Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
21
2021
731
Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 3 Kay W. Axhausen EDITORIAL Covid-19 und das Dilemma der Verkehrsplanung D ie Pandemie beschäftigt Europa seit einem Jahr. Nachdem China nicht mehr weit weg war und die Sorge um die Funktionsfähigkeit der Krankenhäuser und der Gesundheit der Bevölkerung die Politik dominierte, wurde der Alltag umorganisiert: Ausgangssperren, Firmenschließungen, Besuchsverbote, Beschränkung von Gruppengrößen usw. dominieren bis heute den europäischen Alltag. Die Wirkungen sind durchschlagend und beschleunigen Trends, die vorher noch durch Tradition und Gewohnheit gebremst wurden: Homeoffice und E-Commerce sind aus verkehrlicher Sicht die unmittelbaren Gewinner. Man muss sich fragen, wie und ob diese Beschleunigung das grundsätzliche Dilemma der Verkehrsplanung weiter verschärft. Das Dilemma entsteht, da wir gesellschaftlich „den Fünfer und das Weggli“ haben wollen, also den Nutzen ohne die Einschränkung. Unsere Verkehrsnetze produzieren Erreichbarkeit, und wir wissen, dass Erreichbarkeit unsere Gesellschaft produktiver macht. Für die Wirtschaft ist das inzwischen dutzende Male empirisch belegt worden. Für das soziale Zusammenleben noch nicht, aber die ermöglichte und realisierte wachsende Nachfrage im Freizeitverkehr, der ja im Wesentlichen dazu dient, mit Anderen zusammen zu sein, legt dieselbe Schlussfolgerung nahe. Diese Erreichbarkeit, vor allem in der Form der PKW-Erreichbarkeit, hat Folgen, die wir in Teilen nicht mehr wünschen. Es ist gezeigt worden, dass sie den PKW-Besitz fördert, der dann die Bereitschaft senkt, den ÖV zu nutzen, respektive sich an ihn - durch Jahreskarten - zu binden. Die erhöhte PKW-Erreichbarkeit geht mit wachsender PKW-Nutzung einher, und solange wir Verbrenner zulassen, auch mit wachsenden CO 2 -Emissionen. Die erhöhte PKW-Erreichbarkeit ermöglicht die Suburbanisierung der Bevölkerung und steigert auch damit die PKW-Nutzung. Vor 70 Jahren war diese Kombination gewünscht, aber unter den heutigen Bedingungen des Klimawandels ist sie ein Dilemma. Das Arbeiten von zu Hause aus unterminiert in Kombination mit der momentanen gesellschaftlichen Verweigerung der ÖV-Nutzung die eine Politik, für die es Mehrheiten gibt, das Dilemma anzugehen: die Verdichtung der Siedlungen rund um den ÖV. Die entsprechenden Schweizer Referenden sind noch nicht lange her. Homeoffice reduziert in unseren Daten 1 den Außer- Haus-Anteil um etwa 10 %. Es reduziert die gefahrenen Kilometer für alle Verkehrsmittel, aber insbesondere für den ÖV. Es dürfte die Bereitschaft, sich an den ÖV zu binden, weiter reduzie- 1 Siehe https: / / ivtmobis.ethz.ch/ mobis/ covid19/ ren, da die jährlichen Fahrten an den Arbeitsplatz von durchschnittlich 5 Arbeitstagen × 45 Wochen auf vielleicht 3 × 45 Arbeitstage zurückgehen. Neue Tarifmodelle fehlen noch, um die Kunden dann weiter an den ÖV zu binden. Das Homeoffice reduziert die Besucherzahlen der Städte und damit aller Dienstleister, die von ihnen leben. E-Commerce schwächt den stationären Einzelhandel weiter, insbesondere da ihn endgültig praktisch jeder in der Krise kennengelernt hat. So muss man sich fragen, welche Chance Kernstädte und „Business- Parks“ künftig haben. Überzeugende Ansätze für eine wirtschaftliche Umnutzung der Kerne sind noch nicht erkennbar. Ebenso fehlen aber auch Ansätze für die Umnutzung der Vorstädte und ländlichen Gebiete, die von der größeren Präsenz ihrer Bewohner profitieren sollten. Wir sahen aber in unseren Daten im Sommer keine große Reduktion der gefahrenen Kilometer durch volle oder teilweise Homeoffice-Arbeit: Der zeitliche Freiraum wurde für zusätzliche Fahrten genutzt, das Dilemma verschärft. Die kommende Umstellung auf E-Fahrzeuge erzwingt praktisch Straßengebühren, um den Unterhalt der Straßen zu sichern. - Mehr Verkehr in den Vororten wird auch dort Parkraumprobleme schaffen. Es wird weiter Dichte und Stau geben, allerdings in weniger Stadtkernen. Das mögliche Verkehrswachstum auf den dünnen Netzen der „Zersiedelung“ muss gemanagt werden. In dieser Umbruchsituation wäre es sinnvoll, sich über die politischen Ziele zu verständigen - Erreichbarkeitsniveaus, mittlere Tagesgeschwindigkeiten, Menge an Parksuchverkehr, ÖV-Anteile usw. -, aber gleichzeitig sich darauf zu einigen, dass Mobility Pricing und dynamische Parkgebühren notwendig sind, um diese Ziele zu erreichen. Die Preise werden oft Null sein, da sie lokal und zeitlich nicht höher sein müssen. Die Einnahmen aus dem System müssten entsprechend direkt verteilt werden, um a) andere Verkehrssteuern zu senken und b) den Gemeinden, Gebietskörperschaften zu ermöglichen, die Systeme zu pflegen und zu betreiben. Ihr Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 5 INHALT Februar 2021 Aktuelle Themen, Termine und das umfangreiche Archiv finden Sie unter www.internationalesverkehrswesen.de TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Editorial 06 Im Fokus 11 Kurz + Kritisch 13 Bericht aus Brüssel 84 Forum Veranstaltungs-Rückblick 86 Impressum | Gremien 87 Vorschau AUSGABE 2 | 2021 78 Auslastungssteuerung vor dem-Hintergrund der Covid-19- Pandemie Einführung einer Auslastungsprognose und Routenoptimierung in den digitalen RMV- Kanälen Knut Ringat Michael Rüffer Markus Huber Till Sommerfeld 82 Im Internet der Dinge immer richtig verbunden Mit Komplettpaketen erhalten Logistiker die passende Funktechnologie für jede IoT-Anwendung Iris Quirin Foto: Andy Leung/ pixabay SEITE 62 Foto: Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mbH SEITE 78 MOBILITÄT 47 Marktpotenzial von Flugtaxis Nachfrageanalyse am Beispiel des Flughafens Frankfurt und der Region Rhein-Main Julia Herget Felix Toepsch Kirstin Zimmer 50 Das EcoMobileum Erlebniswelt für eine neue Mobilitätskultur Oliver Schwedes Konrad Otto-Zimmermann 54 Treiber und Getriebener - Thesen zum Wandel des ÖPNV Jakob Zwiers Lisa Büttner Siegfried Behrendt Ingo Kollosche Wolfgang Schade Christian Scherf Simon Mader 58 Typisierung datengetriebener Geschäftsmodelle im innerstädtischen Verkehr Pablo Guillen Andreas Mitschele 62 Stammkunden des öffentlichen Nahverkehrs in Krisen optimal ansprechen Bedeutung und Beitrag der aktiven Stammkundenkommunikation vor und in Krisenzeiten Falk Bischoff Fabian Haunerland Clemens Kahrs Gertraud Schäfer Wertewandel - Digitalisierung: Praxis & Projekte - Rechtliches Umfeld - Logistik-Lösungen & -Prozesse Special: Mobilitätsmonitor Nr. 12 Erscheint am 12. Mai 2021 67 Ridepooling als Mobilitätsoption für alle? Erkenntnisse aus der Moia- Begleitforschung zu Nutzerinnen und Nutzern Nadine Kostorz Eva Fraedrich Martin Kagerbauer WISSENSCHAFT 72 Dezentrale Mobilitätsstationen in urbanen Wohnquartieren Auswirkungen auf den PKW-Besitz von Carsharing- Nutzenden Felix Czarnetzki Florian Siek Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 6 IM FOKUS Gutachten: Betriebsleittechnik der TSB-Magnetbahn ist-sicher D er Tüv Nord hat die Betriebsleittechnik der Magnetschwebebahn als sicher eingestuft. Damit hat das Transport System Bögl (TSB) einen weiteren Schritt in Richtung Markteinführung getan. Und das Eisenbahn-Bundesamt urteilt, das Lastenheft zur Betriebsleittechnik ermögliche eine Typzulassung der Technik. Auch Schallimmissionsmessungen und die Bewertung des Evakuierungs- und Notrettungskonzepts wurden von Tüv Nord-Experten untersucht. Vorbeifahrten etwa erwiesen sich als sehr leise; Das ist wichtig, weil die Magnetschwebebahn im urbanen Raum im Nahverkehr eingesetzt werden soll. Die Lärmbelastung entlang einer Strecke wäre also deutlich kleiner als bei einer klassischen Bahn. Beim TSB handelt es sich um ein am Standort Sengenthal in der Oberpfalz entwickeltes und getestetes Kurzstator-Magnetschwebebahn-System, das für einen fahrerlosen und vollautomatischen Personennahverkehr vorgesehen ist. Es soll mit der Maximalgeschwindigkeit von 150 km/ h unterwegs sein. Das TSB erreicht den höchstmöglichen Grad der Automatisierung (GOA4): Bei diesem Automatisierungsgrad befindet sich kein Fahrpersonal im Zug, alle Operationen sind automatisiert und technisch gesichert, jedoch kann eine Leitstelle jederzeit in den Zugbetrieb eingreifen. Entwickelt wird es von Max Bögl, einem Bau-, Technologie- und Dienstleistungsunternehmen der deutschen Bauindustrie. Bereits im Juni 2020 schickte Max Bögl das erste serienreife Zwei-Sektionen-Fahrzeug des TSB mit einem der weltweit größten Transportflugzeuge auf eine Demonstrationsstrecke nach Chengdu in China. Das neuartige Personennahverkehrssystem soll dort auf der 3,5 Kilometer langen Strecke die Vorteile des Transportsystems im Nahverkehr praktisch demonstrieren. Die Optimierung des Personennahverkehrs mithilfe modernster Technologien steht weit oben auf der Agenda der chinesischen Staatsführung. Gegenüber herkömmlichen Systemen vermeidet das Transport System Bögl die hohen Lasten am Kontaktpunkt Rad-Schiene, die Hauptursache für Vibrationen und Lärm sind. Stattdessen leitet das Transportsystem die Lasten berührungslos und gleichmäßig verteilt in den Fahrweg. Es ist dadurch sehr leise und kommt mit deutlich kleineren Unterbauten für den Fahrweg aus, was auch Rohstoffe und Kosten spart. Der Fahrweg der TSB-Demonstrationsstrecke ist mit einem Träger von 1,2 Metern Höhe und 23,5 Metern Länge sehr niedrig und leicht. www.max-boegl.de Foto: Tee2Tee/ pixabay Duales Mobilfunk- und Satellitenterminal für IoT-Anwendungen M it dem ST 9100 stellt US-Hersteller Orbcomm ein Mobilfunk- und Satellitenkommunikationsgerät vor, das den Betrieb telemetriebasierter Dienste und Anwendungen auf der ganzen Welt auch in entlegenen Gegenden sicherstellt, in denen keine oder nur unzureichende Mobilfunknetze vorhanden sind. Das multifunktionale Gerät kann für ein breites Spektrum von IoT-Anwendungen eingesetzt werden, etwa im Bereich Fahrzeugsicherheit, Flottenmanagement, Container- und Behälterüberwachung oder Fernverkehr. Das robuste, programmierbare Terminal ist offen für zahlreiche Netzwerkanbindungen. LTE-Verbindungen mit 3G-/ 2G-Fallback sowie zuverlässige Satellitenkommunikation mit niedrigen Latenzzeiten erlauben eine kontinuierliche weltweite Abdeckung. Die integrierte global einsetzbare SIM-Karte von Orbcomm gewährleistet Mobilfunkverbindungen in mehr als 565 Mobilfunknetzen, so dass das Gerät in nahezu jeder Region weltweit eingesetzt werden kann - unabhängig von den jeweiligen Verbindungsoptionen. Durch die leistungsfähige Backup-Batterie ist unterbrechungsfreier Betrieb auch bei einem Netzspannungsausfall für mindestens 48 Stunden sichergestellt. Außerdem verfügt das Terminal über zusätzliche Ein- und Ausgänge sowie serielle Schnittstellen. Zusammen mit vergrößertem Speicher und einer dualen CAN-Bus- Schnittstelle können Kunden also verschiedene elektronische Steuereinheiten über unterschiedliche Protokolle überwachen und steuern. Das robuste, gegen Umwelteinflüsse abgedichtete Gerät der Schutzklasse IP67 widersteht auch extremen Temperaturen, Stößen und Vibrationen. www.orbcomm.com Bild: Orbcomm Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 7 IM FOKUS Seilbahnen für Städte ins Visier genommen D as Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat das Stuttgarter Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer und das Verkehrswissenschaftliche Institut Stuttgart (VWI) beauftragt, eine Studie über die „stadt- und verkehrsplanerische Integration urbaner Seilbahnprojekte“ zu erarbeiten. Im Ergebnis soll in zwei Jahren ein Leitfaden für die „Realisierung von Seilbahnen als Bestandteil des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV)“ vorliegen. „Mit Studie und Leitfaden wollen wir Anreize setzen, eine nachhaltige Mobilität im urbanen Raum zu fördern und das öffentliche Verkehrssystem sinnvoll zu ergänzen“, erklärt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Steffen Bilger. „Unser Ziel ist, einen nationalen Standard für urbane Seilbahnen in Deutschland zu schaffen, an dem sich Städte und Kommunen orientieren können.“ Denn trotz der „beachtlichen Erfolge und nachweislichen Vorteile“ von Seilbahnen in vielen Metropolen weltweit, gebe es in Deutschland „wenig Erfahrungen mit Seilbahnsystemen im urbanen Bereich“, heißt es in der Leistungsbeschreibung des BMVI. Die Seilbahnen in den Städten Medellín, La Paz, New York, Portland, Algier, Lissabon, Brest, Bozen, London und Ankara zu untersuchen, ist daher ein Bestandteil der Studie. Im Fokus der Analyse der acht Fallbeispiele stehen jeweils der Einsatzzweck der Seilbahn, der Planungsprozess, die städtebauliche Integration, die Verknüpfung mit dem übrigen ÖPNV und die Auswirkungen auf den Verkehr. Abgeleitet werden sollen daraus Erkenntnisse für mögliche Seilbahnprojekte in Deutschland. Ebenfalls zwei Jahre fördert die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) ein Vorhaben zur Analyse künftiger Mobilitätsformen und fokussiert auf Seilschwebebahnen als Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Das Ingenieurbüro SSP Consult Beratende Ingenieure sowie das Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT) der Universität Stuttgart entwickeln in diesem Rahmen derzeit Methoden und Werkzeuge, um dieses neue Verkehrsmittel im urbanen Raum besser planen und entwerfen zu können. Teil der Untersuchung ist auch, den Vergleich mit anderen Mobilitätsformen zu erleichtern. In vielen Stadtzentren sind die Verkehrswege ebenso wie öffentliche Verkehrsmittel überlastet. Staus und hohe Umweltbelastung, etwa durch Feinstaub-Stickoxide und Lärm, sind die Folgen. „Wir brauchen Alternativen, um den Autoverkehr zu reduzieren und den ÖPNV zu ergänzen“, sagt DBU-Referatsleiterin für Architektur und Bauwesen, Sabine Djahanschah. www.bmvi.de | www.dbu.de Biosprit E10 kann langfristig KFZ- Filtersysteme beeinträchtigen E ine Forschungsgruppe der Universität Siegen und der Fraunhofer Umsicht untersuchte in Langzeittests vier Jahre lang die Auswirkungen von E10-Biosprit auf Filtersysteme in Benzinern. Bereits Untersuchungen des Tüv Nord und des schwedischen Tüv hatten gezeigt, dass es nach langfristigem Einsatz der Kraftstoffdampf- Rückhaltesysteme (KDRS) in Fahrzeugen mit Biokraftstoffen vermehrt zu Ausfällen kommen kann. Die neuen Ergebnisse bestätigen nun, dass KDRS unter den betrachteten Versuchsbedingungen in dauerhaft mit E10 betankten Fahrzeugen nicht langzeittauglich sind. Mit einer neu entwickelten Messmethode wurde an einer häufig in KDRS zum Einsatz kommenden Aktivkohle über mehrere hundert Be- und Entladezyklen automatisiert gemessen. Während die Aktivkohlefilter bei Verwendung reinen E00-Kraftstoffs und trockener Spülluft langzeittauglich blieben, konnte bei E10 mit feuchter Spülluft festgestellt werden, dass die Filter nach mehreren hundert Testzyklen keine hinreichende Adsorptionskapazität mehr besitzen. Dementsprechend sind sie nicht für den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs einsatzfähig, wenn die Aktivkohlebehälter der KDR-Systeme unter ähnlichen Versuchsbedingungen oder in der Praxis betrieben werden. Sinnvoll wäre es daher, die KDR-Systeme regelmäßig, etwa im Rahmen der üblichen Hauptuntersuchung, auf ihre Funktionstüchtigkeit zu prüfen. Bislang werden sie nur einmalig vor ihrem Einbau untersucht. Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), vertreten durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR). www.uni-siegen.de Bildquelle: pixabay Foto: Firmengruppe Max Bögl Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 8 IM FOKUS Terzrauschen macht Rückfahrmanöver sicherer U m Unfälle zu vermeiden, werden oftmals akustische Warnsysteme mit einem durchdringenden Alarmton verwendet, der jedoch Anwohner und Passanten stört. Herkömmliche Rückfahrwarner mit ihrem hohen, schrillen Piepton werden oft als sehr unangenehm wahrgenommen. Zudem lässt sich die Quelle tonaler Systeme schwierig lokalisieren, wodurch keine zuverlässige Warnung erzeugt wird. Ein sogenanntes Terzrauschen hingegen, wie es der Rückfahrwarner „PeTer“ der Grewus GmbH emittiert, stellt eine deutliche Reduzierung der Lärmbelästigung bei gleichzeitig hoher Sicherheitswahrnehmung dar. Terzrauschen ist für menschliche Ohren angenehmer ist als die herkömmlichen Warnsignale und emittiert einen Signalton, der sich in Lautstärke und Frequenzspektrum optimal vom Umgebungslärm abhebt. Bei Lieferungen in einer industriell geprägten Umgebung sind höhere Warnlautstärken erforderlich als in tendenziell eher ruhigen Wohngebieten. In der Variante „vollautomatisch“ passt sich der Rückfahrwarner über einen Algorithmus an die Geräuschkulisse an und reduziert die Lärmbelästigung, rettet aber trotzdem durch sein markantes Rauschen Menschenleben. In der manuellen Version wählen die Fahrer*innen die jeweils voreingestellten Lautstärken manuell aus, entscheidet selbst über den Schalldruckmodus. Dies ist entweder über einen Knopfdruck oder das mehrfache Einlegen des Rückwärtsgangs möglich. Die mehrjährige Entwicklung wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen einer ZIM- Förderung (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand) finanziell unterstützt. www.grewus.de Foto: Grewus GmbH Wie bestellt, so geliefert: Zustellarbeit am Scheideweg? D as Wachstum des Online-Handels hat der Lieferindustrie im Allgemeinen und der Paketbranche im Besonderen einen Boom beschert. Dieser Boom wird auch jenseits der Corona-Beschränkungen anhalten, weil sich gegenwärtig das Einkaufs- und Konsumverhalten strukturell verändert. Gleichzeitig steht die Kurier-, Express- und Paketbranche - kurz: KEP-Branche - in den großen Städten unter erhöhtem Druck, da sie ökologisch nachhaltige Zustellkonzepte umsetzen soll. Gemeinsam mit der Input Consulting GmbH hat das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in einer Studie Gegenwart und Zukunft der Zustellbranche in den Fokus genommen: Welche Zustellkonzepte werden sich künftig durchsetzen und welche Auswirkungen könnte dies auf die Zustellarbeit bzw. die Arbeitsorganisation von Zusteller*innen haben? Die Ergebnisse der Analysen deuten darauf hin, dass die Zustellarbeit der KEP- Branche am Scheideweg steht: Unterschiedliche Technologien haben das Potenzial, die Arbeit weiter zu flexibilisieren und zu zergliedern, sodass selbst mit unerfahrenen Zustellkräften eine hohe Produktivität auf der letzten Meile erreicht werden kann. Möglich wird dies etwa, wenn Tourenprofile und Gangfolgen automatisiert geplant werden. Dies ermöglicht einen variablen Zuschnitt von Sendungsgebieten und einen erheblich flexibleren Einsatz von Fahrer*innen. Darüber hinaus sind im urbanen Raum alternative Zustellkonzepte zu beobachten, die durch den Einsatz kleinerer Fahrzeuge und gestufter Depot-Strukturen eine schadstoffreduzierte Zustellung anstreben. Dies alles führt zu einer Neuausrichtung von Arbeitsprozessen, zu neuen Formen der Arbeitsorganisation, aber auch zu neuen physischen und psychischen Belastungssituationen von Beschäftigten. Eine weitere Flexibilisierung in Form höherer Teilzeitquoten dürfte erforderlich werden, wenn für die innerstädtische Zustellung durch den Einsatz kleinerer und nachhaltigerer Fahrzeuge (z. B. Lastenräder) mehr Arbeitskräfte benötigt werden. „Harte“ Automatisierung wie der Einsatz von Zustellrobotern und Drohnen dürfte auf der letzten Meile in naher Zukunft keine große Rolle spielen. Dagegen könnte sich die Frage, ob Zustellarbeit künftig noch ein regulärer Vollzeitjob ist oder ob prekäre Teilzeitmodelle dominieren, in nächster Zeit entscheiden. www.iao.fraunhofer.de Stationärer Energiespeicher aus Elektroauto-Batterien M indestens 20 MWh stationäre Speicherkapazitäten in ganz Deutschland haben sich die Partner The Mobility House, Renault und Fenecon im Rahmen des Projekts „Advanced Battery Storage“ zum Ziel gesetzt. Der erste Speicher mit 3 MWh ging jetzt in einem ehemaligen Kohlekraftwerk in Elverlingsen, Nordrhein-Westfalen, in Betrieb. Dabei handelt es sich um zwei 40-Fuß- Standardcontainer für Batterien und Transformator, in denen das System schlüsselfertig installiert ist. Mit den Batteriespeichern unterstützen die Partner den Wandel der Energiewelt hin zu einem dezentralen und von erneuerbaren Energien geprägten System, das bei der Stromerzeugung durch Wind und Sonne starken Schwankungen ausgesetzt ist. Stationärspeicher gleichen diese Schwankungen aus und erhöhen somit die Flexibilität des Stromnetzes. Kunden aus der Industrie, Bus- oder Schnellladebetreiber sowie Stadtwerke, Netzbetreiber und EVUs, die bei Spitzenlasten Kosten einsparen und ihre Stromqualität stabilisieren möchten, können optimal von den Vorteilen des Systems profitieren. Das stationäre Speichersystem glättet hohe Lastspitzen direkt vor Ort. Da deshalb weniger Strom aus dem Stromnetz benötigt wird, senkt das System die Netznutzungsentgelte erheblich. Die besten Ergebnisse erzielt der Batteriespeicher bei Industrie- und Gewerbeunternehmen mit einem hohen Stromverbrauch von mehr als 10 GWh im Jahr und/ oder mit Lastspitzen oberhalb von 500-kW. Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 9 IM FOKUS Knowhow für effizientere Flugtriebwerke I m EU-Projekt „Turandot“ (Turbulence and Duct Surface Optimization in Turbofans) untersuchten Forschende der TU Graz eine der Haifischhaut ähnliche Beschichtung für Triebwerksschaufeln und verfolgten den Verlauf der Kühlluft im Triebwerk. So wollen sie Flugzeuge sparsamer, kostengünstiger und leiser machen. Ein Triebwerk ist effizienter und leiser, je größer und langsamer der Fan ist, das Gebläserad vorn am Triebwerk. Der wird von der Niederdruckturbine angetrieben, die damit auch einen größeren Durchmesser bekommt. Je größer dieser Durchmesser ist, desto kürzer und „aggressiver“ muss auch der Übergangskanal zwischen Hoch- und Niederdruckturbine gestaltet sein. Eine nicht unproblematische Geometrie, denn ein zu kurzer Übergangskanal könnte einen Strömungsabriss verursachen, da die Luft dem Strömungspfad aufgrund der aggressiveren Geometrie eventuell nicht mehr folgen kann. Ein Druckverlust und damit eine reduzierte Triebwerksleistung wären die Folge. Das Projektteam konnte nun nachweisen, dass eine sogenannte Riblet-Beschichtung den Wirkungsgrad des Übergangskanals und damit die Triebwerksleistung enorm verbessert. Diese Beschichtung wurde von Projektpartner Bionic Surface Technologies entwickelt. Es handelt sich dabei um eine der Haifischhaut ähnliche Oberflächenbeschichtung, bestehend aus nano- und mikrostrukturierten Rillen (Riblets), die die Reibung an der Kanalwand und damit den Strömungswiderstand verringert. www.tugraz.at Pro Container können 72 einzeln tauschbare First- und Second-Life-Batterien aus dem Kompaktwagen Renault Zoe verbaut werden. Es können sogar verschiedene Bauformen, Spannungen und Kapazitäten miteinander kombiniert werden. Neue Batterien, die als „lebendes Ersatzteil“ im Speicher verbaut sind und auf diese Weise frisch gehalten werden, lassen sich schonender belasten als Second-Life-Akkus. Die Verwendung im Second-Life wiederum verlängert die Nutzungsdauer ehemaliger E-Auto- Akkus - und verbessert damit auch deren CO 2 -Bilanz deutlich. Darüber hinaus reduzieren die Erlöse der Nachnutzung die Kosten für das Elektroauto. Ein vergleichbares Projekt mit First-Life- Batterien für den Smart electric hatten bereits Ende 2017 die Kooperationspartner Daimler AG mit der hundertprozentigen Tochter Mercedes-Benz Energy GmbH und enercity (Stadtwerke Hannover AG) umgesetzt. www.mobilityhouse.com Foto: The Mobility House Foto: TU Graz/ Lunghammer Predictive Maintenance für Zugbremsen B remsanlagen von Zügen sind hohen Belastungen ausgesetzt. Umso wichtiger ist es, den Zustand der Systeme immer im Auge zu behalten. Drohende Schäden durch Verschleiß müssen behoben werden, bevor diese zu einem Sicherheitsrisiko werden. In der Regel findet dies in den Zugdepots durch entsprechendes Personal statt. Dadurch erhöhen sich allerdings die Stillstandszeiten. Die Dänischen Staatsbahnen (DSB) haben deshalb ein System in Auftrag gegeben, das automatisch den Zustand der Bremsbacken überwacht - während des laufenden Betriebs. Zu diesem Zweck wurden Hochleistungs-Scansysteme von ITTH zur automatischen optischen Inspektion an den Bahnhöfen in Odense und Kolding sowie auf freier Strecke im Gleisbett verbaut. Die Datenübertragung erfolgt über Glasfasersteckverbinder von Fischer Connectors. Bei der Zustandsüberwachung der Bremsbacken ist es unbedingt notwendig, genau zu wissen, welche Bremse an welchem Zug wann überprüft wurde. Um diese Daten zu erhalten, wird jeder Zug anhand mehrerer RFID-Tags eindeutig identifiziert. Die zu analysierenden Züge vom Typ IC3 und IC4 haben achsmontierte Bremssysteme - insgesamt also 40 bis 60 Bremsen pro Zug, die eindeutig identifiziert werden müssen, um die Daten zuordnen zu können. Der RFID-Scanner ermittelt den Zustand der Bremsbacke innerhalb von Sekundenbruchteilen: Die Aufnahmen werden von sechs Kameras gemacht, die bis zu 4.000 Bilder in der Sekunde mit einer Belichtungszeit von 200 µ s aufnehmen. Wesentlicher Bestandteil solcher bildgebenden Verfahren sind auch immer leistungsfähige Beleuchtungssysteme: 32 High Power IR LEDs mit Spezialgeometrie für Horizontalbeleuchtung sorgen für das benötigte Licht. Die Beleuchtung ist kamerasynchronisiert. Das System ist für eine präzise Messung bei einer bis zu 60 km/ h schnellen Überfahrt des Zuges zertifiziert. Die Bilder werden schließlich über Lichtwellenleiter an ein hoch performantes Rechensystem übertragen. Dabei werden eine eindeutige Abnutzungsregression pro Achse und Bremse ermittelt und Abnormalitäten erkannt. Dadurch ergibt sich eine exakte Bedarfsermittlung aller Bremsbeläge. Der Zustand der Bremsen wird schließlich automatisch in eine Datenbank aufgenommen. Wird bei der Soll-Ist-Analyse ein bestimmter Schwellenwert unterschritten, wird über eine automatische Warnmeldung über das SAP oder SMS-Gateway-System auf die Wartungsnotwendigkeit hingewiesen. Dadurch können Wartungsintervalle bedarfsgerecht gestaltet, Zeit eingespart und die Sicherheit erhöht werden. www.dsb.dk Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 10 IM FOKUS Satellitenbasiertes Landesystem für kleine Flughäfen A utomatische Landungen sind derzeit nur an großen Flughäfen möglich, die über ein Instrumentenlandesystem (ILS) oder ein GBAS (Ground Based Augmentation System) Landesystem (GLS) verfügen. Gemeinsam haben diese beiden Systeme, dass sie eine Bodeninfrastruktur benötigen. In den Projekten GLASS (GLS approaches based on SBAS) und GUI- DE entwickelte und testete das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein satellitenbasiertes Landesystem, das die Kosten für solch ein Präzisionslandesystem stark verringern kann. Die Flugversuche mit dem DLR-Forschungsflugzeug A320 ATRA, einem umgebauten Airbus A320, fanden in Salzburg, Larnaka, dem zyprischen Luftraum, Thessaloniki und Korfu statt. Wie bei den bisherigen Landesystemen gibt es auch hierbei eine Bodenstation, die entsprechende Daten, die der Autopilot zur Landung braucht, direkt an das Flugzeug weitergibt. Im Projekt GLASS jedoch untersuchten die Wissenschaftler des DLR-Instituts für Flugführung einen anderen Ansatz: eine Umsetzung von satellitenbasierten Systemen (SBAS) zu GLS Datenstrukturen. Der Autopilot kann das Flugzeug bis zu einer Höhe von 250 Fuß über Grund führen und so zumindest einen Teil des Landeanflugs übernehmen. Auch automatische Landungen sind möglich. Ebenfalls entfällt eine kostenintensive Zulassung eines SBAS-basierten Landesystems für größere Flugzeuge, da das Flight Management System des Flugzeugs nicht mehr benötigt wird, um die in der Datenbank an Bord gespeicherte Anfluginformation zu laden. Nach einer Reihe erprobter Einsatzszenarien und den erfolgreichen Flugversuchen soll nun an der Zertifizierung des neuen Systems gearbeitet werden. Da die Wissenschaftler des DLR dafür auf Daten aus einem längeren operationellen Testbetrieb angewiesen sind, planen sie derzeit mit AustroControl und Fraport Greece gemeinsame Projekte. Die GLASS-Station soll über einen Zeitraum von einem Jahr in Salzburg, Korfu und Thessaloniki betrieben werden, um auch mit Airlines Daten gewinnen zu können. Dabei spielen zum Beispiel das Systemverhalten, die Stabilität und auch operationelle Einflüsse und Vorteile eine Rolle. Einige Airlines haben bereits ihr Interesse bekundet, sich aktiv an der Datenerhebung zu beteiligen. www.dlr.de Schiffstransporte wirtschaftlich und zuverlässig trotz-Klimawandel? L angfristig werden die veränderten Klimabedingungen gravierende Auswirkungen auf das Wasserdargebot in den Wasserstraßen haben. Vermehrte und anhaltend extreme Wetterereignisse sind zu erwarten, verbunden mit häufigeren und extremeren Hoch- und Niedrigwasserereignissen. So könnte auf längere Sicht das Szenario, das im zweiten Halbjahr 2018 beim extremen und lang anhaltenden Niedrigwasserereignis am Rhein vorherrschte, zum Regelfall werden, befürchten Experten der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW). Für die Anpassung der Schiffstransporte an künftig geringere Niedrigwasserabflüsse seien jedoch unterschiedliche Handlungsoptionen denkbar, die auch kombiniert werden könnten. Ein Handlungsstrang zielt auf bauliche Änderungen an den Schiffsgefäßen ab, wie etwa kleinere Schiffsrümpfe, leichtere Schiffe sowie höhere Effizienz der Schiffsantriebe bei Niedrigwasser. Ein weiterer Handlungsstrang umfasst Änderungen an der Wasserstraßen-Infrastruktur. Diese reichen von verbesserten Wasserstandsvorhersagen über die Bereitstellung aktueller Tiefeninformationen der Wasserstraße bis hin zu flussbaulichen Anpassungsmaßnahmen. Zu diesen zählen der Bau oder die Anpassung von Buhnen und Parallelwerken, die Verfüllung von Übertiefen sowie der Sohlenabtrag durch Baggerungen. Diese klassischen Maßnahmen sind in weiten Bereichen der frei fließenden Wasserstraßen zielführend, stoßen mitunter aber auch an Grenzen. So hat das BAW im Rahmen einer Konzeptstudie für den Mittelrhein zwischen Mainz und St. Goar innovative flussbauliche Lösungen entwickelt, die einerseits die Regelungsziele erfüllen und andererseits geringe Auswirkungen auf Wasserwirtschaft und Umwelt haben. Das Konzept mit dem Namen „Niedrigwasserkorridor“ beruht darauf, dass im Niedrigwasserfall der Verkehrsflächenbedarf der Schiffe kleiner ist als bei höheren Abflüssen. Bei klimabedingt geringeren Niedrigwasserabflüssen sind damit wirtschaftliche Schiffstransporte auch künftig möglich, indem die Fahrrinne nicht über die gesamte Breite vertieft wird und natürlich vorhandene Übertiefen genutzt werden. Fahrdynamische Untersuchungen der BAW für den Mittelrhein haben ergeben, dass bei Niedrigwasserabfluss im Begegnungsfall ca. 50 bis 80 % der heute vorhandenen Breite ausreichen. Diese reduzierte Breite kann nochmals deutlich verringert werden, wenn der Niedrigwasserkorridor nicht für den Begegnungsfall, sondern für die Richtungsfahrt dimensioniert wird. Maßgebend hierfür ist die Fahrt zu Berg, da zum einen die Gütertransporte im Mittelrheinabschnitt überwiegend zu Berg gerichtet sind und zum anderen die dynamische Einsinktiefe der Schiffe bei Bergfahrt größer ist als bei Talfahrt. Für dieses Szenario sind