsstrukturen, etwa Hamburgs, wäre für dasselbe Ziel vorrangig an die Reduzierung der Fahrspurzahlen für den Autoverkehr auf den Hauptmagistralen zu denken. In allen Städten wäre es an der Zeit, über Bannmeilen um Schulen die zum Teil chaotischen Verhältnisse durch Elterntaxis zu Unterrichtsbeginn und -ende zu ordnen oder für neue Wohngebiete nur noch das zentrale Quartiersparken vorzusehen. Letzteres bedeutet: Nur Ausnahme-KFZ-Zufahrt auf überbreiten Geh-/ Radwegen vor die Haustür zum Halten (Be-/ Entladen), längeres Abstellen des Fahrzeuges hingegen in zentralen Anlagen, vorzugsweise in Form raumsparend doppelstöckiger Parkdecks mit E-Anschluss zum Aufladen für jeden Stellplatz sowie optional gemeinschaftlichen Lagerräumen und integriertem Carsharingangebot. Bereits ein um lediglich eine Minute verlängerter Fußweg (= 80 bis 85 m) vor dem Einstieg ins Auto oder nach dem Aussteigen zum Zielort beeinflusst die Reisezeitrelationen nennenswert, wodurch insbesondere der Radverkehr als Alternative spürbar an Attraktivität gewinnt. Fazit Die Maxime, Radverkehrsplanung zu betreiben, um Wege frei zu machen für Autoverkehr (RVF 1.0), ist überwunden. Dennoch ist die heutige Stellung des Fahrrades (RVF 2.0) immer noch stark defizitär. Zwar haben sich die Ziele als Teil einer Umweltverbundförderung für nachhaltige Verkehrsentwicklung deutlich verändert, aber die Methoden und Inhalte in den Bereichen Finanzförderung, Planung, Erhebungen und Ausbildung haben sich diesen neuen Zielsetzungen nur unzureichend angepasst. RVF 3.0 setzt auf flächige Herangehensweisen statt Linearität, auf Beseitigung von Barrieren und Verbesserungen im Mikrobereich statt einseitige Fixierung auf große und teure Bauvorhaben, auf Schaffung analoger und digitaler Netztransparenz für die Mental Maps statt Kanalisierung, auf Erhebungsformen zur Ermittlung originärer Radverkehrseignungen auch bei vermeintlichen Kleinigkeiten statt Fahrradplanung aus der Windschutzscheibenperspektive, auf Medien- und Moderationskompetenz für Information und Werbung statt Planung abseits einer als störend empfundenen Öffentlichkeit sowie auf ein Begreifen der Radnutzer als aussagekräftige Informationsquellen und mögliche aktive Planungspartner statt Objekte, deren Verhalten es möglichst regelkonform zu gestalten gilt. Für das Erreichen eines solchen Levels benötigen wir Strukturreformen in der verkehrsplanerischen Ausbildung, im Leistungsprofil von Planungsbüros, in den Inhalten kommunaler Verkehrspläne/ Radverkehrskonzeptionen sowie in der Fördermittelpolitik von Bund und Ländern. Radverkehr kann dann über seine heutige quantitative Bedeutung erheblich hinauswachsen und, ähnlich wie in den Niederlanden und Dänemark, zu einer tragenden Säule nachhaltigen Verkehrs in Stadtregionen werden. ■ QUELLEN [8] www.openstreetmap.org/ copyright/ de, abgerufen 10.12.2019 [9] https: / / wiki.openstreetmap.org/ wiki/ DE: Statistik, abgerufen 10.12.2019 [10] https: / / osmstats.neis-one.org/ ? item=countries&date=1-11-2019, abgerufen 10.12.2019 [11] Pez, P. (2017): Reisezeitexperimente als Forschungs- und Evaluierungsinstrument - Ergebnisse aus Feldstudien in Lüneburg, Hamburg und Göttingen. In: Wilde, M.; Gather, M.; Neiberger, C.; Scheiner, J. (Hrsg.): Verkehr und Mobilität zwischen Alltagspraxis und Planungstheorie. Ökologische und soziale Perspektiven. Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung. Wiesbaden. S. 99-112 [12] www.meldeplattform-radverkehr.de [13] Pez, P. (1998): Verkehrsmittelwahl im Stadtbereich und ihre Beeinflußbarkeit. Eine verkehrsgeographische Analyse am Beispiel von Kiel und Lüneburg. Kieler Geographische Schriften 95. Kiel; hier. S. 174-176 [14] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) 2019: Mobilität in Deutschland - MiD. Analysen zum Radverkehr und Fußverkehr. S. 2, Bonn [15] Pez, P. (2017): a. a. O., S. 105 [16] Pez, P. (1998): a. a. O., S. 188-192 [17] Pez, P. (2000): Verkehrsberuhigung in Stadtzentren. Ihre Auswirkungen auf Ökonomie, Politik, Mobilität, Ökologie und Verkehrssicherheit - unter besonderer Berücksichtigung des Fallbeispiels Lüneburg. Archiv für Kommunalwissenschaften 39 (1), S. 117-145; hier: S. 137-138 TEIL 1 DES BEITRAGS: Pez, P.; Seidel, A. (2020): Radverkehrsförderung 3.0. Barrierefrei, netztransparent, digital - konzeptionelle Folgerungen aus 30 Jahren Beobachtungen und Forschung (nicht nur) in der Region Lüneburg - Teil 1. In: Internationales Verkehrswesen (72) Heft 3, S. 20-23 _______________ Radverkehrsförderung 3.0 soll in Stadt und Landkreis Lüneburg in den nächsten Jahren im Rahmen des Modellvorhabens Rad mit Mitteln des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur realisiert werden. Peter Pez, Apl. Prof. Dr. Institut für Stadt- und Kulturraumforschung, Leuphana Universität Lüneburg pez@uni.leuphana.de Antje Seidel, Dr. Institut für Ethik und Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung, Leuphana Universität Lüneburg antje.seidel@uni.leuphana.de Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 21 DIANA - digitalisierte prädiktive Instandhaltung Diagnose und Analyse von Produktionsmitteln der Infrastruktur Prädiktive Instandhaltung, Weichenantriebsdiagnose, Digitale Sensoren, Künstliche Intelligenz, Anlagenverfügbarkeit Im Schienenverkehr verursachen Verspätungen einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden. Eisenbahnunternehmen leiden unter den negativen Folgen für ihr Image sowie unter den Kosten der Verspätungen und dem Mehraufwand durch Entstörung der Anlagen. Andererseits steigen die Erwartungen an eine jederzeit verfügbare und klimaschonende Mobilität. Gefordert sind Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung des Zustands des Schienennetzes. Dafür sind neue und innovative digitale Instandhaltungsstrategien gefragt, die eine höhere Anlagenverfügbarkeit bei gleichzeitiger Kostenreduzierung sicherstellen. Isidoros Sapounas B ei der Analyse bisher eingesetzter Instandhaltungsstrategien im gesamten Bahnbetrieb fällt auf, dass sich die Vorgehensweisen größtenteils nach den Prinzipien der korrektiven und präventiven Instandhaltung orientieren. Die korrektive Instandhaltung ist eine einfache Instandhaltungsstrategie, die darin besteht, aus Konsequenzen von erfolgten Fehlern Maßnahmen zu ergreifen (zum Beispiel der Austausch defekter Bauteile). Hingegen verfolgt die präventive Instandhaltung durch manuelle und regelmäßige Inspektionen und Wartung das Ziel, Störungen möglichst zu vermeiden. Die Instandhaltungsintervalle richten sich dabei nach bestimmten Belastungskenngrößen oder Erfahrungswerten. Der derzeitige Zustand der individuellen Anlage bleibt aber immer noch unbekannt. Der Übergang von der korrektiven zur prädiktiven Instandhaltung Anstatt korrektiver oder präventiver Instandhaltung erleichtern digitale Innovationen den Übergang zur vorausschauenden Wartung, indem Diagnose- und Analyse- Tools verwendet werden, um den am besten geeigneten Zeitpunkt für die vorbeugenden Maßnahmen zu definieren. Dies wird auch als zustandsbasierte - prädiktive - Instandhaltung bezeichnet. Die prädiktive Instandhaltung beinhaltet die Weiterentwicklung der zustandsbasierten Instandhaltung. Durch Nutzung von Sensoren werden die gesammelten Informationen verknüpft und durch IoT-Techniken (Internet of Things) weiter ausgewertet und visualisiert. So werden Diagnosen hergestellt, die mittels KI-Modellen (Künstliche Intelligenz) und analytischen Methoden (wie Maschinelles Lernen) in Prognosen verwandelt werden. Dadurch können die zu erwartenden wahrscheinlichen Ausfallzeitpunkte präzise identifiziert werden. Solche Prognosen existieren bisher nicht valide und sind daher ein Forschungsschwerpunkt der DB Engineering & Consulting (DB E&C). Ziel ist es, den Übergang von zustandsbasierter Instandhaltung zu langfristigen Prognosen aufzuzeigen. Dabei stehen vier wesentliche Kriterien im Vordergrund: • Reduzierung von Ad-hoc-Inspektionen zur Fehleridentifikation auf dem Feld Gleisvorfeld Frankfurt (Main) Hauptbahnhof Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben Digitalisierung INFRASTRUKTUR Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 22 INFRASTRUKTUR Digitalisierung • Reduzierung der gesamten Wartungskosten • Bessere Servicequalität bei höherer Anlagenverfügbarkeit • Bessere Planbarkeit der Instandhaltungsprozesse Seit mehreren Jahren implementiert die Deutsche Bahn stetig neue Technologien, die Daten sammeln und analysieren, um mögliche Fehlfunktionen frühzeitig zu erkennen und diese innerhalb der Organisation als gängige Praxis zu etablieren. Diana Weichenantriebsdiagnose Eine der Hauptursachen für infrastrukturbedingte Verspätungen sind Weichenstörungen. Bei der Deutschen Bahn gibt es über 69.000 Weichen und Kreuzungen im gesamten Streckennetz. Störungen an diesen technischen Anlagen bedeuten erhebliche Verluste im Bahnbetrieb. Die negativen Auswirkungen einer infrastrukturbedingten Störung ließen sich nur verhindern, wenn diese rechtzeitig erkannt werden, um effektive und effiziente Gegenmaßnahmen zu planen und auszuführen. Daher besteht die Notwendigkeit darin, präzise und verlässliche Vorhersagen von Weichenstörungen zu generieren, die die Instandhaltungskosten senken und die Verfügbarkeit der Anlagen erhöhen. Die Deutsche Bahn stand vor der großen Herausforderung, dass viele unterschiedliche Diagnosesysteme in der Instandhaltung bisher eine unüberschaubare Masse an nicht komplett auszuwertenden Daten lieferten und entwickelte daher Diana, die Diagnose- und Analyselösung für Zustandsüberwachung und vorausschauende Instandhaltung von Infrastrukturanlagen und Fahrzeugen. Diana ermöglicht es, Daten aus verschiedenen Quellen auf nur einer einzigen webbasierten IoT-Plattform mit herstellerunabhängigen Schnittstellenstandards zu sammeln, zu bündeln, zu analysieren und zu visualisieren, sodass eine vorausschauende Instandhaltung ermöglicht wird. Diana wurde durch eine evolutionäre Implementierung innerhalb der DB in die Prozesse eingegliedert und unterstützt die Bewahrung des Dateneigentums des Eisenbahninfrastrukturunternehmens sowie den Aufbau von neuem Wissen und die Sicherung des bestehenden Knowhows im eigenen Unternehmen. Um Zustandsänderungen des Weichenantriebs frühzeitig zu erkennen, wurde zusammen mit der Diana-Plattform die Weichenantriebsdiagnose mit eigener Sensorik entwickelt. Das Prinzip ist dabei recht simpel: Ein Sensor auf dem Stromkabel misst bei jedem Weichenumlauf den benötigten Strom. Auf Grundlage festgelegter Referenzkurven können Abweichungen des Stromverbrauchs über den gesamten Weichenumlauf detektiert werden (Bild 1). Tritt eine Abweichung auf, wird der Anlagenverantwortliche oder Instandhalter hierüber in Echtzeit per App informiert und bewertet mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen die Auffälligkeit und entscheidet, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um einen Defekt zu vermeiden. Um einen langfristigen Überblick über die Leistung der Anlage zu erhalten, wurde das Prinzip des Grünen Plots (Diana-Patent) eingeführt. Der Grüne Plot ist eine historische Darstellung aller Weichenumläufe innerhalb einer bestimmten Periode. Diana misst die Stromkurve, dreht diese um 90 Grad und kodiert die Abweichungen zur jeweiligen Referenzkurve. Existiert beispielsweise keine Abweichung, ist die Code-Farbe Grün, ist die Abweichung signifikant, ist die Code-Farbe Rot. So kann man die verschiedenen Weichenumläufe zeitlich betrachten und Entwicklungen besser erkennen, um den „geeigneten“ Zeitpunkt für eine Instandhaltungsmaßnahme besser identifizieren zu können (Bild 2). Durch die Dokumentation der Fehlerursache durch den Instandhalter im System und die Problem- Kategorisierung kann ein Fehlerbildkatalog erstellt werden, der als Orientierungswerkzeug innerhalb der Diagnose dient und eng mit dem Aktionskatalog verknüpft ist. Die Diana-Weichenantriebsdiagnose der ersten Generation ist bereits erfolgreich bei der DB Netz AG und Société Nationale des Chemins de Fer Luxembourgeois (CFL) in Luxemburg im Einsatz. Damit war der erste Schritt in Richtung zustandsbasierter Instandhaltung absolviert. Die DB Netz AG hat insgesamt 28.000 betriebswichtige Weichen mit dem Weichenantriebsdiagnosesystem Diana ausgerüstet. Damit konnten im letzten Jahr 3.600 Störungen vermieden werden. Weichenantriebsdiagnose 2.0 mittels neuer Sensorik Basierend auf der bisher eingesetzten analogen Sensorik und den gemachten Erfah- Bild 1: Exemplarische Darstellung der Stromumlaufkurve und der Referenzkurve (grün) für einen Weichenumlauf Quelle: Diana-Plattform DB E&C Bild 2: Anzeige „Grüner Plot“ - Visualisierung der Langzeitüberwachung einer Weiche Quelle: Diana-Plattform DB E&C Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 23 Digitalisierung INFRASTRUKTUR rungen wurde der Sensor zweiter Generation entwickelt, der mehr Daten misst, da für eine umfassendere Analyse des Weichenumlaufs Parameter wie Spannung, Offset, Schein- und Blindstrom relevant sind. Die neue Sensorik soll dabei helfen, bisher unbekannte Verschleiße zu identifizieren und die Analyse und Diagnose so noch besser zu machen. Grundsätzlich sind für die Weichenantriebsdiagnose 2.0 drei wesentliche Bereiche abzudecken: verbesserte Diagnosemeldungen, Erstellung von Prognosen und Entwicklung von KI-Modellen. Ziel ist es, aussagekräftigere Diagnosemeldungen durch verbesserte Analytik der erfassten Daten zu erstellen als bisherige Diagnosesysteme dies können, um eindeutiger zu erkennen, welche Auffälligkeit in welcher Phase des Betriebs einer Anlage vorliegt. Darüber hinaus sollen künftige Diagnosesysteme befähigt sein, zuverlässige Prognosen darüber zu erstellen, wann eine Anlage ohne weitere Instandhaltungsmaßnahmen ausfallen würde. Durch bessere Prognosen wird zum einen der vollständige Abnutzungsvorrat einer Betrachtungseinheit dargestellt und zum anderen ihre Funktionserfüllung anhand festgelegter Hersteller- und Instandsetzungsdaten definiert. Schließlich werden durch Maschinelles Lernen, insbesondere durch Verfahren, die auf Datenanalysen und- neuen Algorithmen basieren, Erkenntnisse für eine neue Art von Weichen antriebsdiagnose erzielt. Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch und ist mehr als die Automatisierung von Prozessen. „Echte“ künstliche Intelligenz umfasst Diagnosesysteme, die selbstständig lernen, sich weiterentwickeln und eigene Lösungen hervorbringen. Zum Beispiel die Entwicklung künstlicher neuronaler Maschinen, die selber die Referenzkurven und Parameter für jede Weiche automatisch setzen, regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Der neue digitale Sensor ermöglicht durch mehr Daten einen entscheidenden Schritt hin zur prädiktiven Instandhaltung. Er ist sowohl für Wechselstrom (AC) als auch für Gleichstrom (DC) geeignet. Er ist leichter, erfordert kein Rangieren bei der Installation und kann drei Phasen an einem AC- und DC-Motor kontaktlos und rückwirkungsfrei überwachen. Der digitale Sensor wird direkt an dem Kabelabschlussgestell im Stellwerk angeschlossen und misst dort den benötigten Strom, der von der Stromversorgung zum Weichenantrieb fließt (Bild-3). Die digitalen Signale werden unverändert an die Kommunikationsbox transferiert. Ein separater Logger oder Analog-Digital-Wandler wird nicht benötigt. Die Kommunikationsbox wertet die signifikanten Messdaten mit Edge Computing aus und überträgt diese Daten über eine IP-Verbindung an die Diagnoseplattform. Dort wird eine digitale Darstellung generiert, die Diagnose erstellt und der Instandhalter über die mögliche Ursache informiert. Der Sensor kann überall da zum Einsatz kommen, wo Wechselstrom- und Gleichstromantriebe mit wiederkehrenden Turns vorhanden sind. Erste Überlegungen und Anfragen belegen das Interesse an einer solchen Lösung aus der Windkraft- und Kraftwerksindustrie. Ebenso erscheint ein Einsatz zur permanenten Überwachung von Rolltreppen und Fahrstühlen als geeignet. Im Bereich der Eisenbahninfrastruktur kommen als weitere mögliche Anlagen, die mit dem neuen Sensor überwacht werden können, die Schrankenantriebe der Bahnübergangssicherungsanlagen in Betracht. Zusammenfassung Zustandsbasierte und vorausschauende Wartung können nicht so einfach wie eine Software gekauft und installiert werden. Sie erfordern eine Systemintegration, die die Zustandsüberwachung in das Asset Management, die Wartungsplanung, Betriebsmanagementsysteme und Daten von Drittanbietern integriert (Bild 4). Der Zugriff auf alle relevanten Datenquellen über standardisierte Verbindungen und Applikationen schafft eine Gesamtübersicht der jeweiligen Anlagen. Bezüglich der Weichenantriebsdiagnose erscheint es zum Beispiel notwendig, zusätzliche Parameter, wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Erd- und Gestellschlussmelder sowie die Weichenheizungsüberwachung in die Betrachtung einzubeziehen, um hieraus die notwendigen Korrelationen abbilden zu können. Diese Gesamtübersicht dient als Unterstützung zur Verbesserung der Datenanalyse und Diagnoseergebnisse auf der IoT-Plattform. Ferner werden Best-Practice-Techniken entwickelt und intern Knowhow zur Instandhaltung aufgebaut, um das Schienennetz in eine bessere Qualität zu bringen und dabei Wartungs- und Instandhaltungskosten zu vermindern. ■ Isidoros Sapounas Data Analytics and Digital Solutions, DB Engineering & Consulting GmbH, Berlin isidoros.sapounas@deutschebahn.com Bild 3: Digitaler Sensor der 2. Generation Quelle: Isidoros Sapounas Bild 4: Integration von Diana mit anderen relevanten Systemen Quelle: Isidoros Sapounas Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 24 INFRASTRUKTUR Verkehrsflächenplanung Das Auto im städtischen Straßenraum Vernünftig oder unvernünftig - welche Fahrzeuggröße ist-vernünftig? Stadtplanung, Verkehrsrecht, Infrastruktur, Verkehrsanlagen, Ruhender Verkehr, Straße, MIV, KFZ, PKW,-Automobil Das Automobil - kaum eine andere technische Entwicklung hat die Mobilität der Menschheit so stark verändert und vorangebracht. Die Fahrzeugentwicklung schreitet stetig voran, damit einhergehend wachsen einzelne Fahrzeugabmessungen mit. Wie verhält es sich mit teilweise immer größer werdenden Fahrzeugmodellen auf der nicht mitwachsenden Straßeninfrastruktur? Eine Definition des „Autos“ und eine Antwort auf die Frage, ob moderne Fahrzeuge noch auf die vorherrschende Infrastruktur passen. Matthias Kuhnt D ie heutige Bedeutung der Straße hat sich in den meisten Ländern erst im Laufe der Vollmotorisierung nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Vorher stand für nahezu 100 Jahre die Eisenbahn im Zentrum des Verkehrsgeschehens und überließ dem Straßenverkehr die Zubringer- und Verteilerfunktion. Seitdem stieg der Anteil des motorisierten Individualverkehrs an der gesamten Beförderungsleistung stetig an und erreicht heute in Deutschland etwa 80 % im Personenverkehr, im Güterverkehr werden 70 % der Beförderungsleistung über den Straßenverkehr abgewickelt [1]. Gleichermaßen wurden auch die Fahrzeuge selbst weiterentwickelt. Ein modernes Kraftfahrzeug hat kaum noch etwas mit einem Fahrzeug aus der Pionierzeit des Automobils gemeinsam. Der erste Motorwagen von Daimler aus dem Jahr 1886 glich noch mehr einer Kutsche, was nicht verwundert, denn diese war das Vorbild für den Motorwagen. Der große Durchbruch zur Verbreitung des Automobils kam mit der konsequenten Perfektionierung der Fließbandfertigung durch Henry Ford und der damit möglichen Großserienproduktion in den USA ab 1913. Damit konnten die Produktionskosten drastisch gesenkt werden, der Grundstein zur Vollmotorisierung der Bevölkerung war gelegt [2]. Die Fahrzeuge wurden weiterentwickelt und die Straßeninfrastruktur zunehmend ausgebaut. Heute ist jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland mittelbar oder unmittelbar vom Auto tangiert. Fast 80 % der privaten Haushalte in Deutschland besitzen mindestens ein Auto. Seit 2005 gibt es mehr Autos als Haushalte in Deutschland [3]. Der vorliegende Artikel gibt eine Übersicht über die Definition von Personenkraftwagen sowie einen Einblick in die Entwicklung der Fahrzeugabmessungen. Es wird auf das Zusammenspiel zwischen Fahrzeug und Infrastruktur eingegangen und aufgezeigt, dass der durchschnittliche PKW europäischer Automobilhersteller entgegen der landläufigen Meinung auch heute noch auf die vorherrschende Straßeninfrastruktur passt. Die im Stadtverkehr vorherrschenden Probleme zwischen Kraftfahrzeugen und den schwächeren Verkehrsteilnehmern begründen sich nicht auf den teilweise gewachsenen Abmessungen der Fahrzeuge, sondern haben im Wesentlichen eine ganz andere Ursache. Bemessungsfahrzeuge und Personenkraftwagen Bereits im römischen Straßenbau gab es für die Gestaltung des Straßenquerschnitts Bemessungsgrößen, die eine Hierarchie des Straßennetzes festlegten. Die Hauptdurchgangsstraßen einer Stadt mussten so breit sein, dass zwei beladene Kamele passieren konnten (4 bis 8 m), die internen Verbindungswege orientierten sich an der Breite von einem Lastkamel bzw. von zwei beladenen Eseln (2 bis 4 m) und die Anliegerstraßen an der Breite von einem Esel nebst Fußgänger (1 bis 1,50 m) [4]. Heutzutage liegen den straßenbautechnischen Regelwerken die so genannten Bemessungsfahrzeuge zugrunde, aufgestellt durch die Arbeitsgruppe Straßenentwurf der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen sowie eingeführt durch das Bundesverkehrsministerium durch Allgemeines Rundschreiben [5]. Die Abmessungen der verschiedenen Fahrzeuge können Bild 1 entnommen werden. Als Bemessungsfahrzeuge innerhalb der einzelnen Gruppen wurden aus dem Kollektiv der Kraftfahrzeuge einer Gruppe diejenigen Fahrzeuge ausgewählt, die in ihren Abmessungen annähernd einem sogenannten „85-%-Fahrzeug“ entsprechen. Durch die Auswahl dieser Kraftfahrzeuge ist gewährleistet, dass Anlagen für den fließenden und den ruhenden Verkehr nicht mit einem selten auftretenden Maximalfahrzeug bemessen werden. Dass die Definition der Größe von Personenkraftwagen regelmäßig von subjektivem Einfluss geprägt wird und häufig auch marketingtechnischen Gründen unterliegt, zeigt beispielhaft die Kategorisierung der Fahrzeuge des Carsharing-Anbieters stadtmobil Karlsruhe (Tabelle 1). Die Übersicht legt dar, dass die Einteilung der Fahrzeuge in die einzelnen Kategorien eben gerade nicht hauptsächlich anhand der Fahrzeugabmessungen erfolgt, sondern vielmehr anhand der Preisklasse. Eine solch verzerrte Darstellung festigt den subjektiven Eindruck der Fahrzeugnutzer. Beispielsweise erweckt allein die Bezeichnung der Kategorie den Eindruck, der Nutzer fahre ein „Maxi-“großes Fahrzeug, wenn er einen BMW X1 gebucht hat, welcher Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 25 Verkehrsflächenplanung INFRASTRUKTUR amtlich als SUV (Sport Utility Vehicle), bezogen auf die Fahrzeuggröße jedoch am ehesten als Kompaktklasse, höchstens als Mittelklasse akzeptiert werden kann. Weiter wird ein VW Beetle als „Kombi“ kategorisiert. Ob dieses Fahrzeug wohl für einen größeren Einkauf im Baumarkt oder einen kleineren Möbeleinkauf tauglich ist, was man unter dem Titel dieser Kategorie durchaus verstehen kann, ist fraglich. Dieses Beispiel soll aufzeigen, dass bei der Fahrzeugkategorisierung oftmals die Objektivität außer Acht bleibt. Gemeinhin werden unter anderem auch aus diesem Grund jegliche Fahrzeuge des Segments „SUV“ als klimaschädlich und pauschal als „politisch unkorrekt“ betrachtet, wider besseren Wissens, dass dieses Segment eben gerade nicht auf den Fahrzeugabmessungen sondern vielmehr auf der Art der Verwendung beruht. So existieren durchaus sehr viele PKW des Segments SUV, welche bei alleiniger Betrachtung der Fahrzeugabmessungen durchaus als „Kompaktklasse“ durchgehen würden: 37 von insgesamt 58 PKW-Modellen des Segments SUV haben eine maximale Länge von gerade einmal 4,50 m, was wiederum der Kompaktklasse bzw. höchstens der Mittelklasse entspricht-[7]. Fahrzeugklassen Aus amtlicher Sicht werden Kraftfahrzeuge durch die Europäische Union in verschiedene Klassen, Typen und Varianten unterteilt [8] (Bild 2), u. a.: • Klasse M: Für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit mindestens vier Rädern. • Klasse M1: Für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit höchstens acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz. • Klasse M2: Für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz und einer zulässigen Gesamtmasse bis zu 5 t. • Klasse M3: Für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz und einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 5 t. Fahrzeugtypen Für die Fahrzeugklasse M1 gilt: Ein Typ umfasst Fahrzeuge, die sich zumindest hinsichtlich der folgenden wesentlichen Merkmale nicht unterscheiden: • Hersteller, • Typbezeichnung des Herstellers, • wesentliche Bau- und Konstruktionsmerkmale von Fahrgestell/ Bodengruppe (offensichtliche und grundlegende Unterschiede), • Antriebsmaschine (Verbrennungsmotor/ Elektromotor/ Hybridantrieb). Varianten Die Variante eines Typs umfasst Fahrzeuge innerhalb eines Typs, die sich zumindest hinsichtlich der folgenden wesentlichen Merkmale nicht unterscheiden: • Art des Aufbaus (z. B. Stufenhecklimousine, Schräghecklimousine, Coupé, Kabrio-Limousine, Kombilimousine, Mehrzweckfahrzeug), • Antriebsmaschine: Arbeitsverfahren, Anzahl und Anordnung der Zylinder, Unterschiede in der Motorleistung von mehr als 30 %, Unterschiede im Hubraum von mehr als 20 %, Antriebsachsen, gelenkte Achsen. Segmente Personenkraftwagen werden durch das Kraftfahrt-Bundesamt entsprechend Tabelle-2 in verschiedene Segmente unterteilt. Bild 1: Geometrische Kenngrößen der Bemessungsfahrzeuge [5] Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 26 INFRASTRUKTUR Verkehrsflächenplanung Die Eingruppierung von Modellreihen in Segmente ist oft ein Kompromiss und nicht immer eindeutig, was zu strittigen Ergebnissen führen kann. Zu den Geländewagen zählen alle PKW-Modelle, sobald sie gemäß EU- Richtlinie 2007/ 46/ EG als M1G-Fahrzeug typgenehmigt wurden. Ohne eine entsprechende Typgenehmigung werden PKW-Modelle mit „Offroad-Charakter“ im Segment SUV ausgewiesen [3]. Das Kraftfahrt-Bundesamt nimmt eine marktorientierte Segmentierung der Neu- Kategorie Carsharing Beispiele Länge [mm] Breite [mm] Fahrzeugsegment gemäß Kraftfahrt-Bundesamt Mini Seat Mii 3.557 1.645 Mini Toyota Aygo 3.465 1.615 Mini Smart Fiat 500 3.546 1.627 Mini Opel Karl 3.675 1.604 Mini Renault Twingo 3.595 1.647 Mini Smart ForTwo 2.695 1.663 Mini VW Up 3.540 1.645 Mini Klein Ford Fiesta 3.969 1.722 Kleinwagen Opel Corsa 4.021 1.736 Kleinwagen Renault Zoe 4.087 1.787 Kleinwagen Seat Ibiza 4.082 1.693 Kleinwagen Toyota Yaris 3.945 1.695 Kleinwagen VW Polo 3.970 1.682 Kleinwagen Mittel Audi A1 3.973 1.740 Kleinwagen VW Golf 4.255 1.799 Kompaktklasse Mazda MX5 3.970 1.675 Kompaktklasse Mini Cooper 3.821 1.727 Kleinwagen Renault Captur 4.122 1.778 SUV Renault Kangoo 4.282 1.829 Utility Toyota Auris 4.275 - 4.560 1.760 Kompaktklasse VW Caddy 4.406 1.794 Utility Kombi Audi A3 4.237 1.777 Kompaktklasse BMW 1er 4.324 1.765 Kompaktklasse BMW i3 3.999 1.775 Kleinwagen Ford Focus Kombi 4.560 1.823 Kompaktklasse Mercedes A-Klasse 4.292 1.780 Kompaktklasse Opel Astra Kombi 4.698 1.814 Kompaktklasse Seat Ateca 4.376 1.841 SUV VW Beetle 4.278 1.808 Kompaktklasse Groß Audi A3 Cabrio 4.421 1.793 Kompaktklasse Audi A4 Kombi 4.699 1.826 Mittelklasse BMW 2er Cabrio 4.432 1.774 Kompaktklasse BMW 3er Kombi 4.624 1.811 Mittelklasse Ford Kuga 4.524 1.838 SUV Opel Zafira 4.656 1.928 Großraum-Van VW Passat 4.767 1.832 Mittelklasse Maxi BMW 5er Kombi 4.907 1.860 Obere Mittelklasse BMW X1 4.477 1.798 SUV Ford Transit 4.863 - 6.474 1.974 Utility Mercedes Vito 5.140 1.928 Utility Opel Vivaro 4.999 1.956 Utility Seat Alhambra 4.854 1.904 Großraum-Van Transport Ford Transit 4.863 - 6.474 1.974 Utility Mercedes Sprinter 5.245 - 7.345 1.993 Utility Tabelle 1: Gegenüberstellung der in Teilen „falschen“ Kategorisierung der Carsharing-Fahrzeuge des Anbieters stadtmobil Karlsruhe [6] mit der korrekten Kategorisierung gemäß amtlichen Vorgaben des Kraftfahrt-Bundesamts [7]; rot = nicht zutreffend; grün = zutreffend Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 27 Verkehrsflächenplanung INFRASTRUKTUR wagen seit 1999 vor. Etwas später wurde dies auch für den PKW-Bestand eingeführt. In den Segmenten spiegeln sich unterschiedliche Größenklassen und Verwendungsarten der Fahrzeuge wider. Diese „künstliche“ Kategorisierung dient primär der Vergleichbarkeit des Fahrzeugmarktes. Das Zentrale Fahrzeugregister (ZFZR) weist keine Merkmale auf, die eine automatische Segmentzuordnung ermöglichen. Daher werden neue Modelle nach erfolgter Typgenehmigung unter Einbeziehung diverser Daten klassifiziert. Dies geschieht in enger Abstimmung mit den Automobilverbänden VDA (Verband der Automobilindustrie e. V.) und VDIK (Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller e. V.). Eine verbindliche „Formel“ für die Zuordnung der Segmente gibt es nicht. Neben dem optischen Erscheinungsbild dienen diverse Merkmale als Abgrenzungskriterien, die gegebenenfalls mit herangezogen werden: • Größe (Länge, Höhe) • Gewicht (zulässige Gesamtmasse) • Motorisierung (Hubraum) • Leistung (Höchstgeschwindigkeit) • Gepäckraum (Zuladung, Variabilität) • Sitzplätze (Anzahl) • Sitzhöhe (vorn) • Allrad (angetriebene Achsen) • Heckform (Varianten) • Fahrzeugklasse (bei Wohnmobilen) • Grundpreis Bei den ersten sechs Segmenten aus Tabelle 2 handelt es sich um reine Größenklassen. Die Zuordnung neuer Modelle ist dort unproblematisch. Bei den restlichen Kategorien steht hingegen nicht die Größe, sondern die Verwendungsart bzw. Fahrzeugart und -aufbau im Vordergrund. Insbesondere die Abgrenzung von Vans, Gelände- und Kompaktwagen ist nicht immer eindeutig. Zumal zunehmend Nischenfahrzeuge (für mehrere Zwecke) auf den Markt gebracht werden, mit welchen ein größeres Käuferpotential angesprochen werden soll [3]. Eine Übersicht der Anteile der jeweiligen Segmente an der Gesamtanzahl der vorhandenen PKW ist in Bild 3 aufgeführt. Nach landläufiger Bezeichnung fahren im heutigen Stadtverkehr zunehmend „Geländewagen“ durch die Straßen. Dies ist insofern falsch, dass die Bezeichnung Geländewagen entsprechend der Einteilung der Segmente oftmals falsch angewendet wird. Da ein Großteil der heutigen PKW, auch solche der Kategorie SUV, nicht alle erforderlichen Anforderungen erfüllt, handelt es sich in den meisten Fällen um reine „Allradfahrzeuge“, d. h. meist SUV, jedoch nicht um Geländefahrzeuge. Ob die Zunahme des Anteils an Allradfahrzeugen gerechtfertigt ist, ist fraglich. Neben dem Einsatz im gewerblichen Be- Segment Variante Typ Klasse M1* VW Golf Limousine Kompaktklasse Variant Kompaktklasse Cabrio Kompaktklasse Mercedes S-Klasse kurzer Radstand Oberklasse langer Radstand Oberklasse VW Tiguan -- Geländewagen * Klasse M1: Für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit höchstens acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz Als Beispiel wird jeweils der Personenkraftwagen mit dem größten Anteil an Neuzulassungen seines Segments im Mai 2020 aufgeführt. gemäß EU-Richtlinie 2007/ 46/ EG gemäß Kraftfahrtbundesamt Bild 2: Einteilung von PKW in Klasse, Typ, Variante und Segment 7,0% 18,7% 25,1% 13,2% 4,0% 0,6% 7,9% 5,4% 1,9% 4,2% 4,2% 4,0% 1,2% 2,4% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% Bild 3: Anteile der Segmente am PKW-Bestand zum 01.01.2020 [9] Nr. Segment Beispiel Einteilung nach Größe 1 Minis Fiat 500 2 Kleinwagen Opel Corsa 3 Kompaktklasse VW Golf 4 Mittelklasse Mercedes C-Klasse 5 Obere Mittelklasse Audi A6 6 Oberklasse Mercedes S-Klasse Einteilung nach Verwendungsart 7 SUVs VW T-Roc 8 Geländewagen VW Tiguan 9 Sportwagen Porsche 911 10 Mini-Vans Mercedes B-Klasse 11 Großraum-Vans VW Touran 12 Utilities VW Caddy 13 Wohnmobile Fiat Ducato Tabelle 2: Einteilung der Fahrzeugsegmente. Als Beispiel wird jeweils der Personenkraftwagen mit dem größten Anteil an Neuzulassungen seines Segments im Mai 2020 aufgeführt [7]. Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 28 INFRASTRUKTUR Verkehrsflächenplanung reich gibt es jedoch auch im privaten Umfeld Anwendungsfälle, welche dies rechtfertigen. Zu nennen sind hier ein regelmäßiger Gespannbetrieb, ein regelmäßiger Einsatz bei winterlichen Bedingungen im Bergland oder ein regelmäßiger Einsatz im land- oder forstwirtschaftlichen Bereich abseits befestigter Wege. Ein Allradantrieb ist hinsichtlich der Traktion einem reinen Front- oder Heckantrieb stets überlegen. Für den üblichen Einsatz auf befestigten Wegen des mitteleuropäischen Straßennetzes darf die Notwendigkeit dazu jedoch durchaus angezweifelt werden. Entwicklung der Fahrzeugabmessungen Bei einem Vergleich der Maße aktueller PKW-Modelle europäischer Automobilhersteller ist festzustellen, dass diese im Mittel noch immer den Maßen des Bemessungsfahrzeugs entsprechen (Tabelle 3). Es fällt auf, dass die aktuellen PKW-Modelle im Mittel lediglich eine um 4 % vergrößerte Breite gegenüber dem Bemessungsfahrzeug aufweisen. Woraus resultiert diese Mehrbreite? Die Ursache liegt zum einen in Komfortgründen, sind moderne PKW aufgrund größerem und damit komfortablerem Innenraum heute auch in den äußeren Abmessungen größer. Zum anderen führten gesetzliche Vorgaben hinsichtlich der Sicherheit und des Insassenschutzes zu größeren Breiten. Die Breite eines VW Golf I aus dem Jahr 1974 betrug 161 cm, ein VW Golf VII aus dem Jahr 2015 hat eine Breite von 180 cm, das entspricht einer Mehrbreite von 19 cm bzw. 12 %. 7,5 cm bzw. 40 % dieser Mehrbreite, wurden jedoch nicht dem Innenraum, sondern der Konstruktion der Fahrzeugkarosserie zugeschlagen (Bild 4). In der Vergangenheit wurden bei der Fahrzeugkonzeption in Bezug auf die Insassensicherheit große Fortschritte erreicht, welche zur Verringerung der Zahl der Menschen beigetragen haben, die im Straßenverkehr verletzt oder getötet worden sind. Dazu gehören neben den elektronischen Assistenzsystemen wie zum Beispiel dem Antiblockiersystem (ABS) oder dem elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) vor allem Airbags, welche die Folgen eines Aufpralls für die Fahrzeuginsassen mindern sollen. Diese sind in modernen Fahrzeugen nicht nur in Lenkrad und Armaturenbrett verbaut, sondern auch in den Fahrzeugseiten. Erst ab 1996 entschied sich das europäische Parlament einstimmig für die Einführung einer Seitencrashpflicht mit einer Barriere 30 cm über dem Boden, welche wiederum erst ab dem Jahr 2000 auf eine Seitencrashpflicht auf einen Pfahl erweitert wurde-[10]. Diese zusätzliche Sicherheitsausstattung kann jedoch nur unter einer Vergrößerung der Aufbaubreiten eingebaut werden. Damit ist ein Vergleich der äußeren Fahrzeugbreite eines modernen PKW mit der Breite eines älteren PKW oftmals verzerrt, denn für einen korrekten Vergleich muss (auch) die Breite des Innenraums der Fahrgastzelle verglichen werden. Dass viele SUV gar nicht so groß sind, wie sie erscheinen, zeigt folgendes Beispiel. Ein VW Tiguan ist lediglich um 1 cm breiter und gleichzeitig kürzer, nimmt also weniger Grundfläche in Anspruch, als ein VW Golf Variant: VW Tiguan I: Länge: 4.426 bis 4.457 mm Breite: 1.809 mm Höhe: 1.686 bis 1.703 mm VW Golf VI/ VII: Länge: 4.255 mm/ Variant: 4.534 bis 4.631 mm Breite: 1.799 mm Höhe: 1.452 mm In der Regel wird ein VW Golf Variant, offiziell im Segment Kompaktklasse angesiedelt, nicht als überdurchschnittlich groß bezeichnet, wohingegen der VW Tiguan (Segment Geländewagen) oftmals als Negativ-Beispiel für ein (vermeintlich) zu großes Fahrzeug aufgeführt wird. Aus welchem Grund? Das Fahrzeug wirkt insgesamt nur größer, und dies lediglich aufgrund der größeren Höhe. Dabei erscheint es sinnvoll, gerade die Höhe eines PKW mehr auszunutzen bzw. ist gerade diese Dimension der Faktor, weshalb diese Fahrzeugkategorie aktuell so beliebt ist und weiterhin an Beliebtheit zunehmen wird. Das vielfach angeführte Argument, ein SUV biete aufgrund der hohen Sitzposition eine verbesserte Übersicht und unterstütze damit das vorausschauende Fahren, wird mit zunehmender Anzahl dieser Art von Fahrzeugen zwar relativ schnell entkräftet. Dennoch bieten die höhere Sitzposition und damit ein komfortablerer Ein- und Ausstieg besonders der zunehmend alternden Gesellschaft weitere praktische Vorteile. Entweder also leisten die Vermarkter der Automobilbranche eine sehr gute Arbeit oder aber die überalternde Gesellschaft sorgt mehr oder weniger von selbst für die stetig zunehmende Anzahl an PKW des Segments SUV. Teilnahme am Straßenverkehr (ruhender Verkehr) Auf den fließenden Verkehr wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen, da die verhältnismäßig geringe Mehrbreite des durchschnittlichen PKW aufgrund der bei Planung von Straßenverkehrsanlagen zugrunde liegenden Bewegungsspielräume kaum bzw. nur unwesentliche Auswirkungen hat. Anders im ruhenden Verkehr: Für die Geometrie der Verkehrsflächen des ruhenden Verkehrs stellen die Empfehlungen für die Anlagen des ruhenden Verkehrs (EAR) den allgemeingültigen Stand der Technik dar [11]. Die darin enthaltenen Mindestanforderungen an die Abmessung von Parkständen und erforderlichen Fahrgassen stellen eine wirtschaftliche Nutzung dieser Flächen sicher. Weiter existieren die Garagen- Länge [mm] Breite [mm] (ohne Spiegel) Höhe [mm] Bemessungsfahrzeug: 4.740 1.760 1.510 Mittelwert*: 4.550 1.834 1.577 Abweichung: -4% 4% 4% * Mittelwert aus 302 PKW-Modellen folgender Hersteller: Alfa Romeo, Aston Martin, Audi, BMW, Bentley, Bugatti, Citroen, Ferrari, Fiat, Ford, Lancia, Land Rover, Lamborghini, Maserati, Mercedes-Benz, Mini, Opel, Peugeot, Porsche, Renault, Rolls-Royce, Seat, Skoda, Smart, Volkswagen, Volvo Tabelle 3: Vergleich des Mittelwerts der Abmessungen aller PKW-Modelle europäischer Automobilhersteller, Stand 05/ 2015 (Quelle: eigene Statistik) Bild 4: Entwicklung der Fahrzeugabmessungen am Beispiel eines VW Golf von 1974 bis 2015 (Innenraumbreite: lichter Abstand zwischen den Vordertüren unterhalb der Fenster) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 29 Verkehrsflächenplanung INFRASTRUKTUR verordnungen (GaVO) der Bundesländer, welche Vorschriften für den Bau und den Betrieb von Garagen und Stellplätzen enthalten [12]. Eine Auswahl an Mindestanforderungen aus EAR und GaVO ist in Tabelle 4 aufgeführt. Die Tabelle 4 zeigt auf, dass sich die im Allgemeinen vielfach kritisierte Garagenverordnung in weiten Teilen mit den EAR, welche den Stand der Technik darstellen, deckt. Bei beispielhafter Zugrundelegung einer Tür-Aufbaubreite von 19 cm (Bild 4) sowie 1-cm Mindestabstand zum nebenan parkenden PKW verbleiben bei Stellplatzbreiten von 2,30 m beim Bemessungsfahrzeug lediglich 34 cm Durchgangsbreite zum Ein- und Aussteigen - unter beengten Verhältnissen kann dies ausreichen, wird jedoch als unkomfortabel wahrgenommen (Bild 5). Bei einer Stellplatzbreite von 2,50 m hingegen verbleiben beim Bemessungsfahrzeug 54 cm Durchgangsbreite zum Ein- und Aussteigen, was als ausreichend bezeichnet werden kann. Bei der durchschnittlichen Fahrzeugbreite von 1,85 m verbleiben immerhin 45- cm Durchgangsbreite, was dem sogenannten „Quetschmaß“ (erforderlich bei Unterbrechung von Sicherheitsräumen durch Einbauten bei Straßenbahnen) entspricht, d. h. einer gesetzlich verankerten Breite, welche Personen grundsätzlich einen Durchgang ermöglicht [13]. Für die „Maximalbreite“ von PKW in der Größenordnung von 2,00 m sind selbst Stellplatzbreiten von 2,50 m problematisch, zumindest beim nebeneinander Parken mehrerer Fahrzeuge dieser Breite. Da Verkehrsanlagen jedoch grundsätzlich nicht vollständig auf Grundlage der größten zum Einsatz kommenden Fahrzeuge dimensioniert werden und im üblichen Verkehrsgeschehen ein Mix aus unterschiedlichsten Fahrzeugen zum Einsatz kommt, funktioniert das Parken in der Regel auch mit verhältnismäßig breiten PKW. Gerade für die Nutzung von Parkbauten ist nicht allein die Stellplatzbreite der maßgebende Faktor, sondern ebenso die bauliche Gestaltung der gesamten Anlage selbst. Damit ein Stellplatz bequem angefahren werden kann, bedarf es im Wesentlichen zwei Bedingungen: Die Fahrgasse muss ausreichend breit ausgebildet sein, und notwendige Einbauten wie Stützen an den Seiten der Parkstände dürfen nicht unmittelbar am Fahrbahnrand angeordnet, sondern müssen um ein entsprechendes Maß davon abgerückt werden. Die Mindestbreite einer Fahrgasse zur Erschließung von Senkrechtparkständen muss 6,00 m betragen, um Parkvorgänge ohne besondere Umstände zu ermöglichen. Nicht zu vermeidende Stützen oder Wände zwischen den Parkständen sind dann jedoch um mindestens 0,75 m vom Fahrgassenrand abzusetzen [11], andernfalls stehen sie beim Ein- oder Ausparken in der für die Kurvenfahrt benötigten Fläche - ein regelmäßig vorkommender Fehler in Parkbauten (Bild 6). Eine Optimierung von bestehenden Parkbauten im Hinblick auf die empfohlenen Mindestparkstandbreiten ist grundsätzlich unter Inkaufnahme einer (geringfügig) verringerten Kapazität möglich. Aus Betreibersicht spielt hier jedoch die Gesamtkapazität eine deutlich größere Rolle als eine möglichst komfortable Nutzbarkeit [14]. Umsetzung in der Planung Bei der Planung einer Straßenverkehrsanlage ist die Dimensionierung der erforderlichen Querschnitte und damit der Aufteilung des zur Verfügung stehenden Raums ein wesentlicher Bestandteil. Dies erfolgt zum einen über das technische Regelwerk der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, welches in den einschlägigen Richtlinien Vorgaben zu den erforderlichen Geometrien macht. Darüber hinaus Verkehrsfläche/ Bauteil EAR [11] GaVO [12] Parkstandbreite (Ausnahme) 2,30 m 2,30 m Parkstandbreite (Regelbreite) 2,50 m -- Parkstandbreite (Rollstuhlnutzer) 3,50 m 3,50 m Fahrbahnbreite, auch im Bereich von Zu- und Abfahrt 3,00 m 2,75 m Fahrbahnbreite mit Gegenverkehr 4,50 m 5,00 m Fahrbahnbreite im Bereich von Einfahrtkontrollen 2,30 m 2,30 m Fahrbahnen auf geraden Rampen 2,75 m 2,75 m Fahrbahnen auf gewendelten Rampen (Mindest-Innenradius 5,00 m) 3,70 m 3,50 m Fahrbahnen die unmittelbar der Zu- oder Abfahrt von Stellplätzen dienen (Aufstellwinkel 90° und Stellplatzbreite 2,50 m) 6,00 m 5,50 m Fahrbahnen die unmittelbar der Zu- oder Abfahrt von Stellplätzen dienen (Aufstellwinkel 75° und Stellplatzbreite 2,50 m) 4,50 m 5,00 m Fahrbahnen die unmittelbar der Zu- oder Abfahrt von Stellplätzen dienen (Aufstellwinkel 60° und Stellplatzbreite 2,50 m) 4,00 m 4,00 m Fahrbahnen die unmittelbar der Zu- oder Abfahrt von Stellplätzen dienen (Aufstellwinkel 45° und Stellplatzbreite 2,50 m) 3,00 m 3,00 m Fahrbahnen die unmittelbar der Zu- oder Abfahrt von Stellplätzen dienen (Aufstellwinkel ≤ 30° und Stellplatzbreite 2,50 m) 3,00 m 3,00 m Lichte Höhe 2,10 m 2,00 m Bei Abweichungen zwischen EAR und GaVO ist der günstigere Wert in grüner Farbe, der ungünstigere Wert in roter Farbe hervorgehoben. Tabelle 4: Anforderungen an die Geometrie von Anlagen des ruhenden Verkehrs für Senkrechtparkstände (Auszug) 2,50 2,50 2,30 2,30 1,76 1,76 0,74 1,76 1,76 0,54 1,85 1,85 0,65 1,85 1,85 0,45 2,00 2,00 0,50 2,00 2,00 0,30 Bemessungsfahrzeug Durchschnitt „Maximalbreite“ PKW Bild 5: Vergleich unterschiedlicher Stellplatzbreiten Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 30 INFRASTRUKTUR Verkehrsflächenplanung bieten Schleppkurvenschablonen, besser jedoch eine EDV-gestützte Schleppkurvensimulation, eine gute und zuverlässige Möglichkeit zur Überprüfung einer geplanten Anlage. Weitergehende Untersuchungen wie z. B. satellitengestützte Fahrversuche [15] stellen zwar vermeintlich noch genauere Ergebnisse in Aussicht, sind jedoch für den Praxisgebrauch völlig unverhältnismäßig, da zu aufwändig. Die erforderliche Genauigkeit einer Überprüfung der Befahrbarkeit einer Straßenverkehrsanlage ist mittels EDV-gestützter Schleppkurvensimulation in einem für die Praxis ausreichenden Maß gegeben [16]. Auswirkungen auf den Stadtverkehr Fahrzeuge gehören auf die Fahrbahn sowie auf besonders ausgewiesene Parkflächen, grundsätzlich nicht und nur in bestimmten Ausnahmefällen auf den Gehweg. Dass sich bei weitem nicht alle PKW-Fahrer an diese Grundregel halten, ist hinreichend bekannt. Dass jedoch eine Kommune die Verkehrsteilnehmer förmlich dazu animiert, ist schon sehr unkonventionell und ganz und gar nicht beispielhaft. Auf der Internetseite der Stadt Karlsruhe war bis Anfang Januar 2013 eine schriftliche Duldung zum Parken auf Gehwegen erlassen: „Das Parken mit zwei Rädern auf dem Gehweg kann nur dort geduldet werden, wo dies zur Aufrechterhaltung des fließenden Verkehrs erforderlich ist. Insofern ist auf den baulichen Ausbauzustand und Querschnitt der Straße abzuheben. In älteren Stadtbezirken würde beim Parken am rechten Fahrbahnrand keine Mindestdurchfahrtsbreite von 3 m verbleiben, die erforderlich ist, damit Rettungsfahrzeuge durchkommen. Die Straßenverhältnisse sind im Stadtgebiet hinsichtlich der Fahrbahnbreite unterschiedlich. Parken „ohne Not“ auf dem Gehweg ist somit nicht erlaubt.“ „Sofern unter o. g. Voraussetzungen das Parken auf dem Gehweg mit zwei Rädern geduldet wird, muss für Fußgänger/ -innen, Rollstuhlfahrer/ -innen, Kinderwagen u. a. eine Mindestrestbreite der Gehwegfläche von 1,20 m frei bleiben. Andere gesetzliche Haltverbote bleiben von dieser Regelung unberührt.“ [17] Dass im zweiten Halbsatz der Duldung eine entsprechende Bedingung in Form einer freizuhaltenden Mindestbreite, welche zudem den gesetzlichen Regelungen widerspricht, aufgeführt wird, ist zynisch. Denn allein aus dem Grund, dass die Einhaltung eines bestimmten Abstands im Alltag nicht ohne weiteres kontrolliert werden kann, wird sich kaum ein Autofahrer bewusst an diese Bedingung halten. Einen größeren Fehler im Hinblick auf eine fußgängerfreundliche Stadt kann eine Verwaltung wohl nicht begehen. Es gibt keinerlei Rechtsgrundlage, auf welcher sich eine Kommune großflächig und allgemeingültig derart über das gültige Straßenverkehrsrecht hinwegsetzen kann. Ganz im Gegenteil, räumt die Straßenverkehrsordnung in § 46 (1) den Straßenverkehrsbehörden die Erteilung von Ausnahmen ausschließlich für bestimmte Antragsteller ein [18]. Die Erteilung unterliegt engen Grenzen und keinesfalls dürfen massenhaft erteilte Ausnahmen, wie im Karlsruher Fall geschehen, zum Aushebeln der allgemeinen Verkehrsregeln führen [19]. Abgesehen von der zweifelhaften Sinnhaftigkeit dieser Duldung würde mit einem solchen Vorgehen das verfassungsrechtliche Verbot des Artikels 31 des deutschen Grundgesetzes, Bundesrecht bricht Landesrecht, berührt [20]. Durch die „Karlsruher Duldungsregel“ hat sich ein verbotswidriges Verhalten der Straßenverkehrsteilnehmer etabliert (Bild-7), von dem selbst Fahrschullehrer rege Gebrauch machen. Zu einem Umdenken der Verantwortlichen in der Karlsruher Stadtverwaltung hat schließlich erst eine Ermahnung durch das zuständige Regierungspräsidium als höhere Verwaltungsbehörde geführt [21]. Für die daraufhin umgesetzte Aktion „Legalisierung des Gehwegparkens“ wurde das gültige Verkehrsrecht leider erneut unterwandert: Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung legt fest, dass das Parken auf Gehwegen u. a. nur zugelassen werden darf, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt [22]. Die für den unbehinderten Verkehr von Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr erforderliche Mindestbreite wird wiederum durch die DIN 18040-3 unmissverständlich mit dem Maß von 1,80 m definiert [23]. Auf welcher Grundlage die Stadt Karlsruhe hiervon abweichend nun eine zu geringe Mindestbreite von 1,60 m definiert, bleibt ungeklärt [21, 24]. Das vorrangige Problem im ruhenden Verkehr sind nicht die vermeintlich zu großen Fahrzeuge, sondern die zunehmend steigende Gesamtzahl an PKW, nicht allein in den Städten sondern auch im ländlichen Raum. Die Kommunen „drücken beim Falschparken gerne ein Auge zu“, schließlich sollen die eigenen Bürger nicht über Gebühr strapaziert werden. Da jedoch durch verbotswidriges Parken auf Geh- und Radwegen gerade die schwächeren Verkehrsteilnehmer direkt behindert und oftmals auch gefährdet werden, bedarf es einer strikten Regelung. Ein Problem bei der Duldung von Falschparkern ist auch, dass jedes (falsch) parkende Fahrzeug weiteren Parkverkehr „anlockt“ (Bild 7). Bild 6: Regelmäßiger Fehler in Parkbauten: Anordnung von Stützen unmittelbar am Fahrgassenrand Bild 7: Und alle folgen dem Herdentrieb. Selbst eine unterstützende Fahrbahnmarkierung reicht zur Erklärung nicht aus. Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 31 Verkehrsflächenplanung INFRASTRUKTUR Ausblick Fakt ist: Wo Menschen leben und arbeiten, muss es auch Parkraum geben. Es bedarf keiner wissenschaftlichen Studie, dass auf nicht absehbare Zeit hin zumindest im größeren Stil keine autofreien Innenstädte existieren werden, sondern lediglich der Tatsache, dass die Bevölkerung zunehmend überaltert. In jungen Jahren mag es einfach erscheinen, auf einen (eigenen) PKW zu verzichten. Mit zunehmendem Alter steigt jedoch der Bedarf: Eine pflegebedürftige Person wird heute häufig zwischen fünf- und zehnmal am Tag mit einem PKW bedient. Zu nennen sind hier ambulante Pflegedienste, Notfallversorgung durch das Deutsche Rote Kreuz, der mobile Mittagstisch, die Versorgung mit Einkäufen und sonstigen Erledigungen. All dies erfordert eine Erreichbarkeit, welche zwar nicht zwangsweise mit einem PKW erfolgen muss, jedoch kaum vollständig mittels alternativer Verkehrsmittel bewerkstelligt werden kann. So gesehen mag es in Zukunft „vom motorisierten Individualverkehr befreite“ Innenstädte geben, irgendeine Art von motorisierten Fahrzeugen wird jedoch in den Innenstädten weiterhin erhalten bleiben, und zwar weit über die allgemeine öffentliche Daseinsvorsorge hinaus. Ob mit der Novellierung der Landesbauordnung Baden-Württemberg im Jahr 2014 diesbezüglich der richtige Weg eingeschlagen wurde, ist zu bezweifeln. Es ist positiv hervorzuheben, dass mit dieser u. a. höhere Anforderungen an notwendige Fahrradabstellplätze eingegangen sind. Ob jedoch mit Fahrradabstellplätzen tatsächlich auch notwendige PKW-Stellplätze ersetzt werden können, ist fraglich. Weiter soll das nun gegebene kommunale Satzungsrecht, welches Kommunen dazu ermächtigt, weniger als den nach § 37 der Landesbauordnung vorgeschriebenen einen Stellplatz pro Wohneinheit festzulegen, dazu dienen, den motorisierten Individualverkehr zu beschränken [25]. Vielmehr besteht aufgrund dieser Möglichkeit jedoch die Gefahr, dass der Parkdruck innerhalb bebauter Gebiete weiter verschärft wird. Auch heute schon verlangen viele Verkehrsteilnehmer „im bellenden Befehlston, ihre Belange an erste Stelle zu setzen, worunter vor allem der Privatparkplatz vor der Haustür und dort die Abschirmung von Lärm und Abgasen, andernorts aber unbehindertes Fahren und Parken verstanden wird“ [19]. Diesen Herausforderungen muss mit einer verantwortungsvollen Stadtplanung Rechnung getragen werden. Fazit Das Auto - welche Größe ist vernünftig? Auf diese Frage kann keine allgemeingültige Antwort gegeben werden. Die vielfach geführten Diskussionen zur richtigen oder falschen Größe eines Personenkraftwagens sind in der Regel von subjektivem Eindruck beeinflusst. Eine ökologische Auswirkung resultiert dabei, abgesehen von der Herstellung, nicht durch das reine Vorhandensein eines Fahrzeugs, mag es auch einen noch so hohen Energiebedarf während seines Einsatzes aufweisen: Weshalb sollte die Nutzung eines relativ sparsamen Kleinwagens für die tägliche Fahrt zur Arbeitsstelle insgesamt betrachtet besser bewertet werden als die Nutzung eines großen Allradfahrzeugs mit überdurchschnittlich hohem Energiebedarf, welches im Gegensatz zum genannten Kleinwagen nur sporadisch und insgesamt mit einer wesentlich geringeren jährlichen Fahrleistung eingesetzt wird? Relevant ist vielmehr der Umfang des Einsatzes. Allein der individuelle Gesamtenergiebedarf, also das Produkt aus Fahrleistung und Verbrauch des zum Einsatz kommenden Fahrzeugs innerhalb eines definierten Zeitraums, stellt einen vergleichbaren und damit diskussionswürdigen Wert dar. Auf jeden Fall jedoch passt der durchschnittliche PKW europäischer Automobilhersteller auch nach heutigem Stand auf die vorherrschende Straßeninfrastruktur. Aktuelle Probleme im Verkehrsalltag resultieren im Wesentlichen nicht aus den gewachsenen Abmessungen der PKW, sondern vielmehr aus der Missachtung der Straßenverkehrsordnung und mangelnden Respekts von Kraftfahrern gegenüber den schwächeren Verkehrsteilnehmern. Ein nachlässiger Umgang der Behörden hinsichtlich des verbotswidrigen Verhaltens vieler Verkehrsteilnehmer, insbesondere im Hinblick auf den ruhenden Verkehr, verstärkt die Konflikte. Dies kann durchaus als gesellschaftliches Problem betrachtet werden, welches nur mit einem allgemeinen Umdenken reguliert werden kann. Ein Ansatzpunkt wäre, einen deutlich größeren Wert auf das Thema Verkehrserziehung zu legen, d. h. bereits zu einem früheren Zeitpunkt damit zu beginnen und deutlich intensiver darin zu schulen. ■ QUELLEN [1] Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2019. Wiesbaden, 2019 [2] Die freie Enzyklopädie Wikipedia zu „Henry Ford“, 2015. www.wikipedia.de (Zugriff am 21.09.2020) [3] Kraftfahrt-Bundesamt: Marken und Modelle. Kraftfahrt-Bundesamt, Flensburg, 2011 [4] Nuhn, H.; Hesse, M. (2006): Verkehrsgeographie. Paderborn: Schöningh Verlag, 2006 [5] Bemessungsfahrzeuge und Schleppkurven zur Überprüfung der Befahrbarkeit von Verkehrsflächen. Köln: FGSV-Verlag, 2001 [6] Stadtmobil CarSharing GmbH & Co. KG: stadtmobil Karlsruhe. https: / / karlsruhe.stadtmobil.de (Zugriff am 08.11.2018) [7] Kraftfahrt-Bundesamt: Neuzulassungen von Personenkraftwagen im Mai 2020 nach Segmenten und Modellreihen. Kraftfahrt-Bundesamt, Flensburg, 2020 [8] Europäische Union: Richtlinie 2007/ 46/ EG zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, Brüssel: Amtsblatt der Europäischen Union, 2007 [9] Kraftfahrt-Bundesamt: Fahrzeugzulassungen (FZ) Bestand an Personenkraftwagen nach Segmenten und Modellreihen am 1. Januar 2020 gegenüber 1. Januar 2019. 2020 [10] Depner, L.; Müller, V.: Seitenaufprall. In: Physik-Journal [11] Empfehlungen für die Anlagen des ruhenden Verkehrs. Köln: FGSV Verlag, 2005 [12] B.-W. Ministerium für Verkehr und Infrastruktur: Garagenverordnung GaVO. 2012 [13] Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung (BOStrab) [14] Westdeutsche Zeitung: Parkplatzbreite: Wenn Geländewagen Parkplätze fressen. 30.06.2016 [15] Wirth, W. (2001): Fahrkurven ja, aber die richtigen. In: Internationales Verkehrswesen, Bd. 53, Nr. 6, 2001 [16] Schnüll, R.; Hoffmann, S.; Kölle, M.; Engelmann, F. (2002): Aktualisierte Bemessungsfahrzeuge und Schleppkurven für den Straßenentwurf. In: Straße und Autobahn, Bd. 53, Nr. 2, 2002 [17] Stadtverwaltung Karlsruhe, Stellungnahme zur Anfrage vom 19.10.2010: Illegales Parken auf Geh- und Radwegen, Vorlage Nr. 568, Top 23, Karlsruhe: Dezernat 2, 16.11.2010 [18] Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), 06.03.2013 (BGBl. I S. 367), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 20.04.2020 (BGBl. I S.-814) [19] Schurig, R.: StVO Kommentar zur Straßenverkehrs-Ordnung mit VwV-StVO. Bonn: Kirschbaum Verlag, 17. Auflage, 2020 [20] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 23.05.1949, zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 geändert [21] Stadtverwaltung Karlsruhe: Gehwegparken nur noch auf legal ausgewiesenen Flächen, Karlsruhe: Presse- und Informationsamt, 16.07.2015 [22] Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) [23] DIN 18040-3 Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 3: Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum, 2014 [24] Stadt Karlsruhe; Stadtplanungsamt; Ordnungs- und Bürgeramt: Faires Parken in Karlsruhe. 2016 [25] Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO), 05.03.2010, mehrfach geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11.11.2014 (GBl. S. 501) Matthias Kuhnt, Dipl.-Ing. (FH) DB Engineering & Consulting GmbH, Karlsruhe matthias.kuhnt@deutschebahn.com Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 32 LOGISTIK Indien Indiens Logistikmarkt Fragmentierung und mangelnde Infrastruktur Verkehrsinfrastruktur, Güterverkehr, Logistikkosten, Investitionsprogramme Der Logistikmarkt in Indien ist mit rund 1.000 meist sehr kleinen Unternehmen stark fragmentiert. Zudem ist die Infrastruktur ungenügend. Allerdings drängen nun zunehmend auch Logistik-Startups in den Markt, um mit Big Data Probleme zu lösen. Dirk Ruppik I ndien ist für Deutschland ein wichtiger Handelspartner. Die BRD führt laut Gtai beispielsweise chemische Erzeugnisse, Textilien, Maschinen, Nahrungsmittel sowie Elektrotechnik und Metallwaren aus Indien ein. Umgekehrt werden in die indische Republik hauptsächlich Maschinen, chemische Erzeugnisse, Fahrzeuge und Elektrotechnik exportiert. Im Jahr 2019 belegte der Staat in Südasien Platz 27 von 239 Handelspartnern bei den deutschen Einfuhren und Platz 23 bei den deutschen Ausfuhren. Vor allem im Bereich Automobilbau spielt Indien ganz vorne mit. Laut Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) lag das Land bei der Automobilproduktion in 2018 weltweit auf Platz 4 (5,2 Mio. Einheiten) hinter Japan (Platz 3, 9,7 Mio. Einheiten), USA (Platz 2, 11,3 Mio. Einheiten) und China (Platz 1 27,8 Mio. Einheiten). Allerdings ist das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den letzten Jahren beständig gesunken: +7 % (2017), +6,1 % (2018) und +4,2 % (2019). Gründe dafür sind die relativ hohe Inflation, eine eher restriktive Geldpolitik, hohe Standortkosten, verzögerte Investitionsgenehmigungen und eine mangelnde Infrastruktur. Beim aktuellen Logistics Performance Index der Weltbank belegte Indien 2018 Rang 44 und verschlechterte sich damit gegenüber 2016 um neun Plätze. Analysten identifizierten die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur und den unausgeglichenen Modal Split zwischen den Verkehrsträgern im Gütertransport als die größten Problemfelder. Mangelnde Infrastruktur Wer sich in Indien geschäftlich betätigen will, muss sich auf eine unzureichende Infrastruktur und einen stark fragmentierten Logistikmarkt mit hohen Logistikkosten gefasst machen. In der Republik wird die Mehrzahl der Waren auf der Straße (59 %) transportiert. Danach folgen die Beförderung auf dem Schienen- (34 %), Wasser- (6 %) und Luftweg (1 %). Seit Juli 2015 existiert das Straßen- und Schnellstraßen-Entwicklungsprogramm Bharatmala (Bild 1), das alle bisherigen Programme wie das National Highways Development Project (NHDP) und die speziellen Güterverkehrskorridore (Dedicated Freight Corridors) zusammenfasst und erweitert. Es wird die Entwicklung anderer Programme wie des Hafenentwicklungsprogramms Sagarmala, der Industriekorridore, des regionalen Flughafenentwicklungsprogramms UDAN-RCS sowie die Digitalisierung Indiens (Digital India) und die lokale Produktion (Make in India) begünstigen. Konkret sollen im Rahmen des Programms 83.677- km Schnellstraßen gebaut, die Anzahl der Korridore von bisher sechs auf 50 (sechs Schnellstraßenkorridore, 44 Wirtschaftskorridore) ausgeweitet und der Frachttransport auf Schnellstraßen erhöht werden. In der ersten Phase sollen Schnellstraßen mit einer Länge von 34.800 km gebaut werden. 9.000 km davon werden sich in Wirtschaftskorridoren befinden. Die Fertigstellung von Phase 1 verzögert sich laut Regierung durch die Corona-Pandmie voraussichtlich um vier Jahre bis 2025/ 26. Der Anteil der Güter, die auf dem Schienenweg transportiert werden, soll in den nächsten Jahren gemäß indischem Eisenbahnministerium von 34 % auf 50 % steigen. Den entscheidenden Beitrag dazu werden sechs spezielle Schienenfrachtkorridore leisten. Zwei Korridore befinden sich bereits im Bau und sollen trotz der Pandemie bis Ende Dezember 2021 fertiggestellt werden. Der „Westliche Spezielle Schienenfrachtkorridor“ verläuft von Dadri in Uttar Pradesh zum Jawaharlal Nehru Port in Mumbai (1.468 km). Der „Östliche Spezielle Schienenfrachtkorridor“ erstreckt sich von Punjab nach Dankuni in Westbengalen (1.760 km). Im Januar 2018 wurden vier weitere Korridore genehmigt: der „Ost-West Spezielle Schienenfrachtkorridor“ von Kalkutta nach Mumbai (2.000 km), der „Nord- Süd Spezielle Schienenfrachtkorridor“ von Delhi nach Chennai (2.173 km), der „Ostküsten Spezielle Schienenfrachtkorridor“ von Kharagpur nach Vijayawada (1.100 km) und der „Süd-West Schienenfrachtkorridor“ von Bild 1: Straßen-Entwicklungsprogramm Bharatmala Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 33 Indien LOGISTIK Chennai nach Goa (890 km). Laut Betreiber Dedicated Freight Corridor Corporation of India sollen die Frachtraten auf den neuen Güterzugstrecken um bis zu 45 % unter den momentanen liegen und damit mit den LKW-Frachtraten konkurrieren können. Das schon genannte Sagarmala-Hafenentwicklungsprogramm soll die Entwicklung der Wasserwege und Häfen, Wirtschaftszonen an Küsten (Bild 2) und die multimodalen Verbindungen auch mit Logistikparks vorantreiben. Im Rahmen von Sagarmala sollen auch sechs Mega-Häfen gebaut werden: Vizhinjam International Seaport (Kerala), Colachel Seaport (Tamil Nadu), Vadhavan Port (Maharashtra), Tadadi Port (Karnataka), Machilipatnam Port (Andhra Pradesh) und Sagar Island Port (Westbengalen). Insgesamt sind 577 Projekte mit einem Investment von 120 Mrd. USD (105 Mrd. EUR) von 2015 bis 2035 vorgesehen. Die Logistikkosten in Indien liegen mit 14 % Anteil am Bruttoinlandsprodukt sehr hoch (USA 9 bis 10 %, Deutschland 8,6 %). Verschiedene Studien der indischen Regierung zeigen, dass die Nutzung von Küstenschifffahrt und Inlands-Wasserwegen um 60 bis 80 % billiger ist als Straßen- und Schienentransport. Stark fragmentierter Logistikmarkt Laut der indischen The Economic Times liegt der Wert der Transportbranche im Lande bei 160 Mio. USD (137 Mio. EUR) und soll in den nächsten Jahren auf 215 Mio. USD (185 Mio. EUR) ansteigen. Rund 20 Millionen Menschen finden in diesem Bereich Arbeit. Allerdings ist die Branche noch sehr unorganisiert und stark fragmentiert. Nur jedes zehnte Fuhrunternehmen besitzt mehr als 25 LKW. Die meisten Firmen sind sehr klein und benötigen zur Abwicklung größerer Aufträge die Hilfe von Drittparteien. Der Grund für die hohen Logistikkosten in Indien liegen vor allem in den fehlenden Größeneffekten, der schlechten Transport-, Lagerhaus- und IT-Infrastruktur, fehlender Fachkräfte und kraftstoffineffizienten Fahrzeugen. Sie sollen bis von bisher 14 % des BIP auf 10 % sinken. Einige Verbesserungen sind überwiegend auf den Eintritt internationaler Logistiker in den Verbrauchsgütermarkt und auf neue E-Commerce-Unternehmen zurückzuführen. Zudem hat die Regierung unter Premier Narendra Modri im Jahr 2017 ein neues System für die Besteuerung von Waren und Dienstleistungen erlassen, durch die Warenbewegungen zwischen den 28 Bundesstaaten durch die Beseitigung von Grenzsteuern günstiger wurden. Der Logistikmarkt besteht aus rund 1.000 Firmen von kleinen bis mittleren lokalen Playern über große internationale Unternehmen wie DHL (Joint Venture mit dem indischen Expressdienstleister Blue Dart, Bild 3), die Staatsbetriebe Indian Railways und Shipping Corporation of India, der Expressdienst der indischen Post und Startups für E-Commerce-Lieferungen. Deutsche Firmen mit indischer Präsenz sind unter anderem DB Schenker und Dachser. Unternehmen wie DHL und das indische Startup Rivigo werden zunehmend Kapazität, Technologie und Big Data-Anwendungen in den Markt bringen und damit die Qualität des Logistik-Serviceangebots in den Fokus der Branche rücken. Diese Entwicklung und die zunehmende Entstehung von Fracht-Plattformen wie FreightBazaar wird auch zu verbessertem Tracking & Tracing sowie einer besseren Auffindbarkeit von Frachtkapazitäten führen. Allerdings wird der gewaltige wirtschaftliche Schaden durch die Corona-Pandemie die Entwicklung und das Wachstum der indischen Logistikbranche sicherlich verzögern. ■ Bild 2: Tiefwasserhafen und Sonderwirtschaftszone Pipavav Foto: APM Terminals Bild 3: Joint Venture von DHL mit dem indischen Expressdienstleister Blue Dart. Foto: Blue Dart Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 34 Auswirkungen von Erreichbarkeitsdefiziten auf das Freizeitverhalten Jugendlicher Ergebnisse einer Online- und Offline-Befragung in der Region Göttingen Freizeitverhalten, Erreichbarkeiten, Ländlicher Raum, Beteiligung, Jugendliche Für Planungen ist es wichtig zu wissen, wo sich Jugendliche vermehrt in ihrer Freizeit aufhalten, wie sie die Erreichbarkeit und die Einrichtungen bewerten und was sie dementsprechend ändern würden. Über 350 Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren wurden sowohl online als auch offline an Schulen befragt. Es zeigen sich dabei deutliche Unterschiede in Bezug auf Freizeitverfügbarkeit und Zufriedenheit im Zusammenhang mit dem ÖPNV. Unterschiede bestehen bei Jugendlichen, die zentral leben und die peripher wohnen, sowie altersgruppenspezifisch. Beispielsweise ist die Zufriedenheit mit der Anbindung des zu Hauses an den ÖPNV oder die Verfügbarkeit von Freizeit je nach Jugendlichem sehr verschieden. Alexandra Bradtke D ie Erreichbarkeit von Einrichtungen der Daseinsvorsorge in ländlichen Räumen stellt vor allem weniger mobile Menschen, besonders jene, die nicht selbstständig motorisiert sind, vor Herausforderungen, wenn es darum geht, Alltag und Freizeit zu gestalten ([1] S. 18). Zu diesen Personengruppen zählen bspw. Kinder und Jugendliche, welche im Stadium des Heranwachsens vermehrt das Bedürfnis haben, ihren Bewegungsradius zu erweitern (vgl. [2] S. 32). Vornehmlich dann, wenn der ÖPNV keine Alternative zur Überwindung von räumlichen Distanzen bietet, zu kostspielig für Jugendliche ist und auch Fahrradfahren kaum Potenzial aufgrund weiträumiger Entfernungen, fehlender Radwege oder topogra- Foto: Andreas Hermsdorf/ pixelio MOBILITÄT Ländlicher Raum Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 35 Ländlicher Raum MOBILITÄT phischer Gegebenheiten aufweist, sind sie abhängig von Personen in ihrem Umfeld, die einen PKW zur Verfügung haben (vgl. [3] S. 1). Jugendliche sind eine heterogene Gruppe, ihre Wünsche und Bedürfnisse im Rahmen von Beteiligung zu erfassen, ist äußerst schwierig und die Tatsache, dass sie schnell aus der Zielgruppe Jugendliche herauswachsen, erschwert zudem Beteiligungsprozesse. Es ist kaum bekannt, wie und wo sich Jugendliche in der Fokusregion fortbewegen, wie sie die Erreichbarkeit der öffentlichen Freizeitorte bewerten und was sie diesbezüglich ändern würden. Das war u. a. ein Grund, weswegen eine Beteiligung von Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren in der Region Göttingen durchgeführt wurde. Ausgewählte Ergebnisse werden im Rahmen dieses Beitrags erläutert. Der Auftrag zu dieser Forschung entstammt dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekt UrbanRural Solutions, aus dem Programm: „Innovationsgruppen für ein Nachhaltiges Landmanagement“ (04/ 2015-03/ 2019). Zielsetzung und Forschungsfrage Dieser Artikel verfolgt das Ziel, aufzuzeigen, wie es um die aktuelle Erreichbarkeitssituation der Jugendlichen in Göttingen steht. Es wurde analysiert, wie Jugendliche sich in ihrer Freizeit fortbewegen und ob bzw. wie stark sie in den ländlichen Räumen Göttingens eingeschränkt sind. Zudem wird erläutert, was Jugendliche aus der Region als Lösungsmaßnahmen für bestehende Probleme vorschlagen. Jugendliche werden als die mobilsten und aktivsten Nutzer der Stadt bezeichnet (vgl. [4] S. 32). Mit zunehmendem Alter legen sie in ihrer Freizeit längere Strecken zurück, während die Verkehrsmittelwahl gleichzeitig differenzierter wird (vgl. [5]). Mobilität bedeutet für Jugendliche, Schule bzw. Ausbildungsplatz, Hobbies oder Freunde erreichen zu können und stellt gleichzeitig eine Loslösung von den Eltern dar (vgl.