im untersuchten Streckenabschnitt nur etwa 30 % der heutigen Fahrrinnenbreite erforderlich. www.baw.de Foto: Austrocontrol / Walter Hager ATC LOWS Gerd Aberle KURZ UND KRITISCH Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 11 2021 - ein gefährliches Wahljahr I n 2021 treffen die Auswirkungen von Klima-Krise und Corona-Pandemie in voller Intensität aufeinander. Die notwendigen Strategien zur Überwindung der beiden Katastropheneffekte treffen den Mobilitätssektor als Basis sozialer und wirtschaftlicher Aktivitäten mit mittelbis langfristig kaum abschätzbaren Folgen. Die in 2021 zur Bekämpfung der Klima-Krise eingesetzten Maßnahmen sind im Mobilitätsbereich auf Verhaltensänderungen durch Einsatz finanzieller Instrumente konzentriert. Der erstmalig eingesetzte und bis 2025 sich deutlich erhöhende CO 2 -Preiszuschlag je Liter Treibstoff aus fossilen Energien von derzeit 7 bis 9-Ct. je Liter entspricht einem Schadenswert von 25 EUR/ Tonne CO 2 . Dieser Schadens-Äquivalenzwert steigt bis 2025 auf 40 bis 45 EUR je Tonne CO 2 und wird dann - so erhofft - eine Verhaltensänderung hinsichtlich der Nutzung von Verbrenner-Fahrzeugen bewirken und zu einer fühlbaren CO 2 -Reduktion führen. Gleichzeitig wird der Kauf von Elektro-Fahrzeugen durch Steuermittel mit bis zu 6.000 EUR erheblich subventioniert. Zusätzlich werden noch 3.000- EUR von den Fahrzeugherstellern gezahlt. Zu erwähnen ist auch die KFZ-Steuerreduktion für E-Fahrzeuge. Kritisch zu hinterfragen ist insbesondere die Förderung von Hybrid-Fahrzeugen, die 2020 bei den PKW-Neuzulassungen (2,9 Mio. PKW) einen Anteil von 28,1 % hatten, die reinen Batterie-PKW jedoch nur von 6,7 %. Nach allen Untersuchungen werden die mit hohen Batteriegewichten fahrenden Hybride vergleichsweise wenig elektrisch gefahren, des weiteren handelt es sich vorzugsweise um SUV. Und ebenso fraglich ist es, dass im ÖPNV nur mit starker öffentlicher Subventionierung E-Busse aufgrund politischer Wunschkataloge beschafft werden, die - verglichen mit optimierten A6- Dieselbussen - statt 220.000 dann 570.000 EUR beanspruchen, zuzüglich weiterer Folgeinvestitionen in Werkstätten und Ladeeinrichtungen. Auf die eigenwilligen Vorstellungen von Oberleitungs- LKW soll gar nicht weiter eingegangen werden. ÖPNV und Schienenpersonenfernverkehr leiden wie der Luftverkehr besonders unter dramatischen Kundenverlusten aufgrund der Pandemie-Vorgaben zur Kontaktvermeidung. Hinsichtlich der Klima-Auswirkungen haben diese Effekte jedoch zur Einhaltung der EU-Zielvorgaben in 2020 in Deutschland geführt. Für den Mobilitätssektor und in Folge auch die Tourismuswirtschaft waren und sind die Einschränkungen existenzbedrohend. Lufthansa und TUI kennzeichnen das Dilemma unabdingbarer staatlicher Eingriffe und des Einsatzes von vielen Milliarden öffentlicher Finanzmittel zur Erhaltung künftiger Mobilitätsangebote. Die DB wie auch der ÖPNV werden auch längerfristig unter Auslastungseffekten zu leiden haben. Diese können nicht nur einem intensivierten längerfristigen Homeoffice-Anstieg, sondern auch Verhaltensänderungen bei der Verkehrsmittelnutzung folgen. Zu prüfen ist, ob die finanzpolitischen Absicherungen der Vorgaben einer 50-%-igen (! ) Steigerung des öffentlichen Personenverkehrs bis 2030 realistisch sind, wie auch einer Marktanteilssteigerung des Schienengüterverkehrs von 18,5 auf 23 %. Politisches Wunschdenken. Denn diese Zielsetzungen erfordern umfängliche Infrastrukturinvestitionen, deren Realisierung auch durch die hohen Schuldenaufnahmen öffentlicher Haushalte und einer Vielzahl konkurrierender prioritärer Finanzierungsansprüche überlagert wird. Für das Sorgenkind DB Cargo positioniert sich deren Chefin mit der Aussage: Wir fahren alles! So argumentierte die Bahn schon vor 50 Jahren und fuhr in ein wirtschaftliches Chaos. Und die Grünen wollen die Netzteile der DB AG in eine „Anstalt öffentlichen Rechts“ umwandeln, um stärkste politische Einflussmöglichkeiten zu sichern. Hatten wir das nicht auch schon vor 50 Jahren? Als ob die DB-Probleme in dieser schwierigen Zeit nicht belastend genug wären, kündigt die Lokführergewerkschaft GDL für 2021 einen Machtkampf gegen die dominierende Eisenbahnergewerkschaft EVG und die DB um die Vorherrschaft im Gewerkschaftsbereich an. Endgültig beendet ist die Zeit des Werbens von Regionen um Logistikstandorte. Der regionale Widerstand gegen einfallslose Lagerbauten mit hohem Flächenverbrauch und intensiven LKW-Verkehren bei gleichzeitig wenigen und schlecht bezahlten Arbeitsplätzen ist beachtlich und regionales Wahlthema. Angesichts der Herausforderungen von Klima- und Pandemie- Krisen sind verstärkte Kontrollen von Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Haushalte erforderlich. Die Umsatzsteuerreduzierung für sechs Monate in 2020 führte zu einem Einnahmeausfall von rund 13 Mrd. EUR, enormem Bürokratieaufwand und sonst zu nichts. So wie manche andere Krisenentscheidung. Und Vorsicht: 2021 ist ein herausragendes Wahljahr und deshalb besonders gefährlich. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 12 Folgerungen für die zukünftige Verkehrspolitik nach den Erfahrungen und dem Umgang mit-der Covid-19-Pandemie Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur In dieser Kurzstellungnahme richtet der Wissenschaftliche Beirat den Blick auf die langfristigen Auswirkungen der Krise auf den Verkehr und auf die möglichen Konsequenzen für Verkehrspolitik und Verkehrsforschung. Hierzu werden schlaglichtartig einige besonders wichtige Themenbereiche angesprochen. Lesen Sie hier eine kurze Einführung. Den vollständigen Text der Stellungnahme finden Sie im Web. D ie Covid-19-Pandemie mit den gesundheits- und gesellschaftspolitischen Reaktionen führt der Gesellschaft ihre Anfälligkeit, aber auch ihre Reaktionsfähigkeit vor Augen. Die Auswirkungen sind überall in der Gesellschaft zu spüren, auch im Verkehr. Die verkehrliche Seite der „Corona-Krise“ hat viele Facetten: Die öffentlichen Verkehrsmittel sind stark betroffen, weil sie zeitweise nicht oder nur sehr eingeschränkt nutzbar waren und weil ihre Nachfrage stark rückläufig war und in Teilen noch ist. Im Nahverkehr brach die Nachfrage ein, als Arbeits- und Ausbildungsplätze geschlossen und Hygieneregeln vorgeschrieben wurden. Auf viele Fernreisen wurde wegen Reisewarnungen, Reiseverboten oder Hygieneregeln im Zusammenhang mit möglichen Infektionen verzichtet. Im PKW-Verkehr waren die Rückgänge geringer und sind in der Zwischenzeit fast wieder ausgeglichen. Im Radverkehr gab es Zuwächse bei Freizeitaktivitäten. Im internationalen Reiseverkehr kam es zeitweise zu Grenzschließungen und kommt es inzwischen zu Quarantäne- oder Testpflichten, welche die Nachfrage ebenfalls drücken. Auch der Güterverkehr mit seiner internationalen Ausrichtung ist von internationalen Beschränkungen stark betroffen. Zudem schränken die Hygieneregeln die Effizienz der Produktionsprozesse in Logistikzentren, Terminals und an den Rampen von Versendern und Empfängern ein. Diese Veränderungen haben entsprechende Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmen. Während kommunale Nahverkehrsanbieter am ehesten mit öffentlicher finanzieller Unterstützung rechnen können, sind viele private Anbieter mit zunehmender Dauer der Krise in ihrer Existenz gefährdet. In seiner Kurzstellungnahme richtet der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur den Blick auf die langfristigen Auswirkungen der Krise auf den Verkehr und auf die möglichen Konsequenzen für die Verkehrspolitik. Im Vordergrund stehen also nicht die akuten Auswirkungen und das aktuelle Krisenmanagement. In langfristiger Perspektive stellen sich folgende Fragen: Wie werden die neuartigen Erfahrungen der Bevölkerung, die sie durch die Pandemie und die wegen der Pandemie ergriffenen Maßnahmen machte, ihr zukünftiges Mobilitätsverhalten beeinflussen? Wie wirken sich kriseninduzierte Maßnahmen auf den Verkehrssektor aus und wie können Kosten und Nutzen abgewogen werden? Wie haben sich die während der Pandemie ergriffenen Maßnahmen auf die privaten und öffentlichen Verkehrsanbieter des Personen- und Güterverkehrs und ihre Strategien ausgewirkt bzw. werden sich weiterhin auswirken? • Sind verkehrspolitische Ziele im Lichte der langfristigen Auswirkungen der Pandemie anzupassen? Welche verkehrspolitischen Maßnahmen sind zu ergreifen, um die „neuen“ verkehrspolitischen Zielstellungen zu erreichen? Welche Lehren können aus dieser Krise und deren Krisenpolitik für zukünftige Krisenfälle auch ganz anderer Art gezogen werden? Der Wissenschaftliche Beirat betont die Notwendigkeit, entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen zu initiieren. Die Forschung sollte in verkehrspolitische Empfehlungen oder Optionen münden, bis hin zur Entwicklung konkreter Maßnahmen oder Werkzeuge. In der Kurzstellungnahme, die auf der Webseite des BMVI zum Download bereit steht, können die genannten Fragen nicht in Vollständigkeit adressiert oder gar abgearbeitet werden. Vielmehr werden schlaglichtartig einige Themenbereiche angesprochen, die aus der Sicht des Wissenschaftlichen Beirats als verkehrspolitisch besonders wichtig erscheinen. Mit der Formulierung von Forschungs- und Entwicklungsfragen werden zugleich Hinweise auf einen möglichen konkreten verkehrspolitischen Handlungsbedarf gegeben. Im September 2020 Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium Verkehr und digitale Infrastruktur ■ Die komplette Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur finden Sie im Web unter www.iv-dok.de/ 2101 Kontakt: Geschäftsstelle des Wissenschaftlichen Beirats im BMVI Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Referat G 12 - Frau Ursula Clever, Robert-Schuman-Platz 1, 53175 Bonn, E-Mail: ursula.clever@bmvi.bund.de Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 13 Z um dritten Mal, seit die EU einzelne Jahre unter ein besonderes Motto stellt, richtet sie den Scheinwerfer auf den Verkehr: 1986 war das „Europäische Jahr der Straßenverkehrssicherheit“, 1995 das „Jahr der Straßensicherheit und des jungen Kraftfahrers“ und 2021 wird nun also das „Europäische Jahr der Schiene“. Das geplante Programm „gibt uns die Gelegenheit, diesen Verkehrsträger wiederzuentdecken“, erklärte EU-Verkehrskommissarin Adina Valean. „Mit einer Vielzahl von Aktivitäten werden wir dazu beitragen, dass die Bahn ihr volles Potenzial entfalten kann.“ Der erste Satz charakterisiert das Bahnjahr wohl besser als der zweite. Denn auch wenn sich etliche europäische Verkehrspolitiker etwas anderes wünschen: Das Jahr der Schiene ist nicht vorrangig als politische Veranstaltung konzipiert, sondern die Eisenbahn soll vor allem mit Informationskampagnen und Events stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt werden. Eine gesteigerte Aufmerksamkeit nützt natürlich auch der Bahnpolitik, unterstützt sie im Idealfall auch, kann sie aber nicht ersetzen. Zwei neue politische Aufgaben haben die EU- Gesetzgeber speziell für das Jahr der Bahn gestellt: Ein „Konnektivitätsindex“ soll erarbeitet werden, der deutlich macht, welche Bahninfrastrukturprojekte sich besonders lohnen, um den Verkehr in Europa in nachhaltigere Bahnen zu lenken. Und ein „Grünes Label“ soll Produkte sichtbarer machen, die mit der Bahn transportiert werden. Doch diese Vorhaben krempeln die bisherige europäische Verkehrs- und Bahnpolitik natürlich nicht völlig um. Ob ein Konnektivitätsindex etwas bewirkt, hängt davon ab, ob ihn EU-Kommission und Mitgliedstaaten auch ernst nehmen, wenn sie Investitions- und Planungsentscheidungen beim Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) treffen. Der Einfluss dürfte schwer messbar sein. Und das „Grüne Label“ ist kein Selbstläufer. Es kommt darauf an, was es aussagen soll und wie die Aussage verkauft wird. Wichtig ist es, keine unrealistischen Erwartungen zu wecken. Berichte über Waren mit „Bahnlabel“, die dann aber per LKW beim Supermarkt angeliefert werden - weil der natürlich keinen Gleisanschluss hat - wären sicher kontraproduktiv. Größere Auswirkungen haben Entscheidungen bei Gesetzgebungsvorhaben, die schon länger geplant sind als das Jahr der Schiene. Ob die Bahn im Wettbewerb mit dem Straßengüterverkehr aufholen kann, hängt zum Beispiel davon ab, wie die Neufassung der EU-Wegekostenrichtlinie (Eurovignette) am Ende aussieht, auf die sich Europäisches Parlament und EU-Staaten im ersten Halbjahr einigen wollen. Gespannt wartet die Branche im Jahr der Schiene auch auf die Vorschläge für eine neue Energiebesteuerungsrichtline, zur Überarbeitung des Emissionshandelssystems und der Verordnungen über die TEN-V und die europäischen Güterverkehrskorridore. In ihrer verkehrspolitischen Strategie für die nächsten Jahre hat die EU-Kommission das Ziel gesteckt, dass der Schienengüterverkehr in der EU bis 2030 um 50 Prozent wachsen und bis 2050 sein Volumen verdoppeln soll. Bei den konkreten Gesetzesvorschlägen kann die Kommission beweisen, was sie dafür zu tun bereit ist. Wobei ein Zuwachs beim Schienengüterverkehr ja nicht automatisch bedeutet, dass weniger Waren per LKW transportiert werden. Das Jahr der Schiene bringt vielleicht erste Erkenntnisse, wie ernsthaft die EU ihr bisheriges Ziel weiterverfolgt, bis 2030 mindestens 30 Prozent des Güterverkehrs auf die Bahn zu verlagern. Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft hat angekündigt, sich besonders um eine Stärkung des Bahnnetzes in ganz Europa kümmern zu wollen - auch für den Personenzugverkehr - und die Förderung „kollektiver“ Verkehrsmittel in Städten, damit diese nicht im Auto-Stau versinken. Erfolge oder Misserfolge aller dieser Initiativen wird man aber erst beurteilen können, wenn das Jahr der Bahn lange vorbei ist. Aber Politik und Akteure der Bahnbranche sollten das Jahresmotto zum Anlass nehmen, sich 2021 endlich einen Ruck zu geben und besser zusammenzuarbeiten, damit die EU-Binnengrenzen für die Bahn so durchlässig werden, wie sie es für LKW längst sind. Weil die Eisenbahn hier noch so viel aufholen muss, ist ein Jahr der Schiene angebracht. Aber eigentlich stellt es einen Rückschritt in der Debatte dar. Denn auch ein „Jahr des grünen LKW“ oder des „sauberen Schiffes“ wären nötig. Und letztendlich können die Verkehrsprobleme nur durch das clevere Zusammenspiel aller Verkehrsträger gelöst werden. Die Überwindung von Schnittstellen ist gefragt, das betonen die EU-Institutionen selbst immer wieder. Ein „Europäisches Jahr der Intermodalität“ wäre noch dringender, als nur einen einzelnen Verkehrsträger ins Scheinwerferlicht zu rücken. Am besten sollte man gleich ein ganzes Jahrzehnt daraus machen. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Vom „Jahr der Schiene“ sind-keine verkehrspolitischen Wunder zu erwarten Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 16 POLITIK Wissenschaft Airbus und Boeing hatten sogar weitere Steigerungen auf monatlich 70 Kurz-/ Mittelstreckenflugzeuge für die nächsten Jahre angekündigt. Durch die Covid-19-Pandemie ausgelöst, aber auch begründet durch die erkennbare Überhitzung, kündigte Airbus im Juni 2020 eine Kürzung der A320-Produktionsrate auf 40 Exemplare und für die A350-Familie ein Rückgang von sechs auf fünf Exemplare monatlich an. Die hohen Produktionsraten bei Airbus und Boeing in den letzten Jahren resultierten aus der Notwendigkeit, in beiden Unternehmen einen ausreichenden Cashflow zu generieren, um die milliardenschweren Verbindlichkeiten aus den großen Entwicklungsprogrammen A380, A350, A400M bzw. B787, B737MAX usw. sowie den damit verbundenen Personalbestand zu finanzieren, der in diesem Ausmaß schon länger nicht mehr benötigt wurde. Insofern sind deutliche Hinweise auf eine signifikante Überhitzung im Herstellermarkt, verbunden mit psychologisch getriebenen, immer neuen Lieferrekorden bereits vor der Corona-Pandemie gegeben. Einsparprogramme der Luftfahrtindustrie Seit Beginn der 90er Jahre haben umfangreiche Einsparungsprogramme immer wieder die europäische Luftfahrt belastet. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der deutschen Wiedervereinigung 1988 bis 1990 veränderte sich grundlegend die sicherheitspolitische Lage in der Welt. Während zu diesem Zeitpunkt die zivile Luftfahrtindustrie mit nur geringen Produktionsstückzahlen operierte, dominierte die Militärluftfahrtindustrie mit den Großprogrammen Tornado, Eurofighter, Tiger und NH90. Als Konsequenz wurden die Stückzahlen für alle Muster reduziert. Auswirkungen dieser Entwicklung sowie Wechselkursungleichgewichte zwischen D-Mark und Dollar führten 1995 zu dem Einsparprogramm „Dolores“ (Dollar Low Rescue) der damaligen Dasa. In diesem Zuge wurden rund 40 % der 95.000 Arbeitsplätze in der Luftfahrtindustrie in Deutschland abgebaut (Bild-5)-[8]. Diese Entwicklung ist vergleichbar mit der aktuellen Situation. Abhängig von dem Verlauf der Erholung im zivilen Luftfahrtmarkt ist eine mäßige Erholung nach der Covid-19-Pandemie in den nächsten fünf Jahren möglich. Teile des Einbruchs im Herstellermarkt können durch das erstarkende Militärprogramm FCAS (Future Combat Air System) kompensiert werden. Jüngere Einsparprogramme wie POWER8 bei Airbus hingegen resultierten aus internen Cashflow-Problemen und liefern dagegen wenig vergleichbare Wirkmechanismen. Auswirkungsanalyse auf eine Flottenentwicklung Mit Blick auf mögliche den Flugzeugabsatz stimulierende Maßnahmen wird im Weiteren untersucht, wie sich die Produktivität der Airlines in den nächsten Jahren entwickeln kann. Dazu wurden öffentlich kommunizierte Aussagen hinsichtlich möglicher künftiger Flottenzusammensetzungen analysiert. Die Flotte der untersuchten Airline bestand Ende 2019 aus rund 700 Passagierflugzeugen mit einem Durchschnittsalter von knapp zwölf Jahren. Davon sind rund 540 dem Kurzstreckenbetriebssegment und ca. 160 dem Langstreckensegment zuzuordnen, mit insgesamt rund 135.000 Sitzplätzen (Kurzstrecke 83.000, Langstrecke 52.000). Zu Beginn der Krise wurde von diesen Flugzeugen die Ausmusterung von 6mal A380-800, 7mal A340-600, 3mal A340- 300, 5mal B747-400 sowie 21mal A320-200 verkündet [9, 10, 11]. Nach Aussage der Airline vom Juli 2020 sollen Ende 2021 noch rund 300 der rund 700 Passagierflugzeuge am Boden stehen. In 2022 werden noch 200 Flugzeuge nicht im Betrieb sein, und ab 2023 wird die Flotte mit rund 150 Flugzeugen weniger als 2019 ihre neue Zielgröße erreichen [11]. Im Zuge dieser Reduzierung werden bis Mitte des Jahrzehnts alle älteren und insbesondere 4-strahligen Jets ausgemustert. Gleichzeitig werden neue, modernere Maschinen neu eingeflottet (Tabelle 1) [11]. Für eine Einschätzung der weiteren Entwicklung ist wichtig zu berücksichtigen, dass das Produkt „Flugreise“ anders als ein Flugzeug erst bei seiner Nutzung entsteht. Daraus folgt, dass Sitzplatzkapazitätsreserven, durch nicht genutzte, am Boden stehende Flugzeuge erhebliche Kosten produzieren. Daher ist es vital, die verfügbaren Sitzplatzkapazitäten eng an den aktuellen und absehbaren Bedarf zu koppeln. Aufgrund der unklaren Luftverkehrsentwicklung wurden drei unterschiedliche Flottenszenarien bis 2025 entwickelt: Bild 4: Entwicklung und Perspektive der Produktionsraten der Kurzstreckenflugzeuge seit 2018 Bild 5: Beschäftigungsentwicklung in der deutschen Luftfahrtindustrie 1979 bis 2014 nach [8] Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 20 INFRASTRUKTUR Maintenance Brücken mit modernen Mitteln vor dem Kollaps bewahren Marode Brücken, verschlissene Bauteile - wenn Verkehrsbauwerke in die Jahre kommen und Schäden nicht erkannt werden, ist oft Gefahr im Verzug. Das zeigte zuletzt der Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua. Wie aber lassen sich wichtige Objekte sicher überwachen und notwendige Schritte zur Instandhaltung gewährleisten? Fragen an Felix Förster, Global R&D Program Director, den Chefingenieur bei DYWIDAG Systems. Herr Förster, welche Herausforderungen gibt es generell bei Überwachung und Wartung viel genutzter Verkehrsbauwerke? Die Herausforderungen bestehen darin, alle relevanten Informationen für die richtigen Personen zum richtigen Zeitpunkt verständlich aufzubereiten, damit in der Folge fundierte Entscheidungen getroffen werden können. Dazu müssen die am Objekt erhobenen Daten zunächst auf Plausibilität geprüft, in verwertbare technische Einheiten übersetzt und mit anderen Messungen korreliert und kontextualisiert werden, um tatsächliche Kausalitätszusammenhänge ableiten zu können. Die Dateninfrastruktur muss robust, redundant und sicher aufgesetzt werden. Zudem müssen alle Hardwarekomponenten auf die notwendigen Messintervalle abgestimmt werden. Abtastraten können von einmal täglich bis viele hundertmal pro Sekunde variieren, dies erfordert eine entsprechend skalierbare Dateninfrastruktur. Welche Technologie setzen Sie gewöhnlich bei Brücken ein? An Brücken misst man vor allem Verformungen unter Last, Materialermüdungen und Bauteilspannungen. Die Messungen dienen dem Nachweis, dass Bauteile nicht über ihre Belastungsgrenzen hinaus beansprucht werden. Die Betrachtung von Änderungen über einen bestimmten Zeitraum lässt eine Extrapolation über erwartetes zukünftiges Verhalten zu. So wird eine proaktive, ereignisbasierte Instandhaltung ermöglicht. Das heißt, der Betreiber kann frühzeitig intervenieren, bevor es zu kostspieligen und womöglich irreparablen Schäden am Bauwerk kommt. Werden dabei auch Künstliche Intelligenz, Robotik und Sensorik eingesetzt? Allerdings. Robotik kommt vornehmlich in Anwendungen zum Einsatz, die einen hohen technischen und zeitlichen Aufwand erforderlich machen, um sich Zugang zu verschaffen. Oder auch an Stellen, an denen Gefahr für Menschen besteht. Die robotergestützte Diagnostik minimiert die Fehleranfälligkeit subjektiver Bewertungen und bietet mit integrierten zerstörungsfreien Prüfmethoden Einblicke, die weit über die Informationstiefe einer handnahen Inspektion durch zertifizierte Bauwerksprüfer hinausgehen. Unter anderem können wir mit unseren Robotern nicht nur hochauflösende 360°-Panaromabilder ganzer Brückenschrägseile generieren. Mithilfe von Magnet-Induktionsverfahren kann das Seil auch über seinen gesamten Verlauf untersucht und sozusagen geröntgt werden, Guadiana International Bridge Quelle: DYWIDAG Systems Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 21 Maintenance INFRASTRUKTUR um unsichtbare Materialfehler im Inneren zu erkennen. Wie genau funktioniert die Überwachung? Welche Methoden und Sensorik verwendet werden, hängt immer vom Einzelfall ab. Zunächst muss die Zielsetzung der Überwachung geklärt und dann die Systemarchitektur den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Grundsätzlich gibt es sehr unterschiedliche Sensortypen zur Auswahl, die sich in Messgeschwindigkeit, Genauigkeit und Robustheit stark unterscheiden können. Wie gesagt ergibt erst das Zusammenspiel vieler Messungen ein kohärentes Gesamtbild. Nehmen wir z. B. die Überwachung von Bauteilbewegungen, etwa bei Koppelfugen oder im Falle von Durchbiegungen oder Setzungen. Hier muss zunächst geklärt werden, welche Einflussfaktoren zu berücksichtigen sind. Temperatur-Amplituden etwa führen zu Dehnungs- und Schrumpfbewegungen, die man ermitteln und kennen muss, bevor man eine Aussage darüber treffen kann, welche Auswirkungen ausschließlich durch den fließenden Verkehr verursacht werden. Und wann muss eingegriffen werden? In Deutschland müssen Bestandsbrücken rechnerisch dahingehend geprüft werden, ob die Konstruktion noch dem stark gestiegenen Verkehrsaufkommen genügt. Häufig führen diese Nachrechnungen zu sogenannten Traglastdefiziten. Das heißt, dass einzelne Bauteile der Konstruktion keine ausreichenden Tragfähigkeiten mehr aufweisen. Unter Umständen können Durchbiegungen größer sein, als das Bauteil sicher aushalten kann. Hier kann ein Dauer-Monitoring helfen nachzuweisen, dass vorbestimmte Grenzwerte in situ nicht überschritten werden und die Brücke somit weiter genutzt werden kann. Wie ist denn der allgemeine Zustand von Brücken in Deutschland wirklich? Ein Großteil der Infrastruktur in Deutschland wurde in den Sechziger- und Siebzigerjahren erbaut. Die ursprüngliche Lebensdauer dieser Brücken wurde damals mit bis zu 100 Jahren angegeben - wohlgemerkt unter der Prämisse des damaligen Verkehrsaufkommens. Da dieses aber in den vergangenen Jahrzehnten konstant gestiegen ist, hat sich die ursprüngliche Erwartung an die Brücken ebenfalls verändert. Aber auch neuere Brücken sind starken Belastungen ausgesetzt, die es notwendig machen, dass diese regelmäßig geprüft werden. Hinsichtlich Lebensdauer und Verschleiß stellt der zunehmende Verkehr ganz klar einen der Faktoren dar, die für den Zustand von Brücken und Infrastruktur verantwortlich sind. Wie gesagt ist hier die Sammlung von Daten ein entscheidendes Kriterium. Ist der stete Verkehrsfluss nicht auch bei der Datensammlung ein Problem ? Für die Beschaffung von Daten und die Prüfung von Brücken stellt der fließende Verkehr - egal ob Schifffahrt- oder Automobilverkehr - kein übergeordnetes Problem dar. Auch Instandhaltungsarbeiten selbst können, je nach der Arbeit am jeweiligen Projekt, bei laufendem Betrieb stattfinden. Bei größeren Projekten kann es aber selbstverständlich nötig sein, nach alternativen Lösungen zu suchen. Lässt sich aus den Überwachungsdaten auf das Verkehrsaufkommen rückschließen? Die zunehmenden Lieferbewegungen kann man sicherlich auch an den Daten und Messungen ablesen. Das Verkehrsaufkommen in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen, das ist bekannt. Nach wie vor ist die Straße die Aorta der Gesellschaft. Durch die zunehmenden Probleme vieler Infrastrukturobjekte droht hier allerdings zunehmend auch ein Kollaps, wenn nicht in die Zukunft dieser wichtigen Verbindungen investiert wird. Daher ist es uns bei Dywidag ein wichtiges Anliegen zu zeigen, dass beispielsweise Brücken mit modernen Mitteln vor einem Kollaps bewahrt werden können. Gibt es dafür ein Beispiel, vielleicht international? Da kann ich die Guadiana International Bridge nennen, die etwa 250 km südöstlich von Lissabon an der Grenze zwischen Spanien und Portugal liegt. Sie verbindet die Städte Ayamonte in Spanien und das portugiesische Castro Marim im Bezirk Faro, wurde zwischen 1985 und 1991 errichtet und ist eine der prägnantesten Schrägseilbrücken auf der Iberischen Halbinsel. Sie hat eine Gesamtlänge von 666 m und eine Hauptspannweite von 324 m. Das Brückendeck wird von 128 Schrägseilen getragen, die an den 100 m hohen Pylonen verankert sind. Die Einzellängen betragen zwischen 50 m und 170 m. Welche Auffälligkeiten gab es bei dieser Brücke? Nachdem Litzenbrüche an einzelnen Schrägseilen auftraten, hat Dywidag im Jahr 2018 zerstörungsfreie Prüfungen an der Brücke durchgeführt, um den Zustand der bestehenden Verankerungen und der Stränge zu ermitteln. Dazu wurden unter anderem die Anti- Vandalismus-Rohre entfernt und die Verankerungen des Überbaus endoskopisch untersucht. Im Zuge der Inspektion stellten sich erhebliche Sicherheitsmängel an der Schrägseilkonstruktion heraus, darauf veranlasste der Betreiber den Austausch aller Schrägseile. Auch hier bei laufendem Verkehr? Es musste gewährleistet werden, dass in jeder Richtung immer mindestens eine Fahrspur dieser wichtigen Hauptverkehrsachse für den Verkehr nutzbar blieb. Dywidag entwickelte dafür ein Konzept, wie der hochkomplexe Austausch der Schrägseile im laufenden Betrieb umgesetzt werden konnte. Dauert das nicht länger als üblich? Durch den Einsatz unserer magnet-induktiven DYNAForce-Sensoren konnten die Bauzeiten sogar verkürzt und die Brücke schneller wieder komplett freigegeben werden. Statt die Seilkräfte aufwendig und zeitintensiv manuell mit hydraulischen Pressen zu überprüfen, konnten sie in Echtzeit automatisiert ermittelt und ausgelesen werden. Die Sensoren detektieren die Änderungen der ferromagnetischen Eigenschaften der einzelnen Schrägseillitzen unter unterschiedlichen Spannungszuständen. Daraus lassen sich dann die Seilkräfte direkt ermitteln. Und wie geht es nun weiter? Ende Dezember 2020 wurde der Austausch der Schrägseile abgeschlossen, und die verbauten Sensoren liefern nun weitere wichtige Informationen über den Zustand des Tragwerks. Aus dem zukünftigen Verhalten können dann Erkenntnisse für eine proaktive Wartung der Brücke gewonnen werden. Auf diese Weise bleibt die Verfügbarkeit für die Nutzer gewährleistet. ■ Foto: DYWIDAG Systems Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 22 Die Region als Lebensraum für die Menschen Herausforderungen für die integrierte Regionalplanung im Kontext von Klimaschutz und Digitalisierung Region, Integrierte Regionalplanung, Klimaschutz, Digitalisierung, Region Hannover Für ein Kind braucht es ein Dorf zur Erziehung, sagt man. Wenn der Mensch erwachsen wird, braucht er eine ganze Region als Lebensraum. Wohin der Mensch sich orientiert, folgt seinen persönlichen Vorlieben, aber auch den Möglichkeiten, die ihm geboten werden. Um dieses Angebot zu schaffen, folgt die Planung seit Jahrzehnten verschiedenen Leitbildern wie der dezentralen Konzentration und dem Wohnen an der Schiene. Aber passt das wirklich (noch) zur Lebenswahrheit der Menschen? Sind leere Busse in ländlichen Gegenden nicht ein Symptom dafür, dass Angebot und Lebenswirklichkeit nicht zueinander passen? Meike Levin-Keitel, Lisa Ruhrort, Tanja Göbler V erkehr und Raum hängen eng zusammen. Deshalb kann eine gezielte Raumentwicklung helfen, Verkehr zu verlagern und zu vermeiden. Im Kontext der Klimaschutzziele und der Digitalisierung von Mobilität, Arbeits- und Lebensformen steht die integrierte Regionalplanung aktuell vor neuen Herausforderungen. Die Region Hannover verfolgt seit Jahrzehnten die Ziele einer kompakten Regionalentwicklung und dient hier als Beispiel für die Erforschung und Erprobung innovativer Lösungsansätze für die Erreichung dieser Ziele im Kontext von Klimaschutz und Digitalisierung. Die Region als Lebenswelt: Zum Zusammenhang von Raum- und Verkehrsentwicklung Betrachtet man eine ganze Region als Lebensraum für die Menschen, und nicht nur als administrative oder politische Grenze, so eröffnet sich ein Rundumblick auf die komplexen räumlichen Zusammenhänge dieser Lebenswelten: Die Frage des Wohnstandorts legt die täglichen Wege zu Arbeitsplatz, Kinderbetreuung, Einkaufsmöglichkeiten oder ärztlicher Versorgung fest und beeinflusst auch maßgeblich die Wahlmöglichkeiten bei der Verkehrsmittelwahl. Klar ist, dass sich diese Wege nicht an kommunalen Grenzen orientieren: Wochentäglich überqueren in Deutschland Millionen Menschen Bild 1: Die Region als Lebenswelt der Menschen Quelle: pexels INFRASTRUKTUR Regionalplanung Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 23 Regionalplanung INFRASTRUKTUR als Pendler*innen auf dem Weg vom Wohnort in die Arbeitsstätte Gemeindegrenzen. Die Region als Lebenswelt ist charakterisiert durch die Verteilung der Nutzungen und Funktionen, sie bestimmt darüber, welche Distanzen zwischen diesen zurückgelegt werden müssen und ob dies z. B. zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem ÖPNV oder nur mit dem Auto möglich ist [1]. Umgekehrt beeinflussen die verfügbaren Verkehrsmittel und Infrastrukturen mit den dadurch ermöglichten Erreichbarkeiten