-[6]). In der Region Göttingen zeigt sich, dass es an einigen Orten entweder zu wenige Jugendliche in den Gemeinden gibt, die öffentliche Freizeiteinrichtungen nutzen, während es andernorts genügend Jugendliche gibt, die die Einrichtungen nutzen könnten, dies aber nicht tun. Sowohl dem Landkreis Göttingen als auch der Stadt Göttingen sind die geringen Auslastungen der Jugendhäuser bekannt, Ursachen dafür jedoch unklar. Mittels Beteiligung sollten Informationen zusammengetragen werden, die Rückschlüsse auf die (Un-) Zufriedenheit der Jugendlichen in Bezug auf ihre Freizeitorte und deren Erreichbarkeit zulassen. Ebenso ist kaum geläufig, womit die Jugendlichen, vor allem am Wochenende, ihre Freizeit verbringen, wie sie dort hingelangen und inwiefern sie in ihrem Freizeitverhalten durch Erreichbarkeitsdefizite eingeschränkt werden. Es ging bei der Beteiligung nicht nur darum, Informationen von den Jugendlichen zu erhalten. Vielmehr hatten sie selbst die Chance, Ideen für Problemlösungen zu unterbreiten und auszuarbeiten. Diese wurden relevanten Akteuren vorgetragen und teilweise in öffentliche Planungen einbezogen. Exkurs: Erreichbarkeit, Mobilität und Freizeit Erreichbarkeit meint die subjektiv durch Verkehrsteilnehmende empfundene Erreichbarkeit, „welche ein bestimmter (Teilnehmende) in Abhängigkeit vom umgebenden Raum- und Verkehrssystem und unter Beachtung der eingeschränkten Informationsmenge und des einschränkenden Wert- und Zielsystems des Verkehrsteilnehmers bietet“ ([7] S. 36). Potenzielle Mobilität ist die allgemeine oder mögliche Beweglichkeit von Personen. Realisierte Mobilität ist die realisierte Beweglichkeit als Befriedigung von Bedürfnissen durch Raumveränderung. Dazu gehören alle Bewegungen, die außerhalb der Wohnung stattfinden, wie zu Fuß gehen oder Radfahren und die Nutzung von Verkehrsmitteln (vgl. [8] S. 255). Freizeit kann als die Zeit verstanden werden, die der individuellen Gestaltung offen steht oder als Restgröße. Das ist jene Zeit, die von der insgesamt verfügbaren Zeit übrig bleibt. Von der Schulbzw. Arbeitszeit, Zeit zum Schlafen, Essen und für Körperpflege, wird somit Zeit abgezogen (vgl. [9] S. 168). In diesem Fall wird unter Freizeit jene Zeit verstanden, die nicht für schulische Aktivitäten inklusive Fahrtwege, Hausaufgabenmachen oder AGs verwendet wird. Jugendliche sind Minderjährige zwischen 14 und 18 Jahren. Diejenigen, die unter 14 Jahre alt sind, werden als Kind bezeichnet, die darüber sind volljährig und somit erwachsen (vgl. [10]). Aufgrund der Tatsache, dass die Über 14-Jährigen größere Bewegungsradien aufweisen als jüngere, sind sie eine interessante Zielgruppe für die Mobilitätsforschung (vgl. [11] S. 1221). Mit steigender Motorisierung wachsen die Mobilitätsmöglichkeiten der Jugendlichen (vgl. [12]). Die EU-Datenschutzgrundverordnung von 2018 enthält in Art. 8 erstmals eine ausdrückliche gesetzliche Regelung in Bezug auf die Einwilligung von Kindern und Jugendlichen (vgl. [13]). Da sich die Verordnung u. a. auf die Gruppe der 14bis 16-Jährigen bezieht, hat sie Einfluss auf das Mitwirken der Jugendlichen im Rahmen dieser Beteiligung. Um dem Datenschutz bzgl. der Online-Plattform gerecht zu werden, blieb nur die Möglichkeit, Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr zu befragen. Die Altersobergrenze bildeten die 18bzw. 19-Jährigen, da zum Zeitpunkt der Befragung die meisten Abiturienten bereits die Gymnasien verlassen hatten bzw. wegen den Abiturprüfungen zeitlich kaum zu erreichen waren. Das Untersuchungsdesign und die Fokusregion Online- und Offline-Beteiligungsformate sind fortwährend als Kombination anzuwenden, denn nicht jedes Format spricht jeden Jugendlichen an (vgl. [14]). Die Beteiligung erfolgte dementsprechend in mehreren Formaten, die zeitlich teilweise parallel verliefen: • Eine Online-Befragung mittels einer regionsweiten Online-Plattform (u. a. zur Datenerhebung; 12/ 2017 bis 10/ 2018) • Eine Offline-Befragung mit Papierfragebogen von Schülern an weiterführenden Foto: Holzijue/ pixabay Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 36 MOBILITÄT Ländlicher Raum Schulen in Göttingen, ebenfalls zur Datenerhebung (04/ und 06/ 2018) • Drei lokale Workshops mit einer kleinen Gruppe von Jugendlichen (12/ 2017, 02/ 2018 und 04/ 2018). Lösungen für ihre Freizeit- und Erreichbarkeitsprobleme- entwickeln und mit Experten diskutieren. Der Landkreis Göttingen wird als „städtischer Kreis“ bzw. als „Region mit Verstädterungsansätzen“ klassifiziert ([15] S. 10). In der Region Göttingen befinden sich jedoch zahlreiche, ländlich gelegene Räume, die teilweise eine große Entfernung zum nächsten Mittelzentrum haben, eine sehr hügelige Topografie mit Erhebungen (bspw. 865,1 m ü. NHN) und Defizite in der Daseinsvorsorge und Erreichbarkeiten aufweisen (vgl. [16]). Entfernungen zahlreicher Orte in der Region zum Zentrum Göttingens sind per Rad oder zu Fuß kaum zu überwinden und können daher für Vor-Ort-Veranstaltungen in Göttingen problematisch für nicht individualmotorisierte Menschen sein. Daher war die Region besonders interessant für die Beteiligung der Jugendlichen. Die Befragung Die Bearbeitung des Fragebogens dauerte online und offline zwischen 25 und 45 Minuten. Neben überwiegend geschlossenen gab es auch offene Fragen, bei denen manche Schüler sich länger, andere kürzer fassten oder Fragen gar nicht beantworteten. Themenschwerpunkte des Fragebogens bildeten die Kategorien in Tabelle 1. Vorteil einer Online-Plattform ist, dass sich die Beteiligten jederzeit beteiligen können - hier jedoch nur in dem Fall, dass sie angemeldet sind - und das mittels PC, Tablet, Laptop oder Smartphone, da auf Kompatibilität geachtet wurde. Um auf die Beteiligung und die Online-Plattform aufmerksam zu machen, wurden u. a. Informationsposter und 11.762 Postkarten an über 20 weiterführenden Schulen verteilt, die mit einem Link und einem QR-Code versehen waren, welche die Jugendlichen direkt auf die Plattform verwiesen. 161 Jugendliche registrierten sich auf der Plattform und waren im Durchschnitt 7,17 Minuten auf der Seite. Insgesamt hat es 625 Seitenbesuche gegeben, was zeigt, dass die angemeldeten Jugendlichen tatsächlich wiederholt die Plattform aufsuchten. Auf Anfrage vieler Göttinger Schulen sagten drei Direktoren ihre Unterstützung bei der Offline-Befragung an ihrer weiterführenden Schule zu. Als erstes wurde ein Gymnasium befragt, gefolgt von einem weiteren Gymnasium sowie einer Gesamtschule. Für die Befragung war aufgrund der Abiturprüfungen nur ein enger Zeitraum vorgesehen und für viele Schulen gab es keine Möglichkeit, an der Befragung teilzunehmen. Zu den 279 pseudonymisierten Offline-Fragebögen der Befragung in der Schule, kamen die ebenfalls pseudonymisierten 39 Fragebögen von der Online-Plattform, für die Gesamtauswertung hinzu. Die Workshops Die Workshops fanden an verschiedenen Orten in der Region statt und wurden vormittags durchgeführt, wofür die Schüler vom Unterricht freigestellt wurden. Jugendpfleger holten die Jugendlichen, die keine andere Möglichkeit hatte, den Beteiligungsort zu erreichen, mit dem PKW ab und brachten sie später wieder zurück. An den drei durchgeführten Workshops nahmen Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren teil; beim ersten Workshop sieben Jugendliche beim zweiten 19 und beim dritten zwölf. Ergebnisauswertung Aus Online-Plattform und Offline-Befragung resultierten insgesamt 318 Fragebögen. Von den befragten Jugendlichen waren 49 % weiblich, 49 % männlich und durchschnittlich 16,6 Jahre alt. 2 % machten keine Angaben. Um Aussagen über Erreichbarkeiten zu treffen, ist es wichtig zu ermitteln, wo Jugendliche, die die Göttinger Schulen besuchen, wohnen, was Tabelle 2 aufzeigt. Aus den angegebenen Orten wurden Entfernungen in Kilometern nach Luftlinie und Fahrweg vom Mittelpunkt des Ortes zum Hauptbahnhof als zentralen Punkt von Göttingen berechnet. Diese Angaben helfen kenntlich zu machen, welche Orte zu den Peripheren und welche zu den Zentralen gehören und wie weit die Jugendlichen Distanzen zurücklegen müssen, um ins Zentrum der Region zu gelangen. Mobilität und Erreichbarkeit auf dem Schul- und Heimweg Bild 1 zeigt Unterschiede in der Wahl der Verkehrsmittel zum Schulort, je nachdem ob Schüler zentral oder peripher wohnen. 63 % der peripher Wohnenden kommen mit dem ÖPNV zur Schule, gefolgt von multimodalen Varianten der Fortbewegung (25 %), wie bspw. Radfahren in Kombination mit ÖPNV-Nutzung oder die Verbindung aus PKW und ÖPNV. Die Schüler, die zentral wohnen, gelangen zu 35 % multimodal zur Schule, 29 % kommen mit dem Rad oder zu Fuß. 25 % der Schüler nutzen den ÖPNV und 12 % erreichen als PKW-Selbstfahrer oder Mitfahrer die Schule (siehe Bild 1). Da Schüler, vor allem in Ganztagsschulen, viel Zeit am Tag in der Schule verbringen, ist es für sie wichtig, wenig Freizeit durch Reisezeiten zu verlieren. Der Weg zur Schule nimmt vornehmlich für Schüler, die peripher Ort Luftlinie Fahrstrecke Raumkategorie BBSR Anzahl Schüler Adelebsen 13,5 22 peripher 11 Bovenden 6 8,5 zentral 37 Dransfeld 12,5 15,5 zentral 11 Ebergötzen 12,5 15 peripher 4 Friedland 12,5 15 zentral 2 Gieboldehausen 21 25 peripher 2 Gleichen 14,5 17,5 zentral 3 Göttingen - zentral 164 Hardegsen 15 20,5 peripher 3 Nörten-Hardenberg 11 13,5 zentral 1 Rosdorf 4,5 7 zentral 1 Tabelle 2: Distanzen nach Göttingen in km; Angaben absolut; n = 252 Quelle: Eigene Darstellung nach eigener Erhebung Verkehrsverhalten Persönliche Einstellungen, Empfinden von Erreichbarkeiten, Fragen zum ÖPNV, Fahrrad, PKW und zum (Frei-)Zeitbudget Analyse der mobilen Internetnutzung Informationen zur Onlineaffinität und zur Internetnutzung mittels Smartphone in der Freizeit Statistische Angaben Erfragung von soziodemografischen Faktoren Deine Orte in Göttingen Informationen zu und Bewertung von städtischen Jugendeinrichtungen, Unterbreitung von Verbesserungsvorschlägen sowie Auskunft über das Freizeitverhalten Tabelle 1: Themenschwerpunkte des Fragebogens Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 37 Ländlicher Raum MOBILITÄT wohnen, viel Zeit in Anspruch. Die Schulwegezeiten schwanken von einer bis rund 70 Minuten pro Strecke, wobei es über die 70 Minuten hinaus einzelne Ausreißer gibt. 37 % der Jugendlichen fahren zwischen 10 und 20 Minuten zur Schule. Im Durchschnitt sind die Schüler 25 Minuten zur Schule bzw. von der Schule nach Hause unterwegs. Ein kleiner Teil benötigt deutlich länger: 10 % brauchen 30 Minuten, 4 % 50 und rund 4 % 60 Minuten pro Weg. Vor allem die Jugendlichen mit einem Schülerticket für den ÖPNV haben längere Reisezeiten zur Schule bzw. nach Hause (siehe Bild-2). Viele Jugendliche, die den ÖPNV nutzen, sind morgens weit vor Unterrichtsbeginn in der Schule, andere oftmals zu spät, denn die Buspläne sind nicht auf die Unterrichtszeiten abgestimmt (vgl. [17]). Ein weiteres Problem besteht im Fahrpreis bzw. der Ticketnutzung. Jugendlichen, die ein Schülerticket haben, können damit auch ihre privaten Fahrten auf der Strecke zwischen Schule und Wohnort durchführen. Liegen ihre Freizeitorte nicht auf der Strecke von der Schule zum Wohnort, nützt ihnen das Schülerticket in der Freizeit nichts, denn es gilt nur für Orte entlang des Schulweges. Mobilität und Erreichbarkeit in der Freizeit Da die Nutzung des ÖPNV für junge Menschen verhältnismäßig kostspielig ist, ist es interessant zu erfahren, wie viele Jugendliche ein Schülerticket besitzen, welches (beschränkt) in der Freizeit genutzt werden kann. Es stellte sich heraus, dass es mehr Schüler gibt, die kein Schülerticket zur Verfügung haben (200 Schüler, also rund 64 %), als Schüler, die eines besitzen (102, also rund 33 %). Gespräche bei den Workshops zeigten, dass die Jugendlichen die Nutzung des ÖPNVs in Göttingen vielfach als zu kostspielig bewerten. Für einige Schüler kostet eine Busfahrt von ihrer Gemeinde nach Göttingen rund 6,50 EUR pro Fahrt. 21 % der Jugendlichen haben zwischen 21 und 40 EUR im Monat zur Verfügung, 17 % haben maximal 60 EUR. Es bleibt je nach persönlichen Ausgaben wenig Geld für ÖPNV-Nutzungen übrig. Da Kindertarife für Einzel-, Vierer- und Monatstickets nur bis einschließlich dem 14. Lebensjahr gelten, müssen Jugendliche ab 15 Jahren bereits Erwachsenentarife bezahlen. Es gibt zwar Wochen- und Monatskarten im Göttinger Ausbildungsverkehr, der in regionale Bereiche außerhalb der Stadt Göttingens gilt, die die älteren Jugendlichen einschließen. Sie werden im Ausbildungsverkehr an Schüler, Studenten und Auszubildende ausgegeben. Allerdings kosten sie rund 13 EUR (Wochenkarte) bzw. 40 EUR (Monatskarte), was einem großen Teil des Budgets vieler befragter Jugendlicher entspricht (vgl. [18]). Auf die Altersverteilung betrachtet zeigt sich, dass es zwischen den Altersgruppen kaum Unterschiede bzgl. der Zeit für Freizeitaktivitäten gibt. Etwa 42 % aller Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren verfügen über drei Stunden Freizeit pro Tag und nur rund 2 % haben weniger als eine Stunde. Was besonders interessant ist, ist die Tatsache, dass vor allem Jugendliche, die peripher wohnen, deutlich weniger Freizeit am Tag zur Verfügung haben als jene, die zentral wohnen. Sie haben vor allem längere Fahrzeiten von der Schule nach Hause, da sie nach dem Unterricht oftmals auf den Bus warten müssen oder weil beim Umsteigen keine angepassten Verbindungen vorhanden sind (siehe Bild 3). Das nimmt u. a. Zeit, die für ihre persönliche Gestaltung zur Verfügung steht. In ländlichen Regionen Göttingens ist die Taktung am Wochenende vielerorts sehr unpassend, vornehmlich, wenn Schüler Verkehrsmittel oder Buslinien wechseln müssen und in wenigen Orten fährt einmal Bild 1: Verkehrsmittelwahl zum Schulort; N zentral= 231; N peripher= 24 Quelle: Eigene Darstellung nach eigener Erhebung Bild 2: Wegedauer zur Schule nach Schülerticketverfügbarkeit; N= 374 Quelle: Eigene Darstellung nach eigener Erhebung Bild 3: Freizeit pro Tag nach Lage; N= 274 Quelle: Eigene Darstellung nach eigener Erhebung Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 38 MOBILITÄT Ländlicher Raum pro Stunde ein Nachtbus. Daher sollte herausgefunden werden, ob es Aktivitäten gibt, welche die Jugendlichen aufgrund der Verbindung mit dem ÖPNV nicht durchführen können. 67,2 % gaben an, dass sie keine Aktivitäten hätten, die sie nicht machen könnten, für 30,9 % gibt es diesbezüglich Probleme, bei Freizeitaktivitäten das Eltern-Taxi nutzen oder Freunde mit PKW-Führerschein haben. 1,9 % der Jugendlichen machten keine Angaben. Ergänzend ist es interessant zu erfahren, wie viele Kilometer die Jugendlichen in ihrer Freizeit zurücklegen. Die Gruppe der 17bis 19-Jährigen legt deutlich größerer Strecken zurück als Jüngere (siehe Bild 4). Dies hat zum einen mit der einsetzenden Motorisierung, zum anderen mit den erweiterten Bewegungsradien und dem höheren monatlichen Budget zu tun. Die Jüngeren können, vor allem dann nicht so weite Distanzen zurücklegen, wenn sie kein Schülerticket für den ÖPNV haben und das reguläre Ticket zu kostspielig ist. 95 % der 15bis 16-Jährigen planen einen PKW-Führerscheinerwerb, 2 % besitzen einen, 3 % wollen erst mal keinen Führerschein machen. Bei den 17bis 19-Jährigen haben 14 % einen PKW-Führerschein, 56 % planen den Erwerb. Auffallend ist, dass 30 % aller Befragten keinen PKW besitzen bzw. keinen Erwerb planen. Gründe dafür sind zum einen die Kosten eines Führerscheins und eines PKW, aber auch die Zufriedenheit der öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt Göttingen und die Nutzung des Fahrrads. Göttingen bezeichnet sich selbst als Studenten- und Fahrradstadt mit einem gut ausgebauten Radwegenetz und zahlreichen Stellplätzen. 29 % der Einwohner nutzen regelmäßig das Fahrrad als Fortbewegungsmittel Aber das gilt nicht für das Umland und die Verbindung ländlicher Räume mit dem Zentrum. Die Topografie des Harzes, lange Distanzen und fehlende Radwege erschweren in einigen Räumen des Umlands das Radfahren. Wünsche der Jugendlichen in ihrer Freizeit Bei den Workshops arbeiteten die Jugendlichen die drei Ideen mit einem Konzept und dem Bau eines Prototypen aus, was Bild 5 zeigt. Die Jugendlichen diskutierten ihre Ideen mit Experten auf ihre Umsetzbarkeit und überarbeiteten sie daraufhin. Es zeigten sich besonders Wünsche nach einem englischsprachigen Kino in einer Gemeinde im direkten Umland, Änderung der Buszeiten und der Tarife sowie eine offizielle Fahrradstrecke für Mountainbikes. Die Gruppe „Buszeiten“ erarbeitete einen Vorschlag für eine neue Tarifstruktur im VSN-Gebiet und reichte ihn dem Zweckverband Südniedersachsen ein, der diesen Vorschlag für sein neues Tarifgutachten im Sommer 2019 mit einbezog. Die Gruppe „Offizielle Fahrradstrecke“ verfolgte ihr Konzept und fand Unterstützung beim Ortsbürgermeister sowie dem Betreuer der neu gegründeten Mountainbike-Schul-AG. Letztlich gibt es beim „Projekt Kino“ in Osterode einen Stillstand, da die Jugendlichen aufgrund der schulischen Belastung keine Zeit für das Projekt hatten. Bild 5: Prototypen und Konzepte Quelle: Eigene Fotos Tarifzone Kilometerdistanz bei kürzester Route Einzelfahrt Monatskarte 1 - von Dorf zu Dorf 0-8 km, bspw. Dransfeld-Scheden, Dransfeld-Güntersen 2,50 € 50 € 2 - Göttinger Umland 8-20 km, bspw. Dransfeld/ Adelebsen/ Güntersen/ Scheden - Göttingen, Dransfeld - Hann. Münden 3,50 € 50 € 3 - Überland Nah 20-30 km, bspw. Hann. Münden - Göttingen, Duderstadt - Göttingen 8 € 80 € 4 - Überland Fern Über 30 km, bspw. Dransfeld- Duderstadt, Göttingen-Kassel 12 € (max.) 80 € (max.) Bild 4: Wegelängen in der Freizeit (Angaben in km) N= 322 Quelle: Eigene Darstellung nach eigener Erhebung Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 39 Ländlicher Raum MOBILITÄT Fazit und Ausblick Die Jugendlichen, die außerhalb der Stadt Göttingen wohnen, sind mit der Erreichbarkeit ihrer Freizeitziele unzufrieden, wenn sie auf den ÖPNV angewiesen sind. Fehlende bzw. schlechte Busverbindungen am Abend und an den Wochenenden sowie zeitliche Unzuverlässigkeit des ÖPNVs, erschweren die Gestaltung der Freizeit und das Treffen mit Freunden, die außerhalb der eigenen Wohngemeinde leben. Das führt dazu, dass knapp ein Drittel der Befragten Freizeitaktivitäten nicht ausführen kann, weil sie mit dem ÖPNV abends nicht mehr nach Hause kommen. Auch an Wochenenden sind die Jugendlichen in ihrer Freizeit eingeschränkt und können mit dem ÖPNV viele Freizeitorte nicht aufsuchen. Um das Problem zu umgehen, nutzen einige Jugendliche, die diese Option haben, das Eltern-Taxi oder haben Geschwister bzw. Freunde, die einen PKW-Führerschein besitzen und einen PKW zur Verfügung haben. Die Dauer des Schulbzw. Nachhauseweges nimmt vielen Jugendlichen einen großen Teil ihrer Freizeit. Zwar ist ein Großteil der Schüler, die an der Befragung teilnahmen, aus der Stadt Göttingen, die kaum Defizite im Bereich des ÖPNVs innerhalb der Stadt aufweist. Doch diese können vielfach nur schwierig ihre Freunde im ländlichen Umland erreichen, wenn sie auf den ÖPNV angewiesen sind. Wo adäquate Busverbindungen vorhanden sind, sind vor allem die Preise ein stark einschränkendes Kriterium. Wenige Jugendliche können in ihrer Freizeit ihr Schulticket nutzen, um ihre Freizeitaktivitäten damit zu erreichen. Rund 17 % bewerten ihre Anbindung von Zuhause mit dem ÖPNV an ihre Ziele und an die Schule als schlecht bis sehr schlecht. Ein Umstieg auf das Rad ist aufgrund der Topografie Göttingens, fehlender Radwege und großer räumlicher Distanzen nur in unbeträchtlichen Fällen eine Lösung. Mögliche Lösungsmaßnahmen, um die Erreichbarkeitssituation der Jugendlichen zu verbessern, sind zum einen Fahrgemeinschaften, die bspw. durch die Schule oder eine digitale Plattform organisiert werden. So finden sich Jugendliche einer Gemeinde und der gleichen Schule, auch wenn sie verschiedene Klassen besuchen und sich nicht kennen. Mitfahrmöglichkeiten oder flexible Rufbus-Systeme zu initialisieren, die über Apps geordert werden können, sind ebenso sinnvoll. Eine an die Unterrichtszeiten angepasste Taktung und Linienführung des Busnetzes an das Umland sowie zeitlich längere Nutzungsmöglichkeiten am Wochenende und in den Abendstunden, sind ebenfalls ein guter Lösungsansatz. Eine schülergerechte Tarifgestaltung muss für sämtliche Tarifverbände geprüft werden, was eine gemeinsame Arbeit der Zweckverbände erfordert. Ein erster Ansatz erfolgte mit den Jugendlichen bei der Beteiligung. Der Bedarf bzw. die Nachfrage an Fahrgästen ist eindeutig gegeben, denn die Busse sind derzeit zu Stoßzeiten teilweise überfüllt. Der Zweckverband Südniedersachsen muss Auslastungszahlen, Linienführungen sowie Tarifsysteme kontrollieren und ggfs. auf die Bedürfnisse der Schüler anpassen, ohne andere Fahrgastgruppen damit zu beeinträchtigen. Finanzielle Förderungen für Schüler sind ein wesentliches Element zur Verbesserung von Erreichbarkeiten. Schulbustickets müssen gemeindeübergreifend auch in der Freizeit nutzbar sein. Alternativ können Studententickets, die für ganz Niedersachsen gelten, auf Schüler und Auszubildende ausgeweitet werden. Das Hessenticket etwa, das 356 Tage im Jahr freie Fahrt für einen Euro pro Tag ermöglicht [19], wäre eine sehr gute Maßnahme, die sich auf die Region Göttingen oder ganz Niedersachsen übertragen ließe. ■ LITERATUR [1] Küpper, P.; Steinrück, B. (2010): Mobilität in ländlichen Räumen unter besonderer Berücksichtigung bedarfsgesteuerter Bedienformen des ÖV; Arbeitsberichte aus der vTI-Agrarökonomie 02/ 2010; Braunschweig [2] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) (Hrsg.) (2010): Jugend macht Stadt. Junge Impulse für die Stadtentwicklung; Ein Projekt im Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR); Hannover [3] Schnetzer, S. (2015): Jugend im ländlichen Raum_junge Deutsche 2015. Studienergebnisse aus dem nationalen Jugendforschungs- und Jugendbeteiligungsprojekt www.jungedeutsche.de; S. 1; www. lpb-bw.de/ fileadmin/ Abteilung_III/ jugend/ pdf/ ws_beteiligung_ dings/ 2017/ ws9_17/ 2015_Jugend_laendlichen_raum_studie_datajockey_eu.pdf (Abruf: 05.10.2020) [4] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) (Hrsg.) (2010): Jugend macht Stadt. Junge Impulse für die Stadtentwicklung; Ein Projekt im Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR); Hannover [5] Verkehrswacht (o. A.): Jugendliche und Mobilität (Sek. I); www. verkehrswacht-medien-service.de/ jugendliche-und-mobilitaet. html (Abruf: 05.10.2020) [6] Gastel, M. (2016): Wie ticken Jugendliche in Sachen Mobilität? www. matthias-gastel.de/ wie-ticken-jugendliche-in-sachen-mobilitaet (Abruf: 28.03.2019) [7] Gerike, R. (2005): Wie kann das Leitbild nachhaltiger Verkehrsentwicklung konkretisiert werden? Ableitung grundlegender Aufgabenbereiche; Dissertation, Technische Universität Dresden, Fakultät Verkehrswissenschaften, Dresden [8] Mollenkopf, H. (2002): Mobilität und Lebensqualität im Alter - Objektive Voraussetzungen und subjektive Bedeutung in der mobilen Gesellschaft. In: Glatzer W., Habich R., Mayer K.U. (Hrsg.) (2002): Sozialer Wandel und gesellschaftliche Dauerbeobachtung. VS Verlag für Sozialwissenschaften [9] Herzog-Raschle, Y. (1991): Freizeitpädagogik als Problem. Eine theoretische und empirische Untersuchung; Zürich. Verlag ADAG [10] Thurich, E. (2011): pocket politik. Demokratie in Deutschland; überarb. Neuaufl., Bonn; Bundeszentrale für politische Bildung 2011 [11] Vorndran, I. (2007): 15bis 17-Jährige im Straßenverkehr: Mehr Mobilität, höheres Unfallrisiko; in: Statistisches Bundesamt [Hrsg.] (2007): Auszug aus Wirtschaft und Statistik 12/ 2007; www.destatis.de/ DE/ Publikationen/ WirtschaftStatistik/ Verkehr/ Strassenverkehr15bis17.pdf? __blob=publicationFile (Abruf: 13.08.2018; dort nicht mehr verfügbar) [12] Wilbrand-Donzelli, N. (2012): Teenie Rider: Wenn Jugendliche mit dem Mofa die Straßen erobern; 30.07.2012; www.t-online.de/ leben/ familie/ schulkind-und-jugendliche/ id_58303316/ mofa-roller-moped-teenager-im-strassenverkehr.html (Abruf: 13.08.2018) [13] Bleich, H. (2016): EU-Datenschutzverordnung gilt ab Mai 2018; 04.05.2016; www.heise.de/ newsticker/ meldung/ EU-Datenschutzverordnung-gilt-ab-Mai-2018-3197099.html (Abruf: 05.05.2020) [14] Bradtke , A. (2018): Wenzl, U.: Systemischer Berater für Organisationen (SYBEO) Beratung, Begleitung und Moderation von Kinder- und Jugendbeteiligung und Jugendengagement im kommunalen Raum; telefonisches Interview, ILS Dortmund, 01.02.2018, 10 Uhr [15] BBSR (Hrsg.) (2017): Raumordnungsbericht 2017. Daseinsvorsorge sichern. BBSR Sonderveröffentlichung Bonn, Oktober 2017. www. bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ Veroeffentlichungen/ Sonderveroeffentlichungen/ 2017/ rob-2017-final-dl.pdf; jsessionid=0F2147BB7D8849941 364E705114A80D3.live21301? __blob=publicationFile&v=7 (Abruf: 29.06.2020) [16] Region Göttingen (o. A.): Regionale Kooperationsräume. www.region-goettingen-2020.de/ docs/ images/ diagramme/ Abbildung_ F558.png (Abruf: 10.05.2020) [17] Schlegel, B. (2016): Schüler müssen zu lange auf Busse warten: Wann kommen Verbesserungen? In: Hessische Niedersächsische Allgemeine; 30.04.2016. www.hna.de/ lokales/ goettingen/ schuelermuessen-lange-busse-warten-wann-kommen-verbesserungen-6361092.html (Abruf: 18.09.2020) [18] Goevb: Tarife in Göttingen. www.goevb.de/ fahrkarten/ fahrpreise (Abruf: 05.05.2020) [19] Siehe dazu: www.schuelerticket.hessen.de Alexandra Bradtke, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, Dortmund alexandra.terhorst@ils-forschung.de Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 40 MOBILITÄT Wissenschaft Mobilität in ländlichen Räumen Betrachtungen aus Sicht der Verkehrswende und der Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen Verkehrsverhalten, Verkehrswende, Ländlich, Lebensverhältnisse, Gleichwertigkeit Ländliche Räume sind geprägt durch weite Distanzen, ein eingeschränktes öffentliches Verkehrsangebot und autoverhaftete Alltagsroutinen. Doch gerade dort könnten Einspar- und Verlagerungseffekte im PKW-Verkehr hohe Wirkung entfalten. Was also tun? Dieser Frage wird auf Basis der „Mobilität in Deutschland“-Daten nachgegangen, und es werden Maßnahmen diskutiert, die gleichermaßen zur Verkehrswende und zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum beitragen können. Claudia Nobis, Melanie Herget D ie Verkehrsleistung ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Dabei gilt: Je disperser die Siedlungsstruktur, desto größer der tägliche Aktionsradius und die Anzahl der Kilometer mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) [1]. Die Klimaschutzziele im Verkehr zu erreichen (Verkehrswende), ist im ländlichen Raum daher eine besondere Herausforderung. Allein mit technischen Maßnahmen ist es dabei nicht getan, auch Veränderungen im Verhalten und im politisch-rechtlichen Rahmen sind notwendig [2]. Gleichwertige Lebensverhältnisse und Verkehrswende „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ - das war von jeher ein recht unbestimmtes Leitbild [3]. Jedenfalls geht es nicht um „Gleichheit“, sondern um „faire“, „angemessene“ Grundvoraussetzungen, die eine „zu starke“ Spaltung der Gesellschaft verhindern. Die Grundidee ist, dass alle, unabhängig von ihrem Wohnort, faire Teilhabe-Chancen für ihre Lebensgestaltung haben. In ländlichen Räumen bedeutet dies vor allem, dass auch Menschen ohne eigenen PKW in der Lage sind, ihre alltäglichen Bedürfnisse zu erfüllen. An dieser Stelle überschneidet sich der Diskurs der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse mit der Verkehrswendedebatte. Im Folgenden wird die Mobilität im ländlichen Raum beschrieben, und es werden Maßnahmen vorgestellt, die sowohl zum Klimaschutz als auch zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse beitragen können. Datengrundlage und Vorgehen Grundlage der Analysen sind die Daten der Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD) 2017 und der zugehörige Zeitreihendatensatz. Es werden die Entwicklung und der aktuelle Stand der Verkehrsnachfrage dargestellt. Für die räumliche Differenzierung der Ergebnisse wird die vom Verkehrsministerium und vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) entwickelte regionalstatistische Raumtypologie (RegioStaR) verwendet; bei dieser erfolgt anhand von siedlungsstrukturellen Merkmalen zunächst eine grobe Einteilung der Gemeindeverbände in Stadtregion und ländliche Region. Bei der hier genutzten 7er-Einteilung gliedert sich die Stadtregion in vier Unterkategorien (Metropole, Regiopole/ Großstadt, Mittelstadt/ städtischer Raum sowie kleinstädtischer, dörflicher Raum), die ländliche Region in drei Unterkategorien (zentrale Stadt, Mittelstadt/ städtischer Raum und kleinstädtischer, dörflicher Raum). Im Folgenden werden zur Verdeutlichung die beiden Extreme gegenübergestellt: die Metropolen und der kleinstädtische, dörfliche Raum der ländlichen Region. Dabei wurde darauf geachtet, dass die anhand der Extreme dargestellte Aussage jeweils auch unter Berücksichtigung aller Raumkategorien zutrifft. Vereinfachend ist im Folgenden von Metropolen und ländlichem Raum die Rede. Ungebrochenes Verkehrswachstum Die Diskussion von Klimazielen konnte an der Verkehrsentwicklung bislang nichts ändern: Der Verkehr wächst. Von 2002 