die Entwicklung einzelner Ortschaften, Gemeinden oder Städte [2]. Durch die wechselseitige Dynamik von Raum und Verkehr entstehen Stadtviertel oder Ortschaften, die sich entweder durch kurze Distanzen, eine hohe Freiraumqualität und gute Erreichbarkeit mit dem Umweltverbund auszeichnen oder in denen weite Entfernungen dominieren, die nur mit einem eigenen PKW bewältigt werden können (Bild 1). Die Regionalplanung bietet die Möglichkeit, gerade auch die interkommunalen Verkehrsbeziehungen mit zu gestalten [1]. Ein Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungen und Funktionen wie Versorgungs-, Arbeits- und Wohnraumangeboten kann Mobilität mit relativ wenig Verkehrsaufwand ermöglichen. Auch die Möglichkeit, ein attraktives ÖPNV-Angebot als Alternative zum privaten PKW- Verkehr bereitzustellen, hängt direkt mit der Siedlungsdichte und den potenziellen Nutzer*innen vor Ort zusammen [3]. Allerdings weisen empirische Untersuchungen auch auf die Grenzen direkter Wechselbeziehungen zwischen Raumstrukturen und Verkehrsgenese hin - und damit auch auf die Grenzen verkehrssparsamer Raumentwicklung [4]. So zeigen Studien z.B. den Effekt der sogenannten „residentiellen Selbstselektion“: ÖV-affine Menschen ziehen bevorzugt in verdichtete Quartiere, während autoaffine Menschen eher einen Wohnstandort im suburbanen Raum wählen. Dies relativiert die Vorstellung, dass kompakte Siedlungsstrukturen zu einer bestimmten Verkehrsmittelwahl anregen [5, 6]. Hinzu kommt, dass es sich in der Vergangenheit oftmals als schwierig erwiesen hat, die Steuerungspotentiale der Raumplanung zu heben [7]. Grundlegende gesellschaftliche Entwicklungstendenzen und politische Orientierungen steuern bislang in Richtung wachsender Verkehrsaufwände und stehen damit einer kompakten Raumentwicklung entgegen [8]. Dennoch kann die räumliche Planung grundsätzlich dazu beitragen, dass kompakte Siedlungsstrukturen mit einer hohen urbanen Dichte in Form von Nutzungsmischung entstehen, die zu einer Verringerung der Verkehrsaufwände beitragen können [9]. Verkehrssparsame Raumstrukturen und raumeffiziente Verkehrsformen können zwar nicht als allein hinreichende, aber als notwendige Bedingung für nachhaltiges Mobilitätsverhalten betrachtet werden. Planungsstrategien mit dem Ziel einer lebenswerten Region Wie kann eine nachhaltige Verkehrsentwicklung durch eine integrierte (Regional-) Planung konkret unterstützt werden? Der Regionalplanung stehen Planungsinstrumente zur Verfügung, deren Anwendung sich stark an den beiden Leitbildern der „Dezentralen Konzentration“ und der „Region der kurzen Wege“ orientiert. Das auf Bundesebene im Raumordnungsgesetz und im Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen verankerte Leitbild der „Dezentralen Konzentration“ verfolgt das Ziel, eine bundesweit ausgeglichene Raum- und Siedlungsstruktur zu entwickeln bzw. zu sichern. Großräumig wird eine Dezentralisierung angestrebt, kleinräumig dagegen eine Konzentration. Zentrale Orte übernehmen neben der Versorgung ihrer Einwohner festgeschriebene Versorgungs- und Entwicklungsfunktionen innerhalb einer Region. Es werden Grundzentren (täglicher Grundbedarf und Mindestmaß öffentlicher und privater Infrastruktur), Mittelzentren (herausgehobene Bündelungs- und Entlastungsfunktion; gehobener periodischer Bedarf wie Krankenhäuser, vielseitige Einkaufsmöglichkeiten, etc.) und Oberzentren (spezialisierter Bedarf wie z. B. Fachhochschulen/ Universitäten, Spezialkliniken, etc.) unterschieden. Dies beeinflusst auch die Verkehrsentwicklung innerhalb der Region: Grundzentren müssen kleinräumig an die einzelnen Ortsteile angebunden werden, während Mittelzentren Nutzungen und Funktionen über den täglichen Bedarf hinaus bündeln und wesentlich besser erreichbar sein sollten. Oberzentren gelten als zentrale Pole der Region, tragen einen Großteil des Verkehrsaufkommens und sind in der Regel sehr gut angebunden. Die Hierarchisierung der Zentralen Orte wird in den Regionalplänen bzw. Regionalen Raumordnungsprogrammen festgehalten und gibt damit Vorgaben für die lokale Ebene. Das Leitbild der „Region der kurzen Wege“ zielt darüber hinaus darauf ab, eine verkehrsintensive Raumentwicklung zu vermeiden und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die alltäglichen Aufgaben wie die Wege zu Arbeit und Ausbildung, die Versorgungswege sowie die Wege zu Schule und Kindergarten in möglichst kurzer Distanz zu bewältigen sind, ohne dazu auf ein Auto angewiesen zu sein [10]. Dieses Leitbild markiert einen Paradigmenwechsel zu der seit dem Wiederaufbau deutscher Städte ab den 1945er Jahren verfolgten Strategie einer „Autogerechten Stadt“ [1]. Die wesentlichen Elemente einer Region der kurzen Wege sind eine kompakte Siedlungsstruktur insbesondere entlang der ÖPNV-Achsen, Nutzungsmischung sowie die attraktive Gestaltung der öffentlichen Räume [1]. Ziel ist es, anteilig mehr Fußgänger-, Rad- oder öffentlichen Personennahverkehr zu fördern und den motorisierten Individualverkehr möglichst gering zu halten [10]. Neben verkehrsspezifischen Effekten kann sich dadurch auch die Landschaftszerschneidung und weitere Zersiedelung und Flächeninanspruchnahme reduzieren. Planungsprinzipien der „Region der kurzen Wege“ sind die Wohnraumverdichtung sowie die Multifunktionalität von Stadtquartieren und Ortschaften. Die Wohnraumverdichtung folgt dabei dem Prinzip „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“, das heißt die Verdichtung bereits bebauter Quartiere (z. B. Konversionsflächen oder Industriebrachen) ist der Ausweisung von Bauland auf der grünen Wiese (z. B. Umwidmung von Ackerflächen o. ä.) vorzuziehen. Eine Klassifizierung von Funktionen im Raum kann dabei potentiell dazu beitragen, verkehrssparsame Strukturen zu schaffen oder zu erhalten - z. B., indem Gewerbe- und Wohngebiete als Vorranggebiete entlang von Schienenverkehrsachsen oder neue Siedlungsflächen als Vorranggebiete im Einzugsbereich vorhandener Siedlungskerne ausgewiesen werden. Aktuelle Herausforderungen für eine integrierte Regionalentwicklung im Kontext von Klimaschutz und Digitalisierung Aktuell rückt die Frage einer nachhaltigen Gestaltung von Verkehr im regionalen Kontext stärker in den Fokus. Spätestens seit erste Anzeichen klimatischer Veränderungen auch in Deutschland spürbar werden, wird die Notwendigkeit zu einem Umbau des Verkehrssystems in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit zunehmend als dringlich wahrgenommen [11]. Szenarien zeigen, dass für eine Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr ein Umstieg auf Nullemissionsfahrzeuge nicht ausreichen wird [12]. Es braucht eine Transformation zu einem Mobilitätssystem, das mit weniger Verkehr auskommt und in dem ressourcenschonende Verkehrsmittel eine viel größere Rolle spielen als heute [13]. Eine verkehrssparsame Raumentwicklung kann hierbei eine zentrale Rolle spielen. In jüngster Zeit hat die gesellschaftliche Diskussion um eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung deutlich an öffentlicher Prominenz gewonnen, was Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 24 INFRASTRUKTUR Regionalplanung dazu beitragen könnte, dass sich neue Umsetzungschancen für integrierte Planung ergeben [14]. Insbesondere auf lokaler Ebene fordern diverse Gruppierungen eine stärkere Förderung des Umweltverbunds und eine Neuaufteilung von Räumen zugunsten umweltschonender Verkehrsmittel und erhöhter Lebensqualität in der Stadt. Zugleich zeichnen sich Veränderungen der Verkehrsnachfrage im Kontext der Digitalisierung ab. Neue soziale Praktiken der Mobilität, etwa das spontane Mieten von Fahrzeugen mit dem Smartphone oder auch die Nutzung von Home Office und Telemeetings als Ersatz für räumliche Mobilität, verbreiten sich rasch. Aus der Perspektive einer verkehrssparsamen Raumentwicklung birgt die Digitalisierung sowohl Chancen als auch Risiken. Die Konturen eines „multioptionalen“ Verkehrssystems werden immer konkreter sichtbar - damit aber auch die Notwendigkeit, diese Entwicklungen so zu steuern, dass sie insgesamt zu einem Systemwechsel in Richtung Nachhaltigkeit beitragen [15]. Studien weisen zum Beispiel darauf hin, dass autonome Fahrzeuge zukünftig zu einer weiter steigenden individualisierten Verkehrsnachfrage führen und dispersen Raumstrukturen Vorschub leisten könnten [16]. Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage umso dringlicher, mit welchen Instrumenten räumliche Planung auf die Verkehrsentwicklung einwirken und Verkehrsvermeidung und -verlagerung unterstützen kann. Eine der zentralen Fragen lautet dabei, wie eine nachhaltige Mobilität auch im suburbanen und ländlichen Raum gestärkt werden kann. Neue Lösungsansätze erforschen und erproben: Aktuelle Beispiele aus der Region Hannover Diese Fragen stellen sich mit hoher Aktualität auch in der Region Hannover. Als für die Regionalplanung zuständige Instanz verfolgt sie seit Jahrzehnten eine ambitionierte Strategie der Raumentwicklung im Sinne einer Region der kurzen Wege [10]. In Form von verschiedenen aktuellen Projekten wird hier daran gearbeitet, Lösungen für neue Herausforderungen nachhaltiger Mobilität gerade auch in suburbanen und ländlichen Bereichen sowie in der Stadt-Umland-Beziehung zu entwickeln. Ein zentrales Handlungsfeld ist dabei der öffentliche Verkehr. Gerade in vielen suburbanen und ländlichen Räumen passt das ÖPNV-Angebot oft nicht mehr zu den Bedürfnissen der Menschen. Die Region Hannover will daher erproben, inwiefern digitale Technologien Potentiale für ein besseres Angebot jenseits des Linienverkehrs bieten. Aktuell bereitet die Region deshalb die Erprobung von sogenannten „On-demand-Verkehren“, also einer Bedienung ohne festen Fahrplan und feste Routenführung, in drei Gemeinden vor. Am 1. Juni 2021 startet das On-demand- Angebot in den drei Testkommunen Sehnde, Wedemark und Springe (Bild 2). Das Angebot ist als Bestandteil des ÖPNV in den regulären GVH-Tarif integriert, eingesetzt werden barrierefreie Kleinbusse. Ziel ist es, den Fahrgästen eine deutlich bessere Bedienqualität zu bieten, die sich sowohl vom vorherigen Linienverkehr als auch vom klassischen Anrufsammeltaxi (AST) abhebt. Statt einer einstündigen Vorbuchungszeit soll das neue Angebot eine maximale Wartezeit von 20 bis 30 Minuten bieten. Die Buchung per App soll die Transparenz für den Fahrgast erhöhen und damit ein besseres Nutzungsgefühl schaffen. Das Branding der Kleinbusse als „Sprinti“ lehnt sich bewusst an die Marke „SprintH“ an, mit der die hochfrequenten Schnellbusse in der Region bezeichnet werden. Dies soll unterstreichen, dass es sich hierbei um eine qualitative Aufwertung des ÖPNV-Angebots in ländlichen Räumen der Region handelt, mit der das Ziel einer „Mobilitätswende“ auch in den kleineren Gemeinden der Region verfolgt wird. Die Unterschiede zwischen urbanen, suburbanen und ländlichen Räumen einer Region sind auch Thema des Forschungsprojekts „MoveMe“. Das Kooperationsprojekt zwischen der TU Dortmund und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) erforscht die Herausforderung, nachhaltige Mobilität in unterschiedlichen Raumtypen - also auch jenseits der Großstadt - zu fördern. Zentraler Praxispartner ist die Region Hannover (siehe Bild- 3). Im Zentrum des Forschungskonzepts steht die vergleichende Untersuchung von Ansatzpunkten für nachhaltige Mobilität in drei verschiedenen Raumtypen innerhalb der Region. Im Rahmen des Projekts, das bis zum 30. Juni 2024 läuft, werden in ausgewählten Gemeinden verschiedene empirische Untersuchungen durchgeführt. Ein Teilprojekt untersucht dabei die Potentiale von Mikromobilität in unterschiedlichen Raumtypen. Der Fokus liegt auf intermodalen Wegen im Pendelverkehr zwischen Stadt und Umlandgemeinden. Am Beispiel von E-Scooter-Sharing soll untersucht werden, wie neue Mobilitätsangebote auch in suburbanen und ländlichen Räumen eingesetzt werden können. Ein zweites Teilprojekt befasst sich mit der Akzeptanz von Maßnahmen, die dem Autoverkehr Raum entziehen: Was sind die Bedingungen dafür, dass Maßnahmen zur Umverteilung von öffentlichen Räumen - zum Beispiel bei der Umwidmung von Autoverkehrsspuren in Fahrradspuren - bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf Akzeptanz stoßen? Bild 2: Gemeinden, die am On-demand-Angebot Sprinti teilnehmen Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 26 Automatische Gepäckaufgabe am Bahnhof Studie zur Optimierung der Anzahl von Gepäckaufgabeautomaten am Beispiel der Next Generation Station Gepäckaufgabe, Automatisierung, Fahrgastsimulation, Bahnhof, Next Generation Station Das Mitführen großer Gepäckstücke erschwert vielen Fahrgästen die Bahnfahrt. Längere Einstiegs- und Zughaltezeiten, Schwierigkeiten beim Verstauen von Gepäckstücken, verstellte Sitze und Gänge bedeuten geringeren Fahrgastkomfort. Ein automatischer Gepäckservice ähnlich dem am Flughafen könnte die Attraktivität des Hochgeschwindigkeitsschienenverkehrs verbessern und mehr Personen zur Bahnfahrt animieren. Dieser Beitrag beschreibt eine Parameterstudie, bei der mittels Simulationen die notwendige Anzahl an Gepäckaufgabeautomaten für einen Bahnhof bestimmt wurde. Andrei Popa, Mathias Böhm, Olaf Milbredt, Andreas Deutschmann S chon zu Beginn des Eisenbahnzeitalters entwickelten Eisenbahngesellschaften Lösungen für den Transport des Fahrgastgepäcks. Dieser über 150 Jahre existierende Service ist heute nicht mehr fester Bestandteil im Schienenpersonenverkehr [1]. Gepäckkonzepte, bei denen das Fahrgastgepäck direkt im Zug losgelöst vom Fahrgast transportiert wird, existieren heute noch vereinzelt bei Amtrak in den USA oder beim EuroStar. Für die Abgabe muss der Fahrgast zwischen 30 bis 120 Minuten einplanen. Die Reisekette ist dabei nicht durchgängig [2, 3]. In Deutschland wird das Fahrgastgepäck derzeit entweder im Zug durch den Fahrgast selbst oder durch den Dienstleister Hermes mit einer eintägigen Vorbzw. Nachlaufzeit transportiert. Im Vergleich dazu bieten Gepäcklieferdienste in Japan dem Kunden für 12.000 Standorte eine Zustellung am selben Tag an [4]. City-Check-In-Konzepte wie bei der Kowloon Station in Hongkong oder beim City Airport Train (CAT) am Bahnhof Wien Mitte zeigen, dass eine durchgehende Reisegepäckkette zum Flughafen bereits heute funktioniert, wobei diese Konzepte durch großen manuellen INFRASTRUKTUR Wissenschaft Next Generation Station Visualisierung/ CGI: Christian Höhn, Benjamin Wiesse Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 28 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Aufgabedauer Reisegepäck Auf Basis von Herstellerangaben für Gepäckaufgabeautomaten, ohne Berücksichtigung der Ankunftsverteilung sowie deren Überlagerungen und ohne Variation der Prozesszeit, wurden für die Abfertigung der Fahrgäste an der NGS ursprünglich 40 Gepäckaufgabeautomaten abgeschätzt. Diese Anzahl dient daher als Startwert für die anschließenden Simulationen. Da die Aufgabedauer für ein Reisegepäckstück an einem Gepäckautomaten nicht für jeden Fahrgast identisch ist und u. a. von dessen individuellen Fähigkeiten abhängt, unterliegt die Aufgabezeit zufälligen Schwankungen. Laut einer empirischen Studie beträgt die mittlere Dauer für die Aufgabe eines Koffers an einem Gepäckaufgabeautomaten an einem Flughafen 2,23 Minuten mit einer Standardabweichung von 1,11 Minuten [10]. Diese Werte wurden im Modell hinterlegt und für alle durchgeführten Simulationen zu Grunde gelegt. Laufgeschwindigkeit der Fahrgäste Die Laufgeschwindigkeit der Fahrgäste wurde in Form einer Wahrscheinlichkeitsverteilung hinterlegt, basierend auf John Fruin. Aufgrund seiner Messungen wurde eine Normalverteilung mit einem Mittelwert von 4,9-km/ h und einer Standardabweichung von 0,918 km/ h verwendet. Weiterhin wurde angenommen, dass die minimale Gehgeschwindigkeit bei 2,47 km/ h, die maximale bei 6,18 km/ h liegt [11]. Angenommene Zahl an Zügen und Fahrgästen Es wird vorausgesetzt, dass von 06: 00 Uhr bis 23: 00 Uhr alle fünf Minuten ein NGT HST vom Bahnhof abfährt, wodurch sich in Summe 204 Abfahrten pro Tag ergeben. Im Vergleich zum Hauptbahnhof in Frankfurt (Main) fahren zu den Hauptreisezeiten ebenfalls etwa zwölf ICE-Züge pro Stunde ab [12], was eine ähnliche Leistungsfähigkeit bezogen auf die Fahrzeuganzahl pro Tag bedeutet. Im Projekt NGT wurde für den HST eine Fahrgastwechselquote von 50 % angenommen [13]. Diese Rahmenbedingung wird auch hier als Grundlage für die Berechnung der Anzahl der Einsteiger herangezogen, was bedeutet, dass durchschnittlich 400 Fahrgäste pro Zug einsteigen. Da nicht davon auszugehen ist, dass die Anzahl der Einsteiger pro Zug über den Betriebstag konstant bleibt, wurde diese nach einer Gauß-Verteilung mit dem Erwartungswert von 400 Personen und einer Standardabweichung von 150 Personen generiert. Somit wurde eine Fluktuation der Einsteiger im Tagesverlauf berücksichtigt. Aus der generierten Anzahl an Fahrgästen pro Zug wurde die Anzahl derer bestimmt, die einen Reisekoffer mit sich führen. Auf Grundlage der Arbeit von [14], bei der umfassende Daten zum Thema Gepäckaufkommen in Reisezügen erhoben worden sind, wurde hier definiert, dass 62 % der Fahrgäste mittlere und große Koffer sowie Reisetaschen oder Rucksäcke ab 60 cm mit sich führen, welche an einem Gepäckautomaten aufgegeben werden müssen (vgl. Luftfahrt). Insgesamt wurden auf Basis der o. g. Datengrundlagen für den betrachteten Zeitraum von 05: 00 bis 24: 00-Uhr 82.148 Einsteiger generiert, davon 51.035 mit Reisegepäck. Die Anzahl der Einsteiger mit Gepäck pro Zug variiert von 116 zum Zeitpunkt 08: 15 Uhr bis 385 zum Zeitpunkt 10: 35 Uhr. Dabei weist die Anzahl der Einsteiger mit Gepäck pro Zug vereinzelt Täler (z. B. im Bereich von 08: 15 Uhr) und Spitzen (z. B. im Bereich von 16: 45 Uhr) auf (Bild 3). Im direkten Zusammenhang mit der generierten Anzahl der Fahrgäste mit Reisegepäck je Zug steht deren Ankunftsverteilung. Alle abfahrenden Fahrgäste mit Reisegepäck wurden mit einer fest zugeordneten Zugnummer generiert. Alle zu einer entsprechenden Zugnummer zugeordneten Einsteiger werden in einem bestimmten Zeitfenster vor der Abfahrt ihres Zuges ermittelt. Diese Generierung basiert auf einer horizontal verschobenen Normalverteilung, mit einer mittleren Ankunftszeit von 30 Minuten vor Abfahrt des Zuges und einer Standardabweichung von 4 (Bild 4). Bei der Ermittlung der Ankunftsverteilung wurde eine feste Pufferzeit berücksichtigt, die dafür sorgt, dass alle Fahrgäste mindestens 15 Minuten vor Abfahrt ihres Zuges im Eingang der Zwischenebene generiert werden. Somit ist die gesamte Verteilung um 15 Minuten auf der x-Achse verschoben. Damit soll gewährleistet werden, 0 50 100 150 200 250 300 350 400 Anzahl Fahrgäste Abfahrtzeit Züge Bild 3: Generierte Anzahl der Fahrgäste mit Reisegepäck pro Zug 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 Zeit bis Abfahrt des Zuges [min] Mittelwert 30 Standardabweichung 4 Bild 4: Ankunftsverteilung der Fahrgäste vor Abfahrt des Zuges Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 30 INFRASTRUKTUR Wissenschaft der unterschiedlichen Prozesszeit führen zu Abweichungen der mittleren Wartezeiten (Tabelle 2, Bild 5). Mit Hilfe der berechneten Warteschlangenlängen wurde die Größe des benötigten Wartebereiches für das LoS-Optimum nach Tabelle 1 berechnet. Bei 110 Gepäckaufgabestellen ergibt sich ein minimaler Wartebereich von ca. 2.600 m 2 , bei 117 ca. 930 m 2 und bei 125 ca. 802-m 2 . Die Zwischenebene der NGS bietet eine Brutto- Fläche von ca. 25.000 m 2 . Damit kann eine ausreichende Wartefläche vor den Gepäckaufgabestationen ausgewiesen werden. Um den Einfluss der Auslastung der Züge mit Fahrgästen auf Wartezeiten und Warteschlangenlängen abzuschätzen, wurden zusätzlich vier weitere Stichproben von Fahrgästen mit Reisegepäck pro Zug generiert. Dabei wurden die gleiche Verteilung zur Generierung der Fahrgäste pro Zug und der Anteil der Fahrgäste mit Reisegepäck benutzt. Diese Stichproben unterscheiden sich in ihren Minimalbzw. Maximalwerten und weisen eine unterschiedliche Verteilung im Tagesgang auf. Die Gesamtanzahl an generierten Fahrgästen mit Reisegepäck variiert um ca. 0,01 %. In Bild 6 sind die Ergebnisse aller Stichproben bei 125 Gepäckabgabestellen dargestellt. Der blaue Graph beschreibt die gemittelten Wartezeiten der fünf Stichproben innerhalb von 10-Minuten-Intervallen. Da die Mittelwerte der einzelnen Stichproben Abweichungen besitzen, wurden diese Abweichungen zur Bestimmung der Standardabweichung der Gesamtheit hinzugenommen. In der folgenden Abschätzung wird die Varianz, d.- h. das Quadrat der Standardabweichung, verwendet (Formel 1): Var w w w w i i i i ± ( ) ( ) ≤ − ( ) + ∑ ∆ 2 w w w w i i + − + + ∑ ∑ ∆ ∆ 2 (1) w i mittlere Wartezeit der einzelnen Simulationsdurchläufe w Mittelwert der mittleren Wartezeiten w i ) ∆ Standardabweichung der mittleren Wartezeit des einzelnen Simulationsdurchlaufs w ∆ Mittelwert der Standardabweichung der mittleren Wartezeit der einzelnen Simulationsdurchläufe Der orangefarbene Graph zeigt die Mittelwerte der kumulierten Warteschlangenlängen der fünf Stichproben. Die Standardabweichung der Mittelwerte wurde analog zu den Standardabweichungen der Mittelwerte der Wartezeiten bestimmt. Auf der linken Seite der y-Achse ist die mittlere Wartezeit in Minuten und auf der rechten Seite die mittlere kumulierte Anzahl der Personen in der Warteschlange, beides bezogen auf einen Zehn-Minuten-Bereich, angegeben. Durch die Korrelation von Wartezeit und Anzahl der wartenden Personen weisen die dargestellten Graphen einen qualitativ ähnlichen Verlauf mit unterschiedlich starker Ausprägung auf. Zum Beispiel schwankt die kumulierte Warteschlangenlänge in der Zeit von ca. 14: 50 Uhr bis ca. 21: 50 Uhr um den Wert 510, während die mittlere Wartezeit in der Zeit von ca. 14: 50 Uhr bis ca. 19: 10 Uhr um den Wert 2,6 min fluktuiert. Die starken Schwankungen im Bereich von ca. 11: 30 Uhr bis ca. 14: 10 Uhr und von ca. 21: 00 Uhr bis 23: 10 Uhr begründen sich auf den Verlauf der unterschiedlichen Stichproben im Tagesgang. Beispielsweise werden bei Stichprobe 3, im Zeitraum von 21: 05 Uhr bis 22: 05 Uhr, 4.136 Fahrgäste mit Reisegepäck erwartet, während die Fahrgastzahl im gleichen Zeitraum der Stichprobe 1 bei 3.157 liegt. Die mittlere Wartezeit inkl. Standardabweichung weist in einigen Bereichen höhere Werte als die Fünf- Minuten-Grenze auf. Erst bei 140 Gepäckaufgabestellen unterschreiten die mittleren Wartezeiten inklusive Standardabweichung bei allen Stichproben die Fünf-Minuten-Grenze. Bei dieser Anzahl an Gepäckaufgabestellen verringert sich auch die Varianz der simulierten Wartezeiten (Bild 7). Der Graph zeigt, dass die Fahrgäste über den ganzen Tag verteilt auf mindestens eine prozessie- 0 100 200 300 400 500 600 700 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 wartende Personen Wartezeit [min] Uhrzeit Mittlere Wartezeit Mittelere kumulierte Warteschlangenlänge Bild 6: Mittlere Wartezeit und mittlere kumulierte Warteschlangenlänge bezogen auf einen Zehn-Minuten-Bereich mit Abweichungen für Stichproben 1 bis 5 bei 125 Gepäckabgabestellen 0 100 200 300 400 500 600 700 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 wartende Personen Wartezeit [min] Uhrzeit Mittlere Wartezeit Mittelere kumulierte Warteschlangenlänge Bild 7: Mittlere Wartezeit und mittlere kumulierte Warteschlangenlänge bezogen auf einen Zehn-Minuten-Bereich mit Abweichungen für Stichproben 1 bis 5 bei 140 Gepäckabgabestellen Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 32 LOGISTIK Wissenschaft Anteil der KEP-Dienstleister am Stadtverkehr Empirische Forschung zum Wirtschaftsverkehr und Erkenntnisse aus dem Projekt „Zukunft.de“ Wirtschaftsverkehr, KEP-Dienstleister, Verkehrszählung Durch das steigende Sendungsvolumen im Bereich E-Commerce rückt der Lieferverkehr, speziell die Kurier-, Express- und Paket (KEP)-Branche, oft in den Fokus der kommunalen Verkehrsplanung. Die auffälligen Lieferfahrzeuge werden mit dem Wirtschaftsverkehr und den damit einhergehenden Problemen im Stadtverkehr assoziiert. Eine wichtige Fragestellung für Entscheidungsträger ist der tatsächliche Anteil der KEP-Dienstleister am Wirtschafts- und Gesamtverkehr. Hierzu wurden bestehende Studien und Kennzahlen analysiert und mit eigenen Erhebungen der Frankfurt University of Applied Sciences validiert. Andreas Gilbert, Petra K. Schäfer I m Hinblick auf den Klimawandel, die Einhaltung der Luftemissionswerte, den zunehmenden Kampf um Flächenressourcen und den Anspruch an höhere Lebensqualität im urbanen Raum rückt bei der kommunalen Verkehrsplanung das Thema Wirtschaftsverkehr immer öfter in den Fokus. „Globalisierung, europäische Integration und neue Wertschöpfungsketten haben in den letzten Dekaden zu einem rasanten Anstieg des Wirtschaftsverkehrs geführt“ [1]. Angetrieben durch den zunehmenden E-Commerce, nimmt vor allem das Sendevolumen der Kurier-, Express- und Paketdienstleister (KEP-Dienstleister) zu [2]. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastrukur (BMVI) gibt zudem an, dass ein Drittel aller Fahrzeugfahrten auf den Wirtschaftsverkehr entfallen und beruft sich dabei auf die Mobilitätsstudie „Kraftfahrzeugverkehr in Deutschland 2010 (KiD 2010)“ [3]. Als Wirtschaftsverkehr werden Verkehre mit geschäftlichen, gemeinwirtschaftlichen oder dienstlichen Zwecken definiert [4]. Bild 1 verdeutlicht, wie sich der Wirtschaftsverkehr vom öffentlichen und privaten Verkehr abgrenzt. Durch die mit Markennamen versehenen, oft auffälligen Transporter der KEP-Dienstleister werden diese meist mit Parken in der zweiten Reihe und anderen Verkehrsbehinderungen in Assoziation mit dem Wirtschaftsverkehr in Verbindung gebracht. Dabei stellt sich die zentrale Frage, welchen Anteil die KEP-Dienstleister tatsächlich am Wirtschaftsverkehr ausmachen. Um verkehrsplanerische Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsflusses, der Verkehrssicherheit und zur Verringerung von Umweltbelastungen ergreifen zu können, muss auch insgesamt die Zusammensetzung des Wirtschaftsverkehrs genauer betrachtet werden. Dabei ist auch der Anteil am Gesamtverkehr eine entscheidende Kenngröße, um Wirkungen von möglichen Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen zu quantifizieren. Es gibt bereits verschiedene Studien, welche sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben und Anteile benennen können, die hier einfließen. Aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden und Untersuchungsräume unterscheiden sich die Ergebnisse. Um vorhandene Erkenntnisse zum KEP-Verkehr zu validieren, wurden eigene Erhebungen im Rahmen des Forschungsprojekts „Zustellverkehre kundenfreundlich, nachhaltig, flexibel und transparent. Durch Emissionsfreiheit (Zukunft.de)“ von der Frankfurt University of Applied Sciences durchgeführt. Es handelt sich dabei um ein vom BMVI gefördertes Modellprojekt, bei dem mehrere hundert E-Fahrzeuge im Realbetrieb von KEP-Unternehmen getestet wurden. Im folgenden Text werden die Ergebnisse aus der Verkehrszählung beschrieben. Wirtschaftsverkehr Öffentlicher Verkehr Privatverkehr Nutz- oder Geschäftsverkehr Güterwirtschaftsverkehr Dienstleistungsverkehr mit Waren Reiner Gütertransport mit: - Lieferwagen - Lastwagen - Sattelschlepper - Bahn - Kombiverkehr Mischform aus Personen- und Güterwirtschaftsverkehr (z.B. Handwerker) meist in: - PKW - Lieferwagen Reiner Personentransport zur Ausübung des Berufs (ohne Pendler) meist in: - PKW, Velo - Bahn, Bus Gesamtverkehr Bild 1: Einordnung des Wirtschaftsverkehrs gegenüber dem öffentlichen und dem privaten Verkehr [4] Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 33 Wissenschaft LOGISTIK Analyse bestehender Studien zum Wirtschaftsverkehr In der Vergangenheit wurden bereits verschiedene Datengrundlagen durch empirische Erhebungen geschaffen. Bei der Betrachtung bestehender Literatur zum KEP-Anteil lassen sich Unterschiede in den Ergebnissen feststellen. Tabelle 1 stellt die verschiedenen Ergebnisse gegenüber. Der Anteil am Wirtschaftsverkehr wird von 5,9 % bis 19,7 % angegeben, der Anteil am Gesamtverkehr zwischen 0,8 % bis 6,0 %. Nachfolgend werden die unterschiedlichen Studien genauer beleuchtet. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) geht in einem Faktenpapier aus 2006 auf den Güterverkehr in der Stadt ein. Demnach „[…] erreicht der Wirtschaftsverkehr in großen Städten einen Anteil von 25 bis 30 Prozent am werktäglichen KFZ-Verkehrsaufkommen, wobei der Güterverkehr daran mit rund einem Drittel beteiligt ist.“ Der Anteil des KEP-Verkehrs am Güterverkehr wird mit 35 % benannt. Somit ergibt sich ein Anteil der KEP-Dienstleister am Gesamtverkehr von 3,0 bis 3,5 % und ein Anteil am Wirtschaftsverkehr von 11,7 %. [5] Auf welche Datengrundlage oder Erhebungen sich die Zahlen stützen, ist aus dem Faktenpapier nicht zu entnehmen. Der Bundesverband Paket & Express Logistik (BIEK) weist den Anteil der KEP-Verkehre in Städten mit 6 % aus und bezieht sich dabei auf Studien der PriceWaterhouseCooper GmbH und der Hamburg School of Business Administration von 2017 [2]. Eine genaue Datenquelle bzw. wie dieser Wert ermittelt wurde, ist aus der Literatur nicht nachvollziehbar. Das Lehr- und Forschungsgebiet für Güterverkehr und Transportlogistik der Bergischen Universität Wuppertal gibt, auf Grundlage eigener Erhebungen von Ein- und Ausfahrten von Nutzfahrzeugen in die Düsseldorf Innenstadt (2018), einen Anteil von ca. 7 % am Wirtschaftsverkehr an. [6] Die Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) veröffentlichte 2019 eine Studie zur Citylogistik in Wien und zu dem Einfluss von Paketdienstleistern auf den Gesamtverkehr. Bei den hier durchgeführten Betrachtungen von Lieferwagen wurden bestehende Zähldaten mit eigenen Erhebungen zum fließenden und ruhenden Verkehr kombiniert. Als Ergebnis machen hier die KEP- Dienstleister lediglich einen Anteil von 0,8 % am Gesamtverkehr aus. Insgesamt konnte bei der Studie ein Lieferwagen-Anteil am gesamten Verkehrsaufkommen von 13,5 % festgestellt werden. Der KEP-Anteil macht somit am Wirtschaftsverkehr 5,9 % aus. [7] Ein deutlich höherer Anteil am Wirtschaftsverkehr konnte von der Hochschule Darmstadt University of Applied Sciences (Darmstadt UAS) im Rahmen einer Studienarbeit festgestellt werden. Bei den Erhebungen des ruhenden Verkehrs wurde die Methodik der Frankfurt UAS aus dem Projekt „Frankfurter Wirtschaftsverkehr - Optimierung des Wirtschaftsverkehrs in der Frankfurter Innenstadt“ (2015) übernommen. In zwei innenstadtnahen Straßenzügen wurde ein KEP-Anteil am Wirtschaftsverkehr von 13,2 % und 18,9 % ermittelt. [8] Empirische Forschung der Frankfurt UAS Bereits seit 2015 wird an der Frankfurt UAS zum Thema Wirtschaftsverkehr geforscht. Durch die Gründung des ReLUT - Research Lab for Urban Transport wird diese Thematik noch mehr fokussiert. Es kann auf die Datengrundlage von mittlerweile vier Forschungsprojekten zurückgegriffen werden, bei denen eigene Erhebungen zum Wirtschaftsverkehr, mit Fokus auf dem KEP-Verkehr, durchgeführt wurden. Tabelle 2 stellt die gesammelten Ergebnisse der Frankfurt UAS dar. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Frankfurter Wirtschaftsverkehr - Optimierung des Wirtschaftsverkehrs in der Frankfurter Innenstadt (WV1)“ wurden im Jahr 2015 insgesamt 877 Halte- und Parkvorgänge, in einem definierten Bereich, erfasst und nach der Art des Wirtschaftsverkehr geclustert. Dabei konnte festgestellt werden, dass 10 % dieser Vorgänge auf die KEP-Dienstleister zurückfallen. [9] Bei der Erhebung des ruhenden Verkehrs wurde ausschließlich der Wirtschaftsverkehr aufgenommen, sodass hier keine Aussage über den Anteil am Gesamtverkehr getroffen werden konnte. Mit der gleichen Erhebungsmethodik fand im Mai 2019 eine Zählung der Halte- und Parkvorgänge in Seligenstadt, einem hessischen Mittelzentrum, statt. Dabei wurden insgesamt 153 Vorgänge des Wirtschaftsverkehrs dokumentiert. KEP-Dienstleister machten hier 25-% des Wirtschaftsverkehrs aus. [10] Im Projekt „Analyse des Wirtschaftsverkehrs in der Innenstadt der Landeshauptstadt Wiesbaden (WVW) wurden 2019 insgesamt 2.780 Halte- und Parkvorgänge erfasst. Dabei wurde auch der Privatverkehr mit erhoben. Der Anteil von KEP-Dienstleistern am Gesamtverkehr machte hier 5 % aus. Der Wirtschaftsverkehr machte insgesamt 37 % der erfassten Vorgänge aus, wodurch sich ein Anteil der KEP-Dienstleister am Wirtschaftsverkehr von 13,5 % ergibt. [11] Es ist zu erwähnen, dass bei der Erfassung des ruhenden Verkehrs kein ÖPNV und kein Radverkehr miterfasst wurden, welche aus ver- VCD BIEK Universität Wuppertal WU Wien Darmstadt UAS KEP-Anteil am Wirtschaftsverkehr (%) 11,7 % - 7,0 % 5,9 % 13,2 - 19,7 % KEP-Anteil am Gesamtverkehr (%) 3,0 - 3,5 % 6,0 % - 0,8 % Tabelle 1: Gegenüberstellung bestehender Literatur und Studien zum Wirtschaftsverkehr WV1 WVMZ WVW „Zukunft.de“ Darmstadt UAS KEP-Anteil am Wirtschaftsverkehr (%) 10,0 % 25,0 % 13,5 % 5,0 - 7,0-% 13,2 - 19,7 % KEP-Anteil am Gesamtverkehr (%) - - 5,0 % 1,0-% Tabelle 2: Vergleich der Ergebnisse von Erhebungen des Wirtschaftsverkehrs der Frankfurt UAS INTERNATIONAL Logistics Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 36 Ramp up warehouses Drive-in warehouse, Multistory drive-in warehouse, Distribution logistics, Infrastructure Last mile deliveries have become more and more difficult, especially in densely populated areas. Tangible solutions to this dilemma have been scarce. Ramp up warehouses that have been used in Asia for many years, might be a solution for Europe as well. Despite some first examples, skepticism seems to prevail. However, with the lack of space in big agglomerations as well as the changing consumption and shopping preferences of customers, this might soon change. Armin F. Schwolgin I n large urban areas last mile logistics has become more and more challenging. Presently, e-commerce customers are serviced from distribution centers located outside urban centers. Consequently, true armadas of vans (sprinters) and light trucks (3.5 tons up to 7.5 tons) operated by parcel and forwarding companies are flooding the cities every morning. On their way they are using the same infrastructure as passenger cars, busses, and trams, creating traffic jams and external effects. One of the main drivers of growth in urban freight traffic has been the boom of e-commerce, with Covid-19 fueling online business even further. It is believed that customer behavior will not return to offline business once the pandemic is over. To reduce the cost of last mile logistics, whilst improving the service level for the customers, new solutions for the last mile are needed, but these seem to be scarce [1]. Given the continuing and growing demand for online services, we will explore the possibility of building a new type of warehouse, often called a (referred to as a) multistory, on empty lots in or close to the middle of urban centers. Recent publications in Germany have centered more on the additional cost of these warehouses and legal restrictions (building codes) rather than on optimizing the usage of land and reducing the sealing of soil [2]. Terminology and historic examples The term “multilevel warehouse” is somewhat misleading because the adjective multilevel is not sufficient to differentiate this type of warehouse from existing high-rise warehouses that use either high rack technology or freight elevators [3]. In Asia, especially in Japan, Hong Kong, Singapore, and more recently in the People’s Republic of China, logistics companies have been using multistory warehouses where the different levels can be reached by vans, regular-sized or even large trucks carrying forty-foot containers (Figure 1). Among the existing words the term “ramp up warehouse” seems more appropriate, although structures of this type sometimes have an upward and a downward ramp. In other cases, a wider ramp with two lanes allows for two-way traffic. The ramp is usually made of reinforced concrete which is supported by columns. In this article, we define a ramp up warehouse as a multistory warehouse with sturdy ceilings in between featuring a high load-bearing capacity, and allowing light as well as heavy trucks to drive in and out via ramps. These can be straight or spiraled. In Asia, we find ramp up warehouses that are also equipped with container elevators. Sometimes ramp up warehouses are regarded as an innovation. However, looking at agricultural buildings of the past, you might conclude that there is nothing new under the sun. The upper level of European farmhouses or barns could be reached directly from the hillside, via an artificial dam, or indeed by way of wooden ramps. While the farmhouses in the Black Forest, in Saxony, Thuringia, Austria, and Switzerland allowed the horse-drawn wagons to turn around on the upper floor of the barn in the farmhouse (Figure 2), the so-called “drive-up barns” in the northeast of Germany required two ramps, just like some of the modern ramp up warehouses (Figures 3 and 4). At the time and even now, the advantage of a more rapid storing process was and is most likely offset by the higher construction cost [4]. The drive-up double barn described by Reich in 1928 is quite remarkable [5]. Four sturdy horses pulled the farm wagons up the ramp made of an earth dam and wooden posts. Once the wagon was in the barn, the bundles of grain or hay could be easily and very quickly unloaded by dropping them onto the lower level or depositing them sideways. The ground floor has a support Figure 1: Ramp up warehouse at Beijing Capital International Airport Photo: Schwolgin Figure 2: Inside a historic ramp up farmhouse in the Black Forest Photo: Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof Logistics INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 37 grid in the middle of about 6.5 × 6.5 m, considering the load of a harvest wagon (3,000 kg), the dead weight of the vehicle (approximately 1,000 kg), and the weight of the four horses (roughly 2,600 to 3,000 kg). A similar wooden barn, probably built in the 1920s, still exists today in northeast Germany. Ramp up warehouses in Asia Looking at ramp up warehouses in Asia, we can find different types that have been built in the past 25 years. The most prominent types are those having 20 or even more floors with spiraled ramps. These could be considered real high-rise warehouses. A subset of these have additional freight elevators for containers, some of them are equipped with container elevators only. Despite the additional cost for ramps (space, construction), the drive-in version appears to be the prevailing form; in some cases, the original container elevators have been replaced by ramps if additional space was available. The main reasons for this development are the costs for servicing the elevators, electricity, and the waiting time for the trucks to load and unload the containers. The third type is a twoor three-story warehouse with separate upward and downward ramps with a relatively flat slope. This type of multistory drive-in warehouse can be found in big cities in Mainland China, the USA and, most recently, also in Europe. The Kerry Cargo Centre in Hong Kong’s Kwai Chung district has a truck ramp servicing 20 floors [6]. It is one of the largest warehouses of this type in the city (Figure 5). Each floor has an overhead clearance of 5,20 m. The load-bearing capacity of the ceilings is 350 pounds per square foot. This design allows to store airfreight pallets three meters high or 45-foot-high cube containers without any problems. Lifting platforms allow for the direct transfer of loads from the truck to the warehouse. The location in Kwai Chung is ideal for seaand airfreight as well as road transport. The outlay of the ramp up warehouse consists of the spiraled bi-directional ramp, a loading area with large shunting areas and, of course, the storage space as such. Parking and puffer areas are also available (Figure 6). Further room is reserved for offices and breakand washrooms, meeting rooms, surveillance, and security installations as well as fire protection. Alternatively or additionally, container elevators can be found in these high-rise warehouses. In contrast to the typical cargo elevator in traditional multistory warehouses where goods are moved either manually or by forklifts into the elevator cabin, the container elevator is considerably larger and does need an extra cabin as the container itself serves as a cabin (Figure 7). The container is moved in and out automatically by cantilever beams with twist locks positioned below the lifting gear. This allows for the horizontal shifting (Figure 8). After having been placed onto the warehouse floor to the right or left, the stuffing or stripping of the containers can be done in the conventional way. In general, the availability of land in the P. R. of China is not a bottleneck. However, in the huge first-tier cities, this can constitute a problem. For the Olympic Games in Beijing in 2008, four ramp up warehouses with three floors each were built close to the Beijing Capital International Airport (Figure-9). There are separate upward and downward ramps, so trucks do not have to pass each other. The warehouses were provided to the International Olympic Committee and are now being used commercially. Examples of ramp up warehouses outside Asia About five years ago, the concept of ramp up warehouse started to spread from Asia to the USA, Great Britain, France and finally to Germany, driven by logistics real estate developers. In the USA, the first ramp up warehouse was built in 2016 [7]. It has a total surface of 54,000 m 2 spread out across three floors. The first two floors (including the ground floor) are accessible by trucks, the third floor is connected by freight elevators. The ceilings are reinforced so that they can carry the weight of racks and materials handling equipment as well as the weight of vans and trucks. The construction was completed in 2018 and has been rented out to Amazon. Further objects are being analyzed in New York, Los Angeles, and the greater San Francisco area [8]. In early 2018, Segro announced the building of a multistory warehouse for Ikea in Paris (Port de Gennevilliers). Drivers of this project were the availability of suitable Figure 3: Upward and downward ramp of a barn in former East Prussia Source [5] Figure 4: Ramp of a drive-through barn in Alt-Guthendorf / Mecklenburg Vorpommern (Germany) Source: http: / / gutshof-alt-guthendorf.de Figure 5: Multistory warehouse with spiral truck ramp in Hong Kong Source: Kerry Logistics Figure 6: Typical floor plan of a ramp up warehouse in Hong Kong Source: Kerry Logistics INTERNATIONAL Logistics Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 38 properties and the dense population. This ramp up warehouse has a total floor space of 63,000 m 2 . It provides 48 docking stations for trucks on the ground floor and 25 on the second floor. The ramp is 10 meters wide, allowing trucks driving upward and downward to easily pass. In addition, there are 85 loading stations for electric vehicles for the last mile distribution process in the center of town and the western suburbs [9]. Several months later, Chetwoods Associates Services Ltd. announced the first-time construction of a three-story warehouse in the UK ([10], see Figure 10). Once again, the drivers were the lack of suitable land and the “on-demand economy”. It is remarkable that all three levels with a total surface of 426,000 square feet (39,575 m 2 ) can be reached by motor vehicles. On each level there are 26 loading docks and four entry doors. In addition, there also is a parking garage with charging stations for electric cars. First examples of ramp up warehouses can also be found in Germany. In 2018, developer Segro started building the first multilevel warehouse in Munich-Daglfing [11]. The building has two levels with a total surface of 16,000 m 2 , which are accessible by motor vehicles up to five tons, excluding regular trucks. An inside ramp helps to avoid problems with ice and snow. Meanwhile, Amazon uses this warehouse to distribute parcels and fresh food in downtown Munich using a fleet of vans. In the third quarter of 2021, the twostory commercial and logistics center known as Four Parx Hamburg will be completed. The ramp allows 45 t trucks to drive up and down heated ramps. The facility has a warehouse space of 102,000 m 2 with a warehouse height of 10 m under beam (Figure 11). Four Parx claims that this is Germany’s first two-story logistics property [12], meaning it is accessible by heavy trucks. A first evaluation Due to high construction and operating expenses, ramp up warehouses of 5 to 25 floors seem rather unlikely in Europe’s urban areas, mostly because land prices have not (yet) reached a high enough level to justify the extra cost. One of the main drivers of this type of warehouse is the lack of land in urban areas, especially in densely populated areas. Due to the containerization in logistics, multi-storage warehouses using freight elevators seem more feasible in intralogistics. Ramp up warehouses with two or three stories could have a good chance in distribution logistics in large European agglomerations because the land for this type of build- Figure 7: View into the elevator shaft with the storage area to the right Photo: Schwolgin Figure 8: Container put down by a cantilever beam to the left of the shaft Photo: Schwolgin Figure 9: Three story ramp up warehouse at Beijing Capital International Airport Photo: Schwolgin Figure 10: London ramp up warehouse with three levels accessible by-vehicles Source: Chetwoods Figure 11: Truck ramp and warehouse of Four Parx Hamburg in December 2020 Photo: E. Rohland Logistics INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 39 ing has become scarce and relatively expensive. This concept multiplies the usable commercial space, which could lead to a higher density of construction. A limitation of sealed land could be a selling point to the public. On the other hand, the negative external effects (emissions, noise, vibrations) will lead to opposition from people living in these areas. The usage of electric and other environmentally-friendly and automatic transport vehicles for the last mile could reduce emissions of gases, particles, and noise. In addition to the cost of land prices, the shopping and consumption preferences of consumers (e-commerce, fresh logistics, same-day delivery, two-hour delivery, one-hour delivery) are further drivers. In the end, the cost savings from lower land usage will be compensated by the extra space needed for ramps. Logistic real estate companies point out that the separate truck access for every floor increases the marketability of the building [13]. Experience has shown that a ramp up warehouse becomes feasible if the property costs exceed more than 50 % of the total investment. Currently, property costs of more than 500 EUR per m 2 seem to be a threshold [14]. Operators should also look at the process costs of inbound logistics, storage, and outbound logistics. The lack of uninterrupted staging areas (inbound and outbound) could cause operational problems. This might be of particular importance on the ground floor where a support grid of 12 × 12 m is required, necessitating a load capacity of 3 to 3.5 metric tons/ m 2 [14]. Depending on the type of ramp in use, some other technical issues must be considered [15]. Among them are the radius of the curves, the maximum slope, and the transition area between the sloped ramp and the floor of the warehouse. In the case of spiraled ramps, the overhead clearance is an important factor. The technical specifics of the trucks using the ramp, must also be observed if semi-trailers are supposed to use the ramp (kink angle between truck and trailer). Outlook Although project managers have been pushing ramp up warehouses in recent years, the acceptance from industry is gaining momentum only slowly. Logistics companies still opt for predominantly horizontal organizational processes and structures. Nevertheless, logistics managers should look at the chances and risks in a more comprehensive way (Figure-12). A study from 2016 concluded that multistory warehouses will eventually become more common in Germany as well. In a follow-up study conducted in 2019, the concept was only ranked in the middle range of importance. One reason for reluctance to this effect is the small number of reference projects [16]. Another study pointed out that logistics facilities are generating lower emissions at night whilst facilitating urban condensation will support the idea of multilevel warehouses in the future [17]. If we disregard a certain euphoria that emerged some five years ago, mainly pushed by developers, we believe that the ramp up warehouse will remain on the logistics agenda. The main reasons are the lack of suitable space for traditional warehouses in big agglomerations, the trend to reduce the sealing of land, and the rapidly changing behavior of consumers. Most likely, the positive impact of Covid 19 on e-commerce is here to stay. With respect to the decisionmaking process, companies should not only focus on the cost comparison but also apply dynamic methods of investment calculus and scenario analysis. ■ REFERENCES AND NOTES [1] See Hunziker, Ch.: Die Last der letzten Meile. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, October 23, 2020, p. 11 [2] See Hartley, J.: Mehr als zwanzig Etagen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, October 4, 2019, p. 29 Dietz, P.: Flächenmangel bremst Logistikmieter aus. In: Immobilien Zeitung, January 1, 2020. www.immobilien-zeitung.de/ 154662/ flaechenmangel-bremst-logistikmieter-aus (retrieved February 8, 2020) Gericke, G.: Berlins Logistiker legen Rekordjahr hin. In: Immobilien Zeitung January 27, 2020. www.immobilien-zeitung. de/ 1000067882/ berlins-logistiker-legen-rekordjahr-hin (retrieved February 8, 2020) [3] Early and very prominent examples in Germany are the Speicherstadt in Hamburg (1888), the so-called Siebengebirge in the port of Cologne (1909) and the warehouse of Gutehoffnungshütte in Oberhausen (1921/ 1925) [4] See Detert/ Ballenstedt: Architektur 1900, Bd. 3, Reprint Mannheim 2005, p. 10 [5] See Reich, O.: Die Gebäude der Landwirtschaft, in: Deutschlands Landbau Ostpreußen, hrsg. von der Landwirtschaftskammer für die Provinz Ostpreußen, Berlin-Halensee 1928, p. 73 [6] See Kerry Logistics: Kerry Cargo Centre. www.kerrylogistics.com/ media/ zyrbyhvb/ kerry-cargo-centre.pdf (retrieved December 1, 2020) [7] See Dobos, L.: Logistikimmobilien: Prologistik baut erstes mehrstöckiges Lager der USA. In: Logistik heute, November 8, 2016. www.logistik-heute.de/ news/ logistikimmobilien-prologis-bauterstes-mehrstoeckiges-lager-der-usa-13243.html (retrieved August 8, 2020) [8] See Khasimoiva Long, K.; Romano, B.: Amazon leases new multistory warehouse in Seattle, first of its kind in U.S. In: Seattle Times, September 10, 2019. www.seattletimes.com/ business/ amazon/ amazon-leases-new-multi-story-warehouse-in-south-seattlefirst-of-its-kind-in-u-s (retrieved August 8, 2020) [9] See Segro: Segro to deliver pioneering multi-storey hub for Ikea in Paris. Press release January 31, 2018. www.segro.com/ media/ pressreleases/ 2018/ 31-01-2018? sc_lang=en (retrieved August 8, 2020) [10] See Chetwoods: G Park London Docklands, the UK’s first three-storey warehouse. Press release April 12, 2018. www.chetwoods.com/ journal/ g-park-london-uk s-first-multi-storey-warehou s e (retrieved February 8, 2020) [11] See Brockmann, B.: Hoch hinaus. In: Süddeutsche Zeitung, October 13, 2016. www.sueddeutsche.de/ geld/ staedtebau-hoch-hinaus-1.3203611 (retrieved February 8, 2020) [12] See Four Parx GmbH: Leasing details for Four Parx Hamburg, Dreieich-Sprendlingen (w/ o year) [13] See Segro: Multilevel-Objekte: Logistikimmobilienentwickler wollen hoch hinaus. In: What’s Up, Vol., 1/ 2017 [14] See Dietz, P.: Logistik stockt auf. In: Immobilien Zeitung, July 9, 2017, p. 1 [15] See Tögelplan: Befahrbarkeit von Rampen. http: / / toegelplan.de/ leistungsbereiche/ fahrgeometrische-untersuchungen/ befahrbarkeit-von-rampen (retrieved February 10, 2020) [16] Bulwiengesa AG (Hrsg.): Logistik und Immobilien 2016, Hamburg 2016, p. 110 Idem: Logistik und Immobilien 2019, Hamburg 2019, p. 48-49 [17] PricewaterhouseCoopers (Hrsg.): Grüne Wiese oder Ballungsraum - Logistikimmobilien im Wandel, 2019, slide 23 Armin F. Schwolgin, Prof. Dr. Retired Professor, Baden-Wuerttemberg Cooperative State University, (DHBW), Loerrach (DE); and longtime Visiting Professor at Beijing Wuzi University, Beijing (CN) armin@schwolgin.de • Availability of land • Rising land prices • Higher construction costs • Higher process costs • Legal obstacles (building code etc.) • Socio-demographic changes • General purchasing behavior (online versus offline) • Desired service levels • Reduction of sealed land • Fewer traffic jams • Lower negative external effects Figure 12: Chances and risks of ramp up warehouses INTERNATIONAL Logistics Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 40 Port Community Systems - Supply Chain App stores of the future? Comparison of recent trends of international Port Community Systems Port Community Systems, Multiple Case Study, Digital Platform, Business model Port Community Systems (PCS) are locally-bound digital platforms to connect the port community. Using a multiple case study, we compare recent developments in service offer, involved stakeholders, service development strategy and data governance aspects of four PCS. The studied PCS show diverging business model developments. The Ports of Singapore and Antwerp choose an open, app-store like innovation platform approach, creating a one-stop trade and logistics ecosystem. Other ports such as Rotterdam or Le Havre choose to keep PCS more closed off, limiting their range of available functions. Ralf Elbert, Ruben Tessmann P ort Community Systems (PCS) are local inter-organizational, multisided platforms that connect various stakeholders of a port, thereby enabling efficient information exchange as well as commercial and value-added services [1, 2]. They reach back to 1982 when the Port of Hamburg introduced the first PCS run by Dakosy [3]. In the early years, the focus was mainly on the digitalization of previously manual and paper-based communication processes between port members, i.e., Electronic Data Interchange (EDI). Amid the Covid-19 pandemic, even more ports around the world rely on or plan to utilize the contactless exchange of data amongst businesses (B2B) as well as between companies and governmental agencies (B2G) [4]. Nowadays, most ports with a PCS have all of their regulatory and port-coordination communication digitalized. With increasing data traffic that was exchanged, computing capacity became an issue in some PCS. Therefore easily scalable cloudbased Software as a Service (SaaS) approaches were employed, which enabled together with other technological innovations such as RFID first value-added services (VAS) such as track and trace of containers within the port [3]. With ever-increasing amounts of data shared through PCS, the question arises, how PCS operators position their platforms. Do they leverage available data alone or do they integrate more stakeholders as well as additional services? How do existing port stakeholders react to sharing “critical” business information with an extended group [2, 5, 6]. This paper aims to shed light on recent developments of business models of international PCS. We will focus our analysis on the upper two-thirds of the well-established business model canvas [7, 8] since both information on cost structures and revenue streams are not available publicly. The following research questions will guide us: Which value-added services are offered by modern PCS and which stakeholders are involved? (Value Proposition, Key Partners, Customer Segments, Key Activities) How are value-added services created and offered and how is data governance handled? (Key Resources, Channels, Customer Relationships) We will try to answer these questions by adopting a comparative multiple-case study using publicly available primary and secondary sources on international PCS. We compare Singapore Customs’ Networked Trade Platform (NTP), Port of Antwerp’s NxtPort and C-Point platforms, Port of Rotterdam and Amsterdam’s Portbase and Le Havre’s SOGET S)ONE platform. These PCS were selected based on the active users, monthly transactions as well as the availability of primary and secondary sources covering topics relevant to the above-stated questions. We searched for information on the four PCS on the most widely used search engines for scholarly and non-scholarly searches (Google Scholar and Google). We manually screened the first 50 search engine results, stopping at 50, as we did not find any relevant results from the 40th result onwards. This procedure has recently been applied in a similar context [9]. Service offer of modern PCS A wide range of value-added services (VAS) are available on the studied PCS platforms. We identified seven categories of services offered. These are: Communication services, Logistical VAS, Logistical Chain VAS, Port management & safety VAS, Navigational VAS, Cargo booking services, Financial VAS, and Insurance & Compliance VAS. Table 1 presents an overview of the services that each of the four PCS platforms currently offers. The PCS with the most advanced services per category was given a full Harvey ball and the remaining PCS were evaluated compared to these services. Communication services cover a wide range of regulatory, port-related and commercial exchange needs of the involved stakeholders. While deviations between the four PCS exist due to differences in local legislation and stakeholder composition, all four cover a wide variety of services to connect the various stakeholders. Similarly, all PCS offer advanced logistical VAS, such as INTERNATIONAL Logistics Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 42 as an information and data supplier for external, independent VAS providers. S) ONE chooses a different path, as the example of integrating the Click2Rail platform shows. S)ONE utilizes an extended PCS platform architecture, where the core platform connects with an external platform (in this example of Click2Rail), which offers the additional services. Not all of the external platform’s services necessarily have to be available from the PCS interfaces, though (see Service 2.3 in Figure 2). Both Portbase and S)ONE use highly formalized partnership agreements. S)ONE, for example, does not make interfaces available publicly and Portbase requires a software supplier to already have a PCS user as a customer before signing up as such [26]. NxtPort’s “API and applications market” goes one step further than S)ONE. The core platform is provided by C-Point (formerly Antwerp PCS), while NxtPort is acting as the connected platform for external services, which integrates services by thirdparty developers into the PCS (such as LOGIT ONE [36]). Still, it also openly markets its own and C-Point’s internal data and services that third-party developers can access. As part of their mission statement, the developers of NxtPort formulate the goal that innovative solutions shall be built based on available information in the port community [46]. By openly marketing available data, they encourage potential software providers to integrate their services with NxtPort, utilize its data and offer the services directly to the port community through the PCS. Currently, three applications and multiple APIs from external developers are offered on the NxtPort platform. Singapore’s NTP has the most open approach to the development of new services. The former services for B2B (Port- Net) and B2G (TradeNet) communication have been integrated into the new “one-stop trade and logistics ecosystem” [11] and thereby act as the core of the platform. NTP actively encourages the development of VAS by third-party developers by providing them APIs and sandboxes (i.e., secure and capsuled development environments). As discussed earlier, NTP also addresses a broader range of stakeholders and as a result, Singapore has over 50 VAS by thirdparty entities available. Data governance With an extended stakeholder group, data governance becomes an even more pressing topic as port stakeholders are generally skeptical about sharing data that might profit other companies or even competitors. Recent research suggests that this can be a major barrier to PCS adoption [5, 23]. Portbase, for example, defined strict regulations, policies and procedural approaches for data governance, which include the authentication of every single data exchange, so that only pre-approved exchanges can take place [23]. Similar rules were defined for NTP [12]. NxtPort and C-Point stick out with a novel concept of data governance. Additionally, Antwerp’s PCS platform allows stakeholders to allocate a value to the data they share to the data exchange rules. On top of the usual transaction, monthly recurring and onboarding fees for using the platform, Nxt- Port introduced a so-called “Data fee”, which is set by the respective data owner and has to be paid by the data user [18, 19]. They thereby encourage data sharing and allow data owners to monetarize their data. Conclusion While our research was limited to only four major PCS, we can see from the comparison that the business models of PCS seem to diverge. Portbase follows a strategy that is mostly based on a transactional platform. Data and information are exchanged on the platform, certain additional VAS are offered by the PCS operator, but VAS from independent developers are not available through the platform. The S)ONE platform seems to stand in the middle between the more closed-off Portbase approach and the more open approach of NxtPort/ C-Point and NTP. The latter platform appears to evolve from a sole transaction platform to an innovation platform by opening up to more stakeholders, such as banks, insurances and independent service and platform developers. In this way, PCS can develop into one-stop single windows, where port