bis 2017 hat die Verkehrsleistung um 18 % zugenommen, und zwar trotz sinkender Wegeanzahl. Das Leben der Menschen ist entfernungsintensiver geworden. Dabei handelt es sich um ein raumübergreifendes Phänomen, das im urbanen Raum stärker ausgeprägt ist als im ländlichen. Der Anstieg der Bevölkerung in den Metropolen erklärt das Verkehrswachstum nur zum Teil. Während die Bevölkerung in den Metropolen von 2002 bis 2017 um 10 % zugenommen hat, war ein Anstieg der Verkehrsleistung von 40 % zu verzeichnen. Im ländlichen Raum stieg die Verkehrsleistung um 13 %, trotz einer 5-%-igen Bevölkerungsabnahme [4]. In 2017 wurden im ländlichen Raum im Durchschnitt 569 Mio. Personenkilometer (Pkm) pro Tag zurückge- Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 41 Wissenschaft MOBILITÄT legt, 153 Mio. mehr als in 2002. Von dieser Zunahme entfallen mit 137 Mio. Pkm 89 % auf den MIV. In den Metropolen wurden in 2017 im Durchschnitt 558 Mio. Pkm pro Tag zurückgelegt, eine Zunahme von 212 Mio. Pkm. Mit 106 Mio. Pkm geht die Hälfte davon auf das Konto des MIV. Das heißt: Aufgrund des hohen Ausgangsniveaus des MIV im ländlichen Raum nehmen die mit dem PKW zurückgelegten Kilometer dort mehr zu als in den Metropolen, trotz geringeren Anstiegs der Verkehrsleistung. Zunahme von PKW-Bestand, PKW-Verfügbarkeit und Tagesstrecken Wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist die kontinuierliche Zunahme des PKW-Bestands in Deutschland. Innerhalb der letzten zehn Jahre ist dieser um sechs Millionen Fahrzeuge auf 48 Mio. zu Beginn des Jahres 2020 angestiegen [5], auch wenn Studien einen Einstellungswandel gegenüber dem PKW belegen [6]. In Bild 1 ist die PKW-Verfügbarkeit nach Raum dargestellt. Diese leitet sich ab aus dem Führerscheinbesitz und der Möglichkeit, auf einen PKW im Haushalt zuzugreifen. Die geringste PKW-Verfügbarkeit besteht bei Personen ohne Führschein, die höchste bei Personen mit Führerschein, die einen im Haushalt vorhandenen PKW mit keinem anderen Haushaltsmitglied teilen müssen. Sowohl in den Metropolen als auch im ländlichen Raum hat der Anteil der Personen ohne Führerschein abgenommen. Grund hierfür ist der steigende Anteil älterer Menschen mit Führerschein; vor allem ältere Frauen sind heute häufiger im Besitz einer Fahrerlaubnis als früher. Dieser Trend wird in den nächsten Jahren anhalten. Da sich die Bevölkerung im ländlichen Raum aus mehr alten Menschen zusammensetzt, ist die Entwicklung dort besonders ausgeprägt. In den Metropolen hat die Abnahme von Personen ohne Führerschein dazu geführt, dass es mehr Personen mit Führerschein, aber ohne PKW im Haushalt gibt. Die Anteile der anderen beiden Gruppen (Personen mit geteiltem und mit eigenem PKW) änderten sich nur geringfügig. Im ländlichen Raum ist dies anders: Im betrachteten Zeitraum ist die Gruppe der Personen, die ohne Absprache mit anderen Haushaltsmitgliedern auf einen PKW zugreifen können, um 17 Prozentpunkte angestiegen. Rund die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung im ländlichen Raum verfügt heute über einen eigenen PKW. Personen mit Führerschein und ohne PKW im Haushalt gibt es im ländlichen Raum fast gar nicht. Die Folgen der Verschiebung zugunsten eines eigenen PKW verdeutlicht Bild 2: Die Tagesstrecke und der Anteil des MIV variieren erheblich in Abhängigkeit von der PKW-Verfügbarkeit. Dies ist heute nicht anders als vor 15 Jahren. Da im ländlichen Raum immer mehr Menschen in die Kategorie der Personen mit eigenem PKW und einer entsprechend hohen Tagesstrecke fallen, steigt die Gesamtverkehrsleistung zwangsläufig. Ein Großteil der Zunahme der Verkehrsleistung im ländlichen Raum und der steigenden Anzahl an MIV-Kilometern ist auf diesen Umstand zurückzuführen. Auffällig ist die Gruppe der Personen mit Führerschein, aber ohne PKW im Haushalt: Im ländlichen Raum weist diese - wie in Bild 1 dargestellt nur sehr kleine - Gruppe eine weitaus geringere Tagesstrecke auf als die vergleichbare Gruppe in Metropolen. Zwar unterscheidet sich die Soziodemographie dieser Gruppe deutlich in Abhängigkeit vom Wohnort (siehe unten); die Tatsache, dass Personen ohne PKW im Haushalt im ländlichen Raum einen großen Teil der durchschnittlichen Tagesstrecke als Fahrerin oder Fahrer eines PKW zurücklegen, weist jedoch auch klar auf eine Einschränkung des Aktionsradius mangels Alternativen zum eigenen PKW hin. Personen aus autofreien Haushalten Mobilität ohne eigenes Auto ist vor allem eine städtische Lebensweise. Im ländlichen Raum steht nur 10 % der Haushalte kein eigener PKW zur Verfügung; aufgrund der geringen Größe dieser Haushalte sind dies nur 5 % der Bevölkerung. In Metropolen sind dagegen 42 % der Haushalte nicht im Besitz eines PKW, fast ein Drittel der Bevölkerung lebt dort autofrei. Die Gruppe der Menschen ohne eigenes Auto ist in Stadt und Land sehr verschieden. In den Metropolen handelt es sich vor allem um junge Personen: 39 % gehören der Altersgruppe der 20bis 39-Jährigen an. Auf dem Land sind dagegen 54 % dieser Gruppe 60 Jahre und älter, und 22 % gehören zur Altersgruppe „80 plus“. Bei den Autofreien auf dem Land handelt es sich vor allem um 20 13 25 19 19 9 6 9 16 22 3 2 43 38 38 35 47 39 30 39 22 25 32 49 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 2002 2017 2002 2017 2002 2017 Gesamt Metropolen Ländlicher Raum* Kein Führerschein Führerschein, kein Pkw im Haushalt Pkw mit anderen Erwachsenen im Haushalt geteilt Eigener Pkw * Basis: 7er-Einteilung der regionalstatistischen Raumtypologie (RegioStaR); ländlicher Raum = kleinstädtischer, dörflicher Raum innerhalb der ländlichen Regionen Quelle: Eigene Berechnung, MiD 2002 und MiD 2017, Personen ab 18 Jahren Bild 1: Entwicklung der PKW-Verfügbarkeit nach Raumtyp 2 3 2 6 9 5 2 6 7 5 5 2 4 6 14 23 31 37 46 9 6 12 3 6 2 4 2 3 10 5 2 5 2 0 10 20 30 40 50 60 70 Metropolen Ländlicher Raum* Metropolen Ländlicher Raum* Metropolen Ländlicher Raum* Metropolen Ländlicher Raum* Kein Führerschein Führerschein, kein Pkw im Haushalt Pkw mit anderen Erwachsenen im Haushalt geteilt Eigener Pkw zu Fuß Rad MIV Mitfahrer MIV Fahrer ÖPNV ÖPFV 22 37 23 43 45 53 58 22 * Basis: 7er-Einteilung der regionalstatistischen Raumtypologie ( RegioStaR); ländlicher Raum = kleinstädtischer, dörflicher Raum innerhalb der ländlichen Regionen Quelle: Eigene Berechnung, MiD 2017, Personen ab 18 Jahren Bild 2: Tagesstrecke nach PKW-Verfügbarkeit und Raumtyp Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 42 MOBILITÄT Wissenschaft ältere Frauen in Rente, mit niedrigem ökonomischem Status und ohne Führerschein, die überdurchschnittlich oft das Haus nicht verlassen haben. In der Stadt ist die Gruppe der Autofreien hingegen meist jung, berufstätig und mobil. Gestalten die autofreien Städter ihre Mobilität multimodal und nutzen im Alltag das breite Spektrum der Verkehrsmittel, ist die Mobilität auf dem Land selbst ohne eigenes Auto auf dieses ausgerichtet. 62 % der Autofreien auf dem Land nutzen im Verlauf einer typischen Woche von den drei Verkehrsmitteln Auto, Fahrrad und öffentlicher Verkehr (ÖV) allein das Auto; in den Metropolen trifft dies nur auf 2 % der Autofreien zu. Das bedeutet: Personen ohne Auto stellen im ländlichen Raum eine Randgruppe im Sinne der Daseinsvorsorge dar. Diese gilt es angesichts der Zunahme von Führerschein- und PKW-Besitz vor allem bei der Gruppe älterer Frauen nicht aus dem Blick zu verlieren. Eingeschränktes Einsatzspektrum des ÖV auf-dem Land Ein Blick auf die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr verdeutlicht, warum auf dem Land auch Personen ohne PKW-Besitz ihre Mobilität auf das Auto ausrichten. Als Indikator für die Qualität des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) wird die Luftlinienentfernung der Wohnadresse zur nächsten Bushaltestelle mit mindestens 28 Abfahrten an einem Werktag zwischen 6 und 20- Uhr gewählt. Berücksichtigt werden damit nur Bushaltestellen mit einer durchschnittlichen Bedienhäufigkeit von mindestens einer Abfahrt je Richtung und Stunde [7]. Gemessen an diesem Indikator liegt bei 62 % der Menschen in Metropolen die nächste Haltestelle weniger als 250 Meter Luftliniendistanz entfernt, bei 92 % gibt es eine Bushaltestelle in unter 500 Metern. Auf dem Land können dagegen nur 19 % der Menschen eine derartige Bushaltestelle in unter 250 Meter Luftliniendistanz nutzen, bei 39 % sind es unter 500 Meter. Zwar gibt es damit auch auf dem Land gut angebundene Bushaltestellen in fußläufiger Entfernung. Im Gegensatz zu den Metropolen wird dort aber zumeist nur die hier zugrunde gelegte Bedienhäufigkeit erreicht. Das bessere ÖPNV-Angebot in den Metropolen führt dazu, dass 50 % aller Personen ab 14 Jahren mindestens einmal pro Woche mit Bus und Bahn im Nahverkehr unterwegs sind. Auf dem Land kommen nur 8 % der Personen auf diese Nutzungshäufigkeit. Werden die von der Gesamtbevölkerung mit dem ÖPNV zurückgelegten Wege betrachtet, ergibt sich in den Metropolen sowohl nach Alter als auch nach Wegezwecken differenziert ein vielfältiges Bild (Bild 3). Auf dem Land dagegen wird der ÖPNV vor allem von jungen Menschen genutzt: 54 % der ÖPNV-Wege entfällt auf Personen unter 19 Jahren (in den Metropolen: 15 %). Entsprechend hoch fällt der Anteil des Wegezwecks Ausbildung an den ÖPNV-Wegen auf dem Land aus. Während junge Menschen in der Stadt - auch nach Erreichen des Führerscheinalters - den ÖPNV für viele verschiedene Wegezwecke nutzen, gehen sie auf dem Land mit Erreichen des Führerscheinalters dem ÖPNV weitgehend als Kundengruppe verloren. Der Schulbus ist dort oft die einzige ÖPNV-Erfahrung. Entfällt dieser regelmäßige Weg, entfällt diese Nutzungsroutine. Zwar nimmt der Wegeanteil des PKW mit Erreichen des Führerscheinalters sowohl bei jungen Personen in den Metropolen als auch auf dem Land um die Hälfte zu, doch unterscheidet sich das Ausgangsniveau erheblich. Mobilität und ökonomischer Status Neben dem PKW-Besitz stellt der ökonomische Status eine zentrale Einflussgröße der Verkehrsnachfrage dar. Abgeleitet aus der Matrix aus Haushaltseinkommen und gewichteter Haushaltsgröße unterscheidet die MiD fünf Kategorien des ökonomischen Status von sehr niedrig bis sehr hoch. In den Metropolen wie im ländlichen Raum zeigt sich: Je höher der ökonomische Status, umso entfernungsintensiver ist der Alltag der Menschen. Aufgrund der insgesamt höheren Entfernungen fallen die Tagesdistanzen im ländlichen Raum zwar in jeder Kategorie des ökonomischen Status höher aus als die vergleichbare Distanz in Metropolen. Innerhalb der beiden Raumtypen sind die Unterschiede nach ökonomischem Status jedoch weitaus größer als zwischen Stadt und Land für denselben ökonomischen Status. So legen Menschen mit hohem ökonomischen Status auf dem Land durchschnittlich 58 km pro Tag zurück, Menschen in Metropolen 51 km. Beim niedrigen ökonomischen Status liegen die Werte bei 31 km pro Tag auf dem Land und 27 km in Metropolen. Auf der Suche nach Ansätzen für die Verkehrswende gilt es daher, die Entfernungsintensität von Personen mit hohem ökonomischem Status sowohl- in den Metropolen wie auf dem Land zu berücksichtigen. 16 26 24 12 10 12 49 11 20 3 9 7 5 13 11 14 25 23 4 3 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Ländlicher Raum* Metropolen Gesamt Arbeit dienstlich Ausbildung Einkauf Erledigung Freizeit Begleitung * Basis: 7er-Einteilung der regionalstatistischen Raumtypologie (RegioStaR); ländlicher Raum = kleinstädtischer, dörflicher Raum innerhalb der ländlichen Regionen Quelle: Eigene Berechnung, MiD 2017, Personen ab 0 Jahren Bild 3: Der Zweck von ÖPNV-Wegen nach Raum 72 34 13 4 2 52 24 14 5 15 26 20 12 5 3 13 13 8 4 2 3 8 11 13 13 18 26 8 12 15 18 19 18 23 7 20 31 36 46 52 47 27 49 58 67 70 73 66 4 12 24 35 33 25 7 2 4 7 7 7 6 19 5 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% unter 1 km 1 bis unter 2 km 2 bis unter 5 km 5 bis unter 10 km 10 bis unter 20 km 20 bis unter 50 km 50 km und mehr unter 1 km 1 bis unter 2 km 2 bis unter 5 km 5 bis unter 10 km 10 bis unter 20 km 20 bis unter 50 km 50 km und mehr Metropolen Ländlicher Raum* zu Fuß Fahrrad MIV (Mitfahrer) MIV (Fahrer) ÖPNV (inkl. Taxi, anderes) ÖPFV * Basis: 7er-Einteilung der regionalstatistischen Raumtypologie (RegioStaR); ländlicher Raum = kleinstädtischer, dörflicher Raum innerhalb der ländlichen Regionen Quelle: Eigene Berechnung, MiD 2017, Personen ab 0 Jahren Bild 4: Modal Split des Verkehrsaufkommens nach Distanzklassen und Raum Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 43 Wissenschaft MOBILITÄT Kurze Wege gibt es auch auf dem Land Die Wege sind auf dem Land durchschnittlich 14,4 km und in Metropolen 11,6 km lang. Der Anteil der kurzen Wege ist auf dem Land dabei nicht viel geringer als in Metropolen: 21 % aller Wege im ländlichen Raum sind kürzer als ein Kilometer, weitere 11 % liegen zwischen einem und zwei Kilometer. Die Vergleichswerte in Metropolen liegen bei 25 % (< 1 km) und 14 % (1 km bis <-2-km). Während diese kurzen Wege in Metropolen vor allem zu Fuß und mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, liegt der Anteil des MIV im ländlichen Raum bei Wegen unter einem Kilometer bereits bei 35 %, in der Kategorie ein bis unter zwei Kilometer werden bereits mehr als die Hälfte der Wege mit dem MIV zurückgelegt. Zumindest auf kurzen Wegen ohne längere Wegeketten gibt es also Potenzial für eine Verlagerung - sofern die Strecken als sicher genug empfunden werden. Ansätze für eine klimagerechte und chancengleiche Mobilität auf dem Land Der bisherige politisch-rechtliche Rahmen hat nicht dazu geführt, das Verkehrswachstum zu bremsen. Auch das Ziel, dass zentrale Orte im ländlichen Raum auch ohne eigenen PKW mehrmals täglich und in vertretbarer Zeit erreichbar sind, wurde verfehlt. Stattdessen ist die ÖPNV-Verkehrsleistung im ländlichen Raum in den letzten Jahrzehnten drastisch zurückgegangen [8]. Für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und für das Erreichen der Klimaschutzziele ist ein attraktiver, verlässlicher ÖPNV das unverzichtbare Rückgrat. So zeigen Beispiele des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), dass auch in ländlichen Räumen deutliche Fahrgastzuwächse erzielt werden können, z. B. durch eine Erhöhung der Fahrtendichte oder der Reisezeiten durch Schnellbuskonzepte [9]. Daneben braucht es auf dem Land Angebote wie Carsharing und Ridepooling - nicht nur, aber auch als Zubringer zum ÖV. Diese Dienste werden sich im ländlichen Raum aufgrund der geringeren Nutzerdichte nicht einfach auf dem Markt durchsetzen. Hier ist eine stärkere Co-Finanzierung durch Landesministerien, Kommunen und Unternehmen vor Ort gefragt. Auf diese Weise könnten Personen mit Führerschein, aber ohne eigenen PKW, zum Beispiel mit erneuerbar angetriebenen Elektrofahrzeugen mobil sein, und mehrfachmotorisierte Haushalte könnten auf wenig genutzte Zweit- oder Drittwagen verzichten. Mit autonom fahrenden Fahrzeugen werden die Personalkosten bei Bussen und sozialen Fahrdiensten sinken. Aus Sicht der Verkehrswende ist diese Technologie jedoch nicht schnell genug marktreif [8]. Entscheidend ist zudem die Poolingquote: Werden autonome Fahrzeuge vorwiegend individuell genutzt, führt dies lediglich dazu, dass bislang von der Autonutzung ausgeschlossene Personen (Kinder, Jugendliche, Personen ohne Führerschein) nun ebenfalls per Auto unterwegs sind. Auch die kurzen Wege im ländlichen Raum müssen stärker in den Blick genommen werden, um dort die Fahrradnutzung zu fördern. In Deutschland haben derzeit nur rund 24 % der überörtlichen Straßen einen Radweg [10]. Daneben sind auch Landwirtschaftswege oft als Fahrradstrecken geeignet. Neben einem Ausbau der Fahrradinfrastruktur sind Beteiligungsverfahren mit Viel- und Wenig-Radfahrenden wichtig, um passgenaue Maßnahmen zur Radverkehrsförderung zu entwickeln. Und damit der Anteil kurzer Wege nicht weiter sinkt, ist gerade in ländlichen Räumen eine verkehrssensible Siedlungs- und Gewerbeplanung zur Verkehrsvermeidung gefragt, ergänzt durch eine Förderung von Homeoffice und mobilen Dienstleistungen. Der so im Idealfall deutlich reduzierte MIV sollte konsequent auf umweltfreundliche Technologien umgestellt werden. Damit der MIV im Umweltverbund nur bis zum Rand der größeren Städte genutzt wird, braucht es schließlich eine gezielte Park & Ride-Planung an den Stadträndern sowie ein schlüssiges Parkraum-Management in den Innenstädten. Wichtig ist, dass verkehrlich miteinander verwobene Großstädte und Umlandkommunen eng zusammenarbeiten und gemeinsame Verkehrskonzepte entwickeln. Derart aufeinander abgestimmte Mobilitätsangebote können dann sowohl zur Verkehrswende als auch zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beitragen. ■ LITERATUR [1] Nobis, C.; Kuhnimhof, T. (2018): Mobilität in Deutschland - MiD-Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Bonn, Berlin [2] Stein, A.; Frölicher, J. (2020): Verkehrswende im ländlichen Raum - Implikationen für die Erreichbarkeit. In: Herget, M.; Neumeier, S.; Osigus, T. (Hrsg.): Mobilität - Erreichbarkeit - Ländliche Räume... und die Frage nach der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Braunschweig. S. 117-120. https: / / literatur.thuenen.de/ digbib_extern/ dn062125.pdf [3] Steinführer, A.; Hundt, C.; Küpper, P.; Margarian, A.; Mehl, P. (2018): Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse - wissenschaftliche Verständnisse und Zugänge. Stellungnahme für das BMEL. Braunschweig [4] Nobis, C.; Kuhnimhof, T.; Follmer, R.; Bäumer, M. (2019): Mobilität in Deutschland - 2002 - 2008 - 2017. Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (FE-Nr. 70.904/ 15). Bonn, Berlin [5] Kraftfahrt-Bundesamt (2020): Personenkraftwagen am 1. Januar 2020 nach ausgewählten Merkmalen. Flensburg [6] Kuhnimhof, T.; Nobis, C.; Hillmann, K.; Follmer, R.; Eggs, J. (2019): Veränderungen im Mobilitätsverhalten zur Förderung einer nachhaltigen Mobilität. Abschlussbericht. Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes. FKZ 3716 58 105 0, UBA-FB 002834. Dessau-Roßlau [7] Nobis, C.; Köhler, K. (2018): Mobilität in Deutschland − MiD Nutzerhandbuch. Anhang: Dokumentation der Raumvariablen des BBSR. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (FE-Nr. 70.904/ 15). Bonn, Berlin [8] Weiss, C. (2020): Stand der Mobilitätswende in ländlichen Regionen. www. zukunft-mobilitaet.net/ 171427/ analyse/ laendliche-regionen-mobilitaetswende-zukunft-der-mobilitaet-auf-dem-land/ [9] VDV (2020): Gute Mobilität in ländlichen Räumen - Gemeinwohlorientierung und Lebensqualität vor Ort. www.vdv.de/ 18032020-vdv-positionspapier-gute-mobilitaet-in-laendlichen-raeumen-vdv.pdfx [10] ACE (o. J.): Daten und Fakten: Radwege an überörtlichen Straßen. Berlin. https: / / docplayer.org/ storage/ 40/ 21123840/ 1601660555/ YvTbDB7ohYqLkJJEP- CLt1Q/ 21123840.pdf Claudia Nobis, Dr. rer. nat. Gruppenleiterin „Mobilitätsverhalten“, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Berlin claudia.nobis@dlr.de Melanie Herget, Dr.-Ing. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme, Universität Kassel m.herget@uni-kassel.de Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 44 MOBILITÄT Covid-19 Hygieneschutzmaßnahmen im ÖPNV Verhalten und Wahrnehmung von Fahrgästen in der Corona-Zeit ÖPNV, Hygiene, Covid-19, Corona-Virus, Verkehrsmittelwahl Die Ausbreitung des Corona-Virus hat zu Veränderungen in jedem Bereich des öffentlichen Lebens geführt, auch im Öffentlichen Personennahverkehr. Doch welche Auswirkung hat diese Situation auf die Wahrnehmung und das Verhalten von Fahrgästen? Dieser Beitrag berichtet über eine Studie unter ÖPNV- Nutzern (N=203) zu ihren Einstellungen und ihrem Fahrverhalten seit Beginn der Corona-Pandemie. Eine differenzierte Befragung zum Einfluss diverser Hygieneschutzmaßnahmen auf die Verkehrsmittelwahl zeigt ÖPNV-Betreibern, wie diese Maßnahmen von Fahrgästen wahrgenommen werden. Maria Radspieler, Katherine Guertler D ie Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Hygieneschutzmaßnahmen haben das Leben stark beeinflusst, auch einen bedeutenden Alltagsbestandteil vieler Menschen, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Hygiene spielt eine außerordentlich wichtige Rolle für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, wo auf engem und geschlossenem Raum die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus (SARS-CoV-2/ Covid-19) sehr hoch ist [1]. Dieser Beitrag berichtet über eine Studie unter deutschen ÖPNV-Nutzern, die untersuchte, inwiefern sich Hygieneschutzmaßnahmen zu einem entscheidenden Verkehrsmittelwahlfaktor entwickelt haben. Hygieneschutzmaßnahmen im ÖPNV Insbesondere im ÖPNV müssen Hygieneschutzmaßnahmen beachtet werden, damit- das Infektionsrisiko für das Corona- Virus SARS-CoV-2 möglichst niedrig gehalten werden kann. Dafür müssen insbesondere drei Hauptbereiche beachtet werden [2, 3, 4, 5]: • Einhaltung des Mindestabstandsgebotes. Da sich die Umsetzung des Abstandes zu anderen Fahrgästen oft schwer umsetzen lässt, wurde weiter empfohlen, den ÖPNV möglichst außerhalb der Stoßzeiten zu nutzen. • Sauberkeit des Verkehrsmittels. Zu diesem Zweck werden die öffentlichen Verkehrsmittel, insbesondere stark frequentierte Kontaktflächen wie Haltestangen, mindestens alle 24 Stunden desinfiziert und gereinigt. • Individuell einzuhaltende Hygieneschutzmaßnahmen seitens der Fahrgäste. Von besonderer Bedeutung ist die Ende April 2020 in Deutschland eingeführte Mund-Nasen-Schutz-Pflicht im ÖPNV und das Einhalten von Nies- und Hustenetikette. Weiter empfiehlt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, öffentliche Verkehrsmittel nach Möglichkeit zu vermeiden und stattdessen die Strecke mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem eigenen Auto zurückzulegen [4]. Das Verhalten vieler Menschen in Deutschland ist multimodal. Je nach individuellen Bedürfnissen und Situationen wird rational entschieden, welches Verkehrsmittel für den aktuellen Zweck der Fahrt am besten geeignet ist [6]. Unter normalen Bedingungen werden 10 % aller Wege und 19 % der gesamten Personenkilometer in Deutschland im ÖPNV zurückgelegt [7]. Zur Zeit der Corona-Pandemie fühlt sich über die Hälfte der Deutschen bei der Nutzung des ÖPNV (deutlich) weniger wohl als zuvor [8]. Hinzu kommen veränderte Verhaltensmuster, die das allgemeine Verkehrsverhalten beeinflussen. Daraus kann geschlossen werden, dass eine geringere Nutzung des ÖPNV zu erwarten war. Das Statistische Bundesamt prognostizierte, dass sich die Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr im Vergleich zwischen den beiden ersten Jahresquartalen 2019 und 2020 um mindestens 11 % verringern werden. Besonders stark betroffen war dabei der Eisenbahnverkehr, bei dem die Zahlen schon im März 2020 um mehr als 40 % im Vergleich zum Februar 2020 zurückgingen [9]. Angesichts dessen soll die Finanzierung des ÖPNV, der unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie stark gelitten hat, vom Bund einmalig mit 2,5-Mrd.-EUR unterstützt werden [10]. Dennoch geben die Nutzer an, nach dem Ende der Krise zu ihrem gewohnten Verhalten zurückkehren zu wollen [11]. Hygiene im ÖPNV als Faktor in der Verkehrsmittelwahl Eine wesentliche Veränderung der Verkehrsmittelwahl ist in erster Linie auf eine geänderte persönliche Lebenssituation zurückzuführen [12]. Dies war durch die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie eindeutig gegeben, beispielsweise durch ein Überwechseln ins Homeoffice oder zu Online-Vorlesungen im Studium. Daher konnte davon ausgegangen werden, dass viele Personen ihre Verkehrsmittelwahl ändern würden. Die Entscheidung für oder gegen den ÖPNV wird anhand einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst (Tabelle 1). Je nach Situation können diese Faktoren als sogenannte Pull-in-Faktoren dienen, die dazu führen, dass ein Verkehrsmittel an Attraktivität gewinnt und öfter genutzt wird, während Push-Out-Faktoren zu weniger oder gar keiner Nutzung eines Verkehrsmittels beitragen [12]. Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 45 Covid-19 MOBILITÄT Die gesundheitlichen Bedenken infolge der Corona-Pandemie zeigen auf, dass Hygiene im ÖPNV auch als Faktor in diese Typologie aufgenommen werden kann. Um die Auswirkungen der coronabedingten Einschränkungen sowie die Rolle von Hygiene für die Verkehrsmittwahl genauer zu definieren, wurde eine Studie unter ÖPNV-Nutzern durchgeführt. In einer sequenziellen Mixed-Methods-Untersuchung wurden erfasst: • die alltägliche Nutzung des ÖPNV vor und während der Corona-Pandemie • die Einstellungen der Befragten zu unterschiedlichen Hygieneschutzmaßnahmen • die erwartete Nutzung des ÖPNV nach dem Ende der Corona-Pandemie Im ersten Teil (Mai 2020) wurde eine explorative qualitative Studie in Form von Interviews (N=12) durchgeführt. Im zweiten Teil (Juni 2020) wurden die Erkenntnisse durch eine quantitative Untersuchung (N = 203) in Form einer Online-Befragung mit einem standardisierten Fragebogen trianguliert. Die Befragten waren jeweils junge Menschen (18 bis 27 Jahre) in Deutschland, die vor Beginn der Corona-Pandemie in ihrem Alltag öffentliche Nahverkehrsmittel genutzt haben. Neben der Wichtigkeit von Hygieneschutzmaßnahmen sollte nach Möglichkeit die Bewertung bestimmter Maßnahmen als Pull-In- oder Push-Out- Faktoren evaluiert werden. Veränderte Verhaltensmuster und Einstellungen zum ÖPNV Zunächst wurde festgestellt, inwiefern die Auswirkungen des Corona-Virus die Abhängigkeit der Teilnehmenden vom ÖPNV beeinflusst hat (Bild 1). Im Durchschnitt war knapp die Hälfte aller befragten Personen vor Beginn der Corona-Pandemie in ihrem Alltag auf den ÖPNV angewiesen. Seit dem Ausbruch gaben fast 85 % an, überhaupt oder eher nicht mehr auf den ÖPNV angewiesen zu sein. Die neuen Verhaltensmuster lassen sich nicht nur auf die geänderte Lebenssituation zurückführen. In Bezug auf ihre Einstellung zum ÖPNV stimmten 72 % der Teilnehmenden der Aussage eher oder voll zu, dass sie den ÖPNV vor Beginn der Corona-Pandemie gern nutzten. Durch die Auswirkungen des Corona-Virus hat sich dieses Stimmungsbild allerdings verändert, und nur noch 15 % berichten, den ÖPNV gern zu nutzen. Zusätzlich gaben 74 % der Befragten an, den ÖPNV seit dem Ausbruch des Corona-Virus (eher) zu meiden. Bezüglich einer Infizierung mit dem Virus im ÖPNV hatten 58 % der Befragten Bedenken, somit ist die Angst vor Ansteckung unter jungen Menschen eher geteilt. Laut der Untersuchung spielte Hygiene schon vor der Corona-Pandemie eine nicht unerhebliche Rolle bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Der Großteil der Teilnehmenden (68 %) gaben an, dass Hygiene vor Beginn der Corona-Pandemie wichtig war. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass diese Meinung rückwirkend (nach der Ausbreitung des Corona-Virus) geäußert wurde und somit womöglich verzerrt ist. Allerdings bewerteten ganze 94 % der Befragten die Aussage, dass Hygiene bei der Nutzung des ÖPNV seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wichtig ist, als zutreffend. Einfluss von Hygieneschutzmaßnahmen auf die Nutzung des ÖPNV Die Verstärkung der Hygiene im ÖPNV lässt sich durch diverse Schutzmaßnahmen erzielen. Die empfundene Wichtigkeit einzelner Hygieneschutzmaßnahmen für ÖPNV-Nutzer wurde von den Befragten beurteilt (Bild 2). Weitere Maßnahmen, die im Freitext von Befragten ergänzt wurden, waren: automatische Türöffnung, das Tragen einer Brille, die Vermeidung von Kontaktflächen, sich nicht ins Gesicht zu fassen, digitaler Fahrkartenkauf und die Kontrolle der Einhaltung der Hygieneschutzmaßnahmen. Die Hygieneschutzmaßnahmen wurden ebenfalls angelehnt an das Konzept der Harte Faktoren Weiche Faktoren Erreichbarkeit von Haltestellen Flexibilität der Nutzung Kosten Einfachheit der Planung Fahrtdauer Verfügbarkeit von Informationen Fahrtablauf Umweltfreundlichkeit Häufigkeit der Verbindungen Fahrkomfort Atmosphäre Personal Neu: Hygiene Tabelle 1: Beispiele harter und weicher Faktoren der Verkehrsmittelwahl (vgl. [12]) 33,0% 48,8% 23,6% 35,5% 26,6% 9,9% 16,7% 5,9% 0% 100% Vor der Corona-Pandemie war ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie bin ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Angewiesenheit auf den ÖPNV vor und während der Corona-Pandemie trifft überhaupt nicht zu trifft eher nicht zu trifft eher zu Trifft voll zu Bild 1: Angewiesenheit auf den ÖPNV vor und während der Corona-Pandemie 2,0% 1,5% 1,5% 4,9% 5,9% 5,4% 4,4% 6,4% 7,9% 11,3% 19,2% 28,1% 38,9% 36,9% 27,1% 40,4% 40,4% 43,3% 54,7% 55,2% 63,5% 43,3% 34,4% 23,2% 0% 100% Wenig gefüllte Verkehrsmittel Einhaltung des Mindestabstands Tragen von Mund-Nasen-Schutz Sauberkeit des Verkehrsmittels Verfügbarkeit von Desinfektionsmittelspendern Transparenz bezüglich der Reinigung des Verkehrsmittels Bewertung der vorgegebenen Hygieneschutzmaßnahmen sehr unwichtig eher unwichtig eher wichtig sehr wichtig Bild 2: Bewertung der Wichtigkeit einzelner Hygieneschutzmaßnahmen (N = 203) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 46 MOBILITÄT Covid-19 Pull-In- und Push-Out-Faktoren bewertet (Bild 3). Die Bewertungen „(eher) verringert“ können dabei im Sinne einer Push-Out-Wirkung interpretiert werden, da sie nach eigener Aussage die Bereitschaft dieser Personen, den ÖPNV zu nutzen, reduziert. Dagegen weisen die Bewertungen „(eher) erhöht“ auf eine Pull-In-Wirkung hin, da sie zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV beitragen. Eine neutrale Angabe kann insofern gedeutet werden, dass diese Hygieneschutzmaßnahme weder Pull-Innoch Push-Out-Wirkung aufweist und somit für die Verkehrsmittelwahl der Teilnehmenden nicht entscheidend ist. Die stärksten Pull-In-Wirkungen, die zu einer wieder erhöhten Nutzung des ÖPNV führen, zeigen die Merkmale „Wenig gefüllte Verkehrsmittel“ (84,2 % der Befragten), „Einhaltung des Mindestabstandes“ (76,4 %) und „Höhere Sauberkeit“ (73,9 %). Als einziges Merkmal mit einer entscheidenden Push-Out-Wirkung für die befragten ÖPNV- Nutzer wurde die „Mund-Nasen-Schutz- Pflicht“ (27,1 %) ermittelt. Darüber hinaus gab auch fast die Hälfte der Befragten einen neutralen Standpunkt gegenüber dem Merkmal „Transparenz bezüglich Reinigung“ an. Daraus lässt sich schließen, dass bei der Verkehrsmittelwahl Hygieneschutzmaßnahmen insgesamt eine Pull-In-Wirkung zeigen und diese wieder zu mehr Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel beitragen. Einzig das Tragen eines Mund-Nasen- Schutzes polarisiert die Befragten und hat eine deutliche Wirkung sowohl als Pull-Inals auch als Push-Out-Faktor. Letztlich wurden die Hygieneschutzmaßnahmen mit drei anderen Verkehrsmittelwahlfaktoren kombiniert, um ein besseres Verständnis der Prioritäten der jungen ÖPNV-Nutzer zu erlangen (Bild 4). Die Tendenz zur Vermeidung des ÖPNV zu Corona-Zeiten ist eindeutig erkennbar, da eine große Mehrheit der Befragten ihre Bereitschaft bekundet, längere Strecken mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen zu wollen. Zwei Drittel aller Teilnehmenden gab an, dass sie (eher) dazu bereit wären, länger zu warten, wenn dafür die öffentlichen Verkehrsmittel weniger gefüllt sind, aber etwas weniger als die Hälfte würde für eine höhere Reinigungsfrequenz länger warten. Die Bereitschaft, mehr für ein Ticket zu bezahlen, war wesentlich geringer. Dafür könnte möglicherweise ausschlaggebend sein, dass für die untersuchte Zielgruppe (18 bis 27 Jahre) finanzielle Ressourcen deutlich knapper bemessen sind als zeitliche. Langfristige Auswirkungen von Covid-19 auf die Nutzung des ÖPNV Aufgrund der Dauer und Ernsthaftigkeit der Corona-Pandemie können sich durch diese Entwicklungen durchaus langfristige Auswirkungen auf Verhaltensmuster ergeben haben. Die Befragten haben über ihr eingeschätztes Verhalten nach dem Ende der coronabedingten Einschränkungen im öffentlichen Leben berichtet. Knapp drei Viertel (74 %) aller Teilnehmenden gaben an, dass sich ihre Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach dem Ende der Corona-Pandemie wahrscheinlich nicht verringern wird. (Dieses Ergebnis stimmt mit einer weiteren Studie überein, in der die Mehrheit aller Befragten berichteten, nach dem Ende der Krise zu ihrer gewohnten Nutzung von ÖPNV zurückkehren zu wollen [11].) Des Weiteren gaben 77 % der Teilnehmenden an, die Hygiene im ÖPNV auch nach der Corona- Pandemie als (eher) wichtig einzustufen, obwohl nur 48 % berichteten, dass Hygieneschutzmaßnahmen wahrscheinlich auch in Zukunft ihre Verkehrsmittelwahl beeinflussen werden. Allerdings sind diese Prognosen mit Vorsicht zu genießen, da sie erstens eine Einschätzung über künftiges Verhalten darstellen, und zweitens zu einem relativ frühen Zeitpunkt in der Corona-Pandemie (Juni 2020) erfasst wurden. Diskussion Diese Studie ergab insgesamt, dass die Verkehrsmittelwahl junger Menschen von der Corona-Pandemie erheblich beeinflusst wird. Seit deren Beginn sind weitaus weniger Personen auf den ÖPNV angewiesen, vor allem aufgrund einer veränderten persönlichen Lebenssituation (vgl. Bild 1). Die Befragten bekundeten grundsätzlich eine positive Einstellung zum ÖPNV, da sie ihn unter anderem als praktisch und umweltfreundlich betrachten. Dennoch gaben viele an, während der Corona-Pandemie öffentliche Verkehrsmittel überhaupt nicht mehr gern zu nutzen und ihn sogar aktiv zu meiden. Zusammen ergibt sich eine stark 2,0% 1,0% 1,4% 8,4% 1,0% 3,4% 4,9% 1,0% 4,4% 18,7% 3,4% 10,3% 17,7% 24,6% 32,0% 16,2% 45,8% 45,8% 50,2% 51,7% 45,8% 31,5% 36,9% 38,4% 26,1% 22,2% 16,3% 25,1% 12,8% 0% 100% Wenig gefüllte Verkehrsmittel Einhaltung des Mindestabstandes Höhere Sauberkeit Verfügbarkeit von Desinfektionsmittelspendern Mund-Nasen-Schutz-Pflicht Transparenz bzgl. Reinigung Die Bereitschaft, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, wird durch ... verringert eher verringert neutral eher erhöht erhöht 3,4% 6,4% 10,8% 18,2% 40,9% 40,9% 6,9% 13,3% 22,2% 37,4% 33,5% 36,9% 25,1% 37,9% 52,7% 40,9% 21,2% 20,2% 64,5% 42,4% 14,3% 3,4% 4,4% 2,0% 0% 100% … weitere Strecken mit dem Fahrrad zu fahren, um den ÖPNV zu meiden. … weitere Strecken zu Fuß zu gehen, um den ÖPNV zu meiden. … eine längere Zeit auf den ÖPNV zu warten, wenn er dafür weniger gefüllt ist. … eine längere Zeit auf den ÖPNV zu warten, wenn er dafür öfter gereinigt wird. … mehr für ein ÖPNV-Ticket zu bezahlen, wenn er dafür weniger gefüllt ist. … mehr für ein ÖPNV-Ticket zu bezahlen, wenn er dafür öfter gereinigt wird. Bereitschaft der Fahrgäste ... trifft überhaupt nicht zu trifft eher nicht zu trifft eher zu trifft voll zu Bild 3: Auswirkung einzelner Hygieneschutzmaßnahmen auf die Verkehrsmittelwahl für den ÖPNV (N = 203) Bild 4: Einstellungen zu Hygieneschutzmaßnahmen kombiniert mit weiteren Verkehrsmittelwahlfaktoren (N = 203) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 47 Covid-19 MOBILITÄT verringerte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Bezüglich der getesteten einzelnen Hygieneschutzmaßnahmen stellte sich heraus, dass die Mehrheit der jungen Menschen jeden Faktor als überwiegend wichtig einstuft (vgl. Bild 2). Dazu weist jede einzelne Hygieneschutzmaßnahme eine stärkere Pull-Inals Push-Out-Wirkung auf (Bild 3). Das heißt, dass durch die Einhaltung dieser Maßnahmen die Attraktivität des ÖPNV wieder ansteigen kann. Die einzige Hygieneschutzmaßnahme, die bei vergleichsweise vielen Personen die Bereitschaft zur ÖPNV-Nutzung verringert, ist die Mund- Nasen-Schutz-Pflicht. Da diese Maßnahme allerdings gesetzlich reguliert ist, ist sie für ÖPNV-Betreiber hinfällig. Die Kombination von Hygieneschutzmaßnahmen mit weiteren Verkehrsmittelwahlfaktoren (vgl. Bild 4) zeigt auf, dass die Befragten in der aktuellen Situation eine sehr hohe Bereitschaft zur vermehrten Nutzung individueller Fortbewegungsarten wie zu Fuß gehen oder Fahrradfahren aufzeigen. Für bessere Hygienestandards sind junge Menschen eher nicht bereit, einen höheren Ticketpreis zu bezahlen, wobei hingegen ihre Bereitschaft länger zu warten höher ist. Diese Angaben stehen allerdings im Widerspruch zu der bekundeten Wichtigkeit, laut der die Hygieneschutzmaßnahmen „wenig gefüllte Verkehrsmittel“ und „höhere Sauberkeit“ zu den am wichtigsten beurteilten Maßnahmen im ÖPNV zählten (vgl. Bild 2). Das bedeutet also im Umkehrschluss, dass Hygieneschutzmaßnahmen im Vergleich zum Verkehrsmittelwahlfaktor „Kosten“ bei jungen Menschen eine untergeordnete Rolle spielen. Während der Corona-Pandemie haben sich Hygieneschutzmaßnahmen eindeutig zu einem entscheidenden Verkehrsmittelwahlfaktor entwickelt. Langfristig wird sich nach dem Ende der Corona-Pandemie voraussichtlich wieder vieles ändern. Die Mehrheit der Befragten beabsichtigt zwar, zu ihrer gewohnten ÖPNV-Nutzung wie vor der Pandemie zurückzukehren, allerdings wird sich nichtsdestotrotz laut den Erkenntnissen der Umfrage die ÖPNV-Nutzung circa eines Viertels der jungen Menschen langfristig verringern. Obwohl Hygienevorschriften im öffentlichen Leben erwartungsgemäß wieder reduziert werden, erwarten die Befragten dennoch, dass ihnen Hygiene im ÖPNV weiterhin wichtig bleiben wird. Zusammenfassend wird die Corona-Pandemie also voraussichtlich bei einem großen Anteil der Personen eine längerfristige Änderung des Nutzerverhaltens und der Einstellung zu Hygiene im ÖPNV bedingen. Das Vertrauen vieler Menschen in den ÖPNV wurde durch die Ausbreitung der Corona-Pandemie stark beschädigt, da öffentliche Verkehrsmittel als ein Ort der Virusverbreitung stigmatisiert wurden. Viele Deutsche nutzen daher nun bevorzugt individuelle Verkehrsmittel, in vielen Fällen oftmals das Auto [13]. Dies wäre aber auf lange Sicht gegenläufig zu einem positiven Trend der letzten Jahre: mit wachsendem Umweltbewusstsein in Deutschland [14] stieg die ÖPNV-Nutzung als umweltfreundliche Mobilitätsvariante jährlich weiter an [15]. Damit sich diese positive Entwicklung nun nicht wieder umkehrt, müssen die Verkehrsunternehmen aktiv werden und versuchen, das Vertrauen der Fahrgäste wieder zurückzugewinnen. Dies könnte in einem ersten Schritt beispielsweise durch eine konsequente Umsetzung der Hygieneschutzmaßnahmen im ÖPNV erreicht werden. ■ QUELLEN [1] Bundesministerium für Gesundheit (2020): Fragen und Antworten zum neuartigen Coronavirus. Alltag gestalten. www.zusammengegencorona.de/ informieren/ alltag-gestalten/ #faqitem=fbd0399f- 7c0c-531c-8a5e-27db887e3bd8 (Zugriff vom 21.05.2020) [2] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV); Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) (2020): Maßnahmen zum Gesundheitsschutz für Beschäftigte und Fahrgäste im ÖPNV. https: / / verkehr.verdi. de/ themen/ na chrichten/ + + co+ + 26a 1 894e-7d6f-1 1 ea-bc 6e- 525400f67940 (Zugriff vom 30.06.2020) [3] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) (2020): Hygieneregeln. Merkblatt für Mitarbeiter und Fahrgäste im ÖPNV. www.vdv. de/ coronavirus-informationen-ueber-die-auswirkungen-auf-denoepnv.aspx (Zugriff vom 30.06.2020) [4] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2020): Verhaltensregeln und -empfehlungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS- CoV-2 im Alltag und im Miteinander. Schützen Sie sich und andere! www.infektionsschutz.de/ fileadmin/ infektionsschutz.de/ Downloads/ Merkblatt-Verhaltensregeln-empfehlungen-Coronavirus.pdf (Zugriff vom 30.06.2020) [5] Bundesregierung (2020): Maskenpflicht in ganz Deutschland. Ab dieser Woche. www.bundesregierung.de/ breg-de/ themen/ coronavirus/ maskenpflicht-in-deutschland-1747318 (Zugriff vom 14.07.2020) [6] Dziekan, K.; Zistel, M. (2018): „Öffentlicher Verkehr“. In: Schwedes, O. Hrsg.): Verkehrspolitik. Eine interdisziplinäre Einführung. S. 347- 372. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Verlag Fachmedien [7] Nobis, C.; Kuhnimhof, T. (2018): Mobilität in Deutschland. MiD Ergebnisbericht. www.mobilitaet-in-deutschland.de/ pdf/ MiD2017_Ergebnisbericht.pdf (Zugriff vom 25.06.2020) [8] Lenz, B. (2020). DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität? Verkehrsmittelnutzung, Einkaufs-, Arbeits- und Reiseverhalten. https: / / verkehrsforschung.dlr.de/ de/ news/ dlr-befragung-wieveraendert-corona-unsere-mobilitaet (Zugriff vom 19.05.2020) [9] Statistisches Bundesamt (2020): Fahrten mit Bus und Bahn: 11 % weniger Fahrgäste im 1. Quartal 2020 erwartet. Pressemitteilung Nr. N 025 vom 13. Mai 2020. www.destatis.de/ DE/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2020/ 05/ PD20_N025_461.html (Zugriff vom 19.05.2020) [10] Bundesministerium der Finanzen (2020): Eckpunkte des Konjunkturpakets. Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken. Ergebnis Koalitionsausschuss 3. Juni 2020. www.bundesfinanzministerium.de/ Content/ DE/ Standardartikel/ Themen/ Schlaglichter/ Konjunkturpaket/ 2020-06-03-eckpunktepapier.pdf? __blob=publicationFile (Zugriff vom 19.09.2020) [11] Anke, J.; Schaefer, L.-M.; Francke, A. (2020): Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität langfristig? https: / / tu-dresden.de/ bu/ verkehr/ ivs/ vpsy/ forschung/ corona-mobilitaet (Zugriff vom 20.05.2020) [12] Knuth, K.-R. (2012): Factors influencing behavioural change towards eco-friendly multimodal mobility. Deliverable D3.6. www.levego. hu/ site/ assets/ files/ 5825/ usemobility_wp3_d3_6_v2b.pdf (Zugriff vom 14.04.2020) [13] ADAC (2020): Corona und Mobilität. Mehr Homeoffice, weniger Berufsverkehr. https: / / www.adac.de/ verkehr/ standpunkte-studien/ mobilitaets-trends/ corona-mobilitaet/ (Zugriff vom 17.07.2020) [14] Umweltbundesamt (2020): Umweltbewusstsein in Deutschland. www.umweltbundesamt.de/ themen/ nachhaltigkeit-strategien-internationales/ gesellschaft-erfolgreich-veraendern/ umweltbewusstsein-in-deutschland (Zugriff vom 11.07.2020) [15] Statista (2020): Nahverkehr so gefragt wie nie. Öffentlicher Nahverkehr. https: / / de.statista.com/ infografik/ 13476/ nahverkehr-so-gefragt-wie-nie/ (Zugriff vom 17.07.2020) Maria Radspieler, Fakultät Angewandte Natur- und Kulturwissenschaften, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg Maria.R98@gmx.de Katherine Gürtler, Prof.-Dr. Fakultät Angewandte Natur- und Kulturwissenschaften, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg katherine.guertler@oth-regensburg. de Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 48 MOBILITÄT Technikakzeptanz Das Elektrofahrrad im Spiegel der Medien Eine Inhaltsanalyse von Publikums- und Fachmedien zur-Ableitung öffentlicher Akzeptanz Elektromobilität; Elektrofahrrad; Technikakzeptanz, Journalismus, Mobilitätsforschung; Effiziente Transportalternativen Medien spielen eine Schlüsselrolle für die öffentliche Meinung und Akzeptanz neuer Technologien. Mit einer qualitativen Inhaltsanalyse journalistischer Artikel zum Elektrofahrrad wurden Akteure und ihre Einstellungen und Handlungen in Bezug auf das Elektrofahrrad untersucht. In die Analyse flossen 444 Artikel ausgewählter deutscher Qualitätsmedien aus dem Jahr 2018 ein. Die Untersuchung zeigt den gesellschaftlich relevanten Diskurs über Elektrofahrräder auf und bietet Anknüpfungspunkte für die Förderung von Individualmobilität und der Entwicklung zukunftsfähiger Mobilitätskonzepte. Katharina Seuser, Aysegül Yasari, Andreas Viehof D ie Zahl der Elektrofahrräder in Deutschland hat sich innerhalb von nur vier Jahren verdoppelt. Laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gab es im Jahr 2014 in 100 deutschen Haushalten 4,3 E-Bikes. 2018 waren es bereits 9,3 [1]. Die Zahlen sprechen für die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung der Elektromobilität auf unseren Straßen und geben Anlass, sich intensiver mit dem elektrisch unterstützten Zweirad und seiner öffentlichen Wahrnehmung zu befassen. Längst sind Pedelecs, die gemeinhin oft auch als E-Bikes oder Elektrofahrräder bezeichnet werden, kein Trend mehr, sondern ein fester Bestandteil unseres Straßenbildes. Technisch sind sie ausgereift, in verschiedensten Formen verfügbar und werden in vielfältigen Anwendungsfeldern eingesetzt. Die Zustimmung der Öffentlichkeit ist für die Durchsetzung von Innovationen entscheidend. Medien spielen dabei eine Schlüsselrolle für die Akzeptanz von Technologien, Verfahren und Werkstoffen. Sie geben Informationen und Meinungen ausgewählter Quellen wieder. Für die Studie wurde eine Methode entwickelt, die Einblicke in die Diskussion und Anwendungsfelder um neue technologische Entwicklungen erlaubt. Auf Basis einer qualitativen Medieninhaltsanalyse nach Mayring [2] sowie eines Theoriemodells [3] zur Beschreibung von Technikakzeptanz wurden Akzeptanzkonstellationen zum Thema Elektrofahrrad aus journalistischen Medien abgeleitet. Technikakzeptanz in der Medienberichterstattung Akzeptanzkonstellationen in der Technikakzeptanzforschung werden in der Literatur beschrieben durch das Akzeptanz-Subjekt und -Objekt und den Akzeptanz-Kontext [4]. Das Akzeptanz-Subjekt, einzelne Personen oder Personengruppen, äußert seine Einstellung zum Akzeptanz-Objekt oder legt ein bestimmtes Verhalten an den Tag ([5], S. 17). Laut [6] können technische Geräte und Dinge des alltäglichen Gebrauchs Gegenstände von Akzeptanz sein, aber auch Meinungen und Einstellungen sowie Themen, Probleme und Argumente. Zudem stehen laut Lucke [6] Subjekte und Objekte gesellschaftlicher Akzeptanz in wechselnden subkulturellen und sozialen Kontexten zueinander. Mit der Einstellung des Subjekts kann grundsätzlich immer eine Bereitschaft zum Handeln einhergehen. Die Handlung selbst wird jedoch in der Akzeptanzforschung als eigene Dimension berücksichtigt. Eine Handlung kann sich beispielsweise darin zeigen, dass ein Produkt gekauft wird, sich Politik und Gesellschaft dafür einsetzen oder aber auch diese weniger nutzen oder im Falle von Nichtakzeptanz dagegen aktiv vorgehen, zum Beispiel mit Protestaktionen ([5], S. 13). Bild 1 zeigt das Theoriemodell, das für die Ermittlung von Akzeptanzkonstellationen in der Medienberichterstattung zugrunde liegt. Im Vordergrund stehen das Akzeptanz-Subjekt (hier Akteur genannt), das Akzeptanz-Objekt (im Rahmen der vorliegenden Untersuchung das Elektrofahrrad) sowie Einstellungen und Handlungen der Akteure in Bezug auf Elektrofahrräder. Der Akzeptanz-Kontext rahmt die gesamte Akzeptanzsituation und verdeutlicht, dass das Akzeptanzgeschehen situativ bedingt ist und sich in unterschiedlichen Kontexten jeweils neu konstituiert. Kontext und Akzeptanz-Objekt wirken darüber hinaus auf die Einstellung und Handlung des Subjekts zurück. Das Ziel der Studie war, einen Überblick über die Akzeptanzlage zur Elektromobilität am Beispiel des Elektrofahrrads zu gewinnen, um Anknüpfungspunkte für die Förderung von Individualmobilität und die Entwicklung zukunftsfähiger Mobilitätskonzepte zu finden. Dabei wurde eine Methode eingesetzt, die über einzelne Zielgruppenbefragungen und traditionelle Rezipientenforschung hinausgeht. Mit der Bild 1: Modell zur Beschreibung von Akzeptanzkonstellationen bei der qualitativen Medienanalyse [3] Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 49 Technikakzeptanz MOBILITÄT Untersuchung von journalistischen Leitmedien sollte der gesellschaftliche Diskurs erfasst und daraus die wichtigsten Akzeptanzkonstellationen abgeleitet werden. Die Wahl dieser Methode stützt sich auf Kepplinger [7]. Der Autor sieht die Aufgabe von Journalisten und Journalistinnen darin, sowohl positive als auch negative Meinungen wiederzugeben. Seiner Meinung nach sind journalistische Medien auch deshalb relevant, weil sie Ansichten nicht nur verstärken, sondern auch verändern können [7]. Die Beziehung zwischen Medienkonsum und alltäglicher Handlungspraxis beschreibt auch Mikos [8]. Methodisches Vorgehen und Auswahl der Medien Über den Zeitraum des Jahres 2018 wurden alle Presseartikel der beiden meistzitierten deutschen Qualitätsmedien („Der Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“) sowie der ihrer Nachrichten-Websites untersucht. Alle Aussagen zum Thema Elektrofahrrad wurden berücksichtigt. Zusätzlich wurden eine lokale Tageszeitung („General-Anzeiger Bonn“) sowie die Mitgliederzeitschrift des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs („ADAC Motorwelt“), die auflagenreichste Zeitschrift Deutschlands, in die Untersuchung aufgenommen. Dies erlaubte einen intermedialen Vergleich der Berichterstattung. Um alle Aussagen zum Thema in den genutzten Presse-Archiven zu finden, wurden in der Suchstrategie alle Elektrofahrradmodelle und Begriffe berücksichtigt. So zeigte sich in der Berichterstattung, dass beispielsweise Elektro-Mountainbikes, Elektro-Tourenräder und Tandems, Cruiser, Falträder sowie elektrisch unterstützte Lastenräder (Bild 2) aufgegriffen werden, wenn auch nicht so oft wie das klassische Pedelec. Allein das Mountainbike wurde 49 Mal als Akzeptanz-Objekt gezählt. Das Velomobil hingegen, das eine hocheffiziente Form des Elektrofahrrads repräsentiert (Bild 3), wird nur einmal in der gesamten Untersuchung als Akzeptanz-Objekt erfasst. In einem Spiegel-Online Interview vom 28. Juli 2018 äußert sich eine Sportlerin positiv zur Alltagstauglichkeit und Zukunft von Elektro-Velomobilen: „SPIEGEL ONLINE: Ist das Velomobil im Alltag eine echte Alternative zum Auto? Walde: Definitiv. Ich wohne auf dem Land, hier kann man auch nicht zu Fuß zur S-Bahn gehen. Ich habe zwar ein Auto, damit ich mein Fagott im Winter transportieren kann, aber eigentlich steht das nur rum. Viele Velomobilfahrer verzichten sogar ganz aufs Auto und erledigen alles damit, auch im Winter. Und es gibt ja auch Velomobile mit Pedelec-Antrieb, das ist im Alltag für viele vielleicht eine noch bessere Lösung. Tolle Serienexemplare kriegt man für rund 8000 Euro. Wer sich dafür interessiert, sollte es einfach einmal ausprobieren.“ Basierend auf dem in Bild 1 vorgestellten Modell wurden zu erfassende Kategorien für die inhaltsanalytische Untersuchung abgeleitet. In der eigentlichen Analyse (bestehend aus Planungs-, Entwicklungs-, Test- und Auswertungsphase) ging es darum, in den ermittelten Pressetexten nach Ausprägungen der Untersuchungskategorien zu suchen, diese gemäß der induktiven Kategorienbildung [2] zu einem Kategoriensystem zusammenzuführen und nach dessen Fertigstellung das gesamte Untersuchungsmaterial zu codieren. Ergebnisse Insgesamt 444 für die Inhaltsanalyse relevante Artikel sind im Zeitraum 2018 in den oben genannten Medien veröffentlicht worden. Aus den 444 Artikeln wurden 1183 Textstellen ermittelt und nach quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten analysiert. Bild 4 zeigt die Anzahl der relevanten Artikel zum Thema aufgeschlüsselt nach Zeit und Medium. Bild 4 verdeutlicht, dass das Thema „Elektrofahrrad“ überwiegend in der loka- Bild 2: In der Berichterstattung finden sich neben der klassischen Pedelec-Form zunehmend auch Sondermodelle wie Elektrolastenräder und Mountainbikes. (Quelle: Aysegül Yasari) Bild 3: Elektro-Velomobile, stromlinienförmig verkleidete Liegeräder mit elektrischer Unterstützung, werden nur einmal in der Berichterstattung des Jahres 2018 erfasst. (Quelle: Aysegül Yasari) Bild 4: Anzahl der Artikel zum Thema „Elektrofahrrad“, aufgeschlüsselt nach Medium und Monat (Quelle: Eigene Darstellung) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 50 MOBILITÄT Technikakzeptanz len Berichterstattung aufgegriffen wurde und eine geringere Bedeutung für die überregionale Presse hatte. So konnten in 52 Ausgaben des Spiegel-Magazins nur neun für die Untersuchung relevante Texte erfasst werden, was einen Durchschnittswert von 0,17 Artikeln pro Ausgabe ausmacht. Ähnlich selten greift die „Süddeutsche Zeitung“ mit 312 Ausgaben im Jahr 2018 das Thema auf. Hier konnten im Schnitt 0,3 Artikel pro Ausgabe ermittelt werden. Die lokale Tageszeitung „General-Anzeiger Bonn“ hingegen liegt mit einem Wert von 0,82 Artikeln pro Ausgabe deutlich über den zuvor genannten überregionalen Medien. Während die Berichterstattung in den lokalen Medien ihre Höchstwerte in den Monaten März bis August verzeichnen konnte, liegen sie bei den überregionalen eher in der zweiten Jahreshälfte. Zu betonen ist die hohe Abweichung beim Artikelumfang von nur sehr kurzen Nachrichten bis zu sehr langen Reportagen mit maximal 73.121 Zeichen. Da nicht immer das Elektrofahrrad Hauptthema des Artikels war, variierte die Zahl der relevanten Textstellen stark und unabhängig von der Länge. Nur 20 % der Artikel befassten sich ausschließlich mit dem Untersuchungsobjekt. Betrachtet man alle Aussagen im Untersuchungsmaterial hinsichtlich ihrer Akzeptanz-Bewertung, so lässt sich feststellen, dass das Thema grundsätzlich positiv belegt ist. 45 % der Aussagen, Einstellungen und gezeigten Handlungen aller Akteure und Akteursgruppen lassen sich als positiv, nur 10 % als negativ bewerten (Bild 5). Grundvoraussetzung für die Kategorisierung in positiv, neutral, negativ oder ambivalent ist die klare Zuordnung eines Subjekts als Urheber der Einstellung oder Handlung. Nicht anwendbar in der Kategorie Akzeptanz-Bewertung waren Informationen und Zahlen zu Unfallgeschehen, die kein Subjekt enthielten. Gegenstand negativer Bewertungen sind beispielsweise das illegale Tuning, also die Manipulation von Pedelecs, die entgegen der Zulassungsverordnung schneller als 25 Stundenkilometer fahren können, die hohen Preise für die Fahrzeuge oder auch E-Mountainbikes, deren Fahrer in Konflikt mit Wanderern und Umweltschützern kommen. Als ambivalent gelten die Aussagen von Akteuren, die positive und negative Aspekte abwägen. So heißt es beispielsweise in der Ausgabe des General-Anzeigers vom 20. Dezember 2018: „In der Automatisierung sehen die Experten ein großes Sparpotenzial. Allerdings müssten die höheren Anschaffungskosten der Räder gegengerechnet werden. Dafür wären weitere Anwendungsmöglichkeiten denkbar: `Zum Beispiel, dass das Rad für einen autonomen Pizzaservice genutzt wird´, sagt Schmidt.“ Zitiert wird hier ein Experte aus dem Bereich der Hochschulforschung, der im Kontext der Finanzierung eine ambivalente Einstellung wiedergibt. Insgesamt wurden sechs Hauptgruppen als Akteure im Zusammenhang mit dem Untersuchungsobjekt erfasst (Bild 6). Die Akzeptanzkonstellationen der Akteursgruppen Politik und Wirtschaft sind in jeweils mehr als drei Viertel aller Fälle positiv. Insgesamt werden die häufigsten Aussagen und Akzeptanzbewertungen bei den Wirtschaftsvertretern gezählt, die vom Aufwärtstrend der E-Bikes profitieren (Bild 7). Mit 79 % äußernd sich diese, bestehend aus Vertretern der Händler, Hersteller, Produzenten sowie Verkehrsbetriebe, überwiegend positiv. So werden die Antriebe namhafter Hersteller gelobt oder auch neue Entwicklungen wie ABS für Elektrofahrräder. Unternehmen, die ihren Mitarbeitern E-Bikes zur Verfügung stellen, werden in der Berichterstattung aufgegriffen, u. a. auch ein großer deutscher Autohersteller. Nur 6 % der Akzeptanzbewertungen innerhalb der Wirtschaftsgruppe sind negativ. Kritisiert werden u. a. das hohe Gewicht von Elektro-Antrieben oder auch erschwerte und lange Lieferzeiten für Akkus bei gefüllten Auftragsbüchern. Eine emotionale Negativ-Bewertung kritisiert sogar die Ästhetik konventioneller E-Bikes. Vertreter der Abfallwirtschaft beklagen die Kosten der Entsorgung von Akkus. Die Gruppe der Anwender ist fast ebenso stark in der Berichterstattung vertreten wie die Wirtschaft. Lagen die Negativ-Bewertungen der Wirtschaft nur bei sechs Prozent, konnten bei den Anwendern zwölf Prozent ausgemacht werden. Die Anwendergruppe besteht aus Pedelec-Nutzern, Kaufinteressenten sowie Sportlern. 70 % zeigen positive Handlungen und Einstellungen, insbesondere in den Kontexten der Alltagspraxis, des Sportes und des Tourismus. Im Rahmen der Alltagspraxis wird das E- Bike als Alternative zum Auto für den Weg zur Arbeit erwähnt sowie seine guten Eigenschaften für die Gesundheit und Umwelt. Immer wieder werden auch neue Einsatzmöglichkeiten und Zielgruppen benannt wie beispielsweise „moderne japanische Mütter“, die mit dem E-Bike ihre Kinder transportieren (Süddeutsche Zeitung vom 01. September 2018). Negative Aussagen der Anwender finden sich beispielsweise im Kontext einer schlechten Fahrradinfrastruktur oder der Finanzierung von E-Bikes, die in der Regel mit höheren Anschaffungskosten einhergehen: 1. „Allerdings kann der Nutzen eines Elektrofahrrads durch die vorhandene Infrastruktur geschmälert werden. Pedelec-Fahrer wollen im Alltag zügig von A nach B kommen, etwa auf Bild 5: Prozentuale Verteilung aller ermittelten Aussagen hinsichtlich ihrer Akzeptanzbewertungen (Quelle: Eigene Darstellung) Bild 6: Unterteilung der ermittelten Subjekte in sechs Hauptgruppen. (Quelle: Eigene Darstellung; Symbole: icons8.com) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 51 Technikakzeptanz MOBILITÄT dem Weg zur Arbeit. Wo das Radwegenetz in schlechtem Zustand ist, wo man ausgebremst wird oder erst über Umwege ans Ziel gelangt, stellt sich schnell Frust ein.“ (Anwender zitiert im General-Anzeiger vom 12. März 2018) 2. „Trotz des positiven Fazits denkt er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht an eine Anschaffung, denn momentan ist ihm ein E-Bike noch zu teuer.“ (Anwender in der Ausgabe des General- Anzeigers vom 02. Juni 2018) Thema ist auch immer wieder die Technik oder die Eignung für ältere Fahrer. Häufig werden auch emotionale Bewertungen von Anwendern gefunden. So wird zum Beispiel an einer Stelle den E-Mountainbike- Fahrern ihre Sportlichkeit aufgrund der Unterstützung durch den Motor abgesprochen. Ein Profisportler hingegen sieht den Zulauf bei E-Bikes als Chance dafür, dass bald dringend benötigte Radschnellwege gebaut würden. Interessanterweise lässt sich die geringste Zahl der analysierten Textstellen den Vertretern von Forschung und Wissenschaft zuordnen (Bild 7). Hier ist das Verhältnis zwischen positiven, negativen und neutralen Aussagen relativ ausgeglichen. In dieser Gruppe kamen Unfallforscher, Experten von Hochschulen und Forschungsinstituten zu Wort. Das differenzierte Bild dieser Akteurs-Gruppe lässt sich vorrangig auf die Kontexte zurückführen, in denen sie sich äußeren. Während mit dem Elektrofahrrad verbundene Entwicklungen und Forschungsfragen noch überwiegend positiv beurteilt werden, teilweise als eigenständige Akteurshandlungen, treten in den Kontexten zur Anwendung, zur Technik und zu Unfällen verhältnismäßig viele negative Bewertungen auf. Hier wird erkennbar, welches kritische Potenzial auch mit Elektrofahrrädern verbunden sein kann und wie diese Akteure das E-Bike diesbezüglich einschätzen, z. B. bezogen auf potenzielle negative Folgen (E-Bike-Tuning, Akku-Produktion, Unfallursachen). So äußert sich ein Unfallforscher in der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 19. April 2018 wie folgt: „Sie [Senioren] haben durch Pedelecs plötzlich die Möglichkeit, wieder mobil zu sein, obwohl sie auf einem normalen Fahrrad möglicherweise gar nicht hätten fahren können, weil sie dafür nicht fit genug sind. Viele Senioren sind der Geschwindigkeit aber nicht mehr gewachsen.“ Ein Forscher hingegen betont in einem Spiegel Online Artikel vom 15. Oktober 2018 die Chancen und Möglichkeiten des E-Bikes für die Entwicklung städtischer Mobilität: „Die Vision des Projekts ist klar: Mobilität in der Stadt soll nicht nur praktischer, umweltfreundlicher, sondern auch effizienter werden. Dabei geht es vor allem um Stadtrandlagen. Während man innerstädtisch mit Bussen und Bahnen meist gut unterwegs sein könne, sei der Weg ab der Endhaltestelle bis nach Hause oft das Problem. Ist er zu lang oder umständlich, setzt man sich doch wieder ins Auto. Mit dem autonomen E-Bike als Bindeglied ist der eigene Wagen womöglich gar nicht mehr nötig.“ Zudem treten in dieser Gruppe mit knapp einem Drittel vergleichsweise viele neutrale Akzeptanz-Bewertungen auf, was sich u. a. durch das Rollenverständnis der Akteure erklärt. So finden sich bei ihnen relativ viele informierende Aussagen, die zum Thema Elektrofahrrad getroffen werden. Die Gruppe der Journalisten und Medienvertreter wurde nur dann eine Akzeptanzbewertung zugeordnet, wenn sie tatsächlich selber als handelnde oder meinungsäußernde Personen in Erscheinung traten. Dies geschah überwiegend im Kontext von Test- und Anwendungsberichterstattung, in der sie selber ein Fahrrad und dessen Eignung beurteilen. Auch hier gab es mit 55 % überwiegend positive Bewertungen. Politiker äußern sich neben den erwartungsgemäßen politischen Themenfeldern vornehmlich zur Infrastruktur und zur Finanzierung. Besonders auffällig ist, dass die Akzeptanz-Bewertungen im Kontext Umwelt-/ Klimaschutz ausschließlich positiv ausfallen. Hier wird erkennbar, dass die Politik dem Fortbewegungsmittel durch verschiedene Fördermaßnahmen und durch das Schaffen von Mobilitätsangeboten eine wesentliche Rolle beimisst. Während in Bezug zur allgemeinen Anwendung des E-Bikes und zur Infrastruktur noch vorherrschend positive Bewertungen auftauchen, ergeben sich im Kontext „Freizeit/ Sport/ Tourismus/ Urlaub“ mehrheitlich negative Bewertungen durch Verbände. Vor dem Hintergrund des Freizeit- und Tourismusangebots sorgen Elektro- Bild 7: Prozentuale Verteilung der ermittelten Aussagen nach Subjekten und jeweiliger Akzeptanz-Bewertung (Quelle: Eigene Darstellung; Symbole: icons8.com) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 52 MOBILITÄT Technikakzeptanz fahrräder für durchaus tiefgreifende Veränderungen, die zu Interessenkonflikten führen. Fazit Aufgrund der mehrheitlich positiven Akzeptanz-Bewertungen insbesondere in den Gruppen Anwendung, Politik und Wirtschaft scheint das Thema Elektrofahrrad in der journalistischen Berichterstattung zunächst wenig Konfliktpotenzial zu bieten. Demgegenüber stehen, zumindest teilweise, Experten und Verbandsvertreter. Ihrerseits werden in bestimmten Kontexten verhältnismäßig oft negative Folgen abgeschätzt, die sich z. B. in der alltäglichen Anwendung, in technischen Fragestellungen und in Unfallursachen äußern. Dies bietet bei genauerer Betrachtung ein differenzierteres Bild und macht den Blick auf die kritischen Aussagen lohnend. Daraus lassen sich Hindernisse für die Durchsetzung und Nutzung von E-Bikes identifizieren. In der lokalen Tagespresse wird das Thema signifikant öfter aufgegriffen als in überregionalen Medien. Die Ursachen dafür lassen sich mit den Mitteln dieser Untersuchung nicht eindeutig identifizieren, zeigen aber, dass Kommunikationsmaßnahmen verstärkt werden müssen, möchte man das Elektrofahrrad als gute, zukunftsfähige und nachhaltige Alternative für die Individualmobilität fördern. Die mehrheitlich positiven Aussagen von Seiten der Politik zeigen, dass die Potenziale des E-Bikes für die Verkehrssituation erkannt und gefördert werden. Die Methode der Medienanalyse und das Theoriemodell zur Erfassung von Akzeptanzkonstellationen haben sich bewährt und lassen sich reproduzierbar anwenden. Sie können zukünftig auf andere Technologien, Verfahren und Werkstoffe übertragen werden. Die Kategorien müssen auf die spezifischen Eigenschaften der Objekte angepasst werden, denn jeder Technologiebereich verfügt über andere Akteure, eine eigene Terminologie und Akzeptanzkontexte. ■ LITERATUR [1] BMVI (2019): Verkehr in Zahlen 2019/ 2020. Unter Mitarbeit von Sabine Radke. Hrsg. v. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Flensburg [2] Mayring, P. (2015): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12., überarb. Aufl. Weinheim, u. a.: Beltz. Online verfügbar unter http: / / digita l e-o bj e kte. hb z-nrw.d e/ stora g e 2/ 2 0 1 5/ 03/ 1 4/ file_42/ 6054981.pdf [3] Seuser, K.; Müller, R.; Koch, W. (2016): Pilotstudie: Biokunststoffe im Spiegel der Medien. Medienanalyse zur Akzeptanz von Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen. Hochschule Bonn-Rhein-Sieg; Insutitut für Technik, Ressourcenschonung und Energieeffizienz (TREE), Sankt Augustin [4] Schweizer-Ries, P. (Hrsg.) (2013): Klimaschutz & Energienachhaltigkeit. Die Energiewende als sozialwissenschaftliche Herausforderung. Saarbrücken: Universaar [5] Schäfer, M.; Keppler, D. (2013): Modelle der technikorientierten Akzeptanzforschung. Überblick und Reflexion am Beispiel eines Forschungsprojekts zur Implementierung innovativer technischer Energieeffizienz-Maßnahmen. Zentrum Technik und Gesellschaft. Berlin. Online verfügbar unter https: / / www.tu-berlin.de/ fileadmin/ f27/ PDFs/ Discussion_Papers/ Akzeptanzpaper__end.pdf (zuletzt geprüft am 05.12.2019) [6] Lucke, D. (1995): Akzeptanz. Legitimität in der „Abstimmungsgesellschaft“. Opladen: Leske + Budrich [7] Kepplinger, H. M. (2009): Wirkung der Massenmedien. In: Elisabeth Noelle-Neumann (Hg.): Fischer-Lexikon Publizistik Massenkommunikation. Aktualisierte, vollst. überarb. und erg. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer, S. 651-702 [8] Mikos, L. (2005): Alltag und Mediatisierung. In: Lothar Mikos und Claudia Wegener (Hg.): Qualitative Medienforschung. Ein Handbuch. 