stakeholders can handle (almost) all of their transport and supply chain-related processes seamlessly end-to-end. They do so by choosing precisely the needed applications for their tasks from a marketplace or app store that is part of the PCS platform. It comes down to whether a PCS wants to keep the community data more exclusive and ensure easier trust-building among stakeholders. This approach can potentially limit the breadth of available functions. Open platforms with an extended stakeholder group, on the other hand, will have to find new ways to encourage its members to actively share valuable data, such as Nxt- Port’s “Data fee” initiative. Future research could test our observations to a broader set of Port and also Air- Figure 1: PCS stakeholders. Own depiction inspired by and partially based on [23] Figure 2: Simplified model of PCS platform architecture development. Own depiction inspired by-[26] Logistics INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 43 port Community Systems such as Dakosy’s PCS in Hamburg, the Dubai Trade platform or Cargonaut at Schiphol airport to see how these platforms are positioning themselves on the continuum between transactional and innovation platform. It would also be interesting to see which effect this major strategic decision has on the platform’s future development itself as well as the respective port and which role data governance arrangements and standards play. ■ SOURCES [1] EPCSA (2011): How To Develop A Port Community System.. (access: Feb. 08, 2020). www.unece.org/ fileadmin/ DAM/ trade/ Trade_Facilitation_Forum/ BkgrdDocs/ HowToDevelopPortCommunitySystem- EPCSAGuide.pdf. [2] Moros-Daza, A.; Amaya-Mier, R.; Paternina-Arboleda, C. (2020): Port Community Systems: A structured literature review. In: Transportation Research Part A: Policy and Practice, vol. 133, pp. 27-46, Mar. 2020, doi: 10.1016/ j.tra.2019.12.021. [3] Dakosy (2020): About us - DAKOSY Datenkommunikationssystem AG. www.dakosy.de/ en/ about-us (access: Dec. 16, 2020). [4] PortStrategy, (2020): FOCUSING DIGITAL MINDS, Sep. 07, 2020. www.portstrategy.com/ news101/ technology/ focusing-digitalminds (access: Dec. 19, 2020). [5] Wallbach, S.; Coleman, K.; Elbert, R.; Benlian, A. (2019): Multi-sided platform diffusion in competitive B2B networks: inhibiting factors and their impact on network effects. In: Electron Markets, vol. 29, no. 4, pp. 693-710, Dec. 2019, doi: 10.1007/ s12525-019-00382-7. [6] Rodon, J.; Pastor, J. A.; Sese, F.; Christiaanse, E. (2019): Unravelling the dynamics of IOIS implementation: an actor-network study of an IOIS in the seaport of Barcelona. In: J. Inf. Technol., vol. 23, no. 2, pp. 97-108, Jun. 2008, doi: 10.1057/ palgrave.jit.2000131. [7] Massa, L.; Tucci, C. L.; Afuah, A. (2017): A critical assessment of business model research. In: Academy of Management Annals, vol. 11, no. 1, pp. 73-104, 2017. [8] Osterwalder. A.; Pigneur, Y. (2010): Business model generation: a handbook for visionaries, game changers, and challengers. New York, NY: John Wiley & Sons. [9] Szopinski, D.; Schoormann, T.; John, T.; Knackstedt, R.; Kundisch, D. (2020): Software tools for business model innovation: current state and future challenges. In: Electron Markets, vol. 30, no. 3, pp. 469- 494, Sep. 2020, doi: 10.1007/ s12525-018-0326-1. [10] Gordon, J. R. M.; Lee, P. M.; Lucas, H. C. (2005): A resource-based view of competitive advantage at the Port of Singapore: In: The Journal of Strategic Information Systems, vol. 14, no. 1, pp. 69-86, Mar. 2005, doi: 10.1016/ j.jsis.2004.10.001. [11] NTP (2020): Overview; Government VAS ; Value-Added Services (VAS): Networked Trade Platform - Overview, 2020. www.ntp.gov. sg/ public/ introduction-to-ntp---overview; www.ntp.gov.sg/ public/ browse-govvas-catalogue; www.ntp.gov.sg/ public/ browsevas-catalogue (access: Nov. 06, 2020). [12] Singapore Customs (2020): Leaning forward: Singapore leverages digital data to help financial institutions augment trade finance compliance. In: WCO News 92, Jun. 2020. https: / / mag.wcoomd.org/ magazine/ wco-news-92-june-2020/ leaning-forward-singaporeleverages-digital-data-to-help-financial-institutions-augmenttrade-finance-compliance/ (access: Dec. 18, 2020). [13] Singapore Customs (2018): Going beyond the national Single Window. In: WCO News, Oct. 2018. https: / / mag.wcoomd.org/ magazine/ wco-news-87/ going-beyond-the-single-window/ (access: Nov. 10, 2020). [14] The Business Times (2018): Singapore’s new digital trade platform can help build cross-border linkages. In: The Business Times, Sep. 26, 2018. [15] Antwerp Port Authority (2015). Product Sheet eServices_LR.pdf, Aug. 2015. www.portofantwerp.com/ sites/ default/ files/ Product%20 Sheet%20eServices_LR.pdf (access: Nov. 10, 2020). [16] Carlan, V.; Sys, C.; Calatayud, A.; Vanelslander, T. (2018): Digital Innovation in Maritime Supply Chains: Experiences from Northwestern Europe. Inter-American Development Bank, Apr. 2018. doi: 10.18235/ 0001070. [17] C-Point, (2020): C-Point Overview; Electronic payments with Twikey. www.c-point.be/ en; www.c-point.be/ en/ services/ electronic-payments-twikey (access: Dec. 18, 2020). [18] Lievens, D. (2017): NxtPort, Oct. 2017. [19] Moyersoen, L. (2019): Building the Port of the Future, Together Open Data Backbone enabling Digital Supply Chain through Co-Creation. In: International Maritime Organization Publications, p. 13, Apr. 2019. [20] de Wilde, G. (2020): How NxtPort unlocks the potential of sharing data in the port of Antwerp. worldofanalytics.be/ blog/ how-nxtport-unlocks-the-potential-of-sharing-data-in-the-port-of-antwerp (access: Dec. 18, 2020). [21] Port of Antwerp (2020): Electronic solutions for a clearer supply chain. www.portofantwerp.com/ en/ node/ 14630 (access: Nov. 10, 2020). [22] Waterschoot, K. (2011): Antwerp Port System. Presented at the WCO, Seattle, May 13, 2011. www.wcoomd.org/ -/ media/ wco/ public/ global/ pdf/ events/ 2011/ it/ day-3/ kristof_waterschoot.pdf? la=en (access: Nov. 10, 2020) [23] Chandra, D. R.; van Hillegersberg, J. (2018): Governance of interorganizational systems: a longitudinal case study of Rotterdam’s Port Community System. In: IJISPM-Int. J. Inf. Syst. Proj. Manag., vol. 6, no. 2, pp. 47-68, 2018, doi: 10.12821/ ijispm060203. [24] Constante, J. M. (2019): International Case Studies and Good Practices for Implementing Port Community Systems | Publications. Inter-American Development Bank, May 2019. https: / / publications. iadb.org/ publications/ english/ document/ International_case_ studies_and_good_practices_for_implementing_Port_Community_Systems_en_en.pdf (access: : May 29, 2019). [25] de Langen, P. W.; Heij, C. (2014): Corporatisation and Performance: A Literature Review and an Analysis of the Performance Effects of the Corporatisation of Port of Rotterdam Authority. In: Transport Reviews, vol. 34, no. 3, pp. 396-414, May 2014, doi: 10.1080/ 01441647.2014.905650. [26] Portbase (2020): How it works; Services; Portbase developer portal; Through collaboration with Portbase, our software is developing fast. www.portbase.com/ en/ port-community-system/ ; www.portbase.com/ services/ ; https: / / developer.portbase.com/ ; www.portbase.com/ en/ klantervaringen/ through-collaboration-with-portbase-our-software-is-developing-fast/ (access: Dec. 16, 2020). [27] van Baalen, P.; Zuidwijk, R.; van Nunen, J. (2009): Port inter-organizational information systems: Capabilities to service global supply chains, vol. 2. [28] van der Horst, M. R.; van der Lugt, L. M. (2011): Coordination mechanisms in improving hinterland accessibility: empirical analysis in the port of Rotterdam. In: Maritime Policy & Management, vol. 38, no. 4, pp. 415-435, Jul. 2011, doi: 10.1080/ 03088839.2011.588257. [29] Bunker Ports News Worldwide (2019): SOGET and the start-up Click- 2Rail sign a global partnership agreement. Oct. 30, 2019. [30] FAQ Logistique (2018): MGI and SOGET present the convergence work of Ci5 and S) ONE: In: Portail Logistique, Transport et Supply Chain, Mar. 22, 2018. www.faq-logistique.com/ CP20180322-MGI- SOGET-Convergence-Nationale-CCS.htm (access: Nov. 24, 2020). [31] Joszczuk-Januszewska, J. (2012): The Benefits of Cloud Computing in the Maritime Transport. In: Telematics in the Transport Environment Springer: Berlin, Heidelberg, vol. 329, pp. 258-266, doi: 10.1007/ 978- 3-642-34050-5_29. [32] Port Strategy (2018): SOGET and Microsoft: a strategic partnership for a secure digitization of ports in France and worldwide, Oct. 17, 2018. www.portstrategy.com/ press-releases/ 2018/ soget-andmicrosoft-a-strategic-partnership-for-a-secure-digitization-ofports-in-france-and-worldwide (access: Dec. 16, 2020). [33] Soget (2020): Le Havre Port Community System. www.soget.fr/ en/ customers/ france/ le-havre-uk.html (access: Nov. 05, 2020). [34] Soget (2019): SOGET digital platforms handle more than half a million secured messages a day. In: Hellenic Shipping News Worldwide, Sep. 11, 2019. www.hellenicshippingnews.com/ soget-digitalplatforms-handle-more-than-half-a-million-secured-messagesa-day/ (access: Dec. 01, 2020). [35] iSpot (2020): iSPOT Secure Electronic Cargo Tracking by Ascent Solutions. www.ntp.gov.sg/ public/ browse-vas-catalogue/ view-vasdetails? id=5865450 (access: Dec. 18, 2020). [36] NxtPort (2020): Logit One - Visibility tool. www.nxtport.com/ market/ applications/ logit-one (access: Dec. 18, 2020). [37] Carlan, V.; Naudts, D.; Audenaert, P.; Lannoo, B.; Vanelslander, T. (2019): Toward implementing a fully automated truck guidance system at a seaport: identifying the roles, costs and benefits of logistics stakeholders. In: Journal of Shipping and Trade, vol. 4, no. 1, p. 12, Dec. 2019, doi: 10.1186/ s41072-019-0054-5. [38] Pema (2013): OCR in Ports and Terminals.. www.pema.org/ wpcontent/ uploads/ downloads/ 2013/ 01/ PEMA-IP4-OCR-in-Ports-and- Terminals.pdf (access: : Dec. 18, 2020). [39] Hakovo (2018): HAKOVO on Singapore’s new digital trade platform. Oct. 01, 2018. www.hakovo.com/ hakovo-on-singapores-new-digital-trade-platform/ (access: Dec. 18, 2020). [40] Haulio (2018): Haulio and the NTP. Nov. 08, 2018. www.haulio.io/ blog/ haulio-and-ntp/ (access: Dec. 18, 2020). [41] Janio (2020): janio & Bukalapak - Upgrading Indonesian microentrepreneurs to expand regionally.https: / / janio.asia/ about-us/ (access: Dec. 17, 2020). [42] Port of Rotterdam (2020): All shipping routes via Rotterdam | Navigate planner. Navigate Rotterdam shipping routes - Get a complete overview of the best connections. https: / / rotterdam.navigate-connections.com/ voyages (access: Dec. 17, 2020). [43] Culum Capital (2020): Supply Chain Financing by Culum Capital. www.ntp.gov. s g/ publi c/ brows e-va s-c atalogue/ view-va sdetails? id=5805450 (access: Dec. 18, 2020). [44] CHUBB (2020): Single Shipment Insurance by Chubbwww.ntp.gov. sg/ public/ browse-vas-catalogue/ view-vas-details? id=5905450 (access: Dec. 18, 2020). [45] Pole Star (2020): PurpleTRAC powered by Pole Star. www.ntp.gov. sg/ public/ browse-vas-catalogue/ view-vas-details? id=5935450 (access: Dec. 18, 2020). [46] NxtPort (2018): Towards a competitive advantage. European Freight Leaders Forum, 2018. www.europeanfreightleaders.eu/ wp-content/ uploads/ 2018/ 02/ 305.-NxtPort-intiative.pdf (access: Nov. 10, 2020). Ralf Elbert, Prof. Dr. Professor am Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt elbert@log.tu-darmstadt.de Ruben Tessmann Doktorand, Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt ruben@r-tessmann.de INTERNATIONAL Shared mobility Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 44 The hour of the 4 th shared mobility mode: Mopeds Why moped sharing will continue gaining global relevance. Status quo, trends and challenges. Moped sharing, Shared mobility, Market status, Mobility transformation, Urban mobility Since 2012, moped sharing has made a substantial and sustainable development within the shared mobility landscape. Last year the market hit the 100,000 moped threshold for the first time. This article gives you an intro to how moped sharing has developed in the past years, where it stands today (market status quo and existing challenges), and moreover where it is heading (trends). The article argues that moped sharing has a bright future ahead. Moped sharing has become a solid complementation of the three existing shared mobility modes bike, car and kick scooter. Enrico Howe S hared mobility has been a successful model for many years. Carsharing and bike sharing have been around for decades. Additionally, kick scooter sharing was recently introduced to the market in 2017. In the past decades, the market has seen significant business model innovations such as the introduction of the smartphone as a key, free floating services and Mobility-as-a-Service (MaaS) integrations. Bike sharing accounts for more than 10 million vehicles, car sharing & kick scooter sharing for hundreds of thousand vehicles. However, since its market start in 2012 moped sharing has made a slower, but substantial and sustainable development on the ground. Market overview: More than 104,000 mopeds with a strong focus on Europe, India, Taiwan and the U.S. The most comprehensive overview of the market development can be found in the Global Moped Sharing Market Report 2020 [1] by unu. Moped sharing was first introduced in the U.S. in 2012 and moved to Europe quickly. Since then, Europe has grown to be the biggest market internationally. At a glance, moped sharing accounts for more than 104,000 mopeds (see Figure 1) in 22 countries and more than 120 cities (see Figure 2). Cities such as Barcelona, Bangalore or Milano can’t be imagined without local services anymore. The past eight years since industry birth have been a story of constant growth. [1] The industry is very Europe-centered. 15 out of the 22 moped sharing countries are Photo: tier.app, Berlin INTERNATIONAL Shared mobility Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 46 ness model innovations around operational challenges. Deep MaaS solutions and paving the ground for higher acceptance: Many operators are offering stand-alone solutions. They provide a service, which is only partially integrated into the existing urban mobility landscape. Improving the ease of usage for the user by integrating moped sharing with transit and other shared mobility modes remains crucial to further improve user acceptance. For deeper operator-based expansionrelated challenges, the author recommends reading Lehmann [5], which identified several critical success factors (CSF), including fleet & business management, operational efficiency, cooperation with authorities, public transport availability, norms & regulation, weather and finally city layout.-[5] Trends: What will happen in 2021? As mentioned above, the coming years will see a dynamic market development. The following section identifies eight trends of the coming years. 1. Beating Covid: Managing & beating the Covid crisis is surely a societal priority of at least the first half of 2021. An increased overall travel volume is expected for the time after. [4] 2. Introduction of city regulation & tenders: More cities than ever started tender processes and handing out licenses for operation, although the overall number of “license-cities” remains low. Barcelona, Amsterdam and Groningen are examples which have done so or are planning to do so in 2021. Nevertheless, the acceptance for moped sharing by city regulators and users alike is high and also liberal forms of city access permissions have been successful. Licenses & tenders are therefore not the only option in the future, but likely to become more relevant (especially in bigger cities). [1] 3. Business model diversification: In 2020, there were discussions around dynamic pricing, AI-based fleet balancing, food and parcel delivery as well as co-branding, among other aspects. But due to Covid, two major topics are quickly gaining ground: long-term rental and subscription services.-[1] 4. Increasing industry competition: The top five operators already own 49 % of the global moped sharing fleet. The other 71 operators share 51 % of the remaining global fleet. The total number of global moped sharing operators grew by 41 % from the 2019 report to 2020. [1] 5. Strengthening rider awareness & safety: Some of the central moped sharing markets have well-known moped cultures such as Spain, Italy or the Netherlands. In other markets, cars, transit or bikes might hold more importance. Building ridership awareness is therefore a crucial focus which operators have taken care of for years by for example, offering test rides, in-person lessons and other measures. The activities of operators in 2020 show that improving safety measures even further is a continuing trend. [1] 6. More multimodal fleets/ service integration: Moped sharing has to become a more integrated solution. All shared modes and most importantly public transport will increasingly grow together. Users will have the chance to easily choose and switch among mobility service solutions according to their needs. MaaS services such as Berlin’s Jelbi will be key to this development. [1] 7. Strong volume growth: The number of globally available mopeds in sharing services will continue to rise significantly. More new operators will start and moreover, existing mobility operators from outside moped sharing will continue to expand into the moped game. 8. Extended regional coverage: Finally, regional expansion will bring the service to new country and city markets. Compared to higher investment and operational costs of car sharing for instance, moped sharing brings the chance to bring also motorized shared mobility to smaller cities and rural areas. An important step in transferring our mobility system. Summary To sum it up, moped sharing is leaving the niche. It has become a mature and equally relevant shared mobility mode over the past years. The industry is facing a high level of acceptance by cities and users alike and after the Covid crisis, the industry is set for a substantial growth impulse. Given the fact that moped sharing is very successfully operated, but more than 90 % found only in Europe, India and Taiwan, a big moped sharing boom can be expected in a post Covid world beyond these core markets. Some of the existing challenges to this are improving the moped quality and business model fit, bringing down operational costs as well as developing high-end MaaS solutions to reach further user groups. Finally, the author described eight trends which will shape the industry in the coming years, including global volume growth, market reach, user base extension, developing regulatory systems and business model diversification. They are the base for arguing that we are currently witnessing the “hour of the 4th shared mobility mode” - moped sharing is on track to grow in future. ■ SOURCES [1] Howe, Enrico & Felix Jonathan Jakobsen (2020): Global Moped Sharing Market Report 2020. Online: https: / / share.unumotors.com/ global-mobility-sharing-market-report (Access: 13.01.2021) [2] Howe, Enrico (2021): Global Moped Sharing Map. Online: https: / / mopedsharing.com/ moped-sharing-map (Access: 13.01.2021) [3] Howe, Enrico (2020): Deconstructing the Gender Gap in Shared Micromobility Usage. Online: https: / / invers.com/ en/ blog/ deconstructing-shared-micromobility-gender-gap/ (Access: 13.01.2021) [4] Invers & fluctuo (2020): European shared micromobility in the face of a pandemic. White Paper. Online: https: / / go.invers.com/ en/ shared-micromobility-report-2020 (Access: 13.01.2021) [5] Lehmann, Eric (2020): Moped sharing building sustainable cities : defining critical success factors that enable operators to develop efficient business strategies. University of Twente. https: / / essay. utwente.nl/ 81042/ (Access: 13.01.2021) Enrico Howe Founder mopedsharing.com, Berlin rico@mopedsharing.com Photo: Steffi Pereira / Unsplash Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 47 Luftverkehr MOBILITÄT Marktpotenzial von Flugtaxis Nachfrageanalyse am Beispiel des Flughafens Frankfurt und der Region Rhein-Main Urban Air Mobility, Flugtaxi, Flughafen, Luftverkehr, Frankfurt, Preis Flugtaxis eröffnen für Flughäfen neue Geschäftsfelder, beispielsweise in der Bereitstellung geeigneter Infrastruktur, sogenannten Vertiports. Ob und ab wann diese Geschäftsfelder für Flughäfen rentabel sind, hängt sowohl von den prognostizierten Kosten als auch von der Zahlungsbereitschaft der Endkunden ab. Um eine erste Entscheidungshilfe zu schaffen, wurde im Rahmen einer Umfrage das Marktpotenzial von Flugtaxis im Rhein-Main-Gebiet quantitativ analysiert. Erste Erkenntnisse zur Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden sowie präferierten Strecken werden hier vorgestellt. Julia Herget, Felix Toepsch, Kirstin Zimmer B is zum Beginn der Corona-Pandemie war der internationale Luftverkehr seit Jahren von enormem Wachstum geprägt [1]. Es wird prognostiziert, dass sich dieses Wachstum mittel- und langfristig fortsetzen wird [2]. Gleichzeitig können Flughäfen ihre Infrastruktur nicht beliebig ausweiten. Sie befinden sich daher fortlaufend auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern, um nachhaltig erfolgreich am Markt zu bestehen und sich im kontinuierlich zunehmenden Wettbewerb zu behaupten [3]. In den letzten Jahren erfahren Flugtaxis zunehmend an wirtschaftlicher und öffentlicher Aufmerksamkeit. Die Entwickler versprechen mithilfe ihrer innovativen Fluggeräte neue Arten der inter- und intrastädtischen Mobilität (Urban Air Mobility), die ab Mitte der 2020er Jahre Realität werden sollen. Dabei handelt es sich insbesondere um Individual- und Privatverkehre, die im heutigen Luftverkehr lediglich einen kleinen Teil des Gesamtverkehrs ausmachen [4]. Die Anstrengungen zur Entwicklung einer Urban Air Mobility (UAM) werden vor allem durch die globale Urbanisierung getrieben. Die Bevölkerungszunahme in Städten führt zu einem verstärkten Mobilitätsbedarf bei gleichzeitig wachsendem ökologischen Bewusstsein der Bevölkerung [5, 6]. Flugtaxis könnten somit einer Verkehrsüberlastung vorbeugen und städtische Verkehrssysteme emissionsfrei erweitern. Für Flughäfen stellt sich auf der Suche nach neuen Erlöspotenzialen die Frage, inwiefern sie an dieser neuen Art des Luftverkehrs, unter anderem in Form von Airport Shuttle-Verbindungen, partizipieren können. Der wirtschaftliche Erfolg hängt dabei neben den prognostizierten Kosten insbesondere von der Nachfrage beziehungsweise der Zahlungsbereitschaft der Endkunden ab. Zur Ermittlung der Zahlungsbereitschaft der Endkunden wurde eine quantitative Befragung durchgeführt. Die Datenerhebung wurde in Form einer Online-Befragung im August 2020 durchgeführt. Als Befragungsinstrument diente ein erarbeiteter Fragebogen, der über Social Media-Kanäle an die Teilnehmer ausgespielt wurde. Die Umfragedauer betrug eine Woche. Ziel war die Gewinnung von relevanten Informationen potenzieller Kunden von Flugtaxileistungen wie die Feststellung ihrer Zahlungsbereitschaft und deren Determinanten sowie die Untersuchung von Routenpotenzialen auf Flugstrecken in die mit dem Flugtaxi erreichbare Umgebung. In der durchgeführten Befragung wurden daher ausschließlich die potenziellen Endkunden des Produktes (B2C) befragt. Darüber hinaus wurde der Befragung das Geschäftsmodell “Airport Shuttle” zugrunde gelegt. Alle erstellten Befragungsszenarien haben aus diesem Grund den Flughafen Frankfurt als Start- oder Endpunkt. Die technischen Leistungsparameter eines beispielhaften Flugtaxis entsprechen ebenfalls den Anforderungen eines Shuttle-Service, wodurch die Reichweite auf maximal 35 Kilometer bei einer maximalen Kapazität von zwei Personen und deren Handgepäck beschränkt ist [7]. Frachttransporte wurden in den Szenarien nicht berücksichtigt. Innerhalb des Befragungszeitraumes von sieben Tagen nahmen 584 Personen an der Umfrage teil, wovon 519 Teilnehmer den Fragebogen vollständig ausfüllten. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 89 %. Die ausgewertete Teilnehmergruppe setzt sich zu 64 % aus männlichen und zu 35 % aus weiblichen Teilnehmern zusammen (siehe Bild 1). 58 % und somit die Mehrzahl der Teilnehmer sind unter 30 Jahre alt und repräsentieren im Hinblick auf die voraussichtliche Inbetriebnahme von Flugtaxis zwischen 2025 und 2030 eine der potenziellen Hauptkundengruppen des Service. In Bezug auf das Reiseverhalten finden sich unter den Teilnehmern 77 % Privat- und 23 % Geschäftsreisende. Fast 30 % der Befragten tätigen mehr als fünf Flugreisen (beinhaltet Hin- und Rückflug) pro Jahr und gelten hier als Vielflieger. Ergebnisse Das Marktpotenzial von Flugtaxis am Standort Flughafen Frankfurt wurde anhand von drei Untersuchungsaspekten analysiert und beurteilt: Vorteile der Flugtaxinutzung Streckennachfrage im erreichbaren Flugradius Zahlungsbereitschaft der Kunden und deren Determinanten Die An- und Abreise der Teilnehmer setzte sich bislang maßgeblich aus den Verkehrsmitteln PKW, ICE und S-Bahn zusammen. Summiert repräsentieren diese drei Verkehrsmittel fast 80 % des Anreiseverkehrsvolumens. Gründe für die Verkehrsmittelwahl waren vor allem die Schnelligkeit in Bezug auf die Reisezeit (35 % der Stimmen), die Zuverlässigkeit/ Pünktlichkeit des Verkehrsmittels (24 % der Stimmen) und ein hohes Maß an Flexibilität (15 % der Stimmen). Unabhängig vom aktuell genutzten An- und Abreiseverkehrsmittel war die allgemeine Nutzungsbereitschaft von Flugtaxis mit 78 % unter den Teilnehmern sehr hoch. Als Vorteile der perspektivischen Flugtaxi- Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 50 MOBILITÄT Akzeptanz Das EcoMobileum Erlebniswelt für eine neue Mobilitätskultur Stadtplanung, Verkehrsplanung, Ausstellung, Erfahrung, Mobilitätsbildung Die Verkehrswende erfordert ein neues Mobilitätsverständnis, das sich nicht mehr daran bemisst, mit immer größeren und schnelleren Fahrzeugen stetig wachsende Distanzen zu überwinden. Vielmehr ist ein Trendbruch zugunsten von Fortbewegungsmitteln zwischen Schuh und Auto erforderlich, der heute noch kaum denkbar erscheint, geschweige denn erlebbar ist. Um die Menschen von der Verkehrswende zu überzeugen, braucht es Erlebniswelten, wo sie eine neue Mobilitätskultur erfahren können. Oliver Schwedes, Konrad Otto-Zimmermann D ie Verkehrspolitik sieht sich mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung mit der Herausforderung konfrontiert, die Menschen davon zu überzeugen, den aktuellen Wachstumspfad zu verlassen und stattdessen zukünftig kleine, langsame Fahrzeuge zu nutzen, die nur über geringe Reichweiten verfügen. Das Potential ist seit langem bekannt, etwa, dass 50 Prozent der mit dem Auto gemachten Wege unter fünf Kilometer lang sind, also zu Fuß, mit Fahrzeugen der Mikromobilität, dem Fahrrad oder anderen Fahrzeugen mit menschlichem Maß zu bewältigen sind [1] und auf wenigstens dreißig Prozent aller Autofahrten verzichtet werden kann [2]. Demgegenüber stehen jene mentalen Infrastrukturen der Menschen, die geprägt sind durch das Auto im Kopf. Etwas anderes zu denken, erscheint kaum möglich, darüber hinaus ist eine Vielzahl der Produkte im Bereich der Fahrzeuge unterhalb der Größenordnung „Auto“, die es schon gibt, weder bekannt noch können sie ausprobiert werden - sie stehen uns im wahren Sinne des Wortes nicht vor Augen. Vor diesem Hintergrund haben das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung der Technischen Universität Berlin und das Büro The Urban Idea von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt eine Machbarkeitsstudie finanziert bekommen, um die Realisierung einer Erlebniswelt für nachhaltige städtische Mobilität zu sondieren - das EcoMobileum® 1 . Hier sollen Erfahrungshorizonte einer neuen Mobilitätskultur eröffnet werden, um die Menschen von der Verkehrswende zu begeistern. Das Konzept des EcoMobileum Das EcoMobileum fußt auf drei konzeptionellen Säulen, die je nach Bedarf sowohl unterschiedlich kombiniert als auch selektiv verwendet werden können: Die Ausstellung In der Ausstellung sollen neben der Vielfalt von bekannten insbesondere auch innovative, aber noch weitgehend unbekannte Produkte der Mobilität mit menschlichem Maß präsentiert werden. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass sich kein Messecharakter einstellt. Vielmehr müssen sich alle Anbieter*innen in ein Gesamtkonzept fügen, das die Besucher*innen im Sinne einer Erlebniswelt in städtische Alltagssituationen eintauchen lässt. Dementsprechend müssen die Produkte von den Besucher*innen einfach genutzt und in bestimmten lebensweltlichen Kontexten ausprobiert werden können. Die Ausfahrt Die „Erfahrung“ der neuen Mobilitätsangebote in der lebensweltlich gestalteten Ausstellung kann mit einer Ausfahrt außerhalb der Ausstellung auf diversen Parcours fortgesetzt werden. Dort wird es möglich sein, das Fahrzeug auf seine Alltagstauglichkeit hin zu prüfen. Dazu müssen möglichst realitätsnahe (Verkehrs-) Infrastrukturen angeboten werden, die Bild 1: So könnte der Ausstellungsraum in der ehemaligen Freiburger Stadthalle aussehen. Quelle: The Urban Idea; Visualisierung: studio klv Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 51 Akzeptanz MOBILITÄT den unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Nutzer*innengruppen genügen. Die Akademie Schließlich sollen in einer Akademie/ Mobility-School auch verschiedene Formen des Wissenstransfers angeboten werden. Dabei bildet das Konzept der Mobilitätsbildung in Abgrenzung zur Verkehrserziehung das verbindende Element. Durch didaktisch anspruchsvolle Formate werden Zukunftsbilder einer neuen Mobilitätskultur vermittelt, in der die Bürger*innen lernen selbstbestimmt und entsprechend ihren jeweiligen Bedarfen eine nachhaltige Mobilität zu praktizieren. In diesem Dreiklang wird es das EcoMobileum seinen Besucher*innen ermöglichen, neue Fahrzeuge mit menschlichem Maß kennenzulernen (Ausstellung), mit ihnen neue Stadtraumqualitäten zu erfahren und ein neues Mobilitätsverständnis zu erleben (Parcours) und die Zusammenhänge rund um Mobilität, städtischer Lebensqualität und globaler Nachhaltigkeit zu verstehen (Akademie). Im Folgenden wird das EcoMobileum aus Sicht der Integrierten Verkehrsplanung im Rahmen der aktuellen Herausforderungen städtischer Verkehrsentwicklung kontextualisiert. Zentrale Themenfelder städtischer Verkehrsentwicklung sind die Neuaufteilung des öffentlichen Raums, neue Verkehrsangebote, wie sie unter dem Begriff Mobility as a Service (MaaS) diskutiert werden, sowie institutionelle Reformen, als wesentliche Voraussetzung einer Neuorganisation von Verkehr und Mobilität. Im Rahmen der EcoMobileum-Erlebniswelt werden die drei Themenfelder den drei konzeptionellen Säulen zugeordnet. Demnach werden in der Ausstellung die einzelnen Fahrzeuge mit dem übergreifenden Thema MaaS verbunden. Die Ausfahrt wird dazu genutzt, die Neuaufteilung des öffentlichen Stadtraums zu thematisieren und die Parcours dementsprechend zu gestalten. Im Rahmen der Akademie schließlich werden die notwendigen institutionellen Reformen diskutiert, wie beispielsweise die Entwicklung neuer Beteiligungsformate für die Bevölkerung. Die Ausstellung: Mobility as a Service (MaaS) In den Städten sind weltweit neue Verkehrsangebote eingeführt worden, die von privaten Anbietern im öffentlichen Raum beworben und von potentiellen Kunden genutzt werden können, sog. Sharing-Angebote. Während es vor zehn Jahren zunächst mit Carsharing-Angeboten begann, sind es in den letzten Jahren vor allem diverse Kleinstfahrzeuge der Größenordnung zwischen Schuh und Auto, die im öffentlichen Stadtraum angeboten werden. Vor diesem Hintergrund gilt MaaS als Hoffnungsträger für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung. Demnach erlauben die neuen I&K-Technologien die Verknüpfung aller Verkehrsmittel zu multimodalen Mobilitätsangeboten, die den Nutzer*innen bedarfsgerecht angeboten werden können, in dessen Folge - so jedenfalls die Hoffnung - sie auf den privaten PKW verzichten werden. Während die wissenschaftliche Debatte um das MaaS-Konzept aktuell von einem angebotsorientierten Planungsverständnis dominiert wird, das dem Prinzip „the market knows best“ folgt, stellen wir dem ein integriertes Planungsverständnis gegenüber, dem die Überzeugung zugrunde liegt, dass sich Planung an politischen und gesellschaftlichen Zielen orientieren muss [3]. Dementsprechend gehen wir davon aus, dass MaaS nur dann einen Beitrag zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung leisten wird, wenn es an zuvor politisch definierten Zielen ausgerichtet wird und die Mobilitätsangebote gemeinsam mit regulativen Maßnahmen in ein Gesamtkonzept integriert werden. Die EcoMobileum-Erlebniswelt kann genutzt werden, um zu zeigen, dass das bisher technikgetriebene und durch ein ökonomisch verengtes Planungsverständnis geprägte MaaS im Sinne einer integrierten Verkehrspolitik und -planung weiterentwickelt und im Rahmen eines auf wissenschaftlichen Gütekriterien fußenden Mobilitätsmanagements eingebunden sein muss, wenn das politisch angestrebte Ziel einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung erreicht werden soll [4]. Eine integrierte MaaS- Plattform, die den Besucher*innen alle ausgestellten Produkte anbietet, könnte gleichsam die alles verbindende Matrix der Ausstellung bilden (Bild 1). Dazu würde es sich anbieten, Anbieter aus dem Bereich des öffentlichen Verkehrs einzuladen, die schon immer in enger Kooperation mit den Städten und Gemeinden einen integrierten gesamtstädtischen Ansatz vertreten haben. Ein EcoMobileum in Berlin könnte beispielsweise die erfolgreiche Jelbi-App der Berliner Verkehrsbetriebe nutzen, mit der sich die Besucher*innen dann durch die Erlebniswelt bewegen können. Die Ausfahrt: Neuaufteilung des öffentlichen Raums Die Stadt- und Verkehrsplanungsdebatten werden in jüngster Zeit zunehmend durch Gerechtigkeitsfragen geprägt, die sich bis dahin nicht gestellt hatten [5]. Nachdem es beispielweise jahrzehntelang gesellschaftlich akzeptiert war, private Autos kostenlos im öffentlichen Stadtraum abzustellen, wird dies zunehmend kontrovers diskutiert. In Bild 2: Mögliche Anordnung von Parcours auf dem Gelände des ehem. amerikanischen Supermarkts im Patrick Henry Village in Heidelberg Quelle: The Urban Idea Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 52 MOBILITÄT Akzeptanz jüngster Zeit findet eine Wiederentdeckung städtischer Raumqualitäten statt [6]. Am Augenfälligsten zeigt sich das daran, dass Parkplätze von Autos geräumt werden, um sie ihrer ursprünglichen Funktion als Marktplätze wieder zugänglich zu machen. Unter dem Begriff der Umweltgerechtigkeit werden zudem immer öfter die Belastungen der Stadtgesellschaft durch private Autos thematisiert. Das Land Berlin hat einen Umweltgerechtigkeitsbericht erstellt, in dem quartiersscharf abgelesen werden kann, welche Bevölkerungsgruppen in welchem Ausmaß von Luft- und Lärmemissionen betroffen sind, nur über wenig Grünflächen verfügen und von bioklimatischen Belastungen betroffen sind [7]. Insgesamt wird der Verkehr von den Stadtgesellschaften zunehmend als Belastung wahrgenommen, welche die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigt und die Lebensqualität einschränkt [8]. Die hier skizzierte verkehrspolitische und -planerische Transformation der Stadtgesellschaft, in deren Zentrum die Neuaufteilung des öffentlichen Stadtraums steht, wird einen konfliktreichen Aushandlungsprozess erfordern. Das EcoMobileum könnte der Ort sein, wo die Menschen daran beteiligt werden. Speziell die Ausfahrt kann dazu genutzt werden, neue verkehrsplanerische Gestaltungskonzepte für den Straßenraum den Besucher*innen erlebbar zu machen und sie von ihnen bewerten zu lassen (Bild 2). Anders als die traditionelle Verkehrsplanung ist die Integrierte Verkehrsplanung mit ihrem Fokus auf den Menschen und einen menschengerechten Stadtverkehr, auf kollaborative Beteiligungsprozesse mit den Bürgerinnen und Bürgern angewiesen. Die EcoMobileum-Erlebniswelt eröffnet die Möglichkeit eines solchen transdisziplinären Wissenstransfers, von dem alle Beteiligten gleichermaßen profitieren. Beispielsweise könnten die aktuellen wissenschaftlichen Debatten über neue Kreuzungsdesigns konkret und für die Besucher*innen anschaulich in die Konzeptionierung der Parcours einfließen und mit den neuen Kleinstfahrzeugen von ihnen „erfahren“ werden. Die Wissenschaft wiederum könnte hier die subjektive Wahrnehmung unterschiedlicher Gestaltungsvarianten des öffentlichen Straßenraums in einem Umfang erfassen, wie es im Rahmen von begrenzten Forschungsprojekten selten möglich ist. Die Politik wiederum könnte die Erfahrungen der Menschen nutzen, indem sie sie in den konfliktreichen Aushandlungsprozess um die Neuverteilung des öffentlichen Straßenraums einbezieht und ihre Kompetenzen für eine informierte Entscheidungsfindung heranzieht, anstatt sich wie in der Vergangenheit allein auf eine „Expertokratie“ zu verlassen [9]. Schließlich erhalten auch die Anbieter neuer Kleinstfahrzeuge durch die alltagsweltlichen Erfahrungen der Besucher*innen wichtige Hinweise zur Verbesserung ihrer Produkte, die auf einer klassischen Messeausstellung nicht möglich wären. Die Ausfahrt im Rahmen der EcoMobileum-Erlebniswelt ist somit ein vielschichtiger Praxistest, der die anstehende verkehrspolitische und -planerische Transformation der Stadtgesellschaft unterstützt und damit einen konstruktiven Beitrag dazu leistet, die angestrebte Verkehrswende informiert und aktiv zu gestalten. Die Akademie: Mobilitätsbildung Die womöglich größte Hürde nachhaltiger Verkehrsentwicklung bilden die von den Sozialwissenschaften gut erforschten, von den Verkehrswissenschaften jedoch bis heute vernachlässigten, mentalen Infrastrukturen [10]. Damit sind die alltäglichen Vorstellungen von Verkehr und Mobilität gemeint, die jeder von uns verinnerlicht hat und die unser Handeln leiten. In Deutschland, wie in den meisten reichen Industrieländern, sind die mentalen Infrastrukturen stark vom privaten Automobil geprägt, sodass das „Auto im Kopf“ die Vorstellung davon bestimmt, wer als mobil erachtet wird [11]. Demnach zeichnet sich der Idealtypus eines mobilen Menschen dadurch aus, dass er über einen privaten PKW verfügt, der am besten direkt vor der eigenen Haustür geparkt steht. In dieser Situation erscheint bei jeder geplanten Aktivität das Auto vor dem geistigen Auge und verdrängt zugleich alternative Verkehrsmittel wie das Fahrrad oder den öffentlichen Verkehr. Wenn zudem die alternativen Angebote an Attraktivität verlieren, weil sie immer weniger nachgefragt werden, verstärkt sich dieser Effekt, und die Menschen können gut begründet sagen, dass es keine angemessene Alternative zu ihrem privaten Auto gibt. Ein Leben ohne den privaten PKW erscheint ihnen dann immer weniger denkbar. Vor diesem Hintergrund besteht die Herausforderung einer zukunftsweisenden Verkehrspolitik und -planung, die auf Alternativen zum privaten PKW angewiesen ist, darin, die einseitig am privaten Auto ausgerichteten mentalen Infrastrukturen an- Bild 3: So könnte das Außengelände vor der ehemaligen Freiburger Stadthalle aussehen. Quelle: The Urban Idea, Visualisierung: studio-klv Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 53 Akzeptanz MOBILITÄT zusprechen und für denkbare Alternativen zu sensibilisieren. Diese gezielte Ansprache unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen entsprechend ihrer jeweiligen Anforderungen und Bedarfe ist die Aufgabe des Mobilitätsmanagements und eines ihrer zentralen Instrumente ist die Mobilitätsbildung. Anders als die konventionelle Verkehrserziehung, die eine Anpassungsstrategie verfolgt, indem sie die Menschen für das Überleben in der bestehenden Autogesellschaft trainiert, ist die Mobilitätsbildung darauf gerichtet, ein breites Verständnis von Verkehr und Mobilität zu vermitteln mit dem Ziel, ein ebenso selbstbewusstes wie verantwortungsvolles Mobilitätsverhalten zu unterstützen [12]. Die Akademie des EcoMobileums kann hier anknüpfen und für die unterschiedlichen Altersgruppen passende Bildungsangebote entwickeln. Als Freizeiteinrichtung müsste das EcoMobileum den spielerischen Aspekt noch weiterentwickeln und auch entsprechende medial aufbereitete Angebote im Sinne der „Gamification“ für die älteren Bevölkerungsgruppen entwickeln. Die Besucher*innen könnten beispielsweise aktiv in partizipative Planungsprozesse eingebunden werden und dabei grundlegende Informationen zu dem Themenfeld nachhaltiger Verkehrsentwicklung erhalten. Durch mediale 3D-Unterstützung könnten sie sich etwa an einer Straßenraumgestaltung beteiligen und dabei die formalen Planungsschritte kennenlernen. Dieses Wissen kann sie dazu ermächtigen, sich Zuhause kompetent einzubringen und die Qualität der Ergebnisse von Verkehrspolitik und -planung vor Ort zu verbessern. Aber auch konventionelle Bildungsangebote sollen dort ihren Platz haben. Dementsprechend sollte das EcoMobileum auch Räume zur Verfügung stellen, in denen sich Experten und Expertinnen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft austauschen und entsprechende Schulungen stattfinden können. Gleichzeitig sollten die Städte und Gemeinden darüber aufgeklärt werden, was sie schon heute unter den gegebenen Rahmenbedingungen im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung umsetzen können. Indem die Städte und Gemeinden Bildungsreisen in das EcoMobileum organisieren, könnten beispielweise die von der Agora Verkehrswende zusammengetragenen kommunalen Handlungsspielräume den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung nahegebracht werden [13]. Darüber hinaus könnten die traditionellen Verkehrsschulen weiterentwickelt werden zu Akademien im Sinne des EcoMobileum und somit auch die Anlaufstelle für die klassischen Bildungseinrichtungen wie KI- TAs und Schulen sein, die als Teil ihrer Mobilitätsbildung dorthin Ausflüge organisieren. In allen Fällen muss gewährleistet sein, dass der aufklärerische Bildungsanspruch durch spielerische Formen medial anspruchsvoll vermittelt wird. Fazit: Der politische Wille zählt Die EcoMobileum-Erlebniswelt leistet einen zentralen Beitrag zu der politisch angestrebten Verkehrswende, indem es dem aktuellen Trend des „höher, weiter, schneller“ mit dem Konzept der Mikromobilität begegnet, die auf weniger Verkehr, kürzere Distanzen und geringere Geschwindigkeiten zielt. Dabei ist das Besondere am EcoMobileum, dass es die Verkehrswende nicht nur postuliert, sondern sie seinen Besucher*innen erfahrbar macht. Jeder kann sich dort ein Bild von möglichen Zukünften machen, wenn er neue Verkehrsmittel auf ihre Alltagstauglichkeit erprobt. Das EcoMobileum setzt nicht primär auf technische Innovationen, vielmehr sind die dort präsentierten neuen Verkehrsmittel nur Vehikel zur Unterstützung eines neuen Mobilitätsverhaltens. Das EcoMobileum will ein neues Verständnis von Verkehr und Mobilität vermitteln und zielt damit auf eine soziale Innovation. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass die großen gesamtgesellschaftlichen Transformationen in der Vergangenheit immer mit einem tiefgreifenden kulturellen Wandel verbunden waren. Das EcoMobileum will diesen Kulturwandel dadurch unterstützen, dass es seinen Besucher*innen Möglichkeitsräume eröffnet Verkehr und Mobilität neu zu denken. Das EcoMobileum ist ein innovativer Ansatz, den Wandel zu einer neuen Mobilitätskultur in demokratischen Gesellschaften zu gestalten und die Menschen daran zu beteiligen. Dabei befähigt das EcoMobileum die Besucher*innen auf verschiedene Weise darin, den kulturellen Wandel aktiv mitzugestalten. Die durch einen kulturellen Wandel bei der Bevölkerung oftmals ausgelöste Unsicherheit aufgrund von Befürchtungen oder sogar Ängsten vor dem noch unbekannten Neuen sowie daraus resultierende Widerstände, können durch die spielerische Aneignung in der Erlebniswelt konstruktiv gewendet werden. Damit ist das EcoMobileum ein innovativer Beitrag zur politischen Legitimierung nachhaltiger Verkehrsentwicklung, die auf die Einsicht der Menschen heute mehr denn je angewiesen ist. Das EcoMobileum kann von der Politik genutzt werden, um die Verkehrswende zu gestalten. Das setzt voraus, dass die Politik die Verkehrswende gestalten will. So wie es eine politische Entscheidung für die Energiewende bedurfte, setzt auch die Verkehrswende eine entsprechende politische Entscheidung voraus. Von einem solchen politischen Willen ist auch das EcoMobileum abhängig. ■ 1 EcoMobileum ist eine eingetragene Marke von The Urban Idea GmbH. LITERATUR [1] Nobis, C.; Kuhnimhof, T.; Follmer. R.; Bäumer, M. (2019): Mobilität in Deutschland - Zeitreihenbericht 2002 - 2008 - 2017. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (FE-Nr. 70.904/ 15). Bonn, Berlin. www.mobilitaet-in-deutschland.de (30.06.2020). [2] Haag, M. (2018): Notwendiger Autoverkehr in der Stadt. In: Jürgen Gies et al. (Hrsg.): Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung, Loseblattsammlung, Beitragsnummer 3.2.5.1. Berlin/ Offenbach [3] Docherty, I.; Marsden. G.; Anable, J. (2018): The governance of smart mobility. In: Transportation Research Part A 115, S. 114-125. [4] Schwedes, O.; Rammert, A. (2020): Mobilitätsmanagement. Ein neues Handlungsfeld Integrierter Verkehrsplanung. Wiesbaden. [5] Creutzig, F.; Javaid, A.; Soomauroo, Z.; Lohrey, S.; Milojevic-Dupont, N.; Ramakrishnan, A.; Sethi, M.; Liu, L.; Niamir, L.; Bren d’Amour, C.; Weddige, U.; Lenzi, D.; Kowarsch, M.; Arndt, L.; Baumann, L.; Betzien, J.; Fonkwa, l.; Huber, B.; Mendez, E.; Misiou, A.; Pearce, C.; Radman, P.; Skaloud, P.; Zausch, J. M. (2020): Fair street space allocation: ethical principles and empirical insights. In. Transport Reviews, DOI: 10.1080/ 01441647.2020.1762795 [6] Havemann, A.; Selle, K. (Hrsg.) (2010): Plätze, Parks & Co.: Stadträume im Wandel. Analysen, Positionen, Konzepte. Dortmund. [7] SenUVK - Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2019): Basisbericht Umweltgerechtigkeit. Grundlagen für die sozialräumliche Umweltpolitik. Berlin. www.berlin.de/ senuvk/ umwelt/ umweltgerechtigkeit/ (30.06.2020). [8] Adli, M. (2017): Stress and the City: Warum Städte uns krank machen. Und warum sie trotzdem gut für uns sind. München. [9] Fischer, F. (2002): Citizens, Experts, and the Environment. The Politics of Local Knowledge. Durham & London. [10] Welzer, H. (2011): Mentale Infrastrukturen: Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam. Schriftenreihe Ökologie der Heinrich- Böll-Stiftung, Band 14. Berlin. [11] Canzler, W. (2000): Das Auto im Kopf und vor der Haustür: Zur Wechselbeziehung von Individualisierung und Autonutzung. In: Soziale Welt, Heft 2, S. 191-207. [12] Schwedes, O.; Pech, D.; Becker, J.; Röll, V.; Stage, D.; Stiller, J. (2021): Von der Verkehrserziehung zur Mobilitätsbildung. IVP-Discussion Paper, Heft 2. Berlin. [13] Agora Verkehrswende (2018): Öffentlicher Raum ist mehr wert. Ein Rechtsgutachten zu den Handlungsspielräumen in Kommunen. 2. Auflage. www.agora-verkehrswende.de/ fileadmin/ Projekte/ 2018/ OEffentlicher_Raum_ist_mehr_wert/ Agora_Verkehrswende_ Rechtsgutachten_oeffentlicher_Raum.pdf (30.06.2020). Oliver Schwedes, Prof. Dr. Leitung Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, Institut für Land- und Seeverkehr, Fakultät Verkehrs- und Maschinensysteme, Technische Universität Berlin oliver.schwedes@tu-berlin.de Konrad Otto-Zimmermann, Dipl.-Ing., Mag. rer. publ. The Urban Idea GmbH - EcoMobility Studio, Freiburg i.Br. info@theurbanidea.com Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 54 Treiber und Getriebener - Thesen zum Wandel des ÖPNV ÖPNV, New Mobility, Mehrebenen-Modell, Transformation, Digitalisierung, Geschäftsmodell, Wertschöpfung Angetrieben von neuen Akteuren und Innovationen, vor allem in den Mobilitätsmärkten der Mikromobilität, kollaborativen und intermodalen Mobilität, sowie von allgemeinen gesellschaftlichen wie technologischen Trends entstehen neue Mobilitätsdienstleistungen. Sukzessive durchwirken diese Trends den Mobilitätssektor und bewegen somit auch zunehmend den öffentlichen Verkehr. In dieser Dynamisierung kann der ÖPNV zukünftig verstärkt unter Handlungsdruck geraten, jedoch auch neue Entwicklungschancen wahrnehmen. Das Projekt „ÖPNV zwischen Gemeinwohl und Kommerz“ untersucht im Auftrag der Hans- Böckler-Stiftung diese Dynamiken und stellt erste Thesen vor. Jakob Zwiers, Lisa Büttner, Siegfried Behrendt, Ingo Kollosche, Wolfgang Schade, Christian Scherf, Simon Mader D er ÖPNV in Deutschland steht nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie unter Druck, sondern seit Aufkommen der „New Mobility“. Um die Auswirkungen dieser Dienste thematisieren zu können, erscheint es unerlässlich, nachzuvollziehen, dass aufgrund vielzähliger neuer Mobilitätsangebote der gesamte Mobilitätssektor bereits seit über einem Jahrzehnt von einer hohen Dynamik strukturellen Wandels zeugt. Dieser Wandel bewegt zunehmend auch den ÖPNV. Im Wechselspiel zwischen Digitalisierung, Automatisierung und Elektrifizierung einerseits sowie der zunehmenden Mobilitätswende vor dem Hintergrund zu erfüllender Ziele und Nutzerwünsche zur Nachhaltigkeit andererseits, entstehen neue Technologien, Geschäftsmodelle und Nutzungsmuster. Vom autonomen Fahren über „Dieselgate“ und Elektromobilität bis hin zur plattformbasierten Shared Mobility changieren die Themen der Mobilität von einem Skandal zur nächsten Innovation. Zwar galt dies zunächst vor allem für den motorisierten Individualverkehr (MIV), doch scheinen sich unter dem Stichwort der „New Mobility“ vermehrt ebensolche Veränderungen im Bereich des ÖPNV zu vollziehen. 1 Dynamisierung des ÖPNV Wesentliche Treiber der „New Mobility“ und ihrer veränderten Wertschöpfung sind bisher vor allem private Mobilitätsanbieter, IT-Konzerne und Startups als Sharing- und Plattformbetreiber sowie die Akzeptanz junger, digital-affiner Mobilitätsnutzer. So entstehen neue Mobilitätsdienstleistungen in den neuen Mobilitätsmärkten der Mikromobilität sowie kollaborativen und intermodalen Mobilität. Kommunen pilotieren erste Angebote einer „Mobility-as-a-Service“ (MaaS) oder bieten Apps als Interfaces zu diesen neuen Geschäftsfeldern an. Auch wenn sich viele Ansätze noch im Experimentierstadium befinden, deutet sich mit diesen Entwicklungen bereits ein Prozess der Hybridisierung zwischen Formen des privaten und öffentlichen Verkehrs an. Dadurch verändern sich nicht nur die Wert- Foto: Planet Fox / pixabay MOBILITÄT ÖPNV Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 57 ÖPNV MOBILITÄT strombasierten Mobilitätsdienstleistungen und aktiver Mobilität realisiert. Im Vergleich zum heutigen Privat-PKW wird dieses System sehr viel ressourcenschonender (insbesondere flächeneffizienter) sein. These 4: Kommunen und kommunale Verkehrsunternehmen müssen verstärkt zum Treiber des Mobilitätswandels werden und bei der Ausgestaltung von integrierten Mobilitätsdienstleistungen mitwirken. Aufgrund zunehmender Flächenknappheit, Klimaschutzbedarfe und Umweltbelastung bei einem gleichzeitig wachsenden Mobilitätsbedürfnis und ansteigendem Verkehr ist der Handlungs- und Investitionsdruck hoch. Herausforderungen sind etwa neue Anreizsysteme, der Ausbau der (digitalen) Infrastrukturen - u. a. 5G-Netz, Mobility Hubs, E-Ladesäulen, E-Roaming, Mobility Data Services und Mobility-Roaming. Hinzu kommt die Förderung von nachhaltigen Lebensstilen, die in zivilgesellschaftlichen Initiativen für mehr Lebensqualität in Städten eingefordert werden. Das Berliner Mobilitätsgesetz kann hier als ein besonderer Fall hervorgehoben werden. Lösungsansätze könnten in einer stärker verzahnten, kommunalen Umwelt-, Digital- und Verkehrspolitik liegen, die eine veränderte Stadt- und Raumplanung fördert. Der MIV sollte dabei nicht mehr gegenüber anderen Mobilitätsformen im Stadtraum privilegiert werden. Ein besonderer Handlungsbedarf bei datenbasierten Mobilitätsdienstleistungen besteht im Bereich kommunaler Datensouveränität (besonders gegenüber IT-Unternehmen und Plattformanbietern). Förderwürdig sind zudem datenrechtliche Kompetenzen in den Kommunen als Bedingung zur Erfüllung der Daseinsvorsorge unter Kenntnis der Lage vor Ort. These 5: Die Corona-Krise bewirkt Veränderungen des ÖPNV wie auch der neuen Mobilitätsdienste. Wirtschaftlicher Druck und Handlungsbedarf entsteht gegenwärtig durch den Rückgang der Fahrgastzahlen im ÖPNV. Auch Anbieter neuer Mobilitätsdienstleistungen strukturieren um und konsolidieren sich in neuen Akteurs-Arrangements. Kurzfristig müssen besonders junge Unternehmen sogar ihr Geschäft aufgeben. Noch ist offen, wie dauerhaft und tiefgreifend diese Veränderungen sein werden und wie stark die Erbringung der Daseinsvorsorge zukünftig herausgefordert wird. Ebenso entsteht ein Innovationsdruck, im Bereich der Digitalisierung und User Experience (Nutzererfahrung) agiler zu werden und neue Angebote in das Leistungsportfolio zu integrieren. These 6: Neue Mobilitätsdienstleistungen sind bisher eher als eine integrative Ergänzung des ÖPNV zu verstehen. Vor diesem Hintergrund ließe sich thesenhaft von einer sukzessiven Hybridisierung des ÖPNV und des Individualverkehrs sprechen. Die vorhandene Wertschöpfungsstruktur des ÖPNV bleibt jedoch zunächst grundsätzlich unhinterfragt. Vielmehr wird mit neuen Mobilitätsdienstleistungen das bisherige Angebot sukzessive erweitert. Der ÖPNV transformiert sich daher im Sinne einer adaptiven Rekonfiguration von Akteuren, Technologien, Geschäftsmodellen und Nutzungsmustern. Die Erschließung neuer bei gleichzeitiger Bewahrung alter Wertschöpfungsmuster kann verstärkt Inkompatibilität und Ineffizienz im ÖPNV bewirken. Elaborierte ÖPNV-Anbieter scheinen nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Wahrung der Daseinsvorsorge beständig zu bleiben. Direkter Wettbewerb findet daher verstärkt im Bereich neu adaptierter Nischen, also mit den neuen Mobilitätdienstleistungen statt. Ziel der Hybridisierung muss es sein, Rahmen auszuloten in denen zusätzliche, integrierte Mobilitätsdienste nicht zu mehr Ineffizienz im ÖPNV führen, sondern zu Synergien und zusätzlicher Nachfrage. Zwischenfazit Prospektiv besteht ein zunehmender Gestaltungsbedarf des Verhältnisses zwischen markt- und gemeinwohlorientierten Formen des ÖPNV. Die Thesen zeigen, dass besonders im Kontext der Daseinsvorsorge neue Mobilitätsdienstleistungen als ein Möglichkeitsfenster genutzt werden könnten. Öffentliche Mobilität kann mittels neuer Wertschöpfungsstrukturen zwischen Markt und Gemeinwohl entwickelt werden, um eine flächeneffiziente, nachhaltige und sozial-gerechte Mobilität auf neue Weise zu verwirklichen. Dafür ist es aber notwendig, ein neues Mobilitätssowie Wertschöpfungsverständnis des ÖPNV zu etablieren. Besonders wäre der Verkehr allgemein integrierter zu organisieren (z. B. durch den MaaS-Ansatz). Als eine fundamentale Infrastruktur müsste der ÖPNV verstärkt im Sinne einer erweiterten (gesellschaftlichen) Wertschöpfung mit normativer Ausrichtung (hin zu mehr Nachhaltigkeit und Inklusion) verstanden werden, die die Wertschöpfung in anderen Arbeits- und Lebensbereichen erst ermöglicht. Besondere Aufmerksamkeit ist bei der Gestaltung der Daseinsvorsorge und somit der Infrastrukturpolitik auf die Entwicklung einer bereits global agierenden Digitalbzw. Datenökonomie sowie auf die interkommunale Kooperation der Gebietskörperschaften zu richten. Dies wird die kommunale Governance vor neue Herausforderungen stellen. ■ 1 Der Begriff „New Mobility“ bezeichnet definitorisch keinen fest abgesteckten Begriff. Allgemein im Mobilitätsdiskurs angeführt, um Veränderungen zu indizieren, umfasst „New Mobility“ alle neuartigen Mobilitätsdienstleistungen. Diese werden durch neue digitale Technologien und innovative Geschäftsmodelle seitens mitunter völlig neuer Akteure im Mobilitätsbereich ermöglicht und vernetzt und gestalten so ein neues Mobilitätsverhalten. 2 Die vollständige Transformationsanalyse erschien mit dem Titel „Wandel des öffentlichen Verkehrs in Deutschland - Veränderung der Wertschöpfungsstrukturen durch neue Mobilitätsdienstleistungen“ als Band 451 in der Reihe „Study“ bei der Hans-Böckler-Stiftung und wurde innerhalb des Forschungsverbunds „Ökonomien der Zukunft“ im Projekt „ÖPNV zwischen Gemeinwohl und Kommerz“ durchgeführt (Projekt-Nr. 2019-547-3). Der Link zur Publikation auf der Projektseite: https: / / t1p.de/ hbs-oepnv 3 Geels, F. (2002): Technological transitions as evolutionary reconfiguration processes: a multi-level perspective and a case-study. In: Research Policy 31, S. 1257-1274 Lisa Büttner Wiss. Mitarbeiterin Bereich „Mobilität & Urbanität“, IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin l.buettner@izt.de Wolfgang Schade, Dr. Geschäftsführer und wiss. Leiter, M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics, Karlsruhe wolfgang.schade@m-five.de Ingo Kollosche Forschungsleiter Bereich „Zukunftsforschung & Transformation“, IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin i.kollosche@izt.de Christian Scherf, Dr. Wiss. Berater, M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics, Karlsruhe christian.scherf@m-five.de Jakob Zwiers Wiss. Mitarbeiter Bereich „Ressourcen, Wirtschaften & Resilienz“, IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin j.zwiers@izt.de Siegfried Behrendt, Dr. Forschungsleiter Bereich „Ressourcen, Wirtschaften & Resilienz“, IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin s.behrendt@izt.de Simon Mader Wiss. Berater, M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics, Karlsruhe simon.mader@m-five.de Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 58 MOBILITÄT Geschäftsmodelle Typisierung datengetriebener Geschäftsmodelle im innerstädtischen Verkehr Urbane Mobilität, Intelligente Verkehrssysteme, Datengetriebene Geschäftsmodelle, Big Data Technologische Fortschritte und die zunehmende Vernetzung in Verbindung mit der Erhebung immer detaillierterer Daten führen zu einem kontinuierlichen Zuwachs der Datenmengen innerhalb des Mobilitätssektors. Einen wesentlichen Treiber dieser Entwicklungen stellen sogenannte intelligente Verkehrssysteme (IVS) dar, durch die innerhalb von Städten eine Vielzahl urbaner Mobilitätsdaten erhoben werden. Das entstehende Datenmaterial eröffnet hierbei vollkommen neue Potenziale zur Wertschöpfung, die mittels datengetriebener Geschäftsmodelle (DGGM) erschlossen werden können. Der Beitrag typisiert solche DGGM systematisch und zeigt Organisationen somit konkrete Möglichkeiten zur Generierung von Mehrwert auf Basis urbaner Mobilitätsdaten auf. Pablo Guillen, Andreas Mitschele I m Jahr 2012 ging das Unternehmen IBM in einer Studie von einer weltweit täglich generierten Datenmenge von rund 2,5 Trillionen (2,5 · 10 18 ) Bytes aus [1]. Dieses Volumen hat sich einer Berechnung der International Data Corporation (IDC) zufolge im Jahr 2018 bereits um den Faktor 30 vervielfacht [2]. Diese exponentielle Entwicklung lässt sich auf rasante Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zurückführen. Die Technologien finden dabei in verschiedensten Bereichen Anwendung und kommen auch im Mobilitätssektor immer häufiger zum Einsatz. Vor allem im Kontext der innerstädtischen Mobilität sorgen sogenannte intelligente Verkehrssysteme (IVS) für eine zunehmende Vernetzung und demzufolge für einen rasanten Anstieg entsprechender Datenmengen. Big Data im innerstädtischen Verkehr Im innerstädtischen Verkehr werden im Rahmen von IVS große Mengen an urbanen Mobilitätsdaten erzeugt (Big Data). Mithilfe sogenannter datengetriebener Geschäftsmodelle lassen sich auf Basis dieses Datenschatzes neue Wertschöpfungspotenziale erschließen. Ein zentraler, technologischer Bestandteil von IVS ist das Internet of Things (IoT, Internet der Dinge). So werden unter anderem Fahrzeuge, Straßen, Lichtsignalanlagen oder Parkplätze mit Sensoren und Netzwerkanschlüssen ausgestattet, wodurch diese innerhalb des urbanen Raums über das Internet miteinander kommunizieren können. Im Zuge dessen werden große Mengen urbaner Mobilitätsdaten generiert und ausgetauscht. [3] Die Quellen und Eigenschaften der erwähnten Daten sind in Bild 1 zusammengefasst. Diese Mobilitätsdaten eröffnen dabei neue Wertschaffungspotenziale für verschiedenste Organisationen im „urbanen Ökosystem“. So ermöglichen es innovative Technologien, wie beispielsweise Big Data Analytics, substanziellen Mehrwert aus der Datenflut zu schöpfen [5]. Geschäftsmodelle für Big Data Ein Geschäftsmodell beschreibt, wie eine Organisation grundlegend funktioniert [6]. Entsprechend adressiert ein Geschäftsmodell die wesentlichen Kunden sowie das zugehörige Nutzenversprechen eines Unternehmens. Außerdem beschreibt es die grundlegende Wertschöpfungsarchitektur sowie die Ertragsmechanik einer Organisation [7]. Geschäftsmodelle werden oftmals mithilfe sogenannter Taxonomien anhand verschiedener Dimensionen systematisch klassifiziert. Der Business Model Canvas (BMC) nach Osterwalder und Pigneur [8] zählt zu den am weitesten verbreiteten Taxonomien in diesem Zusammenhang und klassifiziert das Geschäftsmodell eines Unternehmens anhand von neun Schlüsselelementen. Diese sind zum einen in einen Wertbereich (Nutzenversprechen, Kundensegmente, Kundenbeziehung, Kundenkanäle und Einnahmequellen) untergliedert, wobei dieser den konkreten Mehrwert für die Kunden eines Unternehmens definiert. Die übrigen Elemente werden dem Effizienzbereich (Schlüsselaktivitäten, -ressourcen, -partner und Kostenstruktur) zugeordnet. Dieser beschreibt die internen Prozesse, die zur Generierung des Wertversprechens erforderlich sind. [9] Technologische Innovationen haben bestehende Geschäftsmodell-Logiken grundlegend verändert und die Gestaltung vollkommen neuer, digitaler Geschäftsmodelle ermöglicht. Darunter fallen auch die datengetriebenen Geschäftsmodelle (DGGM), wobei sich deren Relevanz auf den Treiber Big Data und die Entwicklung innovativer Analyseverfahren zurückführen lässt. Diese Geschäftsmodelle verwenden Daten als Schlüsselressource zur Schaffung jeglicher Art von digitalen Produkten bzw. Services. Die Wertschöpfung für die Stakeholder erfolgt dabei mithilfe von Schlüsselprozessen wie Datenaggregation, Datengenerierung, Datenanalyse, Datenaustausch, Datenverarbeitung, Dateninterpretation, Datenverteilung und Datenvisualisierung. Gleichzeitig sollen entsprechende Einnahmequellen sichergestellt werden. [10] Datengetriebene Geschäftsmodelle in IVS Die Entwicklung von DGGM im Kontext der urbanen Mobilität gewinnt mit der kontinuierlich zunehmenden Datenflut sowie den gegenwärtigen gesellschaftlichen Trends an Bedeutung. So führen Urbanisierung und Bevölkerungswachstum zu einer Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 62 Stammkunden des öffentlichen Nahverkehrs in Krisen optimal ansprechen Bedeutung und Beitrag der aktiven Stammkundenkommunikation vor und in Krisenzeiten ÖPNV, Kundenbindung, Krisenkommunikation, Stammkundenkommunikation, Typenbildende Inhalts analyse, Experteninterview Wie gelingt es den Akteuren des öffentlichen Personenverkehrs, durch geeignete Kommunikation die Bindung ihrer Stammkunden trotz Krisen zu erhöhen? Eine Masterarbeit an der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der TU Dresden untersuchte 2020 anhand von Krisen der Vergangenheit, welche Potenziale die Stammkundenkommunikation zur Kundenbindung in der ÖV-Branche birgt. Aus den Ergebnissen lassen sich Empfehlungen ableiten, wie der ÖV bei länger anhaltenden Einschränkungen agieren soll, um Nachfrage- und Einnahmekrisen zu verhindern oder abzumildern. Falk Bischoff, Fabian Haunerland, Clemens Kahrs, Gertraud Schäfer S tammkunden sind die ökonomisch wichtigste Kundengruppe vieler Verkehrsunternehmen in Deutschland 1 . Sie generieren ca. 80 % der Nachfrage und 50 % der Einnahmen 2 (vgl. Bild 1). Zudem erweisen sie sich in Krisen treuer als andere Kundengruppen. Diese besondere Relevanz lässt die Branche darüber nachdenken, wie Stammkunden trotz krisenbedingter Einschränkungen gehalten werden können. Motivation und Bedeutung von Stammkunden Aus bereits überwundenen Krisen im öffentlichen Personenverkehr lassen sich verallgemeinerbare Schlüsse für die Kommunikationspolitik der Verkehrsunternehmen ziehen. Praktische Erfahrungen der Akteure vor Ort sind essenziell für die Ableitung von Handlungsempfehlungen. Da die Betrachtung der Stammkundenkommunikation in Krisensituationen bisher nicht explizit untersucht wurde, soll mit diesem Beitrag eine Wissenslücke im Verkehrsmarketing geschlossen werden. Ausgangspunkt für die Analyse ist die Einordnung des Begriffs der Krise. Sie wird definiert als ein durch einen zentralen Auslöser unerwartet eintretendes Ereignis, welches sich durch schwer kalkulierbare und prognostizierbare Wechselwirkungen und Folgen auszeichnet. Entscheidungen in Krisensituationen werden unter Unsicherheit Foto: Andy Leung / pixabay MOBILITÄT ÖPNV Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 65 ÖPNV MOBILITÄT 3. Stakeholder-Betreuung und Netzwerkpflege Verkehrsunternehmen, die sowohl im Vorfeld als auch während einer Krise regelmäßig Kontakt zu Interessengemeinschaften, Bürgern, Politikern und Medien pflegen, können diese Kontakte in der Krise als Multiplikatoren und Fürsprecher einbeziehen und sich dadurch die Bewältigung der Krise selbst sowie die Kundenkommunikation erleichtern. 