1. Aufl. Konstanz: UVK Verl.-Ges (UTB Medien- und Kommunikationswissenschaft, Pädagogik, Psychologie, Soziologie, 8314), S. 80-94 Aysegül Yasari, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Technikjournalismus (EMT), Hochschule Bonn-Rhein- Sieg, Sankt Augustin ayseguel.yasari@h-brs.de Andreas Viehof, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Technikjournalismus (EMT), Hochschule Bonn-Rhein- Sieg, Sankt Augustin andreas.viehof@h-brs.de Katharina Seuser, Prof. Dr. Professorin für Journalistik und Medienproduktion, Forschungsgebiet Akzeptanzforschung und Medienanalyse, Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Technikjournalismus (EMT), Hochschule Bonn-Rhein- Sieg, Sankt Augustin katharina.seuser@h-brs.de WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten- Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, www.trialog-publishers.de IV_Image_halb_quer.indd 1 04.04.2018 12: 03: 35 Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 53 „Die komplette Mobilitätswelt komfortabel zugänglich machen“ Der gesamte öffentliche Verkehr vereint auf einer gemeinsamen Plattform - das ist die Vision von Mobility inside, einem Zusammenschluss verschiedener Verkehrsunternehmen und -verbünde. Ziel ist eine einzige App für alle Reisen mit Bus, Bahn, Rad und Auto - und das deutschlandweit. Wie entwickelt sich dieses Projekt und welche Serviceangebote können Fahrgäste nach der Pilotphase erwarten? Ein Gespräch mit den beiden Geschäftsführern der Mobility inside-Holding, Jörg Puzicha von der Rhein-Main- Verkehrsverbund Servicegesellschaft und Volker Weiß, Stadtwerke München. Seit Dezember 2019 sind Sie beide Geschäftsführer der- Mobility inside-Gesellschaft. Wie waren die ersten Monate? Puzicha: Ich denke, wir können sehr zufrieden sein. In dem Projekt ist unglaublich Power. Alle spüren, dass sie an dem zentralen digitalen Zukunftsprojekt der Branche arbeiten. Die Gesellschaftsgründung hat uns natürlich in unserer formalen Struktur ein großes Stück nach vorne gebracht. Ich genieße diese Aufbruchstimmung einfach sehr. Weiß: Es macht unglaublich Spaß, in München weiter vor Ort Projekte zu realisieren und parallel die so wichtige Vernetzung in unserer Branche voranzubringen. Wir können hier natürlich Ingo Wortmann, Prof. Knut Ringat und Oliver Wolff nur sehr dankbar sein, die ja ganz maßgeblich im VDV das Projekt Mobility inside auf den Weg gebracht haben. Für alle, denen der Name Mobility inside noch nichts sagt: Worum geht es in dem Projekt? Weiß: Mobility inside ist die brancheneigene Vernetzungsinitiative, die den gesamten öffentlichen Nahverkehr, den Fernverkehr und weitere Mobilitätsangebote wie Bike- und Carsharing auf einer intermodalen Plattform vereint. Alle Schritte, von der Planung einer Fahrt bis zur Abrechnung, also Informieren, Buchen und Bezahlen, werden auf dieser Plattform gebündelt. Puzicha: Erstens erhalten die Kundinnen und Kunden Verbindungsvorschläge, die bei Bedarf über Bus und Bahn oder die Produkte des jeweiligen Unternehmens hinausgehen. Bei der Fahrt von München zum Frankfurter Hauptbahnhof kann ich dann wählen, ob ich lieber die U-Bahn in die Innenstadt nehme oder bei schönem Wetter ein Leihrad. Zweitens stehen den Kundinnen und Kunden Foto: Foto: Mofoni/ pixelio Interview MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 54 MOBILITÄT Interview alle Optionen offen, ohne dass sie mehrere Apps installieren oder sich mehrfach anmelden müssen. Welchen Vorteil hat Mobility inside gegenüber bestehenden Nahverkehrs-Apps? Puzicha: Aus Sicht der Nutzerinnen und Kunden ganz klar, über die Grenzen von Unternehmen hinaus ein durchgängiges Angebot zu erhalten. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass Mobility inside die bisherigen Apps nicht ersetzt, sondern diese ergänzt. Ein Fahrgast, der die App des Verkehrsunternehmens vor Ort seit Jahren gerne nutzt, muss weder eine neue App installieren, noch sich grundlegend neu mit ihr befassen. Die Vernetzung der bestehenden App mit Mobility inside erfolgt nach außen unsichtbar - bis natürlich auf die Kleinigkeit, dass die App dann auf eine Plattform zugreift, auf der Hunderte Unternehmen dabei sind. Weiß: Aus Sicht der Verkehrsunternehmen und -verbünde besteht der Vorteil darin, Kundinnen und Kunden einen erheblichen Mehrwert bieten zu können. Die Menschen verlangen heute nach vernetzten Angeboten. Das ist gut fürs Image, aber auch für den Markterfolg. Wer macht bei Mobility inside aktuell mit? Weiß: Die aktuelle Partnerlandschaft setzt sich aus neun Gesellschaftern, sieben Plattform-Projektpartnern sowie zehn Pilot-Partnern zusammen. Wobei sich die Rollen der Partner mehrfach überschneiden. Die Gesellschafter gehören zu den Initiatoren und bringen das Gesamtprojekt strategisch voran. Die Plattform-Projektpartner sind die Partner aus dem Gründungskreis, die vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Förderung erhalten haben. Pilot-Partner sind die Unternehmen, bei denen seit Oktober 2019 der Test der App stattfindet. Bei Mobility inside sind Unternehmen von Flensburg bis München dabei, kleinere Verkehrsunternehmen genauso wie große Verkehrsverbünde. Ganz besonders freut uns, dass wir von der Deutschen Bahn die verbindliche Zusage haben, zeitnah Gesellschafter bei Mobility inside zu werden. Ab wann könnte die DB dabei sein? Puzicha: Die Gespräche sind weit fortgeschritten. Toll wäre es, wenn wir die DB noch in diesem Jahr als neuen Partner begrüßen könnten. Als größtes deutsches Verkehrsunternehmen ist die DB natürlich ein ganz besonders attraktiver Partner. Und gewissermaßen nebenbei bringt die DB großes Knowhow und sicher auch Zugkraft für weitere künftige Partner mit. Will die Nahverkehrsbranche damit dem Silicon Valley zuvorkommen? Weiß: Wir haben natürlich durchaus die Entwicklung in der Hotelbranche vor Augen. Der ist es nicht gelungen, ein eigenes Buchungssystem aufzubauen. Heute dominieren daher branchenfremde IT-Größen den direkten Zugang zum Markt und nehmen wichtige Umsatzanteile weg. In der Nahverkehrsbranche wären die Folgen womöglich noch fataler, da wir keine Gewinne erwirtschaften und sich somit die Frage stellt, wie wir das Fahrtenangebot weiter finanzieren. Es sollte aber auch einfach das Selbstverständnis unserer Branche sein, den Menschen Angebote zu machen, die zu ihren Mobilitätsbedürfnissen passen. Das umfasst Fahrpläne, Tarife, aber eben auch übergreifende Informations- und Buchungsmöglichkeiten. Wie soll ich einem Fahrgast erklären, dass er in ganz Europa mit seinem Auto umherfahren und tanken kann, der ÖPNV es aber nicht schafft, durchgehende Services über eine Stadt- oder Bundeslandgrenze hinweg anzubieten? Puzicha: Sicher eher ein ergänzender Aspekt, aber doch wesentlicher Punkt: Auch aus wirtschaftspolitischer Sicht muss es doch unser Anspruch sein, diese Aufgabe selbst in Deutschland zu lösen und nicht wie bei vielen digitalen Themen in die große Abhängigkeit von internationalen IT-Konzernen zu gelangen, auf deren Strategieentwicklung wir keinerlei Einfluss haben. Nur so können wir Jörg Puzicha Foto: Rhein-Main-Verkehrsverbund Servicegesellschaft mbH Volker Weiß Foto: Stadtwerke München GmbH Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 55 Interview MOBILITÄT die Entwicklungsthemen nach unseren Präferenzen priorisieren und Risiken vor allem in den Bereichen Datenschutz und Wirtschaftlichkeit eingrenzen. Im vergangenen Jahr hat sich das Projekt formalrechtlich aufgestellt. Welche Rechtseinheiten gibt es? Weiß: Den Anfang machte die Mobility-inside-Verwaltungs GmbH, gegründet am 5. Februar 2020. Zwei Wochen später folgte die Mobility-inside-Holding GmbH & Co. KG. Die Geschäftsführung haben Jörg Puzicha und ich übernommen. Der Unternehmenssitz ist Frankfurt mit einer Zweigstelle in München. Für den zukünftigen Betrieb der Mobility-inside-Plattform wurde im Juli 2020 die Mobility-inside-Plattform GmbH gegründet, deren Geschäftsführer Ralf Nachbar und Frau Dr. Nadja Well sind. Die Mobility-inside-Plattform GmbH entwickelt und betreibt die Plattform, betreut die fachliche und technische Einbindung der Partner und unterstützt interessierte Unternehmen dabei, die technischen Voraussetzungen zum Mitmachen bei Mobility inside zu erfüllen. Zusätzlich unterstützt sie bei der Suche nach Fördermöglichkeiten und bei der Platzierung von Förderprogrammen beim BMVI und den zuständigen Ministerien der Länder. Wo steht Mobility inside aktuell? Puzicha: Entsprechend unserem Ziel, in schnellen Schritten eine einwandfrei funktionierende und skalierbare technische Basis zu haben und mit einer möglichst großen Anzahl an Partnern auszurollen, lässt sich das Projekt in drei Arbeitsfelder gliedern: App, Flächenertüchtigung und Partnerlandschaft. Die App läuft von Beginn an stabil. Wir begleiten die Erfahrungen zudem eng per Marktforschung. Weiß: Für den Realbetrieb ist es wichtig, dass alle Schnittstellen und Module der Plattform der Belastung durch den Live-Betrieb standhalten. Hier können wir auf den Meta-Router der Stadtwerke München und das vertriebliche Hintergrundsystem des Rhein- Main-Verkehrsverbunds (RMV) zurückgreifen. Daran kann man übrigens gut erkennen, dass Mobility inside ein Gemeinschaftswerk ist. Technisch sind wir dann voraussichtlich im nächsten Jahr so weit, Mobility inside in den Produktivbetrieb zu überführen. Vor zwei Jahren haben wir ja mit einem Letter of Intent das Interesse in der Branche erfasst, und rund 200 Unternehmen haben unterschrieben. Jahrelang hat der ÖPNV geboomt. Dann kam Corona. Was-bedeutet das für Mobility inside? Puzicha: Erstmal hat sich an den guten Gründen für eine Mobilitätswende ja überhaupt nichts geändert. Bessere Luft, weniger CO 2 und lebenswertere Innenstädte gibt es nur, wenn mehr Menschen vom Auto umsteigen. Genau hier setzt ja Mobility inside an. Ich würde daher sogar sagen, dass Corona für die Idee von Mobility inside ein Push sein kann. Erstens, weil bei uns der Fahrkartenkauf ohne Kontakt mit Fahrkartenautomaten oder Verkaufspersonal funktioniert, zum anderen, weil wir die komplette Mobilitätswelt über Bus und Bahn hinaus, zu Leihrädern und vor allem auch neuen Mobilitätsformen wie On-demand-Verkehren, komfortabel zugänglich machen. Auf der anderen Seite sehen wir aktuell natürlich auch, dass die Rekruting des Entwicklungsteams natürlich auch unter veränderten Rahmenbedingungen stattfinden muss. Was kostet Mobility inside und wer trägt die Aufwände? Weiß: Einer der Vorteile von Mobility inside ist, dass wir auf das Know-how und die technischen Entwicklungen unserer Partner zurückgreifen können. Als Beispiel hatte ich ja bereits den Meta Router der Stadtwerke München, der Routen inklusive Umsteigen berechnet, sowie das vertriebliche Hintergrundsystem „vHGS“ des RMV genannt. Die weiteren Projektkosten von 20 Millionen Euro in der dreijährigen Projektlaufzeit werden zur Hälfte vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert sowie von den Projektpartnern getragen. Wie soll es danach weitergehen? Puzicha: Innerhalb des Förderprojekts geht es ja darum, die Technik von der App bis zu allen Hintergrundsystemen für die Flächenertüchtigung bereit zu stellen. Danach werden wir die Plattform um weitere Dienste ergänzen und können Mobility inside auf eine große Anzahl von Unternehmen in der Branche und darüber hinaus ausrollen. Weiß: Eine Plattform wie Mobility inside darf man sich nicht so vorstellen, dass sie einmal entwickelt wird und danach für alle Zeiten fertig ist. Wir haben eine Vielzahl von weiteren Funktionen auf der Agenda und mit neuen Partnern kommen neue Ideen und Herausforderungen. Auch die Kundenwünsche werden nicht an irgendeiner Stelle Stopp machen. Ich bin aber absolut optimistisch, dass der Bund, wenn es konkreten Bedarf und gute Ideen zur Weiterentwicklung gibt - oder um Unternehmen den Weg zu Mobility inside zu ebnen - auch nach der derzeitigen Förderungsphase an unserer Seite bleiben wird. Das war in der Vergangenheit so - und in die Zukunft zu investieren, ist letztlich immer auch gut investiertes Geld. Was muss ein Unternehmen machen, um bei Mobility inside dabei zu sein? Weiß: Hier stehen künftig gleich drei Wege offen. Unternehmen können mit Unterzeichnung des Teilnahmevertrags Teilnehmer werden, zusätzlich Mitglied im assoziierten Verein der Mi-Holding oder Kommanditist der Mobility-inside-Holding GmbH & Co. KG. Eine Mitgliedschaft im Verein, den wir demnächst gründen, oder gar die Beteiligung als Kommanditist bei der Mobility-inside-Holding sichert dem Unternehmen Einfluss auf die Ausgestaltung und Ausrichtung von Mobility inside. Dies folgt dem Motto „Aus der Branche, für die Branche“ und meint die gemeinsame Weiterentwicklung der Vernetzungsinitiative. Gerade kleinere Unternehmen haben ja nicht immer das notwendige personelle Know-how und die finanziellen Spielräume. Welche Angebote, etwa Fördergelder, gibt es hier? Puzicha: Bis vor kurzem gab es z. B. vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) eine Förderrichtlinie zur „Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme“, nach der schon einige aktuelle Partner und Unterzeichner der Letter of Intent-Anträge für eine Förderung zur Ertüchtigung und Erweiterung verschiedener Systeme gestellt haben, um damit Grundlagen für einen Anschluss an Mobility inside zu schaffen. Aktuell sind weitere Förderprogramme in Vorbereitung mit attraktiven Förderquoten, bei denen sogar eine zusätzlichmbHe Kofinanzierung der einzelnen Länder zum Teil möglich ist. Noch im Juli 2020 gab es einen weiteren Sonderaufruf für Mobilitätsplattformen im Rahmen dieser Förderrichtlinie, wo Mittel in Höhe von 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden sind. Förderschwerpunkt des Sonderaufrufs ist der Themenbereich „Automation, Kooperation und Vernetzung“, was, wie man so schön sagt, wie die Faust aufs Auge passt. Auch hier haben nach der Beratung durch die Mobility inside-Gesellschaften neun Unternehmen einen Förderantrag gestellt. Wann wird Mobility inside deutschlandweit verfügbar sein? Puzicha: Unser Ziel ist, 2022 mit dem schrittweisen, dennoch zügigen Ausrollen durchzustarten. ■ Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 56 Mobilitätsmonitor Nr. 11 - November 2020 Fahrradzählung, Bestand batterieelektrischer PKW, Anzahl Fahrzeugverleiher WZB und M-Five erstellen ein Monitoring zum Personenverkehr in deutschen Großstädten. Im Fokus stehen Indikatoren der Verkehrswende, u. a. im Hinblick auf die Reduktion privater PKW-Nutzung sowie die Nachfrage nach klimafreundlichen Verkehrsmitteln. Die aktuelle Ausgabe beinhaltet die Zahl von Radfahrten sowie von Sharing-Anbietern nach Beginn der Corona-Krise. Ein weiteres Thema ist der Fahrzeugbestand batterieelektrischer PKW in den acht Erhebungsorten. Christian Scherf, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Wolfgang Schade D ie Corona-Pandemie geht auch - und gerade - an der Mobilität nicht spurlos vorüber. Es ist noch immer zu früh für abschließende Schlüsse, aber erste Effekte spiegeln sich bereits in den Daten wider. 1 In dieser Ausgabe stellen wir zwei Indikatoren vor, die stellvertretend für zwei Trends der letzten Monate stehen: Die Veränderungen des städtischen Fahrradverkehrs und die Wirkungen auf den Markt des Fahrzeugverleihs im Sharing-Sektor. Bei aller Brisanz der Corona-Krise möchten wir jedoch auch jene Entwicklungen im Blick behalten, die (noch) weniger stark betroffen zu sein scheinen. Hierzu zählt der Markthochlauf von Elektroautos, der sich bereits vor Beginn der Krise deutlich beschleunigte. Die Bestandsdaten des Kraftfahrt- Bundesamtes vom Januar 2020 lassen noch keine Rückschlüsse auf Corona-Effekte zu. Sie zeigen aber einen Trend, der für die Verkehrswende weiterhin relevant bleibt: den Umstieg von fossilen Kraftstoffen und Verbrennungsmotoren auf regenerative Energien und Elektromotoren. Wie in den vorherigen Ausgaben betrachten wir aktuelle Entwicklungen in acht der zehn größten Städte Deutschlands mit einer Einwohnerzahl von ca. 0,5 bis 3,6 Millionen, was zusammen über zehn Millionen Menschen bzw. etwa 13 % der deutschen Gesamtbevölkerung ergibt. In diesen Städten zeigen sich nicht nur die Anzeichen der Verkehrswende früher als in kleineren Orten: Auch die Corona-Effekte sind in Form gesteigerter Fahrradnutzung sowie als Nachfrageeinbruch im ÖPNV und in Teilen des Sharing-Marktes besonders ausgeprägt. Die Pandemie macht aber auch klar, wie wichtig Vergleiche mit dem näheren Ausland sind, das mancherorts als Vorbild für klimafreundliche Mobilität gilt, aber vielerorts stärker von der Krise betroffen ist. Daher haben wir neben den Radzählungen aus deutschen Großstädten auch die Datenreihe in Straßburg aktualisiert, wo sowohl die Nutzungsintensität, als auch die Kriseneffekte stärker zu sein scheinen als hierzulande. Radverkehrszählung Die Auswertung der Fahrradzählstellen ist eine Fortsetzung der Datenreihen aus dem Mobilitätsmonitor Nr. 7 und Nr. 9 (IV 4/ 2018 und IV 4/ 2019). Da der Messpunkt an der Berliner Oberbaumbrücke seit Foto: Pascal König / pixabay DER MOBILITÄTSMONITOR Der Mobilitätsmonitor ist eine gemeinsame Publikationsreihe der Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) gGmbH und der M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics in Karlsruhe. Wir danken Robin Coenen - Visual Intelligence & Communication für die grafische Umsetzung und dem Magazin Internationales Verkehrswesen für die Veröffentlichung. Frühere Ausgaben unter: www.internationales-verkehrswesen.de/ der-mobilitaetsmonitor MOBILITÄT Mobilitätsmonitor Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 57 Mobilitätsmonitor MOBILITÄT dem Frühjahr 2019 keine Werte mehr zeigt, wurden stattdessen die Werte der Berliner Straße in Berlin-Pankow ausgewertet, einem der am stärksten vom Radverkehr frequentierten Zählpunkten der Hauptstadt. Bild 1 zeigt die schon in früheren Ausgaben festgestellte Ausprägung der jahreszeitlichen Schwankungen mit sommerlichen Jahreshöchst- und winterlichen Jahrestiefstwerten. Die Ausschläge gingen jedoch im vergangenen Winter weniger stark zurück als noch 2017 und 2018. Dieser Trend setzt sich somit fort. Er kann allerdings mit den Temperaturen zusammenhängen, die in dieser Zeitspanne jeweils von Jahr zu Jahr etwas milder als noch im Winter zuvor waren. Seit Frühjahr 2018 wurden im monatlichen Durchschnitt keine Minusgrade erreicht. Der Vergleich der beiden Berliner Zählstellen im Jahr 2020 verdeutlicht, dass vor allem die Aprilwerte an der Jannowitzbrücke unter den Zahlen von April 2018 und 2019 liegen, was auf Corona-bedingte Einschränkungen hinweist. Die Daten der Berliner Straße offenbaren hingegen ein anderes Bild: Hier übertrifft der Aprilwert 2020 die Werte der entsprechenden Monate der Vorjahre. Offenbar hatte der Lockdown hier weniger Effekt als an der Jannowitzbrücke. An beiden Zählpunkten stieg die Zahl der Radfahrten im weiteren Jahresverlauf an. Im Spätsommer 2020 erreichte sie ein höheres bzw. beständigeres Niveau als in den drei Jahren zuvor. Ähnlich wie an der Berliner Straße in Berlin-Pankow erfolgte auch in Hamburg kein markanter Einbruch der Radfahrten während des Lockdowns im März und April 2020 (Bild 2). Im Unterschied zu den Berliner Zählstellen ergibt sich an der Alster aber trotz Temperaturspitze von durchschnittlich über 20 °C im August 2020 kein ungewöhnliches Niveau des sommerlichen Fahrradverkehrs. Während in Hamburg kaum markante Trendbrüche zu verzeichnen sind, besitzt die Kurve für die Münchener Erhardtstraße für Juli 2020 einen deutlichen „Ausreißer“ nach oben (Bild 3). Es kann vermutet werden, dass dieser starke Zuwachs auch im Zusammenhang mit der Corona-Krise steht. Allein durch den Temperaturverlauf lässt sich das Allzeithoch kaum erklären, denn mit durchschnittlich 20 °C war es etwa so warm wie in den entsprechenden Monaten der drei Vorjahre. Unklar ist, inwieweit hier die vorher schon Radfahrenden häufiger das Rad nutzten oder ob Personen, die in den Vorjahren andere Verkehrsmittel nutzten, auf das Rad umstiegen. Bild 4 basiert auf Daten zweier Zählstellen in Stuttgart und Straßburg. Der Vergleich mit dem grenznahen Ausland illustriert, wie ambivalent die Corona-Auswirkungen sein können. Während der Verlauf in Stuttgart jenem in München ähnelt - ungewöhnliches Hoch im Juli 2020 bei ähnlicher Durchschnittstemperatur wie in den Vorjahren - erscheint in Straßburg ein tiefer Einschnitt im April 2020. Dieses Nutzungstief belegen auch die Daten einer Zählstelle in Mülhausen, ebenfalls im Elsass. Es scheint sich somit nicht nur um einen lokalen Einfluss zu handeln, sondern dürfte in Zusammenhang mit dem Lockdown im französischen Risikogebiet stehen. Im Sommer stieg die Zahl der gezählten Radfahrenden in Straßburg allerdings stark an und erreichte im September 2020 den höchsten Wert seit Beginn der Messungen im Jahr 2013. Dies ist ein Hinweis darauf, dass nach dem Schock und der Einschränkung am Beginn der Corona-Krise das Fahrrad als Alternative zu anderen Verkehrsmitteln verstärkt genutzt wurde. Dieser Effekt scheint weitgehend unabhängig vom Wetter zu sein, da in der „Fahrradhochburg“ Straßburg die witterungsbedingten Ausschläge in der Vergangenheit zumeist schwächer waren als in den untersuchten Städten in Deutschland. Sharing-Markt im Corona-Kontext Während des Corona-Lockdowns entfernten viele Sharing-Anbieter ihre Fahrzeuge von den Straßen. Zeitweise erschien es fraglich, wie Bild 1: Monatliche Radfahrten an den Berliner Zählstellen Berliner Str. und Jannowitzbrücke, Jan. 2017 - Sept. 2020 Quelle: Senat von Berlin 2020, WetterKontor 2020; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen Bild 2: Monatliche Radfahrten und Monatsmitteltemperaturen in Hamburg, Jan. 2017 - Sept. 2020 Quelle: Eco Counter 2020, WetterKontor 2020; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen Januar 2017 April 2017 Juli 2017 Oktober 2017 Januar 2018 April 2018 Juli 2018 Oktober 2018 Januar 2019 April 2019 Juli 2019 Oktober 2019 Januar 2020 April 2020 Juli 2020 Oktober 2020 © WZB gGmbH / M-Five GmbH Radfahrten in Hamburg, An der Alster (in 1.000) und Durchschnittstemperatur (in˚C pro Monat) Radfahrten Temperatur COVID-19-Pandemie Radfahrten in 1.000 Temperatur in˚C 100 200 300 0 400 10 20 30 0 -10 10 20 30 0 -10 Radfahrten pro Monat (in 1.000) im Vergleich in Berlin Jannowitzbrücke Berliner Str. COVID-19-Pandemie 0 100 200 300 400 100 200 300 400 © WZB gGmbH / M-Five GmbH Januar 2017 April 2017 Juli 2017 Oktober 2017 Januar 2018 April 2018 Juli 2018 Oktober 2018 Januar 2019 April 2019 Juli 2019 Oktober 2019 Januar 2020 April 2020 Juli 2020 Oktober 2020 Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 58 MOBILITÄT Mobilitätsmonitor viele Anbieter diesen temporären Ausfall der Nachfrage überstehen würden. Bild 5 listet auf, welche Sharing-Angebote im September 2020 in den acht Städten verfügbar waren. Dies verdeutlicht, dass die Angebotsvielfalt insgesamt trotz der Krise bisher erhalten geblieben ist. Im Vergleich zum Jahr 2019 gab es an einigen Stellen wechselseitige Übernahmen und Zusammenschlüsse: So wurden beispielsweise die E-Bikes von Uber (Jump) in Berlin und München durch Lime übernommen, während die Leihroller von Coup in Berlin durch das Unternehmen Tier eingegliedert wurden. Als direkte Folge der Corona-Krise kann hingegen der Marktaustritt des Bild 4: Monatliche Radfahrten in Stuttgart und Straßburg, Jan. 2017 - Sept. 2020 Quelle: Eco Counter 2020, Wetterkontor 2020; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen Bild 5: Status der Sharing-Anbieter, Stand Sept. 2020 Quelle: Angaben der Anbieter, Howe 2020; Recherche: Lisa Ruhrort, Theresa Pfaff; Grafik: Robin Coenen Radfahrten pro Monat (in 1.000) in Straßburg und Stuttgart Stuttgart, König-Karls-Brücke Straßburg, Route de Vienne Januar 2017 April 2017 Juli 2017 Oktober 2017 Januar 2018 April 2018 Juli 2018 Oktober 2018 Januar 2019 April 2019 Juli 2019 Oktober 2019 Januar 2020 April 2020 Juli 2020 Oktober 2020 0 50 100 150 200 50 100 150 200 250 250 300 300 COVID-19-Pandemie © WZB gGmbH / M-Five GmbH Status der Sharing-Anbieter eingestellt keine Info aktiv Namensänderung oder Übernahme Berlin München Bikesharing Hamburg Frankfurt a. M. Köln Stuttgart Essen Leipzig Call a Bike* Donkey Republic Nextbike* Mobike Obike Byke LimeBike Ofo Jump (Uber) Emmy Coup frank-e rhingo Rollersharing stella evo sharing Tier Zoom-Sharing *inkl. regionaler Namen © WZB gGmbH / M-Five GmbH Bird Circ Jump (Uber) Lime Tier Voi DOTT E-Floater spin Wind Autonetzer Drivy Getaround Snappcar Turo Getaway CleverShuttle BerlKönig Allygator MVG IsarTiger (Door2Door) ioki Shuttle Moia Shuttle SSB Flex Flexa WeShare Sixtshare car2go DriveNow Flinkster Oply stadtmobil cambio greenwheels (StattAuto) Ubeeqo Hertz 24/ 7 Miles (ehemals Drive By) Drive Carsharing ShareNow Miles IBA book-n-drive ruhrautoe teilAuto E-Scooter Carsharing Peer-to-Peer Carsharing Ridesharing Berlin München Hamburg Frankfurt a. M. Köln Stuttgart Essen Leipzig Bild 3: Monatliche Radfahrten und Monatsmitteltemperaturen in München, März 2017 - Sept. 2020 Quelle: Eco Counter 2020, WetterKontor 2020; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen Radfahrten Temperatur COVID-19-Pandemie Radfahrten in München, Erhardtstr. (in 1.000) und Durchschnittstemperatur (in˚C pro Monat) 100 200 300 0 Januar 2017 April 2017 Juli 2017 Oktober 2017 Januar 2018 April 2018 Juli 2018 Oktober 2018 Januar 2019 April 2019 Juli 2019 Oktober 2019 Januar 2020 April 2020 Juli 2020 400 Oktober 2020 Radfahrten in 1.000 © WZB gGmbH / M-Five GmbH 10 20 30 0 -10 Temperatur in˚C Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 59 Mobilitätsmonitor MOBILITÄT Ridesharing-Anbieters CleverShuttle in Berlin und München angesehen werden. Als Tochterfirma der Deutsche Bahn AG, die durch die Corona-Krise starke Nachfrageverluste zu verzeichnen hatte, wurde CleverShuttle zu einem Sparkurs gezwungen und verkehrt aktuell neben Leipzig nur noch in Düsseldorf und Kiel. Anzahl und Anteil von E-PKW Bild 6 zeigt den Bestand an batterieelektrischen PKW (ohne Hybrid bzw. Plug-In-Hybrid) in den acht Erhebungsorten. Für jede Stadt ist der Bestand getrennt nach Jahren von 2016 bis 2020 dargestellt. 2 In allen Städten stieg die Zahl der rein elektrischen PKW in den vergangenen vier Jahren erheblich an. Den höchsten absoluten Wert erreicht München mit knapp 5.700 E-PKW. Die bayerische Landeshauptstadt liegt damit seit 2018 an der Spitze aller acht Städte. Der stärkste relative Zuwachs gegenüber 2016 ist mit 535 % in Essen zu verzeichnen, allerdings auf dem geringsten absoluten Niveau (ca. 700 E-PKW in 2020). Auch in Köln, wo von 2016 bis 2019 kaum Bestandsänderungen erfolgten, stieg die Zahl der Elektroautos im vergangenen Jahr auf über 1.500 Fahrzeuge an und hat sich gegenüber 2016 mehr als verdoppelt. Der Anteil rein elektrischer Autos am jeweiligen PKW-Gesamtbestand ist allerdings noch immer sehr klein (Bild 7). Dies liegt unter anderem daran, dass neben dem E-PKW-Bestand auch der PKW-Gesamtbestand in den gezeigten Jahren zunahm - meist um mehrere 10.000 Fahrzeuge pro Stadt. Trotzdem stieg der Anteil der E-PKW an, wobei er in allen Städten noch deutlich unter einem Prozent liegt. Auch hierbei weisen die Städte deutliche Unterschiede auf: Während in Stuttgart und München die Anteile im Jahr 2020 immerhin knapp 0,9 % bzw. 0,8 % erreichten, liegen sie in den anderen sechs Städten noch unter 0,5 %, wachsen aber auch hier allmählich an. Die Zahl der E-PKW wuchs somit in jeder der acht Städte zwischen 2016 und 2020 relativ gesehen etwas schneller als die Gesamtzahl der PKW. Im absoluten Vergleich liegen die E-PKW-Flotten aber weiterhin auf sehr niedrigem Niveau. Fazit In der Diskussion zu den verkehrlichen Effekten der Corona-Krise stand bisher oftmals der Nachfrageeinbruch im öffentlichen Verkehr im Fokus. Seit März 2020 traten jedoch weitere Effekte auf, was auch die Bedeutung anderer Verkehrsmittel für die Verkehrswende beleuchtet. Trotz der Unterschiede zwischen den Städten manifestiert sich für den Fahrradverkehr insgesamt eine krisenfeste Entwicklung. Auch der Markt für geteilte Mobilitätsangebote scheint bisher insgesamt gut durch die Krise gekommen zu sein. Der Markthochlauf batterieelektrischer Fahrzeuge zeigte - vor der Corona-Krise - einen deutlichen Aufwärtstrend in den betrachteten- Städten; allerdings ist der Anteil (lokal) emissionsfreier PKW am Fahrzeugbestand weiterhin extrem gering. In diesem Markt ist es noch offen, wie sich die mittelfristigen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise insgesamt auf den Fahrzeugbestand auswirken werden. Kontakt WZB: lisa.ruhrort@wzb.eu M-Five: christian.scherf@m-five.de ■ 1 Die Erhebungen erfolgten nach den Standards des wissenschaftlichen Arbeitens, dennoch kann keine Gewähr für die Genauigkeit und Vergleichbarkeit übernommen werden. Dies gilt insbesondere für Daten Dritter. Bei lückenhaften Datenlagen wurden zum Teil Mittel- und Schätzwerte gebildet, so dass die Ergebnisse grundsätzlich als Näherungen zu verstehen sind. 2 Die Anzahl der E-PKW entspricht jeweils den vom Kraftfahrt-Bundesamt für den 1. Januar eines jeden Jahres veröffentlichten Bestandszahlen (KBA 2017 ff.). Für das Jahr 2016 wurde auf eine Abfrage des Bayerischen Rundfunks zurückgegriffen (BR 2016). Die Kölner Werte wurden mit der städtischen Statistik abgeglichen (Stadt Köln 2019). QUELLEN BR (2016): Fahrzeugzulassungen - E-Autos pro Landkreis. Bayerischer Rundfunk AöR, online: www.br.de/ extra/ br-data/ elektroauto-landkreise-zulassungen-karte-100.html (Zugriff 09.10.2020) Eco Counter (2020): Bike Count Display Interactive Map. Eco Counter GmbH, online: http: / / eco-public.com/ ParcPublic/ ? id=4586 (Zugriff 29.09.2020) Howe, Enrico (2020): moped.sharing.research, online: www.mopedsharing.com (Zugriff 08.10.2020) KBA (2020): Bestand nach Zulassungsbezirken und Gemeinden [versch. Jahrg.], Kraftfahrt-Bundesamt, online: www.kba.de/ DE/ Statistik/ Fahrzeuge/ Bestand/ ZulassungsbezirkeGemeinden/ zulassungsbezirke_node. html (Zugriff 07.10.2020) Senat von Berlin (2020): Karte der Radzählstellen. Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, online: https: / / www.berlin.de/ sen/ uvk/ verkehr/ verkehrsplanung/ radverkehr/ weitere-radinfrastruktur/ zaehlstellen-und-fahrradbarometer/ karte/ (Zugriff 28.09.2020). Stadt Köln (2019): Neue Kölner Statistik - Thema: Kraftfahrzeuge. Amt für Stadtentwicklung und Statistik, online https: / / ratsinformation.stadt-koeln.de/ getfile.asp? id=722093&type=do& (Zugriff 06.10.2020) WetterKontor (2020): Monats- und Jahreswerte für Deutschland [versch. Städte u. Jahre]. WetterKontor GmbH, online: https: / / www.wetterkontor.de/ (Zugriff 29.09.2020) Anteil E-Pkw am Pkw-Gesamtbestand pro Jahr und Stadt 0,0% 0,2% 0,4% 0,6% 0,8% 1,0% 2016 Stuttgart München Hamburg Berlin Frankfurt a. M. Leipzig Köln Essen © WZB gGmbH / M-Five GmbH 2017 2018 2019 2020 0,29 0,29 0,30 0,30 0,70 0,72 0,72 0,72 0,30 0,74 0,76 0,77 0,78 0,79 0,80 1,17 1,19 1,20 1,21 1,22 0,32 0,32 0,33 0,33 0,34 0,21 0,22 0,22 0,22 0,23 0,46 0,46 0,48 0,48 0,49 0,27 0,28 0,28 0,28 0,29 Pkw-Gesamtbestand in Millionen Bild 6: Anzahl rein elektrischer PKW und Wachstumsrate, 2016 - 2020 (BEV, ohne Hybrid) Quelle: BR 2016, KBA 2017 ff., Stadt Köln 2019; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen Bild 7: Anteil der E-PKW (BEV, ohne Hybrid) am PKW-Gesamtbestand, 2016 - 2020 Quelle: BR 2016, KBA 2017 ff., Stadt Köln 2019; Recherche: Christian Scherf; Grafik: Robin Coenen 0 1 2 3 4 5 6 Berlin 2016 Hamburg München Frankfurt a. M. Köln Stuttgart Essen Leipzig Anzahl Elektro-Pkw (BEV, ohne Hybrid) 2017 2018 2019 2020 Wachstum 2016-2020 +238% +296% +374% +249% +102% +350% 535% 423% in 1.000 © WZB gGmbH / M-Five GmbH Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 60 TECHNOLOGIE Verkehrssicherheit „Vision Zero“ - maximale Verkehrssicherheit als Ziel Vision Zero als Gesamtstrategie hat im Bereich der Verkehrssicherheit zum Ziel, Straßen und Verkehrsmittel so sicher zu gestalten, dass die Zahl der Verkehrstoten auf „Null“ zurückgeht. Das heißt, dass Regelwerke, Gesetze und Verordnungen entsprechend angepasst werden müssen. Welche Maßnahmen aber können wirklich zum Erreichen der „Vision Zero“ beitragen? Fragen an Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung der Versicherer (UDV) in Berlin. Herr Brockmann, wie schätzen Sie die bisherigen Erfolge in den Programmen des Bundes und der Bundesländer zur Verbesserung der Verkehrssicherheit auf deutschen Straßen ein? Siegfried Brockmann: Seit 2010 hat sich die Anzahl der getöteten Menschen auf deutschen Straßen von 3.648 auf 3.046 im Jahr 2019 reduziert. Das ist noch weit weg vom Ziel der Bundesregierung, die Zahl der Getöteten in dieser Dekade um 40 Prozent zu senken und noch weiter von der sehr ambitionierten Strategie „Null Tote auf deutschen Straßen“. Aus Sicht der Unfallforschung der Deutschen Versicherer (UDV) gibt es eine Reihe von wirksamen Maßnahmen, die uns einzeln oder kombiniert mit konsequenter Umsetzung und Monitoring kurz- und mittelfristig diesem Ziel jedenfalls näherbringen können. Welche Maßnahmen sind das ganz allgemein? Es ist wichtig, die Einsatzbereiche zu differenzieren: • Straßen und Wege noch sicherer gestalten, damit tödliche und schwere Unfälle vermieden oder deren Folgen stark reduziert werden, • das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden positiv beeinflussen und vorhandene Verkehrsregelungen durchsetzen, • besonders wirksame Fahrerassistenzsysteme als Serienausstattungen für neue Fahrzeuge vorschreiben und weiterentwickeln. Zum Thema „Straßen noch sicherer gestalten“: Wie sollte man Ihrer Meinung nach da konsequenter vorgehen? Wir müssen zunächst einmal die erkannten Unfallhäufungen beseitigen. Dafür sind funktionierende Unfallkommissionen enorm wichtig. Deshalb müssen die Verantwortlichen in den Ministerien die Ausbildungsstandards und die finanziellen Rahmenbedingungen für die Arbeit der Unfallkommissionen deutlich verbessern. Auch auf neuen Straßen können wegen Fehlern bei Planung und Entwurf vermeidbare Unfälle oder sogar Unfallhäufungen auftreten. Mit Sicherheitsaudits können solche Mängel bereits in der Planung erkannt und abgestellt werden. Das Unfallgeschehen kann auf neuen Straßen um bis zu 80 % verringert werden, wenn das Verfahren konsequent für alle neuen oder umzubauenden Innerorts- und Außerortsstraßen angewendet wird. Sicherheitsaudits müssen deshalb verbindlich eingeführt und wirklich gelebt werden. Auf Außerortsstraßen und Innerortsstraßen entfallen jeweils etwa 50 % der schweren Unfälle bei nur etwa 20 % der Straßennetzlänge. Mit Hilfe von Sicherheitsanalysen können Abschnitte mit hohen Sicherheitspotenzialen - vermeidbare volkswirtschaftliche Unfallkosten - identifiziert werden. Im Rahmen des Straßenmanagements sollten diese Straßenabschnitte vordringlich und sicher umgebaut werden. Sind also außerorts auf Landstraßen die meisten Verkehrstoten jährlich zu beklagen? Das ist ja zunächst einmal nicht überraschend, wenn man die Streckenlänge, die möglichen Konfliktpunkte und die gefahrenen Geschwindigkeiten bedenkt. Gleichwohl können wir noch vieles besser machen. Fast jeder zweite Mensch, der auf Landstraßen tödlich verunglückt, stirbt nach einem Aufprall auf ein Hindernis neben der Fahrbahn. Es gilt einerseits, Maßnahmen gegen Aufprallunfälle dort zu ergreifen, wo die Seitenräume nicht frei von Hindernissen gehalten werden können und andererseits, keine neuen Gefahren zu schaffen. Dies gilt vor allem für die Neupflanzung von Bäumen. Eine kürzlich abgeschlossene Studie der UDV zur „Evaluation von Maßnahmenprogrammen der Bundesländer gegen Baumunfälle“ zeigt, dass Geschwindigkeitsüberwachungen, Überholverbote, Änderungen am Baumbestand, Fahrzeugrückhaltesysteme und eine Verdeutlichung der- Linienführung durch Beschilderungen sehr wirksame Maßnahmen sind, die teilweise sogar kurzfristig umgesetzt werden können. Unfälle, bei denen Verkehrsteilnehmer frontal zusammenprallen, weisen besonders gravierende Unfallfolgen auf. Dort, wo Überholvorgänge möglich sind, sollten sie durch Foto: UDV Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 61 Verkehrssicherheit TECHNOLOGIE geeignete Maßnahmen (z. B. durch ein wechselseitiges Anlegen von Überholfahrstreifen) gesichert werden. Dort, wo das Überholen wegen der fehlenden erforderlichen Sichtweiten gefährlich ist und ein Überholfahrstreifen nicht realisierbar ist, müssen Überholverbote in beiden Fahrtrichtungen angeordnet und durchgesetzt werden. Die Verkehrssicherheit erhöht sich beim Einsatz eines sicheren Knotenpunkttyps gegenüber einem unsicheren um das Vielfache. Bei den hohen Fahrgeschwindigkeiten an Landstraßen-Knotenpunkten sollten auf jeden Fall Verkehrsströme, die an Lichtsignalanlagen kollidieren können, nicht mehr gleichzeitig eine Grünphase bekommen. Wo können auf Innerortsstraßen die Todesfälle wirkungsvoll reduziert werden? Etwa 60 % der 931 Menschen, die 2019 auf innerörtlichen Straßen gestorben sind, waren Zufußgehende und Radfahrende. Sie starben überwiegend an Knotenpunkten und beim Überqueren der Fahrbahnen, in der Regel nach einer Kollision mit dem motorisierten Verkehr. Deshalb müssen Zufußgehende und Radfahrende vor Kollisionen mit dem motorisierten Verkehr besonders geschützt werden. Hier helfen vor allem sichere Querungsmöglichkeiten für diese Verkehrsteilnehmergruppen und das Freihalten von Sichtflächen im Knotenpunktbereich, um die Sichtkontakte zwischen dem motorisierten und nicht motorisierten Verkehr zu erhöhen. Die Kommunen sollten auch vereinfachte Möglichkeiten erhalten, Tempo 30 auch präventiv anordnen zu können. Falls es einmal einen Großversuch zur Wirkung von generellem Tempo 30 innerorts geben sollte, wäre ich auch auf die Ergebnisse gespannt. Wie sieht die Bilanz auf deutschen Autobahnen aus? Im Jahr 2019 sind 356 Menschen bei Verkehrsunfällen auf deutschen Autobahnen ums Leben gekommen. Das sind etwa zwölf Prozent aller Getöteten auf deutschen Straßen. Bezogen auf die jährliche Fahrleistung sind die Autobahnen die sichersten Straßen Deutschlands, nicht aber bezogen auf die Streckenlänge. Hier prägen die Unfälle im Längsverkehr - etwa Überholen, Fahrstreifenwechsel oder Auffahren - das Lagebild des Unfallgeschehens. Hierfür können die Fahrerassistenzsysteme in PKW und LKW einen entscheidenden Beitrag leisten. Das sind vor allem die Notbremse, der Spurverlassenswarner und der Totwinkelwarner. Auch die Infrastruktur kann ihren Beitrag leisten. So können Verkehrsbeeinflussungsanlagen an hoch belasteten oder unfallbelasteten Streckenabschnitten die Verkehrsteilnehmenden rechtzeitig auf Gefahren hinweisen, fahrsichere Geschwindigkeiten empfehlen und somit zu einem sicheren Fahrverhalten führen. Das setzt voraus, dass sich Verkehrsteilnehmer auch nach diesen Empfehlungen richten. Wo kann der Mensch selbst zum Erreichen der „Vision Zero“ beitragen? Die Nutzung von Smartphones oder gar Tablets beim Fahren stellt ein zunehmendes Unfallrisiko dar. Ist der Fahrer vom Verkehrsgeschehen abgelenkt, und sei es für einen kurzen Moment, kann er nicht mehr vorausschauend agieren. Den meisten Verkehrsteilnehmern ist das bewusst. Sie glauben aber fälschlicherweise, das Geschehen kontrollieren zu können. Ein kombinierter Ansatz aus Information und Aufklärung zur Erhöhung des gesellschaftlichen Problembewusstseins in Verbindung mit einer auf die Verkehrssicherheit fokussierten Unterstützung der Kommunikation, z. B. durch optimierte Sprachein- und ausgaben, dürfte der beste Weg sein, mit dem Problem umzugehen. Wie wirkt die bereits 1976 eingeführte Gurtpflicht heute? Wenn alle Insassen im PKW zu jeder Zeit korrekt angeschnallt wären, könnten ca. 200 Getötete und 1.500 Schwerverletzte jährlich in Deutschland vermieden werden. Eine detaillierte Unfallauswertung der UDV hatte ergeben, dass 28 Prozent aller getöteten und 12 Prozent aller schwerverletzten PKW-Insassen nicht gegurtet waren. Die bereits seit 1999 geltende Gurtanlegepflicht bei Reisebussen muss ebenfalls durchgesetzt werden. Die Durchsetzung der Gurtanlegepflicht muss durch häufigere Kontrollen, Erhöhung der Sanktionen und mit wirksamen akustischen und optischen Hinweisgebern auf allen Sitzplätzen im Fahrzeug unterstützt werden. Eine Reihe aufeinanderfolgender Studien der UDV in den letzten 20 Jahren hat gezeigt, dass ein Hauptproblem im Zusammenhang mit der Nutzung von Kindersitzen in deren falscher Benutzung liegt. Deshalb müssen die Sicherungssysteme so gestaltet sein, dass Fehler bei der Nutzung schon durch das Design minimiert werden. Die Benutzung der richtigen Sicherungssysteme sollte überwacht werden. Hersteller sollten verstärkt Isofix-Systeme anbieten, und in Zulassungs- oder Verbraucherschutztests muss verstärkt die Usability bewertet werden. Vor allem aber muss jede neue Eltern- und Großelterngeneration über die Wichtigkeit und die richtige Nutzung der Kinderrückhaltesysteme informiert werden. Gemeinhin gelten ja auch Fahranfänger als Risikogruppe. Welche Herausforderungen sehen Sie da? Junge Fahrer und Fahrerinnen zwischen 18 und 24 Jahren sind weiterhin die Altersgruppe mit dem höchsten fahrleistungsbezogenen Unfallrisiko. Maßnahmen wie das Begleitete Fahren mit 17 Jahren und das Alkoholverbot in der Probezeit bzw. für unter 21-Jährige haben maßgeblich zum Rückgang des Unfallrisikos beigetragen. Weitere Unterstützungsmaßnahmen sind aber erforderlich. Dazu gehören z. B. ein vereinfachter Zugang zum Begleiteten Fahren, ebenso eine Ausweitung der Probezeit in Kombination mit zusätzlichen Lernangeboten. Die Befolgung von Verkehrsvorschriften hängt auch von der Häufigkeit der Kontrollen und der Höhe der Sanktionen ab. Beides muss vor allem bei Verstößen gegen sicherheitsrelevante Vorschriften deutlich erhöht werden. Wir werden in einem umfangreichen Forschungsprojekt eine solche Hierarchie der Sicherheitsrelevanz ermitteln und einen Vorschlag vorlegen. ■ Vita Siegfried Brockmann , von Beruf Kraftfahrzeugmechaniker, studierte Politische Wissenschaften in Berlin. Er war seit 1986 in Verwaltungsfunktionen unter anderem für die Senatskanzlei und den Verkehrssenator des Landes Berlin tätig, leitete von 1993 bis 1997 das Ministerbüro und die Kommunikation des Verkehrs- und Bauministeriums des Landes Brandenburg. Im Jahr 1998 übernahm er die Kommunikation für den Bereich Schaden- und Unfallversicherung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und ist dort seit 2006 Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Ehrenamtlich ist Brockmann unter anderem Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats und beratendes Präsidiumsmitglied der Deutschen Verkehrswacht (DVW) sowie Vorstandsmitglied des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR). Für seine Verdienste um die Verkehrssicherheit erhielt er Auszeichnungen wie die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, die Goldene Ehrennadel der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und den Goldenen Dieselring des Verbandes der Motorjournalisten VdM. Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 62 TECHNOLOGIE Wissenschaft Heuristisches Modell zur-fahrzeugbezogenen Bewertung des Fahrerlebnisses Fahrerlebnis, Fahrermodellierung, Objektivierung, Fahrerassistenz, Bewertungsmetrik, Navigation Ziel der vorgestellten Forschungsarbeit ist die automatische Bewertung von Straßen hinsichtlich ihrer Fahrerlebnisqualität. Grundlagen des zu diesem Zweck hergeleiteten Bewertungsmodells bilden empirische Erkenntnisse aus Fahrstudien sowie ein verkehrspsychologisches Modell zur Entstehung von Fahrspaß. Für die aus beiden identifizierten Fahrzustands- und Bediengrößen können fahrdynamische und fahrerverhaltensspezifische Grenzannahmen getroffen werden. Durch die Verbindung dieser Kriterien in einem mathematischen Modell entsteht ein Bewertungssignal, welches als Fahrerlebnisqualität definiert wird. Das Modell wurde abschließend mit Probanden im öffentlichen Straßenverkehr erprobt. Dabei wurde eine weitgehende Übereinstimmung von Probandenmeinung und Bewertungssignal verzeichnet. Insgesamt werden damit ein methodischer Ansatz und ein technischer Vorschlag zur Objektivierung eines bislang wenig erforschten Fahrgefühls formuliert. Falk Salzmann, Eduard Schulz B eim Fahren suchen viele Menschen das Fahrerlebnis. Neben dem gewählten Fahrzeug hat dabei bekanntermaßen die Fahrstrecke einen erheblichen Einfluss. Auch beschreiben viele Menschen ähnliche Straßen als fahrerlebnisreich. Doch was macht eine Fahrerlebnisstrecke aus? Ein naheliegender Ansatz ist es demnach, Fahrerlebnisstrecken anhand ihrer besonderen Nutzung, der dort auftretenden Fahrweisen zu klassifizieren; ein anderer, das Fahrerlebnis als latente Empfindung zu begreifen und den Versuch zu unternehmen, es mit zusätzlicher Messtechnik genauer zu quantifizieren. Diese Arbeit verfolgt ersteren Ansatz und beschränkt sich im Unterschied zu Arbeiten der Parameteridentifikation, beispielsweise durch Beobachtung der Mimik [1], auf die Betrachtung fahrzeugeigener Messgrößen. Ferner wird das Fahrerlebnis als Empfindung sportlich motivierter Handlungen und als Gegenteil komfortorientierter Fahrweise verstanden. So eingeschränkt, wird die gesuchte Größe der Fahrerlebnisqualität im Folgenden auch als Fahrspaß bezeichnet. Die unter diesen Randbedingungen in Frage kommenden Messgrößen wurden als Parameter in referenzierten Fahrstudien zum dynamischen und komfortablen Fahren untersucht und davon abgeleitete Kennwerte zur Unterscheidung in einem echtzeitfähigen Signalmodell implementiert. Mithilfe des Signalmodells kann somit während der Fahrt die selbige bewertet werden. Der objektivierte Fahrspaß kann während der Fahrt dazu genutzt werden, um Fahrerassistenzsysteme auf den Zustand des Fahrers abzustimmen. Werden die Informationen verschiedener Fahrer kartiert, ergeben sich weitere Nutzungspotentiale. So kann die Auswertung von Fahrverhaltensmuster auch zur Planung und Lenkung des Verkehrs beitragen, sei es durch die Navigation von Fahrern auf oder das Bauen von geeigneten Verkehrswegen. Ansatz Entstehung von Fahrspaß Zur Bewertung des Fahrerlebnisses soll wie einleitend beschrieben, eine sportlich motivierte Fahrempfindung, mit Fahrzeugsignalen objektiviert werden. Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff Fahrspaß ist, wie beispielsweise in [2] und [3] beschrieben, nicht einheitlich und widerspruchsfrei definiert. Gleichwohl ist bislang kein allgemein gültigerer Ansatz zu dessen Objektivierung bekannt [4]. Eine Ableitung des Begriffs setzt daher allgemeiner mit einem psychologischen Modell zur Entstehung von Spaß gemäß Bild 1 an. Fahren wird als extrinsisch wie intrinsisch motivierte Handlung wahrgenommen. Entsprechend führen sowohl extern spürbare Einflüsse des Fahrvorgangs, wie die Fahrdynamik, als auch die Aktivität des Fahrers bei der Bedienung des Fahrzeugs zu Fahrspaß. Ein fahr- Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 63 Wissenschaft TECHNOLOGIE zeugbezogener Ansatz zur Fahrerlebnisbewertung ist folglich die Erfassung fahrdynamisch charakteristischer Signale sowie gleichermaßen kennzeichnende Größen der Fahrzeugbedienung. Beobachtungsraum Im vorigen Abschnitt wurden die fahrerlebnisrelevanten Signaldomänen Fahrzeugdynamik und Fahrzeugbedienung hergeleitet. In beiden sind die relevanten Fahrzeugsignale zu identifizieren. Dazu dient die Gliederung der Fahrt mithilfe von Taxonomien der Fahrhandlungen, wie sie beispielsweise in [6] und [7] beschrieben sind. Dem Ansatz folgend sind in [5] Befragungen und Diskussionen mit Experten der Verkehrspsychologie und Fahrerassistenz zur Eingrenzung des Beobachtungsraums beschrieben. Die dabei konsolidierten fahrerlebnisrelevanten Fahrhandlungen fasst Tabelle 1 zusammen. Fortführend sind in [8] die als differenzierend hinsichtlich des Fahrerlebnisses ausgewiesenen Fahrhandlungen in ihrer Bedeutung für die Modellbegriffe Fahrkomfort und Fahrspaß gemäß des in Bild 1 eingeführten Modells bewertet. Jedoch wurde der Ansatz nicht auf physikalische Kenngrößen geführt, sodass quantitative Bewertungskriterien fehlen. Deren Bestimmung kann jedoch auf die als differenzierend herausgestellten Fahrhandlungen eingegrenzt werden, beispielsweise in Form einer Fahrstudie. Methodik Parameteridentifikation Die im vorangegangenen Abschnitt theoretisch hergeleiteten Signaldomänen und Fahrhandlungen werden in [9] durch Experimente zur Differenzierung von dynamischen und komfortablen Fahrten untersucht. Darin wird die Schlussfolgerung, dass sowohl Signale der Fahrdynamik als auch der Fahrzeugbedienung zur Fahrerlebnisbewertung beitragen infolge der Trennschärfe identifizierter Parameter gestützt. Im Rahmen der beschriebenen Fahrstudie wurden in den vom mitfahrenden Versuchsleiter und Probanden als dynamisch bewerteten Fahrphasen häufiger Beschleunigungen oberhalb eines Grenzwerts verzeichnet. Hinsichtlich der Fahrzeugbedienung waren Unterschiede insbesondere in der Bewegung von Brems- und Gaspedal signifikant. Es traten zahlreichere, stärkere und schnellere Bremsvorgänge sowie kürzere, schnellere und intensivere Gasstöße bei dynamischer Fahrt auf. Die Lenkgeschwindigkeit stieg bei gleicher Strecke statistisch ebenfalls. Um Strecken hinsichtlich ihrer Fahrerlebnisqualität zu klassifizieren, ist infolgedessen auch die Lenkgeschwindigkeit als relevant anzunehmen. Zusammenfassend ergeben sich aus [9] die in Tabelle 2 gelisteten, signifikanten und in der jeweiligen Signaldomäne unabhängigen Parameter zur Identifikation von Fahrerlebnisstrecken. Bewertungsmetrik In den vorangegangenen Kapiteln wurde festgestellt, dass sowohl aus der ursächlichen Fahrzeugbedienung als auch dem dadurch bedingten Fahrzustand sensitive Kenngrößen zur Bewertung des Fahrerlebnisses abgeleitet werden können. Für diese Kenngrößen sind zur Anwendung in einem Modell konkrete Bewertungskriterien abzuleiten. Dabei ist wegen der kausalen Abhängigkeit von Fahrzeugbedienung und Fahrzeugzustand eine Gewichtung der beiden Domänen von untergeordneter Bedeutung. Sie wurden daher heuristisch festgelegt und in Versuchsfahrten durch den Abgleich von Modell- und Probandenurteil abgestimmt. Bereits in früheren Arbeiten wurden Kriterien zur Klassifizierung von komfort- und fahrspaßorientierten Fahrweisen zweckbezogen definiert und verwendet [10]. Übergreifend findet sich in der Literatur die Annahme einer analog zu [9] bestehenden Grenze eines akzeptierten Aktionsniveaus von Fahrern. Ab dieser zumeist fahrdynamisch definierten Akzeptanzschwelle werden höhere Aktionsniveaus als unkomfortabel empfunden und können einer anderen Fahrmotivation als dem Komfort, wie beispielsweise dem Fahrspaß, zugeordnet werden-[11]. Für die im Folgenden zur Ermittlung einer Bewertungsmetrik wiedergegebenen Ergebnisse der Proban- Fahrhandlung Anfahren Ein- / Ausparken Beschleunigen Rückwärts fahren / Wenden Schalten / Gänge wechseln Hindernis / Fahrzeug passieren Geschwindigkeit halten Kreuzung / Einmündung passieren Fahrspur halten / Straßenverlauf folgen Kolonne fahren / Fahrzeug folgen Verzögern / Abbremsen Abbiegen Anhalten / Stillstand Überholen Tabelle 1: Erlebnisrelevante Fahrhandlungen Bild 1: Heuristisches Modell zur Entstehung von Spaß und Komfort bei Handlungen [5] Fahrzeugzustand Fahrzeugbedienung Fahrdynamik - Querbeschleunigung - Längsbeschleunigung - Fahrzeuggeschwindigkeit Gaspedal - Gaspedalgeschwindigkeit - Gaspedalstellung - Betätigungsdauer des Gaspedals Bremspedal - Bremspedalgeschwindigkeit - Bremsdruck - Bremshäufigkeit Getriebe/ Fahrmodus - Motordrehzahl Tabelle 2: Identifizierte Fahrzeugsignale zur Bewertung fahrerlebnisrelevanter Fahrhandlungen Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 64 TECHNOLOGIE Wissenschaft denstudien [12] und [9] sei vermerkt, das statistische Kennwerte von dynamischen und komfortablen Fahrten mittels Zwei-Stichproben-t-Test geprüft und als signifikant bestätigt sind. Davon abgeleitete Grenzkriterien sind dementsprechend trennscharf. Hinsichtlich der Übertragbarkeit der Kriterien gilt einschränkend zu berücksichtigen, dass die Wahl des Fahrzeugs einen erheblichen Einfluss auf die Empfindung des Fahrers und damit die Ergebnisse der Studie hat. Dies wird anhand der Abweichungen der für einen Porsche Panamera von [12] und Porsche 911 von [9] ermittelten Parameter deutlich. - Fahrdynamische Akzeptanz Die Untersuchung fahrdynamischer Akzeptanzgrenzen erfolgte früh in [13, 14, 15], später in [16] und [17]. Bereits [13] geht von der Existenz einer querdynamischen Akzeptanzschwelle aus, welche aus dem Willen des Fahrers, im Falle eines plötzlich auftretenden Hindernisses gefahrlos ausweichen zu können, resultiert. Demnach hängt die querdynamische Akzeptanzschwelle von der Kurvengeschwindigkeit ab. In [14, 15] und [17] sind Untersuchungen bezüglich der maximalen Komfortbeschleunigung in Querrichtung durch Fahrstudien beschrieben. Darin findet sich ebenfalls eine im Alltagsverkehr in Abhängigkeit der Fahrzeuggeschwindigkeit v selten überschrittene querdynamische Grenze. Der Verlauf dieser Grenze wird von verschiedenen Autoren ähnlich zu der in [15] gegebenen Gleichung (1) für die Fahrzeugquerbeschleunigung a angegeben. â (qS) ( ) , , / ν ν ν = ⋅ ⋅ − 0 155 1 85 70 e km h (1) Eine Überschreitung des auch als querdynamische Komfort- oder Sicherheitsgrenze â (qS) bezeichneten Grenzwerts kennzeichnet im Umkehrschluss bewusst dynamische Fahrhandlungen. Als solches findet das Verhältnis der aktuellen Querbeschleunigung des betrachteten Fahrzeugs zur querdynamischen Akzeptanzgrenze als dominantes Bewertungskriterium im nachfolgenden Kapitel beschriebenen Signalmodell Verwendung. Mit einem zusätzlich eingeführten Faktor kann die Gleichung (1) auf die Stabilitätsgrenzen ähnlicher Fahrzeuge angepasst werden. Des Weiteren lässt sich aus [17] die zentrale Bedeutung der Längsdynamik, beschrieben durch die Fahrzeugbeschleunigung und -geschwindigkeit, für das Fahrerlebnis schlussfolgern. Die Fahrzeuggeschwindigkeit kann zudem sowohl zum Ausschluss innerstädtischen Verkehrs als auch zur Kennzeichnung von Strecken ohne Geschwindigkeitslimitierungen verwendet werden. - Haptische Aktivität Bei dynamischer Fahrt bremsen Fahrer deutlich häufiger, schneller und stärker als bei komfortabler Fahrt. Entsprechend dienen die in [9] und [12] ermittelten Perzentile für die Bremshäufigkeit, Bediengeschwindigkeit sowie der mittlere und maximale Bremsdruck als Kriterien der Fahrerlebnisbewertung. Analog erfolgt die Bewertung der Gaspedalbedienung anhand der Bediengeschwindigkeit, der Betätigungsdauer sowie der durchschnittlichen und maximalen Pedalstellung. Bei sehr kurzen Betätigungen von Bedienelementen wird das entsprechende Signal für einen Moment gehalten, um es im Signalmodell zu verarbeiten. Ähnliches gilt für die Kriterien der Lenkung. Aufgrund der höheren Kurvengeschwindigkeit ist die Lenkgeschwindigkeit bei dynamischer Fahrt höher. Um kurze Schwankungen, beispielsweise durch angedeutete Ausweichmanöver auf gerader Fahrbahn von der Berücksichtigung einer bewusst dynamischen Fahrweise auszuschließen, ist in diesem Zusammenhang zusätzlich ein Mindestlenkwinkel zur Bewertung als fahrerlebnisrelevante Fahrhandlung festgelegt. Zum Ausschluss von Rangierverkehr dient eine festgelegte Mindestgeschwindigkeit. Umsetzung Modellierung Auf Basis der oben hergeleiteten Bewertungsparameter wurde ein Modell zur automatischen Bewertung von Fahrerlebnismomenten entwickelt. Die Implementie- Bild 2: Signalmodell zur Bewertung sportlicher Fahrerlebnismomente Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 65 Wissenschaft TECHNOLOGIE rung erfolgte in MATLAB/ Simulink entsprechend dem in Bild 2 dargestellten Blockschaltbild. Die von den Bewertungsparametern abgeleiteten Kriterien sind im Block „Fahrerlebnisbewertung“ zusammengefasst. Bei der Implementierung wurde zudem die örtliche und zeitliche Referenzierung, die Kontinuität der Ausgangssignale sowie die allgemeine Verfügbarkeit verwendeter Signale in Kraftfahrzeugen berücksichtigt. - Fahrzeugdynamik Der Block „Fahrzeugdynamik“ (Bild 2) liefert bei einer Kombination starker Beschleunigungsvorgänge, hoher Geschwindigkeiten und Motordrehzahlen ein starkes Signal, welches das Fahren auf einer eine Fahrerlebnisstrecke kennzeichnet. Bild 3 beschreibt den Detailaufbau. Die Bewertungskriterien werden dabei gewichtet zu einer Signalsumme verarbeitet. Während die Beschleunigungen taktil, vestibulär und kinästhetisch auf stark auf Fahrzeuginsassen wirken, werden die Geschwindigkeit und die Motordrehzahl indirekt visuell sowie durch den Fahrzeugaufbau gedämpfte Geräusche und Vibrationen wahrgenommen. Besonders hohe Querbeschleunigungen sind in seltenen Fällen auf kritischen Fahrsituationen zurückzuführen, zeugen über längere Dauer jedoch von einer bewusst sportlichen Fahrweise unter Vernachlässigung anderer Fahrziele wie Fahrkomfort und Fahrkosten [11]. Auch Steigungen und Neigungen der Fahrbahn werden durch Beschleunigungen im Fahrzeug berücksichtigt. Der Einfluss niederfrequenter Störungen auf die Beschleunigungssignale wird durch ein PT1- Glied gemindert. - Fahreraktivität Das Fahreraktivitätsmaß fasst analog die Bewertungskriterien der Fahrzeugbedienung zusammen. Diese wurden für die vier wesentlichen Bedienelemente der Fahrzeugsteuerung gleich gewichtet. Wie beschrieben, können über die Lenkwinkelgeschwindigkeit besonders kurvenreiche Strecken gefunden werden. Zudem wurden die Bediengeschwindigkeiten von Gas und Bremse gemäß [9] in das Bewertungsmodell aufgenommen. In Abstimmungsfahrten wurde jedoch festgestellt, dass hohe Pedalgeschwindigkeiten vermehrt bei innerstädtischem Verkehr auftreten. Aufgrund der ebenfalls gefundenen Korrelation der Pedalgeschwindigkeit zur Pedalstellung außerhalb geschlossener Ortschaften konnte daher auf ersteren Parameter zur Fahrerlebnisbewertung verzichtet werden. Die gleichzeitige Betätigung der Pedale wird trotz der Bedeutungslosigkeit für die Fahrzeugdynamik als eine höhere Aktivität des Fahrers bewertet und dementsprechend im zugehörigen Modellteil gemäß Bild 4 verarbeitet. - Fahrgefühl Der den Blöcken Fahrzeugdynamik und Fahreraktivität in Bild 2 nachgeschaltete Bessel-Tiefpassfilter besitzt eine lineare Phase im Durchlassbereich sowie eine gesteigerte Flankensteilheit im Übergangsbereich. Während niederfrequente Störsignale somit unterdrückt werden, führen zeitliche Häufungen der gehaltenen Signale der Fahrzeugbedienung sowie längerfristige Grenzwertüberschreitungen zu einer hohen Bewertung der momentanen Fahrerlebnisqualität. Zur Entstehung län- Bild 3: Signalmodell zur Bewertung der Fahrzeugdynamik Bild 4: Signalmodell zur Bewertung der Fahreraktivität Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 66 TECHNOLOGIE Wissenschaft gerer, konsistenter Fahrphasen ist dem so gefilterten Bewertungssignal zudem ein Zweipunktregler nachgeschaltet. Erprobung Die Bewertungsparameter des in Bild 2 vorgestellten Fahrerlebnismodells wurden im vorigen Abschnitt in verschiedenen Fahrsituationen als relevant für das Fahrerlebnis identifiziert. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Bewertungsparameter nicht in jeder Fahrsituation gleichbedeutend sind. Auch die Gewichtung der teils korrelierenden Kriterien beruht auf heuristischen Annahmen. Zur Überprüfung des Modells ist es daher in verschiedenen Verkehrssituationen zu erproben. Die in Bild 5 markierte Strecke am Nordrand des Schwarzwalds diente als Versuchsstrecke. Im Rahmen einer Abschlussuntersuchung fuhren fünf Probanden navigiert durch einen mitfahrenden Versuchsleiter die Strecke entgegen dem Uhrzeigersinn. Die selbstberichtete, subjektive Einschätzung der Fahrerlebnisqualität seitens der Probanden wurde digital und anhand markanter Landmarken örtlich protokolliert. Das Ergebnis fasst der Graph in Bild 6 zusammen. Das arithmetische Mittel der Probandenbewertungen stimmt im Wesentlichen mit der Modellbewertung überein. Positiv fällt auf, dass Kreisverkehre und andere kurzweilige, dynamische Fahrsituationen, wie sie an Kreuzungen oder Autobahnauffahrten entstehen, nicht als Fahrerlebnis klassifiziert wurden. Hinsichtlich der Gestalt ausgewiesener Fahrerlebnisabschnitte gibt es jedoch Unterschiede zwischen der Modell- und Probandenbewertung. Die in Bild 6 gelb schraffierten Flächen kennzeichnen diese Stellen. So entstehen Lücken des Fahrerlebnissignals infolge dessen Digitalisierung. Andererseits werden Fahrerlebnisstrecken nach Abbiegungen vom Modell fortgeführt und brechen nicht abrupt ab. Beide Fälle können durch eine Datennachbereitung mithilfe der Abstände und Ausrichtung aufeinander folgender Fahrabschnitte korrigiert werden. Im Resultat entstünden durchgehende Fahrerlebnisstrecken, welche für die Visualisierung in Navigationsdiensten geeignet sind. Des Weiteren wurde ein Verzug bei den Serpentinen festgestellt, welcher aus der Filterdynamik resultiert. Dieser Effekt wird bei der außerhalb der Versuchsfahrt üblichen Aggregation von Fahrten aus beiden Richtungen kompensiert. Zusammenfassung Die dargestellte Arbeit umfasst die Entwicklung einer für die Automatisierung und Assistenz von Kraftfahrzeugen relevante Objektivierung des Fahrerlebnisses. Der beschriebene Ansatz über ein heuristisches Bewertungsverfahren nutzt ein verkehrspsychologisches Modell zur Identifikation relevanter Signaldomänen. In denen wurden entsprechende Parameter mithilfe referenzierter Studien identifiziert und gefundene Kriterien zu einem echtzeitfähigen Signalmodell verbunden. Die dabei verwendeten Gewichtungen zur Berechnung einer objektiven Fahrerlebnisqualität wurden abgestimmt und exemplarisch in eine Probandenstudie erprobt. Als Ausblick sei auf die in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen vorangetriebenen Bestrebungen zur Messung von Fahrgefühlen und Fahrstilen verwiesen. Auch das Fahrerlebnis stellt in diesem Rahmen eine für die Entwicklung einer Vielzahl von Fahrzeugsystemen wesentliche Einflussgröße dar. Alternativ zu dem gezeigten fahrzeugbezogenen Ansatz versuchen andere, das Fahrerlebnis mithilfe von Fahrerzustandsbeobachtungen zu objektivieren. Dabei werden beispielsweise Innenraumkameras zur Erfassung von Bewegungen, dem Blickverhalten sowie der Mimik des Fahrers verwendet [18]. Weitere Ansätze sind die Analyse akustischer und biometrischer Daten. Auch die Erweiterung um externe Signale, wie die Erkennung von Streckenobjekten, die Analyse des Fahrlinienverlaufs, weiterer Bedienelemente oder die Integration von Echtzeit- Verkehrsdaten stellen Ansatzpunkte dar. Aufgrund der Vielzahl möglicher Größen erscheint die Anwendung maschineller Lernmethoden als zielführend für weiterführende Arbeiten. Insgesamt zielen die genannten Ansätze darauf ab, den Umfang und die Genauigkeit der Metrik zur Fahrerlebnisbewertung zu erhöhen. Für eine entsprechende Umsetzung erscheinen naturalistische Fahrstudien ge- Bild 6: Vergleich der Fahrerlebnisbewertungen von Modell und Probanden Bild 5: Erprobungsstrecke zur Modellbewertung Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 67 Wissenschaft TECHNOLOGIE eignet. Durch die dabei anzustrebende Erweiterung des Studienumfangs ließen sich in Hinblick auf die vorgestellte Arbeit in erster Linie die identifizierten Parameter sowie deren Korrelationen und Abhängigkeiten präzisieren. ■ LITERATUR [1] Daimler AG, Pressemitteilung (2007): Emotionsforschung im Auto: Fahrspaß erstmals wissenschaftlich gemessen. https: / / media.daimler.com (aufgerufen am 20.09.2019) [2] Kuijt-Evers, L.; Groenesteijn, L.; de Looze, M.; Vink, P. (2004): Identifying factors of comfort in using hand tools. In: Applied Ergonomics [3] Zhang, L.; Helander, M.; Drury, C. (1996): Identifying factors of comfort and discomfort in sitting. In: Human Factors, Vol. 38, No. 3 [4] Renner, G.; Tischler, M. (2015): Ansatz zur Messung von positivem Fahrerleben. Die Messung von Fahrspaß und Ableitungen für die Fahrzeuggestaltung. Fahrer im 21. Jahrhundert - Human Machine Interface. VDI-Verlag GmbH, Düsseldorf [5] Engeln, A.; Engelbrecht, A.; Kieninger, C. (2008): Joy and convenience of driving. 4th International Congress of Traffic and Transport Psychology, Washington D.C. [6] Nagel, H. (1994): A Vision of „Vision and Language“ Comprises Action: An Example From Road Traffic. In: Artificial Intelligence Rev. 8 [7] Fastenmeier, W.; Gstalter, H. (2003): Entwicklung und Anwendung einer neuen Methodik zur Fahraufgabenanalyse. VDI-Berichte 1768, VDI-Verlag, Düsseldorf [8] Engelbrecht, A.(2013): Fahrkomfort und Fahrspaß bei Einsatz von Fahrerassistenzsystemen. Dissertation, Humboldt Universität zu Berlin [9] Höfer, M. (2015): Fahrerzustandsadaptive Assistenzfunktion. Dissertation, Universität Stuttgart [10] Kedar-Dongarkar, G.; Das, M. (2012): Driver Classification for Optimization of Energy Usage in a Vehicle. Procedia Computer Science, St. Louis [11] Salzmann, F.; Doubek, F. (2020): Modell zur Objektivierung von Fahrstil und Fahrkompetenz. In: Zeitschrift für Verkehrssicherheit, Heft 3, S. 165-171 [12] Lewandowitz, L. (2011): Markenspezifische Auswahl, Parametrierung und Gestaltung der Produktgruppe Fahrerassistenzsysteme. Dissertation, Karlsruher Institut für Technologie [13] Burckhardt, M. (1977): Fahrer, Fahrzeug, Verkehrsfluss und Verkehrssicherheit. In: Der Verkehrsunfall, Heft 2, S. 25 ff. [14] Schimmelpfennig, K.-H.; Hebing, N. (1982): Geschwindigkeit bei kreisförmiger Kurvenfahrt - Stabilitäts- und Sicherheitsgrenze. Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, Vieweg- Verlag, Wiesbaden [15] Schimmelpfennig, K.-H.; Nackenhorst, U.(1985): Bedeutung der Querbeschleunigung in der Verkehrsunfallrekonstruktion - Sicherheitsgrenze des Normalfahrers. Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, Vieweg-Verlag, Wiesbaden [16] Nickel, M.; Hugemann, W. (2003): Längs und Querbeschleunigungen im Alltagsverkehr. 12. EVU-Jahrestagung [17] Wegscheider, M.; Prokop, G. (2005): Modellbasierte Komfortbewertung von Fahrerassistenzsystemen. Erprobung und Simulation in der Fahrzeugentwicklung. VDI-Berichte, VDI-Verlag, Düsseldorf [18] Ekman, P.; Friesen, W.; Hager, J. (2002): Facial Action Coding System. Network Information Research Corporation, Salt Lake City Falk Salzmann, Dipl.-Ing. Doktorand, Technische Universität Dresden falk.salzmann@tu-dresden.de Eduard Schulz, Dipl.-Ing. (FH) Drive Apps, Porsche AG eduard.schulz@porsche.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 68 TECHNOLOGIE Wissenschaft Voraussetzungen für-zukünftige Mobilitätstechnologien Interdisziplinäre Analyse der Transformation zukünftiger Mobilitätstechnologien in Stadt und Land Interdisziplinäre Mobilitätsforschung, Zukünftige Mobilitätstechnologien, Delphi-Studie Um ein nachhaltiges und innovatives Mobilitätssystem zu gestalten, müssen geeignete Mobilitätstechnologien identifiziert und bewertet werden. In der vorgestellten Untersuchung werden die inter- und transdisziplinären Kompetenzen des Forschungskollegs ACCESS! der RWTH Aachen University genutzt. Mittels der Befragung von Experten aus verschiedenen Disziplinen wurden mögliche Transformationspfade sowie Bedingungen für eine erfolgreiche nationale Umsetzung identifiziert und graphisch dargestellt, um Verkehrsgestalter bei der Entwicklung von Mobilitätsstrategien zu unterstützen. Michael Husemann, Julia Streitz D ie Erarbeitung und Umsetzung neuer, zukünftiger Mobilitätskonzepte stellt eine Herausforderung mit großer gesellschaftlicher Tragweite dar und bedarf der Einbindung eines breiten Spektrums von Fachdisziplinen. Solche Konzepte sollen nicht nur gesellschaftlichen Anforderungen genügen, sie müssen auch die von der Politik zunehmend schärfer formulierten Umweltauflagen erfüllen. Das Zusammenspiel aus sozial-gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Faktoren wird als Nachhaltigkeit definiert und soll einen Kompromiss aus der Nutzung begrenzter Ressourcen sowie der daraus gewonnenen (Transport-) Leistung finden [1]. Zur Etablierung dieser Zielsetzungen trägt neben einer effizienten Planung auch der Einsatz moderner Technologien bei, die beide in Kombination einen möglichst hohen Gesamtnutzen realisieren. Bei der Konzeptionierung neuer Mobilitätssysteme sollte der Fokus nicht nur auf die Fortentwicklung bereits bekannter Technologieansätze, sondern auch auf die Entwicklung neuer und ggf. unkonventioneller Mobilitätsansätze gerichtet werden. Hierfür relevant sind neben praktikablen und effizienten Antriebskonzepten wie zum Beispiel Elektromotoren und Brennstoffzellen auch ganzheitliche Lösungen, die ein intermodales Transportnetz und somit nutzbringende Mobilitätsangebote gestatten. Demnach ist für die Realisierung eines zukunftsfähigen und effizienten Transportsystems eine Identifizierung von potentiellen Mobilitätstechnologien erforderlich. Für eine erste Einschätzung benötigter Technologien führte das Forschungskolleg ACCESS! [2] der RWTH Aachen University eine Delphi-Studie mit Experten 1 aus relevanten Fachbereichen durch. Die Studienergebnisse wurden anschließend in Form einer Dringlichkeit-Relevanz-Matrix für zukünftige Mobilitätstechnologien zusammengefasst dargestellt. Das Forschungskolleg Gemeinsam mit elf Lehrstühlen und Instituten verschiedener Fachdisziplinen der RWTH Aachen University bezweckt das Forschungskolleg ACCESS! die Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen an Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Bürger auf dem Weg zur Beantwortung der Leitfrage: „Welche Mobilität werden wir uns zukünftig leisten? “. Hierzu erfolgt die Untersuchung zukünftiger technischer und infrastruktureller Optionen („Welche Mobilität können wir uns leisten? “) sowie individueller Mobilitätsbedarfe von Nachfragern und Anbietern („Welche Mobilität wollen wir uns leisten? “) mit gesellschaftlichen Ansprüchen („Welche Mobilität müssen wir uns leisten? “) und globalen, nationalen und lokalen Umweltzielen („Welche Mobilität dürfen wir uns leisten? “). Über zwei Praxisprojekte wird den Herausforderungen in Großstädten (Metropole Ruhr) ebenso Rechnung getragen wie dem ländlichen Raum (Kreis Heinsberg). Für eine erfolgreiche Umsetzung des Projektziels- werden Forschungsergebnisse sowie zentrale Erkenntnisse fortlaufend beteiligten transdisziplinären Partnern, wie gesellschaftlichen Anspruchsgruppen, Verkehrsverbänden und Mobilitätsdienstleistern, vorgestellt. Methodisches Vorgehen und Aufbau der-Studie Um die oben beschriebenen Fragestellungen zu analysieren, wurde eine „Mixed-Methods“-Studie durchgeführt: PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 04.09.2020 Endfassung: 21.10.2020 Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 69 Wissenschaft TECHNOLOGIE Zu Beginn der Studie wurden drei Themenschwerpunkte auf Grundlage der im Kolleg vertretenen Fachbereiche getroffen: Lufttaxi-Transportsysteme, Antriebe für den städtischen Verkehr und nachhaltige und innovative Mobilität im ländlichen Raum (der Fokus dieses Berichtes wird auf den ersten beiden Schwerpunkten liegen). Es folgten zwei telefonische qualitative Experteninterviews, um je Schwerpunkt ein Szenario zu formulieren. Diese dienten als Grundlage für das weitere iterativen Verfahren zur anonymen Ermittlung der Expertenurteile, das sich an dem Delphi-Verfahren [2] orientiert. In einem Online-Fragebogen wurden vollstrukturierte schriftliche (quantitativ) und halbstrukturierte schriftliche (qualitative) Fragen verknüpft. Das Erkenntnisinteresse ist sowohl explorativ als auch explanativ [4]. Ziel der ersten Befragung war es, eine Einschätzung der Experten zum Realitätsgrad der zuvor aufgestellten Szenarien sowie eine Auflistung von Voraussetzungen zu erhalten, die erfüllt sein müssen, um die Szenarioziele erreichen zu können. An dieser Befragung nahmen 33 Experten teil. Nach einer Aufbereitung der Ergebnisse wurde erneut ein Fragebogen erstellt, der unter anderem quantitativ die Relevanz (4er-Skala: „ist gar nicht relevant“ bis „ist sehr relevant“) und Dringlichkeit (4er-Skala: „sofort (weniger als fünf Jahre), mittelfristig (in fünf bis zehn Jahren), mittelfristig (in zehn bis20 Jahren) und langfristig (mehr als 20 Jahre)) der formulierten Voraussetzungen abfragt. Dieser zweite Fragebogen richtete sich an dieselbe Expertengruppe wie in der ersten Befragungsrunde, wobei insgesamt 19 Experten teilnahmen. Auf Grundlage dieser Einschätzungen wurde eine Transformationsmatrix erstellt, die die Relevanz über die Dringlichkeit analog zu den Skalen des Fragebogens aufträgt und somit mögliche Umsetzungspfade aufzeigt. Zu Beginn beider Befragungsrunden wurde eine Einschätzung der eigenen Kompetenzen auf einer 5er-Skala („keine Kompetenz“ bis „sehr hohe Kompetenz“) erhoben. Damit soll ermöglicht werden, die späteren Ergebnisse in einen fachlichen Kontext zu setzen und Antworten von ggf. weniger fachlich geeigneten Experten filtern zu können. Es wurden folgende Kompetenzbereiche abgefragt: • Luftfahrt (K1) • ÖPNV (K2) • Energieversorgung und -verteilung (K3) • (Bio-)Kraftstoffe und alternative Antriebe (z. B. Elektromobilität, Brennstoffzellen) (K4) • Soziodemographie (K5) • Fahrrad- und Pedelec-Verkehr (K6) • Raum-, Regional- und Stadtentwicklung (K7) • (Zukünftige) Mobilitätskonzepte (z.B. autonomes Fahren) (K8) • Emissionen, Umweltbewertung und Life Cycle ssessment (K9) Im Folgenden werden einige ausgewählte Punkte diskutiert. Auswertung der Studienergebnisse Teilgenommen haben Experten verschiedener Disziplinen und Fachbereiche, wobei es sich um eine nicht repräsentative Stichprobe handelt. In Bild 1 wird die absolute Häufigkeitsverteilung der einzelnen Fachbereiche dargestellt. Insgesamt fällt eine Häufung aus dem soziologischen und umwelttechnischen Bereich auf. Die Teilnehmer zeichneten sich durch einen hohen Bildungsabschluss (Master, Diplom, Magister oder höher) aus. Szenario 1: Lufttaxi-Transportsysteme Das entwickelte Szenario beschreibt ein Lufttaxi-Personentransportsystem als zusätzliche Alternative zu konventionellen Transportkonzepten. Hierzu wird von einer rein innerstädtischen Nutzung senkrechtstartender Lufttaxis ausgegangen. Als Antrieb wird ein Elektromotor vorausgesetzt. Das autonom fliegende Lufttaxi bietet Platz für vier Passagiere und verfügt über eine Reichweite von ca. 50 km. Im Folgenden werden ausschließlich solche Datensätze berücksichtigt, bei denen die von den Experten selbsteingeschätzten Kompetenzen K1, K2 oder K4 höher oder gleich 60 % lagen. Im Durchschnitt schätzten die Experten die Eintrittswahrscheinlichkeit des beschriebenen Szenarios in der ersten Befragungsrunde auf 45 % und in der zweiten Befragungsrunde auf 35 % ein. Als Umsetzungszeitraum wurde zunächst im Durchschnitt das Jahr 2037, anschließend 2040 angegeben. Eine weitere statistische Auswertung wurde hier nicht vorgenommen, da die Änderungen nur in kleinem Ausmaß auftraten. Es könnte jedoch darauf schließen lassen, dass nach Einschätzung der Experten von einem unrealistischeren bzw. einer erschwerten Einführung eines solchen Transportsystems ausgegangen. Zudem wurden die Experten nach Voraussetzungen befragt, die aktuell fehlen, um dieses Szenario erfolgreich umzusetzen. In Bild 2 sind die in diesem Szenario betrachteten Voraussetzungen in der oben beschriebenen Matrix dargestellt. Die einzelnen Punkte ergeben sich jeweils aus dem Durchschnitt der Angaben. Die in Bild 2 aufgeführten Voraussetzungen wurden von den Teilnehmern alle als relevant oder sehr relevant eingeschätzt, doch lässt sich bezüglich der Dringlichkeit der Umsetzung eine Streuung feststellen. Sicherheitsrelevante Aspekte, beispielsweise die Sicherheit der Passagie- IT Bild 1: Aufteilung der vertretenden Disziplinen und Fachbereiche unter Angabe der absoluten Häufigkeitsverteilung Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 70 TECHNOLOGIE Wissenschaft re oder unbeteiligter Passanten, werden als äußerst dringlich eingeschätzt und sollten demnach bei Einführung eines Lufttaxi-Transportsystems möglichst frühzeitig umgesetzt bzw. sichergestellt werden. Damit einhergehend wird auch die Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit als Voraussetzung einer ausreichenden Akzeptanz für wichtig erachtet. Weniger dringlich scheinen Faktoren wie akzeptable Ticketpreise oder ausreichende Transportkapazitäten zu sein. So könnte zunächst ein spezifischer Einsatz von urbanen Lufttaxis und eine exklusive Nutzung weniger Passagiergruppen vorgenommen werden. Die Antworten der Teilnehmer lassen eine eher misstrauische Nutzung und Umsetzung eines Lufttaxi-Transportsystems erkennen. Aus einigen weiteren Freitext- Kommentaren geht hervor, dass ein Teil der Experten die Idee grundsätzlich für unausgewogen und wenig sinnvoll hält. Andere betonen hingegen den noch ausstehenden Forschungsbedarf. Szenario 2: Antriebe für den städtischen Verkehr In diesem Szenario wird eine durch Elektromobilität (batterieelektrische und Brennstoffzellen-Fahrzeuge) emissionsreduzierte städtische Mobilität beschrieben. Der Fokus wurde auf den Personentransport gelegt. Relevante Meilensteine dafür sind der flächendeckende Infrastrukturausbau von Ladesäulen und Wasserstofftankstellen, ein Verbot von Verbrennungsmotoren nach einem Übergangszeitraum und der Einsatz von automatisiert fahrenden Carsharing-Flotten. Der dafür notwendige Strom wird vollständig aus erneuerbaren Energien gewonnen und kann über eine Kombination aus Batteriespeichern und chemischen Energieträgern (z. B. Wasserstoff) gespeichert werden. Biokraftstoffkapazitäten können somit im Flug- oder Schiffsverkehr eingesetzt werden. Im Folgenden werden nur solche Datensätze berücksichtigt, bei denen die von den teilnehmenden Experten eingeschätzten Kompetenzen K3 oder K4 höher oder gleich 60 % lagen. In der ersten Befragungsrunde schätzten die Experten die Eintrittswahrscheinlichkeit des beschriebenen Szenarios durchschnittlich auf 64 % sowie 2040 als möglichen Umsetzungszeitraum ein. In der zweiten Befragung erhöhte sich die Eintrittswahrscheinlichkeit auf 71 % und als Umsetzungszeitraum wurde durchschnittlich 2037 genannt. Im Vergleich zur ersten Befragungsgrunde verschob sich die Einschätzung der Experten demnach zu einem etwas früheren und wahrscheinlicheren Eintreten. Da die Änderung nur in kleinem Ausmaß auftrat, wurde auch hier keine weitere statistische Auswertung vorgenommen. Im Gegensatz zum ersten Szenario könnte dies jedoch auf eine optimistischere Einschätzung der Experten hindeuten. In Bild 3 sind die untersuchten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung dargestellt. Zur besseren Übersicht wurden diese thematisch unterteilt in technische (schwarz) und gesellschaftliche Voraussetzungen (rot). Die einzelnen Punkte ergeben sich jeweils aus dem Durchschnitt der Angaben. Es fällt auf, dass keine der genannten Voraussetzungen als dringend, also mit einer erforderlichen, sofortigen Umsetzung eingeschätzt wurde. Hier könnte eine weitere Untersuchung Aufschluss über die Gründe liefern: Sind Experten beispielsweise der Meinung, dass die Entwicklung aktuell in die richtige Richtung läuft? Sind bereits genügend Maßnahmen für die kommenden fünf Jahre umgesetzt oder wurde ggf. sogar berücksichtigt, ob eine kurzfristige Umsetzung realistisch ist? Die technischen Voraussetzungen wurden insgesamt mit einer niedrigeren Dringlichkeit als die gesellschaftlichen Aspekte bewertet. Bis auf die Punkte 7 und 12 wurden alle Voraussetzungen in die mittelfristige Dinglichkeitskategorie eingeordnet. Alle anderen genannten Technologien scheinen somit dringlicher als die Fahrzeugtechnologie, die für autonomes Fahren benötigt wird. Besonders dringlich wurde der politische Wille, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, eingeschätzt. Dieser wiederum würde die Umsetzung der anderen Aspekte erleichtern bzw. beschleunigen können. Bei allen Aspekten lag die Standardabweichung unter 1, bei Punkt 14 leicht darüber (1,033). Insgesamt wurden alle Voraussetzungen mit einer hohen bis sogar sehr hohen Relevanz eingeschätzt. Dabei lagen die Standardabweichungen (Quadratwurzel der Varianz) um das arithmetische Mittel überall unter 1; die Experten gaben also sehr ähnliche Einschätzungen ab. Insgesamt waren die Abweichungen bei den gesellschaftlichen Voraussetzungen sowohl bei der Dringlichkeit als auch der Relevanz etwas höher. Dies könnte sich auf die unterschiedlichen fachlichen Expertisen der Experten zurückführen lassen. Bild 2: Voraussetzungen für die Umsetzung von Szenario 1 1 Sicherheit von Passagieren 2 Sicherheit von Anwohnern und Passanten 3 Lärmbelästigung 4 Missachtung der Privatsphäre von Unbeteiligten 5 tragfähige Geschäftsmodelle 6 akzeptable Ticketpreise 7 Antriebseffizienz steigern 8 Öffentlichkeitsarbeit für eine hohe Akzeptanz 9 Überzeugungsarbeit gegen Misstrauen leisten 10 intelligente Flugführung (Effizienzsteigerung) 11 intelligente Flugführung (Sicherheitsniveau) 12 intelligente Flugführung (Vermeidung eines „schwarzen Himmels“) 13 Bereitschaft für technische Neuerungen 14 Platzierung der Terminals für eine gute Erreichbarkeit und Zugang 15 Transportkapazitäten erhöhen Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 71 Wissenschaft TECHNOLOGIE Diskussion und Ausblick Das methodische Vorgehen erlaubte die individuelle Abfrage der Expertenmeinungen aus verschiedenen Fachbereichen. Jedoch müssen folgende Defizite bei der Betrachtung der Ergebnisse berücksichtigt werden: Da die Teilnehmerzahl gering ist, sind statistische Auswertungen wie in den vorgestellten Matrizen eher als qualitative Betrachtung zu verstehen. Insbesondere die geringen Abweichungen und das Fehlen von Extrema zwischen den Datenpunkten machen eine detaillierte Auswertung schwierig. In der zweiten Befragungsrunde wurde dieselbe Expertengruppe um Teilnahme gebeten. Durch die Anonymisierung der Antworten ist nicht im Detail nachvollziehbar, ob die gleichen Experten erneut teilgenommen haben. Wie Bild 1 zeigt, ist eine leichte Verschiebung des thematischen Schwerpunktes der Gruppe aufgetreten. Das Ziel dieses Projekts war die Identifizierung potentieller Defizite heutiger Mobilitätssysteme sowie die Entwicklung eines Transformationspfades für zukünftige Mobilitätskonzepte in Abhängigkeit systemrelevanter Anforderungen und Barrieren. Die Auswertung der Expertenbeiträge beider Befragungsrunden (vgl. Bild 2 und Bild 3) zeigen eine Matrix aus Dringlichkeit und Relevanz zur Gestaltung eines innovativen und somit nachhaltigen Mobilitätssystems in urbanen Anwendungsfeldern. Modernen Technologien wie dem Elektroantrieb oder der Brennstoffzelle stehen die meisten Experten offen gegenüber. Dem innovativen Mobilitätssystem Lufttaxi wird dagegen überwiegend Skepsis entgegengebracht. Im Wesentlichen können folgende allgemeine Erkenntnisse aus der Expertenbefragung gezogen werden, die als Handlungsempfehlungen für Politik und Gesellschaft verstanden werden können: • Technologischer Fortschritt ist ein wesentlicher Baustein zur erfolgreichen Umsetzung zukünftiger Mobilitätskonzepte und somit zur Erreichung gesetzter Ziele. • Dem Konzept eines Lufttransportes in urbanen Einsatzgebieten, beispielsweise in Form von Lufttaxis, wird als weniger erfolgsversprechend erachtet. Gleichzeitig werden Sicherheitsbedenken erkenntlich. • Für eine erfolgreiche Umsetzung müssen alle genannten Voraussetzungen weiter beachtet und erforscht werden. • Die für die Konzeptumsetzung erforderliche technische Entwicklung scheint auf einem guten Weg zu sein, muss jedoch kontinuierlich vorangetrieben werden. (Politische) Entscheidungsträger sollten ihren Fokus mehr auf gesellschaftliche Barrieren legen, wie z. B. Preisgestaltung, rechtliche Bevorzugung von erneuerbaren Alternativen gegenüber fossilen Energieträgern. ■ Die Autoren sind Teil des Forschungskollegs „ACCESS! “, gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. 1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Artikel die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung. LITERATUR [1] Intergovernmental Panel on Climate Change (1992): Climate Change. The 1990 and 1992 IPCC Assessments. Canada, 1992 [2] Walther, G.: Forschungskolleg ACCESS! . www.accessnrw.rwth-aachen.de (Aufruf: Mai-2020) [3] Niederberger, M.; Renn, O. (2018): Das klassische Delphi-Verfahren: Konzept und Vorgehensweise, Wiesbaden: Springer VS [4] Döring, N.; Bortz, J. (2016): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften- Berlin, Heidelberg: Springer Bild 3: Voraussetzungen für die Umsetzung von Szenario 2 Michael Husemann Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Luft- und Raumfahrtsysteme, RWTH Aachen husemann@ilr.rwth-aachen.de Julia Streitz Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehr- und Forschungsgebiet Technologie der Energierohstoffe, RWTH Aachen streitz@teer.rwth-aachen.de 1 Fflächendeckende Ladeinfrastruktur (allgemein) 2 flächendeckende Ladeinfrastruktur (Fokus Elektromobilität) 3 flächendeckende Ladeinfrastruktur (Fokus Wasserstoffmobilität) 4 ausreichende Versorgung mit erneuerbarer Energie (Strom, Wasserstoff) 5 große Speichermöglichkeiten für erneuerbare Energien 6 sichere Fahrzeugtechnologien (Serienreife von Brennstoffzellen) 7 sichere Fahrzeugtechnologien (autonome Verkehrssysteme) 8 energiereiche Biokraftstoffe für Flugverkehr 9 energiereiche Biokraftstoffe für Schiffsverkehr 10 Umrüstbarkeit vorhandener Schiffs- und Flugzeugflotten auf Biokraftstoffe 11 flächendeckender Ausbau von sicheren Kommunikationswegen mit ausreichend Bandbreite 12 politischer Wille, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen 13 Verbote/ Versteuerung fossiler Energien 14 politische Unabhängigkeit von Produzenten fossiler Energieträger 15 weltweite Regulierung 16 Subventionierung der Kraftstoffarten (Biokraftstoffe) analog zu heutiger Kerosinsubventionierung 17 Möglichkeiten zum Nachhaltigkeitsnachweis von Kraftstoffen/ Antrieben 18 preiswerte erneuerbare Energien 19 preiswerte „grüne“ Antriebe 20 vor allem Ausbau von Sonnen- und Windenergie, da diese ökonomisch am sinnvollsten sind Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 72 FORUM Veranstaltungen | Bücher InnoTrans auf 2022 verschoben Vorschau: InnoTrans, 20.-23.09.2022, Berlin (DE) A ngesichts der dynamischen Lage rund um die Corona-Pandemie und der damit verbundenen mangelnden Planungssicherheit wurde die InnoTrans auf 2022 verlegt. Ursprünglich war April 2021 als Ausweichtermin vorgesehen. Dazu Dr. Christian Göke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Berlin: „Angesichts der Pandemielage kann aktuell niemand ausreichend sicher sagen, ob die Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die Nutzung unseres Gleisgeländes, im April 2021 die Durchführung einer internationalen Leitveranstaltung wie der InnoTrans zulassen.“ Die Präsentation neuer Züge auf rund 3.000 Gleismetern ist ein Alleinstellungsmerkmale der InnoTrans und entscheidend für Qualität und Charakter der Veranstaltung. Die nächste InnoTrans findet daher zum nächsten regulären Turnustermin vom 20. bis 23. September 2022 statt. In der Zwischenzeit, vom 9. bis 11. November 2021, findet zum zweiten Mal nach 2019 die Mobility Electronics Suppliers Expo MES auf dem Berliner Messegelände statt. Das verkehrssystemübergreifende Konzept dieser internationalen Fachmesse für die Elektronikzuliefererindustrie der Mobilitätsbranche bietet Ausstellern und Fachbesuchern aus den Bereichen Schiene, Nutzfahrzeuge und Automotive eine intermodale Plattform für einen interdisziplinären und globalen Austausch. Das Rahmenprogramm der B2B-Veranstaltung wird von VDB, DVF, ZVEI sowie der Deutschen Bahn gestaltet. www.innotrans.de | www.mobility-electronics.de Halten, Parken, Abschleppen Berr / Schäpe / Müller / Rebler Das Recht des ruhenden Verkehrs 3. Auflage, 2020 XXXII, 625 S., kartoniert EUR 89,00 ISBN 978-3-406-66591-2 D as Werk macht die vielschichtige Rechtslage beim Halten, Parken und Abschleppen transparent. Es behandelt alle einschlägigen Vorschriften, wertet die in Einzelfragen oft widersprüchliche Judikatur aus und komplettiert die Darstellung durch Anhänge mit Bestimmungen, Richtlinien und Erlassen zum Halten und Parken. Im Vergleich zur vorigen Auflage hat sich die Parksituation grundlegend geändert. Dies hat der Verordnungsgeber gerade auch in jüngster Zeit zum Anlass genommen, um mit Parksonderrechten und „Privilegien“ auf das Verkehrsverhalten Einfluss zu nehmen. Zu nennen seien hier etwa Parkvorrechte für Elektroautos oder Carsharing-Fahrzeuge. Darüber hinaus hat sich das „Gesicht“ der StVO durch deren Neuerlass im Jahre 2013 komplett verändert. Durch die 20. Verordnung zur Änderung der StVO Anfang 2020 sind weitere erhebliche Änderungen hinzugekommen. Dies alles ist in diesem Band vollständig berücksichtigt. Er bietet somit klare Antworten und praxistaugliche Lösungen auf aktueller Grundlage: Berücksichtigt sind Rechtsprechung und Literatur bis einschließlich Februar 2020. Das Werk wendet sich an Verkehrsrechtsanwälte, Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte und Bedienstete der Ordnungsbehörden. www.chbeck.de Mit Sauthoff auf der Überholspur Michael Sauthoff Öffentliche Straßen Straßenrecht - Straßenverkehrsrecht - Verkehrssicherungspflichten 3., völlig überarbeitete Auflage. 2020 NJW Praxis, Band 32; 664 S., Softcover EUR 99,00 ISBN 978-3-406-69103-4 D as Straßenrecht ist eine komplexe Rechtsmaterie, die sich aus zahlreichen Vorschriften des Bundes-, Landes- und Kommunalrechts zusammensetzt. Dabei ist die praktische Bedeutung des Rechts der öffentlichen Straßen groß: Das Konfliktpotential erstreckt sich auf ihre Planung, Widmung und Nutzung, aber auch auf ihre Finanzierung, auf Verkehrssicherungs- und Reinigungspflichten etc. Durch die konsequente Auswertung vieler Quellen, vor allem der Rechtsprechung, ist das Werk ein reicher Fundus für die vielfältigen Probleme des Straßenrechts. Die 3. Auflage berücksichtigt insbesondere die Änderungen der Straßenverkehrsordnung zum 28. April 2020 sowie die aktuelle Rechtsprechung zu den Verkehrssicherungspflichten. Prof. Dr. Michael Sauthoff, Präsident a.D. des OVG und des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern, war als Richter viele Jahre mit dem Straßenrecht betraut. Er ist ein gefragter Autor und Referent im Öffentlichen Recht. www.chbeck.de IT-Trans soll stattfinden - hybrid Vorschau: IT-Trans, 01.-03.12.2020, Karlsruhe (DE) V on Bedarfsverkehren über Auslastungsprognose bis Mobile Commerce: Der Wandel der Mobilität ist stetig und wird aktuell durch die Corona-Pandemie stark beschleunigt. Kongress und Fachmesse sollen jedoch - so der Stand zum Redaktionsschluss - hybrid, das heißt sowohl vor Ort mit behördlich genehmigtem Sicherheits- und Hygienekonzept als auch digital abgehalten werden. Die IT-Trans-Konferenz wurde um zwei Sessions erweitert, die sich explizit den Herausforderungen des öffentlichen Personenverkehrs während und nach Covid-19 widmen. Smarte Software unterstützt Verkehrsbetriebe und Mobilitätsdienstleister bei diesen Veränderungen. Die Möglichkeiten reichen von Automatisierung und Elektrifizierung der Fahrzeugflotte über den Einsatz von Ride-Pooling und On-demand-Angeboten bis hin zur Nutzung von Echtzeitdaten zur Fahrgastinformation und -prognose sowie Reparatur- und Wartungsplanung. Auch bei der Wiederherstellung des Vertrauens der Fahrgäste oder der Kontrolle der Maskenpflicht können digitale Tools helfen. Verkehrsbetriebe aus verschiedenen Kontinenten beschreiben in Fallstudien ihren Umgang mit der Pandemie und erläutern ergriffene Maßnahmen wie veränderte Zahlungsmethoden, Videoüberwachung, Überfüllungs-Warnsysteme und flexible Disposition. Zahlreiche der 37 Sessions werden live gestreamt bzw. virtuell zur Verfügung stehen. www.it-trans.org Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 73 Erscheint im 72. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag und Redaktion Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 57 vom 01.01.2020 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr mit International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Jahres-Bezugsgebühren Inland: Print EUR 212,00 / eJournal EUR 202,00 (inkl. MWSt.) Ausland: Print EUR 217,00 / eJournal EUR 207,00 (exkl. VAT) Einzelheft: EUR 37,00 (inkl. MWSt.) + Versand Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print-Ausgabe oder eJournal mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Qubus Media GmbH, Hannover Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Vasco-da-Gama-Brücke, Lissabon | Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 IMPRESSUM | GREMIEN Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Strategische Planung und Koordination, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Sebastian Belz Dipl.-Ing., Generalsekretär EPTS Foundation; Geschäftsführer econex verkehrsconsult GmbH, Wuppertal Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Florian Eck Dr., Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Geschäftsführer, traffiQ, Frankfurt am Main (DE) Ottmar Gast Dr., Vorsitzender des Beirats der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender der Logistik- Initiative Hamburg (LIHH), Mitglied des Aufsichtsrats der Otto Group Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Detlef Zukunft Dr., Programmdirektion Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Köln Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 74 Liebe Leserinnen und Leser, nun rollt die „zweite Welle“ doch: Durch Covid-19 wird Homeoffice zur Normalität. Die Pandemie wirkt sich auch auf den Sehnsuchtsort Stadt aus, der als „Hotspot“ zusehends seine Anziehungskraft verliert. Landflucht war gestern - rurales Leben und Arbeiten gewinnt an Reiz. Doch auch auf dem Land wollen Menschen klimabewusst und dabei komfortabel mit Bus und Bahn und Muskelkraft unterwegs sein. Die Beiträge in der vorliegenden Ausgabe zeigen Herausforderungen und Chancen ganz deutlich. Die Suche nach praktikablen Lösungen nimmt weiter Fahrt auf, und wir werden das Thema in der kommenden Februar-Ausgabe 1/ 2021 mit der Frage Krise als Chance? aufgreifen: Wie wirkt sich der Druck auf den Öffentlichen Verkehr aus? Was bedeuten diese Entwicklungen für globale wie regionale Transportketten - und welche Rolle können digitale Geschäftsmodelle wirklich dabei spielen? Auch International Transportation soll mit Changing the Game solche innovativen Lösungsansätze aufgreifen. Das englische Special ist wieder Bestandteil der nächsten Ausgabe, die am 17. Februar erscheinen wird. Und Sie sind herzlich eingeladen, Ihr Expertenwissen mit unseren Lesern zu teilen. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter TERMINE + VERANSTALTUNGEN VORSCHAU | TERMINE Was, wann wo ...? Weiterhin ist unklar, welche angekündigten oder pandemiebedingt verschobenen Termine in den kommenden Monaten wirklich stattfinden können. Daher finden Sie eine laufend aktualisierte Terminübersicht derzeit nur auf der Webseite: www. internationales-verkehrswesen.de Foto: Pexels / pixabay Meine/ Unsere Daten: Herr Frau Firma/ ... Titel, Vorname, Name Firma/ ... Abteilung Straße + Nr. PLZ, Ort, Land Telefon Telefax E-Mail-Adresse Umsatzsteuer-ID-Nr. (sofern vorhanden) Ihr Bestellzeichen (sofern vorhanden) Das Widerrufsrecht (s.rechts) habe ich zur Kenntnis genommen. Die AGB als Vertragsbestandteil habe ich gelesen und akzeptiert. Sie können beim Verlag angefordert oder unter www.trialog-publishers.de als PDF heruntergeladen werden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« mit »International Transportation« erscheint bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de ... und keine Ausgabe verpassen! Ich wähle: JahresAbo als gedruckte Ausgabe inkl. Online-Archiv Inland, Jahresbezugspreis EUR 212,- (inkl. MwSt. und Versand) Ausland, Jahresbezugspreis EUR 217,- (mit VAT-Nr. exkl. MwSt., inkl. Versand) WIDERRUFSRECHT (s. § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Vertrag kann unter den in der Widerrufsbelehrung angegebenen Voraussetzungen innerhalb von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail, www.trialog-publishers.de/ Widerrufsformular.pdf) widerrufen werden bei: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Leserservice Internationales Verkehrswesen, Schliffkopfstraße 22, 72270 Baiersbronn-Buhlbach, Fax: +49 (0)7449 91386 37, E-Mail: office@trialog.de LAUFZEIT UND KÜNDIGUNG (s. 3 § der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) Der Bezugszeitraum beträgt mindestens ein Jahr ab Rechnungsdatum. Wenn Sie das Magazin nach der Abonnement-Laufzeit nicht weiter beziehen möchten, teilen Sie dies dem Leserservice (Kontaktdaten s.o.) spätestens 6 Wochen vor Ende des Bezugszeitraums mit. Ohne rechtzeitige Kündigung verlängert sich ein bestehendes Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr. Die Annahmeverweigerung von Lieferungen gilt nicht als Kündigung. Für das StudiAbo gilt: Ohne Vorlage einer aktuellen Studienbescheinigung wird der jeweils gültige, reguläre Jahresabonnementpreis berechnet. 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