9 4. Beseitigung von Hürden für eine individuellere Kommunikation Auf eine direkte und individuelle Stammkundenkommunikation verzichtet der ÖV häufig mit Verweis auf externe oder rechtliche Hürden. Der Abbau solcher Hürden bei der Kundenansprache sollte aktiv vorangetrieben werden, anstatt diese als gegeben hinzunehmen. Bezüglich der wichtigen Themen rund um den Datenschutz bedeutet dies, die Datenbasis zu den Kontaktkanälen deutlich zu verbreitern und die Freigabe zur Nutzung von Kontaktdaten frühzeitig einzuholen. In Verkehrsverträgen und Betrauungen sollten zudem Zuständigkeiten für die Kommunikation bei verschiedenen Kommunikationsanlässen eindeutig festgelegt werden, auch um das besondere Informationsbedürfnis von Stammkunden in Krisen zu berücksichtigen. Zwischen Aufgabenträgern, Verkehrsverbünden und Verkehrsunternehmen sind strategische und operative Kundenansprache abzustimmen und messbare Mindestqualitäten für absehbare Kommunikationsanlässe festzulegen. Gerade Stammkunden sollten zu allen Anlässen eine durchgängige und einheitliche Benutzeroberfläche über alle ÖV-Akteure wahrnehmen. Sind Kontaktdaten vorhanden, sollten diese mithilfe des Datenmanagements leicht nutzbar gemacht werden. Die Verknüpfung der Kundenstammdaten mit ÖPNV-Angebots- und Geodaten erlaubt (nicht nur im Zusammenhang mit Krisen) eine detaillierte Selektion der anzusprechenden Kunden. Zeitgemäße Kanäle wie Social-Media-Plattformen bieten neben hoher Akzeptanz auch die Option, exklusive Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. Die technischen und personellen Voraussetzungen für schnelle und individuelle Kontaktaufnahme sind vorzuhalten. 5. In der Krise: Aktion vor Reaktion und „Was-fährt? “-Perspektive In der Krise empfiehlt es sich, alle Kunden wahrheitsgemäß, faktenbasiert, unverzüglich und transparent zu informieren. Dabei hilft die „Was-fährt? “-Perspektive. Hier gilt es, bestehende Angebote, mögliche Alternativen und Ersatzmaßnahmen zum Bewältigen der Reisekette zu kommunizieren, anstatt zu betonen, welche Einschränkungen die Krise bewirkt. Verkehrsunternehmen und -verbünde haben aufgrund ihrer unmittelbaren Betroffenheit in der Regel einen Informationsvorsprung und tragen deutlich zur Meinungsbildung hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Nutzbarkeit des ÖV während und nach der Krise bei. Diesen Umstand sollten sie nutzen und daher auch unsichere Informationen - mit Kennzeichnung ihres Vorbehalts - schnellstmöglich veröffentlichen. Auch in der Krise sollten die Akteure ihr positives Tun zur Krisenbewältigung hervorheben. Dabei gilt: Einfachheit vor Schönheit. In der Krise können Kommunikationsmittel aufgrund ihres unvorhersehbaren und schnellen Einsatzes einfacher gestaltet sein. Die Potenziale der digitalen, individuelleren sowie schnelleren und flexibleren Kommunikationsmöglichkeiten insbesondere gegenüber Stammkunden sollten Verkehrsunternehmen besser nutzen. 6. Exklusive Kanäle für Stammkunden Eine Reihe von Unternehmen lehnt mit Verweis auf die Relevanz der Krisenkommunikation für alle Kundengruppen und der Ressourcenknappheit eine besondere Ansprache der Stammkunden ab. Dieses grundsätzlich nachvollziehbare Argument ist durch einen gut gepflegten Informationskanal aufzufangen. Im weiteren Verlauf sollte dieser je nach Art der Krise als zentraler Informationspunkt insbesondere den Stammkunden auf möglichst direktem Weg wie z. B. über digitale oder analoge Stammkunden-Newsletter kommuniziert werden. Auch auf allen anderen Kommunikationskanälen sollte auf den zentralen Informationsort verwiesen werden. Außerdem wird der „Außenauftritt mit einer Stimme“ empfohlen. Bei Krisen, die mehrere Verkehrsunternehmen betreffen, sollten Verkehrsverbünde oder Aufgabenträger die Aufgabe als Koordinator der Informationsvermittlung wahrnehmen. Fallweise können sie auch der zentrale Absender der Kommunikation sein. 7. Perspektive aufzeigen und Hintergründe erläutern Insbesondere Stammkunden wünschen aufgrund der krisenbedingten temporären Einschränkung ihrer Mobilitätsmöglichkeiten eine Perspektive. Das voraussichtliche Ende der Krise oder absehbare künftige Einschränkungen in weiteren Krisenphasen sind für sie von hohem Interesse. Zur Befriedigung der Informationsnachfrage und Verständnisförderung sollten Verkehrsunternehmen Hintergründe der Krise erläutern. 8. Krisenkompensation mit After-Crises- Aktionen Zur Kompensation krisenbedingter Einschränkungen mit dem Ziel der Stammkundenbindung empfehlen sich vorzugsweise nicht monetäre Aktionen mit Bezug zur eigenen Leistung. Dies kann die temporäre Leistungserweiterung von Zeitkarten (z. B. erweiterte Mitnahme, Nutzung 1. Klasse oder Freigabe weiterer Verkehrsmittel) sowie deren räumliche (z. B. die Freigabe im gesamten Verbund) oder die zeitliche Erweiterung (z. B. Verlängerung um die Zeit der massiven Einschränkungen) sein. Das Ziel der Kompensation sollte sein, die bestehenden Stammkunden zu binden, aber auch bereits verlorene Kunden aktiv anzusprechen, um sie in das System zurückzuholen. Statt einer Rückerstattung bereits gezahlter Fahrgelder sind die Vorteile des ÖV herauszustellen, um Mehrnutzung zu induzieren, positive Nutzungsanlässe zu schaffen und Vertrauen wieder aufzubauen. Dabei ist eine klare Stammkundenpriorisierung vorzunehmen und zu kommunizieren. 9. Ausnutzen weiterer Möglichkeiten der Instrumente des Marketings zur Kundenakquise und -bindung Die Kommunikation spielt auch im Krisenfall ihre Stärken nur gemeinsam mit den weiteren Elementen des Marketing-Mix aus. Im Rahmen der Preispolitik gefährden kurzfristig vergünstigte Ticketpreise die Erlösbasis. Allerdings können bei absehbar anhaltenden Nachfragerückgängen temporäre oder dauerhafte preis- und leistungsreduzierte Ticketangebote geschaffen werden, die verlorene oder neue Kundengruppen ansprechen. Bei deren Planung ist zu berücksichtigen, dass Bestandskunden nur in Maßen in die alternativen Ticketangebote abwandern. Hinsichtlich der Personalpolitik sollte der ÖV darauf achten, dass bei allen persönlichen analogen und digitalen Kontakten die eigenen Mitarbeiter dafür sensibilisiert werden, wie wichtig die Bindung der Stammkunden ist. Einheitliche Sprachregeln und Argumentationshilfen sowie ein angemessener Kulanzrahmen ermöglichen den Mitarbeitern, positiv auf Kunden zuzugehen und aktiv für dauerhafte Vertragsbeziehungen zu werben. Seitens des Vertriebs und der Prozesse sollten Krisen die Akteure im ÖV motivieren, die Verknüpfung von Vertriebshintergrundsystemen mit denen des Kundenbeziehungsmanagements (CRM) sowie mit Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 67 Ridepooling als Mobilitätsoption für alle? Erkenntnisse aus der Moia-Begleitforschung zu Nutzerinnen und Nutzern Ridepooling, Nutzeranalyse, Moia, Begleitforschung, Mobilitätsverhalten Erkenntnisse darüber, von wem und wie Ridepooling im Alltag genutzt wird, sind bisher kaum verfügbar. Die relativ neue Verkehrsform war in der Vergangenheit meist nur zeitlich beschränkt oder kleinräumig verfügbar und hatte häufig Pilotstudien-Charakter. Der Ridepooling-Anbieter Moia betreibt seit 2019 seinen Service in Hamburg und Hannover großflächig mit einer Flotte von ca. 500 batterieelektrischen Fahrzeugen. Im Rahmen der Moia-Begleitforschung wird erstmals eine Langzeitstudie durchgeführt, die Auswirkungen von Ridepooling auf das städtische Verkehrssystem am Beispiel von Hamburg untersucht. Vor diesem Hintergrund wurde eine umfangreiche Befragung von über 11.000 Verkehrsteilnehmer*innen durchgeführt; der vorliegende Beitrag stellt dazu erste Erkenntnisse vor. Nadine Kostorz, Eva Fraedrich, Martin Kagerbauer O n-Demand-Mobilität auf Basis digitaler Technologien ist derzeit eines der wesentlichen Forschungs- und Entwicklungsthemen im Verkehrsbereich. Unterstützt durch Innovationen im Bereich der Digitalisierung und den damit verbundenen Möglichkeiten von Vernetzung, Echtzeitinformationen, usw. ist in den vergangenen Jahren die Anzahl neuer Mobilitätsdienste weltweit stark gestiegen [1]. Kund*innen können flexible und bedarfsgerechte Angebote in Form von Dienstleistungen oder geteilten Verkehrsmitteln (z. B. Fahrrädern, E-Scootern oder PKW) nutzen. Über Digitalisierungstrends hinaus kann diese Entwicklung auch als Reaktion auf die in allen Lebensbereichen zunehmende Individualisierung gesehen werden. Zu den neuen Shared-Mobility-Angeboten gehört Ridepooling (manchmal auch Ridesharing genannt), eine Verkehrsform, die zeitlich und räumlich korrespondierende Fahrtwünsche von Kund*innen bündelt. Sie unterscheidet sich damit vom sogenannten Ridehailing - aber auch dem klassischen Taxibetrieb - bei dem Fahrtwünsche nur sequenziell abgewickelt werden. Beim Ridepooling werden geringe Umwege und Zwischenstopps in Kauf genommen, um so zeitgleich mehrere Kund- Alle Fotos: MOIA GmbH Mobility as a Service MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 68 MOBILITÄT Mobility as a Service *innen in einem Fahrzeug ans Ziel zu bringen. Ein Ridepooling-Anbieter in Deutschland ist Moia, eine Tochtergesellschaft des Volkswagen-Konzerns, der seinen Service derzeit in Hamburg und Hannover offeriert. Anders als in Deutschland sonst üblich, operiert das Unternehmen kommerziell (in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden und Verkehrsbetrieben) und nicht über einen öffentlichen Aufgabenträger. Moia betreibt ca. 500 batterieelektrische Fahrzeuge und damit die größte zusammenhängende Ridepooling-Flotte in Europa [2]. Die von VW speziell für Ridepooling konzipierten Fahrzeuge bieten Sitzplätze für insgesamt sechs Fahrgäste und verfügen über zahlreiche Ausstattungsmerkmale, insbesondere in Hinblick auf Privatsphäre und Komfort im geteilten Innenraum (beispielsweise durch speziell abgeschirmte Sitze, USB-Anschlüsse, WLAN, einen Bildschirm mit Fahrtinformationen oder eine geräumige Gepäckablage (siehe Bild 1). Die Fahrt wird über eine mobile App gebucht; anschließend werden die Nutzenden einem Fahrzeug zugeordnet und zu einem virtuellen Haltepunkt navigiert. Die Verteilung und Optimierung von Routen sowie die Bereitstellung von Informationen erfolgen in Echtzeit und erlauben so die Bündelung der Fahrten mehrerer Fahrgäste. Ridepooling erhöht die Flexibilität im Mobilitätsbereich auf Nutzer*innenseite und stellt auf diese Weise eine attraktive Ergänzung zu öffentlichem Verkehr und privatem PKW dar. In Hamburg sind solche bedarfsgerechten Angebote auf digitaler Basis seit 2016 Teil der sogenannten ITS-Strategie zur Weiterentwicklung des Verkehrssystems in Hinblick auf Effizienz, Sicherheit, Informationsverteilung, Innovationsförderung und Reduzierung negativer Umwelteinflüsse; Moia ist dabei eines der Kernprojekte [3]. Die konkreten Auswirkungen der neuen Verkehrsform - derzeit noch nicht rechtlich verankert und daher meist unter der sogenannten Experimentierklausel des PBefG [4, PBefG § 2, Abs. 7] zugelassen - auf das städtische Verkehrssystem sind bisher allerdings erst in Ansätzen verstanden, und die Diskussion zu Ridepooling wird teilweise recht emotional geführt. Um hier eine wissenschaftliche Basis zu schaffen, kooperiert Moia seit Sommer 2019 mit dem Institut für Verkehrswesen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und dem Lehrstuhl für Verkehrstechnik der Technischen Universität München (TUM) in einem zweijährigen Begleitforschungsprojekt. Ziel der Langzeitstudie ist die Analyse der Implikationen von Ridepooling auf das Verkehrssystem mit besonderem Fokus auf die Nutzer*innen des Dienstes, die Wirkungen auf den Verkehr gesamt, sowie die Wechselwirkungen mit kommunalen verkehrlichen Reglementierungsmöglichkeiten. Im Rahmen der Begleitforschung werden dazu quantitative und qualitative Untersuchen durchgeführt, um eine empirische Datenbasis zu generieren, die derzeit in diesem Umfang noch nicht existiert. Um Effekte auch auf individueller Ebene abbilden zu können, werden die Ergebnisse der Empirie in ein agentenbasiertes (mikroskopisches) und multimodales Verkehrsnachfragemodell für die Region Hamburg mit der am Institut für Verkehrswesen entwickelten Software mobiTopp 1 integriert. Für das Modell wurden außerdem zahlreiche Struktur- und Mobilitätsdaten der Region gesammelt, aufbereitet und analysiert. Im Anschluss wird es mit der Flottensimulation der TU München verknüpft und ermöglicht auf diese Weise, die Wirkungen von Ridepooling in einer umfangreichen Simulationsstudie zu betrachten. Ergebnisse dieser Studie werden im Sommer 2021 erwartet. Insbesondere Wissen zum Mobilitätsverhalten in Bezug auf neue Mobilitätsdienste ist vor diesem Hintergrund entscheidend, um sowohl Treiber als auch Hindernisse bei der Nutzung der neuen Angebote zu identifizieren. Im vorliegenden Artikel werden ausgewählte Ergebnisse der Befragung von Moia-Nutzer*innen 2 vorgestellt und die folgenden Forschungsfragen adressiert: • Wer sind die Nutzer*innen von Moia Ridepooling? Was sind ihre soziodemografischen und mobilitätsbezogenen Merkmale? Bild 1: Moia-Fahrzeug und App-Buchungsprozess Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 69 Mobility as a Service MOBILITÄT Wann und zu welchem Zweck wird Moia aktuell genutzt? Welche Gründe führen zur Nutzung des Angebots? Studienlage In nachfrageschwachen Gegenden, in denen der traditionelle ÖPNV nicht kosteneffizient ist, existieren bereits seit Jahrzehnten Angebote wie Sammeltaxis oder Rufbusse. Allein in der Metropolregion Hamburg gibt es fast 60 bedarfsgesteuerte Angebote, die meist von Taxiunternehmen bereitgestellt und mit Hilfe telefonischer Vorbuchung organisiert werden [5]. Die neue, digitalisierte Form des Ridepooling ist allerdings nicht nur in Deutschland noch immer eine weitgehend unerforschte Verkehrsform. Auch im internationalen Kontext konzentriert sich die Forschung im Bereich Ridesharing häufig auf das bereits erwähnte Ridehailing - ein Mobilitätsangebot, bei dem Kund*innen zwar ebenfalls über eine App eine Fahrt anfordern und bezahlen können, die Fahrtwünsche jedoch sequenziell behandelt werden. Bisherige Studien haben gezeigt, dass diese Art von Mobilitätsservice zu einem Anstieg der gefahrenen Fahrzeugkilometer führen kann, während die Nutzung der Verkehrsmittel im Umweltverbund sinkt [6, 7]. Hingegen deuten verschiedene Verkehrssimulationsstudien darauf hin, dass mit der Einführung von Ridepooling eine Entlastung der Straßen, Verringerung der Emissionen und gefahrenen Fahrzeugkilometer und damit positive Auswirkungen auf städtische Verkehrssysteme erreicht werden können [8, 9, 10, 11]. Untersuchungen, die Nutzer*innen von Ridepooling adressieren, stützen sich häufig auf Gedankenexperimente, in denen Proband*innen (z. B. mittels Stated-Preference-Befragungen) mit Szenarien konfrontiert und gebeten werden, sich zu einer hypothetischen Nutzung zu äußern [12, 13, 14]. Andere Studien basieren auf nur kleinen Stichproben und/ oder Befragungen in Testbetrieben - was zum Beispiel bedeutet, dass der On-Demand Dienst, auf den sich entsprechende Befragungen beziehen, nur für kurze Zeit, besonders günstig oder gänzlich kostenlos verfügbar war [15, 16, 17]. Allen diesen Untersuchungen ist gemeinsam, dass sie nur eingeschränkt Rückschlüsse auf die tatsächliche Nutzung der neuen Angebote im Mobilitätsalltag von Verkehrsteilnehmer*innen zulassen. In Deutschland liegen erste Erkenntnisse aus einer Studie von Clevershuttle- Kund*innen vor [18]. Die Autor*innen fanden heraus, dass der Großteil der Nutzer*innen (45 %) unter 30 Jahre und weitere 40 % 30 bis 45 Jahre alt sind. 60 % nutzen den Service für Freizeitzwecke und 25 % für berufsbedingte Fahrten. Das Mobilitätsangebot wurde vor allem abends und nachts genutzt und bietet eine bequeme Tür-zu-Tür-Option, die das Reisen ohne eigenes Auto attraktiver macht. 45 % der befragten Haushalte, die ein Auto besitzen, gaben sogar an, dass sie sich vorstellen können, in Zukunft auf ihr Auto zu verzichten. In Finnland war im Zeitraum von 2012 bis 2015 im Rahmen des Pilot-Projektes Kutsuplus ein On-Demand-Pooling-Dienst verfügbar. Am Ende dieses Zeitraums ergab eine Befragung, dass dieser von einer heterogenen Gruppe genutzt wurde: Sowohl Männer als auch Frauen aller Altersklassen befanden sich unter den Nutzenden. Als Hauptgründe für die Nutzung des Dienstes gaben die Befragten den Mangel an alternativem ÖPNV-Angebot, geringe Kosten sowie beispielsweise den Mangel an Parkplätzen an, der gegen die Nutzung des eigenen PKW sprach. Jittrapirom & al. [19] untersuchten die Anforderungen älterer (und damit teilweise moblitätseingeschränkter) Nutzer*innen an einen Ridepooling-Dienst in den Niederlanden und fanden heraus, dass für diese Kund*innengruppe kurze Zugangswege und Wartezeiten sowie Zuverlässigkeit von besonderer Bedeutung sind. Darüber hinaus wird der Service auch für Fahrten zu medizinischen Zwecken genutzt. Als Buchungskanäle wiederum werden weniger die App als eher Telefon oder Dritte präferiert. Zusammenfassend können diese Studien erste wichtige Hinweise auf die Nutzer*innen und Nutzung von Ridepooling liefern. Der vorliegende Artikel will diesen Kenntnisstand erweitern, in dem Kund- *innen eines realen Services umfänglich untersucht werden. Die Größe des Nutzer*innen-Pools, die beim Ridepooling- Anbieter Moia insbesondere auch durch die Größe der Fahrzeugflotte bestimmt ist, verspricht eine deutlich bessere Möglichkeit der Einordung und Vergleichbarkeit der Ergebnisse und erlaubt darüber hinaus eine differenzierte Betrachtung der Ridepooling-Nutzer*innen. Studiendesign Im November und Dezember 2019 wurde eine umfangreiche Online-Erhebung durchgeführt, bei der Teilnehmer*innen sowohl über E-Mail als auch über soziale Medien rekrutiert wurden; die Teilnahme wurde nicht incentiviert. Der Fragebogen deckte folgende Themenbereiche ab: • Soziodemografie (Alter, Geschlecht, Haushaltskontext, …) Besitz von Mobilitätswerkzeugen (PKW, Fahrrad, Zeitkarte, Mitgliedschaften…) Nutzungshäufigkeiten von versch. Verkehrsmitteln Bisherige Erfahrung mit Moia Moia-Nutzungsmuster Einstellungen zu Moia und anderen Verkehrsmitteln Insgesamt nahmen 12.082 Personen an der Befragung teil, von denen 11.372 nach ausführlicher Plausibilisierung zur weiteren Analyse berücksichtigt wurden. Durch den explorativen Studienansatz wurden dabei auch Teilnehmer*innen außerhalb Hamburgs (insbesondere auch Nutzer*innen aus Hannover, aber auch dem Rest von Deutschland und einige wenige internationale Kund*innen) sowie Nicht-Nutzer*innen rekrutiert. Der folgende Artikel beschränkt sich auf die Hamburger Nutzer*innen (N = 6.417). Ergebnisse Unter den Hamburger Nutzer*innen gaben 55 % an, männlich und 45 %, weiblich zu sein, was ungefähr dem Durchschnitt der Hamburger Bevölkerung (51 % und 49 %) entspricht. Zudem decken die Moia- Nutzer*innen alle Altersklassen ab 18 bis über 75 Jahren ab, wobei der größte Anteil auf die Altersgruppe der 30 bis 39-Jährigen fällt (31 %). Jede vierte Nutzerin ist bereits über 50 Jahre alt. Mit 75 % ist die große Mehrheit berufstätig in Vollzeit, hinzu kommen 11 % in Teilzeit. Dies liegt deutlich über dem Anteil der Hamburger Erwachsenen, wo ca. 57 % berufstätig (in Voll- oder Teilzeit) sind [20]. Die Anteile von Studierenden und Auszubildenen (zusammen 7 %) sowie Rentner*innen (4 %) unter den Nutzenden sind hingegen deutlich geringer, was bei letzteren auch auf die Unterrepräsentanz der über 60-Jährigen in der Stichprobe zurückzuführen ist. Der Anteil der Hausfrauen/ -männer und Arbeitslosen unter den Nutzer*innen ist mit je 1 % ebenfalls deutlich unterdurchschnittlich ausgeprägt. Bei der Betrachtung des Einkommens zeigt sich, dass Haushalte von Moia-Nutzer*innen ein signifikant höheres Durchschnittseinkommen als die Hamburger Bevölkerung aufweisen [20] (siehe Bild 2). Die Analyse von Mobilitätswerkzeugen und -verhalten zeigt, dass Moia- Nutzer*innen überdurchschnittlich mobil und multimodal sind; 73 % nutzen im Alltag mehrere Verkehrsmittel pro Woche. Einen Zugang zu mindestens einem PKW im Haushalt haben 72 %, 24 % sogar zu mehr als einem. Dies ist mehr als der Durchschnitt in Hamburg, wo 67 % über mindestens einen PKW und nur 14 % über mehrere im Haushalt verfügen [20]. Dementsprechend ist auch die Häufigkeit der PKW-Nut- Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 71 Mobility as a Service MOBILITÄT Nadine Kostorz, M.Sc. Institut für Verkehrswesen, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe nadine.kostorz@kit.edu Martin Kagerbauer, Dr.-Ing. Institut für Verkehrswesen, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe martin.kagerbauer@kit.edu Eva Fraedrich, Dr. rer nat. MOIA GmbH, Berlin eva.fraedrich@moia.io berichteten Wege wird zu Freizeitzwecken durchgeführt, jeder fünfte Weg steht in Zusammenhang mit berufsbedingten Aktivitäten. Insbesondere die arbeitsbezogenen Pendelwege bieten zu den Spitzenzeiten dabei ein großes Bündelungspotenzial - auch, weil sie aktuell häufig noch allein stattfinden [20]. Ridepooling erweitert und flexibilisiert insgesamt das Mobilitätsangebot im städtischen Verkehrssystem. Es ergänzt den ÖPNV, insbesondere wenn dieser nachts nicht zur Verfügung steht oder wenn Verbindungen durch Umstiege umständlich erscheinen. Ridepooling bietet darüber hinaus aber auch eine attraktive Alternative zum PKW. Insbesondere die Simulationsstudien der Begleitforschung werden mit Hilfe von Szenarienmodellierung aufzeigen können, ob ein stärkerer Verlagerungseffekt möglicherweise durch umfassendere Regulierungen oder ähnliche Push-Maßnahmen erreicht werden kann. Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse über reale Nutzer*innen wird im Rahmen der Begleitforschung derzeit ein agentenbasiertes und multimodales Verkehrsnachfragemodell aufgebaut und mit einer Flottensimulation verknüpft. Dies ermöglicht die Analyse der Auswirkungen von Ridepooling mit verschiedenen Serviceparametern (bspw. Flottengröße, Preise, Bediengebiet) auf das städtische Verkehrssystem sowie einhergehende Veränderungen im Mobilitätsverhalten auf individueller und aggregierter Ebene. ■ ¹ Siehe http: / / mobitopp.ifv.kit.edu ² Der Fokus der Nutzer*innenbefragung liegt auf Hamburg, wo das Unternehmen derzeit seine größte Flotte betreibt und auch der Wohnort der meisten Kund*innen liegt. LITERATUR [1] Viergutz, K.; Brinkmann, F. (2018): Ridepooling - ein Erfolgsmodell? Digitalisierung im Nahverkehr. Signal + Draht (110) 7+8/ 2018, S. 13-18 [2] Foljanty, L. (2020): Mapping the Global On-Demand Ridepooling Market. In Medium. Online verfügbar unter https: / / lukas-foljanty. medium.com/ mapping-the-global-on-demand-ridepoolingmarket-f8318de1c030 [3] Senat der Freien und Hansestadt Hamburg (2018): Fortschrittsbericht der ITS-Strategie Hamburg. www.hamburg.de/ contentblob/ 11 233022/ 118138471ce86af50368f0231911e1c8/ data/ fortschrittsberichtder-its-strategie.pdf [4] Personenbeförderungsgesetz PBefG in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.08.1990 [6] Clewlow, R.; Mishra, G. S. (2017): Disruptive Transportation: the adoption, utlization and impacts of ride-hailing in the United States. In: Research Report UCD-ITS-RR-17-07 [7] Babar, Y.; Burtch, G. (2017): Examining the Heterogeneous Impact of Ridehailing Services on Public Transit Use. In Information System 31 (3), S. 820-834. https: / / doi.org/ 10.1287/ isre.2019.0917 [8] Friedrich, M.; Hartl, M.; Magg, C. (2018): A modeling approach for matching ridesharing trips within macroscopic travel demand models. In: Transportation 45 (6), S. 1639-1653. DOI: 10.1007/ s11116-018- 9957-5 [9] Alonso-Mora, J.; Samaranayake, S.; Wallar, A.; Frazzoli, E.; Rus, D. (2017): On-demand high-capacity ride-sharing via dynamic tripvehicle assignment. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 114 (3), S. 462-467. DOI: 10.1073/ pnas.1611675114 [10] Bischoff, J.; Maciejewski, M,; Nagel, K. (2017): City-wide shared taxis: A simulation study in Berlin. In: 2017 IEEE 20th International Conference on Intelligent Transportation Systems (ITSC). 2017 IEEE 20th International Conference on Intelligent Transportation Systems (ITSC), S. 275-280 [11] Fagnant, D. J.; Kockelman, K. M. (2018): Dynamic ride-sharing and fleet sizing for a system of shared autonomous vehicles in Austin, Texas. In: Transportation 45 (1), S. 143-158. DOI: 10.1007/ s11116-016-9729-z [12] Alonso-González, M. J.; van Oort, N.; Cats, O.; Hoogendoorn-Lanser, S.; Hoogendoorn, S. (2020): Value of time and reliability for urban pooled on-demand services. In: Transportation Research Part C: Emerging Technologies 115, S. 102621. DOI: 10.1016/ j.trc.2020.102621 [13] Morsche, W.; La Paix Puello, L.; Geurs, K.T. (2019): Potential uptake of adaptive transport services: An exploration of service attributes and attitudes. In: Transport Policy 84, S. 1-11. DOI: 10.1016/ j.tranpol.2019.09.001 [14] König, A.; Bonus, T.; Grippenkoven, J. (2018): Analyzing Urban Residents’ Appraisal of Ridepooling Service Attributes with Conjoint Analysis. In: Sustainability 10 (10), S. 3711. DOI: 10.3390/ su10103711 [15] Gilibert, M.; Ribas, I.; Rodriguez-Donaire, S.: Study of on-demand shared ride-hailing commuting service: first results from a case study in Barcelona, S. 121-128. DOI: 10.2495/ UT180121 [16] Weckström, C.; Mladenović, M. N.; Ullah, W.; Nelson, J. D.; Givoni, M.; Bussman, S. (2018): User perspectives on emerging mobility services: Ex post analysis of Kutsuplus pilot. In: Research in Transportation Business & Management 27, S. 84-97. DOI: 10.1016/ j. rtbm.2018.06.003 [17] Jokinen, J.-P.; Sihvola, T.; Mladenovic, M. (2019): Policy lessons from the flexible transport service pilot Kutsuplus in the Helsinki Capital Region. In: Transport Policy (76), S. 123-133. DOI: 10.1016/ j.tranpol.2017.12.004 [18] Knie, A.; Ruhrort, L.; Gödde, J.; Pfaff, T. (2020): Ride-Pooling-Dienste und ihre Bedeutung für den Verkehr. Nachfragemuster und Nutzungsmotive am Beispiel von CleverShuttle - eine Untersuchung auf Grundlage von Buchungsdaten und Kundenbefragungen in vier deutschen Städten. WZB Discussion Paper NO. SP III 2020-601. [19] Jittrapirom, P.; Van Neerven, W.; Martens, K.; Trampe, D.; Meurs, H. (2019): The Dutch elderly’s preferences toward a smart demandresponsive transport service. Research in Transportation Business & Management 30, 100383. doi: 10.1016/ j.rtbm.2019.100383. [20] infas; DLR; IVT Research; infas 360 (2017): Mobilität in Deutschland - Ergebnisbericht. Hg. v. infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrsforschung, IVT Research GmbH und infas 360 GmbH. Bonn, Berlin Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 73 Wissenschaft MOBILITÄT werden, die unmittelbar in die Wohnquartiere eingebettet werden. Vor diesem Hintergrund wurden durch die Hamburger Hochbahn AG seit November 2017 in der Innenstadt Hamburgs mittlerweile 58 sogenannte dezentrale hvv switch-Punkte errichtet (Name bis Juli 2020: dezentrale switchh Punkte). Dabei handelt es sich um kleine Mobilitätsstationen, an denen je Standort drei bis vier reservierte Carsharing-Stellplätze für Fahrzeuge der Anbieter „Share Now“ (free-floating Carsharing) sowie „Cambio“ (stationsbasiertes Carsharing) bereitgestellt werden. Die dezentralen Stationen entstanden durch die Umwandlung öffentlicher Parkstände und sind somit direkt in den Straßenraum der stark verdichteten Wohnquartiere integriert (siehe Bild 1). Sie ergänzen die 17 größeren, bereits seit 2013 ausgebauten zentralen hvv switch-Punkte, die in unmittelbarer Nähe großer U-Bahn- und S-Bahn- Haltestellen liegen. Das Ziel der überwiegend in Nebenstraßen abseits von Schnellbahn-Haltestellen errichteten dezentralen Stationen besteht vor allem darin, einer Vielzahl von Haushalten leichter zugängliche und verlässlichere Carsharing-Angebote im engeren Wohnumfeld zur Verfügung stellen, um das Carsharing zu einer attraktiveren Mobilitätsoption weiterzuentwickeln und in Kombination mit den weiteren Angeboten des Umweltverbunds den Verzicht auf einen eigenen PKW zu erleichtern. Bislang mangelt es jedoch an empirisch gesicherten Erkenntnissen zu den tatsächlichen Wirkungen von Mobilitätsstationen. Die Technische Universität Hamburg führte daher in den Jahren 2019 und 2020 im Auftrag der Hamburger Hochbahn AG eine Wirkungsevaluation der dezentralen hvv switch-Punkte durch. Teile der Ergebnisse werden in diesem Artikel vorgestellt. Dabei geht es hier konkret um die Forschungsfrage, ob die Entlastungswirkung des Carsharings durch die Bereitstellung von Mobilitätsstationen gesteigert wird. Die Antwort darauf liefert eine vergleichende Analyse des PKW-Besitzes von Carsharing-Nutzenden mit und ohne regelmäßige Verwendung einer dezentralen Mobilitätsstation. Forschungsmethoden und Datenaufbereitung Die Untersuchung basiert auf einer umfangreichen Befragung der Wohnbevölkerung in der Umgebung von 16 über die Hamburger Innenstadt verteilten dezentralen hvv switch-Punkten (siehe Bild 2). Um eine Kontrollgruppe zu bilden, umfasste die Erhebung zusätzlich auch sieben Wohngebiete, in denen sich bislang keine Mobilitätsstationen befinden. Bei der Wahl der sieben Kontrollquartiere wurde darauf geachtet, dass diese - abgesehen von der Verfügbarkeit einer Mobilitätsstation - bezüglich soziodemographischer und raumstruktureller Kriterien (z. B. Bevölkerungsstruktur und -dichte, ÖV-Erreichbarkeit, Verfügbarkeit von Carsharing-Diensten) möglichst stark mit den 16 anderen Befragungsgebieten vergleichbar sind. In jedem kontaktierbaren Haushalt innerhalb der insgesamt 23 untersuchten Quartiere wurde im Winter 2019/ 2020 jeweils eine volljährige Person postalisch zur Teilnahme an der Befragung eingeladen, die Erhebung selbst fand per Online-Fragebogen statt. Aus der dabei gebildeten Gesamtstichprobe von 2.717 befragten Personen (bereinigte Rücklaufquote: 11,6 %) wurden für diesen Artikel alle 474 Befragten entnommen, die angaben, mindestens monatlich auf das Carsharing zuzugreifen. Hintergrund dieser Abgrenzung ist die Annahme, dass vor allem die wiederholte und geübte Verwendung von Carsharing-Diensten einen Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen den PKW-Besitz ausüben kann. Die 474 berücksichtigten Carsharing-Mitglieder wurden anschließend anhand ihres potenziellen bzw. tatsächlichen Zugriffs auf eine dezentrale Mobilitätsstation in drei Vergleichsgruppen aufgeteilt: • DMS-Nutzende (n = 177): Hierunter werden Befragte zusammengefasst, die im direkten Umfeld einer dezentralen Mobilitätsstation (DMS) wohnen und diese Station mindestens monatlich zum Ausleihen oder Abstellen von Carsharing-Fahrzeugen verwenden. Eine Auswirkung der Station auf das Verkehrshandeln ist bei diesen Personen am wahrscheinlichsten. DMS-Nichtnutzende (n = 192): Zu dieser Gruppe gehören jene Carsharing-Nutzende, die zwar im Umfeld einer dezentralen Mobilitätsstation wohnen, diese Station allerdings nicht oder nur in seltenen Ausnahmefällen in Anspruch nehmen. Die Wirkung der Station auf das Verkehrshandeln kann dementsprechend als allenfalls gering eingeschätzt werden. Die Nichtnutzung erfolgte bei diesen Befragten entweder bewusst - etwa aufgrund einer als zu groß empfundenen Entfernung zwischen der Station und dem Wohnort - oder unbewusst, falls die Mobilitätsstation zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht bekannt war. Kontrollgruppe (n = 105): Hierbei handelt es sich um Carsharing-Nutzende, in deren Wohnumfeld sich keine Mobilitätsstation befindet. Ein Einfluss einer sol- AT A GLANCE Carsharing services contribute to reducing private car ownership. Mobility hubs that are integrated into the public street space of densely populated residential neighborhoods, are equipped with reserved parking spaces for carsharing vehicles and considered a promising approach to strengthen carsharing and its effect on car ownership. Using the hvv switch-Punkte in Hamburg as an example, this article shows, by means of a representative survey of carsharing users, that conveniently located mobility hubs can considerably increase the impact of carsharing on car ownership. Bild 1: Einer der dezentralen hvv switch-Punkte Quelle: hvv switch Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 77 Wissenschaft MOBILITÄT Einfluss der Station auf die Abschaffung des eigenen Autos als sehr groß bis teilweise mitentscheidend ein. Bei dem bewussten Verzicht auf die PKW-Anschaffung übte die Mobilitätsstation sogar in fast zwei Drittel der Fälle eine zumindest teilweise mitentscheidende Wirkung aus und lediglich jede fünfte befragte Person gestand der Station überhaupt keinen Einfluss zu. Schlussfolgerungen und Ausblick Die Untersuchung der dezentralen hvv switch-Punkte in Hamburg zeigte, dass die Kombination von Carsharing-Diensten und dezentral in verdichteten Wohnquartieren platzierten Mobilitätsstationen zu einer stärkeren Entlastungsleistung des Carsharings führt. Dies lässt sich zum einen mit der leichteren Zugänglichkeit der Carsharing-Angebote und zum anderen mit der Verfügbarkeit reservierter Stellplätze in den von einem hohen Parkdruck gekennzeichneten Quartieren erklären. Das Carsharing wird dadurch als attraktiver und komfortabler wahrgenommen und letztendlich in seiner Rolle als Alternative zum eigenen PKW gestärkt. Ein hervorzuhebendes Indiz dafür lieferte die Betrachtung des free-floating Carsharings. Während das in der Verkehrsforschung bislang nicht als sehr effektiv bekannte FFCS ohne die Unterstützung der Mobilitätsstationen nur eine sehr überschaubare Entlastungswirkung entfaltet, wird es durch die reservierten Flächen an den Stationen zu einer ernsthafteren Konkurrenz zum privaten Autobesitz aufgewertet. Darüber hinaus besitzt das FFCS aber vor allem wegen seiner - im Vergleich zum stationsgebundenen Carsharing - deutlich höheren Nutzerzahlen eine entscheidende Bedeutung für den Erfolg der Mobilitätsstationen. Erkennen lässt sich dies etwa daran, dass zwei Drittel der regelmäßigen Nutzer und Nutzerinnen dezentraler Mobilitätsstationen ausschließlich auf Angebote des free-floating Carsharings zurückgreifen. Auf Basis der vorgestellten Untersuchung und weiteren, seit 2013 gesammelten Erfahrungen plant die Hamburger Hochbahn AG in den kommenden Jahren einen umfangreichen Ausbau der hvv switch-Punkte in Hamburg. Dies umfasst zum einen die Vergrößerung der Standortanzahl, um durch ein verdichtetes Angebot die Wirkungen der Mobilitätsstationen auf den PKW-Besitz und das Mobilitätsverhalten großflächig zu verbreiten. Dabei liegt der Schwerpunkt auf einem angebotsorientierten Ausbau der dezentralen Standorte. Zum anderen ist eine qualitative Erweiterung der hvv switch-Punkte geplant. So sollen zusätzliche Carsharing-Anbieter, aber auch Mobilitätsdienste aus dem Bereich der Mikromobilität integriert werden. Dadurch wird größeren Teilen der Bevölkerung ein breites, attraktives Angebot von geteilten Mobilitätsdiensten in direkter Nachbarschaft zur Verfügung stehen. Diese Mobilitätsangebote werden zudem durch die Tiefenintegration in die digitale Hamburger Mobilitätsplattform hvv switch einfach über eine App nutzbar sein. Die hvv switch-Punkte werden zukünftig eng mit der Hamburger Mobilitätsplattform verzahnt und bieten komfortabel gelegene Flächen für geteilte Mobilitätsdienste im öffentlichen Raum als Alternative zum privaten PKW. Somit werden sie in den nächsten Jahren einen wichtigen Baustein für das Erreichen der Mobilitätswende in Hamburg bilden. ■ LITERATUR [1] Riegler, S.; Juschten, M.; Hössinger, R.; Gerike, R.; Rößger, L.; Schlag, B.; Manz, W.; Rentschler, C.; Kopp, J. (2016): Carsharing 2025 - Nische oder Mainstream? München [2] Bundesverband CarSharing (2020): CarSharing in Deutschland 2020. Berlin [3] Giesel, F.; Nobis, C. (2016): The Impact of Carsharing on Car Ownership in German Cities. In: Transportation Research Procedia 19, S. 215-224 [4] Becker, H.; Ciari, F.; Axhausen, K. W. (2017): Comparing car-sharing schemes in Switzerland: User groups and usage patterns. In: Transportation Research Part A 97, S. 17-29 [5] Loose, W.; Nehrke, G. (2018): Entlastungswirkungen von Carsharing-Varianten - Vergleichende Befragung von Kunden unterschiedlicher Carsharing-Angebote. In: Internationales Verkehrswesen 70 (4), S. 50-53 [6] Loose, W.; Nehrke, G. (2019): CarSharing-Stellplätze in den öffentlichen Straßenraum bringen - Leitfaden zur Umsetzung der im Carsharinggesetz (CsgG) vorgesehenen Car- Sharing-Förderung. Berlin [7] De Tommasi, R.; Oetterli, D.; Müller, G.; (2004): Standards für intermodale Schnittstellen im Verkehr. Zürich [8] Jansen, H.; Garde, J.; Bläser, D.; Frensemeier, E. (2015): Städtische Mobilstationen. In: Proff, H. (Hrsg.): Entscheidungen beim Übergang in die Elektromobilität - Technische und betriebswirtschaftliche Aspekte, S. 515-532. Wiesbaden [9] Stein, T.; Bauer, U. (Hrsg.) (2019): Mobilitätsstationen in der kommunalen Praxis - Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem BMU-Forschungsprojekt City2Share und weiteren kommunalen Praxisbeispielen. Berlin [10] Verkehrsclub Deutschland (2017): Multimodal unterwegs - Handlungsempfehlungen zur Umsetzung multimodaler Verkehrsangebote. Berlin Felix Czarnetzki, M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technische Universität Hamburg felix.czarnetzki@tuhh.de Florian Siek, M.Sc. Produktmanager hvv switch-Punkte, Vertrieb und Verkehrswirtschaft, Hamburger Hochbahn AG florian.siek@hochbahn.de Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 78 Auslastungssteuerung vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie Einführung einer Auslastungsprognose und Routenoptimierung in den digitalen RMV-Kanälen Auslastungsprognose, Fahrgastlenkung, Digitalisierungsstrategie Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie haben der RMV und seine Partner VGF und traffiQ die Auslastungsprognose für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Rekordzeit umgesetzt und ihren Fahrgästen zur Verfügung gestellt. Diese trägt dem enorm gestiegenen Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit und Abstand im ÖPNV Rechnung. Als Datengrundlage dient die Verbindungsauskunft des RMV im Zusammenspiel mit Informationen u.a. aus den automatischen Fahrgastzählsystemen (AFZS) der Partner. Zukünftig sollen auch Daten aus den WLAN-Hotspots datenschutzkonform für die Prognose genutzt werden. Knut Ringat, Michael Rüffer, Markus Huber, Till Sommerfeld M it seiner Innovationskraft gestaltet der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) die Entwicklung der Branche maßgeblich mit. Als ein gutes Beispiel kann hier die Initiative „Mobility inside“ genannt werden. Gemeinsam mit seinen lokalen Partnern und den Verkehrsunternehmen wie der Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) investiert er viel, um seinen Kunden bessere und maßgeschneiderte Mobilitätsoptionen bieten zu können. Im Rahmen der Umsetzung seiner Digitalisierungsstrategie verfolgt der Verbund eine Vielzahl zukunftsweisender Ideen. Bereits während der Strategieentwicklung wurde die Prognose der Fahrgastbelegung in Verkehrsmitteln als eine nützliche Funktion der digitalen Vertriebs- und Informationskanäle des RMV identifiziert. Erste konzeptionelle Grundlagen für eine spätere Realisierung wurden geschaffen. Mit dem Auftreten der Corona-Pandemie wurden frühzeitig mögliche Maßnahmen in den Fach- und Führungsgremien geprüft und priorisiert. Bekanntlich führte die Krise zu temporär stark rückläufigen Bild 1: Die RMV-Auslastungsprognose bietet auch in Frankfurt entscheidende Mehrwerte. Foto: Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mbH TECHNOLOGIE Digitalisierung im ÖPNV Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 79 Digitalisierung im ÖPNV TECHNOLOGIE Fahrgastzahlen und zu einem enorm gestiegenen Bedürfnis der Fahrgäste nach Sicherheit und Abstand im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Um das Vertrauen in den ÖPNV wiederzugewinnen, haben die Verkehrsunternehmen erfolgreich und schnell verschiedene Maßnahmen zum besseren Schutz der Fahrgäste ergriffen (so zum Beispiel ein größeres Leistungsangebot zur Abstandswahrung, verstärkte Reinigungen oder Desinfektionen von Fahrzeugen und Infrastruktur). Die Pandemie rückte den Bedarf einer „Auslastungsprognose“ der im Betrieb befindlichen Fahrzeuge regional und international schnell in den Fokus. Die Fahrgäste sollten die Möglichkeit erhalten, übervolle Busse und Züge zu vermeiden. Diese Kundenanforderung wurde vom RMV gemeinsam mit seinen lokalen Partnern Lokale Nahverkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (traffiQ) und VGF für die Rhein-Main-Region sehr schnell aufgegriffen, diskutiert und als absolut prioritär eingeschätzt. Das Projekt „Auslastungssteuerung Rhein-Main“ wurde im April 2020 initiiert. Das ambitionierte Projektziel lautete, eine erste Version Ende August 2020, zum Ende der hessischen Sommerferien, zu präsentieren. Die Auslastungssteuerung RheinMain sollte mit den zwei Kernfunktionalitäten „Auslastungsprognose“ und „optimiertes Routing“ an den Start gehen (Bild 1). Starke Kooperationspartner für eine schnelle Umsetzung Der Rhein-Main-Verkehrsverbund arbeitet traditionell intensiv mit seinen Partnern vor Ort zusammen. Bei der Pilotierung der Auslastungsprognose kooperierte der Verbund daher wie beschrieben eng mit der Verkehrsgesellschaft Frankfurt und der traffiQ als lokale Nahverkehrsgesellschaft in Frankfurt. Diese brachten ihr jeweiliges technisches Knowhow sowie ortsspezifische Kenntnisse ein und liefern unter anderem Daten ihrer automatischen Fahrgastzählsysteme, kurz AFZS. Die technische Klammer in diesem Projekt bildet die Firma HaCon Ingenieurgesellschaft (HaCon). Diese ist ein langjähriger Entwicklungspartner des RMV und verantwortlich für die RMV-Auskunft. Ha- Con stellt die Software-Basis für die Auslastungsprognose. Ergänzt wurde das Projektteam von der RMV-Tochter Rhein-Main- Verkehrsverbund Servicegesellschaft mbH (rms). Diese steuerte ihre Kompetenzen im Bereich Datenhaltung und -nutzung sowie Projektmanagement bei. Die Arbeiten am Umsetzungsprojekt wurden wie beschrieben im April 2020 gestartet. Diese nutzen die weitreichenden Erfahrungen von HaCon. Zudem konnten die Partner wichtige Impulse aus der Arbeitsgruppe Auslastungssteuerung des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und aus einem intensiven internationalen Austausch mitnehmen. Im Gegenzug stellen der RMV und VGF die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse der gesamten ÖV-Branche zur Verfügung. Dies erfolgt national über den VDV-Arbeitskreis und international über die neugegründete UITP „Occupancy Monitoring Working Group“. Auslastungsprognose und optimiertes Routing im Detail Bereits im September vergangenen Jahres schaltete der Verbund die Auslastungsprognose in seiner mobilen Auskunft, der RMV- WebApp, live. Wenig später folgte die Integration in die RMV-App. Dort können die Fahrgäste bei der Planung ihrer Reise neben klassischen ÖV-Angeboten auch weitere Verkehrsmittel beziehungsweise Mobilitätsangebote einbeziehen: Möglich sind multi- und intermodale Kombinationen mit Carsharing, Bikesharing, dem Taxi oder dem eigenen Fahrrad. Dank der neuen Funktionalität können sich die Fahrgäste vor Fahrtantritt über das prognostizierte Fahrgastaufkommen beim Einstieg und über den gesamten Fahrtverlauf hinweg informieren. Die erwartete Auslastung wird dabei in drei Belegungsgrade (niedrig, mittel, hoch) eingeteilt und mit leicht verständlichen Icons dargestellt. Als mittlere Belegung zählt eine erwartete Auslastung zwischen 30 und 60 Prozent. Darunter wird eine niedrige Auslastung angegeben. Liegt die Auslastung beim Einstieg über 60 Prozent, wird die Route entsprechend gekennzeichnet und mit einem Hinweis versehen. In diesem Fall berechnet der intelligente Algorithmus des Auskunftssystems auslastungsoptimierte Routen mit geringer oder mittlerer Belegung und zeigt diese an (Bild 2). Da viele Fahrten zu einer bestimmten Zeit stattfinden müssen, liegt die Herausforderung beim Covid-19-optimierten Routing darin, den Fahrgästen sinnvolle Alternativverbindungen zu bieten. Diese sollten weniger ausgelastet sein und die Fahrt nicht deutlich verlängern. Zudem sollte sich die Zahl der Umstiege in einem vertretbaren Rahmen bewegen. Glücklicherweise gibt es gerade in Ballungsräumen zumindest außerhalb der Hauptverkehrszeiten häufig Alternativen, die ohne große Fahrzeitverluste nutzbar sind. Die Bedeutung der Auslastungsprognose für die Fahrgäste zeigt das Ergebnis ei- Bild 2: Anzeige der Auslastungsprognose mit optimiertem Routing Quelle: RMV Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 82 TECHNOLOGIE Internet of Things Im Internet der Dinge immer richtig verbunden Mit Komplettpaketen erhalten Logistiker die passende Funktechnologie für jede IoT-Anwendung Logistik, LTE-M, NB-IoT, 5G, Tracking, Sensor Warenverfolgung, Überwachung der Lieferkette oder Flottenmanagement: Das Internet of Things (IoT) bietet Logistikern zahlreiche Einsatzmöglichkeiten. Damit ein IoT-Projekt bestmöglich funktioniert, braucht es die richtige Übertragungstechnologie. All-in-One-Tarife bieten Lösungen für alle Anforderungen und einen schnellen Einstieg ins IoT. Iris Quirin B ei minus 70 °C muss einer der heiß ersehnten Covid-19-Impfstoffe gelagert und transportiert werden. Wie lässt sich die Kühlkette über lange Transportwege verlässlich kontrollieren? Ein typischer Fall für das Internet of Things (IoT). Dabei werden Sensoren an der hochsensiblen Fracht befestigt, die ständig die Temperatur erfassen und sie in Echtzeit via Mobilfunk an den Logistiker übermitteln. Laut Marktforschungsunternehmen Gartner sind in diesem Jahr weltweit über 20,4 Milliarden Geräte, Maschinen und Anlagen an das IoT angebunden. In nahezu allen Bereichen und Branchen finden sich entsprechende Anwendungen, einer Studie des Marktanalyse- und Beratungsunternehmens PAC zufolge die meisten davon in der Logistik. Mit Hilfe von IoT-Lösungen verfolgen Logistiker den Weg der Waren von der Produktionshalle bis in den Supermarkt, überwachen die Temperatur von sensiblen Gütern oder managen ihre Flotten, lasten sie besser aus, steuern sie aus der Ferne und vermeiden Leerfahrten. Konnektivität entscheidet über IoT-Erfolg Entscheidend für den Erfolg der jeweiligen Anwendung ist die passende Konnektivität. Fotos: Telekom Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 83 Internet of Things TECHNOLOGIE Denn nur, wenn die Daten im IoT zuverlässig übertragen werden, wissen die Flottenmanager zu jeder Zeit, wo und in welchem Zustand sich Fahrzeuge und Waren befinden. Mit der zunehmenden Anzahl an Applikationen, die mit dem Internet kommunizieren, wächst daher die Bedeutung der Funktechnologien. Welche Technologie eignet sich am besten für welche IoT-Lösung? Die Antwort hängt von mehreren Faktoren ab: dem Einsatzbereich, den Sicherheitsanforderungen, der Übertragungsgeschwindigkeit und dem Standort der vernetzen Maschinen, Produkte und Sensoren. Bislang basierten viele IoT-Anwendungen auf dem herkömmlichen Mobilfunknetz (2G/ 3G/ LTE). Sie benötigen jedoch viel Energie. In zahlreichen Gebäuden - vor allem in Kellern mit dicken Wänden - gibt es Funklöcher, so dass die Anwendungen nicht reibungslos laufen. Außerdem sind die benötigten Funkmodule auf Smartphone- Anforderungen ausgelegt und für viele IoT- Massenanwendungen schlichtweg zu teuer. NB-IoT für kleine Datenmengen Aber die Mobilfunkanbieter haben auch spezifische Lösungen parat. Mit der Funktechnologie Narrowband-IoT (NB-IoT) etwa lässt sich der Verkehr in Städten besser steuern, indem Ampeln und Staumelder Signale aussenden und Navigationsgeräte im Auto bei viel Verkehr automatisch neue Routen berechnen können. Ein weiterer Anwendungsbereich ist „intelligente“ Abfallwirtschaft, wie sie bereits in einigen Städten erprobt wird: Mit Sensoren ausgestattete Mülltonnen und Glascontainer melden automatisch ihren Füllstand und werden erst geleert, wenn sie wirklich voll sind. Das spart Zeit und Wege. Aber nicht nur das. Will ein Logistiker zum Beispiel nur seine Waren in einem riesigen Hochregallager genau nachverfolgen, ist diese NB-IoT-Lösung mit hoher Reichweite, hoher Gebäudedurchdringung und besonders geringem Stromverbrauch ebenfalls die richtige Lösung. Da sich die Funkmodule bei diesem Szenario auf wenige Funktionen beschränken, ist die NB-IoT-Technologie besonders stromsparend und preisgünstig. Sie eignet sich auch dann, wenn kleine Datenpakete in großen Zeitabständen übertragen werden, etwa beim Tracking von Waren. Höhere Datenraten mit LTE-M Wenn Waren und Fahrzeuge in Echtzeit verfolgt werden sollen, muss NB-IoT jedoch passen. Für diese Anwendung ist LTE-M (Long Term Evolution for Machine Type Communication) die richtige Übertragungstechnologie. Wie NB-IoT wurde LTE- M speziell für die IoT-Konnektivität entwickelt, liefert allerdings höhere Datenraten bei geringerer Latenz, also kürzerer Reaktionszeit. Befindet sich ein LTE-M-Gerät etwa beim Smart Tracking sensibler Fracht in einem Fahrzeug und durchquert mehrere Mobilfunkzellen, erhält das Gerät die Verbindung aufrecht - ähnlich wie ein Mobiltelefon. Bei NB-IoT ist ein solcher Wechsel zwischen Mobilfunkzellen nicht möglich, das Gerät muss bei Erreichen eines neuen Funksignals immer eine neue Verbindung aufbauen. Mitarbeiter beispielsweise in der Logistikdisposition haben mit LTE-M die Routen immer im Blick und können die Einsätze der Fahrzeuge effektiver planen. Das ist relevant, wenn Routen laufend optimiert werden sollen. Denn nur wenn die Disponenten einen Überblick über die aktuellen Routen haben, können sie Fahrer und Wegstrecken effizient steuern. Das funktioniert dank Roaming auch grenzüberschreitend. Noch schneller und verlässlicher kommunizieren Geräte und Maschinen künftig mit 5G untereinander. Der neueste Funkstandard ist dank seiner geringen Latenz besonders gut für kritische Anwendungen geeignet, beispielsweise für Roboterfahrzeuge in der Logistik, intelligente Container, die Lieferkettenüberwachung oder Platooning. Darunter versteht man das spritsparende, gesteuerte Kolonnen-Fahren von LKWs. Produktionsunternehmen nutzen die schnelle Funktechnik bereits für autonome Fahrzeuge in Campus-Netzen, einem Mix aus privater und öffentlicher Funknetz- Infrastruktur auf ihrem Betriebsgelände. All-in-One-Lösung als schneller Einstieg Bei diesen vielen Möglichkeiten fällt die Entscheidung, welche Technologie für welche Anwendung die beste ist, nicht immer leicht. Wer sichergehen möchte, dass Netztechnologie und IoT-Einsatzgebiet zusammenpassen, kann eine All-in-One-Lösung für sein IoT-Projekt wählen. Ob sensordatenbasierte Überwachung von Gebäuden, zentrale Steuerung interner Prozesse, Fernüberwachung und -wartung von Geräten, Maschinen und Anlagen oder die Ortung und Rückverfolgung von Waren und Gütern: Für jede Anwendung gibt es mittlerweile den passenden Datentarif, der auch vorkonfigurierte SIM-Karten beinhaltet. Sie lassen sich einfach in die zu vernetzenden Geräte einbauen. Zum Beispiel bietet die Telekom mit Business Smart Connect All-inclusive-Tarife für den schnellen Start von IoT-Projekten. IoT-Lösungsanbieter wählen dazu online das passende Netz und buchen direkt die Konnektivität für ihre Lösung. Über ein Webportal haben sie immer alle Verbindungen, Vertragsdaten und Volumina im Blick. Einige Hersteller integrieren inzwischen die Funktionen der SIM-Karte direkt in den Kommunikationschip des Modems. Diese Variante ist kostengünstiger und verbraucht weniger Strom. Integrierte SIM-Karten sind vor allem für Systeme interessant, die mit nur einer Batterie mehrere Jahre auskommen sollen, etwa Parksensoren, smarte Abfallbehälter oder Tracker für die Überwachung sensibler Fracht - wie den Corona- Impfstoff. ■ Iris Quirin, Freie Fachjournalistin, Hamburg info@iris-quirin.de Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 85 Veranstaltungen FORUM Mietzsch (ZVNL Leipzig). Nachdem seit 1990 im ZVNL-Verbandsgebiet in der Hauptsache Bahnsteigkanten mit 55 cm Höhe realisiert worden wären - die Ausnahme bilde der Leipziger Hbf, dessen Hallenbahnsteigkanten vornehmlich 76 cm hoch seien - und die vom ZVNL als Aufgabenträger beschafften Fahrzeuge auf das geringere Maß ausgelegt worden wären, sei eine weitere Vereinheitlichung seitens dieses Akteures vorgesehen. Die Planungen der DB Station&Service für das Verbandsgebiet sähen hingegen eine perspektivische Anpassung der Bahnsteigkanten auf durchgehend 76 cm vor; begründet sei dies in der Notwendigkeit dieser Höhe für Fahrzeuge des SPFV. Da zugleich bundesweite Einheitlichkeit in dieser Sache gefordert sei, müssten die bestehenden Anlagen mit geringerer Höhe (erneut) umgebaut werden. Der Referent bemängelte insbesondere die dafür entstehenden Kosten, wie auch die Folge, dass hierdurch über Jahrzehnte keine Barrierefreiheit im SPNV möglich wäre. Vielmehr gäbe es keinen zwingenden technischen oder finanziellen Grund, in Mitteldeutschland eine Umstellung auf 76 cm hohe Bahnsteigkanten durchzuführen; eine bundesweite Vereinheitlichung sei ebenso unnötig, sofern nur barrierefreie Umsteigemöglichkeiten vorhanden wären. Markus Würtz (Jenaer Nahverkehr GmbH) zeigte aus Sicht eines Verkehrsunternehmens Aspekte der Barrierefreiheit innerhalb von Bussen und Straßenbahnen auf. Hervorzuheben sei insbesondere der Barrierefreiheitsstand bei den im Jenaer ÖPNV eingesetzten Fahrzeugen: So seien bereits seit 2003 sämtliche Busse und Straßenbahnen in Niederflurbauart ausgeführt sowie allesamt mit Außenansagen ausgerüstet. E-Scooter könnten in jeglichen Straßenbahnen und wenigstens in Dreivierteln aller Busse mitgeführt werden. Die Haltestellen im Unternehmensgebiet würden bereits seit Anfang der 1990er Jahre niederflur gerecht ausgebaut sowie mit dynamischen Fahrgastinformationssystemen - optisch und akustisch - ausgerüstet. Die zunehmende Installation von Blindenleitsystemen seien bei Neubauten sowie bei der Nachrüstung von Altbauten ebenso vorgesehen. Zu beachten sei bei jeglichen relevanten Vorhaben insbesondere die Abstimmung mit den betroffenen Stakeholdern, beispielsweise dem Beauftragten sowie dem Beirat für Menschen mit Behinderungen. Gleichwohl stünde stets die Frage im Raum, welcher Maßnahmen objektive Barrierefreiheit letztlich bedürfe. Und auch welche äußeren Einflüsse, etwa Witterungsbedingungen, zu beachten seien, sei vornehmlich innerhalb eines Gesamtsystems zu denken. So gelte sicherzustellen, dass die - bestenfalls vollständige - Abwesenheit von Hindernissen nicht beim Ausstieg aus dem Verkehrsmittel ihr Ende findet. Für die Deutsche Bahn AG als Unternehmen, welches sowohl im Bereich der Beförderung von Personen als auch durch die einer Zugfahrt vor- und nachgelagerten Stationen mit dem Thema Barrierefreiheit im ÖPNV zahlreiche Berührungspunkte aufweist, sprach Torsten Wilson (Leipzig). Er betonte, dass die Ermöglichung der Mobilität für alle Menschen für die DB AG nicht nur gesetzlicher Auftrag, sondern darüber hinaus eine gesellschaftliche und auch Selbstverpflichtung sei. Ausdruck dessen sei etwa die Kontaktstelle für kundenbezogene Behindertenangelegenheiten als konzernweiter zentraler Anlaufpunkt für sämtliche Aspekte des Themas Barrierefreiheit. Ziel sei ein ganzheitliches Agieren zur Ermöglichung ebendieser während der gesamten Reisekette. Diese beginne etwa unter dem Titel „Inspiration und Reisewunsch“ mit speziellen, barrierefreien Reisepaketen und Erklärvideos für hörbeeinträchtigte Menschen, ziehe sich über den Bereich „Planen und Buchen“, beispielsweise mit zielgruppenspezifischen Angeboten, Informationen und Vergünstigungen, setze sich an mittlerweile fast 85 % stufenlos erreichbarer Bahnhöfe mit diversen barrierereduzierenden Maßnahmen fort, ehe schließlich die Fahrt als solche in zunehmend barrierefreieren (Fernverkehrs-)Zügen abschließe. Durch Dr. Sigrid Arnade (Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. - ISL, Berlin) wurde die Perspektive von Fahrgästen mit Behinderung eingebracht. Trotz der durch die anderen Referenten aufgezeigten (Beteiligungs-)Rechte sei die tatsächliche Umsetzung der Barrierefreiheit noch stark verbesserungsbedürftig. So würden etwa weiterhin Fahrzeuge gekauft, welche diesem Anspruch nicht gerecht würden, oder Nahverkehrspläne aufgestellt, welche schlicht unwirksam blieben - die bisherigen Regelungen zeitigten schlechterdings nicht den erwünschten Effekt. Dementsprechend seien neue Regelungen vonnöten, um den Missständen abzuhelfen. Als Beispiele wurden eine gesetzliche Verpflichtung der Beteiligung Betroffener bei der Fahrzeugbeschaffung, erweiterte Verbandsklagemöglichkeiten sowie die Einführung von Verpflichtungsstatt der bisherigen Feststellungsklagen genannt. Überdies seien effektivere Beteiligungsmechanismen, die Realisierung des sog. Zwei-Sinne-Prinzips sowie die Schaffung jederzeitiger Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten als Sofortmaßnahmen denkbar. In einem abschließenden Fazit wünschte sich die Referentin einen Sinneswandel hin zu einer Partizipation auf Augenhöhe, mit verbindlichen (Zwischen-) Zielen sowie Zeitplänen mitsamt klaren Verantwortlichkeiten. Dr. Rica Werner (Schlichtungsstelle BGG, Berlin) führte mit ihrem Vortrag in die außergerichtliche Konfliktschlichtung als Weg zu barrierefreier Mobilität im ÖPNV ein. Im Gegensatz zu Streitigkeiten vor den Gerichten weise dieses Lösungsinstrument von Problemen diverse Vorteile auf, zu nennen sei beispielsweise die vollständige Barrieresowie Kostenfreiheit des Verfahrens. Das Besondere der Schlichtungsstelle nach § 16 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) sei, dass deren Aufgaben anders als Schlichtungsstellen auf Landesebene nicht zuvörderst die Fahrgastrechte beträfen, sondern gerade Konflikte zwischen Menschen mit Behinderungen und öffentlichen Stellen des Bundes lösen solle. Als positives Beispiel für ein erfolgreiches Schlichtungsverfahren wurde der Umbau eines Bahnhofes genannt, der nach ursprünglichen Planungen während der Bauzeit keine barrierefreie Nutzung ermöglicht hätte. Nach Durchführung des Verfahrens seien Aufzüge installiert worden, sodass Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt waren, den Bahnhof hätten nutzen können. Im abschließenden Vortrag stellte Monika Paulat (Präsidentin des Landessozialgerichts a.D., Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstages e.V., Potsdam) das Projekt „InklusionsTaxi - Taxi für Alle“ vor, welches als Ergänzung des schienengebundenen Verkehrs durch eben jene „InklusionsTaxis“ zu einer ganzheitlichen Barrierefreiheit führen soll. Mithilfe der Fahrzeuge soll dabei die sogenannte „letzte Meile“ überwunden werden, ohne dass es Unterschiede für Fahrgäste mit oder ohne Behinderungen geben solle. Hierin bestehe zugleich ein wesentlicher Unterschied zu Krankenfahrten mit Krankentransportfahrzeugen, welche letztlich nur von mobilitätseingeschränkten Personen genutzt würden. Darüber hinaus stünde die Ermöglichung von barrierefreier, inklusiver Mobilität auf dem Lande im Fokus. Die Referentin resümierte, dass sich die umfassende Barrierefreiheit im ÖPNV nicht (nur) mit einer starren Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben erreichen ließe, sondern vielmehr (auch) im Kopf der Akteure stattfinden müsse. Die 7. Jenaer Gespräche zum Recht des ÖPNV werden am 29. Oktober 2021 stattfinden. Nils Lehmann, LL.M. oec. Rechtswissenschaftliche Fakultät, Friedrich-Schiller-Universität Jena
